Der Vertreter des Öffentlichen Interesses in der VwGO [1 ed.] 9783428585991, 9783428185993

Der Vertreter des öffentlichen Interesses kann als besonderer Prozessbeteiligter an verwaltungsgerichtlichen Verfahren a

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German Pages 256 [257] Year 2022

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Der Vertreter des Öffentlichen Interesses in der VwGO [1 ed.]
 9783428585991, 9783428185993

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1481

Der Vertreter des Öffentlichen Interesses in der VwGO Von

Oliver Wolters

Duncker & Humblot · Berlin

OLIVER WOLTERS

Der Vertreter des Öffentlichen Interesses in der VwGO

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1481

Der Vertreter des Öffentlichen Interesses in der VwGO

Von

Oliver Wolters

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18599-3 (Print) ISBN 978-3-428-58599-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Mit dem Vertreter des öffentlichen Interesses sieht die VwGO neben Kläger, Beklagtem, Beigeladenem und Richter einen weiteren Prozessbeteiligten an verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor. Dies wirft die grundlegende Frage auf, ob für diese Einrichtung neben den übrigen Prozessbeteiligten im deutschen Verwaltungsprozessrecht überhaupt Raum und Bedarf bestehen. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage leisten, indem sie zunächst die gesetzliche Konzeption des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht untersucht. Neben diesem theoretischen Ansatz beleuchtet sie aber auch seine heutige Organisation sowie seine derzeitige praktische Tätigkeit. Auf dieser Grundlage diskutiert sie die Existenzberechtigung des Vertreters des öffentlichen Interesses, wobei sie sowohl auf die bereits in der Vergangenheit ins Feld geführten Argumente als auch auf die Erkenntnisse hinsichtlich seiner heutigen Konzeption und Arbeitsweise eingeht. Die Arbeit ist im Sommersemester 2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Stand der zitierten Rechtsprechung und Literatur ist grundsätzlich März 2021. In Einzelfällen wurden neuere Veröffentlichungen bis März 2022 berücksichtigt. Besonders möchte ich zunächst Herrn Professor Dr. Fabian Wittreck danken, der die vorliegende Doktorarbeit betreut und durch seine Anregungen erheblich gefördert hat. Danken möchte ich außerdem Herrn Professor Dr. Marcel Krumm für die Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus gilt mein Dank Herrn Ministerialrat Hubertus Rybak, der mir sehr hilfreiche ­Informationen über Organisation und Arbeitsweise des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht zur Verfügung gestellt hat. Ebenfalls danken möchte ich der Begabtenförderung der Konrad-AdenauerStiftung, die mich während der Zeit der Ausarbeitung der Dissertation mit einem Promotionsstipendium gefördert hat, dem Bundesministerium des Innern und für Heimat für die freundliche Prüfung meines Antrags auf Druckkostenzuschuss und die vorläufige Förderungszusage sowie meinen Eltern, die mich in meiner Absicht zu promovieren und in der Zeit der Erstellung der Arbeit sehr unterstützt haben. Münster, im März 2022

Oliver Wolters

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Unterstützung des Gerichts bei der Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Bedeutung der Revisionsinstanz für die Rechtsfortbildung . . . . . . . . 19 2. Vermittlung von Hintergrundinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren . . . 21 1. Begründung eines Doppelauftrags, der über die bloße Rechtsdurchsetzung hinausgeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Inhalt der vom VBI vorzubringenden Gemeinwohlaspekte . . . . . . . . 22 3. Abgrenzung des Vorbringens von Gemeinwohlaspekten und der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Diskrepanz zwischen grundsätzlichen Interessenkonflikten und Parteiprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Regelungsgegenstände von Privatrecht und Verwaltungsrecht . . . 25 b) Auswirkung auf die Tätigkeit des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5. Vertretung konkurrierender öffentlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . 28 6. Einfluss der Bundesregierung auf den VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Weisungsgebundenheit als wichtiger Faktor für die Aufgaben . . . 29 b) Strikte Abhängigkeit von der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . 30 c) Inhaltliche Unabhängigkeit des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 d) Öffentliches Interesse als gesamtstaatliche Perspektive des VBI . 32 e) Abgrenzung zu den VöI auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 7. Kontroll- und Wächterfunktion des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Entlastung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Vermittlung von Informationen und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Der Begriff des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Die subjektive Komponente des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Die objektive Komponente des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Schlussfolgerungen für die Aufgabe des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 IV. Bezug von Rechtsprechung und Verwaltung zum öffentlichen Interesse . 52 V. „Öffentliches Interesse“ als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 D. Prozessuale Stellung des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Das Erfordernis einer Beteiligungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Informationspflicht des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

8 Inhaltsverzeichnis 2. Akteneinsichtsrecht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO?  . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Abgabe einer Beteiligungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Generelle Beteiligungsverzichtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Generelle Beteiligungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Auswirkungen eines Beteiligungsverzichts auf die gerichtliche Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4. Verfahren, an denen sich der VBI beteiligen kann . . . . . . . . . . . . . . . 62 5. Das Erfordernis eines bereits anhängigen Verfahrens für die Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Antragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Beschränkungen durch die fehlende Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . 65 3. Rechtsmittelbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Befugnis des VöI, Anschlussrevision einzulegen . . . . . . . . . . . . . 66 b) Befugnis, Nichtigkeits- und Restitutionsklage zu erheben . . . . . . 67 c) Befugnis, Anhörungsrüge zu erheben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Anhörungsrügen wegen der Rechtsverletzung eines anderen Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Anhörungsrügen wegen Verletzung des eigenen rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Vergleich mit der Rechtsstellung eines Beigeladenen . . . . . . . . . . . . . 74 a) Reichweite der Befugnis, eigene Anträge zu stellen . . . . . . . . . . . 74 aa) Beschränkung der Anträge auf den bereits anhängigen Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Befugnis, über den bereits anhängigen Streitgegenstand hinauszugehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 cc) Abstellen auf die subjektive Betroffenheit durch das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Unterschiedliche Beteiligungsvoraussetzungen bei VBI und notwendig Beigeladenem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Unterschiedliche Befugnisse bezüglich der Reichweite der Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 d) Gemeinsamkeit in der Beschränktheit der Dispositionsbefugnis . 79 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Kritik an der gesetzlichen Konzeption des VBI als Beteiligter . . . . . 80 E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . 1. Finanzgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion der Regelung in § 122 Abs. 2 FGO . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessuale Befugnisse aufgrund dieser Regelung . . . . . . . . . . . . c) Erklärung für die von der Einrichtung des VöI abweichende Regelung in der Finanzgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nahezu ausschließliche Betroffenheit des Finanzressorts . . .

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Inhaltsverzeichnis9 bb) Gleich gelagerte den Verfahren zugrunde liegende Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Geringere Komplexität des Abwägungsvorgangs zur ­Herausarbeitung des öffentlichen Interesses in finanz­ gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Vertretung des öffentlichen Interesses durch eine unabhängige Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialgerichtsbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Beitrittsrecht gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG als Ersatz für den in der Sozialgerichtsbarkeit fehlenden VöI . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnung eines Äquivalents zum VöI . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 75 Abs. 1 S. 2 SGG als Ersatz für den fehlenden VöI in der Sozialgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erklärung für die von der Einrichtung des VöI abweichende Regelung in der Sozialgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gründe für die Ausgestaltung als Beitrittsrecht . . . . . . . . . . . bb) Erklärung für die inhaltliche Begrenztheit von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG auf das soziale Entschädigungsrecht . . . . . . . . . . . (1) Sinn und Zweck sowie systematische Einordnung des sozialen Entschädigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Historische Entwicklung des sozialen Entschädigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Entbehrlichkeit einer besonderen Vertretung des öffentlichen Interesses in den übrigen Bereichen des Sozialrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ordentliche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktion der Staatsanwaltschaft im Strafprozess . . . . . . . . . . (1) Ermittlungs- und Anklagefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Prozessuale Rechte der Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vollstreckungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gründe für die Bedeutung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befugnisse der Staatsanwaltschaft im Zivilprozess . . . . . . . . (1) Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes . . . . . . . . . . . . (2) Klagebefugnis im Rahmen des Entmündigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Befugnis zur Erhebung der Ehenichtigkeitsklage . . . . . . (4) Beteiligung in Verschollenheitssachen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung der Beteiligung an zivilgerichtlichen Verfahren für die Arbeit der Staatsanwaltschaft in der Praxis . . . . . . . .

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10 Inhaltsverzeichnis cc) Gründe für das Fehlen einer mit dem VöI vergleichbaren Institution in der Zivilgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (1) Bedeutung des öffentlichen Interesses für die Freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Bedeutung des öffentlichen Interesses für die streitige Zivilgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Gründe für die Abschaffung der meisten Befugnisse der Staatsanwaltschaft in der Zivilgerichtsbarkeit . . . . . . 111 II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahrenvor dem Hintergrund der Regelungen in den anderen Verfahrensarten . . . . . . . . . . 112 1. Funktionen des Verwaltungsgerichtsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Subjektive Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Objektive Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Konsequenzen der Funktionen des Verwaltungsgerichtsprozesses für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Einordnung der Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zwischen Zivilprozess und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . 115 b) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes als Folge der Funktionen des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Vorrang des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG als Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Ausgleich eines Ungleichgewichts zwischen den Beteiligten  117 cc) Kritik an den vorgenannten Gründen für den Untersuchungsgrundsatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 dd) Bezug des Verwaltungshandelns zum öffentlichen Interesse als Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 ee) Stellungnahme zu den unterschiedlichen Ansichten . . . . . . . . 120 c) Praktische Bedeutung der Unterscheidung zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Zusammenhang zwischen den prozessualen Grundsätzen und der Wahrnehmung des öffentlichen Interesses im Prozess . . . . . . . . . . . . 123 4. Übertragung dieses Ergebnisses auf Finanz- und Sozialgerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Vergleich der Funktion des VöI, Hintergrundinformationen zu vermitteln, zu verwandten Rechtsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Parallele des VöI zum amicus curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Vergleich zu Stellungnahmen Sachkundiger vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 F. Die praktische Arbeit des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisation der Einrichtung des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen an die Organisation des VBI aufgrund seiner Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisation des ehemaligen OBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung der Organisation des heutigen VBI im Hinblick auf die Gewährleistung einer hinreichenden Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . .

128 128 129 130 132

Inhaltsverzeichnis11 a) Eingliederung des VBI in das Bundesministerium des Innern als „besondere Organisationseinheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Weisungsgebundenheit an und Bestellung durch die Bundes­ regierung als Kollegialorgan  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Vertretungsverbot des VBI in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Hintergrund der Ersetzung des OBA durch den VBI . . . . . . . . . . 135 e) Persönliche Stellung des VBI in der Verwaltung im Vergleich zum OBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Aufbau der Arbeitsgruppe VBI als zentrale Organisationseinheit der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Der gegenwärtige innere Aufbau der „Arbeitsgruppe VBI“ . . . . . . . . 139 2. Vergleich des inneren Aufbaus der „Arbeitsgruppe VBI“ mit dem früheren OBA und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Gegenstand des Begriffs „VBI“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Die praktische Arbeitsweise des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Prüfung der grundsätzlichen Betroffenheit des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Rechtliche Prüfung des Verfahrens und Einordnung in die bisherige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Verneinung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Bejahung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Grundlegende Bedeutung für Verständnis und Anwendung von Bundesrecht im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Unabhängigkeit von den politischen Vorstellungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Beschaffung einschlägiger Hintergrundinformationen . . . . . . . . . . . . 146 3. Erstellung und Einführung einer schriftlichen Stellungnahme in das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Erstellung des Votums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Teilnahme an der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Statistik zu den Voten von OBA und VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 d) Hinweise auf eine Beteiligung des VBI in den gerichtlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 e) Handhabung der Befugnis, Anhörungsrügen gemäß § 152a Abs. 1 VwGO zu erheben, in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Auswertung der Gerichtsentscheidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat . . . . . . . . . . 152 1. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die Erweiterung eines Betriebs im Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die immissionsschutzrechtliche Einordnung einer AKRA als Verbrennungsanlage . . . . . . . 156

12 Inhaltsverzeichnis 3. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Motorradhelmpflicht für Turbanträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt . . . . . . . . . . . 161 5. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen eines melderechtlichen Berichtigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 6. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den erforder­ lichen Identitätsnachweis zur Erteilung einer Fahrerlaubnis . . . . . . . 169 7. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Töten männ­ licher Küken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 8. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu einer beamtenrechtlichen Auswahlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 9. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 10. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Beteiligungsverhalten des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Art und Weise des Auftretens des VBI vor Gericht . . . . . . . . . . . 183 V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Umfang der Beteiligungen im Zeitraum zwischen 2009 und 2020 . . 186 a) Neueingangszahlen beim VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Verteilung der Neueingänge nach Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . 187 c) Verteilung der Neueingänge nach Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . 189 d) Entwicklung der Beteiligungszahlen des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Umfang der Beteiligungen im Zeitraum zwischen 1994 und 2000 . . 192 3. Vergleich beider Zeiträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Entwicklung der personellen Ausstattung des VBI zwischen 2009 und 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI . . . . . . . . . . . 196 I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Kein Bedarf für die Beteiligung eines VBI neben den Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Kein Bedarf einer Beteiligung des VBI neben dem Gericht . . . . . . . 198 3. Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Kollision mit dem Grundsatz der Waffengleichheit  . . . . . . . . . . . 201 b) Unvereinbarkeit mit der Ausgestaltung des Verwaltungsgerichtsprozesses als kontradiktorisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Einwände gegen den VBI aufgrund der Verfahrenspraxis . . . . . . . . . 202 a) Auseinanderfallen von theoretischer Funktion des VBI und tatsächlicher praktischer Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Vergleich zu Verfahren, die keinen VöI vorsehen . . . . . . . . . . . . . 204 c) Unnötige Komplexität von Verfahren sowie Aufwand durch die Existenz des VöI  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Inhaltsverzeichnis13 II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Hindernisse der Hauptbeteiligten, das öffentliche Interesse im Verfahren zu vertreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Subjektive Haltung der Behörde aufgrund eigener Vorbefassung . 207 b) Fokussierung der beteiligten Behörde auf den eigenen Zuständigkeitsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Fehlende Beteiligung des Bundes an den meisten Verwaltungsrechtsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Hindernisse des Gerichts, das öffentliche Interesse im Verfahren hinreichend zu vertreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Konzentration der Verwaltungsgerichte auf den zu entscheidenden Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Eingeschränkte Möglichkeiten der Gerichte, Hintergrundinformationen zu beschaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Vereinbarkeit des VöI mit der gerichtlichen Bindung an Recht und Gesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Lückenhaftigkeit und Unbestimmtheit öffentlich-rechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Öffentliches Interesse als Bestandteil von Recht und Gesetz  215 d) Ausgleich für fehlende richterliche Verwaltungserfahrung . . . . . . 217 e) Möglichkeiten des VöI, auf die Hauptbeteiligten einzuwirken . . . 217 3. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Vereinbarkeit von VöI und prozessualer Waffengleichheit . . . . . . 217 aa) Objektive, unparteiische Prozessstellung des VöI  . . . . . . . . . 218 bb) Geltung des Grundsatzes der Waffengleichheit im Verwaltungsgerichtsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Vereinbarkeit des VöI mit den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4. Rechtfertigung der Verfahrenspraxis des VöI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Keine generelle Diskrepanz zwischen Aufgaben und praktischer Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Bloßes Beteiligungsrecht der jeweils betroffenen Ministerien nicht sachgerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion um eine Beibehaltung oder Abschaffung des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertretung des öffentlichen Interesses im Verfahren durch die Hauptbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertretung des öffentlichen Interesses durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . III. Vereinbarkeit des VBI mit den verwaltungsprozessrechtlichen Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit des VBI mit der Waffengleichheit im Prozess . . . . . . . 2. Vereinbarkeit des VBI mit den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224 224 227 230 231 234

14 Inhaltsverzeichnis IV. Verfahrenspraxis des VBI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 V. Vergleich zu anderen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

A. Einleitung In §§ 35–37 regelt die VwGO als vierten Abschnitt die Vertreter des öffentlichen Interesses im Verwaltungsgerichtsverfahren. Als solche kennt sie zum einen den Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (§ 35 VwGO) sowie zum anderen die Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten, welche die Länder gemäß § 36 VwGO einrichten können. In der juristischen Ausbildung spielen diese Institutionen, wenn überhaupt, nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dennoch sind mit ihnen für das Verständnis des Verwaltungsgerichtsprozesses wichtige Probleme verbunden. Bereits bei der Lektüre der §§ 35–37 VwGO stellt sich dem Leser die Frage, welche Rolle dem Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) zwischen dem Bürger, der üblicherweise Kläger ist, der Behörde, die regelmäßig als Beklagte auftritt, und dem Gericht im Prozess zukommt. Ebenso ist auf den ersten Blick noch nicht klar, was genau unter dem „Bundesinteresse“ gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO bzw. dem „öffentlichen Interesse“ gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO zu verstehen ist. Eng damit verknüpft sind die Fragen, warum es einer solchen Einrichtung überhaupt bedarf und ob die Behörden oder die Gerichte als öffentliche Institutionen nicht ohnehin das öffentliche Interesse von Amts wegen in ausreichendem Maße berücksichtigen müssen. Ein VöI auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO existiert derzeit nur noch in Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen, wohingegen Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein ihn in den vergangenen Jahrzehnten abgeschafft haben1. Angesichts der Tatsache, dass damit nur der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (VBI) als Rechtsinstitution eine bundesweite Relevanz hat, soll auf diesem der Schwerpunkt der Untersuchung liegen. Ausführungen zum VöI auf Länderebene erfolgen an den Stellen, an denen dies für das Verständnis der Einrichtung des VBI dienlich ist. Mit Wirkung zum 1. Januar 2002 schaffte der Bundesgesetzgeber durch eine Neufassung von § 35 VwGO den damaligen Oberbundesanwalt (OBA) als Vertreter des öffentlichen Interesses beim Bundesverwaltungsgericht ab 1  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, §  35 Rn. 2; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 3; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 3.1–3.3; Redeker/von Oertzen/ M. Redeker, VwGO, § 36 Rn. 1; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 36 Rn. 5.

16

A. Einleitung

und ersetzte ihn durch den heutigen VBI2. E. Schumann bewertet diesen Vorgang als deutliches Zeichen eines generellen Sympathieschwundes des Gesetzgebers für Einrichtungen, welche die Vertretung öffentlicher Interessen zum Gegenstand haben3. K. D. Schnappauf dagegen sieht diese Reform als Bekenntnis des Gesetzgebers zu Notwendigkeit und Zukunft des VöI in der VwGO an4. Fast 20 Jahre nach Durchführung dieser Reform stellt sich nun die Frage, wie sich der neue VBI seitdem bewährt hat und wie seine Existenzberechtigung aus heutiger Sicht zu bewerten ist. Dazu soll die Dissertation zunächst einmal die heutige Einrichtung des VBI darstellen. Hierzu zählt eine Auseinandersetzung mit den Aufgaben, welche der Gesetzgeber diesem zugedacht hat, und mit seiner heutigen prozessualen Stellung im Verwaltungsprozess. Um diese Institution in die gesamte Rechtsordnung einordnen zu können, soll anschließend untersucht werden, inwieweit das öffentliche Interesse in anderen Verfahrensarten relevant wird und auf welche Weise es dort vertreten wird. Neben diesem theoretischen Ansatz soll die Arbeit aber auch die praktische Tätigkeit des VöI untersuchen. Hierunter fallen der organisatorische Aufbau dieser Einrichtung sowie eine aktuelle Darstellung ihrer tatsächlichen Arbeitsweise. Um die heutige Situation des VBI angemessen beurteilen zu können, muss die Arbeit außerdem untersuchen, wie der VBI den unbestimmten Rechtsbegriff des öffentlichen Interesses konkret in der Praxis anwendet, also an welchen Fällen er sich typischerweise beteiligt. In diesem Zusammenhang sind auch Zahlen und Daten über den Umfang seiner Beteiligung aufschlussreich, gerade auch als Vergleich zur früheren Tätigkeit des OBA.  Auf dieser Grundlage soll die Arbeit als letzten Schritt die alte Diskussion über die Existenzberechtigung des VöI mit ihren klassischen Argumenten darstellen und anschließend vor dem Hintergrund seiner heutigen Tätigkeit beleuchten.

2  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, §  35 Rn. 1; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 1; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 3  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (544). 4  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (187 f.).

B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht Einen Rückschluss auf die Aufgaben des VBI lässt der Wortlaut seiner Bezeichnung in § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO dahingehend zu, dass der Bezugspunkt seiner Tätigkeit das Bundesinteresse ist. Darüber hinaus ist die systematische Stellung dieser Regelung im Vierten Abschnitt der VwGO ein Anhaltspunkt, wonach der VBI ein Vertreter des öffentlichen Interesses ist. Eine weitere Erkenntnisquelle stellt die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 35 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – Dienstanweisung für den Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (DA VBI) – in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2002 (GMBl S. 132)“1 dar. § 1 Abs. 1 S. 1 DA VBI definiert die Aufgaben des VBI dahingehend, dass dieser „in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht das öffentliche Interesse zu wahren und dadurch zur Verwirklichung des Rechts beizutragen“ hat. Der Wortlaut dieses Satzes ist identisch mit der Definition der Aufgaben des OBA in der Dienstanweisung vom 11. Januar 1967 (GMBl. S. 39)2. Dies deutet darauf hin, dass, obwohl die Fassung von § 35 Abs. 1 S. 2 VwGO, die vor dem 1. Januar 2002 in Kraft war, nicht von „Bundesinte­ resse“, sondern von „öffentlichem Interesse“ sprach, die Reform der gesetzlichen Konzeption nach keine Auswirkungen auf dessen Aufgabenzuschnitt haben sollte. Auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge hat die Ersetzung des OBA durch den VBI zu keiner Änderung von dessen Aufgaben geführt3. Damit haben ältere Entscheidungen, in denen sich das Bundesverwaltungsgericht zu Funktionen und Aufgabenstellung des OBA geäußert hat, weiterhin grundsätzlich Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass zwischen den VöI, die auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO in den Ländern errichtet worden sind, und dem VBI hinsichtlich der Aufgabenstellung – von der gegebe-

1  Abgedruckt

bei Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 4.1. C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (954). 3  BVerwGE 128, 155 (160); in diesem Sinne auch: Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198). 2  Vgl.

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

nenfalls als besondere zusätzliche Funktion vorgesehenen Ländervertretung gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 VwGO abgesehen – keine Unterschiede bestehen4. Als vier grundsätzliche Arten von Funktionen des VöI hat F. Kopp die Unterstützung des Gerichts bei der Rechtsfindung, die Vertretung der Allgemeinheit im Verfahren, die Entlastung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren sowie die Information und Beratung der Behörden identifiziert5. Die Aufgabe der „Vertretung der Allgemeinheit im Verfahren“ lässt sich dabei als „Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren“ bezeichnen, was der ursprünglichen Funktionsbeschreibung durch das Bundesverwaltungsgericht entspricht6.

I. Unterstützung des Gerichts bei der Rechtsfindung Nach wie vor sieht das Bundesverwaltungsgericht den VBI als eine „qualifizierte Einrichtung der Rechtspflege“ an, welche in erster Linie im öffentlichen Interesse an der Rechtsverwirklichung mitwirken soll, indem sie das Bundesverwaltungsgericht ausschließlich dabei unterstützt, das Recht zu finden7. Demnach handelt es sich gerade nicht um ein bloßes „Sprachrohr der Verwaltung“, dessen Ziel es ist, die öffentlichen Interessen der Verwaltung vor Gericht zu vertreten8. Vielmehr ist der VBI genauso wie die Richter allein an Recht und Gesetz gebunden9 und hat eine von jeglichen Parteioder Behördeninteressen unabhängige Rolle10. Deshalb kann er im Prozess auch eine Position vertreten, die mit keiner der übrigen Prozessbeteiligten übereinstimmt11. Daher ist die Arbeit des VBI nicht auf einen bestimmten Prozesserfolg, sondern auf die Erzielung einer im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG recht- und gesetzmäßigen Verwaltungspraxis ausgerichtet12. Dementspre4  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (659); J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 162. 5  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (279 ff.). 6  Vgl. BVerwGE 12, 119 (128). 7  BVerwGE 18, 205 (207); 128, 155 (160). 8  BVerwGE 18, 205 (207); W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 120. 9  BVerwGE 18, 205 (207); F. Ebert, Verwaltungsgerichtsbarkeit aus der Sicht des VöI, DVBl. 2013, 484 (487) hinsichtlich des VöI in Thüringen. 10  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 120; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (230). 11  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, § 35 Rn. 7. 12  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (154); R. Frauenknecht, Aufgabe und Tätigkeit der Bundesanwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 13 (30).



I. Unterstützung des Gerichts bei der Rechtsfindung19

chend kann der VBI seine in § 35 Abs. 1 S. 2 VwGO normierte Beteiligungsbefugnis gerade auch zu Gunsten des Bürgers ausüben, wenn dies seiner Meinung nach im konkreten Fall der objektiven Rechtsverwirklichung dient13. In diesem Zusammenhang ist es seine Hauptaufgabe, auf wichtige rechtliche und tatsächliche Aspekte hinzuweisen, die in den Vorinstanzen noch nicht erörtert worden sind14. Daneben soll der VBI dem Bundesverwaltungsgericht die Bedeutung und die oft gravierenden Auswirkungen im Gesamtzusammenhang darlegen, welche eine Abweisung oder eine Stattgabe der Klage haben können15. Dem Zwischenurteil des Bundesverwaltungs­ gerichts vom 15. April 1964 (BVerwGE 18, 205) zufolge ist das vom VBI wahrzunehmende Interesse sogar ausschließlich als Interesse an der Rechtsdurchsetzung anzusehen16. 1. Bedeutung der Revisionsinstanz für die Rechtsfortbildung Die Bedeutung dieser Tätigkeit des VBI wird vor dem Hintergrund deutlich, dass die Kernaufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, vor dem dieser auftritt, gemäß § 49 VwGO darin besteht, als Rechtsmittelgericht über revi­ sionsgerichtliche Verfahren zu entscheiden17. Sinn und Zweck der Revisionsinstanz sind dabei die Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung18 sowie die Rechtsfortbildung, bei der das Bundesverwaltungsgericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Führungsaufgabe wahrnimmt19. Kern dieser gerichtlichen Tätigkeit ist die rechtliche Überprüfung der Art und Weise, auf die das Berufungsgericht die Rechtsnormen auf den von ihm festgestellten Sachverhalt angewendet hat20. Wesentliche Bestandteile sind dabei die Herausarbeitung und Klarstellung der Tragweite der anzuwendenden Normen sowie die Klärung unbestimmter Rechtsbegriffe, wobei das Bundesverwaltungsgericht häufig auch allgemeine Wertungen des Rechts heran­ziehen 13  BVerwGE

12, 225 (226). 18, 205 (207); W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 120. 15  BVerwGE 18, 205 (207); H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193). 16  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 17  Gärditz/K. F. Gärditz, VwGO, § 49 Rn. 1; Posser/Wolff/A. Berstermann, VwGO, § 49 Rn. 1; Sodan/Ziekow/J. Ziekow, VwGO, § 49 Rn. 1. 18  Gärditz/K. F. Gärditz, VwGO, § 49 Rn. 1; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 1. 19  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 1; W. B. Maetzel, Zehn Jahre VwGO, DÖV 1970, 28 (30 f.). 20  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 14  BVerwGE

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

muss21. Aus diesem Grund hat eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich eine besondere Bedeutung, die über den Wirkungsbereich des konkreten Einzelfalls, der Gegenstand des revisionsgerichtlichen Verfahrens war, hinausreicht22. Genauso wie das Bundesverwaltungsgericht soll auch der VBI eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung fördern23. 2. Vermittlung von Hintergrundinformationen Als Unterfall der Darlegung, welches die Auswirkungen einer Entscheidung des Verfahrens in die eine oder andere Richtung sind, hat der VBI auch die Aufgabe, dem Gericht besondere Hintergrundinformationen zu vermitteln24. Hierzu zählen insbesondere Anlass und Motivation des Gesetzgebers hinsichtlich der Verabschiedung der fraglichen Norm sowie der Gesamtkontext der Vorschrift, darunter politische und wirtschaftliche Gesichtspunkte, die mit dieser verbunden sind25. Gerade besondere Kenntnisse der einzelnen Bundesressorts hinsichtlich der Entstehungsgeschichte von bestimmten Normen, die sich nicht ohne weiteres aus den Gesetzesmaterialien ergeben, sowie zu künftigen Gesetzesvorhaben und der Handhabung in anderen Staaten sind dem Bundesverwaltungsgericht sonst nicht ohne Weiteres zugänglich26. Je nach Einzelfall können aber auch Untersuchungen, Beschlüsse und Protokolle beratender Gremien, Verbände oder Vereinigungen für das Verfahren relevant werden27. Die vorrangige Erkenntnisquelle stellen dabei die durch den konkreten Rechtsstreit in ihrem jeweiligen Ressort be21  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 22  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 23  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 130; C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 24  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV. 1972, 626 (628); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 112. 25  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). 26  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 5; Schoch/Schneider/Bier/C. SteinbeißWinkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). 27  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628).



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 21

troffenen Bundesministerien dar28. Diese sind aufgrund ihrer unmittelbaren Beteiligung an der Gesetzgebung des Bundes und ihrer Nähe zur Bundes­ regierung in der Lage, den VBI über die genauen Motive und Vorstellungen des Bundesgesetzgebers zu unterrichten29. Darüber hinaus können die Bundesministerien diesen über die praktischen Erfahrungen der Bundesverwaltung mit den durch den Streit betroffenen Rechtsnormen informieren30. In den überwiegenden Fällen einer Ausführung der relevanten Gesetze durch die Länder kann der VBI im Wege der Amtshilfe auch Stellungnahmen von Landesbehörden und kommunalen Spitzenverbänden einholen31. Auch in diesem Zusammenhang zählt die Einführung von Informationen über die Verwaltungspraxis hinsichtlich der fraglichen Norm in das gerichtliche Verfahren zu den Aufgaben des VBI32.

II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren In seinem Beschluss vom 18. März 196133 sowie in seinem Urteil vom 5. Mai 196134 hat das Bundesverwaltungsgericht die Aufgaben des VöI weiter als in seinem Zwischenurteil vom 15. April 196435 definiert, nämlich dahingehend, dass sich das von ihm zu vertretende übergeordnete Interesse des Gemeinwohls nicht in der Rechtsverwirklichung erschöpft, sondern neben diese tritt36. Auf diese Weise ergeben sich zwei Hauptaufgaben des VBI, die gleichrangig nebeneinander bestehen, weswegen P. Häberle auch von einem „Doppelauftrag des VöI“ spricht37. Dieser beinhaltet damit sowohl eine klassische juristische Tätigkeit, die auf Rechtsdurchsetzung und somit auf 28  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 29  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 30  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 31  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 32  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 5; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). 33  BVerwGE 12, 119. 34  BVerwGE 12, 225. 35  BVerwGE 18, 205. 36  BVerwGE 12, 119 (128); 12, 225 (226). 37  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629).

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

Prüfung der Rechtslage gerichtet ist, als auch eine wertende, also normative Arbeitsweise38. 1. Begründung eines Doppelauftrags, der über die bloße Rechtsdurchsetzung hinausgeht Dass sich, anders als das Bundesverwaltungsgericht im Zwischenurteil vom 15. April 1964 den Eindruck erweckt, die Aufgabe des VBI nicht in der Rechtsdurchsetzung erschöpft, folgt daraus, dass nach modernem Verständnis keine Aufgabentrennung zwischen Verwaltung und Rechtsprechung mehr dahingehend besteht, dass allein Erstere für die Wahrnehmung öffentlicher Interessen und Letztere für die Rechtsdurchsetzung zuständig wäre39. Letztlich ist die Tätigkeit eines jeden Prozessbeteiligten im verwaltungsgericht­ lichen Verfahren – wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven – darauf ausgerichtet, dass sich das Recht durchsetzt40. Dementsprechend unterfällt die Wahrung von Recht und Allgemeinwohl der Aufgabenstellung beider Einrichtungen, also sowohl der Verwaltung als auch der Verwaltungsgerichte41. Aus diesem Grund ist es auch Aufgabe des VBI, eigene Aspekte des Gemeinwohls in den Prozess einzuführen42. 2. Inhalt der vom VBI vorzubringenden Gemeinwohlaspekte Die vom VBI einzubringenden Gemeinwohlaspekte können auf den entsprechenden Wertungen der Verwaltung oder aber auch auf eigenen Ansätzen beruhen43. Auf diese Art und Weise steht die Vertretung des öffentlichen ­Interesses im Einklang mit der Abgrenzung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es nicht Aufgabe des VBI sei, ausschließlich die öffentlichen Interessen der Verwaltung zu vertreten, weil dies vielmehr in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden selbst falle44. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die prozessübergreifende Perspektive des VBI, durch welche dieser dem Gericht über den konkreten Einzelfall hinaus die allgemeine VerwalÖffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112. Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112. 40  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (682). 41  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (682); P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112; F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264 f.). 42  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 129; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112. 43  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112. 44  BVerwGE 18, 205 (207). 38  P. Häberle, 39  P. Häberle,



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tungspraxis und die Konsequenzen einer Entscheidung in die eine oder andere Richtung für die Allgemeinheit darlegen kann45. Dies beinhaltet insbesondere auch die rechtlichen und tatsächlichen Folgen einer Entscheidung für andere anhängige Rechtsstreitigkeiten sowie für künftige, mit dem fraglichen Fall vergleichbare Konstellationen46. Hierzu macht er sich seinen Überblick über die Verwaltungsverhältnisse zunutze47. Er soll vor allem auch die nicht rechtsverbindlich geregelten Bereiche der Verwaltung, nämlich die politischen Leitgedanken, welche dem Verwaltungsrecht zugrunde liegen, berücksichtigen48. Im Ergebnis soll der VBI das Bundesverwaltungsgericht in die Lage versetzen, seine Entscheidung auf Grundlage des gesamten Spektrums aller Umstände zu treffen, die für die konkrete Entscheidung relevant sind49. 3. Abgrenzung des Vorbringens von Gemeinwohlaspekten und der Rechtsdurchsetzung Beide Aufgaben, nämlich die Hinwirkung auf die Durchsetzung des Rechts sowie die Wahrnehmung darüberhinausgehender öffentlicher Interessen, lassen sich aber nicht trennscharf abgrenzen, sondern gehen vielmehr ineinander über. Dies wird am Beispiel der Aufgabe des VBI deutlich, dem Gericht die weitreichenden Folgen darzulegen, die eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung haben kann: Einerseits hat diese einen Bezug zum Gemeinwohl inne, weil die Folgen einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung fast ausschließlich dieses betreffen50. Andererseits hat das Bundesverwaltungsgericht diese Aufgabe in seinem Zwischenurteil vom 15. April 1964 als Teil der Tätigkeit des VBI „im Dienste des Rechts“, also als Teil seiner auf Rechtsdurchsetzung gerichteten Handlungsweise, angesehen51. Für die Vertretbarkeit einer solchen Einordnung spricht, dass Rechtsnormen bei ihrer Auslegung und letztlich auch bei ihrer Anwendung häufig einen Spielraum eröffnen, für dessen Handhabung die Folgen einer Entscheidung in die eine oder andere Richtung zu berücksichti45  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683); HK-VerwR/ B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 5; J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 46  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 1. 47  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683). 48  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683). 49  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 50  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112. 51  BVerwGE 18, 205 (208).

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

gen sind52. Solche Spielräume entstehen dann, wenn der Gesetzgeber aufgrund unterschiedlicher, gegebenenfalls auch gegenläufiger Zielvorstellungen bestimmte Materien nur auf sehr abstrakter Ebene regelt und dabei insbesondere auf unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln zurückgreift53. Eine weitere Ursache für einen besonderen Auslegungsbedarf können Lücken und Widersprüche in den zahlreichen verwaltungsrechtlichen Normen sein54. Indem sie über die Rechtmäßigkeit der Ausfüllung dieser Spielräume durch die Verwaltung entscheidet, legt die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Richt­ linien für die Verwaltungspraxis fest55. Letztlich ist gerade im öffentlichen Recht der im Rahmen der Auslegung einer Rechtsnorm zu ermittelnde Sinn und Zweck Ausdruck der Gemeinwohlbelange, die zur Entstehung der entsprechenden Vorschrift geführt haben. Um den Sinn und Zweck einer Norm sowie die damit in Zusammenhang stehende Entstehungsgeschichte zu ermitteln, ist es daher oft erforderlich, herauszuarbeiten, welche Auswirkungen die entsprechende Rechtsnorm herbeiführen oder vermeiden soll. 4. Diskrepanz zwischen grundsätzlichen Interessenkonflikten und Parteiprozess Durch die Vorformulierung von Gemeinwohlaspekten soll der VBI die Allgemeinheit, die F. Kopp und K. Neis als „unsichtbare schweigende Mehrheit des Volkes“ bezeichnet haben, im Prozess vertreten56. Häufig ist ein Verwaltungsprozess sogar schlechthin kein bloßer Streit zwischen zwei Parteien, sondern hat den Konflikt zwischen zwei grundsätzlichen gesellschaftlichen Interessengruppen zum Gegenstand57. Dies hat vor dem Hintergrund eine besondere Bedeutung, dass die Verwaltungsbehörden in der Regel ihr zukünftiges Handeln in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen nach der Gerichtsentscheidung – insbesondere nach einer solchen im Revisionsverfah52  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 53  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S.  157 (161). 54  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 55  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 56  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627). 57  R. Frauenknecht, Aufgabe und Tätigkeit der Bundesanwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 13 (19); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627); W. Zeidler, Verwaltungsrechtsprechung, DVBl. 1971, 565 (567).



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ren – ausrichten werden58. Auch der betroffene Bürger steht in der Regel stellvertretend für zahlreiche andere Interessenten in derselben Situation59. Dementsprechend muss der VBI das richtige Verhältnis zwischen Einordnung, Tragweite und Bedeutung der im Einzelfall maßgeblichen Prozessgegenstände sowie die Frage, wie sich diese zu den öffentlichen Interessen verhalten, die dem jeweiligen Rechtsstreit zugrunde liegen, klären und im Prozess präsentieren60. Grund für dieses Bedürfnis ist die Ausgestaltung des Verwaltungsprozesses als Parteiprozess, wohingegen aber Gegenstand des Prozesses nicht wie im Zivilprozess nur die Rechte zwischen beiden Parteien sind, sondern vielmehr die für den Streit maßgeblichen rechtlichen Vorschriften den Interessen der Allgemeinheit dienen61. Dementsprechend sind diese in der Regel durch jedes verwaltungsgerichtliche Verfahren berührt, das anhängig gemacht wird62. Diese Allgemeinheit selbst nimmt aber am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht als Beteiligte teil63. a) Regelungsgegenstände von Privatrecht und Verwaltungsrecht Während die Aufgabe des Privatrechts primär in der Abgrenzung und dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der Bürger besteht, gesetzliche Pflichten und Beschränkungen der gegenseitigen Rechte also im Interesse der jeweiligen Mitbürger existieren64, ist der Regelungsgegenstand des Verwaltungsrechts, welches den für die Praxis wesentlichen Teil des öffentlichen Rechts darstellt, die öffentliche Verwaltung65. Verwaltung ist allgemein jede planmäßige und zweckgerichtete Tätigkeit, die dazu dient, Angelegenheiten zu besorgen66. Das Adjektiv „öffentlich“ macht deutlich, dass es sich um die 58  V. Mehde, Verwaltungskontrolle, Die Verwaltung, 43, 379 (382); W. Zeidler, Verwaltungsrechtsprechung, DVBl. 1971, 565 (568). 59  W. Zeidler, Verwaltungsrechtsprechung, DVBl. 1971, 565 (568). 60  R. Frauenknecht, Aufgabe und Tätigkeit der Bundesanwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 13 (19); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628). 61  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 95; R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627). 62  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 16. 63  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 95; F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281). 64  W. Kallwass/P. Abels, Privatrecht, S. 13; H. Maurer/C. Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 7. 65  H. Maurer/C. Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 8; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/R. Stober, Verwaltungsrecht I, § 3 Rn. 11. 66  Wolff/Bachof/Stober/Kluth/R. Stober, Verwaltungsrecht I, § 3 Rn. 9.

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

Angelegenheiten einer Vielzahl von Personen handelt, die etwa durch den Staat oder eine Körperschaft politisch zusammengefasst sind67. Dementsprechend ist – im Gegensatz zu anderen Arten von Verwaltung wie der Insolvenz-, Nachlass- oder Vermögensverwaltung – die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung in der Regel auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens gerichtet68. Sie soll den aktuellen Zustand des Gemeinwesens erhalten und weiterentwickeln69. Deshalb ist der Gegenstand der öffentlichen Verwaltungstätigkeit in Abgrenzung zu anderen Arten von Verwaltung das öffentliche Interesse70. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht anhand der Trennlinie zwischen öffentlichem und privatem Interesse nicht konsequent durchzuhalten ist: Die Verwaltung verfolgt auch dann öffentliche Interessen, wenn sie privatrechtlich handelt71. Umgekehrt können aber auch Privatpersonen, die privatrechtlich handeln, dabei öffentliche Interessen verfolgen72. Zu denken ist dabei beispielsweise an gemeinnützige Organisationen73. Trotzdem ist diesem Befund folgende Überlegung gegenüberzustellen: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO für öffentlichrechtliche Streitigkeiten zuständig, wobei das öffentliche Recht nach der Subjektslehre gerade als „Sonderrecht des Staates“ angesehen wird74. Dieses berechtigt oder verpflichtet nämlich ausschließlich den Staat oder ein anderes Subjekt, welches durch Staatsakt geschaffen worden ist und Angelegenheiten wahrnehmen soll, die eine Mehrzahl von Personen betreffen und nicht nur individuelle Beziehungen75. Aus diesem Grund hat das öffentliche Recht als Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbarkeit einen erheblich höheren Gemeinwohlbezug als das Privatrecht. Generell lässt sich daher die Regel aufstellen, dass Gegenstände des öffentlichen Rechts jedenfalls typischerweise durch die Aufgaben des Staates sowie das öffentliche Interesse und ein einseitiges Über- und Unterordnungs67  Wolff/Bachof/Stober/Kluth/R. Stober,

Verwaltungsrecht I, § 3 Rn. 12a. Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 46; H. Maurer/C. Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 9. 69  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 46. 70  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 46; R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 143; H. Maurer/C. Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 10. 71  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 17. 72  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 18. 73  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 18. 74  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 30. 75  Wolff/Bachof/Stober/Kluth/R. Stober, Verwaltungsrecht I, § 22 Rn. 28a; J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 29. 68  J. Ipsen,



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 27

verhältnis zwischen Staat und Bürger gekennzeichnet sind, während das Privatrecht auf dem Gedanken der Privatautonomie des Einzelnen hinsichtlich seiner Rechtsbeziehungen beruht76. Hinter einem als Parteiprozess ausgestalteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren stehen also regelmäßig grundsätzliche gesellschaftliche Interessenkonflikte größeren Ausmaßes, deren Auflösung in Form eines Urteils verschiedene öffentliche Belange betrifft, die untereinander verbunden sind und miteinander konkurrieren77. Oft werden dabei auch Individualinteressen und Allgemeininteressen gegenübergestellt78. Auch wenn Zivilprozess und verwaltungsgerichtliches Verfahren beide vorrangig den Zweck haben, subjektive Interessen durchzusetzen79, ist der besondere Bezug des Letzteren zum öffentlichen Interesse ein Unterschied beider Verfahrensarten80. b) Auswirkung auf die Tätigkeit des VBI Aus diesem Grund geht die Aufgabe des Verwaltungsrichters über die bloße Rechtsanwendung hinaus und erfordert die Beachtung der Gemeinwohlbezüge, die mit der anzuwendenden Norm in Verbindung stehen, dabei aber oft nicht in ihrer ganzen Tragweite in dieser zum Ausdruck kommen81. Um dem Verwaltungsrichter für die notwendige Berücksichtigung und Gewichtung der unterschiedlichen betroffenen öffentlichen Interessen eine gute Entscheidungsgrundlage zu ermöglichen, ist es Aufgabe des VBI, diesem eine möglichst genaue Kenntnis der durch den Rechtsstreit betroffenen öffentlichen Interessen zu verschaffen82. Der VBI soll also dadurch, dass er nur dem Gesetz sowie dem Gemeinwohl verpflichtet ist, dieser Diskrepanz zwischen der Ausgestaltung als Parteiprozess und dem Gegenstand des gemeinbezogenen öffentlichen Rechts entgegenwirken83.

76  P. Badura, Staatsrecht, A Rn. 6; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgericht­ lichen Rechtsschutzes, S. 79. 77  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279). 78  A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538). 79  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 26, 28 f. 80  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 56; E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (452); A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538). 81  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627). 82  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280). 83  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281).

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

5. Vertretung konkurrierender öffentlicher Interessen F. Kopp hat in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass aufgrund der Arbeitsteiligkeit der Verwaltung und eines Verwaltungsprozesses, der für die Klagebefugnis an eine individuelle Betroffenheit anknüpft, viele Themen, die für das Allgemeinwohl relevant sind, zum Beispiel Umweltschutz und Energieversorgung, vor Gericht nicht in angemessener Weise vertreten würden84. Der Kläger, welcher nur bei unmittelbarer Betroffenheit seiner individuellen Rechte klagebefugt sei, könne nicht ohne weiteres die den Gesetzen zugrunde liegenden Gemeinwohlaspekte erkennen und vortragen85. Auch die Behörde, deren Zuständigkeit meist auf ein bestimmtes Sachgebiet begrenzt sei, könne oft nicht alle von der Sache tangierten Allgemeininteressen vor Gericht vortragen und vertreten86. Dies betreffe insbesondere öffentliche Interessen, die mit denjenigen Anliegen konkurrieren, welche die Behörde wahrnimmt, sodass diese sonst keinen Sachwalter hätten87. Zu beachten ist allerdings, dass in einigen Fällen, insbesondere auf dem Rechtsgebiet des Umweltschutzrechts gemäß § 64 Abs. 1 BNatSchG und § 2 Abs. 1 UmwRG, mittlerweile eine altruistische Verbandsklage möglich ist, wodurch anerkannte Verbände die Verletzung von Rechtsnormen gerichtlich geltend machen können, deren Einhaltung allein im öffentlichen Interesse liegt88. Hier genügt für die Bejahung der Klagebefugnis ausnahmsweise eine Geltendmachung objektiven Rechts89. Dies hat zur Folge, dass jedenfalls punktuell nunmehr auch solche Interessen mit rein objektiv-rechtlicher Ausstrahlung wie der Umweltschutz vor Gericht in stärkerem Maß vertreten werden können als im Jahre 1982, als F. Kopp meinte, gerade dieser komme dort ohne den VöI nicht in angemessener Weise zur Geltung. Genauso wie die Institution eines VöI dient auch die altruistische Verbandsklage der Wahrnehmung öffentlicher Interessen90. Nichtsdestotrotz verbleibt für den VöI – sowohl generell als auch im Rahmen von altruistischen Verbandsklagen – die Aufgabe, etwaige konkurrierende öffentliche Interessen zu erkennen und vor Gericht in angemessener und ausgleichender Weise wahrzunehmen, was durch die Hauptbeteiligten

Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281 f.). Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281 f.). 86  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (282). 87  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429). 88  W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 525. 89  W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 527a. 90  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 106. 84  F. Kopp, 85  F. Kopp,



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 29

nicht in ausreichendem Maße geschieht91. Diese konzentrieren sich nämlich in der Regel auf ihr eigenes Interesse am Prozessausgang92. In einem durch eine Verbandsklage eingeleiteten Prozess, in dem es zum Beispiel um Umweltrecht geht, können andere öffentliche Interesse aber ebenso relevant werden wie in einem Rechtsstreit, in dem die Hauptbeteiligten beispielsweise Interessen eines anderen Rechtsgebiets wahrnehmen, aber dennoch Umweltschutzaspekte berührt werden. Eine Redundanz hätte der VöI durch die ­Einführung der Verbandsklage nur erfahren, wenn man ihm das Recht zugebilligt hätte, in solchen Rechtsgebieten verwaltungsgerichtliche Verfahren durch Klageerhebung einzuleiten, in denen mangels klassischen Rechtseingriffs sonst niemand klagebefugt gewesen wäre93. 6. Einfluss der Bundesregierung auf den VBI Unterschiedlich bewertet wird die Frage, inwieweit der VBI in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, an denen er sich beteiligt, die Per­ spektive des Bundes einnehmen muss. a) Weisungsgebundenheit als wichtiger Faktor für die Aufgaben Zum Teil wird vertreten, der VBI habe auch die Funktion, die staats- und verwaltungspolitischen Vorstellungen und Ziele der Bundesregierung hinsichtlich für das Verfahren relevanter Normen im Verfahren zu vertreten und dabei insbesondere das Bundesverwaltungsgericht über diese zu unterrichten94. In umgekehrter Richtung solle er die durch den Rechtsstreit sachlich betroffenen Ressorts der Bundesregierung über das Verfahren in Kenntnis setzen und gemeinsam mit diesen die Konsequenzen einer möglichen Entscheidung des Rechtsstreits erarbeiten95. Dadurch erhalte er die Funktion eines Mittlers zwischen dem Bundesverwaltungsgericht einerseits und der

Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 121. VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (164). 93  Vgl. C. Sailer, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 143 (147 f.); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (165). 94  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 42; G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (117); J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 72; J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (559). 95  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683). 91  H. Koch,

92  J. Schmidt,

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

Bundesregierung samt ihren Ressorts andererseits96. Dies wird insbesondere aus der Weisungsgebundenheit des VBI von der Bundesregierung gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 VwGO abgeleitet, der die Bedeutung eines entscheidenden Kriteriums bei der Bestimmung der Generalfunktion des VöI zuerkannt wird97. Dadurch sei dessen Sichtweise auf die Vertretung der Interessen des Bundesstaats beschränkt98 und er selbst allgemein zu einer Berücksichtigung genügend konkreter Auffassungen der Bundesregierung hinsichtlich des öffentlichen Interesses verpflichtet99. In eine ähnliche Richtung geht auch die Betrachtung von E. Schumann, demzufolge die Ersetzung des OBA durch den VBI zum 1. Januar 2002 mit einer Veränderung seiner Aufgabenstellung einhergegangen ist100. Aus der neuen Bezeichnung „Vertreter des Bundesinteresses“ ergebe sich eine Ver­ engung des Aufgabenzuschnitts auf die Sichtweise des Bundes, wohingegen der Begriff des „öffentlichen Interesses“, auf den sich der OBA bezog und der immer noch Gegenstand des VöI gemäß § 36 Abs. 1 VwGO ist, einen weiteren Anwendungsbereich umfasse101. Interessen von Kommunen und einzelnen Bürgern könne der VBI im Einzelfall in einem gewissen Umfang berücksichtigen, soweit diese nicht den Belangen des Bundes zuwiderliefen102. Systematisch sei der VBI, anders als der frühere OBA, damit nicht mehr als allgemeiner, sondern als spezieller Einflussvertreter anzusehen103. b) Strikte Abhängigkeit von der Bundesregierung H. Hirte geht sogar so weit, dass der VBI generell in seiner Beurteilung des öffentlichen Interesses nicht unabhängig ist, sondern dieses nur dasjenige

96  O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (74 f.) zum VöI in Bayern, der aber ähnliche Aufgaben haben soll wie der OBA; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628); J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 72. 97  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683); Posser/ Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 8; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 71; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 8. 98  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 5. 99  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 10. 100  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (547). 101  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (548). 102  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S.  111; E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (548). 103  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (542, 544, 547).



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 31

ist, welches die Bundesregierung als solches ansieht104. Auch seine rechtliche Beurteilung orientiere sich allein an den Vorstellungen der Bundesregierung105. Eine ähnliche Konsequenz hat ein dahingehendes Verständnis des Weisungsrechts der Bundesregierung, dass diese letztlich gegenüber dem VBI das öffentliche Interesse verbindlich interpretieren können soll106. In diese Richtung ist auch das Verständnis von O. Groß hinsichtlich des VöI auf Landesebene in Bayern als „Vertreter der Staatsregierung“ zu verstehen, der seinem Verständnis nach eine ähnliche, wenn auch nicht genau deckungsgleiche, Funktion hat wie der OBA107. Grund hierfür sei die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu einer selbständigen Kontrollinstanz, welche sich als unabhängige Einrichtung der Judikative etabliert habe, die den Raum der Verwaltung als wesentlichen Teil der Exekutive durch Rechtssetzung im Rahmen der Leistungsverwaltung und eine immer umfassendere Überprüfung des Verwaltungsermessens stärker einenge als zuvor108. Daher sei die Beteiligung eines „Beauftragten der Staatsregierung“ zur Wahrung des Prinzips der Gewaltenteilung erforderlich109. C. Petzke kommt zu dem Ergebnis, dass der ehemalige OBA zwar dem Gesetz nach nicht als Vertreter des Bundes und seiner Behörden in Verwaltungsgerichtsverfahren auftreten durfte, in der Praxis aber bereits aufgrund seiner Aufgabe, bei den Ministerien beschaffte Hintergrundinformationen in diese einfließen zu lassen, zu einem „Medium“ wurde, durch das diese Einfluss auf das Verfahren nahmen110. Zusammen mit dessen organisatorischer Konzeption als politischer Beamter, der jederzeit wegen fehlender Übereinstimmung mit den politischen Ansichten der Bundesministerien ohne weiteres in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden konnte, entspreche es nicht der Realität, den OBA als eine vollkommen unparteiische und völlig neutrale Instanz darzustellen, die von den Parteiinteressen losgelöst ist111.

Der amicus-curiae-brief, ZZP, 104 (1991), 11 (46). Der amicus-curiae-brief, ZZP, 104 (1991), 11 (46). 106  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). 107  O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (74 f.). 108  O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (74); die Rolle des VöI, als „unabhängige Instanz“ den Gerichten insbesondere bei der Überprüfung der Ermessensausübung durch die Verwaltung Grenzen aufzuzeigen, ist laut C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655) eine wesentliche Funktion des VöI. 109  O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (74). 110  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (659). 111  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (659). 104  H. Hirte, 105  H. Hirte,

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

c) Inhaltliche Unabhängigkeit des VBI Einer anderen Ansicht zufolge ist die Weisungsgebundenheit des VBI gerade kein Ausdruck einer besonderen Aufgabenstellung. Seine Funktion werde nicht durch seine Weisungsgebundenheit beschränkt112. Daher habe er das öffentliche Interesse nicht nur aus der Sichtweise der Bundesregierung zu vertreten113. Dies folge bereits daraus, dass das Weisungsrecht allein der Bundesregierung als Kollegialorgan und nicht einzelnen Ressortministern zustehe. Grund für das Weisungsrecht seien letztlich allein verfassungsrechtliche Erwägungen dahingehend, dass der VBI als Teil der Exekutive der Verantwortung der Bundesregierung für diesen gegenüber den anderen Gewalten unterliege114. Sowohl für den ehemaligen OBA als auch für den heutigen VBI hatten die Weisungen tatsächlich keine praktische Relevanz115. In dieselbe Richtung lässt sich auch der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts verstehen, der OBA übe seine Mittlertätigkeit allein im Dienst der Rechtsanwendung durch das Gericht aus und nicht für die Verwaltung116. d) Öffentliches Interesse als gesamtstaatliche Perspektive des VBI Der Wortlaut von § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO „Bundesinteresse“ deutet darauf hin, dass der Bezugspunkt des VBI das Interesse des Bundes ist. Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 1 DA VBI, wonach die Aufgabenstellung des VBI nach wie vor an das öffentliche Interesse anknüpft, sowie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts117 sprechen dabei dagegen, dass mit der Einführung des VBI eine Verengung der Aufgaben im Vergleich zum OBA bezweckt war. Auch die Tatsache, dass entscheidendes Motiv für die Ersetzung des OBA durch den VBI vorrangig die Einsparung von Haushaltmitteln und damit ein rein finanzieller Grund war118, deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber dessen Aufgaben nicht modifizieren wollte119. Im Rahmen der Verlegung des Sitzes des Bundesverwaltungsgerichts nach Leipzig wären nämlich durch einen entsprechenden Umzug des OBA als bei diesem angesiedelte Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191). Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191). 114  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192). 115  Auskunft des MinR Hubertus Rybak; W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192). 116  BVerwGE 18, 205 (208). 117  BVerwGE 128, 155 (160). 118  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 119  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014). 112  K. D. Schnappauf, 113  K. D. Schnappauf,



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 33

Behörde erhebliche Kosten angefallen120. Viel näher liegt es deshalb, dass das „Bundesinteresse“ eine Präzisierung im Vergleich zum vorigen Wortlaut „öffentliches Interesse“ in § 35 Abs. 1 S. 2 VwGO a. F. darstellt121. Dieses Verständnis deckt sich auch mit der Feststellung, dass sowohl „OBA“ als auch „VBI“ enger gefasste Begriffe als die allgemeine Bezeichnung „VöI“ sind122. Eine solche Präzisierung bei gleichbleibender gesetzlicher Aufgabenstellung ist ein Hinweis darauf, dass Bezugspunkt sowohl des ehemaligen OBA als auch des heutigen VBI der Blickwinkel des Bundes ist. Auch wenn das Weisungsrecht der Bundesregierung in der Praxis nur eine sehr geringe Rolle spielt, verstärkt doch die aus der gesetzlichen Normierung folgende grundsätzliche Einflussmöglichkeit den Eindruck, dass die Vorstellungen der Bundesregierung vom öffentlichen Interesse für den VBI eine wesentliche Rolle spielen123. Dies folgt auch zwangsläufig aus der Praxis des VBI, bei seiner Arbeit zu einem wesentlichen Teil auf Materialien zu den Vorstellungen des Bundesgesetzgebers und der Bundesressorts bezüglich der für den Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsnormen zurückzugreifen124. Darüber hinaus hat die Bundesregierung ihr Handeln an demselben Gemeinwohl auszurichten, das der VBI vor dem Bundesverwaltungsgericht wahrnehmen soll125. Dagegen, die Aufgaben des VBI auf die Sichtweise der Regierung zu beschränken, spricht aber, dass dieser gerade kein bloßes „Sprachrohr der Verwaltung“ sein soll. Die Bundesregierung als Kollegialorgan stellt die Spitze der ausführenden Gewalt dar und hat die Kompetenz, die Organisation der Verwaltung zu regeln126. Daher hat der VBI – gerade auch nach dem Willen des Gesetzgebers – vielmehr eine unparteiische, gesamtstaatliche Perspektive einzunehmen, die insbesondere die Sichtweise und Rechtsauffassung der Bundesregierung berücksichtigt, jedoch nicht alleine auf diese begrenzt ist, sondern auch die Interessen der Länder und Kommunen sowie diejenigen des

120  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 121  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). 122  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 69. 123  W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 124; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 111. 124  W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 30; K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 125  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (281); W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 124; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235). 126  C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 789.

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

einzelnen Bürgers mit einbezieht127. Ein solches Verständnis entspricht der Natur des VBI als objektive und neutrale, beratend tätig werdende Institution, die nicht die Rolle eines „Streithelfers der Verwaltung“ wahrnimmt128. Auch der Hinweis, aufgrund des Begriffs „Bundesinteresse“ habe der VBI die bundesstaatlichen Interessen zu vertreten129, ist dementsprechend so zu verstehen, dass der VBI nicht nur die Interessen der Bundesregierung wahrnimmt, sondern die vorgenannte gesamtstaatliche Betrachtung aus der Per­ spektive des Bundes einnimmt. Somit darf die Mittlerstellung des VBI nicht dahingehend missverstanden werden, dass dieser nur die Position der Bundesregierung im Verfahren zu vertreten hat oder ausschließlich deren Vorstellung des öffentlichen Interesses zu wahren hat130. Er ist kein Prozessvertreter der Bundesregierung131 oder der Bundesrepublik Deutschland132 vor dem Bundesverwaltungsgericht. Dies zeigt sich auch daran, dass eine Beteiligungsmöglichkeit des VBI nicht dadurch schlechthin entfällt, dass die Bundesrepublik bereits am Verfahren beteiligt ist und durch eine oberste Bundesbehörde vertreten wird133. Dies ergibt sich ausdrücklich aus der Regelung in § 3 Abs. 2 DA VBI, derzufolge in diesen Fällen der VBI der beteiligten Bundesbehörde eine Abschrift der gemäß § 3 Abs. 1 DA VBI erforderlichen Unterrichtung der fachlich zuständigen obersten Bundesbehörde zukommen lassen muss. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, warum eine direkte Vertretung der Regierung im Verwaltungsgerichtsprozess aufgrund des Prinzips der Gewal127  BT-Drucks. 14/5529, S.  65; Bader/Kaiser/Stuhlfauth/Albedyll/T. Stuhlfauth, VwGO, § 35 Rn. 1; G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 5; Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 1; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 10. 128  BVerwGE 128, 155 (160); 96, 258 (262); Bader/Kaiser/Stuhlfauth/Albedyll/ Stuhl­fauth, VwGO, §  35 Rn.  1; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 5 (2014). 129  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 5; S. Schlacke, Überindividueller Rechts­schutz, S.  111. 130  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 43; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192). 131  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (281); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (229, 235). 132  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 86, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021; H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 131, 134; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 2; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 165. 133  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862).



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 35

tenteilung erforderlich sein sollte. Diese bedeutet gerade, dass sich die drei verschiedenen Gewalten gegenseitig kontrollieren und dadurch hemmen134. Dem entspricht es, wenn die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Tätigkeit der Exekutive auch in den Bereichen der Leistungsverwaltung sowie des Ermessens überprüft. An diesen Stellen trägt zudem das Gesetz in § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO dem Gewaltenteilungsprinzip dadurch Rechnung, dass das Verwaltungsgericht im Falle behördlichen Ermessens lediglich die Verpflichtung aussprechen darf, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ihm aber verwehrt ist, die behördliche Ermessensentscheidung durch das eigene Urteil zu ersetzen135. Auf der anderen Seite darf sich der VBI nicht einfach über die grundsätzlichen politischen Ziele und Ansichten der Bundesregierung hinwegsetzen, sondern muss diese hinreichend berücksichtigen, selbst wenn seine eigene Auffassung im konkreten Fall nicht mit derjenigen der zuständigen obersten Bundesbehörde übereinstimmt136. In diesem Zusammenhang wird auch auf eine Beschränkung der Kompetenz des VBI auf den Zuständigkeitsbereich des Bundes hingewiesen137. Aus diesem Befund einerseits und dem Postulat andererseits, dass der VBI eine objektive, gesamtstaatliche Perspektive einnehmen soll, also gerade nicht die Bundesregierung selbst im Prozess vertritt und zudem das von ihm zu wahrende öffentliche Interesse nicht mit demjenigen deckungsgleich ist, was die Bundesregierung als solches versteht138, resultiert ein Spannungsverhältnis. Schlussfolgert man aus dem Verbot, sich über die Ziele und Ansichten des Bundes hinwegzusetzen, dass der VBI aus kompetenzbezogenen Gründen nicht die gegebenenfalls abweichenden Interessen des Bürgers oder der Länder berücksichtigen darf139, besteht die Gefahr, dass er jedenfalls in den – wenn auch seltenen – Fällen, in denen der Bund selbst Prozesspartei ist, faktisch zu dessen Streithelfer wird. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich deshalb letztlich nur dahingehend auflösen, dass der VBI den grundsätzlichen durch die Bundesregierung gesteckten Rahmen politischer Ziele einhalten muss, innerhalb dessen aber auch die Belange anderer staatlicher Ebenen sowie der Bürger berücksichtigt. Dies kann im Einzelfall zu einem von der Staatsrecht I, Rn. 297; J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 769. Schübel-Pfister, VwGO, § 113 Rn. 45, 49; Gärditz/M. Knauff, VwGO, § 113 Rn. 100; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke/R. P. Schenke, VwGO, § 113 Rn. 194 f.; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 113 Rn. 60. 136  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (281); Posser/ Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 10. 137  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (186); Schoch/ Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 5 (2014). 138  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191). 139  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 5 (2014). 134  C. Degenhart, 135  Eyermann/I.

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

Bundesregierung abweichenden Verständnis hinsichtlich des öffentlichen Interesses führen, solange der Rahmen grundsätzlicher politischer Ziele und Vorstellungen eingehalten bleibt. Hieraus resultiert letztlich ein eigenständiger Abwägungsprozess des VBI. Diesen kann der VBI bereits dadurch ausüben, dass er nach eigenem Ermessen entscheidet, ob und mit welchen Anträgen er sich an einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit beteiligt140. Möchte er eine von einer obersten Bundesbehörde abweichende Auffassung im Prozess vertreten, sieht § 6 Abs. 2 DA VBI vor, dass er auf dem Weg der Verhandlung einen Ausgleich suchen soll. Kann ein solcher nicht erzielt werden, hat die oberste Bundes­ behörde die Möglichkeit, eine für den VBI verbindliche Entscheidung der Bundesregierung herbeizuführen. Regelmäßig enthalten die Stellungnahmen der Bundesressorts aber einen Spielraum141, den der VBI für die erwähnte Abwägung nutzen kann. Im Sinne einer solchen Betrachtung ist auch die Aufgabenzusammenstellung bezüglich des früheren OBA von C. Fischer zu verstehen, derzufolge dieser zwar einerseits „kein Vertreter des Bundesinteresses“ ist, sondern „als objektive Instanz tätig“ werde, andererseits aber durch Aufzeigen von Vorstellungen und Zielen der Bundesregierung ein „Regierungsfaktor im Verwaltungsprozess“ sein soll142. Gleiches gilt auch für die Anmerkung des Gesetzgebers selbst anlässlich der geplanten und letztlich nicht realisierten Einführung einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung, der ehemalige OBA habe eine unabhängige Stellung inne und gebe dabei der Bundesregierung in Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit, zu Wort zu kommen143. Auch dem Bundesrechnungshof zufolge führt er zwar Aspekte für den Bund in das verwaltungsgerichtliche Verfahren ein, kann aber trotzdem Positionen von Bürgern oder Dritten unterstützen144.

Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192). Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192). 142  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 42; als „Regierungsfaktor im Verwaltungsprozess“ kennzeichnen den VöI bereits H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683); W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 124. 143  BR-Drucks. 100/82, S. 84. 144  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 86, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 140  K. D. Schnappauf, 141  K. D. Schnappauf,



II. Vertretung übergeordneter Interessen des Gemeinwohls im Verfahren 37

e) Abgrenzung zu den VöI auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO Wenn der VBI nun eine gesamtstaatliche Perspektive einnimmt, welche die Interessen der Länder miteinschließt, stellt sich die Frage, warum es dann zusätzlich in den Ländern die Möglichkeit gibt, VöI auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO einzurichten. Grund für eine Existenzberechtigung beider Einrichtungen ist die Tatsache, dass die VwGO nicht von einem einheitlichen öffentlichen Interesse ausgeht, das vor den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten durch die VöI gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO und nachfolgend in der Revisionsinstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht durch den VBI ausgeübt werden könnte145. Auch wenn beide VöI eine gesamtstaatliche Sichtweise einnehmen, so geschieht dies aus der besonderen Perspektive ihres jeweiligen Trägers, also beim VBI aus derjenigen des Bundes und beim VöI gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO aus derjenigen des Landes, welches ihn eingerichtet hat146. Unterschiede beider Perspektiven kommen in der Praxis beispielsweise in Fällen zum Tragen, in denen ausschließlich ein landesinterner Sachverhalt betroffen ist, der das öffentliche Interesse des Bundes nicht berührt147. Hierzu zählt etwa das öffentliche Interesse eines Landes daran, das Besoldungsrecht durch kommunale Dienststellen einheitlich handzuhaben148. Die gesamtstaatliche Sichtweise des VBI bedeutet in der Praxis demgegenüber, dass dieser nur in den Fällen, in denen das öffentliche Interesse des Bundes, also das Bundesinteresse, betroffen ist, auch die Interessen der Länder in dem konkreten Fall berücksichtigen muss. Verallgemeinert gesprochen wird also jeder VöI nur dann tätig, wenn das öffentliche Interesse seines Trägers betroffen wird. Ist dies aber der Fall, muss er eine übergeordnete, gesamtstaatliche Perspektive einnehmen, die auch die Sichtweise anderer staatlicher Ebenen sowie diejenige des Bürgers miteinschließt. Deswegen kann sich die Tätigkeit beider im Einzelfall durchaus überlappen. Zwingend ist dies aber nicht. Zu beachten ist dabei nämlich insbesondere auch, dass angesichts des Beteiligungsermessens des VBI sowie seiner fehlenden Revisionsbefugnis nicht sichergestellt ist, dass dieser in einem konkreten Fall vor dem Bundesverwaltungsgericht die Vertretung des öffentlichen Interesses von einem auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO eingerichteten VöI übernimmt149. 145  BVerwGE

25, 170 (174 f.). Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbar-

146  J. Schulz-Hardt,

keit, S. 132. 147  BVerwGE 25, 170 (175 f.). 148  BVerwGE 25, 170 (176). 149  BVerwGE 25, 170 (175).

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B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

7. Kontroll- und Wächterfunktion des VBI Einige Stimmen in der Literatur haben die Aufgabenbeschreibung des VöI durch das Bundesverwaltungsgericht in dessen Zwischenurteil vom 15. April 1964150 dahingehend verstanden, dass diesem eine Kontroll- oder Wächterfunktion zukommen soll, dass das öffentliche Interesse durch die Rechtsprechung hinreichend Berücksichtigung findet151. Auf diese Weise würde der Staat die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf Rechtsstreitigkeiten zu nehmen, deren Ergebnisse möglicherweise seinen – gegebenenfalls auch politischen – Zielsetzungen widersprechen152. Die Beschreibung der Aufgaben des VBI als Kontroll- und Wächterorgan ist insoweit problematisch, als diese Formulierung an das Staatsverständnis in der früheren konstitutionellen Monarchie erinnert, demzufolge die Staatsregierung das öffentliche Interesse bestimmt und mithilfe des VöI dessen Durchsetzung vor den – damals noch nicht unabhängigen – Verwaltungsgerichten sicherstellen möchte153. Vor 1945 war die Institution des VöI zudem Ausdruck eines verfahrensrechtlichen Verständnisses, demzufolge der Verwaltungsprozess kein Parteiprozess war, weil der Staat nicht als Prozesspartei angesehen wurde154. Eine solche Überwachungsaufgabe kommt dem VöI im heutigen Verwaltungsgerichtsverfahren auf Grundlage der VwGO und der heute geltenden Verfassungsordnung aber gerade nicht mehr zu155. Im modernen Rechtsstaat gewährleistet nämlich bereits der Verwaltungsrichter wegen seiner Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG einen genügenden Ausgleich zwischen Individualrechten des Bürgers und dem Gemeinwohl156. Dementsprechend hat der VöI einen völligen Funktions- und

150  BVerwGE

18, 205. Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (74); W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 315; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 117. 152  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP, 104 (1991), 11 (46). 153  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 65; C. H. Ule, Gegenwart und Zukunft des VöI, DVBl. 1981, 953 (958). 154  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (954). 155  R. Frauenknecht, Aufgabe und Tätigkeit der Bundesanwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 13 (15); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (229); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (958). 156  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (682); G. MeyerHentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (117); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (186, 191); H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815). 151  O. Groß,



III. Entlastung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren39

Strukturwandel erfahren157. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte daher nicht von einem „Wahrer“ des öffentlichen Interesses, sondern unter konsequenter Einhaltung des Gesetzeswortlauts der §§ 35 ff. VwGO von einem „Vertreter“ die Rede sein, der Aspekte des öffentlichen Interesses dem Gericht gegenüber darlegt. Auf diese Weise kommt ein zeitgemäßes Verständnis des VöI als unparteiischer, objektiver Sachwalter, der eben kein Aufpasser der Rechtsprechung im Dienst der Regierung mehr ist, hinreichend zum Ausdruck158. Dank einer objektiven, unabhängigen Stellung ist der VBI nämlich weder „Gehilfe“ noch „Vormund“ des Bundesverwaltungsgerichts159. Dieser Ansatz stellt zudem klar, dass VöI und Gericht nicht gegeneinander, sondern konstruktiv miteinander arbeiten, was einer sachgerechten Wahrnehmung des öffentlichen Interesses entspricht, weil auch in Bezug auf dieses letztlich ausschließlich das Gericht eine endgültig verbindliche Entscheidung trifft160. Deshalb ist der VöI im Verfahren nicht der einzige Beteiligte, der das öffentliche Interesse wahrnimmt161, was dafürspricht, dass seine Tätigkeit gegenüber dem Gericht rein unterstützender Natur ist162. Der Unterschied zu einer Stellung als „Gehilfe“ besteht darin, dass der VöI selbständig seine eigenen Vorstellungen vom öffentlichen Interesse vertritt, die durchaus von denjenigen des Gerichts abweichen können, die dieses am Ende des Rechtsstreits durch seine Entscheidung festlegt.

