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German Pages 132 [136] Year 1925
WILHELM ERMAN
DER TIERISCHE MAGNETISMUS IN PREUSSEN VOR UND NACH DEN FREIHEITSKRIEGEN Aktenmäßig dargestellt
Nidits ist startender als ein siegreicher Kampf gegen Irrtum und Wahn. LEOPOLD
RANKE.
MÜNCHEN UND BERLIN 1925 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
B E I H E F T 4 DER H I S T O R I S C H E N Z E I T S C H R I F T
Alle Redite, einsdilieBlidi der Übersetzung, vorbehalten.
Seinen Brüdern Adolf und Heinrich Erman zugeeignet vom Verfasser
VORREDE. Der tierische Magnetismus ist in der Bedeutung, die er im Anfang des vorigen Jahrhunderts in Deutschland, besonders in Preußen gewonnen hatte, noch niemals Gegenstand eingehender und quellenmäßiger Darstellung geworden. Der allgemeine Verlauf der Entstehung und Ausbreitung der Mesmerschen Lehren wird natürlich von den Geschichtschreibern der Medizin dargestellt, auch ihr Zusammenhang mit der Naturphilosophie ist von ihnen nicht übersehen worden; ebenso ist die starke Einwirkung, welche die Hauptvertreter des Magnetismus in Berlin, Wolfart und Koreff, besonders der letztere auf den leitenden Staatsmann Preußens, Hardenberg, ausgeübt haben, den Geschichtschreibern jener Epoche nicht entgangen. Aber erschöpfend und aktenmäßig ist bisher nur ein kleiner Ausschnitt aus diesen in mehr als einer Hinsicht interessanten Vorgängen geschildert worden, die Berufung der beiden Scharlatane als Ordinarien der Berliner medizinischen Fakultät in Max Lenz' ausgezeichneter Geschichte der Berliner Universität. Doch konnte ich auch Lenz' wohl gelungenes Bild der beiden Helden noch in wichtigen Punkten aus dem unerschöpflichen Material der Varnhagenschen Sammlung ergänzen. Eine Hauptaktion, die von Hardenberg zur Förderung des Magnetismus unternommen wurde, die aber gar nicht den gewünschten Erfolg hatte, die Ausschreibimg einer Königlichen Preisaufgabe über den Magnetismus im Jahre 1820 ist bisher fast ganz unbeachtet geblieben. Auch in Harnacks gründlicher Geschichte der Berliner Akademie sucht man vergebens nach näherer Auskunft über diese, die Akademie jahrelang, freilich sehr wider ihren Willen beschäftigende Angelegenheit. Er erwähnt sie nur einmal ganz beiläufig. Auch die erste Berührung der Akademie mit dem Mesmerismus in seinen ersten Anfängen im Jahre 1775 wird von Harnack nicht erwähnt.
V Ich war bemüht unter Zugrundelegung aller irgend erreichbaren gedruckten und handschriftlichen Quellen eine erschöpfende Darstellung des tierischen Magnetismus in Preußen von 1810 bis 1823 und der dadurch veranlaßten Streitigkeiten der Gelehrten und der Behörden zu geben. Außer dem äußeren Verlauf der Ereignisse habe ich natürlich auch die Auffassungen der sich befehdenden Freunde und Gegner des Magnetismus authentisch wiedergegeben, eine Kritik der sich widerstreitenden Ansichten im einzelnen, vom heutigen Standpunkt der medizinischen Wissenschaft aus, habe ich als Nichtfachmann nicht versucht. Im großen und ganzen steht ja jetzt fest, daß einige der Erscheinungen, die vor 100 Jahren den Gegnern des Magnetismus unglaubhaft erschienen, sich später doch als Realitäten erwiesen haben, insbesondere die 1843 von Braid entdeckten und so benannten hypnotischen Erscheinungen. Daß dieselben ausschließlich auf psychischer Beeinflussung, auf Suggestion und deren Abund Unterarten beruhen, wird heute wohl kaum noch ernstlich bezweifelt. Aber diese nachträgliche Anerkennung einiger früher bezweifelter Tatsächlichkeiten im sog. Magnetismus und ihre wissenschaftlich befriedigende, durchaus natürliche Erklärung ändert an der Werteinschätzung Mesmers und seiner Jünger nichts. Sie sind und bleiben im Urteil der Geschichte Magier und Thaumaturgen, denn der größte Teil der von ihnen behaupteten wunderbaren Erscheinungen war wahnschaffen und ihre ganze Deutung der wirklichen und der nur eingebildeten Erscheinungen ging in die Irre. Ein Lügner bleibt ein Lügner, wenn sich auch eine seiner Aussagen später als zufällig richtig erraten erweist. Zu großem Dank bin ich den Behörden und Instituten verpflichtet, welche mir einschlägiges handschriftliches Quellenmaterial zu bequemer Benutzung nach Bonn sandten: dem Preußischen Wohlfahrtsministerium, der Akademie der Wissenschaften, dem Geh. Staatsarchiv und der Staatsbibliothek in Berlin. Sehr erfreulich wäre es, wenn meine Darstellung Veranlassung gäbe zu erneuten, vielleicht doch noch erfolgreichen Nachforschungen nach einer verschollenen Hauptquelle für den Gegenstand dieser Arbeit, den Protokollen der 1812 von dem Minister von Schuckmann eingesetzten Kommission zur Prüfung des tierischen Magnetismus. Schon vor 70 Jahren hat mein Vater sich vergeblich bemüht, ihren Verbleib zu ermitteln und auch meine erneuten Versuche sind trotz größten Entgegenkommens der um Hilfe gebetenen amtlichen Stellen erfolglos geblieben. Sie sind und
VI bleiben spurlos verschwunden, genau ebenso wie die nachweislich schon 1824 aus dem Kultusministerium abhanden gekommenen Akten über die staatliche Untersuchimg der Wimdererscheinungen der hellseherischen Katharina Emmerich (vgl. unten S. 66). Besonders alle Nachkommen Christoph Wilh. Hufelands, der als Staatsrat Vorsitzender jener Kommission von 1812 war, werden gebeten, im etwa noch vorhandenen handschriftlichen Nachlaß ihres Vorfahren nach den Protokollen und nach Hufelands Handakten über die Kommission zu suchen. B o n n , den 30. April 1925. Wilhelm Erman.
INHALT. Vorrede Einleitung Aufklärung. Kant. Naturphilosophie. Romantik, Mystik, Aberglaube. Der tierische Magnetismus Mesmer. Mesmer in Wien. Die Berliner Akademie. Mesmer in Paris. Die Prafungskommissionen. Puysigur. Petetin. D e r M a g n e t i s m n s in D e u t s c h l a n d Hufelands Kritik. Lavater. F. A. Wolf. Berlin. Hufelands Bekehrung. Kluge. Goethe. Oken. Reil. Schuckmann. Wolfart. Die Kölz. Erman. Studentenpetition. Hardenberg und Schuckmann. K o m m i s s i o n zur P r ü f u n g des M a g n e t i s m u s Mitglieder. Verlust der Protokolle. Streitigkeiten. Wolfarts Reise zu Mesmer. Hufeland zweideutig. Rudolphis Protest. Schuckmanns Eingreifen. Hufelands Rückzug. Hardenbergs Anteil. U n t e r b r e c h u n g d u r c h die W e l t e r e i g n i s s e . F o r t g a n g . . . . Wolfarts Charlatanerie. Schuckmanns Einschreiten. Wolfarts Mesmerismus. Stieglitz. Koreff. Verhältnis zu Wolfart. Koreff Professor. Wolfarts Immediateingabe. Sachverständigen-Gutachten über Wolfart. Hufelands Schlußbericht der Kommission. Schuckmann gegen Wolfart. Stellung des Königs. Koreff und Hufeland. Wolfart Professor. Koreff, Günstling Hardenbergs. K ö n i g l i c h e P r e i s a u f g a b e über den M a g n e t i s m u s Regelung der magnetischen Praxis. Koreffs Programm der Preisaufgabe. Hufelands Gegenvorschlag. Schuckmanns Ausscheiden. Verschleppung. F o r t s c h r i t t e des M a g n e t i s m u s in P r e u ß e n Koreff und die Universität Bonn. Windischmann. Ennemoser. Wolfarts Praxis und Lehre. Hufelands fortschreitende Bekehrung. Magnetismus in Bonn und Halle. Kath. Emmerich. Kl. Brentano. Fr. Schlegel. E. T. A. Hoffmann. Koreff und Hardenberg. Die Hähnel. E n t s c h e i d u n g über das P r o g r a m m der P r e i s a u f g a b e . . . Termin. Druckversprechen. Verwahrung der Akademie. Altenstein. Koreffs Denunziationen. Eindruck der Preisaufgabe. Magnetische Pfuscherei. Ermans und Flittners Satiren.
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VIII Die Preisbewerbungsschriften Prüfung durch die Akademie. Die physikalische Klasse. Ermans Schlußbericht, Auszüge ans den Einzelgutachten. Keine Schrift wird gekrönt. Neue Verzögerung, K o r e i f s und W o l i a r t s A u s g a n g . . . Koreff in Ungnade. Hardenbergs Privatverhaltnisse. Koreffs Ausgang. Woliarts Verfall. Schleiermacher und Langermann Aber Wolfart. Verschleppung der Veröffentlichung des Ergebnisses. Beschwerden. Hardenbergs Ende. Ausgang der Hähnel. Hardenbergs Entscheidung. Öffentliche Bekanntmachung. Beschwerden Kiesers und Wilbrands. Hufelands Votum. N a c h w i r k u n g des M a g n e t i s m u s s t r e i t s Immennann Aber Kerners Geisterspuk. Keine Abnahme des Aberglaubens.
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Einleitung. Das 18. Jahrhundert ragt in der Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland hoch empor über die vorangehende und über die unmittelbar folgende Periode. Trotz politischen Zwists im Innern und politischer Ohnmacht nach außen erreicht die geistige Kultur des Volkes einen Höchststand infolge der rückhaltlosen Anerkennung der Vernunft als des obersten Leitsterns. A u f k l ä r u n g ist das Losungswort der Zeit, Aufklärung herrscht fast unbestritten in den oberen Schichten der Gesellschaft bis hinauf zu den Inhabern der Throne, zu Königen und Kaisern; als Gegnerin alles Dogmatismus beherrscht sie die Wissenschaft und beeinflußt auch die zu nie geahnter Blüte gelangende Dichtimg; sie reinigt die religiösen Ideen und bereitet eine Versöhnung der seit 200 Jahren konfessionell getrennten Volkshälften vor, rückt sie wenigstens in den Bereich der Möglichkeit; sie mildert die Vorurteile gegen die Juden und bereitet ihre Emanzipation vor; sie übt indirekt durch die in ihrem Sinn reformierten Schulen einen wohltätigen Einfluß aus, auch auf die unteren Schichten des Volkes. Natürlich fehlte es auch nicht an Unterströmungen entgegengesetzter Richtung, die besonders in den für das Zeitalter so charakteristischen Geheimbünden zur Geltung kamen. Während der unheilvollen 11 jährigen Regierung Friedrich Wilhelms II. unterdrückte eine mit grober Sittenlosigkeit Hand in Hand gehende mystisch-religiöse Reaktion gewaltsam die Aufklärung in Preußen; aber dies war nur ein vorübergehender Rückschlag; der sittenstrenge Sohn des Königs, Friedrich Wilhelm III. kehrte, wenigstens in den Anfängen seiner Regierung zu den friderizianischen Grundsätzen zurück. Die Aufklärung erreicht ihre edelste Form und ihren Höhepunkt im vorletzten Jahrzehnt des Jahrhunderts durch die Lehren Immanuel K a n t s , des größten Denkers, den Deutschland hervorgebracht hat. Sie gelangten damals zu fast allgemeiner Anerkennung und schienen die Herrschaft der Vernunftideen für immer zu sichern. E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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2 Aber diese segensreiche Herrschaft war leider nur von sehr kurzer Dauer. Zwar aus der Fehde der Weimarer Dioskuren gegen einige Vertreter der spezifisch Berlinischen Aufklärung darf man keineswegs auf einen tieferen inneren Gegensatz zwischen ihnen und dem Rationalismus überhaupt schließen, ihr Kampf galt nur gewissen nebensächlichen Auswüchsen der Richtung, den Plattheiten und Geschmacklosigkeiten, wie sie bei einzelnen Anhängern einer so in die Breite gegangenen Bewegimg nicht wohl ausbleiben können; dem Kern der Sache aber standen beide Dichter 1 ) keineswegs feindlich gegenüber, Schiller wurde sogar zum begeisterten Apostel der Philosophie Kants und war für ihre Ausbreitung und ihren Ausbau eifrig und erfolgreich tätig. Mit vollem Recht sagt der ausgezeichnete Kenner geistesgeschichtlicher Entwicklung, Max Lenz: „Nur eine fälschende Geschichtsauffassung hat in der deutschen Aufklärung nichts als nüchterne Verstandesbildung sehen wollen." Falsch ist insbesondere die oft von tendenziösen Geschichtschreibern geäußerte Behauptimg, daß die Aufklärimg die religiösen Bedürfnisse des Menschen unbefriedigt lasse. Für die wahre, die Kantische Aufklärung ist.das Gegenteil richtig. Als die kirchlichen Vorschriften und Verheißungen unhaltbar geworden waren und die Gemüter nicht mehr beruhigen konnten: „da erschien die Kantische Philosophie als eine neue Geistesoffenbarung, als eine Botschaft des Heils und der Freude für die Verarmten; aus den tiefsten Schachten des Denkens wurde ein neuer Glauben an Gott und Unsterblichkeit zugleich mit dem erhabenen Pflichtgebot zutage gefördert, dem Leben die höchste Zuversicht und der edelste Beruf aufgeschlossen. Daß nicht ohne Mühe und Arbeit dies neue Heil zu erreichen war, erhöhte nur den Reiz und Wert des Gewinnes und dieser war doch nicht so schwierig, daß nicht zuletzt auch der Schwächste hoffen durfte, ihn zu erlangen. Die K a n t i s c h e Lehre wurde für T a u s e n d e zur R e l i g i o n , denen die überlieferte abhanden gekommen war. Mit Begeisterung wurden die neuen Aufschlüsse und Gebote verkündet, mit Eifer zu Gesinnungen und Vorsätzen ausgebildet." So schildert in packenden Worten ein weitblickender Mann, der dieser Entwicklung selbst noch nahestand und dem seine l ) Auch Goethe sympathisierte trotz des Gegensatzes, in dem er sich, am Spinozismus festhaltend, zu den letzten Ergebnissen des Kantischen Kritizismus befand, vor allem mit der Strenge seiner Ethik gegenober der Weichlichkeit der Sturm- und Drangperiode und der Romantik. Er nennt Kant den vorzüglichsten Philosophen, „dessen Lehre sich fortwirkend erwiesen hat und die in unsere deutsche Kultur am tiefsten eingedrungen ist".
3 biographischen Studien Einblick in den Lebensgang vieler älterer Zeitgenossen gewährt hatte, den überwältigenden Eindruck, den Kants Kritiken bei ihrem Erscheinen hervorriefen1). Ein anderer Forscher und Denker, der die von Varnhagen beschriebene Entwicklung an sich selbst erlebt hatte, der durch Kant für immer aus den Fesseln des theologischen Dogmatismus erlöst und für die exakte Forschung gewonnen worden war*), wendet sich im Jahre 1803 scharf gegen die von einem Zionswächter erhobene Anklage, daß die Kantische Philosophie „die Seele trübe und traurig mache, sie austrockne". „Ich habe immer an Gott geglaubt und auf die Unsterblichkeit der Seele gehofft, aber weder das eine noch das andere dieser Dogmen wurde mir durch die Metaphysik bewiesen; mein Glaube beruht auf dem moralischen Beweis, auch in den Argumenten der Dogmatiker ist schlüssig nur das was von diesem Beweis abhängt. Kant hat uns den größten Dienst geleistet, indem er ein für allemal gezeigt hat, daß kein Beweis der theoretischen Vernunft etwas vermag gegen die Postúlate der praktischen Vernunft . . . Glauben Sie denn, daß als Rousseau sich von den Spitzfindigkeiten der Schulweisheit frei gemacht hatte, seine Seele dadurch sehr betrübt und ausgetrocknet war? Was mich betrifft, so habe ich so frei geatmet wie sein Vikar, als ich auf demselben Punkt angelangt war wie er. Sie wissen, daß Kant durchaus den metaphysischen Teil der Confessions unterschreibt" . . . l ) V a r n h a g e n von E n s e in Biograph. Porträts. 1875. S. 181. Die fiberaas abfällige Beurteilung Varnhagens als Mensch, Politiker und Schriftsteller ist wesentlich verschuldet durch Ludmilla Assings taktlose vorzeitige Veröffentlichungen aus seinem Nachlaß, welche mit Recht den größten Anstoß erregten. Aus dem gerechten Zorn Ober diesen literarischen Skandal ohnegleichen erklärt sich auch das höchst unbillige Urteil, welches Rudolf Haym in den Preußischen Jahrbflchern (Bd. 1 1 , 1863) aber Varnhagen gefällt hat und welches lange Zeit maßgebend geblieben ist. Später hat sich eine gerechtere Würdigung des Mannes durchgesetzt; besonders ist der literarische und der Quellenwert der eigenen Denkwürdigkeiten und der Biographien von Zeitgenossen richtig erkannt worden. Unsere Kenntnis deutscher und preußischer Zustände in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wäre um vieles dürftiger und farbloser ohne Varnhagens Arbeiten. Vgl. Walzels Artikel in Allg. Deutsche Biographie und Max Lenz, der mit Recht Varnhagens „vortreffliche Beobachtung des öffentlichen Geistes'« rühmt (2,1. S. 395). *) P a u l E r m a n in einer noch ungedruckten Schutzschrift für die von ihm in den akademischen Oberklassen des Berliner Französischen Gymnasiums gehaltenen Lehrvorträge über die Kantische Philosophie, gerichtet gegen Angriffe Louis Frédéric Ancillons.
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4 So faßten die besten und urteilsfähigsten Zeitgenossen die Bedeutung der Lehre des Königsberger Weisen auf. Aber von innen heraus erwuchsen der Aufklärung bald gefährliche Gegner, die ihr scheinbar für die Ewigkeit errichtetes, ragendes Gebäude untergruben und tief erschütterten. Gerade die genialsten unter den von Kant ausgehenden Philosophen der nächsten Generation brachten es nicht über sich, die von Kant dem menschlichen Erkennen gezogenen Grenzen zu respektieren, sie übersprangen sie und strebten, alle Warnungen des großen Meisters verachtend auf dem Wege des Denkens nach jener Erkenntnis des Weltzusammenhangs, die dem Sterblichen für immer versagt ist. Damit war der kaum ausgeräumten phantastischen Spekulation wieder Tür und Tor geöffnet, und insbesondere die rasch zu höchstem Ansehen gelangte N a t u r p h i l o s o p h i e Schellings und seiner Schule überbot alles jemals Dagewesene an willkürlich-phantastischen, oft mystischen Konstruktionen der Außenwelt. Sie vermaß sich in tollkühner Überhebung, ohne die treue und entsagungsvolle Arbeit des beobachtenden und experimentierenden Forschers die Naturgesetze aus hypothetisch aufgestellten Grundsätzen abzuleiten, oder wie Kant einmal treffend sagt, „die Gründe der Erklärung nicht aus dem Stoff herzunehmen, den die Erfahrung uns darbietet, sondern sich in schwindlichten Begriffen einer halb dichtenden halb schließenden Vernunft zu verlieren" Aber trotz der Ungesundheit des Systems blendete die nicht zu leugnende Großartigkeit seiner schwindelerregenden- Gedankenschöpfungen die meisten höher strebenden Zeitgenossen. Mit überraschender Schnelligkeit verschwand von den Kathedern vieler deutscher Universitäten die entsagungsvolle aber den Geist für fruchtbare Einzelforschung freimachende Lehre Kants und wurde ersetzt durch die verführerisch bequemen, berauschend wirkenden Irrlehren der Schellingschen Naturphilosophie. Bald waren unter Philosophen und Naturforschern nur noch ganz wenige aufrechte Vertreter exakter induktiver Forschung vorhanden, die unbeirrt durch die hochmütige, einseitig spekulative Modephilosophie als echte Wahrheitssucher den Weg nüchterner, unbefangener Beobachtung und vernunftgemäßer Erkenntnis ruhig weitergingen. Hand in Hand mit dem Umschwung in der Philosophie ging eine literarische Reaktion gegen die gesunde klassizistische Richtung der Weimarer Großen und gegen die Aufklärung. Die i) In den Träumen eines Geistersehers. Über die Anfänge der Naturphilosophie vgl. Erich Becher, Naturphilosophie. 1914 ( = Kultur der Gegenwart. 3, 7, 1. S. 8.)
5 krankhaften Erscheinungen der R o m a n t i k , gleich krankhalt im Leben wie in der Dichtung, drängten sich überall in den Vordergrund und begünstigten das Wiederaufleben mystischer Tendenzen1). Gefühl und Einbildungskraft überwiegen das klare Denken. Die Romantik hat uns daher keinerlei Segen gebracht; denn es ist nicht zutreffend, wenn man die richtigere Würdigung des historisch gegebenen, gegenüber dem rein vernunftgemäßen, die sich damals durchsetzte und die auf vielen Gebieten einen Fortschritt bedeutete, als ein ausschließliches Verdienst der Romantik bucht; sie hat ihre Wurzeln weiter rückwärts im Streben Herders und Goethes. Auch die hohe und bleibende Schönheit so mancher Dichtimg, die wir Angehörigen der romantischen Schule verdanken, vor allem Eichendorff und Uhland, kann das ungünstige Gesamturteil über die Richtung nicht ändern. In ihrer Lebensführung gaben die Häupter der Schule, die Gebrüder Schlegel, Clemens Brentano, Tiecks Schwester und die vielnamige Karoline ein schlimmes Beispiel der Sittenlosigkeit, welches der inneren Haltlosigkeit ihres Denkens und Dichtens entspricht. Goethes Endurteil über die Bewegung ist bekannt. Ihm war das Klassische das Gesunde, das Romantische das Kranke^. *) „Die Romantiker beurteilen die Wirklichkeit nicht an der Erfahrung, sondern vom Gedanken her. Von der Idee her die Wirklichkeit betrachten, d. h. also sie idealisch stilisieren, das ist Romantik." Heinr. Finke, Über Frdr. and Dorothea Schlegel. 1918. S. 6 Anm. *) Eckermanns Gespräche mit Goethe, 2. 4. 1829.
Der tierische Magnetismus. Im engsten sowohl äußeren als auch ursächlichen Zusammenhang mit Naturphilosophie und Romantik trat finsterster Aberglaube wieder an das Tageslicht. In der Aufklärungszeit hatte er sich entweder gar nicht hervorgewagt oder wenn es doch irgendwo geschah, war er jedesmal sofort vernichtend abgefertigt worden, dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen. Aber mit der neuen „bodenlosen Weltweisheit" konnte eben „jede Torheit in Einklang gebracht werden". Insbesondere der sog. tierische oder Lebensmagnetismus gewann bald wahrhaft epidemisch, in Theorie und Praxis eine Ausbreitung und Bedeutimg bis in die höchsten Bildungskreise hinauf, von der man sich in nüchternen Zeiten kaum einen Begriff machen kann. In Preußen wurde er durch eine seltsame Verkettung* der Umstände auch an den höchsten Stellen der Staatsverwaltung wirksam und bildete zeitweise ein Streitobjekt zwischen den obersten Leitern verschiedener Ressorts. Durch diese Verquickung mit politischen und religiösen Tendenzen der Zeit gewinnen diese noch niemals im Zusammenhang eingehend und quellenmäßig dargestellten Vorgänge ein Interesse, welches es wohl als lohnend erscheinen läßt, eine solche Darstellung zu versuchen. Gerade mitten in den folgenschwersten politischen Umwälzungen, in den Kämpfen für die Befreiung von der Fremdherrschaft, in dem darauf folgenden Streben nach Einheit und Freiheit Deutschlands, endlich in den Jahren der brutalen Reaktion gegen dieses Streben sehen wir mit Verwunderung, wie die Fragen über Sinn und Wert des tierischen Magnetismus weite und besonders einflußreiche Kreise in Berlin fortdauernd auf das lebhafteste interessieren. Die Irrlehre des tierischen Magnetismus, der nicht nur ein Universalheilmittel für alle Gebrechen des Leibes, eine Verjüngung der Menschheit, ja sogar der ganzen Natur, sondern schließlich auch Einblicke in die geheimsten Zusammenhänge der Körper- und Geisterweit, die Aufhebung der Hemmungen
7 durch Raum und Zeit, kurz die Lösung aller Welträtsel zu bieten versprach, wohl sogar schon zu besitzen behauptete, hatte damals, als sie in Berlin (durch eine Ironie des Schicksals gleichzeitig mit der Begründimg der Universität!) zur Herrschaft gelangte, schon eine 35jährige V o r g e s c h i c h t e in Deutschland und Frankreich, auf die wir kurz eingehen wollen. Im Jahre 1 7 7 5 war der aus den vorderösterreichischen Landen nach Wien gekommene Friedrich Anton Mesmer zuerst mit der Behauptung des Einflusses des Magneten auf den menschlichen Körper an die Öffentlichkeit getreten1). Mesmer hatte anfänglich Theologie studiert, dann war ihm durch die reiche Witwe des Hofrats von Bosch, die er später heiratete, das Studium der Medizin ermöglicht worden. 1766 hatte er mit einer die Grundrichtung seines späteren Wirkens schon ankündigenden Dissertation über den Einfluß der Planeten auf den menschlichen Körper promoviert, dann in der Wohnung seiner nunmehrigen Frau eine bald sehr ausgedehnte Praxis ausgeübt, in der die Anwendung von verschieden gestalteten Magneten mehr und mehr die Hauptrolle spielte und angeblich Wunder wirkte. Die Magnete lieferte ihm der Jesuitenpater und Astronom Max Hell (1720 bis 1792), der sie schon vor Mesmer selbst, zu Heilzwecken verwendet hatte 1 ). Prioritätsstreitigkeiten führten zu scharfen ') Nach Wolfarts auf Mesmers Angaben beruhender, aber mit Vorsicht aufzunehmender Darstellung (Erläuterungen zum Mesmerismus. 1813. S. IX ff.) ist Mesmer am 23. 5.1734 zu Weiler am Untersee (nicht, wie meist angegeben wird, zu Iznang) geboren als Sohn eines Bischöflich Konstanzischen Forstbedienten. Wahrend seiner theologischen Studien in Dillingen und Ingolstadt wurde er für Mathematik und Physik interessiert,' gab die geistliche Laufbahn auf und ging 1752 nach Wien, um Jura zu studieren. Er erhielt sich durch Unterrichten, ging später zum Studium der Medizin Aber. Wolfarts Zeitangaben sind konfus. — Ausführliche Nachrichten über die Anfänge Mesmers in Wien bietet Hufeland im Teutschen Merkur 1784. S. 60—90, 161—178. Beachtenswert ist immer noch der Artikel von Biot in der Biographie universelle, Tome 28, und die eingehende Darstellung von Eugen Sierke (in Schwärmer und Schwindler zu Ende des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1874. S. 70—221), die nur leider hier und da entstellt ist durch die völlig beweislose Annahme jesuitischer Einflösse auf Mesmer. Einen zuverlässigen Überblick Aber die Geschichte des tierischen Magnetismus und Aber spätere verwandte Erscheinungen in Frankreich bietet das geistvolle, von feiner Ironie durchtränkte Buch des Philosophen Ernest Bersot : Mesmer, le magnétisme animal, les tables tournantes et les esprits. 4. éd. Paris 1879. *) Vgl. K. Chr. Bruhns in Allg. Deutsche Biogr., der aber über sein Verhältnis zu Mesmer nichts berichtet.
8 Differenzen zwischen beiden, die auch literarisch ausgefochten, schließlich aber wieder beigelegt wurden. Der Zulauf zu seinen Kuren nahm trotz des Widerstandes der vernünftigen Ärzteschaft immer mehr zu und im Jahr 1775 legte der Wundermann in zwei Sendschreiben über die Magnetkur (eines an einen Arzt, eines an das Publikum gerichtet) seine Lehre der Öffentlichkeit vor. Bezeichnend und für den weiteren Verlauf des Magnetismusspuks vorbedeutend ist es, daß gleich in diesem ersten Hauptdokument der neuen Lehre die theoretischen Spekulationen durchaus vorwiegen vor der Induktion. Die angeblichen Heilwirkungen des Magneten werden nicht an der Hand der Erfahrung als Tatsachen nachgewiesen, sondern von der vorgefaßten Meinung aus als notwendig und ohne Prüfung als erwiesen hingestellt. Das Sendschreiben hatte die gewünschte Wirkung nicht; in Wien verhielt sich die medizinische Fakultät durchaus ablehnend und die Berliner Akademie der Wissens c h a f t e n , der der Prophet seine Schrift zur Beurteilung unterbreitete, hat das Verdienst, den wunden Punkt dieses Programms klar und bestimmt hervorgehoben zu haben, Nachdem eine erste kurze Erklärung der Akademie sich darauf beschränkt hatte, die Unvereinbarkeit von Mesmers vagen Behauptungen mit allen bisherigen Erfahrungen festzustellen, bat der österreichische Gesandte in Berlin, van Swieten, im Interesse seines Landsmannes um positivere Erklärungen. Darauf formulierte die mathematischphysikalische Klasse nach eingehendem Studium der bisher vorliegenden literarischen Nachrichten ihr Endurteil in präzisen Sätzen. Ohne die Möglichkeit einer Einwirkung des Magneten auf den menschlichen Körper unbedingt leugnen zu wollen, erklärte sie Mesmers Beweise für die Anziehung von angeblich magnetisiertem Papier, Wolle usw. durch den Magneten für ganz ungenügend, ebenso die angeblichen Heilwirkungen; vor allem aber verlangte sie, daß Mesmer das bisher ganz im Dunkeln gelassene Verfahren bekanntmache, womit er andere Körper als Eisen magnetisch zu machen und magnetische „Materie" in Flaschen zu laden behauptete. Solange er das nicht leiste, sei anzunehmen, daß er dem Trugschluß verfallen sei: Fallacia non causae ut causae1). Die Antwort auf diese entscheidende Frage ist Mesmer wohlweislich damals und auch in allen späteren Äußerungen *) Vgl. Sur les cures magnétiques opérées à Vienne in: Nouveaux mémoires de l'académie R. des sciences et belles-lettres. Année 1775. Berlin 1777. Hist. p. 33, und die von Sulzer als Verfasser gezeichnete deutsche Fassung in: Allg. Deutsche Bibliothek. 26, 1. S. 190. Sie ist datiert vom 24. 3. 1775.
9 schuldig geblieben, wie man sie auch bei seinen zahlreichen späteren Anhängern vergeblich sucht. Sie „magnetisieren" alles in der Welt, Lebendes und Totes, aber fragt mich nur nicht wie ! Im Jahre 1804 rühmte sich Mesmer einem glaubwürdigen Zeugen gegenüber, er (Mesmer) habe vor 20 Jahren die Sonne magnetisiert mit dem Erfolg, daß sie (die Sonne) seitdem noch viel mächtiger magnetisch wirke als früher! 1 ) Von dem ursprünglich behaupteten, schon vielfach in der antiken und der mittelalterlichen Medizin, auch von Paracelsus geglaubten Einwirkung des wirklichen, physischen Magnetismus auf den menschlichen Körper ging Mesmer schon sehr bald zu einer wesentlich veränderten Begründung und Erklärung seines Verfahrens über, bei der dem Magneten nur noch eine vermittelnde Rolle zufiel, das eigentlich wirksame Agens aber in dem Behandelnden selbst gefunden wurde, der es auch ohne Magnet mit Handmanipulationen übertragen könne. Dieser Wendung entsprach auch der nunmehr aufkommende Name tierischer Magnetismus. Es war das Körnchen von Wahrheit, welches in dem großen Truggebäude verborgen lag, jene merkwürdigen reellen Erscheinungen, die viele Jahrzehnte später, seit 1841 durch James Braid festgestellt und heute unter dem Begriff des Hypnotismus und der Suggestion zusammengefaßt werden, welches zu dem Umlenken Mesmers Veranlassimg gab, ihn selbst aber zu keinem Fortschritt wahrer wissenschaftlicher Erkenntnis führte, sondern vielmehr Mesmer und seine Nachbeter auf immer verworrenere Wege phantastischen Aberglaubens verlockte. Noch bevor diese Wendung in der Theorie eintrat, hatte Mesmers Herrlichkeit in Wien ein klägliches Ende genommen. Die sicher versprochene Heilung der in früher Kindheit durch den schwarzen Star erblindeten Tochter des Regierungssekretärs Paradis endete mit vollem Mißerfolg und veranlaßte widerwärtige Streitigkeiten mit den Eltern der Blinden*). Mesmer mußte das Feld räumen, nachdem auch der Leibarzt der Kaiserin und Präsident des medizinischen Unterrichtswesens Anton von Stoerck die angebliche Heilung ausdrücklich als Betrug bezeichnet hatte. Überdies war Mesmer in Vermögensverfall geraten, seine Ehe wurde getrennt. Im nächstfolgenden Jahr, 1779, tauchte er in Paris wieder auf, nachdem er zuvor seine in dem oben dargelegten Sinne modifizierten Lehren in einem „Mémoire sur la découverte du magné») Vgl. unten S. 85 Anm. *) Woher E. Sierke (a. a. O. S. 138) die ohne Quellenangabe gemachte Angabe hat, Mesmer habe die Paradis verfahrt, ist mir unbekannt.
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tisme animal" (Genève 1779) vorgetragen hatte. In Paris fanden sie weit empfänglicheren Boden als in Osterreich, wo demnächst unter Joseph II. der Geist der Aufklärung voll zur Herrschaft gelangte. Besonders in den damals, im letzten Jahrzehnt vor der Revolution noch maßgebenden vornehmen, vielfach mystisch gesinnten Kreisen fand die Lehre des ausländischen Propheten begeisterte Aufnahme, die Königin Marie Antoinette war ihr geneigt. Mesmers und des noch massiveren Schwindlers Cagliostro Wirken leisteten sich gegenseitig Vorschub. Die in großem Maßstab eingerichteten, nun auch mit den sog. B a q u e t s , Sammelkübeln der magnetischen Kraft ausgestatteten Kuranstalten hatten ungeheuren Zulauf. Der pekuniäre Erfolg des Betriebs war dementsprechend groß. Mesmer weigerte sich, sein Magnetisierungsverfahren öffentlich bekanntzumachen und es einer unparteiischen Prüfung durch die Königliche medizinische Gesellschaft zu unterwerfen. Auch das Angebot von 30000 Fr., welches die Regierung ihm für sein Geheimnis machte, lehnte er ab. Er verlangte vor Abschluß des Vertrages die formelle und unwiderrufliche Anerkennung des Vorhandenseins und der Nützlichkeit seiner Erfindung! Dann verkaufte er sie auf dem Wege einer Subskription für je 100 Louisdor ( = 2400 Fr.) an mehr als 100 Liebhaber der Kunst, welche Verschwiegenheit geloben mußten, sich aber später nicht an dies Versprechen gebunden hielten1). Die von den Anhängern begründete Société de l'harmonie verbreitete sich rasch über ganz Frankreich; Mesmer und sein Hauptschüler Deslon machten in der Provinz Reklame durch Plakate an den Straßenecken. Filialen der harmonischen Gesellschaft entstanden in Lyon, Bordeaux und Straßburg. Die letztere, 1785 begründet, zählte 1789 188 Mitglieder und veröffentlichte Annalen. Das Unwesen nahm solche Dimensionen an, daß die Regierung sich zum Einschreiten veranlaßt sah. Der König ordnete im März 1784 eine Prüfung durch zwei Kommissionen an, deren eine von der medizinischen Fakultät und der Akademie der Wissenschaften, die andere von der Société de médecine gebildet wurde. Sie bestanden aus den ersten und sachkundigsten Ärzten und Naturforschern Frankreichs, der akademischen Kommission *) Vgl. J . P. F. Deleuze, Hist. crit. du magnétisme animal. 2. éd. T. 1. 1818. S. 19 f. Nach S. 16 hat Mesmer durch die Subskription Ober 300000 Fr. eingenommen. Einen der Hauptanhänger und Förderer Mesmers in jenen Jahren, den Advokaten Bergasse, finden wir im August 1815 in Paris wieder als Geisterbeschwörer im Kreise der KrOdener. Vgl. Varnhagen, Denkwürdigkeiten. 3. Aufl. 4. 1871. S. 326.
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gehörte Benjamin Franklin und Lavoisier an, ihren Bericht erstattete Bai^ly. Die Mitglieder lösten die ihnen gestellte Aufgabe mit größter Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit und obgleich Mesmer sich weigerte, sein Verfahren der Untersuchung zu unterwerfen, fehlte es den Kommissaren doch nicht an dem zur Prüfung der Tatbestände erforderlichen Krankenmaterial, da der schon erwähnte Deslon entgegenkommender war als der Meister. Das Ergebnis war vernichtend für den Wundermann; in den Baquets war keine Spur von mineralischem Magnetismus zu finden; die magnetische Behandlung der Kommissare untereinander, dann ausgewählter Kranker aus dem Volk und aus vornehmem Stand, endlich die von ganz unvoreingenommenen Kindern ergab bei genügender Sicherung gegen Täuschung und Selbsttäuschung entweder gar keine Wirkung oder eine ganz unbeträchtliche, auch ohne Annahme einer unbekannten Kraft erklärbare. Das Endergebnis war, daß als die wahre Ursache der angeblich magnetischen Erscheinungen außer den körperlichen Berührungen die Einbildungskraft erkannt wurde, die bei den Massenbehandlungen am Baquet noch durch den Nachahmungstrieb Verstärkung erfährt 1 ). Nur ein einziger unter den zahlreichen Mitgliedern der beiden Kommissionen, der Botaniker Laurent de Jussieu, schloß sich diesem Urteil nicht imbedingt an; aber auch sein Separatvotum nahm in der Hauptsache jene drei Gründe attouchement, imagination, imitation an, nur für einige dadurch nicht genügend erklärbare Tatsachen glaubte er eine gewisse Wirkung der tierischen Wärme anerkennen zu müssen, die er auch „fluide électrique animalisé" nennt. Außer dem Hauptbericht, der in 20000 Exemplaren verbreitet wurde, überreichte die akademische Kommission dem Minister noch einen Geheimbericht über die Gefahren des Mesmerismus für die Sittlichkeit. Aber trotz dieser schweren Niederlage und obgleich es nun auch bald an literarischen Angriffen voll Hohn und Spott nicht fehlte, war damit die Mesmersche Lehre in Frankreich doch keineswegs ausgerottet. Zwar Mesmer selbst verließ das Land und lebte *) Mit der Annahme von imagination und imitation waren die Pariser Sachverständigen offenbar auf dem rechten Wege zur vemflnftigen Erklärung der pseudomagnetischen Erscheinungen; denn Einbildung und Nachahmung sind ja auch das Wesentliche in dem, was die heutige Wissenschaft als Autosuggestion und als Wechsel- und Massensuggestion bezeichnet.
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seitdem fast verschollen in seiner Heimat; aber noch in demselben Jahr 1784 erfuhr seine Kunst eine verhängnisvolle Erweiterung durch drei enthusiastische Anhänger, die Gebrüder P u y s i g u r . Bei den magnetischen Kuren, die sie auf ihrem Gut Busancy bei Soissons ausübten, stellten sie bei einem Patienten Clairvoyance, den nachmals sog. Somnambulismus fest, jenen Zustand, bei dem der Schlafende nicht nur das Innere des eignen Körpers, sondern schließlich auch über Raum und Zeit hinaus Vorgänge an weit entfernten Orten und auch die Zukunft schauen soll. Auch der Arzt Dr. P e t e t i n in Lyon, bis dahin ein entschiedener Gegner des Mesmerismus, berichtete, daß eine von ihm behandelte Starrsüchtige im Schlaf sehe und höre, durch die Magenhöhle, durch Finger und Zehen, auch durch dunkle Körper hindurch. Er erklärte diese angebliche „Tatsache" durch das so beliebte „Fluidum", bei ihm ein elektrisches, welches im Gehirn entstehe. Durch diese „Entdeckungen" erfolgte ein neuer Aufschwung des Mesmerismus; bald zählte man über 40 harmonische Gesellschaften mit über 4000 Mitgliedern. In Frankreich hat dann wenige Jahre später der eiserne Besen der Revolution neben so vielen anderen zum Untergange reifen Mißbräuchen auch den Magnetismusspuk ausgefegt. Beaumarchais und Mirabeau verdrängten Mesmer und Puys£gur; leider aber fand die Modetorheit zur selben Zeit um so breiteren Eingang in Deutschland.
Der Magnetismus in Deutschland. So lange in Deutschland der gesunde Geist der Aufklärung herrschte, konnte der Magnetismus nicht vordringen; wir sahen, wie ablehnend sich 1775 die Berliner Akademie verhielt; Prinz Heinrich von Preußen, der Gesinnungsgenosse seines großen Bruders, der das Treiben in Paris selbst beobachtet hatte, erklärte den Magnetismus für ein Nichts; das vernichtende Urteil der beiden Kommissionen fand volle Zustimmung nicht nur, wie natürlich in dem Organ der Berliner Aufklärung, Gedickes und Biesters Berlinischer Monatsschrift (Bd. 5, 1785, S. 8), sondern auch in Wielands Teutschem Merkur. In diesem erschien noch in demselben Jahr, in dem die Pariser Gelehrten ihr Urteil gefällt hatten (1784, S. 60—90, 161—178), ein sehr eingehender anonymer Aufsatz „Mesmer und sein Magnetismus", der sich jenen Spruch vollkommen zu eigen macht und in dem Satz gipfelt, daß „Mesmer höchst wahrscheinlich ein sich selbst betrügender Schwärmer, sein Magnetismus ein Hirngespinst und seine Wunder Wirkungen kranker Einbildungskraft sind." Auch die „Geldschneiderei des Gauklers" wird gebrandmarkt (S. 164). Verfasser dieser in der angesehensten deutschen Zeitschrift natürlich Aufsehen erregenden scharfen Kritik war niemand anders als Christian Wilhelm H u f e l a n d , der nachmals so berühmte Praktiker, durch seine weitverbreitete Makrobiotik wohl die populärste Gestalt der deutschen Ärzteschaft. Später zu einer ganz anderen, weit und immer weiter entgegenkommenden Auffassung des tierischen Magnetismus gelangt, hat er rückblickend jenen MerkurAufsatz als das Produkt der „Furcht vor Jesuitismus und Aberglauben" bezeichnet, welche er, der damals 22 jährige, als Mitglied des Illuminatenordens gehegt habe 1 ). Aber die Ablehnung seitens der Aufklärung und der echten medizinischen Wissenschaft vermochte das Eindringen des Ma>) Selbstbiographie von 1831, hrsg. von Göschen in Dentsche Klinik 1863, Nr. 13 iL, auch Sep.-Abdr. S. 26.
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gnetismusspuks auf anderem Wege in Deutschland nicht aufzuhalten. Besonders folgenreich wurde die Bekehrung des in weiten Kreisen einflußreichen L a v a t e r zu Puységurs Somnambulisme magnétique, den er schon 1785 bei seiner eignen kranken Frau als Heilmittel in Anwendung brachte und dann mit dem ihm eignen Enthusiasmus weithin mündlich und schriftlich verkündete, besonders in Bremen, wo unter seinem Einfluß 1786 eine Gesellschaft von Anhängern des Magnetismus begründet wurde 1 ). An Widerspruch fehlte es zwar natürlich auch jetzt nicht; der kräftigste und vielleicht wirksamste kam von einem Manne, dem man kaum in dieser Sache zu begegnen erwartet, von dem damals noch jugendlichen Philologen Friedrich August Wolf. Im Juli 1787 veröffentlichte er in der Berlinischen Monatsschrift (Bd. 10, S. 209 ff.) einen zuvor in einer Hallischen Gesellschaft vorgetragenen „Beitrag zur Geschichte des magnetischen Somnambulismus im Altertum". Aus der Fülle seiner antiquarischen Kenntnisse heraus stellt er die dem Magnetismus und Somnambulismus ähnlichen, z. T. mit ihnen völlig gleichen Erscheinungen im alten Ägypten, Griechenland und Italien zusammen, die Inkubation in den Tempeln des Äskulap und der Isis, den dabei eintretenden divinatorischen Schlaf, die Orakel, welche die Art der Heilung vorschreiben usw. Auch die Verspottung solcher schon den intelligenten Zeitgenossen lächerlichen Kuren in Aristophanes Plutus fehlt nicht. In der Einleitung und in den Schlußbemerkungen legt Wolf mit feiner Ironie und mit der unvergleichlichen Klarheit und Schärfe, welche die Welt bald an dankbareren Arbeiten des großen Gelehrten bewundern sollte, den einzig möglichen Standpunkt fest, welchen wissenschaftlich denkende Menschen gegenüber den unausrottbaren abergläubischen Ideen roher Nationen und ungebildeter Menschen unweigerlich einzunehmen haben. Er schreibt der modischen Empfindsamkeit die Hauptschuld zu an dem Wiederaufleben der uralten Torheiten; es fehlten davon bald nur noch die alten Benennungen Inkubation und Orakel; dafür sei das Lesen mit den Fingern, das den Alten noch imbekannt war, neu hinzugekommen. Im übrigen sei es gleich, ob die Inspiration durch x ) Lavater magnetisierte selbst in Bremen unter Assistent namhafter Arzte; seine Manipulationen waren nach dem Urteil anderer sittlich bedenklichster Art (Berlinische Monatsschrift 1787. 1. S. 135 1., 479 f.). Die Verirrung dieses Schwärmers ist nicht besonders verwunderlich ; verteidigte er doch sogar bis zu einem gewissen Grade Cagliostro und glaubte an eine von diesem bewirkte H e i l u n g einer unheilbar Krankenl Vgl. Rechenschaft an seine Freunde. 1. 1786. S. 10.
