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German Pages 831 [832] Year 2021
Bettina Kretz Der Sprachtypus des Französischen in Grammatik und Paragrammatik
Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie
Herausgegeben von Éva Buchi, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti und Wolfgang Schweickard
Band 451
Bettina Kretz
Der Sprachtypus des Französischen in Grammatik und Paragrammatik Eine funktionell-strukturelle Analyse der Einzelsprache unter Berücksichtigung der Sprachtypen der Allgemeinen Typenlehre
Dissertation, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Neuphilologische Fakultät
ISBN 978-3-11-069384-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069396-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069401-7 ISSN 0084-5396 Library of Congress Control Number: 2021947346 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Heinrich Ottinger, Chemnitz Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Cui nisi tibi?
Vorwort Die vorliegende Studie hat eine lange Entstehungsgeschichte. An der RuprechtKarls Universität Heidelberg wurde sie am 11.06.2012 als Dissertation eingereicht, die Disputation fand am 12.05.2014 statt. Erste Ausarbeitungen zum Sprachtypus des Französischen erfolgten im Rahmen der Abschlussarbeit zum Ersten Staatsexamen; deren Vertiefung wurde durch das Cusanuswerk über drei Jahre hinweg (2001–2003) finanziell gefördert. Das Interesse an der sprachtypologischen Fragestellung in der Linguistik wurde durch Prof. Dr. Jens Lüdtke als Doktorvater geweckt, an der Linguistik allgemein und der Romanistik im Besonderen zuvor durch Prof. Dr. Jörn Albrecht und Prof. Dr. Gabriele Stein. Verschiedene Ausbildungswege machten Unterbrechungen erforderlich, die die Fertigstellung der Arbeit hinauszögerten. Das mit der Arbeit verfolgte Erkenntnisinteresse allerdings hat nichts an Aktualität eingebüßt, da eine Studie, die Grammatik und Wortbildung (gefasst als Paragrammatik) mit Bezug auf typologisch relevante Parameter beider Systembereiche typologisch einzuordnen unternimmt, nach meinem Kenntnisstand noch nicht vorgelegt wurde. Um die Arbeit zu realisieren, war die Wortbildungslehre nach Jens Lüdtke unentbehrlich. Seine Vorlesungen, anfangs noch in Manuskriptform vorliegend, sowie seine Leidenschaft für die Linguistik haben den weiten Blick inspiriert. Dass Wortbildung und Sprachtypologie einander bedingen, ist eine Einsicht, die es in der Wissenschaft weiter zu verfolgen gilt. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist daher, die Relevanz der typologischen Perspektive innerhalb der grammatischen und paragrammatischen Forschung allgemein, aber auch für die Romanistik im Besonderen zu stärken. Zwei relativ aktuelle Sammelbände: Miestamo, Matti/Wälchli, Bernhard (edd.), New challenges in typology. Broadening the horizons and redefining the foundations, 2007 sowie Epps, Patience/Arkhipov, Alexandre (edd.), New challenges in typology. Transcending the borders and refining the distinctions, 2009 lassen zum einen erkennen, welchen Herausforderungen sich die sprachtypologische Forschung überhaupt zu stellen hat: Zusammenführung der immensen Fülle an Sprachdaten und wissenschaftlichen Einsichten in einem theoretischen Rahmen, so dass Relevanz der Parameter und Vergleichbarkeit der Kategorien gewährleistet werden, damit Konvergenzen wie Divergenzen im individuellen Sprachverhalten fassbar werden. Auch die Romanistik hat hier eine wichtige Rolle; wenn es ihr gelingt, ihren Bereich typologisch aufzuarbeiten (die romanischen Sprachen bieten sich aufgrund der genealogischen Verwandtschaft in besonderer Weise für die weite komparative und holistische Perspektive an, wodurch zugleich Synchronie und Diachronie tangiert sind), kann sie zur allgemein-linguistischen bzw. typologischen Theoriebildung
https://doi.org/10.1515/9783110693966-202
VIII | Vorwort
beitragen. Und auch das Französische bleibt im interlingualen Vergleich v.a. dort interessantes Forschungsobjekt, wo Strukturen untersucht werden wie die periphrastisch gebildeten Tempora, Klitisierungsprozesse, Suppletion bei Verbparadigmen (in Verbindung mit Lehnaktivität, Bedeutungswandel bzw. allg. Sprachwandel, Einsichten der Grammatikalisierungsforschung), labile Verben, Ergativität, Bildung delokutiver Verben. Die genannten Parameter erweisen sich im interlingualen Vergleich als aussagekräftige Kategorien; andererseits bleibt zu berücksichtigen, dass der einzelsprachliche Typus eine idiosynkratische Größe bildet, die empirisch-induktiv zu bestimmen ist und sich daher auch ganz andere Kriterien als typuskonstitutiv herausstellen können (siehe Kap. 1.1; 4.2.2). Die genannten Sammelbände machen zum anderen aber auch deutlich, dass die Wortbildung kein wirkliches Dasein in der sprachtypologischen Landschaft hat. Den gegenteiligen Stellenwert will die vorgelegte Arbeit zur Geltung bringen und für weitere Studien fruchtbar machen. Für die Anglistik hat Alexander Haselow (2011) eine Untersuchung umgesetzt, die die englische Nominalbildung typologisch interpretiert; auf weitere solcher Studien lässt sich gespannt sein. Die Arbeit ist bezüglich der theoretischen Grundlagen an eine sprachwissenschaftliche Schule angelehnt, die tragfähige Beschreibungsebenen zur Verfügung stellt. Die Leistung der Prager Schule für die Allgemeine Sprachwissenschaft bzw. Sprachtypologie sowie die Arbeiten Eugenio Coserius knüpfen an eine Tradition an, die die (para)grammatische und typologische Forschung weitergeführt haben. Hinsichtlich der Integrationsfähigkeit hat sich mir kein gleichermaßen belastbarer alternativer Ansatz erschlossen, der die verschiedenen sprachlichen Ebenen und Bereiche samt Wortbildung in ein Modell kohärent einbinden könnte, so dass bestehende Ergebnisse für das Französische bzw. die romanischen Sprachen genauso nutzbar gemacht werden könnten, und der in der Argumentation wie der typologischen Interpretierfähigkeit gleichermaßen plausibel und stringent wäre. Im Vorgehen habe ich, wo anschlussfähig, die aktuelle Forschung berücksichtigt. Was im Rahmen der Studie nicht geleistet werden konnte, kann schließlich an anderer Stelle auf Interesse stoßen. Dies wäre etwa die Untersuchung der Frage, inwiefern sprachpolitische Entwicklungen (bzw. vorausblickend die Aktualisierungen des Bon Usage) synchron nachvollziehbare Tendenzen des Typus eher intensivieren oder diese konterkarieren (als ergänzende Perspektive zum français populaire). Das umfangreiche Kapitel zur Femininbildung wirft diese Frage auf, die dort allerdings nur ansatzweise behandelt wurde. Insgesamt hoffe ich, die sprachtypologische Perspektive selbst in ein Licht gesetzt zu haben, das ihren besonderen Reiz und Gewinn für die einzelsprachliche Philologie wie Allgemeine Sprachwissenschaft deutlich erkennen lässt.
Vorwort | IX
Zum Schluss der Dank. Mein bleibender und größter Dank gilt Prof. Dr. Jens Lüdtke (* 08.10.1941; † 04.01.2019): Uber die vielen Jahre der Entstehung der Arbeit ist mit ihm der Funke für die Sache nicht erloschen. Meinen herzlichen Dank möchte ich an dieser Stelle ferner Prof. Waltraud Weidenbusch aussprechen für die aufmerksame, detailgenaue und immer weiterführende Zweitkorrektur, so auch Prof. Dr. Petr Sgall (* 27.05.1926; † 28.05.2019) der Karls-Universität Prag für den wertvollen und anregenden Austausch und persönlichen Kontakt. Die Förderung durch das Cusanuswerk war ideell für alles Weitere sehr wertvoll. Danken möchte ich darüber hinaus Dr. Frithard Scholz für die langjährige persönliche Unterstützung und freundliche Durchsicht des Textes. Meine Wertschätzung gilt im Besonderen Forschungsprofessor Dr. Theodor Dieter für seine ausdauernde, konstruktive, sachlich äußerst kompetente Hilfe bei der Redaktion des Manuskriptes, die sich immer wieder als mühsam erwies; in jedem der vielen Arbeitsschritte wusste er mir wichtigen Rat, Motivation und Hilfe mit Blick auf das Ziel zu erteilen. Heinrich Ottinger danke ich für den Manuskriptsatz; den schier endlosen formalen wie technischen Herausforderungen hat er sich immer wieder mit großer Geduld gestellt. Großen Dank möchte ich ferner Frau Dr. Christine Henschel aussprechen für die kompetente, zuverlässige und sehr freundliche Betreuung bei De Gruyter sowie Frau Elisabeth Stanciu im Bereich Herstellung für die sehr angenehme Kooperation; in allen technischen Fragen erteilte sie zu allen Zeiten ausgezeichneten Rat. Ich bedanke mich ganz besonders bei den Reihenherausgebern, dass das Buch in die Beihefte zur ZrP aufgenommen werden konnte, sowie für ihre zahlreichen wertvollen Hinweise im Rahmen der Endredaktion.
Inhaltsverzeichnis Vorwort | VII 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6
Einleitung | 1 Lehre vom Sprachtypus und Allgemeine Typenlehre: Probleme der Forschung und Vorgaben der Studie | 8 Der Ansatz – Parameter der Beschreibung und Zielsetzung | 17 Wortbildung und Grammatik, Wortbildung und Sprachtypologie – Problematisierung | 26 Der Sprachtypus synchronisch und diachronisch | 32 Sprachtypus und Standardsprache | 33 Textbelege und Quellen | 36
Zur grammatischen Beschreibung der Einzelsprache | 38 Die drei Sektionen der einzelsprachlichen Grammatik | 38 Die konstitutionelle Grammatik | 38 Die funktionelle Grammatik | 38 Typen der funktionellen Bedeutung | 39 Die relationelle Grammatik | 42 Paragrammatik als relationelle Grammatik | 43 Verb und Satzinhalt: Bedeutungen mit Funktion im Satz und Bedeutungen ohne Funktion im Satz | 46 2.1.7 Syntagma und Paradigma | 48 2.2 Die Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung | 51 2.2.1 Grammatische Schichten | 51 2.2.2 Existenz der grammatischen Schichten in einer Sprache – typologischer Stellenwert des Wortes | 55 2.2.2.1 Autonomie versus morphologische Differenziertheit | 55 2.2.2.2 Das grammatische Wort in der Paragrammatik | 57 2.2.3 Autonomie der grammatischen Schichten im Französischen | 58 2.2.3.1 Die grammatische Schicht des Wortes | 59 2.2.3.2 Die grammatische Schicht der Wortgruppe | 64 2.2.3.3 Die grammatische Schicht der Klausel | 65 2.2.3.4 Die grammatische Schicht des Satzes | 67 2.2.4 Eigenschaften der grammatischen Schichten | 67 2.2.5 Hypertaxe, Hypotaxe, Parataxe und Antitaxe | 69
XII | Inhaltsverzeichnis
3 Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie | 73 3.1 Die Subordinierung: Wortbildung als Subordinierung | 73 3.1.1 Exkurs: Die Ebene des Wortes im Chinesischen | 75 3.1.1.1 Typen der funktionellen Bedeutung | 76 3.1.1.2 Einheit Wort und Schriftzeichen | 81 3.1.1.3 Wortbildung | 82 3.1.1.4 Existenz des Wortes als grammatische Schicht und Konversion | 84 3.2 (Affixale) paragrammatische und grammatische Morphologie | 86 3.2.1 Derivation | 86 3.2.2 Grammatische Morphologie | 89 3.2.2.1 Flexion | 89 3.2.2.2 Wortformenbildung und grammatische Typen | 90 3.2.2.3 Entfaltung der grammatischen Typen | 94 3.3 Die traditionellen Sprachtypen als Manifestationen grammatischer Strukturierungsverfahren | 94 3.3.1 Der synthetische Sprachtypus | 95 3.3.2 Der polysynthetische (inkorporierende) Sprachtypus | 96 3.3.3 Der analytische Sprachtypus | 97 3.3.4 Der isolierende Sprachtypus | 98 3.4 Die Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie | 99 3.4.1 Ein typologisches Konstrukt | 99 3.4.2 Der isolierende Sprachtypus | 105 3.4.3 Der agglutinierende Sprachtypus | 106 3.4.4 Der flektierende Sprachtypus | 110 3.4.5 Der introflektierende Typus | 112 3.4.6 Der polysynthetische Sprachtypus | 114 3.5 Die klassischen Typen als skalare Größen | 116 3.5.1 Typusbestimmung durch Synthese- und Fusionsindex | 116 3.5.2 Die morphologischen Sprachtypen als «grammatische» Typen | 118 3.5.3 Basisdominante und «Hilfstypen» in Grammatik und Paragrammatik – Konstrukt und empirische Evidenz | 122 3.6 Das Französische als Exponent des isolierenden Konstrukts | 128 3.6.1 Das Französische – Annäherung an das isolierende Konstrukt | 128 3.6.2 Die englische und französische Sprache auf dem Weg zur «Isolation» – sprachlicher Wandel und Sprachkontakt | 134 3.6.2.1 Grammatik | 136
Inhaltsverzeichnis | XIII
3.6.2.2 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3
5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
5.2.5 5.3 5.3.1 5.3.2
Wortschatz | 140 Die Sprachtypologie Eugenio Coserius | 144 Die Typologie Eugenio Coserius in der Tradition der Sprachwissenschaft | 144 Eugenio Coserius Konzept einer «integralen» Typologie | 147 Genese des Prinzips der romanischen Einzelsprachen | 151 Anwendungen der «integralen» Typologie und der Prager Typologie | 162 Typologischer Stellenwert der Partikeln im Rahmen der Polysynthese (Inkorporation) | 162 Partikeln, präfigierte Verben, Nominalkomposita | 166 Typologische Interpretation | 171 Das Deutsche und das Altgriechische | 172 Ergebnisse | 177 Präfigierte Verben, Verbalkomposita oder «locutions verbales» im Französischen | 179 Polysynthetische Strukturen des Französischen | 182 Der altgriechisch-romanische Wortbildungstyp frz. «coupepapier» | 184 Subjekt- und Objektkonjugation (Klitisierung) im Französischen | 184 Tendenzen des «français populaire» in Richtung Polysynthese | 190 Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie | 198 Der onomasiologische Ansatz nach Dokulil | 202 Paraphrase | 208 Paraphrase als «innersprachliche Übersetzung» oder «Übersetzung in eine Metasprache» | 208 Grammatikalisierungsformeln | 213 Äquivalente | 216 Paraphrasen als Reflex grundlegender Strukturen: Denominale «Nomina agentis» und inaktuelle implizite grammatische Funktion | 217 Paraphrase und Subordinierung | 223 Der syntaktische Ansatz | 225 Die «positiv-kritische Umdeutung» nach Lüdtke (1978) | 227 Topikalisierung | 237
XIV | Inhaltsverzeichnis
5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.3.1 5.4.3.2 5.4.4 5.4.4.1 5.4.4.2 5.4.4.3 5.4.4.4 5.4.4.5 5.4.4.6 5.4.4.7 5.5 5.5.1 5.5.1.1 5.5.1.2 5.5.1.3 5.5.1.4 5.5.2 5.5.2.1 5.5.2.2 5.5.2.3 5.5.2.4 5.5.2.5 5.5.2.6 5.5.2.7 5.5.3
Semantische Rollen oder grammatische Satzfunktionen als wortbildende Kategorien | 243 Rolle der lexikalischen Kategorien | 251 Die Beweisführung nach Laca (1986) auf der Grundlage der Subjektnominalisierungen | 255 «Subjekt» als Satzglied und als wortbildende Kategorie | 260 Wortbildung als Grammatik des Wortschatzes | 262 Inhaltliche Wortbildungslehre (Charles Bally, Eugenio Coseriu, Jens Lüdtke) | 265 Transposition und Hypostase | 275 Das Problem der Nullableitung bzw. das Prinzip der «offenen Analogie» in Paragrammatik und Grammatik | 282 Paragrammatik | 282 Grammatik | 287 Konversion im Französischen | 288 «Infinitivnominalisierung» | 294 «Adjektivnominalisierung» | 298 Die Partizipien | 303 Adverbialisierung | 317 «Délocutifs» | 319 Konversion präpositionaler Fügungen | 323 Konversion von Satzteilen bzw. Sätzen | 327 Modifizierung – Genusmarkierung | 330 Grammatisches Genus und natürliches Geschlecht (Sexus) | 331 Grammatisches Genus | 331 Formale Gestaltung des Femininums bei Lebewesen | 341 Genus als grammatisch-paragrammatische Kategorie | 349 Markiertheitstheorie | 350 Typologische Deutung | 360 Invariabilität des Wortes | 360 Hinzutreten eines (sekundär flektierten) Suffixes | 363 Das typisch isolierende Verfahren | 364 Typologisch relevante Muster der Genusmarkierung | 365 Stellung des Typs FEMME X im paragrammatischen System | 374 Der Typ «femme professeur»: Komposition zum Ausdruck des natürlichen Geschlechts | 379 Der Typ FEMME X oder X FEMME? | 383 Der Konstruktionstyp FEMME (DE) X und generische Komposition | 388
Inhaltsverzeichnis | XV
5.5.4 5.5.5 5.5.6 5.5.7 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.6.5 5.6.5.1 5.6.5.2 5.6.5.3 5.6.6 5.6.7 5.6.7.1 5.6.7.2 5.6.7.3 5.7 5.7.1 5.7.2 5.8 5.8.1 5.8.2 5.8.3 5.8.4 5.8.4.1 5.8.4.2 5.8.5 5.8.5.1 5.8.5.2 5.8.6 5.8.6.1
Typologische Tragweite der einzelnen Genus markierenden Konstruktionen – Zusammenfassung | 390 Exemplifizierung des französischen Sprachtypus | 394 Nomina absoluta, Nomina adiecta | 406 Der Typ FEMME X/X FEMME und Polysynthese | 412 Movierung: grammatisches oder paragrammatisches Verfahren? | 414 Movierung bei Mensch und Tier | 417 Tierische Movierungen | 419 Movierung und Suppletion bei Tierbezeichnungen | 421 Movierung und Isolation | 422 Funktionelle und matrimonielle Movierungen | 423 Das Deutsche | 424 Das Französische (in der Sprachpolitik) | 426 Das Englische | 429 Die Funktion ‘Person/Tier weiblichen Geschlechts’ als skalare Größe der Personalisierung | 430 Suppletion | 433 Der ambige Typ «mairesse»: ʻfemme du maireʼ – ʻfemme exerçant les fonctions de maireʼ | 440 Interaktion Muttertier/Tierjunges | 443 Menschennahe Tiere | 446 Modifizierung – Kollektivbildung | 450 Sprachtypologische Entwicklung | 455 Der Typ «le coup de» | 458 Modifizierung zwischen Quantifizierung und Qualifizierung: Diminutiv-, Augmentativ- und Pejorativbildung | 461 Funktionen von «petit/petite» | 470 Reduplikation als typologischer Parameter | 474 Reduplikation im Französischen: Diminutivierung und Intensivierung | 479 Quantifizierung als Qualifizierung | 481 Augmentativbildung | 482 Pejorativbildung | 485 Intensivierung | 485 Grammatik | 485 Paragrammatik | 488 Approximation | 493 Grammatik | 493
XVI | Inhaltsverzeichnis
5.8.6.2 5.8.7 5.8.8 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2
7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.3.1 7.2.3.2 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.3 7.3.1 7.3.1.1 7.3.1.2 7.3.1.3 7.3.2 7.3.3 7.4 7.5 7.6
Paragrammatik | 493 Negierung | 495 Modifizierung – typologische Interpretation | 499 Numerus | 503 Formale Markierung des Numerus | 504 Agglutination, (Intro)flexion, Suppletion beim Numerus | 505 Der Numerus bei Gattungsnamen | 507 Der Numerus bei Eigennamen | 514 Numerus- und Genusmarkierung: eine einheitliche Interpretation? | 515 Ausdruck des Numerus bei Nomina ohne Singular: isolierendes und syntagmatisches Verfahren | 517 Tempus, Aspekt und Modus | 520 Das Kategorialsystem nach Roman Jakobson | 525 Genus, Person, Status, Taxis und Evidenz | 528 Die Modi des Verbs | 531 Der Verbalaspekt | 535 Die Opposition «vollendet/unvollendet» | 537 Die deiktisch bestimmten Zeiträume im romanischen Tempussystem | 538 Die Dimensionen der «Ebene» und der «Perspektive» | 539 Aktuelle vs. inaktuelle Zeitebene | 539 Primäre und sekundäre Perspektive | 542 Aspekt als typologische Dimension | 547 Aspekttypologie | 549 Aspektive Stufensysteme | 552 Der Aspekt im Romanischen | 555 Tempus und Aspekt im romanischen Verbalsystem | 556 Grundsystem des romanischen Verbums | 556 Verbalperiphrasen in den romanischen Sprachen | 558 Semantik der Verbalperiphrasen | 558 Aspektive Dimensionen | 561 Die aspektiven Dimensionen im Romanischen | 561 Verba adiecta | 582 Aspekt und paragrammatisches System (des Romanischen) | 586 Tempus und Aspekt im Französischen | 589
Inhaltsverzeichnis | XVII
7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.7 7.7.1 7.7.2 7.7.3 7.7.4 7.7.5 7.7.6 7.7.7 7.8 7.9
Ausdruck des Aspekts im Französischen | 592 «(Semi-)Auxiliare» des Französischen | 595 Tendenzen des «français populaire» | 605 Die «formes surcomposées» | 612 Systematizität | 612 Die «formes hypersurcomposées» | 619 Die «überkomponierten» Formen im «français populaire» | 621 Verbreitung der «formes (hyper)surcomposées» | 623 Aspekt und Verbsemantik | 626 Der Aspekt im paragrammatischen System des Französischen | 627 Das Suffix -BILIS im Französischen | 628 Die Kategorie Modus im Französischen | 636 Modalverben | 639
8
Genus verbi: syntagmatische Realisierung einer verbalen Kategorie | 641
9
Situierung | 647
10
Attributtransposition (Relationsadjektivbildung) und Konversion präpositionaler Fügungen – typologische Einordnung | 661
11 11.1
Lexemkomposition | 665 Nach grammatischen Regeln gebildete Wörter vs. Komposition | 668 11.2 Wortbildung im isolierenden Konstrukt | 673 11.3 Wortklasseninterne Konversion | 678 11.4 Der Typ der Verb-Ergänzung-Komposita | 682 11.4.1 Forschungsüberblick | 682 11.4.2 Historische Entwicklung und Analyse | 690 11.4.3 Typologischer Wandel auf syntaktischer Ebene und die Frage der Entstehung der romanischen Verb-Ergänzung-Komposita | 691 12 12.1 12.2
Die «positionelle Typologie» | 698 Positionelle Typologie und Wortbildung | 706 Die Stellung des Französischen | 709
XVIII | Inhaltsverzeichnis
13
Nichtmotiviertheit des Wortes im Französischen: Dissoziation, Suppletion und Lehnaktivität | 714 13.1 Charakterisierung des «lexikalischen Systems» des Französischen | 720 13.2 Abstraktheit des Französischen vs. Expressivität des Deutschen | 722 13.3 «Les dominantes sémantiques du français» | 724 13.4 Syntax und lexikalisches System | 726 13.4.1 «La préférence très marquée pour le mot arbitraire, isolé et indécomposable» | 728 13.4.2 Polysemie und Homonymie | 731 13.5 Interlinguale engynomische Divergenzen | 734 13.6 Die Rolle des introflexivischen Typs in der Allgemeinen Typenlehre und im Französischen | 741 14
Rückblick und Ausblick: Der Typus des Französischen im Kontext einer Eurolinguistik | 744
15
Bibliographie | 749
16
Anhang | 789
17 17.1 17.2
Register | 797 Sprachenregister | 797 Sachregister | 801
1 Einleitung Die vorliegende Dissertation hat als Untersuchungsgegenstand die Einzelsprache Französisch, als Erkenntnisinteresse deren sprachtypologische Erfassung: Erfasst werden soll das sprachliche Individuum idealiter holistisch mit allen sprachlichen Funktionen bzw. Inhalten, die einer sprachlichen Form entsprechen. Dies ist zum einen die Grammatik (Morphologie und Syntax), zum anderen die Wortbildung. Zwischen beiden bestehen semantische Affinitäten; daher lassen sie sich in ein Modell integrieren, das die sprachlichen Bereiche vom Inhalt bzw. der Funktion hin zur sprachlichen Form analysiert; für eine sich als «inhaltlich» verstehende Wortbildungslehre steht der Begriff «Paragrammatik»1 zur Verfügung. Eine (tendenziell holistische) typologische Interpretation von Grammatik und Paragrammatik wurde für das Französische bislang noch nicht umgesetzt. Anliegen der Arbeit ist es daher, einen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten zum einen mit Blick auf die typologische Einordnung des Französischen auf einzelsprachlicher Ebene, also zur Französistik. Die untersuchten Fakten erlauben aber auch, diese romanische Sprache von anderen romanischen Sprachen abzugrenzen; die Untersuchung tangiert somit die Romanistik. Die Studie wäre im Ansatz allerdings nicht realisierbar gewesen ohne Ausgriffe auf die Allgemeine Sprachwissenschaft, genauer die Allgemeine Typenlehre, denn «Sprachtypus» beinhaltet die Tatsache, dass es gleichzeitig analoge Gemeinsamkeiten mit anderen Sprachen gibt. In dem so gefassten weiteren Horizont wird versucht, die operativen Gestaltungsprinzipien des Französischen in Verhältnis zu setzen zu den in anderen Sprachen konstitutiv vorfindlichen Prinzipien. Ein Vergleich wird insbesondere mit dem typverwandten Englischen unternommen. Die eigentliche wissenschaftliche Herausforderung allerdings besteht darin, bei der typologischen Einordnung nicht nur die Grammatik, sondern auch die Wortbildung (Paragrammatik) systematisch einzubeziehen und typologisch zu interpretieren. Diesem Ziel ist der Umfang der Arbeit geschuldet.
|| 1 Paragrammatik ist Wort-Bildung als (produktive) «Grammatik des Wortschatzes», wie sie sich aus den Wortbildungsbedeutungen ergibt. Schwarze (2005) dagegen verwendet den Begriff (ohne Verweis auf vorgängige Verwendungen) in geradezu konträrem Sinne insofern, als er darunter – an erster Stelle (unter drei Verwendungen) – die «lexicalization of phrases and univerbation», aufgefasst als einer der Prozesse [sic!] «that produces complex words, except morphological rules», versteht. In der hier vorgelegten Studie sollen demgegenüber nur vitale Wortbildungsverfahren betrachtet werden, die die resultative Lexikalisierung (als Fixierung im Wortschatz) daher als Prozess der Wortbildung notwendig ausschließen muss. https://doi.org/10.1515/9783110693966-001
2 | Einleitung
Im Folgenden nun möchte ich im Durchgang durch die einzelnen Kapitel deren Inhalte knapp skizzieren; für Zielsetzung wie Parameter der Beschreibung verweise ich auf Kap. 1.2. Kap. 1.1 befasst sich mit den Prämissen und Problemen, wie «Sprachtypus» (als Begriff der Allgemeinen Typenlehre und mit Bezug auf die einzelsprachliche Interpretation), Grammatik und Wortbildung theoretisch zu vermitteln sind. Kap. 1.3 problematisiert das Verhältnis von Wortbildung und Grammatik sowie von Wortbildung und Sprachtypologie, indem die Interdependenzen aufgewiesen werden. Wo aber manifestiert sich der Typus einer Sprache überhaupt in profilierter Weise? Zwei Orte kommen dafür in Frage: Sprachhistorisch ist der Sprachwandel der Ort, wo sich der Typus am klarsten abzeichnet (Kap. 1.4 Der Sprachtypus synchronisch und diachronisch). Der Sprachwandelprozess, den die romanischen Sprachen in der Entwicklung vom Latein und den das Französische im Übergang vom Alt- zum Neufranzösischen durchlaufen haben, soll aber hier nicht auf Ebene der historischen Texte nachvollzogen werden; er findet sich andernorts von der Forschung bereits aufgearbeitet (cf. insbesondere die einschlägigen Werke von Christiane Marchello-Nizia 1979/1992, 1995, 1997/2005, 1999, v.a. Marchello-Nizia 2006, wo die Leistung des Konzeptes der «Grammatikalisierung» für die Beschreibung der Sprachentwicklung umfassend entfaltet wird). Die «Sprache der Dichter» ist derjenige zweite Ort und die sprachliche Varietät, wo die funktionellen Möglichkeiten einer Sprache in höchstem Maße entfaltet werden. Daher lassen sich die Prinzipien des einzelsprachlichen Typus über die Dichtung besonders gut belegen. Die Belege sind literarischen Texten im Rahmen der normierten Standardsprache, wie sie Grammatiken und Wörterbücher anführen, entnommen (Kap. 1.5 Sprachtypus und Standardsprache; 1.6 Textbelege und Quellen). Um Grammatik und Paragrammatik typologisch bestimmen zu können, bedarf es eines theoretischen Analyserahmens, der die genannten sprachlichen Bereiche grammatisch-funktionell, paragrammatisch-semantisch und typologischprinzipiell bzw. typologisch-individuell adäquat zu beschreiben und interpretieren erlaubt (Kap. 1.1 hat die methodischen Probleme aufgezeigt). Alle Analyseebenen lassen sich nur dann konsistent in ein Gesamtkonzept einbinden, wenn eine detaillierte grammatische Beschreibung als erste Prämisse vorausgeht. Eine solche Beschreibung der einzelsprachlichen Grammatik gliedert sich in die Sektionen konstitutionelle, funktionelle und relationelle Grammatik (Kap 2.1); diese Beschreibung klärt das Verhältnis zwischen Grammatik und Paragrammatik (2.1.4 Die relationelle Grammatik; 2.1.5 Paragrammatik als relationelle Grammatik; 2.1.6 Verb und Satzinhalt: Bedeutungen mit und ohne Funktion im Satz). Zur grammatischen Beschreibung gehören die grammatischen Schichten (minimale Einheit,
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Wort, Wortgruppe, «Klausel», Satz, Text) als Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung (Kap. 2.2); grammatische und typologische Gestaltung der Einzelsprache hängen ab von der Existenz der grammatischen Schichten, Kap. 2.2.2 (das Lateinische verfügt beispielsweise nicht über die Ebene Wort, die im Französischen, Spanischen, Englischen und Chinesischen dagegen konstitutiv ist), sowie deren Eigenschaften (Kap. 2.2.4) bzw. Verhalten mit Blick auf die Fähigkeit zur Subordinierung; insofern Wortbildung als Subordinierung verstanden werden kann (Kap. 3.1), kommt ihr ferner ein besonderer theoretischer Stellenwert zu: Subordinierung ist das Hauptverfahren der Konversion, die dem isolierenden Sprachtypus und der französischen Sprache besonders eignet. Der besondere paragrammatische Zusammenhang zwischen dem isolierenden Sprachtyp und der Konversion wird durch den Exkurs zur Charakterisierung der Ebene des Worts im Chinesischen (3.1.3) erläutert, der einen Vergleich mit dem Französischen und Englischen ermöglicht. Die Theorie muss ferner klären, was die (affixale) paragrammatische und die grammatische Morphologie voneinander unterscheidet (Kap. 3.2). Die grammatischen Schichten wiederum manifestieren sich in der sprachlichen Gestaltung, indem sie sprachliche Korrelate ausbilden (synthetischer, polysynthetischer bzw. inkorporierender, analytischer, isolierender Sprachtypus, Kap. 3.3). Diese wiederum können kontrastiert werden mit den Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie im Sinne von abstrakten (prototypischen und probabilistischen) Idealkonstrukten bzw. in sich funktionell abgestimmten Merkmals-«Clustern», wie sie im Modell der Prager typologischen Schule (um Valdimír Skalička, Petr Sgall) definiert wurden (isolierendes, agglutinierendes, flektierendes, introflektierendes, polysynthetisches Konstrukt; Kap. 3.4); die genannten Haupttypen lassen sich auch im Rahmen der Grammatikalisierungsforschung als «grammatische» Typen interpretieren, wobei Isolation und Polysynthese die jeweiligen Extrempole einer Skala besetzten, innerhalb eines Zyklus aber als kontingente Größen erscheinen. Dies ist für die typologische Beschreibung des Französischen insofern wichtig, als die analytischen Mittel einer Sprache so dominant werden können, dass diese dem isolierenden Sprachtypus zuzuordnen ist, der seinerseits auf einem Kontinuum in die Polysynthese überzugehen vermag (Kap. 3.5). Dabei ist festzustellen, dass keine Sprache einen Typus in Reinform repräsentiert, sondern stets eine Typenmischung auf sich vereint, die den eigentlich idiosynkratischen Typus des sprachlichen Individuums bedingt. Besondere Affinitäten zwischen der Basisdominanten und sekundierenden «Hilfstypen» jeweils in Grammatik und Paragrammatik eröffnen die Frage nach Theorie und empirischer Evidenz (Kap. 3.5.3). Zur konkreten typologischen Einordnung von Grammatik und Paragrammatik des Französischen wird nunmehr eine zweifache Perspektive eingenommen: Über eine erste Analyseebene, die die genannten morphologischen Typen der
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typologischen Tradition als Analyseparameter heranzieht, wird untersucht, inwieweit sich das moderne Französisch auf einen eigenen Weg begeben hat (und sich damit von der Gesamtromania entfernt). Hierbei wird die diachronische Perspektive tangiert; der Vergleich mit der Entwicklung des als isolierend eingeordneten Englischen liefert dabei unter Bezug auf die Konzepte von Sprachwandel und Sprachkontakt eine gute heuristische Parallele (Kap. 3.6.2). Auf dem Hintergrund des in der sprachwissenschaftlichen Literatur dokumentierten Sprachwandels erweist sich das moderne Französisch als Exponent des isolierenden Konstrukts (Kap. 3.6); wie weit diese Annäherung, jeweils bezogen auf Grammatik und Paragrammatik vorangeschritten ist, wird jeweils anhand der als typologisch relevant selegierten sprachlichen Phänomene im Fortgang der Arbeit aufgewiesen. Dahinter steht stets die allgemeine Frage, wie sich einzelsprachlicher Typus und Allgemeine Typen zueinander verhalten. Prinzipiell kann die für die Einzelsprache induktiv festgestellte typologische Ausrichtung selbst als Prinzip fungieren, indem es sich als dominante Merkmalskonstellation in anderen Sprachen realisiert findet. Das Prinzipielle bedingt also das Individuelle; das Individuelle kann selbst zum Prinzip werden. Damit ist die zweite grundlegende Analyseebene des Vorgehens aufgerufen: Sie stützt sich auf diejenigen Erkenntnisse der sprachtypologischen Forschung, die für die romanischen Sprachen bereits ein Strukturierungsprinzip, das «Prinzip der romanischen Sprachen» (nach Coseriu), aufgedeckt hat (v.a. Kap. 3.7 zur Genese des Prinzips). Dieses kann die historische Entwicklung der romanischen Sprachen aus dem Latein erklären und ist bislang in seiner Einzigartigkeit durch nichts Vergleichbares ersetzt bzw. widerlegt worden. Coserius Konzept einer «integralen» Typologie (3.7.2) betont dabei die Verbundenheit mit der typologischen Tradition Humboldt’scher Prägung; Bezüge zur Skalička’schen Typologie werden darin bewusst bejaht. Insofern reiht sich die Coseriu’sche Typologie in eine Traditionslinie ein, die ihren besonderen Stellenwert daraus bezieht, dass die Sprache als holistisches funktionelles Gebilde hervortritt. Daher sollten diese Einsichten m.E. auch weiterhin (weil etwa aus der Mode gekommen) nicht verworfen werden. Die Arbeit beruht also auf Ergebnissen der Allgemeinen Typenlehre, die in den Dienst der einzelsprachlichen Typusbestimmung gestellt werden. Die jeweils gewählten Analyseansätze erweisen sich als kompatibel; nur so kann die genannte Verhältnisbestimmung überhaupt vorgenommen werden. Kompatibilität auf Theorieebene ist zum anderen eine wesentliche Grundvoraussetzung, um eine holistische Sicht einzunehmen, die nicht nur die Grammatik, sondern auch die Wortbildung integriert. Im weiteren Verlauf der Arbeit (ab Kap. 4) werden «integrale» Typologie und Prager Typologie auf das Französische angewandt. Dabei werden polysyntheti-
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sche Tendenzen und Anteile des Französischen herausgearbeitet über zunächst folgende sprachliche Phänomene: Vorkommen von (in Kap. 4.1 typologisch interpretierten) Partikeln (Vergleich mit der Typologisierung des Deutschen und Altgriechischen, die hierauf aufbauen; Kap. 4.2.2), präfigierter Verben sowie der Fähigkeit zur Nominalkomposition (Kap. 4.2); die präfigierten Verben geben Anlass, Verbalkomposita des Französischen sowie die locutions verbales auf diesem Hintergrund typologisch einzuordnen (Kap. 4.2.4). Der (mit der Tendenz zur Isolation in Verbindung stehende) polysynthetische Anteil des Französischen wird in Kap. 4.3 weiter bestimmt (über den Wortbildungstyp «coupepapier», Subjekt- und Objektkonjugation bzw. Klitisierungstendenzen im Französischen; Kap. 4.3.1–4.3.2). Aufschlussreich sind Tendenzen des français populaire, die in Richtung verstärkte Polysynthese weisen und somit die isolierende Tendenz der Standardsprache prospektiv anders extrapolieren. Kap. 5 widmet sich der inhaltlichen wort- und formbildenden Typologie; darin sollen die in der Forschung bislang wenig beachteten funktionellen Beziehungen zwischen Wortbildung und Typologie untersucht und geklärt werden. Die Wortbildungstypen eines wichtigen Vertreters der Prager Schule werden vorab dargestellt (Kap. 5.1): Miloš Dokulil setzt (ausgehend vom flektierenden Tschechisch) an den onomasiologischen Kategorien an, was die Frage nach den semantischen Rollen versus grammatischen Satzfunktionen als wortbildende Kategorien aufwirft und zum «syntaktischen Ansatz» (Kap. 5.3) in der Wortbildungstheorie überleitet. Dabei kommt der Stellenwert der Subordinierung als Eigenschaft der grammatischen Schichten zur Geltung (Kap. 5.2.5); zugleich wird der Nutzen deutlich, den eine abstrahierte Paraphrase im Sinne einer «Grammatikalisierungsformel» mit sich bringt (Kap. 5.2.2). Das Konzept der «Paraphrase» (Kap. 5.2) ist wichtig, da eine funktionelle Wortbildungslehre eines Instrumentes bedarf, um die Funktionen bzw. die mit einem Wortbildungsverfahren implizierte Wortbildungsbedeutung explizit zu machen. Im Anschluss wird die zugrunde gelegte Wortbildungstheorie, d.h. die inhaltlich verstandene Wortbildungslehre in der Tradition von Charles Bally, Eugenio Coseriu, Jens Lüdtke entfaltet; Ziel ist es, die Wortbildung unter materiellen und funktionellen Aspekten typologisch zu deuten (Kap. 5.4). Dem Typus des Französischen eignet gemäß seinen funktionellen Eigenschaften die Transposition auf paragrammatischer Ebene an erster Stelle; die Konversion (Transposition ohne Suffix) als materielles Verfahren ist der korrelierende typusadäquate Ausdruck. Die typologische Interpretation setzt also in Grammatik und Paragrammatik jeweils die funktionelle Analyse voraus; daher wird die Beschreibung eines Objektbereichs als Nullableitung oder Konversion ausführlich diskutiert (Kap. 5.4.3). Das Funktionieren der Konversion wird bei Infinitiven,
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Adjektiven, Präsens- und Perfektpartizipien, Adverbien, delokutiven Verben, präpositionalen Fügungen, Satzteilen und Sätzen dargelegt (Kap. 5.4.4); die wichtige Bedeutung dieser Bereiche in Wortbildung und Grammatik des Französischen soll herausgestellt werden. Im Folgenden wird Wortbildung als Grammatik des Wortschatzes (Kap. 5.4) für den Bereich Modifizierung (Kap. 5.5–5.8) mit Bezug auf das moderne Französische veranschaulicht und exemplifiziert. Die Genusmarkierung in Grammatik und Paragrammatik erweist sich als ein besonders komplexer sprachlicher Gegenstand (unter Berücksichtigung des code écrit und code parlé), wenn er gemäß seiner funktionellen Reichweite (Unterscheidung von Genus und Sexus; Mensch und Tier) umfassend dargestellt werden soll. Als Movierung wird dabei die materiell realisierte Ableitung zum Zwecke der Spezifikation des (i.d.R. weiblichen) Sexus verstanden (Kap. 5.6). Dies ist ein eigener Bereich, zu dem umfangreiches Material existiert; dieses ließe sich weiterführend dahingehend untersuchen, in welcher Weise die jeweiligen sprachpolitischen Entscheidungen dem «Geist» des Französischen entsprechen, also seinen (aktuellen) Typus aufnehmen oder diesen konterkarieren. Dieser Frage konnte im Rahmen der vorgestellten Arbeit nur punktuell (siehe Kap. 5.6.5.2) nachgegangen werden, ist aber prinzipiell ein Desiderat der Forschung. Abgesehen von der Genusmarkierung umfasst die Modifizierung die Gegenstandsbereiche Kollektivbildung, Diminutiv-, Augmentativ-, Pejorativbildung, Intensivierung, Approximation und Negierung (Kap. 5.7–5.8). Parallel zum bisherigen Vorgehen werden diese grammatischen Bereiche mit den semantisch analogen paragrammatischen Bereichen kontrastiert und jeweils typologisch gedeutet, d.h. in die bisher für das Französische aufgedeckte Tendenz zur Isolation eingeordnet. Dabei ist der Numerusmarkierung (inklusive der Numerusmarkierung bei Gattungs- und Eigennamen) ein eigenes Kapitel gewidmet (Kap. 6); dieses schließt sich an die Ausführungen zur Kollektivfunktion und Intensivierung an, die der Numerus teilweise integriert. Die typologische Perspektive kann aufzeigen (Kap. 6.2), inwieweit agglutinierende, (intro)flektierende oder andere Gestaltungsprinzipien sowie die Suppletion ebenfalls in der sprachstrukturellen Gestaltung auftauchen und also berücksichtigt werden müssen. Kap. 7 dient einem Überblick über die Verbkategorien aus allgemeinsprachlicher Sicht. Der Unterschied zwischen Aspekt und Aktionsart wird thematisiert, da dieser sowohl für die Grammatik als auch die Paragrammatik relevant ist. Eine Skizze der Kategorien des Verbs nach Roman Jakobson (Kap. 7.1) soll als theoretische Grundierung die funktionelle Analyse einleiten. In der Folge werden Tempus und Aspekt des Französischen (Kap. 7.6) auf dem Hintergrund des romanischen Systems (7.5) dargestellt. Die Anlage des Kapitels führt erst auf das syntagmati-
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sche Verfahren zu, das die analytische Tendenz des Französischen unterstreicht. Trotzdem habe ich mich für diese Reihenfolge entschieden, um das Spezielle in den Horizont des Allgemeinen zu stellen. Die ausführliche Behandlung des Tempus und der anderen Verbkategorien erscheint gerechtfertigt, zumal der Aspekt in den romanischen Sprachen eine Nebenkategorie darstellt, die interpretativ das Tempus voraussetzt. Die Besonderheit des romanischen Aspekts erweist sich gerade auf dem Hintergrund anderer einzelsprachlicher Beziehungen zwischen Tempus und Aspekt als erhellend. Wie die Ausdrucksformen der aspektuellen Kategorien profilieren die (modifizierenden) verba adiecta in unterschiedlichen Bereichen den analytischen Ausdruck, wie es dem im Französischen dominanten Sprachtyp entspricht. Die fomes surcomposées (7.7) haben ihrerseits einen systematischen Charakter, sie werden daher ausführlich mit Belegen aus der gesprochenen und der geschriebenen Sprache und im Ineinandergreifen von Tempus und Aspekt funktionell dargestellt, gefolgt von den formes hypersurcomposées. Im Rahmen der Modalität sind der periphrastische Ausdruck des französischen Konjunktivs und die Modalverben relevant, weil beide syntagmatische Verfahren abbilden (Kap. 7.8, 7.9). Für die Genera verbi gilt ebenfalls, dass sie in der Grammatik syntagmatisch, also dem isolierenden Typus entsprechend, ausgedrückt werden, während in der Paragrammatik mit dem Suffix -BILIS ein agglutinierendes Verfahren, welches für den flektierenden Typus charakteristisch ist, vorliegt. In Kap. 9 wird das Problem der Präpositionen und Präfixe einer funktionellen Klärung zugeführt; ich setzte bei den Bedeutungen der Präpositionen an, deren Funktion es ist, zwei Elemente in ihrem Verhältnis zueinander zu situieren. Welches diese Elemente bei einer grammatischen Verwendung der Präpositionen sein sollen, ist nicht immer leicht zu identifizieren, erst recht nicht innerhalb einer paragrammatischen Struktur. Der Weg der Analyse dient dem Ziel zu zeigen, dass die Situierung ein Fall von Konversion und somit typologisch wie die anderen Konversionen zu interpretieren ist, so auch die Attributtransposition (Kap. 10). Mit Präpositionen verbundene Substantive werden dem isolierenden Typus des Französischen zugeschrieben, die lexematische Komposition dem polysynthetischen (Kap. 11). Der Typ der Verb-Ergänzung-Komposita (Kap. 11.4) muss wie die anderen Typen zunächst funktionell interpretiert werden, um ihn typologisch einordnen zu können. Einen weiteren typologischen Ansatz, die positionelle Typologie, diskutiere ich im Anschluss an die Behandlung der Verb-Ergänzungskomposita (Kap. 12). Hier wird argumentiert und begründet, weshalb eine ausschließlich auf die Satzgliedstellung aufbauende Typologie zu einer typologischen Einordnung der Sprachen nicht ausreicht.
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Die Nichtmotiviertheit (Kap. 13) und Unveränderlichkeit des Worts fördern die Akzeptanz von Lehnwörtern und ihre Integration in den Wortschatz, da sie für den Sprecher nicht analysierbar sind, was dem isolierenden Konstrukt Skaličkas entspricht. Soweit Wörter aus dem Lateinischen und verwandten Sprachen entlehnt werden, kann sich daraus eine lexikalische Dissoziation und Suppletion ergeben. Hierbei wende ich die Typenlehre Skaličkas auf die Charakterisierung des französischen Wortschatzes an. Daraus ergibt sich seine «Abstraktheit», «Arbitrarität» und Polysemie sowie eine stärkere Verlagerung der Relationen der Wörter auf die Syntax. Die Folge der Eigenschaften des französischen Wortschatzes ist die Relevanz der syntagmatischen Bestimmung bzw. der kontextbedingten Desambiguierung. Der introflexivische Typ des Französischen löst sich im isolierenden auf, da er die Dissoziation oder die analogische Bildung stärkt (Kap. 13.6). Kap. 14 fasst zentrale Ergebnisse der Studie zusammen und situiert ihre Analyseparameter im Kontext von Bestrebungen der neuen Disziplin «Eurolinguistik» zur Theoriebildung. Ein Hinweis zur Zitierweise: Die bibliographischen Angaben im Text enthalten Hinweise auf ältere wie neuere Ausgaben verschiedener Werke; so kann es durchaus aufschlussreich sein zu wissen, wann ein Wissenschaftler seine Arbeit erstmals veröffentlicht hat, auch wenn sich jüngere Auflagen (in ihrer Entwicklung) für die eigentliche Konsultation besser anbieten. Die vorrangig verwendete Ausgabe erscheint dann jeweils ungeklammert; dies gilt es beim Lesen zu berücksichtigen.
1.1 Lehre vom Sprachtypus und Allgemeine Typenlehre: Probleme der Forschung und Vorgaben der Studie 1.1 Sprachtypus und Typenlehre: Probleme der Forschung – Vorgaben der Studie Die Sprachtypologie hat sich seit dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zu einem wissenschaftlichen Gebiet entwickelt, dem nicht länger das Etikett des «Exotischen» anhaftet, sondern das auf breiteres Interesse innerhalb der Linguistik, auch der einzelnen Philologien stößt; als besondere Vertreter lassen sich anführen: der Abbé Girard (ca. 1677–1748), der Conseiller de Grandval (siehe Kretz 2002), der Enzyklopädist Nicolas Beauzée (1717–1789), Johann Christoph Adelung (1732–1806) und Johann Severin Vater (1771–1826), Adam Smith (1723–1790), vorbereitend und ebenfalls einflussreich Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel (1772–1829) und namentlich August Wilhelm von Schlegel (1767–1845), daneben insbesondere Friedrich Wilhelm von Humboldt (1767– 1835). Wenn die Sprachtypologie trotzdem weiterhin eine gewisse Sonderstellung einnimmt, ist diese u.a. bedingt durch die Notwendigkeit (und damit verbundene theoretische wie methodische Schwierigkeit), den Fokus auf mehr als
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eine Sprache zu legen, um ihren Gegenstand zu bearbeiten. Die Attraktivität der Sprachtypologie wiederum resultiert nicht zuletzt aus der Spannung zwischen Spezialisierung und Umfang des zum aktuellen Zeitpunkt verfügbaren Wissens über die verschiedenen natürlichen Sprachen der Welt – ein Wissen, das geradezu aufruft, auf Basis des Fundus an Einsichten und sprachlichen Daten nach größeren Zusammenhängen zu suchen und jene im Rahmen der aktuellen wissenschaftstheoretischen Modelle zu ordnen. Vielfalt und Spezialisierung der Sprachdaten, einhergehend mit einer extremen Heterogenität der Modelle und Ansätze, bedingen aber auch die Unüberschaubarkeit sowie Partialisierung, von der die Disziplin gleichermaßen gekennzeichnet ist. Die sich in Abhängigkeit vom je spezifischen Untersuchungsgegenstand konstituierenden Teiltypologien (die bloß Subsysteme erfassen) lassen eine Zusammenführung der Erkenntnisse vielfach als utopisch erscheinen. Hinzu treten die starken Divergenzen zwischen den Theorien, auf die die typologischen Analysemodelle rekurrieren; sie reflektieren notwendigerweise die in der Linguistik vorherrschenden Strömungen. Über die sie stets begleitende funktionelle Fragestellung ist die Sprachtypologie aber prinzipiell als eine inhaltliche (und nicht rein formanalytische) Disziplin zu fassen. Verschiedene weitere Faktoren haben erschwerend auf die Entwicklung der Disziplin eingewirkt: So hat die genannte Abhängigkeit von dominanten sprachwissenschaftlichen Positionen eine zum Teil ungenügende Reflexion des jeweiligen Forschungsstandes aus sprachwissenschaftsgeschichtlicher Perspektive hervorgebracht. Ferner hat die Konzentration auf die Analyse der anglophonen Varietäten bestimmte Sprachbeschreibungsmodelle lange als prioritär erscheinen lassen oder den Blick verstellt auf die Vielfalt der in den Sprachen der Welt zum Tragen kommenden Strukturierungsprinzipien. Zu bedenken gilt es auch die Schwierigkeit für den einzelnen Sprachwissenschaftler und Typologen, Sprachdaten ohne aktive Kenntnis einer repräsentativen Auswahl an Sprachen richtig interpretieren zu können. Zu aussagekräftigen Ergebnissen können vor allem einzelsprachlichen Studien führen, deren es mit Blick auf eine Typologisierung des Gesamtsystems übrigens ermangelt, auch wenn sich der typologisch orientierte Sprachwissenschaftler vielfach eher als ein an den natürlichen Sprachen in ihrer Gesamtheit und Vielfalt interessierter Sprachforscher verstanden wissen will als ein einzelsprachlich fixierter. Das Problem der holistischen2 Gesamttypologisierung einer Sprache scheint ohne
|| 2 «Holistisch» meint hier eine Erfassung des individuellen Sprachsystems als ein strukturelles Gesamt in Abgrenzung zu solchen Ansätzen, die sich einzelne Subsysteme im Rahmen der partiellen Typologien zum Untersuchungsgegenstand setzen.
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Rekurs auf interlinguale Vergleiche (und damit die Arbeit ganzer Forscherteams) allerdings schwer lösbar. Ein neuer Impetus kann dabei nicht nur von der Allgemeinen Typenlehre in Richtung auf Versuche der einzelsprachlichen Typologisierung, sondern auch umgekehrt von der einzelsprachlichen Typusbestimmung auf erstere ausgehen. Zum kontrastiven Ansatz in der Sprachwissenschaft und dessen Leistung für die Sprachtypologie noch eine Bemerkung: Anna Sőrés (2008a) vertritt einen originellen kontrastiven Ansatz, der in eine typologische Studie hätte münden können,3 was die Autorin anderswo verfolgt (cf. Sőrés 1989;4 cf. Greenberg 1963a). Die kontrastive Methode an sich, so Sőrés, führe über die Validierung oder Modifikation von auf Basis deskriptiver Daten formulierten Theorien insofern hinaus, als die theoretischen Modelle unter kontrastivem Blickwinkel eine Erweiterung der Perspektiven auf ein sprachliches Phänomen zulassen müssen. Der kontrastive Ansatz in der Linguistik (cf. Skalička 1962; 1963; Coseriu 1970b; Lüdtke 1988a) diene damit eben nicht nur der angewandten Linguistik wie der Sprachdidaktik oder Übersetzungswissenschaft; vielmehr, so das Plädoyer der Autorin, sei die kontrastive Herangehensweise als eine Methode anzusehen, die geeignet ist, Probleme der Allgemeinen Sprachwissenschaft mit anzugehen. Hierin vertritt sie eine Auffassung von kontrastiver Linguistik, die auch zur Theoriebildung beitragen möchte und – über den Rekurs auf die Grammatikalisierungsforschung – die diachronische Ebene ebenfalls berührt. Es ist wünschenswert, dass eine solche Auffassung breitere Beachtung findet. Zugleich wirft sie die Frage der Grenze einer kontrastiven Linguistik auf oder, positiv formuliert, die Frage, inwieweit die kontrastive Analyse für die Sprachtypologie verwertbare Ergebnisse liefern kann. Sőrésʼ Plädoyer hat methodologisch weiter reichende Konsequenzen bzw. eröffnet die Aussicht auf neue Ergebnisse: Wird die holistische Perspektive an-
|| 3 Die Vergleichssprachen umfassen die weite Palette der romanischen Sprachen wie das Französische, Italienische, Spanische, Rumänische, sowie das Ungarische, Finnische, Englische, Deutsche, Griechische und andere Sprachen. 4 Interessant ist das Ergebnis der Studie, wonach eine Differenzierung nahe liegt zwischen einerseits einem romanischen «Typ» (je nach zugrundeliegender Definition von Sprachtypus), der die genealogische Affiliation herausstellt, und andererseits einer Sprachbeschreibung des einzelnen sprachlichen Individuums innerhalb der Sprachfamilie, für die der spezifische zugrundeliegende Typ bzw. dessen Funktionieren erst zu eruieren wäre. Die angelegten Parameter lassen aber sowohl den romanischen Typ hervortreten und auch erkennen, wo die einzelnen Sprachen voneinander im Sprachverhalten abweichen. Grundlegend ist der morphosyntaktische Ansatz, der implikationelle und andere Sprachcharakteristika aufnimmt und genetisch nicht verwandte Sprachen untersucht.
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derswo kaum eingenommen, legt sie eine Studie vor, die sich zum einen an den traditionellen grammatischen Kategorien orientiert (Numerus, Genus, Kasus, Tempus, Aspekt,5 Definitheit, Kongruenz) und die zugleich ebenfalls einen (in der Intention) holistischen Rahmen setzt. Sőrés schließt Fragen der relativen Wortstellung ein (mit besonderem Fokus auf der Stellung des attributiven Adjektivs – «adjectif épithète» – in den romanischen Sprachen sowie der potenziellen Bivalenz derselben als, so ihre Beobachtung, singuläres Phänomen der romanischen Sprachen, cf. un brave homme ʻein anständiger Menschʼ vs. un homme brave ʻein mutiger Menschʼ) und integriert auch (als Aufforderung zur Weiterentwicklung) diskurspragmatische Fragen der Informationsstruktur bzw. Gliederung nach Thema-Rhema (bzw. Topik – Comment; cf. hierzu die wichtigen Arbeiten der Prager Schule). Auf solchen Studien lässt sich auch für die sprachtypologische Forschung aufbauen, zumal unterschiedliche theoretische Entwürfe im Sinne einer besseren Integration von Sprachdaten berücksichtigt werden (etwa die Aktanten- oder Valenztheorie). Die kontrastive Methode stellt dabei eines im Besonderen heraus: Wenn, wie Sőrés konstatiert, die kontrastive oder typologische Sicht zu eigentlich fundierten Einsichten führt, bedarf es einer Vergleichsbasis. Diese wird über die traditionellen allgemeinsprachlichen (nicht notwendig universellen) Kategorien fassbar, zugleich kommt die (einzelne) Sprache als Ganze bzw. die Sprachen als Ganze in den Blick. So etwa kann der Zusammenhang zwischen der (Entwicklung der) Funktionen von Adpositionen (cf. «Situierung» in dieser Arbeit) und Kasus nur unter einem solchen offener gefassten Blickwinkel erfasst werden. Sőrésʼ Studien sind weiterführend: Sie sind gesamtsystemisch angelegt, kontrastiv orientiert unter Berücksichtigung genetisch verschiedener Sprach(famili)en und setzen insofern kontrastive Linguistik, einzelsprachliche Sprachtypologie bzw. Einzelphilologie und Allgemeine Sprachwissenschaft ins Verhältnis und integrieren trotz synchronischer Anlage diachronische Prozesse der historischen Sprachentwicklung. Außen vor allerdings bleiben der Bereich Wortbildung und die Frage, wie die deskriptiv erfassten Daten miteinander in ein funktionelles Gesamt eingeordnet werden können. Dies leistet die typologische Ebene, die höher zu situieren ist und die Sprachdeskription und Sprachklassifikation transzendiert; Grammatik und Paragrammatik im Horizont der ganzen Sprache mit anderen Sprachen zu vergleichen und auch typologisch zu interpretieren wäre ein methodisch herausforderndes und linguistisch spannendes Unterfangen. Die typologische Forschung hat mit Bezug auf das Französische, das die einzelsprachliche Dimension dieser Untersuchung darstellt, namentlich die || 5 Die Kategorie Modus bleibt in dieser Analyse unberücksichtigt.
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traditionelle Dichotomie «analytisch» – «synthetisch» bis heute in immer wieder neuer und fruchtbarer Weise zur Anwendung gebracht; nicht zuletzt sei an dieser Stelle verwiesen auf die Werke von Gabriele Eckert (1986), Hans Geisler (1982), Armin Schwegler (1990) sowie Adam Ledgeway (2012a; 2012b) (viele andere bleiben hierbei ungenannt). Ledgeway sieht den typologischen Wandel vom Latein zum Romanischen in der ungrammatikalisierten vs. sich verfestigenden Wortstellung angelegt und erklärt im Rahmen seines syntaktischkonfigurationellen Ansatzes den Übergang von einem «dependent-marking» (morphologisch orientierten) Latein zum «head-marking» (syntaktisch orientierten) Romanischen, wobei er die traditionelle Terminologie ablegt. Das bekannte Oppositionspaar «analytisch – synthetisch» birgt jedoch Probleme der Abgrenzung und Terminologie, zumal die sprachwissenschaftsgeschichtliche Einreihung Traditionslinien vorgibt, die nicht unberücksichtigt bleiben können. So sind die Begriffe «Analyse-Synthese», «Analytismus-Synthetismus», «Analytizität-Synthetizität» grundlegend zu sehen auf dem Hintergrund der von den Brüdern Schlegel als Subklassifikation der flektierenden Sprachen eingeführten Dichotomie «analytisch-synthetisch» (A. W. v. Schlegel 1818). Dem gegenüber steht Humboldts ([1836a]/1935) Klassifikation in «Isolierung», «Flexion» und «Agglutination» (neben der «einverleibenden» oder «inkorporierenden» Methode, die sich nach dem hier vertretenden Beschreibungsmodell der «Polysynthese» subsumieren lassen).6 Verortet im Kontext der indoeuropäischen Sprachforschungen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts impliziert die «Analyse» als Gegenpol zur «Synthese» in ihrer komplementären Bezogenheit graduelle Abweichungen im Rahmen der flektierenden Sprachen und ist, so verstanden, kompatibel mit der von den Schlegel-Brüdern eingeführten Terminologie. Mit «isolierend» werden gemäß der Humboldt’schen Tradition eher holistische Sprachtypen (wie auch der «flektierende», «agglutinierende») zu erfassen versucht; die Mittel der Analyse (instrumentale Morphemwörter: Präpositionen, Artikel, Pronomina etc.) gehören dem isolierenden Sprachtyp an, illustrieren diesen prototypisch. Über je mehr analytische Merkmale eine Sprache verfügt, umso mehr nähert sie sich dem isolierenden Konstrukt an. So verstanden sind beide Begriffe kompatibel. Das Englische repräsentiert den isolierenden Typus der klassischen Tradition schon gut; das Französische zeigt eine ausgeprägte Tendenz in Richtung auf die Isolation. Da das Französische in der Epoche des Mittelfranzösischen einen typologischen Wandel vollzogen hat, ist die historisch-genealogische
|| 6 Zu einer sprachwissenschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung siehe meine unveröffentlichte Arbeit (2002).
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Dimension (die Herkunft dieser romanischen Sprache aus dem flektierenden Latein) umso präsenter, als eine flektierende in eine isolierende Sprache übergeht. Da das Französische den ererbten Typus – vor allem im paragrammatischen System – nicht vollständig abgelegt hat, koexistieren Flexion (zum Teil bei den Verbparadigmen, bei der nominalen Suffigierung u.a.) und Isolation je nach Dominanz der analytischen Verfahren in den einzelnen Subsystemen. Die terminologischen Begriffspaare «analytisch – synthetisch» (bzw. «Analyse – Synthese»), «isolierend – flektierend» (bzw. «Isolation – Flexion») und auch «syntagmatisch – paradigmatisch», wie von Eugenio Coseriu in die typologische Diskussion eingezeichnet, stellen daher keine Synonyme dar, sondern verweisen auf die jeweilige Verortung innerhalb der Wissenschaftstradition: «analytisch» gebrauche ich im Sinne von «mit analytischen Mitteln operierend»; «isolierend» indiziert die sich idealiter holistisch entfaltende Tendenz der sprachtypologischen Entwicklung im Rahmen der klassischen Allgemeinen Typenlehre (in dieser Arbeit nach dem Prager Ansatz); die Opposition «syntagmatisch – paradigmatisch» wiederum verweist auf den Ausbau der jeweils syntagmatischen oder paradigmatischen sprachlichen Achse innerhalb der Sprachtheorie Coserius bzw. auf seine darin eingebettete Grammatiktheorie, die der typologischen Theorie zugrunde liegt. Wesentlich ist also, dass die Termini auf dem Hintergrund des theoretischen Kontextes, dem sie entstammen, gelesen werden. Es wird deutlich, dass die wissenschaftliche Tradition in der Sprachtypologie eine große Rolle spielt; beruft man sich auf sie, ergibt sich eine Orientierung, die die Sprache als ein einheitliches Gebilde in den Blick nimmt. Eine Rückbindung an die Tradition impliziert zugleich auch eine Ausrichtung auf die Morphologie als zweite theoretische Vorgabe. Das Vorgehen in dieser Untersuchung soll sich entsprechend innerhalb eines morphosyntaktisch ausgerichteten, funktionell-strukturellen Rahmens bewegen, der nach wie vor tragfähige Grundlagen bereitstellt. Im Bereich der Allgemeinen Sprachwissenschaft bzw. der Allgemeinen Typenlehre scheint ein sprachliches Beschreibungsmodell, das mit dem Anspruch auftritt, möglichst alle natürlichen Sprachen (bzw. die durch diese ausgedrückten Inhalte) zu erfassen, in weiter verwertbarer Weise am ehesten durch die Prager linguistische Schule repräsentiert. Das Modell erlaubt darüber hinaus eine typologische Charakterisierung des einzelsprachlichen Systems in holistischem Sinne. Die beiden Typologien, also diejenige, die sich prinzipiell mit allen Sprachen der Welt befasst, und die primär am Typus der Einzelsprache orientierte lassen sich in kohärenter Weise nur über ein geeignetes tertium comparationis miteinander in Verbindung bringen; als solches können die Katego-
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rien der Allgemeinen (Philosophischen) Grammatik betrachtet werden, durch die wir die Welt einordnen nach Typen von Entitäten (Gegenstände, Eigenschaften, Prozesse) und Beziehungsformen wie Zeit, Zahl, Ort etc. In der Morphologie werden als semantische Kategorien und Operationen gängiger Weise folgende Entitätsbegriffe unterschieden: Person, Numerus, kontinuierliche – diskontinuierliche Substanz (mass and collection), Genus (Nominalklasse), Kasus, Besitz, Diminutivierung und Augmentivierung u.a.; daneben Sachverhalts- und Eigenschaftsbegriffe: Tempus, Aspekt- und Aktionsart, Modus und Modalität, Diathese, Negation, Komparation (Gradierung) etc. Eine Orientierung an diesen grammatischen Kategorien liegt den typologischen Analysen, wie sie zu einem relativ breiten Spektrum an Sprachen vom Prager Typologen und allgemeinen Sprachwissenschaftler Vladimír Skalička7 vorgelegt wurden, zugrunde. Die Kategorien der Allgemeinen Grammatik erweisen sich bezüglich des Allgemeinheitsgrades für typologische Analysen, die die Allgemeine Typenlehre mit der einzelsprachlichen Typologisierung verbinden, als hinreichend allgemein (und insofern brauchten sie allgemeiner nicht zu sein), um im übereinzelsprachlichen Vergleich relativ gute Größen vorzugeben: Sie stellen ein Raster bereit, das es ermöglicht, die Ergebnisse der Allgemeinen Typenlehre auf die Einzelsprache zu beziehen, auch wenn die genannten Kategorien nicht für alle Sprachen der Welt in gleichem Umfang Aussagekraft besitzen, da sie in diesen beispielsweise mit nur unterschiedlicher Vollständigkeit vertreten sind.8 Im Bereich der romanischen Sprachen besitzen die traditionellen Größen der Allgemeinen Grammatik (gemäß der Traditionellen Grammatik) jedoch weiterhin Gültigkeit. Es stellt sich darüber hinaus die Problematik der Gestalt einer «inhaltlichen» Typologie. Eugenio Coserius9 Typologisierungen der romanischen Sprachen, des Französischen im Besonderen, sowie des Deutschen im Vergleich mit dem Altgriechischen erweisen sich als tatsächlich funktionelle bzw. inhaltliche Typologien, die die einzelsprachliche Form jeweils mit entsprechenden funk-
|| 7 * 19.08.1909; † 17.01.1991. 8 Die Allgemeine Grammatik bezieht sich auf das Sprechen im Allgemeinen: So resultiert der Versuch, die Verbalkategorien zu definieren, in einer universellen Kategorie im Sinne einer Möglichkeit der Sprache als solcher, einer Möglichkeit, die unabhängig von einer bestimmten Einzelsprache zu sehen ist. Kategorien wie Verb, Substantiv, Adjektiv können also mit Bezug auf eine Einzelsprache nicht definiert, sondern lediglich deskriptiv erfasst werden. Eine bestimmte Verbalkategorie kann in einer Sprache vorkommen oder auch nicht; sofern sie in einer Sprache existiert, lässt sich ihre Funktion im einzelsprachlichen Rahmen umreißen und ihr materielles Ausdrucksschema beschreiben (cf. Coseriu 1988, 261–262). 9 Eigentlich rum. Eugen Coşeriu (* 27.07.1921; † 07.09.2002).
Sprachtypus und Typenlehre: Probleme der Forschung – Vorgaben der Studie | 15
tionellen Prinzipien auf höchster sprachlicher Ebene korrelieren. So zeichnet sich das Prinzip der romanischen Sprachen dadurch aus, dass es eine doppelte Parallelität zwischen materiellen und funktionellen Verfahren etabliert (cf. infra Kap. 3.7.3);10 der Versuch der Typusbestimmung des Deutschen im Zusammenhang mit dem Altgriechischen lässt ein zugrunde liegendes typologisches Prinzip erkennen, das auf die situationell-kontextuelle Determinierung abhebt und somit ebenfalls als ein «inhaltliches» (nicht bloß pragmatisches) interpretiert werden kann (cf. infra Kap. 4.2.2).11 Insgesamt weisen Coserius typologische Bestimmungen in exemplarischer Weise auf: dass typologische Prinzipien idealiter einzelsprachlich-individuell und induktiv zu bestimmen sind; dass sie die grammatische Funktionalität transzendieren können (cf. auch Coseriu [1980a]/1988, 193, Anm. 19 zu einer Typologisierung des Japanischen); dass sie offensichtlich alles betreffen können, was durch die Sprache erfasst und ausgedrückt werden kann; dass typologische Prinzipien stets ein gewisses Abstraktionsniveau implizieren.12 Auch der Skalička’sche Ansatz zu einer Allgemeinen Typenlehre umfasst den einzelsprachlichen Typus: Dieser ergibt sich aus der Bestimmung des spezifischen Verhältnisses der in der Sprache realiter vertretenen Allgemeinen Typen (per se gefasst als Merkmalskonstellationen im Sinne prototypischer Idealkons-
|| 10 Ein Verfahren umfasst stets eine materielle Technik sowie eine inhaltliche Ebene. Des Öfteren wurde bereits darauf aufmerksam gemacht (siehe etwa Coseriu 1977; Lüdtke 1996a), dass eine parallele Analyse von Form und Funktion in der Wortbildung bzw. Grammatik nicht notwendig zu den besten Ergebnissen führt, sondern sich eher eine Haltung anbietet, die vorab eine Entscheidung darüber trifft, welche Ebene als die primäre (im Sinne von vorrangig betrachtete) gewählt werden soll. Allerdings darf dies nicht zu einer totalen Ausgrenzung der anderen Ebene führen; vielmehr erweist sich eine synthetisierende Sicht, die Form und Funktion zumindest miteinander konfrontiert, als angemessen. Im Bereich des Typus entspricht die Betonung der Form gegenüber der Funktion der üblichen Praxis. Ein Vorgehen, bei dem die Trennung von Form und Funktion mit einer Hintanstellung der inhaltlichen Fragestellung identisch ist, erscheint namentlich auf der Folie der genannten strukturell-funktionellen Prinzipien einerseits als inadäquat; andererseits ist ein anderes Verfahren derzeit oft nicht praktikabel. 11 Für Sgall (1986, 23 bzw. 25–26, Anm. 11) ist die Fundierung der für diese beiden Sprachen eruierten typologischen Prinzipien im außersprachlichen Kontext eher problematisch: «COSERIU’S […] comparison of German with Old Greek overlooks that richness in prefixes is also typical for many other languages (Slavonic, Georgian,…) and that prefixes as well as compounds cannot be immediately connected with a specific relation to a ‹non-linguistic context›». 12 Zum Deutschen siehe die Forschungsarbeiten von Ronneberger-Sibold, etwa id. (2010) zur «Nominalklammer», die über die synchron wie diachron verankerte Feststellung induktiv erschlossener Merkmalskonstellationen oder gar -korrelationen der Einzelsprache im «klammernden Verfahren» das für die typologische Bestimmung des Deutschen prägende übergeordnete Prinzip erkennt.
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trukte). Trotzdem kann der so gefasste Typus nicht in gleicher Weise als «semantisch» gewertet werden wie das «romanische» typologische Prinzip. Der funktionelle Charakter dieser Typologie – der der Prager Schule allgemein entspricht – kommt aber dort zum Tragen, wo sich die Merkmalskonstellationen, auf denen die jeweilige Typusdefinition beruht, als eine funktionell motivierte, dynamische bzw. organische und gerade nicht willkürliche13 Konfiguration erweist (cf. infra Kap. 3.4). Skaličkas Typologie kann somit innerhalb der Grenzen der (hauptsächlich) morphologischen Markierung grammatischer Kategorien als funktionell-strukturell gelten; sie ist bezüglich der Frage der Ausprägung der Typen in einer Einzelsprache auch der Sprachökonomie verpflichtet (qua Dominanz eines prägnanten Merkmals, aus dem sich nach Sgall die anderen herleiten lassen). Da das Typologisierungsmodell wesentlich auch auf der Opposition zwischen dem Ausdruck lexikalisch-semantischer und grammatisch-semantischer Inhalte beruht, stellt sich (analog zum grammatischen Bereich) in zunehmendem Maße die Frage nach einem onomasiologischen Ansatz in der Sprachtypologie (cf. den wortbildungstheoretischen Ansatz nach Dokulil 1964; 1968a; 1968b; 1968c; 1968d; 1994), nach dem Stellenwert der semantischen Rollen wie Agens, Instrument im Verhältnis zu syntaktischen Funktionen wie Subjekt, Komplement etc. allgemein im Rahmen einer Typologie. An diese Problematik schließt sich die noch ungeklärte Frage der Möglichkeiten bzw. Grenzen einer lexikalischen Typologie an: ihrer Tragfähigkeit und Aussagekraft mit Blick auf eine holistische typologische Charakterisierung einer bestimmten Sprache bzw. ihrer Nicht-Gangbarkeit. Als weiterhin sinnvolle heuristische Ergänzung erscheint schließlich der Ansatz, der die Einbindung der Thema-Rhema-Gliederung gemäß den Prinzipien der funktionalen Satzperspektive in die sprachliche Typologisierung anstrebt, wie durch Sgall u.a. des Prager linguistischen Kreises realisiert. Den genannten traditionsbildenden Einflüssen, methodischen Bedingungen, auf einzelsprachlicher Ebene gewonnenen Einsichten möchte ich in der vorliegenden Studie Rechnung tragen: In Verhältnis zueinander gesetzt werden Allgemeine Typenlehre und einzelsprachliche Typologisierung ebenso wie Inhalt und Form; dabei wird – wo möglich – vom Inhalt ausgegangen (Inhalt und Form sind dabei nur getrennt sinnvoll und stringent zu betrachten). Die Analyse ist eingebettet in ein sprachtheoretisches Modell, das auf den verschiedenen (grammatischen) Ebenen der Sprache (v.a. der dreigliedrigen Unterscheidung in universelle, einzelsprachlich-historische und diskursiv-individuelle Ebene) aufbaut. Wo der Erkenntnis zuträglich, soll die Synchronie um die Dimension || 13 So der Vorwurf Ch. Lehmanns (siehe https://www.christianlehmann.eu/ling/typ/Skalicka.html).
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der Diachronie als weiterer Analysehorizont ergänzt werden. Das Hauptanliegen besteht jedoch darin, die holistische Konzeption auszubauen: Neben der Morphologie (Grammatik und Syntax) wird auch das wortbildende System bzw. die Paragrammatik typologisch zu deuten gesucht (mit teilweisem Blick auf die Lexik) – zumindest im Rahmen des sprachlichen Individuums französische Sprache.
1.2 Der Ansatz – Parameter der Beschreibung und Zielsetzung Das grammatische wie das wortbildende Teilsystem des Französischen sollen in dieser Arbeit aus sprachtypologischer Perspektive untersucht werden; daher gilt es, zunächst zwischen einer grammatischen bzw. morphosyntaktischen Analyseebene und einer Ebene, die die wortbildenden Verfahren (und die in diesen enthaltenen Wortbildungsbedeutungen) bzw. die «relationelle Grammatik» (im Sinne einer «Grammatik des Wortschatzes»; cf. Coseriu 1982a14) umfasst, zu differenzieren. Mit Jens Lüdtkes Schriften (1978; 1984; 1993; 1995; 1996; 2001) und v.a. seinem inhaltlich, diachronisch und synchronisch orientierten Werk (2005) liegt eine Wortbildungslehre vor, die stringent an der Inhaltsseite der Sprache ansetzt und sich für die typologische Analyse nicht nur hinsichtlich des theoretischen Grundkonzeptes einbringen lässt (siehe namentlich auch posthum Lüdtke 2019), sondern vor allem Zugriff auf eine umfangreiche Materialbasis eröffnet. Sie deckt zudem nicht bloß einen bestimmten Bereich der Wortbildung der romanischen Sprachen – und speziell des Französischen – ab, sondern erfasst sämtliche für das wortbildende System relevanten Verfahren (Transposition mit Konversion, [generische, lexematische] Komposition, Modifizierung). Dank der im genannten Sinne holistischen Grundanlage dieser Wortbildungslehre kann die Wortbildung des Französischen einen weiteren Parameter der vorliegenden Studie bilden. Ferner ermöglicht die kombiniert diachronisch-synchronische Ausrichtung der Wortbildungslehre besondere Interpretationsprobleme über den Rekurs auf die Diachronie bzw. die Parallele zum Latein lösen zu helfen, auch wenn die Diachronie aus den eigenen Betrachtungen weitgehend ausgeschlossen bleiben und nur punktuell berührt werden soll.
|| 14 Coseriu (1982a, 16): «[…] dans la formation des mots, il s’agit sans doute d’une ‹grammaire du lexique›, mais […] cette grammaire ne doit pas être confondue avec la grammaire tout court, puisque, dans ce cas, il s’agit à la rigueur d’autres fonctions ‹grammaticales›, non pas de celles qui se présentent dans la morpho-syntaxe de la même langue». Siehe auch id. (1977, 48–61).
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Eine Beschreibungsebene, die über dem grammatischen und paragrammatischen System auf typologisch-funktioneller Ebene operiert, repräsentieren die funktionell-strukturellen Typen, die auf den klassischen morphosyntaktischen Typuskonzepten der Allgemeinen Typenlehre aufbauen und annähernd holistischen Charakter besitzen (cf. die Theorie nach Vladimír Skalička; ein Gesamtbild ergibt sich aus der Summe verschiedener Aufsätze: 1933; 1934; 1935a; [1935b]/ 1979; 1936; 1939; [1941]/1979; [1942]/1979; 1945/1979; 1946/1979; 1946–1948; 1948; 1950; [1951]/1979; 1955a; [1955b]/1979; [1955c]/1979; [1957]/1979; [1958a]/1979; [1958b]/1979; 1959a; 1959b; 1960a; [1960b]/1979; 1964/1979; 1965a; 1965b; [1966a]/ 1979; 1966b;15 1967a; 1967b; 1968a/1979; 1968b; 1968c; 1968d; 1970a; 1970b;16 1972; 1974a; 1974b; 1975a; 1975b; 1981; 1982; 1983a; 1983b; 1986; 1994a; 1994b; auch Skalička/Sgall 1994). Bezüglich der Frage der realen Exponenten unter den natürlichen Sprachen stellen diese Konstrukte unerreichbare Ideale dar; hinsichtlich der Anwendbarkeit kann ihnen dennoch eine umfassende übereinzelsprachliche Tragweite zugesprochen werden. Da das Konstrukt damit prinzipiell auf jede Sprache anwendbar ist, erhebt sich die Frage nach dessen idiosynkratischer materieller Realisierung: Im Rahmen einer funktionell-strukturellen Charakterisierung des einzelsprachlichen Systems sind die im sprachlichen Individuum jeweils kopräsenten morphosyntaktischen Merkmalskonstellationen (Typen) in ihrem spezifischen Dominanzverhältnis zu eruieren: Das Verhältnis macht den einzelsprachlichen Typus aus.17 Das wortbildende System seinerseits wird übereinzelsprachlich auch in der «onomatologischen Benennungslehre» des Prager Linguisten Miloš Dokulil (1964; insbesondere 1968) zu erfassen gesucht, in der die Referenz auf das Bezeichnete qua übereinzelsprachlicher onomasiologischer Kategorien erfolgt. Die Argumentation kann hier über die Frage der Ausdrucksmöglichkeiten onomasiologischer, d.h. außersprachlicher Kategorien als allgemeiner Kategorien des Inhalts (wie sie auch in den besser bekannten satzsemantischen Funktionen
|| 15 Aufsatz in tschechischer Sprache; cf. aber Haarmann (1976). 16 Ein knappes Resümee wird am Ende (S. 6) gegeben: «Außer der Satzsyntax und der Hypersyntax (Syntax der Sätze) existiert noch eine Hyposyntax, die sich innerhalb des Wortes kundgibt. Personalendungen der Zeitwörter sind ein Analogon des Subjekts, die Temporalendungen entsprechen dem Tempusadverbiale, die Wortbildung ist analogisch der Nebensatzbildung (Schuhmacher ‘der die Schuhe macht’) usw.» (private Übersetzung aus dem Tschechischen). 17 Petr Sgalls Leistung im wissenschaftlichen Kontext der Prager typologischen Konzeption besteht namentlich darin, die von Skalička aufgestellten Merkmalskonstellationen, die gewissermaßen die definitorische Basis für die Konstrukttypen liefern, auf ein einziges Merkmal zu reduzieren, oder besser, alle Merkmale aus einem einzigen abzuleiten.
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bzw. Kasusrollen der Kasusgrammatik, zuweilen als «Tiefenkasus» bezeichnet, ihren Ausdruck finden) auf syntaktischer Ebene den Erweis erbringen, dass bestimmte semantische Rollen (z.B. Agens, Instrument etc.) sich über ein und dieselbe syntaktische Kategorie (etwa der des Subjekts) verwirklichen bzw. analog in der Wortbildung sich unter einem einheitlichen materiellen wortbildenden Verfahren subsumieren lassen (cf. Er schneidet mit dem Messer (agentives Subjekt) versus Das Messer schneidet gut (instrumentales Subjekt) sowie analog das Suffix -eur im Frz. wie in travailleur ‘Arbeiter’ versus aspirateur ‘Staubsauger’ oder im Deutschen -er wie Lehr-er versus Weck-er). Erst über den Rekurs auf die syntaktische Ebene werden zum einen die inhaltliche Strukturierung bestimmter Bereiche der Wortbildung (etwa der traditionell als «Nomina agentis» (Lehrer), «Nomina instrumenti» (Wecker) etc. bezeichneten Bildungen), zum anderen die Funktionalität der syntaktischen Kategorien für die Beschreibung der inhaltlichen und materiellen Wortbildungsverfahren erkenntlich. Die Einsicht, dass die Wortbildung in gewissen Bereichen eine der Syntax analoge Strukturierung aufweist und daher auch analog zur Syntax ein und dieselbe syntaktische bzw. wortbildende Kategorie zur Bezeichnung verschiedener Inhalte dienen kann, kann auf die gemeinsame, in den syntaktischen Kategorien enthaltene Bedeutung zurückgeführt werden. Diese Erklärung kann auf der Grundlage eines rein onomasiologischen Ansatzes nicht greifen, da die wortbildenden Kategorien unmittelbar auf die inhaltlichen Kategorien bezogen werden und daher keine Vermittlung über eine systematische, einzelsprachlich gegebene Struktur, auf der die syntaktischen Kategorien operieren, erfolgt.18 Um die genannten Ebenen zusammenzuführen, müssen vorab die theoretischen Zusammenhänge zwischen Grammatik (Morphologie und Syntax) und || 18 Diese Einsicht hängt unmittelbar mit dem Problem der Homonymie bzw. Polysemie von Verfahren (bzw. Elementen) der Wortbildung zusammen bzw. − analog auf syntaktischer Ebene − mit dem Problem der Erklärung «tiefenstruktureller» Ambiguität von Sätzen. So lässt sich beobachten, dass als gemeinsame Basis bestimmter Ableitungen fungierende Sätze Wortbildungsprodukte vermitteln, die verschiedenen Wortbildungsbedeutungen entsprechen (cf. er lehrt → einer, der lehrt → Lehrer versus er lehrt → die Tatsache, dass er lehrt [‘das Lehren’] / das, was er lehrt → die Lehre). Diese können innerhalb ein und desselben Verfahrens verwirklicht sein (contrôler ‘kontrollieren’ → le contrôle ‘die Kontrolle’ als ‘diejenigen, die kontrollieren [Subjekt]’ sowie contrôler → le contrôle ‘das Büro, auf dem die Kontrolle stattfindet [Ort]’) oder durch unterschiedliche Verfahren (il contrôle → le contrôle und il contrôle → le contrôleur). Hier treten Beschreibungsprobleme auf, die im Vorfeld gelöst werden müssen, wobei auf das Konzept der Topikalisierung bzw. der primären und sekundären Bedeutungstypen rekurriert werden kann (cf. die Dissertation Lüdtke 1978). Im Rahmen der gesamten Sprachkonzeption ist der Bezug zur Subordinierung notwendig.
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Paragrammatik expliziert werden. Über die zusätzliche Perspektive, d.h. die Betrachtung nicht nur der grammatischen Funktionen und zugehörigen Ausdrucksmittel der Einzelsprache, sondern auch der des wortbildenden Systems unter sprachtypologischem Aspekt eröffnen sich zusätzliche Fragestellungen (etwa die der Einordnung des wortbildenden Systems innerhalb einer kohärenten Sprachkonzeption, der adäquaten Beschreibung im Rahmen der so gewählten, ihrerseits zu rechtfertigenden Perspektivierung, der einheitlichen typologischen Interpretation der bereichsspezifischen Fakten etc.). Trotzdem lassen sich die verschiedenen Inhalte zusammenführen; was die Integration ermöglicht, ist die Einbettung der Fakten in eine Sprachkonzeption bzw. Grammatiktheorie, die die traditionellen Sprachtypen nicht nur mit der unmittelbaren grammatischen Strukturierung korreliert, sondern die «grammatischen Schichten» bzw. deren Eigenschaften ihrerseits als für die Ausprägung gewisser wortbildender Verfahren grundlegend erkennen lässt. Grammatische und paragrammatische Gestalt eines sprachlichen Individuums sind ihrerseits interdependente Manifestationen der sprachtypologischen Funktionen. Angesprochen ist die von Coseriu (1987; cf. 31994) in Grundzügen entworfene Grammatiktheorie (v.a. Kap. 2); hier werden die verschiedenen sprachlichen Ebenen und Bereiche der Grammatik samt der in der Paragrammatik zum Tragen kommenden funktionellen Relationen in ein Gesamtkonzept gefasst, das der ganzheitlichen Auffassung von Sprache Rechnung trägt einschließlich des Bezuges auf die Ebene des Bezeichneten, die für die Wortbildung Relevanz besitzt. Die Berücksichtigung der funktionellen Bezüge zwischen einzelsprachlicher grammatischer Gestaltung und den Typen der Allgemeinen Typenlehre erfolgt über die Ebene des Wortes, die sich ihrerseits in eine bestimmte Auffassung von grammatischen Schichten (die der minimalen Einheiten, des Wortes, der Wortgruppe, der «Klausel», des Satzes, (des Textes)), verstanden als Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung, einfügt und deren spezifische Stellung im Sprachsystem oder «Existenz» für den typologischen Charakter einer Sprache wesentlich ist (cf . lat. CASA, das nicht nur als Nominativ (Ablativ) Singular, sondern zugleich hinsichtlich seiner Funktion im Satz, etwa als Subjekt oder Ortsangabe bestimmt ist; demgegenüber ist das Wort im Französischen – z.B. la chaumière, la case etc. – gegenüber einer schon einhergehenden syntaktischen Funktionsbestimmung independent und in diesem Sinne als autonom funktionierende bzw. «isoliert» erscheinende Einheit «existent»). Auf dem Konzept der grammatischen Schichten aufbauend kann die Wortbildung als eine spezifische Manifestation der Subordinierung betrachtet werden. Sie beruht auf der Eigenschaft dieser Schichten, in jeweils höherrangigen oder untergeordneten Schichten zu funktionieren, wobei die sprachliche Einheit Wort
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(die es gegenüber Einheiten der niedereren bzw. höheren Schichten abzugrenzen gilt) im Mittelpunkt steht. So können etwa Wortgruppen, Sätze oder «Klauseln» zu Wörtern subordiniert werden, wobei die syntaktischen Entsprechungen die in den Wortbildungen enthaltene Bedeutung motivieren (vergleiche: weißer Fisch → Weißfisch (Fixierung, d.h. lexikalisiert); x ist schön → die Tatsache, dass x schön ist → die Schönheit; er lehrt → einer, der lehrt → Lehrer). So erweist sich die Ebene der Syntax samt der ihr eigenen Kategorien (wie Subjekt, Prädikat, Objekt, Umstandbestimmung) als für bestimmte Wortbildungsverfahren funktionell. Syntaktische Explikate wie die genannten sind nun nicht (wie im generativen Ansatz) aus Transformationen hervorgegangen, sondern sind als Interpretationsformeln zu fassen, die die grammatisch motivierten Bedeutungen der Wortbildungen, d.h. die je spezifische Wortbildungsbedeutung reflektieren. Die Verfahrenstypen der Transposition einschließlich der Konversion spielen hier eine besondere Rolle, vor allen Dingen über die wichtige Stellung, die die Prädikatnominalisierung (frz. x est beau → le fait que x est/soit beau → la beau-té als Transposition mit Suffix) im Französischen einnimmt. Sie trägt zu einer Erklärung bei, weshalb das Französische etwa im Vergleich zu den germanischen Sprachen die Komposition wesentlich weniger entwickelt hat: über die Entwicklung sekundärer Bedeutungstypen im Bereich der Nominalisierungen hat das Französische ein äquivalentes Verfahren entfaltet. Die Typologisierung erfolgt in der vorliegenden Studie mit Bezug auf das Französische u.a. anhand der funktionell-materiellen Verfahren im Rahmen des übereinzelsprachlichen Ansatzes der Prager Schule. Auch hier kann von funktionellen Verfahren gesprochen werden, da der Typus selbst auf einem in sich strukturierten Bündel an Eigenschaften, genauer der spezifischen Konstellation (einschließlich des besonderen Gewichtungsverhältnisses) an typologischen Attributen beruht, die sich in organischer Weise, gleichsam symbiotisch, gegenseitig bedingen; diese Interdependenz kann als funktionelles Kriterium betrachtet werden, das typuskonstitutive Funktion besitzt. Da der Typus allerdings grundlegend als ein einzelsprachliches Prinzip zu fassen ist, muss die Typusbestimmung unter Rekurs auf die Idealkonstrukte als eine einzelsprachlich idiosynkratische zu definieren gesucht werden. Für das französische (para)grammatische System liefern vornehmlich die morphosyntaktischen Parameter des flektierenden, isolierenden und agglutinierenden Konstrukttypus deskriptive Konzepte. Die materielle (idealiter auch funktionelle) Bestimmung kann zudem gemäß der Parameteropposition paradigmatisch (mit Funktionskumulation wie im flektierenden Typ) – syntagmatisch (Auslagerung der Funktionen auf die Syntax) erfolgen (cf. Kap. 3.7.3). Diese Opposition bildet die Grundlage für die Verfahrensbestimmung mit Blick auf die romanischen Sprachen.
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Abgesehen von einer Typologisierung der Einzelsprache auf der Basis der Idealkonstrukte der Allgemeinen Typenlehre lässt sich der individuelle Sprachtypus also mehr oder weniger umfassend in seiner Spezifität im Rahmen anderer Prinzipien bestimmen. Mit Blick auf die grammatischen Systeme der romanischen Sprachen hat Coseriu ein funktionell-strukturelles typologisches Prinzip aufgestellt, von dem sich das Französische in seiner sprachhistorischen Entwicklung deutlich entfernt hat, so dass für die aktuelle Synchronie vom Wirken eines anderen typologischen Prinzips ausgegangen werden muss. Es gilt also die Ergebnisse, zu denen die einzelsprachliche Beschreibung unter Anwendung der Prinzipien der Allgemeinen Typenlehre gelangt, und diejenigen, wie sie sich aus der individuellen typologischen Erforschung (z.B. Coseriu [1971]/1988) ergeben, miteinander zu konfrontieren. Die Kompatibilität der typologischen Modelle ist aufgrund der sprachtheoretischen Prämissen gegeben. Dabei ist zu ergänzen, dass unter bestimmten Bedingungen der (wie auch immer eruierte) einzelsprachliche Typus sogar annähernd den Stellenwert eines eigenen «Konstrukts» im Sinne eines prinzipiell auf weitere Sprachen anwendbaren Prinzips erlangen kann wie sich umgekehrt ein typologisches Konstrukt in seiner spezifischen einzelsprachlichen Realisisierung (im Verbund mit anderen Konstruktanteilen) mit einem einzelsprachlichen typologischen Prinzip vergleichen lässt. Die mit der spezifischen Perspektivierung unter grammatischem, wortbildendem und typologischem Blickwinkel intendierte Zielsetzung ist also folgende: die zunächst unterschiedliche funktionell-strukturelle Gestaltung der Systembereiche, d.h. desjenigen sprachlichen Bereichs, der traditionell innerhalb der Morphologie bzw. Syntax (hier im Sinne der Morphosyntax allgemein unter dem Begriff der Grammatik gefasst) behandelt wird, sowie die inhaltlichen und materiellen Strukturtypen des wortbildenden Systems unter Rekurs auf ein einheitliches theoretisches Sprachkonzept zu beschreiben und inhaltlich wie formal typologisch zu charakterisieren. Dabei muss prinzipiell mit der Möglichkeit der gegenläufigen Tendenzen gerechnet werden. Eine Sprachtypologie der Paragrammatik (der Einzelsprache) existiert meines Wissens nicht. Die Annahme scheint begründet, dass das typologische Prinzip, das sich für das grammatische System als relevant herausgestellt hat, die Gestalt des wortbildenden Systems mit bedingt. Hier gelten andere Regeln der systematischen Strukturierung, die den grammatischen analog, mit diesen aber nicht identisch sind. Die wortbildenden Systembereiche werden auch weniger von sprachtypologischen Umbrüchen erfasst, da erheblich größerer Spielraum für die Tradierung alter Verfahren und deren paralleles Wirken zu neu aufgekommenen Verfahren besteht, was mit den spezifischen Eigenschaften des Wortschatzes zusammenhängt. So wurde die grammatische Verbalmorphologie des Französi-
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schen abgebaut19 bei gleichzeitigem Bestand der Nominalmorphologie, d.h. der paragrammatischen Verfahren qua Affixen. Dennoch manifestieren sich auch in diesem Bereich der Sprache einschneidende Veränderungen, die v.a. dort mit dem typologischen Umbruch in Verbindung stehen, wo die syntaktische Ebene, genauer die regelmäßige Stellung der elementaren Satzkonstituenten (Subjekt, Prädikat, Objekt) berührt wird. Lässt sich zudem syntaktischer Wandel im Bereich der Grammatik und Umkehrungen in der Stellung bestimmter an einem Wortbildungsverfahren beteiligter Elemente auf dieselben Epoche datieren (was jedoch nicht immer eindeutig ist), so scheint eine typologische Parallele zumindest vermutbar (cf. z.B. die historische Entwicklung der Verb-Ergänzung-Komposita, Kap. 11.4.3). An solchen Stellen erweist sich die Diachronie als wertvolles heuristisches Instrument. Bezüglich der Interpretation der paragrammatischen Sprachdaten erweisen sich die je nach Typus spezifischen Konfigurationen typologisch relevanter Merkmale auch für das wortbildende System als aussagekräftig (was noch zu begründen wäre; cf. Kap. 1.3). Die Merkmalskonstellationen, auf denen die Definition der Typuskonstrukte aufbaut, umfassen ferner nicht nur grammatische Merkmale, sondern auch solche, die der Wortbildung angehören. Allerdings können sich die relevanten paragrammatischen Eigenschaften aus mehreren Typuskonstrukten rekrutieren, was die Situation kompliziert. Denn nicht nur die Typen als «grammatische» Konstrukte sind in einer Sprache nicht in Reinform vertreten, sondern auch die paragrammatischen Eigenschaften mehrerer Konstrukte können miteinander koexistieren. Dies wird zum besonderen Problem dort, wo Typuskonstrukte zwar häufig mit bestimmten paragrammatischen Zügen korrelieren, diese Züge allerdings eigentlich der Definition anderer Konstrukte zugehören. Dies stellt an sich noch kein Hindernis dar (sofern v.a. die Korrelationen eine gewisse Regelmäßigkeit aufweisen). Das Problem beruht vielmehr darauf, dass gewisse typologisch relevante bzw. innerhalb eines Konstruktes jeweils als dominant anzusehende paragrammatische Merkmale hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Konstrukt nicht eindeutig markiert und gewissermaßen im Vorfeld selbst typologisch interpretiert werden müssen; so gerade im Falle der Konversion (ohne Flexion), wo auf Grund der spezifischen Eigenschaften des durch Konversion entstandenen Wortes ein für das grammatische System vieler polysynthetischer Sprachen charakteristischer
|| 19 Cf. v.a. die Konjugationsklasse der mehrheitlichen, auf -er endenden Verben, der wiederum die romanisch noch (eingeschränkt) produktiven, vornehmlich desubstantivischen Konversionen des Typs sucrer im Rahmen der Verbalisierung angehören, die im Latein das häufigste Verfahren darstellten.
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Zug vorliegt20 (cf. die Diskussion um die Konstellation: Partikeln – präfigierte Verben – Nominalkomposita mit Bezug auf das Altgriechische und Deutsche, Kap. 4.2). So kann etwa im Chinesischen auf Grund des engen Zusammenhangs zwischen grammatischer und lexikalischer Struktur nicht immer (oder erst über den disambiguierenden Kontext) entschieden werden, ob eine bestimmte Konstruktion einen Satz oder ein Wort bildet. Allerdings gilt für das polysynthetische Konstrukt die Komposition und weniger die Konversion als das eigentlich dominante Verfahren. Andererseits kann die Konversion als Verfahren an sich auf Grund derselben Eigenschaften dem isolierenden Typus zugewiesen werden (Dokulil spricht beispielsweise von der «englischen Konversion», weil für diese isolierende Sprache besonders typisch). Dadurch würden Typusdominante des grammatischen Systems und die des wortbildenden Bereichs im isolierenden Konstrukt – und damit im Vergleich zu den anderen Konstrukten in einzigartiger Weise – kongruieren. Dass dies ein Sonderfall ist, zeigt u.a. das Lateinische, für das sich die in der Literatur häufig dokumentierte Korrelation zwischen flektierender Basisdominante im grammatischen Bereich und agglutinierender Dominante im Bereich der Wortbildung bestätigt findet. Dieses Faktum per se stützt wiederum die in der Sprachbeschreibung mehrfach auftretende Beobachtung der graduellen Übergänge zwischen den Typen als Prototypen, die sich im Sinne einer Skala angeordnet denken lassen, so dass sich bestimmte Typen auf Grund ihrer Merkmale näher stehen als andere (cf. Kap. 3.5). Der isolierende und der polysynthetische zeigen hier wichtige Affinitäten, die teilweise über historische (evolutive) Entwicklungen begründbar sind. Trotzdem kann die tatsächlich eintretende Sprachentwicklung in eine andere Richtung umschlagen, d.h. Typen scheinen sich nicht notwendig in Richtung auf eine Verstärkung der Dominante hin zu entwickeln, die demjenigen Konstrukt entspricht, das sich auf einer solchen hypothetischen Skala rechts oder links in geringster Distanz situiert. Auf diesem Hintergrund hat sich mit Blick auf die Konversion die Parallele zum Chinesischen21 einerseits, die zum stark isolierenden Englischen andererseits als hilfreich erwiesen. || 20 Bestätigend Sgall, persönliche Mitteilung. 21 Eine gerade aufgrund ihrer Kompositionsfähigkeit polysynthetische Sprache, wobei diese Fähigkeit ihrerseits durch den morphologischen Bau der Wörter bedingt ist (cf. Kap. 2.2.2.1). Dieser Umstand ist letztendlich verantwortlich für die ausgiebigen Kommentare Skaličkas ([1946]/1979) einerseits zur Stellung der Wortbildung innerhalb der typologischen Disziplin, zum anderen für die Analyse des Chinesischen von einem Standpunkt aus, der Wortbildung und grammatisches System als eng miteinander in Verbindung stehende Teilsysteme einer globalen Grammatik begreift.
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Am Ende der Studie zeichnen sich für das Französische dreierlei dominante Züge ab: zum Ersten mit Blick auf das grammatische System die Tendenz, die eine Verstärkung der syntagmatischen Strukturen auf den verschiedenen Ebenen bedeutet. Der Ausbau der syntagmatischen Ebene entspricht dabei aus der Sicht der Typuskonstrukte der Allgemeinen Typenlehre einer sprachlichen Gestaltung gemäß dem isolierenden Konstrukt – so die zweite Entwicklungslinie. Hinsichtlich des paragrammatischen Systems stellt sich zum Dritten die Konversion als eines der dominanten Verfahren heraus (neben der Transposition qua Suffix wie bei (se) mouvoir → mouve-ment sowie der generischen Komposition: cf. travailler ‘arbeiten’ → travaill-eur ‘Arbeiter’). Dieser Befund ergibt sich über die induktive Analyse der wortbildenden Phänomene und findet Bestätigung in den Konstrukten der Allgemeinen Typenlehre, die hier als dominanten Zug die Konversion ausweisen. Das Verfahren der Konversion kann im Einklang mit der typologischen Entwicklungsrichtung als in sich auf einer isolierenden «Struktur» beruhend charakterisiert werden, so dass Typusdominante im grammatischen und paragrammatischen Bereich kongruieren, was allerdings keine Notwendigkeit darstellt22 (hier könnte der Vergleich mit anderen Sprachen interessante Ergebnisse liefern).23 Die Lehnaktivität ist nicht eigentlicher Gegenstand einer paragrammatischen Untersuchung; genauso wenig die lexikalische Semantik. Beide sind aber für die Typusbestimmung dort von Belang, wo Lehnaktivität sich auf Grund der Sprachstruktur als typologisch markanter Zug herausstellt. Die genannten Perspektiven werden auf die Subsysteme des Gegenwartsfranzösischen (Standardvarietät und selektiver Vergleich mit dem français populaire) angewandt und anhand von sprachlichen (vornehmlich literarischen) Belegen dokumentiert mit dem Ziel, Ausbau der Syntagmatik bzw. Grad der Isolation und – als paragrammatisches Korollar – Ausbau der Transposition bzw. Konversion (neben den anderen typusbestimmenden Merkmalen) in dieser romanischen Sprache nachzuweisen.
|| 22 «Die Typusdominante in der Wortbildung muss nicht mit der Typusdominante in der Morphologie und Syntax übereinstimmen» (Skalička 1975b, 410). 23 Die Frage, ob Konversion vorliegt oder nicht, ist auf Grund der Möglichkeit komplexer Basen, auf die ein Wortbildungsprodukt zurückgeht, sowie die Beteiligung der Konversion an verschiedenen Wortbildungsregeln, nicht immer unmittelbar ersichtlich, so dass mitunter mit divergierenden Möglichkeiten der Deutung hinsichtlich des zur Anwendung kommenden wortbildenden Verfahrens zu rechnen ist.
26 | Einleitung
1.3 Wortbildung und Grammatik, Wortbildung und Sprachtypologie – Problematisierung Die in diesem Kapitel thematisierte Problematik lässt sich über folgende Frage explizieren: Kann die Paragrammatik als «Grammatik des Wortschatzes» (cf. Coseriu 1982a, 12; Laca 1986) in der typologischen Charakterisierung einer Einzelsprache ihren rechten Platz finden? Die Antwort auf diese Frage entspricht der wissenschaftlichen Rechtfertigung eines kombiniert grammatischparagrammatischen und typologischen Ansatzes. Dazu bedarf es zunächst, das enge Verhältnis zwischen Grammatik und Wortbildung unter Beweis zu stellen: So bestehen «[z]wischen der lexikalischen (derivativen) und der grammatischen (flexivischen, paradigmatischen) Morphologie […] wohl in unserem Sprachtypus [dem flexivischen, B.K.] keine scharfen Grenzen» (Dokulil 1968a, 11) und «hat die Wortbildungsebene auch zu den eigentlich grammatischen Sprachebenen enge Beziehungen» (Dokulil 1968a, 15). Letztere beruhen insbesondere auf formaler Ähnlichkeit oder Identität der Ausdrucksmittel auf paragrammatischer und grammatischer Ebene bzw. deren Interdependenz oder Polyvalenz (vergleiche z.B. dt. -er in der Funktion als Pluralallomorph bzw. Affix der Prädikatnominalisierung: Kind-er und Lehr-er). Die Beziehungen sind semantischer Natur: «zwischen den grammatischen (insbesondere morphologischen) und den Wortbildungsbedeutungen gibt es Übergänge, die die Grenzlinie zwischen beiden Sprachebenen verschwommen machen und die in der Sprachentwicklung zu bestimmten Verschiebungen dieser Linie führen» (ibid.). Im Folgenden sollen die verschiedenen Fälle solcher Übergänge illustriert werden: Einerseits können primär wortbildende Mittel die grammatische Formbildung bestimmen: So steht die Wortkategorie des Wortbildungsproduktes bei frz. Bildungen auf -té (< lat. CLARITAS) wie clarté in Abhängigkeit von der derivativen Morphologie (außerdem erfolgt eine Einreihung des gebildeten Wortes in ein bestimmtes Paradigma gemäß dem Deklinations-, Konjugations- etc. Muster der angenommenen Wortkategorie). Die durch das Suffix -té als Substantive festgelegte Bildungen werden zudem bezüglich ihrer Genuszugehörigkeit als Feminina determiniert. Andererseits können primär formbildende Mittel (Endungen und grammatische stammbildende Affixe24) sekundär die Funktion von wortbildenden
|| 24 Morphologisch bedingte Lexemvariationen kommen in der romanischen Wortbildung selten vor, etwa im Falle der Stammerweiterung mit -iss- bei den frz. Verben auf -ir, die in der Ableitung erhalten bleibt: périr, ils périssent (‘zugrunde gehen’) → périssable (‘vergänglich’).
Wortbildung und Grammatik, Wortbildung und Sprachtypologie – Problematisierung | 27
Mechanismen übernehmen: so etwa bei der Ableitung durch die grammatische Genusmarkierung (in den romanischen und anderen Sprachen), die zur Femininbildung ausgenutzt wird, z.B. it. figli-a ‘Tochter’ vs. figli-o ‘Sohn’, it. zi-o ‘Onkel’ – zi-a ‘Tante’, ragazz-o ‘Junge’ – ragazz-a ‘Mädchen’ (wobei das Sexus des Bezeichneten eine Rolle spielt; cf. dagegen lad. mail ‘Apfel’ → maila ‘Äpfel (Kollektivum)’) mit Wechsel der grammatischen Morpheme;25 oder bei der Konversion, die auf der Selektion eines Morphems des Grundwortes beruht: Hier erfolgt der Ausdruck des Wortbildungsverfahrens allein durch grammatische Mittel, z.B. le fai-re (zu le fai-t cf. infra im Anschluss).26 Auch der Übergang in eine andere Wortkategorie über den reinen Wechsel der Flexionskategorien wie bei crier → le cri, les cri-s (Plural: nur im graphischen Code, abgesehen von der hörbaren Artikulierung) illustriert die angesprochenen Wechselbeziehungen (cf. Lüdtke 2001a, 775–776; Lüdtke 2005, 314ss.). Die Bedingtheit durch die morphologische Struktur der Sprache wird zudem in Fällen wie rum. albu-l vs. le blanc manifest, in denen sich Flexionsmorphem (-l) und freies grammatisches Morphem (le) gegenüberstehen. Zu den grammatischen Morphemen zählen die Präpositionen; also sind auch Wortbildungen wie avant-guerre und après-midi nicht der Komposition zuzurechnen, sondern anders zu interpretieren (cf. Kap. 9). Als grammatische Kategorien, die eine intermediäre Position zwischen flexivischer und derivativer Morphologie besetzen, können ferner betrachtet werden: Komparativ und Superlativ der Adjektive:27 bon – meilleur – le meilleur; grand –
|| 25 Die teilweise gegebene Kontiguität von grammatischen und paragrammatischen Funktionen erweist sich vor allem unter Einbezug der diachronischen Perspektive: So hat sich aus einem kollektiven Redebedeutungstyp bei den lateinischen Neutra Plural auf -a nach dem Untergang des Neutrums als grammatischer Kategorie eine neue kollektive Funktion herausgebildet (cf. Lüdtke 1996a, 243). Der Vollzug der Paragrammatikalisierung (d.h. die Schaffung und Anwendung einer Wortbildungsbedeutung) der kollektiven Funktion lässt sich anhand des gemeinsamen Vorkommens sowohl eines (aus einem Neutrum hervorgegangenen) Maskulinums (cf. bündnerrom./surselv. pér ‘Birne’), eines Kollektivums auf -a (péra ‘Birnen (kollektiv)’) sowie eines maskulinen Plurals (pérs ‘(einzelne) Birnen’) nachweisen. 26 Über die Rolle des Infinitivs wurde schon viel diskutiert (siehe auch Sgall 1958, insbesondere 137–142, bzw. 137 Anm. 2 zum Supinum); die Infinitivendung ist aber eindeutig als Flexionsendung einzuordnen. Dagegen ist die Adverbbildung der Paragrammatik zuzurechnen, da Adverbien eine Entwicklung aus einer anderen Wortkategorie zugrundeliegt. 27 Das distributionelle Kriterium, wonach in den indoeuropäischen Sprachen flexivische Morpheme prinzipiell die Peripherie eines Wortes konstituieren und weniger die wortbildenden Mittel, erweist sich als unzulänglich, cf. dt. Ver-besser-ung, Mehr-heit, sofern die suppletivischen Komparative (gut – besser; viel – mehr) als flexivische Einheiten betrachtet werden. Zu Stellungsregeln mit Blick zum einen auf das relative Verhältnis von flexivischer und derivatio-
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plus grand – le plus grand;28 darüber hinaus die Bildung des «Verbalnomens»: Dieses wird im Deutschen und Russischen im Rahmen der Wortbildung behandelt, im Tschechischen dagegen der Formbildung zugeordnet, obwohl eigene morphologische Verfahren zur Bildung von Prädikatnominalisierungen existieren (z.B. psaní ‘Schreiben’, das wie kamení ‘Gestein’ dekliniert wird).29 Weiterhin kann die Rolle der Partizipien als primär wortbildende (so v.a. für das Sanskrit postuliert) oder grammatische Kategorien, d.h. verbale Flexionsformen (so Pott 1833, 155) in diese Auflistung eingereiht werden, vergleiche la durée, la mise, le défilé, le fait (Bildungen nach dem femininen bzw. maskulinen Partizip Perfekt; cf. Lüdtke 1978, 134ss.; 1996, 254) gegenüber Konversionen wie le raccourci, le résumé; le dirige-ant (Suffixbildung) (in Fällen wie aimant, barbu handelt es sich dagegen nicht um Wortbildungen, sondern um Lexikalisierungen, die häufig aus dem Latein entlehnt sind). Ähnlich verhält es sich bei der verbalen Kategorie der Kausativität, die im Altindischen als paragrammatische, im Altgriechischen als grammatische Kategorie analysiert wird. In diesem Zusammenhang ist also der historisch-kontrastive Blickwinkel mit einzubeziehen. Auf Grund semantischer Erwägungen gehört in diese Zusammenstellung der Inhalt, der als «Vielheit» gefasst werden kann und in der Grammatik durch das Verfahren der Pluralisierung zum Ausdruck gebracht wird, in der Wortbildung durch das der Kollektivierung, wo die «Vielheit» oft als «Einheit» erscheint; vergleiche etwa frz. (des) cris : criement (afrz.) (dt. ‘Schreie’ : ‘Geschrei’); (les) monts (du Luberon) : la montagne (dt. ‘Berge’ : ‘Gebirge’); les
|| neller Morphologie, zum anderen bezüglich der Reihenfolge mehrerer flexivischer Elemente in einem Wort siehe Stump (2001, insbesondere 711ss.). Trotz zum Teil widersprechender empirischer Evidenz lässt sich das «Inflection-outside-Derivation-Principle» (Stump 2001, 713) offensichtlich aufrecht erhalten: «A morphologically complex word is preferred if its inflectional affixes are further away from the root than its derivational affixes». 28 Vergleiche in diachronischer Perspektive Umparagrammatikalisierungen (ein Prozess, bei dem ein bestimmtes Wortbildungsmittel eine andere als die ursprüngliche Wortbildungsbedeutung annimmt) wie bei lat. -ISSIMUS: Hier wurde ein grammatisches Morphem, das im Latein ursprünglich dem Ausdruck des Superlativs bzw. Elativs diente, in die romanischen Sprachen als Superlativ entlehnt und als Wortbildungssuffix zum Ausdruck der Intensivierung umgedeutet (nicht so im Rumänischen und im Französischen nur mit eingeschränkter Produktivität) (cf. Lüdtke 1996a, 246). 29 Wenn sich gewisse morphologisch markierte Kategorien nicht eindeutig der flexivischen oder derivativen Morphologie zuordnen lassen, ist ihre gegenseitige Abgrenzung in den einzelnen Sprachen auch Frage der Überlieferung und Konvention und nicht nur der wissenschaftlichen Argumentation (siehe auch die unterschiedliche Behandlung des Verbalsubstantivs einerseits im Rahmen der Wortbildung wie im Deutschen und Russischen, andererseits innerhalb der Formbildung wie im Tschechischen; cf. Dokulil 1968a, 11).
Wortbildung und Grammatik, Wortbildung und Sprachtypologie – Problematisierung | 29
branches : le branchage (dt. ‘Äste’ : ‘Geäst; Astwerk’); les barons : le baronnage; dt. Fürsten : Fürstentum, Büsche : Gebüsch, Völker : Völkerschaft. Die spezifische Opposition zwischen Plural und Kollektivum wird andererseits dort deutlich, wo primäre Lexeme, die ein Kollektivum bezeichnen, selbst zwecks Individualisierung in pluralischer Form auftreten (cf. Volk – Völker). Manche Sprachen wie das Bretonische verfügen über ein Numerussystem, in dem eine numerusindifferente Grundform, der Kollektiv, und eine davon abgeleitete komplexere Form für die Einzahl, der Singulativ, als separate Kategorien existieren. Im Unterschied zum Singular stellt der Singulativ eine gegenüber der Grundform markierte Form dar (cf. ḥajar ‘Felsen’ oder ‘Fels’ (Material) vs. ﺣﺠﺮﺓ ḥajara(t) ‘ein Fels’). Singulative sind in manchen semitischen und slawischen Sprachen ausgebildet. Bestimmte sprachliche Kategorien bzw. Inhalte können also (in verschiedenen Sprachen) sowohl durch wortbildende als auch durch grammatische Kategorien zum Ausdruck gebracht werden. Auch der der Gradierung zugrunde liegende Inhalt, in dem Diminutivierung und Augmentivierung bzw. Intensivierung und Approximation (cf. dt. Häuschen, hüsteln; uralt, Unmengen, erzreaktionär; rötlich) als wortbildende, Komparativ und Superlativ bzw. Elativ (in Opposition zum Positiv) als grammatische Kategorien der Formenbildung bei Adjektiven und Adverbien konvergieren, können hier angeführt werden. In diese Reihe gehört zudem die sehr allgemein zu fassende Funktion, die eine bloße Relation zwischen zwei Einheiten etabliert und sich in vielen Sprachen in der Grammatik vorrangig als kasusmarkierender Ausdruck der Possessivität (qua Genitiv,30 z.B. dt. der Palast des Königs oder frz. la voiture du président), in der Paragrammatik als Attributtransposition (Bildung denominaler Relationsadjektive wie etwa dt. königlicher Palast bzw. frz. la voiture présidentielle) äußert. Verschiedene Bildungen bzw. Konstruktionen im Spannungsfeld zwischen Grammatik und Paragrammatik, anhand derer das Ineinandergreifen von Flexion und Derivation manifest wird, lassen sich auch im Rahmen von diachronischen Entwicklungen über die Parameter der Grammatikalisierung aufzeigen.31 So können unklare Grenzen zwischen Wortformen (bzw. Endungen) und Ablei|| 30 Die Nähe dieses Kasus zum wortbildenden System erfährt mit Bezug auf bestimmte «syntaktisch-semantische Varianten» des possessiven Genitivs zuweilen eine deutliche Akzentuierung; so wird der engl. sog. «Gruppengenitiv», z.B. the King of England’s palace (gegenüber John’s house) von Vachek (1961) als Wortbildung analysiert (cf. Plank 1981, 10 bzw. 254, Anm. 5). 31 Die Problematik der Funktionsabgrenzung betrifft auch die in der Sprachwissenschaft für das Indogermanische postulierte allgemeine Entwicklungstendenz seit etwa 500 v. Ch., welche Kategorien wie Genus, Tempus/Modus, Infinitiv, Partizip von einem zunächst als derivationell zu betrachtenden in einen flexivischen Status überführt (cf. Plank 1981, 11).
30 | Einleitung
tungen (bzw. Suffixen32) auf verschiedene Grade der Grammatikalisierung zurückgeführt werden, etwa bei der Entstehung von flexivischen Kasusformen aus agglutinierenden Derivativen. Flexive können sich also aus agglutinierten Suffixen entwickeln, d.h. Flexion und Agglutination stehen sprachhistorisch miteinander in Verbindung. Dabei ist mit Zwischenstadien, die Fusionsprozesse im Übergang zur Flexion implizieren, zu rechnen. Die Entwicklung von der Agglutination zur Flexion wird zuweilen auch im Rahmen phonologisch bedingter Zyklen zu erklären versucht (cf. Ineichen 21991, 50). Eine agglutinierende Morphologie kann ihrerseits aus isolierten Elementen oder analytischen Strukturen hervorgehen (siehe Th. Vennemann 1982). Die Grammatikalisierungstheorie operiert hier mit Parametern des allmählichen Verlustes an morphologischer und syntaktischer Autonomie der sprachlichen Einheiten (cf. Ch. Lehmann [1982]/21995; Heine/Reh 1984). Entsteht aus einem ursprünglich analytischen ein agglutiniertes Element, geht die Syntax gewissermaßen in die Morphologie über, wobei ein spezifisches syntaktisches Verhalten des Morphems weiterhin nachweisbar sein kann (cf. Plungian 2001).33 Die Übergänge zwischen Agglutination und Flexion können jedoch auch in die umgekehrte Richtung weisen, d.h. aus Flexionsendungen können Suffixe entstehen, wie etwa von Gabriele Stein ([1970]/1981, 347) illustriert. Damit Flexionsendungen zu wortbildenden Elementen werden können, muss «das betref-
|| 32 Zur Terminologie: Im Rahmen der flektierenden Sprachen wird für die in der Wortbildung verwendeten Morpheme der Terminus «Affixe» sinnvoll verwendet, da im Bereich der Grammatik in der Regel zutreffend von Endungen die Rede ist und somit eine funktionelle Abgrenzung zwischen beiden Morphemtypen (grammatische Endung bzw. paragrammatisches Affix) gewährleistet ist. Da sich der Terminus Endung jedoch zur Bezeichnung der Morpheme mit primär grammatischer Funktion nicht für alle Formen des sprachlichen Baus eignet (da diese nicht immer am Ende eines Wortstammes in Erscheinung treten), spricht man auch im grammatischen Bereich von Affixen, was zu einer unliebsamen Konfusion führen kann. Dieser Usus erweist sich jedoch wiederum dort als legitim, wo Affixe (Prä- und Suffixe bzw. Infixe) zur Markierung der verschiedenen Funktionen sowohl in Morphologie und Syntax wie in der Wortbildung eingesetzt werden, wie dies in dominant agglutinierenden Sprachen teilweise der Fall ist (cf. Skalička [1946]/1979, 185). 33 Die intermediäre Position von in Grammatikalisierungsprozesse eingebundenen sprachlichen Einheiten zwischen Morphologie und Syntax kann zu Beschreibungsproblemen führen, da die herkömmlichen, im Rahmen der Morphologie usuellen Termini wie Paradigma, grammatische Kategorie, Wortform etc. mitunter nicht für sämtliche solcher Zwischenstadien greifen. Daher kann der Rekurs auf eine andere Terminologie erforderlich sein, die den morphosyntaktischen Strukturen besser Rechnung zu tragen vermag (etwa im Rahmen von Begriffen wie Klitisierung, Schablonenstruktur, Idiomatizität, Produktivität etc.).
Wortbildung und Grammatik, Wortbildung und Sprachtypologie – Problematisierung | 31
fende Element noch in seiner Eigenschaft als Flexionsendung bereits die Funktion, die es später als Ableitungselement innehat, übernehmen» können (ibid.). Beispielsweise kann im Deutschen der Genitiv beim Nomen auch als Adverb fungieren: Tag-es → tag-s. Sollte die sprachgeschichtliche Entwicklung dazu führen, dass in einer ursprünglich flektierenden Sprache die Flexion weitestgehend abgebaut wird, kann das Element mit adverbialer Funktion allein erhalten bleiben; oder aber, wenn die Flexion aufrecht erhalten wird, «können sich die beiden ‹Funktionsvarianten› zu zwei eigenständigen Funktionen weiterentwickeln» (Stein ([1970]/1981, 347). Die Tatsache, dass solche Suffixe aus Flexionselementen hervorgegangen sind, scheint auch deren inhaltliche Seite zu beeinflussen: So gehen aus dem Bildungsprozess im Deutschen (-s: tags; cf. auch -ens: wenigstens; nächtens) und Englischen (-s: sideways; cf. Marchand 21969, 357) rein transpositive Suffixe hervor (cf. Stein [1970]/1981, 348). Eine ähnliche Entwicklungsgeschichte, also die eines aus einem Flexiv hervorgegangenen Derivativs, kann für frz. -on wie in Hue/Huon, Pierres/Perron34 zumindest angenommen werden, wobei allerdings ein anderer inhaltlicher Typ als die Transposition vorläge, da -on hier als modifizierendes (Diminutiv-)Suffix fungiert (cf. Stein [1970]/1981, 348). Ein kombiniert grammatisch-paragrammatischer und typologischer Ansatz erhält seine Legitimation zusätzlich von Seiten der empirischen Sprachforschung. So hat der Vergleich des Chinesischen mit dem Englischen (cf. Skalička [1946]/1979) erbracht, dass das Chinesische gerade vom Standpunkt der Wortbildung her und nur sekundär – wenn auch interdependent – auf Grund des grammatischen Baus als polysynthetisch (Vielzahl an Komposita) und nicht, wie traditionell, als isolierend zu typologisieren sei.35 Es verhält sich also nicht so, dass «die Komposita und überhaupt die Konstruktion der Lexeme nichts zu tun haben mit den anderen Seiten der Sprachstruktur und deshalb für die allgemeine Typologie irrelevant seien»; prinzipiell hat die typologische Untersu-
|| 34 Cf. Meyer-Lübke/Piel (21966, 120): «Sieht man von diesen Mundarten [Korsisch, Süditalienisch] ab, bleibt man innerhalb des Französischen, so läßt sich -on an die Personennamen auf -on […] anknüpfen [sic]. Das Verhältnis von Pierres Perron, Hue Huon wäre mit dem Untergang der Kasusflexion dahin gefasst worden, dass die längere Form die verkleinernd-kosende geworden wäre, d.h., aus einem flexivischen Element wäre -on zu einem wortbildenden geworden. Von den Eigennamen hätte dann jene Übertragung auf Personenbezeichnungen, Tiernamen und schließlich Sachnamen stattgefunden, die bei -ittus und bei cc-Suffixen […] zu beobachten ist». 35 «Das Chinesische isoliert nicht seine Elemente, sondern verbindet sie eher» (Skalička [1946]/1979, 184). Zu den konkreten abweichenden Zügen, die eine andere typologische Einordnung des Chinesischen und des Englischen rechtfertigen, cf. ibid., 184–185.
32 | Einleitung
chung alle Teilstrukturen der Sprache, gerade auch die Paragrammatik mit einzubeziehen (Skalička [1946]/1979, 184). Die interlingualen Differenzen zwischen der Motiviertheit der Wörter als einer paragrammatischen Eigenschaft stehen in engem Zusammenhang mit der morphologischen Beschaffenheit einer Sprache bzw. deren grammatischer Typologisierung (cf. Skalička 1965, 155). So präferiert das Chinesische die Komposition, das Ungarische und Türkische die agglutinierende Derivation, die Suahelisprache die Eingliederung in eine Substantivklasse (cf. msuaheli ‘der Suaheli’, kisuaheli ‘die Suahelisprache’). Auch das Ausmaß der Polysemie oder das Vorkommen «engynomischer» Bedeutungsdifferenzierungen (cf. im verbalen Bereich dt. legen, setzen, stellen vs. frz. mettre; cf. Kap. 13.5) gehören zu den lexikalischen Eigenschaften der Sprachen, die von deren morphologischem Bau und damit von der morphologischen Typologisierung nicht unabhängig gesehen werden dürfen (cf. Skalička 1965a, 157). Daher hat «die Wortbildung in der allgemeinen Typologie ihre Stelle» (Skalička [1946]/1979, 185–186). Dies bestätigt die Typologie nach Coseriu: Das Funktionieren des «Prinzips der romanischen Sprachen» lässt sich nicht nur im Rahmen der Grammatik (Morphologie und Syntax), sondern auch im Bereich Wortbildung illustrieren.
1.4 Der Sprachtypus synchronisch und diachronisch Der Typus einer Sprache manifestiert sich gerade dort, wo er im Wandel begriffen ist: Handelt es sich um neu aufkommende Strategien sprachlicher Organisation auf der höchsten Strukturebene, durchdringen diese – als typologische – verschiedene Systembereiche, sodass der Wandel nicht auf ein singuläres Phänomen begrenzt bleibt. Die Situation des typologischen Umbruchs ist für das mittelalterliche Französisch gegeben, dessen sprachliche Entwicklungen im Übergang vom Alt- zum Neufranzösischen gut dokumentiert sind (siehe insbesondere die Studie von Eckert 1986 im Rahmen des Coserius’chen typologischen Entwurfs; cf. auch Eckert 1988).36 Das adäquateste Vorgehen wäre mithin ein kombiniert synchronisch-diachronischer Ansatz. Allerdings kann es eine auf Grund der theoretischen Grundlagen schon sehr komplexe Fragestellung wie die gegebene nicht leisten, die Diachronie im Einzelnen nachzuverfolgen und dabei bis auf historische Texte zurückzugehen (wie etwa die Studien Lewickas
|| 36 Das wortbildende System wird bei Eckert (1986) nur teilweise in die diachronisch ausgerichtete typologische Untersuchung mit einbezogen; die Konzentration liegt auf der Diminutivbildung (cf. den trotzdem umfangreichen Abschnitt in Eckert 1986, 282–339).
Sprachtypus und Standardsprache | 33
1960 bzw. 1968; siehe auch Lewicka 1963; cf. Kap. 1.6), um den Wandel für alle Wortbildungsverfahren auf Quellenbasis zu dokumentieren. Ich setze daher den typologischen Wandel als von der diachronischen Sprachwissenschaft aufgearbeitetes und belegtes Faktum voraus. Dies bedeutet mit Blick auf die Frage einer diachronischen bzw. synchronischen Perspektive, dass der Wandel zwar an verschiedenen Stellen als Hintergrund bzw. in seinen Auswirkungen evoziert, aber nicht explizit dokumentiert wird. Der Fokus wird darauf gerichtet sein, das Wirken des aktuellen typologischen Prinzips des Französischen für die ausgewählten grammatischen und paragrammatischen Inhaltsbereiche nachzuvollziehen.
1.5 Sprachtypus und Standardsprache Die Frage der als Referenzbasis zu selegierenden Varietät kann in einer seit jeher normreglementierten Sprache wie dem Französischen im Grunde nur zugunsten der herrschenden Norm beantwortet werden. Da sich innovative sprachliche Tendenzen der gegenwärtigen Gemeinsprache in der Regel in normativ orientierten Sprachbeschreibungen nicht reflektieren, kann einerseits argumentiert werden, dass es gerade solche Tendenzen aufzuspüren und in die typologische Interpretation mit einzubeziehen gilt. So lautet eine interessante Frage, welche typologischen Eigengesetzmäßigkeiten die verschiedenen (diatopischen, diastratischen, diaphasischen) Varietäten in Abweichung zur standardisierten Norm tendenziell zur Entfaltung bringen; oder welche Tendenzen hier in noch stärker gebündelter Form und in welcher spezifischen Kombination auftreten. Solche Fragen können hier nicht weiterverfolgt werden, da ein auch methodisch anderer Ansatz vonnöten wäre. Zumindest soll an geeigneter Stelle auf relevante Entwicklungen des français populaire aufmerksam gemacht werden. Die Berufung auf die Standardsprache im Sinne der fixierten Norm lässt sich trotzdem rechtfertigen, scheint diese der typologischen Analyse gerade am besten gerecht zu werden (cf. Coseriu 1971b). Die Standardvarietät ist nämlich in der Regel zugleich diejenige, von der die Dichter und Schriftsteller einer Gemeinsprache am meisten Gebrauch machen. Mit Bezug auf die Leistung der Dichtung schreibt Dressler (1981, 423) als Auftakt zu seinem Aufsatz «General principles of poetic license in word-formation» interessanterweise Folgendes: Coseriu «has reestablished the concept of poetic language as the only full and complete usage of the means of language, so that rather ‹normal› everyday language represents a deviation from poetic language than the reverse». Dies soll im Folgenden kurz ausgeführt werden:
34 | Einleitung
Ausgehend von der Feststellung, dass das konkrete sprachliche Zeichen in seinem Funktionieren (im Text) in ein komplexes Gefüge an Relationen mit entsprechend komplexen semantischen Funktionen eingebunden ist (deren Gesamtheit von Coseriu als «Evokation» bezeichnet wird),37 kann die durch das Sprachsystem und die Sprachnorm bedingte Bedeutung eines sprachlichen Zeichens in den verschiedenen Verwendungen, etwa im alltäglichen Sprachgebrauch oder in den Wissenschaftssprachen, als in der Regel lediglich restringiert im Sinne von «entaktualisiert» gelten. Dagegen wird die Aktualität der Relationen bzw. «Verhältnisse» und der dadurch evozierten Bedeutung in der «dichterischen Sprache» überhaupt erst festgestellt: «Somit erscheint die dichterische Sprache nicht als ein Sprachgebrauch unter anderen, sondern als Sprache schlechthin, als Verwirklichung aller sprachlichen Möglichkeiten», woraus Coseriu unter anderem den Schluss zieht, dass «die dichterische Sprache die volle Funktionalität der Sprache darstellt, dass also die Dichtung der Ort der Entfaltung, der funktionellen Vollkommenheit der Sprache ist» (Coseriu 1971b, 184) – der virtuelle Prototyp. In diesem Sinne sei, so Coseriu, auch die Bestimmung der dichterischen Sprache als «entautomatisierte Sprache» durch die Prager Schule zu interpretieren, da hier die Ent-automatisierung die Aufhebung einer Restriktion (eben der Automatisierung) und also «Restitution […] der vollen Funktionalität der Sprache als solcher» impliziere (ibid.).38 Im Rahmen der Coseriu’schen (1968a, 151–157) Unterscheidung von Rede, Norm, System bzw. parole, norme, langue (und langage) stellt sich der Dichter bzw. Schriftsteller als derjenige dar, der sowohl über seine parole als auch seine interne norme in der Lage ist, Möglichkeiten und Tendenzen seiner langue zur Geltung zu bringen, die nicht innerhalb der norme – sei es der alltäglichen Ge-
|| 37 Zu den Arten an «Verhältnissen», die dieses Gesamt an Evokationsbedeutungen eines sprachlichen Zeichens ausmachen, gehören (cf. Coseriu 1971b, 183–184): das materielle und inhaltliche Verhältnis des konkreten sprachlichen Zeichens zum einen zu anderen einzelnen Zeichen sowie zu Reihen und Gruppen von anderen Zeichen; das Verhältnis zu Zeichensystemen (z.B. zu Sprachen innerhalb der historischen Sprache); das direkte materielle Verhältnis zur außersprachlichen Welt (direkte reproduzierende oder abbildende Funktion); das Verhältnis zum komplexen Gefüge an unmittelbaren sprachlichen und nicht-sprachlichen Erfahrungen (Kontexte und Situationen); das Verhältnis zu anderen Texten; das Verhältnis zur empirischen Weltkenntnis sowie zu den verschiedenen Formen der Weltinterpretation (Kultur). 38 Für die Textlinguistik folgt daraus, dass die literarischen Texte Modellcharakter besitzen, da sie funktionell am vollsten entwickelt sind; auf ihrem Hintergrund gilt es, die in anderen Textarten zum Tragen kommenden «Automatisierungen» bzw. «Entaktualisierungen» zu identifizieren (cf. Coseriu 1971b, 186).
Sprachtypus und Standardsprache | 35
meinsprache, sei es der «externen» norme des zeitgenössischen oder traditionellen Stils39 der jeweiligen Gattung – fixiert sind, d.h. «[d]ue to his profession to concentrate on the poetic function (in the sense of R. Jakobson) and on language itself, the poet (always including the literary writer) can fulfill the possibilities of langue (and langage) better than other language users» (Dressler 1981, 423). Da Schriftsteller häufig auch die Innovation suchen, können Neuerungen im Bereich der Literatur als Abweichungen entweder vom alltäglichen Sprachgebrauch oder der «internen/externen» Norm betrachtet werden. Im Bereich der Wortbildung können solche Neuerungen als «neologisms due to poetic license» bezeichnet werden (Dressler 1981, 423), da Dichter bei der Prägung neuer Wörter auf die Prinzipien ihrer langue und des langage zurückgreifen (cf. ibid.). Bezüglich der Quantität und der Qualität der poetischen Neologismen, die Dressler in den von ihm ausgewerteten (dichterischen und gelehrten) Texten feststellt, lässt sich beobachten, dass unter den untersuchten Sprachen dreier Sprachfamilien, d.h. der germanischen (mit Deutsch und Englisch), der slawischen (mit Russisch und Polnisch) sowie der romanischen (mit Französisch und Italienisch), in den beiden romanischen Sprachen offensichtlich weniger und zudem bezüglich des Innovationsgrades weniger gewagte Neubildungen auftreten als in den vier anderen Sprachen. Ein «full and complete use» der jeweiligen sprachlichen Mittel korreliere nach Dressler mit einer Wortbildung, die in den genannten germanischen und slawischen Sprachen von der Komposition mehr Gebrauch mache als in den beiden romanischen Sprachen. Mit besonderem Blick auf das Französische kann eingewendet werden, dass die relativ geringe Häufigkeit morphologischer Neologismen auf die Tradition des präskriptiven Purismus zurückgehe; dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass «this purism in the area of word formation or, at least, the acceptance of this purism by French writers and poets» zumindest teilweise einen Reflex bilde «of the relatively smaller role of word formation in French, i.e. of its language type» (Dressler 1981, 430). Andererseits lassen Bildungen wie die folgenden (nach Noailly 1990, 68) angesichts der Zahl der miteinander kombinierten Elemente staunen, wo solche «überlangen» Konstruktionen in fast singulärer Weise dem Deutschen (bzw. seiner polysynthetischen typologischen Komponente) zugesprochen werden: Il ressemblait beaucoup à ces sacristains-bedeaux-sonneurs-suissesfossoyeurs-chantres de village (Balzac); C’est le larbin-secrétaire-factotum-homme de confiance-conseiller intime de Laumier (Leo Malet).
|| 39 Die Auffassung vom Stil als Abweichung (und vom Stil als Wahl) kann laut Dressler dem Coseriu’schen Verständnis von Stil als tatsächliche Erfüllung der Möglichkeiten einer Sprache untergeordnet werden (cf. Dressler 1981, 424).