III. Entlastung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren Das außergerichtliche Gegenstück zur Aufgabe des VBI im Prozess, auf die Durchsetzung des Rechts hinzuwirken, ist die Funktion, auf die Verwaltungsbehörden dahingehend einzuwirken, dass diese auf die Durchführung aussichtsloser Rechtsmittel verzichten und den klagenden Bürger klaglos stellen, wenn dieser ein aussichtsreiches Rechtsmittel einlegt163. Hierdurch 157  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (659). 158  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (115). 159  J. Prandl, VöI, DÖV 1954, 206 (206). 160  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 65. 161  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 454, Fn. 112; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191). 162  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191). 163  BVerwGE 18, 205 (208); C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 41; B. Holzweißig, Aufgaben eines VöI, DÖV 1960, 17 (17); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (283); D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 51; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen

40

B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

kann der VBI die Fortführung eines Verwaltungsrechtsstreits in der Revi­ sionsinstanz verhindern und auf diese Weise die Zahl der Verwaltungsrechtsstreitigkeiten vor dem Bundesverwaltungsgericht eindämmen164. Wenn es bereits zu einem Prozess gekommen ist, kann er auch während des Verfahrens zwischen den Beteiligten vermitteln, insbesondere bei Streitigkeiten zwischen verschiedenen Behörden165. Auch hier prüft der VBI die Rechtslage und sorgt dafür, dass die Beteiligten ihre Beziehungen im Einklang mit dieser gestalten. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe kann der VBI seine umfangreiche Kenntnis der Rechtsprechung durch deren kontinuierliche Beobachtung und Auswertung nutzbar machen166. Gegebenenfalls kann er zudem auf seinen Kontakt in die Bundesministerien zurückgreifen und am Verfahren beteiligten unteren Behörden eine abweichende Rechtsauffassung der Bundesressorts oder gar eine bevorstehende Normänderung übermitteln, was zu einer außergerichtlichen Klag­ losstellung des Bürgers durch die Behörde führt167. Auf diese Weise entlastet der VBI das Bundesverwaltungsgericht, weil er dafür sorgt, dass unnötige Prozesse vermieden werden und dem Gericht mehr Kapazitäten für diejenigen Verfahren zur Verfügung stehen, deren streitige Entscheidung erforderlich ist168. Insoweit dient seine Tätigkeit der Verfahrensbeschleunigung169. Dies hat vor allem in den Fällen eine Bedeutung, in denen das Gericht selbst nicht auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinwirken kann, ohne sich der Gefahr des Eindrucks von Parteilichkeit auszusetzen oder weil sogar ausdrückliche Vorschriften einem solchen Handeln entgegenstehen170. Die Beschleunigung des Verfahrens ist aber auch ein Effekt der bereits oben angesprochenen Tätigkeit des VBI, für das Gericht Hintergrundinformationen zu sammeln und ihm diese zur Verfügung zu stellen. Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 5 (2014). 164  A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (539); J. Prandl, VöI, DÖV 1954, 206 (206); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 112. 165  K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747). 166  J. Prandl, VöI, DÖV 1954, 206 (206). 167  B. Holzweißig, Aufgaben eines VöI, DÖV 1960, 17 (17). 168  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (282 f.); D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 51. 169  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 43; F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (282) D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 51. 170  BVerwGE 18, 205 (208); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (283); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235).



IV. Vermittlung von Informationen und Beratung41

Die hier beschriebene Entlastungs- und Beschleunigungsfunktion lässt sich auch unter den Stichworten „Streitschlichtung“171 und „außergerichtliche Kon­­fliktlösung“172 zusammenfassen.

IV. Vermittlung von Informationen und Beratung Als weiteren möglichen Aspekt einer außergerichtlichen Tätigkeit wird dem VBI die Aufgabe zugedacht, Behörden über Rechtsfragen zu informieren und zu diesen zu beraten173. Hierunter fallen insbesondere Informationen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung174. Auch in diesem Zusammenhang kann er auf seine bisherige Prozesserfahrung175 und auf seinen Überblick über die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückgreifen176. Ziel ist es dabei, im Vorfeld darauf hinzuwirken, dass die Verwaltung in einer Art und Weise Entscheidungen fällt, dass diese keinen Anlass zu Rechtsstreitigkeiten bieten177. Hierzu übermittelt er der Verwaltung die jeweiligen Leitlinien der Rechtsprechung sowie Korrekturen der bisherigen Verwaltungspraxis durch diese178. Stellt sich in einem Prozess heraus, dass ein Bedarf besteht, bestimmte rechtliche Probleme durch Verordnung oder Gesetz zu regeln, kann er dem Gesetz- oder Verordnunggeber entsprechende Hinweise zukommen lassen179. Genauso kann er diesen auf Vorschriften hinweisen, die sich in der Praxis vor Gericht nicht bewährt haben oder generell nicht gewünschte Ef171  HK-VerwR/B. Kastner,

VwGO, § 35 Rn. 5.

172  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann,

VwGO, § 35 Rn. 5 (2014).

173  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (283); HK-

VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 5; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 112; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). 174  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO, § 35 Rn. 5. 175  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 176  J. Prandl, VöI, DÖV 1954, 206 (206); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 177  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (283); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (559); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (161). 178  J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (559). 179  K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655) Schoch/Schneider/Bier/ C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (195 f.).

42

B. Aufgaben des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG

fekte nach sich ziehen, sodass diese geändert werden sollten180. Auch diese Tätigkeit dient letztlich der Entlastung der Gerichte durch Vermeidung unnötiger Rechtsstreitigkeiten. Zudem kann der VBI dabei durch Hinweise auf offene oder versteckte Abweichungen divergierende Auffassungen von Behörden koordinieren, wenn die prozessuale Situation dies erfordert181. Eine solche Koordination kann auch auf dem Weg erfolgen, dass der VBI höherrangige Behörden über das verwaltungsgerichtliche Verfahren informiert und diese in die Lage versetzt, ihre Ansichten in dieses einzuführen182. Hierfür besteht dadurch ein besonderer Bedarf, dass viele Verwaltungstätigkeiten durch kommunale Selbstverwaltungskörperschaften übernommen werden183. Im Bereich der Verwaltung können sich nämlich einerseits regionale Unterschiede184, andererseits aber auch solche zwischen kommunalen und unmittelbar staatlichen Behörden ergeben185. Die Informations- und Koordinationsfunktion des VBI fördert schließlich eine einheitliche Rechtsanwendung durch die Verwaltung186. Aufgrund der sich in allen vier Tätigkeitsbereichen des VBI durch Verflechtung gerichts- und verwaltungsbezogener Aufgaben ergebenden Doppelfunktion187 ist der VöI als „Mittler zwischen Gericht und Verwaltung“ zu bezeichnen188. 180  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (195 f.). 181  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (559). 182  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 183  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 184  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (159 f.). 185  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 186  Vgl. K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235), der von „Einheit der Verwaltung“ spricht; C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 187  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 163. 188  BVerwGE 18, 205 (208); C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 41; R. Frauenknecht, Der Oberbundesanwalt beim BVerwG, ZBR, 1978, 277 (282); J. Prandl, VöI, DÖV 1954, 206 (206); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 2 (2014).

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses Um ein näheres Verständnis vom Wesen des VBI zu erhalten, ist es erforderlich, dessen Bezugspunkt zu untersuchen. Der Bezeichnung des VBI im Wortlaut von § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO zufolge handelt es sich dabei um das Bundesinteresse. Zu beachten ist hier aber, dass diese Norm systematisch im vierten Abschnitt der VwGO enthalten ist, der die Überschrift „Vertreter des öffentlichen Interesses“ trägt. Diese Systematik legt den Schluss nahe, dass das Bundesinteresse eine Spielart des Oberbegriffs „öffentliches Interesse“ ist. Der Begriff des „Bundesinteresses“ ist nämlich insoweit enger als derjenige des „öffentlichen Interesses“, als die Interessen des Bundes ihrer Zielsetzung nach stets öffentliche Interessen sind, wohingegen nicht jedes öffentliche Interesse gleichzeitig ein solches des Bundes ist1. Aus der bereits oben festgestellte Tatsache, dass die Änderung des Wortlauts von § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO vom „öffentlichen Interesse“ zum „Bundesinteresse“ zu keiner Än­ derung der Aufgaben bei der Reform vom OBA zum VBI geführt hat, lässt sich ableiten, dass dennoch zwischen beiden Begriffen kein bedeutender inhaltlicher Unterschied besteht. Der engere Begriff des „Bundesinteresses“ hebt im Wesentlichen die gesamtstaatliche Perspektive der Bundesrepublik Deutschland hervor, die der VBI einnehmen soll2 und stellt somit eine Präzision des weiteren Begriffs des „öffentlichen Interesses“ dar3. Der Vereinfachung halber wird im Folgenden auf den allgemeineren Begriff des „öffentlichen Interesses“ abgestellt, wobei die Ausführungen genauso für den Begriff des „Bundesinteresses“ im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO gelten. Im Kern stellt das „öffentliche Interesse“ einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der sich einer abschließenden Definition entzieht4. Dementsprechend muss er für eine Anwendung im konkreten Einzelfall immer wieder neu konkretisiert werden5. Dabei ist der Begriff des „öffentlichen Interesses“ mit denjenigen des „Gemeinwohls“ und des „Interesses der Allgemeinheit“ gleichzu1  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann,

VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). VwGO, § 35 Rn. 5. 3  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 5 (2014). 4  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); Gärditz/ F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 5; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (234); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (187 f.). 5  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 723 f. 2  Gärditz/F. Wittreck,

44

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses

setzen6. Daneben existieren einige weitere Ausdrücke wie „öffentliche Belange“, „öffentliches Bedürfnis“ und „öffentliches Wohl“, die ihrem Sinn nach mit dem „öffentlichen Interesse“ eng verwandt sind7. Der Begriff „Interesse“ wird definiert als positiver Bezug oder Anteilnahme eines Subjekts an einem bestimmten Gegenstand8, wobei die Frage, welchem Gegenstand diese Anteilnahme zukommen soll, immer eine Wertentscheidung darstellt9. Der Begriff des „Interesses“ erhält erst dann eine inhaltliche Kontur, wenn man näher untersucht, worauf sich dieses bezieht, was also sein Gegenstand oder Objekt ist, und wer Träger dieses Interesses, folglich sein Subjekt, ist10. Dementsprechend ist das öffentliche Interesse in eine subjektive und in eine objektive Komponente aufzuspalten.

I. Die subjektive Komponente des öffentlichen Interesses Erstere richtet sich auf die Frage, wer Träger des öffentlichen Interesses ist, also wessen Interessen dabei maßgeblich sind11. Als Ansatzpunkt für eine Untersuchung bietet sich hier das Adjektiv „öffentlich“ an. Diesem werden zwei verschiedene Bedeutungen beigemessen: Zum einen bezeichnet es etwas, das offen, also einem unbestimmten Personenkreis allgemein zugänglich ist12. Zum anderen kennzeichnet es die Zugehörigkeit des Nomens, auf das es sich bezieht, zur Gesellschaft oder zum Staat13. Aus dem Adjektiv „öffentlich“ lässt sich mithin ableiten, dass der Träger des öffentlichen Interesses sich dadurch auszeichnet, dass es sich um einen allgemein zugänglichen, nicht abgeschlossenen Personenkreis handelt14. Dabei genügt es, wenn die Mehrheit oder wenigstens ein repräsentati6  F. Ebert, Verwaltungsgerichtsbarkeit aus der Sicht des VöI, DVBl. 2013, 484 (487); A. Halfmeier, Popularklagen, S. 204; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 169; G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 74; J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (559); K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 33. 7  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 169; G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 74. 8  A. Halfmeier, Popularklagen, S. 203; G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 71; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 31; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/W. Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29 Rn. 3. 9  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 71. 10  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 173. 11  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (296). 12  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 72; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 33. 13  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 72 f. 14  K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 33 f.



I. Die subjektive Komponente des öffentlichen Interesses45

ver Teil der Angehörigen dieses Personenkreises Anteil nimmt, sodass nicht jedes einzelne Mitglied des Staatsvolkes das fragliche Interesse haben muss15. Abzugrenzen sind öffentliche Interessen dabei von Privatinteressen, die nicht über den Kreis einzelner natürlicher oder juristischer Privatpersonen hinausreichen16. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich hinter dem öffentlichen Interesse auch nicht etwa eine Summe einzelner Privat- oder Gruppeninteressen verbirgt17. Einige Stimmen sehen den Staat und andere Hoheitsträger wie die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften, deren Aufgabe es ist, überindividuelle Belange wahrzunehmen und zu fördern, als Träger des öffentlichen Interesses an18. G. Nibbe leitet dies direkt aus der vorgenannten zweiten Bedeutung des Wortes „öffentlich“ ab, die einen Staatsbezug kennzeichnet19. Andere stellen darauf ab, dass es das maßgebliche Kennzeichen des Staates und anderer Hoheitsträger sei, dass es sich jeweils um einen Zusammenschluss von Individuen zu einer Organisation handele, die planvoll Angelegenheiten der Gemeinschaft wahrnimmt und umsetzt20. Diesem wird entgegengehalten, dass ausschließlich natürliche Personen, also Menschen in der Lage seien, psychisch an einer Sache Anteil zu nehmen und somit ausschließlich diese Träger des öffentlichen Interesses sein könnten, aber gerade nicht der Staat oder öffentlich-rechtliche Körperschaften als rein juristische Personen21. Dementsprechend könne der Staat keine eigenen Interessen haben. Dieser sei vielmehr ein bloßes Hilfsmittel, um die Interessen seiner Mitglieder, also das öffentliche Interesse, durchzusetzen22. Sofern von staatlichen Interessen die Rede sei, könnten immer nur die öffentlichen Interessen einer Vielzahl von Staatsbürgern gemeint sein, die mit 15  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 197; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 36. 16  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 9; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (233); K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 32. 17  F. Ebert, Verwaltungsgerichtsbarkeit aus der Sicht des VöI, DVBl. 2013, 484 (487). 18  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (233); G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 78; W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). 19  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 78. 20  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (233). 21  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 182; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 38 f. 22  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 182; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 38.

46

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses

Hilfe des Staates oder öffentlich-rechtlicher Körperschaften verfolgt würden23. Dieser klarstellende Hinweis auf die bloß dienende Funktion des Staates für die hinter diesem stehenden Staatsbürger ist angesichts des heutigen, in Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG verankerten demokratischen Staatsverständnisses zutreffend. Der demokratische Staat beruht auf dem Prinzip der Volkssouveränität, weswegen staatliche Organe stets nur als Hilfsmittel zu verstehen sind, um die Interessen der Staatsangehörigen zu bündeln und wahrzunehmen24. Um welche Interessen es sich dabei im Einzelnen handelt und auf welche Weise diese wahrzunehmen sind, wird dabei näher in der Verfassung konkretisiert25. Auch wenn man weder den Staat selbst noch öffentlichrechtliche Körperschaften als originäre Träger des öffentlichen Interesses ansehen kann, nehmen diese Institutionen letztlich in der Praxis maßgeblich das öffentliche Interesse wahr, wobei sie dabei genau genommen lediglich die Natur eines Hilfsmittels für die Vielzahl von Staatsbürgern haben. Mit dieser Überlegung wird auch deutlich, dass die von G. Nibbe angeführte zweite Bedeutung des Wortes „öffentlich“ als etwas staatsbezogenes direkt aus der ersten Bedeutung, die einen nicht abgeschlossenen, unbestimmten Personenkreis bezeichnet, ableitbar ist, sodass ihr keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt. Dementsprechend ist das öffentliche Interesse das auf Verwirklichung der Staatsziele, also auf solche Handlungen gerichtete Staatsinteresse, die dem Wohl der Gemeinschaft, welche im Staat organisiert ist, dienen26. Dies hat zur Konsequenz, dass es aufgrund des Bundesstaatsprinzips unterschiedliche öffentliche Interessen gibt, welche die jeweils einzelnen Länder und der Bund wahrnehmen27. Hierdurch nimmt der Begriff des „öffentlichen Inte­ resses“ eine äußerst vielschichtige Gestalt an28.

23  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 182 f.; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 39. 24  C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 26, 28; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 185. 25  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 185. 26  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). 27  BVerwGE 25, 170 (175  f.); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235); W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). 28  BVerwGE 25, 170 (175).



II. Die objektive Komponente des öffentlichen Interesses47

II. Die objektive Komponente des öffentlichen Interesses Die objektive Komponente zielt demgegenüber auf den Gegenstand des öffentlichen Interesses ab29. Abstrakt gesprochen handelt es sich dabei um dasjenige, was unabhängig von situativen öffentlichen Meinungen objektiv einer Vielzahl von Staatsangehörigen nützt30. Hierunter fallen in verwaltungsprozessrechtlicher Hinsicht die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Verwaltungsgerichte durch Entlastung31 und in materiell-rechtlicher Hinsicht die Berücksichtigung der Grundrechte und der fundamentalen Staatsziele in verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen32. Letztere werden primär in Rechtsnormen konkretisiert, sodass die Rechtsverwirklichung ein wesentlicher Bezugspunkt des öffentlichen Interesses ist33. Durch den Erlass von Rechtsnormen wie Gesetzen und Satzungen werden bestimmte Angelegenheiten nämlich durch den jeweils demokratisch legitimierten Normgeber aus der bloßen Individualsphäre herausgelöst und als öffentliche Aufgaben festgelegt, also bewusst gesetzt34. Die Rechtsnormen sind dabei das gesellschaftliche Produkt eines Abwägungsprozesses verschiedener widerstreitender Interessen durch den Gesetzgeber35. Weil ihnen kollektive Wertentscheidungen zugrunde liegen, dienen sie dem öffentlichen Interesse36. Die jeweils demokratisch legitimierten Organe erhalten auf diese Weise hinsichtlich der Festlegung, was das öffentliche Interesse ist, anhand ihrer politischen Vorstellungen eine „Definitionsprärogative“37, weswegen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Rechtsverwirklichung fast nie ein anderes öffentliches Interesse überwiegt38. Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). Wahrung überindividueller Interessen, S. 41. 31  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). 32  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (298 f.); K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 47. 33  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (161); H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 10; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (233). 34  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (161); A. Halfmeier, Popularklagen, S. 206; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/R. Stober, Verwaltungsrecht I, § 3 Rn. 14; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/W. Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29 Rn. 16. 35  A. Halfmeier, Popularklagen, S. 206. 36  A. Halfmeier, Popularklagen, S. 207. 37  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 186; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 48; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/W. Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29 Rn. 16. 38  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 186 f.; Wolff/Bachof/Stober/Kluth/ W. Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29 Rn. 16. 29  W. Rzepka, 30  K. Thiere,

48

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses

Daneben ist aber auch zu beachten, dass sich diese Staatsziele nicht abschließend in den Rechtsnormen wiederfinden können, weil diese durch die Normierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Ermessensregelungen Spielräume enthalten39. Deshalb ist ein Normkonkretisierungskonzept erforderlich, das im Sinne der Rechtssicherheit auch den Entscheidungsmaßstab der Verwaltungsgerichte bildet40. Das öffentliche Interesse ist in diesem Zusammenhang darauf gerichtet, verschiedene, zum Teil auch gegenläufige und sich widersprechende fundamentale Staatsziele zu harmonisieren, wodurch alle berührten öffentlichen Belange integriert werden sollen41. Zum Teil werden diese einzelnen fundamentalen Staatsziele oder öffentlichen Belange auch selbst als unterschiedliche öffentliche Interessen oder begrenzte Teil­ interessen bezeichnet, die in unbegrenzter Anzahl existieren und dabei regelmäßig gegeneinander streiten sowie auf verschiedene Art und Weise in Bezug zu privaten Interessen stehen können42. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Verwendung unterschiedlicher Begriffe für denselben Abwägungsvorgang zwischen verschiedenen Staatszielen, dessen Ergebnis deren Konkretisierung für den jeweiligen Einzelfall darstellt43. Dieses Ergebnis des gerade beschriebenen Konkretisierungsprozesses ist das öffentliche Interesse, welches der VBI im Prozess dem Gericht gegenüber vertritt44. A. Halfmeier definiert „öffentliches Interesse“ dabei ganz allgemein als „Kurzformel für das methodische Ordnen und Verknüpfen eines vielschichtigen Gefüges von Werten und Sachzusammenhängen zur Erzielung möglichst guter Entscheidungsanweisungen in bestimmten konkreten Lagen“45. Unter den hier beschriebenen Entscheidungs- oder Abwägungsvorgang lässt sich auch der vorgehend dargestellte Vorgang der Normkonkretisierung fassen. 39  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (298); dieser Gedanke klingt auch bei H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 20 f. an, der darauf hinweist, dass über die Rechtsverwirklichung hinausgehende öffentliche Interessen dort durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts berührt werden, wo der Verwaltung gerichtlich überprüfbares Ermessen eingeräumt wurde oder es um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geht. 40  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (298). 41  H. Fliegauf, Funktion und Aufgaben der Landesanwaltschaft in Baden-Württemberg, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 49 (56); W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (299). 42  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 203; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (233  f.); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (188); K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 55. 43  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (234); K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 55, 57; R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 320, 323. 44  W. Rzepka, Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (300). 45  A. Halfmeier, Popularklagen, S. 209.



III. Schlussfolgerungen für die Aufgabe des VBI49

Auch wenn objektiver Bezugspunkt des öffentlichen Interesses damit vordergründig das Ergebnis dieses Abwägungsvorgangs ist46, so drückt auch dieses letztlich – heruntergebrochen auf den konkreten Einzelfall – dasjenige aus, was einer Mehrheit der Staatsbürger objektiv nützt. Zum Teil wird der Begriff des öffentlichen Interesses unter Hinweis da­ rauf, dass alle Interessen, die der Staat wahrnimmt, auf die Interessen der Individuen zurückzuführen sind, denen er als Form der Selbstorganisation dient, als überflüssig angesehen47. Es existierten nach heutigem Staatsverständnis keine Interessen der Allgemeinheit, die dem Einzelnen gegenüber übergeordnet oder vorrangig seien48. Im Hinblick auf die historische Entwicklung berge dieser Begriff zudem ein autoritäres Potenzial, indem er als Grundlage für die Regierung diene, unter Berufung auf ein selbst definiertes Gemeinwohl willkürlich Herrschaft auszuüben49. Dieser Kritik ist aber entgegenzuhalten, dass nicht jedes individuelle Interesse Ausdruck im Gesetz als Willensentscheidung einer Mehrheit von Individuen findet oder, allgemein gesprochen, für einen unbestimmt großen Personenkreis Relevanz besitzt. Die vorstehend herausgearbeitete Definition bietet zudem eine Möglichkeit, den Begriff des „öffentlichen Interesses“ in Abgrenzung zu früherem Missbrauch in Einklang mit dem heutigen Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis zu bringen, indem sie an den im Gesetz ausgedrückten Willen der Mehrheit des Volkes anknüpft.

III. Schlussfolgerungen für die Aufgabe des VBI Hieraus folgt, dass ein von vorne herein feststehendes, einheitliches öffentliches Interesse nicht existiert50, sondern dass es sich stets in einem Prozess der Um- und Neubildung befindet51. Deshalb muss der VBI je nach Anlass und Umständen im Wege einer ständigen Aktualisierung immer wieder von neuem herausarbeiten, was genau das öffentliche Interesse im konkreten Einzelfall ist52. Dabei besteht eine Nähe zu den politischen Entscheidungen der Staatsführung, weswegen die entsprechenden Ansichten und Ziele der BundesregieWahrung überindividueller Interessen, S. 57 f. Popularklagen, S. 208 f. 48  A. Halfmeier, Popularklagen, S. 208 f. 49  A. Halfmeier, Popularklagen, S. 205. 50  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 81. 51  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 12. 52  Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 5; G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 79, 81; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (188). 46  K. Thiere,

47  A. Halfmeier,

50

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses

rung letztlich wichtige Orientierungspunkte für die Arbeit des VBI sind53. Für die oben beschriebene Abwägung ist es erforderlich, die Motive und Ziele des Parlaments als des höchsten politischen Organs der Willensbildung, die Leitlinien der Bundesregierung und die Verwaltungsvorschriften der ­Ministerien heranzuziehen54. Zu beachten ist, dass die Gesetze das zentrale Handlungsinstrument des demokratischen Rechtsstaates darstellen55. Der Gesetzgeber wendet die Tatbestandstechnik an, um staatliche Gemeinwohlleitbilder in rechtliche Normen zu gießen56, sodass sich das Gesetz vom Gemeinwohl ableitet und Ausdruck dessen ist57. Durch das Erfordernis einer parlamentarischen Zustimmung zu einem Gesetz erhält dieses auch die in einer repräsentativen Demokratie erforderliche Legitimation durch eine Mehrheitsentscheidung58. Daher finden die politischen Leitlinien der Bundesregierung als Ausdruck des Gemeinschaftswillens primär in den Gesetzen ihren Ausdruck59. Demensprechend kann das öffentliche Interesse im heutigen demokratischen Rechtsstaat nicht vom Recht getrennt werden60. Folglich müssen die gesetzlichen Wertungen der vorrangige Ansatzpunkt für den VBI sein, um im konkreten Fall das öffentliche Interesse herauszuarbeiten61. Der VBI orientiert sich an den politischen Zielen der Bundesregierung also nicht, indem er als deren Parteivertreter auftritt, sondern indem er die hinter den Gesetzen stehenden Allgemeininteressen, zu denen im Einzelfall der Schutz individueller Rechte gehören kann, beleuchtet und in den Prozess einführt62. Die Wahrnehmung von Individualinteressen sowie von öffent­ lichen Interessen ist in einem Rechtsstaat nämlich kein Gegensatz63. Um den Gemeinwohlgehalt eines Gesetzes bestimmen zu können, ist es erforderlich, auf dessen öffentliche Behandlung im Parlament während des Gesetzgebungsverfahrens, auf dessen Sinn und Zweck, auf seinen Sachzu53  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235). 54  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (235). 55  C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 141, 146; Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 52. 56  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 720. 57  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 11. 58  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 187. 59  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264). 60  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264). 61  Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 5. 62  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (279). 63  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264).



III. Schlussfolgerungen für die Aufgabe des VBI51

sammenhang und auf die allgemeine Gesetzesentwicklung abzustellen64. Zu beachten ist dabei, dass das Grundgesetz unmittelbar bestimmte Vorgaben für die Konkretisierung des öffentlichen Interesses enthält, alleine schon, weil seine Bestimmungen, insbesondere die Grundrechte, wesentliche Anhaltspunkte für die Auslegung der gesamten Rechtsordnung enthalten65. Daher weist in der Regel die Rechtsordnung selbst vielfältige inhaltliche Vorgaben auf, anhand derer das öffentliche Interesse im Einzelfall festzulegen ist66. Zum Teil benennt diese die maßgeblichen Abwägungskriterien selbst und gibt ihnen eine bestimmte Gewichtung67. Daneben können hier aber auch die Verwaltungspraxis sowie die Rechtsprechung selbst relevant werden68. Ersterer kommt dort eine besondere Bedeutung zu, wo ihr der Gesetzgeber durch die Einräumung von Ermessen eine selbständige Kompetenz zur Konkretisierung des öffentlichen Interesses eingeräumt hat69. Gerade dort, wo der Gesetzgeber bestimmte Spielräume offengelassen hat, muss der VBI durch die Heranziehung einschlägiger Hintergrundinformationen Anhaltspunkte finden, um unter den unterschiedlichen widerstreitenden öffentlichen Belangen das öffentliche Interesse hinreichend konkretisieren zu können. Generell geht es also bei der Konkretisierung des öffentlichen Interesses im Einzelfall darum, mit Hilfe möglichst fundierter Informationen die gesetz­ lichen Wertungen herauszuarbeiten und ihnen Ausdruck zu verleihen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der grundlegende wesentliche Inhalt des öffentlichen Interesses die Rechtsverwirklichung ist70. Dieser Befund unterstreicht, dass die ersten beiden im vorigen Kapitel formulierten Aufgaben des VBI, dafür zu sorgen, dass sich das Recht durchsetzt und zudem eigene übergeordnete Gemeinwohlaspekte zu formulieren, eng miteinander verbunden sind. Auch die Formulierung eigener Gemeinwohlaspekte hat die Wertungen des Gesetzgebers und damit die Auslegung von Gesetzen als Grundlage. Sie erfolgt aber bei der Einbeziehung und Abwägung unterschiedlicher oder sogar gegenläufiger öffentlicher Belange aus einer gesamtstaatlichen Perspektive, die über den konkreten Prozess hinausgeht und die grundsätzlichen gesellschaftlichen Konflikte beleuchtet, die hinter dem Rechtsstreit und den für ihn relevanten Normen stehen. Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 723. Das öffentliche Interesse, S. 318. 66  R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 320. 67  R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 321. 68  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 723. 69  R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 318. 70  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S.  20; R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 64  P. Häberle,

65  R. Uerpmann,

52

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses

Dem verwaltungsprozessrechtlichen Aspekt des öffentlichen Interesses in Form der Entlastung der Verwaltungsgerichte dient wiederum die außergerichtliche Tätigkeit der VöI, die darauf gerichtet ist, unnötige verwaltungsgerichtliche Verfahren zu vermeiden71.

IV. Bezug von Rechtsprechung und Verwaltung zum öffentlichen Interesse Ziel der Arbeit des VBI ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die hinter den Gesetzen stehenden Allgemeininteressen vom Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung erkannt und in diese mit einbezogen werden72. Der Verwaltungsrichter muss diese im Sinne einer „Gemeinwohljudikatur“ bei der Urteilsfindung ebenfalls heranziehen, um die für die ­Findung der konkreten Entscheidung anzuwendenden Gesetze auszulegen73. Die Rechtsprechung trägt dadurch dem Umstand Rechnung, dass sich der Begriff des „öffentlichen Interesses“ von seinem monarchischen Ursprung, wonach „öffentliches Interesse“ eine außerhalb der Rechtsordnung stehende Instanz bezeichnete74, entfernt hat und vielmehr ein fester Bestandteil von Recht und Gesetz geworden ist: Die öffentlichen Interessen, die im Grundgesetz und in den dieses konkretisierenden Gesetzen zum Ausdruck kommen, werden durch die Rechtsprechung immer weiter durch Interpretation auf den Einzelfall hin konkretisiert und dadurch im Laufe der Entscheidungen erneuert75. Auf diese Weise ist es nicht nur Aufgabe der Rechtsprechung, die individuellen Rechte des Bürgers zu wahren, sondern auch den öffentlichen Interessen, die hinter den Gesetzen stehen, zur Durchsetzung zu verhelfen76. Deshalb ist die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses auch Aufgabe des Gerichts77. Wie stark das Gericht durch die von ihm zu fällende Entscheidung das öffentliche Interesse beeinflusst, lässt sich nicht allgemein feststellen, da dies vielmehr stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt78.

Öffentliches Interesse, BayVBl. 1992, 295 (297). Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (279). 73  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 723 f. 74  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 716. 75  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 728. 76  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (272). 77  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 316; F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (265); W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 122. 78  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 19. 71  W. Rzepka, 72  F. Kopp,



IV. Bezug von Rechtsprechung und Verwaltung zum öffentlichen Interesse 53

In einer konkreten Sache erstmalig mit der Durchsetzung des öffentlichen Interesses beauftragt ist die Verwaltung als vollziehende Gewalt79. Diese fällt – regelmäßig in Form eines Verwaltungsakts – innerhalb der in den Gesetzen formulierten Vorgaben eine erste Entscheidung zur Regelung des konkreten Einzelfalls80. Die Rechtsprechung nimmt das öffentliche Interesse dagegen aus einer anderen Perspektive wahr, nämlich aus derjenigen der Rechtskontrolle. Sie überprüft also die Rechtmäßigkeit der vorausgegangenen Entscheidung der Verwaltung und damit deren Wahrnehmung der öffentlichen Interessen81. Die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses aus der Sichtweise der Verwaltung hat A.  P.  Eisemann als „Ressortinteresse“ bezeichnet, welches er als das Bemühen der Verwaltung definiert, ihre Tätigkeit gesetzmäßig aus­ zuüben82. Dieses Ressortinteresse ordnet er einem davon separaten „öffent­ liche Interesse“ unter, das er mit „gesetzmäßiger Verwaltung“ gleichsetzt und dessen Durchsetzung er damit als Ziel des Verwaltungsprozesses ansieht83. Nach dem Vorgenannten ist dieser Sichtweise insoweit zuzustimmen, als die Gesetze die primäre Konkretisierung des öffentlichen Interesses darstellen, sodass eine gesetzmäßige Verwaltung im Wesentlichen mit dessen Verwirklichung korrespondiert. Allerdings darf in diesem Kontext nicht übersehen werden, dass die heutigen Gesetze in der Regel Spielräume enthalten, die durch Herausarbeitung des maßgeblichen öffentlichen Interesses mittels einer Abwägung verschiedener Staatsziele zu schließen sind. Erkennt man im Gegensatz zu A. P.  Eisemann die Möglichkeit unterschiedlicher, konkurrierender und sogar gegenläufiger öffentlicher Interessen an84, ist es naheliegend, auch das Ressortinteresse als eine besondere Spielart des öffentlichen Interesses anzusehen, das im Gegensatz zum öffentlichen Inte­ resse, welches der VöI wahrnimmt, auf die Perspektive der Verwaltung ausgerichtet ist. Das öffentliche Interesse kann dabei im Einzelfall mit dem Ressortinteresse übereinstimmen. Es kann aber auch sein, dass das öffent­ liche Interesse aufseiten des Bürgers streitet, dessen dem Rechtsstreit zu79  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 11; F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (265); E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (452). 80  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264 f.). 81  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (265). 82  A. P. Eisemann, Grenzen des Weisungsrechts, DÖV 1958, 685 (686). 83  A. P. Eisemann, Grenzen des Weisungsrechts, DÖV 1958, 685 (686). 84  A. P. Eisemann, Grenzen des Weisungsrechts, DÖV 1958, 685 (686) zufolge können in einem bestimmten Sachverhalt nicht mehrere öffentliche Interessen nebeneinander konkurrieren oder in Widerstreit stehen.

54

C. Der Begriff des öffentlichen Interesses

grunde liegende Rechtsposition zugleich eine unbestimmte Vielzahl anderer Bürger betrifft85.

V. „Öffentliches Interesse“ als Rechtsbegriff Den unbestimmten Rechtsbegriff des „öffentlichen Interesses“ oder verwandte Termini verwendet der Gesetzgeber häufig bei der Formulierung einfach gesetzlicher Normen als Tatbestandsmerkmal. Beispiele dazu sind § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, § 51 S. 1 GewO und § 87 Abs. 1 BauGB. Um den Inhalt dieser Tatbestandsmerkmale näher zu bestimmen, ist vorrangig auf das Grundgesetz und die übrigen für die Rechtsordnung in der Bundesrepublik Deutschland relevanten Rechtsquellen zurückzugreifen86. Zudem ist das einfach gesetzlich normierte öffentliche Interesse immer in seinem konkreten Zusammenhang zu verstehen, wodurch es inhaltlich konkretisiert und begrenzt wird87. Bei der Anwendung eines entsprechenden Gesetzes ist dabei jeweils genau herauszuarbeiten, welches die Zwecke und Rechtsgüter sind, die der Gesetzgeber als öffentliche Interessen schützen möchte, sowie, welche Personen Träger dieser Güter sind88. Dabei ist der Kreis der geschützten Rechtsgüter im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen89. Aus dem oben umrissenen Verständnis, wonach im demokratischen Rechtsstaat der Gesetzgeber die verschiedenen öffentlichen Interessen dadurch wahrnimmt, dass er Gesetze erlässt, welche diese verwirklichen sollen, folgt, dass über die Gesetze hinaus, deren Tatbestand das Merkmal „öffent­liches Interesses“ oder einen verwandten Begriff ausdrücklich enthalten, hinter sämtlichen Rechtsnormen öffentliche Interessen stehen. Sich dieser zu ver­gegenwärtigen, ist daher ein wesentlicher Bestandteil der Auslegung und Anwendung von ­Gesetzen90. Deshalb handelt es sich beim „öffentlichen Inte­resse“ um ein fundamentales Prinzip, das allen Rechtsnormen zugrunde liegt91. Dieses tritt an einigen Stellen durch ausdrückliche Nennung im Gesetz offen zutage, wohingegen es hinsichtlich der meisten Rechtsnormen im Hintergrund bleibt, weil der Gesetzgeber durch Nennung anderer Tatbestandsmerkmale selbst bereits eine gewisse Konkretisierung des öffentlichen Interesses vorgenommen hat92. VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 17 f. Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 193. 87  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 13 f.; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 195. 88  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 14; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 196. 89  W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 197. 90  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 223. 91  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 204 f. 92  P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 223, 724 f. 85  H. Braun,

86  W. Martens,

D. Prozessuale Stellung des VBI Gemäß § 63 Nr. 4 VwGO hat der VBI die prozessuale Stellung eines Beteiligten, falls er von seinem Beteiligungsrecht Gebrauch macht. Auch wenn die Stellung eines Beteiligten gemäß § 63 VwGO funktionell grundsätzlich mit derjenigen einer Partei im Zivilprozess übereinstimmt1, nimmt der VBI eine von den sonstigen Verfahrensbeteiligten insoweit abweichende Rechtsposition ein, als er nicht die einseitige Funktion einer Prozesspartei wahrnimmt, sondern eine unparteiische, übergeordnete Stellung als – in Bezug auf die Parteiinteressen – unbeteiligter Mittler im Dienste der Rechtsfindung inne hat2. Dadurch, dass die VwGO den Begriff „Beteiligte“ und nicht denjenigen der „Parteien“ verwendet, trägt sie der Tatsache Rechnung, dass es sich beim verwaltungsgerichtlichen Verfahren zwar um einen kontradiktorischen Prozess zwischen Kläger und Beklagtem handelt, darüber hinaus aber häufig Dritte beteiligt sind, die wesentliche eigene prozessuale Rechte haben und dabei im Verfahren unabhängig von Kläger und Beklagtem agieren3. Insoweit ist der Begriff des „Beteiligten“ im Verwaltungsprozessrecht weiter als derjenige der „Partei“ im Zivilprozess4. J. J. Nolte geht sogar so weit, dass der zivilprozessuale Begriff der Partei nicht ohne weiteres auf den Verwaltungsprozess übertragbar sein soll5, was er wesentlich auf die durch die weitreichenden Rechte beteiligter Dritter durchbrochene Zweipoligkeit des Verfahrens zurückführt6. Dieses im Vergleich zum zivilrechtlichen Begriff der „Prozesspartei“ weitere Verständnis des „Verfahrensbeteiligten“ erweist sich somit als besonders geeignet, auch die unabhängige Prozessstellung des VBI mit abzudecken. Bei der Bestimmung der prozessualen Stellung des VBI muss die gesetzliche Regelung in § 63 Nr. 4 VwGO immer im Lichte der diesem aufgetragenen Aufgaben sowie seiner Eigenschaft als Organ der Rechtspflege betrachtet werden7. 1  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke,

VwGO, § 63 Rn. 1. VwGO, § 35 Rn. 3. 3  Gärditz/D. Krausnick, VwGO, § 63 Rn. 7; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 105; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 63 Rn. 1. 4  Gärditz/D. Krausnick, VwGO, § 63 Rn. 7; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 63 Rn. 1. 5  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 104. 6  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 105. 7  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 116. 2  Kopp/Schenke/J. Ruthig,

56

D. Prozessuale Stellung des VBI

I. Das Erfordernis einer Beteiligungserklärung Aufgrund der durch das Gesetz vorgesehenen Bedingung des Gebrauchmachens von seiner Beteiligungsbefugnis ist der VBI nicht automatisch „aktiv“ Beteiligter jedes Rechtsstreits vor dem Bundesverwaltungsgericht, sondern erhält diese Stellung erst nach Abgabe seiner Beteiligungserklärung8. 1. Informationspflicht des Gerichts Um aber auf inhaltlich hinreichend fundierter Grundlage entscheiden zu können, ob er von dieser Beteiligungsbefugnis Gebrauch machen möchte, ist es notwendig, dass das Gericht dem VBI von vorne herein Klagen und Rechtsmittel sowie weitere für das Verfahren relevante Schriftsätze und gerichtliche Entscheidungen übersendet9. Folglich unterliegt das Bundesverwaltungsgericht gegenüber dem VBI einer Informationspflicht hinsichtlich laufender Verfahren10. Diese Informationspflicht ist vor Entscheidung des VBI über seine Beteiligung Folge der gesetzlichen Regelung in § 35 Abs. 2 VwGO, wonach das Bundesverwaltungsgericht diesem Gelegenheit zur Äußerung gibt11. 2. Akteneinsichtsrecht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO? Teilweise wird vertreten, dass die Informationspflicht auf Wunsch des VBI auch die Zugänglichmachung der gesamten Prozessakten umfassen kann, also ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO enthält12. Zu beachten ist aber, dass dem Gesetzeswortlaut von § 100 Abs. 1 VwGO zufolge das Akteneinsichtsrecht nur Beteiligten im Sinne von § 63 VwGO 8  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 63 Rn. 5; Schoch/Schneider/Bier/C. Stein­ beiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014); J. Stettner, Die Beteiligten im Verwaltungsprozeß, JA, 1982, 394 (400). 9  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 44; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 8; HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 9; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 63 Rn. 5; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 11; J. Stettner, Die Beteiligten im Verwaltungsprozeß, JA, 1982, 394 (400). 10  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 120; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 11. 11  Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 13. 12  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 9; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 3; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 120; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 11.



I. Das Erfordernis einer Beteiligungserklärung57

zustehen soll13. Wie aber bereits oben festgestellt, erhält der VBI die volle Stellung eines Beteiligten erst ab Abgabe seiner Beteiligungserklärung, weswegen die gesetzliche Konzeption gegen ein Akteneinsichtsrecht spricht14. Darüber hinaus kann sich der VBI nähere Informationen stattdessen auch im Wege der Amtshilfe bei der beteiligten Behörde beschaffen15. Auf der anderen Seite wiederum hat der VBI eine auch von den Behörden abgesetzte, objektive Stellung im Verfahren inne. Außerdem ist er bereits vor einer Beteiligungserklärung potentiell oder „passiv“ Beteiligter, woraus teilweise geschlussfolgert wird, dass er bereits vor Erlangung der Stellung als Beteiligter als solcher behandelt wird16. Man muss allerdings zudem berücksichtigen, dass es Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts gemäß § 100 Abs. 1 VwGO ist, der Parteiöffentlichkeit des Verfahrens sowie der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs und der Waffengleichheit der Betroffenen zu dienen17. Folglich ist diese Regelung ihrem Sinn und Zweck nach allein auf ein „aktives“ Prozessverhältnis zugeschnitten. Die Frage, ob sich der VBI an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt, ist diesem aber vorgelagert, was dagegenspricht, den Beteiligtenbegriff hierauf zu erstrecken. Darüber hinaus dürfte in der Praxis grundsätzlich eine Entscheidung der bloßen Frage, ob der VBI von seinem Beteiligungsrecht Gebrauch macht, auf Grundlage der wesentlichen Schriftsätze, die unstreitig von der Informationspflicht umfasst sind, ohne weiteres möglich sein. Sollte es doch ausnahmsweise einmal notwendig sein, weitere Informationen hinzuzuziehen, dürfte der praktikabelste und unkomplizierteste Weg in der Amtshilfe durch die Behörde liegen. In diesem dem eigentlichen Verfahren vorgelagerten Stadium steht einer solchen Vorgehensweise auch die objektive Stellung des VBI im Verfahren nicht entgegen. Somit ist es vorzugswürdig, das Akteneinsichtsrecht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO entsprechend dem Wortlaut dieser Norm auf den Verfahrenszeitraum ab der Beteiligungserklärung zu begrenzen.

13  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke,

VwGO, § 100 Rn. 2. ein Akteneinsichtsrecht vor der Beteiligung: Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 8; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 8; Posser/Wolff/H. Posser, VwGO, § 100 Rn. 15; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014); Sodan/Ziekow/H. Lang, VwGO, § 100 Rn. 8. 15  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014). 16  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 9. 17  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 100 Rn. 1. 14  Gegen

58

D. Prozessuale Stellung des VBI

3. Abgabe einer Beteiligungserklärung Die Entscheidung über die Beteiligung trifft allein der VBI in eigener Verwantwortung nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen anhand der Bedeutung sowie der Auswirkungen des jeweiligen Verfahrens, wobei aufgrund seiner unabhängigen Stellung jegliche rechtsverbindliche Einflussnahme des Gerichts oder der Verwaltung zu unterbleiben hat18. Ebenso wenig kontrolliert das Bundesverwaltungsgericht, ob die Beteiligungserklärung im konkreten Fall zulässig oder zweckmäßig ist19. Daher handelt es sich bei der Beteiligungserklärung des VBI um eine einseitige Erklärung20. Im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Gericht, Verwaltung und VBI, die – wie bereits oben festgestellt – alle drei auf eine Verwirklichung des öffent­ lichen Interesses hinwirken, sind aber rechtlich unverbindliche Anregungen des Gerichts oder der Verwaltung gegenüber dem VBI, dass bestimmte Fälle für die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses besonders relevant sind21. Dementsprechend und weil dieser lediglich im übergeordneten Bundesinte­ resse tätig wird, hat auch kein anderer Prozessbeteiligter Anspruch gegen den VBI auf dessen Beteiligung an einem bestimmten Prozess22. Solange dies innerhalb der Rechtsmittelfristen geschieht, kann sich der VBI in jedem Verfahrensstadium beteiligen, selbst dann, wenn er vorher erklärt hat, eine Beteiligung werde von seiner Seite nicht erfolgen23. Eine solche Nichtbeteiligungserklärung ist nämlich jederzeit widerrufbar24. Die Beteiligungserklärung kann dabei auch konkludent erfolgen, indem der VBI einen Schriftsatz einreicht oder in der mündlichen Verhandlung auftritt25.

18  OVG Münster, AS 11, 93 (97); Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 6; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S.  116 f.; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 165. 19  BVerwGE 9, 143 (145); C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 93; Gärditz/D. Krausnick, VwGO, § 63 Rn. 10; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 118. 20  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 63 Rn. 3; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 6. 21  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 117. 22  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 6; HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn.8; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 9. 23  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, §  35 Rn.  6; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 63 Rn. 5; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 6; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 116; J. Stettner, Die Beteiligten im Verwaltungsprozeß, JA 1982, 394 (400). 24  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 6. 25  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014).



I. Das Erfordernis einer Beteiligungserklärung59

Hat sich der VBI beteiligt, kann er seine Beteiligung zu jeder Zeit des Verfahrens auch wieder für beendet erklären26. a) Generelle Beteiligungsverzichtserklärung Gemäß § 4 Abs. 1 DA VBI kann der VBI eine allgemeine Beteiligungsverzichtserklärung hinsichtlich bestimmter Rechtsgebiete oder allgemein in Bezug auf bestimmte Verfahren abgeben, sofern das Bundesministerium des Innern und die fachlich zuständige oberste Bundesbehörde zustimmen. Eine weitere Voraussetzung besteht darin, dass der Verzicht den VBI nicht bei der Erfüllung seiner Aufgabe beeinträchtigt. Eine solche allgemeine vorweggenommene Befugnis zum Verzicht wird zum Teil entgegen der Dienstvorschrift mit dem Verweis darauf für unzulässig gehalten, dass man auf Rechte grundsätzlich erst dann wirksam verzichten könne, wenn sie entstanden seien27. Darüber hinaus könne nicht davon auszugehen sein, dass bereits von vorne herein ein gesamtes Rechtsgebiet oder eine bestimmte Verfahrensart nicht im öffentlichen Interesse liegt28. Es ist aber zu beachten, dass eine vorweggenommene generelle Verzichtserklärung stets unter Vorbehalt einer Abweichung im Einzelfall gilt29. Deshalb führt sie, anders als der Begriff „Verzicht“ andeutet, nicht zu einem Untergang des Beteiligungsrechts, weswegen die vorgenannte Kritik nicht durchgreift und ein „Generalverzicht“ als zulässig anzusehen ist30. Ein Anwendungsfall für solche Verzichtserklärungen sind beispielsweise massenhafte Parallelverfahren31, bei denen die Beteiligung an einem einzelnen Verfahren genügt, um das öffentliche Interesse hinsichtlich aller gleich gelagerten Prozesse hinreichend wahrzunehmen. Typische weitere Gegenstände genereller Beteiligungsverzichtserklärungen sind offensichtlich unzulässige Klagen und Rechtsbehelfe, Nichtzulassungsbeschwerden gemäß § 133 VwGO sowie das Lastenausgleichsrecht32. Im Bereich des letzteren existierte dabei ein besonderer Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds beim Bundesverwaltungsge26  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann,

VwGO, § 35 Rn. 9 (2014). VwGO, § 35 Rn. 6. 28  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 8. 29  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO §  35 Rn.  8; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 13. 30  Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 7; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 15; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 8 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 13. 31  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 8 (2014). 32  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (196). 27  Eyermann/M. Hoppe,

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D. Prozessuale Stellung des VBI

richt33, der aber zum Jahr 2005 abgeschafft wurde, weil Leistungen auf Grundlage des Lastenausgleichsrechts immer mehr ihre praktische Bedeutung ver­ loren34. b) Generelle Beteiligungserklärung Darüber hinaus kann der VBI auch in umgekehrte Richtung seine allgemeine Beteiligung für bestimmte Verfahren bereits von vorne herein erklären, wobei erforderlich ist, dass sich anhand dieser Erklärung eindeutig ergibt, welche einzelnen Verfahren davon umfasst ist35. Eine solche Vereinfachung des Beteiligungsverfahrens erscheint im Sinne einer Praktikabilität und Beschleunigung geboten, zumal der VBI ohnehin – anders als Dritte in Zivilprozessen – bereits von vorne herein potentiell passiv in die Prozessrechtsverhältnisse nahezu aller Rechtsstreitigkeiten vor dem Bundesverwaltungsgericht einbezogen ist36. Aus diesem Grund hat eine generelle Beteiligungsanzeige keine ernsthaften Folgen für die einzelnen Verfahren, weswegen auch keine Unsicherheit über das jeweilige Prozessrechtsverhältnis entsteht, sodass die Erfordernisse der Bestimmtheit und Unbedingtheit von Prozesshandlungen einem derartigen Vorgehen nicht entgegenstehen37. Außerdem enthält der Wortlaut des Gesetzes in § 63 Nr. 4 VwGO keinerlei Vorgaben hinsichtlich des Zeitpunkts, in dem die Beteiligungserklärung abzugeben ist, und der Art und Weise, auf die dies zu erfolgen hat38. c) Auswirkungen eines Beteiligungsverzichts auf die gerichtliche Informationspflicht Umstritten ist, ob die Informationspflicht gemäß § 35 Abs. 2 VwGO endet, wenn der VBI erklärt, sich an einem konkreten Verfahren oder auch generell an bestimmten Verfahren nicht beteiligen zu wollen. Gegen ein Ende der Informationspflicht in diesen Fällen spricht, dass der VBI diese Entscheidung jederzeit widerrufen kann und hierfür weiterhin eine ausreichende Informa­ 33  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 34  BR-Drucks. 544/03; BT-Drucks. 15/1854; BT-Drucks. 15/2230. 35  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, §  35 Rn. 6; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 14; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014). 36  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 14; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014). 37  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 14. 38  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 12.



I. Das Erfordernis einer Beteiligungserklärung61

tionsgrundlage benötigt39. Eine derartige Verzichtserklärung erhält aber nur dann einen sinnvollen praktischen Anwendungsbereich, wenn sie dem Gericht und dem VBI die Arbeit vereinfacht, also dazu dient, dass sich beide infolge einer Entlastung auf diejenigen Verfahren konzentrieren können, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im öffentlichen Interesse liegen. Sinn und Zweck des Beteiligungsverzichts, insbesondere in der Ausprägung des generellen Beteiligungsverzichts, ist es, den VBI, der im Vergleich zum Bundesverwaltungsgericht mit geringeren personellen Mitteln ausgestattet ist, von Verfahren, die im Hinblick auf das öffentliche Interesse nur eine geringe Relevanz haben, möglichst umfassend zu entlasten40. Besteht die Informa­ tionspflicht fort, hat die Verzichtserklärung insoweit aber gar keine praktischen Auswirkungen, sodass sie sinnlos wird. Daher ist es vorzugswürdig, in den Verfahren, die von einer solchen allgemeinen Verzichtserklärung betroffen sind, eine fortbestehende Informationspflicht des Gerichts gemäß § 35 Abs. 2 VwGO abzulehnen41. Dem VBI steht es dann immer noch frei, auf eigene Initiative gegenüber dem Gericht Informationen anzufordern und auf diese Weise eine ausreichende Grundlage für einen eventuellen Widerruf des Verzichts zu erlangen. Daher genügt es, wenn die Informationspflicht des Gerichts gegenüber dem VBI erst dann wiedereinsetzt, wenn er selbst Informationen anfordert. In der Praxis ist häufig ein Mittelweg dahingehend eingeschlagen worden, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Beteiligung des VBI in Fällen, die ihm geeignet erschienen, trotz des Verzichts von sich aus angeregt hat42. Auf diese Weise wird der VBI trotzdem insoweit entlastet, als er grundsätzlich keine Informationen über Sachen auf dem Gebiet, auf dem der Verzicht gilt, erhält und nicht von sich aus nach Verfahren suchen muss, in denen ausnahmsweise das öffentliche Interesse betroffen ist. Dies führt zu einer Verlagerung der Prüfung hinsichtlich der Relevanz einzelner Sachen im Hinblick auf das öffentliche Interesse auf das Bundesverwaltungsgericht, das somit die eingehenden Verfahren für den VBI vorfiltert. Angesichts der Rolle des Gerichts als objektive Instanz, begegnet diese Vorgehensweise aber keinen

39  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 6; HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 10; Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 4; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 14. 40  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 41  Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 8; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 13; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 3; Schoch/Schneider/ Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 9 (2014). 42  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (196).

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D. Prozessuale Stellung des VBI

Bedenken, zumal sie nur auf die Rechtsgebiete begrenzt ist, für die der Beteiligungsverzicht gilt. 4. Verfahren, an denen sich der VBI beteiligen kann Inhaltliche Beschränkungen in Bezug auf die Arten an Verfahren, an denen sich der VBI beteiligen kann, existieren gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 1. Hs. VwGO grundsätzlich nicht. Daher kann er sich grundsätzlich an jedem Verfahren beteiligen, das vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig ist, und zwar auch dann, wenn es sich dabei um erstinstanzliche Verfahren handelt43. Die einzige Ausnahme hierzu bilden gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 2. Hs. VwGO Verfahren vor den Wehrdienstsenaten. Ferner kann der VBI in bestimmten Konstellationen auch vor dem Bundesverfassungsgericht auftreten, sofern das Verfahren vorher beim Bundesverwaltungsgericht anhängig war und der VBI sich dort beteiligt hat44. Unter diesen Voraussetzungen hat er ein Äußerungsrecht in konkreten Normenkontrollverfahren gemäß Art. 100 GG sowie auf Grundlage gerichtlicher Übung im Rahmen von Verfassungsbeschwerden45. Nach überwiegender Auffassung ist der Wortlaut „Partei“ in § 23 Abs. 1 S. 1 EuGH-Satzung unionsrechtlich auszulegen, weswegen der VBI auch im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV vor dem Europäischen Gerichtshof eine Parteistellung innehat, sofern das Verfahren durch das Bundesverwaltungsgericht eingeleitet worden ist und der VBI bereits dort aufgetreten ist46. 5. Das Erfordernis eines bereits anhängigen Verfahrens für die Beteiligung Nach dem im Verwaltungsgerichtsprozess herrschenden Dispositionsgrundsatz haben die Verfahrensbeteiligten gemäß § 63 VwGO grundsätzlich die Verfahrensherrschaft inne, allerdings in unterschiedlichem Umfang47. Die Dispositionsbefugnis, einen Verwaltungsgerichtsprozess zu beginnen 43  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann,

VwGO, § 35 Rn. 7 (2014). VwGO, § 35 Rn. 12; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 7 (2014). 45  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 12; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 7 (2014). 46  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 4; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 12; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 3. 47  W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 19. 44  Posser/Wolff/H. Schmitz,



I. Das Erfordernis einer Beteiligungserklärung63

oder zu beenden sowie durch ihre Anträge den Streitgegenstand zu bestimmen, haben nämlich primär Kläger und Beklagter48. Aus diesem Grund hat der VöI nicht das Recht, einen Verwaltungsgerichtsprozess durch eigene Klageerhebung einzuleiten49 Er kann sich vielmehr lediglich an einem bereits anhängigen und noch schwebenden Streitverfahren beteiligen50. Diese Beschränkung des VöI auf eine Beteiligung an bereits eingeleiteten Verfahren ist letztlich aus rechtsstaatlichen Erwägungen heraus notwendig. Eine Ausgestaltung des VöI mit einer eigenen Klagebefugnis würde diesen zu einem Gesetzesaufseher über die gesamte Verwaltung erheben51. Dies würde an die ursprüngliche und mit dem modernen Staatsverständnis nicht mehr zu vereinbarende Funktion des VöI als Kontrollorgan anknüpfen52. Darüber hinaus ist die Natur des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich auf eine Selbstwahrnehmung der eigenen Rechte angelegt53, was im Gesetz in § 42 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommt. Dieser Ausgestaltung widerspräche das Bild eines VöI, der bei eigenen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Verwaltung selbst anstelle des in seinen eigenen Rechten betroffenen Bürgers Klage erheben könnte54. Neben diesen rechtlichen Bedenken stieße eine eigene Klagebefugnis des VöI auch auf praktische Schwierigkeiten: Entweder wäre er auf Anzeigen von Bürgern angewiesen oder er müsste systematische Verwaltungskontrollen durchführen, was einen unvertretbar hohen Personalaufwand bedeuten würde55.

48  Eyermann/K. Rennert, VwGO, § 88 Rn. 2; Gärditz/N. Wimmer, VwGO, § 86 Rn. 4; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 35 Rn. 24; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 81 Rn. 1, § 90 Rn. 7; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 63 Rn. 2; W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 19. 49  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 118. 50  OVG Münster, AS 11, 93 (94); Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 7; J. SchulzHardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 118. 51  E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (453); J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 119. 52  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 119. 53  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 119. 54  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 119. 55  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S.  119 f.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren Konsequenz der Beteiligtenstellung gemäß § 63 Nr. 4 VwGO ist die Trägerschaft eigener prozessualer Rechte56. 1. Antragsrecht Hierunter fällt insbesondere das Recht, im Verfahren Anträge zu stellen57. Der VBI ist dabei als Ausdruck seiner von den Interessen des Klägers und des Beklagten unabhängigen Stellung in keiner Weise an deren Anträge gebunden58. Vielmehr hat er die Anträge, die er stellt, inhaltlich ausschließlich am öffentlichen Interesse aus der Perspektive des Bundes auszurichten59. Damit erfolgt nicht nur die Entscheidung des VBI über das „ob“ seiner Beteiligung, sondern auch über das „wie“ eigenverantwortlich60. Damit er im Verfahren sachgerechte Anträge stellen kann, muss das Gericht dem VBI fortlaufend sämtliche Schriftsätze übersenden und ihn über alle Gerichtstermine informieren61. Damit wird nach erfolgter Beteiligungserklärung den gesetzlichen Anforderungen von § 35 Abs. 2 VwGO Rechnung getragen, denen zufolge dem VBI Gelegenheit zur Äußerung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu geben ist. Im Regelfall bringt der VBI das öffentliche Inte­ resse dadurch in den Prozess ein, dass er Beteiligungsschriftsätze verfasst und sich an der mündlichen Verhandlung beteiligt62. Seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung wird rechtlich dadurch abgesichert, dass er als ­Beteiligter gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zustimmen muss63.

56  Gärditz/D. Krausnick, VwGO, § 63 Rn. 3; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 1. 57  Gärditz/D. Krausnick, VwGO, § 63 Rn. 3; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 1; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 11 (2014); J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 121. 58  Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 5; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 16; J. Stettner, Die Beteiligten im Verwaltungsprozeß, JA, 1982, 394 (400); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 11 (2014). 59  Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 5. 60  T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 165. 61  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 15. 62  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 15. 63  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 16; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 11 (2014).



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren65

2. Beschränkungen durch die fehlende Dispositionsbefugnis Wie bei der Frage der Klagebefugnis erfährt die Rechtsstellung des VBI auch nach dessen Beteiligung dadurch eine wichtige Einschränkung, dass diesem die Dispositionsbefugnis über den Rechtsstreit fehlt und er insoweit deshalb von Kläger und Beklagtem abhängig ist64. Grundsätzlich darf er diese also nicht daran hindern, über den Verfahrensgegenstand zu verfügen, sei es durch Klagerücknahme, Erledigungserklärung oder Abschluss eines Vergleichs65. Dies gilt insbesondere für letzteren, weil allein die Verwaltungsbehörde die Sachherrschaft über den verfahrensgegenständlichen Verwaltungsakt innehat66. Dabei ergeben sich vereinzelt Ausnahmen von diesem Grundsatz aus der VwGO: So normiert § 92 Abs. 1 S. 2 VwGO explizit, dass für eine Klagerücknahme die Einwilligung des VöI notwendig ist. Gleiches gilt gemäß § 140 Abs. 1 S. 2 VwGO für die Rücknahme einer Revision. Daneben bedarf auch eine Klageänderung der Einwilligung des VöI67. Hier ergibt sich das Zustimmungserfordernis des VöI aus dem Wortlaut „Beteiligten“ in § 91 Abs. 1 VwGO, der auch auf § 63 Nr. 4 VwGO verweist68. Beide Zustimmungserfordernisse gelten aber nur dann, wenn der VöI bereits der münd­ lichen Verhandlung beigewohnt hat und die Prozessbeteiligten vor der Rücknahme oder Änderung schon Anträge gestellt haben69. Im Endeffekt unterliegt damit die Klageerhebung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne weiteres der Verfügung der Hauptbeteiligten, wobei dieser Dispositionsgrundsatz in bereits eigeleiteten Verfahren durch die vorgenannten Zustimmungserfordernisse zum Schutz des öffentlichen Interesses punktuelle Einschränkungen erhält70.

64  Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 5; D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 59; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 10 (2014). 65  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 44; HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 9; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 11 (2014). 66  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 126. 67  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 125. 68  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 125. 69  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 44. 70  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 35, 60.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

3. Rechtsmittelbefugnis Der VBI verfügt zudem auch nicht über die Befugnis, Rechtsmittel einzulegen, weil die Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gerade durch Einlegung der Revision in Gang gebracht werden, § 35 Abs. 1 S. 2 VwGO aber für eine Beteiligung des VBI ein bereits vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängiges Verfahren verlangt71. Ihren Ausgangspunkt hat die Revision nämlich in der Vorinstanz, in welcher der VBI sich aber nicht beteiligen kann72. a) Befugnis des VöI, Anschlussrevision einzulegen C. Fischer hat dem damaligen OBA allerdings das Recht zugebilligt, Anschlussrevision einzulegen73. Ein Argument für diese Sichtweise ist, dass im Fall einer Anschlussrevision beim Bundesverwaltungsgericht bereits ein Verfahren anhängig ist, weswegen sie mit der gesetzlichen Reglung in § 35 Abs. 1 S. 2 VwGO vereinbar ist74. Dennoch hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt und ist mittlerweile überholt: Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 199475 sowie in der neueren Literatur wird das Recht des VBI, selbständige oder unselbständige Anschlussrevision einzulegen, einhellig abgelehnt76. Angesichts der ohnehin vorhandenen umfangreichen Beteiligungsbefugnis besteht insoweit aber auch gar kein Bedarf77. Eine unselbständige Anschlussrevision wäre aufgrund der bei dieser bestehenden Abhängigkeit von der bereits durch den Hauptbeteiligten, also den Kläger oder Beklagten78, eingelegten Revision rechtlich gesehen ein Minus im Vergleich zum Beteiligungsrecht79. 71  BVerwGE 25, 170 (175); Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll/T. Stuhlfauth, VwGO, § 35 Rn. 2; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 112 f.; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 167; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 72  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 167. 73  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 44. 74  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 20. 75  BVerwGE 96, 258. 76  Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll/T. Stuhlfauth, VwGO, § 35 Rn. 2; Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 7; HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 9; Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 4; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 16. 77  Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 4. 78  C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 51. 79  BVerwGE 96, 258 (261); Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 7; Schoch/ Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 12 (2014).



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren67

Eine selbständige Anschlussrevision zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass sie auch entgegen dem Willen der Hauptbeteiligten geführt werden kann, weswegen sie einer Revision derart ähnelt, dass die Zubilligung gegenüber dem VBI, eine solche zu führen, mit dem Grundsatz, dass dieser nicht revisionsbefugt ist, nicht in Einklang zu bringen ist80. Darüber hinaus bestünde dadurch die Gefahr, dass der VBI die Rolle eines Streithelfers eines der Hauptbeteiligten erhielte, was mit seiner objektiven, übergeordneten Rolle im Verfahren nicht vereinbar wäre81. b) Befugnis, Nichtigkeits- und Restitutionsklage zu erheben Der VBI kann aber gemäß § 153 Abs. 2 VwGO Nichtigkeits- und Restitutionsklage erheben, wenn das Bundesverwaltungsgericht sowohl im ersten als auch im letzten Rechtszug zuständig ist82. c) Befugnis, Anhörungsrüge zu erheben Ob der VBI hingegen Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO erheben kann, ist problematisch. aa) Anhörungsrügen wegen der Rechtsverletzung eines anderen Beteiligten In seinem Beschluss vom 14. Januar 201383 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der in Bayern auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO eingerichtete VöI einen etwaigen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eines anderen Verfahrensbeteiligten nicht auf diesem Wege geltend machen könne84. Dies folge aus einem systematischen Vergleich mit § 153 Abs. 2 VwGO, in dessen Wortlaut eine Geltendmachung durch den VöI explizit festgelegt worden sei85. Der allgemeine Grundsatz, dass der VöI auch dann Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen einlegen kann, wenn er durch diese nicht beschwert ist, lasse sich deshalb nicht auf die Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO über80  BVerwGE

96, 258 (261). 96, 258 (262). 82  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 7; C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 44; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 9. 83  BayVGH, Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353. 84  BayVGH, Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353 (354). 85  BayVGH, Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353 (354). 81  BVerwGE

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D. Prozessuale Stellung des VBI

tragen86. Diese sei nämlich genauso wie die Nichtigkeits- und Restitu­ tionsklage gemäß § 153 Abs. 2 VwGO mangels Devolutiveffekts kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf87. Deshalb könne man die ausdrückliche Einbeziehung des VöI in § 153 Abs. 2 VwGO nur dadurch erklären, dass der Grundsatz, dass der VöI ohne eigene Beschwer Rechtsmittel einlegen kann, nicht für Rechtbehelfe gelte88. Dem Argument, dass der Wortlaut von § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO das Erfordernis einer eigenen Beschwer voraussetze und der VöI deshalb von diesem Rechtsbehelf zugunsten anderer Verfahrensbeteiligter keinen Gebrauch machen könne, tritt J. Unterreitmeier damit entgegen, dass „auch andere Rechtsbehelfe eines Beteiligten wie der Antrag auf Zulassung der Berufung, die Berufung, die Nichtzulassungsbeschwerde und die Revision nach all­ gemeiner Meinung eine Beschwer“ voraussetzen würden, dieses Erfordernis aber für den VöI nicht gelte89. Der Wortlaut von § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO enthalte die Voraussetzung einer eigenen Beschwer nur, um sich dieser allgemeinen Meinung anzupassen90. Als Argumente für eine allgemeine Befugnis des VöI, die Anhörungsrüge zu erheben, zieht er vorrangig Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck von § 152a VwGO heran: Daraus, dass die Gesetzesbegründung den VöI nicht erwähnt, schlussfolgert er, dass der Gesetzgeber diesen nicht ausnahmsweise von der Befugnis ausschließen wollte, den entsprechenden Rechtsbehelf zu erheben91. Die Aufnahme der „Beschwer“ in den Wortlaut rühre daher, dass der Gesetzgeber mit § 152a VwGO die bereits bestehende Vorschrift des § 321a ZPO in die VwGO habe übernehmen wollen92. Aus der Übernahme des Wortlauts aus der ZPO, die keinen VöI kennt, lasse sich nicht ableiten, dass dieser nicht rechtsbehelfsbefugt sein solle93. Darüber hinaus habe die Anhörungsrüge den Sinn und Zweck, dem Rechtsstaatsprinzip in Form des Justizgewährleistungsanspruchs zu dienen, wobei sie nicht nur der individualrechtlichen, sondern vor allem auch der über den Einzelfall hinausgehenden, objektiv-rechtlichen Komponente 86  BayVGH,

Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353 (354). Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353 (354). 88  BayVGH, Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353 (354). 89  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347). 90  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347). 91  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347). 92  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347). 93  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347). 87  BayVGH,



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren69

der Gehörsgarantie Rechnung tragen solle94. Damit falle die Anhörungsrüge aber gerade in den auf objektive, unabhängige Rechtsdurchsetzung gerichteten Aufgabenbereich des VöI95. Insbesondere führe eine solche Befugnis weder zu einer Beeinträchtigung der Waffengleichheit noch zu einer unzulässigen Disposition über den Gegenstand des Verfahrens96. Soweit die vorgenannte Kritik auf einen Vergleich zu anderen Rechtsmitteln wie Berufung und Revision abstellt, die dem VöI auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO im Gegensatz zum VBI zustehen97, verkennt diese, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss die Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO gerade dadurch von den Rechtsmitteln abgegrenzt hat, dass sie einen Rechtsbehelf darstellt98. Sie hat weder einen Devolutiveffekt noch einen Suspensiveffekt, die wesentliche Merkmale von Rechtsmitteln darstellen99. Ihrer Rechtsnatur nach ist die Anhörungsrüge daher ein außerordentlicher Rechtsbehelf100, auf den sich die für Rechtsmittel geltenden Grundsätze nicht automatisch übertragen lassen. Sinn und Zweck der Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO ist es, den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, der zugleich ein objektiv-rechtliches Verfahrensprinzip ist, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet, bereits im Wege eines fachgerichtlichen Rechtsschutzes durchzusetzen101. Hierdurch wird schließlich das Bundesverfassungsgericht entlastet102. Damit ist die Anhörungsrüge aber nicht darauf ausgerichtet, die Gerichtsentscheidung auf ihre materiell-rechtliche Richtigkeit hin zu überprüfen, sondern den Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zu berichtigen103. Aus dieser grundsätzlichen Ausrichtung der Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO folgt, dass die Beantwortung der Frage nach der Rügebe94  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347). 95  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (347); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 12 (2014). 96  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 12 (2014). 97  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 36 Rn. 13–15. 98  BayVGH, Beschluss vom 14.1.2013 – 1 ZB 12.2102 – DÖV 2013, 353 (354). 99  Schoch/Schneider/Bier/R. Rudisile, VwGO, § 152a Rn. 7 (2015); Sodan/Zie­ kow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 4. 100  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 4. 101  Schoch/Schneider/Bier/R. Rudisile, VwGO, § 152a Rn. 8 (2015); Sodan/Zie­ kow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 4. 102  Schoch/Schneider/Bier/R. Rudisile, VwGO, § 152a Rn. 8 (2015); Sodan/Zie­ kow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 4. 103  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 4.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

rechtigung des VöI im Endeffekt davon abhängt, ob man diesen eher als ein allgemeines Rechtspflegeorgan ansieht, das im Dienst des Rechtsstaats auch die Begehung von Verfahrensfehlern verhindern soll, oder ob seine Aufgaben­ stellung lediglich auf die Wahrung des materiellen Rechts ausgerichtet sein soll104. Vor dem Hintergrund, dass eine zentrale Aufgabe des VöI die Rechtsdurchsetzung ist und der Anspruch auf rechtliches Gehör eine solche verfahrensrechtlich absichern soll105, lässt sich ein derart weites Aufgabenverständnis, das insoweit auch die Durchsetzung von Verfahrensrecht umfasst, grundsätzlich mit der gesetzlichen Konzeption des VöI in §§ 35 ff. VwGO vereinbaren. Für ein solch weites Aufgabenverständnis spricht auch eine gewisse Funktionsähnlichkeit von § 152a VwGO und § 153 VwGO106, der unter Verweis auf §§ 579 f. ZPO letztlich ebenfalls die Geltendmachung von Verfahrensfehlern zum Gegenstand hat. Trotz dieses Befundes, dass die Einlegung einer Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO durch den VöI ohne eigene Beschwer sich grundsätzlich in die Konzeption der VwGO einfügen würde, ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass der Gesetzgeber es einfach aus Nachlässigkeit versäumt hat, eine solche Möglichkeit ausdrücklich im Gesetz zu regeln. Das Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 153 Abs. 1 VwGO ist seiner Rechtsnatur nach genauso ein außerordentlicher Rechtsbehelf, dem weder Devolutivnoch Suspensiveffekt zukommen107, wie die Anhörungsrüge. Wenn der Gesetzgeber es im Rahmen von § 153 VwGO für erforderlich gehalten hat, die Einlegungsbefugnis des VöI besonders zu regeln, ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass der VöI trotz Fehlens einer solchen Regelung in § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO diesen Rechtsbehelf erheben können soll. Wenn der Gesetzgeber den Wortlaut von § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO aus der ZPO übernommen hat, spricht doch die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Begriff der „Parteien“ zwecks Anpassung an das verwaltungsgerichtliche Verfahren durch denjenigen der „Beteiligten“ ersetzt hat, dafür, dass er die Regelung nicht einfach ohne weitere Überprüfung aus der ZPO übernommen hat. Hätte er eine Berechtigung des VöI, die Anhörungsrüge zu erheben, einführen wollen, hätte er den Wortlaut ohne weiteres entsprechend anpassen können. Hierin kann durchaus eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu sehen sein, den VöI von einer Rügeberechtigung auszuschließen, etwa weil es ausreichend ist, dass den übrigen Beteiligten diese Befugnis zusteht, 104  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger,

VwGO, § 152a Rn. 25. GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 24 (2016). 106  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (348). 107  Schoch/Schneider/Bier/R. Rudisile, VwGO, § 152a Rn. 7 (2015); Sodan/Zie­ kow/A. Guckelberger, VwGO, § 153 Rn. 2. 105  Dürig/Herzog/Scholz/B. Remmert,



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren71

sodass es im Endeffekt allein deren Entscheidung sein soll, ob ein entsprechendes Verfahren stattfindet oder nicht108. Deshalb ist eine Befugnis des VöI, eine Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1. S. 1 VwGO wegen Gehörsverletzungen anderer Beteiligter zu erheben, im Ergebnis abzulehnen109. Der VBI ist dabei nicht anders zu behandeln als der VöI110. bb) Anhörungsrügen wegen Verletzung des eigenen rechtlichen Gehörs Von der Frage, ob VBI und VöI befugt sind, eine Anhörungsrüge zu erheben, wenn das Gericht den Anspruch anderer Verfahrensbeteiligter auf rechtliches Gehör verletzt hat, ist das Problem zu unterscheiden, ob beide rügeberechtigt sind, wenn ihr eigenes rechtliches Gehör betroffen ist111. Die Lösung hängt wiederum von der Frage ab, ob beide Träger des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sind112. Der personelle Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG umfasst alle natür­ lichen Personen, und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder Prozessfähigkeit, sowie juristische Personen, darunter insbesondere solche des öffentlichen Rechts113. Dies beinhaltet gerade auch den Staat samt seinen ­Untergliederungen wie Behörden114. Daneben erfordert der personelle Schutzbereich eine ausreichend enge Beziehung zum konkreten gerichtlichen Verfahren115. Eine solche besteht bei Personen, die durch die gerichtliche Ent108  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger,

VwGO, § 152a Rn. 25. VwGO, § 152a Rn. 13; Gärditz/I. Schübel-Pfister, VwGO, § 152a Rn. 29; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 152a Rn. 7; Schoch/ Schneider/Bier/R. Rudisile, VwGO, § 152a Rn. 18 (2015). 110  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 12 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 25. 111  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (345). 112  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (345). 113  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 21; Jarass/Pieroth/M. Kment, GG, Art. 103 Rn. 9; v. Münch/Kunig/P. Kunig, GG, Art. 103 Rn. 7; Sachs/C. Degenhart, GG, Art. 103 Rn. 9; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/S. Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 12. 114  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 21; v. Münch/Kunig/P. Kunig, GG, Art. 103 Rn. 7; Sachs/C. Degenhart, GG, Art. 103 Rn. 9; Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke/S. Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 12. 115  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 21; v. Mangoldt/Klein/Starck/ G. Nolte/H. P. Aust, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 24; Sachs/C. Degenhart, GG, Art. 103 Rn. 9; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/S. Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 12. 109  Eyermann/M. Happ,

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D. Prozessuale Stellung des VBI

scheidung unmittelbar rechtlich betroffen sind sowie bei solchen, denen das Gesetz eine formale Partei- oder Beteiligtenstellung einräumt116. In seinem Beschluss vom 8. Juli 1982 hat das Bundesverfassungsgericht diesen weiten personellen Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 1 GG darauf gestützt, dass die grundrechtsähnlichen Rechte in Art. 101 Abs. 1 S. 2 und Art 103 Abs. 1 GG formell keine Grundrechte gemäß Art. 19 GG darstellen117. Anstelle von Individualrechten enthalten sie nämlich objektive Verfahrensgrundsätze, die auf jedes Gerichtsverfahren Anwendung finden118. Dafür, den VöI in den personellen Schutzbereich von Art 103 Abs. 1 GG einzubeziehen, spricht, dass dieser gemäß § 63 Nr. 4 VwGO die formale Stellung eines Beteiligten hat und damit einen vom Gericht unabhängigen Status im Prozess einnimmt119. Hieraus sowie aus seinem Antragsrecht und der Abhängigkeit des Verzichts auf mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO von seiner Zustimmung wird auf eine Stellung im Verfahren geschlossen, die derjenigen einer Partei ähnlich ist120. Außerdem wird als Argument für die Möglichkeit des VöI, Träger des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu sein, auf eine Vergleichbarkeit zwischen seiner verfahrensrechtlichen Stellung und derjenigen eines Popularklägers gemäß § 55 Abs. 1 BayVerfGHG abgestellt121, für den das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 3. Oktober 1961 entschieden hat, dass er Träger dieses Anspruchs ist122. Zu beachten ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Beschluss in entscheidender Weise auf die Erwägung stützt, dass die Bayerische Verfassung es jedem Bürger erlaubt, gegen verfassungswidrige Gesetze und Verordnungen im Rechtsweg vorzugehen, wobei eine eigene Grundrechtsverletzung keine Voraussetzung ist123. Hierdurch soll in der Bevölkerung ein Interesse an der Wahrung der Verfassung geweckt werden und dementsprechend 116  BVerfGE 101, 397 (404); Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 21; Jarass/Pieroth/M. Kment, GG, Art. 103 Rn. 10 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck/G. Nolte/ H. P. Aust, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 25, 27; Sachs/C. Degenhart, GG, Art. 103 Rn. 9; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/S. Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 12. 117  BVerfGE 61, 82 (104). 118  BVerfGE 61, 82 (104). 119  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (345 f.). 120  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (345 f.). 121  J. Unterreitmeier, Kein öffentliches Interesse am rechtlichen Gehör?, DÖV 2013, 343 (346). 122  BVerfGE 13, 132. 123  BVerfGE 13, 132 (141).