15 Isis, Äskulap — oder Lavater erfolge; oder durch „ein anderes namenloses Wesen, das wir anderen freilich schon unter dem gemeinen Namen der überspannten Einbildungskraft kannten." Aber solche Stimmen des gesunden Menschenverstandes konnten nicht verhindern, daß außer in Bremen, wo auch der große Astronom Heinrich Olbers dem Magnetismusglauben verfiel, auch in Schwaben und dann im Zusammenhang mit der Ausbreitung der den Wahn begünstigenden Schellingschen Naturphilosophie und mit der Entdeckimg des anfangs falsch gedeuteten Galvanismus noch an vielen anderen Orten, besonders in Jena und Würzburg, Mittelpunkte des Mesmerismus entstanden 1 ). Berlin, der alte Hauptsitz der Aufklärung, blieb zunächst von dem Unwesen ziemlich verschont, bis etwa im Jahre 1808 auch dort seine Adepten sich breit machten. Der erste und Hauptbahnbrecher war — eine Ironie des Schicksals — derselbe H u f e l a n d , der ein Vierteljahrhundert zuvor gegen Mesmer eine so scharfe Klinge geschlagen hatte. Aber freilich der unabhängige, jugendliche Streiter von 1784 war nun seit 1798 ein würdevoller Königlicher Leibarzt geworden, der freidenkende Illuminât ein korrekt lärchlich Gläubiger, der später als der vorsichtigste und höfischste aller Berliner Professoren galt und Parteigänger der finstersten Reaktion in Staat und Kirche wurde, befreundet mit dem Walachen Stourdza, dem Denunzianten der Burschenschaft, Schildknappe Wittgensteins und schließlich sogar Sekundant Hengstenbergs*). In seinem Journal für praktische Heilkunde (Bd. 29, 1808)*) verkündete er seine Bekehrung. Er findet nun eine „unleugbare faktische Wahrheit in den Erscheinungen, getrennt von allem Einfluß der Phantasie, der Sinnlichkeit und des Betruges", er erkennt „die physische nicht psychische Natur des Wirkenden" an als angeschlossen an die Reihe der höheren Naturkräfte der Elektrizität und des Galvanismus. Die neue Erleuchtung verdankt er eigner Erfahrung mit einer nervenschwachen Dame, die in periodischem Somnambulismus bei geschlossenen Augen mit den Fingern liest, in der Hauptsache aber beugt >) Vgl. Hirsch. S. 471 ff. Als Datum von Hufelands Kritik im Teutschen Merkur ist hier irrtümlich 1780 angegeben. Den Zusammenhang der halbmystischen Lehre vom Magnetismus mit den philosophischen und religiösen Richtungen der Zeit hat schon 1817 der Physiker Christoph Heinr. Pfäff treffend dargelegt : „Über und gegen den tierischen Magnetismus." S. V I I ff. 3—14. ') Vgl. Lenz, 2, 1. 1910. S. 96. 184 und unten S. 64 Anm. *) Wieder abgedruckt in Kleine med. Schriften, Bd. 4. 1828.
i6 er sich der Autorität „philosophischer" Arzte von hellem Kopf und reinem Herzen"; er nennt als solche Gmelin, Wienholt, Heinecken, Pezold, Reil, Schelling. Ausdrücklich erkennt er auch nicht nur die Anschauung des inneren physischen Zustandes, sondern auch ein Divinationsvermögen, betreffend Verlauf und Ausgang der Krankheit, endlich auch eine geheimnisvolle Verbindung des Behandelten mit dem Magnetiseur und die Verminderung ja Aufhebung seiner Verbindung mit der Außenwelt an! Alle diese Wunder werden durch Berührung und Bestreichung erweckt, ja selbst ohne Berührung durch ein unbekanntes Intermedium vermittelt! Der durch und durch skeptische Saulus des Merkuraufsatzes von 1784 hat also seinen Tag von Damaskus erlebt, er ist ein gläubiger Paulus geworden, der sein credo quia absurdum höchst unbefangen — oder unverfroren hersagt: „Wir kennen weder das Wesen dieser wunderbaren Kraft, noch ihre Grenzen", aber — wir glauben daran. Wer das Leben und Wirken dieses vielgepriesenen Mannes im ganzen überblickt1), wird sich nicht allzusehr über diesen Umfall wundern. Hufeland ist immer ein Eklektiker gewesen ohne festen Halt. In dem Bestreben, alles zu prüfen und das beste zu behalten, welches er als leitenden Grundatz proklamierte, suchte er nur zu oft auch dem baren Unsinn noch Belehrung und Nutzen abzugewinnen. So begrüßte er 1805 Galls Kranioskopie voreilig als „wichtigsten und kühnsten Fortschritt im Reiche der Naturforschimg" und auch Hahnemanns homöopathische Methode erklärte er 1800 für beachtenswert und hat diese konnivierende Stellungnahme sein Leben lang beibehalten. Diese schwächliche Haltung des großen Praktikers gegenüber den bedenklichsten medizinischen Irrlehren seines Zeitalters hängt eng zusammen mit seinen vitalistischen Überzeugungen. Eine Kraft ohne Stoff, wie es die Lebenskraft der Vitalisten ist, zeigt sich ja in krassester Form in Hahnemanns Homöopathie und spukt auch trotz aller natürlichen Erklärungsversuche im tierischen Magnetismus. Die magnetische Behandlung seiner Kranken ließ Hufeland damals ausführen durch den jungen Karl Alex. Ferd. Kluge (geb. Straußberg 1782), der nach eigner Angabe das praktische Verfahren von zwei Amateur-Magnetiseuren der vornehmen Welt, dem Grafen Moritz Brühl und seinem Sohn Karl erlernt hatte*). l
) Vgl. Hirsch besonders S. 545. 570. 578. 606. *) Vgl. Justinus Kerner, F. A. Mesmer, 1856, S. 143, und aber Moritz Brühls, des preußischen Chausseebauers, schon um 1789 bestehenden Glauben an magnetische Kuren: Hans v. Krosigk, Karl Graf Brühl. 1910. S. 153.
17 Der sonst verständige und nüchterne Kluge, der in späteren Jahren von dieser Jugendverirrung zurückgekommen ist und sich als Universitätslehrer und dirigierender Arzt im Charit£kranken* hause bleibende Verdienste erworben hat, unternahm es 1 8 1 1 in dem „Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetisr mus als Heilmittel", den damaligen Bestand der Erfahrungen und angeblichen Heilerfolge des Magnetismus übersichtlich zusammenfassend darzustellen. Im ganzen nüchtern und sachlich gehalten, wenn auch der so dringend erforderlichen höheren Kritik entbehrend, hat dies Buch, welches rasch 3 Auflagen erlebte (1811, 1 8 1 5 und die dritte unveränderte Auflage 1819) mehr als irgendein anderes zur Verbreitung des Magnetismus beigetragen; es war bald das anerkannte Handbuch der Lehre und hat ihr viele Anhänger gewonnen 1 ). Kluge schickte sein Werk im Jahr 1 8 1 2 an Mesmer mit der Bitte um Berichtigungen für die 2. Auflage*). Von Kluge und Wolfart rührt die Benennimg Mesmerismus her. Außer Kluges Buch und schon vorher trug ein Besuch, den Oken 1809 bei dem in Zurückgezogenheit in Frauenfeld im Thurgau lebenden 75jährigen Mesmer machte, nicht wenig zu verstärktem Aufleben des Magnetismus bei 3 ). Mesmer erbot sich >) Vgl. x. B. Nachrichten aber Leben and Schriften Karl Ernst von Baers 1865. S. atS. Der große Embryologe wurde durch Klage« Bach gewonnen, fand aber bald ein Haar in diesen Bestrebungen. Vgl. unten S. 62. Auch Goethe erwähnt in den Tag- und Jahresheften 1813 die Lektüre des Kluge, die ihn aber trotz seiner naturphilosophischen Neigungen eicht bekehrt hat. Die Auswüchse des Magnetismus widerstrebten seinem gesunden Sinn. Vgl. das zuerst 1827 gedruckte, aber froher entstandene zahme Xenion: Viel Wunderkuren giebts jetzunder Bedenkliche, gesteh ichs frei; Natur und Kunst tun große Wunder Und es giebt Schelme nebenbei." Auch das Xenion von 1821 zielt auf diese Dinge: „Willst du, was doch Genesene preisen, Das Eisen und handhabende Weisen So ganz entschieden fliehen und hassen? Da Gott mir höhere Menschheit gönnte Mag ich die t&ppischen Elemente nicht verkehrt auf mich wirken lassen." Hufeland hat uns ein Wort des Dichters überliefert, der einmal zu ihm sagte: „Ich habe mich nie mit dem Magnetismus befassen wollen, denn er hat zu viele Mauselöcher und Mausefallen." Vgl. Journal für praktische Heilkunde. Bd. 54. 1822. Stück 6. S. 3. Kräftiger noch lautet, was er am 2. 8. 1815 zu Boisserte über den Magnetismus sagte: „Er hasse dieses Treiben, weil die Menschen es zu weit fahren und doch sicherlich nie dahinter kommen, darum bekümmere er sich auch gar nicht darum und wolle nichts davon wissen." (Goethes Gespräche. Neu hrsg. von F. von Biedermann. Bd. 2. 1909. S. 318.) *) Kerner a. a. O. S. 146. *) Vgl. Kieser im Archiv für den tierischen Magnetismus Bd. 12. 1823. St. 2. S. 141 ff.; die Briefe auch A. Min. 1, 1. 2. E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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i8 Oken gegenüber, sein ganzes Verfahren einem gelehrten Arzt mitzuteilen, wenn dieser es übernehme, es in einem Hospital im großen anzuwenden und zu prüfen. Oken wies 1810 in der Jenaer Literaturzeitung auf dies Anerbieten hin und suchte Ende 1811 Reil in Berlin persönlich dafür zu interessieren, brachte auch Mesmer und Reil in direkte Korrespondenz. In einem Brief vom 28.1. 1812 lud nun Mesmer unter Vorausschickung einer unglaublich marktschreierischen Anpreisung seiner Lehre und seiner Künste Reil ein, da es ihm selbst seines hohen Alters wegen unmöglich sei, die weite Reise nach Berlin zu machen, zu ihm nach Frauenfeld zu kommen, wo er ihm in 6 Wochen sein „physisches System samt dessen Anwendung vollständig mitteilen" werde. Voraussetzung sei aber, daß Reil und andere Gelehrte „ v o r obgedachtem Unternehmen durch günstige Ankündigungen und Belobungen Darstellung des allgemeinen Interesses vermittelst Zeitungen und öffentlicher Schriften das Vorurteil aufheben" und dadurch Publikum und Regierungen vermögen, die baldige Einführung zu wünschen, ktli% „den unvernünftigen Unglauben in heilsamen Enthusiasmus verwandeln"; also eine ganz ähnliche ungeheuerliche Zumutung wie die 30 Jahre vorher in Paris der französischen Regierung gemachte x). Es ist kaum begreiflich, daß diese befremdliche Bedingung, Reklame für die Geheimnisse zu machen, vor ihrer Bekanntgabe Männer wie Oken und Reil nicht zu einer glatten Absage an den Scharlatan bewog. Aber sie ließen sich auch dadurch nicht abhalten, der Sache näherzutreten. Reil legte den seltsamen Brief am 12. März 1812 seinem höchsten Vorgesetzten, dem Minister S c h u c k m a n n vor. Wir dürfen uns diesen Mann, der seit Ende 1810 an Wilhelm von Humboldts Stelle und vielfach in wesentlich anderem Sinne als sein großer Vorgänger der Unterrichts- und der Medizinalverwaltung vorstand und dem in dem beginnenden Magnetismusstreit eine Hauptrolle zufiel, nicht vorstellen nach dem einseitigen Urteil Wilhelm von Humboldts und Steins, der ihn einen Philister der alten Zeit nannte; wir dürfen ihn auch geistig nicht auf eine Stufe stellen mit Wittgenstein, dem allmächtigen Führer des rohen Rückschritts in Preußen, mit dem ihn die unberechenbaren Strömungen des öffentlichen Lebens später in eine unnatürliche Bundesgenossenschaft brachten. Friedrich von Schuckmann, geborener Mecklenburger, aber in Preußen aufgewachsen, in Brandenburg a. H. im Geiste der Aufklärung erzogen und geOben S. ro.
19 bildet, hatte in Halle studiert, die befreienden Ideen Kants in sich aufgenommen und betätigte sie im Leben, in mancher Hinsicht auch in den Verwaltungsämtern, die er in Schlesien, dann in den fränkischen Fürstentümern, zuletzt in Berlin bekleidete. Der angebliche Philister stand in jungen Jahren mit den führenden Geistern der Wissenschaft und Literatur in nahen persönlichen Beziehungen. Von Alexander von Humboldt, mit dem er unter Hardenberg in Franken zusammenarbeitete, wurde er hoch geschätzt und schon vorher im Jahre 1790 hatte er Goethes Achtung bei dessen Aufenthalt in Schlesien in so hohem Maße gewonnen, daß dieser ihn für eine leitende Stellung im Weimarer Ministerium zu gewinnen suchte. Aber Schuckmann lehnte diesen Ruf ab, wie auch später 1806 andere ähnliche Verlockungen, um dem preußischen Staate treu zu bleiben, dem er im Sinne des aufgeklärten friderizianischen Absolutismus diente mit weitem Blick und festem Willen. Daß er trotz seiner persönlich freien Denkart für die Erhaltung kirchlicher Gläubigkeit eintrat, beruht auf ähnlichen nüchternen Erwägungen, wie sie auch für die Kirchenpolitik des großen Königs maßgebend gewesen sind. Schuckmann hielt den „alten ehrlichen Köhlerglauben", wie er ihn selbst nannte, für unentbehrlich zur Erhaltung der Sittlichkeit im Volke, für welche die reinen Vernunftbegriffe nicht genügten. Diese freilich innerlich unwahre Stellungnahme in den religiösen Fragen, und auf eigentlich politischem Gebiet die Befürchtung einer Schwächung der staatlichen Autorität, deren, Aufrechterhaltung ihm ganz besonders am Herzen lag, durch überstürzte Reformen führten den alten Kantianer mehr und mehr in die unnatürliche Bundesgenossenschaft mit den wirklichen Reaktionären, die in ihren Revolutionsbeklemmungen den guten altpreußischen Geist des friderizianischen Zeitalters bald ganz verleugneten, zu dem in den ersten Anfängen seiner Regierung auch Friedrich Wilhelm III. sich noch bekannt hatte. Sehr merkwürdig ist die Verquickung scheinbar unvereinbarer Ansichten, welcher wir hier begegnen. Wir finden den Verteidiger des Absolutismus auf politischem, des Köhlerglaubens auf religiösem Gebiet, in der Wissenschaft den Aberglauben grimmig befehdend, während gleichzeitig die Vorkämpfer der Verfassung und überhaupt der freiheitlichen Entwicklung in Staat und Kirche, die Hardenberg, W. v. Humboldt, Schleiermacher, um nur die vornehmsten zu nennen, unrettbar in solchen unwissenschaftlichen Wahnglauben verstrickt sind. In der Verwaltung der wissenschaftlichen Angelegenheiten hielt Schuckmann an den alten Grundsätzen fest und brachte 2*
20 den gesunden Menschenverstand, dem er huldigte, in der ihm eignen kräftigen, nicht selten schroffen, manchmal verletzenden Form zur Geltung. So lehnte er denn auch natürlich ein Eingehen auf Mesmers Anerbieten ab. In einem Votum zu den Akten vom 1 2 . 3 . 1 8 1 2 , welches an Deutlichkeit und blutiger Ironie nichts zu wünschen übrigläßt, erklärt er, daß auch er an dem Unglauben laboriere, über den Mesmer sich beschwere; aus dem auffallenden Verlangen öffentlicher Anpreisung der Geheimnisse vor ihrer Aufschließung ersehe er, daß man mit 78 Jahren noch Schwärmer oder Scharlatan sein könne. Er werde bei seinem Unglauben bleiben, bis Mesmer oder einer seiner Schüler vor seinen Augen eine Unze Arsenik verschluckt habe und dann durch Magnetismus geheilt werde. Er sei bereit, die Kosten dieses Experiments zu tragen, da es den wichtigen Erfolg haben würde, entweder dem Prediger des Aberglaubens oder dem des Unglaubens den Mund zu schließen. Bis dahin sei Unglauben um so mehr seine Pflicht, weil sonst ja ein Mesmersches Baquet als ein Universal-Klinikum die medizinischen Fakultäten samt allen ihren Heilanstalten entbehrlich machen würde. Wir dürfen annehmen, daß er in gleichem Sinne Reil mündlich beschieden hat. Aber dies scharf ablehnende Verhalten des zuständigen Ministers genügte keineswegs zur endgültigen Abwehr des Vorstoßes der Mesmerischen Partei. Schon vorher hatte sie an der neu errichteten Berliner Universität Fuß zu fassen versucht, im Einvernehmen und unter gegenseitiger Förderung mit den Anhängern der Naturphilosophie. Schon bald nach Eröffnung der Universität hatte der frühere Professor der Physik und Medizin am Hanauer oberen Gymnasium, Karl Christian Wolf art 1 ) (geb. Hanau 1778), der schon in seinen Studienjahren dem tierischen Magnetismus gehuldigt hatte, sich, nachdem ein Gesuch um eine Professur von der Unterrichtssektion abgelehnt worden war, als Privatdozent betätigt, ohne sich indessen regelrecht zu habilitieren, was er als Hanauer Professor für unter seiner Würde hielt. Seine ausgesprochene Absicht war, die Naturphilosophie auf die praktische Medizin anzuwenden1). Als er schon im zweiten Semester seinen Antrag auf eine Professur, diesmal nur ein Extraordinariat erneuerte, war in der Fakultät nur Hufeland dafür, alle anderen, auch Reil, dagegen. Im Gutachten der Fakultät vom 9. 2. 1811 waren aber auch einige Lobsprüche eingeflossen, welche dann 6 Jahre später vom Mi') Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen. Jg. 10. 1832. x, 398—403. ) Lenr 1, 237. 388.
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nisterium dazu benutzt werden konnten, um der ihm selbst unwillkommenen Verleihung des Ordinariats einen Schein des Rechts zu geben1). Aber so gering Wolfarts Lehrerfolge damals waren und auch später blieben, um so größeren äußeren Erfolg hatte er durch die in großem Umfang geübte Verwendung des Magnetismus als Universalheilmittel. Ein im Jahre 1 8 1 1 begründetes Journal Asklepieion diente zur Verkündigung seiner Wundertaten. In weiten, besonders in den gebildeten Kreisen gewann er durch einschmeichelndes Wesen Anhang, vielfach Verwendung als Hausarzt; auch eine gewisse dichterische Begabung verschaffte ihm Sympathien*). Wir finden außer Hufeland auch Schleiermacher, Solger8), Savigny, Steffens sogar Reil als Renommierzeugen bei Wolfarts Kuren, was freilich noch nicht beweist, daß sie all den von Wolfart behaupteten verwegenen Unsinn geglaubt haben; sie assistierten immer nur passiv, griffen nicht prüfend und kontrollierend ein4). Besonders der Fall einer vorgeblich von Wolfart geheilten Hofrätin Kfilz erregte damals in Berlin größtes Aufsehen. Der weitschweifige Bericht vom 20. 11. 1811 im Asklepieion') schreibt ihr im Zustande des Hellsehens die Fähigkeit des inneren Beschauens und infolgedessen genaue anatomische Einsichten in die Struktur ihres Gehirns zu. Sie sieht in diesem Zustand Vorgänge, die viele Meilen von Berlin entfernt vorgehen; sie wittert in Wolfarts Tasche ein Papier, auf dem er sich die Todesprophezeiung einer anderen Somnambule notiert hat! Eine Hauptrolle spielt bei ihr die „Metallprobe". Wenn der Magnetiseur vergessen hat, bei der Behandlung seine Uhr abzulegen, so bekommt die Kranke sofort heftige Zuckungen; ebenso als ein ') Lenz 1, 561. ') Das Tagebuch des Grafen Loeben zeigt uns Wolfart im Februar 1810 in engem freundschaftlichen Verkehr mit den Häuptern der romantischen Schule, Arnim, Kleist, Eichendorff usw. Vgl. Euphorion. 15. 1908. S. 575') Die kritiklose Leichtgläubigkeit dieses sonst so achtbaren Mannes reigt sich in seinen Briefen an Friedr. v. Raumer und an eine Frau von B. aus dem Juni 1812, in Solgers nachgelassenen Schriften und Briefwechsel. 1. 1826. S. 230. 235. •) Wolfart benannte gelegentlich auch falschlich Gewährsmänner, die ihn nachher Logen straften. Vgl. unten S. 45 Koenens Zeugnis. *) Geschichte einer Heilung durch Lebensmagnetismus in Asklepieion 1811. S. 1393—1488. Der in der Zeitschrift und bei du Bois nicht genannte Name der Dame ergibt sich aus Koreffs Brief bei Lenz 4, 303 und aus Wolfarts Immediatbericht vom 2. 4. 1816. Vgl. unten S. 43.
22 Verwandter, der am Morgen Quecksilber berührt hat, sich ihr nähert. Diese Schwindlerin war es, von deren Entlarvung durch Paul Er man du Bois-Reymond berichtet1): „Er entlarvte persönlich eine in Berlin sehr bekannte Somnambule, der die bloße Nähe irgendwelcher Metallmassen, z. B. der Geldstücke in den Taschen der Besucher fürchterliche Krämpfe verursachten, dadurch, daß er sie, ohne daß sie es merkte, mit den durch die Armel herausgeführten Leitungsdrähten eines galvanischen Plattenpaares berührte, welches er auf der Brust versteckt trug." Aber der Glaube an die Wunderwirkungen war nicht so leicht auszurotten: L'homme est de glace aux vérités, il est de feu pour les mensonges! Sogar die medizinische Fakultät wurde wankend. Nicht nur der schon seit 4 Jahren bekehrte Hufeland, sondern auch der in seinen letzten Lebensjahren mehr und mehr in naturphilosophische Schwärmerei verfallende Vitalist Reil begünstigte jetzt im Jahre 1812 Wolfarts erneute Bemühungen, ohne Leistung der vorgeschriebenen Bedingungen zu einer Professur zu gelangen. Auch der Chirurg Graefe stimmte zu und nur mit Mühe gelang es dem Physiologen Rudolphi, unterstützt von Horkel und Knape, den unerwünschten Eindringling auch diesmal fernzuhalten. Schuckmann stellte sich unbedingt auf ihre Seite*). Nach diesen Erfahrungen wendete Reil sich nun mit seinen Wünschen für „Begründung eines Lehrstuhls für philosophische Physik", den er Schelling oder Steffens zudachte, über Schuckmann hinweg direkt an den Staatskanzler H a r d e n b e r g ; und ohne Zweifel im Einverständnis mit Reil wurden aus der Studentenschaft heraus im Februar 1812 ähnliche Wünsche für Errichtung einer eignen Professur für Naturphilosophie zuerst mündlich, dann auf Hardenbergs Verlangen schriftlich diesem vorgelegt, in einer von 56 Studenten unterzeichneten Eingabe. Unter den Petenten befand sich auch Peter Krukenberg, nachmals Professor der Medizin in Halle und Schwiegersohn Reils*). Schuckmann, dem die Eingabe von Hardenberg zur Äußerung vorgelegt wurde, läßt in dem am 1. 3. 1812 erstatteten Gutachten4) seinem Hohn und Spott freien Lauf über die „nach aaturphilosophischen Grundsätzen a priori zu konstruierende *) Gedächtnisrede auf Paul Erman 1853. S. 18 und erweitert in Reden. 2. Aufl. Bd. 1. 1912. S. 70. *) Lenz 1, 476. ») Lenz 1, 473—475') Abgedruckt bei R. Röpke, Gründung der Univ. Berlin. 1860. S. 232. Vgl. auch S. 122.
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Arneiwissenschaft, über die Selbstheilung der in den Schlaf magnetisierten Kranken. So bequem es sein mag, wenn durch Schlaf die Weisheit gegeben wird, so kann ich doch nie dafür stimmen, einen Meister solcher Kunst zu berufen." Das alles sei wahre Gaukelei. In der Geburtshilfe verlange man einen Lehrer, der „aus den neuphilosophischen Prinzipien entwickele, wie der Fötus durch das geheime dynamische Spiel der Natur entstehen, gebildet und geboren werden müsse. Man hat mir aber einen solchen Propheten bis jetzt noch nicht genannt." Etwa in diese Zeit muß ein Ereignis fallen, welches dem Magnetismus höchst abträglich, von seinen Anhängern möglichst totgeschwiegen wurde und uns nur durch Zufall überliefert ist. Ein Assistent des damals angesehensten Berliner Arztes, des „alten Heim", Dr. Schmidt, hatte durch magnetische Kuren und Unterlassung des indizierten vernünftigen Heilvierfahrens mehrere Patienten schwer geschädigt. In zu später Erkenntnis seines Irrtums starb er aus Gram und Gewissensqualen, Schuckmann erwähnt den traurigen Fall in einem Bericht vom 6.9.1816 unter Berufung auf das Zeugnis Lichtensteins1). Lenz 1, 551.
Kommission zur Prüfung des Magnetismus. Trotz seiner unzweideutigen Stellungnahme gegen den ganzen abergläubischen Spuk fühlte Schuckmann sich doch bewogen, die Hand zu bieten zu einer unparteiischen Prüfung der ganzen so viel Staub aufwirbelnden Frage. Wer den ersten Anstoß zu der Einsetzung der Kommission zur P r ü f u n g des t i e r i s c h e n M a g n e t i s m u s gegeben hat, ist nicht klar ersichtlich. Hufeland schreibt sie sich selbst zu: „Ich veranlaßte die Errichtung einer Kommission zur Untersuchung dieses Gegenstandes und war Mitglied derselben, bis sie ohne meine Schuld auseinanderging"1). Dagegen sagt Adolph Erman in einer handschriftlichen biographischen Skizze von 1853 und ihm folgend du Bois-Reymond in seiner Gedächtnisrede auf Paul Erman, daß „der Antrieb zur Einsetzimg der Kommission" von diesem herrührte. Der erstere fügt hinzu, daß „die Kommission längere Zeit dem Unwesen des tierischen Magnetismus eine gründliche Prüfung angedeihen ließ, welche natürlich den dabei geübten Betrug vollständig entlarvte, deren Akten aber von den betreffenden höchsten Behörden für zum Druck nicht geeignet erklärt worden und entweder vertilgt oder wenigstens bis jetzt spurlos konfisziert gebheben sind." Beide Angaben sind ja nicht durchaus unvereinbar; Gegner und Freunde des Magnetismus mögen den Wunsch einer unparteiischen Prüfung gehegt, Erman als Gegner den ersten Anstoß gegeben haben, während Hufeland als Ministerialrat die Ausführung des Planes zufiel. Von seiner Hand stammt der Entwurf zu dem Publikandum vom 23. Mai 1812, welches zunächst anordnete, daß fortan nur noch approbierte Ärzte den Magnetismus als Heilmittel anwenden dürfen, und daß sie über die Erfolge ihrer Kuren der vorgesetzten Staatsbehörde zu berichten haben. Dann wird die Prüfung der Sache durch einen „Verein sachkundiger Männer" angekündigt, „um Journal für prakt. Heilkunde. Bd. 44, 3. 1817. S. 97.
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mit dieser Angelegenheit womöglich endlich in das klare zu kommen und die Resultate bekannt zu machen" 1 ). Hufelands Entwurf zu diesem Erlaß erschien seinen drei Kollegen in der Medizinalabteilung Langermann, Kohlrausch und Welper zu sehr als eine „Anerkennung des Magnetismus". Schuckmann war derselben Ansicht, er machte einige, eine solche Deutung ausschließende Änderungen; so setzte er den Satz hinein, daß die Gesundheit und die Mondität der Staatsbürger durch die Einschränkung des Magnetisierens gesichert werden sollten gegen der Sache Unkundige oder „sie zu Unsittlichkeit, Betrug und Aberglauben benutzende Menschen." Bald trat die „Kommission zur Prüfung des tierischen Magnetismus", wie sie nun offiziell benannt wurde, ins Leben, Hufeland, der als Staatsrat und Mitglied der Medizinalabteilung dem Ministerium angehörte, wurde zum Direktor ernannt; ihm überließ Schuckmann auch im allgemeinen die Auswahl der Mitglieder und behielt sich nur vor, einige Männer beizuordnen, die ihm „als an der Realität dieses Magnetismus noch zweifelnd oder ungläubig bekannt waren." Als solche ernannte er gleich anfangs die beiden Akademiker Rudolphi und Erman'). Die von Hufeland aus eigner Machtvollkommenheit zunächst berufenen Mitglieder waren die folgenden: sein Bruder Friedrich, a.o. Professor, der Chirurg von Graefe, ord. Professor an der Universität, der Obermedizinal.-Assessor Klug, der Physikus von Koenen, D. Kuntzmann und Wolfart. Unter diesen waren Friedrich Hufeland, der 1804 Elektrizität, Galvanismus und tierischen Magnetismus als Modifikationen einer und derselben Grundkraft erklärt hatte und Wolfart überzeugte Anhänger des Magnetismus, Graefe neigte zu ihnen, ebenso damals noch von Koenen; Klug nahm eine mittlere doch eher zum Unglauben neigende Stellung ein, über Kuntzmanns Person und Parteinahme ist mir sicheres nicht bekannt3). *) Konzept A. Min. i, 6 {f., ein Auszug in Allg. Zeitung 1812 Nr. 351 vom 16. Dez. *) Schreiben Schuclcmanns an Hufeland vom 10. 9. 1812. A. Min. 1,18. ') Die Akten versagen aber die erste Einrichtung und Zusammensetzung der Kommission fast ganz; daher auch die unvollständigen Angaben bei Lenz. Ihm ist die Erklärung entgangen, welche Hufeland am 6. 1 1 . 1812 in der Allg. Zeitung veröffentlichte. Sie enthält die vollständige Mitgliederliste. Der dort genannte Kluge ist nicht der oben S. 16 erwähnte K. A. F. Kluge; gemeint ist vielmehr Joh. Chph. Friedr. Klug, der aufier durch seine Verwaltungstätigkeit sich auch besonders als Entomologe bekanntgemacht hat.
26 Uber die Arbeiten und die Ergebnisse der Kommission im Jahre 1812 wissen wir im einzelnen wenig, denn die Protokolle und die Handakten Hufelands sind leider, wie es scheint, unwiderbringlich verschollen. Schon vor 70 Jahren stellte, wie wir sahen, Paul Ermans Sohn Adolf ihr Verschwinden fest und auch meine Versuche, ihren Verbleib zu ermitteln, blieben gänzlich erfolglos. Die auf die Kommission bezüglichen Akten der Medizinalabteilung des Kultusministeriums befinden sich im heutigen Wohlfahrtsministerium, die der Unterrichtsabteilung im Geheimen Staatsarchiv 1 ), beide wurden mir zugänglich gemacht, aber sie enthalten nur die beim Ministerium ein- und ausgegangenen bezüglichen Schriftstücke; die Protokolle und Akten der Kommission blieben unauffindbar*). Friedlich schiedlich sind die Arbeiten der Kommission nicht verlaufen, dazu waren die Gegensätze zwischen den gläubigen Mitgliedern Wolfart und den beiden Hufelands einerseits und den Skeptikern Erman und Rudolphi anderseits zu groß. Besonders der letztere, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte, geriet mit dem Leisetreter Hufeland in schärfsten Konflikt, der diesen am 10. September zu einer Beschwerde bei Schuckmann und zu Rücktrittsdrohungen veranlaßte. Als Erman in den großen Ferien verreiste, hatte Hufeland es nicht für nötig gefunden, für einen Ersatz zu sorgen, weil, wie es in der Beschwerde heißt, Erman „als bloßer Physiker nur zur Anstellung einzelner Versuche erfordert war." Als aber Wolfart, „eines der wenigen Mitglieder, die wirklich praktische Kenntnisse des Magnetismus haben", gleich darauf aus Gründen, die wir noch kennenlernen werden, auf längere Zeit verreiste, hatte Hufeland einen Dr. Merzdorff berufen „einen mit magnetischen Versuchen bekannten, obwohl gar nicht dafür eingenommenen Arzt." „Als ich Merzdorff einführte, fragte mich Rudolphi mit einer Anmaßung und einem Ton, den er leider in der Kommission schon so oft auf eine Art geltend gemacht hatte, daß mehrere glaubten, er sei Direktor:. . *) Vgl. das Verzeichnis der Ablcfirzungen. *) Über die Personen, gegen welche ein gewisser Verdacht besteht, daß sie an dem Verschwinden der Akten, einem in der sonst so korrekten preußischen Verwaltung sehr befremdlichen Vorgang, schuld sein könnten, vgl. S. 66 und 75. Bei beiden, bei Hufeland wie bei Koreff, stoßt die Beantwortung der Frage cui bono, welche bei solchen Ermittlungen von großer, oft von entscheidender Bedeutung ist, auf keine Schwierigkeit. Es ist vielmehr einleuchtend, daß beide ein Interesse daran hatten, die für ihren geliebten Magnetismus ungflnstigen Ergebnisse der Kommissionsarbeit der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
27 wer diesen Mann gewählt habe und ob es Euer Hochwohlgeboren Wille sei?" Auf Hufelands Antwort, daß er die Mitglieder wähle, sei Rudolphi vor Ende der Sitzung weggegangen. Nun seien gleich darauf am 9. September von Schuckmann zur Verstärkimg der Kommission die Obermedizinalräte Knape und Klaproth (der berühmte Chemiker) berufen worden, dieselben, welche Rudolphi schon vorher mehrmals vorgeschlagen hatte, die aber Hufeland bei aller Schätzung ihrer chemischen und .sonstigen Kenntnisse „zur Untersuchung eines psychisch-physischen Gegenstandes, eines Phänomens der höheren lebenden Natur" nicht für passend halte. Aus diesen Berufungen ersehe er, daß er durch fremde, ihm nachteilige Einflüsse Schuckmanns Vertrauen verloren habe und beantrage Dispensierung von der Direktion. Durch einen in der Form verbindlichen Brief vom 10. September stellt Schuckmann, wie oben schon angeführt, die für die Berufung der Mitglieder geltenden Grundsätze fest, wonach Hufeland allerdings das Recht gehabt habe, Merzdorff zu berufen, er, Schuckmann, aber ebenso das Recht, Knape und Klaproth wie früher Erman und Rudolphi zu kommittieren; er versichert Hufeland seines vollkommensten Vertrauens, „was aber keineswegs unbedingten Glauben an seine Meinung und Ansicht in sich schließe", bezeugt aber auch, daß Rudolphis Äußerungen überall das Gepräge der Achtung für Hufeland hätten, daß das diesem Anstößige nur aus Eifer für die Wahrheit, nicht aus Mangel an Achtung geflossen sein könne. Aber kaum war so der Friede wieder notdürftig hergestellt, als eine neue, tiefer greifende Störung eintrat. Wolfart hatte sich entschlossen, eine Reise nach Frauenfeld zu unternehmen, um von dem nunmehr 78jährigen Mesmer die Belehrungen zu erhalten, welche dieser ein Jahr zuvor Oken und Reil angeboten hatte. In einem Brief vom 14. 8. 1812 kündigte er dem Meister seinen Besuch an, der, wie es in dem Briefe heißt, „schon vor länger als 30 Jahren in seinem Natursystem alle Ansichten und Grundsätze vereint habe, die man jetzt als den Triumph der von Schelling . . . begründeten Naturphilosophie annimmt." Er berichtet ihm über die „vom König eingesetzte Kommission, die nicht wie die ehemalige Pariser aus Gegnern bestehe, sondern aus Männern, die entweder den Magnetismus selbst ausüben oder doch von der Wahrheit und Wichtigkeit des Gegenstandes durchdrungen seien, er komme in der E i g e n s c h a f t e i n e s Königlichen Kommissarius"1). *) Abgedruckt bei Justinus Kerner, Mesmer. 1856. S. 150.
28 Die Angabe über die Parteinahme der Mitglieder ist sehr einseitig, die letzte Behauptung aber war eine grobe Unwahrheit, denn Schuckmann hatte die ihm durch Hufeland und Heim vorgetragene Bitte Wolfarts, ihm zu dieser Reise einen Auftrag zu geben, ausdrücklich abgelehnt und in den bestimmtesten Ausdrücken erklärt, daß Wolfart sich nicht als von der Regierung gesendet gerieren dürfe 1 ). Aber trotz dieser unzweideutigen Absage seines Chefs hatte Hufeland Wolfart ein schriftliches Commissorium erteilt, folgenden Wortlauts: „Herr Professor Wolfart wird hierdurch von der unterzeichneten Kommission beauftragt und autorisiert, den Erfinder des Magnetismus, Herrn D. Mesmer, um Mitteilung alles dessen, was zu mehrerer Bestätigung, Berichtigung oder Aufklärung dieses wichtigen Gegenstandes dienen kann zu ersuchen, um den Zweck der Kommission auf seiner Reise möglichst zu fördern. Berlin, 6. Sept. 1812. D. H u f e l a n d , K. Preuß. Staatsrat und Leibarzt als Direktor der zur Untersuchung des Magnetismus von der Regierung angeordneten Kommission')." Dies Vorgehen Hufelands ist doppelt befremdlich, da man aus einem Brief Rudolphis an Schuckmann vom 16.11.1812 ersieht, daß Rudolphi und mehrere andere Mitglieder der Kommission von diesem „Brevet des Herrn Hufeland" gar nichts erfahren hatten, daß der Direktor es ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung ausgefertigt hatte. Aber Hufeland und Wolfart hatten bei ihren Ubergriffen eine starke Rückendeckung in Hardenberg, der in einem Schreiben an Wolfart vom 9. September dessen Absicht billigte, seine „bereits erprobte Kenntnis des tierischen Magnetismus durch den Umgang mit Herrn Mesmer zu erweitern3)." Einen Monat hielt sich Wolfart bei Mesmer auf und schon von Frauenfeld aus verkündete er in den von Zschokke in Aarau herausgegeben „Miscellen für die neueste Weltkunde" (Nr. 83 vom 14. 10.1812) in den überschwenglichsten Phrasen die weiterschütternden Orakelsprüche des Propheten. Es sei ein Irrtum, Mesmers System nur für ein System der Heilkunde zu halten, vielmehr sei es „Erkenntnis des innersten Triebwerks des Weltl)
Brief Schuckmanns an Wolfart vom 24. 11. 1812. A. Min. i, 34. *) Abgedruckt in Allg. Zeitung 1812 Nr. 351 vom 16. Dez. *) Ebenda.
39 all«;, von allem was da ist, was war und was sein wird." Der sog. Magnetismus, besser zu benennen „Mesmerismus oder Lehre von der Wechselwirkung" sei „die wahre Naturphilosophie oder die Physik der Natur sowohl in geistiger als körperlicher Richtung". Es gebe nur eine Grundkrankheit und nur ein einziges allgemeines wirksames H e i l v e r f a h r e n , bestehend in der Belebung der Muskelfiebern. In einer Anmerkung bezeichnete Zschokke Wolfart ausdrücklich als Abgesandten der Kommission. Diese demnächst auch in andere Zeitungen1) übergehende Behauptung veranlaßte R u dolphi, am 16. November eine scharfe Verwahrung an Schuckmann zu richten gegen die ihn und andere Mitglieder der Kommission kränkende Unwahrheit, als sei Wolfart ihr Abgesandter an Mesmer. Er bittet von der Mitgliedschaft entbunden zu werden, um selbst ungehindert „gegen diese Spukereien" schreiben zu können, „seine Überzeugung und seine Gründe für dieselbe in einer eignen Abhandlung dem Publikum darzulegen, das lange genug Schwärmern hat zuhören müssen." Bei vielen werde ich vielleicht keinen Eingang finden, die echte Kirche ist aber nie nach der Mehrzahl gewürdigt"1). Auf dies in Aussicht gestellte Eingreifen Rudolphis wartete der selbst aufs höchste empörte Schuckmann nicht, er ließ sofort in beide Berliner, die Königsberger und die Breslauer Zeitung eine geharnischte Erklärung einrücken, die er selbst unterzeichnete3). Sie lautete: Die dreiste Behauptung in öffentlichen Blättern: als sei von hier ein Abgeordneter von Staatswegen . . . nach Frauenfeld gesendet worden, um Mesmers Geheimnisse über den tierischen Magnetismus zu holen, nötigt den Unterzeich* neten, dem des Königs Majestät die Leitung der ihm anver* trauten Departements nach Grundsätzen der gesunden Vernunft aufgetragen hat, diese Gerüchte hiermit für unwahr zu erklären. Wenn gleich bei den so vielfach erneuten Erzählungen achtbarer Männer von auffallenden Erfahrungen ') 2. B . Allg. Zeitung 1812 Nr. 307 vom 2. Nov. *) Die angekündigte Streitschrift ist nie erschienen. Wir kennen aber Rudolphis Ansichten Ober den Magnetismus aus seinem Grundriß der Physiologie. Bd. 1. 1821. S. IX. 250 f. 261. Bd. 2, 1. 1823. S. 69. 284. 287. Vgl. auch Joh. Möllers Gedächtnisrede auf Rudolph! in Abhandl. der Berliner Akad. 1835. S. X X X f. *) Der Entwurf, A. Min. 1, 22, ist ganz von der Hand des Ministers. Die Bekanntmachung ist abgedruckt in der AUg. Zeitung 1812 Nr. 336 vom 1. Dez.
3° über diesen Magnetismus, eine Kommission zu deren Prüfung genehmigt worden ist, weil keine wissenschaftliche Untersuchung aus vorgefaßter Meinung gehindert werden darf, auch niemandem zu verbieten ist, seine Belehrung zu suchen, wo er sie zu finden hofft, so ist doch die Regierung weit davon entfernt, deshalb Kundschafter nach geheimen Wunderkräften auszusenden. Wenigstens sollte man derselben vertrauen, daß sie damit warten werde, bis gründlich geprüft und entschieden ist, ob nicht trotz der angeblichen Heilung mancher hysterischer und nervenschwacher Patientinnen dennoch das Hausmittel der tätigen Erfüllung häuslicher Pflichten, wozu die Vorsehung das für den Magnetismus so empfängliche Geschlecht bestimmt hat, als Schutz- und Heilmittel allem Manipulieren und Aufregen der Gefühle und Einbildungskraft vorzuziehen sei? Berlin, den 18. Nov. 1812. Kgl. Geh. Staatsrat, Chef des Departements der allg. Polizei, sowie des Departements für den Kultus und öffentl. Unterricht im Ministerium des Innern. v. Schuckmann. Man kann sich leicht vorstellen, welches Aufsehen eine solche öffentliche Erklärimg in jener an Erörterung von Streitfragen in der Presse gar nicht gewöhnten Zeit machen mußte. Der junge Besitzer und Herausgeber der Spenerschen Zeitimg, Samuel Heinrich Spiker, nachmals Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek, bedankte sich sofort bei Schuckmann in begeisterten Worten für den „köstlichen Artikel, der die Zeiten Friedrichs II. zurückruft." Er erhofft von Schuckmanns Administration „das Ende des Geistes- und Preßzwanges, der jetzt auf Europa lastet, das Verbleichen von Aberglauben, Irrwahn und heuchlerischem Trug, die jetzt in politischer wie in wissenschaftlicher Hinsicht die Welt verwirren vor der Herrschaft der Vernunft und vor dem Licht der Wahrheit." Etwas anders als auf diesen Lichtfreund, der später wegen seiner Vorliebe für englische Zustände den Scherznamen Lord Speiker führte, wirkte natürlich Schuckmanns Flucht in die Öffentlichkeit auf die von seinem Hiebe zunächst getroffenen Wolfart und Hufeland und schließlich auch auf den hinter diesen stehenden Hardenberg. Wolfart überreichte dem Minister schon am 23. November zu seiner Rechtfertigung das ihm von Hufeland für seine Reise erteilte „Commissorium", welches Schuckmann bei Abfassung seiner Bekanntmachimg gefehlt haben müsse und erbat von ihm
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eine „erläuternde Erklärung" im nächsten Zeitungsblatt. Umgehend antwortet Schuckmann am 24. November, daß ihm zwar wirklich von Hufelands „Beglaubigung" nichts bekannt gewesen sei, daß Wolfart aber auch auf Grund derselben nicht berechtigt gewesen sei, sich als von der Regierung gesendet zu gerieren und, wie er voreilig in seinem Miszellen-Aufsatz getan, einen besonderen Schutz der preußischen Regierung für Mesmers Lehre und deren Autorisation zu ihrer praktischen Einführung als Tatsachen hinzustellen. Jedes fernere Bestreben, dies behaupten zu wollen, werde er mit Aufhebung der Kommission und Bekanntmachung der Veranlassimg dazu beantworten. Er beruft sich auf seine oben schon erwähnte ausdrückliche Ablehnung eines Wolfart für die Reise zu erteilenden amtlichen Auftrags, die diesem doch unbedingt durch Hufeland und Heim bekannt geworden sein müsse. Dieses an den Hauptsünder gerichtete Schreiben teilte er sofort in Abschrift Hufeland mit, malmt ihn zu größerer Vorsicht und untersagt, „jede praktische Einführung der Mesmersehen Lehre namens einer Königlichen Kommission, ohne vorher nachgesuchte und erhaltene Genehmigung." Auch an Hardenberg sandte er die Wolfart erteilte Resolution, da dieser sich vielleicht weiter an den Staatskanzler wenden könne. Er rügt auch ihm gegenüber die „unbefugten und voreiligen" Verkündigungen Wolfarts in den Miszellen. Hufeland trat den Rückzug an; in einem Schreiben vom 26. November sucht er die Wolfart auf die Reise mitgegebenen „Zeilen" zu rechtfertigen, da sie nur Wunsch und Auftrag einer wissenschaftlichen Gesellschaft enthielten. Wolfart allein habe den etwa damit gemachten Mißbrauch zu verantworten; er halte ihn aber noch' nicht für erwiesen, da die Anführungen in den öffentlichen Blättern von anderen herrühren könnten. Wenn er dies ernstlich glaubte, hätte er es leicht feststellen können, da Wolfart wieder in Berlin war. Er hatte gleich nach seiner Rückkehr der Kommission ausführlichen Bericht erstattet und auch Hardenberg „als der höchsten Staatsbehörde allgemeine Anzeige geleistet" 1 ). Aber so sehr Hufelands Brief den Charakter der Ausrede trägt, so ging Schuckmann doch darauf ein. Er antwortet am 28. November, mit dem an sich sachgemäßen Attest Hufelands sei Mißbrauch getrieben, das Posaunen gehöre eben zu Mesmers Lehre, wie sein vorjähriger Brief an Reil beweise; um aber für die Zukunft allen falschen Schein zu beseitigen, nimmt er die Be*) So berichtet Hufeland in Frankfurter Zeitung vom 1 1 . 12. 1812.