36 | Einleitung
1.6 Textbelege und Quellen Die Gesamtanlage der vorliegenden Arbeit soll ermöglichen, was aus der Sprachtheorie bzw. dem Begriff der funktionellen Grammatik bereits folgt: zum einen die Konzentration auf die Einzelsprache; im Bereich der funktionellen Grammatik der Einzelsprache sollen dann die sprachlichen Fakten aus inhaltlicher Sicht beschrieben werden.40 Die Selektion der grammatischen Kategorien bzw. Funktionen orientiert sich dabei an der prinzipiellen Möglichkeit, mit paragrammatischen Kategorien zu kontrastieren. Prinzipiell soll auch ein Einblick in das gesamte grammatische System gegeben werden, wenngleich Vollständigkeit hinsichtlich der grammatischen Phänomene nicht angestrebt werden kann. Für diese Ziele kann nicht auf ein einzelnes einschlägiges Referenzwerk zurückgegriffen werden, für die Belege wohl aber auf den Bon Usage (manchmal erwähne ich Beispiele an geeigneter Stelle wieder, wenn sie verschiedentlich beleuchtet werden). Ziel ist es nicht, für die angestrebte Untersuchung historische Quellen auszuschöpfen; das Anliegen besteht auch nicht darin, möglichst umfassend Belege aus der aktuellen Synchronie der französischen Gemeinsprache zusammenzutragen. Vielmehr geht es darum, eine gewisse Stichprobenanzahl an Belegen bereitzustellen, die das Wirken des «neufranzösischen» typologischen Prinzips quasi pars pro toto illustrieren. Die Art der Bildungen bzw. die Frage der Durchdringung des Systems soll also gegenüber der Frage deren quantitativer Präsenz Vorrang haben. Immerhin sind bestimmte sprachliche Erscheinungen nicht nur dann für die typologische Charakterisierung einer Sprache von Bedeutung, wenn diese als quantitativ dominant in Erscheinung treten. Die Dominanz eines Strukturierungsprinzips herauszustellen erfordert vielmehr, alle zu seiner Stärkung beitragenden Tendenzen zu erfassen. Erst in ihrer Gesamtheit ergeben sie ein Bild, das den Typus im Sinne der vorherrschenden Gestaltungstechnik mehr oder weniger klar hervortreten lässt. Auf paragrammatischer Ebene ist für die typologische Einordnung eines bestimmten wortbildenden Verfahrens auch dessen Produktivität von Belang. Welche Verfahren zu den produktivsten und den weniger produktiven paragrammatischen Strategien der heutigen Gemeinsprache zählen, ist in eigenen Studien zur Wortbildung des Französischen hinreichend dargestellt. Die vitalen
|| 40 Ansätze zu einer verstärkt inhaltlich ausgerichteten Sprachbeschreibung finden sich jüngst in Teildarstellungen aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik (cf. Liria 2009), etwa wenn der Bereich Syntax («Phrases») untergliedert wird in «la cause, la conséquence et le but; la condition; l’obligation; la négation, la comparaison; se situer dans le temps; se situer dans l’espace».
Textbelege und Quellen | 37
und synchronisch analysierbaren Verfahren können entweder zur Konsolidierung der supponierten typologischen Dominante des Gegenwartsfranzösischen beitragen oder auch nicht (z.B. eher den ererbten Typus stützen). Ich beziehe mich hier auf die Wortbildungslehre Jens Lüdtkes (siehe Bibliografie). Dabei können auch solche Verfahren der Wortschatzbereicherung (teilweise im Vergleich mit dem typologisch affinen Englisch) in den Blickpunkt treten, die nicht zu den paragrammatischen Verfahren zählen, so etwa die Lehnaktivität des Französischen (bzw. der romanischen Sprachen mit Blick auf das Latein).41 Sie bedingt den Typus ebenfalls. Zur Frage der Qualität des Belegmaterials: Für eine typologische Studie bietet sich der Rekurs auf literarische Beispiele in idealer Weise an (cf. Kap. 1.5); als impraktikabel erschiene jedoch ein Vorgehen, das versuchte, von der abstraktesten aller sprachlichen Ebenen, der der typologischen Prinzipien und Verfahren, herunterzubrechen auf eine Ebene der Texte an sich. Daher werde ich auch kein Korpus an literarischen Texten auswerten; die mit einer korpusbasierten Studie verbundenen Probleme (etwa Erfassung der Zahl der Neubildungen nach einem bestimmten Muster im Verhältnis zu deren Vorkommen in Texten, Frage des Umfangs der Aufnahme in Lexika etc.) bleiben also unberücksichtigt. Die Daten zum aktuellen Sprachgebrauch werden konsequenter Weise aus denjenigen Quellen rekrutiert, die als verbindliche Referenzwerke die für die heutige Gemeinsprache des Französischen gültige Norm repräsentieren, wobei unter den Grammatiken Le Bon Usage (hauptsächlich in der 13. Ausgabe von 1993, daneben in der 15. von 2011) als hauptsächliche Referenzbasis dient. Mit dem Titel Grammaire méthodique du français von Riegel/Pellat/Rioul (1994) scheint sich daneben eine Grammatik bewusst in die Tradition der Enzyklopädisten bzw. der Grammaire générale zu stellen, um gleichzeitig aktuelle linguistische Strömungen in sich aufzunehmen. Diese Semantik und Morphosyntax zur Geltung bringende Grammatik, die unterschiedliche Ansätze in sich vereint, diente mir teilweise als Bezugsrahmen, um bestimmte Gegenstände möglichst angemessen einzugrenzen. Bezüglich der Lexik des Französischen stütze ich mich hauptsächlich auf den Petit Robert 1 (1991) bzw. den Petit Robert (P.R.) in der CD-ROM-Version 2.2 (2004) sowie den Grand Robert (G.R.) en ligne (2011–2012). || 41 Eine andere Frage betrifft die spezifische Gestaltung des Typus des Gegenwartsfranzösischen, würde man von normativen Einflüssen vollständig absehen; allerdings kann von diesen vermutlich nie völlig abstrahiert werden, um die Entwicklung aus dem Latein prospektiv bis zum heutigen Französisch zu extrapolieren. Gewisse auf einem sorgfältigen Vergleich der historischen Sprachdaten fundierte Hypothesen könnten aber gewiss eine Reihe typologisch sehr erhellender Ergebnisse in Bezug auf diese hypothetische Gestalt des Französischen liefern.
2 Zur grammatischen Beschreibung der Einzelsprache 2.1 Die drei Sektionen der einzelsprachlichen Grammatik 2.1.1 Die konstitutionelle Grammatik Mit Coseriu (siehe insbesondere 1987, 145; [1970b/1972]/1987, 77; [1972b]/1987, 87) lässt sich innerhalb der Grammatik eine dreifache Untergliederung vornehmen, die eine «konstitutionelle» Grammatik, eine «funktionelle» Grammatik und eine als «relationell» bezeichnete Grammatik gegeneinander abgrenzt.1 Die «konstitutionelle» Grammatik untersucht die den grammatischen Bedeutungen einer Sprache entsprechende materielle Strukturierung, d.h. die Konstitution der Ausdrucksseite, die Morphologie bzw. die grammatische Form im weiteren Sinne (cf. Coseriu [1970b/1972]/1987, 77; [1972b]/1987, 87). Die konstitutionelle Grammatik ist weder auf die Untersuchung der minimalen materiellen Elemente noch auf die Morphologie des Wortes eingegrenzt, sondern umfasst alle Ebenen der grammatischen Strukturierung einer Sprache (Coseriu 1987, 145). Grammatik und Paragrammatik finden hier über den Verweis der Ebenen aufeinander gleichermaßen Eingang. Da es in Grammatik und Paragrammatik um die Erfassung strukturell-funktioneller Verfahren geht und ein Verfahren, um ein solches darzustellen, nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine spezifische materielle Komponente voraussetzt, können beide Bereiche immer auch vom Standpunkt der materiellen Konstitution aus betrachtet werden.
2.1.2 Die funktionelle Grammatik Die «funktionelle» Grammatik oder funktionelle Paradigmatik der verschiedenen Schichten (cf. Coseriu [1970b/1972]/1987, 77) entspricht der grammatischen Paradigmatik bzw. grammatischen Semantik einer Sprache, die «die Gesamtheit der Oppositionen grammatischen Inhalts» und insofern die «einheitlichen grammatischen Bedeutungen, die durch die Oppositionen in jeder Sprache bestimmt wer-
|| 1 Diese drei Sektionen entsprechen dem grammatischen Wissen des Sprechers über eine Sprache, genauer dem Was, dem Wozu und dem Wie des Gebrauchs dieses Wissens; sie entsprechen ferner den zwischen Sprachen konstatierbaren Typen von grammatischen Divergenzen (cf. Coseriu 1987, 145–146). https://doi.org/10.1515/9783110693966-002
Die drei Sektionen der einzelsprachlichen Grammatik | 39
den», zum Gegenstand hat (Coseriu 1987, 145). Sie beschäftigt sich mit den Funktionen der verschiedenen Schichten der grammatischen Strukturierung (cf. Kap. 2.2), indem sie die Paradigmen dieser Schichten zu bestimmen versucht (Coseriu [1972b]/1987, 87, 148).2 Die funktionelle Grammatik bedingt die beiden anderen Bereiche der Grammatik einer Sprache, d.h. die Konstitution der Ausdrucksseite (konstitutionelle Grammatik) sowie die Relationen, die durch die funktionellen Oppositionen begründet werden (relationelle Grammatik) (cf. Kap. 2.1.4), und stellt daher den Kernbereich der Grammatik dar. Im Mittelpunkt einer Grammatik bzw. der Sprachbeschreibung steht daher die Frage nach der Funktion.
2.1.3 Typen der funktionellen Bedeutung Um den Gegenstandsbereich der funktionellen Grammatik genauer zu umreißen, ist eine Unterscheidung folgender fünf Typen an Bedeutung angemessen: eigentliche lexikalische, kategorielle, instrumentale, syntaktische und ontische Bedeutung (cf. Coseriu [1972b]/1987, 89–90 sowie insbesondere 149–150). Diese Bedeutungstypen sind aus grammatiktheoretischer Sicht fundamental für die Sprachbeschreibung auf grammatischer Ebene. a. Die lexikalische Bedeutung: Die lexikalische Bedeutung betrifft das Wesen der Gestaltung der außersprachlichen Welt durch die Einzelsprachen. Sie entspricht nach Edmund Husserl (Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik) der Substanz oder dem Was der Welterfassung, der sprachlich benannten Wirklichkeitsart und damit derjenigen Bedeutungskomponente, die z.B. die Wörter jeder der folgenden Reihen miteinander verbindet und die Reihen als Ganze von anderen solcher (hier Farb-)Reihen abgrenzt: frz. blanc – blancheur – blanchir gegenüber vert – verdeur – verdir oder rouge – rougeur – rougir etc.
|| 2 Damit ist noch nichts über den Begriff grammatisch bzw. Grammatik selbst ausgesagt; siehe dazu aber z.B. Coseriu ([1972b]/1987, 86): Die Grammatik kann zum einen als «die allgemein gültige (d.h. nicht situationell bedingte) einzelsprachliche freie Technik des Sprechens über die durch die Einzelsprache selbst (‘Wörter’) gestaltete außersprachliche Wirklichkeit (‘Objektgrammatik’ oder Grammatik1)» gefasst werden und zum anderen als «die Untersuchung bzw. Beschreibung dieser Technik (Grammatik als Metasprache oder Grammatik2)». Als solche umfasst die Grammatik lediglich einzelsprachliche (materielle und funktionelle) Sprachgestaltungsmethoden, die die primäre (lexikalische) Organisation der außersprachlichen Wirklichkeit transzendieren.
40 | Zur grammatischen Beschreibung der Einzelsprache
b. Die kategorielle Bedeutung: Dieser Bedeutungstyp entspricht nach Husserl dem Wie der Erfassung der außersprachlichen Welt, da er auf der Form der Realitätserschließung beruht. Es handelt sich um diejenige Bedeutungskomponente, die bei den einzelnen Wörtern der Reihen blanc – vert – rouge, blancheur – verdeur – rougeur, blanchir – verdir – rougir jeweils übereinstimmt, aber für jede Reihe eine andere ist. Die zugrunde liegende Substanz bleibt trotz der variierenden Form, in der sie zu erfassen gesucht wird, konstant (cf. blanc – blancheur – blanchir). Die kategorielle Bedeutung bezieht sich also auf die Verbalkategorien (Substantiv, Adjektiv, Verb, Adverb) sowie deren mögliche Unterkategorien (Substantiva absoluta, z.B. Mensch, Baum, Himmel, Substantiva adiecta wie Vater, Doktor, Herr,3 Verba absoluta wie lesen, laufen und Verba adiecta, z.B. anfangen, fortsetzen etc.; cf. infra Kap. 7.4). Zwischen diesen vier in den Sprachen vorkommenden Typen katgorieller Bedeutung lassen sich Überschneidungen feststellen, etwa zwischen Verb und Adjektiv oder Adjektiv und Adverb, und Untergruppierungen einführen. So stellen die Pronomina Kategoreme oder Formen ohne Substanz dar, da sie hauptsächlich eine kategorielle Bedeutung besitzen (sie können als Substantive, Adjektive, Adverbien und gegebenenfalls als Verben vorkommen), aber keine eigentlich lexikalische; allenfalls weisen sie eine generische Bedeutung auf (im Sinne der Klassen «Person», «Sache», «Ort», «Zeit», «Modalität», «Tätigkeit» etc.). Die kategorielle Bedeutung gehört insofern zum grammatischen System, als sie nicht nur Lexeme betrifft, sondern auch Wortgruppen und ganze Sätze (cf. Coseriu [1972b]/1987, 91). Ferner impliziert die kategorielle Bedeutung eine gewisse Präferenz hinsichtlich der durch eine Wortkategorie erfüllten Funktion im Satz. So kann nur das Substantiv (als Nomen, Pronomen, Nominalsyntagma, nominalisierter Satz) die Subjektposition eines Satzes einnehmen, das Verb eignet sich auf Grund seiner Semantik in bevorzugter Weise zur prädikativen Funktion. Die kategorielle Bestimmung ist mit der lexikalischen Bedeutung in den meisten Sprachen relativ unmittelbar verknüpft. Die lexikalische Bedeutung erscheint also in der Regel nicht losgelöst von der kategoriellen Bestimmung, auch nicht in Sprachen wie dem Englischen oder Chinesischen, in denen kategorielle Übergänge unter Bewahrung der Form (cf. frz. blanc → le blanc (de l’œil), amusant → l’amusant (de l’histoire)) eine besondere Stellung einnehmen.
|| 3 Cf. J. L. Vives Unterscheidung in nomina absoluta und appellationes (siehe Kap. 5.5.6 in dieser Arbeit).
Die drei Sektionen der einzelsprachlichen Grammatik | 41
c.
Die instrumentale Bedeutung: Sie umfasst die Bedeutung allgemein der Morpheme im Sinne von grammatischen Elementen (oder Verfahren), denen die Verbindung von Elementen im Satz obliegt. Diese grammatischen Instrumente können als freie Morpheme (Wörter) oder gebundene Morpheme vorkommen. Dabei fungiert beispielsweise der Artikel le in der Kombination frz. l’homme als Aktualisator in Bezug auf das Aktualisierte homme, ohne jedoch selbst die Bedeutung «aktuell» zu tragen; oder die Endung -s in der Kombination sp. casa-s hat die Funktion des Pluralisators mit Blick auf das Pluralisierte casa-, besitzt aber per se nicht die Bedeutung «Plural». Die Instrumente bilden für sich genommen allerdings keine Paradigmen, da sie nicht in der Lage sind, unmittelbar Oppositionen zu begründen. Zu den Instrumenten gehören nicht nur «Morphemwörter» wie Artikel, Präpositionen, Konjunktionen etc. sowie Endungen (mit grammatischer Funktion), Präfixe und Suffixe, sondern auch die Wortfolge, der Akzent und die Intonation. Die Wortfolge im Satz, insbesondere aber prosodische Merkmale dürfen mit Blick auf die typologische Charakterisierung angesichts der Vielfalt der menschlichen Sprachen nicht übersehen werden.4 d. Die syntaktische Bedeutung: Die syntaktische oder innerstrukturelle Bedeutung schließt solche Bedeutungsaspekte ein, wie sie in Kombinationen von lexematischen und/oder kategorematischen Einheiten mit Morphemen innerhalb des Satzes zum Tragen kommen (z.B. Numerus, Genus verbi, Tempus, Modus, Aspekt etc.). So hat die Kombination casa + -s die Bedeutung «Plural» in Opposition zum «Singular» casa (= casa + -Ø), die Kombination l’homme die Bedeutung «aktuell» in Opposition zum «virtuellen» homme. All diese Bedeutungen sind syntaktische Bedeutungen, da sie durch instrumentale Morpheme bestimmt werden und insofern markierte Kombinationsbedeutungen darstellen. e. Die ontische (äußerungskategorielle) Bedeutung als weiterer Bedeutungstyp beinhaltet den Existenzwert, der dem in einem Satz oder einer Proposition bezeichneten Tatbestand zugeschrieben wird, und lässt sich erfassen über Charakterisierungen wie «assertiv», «interrogativ», «imperativ», «optativ» etc. (jeweils mit Unterscheidung in «positiv» und «negativ») (cf. Lüdtke 1996b, 2.2.15). Die ontische Bedeutung entspricht auf der Ebene des Satzes hinsicht-
|| 4 In der Paragrammatik beispielsweise kann die Prosodie in derselben Weise eine zusätzliche Determination mit Bezug auf ein Lexem bewirken wie die Modifizierung; diese modifizierende Relation «est analogue au rapport entre un phonème et le même phonème modifié par un prosodème» (Coseriu 1966a/[1967], 4.2.1). 5 Cf. ausführlicher Lüdtke (1986) sowie id. (1988c).
42 | Zur grammatischen Beschreibung der Einzelsprache
lich dessen syntaktischer Bedeutung approximativ der kategoriellen Bedeutung in Bezug auf die lexikalische Bedeutung eines Wortes oder einer Wortgruppe (cf. Hans liest, Hans liest nicht, Hans liest? mit identischer syntaktischer, aber unterschiedlicher ontischer oder äußerungskategorieller Bedeutung). Die grammatischen Paradigmen ergeben sich erst auf den Ebenen der syntaktischen und ontischen Bedeutung, so dass sich die grammatische Bedeutung hauptsächlich über diese beiden Bedeutungstypen konstituiert.
2.1.4 Die relationelle Grammatik Die relationelle Grammatik beinhaltet die Relationen zwischen den verschiedenen Paradigmen, durch die analoge Funktionen vermittelt werden (z.B. lat. ROMAE aber IN URBE ROMĀ zum Ausdruck der Lokativität oder ital. il mio libro – questo libro è mio, frz. mon livre – ce livre est à moi, zum Ausdruck der Possessivität in attributiver und prädikativer Funktion)6, «einschließlich der sog. Transformationen, die eigentlich nur eine bestimmte Art von Relationen darstellen» (Coseriu [1970b/1972]/1987, 77).7 Sie widmet sich den Bezeichnungseinheiten, wie sie durch − in verschiedenen Paradigmen organisierten − Sprachbedeutungen vermittelt werden können und untersucht demnach die Beziehungen zwischen diesen Paradigmen unter dem Aspekt der Bezeichnung.8 Dabei stellt die Paragrammatik einen zentralen Bereich der Betrachtung funktioneller Oppositionen unter onomasiologischem Gesichtspunkt dar (zum Begriff der Opposition im Rahmen der Wortbildungstheorie cf. Lüdtke 2001a, 766–767). Denn soweit mit Sprache der Zweck verfolgt wird, die außersprachliche Wirklichkeit
|| 6 Coseriu ([1972b]/1987, 87) schlägt zur Beschreibung solcher Sachverhalte, die einen Vergleich auf Satzebene implizieren, den Begriff der Satzgrammatik vor; diese gilt es unter allen drei Aspekten, dem konstitutionellen, funktionellen und relationellen zu analysieren. 7 Die relationelle Grammatik ermöglicht also über die Beziehungen zwischen den verschiedenen semantischen Paradigmen, bei annähernder Äquivalenz in der Bezeichnung, zwischen den in einer Einzelsprache jeweils verfügbaren paradigmatischen Einheiten zu wählen. Es zeigt sich also, dass rein distributionelle Kriterien in einem solchen Grammatikkonzept keinen Platz finden. 8 So kann die Bezeichnungsfunktion «Agens» durch völlig verschiedene Sprachbedeutungen zum Ausdruck gebracht werden, nämlich durch das Subjekt, das Agentivum (also eine besondere Art der Ergänzung) oder durch den Genitiv (cf. Coseriu 31994, 58–59), wie etwa auch folgende Oppositionen Äquivalentes bezeichnen: A ist größer als B ~ B ist kleiner als A, A schlägt B ~ B wird von A geschlagen, die Tür steht offen ~ die Tür ist nicht geschlossen, A schwieg ~ A sagte nichts, A sprach nicht, [ich schneide das Brot] mit dem Messer ~ mithilfe eines Messers ~ unter Verwendung eines Messers ~ unter Zuhilfenahme eines Messers (semantische Relation «Instrument») etc.
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im Akt des Benennens verfügbar zu machen, bedarf die Erfassung dieser Wirklichkeit in erster Linie einer Anwendung von sprachlichem Wissen, das die Beziehung zwischen Inhalt und Form zur Geltung bringt. Die drei erläuterten Bereiche der Grammatik (der konstitutionelle, der funktionelle und der relationelle9) spiegeln sich in jedem Akt der Sprachverwendung, der auf dem Wissen des Sprechers um den grammatischen Gebrauch seiner Sprache beruht, wider (cf. Coseriu 1987, 145–146). Dieselbe Bezeichnungsfunktion kann dabei in ein und derselben Sprache über verschiedene materielle und semantische Einheiten erfüllt werden, wie sich genauso eine einzige sprachliche Einheit auf verschiedene Bezeichnungstypen beziehen kann. Dies gilt auch im zwischensprachlichen Vergleich: «Was die Sprachen […] unterscheidet (bzw. unterscheiden kann) und was dem einzelnen Sprecher bewusst ist, das sind gerade diese Gleichheiten und Unterschiede bei den Bezeichnungstypen (funktionellen Varianten), die zu verschiedenen semantischen Paradigmen gehören, d.h. jene Beziehungen zwischen Bedeutungsparadigmen, die auf Grund von Bezeichnungsäquivalenzen oder -differenzen entstehen» (Coseriu 1987, 148).10
Die Sprachen unterscheiden sich also wesentlich durch die individuelle Strukturierung des Bezeichneten auf der Grundlage einzelsprachlicher Inhalte, die im Rahmen bestimmter Möglichkeiten materiell verschieden umgesetzt werden.
2.1.5 Paragrammatik als relationelle Grammatik Die Wortbildung konstituiert sich als ein autonomer Bereich der Sprache bzw. der funktionellen Semantik «qui inclut des aspects ‘paragrammaticaux’ et des || 9 Zum Verhältnis der drei Sektionen untereinander sowie deren Beitrag zum Aufbau der Grammatik cf. Coseriu ([1970b/1972]/1987, 80): «Die Unterschiede, die die Bereiche der Grammatik betreffen, sind wohl als solche – vor allem freilich die konstitutionellen und die funktionellen – die am meisten bekannten, da diese Bereiche das Hauptkorpus sowohl der traditionellen als auch der strukturellen Grammatik darstellen». 10 Hieran schließt sich eine grundlegende Kritik am transformationellen Ansatz in der Grammatik an (ibid.): «In diesem Sinne sind die sog. ‘Transformationen’ funktionell gesehen meistens nur eben diese Beziehungen zwischen verschiedenen Paradigmen, die als Operationen (d.h. Bewegungen von einem Paradigma zum anderen) dargeboten und normalerweise durch die Bezeichnung gerechtfertigt werden. Denn was die Transformationalisten – hier in Übereinstimmung mit der nordamerikanischen (Bloomfieldschen) Tradition – meaning nennen, ist nicht etwa die Sprachbedeutung (‘valeur de langue’), sondern fast immer die außersprachliche Bezeichnung bzw. höchstens etwas sehr Generisches, das unterschiedslos Bedeutung, Bezeichnung und Sinn umfasst».
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aspects purement lexicaux» und «qui commence par les fonctions paragrammaticales des procédés formatifs et arrive, en descendant vers le particulier, jusqu’aux fixations dans la désignation» (Coseriu 1982a, 15, 16). Die paragrammatischen Bedeutungen stellen «implizite» grammatische Determinationen (cf. Coseriu 1968c) dar, die den eigentlichen oder expliziten grammatischen11 Bestimmungen analog sind: «Du point de vue lexématique, elles [les structures secondaires, B.K.] se distinguent par le fait qu’elles impliquent toujours la transformation irréversible d’un terme primaire existant en tant que lexème de contenu et d’expression dans la langue. C’est-à-dire qu’un terme primaire reçoit une détermination grammaticale et, avec cette détermination grammaticale implicite, il est rendu de nouveau au lexique (dans le sens qu’il peut recevoir les déterminations grammaticales explicites des termes primaires)» (Coseriu 1968c, 13).
Wortbildungsbedeutung und Wortschatzbedeutung müssen gleichermaßen in die Theorie einer «Wortbildungsgrammatik» integriert werden. Unproblematisch erscheint der materielle, d.h. konstitutionelle Aspekt: Er ist Grundbestandteil jeglicher inhaltlich-funktionellen Sprachanalyse; so müssen auch in der Wortbildung stets die spezifischen an einem Wortbildungsverfahren beteiligten materiellen Mittel betrachtet werden. Der funktionelle Bereich der Grammatik bedingt zwar, erfasst aber die paragrammatischen Inhalte und die zugehörigen semantischen Paradigmen für sich alleine nicht: Nach Lüdtke (2001, 779) «befindet sich der Ort der Wortbildung im Sprachsystem zwischen der Grammatik und dem Wortschatz», da ein sekundäres Wort über die Wortbildungsbedeutungen einerseits «einem bestimmten Bereich der Grammatik» angehört, über die Wortschatzbedeutung wiederum dem Wortschatz zuzuweisen ist. Die Wortbildungsbedeutung lässt sich erst auf der Folie der funktionellen Grammatik (genauer der Paraphrase; cf. Kap. 5.2) transparent machen: Über die Wortbildungsparaphrase, die die lexikalischen Bedeutungskomponenten mit einschließt, wird die sekundäre Struktur in Relation zu einer funktionellen Einheit gesetzt, die – im Rahmen der relationellen Definition – zugleich ein potentielles Bezeichnungsäquivalent darstellt. Sie erhellt die Relation zwischen Grundwort und sekundärem abgeleitetem Wort.12 Die Interdependenz gestaltet sich wie folgt: || 11 Die Opposition zwischen paragrammatischen als «impliziten» grammatischen und «expliziten» grammatischen Bestimmungen bzw. Funktionen findet sich ähnlich in Skalička (1970b). 12 Cf. die folgende Unterscheidung bei Dokulil (1964, 220; ich unterstreiche): «Insofern wir unter Syntax die Lehre vom grammatischen Satzbau, von den Satzgliedern verstehen, können wir keine direkte Verbindung zwischen ihr und der Wortbildung annehmen. […] Diese Verbindung kann man lediglich zwischen dem inhaltlichen Bau der Benennung, sei sie mittels eines
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«In gleicher Weise [wie die konstitutionelle Grammatik, B.K.] hängt die ‘relationelle’ Grammatik von der funktionellen ab, zumal die ‘Relationen’ kohärent einzig in einem Bezug auf die schon als solche erstellten funktionellen Paradigmen ermittelt und abgegrenzt sowie die Möglichkeiten der Bezeichnung, die ‘funktionellen Varianten’, erst im Bezug auf die funktionellen Einheiten identifiziert, abgegrenzt und begründet werden können, und nicht umgekehrt» (Coseriu 1987, 173).
Abgesehen davon, dass Wortbildungsprodukte immer auch grammatischen Paradigmen angehören, durch die sie, je nach zugehöriger Wortkategorie, bestimmte explizite grammatische Bestimmungen erhalten und bezüglich der Funktion im Satz gekennzeichnet werden, können in einem Wortbildungsprodukt bestimmte grammatische Determinationen der Basis erhalten bleiben (etwa Bestimmungen bezüglich einer aktiven oder passiven Funktion, der Reflexivität, des Aspekts mit Resultat, Frequentativität oder Semelfaktivität, hinsichtlich möglicher Topikalisierungen13 einer syntaktischen Relation der Basis etc.; cf. Coseriu 1982a, 14). An diesem Punkt wird Wortbildung als Subordinierung in ihrem Funktionieren deutlich: Die eigentlich grammatischen Funktionen der funktionellen Syntax, die die einer Wortbildung zugrunde liegende Satzstruktur bilden (cf. Lüdtke 1978, 54–55), erscheinen in der Wortbildung als (paragrammatische) Relationen. Die Inbezugsetzung zwischen den beiden Teilbereichen der Grammatik erfolgt über die Subordinierung. Daraus erklärt sich die Zugehörigkeit der Paragrammatik auch zur relationellen Grammatik: So kann im Rahmen des funktionellen und relationellen Teils, d.h. der syntaktischen Beschreibung eines Wortbildungsproduktes ein und dieselbe Beschreibungskategorie eine Funktion oder eine Relation zwischen Funktionen repräsentieren. Beispielsweise ist das Prädikat eine Funktion im Satz, dagegen eine Relation mit Blick auf eine prädikative Nominalisierung: «Die inhaltlichen Verhältnisse zwischen Grundwort und abgeleitetem Wort werden demnach Relationen genannt; die inhaltlichen Elemente der entsprechenden Grundlage werden, wenn sie unabhängig von ihrer Realisierung in der Wortbildung gesehen werden, Funktionen genannt. Oder in anderen Worten: was auf der Ebene des Satzes Funktionen sind, stellt sich auf der Ebene der Wortbildung als Funktoren von Relationen dar. Die Relationen in der Wortbildung unterscheiden sich gleichzeitig dadurch von den Funktionen, dass sie immer eine Subordination einschließen» (Lüdtke 1978, 54).
|| oder mehrerer Wörter realisiert, und dem inhaltlichen Bau der Äußerung konstatieren». So differenziert Dokulil (1964, 221) grundlegend zwischen einer Syntax der Benennung und einer Syntax der Aussage (cf. auch Kap. 5.2 in dieser Arbeit). 13 Zur Klärung des Begriffs siehe Kap. 5.3.2.
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Die Relationen, die die inhaltlichen Verhältnisse zwischen Grundwort und abgeleitetem Wort enthalten, sind somit eigentlich paragrammatische Relationen, die eigene, grammatikähnliche Oppositionen begründen. Sie sind auch deshalb mit den grammatischen Funktionen nicht identisch, weil sie eine Subordination einschließen.
2.1.6 Verb und Satzinhalt: Bedeutungen mit Funktion im Satz und Bedeutungen ohne Funktion im Satz Wenn die funktionelle Grammatik die Paradigmen der grammatischen Bedeutung einer Sprache umfasst, stellt sich die Frage der Abgrenzung zur nichtgrammatischen, also lexikalischen Bedeutung, der die Funktion des Benennens zukommt. Die grammatische Bedeutung als zentraler Gegenstand der funktionellen Grammatik bezieht sich immer auf Kombinationen, die einem Sagen angehören (und umfasst als solche stets mehrere Bedeutungstypen); dem Sagen steht die Nenn-Funktion gegenüber. Sprache ist nach zwei sehr allgemeinen, aber fundamentalen Arten von Bedeutung gestaltet: nach der kategorialen Bedeutung der Wörter und der kategorialen Bedeutung von Äußerungen. Mit Wörtern wie arbre, vert, dormir nennt man etwas; solche Wörter (aber nicht nur Wörter) lassen sich über die Kategorien des Nennens (die Wortkategorien) als Substantive, Adjektive, Verben fassen. Die Kategorien des Sagens treten als Äußerungskategorien (Assertiv, Exklamativ, Interrogativ, Imperativ, Optativ(satz); cf. Lüdtke 1996b, 2.2.1) in Erscheinung: Erst auf der Ebene der Äußerung wird ein Nennen zu einem Sagen, d.h. vor allen Dingen in einem Satz, der ein Verb enthält. Daher ist die Kategorie des Verbs in seiner Funktion als Prädikat eines Satzes von zentraler Bedeutung: Das Verb macht das Nennen zum Sagen, der Übergang vom Nennen zum Sagen erfolgt im Satz.14
|| 14 Aus der oben Kap. 2.1.2 erwähnten Auffassung von Grammatik (cf. Coseriu [1972b]/1987, 86) lässt sich u.a. schließen, dass «die Grammatik auch nicht der Fähigkeit, Sätze zu bilden (‘Sprechkompetenz’), entspricht; denn die Sprechkompetenz ist nicht nur einzelsprachliche grammatische Kompetenz, sondern zugleich lexikalische Kompetenz (d.h. Kenntnis des Lexikons und der lexikalischen Verfahren sowie der lexikalisch zugelassenen bzw. erforderten Kombinationen), allgemeine Sprechkompetenz, intuitive Kenntnis von Denkprinzipien, ‘Sachkenntnis’ (d.h. Kenntnis der außersprachlichen Wirklichkeit), Kenntnis von ‘Texten’ usw.» (Coseriu [1972b]/1987, 86–87). Die Sprechkompetenz schließt demnach weit mehr ein als die rein grammatische Kompetenz.
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Die Dichotomie zwischen Nennen und Sagen beruht darauf, dass grammatische Inhalte entweder eine Funktion im Satz einnehmen oder auch nicht. Haben sie keine Funktion im Satz, betreffen sie das Nennen, haben sie eine Funktion im Satz, dann handelt es sich um Kategorien des Sagens. Genus und Numerus beim Substantiv beispielsweise gehören zu denjenigen grammatischen Bedeutungen, die keine Funktion im Satz ausüben; erst im Syntagma bzw. in der Verwendung im Sagen werden sie als paradigmatische Einheiten erkennbar. Diese Unterscheidung zwischen Bedeutungen, die eine Funktion im Satz einnehmen, und solchen, die keine Funktion im Satz erfüllen, ermöglicht es, das Verb als Wortkategorie von den anderen Wortkategorien abzugrenzen. Bedeutungen, die eine Funktion im Satz haben, treten also bei der Wortkategorie Verb auf, das mittels seiner Morphologie – zumindest in den flektierenden Sprachen – eine komplexe Funktion auszudrücken vermag: So finden sich hier ggf. die Markierungen für Tempus, Modus, Person und Numerus (mit Kongruenz zum Subjekt). Ferner gilt es nach den weiteren Bestimmungen des Verbs zu fragen. Die damit in Verbindung stehenden Funktionen sind die des Subjekts, des direkten und indirekten Objektes (in traditioneller grammatischer Terminologie). Als tragfähiger Ansatz zur Analyse sämtlicher Bestimmungen bzw. Funktionen, die vom Verb ausgehen oder regiert werden, kann die Konzeption der Valenztheorie gelten, wie sie von Lucien Tesnière in seinen Éléments de syntaxe structurale (1959) dargelegt wurde. Ihre Leistung gegenüber der zuvor in der Grammatiktheorie getroffenen Unterscheidung zwischen transitiven und intransitiven Verben liegt darin begründet, dass in diesem theoretischen Rahmen nicht nur primär das direkte Objekt als notwendige oder fakultative Konstituente erfasst wird, sondern v.a. auch die Satzfunktion des Subjekts als der neben dem Prädikat wichtigsten Funktion im Satz. Die Wortbildung umfasst denjenigen Bereich des Wortschatzes, dessen Grundbedeutungen den grammatischen Bedeutungen analog sind. Die beiden genannten Grundtypen an grammatischen Bedeutungen – solche mit Funktion im Satz und solche ohne Funktion im Satz – kommen nicht nur in der grammatischen Kombination der Wörter untereinander, sondern auch in der Wortbildung zum Tragen; auf paragrammatischer Ebene spiegeln sich die beiden Grundtypen im Rahmen eines Wortbildungsproduktes wie folgt (für das Folgende siehe die wortbildungstheoretischen Schriften J. Lüdtkes, v.a. Lüdtke 1978; zuletzt 2005, insbesondere 49–56): Wenn keine Funktion im Satz impliziert ist, ändert sich die Wortkategorie nicht (frz. rond ‘rund’ → rondelet ‘rundlich’); ist dagegen eine Funktion im Satz impliziert, ändert sich die Wortkategorie (frz. (être) rond ‘rund (sein)’ → rondeur ‘Rundheit, Rundung’). Diese Differenzierung ist grundlegend; auf ihr beruht das Wortbildungsverfahren der
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Transposition, das für das Französische von wachsender Bedeutung ist. Sie muss auch in der Wortbildungsparaphrase zum Ausdruck kommen. Die Wortbildungsparaphrase soll den Unterschied zwischen der Wortbildungsgrundlage und dem durch ein Wortbildungsverfahren geschaffenen Wort in einer möglichst allgemeinen, aber angemessenen Form darstellen. So lässt sich frz. rondeur mit «le fait d’être rond» paraphrasieren, wobei «le fait de» den substantivischen Charakter der Ableitung zum Ausdruck bringt; «être rond» beinhaltet die Angabe, dass in diesem Wortbildungsprodukt rond in prädikativer Funktion verwendet wird. Die in der Wortbildung enthaltene Prädikatfunktion ist der Prädikatfunktion im Satz aber nur analog, nicht mit ihr identisch, da die Wortbildungsbedeutung wesentlich allgemeiner ist als die im syntagmatischen Ausdruck («das Rund-Sein») enthaltene: So fehlt der Wortbildung und ihrer Prädikatfunktion die Aktualität, wie sie im Prädikat eines Satzes (über die Markierung von Tempus, Modus, Person u.a. aktualisierenden Kategorien) gegeben ist. Als eine Wortbildungsbedeutung, die einer grammatischen Bedeutung ohne Funktion im Satz entspricht, wurde die diminutive Bedeutung genannt; das Suffix -ette in maison → maisonnette ist hier der Bestimmung eines Substantivs durch ein Adjektiv analog. Im Gegensatz zu petite maison wird mit maisonnette allerdings ein lexikalischer Inhalt als etwas Einheitliches und damit als etwa Eigenständiges bzw. in allgemeinerem Sinne als bei «petite maison» erfasst. Neben dem Prädikat kommt, wie gesagt, dem Subjekt eine zentrale Rolle im Satz zu; in der Wortbildung manifestiert sich dieser Umstand darin, dass von Verben häufig Substantive abgeleitet werden, die die Funktion des Subjekts enthalten, so dass die beiden Satzfunktionen Subjekt und Prädikat kombiniert erscheinen wie in frz. travailleur «(celui) qui travaille». Auch hier erfasst die Paraphrase nur eine relativ allgemeine Bedeutung, nicht die in einem konkreten Kontext aufgerufene lexikalische Bedeutung.
2.1.7 Syntagma und Paradigma Eine für die weiteren theoretischen Grundlagen zentrale Differenzierung ist die zwischen Syntagma und Paradigma. Als Syntagma kann jede Kombination aus Einheiten einer Strukturierungsebene zu einer Einheit der nächsthöheren Ebene aufgefasst werden. Diese Bestimmung impliziert damit eine Relation zwischen zwei Strukturierungsebenen. Dagegen wird ein Paradigma gebildet von der Gesamtheit der Einheiten, die auf ein und derselben Strukturierungsebene in Opposition zueinander stehen, d.h. ein Wort findet sich in paradigmatischem
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Verhältnis zu anderen Wörtern, eine Wortgruppe zu anderen Wortgruppen, ein Satz zu anderen Sätzen (diese Feststellung ist wichtig für die Bestimmung der Existenz sprachlicher Schichten in einer Sprache, cf. infra Kap. 2.2). Diejenigen Einheiten, die sich zu einem Syntagma verbinden, gehören ihrerseits einer bestimmten syntagmatischen Klasse an, d.h. der Gruppe all derjenigen Einheiten einer untergeordneten Ebene, die in einem spezifischen Syntagmentyp auf einer übergeordneten Ebene funktionieren (z.B. casa- in sp. casas als Element der «Grundlagen» («Stämme»), -s als Element der Klasse der Endungen, frz. un, le; ce(t)(te); mon, ton, son etc., die die auf Wortgruppenebene funktionierende syntagmatische Klasse der nominalen Determinanten bilden). Einheiten, die in der Rede dieselbe Position einnehmen können, also dieselbe Distribution aufweisen, bilden daher kein Paradigma, sondern konstituieren eine Klasse. Das distributionelle Kriterium ist zur Identifikation der paradigmatischen Einheiten nicht geeignet, da sich diese nicht über die Position in einem strukturell übergeordneten Syntagma definieren und auch nicht in ein und demselben Kontext vorkommen (zu dieser Auffassung von Syntagma und Paradigma cf. Coseriu 1978, 155ss.). Syntagma und Paradigma lassen sich am adäquatesten über die unterschiedliche Funktion definieren: Die zu einem Syntagma kombinierten Einheiten begründen ein Determinationsverhältnis auf syntagmatischer Ebene und implizieren innerhalb dieses Verhältnisses eine syntagmatische Funktion. Die ein Paradigma bildenden Einheiten begründen ein Oppositionsverhältnis und sind hinsichtlich dieses Verhältnisses paradigmatisch funktionell. Genitivierer und Genitiviertes (cf. lat. REG-IS), Pluralisierer und Pluralisiertes (wie in sp. casa-s), Aktualisierer und Aktualisiertes (sp. el hombre) dienen also dem Ausdruck der syntagmatischen Funktionen innerhalb des jeweiligen Syntagmas, während Kasus (Akkusativ ~ Ablativ etc.), Numerus (Singular ~ Plural) sowie die Unterscheidung «aktuell/inaktuell» oppositive, d.h. paradigmatische Relationen begründen. Analoges gilt für die Satzfunktionen Subjekt, Prädikat, Objekt, Attribut, Ergänzung: Diese stellen syntagmatische Funktionen auf der Ebene des Satzes dar, die ihrerseits der Klasse (nicht dem Paradigma) derjenigen Einheiten, die die jeweilige syntagmatische Relation ausdrücken können, zugrunde liegen (cf. Coseriu 1978, 156). Grammatik und Syntax entsprechen einander also völlig, da der Grammatik zwangsläufig syntaktische Kombinationen zugrunde liegen. Dabei kann es sich durchaus auch um Kombinationen mit Ø-Elementen oder suprasegmentale Verfahren handeln bzw. um Kombinationen, die auf der Serialisierung der materiellen Elemente beruhen (cf. Coseriu 1987, 143). Die Serialisierung der einen Satz konstituierenden Elemente bildet selbst die Grundlage einer eigenen Subdisziplin der Sprachtypologie, der als positio-
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nell bezeichneten typologischen Richtung oder «Positionstypologie».15 Beide, suprasegmentale Verfahren sowie die Wortfolge, bilden grammatische Verfahren, die auf den Ebenen der grammatischen Strukturierung oberhalb des Wortes funktionieren (cf. Coseriu 1987, 144). Hier wird die Syntax zum entscheidenden Bindeglied zwischen der partiellen positionellen Typologie und der eher holistisch ausgerichteten, traditionell morphologischen Typologie (siehe Kap. 12).16 Jede der angenommenen grammatischen Schichten der einzelsprachlichen Strukturierung (cf. Kap. 2.2), d.h. minimale Elemente, Wort, Wortgruppe, Klausel, Satz, besitzt ihre idiosynkratische Paradigmatik (cf. Coseriu 31994, 225). Dies bedeutet, dass auf jeder der Ebenen Elemente anzutreffen sind, die für diese Ebene den Status von funktionellen Einheiten annehmen: «Diese Elemente können als Einheiten funktionieren, weil zwischen ihnen eine Relation in absentia besteht, die Nicht-Identität in semiotischer Hinsicht, m. a. W. eine Opposition» (Coseriu 31994, 225–226). Die Existenz der verschiedenen grammatischen Schichten einer Sprache kann nur nachgewiesen werden, indem Oppositionen aufgezeigt werden, die für die jeweiligen Schichten charakteristisch sind. So wird die Form sp. casas als Plural identifiziert, weil sie in Opposition zum Singular casa interpretiert wird. Dies zeigt, dass es nicht das Morphem -s ist, das die Funktion {Plural} trägt, sondern die gesamte Kombination bestehend aus casa + -s. Zwischen dem Pluralisierten und dem Pluralisierenden besteht dann innerhalb der chaîne parlée eine reziproke Relation als einer in praesentia, da a b determiniert und umgekehrt. Auf der Ebene der Wortgruppe stehen etwa le pauvre homme und l’homme pauvre in Opposition zueinander. Die Opposition lässt sich aber nicht feststellen, wenn die beiden Syntagmen nach den Kriterien der Kombinatorik untersucht werden, d.h. Voran- oder Nachstellung des Adjektivs ist hier keine Regel, die zur relevanten, die Existenz der Schicht rechtfertigenden Opposition führt. Diese Opposition lässt sich erst bei der Gegenüberstellung der bereits kombinierten Einheiten aufdecken.
|| 15 Bossong (1982) schlägt diesen Begriff vor, der dem der «Wortfolgetypologie» (word order typology) vorzuziehen sei, da ja auch Greenberg nicht von «word order» spreche, sondern von «order of meaningful elements». 16 Positionelle und morphologische typologische Richtung lassen sich im Grunde nicht voneinander trennen, da jede grammatische (paradigmatische) Struktur oder Konstruktion, die ihrerseits auf einer syntagmatischen Kombination beruht, sich bereits in eine nach bestimmten Gesetzen geregelte Syntax eingebettet findet und umgekehrt die positionelle Typologie – in Abhängigkeit von der Sprachstruktur – zum Teil auch auf morphologischen Markierungen beruht. Analoges gilt für Morphologie und Syntax allgemein, so dass die «Morphosyntax» allgemein als Grammatik aufgefasst werden kann.
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2.2 Die Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung 2.2.1 Grammatische Schichten Um von einem grammatischen System sprechen zu können, bedarf es der Existenz von Oppositionen. Diese wiederum setzen (syntagmatische) Kombinationen, bestehend aus einem determinierten und einem determinierenden Element, voraus. Die grammatischen Paradigmen können daher grundsätzlich als «Syntagmenparadigmen» charakterisiert werden. Daraus folgt, dass in einem grammatischen System immer zwei Ebenen involviert sind: eine, die die kombinierbaren Elemente enthält, sowie eine zweite, die die eigentlichen Kombinationen oder Syntagmen umfasst. Allerdings wird damit nichts darüber ausgesagt, welche Elemente in der jeweiligen Einzelsprache kombinierfähig sind bzw. welche auch tatsächlich miteinander kombiniert werden. So muss im Grunde für jede Einzelsprache zunächst untersucht werden, welche minimalen Elemente in ihrer spezifischen Art und Kombination in die nächsthöhere Einheit bzw. die des («grammatischen») Wortes einzugehen vermögen. Angenommen wird die Existenz folgender Schichten: minimales Element, Wort, Wortgruppe, Klausel, Satz.17 Diese verschiedenen Schichten können in den Sprachen mit unterschiedlicher Vollständigkeit realisiert sein. Als eigentlich universell im Sinne von für alle Sprachen konstitutiv können lediglich die Schicht der minimalen Einheit (Monem) sowie die des Satzes aufgefasst werden (cf. Coseriu 31994, 3218; Halliday 1961, 25219). Ihre Existenz ergibt sich als Konse-
|| 17 Halliday (1961, 253, Anm. 29) nimmt für die Beschreibung des Englischen ebenfalls folgende hierarchische Abfolge der für die sprachliche Strukturierung relevanten Einheiten an: sentence, clause, group (oder phrase), word, morpheme, jedoch mit folgender Einschränkung: «English grammar, as far as it has been studied to date, seems to require five, though further, statistical, work on grammar might yield at least one more» (ibid., 252); cf. auch (ibid., 253, Anm. 30): «Statistical work on grammar may yield a further unit, above the sentence: it will then be possible to set up sentence classes, and account for sequences of them, by reference to this higher unit», wobei Halliday hier nicht von «text», sondern von «grammatical ‘paragraph’» spricht. Die Annahme möglicher weiterer Differenzierungen zwischen Satz und Wort müsste sich erst als Desiderat der Sprachbeschreibung herausstellen, was nicht der Fall scheint. 18 Zur Ebene des Textes als «empirisches Universale» cf. Coseriu (31994, insbesondere 207–208). 19 Coserius Auffassung vom universellen Status der Ebene der minimalen Elemente (Moneme) und des Satzes (cf. Coseriu 1987, 153) kann unmittelbar auf Halliday bezogen werden; was bei Coseriu als Moneme bezeichnet wird, erscheint bei Halliday (1961, 252) als «item for lexical statement». Die Ebene der universellen minimalen Einheiten umfasst also in erster Linie diejenigen minimalen Elemente, die nach Martinet als lexikalische Moneme klassifiziert werden. Als
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quenz aus der Definition der grammatischen Schichten als Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung, die zum einen minimale kombinierbare Einheiten implizieren sowie zum anderen höhere Einheiten als Produkte der entsprechenden Kombinationstätigkeit. Die übrigen Schichten können als grammatische Ebenen fehlen. Eine grammatische Schicht existiert in einer Einzelsprache als autonome Ebene nur dann,20 wenn sie sich durch spezifische Funktionen oder Regeln auszeichnet, d.h. durch Oppositionen mit grammatischer Bedeutung, die nur für diese Ebene gelten, und zwar unabhängig von höheren Kombinationsebenen und den dort feststellbaren funktionellen Oppositionen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um völlig rigide Klassifikationen, sondern mit der Existenz von Zwischenstufen ist zu rechnen (cf. Halliday 1961, 252). Das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein einer Schicht muss für jede Sprache neu empirisch überprüft werden. Prinzipiell kann jede Einheit einer bestimmten sprachlichen Schicht mit einem Nullmorphem kombiniert werden und somit in eine nächst || ein real gegebener sprachlicher Vertreter, der lexikalische Elemente sogar in der Funktion der traditionell als Funktionswörter bekannten Einheiten (also als instrumentale Morphemwörter) oder als Affixe verwendet, kann das Chinesische gelten; allerdings ist dieser Fall nicht allzu häufig. Ein typischer Fall der Superordinierung in den uns bekannten Sprachen ist tatsächlich die Überordnung der lexikalischen Moneme zu Wörtern (Coseriu 1987, 158), so dass also gerade die lexikalischen Moneme die elementaren Elemente ausmachen. Der relevante Passus in Halliday (1961, 252) ist folgender (eigene Hervorhebung in Abgrenzung zu der des Autors gekennzeichnet als «BK»): «No special status, other than that [note 27: Such as the status of ‘being the smallest’] presupposed by rank, is assigned by grammatical theory to any one unit. Since in any case only two, as a minimum, are required, only two would be available for special status. As it happens, we can assign special status to two grammatical units by reference to other levels on a ‘more/less’ basis. There will always be one unit which, more than any other, offers itself as an item for contextual statement [BK] because it does the language work in situations: so it might as well always have the same name: ‘sentence.’ There will be another unit, always lower in rank, which more than any other (but again not exclusively) enters into another type of pattern and thus offers itself as an item for lexical statement [BK]; [note 28: […] The item for lexical statement is not to be identified on the grammatical rank scale; nor is it a ‘unit’ at all in the sense in which the term is here used in grammar, since this use presupposes a rank scale […], which is absent from lexis.] this we may as well always call the ‘word.’ So, in grammatical theory, all languages have sentences and all languages have words [BK] – but the ‘sentenceness’ of the sentence and the ‘wordness’ of the word do not derive from the theory of grammar». Man vergleiche hierzu die Haltung Skaličkas (1965b, 153), der zufolge die Morphologie für eine Sprache kein notwendiges Erfordernis darstellt; auch gewinnt oder verliert die Bedeutung eines Satzes oder einer Äußerung nichts auf Grund der Spezifität des morphologischen Baus einer Sprache. 20 Auszunehmen ist die Schicht der minimalen Elemente, die über keine eigenen grammatischen Funktionen verfügt.
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höhere Ebene eingehen, so dass ein minimales Element gleichzeitig als Wort, ein Wort als Wortgruppe, eine Wortgruppe als Klausel usw. fungieren kann (cf. Coseriu 31994, 37). Empirisch nachzuprüfen bleiben damit für das Französische vor allem die grammatischen Schichten des Wortes und der Wortgruppe (cf. Kap. 2.2.3). Die Frage der «Existenz» des Wortes im Französischen soll primär unter typologischem Aspekt thematisiert werden (was nicht gleichzusetzen ist mit einem Definitionsversuch des Wortes allgemein).21 Die Existenz des Wortes als Schicht wiederum besitzt eine hohe definitorische Relevanz innerhalb der Konstrukttypen (cf. Kap. 3.4). Hier taucht das Problem auf, dass «Existenz» des Wortes im sprachwissenschaftlichen Diskurs nicht notwendigerweise verstanden wird im Sinne der «Existenz als grammatische Schicht». So wird «Existenz» vornehmlich identifiziert mit einer morphologisch deutlichen Charakterisierung oder «Ausprägung» (cf. Kap. 2.2.2.1), was zu gerade gegenteiligen sprachtheoretischen Aussagen hinsichtlich der Stellung des Wortes innerhalb der grammatischen und paragrammatischen Struktur einer Sprache führt. Bevor auf diese Problematik eingegangen wird, soll zunächst der Begriff des «minimalen Elementes» geklärt werden. Innerhalb der Klassifizierung der «minimalen Elemente» (d.h. der kleinsten, nicht weiter in bedeutungstragende Elemente segmentierbaren AusdruckInhalt-Einheiten), die als Moneme im Sinne Martinets (cf. Martinet [1960]/1970, 15–16) bezeichnet werden können,22 lassen sich solche mit hauptsächlich lexikalischem Inhalt (Lexeme)23 von solchen abgrenzen, die einen grammatischen Inhalt repräsentieren; letztere erscheinen bei Martinet als Morpheme.24 Die so-
|| 21 Im Grunde müsste das Latein mit in die Betrachtungen einbezogen werden, um den typologischen Wandel auf den entsprechenden Ebenen zu dokumentieren. 22 In der Tradition des amerikanischen Strukturalismus erfolgt in Anlehnung an Bloomfield eine Subklassifizierung der minimalen Elemente in freie und gebundene Morpheme; Martinets «Moneme» entsprechen dabei allgemein den Morphemen, die «Lexeme» den freien lexikalischen Morphemen, seine «Morpheme» den gebundenen grammatischen Morphemen. 23 In der traditionellen, insbesondere diachronischen Sprachwissenschaft wurden statt des Begriffes «Lexem» die Termini «Stamm» oder «Wurzel» (wobei ein Stamm in sich selbst wieder inhaltlich komplex beschaffen sein kann, nicht so die Wurzel) verwendet; der Terminus «Stamm» erscheint aber insofern ungeeignet, als er «keinen Bezug zu einem lexikalischen Inhalt [enthält], der die außersprachliche Wirklichkeit gestaltet» (Lüdtke 2002b, 69; cf. Coseriu 1987, 149). 24 Martinet ([1960]/1970, 15) klassifiziert wie folgt (Hervorhebung des Autors): «Dans la mesure où la distinction est utile, il vaudra mieux désigner comme des lexèmes ceux des monèmes qui trouvent leur place dans le lexique et non dans la grammaire, et conserver morphème pour désigner ceux qui, comme -ons, apparaissent dans les grammaires. Les monèmes,
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genannten «Funktions-» oder «Relationswörter», bei Martinet funktionale Morpheme genannt (Präpositionen, Konjunktionen), können als «Morphemwörter» (cf. Coseriu [1972b]/1987, insbesondere 8825) klassifiziert werden. Die minimalen Einheiten im Bereich der Wortbildung stellen Wortbildungsmorpheme, d.h. Affixe (v.a. Präfixe, Suffixe) bzw. (primäre) Lexeme dar. Dabei ist weder das Lexemwort noch das Morphemwort oder Kategoremwort hinsichtlich der Zuordnung zu den grammatischen Schichten mit dem «grammatischen» Wort gleichrangig, da erstere der Ebene der minimalen bedeutungstragenden Elemente angehören, die Ebene des (grammatischen) Wortes jedoch eine Kombination auf syntagmatischer Ebene impliziert, um somit eine syntaktische Bedeutung zu konstituieren. Die Elemente der untersten und universellen grammatischen Schicht der einzelsprachlichen Strukturierung stellen also minimale, d.h. formal (und inhaltlich) nicht weiter segmentierbare, bedeutungstragende Einheiten dar, die sowohl lexikalische (substantielle) Bedeutung (blanc, livre), kategorielle (formale) Bedeutung (je) sowie instrumentale Bedeutung (le; pour; [livre]-s) aufweisen können, nicht aber die (für die grammatische Bedeutung eigentlich konstitutive) syntaktische (oder ontische) Bedeutung, die eine Kombination (eventuell
|| comme pour ou avec, qui figurent aussi bien dans le lexique que dans la grammaire, sont à classer parmi les morphèmes. On notera qu’un lexème comme travaill- figure traditionnellement dans le lexique sous la forme travailler, c’est-à-dire qu’on l’y rencontre affublé du morphème -er d’infinitif». 25 Coseriu ([1972b]/1987, 87) unterscheidet dreierlei Worttypen: die Lexemwörter (Lexeme), die Kategoremwörter (Kategoreme) und die Morphemwörter, die Morphemen im engeren Sinne entsprechen: Die Lexeme dienen der Gestaltung und Repräsentation der außersprachlichen Wirklichkeit (z.B. Mensch, Wald, weiß, laufen usw.). Die Kategoreme umfassen namentlich die Pronomina (Personalpronomina wie je, Demonstrativpronomina, z.B. celui, Adverbialpronomen, cf. frz. y und en, Adverbien wie dt. hier und jetzt etc.), die sich allein auf die Form der Gestaltung des Bezeichneten beziehen, d.h. im Sinne einer bestimmten Wortkategorie funktionieren, ohne selbst außersprachlichen Stoff zu repräsentieren. Die Morpheme, als Morphemwörter im Sinne rein instrumentaler Wörter begriffen, wirken selbst nicht weltgestaltend; so ergibt sich die Funktion von und, oder, auf, bei, ja, nein usw. nur über deren Stellung in Bezug auf andere Wörter. Einzig die Lexemwörter sind eigentlich Bestandteil des Lexikons und damit Gegenstand der Lexikologie. Diese Klassifikation der Wörter spiegelt zwar die Gliederung nach lexikalischer, kategorieller und instrumentaler Bedeutung (cf. Coseriu 1987, 149) in gewisser Hinsicht wider, ist mit dieser jedoch nicht völlig kongruent (zu diesem Aspekt siehe Coseriu [1972b]/1987, 90). So impliziert die Qualifikation als «Wort» das Vorkommen stets als «freie» Form, so dass ein grammatisches Morphem wie der Pluralisator -s im Französischen nicht zu den Morphemwörtern zu zählen wäre, wohl aber wie diese rein instumentale Bedeutung besitzt. Dagegen ist der Artikel la mit aktualisierender Funktion in la fleur ein eigenständiges Morphemwort.
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mit Null) voraussetzt (cf. Coseriu 1987, 150–151). Da die paradigmatischen Einheiten einer Ebene durch syntagmatische Relationen zwischen Elementen einer niederen Ebene begründet werden, ist die Analysierbarkeit einer Einheit ein Korollar des Begriffs der Opposition (cf. Coseriu 31994, 227).
2.2.2 Existenz der grammatischen Schichten in einer Sprache – typologischer Stellenwert des Wortes Unter Bezug auf die Konstrukttypen (cf. Kap. 3.4) muss geklärt werden, welchen Aussagewert eine Formulierung wie «Existenz des Wortes» allgemein für die zugrunde liegende Sprachstruktur und speziell mit Bezug auf das Französische («Existenz des isolierten Wortes») besitzt. Verschiedene andere (teils induktiv, teils deduktiv erschlossener) Merkmale typologischen Stellenwerts stehen in deren Abhängigkeit, etwa ein signifikantes Vorkommen an Lehnwörtern, von Dissoziation etc., die relevante Züge einer isolierenden Sprache darstellen (zur Typusdefinition cf. Kap. 3.3.4 und 3.4.2). Von welcher Art ist also die «Existenz» des Wortes, wenn dieses einerseits als «grammatische Schicht» andererseits als sprachliche Einheit mit typologischer Tragweite gefasst wird? In diesem Punkt vertritt die Allgemeine Typenlehre (gemäß der Prager Schule) eine von der dargestellten Sprachkonzeption abweichende Auffassung. Der Zusammenhang mit der typologischen Struktur lässt sich dennoch auf der Grundlage beider Sprachtheorien herstellen, da sowohl bei Skalička als auch Coseriu die grammatische bzw. morphologisch orientierte Theorie durch eine typologische Rahmenkonzeption ergänzt wird. Allerdings erschiene es als eine paradoxe Prämisse, das isolierte Wort einerseits als typuskonstitutiv zu betrachten, andererseits die Existenz des Wortes (als grammatische Schicht) im Französischen zu bestreiten. 2.2.2.1 Autonomie versus morphologische Differenziertheit Das erste Verständnis von «Existenz» des Wortes, das der Position der funktionellen Independenz entspricht, versteht Autonomie des Wortes gemäß der hier vertretenen grammatiktheoretischen Grundhaltung als ein Funktionieren unabhängig von anderen grammatischen Schichten innerhalb der hierarchisch organisierten Sprachstruktur. Die zweite Position beruht auf der morphologischen Charakterisierung der Einheit «Wort» und nimmt «Existenz» des Wortes in dem Maße an, wie das einzelne Wort (bzw. Lexem) über morphologische Markierungen − in Abhängigkeit von seiner Rolle im Satz − als klar bestimmbare Einheit in Erscheinung tritt. Eine klare Existenz ist hier gleichzusetzen mit
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der Ausgeprägtheit bzw. Differenziertheit des Paradigmas der zu einer Nennform gehörenden Wortformen.26 «Nicht-Existenz» des Wortes entspräche im Gegenzug der Abwesenheit einer ausgeprägten Flexionsmorphologie (in Abhängigkeit von den morphologischen Teilsystemen): 1. Das Wort als morphologisch ausdifferenziertes Paradigma an Wortformen: In Skalička (1966b, 29–30; cf. Haarmann 1976, 57ss.) wird dem isolierenden Konstrukt «keine sehr deutliche Ausprägung des Wortes als sprachliche Einheit» bescheinigt, wohingegen der flektierende Typ (Latein, Griechisch) über eine «klare Ausprägung der Kategorie des Wortes» verfüge (ebenso der agglutinierende Typ mit den guten Vertretern Ungarisch, Türkisch, Baskisch). Die Kriterien, die eine solche Klassifikation erlauben, beruhen auf verschiedenen morphologischen und/oder phonologischen Mitteln: einem einheitlichen Akzent, der Vokalharmonie, dem Vorkommen von Endungen, die das einzelne Wort hinsichtlich grammatischer Kategorien kennzeichnen u.a. (cf. Skalička 1968b, 277). 2. Das Wort als autonome Schicht sprachlicher Strukturierung: Gemäß der Position der Allgemeinen Typenlehre ist also von «Existenz» des Wortes in einer Sprache dann eigentlich nicht zu sprechen, wenn das Wort im Satz auf Grund mangelnder morphologischer Determinierungen selbst nicht als klare Einheit in Erscheinung tritt, also auch nicht in der Lage ist, eine Satzfunktion zu begründen (ist z.B. l’homme Subjekt oder Objekt?) Im Gegensatz dazu steht die Auffassung, die unter denselben Prämissen das isolierende Wort (so im Französischen) gerade als autonom betrachtet – dann, wenn es als autonom funktionierende grammatische Schicht auftritt (cf. Kap. 2.2.3). 3. Das Wort als typologische Grundeinheit: Wie sich das Wort in seiner Existenz auf die typologische Basisstruktur auswirkt, lässt sich durch folgende Überlegung illustrieren: Treibt man beispielsweise eine schwache Ausprägung des Wortes in ersterem Verständnis (was dessen Autonomie nach 2) entspricht) ins Extrem, resultiert die Abwesenheit eines Wortformenparadigmas in grammatischen Eigenschaften wie: schwache Differenzierung der Wortkategorien, schwach ausgeprägte grammatische Kongruenz, schwache Differenzierung von lexikalischen Monemen und grammatischen Morphe|| 26 Nur in diesem Sinne einer rein formalen Betrachtung des Wortes ist der Terminus «Ausgeprägtheit» adäquat, da ansonsten andere Konsequenzen für die sprachliche Strukturierung gezogen werden müssten; cf. Coseriu (1987, 144): «Aus in erster Linie praktischen und didaktischen Gründen (der Anwendung vor allem auf Sprachen mit recht ausgeprägter Flexion auf der Ebene des ‘Wortes’, wie Altgriechisch und Latein) beschränkt man die Morphologie auf die von den ‘Wörtern’ angenommenen Formen und weist den gesamten Rest (Formen und Funktionen) der Syntax zu».
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men, Verwendung von lexikalischen Monemen an Stelle von Endungen und auch als Formwörter, Synonymie und Homonymie der Lexeme.27 Dieses Merkmalsbündel wiederum interagiert mit folgendem paragrammatischen Merkmal: der Verwendung von lexikalischen Monemen als Ableitungssuffixe, was, unter Wirkung eines (historisch bzw. mit Bezug auf das Altchinesische) auf sämtliche Wortkategorien zutreffenden Monosyllabismus (cf. Skalička [1946]/1979, 187, 188), zur Komposition führt (cf. die zum Monosyllabismus antagonistische Tendenz des modernen Mandarin).28 2.2.2.2 Das grammatische Wort in der Paragrammatik Wortbildung aufgefasst als Subordinierung stellt eine der wesentlichen Eigenschaften der grammatischen Schichten der einzelsprachlichen Strukturierung dar. Die Diskussion um die Rolle des Wortes als grammatischer Schicht im Zusammenhang mit dem Verfahren der Subordinierung legt die enge Verbindung zwischen Grammatik und Paragrammatik offen: So können auch Einheiten höherer grammatischer Schichten als der des Wortes auf der Wortebene funktionieren. Im Falle der Subordinierung von Elementen auf Wortgruppen- oder Satzebene zu einem Wort (z.B. bei der Zusammenrückung oder Juxtaposition) bleibt die Syntax der Basis in der Regel erhalten (le qu’en dira-t-on), und es ist mit dem Eintritt eines mehr oder weniger voranschreitenden Prozesses der Idiomatisierung zu rechnen. Dabei ist es nicht die Idiomatisierung, die als Indiz für das Vorliegen einer Wortbildung spricht; vielmehr geht das neu geschaffene
|| 27 Es handelt sich hier um die als für das polysynthetische Konstrukt definitorisch gelisteten Merkmale nach Skalička (1966b) bzw. Haarmann (1976, 58). 28 Das moderne Mandarin weist unter den chinesischen Dialekten den größten Anteil an polysyllabischen Wörtern auf. Dies hat sprachgeschichtliche Ursachen, sind die modernen chinesischen Dialekte doch aus einer hauptsächlich monosyllabisch strukturierten (weitestgehend isolierenden) Varietät hervorgegangen. Die im Mandarin im Vergleich zu den südlichen Dialekten am weitreichendsten morphonologischen Veränderungen führten dazu, dass ursprünglich voneinander verschiedene Silben sich einander anglichen. Die Komposition kann daher auch als Reaktion auf die Homophonieproblematik angesehen werden, d.h. die Distinktivität homophon gewordener Silben konnte über die Kombination mit anderen erneut gewährleistet werden. Bezieht man den Sprachwandel mit ein, kann aufgrund der genannten Umstrukturierung eine neue typologische Charakterisierung des Chinesischen als nicht mehr isolierend, sondern polysynthetisch begründet sein (cf. Li/Thomson 1981, 14).
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Wort aus der (metasprachlichen) Konversion hervor (cf. Artikulierung mittels mask. le im Französischen).29 Eine besonders ausgeprägte Fähigkeit zur Konversion ist an die Autonomie des Wortes als grammatische Schicht geknüpft. Die dominante Rolle, die sie im isolierenden Typus einnimmt, bietet Anlass, das Phänomen genauer zu betrachten.
2.2.3 Autonomie der grammatischen Schichten im Französischen Die Frage nach der Existenz der verschiedenen grammatischen Schichten als autonome Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung lässt sich über folgendes Verfahren beantworten: Die Kombination allgemein von Elementen der nächst tiefer gelegenen Ebene muss die Bildung einer Einheit auf der nächst höheren Ebene in der Weise ermöglichen, dass die relevanten Funktionen (der noch tiefer gelegenen Schicht) innerhalb der gebildeten Einheit selbst zum Ausdruck kommen, ohne zugleich schon eine Funktion auf der nächst höheren Ebene zu begründen. Eine Ebene existiert in einer bestimmten Einzelsprache als eine autonome Schicht der einzelsprachlichen Strukturierung dann, wenn «die betreffende Sprache über spezielle Funktionen verfügt, die an die jeweilige Ebene gebunden und von den höheren Ebenen unabhängig sind» (Coseriu 3 1994, 206). Für das Wort bedeutet dies, dass nur dann, wenn die morphologischen Markierungen am Wort dieses nicht zugleich auch hinsichtlich einer der Satzfunktionen (Subjekt, Objekt etc.) kennzeichnen, die Ebene des Wortes in der Sprache als autonom betrachtet werden kann. Analoges gilt für die grammatische Schicht der Wortgruppe bzw. der Klausel: Bei der Bildung von Wortgruppen dürfen über die Kombination von Wörtern die für die Wortgruppe relevanten Funktionen allein innerhalb der Wortgruppe selbst zum Ausdruck kommen, ohne dass die Wortgruppe hinsichtlich ihrer Funktion im Satz kenntlich gemacht wird. Ähnlich bei der Klausel: Hier muss die Kombination zweier Satzteile in der Weise möglich sein, dass zwischen ihnen ein relationelles Verhältnis im Sinne einer Funktion explizit wird, das den Status des Satzes nicht tangiert. Bei der Untersuchung der Ebene Wort wird zunächst von primären Wörtern ausgegangen, genauer von lexikalischen Monemen (also «Lexemwörtern»).
|| 29 Konversion ist in manchen Fällen ein eigenes wortbildendes und nicht bloß grammatisches Verfahren bzw. an Wortbildungsprozessen beteiligt, nicht jedoch als Verfahren der wiederholten Rede (cf. Lüdtke 1996a, 252).
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Diese können bei der Kombination mit grammatischen Morphemen ein Wort im Sinne einer ausgewählten Wortform eines Paradigmas der Grundform ergeben. Im Französischen erscheint das Wort nun grundsätzlich über solche grammatischen Morpheme oder minimalen Elemente bestimmt, die selbst frei vorkommen (Personalpronomina, Demonstrativpronomina, Artikel etc.) und somit bereits eine Wortkombination liefern, wenn sie zu einem Lexem hinzutreten. Es spiegelt sich also die Dominanz der syntagmatischen Achse in dieser Sprache, indem solche Relationen oder grammatischen Bestimmungen, die im Latein und anderen (flektierenden) Sprachen paradigmatisch ausgedrückt werden, auf syntagmatischer Ebene markiert werden. Dadurch erlangt die Ebene der Wortgruppe einen besonderen Stellenwert, ohne dass die Paradigmatik, d.h. das Funktionieren der Schicht im Satz tangiert würde. 2.2.3.1 Die grammatische Schicht des Wortes Der Status des Wortes als autonomer Ebene der sprachstrukturellen Gestaltung im quasi-isolierenden Französischen lässt sich über den Vergleich mit dem flektierenden Latein (bzw. anderen romanischen Sprachen) besser veranschaulichen: Sp casa- + -s30 = casas ‘Häuser’ Lat. CASA- + -S = CASAS ‘(die) Hütten’ (Akkusativ Plural) Frz. case + -s = (des) cases ‘(Eingeborenen)Hütten’31 In den genannten Beispielen liegt jeweils eine Kombination aus minimalen Elementen vor; diese erfüllt im Spanischen die Funktion, das zugrunde liegende Nomen für die Kategorie Plural zu kennzeichnen: In sp. casas wird der Plural auf der Ebene des Wortes ausgedrückt, was unabhängig von der Funktion dieses Wortes im Satz erfolgt. Im Spanischen ist eine Opposition wie casa/casas
|| 30 Die Form sp. casas im Minimalparadigma casa bzw. casa-Ø/casas, analysierbar in die Morpheme casa- und -s, stellt ein grammatisches Wort mit der Funktion {Plural} dar. 31 Für das Französische müsste, um funktionelle (nicht notwendigerweise lexikalische) Äquivalenz voraussetzen zu können, der lat. Form CASA-S die artikulierte Form des bzw. les cases (des/les maisons) gegenübergestellt werden. Die Kombination des (pluralisierten) Substantivs mit dem pluralisierenden Morphem -s im Lateinischen steht in Opposition nicht zu frz. maisons, da ‘Häuser’ nicht mit maisons, sondern mit des maisons wiedergegeben wird. Außerdem ist die Pluralisierung durch das Morphem -s im phonischen Code nicht kenntlich, sondern geht erst aus der Artikulierung bzw. (bei fakultativer Liaison mit nachgestelltem Adjektiv/präpositionale Ergänzung als freie Wortgruppe) der Kombination des Artikels mit dem bereits pluralisierten Substantiv (des maisons abîmées / à vendre) hervor. Auf diese Weise scheint erst Äquivalenz zum lateinischen Beispiel erreicht zu werden.
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(Singular/Plural) von den auf höherrangigen Strukturierungsebenen feststellbaren Funktionen independent. Daraus resultiert, dass eine syntagmatische Einheit wie sp. casa-s die Fähigkeit besitzt, auf höheren Ebenen jegliche Funktion, die für die Wortkategorie «Substantiv» in Frage kommt, anzunehmen. Im Lateinischen dagegen tritt in der entsprechenden Kombination nicht nur die Pluralisierung als relevante Funktion ein, sondern Formen wie CASAE oder CASAS werden zugleich auch als Substantive im Nominativ oder Akkusativ, d.h. bezüglich einer Funktion auf der übergeordneten Ebene des Satzes determiniert, hier z.B. der des Subjekts, des Objekts oder einer Richtungsangabe (cf. Coseriu 31994, 30–32; 206–207). Für das Latein kann damit geschlossen werden, dass das Wort (in einem bestimmten Kontext) nicht in «reiner» Form vorkommt, da alle Formen eines Paradigmas immer schon zusätzliche grammatische Bestimmungen aufweisen (eine Ausnahme hierzu bilden allenfalls die Partikeln sowie eine gewisse Gruppe an Adverbien). Die von den materiellen Wörtern implizierten grammatischen Funktionen entsprechen nicht der Ebene des Wortes, sondern stehen in Abhängigkeit von den auf höherer Ebene (der Satzebene) bestehenden Oppositionen.32 Was das Latein daher nicht besitzt, ist das Wort als grammatische Schicht. Wenn also eine Sprache ihre Lexeme grundsätzlich bereits für eine bestimmte Satzfunktion kennzeichnet, existiert in dieser Sprache das Wort als autonome Ebene der grammatischen Strukturierung nicht. In dieser Hinsicht weichen viele moderne Sprachen vom flektierenden Latein ab (cf. Coseriu 31994, 207). Auch im Französischen sagt das Vorkommen eines Wortes (le, les, des) livre(s) (in einer Wortgruppe) nichts über die eventuell zugehörige Satzfunktion aus; das Wort ist daher hinsichtlich der nächsthöheren Schicht autonom. Allerdings lässt das Quasi-Nichtvorkommen des Nomens im Französischen ohne vorausgehende Determinanten dieses auf syntagmatischer Ebene rein materiell als unvollständig erscheinen: Das Wort per se existiert in dem Sinne nicht als unabhängige Einheit, wie etwa die Wurzel CAS- des Lateinischen nicht frei vorkommt. Das Wort bedarf nämlich in der Rede regelmäßig gewisser zusätzlicher Determinationen, die es zur Ausübung seiner Funktion im Satz befähigen. || 32 Nur aus funktioneller Sicht ist daher die Aussage, im Latein sei die Einheit Wort «nicht existent», erklärbar; materielle Wörter, d.h. rein materielle Verbindungen minimaler Elemente sind für das Latein natürlich genauso typisch wie für andere Sprachen, vergleiche etwa REX (= REG + S), REG-IS, REG-I etc. Gleiches gilt für das Wort als lexikalische Einheit, die das Latein genauso wenig entbehrt: So manifestiert sich das Wort als lexikalische Größe in Stämmen wie REG- bzw. in materiellen Paradigmen, wie sie durch eine Formenreihe der Art REX – REGIS – REGI – REGEM etc. repräsentiert werden (und die (metasprachlich) unter der Nennform REX zitiert werden).
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Entscheidend bei dieser Beobachtung ist, dass die gewissermaßen an das Wort gekoppelten Funktionen, ohne die es nur in ganz bestimmten Fällen auskommt (siehe etwa Grevisse 1993, §§570–571 zum Fehlen des Artikels bei Gattungsnamen und Eigennamen; cf. Riegel et al. 1994, 163–167), nicht solche sind, die das Wort bereits mit Blick auf die Satzfunktion kennzeichnen: Ob etwa ein Nomen die Funktion des Subjekts oder des Objekts annimmt, wird erst durch die Stellung im Satz oder andere instrumentale Morpheme ersichtlich. Dies gilt für das nominale Wort, das einem intuitiven Verständnis zufolge als das prototypische Wort angesehen werden kann. Bei adjektivischen Wörtern wie lat. CLARUS, CLARA besteht im Latein typischerweise Kongruenz mit dem modifizierten Bezugsnomen.33 Da die am Nomen ausgedrückten grammatischen Bestimmungen (vornehmlich die mit gewissen Satzfunktionen korrelierenden Kasus) auch für das Adjektiv gelten,34 geht es gemeinsam mit bzw. analog zum Nomen in der Rolle als Subjekt, Objekt etc. in die Satzfunktionen auf höherer grammatischer Ebene ein und bildet daher wie dieses keine autonome grammatische Schicht. Im Falle von frz. claire gilt ebenfalls eine zum Nomen analoge Feststellung: Das Adjektiv wird – unabhängig von der für die Kategorien Genus und Numerus (aber nicht Kasus) bestehende Kongruenz (idealiter ist das Adjektiv im Frz. invariabel) – genauso wenig wie das Nomen für eine höher gelegene Satzfunktion morphologisch gekennzeichnet; das sp. Nomen und Adjektiv (sp. claro, clara) verhalten sich ähnlich wie im Französischen. Die Frage der Autonomie des Wortes steht über Fragen der Kombinatorik bzw. der Äußerungskategorie bzw. Satzmodalität (Anrede, Befehl); sie stellt sich für all diejenigen Kategorien, die eine Satzgliedfunktion einnehmen können. Die Satzglieder als die den Satz konstituierenden Elemente bilden eine Ebene zwischen Wort und Satz, wobei zwischen primären Satzgliedern (Subjekt, Prädikat) und sekundären Satzgliedern (Objekt, Adverbialbestimmung, Attribut) unterschieden werden kann. Die Dependenzgrammatik kennt als Satzglieder das Prädikat, die abhängigen Ergänzungen (Aktanten bzw. Komplemente) und die sog. freien Angaben (Zirkumstanten bzw. Supplemente).
|| 33 Damit wird bereits die Ebene der Wortgruppe tangiert; cf. Bally (41965, 102, §155): «[dans la parole,] un adjectif détermine nécessairement un substantif». 34 Auf Grund seiner nominalen Eigenschaften wird das Adjektiv in manchen Grammatiken auch der Wortkategorie der Nomina zugeordnet (wie übrigens auch die anderen deklinierbaren Wortarten, d.h. Pronomina und Numerale).
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Da das Verb (cf. lat. CANTO ‘ich singe’) – abgesehen von den nichtkonjugierten Verbformen – im Redeakt im Grunde stets als Prädikat auftritt,35 ist es im Latein als nicht-autonome Einheit auf Wortebene zu charakterisieren: Das Verb als Prädikat bezeichnet bereits eine Satzfunktion wie etwa das Substantiv (im Lateinischen etwa im Nominativ) in Subjektposition. Wie das Subjekt ist das Prädikat eine syntagmatische, rein relationelle Funktion und stiftet wie dieses (oder auch das Objekt, das Adverbiale) eine funktionelle Einheit auf der Ebene des Satzes, genauer einen Satztyp. Beide wiederum, Subjekt und Prädikat, stehen in einer Relation zueinander, die der von lat. REG- und -IS in REG-IS ‘des Königs’ (Genitivierer zu Genitiviertem) analog ist. Im Falle von Subjekt und Prädikat liegt eine als «Bezug» zu bezeichnende syntagmatische Funktion zugrunde, wobei das Prädikat als der «bezogene» Terminus, das Subjekt als das «Beziehende» erscheint. Als Satzsyntagma bilden sie eine «bezogene Prädikation», die eine der häufigsten Satztypen in den indogermanischen Sprachen darstellt. Der bezogenen Prädikation wiederum steht auf der Ebene des Satzes der Satztyp der «nicht-bezogenen Prädikation» gegenüber (cf. il pleut, il neige) (cf. Coseriu 1988, 150). Bei frz. (je) chante ‘ich singe’ ist die Form chante per se im Unterschied zu sp. canto ‘ich singe’ oder lat. CANTAT ‘er singt’ bezüglich der Person unterspezifiziert (erst recht im phonischen Code, cf. für das Präsens je chante, tu chantes, il/elle chante, on chante, ils/elles chantent [ʃɑ̃ t] – abweichend nous chantons [ʃɑ̃ tɔ̃ ], vous chantez [ʃɑ̃ te]36) und bedarf daher eines nominalen oder pronominalen Subjekts,37 um als Prädikat in vollem Sinne zu fungieren (da das Prädikat eine Aussage über das Subjekt enthält: «pas de sujet sans prédicat et vice versa»; Bally 41965, 102, §155). Wird im Lateinischen und Spanischen der Bezug zwischen Subjekt und Prädikat bereits in der Verbform selbst hergestellt, so dass das Verb immer bereits als Satzsyntagma bzw. Satztyp (als Prädikat) in
|| 35 Das Prädikat kann in Form einer (einfachen oder zusammengesetzten) Verbform (die eventuell um ein Objekt ergänzt ist) oder als Kopulativverb in Verbindung mit einem Prädikativ erscheinen und enthält eine Aussage über das Subjekt, cf. auch den (nominalen) Ablativus absolutus, z.B. CICERONE CENANTE NUNTIUS LITTERAS QUINTI ATTULIT. ‘Während Cicero aß, brachte ein Bote einen Brief von Quintus’; ROMULOSUBJ. REGEPRÄD.NOMEN SABINAE RAPTAE SUNT. ‘Als Romulus König war, wurden die Sabinerinnen geraubt’. 36 Bei Formen wie chantons (sofern nicht ersetzt durch [on] chante), chantez (ohne pronominales oder nominales Subjekt) würde ein Imperativ impliziert werden (so auch bei chante [!] allein), was einer bezogenen Prädikation gleichkäme, d.h. chantons verhält sich ähnlich wie sp. cantamos. 37 Einzig das Substantiv als Nomen, Pronomen, Nominalsyntagma oder nominalisierter Satz kann das Subjekt einer Satzeinheit bilden; das Verb wiederum ist gemäß seiner Semantik für die prädikative Funktion gewissermaßen prädestiniert.
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Erscheinung tritt, ist das Verb im Französischen fast völlig autonom: Zwar ist chante als konjugierte Verbform zu identifizieren, doch ist der Bezug nicht eindeutig – die bezogene Prädikation wird erst auf syntagmatischer Ebene, auf der der Wortgruppe bzw. des Satzes hergestellt. Das englische Verb ist im Vergleich zum Französischen noch «autonomer», da das Verbalparadigma insgesamt lediglich vier (bei schwachen Verben: walk, walks, walking, walked) bzw. fünf (bei starken Verben: sing, sings, singing, sang, sung) flektierte Formen umfasst (abgesehen vom Paradigma von to be mit acht verschiedenen Verbalformen: be, am, are, is, was, were, being, been). Im Präsens ist einzig die der dritten Person Singular Präsens Indikativ (Aktiv) von Bedeutung. Selbst der Infinitiv wird über ein instrumentales Morphemwort (to) markiert, so dass bezüglich einer Form go lediglich ausgesagt werden kann, dass es sich (mit Bezug auf das Präsens) nicht um die dritte Person Singular handelt (es könnte letztendlich aber auch ein Nomen sein). In einer flektierenden Sprache wie dem Latein ist das Prädikat also durch die Personen- und Numeruskongruenz auf das Subjekt bezogen, die konjugierte (finite) Verbform ist notwendiger Teil des Prädikats. In isolierenden Sprachen, in denen das Verb selbst nicht konjugiert wird, tritt eine Art «externe» Konjugation mittels Personalpronomina für die Verbflexion ein. Dadurch kommen Personen- und Numerusmarkierung erst auf der Ebene der Wortgruppe zum Tragen: Eine Prädikation wird erst auf einer höheren Schicht hergestellt. Das Adverb: Das Lateinische verfügte über verschiedene Verfahren der Adverbbildung, z.B. lat. LONGUS − LONGE, LIBER − LIBERE. Bei Adjektiven der O- und ADekl. (1./2. Dekl.) ist die Endung des Adverbs -E bzw. -O: SERUS − SERO (mit altlat. Fernassimilation von [ĕ] zu [ŏ]); bei Adjektiven der I-Dekl. (3. Dekl.) lautet die entsprechende Endung -TER: FORTIS − FORTITER (vor allem im Komparativ diente auch das Neutrum als Adverb: MULTUM − PLUS). Die analytische Bildungsweise des Adverbs rekurriert auf den Ablativus modi (HAC RATIONE, AEQUO ANIMO, HUMANO MODO, DIGNA MENTE etc.) (cf. Wolf/Hupka 1981, 106ss.). Auch bei der Adverbbildung tritt die Funktion als adverbiale Bestimmung schon innerhalb der Einheit Wort ein, bei der Wortgruppe DIGNA MENTE ist der Kasus für diese Bestimmung verantwortlich. Im Spanischen kann, abgesehen vom zum lat. analogen Verfahren solamente, fácilmente, die (aus Konversion bzw. Selektion eines Morphems hervorgegangene) Form des maskulinen («neutralen») Adjektivs, z.B. sp. (hablar) claro (‘offen reden’), als Adverb dienen – ein Verfahren, das im Französischen vor allen Dingen in der Umgangssprache geläufig ist: acheter français, voter socialiste, manger léger etc. Erst auf höherer Ebene, im Zusammenhang mit dem Prädikat, wird die adverbiale Funktion kenntlich, das Wort erscheint auch hier als autonom.
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2.2.3.2 Die grammatische Schicht der Wortgruppe Unter derselben Fragestellung lässt sich die funktionelle Ebene der Wortgruppe untersuchen. Auch ihre Existenz ist für die typologische Interpretation von Belang: In ihrer Abhängigkeit steht der typologische Wandel im Rahmen eines Übergangs von der paradigmatischen Charakterisierung, wie sie für das lateinische Wort typisch ist, zu einem Ausbau der Syntagmatik, also der Ebene der Wortgruppe. Die Ebene der Wortgruppe kann dann als autonome grammatische Schicht betrachtet werden, wenn für ihre Funktionen eigene, vom Funktionieren im Satz independente Regeln gelten. Dies lässt sich durch folgende Beispiele illustrieren: It.
centodue ‘hundertzwei’ duecento ‘zweihundert’ Frz. l’homme pauvre ‘der arme Mann’ le pauvre homme ‘der arme Mann!’ (d.h. ‘der bedauernswerte Mann’)38 Es zeigt sich, dass die jeweilige Funktion innerhalb der Wortgruppe selbst zum Ausdruck kommt, und dies unabhängig von der Funktion, die diese Wortgruppe im Satz erfüllt: So kann jeweils die gesamte Wortgruppe als Subjekt oder Objekt fungieren. Im Lateinischen bildet dagegen auch die Ebene der Wortgruppe keine autonome Schicht der sprachlichen Gestaltung. Beispiele wie HANC URBEM PRIMUS ADII (DEINDE ALII) ‘Ich betrat die Stadt als erster’ (dann besuchten sie andere) – HANC URBEM PRIMAM ADII (DEINDE ALIAS) ‘Ich betrat die Stadt als erste’ (d.h. als erste Stadt, dann andere Städte) mit adjektivischem Gebrauch von PRIMUS, PRIMAM, dass innerhalb der Wortgruppe in der Regel bereits die Funktion als Subjekt (Prädikatsnomen) oder Objekt (Akkusativ) festgelegt ist. Das populäre Französisch nutzt diese semantische Differenzierung durch Positionsvariation des Adjektivs im Verhältnis zum Nomen bei bestimmten Adjektiven relativ systematisch aus; so verbindet sich das anteponierte Adjektiv häufig mit einer pejorativen Konnotation, wohingegen das postponierte die «unmarkierte» Bedeutung bewahrt, so bei fichu, foutu, sale, sacré (fichu métier, sacré crétin). Zusammenfassend können wir das Französische mit dem Latein vergleichen: Hinsichtlich der Frage der gegenseitigen Entsprechung auf semantisch-
|| 38 So stehen sich im Spanischen auf der Ebene der Wortgruppe analog el manso buey mit explikativer Funktion (‘der zahme Ochse’) und el buey manso (‘der friedliche Ochse’) mit spezifikativer Funktion gegenüber (cf. Coseriu 1987, 152)
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grammatischer Ebene müsste als Äquivalent zu lat. LIBROS im Französischen auch die Satzfunktion spezifiziert werden. Analog entspräche lat. LIBER nicht einfach ein virtuelles frz. livre, sondern ein bereits kontextualisiertes livre: Le livre (vient de paraître) in Subjektfunktion. Insofern interagieren im Französischen Satzgliedstellung und (prototypisch) invariantes Wort und bilden so erst ein dem Latein entsprechendes «grammatisches» Wort. Die morphologisch am lateinischen Wort indizierten grammatischen Funktionen werden auf syntagmatischer Ebene zum Ausdruck gebracht (über Morphemwörter und die Wortfolge im Satz). Innerhalb der Wortgruppe, als die das Wort im Französischen im Grunde einzig existiert, kommen damit im Vergleich zum Latein, dessen Typus das Französische im grammatischen und paragrammatischen System in unterschiedlichem Maße fortsetzt, die für das Französische idiosynkratischen grammatischen Regeln zur Anwendung: Erst auf Satzebene erscheint das Wort bzw. die Wortgruppe hinsichtlich der je spezifischen Satzfunktion charakterisiert, nicht so jedoch das allein stehende bzw. lediglich aktualisierte (nominale) Wort innerhalb der Wortgruppe. Wichtig ist daher die Verbindung zum seriellen syntaktischen und morphologischen Aspekt: Durch die morphologische Indeterminiertheit des Wortes im Französischen im Verhältnis zum Wort im ererbten lateinischen Typus lässt sich das einzelne Wort gewissermaßen aus dem Satzzusammenhang isolieren und gesondert betrachten, wobei in der Regel die lexikalische (sowie kategorielle) Bedeutung (cf. aber le sale type – la table sale; manger – le manger; je marche – la marche), nicht aber die syntaktische Bedeutung erhalten bleibt (dies gilt in schwächerem Maße für das Verbalsystem als für das Nominalsystem). 2.2.3.3 Die grammatische Schicht der Klausel Die Klausel als weitere zu prüfende Schicht existiert dann als autonome Schicht der einzelsprachlichen Strukturierung, wenn Elemente innerhalb eines Satzes so miteinander kombiniert werden können, dass der eine Satzteil den anderen kommentiert. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Element die im Satz enthaltene Aussage in ihrer Gültigkeit als Ganze einzuschränken in der Lage ist. Ein Beispiel aus dem Deutschen wäre der Gebrauch von Adverbien als satzmodifizierende Elemente: Natürlich hat er das getan bedeutet nicht, dass jemand etwas auf natürliche Art und Weise getan hat, sondern dass der Sprecher den Inhalt der Aussage für natürlich hält (cf. Coseriu 31994, 31). Die Klausel kann definiert werden als diejenige Funktionsebene, die innerhalb ein und desselben Satzes die Opposition Kommentar/Kommentiertes beinhaltet (cf. Coseriu 1987, 152). So stellt lat. CERTO SCIO ‘ich weiß es mit Sicher-
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heit’ eine einzige, nicht-kommentierte Klausel dar, wobei CERTO als adverbielle Bestimmung des lexikalischen Wortes scire funktioniert. Dagegen liegen bei CERTE SCIO ‘bestimmt, ich weiß es’ zwei Klauseln vor, zum einen die Kommentarklausel CERTE, zum anderen die kommentierte Klausel SCIO. Im zweiten Fall bestimmt certe nicht den lexikalischen Inhalt von scio (das Wissen könnte auch ein unsicheres sein), sondern mit dieser Form wird die Tatsache des Wissens per se versichert; certe funktioniert hier also als Satzadverb.39 Albrecht (cf. Coseriu 31994, 32, Anm. 12 des Bearbeiters, i.e. J. Albrechts) äußert sich mit Bezug auf die Existenz der Klausel als autonome grammatische Schicht in den romanischen Sprachen skeptisch, bestätigt diese aber für das Lateinische. Allerdings können auch im Französischen Adverbien, die einen Satz kommentieren (Prädikate des Satzes sind), als modalisierende Komplemente eine Behauptung, einen positiven oder negativen Satz näher bestimmen (cf. Riegel et al. 1994, 579ss.), indem die Einschätzung des Sprechers bezüglich des propositionalen Gehalts präzisiert wird (Elle a parlé naturellement // Naturellement, elle a parlé; Elle a accouché heureusement d’une fille // Heureusement, elle a accouché d’une fille). Dieser Typ an Adverbien lässt sich in der Regel durch folgende Paraphrasen explizieren: Que P est Adj/Il est Adj que P. Hier entspricht dem Adverb ein prädikatives Adjektiv: Heureusement, elle a accouché ↔ Qu’elle ait accouché, est heureux/Il est heureux qu’elle ait accouché finalement.40 Sie bilden stets eine sekundäre Prädikation mit Bezug auf den Rest des Satzes.41 Im Zusammenhang mit der soeben erwähnten Funktion steht der Gebrauch als Adverbien, die die Äußerung (das Sagen) selbst kommentieren: Mit Adverbien wie sérieusement, honnêtement, simplement etc. wird in der Regel nicht der eigentliche Inhalt des Satzes (das Gesagte) modifiziert (Il a agi franchement = ‘Er || 39 Die Partikeln des Deutschen und Altgriechischen funktionieren in vielen Fällen als solche Klauseln im Sinne einer eigenen grammatischen Schicht (sofern als kommentierende Klauseln bzw. «Satzadverbien» verwendet) (siehe dazu auch Coseriu 31994, 18–20). Zur typologischen Affinität zwischen dem Deutschen und dem Altgriechischen, die sich teilweise im parallelen Funktionieren der Partikeln manifestiert, cf. Coseriu ([1980b]/1988). Zu den (Abtönungs-) Partikeln cf. die Arbeiten von H. Weydt (1969; 1979). 40 Was die spezifischen Eigenschaften dieser Adverbien anlangt, so zeichnen sie sich unabhängig von ihrer Stellung im Satz durch eine Pause oder einen Bruch in der Intonation aus, die der Akzentuierung als parenthetischer Kommentar dienen; sie können in vor- oder nachgestellter Position vorkommen, aber auch in den Satz eingeschoben werden (Jeanne, heureusement, a accouché/Jeanne a accouché, heureusement). 41 Dies bedingt, dass sie sich stets außerhalb der Reichweite der Negation bewegen und nicht als Satzgegenstand fungieren können (im Gegensatz zum prädikativen Adjektiv der entsprechenden Konstruktionen: Que P est heureux/Il est heureux que P).
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hat entschlossen gehandelt’), sondern die Handlung selbst des Äußerns (das Sagen) wird kommentiert. So erfordert etwa das Adverb franchement eine unterschiedliche Interpretation je nachdem, ob es sich mit einer Behauptung (Charakterisierung der Aussage des Sprechers) oder einem Fragesatz (Charakterisierung der vom Hörer erwarteten Antwort) verbindet, vergleiche: (1) (1a) (2) (2a)
Franchement, il a agi comme un tartuffe. Je dis franchement [= pour parler franchement] qu’il a agi comme un tartuffe. Franchement, as-tu lu le livre en entier ? Dis-moi franchement [= en toute franchise] si tu as lu le livre en entier.
Dieser Typ an Adverbien steht in der Regel am Satzanfang; in Zwischenstellung oder am Satzende heben sie sich gewöhnlich durch eine Pause oder eine Änderung in der Intonation vom Rest des Satzes deutlich ab. 2.2.3.4 Die grammatische Schicht des Satzes Die funktionelle Ebene des Satzes zeichnet sich zunächst durch die Funktion der Prädikation aus. Sie wurde bereits als neben der Schicht der minimalen Einheiten in allen Sprachen notwendig vorauszusetzende, d.h. universelle grammatische Schicht gekennzeichnet. Als Beispiel kann der frz. Satz il pleut genannt werden, der eine «nicht-bezogene» Prädikation enthält, während bei einem Satz wie Jean/(il) lit eine bezogene Prädikation vorliegt. Auch die Opposition zwischen frz. Jean lit und Jean ne lit pas funktioniert auf einer höheren Ebene als der der Wortgruppe, da hier ontische Bedeutungen die Opposition begründen (cf. Coseriu 1987, 151). Der komplexe (zusammengesetzte) Satz (mit untergeordneten Gliedsätzen) repräsentiert keine eigene übergeordnete Schicht.
2.2.4 Eigenschaften der grammatischen Schichten Die grammatischen Schichten repräsentieren Strukturierungstypen innerhalb der grammatischen Systeme und zugleich mögliche Sektionen einer einzelsprachlichen Grammatik (cf. Coseriu 1987, 155). Die verschiedenen Einzelsprachen unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl der vorhandenen funktionellen Strukturierungsebenen mit Ausnahme zweier Schichten, der der minimalen Elemente und der des Satzes, die für alle Sprachen konstitutiv sind. Abgesehen von der Frage des reinen (Nicht-)Vorkommens einer Ebene im Sinne einer autonom grammatischen besteht Variation hinsichtlich der Relevanz, die einer Sektion der «Wortgrammatik», der «Wortgruppengrammatik», der «Klauselgram-
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matik», der «Satzgrammatik», der «Textgrammatik» (transphrastischen Grammatik) im grammatischen System einer Einzelsprache jeweils zukommt.42 Die zwischen den Einzelsprachen hinsichtlich der Autonomie (Funktionalität) bzw. Dominanz der sprachlichen Strukturierungsebenen feststellbaren Unterschiede können typologische Konsequenzen haben und sind Bestandteil der grammatischen Beschreibung.43 Im Spanischen steht die grammatische Schicht des Wortes (das Nomen) auf Grund seiner morphologischen Determinationen dem Lateinischen näher als das Französische, wo Funktionen wie Genus und Numerus in der Regel erst auf der Stufe der Wortgruppe markiert werden (im code parlé). Abweichungen stellen Formen wie cheval/chevaux dar, die im français populaire bzw. bzw. im français avancé «immer isolierter werden» (Coseriu 1987, 154).44 Hinsichtlich der Autonomie der Einheit Wort im Spanischen und Französischen bedingt jedoch die hörbare Kennzeichnung etwa des Plurals keine geringere Autonomie des Wortes im Spanischen gegenüber dem Französischen, da die Satzfunktion weder hier noch dort am Wort selbst kenntlich wird. Die Schicht der Klausel, die das Deutsche und Altgriechische auf Grund ihres Reichtums an in kommentierender Funktion verwendeten Partikeln beson-
|| 42 Die Feststellung, dass eine der grammatischen Sektionen in einer Sprache dominiert, lässt sich mit den jeweils vorherrschenden typologischen Prinzipien bzw. dem Sprachtypus in Verbindung bringen, da die grammatische Struktur einen Reflex dieser Prinzipien darstellt. In einer flektierenden Sprache wie dem Latein erfolgt gewissermaßen eine Überordnung des Wortes zum Satz (CANTAT), d.h. das Wort birgt sozusagen einen Satz. Anders formuliert: Bestimmte Satzfunktionen kommen durch die wortinterne Strukturierung (die «Wortgrammatik») zum Ausdruck. In einer isolierenden Sprache wie dem Englischen dagegen kann von einer Unterordnung der Wortgruppe zum Wort ausgegangen werden. So kann auch für das Französische, in dem die syntagmatische Ebene seit mittelfranzösischer Zeit an Raum gewonnen hat, eine «Wortgruppengrammatik» als zentral gelten. Der Satz wiederum scheint für solche Sprachen die grundlegende grammatische Strukturierungseinheit zu bilden, in denen das Wort primär in einer Stellung vorkommt, in der sich dieses (gleich eines Morphems) in eine phrastische Struktur eingebunden findet, in der also gewissermaßen das «Wort» durch den «Satz» repräsentiert wird bzw. die Funktionen des Wortes im Satz aufgehen (man könnte von «SatzWort» sprechen). Dies ist in polysynthetischen Sprachen der Fall. 43 Cf. Coseriu (1987, 155): «Die Grammatiken aber, die sich im Gegensatz dazu auf mechanische Segmentierung der Sätze beschränken, d.h. die eigentlich nur die Ebene des Satzes und die darin aufeinander folgenden materiellen, auf diese Ebene reichenden Kombinationen berücksichtigen, ohne die funktionellen Schichten der Strukturierung bzw. ohne demzufolge die funktionell autonomen von den nicht-autonomen Kombinierungen zu unterscheiden, diese Grammatiken nun tilgen ganz willkürlich die zwischen den Einzelsprachen in der Hinsicht bestehenden Unterschiede». 44 Siehe dazu die umfangreiche, diachronisch angelegte Studie von Eckert 1986.
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ders auszeichnet, erscheint in den romanischen Sprachen in wesentlich marginalerer Position. Interessanter Weise bestehen deutliche typologische Affinitäten zwischen dem Deutschen und dem Altgriechischen (cf. Coseriu [1980b]/1988). Im Französischen existieren ebenfalls autonome «kommentierende Klauseln», z.B.: certes, certainement, naturellement, pour ainsi dire, bien entendu, bien sûr, à la rigueur etc. Analog zu einem Satzgefüge mit Haupt- und Nebensatz wie Il est évident (naturel, clair, vrai, possible, probable) qu’il est sage fungiert in Bien entendu, il est sage die Partikel als Entsprechung zum determinierenden Hauptsatz (il est certain/évident etc.) und determiniert ihrerseits den sich an sie anschließenden Hauptsatz, der dem in der subordinierenden Konstruktion mit que eingeleiteten Nebensatz (qu’il est sage) entspricht:45 Dieselbe Funktion kann also zum Ausdruck gebracht werden entweder mittels einer kommentierenden Klausel oder durch die Subordinierung: in dieser wird die kommentierte Klausel (Determinatum) zu einem Nebensatz (eingeleitet mit que), der von einem Hauptsatz (Determinans) regiert wird, der seinerseits den eigentlichen Kommentar enthält. Möglich ist ebenfalls das Verfahren der Superordinierung: Hier wird der Kommentar zu einem Einschub auf Textebene, wie z.B. bei on le sait, il est vrai, si l’on veut, paraît-il, dit-on etc. (cf. demgegenüber dt. bekanntlich, zwar, meinetwegen, offenbar, angeblich).
2.2.5 Hypertaxe, Hypotaxe, Parataxe und Antitaxe Die grammatischen Schichten zeichnen sich dadurch aus, dass sie untereinander in ein Verhältnis der Superordinierung (Hypertaxe), Subordinierung (Hypotaxe), Koordinierung (Parataxe), Ersetzung (‘Pronominalisierung’) oder Substitution (Antitaxe) treten können (cf. Coseriu 31994, insbesondere 30–32 sowie 206ss.; siehe auch ibid., 37, 45–46, 225–228; Coseriu 1987, 157ss.). Es handelt sich bei diesen vier Relationen um universelle Eigenschaften der Schichten grammatischer Strukturierung. Hypertaxe, Hypotaxe, Parataxe und Antitaxe sind jedoch nur in dem Sinne universell, als sie auf alle Sprachen zutreffende Verfahrensmöglichkeiten innerhalb der Strukturierungsebenen darstellen, die nicht sämtlich und in gleichem Umfang vorhanden sein müssen.
|| 45 Vergleiche auch den Gebrauch von namentlich in der Pressesprache verwendeten Adverbien wie économiquement, financièrement etc. in der Funktion als «Satzadverb».
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Dabei ist die Hypertaxe mit der Hypotaxe, die Parataxe mit der Antitaxe (und nicht der Hypotaxe) zu parallelisieren,46 wobei erstere beiden jeweils eine vertikale Relation zwischen grammatischen Schichten, letztere eine auf horizontaler Ebene repräsentieren. Nur Hypertaxe und Hypotaxe sind im vorliegenden Rahmen von Bedeutung: 47 1. Die Hypertaxe erlaubt es einer Einheit einer untergeordneten Schicht (bis hin zur untersten Ebene), für sich genommen, d.h. jeweils in der Kombination mit «Null», in allen anderen höheren Schichten zu funktionieren, so dass sie in Opposition zu den Einheiten der jeweils höheren Schicht tritt. Die häufigsten Fälle der Superordinierung in den uns bekannten Sprachen betreffen die Überordnung der lexikalischen Moneme zur Schicht des Wortes, die der Wörter zur Wortgruppe sowie diejenige der Wörter zur Ebene des Satzes und/oder des Textes. So funktioniert im Beispiel sp. casa − casas das minimale Element casa (bzw. casa + -Ø) in Opposition zu casas als Singular auf dem Niveau des grammatischen Wortes; und in der Opposition casa − la casa fungiert das bereits als Singular bestimmte Wort casa (bzw. casa-Ø) auf der Ebene der Wortgruppe und indiziert hier die Funktion «virtuell, inaktuell» im Verhältnis zum als «aktuell» bestimmten la casa (so dass im Grunde zwei Nullmorpheme anzusetzen wären). Eine Überordnung des Wortes auf die Ebene der Klausel ist etwa gegeben bei frz. Certainement! Naturellement! bzw. dt. Freilich! Natürlich! (wobei die Höherordnung der Klausel auf das Niveau des Satzes und des Textes hier bereits impliziert ist). 2. Die Hypotaxe oder Subordinierung kennzeichnet die Eigenschaft einer höher gelegenen Einheit, prinzipiell in jeder der tiefer angeordneten Schichten funktionieren zu können. Die Hypotaxe kommt am deutlichsten bei der Subordinierung von Sätzen zum Tragen, da hier ein Syntagma, das in der Regel eine Satzstruktur erkennen lässt (bestehend aus Subjekt, Verb oder prädikativem Verb), als Glied (Subjekt, Objekt, Ergänzung etc.) einer anderen Satzeinheit funktioniert. Die Verfahren der indirekten Rede im Lateinischen beinhaltet eine Subordinierung von Texten auf Satzebene, das Niveau der Klausel oder gar der Wortgruppe. Nebensätze können aufgefasst werden als Subordinierungen von Sätzen und Klauseln auf das Niveau der Wortgruppe (cf. Coseriu 1987, 160).
|| 46 Aus der traditionellen Gegenüberstellung von Hypotaxe und Parataxe resultiert im Grunde auch die Auffassung von den «subordinierenden Konjunktionen», deren Funktion eine rein subordinierende und keine jungierende ist. 47 Zur Parataxe und Antitaxe cf. Coseriu 1987, 164ss. sowie 168ss.
Die Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung | 71
Im Beispiel frz. Il est vrai que X a dit cela (‘Er hat es wirklich gesagt’) liegt Hypertaxe der «Kommentar»-Klausel (Il est vrai que) auf die Ebene des Satzes und zugleich Hypotaxe der kommentierten Klausel (X a dit cela) vor, d.h. Hypotaxe und Hypertaxe können in Kombination auftreten. Die Subordinierung ist auch nicht auf die Unterordnung von Sätzen beschränkt: Die folgenden lateinischen Sätze RHODUM CICERONUM CAUSA PUERORUM ACCESSURUM PUTO (Cicero) (‘Nach Rhodus werde ich wohl der beiden Jungen Ciceros wegen gehen’); Q. CURIUS … QUEM CENSORES SENATU PROBRI GRATIA MOVERANT (Sallust) (‘[…] den die Zensoren einer Schandtat wegen aus dem Senat entfernt hatten’) (cf. Coseriu 31994, 211) enthalten eine subordinierende Relation, in der die Substantive im Ablativ CAUSA (‘Grund’) und GRATIA (‘Dank’) in der Funktion von Präpositionen (oder Postpositionen), d.h. von minimalen Elementen erscheinen. Die Funktion solcher minimalen Elemente können (wie sich über die Kommutationsprobe feststellen lässt) auch Wortgruppen übernehmen: Wendungen wie mit Hilfe von, à l’aide de, au moyen de, dans le but de, allo scopo di sind funktionell den minimalen Elementen mit, avec, par, pour, per analog. Präpositionen des Deutschen wie wegen, mittels, zwecks, angesichts, kraft, dank, trotz, stellen materiell Wörter dar, die aber ähnlich wie einfache Präpositionen, also auf der Ebene der minimalen Elemente funktionieren.48 Auch aus dem Englischen bekannte Konstruktionen wie The king of England’s army enthalten, wie im Falle der Interpretation von The king of England als semantische Einheit, die Subordinierung einer Wortgruppe zu einem Wort. Hinsichtlich solcher Möglichkeiten der Subordinierung unterliegen die Einzelsprachen unterschiedlichen Restriktionen (Coseriu 31994, 211): «Es gehört mit zu den Aufgaben der grammatischen Beschreibung einer Sprache herauszufinden, was subordiniert werden kann und was nicht, was normalerweise subordiniert wird und wie die Subordinierung vorgenommen wird». So ist eine zum genannten Beispiel analoge Art der Subordinierung in den romanischen Sprachen oder im Deutschen nicht möglich (cf. it. il re dell’esercito d’Inghilterra – l’esercito del re d’Inghilterra; sp. El rey del ejército de Inglaterra – el ejército del rey de Inglaterra; der König des Heeres von England – das Heer des Königs von England). Im Deutschen bestehen ferner größere Beschränkungen hinsichtlich der Subordinierung durch das Partizip Präsens, als dies bei der englischen Subordinierung mittels der -ing-Formen der Fall ist oder bei der Subordinierung mit Hilfe der Gerundialkonstruktion im Italienischen (cf. he sat in the library reading a book,
|| 48 Cf. Noailly-Le Bihan (1982) sowie Noailly (1990, insbesondere 129–131), zum präpositionalen Status von Substantiven wie façon, niveau, tendance etc.
72 | Zur grammatischen Beschreibung der Einzelsprache
sedeva nella biblioteca leggendo un libro, dt. dagegen usuell: er saß in der Bibliothek und las ein Buch, und nicht: ein Buch lesend saß er in der Bibliothek). Die zur Klasse der Morphemwörter oder instrumentalen Wörter gehörigen sogenannten «subordinierenden Konjunktionen» stellen gemäß ihrer Funktion − die eine der Subordinierung ist und damit nicht zugleich eine der Konjunktion sein kann − im Grunde reine subordinierende Morpheme oder meist mit diesen Morphemen kombinierte Präpositionen dar (in den romanischen oder germanischen Sprachen, z.B. parce que, bien que, vue que, de sorte que etc.) (siehe ausführlich Coseriu 1987, 161). Allgemein bedarf die Subordinierung von Sätzen oder Klauseln mit Satzstruktur zum einen eines Subordinators, der kenntlich macht, dass die Satzstruktur mit konjugiertem Verb als Glied einer anderen Satzeinheit und nicht als eigener Satz funktioniert, sowie eines zweiten Instruments, das die Funktion dieses Gliedes innerhalb des Satzes bestimmt. Im Französischen (bzw. den romanischen Sprachen) dient als Subordinator eines Satzsyntagmas que (ebenso im Sp., Kat., Port., im Ital. che, im Rum. că). Die Kennzeichnung der Subordinierung eines Satzsyntagmas kann in folgender Hinsicht variieren: Bei der Subordinierung einer im Satz nicht explizit gekennzeichneten syntagmatischen Funktion (Subjekt oder Objekt) kommt allein dieser Marker der Subordinierung zur Anwendung, z.B. in frz. on dit que … Im Falle der Markierung des subordinierten Satzsyntagmas durch ein Interrogativpronomen oder -adverb entfällt in der Regel das Subordinierungszeichen que (che, că). Es bleibt aber auch hier zuweilen erhalten, so etwa im Spanischen insbesondere dann, wenn eine ganze Satzfolge Gegenstand der Subordinierung wird und das diese regierende Verb nicht unmittelbar zu erkennen ist (sei es durch Unterdrückung dieses Verbs, sei es auf Grund dessen Distanz im übergeordneten Satz); cf. me pregunta dónde estuve, aber auch me pregunta que dónde estuve (que qué hice, que cuando vine) ‘er fragt mich, wo ich gewesen sei (was ich getan hätte, wann ich gekommen sei)’ (cf. Coseriu 1987, 161–162).
3 Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie 3.1 Die Subordinierung: Wortbildung als Subordinierung Wortbildung kann nach Lüdtke (1978, 7) verstanden werden als «ein besonders häufiger Fall von Subordinierung». Sie kommt insbesondere bei den Verfahren der Komposition und der Prädikatnominalisierung zum Tragen: Die Subordinierung einer Wortgruppe zu einem Wort wäre gegeben bei weißer Fisch → Weißfisch; auch zusammengesetzte Wörter wie dt. Haustier, Apfelbaum sind grammatisch gesehen zu interpretieren als Resultate einer Subordinierung von Wortgruppen auf das Niveau des Wortes. Dieselbe Eigenschaft der grammatischen Schichten liegt den «lexikalischen Periphrasen» wie frz. beau-frère ‘Schwager’ und poule mouillée ‘Feigling’ zugrunde (cf. Coseriu 1987, 161). Im Bereich der Prädikatnominalisierung kann die Entwicklung von beau in prädikativer Funktion, also von être beau zu beauté, gefasst werden als die Subordinierung eines Satzes zu einem Wort. Analoges trifft zu auf er lehrt → Lehrer (cf. auch Dokulil 1968b, 208). Die Klausel kann innerhalb dieser Übergänge als ein methodisches Instrument dienlich sein, das zusätzlich zur Subordinierung die jeweils in der Wortbildung ausgedrückte Topikalisierung expliziert, so etwa bei er lehrt → einer, der lehrt → Lehrer; x ist schön → die Tatsache, dass x schön ist → Schönheit. In Sätzen des ersten Typs wäre die Topikalisierung nicht des Subjekts, die zu Lehrer führt, sondern, wie im zweiten Beispiel, die des Prädikats ebenfalls möglich, was durch folgende Umformungen dargestellt werden kann: er lehrt → die Tatsache, dass er lehrt → die Lehre (‘das Lehren’ wie in Forschung und Lehre). Die Konzeption von Wortbildung als Art der Subordinierung manifestiert sich namentlich dort, wo Wortbildungs«Lücken» festgestellt werden; diese können vielfach durch äquivalente Bildungen gefüllt werden.1 Die Übergänge zwischen den verschiedenen grammatischen Schichten implizieren zugleich eine starke Integration von Morphologie und Syntax (Grammatik). Die hierarchische Analyse gemäß den grammatischen Schichten erlaubt hier eine einheitliche Betrachtungsweise.
|| 1 Der Zusammenhang zwischen Subordinierung und denjenigen Verfahren, die für «Lücken» bzw. in der Norm nicht realisierte systematische Bildungen eintreten, wird in Lüdtke (1978, 31–40) im Rahmen der prädikativen Nominalisierungen mit Suffixen in einem Exkurs behandelt. In Lüdtke (1984) wird dieser Exkurs in einer eigenen Theorie der reflexiven Strukturen (im Mittelpunkt steht das Französische) ausgebaut. Die beiden Werke stehen offensichtlich in engem sprachtheoretischem Zusammenhang. Auf dieser Grundlage lässt sich teilweise auch die Besonderheit des französischen Typus bzw. der für diesen symptomatischen Restriktionen hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeiten von Sprachstrukturen auf syntaktischer Ebene aufzeigen. https://doi.org/10.1515/9783110693966-003
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Die paragrammatischen (wortbildenden) Verfahren beruhen also auf der Subordinierung. In der Sprachtheorie Coserius erscheint die Wortbildung als dem Bereich der lexematischen Strukturen bzw. Relationen zugehörig (cf. Coseriu 1966a, 1968c; cf. Lüdtke 1978, 5–10). Innerhalb der lexematischen Strukturen und Relationen ist zwischen paradigmatischen und syntagmatischen Relationen, die die Strukturelemente miteinander verbinden, zu unterscheiden. Die syntagmatischen Relationen sind aus der Sicht der Wortbildung irrelevant (so etwa das Verhältnis zwischen dt. Schiff, Zug etc. und fahren). Die paradigmatischen Relationen können primärer und sekundärer Natur sein. Primäre paradigmatische Relationen bilden ein Paradigma, wobei die zugehörigen Glieder, Lexeme, in einer Opposition zueinander stehen, die weder das eine noch das andere Glied als primäres oder sekundäres kennzeichnet (so impliziert z.B. jung alt, die sich beide auf derselben Ebene befinden). Innerhalb der Differenzierung zwischen primären und sekundären paradigmatischen Relationen sind unter erstere die Wortfelder und die lexikalischen Klassen zu subsumieren, unter zweitgenannte das Gebiet der traditionellen Wortbildung sowie die Konversion. Besonders auffällig sind die Unterschiede zwischen den Sprachen hinsichtlich der Verfahrensmöglichkeiten sowie deren Ausnutzung im Rahmen der Subordinierung von Wortgruppen zu einfachen Wörtern, wie sie über die Bildung von Komposita ausgeschöpft werden. Die Komposition dient dem sprachökonomischen Zweck, Wortverbindungen für den steten Gebrauch in der Rede in Form materieller Wörter verfügbar zu machen. Im Bereich der Subordinierung feststellbare Restriktionen können dabei prinzipiell auf alle Ebenen der Strukturierung der Sprachtechnik zurückzuführen sein, d.h. die der Sprachnorm, des Sprachsystems und des Sprachtypus. Sie schließen ihrerseits eine gewisse Hierarchie der Grammatikalität bzw. Grammatizität (cf. Ch. Lehmann 21995) der Bildungen ein (cf. Coseriu [1970b]/1972, 50 bzw. 1987, 77). Die Strukturierungsebenen der Sprachtechnik können dabei in unterschiedlicher Weise miteinander konfligieren und sich gegenseitig bedingen.2 Hier erlangen einerseits die im Rahmen der Möglichkeiten des Systems nach einem bestimmten Verfahrenstyp nicht realisierten Bildungen (Wortbildungslücken bzw. nicht realisierte grammatische Strukturen) an Bedeutung; zum zweiten wäre die ohne normative Eingriffe verlaufende
|| 2 Einerseits kann eine Entwicklungstendenz, die sich trotz normativer Einschränkungen in einer Varietät manifestiert (im Rahmen der Möglichkeiten des jeweiligen Systems bzw. Diasystems), eine typologische Tendenz ausbauen oder ihr zuwiderlaufen. Scheint sie einer Verstärkung der jeweils in der aktuellen Synchronie realisierten Typusdominanten zu dienen, können andererseits Bildungen im Rahmen dieser Tendenz trotzdem prinzipiell über die normative Regulation verhindert werden.
Die Subordinierung: Wortbildung als Subordinierung | 75
Sprachentwicklung, soweit tendenziell eingeleitet und beobachtbar (etwa über Entwicklungen des français populaire3), von besonderem Interesse. Auch der Vergleich mit anderen Sprachen desselben Typs kann aufschlussreich sein.4
3.1.1 Exkurs: Die Ebene des Wortes im Chinesischen Ein zentrales paragrammatisches Charakteristikum des isolierenden Merkmalclusters ist die Fähigkeit zur Konversion; die Konversion ist ein Korollar der Autonomie der grammatischen Schichten. Das als polysynthetische5 Sprache mit weiterhin isolierenden Eigenschaften beschreibbare Chinesische zeigt eine besondere Disposition zur Konversion. Auf dem Hintergrund der Beobachtung, dass die Konversion eine wichtige typuskonstitutive Position im modernen, zur Isolation neigenden Französisch einnimmt, soll im Folgenden die Bedeutung der Konversion für die chinesische Umgangssprache diskutiert werden.6 Die Frage der Existenz von Wortarten (bzw. Wortkategorien) im Chinesischen hat die Grammatiker über die Geschichte der Sprache hinweg intensiv beschäftigt.7 Die Haltungen lassen sich nach folgenden drei Grundpositionen ordnen: Zum einen wird für das Chinesische die Existenz von Wortkategorien oder Wortarten überhaupt bestritten; zum zweiten wird die Wortkategorie für das chinesische Wort als eine lediglich im Satz zum Tragen kommende Kategorie definiert; und schließlich wird für das Wort im Chinesischen eine Einteilung in Kategorien für prinzipiell möglich gehalten und in Form einer Klassifizierung umzusetzen versucht (cf. Sung 1984, 30, 35ss.). Dabei sind zwei grundsätzliche Ausrichtungen gegeneinander abzugrenzen: die eine strebt danach, die «Begriffswörter» den verschiedenen Kategorien zuzuordnen, die andere, die einem
|| 3 Man vergleiche den kleinen Band von F. Gadet (1992). 4 Der Typus lässt sich prinzipiell über die Manifestation in den konkreten, innerhalb der Möglichkeiten des Systems angelegten und in der Norm realisierten sprachlichen Strukturen fassen; die ihm zugrunde liegenden Prinzipien können allerdings letzten Endes nur erschlossen werden. 5 Als besserer Repräsentant des polysynthetischen Konstrukts (als das Chinesische nach Skalička) kann mittlerweile tatsächlich das Vietnamesische (Annamitisch) und andere Thaisprachen (Siamesisch, Laotisch) gelten, daneben auch Ewe, Yoruba, die der westlichen, sogenannten Niger-Kongo-Familie der Sudansprachen angehören: In diesen Sprachen sind die Züge des Konstrukts noch prominenter vertreten. 6 Ich stütze mich im Folgenden auf Sungs (1984) Grammatik der chinesischen Umgangssprache, wobei die moderne gesprochene und geschriebene Sprache zugrunde gelegt wird. 7 Sung (1984, 29) spricht vom fehlenden «morphologischen Merkmal» des chinesischen Schriftzeichens, was der Identifizierung als (morphologisches) Wort entgegensteht.
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Wort in einer spezifischen Verwendung im Redeakt zugrunde liegenden Wortkategorie zu identifizieren (was der zweit genannten Position entspräche). Beide Aspekte wiederum sind eng miteinander verquickt. 3.1.1.1 Typen der funktionellen Bedeutung Bei der Beschreibung der chinesischen Grammatik folgt man, wie in der Tradition der indoeuropäischen Sprachen, in einer umfassenderen Orientierung der Unterscheidung zwischen «Inhaltswörtern» – Lexemen im eigentlichen Sinne – und «Funktionswörtern» oder «Relations»- bzw. Instrumentalwörtern; für das Chinesische spricht man an dieser Stelle auch von «Vollbedeutungswörtern» ( 实词) einerseits und «Leerwörtern» (虚词) andererseits. Die Einteilung weicht jedoch von der für die europäischen Sprachen traditionell gewordenen ab (cf. Sung 1984, 31; insbesondere die im Chinesischen eine wichtige Rolle spielenden Klassifikatoren8 sowie die Numerale werden zu den Substantiven gezählt9,10).
|| 8 Der Klassifikator besitzt im Chinesischen auch die Funktion, zwischen dem Gebrauch eines Nomens als Vertreter einer Gattung (generische Funktion) oder als Vertreter eines bestimmten Gegenstandes zu differenzieren: So wird in dem Satz Ich bin Student «Student» als Beruf oder Gattung aufgefasst; in dem Satz Er ist ein guter Student bezieht sich «Student» dagegen auf eine bestimmte Einzelperson. Zur Bezeichnung von etwas Bestimmtem, Singulärem verwendet das Chinesische stets – wie bei der Artikulierung – die Struktur «Zahl + Klassifikator». Ferner dient der Klassifikator namentlich zur Bezeichnung der genauen Anzahl von Dingen. Man vergleiche das Deutsche: Das Zahlwort kann in solchen Fällen unmittelbar vor das eine unzählbare Menge eines Stoffes bezeichnende Nomen treten, wenn durch das Zahlwort eine Spezifikation der Menge impliziert wird, wie in Ich möchte ein (Glas) Wasser. Die Substantive Glas, Becher etc. sind hier mit der Funktion des Zähleinheitsworts im Chinesischen vergleichbar; im Chinesischen muss ein solches obligatorisch bei allen Nomina gesetzt werden (cf. Sung 1984, 158–159). 9 Cf. Sung (1984, 158–173). Es existieren allerdings auch verbale Klassifikatoren («Zähleinheitswörter») (cf. ibid., 173–178), für die folgendes gilt: «Im Chinesischen brauchen Verben nicht nur in der Funktion als Nomen ein Zähleinheitswort, sondern mitunter auch in der Funktion als Prädikat. Da aber für Verben in beiden Funktionen meist die gleichen Zähleinheitswörter verwendet werden, behandeln wir die Zähleinheitswörter des Verbs, wie in chinesischen Grammatiken üblich, hier im Kapitel über die Nomina und nicht im Kapitel Verb. Obwohl die verbalen Zähleinheitswörter ebenso wie die nominalen Anzahlen angeben, nämlich die Anzahl von Tätigkeiten, und sich in ihrer Anwendung manchmal nicht von den nominalen Zähleinheitswörtern unterscheiden lassen, haben sie aber auch eigene grammatische Merkmale, die sie deutlich von den nominalen Zähleinheitswörtern abgrenzen» (ibid., 173). 10 Siehe Skalička ([1946]/1979) zum (gesprochenen) Chinesischen unter Bezug auf die «Numerative» (cf. z.B. ibid., 184, 194): «[…] die Zahlwörter [werden] mit den Substantiven mit Hilfe der Numerativa verbunden. Anstatt ‘drei Menschen, drei Fische, drei Sessel’ sagt man san gö jön [san ge ren] ‘drei Stück Mensch’, san wei yü ‘drei Schwanz Fisch’, san ba yi-dsi ‘drei Griff Sessel’» (siehe ausführlich ibid., 194–195). Zum Gebrauch des Numerale im Chinesischen cf. ferner Sung (1984, 179–200).
Die Subordinierung: Wortbildung als Subordinierung | 77
Die «Funktionswörter» dienen im Chinesischen zudem primär der Funktion, «die Wortart eines Wortes oder einer Wortgruppe in eine andere umzuwandeln» (Sung 1984, 32). Die instrumentale Bedeutung ist diejenige «der ‘Morpheme’, d.h. der instrumentalen Verfahren und Elemente in den grammatischen Kombinierungen (Wortfolge im Rahmen des Satzes, Akzent, Intonation, Endungen, Präfixe, Suffixe, Morphemwörter wie die Artikel, die Präpositionen, die Konjunktionen usw.)» (Coseriu 1987, 149; cf. Kap. 2.1.3 c) bzw. 2.2.1). Eine solche Liste an universell zur Verfügung stehenden Mitteln bzw. Verfahren zum Ausdruck instrumentaler Bedeutung macht auf die Unterschiede hinsichtlich der Verfahren aufmerksam, von denen die einzelnen Sprachen (im grammatischen und paragrammatischen Bereich) am meisten Gebrauch machen. Die Morphemwörter stellen im Chinesischen ein wichtiges Instrument der Satzbildung und -gliederung dar: Die chinesischen Zeichen (Wort, Wortgruppe oder Satz), auf die z.B. die subordinierende Strukturpartikel 的 [de] folgt, fungieren als Attribut; diejenigen, nach denen die adverbiale Subordinationspartikel 地 [de] auftritt, dienen als Adverbialbestimmung. Das Wort, an das sich eine Verbalpartikel anschließt, ist notwendig Prädikat. Das Funktionswort seinerseits ist zur Satzbildung unerlässlich: «ohne das Funktionswort wäre es ganz unmöglich, den chinesischen Satz der modernen Sprache zu bilden» (Sung 1984, 35). Sind Wort, Wortgruppe und Satz autonome Schichten der sprachlichen Gestaltung,11 entspräche letztere dem isolierenden bzw. polysynthetischen Merkmalskorrelat. Eine Flexion existiert im Chinesischen nicht. Auf Satzebene tragen die verschiedenen Wörter aber dann, wenn sie dieselbe Funktion im Satz ausüben, die gleichen grammatischen Merkmale. So besetzen sie beispielsweise stets die gleiche Position im Satz; Subjekte und Objekte werden mit den gleichen Konjunktionen verbunden; Prädikate können durch adverbiale Ergänzungen näher bestimmt werden etc. Dieses Verhalten ist unabhängig von der Bedeutung des betreffenden Satzgliedes. Andererseits sind aber gewisse Wörter oder Wortgruppen gewissermaßen von Natur aus dazu vorgesehen, als bestimmte Satzglieder zu fungieren, da sie sich auf Grund ihrer Bedeutung
|| 11 Die Partikel dienen ferner der «Umwandlung der Satzart» (cf. Sung 1984, 34–35; cf. den Begriff der ontischen Bedeutung nach Coseriu, etwa Coseriu [1972b]/1987, 90): So kann ein Aussagesatz wie Er kommt nicht mehr in einen Fragesatz Kommt er nicht mehr? mittels einer spezifischen Intonationspartikel, ein Aktivsatz durch eine andere Partikel in einen Passivsatz usw. überführt werden.
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oder Funktion gerade für die Rolle als Subjekt, Komplement etc. besonders eignen (cf. Sung 1984, 29).12 Abgesehen von den Partikeln stellt also die Serialisierung der Satzglieder für die Satzbildung im Chinesischen ein elementares grammatisches Mittel dar.13 Die Position eines Elements im Satz ermöglicht dessen Funktionsbestimmung im Sinne einer bestimmten syntaktischen Kategorie. So kann in einer PrädikatObjekt-Verbindung wie «jemanden schlagen» (打人 ‘schlagen Mensch’) das Verb mit Prädikatfunktion über die postverbale Stellung der entsprechenden Strukturpartikel (hier 的) als Attribut des Nomens gekennzeichnet werden, woraus sich «der schlagende Mensch» (打的人) ergibt. Um einen chinesischen Satz richtig zu analysieren, muss man immer beide Mittel – Partikeln wie die Position der Wörter, Satzglieder etc. im Satz – berücksichtigen. Ein Satz wie ich schlage dich kann nicht einfach umgestellt werden zu dich schlage ich (cf. Sung 1984, 18).14 Losgelöst aus einem syntagmatischen Kontext besitzt ein Element dagegen keinen funktionellen Wert (grammatische, d.h. syntaktische oder ontische Bedeutung) und erlaubt keine Bestimmung eines Elements (Wort, Wortgruppe, Teilsatz) hinsichtlich seiner Satzfunktion. Die Satzgliedstellung lässt sich am besten über die Dichotomie Topic vs. Prädikation beschreiben, wobei die Stellung des Objekts zum Teil
|| 12 Die kategorielle Bedeutung ist sowohl Bestandteil des Wortschatzes wie der Grammatik, da sie einerseits – mit Bezug auf den Wortschatz – in der Mehrheit der Sprachen mit der Nennfunktion, d.h. der lexikalischen Bedeutung schon untrennbar verbunden ist (cf. frz. blanc, dessen lexikalische Bedeutung einen adjektivischen Status des Lexems bereits vorgibt). Auch bei kategorieller Übertragung ohne Änderung der Form (cf. frz. intéressant → l’intéressant (de l’approche)) ist in der Regel eine bestimmte Wortkategorie als Ausgangskategorie identifizierbar, und dies auch «in Sprachen, wo diese Art der Übertragung sehr häufig ist (Englisch, Chinesisch)», d.h. «die lexikalische Bedeutung erscheint dort nicht im ‘Reinzustand’, ohne irgendeine kategorielle Bestimmung» (Coseriu 1987, 150). Die kategorielle Bedeutung gehört andererseits der Grammatik an, insofern als sie auch Syntagmen und ganzen Sätze betrifft und eben deshalb, weil die kategorielle Bestimmung «immer auch eine Ausrichtung auf gewisse spezifische Funktionen in der grammatischen Strukturierung bedeutet. Denn nur das ‘Substantiv’ […] kann das Subjekt einer Satzeinheit bilden; und das Verbum ist von seiner semantischen Anlage her zur prädikativen Funktion bestimmt» (ibid.). 13 Siehe bereits Gabelentz (1881, 113, §254) zum Chinesischen, das von ihm als «isolierende» Sprache charakterisiert wird: «Die ganze […] Grammatik ist Syntax, und diese ganze Syntax beruht auf wenigen, mehr oder minder unverbrüchlichen Gesetzen der Wortstellung». 14 Vergleiche dagegen eine Sprache wie das flektierende Latein mit nicht-autonomem Status des Wortes, der Wortgruppe: Bei Permutation der Lexeme in einem Satz wie VENATOR OCCIDIT LEONEM erhält man eine inhaltlich identische Interpretation: VENATOR OCCIDIT LEONEM und LEONEM OCCIDIT VENATOR haben dieselbe Bedeutung. Anders dagegen auch im Französischen mit «grammatikalisierter» Satzgliedstellung, wo die Vertauschung von Subjekt und Objekt (le chasseur tua le lion vs. le lion tua le chasseur) auf die Satzfunktionen übergreift.