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren73

jeder einzelne Bürger die Funktion eines „Wächters für die objektive Ver­ fassungsordnung“ einnehmen124. Eine Übertragbarkeit dieser Funktionsbeschreibung auf den VöI begegnet jedoch bereits insoweit Bedenken, als dieser gerade kein „Wächter der Rechtsordnung“, sondern ein unparteiischer Sachwalter ist. Anders als ein Popularkläger nimmt er nicht selbst die Rolle eines Hauptbeteiligten wahr, der durch Klageerhebung über den Streitgegenstand disponiert. Im Unterschied zum Popularkläger kommt ihm nicht die Befugnis zu, mögliche Grundrechtsverletzungen durch Gesetze und Verordnungen mit Hilfe des Rechtswegs überprüfen zu lassen. Deshalb folgt aus dem Beschluss zur Popularklage nicht, dass auch der VöI in den personellen Schutzbereich von Art 103 Abs. 1 GG einbezogen ist. Dafür, den personellen Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG nicht auf den VöI auszudehnen125, spricht hingegen, dass diese Rechtsnorm neben der objektiv-rechtlichen Komponente auch ein subjektives Recht enthält, das mittels einer Verfassungsbeschwerde gemäß Art 93 Abs. 1 Nr. 4a GG geltend gemacht werden kann126. Hingegen ist der VöI ein Rechtspflegeorgan, welches das Gericht berät und unterstützt, wobei es das öffentliche Interesse gerade unabhängig von den Interessen der Hauptbeteiligten vertritt, sodass seine Beteiligung je nach konkretem Prozess zugunsten eines anderen Beteiligten oder auch keiner der Beteiligten ausfallen kann127. Für eine Annäherung an die unabhängige, objektive Stellung des Gerichts im Gegensatz zu den übrigen Beteiligten gemäß § 63 Nr. 1–3 VwGO spricht auch, dass der VöI in der Systematik der VwGO in Teil 1 geregelt ist, der die Gerichtsverfassung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit festlegt128. Außerdem ist auch die ihrer Funktion nach dem VöI ähnliche Staatsanwaltschaft nicht vom persönlichen Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG erfasst129, weil weder diese selbst noch der Staat, für den sie handelt, durch das Gerichtsverfahren im ei124  BVerfGE

13, 132 (141).

125  Dürig/Herzog/Scholz/B. Remmert,

GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 46 (2016); Jarass/ Pieroth/M. Kment, GG, Art. 103 Rn. 10. 126  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 13; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 24. 127  Von einer „eher beratenden, der Objektivität verpflichteten und nicht vom Interesse einer Partei geleiteten Funktion“ spricht auch das BVerwG in seiner Entscheidung BVerwGE 96, 258 (262); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 24. 128  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 152a Rn. 24. 129  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 22; Dürig/Herzog/Scholz/ B. Remmert, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 46 (2016); Jarass/Pieroth/M. Kment, GG, Art. 103 Rn. 10; v. Mangoldt/Klein/Starck/G. Nolte/H. P. Aust, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 25; Sachs/C. Degenhart, GG, Art.  103 Rn.  9; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Henneke/S. Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 12.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

genen Recht berührt wird130. Dabei wird der Begriff des „Beteiligten“ gemäß § 33 StPO so verstanden, dass aufgrund des Wortlauts „anderer“ in § 33 Abs. 3 StPO, der auf das besondere Anhörungsrecht der Staatsanwaltschaft in § 33 Abs. 2 StPO Bezug nimmt, auch diese – wie der VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – die prozessuale Stellung eines förmlich Beteiligten inne hat131. Deshalb sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, VöI und VBI grundsätzlich auch nicht die Befugnis zuzusprechen, wegen eigener Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 S. 1 VwGO zu erheben. 4. Vergleich mit der Rechtsstellung eines Beigeladenen Zum Teil wird festgestellt, dass die Rechtsstellung des VBI im Verfahren grundsätzlich derjenigen eines notwendig Beigeladenen entspreche, soweit diese nicht an die Berührung eigener Rechte anknüpft, sodass die Vorschrift des § 66 VwGO prinzipiell analog auf den VBI Anwendung finden soll132. a) Reichweite der Befugnis, eigene Anträge zu stellen Die Rechtsstellung eines notwendig Beigeladenen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zeichnet sich gemäß § 66 S. 2 VwGO dadurch aus, dass dieser Anträge stellen kann, die von denjenigen der Hauptbeteiligten abweichen. Hierdurch umreißt das Gesetz aber nur andeutungsweise die prozes­ suale Stellung des notwendig Beigeladenen und trifft insbesondere keine eindeutige Aussage hinsichtlich der Frage, ob sich dessen Sachanträge nur in dem Rahmen bewegen dürfen, der durch den von Kläger und Beklagtem festgelegten Streitgegenstand begrenzt wird133. Die Rechtsprechung hat diese Frage bislang nicht abschließend geklärt134. In der Literatur ist sie umstritten.

130  Dürig/Herzog/Scholz/B. Remmert, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 46 (2016); v. Mangoldt/Klein/Starck/G. Nolte/H. P. Aust, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 25. 131  Dürig/Herzog/Scholz/B. Remmert, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 46 (2016); Jarass/ Pieroth/M. Kment, GG, Art. 103 Rn. 10. 132  Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 5; J. Stettner, Die Beteiligten im Verwaltungsprozeß, JA, 1982, 394 (400). 133  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 66 Rn. 12. 134  BVerwGE 149, 343 Rn. 20; Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 66 Rn. 4.



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aa) Beschränkung der Anträge auf den bereits anhängigen Streitgegenstand Einige Stimmen lehnen eine Ausdehnung des Antragsrechts des notwendig Beigeladenen über den Streitgegenstand hinaus – und damit eine gewisse Dispositionsbefugnis des notwendig Beigeladenen – ab135. Dabei stellen sie auf die Funktion der Beiladung und deren Abgrenzung zu den anderen Beteiligten ab: Weil der notwendig Beigeladene nur Drittbetroffener in einem durch zwei andere Parteien geführten Prozess sei, müsse er sich darauf beschränken, innerhalb des von diesen festgelegten Streitgegenstandes abweichende Anträge zu stellen136. Anträge, die über diesen Rahmen hinausgehen, müsse er in einem selbständigen, von diesem Rechtsstreit unabhängigen Verfahren verfolgen137. Ferner entspreche es auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, einfach und notwendig Beigeladenen mit derart unterschiedlichen Befugnissen auszustatten138. Folgt man dieser Sichtweise, hat dies für den notwendig Beigeladenen in Bezug auf seine verfahrensrechtliche Stellung die Konsequenz, dass er weder den Streitgegenstand ändern noch erweitern kann139. Eine eng begrenzte Ausnahme zu diesem Grundsatz wird dem notwendig Beigeladenen für den Fall zugebilligt, dass er auf andere Weise keinen effektiven Rechtsschutz erreichen kann140. bb) Befugnis, über den bereits anhängigen Streitgegenstand hinauszugehen Andere Stimmen befürworten eine Befugnis des notwendig Beigeladenen, auch den Streitgegenstand zu ändern141. Begrenzt würde dessen Antragsbefugnis dementsprechend lediglich durch die Vorschriften in §§ 42 Abs. 2, 44, 64, und 74 VwGO142. Dabei stützt sich diese Meinung zum einen auf den

135  Eyermann/M. Hoppe, 136  Eyermann/M. Hoppe,

VwGO, § 66 Rn. 12. VwGO, § 66 Rn. 12; Redeker/von Oertzen/M. Redeker,

VwGO, § 66 Rn. 11. 137  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 66 Rn. 12. 138  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 66 Rn. 12. 139  Rederker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 66 Rn. 11. 140  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 66 Rn. 12; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 66 Rn. 11. 141  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 66 Rn. 6; Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 66 Rn. 4; C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 144; Posser/Wolff/ R. Kintz, VwGO, § 66 Rn. 8; Sodan/Ziekow/D. Czybulka/S. Kluckert, VwGO, § 66 Rn. 21. 142  Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 66 Rn. 8.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

Wortlaut von § 66 S. 2 VwGO143. Daneben führt sie als systematisches Argument an, dass diese Vorschrift anderenfalls keine praktische Bedeutung hätte und demensprechend eine Unterscheidung zwischen einfacher und notwendiger Beiladung überflüssig würde144. Innerhalb der von den Hauptbeteiligten gestellten Anträge könne nämlich bereits der einfach Beigeladene gemäß § 66 S. 1 VwGO selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen145. Darüber hinaus sprächen Rechtsschutzgesichtspunkte für eine insoweit starke prozessuale Stellung des notwendig Beigeladenen146. Die daraus folgenden Dispositionsmöglichkeiten des notwendig Beigeladenen werden aber auch hier dadurch begrenzt, dass seine Anträge nur für ihn selbst wirken, er die Klage nicht gemäß § 91 VwGO ändern und den Prozess nicht beenden kann, sei es durch Klagerücknahme, Erledigungserklärung hinsichtlich der Hauptsache oder Abschluss eines Vergleichs147. Was die Beschränkung hinsichtlich der Klageänderung gemäß § 91 VwGO betrifft, ist allerdings zu beachten, dass – ausgehend vom herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, wonach der Streitgegenstand aus Klageantrag und dem zugrundeliegenden Sachverhalt bestimmt wird148 – auch die Stellung eines Antrags, der klageerweiternd über die bisher von den Hauptbeteiligten gestellten Anträge hinausgeht, nach teilweise vertretener Auffassung die Klage im Sinne von § 91 VwGO ändert149. Andere Stimmen stellen in dieser Konstellation darauf ab, dass der ursprüngliche Antrag unverändert gestellt wird, weswegen gerade keine Klageänderung gemäß § 91 VwGO vorliegen soll150. Unabhängig von dieser unterschiedlichen Bewertung kann die Be143  Schoch/Schneider/Bier/W. Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 66 Rn. 6 (2019); Sodan/Ziekow/D. Czybulka/S. Kluckert, VwGO, § 66 Rn. 21. 144  Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 66 Rn. 4; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 66 Rn. 8; Schoch/Schneider/Bier/W. Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 66 Rn. 6 (2019); Sodan/Ziekow/D. Czybulka/S. Kluckert, VwGO, § 66 Rn. 21. 145  Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, §  66 Rn.  8; Schoch/Schneider/Bier/W. Bier/ C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 66 Rn. 6 (2019). 146  Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 66 Rn. 4; Sodan/Ziekow/D.  Czybulka/S.  Klu­­ ckert, VwGO, § 66 Rn. 21. 147  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, §  66 Rn.  6; Schoch/Schneider/Bier/ W. Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 66 Rn. 6 (2019); J. Stettner, Die Beteiligten im Verwaltungsprozeß, JA, 1982, 394 (399). 148  Gärditz/S. Haack, VwGO, § 90 Rn. 11; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 90 Rn. 7; Posser/Wolff/H. A. Wolff, VwGO, § 90 Rn. 9; Sodan/Ziekow/W. Peters/ M. Reinke, VwGO, § 91 Rn. 18. 149  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 91 Rn. 5; C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 144; Posser/Wolff/H. A. Wolff, VwGO, § 91 Rn. 15; Redeker/ von Oertzen/P. Kothe, VwGO, § 91 Rn. 2; Sodan/Ziekow/W. Peters/J. Kujath, VwGO, § 91 Rn. 18. 150  Gärditz/S. Haack, VwGO, § 91 Rn. 11.



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren77

schränkung des notwendig Beigeladenen hinsichtlich der Klageänderung jedenfalls nur insoweit verstanden werden, dass dieser die durch die Hauptbeteiligten anhängig gemachten Anträge nicht durch Änderung einer Entscheidung entziehen, diese jedoch sehr wohl im Sinne einer Klageerweiterung durch eigene, über diese hinausgehende Anträge ergänzen darf. cc) Abstellen auf die subjektive Betroffenheit durch das Verfahren Bei der Beantwortung der Frage, ob die Anträge eines notwendig Beigeladenen über den Streitgegenstand hinausgehen dürfen, muss man sich vor allem den Grund für die unterschiedliche Behandlung von einfach und notwendig Beigeladenem vergegenwärtigen: Der unterschiedliche Umfang prozessualer Rechte zwischen beiden ist nämlich die Kehrseite ihres unterschiedlichen Grades an Betroffenheit in ihren subjektiven Rechten durch das Verfahren151. Gemäß § 65 Abs. 1 VwGO setzt eine einfache Beiladung lediglich voraus, dass die eigenen rechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt werden. Das rechtliche Interesse ist dabei durch eine solche Beziehung zu mindestens einem Hauptbeteiligten gekennzeichnet, dass sich durch eine Entscheidung des Verfahrens die eigene Rechtsposition verbessern oder verschlechtern kann152. Es handelt sich dabei um ein subjektives Recht, das aber nicht zum Verfahrensgegenstand gehört, weswegen der Ausgang des Verfahrens allein faktische und keine rechtlichen Auswirkungen auf dieses haben kann153. Für eine notwendige Beiladung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO ist hingegen erforderlich, dass nur eine einheitliche Entscheidung gegenüber einem Dritten und den Hauptbeteiligten ergehen kann. Dies ist über den bloßen Gesetzeswortlaut hinaus dahingehend zu verstehen, dass eine gerichtliche Entscheidung des Falls zwangsläufig mit einem Eingriff in die Rechte eines Dritten einhergeht154, weil eine Rechtsposition oder ein Recht des Dritten unmittelbar zum Streitgegenstand gehört und von der Gestaltungswirkung oder der Rechtskraft der Entscheidung unmittelbar betroffen wird155. Deshalb entspricht der Grad an Betroffenheit im Fall eines notwendig Beigeladenen nahezu demjenigen eines Hauptbeteiligten und geht wesentlich über denjenigen eines einfach Beigeladenen hinaus. 151  C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 135 f; Redeker/von Oertzen/ M. Redeker, VwGO, § 66 Rn 8. 152  Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 65 Rn. 3; C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 69. 153  C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 69. 154  Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 65 Rn. 5. 155  C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 106.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

Dementsprechend erscheint auch auf Rechtsfolgenseite von § 66 VwGO eine Differenzierung dahingehend gerechtfertigt, die prozessuale Stellung eines notwendig Beigeladenen dadurch derjenigen eines Hauptbeteiligten stark anzunähern, dass dessen Anträge über den Streitgegenstand hinaus­ gehen dürfen, sofern die Grenzen von §§ 42 Abs. 2, 44, 64 und 74 VwGO gewahrt bleiben. b) Unterschiedliche Beteiligungsvoraussetzungen bei VBI und notwendig Beigeladenem Der VBI unterscheidet sich von den Beigeladenen zunächst einmal dadurch grundlegend, dass er selbst stets aufgrund einer eigenverantwortlichen Entscheidung Initiative zu seiner Beteiligung ergreift, wohingegen bei einer Beiladung gemäß § 65 Abs. 1, Abs. 2 VwGO immer das Gericht eine solche durch Entscheidung einleitet. Die Beiladung knüpft an die subjektiven rechtlichen Interessen Dritter an, während der VBI aus objektiver, gesamtstaat­ licher Perspektive des Bundes heraus die Interessen vertritt, die hinter den für die Entscheidung relevanten Gesetzen stehen156. Weil dem VBI eine besondere Funktion als Rechtspflegeorgan zukommt, ist der Rechtsgrund seiner Beteiligung ein anderer als bei einer Beiladung gemäß § 65 Abs. 1, Abs. 2 VwGO157. Eine wie auch immer geartete Erheblichkeitsschwelle für die Betroffenheit des öffentlichen Interesses lässt sich dem Gesetz, anders als bei den Beigeladenen in § 65 VwGO, nicht entnehmen. Vielmehr unterliegt die Feststellung der Betroffenheit des öffentlichen Interesses gerade der freien Entscheidung des VBI und ist auch gerichtlich nicht überprüfbar158. Dementsprechend handelt es sich hinsichtlich der Beteiligungsvoraussetzungen bei VBI und Beigeladenen um zwei grundsätzlich verschiedene Regelungssysteme. c) Unterschiedliche Befugnisse bezüglich der Reichweite der Anträge Hinsichtlich des Umfangs der Beteiligungsbefugnis haben VBI und notwendig Beigeladener die Gemeinsamkeit, dass sie beide nicht an die Anträge 156  BT-Drucks. 14/5529, S.  65; Bader/Kaiser/Stuhlfauth/Albedyll/T. Stuhlfauth, VwGO, § 35 Rn. 1; G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 5; Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 1; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 10; J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (559). 157  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 10 (2014). 158  OVG Münster, AS 11, 93 (97); Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 6; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S.  116 f.



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren79

von Kläger und Beklagtem gebunden sind. Was die Frage betrifft, ob der VBI genauso wie der notwendig Beigeladene in der Lage sein soll, den Streitgegenstand zu erweitern, ist wiederum auf den Grund für die Beteiligung abzustellen. Dieser liegt beim notwendig Beigeladenen darin, dass dieser durch die Entscheidung zwangsläufig in eigenen Rechten betroffenen ist159, wohingegen der VBI aus einer rein objektiven Perspektive heraus als Rechtspflegeorgan das öffentliche Interesse im Prozess vertritt. Anders als beim VBI liegt der Beteiligung eines notwendig Beigeladenen damit das Rechtsschutzprinzip zugrunde160. Für eine Befugnis, den Streitgegenstand durch eigene Anträge zu erweitern, spricht, dass dies in bestimmten Fällen im Sinne der Rechtsdurchsetzung liegen kann. Bedenkt man aber, dass der VBI gerade nicht die Funktion eines Kontrollorgans haben soll und die VwGO prinzipiell vom Grundsatz der Selbstwahrnehmung eigener Rechte ausgeht, so geht die Einräumung einer derartigen Dispositionsmöglichkeit über den Streitgegenstand zu weit. Mit dieser Erwägung ist eine Differenzierung zum notwendig Beigeladenen sachgerecht, weil dieser seine eigenen Rechte mit seiner Beteiligung wahrnimmt. d) Gemeinsamkeit in der Beschränktheit der Dispositionsbefugnis Trotz dieses Unterschiedes spricht für eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der Prozessstellung von VBI und notwendig Beigeladenem, dass auch bei einer Beteiligung des Letzteren die Dispositionsbefugnis bei den Hauptbeteiligten verbleibt161. Dies zeigt sich daran, dass die Anträge des Beigeladenen nur für diesen selbst wirken und er weder die Klage ändern noch das Verfahren beenden kann162. Zudem besteht sogar bezüglich Klagerücknahmen und Erledigungserklärungen der Hauptsache kein Zustimmungsvorbehalt des notwendig Beigeladenen163. Hinsichtlich der Klageänderung ergibt sich hingegen aus der gesetzlichen Konzeption von §§ 91 Abs. 1, 63 Nr. 3 VwGO, dass der notwendige Beteiligte auch einer solchen zustimmen muss164. Was 159  Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 65 Rn. 5; C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 106. 160  D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 59. 161  D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 59. 162  Gärditz/K. Schneider, VwGO, §  66 Rn.  5; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 66 Rn. 6; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 66 Rn. 8 stellt da­ rauf ab, dass dem notwendig Beigeladenen die Dispositionsbefugnis grundsätzlich fehlt, aber er in gewissem Umfang Verfügungen der Hauptbeteiligten beeinflussen kann. 163  Gärditz/K. Schneider, VwGO, § 66 Rn. 5; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 66 Rn. 9. 164  C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 133.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

ein Zustimmungserfordernis hinsichtlich eines Prozessvergleichs gemäß § 106 VwGO betrifft, so bestehen unterschiedliche Ansichten: Zum Teil wird aus der grundsätzlich fehlenden Dispositionsbefugnis des notwendig Beigeladenen abgeleitet, dass dieser dem Abschluss eines Vergleichs nicht zustimmen muss165. Andere Stimmen sprechen sich aufgrund der besonderen Betroffenheit subjektiver Rechte des notwendig Beigeladenen für ein solches Zustimmungserfordernis aus166. e) Ergebnis Als Ergebnis lässt sich daher feststellen, dass sowohl VBI als auch notwendig Beigeladener hinsichtlich ihrer Antragstellung grundsätzlich nicht an die Hauptbeteiligten gebunden sind, wobei Ersterer nicht über den von diesen festgelegten Streitgegenstand hinausgehen kann. Die Dispositionsbefugnisse des notwendig Beigeladenen sind dagegen ausschließlich auf die Wahrnehmung eigener Rechte beschränkt. Im speziellen Bereich der ausdrück­ lichen gesetzlichen Regelung in § 92 Abs. 1 S. 2 VwGO, die dem VBI einen Zustimmungsvorbehalt im Rahmen der Klagerücknahme einräumt, ist dessen Beschränkung durch die Dispositionsbefugnis der Hauptbeteiligten sogar geringer als diejenige des notwendig Beigeladenen. Hierbei handelt es sich aber lediglich um eine punktuelle gesetzliche Ausnahme. Auf dieser Grundlage ist der Feststellung, die Rechtsstellung des VBI sei derjenigen des notwendig Beigeladenen so nahe, dass eine entsprechende Anwendung von § 66 VwGO vorzunehmen sei, grundsätzlich zuzustimmen. Dabei muss aber die Einschränkung, dass dies nur gelten kann, soweit die Rechtsstellung im Prozess nicht an die Berührung eigener Rechte anknüpft, unbedingt beachtet werden. 5. Kritik an der gesetzlichen Konzeption des VBI als Beteiligter Die gesetzliche Einordnung des VBI in § 63 Nr. 4 VwGO als Beteiligter wird zum Teil mit dem Argument kritisiert, dieser habe bestenfalls nur formell die Rolle eines solchen, wohingegen seine Stellung und Aufgaben im Verfahren eher denjenigen eines Mitwirkenden entsprechen würden167. Ins-

165  Gärditz/K. Schneider,

VwGO, § 66 Rn. 5. VwGO, §  66 Rn.  6; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 66 Rn. 10; C. Nottbusch, Beiladung im Verwaltungsprozeß, S. 134; Posser/ Wolff/R. Kintz, VwGO, § 66 Rn. 5; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 66 Rn. 10. 167  Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 4. 166  Eyermann/M. Hoppe,



II. Rechte des VöI im Gerichtsverfahren81

besondere erlange er niemals die Stellung einer Partei des Rechtsstreits168. Zudem könne der VBI im anhängigen Revisionsverfahren keine förmlichen Anträge stellen, sondern nur seinen Standpunkt in das Verfahren einführen169. Ferner dürfe er auch keine Anschlussrevision erheben170. Allerdings trägt die Konzeption der VwGO diesem Umstand gerade dadurch Rechnung, dass der Wortlaut von § 63 VwGO nicht von „Partei“, sondern von „Beteiligten“ spricht (s. o.)171. Dieser ist gerade weiter gefasst als derjenige der Partei und soll sämtliche Mitwirkenden erfassen, die im Verfahren Anträge stellen. Das Recht der Antragstellung in einem anhängigen Revisionsverfahren ist aber tatsächlich Kern der prozessualen Befugnisse des VBI (s. o.)172. Für eine Beteiligtenstellung des VBI spricht auch die Nähe seiner prozessualen Stellung zu derjenigen des gemäß § 63 Nr. 3 VwGO ebenfalls zum Beteiligten erklärten notwendig Beigeladenen. Darüber hinaus wird als Argument gegen eine Beteiligtenstellung des VBI die gesetzliche Regelung des § 153 Abs. 2 VwGO angeführt, welche dem VBI ausdrücklich die Befugnis zuerkennt, Nichtigkeits- und Restitutionsklage zu erheben173. Dies spreche gegen die Stellung des VBI als Beteiligter, weil dieses Recht eigentlich selbstverständliche Konsequenz einer Beteiligtenstellung sei, sodass es einer solchen besonderen Anordnung eigentlich nicht bedürfe, wenn es sich beim VBI wirklich um einen Verfahrensbeteiligten handele174. Zu beachten ist aber, dass man die Vorschrift in § 153 Abs. 2 VwGO auch dahingehend verstehen kann, dass diese die Klagebefugnis deswegen ausdrücklich für den VBI erweitert, weil grundsätzlich nur klagebefugt ist, wer durch das Urteil beschwert, also in negativer Weise berührt ist175. Beim VBI als objektivem Rechtspflegeorgan scheidet eine Beschwer durch das Urteil und damit generell eine Berührung eigener Rechte aber aus, weswegen auch bei Zuerkennung einer Beteiligteneigenschaft für den VBI ein Bedürfnis für die Regelung in § 153 Abs. 2 VwGO verbleibt. Darüber hinaus ist § 153 Abs. 1 VwGO so zu verstehen, dass lediglich solche Beteiligten klagebefugt 168  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (141); Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 4. 169  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (141); Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 5. 170  Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 5. 171  S. 55. 172  S.  64 f. 173  Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 5. 174  Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 5. 175  Eyermann/K. Rennert, VwGO, § 153 Rn. 14; Posser/Wolff/S. Brink, VwGO, § 153 Rn. 13; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 153 Rn. 29.

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D. Prozessuale Stellung des VBI

sind, die diese Stellung bereits im vorausgegangenen Verfahren wahrgenommen haben, weil sich die Rechtskraft des verfahrensgegenständlichen Urteils nur auf diese erstreckt176. Der VBI erhält aber aufgrund der besonderen Ermächtigung in § 153 Abs. 2 VwGO die Möglichkeit, die Wiederaufnahme zugunsten jedes anderen Beteiligten zu beantragen, selbst wenn er sich am konkreten Vorprozess nicht beteiligt hat177. Dementsprechend ist diese Vorschrift nicht auf eine fehlende echte Beteiligtenstellung des VBI, sondern vielmehr auf seine besondere objektive Rolle im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zurückzuführen. Nur der VBI betreibt das Wiederaufnahmeverfahren nämlich im öffentlichen Interesse178. Vor diesem Hintergrund erscheint die gesetzliche Konzeption des VöI als Beteiligter gemäß § 63 Nr. 4 VwGO grundsätzlich als sachgerecht.

176  Eyermann/K. Rennert, VwGO, § 153 Rn. 14; Posser/Wolff/S. Brink, VwGO, § 153 Rn. 13; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 153 Rn. 27. 177  Eyermann/K. Rennert, VwGO, § 153 Rn. 14; Gärditz/C. F. Germelmann, VwGO, §  153 Rn.  45; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, §  153 Rn.  7; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 153 Rn. 28. 178  Gärditz/C. F. Germelmann, VwGO, § 153 Rn. 45; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 153 Rn. 28.

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses Eine Rechtsfigur, welche die Bezeichnung „Vertreter des öffentlichen Interesses“ trägt, kennt das deutsche Rechtssystem ausschließlich in der VwGO und damit lediglich im Verwaltungsgerichtsprozess.

I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten Es stellt sich aber die Frage, inwieweit es in anderen gerichtlichen Verfahrensarten Institutionen gibt, die mit der Rolle des VöI vergleichbar sind oder zumindest teilweise dessen Funktion entsprechen. 1. Finanzgerichtsbarkeit Was die Finanzgerichtsbarkeit betrifft, regelt § 122 Abs. 2 S. 1 FGO, dass das Bundesministerium der Finanzen einem Verfahren beitreten kann, wenn dieses eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe oder eine Rechtsstreitigkeit über Bundesrecht betrifft. Gemäß § 122 Abs. 2 S. 2 FGO steht dieses Recht auch der zuständigen obersten Landesbehörde zu, wenn das Verfahren eine von den Landesbehörden verwaltete Abgabe oder eine Rechtsstreitigkeit über Landesrecht betrifft. Aus der systematischen Stellung dieser Vorschriften im Abschnitt V, Unterabschnitt 1 „Revision“ folgt, dass dieses Beitrittsrecht nur in Revisionsverfahren gilt, die gemäß § 115 Abs. 1 FGO vor dem Bundes­ finanzhof stattfinden1. a) Funktion der Regelung in § 122 Abs. 2 FGO Die Regelung in § 122 Abs. 2 FGO dient als Ersatz dafür, dass beim Bundesfinanzhof kein VöI existiert2. Funktion dieses Beitrittsrechts ist dabei die Wahrnehmung des Interesses, das der Bund an der Beachtung und sachgerechten Auslegung des Bundesrechts hat, in Verfahren, an denen dieser 1  Hübschmann/Hepp/Spitaler/W. Bergkemper, AO,

FGO, FGO § 122 Rn. 24 (2020). Staatliche Organe, S. 75; Hübschmann/Hepp/Spitaler/W. Bergkemper, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 2 (2020); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (124); Tipke/Kruse/R. Seer, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 21 (2019); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (955). 2  E. Hofherr,

84

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

sonst nicht beteiligt ist3. Indem sich das Bundesministerium der Finanzen und die obersten Landesbehörden an einem anhängigen Verfahren beteiligen und dabei entscheidungserhebliche rechtliche Gesichtspunkte geltend machen können, sollen das allgemeine Interesse am Ausgang des Rechtsstreits, das über den Einzelfall hinausgeht, sowie über das einzelne Verfahren hinausgehende Zusammenhänge hinreichend berücksichtigt werden4. Darüber hinaus sollen das Bundesministerium der Finanzen und die obersten Landesbehörden auf diese Weise die Gelegenheit erhalten, Informationen, die sonst nicht ohne weiteres zugänglich sind, sowie für die Anwendung des Rechts relevante Erwägungen des Gesetzgebers in das Verfahren einzuführen5. Diese Informationen beziehen sich insbesondere auf historische Entwicklung, systematische Stellung und praktische Bedeutung der maßgeb­ lichen Gesetze6. Diese sind dadurch, dass sie sich auf die Auslegung und Anwendung der relevanten Rechtsnormen richten, vom konkreten Einzelfall losgelöst7. Auf diese Weise soll das Bundesministerium der Finanzen den Bundesfinanzhof also auch bei der Rechtsfindung unterstützen8. Indem die oberste Behörde dem Rechtsstreit direkt beitreten kann, bleibt dieser eine umständliche Anweisung des beteiligten Finanzamts, um ihre Position in den Rechtsstreit einzuführen, erspart9. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass eine solche Anweisung im Vorfeld voraussetzen würde, dass das Ministerium hinreichende Informationen über das konkrete Verfahren vom Finanzamt erhalten hat10. Konsequenz dessen ist aber, dass das Bundesministerium der Finanzen bzw. die oberste Landesbehörde im Gerichtsverfahren im Vergleich zu einer gesonderten, organisatorisch unabhängigen Einrichtung eher direkt Partei ergreifen und somit weniger als objektive Vermittler auftreten11. 3  Gosch/R. Rüsken,

AO, FGO, FGO § 122 Rn. 12 (2019). Urteil vom 14.12.1983 – I R 301/81; Hübschmann/Hepp/Spitaler/W. Bergkemper, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 2 (2020); Gräber/E. Ratschow, FGO, § 122 Rn. 4; Tipke/Kruse/R. Seer, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 21 (2019). 5  BFH, Urteil vom 14.12.1983 – I R 301/81; Gosch/R. Rüsken, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 13 (2019); E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 75; Hübschmann/Hepp/ Spitaler/W. Bergkemper, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 2 (2020); Gräber/E. Ratschow, FGO, § 122 Rn. 4; G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (124); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192); Tipke/ Kruse/R. Seer, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 21 (2019). 6  Gosch/R. Rüsken, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 13 (2019). 7  Gosch/R. Rüsken, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 13 (2019). 8  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (955). 9  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (124). 10  Schwarz/Pahlke/U. Dürr, AO/FGO, § 122 FGO Rn. 6 (2014). 11  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (192). 4  BFH,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten85

Insgesamt hat das Beitrittsrecht des Bundesministeriums der Finanzen gemäß § 122 Abs. 2 S. 1 FGO damit eine ähnliche Funktion wie der VBI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren12. b) Prozessuale Befugnisse aufgrund dieser Regelung Durch den Beitritt erhalten das Bundesministerium der Finanzen bzw. die oberste Landesbehörde gemäß § 122 Abs. 2 S. 4 FGO die Rechtsstellung eines Beteiligten im Verfahren. Diese umfasst ein Recht auf Akteneinsicht, einen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie ein Antragsrecht13. Die Verfügungsbefugnis über das Verfahren verbleibt allerdings bei Kläger und Beklagtem14. Für diese hat der Beitritt die Auswirkung, dass die Waffengleichheit zwischen ihnen im Prozess beeinträchtigt wird, indem die Position der Verwaltung dort gestärkt wird15. c) Erklärung für die von der Einrichtung des VöI abweichende Regelung in der Finanzgerichtsbarkeit Eine plausible Erklärung dafür, dass in der Finanzgerichtsbarkeit anstelle eines VöI als besondere Einrichtung lediglich ein behördliches Beitrittsrecht gemäß § 122 Abs. 2 FGO existiert, besteht darin, dass der Gesetzgeber die Einrichtung eines besonderen VöI für Verfahren vor dem Bundesfinanzhof in organisatorischer und personeller Hinsicht für zu aufwändig hielt und sich aus derartigen Zweckmäßigkeitserwägungen für ein direktes und vergleichsweise einfacheres Beteiligungsrecht der Behörden entschieden hat16. Im Vergleich zur Einrichtung einer besonderen Stelle zur Vertretung des öffentlichen Interesses ist es einfacher, billiger und effektiver, an diesem behörd­ lichen Beitrittsrecht festzuhalten17. In diesem Zusammenhang ist auch der Charakter der Finanzgerichtsbarkeit als besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beachten: Deren Zweck ist der 12  Gosch/R. Rüsken,

AO, FGO, FGO § 122 Rn. 12 (2019).

13  Gosch/R. Rüsken, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 18 (2019); Schwarz/Pahlke/U. Dürr,

AO/FGO, § 122 FGO Rn. 11 (2014). 14  Schwarz/Pahlke/U. Dürr, AO/FGO, § 122 FGO Rn. 11 (2014); Tipke/Kruse/ R. Seer, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 34 (2019). 15  Hübschmann/Hepp/Spitaler/W. Bergkemper, AO, FGO, FGO §  122 Rn.  23 (2020); Schwarz/Pahlke/U. Dürr, AO/FGO, § 122 FGO Rn. 12 (2014); Tipke/Kruse/ R. Seer, AO, FGO, FGO § 122 Rn. 21 (2019). 16  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (955). 17  BR-Drucks. 100/82, S. 96.

86

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

Schutz der Interessen Einzelner vor Entscheidungen der Finanzbehörden, die deutliche Eingriffe sowohl in die private als auch in die wirtschaftliche Sphäre von steuerpflichtigen Personen mit sich bringen18. aa) Nahezu ausschließliche Betroffenheit des Finanzressorts Dementsprechend sind inhaltlicher Gegenstand der Finanzgerichtsbarkeit ausschließlich Maßnahmen der Finanzverwaltung, sodass auf Seiten des Staates lediglich das Fachressort der Finanzverwaltung betroffen ist19, wohingegen die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit häufig über Streitig­ keiten entscheiden muss, die unterschiedliche Ressorts berühren20. Deshalb existiert in der Finanzgerichtsbarkeit im Vergleich zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit keine so große Bandbreite an Quellen für relevante Hintergrundinformationen in Form unterschiedlicher Bundes- und Landesbehörden, deren gegebenenfalls auseinanderfallende Stellungnahmen in Einklang zu bringen sind21. bb) Gleich gelagerte den Verfahren zugrunde liegende Interessen der Beteiligten Hinzu tritt, dass die Interessenlagen der Hauptbeteiligten in finanzgerichtlichen Verfahren „typisiert“ sind, also die jeweiligen Kläger und Beklagten in der Regel in allen Verfahren eine gleiche Stellung sowie eine gleiche Interessenlage haben22. Daher sind die Gemengelage der berührten öffentlichen Interessen, aber auch die möglichen unterschiedlichen Rollen sowie die Anzahl der Verfahrensbeteiligten weniger komplex als in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit23. Konkret basieren finanzgerichtliche Streitigkeiten regelmäßig auf dem Grundschema, dass sich ein Steuerpflichtiger entweder

Der Steuerrerchtsschutz, II. Rn. 1. Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237); J. Schmidt-Troje/H. Schaumburg, Der Steuerrerchtsschutz, II. Rn. 16. 20  BR-Drucks. 100/82, S. 84; K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (956). 21  BR-Drucks. 100/82, S. 84; K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747). 22  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236 f.). 23  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237). 18  J. Schmidt-Troje/H. Schaumburg, 19  K. Neis,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten87

gegen eine von ihm beanspruchte Abgabe der Finanzverwaltung wehrt oder von dieser die Erstattung einer bereits geleisteten Abgabe begehrt24. cc) Geringere Komplexität des Abwägungsvorgangs zur Herausarbeitung des öffentlichen Interesses in finanzgerichtlichen Verfahren Deswegen fällt in finanzgerichtlichen Verfahren auch der gesamte Abwägungsvorgang mit dem Ziel, das im konkreten Fall relevante öffentliche Interesse herauszuarbeiten, deutlich weniger komplex aus. Gäbe es tatsächlich einen eigenständigen VöI beim Bundesfinanzhof, so würde sich dessen Austausch mit der Verwaltung aufgrund der geringen inhaltlichen Bandbreite der betroffenen Rechtsmaterien im Wesentlichen auf das Bundesministerium der Finanzen und auf oberste Finanzbehörden auf Länderebene konzentrieren25. Wegen der Möglichkeit, dass Gegenstand der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit Rechtsstreitigkeiten sind, die mehrere Fachressorts gleichzeitig betreffen und hinsichtlich der zugrunde liegenden Interessenlagen eine viel höhere Komplexität aufweisen, erscheint es hier als naheliegend, anstelle eines direkten Beteiligungsrechts der Ministerien die Vertretung des öffent­ lichen Interesses bei einer zentralen Einrichtung, nämlich dem VöI, zu bündeln26. Hier bestünde bei einem bloßen Beteiligungsrecht der Ministerien zudem die Gefahr, dass es letztlich dem Zufall überlassen bliebe, ob das fachlich betroffene Ministerium Kenntnis von einem konkreten Verfahren erhält und sich beteiligt27. d) Keine Vertretung des öffentlichen Interesses durch eine unabhängige Einrichtung Konsequenz der Ausgestaltung als behördliches Beteiligungsrecht ist aber, dass vor dem Bundesfinanzhof das öffentliche Interesse nicht durch eine unabhängige, objektive Einrichtung vertreten wird, sondern durch die der an dem Rechtsstreit beteiligten Finanzbehörde übergeordnete Behörde, die dieser gegenüber sogar weisungsbefugt ist28.

24  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237). 25  BR-Drucks. 100/82, S. 96. 26  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (956). 27  BR-Drucks. 100/82, S. 84. 28  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (956).

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

Der Gesetzgeber hat sich also dafür entschieden, in diesem Gerichtszweig die Vertretung des Gemeinwohls durch eine neutrale, von den Parteiinteressen unabhängige Instanz zugunsten einer möglichst einfachen Einführungsmöglichkeit des öffentlichen Interesses in den Prozess aufzugeben, indem er die Position der Verwaltung gestärkt hat. 2. Sozialgerichtsbarkeit Was die Sozialgerichtsbarkeit angeht, enthält § 75 Abs. 1 S. 2 SGG die Regelung, dass in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die Bundesrepublik Deutschland auf Antrag beizuladen ist. Gemäß § 168 S. 2 SGG ist diese Art von Beiladung auch im Revisionsverfahren zulässig. Hieraus folgt, dass diese gesetzliche Beiladungspflicht in allen sozialgericht­ lichen Instanzen gilt29. In der Praxis wird die Bundesrepublik dabei im Verfahren vor Gericht durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertreten30. Mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des SGG (6. SSGÄndG) vom 17. August 2001 wurde § 75 Abs. 1 S. 2 SGG dahingehend modifiziert, dass als Rechtsgebiet, auf das sich das Beiladungsrecht bezieht, nicht mehr die Kriegsopferversorgung, sondern das soziale Entschädigungsrecht genannt wird31. In Kraft getreten ist die Änderung gemäß Art. 19 6. SGGÄndG zum 2. Januar 2002. a) Anwendungsbereich von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG Zum sozialen Entschädigungsrecht zählen sämtliche Fälle, auf die das Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechende Anwendung findet, und somit alle Regelungen, die eine soziale Entschädigung im Fall von Gesundheitsschäden zum Gegenstand haben32. Historische Grundlage des sozialen Entschädigungsrechts ist dabei das Kriegsopferversorgungsrecht, das im BVG geregelt ist33. Im Laufe der Zeit ist dieses aber um Gesetze ergänzt worden, deren Regelungsgegenstände sich außerhalb des Rechtsgebiets der Kriegsopferentschädigung befinden, die aber auf das BVG als „Leitgesetz

29  BR-Drucks.

100/82, S. 96.

30  Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt,

SGG § 75 Rn. 9; Roos/ Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 43. 31  BGBl. 2001 Nr. 43, 2148; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt, SGG § 75 Rn. 1; Roos/Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 4. 32  Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt, SGG § 75 Rn. 9; Roos/ Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 40. 33  Roos/Wahrendorf/M. Gutzeit, SGG, § 51 Rn. 67.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten89

des sozialen Entschädigungsrechts“ verweisen34. Hierzu zählen beispielsweise das Häftlingsgesetz (HHG), das Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden, unterstützen soll35, § 60 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), das einen Entschädigungsanspruch bei Impfschäden beinhaltet36, sowie das Opfer­entschädigungsgesetz (OEG), das dem Schutz von Verbrechensopfern dient37. Abstrakt formuliert betrifft das soziale Entschädigungsrecht die Fälle, in denen eine gesellschaftliche Verantwortung vorliegt, sei es entweder in aufopferungsähnlichen Konstellationen, in denen die Gemeinschaft die Verantwortung für die Erbringung besonderer Opfer trägt, oder um eine Rechtsordnung zu bewahren, die dem inneren Frieden der Gesellschaft dient38. Diese Fälle, in denen das soziale Entschädigungsrecht eingreift, zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass eine Staatshaftung aus dem Grund ausscheidet, dass es an der Zurechnung eines etwaigen haftungsbegründenden staatlichen Handelns fehlt39. Diese inhaltliche Ausweitung des sozialen Entschädigungsrechts über die reine Kriegsopferversorgung hinaus ist eine plausible Erklärung dafür, dass der Gesetzgeber den Wortlaut von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG angepasst hat, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Im Unterschied zu den Regelungen in FGO und VwGO gilt § 75 Abs. 1 S. 2 SGG dabei in allen sozialgerichtlichen Instanzen und nicht nur in der Revisionsinstanz. b) Rechtsnatur von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG Wie sich aus dem Wortlaut „ist beizuladen“ in § 75 Abs. 1 S. 2 SGG ergibt, ist die einzige Voraussetzung für die Beteiligung der Bundesrepublik deren Antrag, sodass dem Gericht insoweit kein Entscheidungsspielraum zusteht40. Aufgrund des Zwangs, die Bundesrepublik immer dann beizuladen, wenn diese einen entsprechenden Antrag stellt, kann man hier von einer

Soziales Entschädigungsrecht, A Rn. 2. SGG, § 51 Rn. 67. 36  Knickrehm/M. Meßling, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, §  6 IfSG Rn. 1; Roos/Wahrendorf/M. Gutzeit, SGG, § 51 Rn. 67. 37  R. Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, A Rn. 2; Roos/Wahrendorf/M. Gutzeit, SGG, § 51 Rn. 67. 38  U. Becker, Soziales Entschädigungsrecht, S. 189. 39  U. Becker, Soziales Entschädigungsrecht, S. 189. 40  Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt, SGG § 75 Rn. 9a; Roos/ Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 42. 34  R. Gelhausen,

35  Roos/Wahrendorf/M. Gutzeit,

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

notwendigen Beiladung sprechen41. Dennoch ist zu beachten, dass es sich dabei um eine Sonderform der Beiladung handelt, weil der klassische Fall einer notwendigen Beiladung in § 75 Abs. 2 SGG geregelt ist und sich dadurch auszeichnet, dass das Verhältnis der notwendig Beizuladenden zum streitigen Rechtsverhältnis derart eng ist, dass die Entscheidung ihnen und den Hauptbeteiligten gegenüber nur einheitlich ergehen kann42. § 75 Abs. 1 S. 2 SGG wird demgegenüber systematisch als eine Ausnahmevorschrift zu § 75 Abs. 1 S. 1 SGG angesehen, die eng auszulegen ist43. Vor diesem Hintergrund behandeln manche Stimmen die Beiladung gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG trotz ihres zwingenden Charakters als einfache Beiladung44. Die genaue Einordnung hat keine Konsequenzen, weil sich die Vorschrift des § 75 Abs. 4 S. 2 SGG, die regelt, unter welchen Umständen ein Beigeladener von den Hauptbeteiligten unabhängige Sachanträge stellen kann, nur auf notwendig Beigeladene im Sinne von § 75 Abs. 2 SGG bezieht und deshalb die Bundesrepublik im Fall ihrer Beteiligung ohnehin nicht über die Anträge der Hauptbeteiligten hinausgehen kann45. c) Das Beitrittsrecht gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG als Ersatz für den in der Sozialgerichtsbarkeit fehlenden VöI Bevor der Frage nachgegangen werden kann, warum die Vertretung des öffentlichen Interesses in der Sozialgerichtsbarkeit abweichend vom allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Verfahren geregelt ist, muss man zunächst untersuchen, ob das Beitrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG seiner Funktion nach überhaupt ein Äquivalent zum VöI für die Sozialgerichtsbarkeit darstellt. Hierzu existieren unterschiedliche Ansichten. aa) Ablehnung eines Äquivalents zum VöI Die Vergleichbarkeit des Beteiligungsrechts der Bundesrepublik gemäß §§ 75 Abs. 1 S. 2, 168 S. 2 SGG mit dem VöI im Verwaltungsgerichtsprozess 41  Breitkreuz/Fichte/M. Fock, SGG, §  75 Rn. 8; Jansen/H. Frehse, SGG, § 75 Rn. 6; Krasney/Udsching/P. Udsching, Hdb SGG, VI Rn. 7; Lüdtke/Berchtold/J. Littmann, SGG § 75 Rn. 3; M. Lücke, Beiladung, S. 38. 42  Breitkreuz/Fichte/M. Fock, SGG, § 75 Rn. 8. 43  M. Lücke, Beiladung, S. 38. 44  Hintz/Lowe/M. Hintz, SGG, § 75 Rn. 3. 45  Breitkreuz/Fichte/M. Fock, SGG, § 75 Rn. 8; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt/B. Schmidt, SGG § 75 Rn. 9a; Roos/Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 43.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten91

wird zum Teil mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass dessen Zweck nicht in der Unterstützung der Sozialgerichte bei der Rechtsfindung liege46. Der Gesetzgeber des SGG habe die Möglichkeit der Einrichtung eines VöI oder einer vergleichbaren Institution in der Sozialgerichtsbarkeit vielmehr gar nicht in Erwägung gezogen47. Für diese Sichtweise spricht, dass es sich bei §§ 75 Abs. 1 S. 2, 168 S. 2 SGG um speziell auf das Sozialgerichtsverfahren zugeschnittene Normen48 handelt, die ihrem sachlichen Anwendungsbereich nach nur den besonderen Fall der Betroffenheit des sozialen Entschädigungsrechts erfassen. Das soziale Entschädigungsrecht stellt wiederum den kleinsten Bereich des deutschen Sozialrechts dar und betrifft auch nur einen sehr geringen Anteil des gesamten Sozialbudgets49. bb) § 75 Abs. 1 S. 2 SGG als Ersatz für den fehlenden VöI in der Sozialgerichtsbarkeit Andererseits ist aber zu beachten, dass Sinn und Zweck der in §§ 75 Abs. 1 S. 2, 168 S. 2 SGG normierten Rechtsfigur die Sicherstellung ist, dass die Bundesrepublik den Prozess infolge ihrer Beteiligung beeinflussen kann, weil sie von diesem dadurch betroffen wird, dass sie im sozialen Entschädigungsrecht als Träger der Kosten fungiert50. Grund für diese gesetzliche Regelung ist also der Schutz eigener Rechte des Bundes im sozialgericht­lichen Verfahren51. Unabhängig von seiner ursprünglichen Auffassung bei Entstehung des SGG hat der Gesetzgeber jedenfalls später bei der geplanten Vereinheitlichung von FGO, SGG und VwGO zu einer einheitlichen Gerichtsordnung die Auffassung vertreten, dass in allen drei Gerichtszweigen ein Bedürfnis bestehe, dass die Bundesregierung in Revisionsverfahren zu Wort kommen könne52. In Anpassung an die Regelung in der Finanzgerichtsbarkeit sollte die Beiladungspflicht dabei in ein Beitrittsrecht des Bundesministers für Arbeit

VöI, DVBl. 1981, 953 (956). VöI, DVBl. 1981, 953 (956). 48  B. Schäfer, Beiladung, S. 82. 49  U. Becker, Soziales Entschädigungsrecht, S. 189. 50  E. Hofherr, Staatliche Organe, S.  75; Jansen/H. Frehse, SGG, § 75 Rn. 6; H. Loytved, SGG und Kostenrecht, S. 28; G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (124 f.); Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt, SGG § 75 Rn. 9; Roos/Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 39; B. Schäfer, Beiladung, S. 82 f.; BT-Drucks. I/4357, Änderungsvorschlag zu Nr. 12 des Änderungsvorschlags des Bundesrats. 51  B. Schäfer, Beiladung, S. 82 f; BT-Drucks. I/4357, Änderungsvorschlag zu Nr. 12 des Änderungsvorschlags des Bundesrats. 52  BR-Drucks. 100/82, S. 84. 46  C. H. Ule, 47  C. H. Ule,

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

und Soziales umgewandelt werden53, wobei insoweit beachtet werden muss, dass auch gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG der Beitritt nur auf Antrag des Bundes stattfindet, was in der Sache einem Beteiligungsrecht gleichkommt. Dennoch deutet diese beabsichtigte Angleichung des Wortlauts auf einen Gleichlauf des Zwecks beider Regelungen hin. Als Grund für die Begrenzung auf den speziellen Bereich des sozialen Entschädigungsrechts nannte der Gesetzgeber dabei die Besonderheit, dass der Bund auf diesem Gebiet überwiegend der einzige Kostenträger ist oder sich zumindest an den Kosten, welche die Länder tragen, beteiligt54. Darüber hinaus führte er an, dass Gerichtsentscheidungen in diesem Bereich finanzielle Auswirkungen haben können, die deutlich über den ihnen zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehen55. Aus diesen Gründen ist es überzeugend, von einem Verständnis der Beteiligungspflicht der Bundesrepublik gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG auszugehen, wonach diese einem ähnlichen Zweck dienen soll wie der VöI gemäß §§ 35– 37 VwGO im Verwaltungsprozess oder das Beitrittsrecht des Bundesministeriums der Finanzen gemäß § 122 Abs. 2 FGO im Finanzgerichtsverfahren56. d) Erklärung für die von der Einrichtung des VöI abweichende Regelung in der Sozialgerichtsbarkeit Bei der Untersuchung, warum das Beitrittsrecht gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren von der Einrichtung des VöI im allgemeinen Verwaltungsgerichtsprozess abweicht, ist zwischen zwei Dimensionen zu differenzieren, in denen sich beide unterscheiden. Zum einen handelt es sich um ein direktes Beteiligungsrecht des Bundes im Unterschied zur Unterhaltung einer gesonderten Einrichtung zur Vertretung des öffentlichen Interesses. Zum anderen ist der Geltungsbereich von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG inhaltlich auf das soziale Entschädigungsrecht begrenzt. aa) Gründe für die Ausgestaltung als Beitrittsrecht Die Regelung in § 75 Abs. 1 S. 2 SGG ist ihrer Rechtsnatur nach dadurch näher an § 122 Abs. 2 FGO als an der Regelung in der VwGO, dass sie eine direkte Beteiligung statuiert, die in der Praxis durch das Bundesministerium ausgeübt wird. Genauso wie in der Finanzgerichtsbarkeit dürfte der Grund 53  BR-Drucks.

100/82, S. 96. 100/82, S. 96. 55  BR-Drucks. 100/82, S. 96. 56  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 75; G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (124 f.); Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt, SGG § 75 Rn. 9; Roos/Wahrendorf/E. Straßfeld, SGG, § 75 Rn. 39. 54  BR-Drucks.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten93

dafür auch in der Sozialgerichtsbarkeit darin liegen, dass dort von sämtlichen Verfahren inhaltlich nur das Ressort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betroffen ist, weswegen die Einrichtung einer selbständigen und unabhängigen Stelle wie eines VöI zu aufwändig und deshalb unzweckmäßig wäre57. Für die Sozialgerichtsbarkeit hat der Gesetzgeber es als ausreichend angesehen, dass das öffentliche Interesse grundsätzlich durch die am Verfahren beteiligten Behörden vertreten wird58. Die Einrichtung eines besonderen VöI wäre als Zeichen des Misstrauens gegenüber diesen verstanden worden59. Für besondere Ausnahmefälle hat man als Ausgleich für den fehlenden VöI das Beitrittsrecht gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG eingeführt60. Wie in den finanzgerichtlichen Verfahren bildet auch den materiell-rechtlichen Gegenstand der Sozialgerichtsbarkeit ein begrenzter Bereich des Sonderverwaltungsrechts61. Zudem gelten auch hier die Ausführungen zu den zugrunde liegenden „typisierten“ Interessenlagen, die hier darin bestehen, dass der Bürger vom Staat regelmäßig den Erhalt bestimmter Versicherungs- oder Versorgungsleistungen begehrt, weswegen die Gemengelage betroffener öffentlicher Interessen deutlich weniger komplex ausfällt als in allgemeinen Verwaltungsgerichtsverfahren62. bb) Erklärung für die inhaltliche Begrenztheit von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG auf das soziale Entschädigungsrecht Sucht man nach dem Grund dafür, dass § 75 Abs. 1 S. 2 SGG nur auf Verfahren, die das soziale Entschädigungsrecht zum Gegenstand haben, Anwendung findet, so ist als Ausgangspunkt auf den Zweck eines jeden Prozesses zu verweisen, das materielle Recht durchzusetzen63. Wesen des Verfahrensrechts ist es nämlich, bestimmte Verfahren zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe das materielle Recht verwirklicht werden kann64. Anhand dieser 57  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237). 58  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S.  148; Peters/Sautter/Wolff/ H. Hommel, Sozialgerichtsbarkeit, § 69 Anm. 1 (3. Auf., 8. Nachtrag). 59  Peters/Sautter/Wolff/H. Hommel, Sozialgerichtsbarkeit, § 69 Anm. 1 (3. Auf., 8. Nachtrag). 60  Peters/Sautter/Wolff/H. Hommel, Sozialgerichtsbarkeit, § 69 Anm. 1 (3. Auf., 8. Nachtrag). 61  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236). 62  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237). 63  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 2, 7; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 78. 64  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 78.

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

zentralen Aufgabe muss das Prozessrecht ausgelegt werden65. Hieraus folgt, dass der Grund für wesentliche prozessuale Eigenarten regelmäßig in dem materiellen Rechtsgebiet zu finden ist, dem eine bestimmte Prozessart zur Durchsetzung verhelfen soll66. (1) S  inn und Zweck sowie systematische Einordnung des sozialen Entschädigungsrechts Wendet man diesen Grundsatz auf § 75 Abs. 1 S. 2 SGG an, stellen einen ersten Ansatzpunkt dabei Sinn und Zweck des sozialen Entschädigungsrechts dar: Obwohl es sich hierbei um ein Randgebiet des Sozialrechts handelt, liegt seine Bedeutung darin, dass sich in ihm eine besondere Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung widerspiegelt, die auch nicht aus den Grundsätzen des sonstigen Sozialrechts entspringt67. Diese Verantwortung beruht generell auf einer Herbeiführung besonderer Opfer oder der Wahrung des gesellschaftlichen Friedens sowie der Rechtsordnung68. Regelmäßig liegen der Anwendung des sozialen Entschädigungsrechts Gefahrensituationen zugrunde, die sich jenseits der Beherrschbarkeit durch den Staat befinden und dabei eine Vielzahl von Personen betreffen, die nicht abgrenzbar ist69. In systematischer Hinsicht ist das soziale Entschädigungsrecht mit dem Staatshaftungsrecht sowie mit dem zivilrechtlichen Haftungsrecht verwandt, sodass hier der Staat aufgrund der Schädigung einer Person unmittelbarer Kostenschuldner ist70. Die sozialrechtliche Haftung ist dabei aber insoweit weiter als diejenige auf dem Gebiet des Staatshaftungsrechts, als diese auch Konstellationen umfasst, in denen das Staatshaftungsrecht aufgrund mangelnder Zurechenbarkeit ausscheidet71. Aus diesen Erkenntnissen folgt, dass auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts eine besonders weite Verantwortung des Staates besteht, welche insbesondere nicht vorhersehbare Sonderkonstellationen erfasst, die aber wegen der typischerweise vorliegenden Betroffenheit Vieler für die Allgemeinheit Signalwirkungen haben können. Aus dieser besonders haftungsträchtigen Konstellation resultiert ein besonderes Interesse des Bundes als Kostenschuldner, sich direkt an Verfahren auf diesem Gebiet zu beteiligen. 65  J. J. Nolte,

Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 78. Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (329). Soziales Entschädigungsrecht, S. 18 f. Soziales Entschädigungsrecht, S. 189. Soziales Entschädigungsrecht, S. 92. Soziales Entschädigungsrecht, S. 19. Soziales Entschädigungsrecht, S. 189.

66  O. Jauernig, 67  U. Becker, 68  U. Becker, 69  U. Becker, 70  U. Becker, 71  U. Becker,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten95

(2) Historische Entwicklung des sozialen Entschädigungsrechts Ein zweiter Erklärungsansatz stellt auf die Historie des sozialen Entschädigungsrechts sowie des SGG ab: Zur Zeit der Entstehung von § 75 Abs. 1 S. 2 SGG in den 1950er Jahren wurde das Sozialrecht im Wesentlichen in zwei verschiedene Kategorien eingeteilt, nämlich in allgemeine Schicksalsfälle des Lebens sowie in Kriegsfolgen72. Dies trug der Tatsache Rechnung, dass in der damaligen Zeit der Alltag viel stärker durch Kriegsversehrte und deren Bedürfnisse geprägt wurde, als dies heutzutage der Fall ist73. Die damals viel größere Bedeutung dieses Rechtsgebiets wird bereits daran ­ ­deutlich, dass in den 1950er Jahren ungefähr 3,6 Millionen Menschen Leistungen aufgrund des Kriegsopferentschädigungsrechts erhielten, während im Jahr 2013 83.000 Menschen Leistungen aufgrund des BVG in Anspruch nahmen74. Die Bedeutung dieser geschichtlichen Komponente ist besonders vor dem Hintergrund nicht zu unterschätzen, dass das Entschädigungsrecht und das gesamte Sozialrecht zu großen Teilen durch historische Entwicklungen und politische Gegebenheiten geprägt worden sind75. (3) E  ntbehrlichkeit einer besonderen Vertretung des öffentlichen Interesses in den übrigen Bereichen des Sozialrechts Insbesondere diese historischen Gründe, aber auch Sinn und Zweck sowie Systematik des sozialen Entschädigungsrechts stellen Erklärungsansätze für den Befund dar, dass sich das Beteiligungsrecht der Bundesrepublik gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG nur auf diesen praktisch untergeordneten Randbereich des Sozialrechts beschränkt. Trotz des Bedeutungsverlustes dieses Rechtsgebiets hat der Gesetzgeber weder diese Rechtsfigur auf andere Bereiche des Sozialrechts ausgedehnt noch einen VöI für die Sozialgerichtsbarkeit geschaffen. Zwar hielt bei Schaffung der Sozialgerichtsbarkeit der Bundesrechnungshof noch die Einführung eines VöI für diese für erforderlich76. Hiervon sah der Gesetzgeber aber ab, weil seiner Meinung nach auf einem wesentlichen Teilgebiet des materiellen Sozialrechts, dem Recht der Sozialversicherungen, der VöI mit dem dort geltenden Versicherungsprinzip nicht vereinbar war und zudem der Staat die Mittel zwar für die Rentenversicherung, aber nicht für die Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung beSoziales Entschädigungsrecht, S. 16. Soziales Entschädigungsrecht, S. 16 f. 74  U. Becker, Soziales Entschädigungsrecht, S. 17. 75  U. Becker, Soziales Entschädigungsrecht, S. 18. 76  Peters/Sautter/Wolff/H. Hommel, Sozialgerichtsbarkeit, § 69 Anm. 1 (3. Auf., 8. Nachtrag). 72  U. Becker, 73  U. Becker,

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

reitstellt77. Nichtsdestotrotz gibt es in Gestalt der Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende sowie der Sozialhilfe, für welche die Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4a, Nr. 6a SGG zuständig sind, praktisch bedeutende Rechtsgebiete der Leistungsverwaltung, für deren Kosten der Staat aufkommt, ohne dass eine besondere Institution oder Rechtsfigur zur Vertretung des öffentlichen Interesses eingerichtet ist. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber aber trotz des Bedeutungsverlusts des sozialen Entschädigungsrechts das Beteiligungsrecht gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGG nicht auf alle anderen Gebiete des Sozialrechts ausgedehnt hat, für deren Finanzierung der Staat aufkommen muss, was insoweit einem Gleichlauf mit § 122 Abs. 2 FGO und § 35 VwGO entspräche, deutet darauf hin, dass er eine solche Erweiterung für entbehrlich gehalten hat. Legt man ein besonderes Augenmerk auf die historische Entwicklung des SGG, so ergibt sich der Eindruck, dass die Existenz dieser Rechtsfigur in ihrer jetzigen Gestalt vor allem historisch bedingt ist, eine weitergehende Notwendigkeit für sie aber nicht besteht. Stellt man entsprechend der Äußerung des Gesetzgebers eher den besonderen inhaltlichen Charakter des sozialen Entschädigungsrechts, dass sich dieses durch besondere finanzielle Folgen auszeichnet, die weit über den konkreten Einzelfall hinausgehen und fast ausschließlich den Bund treffen, in den Mittelpunkt78, dann stellt dies zwar eine überzeugende Rechtfertigung für die aktuelle Regelung in § 75 Abs. 1 S. 2 SGG dar. Die Tatsache, dass diese aber nicht auf die übrigen praktisch bedeutenderen Bereiche des Sozialrechts ausgeweitet worden ist, zeigt jedoch, dass diese Teilgebiete des besonderen Verwaltungsrechts grundsätzlich ohne ein Äquivalent zum VöI auskommen. 3. Ordentliche Gerichtsbarkeit Im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit stellt die Staatsanwaltschaft ein staatliches Organ der Exekutive mit wesentlichen Rechtspflegefunktionen dar, das öffentliche Interessen wahrnimmt79. a) Strafprozess Das wesentliche Tätigkeitsfeld der Staatsanwaltschaft lag immer im Strafprozess80. Dabei hat sie gemäß § 150 GVG eine von den Gerichten unabhän77  Peters/Sautter/Wolff/H. Hommel, Sozialgerichtsbarkeit, § 69 Anm. 1 (3. Auf., 8. Nachtrag). 78  BR-Drucks. 100/82, S. 96. 79  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 146; E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27 f.; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 8.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten97

gige und diesen gleichgeordnete Stellung81. Die Staatsanwälte sind aber gemäß § 146 GVG an dienstliche Anweisungen ihrer Vorgesetzten gebunden, wobei diese gemäß § 147 Nr. 1, Nr. 2 GVG auch in Form eines externen Weisungsrechts von Seiten des Bundesjustizministers oder eines Landesjustizministers erfolgen können82. Aufgrund ihres Charakters als Organ der Rechtspflege fällt diese Bindung an die Weisungen von Vorgesetzten jedoch nicht so streng aus wie bei Beamten in anderen Bereichen der Staatsverwaltung83. Die Staatsanwälte sind aber anders als die Richter in sachlicher und persönlicher Hinsicht wegen dieser Weisungen nicht unabhängig84. aa) Funktion der Staatsanwaltschaft im Strafprozess Die Funktionen der Staatsanwaltschaft lassen sich in eine Anklage- und Ermittlungsfunktion sowie in eine Vertretungsfunktion der Anklage im Hauptverfahren und in eine Vollstreckungsfunktion einteilen85. (1) Ermittlungs- und Anklagefunktion Kernfunktion der Staatsanwaltschaft ist gemäß §§ 152 Abs. 1, 170 Abs. 1 StPO diejenige der Anklagebehörde, wobei ihr insoweit sogar eine Monopolstellung zukommt86. Um eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zu gewinnen, ob und wie diese öffentliche Klage zu erheben ist, muss die Staatsanwaltschaft gemäß § 160 Abs. 1 StPO den zugrundeliegenden Sachverhalt hinreichend ermitteln, weswegen sie auch die Durchführung des Ermittlungsverfahrens leitet87. Ihr kommt mithin die Funktion zu, den Tatsachenstoff, der Gegenstand des Strafverfahrens werden soll, zu sammeln und in das gerichtliche Verfahren einzuführen88. Dabei nimmt sie eine objektive Stellung ein, weswegen sie alle be- und entlastenden Umstände untersuchen und be80  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27; Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 1, 6. 81  Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 46; Meyer-Goßner/ Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 1. 82  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (336  f.); W. Beulke/ S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 142. 83  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 26. 84  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 26. 85  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 131. 86  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn.  46, 132; Löwe-Rosenberg/ H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 43. 87  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn.  132; Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 43; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 11. 88  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 94.