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Zeichnung der Kommission als Königliche zurück, „wozu er sie weder konstituieren konnte noch wollte". Aber auch dieser Schritt führte nicht zum Frieden. Am Ii. Dezember erschien in der Frankfurter Zeitimg eine Rechtfertigung Wolfarts, in der dem wörtlich abgedruckten Publikandum Schuckmanns das ebenfalls wörtlich abgedruckte Attest Hufelands und sogar das Empfehlungsschreiben Hardenbergs zur Widerlegung gegenübergestellt waren. Ohne Zweifel in der Annahme, daß eine solche Veröffentlichimg nur mit Hardenbergs Zustimmung möglich gewesen sei, ersucht Schuckmann am 18. Dezember Hufeland, „schleunigst die verabredete Anzeige von der wirklichen Auflösung der Kommission in Verfolg des Erlasses vom 28. November zu erstatten, damit nicht nächstens bekannt gemacht werde, daß nun doch die Mesmersche Lehre unter Autorität der Regierung in Ausübung gebracht werde und damit ich deshalb der Notwendigkeit überhoben werde, solchen Behauptungen durch ein anderweitiges Publikandum zuvorzukommen." Hufeland antwortet umgehend (19. Dezember), daß die Kommissionsgeschäfte eingestellt seien, daß er, wie es von Schuckmann (offenbar mündlich) genehmigt worden sei, den Mitgliedern als Grund die Schwierigkeit der Fortsetzung ihrer Versuche in der Charité während des Winters angegeben habe, daß alle damit einverstanden und mit Abfassung eines Berichts über die Resultate der bisherigen Tätigkeit beschäftigt seien. Wolfart sei seit seiner Rückkehr zu keiner Konferenz oder Kommissionsgeschäft mehr zugezogen worden, er habe auch mit dem Bericht nichts mehr zu tun. Welche Beachtung diese durch den Antagonismus der beiden Staatsmänner hervorgerufenen Zwistigkeiten in weiteren Kreisen fand, ergibt sich auch aus einem Schreiben, welches der preußische Gesandte in Frankfurt, von Haenlein, am 15. Dezember an Schuckmann richtete. Er teilt mit, daß das Inserat in der Frankfurter Zeitung vom 1 1 . Dezember von Wolfart herrühre, daß es ohne sein, Haenleins Wissen und gegen seinen Willen aufgenommen worden sei; er habe sich darüber beim Frankfurter Ministerium beschwert. Noch machte Schuckmann den Versuch, durch Anfrage bei dem Geh. Staatsrat im Staatskanzleramt, von Bülow (vom 30. Dez.), festzustellen, ob der Abdruck von Hardenbergs Privatschreiben an Wolfart, welches bei den Berliner Gelehrten großes Aufsehen errege, mit oder ohne Erlaubnis des Staatskanzlers erfolgt sei. Er fügt hinzu, daß er jetzt, „wo so viel höhere Gegenstände zu
33 verhandeln sind" nicht bei Hardenberg selbst anfragen wolle, bittet aber Bülow um seine Vermittlung. Bülow stellt am ersten Tage des neuen Jahres baldigen Bescheid in Aussicht, der aber, wie es scheint, nicht erfolgt ist, wenigstens nicht schriftlich. Auch Hufelands damals versprochener offizieller Bericht über die Ergebnisse der Kommissionsarbeiten ist nie erstattet worden, ebensowenig wie Rudolphis „vernünftiger Bericht", den Schuckmann noch in einem Brief an Haenlein vom 30. Dezember als bald erscheinend in Aussicht stellte; denn alle Beteiligten wurden plötzlich durch ganz andere und unendlich wichtigere Dinge voll in Anspruch genommen.
E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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Unterbrechung durch die Weltereignisse. Wolfarts und Koreffs Aufstieg. Während sich die Streitigkeiten abspielten, von denen wir eben berichteten, liefen die erschütternden Nachrichten ein von den Ereignissen in Rußland, welche mit einem Schlage das Weltbild veränderten, den ersehnten Sturz der Napoleonischen Gewaltherrschaft in den Bereich der Möglichkeit rückten. Die große Armee war auf dem Rückzug vernichtet, der Kaiser nach Frankreich geflohen, wo er zum letzten Versuch der Wiederherstellung seiner tief erschütterten Vormachtstellung noch einmal gewaltig rüstete. Bald war auch Preußen in ein Kriegslager verwandelt, alle inneren Kämpfe ruhten, so auch natürlich der Magnetismusstreit. Wolfart schreibt am 8. Februar 1813*) an Mesmer, der Bericht über seine Reise zirkuliere noch bei den Mitgliedern der Kommission, deren Beratungen des Krieges wegen stockten. Die ärztlichen Mitglieder hatten zunächst mehr als ein Jahr lang wichtigeres zu tun, Hufeland im Hauptquartier, die übrigen in Berliner und anderen Lazaretten. Der wissenschaftliche Streit ruhte also vorläufig, aber keineswegs die Verwendung des Magnetismus als Heilmittel. W o l f a r t behauptete, daß er in einem Berliner Spital auch die gefährlichsten Fieberkrankheiten, die damals grassierten, damit heile2). Spätere amtliche Feststellungen haben freilich diese wie andere Großsprechereien des Scharlatans als völlig unbegründet erwiesen, aber während des Krieges blieb er unangefochten. Kaum aber war der Friede geschlossen, so verlangte Schuckmann am 26. 4.1814 von dem zuständigen Stadtphysikus von Koenen, dem wir schon als Mitglied der Kommission begegnet ') Justinus Kern er, Mesmer. 1858. S. 168. *) Brief an Mesmer vom 26.6. 1813; ebda. S. 173. Vgl. auch unten S. 43-
35 sind, daß er von dem Betrieb in Wolfarts Baquet persönlich Kenntnis nehme und daß er auf der Erstattung der durch das Publikandum vom 23. Mai 1812 allgemein vorgeschriebenen Berichte über Wolfarts magnetische Kuren bestehe. Dieser gab auf Koenens Anfrage und Mahnung am 29. April nur widerwillig und in hochmütigem Tone unvollkommenen Bescheid, verwies für seine Ansichten auf seine der Kommission vorgelegten Ergebnisse, die doch Koenen als Mitglied bekannt seien, auf seine bereits erschienenen Schriften und auf das als demnächst erscheinend angekündigte, von ihm bearbeitete Hauptwerk Mesmers. Er verlangt ganz bestimmte Fassung der etwa noch erforderlichen Fragen, „denn nach dem was ich schon habe erfahren müssen und worüber ich nicht unterlassen werde, bei jeder neuen Veranlassung auch vor dem Thron des gerechtesten Monarchen Klage zu führen, werden Sie es ganz natürlich finden, wenn ich wünsche sicherzugehen." Man sieht, der Mann fühlt sich unter der mächtigen Protektion des Staatskanzlers den unteren Instanzen gegenüber sehr sicher. Das Departement verfügte nach langem Besinnen am 20. Juni, gemäß dem Votum Hufelands, daß man zwar der Ausübung des Magnetismus nicht hinderlich sein wolle, daß aber die Vorschriften des Edikts vom 23. 5. 1812 auch Wolfart gegenüber aufrechtzuerhalten seien; er habe von jeder magnetischen Kur dem Physikus Nachricht zu geben, dieser habe von Zeit zu Zeit von der Behandlung im Baquet sich persönlich zu unterrichten, der Schädigung nervenschwacher Personen und der Ausübung des Magnetismus durch Nichtärzte habe er entgegenzutreten. Dies die aktenmäßig feststellbaren Vorgänge. Man sieht deutlich, daß der aus ehrlicher Überzeugung hervorgehende Widerstand des zuständigen Ministers nur innerlich widerstrebend und daher schwächlich von seinem Hauptmitarbeiter auf diesem Gebiet, Hufeland, durchgeführt wurde, daß er daher ziemlich wirkungslos blieb gegenüber einer mächtigen Zeitströmung, die der Ausbreitung des Wunderwesens immer günstiger wurde, zumal sie sich der geheimen, bald auch der öffentlichen Förderung durch den höchsten Beamten des Staates zu erfreuen hatte. Die Befreiung von der Knechtung durch die äußeren Feinde brachte auf politischem Gebiet nicht den von den Patrioten ersehnten Aufbau eines in Einheit und Freiheit neu konsolidierten Deutschland, in Preußen trotz aller Bemühungen Hardenbergs nicht einmal die vom König feierlich versprochene Verfassung; auf geistigem Gebiet ertötete die um sich greifende romantische Erkrankung mehr und mehr den alten gesunden Geist der Auf3*
36 klärung; die wildeste naturphilosophische Spekulation verbaute den langsamen aber sicher zum Ziele führenden Weg induktiver Tatsachenforschung und öffnete der Verbreitung mystischen Aberglaubens in der Wissenschaft und besonders auf religiösem Gebiet Tür und Tor. 1814 veröffentlichte Wolfart den neuen Kanon des Magnetismus, eine von Mesmer in seiner Frauenfelder Muße ohne Publikationsabsicht in französischer Sprache niedergeschriebene, nunmehr von Wolfart übersetzte abschließende Darstellung seiner Lehre, unter dem Titel: „Mesmerismus. Oder System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus als die allgemeine Heilkunde zur Erhaltung des Menschen von Dr. Friedrich Anton Mesmer. Hrgg. v. Dr. Karl Christian W o l f a r t " . Berlin, Nikolai. 1814, wozu im folgenden Jahr noch ein Band „Erläuterungen zum Mesmerismus" hinzukam. Es ist schwierig, in kurzen Worten einen Begriff zu geben von Aufbau und Inhalt dieses sog. Systems. Die unbewiesene Behauptung, daß zwischen allen Körpern „gegenseitig Ergüsse einer feinen F l u t " (so übersetzt Wolfart „fluide") stattfinden, bildet die Grundlage einer Folge eben so phantastischer Erklärungen aller Vorgänge in der Körper- und Geisteswelt. Mangels wirklicher Beobachtungen und schlüssiger Beweise operiert Mesmer mit Bildern und Analogien. Graphische Darstellungen, von dem 80 jährigen entworfen, sollen das Natursystem veranschaulichen (u. a. ist der von Gott bei der Schöpfung gegebene Urstoß abgebildet), zeigen in Wahrheit nur um so deutlicher das schlechthin Haltlose, Willkürliche aller dieser Vorstellungen. Auch Moral, Erziehung, Gesetzgebung wird vom Standpunkt dieses All- oder Weltmagnetismus aus beleuchtet; alle Krankheiten werden zurückgeführt auf eine Verschiebung des normalen Verhältnisses der „festen und der flutbaren" Teile im Menschen. Eine Störung dieses Verhältnisses wird durch das „Agens" Manetismus wieder in Ordnung gebracht, dies Universalmittel, welches alle Krankheiten heilt, soweit sie, wie zur Abschwächung der ungeheuerlichen Behauptung hinzugefügt wird, überhaupt heilbar sind. Sed jam satis superquel Gleichzeitig, vielleicht noch vor dem „Mesmerismus" erschien das ausführliche und gründliche Werk des Hannoverschen Leibmedikus Johann Stieglitz (1767—1840): Über den thierischen Magnetismus. Hannover 1814. Stieglitz, ein Kantisch geschulter, nüchterner und klarer Kopf, der auch andere Auswüchse der medizinischen Wissenschaft seiner Zeit, Brownianis-
37 mus und Homöopathie erfolgreich bekämpft hat, gab zunächst einen eingehenden historischen Bericht über den bisherigen Verlauf der ganzen Bewegung und übte in maßvoller Form besonnene Kritik an Kluges kaum eigne Erfahrungen bietender unkritischer Kompilation (S. I28f.), an Wolfarts „krassem Aberglauben" (S. 221), an Mesmers „Mystizismus und Schwärmerei" (S. 400) und an Friedrich Hufelands Übertragimg der Polaritätslehre vom echten auf den tierischen Magnetismus (S. 488) usw. Er wollte indessen gewisse, den Erscheinungen vielleicht zugrunde liegende, vorläufig noch unerklärbare Tatsächlichkeiten nicht durchaus in Abrede stellen; eine der Elektrizität oder dem mineralischen Magnetismus ähnliche, dabei wirksame Kraft leugnete er, vermutete vielmehr, daß lediglich psychischer Einfluß des Magnetiseurs auch ohne alle Manipulationen jene Erscheinungen hervorbringe. Aber auch diese gründliche und für klar Denkende völlig überzeugende Abfertigung des traurigen Unwesens vermochte seinem weiteren Vordringen, insbesondere in den tonangebenden Berliner Kreisen nicht Einhalt zu tun, zumal seitdem dort ein neuer, dem doch auch schon nicht blöden Wolfart an Betriebsamkeit, Geschicklichkeit und Unverfrorenheit noch beträchtlich überlegener Prophet des Magnetismus auftrat, David Ferdinand K o r e f f . Dieser, geboren 1783 in Breslau, als Sohn des jüdischen Arztes Lazarus Salomon Koreff 1 ), studierte in Halle Medizin, kam zu weiterer klinischer Ausbildung 1803 nach Berlin, wo er sich dem poetischen Freundeskreise um Chamisso, Varnhagen, Hitzig, W. Neumann usw. eifrig anschloß, auch zu dem engeren Kreise des Polarsternbundes gehörte und, selbst poetisch angehaucht, Beiträge für dessen „grünen Almanach" lieferte*). l)
Der Vater promovierte in Halle 1769. *) Mosen-Almanach. Hrsg. von Chamisso und Varnhagen. 1804—1806. Auch Wolfart war an ihm beteiligt. Koreffs Beiträge, unterzeichnet mit K . oder mit Anthropos, liegen in Ausschnitten im Faszikel Koreff der Varnh. Sammlung. — Eine Biographie Koreffs hat Friedrich von OppelnBronikowski in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung 1906 Nr. 46—48 veröffentlicht, welche für seine Jugend und auch für seine erste und zweite Pariser Zeit alles Wesentliche bietet, wenn auch nicht immer ganz zuverlässig. Kurios ist z. B . die Verwechslung Zacharias Werners mit dem großen Freiberger Neptunisten Abraham Gottlob Werner, welchem Koreff ein nicht übles Gedicht mit dem Motto Te saxa loquuntur gewidmet hat (Morgenblatt f. gebild. Stände. 1825 Nr. 187). Durchaus unzulänglich aber ist O.s Darstellung für Koreffs Wirksamkeit in Berlin in den Jahren 1815—1822. Er kennt das wichtigste Quellenmaterial gar nicht und wird überdies zu einer falschen Auffassung von Koreffs Wesen und Charakter
38 Nachdem er 1804 in Halle promoviert hatte, wendete er sich zu weiterer Ausbildung nach Paris. Hier betätigte er sich literarisch und bald auch sehr erfolgreich als praktischer Arzt. Er wandte vielfach den Magnetismus an, in dessen Ausübung er schon seit dem 14. Jahr von seinem mit Mesmer persönlich bekannten Vater unterwiesen worden war 1 ) und gelangte so in den Ruf eines Wundertäters. Ende 1811 verließ er Paris und hielt sich 1 ys Jahre in der Schweiz und besonders in Italien auf als Begleiter der mit ihm befreundeten geistreichen Schwiegertochter Custines und ihres Sohnes Astolphe2). Über die hervorragenden geistigen Fähigkeiten und die ausgebreiteten wissenschaftlichen Kenntnisse Koreffs ist nur eine Stimme; die Staël nennt ihn „le plus spirituel des Allemands que j'ai connu" ; ganz ähnlich lautet das Urteil Benjamin Constants und auch in viel späterer Zeit (1836) nennt ihn Henry Beyle (Stendhal) in einer Linie als ebenbürtig mit den damaligen geistigen Größen Frankreichs, mit Mérimée, Thiers, Béranger, Arago, Villemain usw.8). Liest man aber die zahlreich von ihm erhaltenen privaten schriftlichen Äußerungen, so staunt man über die unwahrhafte Überschwänglichkeit seiner Ausdrucksweise, über die bis zur Kriecherei ausartende schmeichlerische Unterwürfigkeit gegenüber den Mächtigen der Erde, besonders seinem Gönner Hardenberg. Es sind das Eigenschaften, denen man bei modernen Juden wohl wirklich etwas häufiger begegnet als bei anderen Sterblichen, die aber zu Unrecht als Ureigenschaften des jüdischen Volkes oder wohl gar aller Semiten bezeichnet werden. Sie gehören vielmehr zu den unvermeidlichen Folgeerscheinungen der unwürdigen, oft brutal grausamen Behandlung, welcher das unglückliche Volk Jahrtausende hindurch als wahre Parias unter den Herrenvölkern ausgesetzt war und leider keineswegs nur verleitet durch die Annahme, daß Treitschkes ungünstige Beurteilung nur durch seinen Antisemitismus veranlaßt sei. Daß Koreff in der Allgemeinen Deutschen Biographie fehlt, wird niemand wundern, der die schlimmen Locken des großen Nachschlagewerks kennt. Es bedarf dringend einer planmäßigen Ergänzung. ') Eigene Angabe Koreffs bei Lenz 4, 307. *) Von einer Unterschlagung, die Koreff in Rom begangen haben soll, berichtet J . de Norvins (in seinem Mémorial. 3. 1897. S. 249 ff.). Koreff, „ce perfide larcin", soll danach Originalbriefe Johannes von Müllers an Norvins, die ihm dieser zur Übermittlung an den Verleger von Müllers Werken, Cotta, anvertraut hatte, für sich behalten haben. *) Vgl. Otto Brandt, A. W. Schlegei. 1919. S. 117, Frdr. von OppelnBronikowski in Allg. Zeitung. Manchen 1907. Beilage 6, Stendhal, Vie de Henri Brulard in Œuvres compl. 2. 1903. S. 5.
39 von deren Pöbel. In der kurzen, seit der Emanzipation vergangenen Zeit konnten diese unerfreulichen Eigenschaften natürlich noch längst nicht bei allen Individuen ausgetilgt werden, vielmehr nur bei einer Minderzahl derjenigen, die in höherer Kultur aufwuchsen. Aber wenn auch der hochgebildete und begabte Koreff von solchen ererbten Flecken gewiß nicht frei war, so muß er sie doch im persönlichen Verkehr ausgeglichen haben durch andere liebenswürdige, sogar ungewöhnlich liebenswürdige Eigenschaften. Wie wäre sonst die hohe Schätzung zu erklären, welche die allerdings etwas leicht begeisterte Karoline von Humboldt ihm dauernd zuteil werden ließ, wie das große, wenn auch nicht ganz bis zum Ende vorhaltende Vertrauen Hardenbergs, wie die Duzbruderschaft mit Dorow und vor allem die Treue, welche Varnhagen dem Jugendfreund bis in das höchste Alter bewahrte ? Ich glaube, daß Max Lenz' sonst durchaus zutreffende Darstellung") dieser problematischen Natur doch etwas zu einseitig die Schattenseiten betont hat. Die neuerdings von Otto Brandt gewählte Bezeichnung Koreffs als „jüdischer Cagliostro"3) wird dem unzweifelhaft gelehrten und geistreichen Manne ganz und gar nicht gerecht. Nach mancherlei Fahrten tauchte Koreff im Dezember 1813 wieder in preußischen Kreisen auf und wußte sich hier während des Wiener Kongresses, namentlich durch die Gunst Karoline von Humboldts, welche ihn schon in Paris kennen gelernt hatte4), Eingang bei den einflußreichsten 1 ) Biographische Porträts. 1874. S. 1—58. Die etwas geschmeichelte Darstellung dieses Porträts bedarf allerdings einiger Korrekturen durch Varnhagens eigene Äußerungen Ober den Freund aus früherer Zeit, z. B . die folgende in einem Brief an Karoline v . Humboldt aus Paris vom 14. 4. 1814: „Man sagt von der Poesie, sie sei eine schöne Lage: Koreffs Prosa besteht auf diese Weise aus lauter Gedichten, denn er lügt nicht ohne Anmut und bis zur Wahrheit täuschend; wir sind sehr gute Freunde, aber ich möchte doch lieber, daß Sie sich von mir als von ihm belügen ließen." (Briefwechsel zwischen Karoline von Humboldt, Rahe! und Varnhagen, hrsg. von A. Leitzmann. 1896. S. 164.) Vgl. auch Varnhagens Denkwürdigkeiten. 3. Aufl. 1871. 1. S. 259. 263. 3, 129. 4, 312. *) Vgl. die bei Lenz im Register nachgewiesenen Stellen über Koreff. *) Otto Brandt, a. a. O. S. 221. 4) Die überschwenglichsten Äußerungen Karolines über Koreff finden sich in ihren Briefen an Rahel aus dem Jahre 1814 (in der eben erwähnten Leitzmannschen Publikation S. 148. 155. 158. 163. 171). In Koreffs „Lyrischen Gedichten". Paris 1815. S. 93 steht ein Sonett „Der Meisterin; an C. v. H . " , , ,die unaussprechlich Gute'', der es stets gelingt,,, Schmerz zu sühnen, Freude zu verklären''. Über Koreffs Eintreffen in Wien vor dem 1 1 . 1 2 . 1813 vgl. J. M. Raich, Dorothea Schlegel und ihre Söhne. 2. 1881. S. 229.
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Personen zu verschaffen. Auch mit einer Jugendfreundin aus der Berliner Zeit, der vielbewunderten Marianne S a a l i n g traf er hier wieder zusammen, deren hohe Schönheit auf dem Kongreß die größten Triumphe feierte, derselben, die nach mancherlei Schicksalen nach dem Tode Raheis 1834 kurze Zeit mit Varnhagen verlobt war. Schon 1804 haben freundschaftliche Beziehungen zwischen ihr und Koreff bestanden, wie sich aus einem Brief des letzteren an Varnhagen ergibt; diese Beziehungen haben dann zeitweise einen ernsteren Charakter angenommen. Marianne schreibt an Rahel aus Wien 25-/26. Juni 1814 1 ), bezugnehmend auf eine Koreff betreffende Anfrage: „Nur ungern berühre ich diese Saite, die lange genug wehmütig genug anschlug, nun disharmonisch klingt. Schade um ihn, schade um die Zeit, die ich verträumt. Jetzt ist alles gut, denn alles ist aus, ohne Groll, ohne jegliches Mißverständnis, wir stehen als neue Bekannte gegeneinander über, als hätten wir schon voneinander gehört, uns mit großen Erwartungen erfüllt und finden nun von dem allen nicht die entfernteste Spur. Warum sich quälen, sich Täuschungen aufdringen? Wir standen eine Minute auf der nämlichen Bahn, doch gerade da, wo sich tausend Kreuzwege fanden; ist es darum Bestimmung, daß wir bis ans Ende miteinander fortlaufen müssen? Er ist fleißig gewesen, hat seine Fähigkeiten k profit gesetzt, weiß über Menschen, Tiere und alle Reiche, die geheimen, gewaltsamen Kräfte der Natur unendlich viel, sich hat er dabei aus den Augen verloren, als fremde Gestalt steht er in sich selbst, vor der er ausweichend vorübergeht; was er gewollt, will, künftig wollen wird, ist ihm nie klar gewesen, das gemeine Leben mit allen seinen Schätzen reicht da nicht aus, der wirklich Seltne begehrt das Seltne, nicht bedenkend, daß solche Auszeichnung schon seltnes Glück sei. Sein Geist hat nur selten Momente von Lieblichkeit, er kann l
) Beide Briefe in der Varnh. S., Fasz. Koreff. Der zweite ist gleich wichtig für die Würdigung Koreffs wie Marianne Saalings. Sooft die letztere in Briefen und Denkwürdigkeiten der Zeit erwähnt wird, fehlt doch eine zuverlässige biographische Notiz über sie. Jüdische Autoren wollen von der Konvertitin nichts wissen; aber auch in D. A. Rosenthals Konvertiten-Lexikon (1867—1872) findet sich trotz ihrer ehrlichen Bemühungen für den neuen Glauben nur eine beiläufige Erwähnung (2. Aufl. Bd. 1 , 1 . 1871. S. 391. Anm.). Einigen Aufschluß bieten die Jugenderinnerungen ihres Neffen Paul Heyse (3. Aufl. 1900. S. 9). Vgl. auch die Quellennachweise in Emil Karl Blümmls Ausgabe von Caroline Pichlers Denkwürdigkeiten. 1. 1914. S. 643, sowie Varnhagens Denkwürdigkeiten. 3. Aufl. 1. 1871. S. 263.
4i und wird nie ein Gemüt ansprechen, weil er an sich reißen, verwundem, in Erstaunen setzen will. Leute, die ihn gar nicht verstehen, nennen ihn exaltirt, oft noch ärger, ich, die den Schwung seiner Seele begreife, nichts Unnatürliches und Außerordentliches in ihr finde, lasse mich oft mit ihm ängstlich befangen, nicht aus Neigung, sondern wie mir zu Mute wäre, hätte ich vor Geistern Furcht." Auch Wilhelm von Humboldt nahm sich Koreffs damals und auch später wiederholt an; er brachte ihn in Beziehungen zu Hardenberg, mit dem verhängnisvollen Erfolg, daß dieser den bald als höchst gewandt und brauchbar erkannten Mann sofort in seinem Bureau beschäftigte, dann 1815 in Paris im Lazarettwesen. Durch unvorsichtig weitgehende Versprechungen künftiger Verwendung, auch als Universitätslehrer, fesselte er ihn dauernd an sich. Bei Beurteilung dieses Mißgriffs des großen Staatsmanns muß man berücksichtigen, daß er zumal in diesen seinen letzten Lebensjahren in der Auswahl seiner nächsten Umgebung überhaupt wenig vorsichtig war. Im Juni 1815 finden wir Koreff, zunächst nur vorübergehend in Berlin, wo ihn Wolfart sogleich beim Eintritt als den „stärkenden, gleichgesinnten Genossen" erkannte, dessen Ankunft ihm eine seiner Clairvoyanten einige Zeit vorher ohne Namensnennung vorausgesagt hatte 1 ). Die rasch geschlossene Bundesgenossenschaft der beiden Propheten, die nun gemeinsam „im Magnetismus lebten und webten" 1 ) trug beiden bald reiche Früchte ein, beide erreichten eines der Hauptziele ihres ehrgeizigen Strebens, ein Ordinariat in der medizinischen Fakultät der ersten U n i v e r s i t ä t des Landes, freilich nicht auf dem normalen, ehrenvollen Weg, sondern durch die denkbar elendeste Protektionswirtschaft, entgegen dem berechtigten Widerstand aller berufenen und urteilsfähigen Personen. Es ist schmerzlich, auch Wilhelm von Humboldt, den Begründer der Berliner Universität unter denen zu finden, welche dieser schweren Schädigimg seiner eignen Schöpfung Vorschub leisteten. Am 1. Dezember 1815 befürwortet er in einem Schreiben aus Wien an Hardenberg3), der ja „selbst so richtig über den !) Varnhagen an Rahel 27. 6. 1 8 1 5 im Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel. 4. 1875. S. 158. *) Ebenda. — Koreffs Lyrische Gedichte. Paris 1815, enthalten S. 27 ein Gedicht an Wolfart „Der Nachtwandler" und S. 53 das „Gebet eines Magnétiseurs", welches von einer dem Gegenstande angemessenen Dunkelheit ist: u. a. küßt sich darin „des Sods und Nordens Klippe mit des Magneten Lippe", ein Vorgang, der mir etwas schwer vorstellbar erscheint. *) Lenz 4, 296.
42 Magnetismus urteile" die Anstellung des um seine Einbürgerung in Berlin so hochverdienten Wolfart als ordentlicher Professor und Direktor einer Klinik und auch Koreffs Anstellung in Berlin oder, wenn dies unmöglich sei, an der zu begründenden Rheinischen Universität. Bei Hardenberg bedurfte es einer solchen Befürwortung kaum noch. Er befand sich schon und geriet von Tag zu Tag mehr unter den dämonischen Einfluß Koreffs, den er als seinen Leibarzt bestellte, in sein Haus aufnahm und der ihn fortan auch auf allen Reisen in Kurorte und auf die Europäischen Kongresse dieser kongreßreichen Zeit begleitete. Da auch bei dem König, wie wir gleich sehen werden, schon kräftig und mit Erfolg Stimmung für den Magnetismus gemacht worden war, wurde es dem Staatskanzler nicht schwer, den Erlaß einer Kabinetts-Order zu bewirken, durch welche sein Günstling am 16. Juni 1816 das ersehnte Ordinariat für Physiologie erhielt. Hierbei begegnete Hardenberg das Unglück, daß er sich vor Extrahierung der Kabinetts-Order über die Konfession des Empfohlenen nicht genügend informiert hatte. Zü spät erfuhr er, daß Koreff noch Jude war, daß ihm also nach den allerneuesten, im Widerspruch mit dem Edikt vom 11. 3 . 1 8 1 2 über die bürgerliche Gleichstellung der Juden bereits wieder aufgekommenen reaktionären Verwaltungsgrundsätzen eine Beamtenstelle, insbesondere eine Professur verschlossen sein sollte. In größter Verlegenheit beauftragte er den jungen Dorow, damals preußischen Legationssekretär in Dresden auf der Durchreise im August, die fatale Sache schleunigst irgendwie in Ordnung zu bringen, ein Zeugnis zu beschaffen, daß Koreff Christ sei. Das besorgte Dorow denn auch, indem er mit ihm in eine kleine Stadt ging, wo der Prediger sich auf Grund einer schriftlichen Erklärung Koreffs zur Taufe bereit finden ließ. Die Erklärimg besagte, daß er auf Wunsch seines Vaters sich zu keiner Religionspartei bekannt habe, nunmehr aber nach sorgfältigem Studium der mosaischen und aller christlichen Glaubensbekenntnisse sich für die evangelisch-lutherische Konfession entscheide, weil sie die wahre Gewissensfreiheit, Ruhe und Herzensfreudigkeit gewähre1). Die Beeinflussimg des Königs hatte W o l f a r t übernommen. In einem Immediatbericht vom 2. April 1816, der von Unwahrheiten und Halbwahrheiten strotzt, gab er darin einen Überblick des „Zustandes des Magnetismus und der Mesmerischen Heilart" *) So lautet W. Dorows etwas romanhaft anmutende, aber doch wohl zuverlässige Erzählung in ,,Erlebtes". 3. 1845. S. 205—208. Koreff änderte seitdem seine Vornamen David in Johannes.
43 mit marktschreierischer Anpreisung seiner angeblichen Erfolge. Während des Krieges will er „selbst die tödlichsten Nervenfieberkrankheiten, den sonst tödlichen Wundstarrkrampf durch Magnetismus behoben, mehreren im Feld Erblindeten das Sehvermögen wiedelgegeben haben." Nach ruhmrediger Betonimg seiner Uneigennützigkeit erwähnt er dann mehrere Fälle des Schlafwachens und Hellsehens, aus denen er Aufklärung für die Naturwissenschaft und für die Seelenkunde erwartet, u. a. den schon oben berührten der von den Ärzten aufgegebenen Frau Kölz, die von ihm durch den Magnetismus gemäß ihren eignen im Schlafwachen gemachten Angaben geheilt worden sei. Auch die „Jungfrau Hähnel, Nichte des Königlichen Bratenmeisters Boudin", auf die wir noch zurückkommen werden (S. 68 f. i n ) habe ihm die „belehrendsten Erscheinungen" dargeboten. Der Bericht mündet in das Verlangen staatlichen Eingreifens aus i. durch Einrichtung ordentlicher Lehrvorträge über Magnetismus auf den Universitäten, 2. durch Einrichtung magnetischer Behandlung in zweckmäßigen Lokalen. Er verspricht dadurch Entlastung der Hospitäler und Ersparnis von Kosten für Arzneien, die bei seinem Verfahren wenig oder gar nicht gebraucht würden. Am 5. Mai 1816 erging darauf eine Kabinetts-Order, wie Lenz ohne Zweifel mit Recht vermutet, von Koreff verfaßt, in der die feststehende Absicht ausgesprochen war, dem Wolfart „ein Anerkenntnis seines nützlichen Bestrebens durch eine Anstellung bei der hiesigen Universität zu geben." Schuckmann wird beauftragt, dem König wegen Ernennung des Wolfart zum Professor Ordinarius m i t
einer angemessenen Besoldung
baldigst
Vorschläge zu machen, auch zur Fortsetzung der in seiner Privatwohnimg für Arme eingerichteten magnetischen Anstalt eine Mietsentschädigung in Vorschlag zu bringen. „Bei dieser Gelegenheit wünsche ich Ihre Meinung zu vernehmen: ob nicht über die Lehre und die richtige Anwendung des Magnetismus, um jedem Schaden und Mißbrauch desselben vorzubeugen, auf den Universitäten in meinen Staaten in ordentlichen Lehrvorträgen Unterricht zu geben sei" 1 ). Obgleich nach dem Wortlaut dieser Order jeder Widerstand, wenigstens gegen die ordentliche Professur von vornherein aussichtslos war, unterließ Schuckmann pflichtmäßig nichts, was geeignet sein konnte, den der Universität drohenden Schlag, den Sieg der Unvernunft abzuwenden. Von allen irgend in Betracht kommenden Stellen holte er Gutachten ein über Wolfart, seine Lehre und seine praktische Wirksamkeit. >) Original in A. Min. i, 73.
44 Zunächst wurden am 22. Mai die beiden Stadtphysici von Koenen und der erst seit kurzem in diese Stellung gelangte Klag, beide auch Mitglieder der Magnetismus-Kommission von 1812 zu eingehenden kritischen Berichten über „Wolfarts magnetische Versuche und deren Resultate" aufgefordert, von Wolfart selbst wurde am 30. Mai die Einsendimg einer Abschrift seines Immediatberichts verlangt, um eine Prüfimg der darin angeführten Tatsachen zu ermöglichen. Nachdem die verlangte Abschrift eingegangen war, wurde zunächst der Chef des Militärmedizinalwesens Goercke mit Ermittlungen über die von Wolfart behaupteten Heilerfolge an Militärpersonen in den Kriegsjahren beauftragt. Eine Umfrage bei den Stabschirurgen ergab, daß keiner irgend etwas wußte weder von der behaupteten Blindenheilung, noch von den sonstigen Wundertaten. K l u g erstattete sein Gutachten am 11. Juni. Vorsichtig lehnt er ein endgültiges Urteil über Wolfart ab, da er ihn erst seit kurzem amtlich zu beobachten habe. Aber äußerstes Mißtrauen sei dem Magnetismus gegenüber geboten, da er neuerdings vielfach von jungen Ärzten als bequemes Mittel zum Broterwerb ohne Unterschied bei allen Krankheiten angewandt werde unter Vernachlässigung der alten bewährten Heilmittel. Er empfiehlt eine Anfrage bei der Charité, um Fälle der üblen Folgen solcher „groben magnetischen Empirie" zu ermitteln. Für die Beurteilung Wolfarts empfiehlt er gemeinschaftliche Prüfung durch unparteiische Beobachter nach festem Plan; vielleicht sei es geraten, zu diesem Zweck von neuem eine Kommission zu berufen. Beide Anregungen fielen bei Schuckmann auf fruchtbaren Boden. Außerordentlich eingehend ist das 13 Folioblätter umfassende Gutachten, welches der andere schon seit Jahren mit diesen Fragen beschäftigte Kreisphysikus von Koenen am 22. Juli erstattete. In der Einkleidung äußerst vorsichtig endet es mit einer Versicherung der persönlichen Hochachtung vor Wolfart, den einzigen Berliner Magnetiseur, der den Magnetismus „mit Wahrheit und Liebe treibe, wenn er auch vielleicht zu sehr dafür eingenommen sein möge, der den Scharlatanismus und die nur auf Erregung von Aufsehen und Geräusch berechneten Versuche mit Somnambulen hasse" ! Diese, mit dem was wir sonst zuverlässig über Wolfart wissen, unvereinbare, viel zu milde persönliche Beurteilung dient wohl nur zur Versüßung des bitteren Kerns, des geradezu vernichtenden Eindrucks, welcher sich aufdrängt, wenn man in dem sachlichen Hauptteil von Koenens
45 Bericht die tatsächlichen Angaben würdigt und ganz besonders die beigefügten Gutachten der Charitédkektoren liest, welche Koenen, Klugs Vorschlag vorwegnehmend, direkt eingefordert hatte. Koenen hebt hervor, daß er selbst von Wolfart f ä l s c h l i c h als Gewährsmann für eine angebliche aber nicht wirkliche Heilung angeführt worden sei, daß in wirklich günstig verlaufenen Fällen auch andere Mittel neben dem Magnetismus verwendet worden seien, daß ohne solche bewährte Mittel oft Verschlimmerung eingetreten sei, daß aber die ungünstig verlaufenen Kuren totgeschwiegen würden. Wenn im Somnambulismus und der Clairvoyance die Leugnimg von durchaus allem Wunderbaren darin auch nicht richtig sei, so überwiege doch Schein und Täuschung; die Abhängigkeit der gewöhnlich naturphilosophisch gefärbten, angeblich selbständigen Ansichten und Einsichten der Somnambulen von den Ansichten des Magnetiseurs sei unverkennbar. Er erinnert daran, daß die Kommission 1812 „auch nicht einen Umstand habe entdecken können, der das Dasein einer magnetischen Einwirkimg bewiese", die Unmöglichkeit sei zwar dadurch noch nicht bewiesen, aber zur Einführimg in die Universitäten sei diese Lehre, von der so wenig Ungetrübtes feststehe, nicht reif; sie sei in den Vorlesungen nur historisch zu behandeln, ebenso wie Alchimie und der Stein der Weisen, die auch einst das Schibboleth der Ärzte gewesen seien. Viel vernichtender noch als diese offensichtlich möglichst schonend gehaltene Kritik Koenens lauten die von den beiden Direktoren der Charité Ernst Horn und dem alten Christian Ludwig Mursinna, Ärzten von hohem und berechtigtem Ansehen, erstatteten Gutachten vom 7. und vom 25. Juni. Ernst Horn, ein ausgezeichneter Lehrer und Kritiker eklektischer Richtung, besonders verdient um die Psychiatrie, in der er zuerst die Geistesstörungen als lediglich körperliche Leiden auffaßte, war früher auch dem Mesmerismus verfallen gewêsen, aber nun schon „ausgenüchtert"1). Auch er geht wie Koenen davon aus, daß die Kommission von 1812 in keinem einzigen der von ihr geprüften Fälle der verschiedensten Art irgendeine sinnlich wahrnehmbare Wirkung, geschweige denn eine Heilung habe feststellen können, weder bei Epileptischen, noch bei Blödsinnigen, Hysterischen, Amaurotischen oder Gelähmten. Trotz dieses ungünstigen Ergebnisses der Prüfung habe seitdem und ganz besonders im letzten Jahre die Anwendung des Magnetismus >) Hirsch, S. 609. 631.
46 in Berlin in bedenklichster Weise zugenommen. Häufig kämen nun in die Charité Kranke, die vorher magnetisiert wurden ohne Nutzen und bei denen dierichtigenMittel darüber versäumt waren ; mehrere davon seien gestorben. Einige scheinbare Fälle von Heilung erklärten sich durch die lange Dauer der Kuren (bis zu 18 Monaten), wo denn der Körper manche Krankheitszustände von selbst überwinde, andere durch die gleichzeitige Anwendung wahrer Arzneien. Wenn man früher hätte annehmen können, daß die Magnétiséure sich über den Wert ihres indifferenten Mittels selbst täuschten, so zwinge der Unfug, der jetzt in Berlin mit dem vermeintlichen Universalmittel getrieben werde, insbesondere das sog. Magnetisieren der Heilmittel dazu, diese Modearznei als Scharlatanerie zu erklären. Bei manchen dieser Ärzte liege absichtliche Täuschung des Publikums vor. Diese seine Ansichten würden von den erfahrensten Berliner Ärzten geteilt, von Heim, Formey, Weitsch, Wolff, Bruckert, Ehrhardt, Reich, Böhm u. a. In einer bei den Akten liegenden für Horn bestimmten Notiz des „alten Heim" stellt dieser damals beliebteste Berliner Arzt 1 ) u. a. fest, daß Wolfart durch sein Magnetisieren unter Vernachlässigung der gebotenen vernünftigen Mittel den Tod einer Majorin von Petersdorff verschuldet habe. In einem direkt an das Ministerium gerichteten Nachtrag vom 26. Juni berichtet Horn selbst dann noch von einem neuesten Fall, in dem Wolfart eine wahrscheinlich venerische Frau 5 Wochen lang magnetisiert habe, statt die Merkurialkur anzuwenden. Mursinna, der verdiente Organisator des preußischen Militärmedizinalwesens und ausgezeichneter Chirurg erwähnt in seinem Bericht vom 25. Juni, daß Wolfart den Magnetismus bei einem Krebsübel habe anwenden wollen, was „ebenso töricht als lächerlich sei". Auch den Vorschlag von Klug, die Prüfungskommission zu reaktivieren, berücksichtigte Schuckmann insoweit, daß er Hufeland durch eine Citissime-Verfügung vom 12. Juli aufforderte, den immer noch seit über 3 Jahren ausstehenden Bericht über die Ergebnisse der alten Kommission nun endlich „möglichst bald" zu erstatten. Der von Hufeland nunmehr eingereichte, vom 1. August 1816 datierte Bericht gibt als Hauptgrund der Verzögerung die Unterbrechung durch den Krieg an; aber sie sei auch dadurch veranlaßt, daß „ein beträchtlicher und sehr achtbarer Teil der >) Vgl. Ober ihn Geo. Wilh. Keßler, Leben Heims. 1. 2. 1835.
