Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen [1 ed.] 9783428588503, 9783428188505

Bereits in fünf Bundesländern wurden gesetzliche Regelungen für gemeindliche Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen geschaffe

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German Pages 202 [203] Year 2023

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Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen [1 ed.]
 9783428588503, 9783428188505

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 110

Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohnerund Bürgerbefragungen Von Nicolai Fabian Götz

Duncker & Humblot · Berlin

NICOLAI FABIAN GÖTZ

Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Christia n Sei ler in Gemeinschaft mit J o c h e n v o n B e r n s t o r f f , M i c h a e l D r o e g e , M a r t i n He c k e l, K a r l -He r m a n n K ä s t n e r, F e r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t , M a r t i n Ne t t e s h e i m, G ü nt e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t , M i c h a e l R o n e l l e n f i t s c h, J o h a n n e s S a u r e r, Wo l f g a n g G r a f V i t z t hu m sämtlich in Tübingen

Band 110

Der verfassungsrechtliche Rahmen gemeindlicher Einwohnerund Bürgerbefragungen

Von Nicolai Fabian Götz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D21 Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-18850-5 (Print) ISBN 978-3-428-58850-3 (E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 17. Oktober 2022 statt. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von November 2022. Zu großem Dank verpflichtet bin ich meiner Doktormutter Frau Professor Dr. Barbara Remmert. Sie war jederzeit für Fragen zugänglich und hat die Arbeit durch ihre stets hilfreichen Anmerkungen weitergebracht. Das Engagement, mit dem sie die Entstehung der Dissertation begleitet hat, ist keineswegs selbstverständlich. Außerdem darf ich seit meinem zweiten Studiensemester Teil ihres Lehrstuhlteams sein. Vielen Dank für die herausragende Betreuung und die vielen schönen und lehrreichen Jahre am Lehrstuhl. Herrn Professor Dr. Johannes Saurer, LL. M. (Yale), danke ich für seine wertvollen Hinweise und für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herr Professor Dr. Christian Seiler hat die Arbeit in die Schriftenreihe „Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht“ aufgenommen. Auch ihm sei daher herzlich gedankt. Dank gebührt ferner meinen Freunden und allen ehemaligen und aktuellen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl. Sie waren mir stets zuverlässige Gesprächspartner und haben überdies für die notwendige Ablenkung im Promotionsalltag gesorgt. Der größte Dank gilt schließlich meiner Familie und insbesondere meinen Eltern. Ohne ihren Zuspruch und ihre unbedingte Unterstützung auf meinem bisherigen Lebensweg wäre diese Arbeit niemals entstanden. Tübingen, im Dezember 2022

Nicolai Götz

Inhaltsverzeichnis Einleitung 15 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

1. Kapitel

Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 21

A. Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I.

Keine rechtliche Bindungswirkung, sondern Entscheidungshilfe . . . . . . . . . . . . 21

II. Initiativberechtigung des Gemeinderats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Beschränkung auf Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 IV. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen und zur dialogischen Bürgerbeteiligung 26 I.

Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

II. Abgrenzung zur dialogischen Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 D. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I.

Befragung der Stadt Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens . . . . . . . . . . . . . . . 30

II. Befragung der Stadt Falkensee zum Bau eines Hallenbads . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads und eines Konzertsaals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV. Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des RheinNahe-Ecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 V. Befragung der Stadt Tübingen zur Sperrung der Mühlstraße . . . . . . . . . . . . . . . 33 VI. Befragung der Stadt Seligenstadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-MemlingSchule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 VII. Befragung der Gemeinde Holdorf zur Finanzierung von Straßensanierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

8

Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel



Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt? 37

A. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I.

Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

II. Rechtliche Wertung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I.

Notwendigkeit zusätzlicher Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Durchführung der Befragungen aufgrund gesetzlicher Regelungen . . . . . . . 42 2. Staatsvolk als Adressat der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Exkurs: Volksbegriff des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Verständnis auf Gemeindeebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Anderes Verständnis infolge der Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. An Wahlen und Abstimmungen orientierte Ausgestaltung der Befragung . . 47 a) Formell-gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Vorgaben aus gemeindlichen Satzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Satzung für Einwohnerbefragungen der Stadt Eisenach . . . . . . . . . . 50 bb) Hauptsatzung der Stadt Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 cc) Satzung über die Durchführung von Einwohnerbefragungen der Stadt Tübingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 dd) Einwohnerbeteiligungssatzungen der Stadt Brandenburg an der Havel und der Gemeinde Panketal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

II. Unterschied zwischen politischer und staatlicher Willensbildung . . . . . . . . . . . 54 III. Berücksichtigung des Kriteriums der Entscheidungsfindung für die Bestimmung der Zielsetzung einer Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Faktische Beeinflussung des Gemeinderats als Ziel der Befragung . . . . . . . 58 2. Maßgebliche Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Einordnung von Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I.

Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads und eines Konzertsaals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

II. Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des RheinNahe-Ecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Inhaltsverzeichnis

9

III. Befragung der Stadt Seligenstadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-MemlingSchule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

3. Kapitel Vereinbarkeit von Einwohner- und Bürgerbefragungen mit dem Grundsatz des freien Mandats 66



A. Verfassungsrechtliche Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Keine Bindung an Verpflichtungen und Aufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 C. Faktische Bindung durch Einwohner- und Bürgerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I.

Unmöglichkeit einer allgemeinen Aussage zur faktischen Bindung . . . . . . . . . . 71

II. Maßgebliches Kriterium: Bestehen einer faktischen Befolgungspflicht . . . . . . . 72 III. Zwangspotenzial von Einwohner- und Bürgerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . 73 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4. Kapitel

Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  77

A. Vorrang des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I.

Abschließender Charakter der Gemeindeordnung Baden-Württemberg? . . . . . . 79 1. Bereits bestehende Regelungen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung in ­Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Einwohnerinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Mitwirkung am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess . . . . . . . . . 80 c) Bürgerentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Exkurs: § 21 Abs. 1 GemO BW als Rechtsgrundlage für ­Befragungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 d) Initiierungsrechte der Einwohner- und Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Abschließender Charakter der Entscheidungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . 85 3. Beteiligungsformen unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens . . . . . . . . . 87 a) Gemeindeordnung von 1955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Beratungen im Landtag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Reform von 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Beratungen im Landtag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

10

Inhaltsverzeichnis c) Reform von 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 d) Reform von 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Anwendung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

B. Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I.

Wesentlichkeitsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

II. Verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung an die Gemeinden . . . . . . . . . . . . 103 1. Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Ausschließlichkeit der Kompetenzzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Anknüpfungspunkt 1: Kollision mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Anknüpfungspunkt 2: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt 109 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 C. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

5. Kapitel

Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 113

A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I.

Maßgebliches Kriterium: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt 113

II. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern an Befragungen mit Abstimmungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Verfassungsmäßigkeit von Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG als Öffnungsklausel zugunsten des Unionsrechts 117 b) Entscheidungsspielraum der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Begründung der Abstimmungsberechtigung anhand der unionsrechtlichen Maßgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters für die Befragungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I.

Keine expliziten verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

II. Befragungen mit Abstimmungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Prinzip der Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Inhaltsverzeichnis

11

a) Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Baden-württembergische Landesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. „Abstimmungsreife“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Befragungen ohne Abstimmungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 C. „Befragung“ nur bestimmter gesellschaftlicher Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

6. Kapitel

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 135

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand . . . . . . . . . . . . 135 I.

Verfassungsrechtliche Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Begrenzung auf den gemeindlichen Kompetenzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Ausnahme bei spezieller Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

II. Vorrang des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Begrenzung auf den Aufgabenbereich des Gemeinderats . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Aufgabenadäquate Verwaltungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 B. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung . . . . . 147 I.

Keine Beeinflussung der freien Willensbildung der Befragungsteilnehmer . . . . 147

II. Präzise Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Verknüpfung mehrerer Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

7. Kapitel Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Befragungsverfahren und an die Ermittlung des Befragungsergebnisses 155



A. Information der Teilnahmeberechtigten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I.

Notwendigkeit und Mittel der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

II. Information über die Auffassung der Gemeindeorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

12

Inhaltsverzeichnis

B. Befragungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I.

Präferenz für einen Sonn- bzw. Feiertag als Befragungstag . . . . . . . . . . . . . . . . 158

II. Zulässigkeit mehrtägiger bzw. mehrwöchiger Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Kein Verbot der Befragung bei parallelem Bürgerbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . 160 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I.

Befragungen mit Abstimmungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Anforderungen der Abstimmungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen und gleichen Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Grundsatz der öffentlichen Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Briefbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung . . . . . . 164 b) Verfassungsrechtliches Leitbild der Urnenabstimmung? . . . . . . . . . . . . 166 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Online-Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Die Abstimmungsgrundsätze als Herausforderung für die Realisierung von Online-Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung . . . . . . 168 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

II. Befragungen ohne Abstimmungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

8. Kapitel

Verfassungswidrige Einwohner- und Bürgerbefragungen 172

A. Widerspruch des Bürgermeisters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 B. Einschreiten der Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 C. Keine Auswirkungen auf die Entscheidung in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

9. Kapitel

Zusammenfassung und Entwurf eines Regelungsvorschlags 175

A. Inhaltliche Ausgestaltung des Regelungsvorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 I.

Initiativberechtigung des Gemeinderats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Inhaltsverzeichnis

13

II. Befragungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Teilnahmeberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 IV. Modalitäten der Stimmabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 B. Regelungsstandort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 C. Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Anhang

Bestehende gesetzliche Regelungen zu Einwohnerund Bürgerbefragungen 182

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

Einleitung A. Problemstellung Nachdem Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in alle Gemeindeordnungen Eingang gefunden haben,1 zählen sie, trotz mancher verfassungsrechtlicher2 und rechtspolitischer3 Bedenken, mittlerweile zu den klassischen Elementen direkter Demokratie auf gemeindlicher Ebene.4 Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt jedoch, dass das immer wieder artikulierte Bedürfnis5 nach mehr bürgerschaftlicher Mitbestimmung mit diesen Instrumenten allein noch nicht gestillt zu sein scheint.6

1

Siehe hierzu die Nachweise bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 768, 776. Die Arbeit orientiert sich im Folgenden maßgeblich am baden-württembergischen Landesrecht. In Baden-Württemberg enthielt schon die erste Gemeindeordnung aus dem Jahr 1955 Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, vgl. zur geschichtlichen Entwicklung in Baden-Württemberg den Überblick bei Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 21 GemO Rn. 1. 2 Vgl. v. Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag, S. 226; ders., JuS 1978, 396 (399 f.). Allgemein zur Stärkung der Bürgerbeteiligung Erbguth, DÖV  1995, 793 (796 ff.); Blümel, VVDStRL 1977, 171 (228 f.) m. w. N. 3 Vgl. hierzu etwa Muckel, NVwZ 1997, 223 (227 f.); Henneke, ZG 1996, 1 (3 ff.); H ­ endler, in: Henneke (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen der inneren Kommunalverfassung, S. 101 (107 ff.). Allgemein zur Frage, ob ein Ausbau direkter Demokratie aus rechtspolitischer Sicht sinnvoll ist Krause, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 35 Rn. 45 ff.; Erbguth, DÖV 1995, 793 (800 ff.). 4 Vgl. Röhl, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2 Rn. 129; Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 33; Schoch, in: FS Schmidt-Jortzig, S. 167 (168); Neumann, in: Mann / P üttner (Hrsg.), HKWP I, § 18 Rn. 4; Bock, BWGZ 2019, 456 (457). 5 Siehe etwa die Empfehlung des „Bürgergutachtens Demokratie“, die parlamentarischrepräsentative Demokratie mit weiteren Elementen der Bürgerbeteiligung und der direkten Demokratie zu ergänzen. Das „Bürgergutachten Demokratie“ wurde 2019 u. a. auf Initiative von Mehr Demokratie e. V. von 160 zufällig ausgewählten und freiwillig teilnehmenden Bürgern, dem „Bürgerrat Demokratie“, verfasst. Vgl. das „Bürgergutachten Demokratie“, S. 9, abrufbar unter https://www.buergerrat.de/fileadmin/downloads/buergergutachten.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 6 So bezweckte etwa die baden-württembergische Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 2015, der u. a. die Herabsenkung der Quoren bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid und die Öffnung der Instrumente des Bürgerantrags und der Bürgerversammlung für die gesamte Einwohnerschaft zum Gegenstand hatte, dass „die Beteiligungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene für die gesamte Bevölkerung verbessert werden“, vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 1. Siehe zu dieser Reform auch Kap. 4 A. I. 3. d).

16

Einleitung

Es ist vielmehr zu beobachten, dass die Gemeinden7 zunehmend auch auf andere Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung zurückgreifen. Ein Instrument scheint in jüngerer Zeit dabei besonders beliebt zu sein: die Einwohner- bzw. Bürgerbefragung.8 Diese zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass auf die Initiative der Gemeinde hin Einwohner bzw. Bürger9 zu einem die Gemeinde betreffenden Thema befragt werden, ohne dass dem Votum eine rechtliche Bindungswirkung für den Gemeinderat10 zukommt.11 Bereits in fünf Bundesländern wurden spezielle gesetzliche Regelungen für Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen geschaffen.12 Befragungen finden aber auch in den Bundesländern statt, deren Gemeindeordnung hierfür keine gesetzliche Grundlage vorsieht, wie beispielsweise in Baden-Württemberg.13 Die Anforderungen, die bei der Durchführung von Befragungen zu beachten sind, ergeben sich dann allein aus dem Verfassungsrecht. Darum ist es das Ziel dieser Untersuchung, die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen herauszuarbeiten. Es ist zwar anerkannt, dass das Grundgesetz die Einführung direktdemokra­ tischer Elemente auf Gemeindeebene nicht grundsätzlich verbietet.14 Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG15 fordert lediglich ein gewisses Mindestmaß an Homogenität und keine 7

Die Möglichkeiten unmittelbarer Einwohner- und Bürgerbeteiligung sind auf Gemeindeebene besonders stark ausgeprägt, vgl. Burgi, Kommunalrecht, § 11 Rn. 32 und die überblicksartige Darstellung anhand der GemO BW bei Bock, BWGZ 2019, 456 (456 ff.). Die Arbeit beschränkt sich daher auf die Ebene der Gemeinden. 8 Vgl. Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 782; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (12); Drescher, Die Verwaltung 2014, 263 (267). 9 Im Folgenden verwendet die Arbeit allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit die männliche Form. Alle weiteren Geschlechter sind aber selbstverständlich mit eingeschlossen. 10 In Anlehnung an das baden-württembergische Gemeinderecht bezeichnet die Arbeit das Hauptorgan der Gemeinde als Gemeinderat (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW). Siehe zur Terminologie in den anderen Bundesländern Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 402. 11 Vgl. Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 24, 30; S­ chellenberger, VBlBW 2014, 46 (47); Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 782 ff.; Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 191; Armbruster, in: Kunze / Bronner /  Katz, GemO BW, § 21 Rn. 1b. 12 Zur geschichtlichen Entwicklung des Beteiligungsinstruments Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 51 ff. 13 Siehe zu einzelnen Beispielen Kap. 1 D. 14 Ausführlich dazu und m. w. N. Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 114 ff. Siehe ferner Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (40 f.), der für die grundsätzliche Aufgeschlossenheit der Verfassung konkret für Bürgerbefragungen einen Erst-recht-Schluss anführt: „Steht es den Ländern offen, die Entscheidung der Bürger in Gestalt eines Bürgerentscheids oder eines auf Veranlassung des Rates durchgeführten Referendums in verfassungsrechtlich zulässiger Weise an die Stelle eines Beschlusses des Gemeinderates treten zu lassen, dann gilt das für die Einführung einer Befragung der Bürger erst recht.“ 15 Gesetz vom 23. 05. 1949, BGBl. S. 1, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 28. 06. 2022, BGBl. I S. 968.

A. Problemstellung

17

Uniformität,16 sodass die Länder und damit auch die Gemeinden der dezidiert repräsentativen Ausgestaltung der Demokratie auf Bundesebene durch das Grundgesetz17 nicht in vollem Umfang Folge zu leisten brauchen.18 Gleichwohl wird sich zeigen: So vermeintlich „einfach und bequem“19 die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen auch sein mag – in verfassungsrechtlicher Hinsicht sind die Befragungen keineswegs unproblematisch. Beispielsweise ist zu klären, ob Einwohner- und Bürgerbefragungen dazu führen, dass das freie Mandat des Gemeinderats20 in einer unzulässigen Art und Weise beeinträchtigt wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass durch das Votum der Einwohner bzw. Bürger für die Gemeinderäte jedenfalls eine faktische Bindung entsteht, was zur Folge haben könnte, dass sie bei der Abstimmung im Gemeinderat nicht mehr nur nach ihrer freien Überzeugung21 entscheiden. Außerdem ist zu ermitteln, ob die Befragung von Einwohnern und Bürgern in Baden-Württemberg und in den anderen Bundesländern, in denen noch keine gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, in Einklang mit dem Grundgesetz steht. Aus Art. 20 Abs. 3 GG folgt, dass auch die Gemeinden an Recht und Gesetz gebunden sind.22 Das bedeutet: Wenn Gemeinden eigenständig, d. h. ohne dafür eine gesetzliche Regelung vorzufinden, Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen einführen wollen, dürfen sie die höherrangigen Vorgaben der Rechtsordnung nicht missachten. Jedenfalls in den Bundesländern, in denen es noch keine gesetzliche Grundlage für Befragungen gibt, könnte eine solche schon deswegen notwendig sein, weil die in der Gemeindeordnung bereits geregelten Beteiligungsmöglichkeiten ggfs. abschließenden Charakter haben. In diesem Fall könnten die Gemeinden ohne eine gesetzliche Regelung keine neuen Beteiligungsformen und damit auch keine Einwohner- und Bürgerbefragungen einführen, ohne gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten23 Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes zu verstoßen.

16

BVerfGE 24, 367 (390); 36, 342 (361); 41, 88 (119); 60, 175 (207 f.); 90, 60 (84 f.); 103, 332 (349); Dittmann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VI, § 127 Rn. 15. 17 Vgl. dazu Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 112, 114. 18 Dittmann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VI, § 127 Rn. 18; vgl. Huber, AöR 2001, 165 (177 f.); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 I Rn. 64; Schwarz, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 47; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 70. 19 So das Urteil des Tübinger Oberbürgermeisters Palmer über die Tübinger „BürgerApp“ gegenüber der Stuttgarter Zeitung, vgl. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.aaron projects-aus-leonberg-der-wille-des-volkes-via-wischen-und-antippen.4e1a6228-a5b4-48a9a21a-275309c7b8f3.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 20 § 32 Abs. 3 GemO BW. Zur verfassungsrechtlichen Verankerung dieses Grundsatzes siehe Kap. 3 A. 21 Vgl. § 32 Abs. 3 S. 1 GemO BW. 22 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 107; vgl. Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 VI Rn. 71. 23 Siehe z. B. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG  II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 92; ­Hölscheidt, JA 2001, 409 (409) sowie Kap. 4 A.

18

Einleitung

Ferner ist fraglich, ob aus dem im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip wurzelnden24 Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes folgt, dass Befragungen nur aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage durchgeführt werden können. Ein Anknüpfungspunkt hierfür könnte sich z. B. daraus ergeben, dass Einwohnerund Bürgerbefragungen mit dem im Grundgesetz angelegten Prinzip der repräsentativen Demokratie25 in Konflikt geraten. Näherer Begutachtung bedarf etwa auch die Frage, wer an den Befragungen zulässigerweise teilnehmen darf. Mit Ausnahme von § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA nehmen die bestehenden Regelungen jeweils nicht den Bürger, sondern den Einwohner in den Blick. Der Begriff des Einwohners ist im Vergleich zu dem des Bürgers weiter gefasst. Nach § 10 Abs. 1 GemO BW26 ist Einwohner einer Gemeinde, wer in der Gemeinde wohnt.27 Bürger ist nach § 12 Abs. 1 S. 1 GemO BW dagegen nur derjenige, der Deutscher i. S. v. Art. 116 GG oder Unionsbürger ist, das 16. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnt. Gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Staatsgewalt in den Ländern28 und damit auch in den Gemeinden29 u. a. vom Volke in Wahlen, d. h. durch Personalentscheidungen,30 und Abstimmungen, das sind Sachentscheidungen,31 ausgeübt. Stellt man sich, im Anschluss an die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur,32 auf den Standpunkt, dass das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG erwähnte Volk das deutsche Staatsvolk33 meint, so müssten ausländische Einwohner von der Teilnahme an Abstimmungen konsequenterweise ausgeschlossen sein. Für den Themenbereich dieser Arbeit heißt das also: Jedenfalls dann, wenn die Teilnahme an den gemeindlichen Befragungen als Ausübung von Staats-

24 Siehe etwa Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 69; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 6 sowie Kap. 4 B. I. 25 Siehe dazu Kap. 4 B. III. 1. 26 Gesetz i. d. F. vom 24. 07. 2000, GBl. S. 581, ber. S. 698, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 02. 12. 2020, GBl. S. 1095, 1098. 27 Zur Anwendung kommt hierbei nicht der subjektiv geprägte Wohnsitzbegriff des § 7 BGB, sondern ein öffentlich-rechtlicher Wohnsitzbegriff, nach dem die Wohnnutzung aufgrund einer objektiven Begutachtung zu beurteilen ist, Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 10 GemO Rn. 2; Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 721. 28 Vgl. BVerfGE 83, 60 (71); Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 41. 29 Vgl. Röhl, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2 Rn. 21; Ennuschat, in: ders. / I bler / Remmert, Öffentliches Recht in Baden-Württemberg, § 1 Rn. 35. 30 Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 110; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 31. 31 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 99; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 31. 32 Siehe z. B. Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 81 m. w. N. und später unter Kap. 2 B. I. 2. a). 33 Zu den Deutschen im Sinne des Grundgesetzes zählt gem. Art. 116 Abs. 1 Var. 2 auch, wer als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte bzw. Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. 12. 1937 Aufnahme gefunden hat.

B. Stand der Forschung

19

gewalt und die Befragungen damit als Abstimmungen zu qualifizieren sind, ist die Beteiligung von ausländischen Einwohnern als verfassungswidrig einzustufen.

B. Stand der Forschung Das zunehmende praktische Interesse an Einwohner- und Bürgerbefragungen hat dazu geführt, dass dieses Beteiligungsinstrument in der Vergangenheit schon öfter Gegenstand umfassenderer rechtswissenschaftlicher Arbeiten war. Hervorzuheben ist aus der jüngeren Zeit34 insbesondere die Dissertation von Dittloff35. Ferner hat Martini36 den Befragungen einen umfangreichen Aufsatz gewidmet und sich dabei nicht nur auf kommunale, sondern auch auf staatliche Befragungen bezogen. Aber auch die überblicksartige Abhandlung von Schellenberger37 und die Kommentierungen38 zu den bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zu kommunalen Befragungen sollen nicht unerwähnt bleiben. Daneben gibt es einige aktuellere Stellungnahmen speziell zu Befragungen auf staatlicher Ebene.39 Gleichwohl besteht weiterhin Forschungsbedarf, denn es fällt auf, dass die verfassungsrechtliche Bewertung der Befragungsteilnahme in den bisherigen Arbeiten überwiegend keine größere Beachtung findet. Bezüglich der Frage nach der Teilnahmeberechtigung ist bereits angeklungen, dass gerade diesem Aspekt für die rechtmäßige Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen eine herausragende Bedeutung zukommt.40 Sofern die Literatur hierzu Stellung nimmt, geht sie im Anschluss an die sog. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts41 größtenteils davon aus, dass die Teilnehmer einer Befragung an der staatlichen Willensbildung mitwirken und damit Staatsgewalt ausüben.42 34 Vgl. auch die schon etwas älteren Arbeiten von Rommelfanger, Das konsultative Referendum und Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen. 35 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen. 36 Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (11 ff.). 37 Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (46 ff.). 38 Siehe etwa Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf; Seybold, in: BeckOK Kommunalrecht Nds, § 35. 39 Siehe insbesondere Burgi, ZG 2015, 34 (34 ff.); Möstl, BayVBl. 2015, 217 (217 ff.); Thum, BayVBl. 2015, 224 (224 ff.); Grzeszick, in: FS Jung, S. 127 (127 ff.); Pautsch, in: FS Jung, S. 143 (143 ff.). Die aktuelleren Veröffentlichungen zu Befragungen auf staatlicher Ebene lassen sich u. a. dadurch erklären, dass in Bayern durch § 1 des Gesetzes vom 23. 02. 2015, GVBl. S. 18, ein neuer Art. 88a BayLWG geschaffen wurde, der die Möglichkeit von Volksbefragungen auf Landesebene vorsah. Die Vorschrift wurde vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof wegen eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 2 BV allerdings für verfassungswidrig erklärt, BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (319 ff.). 40 Einleitung A. 41 BVerfGE 8, 104 (104 ff.); 8, 122 (122 ff.). Dazu ausführlich Kap. 2 A. 42 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 57 ff., 252; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (21 f.); Möstl, BayVBl. 2015, 217 (220); Thum, BayVBl. 2015, 224 (225). Siehe zudem die weiteren Nachweise in Kap. 2 Fn. 5, 6.

20

Einleitung

Da sich die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts primär auf die Volksbefragungsgesetze der Länder Hamburg und Bremen aus dem Jahr 1958 bezieht und da diesen Konstellationen der spezifische kommunalrechtliche Bezug fehlt, ist aber fraglich, ob eine bloße „Übernahme“ dieser Rechtsprechung der Lösung des Problems im Hinblick auf die heutigen gemeindlichen Befragungen gerecht wird. Die vorliegende Arbeit setzt daher genau an dieser Stelle an. Ausgehend von der Volksbefragungsrechtsprechung überprüft sie, inwieweit die Teilnahme an einer Befragung als Ausübung von Staatsgewalt angesehen werden kann. Erst im Anschluss daran werden die Anforderungen, die aus verfassungsrechtlicher Sicht an gemeindliche Befragungen zu stellen sind, untersucht.

C. Gang der Untersuchung Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Als Grundlage für die weitere Untersuchung wird in Kapitel 1 das Instrument der Befragung näher definiert und von demoskopischen Umfragen und der dialogischen Bürgerbeteiligung abgegrenzt. Zudem wird die Wirkungsweise anhand von Beispielen veranschaulicht. Das Ziel von Kapitel  2 ist es, herauszufinden, unter welchen Voraussetzungen die Teilnahme an Einwohner- und Bürgerbefragungen als Ausübung von Staatsgewalt zu qualifizieren ist. Kapitel 3 behandelt die Vereinbarkeit von Befragungen mit dem Grundsatz des freien Mandats. Kapitel 4 überprüft, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen die Notwendigkeit besteht, für die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen Regelungen in die Gemeindeordnungen einzufügen. Im Anschluss daran widmet sich Kapitel 5 den Bedingungen, die das Verfassungsrecht an den Kreis der Befragungsteilnehmer stellt. Kapitel 6 nimmt die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Fragestellung in den Blick, bevor Kapitel 7 die Anforderungen an die verfahrensrechtliche Ausgestaltung von Befragungen thematisiert. Kapitel 8 untersucht, wie die Rechtsordnung auf den Beschluss und die Durchführung verfassungswidriger Einwohner- und Bürgerbefragungen reagiert. Die sich anschließende Zusammenfassung in Kapitel 9 wird durch einen rechtspolitischen Vorschlag ergänzt: Die Ergebnisse der Arbeit sollen Anlass und Ausgangspunkt sein, um für die baden-württembergische Gemeindeordnung eine Regelung zu Einwohner- und Bürgerbefragungen zu entwerfen.

1. Kapitel

Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele Das Anliegen des nachfolgenden Kapitels ist es, die Basis für die weitere Untersuchung zu legen und das Instrument der gemeindlichen Einwohner- und Bürgerbefragung näher zu erläutern. Eine Definition findet sich in den bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht. Auch in der einschlägigen Literatur hat sich, soweit ersichtlich, noch keine feststehende Begriffsbestimmung herausgebildet.1 Um den Untersuchungsgegenstand möglichst präzise definieren zu können, geht die Arbeit zunächst auf die Kennzeichen von Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen ein und grenzt diese von demoskopischen Umfragen und der dialogischen Bürgerbeteiligung ab. Zur Veranschaulichung werden zudem einige Beispiele vorgestellt.

A. Kennzeichen I. Keine rechtliche Bindungswirkung, sondern Entscheidungshilfe Wie in der Einleitung bereits angedeutet, zeichnen sich Einwohner- und Bürgerbefragungen dadurch aus, dass die Einwohner bzw. Bürger zu einem die Gemeinde betreffenden Thema Stellung nehmen können, ohne dass das Ergebnis der Befragung für den Gemeinderat in rechtlicher Hinsicht verbindlich ist.2 1 So beschreibt z. B. Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (47) die Bürgerbefragung eher abstrakt als „Befragung der wahlberechtigten Bürger zu einer bestimmten Angelegenheit aufgrund staatlicher Initiative ohne [Hervorhebung im Original] Bindungswirkung des gefundenen Ergebnisses.“ Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 191 dagegen definiert die Bürgerbefragung in Anlehnung an den Bürgerentscheid: „Die Bürgerbefragung ist eine dem Bürgerentscheid verwandte Form bürgerschaftlicher Mitwirkung in der Gemeinde. Sie ist gleichfalls eine Abstimmung der Bürger über ein Sachproblem, ihr Ergebnis ist jedoch von weit geringerem Gewicht, da es keine Entscheidungskraft hat, sondern lediglich Entscheidungshilfe für den Gemeinderat und damit für diesen nicht verbindlich ist.“ 2 In der Literatur wird das Instrument der Befragung auch teilweise als „konsultativ“ bezeichnet, vgl. z. B. Brenner, in: Stern / Sodan / Möstl (Hrsg.), Staatsrecht  II, § 30 Rn. 60; Krause, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 35 Rn. 23; Pestalozza, NJW 1981, 733 (735); ­Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (46); Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 80; zudem spricht § 16c Abs. 3 S. 1 GO SH von einer „konsultative[n] Befragung“. Da die rechtliche Unverbindlichkeit des Ergebnisses aber ohnehin ein Charakteristikum der Befragung ist, kann die zusätzliche Betitelung als „konsultativ“ unterbleiben. In diese Richtung auch Burgi, ZG 2015, 34 (38); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 31 Fn. 10; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 76; Schnapauff, VR 1983, 326 (326).

22

1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

Auffallend ist hierbei, dass von den bestehenden gesetzlichen Regelungen lediglich § 16c Abs. 3 S. 4 GO SH ausdrücklich festlegt, dass die Gemeindevertretung an das Ergebnis der Befragung nicht gebunden ist.3 Die explizite Anordnung der rechtlichen Unverbindlichkeit in dieser Bestimmung legt zunächst den Umkehrschluss nahe, dass in den Fällen, in denen eine solche Regelung nicht besteht, von einer Bindungswirkung auszugehen ist. In der Literatur wird dieser Standpunkt jedoch nicht vertreten. Es herrscht stattdessen Einigkeit, dass das Befragungsergebnis rechtlich nicht verbindlich ist.4 Demzufolge kommt den Befragungen selbst auch keine Entscheidungskraft zu.5 Das wird zumeist zwar nicht näher begründet. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht jedoch schon ein Vergleich der Einwohner- bzw. Bürgerbefragung mit dem Bürgerentscheid. Wie bei der Befragung geht es beim Bürgerentscheid darum, dass die Bürger zu einer Angelegenheit, für die der Gemeinderat zuständig ist, Stellung nehmen können (vgl. § 21 Abs. 1 GemO BW). Beim Bürgerentscheid kommt allerdings hinzu, dass die Bürger anstelle des Gemeinderats entscheiden und die Entscheidung daher auch wie ein Gemeinderatsbeschluss wirkt (vgl. § 21 Abs. 8 S. 1 GemO BW).6 Würde man nun auch der Befragung Entscheidungskraft und damit eine rechtliche Bindungswirkung zuschreiben, so wären die Überschneidungen mit dem Bürgerentscheid derart groß, dass man die Befragung selbst nicht mehr als ein eigenständiges Rechtsinstitut ansehen könnte. Somit ist davon auszugehen, dass die rechtliche Unverbindlichkeit des Ergebnisses ein der Einwohner- bzw. Bürgerbefragung immanentes Wesensmerkmal ist.7 Der Sinn und Zweck der in dieser Arbeit betrachteten Einwohner- und Bürgerbefragungen liegt also nicht darin, die Einwohner bzw. Bürger anstelle des Gemeinderats eine Entscheidung treffen zu lassen, sondern darin, diesen im Vorfeld seiner Entscheidung zu unterstützen. Denn der Gemeinderat ist, bevor er eine Entscheidung trifft, darauf angewiesen, über hinreichende Informationen zu dem zu 3

Beispielsweise ordnet auch § 1 Abs. 3 S. 1 der Satzung der Stadt Tübingen über die Durchführung von Einwohnerbefragungen i. d. F. vom 02. 07. 2020 die Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses für den Gemeinderat explizit an. Die Satzung ist abrufbar unter https://www. tuebingen.de/verwaltung/uploads/einwohnerbefragung.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 4 Siehe hierzu bereits die Nachweise in Einleitung Fn. 11 und darüber hinaus Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (23); Brenner, in: Stern / Sodan / Möstl (Hrsg.), Staatsrecht II, § 30 Rn. 60; Neumann, Sachunmittelbare Demokratie I, Rn. 240; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 76; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 30; Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 162; Grzeszick, in: ­Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  20 II Rn.  116; Schnapauff, VR 1983, 326 (326). 5 Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 191; vgl. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 76; Schnapauff, VR 1983, 326 (326). 6 Vgl. Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 191. 7 Nach Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 31 f., der sich in seiner Argumentation auf die niedersächsische und die saarländische Regelung stützt, deutet auch die Tatsache, dass die Gesetzgeber den Begriff der Befragung wählten, auf die Unverbindlichkeit des Ergebnisses hin, denn „[w]äre das Ziel der Gesetzgeber die Regelung der Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses gewesen […], hätten diese sicherlich nicht den Begriff der Befragung verwendet.“

A. Kennzeichen

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entscheidenden Sachverhalt zu verfügen.8 Dieser Zielsetzung werden Befragungen insofern gerecht, als der Gemeinderat mit ihnen ermitteln kann, welche Auffassung die Einwohner- bzw. Bürgerschaft zu dem zu entscheidenden Themenbereich hat.9 Für den Gemeinderat sind Befragungen also ein Instrument der Information10 und vor allem – das wird im Folgenden ein bedeutendes Kriterium sein – ein Instrument der Entscheidungshilfe11.

II. Initiativberechtigung des Gemeinderats Ein weiteres Charakteristikum ist darin zu sehen, dass die Initiative zur Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen beim Gemeinderat liegt. § 35 S. 1 NKomVG, § 20b Abs. 1 SaarlKSVG und § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA legen das ausdrücklich fest. Es ist zwar auch denkbar, dass die Initiative auf die Einwohner bzw. Bürger12 selbst zurückgeht.13 § 13 S. 2 BbgKVerf und § 16c Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 16g Abs. 3 S. 1 GO SH lassen das ihrem Wortlaut nach zu.14 Da Beispiele hierfür in der Praxis allerdings nicht ersichtlich sind, beschränkt sich die Arbeit im Folgenden auf vom Gemeinderat initiierte Befragungen.15 Ein Initiativrecht der Einwohner bzw. 8

Vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 225 (226); Herbert, NVwZ 1995, 1056 (1058); Gusy, in: Voßkuhle / Eifert / Möllers (Hrsg.), GVwR I, § 23 Rn. 3; allgemein zur Notwendigkeit von Wissen als Voraussetzung staatlichen Handelns Voßkuhle, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 1. Ein umfassendes „Informationsrecht“ des Gemeinderats als Hauptorgan der Gemeinde (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW) ist nicht ausdrücklich geregelt. Dass sich ein Gemeinderat vor einer Entscheidung informieren können muss, ist allerdings eine Selbstverständlichkeit, vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 141; siehe auch VG Ansbach, BayVBl. 1971, 194 (194 f.). 9 Vgl. den Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56; Ziegler, in: Kühne / Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung, S. 121 (137). 10 Vgl. Knemeyer, in: FS Küchenhoff, S. 557 (567); Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 37; Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56. 11 Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 191; Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 (90); Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (18), der die Befragung zudem anschaulich als „Stethoskop der Demokratie, das den Herzschlag des Volkes abhört“ beschreibt (a. a. O., S. 18 f.). 12 Zu den Anforderungen, die aus rechtlicher Sicht bei der Einführung eines Initiativrechts der Einwohner- bzw. Bürgerschaft einzuhalten sind, siehe Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 193 f. 13 Siehe in Bezug auf ein Initiativrecht des Volkes bei Volksbefragungen Neumann, Sachunmittelbare Demokratie I, Rn. 243. § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Satzung für Einwohnerbefragungen der Stadt Eisenach vom 21. 10. 2014 (näher dazu Kap. 2 B. I. 3. b) aa)) sieht zwar vor, dass vier vom Hundert der Einwohner Eisenachs die Durchführung einer Befragung verlangen können. Dass hiervon in der Praxis tatsächlich Gebrauch gemacht wurde, ist nicht ersichtlich. 14 Siehe in Bezug auf § 13 BbgKVerf Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 62. 15 Nicht als Befragungen im Sinne dieser Arbeit werden solche Befragungen angesehen, die als Anhörung im Vorfeld von gemeindlichen Neugliederungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die Initiative geht hier letztlich nicht auf den Gemeinderat, sondern auf den Gesetz-

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

Bürger lässt sich überdies nur schwer mit dem Sinn und Zweck von Befragungen als Entscheidungshilfe für den Gemeinderat vereinbaren.16

III. Beschränkung auf Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats Die Konzeption der Befragung als Entscheidungshilfe für den Gemeinderat erlangt zudem mit Blick auf den Befragungsgegenstand Bedeutung: Wenn die Einwohner- bzw. Bürgerbefragung dazu gedacht ist, den Gemeinderat bei seiner Entscheidung zu unterstützen, kann sie das nur dann, wenn der Gegenstand der Frage einem Themenkreis entstammt, über den der Gemeinderat selbst auch entscheiden kann.17 Bei dem Thema der Frage muss es sich also um eine Angelegenheit handeln, die in die Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats fällt (vgl. § 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW).18

IV. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten Ein weiteres Kennzeichen der Einwohner- bzw. Bürgerbefragung könnte darin zu sehen sein, dass die Antwortmöglichkeiten von den Gemeinden abschließend vorgegeben werden müssen. Anhaltspunkte für diese These finden sich in den bestehenden gesetzlichen Regelungen zwar nicht.19 Aber auch sie lässt sich mit dem beratenden Charakter der Befragung begründen. Denn die Bestimmung der Einwohner- und Bürgerbefragung als Instrument der Entscheidungshilfe selbst impliziert schon, dass sie nur dann zum Einsatz kommt, wenn der Gemeinderat überhaupt das Ziel verfolgt, über den Befragungsgegenstand eine Entscheidung herbeizuführen. Das Treffen von Entscheidungen setzt aber wiederum voraus, dass geber zurück. Nach § 8 Abs. 2 S. 3 GemO BW sind die in dem betroffenen Gebiet wohnenden Bürger vor der Beschlussfassung über die Vereinbarung einer freiwilligen Gebietsänderung anzuhören. Gem. § 8 Abs. 5 GemO BW, § 40 S. 1 KomWG BW finden auf die Anhörung grundsätzlich die Vorschriften zur Wahl des Bürgermeisters Anwendung. Da die Anhörung nur informatorischen Charakter hat, ist sie letztlich also wie eine Befragung ausgestaltet. Siehe dazu (und zu entsprechenden Vorschriften in anderen Bundesländern) Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 186 ff.; Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 8 GemO Rn. 4.1. 16 Zu weiteren rechtspolitischen Argumenten gegen eine Initiativberechtigung der Einwohner bzw. Bürger Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 194 ff. 17 Vgl. Ziegler, in: Kühne / Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung, S. 121 (138). 18 So auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (45). Nach Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 783 können Befragungen auch Angelegenheiten erfassen, für die der Bürgermeister zuständig ist. Ausführlich zur genauen Eingrenzung der möglichen Befragungsgegenstände Kap. 6 A. 19 Vgl. § 35 NKomVG, § 16c Abs. 3 GO SH, § 20b SaarlKSVG, § 28 Abs. 3 KVG LSA, § 13 S. 2 BbgKVerf.

A. Kennzeichen

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es mehrere Handlungsalternativen gibt.20 Das bedeutet also: Für die Anwendung von Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen ist nur dann Raum, wenn für den Gemeinderat in der jeweils betreffenden Angelegenheit mehrere Handlungsalternativen bestehen. Würden die Gemeinden den Befragungsteilnehmern keine Antwortmöglichkeiten vorgeben und sie stattdessen frei antworten lassen, würde dies dem Gemeinderat zwar ein sehr detailliertes Bild über die Meinungen der Einwohnerbzw. Bürgerschaft zum Befragungsgegenstand vermitteln. Aus den unterschiedlichen Antworten ließe sich jedoch kaum ablesen, welche der dem Gemeinderat möglichen oder von ihm überhaupt in Betracht gezogenen Handlungsalternativen die Einwohner bzw. Bürger befürworten. Damit die Gemeinden Einwohner- und Bürgerbefragungen als taugliche Entscheidungshilfen einsetzen können, müssen sie die Antwortmöglichkeiten also vorab festlegen.21 Bei der Ausgestaltung der Antwortmöglichkeiten sind die Gemeinden frei. Anknüpfungspunkte dafür, dass, ähnlich wie z. B. beim Bürgerentscheid, nur die Antwortalternativen „Ja“ oder „Nein“ denkbar sind22 (vgl. § 53 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 S. 2 KomWO BW23)24, bestehen nicht.25 Das zeigen im Übrigen auch Beispiele aus der Praxis.26 20

Vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, Stichwort „entscheiden“. So im Ergebnis auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 294, der seine Begründung jedoch auf den Charakter der Befragungen als „Massenabstimmungsverfahren“ stützt. Dass die Gemeinden die Antwortmöglichkeiten vorgeben müssen, hat jedoch nicht zur Folge, dass sie ihren Einwohnern bzw. Bürgern in keinem Fall „offene“ Fragen stellen können. Z. B. können die Gemeinden auch von dem Instrument der demoskopischen Umfrage Gebrauch machen. Näher zur Abgrenzung der Einwohner- und Bürgerbefragungen von demoskopischen Umfragen sogleich unter Kap. 1 B. I. 22 So aber Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (47), der seine Auffassung jedoch nicht näher begründet und stattdessen auf BVerfGE 8, 104 (112) verweist. Der Hinweis auf das Bundesverfassungsgericht geht jedoch schon deswegen fehl, weil sich die Entscheidung lediglich auf die Volksbefragungsgesetze der Länder Hamburg und Bremen aus dem Jahr 1958 bezieht (vgl. BVerfG, a. a. O). Ausführlich zu dieser sog. Volksbefragungsrechtsprechung Kap. 2 A. 23 Rechtsverordnung vom 02. 09. 1983, GBl. S. 459, zuletzt geändert durch Rechtsverordnung vom 09. 12. 2020, GBl. S. 1194. 24 Der Koalitionsvertrag 2021–2026 zwischen Bündnis  90/Die Grünen Baden-Württemberg und der CDU Baden-Württemberg, S. 90, sieht die Einführung der Stichfrage bei Bürgerentscheiden vor, „sodass auch über bis zu zwei konkurrierende Vorschläge abgestimmt werden kann.“ Der Koalitionsvertrag ist abrufbar unter https://www.baden-wuerttemberg.de/ fileadmin/redaktion/dateien/PDF/210506_Koalitionsvertrag_2021-2026.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 25 Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (23); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 293; siehe auch Schneider, in: GS Jellinek, S. 155 (170), nach dem bei Volksabstimmungen, abgesehen von dem Fall, dass eine „Unterfrage“ gestellt wird, eine weitere Aufspaltung der Frage „nicht üblich und praktisch auch nicht durchführbar“ ist. Die praktische Unüblichkeit an sich spricht jedoch nicht gegen die rechtliche Zulässigkeit anderer Antwortmöglichkeiten als „Ja“ und „Nein“. Im Übrigen könnten die Bedenken gegen die Praxistauglichkeit durch die vermehrte Anwendung von Online-Modulen beseitigt werden, da diese ein hohes Differenzierungspotenzial aufweisen, siehe hierzu wiederum Martini, a. a. O., S. 65 f. 26 Siehe etwa die später noch näher erläuterten Befragungen der Städte Tübingen und Seligenstadt und der Gemeinde Holdorf, Kap. 1 D. III., V., VI., VII. 21

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

B. Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen und zur dialogischen Bürgerbeteiligung I. Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen Dass Gemeinden neben Einwohner- und Bürgerbefragungen insbesondere auch von demoskopischen Umfragen27 Gebrauch machen, um von der Bevölkerung ein Meinungsbild einzuholen, zeigt das Beispiel der rheinland-pfälzischen Gemeinde Grafschaft.28 Vom 7. November bis zum 9. Dezember 2016 führte ein auf kommunale Meinungsforschung spezialisiertes Institut, das die Gemeinde Grafschaft im Zuge der Anfertigung eines Gemeindeentwicklungskonzepts beauftragt hatte, eine telefonische Befragung durch, um die Meinungen und Wünsche der Bürger bezüglich der bisherigen und künftigen Entwicklung der Gemeinde zu ermitteln.29 Dem Instrument der Befragung und dem der demoskopischen Umfrage ist gemein, dass das Ergebnis für die Entscheidungsträger in rechtlicher Hinsicht jeweils nicht verbindlich ist.30 Gleichwohl bestehen bei näherer Betrachtung einige Unterschiede: Zunächst werden demoskopische Umfragen typischerweise von privaten Meinungsforschungsinstituten durchgeführt.31 Die Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen organisieren die Gemeinden dagegen selbst. Demoskopische Umfragen sind zudem repräsentativ.32 Sie zielen also nicht darauf ab, die Stellungnahmen aller Einwohner bzw. Bürger einzuholen. Vielmehr beschränken sie sich auf eine bestimmte (stichprobenartige) Auswahl an Teilnehmern.33 Zugleich kann infolge

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Nach Jacob / Heinz / Décieux, Umfrage, S. 1 werden mit Umfragen „unterschiedliche […] Sachverhalte so aufbereitet, dass sie unter Verwendung von Zahlen als Variable behandelt und numerischen Operationen unterworfen werden können.“ 28 Auch die Stadt Nürnberg führt regelmäßig repräsentative Umfragen mit teils unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten durch. Siehe hierzu https://www.nuernberg.de/internet/ statistik/umfragen.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 29 Vgl. https://www.gemeinde-grafschaft.de/rathaus/konzepte-und-gutachten-der-gemeinde/ gemeindeentwicklungskonzept-fuer-die-grafschaft/ (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). Siehe ferner den Bericht zu dieser Befragung (insbesondere S. 57 f. zur Methode)  unter https:// www.gemeinde-grafschaft.de/rathaus/konzepte-und-gutachten-der-gemeinde/gemeindeentwick lungskonzept-fuer-die-grafschaft/telefonbefragung/grafschaft-gesamtbericht-endversion.pdf? cid=2ap (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 30 BVerfGE 8, 104 (112); BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (322); Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 57. 31 BVerfGE 8, 104 (112); BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (322); Dittloff, Kommunale Bürgerund Einwohnerbefragungen, S. 78. 32 BVerfGE 8, 104 (112); BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (322). 33 Vgl. BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (322). In der Praxis wird aber wohl dennoch versucht, möglichst viele Personen zu Umfragezwecken zu kontaktieren. Für die demoskopische Umfrage der Gemeinde Grafschaft z. B. wurden u. a. sämtliche eingetragenen Telefonnummern der Gemeinde angerufen, siehe den Bericht zur Befragung (Fn. 29), S. 4. Erklären lassen dürfte sich das damit, dass nicht jede kontaktierte Person auch zur Teilnahme an einer Umfrage bereit ist.

B. Abgrenzung zu demoskopischen Umfragen 

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dieses stichprobenartigen Vorgehens aus dem Befragungsergebnis aber auf die mutmaßliche Meinung der gesamten Einwohner- bzw. Bürgerschaft geschlossen werden.34 Das Verfahren bei demoskopischen Umfragen basiert, anders als bei Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen, also auf einem an wissenschaftlichen Methoden orientierten Vorgehen. Das wird beispielsweise schon darin deutlich, dass die Befragten regelmäßig nicht rein zufällig, sondern nach bestimmten stochastischen Kriterien ausgewählt werden.35 Bei Einwohner- und Bürgerbefragungen findet eine stichprobenartige Auswahl der Teilnehmer dagegen nicht statt. Der Teilnehmerkreis erstreckt sich vielmehr grundsätzlich36 auf alle Einwohner bzw. Bürger.37 Hierauf deutet – neben den Beispielen aus der bisherigen Praxis38 – auch der Wortlaut der bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen hin (vgl. z. B. § 16c Abs. 3 S. 1 GO SH: „Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner“39; § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA: „Befragung der Bürger“).40 Hinzu kommt, dass den Befragungsteilnehmern bei demoskopischen Umfragen eine Vielzahl an unterschiedlichen Fragen und Antwortmöglichkeiten vorgelegt werden kann und letztere auch nicht zwingend vorgegeben sein müssen.41 Es verwundert somit nicht, dass die Feststellung des Gesamtergebnisses einer demosko-

34 Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, S. 152 f. Siehe auch Kromrey / Roose / Strübing, Empirische Sozialforschung, S. 264 nach denen man Repräsentativität als „Kongruenz zwischen theoretisch definierter (‚angestrebter‘) Gesamtheit und tatsächlich durch die Stichprobe repräsentierte Gesamtheit“ definieren kann. 35 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 137. Siehe auch Kloepfer, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 42 Rn. 6, nach dem die Demoskopie „als wissenschaftliches Orakel […] den Anspruch erhebt, den Inhalt der jeweiligen öffentlichen Meinung festzustellen, zu analysieren und zu prognostizieren.“ 36 Dass bei Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen keine stichprobenartige Auswahl der Teilnehmer erfolgt, bedeutet allerdings nicht, dass in Bezug auf den Teilnehmerkreis gar keine Einschränkungen bestehen. In der Regel ist ein Mindestalter zur Teilnahme vorgesehen. Zudem ist das Teilnahmerecht teilweise auf die Bürger der Gemeinde beschränkt. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Teilnehmerkreis siehe Kap. 5. 37 Diese Eigenschaft wird dem Instrument der Befragung auch in der Literatur zugeschrieben, vgl. Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (20); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 74, 262 f.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 59; a. A. Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 57. 38 Siehe Kap. 1 D. 39 Genauso § 35 S. 1 NKomVG, § 20b Abs. 1 SaarlKSVG. Auch § 16c Abs. 3 S. 2 GO SH legt dieses Verständnis nahe. Die Norm ordnet explizit an, dass in Angelegenheiten eines Ortsteils eine Beschränkung der Befragung auf die Einwohner dieses Ortsteils vorgenommen werden kann. Sollten mit dem Instrument der Befragung auch in anderen Fällen nur Teile der Bevölkerung befragt werden können, so hätte es nahegelegen, das im Gesetz ebenso ausdrücklich zu regeln. 40 Im Ergebnis verbindlicher Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 262 f. Offener dagegen wohl die brandenburgische Regelung § 13 BbgKVerf, die auf die „betroffenen Einwohner“ abstellt. 41 Schneider, in: GS Jellinek, S. 155 (170); siehe ferner Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 76.

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

pischen Umfrage erst möglich ist, wenn die einzelnen Umfrageergebnisse in einem aufwendigen Prozess analysiert und aufgearbeitet wurden.42 Im Vergleich zu den gemeindlichen Befragungen arbeiten demoskopische Umfragen also präziser und differenzierter.43 Ferner finden demoskopische Umfragen für die Befragten oftmals unvorhergesehen statt. Eine vorhergehende Diskussion der Fragestellung in der Öffentlichkeit bleibt daher, anders als bei Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen, regelmäßig aus.44 Die beiden Instrumente unterscheiden sich auch im Hinblick auf den Befragungsgegenstand. Bei Einwohner- und Bürgerbefragungen muss, wie bereits gezeigt,45 die Frage eine Angelegenheit der Gemeinde betreffen, über die der Gemeinderat eine Entscheidung treffen möchte. Umfragen zu Zwecken der Meinungsforschung müssen dagegen keinen Bezug zu einem bestimmten Entscheidungsgegenstand aufweisen. Ihnen sind in thematischer Hinsicht daher kaum Grenzen gesetzt.46 Ob ein weiterer Unterschied darin gesehen werden kann, dass die Einwohner bzw. Bürger bei staatlichen, also auch gemeindlichen Befragungen, Staatsgewalt ausüben, während sie das bei demoskopischen Umfragen nicht tun,47 muss an dieser Stelle offenbleiben. Die Arbeit will in Kapitel 2 gerade herausfinden, ob die Teilnahme an einer gemeindlichen Befragung als Ausübung von Staatsgewalt zu qualifizieren ist.

II. Abgrenzung zur dialogischen Bürgerbeteiligung Einwohner- und Bürgerbefragungen sind außerdem von den Instrumenten der dialogischen Bürgerbeteiligung zu unterscheiden. Die dialogische Bürgerbeteiligung hat in Baden-Württemberg mit dem Gesetz über die dialogische Bürgerbe-

42 BVerfGE 8, 104 (112); siehe zur Methodik der Umfrageforschung z. B. Jacob / Heinz /  Décieux, Umfrage. 43 Vgl. BVerfGE 8, 104 (112); Benda, JZ 1972, 497 (500). 44 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 76 f.; vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, S. 151 f.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 59. Von den bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen sehen lediglich § 20b Abs. 2 S. 1 SaarlKSVG und § 16c Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 16g Abs. 6 S. 1 GO SH ausdrücklich vor, dass im Vorfeld einer Befragung die Auffassungen der Gemeindeorgane bzw. der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses zur Verfügung gestellt werden müssen. 45 Siehe Kap. 1 A. III. 46 Vgl. Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 74 f.; Schneider, in: GS Jellinek, S. 155 (168), nach dem „die Meinungsumfrage alle möglichen Dinge betreffen kann“. 47 Vgl.  Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, S. 154; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 59; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 77 f.; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (20).

D. Beispiele

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teiligung (DBG BW)48 unlängst eine ausdrückliche Regelung erfahren. Behörden i. S. d. § 1 LVwVfG können demnach im Rahmen ihrer Zuständigkeit für konkrete Themen oder Vorhaben eine dialogische Bürgerbeteiligung durchführen (§ 2 Abs. 1 DBG BW). Das Ergebnis der dialogischen Bürgerbeteiligung ist in einem Bericht festzuhalten (§ 1 Abs. 1 S. 3 DBG BW), der, wie das Ergebnis von Einwohner- und Bürgerbefragungen, für die zuständigen Stellen nicht bindend ist (§ 1 Abs. 1 S. 4 DBG BW). Ähnlich wie bei Einwohner- und Bürgerbefragungen ist es zwar das Ziel der dialogischen Bürgerbeteiligung, in der Bevölkerung bestehende Bedürfnisse in Bezug auf ein konkretes Thema oder Vorhaben zu erkunden (§ 1 Abs. 1 S. 1 DBG BW). Nach § 1 Abs. 1 S. 2 DBG BW erfolgt das allerdings durch Dialoge mit der Öffentlichkeit. Anders als bei Befragungen geht es bei der dialogischen Bürgerbeteiligung also um einen vertieften Austausch.49 Hinzu kommt, dass bei der dialogischen Bürgerbeteiligung explizit die Möglichkeit besteht, die Beteiligung mit zufällig nach bestimmten Kriterien aus dem Melderegister ausgewählten Personen durchzuführen (§ 2 Abs. 5 S. 1 DBG BW). Befragungen beziehen sich dagegen grundsätzlich auf alle Einwohner bzw. Bürger.50

C. Definition Für die weitere Untersuchung versteht die Arbeit unter der gemeindlichen Einwohner- bzw. Bürgerbefragung also ein Instrument des Gemeinderats, bei dem auf seine Initiative hin die Einwohner- bzw. Bürgerschaft bezüglich eines in die Entscheidungskompetenz des Gemeinderats fallenden Themenbereichs zum Zwecke der Entscheidungshilfe in einer Art und Weise befragt wird, die sich nicht auf eine (stichprobenartige oder sonstige) Auswahl der Befragungsteilnehmer beschränkt, bei der sämtliche Antwortmöglichkeiten vom Gemeinderat vorgegeben sind und bei der das Befragungsergebnis in rechtlicher Hinsicht nicht bindend ist.

D. Beispiele Für die Anwendung der Einwohner- bzw. Bürgerbefragung in der gemeindlichen Praxis gibt es zahlreiche Beispiele. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich daher auf eine Auswahl. 48

Vom 04. 02. 2021, GBl. S. 118. Eingehend zu diesem Gesetz Arndt, DVBl. 2021, 705 (705 ff.). Siehe dazu die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 16/9486, S. 10: „Die dialogische Bürgerbeteiligung setzt auf vertieften Austausch zwischen Behörde und Bevölkerung. […] Dabei geht es um die Qualität des Austauschs, weniger um eine hohe Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern.“ Geeignete Beteiligungsformate sind nach § 1 Abs. 3 DBG BW insbesondere Diskussionsforen, Runde Tische oder Konferenzen. 50 Siehe dazu bereits Kap. 1 B. I. 49

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

I. Befragung der Stadt Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens Im Juli 2011 befragte die Stadt Köln alle Einwohner ab einem Alter von 16 Jahren, ob der Godorfer Hafen – die ersten Planungen gehen zurück auf das Jahr 1988 –51 weiter ausgebaut werden soll. Die Befragungsteilnehmer hatten die Möglichkeit, auf diese Frage mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten.52 Der Kölner Rat hatte sich in seinem Beschluss zur Durchführung der Einwohnerbefragung dazu verpflichtet, dem Votum der Einwohner nur zu folgen, wenn das Befragungsergebnis von mindestens zehn Prozent der teilnahmeberechtigten Einwohner getragen wird.53 Im Ergebnis erreichte jedoch keine der beiden möglichen Antworten die notwendige Mehrheit.54 Nachdem die Planverfahren zum Hafenausbau schon einige Jahre nicht mehr verfolgt wurden55 – erst 2015 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung eines wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses durch das OVG Münster56 –, beschloss der Kölner Stadtrat am 26. September 2019, die planungsrechtlichen Verfahren zum Hafenausbau endgültig einzustellen.57

II. Befragung der Stadt Falkensee zum Bau eines Hallenbads Auch die brandenburgische Stadt Falkensee machte sich das Instrument der Einwohnerbefragung zunutze. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss am 25. April 2018, dass die Einwohner zu der Frage, ob in Falkensee ein Hallenbad gebaut werden soll, Stellung beziehen sollen.58 Obwohl die Kommunalaufsichts 51

Vgl. die Pressemitteilung der Stadt Köln vom 27. 09. 2019, abrufbar unter https://www. stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/21037/index.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 52 https://www.stadt-koeln.de/artikel/60537/index.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). Siehe zum Geschehen vor der Befragung die Darstellung bei Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 46 f. 53 Vgl. die Niederschrift über die 23. Sitzung des Kölner Rates in der Wahlperiode 2009/ 2014 vom 01. 03. 2011, S. 26, abrufbar unter https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile. asp?id=294226&type=do& (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 54 https://www.stadt-koeln.de/artikel/60537/index.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 55 Siehe auch dazu die Pressemitteilung der Stadt Köln vom 27. 09. 2019 (Fn. 51). 56 Vgl. die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 10/2015 vom 19. 02. 2015, abrufbar unter https://www.bverwg.de/pm/2015/10 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022) sowie BVerwGE 151, 231 (231 ff.). 57 Siehe hierzu die Niederschrift über die 52. Sitzung des Kölner Rates in der Wahlperiode 2014/2020 vom 26. 09. 2019, S. 19 f., abrufbar unter https://ratsinformation.stadt-koeln.de/ getfile.asp?id=745047&type=do& (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 58 Siehe die entsprechende Mitteilung der Stadt Falkensee auf der städtischen Internetseite vom 14. 05. 2018, abrufbar unter https://www.falkensee.de/news/1/447542/nachrichten/ ja-oder-nein-ein-hallenbad-f%C3%BCr-falkensee-einwohnerbefragung-startet.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

D. Beispiele

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behörde die Befragung u. a. wegen einer fehlenden Verankerung in einer Satzung für unzulässig erklärte, wurde die Befragung durchgeführt.59 78 Prozent der Teilnehmer stimmten für den Bau eines Schwimmbads, 22 Prozent stimmten dagegen.60 Die Falkenseer Stadtverordnetenversammlung schloss sich dem Votum der Einwohner zwar nicht an.61 Aufgrund eines Bürgerentscheids vom 15. November 2020 wird in der Stadt aber dennoch ein Hallenbad gebaut.62 Im Vergleich zu den anderen hier erläuterten Beispielen zeichnet sich die Befragung der Stadt Falkensee besonders dadurch aus, dass für die Teilnahme keine Altersgrenze galt. Teilnahmeberechtigt waren vielmehr alle mit Hauptwohnsitz in Falkensee gemeldeten Personen ab null Jahren.63

III. Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads und eines Konzertsaals Vom 11. bis zum 25. März 2019 führte die Stadt Tübingen eine Einwohnerbefragung durch. Alle Einwohner ab 16 Jahren waren dazu aufgerufen, entweder über die Tübinger „BürgerApp“64, im Internet oder schriftlich65 zu fünf Fragen zum Neubau eines Hallenbads und eines Konzertsaals, zum Erhalt des Tübinger Uhlandbads bzw. dessen Umbau zu einem Konzertsaal und zur Länge des Beckens in einem etwaigen Schwimmbadneubau Stellung zu nehmen.66 Anders als bei den bisher dargestellten Beispielen beschränkten sich die Antwortmöglichkeiten dieser Befragung nicht nur auf eine bloße Zustimmung oder Ablehnung. Vielmehr standen für die erste Frage „Wie stehen Sie zum Bau eines neuen Hallenbads?“ 59

Das ergibt sich aus einer entsprechenden Berichterstattung der Märkischen Onlinezeitung vom 29. 06. 2018, vormals abrufbar unter https://www.moz.de/lokales/falkensee/abgelehntbaden-gegangen-49000904.html (zuletzt abgerufen am 28. 02. 2022, am 12. 11. 2022 nicht mehr abrufbar). 60 Siehe die Berichterstattung der Märkischen Onlinezeitung (Fn. 59). 61 Siehe die Berichterstattung der Märkischen Onlinezeitung (Fn. 59). 62 Siehe die Mitteilung auf der Internetseite der Stadt Falkensee vom 16. 11. 2020, abrufbar unter https://www.falkensee.de/news/1/609587/nachrichten/609587.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 63 Vgl. die Mitteilung der Stadt Falkensee vom 14. 05. 2018 (Fn. 58). Zur Frage, wer aus verfassungsrechtlicher Sicht an den Befragungen teilnehmen darf, siehe Kap. 5. 64 Die Entwicklung der „BürgerApp“ hatte die Stadt Tübingen bei zwei Unternehmen in Auftrag gegeben, vgl. hierzu die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen, abrufbar unter https://www.tuebingen.de/28535.html#/24199 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). Die Bezeichnung „BürgerApp“ ist in Anbetracht der Tatsache, dass damit Einwohnerbefragungen durchgeführt werden, verwirrend. 65 Siehe zu den unterschiedlichen Teilnahmemöglichkeiten die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen, abrufbar unter https://www.tuebingen.de/28535.html#/24205 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 66 Siehe hierzu und zu den einzelnen Fragen und Antwortmöglichkeiten die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen: https://www.tuebingen.de/28533.html#/25264 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

und die zweite Frage „Wie stehen Sie zum Bau eines neuen Konzertsaals?“ neben der Antwort „Ich bin noch nicht entschieden“ vier verschiedene Antwortmöglichkeiten mit einem Spektrum von „Das ist mir völlig unwichtig“ bis zu „Das ist mir sehr wichtig“ zur Auswahl. Für die dritte Frage „Wie denken Sie über den Erhalt des Uhlandbades als Bad, wenn ein größeres Hallenbad gebaut wird?“ konnte zwischen den drei Antworten „Ich habe keine Meinung“, „Ich akzeptiere die Schließung“ und „Ich bin für den Erhalt des Bades“ ausgewählt werden. Auf die vierte Frage „Wie stehen Sie zum Umbau des Uhlandbads zum Konzertsaal, wenn sich dieses dafür gut eignen sollte?“ konnten die Befragungsteilnehmer entweder mit „Ich habe noch keine Meinung“ oder „Das ist eine gute Idee“ bzw. „Das ist eine schlechte Idee“ antworten. Für die fünfte Frage „Welche Länge sollte das Becken in einem neuen Hallenbad haben?“ standen die Antwortalternativen „Ich bin für ein 25m-Becken“, „Ich bin für ein 50m-Becken“ und „Ich habe keine Meinung“ zur Verfügung. Im Ergebnis hielten 47,5 Prozent der Befragungsteilnehmer den Bau eines neuen Hallenbads für „sehr wichtig“, 14,3 Prozent für „weniger wichtig“. 29,4 Prozent fanden den Bau eines Konzertsaals „sehr wichtig“, für die Antwort „weniger wichtig“ entschieden sich 25,9 Prozent. Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) sprach sich dafür aus, beim Bau eines neuen Hallenbads die Schließung des Uhlandbads zu akzeptieren, während 38,6 Prozent für den Erhalt des Bads stimmten. 48 Prozent fanden, dass der Umbau des Uhlandbads zum Konzertsaal eine gute Idee sei, 37,4 Prozent hielten das für eine schlechte Idee. Die absolute Mehrheit der Befragungsteilnehmer (55,3 Prozent) sprach sich für ein 50m-Becken in einem neuen Hallenbad aus, für ein 25m-Becken votierten dagegen nur 30,4 Prozent.67 Der Stadtrat setzte sich am 28. März 2019 ausführlich mit dem Befragungsergebnis und mit der „BürgerApp“ an sich auseinander. Eine Entscheidung in der Sache wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht getroffen. Die weitere Behandlung der Thematik wurde angesichts der baden-württembergischen Kommunalwahlen im Mai 2019 dem Gemeinderat der neuen Wahlperiode vorbehalten.68 Ende Juli 2022 beschloss der Gemeinderat den Bau eines neuen Hallenbads mit einem 50m-Becken in der Nähe des Freibads, allerdings ohne dabei einen genauen Standort festzulegen.69

67 Zu diesen und zu den weiteren Ergebnissen der Befragung siehe die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen (Fn. 66). 68 Das ergab eine Anfrage des Verfassers bei der Stadtverwaltung Tübingen vom 23. 02. 2022 und eine Einsichtnahme in die Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderats vom 28. 03. 2019 bei der Stadtverwaltung Tübingen am 01. 03. 2022. 69 Siehe die einschlägige Berichterstattung des SWR, abrufbar unter https://www.swr.de/ swraktuell/baden-wuerttemberg/tuebingen/gemeinderat-in-tuebingen-entscheidet-ueber-neubauhallenbad-100.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

D. Beispiele

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IV. Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des Rhein-Nahe-Ecks In der rheinland-pfälzischen Stadt Bingen am Rhein fand am 10. November 2019, parallel zur Wahl des Oberbürgermeisters, eine Befragung der Bürger über die Errichtung der Verkehrsanbindung des Rhein-Nahe-Ecks statt, deren Durchführung der Stadtrat im August 2019 beschlossen hatte.70 Inhaltlich ging es dabei um die Frage, ob das Rhein-Nahe-Eck eine verkehrliche Zufahrt zum Rhein in Form einer Fahrzeugunterführung nahe der Gerbhausstraße erhalten soll.71 Auf die Frage „Soll die geplante Fahrzeugunterführung auf dem Gerbhausparkplatz gebaut werden?“ konnten die Befragungsteilnehmer mit „Ja“ oder „Nein“ antworten.72 Im Ergebnis stimmten 57,3 Prozent der Teilnehmer gegen und 42,7 Prozent für die Unterführung.73 In seiner Sitzung vom 19. Dezember 2019 schloss sich der Stadtrat dem Votum der Bürger an und beschloss, alle laufenden Planungen zum Bau der Unterführung einzustellen.74

V. Befragung der Stadt Tübingen zur Sperrung der Mühlstraße Vom 4. bis zum 18. Februar 2020 machte sich der Gemeinderat der Stadt Tübingen die „BürgerApp“ ein zweites Mal zunutze, um eine Einwohnerbefragung durchzuführen. Die erste Frage hierbei betraf die Sperrung der Tübinger Mühlstraße zugunsten eines Fahrradwegs auf der Neckarbrücke. In der zweiten Frage ging es um mögliche Ergänzungsmaßnahmen für den Fall, dass dieser Radweg umgesetzt wird. Die letzte Frage lautete: „Wie wichtig ist Ihnen die Fortsetzung einer durchgängigen Radspur vom Lustnauer Tor zur Neuen Aula?“75 Auch bei dieser Befragung waren die Antwortmöglichkeiten nicht nur auf „Ja“ oder „Nein“ beschränkt. So war es möglich, auf die Frage nach der Sperrung der Mühlstraße 70

Siehe die Informationsvorlage für die Sitzung des Rates der Stadt Bingen am Rhein am 19. 12. 2019, abrufbar unter http://sitzungsdienst-bingen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=8490 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 71 Vgl. dazu die Berichterstattung der Allgemeinen Zeitung vom 11. 11. 2019, abrufbar unter https://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/bingen/bingen/burger-knicken-anbindung-rheinnahe-eck_20671685 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 72 Siehe die Informationsvorlage für die Sitzung des Rates der Stadt Bingen am Rhein am 19. 12. 2019 (Fn. 70). 73 Siehe die Informationsvorlage für die Sitzung des Rates der Stadt Bingen am Rhein am 19. 12. 2019 (Fn. 70). 74 Vgl. das Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Bingen am Rhein vom 19. 12. 2019, abrufbar unter http://sitzungsdienst-bingen.de/bi/to020.asp?TOLFDNR=26351#allrisWP (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 75 Siehe zum Ganzen und insbesondere zu den konkreten Fragestellungen die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen, abrufbar unter https://www.tuebingen.de/28534. html#/28033 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

mit „eher nein“ – hierfür waren 8,7 Prozent der Teilnehmer –, „eher ja“ (14 Prozent) oder „nein, auf keinen Fall“ (43,7 Prozent) bzw. „ja, in jedem Fall“ (33,6 Prozent) zu antworten. Für die Frage nach den Ergänzungsmaßnahmen im Fall der Sperrung der Mühlstraße hatte der Gemeinderat drei mögliche Maßnahmen – etwa „mehr Busverkehr zum Österberg“ – als Antworten vorgegeben. Die Befragungsteilnehmer konnten hierbei, wenn sie sich nicht für die Antwort „keine der Maßnahmen“ entschieden, auch Mehrfachnennungen vornehmen. Wollten sie auch auf die Frage nach der durchgängigen Radspur antworten, konnten sie eine aus vier unterschiedlichen Antworten in einem Bereich von „ganz unwichtig“ (31 Prozent) bis „sehr wichtig“ (29,3 Prozent) auswählen.76 Bisher fand das Befragungsergebnis, allerdings in einem anderen Kontext, Eingang in die Beratungen des Ausschusses für Planung, Verkehr und Stadtentwicklung vom 4. März 2021 und in die des Plenums vom 18. März 2021.77

VI. Befragung der Stadt Seligenstadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-Memling-Schule Die hessische Stadt Seligenstadt führte in der Zeit vom 16. bis zum 30. März 2020 eine Bürgerbefragung über die künftige Nutzung der Hans-Memling-Schule durch. Hintergrund der Befragung war, dass seit der Einstellung des Schulbetriebs unklar war, wie das Gebäude der Schule weiter genutzt werden soll.78 Die Stadtverordnetenversammlung beschloss daher am 2. September 2019, den Magistrat mit der Durchführung einer Bürgerbefragung zu beauftragen, an der alle nach dem hessischen Kommunalwahlgesetz Wahlberechtigten teilnehmen können sollten.79 Für die weitere Nutzung der Schule standen mehrere Konzepte zur Auswahl. Demgemäß lautete die Fragestellung:

76 Siehe zu den einzelnen Antwortmöglichkeiten und den Ergebnissen wiederum die die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen (Fn. 75). 77 Das ergab eine Anfrage des Verfassers bei der Stadtverwaltung Tübingen vom 23. 02. 2022. Die Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Planung, Verkehr und Stadtentwicklung vom 04. 03. 2021 und die Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderats vom 18. 03. 2021 konnte der Verfasser am 01. 03. 2022 bei der Stadtverwaltung Tübingen einsehen. 78 Siehe hierzu die einschlägige Presseberichterstattung auf www.op-online.de vom 07. 02. 2020, abrufbar unter https://www.op-online.de/region/seligenstadt/seligenstadt-hessenhms-buergerbefragung-eine-stimme-zwei-wochen-drei-nutzungsvarianten-13526488.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 79 Siehe die Niederschrift über die 23. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 02. 09. 2019, S. 8 f., abrufbar unter https://ratsinfoservice.de/ris/seligenstadt/file/getfile/61845 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). Die Niederschrift bezeichnet die Befragung als „repräsentative Befragung“. In Anbetracht der Tatsache, dass nicht nur eine stichprobenartige Befragung der wahlberechtigten Seligenstädter stattfand, sondern alle Wahlberechtigten teilnehmen konnten, bleibt jedoch unklar, aus welchen Gründen die Befragung repräsentativ gewesen sein soll. Vgl. zur Repräsentativität Kap. 1 B. I.