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

rücksichtigen muss89. Diese Tätigkeit der Staatsanwaltschaft ist darauf gerichtet, die Rechtsprechung durch die Strafgerichte zu ermöglichen90. Aufgrund dieser die unmittelbare Rechtsverwirklichung anstrebenden Arbeitsweise wird die Rolle der Staatsanwaltschaft auch als diejenige eines Mittlers zwischen Exekutive und Judikative beschrieben91. Die herausragende Bedeutung dieser Tätigkeit der Staatsanwaltschaft für das gesamte Strafverfahren wird vor allem anhand der Geltung des Akkusationsprinzips deutlich, wonach die Anklageschrift den Gegenstand des konkreten Strafverfahrens festlegt92 und das Gericht seinem Urteil nur Taten zugrunde legen darf, welche die Staatsanwaltschaft vorher angeklagt hat93. Hieran zeigt sich, dass es im Wesentlichen die Staatsanwaltschaft ist, die ein gerichtliches Verfahren initiiert94. Ohne die Beteiligung der Staatsanwaltschaft ist die Durchführung eines Strafverfahrens vor Gericht grundsätzlich gar nicht möglich, was ein bedeutender Unterschied zur Stellung des VBI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist95. Dennoch wäre es verfehlt, von einer Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft über das Strafverfahren zu sprechen. Aufgrund des in §§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 2 StPO enthaltenen Legalitätsprinzips steht es nämlich nicht im Ermessen der Staatsanwaltschaft, Ermittlungen aufzunehmen und Anklage zu erheben, sondern es ergibt sich abhängig vom Bestehen eines jeweils ausreichenden Verdachtsgrades eine Handlungspflicht96. Eine eng umgrenzte Möglichkeit, über das Verfahren zu disponieren, räumt das Gesetz der Staatsanwaltschaft nur ausnahmsweise als Opportunitätsprinzip in §§ 153–154f StPO ein97. Aufgrund des die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft prägenden Legalitätsprinzips und ihres Anklagemonopols wird diese auch als „Wächter des 89  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn.  132; Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 48; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 11. 90  Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 3; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 8. 91  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (335); Meyer-Goßner/ Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 7; C. Roxin, Rechtstellung der Staatsanwaltschaft, DRiZ, 1997, 109 (114). 92  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 49. 93  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 48; Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 46. 94  MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 9. 95  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (152). 96  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 47; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 3. 97  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 47; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 3.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten99

Gesetzes“ bezeichnet98. Wie der Begriff des „Wächters“ andeutet, wird der Staatsanwaltschaft dabei gerade eine Kontrollfunktion zugedacht, die sich sogar auf die Gerichte erstreckt99. Grund hierfür sind historische Erfahrungen mit richterlicher Willkür in früheren Inquisitionsverfahren, die durch das Ziel einer möglichst zweckmäßigen und effektiven Bekämpfung von Kriminalität motiviert waren100. Diese Inquisitionsverfahren zeichneten sich dadurch aus, dass bei den Strafgerichten neben der Entscheidung auch das Initiativrecht sowie die alleinige Kompetenz zur Ermittlung des Sachverhalts konzentriert waren101. Die Staatsanwaltschaft wird durch diese Kontrollfunktion zu einem Mittel der Absicherung, dass sich die Strafgerichte alleine von ihrer Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und nicht von gegenläufigen Zweckmäßigkeitserwägungen leiten lassen102. Das öffentliche Interesse, das die Staatsanwaltschaft im Strafverfahren wahrnimmt, richtet sich demnach sowohl auf eine gerechte Verfolgung von Straftaten als auch auf eine richtige Entscheidung durch das Gericht103. Die Unabhängigkeit und Neutralität der Strafgerichte soll durch eine Aufteilung von Strafverfolgung und Aburteilung auf zwei verschiedene Organe des Staates gewährleistet werden, sodass dieses öffentliche Interesse von Staatsanwaltschaft und Gerichten nebeneinander wahrgenommen werden soll104. Hinter diesem Kontrollgedanken steht das Prinzip der Gewaltenteilung105. Ausdruck dieser kontrollierenden Stellung gegenüber den Gerichten im Strafverfahrensrecht ist auch das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft106. Diese Ermittlungs- und Anklagefunktion stellt einen wesentlichen Teil der staatsanwaltlichen Tätigkeit dar. Zieht man einen Vergleich zum VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, so kommt diesem keine derart weitreichende Aufgabe zu107. Während damit die Einleitung eines Strafprozesses ohne Vertretung des öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft un98  BVerfGE 133, 168 (220); W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 146; K. H. Gössel, Stellung der StA, GA128 (1980), 325 (337); Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 40; Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 3; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 2; C. Roxin, Rechtstellung der Staatsanwaltschaft, DRiZ, 1997, 109 (114). 99  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (337, 341). 100  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (327, 337 f., 341). 101  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (327). 102  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (340). 103  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 104  Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 39. 105  MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 9. 106  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (341); E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 107  G. Nibbe, VöI im besonderen Verwaltungsverfahren, S. 94.

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

möglich ist, tritt der VöI in einem Verwaltungsgerichtsprozess nur optional zu den Hauptbeteiligten hinzu. Aufgrund der Geltung des Dispositionsgrundsatzes unterliegt die Frage der Einleitung und Durchführung des Verfahrens der Entscheidung durch Kläger und Beklagten als Hauptbeteiligte108, wobei diese den Streitgegenstand bindend für das Gericht und übrige Verfahrensbeteiligte festlegen109. (2) Prozessuale Rechte der Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren Neben der gerade beschriebenen, den Prozess vorbereitenden Tätigkeit wirkt die Staatsanwaltschaft aber auch am Prozess selbst mit. Ausdruck ihrer ebenfalls in der Hauptverhandlung starken Stellung ist die Regelung in § 226 Abs. 1 StPO, wonach diese ohne Anwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft gar nicht stattfinden kann. Eine für das Strafverfahren zwingende Handlung ist zudem das Verlesen des Anklagesatzes durch sie gemäß § 243 Abs. 3 StPO110. Einen nicht weniger essentiellen Charakter für das Verfahren hat das Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft gemäß § 258 Abs. 1 StPO einschließlich der Stellung bestimmter Anträge111. Diese kann dabei eine bestimmte Verurteilung, aber auch einen Freispruch oder die Erhebung weiterer Beweise beantragen112. Zu den prozessualen Rechten der Staatsanwaltschaft während der Hauptverhandlung zählen das Fragerecht gemäß § 240 Abs. 2 S. 1 StPO und das Beweisantragsrecht gemäß §§ 244 ff. StPO113. Darüber hinaus ist sie gemäß § 296 Abs. 1 StPO befugt, Rechtsmittel (Beschwerde gemäß § 304, § 311 sowie § 310 StPO, Berufung gemäß §§ 312 ff. StPO und Revision gemäß §§ 333 ff. StPO) einzulegen, und zwar sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Angeklagten114. 108  Eyermann/K. Rennert, VwGO, § 88 Rn. 2; Gärditz/N. Wimmer, VwGO, § 86 Rn. 4; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 35 Rn. 24; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 86 Rn. 2; Redeker/von Oertzen/P. Kothe, VwGO, § 86 Rn. 4; W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 19. 109  Eyermann/K. Rennert, VwGO, § 88 Rn. 2; Gärditz/N. Wimmer, VwGO, § 86 Rn. 4; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 35 Rn. 24; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 81 Rn. 1, § 90 Rn. 7; Redeker/von Oertzen/P. Kothe, VwGO, § 86 Rn. 4; W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 19. 110  Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmidt, StPO, § 243 Rn. 13. 111  Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmidt, StPO, § 258 Rn. 10. 112  Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmidt, StPO, § 258 Rn. 10. 113  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn.  133; Meyer-Goßner/Schmitt/ B. Schmidt, StPO, § 244 Rn. 30. 114  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 133; Löwe-Rosenberg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 49; Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmidt, StPO, § 296 Rn. 2; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 13.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten101

Die Staatsanwaltschaft als Gegner des Angeklagten zu bezeichnen115, trifft insoweit auf Bedenken, als diese aufgrund ihrer Rechtsnatur als Rechtspflegeorgan nicht als Partei des Verfahrens angesehen werden kann, sondern als bloße Verfahrensbeteiligte116. Ihr Wirken ist auch in der Hauptverhandlung darauf gerichtet, den Richter dabei zu unterstützen, die dem konkreten Fall zugrunde liegenden Tatsachen zutreffend zu ermitteln sowie ein materiell gerechtes Resultat zu erzielen, wobei sie Umstände, die den Beschuldigten be- und entlasten, in gleicher Weise berücksichtigen muss117. Demgegenüber würde sich eine prozessuale Stellung als Partei dadurch auszeichnen, dass das Auftreten im Wesentlichen durch eine im jeweils konkreten Fall als zweckmäßig erachtete Verfolgung eigener Interessen gekennzeichnet ist118. Hierdurch zeigt sich, dass die Rolle der Staatsanwaltschaft auch in der Hauptverhandlung durch ein hohes Maß an Objektivität allein zu Gunsten der materiellen Gerechtigkeit geprägt ist119. Auf diese Weise sowie mit Hilfe der vorgenannten Ausgestaltung der prozessualen Befugnisse soll die Staatsanwaltschaft insbesondere ihre Kontrollfunktion gegenüber dem Gericht ausüben können120. (3) Vollstreckungsfunktion Eine weitere Funktion der Staatsanwaltschaft ist in derjenigen einer Strafvollstreckungsbehörde gemäß §§ 36 Abs. 2, 451, 463 StPO zu sehen. bb) Gründe für die Bedeutung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren Die besondere Bedeutung der Staatsanwaltschaft als Vertreter des öffent­ lichen Interesses im Strafverfahren lässt sich ebenfalls anhand der Verfahrensziele sowie der Zwecke des materiellen Strafrechts erklären: Der Zweck der Strafe besteht nach heute teilweise vertretener Auffassung darin, dass die Allgemeinheit die Norm, die durch die Straftat verletzt worden ist, auch 115  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (152); Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 3. 116  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (337); Löwe-Rosen­ berg/H. H. Kühne, StPO, Einl. Abschn. J Rn. 54; Meyer-Goßner/Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 8; MüKo/H. Brocke, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 13. 117  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (337); Meyer-Goßner/ Schmitt/B. Schmitt, StPO, GVG Vor § 141 Rn. 8. 118  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (337). 119  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (341). 120  K. H. Gössel, Stellung der StA, GA 128 (1980), 325 (341).

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

weiterhin als verbindlich ansieht, weswegen dem Straftäter durch den Staat ein Übel in Form der Strafe widerfährt, das der Bedeutung der Normverletzung entspricht121. Die Strafe soll verhindern, dass die Normverletzung einen Vorbildcharakter für andere Mitglieder der Gesellschaft erhält122. Auch unter Zugrundelegung der sogenannten Vereinigungslehre, die unterschiedliche Strafzwecke berücksichtigt, wird es als allgemeine Aufgabe des Strafrechts bezeichnet, fundamentale Werte des Lebens in der Gesellschaft zu schützen123. Das Strafrecht soll dabei das Gemeinwohl verwirklichen, indem es bestimmte Rechtsgüter des Einzelnen oder der Allgemeinheit schützt und damit ein „friedliches und gedeihliches Zusammenleben“ ermöglicht124. Der zu einem eventuellen zivilrechtlichen Schutz hinzutretende Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht dient also der Bewährung der allgemeinen gesellschaftlichen Ordnung125. Hiervon ausgehend soll das Strafverfahren den durch Normverletzung entstandenen staatlichen Strafanspruch feststellen und durchsetzen, indem eine gerichtliche Entscheidung erzielt wird, die der materiellen Rechtslage entspricht126. Zudem ist es Funktion des Strafverfahrens, für diesen Vorgang, der mit schwerwiegenden Eingriffen in Leben und Rechte des Beschuldigten verbunden ist, einen rechtstaatlichen Prozess zu gewährleisten und durch die an seinem Ende stehende Entscheidung Rechtsfrieden zu erzeugen127. Diese vorgenannten Zwecke dienen primär nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte, sondern der Beachtung des materiellen Strafrechts als Teil der objektiven Rechtsordnung128. Zwar korrespondiert mit dem Strafmonopol des Staates ein Justizgewährleistungsanspruch des einzelnen Bürgers129. Dieser ist aber inhaltlich gerade kein Anspruch auf Einleitung eines konkreten Strafverfahrens, sondern richtet sich lediglich im äußersten Fall generell auf die Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung130. Diese objektive AusStrafrecht AT, 2. Kapitel Rn. 27. Strafrecht AT, 2. Kapitel Rn. 23. 123  BVerfGE 45, 187 (253); B. Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 3. 124  B. Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 3; V. Krey/R. Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn.  5 f.; J. Wessels/W. Beulke/H. Satzger, Strafrecht AT, § 1 Rn. 8 f. 125  R. Schmidt, Strafrecht AT, Rn. 2; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 2. 126  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 8. 127  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 10 f. 128  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 11. 129  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 8. 130  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 8; J. Wessels/W. Beulke/H. Satzger, Strafrecht AT, § 1 Rn. 10. 121  H. Frister, 122  H. Frister,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten103

richtung des Strafverfahrensrechts ist ein wesentlicher Unterschied zu den sonstigen Verfahrensordnungen im deutschen Rechtssystem131. Um diesen Funktionen in prozessualer Hinsicht Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber im Strafverfahren von der Geltung der Dispositionsmaxime abgesehen und stattdessen eine besondere Behörde in Form der Staatsanwaltschaft eingerichtet, der er in Form eines Anklagemonopols die Initiative zur Einleitung eines konkreten Verfahrens sowie die Festlegung des Verfahrensgegenstandes übertragen hat132. Dabei ist die Staatsanwaltschaft als Folge dieser Monopolisierung durch das Legalitätsprinzip grundsätzlich verpflichtet, bei Vorliegen bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen ein Verfahren durch Anklageerhebung einzuleiten133. Aus §§ 155 Abs. 2, 160 Abs. 2 und 244 Abs. 2 StPO ergibt sich, dass zudem im Strafverfahren der Ermittlungsoder Untersuchungsgrundsatz gilt, wonach die mit der Strafverfolgung betrauten staatlichen Organe den wahren Sachverhalt von Amts wegen untersuchen und ermitteln müssen134. b) Zivilprozess Anders als nach der gegenwärtigen Gesetzeslage konnte die Staatsanwaltschaft früher in einigen bestimmten Verfahren auch im Zivilprozess auftreten135. aa) Befugnisse der Staatsanwaltschaft im Zivilprozess Dies betraf sowohl die streitige als auch die freiwillige Zivilgerichtsbarkeit. Diese Befugnisse hat der Gesetzgeber aber im Zeitraum zwischen den Jahren 1961 und 1998 schrittweise fast vollständig beseitigt136. Auch hier bestand die wesentliche Funktion der Staatsanwaltschaft darin, öffentliche Interessen wahrzunehmen137. Ihre Rolle im Zivilprozess war damit mit der­ jenigen des VöI im Verwaltungsgerichtsverfahren verwandt138. Dies betraf Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 11. Strafprozessrecht, Rn. 46; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 25. 133  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 47; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 25. 134  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 51. 135  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (556). 136  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 273 f.; E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (543). 137  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 138  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 146. 131  W. Grunsky,

132  W. Beulke/S. Swoboda,

104

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

solche Verfahren, in denen von den Parteien, also den beteiligten Bürgern, nicht erwartet werden konnte, mit den von ihnen gestellten Anträgen selbst diese öffentlichen Interessen hinreichend zu vertreten139. (1) Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes Bis in die 1960er Jahre hinein hatte die Staatsanwaltschaft noch das Recht, die Ehelichkeit eines Kindes gemäß § 1595a BGB a. F. anzufechten und im Bereich des Aktienrechts gegen zu hohe Gewinnbeteiligungen von Vorstandsund Aufsichtsratsmitgliedern zu klagen140. (2) Klagebefugnis im Rahmen des Entmündigungsverfahrens Bis Anfang der 1990er Jahre hatte die Staatsanwaltschaft ein Initiativrecht in Form einer Klagebefugnis im Rahmen des Entmündigungsverfahrens wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche gemäß §§ 645 ff. ZPO a. F.141. In beiden Verfahrensarten konnte sie Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen142. Aufgrund von Art. 4 Nr. 7 des Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (BtG) vom 12. September 1990143 ist der gesamte ehemalige vierte Abschnitt des sechsten Buches der ZPO gestrichen worden, wodurch sämtliche Befugnisse der Staatsanwaltschaft auf dem Gebiet des Betreuungsrechts zum 1. Januar 1992 (Art. 11 BtG) entfallen sind. Grund für diese Reform war eine Änderung des gesellschaftlichen Menschenbildes dahingehend, dass eine Verminderung der Fähigkeit, eigene Rechtsgeschäfte zu besorgen, nicht mehr vorrangig ein regelungsbedürftiges Problem für den Rechtsverkehr darstellen sollte, weswegen die bis dahin geltenden Vorschriften über die Entmündigung immer mehr als für behinderte oder ältere Menschen diskriminierend betrachtet wurden144.

139  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (152 f.). 140  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (543). 141  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 30 f; H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP, 104 (1991), 11 (46); H. Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 113; U. Kühne, Amicus Curiae, S. 274; E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (543). 142  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 30. 143  BGBl. 1990 Teil I, 2002. 144  T. Rauscher, Familienrecht, Rn. 34.



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten105

Nach heute geltendem Recht ist allerdings gemäß § 274 Abs. 3 FamFG die zuständige Behörde in Betreuungssachen auf Antrag Verfahrensbeteiligte. Eine solche behördliche Beteiligungsbefugnis war zur Zeit der Geltung der früheren Rechtslage gemäß § 646 ZPO a. F. hingegen unbekannt. (3) Befugnis zur Erhebung der Ehenichtigkeitsklage Bis zum Jahr 1998 war die Staatsanwaltschaft zudem gemäß §§ 24 Abs. 1 EheG, 634 ff. ZPO a. F. für die Erhebung von Ehenichtigkeitsklagen zuständig145. Auch hierbei hatte sie ein Initiativrecht in Form einer Klagebefugnis gemäß § 634 ZPO a. F., welches der Bundesgerichtshof im Wege einer Analogie auf Ehefeststellungsklagen gemäß § 638 ZPO a. F. erweiterte146. Hinter diesen Befugnissen stand der Gedanke, dass die Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse daran vertrat, dass die Durchsetzung des jeweils betroffenen Rechts nicht allein den unmittelbar Beteiligten zustehen sollte, zumal gerade die Ehe als eine durch das Recht geschützte Institution angesehen wurde, die über den Rechtskreis der Verfahrensbeteiligten hinauswirkt147. Darüber hinaus konnte der Staat aber wegen möglicher staatlicher Unterhaltspflichten in solchen Verfahren auch eigene Interessen verfolgen148. Durch Art. 3 Nr. 8 des Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (EheschlRG)149 vom 4. Mai 1998 wurden diese Befugnisse gemäß Art. 18 Abs. 3 EheschlRG mit Wirkung zum 1. Juli 1998 außer Kraft gesetzt. Die Abschaffung der Beteiligungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft als Vertreter des öffentlichen Interesses auf dem Gebiet des Eheschließungsrechts könnte darauf hindeuten, dass die diesem Rechtsgebiet zugrunde liegenden gesellschaftlichen Wertvorstellung sich dahingehend verändert haben, dass ein wesentliches, über den Lebenskreis der unmittelbar vom Verfahren Betroffenen hinausgehendes öffentliches Interesse nicht mehr anerkannt wird. In Bezug auf die Ehe wird auch von einer „Ent-Institutionalisierung“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesprochen, als deren Ergebnis die

145  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 29; H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (46); H. Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 113; U. Kühne, Amicus Curiae, S. 274; E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (543). 146  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 29 f; U. Kühne, Amicus Curiae, S. 274. 147  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (46); U. Kühne, Amicus Curiae, S. 289; H. Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 113. 148  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (46). 149  BGBl. 1998 Teil I Nr. 25, 833.

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

Institutionsgarantie in Art. 6 Abs. 1 GG nur noch einen „Ordnungskern als Mindestbestand an ehelichen Strukturprinzipien“ schützt150. Zu beachten ist aber, dass nach heute geltendem Recht gemäß § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verwaltungsbehörde berechtigt ist, die Aufhebung einer Ehe durch richterliche Entscheidung gemäß § 1313 BGB zu beantragen, wenn bestimmte gesetzlich normierte Aufhebungsgründe vorliegen. Eine derartige Beteiligung der Behörden war nach der alten Rechtslage gemäß §§ 24 Abs. 1 EheG, 634 ff. ZPO a. F. nicht vorgesehen. (4) Beteiligung in Verschollenheitssachen Im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit kann sich die Staatsanwaltschaft auch heute noch in Verschollenheitssachen beteiligen151, und zwar sowohl bei Verfahren im Fall von Todeserklärungen (§ 16 Abs. 2 lit. a ­VerschG) als auch bei solchen, die die Feststellung des Todeszeitpunkts zum Gegenstand haben (§§ 40 i. V. m. 16 Abs. 2 lit. a VerschG)152. Die prozessualen Befugnisse umfassen hier ebenfalls im Wesentlichen ein Initiativrecht sowie ein Antragsrecht und eine Berechtigung, Rechtmittel einzulegen153. bb) Bedeutung der Beteiligung an zivilgerichtlichen Verfahren für die Arbeit der Staatsanwaltschaft in der Praxis Die bereits in den 1970er Jahren praktisch geringe Bedeutung zivilrecht­ licher Verfahren für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft wird an folgendem von E. Hofherr im Jahr 1980 eruierten Beispiel der Staatsanwaltschaft Heilbronn deutlich: In der Zeit von 1975 bis 1977 betrug der Anteil der Zivil­ sachen an den insgesamt von der Staatsanwaltschaft bearbeiteten Sachen ungefähr 0,5 Prozent154. Die meisten Fälle waren dabei Verschollenheits­ sachen, wobei die Staatsanwaltschaft in diesem Bereich nicht selbst im Prozess tätig wurde, sondern die Verfahren durch Privatpersonen initiiert und dann gemäß § 22 VerschG der Staatsanwaltschaft zugeleitet wurden155. Stellt man auf das aktive Auftreten der Staatsanwaltschaft im Prozess ab, hatten Entmündigungssachen von allen zivilrechtlichen Verfahren für diese die

Familienrecht, Rn. 34. Amicus Curiae, S. 274. 152  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 31. 153  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 32. 154  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 36. 155  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 34. 150  T. Rauscher, 151  U. Kühne,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten107

größte praktische Bedeutung156. Allerdings ging diese Aktivität in der Regel nicht über die Antragstellung hinaus157. Damit lässt sich allgemein feststellen, dass eine Beteiligung staatlicher Organe am Zivilprozess lediglich im Rahmen von eng umgrenzten Sonderrechtsgebieten stattgefunden hat, wobei auch dieser bezogen auf die gesamte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft eine sehr untergeordnete Rolle zugekommen ist und diese zudem in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr beseitigt wurde158. Damit existiert in Zivilprozessen in Deutschland keine allgemeine Möglichkeit der Beteiligung und Einflussnahme staatlicher Organe zur Vertretung öffentlicher Interessen159. cc) Gründe für das Fehlen einer mit dem VöI vergleichbaren Institution in der Zivilgerichtsbarkeit Was die Gründe für das Fehlen einer mit dem VöI vergleichbaren Institution in der Zivilgerichtsbarkeit betrifft, so ist auf die Bedeutung des öffent­ lichen Interesses für diesen Bereich abzustellen. (1) B  edeutung des öffentlichen Interesses für die Freiwillige Gerichtsbarkeit In seiner Ausprägung als Freiwillige Gerichtsbarkeit dient der Zivilprozess der Rechtsfürsorge, an der ein öffentliches Interesse besteht160. Primär nimmt in diesem Bereich aber der Richter selbst dieses öffentliche Interesse wahr161. Die Staatsanwaltschaft hat dieses nur dort vertreten, wo sie ausnahmsweise Beteiligungsrechte besaß162. Im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird zudem zwischen Verfahren differenziert, die durch staatliche Organe von Amts wegen eingeleitet werden und solchen, deren Durchführung von einem Antrag der Parteien abhängt163. Die Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet werden, zeichnen sich dabei dadurch aus, dass bei ihnen das öffentliche Interesse an der Rechtsfürsorge als Zweck stärker ausgeprägt ist164. Staatliche Organe, S. 34. Staatliche Organe, S. 35. 158  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 289. 159  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 290. 160  W. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 32 f.; E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 161  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 162  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 163  W. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 33. 164  W. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 35. 156  E. Hofherr, 157  E. Hofherr,

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

Zur Frage, ob die freiwillige Gerichtsbarkeit der Durchsetzung subjektiver Rechte dient, werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten. W. Habscheid sieht es gerade als Gemeinsamkeit der Verfahren in der freiwilligen Gerichtsbarkeit an, dass subjektive Rechte fehlen165. Demgegenüber erkennt W. Grunsky den Schutz subjektiver Rechte, die sich auf das Recht des Staates beziehen, in Rechtsgüter einzelner Bürger einzugreifen, als wesentlichen Zweck der freiwilligen Gerichtsbarkeit an166. Angesichts der Tatsache, dass auch laut W. Habscheid der zentrale Rechtsfürsorgezweck der freiwilligen Gerichtsbarkeit den Inhalt hat, dem Bürger die Erreichung bestimmter rechtlicher Ziele zu ermöglichen167, wird man eine gewisse Ausrichtung der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch auf subjektive Rechte nicht gänzlich verneinen können. Vielmehr zeigt sich hierdurch, dass das öffent­ liche Interesse an der Rechtsfürsorge letztlich wesentlich ein solches an Schutz und Wahrnehmung subjektiver Rechte ist. Die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses durch staatliche Organe in der freiwilligen Gerichtsbarkeit schlägt sich besonders in der Vorschrift des § 26 FamFG nieder, wonach das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat168. Durch die hieraus entspringende Verantwortung des Gerichts für die Ermittlung der Tatsachen als Entscheidungsgrundlage wird der Einfluss der Parteien auf das Gerichtsverfahren gemindert und die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses in Form der Rechtsfürsorge dem Gericht als staatlichem Organ übertragen169. (2) B  edeutung des öffentlichen Interesses für die streitige Zivilgerichtsbarkeit Das öffentliche Interesse spielt aber nicht nur für die freiwillige Gerichtsbarkeit, sondern auch für streitige zivilrechtliche Verfahren eine Rolle. Hier besteht nämlich ein öffentliches Interesse daran, dass die objektive Rechtsordnung gewahrt bleibt, also der konkrete Inhalt von Verhaltensnormen durch die Rechtsprechung festgelegt wird, wodurch der Bevölkerung auch die Konsequenzen von Verstößen gegen diese vor Augen geführt werden170. Die Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 35. Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 11, insb. Fn. 36. 167  W. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 33. 168  Unter Verweis auf den ehemaligen § 12 FGG mit demselben Inhalt W. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 33; E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 27. 169  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 28. 170  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 19; E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 28; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 10. 165  W. Habscheid, 166  W. Grunsky,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten109

Bewährung der vom Gesetzgeber als demokratisch legitimiertem Vertreter der Gesellschaft aufgestellten Privatrechtsordnung verhindert nämlich die ungeordnete Durchsetzung eigener Rechte im Wege der Selbsthilfe171. Als weitere Ausprägungen des öffentlichen Interesses in der Zivilgerichtsbarkeit werden die Rechtsvereinheitlichung und die Rechtsfortbildung genannt172. Diese haben eine besondere Bedeutung im Revisionsverfahren, weswegen das öffentliche Interesse in diesem einen zentralen Zweck darstellt173. Das öffentliche Interesse wird im streitigen zivilgerichtlichen Verfahren allerdings nicht durch ein besonderes staatliches Organ, sondern allein durch die Parteien und die Gerichte wahrgenommen174. Im Unterschied zur freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die gerichtlichen Befugnisse in der streitigen Zivilgerichtsbarkeit aufgrund einer weitreichenden Parteidisposition auf die ­Gesetzesanwendung beschränkt, sodass hier primär die Parteien das öffent­ liche Interesse vertreten175. Dies beruht darauf, dass der streitige Zivilprozess grundsätzlich als reine Privatangelegenheit zwischen diesen betrachtet wird176. Wesentlicher Zweck des Zivilprozesses ist nämlich die Durchsetzung subjektiver Rechte der Parteien, also solcher Befugnisse, die der Einzelne ausschließlich in eigenem Interesse innehat177. Die Wahrung des öffentlichen Interesses an der Einhaltung der objektiven Rechtsordnung ist dem zentralen Zweck des Zivilprozesses, die Durchsetzung subjektiver Interessen zu ermöglichen, nachgeordnet178. Zu beachten ist dabei, dass die einzelnen Parteien vor Gericht gar nicht berechtigt sind, überindividuelle, insbesondere öffentliche Interessen, unmittelbar wahrzunehmen179. Dies ist aber in diesem Zusammenhang auch gar nicht erforderlich, weil in jedem Zivilprozess die tangierten öffentlichen In171  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 2; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 11. 172  K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 16. 173  K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 11. 174  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 150; E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 28. 175  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 28. 176  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 28; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 17. 177  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 26; C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 9–11; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 6; O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (331); E. Schilken, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 10; Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 9; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 10, 367; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 2. 178  C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 11; Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 12; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 10. 179  K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 16.

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

teressen reflexartig durch die Verfolgung subjektiver Rechte durch die Parteien gewahrt werden, und zwar ohne, dass diese explizit geltend gemacht werden müssen180. Mit der Durchsetzung der subjektiven Rechte der Parteien durch die gerichtliche Entscheidung werden nämlich automatisch auch die öffentlichen Interessen realisiert181. Konsequenz des engen Bezugs des Zivilprozesses zu den Privatinteressen der Parteien ist, dass es allein der Entscheidung des Einzelnen als Rechtsträger unterliegt, ob und wie er von der Ausübung seiner subjektiven Rechte Gebrauch macht oder nicht182. Dies muss auf prozessrechtlicher Ebene die Auswirkung haben, dass der einzelne Rechtsträger auch hier über seine ­subjektiven Rechte selbst disponieren muss, also etwa die Entscheidung über Klageerhebung, Klagerücknahme und Rechtsmitteleinlegung ihm selbst überlassen bleibt183. Der Prozesszweck, subjektive Rechte durchzusetzen, kann also nicht über die Bereitschaft des einzelnen Rechtsträgers hierzu ­hinausgehen184. Auch der Verhandlungsgrundsatz, demzufolge die Parteien dem Gericht die Tatsachengrundlage für eine Entscheidung beibringen müssen und dieses übereinstimmend vorgetragene Tatsachen als gegeben ansehen muss, ohne selbst Nachforschungen betreiben zu dürfen, ist Konsequenz des engen Bezugs des Zivilprozesses zur Ausübung subjektiver Rechte sowie der Verfügungsbefugnis der Parteien über diese185. Ein öffentliches Interesse, das einen Eingriff in die Freiheit einzelner legitimieren kann und deshalb durch ein besonderes staatliches Organ ausgeübt werden soll, wurde auf dem Gebiet des streitigen Zivilprozesses nur ausnahmsweise in den Bereichen der Ehe- und Entmündigungsverfahren anerkannt, in denen die Staatsanwaltschaft dieses vertrat186. Hier hat das mate­ rielle Recht dem einzelnen Bürger nämlich keine subjektiven Rechte zugebilWahrung überindividueller Interessen, S. 16. Kollektiver Rechtsschutz, S. 10; Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 12; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 17. 182  C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 10 f.; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 18; O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (331). 183  C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 10 f.; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 19; O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (331); Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 10; K. Thiere, Wahrung überindivi­ dueller Interessen, S. 13. 184  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 7. 185  C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 10 f.; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 20; O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (331); Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 10; K. Thiere, Wahrung überindivi­ dueller Interessen, S. 13. 186  E. Hofherr, Staatliche Organe, S. 28. 180  K. Thiere,

181  C. Geiger,



I. Vergleich zu Rechtsfiguren in anderen Verfahrensarten111

ligt, sondern lediglich die Berechtigung, ein Rechtsinstitut, das Bestandteil der objektiven Rechtsordnung ist, durchzusetzen187. In diesem Bereich diente der Zivilprozess allein dem Schutz von Interessen, die über die Individualsphäre hinausgehen, nämlich von Gruppeninteressen oder öffentlichen Inte­ ressen188. Hierunter fielen unter anderem die Ehenichtigkeitsklage sowie das Entmündigungsverfahren189. Allgemein gesprochen kann also ein Auftreten des Staatsanwalts im Zivilprozess, welches regelmäßig mit der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes einhergeht, nur darauf beruhen, dass im Bereich des korrespondierenden materiellen Rechts dem Einzelnen keine subjektiven Rechte zustehen, die alleine dessen Disposition unterfallen190. In diesem Zusammenhang hat O. Jauernig die sehr griffige Formel aufgestellt, dass „nach dem Staatsanwalt im Zivilprozess ruft, wer das subjektive Recht beseitigen will“191. (3) G  ründe für die Abschaffung der meisten Befugnisse der Staatsanwaltschaft in der Zivilgerichtsbarkeit Wenn man nach den Gründen für die Abschaffung der Befugnisse der Staatsanwaltschaft im Bereich der Ehenichtigkeits- und der Entmündigungsverfahren sucht, so ist es zwar durchaus möglich, dass auf beiden Gebieten aufgrund einer Verschiebung in die Richtung der persönlichen Verfügung das öffentliche Interesse generell abgenommen hat. Andererseits ist die Ehe als Rechtsinstitut weiterhin durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt und zudem hat der Gesetzgeber in beiden Bereichen die ehemaligen Befugnisse der Staatsanwaltschaft nicht ersatzlos gestrichen, sondern durch Berechtigungen sonstiger Behörden ersetzt. Daneben darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Staatsanwaltschaft auch in der Zeit, als sie auf diesen beiden Gebieten Beteiligungsrechte innehatte, primär als Strafverfolgungsbehörde fungierte192 und ihre Tätigkeit im Zivilprozess einen absoluten Randbereich darstellte. Es spricht daher im Ergebnis vieles dafür, dass die zentrale Erwägung dahinter, die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft möglichst auf ihren Kernbereich im Strafrecht zu reduzieren, zumindest auch darin bestand, dass sonstige Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (332). Wahrung überindividueller Interessen, S. 368. 189  K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 368. 190  O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (332); K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 371. 191  O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (332). 192  K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 372. 187  O. Jauernig, 188  K. Thiere,

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

Behörden im Bereich von Eherecht und Betreuungsrecht effektiver und sachnäher von ihren prozessualen Befugnissen Gebrauch machen würden193. Dementsprechend lässt sich hieraus keine Tendenz ableiten, dass das öffentliche Interesse an sich oder Institutionen, die dieses vertreten, im Zivilprozess in den vergangenen Jahrzehnten generell einen Bedeutungsverlust erfahren haben. Auch wenn veränderte gesellschaftliche Wertanschauungen zur Abschaffung der staatsanwaltschaftlichen Befugnisse im Zivilprozess beigetragen haben mögen, spricht vieles dafür, dass es dem Gesetzgeber wesentlich darum ging, staatliche Organe effektiver und zweckmäßiger zu organisieren.

II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahrenvor dem Hintergrund der Regelungen in den anderen Verfahrensarten Das verwaltungsgerichtliche Verfahren zeichnet sich im Verhältnis zum Zivilprozess sowie zum Strafprozess dadurch aus, dass es ein „Mischsystem“ darstellt, indem es den zivilprozessrechtlichen Dispositionsgrundsatz und den strafverfahrensrechtlichen Untersuchungsgrundsatz miteinander kombiniert194. Sucht man nach einer Begründung hierfür, muss man auf die Funktion des Verwaltungsgerichtsprozesses zurückgreifen. 1. Funktionen des Verwaltungsgerichtsprozesses Genauso wie beim Zivilprozess kommen auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren grundsätzlich eine subjektive und eine objektive Funktion in Betracht. a) Subjektive Funktion Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erfüllt jedenfalls im Rahmen von Anfechtungs-, Leistungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklagen genau die­selbe zentrale Funktion wie der Zivilprozess, nämlich die Verwirklichung subjektiver Rechte, die in diesem Fall öffentlich-rechtlicher Natur sind195. 193  Eine ähnliche Forderung formulierte noch während des Bestehens der staatsanwaltlichen Befugnisse K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 372. 194  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 21. 195  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 28; W. Brohm, Zum Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NJW 1984, 8 (8 f.); ders., Verwaltungsgerichtsbarkeit im modernen Sozialstaat, DÖV 1982, 1 (2 f.); W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 8; R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 119; V. Mehde, Verwaltungskontrolle, Die Verwaltung, 43, 379 (385); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungs-



II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 113

Wie der Zivilprozess ist auch der verwaltungsgerichtliche Prozess ein besonderes durch den Staat eingerichtetes Mittel der Rechtsdurchsetzung, das eine Selbsthilfe durch die Bevölkerung verhindern soll196. Die besondere Bedeutung des subjektiven Individualrechtsschutzes für das verwaltungsgerichtliche Verfahren kommt insbesondere anhand der Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf einfach-gesetzlicher verwaltungsprozessrechtlicher Ebene durch die Beschränkung der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO auf eine mögliche Verletzung eigener subjektiver Rechte zum Ausdruck197. b) Objektive Funktion Demgegenüber ist die objektive Funktion des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Form der Wahrnehmung des öffentlichen Interesses daran, dass die Verwaltung durch gerichtliche Kontrolle gesetzlich handelt, ein mit der subjektiven Funktion verbundener Nebeneffekt198. Zu beachten ist aber, dass diese Kontrollfunktion, die in ihrer allgemeinen Ausprägung auf Bewahrung der objektiven Rechtsordnung gerichtet ist, im Verwaltungsgerichtsprozess dadurch eine besondere, über diejenige im Zivilprozess hinausgehende Bedeutung erhält, dass die Verwaltung als Exekutive von Verfassung wegen gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist und dabei wiederum der Überprüfung durch die Gerichte unterfällt199. Anders als im Zivilgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 46; W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 9; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 54; E. Schmidt-Assmann, Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: FS Menger, S. 107 (109); T. Würtenberger/ D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 3. 196  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 47. 197  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 28; R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 120; W. Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: FS Menger, S. 191 (197); V. Mehde, Verwaltungskontrolle, Die Verwaltung, 43, 379 (387, 389); A. v. Mutius, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: FS Menger, S. 575 (584); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 47 f; W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 9; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 54; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 3. 198  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 28; W. Brohm, Zum Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NJW 1984, 8 (8); ders.,Verwaltungsgerichtsbarkeit im modernen Sozialstaat, DÖV 1982, 1 (2); W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 8; W. Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: FS Menger, S. 191 (191–193); V. Mehde, Verwaltungskontrolle, Die Verwaltung, 43, 379 (385); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 52; E. Schmidt-Assmann, Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: FS Menger, S. 107 (109); T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 5. 199  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  52  f.; A. v. Mutius, Gerichtsverfahren und Verwaltungsverfahren, in: FS Menger, S. 575

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

prozess ist der Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nämlich nicht nur der Ausgleich widerstreitender privater Interessen, sondern die Überprüfung von Verwaltungshandlungen, denen selbst ein Abwägungsvorgang zwischen verschiedenen öffentlichen und privaten Interessen inhärent ist200. Im Vergleich zum zivilgerichtlichen Rechtsstreit berührt das verwaltungsgerichtliche Verfahren die öffentlichen Interessen daher deutlich stärker, und zwar in einem Ausmaß, das über die bloße Rechtsbewahrung hinausgeht201. Dieser im Vergleich zum Zivilprozess größere Bezug des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zum öffentlichen Interesse, der darauf zurückzuführen ist, dass wegen des Charakters des durch ihn durchzusetzenden ­öffentlichen Rechts regelmäßig gesellschaftliche Konflikte betroffen sind, die über den Rechtskreis der Hauptbeteiligten hinausgehen, ist bereits oben festgestellt worden202. Darüber hinaus enthält die VwGO mit dem Normenkontrollverfahren gemäß § 47 Abs. 1 VwGO ein Verfahren, das trotz des Erfordernisses der Betroffenheit des Antragstellers in eigenen Rechten gemäß § 47 Abs. 2 VwGO zumindest hauptsächlich der objektiven Rechtskontrolle dient, wie sich aus dem behördlichen Antragsrecht sowie aus dem nicht nur auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkten Prüfungsumfang ergibt203. Neben diesem besonderen Normenkontrollverfahren obliegt es Gerichten als Aspekt objektiver Rechtskontrolle, die anzuwendenden Vorschriften hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überprüfen204. Aufgrund der besonderen Bindung der Verwaltung durch das Rechtsstaatsprinzip sowie durch Art. 1 Abs. 3 GG an die Vorgaben des Grundgesetzes müssen die Verwaltungsgerichte in besonderem Maße bei der Anwendung des Verwaltungsrechts das Verfassungsrecht berücksichtigen, sei es durch verfassungskonforme Auslegung oder mittels einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG205. Durch diese Integration des

(586); Sodan/Ziekow/S. Rixen, VwGO, § 86 Rn. 7, 9; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 5. 200  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 143; Sodan/Ziekow/S. Rixen, VwGO, § 86 Rn. 7. 201  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 19. 202  S. 14–27. 203  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 30; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 9; W. Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: FS Menger, S. 191 (198); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  53 f. 204  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  55; ­W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 11. 205  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 56.



II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 115

Grundgesetzes in das einfach-rechtliche Verwaltungsrecht sichern die Verwaltungsgerichte die Einheit der Rechtsordnung206. Durch ihre besondere Stellung als „Kontrollinstanzen gegenüber der Exekutive“ nehmen die Verwaltungsgerichte grundsätzlich gegenüber der sonstigen Rechtsprechung eine Sonderposition ein, weswegen sie eine besondere Macht haben207. Im Ergebnis dient das verwaltungsgerichtliche Verfahren also mehr einer objektiven Rechtskontrolle als der Zivilprozess208. 2. Konsequenzen der Funktionen des Verwaltungsgerichtsprozesses für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung Die jeweils unterschiedlich abgestufte Bedeutung der objektiven, auf Findung der tatsächlich richtigen Entscheidung bezogenen Funktion in den unterschiedlichen Gerichtsverfahren schlägt sich auch in der Ausgestaltung der jeweils geltenden Prozessmaximen nieder: Im zivilgerichtlichen Verfahren haben die Parteien eine größtmögliche Verfügungsbefugnis, aber auch Eigenverantwortung für den Prozess, weswegen hier Dispositions- und Verhandlungsgrundsatz gelten209. Den Gegenpol hierzu stellt das Strafverfahren dar, das primär objektive Zwecke verfolgt und dementsprechend durch die Of­ fizial- und Anklagemaxime210 sowie durch den Untersuchungsgrundsatz211 geprägt ist. a) Einordnung der Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zwischen Zivilprozess und Strafverfahren Der Verwaltungsgerichtsprozess befindet sich zwischen diesen beiden Gegenpolen: Einerseits muss er seiner Hauptfunktion, subjektive Rechte zu verwirklichen, dadurch Rechnung tragen, dass er der betroffenen Person gemäß der grundgesetzlichen Vorgabe des Art. 19 Abs. 4 GG durch die Geltung des Dispositionsgrundsatzes die Wahl lässt, ob sie durch Klageerhebung von 206  W. Brohm, Zum Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NJW 1984, 8 (10); W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 11. 207  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 123. 208  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 55. 209  F. Kopp, Entwicklungstendenzen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, BayVBl. 1977, 513 (514); W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 4; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 55. 210  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 46, 48. 211  W. Beulke/S. Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 51; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 165.

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E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

der Wahrnehmung ihrer Rechte Gebrauch machen möchte212. Andererseits hat das Verwaltungsprozessrecht auch seine objektiven Funktion, das Handeln der Verwaltung auf seine Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren, hinreichend zu berücksichtigen213. b) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes als Folge der Funktionen des Verwaltungsprozesses Zu der Frage, inwieweit die besondere Funktion des Verwaltungsprozesses, der primär auf Verwirklichung subjektiver Rechte gerichtet ist, daneben aber in größerem Maße als der Zivilprozess durch eine objektive Kontrollfunktion flankiert wird, die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes verlangt, existieren unterschiedliche Ansichten. Der Untersuchungsgrundsatz im Sinne von § 86 Abs. 1 VwGO besagt dabei, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat und dabei der Sachvortrag oder Beweisanträge der Beteiligten für dieses keine Bindungswirkung entfalten214. Für die Schaffung einer für die Entscheidung des Verfahrens hinreichenden und zutreffenden Sachgrundlage trägt demnach das Gericht die Letztverantwortung und muss gegebenenfalls entsprechende Aufklärungsaktivitäten entfalten215. aa) Vorrang des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG als Geltungsgrund Einer Ansicht zufolge ist die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf das in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Prinzip des Vorrangs des Gesetzes zurückzuführen, dessen Sicherung letztlich auch die den Verwaltungsprozess prägende Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG dient216. Weil an der objektiven Kontrolle des Verwaltungshandelns durch die Gerichte und dementsprechend auch an der inhalt­ 212  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  146; S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 58; E. Schmidt-Assmann, Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: FS Menger, S. 107 (109). 213  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 160; Sodan/Ziekow/S. Rixen, VwGO, § 86 Rn. 9. 214  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 32 f.; R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 13; H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 17; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 159. 215  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 117  f.; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 159. 216  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 86 Rn. 1; W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 21; Sodan/Ziekow/S. Rixen, VwGO, § 86 Rn. 9; T. Würten­ berger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 652.



II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 117

lichen Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ein öffentliches Interesse bestehe, dürfe es nicht den einzelnen Beteiligten überlassen bleiben, die Tatsachen, die dem Verwaltungshandeln zugrunde liegen, gegenüber dem Gericht verbindlich in den Prozess einzuführen217. Daher statuiere § 86 Abs. 1 VwGO den Untersuchungsgrundsatz, der gewährleisten solle, dass das öffentliche Interesse an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns nicht aufgrund einer unzutreffenden Tatsachengrundlage vereitelt wird218. Der Untersuchungsgrundsatz garantiere hier ein objektives Verfahren zur Tatsachenermittlung und solle verhindern, dass die Parteien eine bestimmte gerichtliche Entscheidung erzielen, indem sie den Sachverhalt unvollständig vortragen oder gar manipulieren219. Raum für den Verhandlungsgrundsatz soll demgegenüber nur dort sein, wo es um die Wahrnehmung rein privater Rechte geht, deren Durchsetzung nicht im öffentlichen Interesse liegt220. bb) Ausgleich eines Ungleichgewichts zwischen den Beteiligten Ergänzend hierzu verlangt einigen Stimmen zufolge nicht nur die objektive, sondern auch die subjektive Funktion des Verwaltungsgerichtsverfahrens nach dem Untersuchungsgrundsatz221. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren sei nämlich typischerweise durch eine „strukturelle Ungleichheit“ zwischen den Beteiligten in Form des Bürgers und der Behörde geprägt222. Für diese Sichtweise lässt sich anführen, dass das öffentliche Recht im Regelfall ein Verhältnis zwischen Staat und Bürger regelt, welches von Überund Unterordnung geprägt ist223. Anders als der Bürger könne die Behörde nämlich dadurch im Prozess auf eine breite Informationsbasis zurückgreifen, dass sie bereits im materiell-rechtlichen Verwaltungsverfahren den Sachver-

217  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 86 Rn. 1; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 160; Sodan/Ziekow/S. Rixen, VwGO, § 86 Rn. 7. 218  W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 100; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 160; Posser/Wolff/G. Breunig, VwGO, § 86 Rn. 8. 219  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 163. 220  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 47; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 160. 221  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  162; ­W.-R.  Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 21. 222  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  162; ­W.-R.  Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 21. 223  P. Badura, Staatsrecht, A Rn. 6; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgericht­ lichen Rechtsschutzes, S. 79.

118

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

halt aufklären musste, um eine Entscheidung zu treffen224. Dass die Behörde über spezielle Vorkenntnisse verfügt, die andere Beteiligte und das Gericht nicht ohne weiteres besitzen, werde auch an der Regelung in § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO deutlich, wonach Behörden zur Vorlage verschiedener Dokumente verpflichtet sind225. Im Zivilprozess hingegen seien beide Parteien regelmäßig mit einem gleichartigen Informationsstand ausgestattet, wobei Ausnahmen hiervon durch eine Umkehr der Beweislast ausgeglichen werden könnten, weswegen hier der Verhandlungsgrundsatz sachgerecht sei226. Im Verwaltungsprozess verlange aber das aus Art. 3 Abs. 1 GG, aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltenen Rechtsstaatsprinzip sowie aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 103 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot der Waffengleichheit einen Ausgleich des behördlichen Wissensvorsprungs durch Geltung des Untersuchungsgrundsatzes227. cc) Kritik an den vorgenannten Gründen für den Untersuchungsgrundsatz R. Köhler-Rott lehnt hingegen beide vorgenannten Begründungen für die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ab. Zum einen bezweifelt sie das Vorliegen einer strukturellen Ungleichheit zwischen klagendem Bürger und beklagter Behörde, indem sie auf Akteneinsichtsrechte im Verwaltungsverfahren (§ 29 VwVfG) sowie im Verwaltungsgerichtsprozess (§ 100 VwGO) abstellt und anführt, dass Verfahrensgegenstand in der Regel Sachverhalte aus dem Lebensbereich des Klägers seien228. Ähnlich sei die Situation im Zivilprozess, in dem jede Partei nur die in ihrem Lebensbereich liegenden Tatsachen kennt229. Außerdem gelte selbst im Arbeitsgerichtsprozess, in dem der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber unterlegen sei, trotzdem der Verhandlungsgrundsatz230. Solche Unterschiede ließen sich auch im Verwaltungsgerichtsprozess durch eine entsprechende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ausgleichen, indem etwa die Behörde im Rahmen einer Anfechtungsklage Voraussetzungen für den Erlass eines Verwaltungsaktes darlegen und beweisen müsse, wohingegen dies im Rahmen einer Verpflichtungsklage dem Bürger zugemutet werden Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 162. Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 162. 226  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 162. 227  W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 99; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 176 f. 228  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 137. 229  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 137. 230  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 15. 224  J. J. Nolte, 225  J. J. Nolte,



II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 119

könne231. Davon abgesehen sei auch die Eignung des ansonsten unbeteiligten Verwaltungsrichters fraglich, ein etwaiges Informationsungleichgewicht zwischen den Beteiligten auszugleichen, weil er selbst ein gegenüber dem zugrundeliegenden Sachverhalt fremder Dritter sei232. Ferner vertritt R. Köhler-Rott die Auffassung, auch aus der Kontrollfunktion der Verwaltungsgerichte im Rahmen des in Art. 20 Abs. 3 GG festgelegten Prinzips der Gewaltenteilung gegenüber der Exekutive ergebe sich kein Erfordernis des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungsgerichtsprozess, weil diese selbst am Verfahren beteiligt sei und damit ohnehin Einfluss da­ rauf nehmen könne, ob die Kontrolle durch das Gericht auf Basis einer zutreffenden Tatsachengrundlage stattfindet233. Eine gerichtliche Untersuchung garantiere zudem nicht, dass tatsächlich die Wahrheit ermittelt wird, sondern habe lediglich den Effekt, dass das Gericht nicht an unstreitigen Parteivortrag gebunden ist234. Eine solche Bindung benötige die Verwaltung nicht im Verfahren, weil sie bei Geltung des Verhandlungsgrundsatzes jederzeit ihr ungünstigen Sachvortrag des Klägers bestreiten und damit eine Beweiserhebung erforderlich machen könne235. Darüber hinaus sei die kontrollierende Tätigkeit der Gerichte strikt vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu trennen, weil das Gericht bei der Prüfung des Verwaltungshandelns selbst keine Verwaltungstätigkeit ausübe236. dd) Bezug des Verwaltungshandelns zum öffentlichen Interesse als Geltungsgrund Zwingender Grund für die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungsgerichtsprozess ist laut R. Köhler-Rott dessen besonderer Bezug zum öffentlichen Interesse: Auch wenn ein öffentliches Interesse nicht an der Durchführung des Verwaltungsgerichtsprozesses an sich bestehe, würden doch die von der Verwaltung selbst bearbeiteten Sachverhalte stets Bezug zu diesem haben237. Dementsprechend sei auch das dem verwaltungsgericht­ lichen Verfahren zugrunde liegende Sachrecht Ausdruck des öffentlichen Interesses, weswegen dieses im Prozess ebenfalls hinreichend berücksichtigt werden müsse238. Als Folge der Feststellung, dass also das öffentliche Inte­ 231  R. Köhler-Rott, 232  R. Köhler-Rott, 233  R. Köhler-Rott, 234  R. Köhler-Rott, 235  R. Köhler-Rott, 236  R. Köhler-Rott, 237  R. Köhler-Rott, 238  R. Köhler-Rott,

Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, Untersuchungsgrundsatz,

S. 137. S. 15. S. 124. S. 124. S. 124. S. 127. S. 143. S. 144.

120

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

resse vor den Verwaltungsgerichten vertreten werden müsse, sei entweder eine besondere Instanz erforderlich, die diese Aufgabe übernimmt, oder das Gericht müsse dies durch Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen übernehmen239. Konsequenz sei, dass entweder ein allgemeiner Vertreter des öffentlichen Interesses eingeführt werden müsse, der sich auf Grundlage einer einheitlichen Regelung an allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren bundesweit beteiligen kann, oder aber die Verwaltungsgerichte selbst in diesen Prozessen das öffentliche Interesse zu vertreten hätten, indem sie als unabhängige Instanz Ermittlungen anstellen, um die zugrunde liegenden Tatsachen, an denen ein öffentliches Interesse besteht, umfangreich und objektiv aufzuklären240. Diese Erklärung führt mithin zu dem Befund, dass deswegen kein VöI in allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren tätig werden muss, weil die Verwaltungsgerichte grundsätzlich selbst aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes das öffentliche Interesse in den Verfahren vertreten können. Denselben Ansatz teilen weitere Stimmen in der Literatur, denen zufolge nahezu jedes anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren die öffentlichen Interessen mitberührt, die nicht der Verfügung der Hauptbeteiligten unterliegen sollen241. Auch als Grund für die Einführung des Untersuchungsgrundsatz im Verwaltungsprozessrecht führen sie dessen Bezug zum öffentlichen Interesse an242. ee) Stellungnahme zu den unterschiedlichen Ansichten Wie bereits oben243 festgestellt, liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen verwaltungsgerichtlichem Verfahren und Zivilprozess in dem besonderen Bezug des Ersteren zum öffentlichen Interesse244. Weil das Verfahrensrecht auf das materielle Recht zugeschnitten ist, dem es zur Durchsetzung verhelfen soll, ist es überzeugend, mit R. Köhler-Rott davon auszugehen, dass das materielle Verwaltungsrecht wesentliches Einfallstor für das öffentliche Interesse in den Verwaltungsprozess ist. Untersuchungsgrundsatz, S. 145. Untersuchungsgrundsatz, S. 146 f. 241  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 16; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (632). 242  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 17; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 35 Rn. 21; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (632); W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 21. 243  S.  26 f. 244  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 56; H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 19; E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (452); A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538). 239  R. Köhler-Rott, 240  R. Köhler-Rott,



II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 121

Auch wenn man, wie von R. Köhler-Rott gefordert, strikt zwischen der Tätigkeit der Verwaltungsbehörden, die bereits öffentliche Interessen wahrnehmen, und deren Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte trennt245, darf man nicht übersehen, dass jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein Konflikt zwischen individueller Freiheit des Bürgers und Eingriffen in diese oder Gestaltung dieser durch Verwaltungshandeln zugrunde liegt246. Weil aber dieses Verwaltungshandeln gemäß Art. 20 Abs. 3 GG der Bindung an Recht und Gesetz unterliegt und die Verwaltung durch die verwaltungsgerichtliche Entscheidung Gewissheit darüber erlangt, ob sie dieser Anforderung gerecht geworden ist und ob ein ähnliches Handeln in Zukunft einer Anlegung dieses Maßstabs standhalten würde, besteht an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ebenfalls ein besonderes öffentliches Inte­ resse247. Auch wenn der Untersuchungsgrundsatz keine Gewährleistung dafür darstellt, dass tatsächlich die Wahrheit ermittelt wird, so ermöglicht er doch dem Gericht aufgrund der fehlenden Bindung an den Parteivortrag eine größere Flexibilität und einen weiteren Spielraum, um gegebenenfalls darüber­ hinausgehende Ermittlungen anzustoßen, wodurch eine vollständige Sachverhaltsaufklärung als möglichst solide tatsächliche Entscheidungsgrundlage eher gefördert wird als durch den Verhandlungsgrundsatz. Eine solche macht eine insgesamt inhaltlich richtige gerichtliche Entscheidung zumindest wahrscheinlicher, als es der Fall wäre, wenn das Gericht beim Parteivortrag stehen bliebe248. Was die Kritik von R. Köhler-Rott an der von J. J. Nolte festgestellten „strukturellen Ungleichheit“ zwischen den Hauptbeteiligten im Verwaltungsprozess angeht, ist dieser entgegenzuhalten, dass zumindest in Gerichtsverfahren, die einen Verwaltungsakt zum Gegenstand haben, die Behörde schon dadurch von Gesetzes wegen einen Informationsvorsprung erhält, dass sie gemäß § 24 VwVfG den Sachverhalt im Vorfeld einer Entscheidung umfassend ermitteln muss249. Außerdem gibt ihr die Rechtsfigur des Verwaltungsakts die Möglichkeit, einseitig eine Regelung für den Bürger zu treffen, die zudem als Titel dient, aus dem sie die Vollstreckung betreiben kann250. Aufgrund dieser besonderen hoheitlichen Befugnisse der Verwaltung sind die Verfahrensbeteiligten anders als im Zivilprozess nicht beliebig austausch-

Untersuchungsgrundsatz, S. 144. Verweisung in § 173 VwGO, S. 54. 247  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 54. 248  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 55 f. 249  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 47. 250  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 44; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 97; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 245  R. Köhler-Rott, 246  S. Auer,

122

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

bar251. Auch wenn es im Zivilprozess ebenfalls Konstellationen geben mag, in denen eine Partei der anderen überlegen ist, so ist diese Ungleichheit im Verwaltungsgerichtsverfahren doch viel stärker ausgeprägt und bereits im Verfahren an sich sowie in der damit verbundenen Sachmaterie angelegt. Diese Überlegenheit der Verwaltung wird durch den Untersuchungsgrundsatz insoweit abgemildert, als das Gericht nicht an den Sachvortrag der Verwaltung gebunden ist, sondern durch die Befugnis, über diesen hinaus eigene Ermittlungen anzustellen, ein höheres Maß an Unabhängigkeit erlangt252. Im Ergebnis lässt sich die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 86 Abs. 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren daher sowohl auf den besonderen Bezug des Verwaltungsrechts zum öffentlichen Interesse als auch auf die besondere Bindung der Verwaltung als Verfahrensbeteiligte an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sowie auf die bereits in der Struktur des Verfahrens angelegte Überlegenheit der Verwaltung gegenüber dem Kläger stützen253. Auch wenn man sich mit R. Köhler-Rott auf den Standpunkt stellen mag, dass nur der erstgenannte Grund des besonderen Bezugs der Sachmaterie zum öffentlichen Interesse den Untersuchungsgrundsatz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erforderlich macht, stellen die beiden anderen Aspekte doch Argumente dar, die dessen Geltung zumindest als sachgerecht und zweckmäßig erscheinen lassen. c) Praktische Bedeutung der Unterscheidung zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz Obwohl sich in der praktischen Handhabung der Verfahren durch die Gerichte Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz stark angenähert haben254, hat es deutliche Auswirkungen auf den Gesamtcharakter eines Verfahrens bis hin zu dessen Entscheidung, wenn das Gericht von vorne herein dadurch eine aktive Rolle einnimmt, dass ihm die vollständige Sachverhaltsaufklärung obliegt255. Praktische Unterschiede zeigen sich zudem insbesondere dann, wenn durch Beibringung der Tatsachen noch keine hinreichende Entscheidungsreife erzielt worden ist: Während bei Geltung des Verhandlungsgrundsatzes die Verantwortung der Parteien für die Aufklärung bestehen Verweisung in § 173 VwGO, S. 44. Waffengleichheit, S. 99; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 161. 253  W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 21. 254  Gärditz/N. Wimmer, VwGO, § 86 Rn. 7; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 176; R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 116 f.; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 172; Redeker/von Oertzen/ P. Kothe/M. Redeker, VwGO, § 86 Rn. 1. 255  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 173. 251  S. Auer,

252  W. Lichtenberg,



II. Einordnung des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 123

bleibt, sodass das Gericht über bloße Hinweise hinaus nicht selbst tätig werden kann, obliegt diese bei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes dem Gericht, das entscheiden muss, ob und wie es zur weiteren Sachverhaltsaufklärung aktiv wird256. 3. Zusammenhang zwischen den prozessualen Grundsätzen und der Wahrnehmung des öffentlichen Interesses im Prozess Es lässt sich generell feststellen, dass in einer Prozessart, die durch eine objektive Funktion dominiert wird, ein besonderes Bedürfnis besteht, ein staatliches Organ zu errichten, welches das öffentliche Interesse wahrnimmt und dabei mit weitreichenden prozessualen Befugnissen ausgestattet ist257. Ein Beispiel für eine solche Prozessart ist das Strafverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft als derartiges staatliches Organ sogar ein Initiativrecht zur Verfahrenseinleitung erhalten hat. Der Zivilprozess hingegen ist primär auf subjektive Rechtsverwirklichung ausgerichtet und überlässt die Wahrnehmung der vorhandenen öffentlichen Interessen den Parteien sowie dem Gericht, was sich in der Geltung des Dispositions- und Verhandlungsgrundsatzes widerspiegelt, wodurch die Parteien ein größtmögliches Ausmaß an prozessualer Eigenverantwortung erhalten. Aber auch im Zivilprozess kann die Erforschung und Einführung des Sachverhalts in das Verfahren dann nicht mehr den Parteien eigenverantwortlich überlassen bleiben, wenn das korrespondierende Recht nicht nur subjektive, lediglich private Interessen verwirklichen soll, sondern ihm eine „objektive Ordnungsfunktion“ zukommt, wie dies bei ehe- und betreuungsrechtlichen Verfahren der Fall ist258. Der Verwaltungsgerichtsprozess ist einerseits nicht derart einseitig auf eine objektive Funktion ausgerichtet wie der Strafprozess, dient aber auch nicht so einseitig nur subjektiven Interessen wie der Zivilprozess, was sich in der als „Mischsystem“ bezeichneten Kombination von Dispositions- und Untersuchungsgrundsatz widerspiegelt259. Dieser grundsätzlichen prozessualen Ausgestaltung entspricht es, dass das öffentliche Interesse auf eine Art und Weise ausgeübt wird, die sich zwischen den Ausprägungen in Zivil- und Strafprozess befindet260: Anders als im Zivilprozess existiert mit dem VöI eine besondere Untersuchungsgrundsatz, S. 118. Zum Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NJW 1984, 8 (8 f.); ders., Verwaltungsgerichtsbarkeit im modernen Sozialstaat, DÖV 1982, 1 (2). 258  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 165; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 160. 259  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 21. 260  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 147. 256  R. Köhler-Rott, 257  W. Brohm,

124

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

staatliche Institution zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses. Diese hat aber keine derart zentrale Stellung wie die Staatsanwaltschaft im Strafverfahren, zumal gerade die Initiative der Verfahrenseinleitung und weitere Dispositionsmöglichkeiten grundsätzlich den Hauptbeteiligten überlassen bleiben. Auf diese Weise verfügt der Verwaltungsprozess auch in Bezug auf die Vertretung öffentlicher Interessen über ein „Mischsystem“ zwischen Zivil- und Strafverfahren, das dessen Grundstruktur Rechnung trägt, die durch eine Kombination aus Dispositions- und Untersuchungsgrundsatz gekennzeichnet ist. 4. Übertragung dieses Ergebnisses auf Finanz- und Sozialgerichtsverfahren Dieser Befund zum allgemeinen Verwaltungsgerichtsverfahren ist dabei auch auf die Sozial- und auf die Finanzgerichtsbarkeit übertragbar. Beide haben hinsichtlich der speziellen materiell-rechtlichen Gebiete, denen sie zur Durchsetzung verhelfen, dieselben Funktionen wie der allgemeine Verwaltungsgerichtsprozess261. Dementsprechend gilt in beiden Verfahren ebenfalls die für den allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Prozess typische Kombination aus Dispositions- und Untersuchungsmaxime (§§ 76 Abs. 1 FGO, 103 S. 1 SGG)262. Auch hier bestehen gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ein besonderes öffentliches Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und korrespondierend damit an der materiell-rechtlichen Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung sowie eine Verpflichtung des Staates aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem Bürger einen effektiven Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen263.

III. Vergleich der Funktion des VöI, Hintergrundinformationen zu vermitteln, zu verwandten Rechtsfiguren Indem der VöI – wie bereits oben angesprochen264 – im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe übernimmt, dem Gericht Hintergrundinformationen zu vermitteln265, nimmt er die Funktion eines gerichtlichen InforGrundlagen des Verfahrensrechts, S. 8. FGO, Vor § 76 Rn. 3; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt/W. Keller, Vor § 60 Rn. 3, 4, § 103 Rn. 1; Roos/Wahrendorf/D. Bieresborn, SGG, § 56 Rn. 12; Roos/Wahrendorf/H. Müller, SGG, § 101 Rn. 9, § 103 Rn. 3. 263  Gosch/R. Stalbold, AO, FGO, FGO § 76 Rn. 6 (2013); Gräber/U. Herbert, FGO, Vor § 76 Rn. 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/B. Schmidt, SGG § 103 Rn. 1; Roos/Wahrendorf/H. Müller, SGG, § 103 Rn. 1. 264  S.  20 f. 265  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV. 1972, 626 (628); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 261  W. Grunsky,

262  Gräber/U. Herbert,



III. Vergleich der Funktion des VöI zu verwandten Rechtsfiguren125

manten wahr266. Personen, die im öffentlichen Interesse dem Gericht besondere Informationen zukommen lassen, welche für den konkret zu entscheidenden Fall relevant sind, werden unter dem aus dem US-amerikanischen Recht stammenden Begriff des „amicus curiae“ zusammengefasst267. 1. Parallele des VöI zum amicus curiae In den USA kann als amicus curiae grundsätzlich jedermann auftreten, wobei insbesondere Vertreter des Staates, Berufsverbände oder gemeinnützige Vereine in Betracht kommen268. Durch diese Rechtsfigur haben also Dritte das Recht, prinzipiell ohne weitere Voraussetzungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine Stellungnahme vor Gericht abzugeben, wobei der Umgang mit dieser im freien Ermessen des Gerichts steht und dieses noch nicht einmal zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihr verpflichtet ist269. Besonders relevant wird der amicus curiae bei gerichtlichen Verfahren höherer Instanzen, an denen ein besonderes öffentliches Interesse besteht, was gerade dann der Fall ist, wenn in Rechtsstreitigkeiten zwischen Staat und Bürger verschiedene öffentliche und private Interessen zusammentreffen270. Die Stellungnahmen helfen dem Gericht dabei, zu erkennen, inwieweit Dritte von der Entscheidung betroffen sein können, was vor allem im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung bedeutend wird, wenn diese für etwaige zukünftige Entscheidungen einen Präzedenzfall darstellt, den die Gerichte dann zur Urteilsfindung heranziehen271. In diesem Rahmen formulieren vor allem Gerichte höherer Instanzen abstrakt-generelle Rechtsauslegungsund -anwendungsmaßstäbe272, die aber als Grundlage Hintergrundinforma­ tionen hinsichtlich der Auswirkungen einer Entscheidung des Rechtsstreits über den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinaus auf ähnliche Konfliktkonstellationen in der Zukunft benötigen273. Der VöI gemäß §§ 35 ff. VwGO ist mit der US-amerikanischen Rechts­ figur des amicus curiae nur im Rahmen eng umfasster Teilaspekte vergleich-

Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 120. Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 118 f. 268  H. Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse, S. 118 f.; U. Kühne, Amicus Curiae, S. 324. 269  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 324 f. 270  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 323 f. 271  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (12 f.); U. Kühne, Amicus Curiae, S. 326. 272  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 324. 273  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (13). 266  H. Koch, 267  H. Koch,

126

E. Der VöI als Besonderheit des Verwaltungsprozesses

bar274. Diese bestehen im Bereich der Aufgabe, dem Gericht die tatsächlichen Konsequenzen einer Entscheidung des Rechtsstreits für ähnlich gelagerte zukünftige Fälle vor Augen zu führen275. Maßgebliche Unterschiede liegen darin, dass die Tätigkeit des VöI auf verwaltungsrechtliche Streitigkeiten beschränkt ist und hinter diesem ein staatliches Organ steht, sodass nicht jedermann dem Gericht gegenüber Stellung abgeben kann276. 2. Vergleich zu Stellungnahmen Sachkundiger vor dem Bundesverfassungsgericht Eine mit dem amicus curiae, aber auch mit der Informationsfunktion des VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vergleichbare Rechtsinstitution stellt die in § 27a BVerfGG normierte Möglichkeit des Bundesverfassungsgerichts dar, Stellungnahmen sachkundiger Dritter in das Verfahren einzuführen. In der Praxis kommen dabei zumeist der Staat in Form von Behörden, aber auch nichtstaatliche Akteure wie Verbände, Interessengruppierungen und Wissenschaftler zu Wort277. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend. Vielmehr kommt als sachkundiger Dritter jeder in Betracht, der nicht Verfahrensbeteiligter ist und nicht aufgrund einer speziellen Vorschrift angehört wird278. Die Stellungnahmen dieser Sachkundigen können sich dabei sowohl auf rechtliche als auch auf tatsächliche Aspekte erstrecken, wobei es besonders oft um Hintergründe oder Auswirkungen eines bestimmten Gesetzes oder einer bestimmten Art und Weise der Rechtsanwendung geht279. Wer auf Grundlage von § 27a BVerfGG das Recht erhält, vor dem Bundesverfassungsgericht Stellung zu nehmen, und inwieweit das Bundesverfassungsgericht die Äußerung in seinem Urteil berücksichtigt, liegt allein in seinem eigenen Ermessen, sodass insoweit keine Ansprüche bestehen280. Darüber hinaus erhalten die Sachkundigen keine formale Beteiligtenstellung im Verfahren281.

Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (46). Der amicus-curiae-brief, ZZP 104 (1991), 11 (46). 276  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP, 104 (1991), 11 (46). 277  U. Kühne, Amicus Curiae, S. 330. 278  C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, §  27a Rn. 3; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/ H. Bethge, BVerfGG, § 27a Rn. 4 f. (2014); Walter/Grünewald/F. Scheffczyk, BeckOK BVerfGG, § 27a Rn. 2. 279  C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, §  27a Rn. 6; Walter/Grünewald/F. Scheffczyk, BeckOK BVerfGG, § 27a Rn. 5. 280  Walter/Grünewald/F. Scheffczyk, BeckOK BVerfGG, § 27a Rn. 6. 281  C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, § 27a Rn. 10. 274  H. Hirte, 275  H. Hirte,



III. Vergleich der Funktion des VöI zu verwandten Rechtsfiguren127

Sinn und Zweck solcher Stellungnahmen ist eine Verbreiterung der gerichtlichen Entscheidungsgrundlage, die daneben auch der inhaltlichen Qualität der Entscheidung zugutekommen und deren gesellschaftliche Akzeptanz steigern soll282. Durch deren Einbeziehung können unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen in den Gerichtsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten werden283. Die Existenz von § 27a BVerfGG zeigt also, dass auch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich das Bedürfnis hat, die Konsequenzen seiner Entscheidungen über den unmittelbaren Kreis der Verfahrensbeteiligten hinaus erkennen und diesen zugrunde legen zu können284. Im Unterschied zum VöI werden dabei allein im Ermessen des Gerichts unterschiedliche Personen als Sachkundige direkt in den Prozess einbezogen, sodass es sich also nicht um eine institutionalisierte Art von Interessenvertretung handelt. Die Vorschrift des § 27a BVerfGG ist darauf angelegt, dass das Gericht selbst aufgrund einer Einschätzungsprärogative, die auch nicht weiter überprüfbar ist, entscheidet, wen es in welchem Umfang als Sachkundigen zu Wort kommen lässt und warum derjenige über eine besondere Sachkunde verfügen soll285. Somit übernimmt hier das Bundesverfassungsgericht die Initiative und gibt bereits eine gewisse inhaltliche Richtung vor, in deren Rahmen die Stellungnahmen zu erwarten sind. Der VöI entscheidet demgegenüber selbst, ob er sich beteiligt und untersucht den gesamten Rechtsstreit vollständig und unabhängig vom Gericht. Dafür muss er die grundsätzlichen politischen Leitlinien berücksichtigen, auch wenn er kein Prozessvertreter der Regierung ist286. Im Ergebnis überschneiden sich also die Aufgaben von Sachkundigen gemäß § 27a BVerfGG und dem VöI, wobei im Rahmen von Ersteren das Gericht eine stärkere Stellung innehat. Demgegenüber arbeitet der VöI vom Gericht unabhängig, weist dafür aber eine stärkere Nähe zu Staat und Verwaltung auf. Soweit beiden die Funktion zukommt, dem Gericht Hintergrundinformationen zu Gesetzen und Auswirkungen seiner Entscheidung zukommen zu lassen, sind aber beide Rechtsfiguren grundsätzlich mitein­an­ der vergleichbar und mit dem US-amerikanischen „amicus curiae“ verwandt.

282  C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, § 27a Rn. 2; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/ H. Bethge, BVerfGG, § 27a Rn. 1 (2014); Walter/Grünewald/F. Scheffczyk, BeckOK BVerfGG, § 27a Rn. 1. 283  C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, § 27a Rn. 5. 284  H. Hirte, Der amicus-curiae-brief, ZZP, 104 (1991), 11 (48). 285  C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, § 27a Rn. 5; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/ H. Bethge, BVerfGG, § 27a Rn. 7 (2014). 286  S. 33–35.

F. Die praktische Arbeit des VBI Während sich die vorigen Kapitel mit den gesetzlichen Grundlagen des VBI beschäftigen, soll nachfolgend dessen praktische Tätigkeit im Vordergrund stehen.