47 Mitglieder sich dahin erklärt hätten, daß die Versuche noch nicht lange und vollständig genug fortgesetzt gewesen wären, um ein befriedigendes Resultat zu liefern." Er gibt dann zu, daß „bei den unter Aufsicht gesetzten und in einem besonderen Lokal mit Beobachtung aller, jede mögliche Täuschung ausschließenden Kautelen magnetisierten Kranken . . . nur sehr unvollkommene und problematische Wirkungen und gar keine wesentliche Heilung bemerkt worden seien." Andere zu gleicher Zeit in der Stadt vorgekommene magnetische Kranke, welche „merkwürdige Phänomene und Beweise großer Heilkraft" gegeben hätten, seien „mit in die Beobachtung der Kommission gezogen", aber von einem Teil der Mitglieder als beweiskräftig abgelehnt worden, weil sie nicht „unter ihrer Aufsicht und unter gehöriger Isolierung entstanden" seien. Daher habe er das nur von einem Teil der Mitglieder1) unterzeichnete „ S c h l u ß r e s u l t a t " bis jetzt bis auf eine neue Fortsetzung und vollständige Beendigung der Untersuchung zurückgehalten, überreiche es aber nun auf das ausdrückliche Verlangen des Ministeriums. Es lautet wie folgt: 1. Es existiert eine, bis jetzt in dieser Form nicht bekannte Einwirkung eines lebenden Individuums auf ein anderes, wodurch in letzterem eigentümliche und in dieser Kausalverbindung bis jetzt noch nicht bekannte Erscheinungen hervorgebracht werden. 2. Diese Erscheinungen finden sich auch zuweilen von selbst ohne jene Einwirkung von außen, bei hysterischen und nervenkranken Personen ein und wurden bisher unter der Benennung Somnambulismus und Katalepsis begriffen. 3. Der einzige Unterschied ist, daß sie beim Magnetismus durch bestimmte Einwirkungen von außen und nach Willkür hervorgebracht und aufgehoben werden können. 4. Die Einbildungskraft nimmt hieran viel Anteil und vermag die Erscheinungen mannigfaltig zu modifizieren. Doch lassen sich nicht alle Erscheinungen aus ihr allein erklären, sondern es scheint ein physisches Agens dabei wirksam zu sein. ') Unterzeichnet ist das Schlufiresultat von Hufeland, Klaproth, Mertzdorff, Hermbstaedt, Koenen und Klug. Es fehlen die Unterschriften von Erman, Graefe, Knape, Kuntzmann und Rudolphi. Daß Koenen und besonders Klug die 1812/13 gegebene Unterschrift auch jetzt noch geleistet haben würden, erscheint nach dem Inhalt ihrer Gutachten vom Juni und Juli 1816 sehr zweifelhaft. Ohne ihre Zustimmung hätte Hufeland für sein „Ergebnis" keine Majorität mehr gehabt.
48 5- Dieses Agens gehört aber nicht zu den allgemeinen physischen Agentien und ist nicht durch allgemeine physische und chemische Reagentien sinnlich darzustellen, sondern scheint nur in der Lebenssphäre zu existieren, eine Lebensatmosphäre des lebendigen Organismus zu sein und daher sein Dasein sowohl als die Rezeptivität dafür äußerst bedingt durch individuelle und gegenseitige Verhältnisse (auf ähnliche Art wie der flüchtige Ansteckungsstoff). 6. Dieser Zustand kann in Krankheiten, besonders nervöser Art ein Heilmittel werden. 7. Doch ist er seiner Natur nach, als sehr bedingt, nicht geignet allgemeines Heilmittel zu werden. Auch bedarf er, als mancherlei Mißbrauch unterworfen, der obrigkeitlichen Aufsicht. Eben deswegen würden auch öffentliche und gemeinschaftliche Behandlungsanstalten dieser Art nicht zu gestatten sein, da sie leicht zur Erregung und Verbreitung von Nervenzufällen Gelegenheit geben könnten. Dies ist der Wortlaut des von Hufeland und den oben genannten 5 Mitgliedern unterzeichneten Originals, wie es sich bei den Akten befindet. Hufeland hat das von ihm sog. „Schlußresultat" bald darauf zweimal veröffentlicht, 1816 in seinem „Auszug und Anzeige der Schrift von Stieglitz über den tierischen Magnetismus nebst Zusätzen". Berlin 1816. S. 93—95 und 1817 in seinem Journal für praktische Heilkunde (Bd. 44. Stück 3. März. S. 93—96) beidemal mit zahlreichen Abweichungen und Zusätzen im Text. Wenn diese Änderungen auch nicht von sehr erheblicher Bedeutung sind, so ist ein solches Verfahren doch bei einem amtlichen, von fünf anderen mitunterzeichneten Schriftstück nicht zu rechtfertigen. Eine dem Magnetismus entschieden günstigere Fassung als im Original hat in beiden Veröffentlichungen der Punkt 6 erhalten, der hier so lautet: 6. Dieser Zustand kann in Krankheiten, besonders nervöser Art, ein großes Heilmittel werden, selbst dann, wo die k r ä f t i g s t e n Heilmittel vergebens angewendet worden sind: Aber er kann auch schädlich werden. Daß die streng wissenschaftlich denkenden Mitglieder der Kommission, insbesondere Rudolphi und Erman, diesem angeblichen Schlußresultat ihre Zustimmimg verweigerten, ist begreiflich; eröffnete doch das darin als erwiesen hingestellte „physische Agens", welches physisch ist, aber doch nicht zu den
49 allgemeinen physischen Agentien gehört und nicht sinnlich darstellbar ist, dem widersinnigsten Aberglauben wieder von hinten die kaum vorn geschlossene Tür. Wie diese Anhänger der gesunden Vernunft über die wirklichen Resultate der Kommission dachten, das hat uns Rudolphi mit der ihm eigenen, herzerfrischenden Deutlichkeit in der Vorrede zu seinem vier Jahre später erschienenen Grundriß der Physiologie (Bd. i. 1821. S. IX) gesagt. Nachdem er erzählt, daß er von früher Jugend auf dem Studium der Natur ergeben, kein anderes Ziel kenne außer der Wissenschaft, der nur mit treuer und unparteilicher Kritik gedient sei, fährt er fort: „So habe ich im Magnetismus, d. h. in allem dem Wunderbaren, das man darin sucht und glaubt, in dem Erkennen der Metalle, in dem Beschreiben des innern Körperbaues, in dem Angezogenwerden durch den Magnetiseur, in dem Hören und Sehen durch andere Teile als die Sinnesorgane usw. bisher nichts als Irrtum oder Betrug gesehen und Klaproth, Erman, Horn, Knape, von Koenen, Weitsch und viele andere meiner Freunde und Kollegen haben ebenfalls bei der imbefangensten Prüfung nichts anderes darin gefunden. Ich muß öfters darauf zurückkommen, hielt aber eine allgemeine Erwähnung desselben an dieser Stelle für notwendig. Ich würde ganz darüber schweigen, allein bei dem Magnetismus ist nicht von einer bloßen unschädlichen Theorie die Rede, wie so viele entstanden und verschwunden sind. Durch den Magnetismus, so wie er in das Leben tritt, wird jeder Schlechtigkeit der Weg gebahnt, denn er tötet gar zu leicht die Wissenschaft in ihrer Wurzel und geht gewöhnlich mit der Mystik und mit der Lüge Hand in Hand" 1 ). Ohne dazu von Schuckmann aufgefordert zu sein, äußerte sich auch die Berliner medizinische F a k u l t ä t in einer Eingabe an ihn vom 28. Juli über die brennende Frage. Sie lehnt die Einrichtung eines Klinikums für den Magnetismus, welche dem Vernehmen nach geplant sei, ab, da der Magnetismus auch nach dem Urteil seiner lebhaftesten Gönner nicht genug zur Reife gediehen sei, um eigne Lehranstalten zu erfordern. Sie empfiehlt dagegen die Errichtung der in Berlin noch immer fehlenden Universitätskliniken der Medizin, der Chirurgie und der Entbindungskunde, also von Zweigen der Heilkunde, deren ausgebreitete Nützlichkeit keinem Zweifel unterworfen sei. Diese Eingabe *) Vgl. anch Johannes Maliers Gedächtnisrede auf Rudolphi in Abhandlungen der Berliner Akad. 1835. S. X X V I I I — X X X I . E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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ist außer von Graefe, Berends, Rudolphi, Horkel und Link auch von Hufeland unterzeichnet worden. Noch merkwürdiger ist es, seinen Namen auch an erster Stelle unter dem Votum zu finden, welches die Medizinalabteilung des Ministeriums nunmehr am 13. August auf Grund aller eingegangenen Gutachten und Berichte der Sachverständigen formulierte. Das Konzept ist von der Hand Johann Gottfried Langermanns entworfen, der seit 1810 als Staatsrat dem Ministerium angehörte, einer imponierenden Persönlichkeit von vielseitigster, nicht nur medizinischer Bildung und von humaner Gesinnung. Er ist hochverdient, namentlich um die Verbesserung der Irrenhäuser. Schon während seiner Tätigkeit in Bayreuth unter Hardenberg, der ihn hochschätzte, hatte er 1805 das dortige „Tollhaus" alter Observanz in eine „psychische Heilanstalt für Geisteskranke" umgewandelt und auf diesem Wege ist er dann in Preußen fortgeschritten durch die Gründung der ersten echten Heilanstalten in Siegburg (1825) und Leubus (1830). Außer ihm und Hufeland gehörten 1816 der Medizinalabteilung noch an Welper, Kohlrausch und der Chef des Militärmedizinalwesens Goercke. Das Votum stellt fest, „daß selbst die namentlichen Angaben des Wolfart über Heilungen durch Magnetismus in seinem Bericht an den König nicht zuverlässig sind", daß er „der Menge von Versuchen nicht gedenkt, wo keine Wirkung erfolgt ist"; das sei weder sorgfältig noch wahrhaft; daß er die wahrgenommenen Veränderungen dem Magnetismus zuschreibt, „ohne dafür etwas anderes als seinen Glauben anzuführen", das sei nicht die Art eines wissenschaftlichen Naturforschers. Es verrate wenig Sorgfalt um das Schicksal der Kranken, wenn der erste der in Berlin magnetisierenden Arzte nicht zu wissen scheine, daß, wie durch Horn und Koenen festgestellt, in vielen Fällen die Krankheiten während der magnetischen Behandlung und wegen der dadurch versäumten bewährten Heilmittel schlimmer, ja unheilbar geworden sind. Die Berliner Krankenanstalten würden daher keineswegs, wie Wolfart behauptet, durch die magnetischen Kuren entlastet; es würde somit auch gegen ihr Interesse sein, wenn eine magnetische Heilanstalt etwa aus ihren Fonds unterhalten werden sollte. Wenn es der unabänderliche Wille des Königs bleiben sollte, eine solche Anstalt durch Wolfart einrichten zu lassen, so müsse auf besondere Verwilligung der Kosten angetragen werden. Eine solche Anstalt könne dann zur wissenschaftlichen Prüfung des Magnetismus dienen, aber nur unter Aufsicht, da Wolfart sich als „nicht geeignet zum Naturforscher" erwiesen
51 habe. Da rücksichtlich des Magnetismus auch noch nicht ein Punkt oder Lehrsatz wissenschaftlich feststehe, die angeblichen Theorien vielmehr Spiele der Phantasie seien, so sei eine wissenschaftliche Darstellung unmöglich, eine bloß phantastische aber schädlich; die Errichtung eines Lehrstuhles für den Magnetismus in Preußen daher wahrer Bildung feindlich. Der Antrag der medizinischen Fakultät, statt eines solchen vielmehr die fehlenden Lehrstühle für anerkannt nützliche Fächer zu besetzen, sei also wohl begründet. Dieses Gutachten, welches für Wolfarts Ansprüche bei jedem Unparteiischen hätte tödlich sein müssen, überreichte nun Schuckmann zusammen mit Hufelands Schlußresultat am 9. September 1816 dem König. Der Begleitbericht ist im Konzept fast ganz eigenhändig von ihm selbst geschrieben unter Abänderung eines Entwurfs von anderer Hand. Nachdem er die Verzögerung des Berichts durch die Notwendigkeit der Einholung der Gutachten entschuldigt hat, fährt er fort: „Ich darf mir als Laie über diese Gutachten der Sachverständigen ein entscheidendes Urteil nicht anmaßen. Nur das halte ich mich für verpflichtet zu bevorworten, daß diese Angelegenheit in solchen Grenzen gehalten werde, wo sie die Vernunft nicht verletzt, zweitens nicht als gemißbrauchtes Universalmittel durch Verabsäumung anderer Heilmittel gefährlich wird. Wolfart hat über den Magnetismus angebliche Erfahrungen drucken lassen, die als offenbare Wunder erscheinen und schlechterdings unglaublich sind, wenn man nicht den Somnambulen die Gabe der Weissagung und eine Inspiration zugestehen will. Mit der Errichtung eines öffentlichen Lehrstuhls für solche Lehren aber ginge auch die Befugnis verloren, der Wunderverkündung und Inspirationsbehauptung anderer medizinischer und religiöser Schwärmer oder Gaukler entgegenzutreten, wie Ew. Majestät Weisheit und Vorsorge für das vernunftgemäße Wohl ihrer Untertanen bei Übertragung des Departements für den Kultus und öffentlichen Unterricht mir es besonders zur heiligen Pflicht gemacht hat" 1 ). 1 ) Die von Hardenberg konzipierte Kabinettsorder an Schnckmann vom 20. Nov. 1810 verlangte von ihm als Minister u. a. Beförderung wahrer Religiosität ohne Zwang und mystische Schwärmerei, Gewissensfreiheit und Toleranz ohne öffentliches Ärgernis. Vgl. Lenz i, 313. Ernst Mflsebeck, Das preufi. Kultusministerium vor 100 Jahren. 1918. S. 121.
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52 Daher seien weder an der Berliner Universität für Wolfart, noch auch an den anderen Universitäten Lehrstühle für Magnetismus ratsam. Wenn jedoch der König beabsichtige, die Bemühungen Wolfarts zu unterstützen, an dessen redlichem Eifer er nicht zweifle, so stelle er anheim, ihm etwa 800 Taler extraordinarie für seine Anstalt zu bewilligen, sie aber als eine vom Staat unterstützte Anstalt zur Erforschung des Magnetismus unter die Aufsicht des Medizinalrats von Koenen zu stellen, der dazu besonders geeignet sei, da er weder die Wirkung des Magnetismus ganz bestreitet, noch den Wunderglauben an denselben verkündet. Er erzählt dann noch als Beleg für die Gefahren das oben (S. 23) schon berichtete traurige Geschick des Amanuensis von Heim, Dr. Schmidt. Man sollte meinen, daß dieser ehrliche und von den kräftigsten Beweismitteln gestützte Bericht auf jeden nicht völlig voreingenommenen und verblendeten Menschen seinen Eindruck nicht hätte verfehlen können. Aber freilich für wissenschaftliche, insbesondere naturwissenschaftliche Dinge fehlte dem König jedes Verständnis1), galt doch auch auf dem ihm näher liegenden militärischen und religiösen Gebiet das Interesse und die Fürsorge des beschränkten Monarchen immer nur den Äußerlichkeiten, dort der Uniformierung, hier der Agende und der Liturgie. Immerhin war er sonst den Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes nicht immer unzugänglich; aber in der Magnetismusfrage folgte er, wie es scheint, blindlings dem Staatskanzler, der ja damals mit fast diktatorischer Gewalt ausgestattet war, auch gegenüber den Ministern. Hardenberg wiederum war in dieser Sache ganz in den Händen seines völlig dem Magnetismus verschriebenen Günstlings und ließ diesem freies Spiel. Erhalten sind Koref f s in dieser Zeit verfaßte, für Hardenberg bestimmte Äußerungen über das Schlußresultat und eine daran anschließende Korrespondenz mit Hufeland'), nicht aber seine Äußerungen über das Gutachten der Medizinalabteilung und übet Schuckmanns Bericht an den König. Das Hufelandsche Opus war dem Koreff in seiner Halbheit teilweise sehr willkommen. Mit höchster Genugtuung stellt er die darin nach 20jähriger Leugnung erfolgte Anerkennung der magnetischen Kraft als'physisches Agens fest, Mesmer wird mit Galilei verglichen! Aber die praktischen Vorschläge haben nicht *) Als die Krebssammlung von J . F. W. Herbst ihm zum Kauf angeboten wurde, sagte Friedrich Wilhelm: „Dummes Zeug, es gibt nur eine Art Krebse." (Paul Erman, Brief vom 4. 12. 1826.) *) Lenz. 4, 301—315.
53 seinen Beifall, besonders nicht die Ablehnung des Baquets; dieses sei unentbehrlich, weil Einzelmagnetisierung nicht durchführbar sei. Die Unterzeichner des Schlußresultats lehnt er als inkompetent ab, KlaprothundHermbstaedt als Nichtärzte, Koenen und Klug, weil sie sich nicht mit Magnetismus beschäftigt haben. Auch Hufeland beanstandet er, da er trotz Einladung nie zu Wolfarts Behandlungen gekommen sei, auch schwerlich 20 mal selbst magnetisiert habe. In seiner Antwort vom 14. November bittet Hufeland den mächtigen Mann in sehr verbindlichen Formen, bei Hardenberg für das geplante magnetische Institut zu wirken, in welchem Wolfart selbst magnetisieren, andere imparteiische Naturforscher aber urteilen sollten. Er läßt aber auch einen offenen Tadel über eine ihm zu Ohren gekommene Art der Anwendung des Magnetismus durch Koreff selbst einfließen: dieser benutze ihn nicht bloß zur Heilung, sondern auch zur Divination über sich und andere, zur Erforschung der Zukunft und ähnlichem. Aus einem späteren Brief vom 6. Dezember ergibt sich, daß diese Warnung sich auf Koreffs Taten in Karlsbad bezieht, wo er sich von einer Somnambule (wahrscheinlich der Hähnel) die Verordnungen für den Gebrauch des Brunnens, und zwar für die wichtigsten Personen habe vorschreiben lassen. Voll Entrüstung wendet sich Koreff in seiner Antwort vom 4. Dezember auf das erste Schreiben in den schärfsten Ausdrücken gegen diese „Verleumdung", fordert die Nennung ihres Urhebers und ergeht sich dann mit ungeheurer Suada in einer Lobpreisung des Magnetismus unter Berufung auf eine merkwürdige Heilung, die ihm in Hardenbergs Hause gelungen sei. Hufeland verweigert am 6. Dezember zwar die Nennung seines Gewährsmannes, wünscht aber mündliche Aussprache und macht in Würdigung des Magnetismus neue Konzessionen noch weit über das schon im Schlußresultat Geleistete hinaus: E r sei unstreitig die Entwicklung einer höheren, der geistigen Welt näheren Kraft im Menschen, eine neue Offenbarung des inneren Lebens, welches jedem äußeren zugrunde liegt: „er war auch bei Magie, Dämonomantie, selbst beim Exorzismus der Kirche wirksam ; denn ich bin völlig überzeugt, daß bei alle dem nicht immer Betrug war, sondern wirklich Wunder gewirkt worden." Die endgültige Entscheidung des Königs ließ lange auf sich warten. Erst am 7. Februar 1817 erfolgte sie durch zwei Kabinettsorders. Die eine brachte die Ernennung Wolfarts zum ordentlichen Professor in der Berliner medizinischen Fakultät, ohne Zuweisung eines besonderen Fachs. Zur Motivierung bei der Mitteilung
54 an die Universität wurden Lobsprüche verwendet, welche die Fakultät selbst in unbedachter Gutmütigkeit ihrem 6 Jahre vorher erstatteten abweisenden Gutachten hinzugefügt hatte 1 ). So hatte nun die Fakultät in weniger als Jahresfrist zwei neue, unerbetene Mitglieder erhalten zur Vertretung einer PseudoWissenschaft, die von den alten Mitgliedern durchweg nicht als berechtigter Zweig des Universitätsunterrichts anerkannt wurde, ein Vorgang, der wohl beispiellos ist in der Geschichte der deutschen Universitäten. Daß den neuen Kollegen das Leben nicht immer leicht gemacht wurde, kann man sich bei dem gerechten Zorn der älteren Mitglieder über die erlittene Vergewaltigung und bei der Sinnesart Rudolphis leicht vorstellen; es bedurfte oft des Eingreifens des geborenen Vermittlers Hufeland, um offenen Zwist zu schlichten. Hardenberg bewilligte Koreff zum Trost für das ihm schon 1815 versprochene eigene Klinikum, welches er ihm nicht sofort beschaffen konnte, 500 Taler jährlich für die Fortsetzung physiologischer Versuche, über die niemals irgend etwas veröffentlicht worden ist und 2000 Taler zur Anschaffung eines physikalischen Apparats. Die Bevorzugung des Günsüings war um so greller, als die Regierung für den für den Fachvertreter der Physik, Paul Erman, erforderlichen physikalischen Apparat trotz der Befürwortung durch den Senat und der wohlwollenden Aufnahme durch den zuständigen Minister nichts übrig hatte 1 ). *) Lenz. 1, 561 und oben S. 20. *) Lenz. 1, 564.
Königliche Preisaufgabe über den Magnetismus. Die zweite Kabinettsorder vom selben Tage, 7. Februar 1817, an Schuckmann1) schlägt einen neuen Weg ein, um zur Klarheit über den Magnetismus zu gelangen und gibt zugleich vorläufige Anweisungen für seine Anwendung als Heilmittel. Der neue Weg zur Prüfung dessen was Wahrheit oder Trug oder Selbsttäuschung sei, wird in der A u s s c h r e i b u n g eines P r e i s e s von 300 Dukaten für die beste Abhandlung über den Magnetismus gefunden, welche die Akademie der Wissenschaften im In- und Ausland bekanntmachen soll. Die Zuerkennung des Preises behält sich der König (im Grunde genommen also Koreff!) vor, verlangt daher Vorlegung der eingegangenen Abhandlungen und eines Gutachtens der Akademie über dieselben. Für die magnetischen Kuren wird in Erweiterung, des Erlasses vom 23.5. 1812 vorgeschrieben, daß nur approbierte Arzte sie ausführen dürfen und daß auch diese jedes Vierteljahr ihrer vorgesetzten Behörde über den Verlauf der behandelten Krankheiten und die dabei beobachteten Tatsachen zu berichten haben. Die Behörden schicken sie dann an die Medizinaldeputation ihres Bezirks, welche ihrerseits vierteljährlich dem König Anzeige zu erstatten hat. Dieser Kabinettsorder, welche Schuckmann am 19. Februar der Akademie zur weiteren Veranlassimg in bezug auf die Preisaufgabe übersandte, war eine A n l a g e beigefügt, welche Z w e c k und U m f a n g der Preisaufgabe genauer präzisierte. Sie war unzweifelhaft, wie auch wohl in der Hauptsache die Kabinettsorder selbst von Koreff verfaßt. Sie geht aus von der Schwierigkeit der Bildung eines abschließenden Urteils über die Erscheinungen des tierischen Magnetismus, welche viel größer sei als in anderen Zweigen der Naturkunde. Doch sei eine klare Ansicht zu gewinnen, wenn alle die zahlreichen bekanntgemachten Erfahrungen „mit kritischer Beurteilung ihrer größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit zusammenge*) Original in A. Min. 2, 8. Abschrift in A. Akad. Bl. 2.
56 stellt und so geordnet werden, daß sich diese neuen Erscheinungen an andere längst bekannte anreihten, nämlich an die des natürlichen Schlafes, an die des Traumes, des Nachtwandeins und verschiedener Nervenkrankheiten. Man wünscht sie so dargestellt zu sehen, daß sie alles Wunderbare verlieren, indem gezeigt wird, daß sie so wie alle anderen Erscheinungen gewisse Gesetze befolgen, und daß sie nicht einzeln und isoliert und ohne Zusammenhang mit andern der organischen Welt sind. Jede Frage müßte scharf gestellt werden, damit eine scharfe Antwort möglich sei. Es scheint in diesem Falle das zweckmäßigste zu sein, jedem, der die Beantwortimg der Frage über den tierischen Magnetismus übernimmt, auch die zweckmäßigste Stellung der einzelnen Fragen zu überlassen." Nachdem dann noch den Bearbeitern freigestellt wird, sich auf bloß naturkundliche Behandlung zu beschränken oder auch die Verwendung als Heilmittel zu erörtern, wird als Termin der Einreichung der Bewerbungsschriften der i. März 1818 bestimmt und angeordnet, daß sie sämtlich „demnächst durch den Druck öffentlich bekanntzumachen sind (!). Für diejenige, welche die Akademie für die beste hält, wird ein Preis von 300 Dukaten ausgesetzt." Die Ausführung der höchst unwillkommenen Aufgabe wurde von der Akademie der physikalischen Klasse zugewiesen. Hier entstanden sofort Zweifel, ob die Anlage der Kabinettsorder in ihrem Wortlaut ohne Änderungen und Zusätze als Preisaufgabe zu verkünden sei, oder ob die Anlage nur als Grundlage und Richtschnur für eine von der Akademie selbst aufzustellende Formulierung gedacht sei. Der Sekretär der Klasse Erman und mit ihm Weiß, Link und Thaer vertraten bei den eingehenden Erörterungen hierüber die erstere Ansicht, weil sie alles vermeiden wollten, was den Anschein erwecken konnte, als werde die Preisaufgabe von der Akademie aus eignem Antrieb gestellt. Aber die Majorität von 5 Mitgliedern beschloß nach langem Hin und Her, die streitige Frage dem Ministerium zur Entscheidung vorzulegen, der Anfrage aber gleich den Entwurf zu einem in mehreren Punkten abgeänderten Programm beizufügen, welches Hufeland entworfen hatte. Bei diesen Verhandlungen vermißt man in den Akten jede Erwähnung und jedes Votum von Buch und Rudolphi. Sie müssen wohl verreist oder sonst dringlich verhindert gewesen sein. Beide hätten sicher in dem Streit auf der Seite ihres Freundes und Gesinnungsgenossen Erman gestanden und durch ihre Stimmen seiner Ansicht zum Siege verholfen. Einig waren alle Mitglieder in dem Verlangen einer Hinausschiebung des offenbar viel zu kurz bemessenen Termins bis zum
57 i. März 1819 und in der Ablehnung des geradezu abenteuerlichen Versprechens der Drucklegung aller eingehenden Bewerbungsschriften, auch der unsinnigsten. Hufelands in 7 Punkten formulierte Vorschläge für die Präzisierung der Aufgabe gingen dahin, daß geprüft werden solle, ob sich ein auch außer dem organischen Leben existierender magnetischer Stoff oder Agens sinnlich darstellen lasse oder nicht, ob dadurch Attraktion und Leitung bewirkt werde wie durch Elektrizität, Galvanismus und mineralischen Magnetismus. Wenn das Agens eine nur in der Sphäre des organischen Lebens existierende Tätigkeit sei, ob dann ein vom Magnétiseur ausgehender Stoff wirke, oder bloß sein Wille, oder ob nur eine im Magnetisierten aufgeregte Kraft des Organismus wirke. Dabei seien unmittelbare Wirkungen von sekundären zu unterscheiden. Ferner sei das Kausalverhältnis zu erörtern, in welchem der Somnambulismus zum Magnetismus steht; ob er ein nur durch den Magnetismus erzeugter oder ein in den Gesetzen des Organismus begründeter Zustand sei, der sowohl durch den Magnetismus als auch durch andere Ursachen aufgeregt werden kann. Ferner wird die MitteUungvonErfahirogen über dieactioindistans verlangt, dievorgebliche Wirkung über die menschliche Raumgrenze hinaus, sowie über die Vorhersagung, die Wirkung über die Zeitgrenze hinaus. Bei den Erfahrungen über die Wirkung als Heilmittel seien solche Fälle auszuschließen, wo kurz vorher oder gleichzeitig andere Hilfsmittel gebraucht wurden, die behauptete dauernde Heilung sei streng zu erweisen. Am 13. März erging nun die von Erman redigierte A n f r a g e an Schuckmann, ob die Akademie die Anlage „als den ganzen Umfang der Preisaufgabe erschöpfend wörtlich bekanntmachen solle, oder ob die Allerhöchste Willensfheinung gewesen sei, die Akademie aufzufordern, die einzelnen Momente der Untersuchung mit einer Bestimmtheit aufzustellen, welche den Bewerbern zum Leitfaden dienen könne." Für den letzteren Fall wird ein Entwurf zu dem Programm vorgelegt, in welchem die Hufelandschen 7 Punkte in die Anlage eingefügt sind. Dann folgt der Antrag auf Verlängerung des Termins und die Anfrage, ob wirklich der Druck sämtlicher Bewerbungsschriften unbedingt verheißen werden solle, oder ob die völlig gehaltlosen von dieser Ehre auszuschließen seien, „um so mehr, da in Vieler Augen diese höheren Orts und auf königliche Kosten veranstaltete Publikation als eine Art von Sanktion erscheinen möchte". Am 31. März gab Schuckmann die Anfrage der Akademie an den König weiter; er befürwortet ihren Programmentwurf
58 sowie die Terminverlängerung; die Frage der Drucklegung erwähnt er gar nicht, wahrscheinlich versehentlich, was dann später zu unangenehmen Weiterungen mit Bewerbern geführt hat, die auf das königliche Versprechen pochten. Dieser Immediatbericht ist der letzte erheblichere Anteil, den der aufrechte Schuckmann an der amtlichen Behandlung der Magnetismusfrage gehabt hat. Denn nun trat eine Pause von fast i 1 /» Jahren ein, ehe eine Antwort erfolgte und die Angelegenheit weiter gefördert wurde! Und in dieser Zwischenzeit gab Schuckmann die Verwaltung von Kultus, Unterricht und Medizinalwesen an Altenstein als selbständigen Kultusminister ab, während er selbst Minister des Innern blieb. Kurz vor dem Ausscheiden aus dem alten Amte rühmte er in einem Bericht an den König vom 4. November 1817, daß er der in der Kabinettsordre vom 20. November 1810 gegebenen Weisung gemäß (vgl. oben S. 51) überall der religiösen Freigeisterei und demokratischen Grundsätzen fest entgegengetreten sei, aber ebenso auch „dem Mystizismus der neuen Päbstler und den Wundergaukeleien der Magnetisierer, die Christum zum Magnétiseur und sich zu seinesgleichen machen möchten, ohne alles Buhlen um Zeitungslob oder vor der Feindschaft dieser jetzt so zahlreichen, einflußreichen Sekten" 1 ). Über die Gründe der langen Verschleppung, die nun eintrat, sind wir nicht unterrichtet. Sie war den Zeitgenossen so befremdlich, daß alle die, welche nur mit innerem Widerstreben bei der Ausschreibung der Preisaufgabe mitgewirkt hatten, nun hofften, die Sache würde im Sande verlaufen. Die an Schuckmann gerichtete Anfrage eines Dr. Fiqué in Viré, Dép. Calvados, der aus Zeitschriften von der bevorstehenden Ausschreibung eines Preises gehört hatte, veranlaßte den Minister am 1 1 . März 1818 zu einer Rückfrage bei Hardenberg, ob die „früher von des Königs Majestät beschlossene Preisaufgabe noch stattfinden wird". Er erhielt keine Antwort. Als derselbe Franzose sich einige Wochen später an die Akademie wandte, antwortete ihm Erman, daß die Akademie nicht wisse, ob die Regierung den Plan endgültig habe fallen lassen und verfehlt nicht, scharf alle Verantwortimg der Akademie für die Sache abzulehnen „car ce concours n'étant pas du nombre de ceux que l'académie ouvre à son choix pour ses prix fondés annuellement, elle devra adopter toutes les modifications qu'il plaira à Sa Majesté de sanctionner dans une chose, où elle est purement passive." S. 162.
E . Mûsebeck, Das Preuß. Kultusministerium vor 100 Jahren. 1918.
Fortschritte des Magnetismus in Preußen. Die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf die weitere Verfolgung des Preisaufgabe-Untemehmens von Seiten Koreffs und Hardenbergs war sicher irrig. Es waren wohl nur die hochpolitischen Geschäfte dieser Periode, der Aachener KongreB, die Einleitung der Demagogenverfolgung, welche Hardenberg, und es war die Mitwirkung bei der Einrichtung der Bonher Universität, welche Koreff vorübergehend von ihrem Vorhaben ablenkten1). Bei dem letzteren Geschäft, der Auswahl der Lehrer für B o n n , bevorzugte Koreff rücksichtslos seine Gesinnungsgenossen auf naturwissenschaftlichem und auf medizinischem Gebiet. So kam es, daß die neue Hochschule nicht nur übermäßig zahlreiche Vertreter der Schellingschen Naturphilosophie unter ihren ersten Professoren zählte (wie Harleß, Bischoff, Goldfuß, Nees von Esenbeck), was damals bei der Verbreitung dieser Richtung fast unvermeidlich war, sondern auch 2 Adepten des tierischen Magnetismus, welche die beiden Berliner Größen, Koreff und Wolfart, noch um ein beträchtliches an Widersinn und Aberglauben übertrafen. Der ältere der beiden Bonner Magnetiseure, der gleich bei Begründung der Universität mit dem ungewöhnlichen doppelten Lehrauftrag für Philosophie und für Medizin berufene Karl Joseph Hieronymus W i n d i s c h m a n n 1 ) (1775—1839), l s t später besonders bekannt geworden als der Haupthetzer bei der ') Am 26. Mai 1818 erhielt Koreff durch Kab.-Ordre in aller Form Vortrag und Bearbeitung der wissenschaftlichen Angelegenheiten beim Staatskanzler. Er hatte aber schon vorher bei den Bonner Berufungen die Hand im Spiele gehabt. Vgl. Lenz. 2, 1. S. 22, und Bezold, S. 70. *) Windischmanns Berufung nach Bonn ist auch von Johannes Schulze befördert worden, der mit ihm in freimaurerischen Beziehungen stand; denn Windischmann, der nachmalige übereifrige Vorkämpfer des Katholizismus, war 1808 Freimaurer geworden, nach eigener Angabe des besseren Fortkommens wegen I (Bezold, S. 207. Heinr. Schrörs, Gesch. d. kath theol. Fak. zu Bonn. 1922. S. 364.)
6o Verketzerung seines Kollegen, des großen katholischen Theologen und Schulhauptes Georg Hermes, der in seiner Kantisch beeinflußten Klarheit ihm, dem konfusen Mystiker, ein Stein des Anstoßes war. Bevor er den Feldzug gegen Hermes unternahm, hatte er sich bereits durch eine medizinische Schrift, nach dem Ausdruck eines Zeitgenossen, überall zum Gegenstand „unglaublichen Gelächters und Spottes" gemacht1). Diese zuerst 1823 in der Zeitschrift für Anthropologie, dann auch selbständig erschienene Abhandlung „Noch Etwas, das der Heilkunde Noth thut" Verkündet als der Weisheit letzten Schluß eine christliche Heilkunst, in der die Sakramente Abendmahl und Ölung ausdrücklich als Heilmittel für körperliche Leiden bezeichnet werden (S. 2 7 3 ! , 277 bis 279). Von den sog. Sakramentalien, sichtbaren Dingen oder Zeichen und Worten, die zwar nicht eigentliche Sakramente, aber Elemente der sakramentalen Akte sind, dem Namen Jesu, dem Zeichen des Kreuzes, den Segnungen, dem Weihwasser, dem gesegneten Brot und Wein, vor allem dem Exorzismus wird gesagt, daß sie nicht nur die Seele, sondern auch den Leib von feindseligen Gewalten, leiblichen Plagen, zeitlichen Unfällen befreien (S. 283f.). Diese Sakramentalien müsse der Arzt selbst anwenden, soweit es kirchlich in Bekämpfung des Teufels zulässig ist, sonst aber müsse er den Priester zu Hilfe rufen (S. 286). Der Exorzismus sei dabei von besonderer Wichtigkeit, um den Magnetismus in der rechten Verbindung mit dem Heilschatz der Kirche anzuwenden (S. 285). Durch solchen Bund des Arztes mit dem Priester werde das lebendige Wort der kunst- und hilfreichste Arzt, die Kirche die wohltätigste Heilanstalt auf Erden. Schließlich scheut der Mann sich nicht, eine Parallele zu ziehen zwischen den Heilwirkungen Äskulaps unter den Heiden und denen des Heilands nach seiner christlichen Heilkunst! (S. 198.) Bei solchen theoretischen Überzeugungen überrascht es dann weiter nicht, daß er in eignen Leiden Hilfe suchte nicht bei einem dem gesunden Menschenverstand huldigenden Arzte, sondern, wie er selbst erzählt, bei dem bedenklichen Wundermann, Alexander Prinz Hohenlohe1), und daß er ferner Rat und Trost sucht bei der stigmatisierten Nonne Katharina Emmerich in Dülmen8). J
) Acta Romana edd. Brann et Elvenich. 1838. S. 117. *) Heinr. Schrörs, Gesch. der kath.-theol. Fakultät zu Bonn. 1922. S. 66. ') Der Versuch, den Adolf Dyroff in seiner eingehenden Monographie ttber Windischmann (Vereinsschriften der Görresgesellschaft 1916, 1) macht.
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Diese nach dem kompetenten Urteil August Hirschs ) hart an Irrsinn streifenden Ansichten Windischmanns wurden noch überboten durch den Tiroler Joseph Ennemoser, einen Schüler Wolfarts, der von Koreffs Gnaden 1818, ohne vorher Privatdozent gewesen zu sein, ein Extraordinariat in der Bonner medizinischen Fakultät erhielt, als „bewährter Kämpe der Sache des heiligen Magnetismus". Dieser Mann, dessen frühere Betätigung als Streiter für die Freiheit seiner engeren Heimat im Jahre 1809 und für die des großen Deutschen Vaterlandes und als Führer der Tiroler Kompagnie in der Lützowschen Freischar 1813 so sympathisch berührt, verfiel leider mehr und mehr dem wüstesten Mystizismus. Er führte den Magnetismus bis auf das Leben von Adam und Eva zurück, die in einem vollkommen magnetischen Verhältnis zueinander gestanden hätten, er verlangte, daß alles magnetisiert werde, die Kinder im Mutterleibe, damit sie als gesunde, kräftige Menschen das Licht der Welt erblicken, die Bäume auf dem Felde, damit sie Früchte tragen usw. *) Er erwartete davon die Umwandlung der Erde in einen Paradiesgarten, die Zähmung aller wilden Tiere, die Durchsichtigmachung des menschlichen Körpers und die Steigerung seiner Kraft zu sonst ganz unbekannten Wirkunr gen*). Auch bei ihm ist der Weisheit letzter Schluß: Wir sollen nicht gelehrt sein, keine Erfahrungen machen, aber geistlich werden. Die durchaus in die Sphäre des höheren Blödsinns fallende „Wissenschaft" dieses sonderbaren Kauzes und Windischmanns im Grunde kaum weniger hirnverbrannte medizinische Lehren auch dessen christliche Medizin zu rechtfertigen, scheint mir verunglückt. Er legt der Forderung des Zusammengehens von Arzt und Priester eine sehr harmlose Deutung unter, indem er dem Bericht aber das „Noch etwas" hinzufügt: „Es wäre besser, wenn mancher Arzt mehr von Seelenheilung und Erziehung verstände." Das ist unbestreitbar, erschöpft doch aber in keiner Weise Windischmanns Forderungen. Dieser verlangt unzweideutig Heilung durch Sakrament und Sakramentalien, also ein Verfahren, welches man gar nicht anders als Magie und Zauberei nennen kann. Dyroffs sonst verdienstliches Buch leidet unter der Vorliebe für den Helden, der jeder Biograph unvermeidlich verfällt, wenn er sich diese Gefahr nicht fortwährend vergegenwärtigt. Auch sein Versuch, Windischmanns Verhalten gegen Hermes in milderem Lichte erscheinen zu lassen, erscheint unhaltbar gegenüber der unanfechtbaren Darstellung von Heinr. Schrörs. a. a. O. S. 371—378. !) Hirsch, a. a. O. S. 582. Vgl. auch Bezold, S. 161. 214. *) Hirsch, S. 472. Bezold, S. 214 f. *) Der Magnetismus im Verhältnis zu Natur und Religion. 2. Aufl. 1853. S. 235.
62 haben dann später in der christlich-germanischen Medizin von Joh. Nep. Ringseis in München ihren nicht mehr zu überbietenden Höhepunkt erreicht in dem 1840 erschienenen berüchtigten System der Medizin, welches sich außer durch den widersinnigen Kern auch durch die gehässigsten Angriffe gegen die bedeutendsten Vertreter echter Wissenschaft auszeichnet1). Auch in Berlin gedieh das magnetische Unwesen in dieser Zeit fröhlich weiter, wenn es auch nicht ganz so groteske Formen annahm wie auf dem für solche Auswüchse noch geeigneteren Nährboden in Bonn. Über W o l f a r t s nunmehr staatlich sanktionierte Lehrtätigkeit und Praxis haben wir gerade aus dem ersten Jahre 1817 zuverlässige Nachrichten von zwei glaubwürdigen Zeugen, die, trotz sehr verschiedener Richtung und Sinnesart, gleich ungünstig urteilen. Karl Ernst von Baer war als Student, wie wir schon oben erwähnten, durch Kluges Buch für den tierischen Magnetismus interessiert worden, dann aber waren ihm in Würzburg durch die offensichtlich schwindelhaften Versuche, welche Joh. Spindler, einer der vielen geistlosen Nachbeter Schellings, mit einer Metallfühlerin und mit der Wünschelrute vorführte, die angeblichen geheimen Naturkräfte verdächtig geworden1). Immerhin war er kein absoluter Zweifler, glaubte auch noch später, wenn auch nur selten Somnambulismus gesehen zu haben. In Berlin, wohin er im Wintersemester 1816/17 übersiedelte, hörte er bei Wolfart, fand seine Vorlesungen aber ganz kritiklos, seine Theorie einen sinnlosen Mischmasch. In der Klinik hielten die Patienten am Baquet ihren Nachmittagsschlaf. Als Wolfart einmal einen an Augenentzündung leidenden Knaben durch Magnetismus gebessert zu haben vermeint, kommt Rust dazu und bemerkt trocken, daß er an die Besserung gern glaube, denn er habe den Patienten seit 6 Wochen mit Präzipitalsalbe behandelt! Der andere Zeuge ist Karl Gustav C a r u s , der sein Leben lang nicht nur an gewisse Wirkungen des Magnetismus glaubte, sondern ihn auch in einzelnen, gewählten Fällen selbst anwandte. Er besuchte im Herbst 1817 die magnetische Anstalt des „Magiers" Wolfart, fand aber, obgleich er doch gewiß nicht voreingenommen war, „daß darin allerdings der einfach treu wissenschaftliche Sinn . . . ebensowenig wie bei Mesmer zu Hause war"*). Die Ur») Hirsch, S. 601 f. *) Vgl. Nachrichten Ober Leben und Schriften K . E. v. Baers. Petersburg 1865. S. 288 ff. Der dort erwähnte Prof. Sp. ist unzweifelhaft Spindler Vgl. Uber diesen Hirsch a. a. O. S. 416 f. *) K. G. Carus, Über Lebensmagnetismus. 1857. S. 30.
63 sache des angeblich magnetischen Schlafs schien ihm mehr Langeweile, Affektation, höchstens überreizte Imagination1). Hufeland machte in dieser Zeit weitere reißende Fortschritte auf der abschüssigen Bahn des Aberglaubens, dem er seit 1808 in stets wachsendem Maße verfallen war. In seinem Journal für praktische Heilkunde gibt er im Märzheft von 1817 zunächst eine Geschichte der eignen Bekehrung zum Magnetismus; dann folgt nach eingehenden methodologischen Betrachtungen über die richtige Behandlung der streitigen Fragen, trotz aller hierbei empfohlenen Vorsicht und Kritik, die Aufzählung einer Reihe angeblich bereits feststehender Tatsachen meist befremdlichster Art: Jeder Mensch ströme ebenso wie Wärme beständig „auch eine magnetische und eine noch feinere vitale Atmosphäre aus" (S. 129). Der Magnetismus gehöre offenbar in dieselbe Kategorie wie der narkotische und der Ansteckungsstoff, welche auch geglaubt werden, ohne daß man sie gesehen hat und deren Gesetze sogar bekannt sind (S. 111—113). Die Annahme magnetischer Wirkungen nur durch den Willen ohne alle materielle Vermittlung, ähnlich wie sie der alte Magus, der neuere Exorzist, der Wimderarzt ausübe, sei nicht durchaus Betrug (S. 135). Sogar an die sympathetischen Kuren glaubt er: das Kochen des Urins eines Gichtkranken, mehrere Meilen entfernt vom Wohnort des Patienten, bringe diesen in Schweiß und heile sein Leiden 1! (S. 139). Magnetisierte, leblose Körper trügen die Kraft in die Entfernung, so das Baquet, das magnetisierte Wasser. Das seien Fakta, ebenso wie die Wirkung von Amuletten 1! Zuweilen trete eine „neue Sinnlichkeit" auf, wobei durch Teile der äußeren Hautbedeckung, durch die Herzgrube, die Finger, die Hände, die Zehen gehört, gesehen, gerochen werde!! (S. 143). Auch das Inwendigsehen und das Fernsehen über Raum und Zeit hinaus werden als Tatsachen anerkannt (S. 146). Derselbe, Lebenserinnerungen. T. 1. 1865. S. 243 ff. — Auch B i s m a r c k s Mutter ließ sich 1817 6 Monate lang von Wolfart magnetisieren, „behauptete auch hellsehend zn sein, auch daß der Magnetismus ihr geholfen habe". Ihr Mann vermißte aber, daß sie bei aller clairvoyance das Fallen der Wollpreise gegen Ende des Wollmarkts nicht vorher gesehen habe. (Brief von Beyme vom 20. 6. 1817 bei Erich Mareks, Bismarcks Jngend. 5. Aufl. 1909. S. 43.)