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von dessen Definitheit bestimmt wird (cf. Li 1976; Li/Thompson 1976; Li/Thompson 1981; Benešová/Sgall 1973; Benešová/Hajičová/Sgall 1973; Sgall 1977, 1982, 1987, 1987a; Sgall/Hajičová 1977; Sgall/Hajičová/Panevová 1986). Auch für die paragrammatischen Verfahren ist die Serialisierung der Elemente von Belang. Zusätzlich zu den Morphemwörtern, namentlich den Partikeln,15 sowie der Satzgliedstellung bilden suprasegmentale (prosodische) Mittel, d.h. die Töne,16,17 (mehr oder weniger) wichtige grammatische Mittel (wohingegen Endungen für diese Sprache eben als untypisch gelten). Tonwechsel kommt etwa bei der Komposition zum Tragen; vielfach ist Tonwechsel ein Zeichen eingetretener Lexikalisierung (d.h. eine Wortbildungsbedeutung ist nicht mehr identifizierbar; cf. Matthews/Yip 1994, 26). Präfixe und Suffixe sind im Unterschied zu den uns besser bekannten indoeuropäischen Sprachen offensichtlich ebenfalls nur relativ marginal zur Anwendung kommende paragrammatische und grammatische18 Verfahren (cf. Sung 1984, 139ss.19). || 15 Siehe etwa auch die Interrogativpartikel ma, die Interrogativ- oder Imperativpartikel ba, na als Kennzeichen einer Sprechpause, la, das das Satzende markiert und insbesondere aus euphonischen Gründen steht etc. 16 Die Töne nehmen im Chinesischen einen typologischen Stellenwert ein, der einem gewissen Anteil der introflexivischen Komponente in dieser Sprache entspricht. Die Polysynthese kann durch die Introflexion in günstiger Weise komplettiert werden (cf. Skalička ([1946]/1979, 189). Dabei trägt die Introflexion Affinitäten zur Polysynthese, namentlich auf Grund des Fehlens der Endungen in beiden Konstrukttypen. Die Introflexion manifestiert sich im Chinesischen in Morphempaaren mit eng aneinander angrenzender Bedeutung, die nur durch die Intonation unterschieden werden, cf.: 担 [dàn] ‘Bürde; belasten’; 担 [dān] ‘tragen; schultern’; 好 [hǎo] ‘gut’; [hào] ‘gern haben’ usw. 17 So gälte es die Rolle der Toneme auch für andere Sprachen typologisch einzuordnen (cf. z.B. Haas 1940; Pike 1948). Universelle Gesetzte mit Bezug auf Töne werden in Hyman/Schuh (1974) diskutiert, allerdings besteht hier eine deutliche areale Präferenz für westafrikanische Idiome. 18 Ein und dasselbe Suffix kann, wenn auch nur in sehr seltenen Fällen (und damit im Gegensatz zum agglutinierenden Typ, cf. Sgall 1993), grammatische und paragrammatische Funktionen übernehmen (cf. Sung 1984, 140). 19 Sung (1984,139–146) bespricht hauptsächlich drei Suffixe 儿 [er], 子 [zǐ], 头 [tóu], die im Chinesischen zur Bildung von Nomina dienen: Als häufig gebrauchte Nominalsuffixe sind außer den genannten noch drei weitere, nämlich 者 [zhě], 家 [jiā], 巴 [bā], von Bedeutung, die allgemein als Suffixe betrachtet werden. Da jedoch die Kategorisierung als Suffix in Abgrenzung zum selbständigen Wort im Chinesischen relativ problematisch ist, kann für die übrigen Suffixe nicht eindeutig entschieden werden, ob es sich um ein Suffix handelt oder nicht. Das Kriterium für das Vorliegen eines (Nominal)Suffixes besteht im fast ausschließlichen Vorkommen in Verbindung mit einem anderen Wort zur Bildung eines Nomens und nicht als eigenständiges Wort. Entsprechend schwanken auch die Angaben in der Literatur hinsichtlich der
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Die mögliche Zugehörigkeit eines Wortes zu einer Wortkategorie lässt sich im Chinesischen allgemein anhand dreier Kriterien verifizieren: (i) auf Grund eventuell vorhandener morphologischer Indizien innerhalb des Wortes (Präfixe, Suffixe,20 Reduplikation);21 (ii) über die Beziehungen eines Wortes zu anderen Wörtern im Satz (siehe dazu im einzelnen Sung 1984, 37); (iii) schließlich mittels der entscheidenden Frage nach der Semantik eines Wortes. Das erste Kriterium ist nicht hinreichend, da Präfixe und Suffixe die Wortkategorie der Nomina in offensichtlich nur weniger als 10% der Fälle erschließen lassen. Das Vorkommen verbaler Suffixe ist noch geringer und die Verwendungsbedingungen verbaler Partikeln sind an die spezifische Satzkonstruktion gebunden. Adjektive bleiben bezüglich ihrer wortkategorialen Zugehörigkeit in der
|| Zahl der aufgeführten Nominalsuffixe. Sung entscheidet sich für eine möglichst extensive Liste von Zeichen, die obiges Kriterium erfüllen, d.h. «nur selten oder nie allein ein Wort darstellen, sondern meistens an andere Wörter angefügt werden, um ein Nomen zu bilden» (Sung 1984, 142). Die enge Auswahl zählt somit 6, die weite 34 Nominalsuffixe; den Status von Präfixen mit nominalisierender Funktion haben nach Sung die folgenden fünf: 老 [lǎo], 小 [xiǎo], 第 [dì], 初 [chū], 反 [fǎn]. Das Inventar der relativ eindeutig als Suffixe zu klassifizierenden Zeichen einschließlich der nennenswerten Präfixe erweist sich im Chinesischen also als beschränkt. Die allgemeine Klassifikation der Konstruktionsarten, nach denen im Chinesischen mehrere Zeichen zur Bildung eines neuen Wortes verbunden werden können, liefert nur folgende knappe Auswahl an Affixen, die nicht nur Nomen bilden (cf. Sung 1984, 26): Suffixe: 子, 儿, 家, 者 (die bereits bekannten Nominalsuffixe) einschließlich 然 [rán], 来 [lái], z.B.: 自然 (‘natürlich’), 近来 (‘neulich’) u.a.; die bereits erwähnten (nominalen) Präfixe: 第, 老, 反. 20 Neben 儿 bildet auch das Suffix 子 in der Hauptsache Nomina (cf. Sung 1984, 140). Letzteres verbundet sich mit dem vorausgehenden Schriftzeichen bzw. «Wort» in der Regel zu einer festen lexikalischen Kombination. Insofern ermöglicht dieses Suffix eine eindeutige Interpretation als Lexem in Abgrenzung zu einer freien syntaktischen Verbindung (cf. Sung 1984, 141). Interessant ist ferner, dass, obwohl beide Suffixe zum Teil auch unterschiedslos gegeneinander ausgetauscht werden können, das Suffix 子 häufig in der Bedeutung von ‘groß’, 儿 in der Bedeutung von ‘klein’ verwendet wird, z.B. 大盆子 ‘Becken; Trog’ gegenüber 小盆儿 ‘Schüssel; Napf’. Dabei verbindet sich – wenn auch in seltenen Fällen – auf funktioneller Ebene diese diminutivierende bzw. augmentivierende Funktion der beiden Suffixe mit der Pejoration bzw. Melioration, wie sie aus den romanischen Sprachen (weniger im Französischen) bekannt ist (cf. Sung 1984, 141). Als Beispiel kann 老头子 ‘alter Mann’, dessen Verwendung als «unhöflich» und «despektierlich» betrachtet wird (‘mein Oller’), gegenüber 老头儿 ‘alter Mann’ als die positiv konnotierte Variante angeführt werden (ibid.). 21 Im Chinesischen sind vor allen Dingen die Nomina über bestimmte Suffixe und Präfixe für die Wortkategorie gekennzeichnet. Bei Adjektiven und Verben kommt zuweilen die Reduplikation zum Tragen, wobei die Verdoppelung zweisilbiger Wörter nach unterschiedlichen Mustern erfolgt: adjektivisch als AABB, verbal als ABAB. Suffigierung, Präfigierung und Reduplikation sind also Merkmale im Wort selbst, die in bestimmten Fällen ebenfalls über die zugrunde liegende Wortkategorie Aufschluss geben können (cf. Sung 1984, 36).
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Regel unmarkiert (cf. Sung 1984, 38). Das zweite Kriterium liefert weniger die einem «Wort» inhärente Wortkategorie als vielmehr eine bestimmte Lesart, die es unter eventuell verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten für den Kontext zu selektieren gilt. Das eigentlich mit Blick auf die Identifizierung der Wortkategorie verlässlichste Kriterium bildet die Frage nach der Bedeutung des Wortes (sie erlaubt laut Sung 1984, 39 in bis zu mehr als 80% der Fälle die Bestimmung der Zugehörigkeit eines Wortes zu einer Wortkategorie). Einzugrenzen bleibt dabei stets die Verwendung eines Wortes in der ihm eigentlich inhärenten Wortkategorie oder Wortkategorien, wobei ein Wort im Chinesischen in der Regel offensichtlich höchstens zwei, aber nicht drei Wortkategorien zugleich angehört, von der Verwendung eines Wortes in einer ihm nicht genuin zugehörigen Wortkategorie, d.h. Fällen der Konversion, einmal abgesehen. 3.1.1.2 Einheit Wort und Schriftzeichen Solche Kriterien lassen aber die Frage nach dem (grammatischen) Wort zum Teil noch unbeantwortet. Wörter stehen im Chinesischen nicht in einem isomorphen Verhältnis zu den Schriftzeichen des (ca. 4000 Jahre alten) logographischen Schriftsystems.22 Andererseits stellt in dieser Sprache das Wort die «kleinste Bedeutungseinheit und die kleinste grammatische Funktionseinheit der Sprache» (Sung 1984, 20) dar. Es liegt also offensichtlich vielfach Unterordnung des Wortes zum Morphem vor (cf. dt. zwecks, mittels etc.), da die grammatische Schicht der minimalen Elemente in dieser Sprache grundsätzlich solche Einheiten umfasst, die in den besser bekannten indoeuropäischen Sprachen den Lexemen («Wurzeln») oder den instrumentalen Morphemwörtern entsprechen.23
|| 22 Nach der Aussage Sungs (1984, 20; cf. auch Skalička [1946]/1979) besteht die moderne chinesische Schriftsprache nur noch zu 40% aus Wörtern (词), die zugleich durch ein einzelnes Schriftzeichen (字) repräsentiert werden, wohingegen dieser Anteil in der alten chinesischen Schriftsprache deutlich höher war. Der wachsende Anteil der sich aus mehr als einer Silbe zusammensetzenden Wörter beruht auf der enormen Zahl an Homonymen; so existieren etwa (nach Sung 1984, 21) 40 Zeichen mit dem Laut yi, davon sechs im 1. Ton, je sieben im 2. und 3. Ton und zwanzig im 4. Ton. In Laut und Ton kongruente Schriftzeichen können zwar über die Graphie unterschieden werden, nicht jedoch in der gesprochenen Sprache; hier wird das Problem der Disambiguierung über die nachfolgende Silbe gelöst, da erst in der Kombination mit der sich anschließenden Silbe die Bedeutung eines Zeichens erkannt werden kann. 23 Es gilt zwischen «Wort» als selbständig vorkommender morphologischer Einheit und «Wort» als funktioneller Ebene der einzelsprachlichen Strukturierung zu differenzieren; auch ein «Lexemwort» kann als minimales Element fungieren (cf. z.B. sp. casa) und gewinnt Wortstatus erst in Kombination mit Null: casa-Ø – casas etc.
82 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
Das Schriftzeichen selbst, das sich vom orthographischen Wort in herkömmlichem Sinne unterscheidet, weist Besonderheiten auf, die in die Problematik der Bestimmung der Wortkategorien bzw. die Diskussion um den (grammatischen) Status des Wortes mit einfließen: Das einzelne Schriftzeichen für sich betrachtet stellt nicht in allen Fällen eine Form-Inhalt-Einheit dar, sondern tritt zuweilen nur für einen Laut bzw. eine Silbe ein. Dies kann für ein und dasselbe Schriftzeichen gelten, so dass dieses einmal ein eigenes (materielles) Wort mit einer oder mehreren Bedeutungen bildet, in anderen Fällen aber eventuell nur als Bestandteil in ein anderes Wort eingehen kann, wobei auch die Bedeutung verloren geht (die Homonymieproblematik müsste gesondert untersucht werden). So etwa beim Wort 是 (‘sein’), das allein ein Prädikat, in Kombination mit bestimmten anderen Schriftzeichen aber mitunter ein neues Wort konstituiert, wie in 但是 ‘aber, dennoch’, 可是 ‘aber, jedoch’, 还是 ‘oder (in Alternativfragen)’ (cf. Sung 1984, 21). Schließlich ist die Grenzziehung zwischen Affigierung und Komposition – auch durch die Besonderheiten der materiellen Zeichen – erschwert (cf. die generische oder «prolexematische» Komposition wie bei travailleur bzw. Händler, Kaufmann; siehe Kap. 5.4.1); so heißt ‘der Führer’ 领袖, eine Kombination aus zwei Nomen: 领 (‘Kragen; Genick’) + 袖 (‘Ärmel; Hülse’) (cf. Sung 1984, 22), ‘der Leser’ dagegen 读者 (读 ‘lesen; studieren’), wobei 者 ein (Nominal)Suffix (mit 者 ‘Person; Ding’) darstellt. Ähnlich lässt sich beispielsweise ein Nomen, das sich aus einer Attribut-Nomen-Struktur zusammensetzt, von einem aus einer Nomen-Suffix-Struktur gebildeten Nomen kaum unterscheiden. So können bei dem Wort 共产主义 (‘Kommunismus; kommunistisch’) die Zeichen 主义 als Nomen interpretiert werden (‘Glaubenslehre; Doktrin’) und 共产 (‘Kommunist’) als dazugehöriges Attribut; 主义 kann aber gleichermaßen als ein Suffix gedeutet werden, das dem deutschen oder englischen -ism(us) entspricht (Sung 1984, 142). 3.1.1.3 Wortbildung Auf inhaltlicher Ebene wäre stets die spezifische Funktion der Elemente, die miteinander in Verbindung treten, zu analysieren, da die Bedeutung der einzelnen Elemente grundlegend von der Verbindung, in die sie eintreten, abhängig ist (cf. Sung 1984, 23 zum «nebenordnenden» Typ). In vielen zusammengesetzten Wörtern bewahren die einzelnen Elemente nämlich ihre ursprüngliche Bedeutung und mitunter auch die Wortkategorie, wie z.B. im nominalen 书报 (‘Buch’ + ‘Zeitung’ → ‘Bücher und Zeitschriften’) oder verbalen Typ 爱护 (‘lieben’ + ‘beschützen’ → ‘jdn./etw. liebevoll umsorgen’). Zahlreiche Wörter entwickeln jedoch eine neue Bedeutung, die keiner der Bedeutungen der individuellen Zeichen ent-
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spricht, wie z.B. beim oben erwähnten Wort «Führer». Abgesehen von der Ausbildung neuer Bedeutungen können auch die ursprünglich zugrunde liegenden Wortkategorien (bzw. Wortarten) in andere übergehen wie im Falle von 大小 (‘Dimension; Ausmaß; Größe’) aus 大 ‘groß; alt’ und 小 ‘klein; jung’. Viele zusammengesetzte Wörter drücken ferner nur die Bedeutung eines ihrer Schriftzeichen aus, wohingegen das andere seine Bedeutung eingebüßt hat, cf.: 兄弟 (eigentlich ‘älterer Bruder’ + ‘jüngerer Bruder’ → ‘jüngerer Bruder’). Ähnliche Probleme tauchen bei der «Unterordnung» auf, wobei die miteinander kombinierten Elemente eine Determinatum-Determinans-Struktur bilden: Theoretisch kann die Bedeutung des durch Unterordnung entstandenen Wortes aus der Bedeutung des zweiten Zeichens erschlossen werden, sofern das erste als Determinans, das zweite als Determinatum fungiert (cf. Sung 1984, 24).24 Praktisch liegt der Fall oft anders und die Bedeutung des Wortes als Einheit steht in keinerlei Zusammenhang mit der des zweiten Zeichens. So ist beispielsweise die Bedeutung der Wörter 少校 (‘Major’) und 早点 (‘Frühstück(skaffee)’) nicht aus 校 (‘Schule’) und 点 (‘zeigen’, ‘zählen’) zu erschließen. Vielfach bestimmt das zweite Zeichen auch nicht die Wortkategorie: So ist etwa 口红 (‘Lippenstift’) ein Nomen und kein Adjektiv, obwohl das Wort 红 ein Adjektiv (‘rot’) ist; 主顾 (‘Kunde’, ‘Käufer’) hingegen ist ein Nomen, obwohl 顾 ein Verb (‘bedienen’) ist; 平等 (‘gleichberechtigt’, ‘gleich’) wird adjektivisch gebraucht, obwohl 等 als Nomen oder Verb (‘warten auf’) fungiert. Die meisten Wörter des Chinesischen bestehen aus zwei oder mehr selbständigen Schriftzeichen, wobei Folgendes gilt: «jedes Zeichen eines mehrsilbigen Wortes hat eine eigne Bedeutung, die nur nicht unbedingt in den Sinn des zusammengesetzten Wortes eingeht» (Sung 1984, 22; Hervorhebung des Autors, im Text Sperrdruck). Es existieren (etwa neun25) verschiedene Möglichkeiten der Kombination von Schriftzeichen (!) zu neuen Wörtern (siehe ausführlich Sung 1984, 22ss.): (1) «Nebenordnung», z.B. 爱护 (‘liebevoll umsorgen’); (2) «Unterordnung», z.B. 平等 (‘gleich’); (3–5) verschiedene, auf syntaktischen Strukturen beruhende Verfahren, die folgende Muster begründen: (3) Verb + Objekt, z.B.: 负责 (‘Verantwortung schultern/tragen’), (4) Subjekt + Prädikat, z.B. 心疼 (‘lieben, von Herzen bewegt sein’), (5) Verb + Komplement, z.B. 扩大 (‘vergrößern’ bzw. ‘sehr ausdehnen, erweitern’); (6) Reduplikation: 谢谢 ‘danken’ (‘danken danken’), 明明 ‘offensichtlich’ (‘hell hell’), 刚刚 ‘gerade; vor kurzem’ (‘eben gerade’), 事事 ‘alles’ (‘Sache Sache’); (7) Suffigierung und Präfigierung (cf. su-
|| 24 Sung (1984) spricht von «Bestimmungswort» und «Beziehungswort» bzw. «Grundwort». 25 Hinzu treten Übernahmen der Lautgestalt von Wörtern aus anderen Sprachen sowie die Onomatopoesie.
84 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
pra). Zu den Kompositionsverfahren zählen die Unterordnung, die Nebenordnung, die Reduplikation26 sowie die «affixale Komposition» (cf. Sung 1984, 136– 146). Unterordnung und Nebenordnung sind die in der chinesischen Wortbildung am häufigsten herangezogenen Verfahrenstypen. Bei (1–4) kann aber prinzipiell sowohl eine lexikalische als auch eine grammatische Struktur zugrunde liegen. Hier muss auf verschiedene Methoden, etwa die Möglichkeit des Einfügens der Partikel 的 (cf. Sung 1984, 138) etc.,27 rekurriert werden, um eine syntaktische Konstruktion von einer lexikalischen Komposition zu trennen. 3.1.1.4 Existenz des Wortes als grammatische Schicht und Konversion Insgesamt lässt sich also annehmen, dass ein Wort in der Regel eine ihm auf natürliche Weise zukommende Wortkategorie repräsentiert, indem es auf Grund seiner Semantik auf eine bestimmte Funktion im Satz verweist.28 Der abweichende Gebrauch in einer anderen als der vom Sprecher für das Wort als «natürlich» verstandenen Wortkategorie wird im Chinesischen aber in der Regel nicht explizit mittels bestimmter Suffixe am Wort markiert, sondern geht primär aus der Verbindung mit einem zusätzlichen Morphem (oder ggf. Ton)29 auf syntagmatischer Ebene bzw. über die Stellung im Satz hervor.
|| 26 Die Reduplikation kann im Chinesischen verschiedene Funktionen erfüllen (cf. Li/Thompson 1981, 28–36): im Rahmen der Aktionsarten kann die Verdoppelung eines volitiven Verbs eine delimitative (‘ein wenig’) Bestimmung anzeigen, wie in 尝 [cháng] ‘probieren, kosten’ gegenüber 尝尝 [chángchang] ‘mal probieren, mal kosten’. Auch Adjektive gehen in reduplikative Muster ein und können so eine intensivierende Funktion annehmen: 红 [hóng] (‘rot’) – 红红 [hónghong] (‘leuchtend rot’). Über Reduplikation kann ein Adjektiv (nicht alle) ferner den Kategorienwechsel zum Adverb vollziehen: 舒服 [shūfù] (‘bequem’, Adj.) – 舒舒服 服 [shūshufùfù] (Adv.). Klassifikatoren wie 各 [gè] kommen in Strukturen zum Tragen wie 各各 人 [gègerén] ‘jede Person’ bzw. ‘jeder’ etc.; hinzu kommen Fälle von Reduplikation im Rahmen der Verwandtschaftsbeziehungen: 妈妈 [māma] ‘Mutter; Mama’ (‘Mutter Mutter’), 爸爸 [bàba] ‘Papa’ und andere wie 星星 [xīngxing] ‘Sterne’ (‘Stern Stern’) (cf. Sung 1984, 139). 27 Bei der Nebenordnung kann etwa über den Einschub der Konjunktion 和 [hé] ‘und’ oder die Trennung der Elemente durch eine Sprechpause geprüft werden, ob zwei Zeichen ein Wort bilden oder nicht. Ist dies nicht möglich, handelt es sich um eine Komposition; dies ist auch dann der Fall, wenn mindestens eines der beiden Zeichen allein in der Sprache nicht als selbständiges Wort vorkommt (cf. Sung 1984, 139). 28 Cf. auch Humboldt ([1836a]/1935, 169) zur «chinesischen Andeutungslosigkeit, in welcher das Verbum nicht einmal sicher durch seine Stellung, sondern oft nur materiell an seiner Bedeutung kenntlich ist» (zum Begriff der «Andeutung» cf. ibid., 122–123). 29 Auf prosodischer Ebene manifestiert sich die wortinterne Flexion im Sinne einer lautlichtonalen Fusion: Laut und Ton bzw. Akzent bilden in der chaîne parlée nicht zwei voneinander verschiedene Ebenen, die sich gewissermaßen addieren (und damit wiederum segmentierbare
Die Subordinierung: Wortbildung als Subordinierung | 85
Die Konversion ohne formale Änderung bildet im Chinesischen ein im Vergleich zu den bekannten indoeuropäischen Sprachen frequenteres Verfahren, cf. die folgenden beiden Sätze, in denen das Wort 参观 ohne formale Abwandlung zum einen an prädikativer Stelle als Verb (‘besichtigen’), zum anderen in Subjektstellung als Nomen (‘Besichtigung’) in Erscheinung tritt (Prädikatnominalisierung mittels reiner Konversion): 1.
今天我们要去参观一个工厂. (‘Heute wir wollen gehen besuchen eine Fabrik’)
‘Heute wollen wir eine Fabrik besichtigen.’ 2.
参观能帮助我们了解工厂的实际情况. (‘Besichtigung können helfen wir [Satzendepartikel] erklären Fabrik [Strukturpartikel] real Grenze Situation.’)
‘Die Besichtigung kann uns helfen, die realen Verhältnisse in Fabriken zu begreifen.’ Es scheint, als lasse sich das Wort, ähnlich wie im Französischen, als autonome grammatische Schicht ausweisen, da dessen Funktion im Satz nicht bereits am Wort selbst zum Ausdruck kommt,30 sondern – auch dies eine Eigenschaft des isolierenden Typs – hauptsächlich über die Stellung des Wortes im Satz bzw. im Verhältnis zu den anderen Elementen des Satzes identifiziert wird (zum Schema des Satzfeldes des Prädikats mit Vorfeld und Nachfeld im Chinesischen, cf. Sung 1984, 17). Trotz der im Chinesischen konstatierbaren vielfältigen Möglichkeiten zur Konvertierung eines Wortes dominiert innerhalb des paragrammatischen Systems das Verfahren der Komposition (cf. Skalička [1946]/1979). Allerdings lässt sich auf || Einheiten darstellen), sondern ergeben eine neue akustische Einheit (cf. etwa Sung 1984, 21). Dieser Gedanke ist von de Saussure (32001, 82) bekannt, wie im Zusammenhang mit der Erläuterung des Grundsatzes des linearen Charakters des sprachlichen Zeichens formuliert: «Das Bezeichnende, als etwas Hörbares, verläuft ausschließlich in der Zeit und hat Eigenschaften, die von der Zeit bestimmt sind […] In gewissen Fällen tritt das nicht so klar hervor. Wenn ich z.B. eine Silbe akzentuiere, dann scheint es, als ob ich verschiedene bedeutungsvolle Elemente auf einen Punkt anhäufe. Das ist jedoch nur eine Täuschung; die Silbe und ihr Akzent bilden nur einen einzigen Lautgebungsakt; es gibt keine Zweiheit innerhalb dieses Aktes, sondern nur verschiedene Gegensätzlichkeiten zum Vorausgehenden und Folgenden». 30 Die Tatsache allein, dass ein Wort – sei es im Chinesischen, sei es im Französischen – über seine Semantik Aufschluss über die ihm auf «natürliche» Weise zukommende Wortkategorie gibt, reicht noch nicht aus, um die Funktion, die dieses Wort im Satz ausübt, zu bestimmen. Erst diese zusätzliche Frage ermöglicht jedoch eine Aussage über den Status der Einheit als (autonome) Schicht der einzelsprachlichen Strukturierung.
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Grund der morphologischen «Nicht-Beschaffenheit» des Wortes in einer Sprache wie dem Chinesischen ein Zusammenhang zwischen der Durchlässigkeit der Wortkategorien und der Bildung von Komposita zumindest vermuten: So scheint die Konversion – in Verbindung mit einer grundlegenden Einsilbigkeit des Wortes – die Komposition insofern zu begünstigen, als formal keine Kategoriengrenzen überwunden zu werden brauchen. Dass die Konversion implizit am Prozess der Komposition beteiligt ist,31 spiegelt sich in all jenen Wortverbindungen, deren wortkategorialer Status weder durch die Wortkategorie des einen noch des anderen das Kompositum konstituierenden Elementes offenbart wird.
3.2 (Affixale) paragrammatische und grammatische Morphologie 3.2.1 Derivation Die Morpheme der Derivationsmorphologie sind wortbildende Affixe; je nach Stellung relativ zum Stammmorphem bzw. lexikalischen Morphem wird zwischen Präfixen (frz. re-faire), Suffixen (beau-té) und eventuell Infixen (cf. Moravcsik 2000, 545) unterschieden.32 Infixe sind dergestalt in ein Basislexem
|| 31 Interessant sind solche Fälle, in denen ein Wort bei Konversion mit einer bestimmten Partikel, die den Konversionsprozess indiziert, versehen wird, gegenüber Verbindungen aus zwei Wörtern, in die bereits ein Wort in seiner konvertierten Funktion als Lexikalisierung Eingang gefunden hat. In letzterem Fall entfällt nämlich der Gebrauch der Partikel. 32 Die Frage stellt sich für das Französische auch im Zusammenhang mit der Stellung der Infinitivendung in Bildungen auf -oter, -asser, -eter, -oyer wie in tapoter, rêvasser, haleter, tournoyer. Hier lässt sich argumentieren, dass dann, wenn die Suffixe als eine Einheit behandelt werden, der Zusammenhang zwischen der Infinitivendung in tap-er und tapot-er verwischt wird. Unterscheidet man alternativ zwischen -ot-, -ass-, -oy- und -er, läge für das Französische die Existenz von Infixen nahe, die zwischen Basis und den entsprechenden Flexiven und Derivativen eingefügt werden. Allerdings würde diese Lösung darauf hinauslaufen «à construire pour l’occasion des règles dont on s’accorde généralement à reconnaître l’inutilité pour le français. Il est plus simple et plus adéquat d’analyser -ot-, -ass-, -oy- comme des suffixes dérivationnels formateurs de verbes, et -er comme une marque flexionnelle» (cf. Corbin 1987, 125–127). Entsprechend lassen sich -is- wie in atome → atom-is-er und -if- wie in code → cod-if-ier als Suffixe behandeln und der Infinitivmarker -er (wie überhaupt die Verbendungen) als Flexionsendung, da «die Verwendung der Grundform eines Verbs eine metasprachliche Konvention darstellt» (Weidenbusch 1993, 60). Die Grundformen enthalten dabei die semantischen und grammatischen Eigenschaften des Verbs (cf. auch Dokulil 1968c, 223). Infixe können – wie im agglutinierenden Typus allgemein die Affixe – grammatische Funktionen erfüllen, z.B. (austronesisches) Sundanesisch barudak ‘Kinder’, das sich in budak ‘Kind’ und ein Morphem -ar- mit der Bedeutung PLURAL analysieren lässt, wobei weder b- noch -udak für sich Bedeutung besitzen (cf. Moravcsik 2000, 545).
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eingeschobene Affixe, dass die voraus- und nachfolgenden Teile der Basis selbst keine Bedeutung ergeben (cf. lat. IU-N-GERE ‘verbinden’ vs. lat. IUGUM ‘Joch’, wobei das -N- in den Stamm eingefügt wird; oder lat. RUMPO ‘ich breche’ vs. RUPTUM ‘gebrochen’ mit in den Stamm integriertem -M-). Infixe sind, wie es scheint, kein Bestandteil des Inventars der frz. Affixe, es sei denn, das Vorliegen eines Infixes wird auf solche Fälle ausgedehnt, in denen der Stamm eine Erweiterung durch ein Wortbildungssuffix erfährt, das zwischen diesen und die folgende Flexionsendung tritt, wie z.B. bei frz. saut-ill-er. Auch für den Typ der Verb-Ergänzungs-Komposita coupe-papier (cf. Kap. 11.4) wäre die Annahme eines Nullsuffixes in der «Kompositionsfuge» (Kombination von generischer Komposition coupe-Ø analog zu coup-eur und lexematischer Komposition) eine mit Blick auf die Morphologie der romanischen Sprachen untypische Voraussetzung (cf. stattdessen Bildungen wie coupeur de cheveux en quatre etc.). Es handelt sich also hierbei jeweils um minimale Einheiten, deren Funktion auf der Schaffung neuer lexikalischer Einheiten beruht. Von den wortbildenden Verfahren Präfigierung und Suffigierung sind wiederum die inversen Ableitungen (Rückbildungen)33 bzw. Nullableitungen abzugrenzen. Hinsichtlich der Funktion der Derivative ist es nicht ausreichend, von einer Modifizierung der Bedeutung der lexikalischen Basis zu sprechen – im Unterschied zu den Flexiven, die zur Bildung verschiedener (je nach syntaktischsemantischen Gegebenheiten variierenden) Formen desselben Wortes dienen und bei denen die lexikalische Bedeutung des Stammes unberührt bleibt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Affixe mit paragrammatischer Funktion den grammatischen Bedeutungen analoge Funktionen in sich schließen.34
|| 33 Rückbildungen sind nicht allein ein paragrammatisches, sondern auch ein grammatisches Phänomen: Vergleiche etwa die Bildung der Singularform dt. Elter zum ursprünglichen Plural Eltern oder Abendland zu Abendländer, engl. pea zu peas etc., so dass man in solchen Fällen auch von grammatischer Rückbildung spricht. 34 Einen knappen Überblick über verschiedene neuere Ansätze (E. Selkirk 1986; J. L. Bybee 1985; E. Williams 1981a; R. Lieber 1981; M. Aronoff 1976; L. Bauer 1983; M. Dokulil 1962; D. Siegel 1979; S. R. Anderson 1993), die das Verhältnis zwischen wortbildender und wortformenbildender Funktion zu bestimmen versuchen, findet sich in Štekauer (1998, 49–55; zu den bibliographischen Angaben siehe dort). Die knappen Skizzen zu den theoretischen Fundierungen spiegeln den von Štekauer vertretenen onomasiologischen Ansatz mit generativem theoretischem Apparat wider; dieser ist an folgender Grundprämisse orientiert: «Word-formation is divided, though not separated, from inflectional morphology. […] they represent two different components, which are unidirectionally related.» Der spezifische Mechanismus, der Lexikon, Wortbildung, Grammatik bzw. Morphosyntax und Syntax miteinander verbindet, wird im Ansatz wie folgt konzipiert (Štekauer 1998, 49–50): «Inflection is considered to be part of the
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Folgende drei wesentlichen Merkmale der Derivative in Abgrenzung zu den Flexiven lassen sich identifizieren: Erstens die Fähigkeit, die lexikalische Bedeutung der Basis zu modifizieren – eine Fähigkeit, die den Flexiven nicht eigen ist; zweitens die Fähigkeit, die Wortkategorie der Basis zu verändern, wohingegen die Flexive die für das Wort charakteristische kategorielle Bedeutung nicht abändern; drittens der fakultative Charakter der Affigierung. Hier gibt den Ausschlag für die Anwendung eines Verfahrens, welche Bezeichnungsnotwendigkeit in der Kommunikationssituation auftritt (cf. Staib 1988, 12). Wortbildungsmorpheme können verschiedene syntaktische Bedeutungen in sich schließen; allerdings kann hier nicht im gleichen Sinne von Polysemie wie bei den Flexionsmorphemen gesprochen werden, da andere Bedeutungstypen vorliegen (cf. Staib 1988, 12–13). So besteht etwa die Leistung des paragrammatischen Verfahrens der Transposition (oder Entwicklung) darin, die Basis der Wortbildung in eine andere Wortkategorie zu transponieren; das Verfahren schließt also stets eine wortkategorielle Inhaltskomponente mit ein. Die Derivate enthalten zudem eine aktuelle Satzfunktion,35 so dass, abgesehen von der (unveränderten) lexikalischen Bedeutung, zwei weitere Funktionen gegeben sind: die implizite Satzfunktion als syntaktische sowie die wortkategorielle Bedeutung, z.B. changement = ‹changer + prädikative Funktion + Substantivität› (cf. Staib 1988, 13). || Lexical Component, its function consists in providing new naming units, supplied from the Word-Formation Component, with morphosyntactic features depending on the respective paradigms to which they belong. The Syntactic component retrieves the required forms from a particular paradigm, and inserts them into syntactic structures.» Štekauers Konzept der Wortbildung stellt die onomasiologische Basis (bzw. den «head» der Wortbildung) in den Mittelpunkt; aufgrund seines kognitiv-onomasiologischen Ansatzes der Wortbildung als «act of naming» ist nicht deren relative Stellung (also ein formal-strukturelles Merkmal) innerhalb der Wortbildung relevant, sondern das allgemeine Prinzip der Morphem-Sem-Zuordnung. In der Konsequenz hält Štekauer eine prinzipielle Unterscheidung von Komposition und Affigierung (bzw. Prä- und Suffigierung) überhaupt als hinfällig (cf. Štekauer 2005). 35 Dagegen implizieren Wortbildungen auf der Grundlage des Verfahrens der Modifizierung keine aktuellen Satzfunktionen (das Derivativ bewirkt eine inhaltliche Veränderung der lexikalischen Basis, wohingegen die kategorielle Bedeutung unberührt bleibt), d.h. es handelt sich um ein rein lexikalisches Verfahren (mit der allgemeinen Funktion der Quantifizierung der Basis). Bei der prolexematischen (generischen) Komposition stehen zwei Elemente in einer grammatischen Relation zueinander (z.B. chant-eur; trésorier), was sie von der Entwicklung unterscheidet; wie bei der Entwicklung beruht die Grammatikalisierung der lexematischen Basis auf einer impliziten aktuellen Satzfunktion (prädikative oder attributive Funktion je nach wortkategorieller Bestimmung der Basis) (cf. Staib 1988, 14). Transposition, Modifizierung und prolexematische Komposition bilden zusammen mit der lexematischen Komposition die Hauptverfahrenstypen der Wortbildung.
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Das Derivativ besitzt in der Entwicklung die Funktion der kategoriellen Determination der grammatikalisierten Basis; die Grammatikalisierung enthält eine implizite syntaktische Funktion (z.B. eine prädikative, attributive oder instrumentale Funktion, eine Funktion als Verbalergänzung, Objektfunktion o.ä.). Die Entwicklung ist dadurch charakterisiert, dass die entwickelten Bildungen häufig Sekundärfunktionen aufweisen, etwa Kausativität, Resultat, Möglichkeit etc. (cf. Stein 1971, 19). Merkmale wie kategorielle Determination und Grammatikalisierungen auf der Grundlage impliziter aktueller Satzfunktionen sind, zusammen betrachtet, anderer Natur als etwa die grammatischen Kategorien Person, Numerus, Tempus, Modus, wie sie sich beispielsweise in frz. chanterons (1. Person Plural Futur Indikativ36) vereinigt finden. Abgesehen vom Unterschied in der Art der Bedeutung unterscheiden sich die Derivative (mit paragrammatischer Bedeutung) von den (grammatischen) Flexiven formal auch dadurch, dass sie materiell meist länger sind als die Endungen.37
3.2.2 Grammatische Morphologie 3.2.2.1 Flexion Der Flexionsmorphologie gehören die grammatischen Endungen bzw. Flexive (Flexionsmorpheme) als gebundene Morpheme an; sie kennzeichnen die Wortformen für eine bestimmte grammatische bzw. syntaktische Funktion. Die Flexive der Formenlehre dienen damit primär der Wortformenbildung auf der Grundlage eines einer bestimmten Wortkategorie zugehörigen Stammwortes oder Lexems. Natürlich ist zu bedenken: der Terminus «Endung» stammt aus der Tradition der Beschreibung der klassisch indogermanischen Sprachen, in denen die
|| 36 Person und Numerus sowie andere Kategorien (z.B. Modus) sind im code oral anhand der Verbalform allein häufig nicht identifizierbar, cf. je chante [ʃɑ̃ t] – tu chantes [ʃɑ̃ t] – il chante [ʃɑ̃ t] – on chante [ʃɑ̃ t] – ils chantent [ʃɑ̃ t] – (qu’)ils chantent [ʃɑ̃ t] etc. 37 Die Begriffe «Endung» und «Suffix» können dazu eingesetzt werden, einen fundamentalen systematischen Unterschied in den Bildungsmitteln sprachlicher Formen zu transportieren. In der angloamerikanischen sprachwissenschaftlichen Literatur werden Endungen in traditionellem Sinne, also grammatische Morpheme, häufig gleichermaßen wie die wortbildenden Suffixe gemeinsam als «Suffixe» bezeichnet, wodurch eine wichtige funktionelle Opposition verwischt wird: Grammatik und Wortbildung konstituieren formal wie funktionell voneinander verschiedene, wenn auch nicht völlig independente Bereiche der Sprache, so dass grammatische Morpheme und paragrammatische Affixe ebenfalls nicht als prinzipiell identisch angesehen werden können (cf. supra Kap. 1.3).
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Morphologie der Wortformen mit Endungen im eigentlichen Sinne operiert, d.h. Wortformen am Wortende gekennzeichnet werden. Dies gilt freilich nicht für alle Sprachen. So können dieselben, hier durch Endungen ausgedrückte Funktionen auch am Wortanfang markiert werden (cf. z.B. Suaheli). Allerdings steht hierfür kein zum Begriff der Endung paralleler wissenschaftlicher Terminus zur Verfügung, man spricht vielmehr allgemein von «Präfixen» (so auch in Skalička/Sgall 1994, 337), die ihrerseits aber wieder, analog zum Terminus «Suffix», andere Funktionen einschließen können als rein grammatische Endungen. Derivationsverfahren bilden prinzipiell fakultative sprachliche Möglichkeiten; die Wortformenbildung dagegen ist notwendig, um sprachliche Funktionen – in Abhängigkeit von der morphologischen Beschaffenheit der Sprache bzw. deren typologischen Eigenschaften – zu markieren, genauer: Ist die Flexionsmorphologie einer Sprache entwickelt, müssen die Wörter einer Sprache für die vorhandenen grammatischen Kategorien gekennzeichnet werden. Dokulil versucht den Unterschied zwischen Wortbildung und Wortformenbildung inhaltlich zu erfassen und differenziert nach der Qualität der jeweiligen Abstraktion eines Inhalts (cf. nachstehendes Modell nach Sapir 1921, Kap. 3.2.2.2): «Bei dem Gegensatz von Wortbildungsbedeutung und grammatischer Bedeutung haben wir es […] nicht nur mit verschiedenen Abstraktionsstufen zu tun – Gruppenbedeutung gegenüber Klassenbedeutung; wesentlich ist der Unterschied in verschiedener Qualität dieser Abstraktion». In einer prägnanten Ausdrucksweise «könnte man diesen Gegensatz so ausdrücken, dass die Wortbildungsbedeutung eine verallgemeinerte Strukturbedeutung ist […], wogegen die grammatische (= hier morphologische) Bedeutung ein von den real lexikalischen Wortbedeutungen abstrahierte und formalisierte Beziehungsbedeutung ist» (Dokulil 1968a, 13). 3.2.2.2 Wortformenbildung und grammatische Typen Flexionsformen weisen bestimmte Eigenschaften auf, die dann, wenn sie für den Bau einer Sprache ubiquitär bestimmend wirken, diesen als Exponent des flektierenden Sprachtyps ausweisen; die Hauptmerkmale eines flektierenden Sprachbaus sind nach Humboldt (1836b): 1. Auf Formebene zeigen die Morpheme eine Tendenz zur Fusion, d.h. unter bestimmten kontextuellen Bedingungen kommt es zu einer mutuellen Beeinflussung der Morpheme. 2. Auf funktionaler Ebene weisen die Morpheme eine Tendenz zur Polysemie auf, so dass ein Morphem meist mehrere grammatische Bedeutungen oder Merkmale in sich kumuliert.
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3.
Als Konsequenz aus 1) und 2) ist es unmöglich, die Morpheme jeweils nach Form und Funktion eindeutig zu bestimmen, d.h. eine Abgrenzung der Flexive von bloßen Alternationen wirft Probleme auf (cf. z.B. lat. ANIMA, ANIMAE, ANIMAS, ANIMIS etc.). 4. Aus 3. wiederum folgt die Unmöglichkeit, Wurzelelemente von Wortbildungsmorphemen zu trennen, was den flektierenden Sprachtypus wesentlich vom agglutinierenden unterscheidet, in dem idealiter Isomorphie von Form und Funktion herrscht, also Monosemie der grammatischen Morpheme. Die genannten Merkmale sind auch dort von Bedeutung, wo Agglutination und Flexion als allgemeine morphologische Techniken oder «grammatische Typen», wie Ch. Lehmann (1995, 1264) sie bezeichnet (cf. Kap. 3.5.2), über Prozesse der Grammatikalisierung ineinander übergreifen (cf. Ch. Lehmann 1985a, 89). Die Art und Weise, wie grammatische Funktionen in den einzelnen Sprachen auf formaler Ebene zum Ausdruck gebracht werden, genauer deren Verhältnis zum lexikalischen Stammmorphem, dient Sgall (cf. insbesondere 1993, 322–323) bzw. Skalička/Sgall (1994, 344; cf. Sgall 1970; 1986) als Grundlage für die Bestimmung einer zentralen Eigenschaft, die für die Konstitution des Kernbereichs der verschiedenen Typuskonstrukte ausschlaggebend ist (cf. Sgall 2003).38 So machen Skalička/Sgall (1994, 344) auf den Umstand aufmerksam, || 38 In der Diskussion um den Status der Flexive und Derivative lässt sich auf das von Sapir ([1921]/1961, 97–98) entwickelte, in eine konzeptuelle Theorie eingebettete Schema verweisen, wonach vier Kategorien unterschieden werden, die eine «Abstufung in der Anschaulichkeit d[ies]er vier Begriffsklassen und ihrer Fähigkeit, syntaktische Beziehungen auszudrücken», reflektieren sollen; dabei beziehen sich Klasse I und II auf den stofflichen Inhalt (mit I konkreter als II), die Klassen III und IV auf den jeweiligen relationalen Charakter der Begriffe (mit IV relationaler als III). Die Gruppe der grundlegenden Begriffe sowie die Beziehungsbegriffe sind für alle Sprachen obligatorisch vorhanden, wohingegen bezüglich der Gruppen II und III sowohl beide vorkommen als auch beide fehlen können, oder es kann nur eine von beiden ausgedrückt sein. Die Sapirsche Klassifikation nach den Kriterien der Qualität des Inhalts sowie des Abstraktheitsgrades sprachlicher Kategorien in grundlegende (materielle, gegenständlichkonkrete) Begriffe und relationale (formale) Begriffe ist vorrangig aus zwei Traditionslinien erwachsen: So kann sie sich zum einen berufen auf die philosophische Grammatik, zum anderen aber auch auf die Anfänge der kontrastiven Grammatik. Bei Sapir ist die wichtige Akzentuierung des Verhältnisses zwischen der allgemeinen Kategorisierungsordnung und der jeweiligen einzelsprachlichen Ausprägung besonders hervorzuheben. Sapir selbst hat anhand seines konzeptuellen Schemas eine eigene Theorie der sprachlichen Typen entworfen (cf. Sapir [1921]/1961, Kapitel 6, 114–137). Danach ergibt sich folgendes Raster (mit Subkategorien) einer Typologisierung der Sprachen nach den genannten vier Klassen (cf. Sapir [1921]/1961, 128ss.; zur sprachwissenschaftstheoretischen Einordnung und Interpretation der Sapirschen Typologie cf. Ineichen 21991, 56–62):
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dass Lexeme in allen Sprachen stets die Form von «Phonemketten» annehmen, wohingegen grammatische Einheiten bezüglich der Form variieren; die Variationsmöglichkeiten wiederum sind allerdings stark restringiert. Insgesamt bestehen lediglich die folgenden Varianten (cf. Sgall 1993, 322–323; Skalička/Sgall 1994, 343–344; Ch. Lehmann 1985a39): 1. Die grammatischen Einheiten werden ebenfalls durch Phonemketten zum Ausdruck gebracht: (a) Im isolierenden (traditionell analytischen) Typus bzw. Konstrukt sind die grammatische Funktionen vermittelnden Formen (instrumentale Morpheme) den lexikalischen Morphemen insofern ähnlich, als es sich um selbständige Wörter (ggf. mit Silbenstruktur etc.) handelt. (b) Im agglutinierenden Konstrukt sind die Einheiten, die grammatische Bedeutung vermitteln, von den lexikalischen Morphemen dadurch verschieden, dass sie an letztere als separierbare Einheiten (Affixe) angefügt werden und diesen insofern untergeordnet sind; Kumulation von Affixen ist möglich.
|| I. Reine Beziehungs-Sprachen: 1) einfach reine; 2) kombiniert reine II. Gemischte Beziehungs-Sprachen: 3) einfach gemischte; 4) kombiniert gemischte Das Französische fiele auf Grund dieses Modells der sprachlichen Typen in die Gruppe der einfach gemischten Beziehungs-Sprachen (könnte aber laut Sapir nach den definitorischen Kriterien «fast ebenso gut unter 4) stehen», Sapir [1921]/1961, 133, Anm. 2); das Englische wie das Lateinische, Griechische und Sanskrit werden der Gruppe 4) der kombiniert gemischten Beziehungs-Sprachen zugewiesen (siehe die schematische Gegenüberstellung ibid., 133). Die Anknüpfungspunkte zwischen der traditionellen Allgemeinen Typenlehre und der Theorie der natürlichen Morphologie sind vielfältig (cf. insbesondere Dressler 1987a; [1982]/1983; 1985; Sgall 1988). Der von Dressler ausgearbeitete Ansatz ermöglicht es, eine konstruktive Verbindungslinie zwischen den Konstrukttypen der Prager Schule und der natürlichen Morphologie zu ziehen. 39 Cf. Ch. Lehmann (1985a, 67): «Linguistic tradition has it that syntactic relations may be set up by the following grammatical means: morphological modification of a relatum, insertion of a relator (a relational word), sequential order and intonation». Vergleiche schon W. v. Humboldt ([1822]/1963/[92002], 42–43): «Aufzählung der Mittel […], welche die Sprache zur Bezeichnung dieser Formen [scil. der «ächten grammatischen Formen», B.K.] besitzt […]: Anfügung, oder Einschaltung bedeutsamer Silben, die sonst eigne Wörter ausgemacht haben, oder noch ausmachen, Anfügung, oder Einschaltung bedeutungsloser Buchstaben, oder Silben, bloss zum Zweck der Andeutung der grammatischen Verhältnisse, Umwandlung der Vocale durch Uebergang eines in den andren, oder durch Veränderung der Quantität, oder Betonung, Umänderung von Consonanten im Innern des Worts, Stellung der von einander abhängigen Wörter nach unveränderlichen Gesetzen, Silbenwiederholung».
(Affixale) paragrammatische und grammatische Morphologie | 93
2.
3.
Die grammatischen Einheiten werden durch Modifizierung der lexikalischen Morpheme ausgedrückt und weniger durch spezifische Morpheme; die Modifizierungen (Alternationen oder ähnliche Variationen) tauchen auf entweder: (a) im traditionell «flektierenden» (flexivischen) Typus am Ende der lexikalischen Morpheme (entsprechend der Regel «eine Endung pro Wortform») oder (b) im introflektierenden Konstrukt im inneren Teil (unter Beinflussung des Vokalismus) der lexikalischen Morpheme. Die grammatischen Einheiten werden nur durch die relative Anordnung der lexikalischen Einheiten gekennzeichnet, wie dies im polysynthetischen Typ der Fall ist; dieser ist (wie auch der introflektierende Typus) im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht in der Lage, das ganze Spektrum grammatischer Funktionen abzudecken, so dass er entweder der Ergänzung durch eine andere, ebenfalls stark entwickelte Basiseigenschaft (im Rahmen von Agglutination oder Isolation) bedarf oder eine der Grammatikalisierung deutlich abgeneigte Tendenz aufweist (cf. Popela 1985; Ch. Lehmann 1985a).
Eine dritte Möglichkeit im Rahmen des flektierenden Typus (cf. 2) (a)–(b)) besteht darin, den Stamm in wortinitialer Position zu variieren, doch spielt diese Alternative offenbar in keiner Sprache eine zentrale Rolle (cf. Skalička/Sgall 1994, 344 bzw. 350). In den inselkeltischen Sprachen40 treten gewisse Konsonantenveränderungen am Wortanfang auf. Diese Sandhi-Phänomene, die durch einen ursprünglich voraufgehenden Laut verursacht wurden, bedingten etwa im Falle eines vorausgehenden Vokals die Lenisierung eines Konsonanten. Die einzelnen inselkeltischen Sprachen zeigen eine unterschiedliche Ausprägung dieses Phänomens, wobei die Lautalternationen stark grammatikalisiert wurden. Auch in den Bantusprachen wie Suaheli finden sich den Endungen entsprechende «Präfixe». Die Zentralität der Opposition zwischen lexikalischen und grammatischen Einheiten für die Typologisierung der Sprachen lässt sich damit begründen, dass, obwohl die Grenze zwischen beiden Einheiten keine klare ist (cf. z.B. gewisse Formen von Personalpronomina), der Unterscheidung als solcher in den verschiedenen Ansätzen der Sprachbeschreibung in der Regel ein hoher Stellenwert zukommt: «It is therefore not surprising that the basic properties of the
|| 40 D.h. Gälisch mit Irisch und schottischem Gälisch einerseits und Britannisch mit Walisisch und Bretonisch andererseits (das einst auf der Isle of Man gesprochene Manx, das zum Gälischen gehört, und das in Cornwall gesprochene britannische Cornisch sind ausgestorben).
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individual types should concern the limited possibilities offered by the basic conditions on natural languages in this domain» (Skalička/Sgall 1994, 344). 3.2.2.3 Entfaltung der grammatischen Typen Die verschiedenen grammatischen Typuskonzepte (als theoretische Konstrukte) nähern sich auf Grund ihrer idiosynkratischen strukturellen Eigenschaften bzw. deren Interaktion in unterschiedlichem Maße einem Prototyp an, sind also in unterschiedlichem Grad als Dominante der sprachtypologischen Gestaltung geeignet bzw. treten auch als solche in Erscheinung. Zur vollsten Ausbildung der entsprechenden prototypischen Merkmalskonstellation ist der agglutinierende Typus in der Lage; das isolierende Konstrukt manifestiert sich in deutlich geringerer Prägnanz. Eine idealtypische Ausprägung letzteren Typus hätte zu Folge, dass die Wörter nicht mehr weiter in kleinere funktionelle Einheiten zergliedert werden könnten, was wiederum der Bildung neuer Wörter durch Derivation entgegenstünde. In diesem Fall greifen die realen Sprachen auf einen anderen Typus zurück (cf. Skalička 1946–1948, 14). Der polysynthetische Typus wird in harmonischer Weise durch Komponenten des isolierenden oder agglutinierenden Konstrukts komplettiert, die beide in der Regel empirisch an der sprachlichen Gestaltung ebenfalls in starkem Maße beteiligt sind. Der (extra)flektierende und introflektierende Typus sind nicht dazu in der Lage, ein Extrem oder annähernden Prototyp auszubilden; auch sie bedürfen der Ergänzung durch andere Typen, wobei sich der agglutinierende und isolierende besonders gut eignen. Die hinzutretenden «Hilfstypen» manifestieren sich in den flektierenden Sprachen in unterschiedlicher Intensität, so dass diese typologisch häufig weiter voneinander entfernt scheinen als etwa die agglutinierenden Sprachen untereinander im Vergleich.
3.3 Die traditionellen Sprachtypen als Manifestationen grammatischer Strukturierungsverfahren Traditionelle Sprachtypen als Manifestationen grammat. Strukturierungsverfahren
Die grammatischen Schichten (Kap. 2.2) repräsentieren Typen bzw. Verfahren der grammatischen Strukturierung einer Einzelsprache, die auf deren typologische Gestaltung Einfluss nehmen. Denn die typologischen Prinzipien einer Sprache betreffen die funktionelle Kohärenz der Verfahrenstypen bzw. Kategorien von Oppositionen des Systems der grammatischen Strukturierung der Einzelsprache. Auf der Folie der Unterscheidung der verschiedenen grammatischfunktionellen Ebenen, die prinzipiell auf alle Sprachen anwendbar sind, aber
Traditionelle Sprachtypen als Manifestationen grammat. Strukturierungsverfahren | 95
nicht in jeder Sprache mit gleicher Vollständigkeit und Gewichtung vorkommen müssen, gelangt man zu folgender funktionellen Definition der traditionellen Typen41 der einzelsprachlichen Strukturierung (cf. Coseriu 1987, 156).
3.3.1 Der synthetische Sprachtypus In einer traditionell als «synthetisch» (bzw. «flektierend» nach Humboldt) bezeichneten Sprache sind über die materiellen Wörter42 nicht nur die grammati|| 41 Als das Hauptwerk der klassischen morphologischen Typologie kann W. v. Humboldt (1836a) gelten; das Werk baut auf den früheren Arbeiten der Brüder Schlegel auf (F. v. Schlegel 1808, A. W. v. Schlegel 1818). Auf Humboldt geht die vierfache Einteilung der morphologischen Sprachgestaltungsmethoden unter Einschluss des polysynthetischen, bei ihm als «einverleibend» bezeichneten, Typus zurück. Humboldts Betrachtungen zur Struktur der Sprachen sind eingebettet in eine Analyse der Elemente, die den Satz konstituieren (cf. [1836a]/1935, §17 «Gliederung des Satzes», 162ss.), wobei das «Wort» in der chaîne parlée zunächst weniger in seiner Satzfunktion, sondern vielmehr in seiner morphologischen Form analysiert wird. Die Einheit Satz bildet den strukturellen Rahmen für die grammatische Analyse des Wortes als umfassendere Einheit, die den Charakter der Einzelsprache repräsentiert, da diese in ihrer Gesamtstruktur nicht erfasst werden kann. Die ganzheitlich orientierte Sicht (cf. A. F. Pott [21880]/1974, CCCCXVII) zeigt sich in der Vorstellung dessen, was Humboldt das «Einverleibungssystem der Sprachen» ([1836a]/1935, 162) nennt: «Das grammatisch gebildete Wort, wie wir es bisher in der Zusammenfügung seiner Elemente und in seiner Einheit, als ein Ganzes, betrachtet haben, ist bestimmt, wieder als Element in den Satz einzutreten. Die Sprache muss also hier eine zweite, höhere Einheit bilden, höher, nicht bloss weil sie von grösserem Umfange ist, sondern auch weil sie, indem der Laut nur nebenher auf sie einwirken kann, ausschliesslicher von der ordnenden inneren Form des Sprachsinnes abhängt» (ibid., 162–163). Dieser Analyse des grammatischen Wortes im Satzzusammenhang geht, abgesehen von der «einverleibenden» Methode, die Unterscheidung der anderen sprachlichen Verfahren, d.h. der «Isolierung (der Wörter)», der «Flexion» sowie der «Agglutination» voraus, die wiederum Ergebnis ist von Humboldts Betrachtungen zu den Wortkategorien und deren Bildung. Die Sichtweise Humboldts erhellt sich aus folgendem Passus ([1836a]/1935, §14, 119): «Ehe wir jetzt zu den wechselseitigen Beziehungen der Worte in der zusammenhängenden Rede übergehen, muss ich eine Eigenschaft der Sprachen erwähnen, welche sich zugleich über diese Beziehungen und über einen Theil der Wortbildung selbst verbreitet. Ich habe schon im Vorigen (S. 107. 118.) die Ähnlichkeit des Falles erwähnt, wenn ein Wort durch die Hinzufügung eines allgemeinen, auf eine ganze Classe von Wörtern anwendbaren Begriffs aus der Wurzel abgeleitet, und wenn dasselbe auf diese Weise, seiner Stellung in der Rede nach, bezeichnet wird. Die hier wirksame oder hemmende Eigenschaft der Sprachen ist nämlich die, welche man unter den Ausdrücken: Isolirung der Wörter, Flexion und Agglutination zusammenzubegreifen pflegt. Sie ist der Angelpunkt, um welchen sich die Vollkommenheit des Sprachorganismus drehet». Wortformenbildung und Wortbildung werden hier nicht als separate Systembereiche unterschieden. 42 Diese können hier zugleich ein Paradigma an Wortformen implizieren, z.B. lat. CASA, CASAE etc., müssen es aber nicht, z.B. ATQUE.
96 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
schen Funktionen, die ihnen in der Schicht Wort (etwa Numerus, Kasus) zukommen, sondern auch die syntagmatischen Funktionen, die die Wörter (Lexeme oder Kategoreme) auf der Ebene des Satzes einnehmen (Subjekt, Objekt), bereits mitgegeben, da die (grammatische, also paradigmatische) Wortfunktion immer auch eine (syntagmatische) Satzfunktion mit einschließt. Eine «synthetische» Sprache definiert sich somit als eine solche, in der die grammatischen Funktionen der Wörter sowie die syntagmatischen Funktionen, die die Wörter auf Satzebene erfüllen, materiell in den Wörtern selbst zum Ausdruck kommen (Ausdruck von paradigmatischen und syntagmatischen Funktionen im Wort selbst). Dabei ist prinzipiell mit einem gewissen Maß an Synonymie (so hat z.B. der lat. Genitiv Singular verschiedene Endungen bei Substantiven verschiedener Paradigmen: ANIMAE, PLEBIS) und Homonymie (SERVUM ist Akk. Sing., PLEBUM ist Gen. Pl. usw.) der Endungen zu rechnen. «Synthetische» Sprachen wie das Sanskrit verflechten also «schon in die Einheit des Wortes seine Beziehungen zum Satze» und «lassen den letzteren in die Theile zerfallen, in welchen er sich, seiner Natur nach, vor dem Verstande darstellt; sie bauen aus diesen Theilen seine Einheit gleichsam auf» (Humboldt [1836a]/1935, 162–163).
3.3.2 Der polysynthetische (inkorporierende) Sprachtypus Der polysynthetische bzw. inkorporierende43 Typus kommt dadurch zustande, dass dieselbe Art der Synthese44 zwischen den Ebenen des Wortes und des Satzes, wie sie beim synthetischen Typus gegeben ist, ein solches Maß erreicht, dass im Prinzip alle Beziehungen im Satz über das materielle Wort zum Ausdruck kommen. Diese Sicht betont über die Terminologie die Affinität zwischen dem synthetischen und polysynthetischen Typ. Damit steht letzterer in deutlicher Opposition zum isolierenden Konstrukt, in welchem die Differenzierung zwischen Satz und Wort das Hauptmerkmal darstellt (wohingegen die Opposition zwischen (Lexem-, Morphem-) Wort und minimalem Element eher schwach ausfällt) (cf. Skalička/Sgall 1994, 335). 45 || 43 Coseriu differenziert also nicht zwischen Polysynthese und Inkorporation. 44 Der Begriff der «Synthese» ist hier zu verstehen im Sinne eines Fusionsprozesses, der in synthetische Sprachstrukturen einmündet und bezeichnet also eher den Vorgang per se als die zum Adjektiv «synthetisch» gehörende typologische Technik sprachlicher Organisation (cf. Comries 1981 Fusions- bzw. Syntheseindex, Kap. 3.5.1 in dieser Arbeit, damit im Zusammenhang die Indizes des typologischen Entwurfs nach Sapir [1921]/1961). 45 Im Rahmen einer formal-semantischen bzw. morphosyntaktisch-funktionellen Analyse gemäß der Prager typologischen Theorie zeichnet sich der polysynthetische Typus dadurch
Traditionelle Sprachtypen als Manifestationen grammat. Strukturierungsverfahren | 97
Damit operieren der synthetische und der polysynthetische Typus mit dem Prinzip der Synthese von Formen und der entsprechenden Kumulation von Funktionen im Wort bzw. «Satz-Wort» – mit Wort und Satz jeweils als der für die Typusbestimmung grundlegenden funktionellen Einheit. Bei Humboldt tritt der Charakter als Satz-Wort deutlich zu Tage: «Es giebt aber, wenn man jene beiden [Flexion und Isolation] zusammennimmt, ein zweites, beiden entgegengesetztes Mittel, das wir hier jedoch besser als ein drittes betrachten, die Einheit des Satzes für das Verständnis festzuhalten, nämlich ihn mit allen seinen nothwendigen Theilen nicht wie ein aus Worten zusammengesetztes Ganzes, sondern wirklich als ein einzelnes Wort zu behandeln» (cf. Humboldt [1836a]/1935, 162–163).
Entsprechend beruhen die folgenden beiden Typen auf dem Prozess der Analyse von Formen und entsprechenden Funktionen, wobei einerseits die Wortgruppe («analytischer» Typus), andererseits über die Wortgruppe hinausreichende syntagmatische Einheiten («isolierender» Typus) als Basiseinheiten der Typuskonstitution fungieren.
3.3.3 Der analytische Sprachtypus Die analytischen Sprachen zeichnen sich dadurch aus, dass die grammatischen Funktionen der Wörter vorrangig auf der Ebene der Wortgruppe zum Tragen kommen (Funktionieren der Wortgruppe als «grammatisches» Wort; cf. Coseriu 1987, 160) und es parallel zu einer Auslagerung der grammatischen Funktionen auf höhere Ebenen kommt. Das Chinesische kann hier als Prototyp bzw. extreme Ausprägungsvariante angeführt werden.46 || aus, das hier die stärkste Differenzierung diejenige ist zwischen «Wort» und «Sem» (bzw. Morphem, da im Idealfall jedes Morphem ein «Sem» enthält) (cf. Skalička/Sgall 1994, 335–336). Dieser Beschreibungsansatz geht auf Skalička ([1935b]/1979) zurück. 46 Bei Coseriu erscheinen somit der synthetische und der analytische Sprachtypus nicht als Untergruppen der flektierenden Sprachen (ein flektierender Sprachtypus wird explizit nicht unterschieden), und sie bilden somit auch keine Subtypen, die für sich wieder auf einer Ebene liegen, sondern eigene Typen, die hinsichtlich einer Klassifikationshierarchie dem isolierenden Typus gleichgestellt werden. Im Unterschied zu Coserius Differenzierung zwischen einem analytischen und isolierenden wie synthetischen Sprachtypus gebraucht Skalička den Terminus «synthetische» Sprachen nicht, sondern untersucht diese im Rahmen des flektierenden Konstrukts und ersetzt den Begriff der «analytischen» Sprachen durch den der «isolierenden» Sprachen: «M. E. sind die Namen ‘synthetisch’ und ‘analytisch’ wenig brauchbar. Sie besagen sehr wenig über die komplizierte Struktur der betreffenden Sprachen; sie rufen auch falsche Assoziationen hervor» (Skalička 1946, 180).
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3.3.4 Der isolierende Sprachtypus Im isolierenden Sprachtypus erreicht diese Art der Analyse der Funktionen wie im analytischen Typus ein solches Maß, dass alle grammatischen Funktionen davon berührt werden. Auch hier kommt es zu einer Verlagerung der grammatischen Funktionen auf höhere Ebenen. Dies kann die Grammatikalisierung der Serialisierung der Elemente auf Satzebene implizieren sowie gegebenenfalls eine Verlagerung der Funktionen auf die suprasegmentale Ebene (Toneme). Grammatische Funktionen können auch durch lexikalisch-semantische Mittel zum Ausdruck kommen. Isolierende Sprachen wie das (klassische) Chinesisch schließen nach Humboldt «jedes Stammwort veränderungslos starr in sich ein […]»; auch diese «thun zwar dasselbe», d.h. auch sie zerlegen wie die flektierenden Sprachen den Satz, wie er sich dem Verstand darbietet, gewissermaßen in seine Teile, um aus diesen eine neue Einheit Satz aufzubauen, und zwar «fast in noch strengerem Verstande, da die Wörter ganz vereinzelt dastehen; sie kommen aber bei dem Aufbau der Einheit des Satzes dem Verstande, theils nur durch lautlose Mittel, wie z.B. die Stellung ist, theils durch eigne, wieder abgesonderte Wörter zu Hülfe». (Humboldt ([1836a]/1935, 162–163).47 Auf diesem Hintergrund lassen sich der polysynthetische und der synthetische Typus an einem Ende einer als Kontinuum zu begreifenden Skala lokalisieren, während der andere Pol vom analytischen und isolierenden Typus repräsentiert wird. Aus funktioneller Sicht tendiert sowohl bei der Synthese wie bei der Analyse (als die Synthese gewissermaßen revidierender Prozess) das Wort im Extremfall («Polysynthese» bzw. «Isolation») dazu, sich als autonome grammatische Schicht aufzulösen, aber aus gerade entgegen gesetzten Gründen: Bei der Polysynthese subsumiert gewissermaßen das Wort die Funktionen des Satzes unter sich, «indem es die der Schicht des Satzes eigentümlichen Funktionen an sich zieht und so dazu tendiert, sich materiell mit dieser Schicht zu vermengen, weil es ein Übermaß an inneren bzw. paradigmatischen Bestimmungen aufweist» (Coseriu 1987, 157). Bei der Isolation geht dagegen das Wort in höheren Schichten auf, indem es die ihm eigentlich zugehörigen grammatischen Funktionen auf diese verlagert, wodurch es materiell zunehmend den Status eines Monems annimmt, da die äußeren bzw. syntagmatischen Determinierungen überhand nehmen. Auf der Grundlage einer solchen Typusbestimmung löst sich auch das theoretische Problem, von welchem die Kohärenz des inhaltlich-formalen Ansatzes im Rahmen einer (para)grammatisch-typologischen Konzeption abhängt: die || 47 Auch Coseriu (1987, 157) spricht wie Humboldt ([1836a]/1935, 119) von «Isolierung (der Wörter)».
Die Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie | 99
Aufgabe nachzuweisen, dass die scheinbar rein formal-morphologisch definierten Typuskonstrukte im Kern funktionell-strukturelle Konstellationen darstellen, in denen die jeweils dominanten materiellen Strukturierungstypen mit entsprechenden Bestimmungen und Funktionen gemäß dem jeweiligen Verhalten bzw. der Autonomie der grammatischen Schichten korrelieren. Auf der Basis der Allgemeinen Typenlehre hat Coseriu also seine Grammatikkonzeption, die wesentlich auf der Theorie der grammatischen Schichten aufbaut, um eine typologische Komponente erweitert. Ein ceterum censeo auch Skaličkas war es, dass jede sprachliche Beschreibung schließlich vor sprachtypologischem Hintergrund zu erfolgen habe. Coseriu seinerseits hat somit zugleich seiner einzelsprachlichen Typologie der romanischen Sprachen bzw. des Französischen einen allgemein typologischen Rahmen verliehen. Das mit Bezug auf die romanischen Sprachen eruierte typologische Prinzip wird weiter unten (Kap. 3.7.3) vorgestellt.
3.4 Die Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie Die klassische morphologische Typologie kennt in der Regel vier Haupttypen an Sprachen: den isolierenden, den agglutinierenden, den flektierenden und den polysynthetischen (bzw. inkorporierenden). Dieses Schema bildet das Gerüst einer allgemeinen Typologie bzw. Typenlehre (cf. Skalička 1951; 1966b, der einen weiteren, introflexivischen Typus, unterscheidet).
3.4.1 Ein typologisches Konstrukt Als Schüler von Vilém Mathesius knüpfte Skalička in den dreißiger Jahren an dessen Konzeption einer Charakteristik der Sprachen (cf. Mathesius 1926; 1930) an, die er mit den Ergebnissen der klassischen Typologie – von Humboldt48,
|| 48 Von Humboldt übernommen wird z.B. die Abgrenzung der Charakterisierung einer Sprache, die auf deren Eigentümlichkeit und Individualität ausgerichtet sein müsse, von der Typologie, die Sprache stets nur als Repräsentant eines bestimmten Typs auffasst. Die «sprachliche Charakterologie», wie sie im Umkreis der Prager Schule betrieben und auch von Mathesius vertreten wurde, verfolgt das Ziel, solche Eigenschaften einer Sprache auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen zu eruieren, die einerseits die Sprache von anderen Sprachen abzuheben vermögen, andererseits aber noch so weit gefasst sind, dass sie allgemeinere Relevanz bean-
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Finck49 bis Sapir50 – verband, um so zu einer neuen Auffassung vom Sprachtypus zu gelangen.51 Der Sprachtypus erscheint hier als ein Extrem-Ideal,52 das von den wirklichen Sprachen nur bis zu einem gewissen Grad realisiert wird, was Skaličkas Typologie deduktiven Charakter verleiht. Gemäß dieser Auffassung wird in Skaličkas Studie ([1966b]/1979) der Sprachtypus als ein theoretisches Konstrukt dargestellt, das als eine Kombination von in «Clustern» zusammengestellten charakteristischen Spracherscheinungen empirisch analysiert wird.53 So gibt sich der Aufsatz als Ziel vor, «die Thesen unserer Typologie an ‘typologischen Konstrukten’ zu prüfen, d.h. an Modellen mit konsequent durchgeführten Eigenschaften» (Skalička [1966a]/1979, 335). Ein solches Vorgehen strebt nach der Integration von Ergebnissen in einer Typologie, statt viele verschiedene und voneinander unabhängige Typologien (z.B. Typologie der Wortfolge (auf Satzebene), der Flexionsendungen, der Homonymie usw.) aufzustellen. Skalička machte sich die empirischen Ergebnisse der klassischen Typologie zunutze, wobei er insbesondere auf die von R. Jakobson gewonnenen Einsichten zurückgriff. Nach Jakobson besteht die Aufgabe der Typologie u.a. darin, die
|| spruchen können. Insofern versteht Mathesius die Sprachcharakteristik als Voraussetzung der Sprachtypologie. 49 Seit den um 1900 entstandenen Studien betrachtet Finck den Sprachtyp nicht mehr als Grundlage einer Klassifikation von Sprachen (etwa in Beziehung zu den psychischen Eigenschaften der Völker), sondern konzentriert sich zunehmend auf eine Untersuchung typologisch relevanter Phänomene und deren Kombination, d.h. auch auf die Koexistenz von Elementen verschiedener Typen innerhalb einer Einzelsprache (cf. Sgall 1979, 5 und 17, Anm. 6; cf. auch Kretz 2002). 50 Sapir brach gewissermaßen mit der alten typologischen Tradition, indem er sich dem konsequenten Studium der typologisch relevanten Eigenschaften der Sprachen zuwandte. Die verschiedenen Sprachtypen ergeben sich dabei ausschließlich als Kombination dieser Eigenschaften. Ein Schwachpunkt von Sapirs Typologie bestand allerdings in der allzu atomistischen Interpretation der Eigenschaften, die der Forderung nach einer systematischen Analyse der Beziehungen zwischen den Eigenschaften nicht standhielt (cf. Sgall 1979, 5 sowie 17, Anm. 7). 51 Dass dem Prager typologischen Modell (auch heute noch) eine herausragende Stellung in der typologischen Forschung bzw. der Allgemeinen Sprachwissenschaft zukommt, mag folgende kleine Auswahl an Kommentaren veranschaulichen: «Die von Vladimír Skalička formulierte Theorie der Sprachtypen gehört zu den wichtigen Leistungen der Prager linguistischen Schule» (Sgall 1979, 1); «die interessanteste und kohärenteste unter den modernen Typologien» (Coseriu [1980b]/1988, 187) und «sicherlich die bisher interessanteste und am besten fundierte Form der Sprachtypologie» (Coseriu [1980a]/1988, 170). 52 Die früheste Formulierung, mit der Skalička seine Auffassung vom Sprachtypus beschreibt, ist folgende: «Der Typ ist für uns also ein selten (oder nie) realisiertes Extrem, in welchem die einander günstigen Erscheinungen am vollsten entwickelt sind» (cf. Skalička 1935b, 119). 53 Einen ähnlichen Versuch unternimmt Sgall (1960) (cf. auch Sgall 1979, 1–20).
Die Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie | 101
zwischen sprachlichen Erscheinungen bestehenden Beziehungen aufzudecken (Jakobson 1929/1958, 17–35); solche Relationen wurden von ihm besonders im Bereich der Phonologie erforscht, für die er universale Gesetze formulierte, die die Form einer Implikation haben: «Wenn in einer Sprache die Erscheinung A vorkommt, dann kommt in ihr auch B vor».54 Skalička modifiziert Jakobsons Annahme insofern, als er das zwischen zwei sprachlichen Erscheinungen (außerhalb der Phonologie) herrschende Verhältnis als lediglich «potenziell», nicht aber als notwendig betrachtet: «Wenn A existiert, so existiert auch B. Und daraus folgt: Wenn B nicht existiert, so existiert auch A nicht. […] Weit wichtiger ist aber ein anderes Verhältnis der Erscheinungen: Wenn A existiert, so existiert wahrscheinlich auch B. Wenn B existiert, so existiert wahrscheinlich auch A. Die Koexistenz beider Erscheinungen ist wahrscheinlich, aber nicht notwendig» (Skalička 1959a, 6; cf. Skalička/Sgall 1994, 344).
Dabei geht der Aspekt der «Potenzialität» sprachlicher Erscheinungen auf Mathesius zurück, findet sich aber bereits, wenn auch weniger explizit, bei Finck und v.a. bei Sapir. Nimmt Skalička ([1935b]/1979; cf. Sgall 1993, 319) an, dass es sich bei den probabilistischen Implikationen55 um eine symmetrische binäre Relation handelt (d.h.: wenn P(A,B) auf ein Paar A,B zutrifft, dann trifft auch P(B,A)) zu, hält es sein Nachfolger Petr Sgall für adäquater, keine «mutuelle Begünstigung» der typologisch relevanten Eigenschaften anzunehmen, sondern die Begünstigung als eine asymmetrische binäre zu fassen, so dass von P(A,B) weder auf P(B,A) noch auf nicht-P(B,A) geschlossen werden kann (cf. Sgall 2003).56
|| 54 Coseriu macht dagegen darauf aufmerksam, dass die empirisch festgestellte positive oder negative Koexistenz von Funktionen oder Verfahren vom Typ: «wenn x, dann auch y» bzw. «wenn x, dann nicht y» allein noch keine typologische Relevanz besitzen muss (da dieses gemeinsame Vorkommen von typologisch anderen, übergeordneten Zusammenhängen herrühren könnte). Erst dann, wenn sich das empirisch festgestellte Zusammenhängen in zahlreichen Ähnlichkeiten äußert, kann ein gemeinsamer zugrunde liegender Sprachtypus angenommen werden (cf. Coseriu [1980b]/1988, 188). 55 Schon bei Georg von der Gabelentz (1894, 5–6) findet sich eine Bestimmung des Begriffs der probabilistischen Implikation: «[…] die Erscheinung A trifft mit so und so großer Wahrscheinlichkeit mit B, C, D usw. zusammen, selten mit E, nie mit F». 56 Zwar begünstigt beispielsweise die Existenz einer Vielzahl an instrumentalen Morphemen in einer Sprache unbedingt eine grammatisch determinierte Wortfolge, doch gilt deshalb die Umkehrrelation noch lange nicht: Eine grammatikalisierte Wortfolge muss nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit analytische «Hilfswörter» mit sich bringen, da eine Sprache mit grammatikalisierter Wortfolge auch dem polysynthetischen oder agglutinierenden Typus angehören kann (cf. Sgall 1993, 322).
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Auf dieser methodologisch fundierten Grundlage können empirische Gruppen von «einander günstigen» Eigenschaften aufgedeckt werden, die zugleich als Ausgangspunkt für die Typendefinition dienen: «Die Merkmale einer Sprache sind nämlich nicht zufällig zusammengesetzt, sondern sie sind aufeinander abgestimmt. Die Summe der aufeinander abgestimmten Erscheinungen heißt Typus» (Skalička 1968d, 37; cf. die Typusdefinition nach Sgall 1971; cf. auch Sgall 1975). Damit erhält die eher statisch-klassifikatorische traditionelle Typologie eine dynamische Dimension; Begriffe wie Skalarität (cf. Kap. 3.5)57 oder Approximation (abgesehen vom Konzept des Prototyps mit einem Kern wie einer Peripherie)58 lassen sich auf das Modell anwenden. Skalička begreift also den sprachlichen Typus wie folgt: «Ein Sprachtypus ist für mich keine Zusammenfassung ähnlicher Sprachen, wie es in der älteren Typologie der Fall ist. Er ist auch nicht eine Verkörperung eines Sprachgeistes, wie man oft gemeint hat. Ein Typ ist für mich die Verbindung von Spracheigenschaften, die aufeinander abgestimmt sind. Der reine Typus ist ein deduktives Konstruktum, das nicht realisiert werden kann. Jede Sprache ist also eine Mischung von verschiedenen Typen» (Skalička [1968a]/1979, 258–259).
|| 57 Comrie (1981, 42) kritisiert die vielfache Nicht-Berücksichtigung der Grundannahme, von der die Prager Typologen wie auch Coseriu ausgehen und wonach keine Sprache einen einzigen Typus in Reinform verkörpert, wenn er den Ausschluss der Polysynthese aus gewissen morphologisch basierten Typologisierungsansätzen mit der Störung der holistischen Erklärungskraft dieser typologischen Richtung zu begründen versucht: «One of the reasons for the omission of polysynthetic from many lists of morphological types is that its inclusion destroys the homogeneity of the over-all morphological typology». Das Streben nach das gesamte Sprachsystem erfassenden Erklärungen ist der klassischen typologischen Ausrichtung gewiss eigen. Störend erscheint in diesem Konzept, dass sich die für die Polysynthese bzw. das polysynthetische Konstrukt charakteristischen Züge stets mit einer mehr oder weniger ausgeprägten isolierenden oder agglutinierenden (eventuell anderen) Komponente(n) verbinden. Der Grundeinsicht, dass in den Sprachen von einer Mischung verschiedener Typen mit unterschiedlicher Gewichtung zu rechnen ist, trägt Comrie im Rahmen seiner beiden Parameter, dem Synthese- bzw. Fusionsindex, Rechnung: «[…] although we can establish these ideal types [gemeint sind der isolierende, agglutinierende, flektierende bzw. fusionierende und eventuell der polysynthetische], the majority (perhaps all) of the world’s languages do not correspond exactly to one or other of these types, but rather fall between the two extremes on each of the indices of synthesis and fusion. Thus instead of providing a discrete typology, morphological typology provides us with a continuous typology, i.e. for a given language we can assign that language a place along the continua defined by the index of synthesis and the index of fusion» (Comrie 1981, 43–44). 58 Explizit beispielsweise Skalička (1946–1948, 14) zum (extra)flektierenden und introflektierenden Idealtypus: «Comme prototype des langues à flexion externe peuvent être citées les langues indoeuropéennes (le tchèque, le latin, le grec, le sanscrit, le gothique, l’irlandais), comme un prototype des langues à flexion interne les langues sémitiques».
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Gerade in jüngeren Arbeiten betont Skalička, dass Eigenschaften verschiedener Typen in den Strukturen aller Sprachen in Kombination auftreten, da allein schon ohne diese Grundprämisse Übergänge zwischen Typen, d.h. typologischer Wandel nur schwer denkbar wäre (cf. Skalička/Sgall 1994, 340).59 Für die einzelsprachliche Charakterisierung bedeutet dies, dass jede Sprache eine für sie spezifische Kombination solcher Grunderscheinungen verwirklicht, wobei meist eine (oder zwei) über die anderen dominiert: «Wenn wir eine Sprache als flektierend oder agglutinierend bezeichnen, so wollen wir damit nicht mehr sagen als dass in der betreffenden Sprache der flektierende, bzw. der agglutinierende Typus dominiert. Andere Typen sind aber in dieser Sprache auch enthalten. Man hat also die Sprache in der Weise zu beschreiben, dass man den dominierenden sowie die anderen, zugleich vorhandenen Typen feststellt. Die Aufgabe der Typologen also ist, den Prozentsatz einzelner Typen festzustellen» (Skalička 1974, 19).
Den Anforderungen an eine nicht klassifikatorische, nicht statische, sondern tatsächlich dynamische Typologie entspricht der typologische Entwurf nach Humboldt ([1836a]/1935 bzw. 1836b;60 cf. Coseriu 1972a). Da eindeutige Zuordnungen nicht möglich sind,61 wird Raum für die Vorstellung geschaffen, dass
|| 59 Neben der Akzentuierung dieser theoretischen Grundannahme suchen Skalička/Sgall zuletzt verstärkt den Vergleich im Sinne einer Annäherung der Konzeptionen mit Blick auf Coserius Typologie (cf. Skalička/Sgall 1994, 341–342 sowie Anm. 8, 9): «More recently, Coseriu (1980 a, b [1980b bzw. 1980a in dieser Arbeit; B.K.], 1983 [1983 in dieser Arbeit; B.K.]) stresses the integrational character of his typology, which should not restrict itself to the study of empirically observed combinations of features […] It may be possible to go even farther and argue that the difference between a ‘construct’ and an ‘ideal principle’ is not as crucial as it might seem. The main difference between the results of the two approaches appears to concern an analysis of the combinations of typologically different features within a single language (the nature and development of which is the subject of study) as opposed to the search for a single underlying principle governing one or more languages»; siehe auch Sgall 2003. 60 Wilhelm von Humboldts bedeutendes Werk Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts ([1836a]/1935) bildet ursprünglich die Einleitung zum sogenannten «Kawi-Werk»: Ueber die Kawi-Sprache auf der Insel Java, nebst einer Einleitung über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues (1836b). Mit diesem Werk ist der Übergang zu einer Sprachtypologie im modernen Sinne schon beinahe vollzogen (zur Rezeptions- bzw. Tradierungsproblematik cf. Coseriu 1972; zu einer kritischen Würdigung der typologischen Auffassungen W. v. Humboldts vom Standpunkt der heutigen Sprachwissenschaft siehe Ramat 1987, 191–213). Ursprünglich formuliert wurde sein universelles Sprachprojekt in Über das Vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820/1946). 61 Andererseits ist mit der definitorischen Vagheit der Typen folgende Problematik verbunden: Wird die Feststellung getroffen, dass in einer Sprache eine bestimmte Kategorie existiert,
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Sprachen sich innerhalb von Extremen im Sinne von «Bildungsprinzipien» bewegen. Skaličkas idealtypischer Ansatz trägt deutliche Affinitäten zum extremtypischen nach Humboldt, demzufolge sich die Sprachen durch ein relatives «Vorwalten» der einzelnen Typen auszeichnen. Eine solche Konzeption der Typologie steht auch im Einklang mit Coserius Trichotomie von Typ, System und Norm. So lehnt Coseriu die Auffassung vom Sprachtyp als einer Klasse von Sprachen ab und geht davon aus, dass in einer einzelnen Sprache Elemente verschiedener Typen realisiert sein können (Coseriu 1968b). Unter den typologisch relevanten «einander günstigen» Eigenschaften gibt es wiederum solche, die die im Kern typuskonstitutive Basiseigenschaft eines Konstrukts bilden (cf. Kap. 3.2.2.2). Mit der Modifikation der Skalička’schen Auffassung vom Sprachtypus durch Petr Sgall «the Praguian typology has been brought to a stage at which it is not necessary to work with lists of typologically significant language properties, as Skalička did. It is now possible to identify a single property as favourable to all the other features characteristic of a certain type» (Sgall 2003; cf. entsprechend Sgall 1993; 1994; insbesondere 1995 und dort zitierte Arbeiten). Solch eine fundamentale Eigenschaft wird in der spezifischen Art des Ausdrucks grammatischer Werte im weiteren Sinne gesehen und gefasst als «including the formation of lexical units, i.e. derivation of words, their composition, borrowing from other languages, or creation of lexical units composed from more than one word» (Sgall 2003). Ferner basieren die organischen Merkmalskonstellationen, mit denen diese Art der Typologie operiert, nicht allein auf der Morphologie entstammenden Aspekten, sondern die Morphologie wird in Beziehung zu anderen Systembereichen gesetzt, indem auch allgemeine nichtmorphologische, syntaktische, semantische sowie pragmatische und phonologische Kriterien mit in die Typuskonzeption einfließen. Je nach der Art und Weise, wie die Beziehungen bzw. syntaktischen Funktionen zwischen lexikalischen und morphologischen Bedeutungen gestaltet sind, lassen sich danach fünf Typen unterscheiden (Sgall 1979, 8–9; Skalička [1951]/1979, 21–22, cf. Kap. 3.4.1–3.4.6). Im Folgenden sollen die Implikationen der Typenmodelle detaillierter vorgestellt werden.
|| so kann deren Organisation im Verhältnis zu den Sprachen, die über dieselbe Kategorie verfügen, völlig anders geartet sein, so dass sich die Formen und Funktionen nicht miteinander identifizieren lassen. Analoges gilt für die holistische Perspektive, also die Zuordnung ganzer Sprachen zu den einzelnen Haupttypen, da die einzelsprachlichen Explikate derselben im zwischensprachlichen Vergleich divergieren können.
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3.4.2 Der isolierende Sprachtypus Das Grundprinzip einer isolierenden Sprache beruht auf der Unveränderlichkeit d es Wortes:62 Jedes Wort besitzt idealiter nur eine einzige Form, so dass Verfahren der Wortformenbildung hier im Extremfall nicht zum Tragen kommen. Die Markierung grammatisch-syntaktischer Beziehungen erfolgt über die Prinzipien der Wort- bzw. Satzgliedstellung, die damit grammatische Funktionen übernimmt, sowie durch isolierte Morphemwörter. Der Monosyllabismus spielt eine entscheidende Rolle. Traditionell gilt als Prototyp einer isolierenden Sprache das klassische Chinesisch; auch das Hawaiische sowie − unter den europäischen Sprachen − das Englische und Französische stellen (relativ) gute Vertreter des isolierenden Typus mit hohem Grad der Approximation an das Konstrukt dar. Das Prager Typuskonzept legt dem isolierenden (analytischen) Verfahren folgende typuskonstitutiven Züge zugrunde (cf. Sgall 1993, 320; 323): a. Grammatische Bedeutungen werden primär durch instrumentale Morphemwörter ausgedrückt, so dass die Existenz von Präpositionen und Hilfsverben, ebenso wie von Konjunktionen im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsimplikation begünstigt wird: Das abhängige (eingebettete) Verb erscheint dann, so die Implikation mit höchstem Wahrscheinlichkeitswert, als Verbum finitum eines Nebensatzes oder als Infinitiv mit Präposition. b. Charakteristisch ist ein ausgeprägter Monosyllabismus, der sich nicht nur auf Morphemwörter, sondern auch auf selbständige Lexeme erstreckt, «und deshalb ist die distinktive Kraft der Vokale wichtig». Aus diesem Grund ist die Anzahl der Vokale in Sprachen des isolierenden Konstrukts potentiell vergleichsweise höher als in zu anderen Typen gehörigen Sprachen (cf. Sgall 1993, 323). So verfügen die polynesischen Sprachen über Phonemsysteme mit der auf der Welt geringsten Konsonantenzahl (z.B. Hawaiisch mit nur acht Konsonantenphonemen). Entsprechend dominiert eindeutig die phonemische Kraft des Vokalismus (im Hawaiischen gegeben durch phonemische Quantität und Diphthongierung). c. Da sich die Beziehungen zwischen Lexemen und Morphemwörtern regelhaft gestalten, kommt keine wortkategorielle Unterscheidung zustande (cf. engl. love, das sowohl mit Präpositionen als auch mit Hilfsverben kombiniert werden kann); stattdessen dominiert das Phänomen der Konversion.
|| 62 Cf. die Definition nach Comrie (1981, 39): «An isolating language is one which has no morphology, i.e. at least ideally, a language where there is one-to-one-correspondence between words and morphemes».
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d. Da wortbildende Affixe nur marginal vertreten sind, dominieren isolierte, nicht abgeleitete, also nicht transparente Wörter; cf. engl. calf ‘Kalb’ vs. veal ‘Kalbsfleisch’ (< afrz. veel), bovine ‘Rind’ vs. beef ‘Rindfleisch’. e. Aus (c. resultiert das Fehlen einer Opposition zwischen Affixen (Derivativen) und grammatischen Morphemen. f. Da Endungen dem isolierenden Konstrukt prinzipiell fremd sind und Morphemwörter Kongruenzfunktionen in der Regel nicht vollständig übernehmen bzw. einen adäquaten Ausdruck der wichtigsten grammatischen Relationen nicht gewährleisten können, tritt hier die Wortfolge auf Satzebene mit höchster Wahrscheinlichkeit als grammatisch relevantes Mittel ein.63 Daraus resultiert gewissermaßen als plausible Notwendigkeit, dass dann «der das Rhema anzeigende Satzakzent relativ oft eine sekundäre Position (nicht am Satzende)» hat. Schließlich ist dann auch das Vorkommen eines Artikels wahrscheinlich, «weil die Wortfolge den Unterschied zwischen dem Thema (‘gegeben’, also im prototypischen Fall definit) und Rhema (‘neu’, aus dem Kontext nicht identifizierbar, daher oft indefinit) nicht unmittelbar ausdrücken kann» (Sgall 1993, 323; siehe Sgall/Hajičová/Panevová, 1986, Kap. 3). g. Nebensätze werden durch die vielfältigen Morphemwörter eingeleitet, die das Vorkommen von Konjunktionen einschließen.
3.4.3 Der agglutinierende Sprachtypus Wilhelm von Humboldt, der eine eurozentrierte Auffassung von der Agglutination besitzt (1836a), bezeichnet die agglutinierende Technik angesichts der Schwierigkeit der Abgrenzung von der Flexion als ein «nicht immer leicht zu erkennendes Zwitterwesen».64 Das Verfahren der Agglutination impliziert, dass
|| 63 Die Grammatikalisierung der Wortfolge ist für das isolierende Konstrukt nicht unabdingbar (cf. Sgall 1979, 19, Anm. 20). Allerdings übernimmt die Wortfolge die Aufgabe, die Satzfunktionen kenntlich zu machen, wobei die Abfolge SPO in der Regel dominiert. Eine Begründung dafür, dass im isolierenden Idealtyp potenziell mit einer Grammatikalisierung der Wortfolge zu rechnen ist, die darauf abhebt, dass eine «freie» Wortfolge auf Grund der zahlreichen, auf die Position der Wörter im Satz ebenfalls Einfluss nehmenden Morphemwörter nicht wahrscheinlich sei, scheint weniger plausibel (cf. Sgall 1993, 320 im Vergleich zu 323). 64 «Zwischen dem Mangel aller Andeutung der Kategorieen der Wörter, wie er sich im Chinesischen zeigt, und der wahren Flexion kann es kein mit reiner Organisation der Sprachen verträgliches Drittes geben. Das einzige dazwischen Denkbare ist als Bedeutung gebrauchte Zusammensetzung, also beabsichtigte, aber nicht zur Vollkommenheit gediehene Flexion, mehr oder minder mechanische Anfügung, nicht rein organische Anbildung. Dies, nicht immer
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an ein lexikalisches Stammmorphem unmittelbar Affixe angereiht werden, die formal als Segmente klar erkennbar bleiben und funktional sowohl grammatische wie auch paragrammatische Funktionen zum Ausdruck bringen können. Im Idealfall besteht Isomorphie zwischen Form und Funktion der Affixe, also Monosemie, so dass – im Unterschied zu den flektierenden Sprachen – keine Funktionskumulation auftritt. Die bei der Agglutination verwendeten Morpheme zeichnen sich damit namentlich durch zwei Eigenschaften aus: Segmentierbarkeit und Invariabilität. Letzteres Merkmal ist idealiter dem Wort im isolierenden Typus eigen. Hinsichtlich des Abstraktionsgrades der Inhalte der agglutinierbaren Elemente bestehen deutliche Unterschiede, was damit zusammenhängt, dass diese sowohl grammatische wie paragrammatische Bedeutungen transportieren können.65 Die Reihenfolge der Affixe ist in den einzelnen Sprachen bestimmten Regeln unterworfen, wobei wortkategorielle Prinzipien zum Tragen kommen: cf. etwa dt. Berechen-bar-keit vs. *Berechen-keit-bar oder engl. standard-iz(e)-ation vs. *standard-ation-ize, wo die Reihenfolge der Morpheme die zur Anwendung kommenden Wortbildungsprozesse reflektiert,66 wobei die Wortbildungsprozesse bestimmte (zuweilen auch nur supponierte) Zwischenstufen voraussetzen. Häufig wird die wortkategorielle Zugehörigkeit des Derivats durch das äußerste Affix indiziert (cf. aber Fälle der Polysemie wie bei frz. créateur (< créer), das als Nomen oder Relationsadjektiv fungieren kann). Dass die Anordnung der Morpheme nach je einzelsprachlich idiosynkratischen Gesetzen erfolgt, wird besonders in einer agglutinierenden Sprache wie dem Ungarischen manifest, wo in der Regel zwar die relative Stellung der Wörter innerhalb des Satzes variabel ist, nicht aber die der Morpheme innerhalb eines Wortes67 (cf. Skalička [1935]/1979, 99; Sgall 1993, 319).
|| leicht zu erkennende, Zwitterwesen hat man in neuerer Zeit Agglutination genannt» (Humboldt [1836a]/1935, 130). 65 Die Agglutination als grammatische Strategie erweist sich in den meisten Sprachen der Welt und deren diachronischen Entwicklungsverläufen als am stabilsten. 66 Bezüglich der relativen Stellung in einem Wort scheinen sich derivationelle und flexivische Morpheme darin zu unterscheiden, dass sich bei ersteren die spezifische Anordnung aus der Funktion ergibt, was für letztere offensichtlich in geringerem Maße zutrifft: «The relative position of a word’s derivational affixes is, of course, determined by the function of the affixes themselves (or of the rules introducing them); for instance, the suffix -er in sweetener follows the suffix -en because -er derives nouns from verbs while -en derives verbs from adjectives. By contrast, the relative position of a word’s inflectional affixes is not strictly determined by their function» (Stump 2001, 713). 67 Grammatische Morpheme können trotz gegebener (Quasi)Funktionsidentität bezüglich ihrer relativen Stellung zueinander von Sprache zu Sprache divergieren: So folgt in lat. AMĀ-BAM ‘I loved’ die Markierung der 1. Pers. Sg. auf das Imperfektmorphem: [love-IMP-1SG]; im Bei-
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Sőrés (2006)68 spricht für das Ungarische von einer «technique morphologique dominante» mit Blick auf die Agglutination; sie würde aber nicht so weit gehen, von einer «prototypisch» agglutinierenden Struktur auszugehen (Sőrés 2006, 50–51). Sőrés stellt heraus, dass, bedingt durch die morphologisch konditionierten Stammalternationen des Verbalsystems, der Anteil an flektierenden Zügen nicht zu unterschätzen sei, gerade weil das Verbalsystem für die gesamttypologische Einordnung der Sprache bedeutsam ist. Insofern relativiert sie die Ergebnisse der klassischen morphologischen Typologie, anerkennt aber das Konzept der «Typusdominante», wonach das Ungarische «dominant» agglutinierend sei69 unter starker Beteiligung einer flektierenden Tendenz. Sőrés räumt zusätzlich ein, dass «toute la problématique des techniques morphologiques et en particulier celle de l’agglutination reste ouverte à la recherche et à la discussion» (ibid., 51). In der Prager Konzeption (cf. Sgall 1993, 319–320; 323 u.a.) definiert sich die Agglutination über folgendes Merkmalsspektrum: || spiel walisisch-romani kamá-v-as ‘I loved’ ist das Stellungsverhältnis bezüglich der beiden Kongruenzmorpheme gerade umgekehrt: [love-1SG-IMPF]. Variierende Stellungen können auch in ein und derselben Sprache auftreten, so etwa bei der relativen Anordnung von Plural- und Possessiv-Morphemen in Mari (uralische Sprachfamilie): joltaš-em-ßlak [friend-POSS-PL] ~ joltaš-ßlak-em [friend-PL-POSS] ‘my friends’ (siehe Stump 2001, 713 mit Angabe der Quelle für letztgenanntes Beispiel). Eine allgemeine Tendenz formuliert Bybee (1985, 38ss.): Zum einen lässt sich empirisch beobachten, dass die Nähe zum Stamm eines grammatischen Morphems tendenziell mit dem Grad der semantischen Relevanz, den das entsprechende Element für den Stamm besitzt, korreliert. Dieses Ergebnis wiederum lässt sich als Reflex des Umstandes werten, dass Verbindungen aus Stamm und Flexiv historisch aus häufig vorkommenden syntaktischen Verbindungen hervorgehen, wobei sowohl die Frequenz, mit der zwei Elemente im Satz gemeinsam vorkommen, als auch deren semantische Eignung für die Reanalyse als einziges Wort vom Grad der gegenseitigen Relevanz abhängen (cf. Stump 2001, 713). 68 Weitere Studien zum Ungarischen erweitern und vertiefen die Einsichten auf Grundlage der Wortfolgetypologie: Sőrés 2004; 1999; cf. auch Sőrés/Marchello-Nizia, 2005. Sőrés (2004) unterscheidet für das Ungarische zwischen «ordre des constituants fondamentaux» und «ordre des éléments constitutifs des syntagmes», da in dieser Sprache die Besonderheit auftritt, dass die dominante Abfolge der Konstituenten des Satzes (SVO) keine prädiktiven Aussage über die Anordnung von modifieur und modifié innerhalb der Syntagmen (mit Grundabfolge innerhalb der Syntagmen: OV) zulässt. In Sőrés (2008b) wird die Frage aufgeworfen, inwieweit der Ausbau des Systems der subordinierenden Konjunktionen im Ungarischen eine Konsequenz kultureller und diaphasischer Einflüsse sein kann, also hier von einem «Europäismus» im Rahmen des Standard Average European (s. Kap. 14 in dieser Arbeit) gesprochen werden kann, der als Tendenz die Entfaltung der geschriebenen Standardvarietäten als Sprache der Literatur erfasst (cf. ibid., 133 und 141). 69 Auch die Auswirkungen der Vokalalternation werden der agglutinierenden Technik zugeordnet.
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a.
Es besteht ein großer Reichtum an Affixen, die an die Wortbasis treten; die Affixe zeichnen sich durch Polyfunktionalität aus und umfassen diverse grammatische wie paragrammatische Funktionen. Ferner existiert ein komplexes Kasussystem (mit Partitiv, Elativ, Illativ, Ingressiv etc.), das den Reichtum an Kasusaffixen bedingt, die von abgeleiteten Adverbien nicht klar unterschieden werden können. Beispielsweise weisen das Ungarische und Finnische70 elaborierte Kasussysteme zum Ausdruck lokativer und anderer Adverbialbedeutungen auf (das Ungarische besitzt u.a. zehn lokative Kasus, die Oppositionen wie [RUHEND] vs. [BEWEGEND], [ANNÄHERND] vs. [ENTFERNEND], [INNEN] vs. [AUßEN] etc. gestalten). b. Eine als prototypisch konzipierte agglutinierende Sprache ließe keine wortkategoriellen Oppositionen zu, da eine lexikalische Einheit im Extrem je nach angegliederten Affixen die verschiedensten syntaktischen Rollen ausfüllen kann. c. Aus a. und b. folgt, dass der Idealtypus nur einer einzigen Wortbasis bedürfte, auf deren Grundlage alle anderen lexikalischen Einheiten abgeleitet werden könnten. d. Eine Opposition zwischen Affixen und Endungen kann es folglich nicht geben. e. Affixe treten idealiter in Gestalt von Silben auf, wobei weder Homonymie noch Synonymie typisch sind; insgesamt besitzen die Affixe große semantische Autonomie. f. Auf Grund der Polyfunktionalität der Affixe machen die probabilistischen Implikationen im Rahmen dieses Konstrukts die Ausbildung eines Kongruenzsystems, das auf redundanten Markierungen beruht, eher unwahrscheinlich, die Grammatikalisierung der Wortfolge im Satz zum Ausdruck der Beziehungen zwischen Substantiv und Attribut oder Subjekt und Verb dagegen wahrscheinlich.71 So sind etwa im Japanischen eine Vielzahl an Ka-
|| 70 Als exemplarischer Exponent einer agglutinierenden Sprache gilt gemeinhin das Türkische (z.B.: ev ‘das Haus’, ev-im ‘mein Haus’, ev-ler ‘die Häuser’, ev-ler-im ‘meine Häuser’). Sehr gute Vertreter des agglutinierenden Idealtypus sind ferner das Ungarische und Finnische (cf. insbesondere Skalička [1935b]/1979); daneben u.a. das Georgische, Baskische, Eskimo, das Armenische). Insgesamt verfügt die Gesamtheit der ural-altaischen Sprachen, für die zudem Vokalharmonie typisch ist, über eine dominant agglutinierende Sprachstruktur, ebenso das Georgische, Baskische, Armenische und andere ostindogermanische Sprachen sowie die Gruppe der Bantusprachen. Zum agglutinierenden Sprachtypus zählen ferner die indonesischen Sprachen mit ausgeprägtem Präfixsystem (neben Suffixen und stammumfassenden Zirkumfixen). 71 In der Familie der uralischen Sprachen kann die Wort- bzw. Satzgliedstellung SOP als vorherrschend gelten, also eine geregelte Wortfolge; weniger häufig ist das Muster SOP oder eine «freie Wortfolge». Im Ungarischen dagegen ist die Stellung der Satzglieder in der Regel
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tegorien im Rahmen der Verbalflexion grammatikalisiert (Tempus, Aspekt, Modus, Diathesen, Negation, Höflichkeit), es besitzt aber keine Kongruenz. Ferner ist dann mit der Existenz der grammatischen Kategorie Definitheit (also eines affigierten Artikels) zu rechnen. g. Das abhängige (eingebettete) Verb erscheint typischerweise in der Form eines durch Affigierung abgeleiteten Nomens (es existiert eine Vielzahl an Nominalformen); durch Konjunktionen gekennzeichnete Nebensätze sind untypisch. h. Die durch Affigierung entstehenden langen Wortformen stehen im Gegensatz zur Distinktivität der Vokale in den einzelnen Silben: Diese wird relativiert, Vokalharmonie dagegen begünstigt.
3.4.4 Der flektierende Sprachtypus Der flektierende Sprachtypus72 ist besonders für die indoeuropäischen Sprachen charakteristisch und wurde von den (deutschen) Sprachforschern bzw. Typologen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts als der Idealtyp des menschlichen Sprachbaus schlechthin betrachtet. Im Unterschied zur Agglutination, bei
|| «frei» bzw. an pragmatischen Prinzipien orientiert: Das fokussierte Element besetzt eine markierte Position vor dem finiten Verb. Im Finnischen wiederum ist ebenfalls SPO dominant. Dem Türkischen (wie den altaischen Sprachfamilien) wird eine SOP-Serialisierung zugeschrieben, allerdings besteht im Türkischen großer Spielraum für andere Serialisierungsmuster. 72 Zur traditionsbildenden Dichotomie zwischen «analytischen» und «synthetischen» Sprachen, wie sie nach A. W. v. Schlegel ([1818]/1972) als Subkategorien innerhalb der von F. Schlegel ([1808]/1977) bestimmten flektierenden Sprachen unterschieden werden, mit Bezug auf den romanischen Kontext sowie zur Gleichsetzung von «isolierend» und «analytisch» innerhalb der Allgemeinen Typenlehre siehe Kretz (2002); Geckeler (1985b); Ineichen (21991, 52–53). Tatsächlich wurde die Dichotomie «analytisch/synthetisch» von den Sprachforschern, die diese Differenzierung in der Nachfolge A. W. Schlegels übernahmen, oft ohne Explikation des Bezuges dieser Begriffe zum flektierenden Sprachtyp verwendet, so dass die Termini auch als eigene, mit dem flektierenden oder anderen Typen gleichgestellte Typen erscheinen. Häufig werden die Bezüge zu einem übergeordneten Typ oder anderen Typen allerdings einfach im Unklaren gelassen. Gewissermaßen als Gegentendenz zu dieser Verselbständigung der Begriffe finden auch Vermischungen statt: So wird auch in Anbetracht der historischen Fundierung der Differenzierung zwischen «analytischen» und «synthetischen» Sprachen in einer Subklassifikation der flektierenden Sprachen die Charakterisierung einer Sprache als «analytisch» zuweilen − so auch bei Vladimír Skalička − mit der Zuordnung einer Sprache zum isolierenden Typus identifiziert. Analoges gilt für die flektierenden Sprachen, die mit den synthetischen Sprachen gleichgesetzt werden. Schließlich findet eine Umkehrung der hierarchischen Verhältnisse statt, indem «synthetisch» verstanden wird im Sinne von «die agglutinierenden und flektierenden Sprachen umfassend» (so bei John Lyons 1968, 187 bzw. 191; auch in Kortmann 1999, 87).
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der klar segmentierbare und idealiter invariable Morpheme in einer bestimmten Reihenfolge an den Stamm treten, sind die flexivischen Morpheme von den Stammelementen nicht klar abgrenzbar, d.h. es findet eine Art Durchdringung zwischen Stammelementen und Flexiven statt. Außerdem ist eine Kumulation von Funktionen in den Formelementen typisch (cf. lat. AMIC-US mit Ausdruck von Genus, Numerus, Kasus). So können Stammveränderungen eintreten, bei denen sowohl Stamm wie Flexive am Ausdruck bestimmter Funktionen beteiligt sind (cf. lat. FACIO-FECI; frz. je fais – je fis). Sapir ([1921]/1961) versuchte diesen idiosynkratischen Zug der Flexion über den Begriff der Fusion zu erfassen. Die Flexion kennzeichnet insbesondere die (alten) indogermanischen Sprachen; sie ist namentlich über das Lateinische vertraut, aber auch aus den slawischen Sprachen bekannt. Flexivische Sprachen bzw. das flektierende Konstrukt besitzt folgende als definitorisch gesetzte Züge (cf. Sgall 1993, 320; 324): a. Jede Wortform eines Lexems bzw. Wortes verfügt über eine spezifische grammatische Endung. b. Die Endungen dienen dem Ausdruck heterogener grammatischer Bedeutungen; auf ihrer Grundlage wird eine Klassifikation der Wörter zum einen in Wortkategorien (Wortarten), zum anderen in Subklassen gewährleistet (cf. die Genera oder die vielfach semantisch motivierte, durch Präfigierung markierte Nominalklassifikation, z.B. nach Lebewesen, Dingen, Flüssigkeiten etc., in den Bantusprachen sowie deren Unterscheidung in eine Singular- und eine Plural-Klasse: ki-ti ‘Stuhl’, vi-ti ‘Stühle’). c. Endungen können nicht nur grammatische, sondern zuweilen auch paragrammatische Funktionen erfüllen (cf. lat. DEUS ‘Gott’: Maskulinum – DEA ‘Göttin’: Femininbildung). d. Trotz c. besteht eine prinzipielle Differenzierung zwischen Flexiven und – sofern vorhanden – Derivativen (cf. lat. -ATIO, -ITAT- vs. -US, -UM etc.). e. Die Flexive sind vielfach vom Stamm nicht in Form von Silben abgrenzbar, vielmehr sind Stammalternationen häufig. In den mit einer spezifischen Endung versehenen Wortformen tritt Funktionskumulation auf. Da den Alternationen verschieden auslautende Stämme zugrunde liegen, entstehen unterschiedliche Paradigmen, die Synonymie aufweisen (so ist z.B. das -E in MARE mit -UM in OPPIDUM synonym; oder cf. lat. ANIMAE, PLEBIS, wo der Genitiv Singular bei Substantiven je nach Deklinations-Paradigma eine andere Endung aufweist). Auf Grund der begrenzten Zahl an Realisierungsmöglichkeiten von (Stamm)Alternationen bzw. Endungen ist funktionelle Eindeutigkeit nicht gewährleistet, was zu Homonymie der Endungen führt (so drückt z.B. die lat. Endung -E den Nominativ und Akkusativ aus beim Neutrum MARE, den Vokativ beim Maskulinum DOMINE, den Ablativ bei CANE etc.).
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f.
Adjektive werden ebenfalls dekliniert: Es besteht Kongruenz (in Bezug auf Numerus und Genus oder eine andere Klassifikation) mit der zugehörigen Nominalphrase, was die Etablierung einer «freien» Wortfolge im Rahmen des Satzes begünstigt. Damit kann den Erfordernissen einer Thema-RhemaGliederung idealiter unmittelbar Rechnung getragen werden. Die Existenz eines Artikels ist entbehrlich bzw. unwahrscheinlich, «da die der Definitheit nahestehende ‘Gegebenheit’ mit Hilfe der Wortfolge systematisch ausgedrückt wird» (Sgall 1993, 324). Außerdem erscheint das abhängige Verb häufig in der Form des Infinitivs, wobei die syntaktischen Relationen (im prototypischen Fall) über Endungen, nicht präpositional kenntlich gemacht werden. g. Die klare Differenzierung der Wortkategorien verbindet sich mit einer Vielzahl an Nebensätzen. h. Im paragrammatischen Bereich dominiert «flexivische Konversion» (z.B. Motion).
3.4.5 Der introflektierende Typus Skalička unterscheidet neben dem (extra)flektierenden Typus, der die Sprachen «à flexion externe» kennzeichnet, einen introflektierenden Typus, der die Sprachen «à flexion interne» (innere Flexion) typologisch definiert (cf. Skalička 1946– 1948, 14). Die «innere Flexion» (Introflexion, Interflexion, cf. Sgall 1993, 319) umfasst sämtliche Formen von grammatischen Markierungen, die auf einer Veränderung der Wurzel bzw. des Wortstammes beruhen (cf. Rubba 2001). Auch Skalička ([1951]/1979, 54) fasst das Phänomen der Introflexion in weitem Sinne: dieses beruht darauf, «dass die Anhäufung der Bedeutungen die Wortwurzel betrifft»; man spricht auch von «Wurzelflexion», wobei die Wurzeln aus mehreren (meist drei) Konsonanten bestehen, die in den semitischen Sprachen als «(Wurzel)Radikale» bezeichnet werden. Die wurzelinterne Flexion erfolgt über das Dazwischenschalten verschiedener (ggf. durch infra- oder supralineare Punktierung angedeutete) Vokale (sog. Triliteralität). Auch der aus den germanischen Sprachen bekannte (i-)Umlaut wie in engl. goose [Gans + SG] : geese [Gans + PL], analog dt. Vater : Väter73 oder Ablaut (cf. dt. (wir) trinken [1PERS PL PRÄS] : (wir) tranken [1PERS PL PRÄT]) gehört hierher, ebenso Ableitungen etwa zum Ausdruck des Kausativums wie in dt. trinken :
|| 73 Cf. die französische Bezeichnung für «Umlaut»: voyelle infléchie oder inflexion, eigentlich «Beugung».
Die Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie | 113
tränken ‘trinken machen’ (mit Vokalwechsel), solche innerhalb der Opposition [INTRANSITIV] : [TRANSITIV] beim dt. Verb hängen: er hing (stark flektiert, [INTR]) : er hängte (schwach flektiert, [TR]) oder Konsonantenwechsel des Typs gedeihen vs. gediehen. Das Phänomen ist also nicht auf die prototypisch introflektierenden Sprachen wie die (hamito-)semitischen beschränkt. Den aus den semitischen Sprachen bekannten Typ der Introflexion beschreibt Broselow (2000) unter dem Terminus der «Transfigierung», genauer gefasst als «shape-defining transfixation», wobei funktionell zwischen «inflectional» und «derivational transfixation» unterschieden werden kann (2000, 552). In der Literatur werden alternativ verschiedene andere Termini verwendet, allen voran der Begriff der «root and pattern morphology» («R&P (morphology)»; cf. Rubba 2001, 679), daneben finden sich auch die Begriffe «templatic» («shape-invariant»), «prosodic», «nonlinear morphology» oder «nonconcatenative» bzw. «discontinuous morphology». Das klassische Arabisch gilt gemeinhin als der Prototyp einer Sprache mit «root and pattern morphology». Bossong (2001, 667) gebraucht den Begriff der «interdigitalisierenden Affixe», der sich gut in das traditionelle Begriffsschema fügt: Einem interdigitalisierenden Affix liegt das Schema GRA [GRAMMEM] + LEX [LEXEM] → Wort zugrunde. Beschreiben lässt sich das Muster wie folgt: Das Grammem repräsentiert ein abstraktes Muster, das der ebenfalls abstrakten Lexemwurzel eine bestimmte konkrete Form verleiht, indem sich Grammemmuster und Wurzel gegenseitig durchdringen. Als Bestandteile des Grammems kommen Präfixe, Infixe, Zirkumfixe oder Suffixe in Frage, bedeutend ist nur die Gesamtgestalt des Musters, cf. arab.: Wurzel ktb ‘schreiben’ + Muster XāYiZ → kātib ‘schreibend’; + maXYūZ → maktūb ‘geschrieben’; + uXYuZ → uktub ‘schreib’; + taXYuZū → taktubū ‘ihr schreibt’; XāYaZnā → kātabnā ‘wir korrespondierten’; iXtaYaZtum → iktatabtum ‘ihr schriebt euch ein’ etc. (Bossong 2001, 667; cf. Petráček 1955, 1956, 1960a, 1960b, 1961, 1962, 1963, 1964 mit starker Berücksichtigung der historischen Dimension). Verbreitet ist der introflektierende Typus als starker strukturierender Zug, der «das gesamte Sprachsystem durchsetzt» (Skalička [1951]/1979, 55), auch in den Berbersprachen, den keltischen und germanischen Sprachen sowie im Tibetischen. Allgemein ist die Introflexion nicht dazu in der Lage, für die gesamte grammatische Strukturierung einer Sprache aufzukommen; vielmehr muss das introflektierende Verfahren – in stärkerem Maße als in anderen Typen – komplementär durch andere typologische Prinzipien ergänzt werden. In den semitischen Sprachen tritt als starke Auxiliar-Komponente die Agglutination hinzu. Folgende Aspekte sind für das introflektierende Konstrukt cha-
114 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
rakteristisch (cf. Sgall 1993, 321; 324); dabei besteht Nähe zum (extra)flektierenden Typus: a. Morpheme können in ihrer internen Struktur unterbrochen sein; dabei besitzen bestimmte Phoneme innerhalb eines lexikalischen Morphems grammatische Bedeutung (cf. dt. Mutter – Mütter, singen – sangen). b. Es bestehen klare wortkategorielle Oppositionen. c. Die Introflexion vermag nicht nur grammatische, sondern auch paragrammatische Bedeutungen zu transportieren. d. Die wortbildenden und die grammatischen Mittel sind im Extrem nicht klar voneinander abgegrenzt. e. Dagegen ist die Opposition zwischen Ausdrucksmitteln des Lexikons und solchen der Morphologie auf phonologischer Ebene klar umrissen. f. Mit Bezug auf die Satzgliedstellung gilt Ähnliches wie im (extra)flektierenden Typus.
3.4.6 Der polysynthetische Sprachtypus Nach traditioneller Vorstellung gruppieren die polysynthetischen Sprachen sämtliche Morpheme zum Ausdruck grammatischer Funktionen um einen einzigen lexikalischen Stamm (cf. zur Veranschaulichung die lautliche Verschmelzung in frz. Je ne te le donne pas), wobei die Inkorporation, gefasst als Typ des Sprachbaus (nach Humboldt), als besonderer Fall einer polysynthetischen Grundstruktur gefasst werden kann insofern, als mehrere Stammmorpheme in einem Wort verbunden werden. Die Inkorporation kann somit als Subtyp einer dominant polysynthetischen Basistruktur betrachtet werden. Eine solche Einordnung hilft, Konfusionen zwischen einer spezifisch inkorporierenden Struktur (v.a. Komposition eines in der Regel frei vorkommenden Nominalstammes mit einem Verbalstamm zu einem komplexen Verb, wobei der inkorporierte Stamm einen allgemeinen Begriff beinhaltet und nicht auf spezifische Entitäten referiert, cf. dt. radfahren/Rad fahren) und Manifestationen der Polysynthese als Prinzip des Sprachbaus zu vermeiden. Sie trägt somit dem Umstand Rechnung, dass nicht alle polysynthetischen Sprachen Inkorporation aufweisen. Allgemein erscheint bei diesem Phänomen der Satz formal unter dem Aspekt des Wortes (syntaktische Funktionen wie Objekt oder Adverbiale werden dem verbalen Prädikat «einverleibt»). Viele der indigenen amerikanischen Sprachen können als inkorporierend charakterisiert werden, auch wenn eine globale Einordnung nicht statthaft wäre (cf. Boas 1911, 1,1: 75).
Die Haupttypen der klassischen morphologischen Typologie | 115
Das Modell der idealtypischen Konstrukte definiert die Polysynthese,74 die im Vietnamesischen, im (geschriebenen modernen) Chinesischen, in Eẁe, Yoruba etc. vorzufinden ist, über folgende Merkmalszuweisung (cf. Sgall 1993, 320–321, 324): a. Bestimmte lexikalische Wörter können auch dem Ausdruck grammatischer Funktionen dienen («geben» = [DATIV], «sagen» = ‘dass’ etc.), «und es gibt keine anderen grammatischen Morpheme» (cf. Sgall 1993, 320), also auch keine Funktionswörter bzw. instrumentalen Morpheme. b. Die Wortarten (Wortkategorien) stehen nicht in Opposition zueinander. c. Es existiert keine Opposition zwischen Endungen und Affixen, da solche in den Sprachen nicht vorkommen. d. Es besteht Homophonie sowie Homonymie zwischen grammatischen Morphemen und Lexemen (vergleiche a.). e. Auf Grund des Mangels an grammatischen Morphemen übernimmt die Stellung der Satzglieder grammatische Funktionen. f. Die Wortkomposition ist Hauptverfahren des paragrammatischen Systems (cf. Skalička 1946/1979), wobei die Reihenfolge der komponierten Stammelemente signifikant ist, cf. Strohhut vs. Hutstroh, Staatsgrenze vs. Grenzstaat etc. Über die Komposition werden auch Bedeutungen zum Ausdruck gebracht, wie sie in anderen Sprachtypen durch Nebensätze vermittelt werden. g. Wie im isolierenden Konstrukt spielt der Monosyllabismus eine wichtige Rolle.
|| 74 Hier gilt es das wissenschaftsgeschichtliche Faktum zu berücksichtigen, dass diejenigen Sprachen, die bei Skalička als polysynthetisch eingeordnet werden, traditionell als isolierend behandelt wurden, was aus heutiger Sicht eine Identifikation zwischen polysynthetischen und isolierenden Sprachen bedeuten würde. Skalička weist aber ausdrücklich auf sein eigenes Verständnis des Begriffs der Polysynthese hin (cf. Skalička [1951]/1979, 23): «Der Begriff ‹polysynthetische Sprachen› stammt von uns und wird in anderen Arbeiten nicht oder zumindest nicht im gleichen Sinne verwendet». Vergleiche ebenso Haarmann (1976, 58): «Dieser Typ [der polysynthetische] entspricht dem sogenannten isolierenden Typ (cf. ostasiatische Sprachen) sowie dem inkorporierenden Typ der traditionellen Typologie». Diese abweichende Verwendung des traditionellen Begriffs der Polysynthese für herkömmlich als isolierend betrachtete Sprachen veranlasste Skalička zu einer detaillierten sprachstrukturellen Gegenüberstellung des Englischen und des Chinesischen mit dem Ziel, eine deutliche Abgrenzung der idiosynkratischen Züge der beiden Sprachen als Vertreter eines je anderen Sprachtypus vorzunehmen (cf. Skalička [1946]/1979, 180–197).
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3.5 Die klassischen Typen als skalare Größen 3.5.1 Typusbestimmung durch Synthese- und Fusionsindex Zur Bestimmung der unterschiedlichen Strukturen, wie sie jeweils den traditionellen morphologischen Typen75 zugrunde liegen, führt Comrie (1981) zwei besondere Parameter ein: zum einen den sogenannten Syntheseindex, der namentlich der besseren Erfassung der Unterschiede zwischen Isolation und Polysynthese Rechnung zu tragen versucht, zum anderen den Fusionsindex, die beide komplementär angewandt werden. Ersterer definiert sich über die Zahl der Morpheme pro Wort, wobei die Extremwerte jeweils von einer isolierenden bzw. einer polysynthetischen Grundstruktur besetzt werden. Der zweite Parameter dient der Bestimmung des Grades der Segmentierbarkeit von Morphemen innerhalb eines Wortes, wobei die sich ergebenden Extremwerte einerseits durch die Agglutination (problemlose Segmentierbarkeit) und andererseits die Fusion (Segmentierung unmöglich) repräsentiert werden (der Fusionsindex ist allein per definitionem auf isolierende Sprachen nicht anwendbar, da hier im prototypischen Fall das Wort zugleich ein Morphem repräsentiert, d.h. das Wort sich nicht in Morpheme segmentieren lässt). Isolierende Sprachen weisen demgemäß einen niedrigen, polysynthetische Sprachen einen hohen Syntheseindex auf. In einer isolierenden Sprache besteht jedes Wort idealiter aus einem Morphem, wohingegen in einer polysynthetischen Sprache (bzw. deren Prototyp) jeder Satz so viele Morpheme beinhaltet, wie zum Ausdruck einer bestimmten intendierten Bedeutung notwendig sind.76
|| 75 Comries (1981) Darstellungen zur morphologischen Typologie sind stark von Sapir ([1921]/1961, Kapitel 6) beeinflusst. Die Affinitäten spiegeln sich vornehmlich in den Parametern «Synthese» und «Technik» bei Sapir, die bei Comrie zum einen als Syntheseindex, zum anderen als Fusionsindex wiederkehren. Der Gedanke der Quantifizierung, wie er über die genannten Indizes umgesetzt werden soll, geht auf Greenberg (1960) zurück (zu einer Diskussion verschiedener Verfahren zur Bestimmung jeweils des Synthese- und Fusionsindex cf. Altmann/Lehfeldt 1973, 108–112). 76 Diese relativierte Gültigkeit des Syntheseindex versucht den verschiedenen Beschränkungen Rechnung zu tragen, die der Verbindung von lexikalischen und/oder grammatischen Morphemen in einem Wort in der Funktion eines Satzes Grenzen setzen (siehe dazu auch Comrie 1981, 44). Die Annäherung an das «analytische» bzw. isolierende Extrem scheint in den Sprachen eher verwirklicht als ein Zustand, in dem Wort und Satz annähernde Identität erreichen. Abgesehen davon hat die alte Problematik, was in einer bestimmten Sprache als «Wort» aufgefasst werden soll, auch erhebliche Konsequenzen auf die Bestimmung des Syntheseindex für eine Sprache. Sollen etwa bei Zugrundelegung des oralen Codes der bestimmte Artikel in engl. the man oder die unbetonten Pronomina in frz. je le vois als isoliert vorkommende Wörter
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Während der Syntheseindex sich am adäquatesten als Indikator für die Abweichung vom isolierenden bzw. «analytischen» Idealtypus in Richtung auf die Synthese fassen lässt, dient der Fusionsindex im Grunde der Bestimmung des relativen Verhältnisses zwischen Agglutination und Fusion. Dabei dient die Agglutination als Normgröße insofern, als sie auf klar segmentierbaren und im Idealfall invarianten Morphemen aufbaut (Segmentierbarkeit und Unveränderlichkeit bilden die konstitutiven Eigenschaften der Agglutination). Der Fusionsindex lässt sich auf dieser Folie dann als eine Abweichung von dieser Norm definieren.77 Interessant ist, dass aus dieser Sicht das mich im weiteren ebenfalls beschäftigende Phänomen der Suppletion bestimmt werden kann als Extrem der Abweichung mit Bezug auf die agglutinierende Norm, da hier Segmentierbarkeit und Invarianz78 überhaupt nicht mehr greifen (cf. engl. went als Präteritum
|| gezählt werden oder handelt es sich jeweils um ein komplexes Wort mit zwei oder drei Morphemen? Die jeweilige Entscheidung würde für das Französische die polysynthetische Komponente entsprechend stärken oder als irrelevant erkennen lassen. Eine ähnliche Problematik resultiert aus der Frage, wie im Falle von sog. Portmanteau-Morphemen bzw. bei Annahme von Nullmorphemen verfahren werden soll: Ist eine Singularform wie engl. cat in ein lexikalisches Morphem und ein grammatisches Nullmorphem zur Markierung des Singulars zu analysieren (etwa im Vergleich zu russ. košk-a (Sg.) vs. košk-i (Pl.)); und sollen die grammatischen Kategorien, die sich etwa in einer Verbalform wie sp. cantas ‘du singst’ fusioniert finden, jeweils als separate Morpheme gerechnet werden (zweite Person, Singular, Präsens, Indikativ, eventuell erste Konjugation, einschließlich lexikalischem Morphem) oder soll von einem Stammmorphem canta- und einer Endung -s, also zwei Morphemen, ausgegangen werden? 77 Zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Fusionsindex im Rahmen der voneinander logisch unabhängig zu behandelnden Parametern der Segmentierbarkeit und der Invarianz von Morphemen cf. Comrie (1981, 46ss.). 78 Vokalharmonie, wie sie etwa beim Pluralmorphem im Türkischen vorliegt und wonach Vorder- und Hinterzungenvokale in einem Wort nicht gemeinsam vorkommen können, führt im Rahmen allgemeiner phonologischer Regeln der Sprache zu eindeutig vorhersagbaren allomorphischen Varianten, cf. türk. adam-lar ‘Menschen’ (-lar nach Hinterzungenvokalen) gegenüber ev-ler ‘Häuser’ (-ler nach Vorderzungenvokalen) oder die finnischen Kasusendungen -ssä, -ssa in Helsingissä ‘in Helsinki’ und Saksassa ‘in Deutschland’. Diese sind nicht notwendigerweise als ein Verstoß gegen das Invarianzprinzip zu behandeln, da hier andere Gesetzte der Sprache wirksam werden. Dagegen stellt Variabilität bezüglich der Form eines Morphems ganz allgemein ein Kontinuum dar, dessen Extrem mit der Suppletion erreicht ist, wobei hinsichtlich des Grades der Variation sowie des Grades der Vorhersagbarkeit eines Morphems eine Reihe mittlerer Werte durchlaufen werden: So ist der Wechsel der betonten Vokale in engl. divine – divinity und strong – strength bezüglich der phonetischen Distanz zwischen den Alternanten zwar vergleichbar, allerdings stellt ersterer Wechsel im Rahmen der morphologischen Bedingungen eine im Grunde vorhersagbare Alternation dar, wohingegen die zweite völlig idiosynkratischen Charakter besitzt.
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zu (to) go oder meilleur als Komparativform zum frz. Adjektiv bon). Gemäß dem Fusionsindex würde also eine ideale fusionierende Sprache alle grammatischen Funktionen über die Suppletion zum Ausdruck bringen. Noch radikaler wäre die Konsequenz bei gleichzeitiger theoretischer Annahme eines möglichst hohen Syntheseindex: Hier stünde zum einen jeder Satz einer Segmentierung entgegen und würde zugleich von jedem anderen Satz der Sprache vollständig abweichen. Eine solche Sprache ist jedoch praktisch undenkbar. Dies bedeutet zugleich, dass das Verhältnis von Agglutination zu Fusion proportional zum Anwachsen des Syntheseindex ansteigt, oder anders formuliert: Eine ideal fusionierende polysynthetische Sprache ist nicht realisierbar. Der traditionellen Klasse der agglutinierenden Sprachen entsprechen nach Comries «indexikalischer» Kategorisierung Sprachen mit niedrigem Fusionsindex und im Rahmen der traditionellen vierfachen Klassifikation solchen mit einem mittleren Syntheseindex, d.h. einem Typus, der weder isolierend noch polysynthetisch wäre. Der traditionellen Klasse der fusionierenden Sprachen schließlich entsprechen nach Comries Terminologie Sprachen mit einem hohen Fusionsindex (wobei isolierende Sprachen weder einen hohen noch einen niedrigen Fusionsindex haben, da dieser Index auf isolierende Sprachen nicht anwendbar ist). Beobachtungen wie diejenige, dass die Agglutination mit Bezug auf den Syntheseindex eine intermediäre Position zwischen Isolation und Polysynthese einnimmt, wirft die Frage nach den zugrunde liegenden Grammatikalisierungsprozessen auf, wie sie von Ch. Lehmann in ein eigenes Modell gefasst wurden.
3.5.2 Die morphologischen Sprachtypen als «grammatische» Typen Die Vorstellung der graduellen Übergänge zwischen den Typen ist insbesondere dazu geeignet, den engen Zusammenhang zwischen Isolation und Polysynthese79 zu erfassen. Dieses Konzept impliziert, dass verschiedene Typen, auf einer Skala der Grammatikalisierung80 gedacht, Übergangsbereiche konstituieren,
|| 79 In der älteren morphologischen Typologie wurden der isolierende und der polysynthetische Typus nicht immer differenziert (cf. Skalička 1955a, 10): «j’ai moi-même divisé l’ancien type, ‘d’isolement’ ou ‘analytique’, en type ‘d’isolement’ (anglais, français) et type ‘polysynthétique’ (chinois, vietnamien)». 80 Hier ist die Frage der Diachronie aufzuwerfen; die diachronische Perspektive führt zu G. v. d. Gabelentzens ([11891]/21901) Vorstellung vom Spirallauf der Sprachgeschichte, der einen Übergang von der ‘Isolation’ zur Agglutination (auf Grund der Verschmelzung von Funktionswörtern zu lexikalischen Einheiten), dann zur Flexion (wozu die Kürzung der Wortformen, bedingt durch die Diversifizierung von ehemals einheitlichen Endungen, die mit verschiede-
Die klassischen Typen als skalare Größen | 119
wobei auf die Polysynthese mit geringster Tendenz zur Grammatikalisierung die Analyse folgt (cf. Ch. Lehmann 1985a, 1985b, 1995; Sgall 1993, 323; 1995, 67); dies lässt sich wie folgt veranschaulichen (cf. Ch. Lehmann 1995, 1256, Tab. 70.3 mit Abwandlung): Technik
isolierend
Phase
Syntaktisierung
Prozess
>
analytisch Morphologisierung
>
synthetischagglutinativ Demorphologisierung
>
synthetischflektierend Verlust
>
Null
Grammatikalisierung
Abb. 1: Grammatikalisierungsskala (in Anlehnung an Lehmann 1995)
Gemäß der von Ch. Lehmann entworfenen Grammatikalisierungsskala repräsentiert die Polysynthese gewissermaßen die Nullstufe einer erkennbaren Tendenz zur Grammatikalisierung, wobei − als Zyklus gedacht − Isolation und Polysynthese wieder als kontingente Typen erscheinen; innerhalb des Zyklus sind demnach Isolation und Polysynthese aneinander angrenzende Techniken. Die in (einem Teilbereich) der Sprache als Alternativen auftretenden Typen sind also dergestalt miteinander in Verbindung zu bringen, dass deren mögliche Übergänge expliziert werden. Typen lassen sich daher günstig als fokale Instanzen auf einem Kontinuum darstellen. Auf dem Kontinuum benachbarte Typen werden dann nicht insofern von ein und derselben Sprache repräsentiert, als sie nebeneinander «koexistieren», sondern vielmehr in dem Sinne, dass «die Sprache einen Übergangsbereich zwischen ihnen verkörpert» (Ch. Lehmann 1988, 19). Auch Coserius Verständnis der traditionellen Typenmodelle widerspricht dieser Vorstellung nicht (cf. Kap. 3.3).
|| nen stammauslautenden Phonemen verschmelzen, beiträgt) und erneut zur Analyse oder ‘Isolation’ (sobald neue Funktionswörter auftauchen, indem die Endungen weiter gekürzt und reduziert werden) vorsieht. In der Prager Typologie wird dieser Entwicklungsverlauf als die Hauptentwicklungsrichtung der Sprachen bzw. sprachlichen Typen anerkannt (cf. insbesondere Skalička [1941]/1979; Sgall 1986). Zur so vorgezeichneten Entwicklungsrichtung gegenläufige Tendenzen sind in der Geschichte der Sprachen aber ebenfalls dokumentiert und, so Sgall (1995, 67) «not exactly rare», allerdings mit der Einschränkung, dass «they are restricted to specific circumstances where strong external factors influence a language at a time when its structure offers preconditions for such a ‘backwards’ movement» (ibid.). Zu dieser Fragestellung siehe ausführlich die Diskussion in Sgall (1995, 67–69).
120 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
Im Rahmen von allgemeinen, universellen Sprachwandelgesetzen kann spekuliert werden, dass bestimmte Typen an morphologischen Entwicklungen auf phonologisch begründete Zyklen zurückzuführen sind: «Wird mit der Isolation begonnen, dann kann sich daran die Agglutination anschließen – wie tendenziell z.B. das moderne Chinesische zeigt –, daran in der Folge die Flexion, von wo der Weg im Zuge des Abbaus der Morphologie zugunsten der Syntax – wie z.B. im Französischen oder im Englischen – wiederum zur Isolation zurückführt» (Ineichen 21991, 50). Entsprechend können die Idealtypen der Prager Schule nach dem Kriterium der Disposition zur Grammatikalisierung als Skala angeordnet werden, auf der ein sprachtypologisches Konstrukt in das andere übergeht. Dieses graduelle Konzept der Typen lässt sich aus dem Intensitätsgrad, mit dem die grammatischen Mittel und lexikalischen Einheiten einer Sprache miteinander verknüpft sind, ableiten (cf. Sgall 1993, 323). Danach weist (i) die Polysynthese die geringste Tendenz zur Grammatikalisierung auf, da hier die lexikalischen Einheiten durch bloße Juxtaposition, d.h. ohne Rückgriff auf tatsächliche grammatische Elemente miteinander verbunden werden. Es folgen gemäß diesem Kriterium des weiteren (ii) die Analyse bzw. Isolation, nach deren Prinzipien die grammatischen Funktionen über selbständige Wörter ausgedrückt werden; (iii) die Agglutination, in der sich die (para)grammatischen Morpheme noch relativ deutlich von den lexikalischen Stämmen absetzen; und schließlich (iv) die Flexion, in der bereits eine Fusion der grammatischen Elemente mit den lexikalischen Elementen eintritt; (v) die Introflexion ist als eigenständiger Typus nicht tragfähig genug, um als Basisdominante für die grammatische Strukturierung einer Sprache zu fungieren. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Popela (1985, 1988); sein Ausgangspunkt ist die Frage, inwieweit es möglich ist, den Konstrukttypen ein einziges zentrales und zugleich definitorisches Merkmal zugrunde zu legen, aus dem sich weitere funktionelle Merkmale des Konstrukts durch probabilistische Implikation ableiten lassen.81 Diese wesentliche Basiseigenschaft beruht auf dem Kriterium der in unterschiedlichem Maße gegebenen Disposition zur Aufnahme oder Ablehnung grammatischer Elemente in die Eigenschaften des || 81 Popela beschäftigt sich intensiv mit der Frage nach der Korrelation von typologisch relevanten Zügen. Sein Bemühen um die Herstellung von systemübergreifenden Verbindungen ist dabei nicht primär auf solche Korrelationen ausgerichtet, die zwischen den grammatischen Eigenschaften einer Sprache bestehen, sondern vornehmlich auf solche, die sich zwischen grammatischen und paragrammatischen Merkmalen etablieren lassen. Diese Grundorientierung entspricht damit teilweise meinem Ansatz; abgesehen von Popelas Studien scheinen detailliertere Untersuchungen in dieser Richtung zahlenmäßig wenig repräsentiert.