D. Beispiele

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„Welche Nutzung für die Hans-Memling-Schule befürworten Sie? 1. Weiterentwicklung durch den Verein ‚Freunde der Hans-Memling-Schule e. V.‘ zur Nutzung als ‚Bildungs- und Kulturhaus‘? 2. Erasmus gGmbH, als Träger für eine dreisprachige, private Kindertagesstätte und Grundschule mit Betreuungseinrichtung? 3.  Gemischte Variante, als Kinder- und Seniorentagesstätte, VHS und kulturtreibende Vereine Seligenstadts?“80

Außerdem wurde festgelegt, die Befragung sowohl online als auch schriftlich durchzuführen. Zugleich beschloss die Stadtverordnetenversammlung, dass sie dem Befragungsergebnis bei ihrer Entscheidung Folge leistet.81 Im Ergebnis votierten 3.640 Befragungsteilnehmer für die erste Nutzungsvariante der Schule als Bildungs- und Kulturhaus. Auf das zweite bzw. dritte Nutzungskonzept entfielen dagegen nur 1.252 bzw. 1.908 Stimmen.82 In ihrer Sitzung vom 15. Juni 2020 schloss sich die Stadtverordnetenversammlung dem Ergebnis der Bürgerbefragung an und votierte einstimmig für die Weiterentwicklung der Hans-Memling-Schule durch den Verein „Freunde der Hans-Memling-Schule“.83

VII. Befragung der Gemeinde Holdorf zur Finanzierung von Straßensanierungsmaßnahmen Der Gemeinderat der niedersächsischen Gemeinde Holdorf beschloss am 20. Juli 2021, eine Einwohnerbefragung zur künftigen Finanzierung von Straßensanierungsmaßnahmen abzuhalten. Ende Juli / Anfang August erhielt jeder Einwohner der Gemeinde ab dem 14. Lebensjahr einen Brief mit einem „Variantenzettel“, der bis zum 29. August 2021 an die Gemeinde zurückgesendet werden konnte.84 Die teilnahmeberechtigten Einwohner konnten sich für eine von insgesamt drei Varianten entscheiden: Die erste Alternative sah vor, die bestehende Straßenausbaubeitragssatzung in vereinfachter Form beizubehalten und die Anlieger bei Sa 80 Siehe die Niederschrift über die 23. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 02. 09. 2019 (Fn. 79), S. 8. 81 Siehe die Niederschrift über die 23. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 02. 09. 2019 (Fn. 79), S. 9. 82 Vgl. dazu die Berichterstattung auf www.op-online.de vom 01. 04. 2020, abrufbar unter https://www.op-online.de/region/seligenstadt/seligenstadt-buergerbefragung-hans-memlingschule-ergebnis-13635445.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 83 Vgl. die Niederschrift über die 28. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 15. 06. 2020, S. 10 f., abrufbar unter https://ratsinfoservice.de/ris/seligenstadt/file/getfile/65431 (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 84 Siehe die „Erläuterungen zu den drei Varianten bei der Einwohner*innen-Befragung über die Straßenausbaubeitragssatzung“ des Bürgermeisters der Gemeinde Holdorf vom 21. 07. 2021, S. 1 f., abrufbar unter https://www.holdorf.de/cms/upload/Dokumente/02_Strassen ausbaubeitragssatzung-Einwohnerbefragung-Varianten-Erlaeuterungen.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

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1. Kap.: Kennzeichen, Abgrenzung, Definition und Beispiele 

nierungsmaßnahmen direkt zur Finanzierung heranzuziehen, jedoch in geringerer Höhe als bisher. Nach der zweiten Variante sollte die Straßenausbaubeitragssatzung abgeschafft und stattdessen ab dem Haushalt 2022 eine zusätzliche Haushaltsstelle für Straßenausbaumaßnahmen geschaffen werden. Die Kürzung freiwilliger Gemeindeleistungen bzw. eine Erhöhung der Gemeindesteuern sollte dieser Variante nach ausgeschlossen sein. Die dritte Antwortmöglichkeit zielte ebenfalls auf die Abschaffung der Straßenausbaubeitragssatzung. Das Straßensanierungsprogramm der Gemeinde sollte verbindlich bestimmen, welche Straße zu welchem Zeitpunkt saniert wird. Diese Variante schloss eine Kürzung freiwilliger Leistungen bzw. die Erhöhung von Gemeindesteuern für den Fall, dass die Haushaltsmittel nicht genügen, nicht aus.85 Mit 2.066 von 2.895 abgegebenen Stimmen entschieden sich die Einwohner mehrheitlich für die zweite Variante.86 In seiner Sitzung vom 12. Oktober 2021 beschloss der Holdorfer Gemeinderat einstimmig – alle Fraktionen hatten bekundet, sich dem Befragungsergebnis anschließen zu wollen –, die Straßenausbaubeitragssatzung abzuschaffen.87

85 Siehe zu den einzelnen Antwortmöglichkeiten den „Variantenzettel“, der auf der Internetseite der Gemeinde Holdorf abrufbar ist unter https://www.holdorf.de/cms/upload/ Dokumente/03_Strassenausbaubeitragssatzung-Einwohnerbefragung-Varianten-Abstimmung. pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 86 Siehe die Mitteilung zum Befragungsergebnis auf der Internetseite der Gemeinde Holdorf, abrufbar unter https://www.holdorf.de/Aktuelles/Aktuelles/2021_08_30-AuszaehlungStrassenausbaubeitraege.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 87 Siehe die Niederschrift Nr. 5/2021 über die Sitzung des Gemeinderats, S. 4 f., abrufbar unter https://holdorf.more-rubin1.de/meeting.php?sid=ni_2021-Rat-62&suchbegriffe=&select_ koerperschaft=&select_gremium=&datum_von=2014-01-27&datum_bis=2022-1213&entry=240&sort=&kriterium=si (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

2. Kapitel

Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt? Die Antworten auf viele in dieser Arbeit zu behandelnden Fragen, wie etwa die nach dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage,1 nach der Verfassungsmäßigkeit der Beteiligung von ausländischen Einwohnern2 und der Anwendung der Wahlrechtsgrundsätze3, hängen u. a. davon ab, ob die Teilnahme an einer gemeindlichen Einwohner- bzw. Bürgerbefragung als Ausübung von Staatsgewalt zu betrachten ist. Rechtsprechung und Schrifttum, die mitunter explizit auf die Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts4 rekurrieren,5 bewerten die Teilnahme an einer Befragung mehrheitlich als Mitwirkung an der staatlichen Willensbildung und folglich als Ausübung von Staatsgewalt.6 Da diese Einordnung der Befragungsteilnahme für die weitere Beurteilung des Instruments der Befragung eine bedeutende Weichenstellung ist, stellt die Arbeit diese These zunächst auf den Prüfstand.7 Will man herausfinden, ob die Teilnahme an einer gemeindlichen Befragung als Ausübung von Staatsgewalt und die Befragung damit als Abstimmung gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG anzusehen ist, muss man sich mit einem gewissen Spannungsverhältnis auseinandersetzen. Einerseits sind Einwohner- und Bürgerbe-

1

Siehe hierzu Kap. 4. Siehe hierzu Kap. 5 A. 3 Siehe hierzu Kap. 5 C., Kap. 7 C. 4 BVerfGE 8, 104 (104 ff.); 8, 122 (122 ff.). Dazu ausführlich Kap. 2 A. 5 So etwa BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (322); Stern, Staatsrecht II, § 25 II. 1. b) γ); ­Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 57 ff., 252; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (21 f.); Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 135; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 192 f.; Möstl, BayVBl. 2015, 217 (220); Thum, BayVBl. 2015, 224 (225); Ebsen, AöR 1985, 2 (21). 6 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 99; Grzeszick, in: Dürig / Herzog /  Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 113; Schnapauff, VR 1983, 326 (326). A. A. Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 71; Schunda, Das Wahlrecht von Unionsbürgern bei Kommunalwahlen in Deutschland, S. 189; vgl. auch Engelken, NVwZ 1995, 432 (432). Krause, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 35 Rn. 24 Fn. 91 qualifiziert Volksbefragungen aufgrund ihrer „hybride[n] Natur“ zwar nicht als Abstimmungen, hält es aber für möglich, sie dennoch als einen Fall der Ausübung von Staatsgewalt anzusehen. 7 Auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 57 ff. stellt die rechtliche Einordnung der Befragungsteilnahme an den Beginn seiner Untersuchung, allerdings ohne näher auf die Übertragbarkeit der Kriterien der Volksbefragungsrechtsprechung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen einzugehen. 2

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

fragungen für den Gemeinderat, der als Organ der Exekutive8 bei seinen Entscheidungen Staatsgewalt ausübt,9 ein Instrument der Entscheidungshilfe.10 Bei einer rein formalen Betrachtung hat das Befragungsergebnis keinen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit des Gemeinderats und betrifft vielmehr nur die Phase der Entscheidungsvorbereitung. Unter diesem Blickwinkel liegt es nahe, dass die Teilnehmer einer Befragung selbst keine Staatsgewalt ausüben.11 Andererseits ist nicht zu verkennen, dass dem Befragungsergebnis in der politischen Praxis eine herausragende Bedeutung zukommt. Trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses ist es keineswegs ausgeschlossen, dass dieses auf die Gemeinderäte in politisch-faktischer Hinsicht einen derartigen Druck ausübt, dass sie sich – obwohl sie es rechtlich könnten – nicht über das Votum der Einwohner bzw. Bürger hinwegsetzen. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Gemeinderat im Vorfeld einer Befragung beschließt, dem Votum der Einwohner bzw. Bürger bei seiner Entscheidung zu folgen (sog. freiwillige Selbstverpflichtung12). Ein solcher Beschluss wurde beispielsweise bei den eingangs erwähnten Befragungen in Köln13 und Seligenstadt14 gefasst. Es könnte somit sein, dass die Befragungsteilnehmer an der eigentlichen Letztentscheidung einen derart großen Anteil haben, dass die Befragungsteilnahme nicht „nur“ als bloße Information des Gemeinderats, sondern selbst schon als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen ist. Um zu klären, wie die gemeindlichen Befragungen in dieses Spannungsverhältnis einzufügen sind, analysiert die Arbeit die bereits angesprochene Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und überprüft, ob sich die dort getroffenen Schlussfolgerungen auf Einwohner- und Bürgerbefragungen übertragen lassen.

8

Erlenkämper, in: ders. / Zimmermann (Hrsg.), Rechtshandbuch für die kommunale Praxis, § 2 Rn. 4. 9 Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, S. 117. 10 Siehe dazu bereits Kap. 1 A. I. 11 So in Bezug auf die Einbeziehung von Vereinigungen in den kommunalen Willensbildungsprozess Herbert, Die Beteiligung von Vereinigungen am kommunalen Willensbildungsprozeß, S. 122. 12 Diese Begrifflichkeit verwenden bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 215; Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 54. Siehe dazu Kap. 3 C. III. 13 Kap. 1 D. I. 14 Kap. 1 D. VI.

A. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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A. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts I. Sachverhalt Im Zuge der Volksbefragungsrechtsprechung (BVerfGE 8, 104 (104 ff.)) hatte das Bundesverfassungsgericht auf Veranlassung der Bundesregierung im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens die Frage zu entscheiden, ob das hamburgische Gesetz vom 9. Mai 195815 und das bremische Gesetz vom 20. Mai 195816 jeweils „betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen“17 mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Nach den §§ 1 und 3 des hamburgischen Volksbefragungsgesetzes sollten den zur Bürgerschaft wahlberechtigten Personen folgende Fragen zur Beantwortung vorgelegt werden: „1. Sind Sie für eine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen? 2. Sind Sie für eine Lagerung von Atomwaffen im Gebiet der Bundesrepublik? 3. Sind Sie für die Errichtung von Abschußbasen für Atomraketen im Gebiete der Bundesrepublik?“

Nach § 9 Abs. 1 konnte auf die Fragen nur mit einem „Ja“ oder mit einem „Nein“ geantwortet werden. Auch das bremische Volksbefragungsgesetz war an die wahlberechtigte Bevölkerung adressiert und sollte den Senat sowie die bremischen Bundesratsmitglieder „über [deren] Meinung […] hinsichtlich der in § 2 formulierten Fragen unterrichten.“18 Nach § 2 des Gesetzes lauteten die Fragen folgendermaßen: „1. Sind Sie mit einer atomaren Bewaffnung deutscher Streitkräfte einverstanden? 2. Sind Sie damit einverstanden, daß im Lande Bremen Abschußvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?“

Auch diese Fragen konnten nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. § 3 des Gesetzes stellte zudem klar, dass das Befragungsergebnis den Senat nicht in seiner Entscheidungsfreiheit einschränkt.

15

GVBl. I S. 141. GBl. S. 49. 17 Im Folgenden jeweils: Volksbefragungsgesetz. 18 § 1 S. 1 des bremischen Volksbefragungsgesetzes. 16

40

2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

II. Rechtliche Wertung des Bundesverfassungsgerichts Die rechtliche Bewertung dieses Sachverhalts ist für den Kontext dieser Arbeit insofern von Interesse, als das Bundesverfassungsgericht die Teilnahme an den Volksbefragungen als Ausübung von Staatsgewalt einstufte.19 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge unterscheidet das Grundgesetz zwischen dem Bereich der öffentlichen Meinung bzw. der Willensbildung des Volkes20 und dem Bereich der staatlichen Willensbildung.21 Wie an Art. 21 GG zu erkennen sei, gehe das Grundgesetz davon aus, dass in einer Demokratie die politische Willensbildung des Volkes eine Selbstverständlichkeit sei.22 Entscheidend für die verfassungsrechtliche Einordnung war für das Gericht nicht, ob das Befragungsergebnis einen Faktor für die Bildung der öffentlichen Meinung bzw. der politischen Willensbildung darstellt, sondern ob die Befragung „eine Veranstaltung des gesellschaftlich-politischen oder des staatsorganschaftlichen Bereichs ist oder – anders ausgedrückt – in welcher Eigenschaft der Befragte angesprochen und zur Beantwortung aufgerufen wird“.23 Um diese Frage zu klären, knüpfte das Bundesverfassungsgericht an der Zielsetzung der Befragungen an: Maßgeblich war für das Gericht, dass das Volk nach den Volksbefragungsgesetzen mit den Befragungen an der Staatswillensbildung teilhaben sollte.24 Dieses an der Zwecksetzung der Befragung ansetzende Vorgehen lässt sich folgendermaßen erklären: Den besonderen Staatsorganen hat das Grundgesetz eine sehr ausdifferenzierte Verfassung gegeben. Für den Bundestag beispielsweise regeln die Art. 38 ff. GG, wie er zustande kommt und arbeitet. Das ermöglicht es, von außen zu erkennen, ob der Bundestag als Staatsorgan handelt oder nicht.25 19

BVerfGE 8, 104 (114). Die Verwendung der Begriffe Willensbildung des Volkes bzw. Volkswillensbildung ist verwirrend. Sie beschreiben, anders als es die Einbeziehung des Wortes „Volk“ nahelegt, nicht den Willensbildungsprozess des Volkes als Staatsorgan (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), sondern den gesellschaftlichen Willensbildungsprozess, vgl. hierzu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 185 Fn. 26, der aus dem gleichen Grund auch die Wortwahl des Grundgesetzes („politische […] Willensbildung des Volkes“, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) als missglückt ansieht. 21 BVerfGE 8, 104 (113); ebenso BVerfGE 20, 56 (98). Diese Unterscheidung wird auch in der Literatur vorgenommen, siehe z. B. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 149 f.; Schmitt Glaeser, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR  III, § 38 Rn. 33; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 179; Wolff, in: Hill / Schliesky (Hrsg.), Die Neubestimmung der Privatheit, S. 25 (38); vgl. auch Scheuner, ZEE 1957, 30 (34); Schmidt, JZ 1978, 293 (294). 22 BVerfGE 8, 104 (112 f.). 23 BVerfGE 8, 104 (113 f.). 24 Siehe BVerfGE 8, 104 (114): „In diesem Zusammenhang ist entscheidend, daß die wahlberechtigten Bürger […] sich genau so wie bei verbindlichen Volksabstimmungen […] äußern sollen. […] [N]ach den Gesetzen soll das Volk als Verfassungsorgan des demokratischen Staates an der Bildung des Staatswillens teilhaben.“ Vgl. auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 102. 25 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 100 f.; Fuß, AöR 1958, 383 (393); Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1199). 20

A. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

41

Eine solche ausdifferenzierte Organisationsstruktur lässt das Grundgesetz für das an der Staatswillensbildung teilnehmende „Volk“ dagegen vermissen. Während Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Grundaussage trifft, dass das Volk seine Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausübt und für Wahlen zusätzlich einige Grundlagen in Art. 38 GG regelt, sind für den hier interessierenden Bereich der Abstimmungen keine weiteren Regelungen vorgesehen.26 Die Folge ist: Nach außen hin ist nicht erkennbar, ob das Volk, wenn es eine Sachentscheidung vornimmt, zur staatlichen Willensbildung beiträgt oder nicht.27 Da das Volk nicht aus eigener Anstrengung an der staatlichen Willensbildung teilnehmen kann, bedarf es einer Initiativmaßnahme eines anderen Staatsorgans, die es ihm ermöglicht, im Bereich der staatlichen Willensbildung tätig werden zu können.28 Für die Frage, ob eine Volksbefragung der staatlichen Willensbildung zuzuordnen ist, kommt es also darauf an, ob der Staat mit der Befragung bezweckt, die Befragungsteilnehmer als einen Akteur der staatlichen Willensbildung anzusprechen oder ob er nur die politische Willensbildung bzw. öffentliche Meinungsbildung organisieren will.29 Für die Ermittlung dieser Zielsetzung und die Zuordnung der Volksbefragungen zum Bereich der Staatswillensbildung waren für das Bundesverfassungsgericht bei genauerer Betrachtung drei Kriterien relevant30: Zunächst berücksichtigte das Gericht, dass die Länder Hamburg und Bremen als Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland für die Befragungen gesetzliche Regelungen geschaffen hatten. Maßgeblich war außerdem, dass die Befragungen an die wahlberechtigten Bürger, also an das Staatsvolk, adressiert waren. Zudem war für das Gericht von Bedeutung, dass sich die Bürger „in derselben Weise und nach denselben Regeln wie bei Wahlen zum Parlament und bei Volksabstimmungen“ äußern sollten, was es insbesondere dadurch indiziert sah, dass die Abstimmung geheim stattfinden sollte und dass nach dem Willen aller an dem Verfahren Beteiligten der damalige fünfte Abschnitt des Strafgesetzbuchs („Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte“) anwendbar sein sollte.31

26

Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 100 f.; Fuß, AöR 1958, 383 (394). Vgl. Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1199). 28 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 101, 122; Fuß, AöR 1958, 383 (393); Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1199). 29 Um die Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts zu bestätigen, führt Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1199) auch das Beispiel des bürgerinitiierten Bürgerentscheids an, über dessen Zulässigkeit zunächst die Gemeinde entscheiden muss (vgl. hierzu auch § 21 Abs. 4 S. 1 GemO BW). 30 BVerfGE 8, 104 (114). 31 Zu der gleichen rechtlichen Wertung gelangte das Bundesverfassungsgericht auch in dem zweiten Volksbefragungsurteil (BVerfGE 8, 122 (122 ff.)). Im Zuge der Auseinandersetzungen über den Umgang der Bundesrepublik mit Atomwaffen beschlossen die zuständigen Verwal 27

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen I. Notwendigkeit zusätzlicher Abgrenzungskriterien Die Darstellung der Volksbefragungsrechtsprechung hat bereits gezeigt: Um herauszufinden, ob die Teilnahme an einer Befragung Ausübung von Staatsgewalt darstellt, muss ermittelt werden, ob es sich bei der Befragung um eine Veranstaltung der politischen Willensbildung bzw. der öffentlichen Meinungsbildung oder um eine Veranstaltung der staatlichen Willensbildung handelt. Zu klären ist allerdings, ob die Kriterien, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die Zielsetzung der Volksbefragungen ermittelte, auch für die verfassungsrechtliche Einordnung gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen fruchtbar gemacht werden können. 1. Durchführung der Befragungen aufgrund gesetzlicher Regelungen Nimmt man zunächst das Kriterium der gesetzlichen Grundlage in den Blick, so ist festzuhalten, dass bisher lediglich in fünf Bundesländern entsprechende formell-gesetzliche Regelungen für die Durchführung von Befragungen geschaffen wurden. Das bedeutet: Nicht für alle Einwohner- und Bürgerbefragungen kann dieser Aspekt zur Bestimmung der Zielsetzung der Befragung gewinnbringend herangezogen werden. In den Fällen, in denen eine gesetzliche Grundlage besteht, kann dem Kriterium für die Bestimmung der Zielsetzung einer Befragung aber gleichwohl eine Indizwirkung zukommen.

tungsorgane einiger hessischer Gemeinden, darunter die Städte Frankfurt am Main und Darmstadt, in einem an der Durchführung von Wahlen orientierten Verfahren ihre wahlberechtigten Bürger über die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu befragen. In Frankfurt am Main beispielsweise sollte die Fragestellung folgendermaßen lauten: „Sollen auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden?“, siehe BVerfG, a. a. O., S. 125. Das Bundesverfassungsgericht hatte nun im Rahmen eines von der Bundesregierung angestrengten Bund-Länder-Streits darüber zu entscheiden, ob das Land Hessen gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verstieß, indem die Landesregierung es unterließ, die Beschlüsse der hessischen Gemeinden über die Durchführung der Befragungen aufzuheben, siehe BVerfG, a. a. O., S. 124. Das Bundesverfassungsgericht wertete die Befragungsteilnahme auch in diesem Fall als Teilnahme an der staatlichen Willensbildung. Zur Begründung verwies das Gericht lediglich auf die entsprechenden Ausführungen im ersten Volksbefragungsurteil (BVerfGE 8, 104 (104 ff.), siehe BVerfGE 8, 122 (133)).

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

43

2. Staatsvolk als Adressat der Befragung In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten der bestehenden gesetzlichen Regelungen an die Einwohner und nicht an die Bürger32 adressiert sind und – das hat die Betrachtung der Beispiele zu Beginn gezeigt33 – auch in der Praxis nicht immer nur die Bürger an den Befragungen teilnehmen können, ist fraglich, ob das Tätigwerden des Staatsvolkes auch als ein taugliches Indiz für die Zielsetzung einer gemeindlichen Befragung herangezogen werden kann. Um das herauszufinden, ist zunächst auf die Definition des Volksbegriffs einzugehen. a) Exkurs: Volksbegriff des Grundgesetzes Wie in der Einleitung bereits angedeutet, steht die mehrheitliche Meinung in Rechtsprechung und Literatur auf dem Standpunkt, dass mit dem in Art. 20 Abs. 2 GG genannten Volk das deutsche Volk34 angesprochen ist.35 Zum Volk i. S. v. Art. 20 Abs. 2 GG gehören demnach die deutschen Staatsangehörigen und die diesen gem. Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen.36 aa) Verständnis auf Gemeindeebene Für den hier interessierenden Themenbereich ist relevant, ob der Volksbegriff für die gemeindliche Ebene genauso auszulegen ist wie im Rahmen von Art. 20

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Siehe zur Unterscheidung Einleitung A. Vgl. Kap. 1 D. 34 Eine ausführliche Argumentation findet sich etwa bei Huber, DÖV 1989, 531 (531 ff.) und Karpen, NJW 1989, 1012 (1013 f.). Eine Änderung des Staatsvolksbegriffs folgt insbesondere auch nicht aus dem Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem am 01. 12. 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen hat, da die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsbürgerschaft nicht ersetzt, sondern neben sie tritt (Art. 9 S. 3 EUV), vgl. BVerfGE 123, 267 (404 f.). 35 BVerfGE 83, 37 (51); BVerfGE 83, 60 (76, 81); BremStGH, NVwZ-RR 1992, 149 (150); Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 90; Sommermann, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG  II, Art. 20 Rn. 148; Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  20  II Rn. 81; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 42; Böckenförde, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR II, § 24 Rn. 26; Kotzur, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 107; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 79; a. A. etwa Zuleeg, JZ 1980, 425 (430), der dafür plädiert „nur das Maß der Betroffenheit durch die Entscheidungen der Gewählten als tragfähige Grundlage für die Zugehörigkeit zum Volke“ anzusehen. 36 Da das grundgesetzliche Verständnis des Volksbegriffs im Lichte des Homogenitätsgebots des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch für die Ebene der Länder maßgeblich ist, lassen sich die Ausführungen hierzu auch auf Art. 25 Abs. 1 LV BW als landesverfassungsrechtliches Pendant zu Art. 20 Abs. 2 GG übertragen, vgl. Dittmann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VI, § 127 Rn. 17. 33

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

Abs. 2 GG.37 Dass das Grundgesetz auch auf Gemeindeebene von der Existenz eines Volkes ausgeht, macht es dadurch deutlich, dass „das Volk“ gem. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG in Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben muss.38 Als Argument für einen gemeindeeigenen, von Art. 20 Abs. 2 GG losgelösten Volksbegriff könnte man die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) heranziehen, nach der die Gemeinden das Recht haben, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln.39 Nicht nur die deutschen Staatsangehörigen und die ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen, sondern alle in der Gemeinde lebenden Einwohner werden von den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betroffen.40 Man könnte daher die Auffassung vertreten, dass zum „Gemeindevolk“ nicht nur deutsche Staatsangehörige und die nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen, sondern alle Einwohner der Gemeinde zählen. Eine solche Deutung liefe allerdings dem Sinn und Zweck von Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG zuwider. Die Vorschrift gibt zu erkennen, dass die Prinzipien der Demokratie und der Volkssouveränität sowie die Durchführung von Wahlen auch auf gemeindlicher Ebene Gültigkeit besitzen sollen. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG wird auf diese Weise der besonderen Stellung der Kommunen in dem vom Grundgesetz vorgesehenen Staatsaufbau gerecht. Das Grundgesetz statuiert das Prinzip einer gegliederten Demokratie, indem das Staatsgefüge innerhalb der Länder auf den Kommunen als Selbstverwaltungskörperschaften aufbaut. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG zielt also darauf ab, für alle Gebietskörperschaften eine einheitliche Bestimmung der Grundlage der demokratischen Legitimation zu gewährleisten.41 Die Bildung eines gemeindeeigenen Volksbegriffs würde diesem Anliegen widersprechen. Auch der Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, der für den Begriff des Volkes in Bezug auf Länder, Kreise und Gemeinden keine Differenzierung vornimmt, weist auf ein einheitliches, nur deutsche Staatsangehörige und diesen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellte Personen umfassendes Verständnis hin.42 Dass sich Art. 28 Abs. 1 GG in Bezug auf die Auslegung des Volksbegriffs an Art. 20 37

So die h. M, siehe z. B. BVerfGE 83, 60 (71); Dittmann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VI, § 127 Rn. 17; Püttner, in: Mann / P üttner (Hrsg.), HKWP I, § 19 Rn. 7; Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  28 I Rn.  88; Schwarz, AöR 2013, 411 (430); Barley, Das Kommunalwahrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 33 ff.; vgl. auch Isensee, VVDStRL 1974, 49 (96). 38 Auch Art. 72 Abs. 1 S. 1 LV BW bestimmt, dass das Volk in den Gemeinden und Kreisen eine Vertretung haben muss. 39 Auf landesverfassungsrechtlicher Ebene folgt das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung aus Art. 71 Abs. 1 S. 1 und S. 2 und Abs. 2 S. 1 LV BW. 40 Vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 65 f.; in diese Richtung auch Zuleeg, KritV 2000, 419 (424 f.); siehe ebenso OVG Lüneburg, DÖV 1985, 1067 (1067 ff.), wenn auch nicht unmittelbar am Begriff des Volkes, sondern an der kommunalen Willensbildung ansetzend. 41 Ausführlich zum Ganzen BVerfGE 83, 37 (53 ff.). 42 BVerfGE 83, 37 (53); vgl. auch Schwarz, AöR 2013, 411 (430).

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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Abs. 2 GG orientiert, wird auch in der Struktur der Norm, genauer am Regelungsstandort des kommunalen Wahlrechts, sichtbar. Wäre es das Ziel der Regelung, alle von der Selbstverwaltung betroffenen Personen, also alle Einwohner, zur Wahl zuzulassen, spricht viel dafür, dass die Regelung dann nicht in Art. 28 Abs. 1 GG, sondern in Art. 28 Abs. 2 GG ihren Niederschlag gefunden hätte.43 Außerdem wäre die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für EU-Bürger und damit die Regelung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG hinfällig, wenn diese als Einwohner ohnehin vom Volksbegriff des Art. 28 Abs. 1 GG erfasst wären.44 Nach alledem ist davon auszugehen, dass Art. 28 Abs. 1 GG, abgesehen von der territorialen Begrenzung, keinen von Art. 20 Abs. 2 GG abweichenden Volksbegriff für die Gemeinden vorsieht. bb) Anderes Verständnis infolge der Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG? Dieses Ergebnis wird vereinzelt mit dem Argument bestritten, infolge der Einführung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts für Personen mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft (Unionsbürger) gem. dem heutigen Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG zählten auf kommunaler Ebene nun auch Unionsbürger zum Volk im rechtlichen Sinne.45 Diese Vorschrift wurde 1992 in das Grundgesetz aufgenommen.46 Hintergrund war die Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger durch den Vertrag von Maastricht (Art. 8b Abs. 1 EGV).47 Gegen diese Auffassung sprechen jedoch mehrere Gründe: Zunächst finden sich schon im Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, der sich lediglich mit Wahlen in Kreisen und Gemeinden befasst, keine Hinweise auf eine solch grundlegende Änderung. Wäre es tatsächlich das Ziel der Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

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Vgl. BVerfGE 83, 37 (55 f.); Remmert, in: dies. / Wehling (Hrsg.), Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, S. 178 (180 f.). 44 Remmert, in: dies. / Wehling (Hrsg.), Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, S. 178 (181). 45 Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG I, 6. Aufl., Art. 28 Rn. 32; vgl. Hobe, JZ 1994, 191 (193); wohl auch Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 168 f.; Sokolov, NVwZ 2016, 649 (652). In diese Richtung, jedoch mit einem besonderen Schwerpunkt auf einer systematischen Interpretation des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, geht wohl auch das Sondervotum der Richterin Sacksofsky zum Urteil des StGH Bremen betreffend die Ausweitung des Wahlrechts zur Bremischen Bürgerschaft auf Unionsbürger und zu den Beiräten auf Drittstaatsangehörige vom 31. 01. 2014, NVwZ-RR 2014, 497 (502 ff.). 46 Eingefügt durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. 12. 1992, BGBl. I S. 2086. 47 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes vom 02. 10. 1992, BT-Drs. 12/3338, S. 10 f. Ausführlich zum Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 39 ff. Näher zu Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG in Kap. 5 A. III. 1. a).

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

gewesen, eine Modifizierung des Volksbegriffs für die Kommunalebene vorzunehmen, so hätte es sich angeboten, den Verfassungstext diesbezüglich ausdrücklich zu ändern.48 Auch die systematische Stellung von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG spricht gegen eine Änderung des Volksbegriffs. Dadurch, dass Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG Bezug nimmt („auch“), der bestimmt, dass das Volk in den Ländern und Kommunen eine Vertretung haben muss, und Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG das Wahlrecht der EU-Bürger „nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft“49 garantiert, wird deutlich, dass sich die Norm darauf beschränkt, dem in dieser Frage bestehenden Vorrang des Unionsrechts zur Geltung zu verhelfen und nicht bezweckt, den Volksbegriff des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG zu ändern.50 Des Weiteren weisen die Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG darauf hin, dass die Norm dem Volksbegriff auf Kommunalebene kein anderes Verständnis verleiht. Aus dem Regierungsentwurf zu dem entsprechenden verfassungsändernden Gesetz geht nur hervor, dass mit der Neuschaffung der Norm das in Art. 8b Abs. 1 EG-Vertrag51 angelegte aktive und passive Kommunalwahlrecht für EU-Bürger verwirklicht werden sollte.52 b) Zwischenergebnis Die Arbeit geht mit der überwiegenden Meinung davon aus, dass zum Volk auf Gemeindeebene alle deutschen Staatsangehörigen sowie diesen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen gehören.53 Für die verfassungsrechtliche 48

Schönberger, Unionsbürger, S. 453; Remmert, VBlBW 2017, 415 (418); Burkholz, DÖV 1995, 816 (818); siehe zu diesem Gedanken auch StGH Bremen, NVwZ 2014, 497 (499 f.). 49 Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG stellt nicht selbst die Rechtsgrundlage des Kommunalwahlrechts dar, die Norm verweist vielmehr auf Art. 22 Abs. 1 AEUV („nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft“). Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG wird daher auch als „Öffnungsklausel“ angesehen, vgl. Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 162; Meyer-­ Teschendorf / Hofmann, ZRP 1995, 290 (291); a. A. Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 53 f., nach der man die Gewährung des Kommunalwahlrechts Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst entnehmen kann. 50 Vgl. StGH Bremen, NVwZ 2014, 497 (500). 51 Heute Art. 22 Abs. 1 AEUV. 52 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes vom 02. 10. 1992, BT-Drs. 12/3338, S. 3, 11. Siehe hierzu StGH Bremen, NVwZ 2014, 497 (500), der zusätzlich mit der Auseinandersetzung um ein kommunales Ausländerwahlrecht in der Gemeinsamen Verfassungskommission argumentiert. 53 Diese Schlussfolgerung hat nicht zur Folge, dass die Einwohner, die nicht zum Gemeindevolk gehören, gegenüber der Gemeinde ihre Interessen nicht vertreten dürfen. So ist es z. B. möglich, dass in den Gemeinden sog. Migrationsbeiräte gebildet werden, denen Beratungsund Anhörungsrechte zugestanden werden können, vgl. Isensee, VVDStRL 1974, 49 (96 f. Fn. 119). Hinzu kommt, dass trotz dieses engen Begriffsverständnisses im Rahmen einer Verfassungsänderung ein kommunales Ausländerwahlrecht auch für Drittstaatsangehörige eingeführt werden könnte, ausführlich hierzu Remmert, in: dies. / Wehling (Hrsg.), Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, S. 178 (183 ff.).

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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Einordnung der Befragungsteilnahme hilft die Ausrichtung der Befragung auf das Staats- bzw. Gemeindevolk tatsächlich also nur in wenigen Fällen weiter. Hinzu kommt, dass dieses Kriterium ohnehin nur einen begrenzten Aussagegehalt hat. Würde man für all diejenigen Befragungen, an denen nicht nur Bürger, sondern auch ausländische Einwohner teilnahmeberechtigt sind, folgern, dass die Befragungsteilnahme schon aus diesem Grund keinen Akt der staatlichen Willensbildung darstellt, dann würde man die Antworten auf die beiden getrennt voneinander zu untersuchenden Fragen nach der verfassungsrechtlichen Charakterisierung der Befragungsteilnahme und nach der Vereinbarkeit der Befragung mit der Verfassung miteinander vermengen. In den Fällen, in denen der Teilnehmerkreis der Befragung auf das Staats- bzw. Gemeindevolk begrenzt ist, kann diesem Kriterium für die Bestimmung der Zielsetzung der Befragung aber gleichwohl eine Indizwirkung zukommen. 3. An Wahlen und Abstimmungen orientierte Ausgestaltung der Befragung Neben der Tatsache, dass die hamburgische und die bremische Volksbefragung an das Staatsvolk adressiert waren, war für das Bundesverfassungsgericht für die Bestimmung der Zielsetzung der Befragungen relevant, dass die Teilnehmer ihr Stimmrecht „in derselben Weise und nach denselben Regeln wie bei Wahlen zum Parlament und bei Volksabstimmungen“ ausüben sollten.54 Fraglich ist also, ob sich auch die Durchführung der gemeindlichen Einwohner- und Bürgerbefragungen an bereits existierenden Regelungen für Wahlen bzw. Abstimmungen orientiert. a) Formell-gesetzliche Vorgaben Zu diesem Zweck betrachtet die Arbeit zunächst die bestehenden formell-gesetzlichen Regelungen zu Einwohner- und Bürgerbefragungen und analysiert, ob diese, ähnlich wie die Volksbefragungsgesetze der Länder Hamburg und Bremen, Anhaltspunkte dafür geben, dass sich die Teilnehmer genauso äußern sollen wie bei Volksabstimmungen bzw. Wahlen. Das Verfahren für die Volksbefragungen wurde im hamburgischen und im bremischen Volksbefragungsgesetz jeweils ausführlich geregelt. Nach beiden Gesetzen waren lediglich die zur Bürgerschaft wahlberechtigten Personen an der jeweiligen Befragung teilnahmeberechtigt.55 Während das bremische Volksbefragungsgesetz insgesamt sechs Paragraphen enthielt und sich mit einem Verweis auf das Wahlgesetz für die bremische Bürger 54 55

BVerfGE 8, 104 (114). Siehe dazu bereits Kap. 2 A. I.

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

schaft56 in § 5 Abs. 1 des Volksbefragungsgesetzes dessen detaillierte Regelungen u. a. zum Wählerverzeichnis,57 zum Wahltag und zur Wahlzeit58 sowie zur Öffentlichkeit der Wahl und der Wahrung des Wahlgeheimnisses59 zu eigen machte, verfolgte das hamburgische Volksbefragungsgesetz eine andere Regelungstechnik. In 13 Paragraphen regelte es viele Modalitäten zur Durchführung der Befragung selbst. So bestimmte beispielsweise § 4, dass der Senat einen Leiter der Volksbefragung bestellt und der Direktor des Statistischen Landesamts sein Stellvertreter sein soll. Des Weiteren sah § 5 Abs. 1 S. 1 vor, die Volksbefragung in Abstimmungsbezirken durchzuführen. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 sollten diese identisch sein mit denen der letzten hamburgischen Bürgerschaftswahl. § 7 ordnete die Verwendung amtlicher Stimmzettel an, § 8 die Öffentlichkeit der Abstimmungshandlung und die Geheimheit der Stimmabgabe. § 13 ermächtigte den Senat, weitere Einzelheiten über die Durchführung der Befragung durch Rechtsverordnung zu regeln. Demgegenüber beschränken sich die gegenwärtig bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Einwohner- und Bürgerbefragungen überwiegend darauf, festzulegen, dass eine Befragung durchgeführt werden kann. So heißt es z. B. in § 35 S. 1 NKomVG: „Die Vertretung kann in Angelegenheiten der Kommune eine Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner, die mindestens 14 Jahre alt sind und seit mindestens drei Monaten den Wohnsitz in der Kommune haben, beschließen.“ § 13 S. 1 und S. 2 BbgKVerf bestimmen: „Die Gemeinde beteiligt und unterrichtet die betroffenen Einwohner in wichtigen Gemeindeangelegenheiten. Zu diesen Zwecken sollen Einwohnerfragestunden, Einwohnerversammlungen, Einwohnerbefragungen oder andere Formen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt werden.“ Die ähnlich formulierten sachsen-anhaltinischen60 und saarländischen61 Regelungen sehen darüber hinaus vor, dass die Befragungsteilnahme freiwillig ist und in anonymisierter Form zu erfolgen hat. § 20b Abs. 2 S. 1 SaarlKSVG bestimmt zusätzlich, dass den Einwohnern vor einer Befragung die jeweiligen Auffassungen der Gemeindeorgane in Form einer öffentlichen Bekanntmachung zugänglich sein müssen. Bis auf § 35 NKomVG ist allen Regelungen zu entnehmen, dass Einzelheiten in der Geschäftsordnung des Gemeinderats62 bzw. in einer Satzung63 geregelt werden. Dieser Überblick über die formell-gesetzlichen Regelungen zeigt: Ein den hamburgischen und bremischen Volksbefragungsgesetzen ähnlich ausführlicher Regelungsbestand ist für die Einwohner- und Bürgerbefragungen überwiegend nicht

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Wahlgesetz für die Bürgerschaft vom 22. 04. 1955, GBl. S. 63. § 15 des Wahlgesetzes. 58 § 27 des Wahlgesetzes. 59 § 28 des Wahlgesetzes. 60 § 28 Abs. 3 S. 3, S. 5 KVG LSA. 61 § 20b Abs. 2 S. 2, S. 3 SaarlKSVG. 62 § 16c Abs. 4 GO SH. 63 § 20b Abs. 3 SaarlKSVG, § 28 Abs. 3 S. 6 KVG LSA, § 13 S. 3 BbgKVerf. 57

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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aufzufinden. Zudem können, anders als nach den Volksbefragungsgesetzen, nicht nur die Wahlberechtigten an den Befragungen teilnehmen.64 Daher kann nicht schon aus den formell-gesetzlichen Regelungen gefolgert werden, dass sich die Teilnehmer an gemeindlichen Befragungen genauso wie bei verbindlichen Volksentscheiden äußern sollen und dass sie damit Staatsgewalt ausüben. Eine Ausnahme könnte insoweit die Rechtslage in Schleswig-Holstein darstellen. In Anbetracht der Tatsache, dass § 16c Abs. 3 S. 3 GO SH für Einwohnerbefragungen auf § 16g Abs. 1 bis 7 GO SH und damit auf einen Großteil der Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid verweist,65 könnte man meinen, der Gesetzgeber habe damit zum Ausdruck gebracht, dass sich die Befragungsteilnehmer im Rahmen einer Befragung genauso äußern sollen wie bei einem Bürgerentscheid. In Anlehnung an das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts in der Volksbefragungsrechtsprechung könnte das dafür sprechen, die Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen. Der Verweis des § 16c Abs. 3 S. 3 GO SH wirft allerdings einige Fragen auf, die für die Rechtsanwendung bisher noch ungeklärt sind.66 Seinem Wortlaut nach soll er nur dann greifen, soweit § 16g Abs. 1 bis 7 GO SH anwendbar ist. Fraglich ist somit beispielsweise, ob gem. §§ 16c Abs. 3 S. 3, 16g Abs. 3 GO SH67 eine Einwohnerbefragung auch mittels eines Bürgerbegehrens herbeigeführt werden kann.68 Ob allein die Verweisung des § 16c Abs. 3 S. 3 GO SH also tatsächlich dafür spricht, die Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen, muss an dieser Stelle also offen bleiben. Infolgedessen lässt sich festhalten, dass, anders als bei den Volksbefragungsgesetzen der Länder Hamburg und Bremen, nicht allein aus den bestehenden formell-gesetzlichen Regelungen zu Einwohner- und Bürgerbefragungen gefolgert

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Eine Ausnahme ist insofern § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA, nach dem nur Bürger an einer Befragung teilnehmen können. 65 Vom Verweis des § 16c Abs. 3 S. 3 GO SH auf die Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nicht erfasst ist dem Wortlaut nach lediglich § 16g Abs. 8 GO SH, wonach dem Bürgerentscheid die Wirkung eines Beschlusses der Gemeindevertretung bzw. des zuständigen Ausschusses zukommt und der Bürgerentscheid innerhalb von zwei Jahren nur durch einen Bürgerentscheid abgeändert werden kann. 66 Siehe zu den Unklarheiten des Verweises Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 132 f. 67 § 16g Abs. 3 GO SH lautet: „Über Selbstverwaltungsaufgaben können die Bürgerinnen und Bürger einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren). Das Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht werden und die zur Entscheidung zu bringende Frage, eine Begründung sowie eine von der zuständigen Verwaltung zu erarbeitende Übersicht über die zu erwartenden Kosten der verlangten Maßnahme enthalten. Das Bürgerbegehren muss bis zu drei Personen benennen, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten. Bürgerinnen und Bürger können sich durch die Kommunalaufsichtsbehörde hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bürgerbegehrens beraten lassen; Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.“ 68 Skeptisch Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 132: „nicht passend“.

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

werden kann, dass sich die Befragungsteilnehmer nach denselben Regeln wie bei Wahlen und Abstimmungen äußern sollen. b) Vorgaben aus gemeindlichen Satzungen Der Überblick über die bestehenden formell-gesetzlichen Vorgaben zu Einwohner- und Bürgerbefragungen hat deutlich gemacht, dass die Regelung der Einzelheiten zur Durchführung einer Befragung größtenteils untergesetzlichen Regelwerken, d. h. Satzungen und Geschäftsordnungen, überlassen wird. Auch in den Bundesländern, in denen es keine formell-gesetzlichen Grundlagen für Einwohner- und Bürgerbefragungen gibt, bestehen Satzungen zur Durchführung von Befragungen. Daher ist zu überlegen, ob die Satzungen Anhaltspunkte dafür bieten, dass die Befragungsteilnehmer nach denselben Regeln wie bei Abstimmungen und Wahlen tätig werden sollen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden einige ausgewählte Satzungen analysiert. aa) Satzung für Einwohnerbefragungen der Stadt Eisenach Der Stadtrat der thüringischen Stadt Eisenach hat am 21. Oktober 2014 aufgrund von § 19 Abs. 1 S. 1 ThürKO69 eine Satzung für Einwohnerbefragungen erlassen.70 § 19 Abs. 1 S. 1 ThürKO beinhaltet die allgemeine Satzungbefugnis der Gemeinden. Eine spezielle gesetzliche Grundlage für Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen liegt der Satzung demnach nicht zugrunde. Aus § 5 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 der Satzung folgt zunächst, dass für die Befragung amtliche Vordrucke71 angefertigt werden müssen und dass nur diejenigen Antworten berücksichtigt werden, die unter Verwendung eines solchen Vordrucks erfolgen. § 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 der Satzung bestimmen, dass die Auszählung der Antworten öffentlich erfolgt und dass das Ergebnis von der Befragungsleitung festgestellt und öffentlich bekannt gegeben werden muss. Nach § 7 Abs. 1 der Satzung wird die Befragungsleitung von der Wahlleitung der letzten Kommunalwahl wahrgenommen. Gem.  § 4 Abs. 2 S. 1 führt die Stadt überdies ein Verzeichnis aller teilnahmeberechtigten Einwohner,72 das vor der Befragung auszulegen ist.

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Gesetz i. d. F. vom 28. 01. 2003, GVBl. S. 41, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 05. 10. 2022, GVBl. S. 414, 415. 70 Die Satzung ist abrufbar unter http://eisenach.de/fileadmin/files_db/Buergerservice/ Ortsrecht/Satzung-Einwohnerbefragung.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 71 Gem. § 5 Abs. 2 Nr. 3 der Satzung können die Vordrucke auch in digitaler Form zugänglich gemacht werden. 72 Gem. § 4 Abs. 1 der Satzung sind all diejenigen Einwohner teilnahmeberechtigt, die am Befragungstag bzw. am letzten Tag des Befragungszeitraums seit drei Monaten ihren Aufenthalt in der Stadt und das 14. Lebensjahr vollendet haben.

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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Um eine mehrfache Befragungsteilnahme zu verhindern, wird nach § 4 Abs. 3 in diesem Verzeichnis zudem vermerkt, wer an der Befragung teilgenommen hat. Das Zusammentreffen dieser Aspekte in der Satzung führt dazu, dass sich das Befragungsverfahren in vielen Punkten an staatlichen Wahlen orientiert. Für Bundestagswahlen etwa folgt aus § 31 S. 1 BWG73, dass die Wahlhandlung öffentlich sein muss.74 Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 BWG müssen die Gemeinden auch bei Bundestagswahlen ein Wählerverzeichnis führen und auch hier haben die Wahlberechtigten eine Einsichtsmöglichkeit, vgl. § 17 Abs. 1 S. 2 BWG. Es spricht also viel dafür, dass die Befragungsteilnehmer ihr Votum nach der Satzung der Stadt Eisenach in derselben Weise wie bei Wahlen und Abstimmungen abgeben sollen. bb) Hauptsatzung der Stadt Potsdam Die Hauptsatzung der Stadt Potsdam75 regelt selbst nur Grundlegendes76 zum Verfahren bei Einwohnerbefragungen. § 5 Nr. 4 S. 2 der Satzung verweist außer für den Fall, dass der Durchführungsbeschluss der Stadtverordnetenversammlung bzw. die Hauptsatzung selbst etwas Abweichendes vorsehen, auf die Vorschriften des brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes sowie auf die brandenburgische Kommunalwahlordnung. Mit diesem Verweis gelten die Anforderungen, die die Regelungen des brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung an die Durchführung der Kommunalwahlen stellen, wie beispielsweise die Wahrung des Wahlgeheimnisses (§ 40 Abs. 1 BbgKWahlG77) und die Öffentlichkeit der Wahl (§ 41 Abs. 1 BbgKWahlG), auch für Einwohnerbefragungen. Nach der Potsdamer Hauptsatzung orientiert sich das Verfahren für Einwohnerbefragungen mithin stark an dem Verfahren für Kommunalwahlen.

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Gesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. 07. 1993, BGBl. I S. 1288, ber. S. 1594, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 03. 06. 2021, BGBl. I S. 1482. 74 Siehe zum Grundsatz der Öffentlichkeit Kap. 7 C. I. 1. b). 75 I. d. F. vom 18. 02. 2021. Die Satzung ist abrufbar unter https://www.potsdam.de/sites/ default/files/documents/hauptsatzung_2015_aenderungssatzung_6_von_2021.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 76 Die Satzung selbst regelt in ihrem einschlägigen § 5 zu dem Verfahren der Befragung insbesondere nur, dass die konkreten Modalitäten der Befragung von der Stadtverordnetenversammlung in einem entsprechenden Durchführungsbeschluss bestimmt werden (§ 5 Nr. 4 S. 1) und dass die Leitung der Vorbereitung und Durchführung sowie die Feststellung und die Bekanntgabe des Ergebnisses dem amtierenden Wahlleiter obliegen (§ 5 Nr. 5). 77 Gesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 09. 07. 2009, GVBl. I S. 326, zuletzt geändert durch Gesetz vom 08. 12. 2021, GVBl. I Nr. 28.

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

cc) Satzung über die Durchführung von Einwohnerbefragungen der Stadt Tübingen Die Satzung der Stadt Tübingen78 über die Durchführung von Einwohnerbefragungen, die aufgrund der allgemeinen Satzungsermächtigung des § 4 Abs. 1 GemO BW und damit ohne spezielle gesetzliche Grundlage für Einwohnerbefragungen erlassen wurde, bietet für den Fall der schriftlichen Befragungsteilnahme insbesondere mit der entsprechenden Anwendung von § 22 KomWG BW79 (§ 11 Abs. 3 der Satzung), der die Zurückweisung von Wahlbriefen regelt, und der Notwendigkeit einer eidesstattlichen Versicherung (§ 7 Abs. 9 S. 1 der Satzung) Anhaltspunkte für ein an Wahlen orientiertes Verfahren. Das Bundestagswahlrecht etwa sieht eine eidesstattliche Versicherung auf dem Wahlschein vor, damit der Wähler oder dessen Hilfsperson die Übereinstimmung des Wählerwillens mit der Kennzeichnung des Stimmzettels versichert (Anlage 9 zu § 26 BWO80). Allerdings spricht auch einiges gegen die Ausgestaltung des Verfahrens in Anlehnung an Wahlen: Zum einen sieht die Satzung in § 7 Abs. 9 S. 1 vor, dass der Befragungsteilnehmer bei der schriftlichen Teilnahme die Portokosten für die Zustellung der Unterlagen bei der zuständigen Stelle durch ein Postunternehmen selbst zu tragen hat. Bei Bundestagswahlen müssen diese Kosten vom Bund getragen werden (§ 36 Abs. 4 S. 3 BWG).81 Zum anderen wird das Ergebnis derjenigen Befragungsteilnehmer, die über das Internet bzw. über die Tübinger „BürgerApp“ teilnehmen, nach § 11 Abs. 1 S. 1 der Satzung von einem beauftragten Unternehmen und nicht von der Stadt selbst ermittelt und festgestellt. Bei staatlichen Wahlen fordert der aus Art. 38 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG folgende Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, dass die Auswertung des Befragungsergebnisses öffentlich überprüfbar ist.82 Die Auswertung des Befragungsergebnisses durch einen privaten Dienstleister steht dem entgegen. Insgesamt geht aus der Satzung der Stadt Tübingen also nicht eindeutig hervor, dass sich die Durchführung von Befragungen an den für Wahlen und Abstimmungen geltenden Regeln orientieren soll.

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Siehe dazu bereits Kap. 1 Fn. 3. Diese aktuelle Fassung der Satzung unterscheidet sich insbesondere dadurch von der zum Zeitpunkt der Durchführung der in Kap. 1 D. III., V. dargestellten Befragungen geltenden Fassung, dass das Mindestalter für die Teilnahme nicht mehr 16 Jahre, sondern zwölf Jahre beträgt (§ 3 Abs. 1 der Satzung). 79 Gesetz i. d. F. vom 01. 09. 1983, GBl. S. 429, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 15. 10. 2020, GBl. S. 910, 912. 80 Rechtsverordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. 04. 2002, BGBl. I S. 1376, zuletzt geändert durch Art. 10 der Rechtsverordnung vom 19. 06. 2020, BGBl. I S. 1328, 1329. 81 Dies gilt allerdings nicht, wenn der Absender eine besondere Versendungsform in Anspruch nimmt. Dann muss der Absender die zusätzlichen Kosten übernehmen, vgl. § 36 Abs. 4 S. 2 BWG. Für Kommunalwahlen folgt die Pflicht der Gemeinde zur Freimachung des Wahlbriefumschlags aus § 11 Abs. 6 S. 3 KomWO BW. 82 BVerfGE 123, 39 (68, 70). Ausführlich zur Öffentlichkeit bei Einwohner- und Bürgerbefragungen Kap. 7 C.

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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dd) Einwohnerbeteiligungssatzungen der Stadt Brandenburg an der Havel und der Gemeinde Panketal Die Einwohnerbeteiligungssatzung der Stadt Brandenburg an der Havel83, die sich u. a. auf § 13 BbgKVerf und damit auf eine formell-gesetzliche Grundlage für Einwohnerbefragungen stützt, beinhaltet kaum Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einwohner bei den Befragungen in derselben Weise und nach denselben Regeln wie bei Wahlen und Abstimmungen äußern sollen. § 4 Abs. 5 der Satzung bestimmt lediglich, dass die Leitung der Durchführung und Vorbereitung und die Feststellung und öffentliche Bekanntgabe des Ergebnisses Sache des Oberbürgermeisters ist. Nach § 4 Abs. 4 der Satzung ist das nähere Verfahren in einem gesonderten Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zu regeln. Auch aus der Einwohnerbeteiligungssatzung der brandenburgischen Gemeinde Panketal84, die sich ebenfalls auf § 13 BbgKVerf stützt, geht nicht hervor, dass die Befragung nach denselben Regeln durchgeführt werden soll wie bei Abstimmungen und Wahlen. Die Satzung bestimmt insbesondere nur, dass die Gemeindevertretung über die Durchführung einer Befragung entscheidet, sie selbst über das Befragungsergebnis zu informieren ist (§ 4 Abs. 2, Abs. 3 S. 2) und dass die Befragung schriftlich durchgeführt wird (§ 4 Abs. 3 S. 1). c) Zwischenergebnis Der Überblick über die gemeindlichen Satzungen zeigt: Den Satzungen lässt sich nicht immer eindeutig entnehmen, ob die Teilnehmer von Einwohner- bzw. Bürgerbefragungen nach denselben Regeln agieren sollen wie bei Wahlen oder Abstimmungen. Ob sich die Befragung an den Regelungen zum Wahlrecht bzw. zu Abstimmungen orientiert, hängt vielmehr von der jeweiligen Ausgestaltung der Satzung ab. 4. Schlussfolgerung Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht in der Volksbefragungsrechtsprechung zur Abgrenzung der politischen Willensbildung von der staatlichen Willensbildung heranzog, in vielen Fällen nicht weiterhelfen. Demzufolge ist es nicht gerechtfertigt, die Schlussfolgerung des Bundesverfassungsgerichts, die Teilnahme an der hamburgischen bzw. 83

I. d. F. vom 12. 04. 2017, abrufbar unter https://www.stadt-brandenburg.de/fileadmin/ pdf/10/Buero_SVV/Satzungen/Einwohnerbeteiligungssatzung_mit_Erg._April_2017.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 84 Vom 23. 05. 2011, abrufbar unter https://panketal.de/images/Downloads/Satzungen/Diverse/ Einwohnerbeteiligungssatzung.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

bremischen Volksbefragung sei Staatswillensbildung und damit Ausübung von Staatsgewalt, unmittelbar auf sämtliche gemeindliche Einwohner- und Bürgerbefragungen zu übertragen. Vielmehr wird deutlich: Die verfassungsrechtliche Einordnung der Befragungen kann jeweils nur im Einzelfall vorgenommen werden. Außerdem müssen zusätzlich zu den Kriterien aus der Volksbefragungsrechtsprechung weitere Indizien zur Abgrenzung einbezogen werden. Damit ist die Qualifikation der Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt auch kein geeignetes Kriterium, um Einwohner- und Bürgerbefragungen von demoskopischen Umfragen abzugrenzen.85

II. Unterschied zwischen politischer und staatlicher Willensbildung Um herauszufinden, welche weiteren Anknüpfungspunkte sich für die Bestimmung der Zielsetzung einer Befragung eignen, muss ermittelt werden, wodurch sich die beiden Sphären der staatlichen Willensbildung einerseits und der politischen Willensbildung bzw. öffentlichen Meinung andererseits unterscheiden.86 Die politische Willensbildung beherbergt „die geistige Auseinandersetzung über politisch relevante Themen zwischen Menschen, Parteien, Verbänden, Vereinigungen und anderen sozialen Gruppen“87. Die öffentliche Meinung88 umschreibt das Bundesverfassungsgericht dabei als „Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes“.89 Die politische Willensbildung ist demnach ein Ausdruck individueller bzw. kollektiver Freiheit und findet ihr rechtliches Fundament insbesondere 85

Siehe dazu bereits Kap. 1 B. I. Die Unterscheidung von politischer und staatlicher Willensbildung führt auch dazu, dass dem einzelnen Individuum eine Doppelrolle zukommt. Mit der Rolle des „Citoyen“ nimmt das Individuum an der Ausübung der staatlichen Gewalt teil, beispielsweise durch die Ausübung des Wahlrechts. Als „Bourgeois“ hingegen wirkt das Individuum an der politischen, also der gesellschaftlichen Willensbildung, mit, vgl. dazu Schmitt Glaeser, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 38 Rn. 3. Die Unterscheidung dieser beiden Bereiche der Willensbildung bedeutet jedoch nicht, dass diese völlig getrennt voneinander existieren. Staat und Gesellschaft stehen vielmehr in einer Wechselbeziehung. Diese äußert sich z. B. darin, dass gesellschaftliche Gruppierungen, die, wie die Gesellschaft an sich, ihre Rechtsordnung vom Staat erlangen, versuchen, die staatlichen Entscheidungsträger zu beeinflussen. Vgl. zur Wechselbeziehung BVerfGE 20, 56 (99); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 186 f.; Böckenförde, in: FS Hefermehl, S. 11 (18 f.). Eingehend zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft etwa Wolff, in: Hill / Schliesky (Hrsg.), Die Neubestimmung der Privatheit, S. 25 (25 ff.). 87 Schmitt Glaeser, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 38 Rn. 3. 88 Eine feststehende Definition des Begriffs der öffentlichen Meinung findet sich in der Literatur bisher nicht, vgl. Kloepfer, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 42 Rn. 1. 89 BVerfGE 8, 104 (113). Nach Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 185 mit Fn. 27 und Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 150 f. ist die öffentliche Meinung von der Vorformung des politischen Willens zu unterscheiden. 86

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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in den Grundrechten der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 9 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG).90 Gelangt man also zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme an einer Einwohner- bzw. Bürgerbefragung dem Bereich der politischen Willensbildung bzw. der öffentlichen Meinung zuzuschreiben ist, stellt die Stimmabgabe verfassungsrechtlich gesehen eine – in einem geordneten Verfahren organisierte – Ausübung des Grundrechts der Meinungsfreiheit91 dar.92 Unter staatlicher Willensbildung versteht das Bundesverfassungsgericht dagegen die „Äußerung der Meinung oder des Willens eines Staatsorgans in amtlicher Form.“93 Diese von einer formalen Betrachtung geprägte Definition ist für die weitere Untersuchung allerdings wenig gewinnbringend. Die eingangs genannten Beispiele94 haben bereits deutlich gemacht, dass viele der heute durchgeführten Befragungen nicht nur auf das Organ „Gemeindebürgerschaft“ begrenzt sind, sondern auch andere Einwohner einschließen.95 Demzufolge ist es notwendig, sich der staatlichen Willensbildung nicht nur durch eine formale Betrachtungsweise zu nähern, sondern auch materielle Merkmale zu berücksichtigen. Beachtenswert ist für den hiesigen Kontext vor allem, dass es eine wesentliche Funktion 90

Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 181, 185. Die Einordnung einer Befragung in den Bereich der gesellschaftlichen Willensbildung scheitert nicht schon daran, dass die Stimmabgabe ggfs. geheim zu erfolgen hat. Eine geheime Stimmabgabe ist gem. § 5 Nr. 4 S. 2 der Hauptsatzung i. V. m. § 40 Abs. 1 BbgKWG beispielsweise für Einwohnerbefragungen der Stadt Potsdam vorgesehen (dazu Kap. 2 B. I. 3. b) bb)). In der Volksbefragungsrechtsprechung konstatiert das Bundesverfassungsgericht, dass „schon deshalb keine Rede davon sein [kann], daß die Volksbefragung dem Bürger nur die Möglichkeit verschaffe, von diesen beiden Grundrechten sachgemäß Gebrauch zu machen, weil sowohl die Äußerung einer Meinung als auch die Einreichung einer Petition nicht durch geheime Stimmabgabe erfolgen kann“ (BVerfGE 8, 104 (115)). Es ist zwar zutreffend, dass die Möglichkeit einer anonymen Petition nicht gegeben ist. Dies folgt insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Petition als Bitt- und Beschwerderecht des Individuums dem Staat gegenüber. Vgl. zum Ganzen Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 17 Rn. 1, 4; Langenfeld, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 39 Rn. 9, 26. Eine solche Zielsetzung ist bei den Einwohner- und Bürgerbefragungen aber gerade nicht gegeben. Zudem wird auch in der Literatur und neueren Judikatur angemerkt, dass eine „Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, […] mit Art. 5 I 1 GG nicht vereinbar [ist]“, so ausdrücklich BGH, NJW 2009, 2888 (2892). Vgl. auch Starck / Paulus, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art.  5 Rn.  92. 92 So die Argumentation der Stadtstaaten Bremen und Hamburg im ersten Volksbefragungsurteil, die allerdings neben der Meinungsfreiheit auch das Petitionsrecht (Art. 17 GG) in den Blick nimmt, BVerfGE 8, 104 (109). Dass Individualmeinungen gegenüber staatlichen Einrichtungen in einem organisierten Verfahren geäußert werden können, wird auch in einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Thüringen deutlich, in dem dieser zu dem auf thüringischer Landesebene bestehenden Instrument des Bürgerantrags (Art. 68 ThürVerf), mit dem dem Landtag bestimmte Gegenstände der politischen Willensbildung unterbreitet werden können, statuiert, dass „[d]er einzelne Bürgerantragsteller […] mit seiner Initiative noch nicht den öffentlichen Rechtsraum betreten [hat], indem er sich als Element des souveränen Trägers aller Staatsgewalt betätigt“, ThürVerfGH, LKV 2002, 83 (87). 93 BVerfGE 8, 104 (113). 94 Siehe hierzu Kap. 1 D. 95 Kap. 1 D. 91

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

des Staates ist, für die Gesellschaft als Entscheidungsinstanz zu agieren.96 Das bringt das Grundgesetz darin zum Ausdruck, dass es in Art. 70 ff. und Art. 83 ff. dem Bund und den Ländern, also dem Staat und nicht der Gesellschaft, die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zuweist. Der maßgebliche Unterschied zwischen der politischen und der staatlichen Willensbildung besteht demnach darin, dass die staatliche Willensbildung im Gegensatz zur politischen Willensbildung darauf ausgerichtet ist, für die Gesellschaft verbindliche Entscheidungen97 hervorzubringen.98 Fraglich ist, ob sich die Unterscheidung der beiden Bereiche der Willensbildung99 auch auf die Gemeindeebene übertragen lässt. Die Gemeinden besitzen selbst zwar keine Staatsqualität100 und sind organisatorisch vielmehr den Ländern zuzuordnen.101 Allerdings sind auch sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts 96

Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 182; vgl. Hesse, DÖV 1975, 437 (439); Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 259; Möstl, in: Stern /  Sodan / Möstl (Hrsg.), Staatsrecht I, § 8 Rn. 2; Rupp, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR II, § 31 Rn. 26; Wolff, in: Hill / Schliesky (Hrsg.), Die Neubestimmung der Privatheit, S. 25 (41 f.). Siehe auch Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 27, nach dem der Staat „als politische Entscheidungseinheit und Herrschaftsorganisation für [Hervorhebung im Original] die Gesellschaft oder, wenn man will, über ihr [besteht].“ 97 Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht in der Volksbefragungsrechtsprechung (BVerfGE 8, 104 (114 f.)) konstatiert, dass Verfassungsorgane auch Staatsgewalt ausüben, wenn sie nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen, steht einer Abgrenzung der staatlichen von der politischen Willensbildung (auch) anhand des Ausgerichtetseins auf das Treffen von Entscheidungen für die Gesellschaft nicht entgegen. Dieser Befund bedeutet lediglich, dass es für die Frage nach der Staatsgewalt nicht auf die rechtliche Verbindlichkeit ankommt. Das schließt aber nicht aus, dass man das Hervorbingen von Entscheidungen als für die Staatswillensbildung relevantes Merkmal ansehen kann. Indem das Bundesverfassungsgericht die Staatswillensbildung als Willensäußerung eines Staatsorgans definiert, es aber gerade die Aufgabe des Staates ist, Entscheidungen herbeizuführen, ist es möglich, das Merkmal der Entscheidungsfindung auch in der Definition des Bundesverfassungsgerichts zu verankern. 98 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 186; Rauch, Die Anwendung des Demokratieprinzips auf die öffentliche Verwaltung, S. 152 f.; Schmidt, JZ 1978, 293 (294); Schmitt Glaeser, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 38 Rn. 3; Mikat, in: FS Schelsky, S. 263 (271); Detjen, Die Werteordnung des Grundgesetzes, S. 226. Siehe auch die tabellarische Gegenüberstellung der Kennzeichen von Gesellschaft und Staat bei Karpen, JA 1986, 299 (303), der der Gesellschaft das Merkmal „Diskussion“ und dem Staat das Merkmal „Entscheidung“ zuweist. 99 Da mit Art. 25 Abs. 1 LV BW ein landesverfassungsrechtliches Pendant zu Art. 20 Abs. 2 GG besteht und Art. 21 Abs. 1 GG als sog. Bestandteilsnorm nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch als Bestandteil des Landesverfassungsrechts anzusehen ist, kann die Unterscheidung zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung auch auf landesverfassungsrechtlicher Ebene vorgenommen werden. Zu Art. 21 GG als Teil des Landesverfassungsrechts siehe BVerfGE 66, 107 (114); Klein, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 21 Rn. 148. 100 Lange, Kommunalrecht, Kap. 2 Rn. 85. 101 Vgl. BVerfGE 22, 180 (203); 39, 96 (109); 86, 148 (215); 107, 1 (11).