64 E s bestehe also eine n a t ü r l i c h e p h y s i s c h e M a g i e , bei der nicht Geister, aber „dunkle, unbekannte Kräfte" wirken (S. 149). Der „fromme" Hufeland sieht in dem durch den Magnetismus wiederhergestellten Glauben an eine unsichtbare Welt einen Vorteil; der Glaube an die heiligen Wunder werde dadurch bekräftigt, daß ähnliches noch jetzt geschehen könne (S. 157) So eröffnete er denn ganz folgerichtig im nächsten Bande seines Journals (Bd. 45. 1817. Sept.) einen neuen stehenden Artikel unter der Bezeichnung M e d i c i n a m a g i c a und in diesem Abschnitt der weitverbreiteten Zeitschrift häufen sich nun die Nachrichten über allerlei Wundertäter und Wundertäterinnen, die ganz ernsthaft behandelt werden, trotz des offenbaren handgreiflichsten Schwindels. Das Journal wetteifert darin mit dem im selben Jahr neu begründeten, von den Professoren Eschenmayer in Tübingen, Kieser in Jena und Nasse in Halle, später in Bonn herausgegebenen A r c h i v für den tierischen Magnetismus, einer ergiebigen Fundgrube des krassesten Aberglaubens. Da wird der Magnetismus von den drei berühmten Herausgebern als „das wieder aufgefundene Orakelder früheren Zeiten'' gepriesen (Bd. 1. S. 2), also Friedrich August Wolfs oben (S. 14) erwähntes Desiderat buchstäblich erfüllt; Hexen- und Zaubergeschichten werden mit unglaublicher Kritiklosigkeit aufgewärmt, angeblich eingetroffene Prophezeiungen der Somnambulen triumphierend *) Vgl. hierzu die treffenden Bemerkungen des Kieler Professors Chr. Heinr. P f a f f in „Über und gegen den tierischen Magnetismus". 1817. S. 169. Er betont unter Berufung auf Job. 3, 21, daB der echte Glaube an eine höhere Ordnung der Dinge nur aus der Wahrheit Nahrung schöpfen kann, nicht aus den Phantasmen kranker und überspannter Seelen. Auch seine zum Teil satirischen Bemerkungen Ober Hufelands Sympathieglauben (S. 179—184) und seine eingehende kritische Würdigung der Hauptwundertaten damaliger Somnambulen ist noch heute lesenswert. — Hufelands frömmlerische Neigungen waren nach Ansicht des Forsten Pockler Ergebnis berechnender Politik. Sie entwickelten sich immer krasser. Als 1830 der finstere Fanatiker Hengstenberg seinen denunziatorischen Vorstoß gegen die hallischen Rationalisten unternahm, sekundierte der Leibarzt Hufeland diesem skrupellosen Hetzer. Er schrieb an den König, daB er Gesenius ungemein schätze, der König solle ihn ja nicht absetzen, wohl aber versetzen, in die philosophische Fakultät. Ein Anonymus schrieb darauf im Namen der Universität Halle an Hufeland, man danke ihm sehr für seine Intervention, aber die hohe Achtung, die man für ihn hege, bewege die Universität, in einem zweiten Schreiben an den König, zu bitten, den Professor Hufeland, der als Dr. med. noch nicht an seinem Platze sei, zur theologischen Fakultät zu versetzen, zu der sein Beruf unzweifelhaft sei. Vgl. Pocklers Briefwechsel. Hrsg. von L. Assing. 7. 1875. S. 195.
65 verkündet, alles getragen von der zunehmenden Tendenz der Zeit auf das Mystische und Übersinnliche. Auf den preußischen U n i v e r s i t ä t e n der Provinz übten Hauptlehrer der Medizin den Magnetismus aus, in Bonn Nasse, in Halle Krukenberg. Da sie die Vorschrift der Kabinettsordre vom 7.2.1817, wonach über alle magnetischen Kuren regelmäßig vierteljährlich den Regierungen zu berichten war, nicht auf die Professoren beziehen zu müssen glaubten, mußte das Kultusministerium seinen Erlaß in den Jahren 1818—1821 wiederholt nachdrücklich einschärfen1). In dieser Zeit wurde auch der Fall der stigmatisierten Nonne Katharina E m m e r i c h in Dülmen in den Bereich des Magnetismusstreits hineingezogen. Am 31. 12.1816 übersandte der König Schuckmann das kürzlich erschienene, dem König gewidmete Buch des Hofrats Dr. Baehrens in Schwerte, Der animalische Magnetismus und die durch ihn bewirkten Kuren. Elberfeld und Leipzig 1816, zur Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung. Baehrens stellt darin (S. 9 und 138) den Fall der Emmerich als ein Beispiel und einen Beweis des von ihm sog. religiösen oder psychischen Magnetismus hin; bei diesem werde der göttliche Magnet angeregt, welches nur durch Gerechte geschehen könne, während der physische Magnetismus auch von Sündern erregt werden könne (S. 17). Schuckmann ging auch hier mit der ihm eigenen Energie vor; in einem von Langermann konzipierten Erlaß vom 24.1.1817 forderte er die Regierung in Münster auf, die angebliche Wundergeschichte zunächst, ohne Aufsehen zu erregen, durch zuverlässige Erkundigungen aufzuklären, und wenn sich dabei ergeben sollte, daß durch die Sache „verderblicher Aberglaube oder törichter Wunderglaube unterhalten und befördert wird", so solle die Regierung anzeigen, was sie zur Klärung der Sache tun könne. Von der Stigmatisation ist in dem Erlaß nicht die Rede, es wird aber darauf hingewiesen, daß das Märchen von dpr langen Entbehrung der Speisen, vom Nichtvorhandensein des Stuhlganges an das Wundermädchen im Hochstift Osnabrück erinnere, über dessen Entlarvung als Betrügerin Justus Gruner im Jahre 1800 berichtet habe1). ») A. Arch. Bl. 1—14. *) Vgl. dessen Authentische und aktenmäßige Erzählung der Betrügereien eines angeblichen Wundermädchens im Hochstift Osnabrück. Berlin 1800. — Die beiden Erlasse in den A.Min. 2, 1. 2. Der Fortgang der Sache findet sich in den Akten nicht, aus den oben gleich folgenden Grflnden. E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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66 Damit gab Schuckmann den Anstoß zu der amtlichen Untersuchung des Emmerich-Falles, welche der Oberpräsident von Vincke anordnete und trotz des passiven Widerstands der obersten kirchlichen Behörde und der Erschwerungen durch die unteren kirchlichen Instanzen in den Jahren 1818 und 1819 durchführen Heß. Die Akten über diese Untersuchung sind aus dem Kultusministerium abhanden gekommen, nicht, wie wohl angenommen worden ist, im Zusammenhang mit den Aktenunterschlagungen des Direktors der Katholischen Abteilung im Ministerium Kraetzig, über welche der Kultusminister von Goßler am 28.1.1886 im Abgeordnetenhaus berichtet hat, sondern viel früher. Schon 1838 mußte Altenstein Vincke auf dessen wiederholte Reklamationen erklären, daß die Akten verschwunden seien. Sie waren 1824 von einem für die Sache interessierten Rat des Ministeriums nach Hause mitgenommen worden und nach seinem Tode im Nachlaß nicht zu finden 1 ). Aber der wesentliche Inhalt dieser Akten ist in den Konzepten bei der Regierung in Münster erhalten und danach 1878 von dem Medizinalrat und Professor Karsch in Münster in dem unten angeführten Buche veröffentlicht worden. Aus den darin mitgeteilten Berichten und Gutachten des Medizinalrats Professor Bodde, des Landrats von Bönninghausen u. a., welche den zuverlässigsten Eindruck machen, ergibt sich unweigerlich, daß die Wundmale der Emmerich Artefakte waren, von ihr selbst wahrscheinlich unter Begünstigung ihrer Umgebimg, insbesondere eines emigrierten französischen Geistlichen Lambert, erzeugt. Aber wenn danach auch objektiv Betrug vorliegt, so war dies doch bei der Emmerich, wie bei den meisten anderen Stigmatisierten, kein Betrug im gewöhnlichen Sinne des Worts, vielmehr die Handlung einer hysterischen, moralisch nicht zurechnungsfähigen Person, verübt in der Überzeugung gottbegnadet zu sein*). Weder kann hier von einem Wunder die Rede sein, noch braucht man auf die neuerdings auch von ernsthaften Forschern (ich zweifle allerdings sehr, ob mit Recht) behauptete Entstehung solcher Blutungen durch Autosuggestion zu rekurrieren8). Es ist unbegreiflich, wie man die unzweideutigen Bekundungen der sich ihrer Verantwortung bewußten, mit der Untersuchung betrauten ehrenwerten Männer über den verübten ') Karsch, Die stigmatisierte Nonne C. Emmerich. 1878. S. VI. Man könnte hier wie bei den verschollenen Kommissionsprotokollen an den 1836 verstorbenen Hufeland denken. *) Vgl. die lichtvollen allgemeinen Ausfahrungen Ed. von Hartmanns in der Philosophie des Unbewußten. T. 1. 1 1 . Aufl. 1904. S. 468—476. *) Vgl. W. Jacobi, Die Stigmatisierten. München 1923. S. 53 ff.
67 Betrog in Zweifel ziehen kann, auf Grand der Phantastereien des in seiner echt romantischen Lebensführung unsittlichen, in seinem Denken und Dichten unwahrhaften Klemens Brentano, der überspannten Konvertitin und Dichterin Luise Hensel und der Berichte einiger voreingenommener, an dem Wunderwesen interessierter Geistlichen. Brentano hat bekanntlich 5 Jahre lang in Dülmen geweilt, nur um die hellseherischen Offenbarungen der Emmerich entgegenzunehmen und aufzuzeichnen. Auch dem Verblendetsten muß es klar sein, daß diese Offenbarungen, die später in umfangreichen Büchern von Brentano selbst und aus seinem Nachlaß veröffentlicht worden sind, nicht im Kopf eines ungebildeten Bauernmädchens entstanden sein können. Sie sind von gläubigen Gemütern für wertvolle und zuverlässige Ergänzungen der Bibel und der Kirchengeschichte gehalten worden (!), und sind doch ganz offenbar zum großen Teil Brentanos eigne Mache, von ihm der Emmerich suggeriert und dann wieder von ihr ihrem Evangelisten in der Ekstase vorgetragen. Dies Verfahren der Beeinflussung der Prophetin, um die eignen Phantasiegebilde im Geiste des Bauernmädchens und ihrem geistigen Niveau angemessen, in ansprechend naiver Form umgebildet, der Welt als auf göttlicher Inspiration beruhend, vorsetzen zu können, ist wirklich ein sinnreiches Spiel romantischer Verlogenheit oder, wenn man lieber will, verlogener Romantik. Der innerliche Znsammenhang der romantisch-Uterarischen Richtung mit Somnambulismus und Magnetismus verrät sich auch durch die Bekehrung eines der Häupter der Frühromantik Friedrich S c h l e g e l s zu einem mystisch-religiösen Magnetismus. Wir finden den Lucindedichter 1821 in „magnetischem Gedankenaustausch mit einer magnetischen Freundin in Gott", Christine von Stransky. Er fühlt u. a. an Veränderungen seines körperlichen Befindens, ob die weit entfernte Schwester in Gott gesund oder krank ist 1 ). Die mystisch-magnetischen Neigungen eines der bedeutendsten jüngeren Romantiker, E. T. A. H o f f m a n n , sind aus seinen noch heute beliebten Schriften zur Genüge bekannt. Bei ihm kann man indessen zweifelhaft sein, ob er an all den Unsinn glaubte, oder ihn nur als ein Hilfsmittel zu seinen poetischen Zwecken gebrauchte. ') Heinr. Finke, Über Friedr. and Dorothea Schlegel. 1918. S. 49. Schlegel hatte sich schon 1815 von Koreff magnetisch behandeln lassen. Vgl. J. M. Raich, Dorothea Schlegel nnd ihre Söhne. 2. 1881. Brief vom 26. 6. 1815. 5*
68 Der Einfluß Koreff s auf den immer gebrechlicher werdenden Staatskanzler erreichte in den Jahren 1818 und 1819 seinen Höhepunkt, obgleich die magnetische Behandlung seiner Schwerhörigkeit keinen Erfolg hatte 1 ). Im Winter 1817/18 begleitete Koreff den Fürsten in die Rheinlande zu längerem Aufenthalt in Engers und im Herbst 1818 finden wir ihn während der ganzen Dauer des Aachener Kongresses (29. September bis 21. November) in der allernächsten Umgebung des Kanzlers zusammen mit der Fürstin, der dritten Gattin Hardenbergs, Charlotte, geb. Langenthal, und der als Gesellschafterin derselben eingeführten, gerissenen Somnambule Hähnel, einer Bäckerstochter aus Neubrandenburg und Nichte eines „königlich preußischen Bratenmeisters" Boudin in Berlin, in deren Netze Hardenberg durch planmäßiges Zusammenwirken von Koreff und Wolfart verstrickt worden war. Im Februar 1816 eroberte sie auf einem Zauberabend bei Wolfart sein weiches Herz durch krankhafte Verzückung2). Die zuverlässigste zeitgenössische Nachricht über diese Person verdanken wir dem wie immer gut unterrichteten und scharf urteilenden Varnhagen. In einer vorher nicht gedruckten Notiz von ihm, welche Ludmilla Assing im Leben Pücklers (1. 1873. S. 204) mitteilt, heißt es: „Die verschmitzte, eigennützige Betrügerin, als Somnambule in Koreffs Händen, betrügt den Fürsten mit Koreff im Einverständnis und dann den Arzt selber. Sie wurde darauf des Fürsten Pflegerin — Geliebte kann man es nicht nennen." Auch Wilhelm Dorow durchschaute schon 1818, während Hardenbergs Aufenthalt in Engers, die Betrügerei der Hähnel und war erstaunt über den Mangel an Menschenkenntnis, den sein Freund Koreff bei dieser wie bei anderen Gelegenheiten verriet*). In diese unglaublichen und für das Ansehen des preußischen Staats nicht gerade förderlichen Zustände im Privatleben Hardenbergs erhalten wir den intimsten Einblick durch die Briefe seines Schwiegersohnes, des Fürsten, damals noch Grafen PücklerMuskau, an seine Frau. Pücklers Urteil über den Günstling ist >) C. L. Klose, Leben Hardenbergs. 1851. S. 519. *) Nach Treitschkes wohl auf Hardenbergs noch unveröffentlichtem Tagebuch beruhender Angabe in Deutsche Geschichte. 2, 187. — J a h n zog sich durch seine mit gewohnter Deutlichkeit ausgesprochene Verdammung der Hähnel, einer Landsmännin seiner Frau, die Feindschaft Hardenbergs, seines froheren Gönners, zu. Vgl. Ed. D a r r e in Neue Jahrbacher fOr Turnkunst. 5. 1859. S. 49. *) Erlebtes. 1. 1843. S. 171. 187. Über den Quellenwert von Varnhagens „unschätzbaren Aufzeichnungen" vgl. Lenz. 2, 1. S. 179. 391. 395-
69 während der ganzen KongreBzeit noch durchaus günstig. Er gebrauchte den Allmächtigen damals zur Förderung der eigenen ehrgeizigen Absichten auf einen Gesandtenposten, wo möglich in Konstantinopel und da er seiner Hilfe sicher zu sein glaubte, findet er seine Gedichte vortrefflich und herrlich, ihn selbst den „bei weitem gemütlichsten und genialsten in Hardenbergs Umgebung". Er ermahnt seine Frau, an Koreff und sogar an die Hähnel artig zu schreiben; diese sei vertraulich und recht herzlich gegen ihn, Pückler; er geht mit beiden in die Komödie, läßt sich von Koreff magnetisieren und gibt ihm Soupers, für die Koreff die ihm erwünschten Gäste auswählt1). Kaum geringer als im häuslichen Kreise Hardenbergs war die Macht des Günstlings in den Staatsgeschäften; Höflinge, Geheimräte, Minister neigten sich vor ihm*), so u. a. der Minister des Auswärtigen Graf Bernstorff und der Kultusminister Altenstein, >) Vgl. Herrn. Fürst Pflckler-Muskau, Briefwechsel und Tagebacher. Hrsg. von Ludmilla Assing-Grimelli. 5. 1874. S. 135. 164. 171. 187. 195. 199. 209. Wertvolle Ergänzungen bietet Wilh. Dorows Erlebtes. Th. 1 — 4 . 1843—1845; vgl. das Register. *) Lenz. 2, 1. S. 22.
Entscheidung über das Programm der Preisaufgabe. In dieser Zeit, und zwar von Spaa aus, wo Hardenberg sich vor Eröffnung des Aachener Kongresses aufhielt, erfolgte endlich die Wiederaufnahme der Preisaufgaben-Angelegenheit. Am 15. August 1818 erging an Altenstein Hardenbergs Antwort auf die iö 1 /» Monate früher am 30.3.1817 noch von seinem Amtsvorgänger Schuckmann gestellten Fragen. Der ohne jeden Zweifel von Koreff verfaßte Erlaß 1 ) ersucht den Kultusminister „der Akademie sogleich nach Empfang dieser Mitteilung anzudeuten, daß sie sofort ohne Zeitverlust das Programm der königlichen Preisaufgabe über den Lebensmagnetismus ganz unverändert, weder vermehrt noch verkürzt, in den üblichen Formen öffentlich bekanntzumachen habe". Auf diesen Satz, in dem das am Schluß dann noch einmal wiederholte Drängen auf Beschleunigung in seltsamem Kontrast steht mit der bisherigen dilatorischen Behandlung durch den Staatskanzler selbst, folgt dann in nicht minder hochfahrendem Ton die entschiedenste Ablehnung der nach Hufelands Vorschlag in den Programmentwurf der Akademie aufgenommenen näheren Bestimmungen „aus Gründen, die in der Natur der zu untersuchenden Sache sowie in dem Geist und Zweck der Preisaufgabe selbst liegen". „Es solle der Akademie aber unverwehrt sein, ihre Bemerkungen, Wünsche, Warnungen, Leitungen und Ratschläge... ins Publikum zu senden", jedoch nur in ihrem Namen und sie in keinem Falle mit der parteilosen königlichen Preisaufgabe zu amalgamieren. Der Termin zur Einreichung der Preisschriften wird auf den 3. August 1820 festgesetzt. Aus dem übrigen, die Verzögerung des Erlasses mit Scheingründen motivierenden, dem Manne eigentümlichen Phrasenschwall ist ein Satz bemerkenswert, der einen Seitenhieb auf Erman und wohl auch auf Schuckmann enthält. Er lautet: „Diese wohlbedachte Zögerung hat jedoch niemandem >) A. Akad. Bl. 26.
7i ein gegründetes Recht geben dürfen, wie ich aus mehreren eingegangenen Berichten zu bemerken Gelegenheit gehabt habe, eine von des Königs Majestät vollzogene Kabinettsordre, auf verschiedene aus dem Auslande ergangene Fragen für ein bloßes Projekt auszugeben." Am 29. August übersandte Altenstein der Akademie Abschrift dieses Erlasses mit der Aufforderung, demgemäß zu handeln. Nach den Vorschlägen der physikalischen Klasse beschloß die Gesamtakademie dann den Druck des Programms in deutscher und französischer Sprache, mit der Überschrift: „Programm einer Preisbewerbung über den tierischen Magnetismus. Durch eine Allerhöchste Kabinetts-Ordre der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zur Publikation übergeben". Sie enthält den unveränderten Wortlaut der Koreffschen „Anlage", nur mit dem veränderten Termin. Das Programm wurde an die wissenschaftlichen Institute und Zeitschriften des In- und Auslandes versandt. Bei Ubersendung einiger Exemplare des Programms an Hardenberg, wahrte die Akademie in einem von Schleiermacher als geschäftsführendem Sekretär entworfenen Schreiben in nachdrücklichster Weise ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber der ihr aufgezwungenen Preisausschreibung und verteidigte sich, bzw. ihren Klassensekretär Erman, gegen die in HardenbergKoreffs Erlaß an Altenstein enthaltenen Vorwürfe. Wenn darin auch die NichtVerantwortlichkeit des Unterzeichners eines amtlichen Schriftstückes für seinen Inhalt behauptet wird, so war das schwerlich Schleiermachers wahre Uberzeugung; er bedient sich dieser etwas künstlichen Distinktion offenbar nur, um mit seiner scharfen Feder dem verhaßten, ihm und der Akademie wohlbekannten eigentlichen Urheber des Erlasses einige kräftige Hiebe versetzen zu können. Der, .Kabinettskonzipient von mangelhaften wissenschaftlichen Einsichten" wird sich dies Schreiben des großen Theologen schwerlich hinter den Spiegel gesteckt haben1). ') Schleiermacher war magnetismusgläubig; Wolfart war sein Hausarzt; er ließ sich schon 1812 von ihm magnetisieren, 1813 fast täglich; er hat ihm auch 1832 die Grabrede gehalten (vgl. unten S. 109). Dagegen war ihm Koreff zuwider. Die Bemerkung in einem Brief an seinen Schwager Arndt vom 19. 12. 1818, von Koreffs Allmacht habe er nichts Gutes zu erwarten, da er ihm sehr derb entgegengetreten sei, bezieht sich wohl anf das obige Schreiben der Akademie. Vgl. Lenz. 2, 1. S. 22. Daß übrigens Hardenberg an seinen Verfügungen in Unterrichts- und Medizinalsachen in den Jahren 1818—1822 nur dem Namen nach beteiligt war, daß diese
72 Nach den Eingangsworten heißt es: „Die Akademie kann leider nicht umhin, zugleich ihre schmerzliche Empfindung zu äußern über eine Stelle in dem ihr mitgeteilten Schreiben Ew. Hochfürstl. Durchlaucht . .., worin auf eine sehr unzweideutige Weise der Akademie ein Vorwurf darüber gemacht wird, daß sie oder einzelne ihrer Mitglieder die . . . königliche Kabinettsordre über diesen Gegenstand für ein bloßes Projekt ausgegeben habe. Ew. H. D. ist am besten bekannt, daß von jeher bisweilen Kabinettsordres unserer KOnige auf ehrerbietige Vorstellungen der Sachkundigen teils in ihrem Inhalt abgeändert, teils in einzelnen Bestimmungen anderweitig deklariert worden sind; und je länger, je mehr erfreuen wir uns jedes Beispiels dieser edlen und menschlichen Art, wie über uns regiert wird. Demgemäß nun hat, wenn eine Kabinettsordre einen wissenschaftlichen Gegenstand betreffend, an die Akademie kommt, auch diese ihrerseits nicht nur die Freiheit, sondern auch die Pflicht, sofern ihr etwas darin minder vollkommen und angemessen erscheint, ihr ehrerbietigstes Bedenken gehörigen Ortes vorzulegen; und sie würde ihrer Stellung ganz unwürdig sein, wenn sie eines Kabinettskonzipienten wissenschaftlichen Einsichten sich ohne weiteres unterwerfen zu müssen glaubte. Solange daher in dem gegenwärtigen Fall die Akademie auf ihre Bedenken noch nicht beschieden war, konnte sie selbst und ihre einzelnen Mitglieder auf Anfragen über diesen auf nicht offizielle Art voreilig bekannt gemachten Gegenstand1) nicht anders als dahin antworten, daß die definitiven Bestimmungen noch zu erwarten seien. Auch kann eine zur öffentlichen Bekanntmachung bestimmte Schrift, solange noch über deren Abfassung verhandelt wird, und wäre sie selbst ein allgemeines Gesetz, im besten Sinne des Worts ein Entwurf genannt werden. Ja selbst wenn die lange Verzögerung einen oder den anderen auf den Gedanken gebracht hätte, die Sache sei vielleicht vertagt oder beiseite gelegt, so konnte auch diese Vermutung als solche auf eine ganz geziemende Weise geäußert werden, ohne Ew. H. D. Mißfallen zu verdienen. Diese einfachen Dinge sind aber in jenem ohnstreitig zur Mitteilung an die Akademie bestimmten Schreiben . . . auf eine solche Art fast durchweg unausführbaren Wünsche und Anordnungen von Koreff stammten und nur viel eben so l&stige als unnfitze Schreiberei verursachten, bestätigt ausdrücklich Johannes Schulze, der es wissen konnte. Vgl. seinen Rückblick anf Altensteins Verwaltung bei E. Mosebeck, Das preuß. Kultusministerium vor 100 Jahren. 1918. S. 300. ') Die oben erwähnten Anfragen des Dr. Fiqui zeigen, daß die beabsichtigte Preisausschreibung auch im Auslande bekannt geworden war.
73 vorgestellt, als habe jemand unter uns von der kgl. Kabinettsordre selbst auf eine geringschätzige Weise geschrieben. Wenn nun dies aus den eingegangenen Berichten gewiß nicht kann bewahrheitet werden: so müssen Ew. H. D. als der Akademie und der Wissenschaften glorreicher Beschützer wir ehrerbietigst ersuchen, dem Konzipienten jenes Schreibens seine in einer Zuschrift an das uns vorgesetzte Ministerium auf jeden Fall gehässige Ausdrücke zu verweisen. Da nun auf die von der Akademie in dieser Sache vorgetragenen Bedenken höheren Orts keine Rücksicht ist genommen worden: so hat die Akademie auch geglaubt, durch eine öffentliche Andeutung der Meinung vorbeugen zu müssen, als ob dies Programm gleich den übrigen von ihr herrühre. Und wenn nun, wie wir fürchten, auf dem eingeschlagenen Wege auch durch die beste der eingehenden Abhandlungen wenig oder nichts für die wissenschaftliche Bestimmung des Gegenstandes gewonnen wird, die Akademie aber dennoch auch einer ungenügenden Arbeit den Preis erteilen muß: so wird sie sich auch dann nicht enthalten können, öffentlich zu erklären, daß dieses von ihrem gewöhnlichen ganz abweichende Verfahren, sowie auch der Abdruck der ganzen Masse eingegangener Arbeiten, ohne Unterschied ihres Wertes, ihr ebenfalls Allerhöchsten Ortes anbefohlen wurde. Indem auf diese Art die Akademie ihre Überzeugungen ausspricht und ihr Recht auf jene Freimütigkeit geltend macht, welche vor allem einer Gesellschaft zusteht, die der Staat selbst für die höchste Repräsentantin der Wissenschaft in seiner Mitte erkennt, hofft sie durch ein solches Verfahren auch Ew. H. D. dauernden Beifall am sichersten zu erwerben. Die A k a d e m i e d e r Wissenschaften." Eine Antwort auf dies geharnischte Schreiben ihres streitbaren Sekretärs hat die Akademie nicht erhalten, wenigstens findet es sich nicht bei den Akten. Die Empfänger hatten auch wichtigeres zu tun. In einem undatierten Brief Pücklers aus dieser Zeit berichtet er seiner Frau, daß er auf einem Diner bei Hardenberg, an dem auch Wolfart teilnahm, mit Koreff als Dame t a n z t e . Der letztere ließ es auch nicht an Versuchen fehlen, A l t e n stein, bei dem er mehr Neigung dazu voraussetzte als bei seinem Amtsvorgänger Schuckmann, zum Magnetismus zu bekehren. Und der Versuch war bei dem bekannten Wenden, Drehen und Lavieren dieses Staatsmanns auch sicher nicht ganz aussichtslos. Am 12. Oktober 1819 lud Koreff ihn mit den üblichen hochtraben') P ü c k l e r a. a. O. 5, 216.
74 den Anpreisungen zur Teilnahme an einer magnetisch-hellseherischen Sitzung der Hähnel in Glienicke in Hardenbergs Schlößchen ein, „wo er den Schlüssel für tausend verworrene Fälle finden würde" 1 ). Aber auch mit anderen Mitteln ging der Vielgewandte gegen die akademischen Gegner des heiligen Magnetismus vor. Es sind Briefe von ihm an Altenstein erhalten, in denen er seinen „Todfeind und Brotneider" Rudolphi beschuldigt, daß er als Anatomiedirektor ihm die für seine Vorlesungen erforderlichen Präparate vorenthalte; „der unverschämte und unsinnige Mepsch verletze nicht nur alle Formen der Höflichkeit gegen ihn, sondern hetze auch die Studenten in pöbelhaften Ausdrücken gegen ihn auf"; seine Brutalität schone, wie er denunziatorisch hinzufügt, auch Hardenberg und Altenstein nicht. Schließlich wiederholt er seine Klagen mit der Drohimg, wenn er durch Altenstein nicht zum Ziel gelange, sich an den König wenden zu wollen*). Auch an Angriffen gegen den auf der Berliner Universität herrschenden Geist fehlt es nicht: Neben Denunziationen seiner Kollegen in der medizinischen Fakultät wegen leichtfertiger Prüfungen und Eigennutzes findet sich die Behauptung, daß „einseitiges Versinken in eine allzu empirische Sphäre" der Universität drohe8). Die Ausschreibimg der Preisaufgabe wurde von den Anhängern des Magnetismus mit Jubel begrüßt. Wolfart fordert in seiner Zeitschrift4) siegesgewiß die Gegner heraus: „Mögen sie nun, nicht mehr im Dunkel des Geredes und der Verleumdung, oder im Zwielicht possenhafter Druckblätter . . . den Kampf bestehen!" Mit den possenhaften Druckblättern ist ohne Zweifel Paul Ermans gleich zu erwähnende Satire gemeint. Die Kabinettsordre vom 7. 2. 1817, welche die Ärzte verpflichtete über alle ihre magnetischen Kuren zu berichten, hatte zur Folge, daß im Kultusministerium zahlreiche solche Meldungen ») Lenz. 4, 317. *) Lenz. 4, 318 f. Rudolphi ist, was man gegenüber Koreffs wüsten Schimpfreden keinen Augenblick vergessen darf, derselbe, von dem sein groBer Schüler Johannes Maller gesagt hat: ,,In einer unedlen Stimmung würde ich mich scheuen, das Bild des väterlichen Freundes zu betrachten und erinnere ich mich der edelsten Begegnisse meines Lebens, so fällt mir sogleich Rudolphi ein." Vgl. seine Gedächtnisrede auf Rudolphi in den Abhandlungen der Berliner Akademie aus dem Jahre 1835. S. X X X I I I . ') Von Koreff konzipierter Erlaß Hardenbergs an Altenstein vom 8. 8. 1818 bei Lenz. 2, 1. S. 22. *) Jahrbücher für den Lebensmagnetismus oder Neues Askläpieion. 2. 1819. H. 1. S. 1.
75 aus allen Teilen des Landes einliefen. Diese Berichte und die sich daranknüpfenden Rückfragen und Verfügungen füllen zwei starke Aktenfaszikel der Medizinalabteilung und ein kleines der Unterrichtsabteilung1). Die Berichte über neu auftretende magnetische Heilkünstler sind zahlreich bis zum Jahre 1824, dann finden sich nur noch vereinzelte aus 1837, 1845, 1846 und 1850. Es würde zu weit führen hier auf all den dabei zutage tretenden Unsinn näher einzugehen. Hervorgehoben sei nur, daß die Anwendung der magnetischen Heilart ganz besonders in den „vornehmen" und in den „frommen" Kreisen Liebhaber fand. Für einen Kompagnie-Chirurgus Sinogowitz, Schüler von Wolfart, der in Potsdam eifrig magnetisierte, obgleich er als nichtapprobierter Arzt nicht dazu berechtigt war, verwenden sich seine höchsten militärischen Vorgesetzten, Herzog Karl von Mecklenburg, der als Ultrareaktionär bekannte Schwager des Königs, und Prinz Wilhelm, der nachmalige Kaiser. Unter den magnetischen Wundertätern findet sich ein katholischer Pfarrer in Lippstadt, ein evangelischer Pfarrer Alberti im Kreise Hoyerswerda, in Potsdam ein überspannter Apotheker Frank, der Schwiegersohn des Superintendenten Stöwe, der durch seine astrologischen Prophezeiungen in den Jahren 1788—1791 Aufsehen erregt hatte. Am 12. April 1820 erließ Hardenberg eine Verfügving an Altenstein, wonach alle diese beim Kultusministerium eingehenden Berichte über den Magnetismus sowie auch die schon vorher eingegangenen Herrn Koreff zur Kenntnisnahme mitzuteilen seien. Unwillkürlich drängt sich der Verdacht auf, daß durch diese Bestimmung vielleicht das rätselhafte Verschwinden der Protokolle der Magnetismuskommission zu erklären sei, daß Koreff diese ihm vorgelegten, dem Magnetismus ungünstigen Dokumente eskamotiert und 1822 auf die Reise ins Ausland mitgenommen haben könne, von der er niemals wieder nach Berlin zurückgekehrt ist. Jedenfalls kommt er hiernach neben Hufeland als der möglicherweise Schuldige in Betracht. Im Jahr 1819 griff Erman, erbittert durch das Lügengewebe aus Blödsinn und Betrug, mit dem amtlich sich zu beschäftigen der ohnedies stark überlastete Mann — er war Professor an der Universität, an der Kriegsschule und am französischen Gymnasium und Klassensekretär der Akademie — nun schon 7 Jahre lang sehr wider Willen gezwungen war, zu dem Mittel der S a t i r e , die in der Bekämpfimg eingewurzelter Irrlehren oft wirksamer *) A.Min. und A.Archiv.
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ist, als die gründlichsten wissenschaftlichen Widerlegungen. Er verfaßte eine kleine Schrift und ließ sie auch drucken unter dem Titel: „Ein Gespräch über den Magnetismus, gehalten zu Paris am i. April 1818. Aus dem Französischen übersetzt von Hofrat Namré. 1819 (o. O. 8o. 15 S.). Der Hauptteil der Schrift ist ein Gespräch, welches ein Dr. Géroux in Paris mit einem von ihm magnetisierten weiblichen Orang-Utang führt, und in welchem in witziger und anzüglicher Weise manche Torheiten der Magnetiseurs, das Lesen mit verschlossenen Augen, das Magnetisieren von Bäumen, Wasserfällen, Salzen und Mineralien verspottet, auch der Nutzen des Magnetisierens von Wanzen und Flohen erörtert wird. Vielleicht ist dieser Hauptteil wirklich, wie es der Titel besagt, Übersetzung oder freie Bearbeitung eines französischen Originals; doch habe ich ein solches nicht nachweisen können. In einer Nachschrift wird dann erzählt, daß das Gespräch eine Posse sei, welche Dr. Géroux und der berühmte Bauchredner Fizjames gemeinsam mit großem Erfolg in Paris aufgeführt hätten, wobei Fizjames das Wort für den mit Opium betäubten Affen geführt habe. Ferner wird hingewiesen auf die dem zeitgenössischen Magnetismus völlig analogen unverständigen Erzählungen und magischen Undinge, wie sie aus älteren Autoren gesammelt in großer Zahl enthalten sind in den einst viel gelesenen Sammelwerken, dem Museum des Wundervollen und dem Arzt von Unzer1). Auch findet sich in dem Schlußwort (S. 14) noch eine sicher von Erman selbst herrührende, sehr ernste und treffende Zurückweisung des Kunstgriffs, mit dem die Schwachen im Geiste (gemeint ist wohl in erster Linie Hufeland) ihre kritiklose Leichtgläubigkeit zu bemänteln pflegen: „Das Sprechen einer nie erlernten Sprache im Wahnsinn oder in hitzigen Krankheiten paßt nicht in die uns angewiesene Sphäre der Erscheinungswelt. Ich glaube weder an Wirklichkeit noch an Möglichkeit desselben. ,Wir sind noch lange nicht genug mit allem dem bekannt, was der menschliche Geist vermag', ist das Prinzip vieler Magnetiseurs und ihres Fürwahrhaltens und ihrer Schwärmerei*)." ') Museum des Wundervollen oder Magazin des Außerordentlichen, hrsg. von J . A. Bergk und F. G. Baumgartner. Bd. 1 — 1 2 . Leipzig 1803 bis 1810. Joh. Aug. Unzer in Altorf gab von 1759—1764 unter dem Titel „Der Arzt" eine populär-medizinische Zeitschrift mit pikanten Leitartikeln heraus. *) Vgl. Hufelands Äußerung im Journal f. prakt. Heilkunde. 45. 1817. Sept. S. 4: „ I m Magnetismus wirkt eine unbekannte Kraft durch unbekannte Mittel nach völlig ungewöhnlichen Gesetzen."
77 Das Gespräch wurde zwar, wie gesagt, gedruckt — es ist nicht angegeben, wo —, aber der Mann, von dem der Ausspruch überliefert ist, daß er nichts so fürchtete wie eine „unauslöschliche Befleckung mit Druckerschwärze", zog die kleine Schrift zurück, ehe sie einige Verbreitung hatte finden können; er vernichtete die ganze Auflage so gründlich, daß ich erst nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen ein Exemplar habe auffinden können, in der Tübinger Universitätsbibliothek. In der Bekämpfung des Magnetismus durch Spott und Satire fand Erman bald Nachfolger. Ein Berliner Apotheker, Christian Gottfried F l i t t n e r , veröffentlichte 1820 ein Schriftchen: De Mesmerismi vestigiis apud veteres, welches ausgehend von der schweren Schädigung, welche den Apothekern durch den Magnetismus drohe, allen möglichen antiken Aberglauben mit ihm* identifiziert, zuerst die eherne Schlange des Moses, welche das erste Baquet gewesen sei. In seiner Entrüstung über die sonst nur beim Pöbel gebräuchlich gewesenen, nun aber von den Kathedern der Professoren herab empfohlenen magischen Künste verfällt auch er, wie Erman, oft aus der Satire in bittern Ernst und schließt mit dem Wunsche, daß ein neuer Galen als „rationis humanae nunquam prorsus devincendae vindex" erscheinen möge. Auch eine der Bewerbungsschriften um den magnetischen Preis ist satirisch (vgl. S. 102, Nr. 20).
Die Preisbewerbungsschriften. Bis zu dem festgesetzten Termin, dem 3. August 1820, dem Geburtstag des Königs, an dem die Akademie auch die Ergebnisse der eigenen Preisaufgaben zu verkünden pflegte, liefen 20 Bewerbungsschriften um den Königlichen Preis ein; einige Nachzügler mußten natürlich zurückgewiesen werden, worüber die physikalische Klasse einstimmig war, bis auf den ängstlichen Hufeland, der „eine Anfrage höheren Orts bei diesen und etwaigen ähnlichen Fällen, die diese uns höheren Orts aufgegebene Preisfrage betreffen", für nötig hielt. Gleich nach den großen Ferien begann die P r ü f u n g , die von den Mitgliedern der Klasse mit größter Gründlichkeit durchgeführt wurde. Nichts ist haltloser, als die von dem halbverrückten Ennemoser in seinem letzten 30 Jahre später erschienenen Buch „Anleitung zur Mesmerischen Praxis" x ) ausgesprochene Behauptung, „die Akademie habe die meisten, vielleicht alle eingegangenen Schriften ungelesen zurückgeschickt". Man staunt vielmehr, wenn man die Akten durchliest, über die außerordentliche Treue und Gewissenhaftigkeit, mit der diese Gelehrten, die doch fast alle der Preisfrage und ihrer Formulierung von vornherein ablehnend gegenüberstanden, sich trotzdem der undankbaren und unerfreulichen Aufgabe der Lektüre und Beurteilung der z. T. sehr umfangreichen und meist höchst unwissenschaftlichen, vielfach geradezu törichten Bewerbungsschriften unterzogen und ihr Gutachten in schriftlichen und mündlichen Beratungen festgelegt haben. • Der Klassensekretär Erman teilte zunächst die Arbeiten in 3 Gruppen und ließ diese gleichzeitig, aber in verschiedener Reihenfolge der Mitglieder zirkulieren behufs Erstattung einer schriftlichen kritischen Äußerung über jede einzelne Schrift. Nach Beendigung dieses Umlaufs, der Ende Oktober 1820 begonnen im Juli 1821 abgeschlossen war, fanden dann mündliche Beratungen *) S. 19. Das genannte Buch enthält S. 184 die köstliche Bemerkung, d&B bei Geisteskranken, „weil bei ihnen die Welt verkehrt ist, auch die Heilung am schnellsten durch eine völlig verkehrte Kur" gelinge!!
79 statt, deren Ergebnis schließlich von Erman in einem Schlußgutachten zusammengefaßt wurde. Dieser 30 Folioseiten umfassende Gesamtbericht wurde den Kollegen am 21. November 1821 vorgelegt und von allen gebilligt bis auf einige ganz geringfügige Änderungsvorschläge von Weiß und Seebeck, die dann auch noch berücksichtigt wurden. Der Bericht gipfelte in der Erklärung, daß keine der 20 Arbeiten den zu stellenden Anforderungen genüge. Die physikalische Klasse, der diese undankbare Aufgabe der Beurteilung der Preisschriften zufiel, zählte damals 13 Mitglieder. Vier von ihnen nahmen an der Kritik nicht Teil: der Mineraloge K. A. Gerhard wegen hohen Alters, Alexander von Humboldt und der Landwirt Thaer wegen dauernder Abwesenheit; der Chemiker Hermbstaedt lehnte von vornherein jede Beteiligung ab „wegen gänzlichen Mangels an Kenntnis über den tierischen Magnetismus sowohl in theoretischer als praktischer Hinsicht". Von den übrig bleibenden neun war der uns schon genügend bekannte Christoph Wilhelm H u f e l a n d (geb. Langensalza 17621 seit 1800 Mitglied der Akademie) ein ausgesprochener Anhänger des magnetischen Glaubens. Auf dem äußersten Flügel der Gegner finden wir den uns auch schon wohlbekannten Karl Asmund Rudolphi (geb. 1771 in Stockholm von deutschen Eltern). Nach medizinischen und naturwissenschaftlichen Studien in Greifswald und Jena wurde er Professorin Greifswald und von dort 1810 an die neu gegründete Berliner Universität berufen, wo er sehr erfolgreich Anatomie und Physiologie lehrte; auch in die Akademie trat er schon 1810 ein. In seiner Abneigung gegen hofisches und kriechendes Wesen erregte der aufrechte, leicht aufbrausende Mann, wie wir schon sahen, nicht selten Anstoß bei Gegnern. In der entschieden ablehnenden Stellung gegen Naturphilosophie und Magnetismus ihm völlig gleich, aber milder in der Form war das nächst Fischer und Hufeland älteste Mitglied, der Sekretär der Klasse, Paul Erman. Geboren in Berlin 1764, war er frühzeitig durch den Einfluß Rousseaus und besonders .Kants der ursprünglich gewählten geistlichen Laufbahn entfremdet worden und hatte sich naturwissenschaftlichen Studien zugewandt. Wichtige Beiträge zur Erkenntnis und Erklärung des damals im Vordergrund des allgemeinen Interesses stehenden Galvanismus, die er seit 1801 in rascher Folge veröffentlichte, verschafften ihm hohes Ansehen im In- und Ausland, 1806 während des preußisch-französischen Krieges die Verleihung des von Napoleon
8o gestifteten Galvanischen Preises durch die Pariser Akademie1). Am 27. 3.1806 wurde er außerordentliches Mitglied der Akademie als Vertreter der Physik. Bei der damals eingeleiteten Verjüngung der Akademie schlug ihn Alexander von Humboldt vor unter Betonung seines „genialischen Scharfsinns, seiner Gründlichkeit und ausgebreiteten Gelehrsamkeit und des ernsten und ruhigen Ganges seiner Untersuchungen, welche zur jetzigen Zeit, in der man mehr nach Meinungen als Tatsachen hascht, doppelt zu preisen ist." Im Jahre 1808 wurde Erman ordentliches Mitglied der Akademie, 1810 ordentlicher Professor an der neuen Universität als erster Vertreter der Physik. Erman war ein begeisterter Anhänger Kants, dessen Philosophie er in der akademischen Oberklasse des französischen Gymnasiums Jahre lang in glänzenden, auch von älteren Hörern viel besuchten Lehrgängen vortrug (vgl. oben S. 3); ebenso von Anfang an entschiedenster Gegner der Schellingschen Naturphilosophie, in deren Ausbreitung er ein für die gesunde geistige Entwicklung Deutschlands geradezu verhängnisvolles Hindernis erblickte. So ist es kein Wunder, daß wir ihn an der Seite seines Freundes Rudolphi auch als eben so ausgesprochenen Gegner des Magnetismus finden. Dieselbe Partei ergriff auch mit gleichem Nachdruck der große Geologe Leopold von Buch (geb. 1774 in Stolpe in der Uckermark). Mit Erman am gleichen Tage in die Akademie berufen und bald auch eng mit ihm befreundet, kämpfte dieser Landedelmann, der kein höheres Interesse kannte als die Förderung seiner Wissenschaft, in der Akademie Schulter an Schulter mit Rudolphi und Erman gegen den verhaßten Wahnglauben. Auch der Mathematiker und Physiker Ernst Gottfried Fischer (geb. Hoheneiche bei Saalfeld 1754, 1803 a. o., 1808 ordentliches Mitglied), Lehrer am Gymnasium zum grauen Kloster, Vgl. das Urteil Wilhelm Ostwalds, der in seiner Elektrochemie 1896 immer wieder auf den dem größten Teil seiner Zeitgenossen durch Strenge und Vorurteilsfreiheit seiner Beobachtungen überlegenen Forscher hinweist; seine Arbeiten seien in der bisherigen Geschichtschreibung der Elektrizitatslehre nicht nach Verdienst gewürdigt worden (S. 264. 273 u. 6.). Einen Überblick aber Ermans Leben und Wirken gibt die Gedächtnisrede, welche ihm sein Schaler Emil du Bois-Reymond 1853 in der Akademie hielt (auch abgedruckt in: Reden. 2. Aufl. Bd. 1. 1912. S. 51—83). Als ein Zeugnis der Achtung, welcher Erman sich bei den Zeitgenossen erfreute, sei das Distichon erwähnt, welches sein Schaler Chamisso ihm widmete: „Wie mit Zank und mit Schweiß die Toren alle sich aufblähn, Schreitet mit Ernst er allein, Isis, zu deinem Altar."