Die klassischen Typen als skalare Größen | 121
Konstrukts; auf dieser Grundlage werden dann die sprachtypologischen Konstrukte spezifiziert. Im Falle der Polysynthese wird diese zentrale Eigenschaft durch die völlige «Abneigung» des Konstrukts gegen jegliche grammatischen Elemente konstituiert (cf. Sgall 1995, 70). Der Polysynthese stehen alle anderen «grammatischen Typen» (zum Terminus cf. Ch. Lehmann 1995, 1264) gegenüber, da sie zumindest eine gewisse Tendenz zur Verwendung grammatischer Morpheme aufweisen. Auf dem Hintergrund dieser primären spezifizierenden Oppositionen werden die grammatischen Typen ferner anhand eines weiteren Kriteriums zu klassifizieren versucht: dem der Polyfunktionalität oder Monofunktionalität der grammatischen Elemente. Diese Klassifizierung, die sich allein auf die vier verbleibenden Konstrukttypen ausschließlich der Polysynthese erstreckt, führt zu einer Gruppierung des flektierenden einschließlich des introflektierenden Typus auf der Seite der Polyfunktionalität, des agglutinierenden und isolierenden Typus auf der Seite der Monofunktionalität. Die Grundeigenschaften, wie sie aus den beiden Kriterien der Spezifizierung und der Klassifizierung resultieren, konstituieren die Dominanten der einzelnen Typen, aus denen sich wiederum andere typologische Eigenschaften ableiten lassen. Dies kann unmittelbar oder mittelbar über bereits abgeleitete Eigenschaften erfolgen. Der Komplex der Grund- und der abgeleiteten Eigenschaften stellt erneut ein Konstrukt dar, dem sich die realen Eigenschaften nur nähern (cf. Popela 1988, 50). So impliziert etwa das Kriterium der schwachen Differenzierung der «partes orationis» das Vorkommen von Konversion im isolierenden und polysynthetischen Typus. Dabei kommt auch hier das Skalaritätskonzept zum Tragen, indem Affinitäten bzw. Konvergenzzonen innerhalb der Typen festgestellt werden. Solche besonderen Parameter bilden neben der Differenzierung der Wortkategorien die grammatische Kongruenz, die Grammatikalisierung der Satzgliedfolge etc. Auf einer weiteren Ebene werden die vier grammatischen Typen hinsichtlich der Dimension, die den Fusionsgrad zwischen lexikalischen und grammatischen Elementen betrifft, untersucht; dabei bleibt allerdings offen, wie nach diesem mehrdimensionalen Modell die grammatischen und die wortbildenden Mittel als Gesamt für eine Sprache typologisch einheitlich zu deuten wären.
122 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
3.5.3 Basisdominante und «Hilfstypen» in Grammatik und Paragrammatik – Konstrukt und empirische Evidenz Gewisse Typen, die als «Hilfstypen» («types auxiliaires», cf. Skalička 1946– 1948, 14) zur Basisdominanten hinzutreten und so die sprachspezifische Typenmischung, d.h. den eigentlichen «Typus der Einzelsprache» begründen, können ebenfalls gewisse Präferenzen hinsichtlich ihrer möglichen Kopräsenz in der Art von Subkorrelationen (cf. Skalička ([1946]/1979, 187) begründen. So ist es beispielsweise plausibel, eine Kopräsenz von Polysynthese und Isolation anzunehmen; dies deshalb, weil die Polysynthese in verschiedenen Konstruktionen als eine Erhöhung des Fusionsgrades im Verhältnis zu entsprechenden Konstruktionen bzw. Komponenten des isolierenden Typs aufgefasst werden kann.Dies ist dann der Fall, wenn vorrangig einsilbige Morpheme zur Bildung von «Komposita» zusammentreten: «Der polysynthetische Typus ist in dieser Hinsicht [i.e. mit Bezug auf die Einsilbigkeit] dem isolierenden ähnlich. […] Der monosyllabische Charakter der Sprache bedingt häufige Homonymie, was zur häufigen Verwendung von Komposita führt» (Skalička [1946]/1979, 188). Das hinzutretende Morphem kann dann zur Disambiguierung dienen (cf. Kap. 2.2.2.1, 3) bzw. 3.1.2). Ferner bilden einsilbige Morpheme häufig mehrgliedrige Komposita wie z.B. chin. 行车时刻表 ([xíng-chē-shí-kè-biǎo] ‘gehenWagen-Zeit-Zählwort-Tabelle’) ‘Fahrplan’. Auch zwischen Agglutination und Flexion lassen sich verschiedene Korrelationen aufdecken (cf. Plungian 2001). So ist es hinlänglich bekannt, dass sich eine nach den Prinzipien der Flexion organisierte Grammatik empirisch in der Regel mit einer agglutinierenden wortbildenden Morphologie verbindet (cf. auch Naumann/Vogel 2000, 940). Umgekehrt geht die paragrammatische Affigierung in den realen Sprachen in nur sehr beschränktem Umfang eine Verbindung mit einem analytischen (bzw. isolierenden) Basistyp ein (cf. Naumann/Vogel 2000, 940).82 Dem isolierenden Hawaiischen schreibt Skalička (1955, 24) die Eigenschaft zu, dass «le nombre des préfixes et suffixes est réduit, c’est-à-dire que le principe d’agglutination n’est pas appliqué». Das Englisch und das Französische dagegen integrieren die Derivation in nicht unbedeutendem Maße; hierin sehe ich eine sich fortsetzende Wirkung des ererbten flektierenden Typus.
|| 82 Affixe mit Wortbildungsfunktion sind im flektierenden deduktiven Ideal in mittlerer, im isolierenden in nur (sehr) geringer Zahl vertreten. Flektierende Sprachen lassen real auch die Anhäufung von mehreren Affixen zu, doch selten finden sich mehr als drei in unmittelbarer Abfolge.
Die klassischen Typen als skalare Größen | 123
Wollte man die deduktiven Merkmalskonstellationen der Konstrukttypen in ihrem Verhältnis untereinander, d.h. mit Bezug auf zunächst hypothetisch plausible Typenmischungen in den Einzelsprachen vertiefen, müssten folgende Korrelationen (im Sinne «idealtypischer» oder «präferierter» Zusammenhänge) noch intensiver untersucht und schließlich empirisch mit Blick auf das reale Vorkommen in den Einzelsprachen untersucht werden. Das Besondere an den folgenden Korrelationen ist, dass sie das Verhältnis zwischen grammatischem und paragrammatischem Teilsystem der Sprache tangieren und nicht die mögliche Kopräsenz von spezifischen typuskonstitutiven Merkmalen im grammatischen Bereich allein. Dabei müssen beide Dominanten, d.h. die das grammatische und das paragrammatische System strukturierende nicht identisch sein (cf. Skalička 1975b, 410). 1.
Eine isolierende grammatische Dominante korreliert dann auf paragrammatischer Ebene mit einer ebenfalls isolierenden Dominanten, wenn Konversion als Hauptverfahren der Wortbildung zur Anwendung kommt (Englisch, Französisch, klassisches Chinesisch). Werden auch Lexemwörter zur Kennzeichnung grammatischer Beziehungen eingesetzt, kommt es zu juxtaponierenden polysynthetischen Strukturen (modernes Mandarin).83 Abgesehen von der Konversion machen isolierende Sprachen zur Wortbildung auch von dem spezifischen Verfahren Gebrauch, das Sgall (persönliche Mitteilung) als «Komposition mit Funktionswörtern» des Typs frz. brosse à dents, trait d’union etc. bezeichnet (zur wortbildungstheoretischen Einordnung cf. Kap. 11). In geringerem Umfang kommt auch die (nicht wortbildende) Entlehnung zum Tragen. Beide, syndetische «Komposition» wie die Entlehnung, entsprechen dem Prinzip der Isolation. Für das isolierende Konstrukt ist zudem die Frage der Opposition zwischen motivierten (abgelei-
|| 83 Dass sich mit Bezug auf die Satzstruktur Isolation und Polysynthese treffen können, zeigt sich auch im Französischen, dessen Kompositionsaktivität einerseits häufig in Frage gestellt wird (wobei allerdings Tendenzen zur asyndetischen Komposition bestehen); andererseits kann dessen Kennzeichnung des direkten Objekts durch eine in der Regel rein postverbale Stellung und also ohne grammatische Marker als Manifestation der polysynthetischen Komponente in dieser Sprache gewertet werden (cf. Sgall 1979, 9 bzw. 19, Anm. 20): «So möchten wir darauf aufmerksam machen, dass die feste Wortfolge nicht zu der Grundlage des analytischen Sprachtyps gehört: wenn die syntaktischen Funktionen mit Hilfe von Hilfswörtern (Präpositionen, Konjunktionen) ausgedrückt werden, kann die Wortfolge im Prinzip frei sein; cf. die spanische Präposition a beim Akkusativ, die eine freie Stellung des Objektes im Satz ermöglicht. Im Englischen, Französischen und anderen Sprachen ist die regelmäßige Stellung des Objekts nach dem Verb damit verknüpft, dass das Objekt hier nicht durch ein Hilfswort charakterisiert wird, d.h. eine polysynthetische Erscheinung wird hier mit anderen, die für die Isolierung (Analyse) typisch sind, kombiniert».
124 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
teten, zusammengesetzten, konvertierten) und unmotivierten Benennungen von Belang. Die opaken Bildungen entsprechen genau dem Profil des isolierenden Prototyps; so ist der Wortschatz des Französischen, Englischen etc. wesentlich stärker «zersplittert» (man kann hier auch von Dissoziation oder der Verdunkelung insbesondere etymologischer Familien sprechen) als der des Lateinischen, der slawischen Sprachen oder auch des Deutschen, wo die Bedeutung eines (neuen) Wortes oftmals auf Grund seiner (transparenten) Bildungsweise identifiziert werden kann. Nicht zusammenhängende Paare wie frz. frapper – coup, dormir – sommeil; semaine – hebdomadaire stehen mit der Entlehnungsaktivität einer Sprache im Zusammenhang. Im Rahmen umfassenderer Grammatikalisierungstendenzen erweisen sich auch Isolation und Agglutination als kontingent (cf. das Abstrakta bildende dt. Suffix -heit/-keit, rückführbar auf ein selbständiges Substantiv mit der Bedeutung ‘Beschaffenheit’, sowie die deutschen Elemente mit ausgeprägter Reihenbildung: -gut, -werk, -zeug, -wesen; -frei, -arm, -voll etc. in determinierter Funktion bzw. mit Funktion als Determinans in stink-, tod-langweilig etc.). Formale Reihenbildung sowie semantische Affinität zum lexikalischen Pendant als freiem Morphem charakterisieren den Übergangsbereich zwischen Komposition und Affigierung (cf. die inhaltlich fundierte romanische prolexematische Komposition; cf. Kap. 5.4.1). Die Abgrenzungsproblematik zeigt sich in exemplarischer Weise bei der generischen Komposition des Typs Sport-ler gegenüber Sports-mann, wo das Element -mann selbst reihenbildend wirken kann. (Generische) Suffixe, die aus selbständigen Wörtern hervorgegangen sind, kommen aber im Französischen in der Regel nicht vor84 (eine Ausnahme bildet das adverbbildende Suffix -ment mit Übergang von der lexematischen Komposition zur Entwicklung). Demgegenüber gehen die generischen Elemente des Deutschen und Englischen vielfach auf Lexeme zurück (cf. Stein [1970]/1981, 352).
|| 84 Thiele (21985, 85) schreibt der zweiten determinierenden Komponente in Kombinationen des Typs (cinéma, théâtre) d’avant-garde, (heure, science, industrie) de pointe auf Grund deren starken Reihenbildung, d.h. der Rekurrenz des Determinans eine Art Suffixcharakter zu, wie er etwa bei den deutschen Elementen -zeug, -werk etc. gegeben ist, allerdings mit der Einschränkung, dass «[s]olange diese Glieder […] mit der autonomen Form identifizierbar sind, […] man die Konstruktionen noch als Komposita ansehen [muss]» (ibid.). Ähnliche Grammatikalisierungsprozesse lassen sich beim Typ (position(-), industrie(-), mot-) clé, (classe-, industrie-, ferme-, usine) pilote, (roman-, exposition-, discours, film-) fleuve, (assurance, congé-) maladie, (langue, maison, idée) mère etc. aufzeigen (siehe z.B. P.R. s.v. clé, pilote). Reihenbildend wirken auch die produktiven Verbalstämme wie garde- im Wortbildungstyp der Verb-ErgänzungKomposita (garde-magasin, garde-fou, garde-col etc.)
Die klassischen Typen als skalare Größen | 125
2.
Grammatische Dominante agglutinierend, paragrammatische Dominante agglutinierend (Derivation): Diese Korrelation (wie im Ungarischen, Finnischen nachweisbar) steht in engem Zusammenhang mit dem Fehlen von Wortkategorien im idealtypischen Konstrukt und verweist ihrerseits auf die Eigenschaft dieses Typs, dass die zahlreichen, oft mit Funktionswörtern in anderen Sprachen funktional äquivalenten instrumentalen Morpheme zum Ausdruck der verschiedensten grammatischen Funktionen prinzipiell an alle Wortbasen angefügt werden können (auch Personenmarkierungen an eine «nominale» Basis, Kasuskennzeichen an verbale Basen etc.). Ein lexikalisches Element kann also jegliche syntaktische Funktion im Satz einnehmen. Im Extremfall würde nur eine einzige Wortbasis existieren, auf deren Grundlage nicht nur Wortformen gebildet, sondern idealiter auch alle Wortneubildungen der agglutinierenden Sprache durch entsprechende paragrammatische Verfahren und Affixe derivierbar sind. Die typischen Eigenschaften der Agglutination verbinden auch die Isolation und die Polysynthese miteinander: «polysynthetic and analytical languages are typically agglutinative, i.e., they show a low degree of formal and semantic fusion between root and affix (internal modification)» (Naumann/Vogel 2000, 940). Empirisch verbindet sich eine agglutinierende Basisstruktur auch mit einer polysynthetischen Wortbildung (als Konsequenz aus den genannten grammatischen Eigenschaften der Lexeme). Dies trifft auf die finnougrischen Sprachen zu (cf. Skalička [1946]/1979, 186), zum Teil auch auf die (intro)flektierenden hamito-semitischen Sprachen mit agglutinierender Grundstruktur.
3.
Herrscht bezüglich der grammatischen Dominante die Polysynthese (meist findet sich empirisch eher ein starker Anteil an isolierenden oder agglutinierenden Hilfskomponenten) vor (cf. insbesondere Skalička 1955),85 der auch die syntaktische Inkorporation entspricht (z.B. Takelma; cf. Skalička 1968b), etabliert sich eine polysynthetische paragrammatische Dominante qua Entfaltung der Komposition (cf. Nahuatl mit Inkorporation und Tendenz zur Nominalkomposition).86 Die Affigierung kann (gemäß der Tendenz
|| 85 Sapir (1921, 128) bestätigt ein «particularly rich affix inventory» für polysynthetische Sprachen (cf. Naumann/Vogel 2000, 940). 86 Die Polysynthese lässt sich über das polysynthetisch-inkorporierende Tschuktschische (einer paläo-sibirischen Sprache) veranschaulichen. Die einzelnen lexikalischen und grammatischen Morpheme können in dieser Sprache klar voneinander getrennt werden, die zudem
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zur Agglutination) hier ebenfalls insofern zum Tragen kommen,87 als etwa bei der nicht-inkorporierenden Polysynthese (also einer solchen, die nicht mehrere Stammmorpheme miteinander verbindet, sondern eine gewisse Anzahl von Affixen um ein einzelnes lexikalisches Basismorphem gruppiert)88 komplexe Strukturen aus der Affigierung hervorgehen. Insofern ist der Übergang zwischen polysynthetischen (nicht-inkorporierenden) und primär agglutinierenden Sprachen kein scharf begrenzter; trotzdem bilden beide unabhängige Verfahrenstypen und nicht verschiedene Werte ein und desselben Parameters (cf. Comrie 1981, 43). Dies zeigt sich auch auf semantischer Ebene, cf. chin. 好看 [hǎokàn] (‘gut-aussehen’) ‘hübsch’ < 看 [kàn]
|| (gemäß den Parametern der Segmentierbarkeit sowie Forminvarianz; cf. Kap. 3.5.1) weitgehend invariabel sind; cf. tschuk. t∂-meyŋ∂-levt∂-p∂γt-∂rk∂n [1SG-groß-Kopf-Schmerz-IMPF] ‘ich habe große Kopfschmerzen’ mit den drei lexikalischen Morphemen meyŋ- ‘groß’, levt- ‘Kopf’, p∂γt‘Schmerz’ sowie den grammatischen Morphemen t- zum Ausdruck der ersten Person Singular Subjekt und -rk∂n, das den imperfektiven Aspekt wiedergibt (lediglich der – in der Regel prädiktible – Vokal ∂- stört diese Segmentierbarkeit; sein Vorkommen dient jedoch der Auflockerung von Konsonantenkombinationen, vornehmlich an Morphemgrenzen). Beispiel nach Comrie (1981, 45; cf. Skorik 1961, 102). 87 Viele amerindische polysynthetische Sprachen sowie das Indonesische stützen sich zum Ausdruck paragrammatischer Inhalte tatsächlich in bedeutendem Maße auf die agglutinierende Derivation. So dient diese beispielsweise zur Bildung von Subjektnominalisierungen mit Hilfe des Präfixes pe- oder per- (cf. indones. tulis ‘schreiben’ − penulis ‘Schriftsteller’, adjar ‘lehren’ − pengadjar ‘Lehrer’, minum ‘trinken’ − peminum ‘Trinker’; cf. die generische Komposition qua Suffix des Typs chanter − chanteur), zur Prädikatnominalisierung durch das Suffix -an (cf. ind. buat ‘machen’ − buatan ‘Produkt’; cf. créer − création); Abstrakta können durch die Kombination von per- und -an gebildet werden (z.B. saudara ‘Bruder’ − persaudaraan ‘Brüderlichkeit’) etc. (cf. Skalička 1955a, 23). 88 Häufig werden die eskimo-aleutischen Sprachen als polysynthetische, wenngleich nicht inkorporierende Sprachen eingeordnet (cf. ähnlich Algonkin-Fox mit folgendem Beispiel, bestehend aus einem Wurzelelement – dem Verbalstamm kiwi ‘in unbestimmter Richtung rundherum verlaufen’ – , einem Präfix (eh- zum Ausdruck einer adverbialen Bestimmung der Zeit) und sieben Suffixen: eh-kiwi-n-a-m-oht-ati-wa-tsch(i) ‘dann hielten sie (ihn) zusammen auf der Flucht vor ihnen’; cf. Sapir [1921]/1961, 71–72); anderes dagegen Skalička ([1946]/1979, 186), der «das Eskimoische» den agglutinierenden Sprachen zuweist. Tatsächlich zeichnen sich die eskimo-aleutischen Sprachen durch äußerst produktive Derivationsmechanismen (v.a. zur denominalen Verbalisierung, cf. Sapir [1911]/1962, 254) aus. So sind die (formal konstanten) grammatischen Suffixe vom lexikalischen Morphem problemlos abtrennbar: angya-ghlla-ngyug-tuq [Boot-AUGMENTATIV-ERWERBEN-DESIDERATIV-3SG] ‘er will ein großes Boot erwerben’ (cf. Comrie 1981, 45; Beispiel aus S. A. Jakobson 1977, 2–3). Dass jedoch verschiedene Affixe an ein einziges lexikalisches Morphem angefügt werden, nicht aber mehrere lexikalische Morpheme in Kombination zueinander treten, dient der Prager Typologie als Kriterium für das Vorliegen einer agglutinierenden und nicht einer polysynthetischen Struktur.
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‘aussehen’ (Li/Thompson 1981, 38): «Because of the highly concrete semantic content of the derivational morphemes, they resemble compounds more than typical derivations» (Naumann/Vogel 2000, 940). Tab. 1: Korrelation Basisdominante – Hilfstyp
Grammatischer typologischer Parameter
Symbiotischer Co-Parameter
Natürlichsprachlicher Exponent
Polysynthese (ggf. + Inkorporation)
+ Isolation (Konversion)
Chinesisch
+ Agglutination (Derivation) amerindische Sprachen
4. Ist die Basisdominante im Bereich der Grammatik flektierend, sieht das Konstrukt für die Paragrammatik ebenfalls eine flektierende Dominante vor, da idealiter die grammatischen Endungen auch der Ableitung von Wörtern dienen. Eine rein flektierende Wortbildung findet sich dort verwirklicht, wo sich Basis und Ableitung dadurch voneinander abheben, dass beide einer anderen Klasse im Rahmen der Kennzeichnung von Genus, Deklinations- oder Konjugationsparadigmen angehören, z.B. tsch. pero ‘Feder’ – peří ‘Gefieder’ (Kollektivierung); trpět ‘leiden’ – trápit ‘quälen’ (Kausativum); mit Introflexion als Strukturierungsprinzip: z.B. dt. fallen – fällen, sitzen – setzen etc. Über entwickelte Ableitungssysteme dieser Art verfügen die Bantusprachen (cf. Skalička [1945]/1979, 198–237). Die flektierenden Sprachen rekurrieren in diesem Rahmen auch auf die Motion («flexivische Konversion») (cf. lat. URSUS – URSA etc.). Die empirischen Sprachanalysen lassen aber darauf schließen, dass sich in besonders harmonischer und diachronisch stabilster Weise eine flektierende grammatische Dominante und eine agglutinierende Derivation wie etwa im Lateinischen oder Tschechischen miteinander verbinden.89 Die Frage stellt sich, weshalb sich diese Konstellation als besonders stabil bzw. sprachökonomisch erweist. Beispielsweise ist
|| 89 Die Frage nach der Kombination verschiedener typologischer Merkmale in dem von Sgall im Vergleich zur Theorie Skaličkas erweiterten Verständnis (wonach sich von einer zentralen Basiseigenschaft sämtliche übrigen für das Konstrukt typischen Merkmale ableiten lassen) wurde namentlich von Popela (1985, 1988) untersucht (seine Schriften sind mir nur aus den in Sgall zusammenfassend referierten Passagen bzw. aus privater Korrespondenz mit letzterem zugänglich, da Übersetzungen der für mich relevanten Passus nicht vorliegen). Er macht insbesondere auch auf die eindeutig präferierte Korrelation von flexivischer Morphologie einer Sprache und agglutinierender Wortbildung aufmerksam (cf. Sgall 1995, 70).
128 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
5.
der Anteil an auf Grund von regelhafter Bildung für den Sprecher erschließbaren Strukturen bei reiner Flexion relativ gering, da im Grunde jede Wortform wie ein neues Lexem erlernt werden muss. Der introflektierende Typus ist zu schwach, um als Basisdominante zu fungieren (cf. Skalička 1946–1948); das Arabische sowie andere semitische Sprachen als Prototyp dieses Konstrukts besitzt eine grundlegend agglutinierende morphologische Struktur. Die Introflexion ist aber prinzipiell zum Ausdruck sowohl grammatischer Funktionen wie paragrammatischer Inhalte geeignet (cf. arab. hamala ‘tragen’ – himlun ‘Last; Ladung’, hammālun ‘Träger’). Insgesamt darf ein paralleles Wirken der Dominanten, wie sie für das Konstrukt als Ganzes ausgewiesen wird, gleichermaßen in Grammatik und Paragrammatik nicht apriorisch vorausgesetzt werden.90 Auch Naumann/Vogel (2000, 940–941) beziehen in ihre Betrachtungen zur Derivation die typologische Dimension mit ein.91 Allerdings wird einerseits die Korrelation bzw. Interdependenz, andererseits die Trennung von Grammatik und Paragrammatik bezüglich der jeweiligen Verfahren und ihrer typologischen Interpretation nicht deutlich akzentuiert. Allgemein gilt zunächst unter Verweis auf Greenbergs (1963) Universale 29, dass es prinzipiell vorkommen kann, dass Sprachen über Derivation, nicht aber über Flexion verfügen, dass jedoch dann, wenn eine tragfähige Flexion vorhanden ist, immer auch Mittel der Derivation eingesetzt werden. Dies bestätigt die obigen Aussagen unter 1) bis 4). Verfügt eine Sprache sowohl über Derivation wie über Flexion (z.B. Latein) und bringt sie zudem die agglutinierende Technik zur Anwendung, erscheinen derivationelle Elemente näher am Wurzelelement als Flexionselemente (Greenbergs 1963a Universale 28).
3.6 Das Französische als Exponent des isolierenden Konstrukts 3.6.1 Das Französische – Annäherung an das isolierende Konstrukt Auf der Folie der interagierenden Merkmalskonstellationen im Sinne probabilistischer Implikationen, wie sie in den voraufgehenden Kapiteln expliziert wurden, lässt sich nun der Grad der Approximation des Französischen gegenüber dem isolierenden Konstrukt (cf. Kap. 3.6.1) einschätzen.92 Als ein grobes typolo|| 90 Aus der Perspektive der Natürlichkeitstheorie wird die typologische Fragestellung in Sgall (1988) dargestellt, die für die angeschnittene Problematik ebenfalls von Bedeutung ist. 91 Die Ausführungen beruhen wesentlich auf Sapir (1921). 92 Skalička betrachtet das Französische neben dem Englischen und bestimmten polynesischen Sprachen sogar als prototypisch isolierende Sprache, wobei die Basismerkmale der je
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gisches Profil ergibt sich folgende Gewichtung der koexistenten Typen: 1) als grammatische Dominante die Isolation (incl. Dissoziation) mit 1a) Flexion als subsidiärem Strukturprinzip und 1b) polysynthetischen Strukturen, 1c) marginalem Vorkommen von Introflexion; 2) als paragrammatische Dominante die Agglutination (qua ererbter Mittel zur Derivation), komplettiert (konkurrenziert) durch 2a) die Konversion bzw. Transposition mit Suffix; hinzu tritt 2b) die Polysynthese (Komposition). Folgende Merkmale treffen summarisch auf das Gegenwartsfranzösische zu: Ausdruck grammatischer Bedeutungen durch instrumentale Morphemwörter (Existenz von Präpositionen, Konjunktionen, Auxiliaren; abhängiges Verb realisiert als finites Verb eines Nebensatzes oder als Infinitiv mit Präposition);93 große Anzahl an Vokalen mit zudem distinktiver Funktion;94 Zwar Vorkommen von wortkategoriellen Differenzierungen, aber Vordringen der Konversion; Vorkommen von Affixen als historische Gegebenheit (Dominanz isolierter, nicht abgeleiteter, nicht transparenter Wörter verstärkt im Englischen, weniger im Französischen); Opposition zwischen Affixen (Derivativen) und grammatischen Morphemen im Gegensatz zum Idealkonstrukt gegeben (sprachhistorische Bedingtheit); Fehlen von Endungen (im Verbalbereich, v.a. im code oral); grammatikalisierte Satzgliedstellung, Vorkommen eines Artikels; durch Morphemwörter (einschließlich Konjunktionen) eingeleitete Nebensätze. Das Substantiv erscheint im isolierenden Konstrukt als unveränderliche Kategorie, die keine Endungen, Prä- oder Suffixe aufnimmt, d.h. das Wort wird als isolierte Einheit behandelt (cf. frz. «père» jeweils in mon père a dit, je vois mon
|| anderen Idealtypen im Französischen mit unterschiedlicher Gewichtung vertreten sind (cf. Skalička 1951, 23–36; Geckeler 2001). In Anbetracht des paragrammatischen Systems, v.a. der trotz typologischen Wandels erhaltenen derivativen Verfahren, ist eine solche Einschätzung nicht wirklich haltbar (cf. auch Geckeler 1984). 93 Aussagen über die Existenz eines gewissen Monosyllabismus bei Morphemwörtern und selbständigen Lexemen (cf. Skalička [1951]/1979, 27; [1946]/1979, 188) (cf. z.B. frz. sur, sous, à, de; elle(s)/il(s)/on; pied, main, homme, ville, paix, vin) lassen sich m. E. nicht pauschalisieren. 94 Auf die Phonetik bzw. Phonotaktik kann ich nicht eingehen; für das Französische trifft zumindest Folgendes zu: «Im Vergleich zu den meisten anderen romanischen Sprachen, aber auch im übergreifenden typologischen Vergleich, zeichnet sich das Französische durch eine große Zahl von Phonemen im vokalischen Bereich aus […]. Vor allem die Reihe der gerundeten Vorderzungenvokale /y/, /ø/, /œ/ und die der Nasalvokale ist typologisch gesehen deutlich markiert» (Selig 2008, 163; cf. Pompino-Marschall 1995, 214–215).
130 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
père, avec mon père etc.). Entsprechend wird auch der grammatische Numerus (im code oral) nicht differenziert (père/pères), d.h. Pluralbildungen wie cheval/chevaux, œil/yeux stellen eine (introflexivische) Abweichung vom isolierenden Konstrukt dar. Bei der Genusmarkierung differenziert das Französische im Gegensatz zur Basiseigenschaft Maskulinum und Femininum. Zum Ausdruck der Relation der Possessivität wird – gemäß dem Konstrukt – ein eigenes Wort eingesetzt, cf. mon père. Die Realisierung des Konstrukts ist hier aber dadurch eingeschränkt, dass das Possessivpronomen im Französischen selbst wieder nach Genus und Numerus des Bezugsnomens (mit Referenz auf das Bessessene und nicht den Besitzer) kongruiert95 (analog verhält sich das Französische bei anderen Determinanten wie den Demonstrativpronomina, Artikel etc.). Sgall betont, dass in vielen Fällen ein einziges sprachliches Phänomen bzw. eine Konstruktion Eigenschaften verschiedener Typen beinhalten kann: dies trifft zum einen auf die Flexion bei instrumentalen Morphemwörtern (cf. frz. aux, du, le/la, il/elle etc.) zu, die man auch als «sekundäre Flexion» bezeichnen kann, zum anderen auf die «ebenso analytische wie polysynthetische Konversion»96 bzw. verschiedene andere Erscheinungen. Die kontrahierten Formen, die aus einer Fusion von definitem Artikel und Präposition (cf. frz. à + le > au; à + les > aux; de + le > du; de + les > des, it. in + il > nel, in + lo > nello, in + lʼ > nellʼ, in + la > nella, in + i > nei, in + gli > negli, in + le > nelle etc.) hervorgehen und daher kategorial schwer einzuordnen sind (cf. die divergierenden Bezeichnungen als «preposizioni articolate» im Italienischen oder «datif/génitif de l’article» im Rätoromanischen), untersucht Sőrés (2020) detailliert für sieben romanische Sprachen (ausgenommen ist das Rumänische, welches den Artikel nachstellt). Die (auch semantische) Analyse betont den Entwicklungsprozess und schlussfolgert in der diachronischen Sicht, dass im Rahmen einer «sekundären Grammatikalisierung» die nominale Kasusflexion auf die Präposition übergeht, wohingegen andere grammatische Kategorien am Artikel markiert werden, der mit
|| 95 Die Funktion Kasus als grammatische Kategorie steht beim Genitiv der Possessivität als universaler inhaltlicher sprachlicher Funktion gegenüber. Der Ausdruck des Zueignens (der Possessivität) erfolgt nach dem idealtypischen Konstrukt der Allgemeinen Typenlehre in einer Sprache wie dem Französischen durch ein eigenes Wort. Das Französische besitzt ein paradigmatisches System an Possessiva mit getrennten Serien für adjektivische Possessivdeterminanten (mon, ma, mes; ton, ta tes; son, sa, ses; notre, nos; votre, vos; leur, leurs mit Genus- und Numerusakkord in Abhängigkeit vom jeweils Besessenen) und substantivische Possessivpronomina (le mien/la mienne, les miens/les miennes; le tien/la tienne, les tiens/les tiennes; le sien/la sienne, les siens/les siennes; le/la nôtre, les nôtres; le/la vôtre, les vôtres; le/la leur, les leurs); allerdings weisen die Pronomina eine (dem Konstrukt zuwiderlaufende) interne Flexion auf. 96 Sgall, persönliche Mitteilung.
Das Französische als Exponent des isolierenden Konstrukts | 131
der Präposition verschmilzt. Daher ordnet die Autorin die fusionierten Formen als «prépositions fléchies» ein, die für die grammatikalischen Kategorien Genus, Numerus und Definitheit markiert sind. Im Bereich der Kasus wird die Opposition zwischen Nominativ und Akkusativ (construction directe) – im Konstrukt wie in der realen sprachlichen Ausprägung – durch die Wortfolge im Satz ausgedrückt, die relativ regelmäßig (mit gewissen Ausnahmen, d.h. Fällen der Inversion) dem Muster SPO folgt. Die Funktion des Genitivs beruht materiell auf dem präpositionalen Ausdruck mit de, die des Dativs auf der Präposition à (construction indirecte). Insgesamt zeichnet sich das quasi-isolierende Französische durch eine Tendenz zum selbständigen Wort und damit auch zum Gebrauch von Präpositionen aus. Für das Konstrukt typisch ist ferner der Ausdruck von Numeralia mit Hilfe eines unveränderlichen Zahlwortes (im Französischen idealiter in Verbindung mit einem Substantiv, dessen Pluralform nicht hörbar ist, also dem Typ trois maisons folgt – abgesehen von unveränderlichen Substantiven wie mille fois oder Eine isolierende mille porte-bonheur). Die interne Variation der Determinanten le, la; un, une etc., die per se zu den «isolierenden» Wörtern zu rechnen sind, stellt dagegen eine Abweichung vom Konstrukt bzw. einen flexivischen Zug dar. Das isolierende Konstrukt präferiert grundsätzlich das primäre, selbständige, nicht abgeleitete (d.h. mit keinem anderen verwandte) Wort (z.B. talent). Daneben entsprechen dem isolierenden Prinzip Wörter, die aus einem Bedeutungswandel hervorgegangen sind, sowie solche, die auf der Juxtaposition zweier oder mehrerer selbständiger Wörter beruhen. Alle diese Tendenzen, namentlich letztere, lassen sich im Französischen nachweisen (cf. z.B. unmotiviertes la capitale ‘Hauptstadt’, aus einer Ellipse (ville) capitale hervorgegangen; Zusammenrückung: sauve-qui-peut). Außerdem stellt die Konversion einen Zug dar, der das Französische als guten Vertreter des Idealtyps ausweist. Dass die Konversion im Französischen gut etabliert ist, hängt mit der konstruktadäquaten schwachen Differenzierung der Wortarten zusammen. Wie das Substantiv zeichnet sich auch das isolierende Adjektiv durch seine Unveränderlichkeit aus. Das Französische verhält sich hier insofern dem Prinzip gemäß, als das Adjektiv keine Kasusendungen aufweist. Dem isolierenden Konstrukt widerspricht aber die Markierung von Genus und Numerus (im code phonique nur bei Liaison) im Französischen: cf. grand(s), grande(s) (cf. Kap. 5.5, Kap. 6). Andererseits ist ein Großteil der Adjektive im Französischen einendig (zum Teil nur im code phonique: isolé – isolée, zum Teil auch im code graphique: sympathique). Im Einklang mit dem Ideal steht wiederum die Bildung des Komparativs (bzw. des Elativs) mittels besonderer Wörter (plus; le plus, très). Suppletivfor-
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men wie meilleur entsprechen dem isolierenden Prinzip dann, wenn sie wie separate lexikalische Morpheme funktionieren. Im isolierenden Konstrukt ist die Opposition zwischen Adjektiv und Adverb im Idealfall aufgehoben (cf. sie ist/singt schön). Das Französische, das Adverbien normalerweise auf -ment bildet, folgt hier nur teilweise dem Konstrukt (cf. chanter faux, voter socialiste etc.). Bezüglich der Komparation gilt wie beim Adjektiv der präferierte Einsatz isolierter Wörter (il chante mieux – il court plus vite). Eines der herausragendsten Merkmale des isolierenden Typs ist die Bevorzugung von Hilfswörtern und Präpositionen (v.a. de und à); für diesen Sprachtypus symptomatisch ist ferner der Gebrauch von Pronomina, die häufig dort vorkommen, wo andere Sprachen mit der Verbflexion operieren. So wird im Französischen das Subjekt beim Verb (sofern diese Funktion nicht von einem Substantiv übernommen wird) vielfach durch ein Pronomen eindeutig kenntlich gemacht (je donne – aber nous donn-ons), wobei die Setzung des Pronomens obligatorisch ist (und zuweilen auch in Verbindung mit einem Substantiv oder einem Eigennamen erscheint: Il partira quand, Moïse?/Moïse, il partira quand?). Auch für das Pronominalobjekt (Dativ, Akkusativ) ist im Französischen ein eigenes Wort vorgesehen (je te le donne).97 Typisch ist zudem die häufige Verwendung von Relativpronomen auch an Stellen, wo andere Sprachen auf Partizipialkonstruktionen zurückgreifen. Person und Numerus beim Verb werden ebenfalls durch eigene Wörter realisiert: je donne (1. Pers. Sg.), ils donnent (3. Pers., Numerusmarkierung hier nicht hörbar, cf. il donne), wobei aber die redundante Markierung der 1. und 2. Person Plural (nous donnons, vous donnez) gegen die Prinzipien des Konstruktes verstößt. Dem isolierenden Typ nicht gemäß ist neben dem Verfahren der Prä- und Suffigierung die Existenz verschiedener Konjugationsmuster (es werden bis zu 7 Konjugationen unterschieden: 1. -er: parler; 2. -enir: tenir; 3. -ir: choisir; 4. -tre: connaître; 5. -dre: tendre; 6. -re: dire; 7. -oir: voir; cf. Confais, 1980, 262ss.) und von «unregelmäßigen» Verben als Merkmale des flektierenden Idealtypus (z.B. aller, venir). Allerdings ist im Gegenwartsfranzösisch für die Gruppe der Verben auf -er (und bis zu einem gewissen Grade die -ir- Gruppe mit Stammerweiterung) eindeutig die höchste Produktivität zu verzeichnen; zudem wurde die
|| 97 Sgall (1979, 14) räumt ein, dass die französischen Pronominalformen zwar gewöhnlich dem isolierenden oder «analytischen» Typ zugeordnet werden, der Abstand zum agglutinierenden Typ allerdings nicht so groß sei wie gemeinhin angenommen. So sind die Pronominalformen je te le donne von den spanischen agglutinierenden Konstruktionen wie in damelo nicht sehr verschieden, sofern man die Orthographie nicht überbewertet. Hier kommt bereits die Polysynthese zum Tragen.
Das Französische als Exponent des isolierenden Konstrukts | 133
Zahl der «unregelmäßigen» Verben aus historischer Sicht stark reduziert. Sofern noch Alternanzen bei Verben bestehen, werden diese Verben im français populaire von den Sprechern häufig auf «regelmäßige» Weise neu gebildet, cf. *je moure, *je vas (cf. Kap. 7.6.3). Generell lässt sich beobachten, dass viele aus der Sicht des isolierenden Konstruktes «inkohärente» Formen in anderen Sprachniveaus aufgehoben sind, und auch bezüglich der Diachronie ist ein Rückgang solcher Divergenzen vom Idealtyp feststellbar. Damit stellt sich andererseits beim französischen Verb wie auch beim Substantiv das Problem der «Homonymie» (je/il chante) und «Synonymie» (je chante, je choisis), wohingegen das isolierende Konstrukt Einheitlichkeit der Formen bei verschiedenen Verben bzw. keine Flexion vorsieht, d.h. «Homonymie» und «Synonymie» kommen idealer Weise nicht vor. Ein besonderes Kennzeichen des isolierenden Konstruktes ist seine Fähigkeit zur Modifizierung der Grundbedeutung des Verbs mittels spezieller Wörter wie in faire bouillir (faktitiv), Konstruktionen wie se laver (reflexiv) oder bei je ne donne pas (Negation). Auf besondere Wörter (Hilfsverben) rekurriert der isolierende Typus auch zur Markierung von Tempus, Modus, Diathese (cf. Kap. 7.6 bis Kap. 8). Das Verhalten des Französischen steht hier insofern in Einklang mit dem Konstrukt, als es eine Tendenz zum verstärkten Gebrauch der periphrastischen Konstruktionen aufweist (je suis rentré(e), j’avais dit, jusqu’à ce que je l’aie reconnuee, ils auront été décernés des prix etc.). Eine Inkonsequenz zeigt sich im Gebrauch von Präfixen wie in refaire, déshabiller (Wiederholung bzw. reversible Handlung), die für das agglutinierende Konstrukt typisch sind. Im Konstrukt ist das Verb wie schon das Substantiv im Idealfall monosyllabisch aufgebaut, wobei das französische Verb diese Voraussetzung in geringerem Maße erfüllt als das Substantiv (die 1. und 2. Person Plural sind grundsätzlich bisyllabisch gestaltet; allerdings wird nous + Verb vielfach durch on + Verb substituiert). Im verbalen Bereich finden sich zahlreiche regelmäßig nicht monosyllabische Strukturen zum Ausdruck von Funktionen im Rahmen der Tempora und Modi. Allerdings macht sich dort, wo in anderen Sprachen ein abgeleitetes Verb steht, der isolierende Typ oft auf der Wortkombination beruhende Verfahren zunutze (so genannte «Funktionsverbgefüge» bzw. «constructions à verbe support»; cf. Kap. 3.6.2.1; 4.2.4), z.B.: donner avis – ankündigen, faire silence – schweigen, die, wie die periphrastischen Konstruktionen, dem Typus entsprechen. Was den Satzbau anbetrifft, zeichnet sich der isolierende Typ zum einen durch die Folge Subjekt (Substantiv oder Pronomen) – Prädikat (cf. Paul dort – je dors – Il pleut), zum anderen durch die Bevorzugung von Satzgefügen aus; insgesamt ist für den isolierenden Typ die Vielzahl der Nebensätze symptomatisch.
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In dem Bestreben, «Beziehungen zwischen den einzelnen Erscheinungen zu finden» (Skalička 1958b, 316), zeigt sich, dass die interdependenten Merkmale im Rahmen der Skalička’schen Typologie hauptsächlich aus dem Bereich der Grammatik stammen, d.h. der Bereich der Morphologie ist wesentlich stärker repräsentiert als etwa die Syntax oder die Wortbildung (phonische Aspekte werden auf Grund der offenkundigen spezifischen Schwierigkeiten, die dieser Bereich birgt, nur ganz marginal berücksichtigt). In dem «Gefüge von günstigen Beziehungen» (Skalička 1958b, 323), das der Sprachtyp verkörpert, ergeben verschiedene Typen eine bestimmte Mischung. Im Falle des Französischen ist der als dominant hervortretende der isolierende.
3.6.2 Die englische und französische Sprache auf dem Weg zur «Isolation» – sprachlicher Wandel und Sprachkontakt Der Vergleich des Französischen mit dem Englischen besitzt einen besonderen heuristischen Wert: Als eine dem Prototyp schon nahe kommende isolierende Sprache kann das Englische im Sinne eines Mikrosystems als Prüfstein einerseits für das deduktiv erstellte Konstrukt dienen und andererseits zugleich die Grenzen bezüglich des Maßes der tatsächlichen Realisierbarkeit des Konstrukts aufzeigen. Hier ist die diachronische Sprachentwicklung (in Grammatik und Paragrammatik) mit zu berücksichtigen. Diese führt auf die Situation des Sprachkontaktes mit dem Französischen seit der Normannischen Eroberung 1066 hin; es ist wahrscheinlich, dass die besonderen Bedingungen und Auswirkungen des Sprachkontaktes die typologische Entwicklung des Englischen beeinflusst hat. Die weitreichenden Konsequenzen der typologischen Entwicklung seit altenglischer Zeit für das System des heutigen Englisch sind hinlänglich bekannt; dabei geht es primär um die Auslagerung verschiedener grammatischer Funktionen wie Kasusmarkierungen aus der Einheit Wort, die in einer flektierenden Sprache wie dem Altenglischen als Träger dieser Inhalte dient, auf die syntagmatische Ebene. Auch der Bereich der Wortbildung zeigt eine Verstärkung der syntagmatischen Verfahren. Alexander Haselow (2011) hat eine Studie vorgelegt, die sich den analytischen Tendenzen der Englischen Nominalbildung (mit Bezug auf fünf konzeptuelle Kategorien: [PERSON, OBJECT, LOCATION, ACTION, ABSTRACT]) widmet; selten genug, dass sich die sprachtypologische Forschung dem wortbildenden System einer Sprache, zumal einer so gut untersuchten wie dem Englischen, zuwendet – bislang also ein Desiderat und zugleich eine weiterführende Arbeit. Haselow
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operiert ebenfalls mit den aus der klassischen strukturellen Sprachtypologie bekannten Parametern («fusional, isolating, agglutinating, incorporating, introflecting») als «encoding techniques» und ordnet das Englische Nominalsystem auf dem Hintergrund des sprachhistorischen typologischen Wandels, der das Englische im Übergang vom Alt- zum frühen Mittelenglischen erfasst (inklusive der Einflüsse durch Sprachkontakt mit dem normannischen Französischen bzw. durch die Aufnahme lateinischer Derivationsmorpheme mit der Konsequenz verschiedener typologisch relevanter Schichten), zwischen Synthese und Analyse, verstanden als «structural types», ein. Auf diese Weise wird die typologisch relevante globale Reorganisation der Morphosyntax des Englischen mit dem wortbildenden System korreliert. Die Tendenz zur verstärkten Analyse wird für dieses Subsystem empirisch belegt; dabei dienen drei Faktoren – zwei quantitative und ein qualitativer – der Erfassung des typologischen Wandels innerhalb des Wortschatzes: (1) «changes in the frequency of use of bound morphemes (affixes) employed for the indication of lexical categories»; (2) «changes in the morphological status of lexical bases and thus in the structure of ‘words’»; (3) «changes in the way in which a language packages semantic material into words, i.e. in the internal semantic structure of ‘words’ (conflation)» (siehe Haselow 2012, 204). Haselow gelangt zu folgendem Ergebnis, das dem Wort ebenfalls eine konstitutive Rolle in der Organisation dieser Sprache beimisst: «both domains of morphology, inflection and derivation (and here both prefixation and suffixation), followed the same directional movement towards reduction and eventual loss, with only a few remnants of a formerly productive system of bound morphology remaining in the language. The common development derives from the fact that both grammar and the lexicon use similar encoding strategies of information relevant to their domain since both depend on the general morphological type of the language, which is determined by the status of lexical bases. Consequently, a change of the morphological status of lexical bases [which evolved from a root-based over a stem-based to a wordbased underlying morphological structure, B.K.] triggers a change of the encoding type of categorical information in both domains» (Haselow 2011, 281).
Daher besteht kein Grund, die Wortbildung aus der typologischen Analyse auszugrenzen; in Anbetracht des Wandels des Englischen von einer «predominantly synthetic towards a predominantly analytic language» auf grammatischer Ebene, lassen sich auch «indicators for a shift towards more isolating expression techniques of categorical information» innerhalb des wortbildenden Bereichs nachweisen (Haselow 2012, 223). Ausführlich beschrieben sind die Folgen, die der Ausbau der syntagmatischen Ebene mit sich bringt, in Leisi (71985, 116–176) sowie Kortmann (1999, 81– 118) (cf. insbesondere die Ausführungen zur Konversion, Leisi 71985, 106–116;
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Kortmann 1999, 82 sowie 66–69). Der Vorzug dieser beiden Darstellungen beruht darauf, dass sich die typologischen Entwicklungslinien aus einem zusammenhängenden Komplex an typologisch relevanten Merkmalen und strukturellen Mustern ergeben. Leisi (71985, 135–176) hat hier die Dichotomie der «gestärkten» und «geschwächten» Kategorien eingeführt und die entsprechenden Tendenzen ausführlich illustriert, wobei der «Wortverband» (mit Wortfunktion, cf. ibid., 116–134) eine Schlüsselrolle einnimmt. Was Leisi als Wortverband auffasst, ist eine «syntaktisch eng verbundene Gruppe von Wörtern, die die gleiche Funktion hat wie normalerweise ein einzelnes Wort» und «die alle Stufen von gelegentlicher freier Anreihung bis zum festen, nur in der betreffenden Zusammensetzung verwendbaren Gebilde (Idiom)» umfasst (Leisi 71985, 116, 117). Mit dem Terminus werden also auch intermediäre Bereiche zwischen fester Verbindung (bzw. Komposition) und loser Fügung zu erfassen gesucht.98 3.6.2.1 Grammatik Den zentralen Zug des isolierenden Konstruktes bildet in der Allgemeintypologischen Forschung die Unveränderlichkeit des Substantivs bzw. die des Wortes allgemein (Skalička [1951]/1979, 24), also die geringe Anzahl an Wortformen pro Lexem. Diese steht im Bezugsrahmen der indoeuropäischen Sprachen in der Regel im Zusammenhang mit einer diachronischen Entwicklung zum Flexionsabbau. So hat beispielsweise die erhebliche Reduktion der Flexionskategorien im Zuge der historischen Entwicklung des Englischen seit altenglischer Zeit dazu geführt, dass das englische Wort lediglich über ein sehr reduziertes Inventar an lexematischen Varianten oder Wortformen verfügt (cf. dazu anschaulich Kortmann 1999, 81ss.): «Auf dieser kleinen Anzahl von Wortformen pro Lexem, verursacht durch den weitgehenden Flexionsverlust, basiert auch die Charakterisierung der Entwicklung des Englischen hin zu einer ‘Sprache des unveränderlichen Wortes’, also einer analytischen oder isolierenden Sprache»99 (Kortmann 1999,
|| 98 Die Akzentuierung der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systembereichen im Sinne von vagen Grauzonen (wie sie insbesondere in der kognitiven Linguistik eine Rolle spielen) liegt als wesentliche Orientierung der gesamten Konzeption von Kortmanns Einführung (1999) zugrunde; insofern ergänzen sich beide Werke einführenden Charakters in günstiger Weise. 99 Cf. ibid., 86: «Das Englische hat […] seinen Flexionsbestand viel stärker abgebaut [als das Deutsche] und damit einen radikalen typologischen Wandel durchlaufen, sodass es jetzt im Vergleich mit dem Altenglischen eine stark analytische Sprache ist, ja sogar eine weitgehend isolierende Sprache, in der die einzelnen Lexeme kaum noch verschiedene Wortformen aufweisen».
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82). Der isolierende Typ wird teilweise als spezifischerer Typ des analytischen Ideals begriffen, indem er als dessen Radikalisierung betrachtet wird (völliger Flexionsverlust vs. reduzierte Flexion, gänzliches Fehlen von Wortformen vs. geringe Variation der Wortformen pro Lexem etc.).100 Ausgleichend zum radikalen Abbau der Flexionsmorphologie hat die Syntax gewisse Funktionen übernommen, so dass im Englischen eine rigide Satzgliedstellung gemäß der dominanten Abfolge SPO der Satzkonstituenten vorherrscht. Im Zuge der Schwächung bestimmter Flexionskategorien erfuhren andere eine Stärkung; als Manifestationen der Schwächung grammatischer Kategorien können etwa genannt werden: die Nivellierung der Kasusunterschiede, Aufgabe der Kasus- und Numerusdifferenzierung beim Adjektiv, Verlust des grammatischen Geschlechts (das oft in Konflikt stand mit dem natürlichen). Im Gegenzug erlangten folgende Kategorien ein stärkeres Gewicht, insofern als sie entweder neu aufkamen oder sich der Parallelismus von Form und Funktion unter Abbau von Unregelmäßigkeiten innerhalb der Paradigmen verstärkte: insbesondere der periphrastisch ausgedrückte Aspekt (die Unterscheidung zwischen progressiver und einfacher Form) sowie Tempus und Modus des Verbs qua Rekurs auf Auxiliare (bzw. «Semi-Auxiliare», cf. have to, be going to) zur Bildung komponierter Zeitformen (cf. periphrastische Bildungen wie he has arrived, she will be going, he must have answered, he may have been being interviewed; Ausdruck des Futurs durch will/shall + Inf., be going to + Inf., be + V-ing etc.) bzw. zum Ausdruck vielfältiger zusätzlicher temporaler, modaler sowie
|| 100 Eine solche definitorische Eingrenzung im Sinne einer graduellen Abstufung entspricht im weiteren Sinne der Unterscheidung Coserius zwischen analytischem und isolierendem Sprachtypus (cf. infra Kap. 3.3.3, 3.3.4). Die Anwendung des Begriffs «analytisch» auf das Französische scheint deshalb nicht mehr hinreichend, zumal das Französische (neben dem Rumänischen und dem Sardischen) den Begriff der Romania continua in Folge des typologischen Umbruchs zur Zeit der mittelfranzösischen Epoche nicht mehr erfüllt. Soll ein traditionell für diese Sprache gebrauchter Terminus seine Gültigkeit bewahren (cf. Kap. 1.1), muss für das moderne Französisch die Qualifikation als «analytisch» modifiziert werden: Das heutige Französisch besitzt weiterhin flexivische Verfahren, ist aber, holistisch gesehen, einer anderen, der isolierenden Dominante zuzuordnen. Zum Ausdruck kommt dies häufig in einer (die holistischen Prinzipien mit Verfahren vermischenden) Charakterisierung als «analytischisolierend», ist aber akzeptabel im Sinne von «mit analytischen Verfahren operierend» und daher dem isolierenden Konstrukt zuzueignen. Der Terminus «analytisch» ist sprachwissenschaftsgeschichtlich an die Dichotomie analytisch-synthetisch gebunden. An die sprachliche Charakterisierung im Rahmen dieser Opposition knüpft sich allerdings eine besondere methodologische Problematik, wenn diese den Parameter der Fusion bzw. eine Indexikalisierung impliziert.
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aspektueller Werte (cf. he may come ‘vielleicht’, he kept kicking ‘andauernd’; zum Romanischen cf. Kap. 7.3),101 ferner die Bildung von Negation und Frage mit Hilfe der do-Periphrase (Does he smoke? She does not smoke; cf. auch I DO like him zum Ausdruck der Emphase bei implizierter gegenteiliger Annahme). Auch Zunahme der Frequenz kann als Indiz für eine Stärkung gewertet werden; dies betrifft die infiniten Formen (in Verbindung mit «catenative verbs»). Die genannten Entwicklungen führten zu einer Stärkung der syntagmatischen Komponenten des Englischen bzw. des Wortverbandes.102 Das Englische ist auch deshalb besonders reich an Wortverbänden, weil der hohe Anteil an Lehnwortgut einhergehend mit dem bedeutsamen Verlust an heimischen Wortbildungselementen bedingt, dass «das, was man unter Wortbildung versteht, weniger häufig im Wort geschieht, dafür häufiger im Wortverband» (Leisi 71985, 117). Im Speziellen können als für das Englische charakteristische Typen von «Wortverbänden» bzw. Komposita gelten (cf. ibid., 117): 1. Adjektiv (bzw. attributives Substantiv) + Substantiv: great power, cannon ball, stone wall, gold watch, power plant; 2. Rein dynamisches Verb (operator) + Prädikatnominalisierung mit vorausgehendem indefiniten Artikel): have a look, give a ring, make a go, give a warning; 3. «Phrasal verbs» bzw. «Partikelverben» aus Verb + Präposition (bzw. Adverb): pass by, do in, blow up, look after, go away (cf. Leisi 71985, 95–96);103 4. Konstruktion aus Hilfsverb + Verb: He will be giving a paper; you have to come; 5. Adjektiv + one: the blue one, little ones; 6. Adjektiv + and (in, to) in adverbieller Funktion: make the tea nice and strong (= nicely strong), nice and hot, the weather is likely to be (will probably be) fair; he is interested in going there.
|| 101 Reizvoll wäre es, die ganze Vielfalt der funktionellen Nuancen, die das Englische u.a. über periphrastische Mittel auszudrücken fähig ist (und die dem englischen Tempus- und Aspektsystem bzw. dem System der modalen Kategorien ihre Komplexität verleiht), aus typologischer Sicht zu beleuchten; eine Kontrastierung mit dem Tempussystem des Französischen oder anderer romanischer Sprachen und den Möglichkeiten des Ausdrucks der Kategorie Aspekt (bzw. Modus) innerhalb des romanischen Verbalsystems wäre eine eigenständige Untersuchung wert. 102 Die Liste der Typen ist damit nicht erschöpft; hierzu gehört beispielsweise auch der sog. «Gruppengenitiv» wie in The boy next door’s bicycle etc. 103 Erstaunlicher Weise finden gerade die rezentesten und dominantesten Tendenzen der typologischen Entwicklung der englischen Sprache seit altenglischer Zeit, so die proliferierende Bildung von Partikelverben oder Phrasal Verbs (cf. Olsen 2000, insbesondere 902–903) in den letzten ca. zwei Jahrhunderten, in Skaličkas Aufsätzen keine Beachtung.
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Typologisch von Bedeutung sind die Verbindungen aus einem Verb (namentlich have, take, make, give) und einem Substantiv wie in have a kiss, have a cry, take a walk, make a call, give a smile, abgesehen vom Ausbau der Wortgruppe, deshalb, weil durch sie zum einen die Rolle der Konversion gestärkt wird. Zum anderen stehen diese verbalen Wendungen offensichtlich in unmittelbarem Zusammenhang mit weiteren typologischen Merkmalen einer analytischen bzw. isolierenden Sprache. An der Bildung dieses typischen Strukturmusters des Englischen hat die Konversion ihren Anteil insofern, als die deverbalen nomina actionis bzw. Prädikatnominalisierungen (Objektfunktion) aus Konversion hervorgegangen sind (cf. to cry → a cry → to have a cry). Uneinigkeit herrscht in der Phraseologieforschung hinsichtlich des Grades der Idiomatisiertheit der V+N-Konstruktion. Dabei wirft die Frage nach der Semantik des verbalen Elementes bzw. die Frage dessen Desemantisierung gewisse Probleme auf. In der Fachliteratur wird das Verb üblicherweise als (teilweise) desemantisiert dargestellt; die Annahme, dass das Verb in solchen «Funktionsverb»-Gefügen als bedeutungsentleertes Element fungiert, wird zum Teil aber auch bestritten (siehe Labuhn 2001).104 Die wichtigsten Strukturen, die offensichtlich mit der Existenz verbaler Fügungen des Typs V+N ((deverbale) Prädikatnominalisierung) in einer Sprache korrelieren, sind überblickend in Labuhn (2001, 48–49) zusammengestellt, dazu gehören, abgesehen von einigen der bereits genannten Strukturmerkmale, ein relevantes Vorkommen von Präpositionalausdrücken und präpositionalen «Funktionsverbgefügen»; Vorkommen anderer «Funktionsverbgefüge» zum Ausdruck von Aktionalität; häufige Verwendung von Modalverb-, Phasenverb-105 und «catenative»-Konstruktionen; Existenz formal identischer Wendungen ohne Entsprechung im einfachen Verb. Den gesamten (hier nur partiell wiedergegebenen) Merkmalssatz gälte es unter Anwendung auf die synchronische Struktur (und idealiter auch diachronische Entwicklung) des Englischen aus typologischer Sicht neu zu deuten. Vom diachronischen Standpunkt kann beispielsweise ein Zusammenhang zwischen den an der gesamtstrukturell relevanten Merkmalskonstellation teilha|| 104 Als Argument gegen die Desemantisierungsposition wird vorgebracht, dass das Verb in V+NVerbindungen den Status eines Vollverbs bewahre und also nicht als Funktionsträger oder Operator mit grammatischer Bedeutung fungiere – zumindest mit Blick auf die untersuchten Verben have, take, make, give (siehe die Diskussion in Labuhn 2001, 50–65 bzw. zusammenfassend ibid., 342). Dies bedeutet zugleich eine Ablehnung der Annahme, dass das Verb innerhalb entsprechender Konstruktionen in einen Grammatikalisierungsprozess mit unterschiedlichen Stufen eingebunden ist. Die Diskussion müsste an dieser Stelle noch andere als kognitive Ansätze zu Rate ziehen. 105 Ein Phasenverb ist z.B. keep in he kept kicking.
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benden Verb-Partikel-Konstruktionen (mit Präposition oder Adverb) der modernen englischen Gemeinsprache und den präfigierten Verben nach dem Muster overdo, undergo etc. hergestellt werden. Die mit dem typologischen Umbruch in mittelenglischer Zeit in Zusammenhang stehenden sprachlichen Phänomene bedingen den isolierenden Charakter des heutigen Englisch. Sie entsprechen ihrerseits einer Entwicklung, die dem Wortverband bzw. der syntagmatischen Ebene Prominenz verleihen und folgende weitere, teilweise der Wortbildung, teilweise der Phraseologie angehörende Phänomene mit umfasst. 3.6.2.2 Wortschatz Die Unveränderlichkeit des Wortes steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konversion als Wortbildungsverfahren: Werden Wörter nicht mehr über Flexionsendungen in Paradigmen eingereiht, ist ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wortkategorie (sofern die Wortkategorien über verschiedene Paradigmen verfügen) am Wort im Grunde nicht mehr erkennbar. Dadurch wird der Übergang zwischen den Wortkategorien erleichtert: «Die große Produktivität von Konversion ist eines der charakteristischen Merkmale der englischen Sprache. Dies hängt mit dem Sprachtyp des Englischen zusammen. Anders als Latein, Russisch, Deutsch oder auch das Englische vor mehr als 1000 Jahren ist das Englisch der Gegenwart eine sehr flexionsarme, eine sog. stark analytische oder isolierende Sprache» (Kortmann 1999, 69; cf. ibid., 82).
In mit homophonen Wortformen wie frz. il/elle chante – ils/elles chantent, bei welchen im phonischen Code nicht erkennbar ist, ob als Person der Verbalform der Singular oder Plural, als Modus der Indikativ oder Subjonctif zugrunde zu legen ist, vergleichbarer Weise verhält es sich bei engl. love, das aber nicht einmal mehr hinsichtlich seiner wortkategoriellen Zugehörigkeit eindeutig bestimmbar ist. Bei [i(l)ʃɑ̃ t] beruht die Homonymie auf historischen Lautentwicklungsprozessen (namentlich Lautreduktion, d.h. Verstummen der Endungen einhergehend mit Analogiewirkung). Vergleichbare Ursachen haben auch zu einer Reduktion der Flexionsmorphologie bei den englischen Substantiven und Verben geführt. Im Gegenwartsenglischen ist die Konversionsrichtung Substantiv → Verb (und umgekehrt) sogar durchlässig geworden: cf. ae. lufu (sb.), lufian (vb.) → me. luve > ne. love (sb. und vb.).106
|| 106 Die in Britannien bis zur mittelenglischen Epoche verwendete Insularschrift, eine Minuskelschrift, wurde im 12. Jahrhundert durch die von den Normannen «importierte» karolingi-
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Nicht nur die grammatischen Endungen wurden umfassend abgebaut, sondern auch eine Vielzahl der altenglischen Wortbildungselemente (cf. Leisi 7 1985, 99–106). Die Sprachkontaktsituation verlieh dem Wortschatz des Englischen außerdem eine eigentümliche Prägung, d.h. seinen Charakter als «germanisch-romanischer Mischwortschatz» (cf. Leisi 71985, 58ss.).107 Der Zustrom frz. Lehnwörter macht sich namentlich mit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts bemerkbar und steigt in der Zeit von 1200 bis 1250 rasch, ab 1250 in augenfälliger Weise an. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts scheint ein Höhepunkt der Entwicklung erreicht zu sein. Seit dem 15. Jahrhundert erfolgt ein abrupter Abfall der Tendenz mit anschließender langsam auslaufender Bewegung bis heute. Bevorzugt der isolierende Typus das paragrammatisch nicht derivierte, einfache bzw. das nicht mehr analysierbare, nicht mehr transparente (sondern opaque gewordene) Wort (wie teilweise anhand des Englischen nachvollziehbar, cf. gār-lēac ‘Speer-Lauch’ > garlic, scīr-gerēfa ‘Shire-Beamter’ > sheriff) und ist das Wort morphologisch gegenüber der Wortkategorie, der es angehört, zugleich indifferent, wird nicht nur die Konversion gestärkt, sondern fremde (lexematische) Elemente lassen sich in den Wortschatz leichter integrieren als in solchen Sprachen, die über eine reiche Flexionsmorphologie verfügen. Auch für diese Eigenschaft bietet das Englische eine bevorzugte Anschauungsgrundlage. Der Grad der zum Teil schon frühen Integration der frz. Wörter in den engl. Wortschatz zeigt sich an deren Verwendung zur Bildung von Komposita und Ableitungen (v.a. Adverbbildungen auf -ly, z.B. commonly): gentle > gentlewoman/gentle-man, gentle-ness, gent-ly. Bereits vor 1250 tauchen zahlreiche hybride Formen auf wie debonair-ship, poor-ness, un-gracious. Eine wichtige Begleiterscheinung dieses heterogen zusammengesetzten Wortschatzes, der neben (lateinisch-)romanischen Elementen auch solche anderer || sche Schrift abgelöst. Auf Grund der nur schwach gerundeten Linienführung dieser Schrift ergaben sich Probleme bei der Lesbarkeit, v.a. bei den Buchstaben < m, n, u, v, w >, die durch sog. «Minime» (einfach unverbundene Abstriche) dargestellt wurden. Um das Problem der «minim confusion» zu umgehen, ging man dazu über, in entsprechenden Umgebungen ein für den Lautwert /u/ zu schreiben, so etwa bei sonne /sunnə/, love /luvə/. 107 Keine fremde Sprache hat einen so tiefgreifenden Einfluss auf das Englische ausgeübt wie das Frz. Die Gesamtzahl der im Laufe der me. Periode übernommenen frz. Wörter beläuft sich auf leicht über 10000, davon sind noch etwa 75% in ständigem Gebrauch. Diese ungeheure Zahl der im Mittelalter aus dem Frz. übernommenen Wörter schuf die Voraussetzungen dafür, dass auch heute noch Wörter aus dem Frz. leicht zu entlehnen sind und sich in den Wortschatz des Englischen leicht integrieren lassen. Etwa 70 % der frz. Lehnwörter sind lat. Ursprungs (darunter befindet sich eine nicht unbeträchtliche Zahl (altfränk.-)germ. Wörter, cf. engl. war < ahd. werra ‘Streit, Wirrwarr’). Auch auf den anderen Sprachebenen blieb der frz.-engl. Sprachkontakt in mittelenglischer Zeit nicht ohne Wirkung.
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(etwa skandinavischer, d.h. norwegischer und dänischer) Herkunft miteinander verbindet, bildet die auf intensive Entlehnung zurückgehende Problematik der Hard Words (cf. Leisi 71985, insbesondere 80–98). Der genannte Verlust von (heimischen) Wortbildungselementen einhergehend mit abnehmender Analysierbarkeit von Formen wie conceive, receive etc., die (auch in Bezug auf den Typus) fremde Elemente enthalten,108 sowie Lexikalisierungen von ehemaligen Komposita wie gospel (< gōd-spell ‘frohe Botschaft’) und analoge Fälle führte für den aktuellen Sprecher zu einer Verdunkelung einst motivierter Wörter, die ursprünglich vielfach zusätzlich eine Stützung durch andere Bildungen derselben Wortfamilie erfuhren (cf. ehemals konsoziiertes ae. FŪL – FYLÞ vs. engl. foul – filth). Die lexikalische Dissoziation bildet einen weiteren wesentlichen Faktor in der Strukturierung des Lexikons einer isolierenden Sprache (cf. Kap. 13). Die Dissoziation stellt eine sprachhistorisch bedingte Erscheinung dar, die auf der materiellen Diskrepanz oder Abwesenheit jeglicher Affinität auf ausdrucksseitiger Ebene zwischen den Gliedern inhaltlich zusammenhängender Wörter beruht. Die Dissoziation (als Prozess und Ergebnis desselben) bedingt damit, dass Wörter innerhalb des Wortschatzes einer Sprache isoliert erscheinen, indem sich keine Glieder in derselben Sprache finden lassen, mit denen sie ein etymologisch zusammenhängendes Paar oder eine zusammenhängende Gruppe an Wörtern (mit formaler und inhaltlicher Verwandtschaft) bilden können. So sind engl. oral und tripod mit keinen anderen Wörtern des Englischen konsoziiert, wie dies etwa bei dt. mündlich der Fall ist, das mit Mund formal und inhaltlich verwandt ist, oder Dreifuss, das auf die Einheiten drei und Fuss verweist (cf. Leisi 71985, 71). Auf die Existenz der Dissoziation im Französischen hat insbesondere W. von Wartburg ([11946]/111988, 263) wiederholt aufmerksam gemacht. Eine Verdunkelung der inhaltlichen Beziehungen, wie sie in synchronisch analysierbaren transparenten, aus Verfahren der Derivation mittels produktiver Suffixe (in den anderen romanischen Sprachen stärker als im Französischen) hervorgegangenen Wortbildungsprodukten gegeben sind, betrifft häufig Wortpaare aus Verb und zugehörigem Substantiv (éteindre – extinction) oder Substantiv und respektivem Adjektiv (père – paternel; Körperteile: bouche – buccal, lèvre – labial, nez – nasal, œil – oculaire etc.). Dabei ist die Dissoziation im Englischen und Französischen wesentlich weiter vorangeschritten als etwa im Deutschen (oder Italienischen). Auch wenn Paare des Englischen wie father – paternal, breast – pectoral eventuell noch weiter voneinander entfernt scheinen als frz. père – paternel oder poitrine – pectoral, kann angesichts von semantischen Zuordnungen wie aveugle – cécité, || 108 Entlehnt wurde in diesem Fall lediglich das abgeleitete Wort, nicht aber die Basis.
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cheval – équestre etc. nicht entschieden werden, ob die Dissoziation im Englischen noch ein größeres Maß erreicht als im Französischen (cf. Leisi 71985, 75). Insgesamt bedarf es einerseits gewisser sprachexterner-historischer sowie sprachinterner-gesamtsystematischer Voraussetzungen, damit eine intensive Entlehnung überhaupt erfolgreich sein kann und die Morphologie einer Sprache der Integration oder «Naturalisation» von fremdem Wortgut nicht entgegensteht. So betont Koch (2001, 1163) bezüglich der stratifikationellen Dimension der Typologisierung einer Sprache auf lexikalischer Ebene speziell mit Blick auf das Englische dessen Fähigkeit zur Integration fremder lexikalischer Elemente; allerdings resultiert aus diesem Zug auch die «Hard Word»Problematik. Allgemein stellt der Parameter der idiosynkratischen Stratifikation des Lexikons einer Sprache (abgesehen von den detaillierteren historischen Grundlagen und Entwicklungen) eine für die synchronische Komposition des Wortschatzes und entsprechend für dessen typologische Beschreibung wesentliche Komponente dar (cf. Koch 2001, 1163).109 Beide Typen an Voraussetzungen, die sprachexternen wie die sprachsystematisch-typologischen, scheinen in der historischen Situation des Englischen des Mittelalters in einer der Entlehnung günstigen Koinzidenz der Faktoren gegeben gewesen zu sein. Andererseits bedingt (im Rahmen des Konstrukts) die reduzierte Morphologie des einzelnen Wortes bei gleichzeitiger eingeschränkter Produktivität der Derivationssuffixe die Notwendigkeit, abgesehen von Lehnaktivität andere Möglichkeiten der Bereicherung des Wortschatzes neben der Derivation zu erschließen: Komposition und Konversion können darauf reagieren. Da ferner in der Syntax einer isolierenden Sprache neben der Satzgliedstellung die Präpositionen eine wichtige Position einnehmen, können diese auch in Grundlagen von Wortbildungen erscheinen; mit Konversionen präpositionaler Fügungen ist daher in einer isolierenden Sprache zu rechnen (Kap. 5.4.4.6).110 Solche lassen sich vor allem im Französischen nachweisen (cf. embarquer bzw. Kap. 9). Bloße konvertierte Satzelemente oder Sätze, die der wiederholten Rede entstammen (cf. le qu’en dira-t-on), gehören nur insofern zu den produktiven Verfahren der Wortbildung, als die Konversion an ihnen beteiligt ist. || 109 Kochs (2001) Verwendung des Begriffs «Sprachtypus» entspricht mehr einem auf Klassifikation beruhenden Verständnis als einem funktionellen Prinzip. 110 Aus gesamtsystematischer bzw. typologischer Perspektive kann mitunter ein Zusammenhang zwischen dem mit einer gewissen Häufigkeit in einer Sprache dokumentierten Vorkommen von «Präpositionalkomposita» des Typs pomme de terre (als idiomatisierte Einheit der wiederholten Rede) einerseits und von Konversionen präpositionaler Fügungen andererseits vermutet werden. Hier müsste bezüglich der Konversionen zudem die diachronische Ebene mit zu Rate gezogen werden.
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3.7 Die Sprachtypologie Eugenio Coserius 3.7.1 Die Typologie Eugenio Coserius in der Tradition der Sprachwissenschaft Eugenio Coseriu versteht seine «integrale» Typologie (cf. infra Kap. 3.7.2) als Weiterentwicklung der Tradition der Sprachwissenschaft, in der die Auffassung vom Sprachtypus im Sinne einer Einheit umfassenderer Gestaltungsprinzipien bereits angelegt war. Allerdings standen zunächst die klassifikatorischen oder charakterisierenden Sprachtypologien im Vordergrund: «Die […] schon in der ursprünglichen Sprachtypologie enthaltene wichtige Intuition – eine Intuition, die allerdings gleich durch die Berücksichtigung mehrerer oder sogar ‘aller’ Sprachen verdunkelt wurde und zur Typologie als Klassifikation führte – war zumindest in bezug auf einige sprachliche Verfahren diejenige einer strukturellen Einheit einer jeden Sprache, die über die Strukturierungsebene der Sprachsysteme hinausgeht. Denn es handelte sich von Anfang an nicht eigentlich um Einzelverfahren auf der Ebene des Sprachsystems, sondern um höhere Einheiten: um Verfahrenstypen» (Coseriu [1980]/1988, 164; Hervorhebung des Autors).
Im Rahmen seiner Differenzierung zwischen primitive, original, simple, uncompounded languages und compounded languages zählt Adam Smith ([1759]/21761) bereits den Gebrauch der Präpositionen für Kasusfunktionen sowie die Verwendung von Hilfsverben, d.h. zwei auf der Ebene des Sprachsystems verschiedene Verfahren, zur composition als einer periphrastischen Verfahrensweise (cf. Kretz 2002).111 Auch die Flexion wird klarsichtig als Kategorie von Verfahren und nicht mehr als Einzelverfahren interpretiert: Deklination, Konjugation, synthetische Steigerung der Adjektive werden darunter subsumiert. Erst W. v. Humboldt konkretisiert dann diese Vorstellung im Begriff der «Sprachform», wobei die Form als das einheitliche Gefüge von Gestaltungsprinzipien einer Sprache oder als ihre «zusammenfassende Einheit» aufgefasst wird. Die Sprachform ist demnach als ideelle Einheit einer Sprache zu begrei-
|| 111 F. v. Schlegel ([1808]/1977) stellt den «Sprachen durch Flexion» die «Sprachen durch Affixe» gegenüber; die Dichotomie der «analytischen» vs. «synthetischen» Sprachen als Untergattung der «Sprachen durch Flexion» geht auf seinen jüngeren Bruder A. W. Schlegel ([1818]/1972) zurück. Dieser fügt den von Adam Smith der composition zugeschriebenen Kriterien den Artikel, den Gebrauch der Personalpronomina in der Konjugation und die periphrastische Steigerung der Adjektive hinzu. Die Dominanz der paradigmatischen Achse als Merkmal der «synthetischen» Sprachen bzw. das Vorherrschen der syntagmatischen Achse als Charakteristikum der «analytischen» Sprachen haben sich seit A. W. Schlegel in der Sprachwissenschaft als Leitparameter der typologischen Beschreibung etabliert (siehe Kretz 2002).
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fen, wobei nicht deren Einzelerscheinungen, sondern das prinzipielle Zusammenhängen der Erscheinungen für diese Form ausschlaggebend ist: «Die charakteristische Form der Sprachen hängt an jedem einzelnen ihrer kleinsten Elemente; jedes wird durch sie, wie unmerklich es im Einzelnen sey, auf irgend eine Weise bestimmt. Es versteht sich indes von selbst, daß in den Begriff der Form der Sprachen keine Einzelheit als isolirte Thatsache, sondern immer nur insofern aufgenommen werden darf, als sich eine Methode der Sprachbildung in ihr entdecken läßt. Denn in jeder Sprache liegt eine solche […] zusammenfassende Einheit […] Dieselbe Einheit muss sich also in der Darstellung wiederfinden; und nur wenn man von den zerstreuten Elementen bis zu dieser Einheit hinaufsteigt, erhält man wahrhaft einen Begriff von der Sprache selbst, da man, ohne ein solches Verfahren, offenbar Gefahr läuft, nicht einmal jene Elemente in ihrem realen Zusammenhange zu verstehen» (Humboldt [1829]/1963, 420, 423).
Auch bei Coseriu finden sich Anklänge an Humboldt, indem die Notwendigkeit der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den sprachlichen Erscheinungen betont wird; aber auch der Begriff der «ideellen Einheit» kehrt bei Coseriu wieder. Insgesamt versteht Coseriu seine integrale Typologie als Fortführung von Humboldts typologischem Ansatz: «Die strukturell-funktionelle Sprachtypologie […] ist Feststellung und Erklärung (= Begründung, Motivierung) von sinnvollen konkreten Zusammenhängen in der Gestaltung der Sprachen, d.h. Zurückführung von in den Sprachsystemen verschiedenen Verfahren und Funktionen auf einheitliche strukturell-funktionelle Prinzipien und somit Identifizierung der ideellen Einheit einer jeden Sprache» (Coseriu [1980b]/1988, 185).
Der Begriff der Sprachform nach Humboldt wird aufgefasst als ein Prinzip, das die ideelle Einheit der Gestaltung einer Sprache verkörpert. Hierin spiegelt sich die Auffassung von Typologie als einer Lehre von den abstrakten Sprachgestaltungsarten, die den Sprachtypus als ein Idealkonstrukt begreift, das sich in den historischen Sprachen in unterschiedlichem Ausmaß realisiert findet; die Prager Typologie auf der Grundlage der fünf, ebenfalls an Humboldt orientierten Idealtypen steht dieser also sehr nahe. Ferner lässt sich die Sprachform deuten als ein abstraktes Verfahrensmuster, wobei mehrere solcher Verfahrensarten gleichzeitig in einer konkreten Sprache repräsentiert sein können. Die Prager typologische Richtung findet hier ihre Anklänge insofern, als der Sprachtypus eine Menge von Sprachen repräsentiert, die durch gewisse (mit anderen zusammenhängende) Einzelmerkmale oder auch nur durch ein einziges für symptomatisch gehaltenes Merkmal bestimmt wird. Insofern als von mehreren einzelnen symptomatischen Zügen ausgegangen wird, die in ihrer Gesamtheit wieder ein organisches Bild des Typus ergeben, indem alle typologisch relevanten Merkmale bzw. Verfahrensty-
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pen im Idealfall intern motiviert sind, d.h. funktionell in sinnvoller Weise interagieren und idealiter wieder auf ein einzelnes Merkmal reduziert werden können, lassen sich auch hier Verbindungslinien zur Prager typologischen Richtung erkennen.112 Skaličkas Entwurf einer Typologie setzt sich damit von folgenden weiteren typologischen Entwicklungslinien ab: von der klassischen «klassifikatorischen» Typologie; der «charakterisierenden» Typologie (z.B. E. Lewy); der «partiellen» Typologie, die verschiedene Einzelerscheinungen oder Bereiche der Sprache (Phonetik, Morphologie, Syntax, Wortbildung) fokussiert (A. Isacenko, T. Milewski, V. Mathesius u.a.); von der «graduellen» Typologie (mit einer nicht quantifizierenden Variante nach Edward Sapir sowie einer quantifizierenden nach Joseph H. Greenberg) insoweit, als diese eine Verbindung von verschiedenen partiellen Typologien darstellt. Gemeinsam ist der Typologie der abstrakten Verfahren sowie Skaličkas darauf gründender Theorie auch die Vorstellung der Koexistenz von Typen mit unterschiedlicher Gewichtung: «Von allen drei Methoden [Isolierung, Einverleibung bzw. Polysynthese, Flexion] finden sich in den meisten Sprachen einzelne, stärkere oder schwächere Spuren. […] Alle Sprachen tragen eine oder mehrere dieser Formen in sich und es kommt zur Beurtheilung ihrer relativen Vorzüge darauf an, wie sie jene abstracten Formen in ihre concrete aufgenommen haben oder vielmehr, welches das Princip dieser Annahme oder Mischung ist» (Humboldt [1835]/1963, 529, 653–654).
Auch Coseriu geht davon aus, dass in ein und derselben Sprache verschiedene Sprachtypen koexistieren können (cf. Coseriu [1968b]/1988, 182). Die Auffassung von der Sprache als einer Prinzipieneinheit taucht bei Georg von der Gabelentz (aber ohne Bezug auf Humboldt) wieder auf, der bewusst den Terminus Typologie wählt, um eine gewisse Disziplin zu benennen: «Es scheint aber auch, als wären in der Sprachphysiognomie gewisse Züge entscheidender als andere. Diese Züge gälte es zu ermitteln; und dann müsste untersucht werden, welche andere Eigenthümlichkeiten regelmässig mit ihnen zusammentreffen. […] Die Induction, die ich hier verlange, dürfte ungeheuer schwierig sein; und wenn und soweit sie gelingen sollte, wird es scharfen philosophischen Nachdenkens bedürfen, um hinter der Gesetzlichkeit die Gesetze, die wirkenden Mächte zu erkennen. Aber welcher Gewinn wäre es auch, wenn wir einer Sprache auf den Kopf zusagen dürften: Du hast das und das Einzelmerkmal, folglich hast du die und die weiteren Eigenschaften, und den und den Ge-
|| 112 Die Sprachform ist außerdem interpretierbar als «vollkommene Form» im Sinne einer Flexionsmethode (cf. Ch. Lehmann 1988).
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samtcharakter! […] Dürfte man ein ungeborenes Kind taufen, ich würde den Namen Typologie wählen» (Gabelentz [11891]/21901, Nachdruck 1984, 481).
Gabelentz unterscheidet also bereits intuitiv verschiedene Strukturierungsebenen einer Sprache. Wird allerdings der Gedanke der Sprachform von Humboldt hauptsächlich apodiktisch, Gabelentzens Ansatz als ein Desiderat formuliert, versucht Coseriu in Weiterentwicklung dieser Ansätze, die einzelsprachliche Funktionalität des Sprachtypus herauszustellen: «Dem ‘ungeborenen Kind’ kann man u.E. zur Geburt nur dann verhelfen, wenn man den Sprachtypus als eine Ebene der einzelsprachlichen Strukturiertheit ansetzt, d.h. wenn man in der Struktur der Einzelsprachen die drei Ebenen der Sprachnorm, des Sprachsystems und des Sprachtypus unterscheidet. Und in diesem Sinne wurde ja das von Gabelentz postulierte Kind schon geboren, und es lebt schon, wenn auch vorerst nur unerkannt und am Rande der heute üblichen Sprachtypologie. Hier nehmen wir uns vor, ihm zu einem regeren und differenzierteren Leben zu verhelfen» (Coseriu [1980b]/1988, 187).
Das folgende Kapitel soll Einblick in diese Typologie geben.
3.7.2 Eugenio Coserius Konzept einer «integralen» Typologie Über seine «integrale» Typologie sagt Coseriu selbst: «Der von Skalička vertretenen Einteilung der ‘Sprachtypologien’ kann man im Ganzen zustimmen, und man kann sie als Grundlage für die von uns beabsichtigte Gegenüberstellung annehmen» (Coseriu [1980a]/1988, 170). Coserius strukturell-funktionelle Sprachtypologie (Coseriu [1968b]/1988, 184) basiert auf folgendem Kriterium: «[…] es müssen funktionelle P r i n z i p i e n , d.h. kategorielle Zusammenhänge von Funktionen, von Verfahren oder, besser, von Funktionen und Verfahren gesucht werden. Man weiß also, was für Prinzipien man suchen muß, nicht aber, welche Prinzipien, denn diese müssen eben jeweils entdeckt werden, und für verschiedene Sprachen könnten auch völlig andere Prinzipien gelten» (Coseriu [1980]/1988, 171).
An anderer Stelle wird die eigene Traditionsverbundenheit akzentuiert, wenn von seiner Typologie nicht nur als integraler, sondern als «integraler ‘humboldtianischer’ Sprachtypologie» (Coseriu [1983]/1988, 195) die Rede ist. Daneben will sich die integrale Sprachtypologie ausdrücklich als verschieden verstanden wissen von der Sprachcharakteristik und der Sprachklassifikation einerseits113 || 113 Zu diesen nicht «eigentlichen» Typologien gehören all diejenigen, die auf der Charakterisierung von Sprachen anhand bestimmter, als maßgebend festgesetzter Merkmale beruhen, die
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(Coseriu [1980]/1988, 161–163), der konfrontativen Grammatik und der Universalienforschung andererseits (Coseriu [1980]/1988, 167). Was den Untersuchungsgegenstand der Typologie anbetrifft, d.h. die konkrete historische Einzelsprache, so stellt diese gemäß der allgemeinen sprachtheoretischen Konzeption «eine traditionelle (historisch gewordene) Technik des Sprechens und als solche ein strukturiertes Gefüge von inhaltlichen Funktionen und ihnen entsprechenden Ausdrucksverfahren» dar (Coseriu [1980a]/1988, 187); die Einzelsprache wird verstanden als ein System von Verfahren bzw. Verfahrensregeln, als ein technisches Vermögen. Innerhalb der technischen Verfahren, die eine Sprache konstituieren, können drei funktionelle Ebenen unterschieden werden, auf denen Coserius Sprachtheorie grundlegend aufbaut: Sprachnorm, Sprachsystem und Sprachtypus.114 Die Norm umfasst die in der Sprache einer bestimmten Gemeinschaft historisch realisierte Technik, d.h. alle in der gegebenen Sprache allgemein und traditionell verwirklichten sprachlichen Fakten, wobei diese nicht notwendigerweise funktionell sein müssen (wie z.B. die Varianten [b] und [β] des Phonems [b] im gehobenen Spanisch oder das sog. Zäpfchen -r, das im Pariser Französisch gesprochen wird). Das System repräsentiert alle funktionellen (distinktiven) Oppositionen und Regeln, die für eine bestimmte Sprache gelten, sowie die daraus resultierenden funktionellen Grenzen ihrer Variabilität. Das System geht insofern über das historisch Verwirklichte hinaus, als es auch die gemäß den bereits bestehenden
|| aber diese Merkmale in keine typologisch motivierten Zusammenhänge bringen und sich somit lediglich auf der Ebene der Sprachsysteme, nicht aber auf typologischer Ebene bewegen (cf. Coseriu [1983]/1988, 197). 114 Ursprünglich umfasste Coserius Modell die Ebenen der Rede, der Norm und des Systems und wurde erst 1968 um die Ebene des Typus erweitert (cf. Coseriu [1968b]/1988), wobei allerdings die der Rede wegfiel. Für die Beziehungen zwischen den Ebenen der ursprünglichen Hierarchie und denen der neueren Konzeption gilt dessen ungeachtet, dass die jeweils höhere Ebene verschiedene Realisationsmöglichkeiten der jeweiligen darunter liegenden Ebene als Varianten mit einschließt. In dieser (dreistufig-)hierarchischen Anordnung steigt der Abstraktheitsgrad der zugehörigen Funktionen bzw. Verfahrenstypen (cf. Coseriu [1952]/31979, 56). Eine weitere, über den Typus hinausgehende Abstraktionsstufe anzunehmen scheint nicht plausibel bzw. störe die Konsistenz des Modells (zur Kritik cf. Lehmann 1988). Hier bestehen auch Unterschiede zwischen dem grundlegend einzelsprachlich verankerten typologischen Prinzip, das über seine Realisierung im System der Einzelsprache als ein konkret strukturellfunktionelles verstanden wird, und den eher abstrakten Sprachgestaltungsmethoden (mit lediglich «guten Exemplaren» in Form einer Einzelsprache) der Allgemeinen Typologie (cf. Coseriu [1983]/1988, 200). Erst über seine materielle Manifestation im Sprachsystem lässt sich der als real vorausgesetzte Typus überhaupt induktiv erschließen.
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Regeln möglichen Realisierungen mit einschließt, wobei diese Möglichkeiten in der Norm nur bedingt ausgeschöpft werden. So sind die letzten Formen in folgender Reihe giocare – giocherellare – *rigiocherellare – *rigiocherellamento – *rigiocherellamentista – *rigiocherellamentistico zwar keine historischen Realisierungen innerhalb der Norm des Italienischen, doch handelt es sich um gemäß dem System funktionell mögliche Formen, die auch als italienische (und nicht als zu einer anderen Sprache gehörige) Wortformen erkannt werden. Zum Sprachtypus schließlich gehören «die Kategorien von inhaltlichen und materiellen Oppositionen, die Typen von Funktionen und Verfahren eines Sprachsystems, die funktionellen Prinzipien einer Sprachtechnik, und stellt somit die zwischen den einzelnen Teilen eines Sprachsystems feststellbare funktionelle Kohärenz dar» (Coseriu [1980]/1988, 166). Der Sprachtypus ist «eine objektiv vorhandene sprachliche Struktur, eine funktionelle Ebene der Sprache: er ist […] die höchste strukturelle Ebene einer Sprachtechnik» (Coseriu [1968b]/1988, 178). Als kategorielle Ebene schließt der Typus virtuell auch im System noch nicht realisierte, aber mögliche Verfahren ein. Die funktionellen Einheiten des Sprachsystems umfassen damit als höhere Einheit die auf der Ebene der Sprachnorm verschiedenen Realisierungen des Systems, und der Sprachtypus als höchste Einheit enthält die auf der Ebene des Sprachsystems verschiedenen Funktionen und Ausdrucksverfahren. Und so, wie sich das Sprachsystem in der Sprachnorm (bzw. in mehreren Sprachnormen) realisiert, realisiert sich der Sprachtypus im Sprachsystem (bzw. in mehreren Sprachsystemen). Eine Weiterentwicklung der Norm kann daher einer Anwendung des Systems entsprechen, eine Weiterentwicklung des Systems einer Anwendung des Sprachtypus. Damit gilt folgende Korrelation: Diachronie («Wandel») der Norm bei Synchronie («Funktionieren») des Systems, Diachronie des Systems bei Synchronie des Sprachtypus (cf. Coseriu [1980]/1988, 167). Eine solche Konzeption besitzt Konsequenzen für die Auffassung von Sprachwandel:115
|| 115 Skalička begreift Sprachwandel bzw. Sprachentwicklung grob als Übergang «von einer Typenkombination zu einer anderen Typenkombination» (Skalička 1967a, 1829; 1968c, 4–5). Bezüglich der Frage, wie sich ein Wandel des Sprachtypus mit Hilfe seiner Konzeption theoretisch fundieren lasse, scheint Coseriu zunächst das Problem eines unendlichen Ebenenregresses nicht auflösen zu können. Ein Ausweg wird nur in Form eines vagen Verweises darauf, dass in einer Sprache verschiedene Typen miteinander konkurrieren können, in Aussicht gestellt; dieser lässt eine klare Affinität zur Skalička’schen Theorie erkennen: «[…] in einer historischen Sprache existieren verschiedene Normen, Systeme und, wie es scheint, auch verschiedene Typen nebeneinander, so dass deren Entwicklung sich als beständige Verlagerung des Gleichgewichtes aller in ihr nur vorhandenen (realisierten oder realisierbaren) Techniken darstellt» (Coseriu [1968b]/1988,
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«In der Sprache gibt es keine Antinomie von Synchronie und Diachronie (von Funktionieren und «Wandel»), da der Sprachwandel (die historische Entstehung der Sprache) seinem Wesen nach eine Modalität des Funktionierens ist: was in der Norm als Wandel erscheint, ist vom System her gesehen nichts weiter als dessen Anwendung; und Wandel im System ist dementsprechend Funktionieren des Sprachtyps. Sowohl das Funktionieren als auch der Wandel einer Sprache sind, insofern sie eine interne Entwicklung darstellen […], Anwendung einer und derselben Sprachtechnik. Ein Unterschied zwischen ihnen besteht lediglich in der Anwendungsebene, jedoch nicht in ihrem Wesen» (Coseriu [1968b]/1988, 181).
Als Aufgabe der Sprachtypologie betrachtet Coseriu die Identifikation und Deskription von Sprachtypen, wobei zunächst die Einzelsprache im Vordergrund steht. Als Untersuchung der Ebene des Sprachtypus einer historischen Einzelsprache versteht sie sich zugleich als «eine autonome Sektion der beschreibenden einzelsprachlichen Linguistik» (Coseriu [1980]/1988, 167). Ein und derselbe Typus kann für mehrere Sprachen relevant sein; ob ferner «für jede Sprache jeweils und zu jeder Zeit […] nur ein einziger Sprachtypus gilt, muss ebenso dahingestellt bleiben. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass man […] mit der Koexistenz von Sprachtypen in ein und derselben Sprache rechnen muss» (Coseriu [1980]/1988, 169). Die integrale Typologie versucht, die Anwendung der Prinzipien eines Sprachtyps in der Entwicklung der Sprachsysteme aufzuzeigen bzw. die historisch eintretenden Übergänge von einem Typus zu einem anderen zu dokumentieren. In diesem Sinne versteht sie sich auch als «typologisch erklärende Sprachgeschichte» (Coseriu [1983]/1988, 206; Hervorhebung [Sperrdruck] des Autors). Gerade die historisch-einzelsprachliche Dimension des Modells widersteht dessen breiterer Anwendung. Zwar lassen sich auf dieser Grundlage genealogisch verwandte, aber nicht beliebige Sprachen miteinander vergleichen (cf. aber die Konfrontation des Deutschen mit dem Altgriechischen, Kap. 4.2.2– 4.2.3). Die Motivation, die die integrale Typologie für bestimmte typologische Zusammenhänge aufzuzeigen vermag, kann «nie eine allgemeine, panchronische, sondern immer [nur] eine historische sein» (Ch. Lehmann 1988, 15). Für
|| 182). Später erweitert Coseriu sein Sprachwandelkonzept vor allem um den Begriff der Uminterpretation durch die Sprecher: «More thorough investigations would show, I think, that language norm changes almost exclusively through the application of the system, the system in turn changes largely through the application of language type and partly through reinterpretation, and language type changes almost exclusively through reinterpretation. […] The tendencies, […] as far as they concern the internal structure of the language, are manifestations of the historical functioning of language types. Finally, application and reinterpretation must be added to our set of concepts; these last two concepts denote the most general formal kinds of accepted innovations and thus of linguistic change.» (cf. Coseriu [1982b]/1988, 156, 157)
Die Sprachtypologie Eugenio Coserius | 151
zwei beliebige Sprachen wird sich also nie dieselbe, sondern höchstens die gleiche oder eine analoge Motivation annehmen lassen.116 Die traditionelle Herangehensweise der typologischen Forschung ist aber grundsätzlich ein nichthistorisches, verallgemeinerndes, also auch deduktives Vorgehen (cf. Ch. Lehmann 1988, 14). Im Rahmen der einzelsprachlichen Beschreibung lassen sich auch keine Typensysteme aufstellen. Problematisch bleibt aus Lehmanns Sicht mithin die mangelnde Kompatibilität der integralen mit anderen typologischen (und allgemein sprachwissenschaftlichen) Theorien. Die vorliegende Arbeit mag dazu beitragen, diese Einschätzung neu zu betrachten: Die integrale Typologie ist ein Teil der funktionell-strukturellen typologischen Konzeption; als Manifestationen grammatischer Strukturierungsverfahren (cf. Kap. 3.3) eröffnen sich andere Möglichkeiten der Typologisierung auf der Grundlage der Typenbestimmungen der traditionellen Forschungslinie.
3.7.3 Genese des Prinzips der romanischen Einzelsprachen Die Methode, deren Coseriu sich bedient, um das den romanischen Sprachen zugrunde liegende Prinzip aufzudecken,117 beruht im Wesentlichen auf der Unterscheidung zwischen syntagmatischen und paradigmatischen Relationen bzw. Verfahren: Geht man zunächst von den Wortparadigmen aus, so können die Funktionen der Wörter durch zwei Arten von Relationen determiniert werden: zum einen die paradigmatischen Bestimmungen, die das Verhältnis der jeweiligen Form zu anderen Formen desselben Wortes umfassen, zum anderen die syntagmatischen Determinierungen, die das Verhältnis zu den in der chaîne parlée realisierten umgebenden Formen tangieren. Die paradigmatischen oder inneren Determinierungen kommen also qua Form per se zum Ausdruck; sie ordnen der Form eine bestimmte Position im Paradigma zu. Die syntagmatischen oder äußeren Bestimmungen werden dagegen mit Hilfe anderer Formen, wie sie an einer bestimmten Stelle in der chaîne parlée auftreten, identifiziert.
|| 116 Cf. Ch. Lehmann (1988, 15) und im Vergleich Coseriu ([1983]/1988, 204). 117 Eine breitere, mit zahlreichen Beispielen aus den anderen romanischen Sprachen (v.a. dem Italienischen, Spanischen, Portugiesischen und Rumänischen) untermauerte Darstellung des methodischen Vorgehens zur Ermittlung des romanischen Prinzips findet sich in Eckert (1986, 97–111). Sie stützt sich dabei auf die Aufsätze «Synchronie, Diachronie und Typologie» (Coseriu [1968b]/31979/1988) sowie v.a. «Essai d’une nouvelle typologie des langues romanes» ([1971]/1988). Eine knappe Darstellung der Ergebnisse findet sich auch im Aufsatz «Sprachtypologie und Typologie von sprachlichen Verfahren» ([1983]/1988).
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Zur eindeutigen Funktionsbestimmung einer Form kann die paradigmatische Bestimmung ausreichen, in bestimmten Fällen müssen jedoch beide Typen von Relationen herangezogen werden. So kann z.B. sp. tenía sowohl die 1. als auch die 3. Person Singular des Imperfekts bezeichnen. Eine syntagmatische Bestimmung ist also erforderlich, um diese Form eindeutig interpretieren zu können, z.B. yo tenía, él tenía. Je nach Sprache kann die syntagmatische (Englisch, Chinesisch) oder die paradigmatische Achse (Latein, Russisch) vorherrschen, oder beide Achsen können in relativ ausgewogenem Verhältnis vertreten sein (wie im Falle des Deutschen). Seit A.W. Schlegel (1818) gilt die Dominanz der paradigmatischen Achse als Merkmal der «synthetischen» Sprachen, das Vorherrschen der syntagmatischen Achse als Charakteristikum der «analytischen» Sprachen. Es ist ein Gemeinplatz, dass das Latein zum Ausdruck grammatischer Funktionen die innere, paradigmatische Bestimmung vorzieht, was sich in der ausgeprägten Flexion im nominalen wie im verbalen Bereich widerspiegelt. Dagegen hat das Romanische seit dem Vulgärlateinischen die Deklination (Kasus) im Bereich der Substantive, Adjektive und größtenteils auch der Pronomina abgeschafft. Andererseits wurde die Konjugation teilweise restituiert oder ausgebaut (cf. die sekundären Paradigmen chanterai – chanteras …, chanterai – chanterais …), was eher dem synthetischen als dem analytischen Prinzip entspräche. Die analytische Technik wiederum manifestiert sich in der Aufgabe der synthetischen Steigerung der Adjektive und Adverbien; gleichzeitig wurden bestimmte Adverbien entsprechend dem syntagmatischen Verfahren durch periphrastische Formen (z.B. hinc = rum. de aici, hac = rum. pe aici) ersetzt. Es zeigt sich also, dass sich das Romanische zwar nicht grundsätzlich, aber im nominalen Bereich weitgehend durch äußere syntagmatische Bestimmungen auszeichnet. Diese Beobachtung steht andererseits nicht im Einklang mit der Feststellung, dass das Vulgärlatein die formale Numerusopposition wie die Kategorie Genus beibehält und teilweise sogar noch deutlicher zum Ausdruck bringt. Im Hinblick auf die Gestaltung des verbalen Bereiches wurden zwar die meisten einfachen, synthetischen Verbformen bewahrt (wobei allerdings je nach Betrachtung des code écrit oder code oral im Französischen erhebliche Verschiebungen zustande kommen), doch lässt das Vorkommen periphrastischer Formen wie HABEO DICTUM, DICERE HABEO sowie die Bildung des romanischen Passivs mit Hilfe der Periphrase eine Generalisierung dieser Aussage nicht zu. Angesichts dieser offensichtlich antinomischen Entwicklung der Relationen (v.a. von Numerus und Genus einerseits, Kasus andererseits) im morphologischen Bereich im Vulgärlateinischen und Romanischen erhebt sich die Frage nach einem Gestaltungsprinzip, das eine homogene funktionelle Ausrichtung sowohl der paradig-
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matischen wie der syntagmatischen Bestimmungen im Vulgärlatein und Romanischen motivieren könnte. Genus und Numerus118 sind als innere, nicht-relationelle, nicht-aktuelle Funktionen (solche in absentia) zu interpretieren, die eine bereits gegebene sprachliche Klassifizierung der Wirklichkeit bezeichnen, den jeweils durch den Satz hergestellten Relationen aber nicht Rechnung tragen. Es handelt sich nicht um Funktionen «im Satz», sondern um Funktionen der Wörter an sich.119 Oder anders ausgedrückt: Genus und Numerus sind von den innerhalb des Satzes hergestellten aktuellen Relationen unabhängige Kategorien, die daher auch jede Nominalfunktion im Satz ausüben können. Anders verhält es sich bei den Kasusfunktionen:120 diese stellen äußere, relationelle, aktuelle Funktionen (solche in praesentia) dar, die je nach Ausdrucksabsicht eine konkrete Relation innerhalb des Satzes herstellen. So impliziert z.B. die im Lateinischen synthetische Form matris einen Bezug auf eine andere Sache, die im Romanischen entsprechend in eine präpositionale Fügung analysiert wurde: MATRIS → de la madre. Auf diesem anhand weniger Beispiele skizzierten Hintergrund lässt sich das typologische Gestaltungsprinzip jeweils des Vulgärlateinischen und des Romanischen auf folgende «Formel» bringen: «innere, paradigmatische materielle Bestimmungen für gleichfalls nicht-relationelle Funktionen und äußere, syntagmatische materielle Bestimmungen für gleichfalls relationelle Funktionen». Es gilt nun zu untersuchen, ob dieses Prinzip auch auf andere Bereiche zutrifft. Dies lässt sich für die Steigerung der Adjektive und der Adverbien (cf. die Intensivierung in der Wortbildung) bejahen: Da diese Funktionen einen aktuellen Vergleich von zwei oder mehr Gegenständen oder Eigenschaften beinhalten, d.h. eine aktuelle Relation begründen, werden sie entsprechend durch äußere, syntagmatische Bestimmungen gekennzeichnet. Dieser Interpretation entspricht auch der Befund, dass die ursprüngliche, synthetische Steigerung des klassischen Lateins aufgegeben und nur in Gestalt der Suppletivformen bewahrt wurde (z.B. bei BONUS – MELIOR, MALUS – PEIOR). Hier wird der Komparativ durch besondere Wörter ausgedrückt, die als eigenständige || 118 Im wortbildenden Bereich ist es die Modifizierung, die keine Funktion im Satz besitzt; insofern besteht eine Analogie zwischen einerseits Femininbildung und Kollektivierung und andererseits Genus- und Numerusmarkierung. 119 Coseriu behandelt die Kategorien Numerus und Genus als gleichwertige Relationen (beide repräsentieren die «innere», «nicht-aktuelle» Ebene); der Numerus stellt aber im Unterschied zum Genus eine den Nomina inhärente Kategorie dar. 120 Cf. die Konversion (präpositionaler Fügungen) als Verfahren mit Funktion im Satz im Rahmen der Wortbildung.
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lexikalische, d.h. nicht im eigentlichen Sinne grammatische Formen neben dem Positiv aufrechterhalten wurden. Dass es sich hierbei um rein lexikalische Erhalte handelt, wird auch durch Fälle bestätigt, in denen die Komparative bewahrt wurden, obwohl die Grundstufen, die mit ihnen semantisch, aber nicht formal korrelierten, untergingen (so z.B. im Fall von PARVUS – MINOR und teilweise auch von MAGNUS – MAIOR). Auch auf den Bereich der Personalpronomina trifft der Erhalt als lexikalische Einheiten in dem Maße zu, als nicht die Deklination, sondern die Formen (EGO – MIHI – ME, TU – TIBI – TE) als separate Wörter überkommen sind. In (scheinbarem) Widerspruch zum formulierten Prinzip stehen periphrastische Formen wie HABEO DICTUM und DICERE HABEO, die nicht auf die Opposition aktuell – nicht aktuell zurückgeführt werden können. Denn die Tempora der Verben sind nicht aktualisierbar, sondern besitzen im Gegenteil aktualisierende Funktion, und zwar insofern, als sie den Satz einem bestimmten Zeitraum zuordnen. Die Unterscheidung relationell – nicht-relationell kommt dennoch zum Tragen, wenn man die durch das Tempus implizierten Zeitpunkte betrachtet: So kann das Tempus eines Verbs entweder eine einzige oder zwei Positionen, genauer eine Relation zwischen zwei Zeitpunkten ausdrücken (cf. infra zu Tempus, Modus, Aspekt, Vox). Die periphrastischen Tempora des Vulgärlateinischen und des Romanischen beinhalten eine eben solche Relation, während im klassischen Latein für beide Fälle ein paradigmatischer Ausdruck gebraucht wurde, da diese Unterscheidung dort nicht funktionell war. Im Vulgärlateinischen wird z.B. DIXI in der einfachen, aoristischen Bedeutung bewahrt, die relationelle (perfektische) Bedeutung wird dagegen durch HABEO DICTUM ersetzt. Die Periphrase bezeichnet hier eine Handlung in der Vergangenheit und zugleich ein Ergebnis in der Gegenwart. Ähnlich bei DICERE HABEO, das ursprünglich eine Handlung in der Zukunft und zugleich eine Absicht in der Gegenwart zum Ausdruck bringt, so dass gilt: Vergangenheit
Präsens
Präsens
Futur
DICTUM
HABEO
HABEO
DICERE
Abb. 2: Relationelle Verbalperiphrasen des Vulgärlateinischen
Eine äußere Relation kommt hier also dadurch zustande, dass der konjugierte Teil der Verbalperiphrase den Satz in einen bestimmten Zeitraum stellt (hier Präsens), während sich der nicht konjugierte Teil auf einen anderen Zeitraum bezieht (Vergangenheit oder Zukunft). Die Aktualisierung betrifft gewissermaßen eine Relation innerhalb der Zeit.
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Die ursprünglich syntagmatische Gestaltung von DICERE HABEO wandelte sich dann zu einer paradigmatischen Bestimmung (dirai, dirò, diré, direi), wobei sie aber ihre präsentische Bedeutungskomponente verlor und die relationelle Bedeutung durch eine neue Periphrase ersetzt wurde: je vais dire, voy a decir, vou dizer (siehe Kap. 7.3). Damit ergibt sich eine funktionelle Analogie zwischen den einfachen Verbformen und Numerus und Genus im nominalen Bereich einerseits und den periphrastischen Formen und den Kasus andererseits. Dieses neue Prinzip liegt auch den Veränderungen im Bereich des lateinischen Passivs (siehe Kap. 8) zugrunde, das Ersetzungen zugunsten der periphrastischen Formen nach folgendem Muster erfuhr: AMOR → AMATUS SUM; AMATUS SUM → AMATUS FUI. Die Periphrase entspricht dem in der Bedeutung des Passivs enthaltenen Bezug zum Agens. Bleibt dieser Bezug unbestimmt wie beim unpersönlichen Passiv, wird die passivische Funktion auch nicht durch das neue vulgärlateinische Passiv ausgedrückt, sondern durch eine reflexive oder eine aktivische Form: DICITUR – SE DICIT, DICIT z.B. rum. se zice, zice. Parallel hierzu verläuft die Entwicklung des medialen Gebrauchs des lateinischen Passivs: NOMINOR LEO → it. mi chiamo Leone. Hier tritt also eine funktionelle Opposition zwischen relationellen und nicht-relationellen Bestimmungen ein, die das klassische Latein nicht kannte.121 Die Gültigkeit des neuen typologischen Prinzips lässt sich auch anhand der Umgestaltung der deiktischen Ortsadverbien HIC, HINC, HUC und HAC nachweisen: Nur das nicht-relationelle HIC entspricht etwa sp. aquí, während HINC, HUC und HAC als relationelle Funktionen syntagmatisch ausgedrückt werden, cf. sp. hacia aquí, de aquí, por aquí. Anhand des neuen romanischen Superlativs lässt sich die Wirkung des Prinzips aufzeigen: Der klat. synthetische Superlativ auf -ISSIMUS (-RIMUS) hatte sich im Vulgärlateinischen nicht durchsetzen können, kam aber zur Zeit des
|| 121 Dies bedeutet, dass das Reflexivum für die nicht-relationelle Funktion eintritt. Vom Standpunkt der Prager Typologie kann allerdings eingewendet werden, dass der Gebrauch separater Wörter an Stelle von Flexionsformen eine prototypische Entwicklung hin zur Analyse darstellt, wobei der isolierende Typus grundsätzlich die lexikalische Bedeutung durch isolierte Wörter grammatisch zu modifizieren sucht. Die starken isolierenden Anteile bedingen den besonderen Charakter des Französischen unter den romanischen Sprachen, indem auch die Distinktion zwischen relationell/nicht relationell zugunsten der syntagmatischen Ebene nivelliert wird: Cela ne se dit pas; Le livre se vend ailleurs que dans les librairies; Quels livres sont encore vendus en librairie?; Nous, on vend les livres un par un, de façon artisanale (cf. abgesehen von der Entwicklung des Gebrauchs der Pronomina beim Verb etwa den Ausdruck des Faktitivums im Französischen mittels faire, die Bildung der Negation durch die Partikel ne … pas etc.; cf. Kap. 3.6.1).
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Humanismus im Italienischen, Spanischen und Portugiesischen wieder in Mode, wo er jedoch nicht, wie im Klassischen Latein, in relationeller und nichtrelationeller, sondern nur in der absoluten, nicht-relationellen Bedeutung (ALTISSIMUS HOMO) gebraucht wurde. Die einen Vergleich implizierende relationelle Bedeutung (ALTISSIMUS HOMINUM) wird dagegen in allen drei Sprachen durch den romanischen periphrastischen Superlativ (il più alto, el más alto, o mais alto) ausgedrückt. Vom typologischen Standpunkt ließe sich argumentieren, dass sich der synthetische Superlativ in der Bedeutung des Elativs problemlos in die genannten Sprachen integrieren konnte, weil er in Einklang mit dem typologischen Gestaltungsprinzip des Romanischen stand. Dagegen konnte sich die dem Prinzip nicht gemäße Konstruktion vom Typ altissimo fra gli uomini in der Volks- und Umgangssprache nicht etablieren; diese Verwendung wird heute auch eindeutig als Latinismus empfunden. Bezüglich des absoluten Superlativs stand den genannten Sprachen aber neben dem wieder eingeführten klat. synthetischen Superlativ (Elativ) auch der aus dem Vulgärlateinischen überkommene periphrastische Superlativ (molto alto, muy alto, muito alto) zur Verfügung. Letzterer impliziert stets einen Vergleich mit der Grundstufe, während der Elativ direkt den höchsten Grad einer Eigenschaft bezeichnet und meist eine emphatische Nuance vermittelt. Gibt man z.B. im Spanischen auf die Frage ¿Qué te parece esta casa? die Antwort: Es altísima, so drückt man damit lediglich aus, dass ein Haus sehr hoch ist. Antwortet man dagegen mit Es muy alta, so wird angedeutet, dass das Haus im Vergleich zu anderen eher unangemessen hoch ist. Das Verhalten des Spanischen (Portugiesischen, Italienischen) zeigt also, dass dem periphrastischen (absoluten) Superlativ im Romanischen eine mit dem absoluten lateinischen Komparativ vergleichbare Funktion zufällt. Das Italienische nimmt hier eine besondere Stellung ein, da es über eine Wahlmöglichkeit auch in Fällen verfügt, in denen die beiden anderen Sprachen ausschließlich die periphrastische Form verwenden (cf. molto bene). Hier wird eine Relation im Sinne einer Abstufung impliziert, die aus dem Kontext hervorgeht; dagegen wird die Form bene/benissimo gerade dann gebraucht, wenn ein impliziter Vergleich fehlt. Genauso handelt es sich bei der Aussage: Lei è ancora giovanissimo einfach um die Feststellung, dass jemand sehr jung ist; dagegen bedeutet Lei è ancora molto giovane eher, dass jemand zu jung, jünger als man dachte oder gar nicht reif genug für sein Alter ist. Die periphrastische Form enthält also immer einen impliziten Vergleich zur Grundstufe. Welcher Geltungsbereich des veranschaulichten strukturellen Gestaltungsprinzips kann nun für die Syntax beansprucht werden? Im Lateinischen herrschte auch im Bereich der Syntax das Verfahren der inneren materiellen
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Bestimmungen vor. Dabei entspricht dem in einen Satz eingebetteten Wort auf der Satzebene der «Satzkern» (d.h. Subjekt + Verb); auf der Satzebene liegt dann eine innere materielle Bestimmung vor, wenn der Satzkern alle anderen Satzteile mit einschließt, wie dies bei der so genannten «zirkulären» Satzkonstruktion des klassischen Lateins der Fall ist: HOMO SCRIBIT HOMO LITTERAS SCRIBIT HOMO LITTERAS AMICO SCRIBIT Aus rein materieller Sicht scheint diese «zirkuläre» Konstruktion im Vulgärlateinischen und Romanischen durch die sogenannte «lineare» Konstruktion ersetzt worden zu sein, die sich aus der Folge von Subjekt samt dessen Bestimmungen und Verb einschließlich dessen Bestimmungen oder Komplementen zusammensetzt: HOMO BONUS SCRIBIT LITTERAS AMICO (AD AMICUM) L’UOMO BUONO SCRIVE UNA LETTERA ALL’AMICO EL HOMBRE BUENO ESCRIBE UNA CARTA AL AMIGO Diese Interpretation erweist sich allerdings als unzulänglich, da die sogenannten Bestimmungen des Verbs eigentlich Bestimmungen des ganzen Satzkerns darstellen.122 Tatsächliche Determinationen des Verbs sind die Modalverben: In den Sätzen Jean doit lire, Jean veut lire fungieren die modalen Hilfsverben als Determinantia, die Form lire als Determinatum. Auch die weiteren Bestimmungen des Satzkerns können nur lire näher bestimmen (Jean doit lire, veut lire – des livres), was sich dadurch beweisen lässt, dass lire nicht mit Objekten koordiniert werden kann (cf. *Jean doit lire et cinquante francs, *Jean veut lire, une maison et un jardin). Bezüglich der Satzstellung im Romanischen werden die näheren Bestimmungen des Subjekts ebenfalls vom Kern eingeschlossen: El hombre
|| 122 Coseriu beweist dies durch eine Frageprobe: Man kann zwar mit Hilfe des Verbs und eines Interrogativpronomens nach dem Subjekt fragen: Qui est venu? – Jean; doch ist es nicht möglich, nur mit dem Verb, d.h. ohne Subjekt, nach den angeblichen Bestimmungen des Verbs zu fragen, sondern das Subjekt ist in diesem Falle immer vorhanden, sei es nur implizit (wie bei sp. ¿Cuándo vino? ¿Qué hace? rum. Cînd a venit? Ce face?), sei es materiell und obligatorisch (Quand est-il venu? Wann ist er gekommen? Was macht er?). Da es sich hierbei also um Bestimmungen des ganzen Kerns handelt, müssen die Fragen auch mit dem ganzen Kern gestellt werden.
158 | Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie
bueno escribe, Le bon élève écrit usw. Auch die Modalverben als «echte» Determinierungen des Verbs werden in den Kern eingefügt. Dagegen stehen die anderen Bestimmungen (direkte und indirekte Objekte, Umstandsbestimmungen des Ortes, der Zeit, der Art und Weise usw.), die den Satzkern determinieren und diesbezüglich einen äußeren Bezug implizieren, außerhalb des Kerns. Der einfache Satz folgt damit demselben Strukturierungsprinzip wie das Wort. Auch mit Bezug auf komplexe Sätze erweist sich das Prinzip als tragfähig. Dabei entspricht dem Satzkern im einfachen Satz der Hauptsatz im komplexen Satz. Im Lateinischen war das Verfahren der inneren materiellen Bestimmung dominant, d.h. die Nebensätze werden vom Hauptsatz eingeschlossen, z.B.: 1. 2. 3.
HOMO QUI SCIT SCRIBIT HOMO ID QUOD SCIT SCRIBIT HOMO CUM VULT SCRIBIT
Man vergleiche dazu das Romanische: 1. 2.
L’homme qui sait écrit L’homme écrit ce qu’il sait
aber: 3.
a) L’uomo quando vuole scrive b) L’uomo scrive quando vuole
Im ersten Fall bildet der Nebensatz eine nähere Bestimmung zum Subjekt des Hauptsatzes und steht folglich als innere Bestimmung innerhalb des Hauptsatzes. Im zweiten Fall hat der Nebensatz die Funktion eines Komplements und steht als nähere Bestimmung des ganzen Hauptsatzes, d.h. als äußere Bestimmung außerhalb desselben. Diese Unterscheidung greift namentlich im dritten Beispiel: In der Interpretation a) ist quando vuole als nähere Bestimmung des Subjekts aufzufassen, und zwar mit der Bedeutung ‘wenn der Mensch guten Willens ist/Willen hat’. In der Auslegung b) erscheint dagegen derselbe Ausdruck als nähere Bestimmung des ganzen Hauptsatzes mit Bezug auf die Umstände der Handlung: (Der Mensch schreibt) ‘zu jedem Zeitpunkt, zu dem er es will’, ‘zu jedem beliebigen Zeitpunkt’. Der komplexe Satz ist im Romanischen also nach denselben Strukturierungsprinzipien gestaltet wie der einfache Satz und die Morphologie des Wortes.
Die Sprachtypologie Eugenio Coserius | 159
Im Bereich des Wortschatzes lässt sich diese allgemeine Neuorientierung innerhalb der Sprachsysteme des Romanischen anhand der Diminutiva exemplarisch vorführen. Im Vulgärlateinischen war die Derivation durch Diminutiv- und Augmentativbildungen besonders stark entwickelt, und auch heute noch ist diese Art der Wortbildung in den südromanischen Sprachen in auffälliger Weise produktiv (cf. z.B. it. donna – donnina – donnino – donnetta – donnicciuola – donnona – donnone – donnaccia). Entsprechend der obigen Ausführungen ist der Gebrauch der syntagmatischen Form wie z.B. sp. un pequeño libro, it. un piccolo libro, port. um pequeno livro, rum. o carte mica der relationellen Funktion, d.h. dem Ausdruck eines impliziten oder expliziten Vergleichs vorbehalten, während bei fehlendem Kontext die Form un librito, un libriccino, um livrinho, o cartulie/o carticica zu verwenden ist. Folgerichtig kann man auch nicht sagen: un librone e un libriccino (sp. un libr* y un librito), sondern es muss heißen: un libro grosso e uno piccolo (un libro pequeño y uno grande). Genauso erfordert die Frage: Quale libro vuole? die Antwort: Voglio il piccolo, non il grande (und nicht: Voglio il libriccino, non il librone) (siehe Kap. 5.8). Auch wenn sich für die Bereiche Morphologie, Syntax und Lexik der romanischen Sprachen eine Tendenz nachweisen lässt, die die Etablierung des erläuterten Prinzips offen legt, muss berücksichtigt werden, dass kein historisch gewordenes System ausschließlich ein einziges typologisches Prinzip realisiert, sondern immer auch Ausläufer älterer Entwicklungsstufen des Systems sowie neue Tendenzen zur Geltung kommen. So weicht der romanische Sprachtypus zwar stark vom lateinischen ab, doch stellt er im Grunde die Fortführung bestimmter Möglichkeiten dar, die bereits im lateinischen System angelegt sind. Und genauso enthält der romanische Sprachtyp die Möglichkeiten, auf deren Grundlage im Mittelfranzösischen alte Prinzipien durch neue abgelöst und damit die Entwicklung hin zu einem neuen Typus des Französischen eingeleitet wurde. Im Folgenden sei die typologische Entwicklungslinie vom Latein zum heutigen Französisch im Überblick skizziert:
160 Grammatik, Paragrammatik und Sprachtypologie Tab. 2: Typologische Entwicklung Latein – Neufranzösisch Klat. → Paradigmatisch/ paradigmatische Aussyntagmatisch richtung der Formen; ausgeprägte Flexion im nominalen und verbalen Bereich
Vlat. und Rom. →
Nfrz.
synthetische und periAusweitung der syntagmaphrastische Formen: tischen Formen systematische Gestaltung der Bereiche nach dem funktionell-strukturellen «Prinzip der romanischen Sprachen» Morphologie
Genus/Numerus: drei Genera, Singular und Plural innere, nicht-
Erhalt der Genusopposition Maskulinum: Femininum, der Numerusopposition (Tendenz zur Eindeutigkeit)
Kasusfunktionen: sechs Kasus, z.B. MATRIS äußere, relationelle, «aktuelle» EGO – MIHI – ME, Funktionen TU – TIBI – TE etc.
Aufgabe der Deklination: du/de la/des
relationelle, «nicht-aktuelle» Funktionen
de la mère
Fortsetzung nur als Suppletivformen: besondere, isolierte ACER, ACRIS, ACRE –ACRIOR, «Wörter», unabhängige, lexikalische, nicht eiACRIUS – ACERRIMUS; gentlich grammatische FACILIS, -E – FACILIOR, Formen (cf. Bewahrung -IUS – FACILLIMUS etc. der Komparative bei UnBONUS – MELIOR, tergang der Grundstufe: MELIUS – OPTIMUS; (PARVUS →) MINOR, (MAGNUS →) MAIOR MALUS – PEIOR, PEIUS – im Romanischen, z.B. PESSIMUS; MAIUS – MAXIMUS; PARVUS – MINOR,
MINUS – MINIMUS; MULTUM – PLUS – PLURIMUM;
SENIOR, JUNIOR etc.
au/à la/aux/ès
Erhalt nicht der Deklina- je, tu, il/elle etc. tion, sondern der Formen moi, toi, soi als separate Wörter
Komparation der ALTUS, -A, -UM – ALTIOR Adjektive/ (m., f.), ALTIUS (n.) – Adverbien ALTISSIMUS, -A, -UM;
MAGNUS – MAIOR,
la petite fille [le fam i ʃɑ̃ nt] [le mɛzɔ̃ ] un, une élève un adepte (femme ou homme)
bon – meilleur – le/la meilleur(e); bien – mieux – le mieux; mauvais – pire – le pire; mal – pis – le pis
Einsatz isolierter Wörter: plus – le plus Paul est plus grand que Pierre Paul est le plus grand il chante mieux/le mieux il l’aime plus que Pascal/il l’aime davantage/il l’aime le plus (cf. Riegel et al. 1994, 364– 366)
Die Sprachtypologie Eugenio Coserius 161 Tempus
Genus verbi
DIXI (Aorist) – HABEO DIC-
periphrastische Tempora; j’ai (eu) fait; cf. Aspekt: Ersetzung der relationel- il continue à parler etc. len Bedeutung durch eine Periphrase: je vais dire TUM; DICERE HABEO (dirai):
AMATUS SUM, AMATUS FUI
AMOR
SE DICIT, DICIT
DICITUR
il est loué par son père
NOMINOR LEO
je m’appelle Léon
Deiktische Ortsadverbien
HIC (nicht-relationell) HINC, HUC, HAC
aquí, hacia aquí, de aquí, por aquí
ici, par ici, d’ici
Superlativ
ALTISSIMUS HOMO,
le plus grand
(cf. supra) très grand, extrêmement grand
ALTISSIMUS HOMINUM ALTISSIMUS
Syntax l’homme écrit, l’homme écrit des lettres, l’homme écrit des lettres à un ami (cf. il écrit une lettre à Paul, il lui écrit une lettre/il écrit une lettre à elle/*il écrit Julie une lettre; vs. I sent the letter to Paul/I sent him a letter/I sent a letter to him/I sent Paul the letter)
HOMO SCRIBIT HOMO LITTERAS SCRIBIT HOMO LITTERAS AMICO SCRIBIT
HOMO BONUS SCRIBIT LITTERAS
Le bon élève écrit des lettres à son ami
HOMO QUI SCIT SCRIBIT
L’homme qui sait écrit L’homme écrit ce qu’il sait L’uomo quando vuole scrive L’uomo scrive quando vuole
AMICO (AD AMICUM)
HOMO ID QUOD SCIT SCRIBIT HOMO CUM VULT SCRIBIT
Wortbildung Diminutivbildung
donna – donnina – donnino – donnetta – donnicciuola – donnona – donnone – donnaccia un pequeño libro (impliziter oder expliziter Vergleich) vs. un librito cf. * un librone e un libricciono → un libro grosso e uno piccolo
un petit livre, un petit rire, une petite question (un gros bisou, un grand salut) etc.
4 Anwendungen der «integralen» Typologie und der Prager Typologie 4.1 Typologischer Stellenwert der Partikeln im Rahmen der Polysynthese (Inkorporation) 4.1 Typologischer Stellenwert der Partikeln im Rahmen der Polysynthese Sofern die sprachtypologischen Konzepte Eugenio Coserius und Vladimír Skaličkas bereits miteinander konfrontiert wurden (cf. Geckeler 1988; Dezső 1988; 2000), bleibt eine besondere Affinität zwischen beiden theoretischen Standpunkten noch unberührt: Die Rolle der Partikeln und damit zusammenhängender Erscheinungen. Der Versuch einer typologischen Interpretation des Deutschen im Zusammenhang mit dem Altgriechischen liegt aus der Sicht der «integralen Typologie» mit Coseriu (1980b/1988) vor; darin wird die Rolle der Partikeln im Deutschen auf dem Hintergrund der Frage nach einem für den Bau der Sprache relevanten, wenn auch diesen nicht exhaustiv motivierenden funktionellen Prinzip untersucht (cf. ansatzweise auch Weydt 1969; 1979). Was das Deutsche und Altgriechische u.a. (siehe Kap. 4.2.2) miteinander verbindet, ist deren ausgeprägte Kompositionsaktivität – ein polysynthetischer Zug. Betrachtet man Skaličkas (1968b) Aufsatz zur Inkorporation, wird deutlich, dass die besondere Rolle der Partikeln als Grundzug des Deutschen auch hier als ein typologisch funktionelles Merkmal mit einzubinden versucht wird. Das Deutsche bildet leicht auch mehrere lexikalische Elemente umfassende Komposita; cf. folgende Paul Celans Gedichten entstammende partizipiale Bildungen (zur Rolle der Dichtung mit Blick auf die vollste Entfaltung des Typus cf. Kap. 1.5): schattenverheißend, messerumfunkelt, sonnendurchschwommen, nachtgewiegt, tagenthoben, feigengenährt, sternüberflogen, meerübergossen, schattenentblößt (cf. Iturrioz Leza 2001, 717). Weniger untersucht ist dagegen die Frage nach zusätzlichen den Typus des Deutschen prägenden inkorporierenden Strukturen. Den Hintergrund bei Skalička liefert die Situierung des Phänomens der sogenannten Inkorporation, traditionell «Einverleibung» genannt, im Rahmen der (klassischen) Typologie, vornehmlich seiner eigenen (Coseriu differenziert nicht zwischen Polysynthese und Inkorporation). Skalička betont die Bedeutung der Erscheinung als heuristisches Instrument zur Erfassung verschiedener typologisch relevanter Konstruktionen in den verschiedenen Sprachen:
https://doi.org/10.1515/9783110693966-004
Typologischer Stellenwert der Partikeln im Rahmen der Polysynthese | 163
«Die Inkorporation ist, vom Standpunkt der Typologie aus betrachtet, eine wichtige Erscheinung. Sie kann natürlich in empirischen Fällen verneint werden. Oft kommt sie in einer abgeschwächten Form vor (Subinkorporation).1 Theoretisch ist sie von großem Belang. Man kann sie zur Interpretation verschiedener Erscheinungen der Sprachen der Welt benutzen» (Skalička 1968b, 279).2
Die syntaktischen Eigenschaften der Inkorporation sowie ihr Stellenwert für die typologische Charakterisierung einer Sprache wurden erstmals von Wilhelm von Humboldt (1836a) explizit offengelegt.3 Was genauer Humboldt unter der «Inkorporation» versteht, wird im Zusammenhang mit der «mexikanischen Sprache» (utoaztekisches Nahuatl) erläutert (cf. Humboldt [1836a]/1935, §17, 162–180): In einer auf Inkorporation aufbauenden Sprache umfasst das Verb gewissermaßen das «Schema des Satzes» bzw. erschöpft sich der Satz im Prädikat, was eine zusammengesetzte Verbalform des Nahuatl wie ni-naca-qua (1SG.SUBJ-Fleisch-ess) ‘ich esse Fleisch’ – so das Leitbeispiel der traditionellen Typologie (cf. Humboldt [1836a]/1935, 165) – vom scheinbar analogen Fall griech. kreophagéo, sarcophagéo absetzt:4 Der Satz nimmt in den beiden Sprachen eine sehr verschiedene Rolle ein. Dies lässt sich durch folgende Probe unter Beweis stellen: Sobald das Substantiv (hier in Objektfunktion) nicht inkorporiert wird, erfordert die verbale Konstruktion im Nahuatl ein Pronomen an seiner Stelle: ni-c-qua in naca-tl (1SG.SUBJ-3SG.OBJ-ess DET Fleisch-ABS5 ‘ich esse (das) Fleisch’; also eigentlich: ‘Ich es esse, das Fleisch’); dies
|| 1 Was Skalička (1968b, 278) als «Subinkorporation» bezeichnet, lässt sich über das Ungarische veranschaulichen, wo eine Verbindung aus Adjektiv und Substantiv wie nagy asztal ‘der große Tisch’ als eine Akzenteinheit behandelt wird genauso wie die Verbform magasztal ‘er preist’. 2 In Skalička ([1946]/1979, 186) wird die Ergiebigkeit der Untersuchung der polysynthetischen Strukturen in einer Sprache vom typologischen Standpunkt aus ebenfalls betont: «Es handelt sich [bei der Inkorporation] vor allem um die Verbindung des Verbs mit verschiedenen Satzteilen. Wir versuchen, verschiedene Teilstrukturen der Sprache als ein Ganzes zu betrachten und so hat der polysynthetische Typus für uns einen breiten Inhalt». 3 Der Terminus «polysynthetisch» wird von Humboldt damit nicht gebraucht; was er als «einverleibende» bzw. «inkorporierende» Struktur fasst, entspricht der Polysynthese im traditionell morphologischen Verständnis. 4 Häufig werden Parallelen zum Griechischen aufzuzeigen gesucht; doch scheinbar ist die Inkorporation, so Humboldt, nur sehr schwach entwickelt: «Die letzteren [BahuvrīhiKomposita] sind nur in geringerem Maasse in die griechische Sprache übergegangen, welche überhaupt auch von dieser Art der Einverleibung einen weniger häufigen Gebrauch macht» (Humboldt [1836a]/1935, 179). Man beachte, dass Humboldt von der Komposition als «Art der Einverleibung» spricht. 5 In Ergativsprachen wird der einzige Handlungsteilnehmer eines intransitiven Verbs («Subjekt») und das Patiens eines transitiven Verbs («Objekt») durch denselben Kasus, den Absolu-
164 | Anwendungen der «integralen» Typologie und der Prager Typologie
deutet darauf hin, dass das einheitliche strukturelle Schema des Verbs die Funktion des Substantivs mit einschließt (cf. Humboldt [1836a]/1935, 165; Humboldt 1994, 396). Das Nomen erscheint in letzterer Konstruktion lediglich als Apposition7 und liefert eine komplementäre, sekundäre Determination.8 Die Inkorporation ist ein bezüglich ihrer Einordnung als morphologischwortbildendes oder als syntaktisches Verfahren viel diskutiertes Phänomen; ich brauche die Positionen im Einzelnen nicht zu resümieren (siehe aber folgende Definitionsversuche: Kroeber 1909;9 Sapir 1911;10 Skalička 1955; 1968a;11 siehe
|| tiv gekennzeichnet und entspricht insofern dem Nominativ in Akkusativsprachen, als er meist unmarkiert bleibt (bzw. man setzt ein Nullmorphem an). Das Agens eines transitiven Verbs steht im Ergativ. 6 Das «Mexicanische Verfahren» beruht also darauf, dass dieses zunächst «ein unverbundenes Ganzes hin[stellt], das formal vollständig und genügend ist; es bezeichnet ausdrücklich das noch nicht individuell Bestimmte als ein unbestimmtes Etwas durch das Pronomen, malt aber nachher dies unbestimmt Gebliebene einzeln aus» (Humboldt [1836a]/1935, 170). 7 Cf. Humboldt ([1836a]/1935, 165–166) zum Nahuatl: «Der Satz soll, seiner Form nach, schon im Verbum abgeschlossen erscheinen, und wird nur nachher, gleichsam durch Apposition, näher bestimmt. Das Verbum lässt sich gar nicht ohne diese vervollständigenden Nebenbestimmungen nach Mexicanischer Vorstellungsweise denken». Siehe v.a. auch Humboldt 1994. 8 Wird kein (direktes) Nominalobjekt gebraucht, bedarf das Verb der Ergänzung durch ein Indefinitpronomen, das (kataphorisch) anzeigt, ob eine Person oder ein Gegenstand bezeichnet werden soll: ni-tla-qua ‘ich esse etwas’ (‘ich etwas esse’) gegenüber ni-te-tla-maca ‘ich gebe jemandem etwas’ (‘ich jemandem etwas gebe’) (cf. Humboldt [1836a]/1935, 165–166). 9 Kroeber (1909, 569) fasst unter der Nominalinkorporation eine Verbindung aus Verb in der Funktion als Satzprädikat und nominalem Objekt, die gemeinsam ein Wort bilden. Sapir ([1911]/1962, 255) lehnt diese Definition jedoch ab, da sie zwei heterogene Bedingungen in unzulässiger Weise miteinander zu verquicken sucht: Die erste setzt eine nach einem bestimmten Verfahren gebildete morphologische Struktur voraus, die zu einer komplexen lexikalischen Einheit führt, die zweite legt dieser morphologischen bzw. paragrammatischen Struktur ein bestimmtes syntaktisches Verhältnis der miteinander kombinierten Elemente zugrunde. 10 Cf. Sapir ([1911]/1962, 255) «It is this process of compounding a noun stem with a verb that it is here proposed to call noun incorporation, no matter what the syntactic function of the noun logically is». Sapir ([1911]/1965, 255) definiert zum Vergleich die Nominalkomposition wie folgt: «Noun composition may be defined as the combining into a word of two independent word stems, the resulting word being treated as a noun.» Dabei bestehen keine Beschränkungen hinsichtlich der syntaktischen Relation, die die beiden komponierten Elemente zueinander unterhalten. Zur Illustration diskutiert Sapir folgende Komposita aus dem Englischen: steamengine, concert-singer, song-writer, die aus rein morphologischer Sicht einen einheitlichen Worttyp repräsentieren, syntaktisch jedoch insofern divergieren, als dem jeweils ersten Element eine andere «logische» Relation oder Funktion bzw. semantische Bestimmung zukommt; dasselbe gilt für die analogen verbalen Komposita, bestehend aus Verb + Nomen: (to) steamrun, (to) concert-sing, (to) song-write: «If we form three verbs parallel to the compound nouns we have selected, […] it is evident that ‘steam,’ ‘concert,’ and ‘song’ are respectively related to
Typologischer Stellenwert der Partikeln im Rahmen der Polysynthese | 165
v.a. Mithuns lexikalischen Ansatz 1984 mit einer vier Typen umfassenden Inkorporationstypologie mit weiterführender Literatur;12 zum syntaktischen Ansatz siehe Baker 1988, 1996; Gerdts 1998;13 Iturrioz Leza 2001). Für meine Zwecke reicht der Hinweis, dass die Inkorporation «weder in der Syntax noch in der Morphologie eine prototypische Kategorie ist» (Iturrioz Leza 2001, 714). Iturrioz Leza (2001, 714) umschreibt die Inkorporation dementsprechend in Anlehnung an Baker (1988) nach dessen weit gefasster Definition wie folgt (ich hebe hervor): «Inkorporation [ist] ein allgemeines grammatisches Phänomen, das als Juxtaposition von zwei funktionalen oder lexikalischen Kategorien charakterisiert werden kann; so kann eine funktionale Kategorie in eine funktionale Kategorie, eine lexikalische in eine funktionale oder eine lexikalische in eine lexikalische inkorporiert werden. Andere Linguisten definieren Inkorporation enger als Komposition eines Wortes (typischerweise Verb oder Präposition) mit einem anderen Wort (typischerweise Nomen, Pronomen oder Adverb)».
|| the verbs ‘run,’ ‘sing,’ and ‘write’ as noun of instrument, locative noun, and direct object. These relations are, however, just as purely logical, non grammatical, in the case of the verbs as in that of the nouns» (Sapir [1911]/1962, 256). 11 «Mit diesem Namen [scil. Inkorporation] bezeichnet man eine enge Verbindung von zwei syntaktisch zusammengehörigen Wörtern, die so eng ist, dass man von einem zusammengesetzen Wort sprechen darf. Es handelt sich vor allem um Verbindungen des Verbs mit seinem Objekt, bzw. mit seinem Adverbial, dann um die Verbindung des Nomens mit seinem Attribut. […] Dieses Prinzip […] [Zweisemstruktur, B.K.] kann auch in der syntaktischen Verbindung von zwei Elementen angewendet werden − und so entsteht eine Inkorporation. Die Inkorporation und die Komposition sind also Parallelerscheinungen auf dem Gebiet der Syntax und der Wortbildung» (Skalička 1968b, 275–276). Mit Skaličkas Definition des polysynthetischen Ideals über das distinktive Merkmal der Komposition lassen sich die Termini Inkorporation und Komposition kaum mehr unterscheiden. 12 Nach Mithun (1984, 847) führen die am Inkorporationsprozess beteiligten Verfahren zu einer lexikalischen Einheit: «Noun incorporation is perhaps the most nearly syntactic of all morphological processes. Examination of the phenomenon across a large number of geographically and genetically diverse languages indicates that, where syntax and morphology diverge, incorporation is a solidly morphological device that derives lexical items, not sentences.» 13 Gerdts (1998, 99) mit Unterscheidung eines als «noun stripping» bezeichneten Prozesses: «However these various constructions [noun incorporation or noun stripping, lexical suffixation, denominal verb constructions], they all present an interesting challenge to theories of morphosyntax. In each case, a noun (or nominal affix) combines with a verb (or verbal affix) to form a complex predicate. In the case of noun incorporation, lexical suffixation, and denominal verbs, the complex predicate is a single word by morphological and phonological criteria. Thus, two syntactic constituents combine to form a single word that satisfies both the predicate function and some argument function (usually object) of the clause». Gerdts betont die doppelte Rolle des durch Inkorporation hervorgegangenen komplexen verbalen Wortes als Prädikat des Satzes und als Argument (Gerdts 1998, 88).