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

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Träger hoheitlicher Gewalt (vgl. § 1 Abs. 4 GemO BW) und treffen, beispielsweise durch den Gemeinderat als Hauptorgan (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW), Entscheidungen für die (Gemeinde-)Gesellschaft.102 Infolgedessen kann die Differenzierung zwischen staatlicher – für die Ebene der Gemeinden im Folgenden: gemeindlicher103 – und gesellschaftlicher Willensbildung auch auf Gemeindeebene vorgenommen werden.104

III. Berücksichtigung des Kriteriums der Entscheidungsfindung für die Bestimmung der Zielsetzung einer Befragung Die Tatsache, dass die staatliche bzw. gemeindliche Willensbildung im Unterschied zur politischen Willensbildung mit für die Allgemeinheit verbindlichen Entscheidungen verbunden ist, kann im Folgenden für die verfassungsrechtliche Einordnung der Befragungsteilnahme fruchtbar gemacht werden. Zielt eine Befragung darauf ab, den Teilnehmern eine Einflussnahme auf das Treffen verbindlicher Entscheidungen zu gewähren, spricht viel dafür, dass es ihr Zweck ist, die Einwohner bzw. Bürger an der Staatswillensbildung teilhaben zu lassen. Zwar wurden die Einwohner- und Bürgerbefragungen eingangs als Instrument vorgestellt, dessen Zweck darin besteht, den Gemeinderat im Vorfeld einer Entscheidung über die Auffassung der Bevölkerung zu informieren. Dass das Befragungsergebnis tatsächlich einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Gemeinderats hat, ist allerdings nicht Bestandteil der Definition. Das bedeutet: Allein aus dem Umstand, dass eine Befragung im Sinne der obigen Definition durchgeführt wird, kann noch nicht geschlossen werden, dass die Teilnehmer Einfluss auf die Entscheidungsfindung und damit auf die Willensbildung der Gemeinde haben sollen. Eine Befragung kann sich vielmehr auch in der Information des Gemeinderats über die Auffassungen der Einwohner- bzw. Bürgerschaft erschöpfen. Sämtliche Einwohner- und Bürgerbefragungen dem Bereich der gemeindlichen Willensbildung zuzuschreiben und damit die Befragungsteilnahme als Ausübung von Staats­ 102

Vgl. Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 405. Indem es von der „Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde“ spricht (BVerfGE 8, 122 (133)) vermeidet auch das Bundesverfassungsgericht, den Begriff der staatlichen Willensbildung direkt auf die Gemeinden zu übertragen. Anders verfährt das Gericht jedoch für den Begriff der Staatgewalt, vgl. BVerfGE 8, 122 (132): „Ihre hoheitlichen Äußerungen [d. h. die der Gemeinden] sind Ausfluß von hoheitlicher Gewalt, Staatsgewalt im weiteren Sinn.“ 104 Das kommt auch dem Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts in dem zweiten Volksbefragungsurteil gleich, BVerfGE 8, 122 (133) (siehe dazu Fn. 31). Indem das Gericht Befragungen in den hessischen Gemeinden in Anlehnung an das erste Volksbefragungsurteil nicht dem Bereich des Gesellschaftlichen, sondern der Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde zuordnet, macht es deutlich, dass die Unterscheidung von gesellschaftlicher und hoheitlicher Willensbildung auch in den Gemeinden vorgenommen werden kann. 103

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2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

gewalt zu qualifizieren, ist entgegen vielen bisherigen Äußerungen105 unter diesem Gesichtspunkt nicht angezeigt.106 1. Faktische Beeinflussung des Gemeinderats als Ziel der Befragung Um von einer Einflussnahme der Befragungsteilnehmer auf die Entscheidungsfindung und damit auf die gemeindliche Willensbildung sprechen zu können, muss vielmehr hinzukommen, dass das Befragungsergebnis den Gemeinderat nach dem Sinn und Zweck der Befragung auch faktisch beeinflussen soll. Mit anderen Worten: Es muss das Ziel einer Befragung sein, dem Gemeinderat einen klaren Impuls vorzugeben, damit dieser das Votum der Einwohner bzw. Bürger bei seiner Entscheidungsfindung tatsächlich berücksichtigt.107 Daher ist zu überlegen, anhand welcher Kriterien sich ermitteln lässt, ob eine Befragung dem Gemeinderat einen eindeutigen Impuls vorgeben soll. Hierbei ist zu beachten, dass sich das Befragungsergebnis naturgemäß aus vielen Einzelvoten zusammensetzt. Politischer Druck kann von einer Befragung aber nur dann ausgehen, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, viele einzelne Meinungen einzuholen, sondern wenn das Befragungsergebnis dem Gemeinderat auch eine „eindeutige […] Stoßrichtung“108 für seine Entscheidungsfindung vorgibt.109 Somit ist erforderlich, dass sich die abgegebenen Einzelmeinungen in dem Befragungsergebnis zu einer „Stellungnahme des Volkes“110, zu „einer einheitlichen Stimme“111 zusammenschließen können112 und das Befragungsergebnis dadurch in eine Richtung 105

Siehe die Nachweise in den Fn. 5, 6. Wie hier im Ergebnis, allerdings nicht differenzierend Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 71. In diese Richtung auch Engelken, NVwZ 1995, 432 (432); Schrapper, DVBl. 1995, 1167 (1171). 107 Dass bei rechtlich nicht bindenden Befragungen ein Einfluss des Befragungsergebnisses auf die entscheidenden Organe nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht sein kann, betont Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 71. Das Kriterium des politischen Drucks ist auch dem Bundesverfassungsgericht nicht fremd. In der Volksbefragungsrechtsprechung argumentiert das Gericht mit dem von den Volksbefragungen ausgehenden politischen Druck, um den Verstoß der Befragungen gegen die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung zu begründen, siehe dazu BVerfGE 8, 104 (116 ff.). 108 Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1200), dessen Ziel es ist, auf der Grundlage der Volksbefragungsrechtsprechung sog. Bürgerhaushalte verfassungsrechtlich einzuordnen, ermittelt mit diesem Kriterium, ob dem Rat der Stadt Köln mit dem Bürgerhaushalt 2010 eine klar erkennbare Entscheidungsrichtung vorgegeben werden sollte. 109 Vgl. Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1200). 110 So die Formulierung bei Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 120. Die Notwendigkeit der Bildung einer Mehrheitsmeinung geht auch mit dem bereits ausgeführten Gedanken einher, dass es die Zielsetzung der Befragung sein muss, das Volk als Organ anzusprechen. 111 Vgl. Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1200). 112 Vgl. auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 120: „Entscheidend ist die staatlich veranlasste Zielsetzung, die Intention, den Einzelnen gleichsam auf der Ebene der Gleichordnung an einem staatlichen Willensbildungsprozess zu beteiligen.“ 106

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

59

„gelenkt“ werden kann. Es darf also nicht nur das Ziel einer Befragung sein, die unterschiedlichen Einzelmeinungen der Befragungsteilnehmer abzufragen. Sie muss diesen vielmehr die Möglichkeit geben, sich als Einwohner- bzw. Bürgerschaft eine Meinung zu bilden und diese zu artikulieren.113 2. Maßgebliche Bewertungskriterien Nach dem bereits Gesagten muss bei der Ermittlung von Sinn und Zweck einer Befragung insbesondere die Frage maßgeblich sein, inwieweit die Befragung die Bildung einer Mehrheitsmeinung als Stellungnahme der Einwohner- bzw. Bürgerschaft ermöglicht. Im Vorfeld einer Einwohner- bzw. Bürgerbefragung wird in aller Regel – etwa in einer der Befragung zugrundeliegenden Satzung oder in dem die Befragung einleitenden Gemeinderatsbeschluss – jedoch nicht explizit artikuliert werden, ob es das Ziel der Befragung ist, dem Gemeinderat eine eindeutige Stoßrichtung für seine Entscheidung vorzugeben oder nicht. Eine Ausnahme können insofern diejenigen Befragungen darstellen, bei denen der Gemeinderat, wie beispielsweise bei der Befragung der Stadt Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens114 und der Befragung der Stadt Seligenstadt zur Zukunft der Hans-MemlingSchule115, im Vorfeld ausdrücklich beschließt, dem Befragungsergebnis bei seiner Entscheidung zu folgen. Liegt eine solche Selbstverpflichtung des Gemeinderats vor, kann das ein starkes Indiz dafür sein, dass die Einwohner bzw. Bürger dem Gemeinderat mit der Befragung eine eindeutige Richtungsentscheidung vorgeben sollen. In den übrigen Fällen muss die Bestimmung der Zielsetzung der Befragung insbesondere aus ihrer konkreten Ausgestaltung gefolgert werden. Anhaltspunkte dafür, ob von einer Befragung ein eindeutiger Impuls für die Entscheidung des Gemeinderats ausgehen soll, können sich dabei vor allem aus der jeweiligen Fragestellung und den möglichen Antworten ergeben. Das Potenzial der Fragestellung und der Antwortmöglichkeiten zur Bestimmung der Zielsetzung einer Befragung sei an zwei Beispielen verdeutlicht: Bei der eingangs erwähnten Befragung zum Ausbau des Godorfer Hafens in Köln116 ging es darum, zu ermitteln, ob der Hafen aus Sicht der Einwohner ausgebaut werden soll oder nicht. Dementsprechend standen nur die Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ zur Auswahl.

113 Diese Überlegung lässt sich auch mit einem Blick auf das Instrument des Bürgerbegehrens (§ 21 Abs. 3 S. 1 GemO BW) bestätigen, das der Herbeiführung eines Bürgerentscheids dient. Hierbei werden nicht nur Einzelmeinungen eingeholt, sondern diese werden zu einer Mehrheitsmeinung verdichtet. Das wird dadurch ersichtlich wird, dass am Ende eine Entscheidung für oder gegen die Durchführung eines Bürgerentscheids steht. Folgerichtig wird die Teilnahme an einem Bürgerbegehren als ein Fall der Teilnahme an der gemeindlichen Willensbildung angesehen, siehe etwa BVerfG, NVwZ 2019, 642 (643). 114 Kap. 1 D. I. 115 Kap. 1 D. VI. 116 Kap. 1 D. I.

60

2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

Bei der Befragung der Stadt Tübingen zum Bau eines Konzertsaals117 lautete die Frage dagegen: „Wie stehen Sie zum Bau eines neuen Konzertsaals?“ Die hier zur Verfügung stehenden Antwortmöglichkeiten waren weitaus vielfältiger. Neben der Antwort „Ich bin noch nicht entschieden“ standen vier verschiedene Antwortmöglichkeiten mit einem Spektrum von „Das ist mir völlig unwichtig“ bis zu „Das ist mir sehr wichtig“ zur Auswahl. Die Fragestellung und die Antwortmöglichkeiten im ersten Beispiel deuten darauf hin, dass sich die Befragung nicht auf das Sammeln von Einzelmeinungen beschränkte, sondern dass die Befragungsteilnehmer dem Kölner Stadtrat für seine Entscheidung eine klare Stoßrichtung vorgeben sollten. Das liegt zum einen daran, dass die Fragestellung der Einwohnerbefragung stark an die Entscheidung angelehnt war, vor der auch der Stadtrat stand, nämlich: „Soll der Godorfer Hafen weiter ausgebaut werden?“118 Zum anderen standen den Befragungsteilnehmern mit „Ja“ und „Nein“ lediglich zwei mögliche Antworten zur Verfügung. Sie konnten das Vorhaben nur ablehnen oder befürworten. Das bedeutet: Diejenigen Befragungsteilnehmer, die einen Hafenausbau beispielsweise nur unter bestimmten Bedingungen für richtig hielten, mussten sich für eine der beiden Antworten entscheiden. Auf ihre persönlichen Vorbehalte oder Bedingungen konnten sie den Gemeinderat nicht hinweisen. Die unterschiedlichen Meinungen der Befragungsteilnehmer wurden somit auf einen möglichst kleinen einheitlichen Nenner gebracht. Dass die Einwohner lediglich zwischen zwei Extrempositionen als Antworten wählen konnten, führte mithin dazu, dass das Befragungsergebnis den Gemeinderat nicht über individuell unterschiedliche Auffassungen zum Ausbau des Godorfer Hafens informierte, sondern dass sich die Einzelmeinungen zu einer Stellungnahme der Einwohnerschaft verdichten konnten. Demnach war die Befragung darauf ausgerichtet, dem Gemeinderat eine klare Stoßrichtung für seine Entscheidung vorzugeben. Auf diese Sichtweise deutet auch ein Vergleich mit dem Instrument des Bürgerentscheids hin. Bei einem Bürgerentscheid sollen die Bürger anstelle des Gemeinderats selbst eine Entscheidung treffen. Die Teilnahme an einem Bürgerentscheid ist somit dem Bereich der staatlichen Willensbildung zuzuordnen. Es verwundert daher nicht, dass die Teilnehmer auch hier lediglich zwischen den Antwortalternativen „Ja“ und „Nein“ auswählen können.119 Dadurch wird gewährleistet, dass die vielen Einzelmeinungen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, sie sich zu einem Votum der Bürgerschaft verdichten und dadurch eine Entscheidung herbeigeführt werden kann. Dass die Fragestellung im zweiten Beispiel auf den Standpunkt der Befragungsteilnehmer abzielte und diese dadurch gewissermaßen direkt angesprochen wurden 117

Kap. 1 D. III. Vgl. die Zusammenfassung zur Befragung auf der Internetseite der Stadt Köln, https:// www.stadt-koeln.de/artikel/60537/index.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 119 Kap. 1 A. IV. 118

B. Übertragung der Volksbefragungsrechtsprechung 

61

(„Wie stehen Sie […]?“), legt nahe, dass die Befragung der Stadt Tübingen zum Bau eines Konzertsaals primär das Sammeln unterschiedlicher Einzelmeinungen bezweckte. Allerdings sprachen auch die Fragestellungen der hamburgischen und bremischen Volksbefragungen, die dennoch dem Bereich der staatlichen Willensbildung zugeordnet wurden, die Befragungsteilnehmer direkt an („Sind Sie […]?“).120 Die Fragestellung muss also auch in diesem Fall in Kombination mit den Antwortmöglichkeiten gesehen werden. Während bei den Volksbefragungen jeweils nur die beiden Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ zulässig waren121 und die einzelnen Meinungen so – trotz der die Befragungsteilnehmer ansprechenden Fragestellung – zu einer Stellungnahme des Volkes verdichtet werden konnten,122 war das bei der Befragung der Stadt Tübingen anders. Hier wurde die Herausbildung einer Mehrheitsmeinung durch die größere Auswahl an Antwortmöglichkeiten erschwert. Durch die verschiedenen Abstufungsmöglichkeiten in Bezug auf die „persönliche Wichtigkeit“ des Konzertsaals konnten die Befragungsteilnehmer ihre Antwort zudem besser an ihre tatsächliche Meinung anpassen. Sie mussten sich also nicht auf eine Extremposition festlegen. Insofern ist die Situation bei dieser Befragung nicht mit der Situation bei einem Bürgerentscheid vergleichbar. Die Fragestellung und die Antwortmöglichkeiten deuten somit darauf hin, dass die Befragung auf die Einholung eines ausdifferenzierten Meinungsbildes abzielte, es aber nicht ihr Zweck war, die Einzelmeinungen zu einer Stellungnahme der gesamten Einwohner- bzw. Bürgerschaft zu verdichten und dadurch politischen Druck auf den Gemeinderat auszuüben.123 Für die Auslegung der Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten bietet sich nach alledem folgender Leitgedanke an: Je weniger die Fragestellung und die Antwortmöglichkeiten auf eine möglichst präzise Erfassung der Meinungen der Befragungsteilnehmer ausgerichtet sind und je mehr sie sich stattdessen darauf beschränken, die Zustimmung bzw. Ablehnung des Entscheidungsgegenstands abzufragen und demnach der Situation bei einem Bürgerentscheid ähneln, desto eher liegt es nahe, dass die Befragung darauf abzielt, den Teilnehmern die Bildung einer Mehrheitsmeinung zu ermöglichen und sie somit an der staatlichen Willensbildung teilhaben zu lassen. Dabei ist es aber auch denkbar, dass zusätzlich zu der Fragestellung und den Antwortmöglichkeiten im Einzelfall noch weitere Indizien zur Ermittlung der Zielsetzung einer Befragung hinzukommen.

120

BVerfGE 8, 104 (106 f.). Siehe dazu bereits Kap. 2 A. I. 122 Die konkrete Ausgestaltung der Volksbefragungen spricht demzufolge dafür, dass mit ihnen politischer Druck ausgeübt werden sollte. Dadurch lässt sich die Einordnung dieser Befragungen in den Bereich der Staatswillensbildung durch das Bundesverfassungsgericht bestätigen. 123 Dagegen schließt Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 105 f. bereits aus dem Umstand, dass bei den Befragungen alle Einwohner bzw. Bürger zur Teilnahme berechtigt sind, dass sie auf die Bildung einer Mehrheitsmeinung abzielen. 121

62

2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

C. Einordnung von Beispielen Die verfassungsrechtliche Einordnung der Befragungsteilnahme im Einzelfall wird im Folgenden an drei der eingangs dargestellten Praxisbeispiele veran­ schaulicht.

I. Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads und eines Konzertsaals Die Anknüpfungspunkte der Volksbefragungsrechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Befragungsteilnahme helfen für die Einordnung der Befragung der Stadt Tübingen zum (Um-)Bau eines Hallenbads sowie zum Bau eines Konzertsaals aus dem Jahr 2019124 nur in geringem Maße weiter. Mangels einer einschlägigen Regelung in der baden-württembergischen Gemeindeordnung wurde die Befragung ohne eine formell-gesetzliche Grundlage speziell für Einwohner- und Bürgerbefragungen durchgeführt. Zudem konnten alle Einwohner ab 16 Jahren teilnehmen. Die Befragung war also nicht auf das aus der Bürgerschaft bestehende „Gemeindevolk“ beschränkt. Ferner geht, wie bereits gezeigt,125 aus der Satzung der Stadt Tübingen nicht eindeutig hervor, ob sich das Verfahren bei Befragungen in Tübingen an dem Verfahren bei staatlichen Wahlen orientieren soll. Demzufolge müssen für die Einordnung der Befragungsteilnahme zusätzlich die Fragestellung und die Antwortmöglichkeiten betrachtet werden. Die Befragung beinhaltete insgesamt fünf Fragestellungen.126 Für die erste und die zweite Frage „Wie stehen Sie zum Bau eines neuen Hallenbads?“ bzw. „Wie stehen Sie zum Bau eines neuen Konzertsaals?“ standen fünf Antwortmöglichkeiten zur Verfügung, mit denen die Befragungsteilnehmer angeben konnten, wie wichtig ihnen der Bau eines Hallenbads bzw. eines Konzertsaals ist. Anhand der zweiten Frage wurde bereits erläutert,127 dass bei einer solchen Ausgestaltung mit einer Vielzahl an Antwortmöglichkeiten einiges dafür spricht, dass die Befragung auf die Einholung eines präzisen Meinungsbildes ausgerichtet ist. Somit ist die Teilnahme an der Befragung insoweit nicht als Ausübung von Staatsgewalt zu werten. Dieses Ergebnis lässt sich auch für die verbleibenden drei Fragen128 und deren Ant-

124

Kap. 1 D. III. Siehe hierzu Kap. 2 B. I. 3. b) cc). 126 Siehe die Darstellung auf der Internetseite der Stadt Tübingen (Kap. 1 Fn. 66). 127 Kap. 2 B. III. 2. 128 Frage 3: „Wie denken Sie über den Erhalt des Uhlandbades als Bad, wenn ein größeres Hallenbad gebaut wird?“ Frage 4: „Wie stehen Sie zum Umbau des Uhlandbads zum Konzertsaal, wenn sich dieses dafür gut eignen sollte?“ Frage 5: „Welche Länge sollte das Becken in einem neuen Hallenbad haben?“ 125

C. Einordnung von Beispielen

63

wortmöglichkeiten129 festhalten. Die Tatsache, dass die Fragen und Antwortmöglichkeiten die Befragungsteilnehmer direkt ansprachen („Wie denken Sie […]?“, „Wie stehen Sie […]?“, „Ich bin für […]“, „Ich habe keine Meinung“) deutet daraufhin, dass es dem Gemeinderat mit der Befragung primär darauf ankam, die persönliche Meinung der Befragungsteilnehmer zu ermitteln. Wäre es Sinn und Zweck der Befragung gewesen, den Einwohnern Gelegenheit zur Bildung einer Mehrheitsmeinung als Entscheidungsgrundlage für den Gemeinderat zu geben, so hätte es näher gelegen, die Fragestellung und die Antwort so zu gestalten, dass sie der Entscheidungssituation im Gemeinderat möglichst nahekommen. Für die dritte Frage, bei der es um den Erhalt des Uhlandbads beim Bau eines größeren Schwimmbads ging, hätte es sich beispielsweise angeboten, die Fragestellung und die Antwortvarianten folgendermaßen zu formulieren: „Soll das Uhlandbad beim Bau eines größeren Schwimmbads erhalten bleiben? – Ja oder Nein?“ Von einer solchen Gestaltung weichen die tatsächlich gestellte Frage und die Antwortmöglichkeiten allerdings erkennbar ab. Demzufolge ist die Befragungsteilnahme in diesem Fall dem Bereich der politischen Willensbildung zuzuordnen. Die Befragungsteilnehmer übten keine Staatsgewalt aus.

II. Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des Rhein-Nahe-Ecks Zieht man zur Ermittlung der Zielsetzung der Befragung der Stadt Bingen am Rhein über die Verkehrsanbindung des Rhein-Nahe-Ecks130 die Abgrenzungskriterien der Volksbefragungsrechtsprechung heran, ist zunächst festzuhalten, dass die Befragung nicht aufgrund einer speziellen gesetzlichen Grundlage durchgeführt wurde. Das Kommunalrecht des Landes Rheinland-Pfalz enthält für die Befragung von Einwohnern bzw. Bürgern keine gesetzliche Regelung. Die Befragung beschränkte sich jedoch darauf, die Bürger der Stadt und damit die Angehörigen des „Gemeindevolkes“ anzusprechen. Hinzu kommt, dass die Befragung in Anlehnung an die gesetzlichen Vorgaben zur Durchführung eines Bürgerentscheids (§ 17a GemO RP131) stattfand.132 Gem. § 17a Abs. 9 GemO RP i. V. m. §§ 67, 58,

129 Zu Frage 3: „Ich bin für den Erhalt des Bades“; „Ich akzeptiere die Schließung“; „Ich habe keine Meinung“. Zu Frage 4: „Das ist eine gute Idee“; „Das ist eine schlechte Idee“; „Ich habe noch keine Meinung“. Zu Frage 5: „Ich bin für ein 25m-Becken“; „Ich bin für ein 50m-Becken; „Ich habe keine Meinung“. 130 Siehe dazu Kap. 1 D. IV. 131 Gesetz i. d. F. vom 31. 01. 1994, GVBl. S. 153, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. 01. 2022, GVBl. S. 21. 132 Das geht aus der Informationsvorlage für die Sitzung des Rates der Stadt Bingen am Rhein am 19. 12. 2019 hervor (siehe dazu bereits Kap. 1 Fn. 70).

64

2. Kap.: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt?

28 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, 34 S. 1 KomWG RP bedeutet das u. a., dass die Befragung öffentlich stattfand und die Geheimheit der Stimmabgabe sichergestellt werden musste. Entsprechend der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in der Volksbefragungsrechtsprechung deuten diese beiden Aspekte, also die Befragung der Bürgerschaft als „Gemeindevolk“ sowie die wahl- bzw. abstimmungsähnliche Ausgestaltung, auf eine Ausrichtung der Befragung zur staatlichen Willensbildung hin. Es erscheint somit gerechtfertigt, die Teilnahme an der Bürgerbefragung schon deswegen als Ausübung von Staatsgewalt zu klassifizieren. Die Analyse der Fragestellung und der Antwortmöglichkeiten bestätigt dieses Ergebnis. Auch diese Parameter sprechen dafür, dass mit der Befragung eine Teilnahme an der gemeindlichen Willensbildung bezweckt war. Die Frage „Soll die geplante Fahrzeugunterführung auf dem Gerbhausparkplatz gebaut werden?“ lässt nicht erkennen, dass die Befragung darauf abzielte, ein möglichst differenziertes Meinungsbild der Bürgerschaft einzuholen. Dass die den Bürgern gestellte Frage stark der Frage ähnelte, die der Gemeinderat bei seiner eigenen Entscheidung zu beantworten hatte, deutet vielmehr darauf hin, dass die Bürger dem Gemeinderat eine Antwort mit erkennbarer Stoßrichtung vorgeben sollten. Auch die beiden Antwortalternativen „Ja“ und „Nein“ legen nahe, dass sich die Einzelvoten wie bei einem Bürgerentscheid zu einer Stellungnahme der Bürgerschaft verdichten sollten, um so die Willensbildung des Stadtrats zu beeinflussen.

III. Befragung der Stadt Seligenstadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-Memling-Schule Bei der Befragung der Stadt Seligenstadt zur weiteren Nutzung der Hans-Memling-Schule133 stoßen die Anknüpfungspunkte des Bundesverfassungsgerichts dagegen wiederum an ihre Grenzen. Die Befragung basierte weder auf einer speziellen gesetzlichen Grundlage noch ist ersichtlich, dass sich das Befragungsverfahren an dem Verfahren für Wahlen und Abstimmungen orientierte. Allein die Tatsache, dass sich der Kreis der Teilnahmeberechtigten auf die Bürgerschaft und damit das „Gemeindevolk“ beschränkte, vermag für eine Zuordnung der Befragung zum Bereich der staatlichen Willensbildung nicht auszureichen.134 Vielmehr kommt es auch hier auf die konkrete Ausgestaltung der Befragung an. Die Fragestellung „Welche Nutzung für die Hans-Memling-Schule befürworten Sie?“ sprach die Befragungsteilnehmer direkt an, und die Antwortmöglichkeiten waren nicht auf „Ja“ und „Nein“ beschränkt. Die Befragungsteilnehmer konnten stattdessen aus drei Nutzungsvarianten auswählen. Daher könnte man dazu geneigt sein, die Befragung dem Bereich der politischen Willensbildung zuzuschreiben. Zu beachten ist jedoch, dass die Befragungsteilnehmer sich jeweils nur für eine 133 134

Siehe dazu Kap. 1 D. VI. Vgl. hierzu auch Kap. 2 B. I. 2. b).

D. Ergebnis

65

vorgegebene Nutzungsvariante entscheiden konnten. Ähnlich wie bei den Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ mussten sich die Befragungsteilnehmer also auf eine „Extremposition“ festlegen. Auch bei einer solchen Ausgestaltung werden die unterschiedlichen Einzelmeinungen auf einen sehr kleinen gemeinsamen Nenner gebracht. Das Befragungsergebnis gibt dem Gemeinderat für seine Entscheidung also eine einheitliche Stoßrichtung vor. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Stadtverordneten beschlossen, sich dem Befragungsergebnis bei ihrer Entscheidung anzuschließen. Auch das spricht dafür, dass die Befragung darauf angelegt war, dem Gemeinderat eine klare Stoßrichtung vorzugeben und seine Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Die Teilnahme an der Bürgerbefragung der Stadt Seligenstadt ist somit der gemeindlichen Willensbildung zuzuschreiben und mithin als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen.

D. Ergebnis Das Anliegen des vorliegenden Abschnitts war es, herauszufinden, ob die Teilnahme an einer Einwohner- bzw. Bürgerbefragung als Ausübung von Staatsgewalt zu qualifizieren ist. Nach der Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das dann der Fall, wenn die Befragungsteilnehmer durch die Befragung an der Staatswillensbildung mitwirken sollen. Zur Bestimmung der Zielsetzung der Volksbefragungen zog das Bundesverfassungsgericht mit dem Bestehen einer gesetzlichen Grundlage für die Befragung, dem Tätigwerden des Staatsvolks und einem an Wahlen bzw. Abstimmungen orientierten Verfahren gleich mehrere Anknüpfungspunkte heran. Bei der Anwendung dieser Abgrenzungskriterien auf gemeindliche Einwohner- und Bürgerbefragungen hat sich jedoch gezeigt, dass sie allein oftmals nicht ausreichen, um die Befragungsteilnahme zweifelsfrei der gemeindlichen bzw. politischen Willensbildung zuordnen zu können. Als zusätzliche Anknüpfungspunkte für die rechtliche Einordnung der Befragungsteilnahme können insbesondere die jeweiligen Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten in den Blick genommen werden. Ob die Teilnahme an einer Befragung eine Betätigung im Bereich der gemeindlichen Willensbildung darstellt, kann somit nicht für alle Einwohner- und Bürgerbefragungen einheitlich beantwortet, sondern muss jeweils im Einzelfall geklärt werden. Daher ist im Folgenden zwischen Befragungen mit und Befragungen ohne Abstimmungscharakter135 zu differenzieren.

135

Vgl. zu dieser Begriffsbildung auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (43) der zwischen Bürgerbefragungen und „solchen[n] Erhebungen […], die demoskopischen Umfragen ähneln, insbesondere nicht den Charakter einer amtlichen Abstimmung erreichen, sondern lediglich ein Schlaglicht auf das Meinungsbild in der Bevölkerung werfen, insbesondere bei Bürgerpanels und Online-Konsultationen“ differenziert.

3. Kapitel

Vereinbarkeit von Einwohner- und Bürgerbefragungen mit dem Grundsatz des freien Mandats Auch wenn das Ergebnis einer Einwohner- bzw. Bürgerbefragung für die Gemeinderäte nicht rechtsverbindlich ist, muss eine Arbeit, die sich mit dem Instrument der Befragung auseinandersetzt, dessen Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats erörtern.1 Das Risiko, dass die Entscheidungsfreiheit des Gemeinderats aufgrund möglicher politisch-faktischer Wirkungen des Befragungsergebnisses unzulässig beeinträchtigt wird, kann jedenfalls nicht von vornherein geleugnet werden.2 Auf einfachrechtlicher Ebene ist das freie Mandat für Gemeinderäte in § 32 Abs. 3 GemO BW geregelt.3 Gelangt man zu dem Ergebnis, dass Einwohner- und Bürgerbefragungen mit dem Grundsatz des freien Mandats nicht zu vereinbaren sind, sind diese aber nicht nur als rechts-, sondern sogar als verfassungswidrig einzustufen. In der Verfassung fehlt zwar eine ausdrückliche Verankerung des freien Mandats für Gemeinderäte.4 Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der den Abgeordneten des Deutschen Bundestags das freie Mandat zuschreibt, ist auf Gemeinderäte nicht anwendbar.5 Wie sich im Folgenden zeigen wird, kommt den Gemeinderäten das freie Mandat allerdings auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive zu.

1 Siehe z. B. Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (51); Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 79 f.; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 406 ff.; Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 183 ff.; Bleckmann, JZ 1978, 217 (219); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 120 ff.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 127 f. 2 So auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 120. 3 Brenndörfer, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 32 GemO Rn. 19. 4 BVerfGE 78, 344 (348). 5 BVerwGE 90, 104 (105); Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, S. 84.

A. Verfassungsrechtliche Herleitung

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A. Verfassungsrechtliche Herleitung Die Geltung des freien Mandats für Gemeinderäte kraft Verfassungsrechts folgt zum einen aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG.6 Hiernach muss das Volk auch in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine aus Wahlen hervorgegangene Vertretung haben.7 Wenn das Grundgesetz für Kommunen und Länder zugleich das Bestehen einer Volksvertretung einfordert, spricht viel dafür, dass es sich um dieselbe Art von Vertretung handelt. Insoweit zwischen den Vertretungen einen grundsätzlichen Unterschied auszumachen, wäre kaum nachvollziehbar.8 Für eine grundsätzliche strukturelle Gleichstellung der staatlichen Parlamente und der kommunalen Vertretungen streitet auch, dass sie über dieselbe Legitimation verfügen.9 Indem Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG die Geltung der Wahlrechtsgrundsätze auch für die Wahlen in Kreisen und Gemeinden anordnet, zeigt sich, dass der Staatsaufbau des Grundgesetzes von einer auf den Selbstverwaltungskörperschaften basierenden „gegliederten Demokratie“ ausgeht.10 Wenn die Volksvertretungen in den Kommunen den staatlichen Volksvertretungen jedoch strukturell gleichartig sind, gilt auch hier das Prinzip der Repräsentation.11 Dass das Grundgesetz dieses Prinzip zugrunde legt, zeigt sich an Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG („Vertreter des ganzen Volkes“).12 Repräsentation meint gerade nicht, dass das Parlament das Volk, anders als es der Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG nahelegen könnte, im Sinne des Zivilrechts (§§ 164 ff. BGB) vertritt und dass daher die Möglichkeit besteht, der Volksvertretung Weisungen zu erteilen.13 Es ist vielmehr so, dass das Volk, das zwar existiert, aber weder präsent noch zum Handeln befähigt ist, durch das Repräsentativorgan vergegenwärtigt, also abgebildet, wird.14 Das hat zur Folge, dass das Repräsentationsorgan einen eigenen, unabhängigen Willen bildet, der 6

Siehe auch BVerwGE 90, 104 (105); Lange, Kommunalrecht, Kap. 5 Rn. 74; Gern /  Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 455. 7 Die Vorgabe des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG in Bezug auf die Kommunen wird auf landesverfassungsrechtlicher Ebene durch Art. 72 Abs. 1 S. 1 LV BW umgesetzt, Pautsch, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 72 Rn. 1. 8 Frowein, DÖV 1976, 44 (45); Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 202. 9 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 202; vgl. auch v. Unruh, DVBl. 1980, 903 (903). 10 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 202; vgl. auch BVerfGE 52, 95 (112); Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 67. 11 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 203 m. w. N.; vgl. auch BVerwGE 90, 104 (105). 12 Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 39; Badura, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 48; vgl. auch BVerfGE 112, 118 (134); 130, 318 (342). Bezogen auf den Landtag zeigt sich die Geltung des Repräsentationsprinzips an Art. 27 Abs. 1 und Abs. 3 LV BW, vgl. Haug, in: ders. (Hrsg.), LV BW, Art. 27 Rn. 14, 57. 13 Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 372; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 33; vgl. Müller, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 38 Rn. 46; Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 102. 14 Stern, Staatsrecht II, § 26 I. 1.

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3. Kap.: Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats

dem tatsächlichen Willen des Volkes nicht entsprechen muss.15 Zum Repräsentationsprinzip gehört mithin auch der Grundsatz des freien Mandats.16 Nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG muss dieser auch für die Gemeinderäte gelten.17 Zum anderen ergibt sich die Geltung des freien Mandats aus der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.18 Ihr zufolge muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und damit auch in den Gemeinden als deren Binnengefüge19 u. a. den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Für die Bundesebene geht das Grundgesetz, wie gezeigt, erkennbar vom Prinzip der repräsentativen Demokratie aus. Wenn das Grundgesetz ein Verständnis des Demokratieprinzips in dieser konkreten Gestalt nahelegt, spricht das dafür, dass gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG das Repräsentationsprinzip und das freie Mandat als dessen Wesensmerkmal grundsätzlich auch auf der gemeindlichen Ebene Anwendung finden müssen.20

15 Stern, Staatsrecht II, § 26 I. 1. a); vgl. Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  20 II Rn. 69; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 372 f.; Badura, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 33. 16 Vgl. Müller, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 38 Rn. 46; siehe auch Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 100: „klassisches Element der repräsentativen Demokratie“. 17 Vgl. Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 203; Zuleeg, JuS 1978, 240 (241); siehe auch Klüber, Das Gemeinderecht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, S. 174, nach dem die rechtliche Unabhängigkeit der Gemeindevertreter „dem Wesen der repräsentativen Demokratie immanent [ist].“ 18 Siehe Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 203. Ihm zufolge (a. a. O, S. 201) spricht aus verfassungsrechtlicher Sicht für ein freies Mandat der Gemeinderäte zudem Art. 28 Abs. 2 GG. Da die Selbstverwaltungsgarantie die Kommunen vor einer überragenden Beeinflussung durch überörtliche Institutionen bewahren solle, müsse jedenfalls auch eine Bindung an parteipolitisch geprägte Entscheidungen, die stets auch überörtlich determiniert sein könnten, abgelehnt werden. Art. 28 Abs. 2 GG könne insoweit als „Schutznorm für die Freiheit des kommunalen Mandatsträgers gegen spezifisch parteipolitisch motivierte Einwirkungsversuche“ charakterisiert werden. Ebenso Frowein, DÖV 1976, 44 (45). 19 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 68; Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 203. 20 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 203; vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 68 f. Die Frage, ob das Grundgesetz für Länder und Kommunen auch einen Vorrang der repräsentativen vor der direkten Demokratie vorgibt, ist hiervon zu unterscheiden (vgl. dazu Kap. 6 A. IV.). Wenn also geäußert wird, dass das repräsentative Modell die Bundesländer nicht binde (so Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 9 Rn. 102), dürfte das vor allem als Ablehnung eines solchen Vorrangs, nicht aber als Ablehnung der prinzipiellen Entscheidung des Grundgesetzes für die Form der repräsentativen Demokratie und damit auch der Unabhängigkeit der Volksvertretungen zu verstehen sein.

B. Keine Bindung an Verpflichtungen und Aufträge

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B. Keine Bindung an Verpflichtungen und Aufträge Gem. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sind die Bundestagsabgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Nahezu wortgleich findet sich diese Regelung in Art. 27 Abs. 3 S. 2 LV BW21 für das freie Mandat der baden-württembergischen Landtagsabgeordneten wieder. Ähnlich lautet auch die einfachrechtliche Statuierung des freien Mandats der Gemeinderäte in § 32 Abs. 3 GemO BW: „Die Gemeinderäte entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. An Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden.“ Das Gesetz bringt die Freiheit des Mandatsträgers also dadurch zum Ausdruck, dass es ihn von der Bindung an Aufträge und Weisungen bzw. Verpflichtungen frei- und nur seiner eigenen Überzeugung unterstellt.22 Ein Verstoß von Einwohner- und Bürgerbefragungen gegen den Grundsatz des freien Mandats liegt mithin dann vor, wenn diese als Auftrag, Weisung oder Verpflichtung zu verstehen sind.23 Die Begriffe „Auftrag“ und „Weisung“ könnten von ihrer Wortbedeutung her nahelegen, dass der jeweiligen Maßnahme ein (zumindest beabsichtigter) rechtlich verpflichtender Charakter zukommen muss.24 Gleiches dürfte für den in § 32 Abs. 3 S. 2 GemO BW verwendeten Begriff „Verpflichtungen“ gelten. Beschränkt man sich auf ein solches Verständnis, sind Einwohner- und Bürgerbefragungen zweifelsohne mit dem Grundsatz des freien Mandats vereinbar. Aufgrund der rechtlichen Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses stellen Einwohner- und Bürgerbefragungen keine unzulässigen Instruktionen dar.25 In der Literatur finden sich aber auch Stimmen, die für ein weiteres Verständnis plädieren und den Begriff der Weisung auch mit „Verlangen“, „Empfehlung“ 21

Gesetz vom 11. 11. 1953, GBl. S. 173, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 04. 2022, GBl. S. 237. 22 Vgl. Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 118. 23 Vgl. Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 80; Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 182; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 160. Nicht überzeugend sind Äußerungen, die – in Bezug auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG – nahelegen, dass die Verfassung schon die Erteilung von Instruktionen verbietet bzw. als unzulässig erachtet, vgl. Badura, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 53; Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 119. Für ein solches Verständnis bietet der Wortlaut der Verfassung keine Anhaltspunkte. Eingehend zum Ganzen Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 408 f.; siehe ferner Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 190. 24 So Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 184, der auch rechtshistorisch argumentiert; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 125; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 160; vgl. auch Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 80. 25 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 125 f.; siehe in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 186; vgl. ferner Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 160.

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3. Kap.: Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats

oder „Verhaltensanforderung“ gleichsetzen wollen.26 Das wird damit begründet, dass die Regelungen zum freien Mandat andernfalls eine Antinomie enthielten. Den Vorschriften ließe sich demnach die widersprüchliche Aussage entnehmen, die Volksvertreter seien an rechtlich verbindliche Weisungen und Aufträge bzw. Verpflichtungen nicht gebunden.27 Demnach lassen sich unter Weisungen nicht nur rechtlich verbindliche, sondern auch faktische Instruktionen fassen. Für diese Interpretation streitet ferner, dass der Grundsatz des freien Mandats die Willensund Entscheidungsbildung der Abgeordneten bzw. Gemeinderäte schützen will.28 Es ist durchaus denkbar, dass die freie Willensbildung auch durch faktische Maßnahmen beeinträchtigt wird.29 Überträgt man dieses weite Begriffsverständnis auf die in § 32 Abs. 3 S. 2 GemO BW verwendeten Begriffe „Verpflichtungen“ und „Aufträge“, wofür spricht, dass § 32 Abs. 3 GemO BW lediglich eine einfachrechtliche Verankerung des dem Gemeinderat ohnehin kraft Verfassungsrechts zustehenden freien Mandats ist,30 erscheint eine Kollision von Befragungen mit dem freien Mandat grundsätzlich möglich.

C. Faktische Bindung durch Einwohnerund Bürgerbefragungen In diesem Zusammenhang wird relevant, dass im Schrifttum regelmäßig auf eine „faktische Bindungswirkung“ von Einwohner- und Bürgerbefragungen hingewiesen wird.31 Auch wenn das bisher nur selten konkret geäußert wurde, dürfte 26 Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 409; Hohm / Rautenberg, NJW 1984, 1657 (1660). 27 So in Bezug auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 408 f.; siehe auch Hohm / Rautenberg, NJW 1984, 1657 (1660), die jedoch von einer Tautologie sprechen. 28 Vgl. BVerfGE 134, 141 (172). 29 Siehe diesbezüglich auch Müller, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 38 Rn. 53, der in Bezug auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG konstatiert, dass „das freie Mandat jede Einflussnahme auf das parlamentarische Handeln des Abgeordneten verbietet, die ihn in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt“. 30 Vgl. auch Klüber, Das Gemeinderecht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, S. 174, nach dem die voneinander abweichenden Formulierungen in den Gemeindeordnungen praktisch keinen Unterschied bedeuten. 31 Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (25, 42); Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1198); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 34; vgl. Seybold, in: BeckOK Kommunalrecht Nds, § 35 Rn. 16; Ebsen, DVBl. 1984, 1107 (1110). Nach Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 134 „ist die Problematik einer faktischen Bindungswirkung […] nicht von der Hand zu weisen.“ Siehe ferner in Bezug auf Volksbefragungen BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (324); Neumann, Sachunmittelbare Demokratie I, Rn. 242; Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 79; Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 116; Ebsen, AöR 1985, 2 (21); Bleckmann, JZ 1978, 217 (219); Scheuner, in: FS Huber, S. 222 (236). Kritisch zum Bestehen eines faktischen Befolgungszwangs bezogen auf Volksbefragungen auf Bundesebene Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 427 ff.

C. Faktische Bindung durch Einwohner- und Bürgerbefragungen

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mit dem Stichwort der „faktischen Bindung“ insbesondere folgender Gedanke verbunden sein: Die Gemeinderäte widersetzen sich, selbst wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung anderer Meinung sind, dem Befragungsergebnis nicht, weil sie befürchten, andernfalls von der Bevölkerung politisch kritisiert zu werden. Sie unterliegen durch das Ergebnis einer Einwohner- bzw. Bürgerbefragung also einem gewissen Rechtfertigungsdruck.32

I. Unmöglichkeit einer allgemeinen Aussage zur faktischen Bindung Das wirft die Frage auf, ob und wenn ja, in welchen Fällen davon ausgegangen werden kann, dass das Ergebnis einer Befragung den Gemeinderat bei seiner Entscheidung faktisch bindet. Eine erschöpfende Begutachtung des Phänomens der faktischen Bindungswirkung kann in Anbetracht der Tatsache, dass dies insbesondere auch die Einbeziehung politischer, empirischer und psychologischer Aspekte voraussetzte,33 im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Die Behandlung dieser Problemstellung gleicht vielmehr einem Spagat: Einerseits gilt es, eine mögliche faktische Bindungswirkung nicht abzustreiten. Selbstverständlich ist es denkbar, dass bei einer Befragung in der Gemeindebevölkerung die Erwartungshaltung entsteht, dass sich der Gemeinderat dem Befragungsergebnis anschließt und dass dieser, obwohl er zum Zeitpunkt der Entscheidung möglicherweise einer anderen Meinung ist, daher dem Votum der Befragten folgt. Andererseits besteht die Gefahr, die „normative Kraft des Faktischen“ gewissermaßen herbeizureden.34 Dass keineswegs für jede Befragung die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass das Befragungsergebnis den Gemeinderat faktisch bindet und die Entscheidungsfreiheit des Gemeinderats beeinträchtigt, zeigt schon ein Blick auf die eingangs erwähnte Einwohnerbefragung der Stadt Falkensee zum Bau eines Hallenbads.35 Die Einwohner stimmten hier zwar mehrheitlich für den Bau. Die Stadtverordnetenversammlung entschied sich dennoch dagegen.36 32 In diese Richtung Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (25, 42); Seybold, in: BeckOK Kommunalrecht Nds, § 35 Rn. 16; vgl. auch Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 784; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 36; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 427 f. Bleckmann, JZ 1978, 217 (219) geht für (konsultative) Referenden auf Bundesebene davon aus, dass die Abgeordneten „wegen des starken Drucks der öffentlichen Meinung und dem Wunsch, die späteren Wahlen zu gewinnen“ keine abweichende Entscheidung treffen werden. 33 So für Volksbefragungen auf Bundesebene bereits Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 425. Siehe auch die Formulierung bei Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 127: „[B]islang empirisch noch unbewiesene[…] Behauptung des durchgängig unausweichlichen Handlungszwangs“. 34 Ähnlich Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 784. 35 Kap. 1 D. II. 36 So im Ergebnis im Hinblick auf Volksbefragungen auf Bundesebene auch Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 189.

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3. Kap.: Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats

II. Maßgebliches Kriterium: Bestehen einer faktischen Befolgungspflicht Allerdings ist es nicht die Aufgabe des freien Mandats, den Abgeordneten bzw. den Gemeinderat vor den Erwartungen, Forderungen und Wünschen seiner Wählerschaft zu bewahren. Die Entscheidung, ob er diese im Rahmen seiner Mandatsausübung berücksichtigt, nimmt das freie Mandat dem Volksvertreter nicht ab.37 Dass der Grundsatz des freien Mandats nicht vor jeglicher Beeinflussung schützt, zeigt sich beispielsweise auch im Verhältnis des Abgeordneten bzw. des Gemeinderats38 zu seiner Fraktion.39 Diesbezüglich ist anerkannt, dass eine Verletzung des freien Mandats erst dann vorliegt, wenn die Grenze zum sog. Fraktionszwang überschritten wird. Maßnahmen der Fraktionsdisziplin sind dagegen zulässig.40 Diese sind darauf ausgerichtet, durch eine vorbereitende Willensbildung innerhalb der Fraktion ein geschlossenes Auftreten und insbesondere eine einheitliche Stimmabgabe der Fraktionsmitglieder zu gewährleisten.41 Von einem unzulässigen Fraktionszwang ist dann auszugehen, wenn die Bindung an die Fraktion rechtsverbindlich oder faktisch unumstößlich erzwungen werden soll.42 Erfasst hiervon sind alle Maßnahmen, die für den Fall der Nichtbefolgung der Fraktionsvorgaben solche Sanktionen vorsehen, durch die die Wahrnehmung oder der Bestand des Mandats gefährdet würden.43 Überträgt man diese Gedanken auf Einwohner- und Bürgerbefragungen, ist ein Verstoß gegen das freie Mandat des Gemeinderats dann anzunehmen, wenn diese 37 So in Bezug auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 407; Meyer, VVDStRL 1975, 69 (94). 38 Dass sich auch Gemeinderäte zu Fraktionen zusammenschließen können, ist seit der Änderung der baden-württembergischen Gemeindeordnung 2015, GBl. S. 872, in § 32a Abs. 1 S. 1 GemO BW ausdrücklich geregelt. 39 Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 416 ff. versucht im Zusammenhang mit Volksbefragungen auf Bundesebene und deren Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats ebenfalls, das Verhältnis Abgeordneter – Fraktion für die Argumentation fruchtbar zu machen. Ansatzweise auch Bleckmann, JZ 1978, 217 (219) und Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 84. 40 Vgl. nur Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 50; Badura, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 91; Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 121. 41 Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 418; Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 166; Badura, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 91. Als zulässige Disziplinierungsmaßnahme wird beispielsweise der Rückruf des Abgeordneten bzw. Gemeinderats aus einem Ausschuss genannt, vgl. Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 123 m. w. N.; siehe auch BVerfGE 80, 188 (233); a. A. z. B. Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 166 f. 42 Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 15 Rn. 119. 43 Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 15 Rn. 119; vgl. auch Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 166. Zu den unzulässigen Maßnahmen des Fraktionszwangs zählt beispielsweise die Abgabe einer Erklärung, mit der sich der Mandatsträger gegenüber der Fraktion dazu verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen auf sein Mandat zu verzichten, siehe Kloepfer, a. a. O., § 15 Rn. 120.

C. Faktische Bindung durch Einwohner- und Bürgerbefragungen

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eine faktische Befolgungspflicht hervorrufen.44 Allein die Tatsache, dass von einer Befragung politischer Druck auf den Gemeinderat ausgeht, genügt für einen Verstoß gegen das freie Mandat also nicht. Vielmehr muss dieser Druck derart gravierend sein, dass aus ihm eine Zwangswirkung resultiert. Nur wenn es dem Gemeinderat faktisch nicht mehr möglich erscheint, eine von dem Befragungsergebnis abweichende Entscheidung zu treffen, wird der Entscheidungsspielraum des Gemeinderats tatsächlich durch die Befragung geschmälert.45

III. Zwangspotenzial von Einwohnerund Bürgerbefragungen Dass Einwohner- und Bürgerbefragungen das Potenzial haben, politischen Druck auf den Gemeinderat auszuüben, bedarf keiner Erörterung mehr. In Kapitel 2 wurde bereits herausgearbeitet, dass die Befragungen ggfs. darauf ausgerichtet sind, dem Gemeinderat eine erkennbare Stoßrichtung für seine Entscheidung vorzugeben, um so einen entsprechenden Druck auf ihn auszuüben.46 Ferner dürfte der faktische Druck auf den Gemeinderat vom Ergebnis der Befragung und der Teilnehmerzahl abhängen: Umso höher die Zahl der Befragungsteilnehmer und umso klarer das Befragungsergebnis ist, umso schwerer wird es dem Gemeinderat fallen, sich gegen das Votum der Befragten zu entscheiden.47 Darüber hinaus spricht viel dafür, dass der politische Druck dann besonders hoch ist, wenn der Gemeinderat bereits im Vorfeld der Befragung, etwa in den lokalen Medien oder sogar in einem Gemeinderatsbeschluss, bekannt gibt, dem Befragungsergebnis folgen zu wollen.48 Dass das in der Praxis vorkommt, zeigt das Beispiel der eingangs bereits erläuterten Bürgerbefragung der Stadt Seligen 44

Vgl. auch Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 425; siehe ferner Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 161, der danach fragt, „ob der politische Druck […] ausreicht, um einen Verstoß gegen den Grundsatz des freien Mandats anzunehmen.“ 45 In eine andere Richtung geht die Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs in Bezug auf Volksbefragungen auf Landesebene. Das Gericht geht davon aus, dass allein durch die Existenz des Instruments der Befragung in der Bevölkerung eine Erwartungshaltung geschaffen werden kann, die Volksbefragungen vor allem bei strittigen Vorhaben zur Regel werden lässt. Werde keine Volksbefragung durchgeführt, setzten sich die zuständigen Organe dem Vorwurf aus, den Willen des Volkes als Souverän zu ignorieren. Gut organisierte Interessengruppen könnten dies nutzen und die Durchführung einer Volksbefragung erzwingen. Daher seien Auswirkungen auf den Gestaltungsrahmen der Staatsregierung und die Wahrnehmung der Kontrollrechte und der Budgetverantwortung durch den Landtag allein infolge der Existenz der entsprechenden Regelung nicht auszuschließen, siehe BayVerfGH, NVwZ 2017, 319 (323 f.). Ebenso Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (25); a. A. Thum, BayVBl. 2015, 224 (225 f.). 46 Kap. 2 B. III. 1. 47 So bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 36; vgl. auch Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 80. 48 Vgl. Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (25).

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3. Kap.: Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats

stadt zur zukünftigen Nutzung der Hans-Memling-Schule.49 Hier beschloss die Stadtverordnetenversammlung bereits vor der Durchführung der Befragung, sich dem Votum der Bürgerschaft bei ihrer Entscheidung anzuschließen.50 Von einer freiwilligen Selbstverpflichtung können selbstverständlich allenfalls faktische Wirkungen ausgehen. Eine rechtliche Wirkung kommt ihr nicht zu. Die Gemeinderäte sind wegen ihres freien Mandats rechtlich nicht verpflichtet, dem Befragungsergebnis zu folgen.51 Daher lässt sich sogar über die grundsätzliche Zulässigkeit freiwilliger Selbstverpflichtungen streiten.52 Gegen die Zulässigkeit wird überdies zu Recht vorgebracht, dass sie dem Leitbild der Befragung als Instrument, dem gerade keine Bindungswirkung zukommen soll, zuwiderläuft.53 Selbst wenn Einwohner- und Bürgerbefragungen einen politisch-faktischen Druck auf den Gemeinderat ausüben, bedeutet das nicht automatisch, dass damit eine faktische Zwangswirkung einhergeht und der Entscheidungsspielraum des Gemeinderats geschmälert wird.54 Für die rechtliche Würdigung kann als gesicherte Tatsachengrundlage nur berücksichtigt werden, dass bei der Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen lediglich die Gefahr einer faktischen Bindung des Gemeinderats an das Befragungsergebnis besteht.55 Die fehlende „Fassbarkeit“ des 49

Kap. 1 D. VI. Siehe auch die Einwohnerbefragung der Stadt Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens, bei der sich der Stadtrat ebenfalls eine freiwillige Selbstverpflichtung auferlegte, jedoch nur für den Fall, dass das Befragungsergebnis von mindestens zehn Prozent der abstimmungsberechtigten Einwohner getragen wird (Kap. 1 D. I.). 50 Dass dem Befragungsergebnis für die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung tatsächlich eine herausragende Bedeutung beigemessen wurde, legt die Äußerung des Bürgermeisters der Stadt Seligenstadt Bastian nahe, der nach der Durchführung der Befragung in einer Pressemitteilung folgendermaßen zitiert wird: „Es ist für alle Beteiligte gut, dass die Befragung ein so klares Ergebnis hervorgebracht hat. Nach den sehr emotional geführten Debatten der vergangenen Wochen hoffe ich nun, dass wir in der Stadtverordnetenversammlung in großer Ruhe und Einigkeit auf der Grundlage des Ergebnisses entscheiden, wie genau es mit dem alten Schulgebäude weitergeht“, vgl. die Mitteilung auf der Internetseite Stadt Seligenstadt vom 31. 03. 2020, abrufbar unter https://www.seligenstadt.de/aktuelles/ pressemitteilungen/03-2020/ergebnis-der-buergerbefragung-zu-zuekuenftigen-nutzung-derehemaligen-hans-memling-schule-steht-fest/ (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 51 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 217 f.; vgl. auch Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 54. 52 Siehe OVG Koblenz, NVwZ-RR 1991, 500 (502), das wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz des freien Mandats von der Nichtigkeit der Selbstverpflichtung ausgeht. 53 Vgl. hierzu Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 218 ff., der die Unzulässigkeit der freiwilligen Selbstverpflichtung zudem damit begründet, dass diese den Bürgern bzw. Einwohnern falsche Tatsachen vorspiegele, dass die Befragung faktisch einem gemeinderatsinitiierten Bürgerentscheid entspreche und dass die Gemeinderäte in Unkenntnis der tatsächlichen Rechtslage die Selbstverpflichtung möglicherweise für verbindlich erachteten. 54 A. A. in Bezug auf Volksbefragungen Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, S. 150; siehe ebenfalls in Bezug auf Volksbefragungen Schnapauff, VR 1983, 326 (326), nach dem sich die moralisch-politische Verbindlichkeit in ihrer Stringenz kaum von einer verfassungsrechtlichen Verbindlichkeit unterscheidet. 55 Dass die Gefahr einer faktischen Bindung besteht, erkannte auch die Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts. Diese ging aller-

C. Faktische Bindung durch Einwohner- und Bürgerbefragungen

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Kriteriums der faktischen Bindungswirkung hat zur Folge, dass es für die rechtliche Lösung des Problems kein eindeutiges Ergebnis gibt und dass sich die folgenden Bemerkungen hierzu auf einige thesenhafte Überlegungen beschränken müssen. Das Bestehen einer faktischen Befolgungspflicht kann zwar in der Theorie nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dürfte in der Praxis jedoch kaum vorzufinden sein.56 Hierfür spricht, dass der Gemeinderat die Durchführung einer Befragung zunächst beschließen muss.57 Bei einer lebensnahen Betrachtung ist davon auszugehen, dass sich die Gemeinderäte im Vorfeld mit dem Instrument der Befragung auseinandersetzen und diskutieren, ob bzw. warum sie gerade von dem Instrument der Befragung und nicht etwa von dem des Bürgerentscheids Gebrauch machen wollen. Den Gemeinderäten dürfte daher in aller Regel bewusst sein, dass sie dem Befragungsergebnis bei ihrer späteren Entscheidung nicht folgen müssen und dass ihr Entscheidungsspielraum rechtlich unangetastet bleibt. Wenn dem Gemeinderat jedoch klar ist, dass er rechtlich nicht dazu verpflichtet ist, sich dem Befragungsergebnis anzuschließen, dürfte das auch dazu führen, dass er sich faktisch nicht derart an das Ergebnis gebunden sieht, dass für ihn nur noch die Möglichkeit besteht, dem Befragungsergebnis zu folgen. Außerdem erscheinen die denkbaren Sanktionen bei einer Nichtbefolgung des Befragungsergebnisses nicht derart gravierend, dass sie für die Gemeinderäte in jedem Fall unausweichlich sind. Wie bereits angedeutet, ist der Gedanke der faktischen Bindungswirkung damit verbunden, dass die Gemeinderäte befürchten, im Fall der Nichtbefolgung des Befragungsergebnisses von den Einwohnern bzw. Bürgern in politischer Hinsicht kritisiert zu werden. Allerdings können die Gemeinderäte, wenn sie von dem Befragungsergebnis abweichen wollen, ihre Gründe für das Abweichen offenlegen.58 Wenn der Gemeinderat seine Entscheidung für dings mehrheitlich davon aus, dass das Instrument der Befragung nicht genutzt wird, um die Verantwortung für die Entscheidung faktisch auf die Bürgerschaft auszulagern. Siehe den Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56. 56 Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 187 und ­Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, S. 81 f. argumentieren in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene in diesem Kontext u. a. mit den Erfahrungen, die bei der Durchführung von Territorialplebisziten gemacht wurden (vgl. insbesondere Art. 29 GG). Es gibt in diesem Zusammenhang einige Fälle, in denen die Voten der Bevölkerung unbeachtet gelassen wurden. 57 Vgl. Kap. 1 A. II. Auch Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (51) setzt an der Initiierung durch den Gemeinderat an. Er stellt sich dann aber auf den Standpunkt, dass der Gemeinderat den Beschluss einer Befragung regelmäßig nur fassen wird, wenn er die Bürger auch hinter sich weiß. 58 Siehe auch Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 427, der in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene feststellt, dass die einzige zwingende Folge der Befragung „die (Verfassungsrechts-)Pflicht der Parlamentarier [sei], ihre möglicherweise abweichende Auffassung in Anbetracht der durch das Befragungsergebnis bekundeten Bedenken der Aktivbürgerschaft erneut zu prüfen und deren etwaige Beibehaltung und Umsetzung um so sorgfältiger zu begründen.“ So auch Wirth / Domrich, RuP 1988, 114 (116); Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (51).

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3. Kap.: Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Mandats

die Bevölkerung nachvollziehbar begründet, kann das die Akzeptanz seiner Entscheidung fördern. Außerdem müssen die Einwohner bzw. Bürger ohnehin darüber informiert werden, dass die Entscheidungskompetenz rechtlich beim Gemeinderat verbleibt.59 Die Gemeinderäte haben somit die Möglichkeit, der befürchteten Kritik entgegenzuwirken.

D. Ergebnis Die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen kann nur dann mit dem Grundsatz des freien Mandats in Konflikt geraten, wenn man voraussetzt, dass dieser den Gemeinderat nicht nur vor rechtlich verbindlichen, sondern auch vor faktischen Instruktionen schützt. Um von einem Verstoß ausgehen zu können, muss der Nachweis gelingen, dass der mit der Befragung verbundene politische Druck derart gravierend ist, dass aus ihm eine faktische Befolgungspflicht entsteht. Es spricht jedoch viel dafür, dass die Auswirkungen einer Befragung in der Praxis in der Regel nicht derart schwerwiegend sind.60

59

Dazu m. w. N. Kap. 7 A. I. Im Ergebnis ähnlich Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 1b. Verbindlicher Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 431 und Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 161 f. (jeweils für Volksbefragungen). Gegen eine Verletzung des freien Mandats infolge einer faktischen Bindungswirkung auch Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (51 f.). Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 128 geht bezogen auf Volksbefragungen sogar noch etwas weiter. Ihm zufolge wird das Repräsentationsprinzip nicht unterlaufen, sondern vielmehr konkretisiert. Der von einer Volksbefragung ausgehende politische Druck schaffe „eine ‚Art von Gegendruck‘ gegen den Druck der Partei und der Verbände“, sodass für den Abgeordneten mehr Möglichkeiten entstünden, um sich zu profilieren. A. A. Krause, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 35 Rn. 26, der in Bezug auf Volksbefragungen im Bereich der Bundesgesetzgebung davon ausgeht, dass diese eine unzulässige Instruktion der Mitglieder des Bundesrats und des Bundestags sind. A. A. ferner Brenner, in: Stern /  Sodan / Möstl (Hrsg.), Staatsrecht II, § 30 Rn. 61, nach dem die Repräsentativkörperschaft im Rahmen einer Befragung „für sich letztlich nicht mehr den Anspruch erheben [könnte], stellvertretend für das Volk und insbesondere abweichend von dessen Willen zu entscheiden.“ 60

4. Kapitel

Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  In Literatur und Rechtsprechung besteht Uneinigkeit darüber, ob aus verfassungsrechtlicher Sicht zur Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen eine gesetzliche Grundlage in den Gemeindeordnungen der Länder notwendig ist.1 Diese Thematik ist angesichts der Tatsache, dass auch in den Bundesländern, deren Gemeindeordnungen keine gesetzliche Regelung vorsehen, Befragungen durchgeführt werden,2 von erheblicher praktischer Bedeutung. Sie wurde bisher nur vereinzelt3 einer grundlegenden Begutachtung unterzogen. Daher greift die Arbeit diese Fragestellung im Folgenden auf und versucht, anhand der beiden hierfür maßgeblichen Anknüpfungspunkte – dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes4 und dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes5 – eine Antwort zu finden.