8i seit 1810 auch ao. Professor an der Universität, stand als überzeugter Anhänger Kants ganz und gar auf der Seite der Magnetismusgegner. Etwas weniger entschieden, aber in der Hauptsache doch auch ablehnend verhielten sich gegen ihn der Botaniker Heinrich Friedrich Link (geb. Hildesheim 1767) und der Mineraloge Christian Samuel Weiß (geb. Leipzig 1780), beide seit 1815 Mitglieder der Akademie. Link hat sich, obgleich auch er von Kant ausging, doch nicht immer ganz frei gehalten von Ignorierung tatsächlicher Verhältnisse zugunsten philosophischer Spekulationen. Im ganzen aber war auch er, wie er sich im hohen Alter einmal selbst bezeugt, immer ein Freund der gesunden Vernunft. Auch war er trotz manchmal stark abweichender wissenschaftlicher Überzeugungen mit Rudolphi persönlich nahe befreundet. Auch der erst Anfang 1819 als Akademiker nach Berlin berufene Physiker Thomas Seebeck (geb. Reval 1770), dem bald darauf, im Jahre 1822 die folgenreiche Entdeckung der Thermoelektrizität beschieden war, verhielt sich dem Magnetismus gegenüber ablehnend. Etwas unklar in seiner Stellung zu ihm, wenn auch offenbar keineswegs gläubig war der Zoologe Hinrich Lichtenstein (geb. Hamburg 1780, seit 1814 Mitglied der Akademie). Er hatte seine Berufung an die Berliner Universität der Erforschung der Naturverhältnisse, besonders der Fauna der Kapkolonie in den Jahren 1801 bis 1806, und dem darüber veröffentlichten großen Reisewerk zu verdanken. Besondere Verdienste erwarb er sich durch Begründung und Ausbau der zoologischen Sammlungen Berlins, des Museums und später des Zoologischen Gartens, mehr wohl als durch wissenschaftliche Arbeiten. Für eine befriedigende Erledigung der von der physikalischen Klasse zu lösenden kritischen Aufgabe, die so stark in das medizinische Gebiet hinübergriff, war es von Vorteil, daß außer dem Arzt Hufeland nicht weniger als fünf andere Mitglieder wenigstens von medizinischen Studien ausgegangen waren: Rudolphi, Link, Weiß, Seebeck und Lichtenstein. So interessant nun auch viele der Einzeläußerungen dieser bedeutenden Männer sind, so würde es doch zu weit führen, sie hier ganz vollständig wiederzugeben. Ich beschränke mich darauf, den Schlußbericht E r m a n s unverkürzt abzudrucken, der von sämtlichen Mitgliedern als getreue und erschöpfende Zusammenfassung der Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit anerkannt und demnächst auch von der Gesamtakademie gebilligt, dem Kultusminister, dem Staatskanzler und dem König vorgelegt worden Ermao, Tierischer Magnetismus. 6
82 ist. Aus den Einzelvoten füge ich in Anmerkungen einzelne interessante Stellen hinzu, auch einige solche, welche zur Charakteristik ihrer Urheber wichtig erscheinen. Im ganzen ist die friedliche Verständigung in der Beurteilung der einzelnen Bewerbungsschriften bemerkenswert. Bei dem unversöhnlichen prinzipiellen Gegensatz zwischen dem ganz gläubig gewordenen Hufeland und den übrigen durchweg mehr oder minder skeptischen, z . T . völlig ungläubigen Beurteilern erwartet man viel stärkere Gegensätze in der hier geleisteten kritischen Arbeit, als sie in Wirklichkeit hervortreten, ein schönes Zeugnis für die wahrhaft akademische Haltung dieser Männer.
Bericht der physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften über die Preisschriften. Von den zur Beantwortung der Allerhöchsten Orts der K. Akademie der Wissenschaften zur Publikation übergebenen Preisfrage, den tierischen Magnetismus betreffend, eingegangenen Abhandlungen hatten 22 den anberaumten Termin eingehalten, und nur diese konnten zur Konkurrenz zugelassen werden. Sie wurden bei den Mitgliedern der physikalischen Klasse in Umlauf gebracht, und zwar in drei abgesonderten Reihen oder Faszikeln, um das schwierige Geschäft möglichst zu beschleunigen. Nach einer sorgfältigen Prüfung durch die einzelnen Mitglieder mit schriftlicher Abgebung der Vota, fanden gemeinschaftliche mündliche Beratungen statt, aus welchen das Resultat sich ergab, daß keine dieser Abhandlungen den an sie billigerweise im Sinne des Programms zu machenden Forderungen Genüge geleistet; da weder neue Momente der Faktizität gehörig begründet, noch neue theoretische Ansichten mit überwiegenden Beweismitteln und gehöriger Konsequenz eröffnet wurden. Die große Mehrheit der Klasse ist daher der Überzeugung, daß der fragliche Gegenstand durch vorliegende Abhandlungen gar nichts gewonnen habe; ganz einstimmig aber ist die Klasse der Meinung, daß keine dieser Abhandlungen des ausgesetzten Preises würdig zu achten sei, wenn gleich einige derselben sich etwas mehr dem nähern, was sie sein sollten1). In allen Einzelgutachten kehrt immer von neuem die Klage Ober den Mangel an Kritik wieder; so sagt auch Hufeland zu 1—7: „Keine der 7 verdient den Preis. Bei allen ist die Leichtgläubigkeit und das Annehmen auch der unwahrscheinlichsten Tatsachen aufs Wort zu tadeln"; Fischer zu Nr. 8: „ E s gibt keine gründliche Wissenschaft ohne Kritik, und diese verschmähen die Verehrer des Magnetismus"; Buchs Gesamturteil vgl. unten zu Nr. 7; Rudolphis Ungeduld äußert sich einmal (zu Nr. 4) in den grimmigen Worten: „Sollen alle diese Schriften gedruckt werden, so wird es ein kostliches Quodlibet geben, und Berlin wird in der ganzen Welt für 6*
84 Zur näheren Erörterimg des Gesagten hält die Klasse angemessen, aus der Gesamtheit der vorhandenen schriftlichen Gutachten der einzelnen Mitglieder auszugsweise und in gedrängter Kürze ihren Bericht hiermit abzustatten. immer sich ein Denkmal setzen, das ich selbst — aus der Ferne ansehen möchte"; Erman behandelt in der Einleitung zu seinem Sondergutachten die Frage seiner eigenen Kompetenz zur Beurteilung des Magnetismus in Ausführungen, die Aber das persönliche Interesse hinaus von Bedeutung sind: „Wenn das Problem des tierischen Magnetismus schon an und für sich fast gänzlich außerhalb des Gebiets der anorganischen Physik liegt, wenn nur oberflächliche physikalische Kenntnisse durchaus nicht hinlangen, am aber die Formen und versteckten Nuancen der psychisch-nervösen Krankheiten als den verfänglichsten Gegenstand der Pathologie ein Urteil zu begründen, so gilt diese Unzulänglichkeit in einem viel höheren Grade von der Stellung, welche dem Problem gegeben wurde in dem Programm zu diesen Preisschriften. Wäre die Rede von der kritischen Begründung einer Faktizität, so könnte allenfalls ein Nichtmediziner manches Formale aber die Zul&ssigkeit oder Unzulässigkeit der zur Begründung eines verwickelten Naturgesetzes angeführten Tatsachen in Erwägung bringen, nach dem von der Materie unabhängigen Kriterium der faktischen Wahrheit. Da aber gegen den ausdrücklichen Wunsch der Akademie die Flage so gestellt worden, als wenn die Faktizität gleichsam zu postulieren sei, und als ob es auf eine Subsumtion der in hypothesi als durchgängig bewährt angenommenen Erscheinungen des magnetischen Somnambulismus unter die des normalen Schlafes lediglich ankäme, so ist hier offenbar kein Spielraum für Urteile, die nicht begründet wären durch das tiefste Studium der physiologischen und pathologischen Modifikationen der Hirntätigkeiten. Unterzeichneter ist der Überzeugung, daß es sich in der organischen Physik ebensowenig improvisieren lasse als in der anorganischen; bei dürftigen physiologischen Kenntnissen und bei einem absoluten aller pathologischen wäre daher nichts tadelhafter als wenn er sich anmaßte, mit einem peremptorischen Urteil aufzutreten zwischen entgegengesetzten Theorien über die Mysterien des Schlafes und des Traumes, die vom Anbeginn aller Philosophie der Tummelplatz der metaphysischen und metaphysiologischen Phantasten waren und es bleiben werden bis ein eminentes Talent das Charakteristische der Träume im gesunden und im krankhaften Zustand aufstellt, die Handlungsweisen der Nachtwandler mit denen derjenigen Trunkenbolde zusammenhält, die eine habituelle Fertigkeit haben mit Sinnen, die für meist alle äußeren Eindrücke verschlossen sind, gewisse ihnen geläufige Geschäfte zu verrichten; wobei zweierlei sehr wichtig wäre, einmal einen qualifizierten Nachtwandler so wie die wandelnde Somnambule ihren gewöhnlichen Umgebungen ganz zu entrücken und sie an einem wildfremden Ort sich selbst zu überlassen; da würde sich über die Art und den Grad ihrer Unabhängigkeit von der Außenwelt etwas Gewisses ergeben. Da aber zur Erwerbung eines so bleibenden Verdienstes keine Aufforderung im Programm war, so hat auch keiner der Preisbewerber an so etwas gedacht, und es ist als ein Glück zu betrachten, daß eben jetzt Repräsen-
85 Nr. i. (Dixi et animam salvavi). Eine anekdotische Erörterung, daß Mesmer an die somnambulische Clairvoyance nicht glaubte, sondern die Erfahrungen vom Hellsehen, wie sie von andern gemacht sein sollten, gleichsam nur aus Rücksichten tolerierte und begünstigte. Abgesehen von einigen inneren historischen Mängeln dieser Mitteilung ist auf jeden Fall ihr wissenschaftlicher Wert völlig unbedeutend in Beziehung auf die Preisfrage, die gestellt ist auf das, was in der Natur da ist, und nicht auf das, was Mesmer geglaubt oder nicht geglaubt haben mag. tasten des theoretischen und praktischen medizinischen Studiums in der physikalischen Klasse der Akademie eine bedeutende Majorität ausmachen, um aber physiologische und pathologische Theorien ein Urteil zu fallen, dem ich mich durchaus und anbedingt anzuschließen habe. Nichtsdestoweniger unterzog ich mich der Lesung der Preisschriften, teils gleichsam um aus Pflichtgefühl ein Übriges zu tun, teils zu meiner Belehrung: folgende Bemerkungen haben daher durchaus keinen Anspruch zur Entscheidung mit der Mehrheit zu konkurrieren; sie mögen vielmehr hier stehen als Bestätigung, daß mir hier zum äußeren Beruf der innere abging." Zu i . Rudolphi und Buch halten den Druck dieser Schrift für erwünscht, obgleich sie als Preisschrift nicht in Betracht komme. Mit dem Namen des Verfassers veröffentlicht, würde sie auf viele gewiß wohltätig wirken durch die Feststellung, daß Mesmer selbst ausgesagt hat, daß ihm in seiner großen magnetischen Praxis nie eine Spur von Somnambulismus vorgekommen ist. Verfasser von Nr. i ist ohne Zweifel der Züricher Arzt Dr. E g g von Ellikon, der am 30. 10. 1820 in der Gesellschaft der Arzte in Zürich einen Vortrag über Meimers Persönlichkeit hielt, von dem Bruchstücke im Morgenblatt für gebildete Stande, Jg. 14. 1820. S. 1133. 1138, erschienen. Er berichtet darin über Unterredungen, die er 1804 mit Mesmer hatte, und hebt ausdrücklich hervor, daß Mesmer die Vermengung von Somnambulismus mit Magnetismus bei seinen Nachahmern beklagt habe. Daß sie aus allen ihren Kranken möglichst Somnambulen machen, dies sei seiner wahren Lehre nachteiliger, als die offenen Widersacher. Wolfart waren diese Mitteilungen eines sicheren Zeugen äußerst unbequem. Er polemisiert ausführlich dagegen in seinen Jahrbüchern für den Lebensmagnetismus (Bd. 4. Heft 1. 1821. S. 182—199). Egg, dessen Aufsatz einen glaubwürdigen Eindruck macht, kennzeichnet allerdings die Selbstüberschätzung Mesmers, seinen Haß gegen die Arzte, seine lacherlichen Vorstellungen über Staatsund bürgerliche Verhaltnisse in einer für den Apostel des Mesmerismus sehr schmerzhaften Weise. Den Gipfel der Tollheit erreicht Mesmer mit der Egg gegenüber getanen Äußerung, er habe vor 20 Jahren die Sonne magnetisiert, mit dem Erfolg, daß sie seitdem magnetisch viel wirksamer geworden sei, insbesondere auf das Wasser II
86 Nr. 2. (Das Vorurteil dasjenige, was andere beobachtet usw.) Zerebral- und Genitalsystem im Menschen finden ihre Indifferenzpunkte im Sonnengeflecht. Durch das Magnetisieren soll diese Duplizität nach außen treten. Der Magnetiseur übernimmt die wirkende Funktion, die Magnetisierte die leidende, und beide werden ein ganzes. Dieses behauptet der Verfasser, aber weit entfernt, es zu beweisen, gelingt es ihm nicht einmal, dieses Heraustreten selbst nur als möglich denkbar zu machen, worauf doch alles hier ankam. Uber den allerwichtigsten Punkt, wie nämlich der Wille des Magnetiseurs auf die Magnetisierte einwirke, wagt der Verfasser nicht irgendeine Analogie aufzustellen: „Der Mensch trete mit E h r f u r c h t hinzu, wenn die Allmacht G O T T E S spricht", hiermit wird der Knoten zerhauen, und mithin ist es dem Verfasser nicht gelungen, den Erscheinungen des Magnetismus das Wunderbare zubenehmen. Mehrere der abnormen Erscheinungen, die bei den Somnambulen vorkommen, als das Fernsehen und die Divination will der Verf. dadurch denkbar machen, daß in diesen Fällen das sinnliche Erkenntnisvermögen weniger gebunden ist an Raum und Zeit. Wie aber ein Mehr oder Weniger bei diesen ursprünglich notwendigen mathematischen Bedingungen jeder sinnlichen Anschauung stattfinden könne, und wie nach einer solchen, sei es auch nur partiellen Aufhebung dennoch irgendeine sinnliche Wahrnehmung überhaupt möglich sei, ist eine unüberwindliche Schwierigkeit. Nr. 3. (Jaunes et J a m b r e s coaevi Moysis maximi philosophi.) Von diesem kurzen Aufsatz in lateinischer Sprache muß ein jeder gestehen, er sei durchaus Unsinn nach Form und Inhalt. Zu 2. In der Ablehnung der Schrift stimmen alle Beurteiler überein. Fischer sagt, der Verfasser halte den Zustand des Geistes im ScMaf für den freieren, helleren I „Wenn das wahr ist, so bewahre uns Gott vor vollendeter Freiheit und Licht, wovon uns das Tollhaus nur ein schwaches Vorbild zeigt. Und dieser Unsinn scheint mir ein wesentlicher und integrierender Teil in den theoretischen Versuchen aller Verehrer des Magnetismus zu sein." Rudolphi, nachdem er die Kritiklosigkeit und die vollkommene Unwissenheit des Verfassers auf physiologischem Gebiet mit gewohnter Scharfe gebrandmarkt hat, fahrt fort: „Sehr wahr ist es, wenn der Verfasser das Systema genitale bei den magnetisierten Weibern affiliert glaubt; das ist es wohl fast jedesmal, allein sonderbar, daß er gar nicht an das System bei den Magnetiseurs denkt, wo es doch auch verderblich wirken kann, und ich glaube wenigstens 2 Fälle zu kennen, wo junge Magnetiseurs dadurch erschöpft den Tod gefunden haben."
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Nr. 4- (Das Wort ist die rechte Lehre.) Ein gnostisch-theosophisches Machwerk, verstoßend in gleichem Maße gegen Dogmatik, Philosophie und Naturlehre. Die Parazelsische Ansicht, der Mensch sei zusammengesetzt aus Geist, Seele und Körper wird aus der Bibel bewiesen durch den gnostischen Mythus eines rein geistigen körperlosen Adam, mit androgymsch-männlicher und weiblicher Polarität, der aber hinterher ein Begehren trug, sich wie das Vieh körperlich zu begatten, und der zur Strafe überzogen ward mit einem Leib: und nun ward nötig das Hinzukommen eines naiv genug ersonnenen Mitteldinges zwischen Materie und Nichtmaterie. Angenommen wird ferner, daß im Luftkreise eine allgemeine Lebensspeise zirkuliere, womit man durch festen Willen seine eignen Glieder überladen könne, um sie nach Beheben auf andere Individuen überfließen zu lassen. Mehrere solche exzentrische Postulate werden mit verdrehten Zitaten aus der Bibel statt alles Beweises belegt. So z. B. soll die geistige Verbindung des Magnetiseurs mit seiner Somnambule bereits im Apostolischen Glaubensbekenntnis durch den Ausdruck Gemeinschaft der Heiligen (communionem sanctorum) angedeutet sein. Nr. 5. (Opinionum commenta deleat aetas). Eine leidenschaftlich heftige'Diatribe gegen den tierischen Magnetismus, unwissenschaftlich durch Einseitigkeit der vorgefaßten Meinung und gehässig durch Konsequenzmacherei. Der historischen Darstellung des ersten Teils fehlt es an Gründlichkeit der Kritik und an Vollständigkeit. Die Polemik des zweiten Teils richtet sich fast ausschließlich gegen die Erklärungshypothese der Trialisten, die da annehmen, der Mensch bestehe aus Geist, Seele und Körper, wer sich also den tierischen Magnetismus anders denkt, der entgeht fast allen Widerlegungsmomenten Zu 3. Rudolphi zweifelt, ob die Schrift im Fieber des Wahnsinns verfaßt oder ob sie ein elender Scherz sei. Zu 4. Nur Erman geht näher auf diese Schrift ein. In dem Einzelgutachten fragt er noch, wie der Verfasser seine mystische Hypothese mit Genesis 1, 27: ..als Mann und Weib erschuf er sie" in Übereinstimmung zu bringen gedenke; er vermißt auch die für die Wordigung der beiden abweichenden Angaben der Genesis Ober die Erschaffung des Weibes (1, 27 und 2, 21. 22) erforderliche Beachtung eines ersten Grundsatzes talmudischer Exegese, welcher lautet: „ E s gibt kein Früher oder Später in der Thora." — Bei der Beurteilung dieses abstrusen Machwerkes kamen Erman die Residua der theologischen Studien seiner Jugendjahre zustatten, sowie die grandlichen philosophie-geschichtlichen Kenntnisse, die ihn vor den meisten Naturforschern auszeichnen.
88 des Verfassers. Als Beispiel der bösartigen Konsequenzmacherei und der leidenschaftlichen Beschränktheit des Verfassers diene folgende Widerlegung des Sehens mit der Fußzehe oder mit der Magengegend. „Joh. Alphonsus Turretinus dicit: quaestio de existentia Dei huc redit: si non solum oculus sit unice ad videndum factus, tum Dei existentia non potest demonstran. Cum igitur id volunt evincere magnetisatores quod Deus non fecit solum oculum ad videndum, aures ad audiendum, palatum ad gustandum, tune volunt peremtorío argumento pro Dei existentia nos privare et sie ad atheismum latam portam aperire. Was man gleichsam den angewandten Teil der Abhandlung nennen könnte, betrifft die Faktizität der tierisch-magnetischen Erscheinungen und Kuren; auch hier bemerkt man eine große Einseitigkeit; statt das etwaige Wahre und physisch-organischreelle in den wundersamen Traditionen der Magnetiseure zu suchen und kritisch zu beleuchten, begnügt er sich fast, diejenigen Geschichten anzuführen, von denen bereits erwiesen und allgemein anerkannt ist, daß sie lediglich aus groben Lügen und handgreiflichen Betrügereien zusammengewebt waren. Nr. 6. (Anima corporis conditrix.) Wäre das Programm zu der Preisschrift strenger auf die Festsetzung der Faktizität gerichtet gewesen, so hätte diese Abhandlung leicht sehr wichtig werden können. Als nämlich der Verfasser sich bereits im Jahre 1819 mit derselben beschäftigte, ward ihm die Gelegenheit, eine Somnambule in dem ganzen Verlauf der Krisen zu beobachten und zu behandeln. Diese species facti legt er gleichsam als faktische Basis seiner Darstellung, aber ohne jede Spur von Kritik, ohne jeden Versuch, durch absichtliche Vorkehrungen gegen Täuschung sich sicher zu stellen. Obgleich er zugeben muß, daß in den Aussagen seiner Somnambule eine Vermengung des Falschen mit dem Wahren zu vermuten sei, so nimmt er doch an, daß eine Verstorbene ihr erscheine, daß von der Toten Aufträge an den Magnetiseur und an ihre Eltern durch die Somnambule geschehen und Gegenbestellungen stattfinden. Auch sieht die Somnambule den Engel des Magnetiseurs mit ihrem eigenen freundschaftlich verkehren, und es fällt dem Verfasser nicht ein, zu prüfen, ob nicht vielleicht der Kranken beliebe, ihren Spaß mit ihm zu treiben. Auf eine so unkritisch gestellte Faktizität wendet nun hauptsächlich der Verfasser seinen Erklärungsapparat, der im wesentlichen dahinaus geht, daß im tierischen Magnetismus wie im mineralischen die Intensität eines Pols erhöht werde, wenn der andere indifferenziert worden.
89 Auf diese Weise indifferenziert der Magnetiseur das Gemeingefühl der Magnetisierten, wodurch ihr Gemeinsinn erhöht und freier wird. Wenn dieses gegründet wäre, so müßte durch eine notwendige Wechselwirkung der angenommenen Polarität der Gemeinsinn des Magnetiseurs ebenso frei und von seinem Gemeingefühl gesondert sein als es der Gemeinsinn der Magnetisierten wird. Nun aber tritt ein solches in der Erfahrung nicht ein, folglich ist diese Analogie mit der Polarität des mineralischen Magneten ungegründet. Ferner ist es ganz willkürlich angenommen und dem obigen widersprechend, wenn der Verfasser behauptet, daß sich das Gemeingefühl der Magnetisierten zum Gemeinsinn zu erheben bestrebt, wodurch der Verfasser viele Erscheinungen des tierischen Magnetismus zu erklären sucht. Denn es ist nicht zu begreifen, wie eine Tätigkeit zugleich indifferenziert und polarisch erhöht sein sollte. Nr. 7. (Vox n a t u r a e i n g e m i n a b i t . ) Der Verfasser geht zur Lösung des Problems mit einem scheinbar großen Apparat von Gelehrsamkeit, wobei jedoch meistens Zu 6. Rudolphi stellt kurzerhand fest, daß die Somnambule Lotte W. den Verfasser gefoppt hat. Fischer macht bei dieser Gelegenheit sein kritisches Glaubensbekenntnis: Nachdem er festgestellt hat, daß der Verfasser des Scharfsinns ermangelt, aber eine fruchtbare Phantasie in Auffindung von Analogien zwischen tierischem und wirklichem Magnetismus besitzt, fährt er fort: „Wann werden doch unsere neuen Philosophen, an deren Systeme sich die Verehrer des Magnetismus durchweg anschließen, begreifen, daß in dem Gebiet des Übersinnlichen . . . . für uns keine Wissenschaft möglich ist? Alles was wir hier erfinden können, sind Ansichten und Spiele einer sinnreichen Phantasie. Diese Gebilde sind nicht ganz leer von Wahrheit; unter den unzähligen, von Philosophen behaupteten Absurditäten ist nicht eine, der nicht irgendetwas Wahres zugrunde läge. Übersinnliche Dinge können nur unter Bildern der Anschauung nähergebracht werden Solche Gebilde sind aber nicht brauchbar als B e weis paradoxer Dinge, als Grundlage einer Wissenschaft." Eine Bemerkung von Buch zu 6 s. unten zu 7. Rudolphi mag wohl auch an diesen Fall gedacht haben, als er in seinem Grundriß der Physiologie (1. 1821. S. 261) auf die Gefahr der Täuschung des Arztes durch Weiber hinwies: „Ich habe Täuschungen beim Magnetisieren, bei Krämpfen, im Veitstanz beigewohnt und den Betrug in der vielfachsten Gestalt gesehen. Selbst in der Krankheit will das Weib bemerkt und interessant sein und das führt zu allem Möglichen. Es ist auch daher begreiflich, wie sonst verständige Männer die wunderbarsten Geschichten von magnetisierten Weibern ganz treuherzig erzählen, denn sie ahnen nicht, wie ihre Leichtgläubigkeit gemißbraucht wird. Mulieri et De mortuae quidem credendum est, sagte Stoll in seiner ratio medendi, und in allem, was Nervenkrankheit, Magnetismus usw. heißt, hat er völlig Recht."
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ein mehr synkretistisches Zusammenreihen von Meinungen als ein tüchtiges Durchgreifen, 11m das wahre herauszuheben, bemerklich wird. Es hat daher einige Schwierigkeit, die eigentümliche Ansicht des Verfassers herauszusichten, um so mehr, da er nicht selten mit sich selbst in einigen Widerspruch zu geraten scheint. Beiträge oder Vorbereitungen zur Lösung des Problems können hier und da zugegeben werden, nicht aber die Lösung selbst. Für die Annahme eines alles durchdringenden Äthers, die schon längst da war, findet man hier keinen Beweis. Aber die Hauptschwierigkeit, wie ein Wesen, welches auf der einen Seite nur chemisch und physisch wirkt, auf der anderen Seite Gedanken darstellen soll, hat der Verfasser nicht gehoben. Ebensowenig die Schwierigkeiten, welche entstehen, wenn man annimmt, daß das Äußere der Gegenstände durch diesen Äther im somnambulen Zustande wahrgenommen ward und wenn man behauptet, daß die Somnambule auch das Innere der Gegenstände wahrnehme. Was der Verfasser von polarischer Affinität sagt, hat er sich nicht deutlich gedacht; denn die Magnetisierte kann nur dann den meisten Nerven-Äther vom Magnetiseur aufnehmen, wenn dessen Äther den ihrigen am kräftigsten zurückstößt. Noch unklarer und mit leeren Worten spielend erscheint der Verfasser, wenn er über den Fall, wo eine sterbende Frau einem entfernt wohnenden Freunde erscheint, um Abschied von ihm zu nehmen, das Urteil fällt: „eine solche geistige (sie) Annäherung zu entfernten und befreundeten Gegenständen kann erfolgen auf eine der E l e k t r i z i t ä t und Galvanismus analoge Weise nach den weit verbreiteten und unabsehbaren Gesetzen der Affinität". Betreffend die Widersprüche, worin der Verfasser mit sich selbst verfällt, gelte das Beispiel, daß er von den Lichtanschauungen der Somnambule an einer Stelle sagt, es sei durchaus kein dem Sehen analoges; an einer anderen Stelle bezieht er es auf das in allen Körpern gegenwärtige gebundene Licht und wiederum an einer andern Stelle geht er so weit, die Stellen, aus welchen der organische Äther (der diese Einwirkungen bedingt) s t r a h l e n d ausströmt, durch die Gesichtswahrnehmung der Somnambule z. B. am Leuchten der Augen ihres Magnetiseurs bestimmen zu wollen. Von welcher Art die wissenschaftlichen Philosopheme und literarischen Brocken, wodurch der Verfasser imponiert, oft sind, mögen folgende Beispiele zeigen. Die Sonne wirkt durch ihre Masse nach dem Attraktionsgesetze, dieses aber wird modifiziert durch den Mond und die übrigen Planeten durch den galvanischen Prozeß zweier oxydierbarer Körper; jeder Planet h a t eine
91 e i g e n t ü m l i c h e A n z i e h u n g zum O x y g e n . La Place, sagt er, ist der e r s t e gewesen, der gelehrt hat, daß die Attraktion nicht ausschließlich den Schwerpunkten der Himmelskörper zukomme, sondern daß jeder Punkt alle anderen anzieht. Bonnets Lehre einer kosmologischen Verkettung aller Teile des Weltalls nach dem Gesetze der Kontinuität wird von dem Verfasser so dargestellt: „Besonders war auch Bonnet der von Mesmer noch weiter ausgebildeten Lehre von einer Sphärenwirkung, oder aus- und eingehenden ätherischen Strömen (courants) sehr günstig." Über die Dürftigkeit der chemischen Kenntnisse des Verfassers S. 180, seiner Kenntnisse von Eulers Theorie des Magnets S. 188, der Elektrizität S. 197. Zu 7. Alle Beurteiler sind einig im Tadel der „rhapsodisch-synkretistisch-chaotischen Methode" des Verfassers, seiner völligen Kritiklosigkeit; Rudolph* schließt mit dem Ausrnf: „Gott bewahre ans vor solchen Physikern." Aus Buchs Votum seien folgende Satze angefahrt: „Ich halte es fOr Pflicht, für eine heilige Pflicht, welche dem ersten und einzigen Institute seiner Art in Deutschland obliegt, nicht eher irgendeiner Abhandlung einen Preis zuzuerkennen, als wenn dies Bestreben, das Wahre vom Falschen zu sondern, sichtbar geworden ist. Alle Fälle unter ein gemeinschaftliches Prinzip zu bringen, sie mögen von forschenden und aufmerksamen Beobachtern erzählt werden, die nie vergessen werden, ihre Zuhörer gleichsam zugleich beobachten zu lassen durch Anfahrung aller Bedingungen, teils von der Natur, teils durch Scharfsinn dem unerwarteten Resultat in den Weg gelegt — oder sie mögen von Leuten erzählt werden, welche sich durch tolle Dirnen, ehrgeizige und eitle Weiber, die von sich wollen reden machen, betören lassen oder von leichtgläubigen Ärzten oder von solchen, welche ein Interesse haben, zu hintergehen, um sich bekannt zu machen —, alle solche Geschichten unter ein allgemeines Gesetz zu bringen, scheint mir eine undankbare und unwflrdige Ausfallung von Bouts rimis, in denen man nur die überwundene Schwierigkeit, nie aber die aufgefundenen Gesetze der Natur und der Wahrheit bewundern wird." Über die immer wiederkehrenden Wunderberichte von Gesichtswahrnehmungen der Somnambulen auf rätselhaftem Wege, ohne Mitwirkung der Augen, sagt Buch: „Wenn man mit dem Magen liest, wobei, wie Nr. 7 sagt, von einem brechbaren Lichte gar nicht die Rede sein kann, so frägt man denn doch wohl, warum sollen die Buchstaben aufrecht stehen ? Warum Buchstaben Oberhaupt? Wenn es durch ein Couvert geschehen kann, so wird es auch in Entfernung möglich sein; warum in gerader Linie? warum nicht durch das Profil des Blattes? Fragen in Falle, die scharfsinniger werden erdacht werden können von jedem, dem es um Wahrheit ernstlich zu tun ist. Wenn Lotte W. in Nr. 6 aberall durchsieht, wenn ihr die Augen verbunden sind, so möchte man immer noch glauben, hinter dem Racken habe sie nicht gesehen und dann ließen sich doch noch viele Untersuchungen aber den Sitz dieser besonderen Kraft anstellen, die wohl die Entfernung der Gegenstände nicht mehr wird richtig beurteilen, diese daher ergreifen können.
92 Nr. 8.
( M a x i m a et libertas.)
Wenn man gleich zugeben muß, daß in dieser Abhandlung mehr Reichtum an poetischen Bildern und rhetorischen Philosophemen als an tiefer Forschung und doktrinaler Strenge sich dartut, so kann es doch fast scheinen, als wenn unter den Mitbewerbern dieser dem rechten Wege am nächsten war, aber durch Mangel an kritischer Besonnenheit davon abgekommen ist und weit abschweift. Nachdem der Verfasser die Funktionen des Lebens, meistens nach der physiologischen Seite aufgestellt hat, und zwar nach der angenommenen M a n i e r einer besonderen Schule, mit Vorliebe für trichotomische Disjunktionen, wendet er sich zu den Bestimmungen, die dem magnetischen Agens zukommen: seiner Ansicht nach nähert sich dieses den Qualitäten einer Art von Lichtstoff. Ein Vorschlagen dieses Agens im Gehirn soll schon beim gewöhnlichen Traume stattfinden und darauf bezieht der Verfasser (abenteuerlich genug) den Umstand, daß die Objekte, von denen man träumt, hell wie am Tage erscheinen. Mittelst dieses Agens sucht nun der Verfasser die Phänomene des_ tierischen Magnetismus denkbar zu machen, nicht ganz ohne Erfolg, so lange die Unterwenn ein anderes Medium als das geradlinige Licht die Vorstellung des Gegenstandes erweckt. Von Herzen und mit Überzeugung unterschreibe ich: Gott bewahre uns vor solchen Physikern. — Da ist nichts zu loben. Das hat Aber Deutschland den unseligen Geist verbreitet, welcher sich der Mühe der Forschung glaubt Oberheben zu können, dem gesunde Urteilskraft und Kritik weniger gilt als leicht aufgefaßte Analogien." Zu 8. In Ermans Konzept stand noch folgender auf Wunsch von Seebeck und Weiß ausgestrichener Schlußsatz: „Auch wäre es überflüssig, die Blößen, die der Verfasser in medizinischer und naturhistorischer Hinsicht gibt, in ihrer Menge herzählen zu wollen." Die Abfassung eines allen Einzelbeurteilungen gerecht werdenden, neutralen Schlußgutachtens Ober Nr. 8 war keine leichte Aufgabe, denn die Ansichten gingen weit auseinander. Fischer erklärt sie für völlig wertlos, Seebeck lobt die Behandlung der sog. niederen Wirkungen.des Magnetismus. Von Link und Rudolphi wird auch sonst berichtet (Neuer Nekrolog, io, 2. S. 790. 792), daß ihre alte Freundschaft und Kameradschaft — sie hatten sich 1806 gleichzeitig um eine Göttinger botanische Preisfrage beworben, beide mit Erfolg — zwar fortbestand, aber bei stetem Gegensatz ihrer wissenschaftlichen Ansichten. Er tritt auch hier aufs schärfste hervor: Rudolphi erklärt Nr. 8 für ein ganz unlogisches, unsinniges, erbärmliches Machwerk, Link findet die Darstellung geistreich und schön: ,,der Verfasser war auf dem rechten Weg, aber Mangel an kritischer Besonnenheit führte ihn davon ab."
93 suchung bei den niedern Wirkungen desselben verweilt; so wie er sich aber zu den höheren und mehr abnormen wendet, so findet man die Kritik von einem unmotivierten Glauben besiegt und Wundergeschichten erläutert durch Wundergeschichten, z. B. als Beweis, daß die Somnambulen nicht bloß in die größten Fernen sehen können, sondern sich auch als leibliche Erscheinungen in der größten Entfernung Freunden und Verwandten zeigen könnten, wird angeführt, ein Bekannter des Verfassers habe das Vergnügen gehabt, sich anderen nach Belieben in der gewöhnlichen Haltung und Kleidung erscheinen zu lassen; welches durch die Kraft der Einbildung geschehen soll, welche mit dem Strahle des sich in der Zerebralfunktion auf eine abnorme Art erzeugenden Lichtes ein körperliches Gemälde (ein Demokritisches eidtoXov ?) weit von sich hin ohne leibliche Gegenwart entwerfen könne. Offenbar sind auf diesem Wege die Hauptpunkte der Aufgabe nicht befriedigend gelöst. Nr. 9. (Nobis i g n o r a n t i b u s . ) Zuerst vom mineralischen Magnetismus, aber ganz imbefriedigend und mit einer unglaublichen Ignoranz. Diesen, den er auch den mechanischen nennt, setzt er dem animalischen entgegen, den er Sensualismus nennt und der die Quelle ist von Haß und Liebe, Leidenschaften und Begeisterung. Offenbar sind hier die sog. niederen Geistesvermögen nach der ehemaligen Einteilung der empirischen Psychologie gemeint. Der eigentliche Sinn der Abhandlung wäre daher: die Erscheinungen des tierischen Magnetismus sind bloßes Spiel der Einbildung und der Gefühle. Daher die Behauptung des Verfassers: Rausch und andere Erregungen sind mit den Wirkungen des Somnambulismus nahe verwandt. Die unerklärbaren Wirkungen des tierischen Magnetismus rühren von dem Zeitgeiste her, der Gemütlichkeit über kalte Verntinft setzt.' Durch Operation in distans wird der Magnetiseur keinen Schlafenden erwecken, wohl aber wenn er ihn mit dem Finger berührt. Überhaupt ist das, was man von den Wirkungen des tierischen Magnetismus sagt, dem über die Rationalität erhöhten Sensualismus zuzuschreiben. Diese Ansicht ist nicht neu; aber Zu 9. Alle Beurteiler bezeichnen die Schrift als wertlos und rügen die Unwissenheit und Verworrenheit in .dem Abschnitt Ober den Erdmagnetismus. Nur Hufeland ist anderer Ansicht: er will ihr das Akzessit zuerkennen wegen des Nachweises, daß „alle magnetischen Erscheinungen auch natürlich vorkommen, daß der Magnetismus nur eine künstliche Geburtshilfe derselben sei".
94 der Verfasser hat nichts geleistet, um ihr ein neues Gewicht zu geben; er begnügt sich fast, sie teils in eine dunkle Einkleidung gleichsam zu verstecken, teils in unbefriedigenden Aphorismen davon zu sprechen, als meine er etwas anderes. Die Parallelisierung mit dem mineralischen Magnetismus ist daher nicht bloß an sich erbärmlich schlecht, sondern auch eine unklare ueta/iaaiQ > i ctg aAAo ytvog. Nr. 10. (Nur das k l a r E r k a n n t e . ) Der Verfasser gründet alles auf das Gesetz der Polarität, welches er in der ganzen Natur darzutun sucht; aber die Anwendungen, die er davon auf den tierischen Magnetismus macht, sind durch ihre Flachheit und Ungründlichkeit so ausgezeichnet, daß man wohl sagen kann, die Preisfrage war im voraus beantwortet als sie gegeben ward, wenn es sich bloß um solche im allgemeinen sich haltende Anwendungen der Polaritätslehre handelte. Alles glaubt der Verfasser erklärt zu haben durch die Behauptung, der Magnetiseur und die Magnetisierte stehen zueinander in demselben Verhältnis wie die beiden Pole eines Magneten oder einer Voltaschen Säule; daher hat die Magnetisierte keine Freiheit, kein Wollen, keine Äußerung der Vernunft, keine Wahrnehmung usw. usw. Hierauf erklärt er die wunderbaren Erscheinungen des tierischen Magnetismus so gut wie er kann nach diesen Prämissen, d. h. sehr schlecht. An eine kritische Würdigung der Wundererscheinungen des Magnetismus denkt der Verfasser keineswegs. Nr. i i . (Das L e b e n ist der G ü t e r h ö c h s t e s nicht.) Ist völlig aberwitzig und abgeschmackt; als vollgültiger Beweis kann folgende Deduktion genügen. „Die Wärme und wahrZu 10. Als Verfasser hat sich in späteren Eingaben an das Kultusministerium der Gießener Professor Johann Bernhard W i l b r a n d bekannt. Link vermutete seine Autorschaft schon in seinem Votum. Wilbrand, geb. 1779 auf einem Kotten in der Nähe von Münster und erst 1803 durch einen Freibrief aus der Leibeigenschaft befreit, von 1809 bis zu seinem Tode 1846 Professor in Gießen, ist in der Geschichte der Naturwissenschaften bekannt als konsequenter Leugner des Blutkreislaufs und der herrschenden Befruchtungstheorie der Pflanzen. (Vgl. W. Heß in Allg. deutsche Biogr. und W.s Selbstbiographie. Gießen 1831.) Die Preisschrift erschien 1824 in Frankfurt a. M. unter dem Titel: „Darstellung des thierischen Magnetismus als einer in den Gesetzen der Natur vollkommen begründeten Erscheinung." — Die akademischen Beurteiler verwerfen sie durchaus; nur Hufeland lobt sie wegen des angeblich erbrachten Nachweises, daß „der tierische Magnetismus dem mineralischen völlig analog sei, nur in der lebenden Potenz".
95 scheinlich alle Imponderabilien haben eine negative Schwere, d. h. sie sind l e i c h t machend. Die Lebenskraft allein bewirkt es, daß schon im gewöhnlichen Leben ein wachender in den Armen gehaltener Menschenkörper beträchtlich l e i c h t e r erscheint als ein schlafender oder gar verstorbener. Wird nun die gewöhnliche Lebenskraft, wie es im magnetischen Zustande geschieht, bedeutend verstärkt, so muß auch die Körperschwere noch mehr überwogen werden und daher das den Mondsüchtigen eigene Aufstreben und leichte Klettern, wie auch der schwebende Gang der Somnambulen, welcher schon fast geisterhaft erscheint. Vielleicht ward auf diese Weise der vorerwähnte Doktor Torralba nach Rom und die Hexe der Inquisition entführt ? Und gibt das vielleicht einen Schlüssel zu den gewiß nicht ohne Grund entstandenen Blocksbergsagen ? Dem Torralba gab sein Begleiter einen starken Knotenstock zwischen die Füße. Einen Stab aber als Träger der uns nun bekannten Wunderkraft lernen wir aus der in mehrfacher Hinsicht merkwürdigen Erzählung 2. Könige 4, 18 kennen." So wie von der hier erzählten Erzählung, daß Torralba und eine Hexe durch die Luft geflogen sind, in Gegenwart von tausend Zeugen der Verfasser behauptet, man tue Unrecht, diesen Dingen allen Glauben zu versagen, so redet er überall dem lächerlichsten Wahnglauben das Wort. Von e i n e r Meinung des Verfassers kann nicht die Rede sein, denn er hat sie alle durcheinander, und ebenso wenig von einem Ideengange, denn es ist eine vollendete Ideenjagd. Zu xi. In schärfster Verurteilung von Nr. 11 aberbieten sich die Akademiker; man hört die Entrostung heraus darüber, daß sie nach ihres einstigen Königlichen Protektors Wort jetzt gezwungen werden, „sich mit solchem Gesindel herumzuschlagen". Auch Hufeland vermeidet zwar die scharfen Ausdrücke der übrigen, fertigt doch aber auch die Schrift als „theologisch-mystisch" ab. Wenn aber Rudolphi in dem Verfasser einen Nachbeter Schuberts sieht, „der vorzüglich in der neuesten Zeit dem Wahnglauben auf das lauteste das Wort geredet hat", so widerspricht dem Weiß. Er meint: „ E s wäre Unrecht, zwischen all diesem ungewaschenen, platten, unverdauten Zeuge und dem sinn- und seelenvollen, was in Schubert anzuerkennen bleibt, die entfernteste Ursächlichkeit zu finden. Es gab — oder gibt ein Subjekt hier, Namens Lhotsky, dem sieht das Werk nicht unähnlich; so ein aus Tollheiten zusammengeflicktes Ding ist es." Dieser Vermutung widerspricht wiederum Link: „Herrn L'Hotsky muß ich gegen Weiß verteidigen; der redet auf zwei Bogen von allen Wissenschaften und noch etwas. Er würde uns geschont und so viel Redensarten nicht auf einmal geleistet haben." (Vgl. die Titel Lhotskyscher Schriften aus dem Jahre 1820 in Kaysers Bücherlexikon!)
96 Nr. 12. (Sunt certe ignavi.) Ein Versuch, die Erscheinungen des tierischen Magnetismus aus den verjährten Analogien der vormaligen Kompendien der Physik und der Pathologie zu erklären, welcher aber selbst in diesem Sinne nicht gelingen will, so daß es durchaus zu keinem Resultat kommt. Die Erscheinungen des tierischen Magnetismus werden für Krankheitsanfälle erklärt, durch eine krisenartige, schlafähnliche hauptsächlich von seiten des Gemüts vor sich gehende Abspannimg hervorgebracht. Vorzüglich ist dabei auf die Wirkungen der Einbildungskraft zu sehen und auf ein Ahnungsvermögen, welches aus halbbewußten Eindrücken entsteht. Den magnetischen Rapport könnte man ableiten teils von Ausdünstungen, teils von der Elektrizität. Zwar gesteht der Verfasser, vieles vertrage sich nicht mit den bekannten Gesetzen der Elektrizität, im ganzen sei doch aber eine Rückwirkung des elektrischen Reizes auf das Gemüt möglich. Von den Einwirkungen auf das Muskularsystem sagt der Verfasser: „Ich stelle mir als möglich vor, daß in jeder Muskelfaser die Möglichkeit liege, als eine Art Magnet die beiden Elektrizitäten in zwei Pole zu trennen und selbe wieder zu vereinigen und das Gleichgewicht herzustellen, wobei als Magnete die gegenseitige Anziehung der Fibern und die Zusammenziehung der Muskeln erfolgt." In allen diesen Behauptungen ist durchaus nichts Neues; die Behandlung ist flach und ungründlich und das vage Herumschweifen zwischen Möglichkeiten ist in einer Preisschrift, die neue und bestimmte Aufschlüsse geben soll, gar wenig empfehlend. Nr. 13. (Domine si vis.) Ein Bogen, durchaus unbedeutend. Daß ein unerschaffenes Grundwesen sei, wird nach Mesmerismus, Berlin 1814. S. 33, behauptet; und daß es durch seine Allmacht alles erschaffen hat, nach Genesis I, 1. Nr. 12 hat unter allen 21 Bewerbungsschriften bei den Akademikern verhältnismäßig den meisten Beifall gefunden. Nicht nur Hufeland lobt diesen verständigen Versuch einer naturgesetzlichen Erklärung, auch sein Antipode Rudolph! rechnet die Arbeit zu den besseren; Fischer erklärt sie unbedingt für die beste von allen 21; zwar sei auch sie wegen mangelnder strenger Kritik nicht des Preises würdig, aber doch wert, gedruckt zu werden. Nur Weiß ist ganz ablehnend gegen dies „breite Geschwätz eines alten Herrn auf Grund seiner Elektrizitätslehre einer froheren Periode". Zu 13. Hufeland nennt sie „eine Predigt über den Magnetismus, von einem Katholiken". Rudolphi meint, sie sei freilich schlecht, verdiene aber doch vieles Lob, weil sie nur einen Bogen stark ist.