166 | Anwendungen der «integralen» Typologie und der Prager Typologie
Auf dem Hintergrund dieser theoretischen Bestimmungen sollen drei sprachliche Erscheinungen jeweils aus der Sicht der typologischen Theorie nach Skalička und der nach Coseriu miteinander konfrontiert werden.
4.2 Partikeln, präfigierte Verben, Nominalkomposita Die im Blickpunkt stehenden Strukturbereiche sind folgende: Partikeln, präfigierte Verben (genauer die durch Präfixe modifizierten Verben; zum Problem der «Partikelverben» vs. «präfigierten Verben» cf. Olsen 2000), (Nominal)komposita. Coserius typologischer Ansatz ist als ein dezidiert einzelsprachlich fundierter an die Analyse zweier Sprachen, des Deutschen und des Altgriechischen,14 gekoppelt und beruht auf einer Bestimmung der einheitlichen Funktion, die Partikeln, Präfixe und das determinierende Glied von Nominalkomposita im Deutschen (bzw. Altgriechischen) in der Rede jeweils besitzen (cf. genauer Kap. 4.2.2, 4.2.3). Dabei wird sich die eruierte einheitliche Funktion als eine solche herausstellen, die in Abhängigkeit von der Spezifität des Kontextes bzw. der Äußerungssituation die Bedeutung des jeweiligen sprachlichen Elementes modifiziert bzw. in besonderer Weise determiniert. Diese Funktion wird
|| 14 Erst die Beobachtung, dass das Deutsche und das Altgriechische offensichtlich eine Vielfalt an (und nicht nur die genannten drei) sprachlichen Zügen teilen, hat Coseriu dazu veranlasst, auf eine typologische Ähnlichkeit zu schließen; dies lässt sich wie folgt begründen: «das empirisch auf der Ebene der Sprachsysteme allein festgestellte Zusammenhängen, die bloße positive oder negative Koexistenz von Funktionen oder Verfahren (etwa vom Typ: ‘wenn x, dann auch y’ bzw. ‘wenn x, dann nicht y’) ist an sich nicht unbedingt typologisch relevant, denn die realen einheitlichen Zusammenhänge auf der Ebene der Sprachtypen könnten doch andere sein. Nur wenn das empirisch festgestellte Zusammenhängen in auffallendem Ausmaß besteht (d.h. wenn es zahlreichen Ähnlichkeiten entspricht), liegt die Vermutung nahe, dass es durch den Sprachtypus bedingt sein kann, und die empirische ‘Koexistenz’ erhält somit einen besonderen heuristischen Wert für die Sprachtypologie» (Coseriu [1980b]/1988, 188–189). Zwischensprachlich können dann immer noch andere typologische Prinzipien gelten. Im Grunde müssten auch alle weiteren Merkmale, die die beiden Sprachen miteinander verbinden, einer Analyse vom typologischen Standpunkt aus unterzogen werden, soll sich ein fundiertes typologisches Gesamtbild ergeben. Immerhin versteht sich auch die integrale Typologie nicht als «partielle» Charakterisierung von Sprachen, sondern als «ausführliche Beschreibung der Sprachen auf der Gestaltungsebene des Sprachtypus» (ibid., 193). Allerdings kann apriorisch nicht erkannt werden, welche sprachlichen Züge auf ein und dasselbe Prinzip zurückzuführen sind und welche eventuell als Manifestationen parallel wirkender Prinzipien mit typologischem Status zu deuten sind. Insofern möchte ich mich auf die drei markantesten Eigenschaften beschränken, was eine Ausdehnung des Vergleichs der beiden typologischen Ansätze auf weitere Merkmale nicht ausschließt.
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unter dem «Prinzip der kontextuell-situationellen Bezogenheit» (Coseriu [1980b]/1988, 193) gefasst. Es handelt sich bei den Partikeln im engeren Sinne um nicht flektierende, nicht satzgliedfähige Wortklassen, die unter inhaltlichem Aspekt kaum eine eigenständige lexikalische Bedeutung erkennen lassen; ihre Bedeutung erschöpft sich vielmehr in der Funktion, die Bedeutung ihrer jeweiligen Bezugselemente zu modifizieren (cf. dt. mal (einmal), nun, einfach, wohl, doch, dennoch, immerhin, allerdings, denn, nämlich, freilich, gewiss, etwa, also, sicherlich, zwar … aber, doch, ja etc.).15 Die Partikeln zeigen eine Tendenz, untereinander wiederum in gewisser Akkumulation aufzutreten, «und zwar sowohl mit ‘additiver’ als auch mit einheitlicher Funktion» (Coseriu [1980]/1988, 189). Dies führt inhaltlich zu einer Intensivierung der eigentlichen Funktion der Partikeln, nämlich der Einführung einer Modifikation der kontextuell gegebenen Situation, wie sie in anderen Sprachen durch Adverbien bzw. allgemein adverbiale Bestimmungen (des Umstandes, der Art und Weise etc.) zum Ausdruck gebracht wird, oder, wie etwa in den romanischen Sprachen, durch das, was Coseriu ([1980b]/1988) als «okkasionelle Periphrasen» bezeichnet, die ihrerseits syntagmatische Determinationen repräsentieren. An dieser Stelle interessieren primär die Modalpartikeln (auch «Abtönungspartikeln» oder «Satzpartikeln» genannt). Vom diachronischen Standpunkt aus unterscheidet M. Scheler (1977, 111, Anm. 17) innerhalb der präfigierten Verben zwei Gruppen nach distributionellen Kriterien: zum einen präfigierte Verben, bei denen das präfixale Element lediglich als gebundenes Element, als «nichttrennbare Vorsilbe» in der Sprache vorkommt wie in mit engl. be-, ge-, for- dt. ‘ver-’ gebildeten Verben; zum anderen Verben mit insofern lediglich «präfixähnlichen» Elementen, als diese als selbständige Wörter fungieren, also vom Verbstamm getrennt in Erscheinung treten können; cf. ae. ūt > ne. out, ae. under > ne. under etc. Unter semantischem Aspekt sind die frei (in der Regel in präpositionaler oder adverbialer Funktion) vorkommenden Elemente am ehesten mit einem lokalen oder temporalen Wert in Verbindung zu bringen. Mit Blick auf die zugrunde liegenden Wortbildungsverfahren präzisiert M. Scheler (1977, 111, Anm. 17) dahingehend, dass die ver|| 15 Eine Klassifikation nach semantischen und pragmatischen Kriterien kann zu folgenden Typen an Partikeln führen: (i) Gradpartikeln/Fokuspartikeln (nur, sogar, auch); (ii) Modalpartikeln (ja, freilich, allerdings); (iii) Negationspartikeln (kein, nicht); (iv) Antwortpartikeln (ja, nein); (v) Vergleichspartikeln (wie, als). Dabei ist auf Grund der Mehrdeutigkeit vieler Partikeln mit Mehrfachcharakterisierungen der einzelnen Partikeln zu rechnen, cf. dt. auch in der Funktion als Gradpartikel: Auch Erwachsene waren einmal Kinder gegenüber dem Gebrauch als Modalpartikel: Was ist aber auch heute wieder mit ihm los! (daneben kann auch ferner als Konjunktion fungieren).
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balen Bildungen mit nichttrennbaren Präfixen des Typs ae. begān als «Präfixderivationen» zu betrachten seien, die mit trennbaren Elementen des Typs ae. ūtgān dagegen als «Verbalkomposita». Ich sehe hier dagegen die Möglichkeit der Einordnung unter die Verfahren der Situierung, d.h. einer Analyse der Präfixbildungen nach semantischen Kriterien (cf. Kap. 9). Die «Partikelverben» stellen ebenfalls komplexe Verben dar, die sich aus einer Partikel und einem Verbalstamm zusammensetzen und semantisch eine lexikalische Einheit bilden, die ihrerseits als Basis für weitere Ableitungen fungieren kann (cf. anrufbar, einsetzbar, Abnehmer, Auflöser, Einforderung, Umleitung etc.).16 Zu den jeweiligen Partikeln existieren in der Regel homonyme Präpositionen bzw. Adverbien. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Abgrenzung zwischen solchen Partikelverben und Komposita des Typs dt. zwangsgeräumt, wo eine Paraphrasierung als X räumte Y zwangs nicht praktikabel ist (cf. Holmberg 1976). Die Problematik stellt sich allgemein innerhalb der germanischen Sprachfamilie. Die Situation im Englischen gleicht der des Deutschen; Greenbaum/Quirk (1990, 336) klassifizieren die Partikelverben des Englischen unter die «multiword verbs», wobei zunächst die zwei großen Gruppen der «phrasal verbs» und «prepositional verbs» unterschieden werden: Bei ersterer besitzt die Partikel den Status eines Adverbs, bei zweitgenannter den einer Präposition. Daneben existieren Kombinationen aus Verbalstamm und zwei Partikeln, die sogenannten «phrasal-prepositional verbs», die zum einen als Adverb, zum anderen als Präposition fungieren: get/do away with, look in on, face up to, let someone in on.17
|| 16 Mit Bezug auf das rein formale Stellungsverhalten können im germanischen Deutschen (Niederländischen, Schwedischen) in Abhängigkeit von der jeweiligen syntaktischen Konstruktion Partikel und finite Verbform getrennt erscheinen; im Englischen kann auch das nichtkonjugierte Verb von der Partikel abgetrennt werden (cf. Olsen 2000, 902): Sie näht den Knopf an; John tore the sticker off sowie John was told to tear the sticker off. Die Eigenschaft der Trennbarkeit geht mit der der Betontheit einher; vergleiche im Deutschen die Opposition zwischen eigentlichen Partikelverben mit Betonung auf der Partikel ánrufen, áufsetzen, áuskippen, ábreißen, éinfordern, dúrchfahren, úmleiten etc. und komplexen Verben wie durchfáhren, umbínden, überflíegen etc. mit Betonung auf dem Verbalstamm. Letztere lassen sich im Rahmen der Phraseologie bzw. der «lexikalischen Solidaritäten» einordnen (cf. Coseriu 1967). 17 «The two main categories of multi-word verbs consist of a lexical verb plus a particle, a neutral designation for the overlapping categories of adverb and preposition that are used in such combinations […]. In phrasal verbs the particle is an adverb (eg: drink up, find out) and in prepositional verbs it is a preposition (eg: dispose of, cope with). In addition, there are phrasalprepositional verbs with verbs with two particles, an adverb followed by a preposition (eg: put
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Auch im Englischen lässt sich nur schwer eine Grenze ziehen zwischen «multi-word verbs» und freien Kombinationen, deren Komponenten jeweils eine spezifische Bedeutung besitzen: «Rather, there is a gradience ranging from idiomatic and syntactically cohesive combinations to combinations that are loosely connected» (Greenbaum/Quirk 1990, 337). Hinsichtlich der Frage nach der Herausbildung der Partikelverben im Englischen kommen laut Weimann (31995) unter wortbildungstheoretischem Aspekt bei den präfigierten Verben eher derivationelle Verfahren in Frage als solche der Komposition (cf. Weimann 31995, 10418). Skalička (1968b, 278) unterscheidet hinsichtlich der semantischen Bestimmung der Partikelverben für das Deutsche zwei Typen von präfigierten Verben: solche, die eine sehr abstrakte Bedeutung beinhalten (cf. dt. be-, ge- wie in begießen, beschneiden, bedienen bzw. gereichen, gebieten, gebrauchen, gebrechen etc.), und solche, die eine sehr konkrete Bedeutung zum Ausdruck bringen (wie hervor-, hinweg- wie in hervorrufen, hervorbringen, hervorgehen; hinwegfegen, hinwegraffen, hinwegsetzen etc.). Diese Gliederung Skaličkas entspräche der M. Schelers, abgesehen davon, dass letztere zunächst von syntaktischen Kriterien ausgeht und parallel auf den bestimmbaren Bedeutungsaspekt im Rahmen temporaler oder lokaler Werte der präfixalen Elemente abhebt. Die Verbindungen mit komplexen Partikeln wie hinauf, hinaus in hinaufklettern, hinauskommen etc. betrachtet Skalička (1968b, 278) als «Verbindungen von zwei selbständigen Wörtern», die an die Inkorporation (als syntaktische Verb + Adverb-Verbindung) angrenzen. Coseriu äußert sich in seinem Aufsatz «Partikeln und Sprachtypus» zum Deutschen und Altgriechischen bezüglich einer Einordnung der präfigierten Verben unter wortbildungstheoretischem Gesichtspunkt dahingehend, dass die Streitfrage, ob die präfigierten Verben der Komposition oder der Derivation zuzurechnen seien, zugunsten der Präfixderivation zu entscheiden sei ([1980b]/1988, 189 sowie ibid., Anm. 13). Dies die formale Interpretation; im Vordergrund steht aber die Frage der Bildung nach inhaltlichen Kriterien. Hier lässt sich eine interessante Verbindung zu den inhaltlichen Wortbildungsver-
|| up with […]), and types of multi-verbs that do not consist of lexical verbs followed simply by particles (eg: cut short, put paid to)». (Greenbaum/Quirk 1990, 16.2, 336) Zu Kriterien der Differenzierung zwischen «prepositional verbs» (z.B. We called on the dean) und freien syntaktischen Kombinationen aus Verb und Präposition (z.B. We called after lunch) bzw. zwischen «prepositional verbs» (call on ‘visit’) und «phrasal verbs» (call up ‘summon’) cf. Greenbaum/Quirk (1990, 339–341). 18 Als Beispiele werden etwa genannt: æfter- (ahdt. aftero, mhdt. after) ‘nach’: æftercweÞan; forÞ (mhdt. vort) ‘vorwärts, hervor’: forÞcuman; of- (ahdt. ab(a), mhdt. ab(e)) ‘ab, weg’: ofgiefan; Þurh- (ahdt. dur(u)h, mhdt. dur(ch)) ‘(hin)durch’: Þurhdrīfan etc.
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fahren der Modifizierung wie z.B. bei maison – maisonnette auf verbaler Ebene herstellen: «Ebenso charakteristisch sind für diese beiden Sprachen [das Deutsche und das Altgriechische] wegen ihrer Anzahl und wegen der weitgehend offenen Möglichkeiten ihrer Bildung die präfigierten Verben. [Anm. 13:] Diese Verben werden meist als ‘Komposita’ betrachtet. In Wirklichkeit entsprechen sie (zusammen u.a. mit der Diminutiv-, Augmentativ- und Kollektivbildung) einem völlig anderen Wortbildungsverfahren, das man ‘Modifizierung’ nennen kann» ([1980b]/1988, 189; ibid., Anm. 13).19
Die Interpretation als Modifizierung (cf. Kap. 5.5; 5.7–5.8 sowie Kap. 9 zur Situierung) trifft auf analoge Bildungen in anderen Sprachen zu, sofern Folgendes (cf. Coseriu 1966a, 4.2.1) gilt: «La modification (ou ‘dérivation homogène’) est une détermination complémentaire de tout un lexème; les rapports de modification ont, par conséquent, la formule: ‘lexème A’ – ‘lexème A + dét.’ (par ex. voir – revoir – prévoir, etc.; maison – maisonnette). Ce rapport est analogue au rapport entre un phonème et le même phonème modifié par un prosodème».
Damit sind Syntagmen wie frz. surdéterminer, surbaisser, sous-louer, dt. hinfallen, abfallen oder engl. overrate, overdo, underplay, underestimate etc. zur Modifizierung zu rechnen (cf. die lat. verbalen Diminutiva des Typs SUBRIDERE ‘ein wenig lachen’,20 die analog zu gewissen adjektivischen Diminutiva, also mittels desselben präpositionalen Elementes gebildet wurden: cf. SUBRUFUS ‘ein wenig rot’) (cf. Rohrer [1967]/1977, 170–171). Ein aus der Sicht der syntaktischen Typologie interessantes Phänomen ist der Stellungswechsel des präfixalen Elementes von der präverbalen in die postverbale Stellung im Altenglischen wie im Deutschen: «Diese meist als Präpositionen oder Adverbien fungierenden Morpheme […] treten bereits ae. bei der Flexion mitunter hinter das Verb, wie im heutigen Deutschen (ūtgān : he ūtgāÞ oder gāÞ ūt = dt. áusgèhen, aber er gèht áus). Das Ne. kennt auch im Infinitiv nur die analytische Form (im Gegensatz zum ae. Zustand): to go out, he goes out» (cf. M. Scheler 1977, 111, Anm. 17).
|| 19 Cf. zur zugrunde liegenden Wortbildungstheorie Coseriu (1977, 49; 53). 20 Cf. zudem Skalička ([1951]/1979, 52): «Das Latein leitet nur sehr selten ein Verb von einem anderen ab […]. Stattdessen hat es allerdings sehr viele Verbalpräfixe: sisto – consisto, desisto, existo, resisto usw.».
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4.2.1 Typologische Interpretation Skaličkas Erörterung der Partikelverben situiert sich in einem Kontext, der dem Nachweis der Inkorporation in verschiedenen Sprachen gewidmet ist. Die Tatsache, dass nicht nur Nomina, sondern auch das Adverbiale Gegenstand der Inkorporation werden kann, leitet über zu der Feststellung, dass auch präfixale Elemente verschiedenster Natur eine Rolle bei der Inkorporation spielen. Die präfigierten Verben sind in zahlreichen indoeuropäischen und gewissen finnnisch-ugrischen Sprachen in reicher Anzahl vertreten. Allerdings kann man «die Existenz der trennbaren Präverbien [nicht, sic] ohne weiteres als Inkorporation bezeichnen. Die Inkorporation spielt aber bei der Herausbildung dieser Präverbien eine bedeutende Rolle» (Skalička 1968b, 278). Auch im Ungarischen sind die Partikelverben (hier als igekötö bezeichnet) reichlich vertreten:21 be- ‘ein-’, ki- ‘aus-’, szét- ‘zer-’, tovább- ‘weiter-’, hátra‘nach hinten’ etc. (wobei die Frage der Trennbarkeit von komplizierten Regeln geleitet wird). Formen wie tovább-, hátra- kommen auch als selbständige Adverbien vor. Das Phänomen wird auch mit Bezug auf das Ungarische – das verschiedene weitere polysynthetische Züge erkennen lässt (reiche Komposition, der Gebrauch lexikalischer Elemente in metaphorischem Sinne als grammatische Morpheme) – als inkorporierender Zug gewertet (cf. Skalička 1968b, 278); Analoges lässt sich für das Lateinische, das Griechische (cf. Coseriu [1980b]/1988) und die slawischen Sprachen feststellen: «Auch hier – z.B. im Lateinischen, Griechischen, in den slavischen Sprachen – sind die Präverbien ursprünglich Adverbia. Ihre konkrete Bedeutung ist aber sehr verblasst und sie sind nicht trennbar. Von einer Inkorporation kann man in den Fällen wie inire, exire, circumire sprechen, wo das Präverbium von seinem Zeitwort unabhängig ist» (Skalička 1968b, 278).
|| 21 Soltész (1968) betrachtet die semantische Differenz zwischen verbaler Grundlage und abgeleitetem Verb mit Bezug auf das Ungarische als entscheidendes Kriterium für das Vorliegen eines echten Verbalpräfixes; daher stuft er nur solche Verbalpräfixe als «wirkliche» Verbalpräfixe ein, bei denen das präfigierte Element (in der Regel ein Adverb) im Basisverb durch die Präfigierung einen erheblichen Bedeutungsunterschied bewirkt. Dies ist etwa bei ung. félre der Fall, das als Adverb gebraucht und in Verbindung mit den meisten Verben ‘beiseite’ bedeutet (z.B. félreugrik ‘beiseite springen’), doch als bestimmte Verben modifizierendes Element eine besondere (mit der Negation vergleichbare) Bedeutung entwickelt: félreért ‘missverstehen’, félresikerül ‘missglücken’; oder bele ‘hinein, in etwas’, das häufig eine kausale Bedeutung besitzt: belehal ‘an oder von etwas sterben’, belebetegszik ‘an etwas krank werden’. Im Rahmen der Wortbildungsopposition lässt sich somit in bestimmten Fällen eine eigene systematische (modifizierende) Bedeutung angeben.
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Mit Bezug auf zwei Einzelsprachen, das Deutsche und Altgriechische, konnte ein Zusammenhang zwischen den genannten Eigenschaften aufgezeigt werden. Auf dem Hintergrund der Prämisse, dass sich die integrale Typologie nach Maßgabe Coserius dann, wenn sich ihre Prinzipien in einer genügend großen Anzahl an Sprachen bestätigen, einem «Idealkonstrukt» annähert (cf. Sgall 199522), ließen sich die beiden typologischen Interpretationen (aus der Sicht der Allgemeinen Typenlehre und der integralen Typologie) der drei Phänomene einander gegenüberstellen. Die Klassifizierung der präfigierten Verben nach Skalička gelangt auf Grund semantischer wie struktureller Kriterien zu zwei großen Gruppen, den trennbaren und den nichttrennbaren präfigierten Verben, wobei die nichttrennbaren als Präfixderivationen mit abstrakter Bedeutung des präfixalen Elements, die trennbaren als polysynthetische Verbindungen angesehen werden. Damit entspräche die Gruppe der trennbaren Partikelverben der im polysynthetischen Ideal vorherrschenden paragrammatischen Technik.
4.2.2 Das Deutsche und das Altgriechische Im typologischen Ansatz nach Coseriu verbindet das Deutsche und Altgriechische ein funktionell-typologisches Prinzip, das das Auftreten der genannten drei Eigenschaften als einheitliche Merkmalskonstellation (Partikeln, präfigierte Verben, Nominalkomposita) zu erklären in der Lage ist:
|| 22 Cf. Sgall (1995, 75): «it may be argued that the difference between a ‘construct’ and an ‘ideal principle’ is not as crucial as it might seem. If languages differ in their ideal principles, and if the diachronic transitions from one principle to another are not abrupt, then it follows that elements of different principles may be found in the structure of a single language.» Gerade im Kontext des typologischen Vergleichs zwischen dem Deutschen und Altgriechischen wird auf diesen Umstand aufmerksam gemacht angesichts der Beobachtung, dass auch das Japanische Partikeln und ähnliche kontextdeterminierende Verfahren besitzt (cf. das komplexe System an Honorifika, die äußerungsfinalen Abtönungspartikel, die Existenz verschiedener Verben mit der Bedeutung ‘geben’, die von der jeweiligen Richtung des Gebens und dem Verhältnis zwischen den beteiligten Personen abhängen, die Empfängerdiathese etc.): «Auf den ersten Blick würde man auch für das Japanische ein ähnliches typologisches Prinzip annehmen […] Das Japanische drückt aber regelmäßig nur den ‘pragmatischen’ (die am Gespräch oder am gesprochenen Tatbestand beteiligten Personen betreffenden) Kontext aus, der im Deutschen lediglich eine Komponente (und bei weitem nicht die wichtigste) des Komplexes ‘Situation – Kontext’ darstellt. […] Dies ist übrigens auch ein eindeutiges Beispiel dafür, dass auf den ersten Blick ähnliche Funktionen und Verfahren zu sehr verschiedenen typologischen Zusammenhängen gehören können» (Coseriu [1980b]/1988, 193, Anm. 19; zum inhaltlichen Prinzip der kontextuell-situationellen Determiniertheit siehe weiter unten).
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«Gibt es nun hier eine funktionelle Homogenität der auf der Ebene der Sprachsysteme gegebenen Verschiedenheit, eine allgemeine Funktion, der die in den Sprachsystemen verschiedenen Funktionen als Spezifizierungen entsprächen? Mit anderen Worten: Kann man Partikeln, präfigierte Verben und Nominalkomposition funktionell in einen ‘sinnvollen’ Zusammenhang miteinander bringen, sie auf ein einheitliches funktionelles Prinzip zurückführen? Wir glauben, dass dies ohne weiteres möglich ist»23 (Coseriu [1980b]/1988, 190).
Dieses Prinzip betrifft die Neigung einer Sprache, je nach Kontext bzw. Situation spezifische Determinationen zu verwenden; es beruht somit auf semantischpragmatischen Kriterien und ist weniger an der formalen Seite der sprachlichen Erscheinungen orientiert. Das von Coseriu konstatierte Prinzip lässt sich in Anwendung auf die drei genannten Systembereiche des Deutschen (bzw. Altgriechischen) jeweils wie folgt umreißen (Coseriu [1980b]/1988, 190, 191, 192); zunächst zu den Partikeln: «Die Partikeln haben im Deutschen die allgemeine Funktion, das Gesagte (bzw. das im Gesagten Gemeinte) in ein jeweils anders bestimmtes Verhältnis zu einem Kontext und/oder einer Situation (einschließlich der damit verbundenen Überlegungen des Sprechers und der Haltung des Sprechers und des tatsächlichen oder nur stillschweigend vorausgesetzten Hörers) zu bringen, und somit können sie u.a. den Gültigkeitsbereich des Gesagten präzisieren oder einschränken» (Coseriu [1980b]/1988, 190).
So würde man im Deutschen in einer Situation, in der ein Italiener Che c’e? oder allenfalls Be’, che c’e? sagte, in der Regel nicht bloß Was ist?, sondern eher Was ist (denn) schon dabei? sagen oder sogar Na, was ist denn schon dabei? Dabei deutet die Partikel na auf die Haltung des Sprechers hin, denn liefert einen Verweis auf die Haltung des (eventuell auch nur implizierten) Adressaten, schon referiert auf mögliche andere Situationen dieser Art, dabei bezieht sich schließlich auf die «aktuelle» Situation. In diese Interpretation fügt sich die der präfigierten Verben, die sich nach dem entsprechenden funktionellen Prinzip auf typologischer Ebene wie folgt deuten lassen (cf. Kap. 7.3.3 zur Partialisierung): «Eine im Grunde analoge Funktion leisten die durch Präfixe ‘modifizierten’ Verben. Sie beziehen nämlich den Verbalvorgang auf einen ‘realen’ – meist räumlichen oder zeitlichen – Zusammenhang, indem sie z.B. den äußeren Ausgangspunkt, den Zielpunkt oder
|| 23 Mit der Einschränkung, dass zur Etablierung eines solchen Zusammenhangs die rein empirische Feststellung der Koexistenz dieser Fakten nicht hinreicht; vielmehr gilt es, die je spezifische Funktion dieser Fakten im Sprachsystem zu bestimmen sowie ihr tatsächliches Funktionieren im Sprechen genauer zu analysieren (cf. Coseriu ([1980b]/1988, 190).
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die Richtung dieses Vorgangs angeben. Dadurch wird der Verbalvorgang selbst ‘partialisiert’, d.h. in seiner besonderen Art determiniert: hinfallen ist eine andere Art ‘Fallen’ als ausfallen, umfallen, abfallen usw.» (Coseriu [1980b]/1988, 191).
Das Deutsche drückt über Partikeln bzw. durch Präfixe modifizierte Verben aus, was etwa in den romanischen Sprachen durch ein einfaches Verb – allein oder in Verbindung mit einer syntagmatischen Determination – vermittelt wird; cf. frz. tomber, it. cadere, sp. caer gegenüber Deutsch hin-, ab-, aus-, vor-, zurück-, hinein-, über-, umfallen etc. Die Nominalkomposition erfährt eine analoge typologisch-funktionelle Bestimmung: «Auch die Nominalkomposition drückt im Deutschen einen Bezug auf einen außersprachlichen Kontext aus, nämlich auf den üblichen bzw. permanenten ‘realen’ Zusammenhang, in dem ein ‘Objekt’ oder ein ‘Faktum’ steht und durch den es als Vertreter einer besonderen Species gilt bzw. gelten kann. So kann z.B. eine ‘Karte’ auf das Fahren, auf das Eintreten, auf einen geographischen Raum usw. bezogen werden, wodurch sie zu einer ‘Fahrkarte’, ‘Eintrittskarte’, ‘Landkarte’ usw. wird» (Coseriu [1980b]/1988, 192).
Das Deutsche verwendet also Komposita mit einem durch ein Nomen determiniertes «zweites» Glied, wo etwa das Französische auf völlig verschiedene Lexeme zurückgreift, cf. dt. Fahr-, Eintritts-, Kartei-, Landkarte etc. gegenüber frz. billet, ticket, fiche, carte géographique; sp. billete, entrada, ficha, mapa etc. – auch hier können im Romanischen bestimmte syntagmatische Determinationen hinzutreten. In zweigliedrigen Komposita des Typs ‘Landkarte’ fungiert das erste Element gewissermaßen als ein «nominales Präfix», das der Modifizierung eines weiteren Nomens dient, was die Nähe zu den präfigierten Verben in den germ. Sprachen wie Deutsch, Englisch, Niederländisch, Schwedisch herausstellt. In diese Interpretationslinie reihen sich modifizierende (Kollektivierung), aus ursprünglichen Nomina hervorgegangene Suffixe wie engl. -dom (cf. ae. dōm ‘Gerichtsbarkeit, Gesetz’) und -hood (cf. ae. hād ‘Stand, Rang’) (cf. Marchand 21969, 262, 293) ein; ähnlich dt. -gut (wie in Stückgut), -werk (Tagewerk), zeug (Strickzeug), -wesen (Steuerwesen); -frei (fehlerfrei), -arm (kinderarm), voll(geistvoll), -stark (charakterstark) etc. sowie präfixale Elemente (Intensivierung) des Typs: dt. Affen- (Affentheater), Mords- (Mordsgeschrei), Riesen- (Riesenauswahl); stink- (stinkwütend), tod- (todlangweilig) etc. Manifestiert sich in präfigierten Verben und Komposita die Polysynthese, ließe sich die Frage aufwerfen, ob die Partikeln nicht aus einer Grundstruktur heraus, die die Invariabilität des Wortes (mitunter einhergehend mit Homonymie bzw. Polysemie; cf. die Grad- und Modalpartikel bzw. Konjunktion dt. auch,
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Kap. 4.2) voraussetzt, im Rahmen der Polysynthese interpretierbar wären. So stellen die Partikeln eine prinzipiell nicht flexionsfähige Wortklasse dar, die grammatische Funktionen, aber auch lexikalische Bedeutung in sich schließt. Vergleichbar wären die Partikeln insofern mit dem Fall des Ausdrucks des Dativs im Chinesischen, der auf lexikalischen Mitteln beruht. Hier gilt es allerdings zu unterscheiden zwischen den Partikeln adverbieller Funktion (die den adverbiellen «Präfixen» bei den präfigierten Verben entsprechen) und solchen «Abtönungspartikeln», die eine abschwächende Funktion besitzen; bei letztgenannten treten Häufungen auf (cf. Hast du denn überhaupt schon mal so wirklich fein gegessen?), die semantisch nur sehr schwach besetzt sind und für die oft keine klare lexikalische Kernbedeutung angegeben werden kann.24 Die Funktion solcher Partikeln in nicht primär adverbieller, sondern modifizierender Rolle ist mit Bezug auf die beiden Sprachen Deutsch und Altgriechisch25 insofern als eine grammatische zu bestimmen, als die kontextuellsituationelle Determination eine einzelsprachlich erfasste Funktion darstellt (cf. etwa Coseriu [1980b]/1988, 191, 192), während diese in den anderen Sprachen nicht als Bestandteil des Systems im Sinne eigener grammatikalisierter Verfahren betrachtet werden kann. Daneben verweist die Rolle dieser Art der Modifizierung in den Bereich der Modalität, wo das mit dem Deutschen verwandte Englische ein besonderes Verhalten zeigt, indem es über die (epistemische, deontische) Modalität26 ein breites Spektrum an stark diversifizierten grammati|| 24 Cf. die Herausbildung gewisser Präverbien im Altenglischen mit Anhäufung der Präfixe; auch hier liegt eine Verstärkung des modifizierenden Elementes vor (cf. Weimann 31995, 105): «Angesichts der Produktivität von Präfixen im Ae. ist es nicht verwunderlich, dass auch mehrfache Präfigierung keineswegs selten ist, z.B. forÞ-be-sēon, full-ge-wepned, in-ā-sendan, of-āweorpan, ofer-ge-met, un-ā-rīmed, un-be-weddod etc.». Aus der Sicht der Prager Typologie scheint dieser Zug dem polysynthetischen Typus am ehesten anzugehören etc. 25 Bemerkenswert ist ferner die erstaunliche Übersetzbarkeit bzw. Entsprechung vieler Partikeln im Deutschen und Altgriechischen: «in den meisten Fällen kann man altgriechische Partikeln mit deutschen Partikeln ‘übersetzen’ (wenn auch nicht stets mit den gleichen), d.h. man kann je nach den Kontexten genaue oder so gut wie genaue Entsprechungen feststellen» (cf. Coseriu [1980b]/1988, 189). 26 Die Begriffe der epistemischen und deontischen Modalität entstammen der Modallogik; als Erweiterungen der klassischen Logik besitzen sie vorrangig im angelsächsischen Raum eine auch in der Linguistik fest verankerte Tradition. Die epistemische Modalität ist überwiegend sprecherorientiert, d.h. der Sprecher schätzt die Möglichkeiten bezüglich der Faktualität einer Situation ein; die epistemische Modalität bezieht sich also auf eine Wahrscheinlichkeit bzw. Möglichkeit bezüglich des Zutreffens einer Handlung (aus der Sicht des Sprechers). Demgegenüber bringt die deontische Modalität die Haltung des Sprechers in Bezug auf die Notwendigkeit, die Wünschbarkeit etc. der Realisierung einer betrachteten Situation zum Ausdruck. Letztere bezieht sich somit auf eine Verpflichtung, eine Erlaubnis, einen Wunsch etc.:
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kalischen Formen eröffnet, die über die bloßen Modalverben noch hinausgehen (cf. be sure to, be bound to; had better, it would be better to … etc.; cf. auch Coseriu [1980b]/1988, 190). Hier verwendet das Deutsche beispielsweise als Entsprechung für das eine starke Gewissheit zum Ausdruck bringende (epistemische) engl. will häufig entweder nur eine Partikel wie wohl bzw. meist ein Adverb wie bestimmt, sicher(lich), gewiss; vermutlich oder das Verb werden – seinerseits entweder allein oder erneut in Verbindung mit wohl oder einem der Adverbien vermutlich, bestimmt, zweifellos etc., um den epistemischen bzw. deontischen Gehalt einer Aussage zu modifizieren, cf.: Er wird wohl kommen; Gehst du hin? – Wohl kaum! Ähnlich bei engl. may/might, für die im Deutschen Adverbien wie vielleicht, womöglich, unter Umständen oder Konstruktionen wie es mag/kann/könnte sein, dass …; es ist/wäre möglich, dass… eintreten; im Englischen dominiert also in der Regel der Gebrauch der Modalverben may, might, should, would etc. (und entsprechender Determination des Infinitivs hinsichtlich der Kategorien Tempus/Aspekt) oder einer grammatikalisierten Konstruktion, die ein modales Element enthält.27 Auf inhaltlicher Ebene nehmen die Partikeln nicht adverbieller, sondern «abtönender» Funktion einen Status weniger als Lexeme, sondern mehr als reine Instrumentalwörter ein, was sie mit entsprechenden Wörtern des Chinesischen vergleichbar macht: Hier werden grammatische Bedeutungen zuweilen durch lexematische Einheiten ausgedrückt, was die Grenze zwischen lexematischen und grammatischen Wörtern ebenfalls unsicher werden lässt. Dieser Zug ist dem polysynthetischen Typus eigen, dem damit offensichtlich auch die Partikeln des Deutschen zuzuweisen sind. Damit lässt sich das anhand der genannten Phänomene induktiv entdeckte typologische Prinzip auf folgenden Nenner bringen: «Die drei von uns hier berücksichtigten Faktenbereiche stehen also im Deutschen, wie im Altgriechischen – und zwar trotz ihrer Verschiedenheit auf der Ebene der Sprachsysteme –, tatsächlich in einem ‘sinnvollen’ funktionellen Zusammenhang miteinander: sie entsprechen einer allgemeineren Funktion, nämlich dem in den drei Bereichen in gleichem Maße herrschenden und in vielerlei Formen wirksamen Bezug auf Kontexte und Situationen, und somit einem typologischen Gestaltungsprinzip. In dieser Hinsicht ist das Deut-
|| Der Sprecher erachtet es beispielsweise als notwendig, dass eine bestimmte Handlung umgesetzt wird. Neuere Perspektiven innerhalb der Modalitätsforschung zum Englischen lassen sich mit den in Salkie/Busuttil/van der Auwera (2009) versammelten Einzelstudien erarbeiten (vor allem die Theorie nach Antoine Culioli). 27 Auch die aus dem Englischen bekannten «Question tags» ließen sich in diesem Kontext näher betrachten, da sie eine Antwort bereits vorwegnehmen, d.h. beim Adressaten eine bestimmte Haltung präsupponieren (cf. lat. NE).
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sche, wenn man will, eine ‘Sprech-Sprache’: eine Sprache, die sehr zahlreiche und verschiedenartige Determinationen des Sprechens zu einzelsprachlichen Funktionen gestaltet und als solche in sich selbst aufgenommen hat» (Coseriu [1980b]/1988, 193).
Die Partikeln werden nicht in jeder Äußerungssituation gleichermaßen eingesetzt; so fallen sie mitunter weg, wenn die kontextuell-situationellen Umstände nicht näher präzisiert werden können oder sollen oder wenn diese eindeutig genug sind. Analoges gilt mit Blick auf die Präfixe der präfigierten Verben: Hier wird das Verb notwendigerweise ohne Präfix gebraucht, wenn die vom jeweiligen Kontext bzw. der Situation abhängigen Bedingungen eindeutig bestimmbar sind; cf. Die Blätter fallen ab vs. Die Blätter fallen von den Bäumen, aber nicht: *Die Blätter fallen von den Bäumen ab. Ähnlich auch bei den Nominalkomposita auf syntaktischer Ebene, bei denen das Determinatum alleine stehen kann, wenn der determinierende Zusammenhang bereits anhand anderer Indizien eindeutig identifizierbar ist. So wird ein sich unmittelbar vor einer Landkarte befindlicher Sprecher auf dieselbe mit «Karte» referieren und eher unwahrscheinlich diese als «Landkarte» bezeichnen.
4.2.3 Ergebnisse Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Coseriu führt alle drei diskutierten Erscheinungen auf das typologische Prinzip der «kontextuellsituationellen Modifikation» zurück, wobei hier die Einschränkung des Gültigkeitsbereichs des Prinzips bislang nur für zwei Einzelsprachen gilt. Bei Skalička erscheinen die präfigierten Verben als wesentliche Komponente, die zur (Heraus)Bildung einer Inkorporation führen können. Die Nominalkomposita stellen in Skaličkas Theorie sogar das entscheidende Identifikationskriterium der Polysynthese dar, wobei dieselben Bedingungen wie bei der Inkorporation erfüllt sein müssen. Die (Nominal)Komposition umfasst dabei auch Elemente, die die Zweielementstruktur überschreiten können. Die Zweigliedrigkeit ist für die hier angestellten Überlegungen insofern von Bedeutung, als sie auch die präfigierten Verben (bzw. die Inkorporation) tangiert.28
|| 28 Aus mehr als zwei Gliedern bestehende «Plurikomposita» (cf. Coseriu [1980b]/1988, 190) müssten unter diesem Aspekt noch genauer untersucht werden. Zum Französischen siehe Rohrer (1977, 140–154) bzw. id. (1967, 148–164), wo auch Bildungen des Typs salle à mangerterrasse, appartement tout confort, co-production Marché commun, aide-femme de chambre, drap pure laine und Bildungen wie une espèce de Don Quichotte bon enfant diskutiert werden.
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Damit hängen zunächst zwei der drei erörterten Erscheinungen typologisch über die Polysynthese zusammen: die präfigierten Verben und die Nominalkomposita. Der polysynthetische Typus hat übrigens auch wesentlichen Anteil an der Gestaltung der sprachlichen Struktur des Deutschen und ist als marginale Komponente im Altgriechischen identifizierbar. Alle drei hier behandelten Phänomene stellen also insofern miteinander zusammenhängende sprachliche Züge dar, als sie es zum einen ermöglichen, zentrale Eigenschaften des Sprachsystems zweier Sprachen auf der Grundlage eines semantischen Prinzips typologisch einzuordnen. Diese Korrelation dreier Systembereiche lässt sich wiederum aus der Sicht der Allgemeinen Typenlehre bestätigen: Zunächst konnte allen drei Phänomenen auch in diesem Interpretationsrahmen typologische Relevanz beigemessen werden; zum anderen ließen sich die Phänomene als Trias einem der Basistypen, dem polysynthetischen, zuordnen. Somit konnte aus zwei gesonderten, unabhängigen Fragestellungen heraus (bei Skalička die Erörterung der Rolle des Begriffs der Inkorporation, bei Coseriu der Versuch der typologischen Interpretation der auffälligsten Charakteristika des Deutschen im Vergleich mit dem Altgriechischen) eine typologische Deutung erzielt werden, die zwar auf abweichenden Erklärungen bzw. unterschiedlichen Prinzipien beruht, jedoch insgesamt zur Bestätigung der typologischen Korrelation geführt hat – was natürlich reiner Zufall sein kann, solange keine weiteren Gemeinsamkeiten aufgedeckt werden. In Weydt (1969) findet sich abgesehen von den untersuchten Zügen eine kleine Sammlung weiterer Eigenschaften, die das Deutsche und das Altgriechische miteinander verbindet. Diese könnten zusätzlich auf ihre Integrationsfähigkeit in die Merkmale des polysynthetischen Konstrukts hin überprüft werden. Es handelt sich um folgende Erscheinungen (cf. Weydt 1969, 111–112 bzw. ibid. zu analogen Beispielen aus dem Altgriechischen): die Möglichkeit der Zwischenstellung von anderen Elementen als dem Adjektiv zwischen Artikel und Nomen (cf. dt. die bei Marathon geschlagene Schlacht); die Möglichkeit der Substantivierung des Infinitivs (Konversion) (cf. Kap. 5.4.4.1); die im Deutschen und Altgriechischen teilweise ähnliche Strukturierung des Wortschatzes (mit Bezug auf Norm und System), so etwa die starke semantische Diversifizierung bei den Verben der Fortbewegung (cf. dt. gehen, laufen, marschieren, wandern, fahren, reiten, reisen etc.) (cf. Kap. 13.1, v.a. 13.5 zum Französischen). Dabei gilt, auch wenn von einem echt typologischen Status der hinzutretenden Merkmale ausgegangen wird, nicht nur in Bezug auf das Deutsche, sondern allgemein mit Blick auf die Typusbestimmung auf einzelsprachlicher Ebene:
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«Um den deutschen Sprachtypus gebührend darzustellen, müsste man also die ‘Induktion’ fortsetzen. Man müsste versuchen, viele andere (ja im Grunde a l l e) Eigenschaften der deutschen Sprachsysteme entweder auf dasselbe Prinzip oder auf andere, mit diesem Prinzip zusammenhängende oder davon abweichende Prinzipien der gleichen Rangordnung zurückzuführen. Dabei könnte sich der Vergleich mit dem Altgriechischen als methodisch nützlich und ergiebig erweisen, wenn sich die übrigen Ähnlichkeiten dieser Sprache mit der deutschen entweder auf dasselbe Prinzip oder auf ähnliche Prinzipien wie im Deutschen zurückführen ließen» (Coseriu [1980b]/1988, 193).
4.2.4 Präfigierte Verben, Verbalkomposita oder «locutions verbales» im Französischen Ein nur marginales Dasein in den romanischen Sprachen führt der Verbtyp, der sich aus Substantiv + Verb zusammensetzt (zu den Verb-Ergänzung-Komposita cf. infra Kap. 11.4). Als Ausgangspunkt kann die lat. Zusammenrückung MANUTENERE angesehen werden, auf deren Grundlage sich im Gallo- und Iberoromanischen ein Wortbildungstyp gemäß dem Muster salpicar ‘mit Salz bestreuen’, kat. colltòrcer ‘den Hals umdrehen; welken’, sp. pelechar ‘sich mausern’ herausbildete (cf. Lüdtke 1996a, 270). Die verbalen Komposita sind im Französischen synchronisch in der Mehrheit der Fälle nicht mehr analysierbar (so etwa bei saupoudrer, bouleverser, colporter, maintenir; arc-bouter, champlever, virevolter, claquemurer etc.). Ebenfalls nur spärlich anzutreffen sind Prädikatkomposita des Typs frz. bien-être, sp. bienestar ‘Wohlbefinden’, malestar (‘Unwohlsein’), die auf BENE + Prädikat zurückgehen; syntaktisch liegt im Romanischen dagegen die Abfolge être bien etc. zugrunde. Einen wesentlichen Bestandteil des französischen Verbalsystems bildet demgegenüber eine Gruppe an periphrastischen Verbindungen, die ein verbales Element und ein Nomen oder eine Umstandsbestimmung umfassen, wobei letztere zu einer periphrastischen Konstruktion aus Präposition + Nomen führt: avoir faim, faire autorité, donner congé, prendre froid, tenir tête bzw. mettre en terre etc. Verbale Bildungen des genannten Typs sind im Französischen zahlenmäßig relativ stark vertreten.29 Charakteristisch für die verbale Komponente ist, dass diese sich aus einer begrenzten Zahl an Verben der Gemeinsprache rekrutiert und also nicht alle Verben gleichermaßen in eine entsprechende syntagmatische Fügung Eingang finden; typischerweise vorkommende Verben sind
|| 29 Die Abwesenheit des Artikels in solchen Konstruktionen kann Indiz für eine zugrunde liegende archaische Syntax sein.
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die im Folgenden gelisteten (cf. Thiele 21985, 150 bzw. zu einer umfangreichen Sammlung Rohrer [1967]/1977, 185–191): avoir: avoir (faim, soif, besoin, envie); mit Artikel: avoir l’air, avoir le droit de bzw. mit «partitivem» Artikel: avoir de la chance, avoir de la peine; donner: donner (acte, envie, prise); mit Artikel: donner le frisson, donner l’assaut, donner la chasse; mit «partitivem Artikel»: donner du plaisir, donner de l’embarras; faire: faire (face, fi, plaisir, route); mit Artikel: faire (la cuisine, la tête); mit «Teilungsartikel»: faire du bien, faire du mal; Auch die Konstruktionen, die Aktivitäten (v.a. im sportlichen Bereich) bezeichnen, gehören dazu: faire du sport (dt. ‘Sport treiben’); bei Spezifizierung der Aktivität steht im Deutschen vielfach ein einfaches Verb zur Verfügung: faire de la voile (‘segeln’), mit Anglizismus: faire du jogging/surf (‘joggen’; ‘surfen’), faire de l’escalade (‘klettern’; escalader: nur transitiv gebraucht, nicht absolut), faire du ski (dt. polysynthetisch: ‘skifahren’) etc.; mettre: mettre en doute, en état, en marche; à l’air, au désespoir, fin à; prendre: prendre (feu, froid, garde); mit Artikel: prendre la fuite, prendre la parole; mit «partitivem Artikel»: prendre de l’initiative, prendre du plaisir, prendre du repos; tenir: tenir (compte (de), lieu, parole, séance). Mit geringerer Frequenz in entsprechenden Konstruktionen sind folgende Verben vertreten: demander (pardon), entrer (en contact), garder (rancune), porter (remède à), rendre (compte, grâce), savoir (gré) usw. Die Verben als Bestandteile einer verbalen Verbindung sind im Vergleich zu den entsprechenden autonom gebrauchten Verben semantisch weiter zu fassen, verfügen also über weniger spezifische Merkmale bzw. weisen eine größere Extension auf. Sie können damit als teilweise desemantisiert gelten.30 Innerhalb der verbalen Konstruktion als Einheit betrachtet, kann die nominale Komponente als das semantisch entscheidende Glied angesehen werden, da diese in der Regel für die lexikalische Bedeutung der Fügung verantwortlich ist. Die Wendungen sind semantisch grundsätzlich wie ein einzelner Begriff zu interpretieren, wie sich durch die vielfach bestehende Möglichkeit der Substitution durch ein einfaches verbales Synonym illustrieren lässt (cf. tomber d’accord ‘s’entendre’, prêter la main à qn ‘aider qn’ etc.) (cf. Thiele 21985, 149).
|| 30 Die Desemantisierungsthese ist, zumindest mit Bezug auf entsprechende Konstruktionen des Englischen wie have a go, take a rest etc., nicht unumstritten (cf. Labuhn 2001 bzw. Kap. 3.6.2.1; 4.2.4).
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Eine Parallele kann zu deutschen Bildungen gezogen werden, die sich ebenfalls zusammensetzen aus einem Substantiv wie in Dank sagen (als Substantiv verblasst sind z.B. Teil, Acht in teilnehmen, sich in Acht nehmen etc.), einem (adjektivischen) Objektsprädikativ (sauberhalten, übel nehmen) oder einer Umstandsergänzung (zu Bett gehen) und einem verbalen Element. Diese zeigen ihrerseits Affinitäten zu den Modifizierungen im Rahmen der «präfigierten Verben» des Deutschen (hinfallen, unterordnen etc.). Verbale Bildungen des Deutschen wie Dank sagen, Rad fahren bzw. radfahren wiederum konstituieren verschiedene, als Inkorporation interpretierbare Bildungsmuster, die folgenden Typen (für die das Beispiel jeweils steht) entsprechen: radfahren, kopfrechnen, schutzimpfen, feuerverzinken, notlanden, gewährleisten31 (cf. Iturrioz Leza 2001, 717). Wie nun für das Englische eine Korrelation von gesamtstruktureller Tragweite zwischen der Existenz von V+N-Gefügen und Verb-Partikel-Konstruktionen bzw. präfigierten Verben angenommen werden kann, wird auch für das Französische ein Zusammenhang zwischen den Fügungen des Musters V+N und den «präfigierten Verben» von Rohrer ([1967]/1977, 170) explizit hergestellt. So rechnet er nicht nur die bislang angesprochenen verbalen Bildungen bestehend aus Verb + Substantiv des Typs faire sensation, faire la grève, mettre en scène zu den «Verbalkomposita», sondern auch Verbindungen aus Präposition bzw. Adverb (von Rohrer [1967]/1977, 170 als «Partikel» bezeichnet) und Verb des Typs sous-exposer, contre-manifester (zur Interpretation in dieser Arbeit cf. infra Kap. 9 zur Situierung). Die Verbindungen aus Verb + Substantiv überwiegen zahlenmäßig gegenüber den «präfigierten» Verben im Französischen. Die Bildungen mit präpositionalen Elementen (bzw. Adverbien) beschränken sich vornehmlich auf die Elemente contre, entre, sous und sur (cf. Weidenbusch 1993), hierin dem isolierenden Englischen nicht unverwandt, «wo sogar nur drei produktive Elemente, − out, over und under −, vorkommen» (Rohrer [1967]/1977, 171). Die beschriebenen, nach grammatischen Verfahren gebildeten Wendungen des Typs donné congé, mettre en doute gehören als Einheiten der «wiederholten Rede» der Phraseologie an (cf. pomme de terre, salle à manger etc.); sie tragen deutlich zum Ausbau der Syntagmatik des Französischen bei. Interessant wären Gegenüberstellungen wie dt. an-zweifeln, be-zweifeln – in Zweifel ziehen; aérer – mettre à l’air, aber mettre en doute – *endouter (cf. embarquer ‘mettre dans la barque’), wo die Präfigierung eines Verbs neben der phraseologischen Wen-
|| 31 Die Beispiele sollen die sechs von Wurzel (1993) nach den Kriterien der Unterbrechbarkeit und des Formenbestands differenzierten Typen illustrieren, die in der genannten Abfolge ein Kontinuum der «Wortigkeit» konstituieren, wobei der linke Pol die Nähe zur Syntax, der rechte die Tendenz zur Lexikalisierung repräsentiert; cf. Wurzel (1993).
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dung existiert, um einen bestimmten semantischen Bereich abzudecken. Eine entsprechende Präposition bzw. Adverb scheint für das Französische nicht immer verfügbar.
4.3 Polysynthetische Strukturen des Französischen Es lässt sich eine systematische Korrelation zwischen polysynthetischen Tendenzen und einer bis auf ein Minimum reduzierten Flexionsmorphologie herstellen. Da eine reduzierte Wortmorphologie eine zentrale Eigenschaft isolierender Sprachen darstellt, die sich in der «Unveränderlichkeit des Wortes» niederschlägt, erhebt sich im Anschluss die Frage, ob sich polysynthetische Strukturen auch in einer isolierenden Sprache wie dem Englischen oder Französischen aufzeigen lassen. Comrie (1981, 42), der die Inkorporation als die in einer Sprache gegebene Möglichkeit auffasst, eine gewisse Anzahl lexikalischer Morpheme in einem einzigen Wort miteinander zu verbinden (zur Definitionsproblematik cf. Kap. 4), erkennt für das Englische eine ebensolche, wenn auch begrenzte Möglichkeit im Rahmen der Komposition, so bei der Bildung von swim-suit aus swim und suit.32 Verbale Bildungen des (im Englischen nicht mehr produktiven, cf. Marchand 2 1969) Typs to baby-sit, to mountain-climb, to word-process33 werden gängiger-
|| 32 Comrie macht auf die unterschiedliche Produktivität des Kompositionsverfahrens im Englischen und in einer polysynthetischen (und inkorporierenden) Sprache wie dem Tschuktschischen aufmerksam, d.h. der Unterschied erscheint in seiner Darstellung als ein auf quantitativen Erwägungen beruhender (das Tschuktschische etwa weist eine sehr hohe Produktivität in diesem Bereich auf und besitzt zudem die Fähigkeit zur Bildung extrem langer Wörter). Die Frage der Produktivität muss aber hinterfragt werden: Was schränkt die de facto-Bildung neuer Wörter nach einer bestimmten Verfahrensmöglichkeit, die dem paragrammatischtypologischen System entspricht, ggf. ein? 33 Cf. Marchand (21969, 100): «With the exception of verbs with preposed particles, verbal composition did not occur in Old English and does not seem to have existed in Germanic at all. […] Verbal composition does not exist in Present-day English either, though such verbs as spotlight, blacklist, stagemanage seem to contradict us. […] While un-do, over-do are analysable as determinant/determinatum groups, verbs of the spotlight type are essentially verbs with a zero determinatum, the determinant being the full underlying basis: to spotlight is ‘(to turn) the spotlights on…’ […] In view of this we have to say that composite verbs other than preparticle verbs are actually derivatives from nominal composites». Cf. ebenso ibid., 349: «We might say that real compound verbs with nouns for a first member are ‘unerlaubt’ [Grimm 1826, 582] or ‘felt to some extent as contrary to idiom’ [Jespersen 1942, 166]. […] Because verbal compounds are uncommon in the Germanic languages does not mean that there should not be a compound verb type in Present-day English. Logroll, typewrite, brainwash, proofread seem to testify to the existence of compound verbs. Again,
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weise als auf nominalen Komposita beruhende Rückbildungen interpretiert (to baby-sit < baby-sitting). Die Möglichkeit, dass hier von Fällen der Inkorporation auszugehen ist, wird auch durch Mithuns (1984, 847, Anm. 1) Argumentation zugunsten der Einordnung als Rückbildungen zurückgewiesen; eine ähnliche Interpretation findet sich bei Sapir ([1911]/1962): «It so happens in English, as in most or all Indo-Germanic languages, that verbs of the type ‘song-write’ or ‘steam-run,’ that is, compound verbs in which the first member of the compound is a noun, are not readily formed or are not formed at all. [Anm. 1:] Verbs like ‘to typewrite’ are of course only apparent exceptions; they are only secondarily verbal in character, being denominative derivatives from already existing compound nouns»34 (Sapir [1911]/1962, 256 sowie Anm. 1).
Allerdings existiert auch der schwach produktive Typ pickpocket mit zugrunde liegender V-E-Struktur im Englischen, dokumentiert seit Beginn des 14. Jahrhunderts, aber schon für das Altenglische plausibel anzunehmen. Dabei ist jedoch von französischem Einfluss auszugehen (Marchand 21969, 380). Interessanter Weise finden sich, abgesehen vom Altgriechischen, den romanischen V-E-Komposita (auch bezüglich der Bezeichnungsvielfalt, die Gegenstände, Berufe wie Personen abdeckt, letztere auch mit pejorativer Konnotation) vergleichbare Bildungen im modernen Mandarin (cf. Steffen Chung 1994 nach Gather 2001, 26–27). Diese gehören einerseits älteren Sprachstufen an, zeigen jedoch auch im modernen Chinesischen eine wenngleich eingeschränkte Produktivität. Unbegrenzt produktiv ist demgegenüber der Typ Verb + Nomen + de (+ nominales Determinatum). De ist Nominalisierungspartikel und erhält den Status als Determinatum, wenn qua Ellipse das eigentlich darauf folgende Nomen unausgedrückt bleibt: zhuāng qián de (dōng xi) ‘enthalten Geld de (‘Ding; etwas’)’ = ‘etwas, das Geld hält’. Diese syntaktischen Beobachtungen stützen die Annahme einer polysynthetischen Anlage im Französischen.
|| the criterion of content will solve the derivational problem. We cannot analyse typewrite as ‘write in type’ as this would not represent the meaning of the verb. The correct analysis of the verb must have recourse to the word typewriter: the verb means ‘use a typewriter’» etc. 34 Sapir ([1911]/1962, 256, Anm. 1) versucht Kroebers Argument, wonach der engl. Kompositionstyp man-eater deshalb nicht als inkorporierend betrachtet werden könne, «because ‘eater’ is functionally a noun» (Kroeber 1909, 570) zu widerlegen. Zwar handelt es sich bei man-eater nicht wirklich um einen Beleg für die Nominalinkorporation, die Sapir zufolge im Englischen bzw. den indogermanischen Sprachen kein (relevantes) Vorkommen besitzt, doch sei Kroebers Begründung unzulänglich. Denn es gilt, dass man-eater «is not necessarily compounded, as in English, of ‘man’ and ‘eater,’ but may be a noun of agency directly formed from a compound verb ‘maneat.’ ‘Man’ + ‘eater’ is not morphologically equal to ‘man-eat’ + -er» (Sapir [1911]/1962, 256).
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4.3.1 Der altgriechisch-romanische Wortbildungstyp frz. «coupe-papier» Die romanisch äußerst produktiven Verb-Ergänzung-Komposita des Typs frz. coupe-papier, tire-bouchon (oder auch dt. Federhalter) besitzen ihren Ursprung im Griechischen (cf. Coseriu 1977, 48; Bork 1990, 42ss., insbesondere 56ss.; Lüdtke 1996, 268–269; Gather 2001); ähnlich wie die verbalen Bildungen – sogar produktive Inkorporationsmuster (cf. Iturrioz Leza 2001, 717) – des Deutschen (vg. radfahren, kopfrechnen, schutzimpfen etc.) bzw. mit der Komposition einhergehende andere Strukturtypen des Deutschen und Altgriechischen (cf. Kap. 4.2) ist dieser Wortbildungstyp der Polysynthese zurechnen. Bezüglich der funktionellen Analyse des Wortbildungstyps besitzt das zweite Glied der Bildung häufig, jedoch nicht zwingend, die Funktion eines direkten Objekts (z.B. it. spazzaneve): Die möglichen impliziten syntaktischen Funktionen umfassen auch die des (adjektivischen) Prädikatsnomens (z.B. it. cascamorto), einer Ortsangabe (it. saltimbanco), einer Zeitangabe (cf. frz. réveille-matin, it. nasciinguerra) u.a. (cf. Coseriu 1977, 57). Damit treffen auf die romanischen Verb-Ergänzung-Komposita die mit Bezug auf das Englische vorgebrachten Argumente nicht zu: mangelnde Produktivität des Verfahrens und Nicht-Vorkommen des verbalen Elements in der freien Syntax mit allen für andere Verben typischen Flexionsendungen; außerdem gilt nicht, wie für baby-sit, dass eine Verbindung wie coupe-papier «shows none of the classic semantic case relations between the N and V constituents that are standard features of incorporation: one does not ‘sit’ a baby. The baby is not a typical patient, location, nor instrument» (Mit‘’hun 1984, 847, Anm. 1). Was das romanische Muster von den klassischen Fällen der Inkorporation allerdings absetzt, ist die zugrunde liegende Wortkategorie der gebildeten Formen: Es entstehen nicht verbale, sondern nominale Bildungen. Dieser Wortbildungstyp wird weiter unten (Kap. 11.4) behandelt.
4.3.2 Subjekt- und Objektkonjugation (Klitisierung) im Französischen Affinitäten zur Inkorporation tragen im Französischen syntaktische Gruppen des Typs frz. Je ne l’entends pas (‘Ich höre ihn nicht’), in denen das direkte Objekt in pronominaler Form mit dem konjugierten Verb auf phonetischer Ebene verschmilzt. Eine Interpretation der romanischen «Objektkonjugation» als Inkorporation ist nicht prinzipiell auszuschließen (cf. Iturrioz Leza 2001). Ähnlich
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lässt auch Meiers Beitrag (1983), in dem er verschiedene Typen der Objektinkorporation in einer heterogenen Auswahl an Sprachen35 untersucht, auf die Existenz einer spezifisch romanischen Form der Inkorporation schließen: «In Indoeuropean languages some ‘incorporated systems’ developed, as in Rumanian, in Celtic and the Romance languages:36 Italian suffixes after infinitive or imperative forms; the French personal ‘prefixes’ (in the phonetic, but not in the orthographic sense)» (Meier 1983, 290).37 Für die romanischen Sprachen lässt sich aber insofern kein produktives Inkorporierungssystem postulieren, wie es gewisse amerikanische Indianersprachen kennzeichnet, als sie über die Inkorporation keine neuen Lexeme bilden. Das Verfahren ist vielmehr rein syntaktischer Natur. Der Humboldt’sche Begriff der «Einverleibung» bezieht sich seinerseits auf Konstruktionen mit Satzcharakter und schließt das Vorkommen des Phänomens in manchen indogermanischen Sprachen nicht aus, obwohl die Inkorporation hier keine dominante Typuskonstituente ausmacht: «Wenn man zu dem Einverleibungssysteme, wie man, streng genommen, thun muss, alle die Fälle rechnet, wo dasjenige, was einen eignen Satz bilden könnte, in eine Wortform zusammengezogen wird, so finden sich Beispiele desselben auch in Sprachen, die ihm übrigens fremd sind» (Humboldt [1836a]/1935, 179; Hervorhebung B.K.). Humboldts Verständnis seines «Einverleibungssystems» gälte es in einer separaten Untersuchung in Verhältnis zu setzen zum gängigen Begriff der Polysynthese bzw. Inkorporation. Was die «Einverleibung» nach Humboldt auszeichnet (cf. Kap. 4), ist, dass bei Referenz auf eine Person oder eine Sache, die Gegenstand der durch den Verbalstamm bezeichneten Handlung ist und mit diesem in der Form eines inkorporierten pronominalen Objekts zugleich einen einheitlichen verbalen Komplex bildet, die bezeichnete Person oder Sache erst außerhalb der inkorporierenden Konstruktion im appositiv beigefügten Nomen seine eigentliche inhaltliche Bestimmung erfährt; vergleiche insbesondere die Verba applicativa,
|| 35 Darunter v.a. sprachgenealogisch isoliertes Baskisch und Burushaski, Georgisch und die kaukasischen Sprachen, Adygheisch (Westkaukasisch), uralische Sprachen: Nenzisch, Ungarisch u.a. 36 Das Rumänische und die romanischen Sprachen werden hier separat aufgeführt. Tatsächlich ist – abgesehen von der Klitisierung der Subjektpronomina – die «Objektinkorporation» im Rumänischen besonders augenfällig, vergleiche folgendes einfache Beispiel, in dem vor einem Personalpronomen in der Funktion als Akkusativobjekt die Präposition pe steht, die in der Regel die Wiederaufnahme des Objekts durch die betonte Form des Personalpronomens erfordert: Iau te jubesc pe tine ‘Ich liebe dich’ (1SG.SUBJ.PRON.-2SG.OBJ.PRON.(AKK)-liebe-PRÄP2SG.OBJ.PRON.(BETONT)). 37 Für die Majorität der untersuchten Sprachen lässt sich zudem ein auffälliger Zusammenhang mit der Ergativkonstruktion nachweisen.
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bei denen, abgesehen vom inkorporierten pronominalen Objekt (-c-) wie in ni-cchihua ce calli (‘ich es mache, ein Haus’, also ‘ich baue ein Haus’), auch die Person in die Konstruktion eingebunden wird und der Applikativ (gekennzeichnet durch -lia) anzeigt, ob die durch das Objekt angegebene Sache (ce calli), auf die sich die Handlung (chihua ‘machen’) bezieht, der Person gehört oder nicht oder zu deren Gunsten oder Schaden erfolgt: ni-c-chihui-lia in no-piltzin ce calli ‘ich baue für meinen Sohn ein Haus’ (cf. Humboldt 1994, 141). Der Satz nahuatl ni-te-tla-maca ‘ich gebe jemandem etwas’ mit inkorporierten indefiniten Pronomina in Objektfunktion zeigt ferner, dass dann, wenn das Objekt nicht spezifiziert wird, durch ein beim Verb stehendes Indefinitpronomen zumindest kenntlich gemacht werden muss, ob es sich um eine Person oder eine Sache handelt. Es tritt also eine semantische Spezifizierung hinzu. Auch das Französische besitzt Konstruktionen wie à Pierre, je le lui ai donné (mon vélo). Grundsätzlich muss das direkte Objekt nicht notwendig auch pronominal realisiert sein: Je donne mon vélo à Pierre bei nicht obligatorischem Je le donne à Pierre, mon vélo. Körner (1981) erkennt ferner im sog. «Partitiv» des Französischen eine sprachstrukturelle (syntaktische) Analogie zum vielfach semantisch motivierten (Merkmale: BELEBT/KONKRET/DEFINIT) präpositionalen («persönlichen») Akkusativ des Spanischen (Rumänischen, Sardischen), wo er grammatikalisiert ist (anzutreffen auch in den süditalienischen Dialekten und dem Bündnerromanischen des Engadin). In den volkstümlichen Varietäten des Romanischen ist die Konstruktion vielfach vertreten, cf. das français populaire: il nous aide à nous (statt Standardfranzösisch: il nous aide). Sprechen einerseits Konstruktionen wie Fruits, légumes, céréales, je les achète en vrac (bzw. je l’achète im français populaire) für die Inkorporationsthese im Falle der Objektinkorporation, stellt Gadet für das français populaire im Zusammenhang mit einer «généralisation de la séquence progressive» eine gegenläufige «disparition des formes antéposées au verbe» fest (cf. Gadet 1992, 65), so dass aus Les verres en cristal, je les achète mais je ne m’en sers pas im volkstümlichen Französisch Les verres en cristal/je l’achète mais je me sers pas wird.38 Dies gilt besonders für die proklitischen Elemente in Objektfunktion, die getilgt werden, wenn mehrere Klitika aufeinandertreffen (cf. Gadet 1992, 65).39 || 38 Cf. auch: On lui a demandé ses papiers, elle ne les avait pas sur elle. → On lui a demandé ses papiers / elle avait pas sur elle. Il a toujours abusé de la parole, il fallait la lui couper. → Il a toujours abusé de la parole / il fallait lui couper. 39 Eine Ausnahme bildet eine besondere Gruppe an Klitika, die sogenannten «ethischen» Pronomina (moi, te, se), die sich mit dem Dativ verbinden, der hier als «ethischer» Dativ zu interpretieren ist und in der Regel eine persönliche Stellungnahme zum Ausdruck bringt (cf. dt. Fahr mir aber vorsichtig! etc.). Die Verwendung dieser Klitika, die vor allen Dingen im Süden
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Daneben gewinnen Formen, die die Einhaltung der kanonischen Abfolge der Satzelemente gemäß dem Schema SPO ermöglichen, an Bedeutung: zum einen ça, das in anderer als Subjektposition immer nachgestellt erscheint: Je lui raconterai ça hat daher Vorrang vor Je le lui raconterai; zum anderen auch sogenannte «formes développées», die mit Demonstrativa vergleichbar sind: Je viens de là-bas wird daher eher verwendet als J’en viens.40 Ch. Lehmann (1985a, 92) stellt nun eine Analogie her zwischen folgenden beiden Sätzen des Französischen einerseits: 1. Pourquoi, Pierre vient-il tard? 2. Pierre vient. und dem bereits bekannten Satz aus dem mexikanischen Nahuatl andererseits: 3. ni-c-qua in naca-tl (1SG.SUBJ-3SG.OBJ-ess DET Fleisch-ABS ‘ich esse (das) Fleisch’ bzw. ‘Ich es esse, das Fleisch’). Zwar handelt es sich im Französischen um das Subjekt,41 im Nahuatl um das Objekt, das jeweils Gegenstand der Analogie ist; dafür aber ist das Pronomen in (1) obligatorisch zu verwenden. Der hauptsächliche syntaktische Unterschied zwischen (1) und (2) des Französischen beruht darauf, dass Pierre in (1) ausgelassen werden kann – eine Möglichkeit, die bei (2) nicht besteht. Diese syntaktische Eigenschaft macht (1) mit der Verb-Aktant Konstruktion in Satz (3) der «mexikanischen Sprache» vergleichbar. Laut Humboldt soll der Satz im «Mexikanischen» «[…] seiner Form nach, schon im Verbum abgeschlossen erscheinen und wird nur nachher, gleichsam durch Apposition, näher bestimmt» (Humboldt [1836a]/1935, 165). Nach dieser Analyse (siehe auch Boas 1911, 30) wird also die Nominalphrase in (3) nicht durch das Verb regiert, sondern steht vielmehr in einer (in nicht herkömmlichem Sinn) «appositiven» Relation zum pronominalen Element. Eine analoge Analyse kann für die Nominalphrase in (1) angenommen werden; das Zustandekommen der appositiven Relation kann über einen Vergleich von (1) mit (4) erklärt werden: 4. C’est Pierre. Il vient tard.
|| Frankreichs, aber auch unter Pariser Sprechern verbreitet ist, läuft ihrerseits der genannten Tendenz zur Eliminierung der vorangestellten (siehe aber auch Regarde-moi ça!) Klitika zuwider, z.B.: Alors / quand c’est qu’on se le bouffe / ce canard?, Je te lui ai flanqué une de ces baffes! (cf. Gadet 1992, 66). 40 En und y werden im français populaire nur selten gebraucht, die Kombination von le + en scheint nicht vorzukommen. Ferner sind Abfolgen von zwei, drei oder mehr Klitika fast nicht üblich. 41 Das Subjekt des Satzes kann im Nahuatl nicht, wie das Objekt, inkorporiert werden, auch wenn es am Verb ausgedrückt wird.
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Diese Relation beruht laut Ch. Lehmann (1985a, 92) auf einer Verdichtung einer anaphorischen Beziehung über den Prozess der Grammatikalisierung, in welchem die Beziehung der NP zum pronominalen Element und im selben Zuge zum Verb von Syntaktisierung gekennzeichnet ist, und, im selben Maße, die Beziehung zwischen pronominalem Element und Verb durch Morphologisierung. Der Status des pronominalen Elementes in (1) kann als enklitisch bezeichnet werden; in (3) handelt es sich demgegenüber eindeutig um ein Affix. Die Konstruktionen in (4), (1), und (3) lassen in der genannten Reihenfolge einen steigenden Grad der Grammatikalisierung, der Syntaktisierung der Relation zwischen referentieller NP und Pronomen und der Morphologisierung der Relation zwischen Verb und Pronomen erkennen. Eine nächste Stufe würde durch die lateinische Entsprechung zu (1) repräsentiert werden: 5. CUR PETRUS VENIT SERO? Hier sind Subjekt und Verb von einer Kongruenzrelation gekennzeichnet. Auf dem Hintergrund der gängigen Analyse von (3) kann jedoch auch argumentiert werden, dass ein Satz wie lat. VIR CURRIT im Französischen nicht mit «l’homme court», sondern mit «l’homme, il court» wiederzugeben sei (Ch. Lehmann 1985a, 93). In derselben Richtung erfolgt die Interpretation durch A. W. De Groot (1956, 190), in dessen Analyse der lat. Nominativ in Subjektfunktion die Rolle einnimmt «as an omissible adjunct in an adjunctive group, i.e., as an appositive, so-called ‘subject’, of a finite verb». Ch. Lehmann wendet weitergehend gegen eine solche Analyse dennoch ein, dass die Markierung des Subjekts als Nominativ unerklärt bleibe: Wenn der nominale Aktant als Apposition zur Personalendung des Verbs fungiert, ist eine Kasusmarkierung prinzipiell überflüssig, d.h. man würde eher eine unmarkierte NP (cf. Satz (3) mit Objekt «Fleisch» im unmarkierten Absolutiv) erwarten. Die regierende Kraft des Verbs wird hauptsächlich von der Personalendung eingenommen, die die Subjektstelle besetzt; diese vermag jedoch – als syntaktische Leerstelle – auf Elemente außerhalb des Verbs überzugreifen. Das regierende Potential des Verbs verläuft nun über die anaphorische ‘appositive’ Relation der Personalendung zur Nominalphrase, die den Status eines Aktanten des Verbs erhält. Das Nomen selbst liefert eine zusätzliche Indikation hinsichtlich seiner Beziehung zum Verb «through the modifying relationality of its suffix» (cf. Ch. Lehmann 1985a, 94).42
|| 42 Cf. Émile Benveniste ([1946]/1966, 231), der im Zusammenhang mit der Bestimmung der dritten Person Singular als «Nicht-Person» im Verhältnis zur ersten und zweiten Person darauf hinweist, dass die dritte Person jedes beliebige oder auch überhaupt kein Subjekt repräsentie-
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Interessant ist der Vergleich zwischen dem flektierenden Latein und dem guten Vertreter des typologischen Konstruktes Englisch; hier ist der «overcomplicated apparatus» des Lateinischen «reduced to its essence» (Ch. Lehmann 1985a, 94); vergleiche (6) Peter came mit (2) Pierre vi(e)nt: In (6) regiert das Verb das Subjekt unmittelbar; die Analyse deckt sich mit der von (2) Pierre vi(e)nt: das Subjekt kann nicht ausgelassen werden, was eine analoge Verb-AktantStruktur in beiden Sätzen nahelegt. Insgesamt lässt sich schließen, dass «the French personal endings do not represent the subject» (Ch. Lehmann 1985a, 94). Als Nachweis kann auf Konstruktionen wie (1) Pourquoi, Pierre vient-il [vjɛ̃ ti(l)] tard? verwiesen werden: Wenn die Personalendungen referentielle Funktion besäßen, bestünde keine Notwendigkeit, in diesem Fall das enklitische Personalpronomen anzufügen (Lehmann weist hier auf die Kenntlichkeit der Personalendung [t] im phonischen Code hin; allerdings wird der Konsonant gerade erst dadurch hörbar, dass der Vokal des Personalpronomens folgt). An dieser Stelle kann auf die Herausbildung der populären Fragepartikel ti(< -t-il(s)) im Französischen hingewiesen werden: Ça va-ti, mon gars? (Hervé Bazin, Vipère au poing, 1948, xiv.); J’savais-ty, moi, pauvre innocent? (Maurice Genevoix, Tendre bestiaire, 1969, 155); bei Inversion des Subjektpronomens: Voulez-vous-t-y que je vous embrasse? (Alphonse Daudet, Jack, 1876, vol. 1, 218); nach c’est: Ce n’est-il [ti] pas plus gentil comme cela? (Michel Droit, Les Clartés du jour, 1978, 60 – il fungiert dabei als orthographische Variante zu y); nach voilà mit folgender Negation: Voilà-t-il [ti] pas de quoi pousser des cris sinistres! (Victor Hugo, Ruy Blas, 1838, III, 5); sogar in Antworten: C’est-ti oui? c’est-ti non?/Ti oui, répondit Mado-Ptits-pieds en rougissant (Raymond Queneau, Zazie dans le métro, 1959, xiii); im Ausruf: Ah! j’en ai t’y vu de ces tetons! (Gustave Flaubert, Correspondance, cit. Trésor, art. «gorge»).43
|| ren könne, da sie eben keine Person impliziere. Das Subjekt, ob es zum Ausdruck kommt oder nicht, erscheint nie als «Person» im Sinne der ersten oder zweiten: «Ce sujet ne fait qu’ajouter en apposition une précision jugée nécessaire pour l’intelligence du contenu, non pour la détermination de la forme». Daher bedeute lat. VOLAT AVIS nicht ‘l’oiseau vole’, sondern ‘il vole, (scil.) l’oiseau’: «La forme volat suffit à elle-même et, quoique non personnelle, inclut la notion grammaticale de sujet» (ibid.). In dergleichen Weise verfahren das Nahuatl und das Chinook: das Subjektpronomen (zuweilen auch das Objektpronomen) wird also regelmäßig in die Verbalform inkorporiert, das als Subjekt oder Objekt fungierende Nomen erscheint in Form der Apposition; cf. Chinook tgigέnxaute ikanā'te ίmewā'lEma ‘die Geister bewachen die Seele’, wörtlich ‘sie sie bewachen (tgi ‘sie sie’), die Seele (ikanā'te), die Geister (t-mewā'-lEma)’ (siehe Boas 1911, part 1,2, vol. 10, 647). 43 Beispiele nach Grevisse (1993, §395).
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Während also VENIT ein vollständiger Satz ist, zeigt das Verb im Englischen und Französischen das Subjekt nicht an. Zudem bedeutet obige Analyse für das Französische, dass die Subjekt-Prädikat-Relation gestärkt wird, eben weil keine Referenzrelation zwischen Verb und Subjekt gegeben ist. Interessant ist schließlich die Frage, inwieweit Konstruktionen wie Pourquoi, Pierre vient-il tard? als für das Französische typisch gelten können oder gar von der Existenz einer Art der Inkorporation die Rede sein kann, wie dies etwa Meier (1983) nahelegt. Dies würde für das Französische eine bislang eher vernachlässigte typologische Tendenz herausstellen (siehe auch Kap. 7.6.3).
4.3.3 Tendenzen des «français populaire» in Richtung Polysynthese Das Subjekt gehört im Französischen zu denjenigen Elementen der Verbkonstruktion, die im Rahmen des Kernsatzes zu behandeln sind. Im modernen volkstümlichen Französisch lässt sich hinsichtlich der Kongruenz zwischen Verb und Subjekt eine Tendenz zur obligatorischen Setzung des entsprechenden Pronomens erkennen: Das Subjektpronomen wird gesetzt unabhängig davon, ob dieses referentiell auf ein nominales Antezedens verweist oder nicht; so steht auch nach einem Nomen der dritten Person fast immer ein klitisches Pronomen: mon père/il a dit; die pronominale Wiederaufnahme findet sich zuweilen auch nach einem Personal- oder Demonstrativpronomen: moi/je …, celle-là/elle est restée un mois. In der Regel wird die Kongruenz dabei vor dem Verbalstamm markiert, so dass das Subjektklitikon dazu tendiert, den Status eines verbalen Präfixes anzunehmen (Gadet 1992, 70). Die am frz. Verb zwar ohnehin nicht markierte, aber im Rahmen der Klitika ausdrückbare Genusopposition wird dabei vielfach zugunsten der maskulinen Formen neutralisiert: Les femmes/ils devraient pas fumer; Qu’est-ce qu’il en dit/ta femme ? Ils sont où les fleurs que je vous ai offert ? (Gadet 1992, 59). Insgesamt kann von einem neuartigen Konjugationstyp die Rede sein, der auf der fast ausschließlich proklitischen Markierung der Person beim Verb basiert (die Verbalformen des Singulars und Plurals weisen namentlich im Präsens große Ähnlichkeiten auf). Diese Entwicklung, die sich für das français populaire noch deutlicher abzeichnet als die alltägliche Gemeinsprache,44 ist historisch
|| 44 Andererseits führt das français populaire eine erneute distinktive Markierung für die ansonsten in der Regel nicht unterschiedene (abgesehen von Fällen der Liaison) dritte Person
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verankert und kann auf die Reduktion der Verbalmorphologie, vornehmlich im Präsens, zurückgeführt werden.45 Die Verbalendungen des Französischen dienen also, wie Lehmann konstatierte (Kap. 4.3.2), nicht zur Indikation des Subjekts; es gilt vielmehr die «règle d’absence de suffixe de personne dans le verbe français» (Gadet 1992, 70) (mit Ausnahme der ersten und zweiten Person Plural, die über eine eigene «hörbare» Endung verfügen, die zum Subjektpronomen hinzutritt; nous wird im familiären Französisch aber vielfach durch on ersetzt). Zusammenfassend betrachten wir die Klitisierung der Personalpronomina, sei es in Subjekt- oder Objektfunktion (tu la veux/ta fessée etc., cf. Gadet 1992, 61), als einen syntaktischen Prozess, der keine morphologischen Komplexe der Art der Inkorporierung, wie sie in vielen amerikanischen Sprachen vorkommen, hervorruft, aber dennoch eine inkorporierende Tendenz des Französischen auf syntaktischer Ebene kennzeichnet. So haben die Prozesse der Syntaktisierung der Relation zwischen Referenznomen und (anaphorischem) Pronomen und der Morphologisierung der Relation zwischen Verb und Pronomen im populären Französisch eine Konstruktion gestärkt, die auf der obligatorischen Setzung von Subjektklitika beruht, die ihrerseits auf einen nominalen Antezedens referieren, was als Art der «Inkorporation» bezeichnet werden kann. Die Ausbildung der Konstruktion steht im Zusammenhang mit der isolierenden Grundstruktur des Französischen und kann für den Bereich der Objektpronomina in ähnlicher Weise angenommen werden. Zur Verankerung der Konstruktion im System trägt auch bei, dass sie ermöglicht, in Subjektfunktion oder am Satzanfang unzulässige nominale Gruppen zu vermeiden, vergleiche: (il) y a de l’eau qui coule und nicht de l’eau coule; quand il vient des filles statt des filles viennent, analog c’est pas ici qu’il va mourir des gens de faim (cf. Gadet 1992, 71). Folgende Erscheinung belegt den klitischen Status der Personalpronomina in Subjektposition in besonderer Weise: Eine im Standardfranzösischen stigmatisierte Art der Liaison, die erst aus einer grammatischen Analyse hervorgeht, ist diejenige, die den Relativsatz im français populaire kennzeichnet, wie etwa in
|| Singular und Plural ein, indem ein [j] eingefügt wird (ils croyent), und zwar sowohl im Indikativ als auch im Subjonctif: qu’ils ayent, qu’ils soyent etc. (cf. Gadet 1992, 56). 45 Insgesamt ist die Ausbildung des Pronominalsystems im Französischen seiner eigentlichen typologischen Dominante, der Isolation, zuzuschreiben (Gadet 1992, 62): «Ceux-ci [les pronoms] constituent une zone délicate de la morphologie du français, car ils sont un lieu de confrontation entre la logique synthétique du latin plus ou moins conservée en ancien français, et le passage à une logique analytique dans le français moderne, encore accentuée dans l’usage populaire. Le système des pronoms est très fourni, dans la mesure où les formes reflètent la plupart du temps les fonctions, et varient en genre et en nombre pour la troisième personne. Trop fourni, semblent penser les locuteurs : l’évolution se fait en direction d’une réduction».
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[lezãfãkizariv] (cf. Gadet 1992, 49). Die Liaison geht hier zurück auf die Konstruktion des populären Französisch, die den Relativsatz durch que markiert: les enfants que [ils arrivent], wobei das stumme e des Relativpronomens que entfällt, ebenso das l in il(s) vor [z] mit anschließender obligatorischer Bindung. Hier wird offensichtlich nicht das Relativpronomen – gemäß der regelmäßigen Funktion der Liaison im populären Französisch, die auf der Pluralindikation beruht – für die grammatische Kategorie Plural gekennzeichnet, sondern Subjektpronomen und Verb konstituieren hier eine Einheit, indem sie in allgemeinere phonetische Prozesse mit einbezogen werden. Unter die Vorkommen von Inkorporation im (populären) Französisch können auch bestimmte Fälle der besonders engen Verbindung aus Verb und nicht Objekt, sondern Präposition klassifiziert werden. So funktioniert bei gewissen präpositional konstruierten Verben die gesamte Gruppe bestehend aus Verb + Präposition wie ein transitives Verb allein, cf.: J’en ai tant couché avec/d’hommes (vergleiche: j’en ai tant connu/d’hommes). In solchen Fällen schließt sich an die Präposition kein Komplement an. Ein solcher Gebrauch ist in der Regel nur dann zulässig, wenn die Konstruktion des Verbs ein durch eine andere Präposition als de oder à eingeleitetes Komplement erfordert und dieses zudem durch ein inanimiertes und pronominal realisiertes Objekt46 repräsentiert wird (cf. Riegel et al. 1994, 224): J’ai voté contre ta proposition → J’ai voté contre; Elle se serre contre le mur → Elle se serre contre; C’est étudié pour une utilisation donnée → C’est étudié pour. Es lässt sich auch eine Tendenz zur Ausweitung dieser Konstruktionsweise auf animierte Objekte konstatieren, wobei sich Fälle wie il lui court après (cf. infra) analog interpretieren lassen. Allerdings ist die Zahl der Präpositionen, die die absolute Konstruktion zulassen, begrenzt: Ce genre de gens/je refuse de travailler avec; Je l’ai mis autour; Je suis pas doué pour; Je sors jamais sans.47 Die traditionelle grammatische Analyse beruft sich hier auf das Vorliegen von homonymen adverbialen Formen oder Varianten der Präposition, vergleiche: Ça ne rentre pas dans la boîte → Ça ne rentre pas dedans; Écris l’adresse sur le paquet → Écris l’adresse dessus. Bestimmte Verben lassen nur die starke Form zu: il passe son temps à lui gueuler dessus. Riegel et al. (1994, 224) analysieren die || 46 Bei animiertem pronominalem Objekt stehen die sogenannten betonten Formen oder «formes disjointes» des Personalpronomens: je compte sur lui, il a voté contre moi, il a dansé avec elle toute la nuit. 47 Man vergleiche die abtrennbaren Verbalpartikel des Deutschen sowie die hier offensichtlich ebenfalls gegebene Opposition zwischen animierten und nicht-animierten Objekten bzw. die Distinktion zwischen alienablem und inalienablem «Besitz»: Ich gehe nie ohne (= ‘Regenschirm’, ‘Mantel’ etc., aber nicht: *‘Hund’, *‘Mann’ etc.) aus.
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betreffenden Konstruktionen dergestalt, dass die Nominalgruppe getilgt wird und die Präposition als solche erhalten bleibt: Il a voté [pour le projet]GP → Il a voté [pour Pro]GP → Il a voté [pour]GP. An Stelle der Annahme homonymer Formen wird von der Modifikation der Präposition im Transformationsprozess ausgegangen, wobei die Formen dans, sur, sous, hors de in absolutem Gebrauch durch die entsprechenden mit de- präfigierten dedans, dessus, dessous, dehors ersetzt werden. Dabei handelt es sich durchweg um Präpositionen, die lokale Relationen implizieren. Allerdings ist auch der umgekehrte Prozess belegt, wonach die erforderlichen schwachen Formen durch die mit de- verstärkten substituiert werden: il est dedans l’armoire.48 Die von Riegel et al. (1994, 224) vorgeschlagene Erklärung erfasst auch bestimmte Fälle der Pronominalisierung der Umgangssprache nach dem Muster: Jean tourne autour de lui → Jean lui tourne autour,49 in denen der animierte Antezedens durch die betonten Formen der Personalpronomina lui/leur ausgedrückt wird, so dass die Pronominalformen von der Präposition getrennt, die Präposition wiederum postverbal erscheint; so auch im Folgenden:50 On lui a craché dessus; Quelqu’un lui est rentré dedans; Arrête de lui courir après/derrière.51 Be-
|| 48 Solche Schwankungen im Gebrauch, die namentlich das français populaire kennzeichnen, gaben Anlass zu einem eigenen Abschnitt in den Remarques von Vaugelas (1647). So findet sich im Zusammenhang mit der Beschreibung des Gebrauchs der Präpositionen sur, sous, dans im Vergleich zu den komplexen, adverbial gebrauchten Formen dessus, dessous, dedans folgende Präferenzregel: Man sage sur la tête, aber par dessus la tête, und nicht par sur la tête sowie analog il se leva de dessus son lit und nicht il se leva de sur son lit etc. (Vaugelas 1970, 557). In Bezug auf au-dessus de und au-dessous de geht Vaugelas zudem von zugrunde liegenden zu Substantiven konvertierten Adverbien und nicht von Präpositionen aus: «il ne faut pas objecter que l’on dit au dessus de la teſte, au dessous du genoüil, &c. parce qu’en ces exemples dessus, & dessous, & leurs ſemblables paſſent pour mots ſubſtantifiez, & non pas pour prépositions. Les articles qui vont deuant & derriere, en font des preuues infaillibles» (Vaugelas 1970, 557). 49 Bildungen wie ça va avec mit absoluter Verwendung der Präposition in adverbialer Funktion besaßen im Französischen zunächst regionale Verbreitung, wurden dann aber allmählich als volkstümlicher Sprachgebrauch eingestuft und sind nunmehr auch Bestandteil der familiären Umgangssprache geworden. 50 Vereinfachungen der Konstruktion manifestieren sich auch dort, wo wortartinterne Konversion zum Tragen kommt, etwa im Falle des absoluten Gebrauchs eines eigentlich transitiven Verbs: ce type / il a vraiment reçu. 51 Cf. dt. Man hat ihm eins draufgespuckt; Jemand ist ihm reingefahren; Hör auf, ihr hinterherzulaufen etc.
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stimmte Verben lassen dabei nur die starke Form zu: il passe son temps à lui gueuler dessus. Abgesehen von den genannten strukturellen Anlagen des Französischen zur Inkorporierung zeichnen sich insbesondere im aktuellen populären Sprachgebrauch folgende Tendenzen ab, die ebenfalls auf die Polysynthese innerhalb der isolierenden Dominanten schließen lassen: Im grammatischen Bereich scheint die parataktische Konstruktion an Boden zu gewinnen, «ce qui semble aller à l’encontre de la tendance à l’analyticité, qui au contraire multiple les prépositions» (Gadet 1992, 71). Der Ausdruck unterschiedlicher pragmatischer Funktionen scheint hier zum Tragen zu kommen; diese beziehen sich auf die Opposition zwischen unbestimmten Informationen, die nicht weiter spezifiziert werden sollen, und solchen, die, je nach Kommunikationssituation der Präzisierung bedürfen: «[O]n peut faire l’hypothèse que les locuteurs feraient une distinction entre des énoncés ne faisant qu’exprimer un lien vague, que l’on ne sent pas l’intérêt de préciser (sans préposition), et d’autres qui nécessitent d’être plus précis, et exigent une préposition» (Gadet 1992, 71). Ähnliche pragmatische Aspekte, die nicht auf wortbildenden Funktionen, sondern solchen der Hintergrundstellung von Information aufbauen, liegen auch der Annahme nicht-morphologischer Inkorporationstypen in nicht dominant polysynthetischen Sprachen zugrunde (cf. Sasse 1984; Compes/Otto 1994; Iturrioz Leza 2001, 718). Dieser Interpretation entspricht die Beobachtung, dass, wenn ein Verb sowohl über eine direkte wie eine indirekte Konstruktion verfügt, das direkt konstruierte Komplement «apparaît davantage affecté dans sa globalité par le procès verbal» (Riegel et al. 1994, 224, Rem.). Dies bedeutet, dass der direkten Relation zwischen Verb und Komplement eine «holistische», unvermittelte Lesart entspricht, wohingegen der indirekten Relation eine «partielle» und vermittelte Lesart zukommt; vergleiche auf diesem Hintergrund folgende Konstruktionspaare: habiter [= occuper] un appartement/habiter dans un appartement; barbouiller un mur/barbouiller sur un mur; tirer [= abattre] un canard/tirer sur un canard/tirer dans la foule; Pierre a rapproché la chaise et le buffet/la chaise du buffet; Il fournissait ses clients en drogue/Il fournissait de la drogue à ses clients. Als Beispiele aus dem populären Französisch können genannt werden: vous descendez le prochain arrêt; les enfants ont droit l’école (cf. Gadet 1992, 71). Auch in Verbindung mit Verben, die in der Regel eine indirekte Konstruktion erfordern, lassen sich zuweilen direkte Konstruktionen belegen, wobei jedoch spezifische transitive Verwendungen vorliegen, die nicht beliebig ausgedehnt werden können: suivant ce que j’ai besoin (avoir besoin de qc), aber
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nicht j’ai besoin ça etc.; c’est ce que je me suis rendu compte (se rendre compte de qch); y a qu’une chose qu’on était d’accord (être d’accord sur qc); ça dépend ce que vous prenez comme taille (dépendre de qc); qu’est-ce que tu veux que je vienne demain? (quand…?); occasion à profiter (profiter de qc). Asyndetische Konstruktionen nicht nur auf paragrammatischer, sondern auch auf grammatischer Ebene können als Kennzeichen einer polysynthetischen Struktur interpretiert werden, die darauf beruht, dass Morphemwörter entweder inexistent sind oder ihre Funktion von Einheiten mit Lexemstatus übernommen wird. Insofern kann die bloße Koordination bestimmte syntaktische Funktionen vermitteln. Wird nun das Französische unter diesem Aspekt beleuchtet, so stellt man verschiedene koordinierende Konstruktionen fest. So kann (zumindest in der volkstümlichen Sprache) die Koordination zwischen einem Pronomen und einer Nominalgruppe ohne Zwischenschaltung der Konjunktion et erfolgen: nous deux mon chien (oder als alternative Konstruktion: moi avec mon chien) (Gadet 1992, 60). Ein anderes Beispiel ist der Ausdruck der Komparation mit Hilfe des Adjektivs pareil, das sowohl eine direkte Konstruktion als auch den Anschluss mit comme erlaubt: pareil le gros, pareil comme lui (Gadet 1992, 62). Asyndetischpolysynthetische Konstruktionen sind für die gesprochene (volkstümliche) Sprache besonders typisch. Häufig wird durch die parataktische Phrasenverknüpfung eine grammatische Relation lediglich impliziert; die Parataxe übernimmt somit die Funktion expliziter syntaktischer Marker. Dies trifft auf bestimmte binäre Strukturen zu, in denen ein nominales Element am Satzanfang exponiert wird, ohne in der weiteren Sequenz wieder aufgenommen zu werden; solche Strukturen enthalten eine formalsyntaktisch zwar nicht gekennzeichnete, aber funktionell mitunter sehr spezifische Relation. Die Art der jeweils vorliegenden syntaktischen Relation zum Rest des Satzes muss für jede Aussage unter Einbeziehung des Kontextes neu etabliert werden. Als Beispiele lassen sich anführen (cf. Gadet 1992, 77): Un débutant/la peur elle est totale ; La cantine/y’a rien à redire; Le boulot/on se plaint pas. Wie wenig explizit und zugleich spezifisch die implizierte Relation ausfallen kann, zeigen Beispiele, in denen das zweite Element solcher binären Konstruktionen durch Interjektionen etc. besetzt ist: Paris/bof, ça/pas question, moi/éro, le mec/la frime (cf. Gadet 1992, 77–78). Namentlich das Pronomen ça wird ohne Mittel zur Explizierung der grammatischen Relation konstruiert: au quinté +/quand tu gagnes/ça déforme les poches. In der gesprochenen Sprache kann sich die parataktische Reihung zu solch komplexen asyndetischen Strukturen wie der folgenden kumulieren: Jean/son vélo/le guidon/c’est le chrome qui est parti. Dabei sind prosodische Mittel (Ak-
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zentuierung, Sprechrhythmus und Intonation) für das adäquate Verständnis von zentraler Bedeutung, da sie die syntaktische Strukturierung in entscheidender Weise beeinflussen: tu sais/la gare/la barrière/je cours pas/je passe pardessus (häufig binäre Gliederung mit einer Anordnung der Segmente nach wachsender Länge und Gewichtung – auf die funktionale Satzperspektive soll hier nicht eingegangen werden) (cf. Gadet 1992, 78). Der Stellenwert, der der Intonation bzw. dem Sprechrhythmus in der Gliederung des Satzes zukommt (cf. il boit/il est saoul), hilft die intendierte, aber syntaktisch nicht explizierte grammatische Relation zu transportieren, so dass eine parataktische Reihung wie moi/j’ai faim/je mange zwar aus formal-grammatischer Sicht nicht dergestalt interpretiert wird, dass hier eine hypotaktische Relation zum Ausdruck gebracht würde; auf die gesprochene Umgangssprache trifft dies allerdings sehr wohl zu. Dies bedeutet, dass segmentaler und suprasegmentaler Bereich in der gesprochenen (vornehmlich volkstümlichen) Sprache stärker interagieren, als dies in der (gesprochenen) Standardsprache, die hauptsächlich mit isolierenden grammatischen Markern operiert, der Fall ist. Da auch die suprasegmentalen Mittel zu den Verfahren gehören, die grammatische Relationen zum Ausdruck bringen, kann die Prosodie aus einer Untersuchung der Syntax des populären Französisch nicht ausgeklammert werden. So ändert sich die Bedeutung des obigen Satzes je nach Intonation: Bei auf faim ansteigender Stimme bedeutet der Satz ‘chaque fois que j’ai faim’, bei Stimmabfall ‘j’ai faim maintenant’. Auch Gadet (1992, 86; cf. Humboldt [1822]/1963, 42– 43; Ch. Lehmann 1985a, 67) räumt daher der Intonation für das populäre Französisch eine autonome grammatische Funktion ein. Man vergleiche folgendes Beispiel, in dem die Bedingung nicht durch die subordinierende Konjunktion si oder ein segmentales Äquivalent, sondern qua rein prosodische Mittel ausgedrückt wird (mit folgender Intonation: abfallende Intonation bis soin, schneller Anstieg auf je dis pas, danach starker Einschnitt durch Pause und Abfall bis zu pas le cas): encore/elle dit ça et elle en prend soin/je dis pas//mais c’est pas le cas (Gadet 1992, 86). Im populären Französisch erscheint ferner die Gruppe der Präpositionen (wie auch die der Konjunktionen52) nicht als eine geschlossene, sondern vielmehr als eine durchaus erweiterbare Klasse an instrumentalen Morphemen. Dabei sind die Bildungen auf nominaler Grundlage dem System völlig angepasste Elemente, was dadurch bestätigt wird, dass verschiedene ererbte Prä-
|| 52 Die Nähe zwischen Präposition und Konjunktion wird durch jeweils analoge Bildungen verstärkt, indem etwa auf der Basis der Präposition (aber auch in umgekehrter Richtung) eine neue komplexe Konjunktion durch Hinzufügen von que gebildet wird, cf. malgré que etc.
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positionen der Standardsprache nominalen Ursprungs sind (z.B. chez < lat. CASA, afrz. chiese). Eine Opposition zwischen direkter und indirekter Konstruktion wird auch im präpositionalen Bereich manifest, wo sich mehr oder weniger rezente Bildungen der Reihe der direkt verwendeten Präpositionen, die Formen wie côté, genre, style, esprit einschließt (cf. côté travail … etc.; cf. Noailly-Le Bihan 1982, Noailly 1990; Schäfer-Prieß et al. 2001; Kretz 2003), und solche der Reihe der indirekt konstruierten Präpositionen gegenüberstehen: histoire de, rapport à; question erlaubt beide Konstruktionen in Abhängigkeit von der Art des Komplements: question pinard oder question de rigoler (cf. Gadet 1992, 74).
5 Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie Was kann einen Sprachforscher dazu bewegen, einerseits die Typologie, die in neuerer Zeit ihr Selbstverständnis erst finden und sich als ein (gegenüber der Universalienforschung) eigener autonomer Bereich der Sprachwissenschaft etablieren musste, andererseits die Wortbildung, deren Stellung innerhalb des Sprachsystems zu klären versucht wurde (cf. Dokulil 1968a; Lüdtke 2001a), in einer Sicht zu verbinden? Was diese beiden autonomen sprachwissenschaftlichen Gebiete einander nahe bringt, ist ihre Kontiguität zu anderen Systembereichen: Es sind dies die Ebenen der Syntax und insbesondere der Morphologie. Lässt sich die Typologie, sofern sie als eine partielle betrieben wird (was nicht meiner Perspektive entspricht), auf einen der Bereiche restringieren, kann eine gleiche selektive Fokussierung für die Wortbildung nicht aufrechterhalten werden: Letztere ist grundlegend an eine morphosyntaktische Analyse gekoppelt; so aber letzten Endes auch eine in ihrer eigentlichen Intention als holistisch verstandene Sprachtypologie. Mit der Frage nach der adäquaten theoretischen Erfassung und methodischen Behandlung der systemimmanenten Schnittstellen (also der Übergangsbereiche zwischen Wortbildung und Grammatik bzw. Lexikon einerseits, zwischen Sprachtypologie und Grammatik, d.h. Morphologie und Syntax andererseits) ist aber nur die formale Seite angesprochen; beide Forschungsbereiche lassen sich in ein theoretisches Grundgerüst einordnen, das die Funktionalität jeglicher sprachlicher Ausdrucksmittel, als primäres Ziel der Organisation von Sprache im Hinblick auf gewisse kommunikative Zwecke betont. Beide Seiten, die inhaltliche und die formale,1 können je nach Zielsetzung als separate Gegenstände untersucht und wieder miteinander konfrontiert werden; die parallele Behandlung beider Aspekte erweist sich jedoch prinzipiell als problematisch bis impraktikabel: «Wenn wir den sprachlichen Bereich darstellen wollen, den wir Grammatik […] [bzw.] Morphosyntax genannt haben, kommen wir infolge der Komplexität der sprachlichen Verhältnisse zu keiner klaren Darstellung, wenn wir Ausdruck und Inhalt gleichzeitig berücksichtigen. Die zahlreichen bisher unternommenen Versuche haben gezeigt, dass ein solcher Weg zum Scheitern führen muss. Bleibt also die Zugrundelegung entweder des Ausdrucks, d.h. der Formen, oder des Inhalts» (Lüdtke 2002a, Typoskript 84).
|| 1 Eine am formalen Aspekt orientierte Grammatik bzw. Morphosyntax dagegen «könnte die Kombination von der minimalen Einheit bis zum Satz, als Ebene der sprachlichen Strukturierung verstanden, umfassen» (cf. Lüdtke 2002b, Typoskript 84). https://doi.org/10.1515/9783110693966-005
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Ein kombiniert funktionell-struktureller Ansatz, der dennoch sinnvoll erscheint, kann nur dann realisiert werden, wenn zunächst einem der beiden Aspekte der Vorzug gegeben wird, ohne jedoch dabei den anderen auszublenden. Ich verfolge eine Beschreibungsmethode, die die Inhaltsebene als prioritär erachtet, da die Form im Dienst der kommunikativen Funktionen von Sprache steht. Diese Sicht lässt sich für die Wortbildung in kohärenter Weise sowohl auf die Synchronie als auch die Diachronie systematisch anwenden. Eine zunächst inhaltliche Wortbildungslehre, die, ausgehend von den inhaltlichen Funktionen, die zugrunde liegenden Verfahren kategorisiert, liegt mit den hier zur Sprache kommenden Ansätzen vor. Dabei tragen die Untersuchungen Lüdtkes (u.a. 1978; 1993; 1995; 1996a; 2001a; 2002b; 2005/22007) mit gesamtromanischer Anlage der doppelten Forderung der Einbeziehung von Synchronie und Diachronie, wie sie auch von Dokulil wiederholt konstatiert wird, in besonderem Maße Rechnung. Innerhalb der Sprachtypologie wurde die funktionelle Sprachebene von der Kölner Forschungsgruppe um Hansjakob Seiler (cf. insbesondere das Projekt UNITYP, 1978–1992, unter Seilers Leitung) in einem von kognitiven Prämissen ausgehenden Ansatz (Grundlage des übergeordneten Modells sind Domänen bzw. «Dimensionen»2), der auf den Möglichkeiten der Kategorisierung der außersprachlichen Realität durch die je nach morphologischer Beschaffenheit einer Sprache mannigfaltigen materiellen Mittel basiert, zu integrieren versucht. Ziel der Untersuchungen ist es also, im Rahmen der funktional definierten Dimensionen einzelsprachliche Ausdrucksvarianten zu systematisieren. Eine andere Art der Verbindung von Wortbildung und Allgemeiner Typologie sucht Dressler im Rahmen des Konzeptes der natürlichen Morphologie. Eine Anwendung der theoretischen Prämissen der natürlichen Morphologie auf die holistisch konzipierten Typen Skalička’scher Prägung hat sich als möglich herausgestellt (cf. Dressler 1980; 1981; Dressler et al. 1987). Prinzipiell funktionell-strukturell orientiert sind die Ansätze der Prager Linguisten, namentlich vertreten durch Vladimír Skalička und dessen Nachfolger Petr Sgall sowie den gleichfalls tschechischen Linguisten Miloš Dokulil im Bereich der Wortbildung. Eine Verbindung von Sprachtypologie und Wortbildung wurde von dem im westlichen Sprachraum kaum rezipierten Linguisten J. Popela angestrebt, dessen Theorie weitere Impulse für eine derivologisch3-typologische Arbeit liefern
|| 2 Die «Dimensionen» betreffen beispielsweise das sprachliche Erfassen von Gegenständen («Apprehension»), den Bereich von Verb und Aktanten im weitesten Sinne («Partizipation») oder die Verbindung von Tempus, Aspekt und Modus («Situierung»). 3 Im Französischen wird keine terminologische Unterscheidung zwischen Wortbildung als Verfahren zur Neubildung von sekundären Lexemen und Wortbildung als Produkt des Prozes-
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kann. Skaličkas Arbeiten integrieren grundsätzlich, aber nur marginal, das wortbildende System als ein vielfach an die Morphologie angrenzendes. Bei Dokulil erscheint die Frage nach dem Typus als eine prinzipiell mitgedachte, wobei aber eine deutliche Konzentration auf den flektierenden Sprachtypus, wie mit dem Tschechischen gegeben, deutlich wird, d.h. es erfolgt in der Regel (abgesehen von der Diskussion der Nullableitung, cf. Dokulil 1968d) keine explizite Differenzierung zwischen einzelnen Sprachtypen. Andererseits wird die Verschiedenheit des Baus der Sprachen in der Regel als Folie mit einbezogen; die Ergebnisse werden dann innerhalb eines solchen breiter angelegten Rahmens formuliert, der eine prinzipielle Anknüpfung an die Sprachtypologie erlaubt: das Modell ist schon von seiner Ausgangsfragestellung her der Übereinzelsprachlichkeit zugewandt. Innerhalb der Forschungslinie der Prager Linguisten4 zeichnen die Arbeiten von Vilém Mathesius (1942, 1947) diesen nicht nur mit Blick auf die Sprachtypologie als bedeutenden Vertreter aus, sondern auch als einen auf dem Gebiet der Wortbildung prominenten Linguisten. Als bedeutende Nachfolger Mathesius’ || ses der Wortbildung einerseits und Wortbildungslehre andererseits getroffen, d.h. für die Wortbildung als Wissenschaft oder Lehre steht kein eigener Terminus technicus bereit. Der Begriff théorie de la formation des mots bezeichnet einen spezielleren Begriff als Wortbildungslehre, «nämlich eine bestimmte Theorie, die die Funktionen der Wortbildungsverfahren erklären will» (siehe Geckeler/Dietrich 1995, 96, Anm. 17). Dokulil (1994, 129) spricht im Rahmen seiner Benennungslehre an Stelle von Wortbildung von derivology und bezeichnet hiermit ebenfalls die Theorie der Wortbildung: Der Begriff trägt in allgemeinem Sinne der Erfassung der Verfahren und entsprechenden Funktionen, auf denen die wortbildenden Prozesse und resultierenden Muster aufbauen, Rechnung. Der Terminus läuft jedoch Gefahr, als einseitige Akzentuierung der derivationellen wortbildenden Verfahren missinterpretiert zu werden, doch lässt sich dem mit dem Argument begegnen, dass, wie etwa bei Helcl (1985), auch die Komposition als ein spezifischer Fall der Derivation aufgefasst werden kann (auch die generische Komposition des Typs travailleur beruht unter materiellem Gesichtspunkt auf der Suffigierung). Allgemein versteht Dokulil (siehe 1968c) die Wortbildung als ein autonomes Gebiet im Sprachsystem, das sehr eng mit der Morphologie verknüpft, stärker aber noch der Lexikologie zugewandt ist. Er versucht, eine eigene Terminologie zu etablieren, wie diese in der Regel mit der Begründung einer eigenen Theorie einhergeht. 4 Zu einem sprachwissenschaftsgeschichtlichen Abriss der Forschungsentwicklung in diesem linguistischen Kreis namentlich auf dem Gebiet der Wortbildung siehe Dokulil (1994). Hier findet sich auch ein Überblick über die einschlägigen Thesen Dokulils, wie sie insbesondere in seinen für den deutschsprachigen Leser zugänglichen Aufsätzen (Dokulil 1964; 1968a; 1968b; 1968c; 1968d; 1994) dargestellt wurden; abgesehen von der Einführung des Begriffs derivology wird präzisierend zwischen einer lexikalischen und einer syntaktischen Morphologie unterschieden. Die erhöhte terminologische Klarheit gegenüber früheren Aufsätzen schärft den Einblick in die Theorie, deren Grundideen ferner durch die Gesamtdarstellung besser zur Geltung kommen. Interessant ist der, wenn auch nur angedeutete, Bezug zu stilistischen und texttypologischen Aspekten.
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sind Isačenko (1956, 1958a, 1958b, 1962), mit dem Dokulil, zurückgehend auf Mathesius, den Standpunkt einer auf der Benennungsfunktion beruhenden Zuordnung der Wortbildung zur Lexikologie teilt (cf. Dokulil 1994, 124–125), und Dokulil selbst zu nennen; doch auch der Typologe Skalička wird mit seinen Schriften ([1951]/1979, 1955a, 1970b) in diese Reihe der für die Wortbildung relevanten Forschungsarbeiten eingegliedert, die mit Dostál (1954) einen weiteren Vertreter besitzt, der der Typologie wieder stärkere Beachtung schenkt. Insgesamt ergibt sich als Antwort auf die eingangs dieses Kapitels gestellte Frage nach der Motivation der hier gewählten Forschungsperspektive folgendes: Die Beobachtung, dass die sprachinterne Organisation Schnittstellen zwischen den sprachlichen Subsystemen zulässt, führt zur Notwendigkeit, die Konsequenzen für die Sprachbeschreibung nach Form und Funktion zu thematisieren. Die Problematik knüpft damit zum einen unmittelbar an die Diskussion um die Stellung der Wortbildung innerhalb des Sprachsystems, zum anderen an diejenige um die Rolle der Typologie bei der Erfassung der morphosyntaktischen (und idealiter aller anderen) Subsysteme an. So stellt der Sprachtypus per definitionem «die Kohärenz und die funktionelle Einheit der verschiedenen Sektionen eines Systems dar» (Coseriu 1988, 301) Es geht schließlich um die Frage nach den bestehenden Zusammenhängen zwischen diesen Subsystemen oder Teilsystemen des Sprachsystems. Die Sprachtypologie als «Superdisziplin» mit funktionell-struktureller Grundausrichtung sucht daher nach einer Integration der Erkenntnisse der Wortbildung und der Typologie, um somit dieses partielle Zusammenhängen, wie es auf Grund der systembereichsinternen Überschneidungen zu vermuten ist, zu erhellen. Eine solche Zielsetzung kann aber nicht eine andere Orientierung hinsichtlich des inhaltlich(-funktionellen) oder formalen Aspektes einmal für die Grammatik, ein anderes Mal für die Paragrammatik oder Typologie verfolgen: Man kann etwa nicht einmal vom Inhalt, einmal von der materiellen Seite her argumentieren, sondern muss – wo immer praktikabel – für alle betrachteten Bereiche gleichermaßen verfahren. Dies trifft auch auf die Skalička’sche Typologie dort zu, wo bei den Rezipienten seiner Theorie inhaltliche und formale Kategorien nicht klar getrennt werden. Vor allen Dingen aber wird die formale Seite auf Kosten der inhaltlich-funktionellen Ebene weiterhin stärker betont. Das Unternehmen einer kombiniert typologisch-paragrammatischen Sprachbetrachtung kann dabei derzeit weiterhin als ein Desiderat angesehen werden; so hat etwa Dostáls (1954) breit angelegte Untersuchung der wortbildenden Muster in den slawischen Sprachen ergeben, «that typological approaches towards word formation are necessary» (Dokulil 1994, 126). Dabei ist die Frage zu beantworten, welche Wortbildungstypen für das Französische im Besonderen typisch sind, und welche der isolierende Typus – im Sinne der Allgemeinen Typenlehre – bevorzugt.
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5.1 Der onomasiologische Ansatz nach Dokulil Im Rahmen der wortbildungstheoretischen Aussagen Dokulils (1994) wird bereits über die Gliederung der Darstellungen eine Hierarchisierung der hauptsächlichen wortbildenden Verfahrenstypen gemäß der Abfolge Transposition (transpositional type) − Modifikation (modificational type) − Komposition (als coordinational type bezeichnet; der ebenfalls zentrale Mutationstypus umfasst offensichtlich hauptsächlich die generische Komposition) nahegelegt. Diese Gliederung stellt, obwohl sie nicht explizit begründet wird,5 eine Neuerung gegenüber dem älteren grundlegenden Aufsatz Dokulils (1968b) dar. Eine Systematisierung, die die Transposition (bzw. Entwicklung, cf. frz. à terre > atterir) den anderen Verfahrenstypen obenan stellt, wird neuerdings auch von Lüdtke (in Abweichung zu Coseriu) befürwortet (mit der weiteren Gliederung in Komposition: (a) generische Komposition, z.B. caissière, (b) lexematische Komposition: frz. homme grenouille und Modifizierung wie in frz. maisonnette; cf. Lüdtke 2002b; 2005). Innerhalb Dokulils onomasiologischem Ansatz bzw. seiner «Benennungslehre» bilden die erste Stufe der Klassifizierung die eigentlich onomasiologischen Begriffskategorien (im Folgenden OK);6 zu diesen gehören folgende vier
|| 5 Cf. Dokulil (1968b, 209–210): «Eine Sonderstellung unter den onomasiologischen Grundkategorien nimmt der sogenannte Transpositionstypus ein. Das Wesen der Transpositionskategorien besteht darin, dass hier eine Erscheinung, die man im Einklang mit der widergespiegelten Wirklichkeit normalerweise als ein abhängiges Merkmal auffasst, nun als absolut oder relativ unabhängig betrachtet wird. Von größter Bedeutung sind die Transpositionskategorien der Vergegenständlichung a) einer Eigenschaft, z.B. schön → Schönheit, kreisförmig → Kreisförmigkeit, betriebsam → Betriebsamkeit; b) eines Prozesses, z.B. fallen → Fallen → Fall». 6 Die Verankerung der Begriffskategorien im Bewusstsein bzw. der Kognition, was die Begründung für die Annahme ihres realen Status sowie des Prozesses ihrer Konstituierung liefert, wird wie folgt erklärt: «Any act of forming a new naming unit presupposes that a generalised reflex of some reality in human consciousness (i.e. content) has been registered, organized and classified in a certain way, corresponding to the ways of naming existing in the given language. The types of this inner structuring of the concept, in view of its expression in the given language, are denoted as onomasiological categories, i.e. basic conceptual structures establishing the foundations of naming activity in the given language.» (Dokulil 1994, 133, Hervorhebung des Autors) Vergleiche hierzu Dokulil (1994, 136): «The onomasiological categories form a conceptual Basis in which are grounded the categories of word-formation, language facts in the full sense of the word. The OCs present an answer to the question of how our thinking analyses various concepts so as to make them capable of being expressed by the categorial means of language. The OCs are arrived at in an empirical manner, by way of generalizing categorical onomasiological means that are at the disposal of the given language.» In diesem Zusammenhang ließe sich, vor allem in Hinblick auf einen syntaktischen Ansatz (cf. insbeson-
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begriffliche Typen, die in einer Sprache wie dem Tschechischen über wortbildende Prozesse, d.h. auf Wortebene in Erscheinung treten können: die mutationelle/relationelle OK, die onomasiologische Basis, das onomasiologische Merkmal und das onomasiologische Motiv. Dokulil betrachtet als die bedeutendste der von ihm differenzierten onomasiologischen Kategorien die «relationelle», die später als «mutationelle» gefasst wird (cf. Dokulil 1994, 133). Die Struktur der onomasiologischen Kategorien besteht in der Regel aus zwei Elementen (cf. Dokulil 1994, 133–135): Erstens der onomasiologischen Basis: Sie repräsentiert die konzeptuelle Gruppe, der das zu benennende Phänomen in einem ersten Schritt der konzeptuellen Kategorisierung zugewiesen wird; sie bildet innerhalb der onomasiologischen Struktur des Konzeptes die determinierte Komponente und besitzt einen spezifischen kategorialen Ausdruck in der Sprache. Zweitens dem onomasiologischen Merkmal: Dieses tritt in einem zweiten Kategorisierungsschritt zum zu benennenden Phänomen der konzeptuellen Gruppe hinzu. Bei der relationellen onomasiologischen Kategorie besitzt dieses Merkmal, das als die determinierende Komponente der Struktur erscheint, einen relationalen Charakter (z.B. tsch. vesničan ‘Dorfbewohner’, d.h. «einer, der in einem Dorf wohnt», cf. frz. villageois, engl. villager). Die onomasiologische Basis ist immer einfach (allenfalls besteht ein Unterschied im Abstraktionsgrad, z.B. Substanz, belebtes Lebewesen, Mensch etc.), das onomasiologische Merkmal dagegen kann einfach oder komplex sein. Ist das onomasiologische Merkmal komplex strukturiert, muss festgestellt werden, ob beide (oder alle) Bestandteile des Merkmals explizit ausgedrückt werden oder ob manche der Bestandteile mehr oder weniger implizit zu verstehen sind. Die onomasiologische Struktur setzt sich dann aus der onomasiologischen Basis und der determinierenden Komponente des onomasiologischen Motivs (des komplexen onomasiologischen Merkmals) zusammen. Die Bestimmung der onomasiologischen Struktur bildet also eine erste Hierarchisierungsebene innerhalb der onomasiologischen Kategorien; die OK selbst repräsentieren Typen an solchen onomasiologischen Strukturen. Diese Typen konstituieren sich hauptsächlich gemäß dem kategorialen Charakter der diesen Strukturen zugrunde liegenden fundamentalen Elementen, d.h. der onomasiologischen Basis und des onomasiologischen Motivs. Die zwischen der onomasiologischen Basis und dem Motiv anzutreffenden Relationen sind mannigfaltiger Natur; z.B. ist das Konzept der Kategorie «Substanz» bestimmt durch
|| dere Dokulil 1964; cf. auch Laca 1986, 69ss.), das Verhältnis zwischen OK und lexikalischen Kategorien einerseits, zwischen OK und gnoseologisch-logischen Kategorien andererseits (siehe Dokulil 1968b, 210) erörtern.
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(a) seine Relation zum eigenen Konzept (der Kategorie der Substanz), (b) der Qualität, (c) der Handlung, (d) des Begleitumstandes, der das Merkmal spezifiziert (cf. die Wortkategorien Nomen, Adjektiv, Verb, Adverb); analog sind die Konzepte der Kategorie der Qualität, der Handlung und schließlich des Begleitumstandes bestimmt. Ich fasse zusammen: Die interne Strukturierung der OK beruht auf der Art der Relation (Determinatum-Determinans-Verhältnis), wie sie zwischen onomasiologischer Basis und onomasiologischem Merkmal besteht und aus einem wortbildenden Prozess hervorgeht. Erst über die Herstellung einer bsinären Relation zwischen den onomasiologischen Begriffskategorien der (einfachen) Basis und des Merkmals bzw. komplexen Motivs als den beiden Polen des Determinationsverhältnisses entstehen elementare Typen an onomasiologischen Strukturen auf einer weiteren Hierarchisierungsebene; diese Typen wiederum stehen in Abhängigkeit hauptsächlich vom kategorialen Charakter der onomasiologischen Basis bzw. des onomasiologischen Motivs. Der zentralen OK des Nomens liegt die begriffliche Kategorie der Substanz oder eine ihr untergeordnete konzeptuelle Gruppe zugrunde, die in vier Arten in Erscheinung tritt (cf. Dokulil 1994, 134; Dokulil 1968b, 209): 1. OK des Trägers einer Eigenschaft (cf. tsch. širočina ‘eine breite Axt’ von široký ‘breit’), 2. OK des Trägers einer Handlungsrelation (z.B. tsch. učitel [cf. uči-tel ‘Lehrer’] von učit ‘lehren’), 3. OK des Trägers einer Objektrelation mit diversen Untergruppen: a. aktive Beeinflussung (Affizierung) eines Gegenstandes (cf. tsch. houslista [housl-ista ‘Geig-er’] von housle ‘Geige’; cf. dt. Fleischer, Gärtner, Ziegler) b. Hervorrufen bzw. Effizierung eines Gegenstandes (z.B. tsch. sklář [sklář ‘Glas-er/Glas-mach-er’] von sklo ‘Glas’) c. Tätigkeit in Bezug auf den Ort (die Zeit), an dem (in der) diese ausgeübt wird (tsch. lomař [lom-ař ‘Steinbruch-arbeit-er’] von lom ‘Steinbruch’) d. Neigung zu einem bzw. Vorliebe für einen Gegenstand (tsch. karetník ‘leidenschaftlicher Karten-spieler’ von karty ‘Karten spielen’) e. Ähnlichkeit mit einem Gegenstand (z.B. tsch. vlčák ‘Schäfer- (bzw. Wolfs-) Hund’ von vlk ‘Wolf’; cf. dt. Pfefferling, Pfifferling: ‘etwas [ein Pilz], das an Pfeffer erinnert [nach Pfeffer schmeckt]’) f. Besitz eines Gegenstandes (cf. tsch. statkář ‘Bauer’ von statek ‘Bauernhof’) g. Zugehörigkeit zu einem Gegenstand (cf. tsch. vesničan ‘Dorfbewohner’ von vesnice ‘Dorf’)
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h. Herkunft aus einer Substanz (z.B. tsch. kralevic [‘Königssohn’] ‘Prinz’ von král ‘König’) i. Beschaffenheit aus einem bestimmten Material (tsch. slivovice ‘Pflaumenschnaps’ von slíva ‘Pflaume’) j. Charakterisierung durch ein Objekt (cf. tsch. nosatec, nosáč ‘Großnase’ von nos ‘Nase’) k. Eignung für eine Sache (cf. tsch. pytlovina ‘Sackleinen’ von pytel ‘Sack’) 4. OK der Spezifizierung eines primären Merkmals, d.h. eines einfachen (vielfach eine Handlung bezeichnenden) Merkmals (siehe tsch. večerník ‘Abendzeitung’ von večer ‘Abend’). Die Kategorien der adverbialen Determination des primären Merkmals sowie der Objektrelation überschneiden sich in weiten Bereichen; auch die primären und die spezifischen onomasiologischen Kategorien weisen bis zu einem bestimmten Grade Konvergenzzonen auf. Dies lässt sich teilweise darauf zurückführen, dass die außersprachliche Realität in vielen Fällen unter verschiedenen onomasiologischen Blickwinkeln betrachtet werden kann: Je differenzierter und konkreter das zu benennende Konzept sich gestaltet, desto zahlreicher sind die onomasiologischen Gesichtspunkte, unter denen es sich darbieten kann. Auch wenn die grundsätzliche onomasiologische Konzeption die gleiche bleibt, kann die Struktur der Benennungseinheit diesen oder jenen Bestandteil hervorheben. Abgesehen vom Mutationstypus bzw. dem Typ der relationalen OK, «in which the phenomenon of one conceptual category is characterized (and named) according to its direct of [sic] mediated relation to an element of the same of [sic] another conceptual category» (Dokulil 1994, 135), lassen sich ferner mindestens vier weitere Typen unterscheiden, die Affinitäten zu den inhaltlichen Typen der Wortbildungsverfahren nach Coseriu erkennen lassen: den Transpositionstyp, den Modifikationstyp, den koordinierenden Typ (Komposition) und den reproduzierenden Typ (cf. Dokulil 1994, 135–136). Beim Transpositionstypus wird ein Phänomen, das in der Regel als Merkmal fungiert und von der Substanz abhängt, als von letzterer unabhängig aufgefasst (cf. die Definition der Hypostase nach Bally 41965, 165, §275, Anm. 1 bzw. Dokulil 1968c, 234). Es findet gewissermaßen eine Objektivierung der Qualität oder Handlung statt. Dokulil (1994, 135) spricht in diesem Falle von vertikaler Transposition (cf. tsch. rychlost ‘Schnelligkeit’ von rychlý ‘schnell’, pád ‘der Fall’ von padnout/ padat ‘fallen’). Oder aber das in Frage stehende Phänomen wird als ein anders geartetes Merkmal aufgefasst: Hier liegt laut Dokulil eine «Überbewertung» einer Qualität vor, die zu einem Prozess transponiert wird oder umgekehrt, was
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Dokulil als horizontale Transposition bezeichnet (cf. tsch. churavý ‘krank’ gegenüber churavět ‘krank sein’) (Dokulil 1994, 135). Beim Modifikationstypus erhält der Inhalt eines gegebenen Konzeptes ein zusätzliches modifizierendes Merkmal. Je nach Art der betreffenden Modifikation lassen sich innerhalb der Begriffskategorie der Substanz die OK der Diminutiva und Augmentativa differenzieren (z.B. tsch. doubek ‘ein kleine Eiche’, dubisko ‘eine große Eiche’ von dub ‘Eiche’). Daneben können unterschieden werden die OK des Genuswechsels bzw. der Motion (z.B. tsch. učitelka ‘Lehrerin’ von učitel ‘Lehrer’) und der jungen Lebewesen (cf. tsch. hádě ‘ein Schlangenjunges’ von had ‘Schlange’) sowie die OK der Kollektiva bzw. Singulativa (tsch. stromoví ‘eine Baumgruppe’ von strom ‘Baum’). Innerhalb der konzeptuellen Kategorie der Eigenschaft wird die OK des Maßes und der Stufe (siehe tsch. překrásný ‘sehr schön’ von krásný) abgegrenzt; innerhalb der konzeptuellen Kategorie der Handlung existieren mannigfache Modifizierungen, die der Handlung weitere Bestimmungen hinzufügen: Diese können ihrerseits Kategorien wie Lage, Richtung, Zeit, Phase, Umfang und namentlich solche der Aktionsart anzeigen (cf. tsch. oslepnout ‘blind werden’ gegenüber slepý ‘blind’; dopsat [knihu] ‘[ein Buch] zu Ende schreiben’ von psát ‘schreiben’). Der Koordinationstypus beruht auf dem morphologischen Verfahren der Komposition, bezieht sich aber auch auf Kollokationen. Er beruht auf der Analyse des zu benennenden Konzepts in zwei oder mehr Komponenten derselben Rangordnung (Koordination: z.B. tsch. opočlověk ‘Affenmann’ von op – člověk ‘Affe – Mann’). Die Mutation beruht definitorisch auf einem Verhältnis zwischen Determinatum und Determinans; das Derivationssuffix trägt das onomasiologische Merkmal, das eine Relation der Determination bezüglich der onomasiologischen Ausgangskategorie (Begriffsgruppe) oder onomasiologischen Basis begründet. Insofern wäre auch die (prolexematische) Komposition darunter zu subsumieren.7 Indem jedoch Dokulil einen eigenen «koordinierenden» Typus abgrenzt,
|| 7 Die in Dokulil (1994, 134) angeführten Beispiele zur Veranschaulichung der vielfältigen Subkategorien innerhalb der Mutation verweisen darauf, dass dieser Wortbildungstyp hauptsächlich mit der generischen Komposition zusammenfällt. Dennoch ist folgendes zu bemerken: «Obwohl die von DOKULIL angegebenen Beispiele von Mutation, die ja alle die Begriffskategorie der Substanz als ‘onomasiologische Basis’ haben, im großen und ganzen auf eine Entsprechung mit dem oben definierten Verfahren der Komposition hinweisen, ist jedoch nicht zu übersehen, dass die Mutation definitionsmäßig mehr als die Komposition umfasst (nämlich wahrscheinlich auch denominale Verben, einige nicht homogen abgeleitete Adjektive u.ä.)» (Laca 1986, 72; siehe auch ibid., 72 bzw. 87, Anm. 29). Laca ihrerseits scheint zu implizieren, dass der Mutationstyp nicht nur die generische, sondern auch die lexematische Komposition
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werden Bildungen, die auf der Komposition zweier (kategorial) gleichgeordneter Komponenten beruhen, von der Mutation ausgenommen. Damit schließt der Koordinationstyp unter anderem auch die eigentlich lexematische Komposition ein, allerdings mit der offensichtlichen Einschränkung, dass die zueinander in Relation gesetzten Wörter der gleichen Wortkategorie angehören. Beim Reproduktionstypus als viertem Typ dient ein sprachlicher Ausdruck oder ein natürlicher Laut als Grundlage der Benennung; die Benennung gehört häufig zur Kategorie der Handlungen (z.B. hafat ‘den Laut haf aussprechen’) (cf. Kap. 5.4.4.5). Dass innerhalb der genannten vier Typen an OK die Komposition bei Dokulil als dritter Typ erscheint, der nur gleichgeordnete Elemente miteinander verbindet, betont den Unterschied zur generischen Komposition. Dabei ist zu beachten, dass im Tschechischen die Derivation als das wichtigste der wortbildenden Verfahren fungiert, wohingegen Komposita für diese Sprache weit weniger typisch sind als etwa für das Deutsche. Ein Unterschied besteht vor allen Dingen darin, dass in der Regel zwei, aber nicht drei oder mehr Elemente zu einer Wortzusammensetzung verbunden werden. Die Komposition betrifft wortkategorial hauptsächlich die Gruppe der Substantive und Adjektive, cf. folgende Verbindungen aus Substantiv + Substantiv, z.B.: tsch. kovodělník (‘Metallarbeiter’) aus kov + dělník, jihovýchod (‘Südosten’) aus jih + východ; Adjektiv + Adjektiv: červenobílý (‘rotweiß’) aus červený + bílý, česko-německý (‘tschechisch-deutsch’) aus český + německý; Adjektiv + Substantiv (bzw. Substantiv + Adjektiv): sněhobílý (‘schneeweiß’) aus sníh + bílý, světoznámý (‘weltbekannt’) aus svět + známý, kratochvíle (‘Kurzweil’) aus krátká + chvíle, velkoměsto (‘Großstadt’) aus velké + město. Die gering entwickelte Kompositionsfähigkeit des Tschechischen8 hängt offensichtlich auch mit dem typologischen Bau, d.h. dem flexivischen Charakter dieser Sprache zusammen: Die sich zur flexivischen Morphologie harmonisch verhaltende typologische Dominante im Bereich der Wortbildung ist die Agglutination, zu der die Derivation gehört. Dokulils Klassifikation spiegelt damit die Bedingungen der typologischen Basisstruktur der Sprache wider, anhand derer seine Wortbildungstheorie primär entwickelt wurde: das flektierende Tschechische.
|| umfasst: «Die Einteilung von Wortbildungstypen (Grundtypen onomasiologischer Kategorien) in Modifikation, Transposition und Mutation entspricht in einigem der […] Einteilung von Wortbildungsverfahren in Modifizierung, Entwicklung und Komposition» (cf. Laca 1986, 71–72). 8 Cf. Skalička ([1935b]/1979, 109) zum Tschechischen: «Die Komposita [sind] sehr selten. […] Die Einteilung der Wörter ist stabil. Hier hindern nur wenige Komposita».