1

Für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage: Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 193 f.; Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 183; vgl. ferner Wohlfahrt, VR 1983, 81 (81 ff.). Für eine gesetzliche Regelung grundsätzlich auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (42 f.), allerdings nicht „für solche Erhebungen […], die demoskopischen Umfragen ähneln, insbesondere nicht den Charakter einer amtlichen Abstimmung erreichen, sondern lediglich ein Schlaglicht auf das Meinungsbild in der Bevölkerung werfen“. Gegen das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage: VG Ansbach, BayVBl. 1971, 194 (194 f.); Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 (90 f.); v. Arnim, DÖV 1990, 85 (89); Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 195; Engel / Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 16 Rn. 25; Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 25; Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (52); Bätge, in: ­Bogner, Beratungs- und Beschlussfassungsverfahren in der Gemeindevertretung, S. 66; wohl auch Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 783. Vgl. auch Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 162; Wegricht / Bäuerle, KommJur 2018, 401 (405). 2 Siehe z. B. die beiden Befragungen der Stadt Tübingen, Kap. 1 D. III., V. 3 Siehe insbesondere Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 126 ff. 4 Dazu Kap. 4 A. 5 Dazu Kap. 4 B.

78

4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

A. Vorrang des Gesetzes Das Erfordernis einer gesetzlichen Normierung von Einwohner- und Bürgerbefragungen könnte zunächst aus dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes folgen. Er findet seine grundgesetzliche Verankerung6 in der in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Bindung von Exekutive und Judikative an das Gesetz.7 Inhaltlich stellt er eine Rangordnungsregel8 dar, die besagt, dass der in einem Parlamentsgesetz zum Ausdruck gebrachte Staatswille unterhalb der Ebene der Verfassung jeder anderen staatlichen Willensäußerung vorgeht.9 Voraussetzung für die Geltung des Gesetzesvorrangs ist allerdings, dass für den betreffenden Sachverhalt überhaupt ein wirksames Gesetz besteht. Der Vorrang des Gesetzes trifft dagegen keine Aussage für den Fall, dass keine gesetzliche Grundlage existiert. Die Frage, ob eine gesetzliche Regelung notwendig ist, damit Exekutive und Judikative tätig werden können, betrifft nicht den Vorrang, sondern den Vorbehalt des Gesetzes.10 Demzufolge könnte man meinen, der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes sei für die Frage, ob die Gemeinden Einwohner- und Bürgerbefragungen nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung durchführen dürfen, gar nicht von Bedeutung. Jedoch wird teilweise die Auffassung vertreten, die Gemeindeordnungen seien hinsichtlich der Einwohner- und Bürgerbeteiligung abschließend.11 Wenn diese These zutrifft, ist der abschließende Charakter der Beteiligungsvorschriften allerdings ebenfalls Teil des Regelungsgehalts der Gemeindeordnungen und damit vom vorrangig zu beachtenden Staatswillen umfasst. Insofern kann der Vorrang des Gesetzes auch für die hier interessierende Fragestellung Wirkung entfalten. Voraussetzung ist 6 Auf landesverfassungsrechtlicher Ebene folgt der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes aus Art. 25 Abs. 2 LV BW, der den Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG nahezu unverändert aufgreift. 7 Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 VI Rn. 72; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 104 f.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 88; ­Kotzur, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 153; Gusy, JuS 1983, 189 (189); Hölscheidt, JA 2001, 409 (409). Stern, Staatsrecht I, § 20 IV. 4. b) α) bezeichnet den Vorrang des Gesetzes auch als „negative Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“. 8 Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 101 Rn. 3. Siehe auch Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 112: „Kollisionsnorm“. 9 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 68; Stern, Staatsrecht I, § 20 IV. 4. b); Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 104; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10 Rn. 104. Vgl. auch BVerfGE 8, 155 (169); 40, 237 (247). 10 Siehe zum Ganzen Gusy, JuS 1983, 189 (191). 11 Wohlfarth, VR 1983, 181 (181); Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 199 f.; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 166 f. Vgl. auch VG Schleswig, NVwZ 1986, 1052 (1053); Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (41). Siehe in Bezug auf die in der hessischen Gemeindeordnung verankerten Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen (§§ 4c S. 1, 8c Abs. 1 S. 1 HGO) ferner VGH Kassel, NVwZ 2022, 573 (576). A. A. Hellermann, DVBl. 2011, 1195 (1198); Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 149 f. Differenzierend Herbert, NVwZ 1995, 1056 (1058); vgl. auch Bätge, in: Bogner, Beratungs- und Beschlussfassungsverfahren in der Gemeindevertretung, S. 66.

A. Vorrang des Gesetzes

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dabei allerdings, dass die Gemeindeordnungen die Möglichkeiten der Einwohnerund Bürgerbeteiligung tatsächlich abschließend regeln. Ob das der Fall ist, soll im Folgenden für die baden-württembergische Gemeindeordnung erörtert werden.

I. Abschließender Charakter der Gemeindeordnung Baden-Württemberg? In der baden-württembergischen Gemeindeordnung sind zahlreiche Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung bereits gesetzlich verankert. Um ermitteln zu können, ob die Gemeindeordnung Baden-Württemberg diesbezüglich abschließend ist, verschafft sich die Arbeit zunächst einen Überblick über die bestehenden Regelungen zur Einwohner- und Bürgerbeteiligung.12 1. Bereits bestehende Regelungen der Einwohnerund Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg Die Beteiligungsmöglichkeiten lassen sich in die folgenden vier Kategorien einteilen:13 Einwohnerinformation, Mitwirkung am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, Bürgerentscheid und Initiierungsrechte der Einwohner- und Bürgerschaft. Die Arbeit legt hierfür ein weites, jegliche Formen der Einbeziehung in die gemeindlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse umfassendes Verständnis von „Beteiligung“ zugrunde.14 a) Einwohnerinformation Die erste Kategorie der Beteiligungsformen zeichnet sich dadurch aus, dass sie vornehmlich der Information der Einwohner dient. Die Information der Bevölkerung ist eine notwendige Voraussetzung, um eine freie Meinungsbildung und eine effektive Wahrnehmung der Mitwirkungsmöglichkeiten zu gewährleisten.15 Zu diesem Bereich zählt zunächst die Vorschrift des § 20 GemO BW. Nach § 20 Abs. 1 GemO BW unterrichtet der Gemeinderat die Einwohner durch den Bürgermeister über allgemein bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde und sorgt zudem dafür, dass das allgemeine Interesse an der Verwaltung gefördert wird. Einen gesetzlich normierten besonderen Anwendungsfall16 dieser allgemeinen Infor 12

Siehe auch den Überblick bei Bock, BWGZ 2011, 855 (855 ff.). Die im Folgenden vorgenommene Einteilung und Zuordnung der Beteiligungsformen ist angelehnt an Kromer, DVBl. 1985, 143 (144). 14 Vgl. dazu Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 44. 15 Vgl. Kromer, DVBl. 1985, 143 (144); Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 20 GemO Rn. 2. 16 LT-Drs. 6/6340, S. 38 f. 13

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

mationspflicht17 beinhaltet § 20 Abs. 2 S. 1 GemO BW, nach dem eine möglichst frühzeitige Unterrichtung bei wichtigen Planungen und Vorhaben der Gemeinde erfolgen soll. Beim Bestehen eines besonderen Bedürfnisses sollen die Einwohner zudem die Gelegenheit zur Äußerung erhalten (§ 20 Abs. 2 S. 2 GemO BW). Zur Kategorie der Einwohnerinformation gehört ferner das Instrument der Fragestunde. § 33 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 GemO BW sieht hierzu vor, dass der Gemeinderat bei öffentlichen Sitzungen Einwohnern und diesen nach § 10 Abs. 3 und Abs. 4 GemO BW gleichgestellten Personen bzw. Personenvereinigungen18 die Gelegenheit geben kann, Fragen zu gemeindlichen Angelegenheiten zu stellen, zu denen gem. § 33 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 GemO BW der Vorsitzende Stellung nimmt, oder Anregungen und Vorschläge19 zu unterbreiten. Der Information dient schließlich auch die grundsätzliche Öffentlichkeit der Sitzungen20 des Gemeinderats und der seiner beschließenden Ausschüsse (§§ 35 Abs. 1 S. 1, 39 Abs. 5 S. 1 GemO BW)21 sowie die Veröffentlichung von Informationen im Zusammenhang mit den Sitzungen des Gemeinderats im Internet (§ 41b Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 GemO BW) und die Auslegung der Beratungsunterlagen im Sitzungsraum (§ 41b Abs. 3 GemO BW). b) Mitwirkung am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess Die Gemeindeordnung enthält zudem Instrumente, die über die Einwohnerinformation hinaus eine Mitwirkung am gemeindlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess ermöglichen. Hierzu zählt zunächst die nach § 33 Abs. 3, Abs. 4 S. 2 Hs.  1 GemO BW bestehende Möglichkeit des Gemeinderats, sachkundige Einwohner22 zu den Beratungen einzelner Angelegenheiten hinzuzuziehen bzw. betroffenen Personen und Personengruppen die Gelegenheit zu geben, ihre Auffas 17 Die Pflicht zur Information ist eine objektive Rechtspflicht. § 20 Abs. 1, Abs. 2 GemO BW verleiht den Einwohnern demzufolge kein subjektives Recht auf Information, siehe Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 20 GemO Rn. 8 m. w. N. 18 Das sind Personen, die zwar nicht in der Gemeinde wohnen, aber dort ein Grundstück besitzen bzw. ein Gewerbe betreiben sowie juristische Personen und nicht rechtsfähige Personenvereinigungen. 19 Bezogen auf die Möglichkeit, Anregungen und Vorschläge zu unterbreiten, könnte man das Instrument der Fragestunde auch der zweiten Kategorie (Mitwirkung am Willensbildungsund Entscheidungsprozess) zuordnen. Da § 33 Abs. 4 S. 1 GemO BW aber nicht regelt, wie die Behandlung der Anregungen und Vorschläge zu erfolgen hat, wird regelmäßig nur die Bemerkung erfolgen können, dass sich der Gemeinderat bzw. ein Ausschuss mit der Thematik befasst und dass über das Ergebnis der Beratung entsprechende Informationen übermittelt werden, so Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 33 GemO Rn. 18. 20 Zu den Sitzungen zutrittsberechtigt ist nicht nur, wer Einwohner der Gemeinde ist, sondern jedermann, vgl. Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 35 GemO Rn. 3. 21 Die Öffentlichkeit der Sitzungen dient jedoch nicht nur der Information, sondern auch der Kontrolle der Gemeinderäte, vgl. zum Ganzen Brenndörfer, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 35 GemO Rn. 1. 22 § 33 Abs. 3 GemO BW sieht auch die Hinzuziehung von Sachverständigen vor. Das ist für die Themenstellung dieser Arbeit jedoch nicht von Bedeutung.

A. Vorrang des Gesetzes

81

sung vorzutragen (Anhörung). Die Aufgabe der sachkundigen Einwohner besteht darin, dem Gemeinderat Fragen zu beantworten und fachlich zu den jeweiligen Beratungsthemen Stellung zu beziehen. Sie leisten dem Gemeinderat also beratende Entscheidungshilfe.23 Bei der Anhörung betroffener Personen und Personengruppen dagegen geht es lediglich darum, dass die Betroffenen dem Gemeinderat ihre Auffassung vortragen. Eine Beratung bzw. Diskussion der Betroffenen mit den Gremien findet nicht statt.24 Das Instrument der Anhörung betroffener Personen und Personengruppen kann nach § 33 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 GemO BW zudem von allen Ausschüssen in Anspruch genommen werden. Gem. § 40 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 GemO BW kann der Gemeinderat sachkundige Einwohner widerruflich als beratende Mitglieder in die beschließenden Ausschüsse berufen. Allerdings darf die Zahl der sachkundigen Einwohner die der jeweils in den Ausschüssen vertretenen Gemeinderäte nicht erreichen (§ 40 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 GemO BW). Darüber hinaus können sachkundige Einwohner als Mitglieder von beratenden Ausschüssen berufen werden (§ 41 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GemO BW). Auch hier darf ihre Zahl die der in die beratenden Ausschüsse bestellten Gemeinderatsmitglieder nicht erreichen (§ 41 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GemO BW). Die sachkundigen Einwohner in den beratenden Ausschüssen sind – anders als die in den beschließenden Ausschüssen – gleichberechtigte Mitglieder mit Stimmrecht.25 Zu den weiteren Möglichkeiten der Mitwirkung an der gemeindlichen Willensbildung zählt die von § 20a GemO BW vorgesehene Einwohnerversammlung. Nach § 20a Abs. 1 S. 1 GemO BW sollen wichtige Gemeindeangelegenheiten mit den Einwohnern erörtert werden, weswegen der Gemeinderat in der Regel einmal im Jahr eine Einwohnerversammlung anberaumen soll (§ 20a Abs. 1 S. 2 GemO BW).26 Dem Bürgermeister, der nach § 20a Abs. 1 S. 6 GemO BW der Vorsitzende der Einwohnerversammlung ist, steht mangels gesetzlicher Regelungen hinsichtlich des Ablaufs und der Ausgestaltung der Versammlung ein Ermessen zu.27 Gem. § 20a Abs. 4 GemO BW sollen die Vorschläge und Anregungen der Versammlung binnen drei Monaten von dem jeweils zuständigen Gemeindeorgan behandelt werden. Unter dem Blickwinkel der Beteiligung am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess ist zuletzt die in § 41a GemO BW geregelte Beteiligung von Kin 23

Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 33 GemO Rn. 10. Brenndörfer, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 33 GemO Rn. 32. Im Zusammenhang mit den Anhörungsrechten nennt Kromer, DVBl. 1985, 143 (145) auch die in § 8 Abs. 2 S. 3 GemO BW vorgesehene Anhörung der Bürger im Vorfeld einer freiwilligen Änderung der Gemeindegrenzen und die bereits erwähnte Äußerungsmöglichkeit der Einwohner nach § 20 Abs. 2 S. 2 GemO BW. 25 Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 41 GemO Rn. 8; Brenndörfer, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 41 GemO Rn. 11. 26 Unter den Voraussetzungen des § 20a Abs. 2 GemO BW kann auch die Einwohnerschaft selbst die Anberaumung einer Einwohnerversammlung beantragen. Siehe dazu Kap. 4 A. I. 1. d). 27 Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 20a GemO Rn. 13.1. 24

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

dern und Jugendlichen zu nennen.28 Nach § 41a Abs. 1 S. 1 GemO BW soll29 bzw. muss die Gemeinde Kinder und Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen, wozu sie geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln hat (§ 41a Abs. 1 S. 2 GemO BW). § 41a Abs. 1 S. 3 GemO BW sieht diesbezüglich insbesondere die Einrichtung eines Jugendgemeinderats oder einer anderen Jugendvertretung durch die Gemeinde vor.30 Hinzu kommt, dass in der Geschäftsordnung des Gemeinderats die Beteiligung von Mitgliedern der Jugendvertretung an dessen Sitzungen in Jugendangelegenheiten geregelt werden muss, wobei den Jugendlichen vor allem ein Rede-, Anhörungs- und Antragsrecht einzuräumen ist (§ 41a Abs. 3 GemO BW). c) Bürgerentscheid Die dritte Kategorie der bestehenden Möglichkeiten der Einwohner- und Bürgerbeteiligung bildet der Bürgerentscheid31 nach § 21 GemO BW. Dieses Instrument gibt den Bürgern ein unmittelbares Entscheidungsrecht und hat daher die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses (§ 21 Abs. 8 S. 1 GemO BW).32 Nach § 21 Abs. 1 GemO BW kann sich ein Bürgerentscheid nur auf eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde33 beziehen, wobei § 21 Abs. 2 GemO BW einige Themengebiete der Entscheidung durch die Bürgerschaft entzieht.34 Die Initiie-

28 Zur Definition und Unterscheidung von Kindern und Jugendlichen siehe den Gesetzentwurf der baden-württembergischen Landesregierung für das Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 03. 08. 2015, LT-Drs. 15/7265, S. 41: „Nach den gesetzlichen Definitionen im Kinder- und Jugendhilferecht und im Strafrecht sind Kinder noch nicht 14 Jahre und Jugendliche mindestens 14, aber noch nicht 18 Jahre alt (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Sozialgesetzbuchs – Achtes Buch, § 19 des Strafgesetzbuches, § 1 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes).“ 29 Dass die Beteiligung von Kindern im Gegensatz zu der von Jugendlichen nicht verpflichtend geregelt wurde, begründet der Gesetzeger damit, dass insbesondere aufgrund des Alters der Kinder Fallkonstellationen denkbar sind, in denen eine sachgerechte Beteiligung nicht möglich ist, siehe hierzu den Gesetzentwurf der baden-württembergischen Landesregierung für das Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 03. 08. 2015, LT-Drs. 15/7265, S. 41. 30 Unter den Voraussetzungen des § 41a Abs. 2 GemO BW können Jugendliche die Einrichtung einer Jugendvertretung beantragen. 31 Da bei der Teilnahme an einem Bürgerentscheid Staatsgewalt ausgeübt wird, beschränkt sich der Kreis der Teilnahmeberechtigten auf die Bürgerschaft, Haug, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 21 GemO Rn. 1. 32 Siehe bereits Kap. 1 A. I. 33 Der Begriff der Angelegenheiten des Wirkungskreises einer Gemeinde ist identisch mit dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Begriff der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 21 GemO Rn. 2. Vgl. auch BayVGH, BayVBl. 1997, 276 (277). 34 Ausführlich zu den Ausschlussgründen des § 21 Abs. 2 GemO BW Schellenberger, Bürger­begehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 255 ff.

A. Vorrang des Gesetzes

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rung eines Bürgerentscheids kann auf zwei Wegen erfolgen: Einerseits kann der Gemeinderat nach § 21 Abs. 1 GemO BW mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, dass ein Bürgerentscheid durchgeführt wird (sog. Ratsbegehren35). Die Initiative kann andererseits auch aus der Bürgerschaft selbst kommen, indem diese im Wege eines Bürgerbegehrens nach § 21 Abs. 3 GemO BW einen Bürgerentscheid beantragt.36 Wird ein Bürgerentscheid durchgeführt, müssen die Bürger spätestens am 20. Tag vor dem Entscheid über die Auffassungen der Gemeindeorgane informiert werden (§ 21 Abs. 5 S. 1 GemO BW). Gem. § 21 Abs. 7 S. 1 GemO BW ist die bei einem Bürgerentscheid gestellte Frage entschieden, sofern sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde und die Mehrheit mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten beträgt.37 Dass die Frage bei einem Bürgerentscheid nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann, wurde bereits deutlich gemacht.38 aa) Exkurs: § 21 Abs. 1 GemO BW als Rechtsgrundlage für Befragungen? Zu klären ist in diesem Zusammenhang, ob sich die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen in den Bundesländern, in denen, wie in Baden-Württemberg, keine spezielle gesetzliche Grundlage besteht, auf die Vorschriften zur Durchführung eines Ratsbegehrens (§ 21 Abs. 1 GemO BW) stützen lässt. Obwohl sich die Befragung und der Bürgerentscheid in ihrer Grundkonzeption, wonach der Gemeinderat die Einwohner bzw. Bürger jeweils in den Entscheidungs- bzw. Beratungsprozess einbeziehen will, ähneln, unterscheiden sie sich jedoch maßgeblich im Hinblick darauf, wer letztendlich die Entscheidung trifft.39 Da sich dem Wortlaut von § 21 Abs. 1 GemO BW klar entnehmen lässt, dass es bei einem Ratsbegehren darum geht, die Bürger und damit nicht den Gemeinderat die Entscheidung treffen zu lassen, bei der Befragung die Entscheidungskompetenz rechtlich aber beim Gemeinderat verbleibt, ist nicht davon auszugehen, dass die Befragung dort gewissermaßen als „Minus“ mitgeregelt ist. Aufgrund des genannten Unterschieds ist die Befragung vielmehr als ein „Aliud“ zum Bürgerentscheid anzusehen.40

35

Haug, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 21 GemO Rn. 4. Siehe zum Bürgerbegehren sogleich Kap. 4 A. I. 1. d). 37 Wenn diese Mehrheit nicht erreicht wird, hat nach § 21 Abs. 7 S. 3 GemO BW der Gemeinderat über die Frage zu entscheiden. 38 Kap. 1 A. IV. 39 Siehe dazu Kap. 1 A. I. 40 Vgl. insoweit Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (80). 36

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

bb) Zwischenergebnis § 21 Abs. 1 GemO BW kann demnach nicht als Rechtsgrundlage für die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen herangezogen werden.41 d) Initiierungsrechte der Einwohner- und Bürgerschaft Der letzten Kategorie der Beteiligungsmöglichkeiten sind all diejenigen Mitwirkungsformen zuzuordnen, die sich nicht auf die Information bzw. Anhörung der Einwohner und Bürger beschränken, die aber auch keine direkte Mitwirkung an einer gemeindlichen Entscheidung ermöglichen. Sie zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie den Einwohnern bzw. Bürgern die Möglichkeit geben, selbst die Beteiligung an den gemeindlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen sowie die Durchführung eines Bürgerentscheids einzuleiten.42 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zunächst das Bürgerbegehren.43 Wie bereits dargelegt,44 handelt es sich bei dem in § 21 Abs. 3 S. 1 GemO BW vorgesehenen Bürgerbegehren um eine Möglichkeit der Bürger, selbst einen Bürgerentscheid herbeizuführen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht muss das Bürgerbegehren insbesondere die zu entscheidende Frage, eine Begründung sowie einen Kostendeckungsvorschlag45 beinhalten (§ 21 Abs. 3 S. 4 GemO BW). Hinzu kommt, dass das Bürgerbegehren von mindestens sieben Prozent der Bürger, jedoch höchstens von 20.000 Bürgern unterzeichnet werden muss (§ 21 Abs. 3 S. 6 GemO BW).46 Über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheidet nach § 21 Abs. 4 S. 1 GemO BW der Gemeinderat.47 Zu den Initiierungsrechten zählt ferner das Institut des Einwohnerantrags (§ 20b GemO BW). Die Einwohner können beantragen, dass sich der Gemeinderat mit einer in seine Zuständigkeit fallenden Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde befasst (§ 20b Abs. 1 S. 1, S. 2 GemO BW).48 In verfahrensrechtlicher 41

Vgl. insoweit Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207. Vgl. Kromer, DVBl. 1985, 143 (148). 43 Vgl. die anschauliche Umschreibung bei Hager, VerwArch 1993, 97 (98): „Das Bürgerbegehren ist ein politischer Seismograph, der zuviel Distanz zwischen Regierenden und Regierten anzeigt.“ Nach Burgi, Kommunalrecht, § 11 Rn. 33 ist das Bürgerbegehren die „Krone der plebiszitären Möglichkeiten auf Gemeindeebene“. 44 Kap. 4 A. I. 1. c). 45 Die Notwendigkeit des Kostendeckungsvorschlags als Zulässigkeitsvoraussetzung für Bürgerbegehren ist rechtspolitisch umstritten, vgl. dazu Seybold, LKV 2021, 433 (438). 46 Siehe zu den weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzungen § 21 Abs. 3–5 GemO BW. 47 Kritisch zur Zuständigkeit des Gemeinderats Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 347 ff., der einen Verstoß gegen den Grundsatz einer funktionsgerechten Organstruktur annimmt. 48 Ausgenommen sind jedoch Angelegenheiten, in denen in den letzten sechs Monaten bereits ein Einwohnerantrag gestellt wurde, die in dem Negativkatalog des § 21 Abs. 2 GemO 42

A. Vorrang des Gesetzes

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Hinsicht muss der Antrag insbesondere hinreichend bestimmt und begründet sein (§ 20b Abs. 2 S. 3 GemO BW). Gem. § 20b Abs. 2 S. 4, S. 5 GemO BW ist zudem ein Unterschriftenquorum einzuhalten.49 Über die Zulässigkeit des Antrags entscheidet nach § 20b Abs. 3 S. 1 GemO BW der Gemeinderat.50 Ist der Antrag zulässig, muss sich der Gemeinderat bzw. der zuständige beschließende Ausschuss innerhalb von drei Monaten mit der Angelegenheit befassen (§ 20b Abs. 3 S. 2 Hs. 1 GemO BW). Das letzte in der baden-württembergischen Gemeindeordnung vorgesehene Initiierungsrecht der Einwohnerschaft ist der Antrag auf Einberufung einer Einwohnerversammlung gem. § 20a Abs. 2 S. 1 GemO BW.51 Er muss nach § 20a Abs. 2 S. 2 GemO BW insbesondere die zu erörternde Angelegenheit angeben, wobei diese innerhalb der letzten sechs Monate nicht Gegenstand einer Einwohnerversammlung gewesen sein darf. Außerdem muss gem. § 20a Abs. 2 S. 3, S. 4 GemO BW ein Unterschriftenquorum eingehalten werden.52 Sofern der Antrag zulässig ist – hierüber entscheidet nach § 20a Abs. 2 S. 9 GemO BW wiederum der Gemeinderat – muss die Einwohnerversammlung binnen drei Monaten abgehalten werden (§ 20a Abs. 2 S. 10 GemO BW). 2. Abschließender Charakter der Entscheidungszuständigkeiten Im Folgenden ist zu klären, ob die Gemeindeordnung die Möglichkeiten der Einwohner- und Bürgerbeteiligung abschließend regelt, sodass es den Gemeinden nicht möglich ist, weitere Formen der Beteiligung zu praktizieren, wie etwa die hier interessierenden Einwohner- und Bürgerbefragungen. Die dargestellten Rechtsgrundlagen enthalten hierfür selbst jedenfalls keine ausdrücklichen Hinweise. Daher ist zu überlegen, ob sich aus einer systematischen Betrachtung der Gemeindeordnung entsprechende Erkenntnisse gewinnen lassen. Eine Norm, die in einem engen Zusammenhang mit den Beteiligungsmöglichkeiten steht, ist § 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW. Hiernach legt der Gemeinderat die Grundsätze für die BW für den Bürgerentscheid aufgelisteten Angelegenheiten und Angelegenheiten, über die der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss nach der Durchführung eines gesetzlich bestimmten Anhörungs- bzw. Beteiligungsverfahrens entschieden hat, § 20b Abs. 1 S. 2, S. 3 GemO BW. 49 Gem. § 20b Abs. 2 S. 5 GemO BW i. V. m. § 41 Abs. 1 S. 1 KomWG BW kann der Einwohnerantrag nur von Einwohnern unterzeichnet werden, die seit drei Monaten in der Gemeinde wohnen und das 16. Lebensjahr vollendet haben. 50 Siehe zu den weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzungen § 20b Abs. 2, Abs. 3 GemO BW. 51 Ebenso wie der Einwohnerantrag kann der Antrag auf Durchführung einer Einwohnerversammlung gem. § 20a Abs. 2 S. 8 GemO BW i. V. m. § 41 Abs. 1 S. 1 KomWG BW nur von Einwohnern unterzeichnet werden, die seit drei Monaten in der Gemeinde wohnen und das 16. Lebensjahr vollendet haben. 52 Siehe zu den übrigen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen § 20a Abs. 2 GemO BW.

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

Verwaltung der Gemeinde fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, wenn nicht gesetzlich die Zuständigkeit des Bürgermeisters begründet ist oder ihm durch den Gemeinderat Aufgaben übertragen wurden. Eine Ausnahme hiervon und damit ein eigenständiges Entscheidungsrecht der Bürgerschaft sieht die Gemeindeordnung lediglich im Falle eines Bürgerentscheids und damit nur unter den Voraussetzungen des § 21 GemO BW vor. Mit dieser Konzeption bringt die Gemeindeordnung zum Ausdruck, dass grundsätzlich allein der Gemeinderat für die Entscheidungen der Gemeinde zuständig sein soll.53 Hierfür spricht ferner die Vorschrift des § 39 GemO BW, die sich mit beschließenden Ausschüssen befasst. Nach § 39 Abs. 1 S. 1 GemO BW kann der Gemeinderat durch die Hauptsatzung beschließende Ausschüsse einrichten und ihnen bestimmte Aufgaben übertragen.54 Die beschließenden Ausschüsse entscheiden gem. § 39 Abs. 3 S. 1 GemO BW anstelle des Gemeinderats. Ob beschließende Ausschüsse gebildet werden und sich der Gemeinderat als Gesamtorgan auf diese Weise seiner Entscheidungskompetenz entledigt, steht jedoch allein in seinem Ermessen. Die Gemeindeordnung hat auf eine verbindliche Einrichtung beschließender Ausschüsse verzichtet.55 Auch das verdeutlicht, dass das Gesetz den Gemeinderat als maßgeblichen Akteur im gemeindlichen Entscheidungsprozess ansieht. Die Tatsache, dass das Gesetz also selbst die Ausnahmen von der Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats vorsieht, legt nahe, dass die Gemeindeordnung jedenfalls die Entscheidungskompetenzen abschließend regeln will.56 Diese Schlussfolgerung lässt sich außerdem mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte der baden-württembergischen57 Gemeindeordnung vom 25. Juli 195558 bestätigen. In der Gesetzesbegründung finden sich in Bezug auf einen abschließenden Charakter der Entscheidungszuständigkeiten zwei interessante Passagen. Zum einen wurde allgemein im Hinblick auf direktdemokratische Elemente festgehalten, „daß auch die Vielzahl der in der Gemeinde zu treffenden Entscheidungen es keineswegs zuläßt, daß die Bürgerschaft in allen Fragen der örtlichen Gemeinschaft entscheidet, ja nicht einmal, daß sie […] alle wichtigen59 53

So auch Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (48). Einen Katalog derjenigen Aufgaben, die nicht auf beschließende Ausschüsse übertragen werden können, enthält § 39 Abs. 2 GemO BW. 55 Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 39 GemO Rn. 2. 56 Vgl. Herbert, NVwZ 1995, 1056 (1058); Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 255. 57 Nach der Entstehung des Landes Baden-Württemberg im Jahr 1952 galten dort zunächst vier unterschiedliche Gemeindeordnungen. Vgl. dazu und zum Verfahren bis zur parlamentarischen Behandlung der Gemeindeordnung [1955] im Landtag Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren auf Grund von § 21 der Gemeindeordnung für BadenWürttemberg, S. 100 ff. m. w. N. 58 GBl. S. 129. Die Gemeindeordnung trat am 01. 04. 1956 in Kraft, § 147 Abs. 1 GemO BW. 59 Anders als in der heutigen Fassung des § 21 GemO BW war in der Ursprungsfassung der Gemeindeordnung vorgesehen, dass ein Bürgerentscheid nur über eine „wichtige Gemeindeangelegenheit“ (§ 21 Abs. 1, Abs. 3 GemO BW [1955]) durchgeführt werden konnte. 54

A. Vorrang des Gesetzes

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Entscheidungen selbst trifft.“60 Zum anderen findet sich dort speziell in Bezug auf die Regelung des § 21 GemO BW [1955] folgende Begründung: „Wenn es sich um Fragen handelt, die für die Gemeinde entscheidend sind, soll die Möglichkeit gegeben sein, die Entscheidung unmittelbar durch die Bürgerschaft treffen zu lassen. Um die im Bereich des ganzen Landes Baden-Württemberg neue Institution vor Mißbrauch zu schützen, enthält der Entwurf eine Reihe von erschwerenden Voraussetzungen. Durch sie soll gesichert werden, daß die gewählten verfassungsmäßigen Organe nicht außerstand gesetzt werden, die Gesamtverantwortung zu tragen oder daß sie in zu weitem Umfang die Verantwortung abwälzen können.“61 Auch diese Aussagen sprechen dafür, dass die Kompetenz, Entscheidungen zu treffen, nach der Konzeption der Gemeindeordnung grundsätzlich beim Gemeinderat liegen soll und dass die in § 21 GemO BW vorgesehene Ausnahme insoweit abschließenden Charakter hat. Die Folge hiervon ist: Die Praktizierung gesetzlich nicht geregelter Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung, die den Einwohnern bzw. Bürgern ein Entscheidungsrecht einräumen, ist mit dem diesbezüglich abschließenden Charakter der baden-württembergischen Gemeindeordnung nicht vereinbar und verstößt somit gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes. Die Feststellung, dass die baden-württembergische Gemeindeordnung die Entscheidungskompetenzen abschließend regelt, bedeutet allerdings nicht, dass sie der Praktizierung sämtlicher ungeschriebener Beteiligungsformen entgegensteht. Vielmehr ist offen, ob die Gemeindeordnung auch die Beteiligungsformen unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens abschließend regelt. 3. Beteiligungsformen unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens Einwohner- und Bürgerbefragungen lassen die Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats formal unangetastet.62 Das wirft die Frage auf, wie sich ermitteln lässt, ob die Gemeindeordnung auch in Bezug auf die übrigen Beteiligungsmöglichkeiten einen abschließenden Charakter hat. Hierfür lässt sich fruchtbar machen, dass nicht alle der vorgestellten Beteiligungsalternativen von Anfang an in der Gemeindeordnung enthalten waren. An der baden-württembergischen Gemeindeordnung wurden in der Vergangenheit vielmehr zahlreiche Änderungen vorgenommen.63 Es liegt somit nahe, im Folgenden die Urfassung sowie die für die Einwohner- und Bürgerbeteiligung maßgeblichen Reformen der Gemeindeordnung näher zu betrachten. 60

Landtag von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Verzeichnis der Beilagen, Band III, Beilage 1060, S. 1365. 61 Landtag von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Verzeichnis der Beilagen, Band III, Beilage 1060, S. 1374. 62 Kap. 1 A. I. 63 Nach Kunze, BWVPr 1981, 106 (107) wurde die baden-württembergische Gemeindeordnung von ihrem Inkrafttreten 1956 bis zum Jahr 1981 40 Mal geändert.

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

a) Gemeindeordnung von 1955 Als deutschlandweit erste Gemeindeordnung64 enthielt die baden-württembergische Gemeindeordnung bereits in ihrer ersten Fassung65 Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (§ 21 GemO BW [1955]). Im Hinblick auf die sonstige Beteiligung von Einwohnern und Bürgern führte sie mit § 20 Abs. 1 GemO BW [1955] die Informationspflicht zugunsten der Einwohner ein und sah in § 20 Abs. 2 GemO BW [1955] bereits die Möglichkeit einer Bürgerversammlung vor. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 GemO BW [1955] mussten schon damals die Sitzungen des Gemeinderats66 grundsätzlich öffentlich sein.67 Die Gemeindeordnung von 1955 bestimmte außerdem bereits, dass sachkundige Bürger als Mitglieder in beratende Ausschüsse berufen werden können (§ 41 Abs. 1 S. 2 GemO BW [1955]). aa) Gesetzesbegründung Fraglich ist, ob sich in der Entstehungsgeschichte der baden-württembergischen Gemeindeordnung Hinweise darauf finden, dass die Gemeindeordnung die Möglichkeiten der Einwohner- und Bürgerbeteiligung unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens abschließend regelt. Bemerkenswert ist zunächst, dass die Gesetzesbegründung zur Einführung der Gemeindeordnung in ihrem allgemeinen Teil ein eigenes Kapitel zu Formen der unmittelbaren Demokratie enthielt.68 Dort wurde festgehalten: „Der Entwurf hat sich in der Frage der Verwendung von Formen der unmittelbaren Demokratie […] dafür entschieden, daß die Bürgerschaft unmittelbar gestaltend in die wichtigsten, die örtliche Gemeinschaft betreffenden Entscheidungen eingeschaltet werden soll. […] Die Erziehung des Staatsbürgers zur Demokratie verlangt, daß er in möglichst hohem Maße durch seine Beteiligung an der Entscheidung die Verantwortung für das Gemeinwesen mitträgt und sich dadurch dessen bewußt wird, daß er nicht nur der Regierte, sondern zugleich auch der Regierende ist.“69 Wenngleich diese Ausführungen insbesondere Bürgerbegehren und Bürgerentscheid im Blick gehabt haben dürften, deuten sie dennoch darauf hin, dass die Gemeindeordnung ganz grundsätzlich der Einbeziehung von Bürgern und Einwohnern in den gemeindlichen Willensbildungs- und Entschei 64

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wurden z. B. in Schleswig-Holstein 1990, in Nordrhein-Westfalen 1994 und in Bayern erst 1995 eingeführt, vgl. Aker, VBlBW 2016, 1 (1). 65 Vom 25. 07. 1955 (Fn. 58). 66 Gleiches gilt für die beschließenden Ausschüsse, § 39 Abs. 5 S. 1 i. V. m § 35 Abs. 1 S. 1 GemO BW [1955]. 67 Dass die Entscheidungsverfahren der Repräsentationsorgane des Staates und der Selbstverwaltungskörperschaften grundsätzlich öffentlich sein müssen, folgt aus dem Demokratieprinzip, siehe hierzu Werner, Rechtsquellen des deutschen öffentlichen Rechts, S. 98 ff. m. w. N. 68 Landtag von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Verzeichnis der Beilagen, Band III, Beilage 1060, S. 1364 f. 69 Landtag von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Verzeichnis der Beilagen, Band III, Beilage 1060, S. 1364 f.

A. Vorrang des Gesetzes

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dungsprozess eine durchaus bedeutende Stellung zuschreibt und ihr offen gegenübersteht. Der Gesetzesbegründung kann des Weiteren entnommen werden, dass bereits zum Zeitpunkt der Schaffung des Gesetzentwurfs gesetzlich nicht geregelte Formen der Beteiligung praktiziert wurden und dass dies dem Gesetzgeber bekannt war. In der Begründung zur Regelung der Bürgerversammlung (§ 20 Abs. 2 GemO BW [1955]) finden sich dazu folgende Ausführungen: „Während die bisher aus freier Initiative abgehaltenen Bürgerversammlungen ausschließlich der Unterrichtung der Bürger dienten, legt der Entwurf das Hauptgewicht auf die Erörterung wichtiger Gemeindeangelegenheiten mit den Bürgern und auf die Feststellung ihrer Auffassungen.“70 Auffallend ist, dass aus dieser Begründung nicht hervorgeht, dass die bereits bestehende Praxis der Bürgerversammlungen nach der Auffassung des Gesetzgebers mangels bestehender rechtlicher Grundlage rechtswidrig war oder dass die Regelung des Instituts der Bürgerversammlung die bisherige Praxis legalisieren sollte. Die Begründung legt vielmehr nahe, dass die gesetzliche Regelung den Bürgerversammlungen durch die Abkehr von der bloßen Information hin zur Erörterung lediglich eine neue Ausrichtung ermöglichen sollte. Der Begründung der ersten baden-württembergischen Gemeindeordnung lassen sich nach alledem keine Hinweise dafür entnehmen, dass die Gemeindeordnung die Durchführung gesetzlich nicht geregelter Beteiligungsformen unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens verbieten wollte. bb) Beratungen im Landtag Ein vergleichbares Bild zeichnen die Beratungen über die Gemeindeordnung im Landtag. Dem schriftlichen Bericht über die Beratungen des Verwaltungsausschusses zum ersten Teil des Entwurfs einer Gemeindeordnung71 zufolge antwortete ein Regierungsvertreter auf die Frage eines CDU-Abgeordneten, welche Möglichkeiten einer Bürgerbefragung es im Fall der Streichung des § 21 GemO BW [1955] gebe, dass die Bürgerbefragung in keiner Gemeindeordnung der Bundesrepublik geregelt, sie in einigen Gemeinden aber auch ohne gesetzliche Grundlage bereits durchgeführt worden sei.72 Auch diese Aussage weist darauf hin, dass dem Gesetzgeber die bereits bestehende Praxis gesetzlich nicht geregelter Beteiligungsformen bekannt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Regierungsvertreter die Durchführung von Befragungen ohne gesetzliche Grundlage für rechtlich unzulässig hielt, finden sich in diesem Zusammenhang nicht. 70

Landtag von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Verzeichnis der Beilagen, Band III, Beilage 1060, S. 1373. 71 Als Anlage angefügt dem Protokoll der 67. Sitzung vom 25. 05. 1955, Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Protokoll-Band IV, S. 3161 ff. 72 Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Protokoll-Band IV, S. 3176 f.

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

Die Thematik der Bürgerbefragungen beschäftigte den Verwaltungsausschuss dem Bericht zufolge allerdings noch ein zweites Mal. Wiederum im Zusammenhang mit der Regelung des § 21 GemO BW [1955] regte ein CDU-Abgeordneter an, „zu prüfen, ob man nicht eine Bürgerbefragung in Anlehnung an das Tiroler Muster73 einführen könne.“74 Nachdem ein Abgeordneter der FDP / DVP diese Idee zunächst unterstützte, meldete ein Abgeordneter der SPD Bedenken an, denn „[m]an müsse feststellen, daß die Bestimmungen der Tiroler Gemeindeordnung ein noch gefährlicheres Spielzeug seien“75. Dass in die baden-württembergische Gemeindeordnung schließlich keine der Tiroler Gemeindeordnung ähnlichen Regelungen zu Bürgerbefragungen aufgenommen wurden, könnte dafür sprechen, dass das Gesetz jedenfalls der Durchführung von Befragungen ohne gesetzliche Grundlage entgegensteht. Diese Argumentation wird allerdings durch die Tatsache entkräftet, dass einem anderen SPD-Abgeordneten zufolge „eindeutig geklärt worden [sei], daß keine Gemeinde daran gehindert werden könne, eine informative76 Befragung ihrer Bürger vorzunehmen.“77 Außerdem wurden die geäußerten Bedenken gegen die Befragungen nach dem Tiroler Modell im Verwaltungsausschuss jedenfalls dem Bericht zufolge nicht tiefgreifender erörtert.

73

Die Tiroler Gemeindeordnung vom 31. 03. 1949 sah die Möglichkeit der Durchführung von Bürgerbefragungen explizit vor. Siehe dazu insbesondere ihren § 51 (zitiert nach Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren auf Grund von § 21 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, S. 105 Fn. 1): „(1) Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde können zum Gegenstand einer Befragung der Gemeindebürger (Volksbefragung) gemacht werden. (2) Eine Volksbefragung ist durchzuführen, wenn es ein Sechstel der Gemeindebürger verlangt oder wenn es der Gemeinderat mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschliesst oder wenn die Landesregierung es anordnet. Gegen den Beschluss des Gemeinderats auf Vornahme einer Volksbefragung ist ein Einspruch nicht zulässig. (3) Die der Volksbefragung zugrunde zu legende Frage ist derart zu fassen, dass ihre Beantwortung nur mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ möglich ist. Hätte eine Massnahme, die auf Grund einer Volksbefragung durchgeführt werden soll, eine erhebliche Belastung des Gemeindehaushaltes oder eine erhebliche Minderung der Gemeindeeinnahmen zur Folge, so hat die Frage auch einen Vorschlag über die Bedeckung des Aufwandes oder den Ersatz des Einnahmeausfalles zu enthalten. (4) Wahlen der Gemeindeorgane, die Anstellung von Gemeindebediensteten und die Lösung ihres Dienstverhältnisses können nicht zum Gegenstand einer Volksbefragung gemacht werden.“ 74 Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Protokoll-Band IV, S. 3178. 75 Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Protokoll-Band IV, S. 3178. 76 Was die Abgeordneten genau unter einer informativen Befragung verstanden, also ob damit Bürgerbefragungen im Sinne dieser Arbeit oder z. B. demoskopische Umfragen gemeint waren, bleibt unklar. Feststellbar sein dürfte aber – das legt die Umschreibung als „informative“ Befragung und die Diskussion der Befragung als Alternative zum Bürgerentscheid nahe –, dass die Befragung als ein Instrument angesehen wurde, mit dem die „Schwelle“ des Entscheidens durch die Bürger gerade nicht überschritten wird. 77 Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode 1952–1956, Protokoll-Band IV, S. 3178.

A. Vorrang des Gesetzes

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b) Reform von 1975 Die für die Thematik der Einwohner- und Bürgerbeteiligung ersten relevanten Änderungen der Gemeindeordnung enthielt die sog. Demokratisierungsnovelle78 aus dem Jahr 1975.79 Das Anliegen der Novelle war es u. a., „die Kommunikation […] zwischen Einwohner und Verwaltung zu verbessern und das Angebot zur bürgerschaftlichen Mitwirkung an der kommunalen Willensbildung und Entscheidungsfindung zu erweitern“80. Das sollte u. a. dadurch erreicht werden, dass die bereits bestehende Regelung zur Bürgerversammlung erweitert81 (§ 20a GemO BW [1975]) und mit § 20b GemO BW [1975] das Institut des Bürgerantrags eingeführt wurde82. Außerdem wurden einige Änderungen an Bürgerentscheid und Bürgerbegehren vorgenommen (§ 21 GemO BW [1975]),83 die allgemeine Unterrichtungspflicht wurde ausgebaut (§ 20 Abs. 1 GemO BW [1975]),84 mit § 20 Abs. 2 GemO BW [1975] wurde eine diesbezügliche Spezifizierung für wichtige Planungen und Vorhaben85 geschaffen und mit § 33 Abs. 4 GemO BW [1975] ist die Durchführung von Fragestunden und Anhörungen institutionalisiert worden86. aa) Gesetzesbegründung Erste bedeutende Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, ob die Demokratisierungsnovelle für einen abschließenden Charakter der Gemeindeordnung spricht, können aus der Gesetzesbegründung der Landesregierung gewonnen werden. Im Zusammenhang mit der Einführung der auf bedeutende gemeind­ liche Planungen und Vorhaben bezogenen Unterrichtungspflicht nach § 20 Abs. 2 GemO BW [1975] wurde Folgendes festgehalten: „Die weite Fassung insbesondere der letzteren Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß sich die Formen der hier angesprochenen bürgerschaftlichen Beteiligung am Planungs- und Willensbildungsprozeß in der Praxis noch im Experimentierstadium befinden. Allen geeigneten Möglichkeiten der Unterrichtung und Meinungsforschung, z. B. in Versammlungen und öffentlichen Diskussionen (Bürgerversammlungen) sowie durch

78

Vgl. die Bezeichnung bei Kunze, BWVPr 1981, 106 (110). GBl. S. 726. 80 So die Gesetzesbegründung der Landesregierung, LT-Drs. 6/6340, S. 28. 81 Siehe dazu LT-Drs. 6/6340, S. 39 f. 82 LT-Drs. 6/6340, S. 40. 83 Beispielsweise wurde die Sperrfrist für ein Bürgerbegehren in einer Angelegenheit, über die infolge eines früheren Bürgerbegehrens bereits ein Bürgerentscheid stattfand, von fünf auf drei Jahre verkürzt, vgl. LT-Drs. 6/6340, S. 41 f. Siehe zu den Änderungen an Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auch Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in BadenWürttemberg, S. 64 ff. 84 LT-Drs. 6/6340, S. 38. 85 LT-Drs. 6/6340, S. 38 f. 86 LT-Drs. 6/6340, S. 45. 79

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

Umfragen und Interviews, die sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles richten, soll Raum gelassen werden.“87 Den Ausbau des Instruments der Bürgerversammlung – u. a. wurde mit § 20a Abs. 2 GemO BW [1975] der Bürgerschaft das Recht gewährt, die Durchführung einer Bürgerversammlung zu beantragen88 – begründete die Landesregierung wie folgt: „Als Neuerung soll die Bürgerschaft die Möglichkeit erhalten, eine Bürgerversammlung […] zu beantragen. Damit soll den Bürgerinitiativen zusätzlich zu ihren nichtinstitutionalisierten Formen eine Möglichkeit gegeben werden, sich auch in einer nach demokratischen Spielregeln normierten Form zu entfalten.“89 Ähnlich argumentierte die Landesregierung im Hinblick auf die Schaffung des Instruments des Bürgerantrags durch § 20b GemO BW [1975]: „Ein ähnliches Anliegen wie mit der Einräumung eines Antragsrechts der Bürgerschaft auf eine Bürgerversammlung wird auch mit dem in einem neuen § 20b vorgesehenen Bürgerantrag verfolgt. Auch damit soll den Bürgerinitiativen nur ein zusätzlicher, aber institutionalisierter Weg eröffnet werden.“90 Betrachtet man die drei genannten Begründungen der Gesetzesreform in Bezug auf die im Rahmen dieser Arbeit interessierende Fragestellung einmal genauer, so stellt sich heraus, dass die Begründungen zwei Gemeinsamkeiten haben. Zum einen wird durch sie nochmals deutlich, dass in der gemeindlichen Praxis bereits zu diesem Zeitpunkt Beteiligungsformen durchgeführt wurden, die nicht in der Gemeindeordnung vorgesehen waren,91 und dass die Landesregierung hiervon Kenntnis hatte. Zum anderen zeigt sich, dass die Landesregierung bei der Konzeption der neuen Regelungen auf die bisherige Praxis der Gemeinden bewusst Rücksicht nahm und ihnen einen Anwendungsspielraum belassen wollte, um weiterhin auch nichtinstitutionalisierte Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung erproben zu können.92 Dieser Eindruck verfestigt sich bei der weiteren Analyse der Gesetzesbegründung. So begründete die Landesregierung die Schaffung des § 33 Abs. 4 S. 1 GemO BW [1975] als Rechtsgrundlage für die Durchführung von Fragestunden folgendermaßen: „Die zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Gemeinderat und Einwohner naheliegende Einrichtung von Fragestunden wird in einigen Gemeinden schon länger praktiziert. Nicht nur um dem eine allgemeine rechtliche Grundlage zu geben, sondern auch um zu dieser nützlichen Einrichtung anzuregen,

87

LT-Drs. 6/6340, S. 39. LT-Drs. 6/6340, S. 39 f. 89 LT-Drs. 6/6340, S. 39 f. 90 LT-Drs. 6/6340, S. 40. 91 Siehe z. B. die Formulierung „zusätzlich zu ihren nichtinstitutionalisierten Formen“, LTDrs. 6/6340, S. 40. 92 Siehe z. B. die Formulierung „Allen geeigneten Möglichkeiten der Unterrichtung und Meinungserforschung […] soll Raum gelassen werden“, LT-Drs. 6/6340, S. 39. 88

A. Vorrang des Gesetzes

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soll allgemein bestimmt werden, daß der Gemeinderat […] Fragestunden abhalten kann“93. Auch durch diese Ausführungen wird deutlich, dass die Landesregierung von den bereits praktizierten Beteiligungsformen Kenntnis hatte.94 Sie machen zusätzlich darauf aufmerksam, dass die Regierung die Regelungen nicht nur im Bewusstsein der bereits existierenden Praxis erschuf, sondern dass sie diese gewissermaßen als Impuls zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung auffasste. Anhaltspunkte dafür, dass die Landesregierung die Praktizierung der nicht geregelten Beteiligungsformen missbilligte, sind demgegenüber nicht ersichtlich. Nach alledem schien es der Landesregierung, wenngleich das in der Gesetzesbegründung keinen ausdrücklichen Niederschlag fand, mit der Demokratisierungsnovelle nicht darum zu gehen, eine Legalisierung, sondern vielmehr eine Institutionalisierung gesetzlich nicht geregelter, aber dennoch praktizierter Beteiligungsformen herbeizuführen. Die Begründung der Demokratisierungsnovelle von 1975 spricht demnach dafür, dass die Gemeindeordnung die Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens nicht abschließend regelt. bb) Beratungen im Landtag Die Beratungen der Demokratisierungsnovelle im Landtag deuten ebenfalls auf dieses Ergebnis hin.95 So stellte der Abgeordnete Schneider (CDU) in der ersten Beratung des Gesetzes mit Blick auf das Institut der Bürgerfragestunde (§ 33 Abs. 4 S. 1 GemO BW [1975]) fest: „Die Gemeinden und Landkreise haben nicht geschlafen. Sondern auch ohne ausdrückliche Gesetzesvorschriften viele Versuche unternommen, um den Bürger stärker am kommunalen Geschehen zu beteiligen und ihn besser und zeitgerechter informieren zu können. Beispielsweise wird die Bürgerfragestunde bereits in vielen Gemeinden mit mehr oder weniger Erfolg praktiziert.“96 Der Abgeordnete Brandenburg (FDP / DVP) nahm in seinen Ausführungen ebenfalls speziell zur Bürgerfragestunde Stellung: „Die Bürgerfragestunde wird wohl in kleineren Gemeinden schon hier und da praktiziert. Ob man sie jetzt schon als

93

LT-Drs. 6/6340, S. 45. Siehe zudem die Gesetzesbegründung für die Regelung der Anhörung betroffener Personen bzw. Personenvereinigungen in § 33 Abs. 4 S. 2 GemO BW: „Vor allem der Erkenntnisbildung des Gemeinderats dient die ebenfalls schon in der Praxis geübte Anhörung von betroffenen Personen und Personenvereinigungen durch den Gemeinderat“, LT-Drs. 6/6340, S. 45. 95 Der schriftliche Bericht über die Beratungen des Gesetzes im Ausschuss für Verwaltung und Wohnungswesen enthält für die hier interessierende Fragestellung keine weiteren Hinweise, siehe Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 6. Wahlperiode 1972– 1976, Protokollband V, S. 6281 ff. 96 Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 6. Wahlperiode 1972–1976, Protokollband IV, S. 4718. 94

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

ein Institut, an das man gebunden ist, gesetzlich einführen soll, ist eine Frage, die ich jetzt nicht beantworten und zu der ich jetzt nichts sagen kann.“97 c) Reform von 2005 Weitere Anhaltspunkte für die hier interessierende Fragestellung ergeben sich aus der Reform der Gemeindeordnung aus dem Jahr 2005.98 Gegenstand der Novelle war es u. a., das Instrument des Bürgerentscheids neu zu strukturieren, den bisherigen Positivkatalog durch einen Negativkatalog zu ersetzen99 und für § 41a Abs. 1 GemO BW [1998]100 als Regelung zur Einrichtung eines Jugendgemeinderats klarzustellen, dass die Beteiligung der Jugendlichen nicht nur durch einen Jugendgemeinderat, sondern auch in anderer Weise erfolgen kann (§ 41a Abs. 1 GemO BW [2005])101. Auch hier legt die zugehörige Gesetzesbegründung der Landesregierung nahe, dass die Gemeindeordnung die Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung nicht abschließend regelt. In der Begründung wurde u. a. Folgendes festgehalten: „Der in der Gemeindeordnung verankerte Jugendgemeinderat stellt eine Form der Beteiligung Jugendlicher am kommunalen Leben dar, in der sich viele Jugendliche aktiv und sinnvoll engagieren. Schon bisher sind aber auch andere Formen der Beteiligung Jugendlicher möglich und werden auch praktiziert. Daran anknüpfend soll im Gesetz selbst klargestellt werden, dass die Partizipation Jugendlicher am kommunalen Geschehen in vielfältiger Weise erfolgen kann“102. Auffallend an dieser Begründung ist, dass, anders als bei den bereits genannten Beispielen, aus ihr nicht nur hervorgeht, dass bei der Anfertigung des Gesetzentwurfs die außerhalb des Gesetzes bestehende Beteiligungspraxis bereits bekannt war, sondern dass die Regelung ausdrücklich „nur“ zur Klarstellung erfolgen sollte. Das verstärkt ebenfalls den Eindruck, dass die Gemeindeordnung mit ihren Regelungen zur Einwohner- und Bürgerbeteiligung gesetzlich nicht geregelte Formen nicht grundsätzlich verbieten will.103 97

Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 6. Wahlperiode 1972–1976, Protokollband IV, S. 4721. 98 GBl. S. 578. 99 LT-Drs. 13/4385, S. 17. Siehe hierzu auch Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 68 f. 100 Die Regelung des § 41a GemO BW wurde im Jahr 1998 in die Gemeindeordnung eingefügt, GBl. S. 419. Die Einführung der Jugendgemeinderäte sollte die Aufwertung der Jugendarbeit und die beratende Mitwirkung von Jugendlichen in der kommunalen Selbstverwaltung bezwecken, LT-Drs. 12/2870, S. 19. 101 LT-Drs. 13/4385, S. 19. 102 LT-Drs. 13/4385, S. 19. 103 Die Plenarprotokolle zu den beiden Beratungen des Gesetzes enthalten im Hinblick auf die hier interessierende Fragestellung keine stichhaltigen Hinweise, siehe das Plenarprotokoll 13/96 vom 30. 06. 2005, S. 6817 ff. und das Plenarprotokoll 13/97 vom 27. 07. 2005, S. 6910 ff. Gleiches gilt für die Beschlussempfehlung und den Bericht des Innenausschusses zum Gesetz, LT-Drs. 13/4495.

A. Vorrang des Gesetzes

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d) Reform von 2015 Ihre bisher letzte maßgebliche Änderung in Sachen Einwohner- und Bürgerbeteiligung erfuhr die Gemeindeordnung durch die Reform im Jahr 2015.104 Gegenstand dieser Gesetzesnovelle waren neben einigen erneuten Änderungen im Recht des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids105 u. a. die Umwandlung der Bürgerversammlung bzw. des Bürgerantrags in die Einwohnerversammlung bzw. den Einwohnerantrag und die Absenkung der entsprechenden Unterschriftenquoren (§ 20a und § 20b GemO BW [2015])106. Außerdem wurden die Vorschriften über die Kinder- und Jugendbeteiligung umgestaltet und erweitert (§ 41a GemO BW [2015]).107 Für die Frage, ob die Gemeindeordnung die Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung abschließend regelt, ist erneut von Interesse, dass die Landesregierung der Gesetzesbegründung zufolge auf die bereits bestehende Praxis in den Gemeinden Rücksicht nahm und diesen weiterhin genügend Raum für die Erprobung eigener Beteiligungskonzepte belassen wollte. In Bezug auf die Neuregelung des § 41a GemO BW [2015] wurde festgehalten: „Satz 2 verpflichtet die Gemeinden, geeignete Beteiligungsverfahren zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln. Die Form der Beteiligung und die Ausgestaltung der Abläufe und des Verfahrens bleiben der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden überlassen. […] Sätze 3 und 4 entsprechen § 41a Absatz 1 Sätze 2 und 3 GemO der bisherigen Fassung.[…] Wie bisher ist die Vorschrift offen angelegt, um den vielfältigen, bereits praktizierten Formen der Partizipation Jugendlicher Rechnung zu tragen und auch die Erprobung neuer Beteiligungsformen zu ermöglichen.“108 Die Reform aus dem Jahr 2015 deutet also ebenfalls darauf hin, dass die Gemeindeordnung nicht den Anspruch verfolgt, die Möglichkeiten der Einwohner- und Bürgerbeteiligung vollumfänglich und abschließend zu regeln.109

104

GBl. S. 870. Vgl. auch den Überblick bei Aker, VBlBW 2016, 1 (1 ff.). Beispielsweise wurde der Ausschlusstatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO BW begrenzt, indem der verfahrenseinleitende Beschluss in Verfahren über die Bauleitplanung und örtliche Bauvorschriften hiervon ausgenommen wurde. Siehe zum Ganzen LT-Drs. 15/7265, S. 35 ff.; Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 70 ff. 106 LT-Drs. 15/7265, S. 26. 107 LT-Drs. 15/7265, S. 41 f. 108 LT-Drs. 15/7265, S. 41. 109 Die Plenarprotokolle zu den beiden Beratungen des Gesetzes enthalten im Hinblick auf die hier interessierende Fragestellung keine stichhaltigen Hinweise, siehe das Plenarprotokoll 15/137 vom 30. 09. 2015, S. 8217 ff. und das Plenarprotokoll 15/139 vom 14. 10. 2015, S. 8318 ff. Gleiches gilt für die Beschlussempfehlung und den Bericht des Innenausschusses zum Gesetz, LT-Drs. 15/7480. 105

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

4. Zwischenergebnis Die Betrachtung der Entstehung der baden-württembergischen Gemeindeordnung und ihrer Reformen hat gezeigt, dass der Gesetzgeber mit der Regelung unterschiedlicher Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung nicht das Ziel verfolgte, den Gemeinden den Spielraum zu nehmen, um gesetzlich nicht geregelte Beteiligungsformen zu erproben. Stattdessen nutzte der Gesetzgeber die gemeindliche Praxis teilweise als Impuls zur Schaffung entsprechender gesetz­ licher Regelungen. Es ging ihm also nicht um eine Legalisierung, sondern um eine Institutionalisierung der bisherigen Verfahrensweisen. Beides spricht dafür, dass die Gemeindeordnung die Möglichkeiten der Einwohner- und Bürgerbeteiligung unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens nicht abschließend regelt.

II. Anwendung auf Einwohner- und Bürgerbefragungen Im Folgenden ist zu klären, was dieses Ergebnis für Einwohner- und Bürgerbefragungen bedeutet. Formal gesehen bleibt das Recht zur Entscheidung beim Gemeinderat. Aus dieser Perspektive bewegen sich die Gemeinden mit der Durchführung von Befragungen nicht im Bereich der abschließend geregelten Entscheidungskompetenzen und verstoßen demzufolge nicht gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes.110 Fraglich ist, ob sich hieran etwas ändert, wenn man die denkbaren faktischen Auswirkungen von Befragungen in die Betrachtung mit einbezieht. Geht man davon aus, dass das Ergebnis einer Befragung den Gemeinderat in seiner Entscheidung in faktischer Hinsicht bindet, dann könnte die Entscheidung des Gemeinderats schlichtweg nicht mehr losgelöst vom Votum der Einwohner bzw. Bürger gedacht werden.111 Das spricht dafür, in einem solchen Fall der Befragung selbst einen dezisiven Charakter zuzuschreiben. Da nach der Konzeption der baden-

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Vgl. Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (48). Der Auffassung von Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 171, wonach bereits das Bestehen einer Regelung zur Abhaltung von Ratsbegehren dazu führt, dass es unzulässig ist, wenn der Gemeinderat die Meinung der gesamten Bürgerschaft einholen will, aber hierfür nicht das Institut des Ratsbegehrens verwendet, sondern die gesetzlich nicht geregelte Befragung, kann in Anbetracht des nur auf Entscheidungszuständigkeiten begrenzten abschließenden Charakters der badenwürttembergischen Gemeindeordnung nicht gefolgt werden. 111 Vgl. hierzu auch die Auffassung des Abgeordneten Oppermann in der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, nach dem „die kommunalen Organe trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit der Befragungen kaum in der Lage sein dürften, eine Entscheidung zu treffen, die der von einer qualifizierten Mehrheit der Befragten geäußerten Meinung nicht entspräche.“ Zitiert nach dem Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 57.

B. Vorbehalt des Gesetzes

97

württembergischen Gemeindeordnung eine Entscheidung durch die Bürgerschaft auf Anregung des Gemeinderats aber nur im Fall und unter den Voraussetzungen eines Ratsbegehrens nach § 21 Abs. 1 GemO BW zulässig ist,112 würde die Durchführung einer solchen Befragung ohne gesetzliche Grundlage gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes verstoßen.113 In Bezug auf die faktischen Auswirkungen von Befragungen wurde jedoch bereits ausgeführt,114 dass der faktisch-politische Druck regelmäßig nicht so stark sein dürfte, dass sich der Gemeinderat dem Befragungsergebnis tatsächlich nicht widersetzen kann. Folgt man dem, ist davon auszugehen, dass die faktischen Folgen einer Befragung nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes führen.

III. Ergebnis Die baden-württembergische Gemeindeordnung ist hinsichtlich derjenigen Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligung, die unterhalb der „Schwelle“ des Entscheidens anzusiedeln sind, nicht abschließend. Formal gesehen können die Gemeinden daher Einwohner- und Bürgerbefragungen durchführen, ohne gegen den Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes zu verstoßen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass mit den Befragungen die abschließenden Regelungen zum Bürgerentscheid (§ 21 GemO BW) bzw. zur grundsätzlichen Entscheidungsbefugnis des Gemeinderates (§ 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW) faktisch umgangen werden.

B. Vorbehalt des Gesetzes Als zweiter maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Notwendigkeit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage ist der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes heranzuziehen. Dieser gibt eine Antwort auf die Frage, in welchen Fällen die Exekutive auf eine parlamentsgesetzliche Grundlage angewiesen ist, um tätig werden zu können.115 Er markiert diejenigen Handlungsfelder, deren Regelung nicht eigenständig durch die Verwaltung erfolgen kann, sondern die vielmehr nur durch 112

Siehe Kap. 4 A. I. 2. In diesem Sinne auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (43), der jedoch nicht explizit am Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes anknüpft. 114 Kap. 3 C. III. 115 BVerfGE 98, 218 (251); Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20  VI Rn. 75; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 3; Sommermann, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 273; Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht I, § 30 Rn. 28; Hölscheidt, JA 2001, 409 (409 f.). Vgl. auch BVerfGE 40, 237 (248 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 105; Sauerland, Die Verwaltungsvorschrift im System der Rechtsquellen, S. 307. 113

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

oder aufgrund eines Gesetzes vorgenommen werden darf.116 Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes hat also zum einen die verfahrensrechtliche Bedeutung, dass die Regelung der betroffenen Sachverhalte im bundes- oder landesverfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren erfolgen muss. Zum anderen legt er kompetenzrechtlich gesehen fest, dass die betroffenen Sachgebiete zunächst durch das Parlament geregelt werden müssen und sie daher dem originären Normierungsrecht der Verwaltung entzogen sind.117 Eine allgemeine Regelung hat der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes im Grundgesetz nicht erfahren. Es bestehen lediglich einige explizite Vorbehaltsregelungen, wie etwa im Bereich der Grundrechte (vgl. z. B. Art. 8 Abs. 2 GG), des Finanzverfassungsrechts (vgl. z. B. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) oder der Verwaltungsorganisation (vgl. z. B. Art. 85 Abs. 1 S. 1, Art. 87 Abs. 3 GG).118 Auf landesverfassungsrechtlicher Ebene findet sich ein spezieller Gesetzesvorbehalt für organisationsrechtliche Fragen in Art. 70 Abs. 1 S. 1 LV BW.119 Hiernach werden Aufbau, räumliche Gliederung und Zuständigkeiten der Landesverwaltung durch Gesetze geregelt. Zwar zählen zur Landesverwaltung auch die Gemeinden als Selbstverwaltungsträger (vgl. Art. 69, 71 Abs. 1 LV BW).120 Für Einwohnerund Bürgerbefragungen kommt diesem Gesetzesvorbehalt jedoch keine Relevanz zu. Art. 70 Abs. 1 S. 1 LV BW überträgt dem Gesetzgeber nur die Festlegung der grundlegenden Organisationsstrukturen.121 Die nähere Ausgestaltung überlässt die Vorschrift den Gemeinden.122 Aus Art. 70 Abs. 1 S. 1 LV BW folgt somit nicht das Erfordernis, für Einwohner- und Bürgerbefragungen eine gesetzliche Grundlage zu schaffen.123

116

Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR  V, § 101 Rn. 11; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 107; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2013; vgl. Krebs, Jura 1979, 304 (304). 117 Krebs, Jura 1979, 304 (304). Die Frage des Vorbehalts des Gesetzes ist damit zugleich eine Frage der Gewaltenteilung, Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 101 Rn. 11; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2013. 118 Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht I, § 30 Rn.  28; Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 VI Rn. 91, zu den ausdrücklichen Vorbehaltsregelungen siehe den Überblick in Rn. 92 ff. 119 Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (50). 120 Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (50). 121 Pautsch, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 70 Rn. 11. 122 Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (50). 123 Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (50).