I. Organisation der Einrichtung des VBI Der Begriff des VBI fungiert grundsätzlich als Bezeichnung sowohl für die Einrichtung selbst als auch für den einzelnen Amtsträger1. Funktional handelt es sich bei Ersterer um eine eigenständige Bundesbehörde2, die aber gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat eingerichtet, also bei diesem angesiedelt und in dessen Verwaltung eingegliedert ist3. Dementsprechend stellt er eine „Organisationseinheit im Bundesministerium des Innern“ dar4. Einige Stimmen in der Literatur lehnen seinen eigenständigen Charakter unter Hinweis auf seine Ansiedlung im Bundesinnenministerium sogar ab5. Dennoch bezeichnet M. Redeker als eine dieser Stimmen die Stellung des VBI als „unabhängig“6, was ein Hinweis darauf ist, dass der VBI zwar formal Teil des Ministeriums ist, seiner Funktion nach aber inhaltlich eigenständig arbeitet. Der OBA befand sich demgegenüber lediglich im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums, stellte aber eine selbständige Bundesoberbehörde dar7. 1  Posser/Wolff/H. Schmitz,

VwGO, § 35 Rn. 1. VwGO, § 35 Rn. 2; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 2; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 3; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 3  Eyermann/M. Hoppe, VwGO, §  35 Rn. 2; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 2; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 1; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (185). Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 4  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 4; Schoch/Schneider/Bier/C. SteinbeißWinkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014). 5  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 4; D. Kugele, VwGO, § 35 Rn. 1; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 1; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 4 Fn. 32 (2014). 6  Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 1. 7  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (185); Schoch/ Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014). 2  Eyermann/M. Hoppe,



I. Organisation der Einrichtung des VBI129

1. Anforderungen an die Organisation des VBI aufgrund seiner Funktion In diesem Zusammenhang muss man beachten, dass Literatur und Rechtsprechung aus den Aufgaben des früheren OBA bestimmte Anforderungen an dessen Organisation abgeleitet haben, deren Erfüllung notwendig ist, damit er seiner Funktion nachkommen kann. K. Neis zufolge verlangt das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG, dass der OBA organisatorisch aus der Verwaltung herausgelöst und in die Gerichtsbarkeit integriert wird8. Es handelte sich bei ihm dementsprechend um ein selbständiges Rechtspflegeorgan in Form einer Gerichtsbehörde, das dem Bundesverwaltungsgericht zugeordnet war9. Als Grund hierfür nennt er, dass der OBA das öffentliche Interesse seiner Funktion nach objektiv und unabhängig von der Verwaltung wahrnehmen solle10. Dementsprechend müsse seine Organisation so ausgestaltet sein, dass sie das erforderliche Maß an Objektivität gewährleistet und eine schädliche Einflussnahme seitens der Verwaltung verhindert11. In der Form seiner Einrichtung müsse sich widerspiegeln, dass er zwar formell ein staatliches Exekutivorgan ist, wie die Staatsanwaltschaft aber funktional der Judikative nähersteht als der Verwaltung12. Was den notwendigen Rang des VöI beim Bundesverwaltungsgericht innerhalb der Verwaltung betrifft, hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass diesem die Stellung einer Bundesbehörde zukommen muss, die sich auf der Stufe eines oberen Bundesgerichts befindet13. Nur eine Ansiedlung in der höheren Verwaltungshierarchie oder gar auf Regierungsebene gewährleistet die für eine sachgerechte Vertretung des öffentlichen Interesses vor dem Bundesverwaltungsgericht erforderliche Autorität sowie das Maß an Unabhängigkeit, das für die Ausrichtung dieser Tätigkeit auf die Rechtsdurchsetzung notwendig ist14. 8  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231 f.). 9  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (232). 10  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231). 11  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231). 12  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231). 13  BVerwGE 18, 205 (208). 14  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (288); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560).

130

F. Die praktische Arbeit des VBI

Weil der VBI, wie bereits oben festgestellt, keine anderen Aufgaben übernimmt als der OBA, müssen die vorgenannten Ausführungen grundsätzlich auch für ihn gelten. Eine funktionelle Nähe des VBI zur Judikative, die ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit des VBI von der Exekutive im Rahmen seiner Organisation verlangt, lässt sich auch aus der systematischen Stellung seiner Regelung in §§ 35–37 VwGO ableiten, die einen eigenen Abschnitt in Teil 1 der VwGO bilden, der die Gerichtsverfassung zum Gegenstand hat15. Die Funktion des VBI verlangt im Ergebnis dessen weitreichende Unabhängigkeit von der Exekutive, aber auch vom Bundesverwaltungsgericht16. Letzteres folgt daraus, dass der VBI die Entscheidungsgrundlage des Gerichts verbreitern und im Sinne des Bundesinteresses Einfluss auf dieses nehmen soll, was eine hinreichende Unabhängigkeit auch von diesem voraussetzt. 2. Organisation des ehemaligen OBA Für den ehemaligen OBA haben Literatur und Rechtsprechung diese organisatorischen Anforderungen als unproblematisch erfüllt angesehen, weil dieser als gegenüber der Verwaltung selbständige staatsanwaltliche Behörde aufgestellt und dabei in die Organisation des Bundesverwaltungsgerichts eingegliedert war17. Die Ausgliederung des OBA aus der Verwaltung fand insbesondere darin ihren Ausdruck, dass dieser im Haushaltsplan des Bundesinnenministeriums in einem eigenen Haushaltskapitel neben dem Bundesverwaltungsgericht aufgeführt wurde18. Zudem verfügte er über einen vollständigen eigenen Behördenapparat, der im Jahr 1962 aus dem OBA selbst im Rang der Besoldungsstufe B 7, einem weiteren Bundesanwalt im Rang der Besoldungsstufe B 5, drei Referenten des höheren Dienstes, drei Hilfsreferenten ebenfalls des höheren Dienstes, vier Beamten des gehobenen Dienstes, sieben Büroangestellten, einem Amtsgehilfen und einem Kraftfahrer bestand19. Im letzten Jahr seines Bestehens, nämlich 2001, waren im Haushaltplan für die Behörde 15  Posser/Wolff/H. Schmitz,

VwGO, § 35 Vorbemerkung. VwGO § 35 Rn. 1. 17  BVerwGE 12, 118 (124); 12, 225 (227); C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 39; W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (232). 18  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 168. 19  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 168 Fn. 3. 16  HK-VerwR/B. Kastner,



I. Organisation der Einrichtung des VBI131

des OBA insgesamt 21 Stellen veranschlagt, wobei der Behördenleiter der Besoldungsstufe B 8 angehörte20. Der Begriff des „OBA“ bezog sich dabei sowohl auf den Namen der Bundesanwaltschaft als vom Wechsel ihrer Amtswalter unabhängige Behörde21 als auch auf deren Leiter als Amtsbezeichnung22. Auch das in § 35 Abs. 1 S. 3 VwGO a. F. verankerte Weisungsrecht bewertete K. Neis im Hinblick auf die erforderliche Unabhängigkeit des OBA von der Verwaltung als unproblematisch: Das öffentliche Recht eröffne der Verwaltung vielfach Spielräume ohne feste gesetzliche Bindung, durch die politische Handlungsmaßstäbe in den Vordergrund gelangen, die der OBA trotz seiner Erfahrung nicht immer vollständig überblicken könne, sodass in solchen Fällen eine inhaltliche Koordination mit der Regierung zweckmäßig sei23. Darüber hinaus wurde insbesondere die Tatsache, dass ausschließlich die Bundesregierung als Kollegialorgan befugt war, dem OBA Weisungen zu erteilen und nicht einzelne Minister, als Ausdruck von dessen Unabhängigkeit von der Verwaltung angesehen24. Auf diese Weise übte die Bundesregierung die Fachaufsicht über den OBA aus, wohingegen die Dienstaufsicht dem Bundesminister des Innern oblag25. Dabei versteht man allgemein unter Fachaufsicht die Kontrolle, ob eine bestimmte Behörde ihre Aufgaben rechtund zweckmäßig erledigt, wohingegen die Dienstaufsicht lediglich die Art und Weise des behördlichen Handelns umfasst, also deren Geschäftsführung, innere Ordnung sowie Angelegenheiten, die deren Personal betreffen26. Eine wesentliche inhaltliche Einflussnahme auf die Arbeit einer bestimmten Behörde ist daher nur im Rahmen der Fachaufsicht möglich.

20  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 86, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 21  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 39; K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (232). 22  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 39. 23  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (232). 24  W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; J. SchulzHardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 165. 25  J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 165. 26  Legaldefinition zur Dienstaufsicht beispielhaft in § 12 LOG NRW und zur Fachaufsicht in § 13 LOG NRW, § 3 Abs. 1 S. 3 GGO; Dietlein/Hellermann/J. Dietlein, Öffentliches Recht in NRW, § 3 Rn. 19; H. Maurer/C.  Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 22 Rn. 31.

132

F. Die praktische Arbeit des VBI

Ein weiteres organisatorisches Merkmal der Absetzung des OBA von der Verwaltung war die Regelung in § 1 Abs. 2 DA OBA, wonach diesem die Parteivertretung von Bundesbehörden oder gar des Bundes selbst nicht übertragen werden durfte27. Was seine Stellung in der Verwaltungshierarchie betrifft, hatte der OBA den Rang einer Bundesoberbehörde inne, womit er und das Bundesverwaltungsgericht sich im Rahmen der behördlichen Rangfolge auf einer Ebene befanden28. 3. Bewertung der Organisation des heutigen VBI im Hinblick auf die Gewährleistung einer hinreichenden Unabhängigkeit Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der VBI dadurch, dass er in die Verwaltung des Bundesinnenministeriums eingegliedert ist, den vorgenannten organisatorischen Anforderungen an seine Unabhängigkeit noch gerecht wird. a) Eingliederung des VBI in das Bundesministerium des Innern als „besondere Organisationseinheit“ Zieht man für eine nähere Bestimmung der genauen Organisation des VBI das Organigramm des Bundesministeriums des Innern heran, stellt sich heraus, dass dieser der „Abteilung V: Staatsrecht; Verfassungsrecht; Verwaltungsrecht“ und der „Unterabteilung V II: Verwaltungsrecht“ angegliedert ist29. Dabei ist er auch mit Ministerialbeamten besetzt30. Im Gegensatz zu den übrigen in der Abteilung V angesiedelten Organisationseinheiten stellt er aber kein nachgeordnetes Referat dar, sondern ist als „Arbeitsgruppe VBI“ eingerichtet, die auch nicht dem Nummerierungsschema der anderen Untergliederungen folgt31.

27  W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV. 1972, 626 (630). 28  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 40; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 168. 29  Organigramm auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, abgerufen unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/ themen/ministerium/organigramm-bmi.html, Stand: 15.3.2021. 30  Wysk/P. Wysk, VwGO, § 35 Rn. 2. 31  Organigramm auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, abgerufen unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/ themen/ministerium/organigramm-bmi.html, Stand: 15.3.2021.



I. Organisation der Einrichtung des VBI133

Zu beachten ist daneben die Tatsache, dass der VBI dem Wortlaut des ministeriellen Erlasses vom 1. September 2001 zur Schließung der Behörde des Oberbundesanwalts beim Bundesverwaltungsgericht zufolge „bei“ der Abteilung V, aber nicht „in“ oder „als Teil“ dieser eingerichtet wird32. Hieran erkennt man, dass die „Arbeitsgruppe VBI“ nicht vollständig in die Organisation des Ministeriums integriert ist, sondern eine besondere Organisationseinheit in Form einer zentralen Stelle darstellt33, die über ein größeres Maß an Unabhängigkeit verfügt als die übrigen Untergliederungen. Auf diese Sonderstellung deutet auch hin, dass das Bundesministerium des Innern den VBI auf seiner Internetseite nicht als eigene Behörde und Einrichtung auflistet34 und dieser außerdem – anders als die meisten übrigen in das Ministerium direkt integrierten Organisationseinheiten – über eine eigene Internetseite verfügt, was Ausdruck einer gewissen Eigenständigkeit ist35. Nach eigener Auskunft ist die Arbeitsgruppe VBI organisatorisch sogar gar kein Bestandteil der Abteilung V36. Dementsprechend kommt ihr die Stellung einer „besonderen Organisationseinheit“ im Rang einer Bundesbehörde zu37, die eigenständiger arbeitet als die übrigen direkt im Ministerium eingerichteten Stellen. b) Weisungsgebundenheit an und Bestellung durch die Bundesregierung als Kollegialorgan Eine gewisse organisatorische Unabhängigkeit des VBI von der Verwaltung, insbesondere in Form des Bundesministeriums des Innern, folgt auch aus der gesetzlichen Regelung in § 35 Abs. 1 S. 3 VwGO, wonach dieser an die Weisungen der Bundesregierung gebunden ist. Obwohl § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO besagt, dass der VBI im Bundesministerium des Innern einzurichten ist, wird das Weisungsrecht der Bundesregierung entsprechend dem Willen des Gesetzgebers nach wie vor so verstanden, dass dieses ausschließlich der Bundesregierung als Kollegialorgan zusteht und nicht einzelnen Ministern38, 32  GMBl.

2001 Nr. 40, S. 790.

33  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger,

VwGO, § 35 Rn. 4. des Bundesministeriums des Innern, abgerufen unter https://www. bmi.bund.de/DE/ministerium/behoerden-und-einrichtungen/behoerden-und-einrich tungen-node.html, Stand: 15.3.2021. 35  Internetseite des VBI, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses. de/Webs/VBI/DE/startseite/startseite-node.html, Stand: 15.3.2021. 36  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 37  Wysk/P. Wysk, VwGO, § 35 Rn. 2. 38  BT-Drucks. 14/5529, S. 65; GMBl. 2001 Nr. 40, S. 790; Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 1; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 4; Posser/Wolff/H. Schmitz, 34  Internetseite

134

F. Die praktische Arbeit des VBI

weswegen es auch nicht der Ressortverantwortung des Bundesinnenministers dient39. Auch die im Vergleich zur Rechtslage in der Zeit des OBA geänderte Vorschrift des § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO, wonach die Bundesregierung den VBI bestellt, wird so verstanden, dass dieser Vorgang durch Kabinettsbeschluss und somit durch die Bundesregierung als Kollegialorgan zu erfolgen hat40. Die Formulierung, dass der VBI „beim Bundesverwaltungsgericht“ bestellt wird, fungiert dabei als Hinweis auf seine Eigenschaft als Rechtspflegeorgan41. Aus dieser gesetzlichen Ausgestaltung folgt wiederum, dass der VBI genauso wie der frühere OBA der Fachaufsicht der Bundesregierung untersteht und das Bundesministerium des Innern lediglich die Dienstaufsicht führt42. Dementsprechend ist auch die DA VBI, die dessen Arbeitsweise näher ausgestaltet, durch die Bundesregierung und nicht durch das Bundesministerium des Innern erlassen worden43. Auf diese Weise ist der VBI von der Verwaltung unabhängiger als andere einzelne Behörden44. Im Einklang mit diesem Befund sieht sich der VBI selbst als ein funktional eigenständiges Organ der Rechtspflege an, das eine von der Ministerialverwaltung unabhängige Stellung einnimmt45. Dies spricht dafür, dass die Eingliederung in das Ministerium vor allem formaler Natur gewesen ist und somit das Verhältnis des VBI zum Ministerium und zur Bundesregierung nicht verändert hat.

VwGO, § 35 Rn. 3; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 35 Rn. 1; K. D. Schnapp­ auf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191); Schoch/Schneider/Bier/ C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 4 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 4. 39  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191 f.). 40  Auskunft des MinR Hubertus Rybak; HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 4; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 1; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 4 (2014). 41  Bericht über die Tätigkeit es VBI beim BVerwG im Geschäftsjahr 2015, S. 8, abrufbar unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/ Webs/VBI/DE/jahresbericht_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021; BT-Drucks. 14/5529, S. 65; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 4. 42  HK-VerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 4; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-­ Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 4 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 8; Wysk/P. Wysk, VwGO, § 35 Rn. 2. 43  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO § 35 Rn. 4 (2014). 44  Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 22. 45  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.



I. Organisation der Einrichtung des VBI135

c) Vertretungsverbot des VBI in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland vor Gericht Darüber hinaus spricht für eine unabhängige Arbeitsweise des VBI, dass dieser gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 DA VBI weiterhin nicht mit der Vertretung der Bundesrepublik selbst vor Gericht betraut werden darf. Dies folgt zudem aus einem Gegenschluss zur Regelung in § 36 Abs. 1 S. 2 VwGO zu den VöI in den Ländern, wonach diesen die Vertretung des Landes oder von Landesbehörden übertragen werden kann46. Dieses Vertretungsverbot gilt generell für öffentlich-rechtliche Körperschaften und Institutionen47. d) Hintergrund der Ersetzung des OBA durch den VBI Darauf, dass die Reform, die zur Ersetzung des OBA durch den VBI führte, vor allem formaler Natur war und die Unabhängigkeit des VBI nicht einschränken sollte, deutet auch deren Sinn und Zweck hin. Wie aus der Beschlussempfehlung des Innenausschusses im Bundestag vom 7. März 200148 hervorgeht, bestand dieser nämlich in der Effektivitätssteigerung der Verwaltung des VöI, die eine Senkung der von ihm benötigten Haushaltsmittel ermöglichen sollte49. Diesem Ziel diente die Eingliederung des VBI in das Ministerium dadurch, dass ihm nun dessen Infrastruktur zugutekommt, was im Vergleich zu Unterhalt und Benutzung paralleler eigener Einrichtungen für Synergieeffekte sorgt50. Darüber hinaus stellte sie eine Möglichkeit dar, im Zuge der Sitzverlegung des Bundesverwaltungsgerichts nach Leipzig einen kostspieligen Umzug des OBA, der in die Organisation des Gerichts eingegliedert war51, samt Herrichtung neuer Räumlichkeiten zu vermeiden52. 46  Gärditz/F. Wittreck,

VwGO, § 35 Rn. 3. VwGO, § 35 Rn. 2. 48  BT-Drucks. 14/5529. 49  BT-Drucks. 14/5529, S. 65; Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87; abgerufen unter https://www.bundesrech nungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahres berichte/1-archiv/2001-bemerkungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021; HKVerwR/B. Kastner, VwGO § 35 Rn. 2; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 2; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198); Schoch/ Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014); Wysk/P. Wysk, VwGO, § 35 Rn. 2; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 50  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198). 51  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231 f.). 52  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, §  35 Rn. 1 (2014); Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 1. 47  Eyermann/M. Hoppe,

136

F. Die praktische Arbeit des VBI

Eine Änderung des grundsätzlichen Verständnisses der Einrichtung des OBA und seiner Aufgaben bezweckte der Gesetzgeber mit der Reform aber gerade nicht53. Dieser gesetzgeberische Wille kommt auch im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck, das der Reform zugrunde lag, durch die der OBA durch den VBI ersetzt wurde: Gemäß Art. 14 Nr. 8 des Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 9. Juli 200154 werden Beteiligungserklärungen des OBA beim Bundesverwaltungsgericht, die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes abgegeben worden sind, vom VBI weiterverfolgt. Diese Regelung weist daraufhin, dass die praktische Arbeit dieser Einrichtung möglichst kontinuierlich weiter ausgeübt werden sollte, was sich mit einer Veränderung von Aufgabenstellung und grundsätzlichem Verständnis, zu dem insbesondere auch das Verhältnis zu Verwaltung und Bundesverwaltungsgericht zählt, nicht vereinbaren lässt. Im Ergebnis war die Reform mithin rein formaler Natur, sodass der VBI die Tätigkeit und Aufgaben des OBA ohne inhaltliche Veränderungen fortführt55. Leitbild des Gesetzgebers bei der Reform war in organisatorischer Hinsicht, dass das öffentliche Interesse nicht mehr durch eine eigenständige Rechtspflegebehörde, sondern durch die Einrichtung einer „zentralen Organisationseinheit für die Bundesregierung“ im Bundesministerium des Innern von der Regierung selbst vertreten werden sollte56. Durch die Formulierung der Bestellung „beim Bundesverwaltungsgericht“, die sowohl in der Bezeichnung „VBI“ als auch im Wortlaut des Gesetzes in § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO ihren Niederschlag erfährt, wollte der Gesetzgeber deutlich machen, dass der VBI trotz der mit der Reform verbundenen Eingliederung in das Ministerium ein Organ der Rechtspflege ist57, was ihn wiederum in die Nähe der objektiv arbeitenden Staatsanwaltschaft rückt. Dieses Verständnis liefert auch die Grundlage für eine funktionelle Selbständigkeit der VBI trotz der Integration in das Ministerium. Diese Parallele zur Staatsanwaltschaft ist vor dem Hintergrund besonders beachtlich, dass K. Neis gerade die Staatsanwaltschaft als Organ hervorgehoben hat, das aufgrund seiner Tätigkeit für die Rechtspflege wie der OBA der Judikative hinsichtlich seiner praktischen

53  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 2; K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198); Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 1 (2014); Wysk/P. Wysk, VwGO, § 35 Rn. 2. 54  BGBl. 2001 I Nr. 34, 1510 (1531). 55  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 56  BT-Drucks. 14/5529, S. 65. 57  Bericht über die Tätigkeit es VBI beim BVerwG im Geschäftsjahr 2015, S. 8, abrufbar unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/ Webs/VBI/DE/jahresbericht_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021; BT-Drucks. 14/5529, S. 65; Sodan/Ziekow/A. Guckelberger, VwGO, § 35 Rn. 4.



I. Organisation der Einrichtung des VBI137

Funktion nähersteht als der Exekutive58. Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Verwaltung ist aber aufgrund der Weisungsrechte, vor ­allem desjenigen der Landesjustizministerien gemäß § 147 Nr. 1, Nr. 2 GVG, in organisatorischer Hinsicht auch nicht unbeschränkt. Obwohl man den Unterschied beachten muss, dass die Staatsanwaltschaft in der Regel nicht an Fällen beteiligt ist, in denen die Verwaltung betroffen ist, zeigt dies, dass Rechtspflegeorgane, die objektiv das öffentliche Interesse wahrnehmen, grundsätzlich nicht völlig aus der Verwaltung herausgelöst sein müssen. e) Persönliche Stellung des VBI in der Verwaltung im Vergleich zum OBA Eine in persönlicher Hinsicht im Vergleich zum OBA gesteigerte Unabhängigkeit hat der VBI dadurch erlangt, dass er anders als sein Vorgänger kein politischer Beamter ist59, sodass er nicht mehr jederzeit gemäß § 54 BBG in den Ruhestand versetzt werden kann. Der ehemalige OBA konnte hingegen stets aufgrund fehlender Übereinstimmung mit den politischen Zielen der Bundesregierung aus seinem Amt entlassen werden, ohne dass dies einer Begründung bedurfte60. Diese Eigenschaft des OBA hatte C. H. Ule noch als Hinweis auf die ursprüngliche Erwägung des historischen Gesetzgebers bei dessen Errichtung angesehen, dass der OBA die Ansicht der Bundesregierung zu Rechtsfragen in den Prozess einführen sollte61. Das Amt des VBI befindet sich dabei auf derselben Stufe wie dasjenige eines Bundesrichters62, sodass die Anforderung einer Ansiedlung auf derselben Stufe wie das Bundesverwaltungsgericht weiterhin erfüllt ist. f) Ergebnis Sein Postulat einer „organisatorischen Herauslösung“ des OBA „aus der Verwaltung und seine Eingliederung in die Gerichtsorganisation“ stützte K. Neis auf die Erwägung, dass das Rechtsstaatsgebot verlange, dass der OBA in einer Art und Weise organisiert sei, die bereits den Anschein verhindere, er würde derart von der Verwaltung beeinflusst, dass er für diese, sozu-

58  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231). 59  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 4 (2014). 60  BR-Drucks. 100/82, S. 84; C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (659). 61  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 62  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 5.

138

F. Die praktische Arbeit des VBI

sagen als deren Streithelfer, Partei ergreife63. In Bezug auf den VBI wird dabei zum Teil die Gefahr gesehen, dass er angesichts seiner heutigen Organisation wegen der Weisungsgebundenheit gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 VwGO und einer „institutionellen und hierarchischen Einbindung“ in das Bundesministerium des Innern nicht mehr in der Lage ist, vor Gericht eine von der Bundesregierung abweichende Auffassung zu vertreten64. Bedenkt man aber, dass trotz der Eingliederung des VBI in das Bundesministerium des Innern nach wie vor allein die Bundesregierung als Kollegialorgan befugt ist, dem VBI im Wege der Fachaufsicht bindende Weisungen zu erteilen und nicht das Ministerium als einzelnes Ressort, dann ist allein aufgrund dieser Integration noch nicht die Gefahr zu erkennen, dass das Ministerium derart Einfluss auf den VBI nimmt, dass dessen Unabhängigkeit im gerichtlichen Verfahren beeinträchtigt wird. Dies gilt umso mehr, als der VBI im Ministerium organisatorisch eine Sonderstellung einnimmt, die der Darstellung des Organigramms65 zufolge neben der sonst üblichen Hierarchie der einzelnen Verwaltungseinheiten besteht und nicht in diese eingegliedert ist66, was sich letztlich in der Bezeichnung als bloße Arbeitsgruppe ohne die sonst übliche vorangestellte Nummer widerspiegelt. Die Tatsache, dass der VBI bei der „Abteilung V: Staatsrecht; Verfassungsrecht; Verwaltungsrecht“ angesiedelt ist, die laut Internetseite des Bundesministeriums des Innern die Aufgabe hat, Gesetzesentwürfe auf den Gebieten des Staats- und Verwaltungsrechts zu erstellen sowie sämtliche Rechtssetzungsvorhaben der Bundesregierung auf ihre Verfassungsmäßigkeit sowie auf ihre Verwaltungsförmigkeit hin zu überprüfen67, deutet vielmehr darauf hin, dass sich der VBI möglichst nahe an der Quelle von Hintergrundinformationen über bereits existierende oder geplante Gesetze befinden soll, die von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beeinträchtigt werden können. Auch in umgekehrte Richtung kann der VBI auf diese Weise möglichst effektiv die zuständige Abteilung des Ministeriums über das Schicksal der von ihr bei der Erstellung betreuten Gesetze im Rahmen der Rechtsprechung informieren. 63  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (231). 64  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 117. 65  Organigramm auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, abgerufen unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/ themen/ministerium/organigramm-bmi.html, Stand: 15.3.2021. 66  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 67  Aufgabenbeschreibung der Abteilung V auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, abgerufen unter https://www.bmi.bund.de/DE/ministerium/dasbmi/abteilungen-und-aufgaben/abteilungen-und-aufgaben-node.html;jsessionid=B63D D3BFB9BFB910174472D5B0C9224B.2_cid287, Stand: 15.3.2021.



II. Aufbau der Arbeitsgruppe VBI139

Im Ergebnis ist der VBI daher aufgrund seiner organisatorischen Sonderstellung im Ministerium sowie wegen des unverändert gebliebenen Weisungsrechts trotz seiner formalen Integration in das Bundesministerium des Innern seiner Funktion nach weiterhin als eine eigenständige Bundesbehörde anzusehen. In organisatorischer Hinsicht hat er dabei im Vergleich zum OBA insgesamt nicht an Unabhängigkeit eingebüßt68. Es bestehen somit auch keine ernsthaften Bedenken dagegen, dass sich der für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Grad an Unabhängigkeit hinreichend in seiner Organisation widerspiegelt.

II. Aufbau der Arbeitsgruppe VBI als zentrale Organisationseinheit der Bundesregierung Nach der vorstehenden Schilderung der äußeren Organisation des VBI soll nun die innere Organisation der „Arbeitsgruppe VBI“ untersucht werden. 1. Der gegenwärtige innere Aufbau der „Arbeitsgruppe VBI“ Einen ersten Anhaltpunkt stellt dabei der Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 1. September 2001 dar, der vorsieht, dass die Leitung der Organisationseinheit des VBI durch den ständigen Vertreter des Abteilungsleiters V wahrgenommen wird69. Hierbei handelt es sich um eine Position auf der Ebene eines Unterabteilungsleiters, die regelmäßig der Besoldungsgruppe B 6 entspricht70. In der Praxis werden aber aus Gründen der Personalwirtschaft häufig auch Referatsleiter aus den Besoldungsgruppen A 16 oder B 3 mit dieser Aufgabe betraut71. Dem Geschäftsverteilungsplan des VBI vom 1. Januar 2021 zufolge übt die Leitung derzeit ein Ministerialrat aus, der gleichzeitig das Amt des VBI im Rahmen des Aufgabenbereichs 1 wahrnimmt72. Dieser Aufgabenbereich umfasst alle Sachen, die vor dem 7. sowie vor dem 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts verhandelt werden und damit im Wesentlichen die Rechtsgebiete des Umweltrechts sowie des Informationsfreiheitsrechts nebst ver-

68  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak. 2001 Nr. 40, S. 790. 70  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 4 (2014). 71  Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 4 (2014). 72  Geschäftsverteilungsplan des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 69  GMBl.

140

F. Die praktische Arbeit des VBI

wandten Feldern73. Die Vertretung des Bundesinteresses vor dem 3. und 8. Senat und damit auf den Rechtsgebieten des Tierschutz-, Forst- und Jagdrechts sowie des öffentlichen Wirtschaftsrechts nebst dem Kommunalrecht und verwandten Rechtsgebieten übernimmt derzeit ein Beamter im Rang eines Regierungsdirektors als Aufgabenbereich 274. In den Aufgabenbereichen 3 und 4 vertritt jeweils ein Ministerialrat das Bundesinteresse vor dem Bundesverwaltungsgericht75. Ersterer erfasst dabei alle Sachen vor dem 2. und 5. Senat und somit vor allem das Recht des öffentlichen Dienstes, das Beamtenrecht und das Sozialrecht76. Der Aufgabenbereich 4 ist für Verfahren vor dem 1., 4., 6. und 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts zuständig, also für Asylrecht, Baurecht, Polizei- und Ordnungsrecht sowie für Straßenund Wegerecht und mit den aufgezählten Bereichen verwandte Rechtsgebiete77. Damit besteht die „Arbeitsgruppe VBI“ aus dem VBI als Leiter dieser Arbeitsgruppe und drei weiteren Volljuristen, die je nach Aufgabenbereich als VBI Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bearbeiten und vor diesem auftreten78. Zudem verfügt die Arbeitsgruppe über eine eigene Geschäftsstelle, die mit zwei Bürosachbearbeitern besetzt ist79. Weitere Personen sind in der Arbeitsgruppe VBI nicht beschäftigt80.

73  Geschäftsverteilungsplan des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 74  Geschäftsverteilungsplan des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 75  Geschäftsverteilungsplan des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 76  Geschäftsverteilungsplan des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 77  Geschäftsverteilungsplan des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 78  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 9, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/ DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82D0E.2 _cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 79  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Geschäftsjahr 2019, S. 7, abrufbar unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/ Webs/VBI/DE/jahresbericht_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 80  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.



II. Aufbau der Arbeitsgruppe VBI141

2. Vergleich des inneren Aufbaus der „Arbeitsgruppe VBI“ mit dem früheren OBA und Bewertung Im Vergleich zur personellen Ausstattung des OBA im Jahr 2001 hat dessen Ersetzung durch den VBI zu einem Abbau von 14 Stellen geführt, darunter auch der Planstelle des OBA im Sinne des Behördenleiters selbst81. Als Ersatz für dessen Position ist der Behördenleiter des VBI eingeführt worden, der einer im Vergleich zum OBA niedrigeren Besoldungsgruppe angehört. Trotz dieser Verschlankung der VBI im Vergleich zum OBA, die mit einer niedriger angesiedelten formalen Stellung einhergeht, welche in der Änderung der Besoldungsstufe des Leiters ihren Ausdruck findet, zeigt die Aufteilung der vier Aufgabenbereiche, dass der VBI den Anspruch hat, grundsätzlich alle Rechtsgebiete abzudecken, die vor dem Bundesverwaltungsgericht relevant sind. Die Gliederung der einzelnen Aufgabenbereiche anhand der beim Bundesverwaltungsgericht eingerichteten Senate spiegelt darüber hinaus den besonderen Bezug des VBI zur Gerichtsbarkeit wider. 3. Gegenstand des Begriffs „VBI“ Aus dem Geschäftsverteilungsplan ergibt sich insgesamt, dass sich unter dem Begriff „VBI“ je nach Zusammenhang drei verschiedene konkrete Bedeutungen verbergen können: Erstens kann sich dieser Begriff auf die gesamte Organisationseinheit „Arbeitsgruppe VBI“ beziehen, also als Bezeichnung der Einrichtung im organisatorischen Sinn gemeint sein82. Daneben kommt dem Begriff des „VBI“ eine personelle Bedeutung zu, die sich auf den Leiter dieser Organisationseinheit als Amtsbezeichnung bezieht83. Außerdem ist zu beachten, dass in dieser Arbeitsgruppe derzeit insgesamt vier Juristen als Amtswalter beschäftigt sind, welche die Aufgaben der VBI vor dem Bundesverwaltungsgericht wahrnehmen und dementsprechend in den dortigen Verfahren als VBI auftreten, womit der Begriff des „VBI“ eine dritte verfahrensbezogene Dimension erhält.

81  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88; abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 82  Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 1. 83  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 9, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs /VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2cid287?blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 1.

142

F. Die praktische Arbeit des VBI

Nach dem Selbstverständnis der Arbeitsgruppe VBI wird der Begriff des „VBI“ im Sinne der personellen Bedeutung verwendet, also für den Leiter der Arbeitsgruppe84. Diese Position hat zurzeit der Ministerialrat Hubertus Rybak inne85. Nichtsdestotrotz wird der Begriff in Literatur und Rechtsprechung daneben auch als Bezeichnung für einzelne Amtswalter, die für die „Arbeitsgruppe VBI“ im Gerichtsverfahren das öffentliche Interesse wahrnehmen, und für die Arbeitsgruppe selbst verwendet.

III. Die praktische Arbeitsweise des VBI Ende der 1960er Jahre hat der damalige OBA K. Neis eine detaillierte Darstellung seiner praktischen Arbeitsweise verfasst86, die über die Zeit der Reform, die zur Ersetzung des OBA durch den VBI führte87, hinaus auch gegenwärtig noch Bestand hat88. Dieser Beschreibung zufolge gliedert sich die Bearbeitung eines Verfahrens durch den VBI in vier grundsätzliche Phasen: Die Prüfung der grundsätzlichen Betroffenheit des öffentlichen Interesses, die Beschaffung von einschlägigen Hintergrundinformationen, die Erstellung und Einführung einer schriftlichen Stellungnahme in das Verfahren sowie die Auswertung der Gerichtsentscheidung89. Seiner Tätigkeit legt der VBI dabei ein Aufgabenverständnis zugrunde, wonach er das öffentliche Interesse des Bundes in die Verwaltungsstreitverfahren einführt, die vor dem Bundesverwaltungsgericht stattfinden, indem er einerseits dieses bei der Rechtsfindung unterstützt und andererseits die Bundesministerien über gegenwärtig vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Verfahren sowie über deren Ergebnisse und Rechtsfolgen informiert90. „Öffentliches Interesse des Bundes“ versteht er dabei in einem gesamtstaat­ lichen Sinn, der die Interessen der Länder und Kommunen sowie diejenigen der einzelnen Bürger umfasst91. 84  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak. des VBI auf dessen Internetseite, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ gvp.pdf?blob=publicationFile&v=12, Stand: 15.3.2021. 86  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861. 87  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (196). 88  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 89  R. Frauenknecht, Aufgabe und Tätigkeit der Bundesanwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 13 (17); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (106); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861). 90  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 91  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 85  Geschäftsverteilungsplan



III. Die praktische Arbeitsweise des VBI143

1. Prüfung der grundsätzlichen Betroffenheit des öffentlichen Interesses Während der ersten Bearbeitungsphase überprüft der VBI alle eingehenden Verfahren daraufhin, ob deren Gegenstand das öffentliche Interesse berührt92. Als Grundlage hierfür erhält er alle Schriftsätze und gerichtlichen Verfügungen zu den anhängigen Verfahren, solange er keine Beteiligungsverzichtserklärung abgibt93. a) Rechtliche Prüfung des Verfahrens und Einordnung in die bisherige Rechtsprechung Dazu muss er bereits an dieser Stelle in zweierlei Hinsicht tätig werden: Zum einen nimmt er eine vollständige rechtliche Prüfung vor, die sich auf den gesamten Verfahrensstoff unter dem Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten der Revision bezieht94. Zum anderen ordnet er das fragliche Verfahren in den Kontext der gesamten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein, wobei er neben den rechtlichen Feldern, die durch den vorliegenden Rechtsstreit unmittelbar betroffen sind, auch benachbarte und eher abgelegene Rechtsgebiete in den Blick nehmen muss, die etwa durch rechtliche, soziale, finanzielle oder wirtschaftliche Folgen einer Entscheidung des fraglichen Verfahrens beeinflusst werden könnten95. Ebenfalls wichtig ist es für den VBI, herauszufinden, inwieweit die für die Entscheidung des Verfahrens notwendigerweise zu beantwortenden Rechtsfragen bereits Gegenstand anderer vergangener oder noch parallel anhängiger Rechtsstreitigkeiten sind96. b) Verneinung des öffentlichen Interesses Das öffentliche Interesse ist regelmäßig dann zu verneinen, wenn die Entscheidung des fraglichen Verfahrens für die Zukunft keine weitere Bedeutung mehr hat, sei es, weil für das Verfahren wesentliche Normen geändert werden oder maßgebliche Rechtsfragen bereits durch das Gericht entschieden worden sind, es sei denn, der VBI hat an dieser Rechtsprechung bedeutende 92  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861). 93  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 94  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (106); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861). 95  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (106); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861). 96  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861).

144

F. Die praktische Arbeit des VBI

Zweifel97. Eine Beteiligung des VBI scheidet zudem in Fällen aus, die ausschließlich durch Umstände des Einzelfalls geprägt sind, sodass diese von vorne herein keine Auswirkungen über das konkrete Verfahren hinaus haben können98. Allgemein lässt sich die Faustformel aufstellen, dass der VBI in dieser ersten Bearbeitungsphase das Vorliegen des öffentlichen Interesses bei solchen Revisionsverfahren verneint, die gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgrund einer Abweichung des Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufgrund eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, zugelassen worden sind99. In diesen Fällen endet die Tätigkeit des VBI mit einer Nichtbeteiligungserklärung gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht, die keine weitere Begründung enthält100. Eine generelle Beteiligungsverzichtserklärung hat der VBI zurzeit nur für Verfahren abgegeben, die eine Entscheidung über die Zulassung einer Revision zum Gegenstand haben101. Verzichtet der VBI auf seine Beteiligung, erhält er vom Bundesverwaltungsgericht keine weiteren Informationen mehr über das Verfahren außer der abschließenden Entscheidung, also dem Urteil oder dem Beschluss102. c) Bejahung des öffentlichen Interesses Die Revisionsverfahren, in denen der VBI am Ende der ersten Bearbeitungsphase zu dem Ergebnis kommt, dass das öffentliche Interesse betroffen ist, lassen sich demgegenüber anhand der folgenden Kriterien näher eingrenzen. aa) Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen Zum einen handelt es sich überwiegend um Fälle, in denen die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der 97  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (106); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861). 98  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (106); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862). 99  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (861 f.). 100  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862). 101  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 102  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.



III. Die praktische Arbeitsweise des VBI145

Sache zugelassen wurde, wobei zu beachten ist, dass die Begriffe „öffent­ liches Interesse“ und „grundsätzliche Bedeutung“ nicht identisch sind103. Dennoch fällt die für den VBI alleine maßgebliche Berührung des öffent­ lichen Interesses typischerweise mit den Fällen des ausschließlich für die Frage der Zulassung der Revision relevanten Begriffs der „grundsätzlichen Bedeutung“ zusammen104. Eine trotz ihrer unterschiedlichen Anwendungsbereiche inhaltliche Nähe beider Rechtsbegriffe zu einander wird vor dem Hintergrund deutlich, dass eine Sache gemäß § 132 Abs 2 Nr. 1 VwGO im Allgemeinen dann eine grundsätzliche Bedeutung hat, wenn das dem Verfahren zugrunde liegende Rechtsproblem über die konkrete Sache hinaus eine wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung des Rechts hat105. An einer Entscheidung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht muss dabei aufgrund der Rechtssicherheit, der Einheitlichkeit der Rechtsordnung oder der Rechtsfortbildung ein „allgemeines Inte­ resse“ bestehen106. Die Feststellung, dass der Begriff des „öffentlichen Inte­ resses“ mit dem „Interesse der Allgemeinheit“ gleichzusetzen ist107, spricht zwar dafür, dass das „öffentliche Interesse“ und die „grundsätzliche Bedeutung“ inhaltlich deckungsgleich sind. Ein Unterschied zwischen beiden besteht aber darin, dass „grundsätzliche Bedeutung“ im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf die Bedeutung des konkreten Verfahrens in rechtlicher Hinsicht beschränkt ist, während wirtschaftliche, politische und soziale Auswirkungen nicht zu berücksichtigen sind108. Darüber hinaus ist auch nicht ausgeschlossen, dass ein Verfahren im Einzelfall nicht doch das öffentliche Interesse betrifft, wenn seine Zulassung auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 VwGO beruht, auch wenn dies in der Regel nicht der Fall ist.

103  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862). 104  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862). 105  Eyermann/I. Kraft, VwGO, § 132 Rn. 14  f.; Gärditz/M. Winkelmüller/F. van Schewick, VwGO, § 132 Rn. 29 f.; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 9; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 132 Rn. 6. 106  Eyermann/I. Kraft, VwGO, § 132 Rn. 14  f.; Gärditz/M. Winkelmüller/F. van Schewick, VwGO, § 132 Rn. 29 f.; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 9. 107  S.  49 f. 108  Eyermann/I. Kraft, VwGO, § 132 Rn. 14  f.; Gärditz/M. Winkelmüller/F. van Schewick, VwGO, § 132 Rn. 30; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 12; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 132 Rn. 8.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

bb) Grundlegende Bedeutung für Verständnis und Anwendung von Bundesrecht im Einzelfall Der VBI bejaht eine Betroffenheit des öffentlichen Interesses generell in den Fällen, in denen dem Verfahren eine grundlegende Bedeutung für Verständnis und Anwendung von Bundesrecht über den Einzelfall hinaus zukommt109. Dies betrifft Situationen, in denen aus der Sicht des Bundesinte­ resses ein ergänzender Vortrag notwendig ist, um der praktischen und rechtlichen Bedeutung der einschlägigen Normen gerecht zu werden110. Als konkrete, nicht abschließende Beispiele für Verfahren, an denen eine Beteiligung wegen Betroffenheit des öffentlichen Interesses typischerweise zu bejahen ist, nennt K. Neis die Bedeutung für einen weiten Bevölkerungskreis oder für die Verwaltungspraxis, eine besonders weitreichende rechtliche Bedeutung, insbesondere, wenn es um die Auslegung des Grundgesetzes geht, aber auch finanzielle, wirtschaftliche, soziale oder politische Auswirkungen111. cc) Unabhängigkeit von den politischen Vorstellungen des Gesetzgebers Die praktische Arbeit des VBI orientiert sich generell, aber auch im Besonderen bei der Prüfung der Betroffenheit des öffentlichen Interesses an der Durchsetzung von Recht und Gesetz und nicht an den politischen Vorstellungen der Bundesregierung112. Zwar unterliegt er gemäß § 2 Abs. 2 DA VBI bezüglich seines Beteiligungsverhaltens und gemäß § 6 DA VBI generell der Weisungsgebundenheit der Bundesregierung. Bislang hat diese von ihrem Weisungsrecht aber noch nie Gebrauch gemacht, und zwar weder auf Grundlage von § 2 Abs. 2 DA VBI noch gemäß § 6 DA VBI113. 2. Beschaffung einschlägiger Hintergrundinformationen Ist der VBI zu dem Ergebnis gelangt, dass das infrage stehende Verfahren das öffentliche Interesse berührt, geht er in der Fallbearbeitung in die zweite Phase über, in der er rechtliche sowie tatsächliche Hintergrundinformationen zusammenträgt, die er benötigt, um die Notwendigkeit einer Beteiligung

109  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak. des MinR Hubertus Rybak. 111  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862). 112  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 113  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 110  Auskunft



III. Die praktische Arbeitsweise des VBI147

endgültig zu klären und ein Votum gegenüber dem Gericht abzugeben114. Hierbei zielt seine Arbeit primär darauf ab, Rechtsargumente herauszuarbeiten und in das Verfahren einzuführen, die auf den anerkannten juristischen Methoden beruhen115. Eine zentrale Bedeutung hat dabei die Entstehungs­ geschichte einschlägiger Normen, wobei auch die Verwaltungspraxis sowie die über das einzelne Verfahren hinausgehenden Auswirkungen und die Bedeutung des Verfahrens relevant werden können116. An dieser Stelle holt er primär gemäß § 3 Abs. 1 DA VBI die Stellungnahme des fachlich zuständigen Bundesressorts ein: Die Ministerien des Bundes sind dabei besonders vor dem Hintergrund eine nützliche Quelle zur Informationsbeschaffung, dass diese eine unmittelbare Kenntnis von den Motiven und Vorstellungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Bundesgesetze haben, weil sie diesem besonders nahestehen und am Gesetzgebungsprozess mitwirken117. Dies wird vor allem vor dem Hintergrund relevant, dass gemäß § 137 Abs. 1 VwGO mit der Revision grundsätzlich lediglich eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden kann118, also das Bundesverwaltungsgericht nur über die richtige Anwendung des Bundesrechts und nicht des Landesrechts in der Vorinstanz entscheidet119. Darüber hinaus haben die Bundesministerien auch Einblicke in die Verwaltungspraxis, indem sie im direkten Austausch mit der Bundesverwaltung stehen und durch die Ausschüsse des Bundesrats über die Erfahrungen der Landesverwaltungen mit einschlägigen Gesetzen informiert werden120. In der Praxis ergreift das betroffene Ministerium dabei nicht Partei, sondern arbeitet heraus, welche inhaltlichen Aspekte des öffentlichen Interesses betroffen sind121. Eine Mitwirkung der Ressortleitung sowie eine „politische Abstimmung“ sind zwar nicht von vorne herein ausgeschlossen, werden aber tatsächlich nicht praktiziert122.

114  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 115  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 116  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 117  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 118  Eyermann/I. Kraft, VwGO, § 137 Rn. 15, 16, 20; Gärditz/M. Winkelmüller/F. van Schewick, VwGO, § 137 Rn. 19; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 137 Rn. 4; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 137 Rn. 2. 119  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 120  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 121  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (197). 122  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (197).

148

F. Die praktische Arbeit des VBI

Trotz der Eignung der Ministerien zur Informationsbeschaffung ist gerade im Bereich des Verwaltungsvollzugs durch die Länder und Gemeinden deren Kenntnis oft lückenhaft, sodass der VBI auch Länderbehörden und kommunale Spitzenverbände zur Gewinnung von Hintergrundinformationen anruft123. Je nach Umfang der tatsächlichen und rechtlichen Fragen, die das Verfahren aufwirft, kann die Zusammenstellung der Hintergrundinformationen sehr aufwändig werden, insbesondere wenn eine Vielzahl unterschied­ licher Abteilungen in Ministerien sowie in nachgeordneten Behörden von der Sache betroffen ist und daher Stellung nehmen muss124. Neben den fachlichen Stellungnahmen von durch das Verfahren betroffenen Ressorts stellen einschlägige Gesetze und Gerichtsurteile wesentliche Quellen für Hintergrundinformationen dar, die der VBI heranzieht125. Die eingeholten Hintergrundinformationen muss der VBI zunächst einmal prüfen, bevor er diese seinem Votum zugrunde legen kann126. Für den Inhalt seines Votums und damit auch für die Einführung der Informationen in das Verfahren trägt nämlich allein er selbst die Verantwortung127. Möchte der VBI von der Stellungnahme des einschlägigen Ministeriums abweichen, muss er mit diesem gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 DA VBI eine Lösung auf dem Verhandlungsweg suchen128. Aufgrund seiner engen Verbindung zum Bundesverwaltungsgericht kann der VBI das Ressort dabei auch auf Aspekte hinweisen, welche diesem ohne weiteres nicht zugänglich sind129. Wenn allein rechtliche Fragen streitig sind, kann es auch im Interesse des Gerichts sein, möglichst unterschiedliche Rechtsauffassungen kennen zu lernen, sodass es sinnvoll ist, wenn der VBI sowohl seinen eigenen Standpunkt als auch denjenigen des Bundesministeriums in das Verfahren einführt130.

123  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 124  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (197). 125  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 126  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 127  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863). 128  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 129  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 130  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864).



III. Die praktische Arbeitsweise des VBI149

3. Erstellung und Einführung einer schriftlichen Stellungnahme in das Verfahren Sind die ersten beiden Tätigkeitsphasen des VBI vorbereitender Natur, arbeitet er in der dritten Phase gerichtsbezogen. a) Erstellung des Votums Er entscheidet endgültig über sein Tätigwerden und erstellt unter Berücksichtigung der in der zweiten Bearbeitungsphase gewonnenen Hintergrundinformationen ein Votum, das er in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einführt131. Inhaltlicher Schwerpunkt des Votums sind dabei diejenigen Aspekte, die unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses relevant sind, sodass eine erschöpfende Stellungnahme zu allen durch das Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen unterbleibt132. Daher trifft der VBI eine Auswahl unter den vom Verfahren berührten Problemen, wobei er nach Möglichkeit versucht, Aspekte aufzugreifen, die in den Vorinstanzen noch nicht behandelt worden sind, sowie übergreifende Zusammenhänge rechtlicher oder nichtrechtlicher Natur in das Verfahren einzuführen133. b) Teilnahme an der mündlichen Verhandlung Nach Einreichung des Votums und gegebenenfalls noch weiterer Schriftsätze nimmt ein Sitzungsvertreter an der mündlichen Verhandlung teil, an deren Ende er wie ein Staatsanwalt im Strafverfahren eigenverantwortlich entscheiden muss, ob er das Votum uneingeschränkt aufrechterhält oder Änderungen vornimmt134. Die Person des Sitzungsvertreters ist dabei regelmäßig mit derjenigen des Erstellers des Votums identisch135. Sein Antragsrecht versteht der VBI dabei dergestalt, dass er auf den von den Hauptbeteiligten festgelegten Streitgegenstand beschränkt ist und nicht über diesen hinausgehen darf136. In der Regel stellt der VBI jedoch aus Neutralitätsgründen keine eigenen Anträge, sondern trägt lediglich seine eigenen Argumente zu den 131  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 132  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 133  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (108); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 134  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 135  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 136  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.

150

F. Die praktische Arbeit des VBI

streitigen Rechtsfragen vor137. Weil in der mündlichen Verhandlung bereits alle Rechtsansichten und Argumente erörtert werden, besteht meist auch kein Bedarf mehr für ein abschließendes Plädoyer des VBI138. Stellt sich im Verlauf der mündlichen Verhandlung heraus, dass ein solches Plädoyer zweckmäßig ist, beschränkt sich auch ein solches auf die Argumente hinsichtlich strittiger Rechtsfragen und enthält keine eigenen Anträge139. Bei umfangreichen und komplexen Verfahren kann sogar ein Vertreter eines sachlich betroffenen Bundesministeriums oder einer nachgeordneten Behörde in der mündlichen Verhandlung zur Unterstützung des VBI auftreten und dessen Vortrag ergänzen140. Eine Beeinträchtigung der prozessualen Waffengleichheit lehnt der VBI mit dem Hinweis darauf ab, dass es hierfür nicht auf die Zahl der beteiligten Personen, sondern auf die Qualität der vor Gericht vorgetragenen Argumente ankomme141. Darüber hinaus entspricht ein solches Vorgehen nicht dem Regelfall, sondern stellt die Ausnahme für die Fälle dar, in denen es in der mündlichen Verhandlung erforderlich ist, auf das besondere Fachwissen eines Ministeriums zurückzugreifen142. In einzelnen Fällen tritt vor dem Bundesverwaltungsgericht neben dem VBI auch ein VöI auf, der gemäß § 36 Abs. 1 VwGO durch ein Bundesland eingerichtet worden ist143. Dabei kommt es durchaus vor, dass beide unterschiedliche Rechtsauffassungen in ein und derselben Sache vertreten144. c) Statistik zu den Voten von OBA und VBI Wies K. Neis im Jahr 1968 noch darauf hin, dass das Votum des OBA in etwa 30 Prozent der Fälle zugunsten des Bürgers ausfalle145, stellt der VBI heutzutage darauf ab, dass er als gesetzliches Organ der Rechtspflege generell im Verfahren nicht Partei ergreife146. Im Zusammenhang mit dem Befund, dass der VBI in der Regel keine Anträge stellt, ergibt sich ein Bild, wonach dieser sich im Verfahren wesentlich auf bestimmte Sachargumente zur Anwendung streitentscheidender Normen konzentriert und dabei nicht im 137  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak; Wysk/P. Wysk, VwGO, § 35 Rn. 4. des MinR Hubertus Rybak. 139  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 140  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (197). 141  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 142  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 143  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 144  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 145  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (864). 146  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 138  Auskunft



III. Die praktische Arbeitsweise des VBI151

Blick hat, mit der Position welcher Beteiligter diese übereinstimmen. Ebenso wenig lässt sich eine weitere von K. Neis angeführte Statistik aktualisieren, wonach im Zeitraum zwischen 1962 und 1967 in etwa 71 Prozent der Beteiligungsfälle die gerichtlichen Entscheidungen in vollem Umfang dem Votum des VBI entsprachen, in weiteren 11 Prozent eine teilweise Übereinstimmung vorlag und in den verbleibenden 18 Prozent das Bundesverwaltungsgericht dem Votum des VBI gänzlich nicht folgte147. Für den Zeitraum der letzten Jahre gibt es weder Zahlen dazu, in wieviel Prozent der Fälle das Votum des VBI mit der gerichtlichen Entscheidung übereinstimmt, noch existieren Erfahrungswerte darüber, wie stark diese Stellungnahmen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beeinflussen148. d) Hinweise auf eine Beteiligung des VBI in den gerichtlichen Entscheidungen In seinen Entscheidungen erwähnt das Bundesverwaltungsgericht regelmäßig ganz am Ende des Tatbestands, dass sich der VBI beteiligt hat und in welche Richtung sein Votum ausgefallen ist149. Gelegentlich schildert es darüber hinaus auch die näheren rechtlichen Ausführungen des VBI150. In einigen dieser Fälle setzt es sich zudem in den Entscheidungsgründen im Einzelnen mit dem Votum des VBI auseinander und legt dar, ob es sich diesem anschließt oder nicht151. Zu beachten ist aber, dass das Bundesverwaltungsgericht keinesfalls verpflichtet ist, das Votum des VBI in seinen Entscheidungsgründen in irgendeiner Weise aufzugreifen, sei es durch bloßes Zitat oder gar durch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem152.

147  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (865). 148  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 149  Beispielsweise BVerwG, Urteil vom 3.12.2004 – 6 A 10/02 –, juris, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 –2 C 33/09 –, juris, Rn. 6; BVerwG, Beschluss vom 23.6.2010 – 6 P 8/09 –, juris, Rn. 7; BVerwG, Urteil vom 29.9.2011 – 10 C 24/10 –, juris, Rn. 6. 150  Beispielsweise BVerwG, Urteil vom 13.2.2014 – 10 C 6/13 –, juris, Rn. 8; BVerwG, Urteil vom 21.1.2015 – 10 C 11/14 –, juris, Rn. 10. 151  Beispielsweise BVerwG, Urteil vom 17.2.2011, 4 C 9/19 – juris, Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 13.2.2014 – 10 C 6/13 –, juris, Rn. 12; BVerwG, Urteil vom 21.1.2015 – 10 C 11/14 –, juris, Rn. 14. 152  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (119); K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (131).

152

F. Die praktische Arbeit des VBI

e) Handhabung der Befugnis, Anhörungsrügen gemäß § 152a Abs. 1 VwGO zu erheben, in der Praxis Hinsichtlich der Frage, ob der VBI eine Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 VwGO erheben kann, stellt dieser auf den Wortlaut des Gesetzes ab153. Demnach scheidet die Erhebung einer Anhörungsrüge seitens des VBI zugunsten anderer Beteiligter aufgrund der fehlenden eigenen Beschwer aus. Ob er mit diesem Rechtsbehelf die Verletzung des eigenen rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG rügen kann, hängt damit davon ab, ob er selbst mit einer solchen Verletzung beschwert sein kann. Nach dem oben dargestellten Verständnis von Art. 103 Abs. 1 GG154 ist dies abzulehnen. 4. Auswertung der Gerichtsentscheidung Nachdem das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung getroffen hat, stellt der VBI zunächst fest, inwieweit sich seine Auffassung in dem Urteil wiederfindet155. Daneben arbeitet er heraus, ob sich aus der Entscheidung Einsichten gewinnen lassen, die für andere anhängige Verfahren oder für die zukünftige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts relevant werden können156. Gegebenenfalls kann dies sogar dazu führen, dass der VBI die Beteiligung an einem parallelen Verfahren beendet157. Daneben trägt er seine Schlussfolgerungen aus der Gerichtsentscheidung auch der Verwaltung vor und regt bei Bedarf gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 DA VBI eine Änderung von Rechtsnormen oder der Verwaltungspraxis an158.

IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat In den Tätigkeitsberichten über die Jahre 2009 bis 2020, die auf der Internetseite des VBI bereitgestellt werden, sind beispielhaft für jedes Jahr in diesem Zeitraum einige Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten aufgeführt, an de153  Auskunft

154  S. 71–74.

des MinR Hubertus Rybak.

155  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (865). 156  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (865). 157  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (865). 158  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (108); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (865).



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat153

nen sich der VBI beteiligt hat159. Die Auswahl soll dabei die Verfahren aus dem entsprechenden Jahr widerspiegeln, die fachlich besonders interessant waren160. Um einen Eindruck davon zu erhalten, an welchen Verfahren sich der VBI in der Praxis beteiligt, wie er sich inhaltlich in diese einbringt und welchen Einfluss dies auf die jeweilige Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht hat, sollen nachfolgend beispielhaft einige Urteile dargestellt werden, in deren Tatbestand die Beteiligung des VBI näher beschrieben wird und in deren Entscheidungsgründen sich das Gericht möglichst mit dem Beitrag des VBI inhaltlich auseinandersetzt. Die Auswahl soll außerdem so weit wie möglich unterschiedliche Arten und Weisen widerspiegeln, auf die sich der VBI in die Verfahren einbringt. 1. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die Erweiterung eines Betriebs im Außenbereich In einem dieser Verfahren hatte das Bundesverwaltungsgericht über die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Bootslagerplatz auf einem Ufergrundstück an einem See im planungsrechtlichen Außenbereich zu entscheiden161. Auf diesem Grundstück befanden sich bereits ein Doppelbootshaus und ein Wirtschaftsgebäude für den Fischereibetrieb des Klägers162. Zudem vermietete der Kläger Boote und Lagerplätze163. Das zuständige Landratsamt hatte den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung des Klägers mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass der Flächennutzungsplan das verfahrensgegenständliche Grundstück als dominierende Grünfläche auswies164. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht sowie die Berufung dagegen waren erfolglos geblieben165. Wesentliche im Rahmen der vom Kläger eingelegten Revision klärungsbedürftige Rechtsfrage war die Auslegung von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BauGB. Nach dieser Vorschrift kann baulichen Erweiterungen eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs als nichtprivilegierten Vorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen 159  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2009–2020, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 160  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 161  BVerwG, Urteil vom 17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris, Rn. 1. 162  BVerwG, Urteil vom 17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris, Rn. 1. 163  BVerwG, Urteil vom 17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris, Rn. 1. 164  BVerwG, Urteil vom 17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris, Rn. 3. 165  BVerwG, Urteil vom 17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris, Rn. 3.

154

F. Die praktische Arbeit des VBI

des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist. Zwischen den Verfahrensbeteiligten war dabei die Frage streitig, ob § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB lediglich eine Beeinträchtigung der vorgenannten Belange gemäß § 35 Abs. 2 BauGB oder darüber hinaus sogar deren Entgegenstehen gemäß § 35 Abs. 1 BauGB überwindet. Das Berufungsgericht hatte sich dabei unter Angabe systematischer Argumente zugunsten einer restriktiveren Handhabung entschieden, wonach ein Entgegenstehen trotz des Eingreifens von § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB beachtlich bleibt. Seiner Struktur nach unterscheide § 35 BauGB nämlich grundlegend zwischen privilegierten Vorhaben, denen einer der genannten Belange entgegenstehen muss und nicht privilegierten Vorhaben, bei denen eine bloße Berührung ausreicht166. Diese Differenzierung sei auch im Rahmen von § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB einzuhalten, weil anderenfalls durch eine mögliche Überwindung sogar des Entgegenstehens nichtprivilegierte Vorhaben gegenüber privilegierten Vorhaben, auf die Absatz 4 keine Anwendung findet, besser gestellt würden167. Gemäß § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB begünstigte Bauvorhaben nähmen eine Stellung zwischen privilegierten und nicht privilegierten Vorhaben ein168. Dieser Auslegung des Berufungsgerichts widersprach der Kläger unter Abstellen auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie ebenfalls die Systematik von § 35 Abs. 4 BauGB169. Auch der VBI votierte dafür, dass § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB alle dort genannten Belange vollständig überwindet170. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass im konkreten Fall auch kein praktisches Bedürfnis für die vom Berufungsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen einer Beeinträchtigung und einem Entgegenstehen öffentlicher Belange bestehe171. Die Gemeinde könne nämlich auf Grundlage der Darstellung des Flächennutzungsplans einen Bebauungsplan aufstellen, mit dem sie eine Grünfläche festsetzt172. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht die Revision insgesamt zurückwies, weil es die Voraussetzungen von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BauGB durch den Bootssteg nicht als erfüllt ansah, folgte es der Auffassung, derzufolge 166  BVerwG, 167  BVerwG, 168  BVerwG, 169  BVerwG, 170  BVerwG, 171  BVerwG, 172  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

vom vom vom vom vom vom vom

17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 –

4 4 4 4 4 4 4

C C C C C C C

9/10 – 9/10 – 9/10 – 9/10 – 9/10 – 9/10 – 9/10 –

juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 4. Rn. 4. Rn. 4. Rn. 5. Rn. 6. Rn. 15. Rn. 15.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat155

§ 35 Abs. 4 S. 1 BauGB sowohl beeinträchtigte als auch entgegenstehende öffentliche Belange überwindet173. Hierzu führte es im Wesentlichen an, dass der Wortlaut „entgegengehalten“ dafürspreche, dass die Belange unabhängig von der Qualität ihrer Betroffenheit nicht mehr zu berücksichtigen seien174. Auch den systematischen Erwägungen des Berufungsgerichts folgte das Bundesverwaltungsgericht nicht, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB nicht die strenge Differenzierung zwischen privilegierten und nichtprivilegierten Vorhaben einhalte, weil es sich um einen eigenständigen Sondertatbestand für Fälle handele, in denen bereits eine Bebauung im Außenbereich vorhanden ist175. Für dieses Ergebnis zog das Bundesverwaltungsgericht zudem die Entstehungsgeschichte der Norm heran176. Neben dieser Auslegung von § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB führte das Gericht in seinen Entscheidungsgründen aber auch die Ausführungen des VBI über das fehlende praktische Bedürfnis für die Differenzierung zwischen einer Beeinträchtigung und einem Entgegenstehen an177. Diese nutzte es damit als zusätzlichen Grund, warum dem Begehren des Klägers vorliegend nicht die Darstellungen im Flächennutzungsplan entgegengehalten werden konnten. Die Beteiligung des VBI in diesem Verfahren veranschaulicht, dass dieser je nach Sachlage durchaus auch Rechtsansichten vertritt, die für den klagenden Bürger vorteilhaft sind. Seinem Votum, dass § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB alle dort genannten Belange vollständig überwindet, ist das Gericht im Ergebnis gefolgt, allerdings ohne auf den VBI ausdrücklich einzugehen, sodass sich der Entscheidung nicht entnehmen lässt, ob der VBI diese insoweit durch seine Beteiligung beeinflusst hat. Seine weiteren Ausführungen zu den praktischen Möglichkeiten der Behörde im konkreten Fall waren für die durch das Gericht vorgenommene Auslegung von § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB zwar nicht ausschlaggebend. Sie stellten jedoch eine diese ergänzende und unterstützende Überlegung dar, die das Bundesverwaltungsgericht aufgegriffen hat. Somit ergibt sich aus den Entscheidungsgründen, dass der VBI das Gericht in die Lage versetzt hat, seine Entscheidung durch zusätzliche Erwägungen auf eine breitere Basis zu stellen.

173  BVerwG,

Urteil Urteil 175  BVerwG, Urteil 176  BVerwG, Urteil 177  BVerwG, Urteil 174  BVerwG,

vom vom vom vom vom

17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 – 17.2.2011 –

4 4 4 4 4

C C C C C

9/10 – 9/10 – 9/10 – 9/10 – 9/10 –

juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 7, 17. Rn. 10. Rn. 11. Rn. 12. Rn. 15.

156

F. Die praktische Arbeit des VBI

2. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die immissionsschutzrechtliche Einordnung einer AKRA als Verbrennungsanlage In einem weiteren Verfahren, an dem sich der VBI beteiligt hat, musste das Bundesverwaltungsgericht sich mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei einer Anlage zur Reaktivierung schadstoffbeladener Aktivkohle (AKRA) um einer Verbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 6, Nr. 7 17. BImSchV a. F.178 handelte. Eine AKRA enthält vor allem einen Drehrohrofen sowie eine thermische Nachverbrennung179. Die beladene Aktivkohle wird dabei im Drehrohrofen stark erhitzt180. Ein Teil der Beladungsstoffe, die durch dieses Verfahren freigesetzt werden, wird mit Hilfe von Wasserdampf verbrannt, die Restbeladung wird pyrolisiert181 und danach die Oberfläche der Aktivkohle neu gebildet182. Die im Rahmen dieser Prozesse freiwerdenden brennbaren Gase werden sowohl im Drehrohrofen als auch in der thermischen Nachverbrennungsanlage verbrannt183. Die Klägerin in diesem Verfahren war die Betreiberin einer solchen Anlage und wendete sich gegen deren Einordnung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren als Verbrennungsanlage, die nämlich eine Verknüpfung der Genehmigung mit verschiedenen Nebenbestimmungen zur Folge hatte184. Gegen die Nebenbestimmungen hatte die Klägerin Klage erhoben, die durch das zuständige Oberverwaltungsgericht abgewiesen worden war185. Dieses hatte die AKRA als Verbrennungsanlage gemäß § 2 Nr. 6 17. ­BIm­SchV a. F. mit der Begründung eingeordnet, dass diese dazu bestimmt sei, Abfälle thermisch zu behandeln, weil eine Herstellung reaktivierter Aktivkohle allein durch Einsatz beladener Aktivkohle, Abtrennung der Schadstoffe sowie deren Beseitigung durch Verbrennung möglich sei186. Sowohl die wirtschaftliche Zweckbestimmung als auch eine Differenzierung zwischen Abfallverwertung und Abfallbeseitigung seien irrelevant187. Auch anhand der Tatsache, dass die Aktivkohle selbst nicht verbrannt würde, ergebe sich nichts anderes, weil 178  17. BImSchV

1633).

179  BVerwG,

in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.8.2003 (BGBl. I

Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 2. Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 2. 181  Unter Pyrolyse versteht man die Zersetzung von Stoffen durch Hitze, Duden, S. 919. 182  BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 2. 183  BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 2. 184  BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 1. 185  BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 4. 186  BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 5. 187  BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris, Rn. 5. 180  BVerwG,



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat157

Sinn und Zweck von Art. 1 EG-Abfallverbrennungs-Richtlinie, durch Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen ausgelöste Umweltbelastungen zu vermeiden oder zu begrenzen, für ein weites Verständnis des Tatbestandsmerkmals „soweit“ in § 2 Nr. 6 S. 2 17. BImSchV a. F. sprächen188. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision ein, die sie auf die Argumentation stützte, dass sich der Begriff der „Verbrennungsanlagen“ gemäß § 2 Nr. 6 17. BImSchV nur auf Anlagen beziehe, die im Zuge des thermischen Verfahrens eine möglichst vollständige Zerstörung brennbarer Stoffe herbeiführen189. Die Bestimmung der AKRA sei es aber, im Drehofen als Hauptbestandteil der Anlage adsorptionsfähige Aktivkohle wiederzugewinnen und nicht, diese zu beseitigen190. Die Verbrennung der Schadstoffe in der thermischen Nachverbrennungsanlage falle nicht in den Anwendungsbereich der 17. BImSchV191. Der Beklagte verteidigte das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts, indem er auf Sinn und Zweck der 17. BImSchV abstellte, durch die nämlich Umweltbelastungen und Gesundheitsgefahren verhindert werden sollten, die ebenso durch eine Verbrennung der durch thermische Behandlung abgetrennten Schadstoffe entstünden192. Der VBI vertrat die Auffassung, dass eine Anlage, in der lediglich ein kleiner Teil der aus dem thermischen Verfahren entstehenden Stoffe verbrannt, ein anderer hingegen als Ergebnis der Behandlung wiederverwertet werde, keine Anlage im Sinne von § 2 Nr. 6 17. BImSchV a. F. darstelle, wenn ihr wesentlicher Zweck in der Herstellung von Stoffen aus Abfällen zu sehen sei193. Das Tatbestandsmerkmal „thermische Behandlung von Abfällen“ in dieser Vorschrift basiere auf der Vorstellung, dass der Abfall dabei in seiner Substanz vernichtet werde und allenfalls nutzbare Wärme verbleibe194. Auf thermische Prozesse, die wie in der verfahrensgegenständlichen AKRA nicht darauf ausgerichtet seien, die materielle Existenz der behandelten ­Abfälle zu vernichten, sei die 17. BImSchV gar nicht anwendbar195. Auch § 2 Nr. 7 17. BImSchV sei nicht einschlägig, weil in Fällen, in denen der Einsatzstoff lediglich regeneriert werde, keine Produktion stofflicher Erzeugnisse vorliege196. Somit entsprach die Sichtweise des VBI der Auffassung der Klägerin. 188  BVerwG, 189  BVerwG, 190  BVerwG, 191  BVerwG, 192  BVerwG, 193  BVerwG, 194  BVerwG, 195  BVerwG, 196  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

vom vom vom vom vom vom vom vom vom

25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 –

7 7 7 7 7 7 7 7 7

C C C C C C C C C

17/11 – 17/11 – 17/11 – 17/11 – 17/11 – 17/11 – 17/11 – 17/11 – 17/11 –

juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 6. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 11. Rn. 13. Rn. 13. Rn. 13. Rn. 25 f.