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5.2 Paraphrase 5.2.1 Paraphrase als «innersprachliche Übersetzung» oder «Übersetzung in eine Metasprache» Die Paraphrase als heuristisches Instrument (cf. auch Dokulil 1964, 216–217), das der Beschreibung der mit einem einzelsprachlich gegebenen Wortbildungsprodukt bzw. der zugrunde liegenden Wortbildungsstruktur verbundenen Bedeutung dient (cf. zu Wortschatzbedeutung vs. Wortbildungsbedeutung Lüdtke 2001, 766–767), bedarf der kritischen Hinterfragung, da nicht von Synonymie des mit der Paraphrase umschriebenen Inhalts und des mit der Wortbildungsbedeutung gegebenen ausgegangen werden darf − dies allein schon deshalb nicht, weil hier unterschiedliche sprachliche Ebenen berührt werden. Durch die Paraphrase soll die durch ein Wortbildungsverfahren implizierte Wortbildungsbedeutung mit Mitteln derselben Sprache, d.h. der Primär- oder Objektsprache erfasst werden, so dass die Paraphrase als Äquivalent zur systematischen Wortbildungsbedeutung fungiert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Synonymie begründende Bedeutungsbeziehung zwischen objektsprachlicher Paraphrase oder Definition und der zu explizierenden Wortbildungsbedeutung der Objektsprache selbst, sondern vielmehr um eine Form der «innersprachlichen Übersetzung» (cf. Laca 1986, 79). Da Übersetzungen, ob zwischensprachlicher oder innersprachlicher Natur, immer nur Bezeichnungsäquivalenzen darstellen, wird der einzelsprachliche Inhalt bzw. die der Wortbildungsbedeutung zugrunde liegende spezifische Struktur nicht vollständig erfasst. Aus demselben Grund müsste die Wiedergabe der sich in einer Wortbildungsbedeutung manifestierenden Strukturen mit syntaktischen Explikaten als illegitim betrachtet werden: Die im syntaktischen Explikat analysierbaren grammatischen Funktionen brauchen nicht mit den in der Wortbildung implizierten Wortbildungsfunktionen völlig identisch zu sein.9 Ferner kann es vorkommen, dass bei potentiell mehrdeutigen Wortbildungsprodukten die als die usuelle selegierte Paraphrase andere Bedeutungen ungerechtfertigter Weise ausschließt; somit wird dem spezifischen Charakter des zugrunde liegenden Wortbildungsverfahrens, mit dem sich prinzipiell mehrere systematische Strukturen und entsprechende paraphrastische Definitionsmög-
|| 9 Erst auf der Grundlage einer Analyse aller durch ein bestimmtes inhaltliches Wortbildungsverfahren begründeten einzelsprachlichen Oppositionen und damit des durch dieses Verfahren abgedeckten Inhaltsbereichs kann die gesamte Spannbreite der möglichen Funktionen und also der syntaktischen Paraphrasiermöglichkeiten eines inhaltlichen Verfahrens potentiell erfasst werden.
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lichkeiten vereinbaren lassen, nicht adäquat Rechnung getragen: «Grundsätzlich problematisch ist […], dass man einen objektsprachlichen Status für eine Paraphrase annimmt und dass man von der syntaktischen Struktur der Paraphrase die Wortbildung ableitet» (Lüdtke 2001a, 770).10 Zunächst ist festzustellen: Wortbildungsprodukte lassen vielfach mehr als eine mittels Paraphrase bestimmbare systematische Lesart zu, ohne dass jeweils von Homonymie bezüglich des Wortbildungsverfahrens auszugehen wäre. Da sich die mit einem Wortbildungsprodukt verbindenden Bedeutungen nicht unter einer einzigen Paraphrase subsumieren lassen, darf die Bedeutung eines Wortbildungsproduktes nicht mit der – gewöhnlich als der «normalen» aufgefassten – objektsprachlichen Paraphrasiervariante gleichgesetzt werden;11 vielmehr muss die Bedeutung eines Wortbildungsproduktes so allgemein bzw. abstrakt konzipiert werden, dass sie prinzipiell alle möglichen objektsprachlichen Definitionen in sich aufnehmen kann (cf. Laca 1986, 80).12
|| 10 Cf. z.B. Fälle der Komposition wie dt. Goldwaage mit den beiden möglichen Definitionen ‘Waage für Gold’ und ‘Waage aus Gold’ oder Papierkorb, paraphrasierbar entweder als ‘Korb für Papier’ oder, analog zu Filzhut, als ‘Korb aus Papier’ bzw. als ‘Korb mit Papier’ analog zu Tintenfass. 11 Die mit dem objektsprachlichen Status der Paraphrase verbundene Problematik manifestiert sich darin, dass die Paraphrase in der Rede oder in Texten nur bedingt durch die objektsprachliche Bildung substituiert werden kann oder dann häufig nur eingeschränkte Äquivalenzbeziehungen bestehen. Mit Blick auf den syntaktischen Ansatz lässt sich dies damit begründen, dass die Paraphrase nur solche funktionellen Komponenten enthält, wie sie auf syntaktischer Ebene zum Tragen kommen, aber keine idiosynkratischen lexikalischen Züge umfasst, die die Wortbildung gerade auszeichnen können. Metasprachlicher Charakter und Nicht-Substituierbarkeit sind Korrolare. Anliegen der Paraphrase ist es aber nicht, die fixierten lexikalischen Züge eines Wortbildungsproduktes zum Ausdruck zu bringen, sondern sie zielt darauf ab, die Spezifität eines Wortbildungsprodukts im Rahmen des zugrunde liegenden Wortbildungsverfahrens bzw. dessen systematischen relationell-funktionellen Inhalte zu explizieren. So muss in einem Wörterbuch bei Ableitungen der Bezug zum Grundwort bestimmt werden, «aber die weitere Lexikalisierung, die über die Bedeutung des Grundworts hinausgeht, interessiert nur das Lexikon einer Sprache, nicht die Wortbildung» (Lüdtke 1978, 58). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der besonderen Funktion der Wortbildung im Sprachsystem grundsätzlich nur dann Genüge geleistet werden kann, wenn der prinzipiell lexikalisierte Charakter eines Wortbildungsprodukts, d.h. das Auftreten idiosynkratischer semantischer Bestimmungen zusätzlich zur abstrakten Wortbildungsbedeutung bereits bei der Anwendung eines prozesshaften Wortbildungsverfahrens erkannt wird (cf. Laca 1986, 139). 12 So weist Laca (1986, 80) darauf hin, dass «will man nicht unbeschränkte Homonymie bei jeder Wortbildungsform annehmen – die einzelsprachlich gegebene Bedeutung eines Wortbildungsproduktes nicht mit einer objektsprachlichen Paraphrase zu identifizieren ist, sondern in gewisser Hinsicht abstrakter aufgefasst werden muss, so dass sie die Gesamtmenge der potentiell mit dem betreffenden Wortbildungsprodukt vereinbaren objektsprachlichen Paraphrasen rechtfertigen kann».
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Aber auch ein anderer Blickwinkel auf das Problem ist möglich: So lässt sich die Frage nach der Existenz einer alle potentiellen Definitionsmöglichkeiten umfassenden abstrakten Grundparaphrase durch eine Sicht ersetzen, die gerade den verschiedenen semantischen Motivationen der einzelnen Paraphrasierungen Rechnung trägt. Es geht also um die Frage, welcher Bedeutungsebene die jeweils zu explizierende Bedeutung angehört: der des funktionellen Systems der Sprache, die die einzelsprachlichen Bedeutungen (signifiés) umfasst, der Ebene der Rede, für die die kontext- und situationsgebundenen Bedeutungen (effets de sens) charakteristisch sind,13 oder der der universellen Bezeichnung (cf. Lüdtke 2001a, 770). Damit kann es «keine einzig mögliche und sinnvolle metasprachliche Paraphrase eines Wortbildungsprodukts geben, sondern die Paraphrase hängt von ihrem Zweck ab, und das heißt, von der Inhaltsebene, die bei einem Wortbildungsprodukt explizit gemacht werden soll» (Lüdtke 2001a, 771). Abgesehen vom Wert der Paraphrase als heuristisches Mittel, das die Explikation der Bedeutung eines Wortbildungsproduktes erleichtert, beruht ihre Leistung insbesondere darauf, eine Bildung als synchronisch motiviertes sekundäres Lexem einer Gemeinsprache auszuweisen. Die allgemeinste Paraphrase ist die der abstrakten Wortbildungsbedeutung; die Wortbildungsbedeutungen lassen sich ihrerseits aus den Wortbildungsregeln ableiten und sind «systematisch» bzw. «systembedingt» (Lüdtke 2001a, 770–771). Die systematische Wortbildungsbedeutung ist daher die für mich relevante. Das Systematische wird, in der Terminologie nach Lüdtke (1978), über die (grammatische, d.h. funktionelle) Periphrase (die die Wortbildungsbedeutung beinhaltet) erfasst. Lüdtke definiert die Periphrase in Abgrenzung zur (lexikalischen) Paraphrase als «Interpretationsformel für die grammatisch motivierten Bedeutungen einer Wortbildung» (Lüdtke 1978, 60).14 Die als zusätzliche Bedeutungskomponenten oder Determinierungen hinzukommenden spezifischen
|| 13 Also diejenigen Bedeutungen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Diskurs auftreten und die semantischen Fixierungen, d.h. das Idiosynkratische, nicht-Funktionelle, aber Konstante (cf. Staib 1988, 52, Anm. 3 sowie Coseriu 1977, 51) auf der Ebene der Norm umfassen. 14 Eckert (1986) unterscheidet zwar ebenfalls zwischen Periphrase und Paraphrase, doch differenziert sie nicht zwischen einer metasprachlichen (grammatischen) Periphrase und einer Periphrase, die auf der Ebene der Primär- oder Objektsprache liegt und für Wortbildungslücken eintreten kann. Diese Vermischung beruht darauf, dass die Periphrase, die eine in der Norm einer Sprache nicht realisierte Wortbildung (die nach dem System möglich und bildbar wäre) suppliert, idealiter der grammatischen Periphrase (die die einem Wortbildsprodukt zugrunde liegende Wortbildungsbedeutung expliziert) formal völlig entspricht.
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Inhalte15 werden im Rahmen der Paraphrase (die somit auch die Wortbildungsbedeutung integriert) bestimmt (d.h. über die Wortschatzbedeutung). Als metasprachliches Instrument besitzt die Paraphrase gewissermaßen den Status eines Konstrukts, das zwar seine Mittel aus der Primärsprache schöpft, da diese sich zum Ausdruck der zu definierenden (Wortbildungs)Bedeutung am besten eignen, dabei allerdings offen legt, dass es sich um eine Bedeutungsexplikation im Sinne eines Beschreibungsversuchs bzw. einer Interpretation handelt. Die so verstandene Paraphrase stellt insofern ein lediglich konventionelles Mittel der Bedeutungserfassung dar, als die Beziehung zwischen der (i. A. auf der Objektsprache beruhenden) metasprachlichen Formel als Definiens und dem zugeordneten Definiendum (die spezifische Wortbildungsbedeutung) keine ambige ist: die Formel (X’) bezieht sich notwendigerweise, da konventionell, auf das, was in der Primärsprache der Bedeutung von X entspricht (cf. Laca 1986, 81). Dem Verhältnis zwischen Systematischem und Idiosynkratischem kann somit sowohl über die terminologische Differenzierung zwischen Periphrase und Paraphrase als auch über die Unterscheidung zwischen Wortbildungsbedeutung und Wortschatzbedeutung Rechnung getragen werden.16 Die grammatische Periphrase stellt eine rein relationelle Definition dar, die Paraphrase eine auch lexikalische Definition, indem sie zusätzlich zur Relationalität idiosynkratische, in der Norm fixierte Bedeutungskomponenten in sich aufnimmt. Die über die Paraphrase vermittelte Definition entspricht daher in der Regel den Paraphrasierungen, wie sie sich mehr oder weniger zutreffend in
|| 15 Abgesehen werden soll hier von dem Fall, dass sich die Bedeutung eines Wortbildungsprodukts, genauer seine Wortschatzbedeutung, völlig in der Wortbildungsbedeutung erschöpft, d.h. völlige Motiviertheit gegeben ist und nicht, wie im Gros der Fälle, nur teilweise Motiviertheit. In letzterem Fall ist ein Wortbildungsprodukt nicht in allen seinen Bedeutungsaspekten durch die Wortbildungsopposition, d.h. die semantische Differenz zwischen Grundlage und Ableitung, greifbar, sondern weitere Determinationen im Sinne von Restriktionen können in der Grundlage enthalten sein oder in Abhängigkeit von dieser mit größerer oder geringerer Regelmäßigkeit zum Wortbildungsprodukt hinzutreten. Zur Frage der Motivierung eines Wortbildungsprodukts durch den Rekurs auf außersprachlich verankerte Inhalte im Rahmen einer Bezeichnungsgruppe cf. Lüdtke (1978, 78–83; 2001, 769). 16 Innerhalb der terminologischen Differenzierung zwischen Periphrase und Paraphrase ergibt sich mit Blick auf die Erfassung der Wortschatzbedeutung über eine «Paraphrase» im Sinne einer Definitionsmöglichkeit im Prinzip dieselbe Problematik wie bei der Wortbildungsbedeutung. Allerdings zielt die Wortbildung auf die Erfassung der Wortbildungsregeln ab, während sich die Frage der Lexikalisierung (als Untersuchungsgegenstand der Lexikologie) aus der Sicht einer prozessorientierten Wortbildungstheorie (d.h. der der Analyse), die primär das Zustandekommen einer Wortbildung untersucht und nicht das Produkt (wie in der synthetischen Perspektive), im Grunde nicht stellt.
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Wörterbüchern finden. Die Beziehung zwischen Periphrase und der zu erfassenden systematischen Bedeutung, auf der ein Wortbildungsmuster beruht, ist eine eineindeutige und notwendige, die Paraphrase hingegen stellt eine variable Definition dar: «Bei der Paraphrase besteht keine notwendige und eindeutige Beziehung zwischen einem Wort und seiner Umschreibung (sie könnte auch anders lauten), bei der Periphrase dagegen gibt es gerade diese notwendige und eindeutige Beziehung, die wir in /le fait de marcher/, /le fait d’être beau/ und /le fait d’être ferme/ haben» (Lüdtke 1978, 59).
Da im Zentrum der Wortbildung die Analyse der Wortbildungsbedeutung steht, erscheint es sinnvoll − wie in späteren Arbeiten Lüdtkes und auch im Folgenden −, im Vorfeld zwischen Wortbildungsbedeutung und Wortschatzbedeutung zu unterscheiden und lediglich den Begriff der Paraphrase (dann zur Bezeichnung der grammatischen Periphrase) beizubehalten. Diskutieren lässt sich ferner, ob sich die Paraphrase nicht besser auf abstrakte Funktionen und Determinierungen im Sinne von Operatoren stützen sollte anstatt auf metasprachliche Umschreibungen, die denen der Objektsprache gleichen – ein Modell, das etwa Staib (1988) vorgelegt hat und weiter unten zur Sprache kommen soll. Die bereits angesprochene Ebene der Bezeichnung wird schließlich dort tangiert, wo die in der Wortschatzbedeutung enthaltene Determinierung der Wortbildungsbedeutung eine zusätzliche Spezifizierung erlangt, indem diese spezifischen Inhalte in einem konkreten Diskurs auf bestimmte Entitäten der außersprachlichen Realität bezogen werden, also mit diesen Inhalten ein bestimmtes Bezeichnetes verbunden wird.17 Auf dem Hintergrund einer Konzeption, die die Wortbildung ferner als Teil des relationellen Bereichs der Sprache auffasst, können an den Inhalt der (grammatischen) Periphrase – von nun an Paraphrase genannt – folgende Be-
|| 17 Die Interaktion der Ebenen des Systems und der Norm in der konkreten Sprachverwendung unter Einschluss des Bezeichneten lässt sich über den Eintrag appartenance aus Lexis veranschaulichen (cf. Lüdtke 2001a, 771): Die reine Wortbildungsbedeutung (‘fait d’appartenir’) wird hier nicht angegeben, sondern erscheint als integrierter Bestandteil der Wortschatzbedeutung in ‘fait, pour une personne, d’appartenir à un groupe politique, social, etc.’; in der fachsprachlichen Definition (Mathematik) wiedergegeben als ‘qualité d’un élément qui fait partie d’un ensemble’. In der konkreten Sprachverwendung in der Rede (in Texten) dient appartenance schließlich dazu, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozio-politischen Gruppierung zu bezeichnen: «Die Redebedeutung von appartenance ist dann bereits Teil einer Wortgruppe und kann schon nicht mehr allein paraphrasiert werden» (Lüdtke 2001a, 771). Als Teil der Wortgruppe erscheint die Redebedeutung damit als von bestimmten kontextuell relevanten Bedeutungskomponenten determiniert und als allgemeinere Bedeutung nicht mehr herauslösbar.
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dingungen gestellt werden, um die für die Wortbildung spezifische Art der Relationalität zum Ausdruck zu bringen: Sie muss notwendig das Grundwort sowie die durch das jeweilige Wortbildungsverfahren implizierten (inaktuellen oder aktuellen) grammatischen Bestimmungen, die für die Grammatikalisierung der Basis verantwortlich sind, enthalten. Dazu gehören zum einen die Art der Subordinierung, zum anderen die Bestimmung der kategoriellen Bedeutung sowohl mit Blick auf die Grundlage als auch die Ableitung. Diese Inhalte der Paraphrase entsprechen einer relationellen Definition des Wortbildungsproduktes bzw. dessen Wortbildungsbedeutung. Die relationelle Definition der lexikalischen Einheit la marche wäre demnach ‘le fait de marcher’. Eine solche Paraphrase konstituiert sich über die zum Ausdruck gebrachten grammatischen Inhalte. Wichtig ist daher, dass etwa «fait» nicht als primärsprachliches fait aufgefasst wird, sondern als ein rein funktionelles Nomen, das die Substantivierung indiziert, also entsprechend der zu artikulierenden paragrammatischen Bestimmung zu wählen ist; analog gilt für beauté als ‘le fait d’être beau’, dass «être» «Name der Sein-Prädikativität, d.h. der attributiven Prädikation, und ‘beau/belle’ Name der Einheit von beau(x) + belle(s) in der primären (oder ‘Objekt’-)Sprache, d.h. eines beau ohne Genus und Numerus» ist (Coseriu 1977, 52–53).18
5.2.2 Grammatikalisierungsformeln Der Vorteil einer Auffassung der Paraphrase (bzw. grammatischen Periphrase) im Sinne einer reinen «Interpretationsformel» (cf. Lüdtke 1978, 60) beruht darauf, dass es sich hier nicht notwendigerweise um Definitionen im Sinne syntaktischer Explikate gemäß der Objektsprache handeln muss; vielmehr integriert die Definition als «Interpretationsformel» auch eine solche metasprachliche Wiedergabe der in einer Wortbildung enthaltenden und zu bestimmenden Bedeutung, die sich lediglich auf die abstraktesten Inhalte beruft.
|| 18 Demgegenüber umfasst die Wortschatzbedeutung alle weiteren semantischen Komponenten des Wortbildungsproduktes im Vergleich zum Grundwort: So wird marche nicht einfach als ‘le fait de marcher’ wiedergegeben, sondern die relationelle Funktion der Substantivierung des zugrunde liegenden Sachverhalts lässt sich spezifizieren als action. Entsprechend wird beauté als ‘le caractère de ce qui est beau’ spezifiziert, und zu fermeté mit der zugrunde liegenden Wortbildungsbedeutung ‘le fait d’être ferme’ lautet die entsprechende Wortschatzbedeutung ‘état de ce qui est ferme’. Die jeweiligen Wörterbuchdefinitionen lassen dabei in der Regel einen gewissen Konsens hinsichtlich der Selektion des in den Paraphrasen der Wortschatzbedeutung verwendeten Begriffsinstrumentariums erkennen.
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Eine formalisierte Ausdrucksweise eröffnet die Möglichkeit, die durch ein Wortbildungsverfahren implizierten grammatischen Funktionen als rein grammatische Kategorien zu explizieren. Damit werden die der Wortbildung zugrunde liegenden Prozesse der «Grammatikalisierung» der Basis nicht nur präziser angegeben, sondern der eventuell missverständlichen Deduktion eines Wortbildungsproduktes aus einem konkreten Satz wird vorgebeugt.19 Die Verwischung von Wortbildungsebene und syntaktischer Ebene wird ausgeschlossen, da Objektsprache und Metasprache klar gegeneinander abgesetzt erscheinen, also der beschreibende bzw. rein interpretative Charakter der Formel hervortritt. Interpretation auf sprachlicher Ebene impliziert bereits ein Sprechen über Sprache und setzt damit eine Metasprache voraus. Die Interpretation selbst erfordert einen analytischen Prozess, auf dessen Grundlage die betrachtete Bedeutung eines Wortbildungsproduktes hinsichtlich ihrer grammatischen Motiviertheit zu erklären versucht wird: «z.B. kann der Inhalt von frz. appartenance ‘Zugehörigkeit’ wiedergegeben werden mit ‘appartenir + Prädikativität + Substantivität’. Praktischer, aber schon etwas irreführend ist es, diese Inhaltsmerkmale durch syntaktische Äquivalente auszudrücken, denn solche metasprachlichen Paraphrasen fallen teilweise mit objektsprachlichen Ausdrücken zusammen und werden deshalb für objektsprachlich gehalten» (Lüdtke 2001a, 771).
In einer solchen abstrakten Paraphrasierungsvariante werden verschiedene Aspekte hervorgehoben: Zum einen wird die Basis genannt, auf der die Ableitung beruht, sowie der Grammatikalisierungsprozess, den diese im Verhältnis zum Wortbildungsprodukt durchläuft: Über die impliziten Satzfunktionen, die der Grammatikalisierung zugrunde liegen, werden zum einen der syntaktische, zum anderen der kategorielle Wert des Wortbildungsproduktes präzisiert.20 Der spezifische Charakter der
|| 19 Cf. Laca (1986, 79): «In der Tat ergeben sich manche Unzulänglichkeiten der verschiedenen Ansätze zur inhaltlichen Wortbildungsforschung gerade aus einer unkritischen Anwendung der Paraphrase, die dabei als vollkommene Synonymiebeziehung stillschweigend interpretiert wird. Diese Auffassung der Paraphrase trägt eigentlich die Verantwortung für die irreführende Gleichsetzung zwischen Wortbildung und Satzbau, die hauptsächlich in der Transformationsgrammatik festzustellen ist». 20 Die angedeutete Möglichkeit der Repräsentation der einem Wortbildungsprodukt inhärenten Grammatikalisierung der Basis findet sich im Grunde bereits bei Coseriu (1977, 52–53) vorgegeben: «Die grammatischen – oder, besser gesagt, die ‘grammatikähnlichen’ – Verhältnisse innerhalb der Produkte der Wortbildung ergeben sich aus den Bedeutungsäquivalenzen zwischen diesen Produkten und den ihnen inhaltlich entsprechenden Konstruktionen, wie z.B. beauté = ‘le fait d’être beau/belle’, wobei zu beachten ist, dass derartige Formeln analytische, d.h. metasprachliche Funktion haben; […] In abstrakterer – formaler – Hinsicht bedeutet also diese Formel etwa: ‘beau(x) – belle(s) grammatikalisiert durch attributive Prädikation und mit darauffolgender Substantivierung.’» Auf diese eher formelhafte Paraphrasierung der Bedeutung eines Wortbildungsproduktes greift dann Staib zurück (cf. insbesondere Staib 1988, 13, 14).
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abstrakten Wortbildungsbedeutung kommt in dieser funktionell operablen Notation, die die Abgrenzung zur Objektsprache bzw. zum syntaktischen Äquivalent sucht, am besten zum Ausdruck; sie trägt vor allem dem Status des Wortbildungssystems als eines autonomen funktionellen Bereichs innerhalb des Sprachsystems Rechnung. Auf dieser Grundlage wurde die Situierung der Wortbildung als Paragrammatik zwischen Grammatik und Lexikon zu begründen versucht. Nachstehend einige «Grammatikalisierungsformeln» für ausgewählte Wortbildungsverfahren: Tab. 3: Beispiele für «Grammatikalisierungsformeln»
Derivat
Basis
implizite Satzfunktion
Grammatikalisierung der Basis
Prädikatnominalisierung21 mouvement
= < (se) mouvoir + prädikative Funktion
beauté
= < beau
+ prädikative Funktion
+ Substantivierung > + Substantivierung >
présidence
= < président
+ prädikative Funktion
+ Substantivierung >
Adjektivierung (subjektbezogen) abordable
= < aborder
+ prädikative Funktion
+ Adjektivierung > (passive Möglichkeit)
Attributtransposition bzw. -entwicklung (Relationsadjektivbildung) international
= < entre les nations
+ attributive Funktion
+ Adjektivierung >
Verbalisierung guillotiner
= < guillotine
+ instrumentale Funktion + Verbalisierung >
enrichir
= < riche
+ prädikative Ergänzung + Verbalisierung > zum Objekt
sauter
= < saut
+ Objektfunktion
embarquer
= < dans la barque
+ adverbiale Bestimmung + Verbalisierung > des Ortes
+ Verbalisierung >
Subjektnominalisierung (generische Komposition) travailleur
= < travailler + -eur
+ attributive Funktion22 + Subjektfunktion
+ Substantivierung/Adjektivierung >
|| 21 Der deadverbiale Typ (z.B. ubiquité mit der adverbialen Basis partout, der impliziten Satzfunktion der Prädikativität und dem kategoriellen Wert Substantivität) besitzt nur sehr marginales Vorkommen und ließe sich ferner eher mit der Suppletion in Verbindung bringen. 22 Paraphrasierbar als ‘qn qui travaille/personne travaillant’ (attributive Funktion).
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5.2.3 Äquivalente Die Bedeutung, die die Paraphrase explizieren soll, d.h. die Wortbildungsbedeutung auf der Ebene des funktionellen Systems, lässt sich in Form abstrakter satzfunktioneller Kategorien beschreiben. Die als metasprachlich identifizierte Paraphrase muss also nicht notwendigerweise mit objektsprachlichen Mitteln operieren. In der Tatsache, dass die Paraphrase allerdings mit der Objektsprache zusammenfallen kann, aber nicht notwendigerweise muss, spiegelt sich ihre interpretative Funktion. Die Möglichkeit der Paraphrasierung unter Rückgriff auf das primärsprachliche System bleibt also offen. Wird die Paraphrasierung mittels objektsprachlicher Äquivalente gesucht, kann die gewählte Paraphrase als «innersprachliche Übersetzung» betrachtet werden; der Versuch der adäquaten Explizierung der Wortbildungsbedeutung entspricht also der Suche nach einem sprachlichen Äquivalent auf der Ebene des einzelsprachlichen Systems. Daraus kann gefolgert werden: Die mit objektsprachlichen Mitteln dargestellte Wortbildungsbedeutung kann dann, wenn sie eine geeignete innersprachliche Übersetzung liefert, auf primärsprachlicher Ebene als Äquivalent für eine eventuell nicht-realisierte, aber im Rahmen des Systems potentiell mögliche Wortbildung eintreten. Wird ein solches syntaktisches Äquivalent in einem bestimmten sprachlichen Kontext auf Grund eines besonderen Bezeichnungsbedürfnisses erforderlich, kann es nur dann an die Stelle einer Wortbildung treten, wenn es mit der objektsprachlich artikulierbaren Wortbildungsbedeutung möglichst kongruiert. Dies bedeutet: Im Falle der Identität von auf primärsprachlichen Mitteln beruhender Paraphrase (der nichtexistenten, aber möglichen Wortbildung) und der als Äquivalent zur fehlenden Wortbildung fungierenden Konstruktion kann von möglichst hoher Angemessenheit des Äquivalents gesprochen werden, da dieses sich als innersprachliche – aber auf anderer Abstraktionsebene gelegene – Übersetzung mit der metasprachlichen Paraphrase deckt. Der mögliche Zusammenfall zwischen innersprachlicher Übersetzung oder Äquivalent auf Systemebene und metasprachlicher Interpretation einer Wortbildungsbedeutung ist jedoch gerade auf Grund der Gefahr der Ebenenkonfusion im Allgemeinen nicht wünschenswert; daher bietet sich die formelhafte Umschreibung der metasprachlich zu verstehenden Paraphrase als gegenüber der objektsprachlichen zusätzlich prioritär an.
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5.2.4 Paraphrasen als Reflex grundlegender Strukturen: Denominale «Nomina agentis» und inaktuelle implizite grammatische Funktion Das Problem der adäquaten Explikation der Wortbildungsbedeutung lässt sich für einen spezifischen Bereich des französischen Wortbildungssystems, die Bildung generischer Komposita,23 in exemplarischer Weise veranschaulichen.24 Die Frage der systematischen Erfassung der zugrunde liegenden inhaltlichen Wortbildungsstruktur lässt sich wie folgt lösen: «Die generischen Komposita gliedern sich inhaltlich und formal in deverbale und desubstantivische. Die Grundlage entspricht in beiden Fällen einem Attribut. Wenn ein Verb zugrunde liegt, ist das Attribut als Relativsatz darstellbar, z.B. it. lavoratore ‘x che lavora’, und kann darüber hinaus die Topikalisierung einer Satzfunktion enthalten; im Falle von lavoratore ist es die Subjektfunktion. Liegt ein Substantiv zugrunde, dann steht dieses in Relation zu einem anderen Substantiv, wobei die Relation durch einen Kasus (Latein) oder durch eine präpositionale Fügung ausgedrückt werden kann (romanische Sprachen)», z.B. it. carbonaio ‘x di carbone’» (Lüdtke 1996a, 264) – ‘der mit der Kohle’ (cf. caissier ‘der von etc. der Kasse’ bzw. infra).
Der inhaltliche Unterschied zwischen dem Typ tsch. učitel vs. cihlář, analog dt. Lehrer vs. Ziegler hängt wesentlich mit der Basis des jeweiligen generischen
|| 23 Die Termini «prolexematisch» bzw. «pronominal» bei Coseriu (1982a, 10) sollen dem spezifischen Charakter der Bedeutung des nicht lexematischen Determinatums als zweitem semantischen Element (mit eigener Bezeichnungsfunktion) der generischen Komposita Rechnung tragen, indem sie die sehr allgemeine Natur der im jeweiligen Wortbildungsmittel enthaltenen Bedeutung, die die referentielle Variationsbreite der generischen Komposita bedingt, betonen. Die Affinitäten der beiden Termini jeweils zu Lexemen einerseits, zur Funktion bzw. Verwendung von Pronomina andererseits (cf. Staib 1988, 16) sind evident; die Nähe zur lexematischen Komposition ergibt sich aus der in den generischen Suffixen enthaltenen allgemeinen lexikalischen Bedeutung, aus der sich wiederum eine nominale kategorielle Funktion bzw. die besondere (für Pronomina typische) Eigenschaft, für ein Nomen einzutreten, ergibt. Der auf dieser «Stellvertreterfunktion» gründende eigentliche lexikalische Anteil, der die «generischen» Suffixe kennzeichnet, lässt sich jedoch weder unter Bezug auf eine bestimmte Klasse von Nomina bzw. auf die zugrunde liegende gemeinsame Bedeutungskomponente − etwa [PERSON] wie bei frz. -iste in bouquiniste gegenüber dem hinsichtlich des klassematischen semantischen Kriteriums [PERSON] indifferenten Suffix frz. -ier − in adäquater Weise fassen, noch unter Rekurs auf eine noch allgemeiner verstandene «archilexematische» Größe. 24 Die einzelnen Suffixe überschneiden sich in diesem Bereich vielfach mit denjenigen zur Bildung von Relationsadjektiven durch Transposition. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass die generischen Komposita auf einer Konversion von entwickelten Adjektiven zu (generischen) Substantiven beruhen. Die denominalen generischen Komposita können daher als eigenständige Relationskomposita bezeichnet werden (cf. Lüdtke 1996a, 264).
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Kompositums zusammen: Erstere Bildung geht auf eine verbale Basis (lehren), letztere auf eine substantivische (Ziegel) zurück. Die Problematik der desubstantivischen bzw. denominalen «Nomina agentis» (DNA) wird von Laca (1986) im Rahmen der sp. -ista und -ero-Bildungen mit eingehender Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen untersucht.25 Die beiden Parameter, auf die sich die syntaktisch verpflichteten Ansätze zwecks einer inhaltlichen Analyse von denominalen Nomina agentis konzentrieren, sind die Bestimmung eines implizit angenommenen «Verbalinhaltes» sowie die Identifizierung der grammatischen Rolle der Basis (cf. Laca 1987, 163). Laca bezeichnet letzteren Parameter als die «(natürliche) Kasusdeterminiertheit» der Substantive, entsprechend der Dominanz der instrumentalen, lokalen, temporalen oder einer anderen Dimension innerhalb des von der nominalen Basis erfassten Bezeichnungsbereichs (cf. ibid., 162). Dass der inhaltliche Variationsraum der (supponierten) verbalen Komponente in der wissenschaftlichen Diskussion in der Regel zu eng gefasst werde, stellt einen der hauptsächlichen Kritikpunkte Lacas an den bisherigen Ansätzen dar. Daher gälte es nach Laca, die potentielle Polyvalenz des verbalen Elements dieses Wortbildungsmusters stärker zu berücksichtigen. Ein gewisser Widerspruch in der Darstellung Lacas (1987) lässt sich dabei aufzeigen; so nimmt diese selbst recht spezifische verbale Inhalte an trotz der Notwendigkeit, die Verbalität mittels allgemeiner Fragen, die dem Grundmuster: «Was macht man mit einem X?» folgen, zu ermitteln. Dieser Fragetyp soll in der Antwort den in der Bedeutungsparaphrase der individuellen Wortanalyse verwendeten verbalen Inhalt liefern. Wird einerseits das Argument angeführt, dass es sich hier um übereinzelsprachliche verbale Inhalte handle, die sich aus dem Bezug zu den außersprachlichen Entitäten ergeben, so scheinen Verben wie fahren, teilnehmen (an), arbeiten, empfangen/beziehen mit Bezug auf Wagen («Was macht man mit einem Wagen?» etc.), Versammlung, Büro, Rente immer noch relativ stark spezialisiert, um eine Verbindung zwischen der Basis (als Determinans) und dem nur kategoriell vorliegenden generischen Element (als Determinatum) (bzw. zwischen dem determinierenden «onomasiologischen Motiv» und der determinierten «onomasiologischen Basis» nach Dokulil) der entsprechenden sp. -ista-Bildungen (automovilista, asambleísta, oficinista, rentista) herzustellen. Aus übereinzelsprachlicher Sicht mag eine solche Interpretation über die Verankerung in den onomasiologischen Bezeichnungsfeldern vertretbar sein;
|| 25 Für meine Zwecke kann wesentlich auf Laca (1987, 151–169) zurückgegriffen werden, wo auch der relevante Forschungsüberblick skizziert wird.
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schwieriger wird sie jedoch im Rahmen einer funktionellen Analyse der zugrunde liegenden systematischen Wortbildungsbedeutung. Die DNA erweisen sich hinsichtlich einer Interpretation ihrer internen Struktur dann als problematisch, wenn das bestimmte Glied lediglich als Suffix in Erscheinung tritt wie bei frz. romancier (cf. demgegenüber Komposita des Typs dt. Romanschreiber): In diesem Typ von DNA ist das determinierende Glied des zusammengesetzten Merkmals der zugrunde liegenden onomasiologischen Struktur explizit, das determinierte («Schreiber»), aus dem sich in Fällen wie Autofahrer, Versammlungsteilnehmer, Büroangestellter Rentenempfänger (cf. demgegenüber sp. automovilista, asambleísta, oficinista, rentista) das Verb direkt ableiten ließ, nur implizit enthalten. Das Merkmal ist auch kein einfaches, nicht zusammengesetztes wie bei Förster, da eine entsprechende primäre verbale Basis nicht existiert (cf. Forst → Förster, Forst → forsten). 26 Doch auch bei einfachem bestimmendem Merkmal wie in Ziegler scheint jede Spezifizierung des implizierten Verbs über die allgemeinsten inhaltlichen Kategorien hinaus einer Überdeterminierung gleichzukommen. Bei zugrunde liegendem einfachen Merkmal ist aber bereits eine weitere Einschränkung über die interne syntagmatische Struktur der Wortbildung gegeben: Das zu ergänzende vermittelnde verbale Element steht im Allgemeinen in einer Relation der Transitivität zum Merkmal (etwa Ziegel), das die kategorielle Basis (-er) determiniert. Es bedarf aber nicht mehr als der Herstellung eines sehr abstrakten Bezugs zu dieser onomasiologischen Kategorie, wie sie über das einfache Merkmal, das die onomasiologische Motiviertheit begründet, evoziert wird. Das verbale Glied, dessen variabler Charakter auch von Laca eingefordert wird, ist daher m. E. nicht eigentlich polyvalent, sondern steuert allenfalls die grammatische Komponente [VERBALITÄT] + ggf. [TRANSITIVITÄT] etc. bei. Was an Inhalt lediglich hinzutritt, ist fassbar als ein abstrakter Bezug zwischen onomasiologischer Basis und der Begriffskategorie, wie sie im onomasiologischen Merkmal ausgedrückt wird.
|| 26 Eine Bildung wie Romanschreiber lässt sich auch analysieren in eine Komponente «einen Roman schreiben», bestehend aus einem die Handlung spezifizierenden Verb samt dessen Ergänzung, und ein unbestimmtes Determinatum -er, das denjenigen bezeichnet, ‘der einen Roman schreibt’. Die mittels des generischen Elements suffigierte Basis erscheint also als eine komplexe; dieser kann zudem adjektivischer Status zugeschrieben werden, explizierbar als ‘der romanschreibende (Mensch)’, d.h. die Funktion des (determinierenden) Attributs wird hier von einer zu einem (subjektbezogenen) Adjektiv konvertierten komplexen Basis erfüllt. Das Problem wird bei Bally anhand der Bildung «Federhalter» diskutiert (cf. Bally 41965, 103, §158). Es handelt sich hierbei um den besonderen, gerade im Romanischen produktiven Kompositionstyp der «Verb-Ergänzung-Komposita» wie bei coupe-papier (cf. Lüdtke 1996a, 268–269).
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Als für den Inhalt des verbalen Elements – sofern ein solches überhaupt supponiert werden soll – einzig ausschlaggebend erweist sich das durch die Sprache bereitgestellte, explizite einfache Merkmal. Dieses befähigt den Sprachbenutzer, die entsprechende Relation im Rahmen einer verbal ausdrückbaren Handlung oder eines Zustandes zu identifizieren bzw. zu ergänzen und in Hinblick auf weitere grammatikähnliche, semantisch-funktionelle Rollen zu spezifizieren. Auf dieser Grundlage wäre eine Bildung wie Rentner etwa darzustellen als: [Rente] ← [VERBALITÄT + BENEFAKTIV] → -(N)ER [+ MENSCH]. Eine solche Interpretation, die prinzipiell am Inhalt der Ableitungsbasis orientiert ist, trägt auch dem generischen Gehalt des Wortbildungsverfahrens, das den Träger der Handlung impliziert, Rechnung. Insgesamt erscheint die von Laca geforderte Erweiterung des inhaltlichen Variationsraums des verbalen Elements in bewusster Abgrenzung zu solchen Autoren, die über die lexikalische Analyse einer Vielzahl von denominalen generischen Komposita Listen «impliziter Verben» abzuleiten versuchen (ohne notwendige Verallgemeinerungen zu treffen), nicht in völliger Konsequenz vollzogen. Zwar wird die induktive Perspektive gewählt, die von den inhaltlichen Gemeinsamkeiten der Bezeichnungsbereiche, denen verschiedene Vertreter von DNA angehören, ausgeht, und nicht die Methode, die die potentiellen relevanten Verben aus der Metasprache der standardisierten Paraphrase abzuleiten versucht. Trotzdem scheint die Absicht, der inhaltlichen Polyvalenz der Verben mehr Gewicht zu verleihen, in dem aufgezeigten «Fragetyp», den es einzuführen gilt, nicht ganz umgesetzt. So kommt zwar der allgemeine Wert der impliziten Verbalität der DNA (vorwiegend auf -ero und -ista im Spanischen; cf. Laca 1986) in Lacas Schema der «agere-Verbalität» für Personenbezeichnungen bzw. der «esse-, habere-Verbalität» für die Gegenstandsbezeichnungen auf -ero zum Tragen; allerdings müsste dann grundsätzlich von spezifischeren Verben abgesehen werden. Die Einführung eines impliziten Verbs bei DNA erweist sich m. E. dann als unnötig, wenn an die Stelle einer zugrunde liegenden Handlung die Herstellung lediglich einer abstrakten Relation zwischen Determinatum und Determinans tritt. Lacas Versuch, die Semantik des Verbs in Abhängigkeit von der Basis zu definieren, ist durchaus sinnvoll; andererseits erscheint fraglich, ob die Semantik der Basis nicht allein schon hinreicht, um den Gesamtinhalt des einzelnen Wortbildungsprodukts des Typs DNA zu erfassen.27 Die denominalen generischen Komposita bestehen zusammenfassend aus einem generischen oder «pronominalen» Element, das durch ein Substantiv
|| 27 Auch Dokulils Theorie ließe sich in diesem Sinne auffassen; nicht genügend Erwähnung findet gerade der Umstand, dass Dokulil lediglich von «Handlung» und «Relationen» spricht, worauf Laca nur knapp hinweist (cf. Laca 1987, 155, Anm. 4).
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determiniert wird und also als Determinatum erscheint. Im Rahmen des Satzes geht eine solche Determinierung vom Attribut aus; das Substantiv übt insofern eine mit einem Adjektiv vergleichbare Funktion aus (cf. Staib 1988, 15). Die Frage des Determinationsverhältnisses tangiert die Frage der metasprachlichen Paraphrasierung mit primärsprachlichen Mitteln, d.h. auf der Ebene der Objektsprache, wobei hier die «grundlegendsten Sprachstrukturen» zum Tragen kommen sollten. Als solche grundlegenden Strukturen können etwa umgangssprachliche Umschreibungen wie dt. ‘der von/mit/an der Kasse’ für ‘Kassierer’ angesehen werden. Dies heißt nach Staib (1988, 15) mit Bezug auf die denominalen generischen Komposita, dass «die kohärenteste Beschreibung des Determinationsverhältnisses auf der Ebene des Sprachsystems darin besteht, dass man das attributive Verhältnis als zum Ausdruck bringt. Gleichzeitig bietet diese ‘Paraphrasierung’ den Vorteil, die Satzfunktionen, die durch die Glieder der Bildung übernommen werden können,28 offen zu lassen, weil die attributive Funktion die auf einer anderen sprachlichen Ebene liegenden Satzfunktionen der Basen der Ableitungen ‘subsumiert’» (siehe auch Stein 1971, 52–53.). Mit der Schwierigkeit der adäquaten Paraphrasierung stellt sich das Problem der Notwendigkeit bzw. Plausibilität, analog den deverbalen generischen Komposita ein «implizites Verb» auch für die denominalen generischen Komposita anzunehmen. Im Rahmen seines onomasiologischen Ansatzes29 erachtet Staib (1988, 178) – eine implizite Begründung für die oben vorgeschlagene Art der «Paraphrasierung» liefernd – die Annahme eines solchen Verbs nicht als Bestandteil der funktionellen Analyse: «Da […] die denominalen generischen Suffixe sowohl des Französischen wie auch des Spanischen keinerlei systematische Unterscheidung zwischen handlungsbezogener und reiner Relation machen, kann die Annahme einer Handlungsbeziehung zwischen den beiden durch die Konstituenten der generischen Komposita bezeichneten Substanzen nur idiosynkratisch und gelenkt durch die Kenntnis der bezeichneten Sachen oder Personen erfolgen und darf daher nicht in die funktionelle Analyse aufgenommen werden».
|| 28 Hier ist die Grammatikalisierung der Basis durch implizite Satzfunktionen angesprochen. Zur näheren Analyse der denominalen generischen Komposita cf. insbesondere Staib (1988, 177ss.). 29 Ein solcher Ansatz erfordert den Einbezug der innersprachlichen Bedeutung; so «muss betont werden, dass die aktuelle Bezeichnung einer Substanz der außersprachlichen Wirklichkeit eine Funktion der Bedeutung eines primären oder sekundären Wortes ist. Wird daher die Bezeichnung als Ausgangspunkt der Analyse generischer Komposita gewählt, ohne die Frage nach der dieser Bezeichnung zugrunde liegenden Funktion zu stellen, so muss die Analyse als unvollständig erscheinen» (cf. Staib 1988, 177).
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Die Nähe zur lexematischen Komposition wird deutlich, wenn man Bildungen wie frz. encrier mit einem Kompositum wie dt. Papierkorb vergleicht: Die für gewisse lexematische Komposita symptomatische Polyvalenz der zugrunde liegenden semantischen Struktur rechtfertigt sowohl mit Blick auf lexematische Komposita wie dt. Papierkorb als auch mit Bezug auf denominale generische Komposita des Typs frz. encrier, caissier die Annahme einer allgemeinen Bedeutungsstruktur, zu deren Explikation eine reine «Grammatikalisierungsformel»30 am adäquatesten erscheint, denn: «[h]insichtlich der Bedeutung sind nämlich die grammatischen Verhältnisse innerhalb der Komposita viel abstrakterer Natur; so z.B. im Fall von Papierkorb etwa: ‘Korb – ‘präpositionale’ Funktion – Papier’, d.h. ‘Korb, der etwas mit Papier zu tun hat’. Nur ein Verhältnis als solches, eine allgemeine ‘präpositionale’ Funktion, ist im Kompositum gemeint; welches das Verhältnis ist, wird aber darin nicht gesagt» (Coseriu 1977, 50–51).
Welche Interpretation mit Bezug auf das jeweils Bezeichnete im konkreten Einzelfall zu selegieren ist, entscheidet die allgemeine und spezifische, sich aus dem Kontext und der Situation ergebende Sachkenntnis. Immerhin kann bei dt. Papierkorb das Verhältnis zwischen Determinans und Determinatum nicht schon so weit bestimmt werden, dass ein telisches Grundverhältnis ‘Korb für Papier’ als mitgegebene implizite Funktion erkennbar wäre; vielmehr ist die Relation eine viel allgemeinere, so dass dt. Papierkorb auch im Sinne von ‘Korb aus Papier’, ‘Korb mit Papier’ interpretiert werden kann (auch wenn die Bildung eine Bedeutung ‘Korb für Papier’ auf Grund der Bezeichnungsmotivation nahe legt). Zwischen die Ebene der einzelsprachlichen Bedeutung und die der allgemeinen Sachkenntnis tritt dann noch eine weitere, die eventuelle Fixierungen − auf der Ebene der Sprachnorm − berücksichtigt.31 Wichtig festzuhalten in Bezug auf eine für caissier angebbare Formel des Typs ist daher, dass der präpositionale Inhalt nicht im Sinne einer Fixierung auf eine bestimmte Präposition und die durch diese ausgedrückte besondere Relation verstanden wird. Zwar ergibt sich der Inhalt einer Präposition über ihre Funktion, eine Beziehung zwischen einem Element A und einem Element B herzustellen, doch bleibt die je besondere Art || 30 Also eine abstrakte Art der Paraphrasierung im Rahmen einer metasprachlichen Definition des Typs . 31 Cf. Staib (1988, 52, Anm. 3) zur potentiellen Unterscheidung zwischen «fixierter Bezeichnung» und «Normbedeutung» als mögliche Termini zur Erfassung der sich auf der Ebene der sprachlichen Norm situierenden Inhalte, deren idiosynkratische semantische Komponenten (Fixierungen) nicht den funktionellen Bedeutungen auf Systemebene entsprechen, aber dennoch Regelhaftes enthalten.
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dieser Relation unspezifiziert. Das Phänomen, dass eine Funktion sich über die Begründung einer Relation definiert, begegnet auch bei der Interpretation der Possessivpronomina als relationelle Adjektive des Personalpronomens: die Funktion der Indikation einer Relation, die einen Possessor und ein Possessum zueinander in Bezug setzt, stellt nur eine spezifische, kontextdeterminierte, wenn auch sehr häufige Variante einer allgemeineren relationellen Invariante, die in sich unbestimmt bleibt, dar.32
5.2.5 Paraphrase und Subordinierung Um die Auffassung von Wortbildung als spezifische Art der Subordinierung zu verdeutlichen, bietet sich der Rückgriff auf die metasprachliche Umschreibung mittels der syntaktischen und lexikalischen Mittel der mit der Einzelsprache gegebenen Objektsprache an. Die Paraphrase hängt hierbei von den je spezifischen morphologischen Eigenschaften der syntaktischen Subordinierung ab. Im Französischen werden Sätze und (komplexe) Prädikate durch le fait que + Satz bzw. le fait de + Prädikat subordiniert; die zur Explikation der prädikativen Bedeutung einer Nominalisierung dienende Paraphrase entspricht daher diesen grammatischen Konstruktionen. Die Form der Paraphrase ist also an die jeweils einzelsprachlich (bzw. typologisch) determinierte Morphologie der syntaktischen Subordinierung gebunden. Wie unterschiedlich die syntaktischen Strukturen, die in den Einzelsprachen jeweils als Paraphrasen dienen, geartet sein können, zeigt bereits der Vergleich einer Paraphrase für eine denominale Prädikatnominalisierung im Französischen und Englischen, etwa im Falle von frz. présidence ‘le fait d’être président’ gegenüber engl. presidency ‘(his/her)33 being a president’.34 Neben
|| 32 Der dargestellten Interpretation kommt auch die Sicht des onomasiologischen Ansatzes nach Dokulil entgegen, der die generischen Komposita (cf. tsch. deverbal učitel ‘Lehrer’ von učit ‘lehren’; denominal vesničan ‘Dorfbewohner’ von vesnice ‘Dorf’ oder houslista ‘Geiger’ von housle ‘Geige’) unter einem Typus an onomasiologischen Kategorien behandelt, den er zunächst den «relationellen», später den «mutationellen» Typus nennt; als Mutation fasst er (in Abgrenzung zur Modifizierung) genauer «einen solchen onomatologischen Vorgang, bei dem eine Erscheinung der außersprachlichen Realität nach ihrer Beziehung zu einer anderen Erscheinung gleicher oder anderer Ordnung bezeichnet wird» (Dokulil 1968c, 235 bzw. 239 Anm. 43; cf. Dokulil 1968b, 209; Hervorhebung meine). 33 In solchen Konstruktionen, in denen der -ing-Satz bzw. das «gerund» (Gerundium) über ein eigenes Subjekt verfügt, kann das Subjekt im Genitiv stehen. Es wird als Objekt gekennzeichnet im Falle von solchen Pronomen, die über eine separate objektmarkierende Form verfügen. Bei
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dem Gerund existiert aber auch im Englischen die Möglichkeit der Umschreibung über eine dem Französischen analoge syntaktische Subordinierungsvariante: ‘the fact that he was a gentleman’.35 Das Englische verfügt hier über eine grammatische Konstruktion,36 die das Französische zum Ausdruck der Prädikatnominalisierung im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht instrumentalisiert hat. Um andererseits eine ähnliche Konstruktion wie frz. le fait de + Infinitiv zu erreichen, müsste im Englischen die analoge Konstruktion lauten the fact of his/her etc. being a president mit Bezug auf obiges Beispiel bzw. allgemeiner the fact of (s.o.’s) being/doing etc./Vb-ing, womit – auf Grund der Redundanz von the fact of – erneut die Gerundialkonstruktion erreicht wäre: (his) being a…. Das einzelsprachliche System ist also hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeiten der in ihm angelegten Verfahren und Prinzipien zum einen im Bereich der Wortbildung, zum anderen im syntaktischen Bereich gewissen Be-
|| allen anderen Köpfen von NPs wird der «common case» verwendet: (i) mit Genitiv: I object to his/Jeremy’s receiving an invitation; (ii) mit «objective case»: I objected to him/Jeremy receiving an invitation. In der Regel wird der Genitiv (v.a. im formalen Stil) bevorzugt; er wird dann verwendet, wenn das Subjekt pronominal realisiert ist oder sich die zugrunde liegende NP auf eine Person bezieht. Der Genitiv erhält auch dann den Vorzug, wenn das Subjekt am Satzanfang erscheint: My forgetting her name was embarrassing. Andererseits kommt der «common case» dort eher zum Tragen, wo das Subjekt durch eine nicht pronominale NP repräsentiert wird und diese sich nicht auf eine Person bezieht (v.a. im informellen Stil): I don’t know about the wheather being so awful in this area. Der Genitiv wird zudem eher vermieden im Falle relativ langer NPs, insbesondere wenn diese einen Gruppengenitiv enthalten: Do you remember the students and teachers protesting against the new rule? (cf. Greenbaum/Quirk 1990, 312–313). 34 Lüdtke (1978, 60, Anm. 80) schlägt als Paraphrase ‘the being a …’ vor; als Beispiel wird angeführt: «Yes, it’s true that Dumas was a Negro according to American racial codes, but his being a Negro was the least important thing about him» (R. Wright, White Man, Listen!, 73, cf. Ibid.). 35 Im genannten Beispiel wäre zu bedenken, dass sich der syntagmatische Ausdruck «(the fact that) he was a gentleman» bzw. das syntaktische Äquivalent der supponierten Prädikatnominalisierung ‘his being a gentleman’ hinsichtlich ihrer temporalen Markierung unterscheiden: Ersterer Ausdruck trägt das grammatische Merkmal [+ PAST], wohingegen sich das Gerund – als Konstruktion, die für die grammatischen Bestimmungen «Prädikativität» und «Substantivität» eintritt – hinsichtlich der Zeitstufenorientierung neutral verhält (allerdings kann das zugehörige Subjekt für die Kategorie Kasus gekennzeichnet sein). Auch eine analoge Bildung wie presidency ist mit Bezug auf die Zeitstufenorientierung neutral (cf. Staib 1988, 55–56, Anm. 7 in anderem Zusammenhang). Andererseits können die Paraphrasen insofern als neutral gegenüber den grammatischen Funktionen, wie sie im Satz durch das Verb – wenn als aktualisiert erscheinend – ausgedrückt werden (also Tempus, Modus, Person), gedacht werden, da die einer Wortbildung zugrunde liegende innerstrukturelle Bedeutung des Satzes, auf dessen Subordinierung die Wortbildung beruht, keine aktuelle, sondern eine virtuelle ist (cf. Lüdtke 1978, 55). 36 Unter der Voraussetzung, dass das Gerundium im Englischen als grammatische und nicht selbst als Kategorie der Wortbildung betrachtet wird, die ihrerseits der Paraphrasierung bedürfte.
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schränkungen unterworfen; 37 hier kommt die Ebene der Norm zum Tragen. So können die nach den Regeln des Systems potentiell realisierbaren Konstruktionen durch bestimmte Fixierungen in der Norm blockiert sein; oder es kann sich um nicht weiter begründbare Benennungs- bzw. Konstruktionslücken handeln (cf. dt. Wie lang ist das Floß? vs. frz. Quelle est la longueur du radeau ?). Dabei geht es nicht um phraseologische Wendungen, sondern um Konstruktionen wie frz. la question de savoir si, die alternative systematische Möglichkeiten wie la question si; combien + Adjektiv/Adverb in der Informationsfrage (nur – stilistisch markiert – im Exklamativsatz: On mesure ainsi combien récente, à l’Est de l’Elbe et surtout de l’Oder, est la christianisation de l’Allemagne; André Siegfried, l’Âme des peuples, 1950, V, i, 114) als sehr ungebräuchlich (im Vergleich auch zu älteren Sprachstufen) bis unmöglich ausweisen (cf. Lüdtke 1984, v.a. 129), cf. C’est une grande question s’il s’en trouve de tels esprits (Jean de La Bruyère, Les caractères, 1929, XVI, 15) mit C’est une grande question de savoir si la civilisation n’affaiblit pas chez les hommes le courage (Anatole France, Anneau d’améthyste, 1921, XIX38).
5.3 Der syntaktische Ansatz Die oben thematisierte Frage nach dem Verhältnis zwischen Wortbildung und Syntax dient auch dazu, Missinterpretationen des «syntaktischen Ansatzes» samt seiner Implikationen für die Wortbildungstheorie auszuräumen (siehe Lüdtke 2001a, 778–780).39 Die Fehldeutungen hängen eng mit der wortbildungstheoretischen Rolle der Bedeutungsparaphrase zusammen. Der Irrtum ist folgender (Lüdtke 2001a, 770):
|| 37 Siehe in diesem Zusammenhang auch das Phänomen des Gruppengenitivs, d.h. der Möglichkeit der Bildung von Sätzen wie The boy next door’s bicycle, die sich auf dem Hintergrund der Subordinierung (der eines ganzen Satzes zu einem Wort) erklären lassen – eine Konstruktion, über die das Französische nicht verfügt. 38 Beispiele nach Grevisse (2007, §1162, H1). 39 Es ist hier nicht der Ort, Sinn und Nutzen eines transformationell-generativen Ansatzes zu diskutieren. Zur ausführlichen kritischen Stellungnahme siehe insbesondere Laca (1986); als exemplarische Kritik der mit dem sog. «syntaktischen Ansatz» verbundenen Auffassung von Wortbildungssemantik versteht sich Lacas (1987) Diskussion der Probleme im Rahmen einer semantischen Beschreibung denominaler Nomina agentis. Knappe Stellungnahmen zum transformationell-generativen Ansatz finden sich in Lüdtke (1978, 50–51), Coseriu (1987, 140–141 u.a.). Siehe Lüdtke (2005, 247–248, Anm. 24), wo Lüdtke sich von einer Missinterpretation seiner Arbeit als bloße «Art von ‘syntaktischem Ansatz’» abgrenzt.
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«Die als Synonymie interpretierte Beziehung zwischen einem Wortbildungsprodukt und seiner Paraphrase40 ist verantwortlich zu machen für die irreführende Gleichsetzung von Wortbildung und Satzbau (Laca 1986, 79). […] Nur wenn ein komplexes Wort als Wortbildung paraphrasierbar ist, kann es eben zur Wortbildung gehören. Man darf nur nicht dem Trugschluss aufsitzen, das, was Ergebnis der Interpretation ist, für Einheiten derselben Sprache wie das Wortbildungsprodukt zu halten».
Die Paraphrase wird zum Stein des Anstoßes gerade deshalb, weil sie auf semantischer Ebene das Kernproblem zu lösen sucht, an dem sich das Lager der Generativisten spaltet: In der Paraphrase manifestiert sich das Spannungsverhältnis zwischen Wortbildungsbedeutung und lexikalischer Bedeutung (cf. Lüdtke 2001a, 770; 779). Einander gegenüber stehen die Vertreter der sogenannten «lexikalistischen Hypothese» (Lees 1960) und diejenigen der «transformationalistischen Hypothese» (Chomsky 1970) mit beiderseits ähnlich subtilen Differenzierungen (siehe auch Laca 2001). Das Problem ist folgendes: Wie lässt sich das Phänomen, dass das Zustandekommen von Wortbildungen einerseits über bestimmte Prozesse beschrieben werden kann, die sich als regelmäßig darstellen, andererseits die Bedeutungen eines Wortbildungsproduktes sich meist nicht mit diesen systematischen Regeln erschöpfend erfassen lassen, im Rahmen einer Wortbildungstheorie integrieren? Die «transformationalistische Hypothese» ließe sich dabei in vereinfachter Darstellung als diejenige Haltung beschreiben, die das Problem auf die Wortbildungsbedeutung zu reduzieren versucht; die «lexikalistische Hypothese» dagegen entspräche einer Reduktion auf die Wortschatzbedeutung (cf. Laca 2001). Erste Bedingung zur Lösung des Problems ist die Scheidung der verschiedenen Ebenen der Bedeutung innerhalb der Wortbildungssemantik: die Trennung zwischen Wortbildungsbedeutung einerseits und Wortschatzbedeutung andererseits, die es beide wiederum in eine Sprachtheorie bzw. Theorie der
|| 40 Gegen diese Interpretation spricht schon die Grundkonzeption der Wortbildungstheorie, wie sie hier zugrunde gelegt wird: «Die grammatischen – oder, besser gesagt, die ‘grammatikähnlichen’ – Verhältnisse innerhalb der Produkte der Wortbildung ergeben sich aus den Bedeutungsäquivalenzen zwischen diesen Produkten und den ihnen inhaltlich entsprechenden Konstruktionen, wie z.B. beauté = ‘le fait d’être beau/belle’ […] Die Relationen zwischen den jeweiligen Grundlagen der Wortbildung und ihren Produkten ergeben sich aus dem inhaltlichen Vergleich zwischen diesen Grundlagen und den Äquivalenzen der Wortbildungsprodukte; so enthält beauté gegenüber beau(x) – belle(s) die weiteren Bestimmungen ‘Prädikativität’ und ‘Substantivität’. Die Wortbildungsprodukte sind also nie in der Bedeutung ihren Grundlagen äquivalent und können deshalb auch nicht durch ‘b e d e u t u n g s erhaltende’ Transformationen erzeugt werden: Die Wortbildungsprodukte enthalten immer m e h r als ihre jeweiligen lexikalischen Grundlagen» (Coseriu 1977, 52–53; Hervorhebung kursiv B.K.).
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Grammatik einzubetten gilt. Hier genügt es nicht, die Wortbildung als Teil der Grammatik anzusehen, sondern es muss berücksichtigt werden, dass in der Wortbildung den grammatischen Funktionen analoge, aber nicht mit diesen identische Bedeutungen zum Tragen kommen. Die Gesamtbedeutung einer Wortbildung lässt sich erst dann angemessen beschreiben, wenn die Wortbildung weder absolut der Grammatik, noch dem Wortschatz subsumiert wird, sondern ihr eine Position zwischen beiden Teilbereichen der Sprache zugeordnet wird: «Da die Verfahren der Wortbildung neue Einheiten des Lexikons ergeben, reicht ein Hinweis auf ihr Verhältnis zur Grammatik nicht aus, um die Stellung der Wortbildung in der Sprache annähernd zu bestimmen. […] Wortbildungen, deren Beziehungen zur Grundlage idiosynkratisch und nicht durch das Sprachsystem bedingt sind, lassen sich nur in der Lexikologie adäquat erfassen. […] Die Unterscheidung zwischen Wortbildung und Wortschatz einer Sprache entspricht teilweise der Unterscheidung von System und Norm» (Lüdtke 1978, 12).
5.3.1 Die «positiv-kritische Umdeutung» nach Lüdtke (1978) Der sogenannte «syntaktische» Ansatz hat seine Vorläufer in Charles Bally (41965) sowie namentlich Hans Marchand (21969) und liegt in seinen Grundprämissen auch der theoretischen Wortbildungslehre Jens Lüdtkes (siehe insbesondere Lüdtke 1978) zugrunde. Der syntaktische Ansatz schuf die Voraussetzungen dafür, dass einige wichtige theoretische Probleme in der Wortbildung neu durchdacht wurden. In der kritischen Auseinandersetzung durch Lüdtke erfuhr der Ansatz hinsichtlich verschiedener Aspekte eine fruchtbare Uminterpretation. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Interpretation sollen im Folgenden dargestellt werden.41 Ausgangspunkt des als «syntaktisch» bezeichneten Ansatzes bildet die Annahme der prinzipiellen Möglichkeit, jedes Wortbildungsprodukt inhaltlich (und formal) in eine zweigliedrige Struktur mit Determinatum und Determinans zu zerlegen. In dieser Tradition stehen namentlich zwei Richtungen, wobei die eine eher inhaltlich, die andere eher morphologisch orientiert ist. || 41 Mein Anliegen ist es nicht, den syntaktischen Ansatz in der Wortbildung ausführlich zu diskutieren, sondern die funktionellen Zusammenhänge zu erfassen, die die typologische Analyse des Wortbildungssystems zu erhellen geeignet sind. Welche Methode oder welcher Ansatz letzen Endes präferiert wird, hängt einzig von der jeweiligen Leistungsfähigkeit in Hinblick auf dieses Ziel ab. Laca (1986, 69) ihrerseits spricht in Hinblick auf Dokulil von einer «radikalen Kritik am syntaktischen Ansatz».
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Der stärker inhaltlich fundierte Ansatz untersucht die innerhalb des als binär aufgefassten Syntagmas bestehenden Relationen; eine solche Herangehensweise findet sich bereits in de Saussures (1916, 170–175) Analyse syntagmatischer Relationen, die sich ihrerseits in Ballys Theorie des Satzes sowie mit verschiedenen Weiterentwicklungen in seinem Ansatz zu einer Wortbildungstheorie (41965, 102–104) fortsetzt. Bei Marchand führt dieselbe Prämisse einer grundlegenden Determinatum-Determinans-Struktur42 zu einer eigenen Wortbildungslehre, die insbesondere auf das Englische (1969) Anwendung findet. Die syntagmatische Analyse der komplexen Wortstruktur steht in unmittelbarer Verbindung zur syntagmatischen Satzanalyse in der Tradition des europäischen Strukturalismus. Die zweite, primär morphologisch begründete Traditionslinie (mit teilweiser inhaltlicher Fragestellung) führt auf den amerikanischen Strukturalismus zurück (cf. Bloomfield 1935), genauer die hier entworfene Konzeption der morphologischen Analyse des Satzes in unmittelbare Konstituenten, in Analogie zu welcher die morphologische Analyse des Wortes gesehen wird. Die Reflexion dieser beiden Traditionslinien führt in der Wortbildungslehre Lüdtkes (cf. insbesondere 2001a, 765–781; 2005 zu den theoretischen Grundlagen) zu folgenden wesentlichen Modifikationen: Der Begriff der Opposition erhält in dieser Theorie eine zentrale Rolle (cf. Lüdtke 2001a, 766–767), da sie der für die gesamte Wortbildungstheorie zentralen Frage nach der semantischen Differenz von Grundlage und Wortbildungsprodukt zugrunde liegt. Auf dieser Opposition beruht wiederum der Gedanke der binären Struktur eines Wortbildungssyntagmas; «[i]nsofern ist der Begriff der Opposition für die Wortbildungslehre fundamentaler als der Begriff des Syntagmas» (Lüdtke 2001a, 796). Das Erkennen der Opposition (bzw. allgemeiner die Existenz eines Paradigmas) setzt eine syntagmatische Struktur voraus; doch erst die Opposition der sekundären Struktur mit der «Grundform» kann funktionell werden. Daher sind für die Wortbildungslehre die (sekundären) (oppositiven) paradigmatischen Strukturen entscheidend (cf. Coseriu 1968c). Eine weitere zentrale Hinterfragung der bisherigen Annahmen beruht auf der besonderen Analyse sogenannter «Rückableitungen» – ein Terminus, wie er insbesondere in der diachronischen Sprachwissenschaft Verwendung findet (cf. Lüdtke 1978, 124–125).43
|| 42 Von einer solchen Struktur geht grundlegend auch Dokulils Wortbildungsthorie (1964), wie sie sich hauptsächlich in Dokulil (1968b) niedergelegt findet, aus. 43 Im Gegensatz zu Gauger (1971a; 1971b), dessen Theorie auf dem Konzept der Durchsichtigkeit (Motiviertheit) aufbaut, halte ich es nicht in allen Fällen für gewährleistet, dass ein jeder
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Hier wird unter bekannter Argumentation die Annahme eines Nullmorphems zugrunde gelegt,44 die für eine plausible typologische Interpretation nicht durchweg begründbar oder überhaupt notwendig erscheint (siehe daher Kap. 5.4.3–5.4.4). Die Analyse, die die Existenz eines Nullsuffixes behauptet, «steht in engstem Zusammenhang mit dem syntaktischen Ansatz in der Wortbildungslehre» (Lüdtke 2001a, 769). So geht auch Lüdtke (1978) im Rahmen seiner Theorie der prädikativen Nominalisierungen (bzw. Prädikatnominalisierungen) im Falle von crier → (le) cri, soutenir → (le) soutien, marcher → (la) marche, garder → (la) garde etc. (cf. insbesondere Lüdtke 1978, 27–28) von maskulinen bzw. femininen Nullableitungen aus. Die inhaltliche Parallelität zur Suffixableitung lässt sich über die Paraphrase aufweisen: la marche-Ø ‘le fait de marcher’ entspricht le mouve-ment ‘le fait de se mouvoir’. Lüdtke (2001, 769) weist jedoch darauf hin, dass «die alternative Erfassung dieses Problems durch den Begriff der Konversion immer noch nicht ernst genug genommen» werde. Letztere Interpretation, die sich insbesondere in Dokulil (1968c, 215–239) vorgezeichnet findet, setzt voraus, dass die Konversion – in Abhängigkeit vom Wortbildungsverfahren – als ein eigenes wortbildendes und nicht als ein rein grammatisches Verfahren anerkannt wird:45
|| Sprecher intuitiv darüber zu entscheiden in der Lage ist, welches der beiden Elemente einer solchen Rückableitung als Basis und welches als das abgeleitete Wort zu betrachten ist. Die Annahme einer introspektiv unmittelbar gegebenen Überprüfbarkeit sowie die Postulation der eindeutigen Differenzierbarkeit erscheinen mir zumindest nicht unkritisch übernehmbar. 44 So bereits bei Bally (41965, 103), der in (la) marche ein implizites Syntagma erkennt, das auf Grund der formal-inhaltlichen Analogie zu einem expliziten Syntagma mit Suffigierung wie mouvement die Annahme eines Nullsuffixes begründbar macht. 45 Siehe Lüdtke (1978, 37): «Die Konversion (‘dérivation impropre’) ist eines der wichtigsten Verfahren zur Bildung von Substantiven, das mit den prädikativen Nominalisierungen konkurriert»; vergleiche differenzierter Lüdtke (1996a, 252): «Die Konversion […] ist an vielen Wortbildungsprozessen beteiligt. In manchen Fällen ist es ein eigenes Wortbildungsverfahren». In seinem umfassendsten Werk zur romanischen Wortbildung (2005), das die wichtige Rolle der Transposition und Konversion für diese Sprachfamilie klar zur Geltung bringt (cf. ibid., 43–46; 113ss.), präzisiert Lüdtke letztere Aussage dahingehend, dass die Konversion als Wortkategorienwechsel dann den einzelnen Verfahrenstypen der Transposition oder Entwicklung zu subsumieren sei, wenn sie durch Suffixe ausgedrückt wird und also mit einem spezifischen Wortbildungsverfahren einhergeht (sie ist im Rahmen einer Wortbildungslehre an entsprechender Stelle abzuhandeln). Wird der Wortkategorienwechsel allerdings durch Wechsel der Flexionsmorpheme oder den Wechsel der Wortkategorie allein ausgedrückt, ist er «als ein eigenes Wortbildungsverfahren» (2005, 118) zu behandeln. Die Aussage bezüglich der Dominanz des Verfahrens verweist auf sich zum Teil nur graduell manifestierende, zum Teil zu stärkeren Divergenzen hinsichtlich des Baus der romanischen Sprachen führende Unterschiede, wobei die Norm im Französischen höhere (typologische) Prinzipien am stärksten unter den
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«Die Konversion als Wortbildungsverfahren besteht darin, dass ein Wort aus einer Wortkategorie zu einer anderen übergeht. Dieser Vorgang kann mit einem Wechsel der grammatischen Morpheme verbunden sein. Das Wort, das man üblicherweise mit seiner Infinitivform marcher zitiert, wechselt beim Übergang zu la marche von der Verbalmorphologie zur Morphologie des Substantivs mit den entsprechenden Unterschieden der syntaktischen Verwendung».
Gerade die Konversion steht im Mittelpunkt der typologischen Interpretation des wortbildenden Systems des Französischen. So betrachte ich die Konversion als ein eigenes wortbildendes Verfahren, wobei sich die Begründung vornehmlich auf zwei Argumente stützen kann: Erstens die Beobachtung, dass ein und dieselben inhaltlichen Verfahren über verschiedene materielle Mittel bzw. Verfahren ausgedrückt werden können; diese Eigenschaft sprachlicher Strukturen ist für den relationellen Bereich der Grammatik konstitutiv. So können Modifizierung und Komposition ähnliche Funktionen erfüllen (cf. belles-lettres, château-fort gegenüber maisonnette, cf. Lüdtke 1978, 8), genauer gesagt, die Komposition kann Funktionen der Modifizierung in sich aufnehmen. Als weiteres Argument kann die Opposition zwischen Prädikatnominalisierung (lire → (la) lecture) und Subjektnominalisierung (chercher → (le) chercheur) herangezogen werden (cf. Laca 1986). Die Prädikatnominalisierung kann als das im Verhältnis zur Subjektnominalisierung merkmallose Verfahren betrachtet werden; daher erscheint auch die formal unmarkierte Konversion als das eigentlich adäquate materielle Verfahren und nicht die Suffixderivation:46 Während
|| romanischen Sprachen zu unterlaufen scheint: «Die Häufigkeit der Konversion und ihre Typen liegen in den Einzelsprachen relativ fest. Das Spanische bildet Konversionen am leichtesten, das Katalanische schon weit seltener und am wenigsten das Französische» (Lüdtke 1987, 37). Relevant ist diesbezüglich noch, dass «bei den Adverbien und den übrigen Wortklassen [zur Substantivierung des Infinitivs bzw. des Adjektivs siehe Lüdtke 1978, 37–38 bzw. 162–199, B.K.] […] die Nominalisierung durch Konversion das geläufigste Verfahren [ist], es wird aber meist nur in Fachsprachen, etwa der Wissenschaft oder der Philosophie angewandt» (cf. Lüdtke 1978, 38 sowie ibid., Anm. 50 zu weiterführender Literatur). 46 Cf. Laca (1986, 211): «Nominalisierungen eines Satzinhaltes über das Subjekt setzen einen Topikalisierungsprozess und somit einen pronominalen Bezug voraus, der bei Nominalisierungen eines Satzinhaltes über das Prädikat keine Entsprechung findet. Dass die Prädikatsbezogenheit das merkmallose, die Subjektbezogenheit das merkmalhafte Glied der Opposition darstellt, kann dadurch nachgewiesen werden, dass typischerweise prädikatsnominalisierende Suffixe gegebenenfalls eine Subjektbezogenheit ausdrücken können (cf. la concurrencia: ‘los que concurren’ […]), dass der umgekehrte Fall jedoch nie vorkommt». Allerdings treten beispielsweise bei den Prädikatnominalisierungen Konversionen (z.B. le réveil ‘das Aufwachen’) relativ häufig auf, was bei den topikalisierten Nominalisierungen (mit pronominalem Bezug, normalerweise realisiert über das prolexematische Suffix) weniger frequent ist (cf. z.B. le réveil
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bei der Prädikatnominalisierung die Prädikatfunktion des Verbs (als dasjenige Element, das die übrigen syntaktischen Relationen regiert und den Satzinhalt zentral bestimmt) der Nominalisierung allein zugrunde liegt, geht bei den anderen Nominalisierungstypen (Nomina agentis, Nomina instrumenti etc.) die Nominalisierung einher mit einer Topikalisierung (Kap. 5.3.2) der jeweils für das Verfahren charakteristischen Satzfunktion. Aus der Sicht der auf funktioneller Ebene bestehenden grundlegenden Opposition der beiden Verfahrenstypen, die aus der fakultativen versus obligatorischen Topikalisierung hervorgeht (cf. dt. lehren mit die Lehre und der Lehrer; frz. marcher – la marche, le marcheur etc.),47 kann hier in kohärenter Weise eine Opposition zwischen materiell-inhaltlichen Verfahren angenommen werden: Die Topikalisierung als die markierte Funktion einer impliziten paragrammatischen Satzfunktion erscheint auf materieller Ebene in Form der Suffigierung, wohingegen die unmarkierte Funktion der reinen Prädikatnominalisierung keiner materiellen Realisation bedarf. Allerdings existieren einerseits auch Suffixe zur Nominalisierung des Prädikats ohne Eintritt einer Topikalisierung, andererseits können die Konversionen wie die Suffixableitungen gleichermaßen sekundäre Bedeutungstypen (Topikalisierungen) im Bereich der implizit grammatikalisierten Satzfunktionen ausbilden. Eine solche Grundhaltung ermöglicht es aber, von der Notwendigkeit der Annahme eines Nullmorphems abzusehen, wodurch einerseits eine Überinterpretation der sprachlichen Fakten vermieden, andererseits die Notwendigkeit umgangen werden kann, auf Grund Kohärenz wahrender Erwägungen im Rahmen der Theorie eine Kumulation von Nullmorphemen voraussetzen zu müssen (cf. Weidenbusch 1993, 63–64). Ein weiterer Impuls wird von Lüdtke hinsichtlich einiger schwer entscheidbarer Fälle aus dem Bereich der Wortbildung gegeben (cf. Lüdtke 2001a, 769),
|| ‘der Wecker’). (Zur Interpretation des angrenzenden Wortbildungstyps coupe-papier, siehe Staib 1988, 61–62 bzw. Coseriu 1977). Zum Französischen existiert eine (mir nicht zugängliche) Studie, die generische Komposita des Typs ouvreur mit entsprechenden Komposita des Typs ouvre-boîtes vergleicht (cf. Huttenlocher 1966). Die beiden Bildungstypen lassen jedoch lediglich eine Qualifizierung als quasi-äquivalent zu, da sie sich jeweils durch Nuancierungen verschiedenster Art voneinander abheben (siehe insbesondere Coseriu 1977, 59). Staib (1988, 62) bezeichnet die Bildungen des Typs tire-bouchon als «Sekundärkomposita» bzw. «attributive generische Komposita». 47 Die sekundären Bedeutungstypen, wie sie sich im Bereich der Prädikatnominalisierung gegeneinander abgrenzen lassen, sollten auch aus der Sicht der Subjektnominalisierung, d.h. bei dem Versuch einer funktionellen Kontrastierung beider Verfahrenstypen (cf. Laca 1986), nicht vernachlässigt werden.
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die eine alternative Deutung einer komplexen Wortstruktur (bzw. Satzstruktur) im Rahmen der Konstituentenstrukturanalyse, die (wie jedes Wortbildungssyntagma bzw. die syntagmatische Analyse) auf dem Prinzip der binären Gliederung (der Gegenüberstellung von Determinatum und Determinans bzw. diesen entsprechenden «unmittelbaren Konstituenten») beruht, entweder als Komposita oder Ableitungen nahe legen. Es geht also um das Problem der Identifikation der unmittelbaren Konstituenten eines Satzes oder eines Wortes. Um ein Beispiel zu nennen: Bei einer komplexen Bildung wie sp. sietemesino ‘siebenmonatig’ kann eine Analyse als Komposition in siete + mesino, also eine Gruppe aus Numerale (oder auch Adjektiv) + Substantiv, erfolgen, oder aber die Interpretation kann dem Muster folgen, das eine komplexe (als Attribut fungierende) Basis, bestehend aus [siete meses], in Kombination mit einem Element -ino voraussetzt (cf. Lüdtke 2002b, bzw. 1996a, 258–260; cf. auch Lüdtke 1995, 149). Auf semantischer Ebene sieht sich erstere Analyse mit dem Problem konfrontiert, dass siete als Zahlwort das Element mesino bestimmen soll, was nicht plausibel scheint. Die morphologische Methode gemäß dem amerikanischen Strukturalismus erweist sich hier, sofern sie im Dienst einer Explikation der zugrunde liegenden semantischen Struktur bzw. der individuellen Determinationsverhältnisse zwischen den Morphemen sekundärer Wörter unterschiedlicher Komplexität steht, durchaus als hilfreich. Es sollte daher kein Gegensatz zwischen syntagmatischer Analyse und Konstituentenstrukturanalyse aufgebaut werden. Genauso wie die syntagmatische Struktur die Voraussetzung für die Offenlegung der paradigmatischen Relationen und damit eigentlich funktionellen Oppositionen bildet (cf. Kap. 2.1.7), sollten Konstituentenstruktur und inhaltliche Analyse nicht voneinander getrennt werden. Die Feststellung (cf. Lüdtke 2001a, 770), dass die syntagmatische Analyse mit dem Ziel der Offenlegung der funktionellen Oppositionen und das formalmorphologische Verfahren der Zerlegung komplexer Wörter (auf einfache ist sie nicht anwendbar) in unmittelbare Konstituenten (Immediate Constituent Analysis) sich im Grunde komplementär zueinander verhalten (cf. Marchand 21969, 18), kann in gewisser Hinsicht als Grundlage für die «positiv-kritischen Umdeutungen» der Wortbildungslehre Lüdtkes angesehen werden (cf. 1978, 11, Anm. 18). Diese darin vertretene modeste Haltung hat den Nachteil, dass die eigentliche Leistung der Neubestimmung der hier nur summarisch skizzierten theoretischen Vorgaben nicht genügend in den Vordergrund tritt. Die eigentliche Leistung der modifizierten Deutung des syntaktischen Ansatzes geht jedoch über diese Einzelaspekte hinaus und spiegelt sich erst in der Anwendung der theoretischen Konzeption wider.
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Ein Beispiel liegt mit Laca (1986) vor. Die Autorin würdigt hier den syntaktischen Ansatz in der funktionalen Umdeutung durch Lüdtke, wie er im Rahmen der Prädikatnominalisierung entfaltet wurde: «die Arbeit von LÜDTKE (1978) […] [hat] überzeugend nachgewiesen, dass aus der Sicht einer inhaltlichen Wortbildungslehre sich einige Wortbildungsverfahren als die wortbildende Ausprägung einer syntaktischen Funktion erweisen, indem der unterscheidende Zug, der aus der Gegenüberstellung zwischen Primär- und Sekundärlexem hervorgeht und dementsprechend als der Inhalt des dieses Sekundärlexem[s; sic] ‘erzeugenden’ Verfahrens anzusehen ist, sich auf eine Funktion im Satze reduzieren lässt. Daher steht einer Betrachtung dieser Wortbildungsprodukte – von LÜDTKE unter dem Terminus ‘Nominalisierung’ behandelt – als Subordinierung eines Satzinhaltes zu einem Wort nichts im Wege» (Laca 1986, 76).
Die Kerngedanken des syntaktischen Ansatzes beruhen auf dem Begriff der Wortbildungsbedeutung, die vom einzelsprachlichen System abhängt, deren zugehörigen Normbedeutungen, die Lexikalisierungen und Idiomatisierungen bzw. Fixierungen in der Norm repräsentieren, und auf den in Abhängigkeit von der Kenntnis der Sachen stehenden Redebedeutungen bzw. Redebedeutungstypen (kontextuellen Varianten) (siehe Lüdtke 2001a, 771), wobei die Coseriu’sche Unterscheidung der sprachlichen Ebenen System und Norm bzw. Rede zum Tragen kommt. Die Besonderheit dieses Ansatzes lässt sich wie folgt skizzieren: «Man kann hier von einer funktionalen Umdeutung des syntaktischen Ansatzes sprechen, insofern als ausgehend vom Prinzip der Einheitlichkeit der Bedeutung und der Begründbarkeit der Varianten der Ansatz von den oft mit ihm zusammenhängenden Verwechslungen zwischen systematischer und normierter Bedeutung eines Wortbildungsproduktes bzw. zwischen einzelsprachlich gegebener Wortbildungsbedeutung und durch die Kenntnis der Sachen gesteuerter Interpretation entlastet wird» (Laca 1986, 76).
Mit Blick auf den syntaktischen Ansatz wird dabei nicht ausgesagt, «dass alle Wortbildungsprodukte als reduzierte Sätze zu betrachten seien, sondern festgestellt, dass sich einige Wortbildungsprodukte auf Grund ihrer inhaltlichen Struktur [sich; sic] am besten und am systematischsten als subordinierte Satzinhalte beschreiben lassen» (Laca 1986, 77). Es kann auch vorkommen, dass sich eine metasprachliche Bedeutungsparaphrase, die als adäquat angesehen wird, gegebenenfalls aus einem aktuellen Satz nicht herleiten lässt; dies kann wie folgt begründet werden: «Da die Wortschatzeinheiten sowohl durch Wortbildungsverfahren als auch durch diejenigen Zeichenkombinationen entstanden sind, die den Regeln der Syntax entsprechen, fallen die motivierten Wortschatzeinheiten nicht mit den durch Wortbildungsverfahren zustandegekommenen Wörtern zusammen» (Lüdtke 2001a, 765).
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So wird etwa bei frz. ENrichir, das aus der Konversion einer präpositionalen Fügung als Grundlage hervorgeht, die Präposition en nicht motiviert, wird als Paraphrase ‘rendre qn riche’ (z.B. Jean se rend riche → Jean s’ENrichit) gewählt. Ähnlich wird bei sp. Aclarar (z.B. Juan pone algo EN claro → Juan Aclara (*ENclara) algo) im Grunde nicht die Präposition A, sondern EN motiviert (was auf die Situation im Lateinischen (AD CLARUM) zurückgeht). Für die Bedeutungsparaphrase (Kap. 5.2) ist das Attribut und entsprechend der attributive Nebensatz oder Relativsatz als metasprachliches Äquivalent besonders geeignet.48 Die Möglichkeit der Paraphrasierung mittels des Relativsatzes lässt erkennen, dass ein bestimmtes Wortbildungsverfahren bzw. die daraus hervorgegangenen Wortbildungsprodukte sich auf eine bestimmte Form der Subordinierung zurückführen lassen.49 Ein Beispiel: Bei nach dem Typ der Verb-Ergänzung-Komposita gebildeten lexikalischen Einheiten wie un oiseau digère fer50 wäre eine inadäquate metasprachliche Paraphrase ‘l’oiseau digère le fer’; diese müsste vielmehr relativisch, d.h. als Attribut ausgedrückt werden: «l’oiseau QUI digère le/du fer» (Lüdtke 2002b). Der bezeichneten Einheit «Vogel» wird eine Eigenschaft in Form eines Attributs zugewiesen; diese Relation muss sich in der Paraphrase (über die komplexe Wortgruppenstruktur) reflektieren (an die Stelle des attributiven Nebensatzes könnte daher auch das Präsenspartizip treten: «l’oiseau digérant le fer» ‘der eisenverdauende Vogel’). Nur so kann dem Wortcharakter der Bildung und damit der Subordinierung Rechnung getragen werden, wohingegen die verworfene Paraphrasierungsvariante zu der transformationalistischen Annahme verleitet, die Wortbildung oiseau digère fer sei aus einem Satz abgeleitet. Schon allein das Wortbildungsverfahren, aus der
|| 48 Laca (1986, 195) zieht als Kriterium der Abgrenzung des Gegenstandes der Subjektnominalisierung das den untersuchten adjektivischen und substantivischen Ableitungen gemeinsame Moment heran, «dass ihre semantische Struktur einem aktiven Relativsatz mit Relativpronomen als Subjekt analog ist». 49 So beinhalten laut Laca (1986, 203) subjektbezogene sekundäre Substantive und Adjektive des Spanischen «in entscheidender Weise die Subordinierung eines Satzinhaltes zu einem Wort […], wie u.a. aus deren Paraphrasierbarkeit mit Relativsätzen zu schließen ist». 50 Hier liegt eine syntaktische, adjektivische (attributive) Konstruktion vor, in der bei Interpretation nach thematischen Relationen das Agens (hier belebt: oiseau) der Handlung (digérer) explizit erscheint (ebenso das Element, auf das sich die Handlung bezieht oder das Patiens: hier fer). Bleibt das Agens auf sprachlicher Ebene unausgedrückt, d.h. bei Vorliegen einer Ellipse, wird dieses Element impliziert und über die Kenntnis der Sachwelt erschlossen. In diesem Falle handelt es sich um eine Konversion zu einem Substantiv (cf. tire-bouchon; cf. mögliches *[un] digère-fer). Auch aus der Sicht dieses Beschreibungsmodells haben wir es mit Wortbildungsprozessen auf abstrakter Ebene zu tun, nicht auf der der konkreten Sätze oder Ausdrücke.
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die Bildung hervorgegangen ist, die Lexem-Komposition, impliziert, dass hier eben nicht eine Art «Verdichtung eines Satzes zu einem Wort» vorliegt; lediglich in letzterem Fall wäre die Paraphrase ‘l’oiseau digère le fer’ angemessen.51 Gerade bei der Analyse und Interpretation von Komposita, wo der transformationell-generative Ansatz vielfach Anwendung findet, spielt die metasprachliche Paraphrase eine wichtige Rolle. Allerdings scheint die Komposition noch in keiner Wortbildungstheorie zum Französischen erschöpfend und in Übereinstimmung mit der Interpretation aller übrigen für die Sprache typischen Wortbildungsprozesse dargestellt worden zu sein. Insbesondere die Frage der Abgrenzung von eigentlichen Komposita zu usuell gewordenen syntaktischen Fügungen bedarf weiterer Reflexion: Hier wird häufig das Vorliegen von Komposita angenommen, die diesen Status eigentlich nicht verdienen, was darauf zurückzuführen ist, dass – ausgehend von dem Kriterium der Einheitlichkeit der Bedeutung – die Lexikalisierung als Indiz für das Vorliegen eines Wortbildungsprodukts (Kompositum) herangezogen wird. Hier soll stattdessen die umgekehrte Perspektive eingenommen werden, die nicht von der bereits gebildeten Wortschöpfung ihren Ausgang nimmt, sondern den Fokus auf den Prozess der Bildung eines Wortes legt. Die Auffassung von Wortbildung als Verfahren legt nämlich eine Perspektive der Synthese im Gegensatz zur Analyse nahe, wobei davon ausgegangen wird, «dass die Wortbildungsprozesse von der Grundlage zur Wortbildung hin gerichtet sind» (Lüdtke 2001a, 766) (cf. station + service → station-service, fille + -ette → fillette, manger + -able → mangeable, bleu + Substantivierung → le bleu). Damit eine gegebene Wortbildung wie Wagenstandsanzeiger52 nicht interpretiert wird, als sei sie unmittelbar aus einem aktuellen Satz wie ‘er zeigt den Stand des Wagens an’ (Lüdtke 1978, 11) abgeleitet, genauso wenig wie ein generisches Kompositum wie coureur so zu interpretieren ist, als sei die Bildung aus einem Satz «il court» direkt hervorgegangen, muss auf die übersprungene Sub-
|| 51 Diese Methode gehört vielmehr dem generativen Ansatz der 60er Jahre (z.B. Lees) des 20. Jahrhunderts an. Auch in der Wortbildungstheorie Marchands (21969) werden im Prinzip Wortbildungen auf der Grundlage von Sätzen erklärt, d.h. Sätze zu Wörtern transformiert. Laca (1986, 1987) rechnet beide dem «syntaktischen Ansatz» in der Wortbildung zu. 52 Dabei ist in Wagenstandsanzeiger das generische Element, wenn mit dem Personalpronomen er wiedergegeben, zu eng gefasst; daher müsste die Paraphrase eher lauten: ‘was den Stand des Wagens anzeigt’. Wie das generische Element inhaltlich zu füllen ist, ergibt sich aus unserer Kenntnis der Sachwelt oder außersprachlichen Wirklichkeit allgemein. So ist auch die Wortbildungsbedeutung von travailleur (Adjektiv oder Substantiv) wiederzugeben als ‘(celui) qui travaille’ und nicht als ‘il travaille’. Es scheint also, als können in der Paraphrase Subordinationsstufen (hier die der Klausel) nicht problemlos übergangen werden.
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ordinationsstufe zurückgegriffen werden, hier die der Klausel, die m. E. die adäquate syntaktische Grundlage liefert, die zugleich als Paraphrase fungieren kann: ‘celui qui court’. Das Problem der Systematik der Paraphrase in ihrer allgemeinsten Form, die den für einen bestimmten Wortbildungstyp geeigneten Paraphrasentyp im Französischen liefert und in der sich die Regelmäßigkeit der Wortbildungsbedeutung reflektiert, stellt sich analog bei den Verfahren Transposition und Modifizierung. Für die Prädikatnominalisierung als zentralem Typ der Entwicklung kann grundsätzlich auf den Paraphrasetyp le fait de + Prädikat bzw. le fait que + Satz zurückgegriffen werden (cf. Lüdtke 1978, 60).53 Im Falle der Modifizierung fungiert die Ebene der Wortgruppe offensichtlich als unmittelbare Schicht der Subordinierung (cf. den «Modifikationstypus» nach Dokulil 1968b, 209). Ein Determinationsverhältnis kommt dadurch zustande, dass das lexikalische Element der Grundlage im Verhältnis zur Ableitung in seiner Bedeutung eingeschränkt, abgeändert oder allgemein in einer bestimmten Weise modifiziert wird. Die im Verfahrenstyp der Modifizierung enthaltene Bedeutung erscheint auf der Ebene der Wortgruppe als eine syntaktische Verbindung mit einem Element, das das entsprechende, im Verhältnis zur Bedeutung des Grundwortes hinzutretende Merkmal enthält, häufig realisiert durch ein Attribut (Adjektiv) oder eine Umstandsbestimmung. Laca (1986, 203) folgert aus der Erkenntnis, dass die subjektbezogenen sekundären Adjektive und Substantive des Spanischen (cf. frz. travailleur ‘Arbeiter’ und ‘arbeitsam’) auf einer Subordinierung eines Satzinhaltes zu einem Wort beruhen, dass demnach auch die oppositiven Kategorien, die den semantischen Bereich der Subjektbezogenheit abgrenzen, in denjenigen Wortbildungsverfahren zu suchen sind, bei denen sich die Nominalisierung nicht auf das Subjekt, sondern auf andere Satzteile bezieht, und die ebenfalls auf die Subordinierung eines Satzinhaltes zu einem Wort zurückgehen. Daraus ergibt sich die Opposition zwischen den traditionell als Nomina agentis bezeichneten Wortbildungsprodukten einerseits und den Nomina actionis, Nomina instrumenti, Nomina loci bzw. den Topikalisierungen des Objekts andererseits. || 53 In Lüdtke (1984) wird zusätzlich die interne Hierarchie zwischen den einzelsprachlich bedingten Möglichkeiten der Subordinierung mit Bezug auf das Französische expliziert. Die präpositionale Fügung bestehend aus le fait (Interpretator) + Präposition de + Verb im Infinitiv erscheint dabei als die präferierte Paraphrasierungsmöglichkeit für die Prädikatnominalisierung. Für die sekundären Bedeutungstypen bieten sich Konstruktionen mit einem relativen oder adverbialen Nebensatz an. Es bestätigt sich, dass der unmittelbare Weg vom Satz zum Wort problematisch ist; die Klausel als Zwischenstufe kann nicht ohne weiteres übersprungen werden.
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5.3.2 Topikalisierung Die Beobachtung, dass die Einzelsprachen hinsichtlich der Art und vor allen Dingen des Umfangs, in dem sie von der Topik bzw. dem (oder den) Verfahren der Topikalisierung im Bereich der Wortbildung Gebrauch machen, sichtlich divergieren, ist von typologischer Tragweite. Die umfangreiche Materialsammlung in Lüdtke (1978) belegt für den romanischen Kontext das starke Vorkommen der sekundären Topikalisierungen innerhalb der Entwicklungen. Im Gegensatz dazu stehen etwa das germanische Deutsche und Englische, die dieses Maß an sekundären Bedeutungsentwicklungen nicht erreichen. Dieser Unterschied kann nur vor dem Hintergrund des gesamten Wortbildungssystems der jeweiligen Sprache erklärt werden: So werden im Englischen oder Deutschen an Stelle von Topikalisierungsprozessen Verfahren angewandt, die – wie etwa die Komposition – im Französischen und den anderen romanischen Sprachen weniger entwickelt sind. Eine Begründung der relativ schwach entwickelten Kompositionsverfahren im Romanischen einerseits, der hohen Produktivität der Ableitungen im Vergleich etwa zu den germanischen Sprachen andererseits, die sich auf die starke Entfaltung der Topikalisierungsprozesse stützt, wurde, wie es scheint, in der Diskussion um die Produktivität von Komposition und Derivation vor allem im Französischen bislang nicht berücksichtigt (cf. Lüdtke 1978, 58). Eine geeignete Theorie zur Erfassung der inhaltlichen Oppositionen etwa zwischen dem Komplex der subjektbezogenen Ableitungen einerseits, der prädikatbezogenen u.a. Ableitungen andererseits liefert der Ansatz nach Lüdtke (1978).54 Dabei kann von der Nominalisierung als einer Subordinierung eines Satzinhaltes zu einem Wort ausgegangen werden (Lüdtke 1978, 7–8). Der Zusammenhang zwischen Wortbildungsverfahren und Satzstruktur lässt sich wie folgt explizieren: «Die Tatsache nämlich, dass die semantische Struktur bestimmter abgeleiteter Substantive die innerstrukturelle Bedeutung eines Satzes in sich einzuschließen scheint, erlaubt eine diesen Substantiven zugrunde liegende Satzstruktur zu postulieren. Aus dieser zugrunde liegenden Satzstruktur ergeben sich die paragrammatischen Bestimmungen, durch die die Bedeutung des sekundären Substantivs aus der Bedeutung der Basis gewonnen wird» (Laca 1986, 205).
|| 54 Cf. Laca (1986, 204): «Die wohl differenzierteste und weitreichendste Ausarbeitung dieser Erkenntnis [dass sich die verschiedenen Inhaltsbereiche der Wortbildung untereinander abgrenzen, B.K.] findet man aber u.E. in LÜDTKEs Theorie der Nominalisierung (1978) […] Aus der Arbeit von LÜDTKE geht in aller Deutlichkeit hervor, dass die Inhaltsbereiche, die die Subjektbezogenheit in der Wortbildung abgrenzen, die Prädikatsbezogenheit, die Objektbezogenheit und die Instrument-/Ortsbezogenheit sind».
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Die so über die Technik der Subordinierung in die Wortbildung integrierte Syntax muss zwangsläufig die Wortbildungsprodukte durch Eigenschaften ausweisen, die sich in aus syntaktischer Subordinierung hervorgegangenen Elementen wiederfinden. Es lässt sich aufzeigen, dass man bei der syntaktischen Subordinierung dort substantivische subordinierte Sätze (Subjekt- bzw. Objektsätze) erhält, wo in der paragrammatischen Subordinierung die Prädikatnominalisierung vorherrscht, cf.: a. Subjektsatz – Que Jean arrivât le matin me surprit. – L’arrivée matinale de Jean me surprit. b. Objektsatz – Jean attend que Pierre retourne. – Jean attend le retour de Pierre. Die mittels der Konjunktion, genauer des Morphems der Subordinierung55 que subordinierten Sätze entsprechen auf paragrammatischer Ebene der Nominalisierung des Prädikats. Dagegen korrelieren mit Hilfe eines Relativpronomens subordinierte Sätze, d.h. Sätze in der Funktion eines Attributs zum Nomen, auf Wortbildungsebene mit der eine Topikalisierung einschließenden Nominalisierung. Diese Parallelität zeigt sich namentlich bei der generischen Komposition. a. Topikalisierung des Subjekts: – Ceux qui avaient visité le château s’en sont allés. – Les visiteurs du château s’en sont allés. – Il n’y avait aucun qui dormait. – Il n’y avait aucun dormeur. b. Topikalisierung des Objekts: – Je ne connais pas ce qu’il a peint/écrit. – Je ne connais pas ses peintures/écrits.56
|| 55 Zur Subordinierung eines Satzes oder einer Klausel mit Satzstruktur sind prinzipiell zwei grammatische Elemente notwendig: eines, das die Subordinierung an sich indiziert, d.h. die Funktion einer Satzstruktur mit konjugiertem Verb als Glied einer Satzeinheit, sowie ein weiteres, das die Funktion der subordinierten Satzstruktur im übergeordneten Satz kenntlich macht. Im Französischen wird die Subordinierung eines Satzsyntagmas mit que markiert, so dass bei Subordinierung einer im Satz nicht selbständig gekennzeichneten syntagmatischen Funktion (Subjekt oder Objekt) que allein ausreicht (z.B. frz. on dit que… gegenüber pour qu’il finisse etc.) (siehe ausführlich Coseriu 1987, 161ss.). 56 Bei écrits liegt Konversion vor.
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Damit lässt sich annehmen, dass bei der Prädikatnominalisierung der Funktion des jeweiligen Suffixes die der Konjunktion que entspricht, wobei que innerhalb des subordinierten Satzes keine eigene grammatische Funktion zukommt, wohingegen bei der topikalisierten Nominalisierung die Funktion des Suffixes (generischer Natur bei den primär topikalisierten Nominalisierungen,57 nicht bei sekundären wie écrits) der eines Relativpronomens (mit Indefinitpronomen als Antezedens) gleichkommt, das innerhalb des subordinierten Satzes eine bestimmte Satzkonstituente hervorhebt. Die hiermit verbundene Frage, wie auf wortbildungstheoretischer Ebene das Phänomen zu fassen sei, wonach dieselbe Basis als Ausgangspunkt für verschiedene Wortbildungsbedeutungen fungieren kann, entspricht dem Problem der strukturellen Ambivalenz in der postulierten zugrunde liegenden Satzstruktur (cf. Marchand 21969, 33–38). Zur Erklärung der semantischen Unterschiede in Bildungen wie le donateur ‘der Spender’, le don ‘die Spende; die Schenkung’, la donation ‘die Schenkung’, le donataire ‘der Spendeempfänger’, die zunächst mit dem Verb donner in einem Satz wie quelqu’un donnne quelque chose à quelqu’un in Verbindung gebracht werden können, kann eben auf die Ausprägungen der Topikalisierung rekurriert werden (siehe Lüdtke 1978, 56–58), die bei Marchand (21969, 33ss.) als «types of reference» (im Rahmen deverbaler Nominalisierungen) erscheinen. Wenn allerdings von der prinzipiell bestehenden Möglichkeit der Ermittlung des Zentrums einer Topikalisierung durch die Formulierung entsprechender Fragen Gebrauch gemacht werden soll, darf dies nicht über den Rekurs auf eine sprachwissenschaftliche Vorabklassifikation topikalisierbarer sprachlicher
|| 57 Cf. Laca (1986, 209): «Die obligatorische Hervorhebung jedes beliebigen Satzteiles als Topic bringt mit sich die Erscheinung eines pronominalisierten Elements in der Inhaltsstruktur des Wortbildungsproduktes, das eine grammatische Verbindung mit der Bedeutung des Basislexems eingeht, die wiederum über die jeweilige Bezogenheit des Wortbildungsproduktes (Subjektbezogenheit, Objektbezogenheit usw.) entscheidet. Dies geht eindeutig aus der Verwandtschaft von topikalisierten Nominalisierungen mit Relativsätzen hervor, darüber hinaus aus der Tatsache, dass das Suffix bei topikalisierten Nominalisierungen ein Determinatum vertritt, das in unmittelbare Beziehung zu einem Satzglied der zugrunde liegenden Satzstruktur gesetzt werden kann. Topikalisierte Nominalisierungen setzen, indem sie eben über das Prädikat hinaus einen weiteren Satzteil mit einschließen, die Existenz einer prolexematischen Einheit voraus und müssen somit zur prolexematischen Komposition gerechnet werden». Die Affinität zwischen topikalisierten Nominalisierungen und Relativsätzen stellt einen wesentlichen Faktor dar, der die wortkategoriale Ambivalenz der Suffixe, die zur Bildung topikalisierter Nominalisierungen dienen und stets Adjektive wie Substantive bilden können, im Vergleich zu den prinzipiell nominale Bildungen hervorbringenden Suffixen der Prädikatnominalisierung in den romanischen Sprachen bedingt (cf. Laca 1986, 210–211).
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Elemente geschehen, wie dies bei Marchand (21969, 33 unter Anlehnung an Anna Hatcher 1956a, 1956b) der Fall ist: Die Fragen nach Subjekt, Objekt, Prädikat sind solche nach bestimmten grammatischen Funktionen des Satzes, d.h. die «Referenztypen» beziehen sich hier auf metasprachlich definierte Kategorien; demgegenüber stehen diejenigen Referenztypen, die sich unter den drei Ebenen des Sprachlichen nach Coseriu (also Sprache im Allgemeinen, Sprache als historische Einzelsprache, Sprache als Rede oder Diskurs, denen als Inhaltstypen jeweils Bezeichnung, Bedeutung und Sinn (eines Textes) entsprechen58) auf derjenigen der Bezeichnung situieren und Bezeichnungsgruppen konstituieren. Man erhält hier keine einheitlich mit Was? eingeleiteten Fragen (What does the subject do? What happens to the object? What is the activity? What about the adverbial complement?; cf. Marchand 21969, 33), sondern das Fragepronomen indiziert den Typ des intendierten außersprachlichen Referenzbezugs: «In der Primärsprache fragt man nicht nach den sprachlichen Funktionen wie in der Metasprache, sondern nach dem Urheber einer Tätigkeit, dem Träger einer Eigenschaft ([…] z.B. frz. qui, qu’est-ce qui), nach dem Ergebnis, dem Gegenstand einer Handlung ([…] z.B. frz. qu’est-ce que), nach der Zeit (quand) usw.» (Lüdtke 1978, 57).
Tatsächlich könnten die von Marchand und Hatcher gestellten Fragen auch missverstanden werden: «What does the subject do?» kann als Frage nach der Handlung des Subjekts, aber nicht nach dem Subjekt per se aufgefasst werden; so auch bei der Frage: «Was widerfährt dem Objekt?» − Wonach hier gefragt wird, entspricht in gewisser Hinsicht stets der «Grundfrage» «Was wird getan?», also der nach der Handlung, worin sich die zentrale Rolle des Verbs im Satz widerspiegelt. Wonach aber eigentlich gefragt werden soll, kommt erst über die Intonation (bzw. im Schriftbild durch Hervorhebung) zum Tragen. Fragen wie «What does the subject do?», «What happens to the object?» ermitteln somit keine eigentliche Satzfunktion, sondern beziehen sich vielmehr auf das Verb, erst recht bei «What is the activity?». Impliziert wird ein Bezug zwischen der Handlung und deren Träger bzw. dem Gegenstand oder dem Ergebnis der Handlung etc., ohne diese jedoch tatsächlich in den Vordergrund zu stellen. Deren Topikalisierung gelingt erst über die primärsprachliche Strukturierung auf der Grundlage des Systems entsprechender zur Verfügung stehender Fragepronomina. Die auf der Topikalisierung einer je anderen Satzfunktion beruhenden Bildungen entsprechen dann der Antwort auf einen Fragesatz des Typs «Qui donne (qc à qn)?» (Frage nach dem Subjekt: donateur), «Qu’est-ce qui est donné (à qn)?» || 58 Siehe Coseriu (31994, 63; 1988, 250ss.); vergleiche auch Lüdtke (2002a, Typoskript).
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(Frage nach dem direkten Objekt: don), «à qui est donné (qc)?» (Frage nach dem indirekten Objekt: donataire) (ebenso bei der Frage nach einer Orts- bzw. Zeitangabe, erfragbar mit einem Orts- bzw. Zeitadverb) (cf. Laca 1986, 206 bzw. 254, Anm. 2). Für das Prädikat selbst existiert jedoch kein entsprechendes Pronomen wie bei der Erfragung der anderen unmittelbaren Satzteile. Dass sich das Verb auf diese Weise nicht erfragen lässt, kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Satzfunktionen nicht, wie durch die genannten Fragen suggeriert, auf einer Stufe liegen, sondern dass das Verb eine allgemeinere Funktion einnimmt: «Ein Satz, der keine Form der Hervorhebung enthält, ist nicht topikalisiert. Ein solcher Satz ist die systematische Grundlage einer prädikativen Bedeutung einer Nominalisierung» (Lüdtke 1978, 57). Da das Prädikat also mit keiner Topikalisierung einhergeht, stellt «Topikalisierung des Prädikats» eine inkonsistente Formulierung dar (cf. Lüdtke 1978, 56–58): Gerade diese Eigenschaft des Prädikats befähigt die Prädikatnominalisierung, sich mit der Topikalisierung aller anderer Satzfunktionen dadurch zu verbinden, dass eine bestimmte Ableitung sekundäre Bedeutungstypen entwickelt. Die oben aufgeworfene Frage, wie es zu erklären sei, dass von ein und derselben Grundlage abgeleitete Wörter sowie ein und dieselbe Ableitung Unterschiede der semantischen Interpretation der jeweiligen Nominalisierung aufweisen können, kann nunmehr gelöst werden: Hier bedingt die jeweilige Topikalisierung eines unmittelbaren Satzteiles den Typ der primären Nominalisierung einerseits, die Entwicklung einer bestimmten (nichtprädikativen) sekundären Bedeutung innerhalb einer Prädikatnominalisierung andererseits: «So stellt die Ableitung von prädikativen Grundwörtern aus einfach eine Entwicklung dar, die sekundär bei einer weiteren Bedeutungsentwicklung mit der Topikalisierung verbunden werden kann» (Lüdtke 1978, 57). Den diversen primären Nominalisierungstypen als eigene Wortbildungsverfahren entspricht damit innerhalb der Prädikatnominalisierung die Entwicklung sekundärer (nichtprädikativer) Bedeutungstypen. So stehen den Nomina agentis als deverbaler Subjektnominalisierungen die Topikalisierung des Subjekts innerhalb einer einzelnen Prädikatnominalisierung gegenüber, den Nomina obiecti, loci, temporis, instrumenti die Topikalisierungen des Objekts, des Orts, der Zeit, des Mittels. Das Fehlen einer Topikalisierung bei den Prädikatnominalisierungen weist diese hinsichtlich ihres Status unter den anderen Entwicklungen als primär aus: «Die prädikativen Nominalisierungen sind ein Sonderfall in der Entwicklung, weil sie nicht wie andere Entwicklungen auf eine Topikalisierung zurückgehen. Dieser Umstand soll als Beleg dafür gewertet werden, dass die prädikativen Nominalisierungen in der Hierarchie [sic] der Entwicklungen an der obersten Stelle stehen. Weil bei ihnen die meisten
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Bedeutungsmöglichkeiten auch sekundär realisiert werden, die sonst nur primär realisiert werden, muss eine Erklärung des Teilsystems der prädikativen Nominalisierungen grundsätzlich eine Erklärung der primären nicht-prädikativen Topikalisierungen enthalten» (Lüdtke 1978, 58).
Die Frage, ob die prädikative Bedeutung immer dann entwickelt sein muss, wenn andere Bedeutungen, die aus einer Topikalisierung hervorgehen, auftreten, kann verneint werden; so umfassen etwa die deverbalen Ableitungen auf -ure mehrere Verfahren (neben der prädikativen Bedeutung kommt auch die des resultativen Objekts oder des resultativen Ortes vor), wobei die prädikative Bedeutung nicht notwendigerweise entwickelt sein muss (cf. Lüdtke 1978, 147). Das Problem stellt sich nur beim Verhältnis zwischen Prädikatnominalisierung und sekundären Bedeutungstypen, d.h. auf vertikaler Ebene innerhalb ein und desselben Verfahrenstyps, da z.B. auf horizontaler Ebene die Subjektnominalisierungen etc. einen eigenen semantischen Bereich gestalten, der wiederum zur Abgrenzung der Prädikatnominalisierung und anderen Nominalisierungstypen dient. Die mit einer bestimmten Wortbildungsbedeutung mitgegebene Art der Topikalisierung korreliert hier auf materieller Ebene mit einem entsprechenden Wortbildungsmittel (Suffix), während bei der Entwicklung sekundärer Bedeutungstypen eher von Polysemie des Wortbildungsverfahrens die Rede sein kann (cf. Laca 1986). Denn die sekundären Bedeutungstypen sind regelmäßige im Sinne von tatsächlich funktionellen Invarianten; sie sind damit nicht zu verstehen als bloße regelmäßige Lexikalisierungen oder Konstanten der Realisierung (cf. Laca 1986, 129–132), die die Norm eines Verfahrens bedingen und insofern (auf der Grundlage von Analogie) zur Abgrenzung bzw. Konstitution bestimmter Bezeichnungsgruppen führen können (cf. Laca 1986, 599–600). Im Prozess der Topikalisierung wird also jeweils ein anderes unmittelbares Satzglied der zugrunde liegenden gemeinsamen Satzstruktur hervorgehoben oder topikalisiert (etwa das Subjekt in der primären Topikalisierung travailleur (Nomen agentis), die Prädikation in der Prädikatnominalisierung le travail (Konversion), sekundär das Objekt59 in développement als sekundärer Bedeu-
|| 59 Lüdtke (1978, 16, siehe insbesondere 67) weist darauf hin, dass die Entwicklung mit Topikalisierung des indirekten Objekts im Bereich der Prädikatnominalisierung (also als sekundäre Bedeutungsentwicklung) nicht vertreten ist, sondern über das Verfahren der generischen Komposition primär realisiert wird, wenn auch in nur marginalem Umfang wie bei frz. -taire, z.B. abandonnataire, destinataire, donataire, légataire, mandataire (‘celui à qui est abandonné, destiné, donné, légué, mandaté qc’). Es scheint also, als seien Bedeutungen wie ‘le fait de donner qc à qn’ bzw. ‘le fait que qc est/soit donné à qn’ und ‘celui à qui est donné qc’, cf. dt. das Beschenken/Beschenktwerden vs. der Beschenkte, nicht über ein und dasselbe Wortbildungsverfahren ausdrückbar.
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tung der Prädikatnominalisierung), wobei diesem innerhalb des Wortbildungssyntagmas die Rolle des Determinatums zukommt.
5.3.3 Semantische Rollen oder grammatische Satzfunktionen als wortbildende Kategorien Die Frage taucht auf, weshalb in der Paragrammatik syntaktische Kategorien, wie sie in der Grundlage einer Ableitung enthalten sein können, aufrechterhalten werden sollen, wenn andererseits teilweise auch mit eigentlich satzsemantischen Funktionen wie «Agens», «Instrument», «Lokativ» operiert wird. So spricht selbst Coseriu (1977, 59) bei prolexematischen Komposita wie frz. couverture von «Entwicklungen mit Topikalisierung des Agens» (hier nicht des Instruments – der Zusammenfall beider semantischer Kategorien wird in Laca 1986 ausgiebig diskutiert). Auch die Position Dokulils, die sich aus folgenden Feststellungen erhellt, verpflichtet gewissermaßen, dieses Verhältnis zu problematisieren:60 «Das Subjekt und das Prädikat sind nicht inhaltlich (semantisch), sondern grammatisch (funktionell) definierte (Haupt)Satzglieder. Dasselbe gilt für die sog. abhängigen Satzglieder, das Attribut, das Objekt, das Prädikatnomen, die Adverbialbestimmung. Die Satzglieder haben keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den (gedanklichen) Inhalten, sie bezeichnen diese nicht direkt, sondern sie drücken Beziehungen im Satz, syntaktische Funktionen aus (und erst mittels dieser weisen sie auf allgemeine Kategorien des Inhalts hin)» (Dokulil 1964, 218).
Diese Auffassung widerspricht nicht der erläuterten Konzeption der funktionellen Grammatik; ganz im Gegenteil sind die sog. Satzfunktionen wie Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbiale usw. ihrer Natur nach syntagmatische Relationen, da sie untereinander keine Oppositionen auf Satzebene etablieren, sondern
|| Sehr rudimentär entwickelt ist im Französischen ebenfalls der Bildungstyp prädikativer Komposita, wie er etwa im Deutschen und Englischen mit Menschsein oder population growth vorliegt. Hier kann von einer im System des Französischen kaum ausgeschöpften Möglichkeit ausgegangen werden, die den Prinzipien des Typus aber durchaus entspräche, da das Französische auch sonst über Komposita verfügt (cf. Lüdtke 1978, 16). 60 Cf. Štekauer (1998), der den onomasiologischen Ansatz nach Dokulil mit der angelsächsischen Tradition zu verknüpfen sucht. Štekauer deutet den onomasiologischen Ansatz nach Dokulil unter Einfluss Horeckýs onomasiologischer Theorie des sprachlichen Zeichens im Sinne der Tradition nach Marchand und unter Anwendung auf das Englische neu (cf. Horecký 1983; Horecký/Buzássyová/Bosák et al. 1989).
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funktionelle Einheiten, d.h. Satztypen begründen. «Es ist daher unzulässig, diese Funktionen inhaltlich definieren zu wollen; man kann sie nur relationell definieren: Subjekt ist etwas in Bezug auf das, was nicht Subjekt ist» (Coseriu 3 1994, 227). Eine Kategorie wie das Subjekt repräsentiert daher eine einzelsprachlich gegebene grammatische Funktion, und keine universell-logische mit außersprachlicher Verankerung (cf. Coseriu 31994, 59): «Funktionen wie z.B. Subjekt, Instrumental, Plural, die […] Funktionen des Sprechens im Allgemeinen in einer Einzelsprache ausdrücken können, gehören zur historischen Ebene und damit nicht in den Bereich der Bezeichnung, sondern in denjenigen der Bedeutung. Es ist oft nicht leicht einzusehen, dass es sich bei einer Funktion dieser Art um eine einzelsprachliche und nicht etwa um eine allgemein ‘logische’, d.h. außersprachliche handelt. So ist z.B. die Funktion Subjekt in den indoeuropäischen, aber auch in vielen ganz andersartigen Sprachen so allgemein verbreitet, dass man leicht den Eindruck gewinnen kann, es handle sich dabei um eine allgemeine Denkkategorie bzw. eine Funktion des Sprechens im Allgemeinen. Unter diesem Eindruck werden dann Sprachen, die die Funktion Subjekt im eigentlichen Sinn nicht kennen, falsch interpretiert».61
Andererseits legt Dokulil den Verfahren der Wortbildung rein onomasiologische Kategorien zugrunde (Dokulil 1964, 218): «Die Komponenten des durch die Wortbildung motivierten Wortes weisen nicht auf grammatische, syntaktische Funktionen hin, sondern auf solche inhaltlichen Kategorien
|| 61 So liegt etwa mit dem Awarischen, einer ostkaukasischen Sprache mit entwickelter Ergativkonstruktion, eine solche Sprache vor, für welche die Existenz einer Opposition SubjektPrädikat nach traditionellem (europäischen) Verständnis offensichtlich nicht postuliert werden kann (cf. Bechert 1971, 134–177 bzw. 1998, 103–138), sondern in der, wie auch im Japanischen (cf. Kishitani 1983), eine andere, wenn eventuell auch annähernd «vergleichbare» Differenzierung gilt. In Bechert ([1971]/1998) wird die Rolle von Subjekt und Prädikat im Awarischen direkt mit entsprechenden Funktionen gemäß der lateinischen Grammatik verglichen mit dem Schluss, dass «in der finiten Verbalform des altidg. Sprachtypus eine Verschmelzung von Subjekts- und Prädikatszeichen statt[findet]», während sich im Awarischen «die beiden wichtigsten Teile des einfachen Satzes leichter voneinander trennen lassen. […] bemerkenswert ist, dass das Grundgerüst des Satzes im Awarischen, wie in den idg. Sprachen, zweiteilig ist und aus je einem nominalen und verbalen Satzteil besteht […]» (Bechert [1971]/1998, 112). Insgesamt gelangt Bechert (ibid., 132) auf dieser Grundlage zu folgendem Ergebnis: «Es hat sich gezeigt, dass Subjekt und direktes Objekt nicht in dem Sinn zu den sprachlichen Universalien gerechnet werden können, dass es keine Sprache geben könnte, in der sie fehlten». Dies bedeutet, dass die Kategorie Subjekt (Prädikat) im herkömmlichen Sinne für das Awarische nicht aufrechterhalten werden kann. Diese Feststellung wird von Kishitani (1983, 306) mit Bezug auf das Japanische bestätigt: «Erst im Vergleich mit einer nicht indogermanischen Sprache stellt man fest, […] dass sowohl die grammatische Person wie auch die Subjekt-Prädikat-Struktur des Satzes keineswegs zu den sprachlichen Universalien gehört».
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wie z.B. die Kategorie des Trägers einer Eigenschaft, die Kategorie des Trägers einer Handlung, des Werkzeuges einer Handlung usw.».
Auch die verschiedenen Topikalisierungsmöglichkeiten werden nicht über metasprachliche Fragen (des Typs What does the subject do? etc.) identifiziert (Kap. 5.3.2), sondern über primärsprachliche, deren Gegenstand nicht die Sprache selbst, sondern das Bezeichnete bildet. Die Metasprache fragt nach sprachlichen Funktionen wie Subjekt, Objekt, Prädikat und Umstandsbestimmungen, die Primärsprache nach dem Urheber einer Tätigkeit, dem Träger einer Eigenschaft, dem Ergebnis, dem Gegenstand einer Handlung, nach der Zeit usw. (cf. frz. Qui…?, Qu’est-ce qui…? Qu’est-ce que…? Quand? etc.) (cf. Lüdtke 1978, 57). Die primärsprachlichen Fragen entsprechen den einzelnen spezifischen Topikalisierungsmöglichkeiten, denn eine Topikalisierung ist nur dann sinnvoll und möglich, wenn sich auch die entsprechende Frage in sinnvoller Weise stellen lässt.62 Diese Fragen scheinen insofern denselben Status wie die Wortbildungsprodukte einzunehmen, als sie einen Bezug auf das Bezeichnete direkt etablieren und damit im Grunde dieselbe Funktion beinhalten wie das Wortbildungsprodukt, das als Antwort dient. Allerdings erhebt sich im unmittelbaren Anschluss daran die Frage, wie dennoch das Verhältnis zwischen diesen Fragen, die den Urheber einer Tätigkeit etc. ermitteln sollen und damit auf die satzsemantischen Kategorien (bzw. Kasusrollen, Tiefenkasus63) Agens, Instrument etc. verweisen,
|| 62 Das Spektrum der im Verhältnis zur primären Wortbildungsbedeutung möglichen sekundären Bedeutungen einer einzelnen Wortbildung korreliert mit den in sinnvoller Weise stellbaren Topikalisierungsfragen, so dass entsprechende Möglichkeiten eine entsprechende Anzahl an sekundären Bedeutungen bedingen. Daneben hängen die Bedeutungen von der Konkurrenz einer möglichen Bedeutungsentwicklung mit deren Ausdruck durch andere Bildungen bzw. der Erfassung des zu Bezeichnenden durch andere Lexeme ab; cf. folgendes Beispiel: qui contrôle? → contrôle ‘ceux qui contrôlent’ gegenüber contrôleur ‘celui qui contrôle’, où contrôle-t-il? → contrôle ‘bureau où on fait un contrôle’, jedoch nicht qu’est-ce qu’il contrôle → contrôle, da der kontrollierte Gegenstand im Allgemeinen durch ein spezifischeres Lexem ausgedrückt wird wie z.B. compte, billet, texte etc. (cf. Lüdtke 1978, 57). 63 Diese entsprechen im Grunde den einheitlichen außersprachlichen Relationen, wie sie durch Agens, Instrument, Vielheit etc. gefasst und in den verschiedenen Sprachen je anderes realisiert werden (cf. Coseriu 31994, 59). In der Coseriu’schen Sprachtheorie betreffen diese auf einheitliche außersprachliche Kategorien zurückgeführten Inhalte die Funktionen des Sprechens im Allgemeinen. Die jeweilige Realisierung als Instrumental, Plural oder andere einzelsprachliche Mittel bzw. über die rein kontextuelle Determination kann also bei Einheitlichkeit des Bezeichneten divergieren. Dieselben Relationen können mit gewissen Einschränkungen für die thematischen Rollen oder Theta-Rollen der neueren Version der generativen Grammatik, der Rektions- und Bindungstheorie, angenommen werden.
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und den syntaktischen Kategorien Subjekt, Objekt etc. näher zu bestimmen sei. Denn frz. Oui? Qu’est-ce qui? kennzeichnen in ihrer einzelsprachlichen morphologischen Idiosynkrasie die Frage als eine nach dem Subjekt, Qu’est-ce que?, Qui est-ce que? als eine nach dem Objekt etc.64 Dies kann mit Bezug auf die Einzelsprache als Indiz dafür gewertet werden, dass die Analyse der Begriffskategorien nicht direkt erfolgt, sondern vermittelt über syntaktische Kategorien.65 Genau diese Haltung, die Wortbildungsinhalte unmittelbar aus der Sicht der onomasiologischen Kategorien interpretiert und keine Vermittlung über die syntaktische Ebene annimmt, wird von Dokulil (siehe insbesondere Dokulil 1964) vertreten.66 Dokulil versucht diese komplexe Situation zugunsten einer einheitlichen Funktion des Systems der Wortbildung, die allein der Benennung dient, zu lösen. Da also das Agens, der Gegenstand, das Resultat, das Werkzeug einer Handlung usw. keine syntaktischen, sondern inhaltliche, genauer «gedankliche gnoseologisch-logische Kategorien» repräsentieren, haben diese zwar «auch […] ihren Reflex im grammatischen Sprachsystem, in den grammatischen, konkret gesagt, syntaktischen Kategorien», doch ist diese Widerspiegelung «keine unmittelbare, einfache, sondern eine mittelbare, komplizierte» (Dokulil 1964, 218). Das Verhältnis zwischen diesen inhaltlichen Kategorien und den grammatischen bzw. syntaktischen lässt sich über die bekannten Korrelationsphänomene spezifizieren:67 Zum einen werden bestimmte inhaltliche Kategorien bevorzugt über bestimmte syntaktische Kategorien, die diesen in «natürlicher» Weise entsprechen, zum Ausdruck gebracht; so korreliert das Agens einer Handlung
|| 64 Ferner enthält hier die Frageformel jeweils bereits eine Markierung hinsichtlich des klassematischen Merkmals [± PERSON/SACHE], das ein außersprachliches darstellt. 65 So legt auch Laca (1986) den untersuchten Topikalisierungsprozessen im Bereich der Subjektnominalisierung syntaktische Kategorien zugrunde und keine semantischen Rollen, da eben die Frage nach dem Bezeichneten sprachlich bzw. auf syntaktischer Ebene innerhalb der Kategorien Subjekt, Prädikat, Objekt etc. gefasst wird. Nur ist die eigentlich adäquate Art der Fragestellung, wie sie auch den allgemeinen Mechanismen der Topik bzw. Hervorhebung entspricht, diejenige, die ihre Strukturierung aus der Primärsprache bezieht und eben nicht diejenige, die von den auf metasprachlicher Ebene bestimmten Funktionen ausgeht: Die syntaktischen Funktionen, die bei der Nominalisierung erhalten bleiben, erscheinen erst gewissermaßen als «Antwort» auf die Frage nach dem Bezeichneten, mit dem sie jeweils korrelieren. 66 Was den syntaktischen Ansatz in der Tradition Marchands und seiner Nachfolger wesentlich mit Dokulil verbindet, bleibt die Grundauffassung einer den Wortbildungsprodukten zugrunde liegenden Determinatum-Determinans-Struktur, d.h. der Begriff des Syntagmas nach Bally (cf. Dokulil 1964, 215). 67 Siehe insbesondere die Stellungnahme Lüdtkes (1978, 44–46) zu Dokulils Argumenten wider eine syntaktische und für eine onomasiologische Fundierung der Wortbildung.
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in bevorzugter Weise mit dem Subjekt, verbindet sich aber auch mit einer Adverbialbestimmung oder dem Attribut als Ausdrucksmittel. Analoges gilt für die syntaktischen Kategorien, bei denen ein und dieselbe Kategorie mitunter verschiedenen inhaltlichen Rollen entspricht. So kann das Subjekt nicht nur das Agens einer Handlung, sondern zudem den Träger einer Eigenschaft oder eines Zustands sowie – in einer passivischen und reflexiven Konstruktion – den Gegenstand einer Handlung bezeichnen. Laut Dokulil (1964, 219) sind die syntaktischen Kategorien hinsichtlich des ausgedrückten Inhalts sowohl synonym als auch homonym. Sie erweisen sich dabei im Verhältnis zu den Begriffskategorien als autonome Funktionen. Die Beobachtung, dass gewisse Differenzierungen zwischen inhaltlichen Kategorien, etwa zwischen der des Gegenstands (Patiens) und der des Resultats einer Handlung, auf syntaktischer Ebene nivelliert werden, d.h. nicht zu einer entsprechenden Opposition zwischen syntaktischen Kategorien führen, stützt dieses Argument. Ein Beispiel aus dem Latein soll die Möglichkeiten der einzelsprachlichen Realisierung einer außersprachlichen Kategorie wie der des Agens illustrieren: Hier findet sich das Agens zum einen als Subjekt, als eine spezifische Art der Ergänzung (Agentivum) (siehe by-agent im Englischen) oder als Genitiv ausgedrückt; man vergleiche folgende Mittel des Lateinischen, wobei sich das jeweils Bezeichnete immer auf das Verhältnis zwischen dem Sachverhalt des «Siegens» und «Caesar» bezieht: CAESAR POMPEUM VICIT (Subjekt) : POMPEIUS A CAESARE VICTUS EST (Agentivum) : VICTORIA CAESARIS (Genitiv) (cf. das Französische, das statt des Genitivs auch die Konstruktion mit Relationsadjektiv nach dem Muster la victoire Césarienne stark entwickelt hat). Solche innersprachlichen Systeme, die alle Möglichkeiten der Realisierung, d.h. grammatische und paragrammatische Verfahren einander gegenüberstellen, lassen auf die spezifische Strukturierung der funktionellen Grammatik einer Sprache schließen. Korreliert die jeweilige rein begriffliche, von grammatischen Kategorien zunächst independent betrachtete Unterscheidung auch in der Wortbildung mit einer Entsprechung auf der Ebene der Verfahren? Es zeigt sich, dass Objekt und Resultativität nicht durch separate Verfahren gekennzeichnet werden. Beide Begriffs- oder Bezeichnungskategorien, die des Gegenstandes und des Resultats einer Handlung, lassen sich vielmehr unter der syntaktischen Kategorie des Objekts auf sprachsystematischer Ebene subsumieren. Findet demnach eine auf begrifflicher Ebene der allgemeinen Inhaltskategorien getroffene und auch für die Syntax prinzipiell eingeforderte, sich dort aber – so das zum Ausschluss der Syntax aus der Wortbildung führende Argument – nicht manifestierende Unterscheidung auch in den Wortbildungsverfahren keine Entsprechung dergestalt,
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dass eine Form-Inhalts-Korrelation behauptet werden kann, so scheint Dokulil sogar selbst einen Gegenbeweis gegen seine Kritik am syntaktischen Ansatz erbracht zu haben: «Was von Dokulil als Kritik an der Annahme einer syntaktischen Basis gemeint war, erweist sich als positives Kennzeichen der syntaktischen Fundierung. Gerade so kann entdeckt werden, dass letzten Endes auf einer Ebene der Wortbildung, nämlich derjenigen der systematischen Struktur, das Syntaktische und nicht das Onomasiologische funktionell ist» (Lüdtke 1978, 45).
Dokulils Sichtweise, die syntaktische Relationen nur als indirekte Manifestationen einer Ebene der onomasiologischen Kategorien betrachtet und für die Kategorien der Wortbildung eine engere inhaltliche Entsprechung mit den konzeptuellen Kategorien postuliert, stützt sich wesentlich auf folgendes Argument: «Schließlich – und das ist das Wichtigste, denn darin besteht der wesentliche Unterschied zwischen den lexikalischen und grammatischen Kategorien – tritt bei den grammatischen Kategorien ‘die Bedeutung’ (d.i. der mehr oder weniger eindeutig widergespiegelte Inhalt, der mehr oder weniger eindeutige Hinweis auf ein Phänomen der äußeren Realität) in den Hintergrund vor der ‘Funktion’ (d.i. der innersprachlichen Beziehung, im System oder im Text)» (Dokulil 1964, 219).
Dokulils umfassendere Argumentation lässt sich wie folgt skizzieren: Die Wortbildungskategorien sind, so der wesentliche Unterschied zwischen wortbildenden und syntaktischen Kategorien, auf die Benennungskategorien direkt bezogen, da sie deren spezifische Ausprägung darstellen; sie sind als Verallgemeinerungen der beschreibenden Wörter und der Benennungen (die sich nach ihren spezifischen Inhalten bzw. nach Bezeichnungsgruppen gliedern lassen) überhaupt zu denken, indem sie deren Bedeutungsstrukturen in sich aufnehmen. Die syntaktischen und allgemein grammatischen Kategorien basieren ebenfalls auf Begriffsbeziehungen, allerdings stellen sie keine direkte Verallgemeinerung derselben dar, repräsentieren also nicht die diesen entsprechenden Bedeutungsstrukturen, sondern decken vielmehr einen hinsichtlich der strukturierten Repräsentation außersprachlicher Kategorien autonomen Inhaltsbereich, den der funktionellen Bedeutungen oder rein formalen Beziehungen, ab. Wortbildungskategorien und grammatische Kategorien hängen damit zwar grundlegend über die gemeinsame onomasiologische Basis, d.h. die Widerspiegelung von semantischen Relationen, die zur Strukturierung der außersprachlichen Wirklichkeit dienen, zusammen. Das Wechselverhältnis zwischen Wortbildungskategorien und syntaktischen Kategorien ist jedoch kein
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symmetrisches in dem Sinne, dass sich genau identifizierbare Korrespondenzen zwischen ihnen aufstellen ließen, indem etwa der Wortbildungskategorie der Nomina agentis dieselbe Beziehung zugrunde gelegt wird wie der zwischen Subjekt und Prädikat. Dies bedeutet, dass die feststellbaren Korrelationen zwischen wortbildenden und syntaktischen Kategorien nicht als primäre Gegebenheiten zu betrachten sind, sondern als sekundäre Manifestationen der gemeinsamen Verankerung in einer onomasiologischen Basis. Die Postulation eines wesentlich unmittelbareren Bezugs zwischen den onomasiologischen Kategorien und den Kategorien der Benennung (cf. Dokulil 1964, 219) wird dadurch begründet, dass erstere, die Begriffskategorien, als begriffliche Folie für die Benennungskategorien dienen, wobei sich die Entsprechung zwischen den bezeichneten Phänomenen der außersprachlichen Wirklichkeit und den Bedeutungsstrukturen auf der Ebene der Benennung unmittelbar in den entsprechenden wortbildenden Verfahren bzw. Kategorien (Nomina actionis etc.) reflektiert: «So ist z.B. die Begriffskategorie des Trägers einer Eigenschaft die unmittelbare begriffliche Unterlage für die Benennungskategorie des Trägers einer Eigenschaft, in deren Rahmen die Wortbildungskategorie der vom Adjektiv abgeleiteten Gebilde mit einer solchen Bedeutungsstruktur zur Geltung kommt. Ebenso dient die Begriffskategorie des Agens einer Handlung zugleich als Benennungskategorie; im Rahmen dieser Kategorie kommt die wortbildende Kategorie der Nomina agentis (und der Nomina factoris) zur Geltung» (Dokulil 1964, 219).