B. Vorbehalt des Gesetzes

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I. Wesentlichkeitsrechtsprechung Wenngleich das im Ergebnis nicht gänzlich unumstritten ist,124 besteht neben den expliziten Vorbehaltsregelungen jedoch auch ein „allgemeiner“125, sich aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip ergebender126 Vorbehalt des Gesetzes127. Die Tatsache, dass der allgemeine Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes in der Verfassung nicht ausdrücklich verankert ist, führt dazu, dass aus der Verfassung auch keine klaren Vorgaben über dessen Reichweite folgen. Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass kein Totalvorbehalt besteht, wonach jegliches Verwaltungshandeln auf eine parlamentsgesetzliche Grundlage zurückgeführt werden müsste.128 124

Kritisch im Hinblick auf das Bestehen eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts z. B. ­ emmert, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 80 Rn. 60; Papier, in: Götz / K lein / Starck (Hrsg.), R Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 36 (46 ff.); Sauerland, Die Verwaltungsvorschrift im System der Rechtsquellen, S. 308. Vgl. ferner ­Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 VI Rn. 104; Vogel, VVDStRL 1966, 125 (147 ff.). 125 Siehe z. B. die Bezeichnung bei BVerfGE 49, 89 (126); Sommermann, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 278; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2012; Saurer, Die Funktionen der Rechtsverordnung, S. 275; vgl. auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 69. 126 Nach Ohler, AöR 2006, 336 (341) zählt der Vorbehalt des Gesetzes „zum gesicherten Prinzipienbestand des deutschen Verfassungsrechts“. Im Hinblick auf seine verfassungsrechtliche Begründung erfolgt der Rückgriff auf das Demokratie- bzw. das Rechtsstaatsprinzip jedoch teilweise mit einer unterschiedlichen Gewichtung. Akzentuierung des Demokratieprinzips etwa bei Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 273; vgl. auch BVerfGE 85, 386 (403 f.); 95, 267 (307 f.). Siehe zur Betonung des Rechtsstaatsprinzips (jeweils insbesondere mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG) z. B. BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126); 137, 350 (363 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 105; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 114; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2000 f., 2011; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 201; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10 Rn. 111; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 312. Ohne besondere Schwerpunktsetzung auf einem der Prinzipien Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 69; Saurer, Die Funktionen der Rechtsverordnung, S. 280; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 6; vgl. auch BVerfGE 101, 1 (34); 136, 69 (114); VerfGH NRW, NJW 1999, 1243 (1244). 127 In Abgrenzung zum Begriff des Vorbehalts des Gesetzes wird der Begriff des Gesetzesvorbehalts bisweilen nur für die explizit in der Verfassung geregelten Vorbehalte verwendet, so wohl bei Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 113. Die beiden Begriffe werden dagegen oftmals auch synonym gebraucht, siehe z. B. BVerfGE 49, 89 (126, 129). Auch diese Arbeit benutzt die Begriffe gleichbedeutend. Vgl. zum Ganzen Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 101 Rn. 17. 128 Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 VI Rn. 108; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2020; Reimer, in: Voßkuhle / Eifert / Möllers (Hrsg.), GVwR  I, § 11 Rn. 45; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 88; Papier, in: Götz / K lein / Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 36 (57); Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 11. Die insbesondere auf Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 171 f. zurückgeführte sog. Lehre vom Totalvorbehalt hat sich dagegen nicht durchgesetzt. Siehe hierzu auch Krebs, Jura 1979, 304 (307).

100

4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

Ob der allgemeine Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Grundlage für ein Verwaltungshandeln erfordert, bestimmt die Rechtsprechung anhand der sog. Wesentlichkeitslehre. Obwohl sie insbesondere wegen ihrer fehlenden Präzision129 in Kritik geraten ist, ist sie weiterhin aktuell.130 Nach der Wesentlichkeitsrechtsprechung muss der Gesetzgeber „alle wesentlichen Entscheidungen“ selbst treffen, er darf sie also nicht anderen Rechtssetzern überlassen.131 Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: „In welchen Bereichen danach staatliches Handeln einer Rechtsgrundlage im förmlichen Gesetz bedarf, läßt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Intensität der geplanten oder getroffenen Regelung ermitteln. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei in erster Linie den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den vom Grundgesetz anerkannten und verbürgten Grundrechten zu entnehmen.“132 Welche Maßnahmen der Exekutive, denen keine parlamentsgesetzliche Regelung zugrunde liegt, gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen, lässt sich demnach nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall feststellen.133 Ausschlaggebend ist insbesondere die Grundrechtsrelevanz der jeweiligen Sachverhalte, abhängig davon, wie intensiv die Maßnahmen Grundrechte beeinträchtigen134 oder wie relevant sie für die Verwirklichung135 der Grundrechte sind.136 Das Bundesverfassungsgericht 129

Kloepfer, JZ 1984, 685 (692); vgl. Kisker, NJW 1977, 1313 (1317); Umbach, in: FS Faller, S. 111 (122 ff.) m. w. N. Zustimmend dagegen z. B. Oppermann, Gutachten C zum 51. Deutschen Juristentag, S. 52 ff. 130 Zu weiteren Einwänden gegen die Wesentlichkeitslehre siehe z. B. Kloepfer, JZ 1984, 685 (692 f.); Reimer, in: Voßkuhle / Eifert / Möllers (Hrsg.), GVwR I, § 11 Rn. 57 f. 131 Siehe z. B. BVerfGE 34, 165 (192 f.); 49, 89 (126); 98, 218 (251); 101, 1 (34); 123, 39 (78); BVerwGE 65, 323 (325); 68, 69 (72); 121, 103 (108). Vgl. zur Ausdehnung des Regelungsbedarfs durch Parlamentsgesetze außerdem bereits BVerfGE 33, 1 (10 f.); 33, 125 (158 f.); 33, 303 (337, 346). Zur Entwicklung dieser Rechtsprechung vgl. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, S. 64 ff.; Umbach, in: FS Faller, S. 111 (116 ff.). 132 BVerfGE 49, 89 (127); vgl. z. B. auch BVerfGE 40, 237 (248 f.); 98, 218 (251); 108, 282 (311 f.). 133 Vgl. hierzu Kisker, NJW 1977, 1313 (1317): „Wer dem Ansatz des BVerfG [Hervorhebung im Original] folgen will, scheint für die Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zunächst ganz auf sein rechtspolitisches Fingerspitzengefühl und seine Einsicht in die Struktur der regelungsbedürftigen Sachverhalte angewiesen. Daß die ihm einleuchtende Zäsur zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem auch anderen einleuchten wird, bleibt reichlich ungewiß.“ 134 Siehe z. B. BVerfGE 58, 257 (274); 98, 218 (252). 135 Siehe z. B. BVerfGE 40, 237 (249); 47, 46 (79); 98, 218 (251). Diese Dimension ist für den hier interessierenden Themenbereich jedoch nicht von Bedeutung. Die Durchführung von Befragungen ist nicht als relevant für die Verwirklichung der Grundrechte einzustufen. Es wurde zwar bereits herausgearbeitet, dass die Befragungsteilnahme ggfs. nicht die Ausübung von Staatsgewalt, sondern die in einem geordneten Verfahren stattfindende Ausübung des Grundrechts der Meinungsfreiheit darstellt (siehe Kap. 2 B. II.). Die Einwohner bzw. Bürger können jedoch auch ohne das Instrument der Befragung ihre Meinungsfreiheit wahrnehmen. Insbesondere ist es ihnen nicht verwehrt, dem Gemeinderat ihre Meinung auch ohne eine Befragung mitzuteilen. 136 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113 m. w. N. insbesondere zur Rechtsprechung. Ausführlich zur Ermittlung des Wesentlichen Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, S. 103 ff.

B. Vorbehalt des Gesetzes

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selbst erkennt dabei die Vagheit des Wesentlichkeitskriteriums und konstatiert: „Bei der Abgrenzung im einzelnen wird man mit großer Behutsamkeit vorgehen und sich die Gefahren einer zu weitgehenden Vergesetzlichung […] vor Augen halten müssen.“137 Es ist also zunächst darauf einzugehen, ob Einwohner- und Bürgerbefragungen Grundrechte beeinträchtigen. Nach den bestehenden gesetzlichen Grundlagen sowie der bisherigen gemeindlichen Praxis sind die Einwohner bzw. Bürger allerdings nicht verpflichtet, an den Befragungen teilzunehmen.138 Ob sie das tun, obliegt ihrer freien Entscheidung. Auch im Übrigen sind aus der Praxis keine Fälle bekannt, in denen durch eine Befragung in Grundrechte eingegriffen wurde. Befragungen beeinträchtigen die Grundrechte der Einwohner bzw. Bürger mithin nicht.139 Ausschlaggebend für die Bestimmung des Wesentlichen sind jedoch nicht allein die Grundrechte. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich entnehmen, dass auch Maßnahmen ohne grundrechtlichen Bezug wesentlich sein können.140 Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes kann sich demzufolge auch auf organisatorische Maßnahmen erstrecken.141 Dass die Regelung rein organisationsrechtlicher Sachverhalte dem Gesetzgeber vorbehalten sein kann, zeigt sich zudem 137

BVerfGE 47, 46 (79). Siehe auch Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (49). 139 So bereits Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (49); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 151. Für Volksbefragungen auf Bundesebene etwa Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 439; Ebsen, AöR 1985, 2 (21); vgl. auch Fuß, AöR 1958, 383 (399). 140 Siehe z. B. die Formulierung „Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind […] den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere [Hervorhebung des Verfassers] den […] Grundrechten zu entnehmen“ in BVerfGE 49, 89 (127) sowie die nahezu wortgleiche Wendung in BVerfGE 98, 218 (251). Vgl. auch Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, S. 460 f.; Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2012. A.  A. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 20 Rn. 75. Dass sich das Bundesverfassungsgericht bezüglich der Frage, ob die Regelung eines Sachverhalts eine parlamentarische Entscheidung voraussetzt, nicht nur an den Grundrechten orientiert, zeigt sich auch an der Rechtsprechung zum sog. wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Das Gericht folgert hier aus den grundgesetzlichen Regelungen über die Wehrverfassung, dass für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte ein Parlamentsvorbehalt besteht, siehe BVerfGE 90, 286 (381 ff.). 141 Diese Dimension wird bisweilen als organisationsrechtlicher bzw. institutioneller Vorbehalt des Gesetzes bezeichnet. Siehe etwa Ohler, AöR 2006, 336 (339); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 126; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 439; vgl. auch Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 108 Rn. 101. Soweit ersichtlich, wird der organisationsrechtliche Vorbehalt, wenn er nicht ausdrücklich geregelt ist, in dogmatischer Hinsicht heute überwiegend als eine Ausprägung bzw. Fallgruppe der Wesentlichkeitslehre und damit des allgemeinen Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes verstanden. Vgl. z. B. VerfGH NRW, NJW 1999, 1243 (1245); Ohler, AöR 2006, 336 (344); Robbers, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 20 Rn. 2034; Schmidt-Aßmann, in: FS Ipsen, S. 333 (345); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 126; 138

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

z. B. an dem in Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG ausdrücklich vorgesehenen Gesetzesvorbehalt für die Errichtung selbstständiger Bundesoberbehörden, bundesunmittelbarer Körperschaften und öffentlich-rechtlicher Anstalten im Bereich der Bundesgesetzgebung.142 Praktisch relevant wurde die Anwendung des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes auf Organisationsmaßnahmen beispielsweise bei der Zusammenlegung des Justizministeriums mit dem Innenministerium zu einem Ministerium für Inneres und Justiz 1998 in Nordrhein-Westfalen durch einen Organisationserlass des Ministerpräsidenten.143 Auch außerhalb von Sachverhalten mit direkter Grundrechtsrelevanz ist für die Bestimmung der Wesentlichkeit maßgeblich, ob der betreffenden Maßnahme eine grundlegende Bedeutung für die tragenden Prinzipien der Verfassung und deren Verwirklichung zukommt.144 Für die Erstreckung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts auf den organisatorischen Bereich besteht jedoch dann kein Raum, wenn die Verfassung die zu regelnde Aufgabe nicht dem Parlament, sondern explizit einem anderen Staatsorgan145 bzw. der Exekutive146 zuschreibt. Überträgt man diesen Gedanken auf

Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, S. 461 ff.; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 351; Schulte, Staat und Stiftung, S. 69. Insbesondere in der Vergangenheit wurde der organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt dagegen auch als eigenständiges Rechtsinstitut angesehen. So z. B. OVG Münster, NJW 1980, 1406 (1407); Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 95; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 439. Dies dürfte sich insbesondere damit erklären lassen, dass dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes vor der Etablierung der Wesentlichkeitslehre ein enges, auf Grundrechtseingriffe konzentriertes Verständnis zugrunde gelegt wurde. Infolgedessen Bestand ein Bedürfnis, einen eigenständigen Vorbehalt zu entwickeln, nach dem die politisch bedeutsamen Organisationsfragen durch ein Parlamentsgesetz zu treffen waren. Siehe hierzu Ossenbühl, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 101 Rn. 45; Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, S. 461. 142 Weitere ausdrückliche organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalte sind z. B. Art. 54 Abs. 7, Art. 87 Abs. 1 S. 2, Art. 94 Abs. 2 S. 1, Art. 101 Abs. 2, Art. 108 Abs. 1 S. 2 GG. 143 Der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof kam in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass die Zusammenführung der Geschäftsbereiche eine wesentliche Maßnahme darstellt und daher dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes unterliegt, VerfGH NRW, NJW 1999, 1243 (1243 ff.). Die Entscheidung stieß im Ergebnis in der Literatur auf Kritik, vgl. hierzu Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 VI Rn. 126 m. w. N. 144 VerfGH NRW, NJW 1999, 1243 (1245); vgl. Ohler, AöR 2006, 336 (344 f.); Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 353; Schulte, Staat und Stiftung, S. 66. Siehe außerdem Oppermann, Gutachten C zum 51. Deutschen Juristentag, S. 54, der anmerkt, dass es „alles andere als auszuschließen [ist], daß es in diesem politischen Sinne fundamental ‚wesentliche‘ Angelegenheiten gibt, die auch ohne Grundrechtsberührung kraft ihrer spezifischen allgemeinen Bedeutsamkeit vor das Parlament gehören [Hervorhebung im Original].“ Nach Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 108 Rn. 101 kann die Wesentlichkeitslehre aufgrund ihrer dogmatischen Verortung im Bereich der Grundrechte zwar nicht unmittelbar auf staatsorganisationsrechtliche Sachverhalte angewendet werden. Es sei jedoch möglich, den Wesentlichkeitsgedanken abstrakt auf das Organisationsrecht zu übertragen. 145 VerfGH NRW, NJW 1999, 1243 (1244); vgl. auch BVerfGE 49, 89 (124 f.). 146 Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 108 Rn. 101; vgl. auch BremStGH, NVwZ 2003, 81 (82).

B. Vorbehalt des Gesetzes

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Einwohner- und Bürgerbefragungen, kann der allgemeine Gesetzesvorbehalt dann keine Anwendung finden, wenn die Verfassung das Recht, die für Einwohner- und Bürgerbefragungen maßgeblichen Entscheidungen zu treffen, explizit den Gemeinden zugesteht.

II. Verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung an die Gemeinden 1. Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung Die Befugnis der Gemeinden, die für die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen maßgeblichen Entscheidungen zu treffen, könnte sich aus der ihnen nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zustehenden Garantie der kommunalen Selbstverwaltung147 ergeben.148 Art. 28 Abs. 2 GG lassen sich drei Garantieebenen entnehmen: Zunächst gewährleistet Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, dass die Gemeinden als Elemente des Verwaltungsaufbaus überhaupt existieren (Rechtssubjektsgarantie).149 Die Rechtsinstitutionsgarantie spricht den Gemeinden das Recht zu, die Aufgaben in einem ihnen zugestandenen Aufgabenreich eigenverantwortlich zu erledigen.150 Flankiert werden diese Garantien schließlich durch die subjektive Rechtsstellungsgarantie, mit der die Gemeinden die Einhaltung der objektiv gewährten Rechte geltend machen können.151 Für den hier interessierenden Kontext maßgebend ist die zweite Ebene der Selbstverwaltungsgarantie, die objektive Rechtsinstitutionsgarantie. Die Gemeinden haben hiernach das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die objektive Rechtsinstitutionsgarantie besteht also aus zwei Bestandteilen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG spricht den Gemeinden mit „alle[n] Angelegenheiten der örtlichen Ge-

147

Röhl, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2 Rn. 24. Das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ist auf landesverfassungsrechtlicher Ebene in Art. 71 Abs. 1 und Abs. 2 LV BW geregelt. Der Schutzgehalt des Art. 71 Abs. 1, Abs. 2 LV BW geht über den des Art. 28 Abs. 2 GG insoweit hinaus, als dort insbesondere auch die Zweckverbände (Art. 71 Abs. 1 S. 1 Var. 3 LV BW) und die sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten (Art. 71 Abs. 1 S. 3 LV BW) erfasst sind. Bezüglich der hier interessierenden gemeindlichen Selbstverwaltung sind Art. 71 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 2 S. 1 LV BW und Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG jedoch nahezu deckungsgleich, Pautsch, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 71 Rn. 6; vgl. auch VGH BW, NuR 2004, 668 (670). 149 Lange, Kommunalrecht, Kap. 1 Rn. 3; Schoch, Jura 2001, 121 (124). 150 Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 157; Stern, Staatsrecht I, § 12 II. 4. b); Schoch, Jura 2001, 121 (124). 151 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 94; Engel / Heilshorn, Kommunalrecht BadenWürttemberg, § 5 Rn. 17; Schoch, Jura 2001, 121 (124). Für eine Fortentwicklung dieses traditionellen Verständnisses der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Dietlein, in: Stern / Sodan /  Möstl (Hrsg.), Staatsrecht I, § 17 Rn. 14 ff. 148

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4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

meinschaft“152  nicht nur einen eigenen Aufgabenbereich zu, sondern legt zugleich fest, dass sie diesen Aufgabenbereich „in eigener Verantwortung regeln“ dürfen.153 Dem Merkmal der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung werden üblicher­weise die sog. Gemeindehoheiten entnommen.154 Maßgeblich für die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen ist die Organisationshoheit der Gemeinden.155 Diese ist Teil der Selbstverwaltungsgarantie, weil die eigenverantwortliche Wahrnehmung von Aufgaben durch die Gemeinden nicht denkbar ist, ohne den Gemeinden für die Organisation der Aufgabenbewältigung ein bestimmtes Maß an Selbstständigkeit zuzugestehen.156 Die Organisationshoheit gewährleistet den Gemeinden das Recht, die Zuständigkeiten und das Verfahren zur Erledigung ihrer Aufgaben festzulegen.157 In diesem Zusammenhang wird in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht158 gelegentlich betont, die Organisationshoheit beziehe sich nur auf Entscheidungen über die innere Organisationsform, nicht aber auf die äußere, also insbesondere159

152

Der Begriff der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wird von Art. 71 LV BW zwar nicht ausdrücklich aufgegriffen. In den Formulierungen „ihre Angelegenheiten“ (Art. 71 Abs. 1 S. 2 LV BW) und „Träger der öffentlichen Aufgaben“ (Art. 71 Abs. 2 S. 1 LV BW) kommt seine inhaltliche Geltung gleichwohl zum Ausdruck, vgl. Pautsch, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 71 Rn. 29; siehe auch Braun, LV BW, Art. 71 Rn. 31. 153 Mann, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 28 Rn. 152; Ernst, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 85; vgl. Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 II Rn. 43. Auf landesverfassungsrechtlicher Ebene ergibt sich das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit aus Art. 71 Abs. 1 S. 2 LV BW. 154 Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 99; Ernst, in: v.  Münch / Kunig, GG  I, Art. 28 Rn. 123; Stern, Staatsrecht I, § 12 II. 4. a) β). Vgl. speziell in Bezug auf die Organisationshoheit z. B. BVerfGE 83, 363 (382); 91, 228 (236); Herbert, NVwZ 1995, 1056 (1057); Schoch, Jura 2001, 121 (131). Soweit ersichtlich, steht lediglich Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 343 ff., 400 ff.; ders., Kommunale Organisationshoheit, S. 287 auf dem Standpunkt, dass die Organisationshoheit nicht aus der Selbstverwaltungsgarantie, sondern vielmehr aus der vom Grundgesetz vorausgesetzten Handlungsfähigkeit der Kommunen („konstitutive Organisationshoheit“) bzw. aus einem den Kommunen seitens der Länder überlassen Ausgestaltungsspielraum („translative Organisationshoheit“) folgt. Auch auf landesverfassungsrechtlicher Ebene werden die Gemeindehoheiten dem Merkmal der Eigenverantwortlichkeit entnommen, vgl. Pautsch, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 71 Rn. 35. 155 Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (47); Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 783. Vgl. auch OVG NRW, DVBl. 1985, 172 (173); Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 199; Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, S. 149 f.; Wegricht /  Bäuerle, KommJur 2018, 401 (404); Gern, VBlBW 1993, 127 (128); Berning, DVP 2015, 59 (59). 156 BVerfGE 91, 228 (237 f.); Herbert, NVwZ 1995, 1056 (1057). 157 BVerfGE 91, 228 (236); Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 179; Mann, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 28 Rn. 216; Wegricht / Bäuerle, KommJur 2018, 401 (404); Schoch, Jura 2001, 121 (131); vgl. v. Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag, S. 137. 158 BVerfGE 91, 228 (238 f.). 159 Zu dieser äußeren Kommunalverfassung wird beispielsweise auch das Kommunalwirtschaftsrecht gezählt, vgl. Schoch, Jura 2001, 121 (131).

B. Vorbehalt des Gesetzes

105

die Organisation der Kommunalorgane (Gemeinderat, Bürgermeister).160 Begründen lässt sich das damit, dass die äußere Organisation der Gemeinden durch die Gemeindeordnungen der Länder bereits ausgeformt ist.161 Abgesehen davon, dass unklar ist, wie genau die innere und die äußere Organisation der Gemeinde zu verstehen und voneinander abzugrenzen sind,162 legt sich das Bundesverfassungsgericht bei genauerem Hinsehen gar nicht darauf fest, die äußere Organisation vom Gewährleistungsgehalt gänzlich auszuschließen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die äußere Organisation „vom Kernbereich“ der kommunalen Selbstverwaltung nicht umfasst ist.163 Das bedeutet jedoch nur, dass die Organisationshoheit durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG keinen absoluten Schutz erfährt.164 Es ist also nicht so, dass Entscheidungen, die die äußere Organisationsform betreffen, überhaupt nicht vom Gewährleistungsgehalt der Organisationshoheit erfasst sind.165 Vielmehr ist davon auszugehen, dass Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG den Gemeinden einen Aufgabenbereich gewährleistet, „der grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfaßt“166. Der Sinn und Zweck von Einwohner- und Bürgerbefragungen ist es, dem Gemeinderat bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben eine Entscheidungshilfe zu sein. Die Durchführung einer Befragung kann somit als Bestandteil der Organisationshoheit angesehen werden.167 Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG spricht den Gemeinden mithin die Kompetenz zu, die für die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen maßgeblichen Entscheidungen zu treffen.168

160 Mann, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 28 Rn. 216; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 162; vgl. Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 32. 161 Vgl. Ernst, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 125. So im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht, das jedoch vor allem rechtshistorisch zu argumentieren scheint, siehe BVerfGE 91, 228 (239): „Insbesondere die Entscheidung über die äußeren Grundstrukturen der Gemeinde wurde in allen Ländern stets als Sache des Gesetzgebers angesehen.“ 162 Z. B. verwendet Herbert, NVwZ 1995, 1056 (1057) den Begriff der äußeren Organisation, ohne ihn weiter zu definieren. 163 BVerfGE 91, 228 (239). 164 Vgl. Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 36. 165 Näher zum Kernbereich sogleich Kap. 4 B. II. 2. 166 BVerfGE 79, 127 (150, Hervorhebung im Original). 167 Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 783; vgl. Schellenberger, VBlBW 2014, 46, (47 f.). Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 161 f. hält es dagegen auch für vertretbar, die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen als Regelungen der äußeren Organisation der Gemeinden und damit bereits nicht als von der Organisationshoheit umfasst anzusehen. 168 An Art. 28 Abs. 2 GG anknüpfend, jedoch ohne explizit auf die Organisationshoheit abzustellen Engel / Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 16 Rn. 25.

106

4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

2. Ausschließlichkeit der Kompetenzzuweisung Die Feststellung, dass den Gemeinden das Recht zukommt, über die Durchführung von Befragungen zu entscheiden, sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob diese Kompetenzzuweisung durch das Grundgesetz auch ausschließlich erfolgt. Dagegen spricht, dass Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung und damit die Organisationshoheit nur „im Rahmen der Gesetze“ gewährleistet. Die Selbstverwaltungsgarantie steht damit unter Gesetzesvorbehalt.169 Das legt nahe, dass die Kompetenzzuweisung an die Gemeinden nach dem Grundgesetz nicht ausschließlich ist. Allerdings sind dem Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG selbst Grenzen gesetzt, indem die Selbstverwaltungsgarantie den Gemeinden einen durch den Gesetzgeber unantastbaren Kernbereich zugesteht.170 Für den hier interessierenden Themenbereich bedeutet das wiederum: Wenn das Recht der Gemeinden, Einwohner- und Bürgerbefragungen durchzuführen, zum Kernbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zählt, dann spricht das dafür, dass die Kompetenzzuweisung an die Gemeinden nach dem Grundgesetz ausschließlich sein soll. Der allgemeine Gesetzesvorbehalt könnte in diesem Bereich dann nicht gelten. Eine klar umgrenzte Auflistung der Aufgaben, die zum Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung zählen, existiert nicht.171 In Bezug auf die hier maßgebliche Organisationshoheit hat das Bundesverfassungsgericht jedoch ausgeführt, der Gesetzgeber dürfe keine Regelungen treffen, „die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden.“172 Demzufolge zählt die Befugnis der Gemeinden, über die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen zu entscheiden, nicht zum Kernbereich. Würde der Gesetzgeber den Gemeinden in Bezug auf Einwohner- und Bürgerbefragungen Vorgaben machen, führte das nicht dazu, dass die organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Gemeinden beseitigt würde.173 Demzufolge enthält Art. 28 Abs. 2 169

BVerfGE 79, 127 (143); 107, 1 (12); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 II Rn. 103. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 115; Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 191; Lange, Kommunalrecht, Kap. 1 Rn. 91 jeweils m. w. N. Im Vorfeld des Kernbereichs schützt Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auch den sog. Randbereich. Dieser zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass der Gesetzgeber bei Einschränkungen in diesem Bereich das sog. Aufgabenverteilungsprinzip beachten muss, nach dem den Gemeinden bei der Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eine Vorrangstellung zukommt. Siehe hierzu BVerfGE 79, 127 (150 ff.); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 II Rn. 117 ff.; Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 122 ff. 171 BVerfGE 79, 127 (146); Röhl, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2 Rn. 50. Eingehend zum Kernbereich Knemeyer / Wehr, VerwArch 2001, 317 (338 ff.); Schoch, VerwArch 1990, 18 (29 ff.). 172 BVerfGE 91, 228 (239); nahezu wortgleich BVerfGE 137, 108 (158). 173 Vgl. auch BVerfGE 91, 228 (239). Das Bundesverfassungsgericht hat hier, wenn auch in einem obiter dictum, festgestellt, dass „die Entscheidung über plebiszitäre Beteiligungsmöglichkeiten der Gemeindebürger vom Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nicht erfaßt [ist].“ 170

B. Vorbehalt des Gesetzes

107

S. 1 GG keine ausschließliche Kompetenzzuweisung der Gemeinden in Bezug auf Einwohner- und Bürgerbefragungen. Der Vorbehalt des Gesetzes findet damit grundsätzlich Anwendung.

III. Demokratieprinzip Mithin ist zu ermitteln, ob die Voraussetzungen des Vorbehalts des Gesetzes im Hinblick auf Einwohner- und Bürgerbefragungen vorliegen. Wie bereits ausgeführt,174 ist zur Bestimmung der Wesentlichkeit maßgeblich, ob der Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen eine grundlegende Bedeutung für die Prinzipien der Verfassung und deren Verwirklichung zukommt. Das Abhalten von Einwohner- und Bürgerbefragungen könnte vor allem Elemente des Demokratieprinzips berühren. Diesbezüglich bestehen zwei denkbare Anknüpfungspunkte. 1. Anknüpfungspunkt 1: Kollision mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie Ein erster Anknüpfungspunkt könnte sich unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes zunächst daraus ergeben, dass die Befragungen möglicherweise mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie kollidieren. Dass das Grundgesetz die repräsentative Demokratie auch auf gemeindlicher Ebene vorsieht, wurde bereits deutlich gemacht.175 Gleichwohl ergibt sich aus dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG für die Länder und damit auch für die Gemeinden keine Beschränkung auf die repräsentative Demokratie.176 Folglich steht die Verfassung der Durchführung von Befragungen nicht grundsätzlich entgegen.177 Wenn die Verfassung aber auch für die Gemeindeebene das Bestehen einer Volksvertretung vorschreibt, so darf diese bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht wesentlich behindert werden.178 Einwohner- und Bürgerbefragungen lassen formell betrachtet die Kompetenzen des Gemeinderats unangetastet. Unter diesem Gesichtspunkt ist es somit nicht angezeigt, dem Institut der Befragung eine grundsätzliche Bedeutung für die Verwirklichung des Demokratieprinzips auf

174

Kap. 4 B. I. Siehe Kap. 3 A. 176 Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 I Rn. 65; vgl. Dittmann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VI, § 127 Rn. 18; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 55; Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art.  28 Rn.  47. 177 Siehe hierzu auch schon Einleitung A. 178 Vgl. Huber, AöR 2001, 165 (188), der in diesem Zusammenhang allerdings von einem von Art. 28 Abs. 1 GG vorgegebenen Vorrang repräsentativer Demokratie ausgeht. Vgl. außerdem Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 I Rn. 66; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (27 f.). 175

108

4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

der gemeindlichen Ebene beizumessen.179 Damit besteht keine Notwendigkeit, für die Befragungen eine parlamentsgesetzliche Grundlage zu fordern. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ausschlaggebend sind also erneut die faktischen Auswirkungen der Befragungen. Geht man davon aus, dass Einwohner- und Bürgerbefragungen den Gemeinderat in politischer Hinsicht binden, muss man hierin eine Einschränkung der Entscheidungskompetenz des Gemeinderats sehen.180 Die Entscheidung würde faktisch nicht vom Gemeinderat, sondern von den Befragungsteilnehmern getroffen, was die Verwirklichung des Prinzips der repräsentativen Demokratie auf gemeind­ licher Ebene gefährdete. Das spricht dafür, die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen unter dieser Voraussetzung als wesentlich zu betrachten und sie dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes in seiner organisationsrechtlichen Ausformung zu unterwerfen.181 Anders gestaltet sich die Bewertung, wenn man wie diese Arbeit davon ausgeht, dass der mit den Befragungen einhergehende Druck regelmäßig nicht derart gravierend sein dürfte, dass daraus eine faktische Befolgungspflicht resultiert.182 Das Argument, der Gemeinderat würde durch die Befragungen in seiner Entscheidungskompetenz beeinträchtigt, verliert dann an Überzeugungskraft. Überlegen lässt sich stattdessen, ob die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen im System der repräsentativ geprägten Demokratie deswegen eine wesentliche Entscheidung ist, weil die Gemeinderäte zumindest politisch gezwungen werden, ihre Entscheidung gegenüber der Bevölkerung zu begründen, wenn sie sich dem Befragungsergebnis nicht anschließen wollen.183 In Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene wird teilweise geäußert, dass durch den Zwang, die Entscheidungsfindung am Befragungsergebnis auszurichten bzw. eine abweichende Entscheidung sorgfältig zu begründen, die Beziehung der obersten Staatsorgane und mithin das politische Gesamtgefüge des Gemeinwesens materiell betroffen sei.184 Worin genau diese Veränderung des politischen Gesamtgefüges liegen soll, bleibt dabei allerdings unklar. Um hierin tatsächlich eine für das Demokratieprin 179

Gegen eine Kollision der Befragungen mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (50 f.). 180 Vgl. Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 155 f. In diese Richtung wohl auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (42). 181 So im Ergebnis Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 156; ­Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (42 f.). 182 Siehe hierzu bereits Kap. 3 C. III. 183 Vgl. zu dieser Begründungspflicht in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene ­Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 427 (siehe dazu auch das Zitat in Kap. 3 Fn. 58); Wirth / Domrich, RuP 1988, 114 (116). 184 Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 440. Auch Ebsen, AöR 1985, 2 (22) geht davon aus, dass durch Volksbefragungen auf Bundesebene „das Kompetenzgefüge zwischen den Verfassungsorganen partiell und ad hoc verändert [wird]“. Ebenso ­Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 135 f.

B. Vorbehalt des Gesetzes

109

zip grundlegende Veränderung zu erblicken, müsste der Nachweis gelingen, dass die Kompetenzen bzw. die Arbeitsweise des Gemeinderats als Repräsentativorgan nicht nur unerheblich beeinträchtigt werden.185 Nur in diesem Fall kann man in gesicherter Weise davon ausgehen, dass Einwohner- und Bürgerbefragungen für die Verwirklichung der repräsentativen Demokratie eine Gefahr darstellen.186 Dass sich diese Schlussfolgerung auf der Ebene der Gemeinden ziehen lässt, ist nicht ersichtlich. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsfähigkeit bzw. die Stellung des Gemeinderats durch die politisch-faktische Pflicht, sich mit dem Befragungsergebnis auseinanderzusetzen bzw. eine abweichende Entscheidung gegenüber der Öffentlichkeit gut zu begründen, derart beeinträchtigt wird, dass dies relevante Auswirkungen auf seine Entscheidungskompetenzen und damit auf die Verwirklichung der repräsentativen Demokratie hat.187 2. Anknüpfungspunkt 2: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt Ein weiterer Anknüpfungspunkt zur Begründung eines Gesetzesvorbehalts für Einwohner- und Bürgerbefragungen könnte sich daraus ergeben, dass die Befragungsteilnehmer ggf. an der gemeindlichen Willensbildung teilhaben und daher 185 Anderer Ansatz bei Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 152 ff., der zur Begründung eines organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalts u. a. anführt, dass die Durchführung von Befragungen die kommunalverfassungsrechtliche Grundstruktur mit Blick auf das Verhältnis Einwohner-/Bürgerschaft – Gemeinderat modifiziere. In den Bundesländern, in denen für die Durchführung von Befragungen keine gesetzliche Grundlage existiert, sei ein solches Instrument mit fehlender rechtlicher, möglicherweise aber faktischer Bindungswirkung gerade fremd (a. a. O, S. 153 f.). Außerdem geht er von einer „Gewichtsverschiebung“ bezogen auf die Kompetenzverteilung zwischen Einwohner-/Bürgerschaft und Gemeinderat aus. Durch eine Befragung würde das Volk faktisch in einem größeren Umfang an der Kommunalpolitik beteiligt als die jeweilige Kommunalverfassung das vorsehe, sodass die Substanz der gemeindlichen Hoheitsrechte verändert würde und deswegen eine gesetzliche Grundlage vonnöten sei (a. a. O., S. 155; so auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (42 f.)). Insbesondere gegen den ersten Aspekt lässt sich jedoch einwenden, dass es bei der Frage, ob ein Gesetzesvorbehalt für Einwohner- und Bürgerbefragungen besteht, gerade darum geht, zu ermitteln, ob eine gesetzliche Grundlage notwendig ist. Das lässt sich jedoch nur schwer daraus folgern, dass eine Gemeindeordnung für das Instrument keine Regelung vorsieht. Der Umstand, dass die Befragung einer Gemeindeordnung möglicherweise fremd ist, lässt sich stattdessen besser im Kontext des Vorrangs des Gesetzes berücksichtigen. Die Befragung ist einer Gemeindeordnung dann fremd und ruft das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung hervor, wenn sich herausstellt, dass das Gesetz (sämtliche) Mitwirkungsmöglichkeiten abschließend regelt (siehe dazu Kap. 4 A.). 186 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schmidt-Aßmann, in: FS Ipsen, S. 333 (347 f.), der in Bezug auf die ähnlich gelagerte Problematik von Beiräten im Bereich der Verwaltung die Schaffung von Beiräten dann dem Gesetzesvorbehalt unterwerfen will, „wenn solche Gremien rechtlich oder faktisch zu Entscheidungsträgern heranwachsen.“ 187 A. A. Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 155 f.; im Hinblick auf Volksbefragungen auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136.

110

4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

Staatsgewalt ausüben.188 Aber auch diesbezüglich ist nicht erkennbar, dass allein die Tatsache, dass die Befragung möglicherweise eine Abstimmung darstellt, Auswirkungen auf die Verwirklichung des Demokratieprinzips hat. Vielmehr ist es so, dass das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Möglichkeit von Abstimmungen ausdrücklich vorsieht. Als Ausdruck des Prinzips der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG)189, das gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ebenfalls für die Länder gilt,190 ist die Ausübung von Staatsgewalt durch Abstimmungen damit gerade selbst ein zentrales Element des Demokratieprinzips.191 Allein die mögliche Einstufung der Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt führt also nicht dazu, dass die Gemeinden zur Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen eine parlamentsgesetzliche Grundlage benötigen.192

IV. Ergebnis Jedenfalls in der Theorie bietet das Demokratieprinzip Anhaltspunkte, um das Bestehen eines organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalts zu begründen. Ob die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen daher als wesentlich zu betrachten sind und damit die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage besteht, hängt allerdings maßgeblich davon ab, wie stark die faktischen Auswirkungen der Befragungen tatsächlich sind bzw. wie man diese gewichtet.193 188 Vgl. in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 439. Ausführlich dazu Kap. 2. 189 BVerfGE 83, 60 (71); Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 109; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 93. 190 BVerfGE 83, 60 (71); Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 55. 191 Vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 82; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 2. Die zentrale Stellung des Prinzips der Volkssouveränität zeigt sich auch darin, dass es gem. Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsänderungsfest ist, vgl. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 27. 192 So im Ergebnis auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 141, der darauf aufmerksam macht, dass „[s]taatliche Organe […] in vielen Situationen Staatsgewalt aus[üben], ohne dass sie ihr jeweiliges Handeln auf eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung stützen können.“ Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 439 f. kommt für Volksbefragungen auf Bundesebene zu einem anderen Ergebnis. Da die Aktivbürgerschaft nach geltendem Verfassungsrecht nicht nur in der Form des Wahlvolkes, sondern in der des Abstimmungsvolkes gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als Ausüber der Staatsgewalt anerkannt sei, das Grundgesetz diesen Status mit Ausnahme des Sonderfalls der territorialen Neugliederung (Art. 29 GG) aber nicht konkretisiere, sei in der Anordnung einer Befragung eine Veränderung der politischen Grundstruktur der Verfassung zu sehen. Das spreche dafür, die generelle Entscheidung, die Aktivbürgerschaft über ihre Funktion als Wahlvolk hinaus an der Ausübung von Staatsgewalt zu beteiligen und die grundlegende normative Verfahrensausgestaltung dem institutionellen Gesetzesvorbehalt unterzuordnen. 193 Im Ergebnis klar für die Annahme eines (organisationsrechtlichen) Gesetzesvorbehalts Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 193 f.; Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 152 ff.; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (42 f.). In Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 439 ff.; Ebsen, AöR 1985, 2 (20 ff.).

C. Abschließende Bewertung

111

C. Abschließende Bewertung Die vorgehende Untersuchung kommt in Bezug auf die Frage, ob die Grundsätze vom Vorrang und vom Vorbehalt des Gesetzes die Notwendigkeit hervorrufen, Einwohner- und Bürgerbefragungen parlamentsgesetzlich zu verankern, zu keinem eindeutigen Ergebnis. Wie dargestellt, sind die denkbaren faktischen Auswirkungen der Befragungen der maßgebliche Dreh- und Angelpunkt der Beurteilung. Wenngleich diese Arbeit davon ausgeht, dass der mit den Befragungen einhergehende politisch-faktische Druck im Regelfall nicht so stark sein dürfte, dass die Befragungen eine faktische Bindungswirkung auslösen, kann jedenfalls in der Theorie das Bestehen der Gefahr einer politischen Bindung nicht geleugnet werden. Um den Gemeinden Rechtssicherheit zu verschaffen und zu vermeiden, dass sie gegen den Vorrang und den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen, ist es aus rechtspolitischer Sicht somit zu begrüßen, wenn die Landesgesetzgeber, sofern noch nicht geschehen, einschlägige Rechtsgrundlagen schaffen.194 Dass die Rechtsordnung bereits das bloße Bestehen einer Gefahr zum Anlass nimmt, um entsprechende Regelungen zum Umgang damit zu schaffen, zeigt auch ein Blick auf die in der baden-württembergischen Gemeindeordnung enthaltenen Vorschriften zum Ausschluss ehrenamtlich tätiger Bürger195 wegen Befangenheit (§ 18 Abs. 1, Abs. 2 GemO BW). Der Gesetzgeber wird dem Gedanken der vorbeugenden Konfliktvermeidung hierbei insofern gerecht, als der für den Ausschluss von der Mitwirkung maßgebliche Vor- bzw. Nachteil jeweils nicht tatsächlich eingetreten sein muss, sondern die Möglichkeit des Eintritts bereits ausreicht.196 Wenn man sich, sei es aus rechtlichen oder rechtspolitischen Gründen, dafür ausspricht, für Befragungen eine parlamentsgesetzliche Grundlage zu fordern, ist zu klären, welche inhaltlichen Vorgaben darin zu treffen sind.197 Anknüpfungspunkt hierfür ist wiederum die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.198 Diese besagt nicht nur, dass im Fall der Wesentlichkeit eine parlamentsgesetzliche Grundlage geschaffen werden muss, sondern auch, dass das Gesetz dann alle wesentlichen Aspekte selbst zu regeln hat.199 Für den hier inte­ ressierenden Themenbereich ist zunächst wesentlich, dass es sich bei dem gewählten Beteiligungsinstrument um das der Befragung handelt und mithin auch, dass 194

In diesem Sinne auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (44 Fn. 132), der überdies anführt, eine gesetzliche Regelung weise die Gemeindeorgane darauf hin, dass sie die Bürger an der Entscheidungsfindung beteiligen können („Appellfunktion“). 195 Gem. § 32 Abs. 1 S. 1 GemO BW sind die Gemeinderäte ehrenamtlich tätig. 196 Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 18 GemO Rn. 4. Eingehend zum Erfordernis der Unbefangenheit von Amtswaltern Werner, Rechtsquellen des deutschen öffentlichen Rechts, S. 94 ff. 197 Dazu bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 184 f. 198 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 184. 199 BVerfGE 49, 89 (129); 101, 1 (34); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 184. Vgl. auch BVerfGE 34, 165 (192 f.).

112

4. Kap.: Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage  

das Befragungsergebnis für den Gemeinderat keine rechtliche Bindungswirkung hervorruft.200 Ferner ist von Bedeutung, wer die Durchführung einer Befragung herbeiführen kann, wer teilnahmeberechtigt ist und zu welchen Themengebieten die Einwohner bzw. Bürger befragt werden können.201 Darüber hinaus ist die Frage, auf welche Art und Weise die Teilnehmer ihre Stimme abgegeben können, als wesentlich anzusehen. Wie genau diese Gesichtspunkte aus verfassungsrechtlicher Sicht inhaltlich auszufüllen sind, lässt sich an dieser Stelle der Untersuchung allerdings noch nicht abschließend festhalten. Insofern ist auf die folgenden Kapitel zu verweisen. Um dem Gesetzgeber eine möglichst präzise Handreichung machen zu können, greift die Arbeit diese Fragestellung am Ende202 noch einmal auf und unterbreitet ihm einen konkreten Vorschlag für eine gesetzliche Regelung.

200 So bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 184, der zudem zutreffend darauf hinweist, dass die fehlende rechtliche Bindungswirkung hinreichend in der Abgrenzung zum Bürgerentscheid zum Ausdruck kommt und daher nicht zwingend ausdrücklich geregelt werden muss (a. a. O., S. 184 f.; siehe dazu auch Kap. 1 A. I.). 201 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 184. 202 Kap. 9.

5. Kapitel

Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer Spricht man sich für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für Einwohner- und Bürgerbefragungen aus, ist in dieser u. a. festzulegen, wer teilnahmeberechtigt ist.1 Daher widmet sich dieses Kapitel den Anforderungen, die das Verfassungsrecht an den Kreis der Befragungsteilnehmer stellt. Im Zentrum stehen hierbei vor allem zwei Themenbereiche: das Teilnahmerecht von ausländischen Einwohnern und die Notwendigkeit eines Mindestalters.

A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner Wie bereits in der Einleitung angesprochen, sind die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Einwohner- und Bürgerbefragungen mit Ausnahme von § 28 Abs. 3 KVG LSA auf die Einwohner der Gemeinden ausgerichtet. Einwohner ist, wer in der Gemeinde wohnt (vgl. § 10 Abs. 1 GemO BW). Es kommt nach den gesetzlichen Regelungen also nicht darauf an, dass die Befragungsteilnehmer zugleich Deutsche sind, d. h. dass sie entweder die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder nach Art. 116 Abs. 1 GG den deutschen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Verfassungsrechtlich stellt sich jedoch die Frage, ob die Einbeziehung der ausländischen Einwohner in sämtlichen Fällen zulässig ist.

I. Maßgebliches Kriterium: Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt Die Überlegungen dazu, ob die Gemeinden ausländische Einwohner an Befragungen teilhaben lassen können, müssen ihren Ausgangspunkt in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG finden, wonach die Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Es wurde bereits ausgeführt, dass der Volksbegriff auf das deutsche Staatsvolk abstellt und dass dieses Verständnis ebenfalls für die Ebene der Gemeinden gilt.2 Das maßgebliche Kriterium zur Bestimmung des Teilnehmerkreises im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit ist also, ob die Teilnahme an der Befragung als Ausübung von Staats 1 2

Kap. 4 C. Kap. 2 B. I. 2.

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

gewalt zu qualifizieren ist. Trifft das zu – die Befragung ist dann eine Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. S. 2 GG –, können nach Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG nur die deutschen Einwohner teilnehmen. Üben die Befragungsteilnehmer dagegen keine Staatsgewalt aus und handelt es sich bei der Befragung folglich nicht um eine Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, gibt es keinen verfassungsrechtlichen Grund, warum die Befragung nur an die deutschen Einwohner adressiert sein darf. In diesem Fall können auch andere als deutsche Einwohner einbezogen werden. Im 2. Kapitel dieser Arbeit wurde bereits dargelegt, wie bestimmt werden kann, ob die Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen ist oder nicht. Hierauf lässt sich an dieser Stelle verweisen. In Erinnerung gerufen sei lediglich, dass die Einordnung einer Befragung als Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nur im jeweiligen Einzelfall vorgenommen werden kann und dass es hierbei insbesondere darauf ankommt, ob die Befragung darauf abzielt, dem Gemeinderat einen eindeutigen Impuls für seine Entscheidungsfindung vorzugeben.3

II. Schlussfolgerungen Aus dem zuvor Gesagten folgt in Bezug auf Befragungen, die zugleich Abstimmungen sind, dass eine Erstreckung des Teilnahmerechts auf die ausländischen Einwohner zwingend unterbleiben muss.4 Andernfalls sind die Befragungen wegen eines Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG verfassungswidrig. Sofern die bereits bestehenden Regelungen die Teilnahme von ausländischen Einwohnern an Befragungen mit Abstimmungscharakter zulassen, sind auch sie insoweit verfassungswidrig und damit nichtig.5 Im Hinblick auf Befragungen, die keine Abstimmungen sind, kann dagegen festgehalten werden, dass die bereits bestehenden Regelungen nicht zu beanstanden sind, soweit sie die Teilnahme ausländischer Einwohner erlauben. In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings noch die Anschlussfrage, ob der Kreis der Befragungsteilnehmer auf die deutschen Einwohner beschränkt werden darf, auch wenn mangels Abstimmungscharakters die Erstreckung auf ausländische Einwohner an sich möglich ist. Die einzige verfassungsrechtliche Grenze, die diesbezüglich zu

3

Siehe Kap. 2 B. I. 4., III. Vgl. insoweit auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (57 f.) und Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 257, die jedoch nicht zwischen Befragungen mit Abstimmungscharakter und solchen ohne differenzieren. Siehe zur Beteiligung von Unionsbürgern sogleich Kap. 5 A. III. 5 Vgl. Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 257 f., der (in Bezug auf die saarländische und die schleswig-holsteinische Regelung) auch zutreffend darauf hinweist, dass eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschriften wegen des diesbezüglich eindeutigen Wortlauts nicht möglich ist. 4

A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner

115

beachten ist, ist der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.6 Solange es also einen „hinreichend gewichtigen Grund“7 für diese Beschränkung und damit für die Ungleichbehandlung der ausländischen Einwohner gibt, ist ein solches Vorgehen verfassungsrechtlich8 nicht problematisch.9 Es sind jedoch keine praxisrelevanten Fälle denkbar, in denen das Thema einer Befragung tatsächlich nur die Bürger einer Gemeinde betrifft. Ein hinreichend gewichtiger Grund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung dürfte damit regelmäßig nicht bestehen.10

III. Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern an Befragungen mit Abstimmungscharakter Gewissermaßen um einen „Sonderfall“ handelt es sich bei der Teilnahmeberechtigung von Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (Unionsbürger) besitzen. Nach den bisherigen Ergebnissen dürfen Unionsbürger lediglich an den Befragungen teilnehmen, die keine Abstimmungen i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind. Dieser Gedanke kollidiert allerdings mit Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW. Nach dieser Vorschrift sind Unionsbürger nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden wahlberechtigt und wählbar und bei Abstimmungen stimmberechtigt.11 Demnach müssten die Gemeinden, wenn sie Befragungen mit Abstimmungscharakter durchführen, zusätzlich zu den deutschen Einwohnern die in der Gemeinde lebenden Unionsbürger einbeziehen.12

6 Weil die Befragung keine Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG darstellt, finden die Wahlrechtsgrundsätze keine Anwendung. Gem. Art. 2 Abs. 1 LV BW ist Art. 3 Abs. 1 GG auch Bestandteil der baden-württembergischen Landesverfassung. 7 BVerfGE 100, 138 (174). Siehe zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG z. B. Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 18 ff. 8 Eine andere Frage ist es, ob eine solche Beschränkung in den Bundesländern, in denen die bestehenden gesetzlichen Regelungen von Einwohnerbefragungen ausgehen, auch einfachrechtlich zulässig wäre. Dass in der kommunalrechtlichen Terminologie klassischerweise bewusst zwischen Einwohnern und Bürgern unterschieden wird, spricht dagegen (vgl. §§ 10 Abs. 1, 12 Abs. 1 S. 1 GemO BW). 9 Vgl. insoweit auch Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 57. 10 Siehe zur Beschränkung von Befragungen auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen im Übrigen Kap. 5 C. 11 In Bezug auf Bürgerentscheid und Bürgerbegehren ergibt sich das Abstimmungsrecht der Unionsbürger auf einfachgesetzlicher Ebene daraus, dass sie Bürger der Gemeinde sind, siehe § 12 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 bzw. Abs. 3 S. 1 GemO BW. 12 In den Bundesländern in denen, anders als in Baden-Württemberg, gesetzliche Grundlagen für Befragungen geschaffen wurden, folgt das Teilnahmerecht der Unionsbürger an Befragungen mit Abstimmungscharakter schon daraus, dass diese Regelungen überwiegend Einwohnerbefragungen vorsehen. Lediglich § 28 Abs. 3 KVG LSA geht von Bürgerbefragungen aus. Da gem. § 21 Abs. 2 S. 1 KVG LSA auch die Unionsbürger zu den Bürgern einer Kommune zählen, sind sie auch in Sachsen-Anhalt abstimmungsberechtigt.

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

1. Verfassungsmäßigkeit von Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW Voraussetzung dafür, den Kreis der Teilnahmeberechtigten an Befragungen mit Abstimmungsqualität auf Unionsbürger ausweiten zu können, ist allerdings, dass Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW grundgesetzkonform und damit wirksam ist. Da Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW Unionsbürgern und damit Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit die Teilnahme an kommunalen Abstimmungen gestattet, könnte die Vorschrift mit Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG unvereinbar sein. Ein Verstoß liegt jedoch dann nicht vor, wenn das Grundgesetz die Abstimmungsberechtigung der Unionsbürger ausnahmsweise erlaubt. Als Anknüpfungspunkt für eine solche Ausnahme kommt Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG in Betracht. Seinem Wortlaut nach sieht Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft zwar lediglich das aktive und passive Kommunalwahlrecht der Unionsbürger vor. Gleichwohl ist fraglich, ob die Norm auch ein kommunales Abstimmungsrecht ermöglicht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu noch nicht eindeutig positioniert.13 Im Schrifttum ist die Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Abstimmungen nach wie vor umstritten.14 13 Das Bundesverfassungsgericht war bisher nicht gezwungen, sich zu entscheiden, ob Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG die Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern an kommunalen Abstimmungen ermöglicht. In einem Beschluss aus dem Jahr 2016 ließ das Gericht die Beantwortung dieser Frage dahinstehen, BVerfG, NVwZ-RR 2016, 521 (523 ff.). Es konstatierte lediglich, dass es „jedenfalls nicht willkürlich [erscheint], Art. 28 I 3 GG auch so auszulegen, dass er einer Erstreckung der Mitwirkungsrechte bei kommunalen Bürgerbegehren und -entscheiden auf Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten nicht entgegensteht“, BVerfG, a. a. O., S. 525. Der Beschluss erging in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2013. Dieser musste sich im Rahmen einer Popularklage damit auseinandersetzen, ob die in Bayern bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden mit der bayerischen Verfassung vereinbar sind, BayVerfGH, BayVBl. 2014, 17 (17 ff.). Zur Vereinbarkeit der Regelungen mit Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nahm der Gerichtshof nicht tiefergehend Stellung, da es für ihn – er verortete die Prüfung insbesondere am Rechtsstaatsprinzip der bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 S. 1 BV) – hierauf nicht entscheidend ankam, BayVerfGH, a. a. O., S. 19 f. Es genügte ihm, festzustellen, dass „kein offen zutage tretender Widerspruch der mit der Popularklage angegriffenen Regelungen zu Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG“ bestehe, BayVerfGH, a. a. O., S. 20. Entschiedener war demgegenüber wohl der Verfassungsgerichtshof Thüringen, der sich 2018 im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle ebenfalls u. a. zur Vereinbarkeit von landesrechtlichen Vorschriften zur Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Bürgerbegehren und -entscheiden äußern musste, ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (136 f.). Nach dem Thüringer Verfassungsgerichtshof steht Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG der Teilnahme von Unionsbürgern nicht entgegen, ThürVerfGH, a. a. O., S. 137. 14 Für die Zulässigkeit: Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 158; Remmert, VBlBW 2017, 415 (419); Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 76; Burgi, Kommunalrecht, § 11 Rn. 23; Engel / Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 13 Rn. 20; Zuleeg, in: FS Schefold, S. 117 (124); Engelken, NVwZ 1995, 432 (434 f.); Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 115 III. 4. b); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 I Rn. 124; Kluth, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, Art. 22 AEUV Rn. 11; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 17; Ernst, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 60; im Ergebnis wohl auch Brüning, in: Ehlers /  Fehling / P ünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht III, § 64 Rn. 177. Gegen die Zulässig-

A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner

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a) Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG als Öffnungsklausel zugunsten des Unionsrechts Dass der heutige Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG vor dem Hintergrund der Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger durch den Vertrag von Maastricht 1992 in das Grundgesetz aufgenommen wurde, ist an anderer Stelle bereits angemerkt worden.15 Die Vorschrift wird gemeinhin als Öffnungsklausel verstanden.16 Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG gewährt das aktive und passive Kommunalwahlrecht nicht selbst, sondern verweist diesbezüglich auf das Unionsrecht als maßgebliche Rechtsquelle.17 Die in diesem Kontext maßgebende unionsrechtliche Vorschrift ist Art. 22 Abs. 1 S. 1 AEUV. Danach hat jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Kommunalwahlrecht. Hierbei gelten für ihn dieselben Bedingungen wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Auch Art. 20 Abs. 2 S. 2 b) AEUV sowie Art. 40 GRCh sehen, in ihrem Wortlaut weitgehend deckungsgleich, das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger vor. Relevant ist daneben die Kommunalwahl-Richtlinie 94/80/EG18, die die Einzelheiten regelt (Art. 1 Abs. 1 RL 94/80/EG). Weder der Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG noch der der maßgeblichen unionsrechtlichen Regelungen nimmt Bezug auf Abstimmungen. Die Vorschriften beziehen sich nur auf Kommunalwahlen. Die Kommunalwahl-Richtlinie definiert diese in Art. 2 Abs. 1 b) als „die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen“. Abstimmungen fallen also nicht darunter.19 keit: Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 204; Kaufmann, ZG 1998, 25 (32); Meyer-Teschendorf / Hofmann, ZRP 1995, 290 (292); Burkholz, DÖV 1995, 816 (819); Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 121; Vogelgesang, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 28 Rn. 75. Unentschlossen Schrapper, DVBl. 1995, 1167 (1170 f.). Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 21 GemO Rn. 6 hält die Abstimmungsberechtigung von Unionsbürgern dagegen für „wohl unstreitig“. 15 Kap. 2 B. I. 2. a) bb). 16 Meyer-Teschendorf / Hofmann, ZRP 1995, 290 (291); Remmert, VBlBW 2017, 415 (417); Engelken, NVwZ 1995, 432 (433); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 202. A. A. Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 53 f., die die Gewährung des Kommunalwahlrechts Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst entnehmen will und dabei davon ausgeht, dass die Norm diesbezüglich das Unionsrecht als maßgeblich und höherrangig anerkennt. 17 Meyer-Teschendorf / Hofmann, ZRP 1995, 290 (291); vgl. auch BT-Drs. 12/3338, S. 11. 18 Abl. Nr. L 368 vom 31. 12. 1994, S. 38. 19 Remmert, VBlBW 2017, 415 (416); Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, Art. 22 AEUV Rn. 18; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 72. Dies lässt sich auch mit der Entstehungsgeschichte der Kommunalwahl-Richtlinie bestätigen, denn entsprechende Initiativen des Ausschusses der Regionen und des Parlaments, Abstimmungen explizit in die Richtlinie mit aufzunehmen, hatten im Ergebnis keinen Erfolg. Siehe dazu m. w. N. Schrapper, DVBl. 1995, 1167 (1170); Schunda, Das Wahlrecht von Unionsbürgern bei Kommunalwahlen in Deutschland, S. 184 f.

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

b) Entscheidungsspielraum der Länder Das wirft die Frage auf, ob den Ländern trotz des Umstands, dass weder Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG noch die unionsrechtlichen Regelungen kommunale Abstimmungen ausdrücklich in den Blick nehmen, ein Gestaltungsspielraum zusteht und sie daher autonom über die Einführung einer Abstimmungsberechtigung der Unionsbürger entscheiden können. Dagegen spricht, dass es sich bei Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG um eine lediglich auf Kommunalwahlen bezogene Ausnahme von dem gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG im Übrigen auch für die Länder geltenden Grundsatz handelt, dass nur Deutsche die Ausübung von Staatsgewalt legitimieren können.20 Ferner lässt sich anführen, dass das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Wahlen und Abstimmungen als Ausprägungen der Ausübung von Staatsgewalt gleichrangig nebeneinander stellt, sodass a maiore ad minus auch nicht von der Zulässigkeit des Wahlrechts auf die Zulässigkeit der Abstimmungsberechtigung geschlossen werden kann.21 Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG könnte demnach so zu interpretieren sein, dass er es den Ländern nicht erlaubt, ein kommunales Abstimmungsrecht für Unionsbürger einzuführen. Infolgedessen müsste Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW, soweit er Unionsbürgern das Abstimmungsrecht zugesteht, wegen eines Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG als grundgesetzwidrig angesehen werden. Im Rahmen einer teleologischen Auslegung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG kann man aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass durch die mit dieser Norm erfolgte Grundgesetzänderung die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt in den Gemeinden und Kreisen insgesamt nicht mehr nur durch Angehörige des deutschen Volkes erfolgen kann, sondern dass diesbezüglich eine Einbindung von Unionsbürgern möglich ist.22 Gegen den Umstand, dass Art. 28 Abs. 1 20

Vgl. Burkholz, DÖV 1995, 816 (819). Siehe zudem Meyer-Teschendorf / Hofmann, ZRP 1995, 290 (292); Vogelgesang, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 28 Rn. 75; Schwarz, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art.  28 Rn.  121. Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 203 weist, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 12/6000, S. 139, zudem auf den entstehungsgeschichtlichen Umstand hin, dass Anträge in der Gemeinsamen Verfassungskommission, mit der Neuregelung des Art. 28 Abs. 1 GG auch auf Abstimmungen Bezug zu nehmen, erfolglos blieben. 21 Kaufmann, ZG 1998, 25 (31 f.); Schunda, Das Wahlrecht von Unionsbürgern bei Kommunalwahlen in Deutschland, S. 195; vgl. auch Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 203. 22 So Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 157, die jedoch statt Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG wohl Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG meint. Vgl. auch Schönberger, Unionsbürger, S. 450; Engelken, NVwZ 1995, 432 (434); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28 I Rn. 124. Zuleeg, in: FS Schefold, S. 117 (123) will zur Begründung des Abstimmungsrechts dagegen schon am Sinn und Zweck von Art. 19 Abs. 1 EGV als Vorgängerregelung des heutigen Art. 22 Abs. 1 AEUV ansetzen. Das Ziel sei u. a. die Herstellung von Gleichheit zwischen in- und ausländischen Unionsbürgern und die Integration der Unionsbürger in die Bevölkerung des jeweiligen Aufenthaltsstaats. Gegen diesen Ansatz spricht jedoch schon, dass er über den Wortlaut hinausgeht, so zutreffend Remmert, VBlBW 2017, 415 (418).

A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner

119

S. 3 GG seinem Wortlaut nach nur auf Wahlen Bezug nimmt, spricht, dass Wahlen und Abstimmungen lediglich zwei unterschiedliche Varianten der Ausübung von Staatsgewalt darstellen, welche in der Regel auf ein einheitliches Legitimationssubjekt zurückzuführen sind.23 Die im Hinblick auf die Kommunalwahlen erfolgte Einbeziehung der Unionsbürger in den Prozess demokratischer Legitimation kann man daher zum Anlass nehmen, das für ausländische Personen geltende Verbot der Teilnahme an der Ausübung von Staatsgewalt zugunsten von Unionsbürgern zu lockern.24 Ferner lässt sich argumentieren, dass es bei einem Auseinanderfallen von Wahl- und Abstimmungsberechtigung zu widersinnigen Ergebnissen kommen kann.25 Immerhin theoretisch besteht die Möglichkeit, dass Sachentscheidungen der Gemeinde, die die Unionsbürger durch die Wahl von Gemeinderatskandidaten mit einem entsprechendem inhaltlichen Standpunkt mittelbar beeinflussen können, durch einen Bürgerentscheid, also eine Abstimmung, rückgängig gemacht werden.26 Würde man den Unionsbürgern die Mitwirkung an einem solchen Bürgerentscheid untersagen, könnte die Entscheidung über die Rückgängigmachung der ursprünglichen Entscheidung zustande kommen, ohne dass die Unionsbürger die Möglichkeit zur Einflussnahme hätten.27 In Extremfällen gedacht könnte es sogar sein, dass Entscheidungen, die von einem nur aus Unionsbürgern bestehenden Gemeinderat getroffen werden, durch Bürgerentscheide, bei denen diese Ge 23

Spies, Bürgerversammlung  – Bürgerbegehren  – Bürgerentscheid, S. 157; siehe auch ­ ngelken, NVwZ 1995, 432 (434). Schunda, Das Wahlrecht von Unionsbürgern bei KommuE nalwahlen in Deutschland, S. 193 f. führt zwar an, dass in Bezug auf Unionsbürger mit dem bisherigen Zusammenfallen von Wahl- und Abstimmungsberechtigung nicht argumentiert werden könne. Der bisherige Gleichlauf von Wahl- und Abstimmungsrecht sei eine zwangsläufige Konsequenz der politischen Teilhaberechte aller deutschen Staatsbürger. Gleichwohl plädiert sie für eine Abstimmungsberechtigung der Unionsbürger, da Wahlen und Abstimmungen nur zwei verschiedene Formen der Legitimation derselben Staatsgewalt seien, die systematisch in einer engen Beziehung stünden (a. a. O., S. 196). 24 Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 157; Schönberger, Unionsbürger, S. 451. Wenn man sich sogar auf den Standpunkt stellt, dass durch die Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf der Kommunalebene auch die Unionsbürger zum Volk gehören und dann beachtet, dass eben dieses Volk in den Kommunen gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 S. 2 GG die Staatsgewalt u. a. durch Abstimmungen ausübt, könnte man auch damit die Zulässigkeit des Abstimmungsrechts der Unionsbürger begründen, in diese Richtung wohl Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 76, die das Abstimmungsrecht dann konsequenterweise auch für „verfassungsmäßig geboten“ hält. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, sprechen jedoch die besseren Gründe gegen ein solches Verständnis des Volksbegriffs, siehe Kap. 2 B. I. 2. a) bb). 25 Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 75 f.; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 115 III. 4. b); vgl. auch Schunda, Das Wahlrecht von Unionsbürgern bei Kommunalwahlen in Deutschland, S. 196. 26 Die Themenbereiche, über die ein Bürgerentscheid durchgeführt werden kann, sind solche, die sonst in die Zuständigkeit des Gemeinderats fallen, vgl. § 21 Abs. 1 GemO BW und die Ausnahmen in Abs. 2. Gem. § 21 Abs. 8 S. 1 GemO BW hat der Bürgerentscheid die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. 27 Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 75 f.