158

F. Die praktische Arbeit des VBI

Das Bundesverwaltungsgericht folgte dieser Ansicht, indem es die Sache zu Gunsten der Klägerin und Revisionsführerin entschied197. Dabei stellte es als zentralen Aspekt darauf ab, dass Verbrennungsanlagen gemäß § 2 Nr. 6 17. BImSchV a. F. nur solche Anlagen sind, deren Hauptzweck darin liegt, den Einsatzstoff oder seine brennbaren Bestandteile möglichst vollständig zu zerstören198. Dies stützte es zum einen auf den Wortlaut von § 2 Nr. 6 S. 2 17. BImSchV a. F., wobei es das Merkmal „vergleichbare thermische Verfahren“ so auslegte, dass hierunter nicht das thermische Verfahren an sich, sondern dessen Ergebnis in Gestalt der Vernichtung des Einsatzstoffs zu ver­ stehen ist199. Daneben stellte es dahingehend auf die Entstehungsgeschichte der Norm ab, dass sich dem gesetzgeberischen Willen zufolge der Anwendungsbereich der Verordnung wegen der geringen Emissionsrelevanz entsprechender Anlagen nicht allgemein auf alle thermischen Verfahren erstrecken sollte200. Dem Gericht zufolge sprechen auch Sinn und Zweck der 17. BImSchV, Umweltbelastungen und Gesundheitsgefahren durch die Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen zu vermeiden und zu begrenzen, nicht gegen eine solche Auslegung, weil der Verordnungsgeber ein besonderes, durch die TA Luft nicht ausreichend beherrschbares Gefahrenpotenzial jenseits der zur vollständigen Vernichtung der Ausgangsstoffe bestimmten Anlagen nicht angenommen habe201. Eine Einordnung der AKRA als Mitverbrennungsanlage gemäß § 2 Nr. 7 17. BImSchV a. F. hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, dass in der AKRA keine Abfälle und Stoffe mit dem Ziel der Beseitigung thermisch behandelt würden, wobei allein der Einsatzstoff, also die beladene Aktivkohle, für die Betrachtung maßgeblich sei und eine Differenzierung zwischen Behandlung der beladenen Aktivkohle und der abgelösten Schadstoffe ausscheide202. Auf die vom VBI vorgebrachte Rechtsansicht, dass das Vorliegen einer Anlage, deren Hauptzweck in der Produktion stofflicher Erzeugnisse besteht, in Fällen, in denen der Einsatzstoff lediglich regeneriert wird, generell ausscheide, komme es daher nicht mehr an203. Hinsichtlich der Auslegung von § 2 Nr. 6 17. BImSchV a. F. ist das Bundesverwaltungsgericht inhaltlich der Klägerin und den Ausführungen des VBI gefolgt, ohne Letzteren ausdrücklich zu erwähnen. Anders als der VBI, soweit dessen Beteiligung im Tatbestand dargestellt ist, hat das Gericht dabei 197  BVerwG, 198  BVerwG, 199  BVerwG, 200  BVerwG, 201  BVerwG, 202  BVerwG, 203  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 – 25.10.2012 –

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 14. Rn. 17. Rn. 18. Rn. 20. Rn. 22. Rn. 26. Rn. 26.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat159

nicht an den Begriff der „thermischen Verfahren zur Behandlung von Abfällen oder Stoffen“ in Satz 1 angeknüpft, sondern deren nähere Erläuterung in Satz 2 als Ausgangspunkt für die Auslegung genommen. Auch im Rahmen von § 2 Nr. 7 17. BImSchV a. F. hat es einen anderen Weg als der VBI gewählt, indem es nicht auf den von der Verordnung geforderten Hauptzweck einer Produktion stofflicher Erzeugnisse, sondern auf das hier nicht erfüllte Erfordernis einer thermischen Behandlung von Stoffen und Abfällen mit dem Ziel der Beseitigung abgestellt hat. Obwohl VBI und Bundesverwaltungsgericht damit bezüglich des Ergebnisses und seiner Begründung in Grundzügen übereinstimmen, wird deutlich, dass das Gericht im Wesentlichen eigenständige Erwägungen angestellt hat, die sich von den Ausführungen des VBI unterscheiden. Dass diese auf der Beteiligung des VBI beruhen, ist zumindest Tatbestand und Entscheidungsgründen nicht entnehmbar. Daher lässt sich anhand des abgedruckten Urteils kein Einfluss des VBI auf die gerichtliche Entscheidung in diesem Verfahren feststellen. 3. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Motorradhelmpflicht für Turbanträger In einem weiteren Verfahren, an dem sich der VBI beteiligt hat, hatte das Bundesverwaltungsgericht über die Klage eines praktizierenden Sikh zu befinden, der aus religiösen Motiven einen Turban trug und deshalb eine Ausnahmegenehmigung von der Pflicht begehrte, beim Motorradfahren einen Schutzhelm zu tragen204. Einen entsprechenden Antrag hatte die Beklagte abgelehnt und als Begründung angeführt, dass eine solche Ausnahmegenehmigung nur aus gesundheitlichen Gründen erfolgen könne205. Während die Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erfolglos blieb, verpflichtete der zuständige Verwaltungsgerichtshof auf die Berufung des Klägers die Behörde, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden206. Als Begründung stellte der Verwaltungsgerichtshof darauf ab, dass die Beklagte missachtet habe, dass eine Ausnahmegenehmigung grundsätzlich auch aus religiösen Gründen erteilt werden kann207. Die Religionsfreiheit, auf die der Kläger sich beruft, überwöge aber umgekehrt nicht generell gegenüber der grundgesetzlich gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit anderer208. Darüber hinaus sei keine Ermessensreduzierung 204  BVerwG,

Urteil Urteil 206  BVerwG, Urteil 207  BVerwG, Urteil 208  BVerwG, Urteil 205  BVerwG,

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24/17 – 24/17 – 24/17 – 24/17 – 24/17 –

juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 1. Rn. 2. Rn. 3. Rn. 3. Rn. 3.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

aus dem Grund ersichtlich, dass der Kläger zwingend auf die Nutzung des Motorrads angewiesen sei209. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs legte der Kläger Revision ein, die er auf die Argumentation stützte, dass die Beklagte ihm gegenüber zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung verpflichtet sei, weil eine Verletzung anderer infolge eines Unfalls nur hypothetisch, eine Beeinträchtigung eigener Rechte aber unmittelbar und tatsächlich vorliege210. Die Revision wurde aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen211. Der VBI beteiligte sich am Verfahren und trug in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vor, dass der Gesundheitsschutz der Allgemeinheit nicht generell hinter die vom Kläger geltend gemachte Religionsfreiheit zurückzutreten habe212. Auch im konkreten Fall sei nicht von einem Überwiegen der Religionsfreiheit auszugehen, weil der Kläger nicht auf die Nutzung schutzhelmpflichtiger Verkehrsmittel angewiesen sei213. Insbesondere habe der Kläger nicht dargelegt, dass es ihm unzumutbar sei, alternative Fortbewegungsmittel wie einen Personenkraft­ wagen oder die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen214. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision als unbegründet ab und stellte somit fest, dass das Berufungsurteil nicht gegen revisibles Recht verstößt215. Dem Gericht zufolge habe der Kläger zwar grundsätzlich einen Anspruch aus § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde über eine Ausnahme von der in § 21a StVO normierten Verpflichtung zum Tragen eines Schutzhelms oder eines Sicherheitsgurtes216. Obwohl § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO eine Ausnahmeregelung darstelle, seien auch religiöse Gründe, die dem Tragen eines Schutzhelms entgegenstehen, geeignet, eine solche Ausnahmesituation zu begründen, weil als verpflichtend geltende religiöse Bekleidungsvorschriften dann zu einem faktischen Verbot führen würden, Motorrad zu fahren217. Das Ermessen der Behörde, die Ausnahmegenehmigung zu erteilen, sei dabei nicht auf Null reduziert, weil keine besonderen individuellen Gründe ersichtlich seien, warum dem Kläger der Verzicht auf die Nutzung des Motorrads 209  BVerwG, 210  BVerwG, 211  BVerwG,

212  BVerwG, 213  BVerwG, 214  BVerwG, 215  BVerwG, 216  BVerwG, 217  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 3. Rn. 4. Rn. 4. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 7. Rn. 8. Rn. 13.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat161

nicht zugemutet werden kann218. In diesem Zusammenhang seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum der Kläger auf das Motorrad angewiesen sei219. Insoweit sei auch die hieraus resultierende Einschränkung des Klägers in seinem Grundrecht auf Glaubensfreiheit gerechtfertigt. Dabei hätten das Berufungsgericht und der VBI zu Recht auf das Grundrecht anderer Unfallbeteiligter auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit als verfassungsimmanente Schranke abgestellt220. Durch die Helmpflicht könne ein von einem Unfall betroffener Motorradfahrer eher Gefahren für Leib und Leben anderer Unfallbeteiligter abwehren, weil er dann trotz des Unfallgeschehens eher noch in der Lage sei, selbst erste Hilfe zu leisten oder einen Notarzt zu rufen221. Im vorliegenden Verfahren stimmt also die Auffassung des VBI mit derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts überein. Sowohl der Aspekt, dass vorliegend die Glaubensfreiheit des Klägers durch den Gesundheitsschutz der Allgemeinheit in rechtmäßiger Weise eingeschränkt wird, als auch die Feststellung, dass der Kläger nicht auf das Motorrad als Verkehrsmittel angewiesen ist, finden sich in den Entscheidungsgründen des Urteils wieder. Bezüglich des erstgenannten Gesichtspunktes hat das Gericht ausdrücklich zustimmend auf die Rechtsauffassung des VBI Bezug genommen. Inwieweit die Beteiligung des VBI aber tatsächlich ursächlich für den Inhalt der gericht­ lichen Entscheidung geworden ist oder ob dieser ohne Beteiligung des VBI sogar genauso ausgefallen wäre, lässt sich dem Urteilstext nicht entnehmen, zumal das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auch auf das Berufungsgericht ausdrücklich abstellt. 4. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt In einem weiteren Verfahren hatte das Bundesverwaltungsgericht über die Revision einer Klägerin zu entscheiden, die nach Entziehung ihrer Fahrerlaubnis auf Grundlage von § 69 StGB durch ein Strafgericht deren Neuerteilung begehrte, ohne hierfür ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten beibringen zu müssen222. Die strafgerichtliche Verurteilung war aufgrund fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,28 Promille erfolgt223. Auf den auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis 218  BVerwG, 219  BVerwG, 220  BVerwG, 221  BVerwG, 222  BVerwG, 223  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 15. Rn. 16. Rn. 21. Rn. 21. Rn. 1 f. Rn. 2.

162

F. Die praktische Arbeit des VBI

gerichteten Antrag der Klägerin verlangte die Beklagte die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, wobei sie sich auf § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d i. V. m. lit. a FeV stützte224. Die vor dem zuständigen Verwaltungsgericht eingereichte Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass zwar eine frühere Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille für sich allein nach Sinn und Zweck sowie dem Regelungszusammenhang von § 13 S. 1 Nr. 2 FeV nicht das Verlangen eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen könne, vorliegend aber weitere gewichtige Gründe hinzuträten225. Anhand der zeitlichen Zusammenhänge bei der Trunkenheitsfahrt ergäbe sich bei einer Rückrechnung zum einen eine deutlich höhere Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt, zum anderen läge ein missbräuchlicher Umgang mit Alkohol in der Form nahe, dass die Klägerin diesen aufgrund seiner spezifischen Wirkungen gezielt einsetze226. Auch die Berufung der Klägerin hiergegen beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde zurückgewiesen. Dabei lehnte das Berufungsgericht die Anwendung von § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a FeV als Rechtsgrundlage ab227. Um einen Wertungswiderspruch zu § 13 S. 1 Nr. 2 lit. b und c FeV zu vermeiden, müssten hier bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille Umstände hinzutreten, denen annähernd gleiche Aussagekraft für das Fehlen des Trennungsvermögens zwischen Trinken und Fahren wie den dort genannten Umständen zukommt228. Als eine solche Zusatztatsache genüge die Vermutung gezielten Alkoholmissbrauchs nicht229. Jedoch sei das Verlangen eines medizinischpsychologischen Gutachtens auf § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d FeV zu stützen230. Fahrerlaubnisentziehung im Sinne dieser Norm sei auch eine solche durch ein Strafgericht gemäß § 69 StGB231. Vorliegend habe das Strafgericht der Klägerin die Fahrerlaubnis wegen fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs und somit aus einem der in § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a–c FeV genannten Gründe entzogen232. Nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahr­ erlaubnis aufgrund einer Trunkenheitsfahrt sei unabhängig von der Blutalkoholkonzentration bei Wiedererteilung ein medizinisch-psychologisches Gut224  BVerwG, 225  BVerwG, 226  BVerwG, 227  BVerwG, 228  BVerwG, 229  BVerwG, 230  BVerwG, 231  BVerwG, 232  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 – 6.4.2017 –

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 3 f. Rn. 5. Rn. 5. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat163

achten beizubringen233. Wären hierfür immer zusätzlich die Voraussetzungen der Buchstaben a, b oder c erforderlich, bliebe für Buchstabe d kein eigenständiger Anwendungsbereich234. Diese Auslegung entspreche der in § 3 Abs. 3 und Abs. 4 StVG niedergelegten Vorrangstellung einer Fahrerlaubnisentziehung durch die Strafgerichte235. Dies stelle auch keinen Wertungs­ widerspruch zu § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a FeV dar, weil die strafgerichtliche Fahr­ erlaubnisentziehung wegen Alkoholmissbrauchs eine Zusatztatsache im Sinne dieser Vorschrift darstelle236. Ihre gegen dieses Berufungsurteil eingelegte Revision begründete die Klägerin damit, dass auch § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d FeV vorliegend keine taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens darstelle, weil der Normgeber nicht beabsichtigt habe, dass sich Ersttäter schon nach einer Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen müssen237. Einem Inhaber könne die Fahrerlaubnis schon ab einem Alkoholpegel von 0,3 Promille entzogen werden, wenn er Ausfallerscheinungen habe, ohne dass Anzeichen für eine Alkoholabhängigkeit oder Alkoholmissbrauch vorliegen238. An dem Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beteiligte sich die Landesanwaltschaft Bayern, welche die Rechtsauffassung vertrat, dass dem Normgeber nicht unterstellt werden könne, er habe mit § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d FeV eine Vorschrift ohne eigenen Anwendungsbereich schaffen wollen239. Obwohl bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,3 Promille bis 1,1 Promille in Verbindung mit einem alkoholbedingten Fahrfehler der Betroffene oft nicht an einer Alkoholabhängigkeit leide, die Konsum in gesundheitsschädlichem Umfang umfasst, könne er auch in diesen Fällen nicht zwischen Fahren und Alkoholkonsum trennen240. Darüber hinaus beteiligte sich der VBI, der in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vortrug, dass § 13 S. 1 Nr. 2 FeV von einem fahrerlaubnisrechtlichen Begriff des Alkoholmissbrauchs ausgehe241. Ein solcher komme bei einer Fahrt mit einem Alkoholpegel von unter 1,6 Promille nur gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a FeV in Betracht, 233  BVerwG, 234  BVerwG, 235  BVerwG, 236  BVerwG, 237  BVerwG, 238  BVerwG, 239  BVerwG, 240  BVerwG, 241  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 7. Rn. 7. Rn. 9. Rn. 9. Rn. 10.

164

F. Die praktische Arbeit des VBI

wenn zusätzliche Tatsachen vorliegen242. Hierunter falle aber eine strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 69 StGB nicht, weil diese Vorschrift an die relative sowie an die absolute Fahruntüchtigkeit und damit an andere Voraussetzungen anknüpfe243. Sie beziehe sich auf einen auf die Tat bezogenen punktuellen Zustand, wohingegen es bei den präventiv wirkenden fahrerlaubnisrechtlichen Eignungsregeln um einen Dauerzustand gehe244. Aus der Regelvermutung von § 69 Abs. 2 StGB ergäben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Eignungsbeurteilung durch die Fahrerlaubnisbehörde245. Aus § 3 Abs. 4 StVG und § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c FeV in Verbindung mit den Anlagen 4 und 4a sowie den Begutachtungsleitlinien für Kraft­ fahreignung lasse sich als Grundlinie für die Annahme von Alkoholmissbrauch ableiten, dass bei einer Erstbegehung eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille erreicht sein oder gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a FeV andere Missbrauchsanzeichen vorliegen müssten246. Derzeit untersuche die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob dieser Wert von 1,6 Promille auf 1,1 Promille herabgesetzt werden sollte247. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin entschieden248. Dabei befand es, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, derzufolge eine strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB, die auf einer Trunkenheitsfahrt beruht, stets zur Beibringungspflicht eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu führen habe, mit § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d i. V. m. lit. a bis c FeV nicht vereinbar ist249. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht sei für sich gesehen nicht ausreichend, um bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,6 Promille die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen250. Zwar sei eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne von § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d FeV auch die strafgerichtliche Entziehung auf der Grundlage von § 69 StGB251. Aus dem klaren Wortlaut der Norm folge aber, dass der vorherige Entzug der Fahrerlaubnis aus einem der unter lit. a bis c genannten Gründe erfolgt sein muss, weswegen allein die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung keinen eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologi242  BVerwG, 243  BVerwG, 244  BVerwG, 245  BVerwG, 246  BVerwG, 247  BVerwG, 248  BVerwG, 249  BVerwG, 250  BVerwG, 251  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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Rn. 10. Rn. 10. Rn. 10. Rn. 10. Rn. 10. Rn. 10. Rn. 11. Rn. 14. Rn. 14. Rn. 17.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat165

schen Untersuchung darstellen könne252. Zwar sei es grundsätzlich bedenklich, einer Regelung durch Auslegung ihre praktische Bedeutung zu nehmen, andererseits könne der Verordnungsgeber durchaus Regelungen von lediglich deklaratorischer Bedeutung im Sinne der Rechtssicherheit treffen253. Darüber hinaus könne die strafgerichtliche Feststellung der Fahrungeeignetheit auch nicht als Zusatztatsache angesehen werden, die auf Grundlage von § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a FeV die Beibringungspflicht eines medizinischpsychologischen Gutachtens bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,6 Promille rechtfertigt254. Obwohl ein strafgerichtliches Urteil Feststellungen enthalten könne, aus denen sich solche Zusatztatsachen ergeben, genüge allein die Eignungsbeurteilung auf Grundlage von § 69 StGB hierfür nicht255. Zwar sei entgegen den Ausführungen des VBI die Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 69 StGB ebenfalls präventiv ausgestaltet und habe daher nicht den Charakter einer Strafe für die Trunkenheitsfahrt256. Dennoch sei hier die Entscheidungspraxis der Rechtsprechung durch die Regelvermutung von § 69 Abs. 2 StGB geprägt, die nicht weiter begründungspflichtig ist. Dies sei mit dem Erfordernis zusätzlicher Anhaltspunkte im Fahrerlaubnisrecht nicht zu vereinbaren257. Darüber hinaus lasse sich das Regelungssystem in § 13 S. 1 Nr. 2 FeV nicht unter Abstellen auf Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV infrage stellen258. Der Verordnungsgeber habe bei Erlass der FeV angenommen, dass bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt erst ab einem Alkoholpegel von 1,6 Promille ohne weiteres von einem fehlenden Trennungsvermögen zwischen Trinken und Fahren auszugehen sei259. Dies sei auch heute nicht vollkommen unvertretbar260. Diesen Wert zu ändern, sei Sache des Verordnungsgebers. Hier verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Ausführungen des VBI in Übereinstimmung mit dem für die Verordnung zuständigen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, dass die Bundesanstalt für Straßenwesen eine Herabsetzung dieses Wertes prüft261. In diesem Revisionsverfahren haben sich sowohl die Landesanwaltschaft Bayern als VöI auf Grundlage von § 36 VwGO als auch der VBI gemäß § 35 VwGO beteiligt und entgegengesetzte Rechtsstandpunkte vertreten. Während 252  BVerwG, 253  BVerwG, 254  BVerwG, 255  BVerwG, 256  BVerwG, 257  BVerwG, 258  BVerwG, 259  BVerwG, 260  BVerwG, 261  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 18. Rn. 19. Rn. 22. Rn. 23 f. Rn. 25. Rn. 26. Rn. 27. Rn. 27. Rn. 27. Rn. 27.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

die Landesanwaltschaft für eine weitreichende Anwendung von § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d FeV plädierte, sprach sich der VBI dafür aus, dass allein die strafrechtliche Fahrerlaubnisentziehung nicht das Erfordernis eines medizinischpsychologischen Gutachtens rechtfertigt. Letzterem ist auch das Bundesverwaltungsgericht gefolgt, obgleich es hinsichtlich des präventiven Charakters von § 69 StGB ausdrücklich dem VBI widersprochen hat. Hierbei handelt es sich aber um eine Abweichung im Detail, wohingegen VBI und Gericht im Grundsatz einschließlich der Feststellung der Untauglichkeit der Heranziehung von § 69 StGB aufgrund seiner Regelvermutung für das Fahrerlaubnisrecht übereinstimmen. Inwieweit das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts kausal auf den Ausführungen des VBI beruht, bleibt aber auch hier unklar, weil es keine entsprechenden Ausführungen enthält. Das Gericht hat aber die durch den VBI in Übereinstimmung mit dem für die streitentscheidende Verordnung zuständigen Bundesministerium eingeführte Hintergrundinformation über eine angedachte Herabsetzung des Grenzwertes aufgegriffen und dadurch seine Argumentation bekräftigt, dass dessen Festlegung oder Veränderung Sache des Verordnungsgebers sei. Diese Stelle ist damit ein Beispiel dafür, wie das Bundesverwaltungsgericht durch den VBI eingeführte und sonst unter Schwierigkeiten zugängliche Hintergrundinformationen aus dem Bereich der Ministerien verwendet und in seine Entscheidung als ergänzende Stütze mit einfließen lässt. Besonders anschaulich lässt sich anhand dieses Urteils außerdem nachvollziehen, wie die Ansichten zwischen kommunalen Verwaltungsbehörden und Bundesministerien sowie zwischen verschiedenen VöI im Einzelfall voneinander abweichen können. 5. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen eines melderechtlichen Berichtigungsanspruchs In einem weiteren Revisionsverfahren, an dem sich der VBI beteiligt hat, hatte das Bundesverwaltungsgericht über das Begehren eines Klägers zu entscheiden, der gegen die Eintragung der Wohnung seiner von ihm getrenntlebenden Ehefrau als Hauptwohnung der gemeinsamen minderjährigen Kinder im Melderegister vorging262. Der Kläger war von der zuvor gemeinsamen Familienwohnung in eine eigene Wohnung gezogen, wobei das Sorgerecht für die beiden minderjährigen Söhne sowohl ihm als auch seiner dem Verfahren beigeladenen Ehefrau zustand263. Nach der Vereinbarung beider Ehegatten sollten die Kinder die Wohnungen beider Eltern genau gleichviel bewohnen264. Die Beklagte trug die bisherige Familienwohnung als Haupt262  BVerwG,

Urteil vom 30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris, Rn. 1. Urteil vom 30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris, Rn. 2. 264  BVerwG, Urteil vom 30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris, Rn. 2. 263  BVerwG,



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat167

wohnung der Kinder in das Melderegister ein und die neue Wohnung des Klägers als Nebenwohnung265. Einen Antrag des Klägers, diese Eintragung zu ändern, lehnte die Beklagte ab266. Hierauf erhob der Kläger vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Klage mit den Anträgen, die Beklagte zu verpflichten, ab dem 15. Februar 2011 beide Wohnungen als Hauptwohnungen der Kinder, hilfsweise beide Wohnungen ohne Bezeichnung als Haupt- oder Nebenwohnung im Melderegister einzutragen267. Die Klage sowie die Berufung des Klägers blieben erfolglos268. Das Bundesverwaltungsgericht wies auch die Revision als unbegründet ­zurück269. Seiner Entscheidung lag eine Prüfung zugrunde, ob die tragenden rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs mit den bundesrahmenrechtlichen Vorgaben des Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) vereinbar sind270. Das aufgrund einer Änderung der gesetzgeberischen Kompetenzen durch das Bundesmeldegesetz ersetzte MRRG galt gemäß Art. 125 b Abs. 1 S. 1 GG bis zum 1. November 2015 fort und fand auf das vorliegende Ver­ fahren noch Anwendung271. Als Anspruchsgrundlage wendete das Bundesverwaltungsgericht §§ 7 Nr. 2, 9 S. 1 MRRG sowie die inhaltsgleichen landesrechtlichen Regelungen in Art. 8 Nr. 2, 10 Abs. 1 S. 1 BayMG an272. Hiernach hatten Betroffene gegenüber der Meldebehörde ein Recht auf Berichtigung oder Ergänzung, wenn das Melderegister unrichtig oder unvollständig war. Das Gericht arbeitete als ­kumulativ notwendige Anspruchsvoraussetzungen insbesondere einen nicht den melderechtlichen Vorschriften entsprechenden Inhalt des Melderegisters sowie eine Ersetzung des unrichtigen Datums durch das melderechtsgemäße Datum als Anspruchsziel heraus273. Es stellte sodann fest, dass im vorliegenden Fall keine der beiden Voraussetzungen erfüllt war274. Insbesondere würde das klägerische Begehren das Melderegister sowohl im Fall des Haupt- als auch des Hilfsantrags unrichtig machen, weil beide Varianten melderechtlich ausgeschlossen seien275. Als eine für den Streit entscheidende Norm wendete das Bundesverwaltungsge265  BVerwG, 266  BVerwG, 267  BVerwG, 268  BVerwG, 269  BVerwG, 270  BVerwG, 271  BVerwG, 272  BVerwG, 273  BVerwG, 274  BVerwG, 275  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 –

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38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 –

juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 2. Rn. 2. Rn. 2. Rn. 3. Rn. 5. Rn. 6. Rn. 7. Rn. 8, 10. Rn. 10. Rn. 11. Rn. 11.

168

F. Die praktische Arbeit des VBI

richt § 12 Abs. 1 S. 1 MRRG an, der landesrechtlich identisch in Art. 15 Abs. 1 BayMG umgesetzt war: Hiernach ist dann, wenn ein Einwohner mehrere Wohnungen im Inland hat, eine dieser Wohnungen seine Hauptwohnung276. Als Auslegungsergebnis hat es dieser Vorschrift die Bedeutung zugemessen, dass es melderechtlich ausgeschlossen ist, dass ein Einwohner mit mehreren Wohnungen im Inland mehr als eine Hauptwohnung hat und andererseits eine der Wohnungen seine Hauptwohnung sein muss277. Neben Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Norm stützte sich das Bundesverwaltungsgericht dabei vor allem auf deren Sinn und Zweck278. Hierzu zog es zum einen die Gesetzesmaterialien heran, denen es entnahm, dass der Bundesgesetzgeber es für erforderlich hielt, jedem Einwohner eine Hauptwohnung zuzuordnen, um für ihn ein eindeutiges, leicht feststellbares und zugleich seinen Lebensverhältnissen entsprechendes Kriterium für die Zuständigkeit der Verwaltung sowie für sämtliche Rechte und Pflichten, die an das Merkmal der Wohnung anknüpfen, zu bestimmen279. Als Grundlage für diesen von ihm herausgearbeiteten Zweck der Norm griff das Gericht zum anderen ausdrücklich die Ausführungen des VBI auf280. Dieser hatte nämlich dargelegt, dass die Eintragung einer Hauptwohnung im Melde­ register der einfachen Feststellung der Zuständigkeit von Behörden im Pass-, Personalausweis-, Staatsangehörigkeits-, Ausländer-, Personenstands- und Schulrecht sowie für die Gewährung staatlicher und kommunaler Leistungen diene281. Darüber hinaus sei die Frage des Hauptwohnsitzes auch maßgeblich für die Feststellung der Einwohnerzahl in einer Kommune, die zahlreiche finanzielle und planerische Entscheidungen des Staates nach sich ziehe282. Dementsprechend werde die Regelung, dass jedem Einwohner ein Hauptwohnsitz zugewiesen wird, auch im neuen Bundesmeldegesetz fortgeführt283. Diesen Zweck zog das Gericht neben dem Wortlaut auch für seine Auslegung dahingehend heran, dass die Bestimmung einer Wohnung zum Hauptwohnsitz auch dann notwendig sei, wenn die in § 12 MRRG vorgesehenen Bestimmungskriterien der vorwiegenden Benutzung und des Schwerpunkts der Lebensbeziehungen nicht greifen, weil der Einwohner nicht eine Wohnung vorwiegend, sondern mehrere Wohnungen genau in gleichem Umfang benutzt und auch kein Schwerpunkt der Lebensbeziehungen an einem der 276  BVerwG, 277  BVerwG, 278  BVerwG, 279  BVerwG, 280  BVerwG, 281  BVerwG, 282  BVerwG, 283  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 – 30.9.2015 –

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38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 – 38/14 –

juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 12. Rn. 12. Rn. 13. Rn. 13. Rn. 13. Rn. 13. Rn. 13. Rn. 13.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat169

Wohnorte festgestellt werden kann284. Aufgrund der Funktion des Melderegisters als primäre Informationsquelle für die Verwaltung und Grundlage für verschiedene Verwaltungshandlungen müsse die Hauptwohnung in diesem Fall unter Berücksichtigung der meldegesetzlichen Wertungen bestimmt werden285. Im vorliegenden Verfahren lässt sich anhand des Urteilstextes nur feststellen, dass der VBI inhaltliche Ausführungen zu Sinn und Zweck von § 12 Abs. 1 S. 1 MRRG gemacht hat. Eine Stellung von Anträgen oder ein Ver­ halten dazu, ob das angegriffene Urteil aufgehoben oder aufrecht erhalten bleiben soll, gehen aus diesem nicht hervor. Mangels einer Erwähnung im Tatbestand des Urteils lässt sich der genaue Umfang der Beteiligung des VBI in diesem Verfahren nicht bestimmen. Die vom VBI eingeführten Hintergrundinformationen hat das Bundesverwaltungsgericht hingegen ausdrücklich in seinen Entscheidungsgründen aufgegriffen und mit deren Hilfe die für das Verfahren entscheidende Regelung in § 12 MRRG ausgelegt. Das Gericht hat dabei auch auf die Gesetzesmaterialien zurückgegriffen, sodass der VBI nicht die alleinige Informationsquelle war. Dieser hat mit seinem Beitrag, der eine Aufzählung zahlreicher Anwendungsfälle enthält, aber eine breite Grundlage geschaffen, auf der das Bundesverwaltungsgericht annehmen durfte, dass die Festlegung einer einzigen Hauptwohnung für die Verwaltung generell und über den konkreten Rechtsstreit hinaus in vielfältiger Hinsicht eine so zentrale Bedeutung hat, dass hiervon auch in Fällen nicht abgewichen werden darf, in denen eine Person mehrere Wohnungen in genau gleichem Umfang bewohnt. 6. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den erforderlichen Identitätsnachweis zur Erteilung einer Fahrerlaubnis Einem anderen Verfahren, an dem sich der VBI beteiligt hat, lag der Streit darüber zugrunde, ob eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgenehmigung als Identitätsnachweis für die Erteilung einer Fahrerlaubnis ausreicht286. Der Kläger hatte zuvor beim Beklagten einen Antrag auf Gestattung des Erwerbs einer Fahrerlaubnis gestellt, und zwar ohne unmittelbaren Nachweis von Abstammung und Herkunft287. Stattdessen sollte der Beklagte auf eine eidesstattliche Versicherung vertrauen288. Hierzu legte der Kläger eine Bescheini284  BVerwG,

Urteil Urteil 286  BVerwG, Urteil 287  BVerwG, Urteil 288  BVerwG, Urteil 285  BVerwG,

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30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris, Rn. 16. 30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris, Rn. 16. 8.9.2016 – 3 C 16/15 – juris, Rn. 1. 8.9.2016 – 3 C 16/15 – juris, Rn. 2. 8.9.2016 – 3 C 16/15 – juris, Rn. 2.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

gung über die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens vor, die zwar Angaben zu Geburtstag und Geburtsort enthielt, daneben aber auch einen Vermerk, dass die Angaben zur Person auf den eigenen Angaben des Inhabers basieren und kein Identifikationsnachweis durch Originaldokumente erbracht worden ist289. Der Beklagte hatte den Antrag des Klägers unter Hinweis darauf abgelehnt, dass ein Bewerber um eine Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 2 FeV i. V. m. § 2 Abs. 6 StVG seine Personendaten mit einem amtlichen Nachweis über Tag und Ort seiner Geburt nachweisen müsse290. Als amtlicher Nachweis im Sinne dieser Normen kämen nur eine Geburtsurkunde, eine beglaubigte Abschrift aus dem Familienstammbuch, ein Personalausweis oder ein Nationalpass in Betracht291. Eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung sei kein Ausweispapier und genüge damit nicht den Anforderungen an den notwendigen Identitätsnachweis292. Eigene Angaben könnten auch zusammen mit einer eidesstattlichen Versicherung nicht als Nachweis dienen293. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Verpflichtung, einem Antrag des Klägers auf Erteilung der Fahrerlaubnisklasse B auf Grundlage der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung als Identitätsnachweis stattzugeben, hatte Erfolg294. Eine Berufung des Beklagten wies der zuständige Verwaltungsgerichtshof zurück295. Dieser führte als Begründung an, dass die Auffassung des Beklagten, der Nachweis über Tag und Ort der Geburt könne ausschließlich durch eine Geburtsurkunde, eine beglaubigte Abschrift des Familienstammbuchs, einen Personalausweis oder einen Reisepass geführt werden, mit dem Wortlaut von § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV nicht vereinbar sei296. Das Tatbestandsmerkmal „amtlich“ setze lediglich das Vorliegen eines von einem Träger öffentlicher Gewalt ausgestellten Dokuments voraus297. Dies schließe auch amtliche Dokumente ein, denen eigene Angaben der betreffenden Person zugrunde liegen298. Als systematisches Argument stützte das Gericht sein Urteil zudem darauf, dass § 2 Abs. 2 StVG, der die Voraussetzungen einer Fahrerlaubniserteilung regelt, sowie § 21 Abs. 1 FeV, der die Erteilungsvoraussetzungen konkretisiert, nicht den Nachweis von Tag und 289  BVerwG, 290  BVerwG, 291  BVerwG, 292  BVerwG, 293  BVerwG, 294  BVerwG, 295  BVerwG, 296  BVerwG, 297  BVerwG, 298  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 – 8.9.2016 –

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 2. Rn. 3. Rn. 3. Rn. 3. Rn. 3. Rn. 4. Rn. 5. Rn. 5. Rn. 5. Rn. 5.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat171

Ort der Geburt durch ein amtliches Dokument anführen299. Dieses Auslegungsergebnis stehe auch im Einklang mit Sinn und Zweck von § 2 Abs. 6 S. 1 und § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV, die Prüfung, ob das Mindestalter eingehalten sei, und eine hinreichend sichere Identifizierung in Datenbanken zu ermöglichen300. Die mit einem Lichtbild versehene Aufenthaltsgestattung genüge ebenfalls als Identitätsnachweis vor der theoretischen (§ 16 Abs. 3 S. 3 FeV) und der praktischen Fahrprüfung (§ 17 Abs. 5 S. 2 FeV)301. Dass diese beiden Normen hierzu die Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses verlangen, sei als Redaktionsversehen anzusehen, weil nicht davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber alle nichtdeutschen Staatsangehörigen von vorneherein von der Ablegung einer Fahrprüfung ausschließen wollte, die ein entsprechendes Dokument nicht besitzen302. Gegen dieses Berufungsurteil legte der Beklagte Revision ein und führte an, dass die Entscheidung weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck von § 2 Abs. 6 S. 1 StVG und § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV gedeckt sei. Ein amtlicher Nachweis sei vielmehr nur ein Dokument, mit dem objektiv der Nachweis von Ort und Tag der Geburt geführt werden könne303. Eine Zulassung zur Fahrprüfung von Personen, die nur über ein Ausweisdokument verfügen, das auf deren eigenen Angaben beruht, habe auch nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen304. Der VBI hielt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das Berufungsurteil für richtig305. Eine weite Auslegung von § 2 Abs. 2 und Abs. 6 StVG i. V. m. § 21 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 FeV, die eine Aufenthaltsgestattung mit Lichtbild, die auf eigenen Angaben des Asylbewerbers beruht, zum Nachweis von Tag und Ort der Geburt ge­ nügen lässt, sei rechtmäßig306. „Amtlicher Nachweis“ bedeute nur, dass der Nachweis von einer Behörde stammen müsse307. Dies stehe auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift in Einklang, weil das Nachweiserfordernis von § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV der zuverlässigen Feststellung diene, dass der Bewerber das erforderliche Mindestalter habe und die Daten zu Tag und Ort der Geburt in einschlägigen Registern auffindbar sein sollen308. Hierfür rei299  BVerwG, 300  BVerwG, 301  BVerwG, 302  BVerwG, 303  BVerwG, 304  BVerwG, 305  BVerwG, 306  BVerwG, 307  BVerwG, 308  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 5. Rn. 5. Rn. 5. Rn. 5. Rn. 6. Rn. 6. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

che eine amtliche Urkunde mit Lichtbild aus, wenn sie die Personendaten wiedergibt, unter denen der Inhaber seit seiner Einreise nach Deutschland geführt wird309. Asylbewerber könnten amtliche Dokumente nicht immer vorlegen, weil in vielen Staaten kein entsprechendes Meldewesen existiere310. Bei konkreten Zweifeln an der Identität sei im Einzelfall eine Rücksprache mit der Ausländerbehörde notwendig311. Der weiten Auslegung von § 2 Abs. 6 FeV stünden auch § 16 Abs. 3 S. 3 FeV und § 17 Abs. 5 S. 2 FeV nicht entgegen, die ihrem Wortlaut nach eine Identitätsprüfung anhand eines Reisepasses oder Personalausweises verlangen312. Es handele sich zwar bei dieser Einschränkung in der FeV nicht um ein Redaktionsversehen, weil der Gesetzgeber noch im November 2001 in einer Bescheinigung über eine Aufenthaltsgestattung keine geeignete Grundlage für einen Identitätsnachweis gesehen habe313. Trotz dieser bewussten Entscheidung sei es ihm nicht darauf angekommen, allein Personalausweis und Reisepass als mögliche Urkunden anzusehen und dadurch bestimmte Personen generell von einer Teilnahme an der Fahrprüfung auszuschließen314. Primär habe er damit bezweckt, Täuschungsversuche zu verhindern315. Wenn dieses Ziel gewahrt bleibe, sei eine Erweiterung des Kreises dafür einsetzbarer Urkunden möglich, wogegen bei einer mit einem Lichtbild versehenen Aufenthaltsgestattung keine Bedenken bestünden316. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision des Beklagten als unbegründet zurück, weil der Kläger mit der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung den gemäß § 2 Abs. 6 S. 1 StVG i. V. m. § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV erforderlichen Nachweis von Tag und Ort seiner Geburt führen könne, was auch für die Identitätsüberprüfung vor der theoretischen und der praktischen Fahrprüfung nach §§ 16 Abs. 3 S. 3, S. 4, 17 Abs. 5 S. 2, S. 3 FeV gelte317. Es schloss sich dabei der vom Berufungsgericht sowie vom VBI vertretenen Auffassung an, dass der Sinn und Zweck der Angabe von Tag und Ort der Geburt in § 2 Abs. 6 S. 1 StVG darin bestehe, zu gewährleisten, dass der Fahrerlaubniserwerber das erforderliche Mindestalter erreicht hat und es zudem möglich ist, den gemäß § 22 Abs. 2 FeV notwendigen Abgleich mit den 309  BVerwG, 310  BVerwG, 311  BVerwG,

312  BVerwG, 313  BVerwG, 314  BVerwG, 315  BVerwG, 316  BVerwG, 317  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 8. Rn. 9.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat173

für die Fahrerlaubniserteilung relevanten Registern vorzunehmen318. Gleiches gilt für deren Verständnis, dass unter einem „amtlichen Nachweis“ eine Urkunde zu verstehen ist, die von einer Behörde ausgestellt worden ist, und damit auch die von der Ausländerbehörde erteilte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung319. Hinsichtlich beider Aspekte nahm das Gericht allerdings keinen ausdrücklichen Bezug auf den VBI. Weiter führte es aus, dass eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung erst dann nicht als Nachweis genüge, wenn konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Personal­ angaben bestehen320. Hierfür sah es anhand der Feststellungen des Berufungsgerichts aber keine Anhaltspunkte321. Ferner sei die grundsätzliche Möglichkeit eines späteren Identitätswechsels auch bei Beibringung der Original­dokumente denkbar322. Das Gericht bestätigte zudem die Ansicht des Berufungsgerichts und des VBI, dass die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung für die Iden­ titätsprüfung genüge, die gemäß § 16 Abs. 3 S. 3 FeV und § 17 Abs. 5 S. 2 FeV vor der Abnahme der Fahrprüfungen vorzunehmen sei323. Die enge Fassung dieser beiden Vorschriften sei dabei zwar nicht als Redaktionsversehen zu werten, denn nach den Ausführungen des VBI habe der Verordnungsgeber die Befugnis, die Nachweise durch Beibringung einer Aufenthaltsgestattung, Duldung oder Grenzübertrittsbescheinigung erbringen zu können, im November 2001 abgelehnt324. Dieses restriktive Verständnis der Vorschriften werde aber dem VBI zufolge nicht mehr vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vertreten325. Dem Sinn und Zweck dieser erneuten Identitätsprüfung, Täuschungsmanöver zu verhindern, entspreche eine dahingehende Handhabung der Vorschriften, dass eine mit einem Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung sowohl für die Beantragung der Fahrerlaubnis als auch als Identitätsnachweis für die Ablegung der Fahrprüfungen ausreicht326. In diesem Verfahren stimmt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in vollem Umfang mit den Ausführungen des VBI überein. Aus den Entscheidungsgründen ist ersichtlich, dass die Hintergrundinformationen des VBI zu Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck von § 16 Abs. 3 S. 3 318  BVerwG, 319  BVerwG, 320  BVerwG, 321  BVerwG, 322  BVerwG, 323  BVerwG, 324  BVerwG, 325  BVerwG, 326  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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Rn. 14. Rn. 17. Rn. 24. Rn. 27. Rn. 26. Rn. 29. Rn. 31. Rn. 31. Rn. 32 f.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

FeV und § 17 Abs. 5 S. 2 FeV sowie die aktuelle Auffassung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur als Verordnungsgeber dem Gericht bei der Anwendung dieser Vorschriften eine wichtige Hilfe geleistet haben. Jenseits dieses Aspekts decken sich die Ausführungen des VBI auch mit denjenigen des Berufungsgerichts. Weil das Bundesverwaltungsgericht auf die Ausführungen des VBI an diesen Stellen der Entscheidungsgründe keinen direkten Bezug genommen hat, lässt sich insoweit nicht feststellen, ob und in welchem Umfang seine Darlegungen Einfluss auf die Entscheidung genommen haben. 7. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Töten männlicher Küken Der VBI hat sich auch an einem Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beteiligt, dem eine Untersagung des Beklagten gegenüber dem Kläger zugrunde lag, männliche Küken beim Betrieb seiner Brüterei zu töten327. Etwa 200.000 männliche Küken jährlich wurden dabei als sogenannte Eintagsküken direkt nach dem Schlüpfen getötet, weil sie von Hennen aus Zuchtlinien stammten, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet und für die Mast wenig geeignet waren328. Nachdem das zuständige Landesministerium die Kreisordnungsbehörden angewiesen hatte, das Töten männlicher Küken zu untersagen, verbot der Beklagte dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom 18. Dezember 2013 unter Androhung von Zwangsgeld ab dem 1. Januar 2015 die Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung geeigneter Küken329. Zur Begründung stellte er darauf ab, dass die Tötung gegen § 1 Abs. 2 TierSchG verstoße, weil sie ohne vernünftigen Grund erfolge330. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen diese Ordnungsverfügung hatte Erfolg331. Die Berufung des Beklagten wies das zuständige Oberverwaltungsgericht ab, wobei es zur Begründung im Wesentlichen darauf abstellte, dass § 1 Abs. 2 TierSchG zwar grundsätzlich eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die vorgenommene Untersagung darstelle, weil die grundlegenden Aussagen für die Verbotsschwelle in der Norm hinreichend klar zum Ausdruck kämen332. Der für ein Verbot fehlende vernünftige Grund liege nämlich dann vor, wenn kein anerkennenswertes menschliches Inte­ resse bestehe, das unter konkreten Umständen nach seinem objektiven Ge327  BVerwG, 328  BVerwG, 329  BVerwG, 330  BVerwG, 331  BVerwG, 332  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 –

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28/16 – 28/16 – 28/16 – 28/16 – 28/16 – 28/16 –

juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 1. Rn. 2. Rn. 3 f. Rn. 4. Rn. 4. Rn. 4 f.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat175

wicht schwerer wiegt als das Interesse am Schutz der Unversehrtheit des Tieres333. Sodann bejahte das Berufungsgericht das Vorliegen eines solchen vernünftigen Grundes334. Darüber hinaus liege ein Ermessensfehler vor, weil der Beklagte die belastenden Auswirkungen der Untersagung mit der eingeräumten Übergangsfrist nicht hinreichend berücksichtigt habe335. Hiergegen legte der Beklagte Revision ein, in der er eine fehlende Abwägung des Tierwohls gegen die wirtschaftlichen Gründe bemängelte336. Der VBI hat im Rahmen seiner Beteiligung ausgeführt, für ein Tötungsverbot sei eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers erforderlich, die hier aber nicht vorliege337. Darüber hinaus legte er in einem Schriftsatz dar, dass seit November 2018 Eier von Hennen im Handel erhältlich seien, deren Geschlecht bereits im Ei endokrinologisch bestimmt worden ist338. Darüber hinaus sei auch das spektoskopische Verfahren zur Geschlechts­ bestimmung im Ei mittlerweile so weit entwickelt, dass es ab Mitte des Jahres 2019 in einer „Nullserie“ in einem Brutbetrieb angewandt werden soll339. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Beklagten als nicht begründet abgewiesen, weil die angefochtene Untersagungsverfügung gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze340. Ohne auf das Erfordernis einer näheren gesetzlichen Bestimmung einzugehen, wendete das Gericht § 1 S. 2 TierSchG als Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung an und stellte lediglich fest, dass keine über diese Vorschrift hinausgehende ausdrückliche Regelung existiere341. Hinsichtlich der Frage des von § 1 S. 2 TierSchG vorausgesetzten „vernünftigen Grundes“ stellte das Gericht zunächst heraus, dass die Vorschrift einen Ausgleich zwischen den rechtlich geschützten Interessen des Tierhalters, darunter insbesondere wirtschaftliche und wissenschaftliche Interessen, und den Belangen des Tierschutzes erreichen soll342. Ein vernünftiger Grund sei dabei ein schutzwürdiges menschliches Interesse, das den konkreten Umständen nach schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres343. Geschützt 333  BVerwG, 334  BVerwG, 335  BVerwG, 336  BVerwG, 337  BVerwG, 338  BVerwG, 339  BVerwG, 340  BVerwG, 341  BVerwG, 342  BVerwG, 343  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 –

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 5. Rn. 5. Rn. 6. Rn. 7. Rn. 9. Rn. 29. Rn. 29. Rn. 10. Rn. 12, 14. Rn. 17. Rn. 17.

176

F. Die praktische Arbeit des VBI

seien dabei nicht nur die unmittelbaren Ernährungsbedürfnisse des Menschen, sondern auch das wirtschaftliche Interesse der Tierhalter an einem möglichst geringen Aufwand bei deren Erfüllung344. Auf konkreter Ebene erkannte das Gericht dabei das Interesse des Klägers und anderer Brutbetriebe, den Einsatz von Ressourcen für die Aufzucht von Küken, die für das Eierlegen und die Mast nicht geeignet sind, möglichst gering zu halten, als grundsätzlich schützenswert an345. Wie hoch das wirtschaftliche Interesse am Töten männlicher Küken ist, hänge dabei von den in Betracht kommenden Alternativen ab346. Im Ergebnis gewichtete das Bundesverwaltungsgericht zwar die Belange des Tierschutzes als schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, weil eine Praxis, durch die den Küken von vorne herein jeder Wert abgesprochen wird, mit den heutigen Wertvorstellungen im Lichte von Art. 20a GG nicht mehr vereinbar sei347. Angesichts der Ausgleichsfunktion von § 1 S. 2 TierSchG dürften aber die bisherige Praxis sowie die spezifischen Belange der Tierhalter nicht außer Betracht bleiben, weswegen – wie vom Beklagten vorgenommen – die Setzung einer Frist bis zur Geltung des Verbots erforderlich sei348. Zu beachten sei außerdem, dass die Praxis des Tötens männlicher Küken in den vergangenen Jahrzehnten nicht als rechtswidrig angesehen worden sei und erst die anhaltende Kritik Anlass gegeben habe, nach Alternativen zu forschen349. In diesem Zusammenhang nahm das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich Bezug auf die vom VBI eingeführten Informationen hinsichtlich des Entwicklungsstands zur Geschlechtsbestimmung im Ei als eine solche Alternative350. Angesichts dessen, dass diese Entwicklung weit fortgeschritten sei und voraussichtlich in den kommenden Jahren zur Verfügung stehe, stelle es aber keinen angemessenen Interessenausgleich im Sinne von § 1 S. 2 TierSchG dar, das weitere Töten männlicher Küken ohne Setzung einer so bemessenen Übergangsfrist zu verbieten, dass die Brütereien die Möglichkeit haben, die konkret absehbare Einsetzbarkeit dieser Verfahren abzuwarten351. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht auf die Ausführungen des VBI zum Erfordernis eines ausdrücklichen gesetzlichen Verbots für die Untersagungsverfügung nicht weiter eingegangen ist und diesen im Ergebnis sogar widersprochen hat, zeigt die vorliegende Entscheidung, wie die Einführung 344  BVerwG, 345  BVerwG, 346  BVerwG, 347  BVerwG, 348  BVerwG, 349  BVerwG, 350  BVerwG, 351  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 – 13.6.2019 –

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juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 18. Rn. 21. Rn. 23. Rn. 26. Rn. 28. Rn. 29. Rn. 29. Rn. 30.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat177

der Hintergrundinformationen zum aktuellen Entwicklungsstand von Alternativverfahren durch den VBI deren Findung beeinflusst hat. Die Erkenntnis des Gerichts, dass die praktische Verfügbarkeit solcher Verfahren kurz bevorsteht, hat dieses maßgeblich dazu bewogen, trotz des grundsätzlichen Überwiegens des Tierschutzes eine Untersagung als unangemessen anzusehen, die den Tierhaltern nicht durch Setzung einer Frist die Möglichkeit gibt, deren Verfügbarkeit abzuwarten. Auf diese Weise hat der VBI durch die Einführung von nichtrechtlichen Hintergrundinformationen die Entscheidungsgrundlage des Gerichts wesentlich verbreitert und es ihm ermöglicht, den aktuellen technischen Entwicklungsstand in die vom Gesetz geforderte Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Tierschutz miteinfließen zu lassen. 8. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu einer beamtenrechtlichen Auswahlentscheidung Einem anderen Verfahren, an dem sich der VBI beteiligt hat, lag eine beamtenrechtliche Auswahlentscheidung zugrunde352. Der Kläger war als Polizeibeamter des beklagten Landes im Rahmen der Besoldungsstufe A 9 zunächst als Polizeikommissar tätig, wofür er im September 2011 eine Regelbeurteilung erhielt353. Ab demselben Monat wurde er beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NordrheinWestfalen (LAFP) als Dozent eingesetzt, wobei ein Antrag auf Erteilung einer Anlassbeurteilung im November 2011 abgelehnt wurde354. Als das ­ LAFP eine Beförderung von 69 Beamten in die Besoldungsgruppe A 10 vorsah, erstellte es eine Beförderungsrangliste, die den Kläger auf Rang 117 aufführte355. Nachdem das LAFP im behördlichen Intranet über das Ergebnis seiner Auswahlentscheidung informiert hatte, stellte sich heraus, dass eine ausgewählte Beamtin bereits befördert worden war, woraufhin es entschied, dass stattdessen die bisher auf Platz 70 geführte Beamtin befördert werden sollte356. Der Kläger erreichte zunächst im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem zuständigen Oberverwaltungsgericht, dass dem Beklagten einstweilen bis zu einer neuen Auswahlentscheidung untersagt wurde, die freigehaltene Beförderungsstelle zu besetzen357. Eine Klage auf Neubescheidung des 352  BVerwG, 353  BVerwG, 354  BVerwG, 355  BVerwG, 356  BVerwG, 357  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 –

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beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online,

Rn. 1. Rn. 2. Rn. 2. Rn. 3. Rn. 4. Rn. 5.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

Beförderungsbegehrens vor dem Verwaltungsgericht wurde abgewiesen358. Nachdem während der durch den Kläger erhobenen Berufung die begehrte Beförderung erfolgt war, modifizierte der Kläger seinen Antrag dahingehend, das erstinstanzliche Urteil zu ändern und festzustellen, dass die Auswahl­ entscheidung des Beklagten rechtswidrig und der Beklagte verpflichtet war, über die Beförderung neu zu entscheiden359. Die Berufung hatte Erfolg, wobei das Berufungsgericht darauf abstellte, dass der Kläger aufgrund eines Schadensersatzbegehrens wegen der verspäteten Beförderung ein Feststellungsinteresse habe und die Auswahlentscheidung aufgrund einer fehlenden aktuellen Beurteilung des Klägers rechtswidrig sei360. Gegen das Berufungsurteil legte der Beklagte Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein361. Der VBI unterstützte mit seiner Beteiligung den Beklagten. Zudem legte er eine vom Gericht erbetene Umfrage bei anderen Verwaltungsbehörden zu dortigen Erfahrungen mit Konstellationen wie derjenigen, die dem Verfahren zugrunde lag, vor362. Dieser zufolge teilte ein Großteil der befragten Länder und Ressorts die Ansicht des Beklagten, dass die Rechtsauffassung, auf der das Berufungsurteil fußt, in Verwaltungen mit viel Personal zu deutlichen praktischen Schwierigkeiten und größerem Verwaltungsaufwand führt363. Andere Äußerungen, vor allem von Verwaltungen, die eine zweijährige Regelbeurteilung praktizierten, hielten die Folgen des Berufungsurteils für umsetzbar364. Das Bundesverwaltungsgericht hat der Revision stattgegeben365. Dabei ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage bereits unzulässig ist, weil dem Kläger das erforderliche Feststellungsinteresse fehle366. Das hierzu angeführte Schadensersatzbegehren sei nämlich mangels Verschuldens des Beklagten von vorne herein aussichtslos367. Außerdem basiere die Auswahlentscheidung des Beklagten auf einer ausreichend aktuellen Beurteilungsgrundlage368. Zwar müsse eine Auswahlentscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Amtes gemäß Art. 33 Abs. 2 GG dem Grundsatz der Bestenauswahl genügen und dazu als Vergleichsmög358  BVerwG, 359  BVerwG, 360  BVerwG, 361  BVerwG, 362  BVerwG, 363  BVerwG, 364  BVerwG, 365  BVerwG, 366  BVerwG, 367  BVerwG, 368  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 –

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beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online,

Rn. 6. Rn. 6. Rn. 7 f. Rn. 9. Rn. 12. Rn. 12. Rn. 12. Rn. 13. Rn. 14. Rn. 14. Rn. 30.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat179

lichkeit eine zeitlich aktuelle sowie inhaltlich aussagekräftige dienstliche Beurteilung herangezogen werden369. Eine Regelbeurteilung sei grundsätzlich hinreichend aktuell, wenn – wie im vorliegenden Fall – der für die Beurteilung maßgebliche Stichtag höchstens drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung liegt370. Sollte der Beamte aber nach dem Beurteilungsstichtag während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen haben, könne auch innerhalb dieses Dreijahresturnus die Notwendigkeit bestehen, die Beurteilungsgrundlage anlässlich der Auswahlentscheidung zu erneuern371. Bei der Beantwortung der Frage, wann genau ein erheblicher Zeitraum sowie eine wesentliche andere Aufgabe vorliegen, hat das Gericht im Grundsatz anerkannt, dass es prinzipiell im Organisationsermessen des Dienstherrn liege, wie er das Beurteilungssystem für Beamte ausgestaltet372. Es stellte zudem fest, dass dann, wenn der Dienstherr sich für ein Beurteilungssystem entschieden habe, das auf einem Drei-Jahres-Rhythmus beruht, das Erfordernis zusätzlicher Anlassbeurteilungen zu weiterem Verwaltungsaufwand führe373. In diesem Zusammenhang nahm es Bezug auf das Vorbringen des Beklagten, dass dieser Aufwand bei Zugrundelegung des Berufungsurteils nicht mehr verhältnismäßig sei und andere Dienstherren sowie Verwaltungen diese Auffassung teilen374. Auf dieser Grundlage stellte das Gericht einen Konflikt zwischen zwei widerstreitenden Interessen fest, die beide eine verfassungsrechtliche Grundlage haben: Der objektivrechtlichen Gewährleistung einer funktionsfähigen Verwaltung gemäß Art. 83 ff. GG einschließlich eines leistungsstarken öffentlichen Dienstes gemäß Art. 33 Abs. 2, Abs. 5 GG, der nicht durch zu hohen Verwaltungsaufwand belastet wird, sowie dem subjektivrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG375. Auf Seiten der beiden erstgenannten Belange sei dabei zu berücksichtigen, dass die dem Dienstherrn zustehende Entscheidung für ein Regelbeurteilungssystem nicht dadurch unterlaufen werden dürfe, dass in großem, unverhältnismäßigem Maße Personal- und Verwaltungsmehraufwand entstehe376. Außerdem werde dem Interesse des Beamten an beruflichem Fortkommen schon dadurch Rechnung getragen, dass dieser regelmäßig Turnusbeurteilungen er-

369  BVerwG, 370  BVerwG, 371  BVerwG, 372  BVerwG, 373  BVerwG, 374  BVerwG, 375  BVerwG, 376  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 – 9.5.2019 –

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beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online, beck-online,

Rn. 31–33. Rn. 34–36. Rn. 37. Rn. 38 f. Rn. 43. Rn. 43. Rn. 44. Rn. 45.

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F. Die praktische Arbeit des VBI

hält377. Daher müsse nicht jede einzelne Veränderung des Tätigkeitsbereichs detailliert wiedergegeben werden378. Ausgehend von diesen Erwägungen sei ein hinreichend erheblicher Zeitraum ab zwei Jahren nach der Veränderung anzunehmen und eine wesentlich andere Tätigkeit bei einem Wechsel in ein anderes Statusamt, also wenn die neuen Aufgaben ausschließlich einer anderen Besoldungsgruppe entsprechen oder einer anderen Laufbahn zuzuordnen sind379. Die Erfüllung sowohl des zeitlichen als auch des inhaltlichen Kriteriums lehnte das Gericht im vorliegenden Verfahren ab380. In dieser Sache zeichnete sich die Beteiligung des VBI dadurch aus, dass er als Hintergrundinformation eine vom erkennenden Senat erbetene Umfrage hinsichtlich der Bedeutung des Berufungsurteils für die Verwaltungspraxis vorgelegt hat. Hierdurch wird seine Stellung als Schnittstelle zwischen Gericht und Verwaltung deutlich. Obwohl das Bundesveraltungsgericht in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich auf diese Umfrage eingegangen ist, hat es doch die Gefahr eines unverhältnismäßigen Verwaltungsmehraufwands in seine Abwägung zwischen der Gewährleistung einer funktionsfähigen Verwaltung samt einem leistungsstarken öffentlichen Dienst und dem Bewerbungsverfahrensanspruch eingestellt und berücksichtigt. Zwar beruhte das Argument des unverhältnismäßigen Mehraufwands auf dem Vorbringen des Beklagten, es wurde aber durch die Umfrage des VBI hinsichtlich seiner allgemeinen Tragweite über den Einzelfall hinaus konturiert. Hierdurch war es für das Gericht besser möglich, dieses Argument in Bezug auf seine generelle praktische Relevanz realistisch einzuschätzen und entsprechend im Rahmen der Abwägung zu gewichten. 9. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz In einem weiteren Verfahren, anhand dessen die Funktion des VBI als Schnittstelle zwischen Gericht und Verwaltung deutlich wird, begehrte der minderjährige, bei seiner Mutter lebende Kläger weitere Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG)381. Dieser hatte von Dezember 2002 bis Februar 2009 für insgesamt 73 Monate und neun Tage Unterhaltsvorschussleistungen bezogen, wobei der Beklagte mit bestandskräftigem Be377  BVerwG,

Urteil Urteil 379  BVerwG, Urteil 380  BVerwG, Urteil 381  BVerwG, Urteil 378  BVerwG,

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9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online, Rn. 45. 9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online, Rn. 45. 9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online, Rn. 49, 51, 54. 9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online, Rn. 55. 26.1.2011 – 5 C 19/10 – juris, Rn. 1.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat181

scheid aus dem Jahr 2006 für den Zeitraum von Juli 2005 bis Februar 2006 von der Mutter des Klägers nach § 5 Abs. 1 UVG den Ersatz gewährter Unterhaltsvorschussleistungen verlangte, weil sie den Beklagten nicht darüber informiert habe, dass der Kläger in diesem Zeitraum nicht bei ihr gelebt hat382. Durch einen Einbehalt wurden die zu Unrecht erhaltenen Vorschussleistungen mit den laufenden Leistungen verrechnet383. Einen nach erneutem Umzug im Mai 2009 gestellten Antrag auf Gewährung von Unterhalts­ vorschussleistungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 2009 ab, wobei er als Begründung anführte, dass die Leistungshöchstdauer von 72 Monaten bereits überschritten sei384. Eine Verpflichtungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht auf Zahlung der begehrten Leistungen hatte grundsätzlich Erfolg und wurde in der Berufungsinstanz bestätigt385. Aufgrund der Verrechnung, die auf einer Rückforderung basiere, sei der auf insgesamt 72 Monate begrenzte Leistungszeitraum gemäß § 3 UVG a. F. nicht überschritten386. Hiergegen legte der Beklagte wiederum Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein387. Der VBI unterstützte die Revision des Beklagten und wies darauf hin, dass das zuständige Bundesministerium beabsichtige, im Fall einer Zurückweisung der Revision für die Verrechnung andere, kompliziertere sowie verwaltungsaufwändigere Zahlungsmodalitäten einzurichten und nach anderen Mitteln, gegebenenfalls durch Änderung des UVG, zu suchen, um alleinerziehende Eltern zur Befolgung der Anzeigepflicht gemäß § 6 Abs. 4 UVG zu motivieren388. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen389. Der Begriff der „Unterhaltsleistung“ in § 3 UVG a. F. setze nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, eine Unterstützung alleinerziehender Eltern zu bewirken, nämlich voraus, dass nicht nur ein tatsächlicher Leistungszufluss und eine dadurch verbesserte finanzielle Situation vorliege, sondern die Leistung auch rechtlich sowie wirtschaftlich den Berechtigten verbleibe und damit nicht einer Rückabwicklung gemäß § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 UVG unterliege390. Allerdings sei die Leistungshöchstdauer nach dem Willen des Gesetzgebers aus rein fiskalischen Gründen auf 72 Monate 382  BVerwG, 383  BVerwG, 384  BVerwG, 385  BVerwG, 386  BVerwG, 387  BVerwG, 388  BVerwG, 389  BVerwG, 390  BVerwG,

Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil Urteil

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26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 – 26.1.2011 –

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19/10 – 19/10 – 19/10 – 19/10 – 19/10 – 19/10 – 19/10 – 19/10 – 19/10 –

juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris, juris,

Rn. 2 f. Rn. 3. Rn. 4. Rn. 5 f. Rn. 6. Rn. 7. Rn. 9. Rn. 10. Rn. 12, 14.

182

F. Die praktische Arbeit des VBI

begrenzt, weswegen erst die tatsächliche Erfüllung der Rückzahlungspflicht dazu führe, dass die zurückverlangten Leistungen nicht auf die Höchstdauer angerechnet werden391. Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, warum bei der Berechnung der 72 Monate die Nichtberücksichtigung von Zeiten, für die eine Ersatzpflicht nicht nur bestandskräftig festgesetzt, sondern auch erfüllt worden ist, die Motivation von Antragstellern unterlaufen könnte, ihrer Anzeigepflicht nachzukommen392. Auch in dieses Verfahren hat der VBI Hintergrundinformationen eingeführt, die nichtrechtlicher Natur waren. Der VBI stellte die Absicht des Ministeriums dar, auf eine Zurückweisung der Revision durch die Einführung eines für Antragsteller und Verwaltung im Zweifelsfall ungünstigeres Zahlungsverfahren zu reagieren. Auf diese Weise hat der VBI die Intention des Bundesministeriums zum Ausdruck gebracht, unbedingt an einem wirksamen Instrument festhalten zu wollen, um eine Einhaltung der Anzeigepflicht durch die Antragsteller sicherzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Bedürfnis des Ministeriums aber durch die Nichtberücksichtigung der zurückverlangten Leistungen im Rahmen der Leistungshöchstdauer nicht als gefährdet angesehen. Daher ist es bei seiner Auslegung des Begriffs der „­Unterhaltsleistung“ anhand von Sinn und Zweck des Gesetzes geblieben, wonach diese einen Verbleib im Vermögen des Antragstellers voraussetzt. Im Ergebnis ist die Beteiligung des VBI damit zwar grundsätzlich ohne Einfluss auf die Entscheidung geblieben. Sie hat aber dazu geführt, dass sich das Gericht mit dem Bedürfnis des Ministeriums auseinandergesetzt hat, eine Motivation für Antragsteller beizubehalten, ihrer Anzeigepflicht nachzukommen, auch wenn es dieses durch eine Zurückweisung der Revision nicht als beeinträchtigt angesehen hat. 10. Zwischenergebnis Aus den vorgenannten Urteilen lassen sich expemplarisch Rückschlüsse zum einen auf das konkrete Beteiligungsverhalten des VBI und zum anderen auf die Art und Weise, auf die er tätig wird, ziehen. a) Beteiligungsverhalten des VBI Bei den Gerichtsverfahren, die den vorstehend genannten Urteilen zugrunde liegen, handelt es sich um Revisionsverfahren aus einer Bandbreite unterschiedlicher Teilgebiete des Verwaltungsrechts. Diesen ist gemeinsam, 391  BVerwG, 392  BVerwG,

Urteil vom 26.1.2011 – 5 C 19/10 – juris, Rn. 18. Urteil vom 26.1.2011 – 5 C 19/10 – juris, Rn. 18.



IV. Ausgewählte Verfahren, an denen sich der VBI beteiligt hat183

dass sie sich zentral um die Frage drehen, wie eine bestimmte Rechtsnorm auf eine spezielle Konstellation anzuwenden ist. Dies betrifft etwa die für das systematische Verständnis der Norm entscheidende Frage, ob § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB lediglich eine Beeinträchtigung der vorgenannten Belange gemäß § 35 Abs. 2 BauGB oder darüber hinaus sogar deren Entgegenstehen gemäß § 35 Abs. 1 BauGB überwindet393. Gleiches gilt für die Reichweite des Begriffs der „Verbrennungsanlage“ gemäß § 2 Nr. 6, Nr. 7 17.  BImSchV394, die für Betreiber weitreichende wirtschaftliche Folgen hat. Dem Verfahren, in dem es um die Frage ging, ob jemand, der aus religiösen Gründen eine Kopfbedeckung trägt, von der Motorradhelmpflicht befreit werden kann, lag eine grundsätzliche Abwägung zwischen den Grundrechten der Religionsfreheit einerseits sowie des Gesundheitsschutzes andererseits im Straßenverkehr zugrunde395, die dementsprechend eine fundamentale Wertentscheidung darstellt. Dem Verfahren hinsichtlich des Tötens männlicher Küken396 liegt ein Konflikt zwischen Tierschutz und Wirtschaftlichkeit in der Landwirtschaft zugrunde, der insbesondere anhand der verfahrensgegenständlichen Praxis unter dem Begriff des „Kükenschredderns“ auf breite mediale und ­gesellschaftliche Aufmerksamkeit gestoßen ist. Aufgrund der weiten Verbreitung dieser Praxis hatte der Ausgang dieses Verfahrens auch besonders weitreichende wirtschaftliche Folgen für die Landwirtschaft. Das Urteil zu der Frage, wie aktuell eine Leistungsbeurteilung sein muss, die Behörden für eine Versetzung von Beamten heranziehen397, hat wiederum deutliche Auswirkungen auf Organisation und Praxis der Verwaltung. Insgesamt bestätigt sich auf Grundlage dieser Beispiele, dass der VBI eine Betroffenheit des öffentlichen Interesses in Verfahren bejaht, die eine grundlegende Bedeutung haben, sei es für die Auslegung und Anwendung bestimmter Rechtsnormen oder für die Abwägung widerstreitender Grundrechte, aber auch für Verwaltungspraxis und wirtschaftliche Betätigung. b) Art und Weise des Auftretens des VBI vor Gericht In die vorstehend anhand der Urteile untersuchten Verfahren hat sich der VBI durch Darlegung rechtlicher Ausführungen und Hintergrundinformationen eingebracht. Bei Letzteren handelte es sich um Erwägungen und Interessen der fachlich zuständigen Ministerien hinsichtlich der streitentscheidenden Norm, um eine Umfrage über die Auswirkungen des angefochtenen Urteils 393  BVerwG,

Urteil Urteil 395  BVerwG, Urteil 396  BVerwG, Urteil 397  BVerwG, Urteil 394  BVerwG,

vom vom vom vom vom

17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris. 25.10.2012 – 7 C 17/11 – juris. 4.7.2019 – 3 C 24/17 – juris. 13.6.2019 – 3 C 28/16 – juris. 9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online.

184

F. Die praktische Arbeit des VBI

auf die Verwaltungspraxis sowie um Ausführungen zum aktuellen technischen Stand. Eine Zwischenstellung im Verhältnis zu rein rechtlichen Ausführungen und Hintergrundinformationen stellen die Erwägungen des VBI zum praktischen Bedürfnis der Verwaltung angesichts ihrer eigenen recht­ lichen Gestaltungsmöglichkeiten dar. Diese Aspekte hatten in den Verfahren den Charakter ergänzender Erwägungen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgegriffen hat, um seine Entscheidung durch eine breitere Basis zu untermauern. Dies gilt auch für das Verfahren auf dem Gebiet des Unterhaltsvorschussrechts, in dem das Gericht hinsichtlich der Informationen über die Belange und Motive der zuständigen Ministerien den Ausführungen des VBI nicht gefolgt ist. Auch in diesem Fall wurde das Gericht nämlich durch diese Informationen in die Lage versetzt, sich mit weiteren durch das Verfahren berührten Aspekten zu befassen und Erwägungen anzustellen, die es sonst wahrscheinlich unterlassen hätte. Somit hat in diesem Fall die Entscheidung durch die Beteiligung des VBI ebenfalls eine höhere Qualität erhalten. Im Fall des Tötungsverbots männlicher Küken haben die Ausführungen des VBI über die bald zu erwartende Einführung technischer Alternativen den auf Grundlage von § 1 S. 2 TierSchG zu treffenden Ausgleich zwischen Tierschutz und wirtschaftlichen Interessen und damit den Ausgang der Entscheidung sogar maßgeblich beeinflusst. Genauso hatte im Verfahren zur beamtenrechtlichen Auswahlentscheidung398 das Bundesverwaltungsgericht durch die vom VBI beigebrachte Umfrage konkrete Anhaltspunkte, um die Gefahr eines unverhältnismäßigen Verwaltungsmehraufwands in seine Abwägung zwischen Gewährleistung einer funktionsfähigen Verwaltung gemäß Art. 83 ff. GG einschließlich eines leistungsstarken öffentlichen Dienstes gemäß Art. 33 Abs. 2, 5 GG sowie dem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG einzustellen und zu berücksichtigen. Im Fall rein rechtlicher Ausführungen durch den VBI bestehen Schwierigkeiten, festzustellen, inwieweit diese die Entscheidung inhaltlich beeinflusst haben. Selbst wenn das Gericht ausdrücklich auf den VBI Bezug genommen hat, ist nicht auszuschließen, dass es ohne dessen Beteiligung dieselben Überlegungen mit denselben Ergebnissen angestellt hätte. Dies gilt besonders in den Fällen, in denen sich die Ausführungen des VBI mit denjenigen der anderen Verfahrensbeteiligten oder der vorherigen Instanzen inhaltlich überschneiden. Die hier untersuchten Verfahren machen zudem deutlich, dass sich VBI und Gericht unabhängig von den anderen Verfahrensbeteiligten sowie von einander verhalten. Es lassen sich Fälle finden, in denen die Beteiligung des VBI zugunsten der Verwaltungsbehörde ausfällt, aber auch solche, in denen 398  BVerwG,

Urteil vom 9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online, Rn. 1.



V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI185

seine Ausführungen eher dem klagenden Bürger zugutekommen. Im Verhältnis zum Gericht wird deutlich, dass dieses je nach Verfahren durchaus mit dem VBI übereinstimmen kann, es sich aber in keiner Weise an dessen Ausführungen gebunden fühlt, sondern diese im Einzelfall auch als falsch oder irrelevant ansieht. Bemerkenswert ist auch das Verfahren, in dem sich der landesrechtliche VöI und der VBI beteiligt und gegensätzliche Auffassungen vertreten haben, denn dieses Verhalten spricht dafür, dass beide das öffent­ liche Interesse aus unterschiedlichen Perspektiven vertreten, die im Einzelfall gegeneinander laufen können. Eine Schwierigkeit bei der Untersuchung von Urteilen auf die Beteiligung des VBI ist, dass deren genauer Umfang in einigen Fällen nicht ersichtlich ist. Aus vielen Urteilen ergibt sich nur, dass der VBI sich überhaupt beteiligt hat und welcher Auffassung er im Ergebnis gefolgt ist, ohne dass auf seine konkreten Ausführungen eingegangen wird399.

V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI Was den quantitativen Umfang der Tätigkeit des VBI betrifft, so geben die auf seiner Internetseite veröffentlichten Geschäftsberichte einen Überblick über die Anzahl der Verfahren, die er in den vergangenen Jahren bearbeitet hat. Hieraus lässt sich ableiten, in welchem quantitativen Umfang er die Aufgaben wahrgenommen hat, das Bundesverwaltungsgericht bei der Rechtsfindung zu unterstützen und übergeordnete Interessen des Gemeinwohls in gerichtiche Verfahren einzuführen. Nähere Statistiken hinsichtlich seiner ­außergerichtlichen Tätigkeit, also seiner Mitwirkung an außergerichtlichen Streitbeilegungen oder seiner Beratungs- und Informationstätigkeit gegenüber der Verwaltung existieren dabei nicht400, sodass insoweit keine Angaben gemacht werden können. Zu beachten ist aber, dass der VBI in jedem von ihm bearbeiteten Verfahren im Rahmen der vierten Bearbeitungsphase die Gerichtsentscheidung auswertet, seine Schlussfolgerungen der Verwaltung vorträgt und gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 DA VBI bei Bedarf eine Änderung von Rechtsnormen oder der Verwaltungspraxis anregt. Dies spricht dafür, dass die informatorische Tätigkeit des VBI grundsätzlich mit seinem Auftreten vor Gericht korrespondiert.