Unter Einbezug der Wortkategorien, die wie die Wortbildungskategorien eine Art Rahmen bilden für die zugrunde liegenden Bedeutungsstrukturen der Wörter, die die Begriffe repräsentieren, lassen sich die einzelnen wortbildenden Kategorien etwas konkreter definieren: So etwa die Wortbildungskategorie der Nomina agentis «als Kategorie der von Verben abgeleiteten Substantive, die eine Begriffsstruktur im Sinne des Urhebers einer Tätigkeit aufweisen» (Dokulil 1964, 220). Mit den angeführten Argumenten wird aber eine syntaktische Fundierung der Wortbildung nicht eigentlich verworfen, sondern vielmehr versucht, die Wechselbeziehungen zwischen begrifflichen Kategorien und syntaktischen Kategorien darzustellen. Es stellt sich die Frage, ob dieses Wechselverhältnis hinreicht, um die prinzipielle Zugrundelegung onomasiologischer an Stelle von syntaktischen Kategorien bzw. Funktionen für das wortbildende System zu begründen. Lüdtke (1978, 45) zieht aus den genannten Argumenten die sogar gegenteilige Konsequenz:
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«Gerade so kann entdeckt werden, dass letzten Endes auf einer Ebene der Wortbildung, nämlich derjenigen der systematischen Struktur, das Syntaktische und nicht das Onomasiologische funktionell ist. Dieser Einwand ist aber insofern berechtigt, als man auf diesem Wege zu einer Trennung von syntaktischen Kategorien und von onomasiologischen Kategorien und Bezeichnungsgruppen kommen kann, die sich innerhalb der syntaktischen Kategorien differenzieren».
In Dokulils Theorie dienen als Bindeglied zwischen den onomasiologischen Begriffskategorien und der Wortbildung zum einen die wortbildenden Kategorien, die sich auf einer Abstraktionsstufe über den Wortkategorien befinden und die eigentlichen Vermittler darstellen; zum anderen repräsentieren die in den lexikalischen Kategorien enthaltenen Bedeutungen bzw. Bedeutungsstrukturen ihrerseits die Begriffe, deren Rahmen die Wortbildungskategorien bilden. Dieses Verhältnis erscheint in der (onomasiologischen) Klassifikation der Wortbildungsverfahren nach Nomina agentis, Nomina actionis, Nomina qualitatis etc. Innerhalb der verschiedenen Bedeutungsebenen kann der grammatischen Bedeutung ein eigenes System der semantischen Organisation zugeschrieben werden, das seinerseits mittels der ihm inhärenten Bedeutungen (d.h. grammatischen Oppositionen) der Strukturierung und damit Repräsentation der außersprachlichen Wirklichkeit, d.h. von Bezeichnungsrelationen dient. So begründet die Grammatik durch das einzelsprachlich bedingte System an funktionellen Paradigmen einen je eigenen Bezug zur außersprachlichen Realität und damit ihre eigene Semantik, die sich von der Nennfunktion der Wortbildungskategorien abhebt und diese dennoch integriert.68
|| 68 Vergleiche dazu folgenden Passus zur «Grammatischen Weltanschauung» (Coseriu 1987, 134): «Die grammatische Bedeutung bildet nun in der Tat die dem ‘Sagen’ in einer gegebenen Sprache eigene semantische Organisierung, während das lexikalische signifié ausschließlich die ‘Benennung’ umfasst. ‘Ausschließlich’ deshalb, weil die grammatische Bedeutung die ‘Benennung’ sozusagen einbegreift, während die lexikalische Bedeutung sich auf die rein benennende Funktion beschränkt. So ‘benennt’ zwar auch ein Satz durch seine grammatische Bedeutung einen bestimmten ‘Sachverhalt’, doch tut er dies dadurch, dass er über die bereits vom Lexikon benannten ‘Sachen’ etwa sagt; d.h., er besagt gerade, dass sie (virtuell) diesen oder jenen ‘Sachverhalt’ bilden. Die Aufgabe jeder funktionellen Syntax besteht nun gerade darin, jeweils zu ermitteln, was die in Betracht gezogene Sprache als solche und an sich mit ihren grammatischen Oppositionen wirklich sagt, und für jede Sprache das paradigmatische System ihrer Oppositionen zu erstellen. Mit anderen Worten, jede funktionelle Syntax muss für jede Einzelsprache die ihr eigene grammatische ‘Weltanschauung’ herausarbeiten, d.h. ihr spezifisches System zur Strukturierung der Welt der Ereignisse und der Beziehungen, die der Gegenstand des ‘Sagens’ sind».
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5.3.4 Rolle der lexikalischen Kategorien Das bloße Zusammenfallen gewisser Bezeichnungskategorien unter einer syntaktischen Kategorie an sich kann als Begründung noch nicht hinreichen, um den syntaktischen vor dem onomasiologischen Ansatz zu behaupten. Allerdings bestehen plausible Argumente für eine Zwischenschaltung einer syntaktischen vor der rein onomasiologischen Ebene. Dokulils Erörterung der Problematik führte zu einer Haltung, die der grammatischen Ebene in der Wortbildung eine lediglich untergeordnete Rolle zugesteht. Den Gegenpol zu dieser Position verkörpern solche Ansätze, die Wortbildungen grundsätzlich aus Sätzen abzuleiten versuchen. Der von Lüdtke vertretene Ansatz wurde (Kap. 5.3.1) in seinen Grundzügen und wesentlichen Abwandlungen gegenüber dem herkömmlichen «syntaktischen» Ansatz in der Wortbildung zu charakterisieren versucht. Mit Bezug auf die Frage des Verhältnisses zwischen den Bezeichnungs- und syntaktischen Kategorien entspricht Lüdtkes Standpunkt der von Dokulil unterstrichenen Notwendigkeit der Trennung beider Bereiche in einer Wortbildungstheorie, jedoch mit grundsätzlich anderen Konsequenzen als bei Dokulil. So behandelt Lüdtke einerseits die syntaktische Ebene im Rahmen der den Prädikatnominalisierungen als Grundlage dienenden grammatischen Inhaltsstruktur (vor allem unter Berücksichtigung der sekundären Bedeutungstypen), andererseits die Ebene der Bezeichnung über die Bestimmung der durch die Prädikatnominalisierungen konstituierten Bezeichnungsgruppen (cf. Lüdtke 1978, 78–83;69 zum Verhältnis zwischen gnoseologisch-logischen Klassen und Kategorien und onomasiologischen Strukturen und Kategorien cf. Dokulil 1964, 210). Wenn die Syntax aus dem Bereich der Wortbildung weitgehend ausgeblendet wird, weil deren Bezug zu den Begriffskategorien lediglich sehr schwach und vermittelt sei, wird die Stellung der elementaren syntaktischen Kategorien wie Subjekt, Prädikat, Objekt, Umstandsbestimmungen für die Wortbildung nicht angemessen gewürdigt. Immerhin verweist die Tatsache, dass diese syntaktischen Kategorien die Grundlage für die analoge Entwicklung sekundärer Bedeutungstypen bei Prädikatnominalisierungen bilden, auf deren tatsächliche paragrammatische Funktionalität. Dieser Hinweis will keine Identität der semantischen Verhältnisse, auf denen die syntaktischen Kategorien beruhen, in Syntax und Wortbildung behaupten; im Satz treten sie explizit in Erscheinung,
|| 69 Lüdtkes Kritik an Dokulils Wortbildungstheorie bemängelt, dass bei Dokulil die sekundären, über die Topikalisierung entstandenen Bedeutungen keine Berücksichtigung finden (cf. Lüdtke 1978, 44, v.a. 45).
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in der Wortbildung dagegen als implizite Funktionen. Dies wiederum rechtfertigt nicht, einer Analyse von Wortbildungen nach satzsemantischen Kriterien den Vorzug zu geben. Die durch sekundäre Lexeme erreichte regelhafte Strukturierung auf der Bezeichnungsebene wird über die Klassifizierung der Wortbildungskategorien bzw. -verfahren nach Nomina agentis, Nomina instrumenti, Nomina loci etc. reflektiert. Die Frage des Verhältnisses dieser übereinzelsprachlichen Kategorien zu einzelsprachlich zu bestimmenden inhaltlichen Wortbildungsverfahren, d.h. nach der spezifischen Relation zwischen Bezeichnungskategorien und Bedeutungskategorien erhebt sich unmittelbar im Kontext der Topikalisierung und, damit einhergehend, die Polysemieproblematik. So stellt man fest: Die sekundären Bedeutungen bei Lüdtke (1978), die im Bereich der Prädikatnominalisierungen (traditionell Nomina actionis genannt) entwickelt werden, sind ihrerseits für Bezeichnungsgruppen konstitutiv. Bei den Prädikatnominalisierungen finden sich als solche Bedeutungstypen diejenigen, die sich über die Topikalisierung des Subjekts, des Objekts, des Orts, der Zeit, des Mittels und der Art und Weise ergeben. Die einzelsprachlich fundierten sekundären «Bedeutungstypen»70 beziehen sich auf die Konstitution bestimmter Bezeichnungsgruppen, wie sie mit den traditionellen Termini (Nomina agentis, Nomina obiecti, Nomina loci etc.) erfasst werden sollen. Subjekt und Objekt stellen aber eindeutig grammatische Bedeutungen dar, die auf einzelsprachlicher Ebene definiert werden und auf bestimmte Bezeichnungsgruppen verweisen. Hier entsteht in terminologischer Hinsicht dann kein Widerspruch zwischen den sprachlichen Ebenen, wenn die syntaktischen Funktionen nicht mit den semantischen Rollen vermischt werden, was jedoch teilweise in der Anwendung der traditionellen Wortbildungskategorien bzw. -verfahren geschieht71 bzw. über deren «Namen» (Nomen agentis, Nomen actionis, Nomen
|| 70 Im Sinne der Sprachkonzeption Coserius handelt es sich bei der «Bedeutung» notwendigerweise um die funktionelle Ebene des einzelsprachlichen Systems (cf. Staib 1988, 52, Anm. 3). 71 Ansätze zu einer semantischen Beschreibung in der Wortbildung, die von den sogenannten Kasusrollen der Kasusgrammatik und nicht von grammatischen Kategorien ausgehen, suchen die Wortbildungsbedeutung in den satzsemantischen Funktionen zu fundieren, indem sie die Topikalisierungsmöglichkeiten unmittelbar auf die außersprachlichen Kategorien zurückführen. Dabei besteht jedoch die Gefahr einerseits der Nichtunterscheidung zwischen Bedeutung (auf der Ebene der historischen Einzelsprache) und Bezeichnung (auf der Ebene des Sprechens im Allgemeinen), andererseits der groben Verallgemeinerung zwischen Wortschatzbedeutung und Wortbildungsbedeutung.
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loci etc.72) per se impliziert wird, und sofern nicht etwa die Topikalisierung des Subjekts als die des Agens (cf. Coseriu 1977, 59 bzw. supra) etc. behandelt wird. Gewiss liegen in der Wortbildung stets paragrammatische Kategorien bzw. Funktionen vor, die sich im Verhältnis zu den eigentlich grammatischen Funktionen in impliziter Weise manifestieren und mit einem entsprechenden Terminus belegt werden könnten (etwa also «Parasubjekt» etc.). Abgesehen davon müssen bei den Bedeutungstypen Ort, Zeit, Mittel, Art und Weise trotzdem einzelsprachliche (para)grammatische Funktionen zugrunde gelegt werden, wie sie über entsprechende Angaben oder Umstandsbestimmungen zum Ausdruck kommen.73 Denn diese Bedeutungen repräsentieren wie das Subjekt, mit dem sie offensichtlich auf einer Ebene liegen, einzelsprachlich-grammatische Bedeutungen und nicht «allgemeinsprachliche» Kategorien, d.h. keine auf der Ebene des Sprechens im Allgemeinen. Um eine strikte Trennung von Bedeutung (historische Ebene der Einzelsprachen) und Bezeichnung (Ebene des Sprechens im Allgemeinen, cf. Coseriu 31994, 65) gewährleisten zu können, muss also erst begründet werden, welche der genannten Kategorien, die inhaltlichen oder die onomasiologisch fundierten, an der jeweiligen Wortbildungsbedeutung partizipieren sollen. Auch die Frage nach der Bezeichnung darf nicht losgelöst von der Strukturierung auf der grammatischen Ebene gestellt werden,74 was aus der hier vertretenen Grammatikkonzeption sowie der Konzeption von Wortbildung als eines
|| 72 Staib (1988, 1) legt in der Einleitung dar, dass es sich bei diesen Termini um «onomasiologisch fundierte Bezeichnungskategorien» handelt. 73 Staib expliziert die im Rahmen der Prädikatnominalisierung möglichen sekundären Bedeutungstypen eindeutig im Sinne der jeweils topikalisierten syntaktischen Funktion, d.h. etwa bei Hinzutreten der sekundären paragrammatischen Bestimmung des Ortes im Rahmen der Grammatikalisierung des Prädikats als Topikalisierung der Umstandsbestimmung des Ortes etc. (cf. Staib 1988, 52). Auch wenn im Hauptteil der Arbeit Lüdtkes (1978) die sekundären Topikalisierungen vereinfachend als sekundäre Bedeutungen «Subjekt», «Objekt», «Ort», «Zeit, «Mittel», «Art und Weise» erscheinen, wird im Abschnitt «zugrunde liegende Satzstruktur» (54–55) erläutert, dass die entsprechenden syntaktischen Funktionen und nicht eventuell semantische Kategorien als Grundlage dienen. Der Terminus «sekundäre Bedeutungen» lässt sich nämlich im Sinne der Normbedeutung wie Bezeichnungsfixierungen interpretieren (zur Problematik der Anwendung des Terminus «Bedeutung» auf die sekundären Topikalisierungen siehe Staib 1988, 52, Anm. 3). 74 Die Ebene der Bezeichnung wird erst über die Gruppen an Bezeichnungen, die den (sekundären) Bedeutungen in der Wortbildung jeweils zugeordnet werden, tangiert. Bei Dokulil wird die Differenzierung zwischen Bedeutung und Bezeichnung zugunsten der Trennung von onomasiologischen und syntaktischen Kategorien unter Hintanstellung letzterer vernachlässigt; dennoch gehören auch die Topikalisierungen in den Bereich der relationellen Grammatik.
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Falls der Subordinierung folgt. So verweisen die lexikalischen Einheiten über ihren kategoriellen Bedeutungsanteil zunächst auf die grammatische Ebene: Die kategorielle Bestimmung entspricht der grammatischen Ebene dadurch, dass sie keine Eigenschaft bloß von Lexemen darstellt, sondern ebenso Syntagmen und ganze Sätze charakterisieren kann. Ferner impliziert die kategorielle Bestimmung zugleich eine gewisse Prädestination der in Frage stehenden Kategorie für eine bestimmte Funktion in der grammatischen Strukturierung bzw. im Satz. So kann allein das Substantiv – sei es als Nomen, sei es in der Form eines Pronomens, eines Nominalsyntagmas oder eines nominalisierten Satzes – als Subjekt fungieren. Dokulil erkennt seinerseits offensichtlich eine Hierarchie abnehmender Abstraktion von den obersten Begriffskategorien auf Bezeichnungsebene zu den Wortbildungskategorien über die lexikalischen Kategorien hin zu den eigentlichen Benennungen und den durch sie ausgedrückten Bedeutungen. In der onomasiologischen Theorie Dokulils nehmen die lexikalischen Kategorien eine fundamentale Rolle ein. Ihre Zentralität resultiert aus dem spezifischen Bezug zur Bezeichnungsebene: Dieser wird dadurch hergestellt, dass die lexikalischen Kategorien Bedeutungsstrukturen einschließen, die ihrerseits den Wortbildungskategorien wie Nomina actionis etc. zugrunde liegen und in denen sich die eigentlichen Begriffskategorien manifestieren. Die Rolle der Wortkategorien wird insbesondere in Dokulil (1968b) expliziert, wonach die für die Theoriebildung fundamentalen Typen an onomasiologischen Strukturen oder Kategorien sowie die für diese Strukturen oder Kategorien ihrerseits konstitutiven Subkategorien (onomasiologische Basis und onomasiologisches Motiv) «in den allgemeinsten Begriffsklassen verankert sind, die in den Sprachkategorien der vier fundamentalen Wortklassen ihren Ausdruck finden» (1968b, 208; cf. Dokulil 1994). Laca (1986, 70) regt an, den Ansatz daher als einen (wort-)kategorialen zu bezeichnen. Die lexikalischen Kategorien bilden die Grundlage für alle Subordinierungsprozesse; auf dem Hintergrund der genannten Zusammenhänge erscheint der «syntaktische» Ansatz in seiner «positiven Umdeutung» als durchaus tragfähig für eine Beschreibung der behandelten, zunächst paragrammatischen Problemstellungen. Das Fundament bildet dabei die spezifische Auffassung von (funktioneller) Grammatik (Kap. 2.1) unter Einschluss der dargestellten Teilbereiche (besonders der funktionellen Syntax als dem zentralen, die eigentliche grammatische Bedeutung umfassenden Bereich der einzelsprachlichen Grammatik, von dem die konstitutionelle sowie die relationelle Grammatik abhängig sind) sowie eine theoretische Grundkonzeption, die Grammatik bzw. Syntax und Morphologie in weitem Sinne als Morphosyntax versteht, allgemein unter dem Begriff Grammatik gefasst.
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5.3.5 Die Beweisführung nach Laca (1986) auf der Grundlage der Subjektnominalisierungen Die Frage, ob syntaktische Kategorien oder satzsemantische Funktionen, wie sie etwa bei der Analyse der Verbindung zwischen dem durch das Verb ausgedrückten Sachverhalt und dem «Aktanten» Caesar im Beispiel CAESAR POMPEUM VICIT (Subjekt) : POMPEIUS A CAESARE VICTUS EST (Agentivum) : VICTORIA CAESARIS (Genitiv) zum Tragen kommen (Kap. 5.3.3), den Wortbildungsverfahren zugrunde zu legen seien und welche Begründung für die jeweilige Entscheidung gefunden werden kann, stellt sich auch Laca (1986) im Rahmen ihrer Untersuchung des Bereichs der Subjektnominalisierungen des Spanischen (Laca 1986, 229): «Es muss […] aufgezeigt werden, warum aus funktionaler Sicht die Annahme begründet ist, dass die grammatische Funktion ‘Subjekt eines Aktivsatzes’ – und nicht Kasusrollen wie Agens, Instrument usw. – die semantische Grundlage eines Wortbildungsverfahrens bildet». Laca veranschaulicht ihre Beweisführung anhand folgender bekannter Beispielsätze: a. b. c. d.
Er sticht mit der Nadel. Die Nadel sticht. Er schneidet mit dem Messer. Das Messer schneidet gut.
Sie sollen aus der Sicht der Kasusgrammatik den Beweis dafür liefern, dass die Relation zwischen Subjekt und Verb (im Aktivsatz) hinsichtlich der Differenzierung von Agens und Instrument, die im Subjekt zusammengefasst wird, aus semantischer Sicht irrelevant sowie, da auf keine einheitliche Grundfunktion zu reduzieren (die jeweiligen Subjekte scheinen hinsichtlich ihrer Merkmale zu stark zu divergieren), ebenfalls für die Sprachbeschreibung nicht tragfähig sei. Dabei kann eine unmittelbare Parallele zwischen oben genannten Sätzen und Suffixen wie frz. -eur (cf. danseur ‘Tänzer’ vs. atomiseur ‘Zerstäuber’), sp. -dor (cf. comprador ‘Käufer’ vs. tenedor ‘Inhaber; Gabel’ bzw. mirador ‘Wachturm’), dt. -er (cf. Lehrer vs. Wecker bzw. Läufer ‘Teppich’), engl. -er (winner vs. eraser bzw. diner ‘Speisewagen’), altgr. -τήρ (σωτήρ vs. ζωστήρ bzw. καμπτήρ) etc. gezogen werden, die ebenfalls zur Bildung einerseits von Nomina agentis, andererseits von Nomina instrumenti (bzw. Nomina loci)75 dienen, d.h. sowohl
|| 75 Laca (1986) führt ihre Argumentation zum einen auf der Grundlage der Gegenüberstellung der semantischen Rollen Agens und Instrument, zum anderen anhand der Konfrontation von
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Agens als auch Instrument (Ort) bezeichnen können. Solche Zusammenfälle inhaltlicher Kategorien wurden von Dokulil zum Anlass genommen, um die Unzulänglichkeit der syntaktischen Kategorien als Grundlage einer adäquaten Beschreibung in der Wortbildung zu rechtfertigen. Die angeführte Argumentation lässt sich knapp wie folgt resümieren: Den Ausgangspunkt bildet die Beobachtung, dass Agens und Instrument auf Satzebene im Subjekt koinzidieren; zudem spiegeln sich die gleichen inhaltlichen Kategorien (Agens bzw. Instrument), auf denen die paragrammatischen Verfahren zur Bildung von Nomina agentis und Nomina instrumenti beruhen, in identischen materiellen Verfahren (etwa dem frz. Suffix -eur). Bei der ersten in Frage kommenden Interpretation wird die Identität der instrumentalen Angaben der (a)-Sätze jeweils mit dem Subjekt der (b)-Sätze bzw. die Tatsache, dass die Subjekte der (a)- bzw. (b)-Sätze die Möglichkeit jeweils der Realisierung der außersprachlichen Kategorie Agens (Beispiele unter a) bzw. der des Instruments (Beispiele unter b) in sich schließen, auf eine unhintergehbare Relation gegründet. Dies führt zu der Annahme, dass die jeweiligen Subjekte semantisch völlig verschieden sein müssen, wodurch die Einheitlichkeit der Funktion in Frage gestellt wird. Allenfalls kann als gemeinsame Funktion diejenige gelten, als Thema der jeweiligen Aussage zu fungieren. Damit aber brächte der bloße Verweis auf die parallelen Passivsätze: (c) Hans wurde gestochen. Das Brot wurde geschnitten. als Konsequenz mit sich, dass der Relation «Subjekt eines Aktivsatzes», die Laca zur Abgrenzung ihres Gegenstandsbereiches dient, jeglicher differenzierende Status abgesprochen würde. In der zweiten Argumentation wird die Hypothese vertreten, dass das semantische Zusammenfallen der Instrumentalangaben in (a) und der Subjekte in (b) jeweils auf die Identität der zugrunde liegenden satzsemantischen Rollen zurückzuführen sei. Die Bezeichnung desselben Sachverhalts nehme aber eine je individuelle sprachliche Ausformung an (siehe oben das «Caesar»-Beispiel). Nimmt man nicht die Sicht des Bezeichneten, sondern die der syntaktischen Kategorie Subjekt ein, so lässt sich behaupten, dass dieser in den (a) sowie den (b)-Sätzen eine gemeinsame Funktion zukommt, die sich mit den Begriffen «Kausalinstanz», «Urheber» fassen lässt. Die Koinzidenz zwischen den Adverbialbestimmungen und dem Subjekt liege dann darin begründet, was Laca (1986, 231) eine einheitliche «konstruktionelle Bedeutung» nennt. Eine semantische Analyse der Lexeme in Subjektposition soll hier die scheinbare semanti-
|| Instrument und Ort, jeweils aus der Perspektive der Frage einer einheitlichen Funktion des Subjekts (im Aktivsatz).
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sche Divergenz zwischen den Subjekten jeweils in (a) und (b) klären, indem auf die spezifische Konstellation klassematischer Merkmale, die in den Lexemen enthalten sind, rekurriert wird. In diesem Fall etwa [± MENSCHLICH, ± BELEBT, ± INTENTIONAL], wobei die Realisierung sämtlicher Merkmale auf die Kategorie Agens in prototypischer Weise zutrifft. Hinzu kommen Kenntnisse der Sachen sowie Annahmen über die Verhältnisse der außersprachlichen Wirklichkeit, die in die Interpretation notwendigerweise mit einfließen, allerdings nicht Ursache der einzelsprachlichen Strukturierung der Wirklichkeit sind. Agens und Instrument kongruieren also insofern, als sie über eine identische Konstruktion realisiert werden können, die des Subjekts; oder, aus der Sicht des Subjekts: Dieses kongruiert mit der Instrumentalangabe, indem beide dasselbe bezeichnen, d.h. identische Funktionen hinsichtlich des ausgedrückten Sachverhaltes repräsentieren. Bezüglich einer Erklärung von Homonymie bzw. Polysemie auf Wortbildungsebene scheint eine Argumentation, die die Ambiguität eines Suffixes wie sp. -dor oder frz. -eur, die als personales wie instrumentales Agens interpretiert werden können und entsprechende Differenzierungen hinsichtlich der Wortschatzbedeutungen aufweisen, auf verschiedene Wortbildungsbedeutungen und auch verschiedene inhaltliche Wortbildungsverfahren zurückführen würde, weniger haltbar. Angesichts der beschriebenen syntaktisch-semantischen Verhältnisse lässt sich vielmehr schließen, dass auch hier Agens und Instrument über eine gemeinsame satzstrukturelle Bedeutung, die im entsprechenden Wortbildungsverfahren beinhaltet ist, miteinander in Verbindung stehen. Die Analogie zur syntaktischen Ebene kann begründet aufzeigen, dass das Subjekt als grammatische Kategorie auf paragrammatischer Ebene tatsächlich funktionell ist, indem sie eine Erklärung für das systematische Zusammenfallen von Nomina agentis und Nomina instrumenti hinsichtlich des materiellen Verfahrens bereitstellt: «Nun kann u.E. nur die Hypothese, dass der Subjektposition im Aktiv eine einheitliche konstruktionelle Bedeutung zugeschrieben werden muss und dass gerade diese konstruktionelle Bedeutung als paragrammatische Bestimmung einen inhaltlichen Bereich der spanischen Wortbildung fundiert, dem systematischen morphologischen Zusammenfallen von Nomina agentis und Nomina instrumenti adäquat Rechnung tragen» (Laca 1986, 231–232).76
|| 76 Diese Einsicht findet sich bei Lüdtke (1978, 66) wie folgt formuliert: «Bei einem Verbum, das eine Umstandsbestimmung des Mittels zu sich nehmen kann, lässt sich nicht immer mit Sicherheit bestimmen, ob das Subjekt oder das Mittel in der Ableitung zugrunde liegt. Die syntaktische Begründung liegt darin, dass man Sätze vom Typ Er sticht mit der Nadel – Die
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Der materiellen Einheit des Wortbildungsverfahrens entspricht dabei eine inhaltliche Invariante, die beide Lesarten, die agentive (personales Agens) und instrumentale (nicht personales Agens) in sich aufzunehmen vermag. Die Einheitlichkeit der Bedeutung beruht auf der gemeinsamen grammatischen Bestimmung, die durch die Topikalisierung des Subjekts gegeben ist. Diese funktionelle Determinierung ist Bestandteil des einzelsprachlichen inhaltlichen Wortbildungsverfahrens, wohingegen Merkmale wie [± BELEBT] erst auf Bezeichnungsebene festgestellt werden können und Resultat des Lexikalisierungsprozesses sind, aber keine mit Bezug auf das Wortbildungsverfahren funktionelle Inhaltskomponenten darstellen. Grund dafür ist, dass semantische Züge wie [± BELEBT] zwar zur Identifikation der semantischen Kategorien Agens und Instrument beitragen, doch nur syntaktische Funktionen wie Umstandsbestimmung bzw. Instrumentalangabe, Subjekt etc. bzw. deren Topikalisierung auf Wortbildungsebene oppositiven Status besitzen, aber nicht die genannten Merkmale. Ob eine Bildung mit Hilfe des Suffixes -dor oder -eur ein Agens oder ein Instrument bezeichnet, kann somit letztendlich nur auf Grund der Kenntnis der jeweils bezeichneten Sachen oder der zugehörigen lexikalisierten Bedeutung entschieden werden; die Einzelsprache selbst bzw. das einzelsprachliche Wortbildungsverfahren geben hierüber keinen Aufschluss. Letzteres gilt auch als Einwand gegen den Versuch, Nomina agentis und Nomina instrumenti auf Grund der Beobachtung als gesonderte Verfahren zu behandeln, dass bei Zugrundeliegen der instrumentalen Bestimmung zur relativischen Paraphrase eine finale hinzutreten kann, wie sie bei den Nomina agentis kein Pendant findet; cf. dt. Bohrer ‘X, das bohrt’ sowie ‘X, womit man bohrt’ (cf. Laca 1986, 236): Die Erkenntnis des Vorliegens einer Zweckbestimmung kann erst aus der Kenntnis der Sache selbst, die gegebenenfalls ein Instrument darstellt, abgeleitet werden. Zusammenfassend lässt sich schließen, dass die sich grammatisch wie morphologisch, d.h. auf syntaktischer Ebene sowie im wortbildenden System manifestierende Koinzidenz zwischen Agens und Instrument auf die einheitliche grammatische Struktur bzw. Bedeutung zurückgeführt werden kann, die mit der Funktion des Subjekts (im Aktiv) verbunden ist. Damit kann das Subjekt (über die ihm inhärente spezifische Bedeutungsstruktur) als diejenige paragrammati-
|| Nadel sticht oder Er schneidet mit dem Messer – Das Messer schneidet gut […] bilden kann. Ebenso kann die Ableitung calculateur sowohl die Maschine, mit der man rechnet, als auch den Menschen, der rechnet, bedeuten. In beiden Fällen ist daher ein Synkretismus der Subjektbedeutung und der instrumentalen Bedeutung anzunehmen».
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sche Bestimmung betrachtet werden, die den Wortbildungsbereich der Nomina agentis und Nomina instrumenti inhaltlich und mit Reflex auf materieller Ebene strukturiert. Insgesamt stellt sich die materielle Identität von Agens und Instrument somit als ein Fall von Polysemie auf Verfahrensebene dar, da die Differenz zwischen diesen semantischen Kategorien auf eine einzige inhaltliche Invariante reduziert und daher das Vorliegen zweier homonymer inhaltlicher Wortbildungsverfahren ausgeschlossen werden konnte. Diese Invariante beruht auf der Topikalisierung des Subjekts im Aktiv. Die Gegenüberstellung von subjektbezogenen (und objektbezogenen) Sekundärlexemen sowie die Untersuchung der Verhältnisse zwischen Nomina agentis und Nomina instrumenti (einschließlich Nomina loci77) im einzelsprachlichen wortbildenden System78 hat somit die Erkenntnis erbracht, dass nicht Tiefenkasus wie Agens, Instrument, Objekt, sondern syntaktische Funktionen wie Subjekt, Objekt im untersuchten Wortbildungsbereich als funktionell anzusehen sind, woraus Konsequenzen hinsichtlich der Frage nach dem adäquaten Beschreibungsmodell zu ziehen sind: Ein syntaktischer Ansatz nach dem Aktantenmodell etwa erweist sich angesichts des Vorausgegangenen für die Erfassung der Prozesse in der Wortbildung als adäquater als ein Ansatz, der die Grundlagen in thematischen Relationen zu fundieren sucht.79 Sofern die Tiefenkasus auf Wortbildungsebene nicht erhalten bleiben, da sie keinen Ausdruck finden (allenfalls in Form einer primären Benennung wie «Agens» an sich), sind sie als paragrammatische Analysekriterien nicht geeignet. Die diskutierten Paraphrasen wiederum sind einzelsprachlich motiviert; ihre Struktur beruht auf der funktionellen Grammatik der Einzelsprache. Als
|| 77 Zur Gegenüberstellung von Nomina instrumenti und Nomina loci cf. Laca (1986, 236ss.); zu zusammenfassenden Ergebnissen siehe Laca (1986, 602–603). 78 Bei Laca (1986) mit Bezug auf das Spanische. 79 Im Rahmen der Topikalisierung wurde ferner ausgesagt, dass das topikalisierte Element auf der Ebene der Primär- und nicht der Metasprache erfragt werden kann, da hier der direkte Bezug auf das Bezeichnete gesucht wird (Frage nach dem Urheber einer Tätigkeit, dem Träger einer Eigenschaft, dem Gegenstand, dem Ergebnis einer Handlung, der Zeit etc.). Die Frage Who opened the door? lässt als Antwort erwarten Peter (opened the door) oder Peter opened the door with the key (aber weniger: The key opened the door). Auch bei den Topikalisierungsprozessen findet also auf der Ebene der Bezeichnung in der Regel keine Substitution im Sinne einer metaphorischen Verwendung (wie bei ‘der Schlüssel öffnete die Tür’) statt. Was als relevante, erfragbare Kategorie in den Bereich der Wortbildung Eingang findet, ist vielmehr die syntaktische Kategorie des Subjekts. Hier zeigt sich die Zugehörigkeit des wortbildenden Systems zum relationellen Bereich der Sprache, der über einzelsprachliche semantische Oppositionen (Paradigmen) die verschiedenen Bezeichnungsbereiche strukturiert.
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Möglichkeiten der systematischen Wiedergabe der in einem bestimmten Wortbildungsverfahren enthaltenen Wortbildungsbedeutung können sie nur auf der Ebene der Grammatik formuliert werden.
5.3.6 «Subjekt» als Satzglied und als wortbildende Kategorie Die Frage erhebt sich, was eine syntaktische Kategorie wie das grammatische «Subjekt» gegenüber einer analogen wortbildenden Kategorie («paragrammatisches Subjekt» oder «Parasubjekt»80) auszeichnet. Die Relevanz syntaktischer Funktionen wie der des Subjekts oder Objekts im paragrammatischen System einer Sprache wie das Spanische oder Französische wurde damit begründet, dass die syntaktischen Funktionen selbst im wortbildenden System oppositiv funktionieren, wobei die Opposition Subjekt/Objekt mit der Aktiv/PassivDiathese korreliert (cf. le consultant – le consulté), was sich analog in der Bildung von Nomina agentis, Nomina obiecti etc. manifestiert (cf. Laca 1986, 213ss. sowie 245ss.). Ferner stellt sich heraus, dass etwa Versuche der Klassifizierung der syntaktischen Kategorie Subjekt über klassematische Merkmale wie [± BELEBT], auf der die Differenzierung zwischen Agens und Instrument als thematischer Relationen zum Teil aufbaut, hinsichtlich der Erfassung der für einen bestimmten Wortbildungsbereich einer Einzelsprache charakteristischen inhaltlichen Verfahren keine funktionelle Relevanz beanspruchen können. Wie auch immer geartete Versuche, die syntaktische Funktion Subjekt (etwa über einen Katalog an formalen bzw. inhaltlichen Merkmalen; cf. Li 1976; Li/ Thompson 1976) abzugrenzen, sei es mit einzelsprachlicher Tragweite, sei es als eine von der Allgemeinen Grammatiktheorie zu definierende allgemeine Funktion,81 lassen auch dann, wenn ein gewisser Konsens hinsichtlich einer möglichen invarianten Funktion aufscheint (etwa über den Rekurs auf die Funktion einer Nominalphrase, die als Thema einer Aussage die Verbkongruenz eines Satzes regiert), die Behauptung nicht zu, dass der Wert des Subjekts eines Satzes (im Aktiv) (etwa als Thema gedeutet) mit dem der paragrammatischen Bestimmung «Subjekt» kongruent sei.82 || 80 Der Begriff der «parasyntaktischen Konstruktion» findet sich bei Staib (1988, 63) mit Bezug auf die generische Komposition: «Im Gegensatz dazu [zur Modifizierung bzw. Entwicklung; B.K.] stehen bei der generischen Komposition die lexematische Basis und das generische, prolexematische Element in einem grammatischen Verhältnis zueinander, bilden also eine parasyntaktische, d.h. den Verfahren der Syntax ähnliche Konstruktion». 81 Allerdings handelt es sich beim Subjekt nicht um ein sprachliches Universale. 82 Laca (1986, 246) weist diesbezüglich darauf hin, dass trotz des Umstandes, dass auch das Subjekt eines Passivsatzes als Thema des Gesagten bzw. Fokus der Perspektive, aus der ein Sach-
Der syntaktische Ansatz | 261
Lacas Strategie zur Rechtfertigung der Relevanz der Kategorie Subjekt als wortbildende Kategorie verläuft über die Frage, ob die Funktion «Subjekt eines Aktivsatzes» für einen spezifischen Teilbereich der Wortbildung einer Sprache insgesamt funktionellen Status besitzt oder ob die Relevanz dieser Funktion auf den Ausdruck bestimmter Inhalte innerhalb dieses Bereichs beschränkt ist: «Die daraus entstehende Fragestellung ist, ob eine eindeutige Korrelation zwischen Subjekt als Teil der zugrunde liegenden Satzstruktur und Subjekt als wortbildende Kategorie besteht» (Laca 1986, 247). Sie gelangt zu dem Ergebnis: Die Distribution bestimmter Suffixe (etwa über die Frage der Subjekt- und Objektbezogenheit; cf. Laca 1986, 213ss.) sowie die Existenz systematischer Restriktionen, die eine Ableitung im Bereich der Subjektnominalisierungen verhindern,83 lassen die Schlussfolgerung zu, dass nicht jedes Subjekt eines Aktivsatzes als Grundlage für eine Subjekttopikalisierung im wortbildenden System einer Sprache dienen kann (cf. genauer Laca 1986, 247–248). Die Objektbezogenheit korreliert im spanischen Wortbildungssystem mit einer Beschränkung auf die partizipiale Bildungsweise (el perseguido ‘der Verfolgte’ – el perseguidor ‘der Verfolger’, el vencido ‘der Besiegte’ – el vencedor ‘der Sieger’, el ofendido ‘der Beleidigte’ – el ofensor ‘der Beleidiger’ etc.). Als Fazit der Diskussion über die aufgeworfene Frage nach der Stellung des Subjekts in der Paragrammatik gelangt Laca (1986) – ausgehend von der Infragestellung der paragrammatischen Relevanz der Kasusgrammatik – zum einen unter Berücksichtigung der Funktion der Verbsemantik bei der Interpretation der aktantiellen Rollen, zum anderen gestützt auf eine zweifache klassemati-
|| verhalt dargestellt wird, fungieren kann, passive Subjekte (im Spanischen) nicht über dieselben Wortbildungsmittel realisiert werden, wie sie zur Bildung subjektbezogener Nomina dienen. 83 Für Laca (1986, 248) ist «das primäre Datum für eine Abgrenzung der Subjekttypen, die von inhaltlichen Wortbildungsverfahren der Subjektnominalisierung betroffen werden können, die Unzulässigkeit bestimmter Ableitungen». So führt die Existenz gewisser deponenter Partizipien zur Blockierung von sp. Bildungen auf -dor (z.B. comprador ‘Käufer’, soldador ‘Schweißgerät’/’Schweißer’) und -nte (z.B. visitante ‘Besucher’, asaltante ‘Angreifer’): Bei gewissen Verben sind primäre Topikalisierungen des Subjekts mittels der üblichen materiellen Verfahren, d.h. Suffigierung durch -dor bzw. -nte nicht möglich, obwohl sie eine aktive Form besitzen; der Ausdruck des Subjekts erfolgt hier über deponente Partizipien. Diese Blockierung kann ihrerseits als Anzeichen gedeutet werden zum einen für die fundamentale Opposition von Subjekttopikalisierung und Objekttopikalisierung (wobei letztgenannte als das merkmallose Glied der Opposition anzusehen sind, genauso wie die Prädikatnominalisierungen als merkmallos im Verhältnis zu den Subjektnominalisierungen erscheinen), zum anderen für die Relevanz des Mediums: Die Bedeutung des Mediums bezieht sich zwar nicht auf das Medium als grammatische Kategorie, doch stellt das Medium aus klassematischer Hinsicht ein für die Kategorisierung des Verbinhalts wichtige sprachstrukturelle Eigenschaft des Spanischen dar.
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sche Kategorisierung des Verbinhalts gemäß einem esse-habere- und agereTypus sowie einer Unterscheidung nach Zuständen, Prozessen und Handlungen zu folgender Aussage (cf. Laca 1986, 253): «Außer Zweifel steht […], dass das Wortbildungssystem sich eher nach der grammatischen Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt als nach der angenommenen semantischen Unterscheidung zwischen patient und agent richtet». Insgesamt kann als einschlägiges Ergebnis der Betrachtungen festgehalten werden, dass «die Funktionen in der Wortbildung weder mit den Funktionen in Flexion und Syntax noch mit den sich aus den Oppositionen im Primärwortschatz ergebenden Inhaltsmerkmalen (Seme, Klasseme) zusammenfallen» (Laca 1986, 597); analog sind auch «Subjekt» als syntaktische Relation und «Subjekt» als wortbildende Kategorie hinsichtlich ihres Funktionsbereichs nicht deckungsgleich. Die dennoch zwischen syntaktischen und paragrammatischen Kategorien feststellbaren Affinitäten bedingen, dass die entsprechenden Funktionen jeweils als analog zu identifizieren sind. Es handelt sich also bei allen Arten der Grammatikalisierung auf Wortbildungsebene, die auf einer syntaktischen Grundlage bzw. spezifischen syntaktischen Funktionen einschließlich möglicher weiterer grammatischer Determinierungen (z.B. aspektiver Kategorien) beruhen, um bloße quasi-Entsprechungen der Bedeutungen, die in die Wortbildungsbedeutung einer Wortbildung entsprechend als solche paragrammatische Funktionen eingehen. Eine solche Aussage dient als unmittelbare Begründung für das Postulat, wonach das wortbildende System einen autonomen Bereich der funktionellen Semantik konstituiert, und zwar gerade deshalb, weil Syntax bzw. Grammatik und Lexikon mit anderen Inhalten operieren als die Wortbildung.
5.4 Wortbildung als Grammatik des Wortschatzes Die romanische Wortbildungslehre Jens Lüdtkes, die sich in ihren Grundzügen auf die Wortbildungstheorie Eugenio Coserius beruft, zudem aber auch grundsätzlich die Verbindungslinie zum onomasiologischen Ansatz nach Dokulil hervorhebt, geht, wie die Sprachtheorie Lüdtkes in ihrer Gesamtheit,84 von der Gliederung der Sprache nach drei Ebenen aus. Dabei sind nicht die Ebenen des phonologischen, morphologischen, syntaktischen etc. Systems angesprochen; mit diesen gemein hat die Theorie zunächst nur den – allerdings wesentlichen –
|| 84 Hingewiesen werden soll hier auf die besondere Konzeption einer auf den drei Ebenen der Sprache aufbauenden «Einführung in die romanische Sprachwissenschaft», wie sie bereits in vielen Vorlesungen zum Tragen gekommen ist (cf. z.B. das Typoskript WS 2002a).
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Gedanken der Opposition. Mit den sprachlichen Ebenen sind vielmehr die folgenden gemeint: die universelle Ebene der Sprache im Allgemeinen, die historische der Einzelsprache und die individuelle Ebene der Rede oder des Diskurses. Diese Gliederung lässt sich in folgendem Schema fassen (nach Lüdtke 2002b bzw. 2005, 8; cf. Coseriu 1988, 254), das die weiteren theoretischen Grundlagen mit veranschaulicht: Tab. 4: Wortbildung und sprachliche Ebenen
Ebenen der Sprache
Inhaltliche Wortbildung
Wortbildung als Energeia (dynamisch)
universell
Bezeichnetes (onomasiologische Kategorien)
Bezeichnung qua Wortbil- Bezeichnendes Wortdungsverfahren bildungsprodukt
Wortbildung als Ergon (statisch)
einzelsprachlich Wortbildungsbedeutung historisch und lexikalische Bedeutung
materiell-inhaltliches resultierendes WortWortbildungsverfahren bildungsprodukt (Paragrammatikalisierung)
diskursiv individuell
Anwendung von Wortbil- Verwendung von dungsverfahren durch Wortbildungsprodukt Sprecher durch Sprecher
Diskursbedeutung
Die traditionell in einer Wortbildungslehre zum Tragen kommenden materiellen Wortbildungsverfahren lassen sich wie folgt gliedern: materielle Wortbildungsverfahren Konversion sans-patrie le rouge le dire
Derivation
Suffigierung jardin-et chant-eur nation-al roser-aie beau-té paris-ien
Präfigierung re-faire il-légal
Komposition mot-clé aigre-doux franco-phone aéro-port
Abb. 3: Materielle Wortbildungsverfahren (nach Lüdtke 2005, 49)
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Die Wortbildungstheorie nach Eugenio Coseriu beruht auf den inhaltlichformalen Verfahren der Transposition oder Entwicklung, der (generischen und lexematischen) Komposition sowie der Modifizierung; die Betrachtungen sind dabei grundsätzlich von der Inhaltsebene her motiviert. Die zugrunde liegende Systematik lässt sich überblickend wie folgt darstellen: Paragrammatikalisierung ein Element inaktuelle Funktion:
aktuelle Funktion:
Modifizierung
Transposition
jardin-et ‹petit jardin›
le dire ‹le fait de dire›
roser-aie ‹ensemble de rosiers›
le rouge ‹ce qui est rouge›
re-faire ‹faire de nouveau›
sans-patrie ‹celui qui est sans patrie›85
il-légal ‹pas légal›
administra-tion ‹le fait d’administrer›
zwei Elemente Lexem & generisches Element: generische Komposition chant-eur ‹personne qui chante› stimul-ant ‹ce qui stimule›
zwei Lexeme: Lexemkomposition mot-clé aigre-doux franco-phone aéro-port
beau-té ‹le fait d’être beau› paris-ien ‹de Paris› Abb. 4: Paragrammatikalisierung (nach Lüdtke 2005, 56)
Die generische Komposition (chant-eur, stimul-ant), die rein materiell gesehen ein agglutinierendes Verfahren zur Anwendung bringt, da an den (verbalen oder nominalen) Stamm ein Suffix angefügt wird, wird auf Grund dieses forma-
|| 85 Zur Interpretation des Bildungsmusters sans-abri als «syntaktische Transposition» mit einhergehender Ellipse (personne sans abri) cf. Staib (1988, 32 bzw. 40–41); als generische Komposition (mit Nullsuffix), cf. Rohrer ([1967]/1977, 42–44 sowie 126, der die Annahme eines Ø-Morphems aber ablehnt); zur Deutung als Konversion einer präpositionalen Wortgruppe mit sowohl adjektivischem und substantivischem Wortbildungsprodukt, was zur Annahme zweier separater Wortbildungsverfahren, Substantivierung und Adjektivierung, führt (Weidenbusch 1993, 84–85); siehe Kap. 5.4.4.6.
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len Kriteriums traditionell der Derivation subsumiert. Dies trifft allein auf die Form zu; aus der Sicht der zugrunde liegenden Paragrammatikalisierung gehört sie der Komposition an. Allgemein umfasst die Derivation gemäß der hier angewandten Wortbildungstheorie einerseits die Modifizierung, d.h. Prä- und Suffigierung (il-légal, jardin-et), andererseits Teile der Entwicklung (beau-té, paris-ien). Was traditionell als Komposition behandelt wird, entspricht der lexematischen oder spezifischen («nominalen») Komposition, die aus der Sicht der Allgemeinen Typenlehre die Polysynthese repräsentiert. Hiervon auszunehmen ist die verbale Komposition der usuell gewordenen Klassifizierungen (surestimer), die in der hier vertretenen Theorie der Modifizierung angehört (cf. Coseriu 1968c, 14–15). Bildungen wie le dire, le rouge und sans-patrie können als Konversionen identifiziert werden. Allerdings stellt sich das Problem eines eventuell anzusetzenden Nullmorphems, was die Bildungen als Derivationen auswiese. Ich gehe stattdessen von «reinen» Konversionen ohne Nullmorphem aus. In dieser Deutung rechne ich die Konversion als materielles Verfahren, dem auf inhaltlicher Ebene die Transposition korrespondiert, zu den Charakteristika des isolierenden und polysynthetischen Konstrukts der Allgemeinen Typenlehre. Sie steht damit den agglutinierenden Nullableitungen gegenüber und entspricht weder der Derivation noch der Komposition. Wesentlich in dieser Konzeption ist die Prozessorientiertheit der Sichtweise: Was im Vordergrund steht, ist weniger die Frage, was aus den einzelnen wortbildenden Verfahren als Produkt hervorgegangen ist (Ergon ἔργον), sondern primär die Frage, wie ein bestimmtes Wort nach einem bestimmten Verfahren neu geschaffen wird (Energeia ἐνέργεια). Bei anderen Autoren wird in der Regel die Perspektive vom Wortbildungsprodukt her eingenommen. Demgegenüber soll die Beobachtung hier nicht vom analytischen Standpunkt (des Hörers oder Sprachwissenschaftlers) aus erfolgen, sondern vom Sprecher her, dessen Standpunkt es zu rekonstruieren gilt.86
5.4.1 Inhaltliche Wortbildungslehre (Charles Bally, Eugenio Coseriu, Jens Lüdtke) Nach der inhaltlichen Wortbildungstheorie Eugenio Coserius (cf. Coseriu 1968c, 13–15; 1977) enthält ein sekundäres (aus einem Wortbildungsprozess hervorgegangenes) Lexem implizite grammatische Bestimmungen oder Inhalte, die den
|| 86 Zu Analyse und Synthese bzw. Wortgebildetheit und Wortbildung cf. Lüdtke (2001a, 767–768).
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grammatischen Funktionen analog sind und als «paragrammatisch» bezeichnet werden können.87 Der Typ der jeweils vorliegenden impliziten grammatischen Determinierung bestimmt den Strukturtyp der Wortbildung, die einem der einführend genannten Verfahrenstypen angehören kann: der Transposition (Entwicklung), der (generischen und lexematischen) Komposition, der Modifizierung. Das nach einem dieser Verfahren neu gebildete Wort wird mit seiner impliziten grammatischen Bestimmung in den Wortschatz aufgenommen und kann somit alle für die primären Wörter charakteristischen expliziten, den Regeln der Syntax unterliegenden, grammatischen Bestimmungen ebenfalls aufnehmen. Der Verfahrenstyp der Entwicklung oder Transposition88 beruht auf einer paragrammatischen Bestimmung, die die Grundlage für eine bestimmte aktuelle, d.h. satzähnliche Funktion auszeichnet. Sie ist grundlegend mit einem Wortkategorienwechsel im Verhältnis zur Basis verbunden, tangiert also die kategorielle Bedeutung eines Lexems. Die Entwicklung geht immer aus von Lexemen als Satzgliedern bzw. Gliedern von Syntagmen (cf. Coseriu 1977, 53). Die implizite Grammatikalisierung entspricht auf der Ebene der expliziten grammatischen Bestimmungen etwa einer Funktion wie Subjekt, Prädikat, Verbalergänzung. Die explizite grammatische Determinierung kann bereits auf der Ebene des Wortes (durch Kombination minimaler Elemente) oder auch erst auf der der Wortgruppe zum Tragen kommen; vergleiche lat. CASAS (Akk. Pl.), das eine Funktion im Satz enthält, die als Objekt oder Richtungsangabe spezifiziert werden kann, wohingegen die Pluralform sp. casas keine Funktion im Satz enthält: Im Spanischen muss die Wort- bzw. Satzgliedstellung hinzutreten, um das Element als Objekt zu markieren.
|| 87 Zu den Grundzügen einer Theorie der «Grammatik des Wortschatzes», die das Verhältnis zur Grammatik im «eigentlichen Sinne» expliziert, cf. Coseriu (1977, 54): «die Grammatikalisierung [gilt] nicht nur für gewisse, sondern für alle wortbildenden Verfahren […]: die Grammatikalisierung ist überhaupt das, was die Wortbildung eben zur Wortbildung macht, und die Haupttypen der Wortbildung entsprechen grundsätzlich Arten der impliziten Grammatikalisierung. […] es [handelt] sich dabei zwar um eine ‘Grammatik des Wortschatzes’ […] aber diese ‘Grammatik’ [darf] nicht mit der Grammatik schlechthin verwechselt werden […], denn es geht hier um andere ‘grammatische’ Funktionen als die, die in der Morphosyntax erscheinen. Deshalb ziehen wir es vor, nicht von ‘grammatischen’, sondern von ‘grammatikähnlichen’ Funktionen zu sprechen». Eine solche Theorie der «Grammatik des Wortschatzes» wurde von Laca (1986) unter Konzentration auf die Subjektnominalisierungen im Spanischen zu einem beachtlichen Werk ausgebaut. 88 Zu einem sehr weit gefassten Verständnis von Transposition cf. Skalička (1959b).
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Bei der Modifizierung dagegen entspricht die implizite Grammatikalisierung oder Paragrammatikalisierung einer inaktuellen Funktion, die eine nichtsatzähnliche ist, also keine spezifische Funktion im Satz einschließt (cf. Coseriu 1977, 53; 1968c, 13). Im Unterschied zur Transposition wird die Modifizierung nicht von einem Wechsel der Wortkategorie des Wortbildungsprodukts im Verhältnis zu seinem Grundwort begleitet, sondern bewahrt die mit dem Grundwort bereits gegebene Kategorie des Nennens. Die paragrammatische Funktion betrifft hier den lexikalischen Inhalt der Basis als solcher (cf. Lüdtke 1996a, 242) und also nicht deren kategorielle Bedeutung oder Funktion als Satzglied bzw. Glied eines Syntagmas (cf. Coseriu 1977, 53). Die bei der Modifizierung zum Tragen kommende inaktuelle paragrammatische Bestimmung lässt sich im Bereich der Grammatik mit einer expliziten grammatischen Determination wie der des Numerus oder Genus vergleichen: Auch hier liegt eine Determinierung innerhalb des Wortes vor, die sich zwar nicht – wie bei der Modifizierung – auf die jeweils in der Grundlage enthaltene spezifische lexikalische Bedeutung, aber auf eine bereits gegebene sprachliche Klassifizierung der Wirklichkeit bezieht. Die jeweils durch den Satz hergestellte Relation wird von solchen expliziten grammatischen Funktionen nicht tangiert; es handelt sich auch hier nicht um Funktionen «im Satz», sondern um Funktionen der Wörter an sich. Oder anders ausgedrückt: Genus und Numerus sind von den innerhalb des Satzes hergestellten aktuellen Relationen unabhängige Kategorien, die sich daher auch mit jeder Nominalfunktion im Satz verbinden können. Tatsächlich können die universellen Inhalte Geschlecht sowie Vielheit oder Einheit (Kollektivität) sowohl als (explizite) grammatische inaktuelle Funktionen (une femme, la maison, cette fille, une petite histoire; les gens, de(s) beaux chevaux, beaucoup de sages amis; l’ensemble des barons) wie als (implizite) paragrammatische inaktuelle Funktionen erscheinen (it. figlia, frz. baronnage; cf. zusätzlich frz. femme poète/poète femme). Je nach Sprachtypus, dem eine Sprache angehört, bestehen hier Unterschiede in der Distribution der Funktionen auf die verschiedenen grammatischen Schichten. Gemäß dem Prinzip des romanischen Typus werden inaktuelle, also nicht satzähnliche grammatische Funktionen wie Genus und Numerus mit Hilfe entsprechender materieller Bestimmungen, d.h. paradigmatisch, aktuelle, satzähnliche grammatische Funktionen (Kasusmarkierung beim Substantiv, Komparation der Adjektive und Adverbien) mittels ebenfalls entsprechender, d.h. syntagmatischer materieller Bestimmungen ausgedrückt. Der speziell «französische» Typus innerhalb des romanischen Sprachtypus dagegen zeichnet sich darüber hinaus durch den historischen Ausbau der syntagmatischen
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(oder periphrastischen89) Verfahren zum Ausdruck genannter und anderer relationeller grammatischer Funktionen aus.90 Wenn jeweils von aktuellen und inaktuellen bzw. satzähnlichen und nicht satzähnlichen Verfahren bzw. Prinzipien zum Ausdruck entsprechender Funktionen die Rede ist, ist die Annahme eines funktionellen Zusammenhangs zwischen den sprachtypologischen und den paragrammatischen Verfahren insofern naheliegend, als die Realisation des Typus im System, und das heißt in dessen verschiedenen Subsystemen der Einzelsprache, auch Konsequenzen im Sinne eines parallelen Wirkens der typologischen Prinzipien im grammatischen und paragrammatischen Systembereich zeitigt. So erfolgt etwa bei sp. padre ‘Vater’, Plural padres oder dem maskulinen Adjektiv blanco ‘weiß’, Femininum blanca die grammatische Determinierung (Plural, Genus) im Wort selbst; dagegen erscheint diese außerhalb des Wortes auf syntagmatischer Ebene beim Genitiv del parde, da hier eine Relation mit einem anderen Wort impliziert wird, ebenso beim Komparativ más blanco, dem ein impliziter Vergleich (más blanco que) zugrunde liegt (cf. Kap. 2.2.1; 3.7.3). Eine solche angenommene Korrelation zwischen den in den verschiedenen Systembereichen wirkenden funktionellen Verfahren in dem Sinne, dass sie alle von einem höheren, dem typologischen, Prinzip ihre entscheidende Ausrichtung erfahren, würde bedeuten, dass bei einer Verstärkung des syntagmatischen (periphrastischen) Prinzips im Französischen sich auch zum einen die relationellen, materiell externen, zum anderen die inhaltlich aktuellen Verfahrenstypen, d.h. solche, die eine Funktion im Satz implizieren, als die dominant wirksamen herausstellen müssten. Mit Blick auf die paragrammatischen Verfahren hieße dies die potentielle Verstärkung der Verfahrenstypen mit Funktion im Satz gegenüber denen, die
|| 89 Die Termini eignen sich in Anbetracht der besonderen Stellung allgemein der Periphrasen innerhalb des Typus des Französischen (cf. temporale und aspektuelle Periphrasen im grammatischen System wie das mit aller gebildete futur proche oder das passé composé, cf. Kap. 7.3) sowie der Auslagerung wortbildender Verfahren auf die syntagmatische Ebene etwa bei der Kollektivbildung (l’ensemble des professeurs etc.) vor den alternativen Begriffen. 90 «So hat man in den romanischen Sprachen auf der Ebene des Sprachtypus folgendes Prinzip: innere Determinationen, also Determinationen in der entsprechenden Einheit selbst, treten für innere, nicht aktuelle, nicht durch den Satz gegebene Funktionen ein, äußere Determinationen (‘Periphrasen’) für aktuelle, relationelle, durch den Satz gegebene Funktionen. Also hat man innere Determinationen zum Ausdruck von Numerus und Genus, weil diese Funktionen nicht vom Satz abhängen, äußere Determinationen für Kasusfunktion, Komparation und andere Funktionen, die eine Relation einschließen […] Dieses Prinzip gilt für alle romanischen Sprachen, bis auf das heutige Französische (das als typologisches Prinzip die äußere periphrastische Determination verallgemeinert hat)» (Coseriu [1979b]/1988, 10). Von einer «Verallgemeinerung» kann hier nur in relativem Sinne, nicht aber im Sinne einer «Verabsolutierung» gesprochen werden.
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keine Funktion im Satz besitzen, d.h. der Entwicklung gegenüber der Modifizierung und deren jeweiligen materiellen Techniken. Diese Aussage ist in zweifacher Hinsicht nicht als pauschal zu verstehen: Zum einen werden mit den Verfahren der Modifizierung und Transposition sehr unterschiedliche Inhalte vermittelt, so dass je nach Benennungsbedürfnis das eine oder andere Verfahren zum Zuge kommt. Zum anderen darf auch nicht vom Bestand der bereits existenten Mittel abgesehen werden; so sind die Mittel der Modifizierung, vielfach Relikte des flektierenden lateinischen Typus, weiterhin produktiv. Andererseits ist es doch erstaunlich, dass etwa im Bereich der Diminutiv-, Augmentativ- und Pejorativbildung des Französischen als zentraler Inhaltsbereiche der Modifizierung im Vergleich etwa zum Italienischen oder Spanischen kaum produktive wortbildende Mittel (cf. das nur mäßig produktive diminutivierende Suffix -et(te) bzw. das präfixale Element mini- mit höherer Produktivität sowie die pejorativen Suffixe -ard und -asse, die jeweils vornehmlich in der gesprochenen Sprache bzw. im Argot eine gewisse Produktivität erkennen lassen) zur Verfügung stehen, sondern die genannten Inhalte vielmehr über externe, periphrastische Konstruktionen, die eher der Syntax zuzurechnen sind, zum Ausdruck gebracht werden. Schließlich können die Transposition (einschließlich der Konversion) und generische Komposition als die für das moderne Französisch produktivsten Verfahren bezeichnet werden (cf. Weidenbusch 2002, 230). Auch die generische Komposition beinhaltet stets (cf. Staib 1988) eine aktuelle (implizite) grammatische Determinierung (cf. frz. chanter → chanteur, stimuler → stimulant; zu den denominalen generischen Komposita siehe Kap. 5.2.4). Ähnlich bildet etwa das Deutsche neue Wörter bevorzugt über die lexematische Komposition, was natürlich nicht heißt, dass andere (modifizierende) Verfahren nicht auch vertreten seien; im Englischen ist die materiell nicht markierte Konversion sehr produktiv. Ein weiterer tendenzieller Anhaltspunkt dafür, dass das für die Grammatik des Französischen dominante materielle Verfahren der externen Determination zum Ausdruck entsprechender, also aktueller, durch den Satz gegebener Funktionen einen Reflex auch in der Wortbildung besitzt, indem für beide Systembereiche das Funktionieren eines einheitlichen typologischen Prinzips angenommen wird, bildet die Tatsache, dass die paragrammatische Transposition, die sich mit einer Funktion im Satz verbindet, auch kombiniert mit den modifizierenden Verfahren auftreten kann (cf. frz. voir → revoir (Modifizierung) → révision (Transposition), dt. gehen → durchgehen (Modifizierung) → Durchgang (Transposition)).91
|| 91 Cf. die Übersicht in Weidenbusch (1993, 239–240) zur Frage, mit welchen Wortbildungstypen sich die einzelnen präpositionalen Elemente des Französischen verbinden: Entwicklung
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Bei der Komposition besteht die Basis aus zwei inhaltlichen Elementen, die in einem grammatischen Verhältnis zueinander stehen. In der Wortbildungstheorie Coserius (1968c, 14–15; 1977, 53) werden zwei Kompositionstypen unterschieden: die lexematische Komposition und die als generisch oder pronominal bzw. prolexematisch bezeichnete Komposition. Bei der lexematischen Komposition bilden beide Elemente der Grundlage Lexeme (z.B. dt. Wein + rot → Rotwein, Kopf + dick → Dickkopf, Baum + Apfel → Apfelbaum). Das aus dem Kompositionsverfahren hervorgegangene Wortbildungsprodukt gehört in der Regel der Wortkategorie des determinierten Elementes an. Zum prolexematischen kompositionellen Verfahrenstyp zählen Wortbildungen der Art travailleur. Hier wird ein Lexem mit einem Element sehr allgemeinen Inhalts kombiniert; dieses kann insofern als ein «generisches» Element betrachtet werden, als es zwar kein spezifisches Pendant (im Sinne eines Lexems) in der Sprache besitzt, aber als «Prolexem» bzw. als «allgemeines substantivischpronominales Element» fungiert (cf. Coseriu 1977, 54), d.h. als ein Element mit den Eigenschaften von Indefinitpronomen (cf. dt. «jemand» oder «etwas»),92 z.B. frz. pomme → pommier, dt. wecken → Wecker, handeln → Händler). Dabei handelt es sich um den Lexemkompositionen analoge Bildungen.93 Die über die generischen Komposita des Typs chanteur, moissonneuse etc. ausgedrückte sehr allgemeine Bedeutung kann im Falle der denominalen Ableitungen wie caissier, encrier wiedergegeben werden als ‘Bezug zu einer Person’ im Sinne von ‘jemand, der mit etwas zu tun hat’ oder ‘Bezug zu einer Sache’, ‘Bezug zu einem Ort’ etc. (cf. Coseriu 1977).94 Eine solche allgemeine Bedeutung,
|| von Verben aus Substantiven/Adjektiven; Entwicklung von Adjektiven mit oder ohne Suffix; Entwicklung von Substantiven; Modifizierung von Verben/Adjektiven/Substantiven. 92 Der Inhalt des generischen Elements lässt sich prinzipiell auch lexematisch zum Ausdruck bringen. Von dieser Möglichkeit machen die Sprachen je nach morphologischer Basisstruktur in unterschiedlichem Maße Gebrauch. Auch für das Französische sollen im Folgenden (Kap. 5.5.3) einige lexematische Äquivalente bzw. deren Umsetzung mit Blick auf eine Stärkung der Wortgruppe untersucht werden (cf. Konstruktionen wie professeur femme / femme professeur, aber nicht *professeuse etc.). 93 Aus historischer Sicht ist die Annahme eines generischen Elements nicht immer begründet, vor allem nicht in denjenigen Fällen, die eindeutig auf die Ellipse eines Lexems rückführbar sind (cf. Lüdtke 1996a, 263). Ellipsen und keine Wortbildungen liegen vor bei frz. (doigt) annulaire (‘Ringfinger’), (aéronef, aérostat) dirigeable (‘Luftschiff’), (ondulation) indéfrisable (‘Dauerwelle(n)’), (rideau) moustiquaire (‘Moskitonetz’), – allesamt Substantive, deren impliziter Bezug zu einer syntagmatischen Kombination deutlich ist (cf. Lüdtke 2005, 245, Anm. 18; zu den Beispielen per se Corbin 1987, 222–223). 94 Siehe einschlägig Staib (1988) sowie Laca (1986, 1987), die die denominalen Nomina agentis (DNA) des Spanischen ausführlich diskutiert.
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lässt sich auch über ein Lexem (in einer entsprechenden Komposition) ausdrücken (cf. z.B. dt. Wanderer – Wandersmann). Das jeweils Bezeichnete ist bei Paaren wie Händler − Handelsmann identisch. Zwischen Modifizierung und Komposition ergeben sich (unter Abstraktion von lexikalischen Fixierungen) inhaltliche Verfahrens-Affinitäten insofern, als das Determinans modifizierende Funktion ausübt. Modifizierungen des Typs maisonette entsprechen so gesehen dem Kompositionstyp, wie er in frz. belleslettres, château-fort oder dt. Weißfisch, engl. blackbird vorliegt (cf. Lüdtke 1978, 8; Dokulil 1968b, 209 zum «Mutationstypus»; allerdings ist die unterschiedliche Determinatum-Determinans-Abfolge zu beachten). Auf wortbildungstheoretischer Ebene spiegelt sich diese Überschneidung in der teilweise schwankenden Einordnung der präpositionalen Elemente des Französischen entweder als zur Komposition oder Präfigierung gehörig wider (cf. Weidenbusch 1993, 32–35). Die generischen Komposita wiederum haben mit den Transpositionen gemein, dass sie sich mit einer aktuellen Funktion verbinden, d.h. mit einem Wortkategorienwechsel einhergehen können (cf. travailleur). Bei der Komposition kann also die im Wortbildungsverfahren implizierte Grammatikalisierung einer aktuellen (cf. dt. Leser) oder inaktuellen Funktion entsprechen (cf. dt. Rotwein). Bei der generischen Komposition kommen bei aktueller grammatischer Bestimmung Funktionen zum Tragen, die auf grammatischer Ebene mit solchen des Typs «Subjekt» (travailleur) oder, bei den nichtsubjektbezogenen generischen Komposita, einer Umstandsergänzung des Mittels (arrosoir) oder des Ortes (patinoire) korrelieren. Bei nominalen generischen Komposita des Typs frz. caisse → caissier, die auf eine ebenfalls nominale Basis zurückführen, beruht die implizite Grammatikalisierung der Basis zunächst auf einer inaktuellen grammatischen Funktion (sofern nicht über den Rekurs auf die Bezeichnungsebene eine Handlungsbeziehung zwischen Basis und generischem Suffix impliziert wird; eine solche ist im Wortbildungsverfahren funktionell allerdings nicht enthalten, cf. Staib 1988, 4).95
|| 95 Bezüglich der sich im Zusammenhang mit den denominalen generischen Komposita erhebende Problematik eines implizit anzunehmenden Verbs scheint auch der Ansatz nach Dokulil auf Grund der Nicht-Spezifität der Handlung in einer Bildung wie Ziegler eine explizitere Angabe derselben nicht zu rechtfertigen: «Wenn wir genau sein wollen, müssen wir also sagen, dass z.B. das Nomen učitel [‘Lehrer’] ein Wesen als ein die Tätigkeit des Lehrens ausübendes bestimmt, das Nomen cihlář [‘Ziegelbrenner, Ziegler’] einen Menschen als ein Wesen bestimmt, das auf irgend eine Weise mit Ziegeln umgeht (in diesem Falle als einen Menschen, der die Ziegel erzeugt). Das Nomen jídelna [‘Esszimmer; Speiseraum’] bestimmt etwas wie einen Raum (genauer einen geschlossenen Raum), wo [sic] die Tätigkeit des Essens ausgeübt wird. Es muss weiter gesagt werden, dass die Nomina učitel, jídelna das ganze (nichtzusammengesetzte) Attribut, das Nomen
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Die denominalen generischen Komposita setzten sich zusammen aus einer nominalen Basis, die das pronominale bzw. generische Element als Determinatum bestimmt. Auf Satzebene wird eine solche Determinierung mit Hilfe des Attributs realisiert, d.h. das Substantiv erfüllt eine einem Adjektiv analoge Funktion. Bei den denominalen generischen Komposita fungiert die Basis als ein solches Attribut des affixalen Determinatums mit pronominalem Status. Die Basis einer Bildung wie frz. jardinier ließe sich dann − unter Rekurs auf die Ebene der Bezeichnung − als Ort identifizieren, der im Satz als Umstandsbestimmung des Ortes realisiert wird; das generische Element fungiert als Subjekt. In frz. pommier repräsentiert die Basis das Objekt (cf. Staib 1988, 15).96 Abgesehen von der sich im Falle solcher attributiver Determinationsverhältnisse stellenden Problematik der adäquaten metasprachlichen Paraphrasierung mit primärsprachlichen Mitteln, die die Analyse der Verhältnisse auf der Ebene des Sprachsystems im Sinne einer «Grammatikalisierungsformel» des Typs ‹Substantiv + Präposition/relationales Element + Substantiv› als am kohärentesten herausstellt (cf. Staib 1988, 15) (also etwa darstellbar als ‹celui dans le jardin›; cf. Kap. 5.2.2), wird auf dem Hintergrund einer solchen Analyse deutlich, dass bei den nicht deverbalen generischen Komposita der Basis der Ableitung eine präpositionale Fügung (etwa ‹dans le jardin›) entspricht. Es lässt sich festhalten, dass bei den nichtverbalen generischen Komposita die durch die Grammatikalisierung der Basis jeweils implizierten Satzfunktionen in den romanischen Sprachen einer präpositional ausdrückbaren allgemeinen Relation entsprechen, die im Lateinischen − entsprechend der abweichenden typologischen Grundstruktur – durch Kasus (etwa den Ablativus instrumentalis etc.) gekennzeichnet wird (caissier : celui de la caisse) (siehe auch Lüdtke 1996a, 263–264). Bei den beiden Verfahrenstypen der Transposition und Modifizierung betrifft somit die implizite Grammatikalisierung jeweils
|| dřevorubec [‘Holzfäller’] das ganze zusammengesetzte Attribut explizite ausdrücken und dass das Nomen cihlář direkt explizite nur das Resultat der Tätigkeit ausdrückt, den Charakter dieser Tätigkeit selbst jedoch unbezeichnet lässt usw.» (Dokulil 1964, 223). 96 Bei den generischen Komposita des Typs sp. comedor, denen Staib (1988, 14) folgende Analyse zugrunde legt: comedor = ‹comer + Prädikatfunktion› / ‹-dor› + Adverbialfunktion, paraphrasierbar als ‘uno come en un -dor’ bzw. ‘lugar donde uno come’ mit Thematisierung der lokalen Adverbialergänzung, stellt sich das Problem der Identifikation der angemessenen Paraphrasierung unter den potentiell möglichen. So ist die Tatsache, dass die Interpretation als ‘lugar donde uno come’ selegiert wird und nicht die als ‘el que come’, auf die Bezeichnungsfunktion der Bildung als Ganzer zurückzuführen und nicht auf das «funktionell gegebene sprachliche Verhältnis der Elemente auf der Ebene des Sprachsystems» (Staib 1988, 15).
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das Element der Grundlage; die Komposition beruht auf der Herstellung einer paragrammatischen Relation zwischen zwei Elementen der Grundlage. Ein Wortbildungsverfahren kann weitere grammatische Determinierungen als die genannten mit sich bringen (cf. Coseriu 1982a, 14): «D’autres sousdivisions résultent, en particulier dans le cas du développement, de certaines déterminations proprement grammaticales de la base qui peuvent être conservées dans les produits des processus formatifs». Zu solchen grammatischen Inhalten der Grundlage, die auch im sekundären Wort erhalten bleiben können, zählen etwa die Diathese (aktiv – passiv), die Reflexivität, der resultative Aspekt, die Frequentativität, die passive Möglichkeit, die Semelfaktivität u.a. Hinzu kommen als weitere Bestimmungen die Hervorhebung oder Topikalisierung gewisser syntaktischer Relationen der Grundlage, die (partielle oder vollständige) Begrenzung auf gewisse Bezeichnungsbereiche, v.a. im Bereich der Fachsprachen, sowie die möglicherweise eintretenden idiosynkratischen Lexikalisierungen, genauer Fixierungen im Wortschatz einer Sprache.97 Paare wie Händler − Handelsmann können Bezeichnungsäquivalente in einer Einzelsprache darstellen; im zwischensprachlichen Vergleich kann es vorkommen, dass das, was etwa im Französischen über die generische Komposition ausgedrückt wird, im Deutschen gängiger durch die lexematische Komposition realisiert wird. So entspricht einem frz. pommier im Deutschen ein Apfelbaum, einem frz. arrosoir eine dt. Gießkanne etc. Beide Verfahren, die dasselbe bezeichnen, sind auch funktionell unmittelbar miteinander zu vergleichen (cf. Coseriu 1977, 57): «Weniger tiefgreifend als man üblicherweise glaubt, ist der Unterschied zwischen pommier und Apfelbaum, arrosoir und Gießkanne. Man hat diesen Unterschied zu einem sprachtypologischen machen wollen, und man hat dabei von ‘derivationsfreundlichen’ und ‘kompositionsfreundlichen’ Sprachen gesprochen: So wären die romanischen Sprachen ‘derivationsfreundlich’, das Deutsche hingegen ‘kompositionsfreundlich’. In Wirklichkeit handelt es sich aber um zwei dicht beieinanderliegende Wortbildungsverfahren, nämlich um die beiden Hauptarten der Komposition: pommier, arrosoir sind prolexematische, Apfelbaum, Gießkanne hingegen lexematische Komposita».
|| 97 Hier lässt sich ein Kontinuum mit den beiden Polen der paragrammatischen Bestimmungen bzw. Verfahren und den Fixierungen im Wortschatz einer Sprache annehmen: «la formation des mots est un domaine autonome de la langue qui inclut des aspects ‘paragrammaticaux’ et des aspects purement lexicaux, […] c’est un continuum hiérarchiquement ordonné, qui commence par les types fondamentaux des procédés formatifs et arrive jusqu’aux fixations particulières de tel ou tel lexème. Et l’étude de la formation des mots […] commence par les fonctions paragrammaticales des procédés formatifs et arrive, en descendant vers le particulier, jusqu’aux fixations dans la désignation» (Coseriu 1982a, 15–16).
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Aus funktionell-typologischer Sicht lassen sich Bildungen wie die deutschen Beispiele als flektierender Zug interpretieren (rein formal gehört die lexematische Komposition der Polysynthese an) insofern, als das zweite Glied der Komposita eine Klassifizierung impliziert, die etwa derjenigen nach Deklinationsklassen zumindest vergleichbar ist. So nehmen in Komposita des Typs Jägersmann, Wandersmann, Tannenbaum (poetisch oder umgangssprachlich), Rentier gegenüber Jäger, Wanderer, Tanne, Ren die Elemente -mann, -baum, -tier eine Klassifikator-Rolle ein, wie sie die Genera oder die Substantivklassen in den Bantusprachen erfüllen (cf. Nominalklassifikatoren des Deutschen wie Tausend Blatt Papier).98 Sprachökonomisch sind diese Elemente im Grunde entbehrlich, da sie keinen wesentlichen Bedeutungsbeitrag gegenüber den generischen Komposita (Wanderer, Jäger) oder einfachen Lexemen (Tanne, Ren) liefern (cf. Skalička [1951]/1979, 58). Sprachtypologisch-funktional erhöhen Klassifikatoren (wie in isolierenden (süd)ostasiatischen Sprachen mit hohem Grad der Analytizität) den relativen Grad der Komplexität der grammatikalischen Basisstruktur (etwa im Vergleich zu Kreolsprachen), indem sie eigene, zuweilen hochkomplexe Klassifikationssysteme ausbilden (cf. McWhorter 1998). Sie dienen der Einordnung nach semantischen Kategorien wie [MENSCHLICH], [BELEBT], [FORM], [INDIVIDUUM], [MENGE], auch grammatikalischen Kategorien wie Plural, der lexikalischen Disambiguierung, können aber auch scheinbar arbiträre Distinktionen beinhalten (zuweilen ist die Funktionsabgrenzung durch Sprachwandel, Ton-Sandhi oder metaphorische Erweiterung verdunkelt) (cf. Riddle 2008, 136). Klassifikatoren stehen ihrerseits in Abhängigkeit von grammatikalischen, diskurspragmatischen Faktoren und interagieren mit paragrammatischen Eigenschaften der zugrundeliegenden Sprache (cf. ibid., 136ss.). Sie stehen insgesamt den Funktionswörtern nahe. In ähnlicher Weise verleihen die Numerativa dem Chinesischen auf Grund derselben klassifizierenden Funktion mit Bezug auf die Nomina einen flektierenden Zug (cf. Skalička [1946]/1979, 191). Die Interpretation im Sinne der funktionell-strukturellen Typologie deckt sich hier mit einer onomasiologischen über den Rekurs auf die Bezeichnungsebene, da jeweils die Klassifikation der außersprachlichen Wirklichkeit im Mittelpunkt steht (cf. Staib 1988 zu den generischen Komposita; cf. auch Wandersmann und Bildungen des Typs homme politique ‘Politiker’, homme de loi ‘Jurist’ etc.). Aus rein morphologischer Sicht liegt bei den generischen Komposita des Typs jagen – Jäger ‘einer, der jagt’ oder arroser (‘gießen’) – arrosoir (‘Gießkanne’) das Verfahren der Agglutination vor
|| 98 So bei zwei Laib Brot, zwei Glas Milch (statt zwei Gläser Milch) bzw. in Kollokationen mit den Wörtern Blatt, Bund, Mann, Paar, Sack.
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(bei dt. Jäger tritt außerdem die Introflexion hinzu, die sich im Umlaut manifestiert). Lexematische Kompositionen des Typs Handelsmann, Gießkanne sind insbesondere für das Deutsche charakteristisch; sie entsprechen dessen polysynthetischer Komponente.99
5.4.2 Transposition und Hypostase Da die Transposition, namentlich die formal unmarkierte Konversion für den «französischen» Typus eine herausgehobene Rolle spielt, will ich mich diesem Phänomen im Besonderen widmen. Beispielsweise lässt sich das Faktum, dass Verben ohne Veränderung als Substantive fungieren können und umgekehrt, dahingehend interpretieren, dass das Französische die Ebene der Wortgruppe vorziehe (cf. Eckert 1986): So wird die Lautfolge [nɛʒ] erst auf der Ebene der Wortgruppe als Substantiv (la neige) oder als Verb (il neige) identifiziert. Das Phänomen, dass Wörter in einer anderen als der ihnen (primär oder sekundär) zukommenden syntaktischen Funktion verwendet werden können, tritt in den Sprachen in mehrfacher Gestalt in Erscheinung. Bally (41965) verwendet für diese Erscheinung insgesamt den Terminus der Transposition (siehe auch Skaličkas 1959b weit gefassten Begriff der Transposition).100 Dokulils (1968c; cf. 1968d) Klassifizierungsversuch bringt die Komplexität der Lage deutlich zum Ausdruck; eine andere Systematisierung hat Staib (1988, 30–44) vorgelegt (cf. auch Staib 1989). Staib unterscheidet zwischen drei Typen der «Transposition»: Eine als «lexikalisch» bezeichnete Transpositionsart, eine «syntaktische» und
|| 99 Die Klassifizierungsfunktion, die eher für die Einordnung dieses Kompositionstyps des Deutschen unter die Flexion spricht, wirft die Frage auf nach einer sich möglicherweise harmonisch bedingenden, korrelativen Verbindung von Polysynthese und (schwacher) Flexion (bzw. Introflexion); cf. Skalička [1946]/1979, 189: «Eine schwache Introflexion verträgt sich gut mit der Polysynthese. Sie hat ja einige Merkmale mit der Polysynthese gemeinsam[,] und zwar vor allem das Fehlen der Endungen». Um eine ähnliche Korrelation handelt es sich im Falle eines empirisch nachweisbaren gemeinsamen Vorkommens von polysynthetischen und flektierenden Strukturen. 100 Man vergleiche Ballys Verständnis dessen, was er als Hypostase bezeichnet in Abgrenzung zur funktionellen (grammatischen oder syntaktischen) Transposition einerseits und zur semantischen Transposition andererseits (cf. Bally 41965, 116; zur Kritik an dieser Differenzierung siehe Coseriu 1982a, 7). Dokulil (1968c, 224) erachtet es als durchaus sinnvoll, «die verschiedenen Typen der Konversion nach der Art der semantischen Beziehung zwischen dem zugrundeliegenden und dem konvertierten Wort zu ermitteln und sie mit entsprechenden Suffigierungstypen zu vergleichen».
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eine «syntagmatische» Art der Transposition.101 Als entscheidendes Kriterium der Systematisierung nach Staib liegt die Frage nach der Bildung eines neuen Wortes gemäß einem systematischen paragrammatischen Verfahren zugrunde: 1.
«Lexikalische Transposition»: Hierbei handelt es sich um ein tatsächlich wortbildendes Verfahren, das einen Wechsel der kategoriellen Bedeutung der Basis voraussetzt. Durch den Übertritt in eine neue Wortkategorie wird ein gegebenes Lexem einer Sprache in die Lage versetzt, Satzfunktionen zu erfüllen, die das Primärwort nicht vorsieht. Dabei entsteht ein neues Wort. Die lexikalische Transposition beinhaltet eine Grammatikalisierung der zugrunde liegenden Basis, die im Unterschied zur syntagmatischen Transposition (cf. (3) infra) stets auf Wortebene erfolgt. Die syntagmatische Transposition geht der lexikalischen logisch voraus. Wichtig ist die Feststellung, dass dies «eine Rechtfertigung von Wortbildungsuntersuchungen unter syntaktischem Gesichtspunkt aber nur insofern darstellt, als Wortbildung etwas mit den syntaktischen Funktionen vor ihrer ‘Einbettung’ in konkreten Sätzen zu tun hat, nicht jedoch auf konkrete Sätze zurückgeht» (Staib 1988, 37; cf. Coseriu 1977, 56). Anders als die «syntaktische Transposition» (cf. (2) infra) erfolgt die lexikalische Transposition stets auf der Basis von inhärenter oder syntagmatisch transponierter Satzfunktion (cf. Staib 1988, 37). So stellt changement das lexikalische Transponat des Verbs changer dar und impliziert die diesem inhärente Prädikatfunktion; national hingegen setzt das syntagmatisch transponierte Äquivalent de la nation voraus (cf. Ibid.).
2.
«Syntaktische Transposition»: Die «syntaktische Transposition» dient dazu, inhärente satzfunktionelle Festlegungen der Wortarten zu überwinden (cf. Staib 1988, 38). Sie liegt dann vor, wenn ein Wort – in Abhängigkeit von der ihm inhärenten Wortkategorie – in einer anderen als der ihm primär oder sekundär entsprechenden Satzfunktion Verwendung findet; diese Art der Transposition führt typischerweise zu keiner formalen Veränderung der Basis, auch wenn die Abwesenheit eines materiellen Kennzeichens kein notwendiges Unterscheidungskriterium in Bezug auf (1) darstellt. Prinzipiell sind alle Lexeme einer Sprache geeignet, als Basis der syntaktischen Transposition zu fungieren; dabei entstehen Substantive, Adjektive und Adverbien, wobei
|| 101 Die verschiedenen Typen sind aus typologischer Sicht unter Anwendung auf die Einzelsprache unbedingt im Zusammenhang zu interpretieren.
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der Transposition zum Substantiv102 eine herausragende Stellung zukommt.103 Staib untergliedert den Bereich der synaktischen Transposition in die Konversion, «die als Substantivierung eine absolute Hypostase darstellt, deren Resultat eine Konkurrenz zu lexikalisch transponierten Nomina qualitatis und Nomina actionis bildet», sowie in die elliptische Hypostase als «okkasionelles sprechaktgebundenes Verfahren, das zumindest in seiner archilexematischen und klassematischen Ausprägung mit dem Wortbildungstyp der generischen Komposition konkurriert» (Staib 1988, 44). Neben der Substantivierung eines Prozesses oder einer Qualität an sich durch die «absolute Hypostase» stellt die «elliptische Hypostase» ein Verfahren der syntaktischen Transposition dar, bei dem die Basis in Abhängigkeit von ihrem Träger oder Objekt substantiviert wird. Was die Ellipse daher von der Abstrakta bildenden Hypostase wesentlich abhebt, ist der Umstand, dass
|| 102 Die aus syntaktischer Transposition hervorgegangenen Substantive stehen in starker Konkurenz zu den generischen Komposita; zudem stellt die syntaktische Transposition in manchen Bereichen sogar das einzige Verfahren zur Thematisierung einer syntaktischen Substantivfunktion dar (cf. Staib 1988, 38). 103 Im Rahmen der Substantivierung qua Transposition kann von Hypostase gesprochen werden: «Die Hypostase ist die sprachliche Darstellung als Substanz» (daher kann sie sich auch einzig auf nichtsubstantivische Basen beziehen). Der Begriff besitzt eine Verankerung in der antiken Tradition (cf. Bally 41965, 165, §275, Anm. 1 «[hypostase] du grec hupóstasis qui, chez Aristote, désigne l’existence indépendante, qui subsiste par soi-même») und findet sich auch bei Dokulil (1968b, 234): «Als Hypostase bezeichnet man üblicherweise (besonders in der Philosophie) den Grundfall der Transposition […], dessen Wesen darin besteht, dass ein sprachlicher Inhalt, den man sich naturgemäß als ein Merkmal einer Substanz, also als abhängige Erscheinung vorstellt, auf Grund einer Abstraktion als selbständig existierend, also ‘vergegenständlicht’ gedacht wird (also dt. grün → Grün, tsch. zelený → zeleň/zelenost). […] So setzt die Wortarttransposition[,] der Wortartübertritt als ein der Inhaltsebene angehörender Begriff, die Identität des Inhalts voraus, der durch das Prisma einer ihm primär nicht entsprechenden Denk- und Sprachkategorie betrachtet wird. Die Hypostase bezeichnet dann in diesem Rahmen die Auffassung eines Merkmals, insbesondere einer Eigenschaft, d.h. einer nur an einer Substanz existierenden Erscheinung, durch das Prisma der Substanz, d.h. der selbständig existierenden Erscheinung». Entsprechend seiner Transpositionstypologie unterscheidet Staib (1988, 38) zwischen lexikalischer und syntaktischer Hypostase. Ein anderes Verständnis der Hypostase im Sinne einer «Verdinglichung» wird von Lipka (1977, 161) vertreten (zu weiteren Konzeptionen des Begriffs cf. Staib 1988, 38–39, Anm. 80). Coseriu (1973b) betrachtet die Hypostase als eine Subordination (Subordinierung) im Rahmen seiner spezifischen Grammatikkonzeption, die auf verschiedenen grammatischen Schichten aufbaut, «also als die Möglichkeit der Sprache, etwas, was seiner Konstitution nach zu einer bestimmten Ebene der Sprache gehört, als Einheit in einer anderen Ebene zu verwenden» (cf. Staib 1988, 38, Anm. 80). So kann etwa eine Wortgruppe wie the man I saw yesterday in the man I saw yesterday’s hat als Wort fungieren.
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das ausgelassene substantivische Element im engeren oder weiteren Kontext104 zumindest inhaltlich gegeben ist und sich insofern in der Regel leicht restituieren lässt (cf. Staib 1988, 39–40). Elliptische Bildungen beziehen sich im Grunde einzig auf die Substantivierung von Adjektiven, nicht jedoch von Verben. Dessen ungeachtet lassen sich auch dann Handlungen oder Zustände durch Ellipse substantivieren, wenn die als Basis fungierende Verbalform zuvor adjektiviert wurde, wodurch das Verb die Eignung erhält, ein Substantiv ähnlich wie eine Qualitätsbezeichnung zu determinieren. Eine solche Adjektivierung wird durch die Bildung von Partizipialformen erreicht (cf. Staib 1988, 40). Was die Verfahren voneinander in semantischer Hinsicht unterscheidet, ist der jeweilige Grad der Konkretisierung des Subjekts: Das von der absoluten Hypostase sekundär thematisierte Substantiv erscheint wesentlich unbestimmter als das Substantiv der elliptischen Hypostase (cf. Staib 1988, 42). Daher können die absoluten Hypostasen nicht sämtliche grammatische Determinierungen eines primären Substantivs (wie Pluralkennzeichen, unbestimmter Artikel, qualifizierende Adjektive) zu sich nehmen; dagegen sind die elliptischen Hypostasen in dieser Hinsicht kaum Restriktionen unterworfen. Als klassematische Ellipsen mit Bezug auf Lebewesen lassen sie dieselben Markierungen einer Genusdifferenzierung zu wie die durch das Klassem implizierten Substantive. Diese grammatischen Unterschiede beruhen jedoch darauf, dass «absolute Hypostasen Qualitäten und Prozesse als eigenständige Substanzen darstellen, während elliptische Hypostasen pronominale Bezeichnungsmöglichkeiten für selbständig existierende Substanzen sind» (Staib 1988, 42; cf. Coseriu 1973, 94–95). Daher umfassen elliptische Hypostasen neben dem Lexem der Grundlage ein weiteres inhaltliches Element (Lexem, Klassem mit Bezug auf Lebewesen in der lexematischen Ellipse oder Archilexem mit Bezug auf eine bestimmte Wirkung zeitigende «Sachen» oder «NichtLebewesen», cf. Staib 1988, 42 sowie 41, Anm. 87).105 Die «syntaktische Transposition» nimmt eine Zwischenstellung zwischen lexikalischer und syntagmatischer Transposition insofern ein, als sie
|| 104 Dazu gehören einerseits der sprachliche, andererseits aber auch der sachliche und situative Kontext einer Äußerung. 105 Dieser Unterschied bildet die Grundlage dafür, dass einerseits absolute Hypostasen mit Nomina actionis und Nomina qualitatis, andererseits elliptische Hypostasen mit Nomina agentis und Nomina instrumenti als grundsätzlich verschiedene Verfahren miteinander konkurrieren (cf. Staib 1988, 42).
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zum einen, wie die lexikalische Transposition, den kategoriellen Wechsel eines Wortes bedingt; zum anderen insofern, als sie, wie die syntagmatische Transposition, nicht in eigentlichem Sinne zur Bildung eines neuen Wortes der Sprache führt. Dennoch, so Staib (1988, 32), «stehen die Resultate syntaktischer Transpositionen den Derivationen näher als den rein satzfunktionellen Transpositionen. Im Unterschied zu diesen stellen sie keine Äquivalente einfacher Wörter dar, sondern sind Wörter, die im Redekontext okkasionell eine andere kategorielle Bedeutung annehmen und deshalb als Substantive, Adjektive oder Adverbien fungieren können». Insgesamt sind die aus der syntaktischen Transposition hervorgegangenen Bildungen als okkasionelle, nicht fixierte kategorielle Umwertungen in der Rede (Staib 1988, 37) zu betrachten; diese sind jedoch der Idiomatisierung prinzipiell ausgesetzt. Dabei geht die lexikalische Transposition der syntaktischen logisch voraus, was sich damit begründen lässt, dass die Produkte der lexikalischen Transposition zusätzlich eine «syntaktische Transposition» erfahren können; dagegen können syntaktische Transponate laut Staib (1988, 37) weder Gegenstand von Wortbildungsverfahren werden noch grammatische Determinationen annehmen. Dies bedeutet zugleich, dass sich die «syntaktische Transposition» (im Gegensatz zur «lexikalischen Transposition», cf. supra) sowohl auf primäre wie auf sekundäre, lexikalische Transpositionen beziehen kann. 3.
«Syntagmatische Transposition»: Dieser Transpositionstyp betrifft sprachliche (syntagmatische) Einheiten, die aus mehreren formalen Elementen bestehen, aber erst in ihrer Gesamtheit funktionell einer primären Einheit entsprechen. Der komposite Charakter der Basis unterscheidet diesen Typus von den beiden anderen. Die syntagmatische Transposition dient wesentlich dazu, satzfunktionelle Äquivalente für einfache Lexeme zu bilden, ohne dass der wortkategorielle Status der involvierten Lexeme berührt würde. Die syntagmatische Transposition geht wie die lexikalische Transposition einher mit einer Grammatikalisierung der Basis. Dieser Transpositionstyp befähigt Wörter wie Syntagmen, satzfunktionell die Rolle von einfachen Wörtern im Satz einzunehmen. Insgesamt «funktioniert das Resultat einer syntagmatischen Transposition syntaktisch wie ein entsprechendes einfaches Wort, ohne mit ihm kategoriell übereinzustimmen» (Staib 1988, 32). Dies ist auch der Grund, weshalb die «Basen» von syntagmatischen Transpositionen im Grunde nicht vollständig angegeben werden können: So beinhalten sie nicht nur einfache Wörter, sondern auch deutlich komplexere Strukturen (cf. ibid.,
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Anm. 61). Laut Tesnière (21966) kann die Strukturierung der «Basen» einer syntagmatischen Transposition mehrere Stufen umfassen, was anhand folgenden Beispiels aus dem gesprochenen familiären Französisch belegt wird: des souvenirs de quand j’étais enfant. Hier wird nach Tesnière zunächst ein selbständiger Satz j’étais enfant durch den «translatif» quand zum Adverb mit anschließender Translation zum Adjektiv. Daran lässt sich ferner ablesen, dass die syntagmatische Transposition den kategoriellen Status der Lexeme nicht berührt: So erscheint étais nach wie vor in der konjugierten Form, enfant bleibt prädikativ gebrauchtes Sustantiv. Die gesamte komplexe Struktur fungiert jedoch qua syntagmatische Transposition als Äquivalent eines einfachen Wortes, hier eines Adjektivs (cf. Staib 1988, 32, Anm. 61). Ferner unterscheidet Staib zwischen einer expliziten und einer impliziten Transposition je nachdem, ob der Wortkategorienwechsel mit einem materiellen Verfahren einhergeht oder nicht. 1.
Explizite Transposition: a. Explizite lexikalische Transposition: Sie kann zur Bildung neuer Lexeme führen; in der Regel kommt das Verfahren der Suffigierung zum Tragen, z.B. la maison paternelle (← père). Die Suffigierung führt hier zur Bildung eines neuen Adjektivs auf lexikalischer Ebene. Funktionell besitzt dieses gemäß der ihm inhärenten wortkategoriellen Bedeutung attributiven Wert. b. Explizite syntagmatische Transposition: Die explizite Transposition kann sich neben der lexikalischen auch auf die syntaktische Ebene beziehen und resultiert dann nicht in der Bildung eines neuen Wortes. Auf syntaktischer Ebene führt die explizite Transposition vielmehr dazu, dass Wörter in einer Satzfunktionen verwendet werden können, die ihnen (primär oder sekundär) nicht entspricht. Dem obigen Beispiel entspräche nach diesem Verfahren eine mit syntaktischen Mitteln gebildete Konstruktion: la maison du père (cf. supra VICTORIA CAESARIS, Kap. 5.3.3). Dabei wird kein neues Wort im Lexikon der Sprache geschaffen, sondern ein Substantiv mittels der Präposition de dazu befähigt, eine attributive Funktion zu übernehmen. Was beide Verfahren verbindet, ist die gemeinsame Funktion: die jeweils auf lexikalischer und syntaktischer Ebene eingesetzten Morpheme (X + Suffix bzw. präpositionale Ergänzung bestehend aus Präp. + X) kennzeichnen hier die attributive Funktion des Substantivs (X = père).
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Beide Transpositionsarten sind typische Verfahren des Französischen, wobei die Transposition qua Suffigierung eher den ererbten Typus reflektiert, die syntagmatische Transposition eher die moderne Entwicklung des Französischen hin zur Stärkung der syntagmatischen Ebene. Beide Verfahren sind grundlegend für eine Typusbestimmung des Französischen, wobei die funktionelle Äquivalenz zwischen einerseits wortbildenden, andererseits syntaktischen Verfahren eine Aufteilung der Funktionen über beide Systembereiche ermöglicht. Auf dieser Basis kann auch die Frage nach der typologischen Einheit gestellt werden. 2.
Implizite Transposition: a. Implizite lexikalische Transposition: Hierher gehört die als «dérivation régressive» (Nyrop 21936, 253ss.) bezeichnete Transposition bzw. die Ableitung mit Hilfe eines Nullmorphems (Marchand 21969, 359ss.) gemäß dem Muster (la) marche ← marcher. Bei diesem Verfahren herrscht eindeutig die deverbale Ableitung von Substantiven vor. b. «Implizite syntaktische Transposition»: Diese bezieht sich auf die Verwendung eines Wortes in einer anderen als der ihm inhärenten Wortkategorie, also etwa die Übergänge Substantiv → Adjektiv (des photographies couleur, une visite éclair, une date limite, manière maison etc., cf. Rohrer [1967]/1977, 104–108), Adjektiv → Adverb (parler bas, chanter faux, acheter français etc.) sowie namentlich die Derivationsrichtungen Adjektiv → Substantiv (le rouge, le vrai, le sublime etc.) und Verb → Substantiv (le dire, le parler, le manger etc.).106 Die «implizite syntaktische Transposition» steht im Übergang Adjektiv → Substantiv und Verb → Substantiv in Konkurrenz zur generischen Komposition, (cf. Staib 1988, 31); cf.: parler (‘sprechen’) – le parler (‘Sprechweise’; ‘Mundart’ – lexikalisiert) – le parleur (‘Schwätzer’) (generische Komposition mit Lexikalisierung).107
Auf diesem Hintergrund lässt sich folgende Kreuzklassifikation erstellen: || 106 Hierbei ist die häufig völlige Lexikalisierung zu berücksichtigen. 107 Es zeigt sich, dass die mit dem Grundwort materiell identischen «homonymen Konversionen» mitunter recht verschiedene Bedeutungen realisieren, die teilweise Lexikalisierungen darstellen (insbesondere in Bereichen, in denen Fachterminologien zum Tragen kommen), teilweise eine oder mehrere systematische paragrammatische Inhalte implizieren. Diese Inhalte können denjenigen entsprechen, wie sie etwa durch die Suffixe der generischen Komposition zum Ausdruck kommen.
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Tab. 5: Typen der Transposition
Lexikon
Syntax
Explizite Transposition Lexikalische Transposition Syntagmatische Transposition: (mit formaler Kennzeichnung) (typischerweise Suffigierung): la maison du père maison paternelle Implizite Transposition (ohne formale Kennzeichnung)
evtl. «Nullableitung»: (la) marche ← marcher
Syntaktische Transposition: une voiture sport, filer doux, le nécessaire, le souvenir etc.
Problematisch erscheint nach dieser Systematisierung der Transpositionstypen der Begriff der «Nullableitung». Mit einem Verständnis der Nullableitung ist der Begriff der «impliziten» Transposition dort nicht vereinbar, wo die Nullableitung mit einem Nullmorphem operiert. Die Problematik betrifft die Unterscheidung zwischen «Null» und «nichts».108 Das Verfahren der impliziten Transposition würde demnach einen Begriff der Nullableitung zur Bedingung machen, der nicht von «Null», sondern von «nichts» ausgeht109 (eine solche Unterscheidung wird in der Wortbildungstheorie gar nicht überall getroffen). Die Differenzierung zwischen impliziter und expliziter lexikalischer Transposition, die auf einem formalen Kriterium beruht, wird bei der Annahme eines Nullmorphems hinfällig (cf. Staib 1988, 31–32).
5.4.3 Das Problem der Nullableitung bzw. das Prinzip der «offenen Analogie» in Paragrammatik und Grammatik 5.4.3.1 Paragrammatik Der Begriff der Konversion wurde laut Hans Marchand (21969, 360) erstmals von Henry Sweet ([11892]/1900, 38, §105)110 in die linguistische Diskussion eingeführt || 108 Speziell zur Opposition zwischen «Null» im Sinne eines Nullmorphems und «nichts», das einer Lücke entspricht, siehe die Diskussion in Bergenholtz/Mugdan (2000, 436–437). 109 Auch Sgall (persönliche Korrespondenz) weist darauf hin, dass für die Unterscheidung zwischen «Null» und «nichts» oft keine Kriterien an die Hand gegeben werden können. Skaličkas Standpunkt scheint der gewesen zu sein, dass von einem Nullmorphem nur dort gesprochen werden sollte, wo es sich um eine primäre Anwendung des Stammes handelt, also «nichts» im Nominativ, Imperativ, aber Null z.B. im tsch. Gen. Pl. dam von dáma ‘Dame’, měst von město ‘Stadt’ (neut.). 110 Die entsprechende Stelle in Sweet (1900, 38) lautet: «When we talk of the whiteness of the snow instead of saying the snow is white, we make the adjective white into the noun whiteness
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und anschließend von Etsko Kruisinga (1911) und anderen wieder aufgegriffen, wobei die Verwendungsweisen sehr Unterschiedliches umfassen können. Kruisinga bezeichnet als Konversion jede Art des Gebrauchs eines Wortes in einer anderen als der ursprünglichen, grundlegenden Funktion, so etwa die Verwendung eines Adjektivs als ein primäres Wort (Substantiv) wie in the poor, the British, at his best, und schließt auch «Zitierwörter» des Typs his «I don’t knows» mit ein sowie den Gebrauch von Substantiven als Präadjunkte, also als Adjektive in attributiver Funktion wie in stone wall etc. Diese Verwendungsweise entspricht dem, was Charles Bally (41965, 116, 129, 165) als «transposition fonctionnelle ou hypostatique» bezeichnet. Herbert Koziols (1937) Auffassung schließt sich an die Kruisingas an. Neben Konversion findet sich auch der Terminus «Funktionswechsel». Marchand akzeptiert den Gebrauch des Begriffs Konversion für den Fall der syntaktischen Transposition eines Wortes wie bei government in government job, da es sich hier lediglich um ein rein syntaktisches Phänomen handle: «The use of a sb as a preadjunct represents a regular syntactic pattern which has nothing to do with word-formation and derivation.» (Marchand 21969, 360) Dokulil (1968d, 56) schlägt vor, «den Terminus der Konversion im Einklang mit dessen üblicher Interpretation als Übertritt einer Wortart in eine andere nur für jene Fälle vorzubehalten, in denen es zu einer funktionellen Umwertung einer (syntaktisch aufgefassten) Wortart in eine andere kommt, die sich keineswegs in der morphologischen Wortform äußert, und wo also kein neues Wort entsteht». So handle es sich bei den engl. Typen the poor, stone (wall) nicht um neue Wörter, sondern um eine primäre und eine sekundäre Funktion desselben Wortes (bzw. Syntagmas) (cf. Dokulil 1968d, 57). Auch wenn das Kriterium der Schaffung eines neuen Lexems im Wortschatz der Sprache (das in Staibs (1988, 31) Systematisierung der Transpositionstypen als grundlegend betrachtet wird) nicht erfüllt ist, «werden durch eine derartige ‘unadäquate’ Wortverwendung die Voraussetzungen für das Entstehen eines neuen Wortes geschaffen» (Dokulil 1968d, 56, Anm. 3).111
|| by adding the derivative ending -ness. But in English, as in many other languages, we can often convert a word, that is, make it into another part of speech without any modification or addition, except, of course, the necessary change of inflection, etc. Thus we can make the verb walk in he walks into a noun by simply giving it the same formal characteristics as other nouns, as in he took a walk, three different walks of life. We call walk in these two collocations a converted noun, meaning a word which has been made into a noun by conversion». 111 Cf. Staib (1988, 37): «Bei den Produkten der syntaktischen Transposition handelt es sich […] um okkasionelle, nicht fixierte kategorielle Umwertungen in der Rede, die allerdings lexi-
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Insgesamt fasst Dokulil den Begriff der Konversion sehr weit und subsumiert darunter auch – anders als Staib (cf. insbesondere Staib 1988, 43, Anm. 93) – die «dérivation régressive», was auf Dokulils morphologisch ausgerichtete Grundkonzeption zurückgeht. So begreift er die Konversion primär als ein materielles Verfahren, das der Prä- und Suffigierung gegenübergestellt wird. Daraus resultiert auch seine Auffassung von der Konversion als Nullableitung (cf. Dokulil 1968c, 229; 1968d): «Wenn man von der Tatsache ausgeht, dass die eigentliche Domäne des Paradigmawechsels die Suffigierung ist und diese neben der Präfigierung den Kern der Ableitung bildet, so liegt die Annahme nahe, in der sog. Konversion eine Ableitung mit Nullsuffix zu sehen». Allerdings wird eingeräumt, dass die Anwendung des Konzepts der Nullableitung auf ausgeprägt flexivische Sprachen Probleme bereitet (cf. Dokulil 1968d, 63–64): «Die Frage des Nullsuffixes in der synchronischen Wortbildung ist im Grunde die Frage der Wertung der semantischen und formalen Wortstruktur. Es hängt in erster Linie vom Typ der betreffenden Sprache ab, namentlich davon, wie in ihr die flexive Morphologie entwickelt ist und wie eng die Beziehungen der Flexion und der Affixation sind und welche Rolle sie bei der Wortableitung spielen, mit anderen Worten, wie sich die flexiven und agglutinativen Züge bei der Derivation geltend machen, ob wir berechtigt sind, die semantische Strukturierung eines derivierten Wortes in die formale Struktur seines Stammes schlechthin zu projizieren, oder ob wir mit einem komplizierten Zusammenspiel des Wortstammes und der formbildenden Charakteristik rechnen müssen, und wir also den unveränderten Wortstamm als ein Syntagma oder als ein Monem betrachten und interpretieren werden, ob wir das Fehlen eines Affixes bei einem semantisch abgeleiteten Worte als einen semantischen Wert auffassen werden oder nicht».112
Mit Blick auf die romanischen Sprachen bedeutet dies analog: «Die Konversion durch Wechsel der Flexionskategorien ist aus dem Lateinischen ererbt. Wollte man dieses Verfahren als Ableitung mit einem Nullsuffix rechtfertigen, müsste man dies zuerst für das Lateinische tun, da die reiche Morphologie dieser Sprache eine
|| kalisiert werden können und dann als neue lexikalische Einheiten der Sprache zu betrachten sind». 112 Das Englische stellt wohl auch mit Bezug auf das Phänomen der Konversion eine der bestuntersuchten Sprachen dar; außerhalb der germanischen Sprachgruppe, für die die Konversion insgesamt belegbar (wenn auch in geringerem Ausmaß) und relativ umfassend untersucht ist, muss die Konversion jedoch als «seriously underresearched» (Don et al. 2000, 950) gelten: Zum einen kann es vorkommen, dass Konversion auf Grund der morphologischen Beschaffenheit einer Sprache keine Eigenschaft derselben darstellt, zum anderen sind für viele Sprachen bezüglich der morphologischen Struktur keine hinreichenden Datenmengen verfügbar, um über die Existenz oder Nichtexistenz der Konversion entscheiden zu können.
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solche Erklärung plausibler machen müsste als Sprachen mit weniger entwickelter Morphologie wie die romanischen oder gar das Englische» (Lüdtke 1996a, 253).
Zum Begriff der Ableitung mittels eines Nullmorphems oder «Nullableitung» nach Marchand heißt es einleitend zum entsprechenden Kapitel seines Werks: «By derivation by a zero-morpheme I understand the use of a word as a determinant in a syntagma whose determinatum is not expressed in phonic form but understood to be present in content, thanks to an association with other syntagmas where the element of content has its counterpart on the plane of phonic expression» (Marchand 21969, 359).
Marchand führt präzisierend eine weitere Unterscheidung zwischen «Konversion» und «irreversibler Nullableitung» (Marchand 21969, 360) ein:113 «We speak of derivation only when a word changes its word class or its lexical class […]. For this reason we have considered transpositional adjectives of the type polar f. pole derived adjectives. We have included them because syntactic derivatives belong to a different word class from their bases. The change of word class is evident in form and syntactic behaviour as one that is irreversible. The transposed words polar, criminal cannot be used again in the same word class as pole and crime respectively, quite unlike government in government official: there is nothing final in the transposition of government, the word can at any moment be used again as a determinatum in another construction. Its primary character has not been affected by the possibility of its being used as preadjunct. The use of substantives as preadjuncts therefore will not be considered parallel to that of syntactic derived adjectives. A syntactic zero morpheme parallel to the overt morpheme -ar of the type polar cannot be claimed, the process is not relevant to derivation».
Das der «offenen Analogie» zugrunde liegende Prinzip lässt sich wie folgt explizieren: «It is because of the parallelism with overtly marked derivatives that we speak of zeromarked derivatives or zero-derivatives, not just because of the added element of content which characterizes the transposition of the adj clean to the verb clean, etc. Our standpoint would be quite different if a transposition including change of content were never marked at all. We can speak of a zero-morpheme only when zero sometimes alternates with an overt sign in other cases (cash-Ø ~ atom-ize). A sign always has the two facets of expression and content. Therefore zero, which is a sign, cannot just stand for content only if this content is never in any way matched by phonic form» (Marchand 21969, 360).
|| 113 Nach Coseriu (1968c, 13) zeichnen sich die sekundären Strukturen einer Sprache, die dem Gebiet der Wortbildung nach traditionellem Verständnis entsprechen, dadurch aus, «qu’elles [les structures secondaires] impliquent toujours la transformation irréversible d’un terme primaire existant en tant que lexème de contenu et d’expression dans la langue».
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Die Analogie wird auf der Basis der expliziten morphologischen Markierung etabliert, wobei das Nullmorphem dieselbe derivationelle Funktion beinhaltet wie das auf phonologischer Ebene manifeste Morphem. Solche analogischen Relationen finden sich bereits bei de Saussure114 und werden von Bally (41965, 160, §248) wie folgt konstatiert: «Les couples former: form-ation, laver : lav-age, régler : règle-ment sont unis par le rapport de verbe à nom d’action, et la notion de nom d’action est exprimée par les suffixes -ation, -age, -ment. Mais le même rapport existe entre marcher et marche, calculer et calcul, etc. Or, d’une part, il est inconcevable que marche et calcul soient réduits au radical verbal; d’autre part, l’application mentale des patrons form-ation, etc. crée le sentiment (inconscient) que les mots marche, etc. ont un suffixe zéro de nom d’action».
Dabei wird das «signe zéro» definiert als «un signe qui, sans signifiant positif, figure avec une valeur déterminée à une place déterminée d’un syntagme échangeable avec un ou plusieurs syntagmes de même espece [sic] où ce suffixe a une forme explicite» (Bally 41965, 161, §248). In der Analyse nach Bally, die zwischen analogischen und mittels komplementärer Assoziation eruierten Relationen differenziert, wird also die Analogie auf der Basis derselben Funktion zu etablieren versucht, so dass die als analogisch miteinander in Verbindung gebrachten Formen in Kombination mit der Basis eine gleichgeartete Determination derselben bewirken. Eine auf Analogie basierte Annahme von Nullrealisierungen einer bestimmten Funktion kann im Bereich der Flexionsendungen für solche Fälle aufrechterhalten werden, die bezüglich der zugrunde liegenden Oppositionen dasselbe analogische Verfahren reflektieren, wie es der Annahme von derivationellen Nullmorphemen zugrunde liegt; dies ist etwa beim Pluralmorphem bei Substantiven im Englischen
|| 114 Der erste Verweis auf die Existenz von Nullelementen in einer Sprache wird in der Literatur meist (aber nicht unumstritten) mit dem altindischen Grammatiker Pāņini in Zusammenhang gebracht (siehe Bergenholtz/Mugdan 2000, 437). Deutlichere Hinweise auf eine Interpretation sprachlicher Elemente im Sinne von Nullmorphemen finden sich bei Jan Baudouin de Courtenay 1902 (verfasst bereits 1870) und Ferdinand de Saussure, ohne jedoch eine gegenseitige Abhängigkeit beider oder einen Bezug zu Pāņini eindeutig nachweisen zu können. Bei Baudouin de Courtenay (1902, 245/[1963, 27]) lautet die Stelle wie folgt: «Formen mit der Endung Null oder ohne jede Endung» (zit. nach Bergenholtz/Mugdan 2000, 436 bzw. 437). De Saussure illustriert sein Verständnis von «Null» anhand des Beispiels slovo ‘Wort’ und žena ‘Frau’ (mit slov und žen als Genitiv Plural) aus dem Tschechischen: «Ici le génitif (slov, žen) a pour exposant zéro. On voit donc qu’un signe matériel n’est pas nécessaire pour exprimer une idée; la langue peut se contenter de l’opposition de quelque chose avec rien; ici, par exemple, on reconnaît le gén. pl. žen simplement à ce qu’il n’est ni žena ni ženu, ni aucune des autres formes» (de Saussure 1916, 127).
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gegeben: This sheep is nice : These sheep are nice gegenüber This cat is nice : These cat-s are nice. Die analogische Relation lautet hier – wie im Falle der derivationellen Nullanalogien (answer (n.) : announcement) – sheep (Sg.) : sheep (Pl.) = cat (Sg.) : cat-s (Pl.). Demgegenüber steht der Singular in allen Fällen mit Null in Opposition, so dass hierfür kein Nullmorphem angenommen zu werden braucht, d.h. der Singular bleibt unmarkiert (also «nichts»). Der Fall, dass Null stets mit Null kontrastiert, lässt sich mithin nicht als analogische Relation identifizieren. 5.4.3.2 Grammatik Die Paragrammatik ist also nicht der einzige Ort einer intensiven Diskussion der Nullmorphemproblematik; ein Nullmorphem (zuweilen auch lediglich ein Nullallomorph, cf. Bloch 1947)115 wird vornehmlich dort angesetzt, wo mehrere verschiedene Formen in einer bestimmten Position erscheinen, wobei jede eine bestimmte Bedeutung trägt, und wo dann, wenn eine der miteinander in Opposition stehenden Formen in der entsprechenden Position nicht realisiert ist, dennoch eine bestimmte Bedeutung assoziiert wird, die nicht in den Bedeutungen der anderen Formen, die an dieser Stelle auftreten können, enthalten ist (cf. Sanders 1988, 163). Bally beschreibt diese Situation mit folgenden Worten: «Il y a des désinences zéro. En latin, vir, sans désinence, a valeur de nominatif singulier parce qu’il est associé, par voie d’analogie, avec les autres nominatifs domin-us, princep-s, manu-s, re-s; par association complémentaire à vir-um, vir-o, vir-ī, etc.; comparez 1) vir bonus et dominus bonus ; 2) hic vir illi viro similis» (41965, 161, §250).
Eine analogische Relation besteht also mit Formen derselben Bedeutung und damit beispielsweise mit den Formen anderer Deklinationsmuster bzw. Deklinationsklassen; eine Relation der komplementären Assoziation liegt hingegen vor mit Bezug auf die übrigen Formen des spezifischen Deklinationsmusters.116 Vergleicht man mit Fällen von einander als analogische Entsprechungen gegenübergestellten Formen aus der Wortbildung, so meint hier «analog» den Bezug auf Formen derselben Bedeutung, die an derselben Stelle im Syntagma dieselbe Funktion einnehmen, z.B. frz. -ation, -age, -ment (cf. Kap. 2.1.7 zu Syn-
|| 115 Cf. Bloch, B. (1947): «English Verb Inflection», Language 23, 399–418: «[O]ne of the alternants of a given morpheme may be zero; but no morpheme has zero as its only alternant» (ibid., 402). 116 Coseriu nennt die paradigmatischen grammatischen Relationen auch «assoziative» Relationen oder solche «in absentia», die syntagmatischen solche «in praesentia».
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tagma und Paradigma). Diese entsprächen den von Bally oben zu vir aufgeführten Formen: domin-us, princep-s, man-us, re-s. Analog zur Nominaldeklination lässt sich ein Nullmorphem mit grammatischer Funktion auch innerhalb der Verbalparadigmen postulieren; so kann die Annahme einer Nullendung bei frz. je marche auf der Grundlage eines analogischen Vergleichs mit frz. je march-ais, march-ai, march-erai, march-erais etc. begründet werden, wobei sich hier das Problem der Kumulation von Nullmorphemen stellt: Eigentlich erfordert je marche die Anfügung zweier Nullmorpheme, jeweils zum Ausdruck des Tempus sowie der Person – dies jedoch in Abhängigkeit vom Sprachtypus (cf. anschaulich Geckeler/Dietrich 1995, 84–85).
5.4.4 Konversion im Französischen Die Konversion117 kann als formale Ausprägung des inhaltlichen wortbildenden Verfahrens der Transposition118 (Entwicklung) aufgefasst werden. Das Prinzip, das bei funktioneller Identität von einer formalen Analogie zwischen den Wortbildungsmitteln, die bei einer Wortbildung zum Tragen kommen, ausgeht, hat zur Postulation eines Nullaffixes oder Nullmorphems geführt, wobei die Begründung dieser Annahme unmittelbar mit dem syntaktischen wortbildenden Ansatz verbunden ist. Die inhaltliche Parallelität kann dabei über entsprechende Paraphrasen nachgewiesen werden (la marche ‘le fait de marcher’ – le mouvement ‘le fait de se mouvoir’). Lüdtke (2001, 769) kritisiert die Vernachlässigung der Konversion (ohne morphologische Markierung) als alternativen Ansatz (siehe auch Dokulil 1968b), was die «Ablehnung des syntaktischen Ansatzes» impliziert.
|| 117 Die Anwendung dieses Terminus eignet sich vorrangig für Sprachen wie das Englische, die auf Grund ihrer morphologischen Grundbeschaffenheit bzw. typologischen Basisstruktur die Konversion als morphologisch unmarkierte Transposition in besonderem Maße entwickelt haben. 118 Die Rolle der Transposition in der Wortbildung und allgemein innerhalb der Sprachorganisation wurde von Skalička in seinem dieser Thematik gewidmeten Aufsatz (1959b) herausgestellt und bildet eine theoretische Konstante in Ballys (41956) Werk. Ballys Differenzierung in funktionelle und semantische Transposition (cf. insbesondere ibid., 116–117) ist hinlänglich bekannt. Der Stellung der Transposition im wortbildenden System der romanischen Sprachen wurde lange nicht genügend Beachtung geschenkt, da die Modifizierung im Vordergrund stand. Die Gründe für die Dominanz der Modifizierung können auf die überragende Bedeutung der Diminutive in den romanischen Sprachen in der sprachästhetischen und sprachpolitischen Diskussion um die Überlegenheit etwa des Italienischen über das Französische und damit auf den sprachwissenschaftsgeschichtlichen Diskurs zurückgeführt werden. Tatsächlich aber bildet die Transposition ein grundlegendes Prinzip der sprachlichen Strukturierung gerade auch des Französischen.
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Das Problem der Konversion stellt sich für die romanischen Sprachen als ein besonderes dar. Konversion gefasst als der bloße Übertritt eines Elementes von einer Wortkategorie (Substantiv, Adjektiv, Verb, Adverb) in eine andere ohne morphologische Kennzeichnung ist eine aus dem Englischen wohl bekannte und intensiv untersuchte Erscheinung der Wortbildung. Hier wie dort unterscheiden sich die Vertreter einer Wortkategorie auch im Falle der merkmallosen Transposition bzw. Konversion immer auch durch den Paradigmawechsel, also ihr spezifisches grammatisches Verhalten. Wortbildungsverfahren können zum einen über eigene Wortbildungsmorpheme zur Anwendung kommen, zum anderen aber auch auf grammatischen Morphemen beruhen (cf. Lüdtke 2001a, 775–776). Die Konversion als Wortbildungsverfahren beruht dann darauf, dass ein Wort einer bestimmten Wortkategorie in eine andere Wortkategorie übergeht und ggf. (je nach Sprachtyp) mit einem Wechsel der grammatischen Morpheme einhergeht (cf. Lüdtke 2001a, 769). So betrachtet kann die Konversion als ein eigenes (typologisch motiviertes) Wortbildungsverfahren aufgefasst werden. Die Häufigkeit, mit der eine Sprache von der Konversion Gebrauch macht, sowie die in ihr realisierten Konversionstypen sind typologische Parameter, die einzelsprachlichen Bedingungen unterliegen. Im Französischen119 ist die Konversion starker normativer Regulation unterworfen; trotzdem ist das Verfahren (abgesehen von der eingeschränkten deverbalen Nominalisierung qua Selektion des Infinitivmorphems) sehr vital. Gemäß den im Französischen frequentesten Konversionsrichtungen werden vornehmlich Nomina,120 Adjektive und auch Adverbien gebildet. Dieser Konversionstyp entspricht der typologischen Entwicklung des Französischen mit Ausbau der isolierenden Komponente.
|| 119 Die Bedeutung der Konversion für das Wortbildungssystem des Französischen wird überall dort unterschätzt, wo Fälle nicht berücksichtigt werden, in denen die Konversion mit anderen Wortbildungsverfahren interagiert. 120 Die Konversion des Adjektivs zum Substantiv ist hinsichtlich ihrer tatsächlichen Produktivität schwer einzuordnen, bezieht man Konstruktionen wie l’important/l’essentiel/le principal est de, est que … mit ein, die sich mit engl. the point is oder dt. das Entscheidende ist, dass … vergleichen lassen. Zum Englischen liegen separate Studien zu diesem sprachlichen Phänomen, das auch unter dem Begriff der Pattern Grammar bekannt ist, vor. Die in den formelhaften Wendungen gebrauchten primären Substantive können semantisch hinsichtlich ihres Allgemeinheitsgrades sowie hinsichtlich ihrer Frequenz in Texten klassifiziert werden. Solche formelhaften Wendungen lassen sich als «Muster» begreifen, die immer mehr an eigenständiger Bedeutung verlieren und daher Prozesse der Desemantisierung erkennen lassen (cf. SchäferPrieß et al. 2001).
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Lüdtke unterscheidet mit Dokulil (1968c) innerhalb der Konversion drei Typen von Wortbildungsverfahren mittels grammatischer Morpheme, die auch für die romanischen Sprachen typisch sind: (1) die Konversion mit Flexion mit (1a) Selektion eines Morphems der Grundlage und (1b) der Konversion mit Wechsel der Flexionskategorien, (2) die «reine» Konversion (ohne Flexion) bzw. «syntaktische» Transposition (ohne Suffix). Dabei bildet die Konversion eines der wichtigsten Verfahren zur Bildung von Substantiven, das mit den prädikativen Nominalisierungen in Konkurrenz steht. Da die Konversion alle Wortkategorien betreffen kann, kommt sie auch dort vor, wo in der Norm einer Sprache bestimmte Suffixbildungen (etwa im nominalen Bereich) nicht realisiert sind. 1a) Selektion einer (grammatischen) Form der Grundlage: In der Regel geht die spezifisch «romanische» Konversion einher mit der Selektion einer Form des Grundwortes. Das Verfahren existiert schon im klassischen Latein121 und erfährt einen Ausbau im Romanischen. Daher nenne ich dieses – auf dem Hintergrund der diachronischen sprachtypologischen Entwicklung – an erster Stelle. Bei der Konversion vom Verb zum Substantiv liegt das Infinitivmorphem zugrunde: frz. le fai-re ‘das Tun’, it. il parla-re; Fälle wie frz. le fait (< lat. FACTUM < FACERE), le chant (< lat. CANTUS) sind nicht auf ein produktives Verfahren zurückzuführen, sondern auf Lexikalisierung. Bei der Konversion vom Adjektiv zum Substantiv wird in der Regel die maskuline Form des Singulars in Verbindung mit dem bestimmten Artikel selegiert: frz. le blanc, rum. albu-l, sp. lo blanco. Eine Ausnahme bilden solche Fälle, in denen das Adjektiv metonymisch eine Person bezeichnet und die Genusdifferenzierung, sofern vorhanden, aufrechterhalten wird wie in un fou ~ une folle etc. Die Form des maskulinen Adjektivs im Singular liegt im Rumänischen auch der Adverbbildung zugrunde (cf. tare ‘laut, stark, hart’),122 in bestimmten Fällen gilt dies auch für die anderen romanischen Sprachen: frz. (parler) bas, haut, (chanter) faux etc. Dabei kann es vorkommen, dass sich das konvertierte Wort in die Wortformen der angenommenen Wortkategorie einreiht; so kann der Infinitiv auch für die grammatische Kategorie Plural
|| 121 Z.B. bei Cicero: «nam quibusdam, et iis quidem non admodum indoctis, totum hoc displicet philosophari» (Marcus Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum, Liber I, 1,2) mit Annahme griechischen Ursprungs φιλοσοφεῖν (philosophein) (cf. Vanvolsem 1983, 11–12). 122 Es stellt sich hier die Frage nach den Verfahren der Adverbbildung in den slawischen Sprachen, von denen das Rumänische eventuell beeinflusst worden ist.
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gekennzeichnet erscheinen, wie in sp. los cantar-es; (les) loisir(s), (les) manoir(s), (les) rire(s), (les) sourire(s) etc. Der Konversionstyp, wie er beim Übergang von frz. blanc zu le blanc vorliegt, scheint auf Substantivierungen beschränkt: → le blanc (‘ce qui est blanc’, cf. Lüdtke 1978, 9). In der Paraphrase kommt die attributive Funktion über den Relativsatz zum Ausdruck; «être blanc» wiederum stellt «blanc» in eine prädikative Funktion. Dieser Umstand macht die «Grammatikalisierungsformel» im Vergleich zur Paraphrase eindeutiger. Zu untersuchen wäre, welche Inhalte sich mit der Konversion in frequenter Weise verbinden, wie eben Abstrakta und (metonymische) Personenbezeichnungen beim Übergang vom Adjektiv zum Substantiv; ferner kann die Benennung eines Objektes (l’orange) als typische Eigenschaft eines Gegenstandes gefasst werden (une chemise orange), wie umgekehrt die adjektivische Form als Grundlage der Attributtransposition z.B. eine Farbe anzeigen kann (gris: le gris lui va bien; le blanc de l’œil etc.). Von Nomina können durch Konversion Verben abgeleitet werden, deren Grundlagen verschiedene semantische Rollen ausüben (singer ‘se comporter comme un singe’, buriner ‘graver au burin’, etc.); liegt den verbalen Bildungen ein Adjektiv zugrunde, können diese den Zustand beschreiben, in den das Subjekt eintritt, also das Kausativum zum Ausdruck bringen (grand → grandir, blanc → blanchir). Hierbei kommt ein zweites Verfahren zum Tragen, bei dem der Übergang in eine andere Wortkategorie mit dem Wechsel der Flexionskategorien einhergeht. Bei der Verbalisierung ist lediglich die Konversion unter Einreihung in das Paradigma der Verben auf -er (indexer etc.) wirklich produktiv. 1b) Konversion durch reinen Wechsel der Flexionskategorie: Dieser Konversionstyp findet sich hauptsächlich bei deverbalen Ableitungen (auch als «transposition régressive» bezeichnet), cf. frz. crier → (le) cri (Plural (les) cris), it. colm-a-re ‘füllen’ → colm-o ‘voll’, it. gonfi-a-re ‘aufblasen’ → gonfi-o ‘aufgeblasen’. Auf Grund der inhaltlichen Analogien zur Suffixbildung (cf. die Analogie von cri, marche etc. zu mouve-ment oder von taglia- in it. tagliacarte ‘Brieföffner’ zu taglia-tore ‘jemand, der schneidet’; cf. Coseriu 1977, 57) wird in diesem Falle häufig von einer zugrunde liegenden Nullableitung ausgegangen. Hier stellt sich das Problem, dass die supponierte inhaltliche Analogie, die die Annahme eines Nullmorphems rechtfertigen könnte, nicht in jedem Fall gleichermaßen identifizierbar ist (cf. Lüdtke 2001a, 775): «Ein Adjektiv wie gonfio kann nämlich nicht mit anderen adjektivischen Ablei-
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tungen von gonfiare kontrastiert werden […], sondern nur mit dem Partizip gonfiato, d.h. mit einer grammatischen Endung». Daneben kann der Wechsel der Flexionskategorien ohne gleichzeitigen Wechsel der Wortkategorie erfolgen: In den romanischen Sprachen besitzt die Genusdifferenzierung bei Substantiven zum Teil wortbildenden Effekt; so erfolgt im Romanischen die Femininbildung meist über eine Endung, z.B. it. figlio – figlia. Die Derivationsrichtung verläuft bei diesem Bildungstyp (Movierung) auf Grund markiertheitstheoretischer Erwägungen von figlio zu figlia: figlio stellt das unmarkierte Glied der Opposition dar, figlia dagegen das markierte. 2)
Konversion ohne Flexion: Ohne morphologische Kennzeichnung konvertiert werden im Französischen Wörter, Wortgruppen und Sätze. Im Unterschied zu den anderen romanischen Sprachen ist dieses Verfahren im zur Isolation am stärksten tendierenden Französischen (obwohl in seinen Möglichkeiten sonst vielfach eingeschränkt) sehr lebendig. Als den Paradigmawechsel anzeigendes Morphem kommt der isolierend vorangestellte maskuline Artikel auf syntagmatischer Ebene zum Tragen, wodurch Wörter, Wortgruppen und Sätze subordiniert werden. Die Leistung der Konversion als Wortbildungsverfahren beruht daher bei je ne sais quoi → le je ne sais quoi nicht auf der (diachronisch als solche erfassbaren) Zusammenrückung einer nach syntaktischen Verfahren gebildeten Einheit der Rede, sondern in der Nominalisierung derselben. Diese Form der «metasprachlichen» Konversion ist ein schöpferisches Verfahren (cf. Lüdtke 2005, 122–123). Den Nominalisierungen können Basen der unterschiedlichsten Wortkategorie bzw. Wortart zugrunde liegen: le moi − je le considère comme un autre moi-même − le ça (in Anlehnung an dt. das Es), so gelegentlich auch in literarischer Verwendung: des moi-même, un rien, un petit quelque chose (Pronomen); les avants, prendre les devants, le pour et le contre (Präpositionen); les pourquoi et les comment, le dessus (du panier), le dessous (des cartes), le mieux (Adverbien); des si, des mais, les quoique, des parce que (Konjunktionen); des huit (Zahlen); les do, des la (musikalische Noten); un oui, un non, les bravos, un merci chaleureux – Le moment des adieux – Ce n’est qu’un au revoir (Partikeln, Interjektionen, «Satzwörter»); un tête-à-tête, une deux-chevaux (Syntagmen). Adjektive können von Nomina (une veste marron, un côté province), auch von Adverbien (un homme bien) gebildet werden. Adverbien können ihrerseits – abgesehen von konvertierten Adjektiven des Typs parler fort, chanter faux – auf konvertierte Präpositionen zurück gehen, indem die
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durch die Präposition eingeleitete Nominalgruppe ausgelassen wird: Je viens avec, je suis pour. Aus der Nominalisierung syntagmatischer Verbindungen verschiedener Art hervorgegangen sind folgende Bildungen (cf. Grevisse 1993, §179): Nominalisierung von Syntagmen (Zusammenrückungen) aus Präposition + Nomen (ggf. mit Ellipse und dann attributiver Funktion): l’aprèsmidi, l’avant-guerre, un en-sas, l’entre-deux-guerres, un hors-la-loi, un sanscœur, un sans-culotte, le sous-bois.123 Um Nominalisierungen von Syntagmen, die ein präpositionales Komplement zu einem Substantiv bilden, das (wie auch die Präposition) ausgespart wird, handelt es sich bei Bildungen wie den folgenden, die ebenfalls als Transpositionen qua Ellipse interpretiert werden können (cf. Staib 1988; cf. Grevisse 1993, §179, a): un rougegorge, un mille-pattes, une deux-chevaux (cf. un bureau de tabac → un tabac; un bouton à pression → une/un pression; un bateau à trois mâts → un troismâts; cf. Grevisse 1993, §188).124 Verbindungen aus Verb + complément stellen dar: un faire-part; un faire-valoir, le savoir-faire, le savoir-vivre (cf. zum Verb-Ergänzung-Typ siehe Kap. 11.4). Die Übergänge zwischen diesen Konversionstypen sind gemäß der typologischen Struktur des Französischen allerdings durchlässig. Bezüglich des Übergangs von der Selektion einer Form der Grundlage zur Konversion ohne Flexion ist dies deshalb der Fall, weil beispielsweise bei der Konversion des Adjektivs zum Substantiv zwar ein bestimmtes Morphem des Grundwortes selegiert wird, z.B. le blanc aus der Opposition blanc/blanche, im Französischen dieses aber mit dem weiblichen zusammenfallen kann und idealiter – mit
|| 123 Für heutige Sprecher des Französischen nicht mehr durchsichtig bzw. als Lexikalisierung empfunden wird die Verbindung aus Präposition und Infinitiv une affaire; daneben sind un aparté, un a priori/apriori aus dem Latein entlehnte Syntagmen. Zu Bildungen, die präpositionale Elemente wie avant und arrière (avant-scène, arrière-pensée Modifizierung; avant-veille, arrière-boutique Entwicklung), contre (contre-allée Modifizierung, contre-jour Entwicklung) enthalten, wobei es prinzipiell zwischen den zugrunde liegenden Verfahrenstypen (Entwicklung oder Modifizierung) zu unterscheiden gilt, sowie zu Verbindungen mit sous und sur mit adjektivischen oder partizipialen Basen, wobei sous ein ungenügendes Maß, sur einen hohen Grad oder ein Übermaß impliziert (cf. sous-développé, pays sous-peuplé; suraigu, surfin, surdéveloppé) cf. Weidenbusch (1993). 124 Seltenere nominale Wendungen oder Syntagmen, die auf den nominalen Kern reduziert wurden, sind folgende: Une voiture à traction avant → une traction avant → une traction; la pilule anticonceptionnelle → la pilule. Analog existieren verbale Wendungen oder Syntagmen, die auf das zugrunde liegende Verb reduziert wurden, wie z.B.: Fixer les yeux sur (quelqu’un) → fixer (quelqu’un); encaisser les coups → encaisser: Un boxeur qui encaisse bien (cf. Grevisse 1993, §188).