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

meinderäte selbst gar nicht mitwirken dürfen, revidiert werden.28 Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG könnte also auch so verstanden werden, dass er den Ländern die Einführung eines kommunalen Abstimmungsrechts ermöglicht. Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW würde demnach nicht gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG verstoßen und wäre grundgesetzkonform.29 c) Begründung der Abstimmungsberechtigung anhand der unionsrechtlichen Maßgaben Einer Entscheidung zwischen diesen Deutungsmöglichkeiten bedarf es allerdings dann nicht, wenn sich die Abstimmungsberechtigung der Unionsbürger trotz der fehlenden ausdrücklichen Verankerung bereits aus den unionsrecht­lichen Vorgaben ergibt, auf die Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG verweist.30 Dem entspricht der Charakter des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG als Öffnungsklausel zugunsten des Unionsrechts. Dass weder die primärrechtlichen Vorgaben noch die Kommunalwahl-Richtlinie ihrem Wortlaut nach ein Teilnahmerecht für Unionsbürger an kommunalen Abstimmungen verlangen, wurde bereits deutlich. Insofern ist die erneute Betrachtung des Unionsrechts wenig gewinnbringend. Anknüpfen lässt sich aber möglicherweise an die Anforderungen, die das Unionsrecht an die Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts stellt.31 So fordern Art. 20 Abs. 2 S. 2 b), 22 Abs. 1 S. 1 AEUV und Art. 40 GRCh, dass den Unionsbürgern das Kommunalwahlrecht nach denselben Bedingungen gewährt wird wie den Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Hieraus folgt zunächst – das ist evident –, dass die Wahl für die Wahlberechtigten des betreffenden Mitgliedstaats und die Unionsbürger nach den gleichen Regeln stattfinden muss.32 Der Gewährleistungsgehalt erschöpft sich darin aber 28 Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, S. 76. Siehe auch die Überlegung von Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 72, der die Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Abstimmungen, die allein den eigenen Wirkungskreis tangieren, „folgerichtig“ für zulässig hält, wenn die Unionsbürger sich sogar an der Wahl von Bürgermeistern bzw. Landräten beteiligen können, die auch Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis wahrnehmen. 29 Dass für die Abstimmungsberechtigung auch eine verbesserte Integration der Unionsbürger in den Kommunen spricht, liegt auf der Hand, vgl. Schunda, Das Wahlrecht von Unionsbürgern bei Kommunalwahlen in Deutschland, S. 196. 30 Dass die Argumentation vordergründig das Unionsrecht in den Blick nehmen sollte, erkennen auch Meyer-Teschendorf / Hofmann, ZRP 1995, 290 (291 f.), die im Ergebnis eine unionsrechtliche Gewährung der Abstimmungsberechtigung aber ablehnen. 31 Vgl. Remmert, VBlBW 2017, 415 (418). 32 Remmert, VBlBW 2017, 415 (418). Nach Art. 22 Abs. 1 S. 2 AEUV können in den vom Rat in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des EU-Parlaments festgelegten Einzelheiten Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn das aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaats gerechtfertigt ist. Z. B. sieht Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 der Kommunalwahl-Richtlinie die Möglichkeit vor, dass nur die eigenen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats zum Leiter des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe wählbar sind.

A. Teilnahmeberechtigung ausländischer Einwohner

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nicht. Wenn für das Kommunalwahlrecht dieselben Bedingungen gelten und alle Inländer damit gleichbehandelt werden sollen, dann muss das auch für die materiellen Folgen der Kommunalwahl gelten.33 Andernfalls besteht die Möglichkeit, dass das den Unionsbürgern zugestandene Kommunalwahlrecht im Vergleich zu dem der Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats in qualitativer Hinsicht nachsteht. Das betrifft vor allem die inhaltlichen Einflussmöglichkeiten, die mit dem Wahlrecht einhergehen.34 Diese bestehen zum einen darin, dass die gewählten Gemeinde- bzw. Kreisräte auf die Entscheidungen des Gemeinderats bzw. Kreistags einwirken können.35 Zum anderen können die Wähler selbst, nämlich durch die Wahl von Gemeinderats- bzw. Kreistagskandidaten mit einer bestimmten politischen Ausrichtung, mittelbar inhaltlichen Einfluss ausüben. Die Reichweite dieser mit der Zuerkennung des Wahlrechts einhergehenden Befugnisse darf nach alledem nicht durch die Staatsangehörigkeit der gewählten Vertreter und der Wähler bestimmt werden.36 Eine solche Abhängigkeit von der Staatsangehörigkeit besteht aber, wenn Entscheidungen des Gemeinderats bzw. Kreistags, den die Unionsbürger mitwählen können und dem sie möglicherweise selbst auch angehören, durch Bürgerentscheide, an denen sie sich nicht beteiligen dürfen, rückgängig gemacht werden.37 Somit lässt sich wegen des Erfordernisses der gleichen materiellen Folgen des Wahlrechts aus dem Unionsrecht jedenfalls die Schlussfolgerung ziehen, dass Unionsbürger an Abstimmungen zu beteiligen sind, die die Beschlüsse von gewählten kommunalen Organen substituieren bzw. die Befugnisse dieser Organe beschneiden.38 Weil dieser Aspekt zu den Maßgaben des Unionsrechts zählt, auf die Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Bezug nimmt,39 verstößt Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW insoweit nicht gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG. Allerdings stützt sich diese Begründung im Kern nur auf Bürgerentscheide und Bürgerbegehren. Dem Ergebnis von Einwohner- und Bürgerbefragungen kommt 33

Remmert, VBlBW 2017, 415 (418). Vgl. Remmert, VBlBW 2017, 415 (418 f.). 35 Dass hinsichtlich der materiellen Folgen der Wahl die Einflussmöglichkeiten der gewählten Vertreter gleich sein müssen, ergibt sich daraus, dass das Unionsrecht den Unionsbürgern nicht nur das aktive, sondern auch das passive Kommunalwahlrecht gewährt. 36 Remmert, VBlBW 2017, 415 (418 f.). 37 Remmert, VBlBW 2017, 415 (419), die zusätzlich mit dem problematischen Umstand argumentiert, dass bei einer Versagung der Abstimmungsberechtigung der Unionsbürger nur Deutsche mit einem Bürgerbegehren beschließen könnten, dass nur sie eine bestimmte, im Regelfall den Kompetenzen des Gemeinderats bzw. Kreistags und mithin auch dem Einflussbereich von Unionsbürgern unterfallende Sachentscheidung ausnahmsweise im Rahmen eines Bürgerentscheids eigenständig treffen. 38 Remmert, VBlBW 2017, 415 (419). Siehe auch den ähnlichen Ansatz bei Kotalakidis, Von der nationalen Staatsangehörigkeit zur Unionsbürgerschaft, S. 185 f., der ebenfalls an denselben Bedingungen für Unionsbürger und Angehörige des betreffenden Mitgliedstaats anknüpft, dann aber unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots von der Gewährung eines umfänglichen Schutzes der politischen Betätigung der Unionsbürger ausgeht. 39 Remmert, VBlBW 2017, 415 (419). 34

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

keine Entscheidungskraft zu. Es ist für den Gemeinderat rechtlich nicht verbindlich. Daher besteht also auch nicht die Gefahr, dass eine Entscheidung des Gemeinderats durch ein Befragungsergebnis ersetzt wird. Die bisher angeführte Argumentation kann daher für die Teilnahme an Befragungen mit Abstimmungscharakter nicht herangezogen werden. Gleichwohl ist zu überlegen, ob die Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern für Befragungen mit Abstimmungscharakter begründbar und Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW folglich auch insoweit grundgesetzkonform ist. Gem. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. den unionsrechtlichen Maßgaben dürfen die durch die Wahl geschaffenen inhaltlichen Einflussmöglichkeiten der Wähler nicht von der Staatsangehörigkeit abhängen. Befragungen sind für den Gemeinderat eine Entscheidungshilfe. Der auch von den Unionsbürgern gewählte Gemeinderat kann seine Wähler (in einem formalisierten Verfahren) um eine Stellungnahme bitten. Das Befragungsergebnis ist für ihn zwar nicht rechtsverbindlich. Trotzdem ist denkbar, dass er das Resultat einer Befragung als (eine)  maßgebliche Entscheidungsgrundlage heranzieht. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich das Ergebnis einer Befragung inhaltlich in einem Beschluss des Gemeinderats zumindest teilweise widerspiegelt. Gerade Befragungen, bei denen es sich um Abstimmungen i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG handelt, sind darauf ausgerichtet, den Gemeinderat faktisch zu beeinflussen und ihm eine einheitliche Entscheidungsrichtung vorzugeben.40 Im Hinblick auf eine mögliche mittelbare Beeinflussung der Sachentscheidungen des Gemeinderats sind die Wähler also nicht nur auf die Wahl von Gemeinderäten mit bestimmten inhaltlichen Positionen beschränkt. Sie können vielmehr auch durch die Teilnahme an einer vom Gemeinderat initiierten Befragung mittelbar inhaltlichen Einfluss ausüben. Dürften die Unionsbürger an Befragungen mit Abstimmungscharakter nicht teilnehmen, so hätten die deutschen Wähler im Vergleich zu diesen mehr Möglichkeiten, auf die inhaltliche Arbeit des Gemeinderats und damit auf dessen Sachentscheidungen einzuwirken. Dann läge zwischen den deutschen Wählern und den Unionsbürgern eine Ungleichbehandlung vor. Anders formuliert: Zu den materiellen Folgen des Kommunalwahlrechts zählt auch, dass die Wähler den von ihnen gewählten Gemeinderat bei seiner Entscheidungsfindung in gleichem Maße beeinflussen können. 2. Ergebnis Demzufolge ergibt sich aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. den unionsrecht­ lichen Vorgaben, dass Unionsbürger an Befragungen mit Abstimmungscharakter teilnehmen können müssen. Art. 72 Abs. 1 S. 2 LV BW verstößt daher auch unter diesem Blickwinkel nicht gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG und ist damit grundgesetzkonform. 40

Vgl. Kap. 2 B. III. 1.

B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters 

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B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters für die Befragungsteilnahme An der eingangs dargestellten Einwohnerbefragung der brandenburgischen Stadt Falkensee zum Bau eines Hallenbads konnten alle Einwohner der Gemeinde ab null Jahren teilnehmen.41 Es mag sich bei dieser Befragung in Bezug auf das Teilnahmealter sicher um ein Extrembeispiel handeln, über das sich auch rechtspolitisch streiten lässt. Sie zeigt aber, dass Überlegungen zu einem Mindestalter für die Teilnahme an Einwohner- und Bürgerbefragungen nicht nur rein theoretischer Natur sind. Auffallend ist zudem, dass drei der fünf bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen kein bestimmtes Mindestalter vorgeben (so in Schleswig-Holstein42, im Saarland43 und in Brandenburg44).45 Das erweckt den Eindruck, als stünde den Landesgesetzgebern bzw. den Gemeinden in Bezug auf das notwendige Alter für die Teilnahme ein großzügiger Gestaltungsspielraum zu. Die Arbeit greift diesen Gedanken im Folgenden auf und ermittelt, inwiefern die Verfassung Vorgaben für ein mögliches Mindestalter beinhaltet.

I. Keine expliziten verfassungsrechtlichen Vorgaben Im Grundgesetz finden sich  – das verwundert nicht  – keine ausdrücklichen Aussagen zu einem möglichen Mindestalter für die Teilnahme an Einwohner- und Bürgerbefragungen. Die einzige grundgesetzliche Regelung, die eine konkrete Altersvorgabe im Hinblick auf die Inanspruchnahme politischer Beteiligungsrechte vorsieht, ist Art. 38 Abs. 2 GG.46 Aufgrund seiner eindeutigen Beschränkung auf das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag kann Art. 38 Abs. 2 GG auf die Teilnahme an Einwohner- und Bürgerbefragungen allerdings nicht angewendet werden.47 Daher ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die Verfassung diesbezüglich ein Mindestalter fordert. Hierbei muss erneut zwischen Befragungen mit und solchen ohne Abstimmungscharakter differenziert werden. In Bezug auf erstere lässt sich zumindest teilweise auf Rechtsprechung zurückgreifen, die 41

Siehe Kap. 1 D. II. Vgl. § 16c Abs. 3 GO SH. 43 Vgl. § 20b Abs. 1 SaarlKSVG. 44 Vgl. § 13 BbgKVerf. 45 In Niedersachsen müssen die Befragungsteilnehmer dagegen mindestens 14 Jahre alt sein (vgl. § 35 S. 1 NKomVG), in Sachsen- Anhalt mindestens 16 Jahre (vgl. § 28 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 21 Abs. 2 S. 1 KVG LSA). 46 Aktiv wahlberechtigt ist demnach, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Passiv wahlberechtigt ist, wer volljährig ist, was nach § 2 BGB ebenfalls mit der Vollendung des 18. Lebensjahres der Fall ist. 47 Vgl. auch VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (406); VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1.2, das wegen der Selbstständigkeit der Verfassungsräume von Bund und Ländern (unter Heranziehung von BVerfGE 99, 1 (1 ff.)) zudem zutreffend eine analoge Anwendung auf Wahlen und Abstimmungen in den Ländern ablehnt. 42

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

in jüngerer Zeit zu dem „verwandten“ Themenkreis des Kommunalwahlrechts für Minderjährige ergangen ist.48

II. Befragungen mit Abstimmungscharakter 1. Prinzip der Volkssouveränität a) Grundgesetz In Bezug auf Befragungen, die zugleich Abstimmungen sind, lässt sich zunächst überlegen, ob das in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte und gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch für die Länder und damit die Gemeinden verbindliche Prinzip der Volkssouveränität entsprechende Anforderungen enthält.49 Es wurde bereits ausgeführt, dass der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 GG50 auf das deutsche Volk abstellt.51 Fraglich ist, ob sich aus dem Volksbegriff selbst eine zusätzliche Einschränkung dahingehend ergibt, dass die deutschen Staatsangehörigen und die ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen ein bestimmtes Mindestalter erreicht haben müssen. Den Anknüpfungspunkt für eine solche Einengung könnte man in Art. 38 Abs. 2 GG sehen. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 GG könnte mit den wahlberechtigten Bürgern i. S. v. Art. 38 Abs. 2 GG gleichzusetzen und folglich so zu verstehen sein, dass nur die Deutschen, die das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag haben, zum Volk gehören.52 Somit würde sich das Volk nur aus den

48 Zum baden-württembergischen Kommunalrecht: BVerwGE 162, 244 (244 ff.); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (404 ff.); VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405. Die Kläger hatten  – im Ergebnis ohne Erfolg  – Wahlanfechtung betrieben, insbesondere mit der Begründung, die Gemeinderatswahlen der Stadt Heidelberg vom 25. 05. 2014 seien wegen der Teilnahme von 16 bis 18 Jahre alten Jugendlichen rechtwidrig. Der baden-württembergische Gesetzgeber hatte mit dem Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und gemeindehaushaltsrechtlicher Vorschriften vom 16. 04. 2013 (GBl. S. 55) das Mindestalter in Bezug auf das aktive kommunale Wahlrecht und Abstimmungsrecht von 18 auf 16 Jahre herabgesenkt. Zum thüringischen Kommunalrecht: ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (129 ff.). Im Rahmen der bereits in Fn. 13 angesprochenen abstrakten Normenkontrolle hatte der Thüringische Verfassungsgerichtshof sich auch damit auseinander zu setzen, ob die landesgesetzlichen Normen für das Minderjährigenwahlrecht auf kommunaler Ebene verfassungsgemäß sind. Der Landesgesetzgeber hatte mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Thüringer Kommunalwahlgesetzes vom 03. 12. 2015 (GVBl. S. 181) ebenfalls das Mindestalter für das aktive Kommunalwahlrecht von 18 auf 16 Jahre herabgesenkt. 49 So auch der Ansatz des Thüringer Verfassungsgerichtshofs für seine Überlegungen zum Kommunalwahlrecht für Minderjährige, vgl. ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (130 f.). 50 Dieser ist gem. Art. 28 Abs. 1 GG auch für Gemeinden maßgeblich, siehe dazu Kap. 2 B. I. 2. a) aa). 51 Kap. 2 B. I. 2. a). 52 So die Ansicht der Kläger in der bereits angesprochenen Rechtsprechung zur Absenkung des Wahlalters in Bezug auf das aktive Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg (Fn. 48),

B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters 

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Deutschen zusammensetzen, die mindestens 18 Jahre alt sind. Nur diese könnten dann Staatsgewalt ausüben. An Befragungen mit Abstimmungscharakter dürften demnach gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 2 GG nur die volljährigen Deutschen und Unionsbürger teilnehmen. Eine solche Sichtweise findet allerdings keine Stütze im Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 GG. Gegen sie spricht zudem, dass das Grundgesetz in Art. 38 Abs. 2 GG zwei unterschiedliche Kriterien für die Bestimmung des aktiven und passiven Wahlrechts für den Bundestag heranzieht. Für das aktive Wahlrecht ist nach Art. 38 Abs. 2 Hs.  1 GG die Vollendung des 18. Lebensjahres Voraussetzung. Art. 38 Abs. 2 Hs. 2 GG knüpft das passive Wahlrecht an die Volljährigkeit. Deren Ausgestaltung steht jedoch zur Disposition des einfachen Gesetzgebers (vgl. § 2 BGB). Insbesondere dann, wenn der einfache Gesetzgeber sich dazu entschließt, den Beginn der Volljährigkeit nicht mehr an die Vollendung des 18. Lebensjahres zu knüpfen, könnten das aktive und das passive Bundestagswahlrecht auseinanderfallen.53 Es wäre dann allerdings unklar, wie sich eine solche mögliche Diskrepanz auf die Definition des Volksbegriffs auswirkt.54 Beachtung finden muss in systematischer Hinsicht zudem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Aus der Formulierung, dass die Abgeordneten Vertreter des „ganzen Volkes“ sind, geht jedenfalls hervor, dass sie nicht nur bestimmte Gruppen, ihre Wähler oder ihre Parteien vertreten.55 Das spricht dafür, dass zum Volk auch die Personen gehören, die sich an der Wahl nicht beteiligen.56 Zu den Personen, die nicht wählen, zählen aber auch diejenigen, denen z. B. wegen ihres zu geringen Alters (noch) kein Wahlrecht zusteht. Folgt man dem, dann legt Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nahe, dass das Volk nicht mit den Wahlberechtigten gleichgesetzt werden kann. Somit lässt

siehe VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1.1. Ihre Auffassung stützen die Kläger u. a. auf die hier bereits behandelte Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu Kap. 2 A.). Dieser lässt sich aber gerade nicht entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht von einem solchen Verständnis des Volksbegriffs ausgehen will. Wenn in der Volksbefragungsrechtsprechung von den wahlberechtigten Bürgern als dem Staatsvolk (BVerfGE 8, 104 (114)) die Rede ist, dann geht es dem Gericht damit um die Zuordnung der Befragungsteilnahme zum Bereich der staatlichen Willensbildung und nicht darum, den Volksbegriff zu definieren, siehe VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (405); VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1.1. 53 Vgl. auch die Ausführungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zur Genese des Art. 38 Abs. 2 GG, aus denen u. a. hervorgeht, dass zwischen 1970 und 1974 das aktive und das passive Wahlrecht auseinanderfielen, weil die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre erst erfolgte, nachdem Art. 38 Abs. 2 GG schon in seine heutige Fassung geändert worden war, ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (131) m. w. N. 54 Entschiede man sich dafür, auf den Maßstab des Art. 38 Abs. 2 Hs. 2 GG abzustellen, dann stünde die Definition des Volksbegriffs letztlich zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Das kann angesichts der Bedeutung des Volksbegriffs für die Verfassungsordnung nicht gewollt sein. 55 Vgl. Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 136 m. w. N. 56 Vgl. Schreiber, DVBl. 2004, 1341 (1348).

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

sich dem Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 GG keine zusätzliche Einschränkung im Sinne eines Mindestalters entnehmen.57 Darauf, dass das Prinzip der Volkssouveränität auch im Übrigen keine Vorgaben in Bezug auf ein bestimmtes Mindestalter für die Ausübung von Staatsgewalt enthält, deutet zudem Art. 38 Abs. 2 GG hin. Würde die Volkssouveränität selbst eine Altersgrenze zur Ausübung staatlicher Gewalt beinhalten, dann wäre die Regelung des Art. 38 Abs. 2 GG überflüssig.58 Aus Art. 20 Abs. 2 GG folgt nach alledem nicht die Notwendigkeit eines Mindestalters für die Teilnahme an der Ausübung von Staatsgewalt.59 b) Baden-württembergische Landesverfassung Fraglich ist allerdings, ob die Ausgestaltung des Prinzips der Volkssouveränität durch die baden-württembergische Landesverfassung für ein Mindestalter in Bezug auf die Teilnahme an kommunalen Abstimmungen spricht. Im Wortlaut nahezu identisch mit Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt Art. 25 Abs. 1 S. 1 LV BW, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Hierauf aufbauend und gewissermaßen als landesverfassungsrechtliches Pendant zu Art. 38 Abs. 2 GG sieht Art. 26 Abs. 1 LV BW vor, dass wahl- und stimmberechtigt jeder Deutsche ist, der im Land wohnt oder sich dort sonst gewöhnlich aufhält und am Tag der Wahl oder Abstimmung das 16. Lebensjahr60 vollendet hat. Art. 26 Abs. 1 LV BW unterscheidet sich aber nicht nur durch das geringere Mindestalter von Art. 38 Abs. 2 GG, sondern auch dadurch, dass er die Vollendung des 16. Lebensjahres zur Voraussetzung für die Teilnahme an Abstimmungen macht. Findet Art. 26 Abs. 1 LV BW ebenfalls auf Wahlen und Abstimmungen in Gemeinden Anwendung,61 dann dürfen an Einwohner- und Bürgerbefragungen mit Abstimmungscharakter nur Personen teilnehmen, die mindestens 16 Jahre alt sind. Dem könnte aber Art. 72 LV BW entgegenstehen. Diese Vorschrift beinhaltet Regelungen für Wahlen und Abstimmungen in Kreisen und Gemeinden, ohne dabei ein gewisses Mindestalter zu nennen. Wenn Art. 72 LV BW die landesverfassungs 57 So im Ergebnis auch VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (405); VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1.1. 58 Vgl. ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (131), der überdies die Differenzierung zwischen dem Staatsvolk und innerhalb dessen der Gruppe der Wahlberechtigten im Hinblick auf das Bundesstaatsprinzip für geboten hält, weil Art. 38 Abs. 2 GG nur für Bundestagswahlen gilt und den Ländern in den Grenzen des Art. 28 Abs. 1 GG die Befugnis zukommt, die Wahl­ berechtigung für Landtags- und Kommunalwahlen gesetzlich näher auszugestalten. 59 So auch ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (131). 60 Durch Art. 1 des Gesetzes vom 26. 04. 2022, GBl. S. 237, hat der baden-württembergische Gesetzgeber erst kürzlich das Mindestalter des Art. 26 Abs. 1 LV BW für das aktive Wahlrecht und das Stimmrecht von 18 auf 16 Jahre gesenkt. 61 Vgl. die Auffassung der Kläger im o. g. Verfahren vor dem VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, vor Rn. 1.

B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters 

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rechtlichen Vorgaben für Wahlen und Abstimmungen auf der kommunalen Ebene abschließend regelt und für Art. 26 LV BW insoweit kein Raum zur Anwendung besteht,62 lässt sich aus der landesverfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Volkssouveränität nicht ableiten, dass für die Teilnahme an gemeindlichen Abstimmungen das 16. Lebensjahr vollendet sein muss. Klärungsbedürftig ist demzufolge das Verhältnis zwischen Art. 26 und Art. 72 Abs. 1 LV BW. Der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 LV BW enthält keine Hinweise darauf, dass Art. 26 LV BW auf kommunale Wahlen bzw. Abstimmungen keine Anwendung finden soll. Das deutet darauf hin, dass Art. 26 LV BW nicht nur für die Landes-, sondern auch für die Kreis- und Gemeindeebene gilt.63 Hiergegen lässt sich aber Art. 26 Abs. 8 LV BW anführen, wonach für Wahlen und Abstimmungen in Gemeinden und Kreisen Art. 72 LV BW gilt. Der klare Wortlaut dieser Norm spricht dafür, dass Art. 72 LV BW für Wahlen und Abstimmungen in Kreisen und Gemeinden eine abschließende Regelung darstellt und dass Art. 26 LV BW insoweit nicht anwendbar ist.64 Die Genese von Art. 26 Abs. 8 LV BW, der 1995 in die Landesverfassung eingefügt wurde65, bestätigt dieses Ergebnis.66 Die Begründung des verfassungsändernden Gesetzes weist darauf hin, dass der bisherige Wortlaut den Anwendungsbereich nicht klar zum Ausdruck brachte, diesbezüglich auch in der Literatur Zweifel bestanden und dass „[d]urch die Anfügung eines weiteren Absatzes […] klargestellt [wird], daß für den Kommunalbereich Artikel 72 als Spezialregelung gilt.“67 Die systematische Stellung des Art. 26 LV BW im Abschnitt „I. Die Grundlagen des Staates“ im Zweiten Hauptteil der baden-württembergischen Landesverfassung steht dazu nicht in Widerspruch. Es ist zwar durchaus denkbar, in diesem systematischen Standort ein Argument dafür zu sehen, dass Art. 26 LV BW für sämtliche auf der Basis der Landesverfassung durchgeführten Wahlen und Abstimmungen gilt, also auch für diejenigen in den Kreisen und Gemeinden.68 Hiergegen und damit für die These, dass Art. 72 LV BW in Bezug auf die Kommunen die speziel 62

So VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 3; Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 14; Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499 ff.). 63 Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499). 64 VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 3; Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499); vgl. Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 14. 65 Siehe das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 15. 02. 1995, GBl. S. 270. 66 Siehe zu dieser Argumentation bereits VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 3; ­Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499 f.). 67 LT-Drs. 11/5326, S. 6. Ein weiterer Aspekt aus der Entstehungsgeschichte des Art. 26 Abs. 8 LV BW spricht für dieses Ergebnis: Ein im Rahmen der parlamentarischen Beratungen unterbreiteter Vorschlag, Art. 26 Abs. 8 LV BW so zu formulieren, dass Art. 72 LV BW lediglich im Übrigen für die kommunalen Wahlen und Abstimmungen gilt, fand keine Unterstützung. Siehe dazu m. w. N. Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499), der im Weiteren auch mit der Entstehung und späteren Änderungen von Art. 26 LV BW argumentiert (a. a. O., S. 500 f.). 68 Vgl. Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499).

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

lere Vorschrift ist, spricht aber, dass Art. 72 LV BW in einem anderen Abschnitt im Zweiten Hauptteil der Landesverfassung („VI. Die Verwaltung“) verortet ist.69 Demzufolge finden die Anforderungen des Art. 26 LV BW auf die Kreis- und Gemeindeebene keine Anwendung. Die Ausgestaltung der Volkssouveränität durch die baden-württembergische Landesverfassung fordert mithin nicht, dass für die Teilnahme an Einwohner- und Bürgerbefragungen mit Abstimmungsqualität ein Mindestalter von 16 Jahren erfüllt sein muss. 2. „Abstimmungsreife“ Die Tatsache, dass sich dem Prinzip der Volkssouveränität keine konkreten Vorgaben in Bezug auf ein Mindestalter zur Teilnahme an Befragungen mit Abstimmungscharakter entnehmen lassen, bedeutet jedoch nicht, dass die Teilnahme von (Kleinst-)Kindern und Jugendlichen damit unproblematisch möglich ist. In Bezug auf das Wahlrecht ist anerkannt, dass die Wähler über eine gewisse intellektuelle Reife, also insbesondere ein bestimmtes Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein, verfügen müssen.70 Dieser Gedanke hat im Wortlaut der Verfassung keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden. Er ist dem Wahlrecht vielmehr immanent71 und lässt sich mit dem Demokratieprinzip begründen: Demokratie erfordert eine auf rationaler Ebene geführte Diskussion von Argumenten.72 Die Beteiligung an dieser argumentativen Auseinandersetzung durch die Ausübung des Wahlrechts bedingt jedoch ein gewisses Maß an intellektueller Reife.73 Da Abstimmungen ebenso wie Wahlen eine Form der Teilhabe an der staatlichen bzw. gemeindlichen Willensbildung darstellen und sie sich von ihnen lediglich dadurch unterscheiden, dass es nicht um Personal-, sondern um Sachentscheidungen geht, kann für sie im Ergebnis nichts anderes 69

Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (499); vgl. VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 3. Dass Art. 26 LV BW gleichwohl im Abschnitt „Die Grundlagen des Staates“ steht und nicht in dem darauffolgenden mit dem Titel „Der Landtag“, obwohl Wahlen und Abstimmungen in Gemeinden und Kreisen nicht von der Regelung umfasst sein sollen, lässt sich damit begründen, dass Art. 26 LV BW auch für Abstimmungen auf Landesebene und für Wahlen zwischen der Ebene der Kommunen und der Ebene des Landtags und damit nicht nur für Landtagswahlen gilt. Siehe dazu Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (500). 70 VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (406); VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1. 2. 1; VG Kassel, BeckRS 2022, 2276 Rn. 44, 52; Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (498). Vgl. BVerwGE 162, 244 (246 f.); ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (132); Klein, in: FS Scholz, S. 277 (283); Mußgnug, in: FS Roellecke, S. 165 (176 f.). 71 Das Erfordernis der intellektuellen Reife wird als Grenze des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl verstanden, siehe ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (132): „immanente (bzw. ungeschriebene) Grenze des Grundsatzes der Allgemeinheit [der Wahl]“. Vgl. ferner BVerwGE 162, 244 (246 f.); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (406); VG Kassel, BeckRS 2022, 2276 Rn. 44. 72 BVerwGE 159, 327 (336); 162, 244 (247). 73 BVerwGE 162, 244 (247); VG Kassel, BeckRS 2022, 2276 Rn. 44.

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gelten.74 Auch für die Beteiligung an Abstimmungen ist also ein gewisses Maß an Einsichts- und Urteilsvermögen notwendig. Die Rechtsprechung hat den 16- und 17-Jährigen für die Teilnahme an Kommunalwahlen die notwendige Reife zugesprochen.75 Sie geht davon aus, dass diese Jugendlichen die erforderlichen Eigenschaften besitzen, um den Hintergrund und das Ausmaß der auf die jeweilige Gemeinde bezogenen Entscheidungen einzuschätzen und dass sie in der Lage sind, für die Wahrnehmung dieser Befugnisse die aus ihrer Sicht geeignetsten Kandidaten auszuwählen.76 Es mag zwar durchaus sein, dass dies nicht auf sämtliche 16- und 17-Jährigen zutrifft.77 Die Rechtsprechung macht jedoch deutlich, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Wahlberechtigung ein Bewertungsspielraum zukommt und hierbei die Möglichkeit von Typisierungen bzw. Vereinfachungen besteht.78 Schließt man sich der Rechtsprechung an und bejaht bei den 16- und 17-Jährigen die notwendige Reife in Bezug auf das Kommunalwahlrecht, spricht alles dafür, das auch in Bezug auf kommunale Abstimmungen zu tun. Es ist nicht ersichtlich, dass die Teilnahme an Abstimmungen zwingend ein höheres Maß an Einsichtsfähigkeit erfordert als bei Wahlen.79 Demzufolge ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinden 16- und 17-Jährige an Befragungen mit Abstimmungsqualität teilnehmen lassen.

74

Vgl. auch ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (133). ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (133); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (407); VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1. 2. 1. 76 VG Karlsruhe, BeckRS 2016, 55405, Rn. 1. 2. 1, das diese Auffassung auch mit einem Blick auf einfachrechtliche Regelungen, in denen der Gesetzgeber nicht volljährigen Jugendlichen bestimmte Rechte gewährt und damit vom Vorliegen der jeweils erforderlichen Reife ausgeht, belegt. Beispielsweise ist es 16-Jährigen nach § 10 FeV gestattet, für bestimmte Fahrzeugklassen die Fahrerlaubnis zu erwerben. Siehe ferner VGH Mannheim, NVwZ-RR 2018, 404 (407 f.) m. w. N., der zur Begründung der notwendigen Reife 16 Jahre alter Jugendlicher auf Expertenanhörungen verweist, die in verschiedenen Bundesländern im Rahmen von die Absenkung des Wahlalters betreffenden Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wurden. Gegen die Bejahung der Wahlmündigkeit von Minderjährigen Mußgnug, in: FS Roellecke, S. 165 (175 ff.); Klein, in: FS Scholz, S. 277 (283). 77 Vgl. Schmidt-De Caluwe, NVwZ 2001, 270 (275), nach dem regelmäßig auch Erwachsene nicht alle politischen Verbindungen durchdringen und ihre Wahlentscheidung oft nach subjektiven Kriterien treffen. 78 ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129 (132), der aber auch betont, dass die Verallgemeinerung den typischen und keinen atypischen Fall als Leitbild heranziehen muss, um möglichst realitätsnah zu sein. Aufgrund des Bewertungsspielraums des Gesetzgebers erachtet es die Rechtsprechung allerdings auch für verfassungsgemäß, die unter 18-Jährigen vom Wahlrecht auszuschließen. So ging das VG Kassel im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde davon aus, dass § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGO, der das aktive Kommunalwahlrecht an die Vollendung des 18. Lebensjahres knüpft, verfassungskonform ist, siehe VG Kassel, BeckRS 2022, 2276 Rn. 35 ff. 79 Vgl. ThürVerGH, NVwZ-RR 2019, 129 (133). 75

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5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

Im Anschluss daran drängt sich die Frage auf, ob auch eine weitere Absenkung des Teilnahmealters für Befragungen mit Abstimmungscharakter verfassungsrechtlich zulässig ist. Nach dem bisher Gesagten hängt das maßgeblich davon ab, ob man die benötigte Einsichtsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein auch Jugendlichen zugesteht, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Blickt man zum Vergleich auf die (rechts-)politische Diskussion zur Absenkung des Wahlalters, so stellt man fest, dass Forderungen, das Wahlalter auf unter 16 Jahre herabzusetzen, nur vereinzelt erhoben werden.80 Das legt nahe, dass in der Politik zumindest Hemmungen bestehen, das Wahlrecht auch den Jugend­ lichen zuzugestehen, die noch nicht 16 Jahre alt sind. Ob diese Zurückhaltung aus entwicklungspsychologischer Sicht berechtigt ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Vor dem Hintergrund der notwendigen Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie dem erforderlichen Verantwortungsbewusstsein ist es verfassungsrechtlich allerdings problematisch, wenn Befragungen mit Abstimmungscharakter ohne jeg­ liche Festsetzung eines Mindestteilnahmealters durchgeführt werden. Wenngleich jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass die zur Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen notwendigen intellektuellen Fähigkeiten bei Jugendlichen typischerweise auch schon vor Vollendung des 16. Lebensjahres vorhanden sind,81 ist den Landesgesetzgebern bzw. Gemeinden daher zu empfehlen, sich an der bisherigen Judikatur zum Kommunalwahlrecht zu orientieren und als „sichere“ Untergrenze die Vollendung des 16. Lebensjahres zu veranschlagen. Sofern darüber hinaus beabsichtigt wird, Jugendliche unter 16 Jahren zu befragen, muss dem Kriterium der „Abstimmungsreife“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt und überprüft werden, ob die erforderlichen Eigenschaften in Bezug auf den Befragungsgegenstand bei diesen Jugendlichen typischerweise vorliegen.

III. Befragungen ohne Abstimmungscharakter Auf Befragungen, die keine Abstimmungen i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind, lassen sich die bisherigen Schlussfolgerungen zum Teilnahmealter nicht direkt übertragen. Obwohl es rechtspolitisch sicher gute Gründe dafür gibt, kommt es verfassungsrechtlich gesehen nicht zwingend darauf an, dass die Teilnehmer „ab 80 Als prominente Stimme aus der jüngeren Zeit hat sich insbesondere der Kinderschutzbund für ein aktives Wahlrecht ab 14 Jahren ausgesprochen. Siehe hierzu die entsprechende Mitteilung auf der Internetseite des Portals der Kinder- und Jugendhilfe vom 08. 01. 2020, abrufbar unter https://jugendhilfeportal.de/artikel/kinderschutzbund-fordert-wahlrecht-ab-14jahren (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). 81 Nach Meyer, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 46 Rn. 12 „dürfte [mit 14 Jahren] aber die unterste Grenze der möglichen Verleihung des Wahlrechts abgesteckt sein.“ So wohl im Hinblick auf Einwohner- und Bürgerbefragungen auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 265. Dagegen liegt nach Schellenberger, VBlBW 2015, 497 (498) die untere Grenze (bezüglich des Wahlrechts) bei 16 Jahren.

B. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Mindestalters 

131

stimmungsreif“ sind. Stattdessen muss berücksichtigt werden, dass die Teilnahme an Befragungen ohne Abstimmungscharakter keine Betätigung im Bereich der gemeindlichen, sondern in dem der politischen Willensbildung darstellt. Wenn die Teilnehmer einer solchen Befragung ihre Stimme abgeben, handelt es sich dabei um eine in einem geordneten Verfahren getätigte Meinungsäußerung.82 Die Überlegungen zu einem Mindestalter für die Teilnahme an Befragungen, die keine Abstimmungen sind, müssen demnach vom Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG) ausgehen. Träger dieses Grundrechts sind alle Menschen, erfasst sind also auch schon Kleinkinder.83 Die Fähigkeit, das Grundrecht tatsächlich ausüben zu können, setzt allerdings voraus, dass der Grundrechtsträger geistig und physisch in der Lage ist, eine Meinung zu bilden und diese zu äußern.84 Diese Prämissen erfüllen auch schon Kinder und Jugendliche,85 sodass es verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, diese an Befragungen ohne Abstimmungscharakter teilhaben zu lassen. Gleichwohl ist es höchst zweifelhaft, wenn die Gemeinden für Befragungen ohne Abstimmungscharakter keinerlei Einschränkungen im Sinne eines Mindestalters vornehmen. Dass z. B. Säuglinge noch nicht über die notwendigen Voraussetzungen verfügen, eine Meinung zu bilden und diese im Rahmen einer Befragung kund zu tun, ist offensichtlich.86 Auch wenn die Gemeinden Befragungen durchführen, denen nicht die Qualität einer Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zukommt, sollten sie sich daher Gedanken über ein Mindestalter machen. Die Teilnehmer sollten mindestens ein Alter erreicht haben, in dem sie typischerweise die Fähigkeit besitzen, sich in Bezug auf den Befragungsgegenstand eine eigenständige Meinung zu bilden und diese im Rahmen der Befragung zu äußern.87

IV. Ergebnis Das Verfassungsrecht beinhaltet keine konkreten Vorgaben in Bezug auf ein Mindestalter für die Teilnahme an Einwohner- und Bürgerbefragungen. Klare Altersgrenzen lassen sich insoweit also nicht benennen. Gleichwohl sind die Landesgesetzgeber bzw. die Gemeinden bei der Festlegung, ab welchem Alter die Teilnahme an einer Befragung möglich ist, nicht gänzlich frei. Handelt es sich bei der Befragung um eine Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, ist das Erfordernis 82

Kap. 2 B. II. Vgl. Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 5 I, II Rn. 26. 84 Vgl. Wendt, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 5 Rn. 21; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog /  Scholz, GG, Art. 5 I, II Rn. 26. 85 Vgl. Schmidt-Jortzig, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VII, § 162 Rn. 16. 86 Vgl. Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 5 I, II Rn. 26. 87 Geht man davon aus, dass die Teilnehmer bei Befragungen ihre Stimme jeweils eigenständig abgeben sollen, dass also insbesondere Kinder ohne die Hilfe ihrer Eltern auskommen, setzt das zumindest voraus, dass sie sicher lesen und schreiben können. Das spricht dafür, dass die Befragungsteilnehmer mindestens das Grundschulalter erreicht haben müssen. 83

132

5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

der „Abstimmungsreife“ zu berücksichtigen. Bei Befragungen ohne Abstimmungscharakter ist der Maßstab lockerer. Es kommt nicht zwingend darauf an, dass die Teilnehmer die Hintergründe der Befragung und die Relevanz ihrer Entscheidung für die Gemeinde erkennen. Verfassungsrechtlich gesehen genügt es, wenn sie in einem Alter sind, in dem sie eine Meinung bilden und diese äußern können.

C. „Befragung“ nur bestimmter gesellschaftlicher Gruppen Die Arbeit versteht das Instrument der Einwohner- bzw. Bürgerbefragung so, dass sich die Befragung jeweils an die gesamte Einwohner- bzw. Bürgerschaft richtet.88 Wählt man die Definition anders und geht davon aus, dass auch nur eine bestimmte Gruppe von Einwohnern bzw. Bürgern „befragt“ werden kann,89 ist in Bezug auf den Teilnehmerkreis zusätzlich zu klären, inwiefern eine solche Beschränkung verfassungsrechtlich überhaupt möglich ist. Die Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 GG90 gelten als Bestandteil des Demokratieprinzips auch für Abstimmungen.91 Das liegt daran, dass Abstimmungen und Wahlen im Hinblick auf die Vermittlung demokratischer Legitimation grundsätzlich auf der gleichen Ebene stehen (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG).92 Liegt eine Abstimmung vor, gilt also u. a. der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl bzw. Abstimmung.93 Dieser verbietet rechtliche Hürden, die es Einzelnen oder bestimmten Gruppen unmöglich machen, ihr Wahl- bzw. Abstimmungsrecht wahrzunehmen oder sie daran verhältnismäßig stark hindern.94 Ein solches Zugangshindernis zu ihrem Abstimmungsrecht besteht für die übrigen Einwohner bzw. Bürger aber gerade dann, wenn eine Befragung sich auf eine 88

Siehe Kap. 1 B. I. So Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 57. § 35 S. 2 NKomVG sieht explizit vor, dass sich die Befragung auf einen Teil der an sich teilnahmeberechtigten Einwohner beschränken kann. Diese Vorschrift wurde erst jüngst durch Art. 1 des Gesetzes vom 13. 10. 2021 in § 35 NKomVG eingefügt, GVBl. S. 700, 701 (vgl. dazu auch Fn. 95). 90 Auf landesverfassungsrechtlicher Ebene sind die Wahlrechtsgrundsätze in Art. 26 Abs. 4 und Art. 72 Abs. 1 S. 1 LV BW geregelt. Art. 26 Abs. 4 LV BW nimmt dabei auch ausdrücklich Bezug auf Abstimmungen. 91 BVerfGE 13, 54 (91 f.); 28, 220 (224); 49, 15 (19); Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 113; Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 38 Rn. 79; Butzer, in: BeckOK GG, Art. 38 Rn. 58. Speziell in Bezug auf Befragungen Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (67); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 279. A. A. in Bezug auf Befragungen Luch / Schulz / Tischer, BayVBl. 2015, 253 (256), weil „Bürgerbeteiligung jenseits unmittelbar-demokratischer Instrumente nicht den Wahlrechtsgrundsätzen unterliegt“. 92 Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 20 II Rn. 113. 93 Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG findet keine Anwendung, da die Allgemeinheit der Wahl demgegenüber spezieller ist, siehe Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 140. 94 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 69; vgl. Müller, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 38 Rn. 130. 89

C. „Befragung“ nur bestimmter gesellschaftlicher Gruppen

133

bestimmte Bevölkerungsgruppe beschränkt. Sofern es sich bei den Befragungen also um Abstimmungen handelt, ist eine Begrenzung des Teilnahmerechts auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen verfassungsrechtlich nicht zulässig.95 Anders gestaltet sich das wiederum bei den Befragungen, denen keine Abstimmungsqualität zukommt. Das Verfassungsrecht zwingt in diesen Fällen nicht dazu, die Abstimmungsgrundsätze anzuwenden. Der einzige verfassungsrechtliche Maßstab, der dann zu beachten ist, ist Art. 3 Abs. 1 GG.96 Die Beschränkung auf eine bestimmte Gruppe ist also zulässig, solange es hierfür einen hinreichend gewichtigen Grund gibt, mit dem die Ungleichbehandlung der nicht befragten Einwohner bzw. Bürger verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.97 Wenn es um eine Maßnahme geht, die in Gemeinden mit mehreren Ortsteilen einen bestimmten Ortsteil betrifft, ist es beispielsweise denkbar, dass nur die Einwohner bzw. Bürger dieses Ortsteils befragt werden.98 Der rechtfertigende Grund für die Ungleichbehandlung der nicht befragten Einwohner bzw. Bürger der Gemeinde könnte also sein, dass der Befragungsgegenstand unmittelbar nur die Einwohner bzw. Bürger dieses einen Ortsteils betrifft. Wenn die in Rede stehende 95 Die Allgemeinheit der Wahl ist zwar nicht absolut gewährleistet. Beeinträchtigungen zum Schutz anderer gleichrangiger Verfassungsgüter sind durchaus zulässig. Unproblematisch sind vor allem diejenigen Beschränkungen, die die Verfassung selbst vorsieht, wie es z. B. beim Mindestwahlalter (Art. 38 Abs. 2 GG) der Fall ist. Siehe zum Ganzen Müller, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 38 Rn. 132. Dass die Befragung nur bestimmter Gruppen auf ein Schutzgut mit Verfassungsrang zurückgeführt werden kann, ist allerdings nicht ersichtlich. A. A. insoweit Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 57, die lediglich Art. 3 GG als Grenze heranziehen will, aber wohl ohnehin nicht davon ausgeht, dass die Befragungsteilnahme Ausübung von Staatsgewalt sein kann. A. A. wohl auch der niedersächsische Landesgesetzgeber: Nach der Gesetzesbegründung zur Einfügung von § 35 S. 2 NKomVG (siehe Fn. 89), LT-Drs. 18/9075, S. 24, dient „[d]ie Änderung […] insoweit der Klarstellung, dass derartige begrenzte Befragungen zulässig sind.“ 96 Siehe insoweit auch Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 57. 97 Vgl. dazu bereits Kap. 5 A. II. 98 Vgl. Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 14. Siehe zudem § 13 BbgKVerf, der die Befragung der „betroffenen Einwohner“ vorsieht. Zum Teil regeln die bestehenden gesetzlichen Vorschriften die Möglichkeit von Befragungen in Ortsteilen bzw. Ortschaften und Stadtbezirken. Nach § 16c Abs. 3 S. 2 GO SH kann in Angelegenheiten eines Ortsteils, für die der Ortsbeirat zuständig ist, eine auf das Gebiet des Ortsteils beschränkte Einwohnerbefragung durchgeführt werden. Gem. § 93 Abs. 3 S. 1 NKomVG kann der Ortsbzw. Stadtbezirksrat in Angelegenheiten, deren Bedeutung über die Ortschaft bzw. den Stadtbezirk nicht hinausgeht, in der Ortschaft bzw. dem Stadtbezirk eine Befragung der Einwohner, die mindestens 14 Jahre alt sind und seit mindestens drei Monaten ihren Wohnsitz in der Ortschaft bzw. dem Stadtbezirk haben, beschließen. Der Auffassung von Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 269 f., nach dem sich aus diesen Regelungen die Schlussfolgerung ziehen lässt, dass die Beschränkung einer Befragung auf einen Ortsteil bzw. eine Ortschaft oder einen Stadtbezirk u. a. nur dann zulässig ist, wenn die Initiative auf den Ortsbeirat bzw. den Orts- oder Stadtbezirksrat zurückgeht, kann in Bezug auf das niedersächsische Kommunalrecht nicht (mehr) gefolgt werden. Durch die Einfügung von § 35 S. 2 NKomVG (siehe Fn. 89, 95) wurde den Gemeinderäten in Niedersachsen einfachrechtlich explizit die Möglichkeit eingeräumt, eine Befragung auf bestimmte Gruppen zu beschränken.

134

5. Kap.: Vorgaben für den Kreis der Befragungsteilnehmer 

Maßnahme allerdings finanzielle Auswirkungen für die gesamte Gemeinde mit sich bringt – das dürfte z. B. bei baulichen Maßnahmen die Regel sein –, sind auch die Interessen der Einwohner bzw. Bürger des übrigen Gemeindegebiets tangiert.99 Das spricht dafür, dass in diesem Fall für die Beschränkung der Befragung auf den einen Ortsteil kein rechtfertigender Grund besteht und dass damit alle Einwohner bzw. Bürger der Gemeinde zu befragen sind.

99

Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 271.

6. Kapitel

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung Das Herzstück jeder Befragung ist die Fragestellung. Welche Anforderungen das Verfassungsrecht an diese stellt, soll im Folgenden untersucht werden.

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand Das Ziel der Arbeit, einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung zu Einwohner- und Bürgerbefragungen zu erarbeiten, erfordert zunächst eine Auseinandersetzung mit den möglichen Befragungsthemen.1 Zu diesem Zweck werden im Anschluss diejenigen verfassungsrechtlichen Rechtssätze betrachtet, die mög­ licherweise zu einer Präzisierung bzw. Eingrenzung der denkbaren Befragungsthemen beitragen.

I. Verfassungsrechtliche Kompetenzordnung 1. Begrenzung auf den gemeindlichen Kompetenzbereich Vorgaben in Bezug auf die möglichen Befragungsthemen können sich zunächst aus der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung ergeben. In Art. 70 ff., 83 ff. GG nimmt das Grundgesetz im Verhältnis des Bundes zu den Ländern eine ausdifferenzierte Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen vor. Für Gemeinden bestimmt es in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, dass ihnen das Recht gewährleistet sein muss, im Rahmen der Gesetze alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Hierunter fallen „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben […], die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“2.

1 2

Kap. 4 C. BVerfGE 79, 127 (151 f.).

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

Auch Art. 71 Abs. 1 LV BW gewährt den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung (S. 1) und bestimmt, dass sie ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung verwalten (S. 2). Gem. Art. 71 Abs. 2 S. 1 LV BW sind grundsätzlich die Gemeinden in ihrem Gebiet Träger der öffentlichen Aufgaben.3 Art. 71 Abs. 3 S. 1 LV BW sieht zusätzlich die Möglichkeit vor, den Gemeinden durch Gesetz die Erledigung bestimmter bestehender oder neuer öffentlicher Aufgaben zu übertragen.4 Aus diesen verfassungsrechtlichen Festlegungen folgt, dass sich die Gemeinden in dem ihnen zugewiesenen Kompetenzbereich bewegen müssen und dass ihnen eine Betätigung und damit die Durchführung von Einwohnerund Bürgerbefragungen im Kompetenzbereich des Bundes, dem der Länder oder dem anderer Kommunen verwehrt ist. 2. Ausnahme bei spezieller Betroffenheit Nicht nur der dem zweiten Volksbefragungsurteil5 zugrundeliegende Sachverhalt, bei dem es um die Befragung wahlberechtigter Bürger zur Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen durch einige hessische Gemeinden ging, sondern beispielsweise auch die Bürgerbefragungen der im Schwarzwald gelegenen Gemeinden Baiersbronn und Seewald aus dem Jahr 2013 geben Anlass zu klären, inwieweit die Gemeinden ausnahmsweise doch Befragungen zu Themen aus dem Kompetenzbereich des Bundes bzw. dem der Länder abhalten können. Vom 26. April bis zum 12. Mai 2013 führten die Gemeinden6 jeweils auf der Grundlage eines Gemeinderatsbeschlusses eine Bürgerbefragung über die Errichtung des „Nationalparks Nordschwarzwald“ durch, ein Projekt, das zum Kompetenzbereich des Landes zählt.7 Wenn das Verfassungsrecht dem Bund bzw. dem Land die Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenz zuschreibt, haben die Gemeinden in der Sache kein eigenes Entscheidungsrecht. Daher liegt der Schluss nahe, dass sie Befragungen zu Themen, die zum Kompetenzbereich des Bundes bzw. des Landes gehören, nicht durchführen dürfen. Allerdings können die Gemeinden in diesem Fall in ihren ört 3

Dazu, dass die baden-württembergische Landesverfassung bezüglich der den Gemeinden gewährten Allzuständigkeit ebenfalls auf die „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ abstellt, siehe bereits Kap. 4 Fn. 152. 4 Durch Bundesgesetz dagegen dürfen den Gemeinden nach Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG bzw. Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG keine Aufgaben übertragen werden, siehe hierzu z. B. Ingold, DÖV 2010, 134 (134 ff.). 5 BVerfGE 8, 122 (122 ff.). Siehe dazu Kap. 2 Fn. 31. 6 Auch in sechs weiteren baden-württembergischen Gemeinden wurden Bürgerbefragungen zum Thema „Nationalpark“ durchgeführt, siehe LT-Drs. 15/3869, S. 3. 7 Siehe hierzu den Bericht zu den entsprechenden Gemeinderatssitzungen im Vorfeld der Befragungen auf der Internetseite des „Schwarzwälder Boten“ vom 28. 02. 2013, abrufbar unter https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.baiersbronn-nationalpark-buergerbefragung-imapril.7d7aa41e-0798-484f-82b2-fb4986b73f02.html (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022).

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand

137

lichen Angelegenheiten betroffen sein.8 Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Volksbefragungsrechtsprechung dargelegt, dass eine Gemeinde „gegen eine sie speziell berührende staatliche Maßnahme protestieren [kann]“9. Eine Überschreitung der ihr gesetzten rechtlichen Grenzen liege jedoch vor, „wenn sie zu allgemeinen, überörtlichen, vielleicht hochpolitischen Fragen Resolutionen faßt oder für oder gegen eine Politik Stellung nimmt, die sie nicht als einzelne Gemeinde besonders trifft, sondern der Allgemeinheit – ihr nur so wie allen Gemeinden – eine Last aufbürdet oder sie allgemeinen Gefahren aussetzt.“10 Eine Gemeinde hat demzufolge das Recht, zu Themen aus dem Kompetenzbereich der Länder bzw. des Bundes Stellung zu nehmen, sofern sie als einzelne Gemeinde besonders berührt wird. Unter dieser Voraussetzung kann sie also auch Befragungen zu Materien abhalten, die außerhalb ihrer Entscheidungszuständigkeit liegen. Denkbar ist insbesondere eine Befragung im Vorfeld eines entsprechenden gemeindlichen „Stellungnahme-Beschlusses“ zu einer landes- bzw. bundespolitischen Maßnahme.11 Die Gemeinden Baiersbronn und Seewald hatten bezüglich der Errichtung des Nationalparks in der Sache kein Entscheidungsrecht. Aufgrund der erheblichen Folgen, die die Errichtung eines Nationalparks für die hiervon möglicherweise betroffenen Gemeinden mit sich bringt, kam ihnen in Anlehnung an die Volksbefragungsrechtsprechung eine Befassungskompetenz zu. Die Befragungen waren vor diesem Hintergrund also nicht unzulässig.12 8

Faber, DVBl. 2016, 885 (888). BVerfGE 8, 122 (134). 10 BVerfGE 8, 122 (134). Eine Kompetenzüberschreitung liegt nach Auffassung des Bundes­ verwaltungsgerichts z. B. dann vor, wenn sich eine Stadt zur „atomwaffenfreien Zone“ erklärt, BVerwGE 87, 228 (236). Siehe zu diesem Themenkreis z. B. auch Graf Vitzthum, JA 1983, 557 (557 ff.). Nach SächsOVG, Beschl. v. 28. 04. 2014 – 4 B 72/14, juris, Rn. 5 besteht dagegen eine Befassungskompetenz, wenn der Gemeinderat den Oberbürgermeister auffordert, sich bei der Landesregierung für die Schließung einer Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylbewerber einzusetzen. Zur kommunalen Befassungskompetenz im Bereich europa- und völkerrechtlicher Fragestellungen Faber, DVBl. 2016, 885 (885 ff.). 11 Vgl. zu diesem Gedanken auch Ziegler, in: Kühne / Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung, S. 121 (139). Siehe zudem den in Fn. 7 genannten Bericht zu den Befragungen in Baiersbronn und Seewald. Aus diesem geht hervor, dass das Befragungsergebnis in Seewald die Basis für einen „richtungsweisenden Beschluss“ des Gemeinderats sein sollte, der dann an die baden-württembergische Landesregierung weitergeleitet werden sollte. 12 So in Bezug auf die Bürgerbefragung der baden-württembergischen Gemeinde Oppenau, die 2013 ebenfalls zum Thema „Nationalpark Nordschwarzwald“ durchgeführt wurde, Schellen­berger, VBlBW 2014, 46 (46, 49). Im Ergebnis votierten die Bürger in beiden Gemeinden klar gegen den Nationalpark, siehe LT-Drs. 15/3869, S. 6; siehe dort auch zu den Befragungsergebnissen der anderen Gemeinden, die in ähnlicher Weise eine Befragung zu dieser Thematik durchführten. Mit dem Gesetz zur Errichtung des Nationalparks Schwarzwald (NLPG) vom 03. 12. 2013 entschied sich der baden-württembergische Gesetzgeber für die Errichtung des Nationalparks (verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung des Nationalparks Schwarzwald und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 03. 12. 2013, GBl. S.449). Der Nationalpark erstreckt sich nicht über das Gebiet der Gemeinde Seewald, jedoch über das der Gemeinde Baiersbronn (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 NLPG). 9

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

Die zum Kompetenzbereich des Bundes und dem der Länder entwickelten Überlegungen lassen sich darüber hinaus auf den Fall anwenden, dass eine Gemeinde durch Aktivitäten einer anderen Kommune speziell berührt wird. Denkbar ist das insbesondere im Bereich des kommunalen Wirtschaftsrechts. Aufgrund von § 102 Abs. 7 GemO BW ist es den Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen möglich, außerhalb des eigenen und damit im Gebiet anderer Gemeinden wirtschaftlich tätig zu werden. Wird eine Gemeinde durch eine solche überörtliche Tätigkeit einer anderen Gemeinde speziell betroffen, kann sie sich mit dem Handeln der grenzüberschreitenden Gemeinde befassen. Damit besteht für die betroffene Gemeinde auch in diesem Kontext die Möglichkeit, Einwohner- und Bürgerbefragungen durchzuführen.13 3. Zwischenergebnis Die Gemeinden sind bei der Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen auf ihren Kompetenzbereich beschränkt. Befragungen zu Themen, für die der Bund, die Länder oder andere Kommunen entscheidungszuständig sind, können ausnahmsweise dann stattfinden, wenn eine Gemeinde von einer staatlichen Maßnahme oder der einer anderen Kommune speziell berührt wird.

II. Vorrang des Gesetzes Darüber hinaus könnten sich aus dem Vorrang des Gesetzes weitere Einschränkungen des Kreises der möglichen Befragungsthemen ergeben. 1. Begrenzung auf den Aufgabenbereich des Gemeinderats Einwohner- und Bürgerbefragungen sind eine Entscheidungshilfe für den Gemeinderat. Schon diese Funktionsbestimmung spricht dafür, dass Befragungen nur zu Sachverhalten durchgeführt werden können, über die der Gemeinderat selbst entscheiden kann.14 Aber auch verfassungsrechtlich gesehen können Befragungen nur zu den Angelegenheiten stattfinden, für die eine Zuständigkeit des Gemeinderats besteht.15 Die Festlegung der Kompetenzen des Gemeinderats im Einzelnen 13

Denkbar ist auch hier insbesondere die Durchführung einer Befragung vor einer etwaigen Stellungnahme der betroffenen Gemeinde. 14 Siehe bereits Kap. 1 A. III. 15 Gegen die Zulässigkeit von Befragungen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Gemeinderats im Ergebnis auch Ziegler, in: Kühne / Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung, S. 121 (138). Vgl. ferner Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (45); Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 1b; Brüning, in: Ehlers / Fehling / P ünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht III, § 64 Rn. 178.

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand

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überlässt das Verfassungsrecht zwar dem einfachen Gesetzgeber. Jedoch verpflichtet der Vorrang des Gesetzes den Gemeinderat dazu, seine gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten einzuhalten.16 Das gilt folglich auch für die Durchführung von Einwohner- und Bürgerbefragungen. Nach § 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW legt der Gemeinderat die Grundsätze der Verwaltung fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit der Bürgermeister nicht kraft Gesetzes zuständig ist oder der Gemeinderat ihm bestimmte Aufgaben überträgt. Einwohner- und Bürgerbefragungen können demnach grundsätzlich alle Angelegenheiten der Gemeinde betreffen, die nicht in die Zuständigkeit des Bürgermeisters fallen. Beispiele für Angelegenheiten, die zum Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats rechnen17 und damit potenzielle Themen für Einwohner- und Bürgerbefragungen darstellen, sind etwa die Schaffung kultureller Institutionen18, die Errichtung öffentlicher19 bzw. sozialer20 Einrichtungen und der Bau bzw. die Erhaltung örtlicher Verkehrsanlagen21.22 Zu den gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten des Bürgermeisters und damit zu den Angelegenheiten der Gemeinde, zu denen der Gemeinderat keine Befragungen initiieren kann, gehört neben der Leitung der Gemeindeverwaltung (§ 44 Abs. 1 S. 1 GemO BW) die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung23 16

Vgl. auch Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 405. Nach § 44 Abs. 2 S. 3 GemO BW kann der Gemeinderat Angelegenheiten, die er nicht auf beschließende Ausschüsse übertragen kann, auch nicht dem Bürgermeister zuweisen. Die Zuständigkeit des Gemeinderats ergibt sich in den Beispielen daher insbesondere schon aus § 44 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 39 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 10 oder Nr. 11 GemO BW, wenn es sich um die Übernahme einer freiwilligen Aufgabe, eine Vermögensverfügung mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung oder um die Errichtung oder Erweiterung einer öffentlichen Einrichtung i. S. v. § 10 Abs. 2 S. 1 GemO BW handelt. § 39 Abs. 2 Nr. 11 GemO BW greift allerdings nicht, wenn die betreffende Einrichtung im Gemeingebrauch steht, was vor allem bei Verkehrsanlagen der Fall sein dürfte, vgl. Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 10 GemO Rn. 5. Aber auch dann, wenn keiner der Tatbestände des § 39 Abs. 2 GemO BW vorliegt, ist die Zuständigkeit des Gemeinderats zu bejahen. Es ist insbesondere nicht davon auszugehen, dass es sich bei den Angelegenheiten um Geschäfte der laufenden Verwaltung handelt. 18 Vgl. die Tübinger Befragung zum Bau eines Konzertsaals (Kap. 1 D. III.). 19 Vgl. die Befragung der Stadt Falkensee zum Bau eines Schwimmbads (Kap. 1 D. II.). 20 Vgl. die Befragung der Stadt Seligenstadt zur künftigen Nutzung der Hans-MemlingSchule (Kap. 1 D. VI.). 21 Vgl. die Befragung der Stadt Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens (Kap. 1 D. I.). 22 Die Beispiele sind angelehnt an die Auflistung von Ernst, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 116. 23 Geschäfte der laufenden Verwaltung sind „diejenigen Geschäfte […], die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung aufweisen, nicht von großer wirtschaftlicher Relevanz sind und im Verwaltungsalltag häufig wiederkehren“, so Geis, Kommunalrecht, § 11 Rn. 40. Vgl. auch Ennuschat, in: ders. / I bler / Remmert, Öffentliches Recht in Baden-Württemberg, § 1 Rn. 208; eingehend Leisner-Egensperger, VerwArch 2009, 161 (161 ff.). Die Klassifizierung eines Vorgangs als Angelegenheit der laufenden Verwaltung lässt sich allerdings nicht allgemeingültig, sondern nur im jeweiligen Einzelfall vornehmen, Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 44 GemO Rn. 12. Typischerweise zählen zu den Geschäften der lau 17

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

(§ 44 Abs. 2 S. 1 GemO BW). Auch die Wahrnehmung von Pflichtaufgaben nach Weisung (§ 2 Abs. 3 GemO BW)24 zählt grundsätzlich zum Kompetenzbereich des Bürgermeisters (§ 44 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 GemO BW). Ausnahmsweise kann der Gemeinderat auch Befragungen zu Themen durchführen, die in die Entscheidungskompetenz des Bürgermeisters fallen, wenn eine entsprechende gesetzliche Grundlage25 das ermöglicht. Der Vorrang des Gesetzes steht der Durchführung einer Befragung dann nicht entgegen. Von Interesse ist das vor allem bei den Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung. Beispielsweise sieht § 13 S. 1 BbgKVerf in Brandenburg auch die Befragung zu Weisungsaufgaben vor.26 fenden Verwaltung etwa Einzelfallzulassungen für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und die Zuteilung von Hausnummern. Nicht zu den Geschäften der laufenden Verwaltung gehören dagegen üblicherweise der Erlass von Rechtsnormen und Richtlinien für die Nutzung öffentlicher Einrichtungen. Zu diesen und zu weiteren Beispielen Behrendt, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 44 GemO Rn. 13.2 f. 24 Bei der konkreten Festlegung des gemeindlichen Aufgabenkreises geht die badenwürttembergische Gemeindeordnung vom monistischen Aufgabenmodell aus, während das Grundgesetz in Art. 28 Abs. 2 GG dem dualistischen Aufgabenmodell folgt, siehe z. B. Engel /  Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 8 Rn. 1. Eingehend zu den beiden Aufgabenmodellen etwa Brüning, in: Ehlers / Fehling / P ünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht III, § 64 Rn. 68 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kap. 11 Rn. 2 ff.; Röhl, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2 Rn. 67 ff. 25 Die bestehenden gesetzlichen Regelungen lassen eine Befragung zum Geschäftsbereich des Bürgermeisters im Grundsatz überwiegend zu. Nach § 35 S. 1 NKomVG kann eine Befragung zu „Angelegenheiten der Kommune“ durchgeführt werden. Eine Begrenzung auf den Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats erfolgt hier also nicht. Gleiches gilt in Bezug auf § 16c Abs. 3 S. 1 GO SH („Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“). Aus dem Verweis auf die Ausschlusstatbestände bei Bürgerentscheiden (§ 16c Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 16g Abs. 2 GO SH) ergibt sich nicht, dass der Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters auszunehmen ist. Auch § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA („Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Kommune“) ist in diesem Sinne zu verstehen. Gem. § 28 Abs. 3 S. 2 KVG LSA sind zwar die in § 26 Abs. 2 S. 2 Nr. 4–8 KVG LSA genannten Angelegenheiten ausgenommen. Der Verweis erfasst aber gerade nicht § 26 Abs. 2 S. 1 KVG LSA, demzufolge Gegenstände von Bürgerbegehren in der Entscheidungszuständigkeit des Vertretungsorgans liegen müssen. Sofern die Gesetze Befragungen zu den Aufgaben des Bürgermeisters grundsätzlich ermöglichen, bedeutet das allerdings nicht zugleich, dass Befragungen zum gesamten Zuständigkeitsspektrum des Bürgermeisters initiiert werden können. Die konkrete Reichweite hängt vielmehr von der übrigen Ausgestaltung der jeweiligen Regelung ab. So können z. B. in Sachsen-Anhalt, obwohl der Bürgermeister hierfür zuständig ist (§ 66 Abs. 4 KVG LSA), keine Befragungen zu Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises durchgeführt werden, weil § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA lediglich Befragungen zu Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises erlaubt. § 20b Abs. 1 SaarlKSVG und § 13 S. 1 BbgKVerf beziehen sich jeweils auf wichtige Gemeindeangelegenheiten. Geht man im Anschluss an Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 24 und Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 246 f. davon aus, dass wichtige Angelegenheiten ohnehin nur diejenigen sind, über die der Gemeinderat entscheidet, erlauben diese Regelungen keine Befragungen zum Geschäftsbereich des Bürgermeisters. Siehe zum Ganzen bereits Dittloff, a. a. O., S. 245 ff. 26 Vgl. Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 18. Im Hinblick auf das dualistische Aufgabenmodell werden Befragungen zu Auftragsangelegenheiten etwa durch § 35 S. 1 NKomVG und § 20b Abs. 1 SaarlKSVG ermöglicht, ausführlich dazu Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 229 ff.