97 Von dem Hellsehen heißt es: „Wie man dazu kommen könne, wird für den Menschen noch lange, ebenso wie nach seinem Willen einen Luftballon regieren, ein Geheimnis sein, welches die göttliche Vorsicht uns zu offenbaren nicht für gut zu finden scheint." Nr. 14. (Es hat das Silber seine Gänge.) Allerdings eine mit vielem Fleiß entworfene Darstellung der Erscheinungen, welche dem tierischen Magnetismus zugeschrieben werden, aus einer Menge von Schriften, die treulich zitiert werden: eigene Beobachtungen kommen wenig hinzu. Eine so sorgfältige Kompilation ist zwar an sich verdienstlich, aber es sind über den fraglichen Gegenstand bereits mehrere der Art vorhanden, und namentlich hat Kluge auf alle hier angeführten Gegenstände aufmerksam gemacht. Das größte Lob und der innigste Dank gebührte dem Verfasser, hätte er diese Masse von Tatsachen mit strenger Kritik und scharfer Urteilskraft gesichtet und auf den Grad ihrer Glaubwürdigkeit geprüft. Da aber dieses mit Nichten geschah, so ist es auffallend, zu sehen, wie der Verfasser die große Anzahl dieser Überlieferungen auf das sorgfältigste herzählt und klassifiziert, hinterher aber selbst bemerkt, daß ein großer Teil dieser Geschichten gewiß nicht wahr sei. Wie viel nützlicher wäre es gewesen, nur die wahren aufzunehmen, aber dabei die Gründe genau durchzugehen, warum diese als wahr anzuerkennen sind. Allgemeine Gründe für die Wirklichkeit dieser Erscheinungen sind nach dem Urteil des Verfassers 1. daß berühmte Männer sie erzählt haben; 2. daß täglich mehr Erfahrungen dieser Art bekannt werden; 3. weil viele solcher Erscheinungen auch sonst bekannt waren, z. B. das Nachtwandeln; 4. weil sie auch ohne Hilfe des Magnetismus entstehen können. Eine Anwendimg dieser Kriterien auf die speziellen Fälle fehlt durchaus. Dann geht der Verfasser die Geschichte durch, sowohl die biblische als die profane und bezieht viele Begebenheiten auf den tierischen Magnetismus, z. B. Orakel, Inkubation in den Tempeln usw. Nim ist dieses ebenfalls nicht neu und ist von Ennemoser und vielen anderen geleistet worden, daher man auch hier sehr billig die Anforderungen an den Verfasser zu machen hatte, durch Kritik seine Vorgänger zu überbieten und zu ergänzen, wodurch allein er Ansprüche auf den Preis machen konnte. Mit diesem historischen Teil schließt die Abhandlung. Zwar war der Verfasser früher bei der Akademie um eine Verlängerung des Einsendungstermins eingekommen. Es mußte ihm aber, wie natürlich, geantwortet werden, dies sei unstatthaft und es könnten nur die Abhandlungen zur Konkurrenz zugelassen werden, welche den E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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98 Termin einhalten würden; es stehe jedoch in seinem Belieben, den bereits fertigen Teil zur Preisbewerbimg einzureichen, der allein konkurrieren könne; wolle er hinterher die Fortsetzung einsenden, so könne diese zwar als literarische Mitteilung angenommen werden, nicht aber als Preisbewerbung. Einen zweiten Teil hat der Verfasser wirklich eingesendet und er ist zu seiner Zeit der Klasse zu behebiger Benutzung vorgelegt worden und dann ad acta genommen. Nr. 15. (Das was seltsam ist.) Eine lebhaft und nicht ohne Witz geschriebene Abhandlung; die Gegenstände in flüchtigen Umrissen dargestellt, mit einem Anstrich von Ironie in einzelnen Teilen, und vielleicht sogar im ganzen durchweg. Von den physiologischen und pathologischen Kenntnissen, die der Gegenstand unumgänglich erfordert, ist keine Spur vorhanden. Der Verfasser fängt mit der (unerwiesenen) Behauptung an, daß der Mensch immer im Schlafen träumt; er nimmt im Menschen eine Duplizität an und leitet solche von zwei Nervensystemen ab, dem Gehirn- und dem Gangliensystem, aber er wirft diese fast trivial gewordene Behauptung nur so eben hin, ohne sie durch neue Beweisgründe oder neue Ansichten zu heben; auch macht er nachher keinen bedeutenden Gebrauch davon. Nun wendet er sich sogleich zu der Erzählung von der berüchtigten Maria Rübel, welche verschlossene Briefe mit der Ferse las. Drei Briefe dieser Art sind beigelegt, um zu zeigen, daß man sie von außen nicht lesen könne. Ungern sieht man ein so großes Gewicht auf diesen Gegenstand gelegt, da das Lesen durch die Ferse in keines glaubwürdigen Zeugen Gegenwart stattfand, sondern die Briefe schlechtweg an die der Betrügerei überführte Rübel und an ihren Gehilfen geschickt wurden, von dem Nr. 14 ist, wie schon Link in seinem Votum vermutete und wie dann in einem Schreiben des Verfassers an die Akademie vom 25. 3. 1823 bestätigt wurde, von E n n e m o s e r . Im Tadel der Kritiklosigkeit des allein zu beurteilenden 1. Teils sind alle Akademiker einig; nur Weiß macht eine Ausnahme. Er lobt nicht nur die „gute Zusammenstellung des Gegebenen, sondern auch die Anerkennung von etwas Unerklärbarem im Magnetismus''; auch er. Weiß, halte nicht alles für Täuschung oder Betrug; die Arbeit sei zwar nicht des Preises, aber des Lobes würdig. Rudolphi spottet: Das elende, kritiklose Machwerk ,,verdiene doch darin Bewunderung, daß es den Magnetismus dadurch für bewiesen halte, daß die A k a d e m i e v o n i h m s p r e c h e . Ach Gott, sie wollte ja nicht, sie mußteI" Buch schließt seine vernichtende Kritik mit dem Ausruf: , , 0 Deutschland! wird man es einst glauben, daß solche Geschichten gesammelt und der Akademie übergeben worden sind!"
99 der Verfasser selber sagt, man wisse nicht bei Lesung seines Tagebuchs, ob man ihn für einen Getäuschten oder für einen Betrüger zu halten habe. Man hat Mühe zu begreifen, wie ein geistreicher Mann dieser so mangelhaften Prüfung den Wert eines experimentum crucis beilegen kann. Hierauf folgen ähnliche Erzählungen, von Renard und P e t r i n auf Treu und Glauben nacherzählt; dann eine leicht skizzierte Geschichte des tierischen Magnetismus, doch nur bis zur Kommission der Pariser Akademie vom Jahre 1784. Endlich einige allgemeine Warnungen für den Beobachter und der Schluß, daß wirkliche Versetzungen der Sinne geschehen können, wie sie der Verfasser an der Maria Rübel glaubt dargetan zu haben. Im besten Fall könnte man sagen, der Verfasser habe bewiesen, es sei e t w a s am t i e r i s c h e n M a g n e t i s m u s , aber den Forderungen des Programms hat er keineswegs Genüge geleistet. Zu 15. Verfasser dieser Schrift war niemand anders als der Urheber der Preisaufgabe selbst: K o r e f f l Link bezeugt es in seinem Votum auf Grund einer ihm selbst gemachten Mitteilung Koreffs. Sehr pikant lautete unter diesen Umständen der Schlufisatz von Ermans Gesamtbericht ursprünglich : „Fast möchte man sagen, von allen Mitbewerbern habe dieser Verfasser den Sinn des Programms am meisten mißverstanden. Er meint nämlich, die Hauptfrage der Akademie sei gewesen: Ist etwas am tierischen Magnetismus? und seine Antwort als Resultat des Ganzen ist: Ja, es ist etwas daran." Auf Wunsch von Seebeck und von Weiß, welcher diese Bemerkung gegenüber dem Verfasser der Aufgabe zwar „sehr artig", aber doch zu anzüglich findet, milderte Erman den Satz. Scherzhaft und für Lichtensteins auch sonst in den Voten mehrfach sich Äußernde Unsicherheit des Urteils bezeichnend ist es, daß er den Verfasser für einen N i c h t a r z t hält. Das Fersenlesen der Schwindlerin R ü b e l , welches den Kern der Koreffschen Schrift ausmacht, wird von allen Akademikern a limine für unglaubwürdig erklärt; nach Hufeland sei der Betrug längst entdeckt. Buch hält die ganze Schrift für eine Mystifikation der Akademie durch Koreff: „Der Verfasser . . . . hat seine Abhandlung so durchweg vermengt, einesteils mit nicht geistlosen und meistens ganz begründeten Urteilen, aus welchen hervorgeht, wie wenig allem dem zu trauen ist, was man von diesen Erscheinungen erzählt, wie wenig die Erzähler geeignet waren, eine so kitzliche Sache ihrer Wichtigkeit gemäß zu untersuchen, andererseits wieder mit Behauptungen unbegreiflicher Dinge, die isoliert stehen, gar nicht untersucht, gar nicht verfolgt sind, so daß man offenbar sieht, der Verfasser habe versuchen wollen, wie weit Leichtgläubigkeit und Leichtsinn im Auffassen solcher Unbegreiflichkeiten oder wie weit die Sucht, mit „Meilenstiefeln in der Allflut herumzuplätschern", es über gründliche Untersuchung und gute Logik vermöge. Wenn es ihm aber mit der Maria Rübel, die in diesem Aufsatz die Hauptrolle spielt, -wirklich Ernst sein 7*
100 Nr. 16 (¿ ßiog ßqa%vq). ist von dem Verfasser zurückgefordert und nicht mehr bei den Akten. sollte, so hat wiederum ihn und vielleicht manche andere noch Herr Benzenberg mystifizieren wollen. Denn Herr Benzenberg ist ein zu genauer Physiker, als daß er sich würde erlaubt haben, wenn es ihm um die Sache selbst zu tun gewesen wäre, so schlechte und elend erfundene Versuche anzustellen, als die mit den Qherschickten Briefen. Er würde es zu gut gewußt haben, daß solche Briefe nicht einem Mädchen zugeschickt werden, das der Betrogereien fiberwiesen ist, und einem Menschen die Behandlung überlassen wird, von dessen Tagebuch man sagt, daß man nicht wisse, ob man das ganze für Täuschung oder Betrügerei halten solle. Herr Benzenberg würde gefohlt haben, daß man selbst hingehen, selbst untersuchen, vergleichen, überlegen, zur Stelle erfinden müsse; und daß solche Briefe, auf diese Art zurückgekommen, wenn auch unversehrt, nur T a s c h e n s p i e l e r k f l n s t e bleiben, des Vorzeigens in Aachen (auf dem Kongreßl), in der Akademie höchst unanständig und unwürdig. . . . Wäre doch Lichtenbergs treffliche und tiefe Betrachtung vom dramatisierten Besinnen jedem ins Herz geschrieben, der durch Träume, Nachtwandeln, Somnambulismus in eine Oberirdische Welt steigen will. Warum findet die Preisaufgabe keine Beantworter in diesem Geist I" Aus Rudolphis Votum seien folgende treffende Sätze angefahrt: „Der Rotz wird allgemein für unheilbar gehalten, nur hier und da gibts einige Tierärzte, die ihn geheilt haben wollen, und in Alfort (der berühmten französischen Tierarzneischule bei Paris) wollte mich Chaumontel davon überzeugen, indem er mir ein gesundes Pferd zeigte und hinzufügte: das habe ich vom Rotz kuriert. So hat es Benzenberg mit dem Verfasser und dieser mit uns gemacht. Uns werden Briefe vorgelegt, die die (Betrügerin) Maria Röbel g e l e s e n h a b e n soll, wie ein konfuser Chirurg erzählt, über den sich der Verfasser lustig macht. Ich blieb natürlich bei Chaumontel im Zweifel, ob das Pferd wirklich den Rotz gehabt habe, und wer will mir hier die Zweifel verdenken. . . . Wie kann ein Physiker ein Sehen durch ein anderes Organ als das Auge, ein Versetzen der Organe annehmen!" Es bedürfe ja nur einiger Versuche mit Blinden und Tauben, um die Sache zu klären, warum werden sie nicht gemacht?" Rudolphi hat sich Ober das angebliche Vikariieren der Sinnesorgane auch noch im selben Jahre ausgesprochen in seinem Grundriß der Physiologie i . 1821. S. 69. 148. Weiß stand mit seiner Ansicht allein, daß die Akademie nicht umhin könne, Stellung zu nehmen, „ob diese Briefe auf eine gewöhnliche, kein besonderes Wahrnehmungsvermögen der Hellsehenden voraussetzende Weise haben gelesen werden können oder nicht." Die Wundertaten der epileptischen Somnambule Maria Rübel in Langenberg sind unendlich breit dargestellt von A. Köttgen (mit Anm. von Kieser) im Archiv für den tierischen Magnetismus. Bd. 4, 3. 1818. S. 1 bis 279. Benzenbergs Beteiligung an den Experimenten des Lesens mit den Fußsohlen beschränkt sich darauf, daß er im Oktober 1818 drei für
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Nr. 17. ( E r r a n d o discimus.) Fast sollte man es nur für eine Nebenbestimmung halten, welche der Verfasser seiner Arbeit gegeben hat, bei der gegebenen Preis frage zu konkurrieren. Sie ist offenbar gar nicht im Verhältnis zu derselben angelegt. E s ist gleichsam ein Stück eines Heftes über Physiologie und allgemeine Pathologie der Nervenfunktionen, inklusive der durch sie begründeten geistigen. Im Gange dieses Entwurfs kommt der Verfasser auch auf den tierischen Magnetismus und behandelt ihn im Ebenmaß mit seinen andern Kapiteln, keineswegs aber mit vorzugsweise auf ihn gerichteter Sorgfalt. Diese Behandlung ist nicht ganz mißlungen, sie zeugt von Kennte nissen und von einer guten Methode. Ausstellungen gegen diese Abhandlung sind viele zu machen. Die Erscheinungeil des tierischen Magnetismus werden ganz im allgemeinen und ohne alle kritische Diskussion vorausgesetzt und nichts zu ihrer näheren Festsetzung an Umfang und Intensität beigetragen. Die Erklärungshypothesen sind nicht befriedigend. Wenn auch die Ganglien sehr bedeutende Organe des Nervensystems sind, so ist doch eine solche Tätigkeit, welche ihnen der Verfasser beimißt, durch nichts beglaubigt. Der Hauptsatz in den Erklärungen des Verfassers ist ohne allen Grund. E r behauptet nämlich die Existenz einer mit spezifisch verschiedenen Qualitäten begabten tierischen den Versuch besonders hergerichtete Briefe nach Langenberg schickte, wo die Röbel sie auch angeblich uneröffnet las 1 Die weitere Bemerkung (S. 171), daB einer dieser Briefe in den Tagen des Kongresses in Aachen in Gegenwart A. von Humboldts eröffnet worden sei, soll offenbar bei oberflächlichen Lesern die Vorstellung einer etwelchen Zustimmung Humboldts zu den widersinnigen Behauptungen der Verfasser hervorrufen. Der Kaufmann (nicht wie Rudolphi meint: Chirurg) Adolf Röttgen in Langenberg (1777—1838), ein persönlich durchaus ehrenwerter Mann, Autodidakt und eifriger Anhänger der Naturphilosophie, war so in den Glauben an die von ihm entdeckte Hellseherin Röbel verrannt, daß er ihn nicht aufgab, auch als er den von ihr verübten Betrug erkannt hatte. Er meinte, sie habe wohl nur gerade einmal nicht hellsehen kfinnen und um dies nicht zugestehen zu müssen, gemogelt! Schließlich wurde die nach wie vor in Röttgens Hause wohnende Person auch noch wegen Diebstahls zu mehrjährigem Gefängnis verurteilt (vgl. Ed. Röttgen, Gesch. der Familie Röttgen. 1910. S. 55—66). Rudolphi bemerkt hierzu: „Hat nicht die Verblendung oder die Sophisterei einen sonst sehr achtungswerten Mann so weit getrieben, daß er, als die Betrügerin Rübel ihre Schändlichkeiten vor Gericht gestand, behaupten konnte, vor Gericht habe sie gelogen und im Somnambulismus (wo sie betrog) sei sie wahr gewesen: ja wohl wahr und konsequent im gemeinsten Betrug." (Grundriß der Physiologie. 2, 1. 1823. S. 287.)
102 Wärme, welche von einem lebenden Körper in den andern übergehend, Phänomene bedingt, die von den Wirkungen der Wärme an sich und organisch erregt, wesentlich verschieden sein sollen. Aus dem Brüten folgert er das Dasein einer solchen tierischen Wärme, er sagt: „Gewiß tritt beim Brüten mehr ins Spiel als die Erwärmung; die Temperatur konnten wir wohl den Eiern geben und sie lange genug darin erhalten, aber kein Huhn oder Ente ausbrüten" — „Welches Agens hier wirke oder wie die spezifische Wärme des Huhns modifiziert sei, wissen wir nicht; wir können wohl den Grad der Wärme messen, aber nichts weiter." Hat denn der Verfasser niemals etwas von dem Ausbrüten in Öfen und durch Lampen gehört? Die Wirkung der Haut auf das Gangliensystem allein oder vorzüglich ist ein Sprung in der Theorie des Verfassers, der ebenfalls keinen Boden findet. Nr. 18. (Ohne Motto.) Ein Brief um Verlängerung des Termins zur Einsendung der Preisschriften, welche nicht von uns abhängt. Nr. 19. (Ohne Motto.) Unvollendet, der Verfasser will nachliefern, hat aber im vorliegenden durchaus gar nichts geleistet. Das ganze ist ein Cento von Sprüchen aus dem Alten Testament und von mystischen Brocken mit sein sollender Salbimg ausgesprochen. „Der tierische Magnetismus, heißt es, ist der feinste Lebensstrom, der von Gott ausgeht und so ausgerüstet und mit hohem Sinn sich bewußt, nur Gutes zu tun, muß ein magnetischer Arzt sein; dazu wird noch erfordert zu wissen, dieses feinste Fluidum sich anzueignen, dies Zu 17. Lichtenstein findet, daß diese „kenntnisreiche, viel EigentQmliches bietende Abhandlung den Forderungen der Aufgabe am nächsten komme"; er steht damit aber ganz vereinzelt da; alle anderen meinen mit Buch, daß solche haltlosen Theorien die Sache nicht weiter bringen. Link sagt, daß er den in Berlin lebenden Verfasser bald erkannt habe, nennt aber den Namen nicht. E r ist erstaunt Aber des Verfassers Unkenntnis des künstlichen Brütens; noch mehr mußte das bei Erman der Fall sein, der seit Ober 20 Jahren eingehende experimentelle Untersuchungen auf diesem Gebiet betrieben hatte. Zu 18. Warum diese Schrift und Nr. 21 mitgezählt werden, ist mir nicht klar. Zu 19. Hier wird auch Lichtenstein deutlich, sein Urteil lautet: „Unsinn!" Weiß kennt die Verfasserin, die „in unseren Mauern weilt". Buch findet es merkwürdig, daß alle Beispiele aus dem Alten Testament, keine aus dem Neuen genommen sind: „Hat die Akademie die Bollen- oder
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ist nun wohl ein kleines Geheimnis; suchet, so werdet ihr finden, es liegt klar vor euren Augen, und wenn ihr es gefunden, so muß es mit weiser und behutsamer Hand auf das kranke Individuum geleitet werden." Nr. 20 (mit der Aufschrift: Keine P r e i s s c h r i f t , sondern eine N a c h s c h r i f t dazu; und ohne Motto.) Eine meistenteils geistreiche und witzige Ironie. Träume sind nicht Gewirre von Gedanken. Es gibt ein Traumleben, welches seine gesetzmäßige Kontinuität hat; Gähnen steckt an, warum nicht auch das Träumen ? Magnetiseur und Magnetisierte geraten so zusammen in ein Traumleben. Heilt Wahnsinn Fieber und wird durch Fieber geheilt, warum sollte man die Heilkräfte des tierischen Magnetismus, dieses Traumlebens, dieses ansteckenden Wahnsinns leugnen? Daß diese Theorie den Unterschied zwischen Sinn und Wahnsinn aufhebt, ist wohl dem Verfasser nicht entgangen, aber eben darin liegt die Persifflage der Magnetiseure und der ganzen Sache. Nr. 21. (Gott und die Welt.) Ein Gesuch um Verlängerung des Termins. Nr. 22. (Prudens f u t u r i temporis.) Diese Abhandlung ist nichts als ein Schwanken von einer Vermutung zu einer andern, ohne genaue Bestimmung und Ausführung, kurz und flüchtig geschrieben. Die beiden angeführten Beispiele von Hellsehenden sind so oberflächlich angegeben, Siebergasse aufgeregt ?" Dies sind zwei Gassen des alten Berlin, nahe der JOdenstraSe, wo seit alten Zeiten, schon vor der Judenhetze von 1572, die Jnden wohnten. Zu 20. Der wahre Charakter dieser Schrift war von den meisten akademischen Beurteilern, nicht nur von Lichtenstein, sondern auch von Weiß, Buch, Rudolphi völlig verkannt worden. Erst Link legte überzeugend dar, daß es sich um eine Persiflage der ganzen Sache handelt, die oft gesucht, oft glQcklich witzig sei. Er führt aus der Schrift den Satz an, daß der Verfasser „es für Persiflage halten würde, wenn man ihm den Preis zuerkennen wollte!" Dann fährt Link fort: „Ich habe den Verfasser, der in Berlin lebt, sogleich erkannt. Meine Herren Kollegen kennen ihn wohl so genau nicht als ich. Herr Lichtenstein hat die Persiflage ganz verkannt. Herr Weiß nennt ihn mit Recht geistreich. Das ist er oft, aber er hascht nach Witz und Satire, ist Physiker, aber oberflächlich. Herr von Buch ist auf seinen Ausfall gegen ihn dadurch gekommen, daß er den Gesichtspunkt ganz verfehlt. Ironie ist die Lieblingssache des viel schreibenden und viel übersetzenden Verfassers, und diese ist hier oft sehr glücklich durchgeführt."
104 daß man sie ebenso gut für Täuschung halten kann als die Erscheinungen gleicher Art, welche der Verfasser in Verdacht hat. Die Versetzung der Sinnesorgane hält der Verfasser für eine Selbsttäuschung der Hellsehenden. Möglich ist zwar Divination, da ein krankhafter Zustand des Körpers dem Geiste freieren Spielraum geben könnte; doch muß man viel auf eigne Täuschimg der Hellsehenden rechnen. Es ist w a h r s c h e i n l i c h , daß die Wirkung zwischen Magnetiseur und Magnetisierter wechselseitig sei, nach organischen Wahlverwandtschaften etwaiger ausfließender Stoffe. Es liegt n i c h t s an sich Unzulässiges darin, diese Stoffe an unorganische Körper im Baket zu binden; aber man sollte die Wirkungen der einzelnen Substanzen prüfen, ehe man ein Baket aufs Geratewohl zusammensetzt. Geschlechtstrieb wirkt nicht beim Magnetisieren, eher wohl eine instinktartige Beziehimg wie zwischen Mutter und Kind. Indem der Verfasser sich begnügt, über die wichtigsten Punkte des fraglichen Gegenstandes Ansichten und Erklärungsgründe hinzuwerfen, für die er nichts anderes zu sagen weiß, als daß das Gegenteil nicht streng erwiesen ist, so hat er offenbar zur Lösung des Problems nichts beigetragen. Zu 22. Buch erkennt „einige ganz feine Bemerkungen Ober Nachtwandeln an, sowie Ober Vorstellungen, welche unbewußt durch Sinneseindrttcke hervorgebracht, durch Phantasie ausgebildet werden". Doch vermißt er Beweise und Tatsachen, Rudolphi schließt sich dem an; die anderen, besonders Link, verwerfen die von einer Vermutung zur anderen schwankende Schrift ganz.
Neue Verzögerung. Koreffs und Wolfarts Ausgang. Die Gesamtakademie machte sich diesen erschöpfenden Bericht der physikalischen Klasse zu eigen und überreichte ihn am 19. Dezember 1821 dem Kultusminister mit der Anfrage, ob nun, da kein Preis zuerkannt sei, doch, gemäß der KabinettsOrdre vom 7. 2.1817 sämtliche Abhandlungen an den König einzusenden seien; sie erbat ferner nähere Befehle über den durch die Ordre versprochenen Druck, nebst der „Anweisung, woher die erforderlichen Kosten sollen entnommen werden". A l t e n s t e i n , offenbar in einiger Verlegenheit, wie er die von Hardenberg bzw. Koreff von vornherein verfahrene Sache einrenken solle, gab die Anfragen, von denen die über die Kosten in jener notgedrungen sparsamen Zeit besonders peinlich war, an den König weiter. Am 25.1.1822 überreichte er den Schlußbericht mit dem Bemerken, die NichtVerleihung eines Preises beruhe darauf, daß die Materie „auch noch bis diesen Augenblick, 4 Jahre nach gestellter Aufgabe, keinen festen Grund in der Wissenschaft hat finden können, sondern immer nur Gegenstand der Prüfung und Kritik geblieben ist. Euer Majestät stelle ich anheim, ob der Akademie aufgegeben werden soll, wie bei anderen Preisschriften das Resultat ihrer Prüfung bekannt zu machen und die eingegangenen Schriften ihren Verfassern wieder zur Disposition zu stellen, oder ob sie sämtlich gedruckt werden sollen, was aber bei der großen Menge viel Kosten verursachen und bei der großen Unbedeutsamkeit der meisten derselben der Wissenschaft nur wenig Nutzen bringen dürfte". Fast genau 5 Jahre waren vergangen, seitdem die Ausschreibung der Preisaufgabe durch Kabinettsordre angeordnet worden war, als nun endlich das durchaus negative Ergebnis in die Hände des für die ganze Aktion verantwortlichen Staatskanzlers ge-
io6 langte. Aber in diesen 5 Jahren war in der persönlichen Stellungnahme des greisen Staatsmanns zum Magnetismus ein erheblicher Wandel eingetreten; der Mann, der ihn in diese Kreise gezogen, der ihn zu dem Unternehmen der Preisaufgabe verleitet hatte, war bei ihm in Ungnade gefallen, aus seiner Stellung als Leibarzt und Vertrauter entfernt und war auf dem Sprunge, Berlin und Preußen zu verlassen. So ist es denn erklärlich, daß die weitere Entwicklung der leidigen Sache wiederum stockte, daß noch einmal % Jahre vergingen, bevor sie ganz zum Abschluß gelangte. Der Wandel in K o r e f f s Stellung zu Hardenberg hing zusammen mit den durch und durch zerrütteten häuslichen Verhältnissen des letzteren. Schon Anfang 1820 traten die ersten Anzeichen der Entfremdung hervor, als in einer englischen Zeitschrift höchst anzügliche Bemerkungen über den jüdischen Leibarzt erschienen waren, der den Staatskanzler magnetisiere, mit bedeutender Wirkimg, ohne ihn aber zur Clairvoyance bringen zu können1). Im September des Jahres finden wir Hardenberg darauf bedacht, den unbequem gewordenen Günstling durch eine Verwendung bei der damals geplanten „Reform", d. h. der reaktionären Umgestaltung des Unterrichtswesens aus seiner Nähe zu entfernen'). Aber erst im Lauf des Jahres 1821 kam es zu vollständigem Bruch. Ausschlaggebend war dabei ein Vorkommnis, bei dem ein unglücklicher Zufall, ein Mißverständnis, die Schuld trug, nicht eine böse Absicht Koreffs. Er hatte die eben anonym erschienene Schrift Benzenbergs „Über die Staatsverwaltung des Fürsten Hardenberg" an Benjamin Constant geschickt, mit einem Begleitschreiben, aus welchem dieser irrtümlich auf Koreff als Verfasser der Schrift schloß. Constant ließ eine Ubersetzung erscheinen und bezeichnete darin ausdrücklich Koreff, den notorischen Vertrauten des Staatskanzlers als Verfasser*). Der Vorfall führte zu unerquicklichen Presse-Erörterungen, veranlaßte sogar eine öffentliche Erklärung des Fürsten selbst4). ») H. Fürst Pückler-Muskau. Briefwechsel u. Tageb. 5. 1874. S. 267. Pocklers Briefe in Bd. 5 und 7 der Assingschen Publikation sind die Hauptquelle für das traurige Privatleben des großen Staatsmannes in seinen letzten Lebensjahren. Für das Verhältnis zu Koreff vgl. besonders 5, 254. 256. 261. 267. 299. 302. 315—319. 344. 357. 359. 7, 73. 80. 90. 93. 98. 103. 106 f. 114. 118. 123. *) Lenz a. a. O. 2, 1. S. 132. E. Mosebeck, Das preuß. Kultusministerium vor 100 Jahren. 1918. S. 225. *) Lenz a. a. O. 2, 1. S. 124. Treitschke, Deutsche Geschichte. 3, 227. *) Vgl. Beilage z. Allg. Zeitg. 1821. Nr. 77 vom 10. Mai.
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Gleichzeitig gewann die Hähnel, jetzt Koreffs Gegnerin, immer größeren Einfluß. Nachdem sie am 3. Juni 1821 in NeuHardenberg mit einem obskuren Herrn von Kimsky verheiratet worden war, aber nach wie vor zu Hause wie auf Reisen in der nächsten Umgebung Hardenbergs verblieb, erreichte die berechtigte Eifersucht der Fürstin (es war Hardenbergs dritte Frau, Charlotte, geb. Langenthal, 1772—1854), einen so hohen Grad, daß ein ferneres Zusammenleben des seit 27 Jahren verheirateten Paares nicht mehr möglich war. In einem Brief vom 26. 9. 1821 an die Fürstin, der den letzten Versuch einer friedlichen Auseinandersetzimg bedeutet, äußert Hardenberg über sein Verhältnis zum Magnetismus und zu Koreff, der in dem Familienzwist auf die Seite der Fürstin gedrängt worden war und zeitweise bei ihr in Dresden weilte: Die Fürstin sei das Opfer fremden Einflusses (d. h. Koreffs). „Ich war selbst unschuldigerweise z. T. Veranlassung dazu, indem ich Dir den Magnetismus empfohlen habe, weil ich Deine Heilung davon hotfte. Man ist ihm aber viel zu weit gefolgt und er ist sehr gemißbraucht worden. Aber wer war's, der ihn predigte und laut pries ? Bei allem wahren Wert, den ich ihm gewiß nicht abspreche, läßt sich gar nicht verkennen, daß die übertriebene Meinung von ihm ganz unvereinbar ist mit reinen Begriffen von Gott. Man unterscheide aber zwischen den Verführten, die sich dem blinden Glauben an diesen übertriebenen Magnetismus hingeben und den Verführern, die sich mit Gelehrsamkeit und geheimem Wissen brüsten." Der Fürst war also, leider zu spät, zu richtigerer Würdigung der Koreff und Wolfart gelangt. Nach dem Scheitern dieses direkten Verständigungsversuchs nahm Hardenbergs Schwiegersohn, Fürst Pückler, die Sache in die Hand. Durch mündliche Verhandlungen mit der Fürstin, die in Begleitung Koreffs, ihres „edlen Freundes, des armen Dulders und Lebenserhalters Hardenbergs" (wie sie sich ausdrückt), damals in Teplitz weilte, vereinbarte er eine Trennung ohne Eclat und ohne rechtliche Scheidimg. Er traf dann auch mit Koreff die erforderlichen Verabredungen über dessen eigenes künftiges Schicksal. Die von Hardenberg vorgeschlagene endgültige Versetzung in das Kultusministerium, in dem er schon seit einem Jahr wider Willen tätig sein mußte1), lehnte Koreff ab; man einigte sich schließlich dahin, daß er auf unbestimmte Zeit Urlaub erhalten sollte, um medizinische Studien, besonders über Irren*) In einem Brief an Dorow vom 20. 12. 20 behauptet er allerdings, daß er anfangs diese Versetzung nicht ungern gesehen habe. Vgl. Dorow, Erlebtes. 4, 243.
io8 häuser in England und Frankreich zu machen, unter Beibehaltung seiner Stellungen und seines Gehalts. Aus einem der Briefe, welche Pückler aus Teplitz an seinen Schwiegervater richtete (d. d. 13.10.1821) sei noch folgendes Urteil hervorgehoben. Nachdem er betont hat, daß er Koreff in der Regelung der Trennungssache viel schuldig sei, fährt er fort: „Ich kann ihn nicht für ganz so schwarz halten als er mir früher (doch nicht immer! vgl. oben S. 68) vorgekommen ist; und was all die magnetischen Tollheiten betrifft, so glaube ich beinahe, daß er sich selbst dabei ebenso betrügt als andere." Die Einzelheiten dieses Ausgangs interessieren uns hier nicht. Im April 1822 verließ die gefallene Größe Berlin, nachdem ernoch unmittelbar vorher eine Oper von G. A. Schneider, zu der er den Text geliefert hatte (Aucassin und Nicolette) erfolgreich zur Aufführung gebracht hatte 1 ). Er ist nie nach Berlin und nur einmal im Jahre 1845 zu einem Kuraufenthalt in Homburg nach Deutschland zurückgekehrt, obgleich er, wenigstens in den ersten Jahren, offenbar noch an eine solche Möglichkeit geglaubt hat. Dafür spricht ein Gedicht, welches er zur Hochzeit des Kronprinzen, nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV., im November 1823 verfaßte und bei Didot in Paris elegant drucken ließ*). Im Jahre 1827 plant er noch eine französische Zeitschrift zur Veröffentlichimg der Forschungen deutscher Arzte. In Paris, wohin er sich wandte, gelang es ihm, bald wieder zu einer ausgedehnten Praxis als Arzt, auch als Magnetiseur, zu gelangen, die nur zu Zeiten durch Schikanen von Pariser Kollegen gegen den ausländischen Konkurrenten gestört wurde. So lebte er, zuletzt in kinderloser Ehe mit einer Deutschen, Therese Mathias, verheiratet, lange angesehen und in großen Verhältnissen, bis er zuletzt, seit 1848, von Krankheit heimgesucht, verarmte, so daß eine kleine preußische Pension sein letzter Rettungsanker wurde. Am 14. Mai 1851 ist er in Paris gestorben. Auch das Ansehen der zweiten magnetischen Größe Berlins, Wolfarts, hatte genau zur selben Zeit, wie das Koreffs eine schwere Erschütterung erlitten, durch ein persönliches Verschulden bedenklichster Art, welches großes öffentliches Ärgernis erregte. Ein Verhältnis zu einem Fräulein von X., einer Verwandten Blüchers, die Wolfart magnetisiert hatte, war nicht ohne l ) Koreffs Dichtung preist Heine im Buch der Lieder und in dem Berliner Brief vom 22. 3. 1822, wo er auch den für Berlin drohenden Verlust dieses „durch gesellige Tugenden, angenehme Persönlichkeit und Großartigkeit der Gesinnung" ausgezeichneten Mannes beklagt. *) Ein Exemplar befindet sich in der Varnh.S.
log Folgen geblieben! Der Skandal wurde noch verschärft, als dieselbe Dame auch noch eines Diebstahls, begangen in einem Berliner Ladengeschäft, beschuldigt und überführt wurde. Man erwartete infolge dieser Vorkommnisse im Januar 1820 einen „höheren Befehl zur Abschaffung des Magnetismusverfahrens am Baquet" 1 ). Zu einem solchen Einschreiten ist es leider nicht gekommen, das Vertuschungssystem wurde mit Erfolg geübt, Wolfart blieb Professor, praktizierte und magnetisierte weiter, wenn auch natürlich nicht- mehr im alten Umfang, wenigstens bezeichnet Varnhagen den weiteren Verlauf seines Lebens kurz und bündig mit dem Wort „Verfall". Immerhin ist es erstaunlich, daß ein doch sicher der Ereignisse kundiger Mann, wie Schleiermacher, den Wolfart als Hausarzt beibehielt, daß seine Frau nach Wolfarts Tode im Mai 1832 in einem Brief an den Sohn ein begeistertes Loblied auf den lieben, gemütlichen und treuen Freund und ärztlichen Berater anstimmt*). Auch die Grabrede, die Schleiermacher ihm hielt3), beschränkt sich neben vielerlei Lob auf eine unbestimmte Andeutung, daß die leitende Stellung, die Wolfart durch Wort und Lehre in den geheimnisvollen Erscheinungen des Lebens eingenommen habe, schließlich keinen Bestand hatte. Aber von den persönlichen Gründen dieses Wandels sagt er kein Wort. Das Urteil eines durch seine amtliche Stellung ganz genau unterrichteten, dabei unbedingt glaubwürdigen Mannes lernen wir kennen in einem Brief 4 ), welchen der uns schon bekannte Staatsrat L a n g e r m a n n (vgl. oben S. 50) am 31.1.1820 an den ihm VOQ seiner Bayreuther Zeit her befreundeten Jean Paul richtete. Der Dichter hatte dem magnetischen Schwindel (in einem Aufsatz seines Museums 1814) mehr Glauben geschenkt, als nach Langermanns Ansicht zulässig war; darauf Bezug nehmend schreibt dieser an ihn: „Noch einen unsauberen Winkel von Berlin muß ich erwähnen, dessen sich alle hellen Köpfe herzlich schämen und sich ärgern, daß m ä c h t i g e Köpfe ihre Freude dort finden. Es sind unsere Baquets und die Magnetiseurs Wolfart, Koreff, 1 ) Vgl. Varnhagen, Blfttter aus der preoB. Gesch. 1. 1868. S. 65. 69. 316. Denkwürdigkeiten. 3. Aull. T. 4. 1871. S. 294 f. und vor allem das noch nicht beachtete Notizblatt von Varnhagens Hand in der Varnhagensehen Sammlung, Faszikel Wollart. Nur in dem letzteren wird das schimpfliche Verhalten Wolfarts unverblümt berichtet. *) Aus Schleiermachers Leben in Briefen. 2. 1858. S. 428. *) Sämtl. Werke. Abt. 2. Bd. 4. 1835. S. 833—836. 4) In: DenkwQrdigkeiten a. d. Leben Jean Paul Friedr. Richters, hrsg. von Ernst Förster. 3. 1863. S. 306.
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Schweitzer, Andresse1). Von des ersteren Schandgeschichte brauche ich nichts zu sagen. Ihre liebe Frau (sie war damals zum Besuch in Berlin) wird darüber genug gehört haben und auch wissen, wie sich Wolfart nicht schämt, täglich auf neuen Lügen ertappt zu werden. Bis hierher hatte ich selbst Wolfart sogar gegen manchen dringenden Verdacht, daß er nicht Betrogener sondern Betrüger sei, verteidigt; jetzt kann ich das nicht mehr mit Ehren und gutem Gewissen I An Koreff merke ich, daß er den ersten Vorwand benützen wird, um den Kram aufzugeben, wenn er nur sicher ist, daß ihm die bisher damit erschlichenen Vorteile nicht entgehen. Er und alle Genossen kommen immer mehr in Verlegenheit bei ihren hohen Protektoren, denen sie sichere Nachrichten von allem, was im Himmel und auf Erden vorgeht, versprochen haben, daß noch immer nichts von Bedeutung vorgekommen ist. Ich habe rund heraus gesagt, was ich weiß und denke, wohl wissend, daß ich hier mit Ihnen in einen ernsten Streit kommen muß. Diesen will ich haben, denn ich will, daß Sie länger nicht getäuscht werden. Seitdem ich das Hierhergehörige in Ihrem Museum gelesen habe*), liegt mir das auf dem Herzen . . Wir erhalten hier seit 2 Jahren alle Berichte über magnetische Kuren und Erscheinungen. Nichts als Plunder, alltägliche längst bekannte Dinge, die jederzeit ohne Magnetiseurs vorgekommen sind, oder Betrug. Geschichten des letzteren werden immer ohne Namen erzählt." Berücksichtigt man die traurigen Verhältnisse in der Familie des 72jährigen Hardenberg und seinen Schmerz über das damals immer deutlicher zutage tretende endgültige Scheitern seines letzten und höchsten Ziels in der Politik, der Erfüllung des Verfassungsversprechens vom 22. Mai 1815, so ist es kaum zu verwundern, daß die Erledigung der im Vergleich damit so un*) Joh. Schweitzer, geb. Danzig 1777, Schaler von Reil; seit 1815 in Berlin, Mitarbeiter von Woliarts Jahrbüchern 1819 und Hufelands Journal, f 1834. — Peter Wilh. Ludw. Andresse, geb. Berlin 1789. Arzt der Berliner französischen Kolonie, populärmedizinischer Schriftsteller und Mitarbeiter von Woliarts Jahrbüchern 1818, 19. f 1865. Schweitzer wird auch in dem Gutachten Klug? vom 1 1 . 6. 1816 (vgl. oben S. 44) genannt als ein gewissenloser magnetischer Pfuscher, der den Magnetismus gegen eine venerische Angenentzflndung angewendet habe. *) Der Dichter übernimmt in dem Museumsaufsatz von 1814 ..Mutmaßungen Aber einige Wunder des organischen Magnetismus" (abgedruckt in S&mtl. Werke. Bd. 27. 1842) völlig kritiklos jeden Unsinn der Gmelin, Wienholt, Schubert, Wolfart, Kluge, die ihm magnetische Autoritäten sind und überbietet ihn noch durch abenteuerlich-phantastische Verknüpfungen und Ahnungen.