399  Beispielhaft BVerwG, Urteil vom 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris, Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 17.7.2019 – 5 C 8/18 – juris, Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 16.5.2019 – 5 C 7/18 – juris, Rn. 5; BVerwG, Urteil vom 29.5.2019 – 6 C 8/18 – juris, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 19.6.2019 – 6 C 9/18 – juris, Rn. 8. 400  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.

186

F. Die praktische Arbeit des VBI

Zur Zeit der Ersetzung des OBA durch den VBI hatte dieser inhaltlich gesehen keinen eindeutigen Beteiligungsschwerpunkt401. Vielmehr hing der Umfang, den bestimmte Rechtsgebiete bei seiner Beteiligung ausgemacht haben, von den Schwerpunkten der Eingänge beim Bundesverwaltungsgericht ab402. Vor dem Hintergrund, dass sich die innere Organisation der Arbeitsgruppe VBI bei der Einteilung in Aufgabenbereiche an den Senaten des Bundesverwaltungsgerichts und deren inhaltlicher Geschäftsverteilung orientiert, ist ein solcher Befund nicht überraschend, sondern schon in der Organisation des VBI angelegt. 1. Umfang der Beteiligungen im Zeitraum zwischen 2009 und 2020 Einen Überblick über das Beteiligungsverhalten des VBI im Zeitraum zwischen den Jahren 2009 und 2020 bieten die jährlichen Tätigkeitsberichte, die auf dessen Internetseite veröffentlicht werden. a) Neueingangszahlen beim VBI Aus diesen Tätigkeitsberichten ergibt sich, dass dem VBI in den Jahren von 2009 bis 2020 vom Bundesverwaltungsgericht durchschnittlich etwa 316 Neueingänge pro Jahr übermittelt worden sind403. Die höchste Anzahl an Neueingängen in diesem Zeitraum erhielt der VBI dabei im Jahr 2011 mit 376 Fällen404. 2017 waren es demgegenüber lediglich 306 Eingänge405, 2018 nur 286406 und das Jahr 2019 hatte mit 257 die geringste Eingangszahl zu verzeichnen407. Im Jahr 2020 ergab sich wieder ein Anstieg der Anzahl an Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (197). Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (197). 403  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2009–2020, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 404  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2011, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI /DE/jahresbericht_2011.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021. 405  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2017, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/ DE/jahresbericht_2017.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 406  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2018, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI /DE/jahresbericht_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 407  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2019, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/ DE/jahresbericht_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 401  K. D. Schnappauf, 402  K. D. Schnappauf,



V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI187

Neueingängen auf 272408. Demgegenüber betrug die Anzahl der Revisions­ sachen sowie der erstinstanzlichen Sachen und Wiederaufnahmeverfahren, die beim Bundesverwaltungsgericht neu eingegangen sind, im Jahr 2020 291409, was eine Differenz von 19 im Vergleich zu den Neueingängen beim VBI ergibt. Im Jahr 2019 hingegen hatte die Zahl der entsprechenden Neueingänge beim Bundesverwaltungsgericht eine Höhe von 253410 und stimmte somit mit der Zahl der Neueingänge beim VBI nahezu überein. Im Jahr 2018 betrug diese Zahl 292411 und 2017 353412. Hieraus folgt, dass im Bereich der Revisionssachen sowie der erstinstanzlichen Sachen und Wiederaufnahmeverfahren die meisten, aber nicht alle Neueingänge beim Bundesverwaltungsgericht auch dem VBI vorgelegt werden. Als Grund für diese Abweichungen kommt in Betracht, dass es sich um Parallelfälle handelt oder bestimmte Eingänge bereits im vorigen Jahr beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen sind und erst im darauffolgenden Jahr den VBI erreichen. Es bestätigt sich aber grundsätzlich, dass die Zahl der Neueingänge beim VBI im Wesentlichen von der Zahl der Neueingänge beim Bundesverwaltungsgericht abhängig ist413. b) Verteilung der Neueingänge nach Verfahrensarten Untersucht man die Neuzugänge nach den Arten der ihnen zugrunde liegenden Verfahren, so fällt auf, dass im Tätigkeitsbericht für das Jahr 2020 von den insgesamt 272 Eingängen 196 Sachen „C, CN und P-Verfahren“ waren, während der Rest auf 67 „A, F-Verfahren“ sowie auf acht „VR-Verfahren“ und auf ein „B, BN, AV-Verfahren“ entfiel414. Dabei ist der Jahres408  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 409  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 3 f, abgerufen unter h ­ ttps:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 410  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2019, S. 3 f, abgerufen unter h ­ ttps:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2019.pdf, Stand: 15.3.2021. 411  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2018, S. 3 f, abgerufen unter h ­ ttps:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2018.pdf, Stand: 15.3.2021. 412  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2017, S. 3 f, abgerufen unter h ­ ttps:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2017.pdf, Stand: 15.3.2021. 413  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 4, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 414  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 6, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/

188

F. Die praktische Arbeit des VBI

statistik des Bundesverwaltungsgerichts 2020 zu entnehmen, dass innerhalb der ersten Gruppe von Verfahrensarten „C“ Revisionen, „CN“ Revisionen in Normenkontrollverfahren und „P“ Rechtsbeschwerden in Personal- und Richtervertretungsrecht kennzeichnet415. Demgegenüber steht „A“ für erstinstanzliche Sachen und Wiederaufnahmen, „F“ dagegen für Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO, also Verfahren über die Vorlage von Urkunden und Akten durch oberste Bundesbehörden416. Als „VR“ werden Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz gekennzeichnet, während „B“ für Beschwerden, „BN“ für Beschwerden in Normenkontrollverfahren und „AV“ für Anträge außerhalb eines anhängigen Verfahrens steht417. Ein ähnliches Bild bezüglich der Verteilung der Neuzugänge auf diese Verfahrensarten lag auch in den Jahren 2017, 2018 und 2019 laut der jeweiligen Tätigkeitsberichte vor418. Folglich sind für den VBI grundsätzlich vor allem Revisionssachen, Rechtsbeschwerden in Personal- und Richtervertretungsrecht (ungefähr 72 Prozent aller Neueingänge im Jahr 2020) sowie erstinstanzliche Sachen und Wiederaufnahmeverfahren nebst Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO (in etwa 25 Prozent aller Neueingänge im Jahr 2020) relevant. Was Beschwerdeverfahren („B“- und „BN“-Verfahren) angeht, fällt auf, dass deren Anzahl an Eingängen beim VBI von der Anzahl der Eingänge beim Bundesverwaltungsgericht stark negativ abweicht: Im Jahr 2020 machten diese Verfahrensarten immerhin in etwa 45 Prozent der Eingänge bei diesem Gericht aus419. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass für „B-Verfahren“, in denen es um die Zulassung der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht geht, der VBI eine Beteiligungsverzichtserklärung abgegeben VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82D 0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 415  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 4, abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 416  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 3, 5, abgerufen unter ­https://www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 417  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 4 f., abgerufen unter h ­ ttps:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 418  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2017, S. 19, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/ Webs/VBI/DE/jahresbericht_2017.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3. 2021; Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2018, S. 21, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2019, S. 5, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/ DE/jahresbericht_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 419  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 2., abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021.



V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI189

hat420. Vor dem Hintergrund, dass sich hinter diesen Verfahren Nichtzulassungsbeschwerden gemäß § 133 VwGO verbergen421, lässt sich diese Praxis damit erklären, dass es sich hierbei um Verfahren handelt, die dem eigent­ lichen Revisionsverfahren vorgelagert sind und lediglich die Frage zum Gegenstand haben, ob ein Revisionsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt422. In dieser Verfahrensart bleibt daher für den VBI kein Raum, um inhaltlich das öffentliche Interesse zu vertreten. c) Verteilung der Neueingänge nach Rechtsgebieten Was die Einordnung der Eingänge beim VBI in die verschiedenen Rechtsgebiete betrifft, ist festzustellen, dass im gesamten Zeitraum zwischen 2009 und 2019 das öffentliche Dienstrecht das Rechtsgebiet mit den meisten Neueingängen war423. 2018 und 2019 folgten darauf das Asylrecht sowie das Straßen- und Wegerecht424. Dies entsprach auch der Verteilung dieser Rechtsgebiete auf die Eingänge beim Bundesverwaltungsgericht in den für den VBI relevanten Verfahrensarten: Auf dem Gebiet des öffentlichen Dienstrechts verzeichnete das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2019 die meisten Eingänge in den Verfahrensarten der erstinstanzlichen Verfahren und Wiederaufnahmen sowie der Revisionen, nämlich vor dem 2. Senat 17 Revisionsverfahren und sechs erstinstanzliche Verfahren und Wiederaufnahmen, vor dem 5. Senat neun Revisionsverfahren sowie zwei erstinstanzliche Verfahren und Wiederaufnahmen425. Im Bereich des Asylrechts verzeichnete das Bundesverwaltungsgericht mit einer Zahl von 20 die zweitmeisten Eingänge

420  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak. des BVerwG für das Jahr 2020, S. 2, abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 422  Eyermann/I. Kraft, VwGO, § 133 Rn. 50; Gärditz/M. Winkelmüller/F. van Sche­ wick, VwGO, § 133 Rn. 41; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 133 Rn. 19a; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 133 Rn. 12. 423  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2009–2019, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/VBI /DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001D43 264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 424  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2019, S. 6, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021; Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2018, S. 22, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/VBI/DE/ jahresbericht_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 425  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2019, S. 10, 23, abgerufen unter https://www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2019.pdf, Stand: 15.3.2021. 421  Geschäftsbericht

190

F. Die praktische Arbeit des VBI

in der Verfahrensart der Revisionen426. Hierauf folgte das Straßen- und Wegerecht mit 15 eingegangenen erstinstanzlichen Verfahren und Wiederaufnahmen zuzüglich drei Revisionsverfahren427. Im Jahr 2020 ergab sich insoweit eine Veränderung, als nun die meisten Neueingänge mit einer Anzahl von 48 auf das Gebiet des Asylrechts entfielen, worauf mit 45 Sachen das öffentliche Dienstrecht und mit 20 Sachen das Finanzdienstleistungsrecht folgten428. Im Bereich des Straßen- und Wegerechts waren dagegen nur noch fünf Neueingänge zu verzeichnen429. In diesem Jahr erreichten das Bundesverwaltungsgericht 50 Neueingänge in der Verfahrensart der Revision auf dem Gebiet des Asylrechts, ebenfalls 50 Neueingänge unter den Revisionen und erstinstanzlichen Verfahren sowie Wiederaufnahmen auf dem Gebiet des öffentlichen Dienstrechts und elf erstinstanzliche Verfahren sowie Wiederaufnahmen auf dem Gebiet des Straßenund Wegerechts430. Hierdurch bestätigt sich, dass auch der Umfang der Arbeit des VBI in den einzelnen Rechtsgebieten durch die Neueingänge beim Bundesverwaltungsgericht vorbestimmt wird, sodass insoweit keine allgemeinen inhaltlichen Schwerpunkte abzuleiten sind. Aufgrund der entsprechend hohen Zahl an Eingängen beim Bundesverwaltungsgericht wird zurzeit auch der VBI mit den meisten Verfahren auf den Rechtsgebieten des Asylrechts und des öffentlichen Dienstrechts befasst. An welchen dieser Neueingänge sich der VBI tatsächlich beteiligt, hängt von der Art, Qualität und Bedeutung der einzelnen Sachen sowie vom Inte­ resse der Bundesressorts ab, sich zu den Verfahren zu äußern431. Aus diesem Grund verändern sich die Tätigkeitsschwerpunkte des VBI in fachlicher Hinsicht stetig, ohne dass dem ein erkennbares Muster zugrunde liegt432. Bis 426  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2019, S. 8, abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2019.pdf, Stand: 15.3.2021. 427  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2019, S. 44, abgerufen unter h ­ ttps:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2019.pdf, Stand: 15.3.2021. 428  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 7, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 429  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 7, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 430  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 8, 10, 23, 43, abgerufen unter https://www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 431  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 432  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.



V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI191

einschließlich zum Jahr 2019 gab es hierzu keine näheren Statistiken433. Im Geschäftsbericht über das Jahr 2020 werden nun erstmals auch die insgesamt 59 Beteiligungen des VBI nach Rechtsgebieten aufgegliedert: Tatsächlich entfiel auch der Großteil der Beteiligungen auf das Asylrecht (22) sowie auf das öffentliche Dienstrecht (12)434. Die drittmeisten Beteiligungen erfolgten mit einer Anzahl von vier auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts435, was angesichts von fünf Neueingängen insgesamt in diesem Bereich436 eine hohe Quote ist. Auffällig ist, dass sich der VBI gar nicht an den 20 Eingängen im Finanzdienstleistungsrecht beteiligt hat. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die hohe Zahl der Eingänge in diesem Bereich allein auf einer hohen Zahl an parallelen Klagen von Versicherungsunternehmen437 basiert. Hieran zeigt sich, dass die Betroffenheit des öffentlichen Interesses als wichtiger Filter der Neueingänge fungiert, der dafür sorgt, dass sich der VBI nicht automatisch auf allen Rechtsgebieten, die eine hohe Neueingangszahl aufweisen, in einem entsprechend hohen Umfang beteiligt. Zwar kann beides wie in den Fällen des Asylrechts und des öffentlichen Dienstrechts korrespondieren. Es kann aber auch deutliche Abweichungen wie beim Finanzdienstleistungsrecht oder beim Wirtschaftsverwaltungsrecht geben. d) Entwicklung der Beteiligungszahlen des VBI Im Zeitraum zwischen 2009 und 2020 hat sich der VBI durchschnittlich an 86 Verfahren pro Jahr beteiligt438. Dies entspricht einer Beteiligungsquote 433  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak. über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 8, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 435  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 8, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 436  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 7, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 437  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2020, S. 4, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631AAF45C82 D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 438  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2009–2020, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/VBI/ DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001D43 264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 434  Bericht

192

F. Die praktische Arbeit des VBI

von etwa 27,2 Prozent. Auffallend ist dabei, dass die Zahl der Beteiligungen im Zeitraum von 2009 bis 2013 zwischen 100 und 125 schwankte, während sie zwischen 2014 und 2020 zwischen 46 und 86 lag439. Damit hat die Anzahl der Beteiligungen in den letzten Jahren eher abgenommen, wobei es immer gewisse Schwankungen gibt, was sich daran zeigt, dass die Zahl von 86 Beteiligungen aus dem Jahr 2018 und damit aus dem späteren Teil des zweiten Betrachtungszeitraums stammt440. Dass sich die Anzahl der Neueingänge und diejenige der Beteiligungen des VBI unterschiedlich entwickeln können, zeigt beispielsweise das Jahr 2015: Während die Zahl der Neueingänge im Vergleich zu 2014 nur leicht von 333 auf 325 gefallen ist, ist die Beteiligungszahl deutlich stärker zurückgegangen, nämlich von 91 auf 66441. Als Grund nennt der Geschäftsbericht, dass in den Neuzugängen ein starker Anstieg an Verfahren auf den Gebieten des Erschließungsbeitragsrechts sowie des Rundfunkrechts erfolgt ist, wobei ein Bundesinteresse an Verfahren auf beiden Gebieten nicht ersichtlich war, weil Ersteres gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG nicht mehr als Bundesrecht geregelt werden konnte und Letzteres ohnehin landesrechtlich geregelt war442. Eine Überprüfung vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgte nur aufgrund einer Sonderregelung in § 13 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags443. 2. Umfang der Beteiligungen im Zeitraum zwischen 1994 und 2000 Als Daten, mit denen man die vorgenannten Zahlen über die gegenwärtige Tätigkeit des VBI vergleichen kann, um Erkenntnisse über die längerfristige Entwicklung der Vertretung des öffentlichen Interesses vor dem Bundesverwaltungsgericht zu erlangen, bieten sich besonders die Angaben des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung im Jahr 2001 an, die 439  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2009–2020, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 440  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2018, S. 2, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 441  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2015, S. 2, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021. 442  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2015, S. 2, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021. 443  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2015, S. 2, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021.



V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI193

den finanzpolitischen Nutzen der Ersetzung des OBA durch den VBI untersuchen und dabei den Umfang der Tätigkeit des OBA im Zeitraum zwischen den Jahren 1994 und 2000 schildern444. In den Jahren von 1994 bis 2000 verzeichnete das Bundesverwaltungsgericht jährlich etwa 522 Revisions-, Normenkontroll-, Wiederaufnahme- und erstinstanzliche Verfahren, die für den OBA besonders relevant waren445. Dieser beteiligte sich damals durchschnittlich an 164 Verfahren pro Jahr446. Dies ergibt eine Beteiligungsquote von 31,4 Prozent für den Zeitraum unmittelbar vor Abschaffung des OBA. Sowohl die Zahl der gesamten Verfahrenseingänge beim Bundesverwaltungsgericht, nämlich 3.999 im Jahr 1994 gegenüber 2.837 im Jahr 2000, als auch die Anzahl der Beteiligungen des OBA – 177 im Jahr 1994 gegenüber 147 im Jahr 2000 – waren im Verlauf dieser Jahre rückläufig447. 3. Vergleich beider Zeiträume Vergleicht man die durchschnittliche Anzahl der jährlichen Beteiligungen des OBA bzw. des VBI in beiden Zeiträumen, so ist diese von 164 auf 86 gesunken und hat damit um etwa 48 Prozent abgenommen. Einen Erklärungsansatz für diesen Befund liefert K. D. Schnappauf, demzufolge der VBI seine Ressourcen im Vergleich zum OBA dadurch effektiver einsetzen soll, indem er sich vor allem an Verfahren beteiligt, in denen er durch die Einführung von Hintergrundinformationen und über das konkrete Verfahren hinausgehende Zusammenhänge die Entscheidungsgrundlage des Gerichts verbreitert448. Eine bloße Vermittlung von Rechtsansichten solle demgegenüber nur noch dann stattfinden, wenn der VBI mit guten Argumen444  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 86 ff., abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemerkungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 445  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 446  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 447  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 448  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198).

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F. Die praktische Arbeit des VBI

ten eine von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichende Rechtsauffassung vertreten kann449. Eine reine Wiedergabe der bisherigen Rechtsprechung sei nämlich überflüssig und solle deshalb keinen Anlass mehr für eine Beteiligung darstellen450. Dieser verschärfte Beteiligungsmaßstab, der mit einer Reduzierung von Personal- und Sachmitteln einherging, spiegele sich daher in der quantitativ geringeren Beteiligung wider451. Im Gegensatz hierzu weist der VBI selbst aber darauf hin, dass sich seine Aufgaben im Vergleich zum OBA inhaltlich nicht verändert haben452. Gleiches gelte auch in Bezug auf Art und Umfang der vom VBI bearbeiteten Fälle453. Angesichts der eher geringfügigen Verringerung der jährlichen Beteiligungsquote von 31,5 Prozent auf 27,5 Prozent wird deutlich, dass der wesentliche Faktor für die geringere Beteiligung des VBI darin liegt, dass das Bundesverwaltungsgericht eine im Vergleich zum früheren Zeitraum geringere Anzahl an für den OBA bzw. den VBI relevanten Neueingängen zu verzeichnen hat: Beliefen sich diese zwischen 1994 und 2000 auf durchschnittlich 522 pro Jahr, lag deren Zahl zwischen 2009 und 2020 durchschnittlich nur noch bei jährlich 316, was einem Rückgang um circa 39 Prozent entspricht. Dieser rückläufige Trend spiegelt sich zudem in den Zahlen der Gesamteingänge beim Bundesverwaltungsgericht wider: Diese betrugen im Jahr 2000 noch 2837, wohingegen im Jahr 2018 nur noch 1344454, im Jahr 2019 1251455 und im Jahr 2020 sogar lediglich 1160456 neue Verfahren eingegangen sind. Die vorgenannten Zahlen untermauern damit die Auskunft des VBI, dass es im Zuge der Ersetzung des OBA durch den VBI jedenfalls nicht zu einer wesentlichen Verschiebung seiner Tätigkeit zugunsten der Einführung von Hintergrundinformationen gekommen ist. Diese war bereits ein gewichtiger Bestandteil der Arbeit des OBA, was sich auch daraus ergibt, dass bereits K. Neis die Einziehung von Hintergrundinformationen als einen der vier grundliegenden Schritte bei der Bearbeitung einer Sache bewertet hat. Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198). Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198). 451  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198). 452  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 453  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 454  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2018, S. 1, abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2018.pdf, Stand: 15.3.2021. 455  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2019, S. 1, abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2019.pdf, Stand: 15.3.2021. 456  Geschäftsbericht des BVerwG für das Jahr 2020, S. 1, abgerufen unter https:// www.bverwg.de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, Stand: 15.3.2021. 449  K. D. Schnappauf, 450  K. D. Schnappauf,



V. Quantitativer Umfang der Tätigkeit des VBI195

4. Entwicklung der personellen Ausstattung des VBI zwischen 2009 und 2020 Was die Entwicklung der personellen Situation des VBI betrifft, so ergibt sich aus seinen Geschäftsberichten, dass dieser zwischen 2009 und 2012 mit lediglich drei Juristen ausgestattet war, was in den Berichten für diesen Zeitraum als „unzureichend“ und „prekär“ bezeichnet wurde457. Ab dem Geschäftsjahr 2013 sind durchgängig vier Juristen vorhanden458. Dies wurde in den Geschäftsberichten bis 2015 als „im Sinne einer Mindestausstattung ausreichend“ bewertet, wobei darauf hingewiesen wurde, dass eine Bearbeitung von Verfahren, in denen das Bundesverwaltungsgericht als erste Instanz fungiert, lediglich im Rahmen einer reinen Beobachtung gewährleistet sei459. Hierunter fallen gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO insbesondere sämtliche Verfahren, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben betreffen. Im Geschäftsbericht 2015 wurde sogar prognostiziert, dass die Bearbeitung dieser Verfahren in Zukunft dadurch schwieriger werde, dass aufgrund europarechtlicher Vorgaben die gerichtliche Prüfung nicht mehr auf die Einwendungen in Planfeststellungsverfahren beschränkt werden darf460. In den darauffolgenden Geschäftsberichten ist aber trotz gleichgebliebener personeller Ausstattung kein Hinweis auf eine nicht in jeder Hinsicht ausreichende Besetzung mehr enthalten461. Nach Auskunft des VBI besteht dieses Problem auch nicht länger fort, sodass er die derzeitige personelle Ausstattung prinzipiell als ausreichend ansieht462.

457  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2009–2012, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 458  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2013–2019, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 459  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2013–2015, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 460  Bericht über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG im Jahr 2015, S.1 f., abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/downloads/Webs/ VBI/DE/jahresbericht_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Stand: 15.3.2021. 461  Berichte über die Tätigkeit des VBI beim BVerwG in den Geschäftsjahren 2016–2019, abgerufen unter: https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/Webs/ VBI/DE/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-node.html;jsessionid=D588049F0A001 D43264991357FA940A2.2_cid295, Stand: 15.3.2021. 462  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI Seit der Errichtung des OBA im Jahr 19521 wurde immer wieder über seinen Sinn und Zweck im Verwaltungsgerichtsprozess sowie darüber, ob er beibehalten oder doch abgeschafft werden sollte, diskutiert2. Besonders intensiv ist diese Diskussion in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren im Vorfeld einer damals geplanten Vereinheitlichung von FGO, SGG und VwGO zu einer gemeinsamen Verwaltungsprozessordnung geführt worden3. Der Entwurf einer solchen gemeinsamen Prozessordnung ist allerdings nach dem Wechsel der Bundesregierung im Jahr 1982 und verschiedenen Modifizierungen der einzelnen Verfahrensordnungen, durch die sich diese weiter auseinanderentwickelt hatten, aufgegeben worden4. Als Folge dieser Entwicklung wurde es um das Thema „Vertretung des öffentlichen ­Interesses im Verwaltungsgerichtsprozess durch eine besondere Einrichtung“ ruhiger, ohne dass die damit verbundene fundamentale Streitfrage ihrer Sinnhaftigkeit abschließend geklärt werden konnte. A. Guckelberger ist in ihrer Gegenüberstellung von Argumenten für und gegen die Existenz des VöI im Verwaltungsprozessrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Argument zwangsweise für oder gegen dessen Bei­ behaltung spricht5. Generell spreche sich für seine Existenzberechtigung eher aus, wer die Entscheidungen durch die Verwaltungsgerichte als umfassende Interessenabwägung auffasst6.

I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI Gegen die Existenz des VBI werden zum einen prozessrechtliche Argumente angeführt, die mit der Frage verbunden sind, welcher Raum für eine 1  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 23; J. Schulz-Hardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 38 f. 2  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 12. 3  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 12; F. Kopp, Einführung, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 7 (7); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (953). 4  J. Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung, NVwZ 2007, 1262 (1264); K. Redeker, Vereinheitlichung, NJW 2004, 496 (496). 5  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259). 6  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (262).



I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI197

besondere Institution zur Vertretung des öffentlichen Interesses neben den übrigen Verfahrensbeteiligten, insbesondere der beklagten Behörde, und dem Gericht besteht. In diese Kategorie prozessrechtlicher Argumente gehört auch die ganz allgemeine Kritik, dass die Institution des VBI schlechthin nicht mit den Grundsätzen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vereinbar sei. Eine zweite Gruppe an Argumenten gegen den VBI ist eher praktischer Art und geht dahin, dass dieser seinen gesetzlich festgelegten Zielen in der Praxis nicht gerecht werde. 1. Kein Bedarf für die Beteiligung eines VBI neben den Verfahrensbeteiligten Gegen die Notwendigkeit eines VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird eingewandt, dass im Prozess ohnehin die Behörde als Hauptbeteiligte die Möglichkeit hat, ihre Rechtsauffassung dem Gericht zur Kenntnis zu bringen7. Dabei müssten auch die Verwaltungsbehörden stets und insbesondere bei ihrer dem konkreten Verfahren vorangegangenen Tätigkeit in Form der Anwendung von Gesetzen das öffentliche Interesse wahren8. Deshalb habe die Verwaltung ebenfalls auf Rechtsverwirklichung sowie auf den Schutz des Gemeinwohls hinzuwirken und nehme damit die Rolle eines Vertreters des öffentlichen Interesses vor Gericht ein9. Dies gelte im Fall des VBI gerade für die Verfahren, in denen ohnehin der Bund selbst beklagt oder auf sonstige Weise beteiligt ist, weil dann die Ressorts unmittelbar alle wesentlichen Aspekte in dieses einführen könnten10. Schließlich ist die Verwaltung als Teil der Exekutive bei ihrem Handeln gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden11. Aus diesem Grund könne sich die Verwaltung ihrer rechtlichen Ausgestaltung nach weder im Rahmen ihres dem Verfahren vorangehenden Handelns noch in ihrer Rolle als 7  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (153); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 8  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (151, 153); E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (452 f.); A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 9  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (156); H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (682). 10  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 11  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 54; A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (186).

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G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

Verfahrensbeteiligte von Erwägungen leiten lassen, die nicht der Rechtsverwirklichung dienen12. Daher könne man nicht davon ausgehen, dass eine Behörde bei zutreffendem Amtsverständnis das wesentlich auf Rechtsverwirk­ lichung gerichtete öffentliche Interesse dauerhaft nicht hinreichend berücksichtigen würde13. Anderenfalls würde sie kontinuierlich vor den Verwaltungsgerichten unterliegen, was nicht in ihrem Interesse sein könne14. Der Gefahr eines falschen Amtsverständnisses ließe sich zudem einfacher durch eine Betonung der eigentlichen Funktion der Verwaltung gegenüber den Amtswaltern abhelfen als durch die Unterhaltung einer gesonderten Einrichtung15. Dabei könne auch ein VöI einem derartigen Missverständnis seiner Funktion unterliegen und sich etwa als Staatsvertreter verstehen16. Darüber hinaus seien die Verwaltungsbehörden ebenso wie ein VöI selbst in der Lage, Stellungnahmen in den betroffenen Fachministerien einzuholen und in das Verfahren einzuführen17. Damit bestünde im Endeffekt im Zivilprozess, in dem lediglich die Parteien sowie die Rechtsanwälte auftreten, ein viel größeres Bedürfnis an einem Vertreter des auch dort relevanten öffent­ lichen Interesses, insbesondere desjenigen an der Rechtsdurchsetzung, als im Verwaltungsgerichtsprozess18. Eine besondere Bedeutung erhält diese Sichtweise bei einem Aufgabenverständnis des VöI, wonach dieser die Interessen der an dem Verfahren als Träger der handelnden Behörde auftretenden juristischen Person des öffentlichen Rechts, also insbesondere des Landes oder des Bundes, vertreten soll19. 2. Kein Bedarf einer Beteiligung des VBI neben dem Gericht Darüber hinaus wird für eine Abschaffung des VöI angeführt, dass die Vertretung des öffentlichen Interesses durch eine neutrale, überparteiliche Instanz bereits Aufgabe des Gerichts sei20. Dieses habe ebenfalls dafür zu sorgen, dass Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258). Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259). 14  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259). 15  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259). 16  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259). 17  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 18  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 19  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 316. 20  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155); W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 316; A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (453); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 118; A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538); E. Schmidt-Jortzig, 12  A. Guckelberger, 13  A. Guckelberger,



I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI199

sich Recht und Gesetz durchsetzen und das Gemeinwohl nicht geschädigt wird21. Die Richter seien schließlich aufgrund ihrer Berufserfahrung hinreichend selbst in der Lage, bei der Rechtsanwendung die hinter den Gesetzen stehenden öffentlichen Interessen zu erkennen und zu berücksichtigen22. Die Erfüllung dieser Aufgabe nähmen die Gerichte gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig wahr und bräuchten auch keine Gehilfen bei dieser Tätigkeit23. Die Beeinflussung des an sich unabhängigen Gerichts durch eine besondere Einrichtung sei sogar unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich24. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist auch die rechtsprechende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden25. Aus dieser Vorschrift zusammen mit Art. 97 Abs. 1 GG ergibt sich, dass der einzige Prüfungsmaßstab der Gerichte durch das Recht selbst gebildet wird26. Auf dieser Grundlage wird argumentiert, dass jenseits der unmittelbaren Rechtsnormen die Gerichte allenfalls allgemeine Rechtsprinzipien wie Rechtssicherheit und Rechtsfrieden berücksichtigen dürften27. Andere, außerrechtliche Kriterien seien daher fehl am Platz und dementsprechend schon von Verfassung wegen nicht für die Rechtsprechung heranzuziehen28. Hieraus wird die Schlussfolgerung gezogen, dass Aspekte des öffentlichen Interesses, die über die bloße Rechtsverwirklichung hinausgehen, für die Gerichte irrelevant seien und daher als Entscheidungsgrundlage ausscheiden29. Diese außerrechtlichen Bestandteile des öffentlichen Interesses seien vielmehr den anderen Staatsgewalten, insbesondere dem Gesetzgeber, aber eben nicht der Judikative zugewiesen30.

Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914); E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (547); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (960). 21  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155); H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (682). 22  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258). 23  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (153). 24  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155). 25  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (960). 26  E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 27  E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 28  E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 29  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155); E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 30  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155); E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914).

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G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

Außerdem habe das Gericht in den Verfahren, in denen Allgemeininteressen besonders betroffen sind, ohnehin den Sachverhalt im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amts wegen zu ermitteln31. Deshalb sei das Gericht in der Lage, bestmöglich eine Entscheidung zu treffen, die gewährleistet, dass das Recht verwirklicht wird32. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass die zentrale Aufgabe des Gerichts gerade die Rechtsdurchsetzung ist33. Um, wo erforderlich, weitere Hintergrundinformationen zu erlangen, könne man den Richtern auch andere Wege eröffnen als die Unterhaltung eines VöI34. Weil aufgrund der Bindung der zur Rechtsdurchsetzung berufenen Rechtsprechung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG keine Gefahr bestehe, dass das öffentliche Interesse vor den Gerichten nicht ausreichend zur Geltung kommt, sei daher für die Existenz eines VöI kein Raum35. Geradezu rechtsstaatswidrig sei die Forderung, eine solche Einrichtung solle Interessen des Staates als entscheidungserheblich in das Verfahren einführen, die über die strikte Anwendung von Recht und Gesetz hinausgehen und daher mit dieser in Widerspruch stehen36. Deshalb werde das öffentliche Interesse bereits in größtmöglichem Umfang durch die Rechtsanwendung seitens der Verwaltung sowie der Gerichte sichergestellt, ohne dass es daneben eines VöI bedürfe37. In einem gefestigten demokratischen Rechtsstaat mit einer unabhängigen Rechtsprechung sei somit kein Platz mehr für einen VöI als besondere Behörde oder Organisa­ tionseinheit38. In einem solchem misstraue der Staat der unabhängigen Tätig-

31  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (156 Fn. 273); W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 316; A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538). 32  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 316; A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538). 33  E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (913); A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (538). 34  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (960). 35  A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155); E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 36  E. Schmidt-Jortzig, Nochmals: VöI, DÖV 1978, 913 (914). 37  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87 abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021; A. Baring, Der VöI im deutschen Verwaltungsprozeß, VerwArch 50 (1958), 106 (155). 38  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent



I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI201

keit der Gerichte nämlich nicht mehr39. Der VöI sei aber historisch genauso wie der Staatsanwalt aus der Besorgnis des Staates erwachsen, dass die Richter das öffentliche Interesse nicht in hinreichendem Maß erkennen und in ihren Entscheidungen berücksichtigen40. 3. Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsverfahrens Als weiteres Argument gegen die Existenz des VöI wird angeführt, dass dieser generell nicht mit den Grundsätzen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vereinbar sei, also einer Formulierung K. Redekers nach einen „Fremdkörper im Verfahren“ darstelle41. Als wesentlichen Grund führt er dabei die Entstehungsgeschichte dieser Einrichtung an: Der VöI sei nämlich ursprünglich verbunden mit einer Sonderstellung in den Prozess eingeführt worden, weil der Staat dem Bürger nicht auf gleicher Ebene im Rahmen eines Verwaltungsgerichtsprozesses begegnen wollte42. Die Unvereinbarkeit des VöI mit dem modernen Verwaltungsprozessrecht ergebe sich dabei aus der Geltung des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie aus dessen Ausgestaltung als kontradiktorisches Verfahren. a) Kollision mit dem Grundsatz der Waffengleichheit Zum einen wird in diesem Zusammenhang als Argument gegen den VöI angeführt, dass bei dem am Gerichtsverfahren beteiligten Bürger der Eindruck entstehen könnte, ihm stünden zwei Prozessgegner gegenüber43. Dies gelte insbesondere für den Fall, dass das Votum des VöI zugunsten der Behörde ausfällt44. In der Praxis sei die Konstellation, dass die Standpunkte von VöI und Verwaltung identisch sind, aber häufig anzutreffen45. Hierdurch werde die prozessuale Waffengleichheit zwischen den Hauptbeteiligten des lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 39  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (547). 40  E. Schumann, Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (556). 41  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (134). 42  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (134). 43  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl.1998, 257 (258); D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 52; K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128). 44  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 52; K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128). 45  D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 52.

202

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

Verfahrens beeinträchtigt46. Zumindest entstehe beim Bürger der Eindruck, der Grundsatz der Waffengleichheit werde verletzt, wenn er sich zwei verschiedenen Verfahrensbeteiligten gegenübersieht, die zugunsten der Verwaltung Partei ergreifen47. In diesem Fall sei es für ihn gänzlich unverständlich, dass der VöI im Verfahren eigentlich eine übergeordnete, unparteiische Stellung inne hat48. Der Einwand, dass das Auftreten des VöI den Grundsatz der Waffengleichheit verletzt, greife insbesondere dann durch, wenn man Funktion und Aufgaben des VöI dahingehend versteht, dass dieser primär das öffentliche Interesse aus der Sicht der Bundesregierung vertreten, also deren Rechtsmeinungen in das Verfahren einführen soll49. b) Unvereinbarkeit mit der Ausgestaltung des Verwaltungsgerichtsprozesses als kontradiktorisches Verfahren Der zweite Ansatzpunkt, der gegen eine Vereinbarkeit der Institution des VöI mit den Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses ins Feld geführt wird, ist dessen Ausgestaltung als kontradiktorisches Verfahren, das zwischen zwei Beteiligten stattfindet50. Dieser Konzeption des Verfahrens läuft K. Redeker zufolge der VöI zuwider, indem er einen Prozess gegebenenfalls auch gegen den Willen der Hauptbeteiligten allein aufgrund des öffentlichen Interesses weiterbetreiben lässt51. Er habe insbesondere selbst in Gerichtsverfahren die Erfahrung gemacht, dass Vergleichsverhandlungen zwischen dem Kläger und der regelmäßig beklagten Verwaltung lediglich am Widerstand des VöI gescheitert seien52. 4. Einwände gegen den VBI aufgrund der Verfahrenspraxis Jenseits der zuvor beschriebenen theoretischen Kritikpunkte wurden gegen die Einrichtung des VöI immer wieder Bedenken erhoben, die ihren Ursprung in der Praxis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben. Diese betreffen erstens einen Vergleich zwischen seiner theoretischen Funktion und praktischen Tätigkeit sowie zweitens eine Gegenüberstellung von Verfahren, die einen VöI vorsehen und solchen, in denen er nicht existiert. 46  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 52. 47  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128 f.). 48  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128). 49  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630); C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 50  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (131, 134). 51  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (130). 52  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (130).



I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI203

a) Auseinanderfallen von theoretischer Funktion des VBI und tatsächlicher praktischer Tätigkeit So wird der Vorwurf erhoben, der VöI werde bei seiner tatsächlichen Arbeitsweise in der Praxis den ihm eigentlich zugedachten Aufgaben nicht gerecht53. Dies betrifft bereits die Tätigkeit des VöI im Rahmen der ersten Bearbeitungsphase: Sein Beteiligungsverhalten sei nämlich aus der Sicht von Rechtsanwälten nicht nachvollziehbar, sondern wirke rein zufällig, weil der VöI sich ihren Beobachtungen nach an verschiedenen Verfahren von grundsätz­ licher Bedeutung nicht beteiligt habe, dafür Verwaltungsgerichtsprozessen in Sachen beigetreten sei, bei denen keine Betroffenheit des öffentlichen Inte­ resses erkennbar gewesen sei54. Teilweise bestehe sogar der Wunsch einzelner Senate oder gar von Verwaltungsträgern, dass sich der VöI an bestimmten Verfahren regelmäßig beteilige55. Daneben biete aber auch die Tätigkeit des VöI während der dritten Beteiligungsphase besonderen Anlass zu Kritik: Zum einen votiere dieser nach anwaltlicher Erfahrung im Fall seiner Beteiligung fast ausschließlich oder zumindest deutlich überwiegend zugunsten der Verwaltung, weswegen bei der Bearbeitung eines Mandats aufseiten einer Behörde immer zu raten sei, auf eine Beteiligung des VöI hinzuwirken56. Deshalb erscheine er in der Verfahrenspraxis aus Sicht des Bürgers regelmäßig als zusätzlicher Gegner57. Zum anderen erfülle der VöI an diesem Punkt in der Praxis nicht seine Aufgabe, Hintergrundinformationen hinsichtlich der streitentscheidenden Normen sowie Auswirkungen einer gerichtlichen Entscheidung in das Verfahren einzuführen, sondern konzentriere sich auf die Darlegung von Rechtsansichten sowie die Entstehungsgeschichte von Rechtsvorschriften58. Es sei daher nicht erkennbar, dass der VöI das öffentliche Interesse im Verfahren tatsächlich vertritt59. Ferner sorge eine Beteiligung des VöI regelmäßig dafür, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (127). Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (127); C. Sailer, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 143 (144). 55  C. Sailer, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffent­ lichen Interesses, S. 143 (145). 56  A. Petersen, Notwendigkeit eines VöI im Verwaltungsstreitverfahren, DÖV 1959, 537 (539); K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128); C. Sailer, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 143 (145). 57  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128); C. Sailer, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 143 (145). 58  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (129 f.). 59  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (130). 53  K. Redeker,

54  K. Redeker,

204

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

dass verfahrensbeendende Vergleiche zwischen den Hauptbeteiligten nicht abgeschlossen werden können60. Hierdurch opfere der VöI die Interessen der Hauptbeteiligten sowie ein effektives Mittel der Verfahrensbeschleunigung zugunsten der Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen durch die Gerichte, wodurch insbesondere der Kläger gegen seinen Willen zum Verfahrensobjekt degradiert werde61. Obwohl diese Kritik an Beteiligungsverhalten und Parteiergreifung explizit nur gegen den VöI in einzelnen Bundesländern gerichtet ist und der ehemaligen OBA von ihr ausgeklammert sein soll62, handelt es sich hierbei um Argumente, die sich grundsätzlich generell ohne weitere Differenzierung gegen die Einrichtung des VöI einwenden lassen, zumal K. Redeker abschließend zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl VöI als auch OBA abgeschafft werden sollten63. Darüber hinaus bemängelt C. Sailer ausdrücklich auch das Beteiligungsverhalten des OBA64. Derartige Abweichungen zwischen Theorie und Praxis werden zum Teil darauf zurückgeführt, dass es dem VöI aufgrund der großen Anzahl an verwaltungsrechtlichen Materien gar nicht möglich sei, gründlich zusammengetragene und ausgewertete Hintergrundinformationen in das Verfahren einzuführen65. C. H. Ule kritisiert generell, dass aufgrund der Erfahrungen in der Praxis kein Mehrwert des VöI erkennbar sei und sich insbesondere den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen lasse, welchen Einfluss der OBA letztlich auf das jeweilige Verfahren genommen hat66. b) Vergleich zu Verfahren, die keinen VöI vorsehen Darüber hinaus hat K. Redeker auf Grundlage seiner rechtsanwaltlichen Praxiserfahrung einen Vergleich zwischen verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Bundesländern gezogen, die von der Ermächtigung des § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO Gebrauch gemacht und einen VöI eingerichtet haben sowie solchen, die hierauf verzichten. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Bundesländern, die keinen VöI Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (130). Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (130). 62  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (128 f.). 63  K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (134). 64  C. Sailer, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffent­ lichen Interesses, S. 143 (144). 65  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258). 66  C. H. Ule, Vereinheitlichung der verwaltungsgerichtlichen Verfahrensordnungen, DVBl. 1967, 345 (348). 60  K. Redeker, 61  K. Redeker,



I. Argumente gegen eine Beibehaltung des VBI205

kennen, weder positiv noch negativ von derjenigen in Bundesländern mit VöI abweiche, dessen Unterhaltung also in der Praxis keinen Effekt auf die Qualität der Rechtsprechung habe67. Auch jenseits der Verwaltungsgerichtsbarkeit, nämlich bei jedem obersten Bundesgericht müsse ein VöI eingerichtet werden, wenn ein solcher tatsächlich für die Qualität der gerichtlichen Entscheidungen erforderlich sei68. Sähe man einen Bedarf für eine Institution beim Bundesverwaltungsgericht, deren Aufgabe es ist, das öffentliche Interesse zu vertreten, müsse dies auch für die Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, aber genauso sogar für Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit gelten69. Die direkte Vertretung des Bundes vor dem Bundessozialgericht gemäß §§ 75, 168 SGG und vor dem Bundesfinanzhof gemäß § 122 FGO durch Beamte des Sozial- und des Finanzressorts zeige, dass in den Ministerien arbeitende Juristen prinzipiell die Aufgaben des VöI genauso gut erfüllen können70. Dabei würden das Sozial- und das Finanzrecht ebenfalls Behörden betreffen, die unterschiedlichen Rechtsträgern zugeordnet sind71. Eine Forderung nach einem VöI in Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit sei sogar noch nie erhoben worden72. c) Unnötige Komplexität von Verfahren sowie Aufwand durch die Existenz des VöI Der Bundesrechnungshof hat ferner bemängelt, dass durch die Beteiligung des VöI die Durchführung des Gerichtsverfahrens insgesamt komplexer werde. Als zusätzlicher Verfahrensbeteiligter vergrößere dieser die Anzahl an Schnittstellen, sorge gegebenenfalls für zusätzliche Arbeit ohne einen Mehrwert und erschwere eine Klarheit hinsichtlich der Verantwortlichkeit für Verfahrenshandlungen und Entscheidungen73. Insbesondere könne die Betei67  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259); K. Redeker, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 127 (131). 68  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 69  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (956, 959). 70  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 71  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88., abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 72  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 73  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent

206

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

ligung des VöI als zusätzlicher Dritter aufgrund der notwendigen Einarbeitung die Durchführung des Gerichtsprozesses verzögern, was im Gegensatz zu dem Wunsch stehe, verwaltungsgerichtliche Verfahren zu beschleunigen74. Es sei daher viel effektiver, auf den VöI als eigene Behörde oder Organisationseinheit zu verzichten und stattdessen in Verfahren, an denen der Bund ohnehin nicht beteiligt ist, eine vergleichsweise kostengünstige direkte Beteiligung der betroffenen Fachressorts einzuführen75. Sowohl der VBI als auch die einzelnen Ministerien seien nämlich ohnehin auf die Zuarbeit anderer Ressorts angewiesen, sodass der Wegfall einer zusätzlichen, selbständigen Stelle zur Vertretung des öffentlichen Interesses eine deutliche Verfahrensvereinfachung bedeute76. Darüber hinaus würden durch eine direkte Beteiligung der Ressorts inhaltliche Betroffenheit sowie die Beteiligung am Verfahren und damit auch die Verantwortung für dessen Gang zusammengelegt77. Die für die Beteiligung an den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erforderliche fachliche Kompetenz könnten die in den einzelnen Ministerien beschäftigten Juristen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums erwerben78. In eine ähnliche Richtung geht die kritische Anmerkung E. E. Noacks aus den 1950er Jahren, der die Vertretung des öffentlichen Interesses als ein Paradebeispiel für die Möglichkeit anführt, die Verwaltung zu vereinfachen79. lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 74  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021; A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl.1998, 257 (259). 75  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87 f., abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroef fentlichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-be merkungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 76  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 77  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 78  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 79  E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (455).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI207

Gerade dort, wo neben einem allgemeinen VöI noch besondere Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds sowie der finanziellen Belange des Bundes in verwaltungsgerichtlichen Verfahren involviert sind, bestehe die Gefahr, dass die an sich gutgemeinte Beteiligung der VöI für die Rechtspflege keinen Nutzen mehr zeitige, sondern diese durch Verkomplizierung belaste, sodass „die Wohltat zur Plage“ werde80.

II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI Auf der anderen Seite stehen unterschiedliche Argumente für eine Bei­ behaltung des VBI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die der Kritik an diesem entgegengehalten werden. 1. Hindernisse der Hauptbeteiligten, das öffentliche Interesse im Verfahren zu vertreten Dem Ansatz, dass die Hauptbeteiligten das öffentliche Interesse genauso gut vertreten könnten wie eine spezielle Einrichtung, wird generell entgegengehalten, dass diese im Verwaltungsgerichtsprozess jedenfalls vorrangig ihre eigenen Interessen vertreten würden. So sei der klagende Bürger regelmäßig lediglich an der Durchsetzung seiner individuellen, subjektiven Rechte inte­ ressiert81. a) Subjektive Haltung der Behörde aufgrund eigener Vorbefassung Was die Behörde anbelangt, ändere deren Aufgabe, das öffentliche Inte­ resse wahrzunehmen, nichts daran, dass sie sich im verwaltungsgericht­ lichen Verfahren in einer Parteirolle und dabei in einer Verteidigungsposition befindet, in der sie nicht mehr objektiv agiere82. Vielmehr versuche sie auch im Gerichtsverfahren, die bereits vorprozessual getroffene und nun 80  E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (455). 81  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 117. 82  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (153); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 145; D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 49; G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (120); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 117; C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des

208

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

durch den Bürger angegriffene Entscheidung samt der dort vertretenen Rechtsauffassung aufrecht zu erhalten83. Die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gelange in ihrem Bewusstsein dabei ins Hintertreffen84. Dies sei der Behörde aber besonders dann nicht vorzuwerfen, wenn der zuständige Sachbearbeiter selbst den Prozess führt, weil diesem Verhalten das auf menschlicher Ebene nachvollziehbare Ziel zugrunde liege, möglichst den Prozess zu gewinnen85. Primäres Prozessziel einer Partei in einem gerichtlichen Verfahren sei nun einmal naturgemäß und sogar notwendigerweise der eigene Prozesserfolg86. Man müsse in diesem Zusammenhang zudem beachten, dass die Behörde durch Erlass des angegriffenen Verwaltungsakts bereits eine eigene Entscheidung in der ­Sache getroffen und durch diese Festlegung ihre zuvor objektive Sichtweise verloren habe87. In der Praxis könne dies zur Folge haben, dass die Behörde Akten nur in selektiven Ausschnitten in das gerichtliche Verfahren einführt und Einlassungen sowie Begründungen primär an dem anpasst, was ihr in prozessualer Hinsicht gerade gelegen erscheint88. Das theoretische Ideal einer stets rechtsstaatskonform handelnden Behörde, die auch im verwaltungsgericht­ lichen Verfahren ständig ihre eigene Position überdenkt und ihre vorausgegangene Entscheidung kritisch infrage stellt, sei in der Praxis kaum umzusetzen, weil die Behörde, die für das angegriffene Verwaltungshandeln verantwortlich ist, sich einem Rechtfertigungsdruck für dieses ausgesetzt sehe und ihr Ansehen öffentlichen Interesses, S. 157 (160); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 83  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 149; R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (75); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 145; F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 117; K.  Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 84  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (153). 85  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (153); R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 145; J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 86  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278). 87  D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 51; J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 88  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (153).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI209

wahren möchte89. Dementsprechend beruhe der gesamte Verwaltungsgerichtsprozess auf der Voraussetzung, dass sich die Verwaltung nicht immer rechtskonform verhält90. Auch die Tatsache, dass ein Teil der Klagen seitens der Bürger zur Erzielung rechtmäßigen Verwaltungshandelns erfolgreich sei, stelle einen Beweis dafür dar, dass die Behörden in der Praxis das öffentliche Interesse in einigen Fällen nicht sachgerecht vertreten91. Aufgrund der Ausgestaltung des Verwaltungsgerichtsprozesses als kontradiktorisches Verfahren sei es daher erforderlich, dass eine neutrale Instanz in Form des VöI das öffentliche Interesse vor Gericht vertritt92. b) Fokussierung der beteiligten Behörde auf den eigenen Zuständigkeitsbereich Unabhängig von ihrer Parteirolle wird als Argument gegen eine ausreichende Vertretung des öffentlichen Interesses durch die oft fachlich spezialisierte Behörde selbst angeführt, dass diese nur das spezielle Rechtsgebiet vor Augen habe, für das sie sachlich zuständig ist93. Dementsprechend könne sie darüberhinausgehende, übergreifende Aspekte, die ihr meist unbekannt seien, nicht berücksichtigen94. Dies betreffe gerade Hintergrundinformatio89  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (154); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280). 90  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 91  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 92  K. Finkelnburg, VöI aus der Sicht der Anwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 151 (154); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 117; J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 93  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); B. Holzweißig, Aufgaben eines VöI, DÖV 1960, 17 (18); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); G. MeyerHentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (120); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 94  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (120); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 117; J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit,

210

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

nen grundsätzlicher wirtschaftlicher oder verwaltungspolitischer Art sowie den historischen Kontext streitentscheidender Normen95. Insbesondere habe die Behörde weder Kenntnisse über parallel anhängige Verfahren vor anderen Gerichten noch einen Überblick über den aktuellen Stand von Rechtsprechung und Literatur zu den einschlägigen rechtlichen Problemen96. Weil aber in vielen verwaltungsgerichtlichen Verfahren die vom Bürger geltend gemachten Interessen nicht nur mit denjenigen einer bestimmten Behörde in Konflikt geraten, sondern verschiedene, miteinander konkurrierende öffent­ liche Interessen berühren, wäre die Behörde gar nicht in der Lage, diese angemessen vor Gericht zu vertreten, obwohl sie sich im Einzelfall ebenfalls als streitentscheidend erweisen könnten97. Hier könne der nicht auf ein bestimmtes Fachgebiet beschränkte VöI eine Einordnung des dem Verfahren zugrunde liegenden Bereichs in den Zusammenhang der gesamten Verwaltung vornehmen, durch die das Gericht den konkret zu entscheidenden Einzelfall vor dem Hintergrund fundamentalerer Prinzipien des Verwaltungsrechts erkenne98. Besonders ausgeprägt sei die Tendenz zu einer begrenzten Sichtweise bei den meist von Verwaltungsrechtsstreitigkeiten betroffenen unteren Verwaltungsbehörden, die üblicherweise eine große Anzahl von Verwaltungsverfahren bearbeiten99. Dabei hätten sie nämlich nur die lokalen Auswirkungen ihrer Tätigkeit aus der Perspektive der alltäglichen Verwaltungspraxis, die aus einer großen Menge an Einzelfällen besteht, im Blick100. Hinzu trete sogar eine Prägung der behördlichen Perspektive durch die politische Färbung ihrer Organe, also etwa des Rates oder des Bürgermeisters auf kommunaler Ebene101. Es gäbe aber vermehrt verwaltungsgerichtliche Verfahren, die derin: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (159 f.); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 95  K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560); C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (655). 96  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280). 97  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 98  B. Holzweißig, Aufgaben eines VöI, DÖV 1960, 17 (18). 99  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (159); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 100  BVerfGE 3, 321 (323); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (159 f.); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 101  J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (160).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI211

art komplex sind, dass sie eine hierüber hinausgehende Berücksichtigung aller betroffenen Interessen unbedingt erfordern102. Gerade auf Gebieten, die sich dadurch auszeichnen, dass sie durch unterschiedliche, nur lokalbezogen arbeitende Behörden behandelt werden, stelle der VöI eine Möglichkeit dar, unterschiedliche Handhabungen durch verschiedene Behörden im Wege der Koordinierung zu vereinheitlichen103. Diese Koordinationstätigkeit könne nur durch eine übergeordnete Stelle im Regierungsrang und nicht durch die meist am verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligte untere Verwaltungsbehörde ausgeübt werden104. Dasselbe gelte auch für die Beratung und Information der Verwaltung105 Darüber hi­ naus fehle zahlreichen Vertretern nachgeordneter Behörden die rechtliche Kompetenz, um im Rahmen des in den höherinstanzlichen Verfahren zentralen Rechtsgesprächs das öffentliche Interesse sachgerecht erkennen und vertreten zu können106. c) Fehlende Beteiligung des Bundes an den meisten Verwaltungsrechtsstreitigkeiten In Bezug auf den VBI verschärfe sich diese Situation noch dadurch, dass Gegenstand der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ausschließlich Bundesrecht ist, wohingegen die Ausführung der Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG ganz überwiegend durch die Länder erfolgt, sodass diese regelmäßig dort als Partei auftreten, dabei aber nicht über die detaillierten Kenntnisse des Bundes hinsichtlich der Hintergründe zu den streitgegenständlichen Gesetzen verfügen107. Es könnten aber auch Prozesslagen auftreten, in denen die beteiligte Landesverwaltung oder Kommune einen vom Bund abweichen-

102  G. R. Baum,

(429).

Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425

103  J. Schmidt, Diskussionsbeitrag, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S.  184 f. (184 f.). 104  J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 105  J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 106  J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 107  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628 f.); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); K.-D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193).

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G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

den oder gar zu diesem im Widerspruch stehenden Standpunkt einnimmt108. In dieser Situation sei der VBI sogar die einzige Möglichkeit für den Bund, seine eigene Sichtweise bezüglich der Auslegung des Bundesrechts sowie der übergeordneten staatspolitischen Ziele und Belange in das Verfahren einzuführen, denen er durch die Verabschiedung der streitentscheidenden Rechtsnormen gerecht werden wollte109. Generell habe die Bundesregierung aufgrund der Tatsache, dass das unter ihrer Mitwirkung zustande gekommene Bundesrecht Gegenstand der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist, ein berechtigtes Interesse an der verbindlichen Entscheidung des Gerichts über dessen Auslegung und Anwendung110. 2. Hindernisse des Gerichts, das öffentliche Interesse im Verfahren hinreichend zu vertreten Auch der Kritik am VöI, die auf die Argumentation gestützt wird, dass dieser im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen Platz neben dem Richter habe, wird in mehrfacher Hinsicht widersprochen. a) Konzentration der Verwaltungsgerichte auf den zu entscheidenden Einzelfall Obwohl es bereits Aufgabe der Gerichte oder, im Fall des VBI, des Bundesverwaltungsgerichts sei, das öffentliche Interesse durch die Tätigkeit der Rechtsprechung zu wahren, seien diese in der Praxis häufig nicht in der Lage, dem konkreten Fall zugrunde liegende, übergeordnete öffentliche Interessen zu erkennen und bei ihrer Entscheidung angemessen zu berücksichtigen111. Vielmehr stünde bei ihnen lediglich die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits im Vordergrund112. Obwohl dem Gericht mit dem Untersuchungsgrund108  K.-D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S.  185 (193); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 109  K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K.  Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193). 110  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236). 111  H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815). 112  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (682); O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (75); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI213

satz ein Mittel zur Verfügung stehe, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, halte sich dieses meist an das Vorbringen der beiden Hauptbeteiligten, das übergreifende Belange regelmäßig nicht einbeziehe113. Insbesondere gelte dies für Rechtsgebiete, mit denen sich das Bundesverwaltungsgericht eher selten befasst, sodass hier für das Gericht noch kein umfangreiches Material vorhanden sei, um sich über die einschlägigen öffentlichen Interessen zu informieren114. Besonders komplexe Verfahren, etwa solche, die großtechnische Anlagen zum Gegenstand haben, drohten, Gerichte bei der Aufgabe, eine überzeugende Entscheidung zu treffen, zu überfordern115. Daher könne der VöI einen positiven Effekt auf die Rechtsprechung haben, indem er diese durch Beibringung von Hintergrundinformationen in die Lage versetze, die vom Einzelfall losgelösten Auswirkungen ihrer Entscheidung besser abzusehen116. b) Eingeschränkte Möglichkeiten der Gerichte, Hintergrundinformationen zu beschaffen Zudem hätten die Verwaltungsgerichte generell nicht dieselben Möglichkeiten wie der VBI, Hintergrundinformationen von den Bundesressorts, zu beschaffen117. Dies betreffe ganz besonders die überwiegende Anzahl der vor ihnen verhandelten Sachen, in denen Landesbehörden als Hauptbeteiligte vor Gericht auftreten118. Dies liege daran, dass das Gericht zum einen in recht­ licher Hinsicht aufgrund seiner in der VwGO verankerten strikten Unparteilichkeit nicht derart eng in Kontakt zu den Behörden treten dürfe wie ein VöI119. Darüber hinaus könnten auch auf rein praktischer Ebene die Verwaltungsrichter das einschlägige Material an Hintergrundinformationen, das sich häufig aus unterschiedlichen Ressorts und Verwaltungsebenen ergäbe, nicht in demselben Maß überblicken und in Bezug zum Streitgegenstand setzen 113  H. Braun,

VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 150 f. Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982,

114  H. Sendler,

812 (815). 115  G. Berner, Vertretung des öffentlichen Interesses und des beklagten Staates in Baden-Württemberg und Bayern, BayVBl. 1981, 129 (135). 116  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258). 117  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628); H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815). 118  H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815). 119  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (121); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628).

214

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

wie ein VöI120. Häufig befänden sich betroffene Lebensbereiche zudem außerhalb des fachlichen Horizonts der Richter121. Schließlich seien regelmäßig mehrere Ministerien durch das Verfahren sachlich betroffen, die gegebenenfalls sogar unterschiedliche öffentliche Interessen verfolgen122. c) Vereinbarkeit des VöI mit der gerichtlichen Bindung an Recht und Gesetz Der Überlegung, aufgrund der gerichtlichen Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 97 Abs. 1 GG sei kein Raum für eine darüberhinausgehende Berücksichtigung des öffentlichen Interesses, wird zwar hinsichtlich der Existenz dieser Bindung als Ausgangspunkt zugestimmt123. aa) Lückenhaftigkeit und Unbestimmtheit öffentlich-rechtlicher Normen Allerdings sei zu beachten, dass die gerichtliche Bindung an Recht und Gesetz dort für das öffentliche Interesse Raum offenlässt, wo die Rechtsnormen aufgrund ihrer Unbestimmtheit Spielräume eröffnen, die durch Auslegung geschlossen werden müssen124. In diesen Fällen seien gerade Hintergrundinformationen über die Entstehungsgeschichte, die Intention des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck für das Gericht heranzuziehen125. Eng verbunden mit dieser Argumentation ist auch die Ansicht F. Kopps, die Rechtsfindung durch die Verwaltungsgerichte sei ein Prozess, der niemals schematisch verlaufe, sondern eine Diskussion zwischen den Verfahrensbeteiligten beinhalte, weil gerade das öffentliche Recht stets abstrakt und lückenhaft sei126. Die Kenntnis über den Einzelfall hinausgehender Zusammenhänge sei deshalb besonders im Verwaltungsrecht erforderlich für eine sachgerechte 120  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); G. MeyerHentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (121); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628). 121  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280). 122  H. Sendler, Guter Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung, DVBl. 1982, 812 (815). 123  K. W. Lotz, Schlußwort, DÖV 1978, 914 (915); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (189). 124  K. W. Lotz, Schlußwort, DÖV 1978, 914 (915); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). 125  K. W. Lotz, Schlußwort, DÖV 1978, 914 (915); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). 126  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI215

Interpretation der streitentscheidenden Normen127. Dementsprechend sei es einer richtigen Normanwendung förderlich, wenn das Gericht die Auswirkungen einer Entscheidung in die eine oder andere Richtung kennt, die letztlich von der Art und Weise der Auslegung der anzuwendenden Normen abhänge128. Die Auslegung von Rechtsnormen, insbesondere bei unbestimmten Tatbestandsmerkmalen, die in verschiedenen Gesetzen trotz identischen Wortlauts eine unterschiedliche Bedeutung haben können, führe erst dazu, dass die betroffenen öffentlichen Interessen identifiziert und angemessen berücksichtigt werden können129. Einige dieser Tatbestandsmerkmale würden durch ihren Wortlaut „Wohl der Allgemeinheit“, „öffentliche Belange“ oder „öffentliches Interesse“ selbst unmittelbar darauf hinweisen, dass zum Normverständnis die betroffenen öffentlichen Interessen herausgearbeitet werden müssen130. Aber auch andere Rechtsnormen, die keinen ausdrücklichen Hinweis auf das öffentliche Interesse in ihrem Wortlaut enthalten, seien im Lichte der von ihnen betroffenen öffentlichen Interessen anhand der anerkannten Auslegungsmethoden zu interpretieren131. Diese Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit des öffentlichen Rechts spiegele sich darin wider, dass das Recht auf gerichtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG auch einen Austausch vor Gericht über unterschiedliche Rechtsauffassungen garantiere132. Aufgrund seiner überparteilichen Stellung könne der VöI einen wichtigen Beitrag zur Diskussion darüber leisten, wie die einschlägigen abstrakten und lückenhaften Rechtsnormen für den jeweils vorliegenden Sachverhalt zu konkretisieren sind, indem er als zusätzlicher Beteiligter Hintergrundinformationen in einer Weise in das Verfahren einfließen lässt, die dem Erfordernis der Verfahrensöffentlichkeit gerecht wird133. bb) Öffentliches Interesse als Bestandteil von Recht und Gesetz Somit sei das öffentliche Interesse kein Bereich außerhalb von Recht und Gesetz, sondern vielmehr ein wichtiges Hilfsmittel, um diese richtig zu ver127  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). 128  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). 129  K. W. Lotz, Schlußwort, DÖV 1978, 914 (915). 130  K. W. Lotz, Schlußwort, DÖV 1978, 914 (915); K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (188). 131  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627); K. D. Schnapp­ auf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). 132  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280). 133  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280).

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G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

stehen und anzuwenden134. Weil auch die Verwaltungsgerichte durch ihre rechtsprechende Tätigkeit das öffentliche Interesse wahrnähmen, sei es für sie umso wichtiger, alle von der Entscheidung berührten öffentlichen Interessen zu erkennen135. Dies habe auch eine Ausstrahlungswirkung auf die Verwaltung, die wiederum die Wahrnehmung öffentlicher Interessen im Tätigkeitsbereich der Exekutive an der Rechtsprechung ausrichte und im Fall gesetzlicher Spielräume deren Auslegung folge136. In umgekehrte Richtung sorge die Verwaltung durch ihre Erstentscheidung in der Sache für eine Konkretisierung des öffentlichen Interesses, die durch die Verwaltungsgerichte überprüft wird, weswegen das öffentliche Interesse naturgemäß stets ein zentraler Bezugspunkt der Verwaltungsrechtsprechung als Form einer Kon­ trolle der Verwaltungstätigkeit sei137. Alles in allem sei es für die Gerichte, obwohl sie selbst das Recht eigenverantwortlich erkennen und auslegen, eine große Unterstützung, wenn sie durch die Beteiligung des VöI eine möglichst breite Basis durch tatsächliche und sogar auch durch rechtliche Hintergrundinformationen erhalten, um einen Rechtsstreit sachgerecht entscheiden zu können138. Damit sei der VöI als „Gehilfe des Gerichts“ anzusehen, der den Gerichten ermögliche, durch ihre Rechtsprechung das öffentliche Interesse wahrzunehmen139. Durch diese Hilfe des VöI werde das Gericht zudem in eine noch bessere Lage versetzt, eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung treffen zu können, was sogar der gerichtlichen Bindung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sowie der Garantie zügigen und effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG diene140. Keinesfalls werde dabei die Unabhängigkeit des Gerichts beeinträchtigt, weil es diesem vollkommen freistehe, ob es dem Votum des VöI folgt oder nicht141. Der VöI könne im Gegenteil sogar positiv dazu beitragen, dass die richterliche Unabhängigkeit Beachtung erfährt, indem er 134  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627); K. D. Schnapp­ auf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). 135  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (191). 136  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S.  185 (190); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 137  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (627 f.). 138  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (120); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628). 139  O. Groß, Staatsanwaltschaft, BayVBl. 1959, 71 (75). 140  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 96. 141  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 96; J. Prandl, VöI, DÖV 1954, 206 (206 f.).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI217

auf eine Abgrenzung der unterschiedlichen Kompetenzen von Gericht und Verwaltung hinarbeitet142. d) Ausgleich für fehlende richterliche Verwaltungserfahrung Aus der Ausstrahlungswirkung verwaltungsgerichtlicher Urteile auf die künftige Verwaltungspraxis als Besonderheit verwaltungsgerichtlicher Verfahren folgert J. Schulz-Hardt, dass die oft fehlende praktische Verwaltungserfahrung der Richter ein Nachteil sei, den der VöI ausgleichen müsse und könne143. e) Möglichkeiten des VöI, auf die Hauptbeteiligten einzuwirken Darüber hinaus verwehre die strikte verfahrensrechtliche Überparteilichkeit dem Gericht die Möglichkeit, die Entlastungs- und Beschleunigungsfunktion des VBI wahrzunehmen, in deren Rahmen dieser außerhalb der mündlichen Verhandlung auf die Hauptbeteiligten mit dem Ziel einwirkt, das Verfahren mittels einer gütlichen Einigung zu beenden, ohne dass eine gerichtliche Entscheidung erforderlich wird144. 3. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsverfahrens Zudem gibt es Stimmen in der Literatur, denen zufolge der VöI sich durchaus in die Grundsätze des Verwaltungsgerichtsprozesses einfügt. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Frage seines Verhältnisses zum Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit als auch bezüglich seiner Vereinbarkeit mit den allgemeinen Grundsätzen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. a) Vereinbarkeit von VöI und prozessualer Waffengleichheit Im Hinblick auf den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit sind dabei zwei Argumentationslinien erkennbar: Zum einen wird auf die objektive, unparteiische Stellung des VöI abgestellt, zum anderen die Frage aufgeworfen, ob der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren überhaupt Anwendung findet. 142  J. Prandl,

VöI, DÖV 1954, 206 (206 f.). Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972,

143  J. Schulz-Hardt,

557 (560). 144  BVerwGE 18, 205 (209).

218

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

aa) Objektive, unparteiische Prozessstellung des VöI Das Argument, es bestehe die Gefahr, dass der Bürger den Eindruck erhalte, ihm stünden entgegen dem Grundsatz der Waffengleichheit zwei Gegner im Verfahren gegenüber, greife bereits dann nicht, wenn der VöI ein seiner ihm vom Gesetz zugedachten Aufgabenstellung entsprechendes, von den Interessen der Hauptbeteiligten abgesetztes, neutrales Amtsverständnis einnimmt145. Lediglich ein grundsätzlich fehlerhaftes Aufgabenverständnis dahingehend, dass er stets die Rechtsansichten der Verwaltung zu teilen habe, könne dazu führen, dass seine Beteiligung generell eine Benachteiligung des Bürgers im Verfahren verursacht146. Immer dann, wenn der VöI aber einen von der Verwaltung abweichenden Standpunkt im Verfahren einnimmt oder sein Votum sogar zugunsten des Bürgers ausfällt, werde dieser Vorwurf widerlegt147. In diesem Fall diene der VöI kraft seiner unabhängigen Stellung sogar dazu, ein Gleichgewicht zwischen den Hauptbeteiligten herzustellen148. Insbesondere die rechtliche Ausgestaltung des VöI als Rechtspflegeorgan, dem nicht die Vertretung der Verwaltung vor Gericht übertragen werden kann und das auch nicht von der Verwaltung, sondern lediglich von der Bundesregierung als Kollegialorgan weisungsabhängig ist, trage dazu bei, bereits den Anschein zu vermeiden, dass dieser einseitig Parteiinteressen im Verfahren wahrnimmt149. Gerade durch die rechtliche Ausgestaltung, dass der VöI nicht an die Weisungen von Behörden gebunden ist, erhalte er eine objektive Stellung, die gewährleiste, dass seine Beteiligung keinen negativen Einfluss auf die Ausgewogenheit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat150. Darüber hinaus sei zu beachten, dass sich die von der Verwaltung wahrgenommenen öffentlichen Interessen von denen des VöI aufgrund seiner differenzierteren und umfassenderen gesamtstaatlichen Perspektive unterscheiden, 145  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (229). 146  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 92; A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (561). 147  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (117). 148  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (631). 149  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (279); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (229 f., 235). 150  H. Gerber, Der VöI im Verwaltungsprozeß, DÖV 1958, 680 (683).



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI219

weswegen dieser nicht als tauglicher Prozessvertreter der Verwaltung in Betracht komme151. Dementsprechend sei der VöI ein qualifiziertes Rechts­ pflegeorgan, neben dem die Verwaltung ihre Prozessvertretung nach geltender Rechtslage bei entsprechendem praktischem Bedarf bündeln könne, ohne ihn hierfür zu benötigen152. Deshalb folge bereits aus der Systematik der VwGO, dass der VöI seiner gesetzlichen Konzeption nach nicht in Konflikt mit dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit geraten kann153. Wenn der Bürger aufgrund einer Beteiligung des VöI am Verfahren den Eindruck gewinne, ihm stünden zwei Prozessgegner gegenüber, so sei dies nicht der Existenz des VöI schlechthin anzulasten, sondern es komme sowohl ihm als auch dem Gericht und den Rechtsanwälten die Aufgabe zu, dem Bürger die neutrale Stellung des VöI als unabhängiges Organ der Rechtspflege zu vermitteln154. Mithin handele es sich um ein Phänomen, dem bereits durch eine angemessene Imagepflege begegnet werden kann155. bb) Geltung des Grundsatzes der Waffengleichheit im Verwaltungsgerichtsprozess Darüber hinaus wird die Frage aufgeworfen, ob der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit überhaupt im Verwaltungsgerichtsverfahren Anwendung findet156. Dies wird zum einen darauf gestützt, dass der Verwaltungsgerichtsprozess nicht dazu diene, Individualinteressen durchzusetzen, sondern dem öffentlichen Recht zur Geltung zu verhelfen157. Zum anderen wird die Annahme zugrunde gelegt, dass das Verhältnis zwischen Bürger und Behörde als Hauptbeteiligten bereits strukturell nicht ausgeglichen sein könne158.

151  BVerwGE 18, 205 (207); G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 92; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (561). 152  BVerwGE 18, 205 (207); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (561). 153  BVerwGE 18, 205 (207); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (561). 154  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 93. 155  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 93 f. 156  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 157  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (258). 158  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (281); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630).