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand

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In Baden-Württemberg besteht keine gesetzliche Grundlage, die Befragungen zu Weisungsaufgaben ermöglicht. Wie bereits erwähnt, sind Weisungsaufgaben hier nach § 44 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 GemO BW grundsätzlich dem Bürgermeister vorbehalten. Sofern Vorschriften anderer Gesetze nicht entgegenstehen, ist aber nach § 44 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 GemO BW der Gemeinderat zuständig, wenn in diesem Aufgabenfeld Satzungen und Rechtsverordnungen erlassen werden. Unabhängig davon, ob man die Durchführung von Befragungen bei der Erledigung von Weisungsaufgaben überhaupt für sinnvoll erachtet,27 besteht hierfür also auch in Baden-Württemberg ein, wenn auch kleiner, Anwendungsbereich.28 Eine wichtige Pflichtaufgabe nach Weisung ist die Tätigkeit der Gemeinde als Ortspolizeibehörde.29 Nach dem soeben Gesagten könnte man vermuten, dass für den Erlass von örtlichen Polizeiverordnungen der Gemeinderat zuständig ist mit der Folge, dass er insoweit auch Befragungen durchführen kann. Allerdings enthält § 21 S. 2 PolG BW eine Rückausnahme von § 44 Abs. 3 Hs. 2 GemO BW, indem er bestimmt, dass der Bürgermeister für den Erlass von Polizeiverordnungen zuständig ist. Nach § 23 Abs. 2 PolG BW muss der Gemeinderat Polizeiverordnungen aber zustimmen, wenn diese länger als einen Monat gelten sollen.30 Zu überlegen ist, ob im Hinblick auf diese Zustimmung eine Befragung möglich ist oder ob dem das staatliche Weisungsrecht und damit der Vorrang des Gesetzes entgegensteht.31 Über die Zustimmung zur Polizeiverordnung entscheiden die Ge 27

Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 233 hält Befragungen zu den Themenbereichen der Pflichtaufgaben nach Weisung (bzw. der Auftragsangelegenheiten im dualistischen Modell) wegen des in diesem Bereich geringen Gestaltungsspielraums bereits für „rechtlich ungeeignet“. 28 Dagegen sieht § 21 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 GemO BW explizit vor, dass zu Weisungsaufgaben kein Bürgerentscheid durchgeführt werden darf. 29 Siehe § 107 Abs. 4 PolG BW. Weitere Beispiele für Weisungsaufgaben sind die Tätigkeiten der Gemeinden als untere Baurechtsbehörde (§§ 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 47 Abs. 4 S. 1 LBO BW) und als untere Denkmalschutzbehörde (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 DSchG BW i. V. m. § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LBO BW). 30 Beispiel nach Brenndörfer, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 24 GemO Rn. 4.2. Ein weiteres Beispiel für das Tätigwerden des Gemeinderats im Bereich von Weisungsangelegenheiten ist die Festsetzung der Breite der Gewässerrandstreifen. Nach § 29 Abs. 1 S. 3 WG BW kann die Gemeinde durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit der Wasserbehörde die Breite der Gewässerrandstreifen bestimmen. Gem. § 82 Abs. 6 S. 2 WG BW handelt es sich hierbei um eine Pflichtaufgabe nach Weisung der Wasserbehörden. Ebenfalls nach B ­ renndörfer, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 24 GemO Rn. 4.1. 31 „[E]rhebliche Zweifel“ an der Zulässigkeit von Befragungen im Kontext von Weisungsaufgaben bei Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 232 ff., der die Annahme eines Übergriffs in die Verwaltungskompetenz der Länder für vertretbar hält und überdies davon ausgeht, dass der Sinn und Zweck von Befragungen gegen deren Zulässigkeit bei Weisungsaufgaben spricht. Auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 198 mit Fn. 47 nimmt im Hinblick auf Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises grundsätzlich eine Kompetenzverletzung an (Ausnahme: Die Befragung wird durch eine gesetzliche Grundlage ermöglicht). Bereits „die Ausübung gegenläufigen organschaftlichen Druckes“ stelle eine Kompetenzverletzung dar. Gegen die Zulässigkeit von Befragungen im Ergebnis

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

meinderäte aufgrund ihres freien Mandats32.33 Demzufolge sind sie an Weisungen nicht gebunden. Eine denkbare staatliche Weisung zum Erlass einer gemeindlichen Polizeiverordnung betrifft also nicht den Gemeinderat.34 Wenn der Gemeinderat somit durch eine staatliche Weisung nicht dazu verpflichtet werden kann, einer Polizeiverordnung zuzustimmen, kann es ihm auch nicht verwehrt sein, sich vor seiner Entscheidung im Rahmen einer Befragung bei den Einwohnern bzw. Bürgern zu informieren.35 2. Zwischenergebnis Aus dem Vorrang des Gesetzes folgt, dass der Gemeinderat Einwohner- und Bürgerbefragungen nur zu den Themenbereichen initiieren darf, für die er nach der Gemeindeordnung zuständig ist. Soweit für ihn bei der Wahrnehmung von Pflichtaufgaben nach Weisung eine Kompetenz besteht, kann er auch hierzu Befragungen durchführen.36

III. Aufgabenadäquate Verwaltungsorganisation Das Rechtsstaatsprinzip beinhaltet ein Gebot rationaler Verwaltungsorganisation.37 Die Verwaltung muss aufgabenadäquat, also so organisiert sein, dass sie auch Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 783 und Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (46), die jeweils mit einem fehlenden gemeindlichen Entscheidungsspielraum argumentieren; ferner Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 1b. In Bezug auf Bürgerentscheide bzw. Beteiligungsrechte mit Entscheidungscharakter siehe Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände und deren Umgehungsgefahr bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 257; Erbguth, DÖV 1995, 793 (796). 32 Vgl. dazu Kap. 3. 33 Kahlert, in: Belz / Mußmann / Kahlert / Sander, PolG BW, § 23 Rn.  7. 34 Kahlert, in: Belz / Mußmann / Kahlert / Sander, PolG BW, § 23 Rn.  7. 35 Die Organisationshoheit, aus der sich die Befugnis der Gemeinden zur Durchführung von Befragungen ergibt (Kap. 4 B. II. 1.), kommt diesen im Rahmen der Gesetze auch bei der Wahrnehmung von Weisungsaufgaben zu, vgl. BVerfGE 83, 363 (382); 137, 108 (159); ThürVerfGH, DVBl. 2005, 443 (447); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 28  II Rn. 69; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 547. 36 Dieses Ergebnis lässt sich im Modell des Aufgabendualismus auch auf Befragungen zu Auftragsangelegenheiten übertragen, vgl. trotz a. A. im Ergebnis Erbguth, DÖV 1995, 793 (796), der explizit hervorhebt, dass es auf die Art des Aufgabenmodells nicht ankommt. Auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 233 f. differenziert im Ergebnis nicht zwischen Weisungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten. 37 Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 108 Rn. 90; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 204; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 200, 203; Schulze-Fielitz, in: FS Vogel, S. 311 (322 f.); vgl. Di Fabio, VerwArch 1990, 193 (210). Siehe zudem Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 190: „Der Rechtsstaat ist im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes Form der Rationalisierung des staatlichen Lebens [Hervorhebung im Original].“

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand

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ihre Aufgaben optimal wahrnehmen kann.38 Wendet man diesen Gedanken auf der Ebene der Gemeinden und dort auf den Einsatz von Instrumenten der Einwohner- und Bürgerbeteiligung an, darf die Einbeziehung der Bevölkerung in die Erledigung der gemeindlichen Aufgaben deren adäquater Wahrnehmung nicht entgegenstehen. Ein Verstoß gegen das Gebot der aufgabengerechten Verwaltungsorganisation liegt im Bereich der Einwohner- und Bürgerbeteiligung etwa dann vor, wenn Bürgerentscheide zu Aufgaben durchgeführt werden, die, wie insbesondere39 die Aufstellung von Bauleitplänen,40 eine komplexe Abwägung erfordern. Das liegt daran, dass sich die nach § 1 Abs. 7 BauGB erforderliche Abwägung41 der betroffenen Belange im Rahmen eines auf eine „Ja- oder Nein-Struktur“ festgelegten Bürgerentscheids nicht durchführen lässt.42 Angesichts dessen verwundert es nicht, dass

38 Schulze-Fielitz, in: FS Vogel, S. 311 (327); vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, S. 203; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 211. Das Gebot rationaler Verwaltungsorganisation deckt sich insofern mit den Vorgaben, die sich aus dem Prinzip der Funktionengliederung des Art. 20 Abs. 2 GG ergeben, siehe Krebs, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR V, § 108 Rn. 90; Remmert, a. a. O., S. 211 f. Dem „Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur“ zufolge muss diejenige staatliche Stelle für die Erledigung einer Aufgabe zuständig sein, die hierfür am besten geeignet ist, Werner, Rechtsquellen des deutschen öffentlichen Rechts, S. 71; Braun Binder, DVBl. 2017, 1066 (1067). Eingehend zu diesem Grundsatz v. Danwitz, Der Staat 1996, 329 (329 ff.). Siehe ferner BVerfGE 68, 1 (86); 95, 1 (15); 98, 218 (252); 139, 321 (361 f.). Der Rationalitätsgedanke erstreckt sich zudem nicht nur auf die Organisation der Verwaltung, sondern lässt sich auch auf die Wahl der Handlungsinstrumente der Verwaltung anwenden, vgl. Saurer, Die Funktionen der Rechtsverordnung, S. 403. 39 Eine weitere Aufgabe, die eine komplexe Abwägung voraussetzt, ist der Erlass örtlicher Bauvorschriften (§ 74 LBO BW). § 1 Abs. 7 BauGB ist hier zwar weder in Bezug auf Bauvorschriften nach § 74 Abs. 6 LBO BW noch auf solche nach § 74 Abs. 7 LBO BW anwendbar. Die Notwendigkeit einer Abwägung folgt allerdings bereits aus dem Verfassungsrecht, weil es sich bei den Bauvorschriften um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) handelt, sodass die Gemeinde die betroffenen öffentlichen und privaten Belange in Ausgleich bringen muss. Siehe zum Ganzen Sauter, LBO BW, § 74 Rn. 12 f. 40 Gem. § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB sind Bauleitpläne von den Gemeinden aufzustellen. 41 Das Abwägungsgebot ist nach BVerwGE 34, 301 (309) dann verletzt, „wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.“ Siehe zu dieser sog. Abwägungsfehlerlehre z. B. Decker, in: Berliner Kommentar, BauGB, § 1 Rn. 281 ff. 42 Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 298; Ewer, in: FS Schmidt-Jortzig, S. 191 (193); Durinke / Fiedler, ZfBR 2012, 531 (531 f.); Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 96; vgl. auch OVG Münster, NVwZ-RR 2002, 766 (767). Vgl. auch den ähnlichen Gedanken bei Schulze-Fielitz, in: FS Vogel, S. 311 (327), der vor dem Hintergrund einer rechtsstaatlich rationalen Verwaltungsorganisation konstatiert, dass sich ein Bebauungsplan nicht durch eine bloße Weisung an einen Beamten konzipieren lässt.

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

Bürgerentscheide zu Bauleitplänen mit Ausnahme des verfahrenseinleitenden Beschlusses nach § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO BW unzulässig sind.43 Zu überlegen ist, ob auch Einwohner- und Bürgerbefragungen mit dem Gebot aufgabenadäquater Verwaltungsorganisation kollidieren können. Zwar können Einwohner- und Bürgerbefragungen durchaus so gestaltet sein, dass auf sie nur mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden kann. Die eigentliche Abwägungsentscheidung und damit die Erledigung der Aufgabe an sich erfolgt jedoch wegen der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung durch den Gemeinderat.44 Dadurch, dass Befragungen eine Entscheidungshilfe für den Gemeinderat sind, können sie der Abwägung vielmehr zuträglich sein. Indem der Gemeinderat eine Befragung initiiert, kann er gerade ermitteln, ob bzw. welche Interessen aus Sicht der Bevölkerung betroffen sind. Bei dem Befragungsergebnis kann es sich also um einen vom Gemeinderat in die Abwägung einzustellenden Belang handeln.45 Das Gebot rationaler Verwaltungsorganisation steht Befragungen im Kontext von Abwägungsentscheidungen46 und damit insbesondere solchen im Bauplanungsrecht47 also nicht entgegen.48 43 Die Ausnahme in Bezug auf den verfahrenseinleitenden Beschluss lässt sich dadurch erklären, dass dieser selbst nicht auf eine Abwägung zurückgeführt werden muss, Zöllner, BayVBl. 2013, 129 (133); Kautz, BayVBl. 2005, 193 (200); Ewer, in: FS Schmidt-Jortzig, S. 191 (194). Siehe ferner Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 299 m. w. N., nach dem die Unzulässigkeit von Bürgerentscheiden über die Aufstellung, Änderung und Ergänzung von Bauleitplänen schon aus § 1 Abs. 7 BauGB folgt und § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO BW insofern deklaratorischer Natur ist. 44 Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 56. 45 So in Bezug auf das Bauplanungsrecht auch Schellenberger, VBlBW 2014, 46 (52). 46 Bürgerentscheide mit einem Planaufstellungsbeschluss als Gegenstand sind, obwohl § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO BW sie grundsätzlich ermöglicht, unzulässig, wenn z. B. wegen § 1 Abs. 3 S. 1 bzw. Abs. 4 BauGB eine Planungspflicht besteht, Ewer, in: FS Schmidt-Jortzig, S. 191 (195). Bei der Durchführung einer entsprechenden Befragung kommt es, da die Befragungsteilnehmer selbst keine verbindliche Entscheidung treffen, anders als beim Bürgerentscheid zwar nicht zu einer unmittelbaren Kollision mit der Planungspflicht. Gleichwohl besteht kein Spielraum für eine Befragung, weil der Gemeinderat keine alternativen Entscheidungsmöglichkeiten hat. 47 Gegen die Zulässigkeit von Befragungen im Bauplanungsrecht lässt sich auch nicht einwenden, § 3 BauGB regele die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht der Bauleitplanung abschließend und die Durchführung von Befragungen in diesem Bereich verstoße daher gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes. Aus § 4a Abs. 1 BauGB geht zwar hervor, dass § 3 BauGB insbesondere der vollständigen Ermittlung und zutreffenden Bewertung der betroffenen Belange dient. § 3 Abs. 1 S. 1 BauGB, der sich auf alle natürlichen und juris­ tischen Personen und damit nicht nur auf die Einwohner bzw. Bürger der planenden Gemeinde bezieht (Remmert, in: Ennuschat / I bler / Remmert, Öffentliches Recht in Baden-Württemberg, § 3 Rn. 133), sieht jedoch lediglich vor, dass eine möglichst frühzeitige Unterrichtung stattfindet und Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung besteht. Die Vorschrift bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass es einer Gemeinde verwehrt ist, zusätzlich zu dieser verpflichtenden Form der Beteiligung eine Befragung ihrer Einwohner bzw. Bürger abzuhalten. Vgl. auch Kühling / Wintermeier, DVBl. 2012, 317 (318); Durinke / Fiedler, ZfBR 2012, 531 (531). 48 Für die Vereinbarkeit von Befragungen mit dem Abwägungsgebot des BauGB auch Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 56. Gegen die Zulässigkeit von Be-

A. Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Befragungsgegenstand

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Auch im Übrigen sind Befragungen mit dem Gebot aufgabengerechter Verwaltungsorganisation vereinbar. Weil sie wegen fehlender Fachkenntnisse in der Bevölkerung für die Aufgabenerledigung möglicherweise nicht sinnvoll sind, könnten zwar auch Befragungen zu den Themen unzulässig sein, für die ein hohes Maß an Sachverstand notwendig ist, wie etwa im Bereich des Haushaltsrechts49. Wegen der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung steht eine Befragung einer adäquaten Aufgabenerledigung allerdings auch hier nicht im Weg. Dem Gemeinderat als entscheidendem Organ kommt stattdessen eine Einschätzungsprärogative zu, sodass er selbst beurteilen kann, ob eine Beteiligung der Bevölkerung für eine sinnvolle Erledigung der Aufgabe notwendig ist.

IV. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG Des Weiteren könnte Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG50 den Kreis der denkbaren Befragungsthemen einschränken. Aus dieser Vorschrift folgt nicht nur, dass auf Gemeindeebene eine Volksvertretung bestehen muss. Ihr muss darüber hinaus im Verhältnis zu direktdemokratischen Instrumenten eine Vorrangstellung zukommen.51 Die Wahl von Gemeinderäten ist nur dann sinnvoll, wenn diesen bei der Erledigung der gemeindlichen Aufgaben eine maßgebende Stellung zukommt.52 Direktdemokratische Instrumente können insofern nur eine Ergänzungsfunktion haben.53

fragungen zu komplexen Abwägungsentscheidungen im Ergebnis wohl Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (49), der die im Hinblick auf Volks- und Bürger­ begehren bestehenden Ausschlusstatbestände insoweit auf Befragungen anwenden will, wie sie „gesetzlichen Schutzrechten Dritter (z. B. den Rechtsverhältnissen Beschäftigter) oder der Sicherung besonderer rechtsstaatlicher Anforderungen (etwa des Abwägungsgebotes) [Hervorhebungen im Original]“ dienen. 49 Vgl. dazu sogleich Kap. 6 A. IV. 50 Vgl. auf landesverfassungsrechtlicher Ebene Art. 72 Abs. 1 S. 1 LV BW. 51 Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (671 f.); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 47; vgl. auch Streinz, Die Verwaltung 1983, 293 (299 f.); Dittmann, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR VI, § 127 Rn. 18; Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (40). Für eine Vorrangstellung des Gemeinderats gegenüber direktdemokratischen Instrumenten z. B. auch Schmitt Glaeser, DÖV 1998, 824 (828): „Dominanzprinzip“; Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände und deren Umgehungsgefahr bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 211 f.; Huber, AöR 2001, 165 (184 ff.). 52 Vgl. Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (672). 53 Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (672); vgl. Ritgen, NVwZ 2000, 129 (130). Der Vorrang der repräsentativen Demokratie auf Gemeindeebene lässt sich zusätzlich damit begründen, dass die Entscheidung des Grundgesetzes, die Demokratie auf Bundesebene grundsätzlich repräsentativ auszugestalten, über das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch für die kommunale Ebene gilt, siehe Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (671); Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände und deren Umgehungsgefahr bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 211 f.

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

Zu den Aufgaben, die zwingend beim Gemeinderat verbleiben müssen, gehört die Wahrnehmung des Haushaltsrechts.54 Überließe man nicht dem Gemeinderat, sondern den Bürgern die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde, widerspräche das der Stellung des Gemeinderats als zentralem Entscheidungsorgan.55 Die Bürger könnten dem Gemeinderat jährlich seinen Etat vorgeben, wodurch ein eigenverantwortliches Handeln der Volksvertretung faktisch ausgeschlossen wäre.56 Daher sind Bürgerentscheide über die gemeindliche Haushaltssatzung, unabhängig vom einfachrechtlichen Ausschlusstatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO BW, schon kraft Verfassungsrechts unzulässig.57 Fraglich ist, ob dieses Ergebnis auch für Einwohner- und Bürgerbefragungen gilt, die den Erlass der Haushaltssatzung betreffen. Anders als bei Bürgerentscheiden entscheiden die Teilnehmer an Befragungen selbst nicht über die Haushaltssatzung.58 Damit widerspricht eine Befragung der zentralen Stellung des Gemeinderats nicht.59 Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG führt also zu keiner Einschränkung der möglichen Befragungsthemen.60

54 Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände und deren Umgehungsgefahr bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 217; vgl. auch Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (673); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 270: „Die Haushaltssatzung ist das [Hervorhebung im Original] zentrale Steuerungs­ instrument innerhalb der Gemeinde.“ 55 Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (673 f.). 56 Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 271; vgl. Ritgen, NVwZ 2000, 129 (135 f.). 57 Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 271, der daher auch davon ausgeht, dass der einfachgesetzliche Ausschluss der Haushaltssatzung von einem Bürgerentscheid (§ 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO BW) rein deklaratorischer Natur ist. Ebenfalls für einen deklaratorischen Charakter Müller-Franken, in: FS Frotscher, S. 657 (674). 58 Im Hinblick auf Bürgerbegehren wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob dem Ausschlusstatbestand „Haushaltssatzung“ ein weites materielles Verständnis zugrunde zu legen ist, nach dem sie auch dann unterbleiben müssen, wenn sie nicht direkt die Haushaltssatzung betreffen, sondern sich wesentlich auf den Haushalt der Gemeinde auswirken und daher langfristig den Entscheidungsspielraum des Gemeinderats einschränken. Sehr ausführlich und m. w. N. Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände und deren Umgehungsgefahr bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 312 ff., der im Ergebnis selbst eine weite Auslegung befürwortet (a. a. O., S. 333); vgl. Ritgen, NVwZ 2000, 129 (135 f.); a. A. ­Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 273 ff. Eine Übertragung dieser Überlegung auf Befragungen kommt nur in Betracht, wenn man ihnen eine faktische Bindungswirkung zuschreibt. 59 In diesem Sinne auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (52). 60 Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 277 stellt in Bezug auf den Ausschluss von Bürgerentscheiden über Wirtschaftspläne von Eigenbetrieben (§ 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO BW) zutreffend fest, dass dieser ebenfalls aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG folgt, da den Wirtschaftsplänen grundlegende Bedeutung für die Gestaltung des Eigenbetriebs zukommt. Sofern man vom Bestehen einer faktischen Bindungswirkung ausgeht, können

B. Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung

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V. Ergebnis Die Gemeinden müssen sich bei der Durchführung von Befragungen in ihrem Kompetenzbereich bewegen. Befragungen zu Themen aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundes, dem der Länder und dem anderer Kommunen sind allerdings dann möglich, wenn die Gemeinden speziell betroffen sind. Eine weitere Einschränkung der möglichen Befragungsthemen ergibt sich daraus, dass Einwohner- und Bürgerbefragungen ein Instrument der Entscheidungshilfe für den Gemeinderat sind. Der Vorrang des Gesetzes verpflichtet den Gemeinderat dazu, die ihm durch das einfache Recht gesteckten Grenzen einzuhalten. Nur soweit er zuständig ist, darf er sich durch eine Befragung von den Einwohnern bzw. Bürgern beraten lassen. Darüber hinaus ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht notwendig, einzelne Themen trotz bestehender Zuständigkeit des Gemeinderats aus dem Kreis potenzieller Befragungsgegenstände auszunehmen.61

B. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung Steht das Thema einer Befragung fest, geht es in einem nächsten Schritt darum, eine konkrete Fragestellung zu formulieren. Daher sind die Anforderungen des Verfassungsrechts an die Ausgestaltung der Frage Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.

I. Keine Beeinflussung der freien Willensbildung der Befragungsteilnehmer Vorgaben zur konkreten Formulierung der Fragestellung könnten sich zunächst aus dem Grundsatz der Abstimmungsfreiheit ergeben. Die Freiheit der Wahl bzw. Abstimmung verlangt u. a., dass der Wähler bzw. Abstimmende sein Stimmrecht frei von Zwang und sonstiger unzulässiger äußerer Einflussnahme wahrnehmen hierzu also keine Befragungen durchgeführt werden. Anders ist das bei den ebenfalls in § 21 Abs. 2 Nr. 4 bzw. Nr. 5 GemO BW genannten Ausschlusstatbeständen der Kommunalabgaben, der Tarife und Entgelte sowie der Feststellung des Jahres- und des Gesamtabschlusses der Gemeinde und der Jahresabschlüsse der Eigenbetriebe. Die Vorrangstellung des Gemeinderats zwingt nicht dazu, diese Gegenstände einem Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheid zu entziehen, Schellenberger, a. a. O., S. 278 f., 281, 284. 61 Es ist zwar grundsätzlich möglich, dass auch die Grundrechte zu einer thematischen Begrenzung von Einwohner- und Bürgerbefragungen führen. Eine Befragung muss dann unterbleiben, wenn durch sie in Grundrechte eingegriffen wird, der Eingriff bzw. die Befragung aber nicht auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden kann, oder wenn der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Es sind jedoch keine realitätsnahen Konstellationen denkbar, in denen das der Fall ist. Vgl. auch schon Kap. 4 B. I.

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

kann.62 Er soll in einem freien und offenen Meinungsbildungsprozess zu einer Entscheidung gelangen.63 Dass die Wahlrechtsgrundsätze auch auf Abstimmungen und damit jedenfalls zum Teil auf Befragungen Anwendung finden, wurde bereits festgehalten.64 Demnach müssen jedenfalls die Fragestellungen von Befragungen, bei denen es sich um Abstimmungen handelt, so gestaltet sein, dass die Teilnehmer sie unbeeinflusst beantworten können. Sie dürfen also nicht darauf angelegt sein, die Einwohner bzw. Bürger in eine bestimmte Richtung zu leiten.65 Auf Befragungen ohne Abstimmungscharakter lässt sich dieser Gedanke nicht unmittelbar übertragen, weil die Abstimmungsfreiheit hier nicht zwingend Anwendung findet. Wenn der Gemeinderat das Instrument der Befragung ernst nimmt und es ihm darum geht, ein unverzerrtes Meinungsbild der Bevölkerung zu erhalten, ist es aber auch in diesem Fall sinnvoll, die Fragestellung so zu formulieren, dass die Teilnehmer nicht beeinflusst werden. Die Gefahr einer Irreführung und damit einer Beeinträchtigung der freien Willensbildung kann beispielsweise dann bestehen, wenn die Fragestellung unrichtige Informationen enthält.66 Veranschaulichen lässt sich das an folgendem Beispiel: Führt ein Gemeinderat eine Befragung zum Ausbau eines Kindergartens durch, könnte er die eigentliche Fragestellung „Sind Sie für einen Ausbau des Kindergartens?“ um die Formulierung „damit auch in den nächsten 20 Jahren jedes Kind unserer Gemeinde einen Platz erhält“ erweitern. Dieser Zusatz suggeriert, dass der Gemeinderat nach gegenwärtigem Stand und aufgrund objektiver Kriterien berechtigterweise davon ausgeht, dass der Ausbau des Kindergartens erforderlich und damit sinnvoll ist. Hat sich der Gemeinderat tatsächlich aber gar nicht um eine möglichst realitätsnahe Bedarfsermittlung bemüht, hat die Fragestellung das Potenzial, die freie Willensbildung der Teilnehmer zu beeinträchtigen. Es ist denkbar, dass die Teilnehmer auf den Zusatz vertrauen und gerade deswegen für den Ausbau stimmen. Möglicherweise würden sie das aber nicht tun, wenn sie wüssten, dass der Bedarf gar nicht ermittelt wurde oder z. B. tatsächlich gar nicht so groß ist, wie es die Fragestellung nahelegt.

62

BVerfGE 7, 63 (69); 15, 165 (166); 47, 253 (282); 66, 369 (380). BVerfGE 44, 125 (139); 66, 369 (380). 64 Kap. 5 C. 65 So bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 291 f., der jedoch nicht an der Abstimmungsfreiheit anknüpft, sondern an der „Pflicht einer Vertretungskörperschaft zur Neutralität“. Vgl. in Bezug auf die Begründung von Bürgerbegehren BayVGH, DVBl. 2022, 669 (673), der ebenfalls an der Abstimmungsfreiheit ansetzt. 66 Vgl. in Bezug auf die Begründung von Bürgerbegehren auch BayVGH, DVBl. 2022, 669 (673). 63

B. Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung

149

II. Präzise Formulierung Vor allem für Bürgerbegehren67, vereinzelt aber auch in Bezug auf Befragungen68, wird darauf hingewiesen, dass für die Fragestellung ein Bestimmtheitsgebot gilt. Demzufolge müssen die Teilnehmer bereits aus der Fragestellung ermitteln können, wofür bzw. wogegen sie stimmen.69 An einer ausreichenden Bestimmtheit mangelt es dann, wenn die Frage mehrdeutig bzw. ungenau formuliert ist oder wenn sie zu Missverständnissen einlädt.70 Die Rechtsprechung attestierte die Unbestimmtheit beispielsweise einem Bürgerbegehren, dessen Fragestellung wie folgt lautete: „Soll der geplante, mindestens 51,7 Millionen Euro teure Großbau vor dem Rathaus nach erneutem Architekten­ wettbewerb durch eine behutsame, maßvolle Lösung ersetzt werden, die den Rathausplatz erhält, die archäologischen Funde mit den Zeugnissen jüdischer Kultur erlebbar macht und die Baukosten um die Hälfte vermindert?“71 Mit dem erforderlichen einfachen „Ja“ oder „Nein“ lasse sich noch beantworten, ob jemand einen „erneuten Architektenwettbewerb“ will.72 Fraglich sei allerdings schon, ob der Bürger überhaupt erkennt, dass er auch diese in den Text integrierte und nicht gesondert gestellte Frage beantworten soll.73 Auf die demgegenüber hauptsächlich gestellte Frage, also ob der geplante Großbau durch eine behutsame, maßvolle Lösung ersetzt werden soll, sei eine klare Positionierung nicht mehr möglich.74 Dem Befragten erschließe sich nicht, wozu er genau Ja oder Nein sagen soll.75 Die Formulierungen „behutsame, maßvolle Lösung“ und „die den Rathausplatz erhält, die archäologischen Funde mit den Zeugnissen jüdischer Kultur erlebbar macht“ ließen Raum für unterschiedliche Interpretationen.76

67 BayVGH, DVBl. 2022, 669 (672); BayVGH, BeckRS 2022, 6562 Rn. 17; Neumann, in: Mann / P üttner (Hrsg.), HKWP I, § 18 Rn. 35; Haug, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 21 GemO Rn. 34; Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 70 f.; Zöllner, BayVBl. 2013, 129 (132); Engel / Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 16 Rn. 15; Armbruster, in: Kunze /  Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a; Engels / Krausnick, Kommunalrecht, Teil 2, § 7 Rn. 26; Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 117. 68 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 291. 69 BayVGH, DVBl. 2022, 669 (672); BayVGH, BayVBl. 1998, 242 (242), der in Bezug auf Bürgerbegehren jedoch davon ausgeht, dass diese nicht deshalb unzulässig sind, weil sie komplexe Fragen beinhalten und der durchschnittliche Leser sie nur nach aufmerksamer Lektüre versteht; OVG NRW, NWVBl. 2013, 491 (492); Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a; Engels / Krausnick, Kommunalrecht, Teil 2, § 7 Rn. 26. 70 OVG NRW, NWVBl. 2013, 491 (492); Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a. 71 VG Köln, Urt. v. 10. 06. 2015 – 4 K 5765/14, juris, Rn. 25. 72 VG Köln, Urt. v. 10. 06. 2015 – 4 K 5765/14, juris, Rn. 66. 73 VG Köln, Urt. v. 10. 06. 2015 – 4 K 5765/14, juris, Rn. 66. 74 VG Köln, Urt. v. 10. 06. 2015 – 4 K 5765/14, juris, Rn. 66. 75 VG Köln, Urt. v. 10. 06. 2015 – 4 K 5765/14, juris, Rn. 66. 76 VG Köln, Urt. v. 10. 06. 2015 – 4 K 5765/14, juris, Rn. 66.

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

Sofern das Bestimmtheitserfordernis überhaupt begründet wird,77 finden sich hierzu insbesondere Verweise auf den Sinn und Zweck des Beteiligungsinstruments78 bzw. auf allgemeine Rechtsgrundsätze79.80 Das Gebot, die Fragestellung so präzise wie möglich zu formulieren, könnte aber auch schon aus verfassungsrechtlichen Gründen bestehen. Bei Befragungen, die Abstimmungen i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind, geht es darum, die Bevölkerung an der gemeindlichen Willensbildung zu beteiligen.81 Einen Willen zu bilden und hierauf aufbauend eine Entscheidung zu treffen, ist den Einwohnern bzw. Bürgern nur möglich, wenn sie wissen, worum es bei der Entscheidung genau geht. Um das zu gewährleisten, muss die Fragestellung möglichst präzise formuliert sein. Die Befragungsteilnehmer treffen selbst zwar nicht unmittelbar eine für die Allgemeinheit verbindliche Entscheidung. Sofern es sich um Abstimmungen handelt, sollen sie dem Gemeinderat jedoch für seine Entscheidung eine einheitliche Stoßrichtung vorgeben.82 Auch die Entscheidung über eine klare „Richtungsvorgabe“ erfordert, dass die Teilnehmer den konkreten Gegenstand der Entscheidung kennen, und damit, dass die Fragestellung präzise formuliert ist. Hierzu gehört auch, dass die Fragestellung nicht den Anschein erwecken darf, das Befragungsergebnis sei für den Gemeinderat rechtlich verbindlich.83 Da die Einwohner bzw. Bürger bei Befragungen ohne Abstimmungscharakter nicht im Bereich der gemeindlichen, sondern dem der politischen Willensbildung tätig werden, lassen sich die vorgenannten Erwägungen nicht unmittelbar auf diese übertragen. Allerdings setzt auch die Bildung einer Meinung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG voraus, dass die Teilnehmer über den Befragungsgegenstand informiert sind. Umso klarer die Fragestellung gefasst ist, umso besser kann sich die Bevölkerung eine Meinung bilden. Geht es dem Gemeinderat also um die Einholung 77

Nach Zöllner, BayVBl. 2013, 129 (132) und Engels / Krausnick, Kommunalrecht, Teil 2, § 7 Rn. 26 ist die Bestimmtheit der Fragestellung eine ungeschriebene Voraussetzung. 78 So in Bezug auf Bürgerbegehren BayVGH, BayVBl. 1998, 242 (242); Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 71. Vgl. auch VGH BW, VBlBW 2018, 469 (470), der im Hinblick auf Bürgerbegehren bzw. -entscheide darauf hinweist, dass Bürgerentscheiden die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses zukommt und sie nur begrenzt abgeändert werden können; ebenso Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a. 79 So OVG Greifswald, NVwZ-RR 1997, 306 (307); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 291. 80 Teilweise wird in Bezug auf Bürgerbegehren bzw. -entscheide auch an einschlägigen einfachrechtlichen Normen angeknüpft, siehe z. B. OVG NRW, NWVBl. 2013, 491 (492), das die Bestimmtheit an § 26 Abs. 7 S. 1 GemO NRW („Bei einem Bürgerentscheid kann über die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden“) festmacht. 81 Vgl. Kap. 2 D. 82 Kap. 2 B. III. 1. 83 So bereits Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 (91) und Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 289 ff., die vor diesem Hintergrund Fragestellungen nach dem Muster „Soll die Gemeinde / der Gemeinderat […]“ kritisch sehen. Wenn die Befragungsteilnehmer hinreichend deutlich auf die Unverbindlichkeit des Ergebnisses hingewiesen werden, etwa in einer schriftlichen Benachrichtigung zur Befragung (vgl. dazu Kap. 7 A.), sind derartige Formulierungen jedoch unproblematisch.

B. Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung

151

eines möglichst präzisen und aussagekräftigen Meinungsbilds, ist es sinnvoll, auch Befragungen, die keine Abstimmungen sind, so genau wie möglich zu formulieren.

III. Verknüpfung mehrerer Fragestellungen Die eingangs dargestellten Befragungen der Stadt Tübingen setzten sich jeweils nicht nur aus einer einzelnen, sondern aus mehreren Fragestellungen zusammen.84 Die in anderen Bundesländern zum Teil bestehenden gesetzlichen Regelungen enthalten keine eindeutigen Vorgaben dazu, inwieweit eine Verbindung mehrerer Einzelfragen erfolgen kann. Sie legen lediglich fest, dass eine „Befragung“ durchgeführt werden kann.85 Möglicherweise lassen sich aber dem Verfassungsrecht Anforderungen zur Zulässigkeit der Verknüpfung mehrerer Fragen entnehmen. Unproblematisch ist zunächst die lose Aneinanderreihung mehrerer Einzelfragen, wie sie im Fall der beiden Befragungen der Stadt Tübingen erfolgt ist.86 Es ist kein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt ersichtlich, warum den Befragungsteilnehmern lediglich eine einzelne Frage vorgelegt werden könnte. Schwieriger ist die Beurteilung, wenn eine „Koppelung“87 zweier bzw. mehrerer Fragen besteht. Das ist der Fall, wenn die Beantwortung einer Frage zugleich die Beantwortung einer anderen Frage bedeutet.88 Zur Verdeutlichung sei folgendes 84

Kap. 1 D. III., V. Etwas undurchsichtig ist die Rechtslage in Schleswig-Holstein. § 16c Abs. 3 S. 3 GO SH verweist auf § 16g Abs. 1–5 GO SH und damit auf Vorschriften zum Bürgerbegehren/-entscheid. § 16g Abs. 3 S. 2 GO SH („die zur Entscheidung zu bringende Frage“) legt nahe, dass lediglich eine Frage gestellt werden kann. § 16g Abs. 7 S. 4 GO SH regelt allerdings die Möglichkeit eines Stichentscheids für den Fall, dass an einem Tag mehrere Entscheide stattfinden und die Fragen in einer miteinander nicht zu vereinbarenden Art und Weise beantwortet werden. Das deutet wiederum darauf hin, dass im Rahmen einer Befragung auch in SchleswigHolstein mehrere Einzelfragen vorgelegt werden können. 86 So bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 297 ff., der richtigerweise auch anmerkt, dass das Befragungsergebnis nicht verzerrt wird, wenn eine Fragestellung, die mutmaßlich zu keiner hohen Beteiligungsquote führt, mit einer anderen Fragestellung, für die eine hohe Beteiligung erwartet wird, verbunden wird. Dagegen wird im Hinblick auf Bürgerbegehren/-entscheide auf einfachrechtlicher Ebene in Baden-Württemberg die gleichzeitige Abstimmung über zwei Fragen lediglich für zulässig gehalten, sofern sie unzweideutig formuliert sind und sie inhaltlich dieselbe Materie betreffen, so Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a, der gleichwohl zur Zurückhaltung aufruft. A. A. Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 127 ff., der alternative Fragestellungen für unzulässig hält. 87 So etwa die Bezeichnung bei BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (306); Zöllner, BayVBl. 2013, 129 (134); Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 75; Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 125 (hier allerdings „Kopplung“). Vgl. auch Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a: „Doppelfrage“. 88 So in Bezug auf Bürgerbegehren Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 125; siehe ferner Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 16a. 85

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

Beispiel angeführt: Ein Gemeinderat ist im Begriff, über zwei Sachverhalte zu entscheiden – über den Abriss des alten, nicht mehr benutzten Rathauses einerseits und den Bau einer Gemeindehalle anderseits. Will er zu beiden Themen separat die Einwohner bzw. Bürger befragen, könnten die Fragestellungen folgendermaßen lauten: „Sind Sie für den Abriss des alten Rathauses?“ bzw. „Sind Sie für den Bau einer Gemeindehalle?“ Darüber hinaus ist es denkbar, dass der Rat die beiden Themen in der folgenden Fragestellung verbindet: „Sind Sie für den Bau einer Gemeindehalle am Standort des alten Rathauses?“89 Im letzteren Fall liegt eine Koppelung vor, weil die Antwort auf die Frage nach dem Bau einer Gemeindehalle auf dem Gelände des alten Rathauses zugleich eine Antwort auf die Frage nach dem Abriss des alten Rathauses darstellt.90 Es ist zu überlegen, ob eine derartige Verbindung zweier Fragestellungen zulässig ist. In Bezug auf Volksbegehren/-entscheide bzw. Bürgerbegehren/-entscheide geht die Rechtsprechung von einem „Verbot der Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien“ aus.91 Das wird damit begründet, dass den Bürgern bei Volksbegehren und Volksentscheiden eine echte Mitwirkung nur dann möglich sei, wenn sie ihren Willen unbeeinflusst artikulieren können.92 Aus dem Demokratieprinzip ergebe sich die Notwendigkeit, den Bürgern die Äußerung ihres eigenen Willens zu ermöglichen, wenn sie selbst Staatsgewalt ausüben.93 Es müsse gewährleistet sein, dass den Bürgern ein Maximum an Abstimmungsfreiheit zukommt und dass sie ihren Willen möglichst detailliert äußern können.94 Nach der Rechtsprechung lässt sich das nicht damit vereinbaren, dass über inhaltlich unverbundene Sachverhalte gemeinsam abgestimmt wird.95 Eine zulässige inhaltliche Verknüpfung liege nur vor, wenn sich die vorgesehenen Regelungen auf einen ein-

89

Beispiel angelehnt an Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in BadenWürttemberg, S. 126. 90 Vgl. Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 126. 91 So in Bezug auf Volksbegehren BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (307); ferner insbesondere BayVGH, BayVBl. 2008, 82 (83); BayVGH, BayVBl. 2018, 22 (23), wonach dieses Koppelungsverbot auch auf Bürgerbegehren Anwendung findet. Ebenso BayVGH, BayVBl. 2009, 245 (245); HmbVerfG, DÖV  2017, 723 (725 f.) (in Bezug auf Volksbegehren). Siehe des Weiteren z. B. VG Bayreuth, Urt.  v.  27. 09. 2016  – B  5  K  15.982, juris, Rn. 41; VG Augsburg, Beschl. v. 31. 05. 2006 – Au 7 E 06.552, juris, Rn. 47 f. (jeweils in Bezug auf Bürgerbegehren). Zustimmend z. B. auch Kaiser, DÖV  2017, 716 (718); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 126 f. (mit Fn. 189). Dass dieser Rechtsprechung auch in Bezug auf Befragungen eine maßgebliche Bedeutung zukommt, hat bereits Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 295 ff. zutreffend festgestellt. 92 BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (307); HmbVerfG, DÖV 2017, 723 (725). 93 BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (307). 94 BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (307). 95 BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (307). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof argumentiert überdies mit der Gefahr, dass der Abstimmungswille verzerrt bzw. ein bestimmtes Ergebnis erschlichen wird, etwa dann, wenn ein populäres Thema mit einem unpopulären verbunden wird. Siehe auch BayVGH, BayVBl. 2018, 22 (23).

B. Anforderungen an die Ausgestaltung der Fragestellung

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grenzbaren Bereich beschränken und zwischen ihnen objektiv gesehen ein innerlich enger Zusammenhang besteht („Einheit der Materie“).96 Für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Befragungen spricht, dass die Einwohner bzw. Bürger auch hier ihren Willen lediglich im Rahmen vorgegebener Antworten artikulieren können. Hinzu kommt, dass auch Befragungen als Abstimmungen i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu qualifizieren sein können. Sofern einer Befragung Abstimmungscharakter zukommt, partizipieren die Teilnehmer also auch hier an der Ausübung von Staatsgewalt. Daher ist jedenfalls in Bezug auf diese Art von Befragungen eine Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erforderlich.97 Fraglich ist, ob diese Überlegungen auch für Befragungen ohne Abstimmungsqualität gelten müssen. Dagegen spricht, dass die Abstimmungsfreiheit verfassungsrechtlich gesehen auf diese Art der Befragung keine zwingende Anwendung findet. Wenn der Gemeinderat durch die Befragung ein genaues und unverfälschtes Meinungsbild einholen will, sollte er die Frage gleichwohl so gestalten, dass die Teilnehmer sich möglichst präzise äußern können. Daher ist es verfassungsrechtlich zwar nicht erforderlich, gleichwohl aber sinnvoll, das Koppelungsverbot auch auf Befragungen ohne Abstimmungscharakter anzuwenden. Damit also die gekoppelte Fragestellung im obigen Beispiel zulässig ist, müsste der Abriss des Rathauses mit dem Bau der Gemeindehalle innerlich eng zusammenhängen. Das ist zu bejahen, wenn der Bau der Stadthalle im konkreten Fall nur am Standort des Rathauses verwirklicht werden soll.98

IV. Ergebnis Der Gemeinderat muss die Fragestellung bei Befragungen, die als Abstimmungen zu qualifizieren sind, so präzise wie möglich formulieren und darauf achten, dass die Teilnehmer in ihrer freien Willensbildung nicht beeinträchtigt werden. Für Befragungen ohne Abstimmungscharakter ist das verfassungsrechtlich nicht zwingend. Damit das Befragungsergebnis dem Gemeinderat einen präzisen und hilfreichen Eindruck von den in der Bevölkerung bestehenden Meinungen ver-

96 BayVerfGH, BayVBl. 2000, 306 (307); HmbVerfG, DÖV  2017, 723 (726); BayVGH, BayVBl. 2008, 82 (84); BayVGH, BayVBl. 2018, 22 (23); VG Bayreuth, Urt. v. 27. 09. 2016 – B 5 K 15.982, juris, Rn. 41. 97 Für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Befragungen auch schon Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 297. Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Antwortmöglichkeiten bei Befragungen nicht zwingend auf „Ja“ und „Nein“ festgelegt sind. Das Problem, dass über mehrere inhaltlich nicht verbundene Themenbereiche gemeinsam abgestimmt wird, kann vielmehr auch dann bestehen, wenn die Antwortmöglichkeiten anders lauten. 98 Vgl. Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 127.

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fragestellung 

schaffen kann, ist eine Übertragung dieser Schlussfolgerungen jedoch sinnvoll. Bei beiden Kategorien von Befragungen ist es möglich, im Rahmen einer Befragung mehrere Einzelfragen zur Beantwortung zu stellen. Bei Befragungen mit Abstimmungscharakter ist zusätzlich das Verbot gekoppelter Fragestellungen zu beachten. Wenngleich das Verfassungsrecht es nicht erfordert, ist es auch bei Befragungen, die keine Abstimmungen sind, sinnvoll, eine Koppelung mehrerer Fragestellungen zu vermeiden.

7. Kapitel

Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Befragungsverfahren und an die Ermittlung des Befragungsergebnisses Hat der Gemeinderat eine Fragestellung formuliert, sind als nächstes die Modalitäten des Befragungsverfahrens zu planen. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die hierbei und bei der Auswertung des Befragungsergebnisses zu beachten sind, sind Gegenstand des 7. Kapitels.

A. Information der Teilnahmeberechtigten  I. Notwendigkeit und Mittel der Information Sowohl bei Befragungen mit als auch bei solchen ohne Abstimmungscharakter sollen sich die Einwohner bzw. Bürger auf Initiative des Gemeinderats hin eine Meinung zu einem bestimmten Thema bilden. Um eine Befragung erfolgreich durchführen zu können, müssen die potenziellen Teilnehmer von ihr also zunächst Kenntnis erlangen.1 Weil die Entscheidung über eine Teilnahme insbesondere auch von der Wirkungsweise dieses Beteiligungsinstruments abhängen kann, sind die Einwohner bzw. Bürger zudem darüber zu informieren, dass der Gemeinderat an das Befragungsergebnis rechtlich nicht gebunden ist.2 Sofern möglich, sollten ihnen darüber hinaus weitere, möglichst konkrete Informationen zum Befragungsgegenstand zugänglich gemacht werden, wie etwa solche über ggfs. entstehende Kosten oder alternative Planungsmöglichkeiten.3 Für die Informationsarbeit stehen 1 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 272; vgl. Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (59). 2 So im Ergebnis auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (60); Ziegler, Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung, S. 194 f. Siehe ferner Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 (91), der vorschlägt, die Information mit der Ladung zur Befragung zu verknüpfen. Einfachrechtlich ergibt sich die Pflicht des Gemeinderats, über die Durchführung einer Befragung zu informieren, auch aus § 20 Abs. 1 GemO BW, vgl. in Bezug auf Bürgerentscheide Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 406. Vgl. auch schon Kap. 6 B. II. 3 Im Ergebnis verbindlicher Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (60); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 273, der die Gemeinden im Rahmen ihrer allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit zudem für verpflichtet hält, vor einer Befragung Informationen zum Befragungsthema bereitzustellen. Zur Notwendigkeit der Information der Bürger im Vorfeld von Bürgerentscheiden vgl. Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 26.

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

dem Gemeinderat verschiedene Mittel zur Verfügung. Beispielsweise kann er Informationen auf der gemeindlichen Internetseite4 und im Amtsblatt der Gemeinde veröffentlichen oder Einwohnerversammlungen5 (§ 20a GemO BW) durchführen.6 Für Befragungen mit Abstimmungscharakter müssen allerdings die Wertungen des Grundsatzes der allgemeinen Abstimmung7 berücksichtigt werden. Nimmt man das Anliegen dieses Grundsatzes, die Sicherstellung der Einflussmöglichkeiten des gesamten Volkes,8 ernst, muss die Information über die Befragung so erfolgen, dass möglichst alle Teilnahmeberechtigten erreicht werden. Das spricht dafür, dass die Befragung wie eine Wahl bzw. ein Bürgerentscheid öffentlich bekannt zu machen ist9 und dass im Vorfeld Abstimmungsbenachrichtigungen10 an die Teilnahmeberechtigten zu versenden sind.11 In Bezug auf Befragungen, denen keine Abstimmungsqualität zukommt, ist ein solches Vorgehen nicht zwingend. Im Interesse der Einholung eines möglichst breiten Meinungsbildes empfiehlt sich allerdings eine entsprechende Verfahrensweise.

II. Information über die Auffassung der Gemeindeorgane Des Weiteren ist zu überlegen, ob der Gemeinderat und der Bürgermeister als Organe der Gemeinde (§ 23 GemO BW) der Bevölkerung ihre Auffassung zum Befragungsthema darlegen müssen, wie das etwa § 21 Abs. 5 S. 1 GemO BW für Bürgerentscheide in Baden-Württemberg, § 20b Abs. 2 S. 1 SaarlKSVG für Befragungen im Saarland und ganz ähnlich auch § 16c Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 16g Abs. 6 S. 1,  2 GO SH für Befragungen in Schleswig-Holstein vorsehen.12 Weder die Teilnahme an einer Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch die Bildung einer Meinung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG setzt das allerdings voraus. Gegen ein 4 Vgl. § 41b Abs. 5 GemO BW. Hiernach sind ohnehin die in öffentlicher Sitzung gefassten bzw. bekannt gemachten Beschlüsse des Gemeinderats, also auch solche über die Durchführung einer Befragung, auf der gemeindlichen Internetseite zu veröffentlichen. 5 Nach Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 284 ist die Durchführung einer Bürgerversammlung obligatorisch. A. A. zu Recht Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 277. 6 Vgl. Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 20 GemO Rn. 7; Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 20 Rn. 2b; Woellner, in: Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf Rn. 24. 7 Siehe dazu bereits Kap. 5 C. 8 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 68. 9 Vgl. in Bezug auf Kommunalwahlen bzw. Bürgerentscheide §§ 1, 3 KomWG BW. 10 Vgl. in Bezug auf Kommunalwahlen bzw. Bürgerentscheide § 55 Abs. 1 S. 1 KomWG BW i. V. m. § 4 KomWO BW (i. V. m. § 55 Abs. 2 S. 1 KomWO BW). 11 Davon, dass den Teilnahmeberechtigten eine Benachrichtigung über die Durchführung der Befragung zukommen muss, gehen wohl auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 (91) und ­Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 276 aus. 12 Die gesetzlichen Regelungen zu Befragungen in Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt dagegen verlangen nicht explizit eine Information der Einwohner bzw. Bürger.

A. Information der Teilnahmeberechtigten  

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solches Erfordernis spricht überdies der Sinn und Zweck von Einwohner- und Bürgerbefragungen. Die Bevölkerung soll dem Gemeinderat eine Entscheidungshilfe bieten und nicht umgekehrt. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass der Gemeinderat oder der Bürgermeister schon vor der Durchführung über eine konkrete Auffassung zum Thema der Befragung verfügt und sich dazu entscheidet, diese der Bevölkerung mitzuteilen oder sogar für sie zu werben. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen das mit dem Grundsatz der Abstimmungsfreiheit vereinbar ist, der auf Befragungen mit Abstimmungscharakter Anwendung findet.13 Für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld von Wahlen gilt ein Neutralitätsgebot.14 Den staatlichen Akteuren ist es als solchen insbesondere verwehrt, mittels Werbung für eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten auf die Entscheidung der Wähler Einfluss zu nehmen.15 Hinter diesem Neutralitätsprinzip steht die Überlegung, dass Wahlen zeitlich begrenzt staatliche Herrschaft legitimieren.16 Der Idee der zeitlich begrenzten Herrschaft würde es zuwiderlaufen, könnte eine Regierung als solche für ihre Wiederwahl eintreten.17 Abstimmungen betreffen jedoch nur einzelne Sachentscheidungen. Auf sie lässt sich diese Argumentation daher nicht übertragen.18 Im Anschluss an Rechtsprechung und Literatur ist somit davon auszugehen, dass das Neutralitätsgebot für Abstimmungen nicht gilt und mit dem sog. Sachlichkeitsgebot stattdessen ein lockerer Maßstab heranzuziehen ist.19 Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots 13

Siehe dazu bereits Kap. 6 B. I. BVerfGE 44, 125 (141, 144); 138, 102 (111); 148, 11 (25); 154, 320 (335); Klein / Schwarz, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  38 Rn.  112; Müller, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 38 Rn. 138 f.; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG  II, Art. 38 Rn. 94; Schreiber, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 106; Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 28; ­Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 7 Rn. 138; Barczak, NVwZ 2015, 1014 (1018 f.). Kritisch zur Annahme einer allgemeinen wahl- bzw. parteienrechtlichen Neutralitätspflicht Payandeh, Der Staat 2016, 519 (539 ff.). 15 BVerfGE 44, 125 (141); BremStGH, NVwZ 1997, 264 (266); Schreiber, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 38 Rn. 106. 16 BayVerfGH, BayVBl. 1994, 203 (205). Allgemein zum Prinzip der „Herrschaft auf Zeit“ etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 73. 17 BayVerfGH, BayVBl. 1994, 203 (205); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 401; Kuch, AöR 2017, 491 (509 f.). 18 BayVerfGH, BayVBl. 1994, 203 (205); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 401; vgl. Klinger, LKV 2010, 164 (166). 19 BayVerfGH, BayVBl. 1994, 203 (204 f.); BremStGH, NVwZ 1977, 264 (266); OVG Münster, NVwZ-RR 2004, 283 (284 f.); OVG Münster, NVwZ-RR 2013, 814 (815); Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 400 f.; Mehde, in: Dürig /  Herzog / Scholz, GG, Art. 28  I Rn. 69; Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 29; Klinger, LKV 2010, 164 (166); Haug, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 21 GemO Rn. 49; Armbruster, in: Kunze / Bronner / Katz, GemO BW, § 21 Rn. 26; Lange, Kommunalrecht, Kap. 9 Rn. 131. Speziell in Bezug auf Befragungen Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (60 Fn. 183); Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 275. A. A. Hofmann, VR 1997, 156 (162) (in Bezug auf Bürgerentscheide). 14

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

liegt vor, wenn amtliche Äußerungen nicht nur informierenden oder bewertenden Charakter haben, sondern wenn sie eine unmittelbare Stimmempfehlung beinhalten.20 Außerdem müssen die amtlichen Äußerungen inhaltlich richtig sein und sie dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen.21 Um das Ergebnis der Befragung nicht zu verfälschen, ist es geboten, das Sachlichkeitsprinzip auch auf Befragungen ohne Abstimmungscharakter anzuwenden.

III. Ergebnis Die Adressaten einer Befragung sind im Vorfeld über deren Durchführung in Kenntnis zu setzen. Überdies empfiehlt es sich, die Teilnahmeberechtigten möglichst detailliert über den Befragungsgegenstand zu informieren. Beabsichtigen die Gemeindeorgane, den Einwohnern bzw. Bürgern in ihrer jeweiligen Funktion ihre Auffassung zum Thema der Befragung mitzuteilen, müssen sie das Sachlichkeitsgebot beachten.

B. Befragungstermin I. Präferenz für einen Sonn- bzw. Feiertag als Befragungstag Mit dem Beschluss einer Einwohner- bzw. Bürgerbefragung wird der Gemeinderat regelmäßig auch einen Termin hierfür festlegen. Art. 26 Abs. 6 LV BW bestimmt ausdrücklich, dass Wahl- und Abstimmungstag ein Sonntag sein muss. Die Norm findet auf kommunale Wahlen und Abstimmungen und damit auf Befragungen allerdings keine Anwendung.22 Daher unterliegt auch die Bestimmung des Befragungstermins grundsätzlich der Entscheidungsfreiheit des Gemeinderats.23 Um möglichst vielen Teilnahmeberechtigten die tatsächliche Gelegenheit zur Stimmabgabe zu geben, ist es gleichwohl sinnvoll, einen Sonntag oder einen Feiertag24 als Termin zu wählen. In Bezug auf Befragungen mit Abstimmungs 20 BayVerfGH, BayVBl. 1994, 203 (208); SächsOVG, SächsVBl. 2012, 7 (10); Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 29. 21 SächsOVG, SächsVBl. 2012, 7 (10). 22 Siehe dazu bereits Kap. 5 B. II. 1. b). Dass auch Kommunalwahlen und Bürgerentscheide an einem Sonntag stattfinden müssen, ist jedoch einfachrechtlich festgelegt, siehe § 2 Abs. 3 S. 1 KomWG BW (i. V. m. § 41 Abs. 3 S. 1 KomWG BW). 23 Ebenso Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 281 f., der zudem zutreffend davon ausgeht, dass Befragungen zusammen mit Wahlen durchgeführt werden können (a. a. O., S. 282 ff.). 24 Für Kommunalwahlen und Bürgerentscheide ist jedoch in § 2 Abs. 3 S. 2 KomWG BW (i. V. m. § 41 Abs. 3 S. 1 KomWG BW) geregelt, dass diese an bestimmten Sonntagen (z. B. am Ostersonntag) sowie an gesetzlichen Feiertagen nicht stattfinden dürfen.

B. Befragungstermin 

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charakter ist das wegen des dann zu beachtenden Grundsatzes der allgemeinen Abstimmung auch verfassungsrechtlich geboten.25

II. Zulässigkeit mehrtägiger bzw. mehrwöchiger Befragungen Die Beispiele der Städte Tübingen26 und Seligenstadt27 sowie der Gemeinden Seewald und Baiersbronn28 zeigen, dass Befragungen nicht immer nur auf einen einzigen Tag beschränkt sind und sie stattdessen sogar über mehrere Wochen hinweg stattfinden. Das wirft die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Praxis auf. In Bezug auf das Wahlrecht wird teilweise angemerkt, dass eine Wahl an mehreren Tagen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl berühre.29 Soweit ersichtlich, wird die vorgebrachte Gleichheitsbeeinträchtigung nicht näher begründet. Hinter dieser Auffassung könnte der Gedanke stehen, dass die Teilnehmer einer Wahl ihr Stimmrecht unter denselben faktischen Rahmenbedingungen30 ausüben können müssen. Schließlich bestimmt das Volk bei einer Wahl über die Zusammensetzung des Parlaments und trifft daher eine Entscheidung, die für die zukünftige Ausrichtung der Politik von erheblicher Bedeutung ist. Bei Einwohner- und Bürgerbefragungen werden dagegen keine verbindlichen Entscheidungen getroffen. Das spricht dafür, dass die faktischen Rahmenbedingungen hier nicht zwingend dieselben sein müssen und Befragungen nicht nur an einem Tag stattfinden können.31 Außerdem trägt eine Befragung an mehreren Tagen dem Grundsatz der allgemeinen Abstimmung Rechnung, indem die Teilnahmeberechtigten dadurch mehr Gelegenheiten haben, tatsächlich von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Einwohner- und Bürgerbefragungen, die länger als einen Tag andauern, sind somit nicht zu beanstanden.32 25

Vgl. in Bezug auf Wahlen Weides, in: FS Carstens, S. 933 (940); Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 70; Seedorf, in: Schreiber, BWahlG, § 16 Rn. 4, der aber auch ausdrücklich feststellt, dass die Wahl an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag verfassungsrechtlich nicht zwingend ist. 26 Kap. 1 D. III., V. 27 Kap. 1 D. VI. 28 Kap. 6 A. I. 2. 29 Klein / Schwarz, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art.  39 Rn.  37; Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 39 Rn. 104; vgl. Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 39 Rn. 18 mit Fn. 51. 30 Hierzu dürfte insbesondere zählen, dass die Wähler ihre Entscheidung aufgrund derselben Informationslage treffen. Diese kann sich z. B. infolge der demoskopischen Umfragen im Vorfeld von Wahlen aber rasch ändern. Vgl. Thum, in: Schreiber, BWahlG, § 36 Rn. 11, der vor diesem Hintergrund anregt, den Zeitraum für die Briefwahl stärker an den eigentlichen Wahltag zu knüpfen, jedoch ohne hierfür explizit an der Gleichheit der Wahl anzusetzen. 31 Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 39 Rn. 104 selbst geht in Bezug auf Bundestagswahlen davon aus, dass die Wahl an mehreren Tagen einfachrechtlich durch eine Anpassung des BWG eingeführt werden könnte. 32 So im Ergebnis auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 281 f.

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

Eine klar bestimmbare Obergrenze für die Dauer von Befragungen besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht zwar nicht. In Bezug auf Befragungen mit Abstimmungscharakter ist jedoch zu beachten, dass die Teilnehmer dem Gemeinderat hier eine klare Entscheidungsrichtung vorgeben sollen. Die Bürger müssen sich also eine gemeinsame Meinung bilden können. Das legt es nahe, dass der Zeitraum jedenfalls für Befragungen mit Abstimmungscharakter nicht allzu groß bemessen sein darf. Daher sollte die Befragungsdauer in diesem Fall zwei Wochen nicht überschreiten.33 Es dürfte allerdings ohnehin davon auszugehen sein, dass die Gemeinderäte kein Interesse an einem zu langwierigen Befragungsprozess haben. Schließlich wollen sie das Befragungsergebnis für ihre eigene Meinungsbildung heranziehen.

III. Kein Verbot der Befragung bei parallelem Bürgerbegehren In Bezug auf den Befragungstermin ist zuletzt zu erörtern, ob Einwohnerund Bürgerbefragungen im Anschluss an eine Auffassung in der Literatur dann unterbleiben müssen, wenn zum Zeitpunkt der Befragung ein Bürgerbegehren mit demselben Inhalt stattfindet. Begründet wird das damit, dass durch eine Befragung der beim Bürgerbegehren notwendige Prozess der Information und Mobilisierung der Bürger, bei dem es darum geht, die für das Zulässigkeitsquorum nötigen Unterschriften zu erhalten (§ 21 Abs. 3 S. 6 GemO BW), gestört werde.34 Zudem bestehe die Gefahr, dass der Gemeinderat das Instrument der Befragung bewusst einsetzt, um den Erfolg eines bei ihm unerwünschten Bürgerbegehrens zu mindern.35 Es sei somit „unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten“ bedenklich und folglich unzulässig, eine Befragung parallel zu einem themengleichen Bürgerbegehren durchzuführen.36 § 21 Abs. 4 S. 2 GemO BW regelt, dass die Gemeindeorgane nach der Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des Bürgerentscheids keine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung treffen oder vollziehen dürfen.37 Dieses Verbot greift zu einem Zeitpunkt, zu dem die für das Bürgerbegehren notwendigen Unterschriften bereits gesammelt wurden. Aus § 21 Abs. 4 S. 2 GemO BW folgt also, dass die Initiatoren des Bürgerbegehrens bis zur 33 Im Ergebnis ähnlich Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 282, dem zufolge ein Zeitraum von sieben bis vierzehn Tagen ausreichend ist. Sofern eine Teilnahme ausschließlich in Briefform möglich ist, hält er aber auch eine längere Dauer noch für angemessen. 34 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 286 f. 35 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 287. 36 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 287. 37 Eine Ausnahme von dem Verbot, eine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung zu treffen oder zu vollziehen, sieht § 21 Abs. 4 S. 2 GemO BW für den Fall vor, dass bei Einreichung des Bürgerbegehrens rechtliche Verpflichtungen bestanden haben, entgegenstehende Entscheidungen zu treffen oder zu vollziehen.

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung 

161

Feststellung von dessen Zulässigkeit ohnehin damit rechnen müssen, dass der Gemeinderat über das Thema des Bürgerbegehrens selbst eine Entscheidung trifft und das Bürgerbegehren somit praktisch gegenstandslos wird. Wenn der Gemeinderat während dieser Phase des Bürgerbegehrens zu einer Entscheidung befugt ist, kann es ihm nicht verwehrt sein, sich bei den Einwohnern bzw. Bürgern über deren Auffassung zu informieren.38 Weil § 21 Abs. 4 S. 2 GemO BW insofern klar gefasst ist und die hieraus resultierenden Folgen damit vorhersehbar sind, ist nicht ersichtlich, warum eine Befragung aus rechtsstaatlichen Gründen untersagt sein müsste.39 Insbesondere der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes40 lässt sich wegen der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung des § 21 Abs. 4 S. 2 GemO BW nicht heranziehen. Auch wenn es aus politischer Sicht möglicherweise nicht sinnvoll ist, können Einwohner- und Bürgerbefragungen in BadenWürttemberg damit auch parallel zu einem Bürgerbegehren mit dem demselben Gegenstand stattfinden, sofern dessen Zulässigkeit noch nicht festgestellt wurde.

IV. Ergebnis Der Gemeinderat sollte für eine Einwohner- bzw. Bürgerbefragung einen Sonntag oder einen Feiertag wählen, sofern die Befragung nur einen Tag dauern soll. Daneben können sich Einwohner- und Bürgerbefragungen auch über mehrere Tage bzw. Wochen erstrecken. Sie können zudem parallel zu einem Bürgerbegehren mit demselben Gegenstand durchgeführt werden, sofern dessen Zulässigkeit noch nicht festgestellt wurde.

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung Das Kernelement des Befragungsverfahrens bilden die Stimmabgabe durch die Teilnehmer und die Auswertung des Ergebnisses. Neben dem „klassischen Weg“ der Stimmabgabe in einem von der Gemeinde eingerichteten Befragungslokal („Präsenzbefragung“41) kommt insbesondere eine Stimmabgabe per Brief oder 38 Die Gefahr, dass ein Gemeinderat sich einer Befragung bedient, um damit den Erfolg eines Bürgerbegehrens zu vereiteln, kann in der Theorie zwar nicht geleugnet werden. Bei einer realitätsnahen Betrachtung ist jedoch davon auszugehen, dass der Beschluss einer Befragung allein zu diesem Zweck bei den Gemeinderäten in der Praxis keine Mehrheit findet. 39 Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 287 geht dagegen davon aus, dass die kommunalrechtlichen Vorschriften, die es dem Gemeinderat verbieten, nach der Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens eine diesem zuwiderlaufende Entscheidung herbeizuführen (z. B. § 21 Abs. 4 S. 2 GemO BW) oder es ihm gestatten, die mit dem Bürgerbegehren verfolgte Maßnahme zu beschließen (z. B § 17a Abs. 5 GemO RP), ein Argument für die Unzulässigkeit einer parallelen Befragung sind. 40 Vgl. dazu z. B. Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 292 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 147. 41 Angelehnt an Thum, in: Schreiber, BWahlG, § 36 Rn. 1 („Präsenzwahl“).

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

über das Internet in Betracht. Die Anforderungen, denen bei der Stimmabgabe und bei der Auswertung des Befragungsergebnisses Rechnung zu tragen ist, ergeben sich maßgeblich aus den Abstimmungsgrundsätzen. Daher ist erneut zwischen Befragungen mit und solchen ohne Abstimmungscharakter zu differenzieren.