III
bedeutenden Preisaufgabenfrage von Monat zu Monat verzögert wurde, zumal, da ihr intellektueller Urheber nicht mehr antreibend wirkte. Aber ebenso begreiflich ist es, daß die Verfasser der eingesandten Preisschriften nachgerade ungeduldig wurden. Bei den Akten finden sich verschiedene Anfragen und Beschwerden, und auch in der Öffentlichkeit wurden bewegliche Klagen laut über die ungebührliche Verschleppung der Entscheidung, zumal als auch im Jahre 1822 in der für die Bekanntgabe der Sieger in den gewöhnlichen akademischen Preisaufgaben bestimmten Sitzung vom 3. August wieder keinerlei Mitteilung über die Beurteilung der volle 2 Jahre vorher eingereichten MagnetismusSchriften erfolgte. Kieser verlangte am 20. Oktober im Archiv für den tierischen Magnetismus (Bd. 1 1 , 2. 1822. S. 161) endliche offizielle Bekanntgabe des unter der Hand bereits bekannt gewordenen Urteils und die Rückgabe der Schriften an die Bewerber ; er beglückwünscht sich, daß er sein eben erschienenes System des Tellurismus oder tierischen Magnetismus nicht habe konkurrieren lassen, es vielmehr ohne die damit verbundene Verzögerimg der Öffentlichkeit vorgelegt habe. Besonders lebhafte Beschwerden, die der Gießener Professor Wilbrand, Verfasser einer Bewerbungsschrift (vgl. oben S. 94 A.) am 14. 8.1821 und am 6. 9.1822 an Altenstein richtete, veranlaßte diesen endlich, am 10.10.1822 Hardenberg zu bitten, „eine baldige Entscheidung Sr. Majestät auf den Bericht vom 25. Januar d. J . herbeiführen zu wollen"1). Dies Exzitatorium erreichte Hardenberg in Verona, wo er Preußen auf dem Kongreß der Heiligen Allianz vertrat. Er war erkrankt und hat sich nicht mehr erholt, weil er in Atem gehalten wurde durch die „Gesellschafterin" Hähnel-Kimsky, die er trotz des Widerspruchs des an Koreffs Stelle als Leibarzt getretenen Rust nach Verona hatte nachkommen lassen! Auf der Weiterreise, die er in der Hoffnung auf Wiederherstellung unternahm, ist er am 26. November in Genua gestorben, wie Rust in einem eingehenden Bericht an Hardenbergs Tochter vom 2. Dezember über die letzten Wochen .des großen Staatsmannes1) ') Der äußerst hartnäckige Westfale Wilbrand half dann noch durch eine „Öffentliche Anfrage" im Intelligenzblatt der Jenaer Literaturzeitung vom Dezember 1822 nach. *) Abgedruckt in Pflcklers Briefwechsel u. Tagebücher. 5, 363. Die Rolle der K i m s k y war mit Hardenbergs Tode nicht ausgespielt. Wir finden sie noch nach 30 Jahren in Rom wieder, nunmehr als Konvertitin im katholischen Lager. Sie soll auch hier mit einer ersten Größe der Kirche in sehr intimen Beziehungen gestanden haben; ich wiederhole den Namen
112 versichert, wesentlich durch die Schuld der Kimsky, die in toller Vergnügungssacht dem gebrechlichen alten Mann keine Ruhe gönnte, ihn in alle Theater, Kirchen und Sehenswürdigkeiten schleppte, sogar auf das Dach des Mailänder Domes. Erst in den letzten Augenblicken seines Lebens, hat Hardenberg nach Rusts Bericht den wahren Charakter der gefährlichen magnetischen Freundin erkannt. Siebzehn Tage vor seinem Tode, am 9. November 1822 war, noch von Verona aus, an Altenstein folgende Verf ügungergangen : „Die Erledigung Ew. Exzellenz Immediat-Berichts vom 25. Januar ds. Js., die über den tierischen Magnetismus angeordnete Preisaufgabe betreffend, ist durch unvorhergesehene Umstände bis jetzt verzögert worden. Da indessen nach dem nicht, denn ich habe die Angaben der Ludmilla Assing, welche Aber diese Dinge berichtet, nicht nachprüfen können. In D. A. Rosenthals Konvertiten-Lexikon sucht man die Kimsky vergeblich. Ein solches Lexikon entspricht gewiß einem Bedürfnis der historischen Forschung ; aber es wttrde ihm nur dann genügen, wenn es a l l e namhaften Konvertiten registrierte, nicht nur die, mit denen die Kirche Ehre einlegen kann, sondern auch die minder erfreulichen, zu denen die Kimsky allerdings gehören dürfte. Am 18. 7. 1853 hatte Pockler Gelegenheit, sich über die alte Bekannte, die er selbst einstmals (am 20. 1. 1820) als „eine recht gute ehrliche Seele" bezeichnet hatte (a. a. O. 5, 261) zu äußern, in einem Brief an eine Frau Eugenie von Krafft, die ihn um Auskunft über die Person, über welche die Ansichten so geteilt seien, gebeten hatte. Er warnt vor diesem monstre de femme, die er vom Teufel besessen halten würde, wenn er an den Teufel glaubte. „Cette femme horrible, qui malgré ses manières selon moi grossières et repoussantes a néanmoins su prendre plus d'une fois un empire presque surnaturel sur des personnes éminentes, et chaque fois elle a figuré dans leur testament." (a. a. O. 7. 1875. S. 140. 145.) Aus Hardenbergs Beute besafi sie nach Varnhagen ein Vermögen, welches man auf 50000 Thlr. schätzte (L. Assing, Fürst Pückler. 1. 1873. S. 204). Gemeinsam mit dem Jesuitengeneral Beckx soll sie in Dessau eine Station für Propaganda begründet haben (ebda. S. 140). 1840 hat sie bei den preußischen Verhandlungen über das Wahlrecht der Domkapitel in Rom im antipreußischen Sinn gewirkt, Gregor XVI. hielt sie für eine fromme Heilige (Treitschke, Deutsche Geschichte. 5. 283). Varnhagen sagt darüber (a. a. O.) : „Bei mehreren Kardinalen, besonders aber bei Gregor XVI., stand sie in größtem Ansehen. Sie unterstand sich sogar, Friedrich Wilhelm III. in der Streitigkeit wegen des Erzbischofs von Köln ihre Vermittlung beim Papst anzubieten." — Ein für das frühere vertraute Verhältnis der Kimsky zu Pückler charakteristischer Brief der „treu ergebenen Ruck duck duck" an den „holden, guten, edlen Pückler-Pecklerino" vom 19. 10. 1822, geschrieben unmittelbar vor der Abreise nach Verona, findet sich in der Varah. S., Faszikel Kimsky.
H3 unter dem 10. d. M. an mich erlassenen gefälligen Schreiben die baldige Erledigung dieser Angelegenheit sehr wünschenswert und namentlich die schon verschiedentlich nachgesuchte Rückgabe der eingegangenen Preisschriften davon abhängig, so nehme ich, um bei der jetzigen Abwesenheit des Königs die Sache nicht noch länger aufzuhalten, um so weniger Anstand, mich damit einverstanden zu erklären: daß der Königlichen Akademie der Wissenschaften aufgegeben werde, wie bei anderen Preisschriften das Resultat ihrer Prüfung bekannt zu machen und die eingegangenen Schriften ihren Verfassern wieder zur Disposition zu stellen, als nach Ew. Exzellenz gefälliger Äußerung der Druck dieser Schriften große Kosten verursachen und für die Wissenschaft von keinem wesentlichen Nutzen sein wird. Unter Rücksendung der Anlage des obgedachten Immediat-Berichts überlasse ich Ew. Exzellenz hiernach das Weitere gefälligst zu verfügen." Verona, den 9. Nov. 1822. Hardenberg. So war nun endlich, fast 6 Jahre nach der ersten Anordnung des Preisausschreibens, die Entscheidung über das Ergebnis gefallen durch Sanktionierung des von der Akademie gefällten Urteils. Aber für Akademie und Kultusministerium war die Sache auch damit immer noch nicht endgültig erledigt: die Art der Bekanntgabe der Entscheidung und darin ihre Rechtfertigung gegenüber den sich auf den Wortlaut der von Koreff höchst unüberlegt und unvorsichtig formulierten Ausschreibimg berufenden Bewerbern erforderte noch viel Tinte. In der physikalischen Klasse, der die Ausführung oblag, warf Erman, in richtiger Voraussicht der Dinge, die da kommen würden, die Frage auf, ob es nicht geraten sei, in der Bekanntmachimg des Urteils die Zurücknahme des unsinnigen Druckversprechens ausdrücklich zu erwähnen; Weiß und Lichtenstein stimmten zu, Buch aber war dagegen, weil die Achtung gegen die höheren Behörden es erfordere, dieses auffallende Versprechen, welches auch dem Publikum außerhalb der Akademie „sonderbar" erschienen sei, gar nicht wieder in Erinnerung zu bringen. Wenn sich einer der Verfasser in diesem Punkte auf das Programm berufen sollte, würde es nicht schwer sein, ihm schriftlich zu antworten. So unterblieb denn jede Erwähnung dieses bedenklichen Punkts in der amtlichen Bekanntmachung, die, von Erman formuliert, am 18. Februar 1823 in der Allgemeinen Preußischen Staatszeitung erschien: „Die K. Akademie der Wissenschaften hatte den Auftrag bekommen, eine von der höchsten Behörde entworfene Preisfrage über den tierischen Magnetismus für das Jahr 1820 zu publizieren. E r m a n , Tierischer Magnetismus.
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H4 Über die in großer Zahl eingegangenen Preisschriften wurde von der Behörde das Gutachten der Akademie gefordert; es fiel dahin aus, daß keine derselben den an sie billigerweise im Sinne des Programms zu machenden Forderungen Genüge leiste, da weder neue Tatsachen gehörig begründet noch neue theoretische Ansichten mit überwiegenden Beweismitteln und gehöriger Konsequenz eröffnet wurden. Die Akademie wird unterm Datum vom 26. November 1 8 2 2 d u r c h die höchste Behörde beauftragt, besagtes Resultat ihrer Prüfung hiermit bekannt zu machen und die eingegangenen Abhandlungen ihren Verfassern wieder zur Disposition zu stellen. Berlin, den 17. Februar 1823. Die K. Akademie der Wissenschaften." Wieder waren es Kieser und Wilbrand, welche, jener in der Öffentlichkeit, dieser durch immer wiederholte Eingaben an Altenstein das für sie betrübende Schlußergebnis der s. Z. mit so großen Hoffnungen begrüßten Aktion anfochten. In seinem Archiv für den tierischen Magnetismus (Bd. 12, 1. 1823. S. 144) beklagt Kieser das Resultat der „unter den Auspizien des verstorbenen Hardenberg und unter Mitwirkimg des G. R. Koreff mit umsichtiger Kenntnis des Gegenstandes und mit solcher bestimmten Vorahnung des wahren Verhältnisses des tierischen Magnetismus zum Leben überhaupt verfaßten Preisaufgabe." Er vermißt in dem veröffentlichten Endurteil „Analyse und spezielle Beurteilung der einzelnen Schriften, bezeichnet die Nichteinhaltung des Versprechens der Drucklegung als höchst merkwürdig und versteigt sich zu dem Witz, die Ausschreibimg einer neuen Preisaufgabe sei zu empfehlen, „warum die Königliche Preisfrage als einziges Resultat nur das lakonische Urteil der Akademie ergeben konnte". Wilbrands Beschwerden vom 5. 3. und vom 22. 4.1823 bestehen auf der im Programm versprochenen Auszahlung von 300 Dukaten an den Verfasser der Schrift, welche die Akademie für die beste hält. Er war damit dem Wortlaut des Programms nach zweifellos im Recht. Altenstein legte am 24. März Wilbrands erstes Schreiben der Akademie vor und verlangte eine Äußerung, ob außer der Bekanntmachung des Urteils im Staatsanzeiger noch eine andere erfolgt sei, ferner, ob sie geneigt sei, das spezielle Urteil über Wilbrands Schrift diesem mitzuteilen. *) Dies das Datum von Altensteins Verfügung; es war Hardenbergs Todestag.
H5 Die physikalische Klasse verneinte die erste Frage und lehnte auf Ennans Antrag auch die zweite einstimmig ab, weil die Mitteilung des Einzelurteils bei der offenbaren, bittersten Animosität Wilbrands zu unwürdiger Befehdung Anlaß geben würde, öffentliche Kundmachung der Entscheidungsgründe sei auch bei den eigenen Preisaufgaben der Akademie nie erfolgt, um so weniger sei sie zu verlangen bei dieser ihr höheren Orts ohne Widerrede aufgenötigten und buchstäblich vorgeschriebenen Preisaufgabe. Die Auszahlung des Preises gehe die Akademie gar nichts an, da die Prämie ebensowenig von dem Fonds der Akademie zu entnehmen sei, wie die Preisfrage von ihrem freien Willen abgehangen habe. Schließlich sei es auch für die Ausarbeitung eines für die Öffentlichkeit bestimmten wissenschaftlich motivierten Gutachtens zu spät, da ein Teil der Bewerbungsschriften schon an die Verfasser zurückgegeben sei. Zu Ennans Entwurf dieser Antwort bemerkte Hermbstädt, Wilbrandts Beschwerde sei wohl beeinflußt durch einen an der Preisaufgabe nicht unbeteiligten, jetzt auf Reisen befindlichen Berliner Arzt, und Rudolphi schreibt: „Völlig einverstanden; zugleich wäre wohl das Ministerium darauf aufmerksam zu machen, daß dieser Vielschreiber Wilbrand halb oder dreiviertel übergeschnappt hat, wie seine ewigen Zänkereien in der Isis beweisen, wo er bald Sprengel, bald Nees von Esenbeck, bald Döllinger des Plagiats beschuldigt. Der Professor von Baer sagte sehr gut über Wilbrand: er sei Scylla und Charybdis zugleich, so daß es unmöglich wäre, von ihm frei zu kommen, denn, schreibe man etwas, das ihm nicht gefällt, so sage er, es sei schlecht, und gefällt es ihm, so sagt er, man habe es ihm gestohlen." Diesen persönlichen Ausfall gegen Wilbrand widerrieten andere, er unterblieb ebenso wie Ermans Ausführungen über die Prämie und über die Unmöglichkeit eines Gesamtgutachtens. Der Bericht an Altenstein vom 13. April verneint lediglich die beiden von ihm gestellten Fragen. Der Minister lehnte darauf in einem Erlaß an Wilbrand vom 24. Mai seine Forderungen ab mit der etwas sophistischen Bemerkung, „daß eine Abhandlung, um die beste zu sein, wenigstens gut sein müsse". Diese Art der Erledigung blieb übrigens schon im Ministerium selbst nicht ohne Widerspruch. Hufeland, dessen Votum in der physikalischen Klasse über diese Frage nicht vorliegt, vertritt als Mitglied der Medizinalabteilung im Ministerium am 2i. Mai die Ansicht, daß Wilbrand mit Recht einen Widerspruch zwischen dem Programm und dem Urteil der Akademie finde. Wilbrand hatte nämlich inzwischen in einer dritten S*
n6 Beschwerde vom 6. Mai noch betont, daß das Urteil der Akademie auch insofern ungerecht sei, als die von ihr vermißten „neuen Tatsachen oder neuen theoretischen Ansichten" im Programm gar nicht verlangt worden seien, vielmehr nur eine „klare Ansicht über die Natur des tierischen Magnetismus". Hufeland erkennt diesen Einwand als richtig an und sieht den Fehler darin, daß die Akademie s. Z. trotz ihres förmlichen Protestes gezwungen worden sei, die Aufgabe in der ihr von vornherein zwecklos und unfruchtbar erscheinenden Form zu veröffentlichen, statt in der von ihm selbst vorgeschlagenen Fassimg, worin der Gegenstand genauer bestimmt und mehr auf das Faktisch-Experimentelle hingewiesen worden sei. Er empfiehlt zur Ehrenrettung der Akademie und zur Verhütung weiterer Reklamationen eine öffentliche Bekanntmachung, in der das wahre Verhältnis dargestellt wird. Dazu ist es nun nicht mehr gekommen, und Wilbrand mußte sich schließlich damit begnügen, seinem nicht ganz imberechtigten Zorn vor der Öffentlichkeit Ausdruck zu geben. In der Veröffentlichung seiner Preisschrift selbst (vgl. oben S. 94) erwähnt er nur kurz ihre ursprüngliche Bestimmimg; die Polemik gegen die Akademie und gegen das Kultusministerium aber führte er in einer unglaublich weitschweifigen „Appellation an die öffentliche Meinung", die in Okens Isis (1823, Bd. 2, Sp. 379—397) erschien und seinen ganzen Schriftwechsel mit beiden in extenso enthält; hartnäckig betont er, daß es eine beste Schrift gebe, auch wenn keine gut sei; die Akademie müsse eine Schrift krönen, auch wenn sie alle für schlecht halte, sie müsse auch alle drucken lassen nach dem unzweideutigen Versprechen des Programms. Man hat ihm von Berlin aus nicht geantwortet, es wäre freilich auch nicht ganz leicht gewesen.
Nachwirkung des Magnetismusstreits. So verlief das ganze Unternehmen der „Königlichen Preisaufgabe" im Sande. Der Sieg des heiligen Magnetismus, den die Urheber erhofft hatten, war nicht erfochten. Dieser wissenschaftlich-literarische Mißerfolg zusammen mit dem Wegfall der mächtigen Protektion des Staatskanzlers, dem Ausscheiden des gewandten Faiseurs Koreff und der Bloßstellung Wolfarts trug wesentlich dazu bei, daß in Berlin das zeitweise so hoch gestiegene Ansehen des magnetischen Wunderbetriebs erhfeblich herabsank; wenigstens verschwand er für längere Zeit fast ganz aus der ärztlichen Wissenschaft und Praxis. Aber eine gründliche und dauernde Ausrottung des Spuks ist keineswegs erreicht worden. Besonders in konservativen Kreisen blieb er lebendig; nach Treitschke vergnügten sich noch in den vierziger Jahren fast alle preußischen Diplomaten „dieser politischen Dilettantenzeit" mit Homöopathie, Magnetismus und ähnlichen brotlosen Künsten1). Die Ausrottung dieser und verwandter Wahnvorstellungen wird ja wohl auch nie vollständig erreicht werden. Als Karl Immer mann sich eingehend mit dem Weinsberger Geisterspuk Justinus Kerners befaßt hatte, in welchem Magnetismus, Somnambulismus und Besessensein ihre tollsten Orgien feierten, mit jenem schwäbischen Gegenstück des preußischen Magnetismusschwindels, da faßt er am Schluß der köstlichen Satire auf die alten Weiber Kernbeißer und Eschenmichel1) sein vernichtendes Urteil schließlich in den grausam ernsten Sätzen zusammen, die er seinem alten braven Magister S c h n o t terbaum in den Mund legt. In dessen Testament, bestimmt für Leute von gesunder Vernunft, heißt es: „Es gibt keine Tollheit, keinen noch so verrückten Sparren und keine Einfaltspinselei, welche jemals wirklich stürbe unter den Menschen. Vielmehr ') Deutsche Geschichte. 5, 532. *) Im Münchhausen, Teil 2, Buch 4.
n8 ist das Abtun der allergreulichsten Irrtümer immer nur eine Scheintötung, und sie leben zu gehöriger Zeit stets wieder auf, nicht etwa mit gewechselter Garderobe, o nein! in solche Unkosten setzt sich ihr König und Oberfeldherr nicht, sondern, wie sie waren, erstehen sie wieder und in der alten, elendigen, bettelhaften Gestalt. . . . Wenn der menschliche Geist endlich auf den Punkt gediehen zu sein schien, die Geisterwelt im Geist zu erfassen, so ragt unversehens das verjährte, jämmerliche, krüpplichte Zeichen-Wunderund Gespensterwesen, der müffigste, mystische Trödel in die nur scheinbar befreit gewesene Welt herein. . . Wir haben die Reformation gehabt und demnächst eine große Philosophie und Literatur. Wir glaubten, endlich dahin gekommen zu sein, Fetische Amulette, Poltergeister und andern Polterkram für abgeschafft erachten zu dürfen. Endlich meinten wir, dahin wenigstens gekommen zu sein, das Empyreum sowohl als den Hades nur in der adäquaten Sphäre des aufgeschlossenen menschlichen Bewußtseins wirkend zu erblicken und in dessen äußerem Leibe, in der Geschichte. Aber mitnichten. Im 19. Jahrhundert rührt sich plötzlich wieder das erstunkene, erlogene, sichtbar-unsichtbare Gelichter; die gespenstischen Weinschrötter, Kellerasseln und Grabwürmer kriechen aus ihren Löchern, der heilige Name Gottes und des Menschensohnes wird in diesen ekelhaften Stank und Dampf hineingerufen, die Mysten und Epopten, den Narren oder den Schalk im Busen, verdrehen die Augen und entblöden sich nicht, Worte des ewigen Lebens ihren Faseleien an die zerrüttete Stirn zu setzen. Der Bauch der Vetteln soll plötzlich mehr wissen als das Haupt und das Herz der Weisen, und alles dieses Zeug, dieser Wasch und Klatsch, wofür man ebensowohl Praetorii Wünschelrute, Erami Francisco Höllischen Proteus und den vielförmigen Hinzelmann1) als Gewährsleute anführen könnte, wird von einem nicht unzahlreichen Pöbel geglaubt und sanftselig weiter verbreitet. . . Es ist sehr möglich, daß unsere Enkel abermals Hexenprozesse erleben." Ist dieser Pessimismus Immermanns berechtigt? Besteht wirklich keine Hoffnung, daß es jemals in der Welt lichter werde ? Man möchte die Frage beinahe verneinen, wenn man sich vergegenwärtigt, was wir alles seit dem Erscheinen des Münchhausen im Jahre 1839 Staunen und mit Grauen an abergläubischem Wahnwitz erlebt haben. Zwar die Hexenprozesse sind bis jetzt noch der Zukunft vorbehalten geblieben, sonst aber hat mitten *) Drei einst viel gelesene Wunderbücher aus dem Ende des 17. und dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
H9 in dem sogenannten naturwissenschaftlichen Zeitalter und aller seiner vielgerühmten exakten Erkenntnis spottend, jenes „verjährte, jämmerliche, krüpplichte Zeichen-Wunder- und Gespensterwesen" frech wieder sein Haupt erhoben, in wenn möglich noch abschreckenderer Form und Gestalt als früher; denn die moderne, pseudo-wissenschaftliche Aufmachung des alten Unsinns ist noch widerwärtiger, verlogener als die naive Leichtgläubigkeit älterer Zeit. Ich erinnere an Reichenbachs Odlehre, diese in ein System gebrachte Auffrischung des tierischen Magnetismus, welcher zeitweilig gerade wie diesem auch ernste Forscher Glauben schenkten; an das 1853 v o n Nordamerika zu uns gelangte, hirnverbrannte Tischrücken, welches bis auf diese Tage immer wieder Liebhaber findet, an die aus denselben Regionen stammenden Klopfgeister, an den immer wieder auftauchenden Wünschelrutenunfug, an die Spiritisten Home und Davenport und ihre zahllosen, mehr oder minder berüchtigten Nachtreter, an die Wiederbelebung des uralten astrologischen Unsinns, den man längst vergessen geglaubt. In den allerletzten Jahren, seit dem kulturvernichtenden Weltkrieg, tritt dieser und anderer spiritistisch-okkultistische Blödsinn, wenn möglich noch unverfrorener, noch schamloser auf und erhebt, mit einem wissenschaftlichen Mäntelchen bekleidet, den Anspruch, ernst genommen zu werden. Er hat damit nur zu großen Erfolg in weiten Kreisen, die man solcher Verblendung nicht fähig halten sollte. Die Ausrottimg all dieses finsteren Aberglaubens, der heute in weitesten Kreisen wieder blüht, wäre, da ihm unzweifelhaft ein echtes, aber in die Irre gehendes religiöses Bedürfnis zugrunde liegt, nur möglich durch Einwirkung der kirchlichen Organisationen und müßte von Rechts wegen eine ihrer vornehmsten Aufgaben sein. Aber ich fürchte, daß unsere christlichen Kirchen in ihrer heutigen Verfassimg, weil selbst mit dogmatisch festgelegtem mystisch-mythischem Aberglauben durchsetzt, kaum geeignet sind zur Lösung dieser wichtigen Aufgaben der Volksaufklärung. Nur eine Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft, wie sie Kant schon vor 130 Jahren gefordert hat, wäre dazu imstande; freilich müßte auch eine solche, wie es auch Kant wollte, anknüpfen an das überlieferte, immer noch im Volksbewußtsein der Angehörigen beider Konfessionen und auch in dem der Konfessionslosen lebendige Christentum; aber nicht, wie es der große Denker unglücklich genug versucht hat, durch philosophische Umdeutimg der Glaubenssätze, sondern vielmehr durch historisch-
120 kritische Herausarbeitung des unvergänglichen schlichten Keros der Lehre Jesu. Das war auch Lichtenbergs Ansicht und die Fichtes. (Vgl. dessen Republik der Deutschen, zu Anfang des 22. Jahrhunderts in Sämtl. Werke. Bd. 7. S. 530 ff.) Möchte unser Rückblick auf den langwierigen, schließlich doch nicht ganz erfolglosen Kampf, den vor 100 Jahren die Vertreter echter Wissenschaft gegen den Magnetismusschwindel in Preußen geführt haben, ermutigend wirken auf die freien Geister unserer Zeit, damit sie nicht erlahmen, in dem ihnen obliegenden Streit gegen das von Immermann so vernichtend gebrandmarkte, von neuem schlimmer denn je grassierende mystische Unwesen! Dann wird unsere auf die Bearbeitung dieses merkwürdigen Kapitels aus der Geschichte der menschlichen Narrheit verwendete Mühe nicht ganz vergeblich gewesen sein.
Verzeichnis der in Abkürzungen zitierten Handschriften ttnd Bücher. A . A k a d . = Acta der Preisfragen der physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Vol. 2: Die Preisfrage Ober den Magnetismus 1817—1824. A.Arch. = Akten der Unterrichtsabteilung im Kultusministerium aber Magnetismus 1817—1821 im Geh. Staatsarchiv Berlin. Rep. 76. V. Sect. X V . Wiss.- u. Kunst-Sachen 42. (Ein Faszikel.) A.Min. = Acta der Med.-Abteilung im Kultusministerium, die zur Prüfung des tierischen Magnetismus niedergesetzte Kommission und deren Resultate betreffend. Bd. 1—3. 1812—1852 (jetzt im Preußischen Wohlfahrts-Ministerium). Varnh. S. = Varnhagensche Sammlung in der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin, Handschr.-Abt. B e z o l d = Friedr. v. B e z o l d , Geschichte der Rhein. Friedr.-Wilh.-Universität. Bonn 1920. Hirsch = August Hirsch, Geschichte der Medizinischen Wissenschaften in Deutschland. Manchen und Leipzig 1893. L e n z = Max Lenz, Geschichte der K. Friedr.-Wilh.-Universität zu Berlin. Bd. 1—4. Berlin 1910.
Register. Akademie der Wissen»eh., Berlin 8. 55 f - 7ff- 7» ff-. 83ff. 105. Akademie, Paris 10. Akten, Verschwinden von — 24, 26, 66, 75. Alberti, Pfarrer 75. Altenstein, Karl Frhr. v. 58,66, 69 f., 73. 105, i n , 115. Andresse, P. W. L . 110. Assing, Ludmilla 3. Aufklärung 1, 2, 10, 13. Baehrens, Joh. Chph. Friedr. 65. Baer, KariErnst • . 17, A t e , 115. Bailly, Jean Sylvain 1 1 . Baqnet 10, 1 1 , 35, 53, 62f., 77, 109. Becks, Peter Joh. 1 1 2 A . Benzenberg, Joh. Friedr. 100 A, 106. Berends, Karl Ang. Wilh. 50. Bergasse, Nicolas 10A. Berlin, Universität 20, 41, 43, 49, 54. Bernstorff, Chr. Günther Graf 69. Benot, Ernst 7 A. Beyle, Henry 38. Bismarck, Wilhelmine v. 63 A. Bodde, Arzt 66. Bönninghausen, Klemens Maria Franz von 66. Bonn, Universität 59—61, 65. Bosch, von 7. Braid, James 9. Bremen 14, 15. Brentano, Klemens 5, 67. Brflhl, Karl Graf 16. Brühl, Moritz Graf 16. Buch, Leopold v. 56, 80, 85 A, 91A, 98A, 99A, 102—104A.
BOlow, von 32 f. Carns, Kari Gnst. 62. Constant, Benjamin 38, 106. Costine, Astolphe 38. Costine, Mad. 38. Deleuze, J . P. F. 10A. Deslon, Charles 10, 1 1 . Dorow, Wilh. 39, 42, 68. Dyroff, Adolf 60 A. Egg, Dr. med. 85 A. Emmerich, Katharina 60, 65—67. Ennemoaer, Joseph 61 f, 78, 97, 98 A. Erman, Adolf 24, 26. Erman, Pani 3, 22, 24—26, 49, 54, 56—58, 7of., 74ff., 78f., 81, 84A. 87 A, 115. Eschenmayer, Karl Adolf 64. Fiqoé 58. Fischer, Ernst Gottfr. 80, 83 A, 86A, 89A, 92A, 96A. Fizjames 76. Flittner, Chn. Gottfr. 77. Frank, Apotheker 75. Franklin, Benjamin 1 1 . Friedrich Wilhelm III. 1, 19, 42, 52f., 57, 65, 105, 112A. Géroux, Dr. 76. Gesenius, Wilh. 64 A. Goercke, Johann 44. Goethe, Joh. Wolfg. 2, 5,17, A19. Gossler, Gust. v. 66. Graefe, Karl Friedr. v. 22, 25, 50. Gregor XVI. 112A. Gruner, Justus 65. H&hnel 53, 68 f. 107, 1 1 1 f.
123 Haenlein, v. 32 t. HaUe, Universität 63. Hardenberg, Charlotte Fürstin 68, 107. Hardenberg, Karl Augast Forst 19, 22, 28, 30—32. 35. 39, 41. 51—54. 58I., 68, 73, 75, 105ff., 110ff. Hannoniegesellschaften 10, 12. Heim, Ernst Ludw. 23, 31, 46. Heine, Heinrich 108 A. Heinrich, Prinz von Preußen 13. Hell, Max 7 f . Hengstenberg, Ernst Wilh. 64 A. Hensel, Luise 67. Herbst, J . F. W. 52 A. Herrnbstaedt, Sigismund Friedr. 47 A 115. Hermes, Georg 60 f. Hoffmann, E. T. A. 67. Hohenlohe, Alex. Prinz 60. Harkel, Johann 22. Horn, Ernst 45. Hufeland, Chph. Wilh. 7, 13, 15, 20, 24—28, 30—32, 46, 49f., 52—57, 63t, 66 A, 75—79. 83, 93A., 94A, 95A, 1 1 5 ! . Hufeland, Friedr. 2 5 ! , 37. Humboldt, Alex. v. 79, 80, 1 0 1 A . Humboldt, Karoline von 39. Humboldt, Wilh. von 19, 41. Hypnotismus 9. Jahn, Friedr. Ludw. 68 A. Jean Paul 109. Jussieu, Laurent de 11. Immermann, Karl 117 ti. Kant, Immanuel 1—4, 80, 119. Karl, Herzog von Mecklenburg 75. Karsch, Medizinalrat 66. Kieser, Georg 64, i n , 114. Kimsky, von, geb. Hähnel s. H&hnel. Klaproth, Martin Heinr. 27, 47 A 49, 53Klug, Joh. Chph. Friedr. 25, 44, 47 A, 53, 110A. Kluge, Karl Alex. Ferd. i6f., 37, 97. Knape, Chph. 22, 27, 49. Kölz, Hofrätin 21, 43.
Koenen, Ludw. Ernst v. 25, 34, 44 t., 47 A. 49. 53. KAttgen, A. 100 A, 101A. Kohlrausch, Geh. Rat 25, 50. Kommission zur Prüfung des Magnetismus in Berlin 14—33, 45 t. Kommissionen zur Prüfung des Magnetismus in Paris 10 f. Koreff, David Ferd. (Joh. Ferd.) 37—4«. 52. 54Í-. 59. 6t, 67A.. 68ff., 73 ff., 99A, io6f., 109. Koreff, Lazarus Salomon 37 f. Koreff, Therese, geb. Mathla« 108. Kraetzig 66. Krukenberg, Peter 22, 65. Kuntzmann, Arzt 25. Lambert, Geistlicher 66. Langermann, Joh. Gottfr. 25, 50. Lavater, Joh. Kaspar 14. Lavoisier, Ant. Laurent 11. Lenz, Max 2, 39. Lhotsky, J . 95A. Lichtenstein, Hinrich 23, 81. Link, Heinr. Friedr. 50, 56, 81, 92 A. 94 A, 98 A, 99 A, 102—104 A. Loeben, Otto Heinr. Graf 21A. Marie Antoinette 10. Merzdorf, Arzt 26, 47 A. Mesmer, Friedr. Ant. 7—12, 17, 20, 27t., 36, 62. Müller, Johannes 38 A. Mursinna, Chn. Ludw. 46. Namri 76. Nasse, Friedr. 64t. Naturphilosophie 4, 20, 22, 27, 36, 59. 80. Oken, Lorenz 17t. Olbers, Heinr. 15. Oppeln-Bronikowski, Friedr. v. 37 A. Paracelsus, Theophrastus 9. Paradis 9. Petersdorff, von. Majorin 46. Petetin 12, 99. Pfaff, Chph. Heinr. 64 A. Polarsternbund 37. Preisaufgabe über Magnetismus 55—58, 78 ff., 83«., 105, i n f., 114.
124 POekler-Muskau, Hermann Fürst 68f., 73, io6ff., 112A. Puysigur, Gebrüder 12. Reil, Joh. Chn. 18, 20—22. Richter, Jean Paul Friedr. 109. Ringseis, Joh. Nep. 62. Romantik 5, 35, 67. Rosenthal, D. A. 1 1 2 A. Rudolphi, Karl Asmund. 22, 25—29, 49f.. 54. 56, 74. 79. 83 A, 85 A, 86 A, 87 A, 89 A. 91A, 92 A, 95 A, 96A, 98A, 100—104A, 1 1 5 . Rtlbel, Maria 98, 99, 100 A, 1 0 1 A . Rost, Joh. Nep. 62, I n f . Saaling, Mariane 40. Savigny, Friedr. Karl v. 21. Schelling, Friedr. Wilh. Jos. 4, 27, 59. 80. Schiller, Friedr. 2. Schlegel, Friedr. 5, 67. Schleiermacher, Friedr. 19, 21, 71, 109. Schmidt, Dr. med. 23. Schubert, Gotthilf Heinr. von 95 A. Schuckmann, Friedr. v. 18—23, 25, 27. 29—32. 34. 43. 51. 55. 57*-. 65, 70. Schulze, Johannes 59 A, 72 A. Schweitzer, Joh. 110. Seebeck, Thomas 79, 81, 92 A, 99 A. Sierke, Eugen 7A. Sinogowitz, Heinr. Sigismund 75. Solger, Karl Wilh. Ferd. 21.
Somnambulismus 12, 14t, 21 f.. 45, 51. 53. 57Spiker, Sam. Heinr. 30. Spindler, Joh. 62. Staël, A. L. G. de 38. Steffens, Henrich 21. Stieglitz, Joh. 36. Stigmatisation 65. Störck, Anton v. 9. Stöwe, Superintendent 75. Strans ky, Christine von 67. Suggestion 9, 11A, 66f. Sulzer, Joh. Georg 8A. Swieten, Gottfr. von 8. Sympathie 63 f. Thaer, Albrecht 56, 79. Varnhagen von Ense, Karl Aug. 2 f., 39t., 68, 109A, 1 1 2 A . Vincke, F. L. W. Ph. von 66. Vitalismus 16. Weiss, Chn. Sam. 56, 79, 81, 95A, 96 A, 98—100 A, 103 A. Weitsch, Joh. Chn. 49. Welper, Georg Adolf 25, 50. Wilbrand, Joh. Bernh. 94A, i n , H4f. Wilhelm Prinz von Preußen 75. Windischmann, Karl Jos. Hieron 59—61. Wolf, Friedr. August 14, 64. Wolfart, Karl Chn. 20, 22, 25—37, 41 f., 50—53. 62, 68, 73 f., 85 A. 108 ff. Zschokke, Joh. Heinr. Dan. 28 f.
HISTORISCHE ZEITSCHRIFT B E G R Ü N D E T VON H E I N R I C H V O N H E R A U S G E G E B E N VON F R I E D R I C H
SYBEL
MEINECKE
Mitherausgeber sind: Georg v. Below, Otto Hintie, Otto Krauske, Max Lenz, Erich Mareks, Hermann Oncken, Sigmund Riezler. P r o g r a m m : Grundaufgabe der Historischen Zeitschrift ist es, die Geschichtsforschung so zu pflegen, daß sie der strengen Wissenschaft und den großen Bedürfnissen menschlich-universaler Bildung zugleich genügt. Sie läßt nicht bloß die sog. „eigentlichen Historiker" zu Wort kommen, sondern die historisch gerichteten Vertreter aller Geisteswissenschaften überhaupt. Sie setzt ihren Stolz darein, sich unabhängig zu erhalten von dem Einfluß bestimmter Schulen, Parteien und Konfessionen. Sie hat den Ehrgeiz, ein universales geschichtliches Organ zu sein. E r s c h e i n u n g s w e i s e : Die Historische Z eitschrift erscheint j ährlich in 2 Bänden zu je 3 Heften. Jedes Heft kostet im Abonnement M. 5.20 Seit 1858 liegen 152 Bände vor. N e u e A u s s t a t t u n g : Die Ausstattung
der Hefte wurde durch
Wahl eines holzfreien Papieres und durch gefälligere moderne Satzordnung vom 1 5 1 . Band an wesentlich verbessert. Zugleich wurde der Umfang absolut um einen halben Bogen und durch sparsamere Satzanordnung gegenüber den bisherigen Heften um rund 20 °/0 vermehrt. Jedes Heft umfaßt jetzt 12 1 /„ Bogen, was einem Inhalt von 1 5 Bogen in der früheren Ausstattung entspricht. V o r t e i l e f ü r d i e B e z i e h e r : W i r haben im Anzeigenteil eine Rubrik „Gesuchte und angebotene B ü c h e r " eingerichtet. Es ist somit Gelegenheit gegeben, gegen einen geringen Betrag eine Ergänzung bzw. Entlastung der Bibliothek innerhalb der Fachgenossen vorzunehmen. Weitere Vorteile bieten die Beihefte. W i r verweisen auf die umstehende Anzeige.
BEIHEFTE DER HISTORISCHEN ZEITSCHRIFT Z w e c k der Beihefte ist, größere Arbeiten, welche in der Historischen Zeitschrift keine Aufnahme finden können, zu veröffentlichen. Sie erscheinen zwanglos, aber i m engsten Anschluß an die Zeitschrift B e zieher der Historischen Zeitschrift erhalten die Beihefte bei Bestellung v o r Erscheinen mit 2 5 ° / 0 n a c h Erscheinen mit 1 5 % Nachlaß von dem f ü r Nichtbezieher der Zeitschrift geltenden Preise. D i e Erscheinungstermine, bis zu welchen der erhöhte Nachlaß gilt, werden stets rechtzeitig in der Historischen Zeitschrift bekanntgegeben. Z u r Vereinfachung des Nachweises, daß man Bezieher der Zeitschrift ist und somit Anspruch auf den Nachlaß hat, empfiehlt es sich, die Bestellung bei der Buchhandlung aufzugeben, von welcher man die Zeitschrift erhält. Bisher erschienen • BEIHEFT 1
Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter VON DR. HANS B A R O N 130 S. 1924. Brosch. M. 4.— Inhaltsübersicht I. Grundlagen von Calvins Staatsanschauung. 1. Das Problem Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter. 2. Bedeutung von Calvins Religiosität und Sozialethik. 3. Staat, Evangelium nnd „Ewiges Recht". II. Die Staatslehre Calvins. 1. Die „Souveränität Gottes" und das theokratische Staatsprinzip. 2. Staat und Kirche. 3. Staat und Volk — Das Ideal der aristokratischen Republik. 4. Pflichten und Rechte der Obrigkeiten und der Untertanen. I I I . Geistesgeschichtliche Folgerungen. Calvinismus und Renaissance als Quellen des modernen Staatsgedankens. I V . Anlagen. 1. Zusammenhang des religiösen und weltlichen Persönlichkeitsbegriffs bei Calvin. 2. „Christliches Naturrecht" und „ewiges Recht". 3. Staat lind Kirche im calvinischen Genf. BEIHEFT 2
Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt VON P R O F E S S O R DR. E R N S T
TROELTSCH
4. Aufl. 1925. 110 Seiten. Brosch. M. 3.50 H i s t o r i s c h e Z e i t s c h r i f t Die an fruchtbaren Gesichtspunkten überreiche Schrift gehört mit zum Besten, was über die Geistesgeschichte der Menschheit geschrieben worden ist.
BEIHEFTE DER HISTORISCHEN ZEITSCHRIFT BEIHEFT 5
Englands Stellung zur deutschen Einheit 1 8 4 8 - 1 8 5 0 VON DR. HANS
PRJSCHT
192 S. 1925. Brosch. M. 6.— Inhaltsübersicht : I.BUCH. V O N D E R F E B R U A R - R E V O L U T I O N BIS Z U R AUFLÖSUNG D E R P R E U S S I S C H E N N A T I O N A L V E R S A M M L U N G . 1. Die Beschäftigung des englischen Hofes mit Bundesreformprojekten vor 18+8. 2. Die äußere Politik Englands kurz vor 1848 und die Aussichten f ü r ein englisch-preußisches Bündnis. 3. König Friedrich I V . und Lord Palmerston. 4. Der Ausbruch des schleswig-holsteinischen Konfliktes und das erste Eingreifen Englands. 5. Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung Englands im schleswig-holsteinischen Konflikt. 6. Die Debatte im englischen Parlament über den deutsch-dänischen Zusammenstoß. 7. Der erste Vermittlungsvorschlag Lord Palmerstons. 8. Die weitere Entwicklung der schleswig-holsteinischen Frage bis zum Waffenstillstand von Malmö. g. Englands Stellung zu den politischen Umbauplänen in Deutschland während des Jahres 1848. 10. Die inneren Vorgänge in Preußen i m Spiegel der englischen Presse und Parteien. I I . BUCH. V O M W A F F E N S T I L L S T A N D V O N M A L M Ö BIS Z U R P U N K T A T I O N V O N O L M Ü T Z . 1. Die englische Vermittlungstätigkeit bis zum Ablauf des Waffenstillstands von Malmö. 2. Englands Haltung vom Wiederausbruch des deutschen Krieges mit Dänemark bis zum Waffenstillstand von Berlin. 5. England und die Anfänge der deutschen Seegewalt. 4. Die Handelsbeziehungen Englands mit Deutschland in den Jahren 1848-1850. 5. Die Aufnahme der deutschen Sonderbundsbestrebungen in England. 6. England und der Abschluß des preußischen Krieges mit Dänemark. 7. Das Londoner Protokoll vom 2. August 1850. 8. Interventions- und Pazifikationsbestrebungen i.n Schleswig-Holstein. 9. Die Sendung des Generals von Radowitz nach England. i a England und der Sieg der Reaktion in Deutschland. W i e s ehr die deutschen Einheitsbestrebungen mit der politischen Entwicklung in Europa verknüpft sind, ist ohne weiteres deutlich. F ü r die unmittelbar der Reichsgründung vorausgehenden Jahre sind diese Beziehungen in viel eingehenderem Maße dargestellt worden als f ü r die Epoche von 1848-1850. Hier hat man sich zumeist auf die Darstellung der innerdeutschen Verhältniss e beschränkt. Die Arbeit Prechts füllt diese Lücke in bezug auf England aus. Neben dem gedruckten Material sind dafür diejenigen Aktendes Geheimen Staatsarchives in Berlin, die über die diplomatischen Vorgänge näheren Aufschluß boten, benutzt worden. Auch die österreichischen Quellen des Haus-, Hof- und Staatsarchives in W i e n konnten in vollem Maße verwertet werden.
BEIHEFTE DER HISTORISCHEN ZEITSCHRIFT BEIHEFT 4
Der tierische Magnetismus in Preußen VON DR
ERMAN
BEIHEFT 5
Die Idee einer altgermanischen Freiheit vor Montesquieu Fragmente aus der Geschichte politischer Freiheitsbewegungen i n Deutschland, England und Frankreich v o m 16. bis 18. Jahrhundert VON DR E R W I N HÖLZLE U m f a n g e t w a 6 Bogen. Preis etwa M. 5. Seit Beginn der Neuzeit e n t w i c k e l t sich i n der historischen, juristischen und politischen Literatur des mittel- u n d westeuropäischen Kulturkreises der Gedanke einer v o n den alten G e r m a n e n ü b e r k o m m e n e n verfassungspolitischen Freiheit, W i e diese Idee neben u n d mit dem N a t u r r e c h t i n den verschiedensten politischen B e w e g u n g e n und R e v o l u t i o n e n der einzelnen Länder zur Geltung k o m m t , das untersucht die vorliegende Schrift bis i n die Zeiten Montesquieus. Die Schrift gibt neben der historischen Darstellung, die den Bauernkrieg u n d die niederländische Erhebung, die französischeu Religionskriege und die englische R e v o l u t i o n umfaßt, einen Beitrag zur staatsrechtlichen Dogmengeschichte und zur E n t w i c k l u n g des National- u n d Rassegedankens. I Abschnitt G r u n d l a g e n . D i e nordische Freiheitsidee. I I . Abschnitt D i e a l t d e u t s c h e F r e i h e i t s i d e e . D i e Humanisten. Adel u n d Bauern. Die Reformatoren. D i e Fürsten und ihre Libertät. Juristen u n d Historiker v o r Conring. Blick auf die Stammesgeschichte. Hugo GrotiusH e r m a n n Conring, D e r Sieg der Libertät und die Epigonen. I I I Abschnitt D i e a l t f r ä n k i s c h e F r e i h e i t s i d e e . Franz Hotmann u n d die Zeit der Religionskriege. Die Fronde. D e r K a m p f des Adels gegen den Absolutismus L u d w i g s X I V . Des soupirs de la France esclave. D e r G r a f Boullainvilliers. I V Abschnitt D i e a n g e l s ä c h s i s c h e u n d g o t i s c h e F r e i h e i t s i d e e i n E n g l a n d . Wissenschaftliche Wegbereiter. D i e Zeit der puritanischen Revolution. (Der Gedanke einer traditionalen parlamentarisch-gemäßigten Monarchie. A r g u m e n t a antinormannica. Independenten. Levellers, Diggers Das birthright des Engländers i n der T h e o r i e der puritanischen Revolution. J o h n Milton. James Harrington.) D i e Zeiten der Restauration und der glorreichen R e v o l u t i o n u n d die werdende Parteigeschichtsschreibung. ( W i l l i a m Penn. Robert F i l m e r A r g u m e n t u m A n t i n o r m a n n i c u m , Robert Brady. English Liberties. A l g e r n o o n Sidney. W i l l i a m T e m p l e . Daniel Defoe. Bolingbroke. D e r Übergang zur französischen Literatur. James T y r e l l . ) V Abschnitt D i e a n g e l s ä c h s i s c h e u n d g e r m a n i s c h e F r e i h e i t s i d e e i n F r a n k r e i c h Vorläufer L a r r e y , R a p i n T h o y r a s u n d Voltaire. Montesquieu. R ü c k b l i c k .