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G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

Zwar hätten beide gleiche prozessuale Befugnisse, aber es sei für den Bürger nicht möglich, tatsächlich von diesen in gleichem Maße Gebrauch zu machen wie für die Behörde159. Im Gegensatz zum Zivilprozess ergäbe sich eine fehlende Ebenbürtigkeit der Parteien im Verwaltungsgerichtsprozess schon daraus, dass die Behörde die Befugnis hat, das Rechtsverhältnis zum Bürger durch einen Verwaltungsakt gemäß § 35 S. 1 VwVfG, also durch eine hoheitliche Maßnahme einseitig im Rahmen der Gesetze zu gestalten, die ihr häufig einen weiten Spielraum durch die Einräumung von Ermessen oder die Ermächtigung, Verordnungen zu erlassen, eröffnen160. Ein solcher Verwaltungsakt fungiert zudem als Vollstreckungstitel, ohne dass dazu wie im Zivilprozessrecht eine Mitwirkung des Gerichts oder der anderen Partei erforderlich ist161. Hieraus resultiere eine rechtliche Überlegenheit der Verwaltung162. Zu dieser bereits in der Ausgangslage stärkeren Rechtsposition komme eine Überlegenheit der Verwaltung im Hinblick auf die Kenntnis von Rechtslage und maßgeblichen Tatsachen163. Zum einen sei nämlich die Rechtslage im Verwaltungsrecht deutlich unübersichtlicher und weniger zugänglich, weil einschlägige Rechtsquellen in Form von einzelnen Fachgesetzen, Verordnungen oder Richtlinien deutlich weiter verstreut seien als im Zivilrecht, das in Form des BGB über eine zentrale Kodifikation verfügt, die grundsätzlich die für den Privatrechtsverkehr wesentlichen Rechtsverhältnisse regelt164. Entsprechend schwieriger sei es selbst für Anwälte, die verwaltungsrechtlichen Normen anhand der ihnen zugrunde liegenden Erwägungen auszulegen165. Zum anderen habe die Verwaltung eine viel größere Nähe sowie Fachkenntnis hinsichtlich des Streitgegenstandes und mehr Möglichkeiten, einschlägiges Informationsmaterial hinzuzuziehen166. Letztlich trage der Bürger auch ein höheres Kostenrisiko, weil die Verwaltung im Fall eines Verlustes anfallende Gerichts- und Rechtsanwaltskosten in ihrem Haushalt verbuchen kann167. Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 161  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 162  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 163  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 164  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 165  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 166  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 167  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 159  K. Neis,

160  R. Frauenknecht,

(281); K. Neis, (281); K. Neis,

(281); K. Neis, (281); K. Neis, (281); K. Neis,



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI221

b) Vereinbarkeit des VöI mit den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses Was die Kritik angeht, der VöI stelle einen Fremdkörper im kontradikto­ rischen verwaltungsgerichtlichen Verfahren dar, so wird dieser zum einen entgegengehalten, dass der VBI bei einem zutreffenden Aufgabenverständnis bereits aufgrund seiner selbständigen, unabhängigen Verfahrensstellung nicht zu einem Konkurrenten oder Gegenspieler des Bürgers werden könne168. Dies lässt sich so verstehen, dass durch seine Beteiligung ein etwaiges kon­ tradiktorisches Verhältnis zwischen den Hauptbeteiligten unberührt bleibt. Darüber hinaus weist K. Neis darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtsprozess gar kein kontradiktorisches Verfahren darstelle169. Der Begriff „kontradiktorisch“ stamme vielmehr aus dem Zivilrecht und hänge eng mit dem Verhandlungsgrundsatz zusammen, demzufolge allein die Prozessparteien die Herrschaft über die Einführung von Tatsachen in das Verfahren innehaben170. Im Gegensatz dazu gelte im Verwaltungsgerichtsprozess gemäß § 86 Abs. 1 S. 1, S. 2 VwGO der Untersuchungsgrundsatz, demzufolge diese Herrschaft dem Gericht zukommt171. Allein dadurch, dass der Verwaltungsrichter bei Zweifeln Nachforschungen zu unstrittigem Tatsachenvortrag anstellen sowie über Beweisanträge der Parteien hinausgehen und nicht benannte Zeugen vernehmen muss, verliere der Verwaltungsgerichtsprozess seinen Charakter als kontradiktorisches Verfahren172. Grundlage für die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes sei wiederum die Erwägung des Gesetzgebers, dass Konflikten und Streitigkeiten auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts öffentliche Interessen zugrunde liegen, über welche die Verfahrensbeteiligten nicht verfügen sollen173. Dieses prozessrechtliche Instrument werde durch den VöI, der auf derselben Überlegung beruhe, dass das öffentliche Interesse nicht durch die Parteiinteressen überlagert und verdrängt werden soll, ideal ergänzt174. 4. Rechtfertigung der Verfahrenspraxis des VöI Der praxisbezogenen Kritik an der Einrichtung des VöI stehen ebenfalls einige Argumente gegenüber. 168  G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429). 169  K. Neis, 170  K. Neis, 171  K. Neis, 172  K. Neis, 173  K. Neis, 174  K. Neis,

Funktion Funktion Funktion Funktion Funktion Funktion

der der der der der der

VöI VöI VöI VöI VöI VöI

bei bei bei bei bei bei

den den den den den den

VG, VG, VG, VG, VG, VG,

DÖV DÖV DÖV DÖV DÖV DÖV

1972, 1972, 1972, 1972, 1972, 1972,

626 626 626 626 626 626

(631). (631). (631). (631). (632). (632).

222

G. Diskussion um die Beibehaltung oder Abschaffung des VBI

a) Keine generelle Diskrepanz zwischen Aufgaben und praktischer Tätigkeit Die von C. Sailer und K. Redeker vorgebrachte Kritik an der Verfahrens­ praxis des VöI, insbesondere an seinem Beteiligungsverhalten, wird als im Einzelfall berechtigt, in Bezug auf seine gesamte Tätigkeit aber als nicht durchgreifend angesehen175. Den Einwand K. Redekers, der VöI nehme dem Kläger durch seine fehlende Vergleichsbereitschaft die Verfahrensherrschaft, hält C. Fischer für „schon im Ansatz unzutreffend“, weil dieser vielmehr aus seiner Aufgabenstellung, zu der auch die Verfahrensbeschleunigung zählt, Prozessvergleichen gegenüber offen sei176. Davon abgesehen sei in einem gewissen Umfang ein Interesse des VöI an der Fällung von Grundsatzentscheidungen berechtigt, weil die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht immer nur im Hinblick auf die zugrunde liegenden Einzelfälle gesehen werden dürften, sondern vielmehr als generell wirkende Grundsätze, die das entsprechenden Verwaltungsrechtsgebiet ordnen177. b) Bloßes Beteiligungsrecht der jeweils betroffenen Ministerien nicht sachgerecht Gegenüber dem Hinweis des Bundesrechnungshofs, dass eine besondere Institution zur Vertretung des öffentlichen Interesses vor dem Bundesverwaltungsgericht in finanzieller Hinsicht nicht geboten sei, weil die zuständigen Ressorts im Fall einer Stellung des Bundes als Hauptbeteiligter im Verfahren ohnehin ihren Standpunkt direkt einbringen könnten und in den sonstigen Fällen ein unmittelbares Beteiligungsrecht der sachlich betroffenen Ministerien ohnehin ausreiche178, hat das Bundesministerium des Innern darauf abgestellt, dass die Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich alle Ressorts betreffen können179. Nur der VBI als eigenständige Organisationseinheit sei in der Lage, die Auffas175  C. Petzke, Die Bedeutung der bayerischen Landesanwaltschaften, BayVBl. 1979, 653 (658). 176  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 94. 177  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 94. 178  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 87, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 179  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88., abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021.



II. Argumente für eine Beibehaltung des VBI223

sungen unterschiedlicher Ressorts in koordinierter und gebündelter Weise in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einfließen zu lassen180. Ausschließlich dieser habe den hierzu erforderlichen Überblick über Tatsachen und Rechtsansichten in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Insbesondere würden die einzelnen Ministerien nicht über Juristen verfügen, die ein ähn­ liches Maß an Prozesserfahrung und Sachkunde für die Revisionsverfahren mitbringen wie die Beamten des VBI181. C. Fischer wendet gegenüber bereits älterer Kritik des Bundesrechnungshofs an der Wirtschaftlichkeit des damaligen OBA ein, dass die Aufstellung einer Kostenbilanz nicht zielführend sei, weil das öffentliche Interesse einen immateriellen Wert darstelle, den man nicht durch eine Kostenrechnung sachgerecht erfassen könne182. Dementsprechend müsse die Entscheidung darüber, ob der VöI beibehalten oder abgeschafft werden sollte, allein unter rechtspolitischen und nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen183.

180  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 181  Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88., abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffent lichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemer kungen-gesamtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021. 182  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 89. 183  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 89.

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion um eine Beibehaltung oder Abschaffung des VBI Auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse dieser Arbeit zu Aufgaben und Funktion des VBI, seinen prozessualen Befugnissen, aber auch seiner praktischen Tätigkeit sowie der Bedeutung des Begriffs „öffentliches Interesse“ im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und in anderen Verfahrensarten soll in diesem Kapitel Stellung dazu genommen werden, ob eine Beibehaltung des VBI sinnvoll ist oder ob diese Institution obsolet geworden ist. Diese abschließende Diskussion soll die im vorherigen Kapitel genannten klassischen Argumente für und gegen den VBI aufgreifen und deren Struktur folgen.

I. Vertretung des öffentlichen Interesses im Verfahren durch die Hauptbeteiligten Der Einwand, dass das öffentliche Interesse bereits in umfassendem Maße durch die Hauptbeteiligten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertreten werde, ist nicht überzeugend. Zwar nimmt die Verwaltung bei ihrer Tätigkeit, zu der im Wesentlichen die Rechtsanwendung im Rahmen der Vornahme von Verwaltungsakten gehört, das öffentliche Interesse wahr1. Dies erfolgt aber aus einer anderen Perspektive als dies im Gerichtsprozess erforderlich ist. In einer konkreten Sache muss nämlich die Verwaltung zuerst durch Vornahme eines Verwaltungsakts das Gesetz anwenden und dadurch im öffentlichen Interesse handeln2. Im Gegensatz dazu nimmt das Gericht das öffentliche Interesse aus der Perspektive der Kontrolle wahr, ob die Verwaltung bei ihrem Handeln Recht und Gesetz beachtet hat3. Diese Kontrolle des Verwaltungshandelns auf seine Rechtmäßigkeit hin ist gerade der besondere Sinn und Zweck des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens4. Damit liegt dem Verwaltungsgerichtsprozess aber bereits die Annahme zugrunde, dass es der 1  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S.  11; F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (265); E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (452). 2  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264 f.). 3  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (265). 4  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 43.



I. Vertretung des öffentlichen Interesses durch die Hauptbeteiligten225

Verwaltung nicht immer gelingt, rechtmäßig zu handeln und das den Gesetzen zugrunde liegende öffentliche Interesse sachgerecht wahrzunehmen5. Allein aufgrund dieser Überlegung scheidet die Verwaltung als tauglicher VöI im Gerichtsprozess aus. Auch wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass die Verwaltung ihre zukünftige Tätigkeit der Rechtsprechung anpassen wird, liegt jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein Einzelfall zugrunde, in dem ihr konkret vorgeworfen wird, rechtswidrig gehandelt zu haben. Außerdem ist der Auffassung zuzustimmen, dass die Behörde aufgrund ihrer dem Verfahren vorgelagerten Entscheidung schon eine Festlegung getroffen hat, die sie trotz ihrer auch im Prozess geltenden Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG vor Gericht verteidigen möchte6. Zwar folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein staatlicher Eingriff nicht länger fortdauern darf, als dies unbedingt erforderlich ist, sodass die Behörde ihn von sich aus beenden muss, sobald sie seine Rechtswidrigkeit erkennt7. Dementsprechend steht die Verfassung einem Prozessverhalten der Verwaltung entgegen, das an einer einmal getroffenen Entscheidung festhält, ohne diese unter dem Eindruck des Prozessablaufs auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren8. Trotzdem wurde in der Praxis eine Neigung der Verwaltung festgestellt, in solchen Fällen eher eine Verurteilung in Kauf zu nehmen als ihre Entscheidung allein von sich aus abzuändern9. Aufgrund der Ausgestaltung des Verfahrens als Prozess mit zwei sich gegenüberstehenden Parteien befinden sich die Verwaltung sowie der ihr gegenüberstehende Bürger in bestimmten Parteirollen10, weswegen es naheliegend ist, dass beide vorwiegend ihre Parteiinteressen, aber keine Allgemeininteressen verfolgen. Zwar spricht die VwGO in § 63 nicht von „Parteien“, sondern von „Beteiligten“ und verwendet damit einen Begriff, der über ein strikt zweipoliges Parteienverhältnis hinausgeht11. Dies ändert aber nichts daran, dass sich Kläger und Beklagter wie zivilrechtliche Parteien gegenüberstehen, indem allein zwischen ihnen das Prozessrechtsverhältnis im Rahmen der Klage besteht und deshalb auch nur diese die volle Dispositionsbefugnis über 5  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 149; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629). 6  Vgl. A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); E. E. Noack, Allgemeine und besondere VöI im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1957, 452 (455); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 117. 7  B. Wilhelm, Vollziehende Gewalt, BayVBl. 1965, 297 (300). 8  B. Wilhelm, Vollziehende Gewalt, BayVBl. 1965, 297 (300). 9  B. Wilhelm, Vollziehende Gewalt, BayVBl. 1965, 297 (301). 10  F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (281); J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 104. 11  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 105.

226

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

das Verfahren haben12. Insoweit werden den einzelnen Beteiligten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trotz der einheitlichen Bezeichnung als „Beteiligte“ also unterschiedliche Parteirollen zugewiesen13. Der VBI hingegen befindet sich als sonstiger Beteiligter jenseits dieses Prozessverhältnisses und kann daher kraft seiner prozessualen Stellung unabhängiger agieren. Davon abgesehen ist auch die Befürchtung zutreffend, dass die Verwaltung das öffentliche Interesse nicht umfassend, sondern nur bezogen auf ihren eigenen fachlichen Zuständigkeitsbereich wahrnimmt14. Für diese Sichtweise spricht insbesondere, dass die Verwaltung nicht homogen ist, sondern sich über verschiedene staatliche und kommunale Ebenen verteilt, sodass unterschiedliche Verwaltungsträger und -behörden unterschiedliche öffentliche Interessen wahrnehmen15. Dies kann dazu führen, dass die am Verfahren beteiligte Behörde nach bestem Gewissen Rechtsansichten vertritt, die erst vor dem Hintergrund speziellen Wissens auf höhrerer Verwaltungsebene nicht mehr überzeugend sind. Besonders deutlich wird dies anhand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt16, dem sich entnehmen lässt, dass die kommunale Verwaltung sowie der auf Landesebene tätige VöI einerseits und das zuständige Bundesministerium sowie der VBI andererseits entgegengesetzte Auffassungen vertreten haben. Anhand dieses Urteils zeigt sich außerdem die Bedeutung des VBI als Instanz, durch welche die Bundesbehörden ihre Sichtweise auf die Ausführung des Bundesrechts in das Verfahren einführen können. Auch in vielen anderen der untersuchten Urteile erfolgte die Beteiligung des VBI in Übereinstimmung mit dem zuständigen Bundesministerium17. Die vielfach in der Literatur geäußerte Auffassung, dass der 12  Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 4; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 63 Rn. 1; Sodan/Ziekow/D. Czybulka/T. Siegel, VwGO, § 63 Rn. 8, 10. 13  Sodan/Ziekow/D. Czybulka/T. Siegel, VwGO, § 63 Rn. 2, 4. 14  Vgl. G. R. Baum, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld, DÖV 1980, 425 (429); R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (257); B. Holzweißig, Aufgaben eines VöI, DÖV 1960, 17 (18); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (120); K.  Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); J. Schulz-Hardt, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen VöI, DVBl. 1972, 557 (560). 15  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (278); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (629); J. Schmidt, VöI aus der Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 157 (159). 16  BVerwG, Urteil vom 6.4.2017 – 3 C 24/15 – juris. 17  BVerwG, Urteil vom 26.1.2011 – 5 C 19/10 – juris, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 8.9.2016 – 3 C 16/15 – juris, Rn. 8; BVerwG, Urteil vom 4.7.2019 – 3 C 24/17 – juris, Rn. 6.



II. Vertretung des öffentlichen Interesses durch das Gericht227

VBI einen Ausgleich dafür schafft, dass es gemäß Art. 83 GG meist die Länder oder Kommunen sind, deren Anwendung des Bundesrechts Verfahrensgegenstand ist18, ist daher überzeugend. Dies wird auch daran deutlich, dass der VBI hierin selbst eine wesentliche Funktion seiner Tätigkeit sieht19. Laut seinen Angaben ist der Bund nämlich selbst an 80 Prozent der Gerichtsverfahren, deren Gegenstand Bundesrecht ist, gar nicht beteiligt20.

II. Vertretung des öffentlichen Interesses durch das Gericht Auch das Gericht vertritt das öffentliche Interesse durch seine Rechtsprechung nicht derart umfassend, dass neben ihm kein Platz für einen VöI im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mehr besteht. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, dass die Richter bei ihrer Tätigkeit gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 97 Abs. 1 GG an Recht und Gesetz gebunden sind. Diese Bindung darf nicht durch die Berücksichtigung außerrechtlicher Kriterien unterlaufen werden. Es ist aber zu beachten, dass sich alle Rechtsnormen dadurch auszeichnen, dass sie eine unbestimmte Vielzahl von Fällen für einen unbegrenzten Personenkreis regeln21. Allein deshalb können sie nicht abschließend sein, sondern befürfen für jeden vom Gericht zu entscheidenden Einzelfall einer Konkretisierung22. Dabei enthalten die einschlägigen Vorschriften regelmäßig Spielräume, die eine Auslegung erforderlich machen23. Diese werden durch die klassischen juristischen Auslegungsmethoden anhand von Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck ausgefüllt, wobei im Fall von durch Lücken im Wortlaut her18  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628 f.); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); K.-D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193). 19  Bericht über die Tätigkeit es VBI beim BVerwG im Geschäftsjahr 2020, S. 3, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/down loads/Webs/VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631 AAF45C82D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 20  Bericht über die Tätigkeit es VBI beim BVerwG im Geschäftsjahr 2020, S. 3, abgerufen unter https://www.vertreter-des-bundesinteresses.de/SharedDocs/down loads/Webs/VBI/DE/jahresbericht_2020.pdf;jsessionid=4AE1EB18D7E563571D631 AAF45C82D0E.2_cid287?__blob=publicationFile&v=3, Stand: 15.3.2021. 21  J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn.  89 f.; H. Maurer/C. Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 4; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/A. Heusch, GG, Art. 97 Rn. 38. 22  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 102. 23  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 102; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/A. Heusch, GG, Art. 97 Rn. 38.

228

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

vorgerufenen Spielräumen vor allem die letzteren drei Methoden relevant sind24. Auf ähnliche Weise müssen Richter immer wieder Rechtsnormen auf die von ihnen zu entscheidenden Verfahren anwenden, die mehrdeutig sind oder zumindest auf verschiedene Weise verstanden werden können25. Außerdem kann das öffentliche Interesse, wie oben bereits festgestellt, nicht losgelöst von Recht und Gesetz gesehen werden26. Vielmehr sind nach heutigem Verständnis sämtliche Rechtsnormen Ausdruck des vom Normgeber erkannten öffentlichen Interesses27. Bei Zugrundelegung einer handwerklich sauberen Rechtsanwendung stellen damit vor allem die historische sowie die teleologische Auslegung Schnittstellen dar, durch welche die vom Normgeber bei der Rechtsetzung verfolgten Interessen Eingang in die Rechtsanwendung finden. Die Auslegung selbst ist dabei eine zentrale Aufgabe der Gerichte. Um diese aber in die Lage zu versetzen, die Auslegung möglichst sachgerecht vorzunehmen, stellt der VöI ihnen eine möglichst breite Informationsgrundlage zur Verfügung. Dadurch wird das jeweilige Gericht in die Lage versetzt, die hinter den streitentscheidenden Normen stehenden öffentlichen Interessen zu erkennen und insbesondere einer historischen oder teleologischen Auslegung zugrunde zu legen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass auch Aspekte, die auf den ersten Blick außerrechtlicher Natur sind wie etwa wirtschaftliche oder politische Erwägungen, an den Stellen für die Rechtsanwendung relevant werden, an denen es im Rahmen der Auslegung darum geht, die Motive des Gesetzgebers zu ermitteln, die der jeweiligen Norm zugrunde liegen. Gesetzgebung ist schließlich das zentrale Instrument, durch das in einem demokratischen Rechtsstaat der politische Wille der Mehrheit des Volkes verwirklicht wird28. Wenn der VöI dem Gericht gegenüber darstellt, was die Auswirkungen einer Entscheidung in die eine oder andere Richtung sind, muss vor diesem Hintergrund die entscheidende Frage sein, welche dieser Auswirkungen eher mit den Erwägungen des Normgebers bei Erschaffung der für den Rechtsstreit relevanten Vorschriften in Einklang stehen. Wie oben festgestellt, leiten sich die Rechtsnormen vom öffentlichen Interesse ab29, sodass das öfVom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (190). Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtsetzung, NJW 1972,

24  K. D. Schnappauf, 25  K. Redeker,

409 (411). 26  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264). 27  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 11; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 720. 28  Dreier/H. Schulze-Fielitz, GG, Art.20 (Rechtsstaat) Rn. 52; F. Kopp, Indivi­ dueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264). 29  H. Braun, VöI im Verwaltungsstreitverfahren, S. 11; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 720.



II. Vertretung des öffentlichen Interesses durch das Gericht229

fentliche Interesse in diesen zum Ausdruck kommt30. Aus diesem Grund besteht eine Rückkoppelung zwischen rechtlichen Vorschriften und dem öffentlichen Interesse, weswegen ein Handeln im öffentlichen Interesse sich mit der richterlichen Bindung an Recht und Gesetz nicht ausschließt, sondern im Gegenteil diese fördert. Diesen Zusammenhang machen K. Neis und R. Frauenknecht deutlich, wenn sie die Verwaltungsrechtsprechung als „Gemeinwohljudikatur“ charakterisieren31. Mithin unterstützt der VöI das Gericht bei der Rechtsfindung, indem er ihm durch die Vermittlung von Hintergrundinformationen eine möglichst breite Basis an die Hand gibt, damit es die hinter der einschlägigen Rechtsnorm stehenden öffentlichen Interessen erkennt und bei seiner Auslegung berücksichtigt. Hierdurch nimmt der VöI dem Gericht einen sonst aufwändigen Teil an Recherchearbeit ab. Ferner hat er durch seine Zugehörigkeit zur Exekutive sowie aufgrund seiner organisatorischen Anbindung an die Ministerien einen größeren Spielraum und bessere praktische Möglichkeiten, einschlägiges Hintergrundmaterial zu ermitteln als das Gericht, das stets den Eindruck von Befangenheit vermeiden muss32. Speziell für das Verhältnis zwischen Bundesverwaltungsgericht und VBI sind außerdem zwei weitere Aspekte zu berücksichtigen: Erstens fungiert das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz. Deshalb hat es im Rahmen des aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Vorrangs des Gesetzes die Aufgabe, aus den ihm unterbreiteten Einzelfällen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung und Lückenschließung allgemeine Grundprinzipien herauszuarbeiten, an denen sich die übrigen Gerichte sowie die Verwaltung in Zukunft orientieren können33. Für diese Funktion hat die Auslegung von Rechtsnormen und die damit verbundene Fortentwicklung des Rechts eine ganz besondere Bedeutung. Zweitens entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Bundesrecht, das aber gemäß Art. 83 GG regelmäßig der Ausführung durch die Länder unterliegt, weswegen der Bund und seine Behörden nur in wenigen Fällen direkt am Rechtsstreit beteiligt sind34. Als Ausgleich dafür, dass der 30  F. Kopp, Individueller Rechtsschutz und öffentliches Interesse, BayVBl. 1980, 263 (264). 31  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV. 1972, 626 (628). 32  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); F. Kopp, Der VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1982, 277 (280); G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (121); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628). 33  Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/H. Hofmann, GG, Art. 20 Rn. 94. 34  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628 f.); K. Neis,

230

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

Bund selbst regelmäßig nicht in den Gerichtsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht angehört wird, obwohl die dort verhandelten Normen auf seinen Willen zurückgehen, bietet die Beteiligung des VBI die Möglichkeit, eine Stellungnahme des fachlich zuständigen Bundesressorts in das Verfahren einfließen zu lassen35. Auf diese Weise wird regelmäßig die Sichtweise des Gesetzgebers als wesentliche Auslegungsgrundlage für das Bundesverwaltungsgericht unmittelbar deutlich. Auch wenn die Tätigkeit des VBI für das Bundesverwaltungsgericht damit unterstützender Natur ist, ist es angesichts der Bedeutung der Rechtsaus­ legung und der dafür erforderlichen Hintergrundinformationen für dessen Rechtsprechung nicht sachgerecht, diesen auf die Funktion eines bloßen „Gehilfen“ zu reduzieren. Vielmehr können die durch ihn vermittelten Erkenntnisse im Einzelfall so zentral für das Verfahren sein, dass sie den Inhalt der Entscheidung maßgeblich prägen. Dies wird anhand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Töten männlicher Küken36 deutlich, die ohne die Informationen des VBI über den aktuellen wissenschaftlichen und technischen Stand mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgefallen wäre. Darüber hinaus arbeitet der VBI als selbständiges Rechtspflegeorgan, das sein Votum grundsätzlich unabgängig vom Gericht erstellt. Dieser Unabhängigkeit steht es auch nicht entgegen, wenn er vereinzelt bestimmte vom Gericht erbetene Informationen einholt, beispielsweise eine Umfrage in der Verwaltung über die Praktikabilität einer spezifischen Beurteilungspraxis in Bezug auf Beamte37.

III. Vereinbarkeit des VBI mit den verwaltungsprozessrechtlichen Grundsätzen Bei der Frage, inwieweit sich die Rechtsfigur des VBI mit den Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts vereinbaren lässt, ist wiederum zunächst der Aspekt der prozessualen Waffengleichheit gesondert zu behandeln.

Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); K.-D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193). 35  K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K.  Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); K.-D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193). 36  BVerwG, Urteil vom 13.6.2019 – 3 C 28/16 – juris. 37  BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – 2 C 2/18 – beck-online, Rn. 12.



III. Vereinbarkeit des VBI mit verwaltungsprozessrechtlichen Grundsätzen231

1. Vereinbarkeit des VBI mit der Waffengleichheit im Prozess Unter „Waffengleichheit“ wird in der Literatur die Chancengleichheit der Verfahrensbeteiligten im Sinne einer tatsächlichen Möglichkeit verstanden, ein Gerichtsverfahren zu initiieren und auf dessen Ausgang Einfluss zu nehmen, also „die Waage der Justitia in Bewegung zu setzen und zu halten“38. Die Beteiligten müssen also tatsächlich in gleicher Weise in der Lage sein, die vom Verfahrensrecht zur Verfügung gestellten Mittel sachgerecht zu nutzen39. Dies umfasst insbesondere die gleiche Möglichkeit der Beteiligten, die Ermittlung der dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachen zu beeinflussen40. Strukturell bedingte Benachteiligungen einzelner Verfahrensbeteiligter gegenüber anderen sind nach dem Grundsatz der Waffengleichheit nicht hinzunehmen und daher verfahrensrechtlich auszugleichen41. Als rechtsdogmatische Grundlage für diesen Grundsatz werden Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG herangezogen42. Legt man dieses Verständnis des Begriffs zugrunde, ist festzustellen, dass im Gegensatz zum Zivilprozess im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich keine Waffengleichheit zwischen den Hauptbeteiligten besteht43. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die dem Bürger gegenüberstehende Behörde im Vorfeld des Prozesses viel weitergehende Handlungsmöglichkeiten als dieser hat: Allein sie hat die Befugnis, hoheitlich zu handeln und auf diese Weise einseitig mittels eines Verwaltungsakts eine Regelung für diesen herbeizuführen, die gleichzeitig die Funktion eines Titels hat, aus dem sie vollstrecken kann44. Darüber hinaus ist es regelmäßig die Behörde, die als „Herrin des Verwaltungsverfahrens“ im Vorfeld der Setzung eines Verwaltungsakts den maßgeblichen Sachverhalt gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG ermittelt, wodurch sie gegenüber dem Bürger einen Informationsvorsprung erhält45. Dies hat zur Folge, dass der Bürger in den meisten Fällen zumindest keinen so umfassenden Überblick wie diese 38  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 43; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 55; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 161; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 176. 39  K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630). 40  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 43; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 56. 41  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 176 f. 42  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 176. 43  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 47. 44  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 44; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 97; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (630); ­W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 21. 45  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 161.

232

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

über die entscheidungserheblichen Tatsachen hat und auch nicht beurteilen kann, ob die behördlichen Ermittlungen vollständig gewesen sind46. Gerade im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen und der Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen hat es eine wichtige Bedeutung, welche Tatsachen die Behörde im Vorfeld ihrer Entscheidung ermittelt hat47. Hinzu kommt eine fachliche Überlegenheit der Verwaltung gegenüber der Bevölkerung dadurch, dass diese bei der Bearbeitung einer Sache auf spezialisiertes Fachpersonal zurückgreifen kann, das häufig eine Vielzahl von Fällen auf einem bestimmten Gebiet bearbeitet48. Außer in den Fällen, in denen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Sachverhalte verhandelt werden, in denen der Bürger selbst über die maßgeblichen Informationen verfügt, hat deshalb die Verwaltung mehr Möglichkeiten, den entscheidungserheblichen Sachstand in den Gerichtsprozess einzuführen49. Zu beachten ist aber, dass das Verwaltungsprozessrecht einige Mechanismen vorsieht, um diese „strukturelle Ungleichheit“50 der prozessualen Chancen zwischen den Hauptbeteiligten zu kompensieren. Was die unterschiedliche Möglichkeit betrifft, entscheidungserhebliche Tatsachen in das Verfahren einzuführen, sorgen die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 86 Abs. 1 VwGO und die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO für einen gewissen Ausgleich, der die ­Auswirkungen dieser unterschiedlichen Ausgangslage zwischen Bürger und Verwaltung eindämmt, obgleich er sie nicht mit absoluter Sicherheit ausschließt51. Die Überlegenheit der Verwaltung aufgrund ihrer Befugnis zu hoheitlichem Handeln sowie zur Selbsttitulierung wird durch die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO sowie durch die Möglichkeit eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kompensiert52. Eine andere Ausgangslage als im Zivilprozess liegt auch darin begründet, dass die Verwaltung gerade aufgrund ihrer hoheitlichen Befugnisse als Teil der Exekutive gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes ge46  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 45; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S.  97 f. 47  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 45; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 98. 48  W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 97. 49  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 44 f. 50  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 161. 51  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 50 f.; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 99, 101 f.; J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.  161 f., 177. 52  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 48 f.; W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S. 61 f., 64.



III. Vereinbarkeit des VBI mit verwaltungsprozessrechtlichen Grundsätzen233

bunden ist53. Darüber hinaus geht es ihr im Verwaltungsgerichtsverfahren anders als dem Bürger oder den Parteien im Zivilprozess nicht darum, individuelle Rechte durchzusetzen, sondern ihr Prozessziel ist das generelle, auf den verfahrensgegenständlichen Einzelfall bezogene Interesse, das geltende Recht ordnungsgemäß und wirksam zu vollziehen54. Daher ist das Rechtsschutzinteresse der Verwaltung ein auf das öffentliche Interesse gerichtetes Vollzugsinteresse55. Aus diesem Grund sind hinsichtlich der Waffengleichheit als Chancengleichheit der Beteiligten, das Gerichtsverfahren in Gang zu setzen und auf dessen Ausgang Einfluss zu nehmen, die Ausgangsbedingungen anders gelagert als im Zivilprozess. Die grundsätzlich besseren Chancen der Verwaltung erfahren dabei durch die besondere Interessenlage und Bindung der Verwaltung, aber auch durch die Ausgestaltung des Prozessrechts in der VwGO einen Ausgleich, um die Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 103 Abs. 1 GG zu erfüllen56. Es ist aber nicht ersichtlich, dass dieser Ausgleich durch die zusätzliche Beteiligung des VBI am Gerichtsverfahren konterkariert wird. Zwar kommt die Beteiligung des VBI am Verfahren in vielen Fällen einem der beiden Hauptbeteiligten zugute. Dies zeigt sich in vielen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts, in deren Tatbestand ausdrücklich aufgeführt ist, dass sich der VBI einer der beiden Parteien anschließt57. Auch wenn hierdurch die Gefahr besteht, dass für den jeweils anderen Beteiligten der VBI als zusätzlicher Prozessgegner erscheint, ist zu beachten, dass dieser nicht einen bestimmten Prozesserfolg, sondern die Verwirklichung des öffentlichen Interesses als übergeordneten Belang anstrebt58. Soweit der VBI Hintergrundinformationen in das Verfahren einführt, die im Einzelfall zugunsten oder zu Lasten eines der Hauptbeteiligten ausfallen können, ist dies vom Untersuchungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO gedeckt, der gerade das strukturelle Ungleichgewicht zwischen diesen im Vorfeld des Prozesses kompensieren soll. Eine Prozesssituation, in der sich eine Partei zwei Beteiligten gegenübersieht, die eine ihr nachteilige Rechtsauffassung vertreten, verhindert zudem nicht, dass diese die ihr von der Prozessordnung zur VerVerweisung in § 173 VwGO, S. 49. Funktion und Aufgaben der Landesanwaltschaft in Bayern, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 33 (40). 55  G. Berner, Funktion und Aufgaben der Landesanwaltschaft in Bayern, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 33 (40). 56  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 177. 57  Beispielhaft BVerwG, Urteil vom 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris, Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 17.7.2019 – 5 C 8/18 – juris, Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 16.5.2019 – 5 C 7/18 – juris, Rn. 5; BVerwG, Urteil vom 29.5.2019 – 6 C 8/18 – juris, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 19.6.2019 – 6 C 9/18 – juris, Rn. 8. 58  W. Lichtenberg, Waffengleichheit, S.  132 f. 53  S. Auer,

54  G. Berner,

234

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

fügung gestellten Mittel sachgerecht nutzen kann. Genauso wie es ihr freisteht, dieser Rechtsauffassung mit überzeugenden Argumenten entgegenzutreten, ist das Gericht in keiner Weise an diese gebunden. Darüber hinaus können auch Beigeladene gemäß § 63 Nr. 3 VwGO am Verfahren beteiligt sein, die ebenfalls andere Interessen als die Hauptbeteiligten vertreten, dabei den Prozess aber trotzdem zugunsten einer der beiden Parteien beeinflussen59. 2. Vereinbarkeit des VBI mit den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Einrichtung des VBI den übrigen Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses widerspricht. Versteht man unter einem kontradikatorischen Verfahren einen Gerichtsprozess, in dem sich zwei Beteiligte in den festen Parteirollen von Kläger und Beklagtem gegenüberstehen, ist auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Grundsatz als ein kontradiktorisches Verfahren anzusehen60. Diesem Befund steht auch nicht die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes entgegen, denn das verwaltungsgerichtliche Verfahren zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es ein Mischsystem zwischen dem Dispositionsgrundsatz wie im Zivilprozess und dem Untersuchungsgrundsatz ist61. Die Verfügungsbefugnis über Einleitung und Beendigung des Verfahrens sowie die Festlegung des Streitgegenstandes verbleibt bei Kläger und Beklagtem62. Zwischen ihnen kommt bereits durch Klageerhebung ein Prozessrechtsverhältnis zustande, weswegen sie als Hauptbeteiligte eine besondere Stellung im Verfahren einnehmen63. Ein wesentlicher Unterschied zum Zivilprozess besteht allerdings darin, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren aufgrund der umfangreicheren Beteiligungsmöglichkeit Dritter mit weitreichenden Rechten im Verfahren nicht im selben Maße zweipolig ausgestaltet ist64. Daran zeigt sich aber, dass Waffengleichheit, S. 133. Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 104; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 63 Rn. 1. 61  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 21. 62  Gärditz/D. Krausnick, VwGO, § 63 Rn. 6; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 4; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 63 Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier/ W. Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 63 Rn. 2 (2017). 63  Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 63 Rn. 1; Posser/Wolff/R. Kintz, VwGO, § 63 Rn. 4; Schoch/Schneider/Bier/W. Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 63 Rn. 2 (2017). 64  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 105; Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, § 63 Rn. 1; Schoch/Schneider/Bier/W. Bier/ C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 63 Rn. 2 (2017). 59  W. Lichtenberg, 60  J. J. Nolte,



IV. Verfahrenspraxis des VBI235

das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Vergleich zum Zivilprozess generell offener für die Beteiligung Dritter neben den Hauptparteien ist. Aus diesem Grund widerspricht auch die Beteiligung des VBI als Drittem, der sogar eine vollkommen unparteiische Stellung einnimmt, nicht dem Charakter des Verwaltungsgerichtsverfahrens als kontradiktorisches Verfahren. Diesem Charakter entsprechend hat eine Beteiligung des VBI auch nicht zur Folge, dass die Dispositionsbefugnis der Hauptbeteiligten durchbrochen wird. Vielmehr ist dem Grundsatz nach der VBI bei seiner Beteiligung dadurch beschränkt, dass die Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand bei den Hauptbeteiligten verbleibt. Im Einklang damit darf er bei seinen Anträgen auch nicht über den von ihnen festgelegten Streitgegenstand hinausgehen. Ausnahmen hiervon existieren nur dort vereinzelt, wo dies ausdrücklich durch das Gesetz angeordnet ist. Auch die punktuell bestehenden, gesetzlich angeordneten Zustimmungserfordernisse des VBI hinsichtlich der Klagerücknahme, der Rücknahme der Revision sowie der Klageänderung ändern nichts am Grundsatz, dass die Dispositionsbefugnis bei einer Beteiligung des VBI bei den Hauptbeteiligten bleibt65. Grundlage dieser Einschränkungen durch die speziellen Zustimmungserfordernisse ist die im Vergleich zum Zivilprozess stärker ausgeprägte objektiv-rechtliche Funktion des Verwaltungsgerichtsprozesses als Rechtskontrolle, die im Einzelfall jenseits der Interessen der Hauptbeteiligten eine Gerichtsentscheidung verlangen kann66. Daraus folgt aber, dass auch diese Ausgestaltung mit der allgemeinen Funktion sowie dem grundsätzlichen Charakter des Verwaltungsgerichtsverfahrens in Einklang steht.

IV. Verfahrenspraxis des VBI Stellt man die Tätigkeit des VBI in der Praxis mit seinen theoretisch im Gesetz verankerten Aufgaben gegenüber, lässt sich die von C. Sailer und K. Redeker vorgebrachte Kritik auf Grundlage der vorstehenden Untersuchungen nicht bestätigen. Was sein Beteiligungsverhalten betrifft, ist festzuhalten, dass dieses allein im Ermessen des VBI selbst liegt67. Dies ermöglicht ihm, durch inhaltliche Priorisierung möglichst effektiv zu arbeiten, und kommt seiner unabhängigen Stellung gegenüber Gericht und sonstigen Beteiligten zugute68. Seinem eigenen Amtsverständnis nach beteiligt der VBI sich immer dann, wenn das Verfahren über den Einzelfall hinaus von besonderer 65  Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 5; D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 8 Rn. 59; Schoch/Schneider/Bier/C. Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 35 Rn. 10 (2014). 66  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 94. 67  OVG Münster, AS 11, 93 (97); Eyermann/M. Hoppe, VwGO, § 35 Rn. 6; J. SchulzHardt, Der allgemeine VöI in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 116 f. 68  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 93.

236

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

Bedeutung für Verständnis und Anwendung des Bundesrechts ist oder die streitentscheidende Norm aufgrund ihrer rechtlichen oder tatsächlichen Bedeutung aus Sicht des Bundesinteresses eines zusätzlichen Vortrags bedarf69, was nachvollziehbare allgemeine Kriterien sind, um dieses Ermessen auszuüben. Anhand der vorstehend untersuchten Verfahren lässt sich auch nicht erkennen, dass sich der VBI offensichtlich zu Unrecht beteiligt hätte. Davon abgesehen rechtfertigt ein Auseinanderfallen von praktischem Verhalten und theoretischer Aufgabe keine generelle Infragestellung der Institution. Vielmehr läge es in diesem Fall näher, lediglich die Fehler im Rahmen der praktischen Tätigkeit zu korrigieren. Die untersuchten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts haben auch gezeigt, dass der VBI im Rahmen seiner Beteiligung je nach Verfahren durchaus auch Rechtsansichten vertritt, die dem Bürger zugutekommen. Auf die Frage, wie oft der VBI sich zugunsten des Bürgers oder der Verwaltung beteiligt, verwehrt er sich gegen jeglichen Eindruck, dass er zugunsten eines der Hauptbeteiligten Partei ergreift, sondern betont seinen Charakter als unabhängiges, neutrales Rechtspflegeorgan70. Demgegenüber lässt sich aber einigen Urteilen durchaus entnehmen, dass sich der VBI der Rechtsauffassung eines der Hauptbeteiligten anschließt71. Dabei gibt es auch einzelne Urteile des Bundesverwaltungsgerichts, aus denen sich ergibt, dass der VBI die Rechtsauffassung der beklagten Behörde unterstützt hat, das Gericht aber zugunsten des klagenden Bürgers entschieden hat72. In derartigen Fällen besteht tatsächlich die Gefahr, dass beim Bürger der Eindruck entsteht, es mit zwei Prozessgegnern zu tun zu haben. Dieser Eindruck wird aber der allgemeinen Arbeitsweise des VBI nicht gerecht und kann deshalb auch nicht als Argument für dessen Abschaffung überzeugen. Ein solcher Eindruck lässt sich vielmehr durch eine sachgerechte Aufklärung des Klägers durch seinen Rechtsanwalt oder durch das Gericht verhindern73. Die Feststellung K. Redekers, in der Praxis sei kein Unterschied zwischen den verwaltungsgerichtlichen Verfahren in den Ländern festzustellen, in denen kein VöI existiert, und solchen, die von der Ermächtigungsbefugnis in § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO Gebrauch gemacht haben, ist nicht auf den VBI 69  Auskunft

des MinR Hubertus Rybak. des MinR Hubertus Rybak. 71  Beispielhaft BVerwG, Urteil vom 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris, Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 17.7.2019 – 5 C 8/18 – juris, Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 16.5.2019 – 5 C 7/18 – juris, Rn. 5; BVerwG, Urteil vom 29.5.2019 – 6 C 8/18 – juris, Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 19.6.2019 – 6 C 9/18 – juris, Rn. 8; BVerwG, Urteil vom 12.9.2013 – 5 C 35/12 – juris. 72  Beispielhaft BVerwG, Urteil vom 12.9.2013 – 5 C 35/12 – juris; BVerwG, Urteil vom 17.8.2017 – 3 C 18/15 –, juris. 73  C. Fischer, Gegenwart und Zukunft des VöI, S. 93. 70  Auskunft



V. Vergleich zu anderen Verfahrensarten237

übertragbar. Dieser tritt nämlich überwiegend im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auf, dessen Sinn und Zweck, wie bereits oben festgestellt, in der Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung74 und der Rechtsfortbildung75 liegt. Aufgrund dieser besonderen Funktion besteht hier ein viel größeres Bedürfnis für die Rechtsprechung, ihre Entscheidung auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen, als in den unteren Instanzen. Außerdem dürfte die Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung für die Verwaltungspraxis vergleichsweise größer sein, weswegen die Aufgaben eines VöI hier eine besonders wichtige Rolle einnehmen. Dementsprechend differenziert auch der Gesetzgeber, indem er lediglich die Einrichtung des VBI gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 VwGO verpflichtend angeordnet hat, wohingegen die Einrichtung von VöI in den unteren Instanzen gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO im Ermessen der Länder liegt. Wie die Regelungen in §§ 5, 6, 9 VwGO zeigen, enthält die VwGO ansonsten durchaus auch nähere Vorschriften zu Aufbau und Organisation der unteren verwaltungsgericht­ lichen Instanzen.

V. Vergleich zu anderen Verfahrensarten Vergleicht man die Vertretung des öffentlichen Interesses im Verwaltungsgerichtsprozess mit der Situation in anderen Verfahrensordnungen, ist zunächst festzustellen, dass sich sowohl die Funktionen der verschiedenen Gerichtsverfahren als auch die diesen zugrunde liegenden Konstellationen und Interessen der Prozessbeteiligten unterscheiden. Dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren am nächsten sind die Rechtsstreitigkeiten in der Finanzgerichtsbarkeit und in der Sozialgerichtsbarkeit. Beide enthalten in Form von direkten Beteiligungsrechten zugunsten von Bundesministerien oder der Bundesrepublik Deutschland spezielle Rechtsfiguren zur Vertretung des öffentlichen Interesses. Diese im Vergleich zur Einrichtung einer unabhängigen Instanz einfachere und kostengünstigere Variante76 ist darauf zurückzuführen, dass sich beide Verfahren durch eine inhaltliche Beschränkung auf ein rechtliches Fachgebiet, das einem einzigen Bundesressort unterfällt77, sowie auf eine in den Verfahren stets gleich gelagerte Konstella74  Gärditz/K. F. Gärditz, VwGO, § 49 Rn. 1; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 1. 75  Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, § 132 Rn. 1; W. B. Maetzel, Zehn Jahre VwGO, DÖV 1970, 28 (30 f.). 76  BR-Drucks. 100/82, S. 96. 77  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (237); J.  Schmidt-Troje/H. Schaumburg, Der Steuerrerchtsschutz, II. Rn. 16.

238

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

tion zwischen Kläger und Beklagtem78 auszeichnen. Die Existenz des behördlichen Beitrittsrechts gemäß § 122 Abs. 2 FGO zeigt aber, dass es für die Vertretung des öffentlichen Interesses auch in der Finanzgerichtsbarkeit einen grundsätzlichen Bedarf gibt. Gleiches lässt sich anhand des Beitrittsrechts gemäß §§ 75 Abs. 1 S. 2, 168 S. 2 SGG für die Sozialgerichtsbarkeit im Bereich des besonders haftungsträchtigen sozialen Entschädigungsrechts feststellen. Auffällig ist aber, dass, obwohl es sich dabei um einen praktisch wenig bedeutsamen Teil des Sozialrechts handelt, der Gesetzgeber auf eine Ausdehnung des Beitrittsrechts auf weitere Rechtsgebiete verzichtet hat. Dies lässt sich als Argument dafür anführen, dass eine besondere Rechtsfigur zur Vertretung des öffentlichen Interesses in Gerichtsverfahren, die das öffentliche Recht durchsetzen sollen, nicht zwingend ist. Der Vergleich zum zivilgerichtlichen Verfahren sowie zum Strafverfahren zeigt, dass die Einrichtung eines VöI in der Verwaltungsgerichtsbarkeit systemgerecht ist. Im Gegensatz zu C. H. Ule, demzufolge die Einrichtung eines VöI in den zivilrechtlichen Verfahren vor dem Bundesgerichtshof besonders sinnvoll sei79, ist zu berücksichtigen, dass der Zivilprozess schwerpunktmäßig der Durchsetzung rein subjektiver Rechte dient80, während die objektive Funktion der Rechtsdurchsetzung an sich nur eine untergeordnete Rolle spielt81. Im Verwaltungsgerichtsprozess ist die objektive Funktion der Rechtskontrolle dagegen stärker ausgeprägt82 und der Bezug zum öffent­ lichen Interesse deutlich größer83, weil dieser nicht als rein private Rechtsstreitigkeit zwischen gleichberechtigten Bürgern zu verstehen ist, sondern als gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns, das selbst bereits zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses erfolgt ist. Dementsprechend sind hier regelmäßig Konflikte betroffen, die über den Rechtskreis der Haupt­ beteiligten hinausgehen und von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind84. 78  K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236 f.). 79  C. H. Ule, VöI, DVBl. 1981, 953 (959). 80  S. Auer, Verweisung in § 173 VwGO, S. 26; C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 9–11; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 6; O. Jauernig, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329 (331); E. Schilken, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 10; Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 9; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 10, 367; T. Würtenberger/D. Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 2. 81  C. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 11; Stein/Jonas/W. Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 12; K. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 10. 82  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 55. 83  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 143. 84  R. Frauenknecht, Aufgabe und Tätigkeit der Bundesanwaltschaft, in: Die Vertretung des öffentlichen Interesses, S. 13 (19); K. Neis, Funktion der VöI bei den VG,



V. Vergleich zu anderen Verfahrensarten239

Noch ausgeprägter ist diese objektive Funktion im Strafverfahren85, in dem die Staatsanwaltschaft als Institution zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses eine noch stärkere Stellung einnimmt. Diese unterschiedlichen Funktionen spiegeln sich bereits in den prozessualen Grundsätzen wider, wobei der Mischcharakter des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zwischen Zivilprozess und Strafverfahren in Bezug auf die Bedeutung von subjektiver und objektiver Funktion auch in der Kombination aus Geltung von Dispositionsund Untersuchungsgrundsatz zum Ausdruck kommt86. Bereits der Untersuchungsgrundsatz ist ein Werkzeug, das der Verwirklichung des öffentlichen Interesses dient87. Der VBI stellt zu dessen Geltung eine Ergänzung dar, indem er insbesondere dem Gericht nicht ohne weiteres zugängliche Hintergrundinformationen in das Verfahren einführt und außerdem dieses über den Rechtsstandpunkt der zuständigen Ministerien informiert, der nicht mit demjenigen der beteiligten Behörde übereinstimmen muss. Gerade die Existenz der Einführungsmöglichkeit von Stellungnahmen Dritter zu Hintergrundinformationen gemäß § 27a BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht zeigt, dass es in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Bereich des öffentlichen Rechts jenseits der Fachgerichtsbarkeiten von Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit allgemein einen besonderen Bedarf an einer Berücksichtigung von Hintergrundinformationen gibt. Auch aus der Verwandtschaft mit dem „amicus curiae“ lässt sich ableiten, dass in Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger vor Rechtsmittelgerichten generell ein Bedürfnis nach besonderen Informanten besteht, welche die Entscheidungsgrundlage des Gerichts verbreitern. Zwar wäre ein direktes Beteiligungsrecht betroffener Bundesministerien ein einfacherer und kostengünstigerer Weg als die Unterhaltung einer besonderen Institution. Angesichts der Tatsache, dass in Verfahren, an denen der Bund sonst nicht beteiligt ist, ein besonderer Bedarf besteht, diesen zu Wort kommen zu lassen, weil dessen Auffassung nicht notwendigerweise mit derjenigen der regelmäßig gegenüber der Bevölkerung handelnden Landesbehörden übereinstimmen muss, würde eine solche Gestaltung nicht zwingend zu einem Verstoß gegen das Gebot der Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG führen. Nichtsdestotrotz stellt hier ein unabhängig organisierter VöI eine Variante dar, die der prozessualen Chancengleichheit besser gerecht wird. Daneben hat eine unabhängige Instanz im Vergleich zu einer direkten Beteiligung den Vorteil, dass das Gericht immer einen direkten DÖV 1972, 626 (627); W. Zeidler, Verwaltungsrechtsprechung, DVBl. 1971, 565 (567 f.). 85  W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 11. 86  J. J. Nolte, Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 21. 87  R. Köhler-Rott, Untersuchungsgrundsatz, S. 145.

240

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

Ansprechpartner hat, den es zuverlässig über alle anhängigen Verfahren informieren kann, weil er stets zuständig ist, und der auch angesichts der Vielfalt möglicherweise durch ein Verfahren berührter Ressorts relevante Informationen am zielgerichtetsten beschaffen kann. Gerade wenn unterschied­ liche Ministerien und Fachbereiche inhaltlich betroffen sind, kann der VBI deren Stellungnahmen sammeln und gebündelt in das gerichtliche Verfahren einführen88, was dessen Ablauf vereinfacht. Hieraus ergibt sich ein Mehrwert, der die Unterhaltung des VBI als selbständige Arbeitsgruppe rechtfertigt. Hinzu kommt, dass der VBI als unabhängige Einrichtung die besten Voraussetzungen mitbringt, um auf die Hauptbeteiligten zur Verfahrensbeschleunigung einwirken und die Verwaltung beraten zu können, um Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Allerdings lässt sich nicht genau feststellen, welchen Umfang diese beiden Funktionen des VBI in der Praxis haben.

VI. Ergebnis Die vorstehende Untersuchung hat in Übereinstimmung mit A. Guckelberger89 gezeigt, dass es keinen zwingenden Grund gibt, den VBI abzuschaffen. Er nimmt Aufgaben wahr, die sich in Grundsätze und Funktion des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens einfügen. Diese könnten zwar auch auf andere Weise erfüllt werden, jedoch ist die Einrichtung des VBI hierfür besonders geeignet. Der Verwaltungsgerichtsprozess kann dabei besonders im Revisionsverfahren durchaus als eine umfassende Interessenabwägung verstanden werden, wobei hinzuzufügen ist, dass diese immer ihren Ursprung im Gesetz haben muss und sonstige Belange sich nicht über dieses hinwegsetzen können, sondern nur dort relevant werden, wo das Gesetz Spielräume offenlässt, die durch Auslegung geschlossen werden müssen. Hierzu ist es aber erforderlich, dass das Gericht gerade im Hinblick auf die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes eine ausreichende Tatsachengrundlage erhält. Bei der Prüfung von Rechtsfragen ist es entscheidend, dass das Gericht die notwendigen Tatsachen zuverlässig erfährt, die es benötigt, um das Gesetz auslegen zu können. Hierbei erweist sich der VBI als besonders praktikable Lösung und

88  Ansicht des Bundesministeriums des Innern, wiedergegeben in den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2001, S. 88, abgerufen unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/ produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/1-archiv/2001-bemerkungen-ge samtbericht-pdf/view, Stand: 15.3.2021; BR-Drucks. 100/82, S. 84. 89  A. Guckelberger, Vor- und Nachteile eines VöI, BayVBl. 1998, 257 (259).



VI. Ergebnis241

würde im Falle einer Abschaffung eine Lücke hinterlassen, die anderweitig geschlossen werden müsste. Dementsprechend hat der Gesetzgeber durch die Ersetzung des OBA durch den VBI die Einrichtung des VöI auf Bundesebene nicht geschwächt, sondern sie ihren Aufgaben und ihrer Funktion nach unverändert fortgeführt. Folglich ist K. D. Schnappauf in seiner Aussage beizupflichten, dass es sich bei der Reform um eine Entscheidung handelt, die als ein Bekenntnis zur Sinnhaftigkeit einer Beibehaltung des VöI beim Bundesverwaltungsgericht zu verstehen ist90. Als Zeichen eines allgemeinen Sympathieschwundes für Einrichtungen zur Vertretung öffentlicher Interessen kann sie mithin entgegen der Auffassung E. Schumanns91 nicht angesehen werden. Dies spiegelt sich besonders im Umfang der praktischen Tätigkeit des VBI wider, deren Rückgang wesentlich mit einer geringeren Anzahl der zu bearbeitenden Fälle vor dem Bundesverwaltungsgericht korrespondiert, also in Relation zu diesen nur leicht abgenommen hat. Dass die Existenzberechtigung des VöI in der VwGO umstritten ist, ist zum einen darauf zurückzurühren, dass es sich bei seinem Bezugsobjekt, dem öffentlichen Interesse, um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der nicht durch eine griffige Definition fassbar ist, sondern ein Prinzip darstellt, das hinter den Rechtsnormen steht, stets abstrakt bleibt und für den jeweiligen Einzelfall immer wieder neu konkretisiert werden muss92. Beachtet man aber, dass stets die für das jeweilige Verfahren einschlägigen Rechtsnormen den notwendigen Ausgangspunkt darstellen, die im Lichte des hinter ihnen stehenden öffentlichen Interesses ausgelegt und angewendet werden93, erfährt dieser Begriff auch im heutigen demokratischen Rechtsstaat einen sinnvollen Anwendungsbereich. In der Praxis basiert das Beteiligungsverhalten des VBI dementsprechend auf einer Ermessensentscheidung im Einzelfall, für die man lediglich die allgemeine Grundregel aufstellen kann, dass diese desto eher positiv ausfällt, je mehr ein Verfahren grundsätzlichen Charakter hat, etwa weil ihm eine fundamentale rechtliche Bedeutung für die Auslegung von Rechtsnormen oder eine Grundrechtsrelevanz zukommt94. Auch besonders weitreichende gesellschaftliche, wirtschaftliche oder die Verwaltungspraxis betreffende Konsequenzen können dazu führen, dass der VBI eine Betroffenheit des öf-

Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (198). Sympathieschwund für VöI, in: FS Prütting, S. 541 (544). 92  K. D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (187 f.). 93  S.  50 f. 94  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 90  K. D. Schnappauf, 91  E. Schumann,

242

H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

fentlichen Interesses bejaht95. Hinsichtlich der Frage, welche Teilgebiete des Verwaltungsrechts typischerweise das öffentliche Interesse betreffen, lassen sich dabei keine generellen Schwerpunkte oder rechtsgebietsbezogene Beteiligungsmuster finden96. Im Einklang mit dem Postulat, dass das öffentliche Interesse nicht losgelöst von den Rechtsnormen relevant werden darf, sorgt der VBI in der Praxis durch seine Beteiligung dafür, dass die Entscheidungsgrundlage des Bundesverwaltungsgerichts eine Verbreiterung erfährt, sei es durch die Einführung bestimmter Rechtsansichten oder von Hintergrundinformationen über Entstehungsgeschichte und Vorstellungen des Gesetzgebers hinsichtlich einer streitentscheidenden Norm. Auch eine Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder der praktischen Konsequenzen einer bestimmten Entscheidung für die Verwaltung eröffnet dem Bundesverwaltungsgericht eine breitere Grundlage, um Rechtsnormen sachgerecht auszulegen und anzuwenden, gerade wenn diese eine Lösung für den Widerstreit unterschiedlicher grundsätzlich berechtigter Interessen darstellen sollen. Ein Verständnis des VöI wird auch durch das Spannungsverhältnis erschwert, dass dieser einerseits die grundsätzlichen politischen Ziele und Ansichten der Bundesregierung beachten muss, andererseits aber kein Prozessvertreter der Bundesregierung oder íhrer Ministerien ist97. Eine Gefahr, als solcher und nicht als unabhängiges Rechtspflegeorgan wahrgenommen zu werden, ergibt sich insbesondere daraus, dass ein wichtiges Argument für seine Existenz das Bedürfnis des Bundes ist, seinen Standpunkt in Gerichtsverfahren einfließen zu lassen, an denen er sonst typischerweise nicht beteiligt ist. Besonders deutlich wird dieses Spannungsverhältnis bei der praktischen Tätigkeit des VBI dadurch, dass er die Bundesrepublik Deutschland nicht vertreten darf und sich seine Tätigkeit dementsprechend nur an Recht und Gesetz und nicht an politischen Vorstellungen orientiert, andererseits aber für die Frage, an welchen Neueingängen beim Bundesverwaltungsgericht sich der VBI tatsächlich beteiligt, neben Art, Qualität und grundsätz­ licher Bedeutung der einzelnen Verfahren auch das Interesse der betroffenen Bundesressorts, sich zu äußern, eine Rolle spielt98. Ebenso ist die Praxis des VBI, in vielen Fällen in Übereinstimmung mit dem betroffenen Ministerium vor Gericht vorzutragen99, geeignet, diesen Anschein zu verfestigen, auch wenn dies in den jeweiligen Fällen sachgemäß ist.

95  K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (862). 96  Auskunft des MinR Hubertus Rybak. 97  S. 33–36. 98  Auskunft des MinR Hubertus Rybak.



VI. Ergebnis243

Generell besteht eine gewisse Gefahr, dass der VBI in der Praxis in den Fällen, in denen das öffentliche Interesse im Sinne einer idealen Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Interessen auch von Ländern, Kommunen und Bürgern mit dem öffentlichen Interesse allein aus der Sicht der Bundesregierung kollidiert, der VBI nicht zuletzt aufgrund seiner Weisungsgebundenheit letzterem den Vorzug gibt100. In diesem Moment entfernt er sich aber von der seiner gesetzlichen Konzeption nach erforderlichen gesamtstaatlichen, unabhängigen Perspektive und nähert sich auf bedenkliche Weise der Rolle eines Streithelfers des Bundes an. Angesichts der gesetz­ lichen Ausrichtung des VBI auf das Bundesinteresse als gesamtstaatliche unparteiische Perspektive, die insbesondere die Sichtweise und Rechtsauffassung der Bundesregierung berücksichtigt101, weswegen er sich auch nicht über deren grundsätzliche politische Ziele und Ansichten hinwegsetzen darf102, lässt sich diese Tendenz nicht ganz vermeiden, sondern ist bereits in seiner Konzeption angelegt. Bedenkt man, dass Bürger und andere Ebenen staatlicher Verwaltung ohnehin meist direkt oder durch Beteiligung eines landesrechtlichen VöI am Verfahren beteiligt sind, besteht schließlich auch ein Bedarf an der Einbeziehung der Perspektive des Bundes, der immerhin Urheber des streitgegenständlichen Bundesrechts ist103. Um dennoch in der Praxis dem Ideal einer auch vom Bund unabhängigen Einrichtung gerecht zu werden, die eben nicht dessen Streithelfer ist, sollte der VBI im Rahmen seiner Beteiligung stets beachten, dass er sich nicht nur auf die Sichtweise des Bundes fokussiert, sondern im Sinne seiner gesamtstaatlichen, unparteiischen Rolle die Interessen von Kommunen, Ländern und Bürgern ausdrücklich aufgreift und in Beziehung zu den Interessen der Bundesregierung sowie einzelner Ministerien setzt. Ein Ansatzpunkt für eine tatsächlich gesamtstaatliche Perspektive ist die zweite Bearbeitungsphase des VBI, in deren Rahmen er über die Bundesministerien hinaus Länderbehörden und kommunale Spitzenverbände zur Gewinnung von Hintergrundinforma­ 99  BVerwG, Urteil vom 4.7.2019 – 3 C 24/17 – juris, Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 6.4.2017 – 3 C 24/15 – juris, Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 8.9.2016 – 3 C 16/15 – juris, Rn. 8; BVerwG, Urteil vom 26.1.2011 – 5 C 19/10 – juris, Rn. 9. 100  S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 111. 101  BT-Drucks. 14/5529, S. 65; Bader/Kaiser/Stuhlfauth/Albedyll/T. Stuhlfauth, VwGO, § 35 Rn. 1; Gärditz/F. Wittreck, VwGO, § 35 Rn. 5; Kopp/Schenke/J. Ruthig, VwGO, § 35 Rn. 1; Posser/Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 8, 10. 102  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (281); Posser/ Wolff/H. Schmitz, VwGO, § 35 Rn. 10. 103  R. Frauenknecht, Der OBA beim BVerwG, ZBR 1978, 277 (280); K. W. Lotz, VöI, DÖV 1978, 745 (747); W. Maihofer, Das Amt des OBA beim BVerwG, DRiZ, 1977, 304; K. Neis, Funktion der VöI bei den VG, DÖV 1972, 626 (628 f.); K. Neis, Die Aufgaben der Bundesanwaltschaft beim Bundesverwaltungsgericht, DVBl. 1968, 229 (236); K.-D. Schnappauf, Vom OBA zum VBI, in: FG BVerwG, S. 185 (193).

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H. Eigene Stellungnahme zur Diskussion

tionen anruft104 und damit Erkenntnisse anderer Verwaltungsebenen in sein Votum einbezieht. Darüber hinaus kommt in vielen Gerichtsurteilen nicht präzise zum Ausdruck, wie genau sich der VBI beteiligt hat und welchen konkreten Einfluss dies inhaltlich auf die Entscheidung hatte. Auch seine Aufgabenbereiche jenseits der Gerichtsverfahren, also die Beschleunigung und Entlastung gerichtlicher Verfahren durch Hinwirkung auf einen außergerichtlichen Streitverzicht sowie die Beratung und Information von Behörden, sind hinsichtlich ihres konkreten Umfangs und ihrer Qualität nicht ohne weiteres erkennbar. Um den praktischen Mehrwert des VBI in diesem Bereich besser nachvollziehen zu können, wäre es hilfreich, wenn Daten und genaue Anschauungsbeispiele hierzu auffindbar wären.

104  G. Meyer-Hentschel, Der VöI, in: 10 Jahre VwGO, S. 103 (107); K. Neis, Die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft beim BVerwG, DVBl. 1968, 861 (863).

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Sachwortverzeichnis Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht  26 f. Abwägungsprozess, Abwägungsvorgang  36, 47 ff., 87, 114 Akkusationsprinzip  98 Akteneinsichtsrecht  56 f., 85, 118 Allgemeinheit  18, 23 ff., 43, 49, 94, 101 f., 145, 160 f., 215 amicus curiae  125 ff. Amtshilfe  21, 57 Amtsträger, Amtswalter  128, 131, 141 f., 198 Anhörungsrüge  67 ff., 152 Antrag  36, 64 f., 72, 74 ff., 81, 85, 89 f., 92, 150 Arbeitsgruppe VBI  132 f., 138 ff., 240 Aufopferungsähnliche Konstellation  89

Bund, Bundesrepublik  34 f., 37, 43, 88 ff., 92, 95, 242 Bundesministerium, Bundesressort  20 f., 30 f., 33, 36, 40, 147 f., 150, 166, 174, 190, 206, 213, 222 f., 226, 230, 237, 242 f. Bundesministerium der Finanzen  83 ff., 87 Bundesministerium des Innern  59, 128, 130, 132 f., 138 f., 222 Bundesministerium für Arbeit und Soziales  88, 91 f., 93 Bundesoberbehörde  128, 132 Bundesrechnungshof  36, 95, 192, 205, 222 f. Bundesregierung  21, 29 f., 32 ff., 49 f., 91, 131, 133 f., 138, 202, 218, 242 f. Bundesstaatsprinzip  46

Bearbeitungsphase  142 ff., 149, 185, 203, 243 Beigeladener, Beiladung  74 ff., 88 ff., 234 Beitrittsrecht gemäß § 75 Abs. 1 2 SGG  88 ff., 237 f. Beitrittsrecht gemäß § 122 Abs. 2 FGO  83 ff., 92, 237 f. Beschwer  68, 81, 152 Beteiligungserklärung  56 ff., 60, 64, 136 Beteiligungsschwerpunkt, Tätigkeitsschwerpunkt  186, 190, 242 Beteiligungsverzichtserklärung  59 ff., 143 f., 188 Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG  38, 99, 113, 121 f., 197, 199 f., 208, 214, 216, 225, 227, 232 f.

Devolutiveffekt  68 f. Dienstanweisung  17, 34, 36, 59, 132, 134 f., 146 ff., 152, 185 Dienstaufsicht  131, 134 Dispositionsbefugnis  62, 65, 75, 79 f., 85, 98, 110, 115, 225, 234 f. Dispositionsgrundsatz  62, 65, 100, 103, 112, 115, 123 f., 234 f., 239 Einflussvertreter  30 Entlastung von Gerichten  40, 42, 47, 52, 61, 217, 244 Entscheidungsgrundlage  27, 97, 108, 121, 127, 130, 177, 193, 199, 239, 242 Ermessen  31, 35, 37, 48, 51, 58, 126 f., 220, 232, 235, 241 Ermittlungs- und Anklagefunktion der Staatsanwaltschaft  97 ff.

Sachwortverzeichnis255 Ersetzung des OBA durch den VBI  15 f., 17, 30, 32 f., 43, S 133 ff., 137, 139, 141 f., 186, 193 f. Exekutive, vollziehende Gewalt  31 f., 35, 53, 98, 113, 115, 119, 129 f., 137, 197, 216, 232 Fachaufsicht  131, 134, 138 freiwillige Gerichtsbarkeit  106 ff. Geschäftsverteilung des VBI  139, 141, 186 gesellschaftliche Interessengruppen  24 gesellschaftliche Konflikte  51, 114, 238 Gewaltenteilung  34 f., 99, 119 Grundrechte  47, 51, 72, f. 183, 241 Hintergrundinformation  20, 31, 40, 51, 124 f., 127, 138, 142, 146, 148 f., 166, 169, 173, 177, 180, 182 ff., 193 f., 200, 203 f., 209 f., 213 ff., 229 f., 233, 239, 242 ff. Individualinteresse, Privatinteresse  27, 45, 48 ff., 110, 219 Informations- und Koordinationsfunk­ tion  42, 126, 185, 211, 244 Informationspflicht  56 f., 60 f. Informationsvorsprung  121, 231 Inquisitionsverfahren  99 Interesse (Definition)  44 Judikative  31, 98, 129 f., 136, 199 Justizgewährleistungsanspruch  68, 102 Klageänderung  65, 76 f., 79, 235 Klagebefugnis  28, 63, 81, 104 f., 113 Klagerücknahme  65, 76, 79, 110, 235 Kollegialorgan  32 f., 131, 133 f., 138, 218 Kontradiktorischer Prozess, kontradiktorisches Verfahren  55, 201 f., 209, 221, 234 f. Kriegsopferversorgung  88 f.

Legalitätsprinzip  98, 103 Leistungsverwaltung  31, 35 Mittler  29, 34, 42, 55, 98 Nichtigkeitsklage, Restitutionsklage  67 f., 81 Normenkontrollverfahren  114 Normkonkretisierungskonzept  48 öffentlich (Definition) 25 f., 44 ff. Opportunitätsprinzip  98 Parteiinteressen  31, 55, 88, 218, 221, 225 Parteiöffentlichkeit  57 Parteiprozess  25, 27, 38 Parteivertreter, Prozessvertreter  34, 50, 127, 132, 219, 242 Plädoyer  100, 150 Politischer Beamter  31, 137 Popularkläger  72 f. Prozessausgang, Prozesserfolg  18, 29, 208, 233 Prozessgegenstand  25 Prozessgegner  201, 219, 233, 236 rechtliches Gehör  57, 69 ff., 85, 152, 215 Rechtsdurchsetzung, Rechtsverwirk­ lichung  18 f., 21 ff., 47, 51, 69 f., 79, 93, 113, 129, 146, 198 ff., 238 Rechtsfortbildung  19, 109, 125, 145, 229, 237 Rechtsgut  54, 102, 108 Rechtspflegeorgan  70, 73, 78 f., 81, 129, 134, 136 f., 218 f., 230, 236, 242 Rechtssicherheit  48, 145, 199 Rechtsvereinheitlichung  109 Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG  113, 115 f., 124, 216 Revisionsinstanz  19 f., 24 f., 37, 40, 89, 98, 229 Revisionsverfahren, Anschlussrevision  36, 66 f., 81, 86, 88, 91, 109, 144, 153 ff., 182 f., 188 ff., 223, 240

256 Sachwortverzeichnis Sachkundiger Dritter  126 f., 239 Selbsthilfe  109, 113 Sitzungsvertreter  149 soziales Entschädigungsrecht  88 ff., 238 Spielraum  23, 36, 48, 51, 53, 89, 131, 214, 216, 220, 227 f., 240 Staatsanwaltschaft  73 f., 96 ff., 103 ff., 111, 123 f., 129, 136 f., 149, 201, 239 Staatshaftung  88, 94 Staatsziele  47 f., 53 Strafzweck  101 f. Streitgegenstand, Verfahrensgegenstand  63, 65, 74 ff., 100, 213 f., 220, 235 Streithelfer  34 f., 67, 138, 243 subjektives Recht  73, 77 f., 80, 102, 108 ff., 123, 207, 238 Suspensiveffekt  69 f. Tatbestandstechnik  50 Tätigkeitsbericht, Geschäftsbericht  152, 185 f., 191 f., 195 Über- und Unterordnungsverhältnis  26 f., 117 Umweltschutz  28 f. Unbestimmter Rechtsbegriff  19, 24, 43, 48, 54, 215, 241 Untersuchungsgrundsatz  103, 111 f., 115 ff., 200, 212 f., 221, 232 f., 234, 239 f.

Verbandsklage  28 f. Verfahrensbeschleunigung  40 f., 206, 217, 222, 240, 244 Vergleich  65, 76, 80. 202, 204, 222 Verhandlungsgrundsatz  110, 115, 117 ff., 121 ff. Vertreter des Ausgleichfonds  60, 207 Verwaltungsakt  53, 65, 118, 121, 208, 220, 224, 231 Verwaltungspraxis  18, 22 ff., 41, 51, 146 f., 152, 180, 183 ff., 210, 217, 237, 241 Verwaltungsprozessordnung  36, 196 Verzicht auf mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO  64 VöI auf Grundlage von § 36 Abs. 1 S. 1 VwGO  15, 17 f., 30, 37, 69, 165 f., 204 f., 236 f. Volkssouveränität  46 Votum  147 ff., 155, 201, 218 Waffengleichheit  57, 69, 118, 150, 201 f., 217 f., 219, 230 f., 233, 239 Weisungsgebundenheit, Weisungsrecht  30 ff., 87, 131, 133, 137 f., 218, 243 Wiederaufnahmeverfahren  70, 82 Zweipolig ausgestaltetes Verfahren  55, 225, 234