I. Befragungen mit Abstimmungscharakter 1. Anforderungen der Abstimmungsgrundsätze a) Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen und gleichen Abstimmung Der Grundsatz der allgemeinen Abstimmung gebietet es, das Verfahren der Stimmabgabe so zu gestalten, dass alle Teilnahmeberechtigten die Möglichkeit zur Abstimmung haben.42 Die Stimmabgabe muss ferner unmittelbar erfolgen. Das Befragungsergebnis darf nur von den Bürgern selbst beeinflusst werden, d. h. es darf nur von ihrem Stimmverhalten und nicht zusätzlich von anderen Willensentscheidungen abhängen.43 Aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz ergibt sich außerdem das Erfordernis der höchstpersönlichen Stimmabgabe. Damit ist eine Vertretung bei der Beantwortung der Frage ausgeschlossen.44 Nach dem Grundsatz der Freiheit der Abstimmung müssen die Abstimmenden ihre Entscheidung frei von jeglichem Zwang oder Druck treffen können.45 Zum Schutz dieser Freiheit darf nach dem Grundsatz der geheimen Abstimmung weder bei der eigentlichen Stimmabgabe noch danach bekannt werden, wie die einzelnen Befragungsteilnehmer abgestimmt haben.46

42

Zum Grundsatz der Allgemeinheit siehe bereits Kap. 5 C. Vgl. Butzer, in: BeckOK GG, Art. 38 Rn. 66; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 7 Rn. 127; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 87. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit gilt bei Abstimmungen schon deshalb, weil es bei ihnen naturgemäß darum geht, dass das Volk selbst zu einer inhaltlichen Frage Stellung nimmt. Eine Übertragung des Abstimmungsrechts auf Dritte würde bedeuten, dass es sich dann um eine Wahl und nicht mehr um eine Abstimmung handelte, so zutreffend Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 47. 44 Vgl. Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 80; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 7 Rn. 127; Miller / Kolb, VBlBW 2020, 404 (406). 45 Siehe dazu bereits Kap. 6 B. I. 46 Vgl. Meyer, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR  III, § 46 Rn. 20; Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 38 Rn. 102; Badura, in: Bonner Kommentar, GG, Anh. z. Art. 38 Rn. 31. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen bestimmen zum Teil ausdrücklich, dass die Befragung anonym zu erfolgen hat, siehe § 20b Abs. 2 S. 2 SaarlKSVG, § 28 Abs. 3 S. 3 KVG LSA. Für Online-Befragungen und Briefbefragungen besteht die Notwendigkeit der geheimen Stimmabgabe auch wegen des aus Art. 10 Abs. 1 GG folgenden Fernmelde- und Brief- bzw. Post­ geheimnisses, vgl. in Bezug auf Internetwahlen und das Fernmeldegeheimnis Richter, Wahlen im Internet rechtsgemäß gestalten, S. 97. 43

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung 

163

Die Gleichheit der Abstimmung will sicherstellen, dass alle Bürger den gleichen Einfluss auf das Ergebnis haben.47 Daher müssen die Befragungsteilnehmer die gleiche Anzahl an Stimmen haben und diesen muss derselbe Zählwert zukommen.48 b) Grundsatz der öffentlichen Abstimmung Für das Wahlrecht gilt nach dem Bundesverfassungsgericht überdies der Grundsatz der öffentlichen Wahl. Dieser Grundsatz ist im Verfassungsrecht nicht ausdrücklich normiert. Daher ist fraglich, ob er auch auf Befragungen mit Abstimmungscharakter anzuwenden ist. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge ergibt sich der wahlrechtliche Öffentlichkeitsgrundsatz aus Art. 38 i. V. m. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG.49 In einer repräsentativen Demokratie sei die Wahl der Volksvertretung der zentrale Legitimationsakt.50 Um die demokratische Legitimität der Wahl zu gewährleisten, müsse der Wahlvorgang kontrollierbar sein.51 Nur wenn sich die Wähler selbst ein Bild von der Rechtmäßigkeit der Wahl machen könnten, könnten sie das für das Funktionieren der Demokratie und die Legitimität staatlicher Entscheidungen nötige Vertrauen in die ihrem Willen entsprechende Zusammensetzung des Parlaments bilden.52 Daneben folge der Öffentlichkeitsgrundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip. Der Sinn rechtsstaatlicher Öffentlichkeit liege in der Transparenz und Kontrollierbarkeit staatlicher Machtausübung.53 Auch die Arbeit der Wahlorgane müsse nachvollziehbar sein.54 Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass der Sinn und Zweck der öffentlichen Wahl darin liegt, den Wählern die Bildung von Vertrauen zu ermöglichen. Bezugspunkt des Vertrauens ist die dem tatsächlichen Willen der Wähler entsprechende Zusammensetzung des Repräsentativorgans. Bei Befragungen mit Abstimmungscharakter geht es nicht um die Wahl einer Volksvertretung, sondern darum, dass die Bürgerschaft sich als solche eine Meinung zu einem bestimmten Thema bildet.55 Bezugspunkt des zu bildenden Vertrauens kann also nur das dem tatsächlichen Willen der Bürger entsprechende Befragungsergebnis sein. Ob Befragungen mit Abstimmungscharakter öffentlich sein müssen, hängt somit davon ab, ob die Bildung dieses Vertrauens eine öffentliche Kontrolle von Befragungen erfordert. 47

Vgl. BVerfGE 121, 266 (295); 129, 300 (317 f.); 135, 259 (284); Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 38 Rn. 95. 48 Vgl. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 115 II. 9. b); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 13; Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 35. 49 Grundlegend BVerfGE 123, 39 (68 ff.); vgl. auch schon VerfGH NRW, NVwZ 1991, 1175 (1179). 50 BVerfGE 123, 39 (68). 51 BVerfGE 123, 39 (69); vgl. VerfGH NRW, NVwZ 1991, 1175 (1179). 52 BVerfGE 123, 39 (69). 53 BVerfGE 123, 39 (69). 54 BVerfGE 123, 39 (70). 55 Kap. 2 B. III. 1.

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

Das Ergebnis von Befragungen ist für den Gemeinderat zwar nicht rechtsverbindlich. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Bürger das Ergebnis einer Befragung als ihre gemeinsame Meinung nur akzeptieren und auf dessen Richtigkeit vertrauen werden, wenn sie – jedenfalls in einem gewissen Maße – das rechtmäßige Zustandekommen dieses Ergebnisses kontrollieren können. Damit müssen auch Befragungen mit Abstimmungscharakter grundsätzlich öffentlich sein. c) Zwischenergebnis Die Abstimmungsgrundsätze enthalten zahlreiche Anforderungen, die bei der Stimmabgabe und bei der Auswertung des Ergebnisses zu berücksichtigen sind. Während die Abstimmung im Befragungslokal mit der Möglichkeit der geheimen Stimmabgabe und der öffentlichen Kontrolle keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, ist fraglich, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Teilnahme per Brief und über das Internet den Anforderungen der Abstimmungsgrundsätze gerecht wird. 2. Briefbefragung Unter „Briefbefragung“ versteht die Arbeit sämtliche Varianten der schrift­ lichen Stimmabgabe außerhalb eines offiziellen Abstimmungslokals. Dabei lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden: Zum einen kann die Stimmabgabe per Brief eine wählbare Alternative im Rahmen einer Präsenzabstimmung sein. Zum anderen zeigen etwa die Beispiele der Gemeinden Seewald, Baiersbronn56 und Holdorf57, dass eine Befragung von vornherein als reine Briefbefragung konzipiert sein kann.58 a) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung Das zentrale Problem der Briefbefragung besteht darin, dass die Stimmabgabe im privaten Bereich der Teilnehmer, also ohne Möglichkeiten der öffentlichen Kontrolle, stattfindet. Somit ist zu überlegen, ob die Briefbefragung den Anforderungen an eine öffentliche Abstimmung genügt. Im Wahlrecht bezieht sich der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht nur auf die Ermittlung des Wahlergebnisses, sondern auch auf den Wahlvorgang und das Wahl 56 Kap. 6 A. I. 2. Dass die beiden Befragungen in Form von Briefbefragungen durchgeführt wurden, lässt sich dem in Kap. 6 Fn. 7 genannten Bericht zu den vorbereitenden Gemeinderatssitzungen entnehmen. 57 Kap. 1 D. VII. 58 Siehe auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 279 f.

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung 

165

vorschlagsverfahren.59 Die Öffentlichkeit muss bei Wahlen also auch überprüfen können, ob die einzelnen Wahlhandlungen verfassungskonform vorgenommen werden.60 Gefährdet ist vor allem die Einhaltung der Grundsätze der freien und der geheimen Wahl, weil außerhalb eines Wahllokals nicht sichergestellt ist, dass die Teilnehmer ihre Stimme unbeeinflusst und unbeobachtet abgeben können.61 Außerdem lässt sich nicht überprüfen, ob die Teilnehmer den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl wahren und die Wahlhandlung höchstpersönlich vornehmen.62 Mithin ist der Öffentlichkeitsgrundsatz63 bei der Briefwahl beeinträchtigt.64 Ob diese Überlegungen gleichermaßen für Befragungen mit Abstimmungscharakter gelten, hängt davon ab, welches Maß an öffentlicher Kontrolle in diesem Fall erforderlich ist. Wie bei der Briefwahl kann bei der Briefabstimmung das grundsätzliche Risiko, dass die Teilnehmer bei der Stimmabgabe gegen die Abstimmungsgrundsätze verstoßen, nicht geleugnet werden. Anders als bei Wahlen oder Bürgerentscheiden, dürften jedoch weniger Anreize für bewusste Zuwiderhandlungen bestehen, weil die Einwohner bzw. Bürger bei Befragungen selbst keine verbindliche Entscheidung treffen. Bewusste Verstöße gegen die Abstimmungsgrundsätze dürften daher lediglich vereinzelt vorkommen. Die fehlende recht­ liche Bindungswirkung spricht damit dafür, dass bei Befragungen, anders als bei Wahlen, der Prozess der Stimmabgabe nicht öffentlich kontrollierbar sein muss.65 Zur Bildung des notwendigen Vertrauens in die Integrität des Befragungsergebnisses genügt es vielmehr, dass die Auszählung der abgegebenen Stimmen öffentlich erfolgt. Das ist bei der brieflichen Stimmabgabe ohne größeren Aufwand mög 59 BVerfGE 123, 39 (68, 70). Ausgenommen ist wegen des Grundsatzes der Freiheit der Wahl jedoch die Stimmabgabe selbst, Hofmann, in: Haug (Hrsg.), LV BW, Art. 26 Rn. 52. 60 Richter, DÖV 2010, 606 (609). 61 Meyer, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HStR III, § 46 Rn. 13, 21; Schönberger, JZ 2016, 486 (487); Berger, in: Schreiber, BWahlG, § 17 Rn. 13; vgl. Kluckert, Jura 2020, 169 (176). Siehe zudem BVerfGE 59, 119 (127): Das Bundesverfassungsgericht geht hier im Ergebnis zwar von der Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl aus, erkennt aber gleichwohl, dass bei der Briefwahl die Freiheit und die Geheimheit der Wahl gefährdet sein können. Vgl. ferner Thum, in: Schreiber, BWahlG, § 36 Rn. 4: „Spannungsverhältnis zu den Wahlrechtsgrundsätzen der Geheimheit und der Freiheit der Wahl“. 62 Vgl. Berger, in: Schreiber, BWahlG, § 17 Rn. 13; ferner Müller, in: v. Mangoldt / K lein /  Starck, GG II, Art. 38 Rn. 134; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 85. Die Unterzeichnung einer eidesstattlichen Versicherung durch die Wähler, die Wahlhandlung persönlich vorgenommen zu haben (vgl. z. B. für Bundestagswahlen § 36 Abs. 2 S. 1 BWG), ändert hieran nichts, weil diese nicht überprüfbar ist, vgl. Berger, a. a. O. 63 BVerfGE 134, 25 (30); Richter, DÖV 2010, 606 (609); Kluckert, Jura 2020, 169 (176). Vgl. ferner Schönberger, JZ 2016, 486 (488); Thum, in: Schreiber, BWahlG, § 36 Rn. 4. 64 Teilweise werden auch die Grundsätze der geheimen, freien und unmittelbaren Wahl explizit als beeinträchtigt angesehen, siehe Miller / Kolb, VBlBW 2020, 404 (407): „zum Teil beträchtliche[…] Eingriffe“; Schönberger, JZ 2016, 486 (487 f.); Kluckert, Jura 2020, 169 (176). Unentschlossen wohl Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 125: „Geheimheit durchbrochen oder mindestens gefährdet“. 65 Auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (73) geht davon aus, dass die rechtliche Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses geringere Anforderungen an die Öffentlichkeit der Abstimmung begründen kann.

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

lich. Die Befragung in brieflicher Form entspricht mithin den Anforderungen des Grundsatzes der öffentlichen Abstimmung.66 b) Verfassungsrechtliches Leitbild der Urnenabstimmung? Fraglich ist, ob neben den Abstimmungsgrundsätzen weitere verfassungsrechtliche Hürden für die Briefbefragung bestehen. In Bezug auf das Wahlrecht geht das Bundesverfassungsgericht von einem „verfassungsrechtlichen Leitbild der Urnenwahl“67 aus. Schließt man sich dieser Ansicht an und überträgt sie auf Abstimmungen, ließen sich Befragungen mit Abstimmungsqualität nicht als reine Briefbefragungen konzipieren. Dieser Sichtweise ist aber entgegenzuhalten, dass das Verfassungsrecht die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts dem Gesetzgeber überlässt, wie etwa Art. 38 Abs. 3 GG für Bundestagswahlen zeigt.68 Die Annahme, das Grundgesetz gehe zwingend von der Urnenwahl bzw. Urnenabstimmung aus, würde diesem Ausgestaltungsspielraum zuwiderlaufen.69 Überdies bietet das Verfassungsrecht keinen normativen Anknüpfungspunkt für eine solche Auffassung.70 Als „verfassungsrechtliches Leitbild“ sind also allein die Wahl- bzw. Abstimmungsgrundsätze anzusehen.71 c) Ergebnis Befragungen mit Abstimmungscharakter sind mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung vereinbar. Zudem können sie ausschließlich in Briefform durchgeführt werden.72

66 Anders als bei der Briefwahl ist bei der Briefbefragung daher auch nicht zu überlegen, ob sie durch den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gerechtfertigt werden kann. Zur Briefwahl siehe BVerfGE 59, 119 (125); 123, 39 (75); 134, 25 (30 f.); Butzer, in: BeckOK GG, Art. 38 Rn. 102a; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 85, 125; Grzeszick, ZG 2014, 239 (250). Kritisch zur Möglichkeit der grundlosen Briefwahl Schönberger, JZ 2016, 486 (487 f.); Richter, DÖV 2010, 606 (607 ff.). 67 BVerfGE 134, 25 (32); ferner Schönberger, JZ 2016, 486 (488); Berger, in: Schreiber, BWahlG, § 17 Rn. 11; Kluckert, Jura 2020, 169 (177). 68 Für Wahlen und Abstimmungen auf Landes- und Kommunalebene siehe Art. 26 Abs. 7 S. 1, Art. 28 Abs. 3 S. 1, Art. 59 Abs. 5 sowie Art. 72 Abs. 3 LV BW. 69 Vgl. Mast, JZ 2021, 237 (242). 70 Mast, JZ 2021, 237 (242); vgl. auch Luch / Schulz / Tischer, BayVBl. 2015, 253 (256). 71 Vgl. Mast, JZ 2021, 237 (242). In diese Richtung auch Richter, Wahlen im Internet rechtsgemäß gestalten, S. 124: „Ein bestimmter Wahlablauf wird hier nicht vorgegeben, sofern dieser sich nicht zwingend aus den Wahlrechtsgrundsätzen ergibt, ein Wahllokal oder bestimmte sinnliche Eindrücke und Handlungen werden nicht erwähnt.“ 72 So im Ergebnis auch Dittloff, Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen, S. 280, der in diesem Zusammenhang richtigerweise auch feststellt, dass weder der Grundsatz der

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung 

167

3. Online-Befragung Wie die beiden Beispiele der Stadt Tübingen73 und die Bürgerbefragung der Stadt Seligenstadt74 zeigen, werden Einwohner- und Bürgerbefragungen zum Teil auch als Online-Befragungen durchgeführt.75 § 28 Abs. 3 S. 4 KVG LSA erlaubt das für Befragungen in Sachsen-Anhalt explizit, sofern hinreichend sichere Vorkehrungen gegen Missbrauch und zur Sicherung der Integrität der Ergebnis­ ermittlung getroffen werden. Als Online-Befragungen werden im Folgenden Befragungen bezeichnet, bei denen die Teilnehmer ihre Stimme mithilfe eines privaten Endgeräts über das Internet abgeben.76

a) Die Abstimmungsgrundsätze als Herausforderung für die Realisierung von Online-Befragungen Online-Befragungen sind für die Gemeinden mit besonderen Herausforderungen verbunden. Die Einhaltung der Abstimmungsgrundsätze ist wegen möglicher technischer Unsicherheiten bzw. Unberechenbarkeiten bei Online-Befragungen besonders gefährdet. Daher ist sicherzustellen, dass die eingesetzte Technik den Anforderungen der Abstimmungsgrundsätze gerecht wird.77 Hierzu gehört insbesondere, dass eine Kenntnisnahme bzw. Rekonstruktion des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Teilnehmer ausgeschlossen ist.78 Zudem darf keine Möglichkeit einer mehrfachen Stimmabgabe bestehen.79 Darüber hinaus ist jedenfalls nach gegenwärtigem Stand nicht davon auszugehen, dass tatsächlich jeder Abstimmungsberechtigte über ein entsprechendes End-

Allgemeinheit noch der der Gleichheit der Abstimmung die Gemeinden dazu verpflichtet, den Befragungsteilnehmern im Rahmen einer Präsenzbefragung zusätzlich die Möglichkeit der Teilnahme in Briefform einzuräumen. 73 Kap. 1 D. III., V. 74 Kap. 1 D. VI. 75 Ein bedeutendes Motiv für die Schaffung internetbasierter Beteiligungsformate ist es, auch diejenigen Bevölkerungsschichten zu erreichen, die sich von den herkömmlichen Formaten nicht angesprochen fühlen, jedoch Interesse daran haben, sich digital an der Willensbildung zu beteiligen („Digital Citizens“), Martini, in: Kahl / Ludwigs (Hrsg.), HVwR I, § 28 Rn. 66. 76 Auch die „BürgerApp“ der Stadt Tübingen (vgl. Kap. 1 D. III.) ist damit ein Mittel der Online-Befragung. 77 Vgl. Luch / Schulz / Tischer, BayVBl. 2015, 253 (254). 78 Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (69); vgl. Luch /  Schulz / Tischer, BayVBl. 2015, 253 (255); Mast, JZ 2021, 237 (244). 79 Vgl. Luch / Schulz / Tischer, BayVBl. 2015, 253 (254). Die Gefahr, dass eine Person ihre Stimme mehrfach abgibt, kann durch den Einsatz sich verbrauchender Zugangscodes (z. B. Transaktionsnummern) gebannt werden, so Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (76).

168

7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

gerät bzw. einen Internetzugang verfügt und sicher damit umgehen kann.80 Damit würde eine rein online durchgeführte Abstimmung mit dem Grundsatz der Allgemeinheit in Konflikt geraten.81 Zusätzlich zur Online-Abstimmung muss also auch eine schriftliche Befragungsteilnahme möglich sein. b) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung Ähnlich der Briefbefragung ist das Kernproblem der Online-Befragung ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung. Kontrollmöglichkeiten für die Öffentlichkeit bestehen bei einer über das Internet abgewickelten Befragung grundsätzlich nicht.82 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung zur Einführung von Wahlcomputern83 bereits mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer elektronischen Stimmabgabe vor dem Hintergrund des Öffentlichkeitsgrundsatzes auseinandergesetzt. Wegen der Manipulierbarkeit und Fehleranfälligkeit elektronischer Wahlgeräte verlangt das Gericht, dass die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung „zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis“ überprüfbar sind.84 Die große Breitenwirkung von Fehlern an den Wahlcomputern sowie von bewussten Wahlfälschungen gebiete es, zur Sicherung des Öffentlichkeitsgrundsatzes besondere Vorkehrungen zu treffen.85 Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf Befragungen mit Abstimmungscharakter setzt voraus, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit an diese dieselben Anforderungen stellt wie an Wahlen.86 Wie bei der Briefbefragung spricht die

80

Nach der ARD / ZDF-Onlinestudie 2022 nutzen 95 Prozent der Menschen in Deutschland das Internet (bezogen auf die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab einem Alter von 14 Jahren). Während aus der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen 100 Prozent und aus der Gruppe der 50- bis 69-Jährigen 95 Prozent dazu zählen, sind dies aus der Gruppe der Menschen, die 70 Jahre oder älter sind, allerdings nur 80 Prozent. Siehe dazu die Präsentation zur Studie, S. 6, abrufbar unter https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2022/ARD_ZDF_ Onlinestudie_2022_Publikationscharts.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 11. 2022). Vgl. auch Martini, in: Hill / Schliesky (Hrsg.), Die Neubestimmung der Privatheit, S. 193 (225): „Internetgestützte Bürgerbeteiligung kann gegenwärtig nicht alle Zielgruppen in ausgewogener Weise erreichen.“ 81 Vgl. Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (68); Mast, JZ 2021, 237 (242). 82 So in Bezug auf Internetwahlen bzw. elektronische Wahlen Richter, Wahlen im Internet rechtsgemäß gestalten, S. 119; Martini, in: Hill / Schliesky (Hrsg.), Die Neubestimmung der Privatheit, S. 193 (195). 83 BVerfGE 123, 39 (39 ff.). 84 BVerfGE 123, 39 (71). 85 BVerfGE 123, 39 (72). 86 Die der Wahlcomputerrechtsprechung zugrunde liegende Konstellation unterscheidet sich deutlich von dem hier diskutierten Fall online durchgeführter Befragungen. Der Unterschied besteht nicht nur darin, dass es einerseits um Parlamentswahlen, andererseits um Abstimmun-

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung 

169

fehlende rechtliche Bindungswirkung des Befragungsergebnisses für einen gelockerten Maßstab. Bei Online-Befragungen besteht aber zusätzlich insbesondere die Gefahr, dass die eingesetzten Programme manipuliert werden und es so zu einer systematischen Verfälschung des gesamten Befragungsergebnisses kommt.87 Das legt es nahe, den Kontrollmaßstab für online durchgeführte Befragungen mit Abstimmungscharakter grundsätzlich genauso streng zu definieren wie für Wahlen. Es muss also nicht nur das rechtmäßige Zustandekommen des Ergebnisses öffentlich kontrollierbar sein, sondern auch, ob die einzelnen Stimmen unverfälscht erfasst werden. Damit ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, auf welche Art und Weise diesen Anforderungen praktisch Rechnung getragen werden kann. Folgt man auch in diesem Punkt dem Bundesverfassungsgericht, kommt es für die Wahrnehmung der Kontrolle auf die Befragungsteilnehmer an. Der Abstimmende selbst müsste überprüfen können, ob seine Stimme für die Auszählung oder jedenfalls für den Fall einer späteren Nachzählung unverfälscht erfasst wird, und das auch dann, wenn er selbst nicht über näheres computertechnisches Wissen verfügt.88 Vor diesem Hintergrund dürften die Stimmen nach ihrer Abgabe nicht ausschließlich elektronisch gespeichert werden.89 Stattdessen wäre es beispielsweise erforderlich, die einzelnen Antworten für den jeweiligen Befragungsteilnehmer erkennbar auf einem Papierprotokoll zu erfassen und die einzelnen Protokolle für eine etwaige Nachprüfung aufzubewahren.90 Online-Befragungen ließen sich demnach kaum realisieren.91 Eine Alternative zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts könnte die Idee einer „Expertenkontrolle“92 darstellen. Damit müsste nicht mehr jeder einzelne Befragungsteilnehmer die Kontrolle wahrnehmen können, sondern es würde genügen, wenn die Nachvollziehbarkeit für Personen mit entsprechendem Sachverstand ge-

gen geht. Die Sachverhalte unterscheiden sich auch im Hinblick auf den Teilnahmemodus. Bei einer über das Internet durchgeführten Befragung handelt es sich um einen Fall der Fernabstimmung. Beim Einsatz von Wahlcomputern geht es dagegen um eine Präsenzwahl innerhalb geschlossener Netze. Vgl. auch Bretthauer / Spiecker gen. Döhmann, NZS 2020, 241 (243), die die Wahlcomputerrechtsprechung für die Bewertung der Zulässigkeit online durchgeführter Sozialwahlen heranziehen und diesbezüglich die Verschiedenheit der Sachverhalte betonen. 87 Vgl. Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (77). Vgl. allgemein zu den Risiken bei Internetwahlen Richter, Wahlen im Internet rechtsgemäß gestalten, S. 115 ff. 88 Vgl. BVerfGE 123, 39 (72). Demnach muss die „[g]leiche Nachvollziehbarkeit […] auch für die Wahlorgane und die interessierten Bürger gegeben sein.“ 89 Vgl. BVerfGE 123, 39 (73). 90 Vgl. BVerfGE 123, 39 (73). 91 Siehe auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (71), der ausdrücklich feststellt, dass die Abstimmenden bei einer elektronischen Stimmabgabe nicht selbst zuverlässig die Richtigkeit des Ergebnisses überprüfen können. 92 So die Bezeichnung z. B. bei Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (74); Bretthauer / Spiecker gen. Döhmann, NZS 2020, 241 (246).

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7. Kap.: Anforderungen an das Befragungsverfahren  

geben ist.93 Die fehlende rechtliche Bindungswirkung des Befragungsergebnisses spricht dafür, dass ein solcher Ansatz dem Öffentlichkeitsgrundsatz in Bezug auf Befragungen mit Abstimmungscharakter genügt.94 c) Ergebnis Die Abstimmungsgrundsätze stehen einer internetbasierten Befragung nicht von vornherein entgegen.95 Maßgeblich ist, ob sich die Anforderungen der Abstimmungsgrundsätze technisch realisieren lassen.96 Aufgrund der hohen Hürden für die technische Umsetzung sowie des Umstands, dass die Gemeinden wegen der Allgemeinheit der Abstimmung ohnehin zusätzlich eine Möglichkeit der schriftlichen Teilnahme vorhalten müssen, dürfte es für sie zumindest gegenwärtig noch unattraktiv sein, den Weg der internetbasierten Abstimmung einzuschlagen. Möglicherweise lassen sich die Anforderungen zukünftig jedoch mithilfe der sog. Blockchain-Technologie97 verwirklichen.98

93 Für ein solches Verständnis des Öffentlichkeitsgrundsatzes Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (74) (in Bezug auf Befragungen); Mast, JZ 2021, 237 (243) (in Bezug auf den Einsatz der Blockchain-Technologie für Wahlen); wohl auch Luch / Schulz / Tischer, BayVBl. 2015, 253 (255). Siehe in Bezug auf Sozialwahlen Richter, Wahlen im Internet rechtsgemäß gestalten, S. 159; Bretthauer / Spiecker gen. Döhmann, NZS 2020, 241 (246). In Bezug auf Hochschulwahlen Richter, a. a. O., S. 164. 94 Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (73 f.), der in diesem Zusammenhang anmerkt, dass das Repräsentativorgan die technisch bedingten Risiken bei seiner Bewertung des Befragungsergebnisses berücksichtigen könne. 95 Auch das Bundesverfassungsgericht geht in der parallelen Diskussion zu elektronischen Wahlgeräten nicht davon aus, dass die Wahlrechtsgrundsätze diese von vornherein verbieten. Der Gesetzgeber könne sie einsetzen, wenn die verfassungsrechtlich notwendige Möglichkeit einer zuverlässigen Kontrolle besteht, BVerfGE 123, 39 (73). 96 Eine konkrete Beurteilung, ob das gegenwärtig der Fall ist, muss den sachnäheren Disziplinen überlassen werden. An einer ausreichenden Integrität der verfügbaren Technik dürften jedoch zumindest Zweifel bestehen. Auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (78) betont, dass eine absolute Sicherheit „jedenfalls bislang“ nicht erreichbar ist. 97 Siehe die pointierte Definition von Paulus, JuS 2019, 1049 (1049): „Eine Blockchain ist – vereinfacht gesprochen – eine besonders sichere, virtuelle Datenbankstruktur, die in chronologischer Reihenfolge und im Idealfall fälschungssicher sowie dezentral über Transaktionen und Rechtszuordnungen Buch führt.“ Vgl. allgemein zu den jedenfalls denkbaren Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain die Beispiele bei Simmchen, MMR 2017, 162 (163 ff.) und speziell zum Anwendungspotenzial für die Verwaltung Martini, in: Kahl / Ludwigs (Hrsg.), HVwR I, § 28 Rn. 77 ff. Ausführlich, im Ergebnis jedoch kritisch zum Einsatz der BlockchainTechnologie für Wahlen Mast, JZ 2021, 237 (237 ff.). 98 Die Blockchain-Technologie ist zudem anschlussfähig an die Idee der Expertenkontrolle, vgl. Mast, JZ 2021, 237 (243 f.) (in Bezug auf das Wahlrecht). In diese Richtung auch Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (79).

C. Stimmabgabe und Ergebnisermittlung 

171

II. Befragungen ohne Abstimmungscharakter Weil die Abstimmungsgrundsätze in diesem Fall nicht zwingend anzuwenden sind, sind die Anforderungen an die Durchführung und Auswertung von Befragungen ohne Abstimmungscharakter weniger streng. Um eine Teilnahme für die Einwohner bzw. Bürger möglichst attraktiv zu machen, werden sich die Gemeinden aber auch für diese Art von Befragung bestimmte Verfahrensregeln auferlegen, wozu insbesondere eine geheime Stimmabgabe zählen dürfte.99 Eine bedeutende Folge davon, dass Befragungen ohne Abstimmungscharakter nicht dem Grundsatz der öffentlichen Abstimmung unterliegen, ist, dass sie sich im Vergleich zu solchen mit Abstimmungscharakter einfacher in einem Online-Format durchführen lassen. Daher ist von Interesse, ob Befragungen ohne Abstimmungsqualität auch ausschließlich über das Internet abgewickelt werden können. Das hängt davon ab, ob ein solches Vorgehen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt. Bei dieser Art von Befragung geht es zwar lediglich darum, dass die Einwohner bzw. Bürger dem Gemeinderat in einem formalisierten Verfahren ihre Meinung zu einem bestimmten Thema mitteilen. Den Gemeinden dürfte es jedoch ohne erheblichen Mehraufwand möglich sein, den Einwohnern bzw. Bürgern zumindest auf Antrag eine Gelegenheit zur schriftlichen Teilnahme zu geben. Die Ungleichbehandlung derjenigen, die wegen eines fehlenden Zugangs zum Internet an einer reinen Online-Befragung nicht teilnehmen können, lässt sich also verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Befragungen, die keine Abstimmungen sind, können nicht ausschließlich als Online-Befragungen stattfinden.

99 Bei Online-Befragungen und Briefbefragungen muss die Stimmabgabe wegen Art. 10 Abs. 1 GG jedoch auch rechtlich gesehen geheim sein (siehe Fn. 46).

8. Kapitel

Verfassungswidrige Einwohnerund Bürgerbefragungen In den vorangehenden Kapiteln wurde aufgezeigt, dass das Verfassungsrecht zahlreiche Anforderungen an Einwohner- und Bürgerbefragungen stellt. Auch wenn die Gemeinden nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, ist nicht auszuschließen, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einzelfall nicht eingehalten werden. Die Gefahr eines Verstoßes besteht insbesondere dann, wenn nicht erkannt wird, dass eine Befragung als Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu werten ist. In diesem Fall stellt das Verfassungsrecht regelmäßig strengere Anforderungen an die Ausgestaltung der Befragung. Beispielsweise ist es denkbar, dass ein Gemeinderat eine Befragung mit Abstimmungscharakter als Einwohnerbefragung beschließt, obwohl ausländische Einwohner mit Ausnahme der Unionsbürger an kommunalen Abstimmungen nicht teilnehmen können.1 Verstärkt wird das Risiko verfassungswidriger Einwohner- und Bürgerbefragungen dadurch, dass hierfür in Baden-Württemberg keine gesetzliche Grundlage besteht, die die verfassungsrechtlichen Anforderungen zumindest teilweise abbildet. Daher ist fraglich, wie die Rechtsordnung auf den Beschluss bzw. die Durchführung verfassungswidriger Befragungen reagiert.

A. Widerspruch des Bürgermeisters Nach § 43 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 GemO BW ist der Bürgermeister verpflichtet, einem Beschluss des Gemeinderats zu widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dieser sei gesetzwidrig.2 Das gilt auch für den Beschluss von Einwohner- und Bürgerbefragungen. Wie sich schon aus dem Wortlaut von § 43 Abs. 2 S. 1 GemO BW („Auffassung“) ergibt, kommt es für die Pflicht zum Widerspruch allein auf die subjektive Sicht des Bürgermeisters und damit nicht darauf an, ob der Beschluss auch objektiv gesetzwidrig ist.3 Der Bürgermeister muss den Widerspruch unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach der Beschlussfassung gegenüber dem Gemeinderat erklären (§ 43 Abs. 2 S. 2 GemO BW). Zudem muss er unter Nen 1

Ausführlich dazu Kap. 5 A. Nach § 43 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 GemO BW kann der Bürgermeister einem Beschluss auch widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass dieser für die Gemeinde nachteilig ist. Problematisch ist die Anwendbarkeit von § 43 Abs. 2 GemO BW auf rechtswidrige Bürgerentscheide, siehe Schellenberger, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, S. 417 ff. 3 Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 43 GemO Rn. 10. 2

B. Einschreiten der Rechtsaufsicht 

173

nung der Widerspruchsgründe eine Gemeinderatssitzung anberaumen, in der erneut über die Befragung Beschluss gefasst wird (§ 43 Abs. 2 S. 4 Hs. 1 GemO BW).4 Ein Widerspruch des Bürgermeisters führt also nicht zwangsläufig zum Scheitern der geplanten Befragung. Der Gemeinderat hat vielmehr die Möglichkeit, sich mit der Kritik des Bürgermeisters auseinanderzusetzen und die Befragung erneut und ggfs. verfassungskonform zu beschließen.5

B. Einschreiten der Rechtsaufsicht Auch die Rechtsaufsichtsbehörde, also das Landratsamt bzw. das Regierungspräsidium (§ 119 Abs. 1 S. 1 GemO BW), kann gegen den Beschluss6 des Gemeinderats vorgehen (vgl. § 118 Abs. 1 GemO BW).7 Grundvoraussetzung für das Einschreiten der Rechtsaufsicht ist, dass sie von dem Beschluss der Befragung Kenntnis erlangt.8 Als aufsichtsrechtliche Maßnahme kommt insbesondere eine Beanstandung des Beschlusses in Betracht, verbunden mit der Aufforderung, ihn innerhalb einer bestimmten Frist aufzuheben (§ 121 Abs. 1 S. 1 GemO BW). Kommt die Gemeinde diesem Verlangen nicht fristgemäß nach, kann die Rechtsaufsicht den Beschluss der Befragung nach § 123 Var. 1 GemO BW im Wege der Ersatzvornahme9 selbst aufheben.10 Ein aufsichtsrechtliches Einschreiten gegen den Beschluss der Be 4 Diese Sitzung muss spätestens drei Wochen nach der ersten Sitzung erfolgen (§ 43 Abs. 2 S. 4 Hs. 2 GemO BW). Findet die zweite Sitzung nicht innerhalb dieser Frist statt, entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (§ 43 Abs. 2 S. 3 GemO BW) und der Bürgermeister muss den Beschluss vollziehen, also die Durchführung der Befragung einleiten, Aker, in: ders. / Hafner / Notheis, GemO / GemHVO BW, § 43 GemO Rn.  17. 5 Hält der Bürgermeister auch diesen zweiten Beschluss für gesetzwidrig, muss er auch ihm widersprechen und unverzüglich die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen (§ 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW). 6 Bevor der Gemeinderat die Befragung nicht beschlossen hat, kann die Rechtsaufsicht gegen sie nur in begrenztem Umfang einschreiten. Die Rechtsaufsicht kann lediglich darauf hinweisen, dass sie den anstehenden Beschluss für rechtswidrig erachtet und daher beabsichtigt, ihn zu beanstanden, vgl. Brüning / Vogelgesang, Die Kommunalaufsicht, Rn. 188. 7 Richtiger Adressat der Aufsichtsmittel ist allerdings nicht der Gemeinderat, sondern die Gemeinde. Ihr wird das Handeln des Gemeinderats nach außen hin zugerechnet, siehe OVG Lüneburg, KommJur 2021, 99 (101) m. w. N. 8 Nur schwer vorstellbar ist es, dass die Rechtsaufsicht von dem Befragungsbeschluss im Rahmen ihres Informationsrechts (§ 120 GemO BW) erfährt. Dieses bezieht sich nur auf einzelne Angelegenheiten. Für die Wahrnehmung des Informationsrechts muss es also einen bestimmten Anlass geben, Schenek, in: BeckOK Kommunalrecht BW, § 120 GemO Rn. 2. 9 Allgemein zur Ersatzvornahme und zu ihren Voraussetzungen z. B. Lange, Kommunalrecht, Kap. 17 Rn. 107 ff. 10 Betrifft die Befragung eine Pflichtaufgabe nach Weisung (siehe dazu Kap. 6 A. II. 1.), handelt es sich zwar grundsätzlich um einen Fall der Fachaufsicht (§ 118 Abs. 2 GemO BW). Die Zuständigkeit für die Aufsichtsmaßnahmen nach §§ 121–124 GemO BW liegt jedoch grundsätzlich bei der Rechtsaufsichtsbehörde (§ 129 Abs. 2 S. 2 GemO BW).

174

8. Kap.: Verfassungswidrige Einwohner- und Bürgerbefragungen 

fragung ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn die Befragung noch nicht durchgeführt wurde.

C. Keine Auswirkungen auf die Entscheidung in der Sache Trotz der Widerspruchspflicht des Bürgermeisters und eines etwaigen Einschreitens der Rechtsaufsicht ist nicht auszuschließen, dass die Verfassungswidrigkeit einer Befragung erst nach ihrer Durchführung bekannt wird. Zudem ist denkbar, dass sich ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben erst während der Durchführung einer Befragung ereignet.11 Weil Befragungen an sich keine rechtlichen Wirkungen entfalten, handelt es sich bei ihnen nicht um Rechtsakte, sondern um einen Fall schlichten Verwaltungshandelns.12 Der Befragungsvorgang und das Ergebnis werden durch den Verfassungsverstoß selbst also nicht nichtig.13 Wegen der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung „schlägt“ die Verfassungswidrigkeit der Befragung im Ergebnis allerdings nicht auf den Gemeinderatsbeschluss zur entsprechenden Sachentscheidung durch. Die Entscheidung in der Sache wird von der Verfassungswidrigkeit der Befragung also nicht berührt.

D. Ergebnis Mit der Widerspruchspflicht des Bürgermeisters und dem aufsichtsrecht­lichen Instrumentarium kann der Durchführung verfassungswidriger Befragungen vorgebeugt werden. Verstößt eine Befragung gleichwohl gegen die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, wirkt sich das nicht auf die nachgelagerte Sachentscheidung aus. Das entbindet die Gemeinden jedoch nicht davon, die verfassungsrechtlichen Anforderungen einzuhalten. Der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) bezieht sich auf sämtliche staatliche Aktivitäten und damit auch auf schlichtes Verwaltungshandeln.14

11 Das ist etwa dann der Fall, wenn die Ergebnisauswertung einer Befragung mit Abstimmungscharakter nicht öffentlich durchgeführt wird (vgl. dazu Kap. 7 C. I. 2. a)). 12 Zum schlichten Verwaltungshandeln zählen gerade die Verwaltungsmaßnahmen, die nicht darauf ausgelegt sind, einen rechtlichen, sondern einen tatsächlichen Erfolg herbeizuführen, Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rn. 1. 13 Die u. a. aus dem Recht des Verwaltungsakts bekannte Frage, wie die Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts dessen Wirksamkeit beeinflusst, stellt sich bei schlichtem Verwaltungshandeln wegen des fehlenden Regelungscharakters nicht, siehe Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rn. 6; Remmert, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 36 Rn. 7. 14 Remmert, in: Ehlers / P ünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 36 Rn. 2.

9. Kapitel

Zusammenfassung und Entwurf eines Regelungsvorschlags Das Ziel dieser Arbeit war es, die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen gemeindlicher Einwohner- und Bürgerbefragungen herauszuarbeiten. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Teilnahme an einer Befragung nicht stets als Ausübung von Staatsgewalt zu werten ist.1 Die Unterscheidung zwischen Befragungen mit und Befragungen ohne Abstimmungscharakter ist eine Unterscheidung von herausragender rechtlicher Bedeutung, der auch eine große praktische Relevanz zukommt. So hängen insbesondere die Anforderungen, die an den Kreis der Teilnahmeberechtigten2, die Ausgestaltung der Fragestellung3 sowie an das Befragungsverfahren und die Ergebnisermittlung4 zu stellen sind, u. a. von der recht­ lichen Einordnung der Stimmabgabe ab. Ist eine Befragung als Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu qualifizieren, sind die einzuhaltenden Vorgaben regelmäßig strenger. Gegen den Grundsatz des freien Mandats verstoßen Einwohner- und Bürgerbefragungen nur, wenn sie für den Gemeinderat eine faktische Befolgungspflicht hervorrufen.5 Nach Auffassung dieser Arbeit ist hiervon in der Regel nicht auszugehen. Auch für die Frage, ob die Grundsätze vom Vorrang und vom Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Regelung für Befragungen fordern, kommt es maßgeblich darauf an, wie man die denkbaren faktischen Auswirkungen von Befragungen bewertet.6 Mit der Widerspruchspflicht des Bürgermeisters und den Maßnahmen der Rechtsaufsicht hält das Kommunalrecht Mittel bereit, mit denen der Durchführung verfassungswidriger Befragungen vorgebeugt werden kann. Kommt es dennoch zu einer verfassungswidrigen Befragung, wird die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Gemeinderats in der Sache hiervon nicht beeinflusst.7

1

Siehe dazu Kap. 2. Siehe dazu Kap. 5. 3 Siehe dazu Kap. 6 B. 4 Siehe dazu Kap. 7. 5 Siehe dazu Kap. 3. 6 Siehe dazu Kap. 4. 7 Siehe dazu Kap. 8. 2

176

9. Kap.: Zusammenfassung und Entwurf eines Regelungsvorschlags 

A. Inhaltliche Ausgestaltung des Regelungsvorschlags Das Ziel des Regelungsvorschlags, der zum Abschluss dieser Arbeit entworfen werden soll, ist es nicht, sämtliche verfassungsrechtlichen Anforderungen an Einwohner- und Bürgerbefragungen abzubilden. Stattdessen versucht er, sich in Anlehnung an die Wesentlichkeitsrechtsprechung auf „das Wesentliche“ zu beschränken.8 Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die bei der Erarbeitung eines Gesetzesvorschlags zu treffenden Entscheidungen nicht nur auf eine rechtliche, sondern zum Teil auch auf eine rechtspolitische Bewertung zurückgehen. An den in manchen anderen Bundesländern bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu Befragungen orientiert sich der Entwurf dabei nur vereinzelt. Ein bestimmtes normatives Vorbild liegt ihm nicht zugrunde. Der Grund dafür ist, dass der Vorschlag dieser Arbeit – anders als die bestehenden Gesetze, die überwiegend die Einwohner, in Sachsen-Anhalt aber nur die Bürger berechtigen9 – die verfassungsrechtlich notwendige Differenzierung zwischen Befragungen mit und Befragungen ohne Abstimmungscharakter aufgreift. Die Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Befragungen ruft jedoch erhebliche Konsequenzen für die Ausgestaltung von Einwohner- und Bürgerbefragungen und damit auch für die Konzeption einer gesetzlichen Grundlage hervor. Infolgedessen grenzt sich der Regelungsvorschlag deutlich von den bereits bestehenden Bestimmungen ab.

I. Initiativberechtigung des Gemeinderats Wesentlich ist zunächst, dass es sich bei dem Beteiligungsinstrument um das der Befragung handelt und dass das Initiativrecht beim Gemeinderat liegt.10 § 35 S. 1 NKomVG, § 20b Abs. 1 SaarlKSVG und § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA formulieren jeweils eindeutig, dass der Gemeinderat eine Befragung einleiten kann. § 13 S. 2 BbgKVerf und § 16c Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 16g Abs. 3 S. 1 GO SH ermöglichen ihrem Wortlaut nach dagegen auch eine Initiierung durch die Einwohner. Das widerspricht aber dem Sinn und Zweck des Instruments der Befragung als Entscheidungshilfe für den Gemeinderat.11 Daher orientiert sich der Regelungsvorschlag in Bezug auf das Initiativrecht an den Formulierungen in § 35 S. 1 NKomVG, § 20b Abs. 1 SaarlKSVG und § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA.12

8

Dazu Kap. 4 C. Vgl. dazu bereits Einleitung A. und den Wortlaut der Normen im Anhang. 10 Kap. 4 C. 11 Siehe bereits Kap. 1 A. II. 12 Anders als die übrigen bestehenden Regelungen formuliert § 13 S. 2 BbgKVerf nicht, dass eine Gemeinde bzw. ein Gemeinderat eine Befragung durchführen „kann“, sondern dass Einwohnerbefragungen durchgeführt werden „sollen“. Eine solche Formulierung bringt den Sinn und Zweck von Einwohner- und Bürgerbefragungen als Entscheidungshilfe für den Ge 9

A. Inhaltliche Ausgestaltung des Regelungsvorschlags  

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II. Befragungsgegenstand Der Regelungsvorschlag muss außerdem bestimmen, zu welchen Themen Befragungen durchgeführt werden können.13 Die Arbeit hat gezeigt, dass der Befragungsgegenstand aus dem Kompetenzbereich der Gemeinden stammen muss.14 Eine Ausnahme besteht lediglich für die Fälle, in denen die Gemeinden durch staatliche Maßnahmen oder Maßnahmen anderer Kommunen speziell berührt werden.15 Aus dem Sinn und Zweck von Einwohner- und Bürgerbefragungen folgt außerdem, dass sie sich nur auf Angelegenheiten beziehen sollten, über die der Gemeinderat selbst eine Entscheidung treffen kann.16 Die bestehenden Regelungen bringen diesen Aspekt in ihrem Wortlaut nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck.17 Stattdessen bietet sich vielmehr folgende Formulierung an: „Der Gemeinderat kann beschließen, zu Angelegenheiten seines Zuständigkeitsbereichs Einwohner- und Bürgerbefragungen durchzuführen.“18 Teilweise nehmen die bestehenden Bestimmungen darüber hinaus explizit einige Themenbereiche aus dem Kreis potenzieller Befragungsthemen heraus.19 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist das jedoch nicht zwingend notwendig.20 Der Regelungsvorschlag nimmt daher keine weiteren Einschränkungen vor und gesteht dem Gemeinderat stattdessen einen breiten Ermessensspielraum zu.21 meinderat jedoch nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Die Entscheidung, ob er sich bei den Einwohnern bzw. Bürgern über deren Auffassung informieren will, sollte ein Gemeinderat nach gänzlich freiem Ermessen treffen können. Das sollte sich im Gesetzeswortlaut eindeutig widerspiegeln. Das gelingt am besten mit einer „Kann“-Bestimmung. 13 Kap. 4 C. 14 Kap. 6 A. I. 1. 15 Kap. 6 A. I. 2. 16 Kap. 1 A. III., Kap. 6 A. II. 1. 17 Die bestehenden Bestimmungen ermöglichen daher überwiegend auch Befragungen zu Themen, die in der Entscheidungszuständigkeit des Bürgermeisters liegen, siehe Kap. 6 Fn. 25. 18 Diese Formulierung schließt Einwohner- und Bürgerbefragungen zu Pflichtaufgaben nach Weisung nicht aus. In Baden-Württemberg ist der Gemeinderat für die Wahrnehmung von Weisungsaufgaben zwar nur in einem sehr begrenzten Umfang zuständig. Sollte aus Sicht eines Gemeinderats gleichwohl einmal Bedarf bestehen, in diesem Aufgabenfeld eine Befragung zu initiieren, will ihm der Regelungsvorschlag diese Möglichkeit nicht nehmen. Ein expliziter Ausschluss von Befragungen zu Weisungsaufgaben ist verfassungsrechtlich auch nicht zwingend. Vgl. zum Ganzen Kap. 6 A. II. 1. 19 § 35 S. 3 NKomVG, § 16c Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 16g Abs. 2 GO SH, § 28 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 26 Abs. 2 S. 2 Nr. 4–8 KVG LSA. 20 Siehe Kap. 6 A. 21 Anders als § 20b Abs. 1 SaarlKSVG und § 13 S. 1 und S. 2 BbgKVerf legt der Regelungsvorschlag auch nicht fest, dass Befragungen nur in „wichtigen“ Angelegenheiten einer Gemeinde möglich sind. Durch die Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs würden nicht unerhebliche Auslegungsprobleme geschaffen. Vielmehr kann darauf vertraut werden, dass die Gemeinderäte sich das Instrument der Befragung ohnehin nur dann zunutze machen, wenn das Befragungsthema für die Gemeinde besonders relevant ist. So bereits Martini, in: Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie, S. 11 (48 f.).

178

9. Kap.: Zusammenfassung und Entwurf eines Regelungsvorschlags 

III. Teilnahmeberechtigte Eine gesetzliche Grundlage für Befragungen muss ferner festlegen, wer hieran teilnehmen darf.22 Schon aus diesem Grund muss der Regelungsvorschlag also auch die Unterscheidung zwischen Befragungen mit und Befragungen ohne Abstimmungscharakter abbilden. Mit Ausnahme von § 28 Abs. 3 S. 1 KVG LSA sehen die bestehenden Gesetze jeweils Einwohnerbefragungen vor. Weil sie folglich nicht zwischen den beiden Arten von Befragungen differenzieren, werden sie den verfassungsrechtlichen Maßgaben insoweit nicht gerecht. Stattdessen bietet es sich an, für Befragungen mit Abstimmungscharakter festzulegen, dass „die Bürger“ (§ 12 Abs. 1 S. 1 GemO BW) teilnahmeberechtigt sind. Das trägt einerseits dem Umstand Rechnung, dass zusätzlich zu den Deutschen i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG den Unionsbürgern ein Teilnahmerecht zukommen muss.23 Andererseits wird hierdurch berücksichtigt, dass die Teilnehmer von Abstimmungen ein „abstimmungsreifes“ Alter erreicht haben. Hiervon kann mit der Vollendung des 16. Lebensjahres ausgegangen werden.24 Für Befragungen ohne Abstimmungscharakter kann grundsätzlich allen Einwohnern der Gemeinde ein Teilnahmerecht zugestanden werden.25 Wenngleich das verfassungsrechtliche Kriterium der „Abstimmungsreife“ insoweit keine zwingende Anwendung finden muss, besteht auch für diese Art von Befragung ein Bedürfnis für die Festlegung eines Mindestteilnahmealters.26 Um dem Gemeinderat einen hinreichenden Ermessensspielraum zu belassen, verzichtet der Regelungsvorschlag jedoch auf die Vorgabe eines starren Mindestalters. Stattdessen sieht er vor, dass der Gemeinderat, abhängig vom Thema der Befragung, ein Mindestalter für die Teilnahme beschließt.

IV. Modalitäten der Stimmabgabe Zuletzt ist zu regeln, auf welche Art und Weise an einer Befragung teilgenommen werden kann.27 Die bestehenden Vorschriften gehen nur punktuell auf die Modalitäten der Stimmabgabe ein. § 20b Abs. 2 S. 2 SaarlKSVG und § 28 Abs. 3

22

Kap. 4 C. Dazu Kap. 5 A. III. 24 Kap. 5 B. II. 2. 25 Sofern ein hinreichend gewichtiger Grund vorliegt, ist es verfassungsrechtlich zwar möglich, dass sich Befragungen ohne Abstimmungscharakter nur auf die Bürger einer Gemeinde beziehen. Entsprechende praxisrelevante Konstellationen sind jedoch kaum denkbar. Dazu bereits Kap. 5 A. II. 26 Kap. 5 B. III. 27 Kap. 4 C. 23

B. Regelungsstandort 

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S. 3 KVG LSA bestimmen, dass die Befragung anonym erfolgt.28 § 28 Abs. 3 S. 4 KVG LSA erlaubt explizit auch Online-Befragungen. Die Arbeit hat gezeigt, dass die Anforderungen an die Stimmabgabe maßgeblich von den Abstimmungsgrundsätzen abhängen.29 Aus diesem Grund weist der Regelungsvorschlag, auch wenn das deklaratorisch ist, für Befragungen mit Abstimmungscharakter ausdrücklich auf die Geltung der Abstimmungsgrundsätze hin. Für Befragungen ohne Abstimmungscharakter sollte die geheime Stimmabgabe gesetzlich festgeschrieben werden, um den Teilnehmern auch insoweit ein hinreichendes Maß an Entscheidungsfreiheit zu garantieren.30 Aus verfassungsrechtlicher Sicht können sowohl Befragungen mit als auch solche ohne Abstimmungscharakter als Präsenz- und als Briefbefragungen stattfinden. Geht man davon aus, dass sich die Zulässigkeit von Online-Befragungen in der Praxis nach den Maßstäben richtet, die das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Einführung von Wahlcomputern aufgestellt hat, lassen sich Online-Abstimmungen kaum realisieren.31 Obwohl § 28 Abs. 3 S. 4 KVG LSA Online-Befragungen von hinreichenden Vorkehrungen gegen Missbrauch und zur Sicherung der Integrität der Ergebnisermittlung abhängig macht, bringt er das wegen der fehlenden Unterscheidung zwischen Befragungen mit und Befragungen ohne Abstimmungsqualität nicht hinreichend zum Ausdruck. Der Regelungsvorschlag sieht Online-Formate daher lediglich für die Befragungen vor, die keine Abstimmungen sind.32

B. Regelungsstandort Abschließend ist zu überlegen, an welcher Stelle innerhalb der baden-württembergischen Gemeindeordnung eine Vorschrift zu Einwohner- und Bürgerbefragungen verankert werden könnte. Als Standort kommt zunächst der 3. Abschnitt des Ersten Teils der Gemeindeordnung (§§ 10 ff. GemO BW) mit dem Titel „Einwoh 28 § 20b Abs. 2 S. 3 SaarlKSVG und § 28 Abs. 3 S. 5 KVG LSA bestimmen überdies ausdrücklich, dass die Teilnahme an einer Befragung freiwillig ist. Da kein praktisches Beispiel für eine Pflicht zur Teilnahme an Befragungen bekannt (so auch Dittloff, Kommunale Bürgerund Einwohnerbefragungen, S. 265) und eine solche Pflicht auch nicht ernsthaft zu erwarten ist, kann auf die Übernahme dieses Aspekts in den Regelungsvorschlag verzichtet werden. Für Befragungen mit Abstimmungscharakter ergibt sich die Unzulässigkeit einer Teilnahmepflicht außerdem schon aus dem Grundsatz der freien Abstimmung. Siehe dazu Dittloff, a. a. O., S. 266 m. w. N. 29 Kap. 7 C. 30 Befragungen ohne Abstimmungscharakter, die als Brief- oder als Online-Befragungen durchgeführt werden, müssen schon wegen der Anforderungen des Art. 10 Abs. 1 GG geheim sein. Siehe bereits Kap. 7 Fn. 46. 31 Kap. 7 C. I. 3. b). 32 Der Regelungsvorschlag berücksichtigt dabei, dass wegen der Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG auch eine schriftliche Befragungsteilnahme möglich sein muss (dazu Kap. 7 C. II.).

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9. Kap.: Zusammenfassung und Entwurf eines Regelungsvorschlags 

ner und Bürger“ in Betracht.33 Mit der Einwohnerunterrichtung, der Einwohnerversammlung, dem Einwohnerantrag sowie Bürgerentscheid und Bürgerbegehren (§§ 20 ff. GemO BW) sind in diesem Abschnitt bereits viele andere Beteiligungsinstrumente geregelt. Man könnte die neue Vorschrift allerdings auch in den 2. Abschnitt des Zweitens Teils mit dem Titel „Gemeinderat“ (§§ 24 ff. GemO BW) integrieren. Dadurch lässt sich schon regelungssystematisch zum Ausdruck bringen, dass Einwohner- und Bürgerbefragungen eine Entscheidungshilfe für den Gemeinderat sind. Diesem Standort kann nicht entgegenhalten werden, dass damit der Regelungszusammenhang der Gemeindeordnung in Bezug auf die Instrumente der Einwohner- und Bürgerbeteiligung durchbrochen wird. Es trifft zwar zu, dass viele Beteiligungsmöglichkeiten im 3. Abschnitt des Ersten Teils der Gemeindeordnung verankert sind. Mit Ausnahme der Einwohnerunterrichtung (§ 20 GemO BW) zeichnet diese jedoch aus, dass sie (auch) von den Einwohnern bzw. Bürgern selbst in Gang gesetzt werden können.34 Ein Initiativrecht der Einwohner bzw. Bürger kollidiert jedoch mit dem Sinn und Zweck von Befragungen als Entscheidungshilfe für den Gemeinderat.35 Zudem finden sich Regelungen zur Einwohner- und Bürgerbeteiligung auch jetzt schon außerhalb des 3. Abschnitts des Ersten Teils der Gemeindeordnung.36 Daher sollten Einwohner- und Bürgerbefragungen im 2. Abschnitt des Zweiten Teils der Gemeindeordnung normiert werden. Konkret bietet es sich an, Befragungen im unmittelbaren Anschluss an § 41a GemO BW, der die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen betrifft, zu regeln.37

C. Regelungsvorschlag § X GemO BW: (1) Der Gemeinderat kann beschließen, zu Angelegenheiten seines Zuständigkeitsbereichs Einwohner- und Bürgerbefragungen durchzuführen. (2) Hat die Befragung Abstimmungscharakter, beschränkt sich der Teilnehmerkreis auf die Bürger der Gemeinde. Die Befragung muss allgemein, unmittelbar, frei, gleich, geheim und öffentlich sein. Sie kann sowohl als Präsenzbefragung als auch als Briefbefragung stattfinden.

33

Die bestehenden Regelungen befinden sich jeweils in einem solchen Abschnitt zur Rechtsstellung der Einwohner und Bürger. 34 Siehe § 20a Abs. 2 S. 1, § 20b Abs. 1 S. 1, § 21 Abs. 3 S. 1 GemO BW. 35 Kap. 1 A. II. 36 Siehe z. B. § 33 Abs. 3, Abs. 4, § 40 Abs. 1 S. 4, § 41 Abs. 1 S. 3 GemO BW zur Beteiligung sachkundiger Einwohner. 37 Hierzu müsste für den Inhalt des bisherigen § 41b GemO BW (Veröffentlichung von Informationen) ein neuer § 41c GemO BW geschaffen werden.

C. Regelungsvorschlag 

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(3) Hat die Befragung keinen Abstimmungscharakter, erstreckt sich der Teilnehmerkreis auf die Einwohner der Gemeinde. Der Gemeinderat legt, abhängig vom Thema der Befragung, ein Mindestalter für die Teilnahme fest. Die Befragung ist geheim. Sie kann als Präsenz-, als Brief- und als Online-Befragung stattfinden. Wird die Befragung als Online-Befragung durchgeführt, muss zusätzlich eine Möglichkeit zur schriftlichen Teilnahme bestehen. (4) Eine Befragung hat Abstimmungscharakter, wenn sie nicht nur der Sammlung unterschiedlicher Einzelmeinungen dient, sondern wenn sie darauf angelegt ist, dem Gemeinderat eine eindeutige Entscheidungsrichtung vorzugeben.

Anhang

Bestehende gesetzliche Regelungen zu Einwohner- und Bürgerbefragungen § 35 NKomVG1: „1Die Vertretung kann in Angelegenheiten der Kommune eine Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner, die mindestens 14 Jahre alt sind und seit mindestens drei Monaten den Wohnsitz in der Kommune haben, beschließen. 2Die Befragung kann auf einen Teil des Personenkreises nach Satz 1 beschränkt werden. 3Satz 1 gilt nicht in Angelegenheiten einzelner Mitglieder der Vertretung, des Hauptausschusses, der Stadtbezirksräte, der Ortsräte und der Ausschüsse sowie der Beschäftigten der Kommune.“ § 16c Abs. 3, 4 GO SH2: „(3)  1In Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft kann eine konsultative Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt werden. 2In Angelegenheiten eines Ortsteiles nach § 47a, für welche der Ortsbeirat zuständig ist, kann eine auf das Gebiet des Ortsteils beschränkte konsultative Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt werden. 3Soweit anwendbar, gilt für die Durchführung § 16g Abs. 1 bis 7 entsprechend mit der Maßgabe, dass an der Einwohnerbefragung in Ortsteilen nur die im Ortsteil wohnenden Einwohnerinnen und Einwohner teilnahmeberechtigt sind und der Ortsbeirat an die Stelle der Gemeindevertretung tritt. 4Ortsbeirat und Gemeindevertretung sind bei ihren Entscheidungen über den Gegenstand der Befragung an deren Ergebnis nicht gebunden, haben dieses jedoch angemessen zu berücksichtigen. (4) Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.“ § 20b SaarlKSVG3: „(1) Der Gemeinderat kann beschließen, dass zu wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde eine Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt wird.

1

Gesetz vom 17. 12. 2010, GVBl. S. 576, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 22. 09. 2022, GVBl. S. 588. 2 Gesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. 02. 2003, GVOBl. S. 57, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 04. 03. 2022, GVOBl. S. 153. 3 Gesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 27. 06. 1997, Amtsbl. S. 682, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. 10. 2022, Amtsbl. I S. 1296.

Anhang

183

(2) 1Wird eine Befragung durchgeführt, müssen den Einwohnerinnen und Einwohnern zuvor die von den Gemeindeorganen vertretenen Auffassungen in der Form einer öffentlichen Bekanntmachung dargelegt werden. 2Eine Befragung hat in anonymisierter Form zu erfolgen. 3Die Teilnahme ist freiwillig. (3) Das Nähere bestimmt eine Satzung.“ § 28 Abs. 3 KVG LSA4: „1Die Vertretung kann beschließen, zu Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Kommune eine Befragung der Bürger durchzuführen. 2Satz 1 gilt nicht in Angelegenheiten nach § 26 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 4 bis 8. 3Die Befragung hat in anonymisierter Form zu erfolgen. 4Die Abstimmung kann auch als Onlineabstimmung erfolgen, soweit hinreichend sichere Vorkehrungen gegen Missbrauch und zur Sicherung der Integrität der Ergebnisermittlung getroffen werden. 5Die Teilnahme ist freiwillig. 6Einzelheiten sind in der Hauptsatzung zu regeln.“ § 13 BbgKVerf 5: „1Die Gemeinde beteiligt und unterrichtet die betroffenen Einwohner in wichtigen Gemeindeangelegenheiten. 2Zu diesen Zwecken sollen Einwohnerfragestunden, Einwohnerversammlungen, Einwohnerbefragungen oder andere Formen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt werden. 3Die Formen der Einwohnerbeteiligung regelt die Hauptsatzung, Einzelheiten können auch in einer gesonderten Satzung geregelt werden.“

4

Art. 1 des Gesetzes vom 17. 06. 2014, GVBl. S. 288, zuletzt geändert durch Gesetz vom 07. 06. 2022, GVBl. S. 130. 5 Gesetz vom 18. 12. 2007, GVBl. I S. 286, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 30. 06. 2022, GVBl. I Nr. 18.

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Sachwortverzeichnis Abstimmung, Abstimmungen  18, 37, 41, 110, 114 ff., 126 ff., 132, 148, 150, 156 f., 166, 172, 175, 178 – Abstimmungsgrundsätze  132 f., 162 ff., 167 ff. – Öffentlichkeit der Abstimmung  163 ff., 168 ff. Abstimmungsreife  128 ff., 178 Abwägungsentscheidungen  143 f. Aufgabenadäquate Verwaltungsorganisation  142 ff. Bauleitpläne, Bauplanungsrecht  143 f. Befragungen mit bzw. ohne Abstimmungscharakter – Notwendigkeit der Unterscheidung  65 – unterschiedliche Anforderungen  114 f., 123, 133, 148, 150 f., 153, 156 ff., 162 ff., 175 f., 178 f. Befragungsgegenstand  24, 135 ff., 177 Befragungstermin  158 ff. Befragungsverfahren  155 ff. Bestimmtheitsgebot  149 f. Briefbefragung  164 ff., 179 – Leitbild der Urnenabstimmung  166 – Öffentlichkeit der Abstimmung  164 ff. Bürger 18 Bürgerbegehren  84, 149, 152, 160 f. Bürgerentscheid  22, 25, 60, 82 f., 143 f., 146 Bürgermeister – Widerspruchspflicht  172 f. – Zuständigkeitsbereich  139 ff. Demokratie, Demokratieprinzip  44, 67, 107 ff., 128, 132, 152 – repräsentative Demokratie  17, 67 f., 107 ff., 163 Demoskopische Umfragen  26 ff., 54 Dialogische Bürgerbeteiligung  28 f. Einwohner 18

Einwohner- bzw. Bürgerbefragung – Definition 29 – Initiativberechtigung  23 f. – Kennzeichen  21 ff. – Verfassungswidrigkeit  172 ff. Einwohner- und Bürgerbeteiligung – bereits bestehende Regelungen  79 ff. Entscheidungsfindung – als Kriterium  57 ff., 114 Entscheidungshilfe  22 ff., 38, 81, 122, 138, 144, 147, 157, 176, 180 Ergebnisermittlung  162 ff. EU-Bürger siehe Unionsbürger Expertenkontrolle  169 f. Faktische Bindung  70 ff. Fragestellung  135 ff. Fraktionsdisziplin, Fraktionszwang  72 Freies Mandat  66 ff., 142, 175 Freiwillige Selbstverpflichtung  38, 59, 74 Gemeinderat – Vorrangstellung  145 f. – Zuständigkeitsbereich  139 ff. Gemeindlicher Kompetenzbereich  135 f. – Ausnahme bei spezieller Betroffenheit  136 ff. Gesetzesvorbehalt siehe Vorbehalt des Gesetzes Haushaltssatzung, Haushaltsrecht  146 Homogenität, Homogenitätsgebot  16 f., 68, 107 Information der Teilnahmeberechtigten  155 ff. Kommunale bzw. gemeindliche Selbst­ verwaltungsgarantie  44, 103 ff. – Gesetzesvorbehalt 106 – Kernbereich 106

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Sachwortverzeichnis

– objektive Rechtsinstitutionsgarantie  103 f. – Organisationshoheit  104 ff. Kompetenzzuweisung an die Gemeinden  103 ff. – Ausschließlichkeit  106 f. Koppelungsverbot  152 f. Mehrheitsmeinung  59, 61, 63 Meinungsfreiheit  55, 131, 150 Neutralitätsgebot, Neutralitätsprinzip  157 Öffentliche Meinung siehe Politische ­Willensbildung Online-Befragung  167 ff., 171, 179 – Abstimmungsgrundsätze  167 f. – Öffentlichkeit der Abstimmung  168 ff. Pflichtaufgaben nach Weisung  140 ff. Politische Willensbildung  40, 54 ff. Politischer bzw. faktischer Druck  38, 58, 73 f., 97, 111 Präsenzbefragung  161, 164, 179 Rationale Verwaltungsorganisation siehe Aufgabenadäquate Verwaltungsorganisation Rechtsaufsicht 173 Regelungsvorschlag  176 ff. Sachlichkeitsgebot  157 f. Schlichtes Verwaltungshandeln  174 Staatliche bzw. gemeindliche Willens­ bildung  40 f., 55 ff.

Staatsgewalt  18 f., 28, 37 f., 53 f., 57 f., 62 f., 65, 109 f., 113 f., 118 f., 125 f., 152 Stimmabgabe  55, 158, 161 ff., 178 f. Teilnahmeberechtigung  113 ff. – ausländische Einwohner  113 ff. – Befragung bestimmter Gruppen  132 ff. – Mindestalter  123 ff. – Unionsbürger  115 ff. Unionsbürger  45 f., 115 ff., 178 Urnenabstimmung 166 Volksbefragungsgesetze 39 Volksbefragungsrechtsprechung  39 ff. – rechtliche Wertung  40 f. – Sachverhalt 39 – Übertragung auf Einwohner- und ­Bürgerbefragungen  42  ff. Volksbegriff  43 ff., 124 ff. Volkssouveränität  124 ff. Vorbehalt des Gesetzes  97 ff. – allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes  99 ff. Vorrang des Gesetzes  78, 139 ff., 174 Wahlcomputerrechtsprechung  168 f. Weisungsaufgaben siehe Pflichtaufgaben nach Weisung Wesentlichkeitsrechtsprechung, Wesentlichkeitslehre  100 ff., 111 Zielsetzung einer Befragung – Anknüpfung an der  40 f. – Ermittlung  58 ff.