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Blick auf die Isolation – mit diesem sogar identisch ist: (le) nécessaire (das Adverb stimmt – idealiter – mit der «neutralen» Form des Adjektivs überein, was eine Selektion ebenfalls ausschließt: voter socialiste; die Infinitivnominalisierung erscheint ohnehin restringiert, cf. demgegenüber engl. (to) go → (to have) a go mit unflektiertem Infinitiv). Hinsichtlich des Übergangs zwischen dem Paradigmawechsel und der morphologisch «unmarkierten» Konversion (die alle unflektierten sprachlichen Einheiten betrifft) gilt dies insofern, als die Artikulierung qua le (le nécessaire, le devant, le je ne sais quoi) eine Art des Wechsels der grammatischen Morpheme auf syntagmatischer Ebene impliziert: der Paradigmawechsel bzw. das Wortbildungsverfahren (sei es die nur metasprachliche Konversion) kommt über ein isolierendes Morphem (den maskulinen bzw. – gemäß der Isolation – den «neutralen» Artikel; cf. engl. the) auf syntagmatischer Ebene zum Ausdruck. So ist gerade dies eine Manifestation der Existenz der verschiedenen grammatischen Schichten als Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung und damit der Fähigkeit derselben zur Sub- oder Superordinierung. Dokulils Klassifikation reflektiert die Strukturen des flektierenden Sprachtyps, wie er auf das Lateinische und bis zu einem gewissen Maße auf die romanischen Sprachen – mit Ausnahme des Französischen – zutrifft; auf eine isolierende Sprache lassen sich solche Klassifikationen weniger klar anwenden. Ich gliedere im Folgenden gemäß der grammatischen Schichten nach der Konversion von Wort (Kap. 5.4.4.1– 5.4.4.5), Wortgruppe und Satz (Kap. 5.4.4.6–5.4.4.7). 5.4.4.1 «Infinitivnominalisierung» Bei der Entwicklung eines Wortes der Kategorie Verb in die des Substantivs wird in den romanischen Sprachen (anders als etwa im Lateinischen oder Ungarischen) in der Regel die Wortform des Infinitivs als Basis selegiert (d.h. die Zitierform), was einer Konversion des Infinitivs zum Substantiv entspricht. Das Verfahren ist prinzipiell immer verfügbar, aber nicht in jedem Fall usuell. In Konkurrenz zu dire → le dire tritt im Französischen die sogenannte «Rückableitung» («dérivation régressive», «dérivation inverse»; cf. Riegel et al. 1994, 547) oder «Rückbildung», also statt marcher → le marcher wird die Prädikatnominalisierung (analogisch) über die Nullsuffigierung marcher → la marche gebildet. Die Homophonie mit dem Infinitiv bzw. dem Perfektpartizip125 wird so vermieden. || 125 Brunot, Ferdinant (31936, 205) führt den Rückgang der Produktivität der Substantivierung des Infinitivs vom Ende des 16. Jahrhundert an auf das Verstummen des auslautenden r sowie auf die Homophonie mit dem Partizip Perfekt zurück. Verwechslungen sind für beide Fälle zu belegen; so stellt par ouï-dire eine Variante von par ouïr dire dar. Die «klassischen» Autoren
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Formal besteht ein Zusammenhang mit der Konjugationsklasse des Verbs: Die Nullsuffigierung ist insbesondere für die Verben auf -er typisch (wobei das Genus variabel ist, cf. marcher → la marche, chasser → la chasse, demander → une demande, aber crier → le cri, retourner → le retour, gagner → le gain), der Rekurs auf den Infinitiv für die anderen Konjugationsklassen. Die Konversion (bzw. «syntaktische Transposition» nach Staib; cf. Kap. 5.4.2) erfolgt also bei den Konversionsrichtungen Verb → Substantiv126 und Adjektiv → Substantiv im Französischen über den definiten maskulinen Artikel Singular,127 wobei diese Eigenschaft mit der Semantik der durch Konversion gebildeten deverbalen Nomina, die in ihrer primären Bedeutung Verbalabstrakta sind, zusammenhängt. Die Konversion des Adjektivs führt zur Bildung von Adjektivabstrakta. Die Konversion des Infinitivs ist im Französischen zudem starken normativen Einschränkungen unterworfen; 128 so entstammen Bildun-
|| schreiben häufig dîné an Stelle von dîner, und Béranger reimt noch dînés auf donnés (Ventru). Im Bereich der Jagd konkurriert le laisser-courre mit le laissé-courre und auch mit le laissezcourre. Afrz. courre (< lat. CURRERE) und querre (< lat. QUAERERE) wurden durch die analogischen Bildungen courir und quérir (mitsamt den zugehörigen Komposita acquérir, conquérir etc.) ersetzt; courre ist jedoch noch als Terminus technicus der Jagd erhalten, z.B. in la chasse à courre ‘Hirschjagd’, courre le cerf ‘auf Hirschjagd gehen’, laisser courre les chiens ‘die Hunde loslassen’ (cf. Price 1988, 241). 126 Allgemein sind die «Nominalformen» des «Zeitwortes» mit Nomina zu vergleichen, da sie mit diesen eine Reihe von Eigenschaften teilen; dennoch handelt es sich beim Infinitiv nicht um ein Substantiv in dem Sinne, dass diesem die substantivische kategorielle Bedeutung in primärer Weise inhärent sei (cf. z.B. auch Skalička 1959b, 50). 127 Das Spanische, das nicht nur eine neutrale Form von Pronomina, sondern auch des Artikels kennt, kennzeichnet aus syntaktischer Hypostase hervorgegangene Adjektive und Adverbien mittels lo: lo bueno, lo bastante; dagegen wird der Infinitiv mit Hilfe des maskulinen Artikels el hypostasiert (el comer, el empezar). 128 Im Alt- und Mittelfranzösischen konnten prinzipiell alle Verben und sogar unter Bewahrung der jeweiligen Verbkonstruktion (einschließlich der Fähigkeit, Objekte zu sich zu nehmen) substantiviert werden. Die so gebildeten syntaktischen Substantive waren der Deklination unterworfen (cf. Grevisse 2011, §197, v.a. a) H1): Li REBOIVRES tout la soif [= Reboire ôte la soif] (Sprichwort). – Au PRENDRE congiet (Froissard). – Le SÉJOURNER ycy ne nous est point licite (Le mystère de la Passion). Im 16. Jahrhundert erging folgende Empfehlung seitens Du Bellay an die Dichter: «Uses donques hardiment de l’infinitif pour le nom, comme l’aller, le chanter, le vivre, le mourir» (Deffence et illustration). Das Verfahren kommt noch bei Montaigne häufig zur Anwendung, auch mit Attribut zum Infinitiv: J’estime le baigner salubre. – L’estre mort ne les fache pas, mais ouy bien le mourir. Im 17. Jahrhundert ist das Verfahren im Rückgang begriffen; man findet allerdings noch Beispiele wie die folgenden: Le vivre et le vieux sont choses […] conjointes (Malherbe). – La diversité est si ample que tous les tons de voix, tous les marchers, toussers, mouchers, éternuers… (Pascal) – Le long dormir est exclus de ce lieu (La Fontaine). – Averti par le baisser du soleil de l’heure de la retraite (Rousseau). Auch im 18. Jahrhundert ist
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gen wie le dire, le lire, l’agir, le non-être, le paraître, die anderen Konjugationsklassen als derjenigen der Verben auf -er angehören, vorrangig dem philosophischen Sprachgebrauch (cf. Lüdtke 1978, 38).129 Bei beiden Bildungstypen, denen die Konversion zugrunde liegt, kommen dieselben sekundären Bedeutungen vor, wie auch bei den entsprechenden durch Transposition mit Suffix gebildeten Nominalisierungen; diese thematisieren etwa das Subjekt, das Objekt oder eine Umstandsbestimmung. Bei frz. le manger wäre dies das Objekt ‘ce qu’on mange’ als sekundäre Bedeutung zur Prädikatnominalisisierung le manger ‘le fait de manger’; bei frz. le beau (als Neutrum) ‘ce qui est beau’ ist die Subjektfunktion die einzig mögliche. Die Infinitivnominalisierungen sind in diesen Fällen völlig lexikalisiert (cf. Lüdtke 1978, 38). Auch Pluralformen wie les rires, les souvenirs, les repentirs, les devoirs, les avoirs, les déjeuners, les dîners, les pouvoirs, les savoirs, les parlers etc. 130 (cf. sp. los andares, los quereres) stellen Lexikalisierungen dar, die sich semantisch von den rein systematischen Bildungen abheben (cf. Staib 1988, 39, Anm. 82; Riegel et al. 1994, 338). Eine andere Möglichkeit der Nominalisierung des Infinitivs (bzw. eines Satzes) mit syntaktischen Mitteln besteht in der Umschreibung mit le fait de (bzw. le fait que) (cf. Grevisse 1993, §365, b, Remarque): «D’une façon générale, le fait de et le fait que n’ont d’autre rôle que de transformer l’un un infinitif, l’autre une proposition en syntagmes nominaux et de donner commodément à cet infinitif et à cette proposition n’importe quelle fonction des noms». Einige seltene Konversionen des Französischen, die Infinitive enthalten, sind le savoir-faire ‘das Können’, le savoir-vivre ‘die Lebensart’, le laisser-aller (pejorativ) ‘die Nachlässigkeit’, le laisser-faire ‘das Gewährenlassen’. In denjenigen Fällen, in denen der Infinitiv aus einem Modalverb besteht, kann sich die Substantivierung auf ein zugehöriges (Infinitiv)Komplement erstrecken, was die weiterhin verbalkategoriellen Züge des substantivierten Infinitivs hervorkehrt (cf. auch le pis aller) (Variationen wie le laisser-faire, le laisser-aller gegenüber le laissez-passer scheinen rein orthographisch bedingt oder lassen zumindest keine Systematik der Bildung erkennen). Das Verb sortir wird als Substantiv nur noch in der Formel au sortir de in der Funktion einer adverbialen Ergänzung verwendet (au sortir du lit; au sortir de
|| das Verfahren noch nicht völlig ausgestorben, worauf eine gewisse Kontinuität mit den literarischen Verwendungen neuerer Zeit schließen lässt. 129 Cf. Riegel et al. (1994, 339): «La substantivation de l’infinitif, très vivante en ancien français, ne se produit plus guère aujourd’hui que dans le discours philosophique». 130 Dabei ist der Zusammenhang mit dem Verb bei Substantiven wie loisir (loisir ‘être permis’ < lat. LICERE) oder plaisir (ehemaliger Infinitiv zu plaire < lat. PLACERE) verloren gegangen.
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l’hiver). In der literarischen Sprache werden analog dazu weitere Infinitive wie folgt konstruiert (cf. Grevisse 1993, §196): AU TINTER de l’Ave Maria, AU TOUCHER de mon aile, AU CROISER d’un enterrement, AU TOMBER du jour, jusqu’AU VENIR de l’artillerie. Der Literatursprache zuzurechnen ist auch die Nominalisierung von faire → le faire sowie die Substantivierung des Infinitivs devenir → le devenir (cf. Grevisse 1993, §196). Le baisser du rideau stellt eine in der Theatersprache geläufige Wendung dar; au fait et au prendre (‘à l’exécution’) ist ein Archaismus,131 der insofern ins Auge fällt, als die Parallelität der Formen nicht gewahrt ist. Tatsächlich findet sich auch die Variante au faire et au prendre. Dormir mit Bezug auf ein menschliches Bedürfnis bzw. eine menschliche Gewohnheit gehört als Nominalisierung ebenfalls der literarischen Sprache an. Rein vom einzelnen Sprecher geleitete Bildungen (bzw. Regionalismen) stellen ferner folgende dar: le passer, le flairer, le laisser voir, l’user, le vieillir, le marcher (neben la marche), le revenir, le gémir, le sentir; interessant ist folgende Verwendung, wobei der ad-hoc-Charakter der Bildung deutlich in Erscheinung tritt: Ils maigrissaient à force de fièvre soutenue par le manger peu, le vomir beaucoup, l’énormément de vin, et le travailler quand même (Céline). Ferner zeigt hier die Wahl der der Nominalisierung zugrunde liegenden Verben die Möglichkeit des Gebrauchs in Verbindung mit einem Objekt oder einer Ergänzung gemäß den Regeln der Syntax. Die obigen Beobachtungen zum Typ der nominalisierten Infinitive regen die Vermutung an, dass sich die syntaktischen und semantischen Eigenschaften der jeweiligen Verben auf die Fähigkeit zur Substantivierung auswirken. So handelt es sich bei den bereits völlig lexikalisierten Verben vornehmlich um solche, die einen besonderen grammatischen Status innerhalb des Sprachsystems einnehmen: Es liegen vielfach Modalverben vor, die zu den «unregelmäßigen» Verben gehören und insofern eine besondere Rolle im Sprecherbewusstsein besitzen, als sie hinsichtlich der grammatischen Formen und Verwendungsregeln einen besonderen Lernaufwand erfordern. Neben den stark lexikalisierten Konversionen, die auf modale Infinitive zurückgehen, lässt sich eine weitere Gruppe von Konversionen ausmachen: Es gehören hierher die Verben, die im Bewusstsein des Menschen eine besondere (kognitive) Verankerung besitzen und Anlass zu typologischen Klassifikationen
|| 131 Als Archaismen aus dem Bereich der Jagd sind folgende zu nennen: le chasser, le raire; eine weitere obsolete, aber in der Dichtung traditionell bewahrte Form ist le penser (cf. Grevisse 1993, §149, a); nonchaloir ist als Verb verschwunden (cf. Grevisse 1993, §848, 8.) (aus der Fachterminologie der Medizin stammt le moucher).
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gegeben, d.h. v.a. avoir und être; solche, die mit den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen zu tun haben (boire, manger, mit Spezifikation der Art der Mahlzeit auf dem Hintergrund der Tageszeit, zu der diese eingenommen wird: déjeuner, dîner, goûter, souper); ferner (se) coucher, (se) lever: in Verbindung mit dem Lauf der Sonne stehen Erfahrungen, die von allen Menschen geteilt werden und ebenfalls im menschlichen Bewusstsein einen besonderen Stellenwert besitzen, zumal damit auch die Einteilung der Zeit einhergeht; Verben, die mit den Grundbedingungen und der Beschaffenheit des Menschen (Bezug auf die Sinne: toucher) in Zusammenhang stehen (vivre, mourir), wozu sicher auch die Kommunikation gehört, die eine alltägliche zwischenmenschliche Umgangsform widerspiegelt (parler, dire); Verben, die grundlegende Fähigkeiten und geistig-intellektuelle Eigenschaften (bzw. die «Modalitäten») bezeichnen (pouvoir, savoir, vouloir, devoir, se souvenir de, se repentir de); nicht zuletzt die Verben, die eine Bewegung implizieren (aller), sowie mit Emotionalität und dem sozialen Verhalten der Menschen untereinander verbundene Verben (baiser, rire, sourire) . 5.4.4.2 «Adjektivnominalisierung» Zuweilen wird das Adjektiv (wie auch die infiniten Verbalformen) zu den nominalen Wortkategorien gerechnet. Der tatsächliche Wortkategorienübertritt in diese Richtung besitzt eine relativ hohe Frequenz (cf. Grevisse 1993, §195; siehe auch 1306–1314, §§885–892). Folgende in semantischer Hinsicht eindeutig gegeneinander abgrenzbare Fälle lassen sich identifizieren: Zum einen lassen sich Adjektive relativ problemlos nominalisieren, wenn ein Abstraktum bezeichnet werden soll (absolute Hypostase nach Staib 1988, 30ss.): le beau, le vrai, le réel, le possible (Nomina qualitatis).132 Zum anderen scheint die Nominalisierung geradezu unbegrenzt, wenn ein zugrunde liegendes Nomen impliziert wird (cf. Staib 1988, 39–43 zur elliptischen klassematischen bzw. archilexematischen Hypostase), das in bevorzugtem Falle ein Lebewesen, genauer eine
|| 132 Cf. Bally (41965, 165, §258) zur Hypostase: «Précisons tout d’abord que l’hypostase ne se confond pas avec le signe zéro: tandis que celui-ci est rétabli mentalement à une place précise de la chaîne parlée, la notion catégorielle impliquée dans le signe hypostasié est, pour ainsi dire, fondue avec lui. L’hypostase diffère aussi du cumul, parce que celui-ci ne sépare par aucun procédé matériel les éléments du signifiant (cf. pire et plus mauvais); au contraire, l’hypostase est la combinaison d’un signe explicite complet et autonome avec un autre qui, sans être exprimé, est nécessaire au sens. L’hypostase est – répétons-le – un syntagme dont la partie explicite est le déterminant [t’, B.K.], l’idée catégorielle le déterminé [t, B.K.]: le beau = ‘la notion (t) de beau (t’)’».
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menschliche Person, aber zuweilen auch ein Instrument bzw. Hilfsmittel (cf. Staib 1988, 40) repräsentiert: un aveugle, un malade; les jeunes, les vieux; les blonds, les roux; des bons, des mauvais; Ne faites pas le difficile! un aspirateur, le convulsivant, un antiseptique, un désinfectant, un tranquillisant, un nettoyant etc. Davon ließe sich der Fall der Ellipse, der eine Reduktion eines Nominalsyntagmas mit spezifischerem Nomen impliziert, unterscheiden: une ligne diagonale → une diagonale, un costume complet → un complet.133 Bei der Überführung eines Vertreters der Wortkategorie Adjektiv in die Kategorie der Substantive liegt i. A. die Form des Maskulinums Singular in Verbindung mit dem bestimmten Artikel zugrunde (frz. le nécessaire), außer wenn Lebewesen über die im Adjektiv enthaltene Eigenschaft charakterisiert bzw. identifiziert werden sollen. Hier besteht eine Entsprechung zwischen maskulinen und femininen Formen des Adjektivs (soweit vorhanden) und dem zugehörigen, durch Konversion gebildeten Substantiv. So legt etwa Thiele in seiner insgesamt primär an der morphologischen Form orientierten (die Semantik dagegen weniger intensiv behandelnden) Wortbildungslehre der Adjektivnominalisierung als Basis gleichermaßen das Femininum wie Maskulinum zugrunde, da in erster Linie die Personenbezeichnungen fokussiert werden: «Die Maskulina und Femina entsprechen dann jeweils dem natürlichen Geschlecht im Denotationsbereich» (Thiele 21985, 97). Der Artikelgebrauch folgt den sonst für Substantive gültigen grammatischen Regeln: fou, folle → un fou, une folle, des fous/folles; le fou, la folle, les fous/folles. Allerdings ist auch hier mit Einschränkungen durch bereits existente lexikalische Fixierungen zu rechnen: beau → le beau, la belle (cf. La Belle et la Bête);134 une belle ‘une belle femme, fille’, allerdings auch une beauté ‘une femme très belle’ und ungebräuchlich un beau135 im Sinne von ‘un homme élégant’.
|| 133 Als Lexikalisierungen müssen betrachtet werden: le plein (de la mer), battre son plein u.a. 134 Die Transposition belle → une belle ‘celle qui est belle’ zur Bezeichnung von ‘une femme belle’ gehört ebenfalls zur Hypostase nach Bally, die hier analog zur metonymischen Verwendung von ville für ‘les habitants de la ville’ als Metonymie betrachtet werden kann (cf. Bally 41965, 167, §262). Im Bereich der Prädikatnominalisierungen unterscheidet Lüdtke hier primäre und sekundäre Bedeutungen, etwa bei évêché 1. ‘Bischofssitz (Gebäude, Stadt; Gebiet, also Bistum)’; 2. ‘Bischofswürde (Amt)’, wobei angenommen werden kann, dass die prädikative Bedeutung ‘le fait d’être évêque’ im Sprecherbewusstsein eine geringere Verankerung besitzt als etwa die lokale oder temporale. Diese Interpretation lässt sich auf die Wahrnehmung der Welt stützen, wo das Antreffen eines Gebäudes (etwa bei regelmäßigem Beschreiten eines Weges, der daran vorbeiführt) häufiger ist als das Antreffen der Person (cf. zudem Lüdtke 1978, 218). 135 Un beau wird von P.R. s.v. als obsolet für ‘un homme élégant’ markiert; cf. modern gebräuchliches un vieux beau ‘un vieil homme trop coquet, qui cherche encore à plaire’.
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Im Konversionsprozess geht das gesamte System der adjektivischen Flexionsformen in die Flexion des Substantivs über (cf. Thiele 21985, 97); dabei handelt es sich jedoch um einen vorläufigen, okkasionellen Wortartwechsel, der in Abhängigkeit vom Sprechakt steht, auch wenn er sich im Einzelfall fixieren kann. Hierin spiegelt sich ein wichtiger Unterschied zwischen der Konversion und der lexikalischen Transposition als Wortbildungsverfahren: Die konvertierten (wie übrigens auch die elliptischen) Substantivierungen bewahren ihre ursprünglichen kategoriellen Züge; so können substantivisch gebrauchte Adjektive weiterhin durch Adverbien gradiert werden (cf. le plus intéressant de ce livre; le plus intéressé de tout était Jean), wohingegen lexikalisch transponierte deadjektivische Substantive dies nicht zulassen (cf. Staib 1988, 43). Beziehen sich die Nominalisisierungen dagegen auf inanimierte Objekte sowie Abstrakta, entspricht das Genus dem Genus des elidierten Substantivs: le (train) rapide, la (science) linguistique, le (film) documentaire, la (ville) capitale, la (chanson) Marseillaise, l’(espace, m.) intérieur, les (auteurs, m.pl.) classiques etc.). Nach Lüdtke (1978, 69–70) ist der Subjekttyp bei den deadjektivischen Bildungen nicht als eigene Gruppe abzugrenzen, da die Subjektbedeutungen auf den lexikalischen Inhalt der adjektivischen Grundlage zurückzuführen sind und der Systematisierung widerstehen. So besitzt frz. beauté ‘le fait d’être beau’ (prädikativer Typ) etwa die sekundäre Bedeutung ‘celle qui est belle’ (cf. Kap. 5.2.2), wohingegen bêtise ‘ce qui est bête’ (jeweils Subjekttyp) bedeutet und sich auf eine Handlung oder Tat bezieht. Bei den deadjektivischen Prädikatnominalisierungen ist also wie bei den deverbalen eine Klassifikation der Suffixe allein unter Rekurs auf die sekundären Bedeutungen nicht möglich, sondern nur über das Prädikat. Dies bedeutet, dass das Französische (Katalanische, Spanische) über keine eigenen Suffixe zum Ausdruck des Subjekttyps bei Nomina qualitatis verfügt; stattdessen wird, soll ein zugrunde liegendes Subjekt ausgedrückt werden, die adjektivische Basis konvertiert (cf. Lüdtke 1978, 70). Das Spanische unterscheidet den prädikativen Typ ‘el hecho de estar pobre’ bzw. ‘el estar pobre’ vom Subjekttyp ‘el (la) que está pobre’ durch die Wahl des Artikels: lo pobre vs. le, la pobre (cf. Lüdtke 1978, 70). Bei le beau liegt der Subjekttyp ‘ce qui est beau’ zugrunde und nicht der prädikative Bedeutungstyp ‘le fait d’être beau’ (Lüdtke 1978, 39).136
|| 136 Der Gebrauch des Maskulinums in der Funktion des Neutrums liegt auch Wendungen zugrunde wie six mètres de long (= en longueur), vingt mètres de large (= en largueur), quelque chose de bon, je ne sais quoi de bon etc.
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Auch wenn das Französische nicht, wie das Spanische, über einen neutralen (definiten) Artikel (im Singular) verfügt (cf. auch dt. das Schöne), spielt der Artikel also auch dort eine Rolle, wo nicht die Verwendung der Eigenschaft als Personenbezeichnung wie in pauvre → le, la pauvre137 und les pauvres (zur Bezeichnung des Kollektivs) gemeint ist, sondern die Eigenschaft als solche in abstraktem Sinne als «Substanz», die damit nominal gefasst wird (cf. Dokulil 1968c, 234): la pauvreté; aber beau → le beau verstanden als ‘das Schöne’ in philosophischem Sinne. So ist die Konversion des Adjektivs (wie die des Infinitivs) im Französischen teilweise auf eine philosophische Sprache festgelegt (le vrai, l’éternel), was auf normative Restriktionen zurückzuführen ist. Bei Konversionen des Typs la vieille femme → la vieille, l’homme maigre → le maigre handelt es sich im Grunde um Fälle von Metonymie138 bzw. um eine Ellipse der jeweils zu ergänzenden Gattungsbezeichnung: homme, femme bzw. andere, mitunter spezifischer gewählte Nomina absoluta bzw. Nomina adjectia (cf. Staib 1988, 89–92; cf. auch Lüdtke 2002b). Analog lassen sich interpretieren: le sot, le capable, le Français, l’Allemande, le mignon etc. Dabei wird deutlich, dass die zunächst zur Spezifizierung von Nomina absoluta dienenden attributiven Adjektive als Konversionen selbst wieder solche Nomina absoluta darstellen. Den Konversionen stehen einerseits die Prädikatnominalisierungen des Typs beau → une beauté (mit To|| 137 Zur Möglichkeit der Personenbezeichnung durch ein substantiviertes Adjektiv cf. Staib 1988, insbesondere 41 sowie 41, Anm. 89, wo auf die Stellung der Ellipse eingegangen wird. Bei den durch Ellipse entstandenen Personen- und Tierbezeichnungen liegen «klassematische Ellipsen» zugrunde, wobei «Klassem» im Sinne Coserius verstanden werden soll als eine «allgemeine Determination im Wortschatz […], die sich auf Grund von Selektionsrestriktionen, die die Wörter auf der Ebene des Sprechakts aufweisen, ergibt» (Staib 1988, 41). Dies bedeutet, dass das ausgelassene substantivische Element ein Klassem, das durch das definitorische Merkmal [LEBEWESEN] gekennzeichnet ist, bildet. Grundsätzlich können alle Adjektive – und Partizipien – durch klassematische Ellipse substantiviert werden, sofern sie als nähere Bestimmungen von Personenoder Tierbezeichnungen dienen können. Nach Malkiels Studie (Malkiel 1938, 118–124) zur Substantivierung des Adjektivs im Französischen rekrutieren sich die aus klassematischer Ellipse hervorgegangenen deadjektivischen Personenbezeichnungen jedoch insbesondere aus den folgenden Bereichen: Krankheiten und Gebrechen, Zugehörigkeit zu Gemeinschaften, Bezeichnungen relativer Eigenschaften (cf. inséparable, égal, pareil, prochain etc.) sowie aus den deverbalen Adjektiven – also den Partizipialformen (cf. Staib 1988, 41). 138 Cf. Bally (41965, 306, §502): «On sait que, sans rien changer à la forme des noms de matière (le cuivre) ou des noms d’abstraction (la gloire), le français peut en faire des concrets désignant des choses (un cuivre) ou des personnes (Pascal, une des gloires de la France) […]). La difficulté qu’on éprouve à distinguer nettement les diverses nuances de ces dérivés, fort nombreux, prouve le large emploi qui en est fait. Il s’agit, dans tous ces cas, de la figure (c’est-à-dire du type d’hypostase) appelée métonymie» (cf. Bally 41965, 166–167, §262).
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pikalisierung des Subjekts), andererseits die Movierungen des Typs pauvre → une pauvresse139 gegenüber. Natürlich können auch bereits modifizierte Adjektive wie fier → fiérot, fiérote zu Personenbezeichnungen konvertiert werden, wobei das diminutivierende Suffix -ot/-otte140 (cf. îlot ‘kleine Insel’, frérot ‘Brüderchen’, pâlot ‘blässlich’) heute nicht mehr produktiv ist. Ein ähnlicher Fall liegt bei pauvret, pauvrette (‘pauvre petit, pauvre petite’vor; hier drückt die diminutive Bedeutung einerseits Mitleid, Bedauern, andererseits eine gewisse Zuneigung aus. Über die diminutive Bedeutung wird also eine bestimmte qualifizierende Wertung bzw. allgemeine Interpretation impliziert, die über eine rein klassifizierende Funktion hinausgeht.141 Das Problem stellt sich, ob analog zu beau → le beau mit Ausdruck des Abstraktums durch ein grammatisches Morphem etwa bei pauvre → les pauvres eine kollektive Funktion bei zugrunde liegender Konversion mit Artikulierung im Plural anzusetzen ist. Das Französische verfügt hier über kein anderes Verfahren zur Bildung des Kollektivums zur nominalen Form (un) pauvre als die Pluralisierung, d.h. ein rein grammatisches Verfahren142 (cf. demgegenüber die suffi-
|| 139 Allerdings ist une pauvresse als feminine Form zu un pauvre als obsolet zu kennzeichnen. 140 Die diminutive Bedeutung wird in fiérot in pejorativem Sinne als ‘auf kindliche Art stolz’ gewertet. 141 Staib (1988, 92) spricht von einer qualifizierend-denotativen Funktion im Hinblick auf die Nomina adiecta; allerdings können sowohl Nomina absoluta (homme, femme) wie Nomina adiecta (président, mère, étudiante) rein klassifizierend gebraucht werden gegenüber den qualifizierenden oder interpretativen Nomina adiecta wie idiot, salaud, salope, vache, ange, trésor oder it. poverino, fantasticone. 142 Die modifizierende Funktion des Artikels wird auch in einem anderen Fall deutlich: So wird beim Übergang vom indefiniten zum definiten Artikel un chien → le chien einerseits ein spezifisches Lebewesen (le chien, les chiens bezeichnet eine jeweils aktualisierte Kategorie), zum anderen die Gattung als solche bezeichnet; generische Bedeutung kann aber auch der definite Artikel Plural implizieren: les chiens (wo neben dem eigentlichem Pluralisator, dem hörbaren Artikel, die Wortform zusätzlich eine morphologische Pluralmarkierung annimmt – diese ist jedoch im code oral stumm). Allerdings gehört die Frage der Kollektivbildung in den Bereich der Modifizierung; dennoch lässt sich festhalten, dass sowohl die Transposition wie die Modifizierung neben wortbildenden Mitteln auch rein grammatische Verfahren zur Anwendung bringen, um eine bestimmte Funktion auszudrücken. An dieser Stelle lässt sich auf die Möglichkeiten des syntagmatischen (typologischen) Verfahrens aufmerksam machen, im Rahmen dessen das Französische mittels periphrastischer Umschreibungen wie l’ensemble de (selbst auf einer Konversion ensemble → l’ensemble beruhend) bzw. une petite heure Bedeutungen wie Kollektivität und Diminutivität zum Ausdruck bringt (cf. auch die Umschreibung un embryon de wie in l’embryon d’une idée, das eine Sache als im anfänglichen Werden begriffen darstellt).
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xale Derivation im Falle von baron → baronnage neben les barons bzw. ensemble des barons, die beide sowohl als Paraphrase für die Wortbildung dienen, als auch als syntagmatisches primärsprachliches Äquivalent, das die Suffigierung zu substituieren vermag). Bezüglich des Abstraktionsgrades der aus syntaktischer Konversion im Verhältnis zur Transposition mit Suffix hervorgegangenen Bildungen lässt sich folgendes feststellen: Wird bei der Konversion eine im Adjektiv enthaltene Eigenschaft in ein Was, in eine «Substanz» überführt wie in beau → le beau, libre → le libre, erscheint das zum Substantiv konvertierte Adjektiv als abstrakter gegenüber dem durch Transposition mit agglutiniertem Suffix gebildeten Substantiv beau → beauté, libre → la liberté.143 5.4.4.3 Die Partizipien Die Partizipien stellen einen gerne vernachlässigten Bereich dar, gerade was die inhaltliche Seite der Bildungen anlangt. In der Morphologie werden die traditionellen Aspekte (cf. Grevisse 1993, §§885–892) der Bildung von Verbaladjektiven, des Gerundiums (mit (tout) en) etc. als aus dem Lateinischen ererbte Konstruktionen144 abgehandelt, die vor allen Dingen auf der Ebene der Syntax (Funktion von adverbialen Nebensätzen) und damit als rein grammatisches Phänomen Beachtung finden. Die Listen der Partizip Präsens-Formen, für die parallele Verbaladjektive existieren, müssen, sofern zwischen beiden Konstruktionen deutliche semantische Unterschiede bestehen, als eigene «Vokabeln» gelernt werden. So werden sie im Bereich der Grammatik am Rande eingeführt, aus der Wortbildung auf Grund des häufig fortgeschrittenen Lexikalisierungsgrades ausgeklammert. Die Aufmerksamkeit soll dennoch auch diesen Bildungen im Übergangsbereich zwischen Grammatik und Wortbildung gelten. So scheint – einmal ungeachtet der Frage der Lexikalisierung – das Partizip aus morphologischer Sicht zunächst eine dem Infinitiv entsprechende Form darzustellen: Beide repräsentieren eine unpersönliche Form des Verbs. Dabei ist die Frage nach dem Status
|| 143 Cf. Bally (41965, 309, §508): «L’adjectif forme aussi des substantifs neutres […] 1. Dans le vrai, le beau, etc., le substantif désigne la qualité sous sa forme la plus abstraite, plus abstraite même que dans la vérité, la beauté, etc., qui sont susceptibles […] de tomber dans le concret». 144 Das Lateinische unterscheidet eindeutig zwischen Gerundium (amando) und Partizip Präsens (amans, amantis); diese Differenzierung wird dann verwischt, wenn das Gerundium als bloße «kombinatorische Variante» des Partizips Präsens aufgefasst wird; so nehmen denn auch einige Grammatiker zwei völlig voneinander unabhängige Formen an, die lediglich durch die Relation der Homonymie in Verbindung stünden.
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des Infinitivs als Produkt der Wortbildung mit derselben Begründung abzuweisen, die auch für die Partizipien gilt: Es handelt sich nicht um eine eigene Wortkategorie, sondern um eine für das Verbalparadigma charakteristische Form oder Morphem und also nicht um ein wortbildendes Suffix. Bildet die Form des Infinitivs (als Zitier- oder Nennform) die Grundlage bzw. das zu selegierende Morphem für die Substantivierung eines Verbs, so bildet analog das Morphem des Partizips Präsens (chantant) oder Passiv ([Il a] chanté, ayant chanté mit verbaler Funktion, des chevaux apeurés mit adjektivischer Funktion) die Basis für die Konversion des Verbs zum Adjektiv, wobei die Form auch adverbiale Funktionen beinhalten kann (so vor allem bei den Partizipien des Präsens, cf. rue passante etc.). Abgesehen von Partizip Präsens und Verbaladjektiv umfasst die Endung -ant einen weiteren Typ an syntaktischer Funktion: das Gerundium (cf. Grevisse 1993, §884). 1) Partizip Präsens Partizip Präsens und Verbaladjektiv rechtfertigen beide den Begriff des Partizips sowie die Bezeichnung als adjektivische Form des Verbs: «ils ‘participent’ à la fois du verbe et de l’adjectif» (Riegel et al. 1994, 339): (1) Le soleil, tombant d’aplomb sur les larges verdures, les éclaboussait. (Flaubert); (2) Ici gronde le fleuve aux vagues écumantes. (Lamartine) Das Partizip Präsens (1) bewahrt Eigenschaften eines Verbs (Komplemente, Negation mit ne … pas), wohingegen das Verbaladjektiv (2) als eine Untergruppe der qualifizierenden Adjektive klassifiziert werden kann. Von allen Verben (mit Ausnahme der unpersönlichen Verben) lässt sich ein Partizip Präsens bilden, aber nur bestimmte verfügen über ein entsprechendes Verbaladjektiv (*mangeante, *évaporante etc.). Dem Gerundium geht in der heutigen Norm des Französischen in der Regel die Präposition en voraus; es besitzt die Funktion einer Umstandsergänzung und teilt gewisse Eigenschaften mit den Adverbien: Il me fallut rejoindre en courant mon père et mon grand-père qui m’appelaient (Proust). In formaler Hinsicht unterscheiden sich Partizip Präsens und Verbaladjektiv (cf. Riegel et al. 1994, 340–341) dadurch, dass das Präsenspartizip immer unveränderlich ist,145 wohingegen das Verbaladjektiv in Genus und Numerus mit dem Substantiv, auf das es sich bezieht, kongruiert. Ferner weist das Verbaladjektiv gewisse orthographische Besonderheiten auf, die es in bestimmten
|| 145 Die einstige Veränderlichkeit des Partizips Präsens spiegelt sich heute noch in gewissen juristischen Ausdrücken wie les ayants droit, toutes affaires cessantes.
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Fällen vom Präsenspartizip abheben, cf. convainquant (Präsenspartizip) – convaincant (Verbaladjektiv), naviguant (Präsenspartizip) – navigant (Verbaladjektiv); ferner endet das Partizip stets auf -ant, wohingegen eine Gruppe von etwa zwanzig Verbaladjektiven auf -ent auslautet: différent, divergent, équivalent, excellent, précédent etc. (cf. analog différence, divergence, équivalence etc. aber exigeant, existant gegenüber exigence, existence). Die beiden Formen machen den Übergang zwischen Syntax und Lexikon deutlich, indem sie als «deux degrés de l’adjectivisation du verbe» (Riegel et al. 1994, 340) aufgefasst werden können. Dabei bewahrt das Partizip Präsens im Wesentlichen die Eigenschaften eines Verbs, während sich das Verbaladjektiv wie ein tatsächliches Adjektiv verhält. Beide jedoch können syntaktisch wie ein qualifizierendes Adjektiv funktionieren: als Epitheton (1), als Apposition (2) oder Objektsprädikativ (attribut de l’objet direct) (3): (1) Je respire largement, tel Pelléas sortant du souterrain et retrouvant la vie, l’odeur des roses. (Barthes) (2) Je me remis en mer, cherchant toujours quelque terre chérie des dieux. (Montesquieu) (3) Je le [le sentier] trouvai tout bourdonnant de l’odeur des aubépines. (Proust) Allerdings kann einzig das Verbaladjektiv als Subjektsprädikativ (im Frz. attribut du sujet) fungieren (Ce livre est intéressant), während das Präsenspartizip den verbalen Kern eines untergeordneten Partizipialsatzes bilden kann: Le soir tombant, le berger ramène le troupeau à la bergerie – On était dans le mois où la nature est douce, les collines ayant des lys sur leur sommet (Victor Hugo).146 Die verbalen Eigenschaften des Präsenspartizips beruhen auf folgenden Aspekten: Zum einen kann es von einem Adverb begleitet werden, einem Objekt (ihm kann ein klitisches Pronomen vorausgehen) oder einer Umstandsergänzung; zum anderen kann es auch in passiver oder reflexiver Form erscheinen. Das Partizip Präsens in der Funktion als Epitheton entspricht einem relativen Nebensatz mit konjugiertem Verb: Une porte communiquant avec la sortie ↔ qui communique avec la sortie. Das Verbaladjektiv kann dagegen keine verbalen Komplemente zu sich nehmen, sondern lediglich solche Ergänzungen, die sich auf ein Adjektiv bezie-
|| 146 Im literarischen Sprachgebrauch kann das Präsenspartizip in Verbindung mit dem Verb aller (oder s’en aller) konstruiert werden mit der Funktion, den progressiven Aspekt zu kennzeichnen: Le mal va croissant (Dictionnaire de l’Académie); aller bewahrt zuweilen seinen Wert als Verb der Bewegung: Foucault va sollicitant partout (Mme de Sévigné).
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hen; es kann durch dieselben Adverbien modifiziert werden wie das Adjektiv, insbesondere zum Ausdruck der Grade der Komparation und der Intensität (Un livre très/plus intéressant à lire). Auf semantischer Ebene stellt das Präsenspartizip die Handlung in ihrem Verlauf dar (unvollendeter Aspekt). Der temporale Wert ergibt sich aus dem jeweiligen Satz, in dem es vorkommt, wobei es eine Relation der Gleichzeitigkeit zu der durch das übergeordnete Verb implizierten Handlung zum Ausdruck bringt. Das Verbaladjektiv in seiner Eigenschaft als qualifizierendes Adjektiv drückt demgegenüber einen Zustand aus (chaussée glissante) oder eine Eigenschaft (un ton cassant). Es kann (wie die entsprechende lateinische Form) eine passive Bedeutung annehmen (une couleur voyante, une place payante). Allerdings entspricht es nicht durchweg einem entsprechenden Relativsatz (wie in un livre intéressant): Es kann die Bedeutung des entsprechenden reflexiven Verbs implizieren (une personne méfiante, bien portante = une personne qui se méfie, qui se porte bien) oder eine idiosynkratische Bedeutung aufweisen (une rue passante, une soirée dansante, la poste restante). In Fällen wie thé dansant ‘thé pendant lequel on danse’ (cf. soirée dansante ‘Tanzabend’), musique dansante ‘qui est propre à faire danser’, café chantant ‘café où l’on chante’, carte/billet payant(e) ‘carte/billet qu’il faut payer’, étoffe salissante ‘étoffe qui se salit aisément’, rue passante ‘rue où il passe beaucoup de gens, de véhicules’, avocat consultant ‘avocat qui donne des consultations’ (cf. médecin consultant), roman (récit, film) palpitant ‘roman etc. qui excite l’émotion, un vif intérêt’ spricht Bally (41965, 309, §509) von einem «hypostatischen» Gebrauch des Partizips Präsens «qui consiste à lui donner une valeur impersonnelle». Die Ablösung vom entsprechenden Verb wird namentlich dort ersichtlich, wo das Verbaladjektiv in übertragener Bedeutung gebraucht wird (un coup fumant ‘admirablement réussi’, un type assommant ‘fatigant’, un style flamboyant, une beauté éclatante). Die Möglichkeit der Voranstellung des Verbaladjektivs in attributiver Funktion deutet auf die völlige Adjektivierung hin: Il y avait dans ce temps-là de grands hivers, de brûlants étés (Colette). Existiert zu einem Verb ein entsprechendes Verbaladjektiv, wird dieses in den Wörterbüchern gewöhnlich unter einem eigenen Eintrag aufgeführt, was seine Autonomie gegenüber dem zugrunde liegenden Verb unterstreicht. Gerundium und Partizip Präsens teilen gewisse verbale Eigenschaften: Beide sind unveränderlich, sie enden stets auf -ant und können die Komplemente des zugrunde liegenden Verbs zu sich nehmen. Ferner unterliegen sie derselben syntaktischen Restriktion, die bei satzinitialer Stellung beider Formen die Identität des zugehörigen Subjekts mit dem Subjekt des übergeordneten Satzes zur Bedingung
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macht.147 Ähnlich wie das Partizip Präsens wird auch das Gerundium mit vorausgehendem en teilweise im Anschluss an das Verb aller gebraucht, wobei letzteres seine Bedeutung als Vollverb mitunter bewahrt (Un mal qui va en augmentant). Bezüglich der aspektuellen und temporalen Werte stimmen Gerundium und Partizip Präsens miteinander überein: So bringt auch das Gerundium eine im Verlauf begriffene Handlung zum Ausdruck, die gleichzeitig zur Handlung stattfindet, wie sie durch das übergeordnete Verb impliziert wird (Il travaille en chantant). Im Unterschied zum Präsenspartizip erfordert das Gerundium obligatorisch die Präposition en. Auf syntaktischer Ebene gilt Folgendes: «de même que le participe est la forme adjective du verbe, le gérondif en est la forme adverbiale» (Riegel et al. 1994, 342). Daher entspricht das Gerundium funktionell auch einem Adverb und erfüllt, in Abhängigkeit vom Rest des Satzes, die Funktion einer Umstandsergänzung der Art und Weise, des Mittels, der Zeit, des Grundes, der Bedingung oder des Gegensatzes:148 Je chassais mes idées noires en chantant (Michel Sardou). 2) Partizip Perfekt Das Perfektpartizip stellt eine adjektivische Form des Verbs dar; es besitzt spezifische verbale und adjektivische Werte. Anders als das Präsenspartizip variiert es nach Genus und Numerus in Abhängigkeit vom zugehörigen Nomen. Ohne Hilfsverb gebraucht, kann das Perfektpartizip als qualifizierendes Adjektiv fungieren. Es entspricht einem Relativsatz, das eine mittels des Hilfsverbs être gebildete Form enthält: des manifestants venus (= qui sont venus) de tout le pays (aktive, mit être gebildete komponierte Zeitform); les candidats admis (= qui sont admis) (einfache passive Zeitform eines transitiven Verbs); in bestimmten Fällen kann es einem reflexiven Verb entsprechen, cf.: l’enfant endormi (= qui s’est endormi). Entspricht das Perfektpartizip einer aktiven komponierten Zeitform (des manifestants venus…), drückt es die Vollendung der Handlung aus und kennzeichnet die Vorzeitigkeit im Verhältnis zum übergeordneten Verb. Besitzt es passive Bedeutung (les candidats admis), indiziert es den vollendeten Aspekt sowie den Zustand, der aus dieser Vollendung resultiert; die zeitliche Relation zum übergeordneten Verb ist eine der Vorzeitigkeit. Entspricht das Perfektpartizip wiederum einem reflexiven Verb (l’enfant endormi), markiert es auch den aus der Vollendung der Handlung folgenden Zustand.
|| 147 Diese Restriktion war ursprünglich nicht gegeben, cf. noch l’appétit vient en mangeant, sondern wurde erst im 17. Jahrhundert eingeführt. Die Regel wird aber auch heute zuweilen durchbrochen. 148 Besonders zum Ausdruck einer Opposition kann die Präposition en beim Gerundium durch das Adverb tout verstärkt werden.
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Das Perfektpartizip mit adjektivischer Bedeutung kann (wie das Präsenspartizip und das Verbaladjektiv) als Epitheton des Nomens (1), als Apposition (2) oder als Objektsprädikativ (attribut de l’objet direct) (3) fungieren: (1) Les moissonneurs couchés faisaient des groupes sombres. (Victor Hugo) (2) Gavroche, fusillé, taquinait la fusillade. (id.) (3) Je le trouve très énervé. Auch das Perfektpartizip kann (wie das Verbaladjektiv) die Funktion des Subjektsprädikativ (attribut du sujet) ausüben: La pelouse était couverte de faibles vapeurs condensées (Nerval) – Tout semblait engourdi par le désœuvrement du dimanche et la tristesse des jours d’été (Flaubert). In der Funktion als attribut du sujet tritt beim Perfektpartizip die verbale vollständig hinter der adjektivischen Funktion zurück: Cette montagne est éloignée. Der adjektivische Wert zeigt sich daran, dass das Verb être durch ein anderes Zustandsverb, das Partizip durch ein Adjektiv ersetzt werden kann: Cette montagne est/paraît éloignée/lointaine; zudem kann das Partizip durch ein Gradadverb modifiziert werden: Cette montagne est très éloignée. Dagegen kann dem Perfektpartizip kein adjektivischer Wert zugesprochen werden, wenn es eine passive Handlung zum Ausdruck bringt, deren Urheber durch ein Agenskomplement spezifiziert wird: Ma voiture a été révisée par le garagiste. Der adjektivische Wert ist auch dann nicht vorhanden, wenn das Partizip Bestandteil der komponierten Form eines aktiven Verbs bildet: Il est arrivé en retard. In beiden Fällen bewahrt es seinen verbalen Charakter. Bezüglich des adjektivischen Werts des Perfektpartizips lassen sich zwei Grade unterscheiden. Wird es von verbalen Komplementen begleitet (Objekte, Umstandsergänzungen, Agenskomplement im Passiv: la voiture révisée par le garagiste), bleibt der doppelte Wert (wie beim Präsenspartizip) bestehen: So fungiert es zum einen als Verb bezüglich der Ergänzungen, zum anderen als Adjektiv auf Grund seiner Funktion mit Bezug auf das Nomen. Wird es dagegen ohne verbale Ergänzungen konstruiert oder aber mit Ergänzungen, die sich gewöhnlich auf ein Adjektiv beziehen, funktioniert es (wie das Verbaladjektiv) wie ein Adjektiv und kann durch ein solches ersetzt werden. Wie das Adjektiv drückt es einen Zustand aus, wobei es teilweise oder völlig seinen temporalen Wert verliert: Ses yeux bleuâtres, toujours entre-clos, souriaient dans son visage coloré (ersetzbar durch rouge/vermeil etc.) (Flaubert). Das adjektivisch verwendete Partizip Perfekt kann spezifische Bedeutungskomponenten annehmen und sich dadurch von der Semantik des zugrunde liegenden Verbs entfernen, cf. un conseiller avisé, des cheveux frisés, un enfant mal élevé etc.: «Comme pour l’adjectif verbal, il est alors difficile ou impossible de
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mettre le participe passé en relation de paraphrase avec le verbe correspondant (le journal parlé, la presse écrite, un appartement meublé, l’eau salée)» (Riegel et al. 1994, 344). Allerdings kann ein adjektivisch verwendetes Perfektpartizip nicht von allen Verben gleichermaßen gebildet werden: *dormie, *souvenue etc. Das Perfektpartizip wird gebildet, indem an den Verbalstamm ein auslautender Vokal (-é, -i, -u) angefügt wird (abgesehen von Partizipien wie offert, pris etc.). Es gilt festzuhalten, dass die Vokale -é und -u auch dazu dienen, Adjektive von Substantiven abzuleiten: attentionné, azuré, imagé, zélé; bossu, charnu, feuillu, pointu, ventru etc., die auf kein in der Norm des Französischen realisiertes Verb zurückgreifen (cf. Riegel et al. 1994, 344, Rem.). 3) Stellung der Partizipien im Wortbildungssystem Es stellt sich die Frage nach der Stellung der Partizipien im System der Wortbildung, d.h. ob die Nominalisierungen, die dem zum Adjektiv transponierten Partizip entsprechen, ihrerseits «syntaktische Transpositionen» bzw. «elliptische Hypostasen» darstellen oder ob die nominalen Formen auf einem eigenen wortbildenden Suffix beruhen. Mit Blick auf die Präsenspartizipien lassen sich die zentralen Positionen in der forschungsgeschichtlichen Entwicklung für das Französische wie folgt skizzieren (cf. Staib 1988, 145): 1. Interpretation der nominalen Partizipialformen auf -ant/-ante als substantivische Verwendungen von Präsenspartizipien (cf. Darmesteter 1877, 87; Brunot 31936, 66); 2. Annahme eines selbständigen Suffixes zur Bildung von Nomina agentis (cf. Dubois 1962, 54 und 94; auch Thiele 21985, 37–38 betrachtet -eur und -ant als funktionell identische Wortbildungsmorpheme des Französischen zur Bildung von deverbalen Nomina agentis bzw. zur «Bezeichnung des Handlungsträgers»); 3. Deutung der Bildungen auf -ant als sekundäre Nominalisierungen von Adjektiven (wodurch dem Suffix die Leistung der Transposition zukommt) (cf. Dubois 1969, 140ss.; Tesnière 1966, 488; Togeby 21965, 173; Guilbert 1975, 181–182.).149 Bally (41965, §184) ordnet die Partizipien so ein, dass diese – ebenso wie die Infinitive und das Gerundium – den im Verb implizierten Inhalt jeweils in die Wortkategorie des Adjektivs, Substantivs und Adverbs überführen; Bally geht || 149 Togeby (1985, 37, 42) leitet aus der Opposition von adjektivischen Bildungen auf -ant zu Adjektiven auf -if und -oir eine agentivische Inhaltskomponente für -ant ab; die Opposition zu Bildungen auf -é wiederum lässt laut Guilbert (1975, 181) die Charakterisierung von -ant durch das semantische Merkmal [nicht vollendet] zu.
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damit von Transposition aus. Auf syntaktischer Ebene werden im Falle der genannten Transpositionsrichtungen die Valenz sowie die syntagmatischen Relationen des Verbs bewahrt: «Ces transpositions sont moins apparentes que ce n’est le cas pour les autres suffixaux, parce que ces transposés conservent la presque totalité de la syntaxe verbale (cf. nous mangeons du pain et mangeant du pain, etc.), ce n’en sont pas moins des transposés et des suffixaux» (Bally 4 1965, 118, §184). Dies bedeutet zugleich, dass die genannten Verbalformen den konjugierten Formen sehr nahe stehen: «Ces transposés très voisins du verbe conjugué, se distinguent par là d’autres transposés parallèles qui n’admettent pas la syntaxe du verbe: ‘condamner un innocent : la condamnation d’un innocent, oubliant sa promesse : oublieux de sa promesse, (on se déshonore) en condamnant un innocent : par la condamnation d’un innocent’» (Bally 41965, 118, §184).
Damit lassen sich diese Formen in den Bereich der Grammatik und weniger der Wortbildung verweisen. Die auf das Partizip Perfekt zurückgehenden Adjektive sind nicht in allen Fällen geeignet, ein zugehöriges Adverb (nach dem systematischen Muster auf -ment) zu bilden; hier scheint die partizipiale Funktion noch dominant. Die Möglichkeit, ein Adverb auszubilden, ist etwa nicht gegeben bei *variément, *blasément u.a. (cf. Bally 41965, 246, §393). Bei der adjektivischen Verwendung des Partizips kommt derjenige Konversionstyp zum Tragen, der den Paradigmawechsel nach sich zieht. So nimmt das Partizip Perfekt die Kennzeichen der Genus- und Numerusmarkierung an. Beim Partizip Präsens wird die Konversion zuweilen deutlicher vom grammatischen Morphem des Gerundiums abgesetzt, wobei auch eine Ablösung von der Valenz des Verbs, d.h. dessen syntaktischen Eigenschaften erfolgen kann; vergleiche: un écolier négligeant ses devoirs: un écolier négligent (cf. Bally 41965, 297, §484).150 Der häufig lexikalisierte Charakter des Partizips Perfekt kommt hierbei deutlich zum Ausdruck (cf. un problème résolu vs. un caractère résolu), wobei das Partizip einen rein grammatischen Wert (‘un problème qui a été résolu’) besitzt, wohingegen das Adjektiv einen eigenen semantischen Gehalt aufweist.151,152 || 150 Cf. auch Bally (41965, 309, §509): «Les participes présents et passés s’adjectivisent aisément: ‘une femme aimant son mari: une femme aimante; […] décidé à partir: un caractère décidé’». Ferner ist die Konvertierung des adjektivierten Partizips zum Substantiv (cf. Bally 4 1965, 309, §509) jederzeit möglich: «Le participe devenu adjectif peut se substantiver: ‘les vivants et les morts, une voyante, un blessé, un naufragé; Paul est un résolu, un raté’». 151 Auf die diachronische Entwicklung und Grammatikalisierung des Passé Composé aus der Sicht der Verwendung des Partizips, das zunächst einen aus der Handlung resultierenden Zustand impliziert, soll hier nicht näher eingegangen werden.
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Bezieht sich die Nominalisierung auf die verbale Funktion, genauer das Prädikat, wie es sich im Partizip impliziert findet, resultiert die Transposition der maskulinen Form des Perfektpartizips in einer Prädikatnominalisierung des Typs un énoncé, un exposé, hier mit Topikalisierung der Objektfunktion (cf. Lüdtke 1978, 138). Solche tatsächlichen Wortbildungen nach dem Verfahren der Prädikatnominalisierung (Selektion des Grundwortes) sind nicht eindeutig von Substantivierungen des Partizips zu unterscheiden. Alsdorf-Bollée (1970) geht ebenfalls von einem eigenen Bildungstyp aus, der auf dem Maskulinum des Partizips Perfekt beruht,153 und unterscheidet demgemäß Nomina actionis, die als Latinismen betrachtet oder der Fachterminologie zugeordnet werden, und substantivierte Partizipien wie abrégé, arrêté, raccourci, résumé. Gemäß Lüdtke (1987, 138) kann es sich bei den Ableitungen, die auf -er auslautende Verben zurückgehen, unter formalem Aspekt auch um Konversionen handeln; die Bildungen auf der Grundlage anderer Deklinationsklassen legen dagegen nahe, dass eine gewisse Anzahl der Ableitungen nach dem Partizip gebildet worden sind.154 Bezüglich der relationellen Bedeutungen lässt sich die übliche Verteilung aufzeigen: So ist die Reflexivität in der Norm bei dédit entwickelt, das Subjekt bei démenti, das Objekt u.a. bei énoncé, exposé, levé, das Mittel bei bâti und die Zeit bei levé (cf. Lüdtke 1978, 138); Bezeichnungsgruppen lassen sich nur schwer eingrenzen. Multiple Ableitungen von Nomina agentis auf der Basis
|| 152 Bei der Wortbildung des Typs édenté (zur Negierung cf. Kap. 5.8.7), éhonté bzw. lat. BARBATUS (cf. frz. barbu) liegt eine nominale Basis zugrunde; dennoch kann das Morphem des Partizips nicht als ein homonymes wortbildendes Suffix gelten. Andererseits ist die Annahme eines fiktiven Verbs, von dem das Partizip gebildet wird, zwar in wortbildungstechnischer Hinsicht elegant (cf. die auf lat. BARBATUS ‘bärtig’ zurück führende analoge Form barbu, deren Inhalt dem Typ entsprechend eher als ‘bebartet’ wiederzugeben wäre, d.h. mit dem passiven Partizip, da inhaltlich bei ‘bärtig’ ein aktives Partizip anzusetzen wäre), entspricht aber nicht unbedingt dem Typ. So führt die Annahme eines zugrunde liegenden Verbs (das hinsichtlich des Bildungstyps sinnvoll wäre) zu einem wortbildungstechnisch adäquaten Verb *BARBARE bzw. *DENTARE, das aber gerade aus inhaltlicher Sicht jeweils keinen Sinn ergibt. 153 Siehe zur Interpretation beider Bildungstypen Bally (41965, 306–307, §504): «Remarquons que les anciens participes passés de la conjugaison morte qui forment des noms d’action ont une origine hypostatique, mais leur forme irrégulière les fait interpréter actuellement comme de simples mots-racines; exemple: ponte de pondre, fait de faire, crue de croître; de sorte que vente p. ex. est sur le même pied qu’achat». 154 Lüdtke (1978, 138) listet die folgenden auf: amorti, arraché, bâti, broché, débotté (débotter), débuché (débucher), dédit, défilé, démêlé, démenti, doigté, énoncé, exposé, fait (selten), levé (lever), péché, pointillé, préjugé, recelé (recélé), recuit, relevé, rétreint, sous-entendu, teint, toisé, visé.
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desselben Grundwortes unterscheiden sich (mit Ausnahme von broché – brochage) dabei in der Bezeichnung, cf. etwa arraché/arrachage/arrachement, énoncé/énonciation, exposé/exposition u.a. Der Bildungstyp, wie er bei arraché etc. vorliegt, ist kaum produktiv. Bei den Partizipien des Perfekts, denen das Femininum zugrunde liegt, ist von einem eigenen Wortbildungsverfahren bzw. Suffix auszugehen,155 z.B. une allée, une bouffée etc. (cf. Lüdtke 1978, 134–137).156 Dabei sind die Suffixvarianten von der Form des zugrunde liegenden Verbs bzw. des entsprechenden Partizips abhängig. Die Verben auf -er bilden etwa Formen wie allée, assemblée,157 coulée, durée, fessée,158 levée, montée, pensée, tétée, veillée, volée etc.; die Verben auf -ir führen zu weniger zahlreichen Bildungen wie offrir → offerte, sortir → sortie, tenir → tenue, venir → venue etc.; bei den Verben auf -oir sind bei Lüdtke (1978, 135) folgende drei Ableitungen angeführt: entrevoir → entrevue, revoir → revue, voir → vue. Die Verben auf -re bilden wieder eine größere Zahl (zudem sehr gebräuchlicher) Perfektpartizipien, z.B. accroître → accrue, atteindre →
|| 155 Cf. Bally (41965, 306–307, §504): «Quant aux participes substantivés de la conjugaison vivante, ils ont donné naissance au suffixe féminin -ée, qui s’est détaché du participe et est actuellement autonome (rangée, entrée, assemblée, renommée), si bien qu’il est arrivé, il y a longtemps déjà, à former des dérivés de substantifs: potée, verrée, cuillerée». 156 Anders die grundsätzlich diachronisch angelegte Studie von Alsdorf-Bollée (1970, 90), wo die Haltung vertreten wird, dass die Nomina actionis nach dem Partizip Perfekt aus einem Verbalstamm und einer Flexionsendung bestünden und nicht aus einem Verbalstamm und einem wortbildenden Suffix; andererseits werden die gebildeten Abstrakta auch nicht der Flexion subsumiert, sondern es wird vielmehr ein Sonderstatus für die Nomina actionis auf ATA, -ITA, -UTA angenommen (ibid., 90–91): «es [wäre] andrerseits ebenso falsch, die Bildung der mit dem Partizip des Perfekts formal identischen Abstrakta zur Flexion zu rechnen. Man kann sie auch nicht wie die Postverbalia als Suffigierungen mit einem Suffix Null ansehen, da gemäß der Struktur von Verbalabstrakta mit Suffixen it. lava/mento, lava/tura, lava/zione an der Stelle des zu erwartenden Suffixes nicht O, sondern ein anderes Zeichen steht: lava/ta. Die Bildung der Nomina actionis auf -ATA, -ITA, -UTA usw. ist dem Prinzip der Derivation vergleichbar, für das die Grammatiker Bezeichnungen wie Konversion; Hypostase oder dérivation implicite […]; dérivation impropre […] oder habilitación […] gewählt haben […] Synchronisch und rein formal betrachtet ist die Bildung unserer Verbalabstrakta ein hypostatischer Prozeß, ein Übergang von einer in eine andere Wortklasse […]. Funktional und historisch gesehen jedoch ist dieser spezielle Fall uneigentlicher Ableitung von anderen Hypostasen verschieden». 157 Die Reflexivität kommt als sekundäre Bedeutung zum Tragen in Bildungen wie assemblée, conduite, enquête, plainte, tenue u.a. (cf. Lüdtke 1978, 136). 158 Bei Wörtern, die mit dem Bezeichnungsbereich der ‘Schläge, Prügel’ in Verbindung stehen, ist als sekundäre relationelle Bedeutung häufig die der Passivität realisiert, cf.: frottée, raclée, rossée, tannée etc. (cf. Lüdtke 1978, 136).
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atteinte, conduire → conduite, décourvrir → découverte, mettre la main sur qc → mainmise, plaindre → plainte, prendre → prise, surprendre → surprise etc.159 Bei den genannten partizipialen Bildungen finden sich auch die wichtigsten Typen an sekundären relationellen Bedeutungen entwickelt wie das Subjekt (etwa in conduite, suite, surprise), das Objekt (z.B. in conquête, découverte, pensée, perte, récolte, sortie, tétée, vue etc.), der Ort (cf. z.B. allée, assemblée, entrée, prise, sortie), die Zeit wie in attente und tonte, die Art und Weise in conduite, mise, pensée, prise, tenue, vue (cf. Lüdtke 1978, 136). Das Suffix -ée trägt in der Interpretation nach Kurt Baldinger (1950, 91) zur Basis die inhaltliche Komponente der Erfassung (einer Handlung) als (abstrakte) Einheit bei. Die durch die Ableitungen auf der Grundlage des femininen Partizips bezeichnete Handlung kann dabei eine semelfaktive, punktuelle und plötzlich eintretende sein (cf. chute, découverte, percée etc.) oder auch eine Iteration implizieren (cf. frottée, plumée, tétée etc.). Unter der Grundbedeutung lassen sich multiple weitere semantische Aspekte subsumieren (es handelt sich neben der Funktion, die Einheit der Handlung zu markieren, im Wesentlichen um die Kennzeichnung des Maßes, des Inhalts, der Zeit, des Ortes usw.); häufig findet sich darunter die Funktion der Kollektivierung (kollektive Handlung). Allerdings sind nicht alle Ableitungen über diese verallgemeinerte Funktion fassbar.160 Die genannte Grundfunktion ist bereits im Altfranzösischen, vor allen Dingen bei den Konkretisierungen nachzuweisen. Die historische Entwicklung dieses Suffixes lässt darauf schließen, dass -ée, lat. -ATA, ursprünglich primär Verbalabstrakta bildete. Heute ist die abstrakte verbale Funktion des Suffixes eher verblasst, und die Bezeichnung konkreter Einheiten scheint stattdessen vorzuherrschen (cf. Baldinger 1950, 89ss.). Insgesamt kann der Typ als regressiv
|| 159 Bei den Verben auf -oir, -ir und insbesondere -re weisen die partizipialen Ableitungen häufig Irregularitäten insofern auf, als die Form nicht dem Partizip, sondern den Formen der regelmäßigen Ableitungen (wie offerte, atteinte, étreinte etc.) entspricht, cf. choir → chute (Partizip Perfekt chu, -e); s’enquérir → enquête (enquis, -e), fuir → fuite (fui, -e), recueillir → récolte (recueilli, -e), réussir → réussite (réussi, -e); attendre → attente (attendu, -e), perdre → perte (perdu, -e), poursuivre → poursuite (poursuivi, -e), suivre → suite (suivi, -e), vendre → vente (vendu, -e) etc. 160 So ergeben sich Zuordnungsprobleme durch Interferenzen mit anderen, formal ähnlichen Verfahren, wie zwischen dem Typ bouche → bouchée, main → mainée und giclée, pesée, tétée oder zwischen dem Typ jour → journée und durée, montée, veillée etc.; zudem sind die «semelfaktiven bzw. iterativen Handlungen […] durch die Typen dentée und fessée (mit implizitem Verb) eindeutiger (aber selten) realisiert und dürften Rückwirkungen auf die explizit deverbalen Nominalisierungen haben. Diese Frage kann aber erst zufriedenstellend gelöst werden, wenn das Suffix -ée im Französischen im Ganzen funktionell untersucht worden ist und sich das Ausmaß der Einheit des Suffixes herausgestellt hat» (Lüdtke 1978, 137).
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produktiv bezeichnet werden (Lüdtke 1978, 137 zählt für das Französische 121 deverbale Ableitungen nach dem femininen Partizip Perfekt).161 Allerdings bildet das Suffix auch Ableitungen, die formal zunächst auf eine denominale Ableitung schließen lassen; dabei kristallisieren sich zwei Bezeichnungsbereiche heraus, in denen Bildungen mit Hilfe dieses Suffixes vorrangig auftreten sind: Erstens der Typ, der sich der Bezeichnungsgruppe der Hiebe, Schläge, Schüsse zuordnen lässt (cf. Baldinger 1950, 92–94); zweitens der Typ, der Handlungen und Redeweisen einer Person erfasst. Auch hier muss das Problem des implizit verbalen Charakters gelöst werden (siehe Lüdtke 1978, 65). Es scheint also eine Überschneidung zwischen dem Verfahren der deverbalen Ableitungen auf -ATA (Form des Femininums bzw. Neutrums Plural des Partizips der Verben der lat. a-Konjugation) bzw. der Prädikatnominalisierung einerseits und der Konversion des Partizips – als einer Form des Verbalparadigmas – zum Adjektiv, d.h. der deverbalen (bzw. departizipialen) Adjektivierung zu bestehen. Hier muss jeweils der Status des scheinbar wortbildenden Elements als Suffix oder als auf ein grammatisches Verfahren und damit auf eine Flexionsendung zurückgehend geklärt werden. Die Präsens- und Perfektpartizipien eignen sich also auf Grund ihrer Semantik zum Gebrauch in attributiver Funktion (als Epitheton), können damit die Funktionen eines Adjektivs annehmen: un appartement garni. Beim Verbaladjektiv ist der Übergang des Partizips in die Kategorie des Adjektivs vollständig vollzogen (und ein neues Lexem ist entstanden): une petite fille charmante, une fleur parfumée (cf. Grevisse 1993, 1307, §886, Rem. 1).162 Durch die Möglichkeit der syntaktischen Transposition zum Substantiv (cf. Grevisse 1993, §195, b sowie ibid., 257, §198, a) kann eine Bildung auf der Grundlage des Partizips ferner mit dem Verfahren der generischen Komposition (Bildungen auf -eur) in Konkurrenz treten (cf. Staib 1988, 144–149): So bildet auch das Suffix -ant/-ante deverbale Nomina agentis wie voyant ‘celui qui voit’, vivant ‘celui qui vit’, occupant ‘celui qui occupe’ neben voyeur, viveur, occupateur.
|| 161 Zu berücksichtigen ist bei diesem Bildungstyp ferner die Abgrenzung von der Bezeichnungsgruppe, wie sie durch das Suffix -age konstituiert wird (cf. arrivée – arrivage, assemblée – assemblage, levée – levage etc.). Überschneidungen mit anderen Suffixen finden sich in Bezug auf -ment, -tion, -Ø (m. und f.), Berührungen mit anderen Suffixen sind eher selten (cf. Lüdtke 1978, 137). 162 Im Unterschied zu Präsenspartizip und entsprechendem Adjektiv, die gewisse formale Unterschiede aufweisen (cf. Grevisse 1993, §887), stimmen beim Perfektpartizip die Formen mit dem zugehörigen Adjektiv überein − mit Ausnahme von béni (Partizip) und bénit (attributiv oder prädikativ gebrauchtes Adjektiv).
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Auf Bezeichnungsebene gehören die so gebildeten Nomina auch dem Bereich der Hilfsmittel an, wie stimulant ‘ce qui stimule’, analog nettoyant, adoucissant, mouillant etc. Die Frage der funktionellen Differenz zwischen den nominalen Bildungen auf -ant/-ante und den deverbalen generischen Komposita auf –eur begründet Staib mittels des Kriteriums der Virtualität. So beruht der Unterschied zwischen directeur und dirigeant nach Staib (1988, 146) darauf, dass sich die Bildung auf -eur, die hier einen Titel impliziert, mit einer allgemeinen Virtualität bzw. Inaktualität mit Bezug auf die Handlung verbinde, die «auch allen Bezeichnungen der Funktion, der Fähigkeit oder der inneren Neigung zu einer Handlung zugrunde liegt» (1988, 147) und angesichts derer ein mögliches distinktives inhaltliches Kriterium der Intentionalität in den Hintergrund tritt; dagegen beinhalte die Form auf -ant das effektive Ausüben der Handlung. Eine analoge Interpretation kann prinzipiell auch für die nominalisierten Perfektpartizipien zur Bezeichnung handelnder Personen vorausgesetzt werden: Präsens- und Perfektpartizipien beziehen sich beide auf eine aktuelle Handlung mit dem Unterschied, dass die Präsenspartizipien die Handlung als eine aktuell-gegenwärtige, die substantivierten Perfektpartizipien dagegen als eine aktuell-vergangene erscheinen lassen (in Abhängigkeit vom bezeichneten Handlungsträger). So ist ein immigrant ein Mensch, der aktuell (und absichtsvoll) in ein anderes Land geht, um dort beständig zu leben: «Wird diese Handlung aus der Sicht des aufnehmenden Landes aktuell-gegenwärtig betrachtet, so erscheint das substantivierte Präsenspartizip zur Bezeichnung, während das Perfektpartizip immigré die Handlung als aktuell-vergangen darstellt» (Staib 1988, 147). Solche aktuell-handlungsbezogenen Benennungen können im Lexikon fixiert werden und als Berufsbezeichnungen fungieren, wie etwa bei assistant (als Titel), commerçant, fabriquant etc. (umgekehrt können auch virtuell-agentive Komposita eine aktuelle Handlung zum Ausdruck bringen, wenn der Kontext spezifiziert wird: le constructeur de l’église, l’inventeur du téléphone, l’éditeur de ce journal etc.). Auf diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, dass der Unterschied zwischen den substantivierten Partizipien und den generischen Komposita darauf beruht, dass erstere als aktuell-handlungsbezogen, letztere als virtuell zu charakterisieren sind. Es lässt sich die Frage aufwerfen, woraus der bei den Partizipien gegebene Bezug auf eine aktuelle Handlung als distinktives Kriterium resultiert. Die Partizipien, die Personen bezeichnen, können als klassematische Ellipsen interpretiert werden: Da das Klassem [LEBEWESEN] grundsätzlich eine Variation nach dem Genus aufweist, verfügen die Partizipialformen entsprechend
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auch über eine maskuline und eine feminine Variante. Wichtig mit Blick auf die Wortbildungsprozesse ist die Beobachtung, dass die Genusvariabilität gleichzeitig ein Indiz dafür ist, «dass der elliptischen Substantivierung unmittelbar nicht das an sich invariable Partizip Präsens, sondern das aus diesem entwickelte Adjektiv zugrunde liegt» (Staib 1988, 148). Die Aktualität des Handlungsbezugs der substantivierten Partizipialformen lässt sich damit begründen, dass in diesen eine gewisse Zeitstufenaffinität angelegt ist (die als eine Art «neutrale Tempus-Perspektive» beim Präsenspartizip, als eine «Rückperspektive» beim Perfektpartizip gefasst werden kann; cf. Weinrich 1982, 159 und 392ss.). Demgegenüber sind die virtuellen Nomina agentis auf Grund der prinzipiellen Indifferenz der verbalen Basis gegenüber sonst für Verben spezifischen grammatischen Determinierungen im Rahmen von Tempus, Diathese, Modus gewissermaßen «außerhalb des Handlungsverlaufs» anzusiedeln, den «sie lediglich implizieren, aber nicht darstellen» (cf. Staib 1988, 148). Daher bringen die generischen Komposita die volle Virtualität der Handlung zu Geltung. Die Partizipien hingegen und die von ihnen abgeleiteten Adjektive und Substantive sind in den Handlungsverlauf gewissermaßen als «integriert» zu betrachten; in ihrem Ablauf ist die Handlung daher nur als eine aktuelle zu verstehen. Transponieren also die Partizipien die ihnen inhärenten verbalkategoriellen Züge auch in die Wortkategorie Substantiv, implizieren sie nicht mehr nur eine rein prädikative syntaktische Funktion wie die virtuellen Nomina agentis; vielmehr spiegelt sich in ihnen die Aktualität des Handlungsbezugs gemäß dem Muster X est collant → le collant, X est représentant → le représentant, X s’est réfugié → le réfugié (cf. Staib 1988, 149). Daher können sie auch nicht dem funktionellen Verfahren der generischen Komposition zugerechnet werden. Anders formuliert: Obwohl die substantivierten Partizipien den Funktionsbereich der aktuellen agentiven (und patientiven)163 Handlungsbeteiligung mit Bezug auf Personen- (und Sach-) Bezeichnungen mit abgrenzen, können sie nicht als funktionelle generische Komposita angesehen werden (cf. Staib 1988, 175).164
|| 163 Die Perfektpartizipien implizieren zudem die Aktiv-Passiv-Diathese (cf. Weinrich 1982); da diese Partizipien auch bei der Bezeichnung der objektiven Handlungsbeteiligung im Bereich der aktuellen Handlungsbeteiligung zum Tragen kommen, zeigt sich, dass die Diathese als eine im Grunde rein verbale Kategorie ebenfalls mit in den Bezeichnungsbereich der generischen Komposition hineinreicht. 164 Mit Bezug auf die generische Komposition bedeutet dies wiederum, dass die Opposition zwischen Virtualität und Aktualität als funktionell distinktiv für die Abgrenzung der generischen Komposita im Bereich der Handlungsbeteiligung zu gelten hat, d.h. das Merkmal der Virtualität muss als konstitutiv und funktionell für den Bereich der generischen Komposita betrachtet werden.
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5.4.4.4 Adverbialisierung Im Französischen ist die Entwicklung von Adverbien165,166 auf adjektivischer Basis gemäß dem Muster lente (fem.) → lentement ‘d’une manière lente; avec lenteur’ (< lat. MENTE (Abl.), etwa IN CLARA MENTE etc.) zum Ausdruck der Art und Weise167 einer Handlung am produktivsten. Eine Einordnung des Suffixes -ment unter die grammatischen Morpheme ist auf Grund der im Suffix enthaltenen wortkategorialen Bedeutung, die zur Transposition in eine andere Wortkategorie führt, nicht anzunehmen. Da also die wortkategoriale Bedeutung grundsätzlich im Bereich der Wortbildung zu behandeln ist, gehört zu ihr auch die Adverbialisierung (cf. Lüdtke 1996a, 263). Skalička diskutiert als Verfahren der Adverbbildung im Französischen lediglich die Bildung mit Hilfe des Suffixes -ment, die das Französische vom isolierenden Konstrukt entfernt. Vom typologischen Standpunkt – und hier unter Beleuchtung der historischen Sicht, die die als regelmäßig bezeichnete Technik (Suffigierung mittels -ment) mit anderen Mustern konfrontiert (cf. Lüdtke 2002b) – ist die alternative Adverbialisierung über die Selektion des Morphems der maskulinen Form des Adjektivs168 besonders aufschlussreich, da sich hierin ein Zug des isolierenden Konstruktes manifestiert. Andere periphrastische Verfahrenstypen gewinnen im heutigen Französisch ebenfalls an Bedeutung, so die Konstruktion avec + Nomen (avec grâce, avec véhémence). Beide Verfahren, die präpositionale Fügung wie Formen der Art penser français, stehen voll in Einklang mit dem isolierenden Typus bzw. dem Prinzip der syntagmatischen Determinierung. Der Gebrauch der maskulinen Form des Adjektivs in adverbialer169 Funktion stellt keine Neuerung der heutigen Gemeinsprache dar, sondern gehört bereits
|| 165 Zur Frage, inwieweit sich die Annahme der Existenz einer Wortkategorie «Adverb» als gerechtfertigt bzw. sinnvoll erweisen kann, cf. Geckeler (1993). 166 Siehe ausführlich insbesondere Lüdtke (2001/2002a); siehe auch Bally (41965, 246, §§393ss.). 167 Der Wert der Bildungen auf -ment beschränkt sich nicht allein auf den Ausdruck der Art und Weise, in der sich eine Handlung vollzieht, ein Vorgang abläuft (wie in longuement, brièvement). So können etwa Adverbien auf -ment auch modalen Wert besitzen (cf. Il a naturellement manqué son train – Heureusement qu’il a échappé à la catastrophe! – Franchement, l’aimez-vous?). Ein quantitativer bzw. intensivierender Wert scheint in Bildungen wie fortement, immensément, énormément, formidablement etc. impliziert (cf. Bally 41965, 247; §394); dieser ist aber im Grunde in der adjektivischen Basis bereits impliziert. 168 Auch hier wird zuweilen mit einem Nullmorphem operiert (cf. z.B. Thiele 21985, 152). 169 Die adverbiale Funktion bezieht sich lediglich auf den Gebrauch des invariablen Adjektivs im Anschluss an ein Verb, so dass sich die Adverbialität mit der adverbalen Stellung verbindet (cf. Riegel et al. 1994, 382).
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älteren Sprachstufen des Französischen an. Namentlich in der Werbesprache sowie der Sprache der Politik erfährt dieser Typ eine Erweiterung: votez socialiste! cuisinez fin/sain! achetez/roulez français! meublez moderne! Insgesamt ist die Produktivität dieses adverbbildenden Verfahrens nicht zu unterschätzen;170 Riegel et al. (1994, 382) sprechen sogar von einem «schéma très productif en français moderne», wie folgende Auswahl erkennen lässt: laver chaud, manger gras/léger, payer cher, chanter faux, commencer petit, ce stylo écrit noir, tricoter lâche/serré, s’habiller jeune, habiller large, habiller deux enfants pareil, tomber juste, la nuit tombe sec; Tu es tombé dur? Vous vous rasez électrique? etc. (cf. Thiele 21985, 152; Riegel et al. 1994, 382). Aus syntaktischer Sicht lässt sich die Entstehung dieses Musters aus der Kombination zweier Konstruktionen erklären: zum einen der als «internes Objekt»171 auffassbaren Ergänzung (cf. Riegel et al. 1994, 382), zum anderen des Objektprädikativs. Analog zum Bildungsmuster Il mange son steak saignant lässt sich danach Il mange gras analysieren als eine Konstruktion [N0 – mange N1 – Adj], in der die Ergänzung des internen Objekts N1 [= (tout) ce qu’il mange] zwar nicht realisiert ist, aber dennoch durch das attribut de l’objet charakterisiert wird (ce qu’il mange est gras). Diese Beziehung, die auf einer Charakterisierung des internen Objekts des Verbs (und also der gesamten durch das Verb bezeichneten Handlung) beruht, findet sich analog in zahlreichen mehr oder weniger feststehenden Ausdrücken des Typs cuisiner/manger gras/salé/léger/chaud/froid etc.; voir double/trouble/
|| 170 Zur Produktivität der Suffigierung mit -ment siehe andererseits Bally (41965, 246, §393): «l’existence des substantifs en -ment n’est pas étrangère à la vitalité amoindrie des adverbes en -ment». 171 Gewisse intransitive, aber auch transitive Verben lassen die Konstruktion mit einer als «internes Objekt» genannten Ergänzung zu; das Objekt zeichnet sich dadurch aus, dass es wesentliche Bedeutungskomponenten des Verbs, von dem es abhängt (cf. vivre sa vie, aller son chemin, dormir son dernier sommeil etc.), wiederholt, doch weist es über dessen Semantik hinaus. Weniger eine Tautologie (cf. die als Figura etymologica bekannte Stilfigur) dient das «interne» (kognate) Objekt vielmehr als nominale Stütze, die dem Verb spezifische Bedeutungskomponenten hinzufügt, die sonst über andere Konstruktionen (z.B. ein Adverb oder eine Umstandsergänzung der Art und Weise) beigesteuert werden müssten, cf. Il vit sa vie, das sich interpretieren lässt als Il vit une vie qui est conforme à sa conception de la vie und semantisch in etwa übereinstimmt mit Il vit à sa façon/comme il l’entend. Es handelt sich hierbei stets um mehr oder weniger fixierte Ausdrücke, cf.: aller son chemin/son petit bonhomme de chemin (‘poursuivre ses entreprises sans hâte, sans bruit, mais sûrement’) marcher d’un bon pas; souffrir le martyre; mourir de sa belle mort; mourir de mort lente; pleurer des larmes de crocodile/toutes les larmes de son corps; jouer un drôle de jeu; Deux pigeons s’aimaient d’amour tendre etc. (cf. Riegel et al. 1994, 221).
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clair/rouge (fig.); écrire serré/large/grand/petit; tirer (trop) court/(trop) long; tailler large/trop court/un peu juste etc. Die Charakterisierung des Verbs durch das invariante Adjektiv erfolgt also indirekt über ein nicht ausgedrücktes generisches Objekt; die Invariabilität ihrerseits lässt sich auf das Fehlen eines explizit realisierten, lexikalischen Objekts, mit dem es kongruieren könnte, zurückführen. Dieser adverbiale Gebrauch des maskulinen Adjektivs im Singular findet sich in Analogie zu den transitiven auch in Verbindung mit intransitiven Verben, z.B. ça sent bon, und sogar bei unpersönlich konstruierten Verben: il pleut dru. Wenn für diese kein syntaktisch realisierbares internes Objekt zur Verfügung steht, kommen nominale Entsprechungen zum Tragen, die durch das als Adverb verwendbare Adjektiv charakterisiert werden können: une bonne odeur, une pluie drue. Vielfach steht dem mittels Konversion abgeleiteten Adverb eine Variante auf ment gegenüber; die so geschaffenen semantischen Oppositionen beziehen sich auf Gegenüberstellungen wie konkrete vs. abstrakte, wörtliche vs. übertragene Bedeutung: (un moteur) tourne rond/mener (une affaire) rondement; manger froid/répondre froidement; boire chaud/recommander (quelqu’un) chaudement; boire sec/répondre sèchement etc. Die genannten Oppositionen lassen sich auch dergestalt interpretieren, dass die semantische Verbindung zwischen invariablem Adjektiv in adverbialer Funktion und Verb enger ist als die zwischen Adverbbildung qua Suffix und Verb (cf. Thiele 21985, 152). 5.4.4.5 «Délocutifs» Einen besonders interessanten Fall der Konversion bilden verbale Ableitungen des Typs frz. saluer, die auf entsprechende Äußerungen in der Rede zurückgeführt werden können, wobei die in der Basis enthaltene «Lokution» in einem Satz der freien Rede als Objekt eines Verbs fungiert: ‘dire salut!’, ‘dire merci!’ etc. Diese als «verbes délocutifs» bezeichneten Ableitungen wurden von Émile Benveniste ([1958]/1966) erstmals in der linguistischen Literatur unter diesem Namen behandelt.172,173 Das Bildungsmuster existierte schon in lateinischer Zeit, cf. SALŪTĀRE < SALŪS, wo als Basis der Ableitung die Äußerung SALŪS!, gefasst als ein Wunsch,
|| 172 Zur Definition siehe Benveniste ([1958]/1966, 275): «Un verbe est dit ‘dénominatif’ s’il dérive d’un nom; ‘déverbatif’, si d’un verbe. Nous appellerons délocutifs des verbes dont nous nous proposons d’établir qu’ils sont dérivés de locutions». 173 Ich beziehe mich primär auf die Ausführungen Lüdtkes (2002b), verweise aber auf Büchi (1995), die die von den Beobachtungen Benvenistes ausgelöste Diskussion um die «verbes délocutifs» detailliert aufgearbeitet hat und einen Überblick über den Forschungsstand gibt.
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also als Formel der Rede und nicht als ein nominales Zeichen SALŪS dient; SALŪTĀRE bedeutet daher nicht ʻsalutem alicui efficereʼ, sondern ʻsalutem alicui dicereʼ: «On voit ainsi que, malgré l’apparence, salutare n’est pas dérivé d’un nom doté de la valeur virtuelle d’un signe linguistique, mais d’un syntagme où la forme nominale se trouve actualisée comme ʻterme à prononcer’» (Benveniste ([1958]/1966, 278). Die Bildung solcher delokutiver Verben ist Ausdruck eines Bedarfs an bestimmten lexikalischen Einheiten und hängt ab von der Häufigkeit und Bedeutung der entsprechenden formules prégnantes in bestimmten Kulturräumen. Bezüglich der Frage nach der Beziehung zwischen einem von einer formelhaften Einheit der Rede abgeleiteten delokutiven Verb des Lateins und den entsprechenden Wendungen bzw. Verben im Romanischen (cf. frz. (le) salut bzw. salut! und saluer) kann von einer identischen Relation ausgegangen werden: «Il s’agit de la même relation de locution à délocutif, et d’une relation à poser synchroniquement, sans égard à la descendance historique de lat. salutem à fr. salut» (Benveniste [1958]/1966, 281).174 Eine kohärente semantische Beziehung zwischen freier Äußerung und der entsprechenden verbalen Ableitung wäre also im Falle von saluer gegeben bei ‘dire salut!’, analog ‘dire merci!’ für remercier (afrz. noch mercier), das von der konventionellen Wendung (nicht Interjektion),175 wie sie im Gesprächsaustausch verwendet wird, abgleitet wäre: merci! Dabei liegt notwendigerweise ‘dire merci’ und nicht ‘faire merci’ zugrunde, da merci in seiner lexikalischen Bedeutung ‘Gnade’ (cf. demander merci à qn) zu einem «denominativen» (d.h. von einem Nomen abgeleiteten) Verb remercier mit der Bedeutung ‘faire grâce, gracier’ führen müsste, was nicht belegt ist. Insgesamt gilt mit Bezug auf die Wortbildungsbedeutung: «Le trait essentiel et signalétique d’un délocutif est
|| 174 Siehe auch it. graziare; sp. dar las gracias, das auf ¡gracias! zurückführt, wobei agradecer morphologisch mit «dar las gracias» nicht im Zusammenhang steht; bei rum. a mulţumi, mulţumesc funktioniert das Muster nicht, da «danke!» mit ich danke etc. wiedergegeben wird. 175 Es gilt zwischen von Wendungen der Rede und von Interjektionen (bzw. Onomatopoetika) abgeleiteten Verben zu unterscheiden. Ein delokutives Verb besitzt als Basis stets einen Signifikanten, der in der Rede zwar «eingeworfen» werden kann, aber als solcher erhalten bleibt, wohingegen Verben wie claquer, huer, chuchoter oder engl. to boo lediglich auf Onomatopoetika beruhen. Ferner sind die delokutiven Verben auch nicht gleichzusetzen mit Verben, die einen Wunsch zum Ausdruck bringen. Dies lässt sich anhand des prototypischen Verbs des Wünschens souhaiter im Vergleich zu saluer illustrieren: souhaiter stellt eine denominale Ableitung mit dem «gewöhnlichen» Substantiv souhait als Grundlage dar, wobei souhait selbst keine Wunschformel darstellt; salut als Basis der verbalen Ableitung saluer hingegen ist nicht nur Substantiv, sondern zugleich auch eine Grußformel: Salut!
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qu’il est avec sa base nominale dans la relation ‘dire…’, et non dans la relation ‘faire…’ qui est propre au dénominatif.» (Benveniste [1958]/1966, 285) Delokutive Bildungen kommen in verschiedenen Sprachen vor; von welchen Formeln der Rede allerdings solche Verben abgeleitet werden, ist einzelsprachlich spezifisch: «Ce sont en définitive les ressources et la structure de chaque système linguistique qui décident de cette possibilité de dérivation verbale» (Benveniste [1958]/1966, 283). So besteht etwa zwischen russ. spasibo! ‘danke’ und dem Verb blagodarit’ ‘danken’ keine Verbindung – es wurde kein delokutives Verb gebildet. Dagegen können als eindeutig delokutiv im Verhältnis zum entsprechenden Substantiv thank(s), Dank die Verben engl. to thank, dt. danken ausgewiesen werden. Das Deutsche kennt daneben aber auch das polysynthetisch strukturierte Verb danksagen; dass andererseits die Annahme einer Formel als Grundlage der verbalen Ableitung plausibel erscheint, veranschaulichen nicht zuletzt Aufforderungen (zu Kindern) wie «sag (schön) danke/bitte!» etc. Die einzelnen Sprachen zeigen also bei gemeinsamer lexikalischer Ausgangssituation ein heterogenes Verhalten. Man vergleiche etwa frz. bienvenu! engl. welcome!176 dt. willkommen!,177 die jeweils denselben Inhalt vermitteln und deren jeweiliger Gebrauch als Formel der Begrüßung die sprachspezifische Ausprägung der entsprechenden verbalen Bildungen bedingt hat: Das Englische hat ein delokutives Verb to welcome ‘to say welcome!’ gebildet, wohingegen das Deutsche ein analoges delokutives Verb *willkommen nicht entwickelt hat, sondern lediglich die Formel jdn. willkommen (Adj.) heißen. Im Französischen hat das Adjektiv in der Formel bienvenu! nicht zur Ausbildung eines delokutiven Verbs *bienvenir (quelqu’un) geführt (in der Form des Infinitivs ist bienvenir auf die Wendung se faire bienvenir de quelqu’un beschränkt). Auch von einer Partikel kann, sofern diese als Formel der Rede gebraucht wird, ein solches delokutives Verb abgeleitet werden, was sich mit engl. to encore ‘Zugabe! sagen (bzw. rufen)’ veranschaulichen lässt; 178 in der amerikanischen Varietät des Englischen finden sich die Verben to okay und sogar to yes (cf. Benveniste [1958]/1966, 281–282), cf. dt. bejahen, verneinen; im Französischen existiert ein delokutives Verb bisser ‘dire bis!’. Zu den delokutiven Verben zäh|| 176 Im Collins English dictionary (31991) findet sich s.v. die Angabe, dass welcome auf altenglisch wilcume als «a greeting of welcome» zurückgeht. 177 Der germanische Ausdruck wurde ins Altfranzösische als wilecome, ins Lateinische als bellicone entlehnt. 178 Die Etymologie von frz. crier ist strittig, wobei eventuell lat. QUIRĪTĀRE als ‘Quirītēs! rufen bzw. sagen’ zugrunde liegen könnte; so soll Quirītēs, Quirītēs! gerufen worden sein, um die «Quirītēs», also die römischen Vollbürger zu versammeln.
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len ferner frz. tutoyer ‘dire tu’ und vouyoyer ‘dire vous’. Hier wäre eine denominative verbale Ableitung unmöglich anzunehmen, da «tu»/»vous» jeweils keine zuteilbare Eigenschaft darstellt. Weiter lassen sich anführen: pester (‘fluchen’) ‘dire peste!’, sacrer (‘fluchen’) ‘dire sacré…!’; cf. sp. pordios-e-ar (‘betteln’) als delokutive Bildung zu por dios! (‘um Gottes Willen (gib mir etwas)!’).179 Konversionen lassen sich auch dort annehmen, wo die syntagmatische Ebene in weiterem Sinne berührt wird, d.h. ganze Satzteile bzw. Sätze oder allgemein nach den Techniken der Rede gebildete sprachliche Elemente für eine andere Satzfunktion verfügbar gemacht werden (beim frz. Romancier San Antonio finden sich Beispiele wie parole-dhonneurer ‘dire Parole d’honneur!’, vivelafrancer ‘dire Vive la France!’, cheffer ‘dire Chef!’).180 Büchi (1995) weist (mit anderen) zu Recht darauf hin, dass das Phänomen der «délocutivité» keine Erscheinung darstellt, die zu lediglich verbalen Bildungen führt (cf. das Konzept der «auto-délocutivité» nach Cornulier 1976); in der Tat lassen sich delokutive Konversionen in Abhängigkeit von der Fähigkeit zur Subordination einer Sprache bilden, da Sprache metasprachlich immer auch Gegenstand einer Äußerung werden kann. Für Büchi legt sich so eine doppelte diskurspragmatische Klassifizierung (zum einen nach den Agenten/Elementen der Äußerungssituation bzw. deren Einheit, zum anderen nach deren Lebensbezug/Bezeichnungsbereichen) der Belege nahe, «la délocutivité étant une catégorie pragma-lexicale» (Büchi 1995, 144).
|| 179 Dokulils (1994) «reproductional type» als ein zentraler Typ onomasiologischer Kategorien (derselben Ordnung wie der «transpositional type», der «modificational type» und der «coordinational type»; cf. Dokulil 1994, 135) trägt auf den ersten Blick Affinitäten zum Bildungsmuster der delokutiven Verben. Allerdings kann bei Dokulil die Basis der ebenfalls vornehmlich verbalen Ableitungen rein onomatopoetischer Natur sein. Sofern «Lokutionen» wie lat. SALŪS!, frz. merci! als sprachliche Ausdrücke behandelt werden, die mit Interjektionen oder Onomatopoetika des Typs eh!, miauler etc. auf eine Stufe gestellt werden, mag eine solche Affinität gesehen werden; jedoch weniger so, werden merci! etc. und erst recht Anredeformen als eigentlich formelhafte Wendungen der Rede gefasst. Allerdings sind Dokulils Ausführungen zu knapp, um diese Frage entscheiden zu können (cf. id, 136): «The reproductional type, in which an expression of language or a natural sound becomes a basis for a naming especially of an action (e.g. hafat ‘utter the sound ‘haf’’)». 180 «(Je) lui assure, lui confirme, lui jure, lui parole-dhonneure pour […] le convaincre», San Antonio, En avant la moujik, Paris, Fleuve Noir, 1969, 141; «Il parle, il exclame, complimente, applaudit, pouffe, glousse, promet, certifie, vivelafrance, anticipe, participe, déclare, prend à témoin, sermente, glorifie», San Antonio, Emballage cadeau, Paris Flammarion, 1972, 249; «Il cheffe à tout berzingue», San Antonio, Le hareng perd ses plumes, Flammarion, 1991, 201 (Beispiele nach Fruyt 1997, 69).
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Die Schwierigkeit besteht darin, den Äußerungscharakter und damit Ursprung der Basis einer Bildung zu identifizieren. Büchi hat daher zunächst ein Corpus (galloromanischer) Konversionen zusammengestellt, die anhand diskurspragmatischer Indizien (Äußerungskategorie wie Interrogativ, verbaler Modus wie Imperativ, deiktische Elemente etc.) die Sprechersituation zu analysieren oder sprachhistorisch zu rekonstruieren ermöglichen, um so den delokutiven Charakter der Basis zu identifizieren. Unter den «délocutifs» aus dem Anwendungsbereich der «ordres et cris militaires», die sich auf die gesamte Äußerung beziehen, lassen sich exemplarisch als Beispiele anführen: cessez-lefeu ʻarrêt négocié des combatsʼ, cf.: C’était le cessez-le feu, le cessez-la-mort (letztere analog zur ersteren Lexikalisierung gebildet); gemischtsprachlich demander l’aman ʻse soumettreʼ (mit frz. aman ʻcri pour demander grâceʼ < amân! – Gnadenruf eines Moslems im Kampf; zu den Belegen cf. Büchi 1995, 148). 5.4.4.6 Konversion präpositionaler Fügungen Die Konversion ohne morphologische Markierung des Übertritts in eine andere Wortkategorie erweist sich als für das Englische besonders typisch. Die romanischen Sprachen machen dagegen in besonderer Weise von dem inhaltlichen wortbildenden Verfahren der Transposition mittels Suffigierung Gebrauch. Bei den Ableitungen von Fügungen des Typs embarquer (cf. Weidenbusch 1993), die ein präpositionales Element integrieren (cf. Kap. 9 zur Situierung), kommt entweder zusätzlich die Suffigierung zum Tragen (embarquement) oder der Paradigmawechsel, d.h. die Übernahme der morphologischen Kennzeichen einer anderen Wortkategorie (so etwa bei den verbalen Bildungen). Diese Art der inhaltlichen Entwicklung kommt auch bei Konversionen des Typs sans-abri (Subst.) etc. zum Tragen, bei denen die der Basis zugrunde liegende Verbindung ebenfalls auf die Regeln der Syntax zurückführt. Insgesamt lässt sich die Konversion als eine Manifestation speziell des isolierenden Charakters einer Sprache einordnen; hier bestätigt sich die typologische Affinität des Französischen und Englischen. Fügungen wie encouragement, die aus einer diskontinuierlichen morphologischen Struktur «Präfix + Basislexem/Stamm + (erweitertes) Suffix» bestehen, werden in der Fachliteratur häufig als «Parasynthetika» behandelt. Dabei gelten nur solche Konstruktionen als «echte» parasynthetische Bildungen, «in denen Wurzeln auf der rechten Seite der syntagmatischen Achse Kombinationen dann aktualisieren, wenn sie gleichzeitig Kombinationen auf der linken Seite der Wurzel eingehen» (Thiele 21985, 66; cf. 125; 143–144). Die «Parasynthetika» bilden vornehmlich ein Problem der Verbalisierung. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Infinitivendung kein Suffix der Paragram-
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matik darstellt (cf. embarquer). Nominale Bildungen, die aus einem Präfix bzw. einem präpositionalen Element, einer lexikalischen Basis und einem Suffix bestehen, kommen weniger häufig vor (z.B. atterrissage, détoxication, déclenchement, emplacement, ensellure etc.), wobei wiederum die mit Hilfe des Präfixes bzw. der Präposition en- (em-) gebildeten Strukturen relativ dominieren. Solche substantivischen Bildungen lassen sich adäquat im Rahmen der Attributtransposition als Konversionen einer präpositionalen Fügung behandeln (cf. Lüdtke 1996a, 258–260).181,182 Auch die 2004 als Gemeinschaftswerk mehrerer Autoren (unter der Herausgeberschaft von Grossmann/Rainer) für das Italienische vorgelegte Wortbildungslehre operiert weiterhin mit dem am morphologischen Kriterium orientierten Terminus der «Parasynthetika». So wird etwa für it. incolonnare (‘in Spalten schreiben’), wo das Präfix allein als explizites Zeichen «la trasformazione categoriale da nome o aggettivo in verbo data dal processo di conversione» (Iacobini in Grossmann/Rainer 2004, 170) anzeigt, nicht von einer präpositionalen Basis ausgegangen, an der die den wortkategorialen Übergang vollziehende Konversion ansetzt; die Konversion erscheint vielmehr als ein zur Präfigierung komplementär wirksames Verfahren: «il prefisso [più esattamente: prefissazione, B.K.] e il processo di conversione agiscono simultaneamente como un unico affisso [anzi: como un unico processo di affissazione, B.K.]» (ibid.). Ballys (41965) Neuinterpretation der Rolle der Präfixe ermöglicht solchen (auch neueren) Studien gegenüber eine adäquatere Analyse der Parasynthetika (cf. Bally 41965, 104; 112; 239; 241–242). In der Nachfolge Ballys (41965) steht
|| 181 Siehe Lüdtke (1996a, 261): «Die Analyse derjenigen Verbalisisierungen, für die hier angenommen wird, dass sie aus Konversionen von präpositionalen Fügungen zu Verben bestehen, ist kontrovers. Wortbildungen vom Typ it. imbarcare ‘einschiffen’ wurden in einer morphologisch orientierten Wortbildungeslehre […] als Parasyntheta bzw. Parasynthetika dargestellt, d.h. als Präfigierungen und Suffigierungen zugleich (im-barc-are)». Cf. Darmesteter (1877; 2 1894) sowie insbesondere Reinheimer-Rîpeanu (1974). Galli (2012) plädiert in Anbetracht hinlänglicher aktueller Beschreibungsmodelle zur derivationellen Wortbildung des Französischen für die Abschaffung des mit dem Begriff «Parasynthetika» im verbalen Bereich verbundenen Analyseschemas (Prä- und Suffigierung), da es sich bei diesen Bildungen insofern eher um idiosynkratische Erscheinungen handle, als sie sich in kein sprachökonomisches und regelhaftes (inhaltliches und formales) Verfahren einfügen. Nicht länger von verbalen «Paraysnthetika» zu sprechen (cf. die vorausgehende Kritik nach Danielle Corbin), setze aber «un examen approfondi des cas de parasynthèse nominale» voraus, einhergehend mit einer «discussion théorique d’envergure», die sich anzuschließen habe. 182 Wann das präfixale Element eine modifizierende Funktion besitzt und wann es Bestandteil einer konvertierten Basis ist, wird von Weidenbusch (1993) für den Präpositionalbereich des Französischen untersucht.
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zunächst die Analyse Bernard Pottiers (1962), die in Jürgen Lang (1991) und Waltraud Weidenbusch (1993) Fortsetzer mit Bezug auf das Französische findet. Die genannten Bildungen enthalten ein präfigiertes Element, das mit einer Präposition inhaltlich und formal zumindest teilweise konvergiert (zur historischen Fragestellung cf. Lüdtke 1996, 248). Auf Grund der Vernachlässigung der inhaltlichen Seite sind die Begriffe «Präfigierung» und «Suffigierung» nicht tatsächlich hinreichend. Es stellt sich außerdem die Frage nach der adäquaten Paraphrase für entsprechende Konversionen präpositionaler Fügungen: Diese muss eine auf der Ebene der Wortbildung realisierte Präposition enthalten. Kann die Paraphrase nicht dergestalt formuliert werden, dass das präpositionale Element darin erscheint, handelt es sich nicht um eine adäquate Paraphrase. Dabei ist von alternativen Paraphrasierungen, die mit anderen Mitteln operieren, abzusehen. Kann die Paraphrase dies nicht leisten, liegt eine Fixierung oder eine anders zu analysierende Bildung vor. Die Paraphrase erweist sich so als entscheidendes inhaltliches Analyseinstrument. Konversionen von Fügungen der freien Syntax des Typs sans-patrie ‘qui est sans patrie’183 (cf. Lüdtke 2002b) betrachte ich also als auf einer komplexen Basis (die attributiv verwendete präpositionale Gruppe «sans patrie» wird zu einem Substantiv − oder Adjektiv wie bei antimites etc. − konvertiert) beruhende Entwicklungen (cf. Weidenbusch 1993, 82–85). Diese könnten vom inhaltlichen Standpunkt aus betrachtet auch der generischen Komposition zugerechnet werden: ‘celui qui est sans partie’, wobei ‘(celui/quelqu’un) qui’ als generisches Element und Determinatum, auf das sich die attributive Bestimmung als Determinans bezieht, materiell nicht realisiert ist (unter formalem Gesichtspunkt kann dann keine Agglutination vorliegen, sofern nicht mit einem Nullmorphem operiert wird, das das prolexematische Element repräsentiert). Unter Annahme eines Nullsuffixes [[sans-abri]präpFüg-Ø]N wäre auch dieser Bildungstyp im Rahmen der gewöhnlich als Parasynthetika eingeordneten Bildungen zu behandeln. Allerdings müsste erst das Problem des analogisch auf semantischer Ebene begründeten Nullsuffixes geklärt werden: Eine solche Analogie zwischen dem materiell auf (homonymer) Konversion beruhenden Muster || 183 Cf. Bally (41965, 309, §510): «Une expression prépositionnelle fonctionnant originairement comme complément circonstanciel (‘Je lis un livre sans intérêt’) prend très facilement la valeur d’un adjectif prédicatif ou attributif (‘Ce livre est sans intérêt. C’est un livre sans intérêt’). Cf. Il est à désirer, à regretter que… = ‘désirable, regrettable’; une lette à écrire, un devoir à remplir, une pensée à méditer. L’allemand est obligé de marquer lourdement la transposition par un suffixe: ‘erfolglos, ein zu schreibender Brief’. On a vu […] que ces tours permettent au français d’adopter la séquence tt’».
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sans-abri, in dem das Nullsuffix inhaltlich einem generischen Suffix entspricht, ließe sich zu Bildungen des Typs décavaillonneuse (Landwirtschaft), déschisteur (Bergbau); ébulleur, écapsuleuse (Landwirtschaft), élagueur (lexikalisiert), épulpeur (lexikalisiert) herstellen, wie die entsprechenden Paraphrasen, die jeweils einen attributiven Relativsatz enthalten, veranschaulichen: sans-abri (Entwicklung) ‘celui qui est sans abri’ (Subjekttypus) wie épulpeur ‘ce qui ôte la pulpe (A) de qc (RB)’,184 wobei eventuell ein in der Norm nicht realisiertes Verb (*épulper mit situiertem Element A, das in der entsprechenden Wortbildung, einer Entwicklung, erhalten bliebe) vorauszusetzen wäre (cf. Weidenbusch 1993). Eine Deutung im Rahmen der Theorie der Nullableitung entfällt, wenn eine Ellipse zugrunde gelegt wird: une lotion après rasage → un après-rasage, une personne sans abri → un sans abri (cf. Rohrer [1967]/1977, 42–44185). Lang (1991) deutet Wörter des Typs après-rasage (prérasage, antichar, interclubs) als Zusammenrückungen (cf. avenir ← à venir als eigentlich Zusammenrückung); dabei bleibt jedoch das Verhältnis zu den aus den inhaltlichen Wortbildungsverfahren der Modifizierung, Entwicklung und Komposition hervorgegangenen Produkten ebenso unbestimmt wie die kategorielle Einordnung der gebildeten Elemente (zur Kritik cf. Weidenbusch 1993, 82ss.186).
|| 184 R stellt ein relationales Element dar, das die Elemente A und B der Wortbildung zueinander in Beziehung setzt (cf. infra Kap. 9). 185 Rohrer ([1967]/1977, 42, 44) lehnt die Nullmorphemtheorie im Falle des Typs sans-abri ab; damit scheidet für ihn zugleich die ebenfalls berücksichtigte Alternative, Konversionen präpositionaler Fügungen zugrunde zu legen, aus, da das die Transposition bewirkende Suffix materiell unausgedrückt bliebe und somit die Annahme eines Nullsuffixes erforderlich würde. Da ihm «die Aufstellung eines Zero-Transformationssuffixes als eine unnötige Komplikation erscheint» (1977, 44), entscheidet er sich für die Lösung, die Fälle wie après-guerre, sans-abri, hors-bord, entre-colonne als Substantivkomposita (mit voraufgehender Ellipse) erklärt. 186 Außerdem weisen die aktuellen Neubildungen nach dem Muster après-rasage keine der Syntax des modernen Französisch entsprechende Struktur auf; so entbehren diese in der Regel eines aktualisierenden Artikels (cf. après le rasage), wohingegen in Bildungen wie sp. correveidile, hazmerreir etc. die Pronomina le, me bewahrt sind, auch wenn deren aktualisierender Charakter verloren gegangen ist. Letztere werden auf Grund des materiellen Erhalts der in der Rede aktualisierenden Elemente von Weidenbusch (1993, 82, Anm. 151) als Produkte einer «tatsächliche[n] Zusammenrückung» akzeptiert; vergleicht man mit frz. suivez-moi-jeunehomme etc., so kann auch in Fällen wie sp. hazmerreir von konvertierten Sätzen ausgegangen werden. Die artikellose Syntax stellt ein Relikt des Altfranzösischen dar; vergleiche folgende juxtaponierenden Konstruktionen des Altfranzösischen, namentlich besitzanzeigende Ergänzungen bei Personen: Le cor Rollant, Le cheval le roi, Le temple Salomon; solche Konstruktionen sind seit dem Ende des 14. Jahrhunderts im Rückgang begriffen, halten sich aber bis ins 15. Jahrhundert: Qui diroit a vostre mere / que ne feussiez filz vostre pere. Vom ehemaligen asyndeti-
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Mit Staib (1988) könnte das Muster sans-abri auch als «syntaktische Transposition» (1988, 32) einhergehend mit einer Ellipse (cf. 1988, 40–41) interpretiert werden. Weidenbusch (1993, 85) räumt ein, dass in dieser Sicht keine Wortbildungen vorlägen, da «die ‘syntaktische Transposition’ nur Wörter auf der Ebene der Rede erzeugt und ebenfalls die Ellipse187 […] sich auf die Ebene der Rede bezieht»; vielmehr handle es sich dann um Elemente der «wiederholten Rede», die qua Idiomatisierung in den Wortschatz eingedrungen sind. Demgegenüber lässt sich mit Weidenbusch (1993, 84–85) von der Existenz zweier verschiedener Wortbildungsverfahren, d.h. einer substantivischen und adjektivischen Entwicklung ausgehen, was zudem die Annahme rechtfertigt, dass ein Wortbildungsprodukt in zwei Wortkategorien vorliegt (Substantivierung und Adjektivierung können dabei materiell in einem Wortbildungsprodukt zusammenfallen, cf. antimite(s)). In dieser Interpretation erscheint die Annahme, dass die Substantive aus syntaktischer Transposition und Ellipse hervorgehen, als nicht mehr notwendig. Geht man bei après-rasage, prérasage, antigel, antimites etc. dagegen von «reinen» Konversionen bzw. Entwicklungen präpositionaler Fügungen ohne Suffix aus (Entwicklung eines Substantivs mit erbwörtlichem präpositionalem Element: après-rasage; Substantivierung mit gelehrter Variante: prérasage, antigel; Adjektivierung ohne Suffix: antichar, interclubs), darstellbar als etc., wird ersichtlich, dass die Konversion dazu geeignet ist, auch Funktionen der generischen Komposition zu übernehmen. 5.4.4.7 Konversion von Satzteilen bzw. Sätzen In die Kategorie der Konversionen von nach der Technik der Rede entstandenen Verbindungen gehören die als «Diskurssubstantive» fassbaren Nominalisierungen; so können prinzipiell «alle syntaktischen Kombinationen durch stetige Widerholung in der Rede zu Wortschatzeinheiten werden, auch Sätze» (Lüdtke 2001a, 765). Solche Diskurssubstantive lassen sich durch folgende (häufig der
|| schen Gebrauch sind in die heutige Gemeinsprache überkommen: Komposita wie Hôtel-Dieu, Fête-Dieu, bain-marie sowie zahlreiche Toponyme: Nogent-le-Roi, Château-Thierry; auch Schimpfwörter: ventrebleu! (bleu = Dieu) sowie verschiedene Wendungen: malgré mon père (cf. Grevisse 1993, §348, a, Hist. bzw. 1993, §178, c). 187 Die Autorin bezieht sich hier auf die Definition der Ellipse nach Bally (41965, 159, §245), der sie der Ebene der parole zuordnet: «nous appelons ellipse la sous-entente dans la parole, à une place déterminée du discours, d’un signe figurant dans un contexte précédent ou suivant». Auch Staib fasst die Ellipse im Sinne Ballys als Einheit der Rede.
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familiären Umgangssprache angehörigen) Beispiele illustrieren: le je ne sais quoi (oder je-ne-sais-quoi), le je-m’en-fichisme, le je-m’en-foutisme, (le) je-m’en-fichiste, (le) je-m’en-foutiste. Die beiden letztgenannten stellen Konversionen dar, die ihrerseits die Grundlage zur Bildung von generischen Komposita liefern. Weitere Fälle von Konversionen, denen Wortgruppen oder ganze Sätze zugrunde liegen, sind etwa:188 (un) écoute-s’il-pleut (‘Angsthase’), (un) décrochezmoi-ça (‘Secondhandladen’), (un,e) m’as-tu-vu(e) (‘Angeber/in’), (le) qu’en-dirat-on (‘Gerede der Leute’), les on-dit (‘Gerede der Leute’), (un) va-et-vient (incessant) (‘Kommen und Gehen, Hin und Her’), (une) marie-couche-toi-là (‘Flittchen’), (le) rendez-vous (‘Verabredung’), (un) cessez-le-feu (‘Waffenruhe, Feuereinstellung’), (le) suivez-moi-jeune-homme (‘Art Hutscherpe’), (le) qui-vive (‘(das) Wer da?’), être sur le qui vive (‘auf der Hut sein’), (le) sauve-qui-peut (‘Rette sich wer kann!, Panik’), (un,e) va-nu-pieds (‘Bettler/in’), (se mettre au) gardeà-vous (‘strammstehen’), (être un,e) pince-sans-rire (‘einen trockenen Humor haben’), le laissé-pour-compte (‘nicht angenommene Ware’), sot-l’y-laisse (‘Pfaffenstückchen (Gastr.)’), ne-m’oubliez-pas (‘Vergißmeinnicht’), un je-ne-sais-quoi (‘ein gewisses Etwas’), (jouer son) va-tout (‘alles auf eine Karte setzen’), (un,e) pas grand-chose (‘Nichtsnutz’), (rester sur son) quant-à-soi (‘sich reserviert verhalten’), (le) chez-soi (‘das Zuhause’), l’entre-deux-guerres (‘Zwischenkriegszeit’), entre-deux (‘Zwischenbereich’), (un) jusqu’au boutiste (‘Durchhaltepolitiker’). Durch wiederholten Gebrauch in der Rede haben also die genannten Sätze und Wortgruppen den Status von Lexemen erlangt, wobei die zugrunde liegenden syntaktischen Strukturen erhalten bleiben, wie sich zum einen an bestimmten morphologischen Merkmalen (Tempus-, Modus-, Personenmarkierungen), zum anderen am Erhalt der Wortstellung zeigt. Rohrer ([1967]/1977, 135–136) hat folgende erkleckliche Liste an literarischen Beispielen zusammengetragen, wobei erneut auf die wegen ihrer kreativen Dynamik für die Typologie aussagekräftige Rolle der Dichtersprache hingewiesen werden soll: Bec Salé, dit Boit-sans-Soif (Émile Zola, L’assommoir, Le livre de poche 97/98, 191); Lantier, devant ce débordement de mauvaises paroles, remoucha d’abord Gervaise; il l’appela tête de pioche, boîte à ragots, madame Pètesec (ibid., 333); Enfin, les rapports continuaient de bric et de broc, va comme je te pousse, sans que l’un ni l’autre y eût beaucoup de plaisir (ibid., 360); Les fleuristes, murmura Lorilleux, toutes des Marie-couche-toi-là (ibid., 368); Oui, c’était bien une dame qui avait enlevé Coupeau, et cette dame s’appelait Sophie Tourne-
|| 188 Nicht zu vernachlässigen ist hierbei der Gebrauch des Artikels, der eine ähnliche Funktion ausübt wie bei Konversionen der Art beau → le beau.
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de-l’œil, la dernière bonne amie des pochards (ibid., 483); Il était déguisé en unqui-va-mourir (ibid., 485); Lui, un monte-en-l’air, rien de plus (Louis Aragon, Les cloches de Bâle, Le livre de poche 59/60, 32); On ne peut pas songer à Millerand, à Viviani, à Briand, à Etienne, sans un haut-le-cœur (Louis Aragon, Les beaux Quartiers, Le livre de poche 133/134, 122); Tu seras bien avancé d’être un crèvela-faim (ibid., 293); Et pourtant j’étais sur le qui-vive (Blaise Cendrars, L’homme foudroyé, Le livre de poche 535/536, 42); Comme si le jeu dans lequel il s’était engagé avait été un jeu de qui-perd-gagne (Michel Butor, La Modification; Le Monde en 10/18, 53/54, 310); le Sésame-ouvre-toi (Jean Cocteau, Thomas l’imposteur, Le livre de poche 244, 23); Mlle S. et son jeune frère N’a-qu’un-œil se rendaient au bar du Commerce où le Milord les attendait (Francis Carco, Les innocents, Le livre de poche 592, 9); Tu ne vas pas passer ta vie en va-nu-pieds, je pense? (Sidonie-Gabrielle Colette, La Chatte, Le livre de poche, 96, 169). Die Konversion spielt auch beim Bildungsmuster, das eine Gruppe Verb + (direktes) Objekt bzw. Umstandsergänzung umfasst, eine Rolle (cf. Grevisse 1993, §178, a): abat-jour, fait-tout, cache-sexe, coupe-circuit, lave-vaisselle, portebagage, pousse-café, prie-Dieu u. v.a. Es handelt sich bei diesem Bildungstyp um das in den romanischen Sprachen sehr produktive, tatsächlich wortbildende Verfahren, das den Verb-Ergänzung-Komposita zugrunde liegt (siehe Kap. 11.4). Historisch lassen die Bildungen die Deutung im Rahmen eines Musters zu, das eine zunächst attributive Funktion von Konversionen einer syntaktischen Gruppe, bestehend aus Verb und zugehöriger Ergänzung, impliziert, so dass die Komposita in lateinischer Zeit als (subjektbezogene) Adjektive erscheinen, die im Romanischen (durch Ellipse) zu Substantiven konvertiert wurden (cf. Lüdtke 1996a, 269). So gebrauchten auch die Schriftsteller des 16. Jahrhunderts (vor allen Dingen die Dichter der Pléiade) die Komposita dieses Bildungstyps als Epitheta, also in attributiver Funktion: l’oste-soif échanson, son troupeau portelaine (Ronsard) (cf. Grevisse, 1993, 235, §178, a). Das Funktionieren der Ellipse wird im modernen Französischen etwa bei le papier tue-mouche(s) (‘Fliegenfänger’) gegenüber un tue-mouche(s) deutlich (neben tue-mouche ‘Fliegenpilz’). Dieser Typ kann in adverbiale Wendungen eingehen, wobei die konvertierte syntaktische Gruppe durch eine Präposition eingeleitet wird, cf.: à brûlepourpoint, à tire-larigot, à tue-tête, d’arrache-pied (cf. Grevisse 1993, §928, d). Hinzuweisen ist auf den zum Teil fachsprachlichen Gebrauch: le tue-chien (‘Herbstzeitlose’), le tue-loup (‘Eisenhut’) etc.; namentlich bei Bezeichnungen für Tiere und Pflanzen stehen den Bildungen volkstümlichen Charakters wie tue-chien zuweilen Benennungen innerhalb einer wissenschaftlichen Nomenklatur gegenüber (cf. le colchique ‘Herbstzeitlose’).
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Ein besonderer Fall der Substantivierung liegt bei der sogenannten «autonymie» vor; damit wird die Möglichkeit bezeichnet, auf jedes beliebige sprachliche (orthographische) Element (Buchstaben, Laute, Sätze) zu referieren, um also mit Hilfe von Sprache über die Einheiten der Sprache selbst sprechen zu können, wodurch Sprache zur Metasprache des Sprechens über Sprache wird. Hierzu werden die sprachlichen Elemente nominalisiert und, gemäß den für das Nomen geltenden grammatischen Regeln, etwa auch mit einem Determinanten versehen: Il ne faut pas de trait d’union dans tout à fait; Le re- dans redevenir n’a pas la même valeur que le re- de redire; Vos a sont illisibles.
5.5 Modifizierung – Genusmarkierung Dokulil (1968b) hat ein von ihm als «Modifikationstypus» bezeichnetes Wortbildungsprinzip eingeführt, «dessen Wesen darin zu sehen ist, dass hier zum Inhalt des gegebenen Ausgangsbegriffs ein ergänzendes, modifizierendes Merkmal hinzugefügt wird» (Dokulil 1968b, 209). Zwischen der Basis der Ableitung und dem abgeleiteten Wort lässt sich eine privative Opposition etablieren, in der das Grundwort als merkmalloses, das abgeleitete Wort als merkmalhaltiges Glied der Opposition erscheint, so dass etwa ein Häuschen weiterhin ein Haus bleibt mit dem Unterschied, dass ein spezifisches Merkmal wie [+ KLEIN] o.ä. hinzutritt (anders bei maisonnette, dessen Bedeutung nicht allein über die Merkmale [maison + PETITE] erfasst werden kann). Analoges gilt für die Opposition zwischen Lehrerin und Lehrer, in der das motivierte Wort das zusätzliche Merkmal [+ WEIBLICH] aufweist. Im Rahmen seines insgesamt onomasiologischen Ansatzes differenziert Dokulil innerhalb des Modifikationstypus verschiedene Arten der zugrunde liegenden Modifikation. Mit Bezug auf die Begriffskategorie der Substanz lassen sich etwa die onomasiologischen Kategorien der Diminutiva, der Augmentativa, der Kollektiva, der Singulativa, der Motion und der jungen Lebewesen unterscheiden (ibid.). Innerhalb der Kategorie der Eigenschaft rechnet Dokulil zum Modifikationstypus die onomasiologischen Kategorien des Maßes und der Stufe. Im Rahmen der Kategorie der Handlung unterscheidet er Modifikationen, die dieser eines der folgenden ergänzenden Merkmale hinzufügen: Lage, Richtung, Zeit, Phase, Umfangs und insbesondere Aktionsart (ibid.). Daraus wird bereits ersichtlich, dass sich die Verfahrenstypen der Modifikation auf mehrere Wortkategorien erstrecken können und der kategorielle Status der Basis dabei unverändert bleibt. Bezüglich des erfassten Gegenstandsbereichs decken sich der onomasiologische Ansatz nach Dokulil und der paragrammatische nach Coseriu. Bei der
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Modifizierung, die (wie die Transposition und im Unterschied zur Komposition) nur ein sprachliches Element als Grundlage voraussetzt, beruht die zugrunde liegenden Grammatikalisierung der Basis auf einer inaktuellen Funktion (im Gegensatz zur Transposition; bei der Komposition kann diese eine inaktuelle oder auch eine aktuelle sein) (cf. Coseriu 1977, 53). Coseriu rechnet zur Modifizierung die Motion, d.h. die Bildung des Femininums (bzw. zuweilen des Maskulinums) bei Personen- und Tierbezeichnungen, die Quantifizierung mit den Untertypen der Kollektivbildung, der Diminutiv- und Augmentativbildung, die Pejorativbildung, die Intensivierung, die Approximation, die Negierung, die Aspektkategorien sowie die Situierung.189
5.5.1 Grammatisches Genus und natürliches Geschlecht (Sexus) 5.5.1.1 Grammatisches Genus Die interne (paradigmatische190) Markierung der Wortkategorie Substantiv für die Kategorie Genus stellt gemäß der Allgemeinen Typenlehre einen Zug des flektierenden Idealkonstruktes dar, der sich nicht harmonisch in eine isolierende Sprache fügt. 1) Syntagmatische Markierung Das «grammatische» Genus (im Unterschied zum «natürlichen» oder «biologischen» Genus bzw. Geschlecht oder Sexus) ist eine grammatische Eigenschaft des Nomens. Jedes Nomen verfügt in inhärenter Weise über eine Einordnung bezüglich der Zugehörigkeit zu den Maskulina oder Femina; das Neutrum191 als
|| 189 Der Bereich der Modifizierung wird in Lüdtke (1996, 242–252; 2005, 313–386) für die romanischen Sprachen ausführlich dargestellt; zur Situierung siehe insbesondere die Arbeiten von Lang (1991) und Weidenbusch (1993). 190 Zur typologischen Terminologie bzw. den Oppositionspaaren syntagmatisch – paradigmatisch und intern – extern cf. Kap. 3.7.3. 191 Bei aus dem Lateinischen überkommenen Formen kann das ursprüngliche Neutrum in latenter Weise im Französischen noch erkennbar sein, so etwa bei ce, ceci, cela; quoi. Dieses Neutrum kommt auf semantischer Ebene zum Tragen, indem die Pronomina ce, ceci, cela (im Vergleich zu celui-ci, celui-là) Nicht-Menschliches zum Ausdruck bringen; dieses NichtMenschliche kann durch quoi (siehe qui etc.) erfragt werden (vergleiche engl. it, das diese Funktion erfüllt, aber als koreferentielles Pronomen etwa bei Tieren auch dann eintritt, wenn das natürliche Geschlecht nicht bekannt oder irrelevant ist). Bei Anwesenheit eines (auch nicht-menschlichen) Antezedenten kommen neben celui-ci, celle-ci die Formen laquelle, lequel etc. zum Tragen; quoi als Relativpronomen kann ein neutrales Pronomen, einen Satz(teil) und
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eigene an Nomen und Adjektiv formal zum Ausdruck kommende Funktion wurde im Französischen aufgegeben.192 Ein Nomen gehört zur Gruppe der Maskulina, wenn es etwa in Verbindung mit vorausgehendem le oder un eine syntagmatische «artikulierte» Gruppe bilden kann; es gehört zur Gruppe der Femina, wenn es durch la, une artikuliert werden kann: le veston, le mur, un homme – la veste, la muraille, une femme. Diese Zuordnung ist damit unabhängig vom Gebrauch eines Wortes in einem bestimmten Kontext: Das Genus eines Substantivs im Französischen tritt als weitere Determinierung zu den sonstigen lexikalischen Bestimmungen hinzu. Insofern kann vom grammatischen Genus auch als «genre lexical» die Rede sein (cf. Lupinko 1990): Alle Nomina des Französischen sind durch die Kategorie Genus inhärent grammatisch bestimmt, wobei einige Nomina einen bezüglich der Genusbestimmung schwankenden Gebrauch zeigen. Die inhärente Genusdeterminierung des Nomens zeitigt aber auf morphosyntaktischer Ebene Konsequenzen hinsichtlich der Akkordierung bestimmter Elemente, die diesem innerhalb der Nominalgruppe zugeordnet werden: Determinanten (wie Artikel, Demonstrativbegleiter bzw. -pronomina und Possessivpronomina, vornehmlich im Singular), veränderliche Adjektive (un bon café/une bonne tisane, des hommes libertins/des femmes vertueuses, il est grand/
|| auch ein Substantiv aus der Kategorie der Inanimata vertreten. Auf afrz. Substantive gehen zurück rien, quelque chose, néant etc., die ebenfalls Nicht-Menschliches zum Ausdruck bringen. 192 Ein Reflex des im klassischen Latein noch existierenden Neutrums sind ferner die Verwendungen zahlreicher Neutra Plural (v.a. der 2. Deklination) in kollektiver Funktion, die auf Grund der homonymen Endung -a im Vlat. als singularische Femina (der 1. Deklination) uminterpretiert wurden (als Vorbild dienten die Pluralia tantum des Klat., die keinen Sg. kannten, z.B. CASTRA, CASTRORUM ‘das, ein Lager’ und Dubletten wie LOCA ‘Gelände’ vs. LOCI ‘Stellen in Büchern’): FOLIUM ‘Blatt’, Pl. FOLIA ‘Blätter’ > ‘Blattwerk, Laub’; GAUDIUM ‘Freude’, Pl. GAUDIA (Konkretisierung, Intensivierung); PIRUM ‘Birne’, Pl. PIRA ‘Birnenernte’. Aus der Kollektivvorstellung entwickelte sich nach dem Untergang des Neutrums Sg. wieder eine Individualvorstellung: la feuille ‘das Blatt’ (neues Kollektiv: le feuillage), la poire ‘die Birne’. Die kollektive Bedeutung von feuille ist im Neufranzösischen noch erhalten in trembler comme la feuille ‘wie Espenlaub zittern’. Bei einigen Wörtern haben sich Sg.- und Pl.-Form im heutigen Französisch erhalten (Dublettenbildung), cf. frz. grain ‘Kern’ < lat. GRANUM (Neutrum Sg.) vs. frz. graine ‘Samen(korn)’ < lat. GRANA (Neutrum Pl.); vlat. CORNU > frz. le cor ‘Waldhorn’, vlat. CORN(U)A > frz. la corne ‘Horn’ (cf. Wolf/Hupka 1981, 92). Hier manifestiert sich zum einen die enge Verflechtung zwischen Entwicklungen im grammatischen System, genauer der Genusmarkierung, und der funktionell geleiteten Ausbildung einer Kollektivierungsregel im paragrammatischen System (bzw. der Ausbildung eines eigenen Kollektivierungsverfahrens mittels des Suffixes age). Ferner wird hier der Zusammenhang zwischen der grammatischen Kategorie Plural und der paragrammatischen Funktion der Kollektivierung evident.
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elle est petite), zum Teil auch die Partizipien sowie Personalpronomina der dritten Person, d.h. diejenigen, die die Wiederaufnahme einer Nominalgruppe im Diskurs gewährleisten (z.B. j’ai fait une/la photo – elle, celle-ci/celle-là est belle; je l’ai faite, la photo).193,194 Die Genusdistinktion wird jedoch bei der Mehrheit der pluralischen Determinanten neutralisiert: le, la/les – ce, cet, cette/ces – mon, ma/mes etc. Viele Adjektive verfügen zudem im Maskulin und Feminin über eine identische Form, sei es im skripturalen und phonischen Code (un lieu calme/une rue calme), sei es allein im phonischen Code (un joli bouquet/une jolie fleur).195 Das Genus der Mehrheit der (unbelebten) Nomina ist ferner arbiträr, d.h. weder aus der Semantik des Wortes (le mur; la rivière, le fleuve; la mer, l’océan, m.)196 abzuleiten noch systematisch anhand der Form zu bestimmen;197 lediglich in be-
|| 193 Bei der pronominalen Wiederaufnahme kann im populären Französisch auch eine Neutralisation der Numerusopposition zugunsten des Singulars bei Personalpronomen bzw. in der Verbalform eintreten: les enfants/i sait bien qu’on est à leur disposition etc. (cf. Gadet 1992, 58). Dabei dominiert dann im Singular das maskuline Pronomen. 194 Bei Referenz auf eine sich homogen aus femininen Entitäten zusammensetzende Gruppe wird im Standardfranzösischen das Genus mit dem Femininum akkordiert, sonst erscheint das Maskulinum. Die Genusopposition wird jedoch im français populaire gelegentlich zugunsten einer Generalisierung des Maskulinums neutralisiert, wie das (in der Wiederaufnahme erscheinende) maskuline Pronomen ils indiziert: Ils sont où les fleurs que je vous ai offert? (ohne Accord des Partizips) − Les femmes/ils devraient pas fumer. Dabei kann ils auch durch für die Kategorien Numerus und Genus indifferentes ça ersetzt werden: Les femmes/ça en veut toujours plus. Teilweise tritt auch im Singular das Maskulinum für das Femininum ein: Qu’est-ce qu’il en dit/ta femme? (cf. Gadet 1992, 59) 195 Die Genusmarkierung erfüllt primär zwei Funktionen: Zum einen gewährleistet sie die interne syntaktische Kohäsion der Nominalgruppe über die Kongruenzregeln (Accord mit Adjektiven oder Determinanten), zum anderen spielt sie eine wesentliche Rolle bei Prozessen der pronominalen Koreferenz. Beide Aufgaben gilt es zu trennen; man beachte Unsicherheiten bei der pronominalen Wiederaufnahme, wenn die Genuszugehörigkeit des nominalen Antezedens nicht eindeutig identifiziert werden kann (z.B. Wiederaufnahme von sentinelle mit il oder elle vornehmlich bei Bezug auf einen männlichen Referenten; cf. infra). 196 Vergleiche auch zwischensprachlich: frz. le soleil, la lune gegenüber dt. die Sonne, der Mond. 197 Die im Allgemeinen zwar arbiträre Zuordnung des Genus verweist trotzdem vielfach auf den Ursprung des Wortes sowie die historischen Einflüsse, denen ein Wort im Laufe der Sprachentwicklung ausgesetzt war, wobei Genusübertritten eine wichtige Rolle bei analogischen Tendenzen zukommt. Der Verlust des Neutrums spiegelt sich mitunter bereits insofern in den indogermanischen Verhältnissen, als die morphologischen Mittel zur Kennzeichnung des Neutrums im Verhältnis zu denen der Markierung der Kategorien für Belebtes (Maskulinum und Femininum) starken Restriktionen unterworfen waren. Im Klat. sind ferner die Deklinationsendungen der Neutra weitgehend mit denen der Maskulina homophon. So gleichen sich Neutra der 2. Deklination einschließlich mancher aus der 4. in die 2. übergegangener Wörter, die sich nur im Nom. und Vok. Sg. und im Nom. und Akk. Pl. von den Maskulina unterschieden, den
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stimmten Fällen kann die materielle Gestalt eines Wortes Aufschluss über dessen Genuszugehörigkeit geben. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn ein materielles Wortbildungsverfahren (in der Regel ein bestimmtes Suffix) systematisch mit einer Genusdetermination einhergeht (cf. la mur-aille). Daneben kann aber auch die vom jeweiligen Nomen bezeichnete Sache einen Hinweis auf die Genuszugehörigkeit des Wortes liefern, so dass sich bestimmte Bezeichnungsgruppen formieren, die genusspezifisch markiert sind (so etwa bei Länder- und Städtenamen u.a., cf. infra Punkt 5). Das nominale Genus kann ferner namentlich in Anlehnung an das natürliche Geschlecht des bezeichneten Lebewesens variieren, wodurch sich diese Substantive auf Grund ihres bis zu einem gewissen Maße regelhaften Genusverhaltens von den (Genus insensitiven) unbelebte Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnenden Nomina absetzen. Der Genusakkord ist nicht gleichermaßen eine intrinsische Kategorie der Adjektive, wie dies beim Substantiv im Französischen der Fall ist; vielmehr ist das Adjektiv zunächst hinsichtlich der Genuszugehörigkeit als neutral zu bewerten (bzw. kann potentiell sowohl maskulin wie feminin sein) und assimiliert das Genus in Abhängigkeit vom Bezugsnomen. 2) Semantische Differenzierung qua Genus Die Genuskennzeichnung erfolgt im Französischen gemäß dem Typus vielfach über die externe Markierung des Substantivs mittels Determinanten auf syntagmatischer Ebene. Daher erscheint das Nomen per se in der Regel nicht bzw. nur in bestimmten Fällen als für die Kategorie Genus explizit markiert.198 Dies berechtigt jedoch nicht, die Kategorie Genus als eine im System des Französischen funktionell nur periphere Kategorie zu betrachten. So kommt dem Genus eine wichtige distinktive Funktion etwa bei der Differenzierung von Homony-
|| Maskulina an (cf. klat. COLLUM und COLLUS): VINUM > VINUS (Petron), CORNUM > CORNUS (Varro, Gellius). Aus der 3. Deklination wechselt vlt. *CAPUS, klat. CAPUT, CAPITIS in die 2. Deklination über. Zudem werden einige Neutra der 3. Deklination, die auf -us auslauteten, in spätlat. Texten nicht mehr flektiert (de uno latus, statt latere; latus > afrz. lez; nfrz. in Ortsnamen, z.B. Aixles-Bains) und bleiben daher nur in ihrer Form als Nom. und Akk. Sg. als Maskulina im Afrz. erhalten: CORPUS > afrz. corps (cf. Wolf/Hupka 1981, 91–92). 198 Man vergleiche mit Bezug auf die Typologisierung das isolierende Englische, welches das grammatische Genus innerhalb des Nominalsystems formal nicht mehr zum Ausdruck bringt, sondern dieses völlig zugunsten der Orientierung am natürlichen Geschlecht aufgegeben hat. Im Bereich der Personalpronomina wird aber noch zwischen allen drei Genera differenziert: he, she, it, deren Gebrauch jedoch ebenfalls mit dem natürlichen Geschlecht korreliert (cf. Greenbaum et al. 1990, 99–102, insbesondere Fig. 5.2, 100).
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men- und Homophonenpaaren bzw. -reihen zu;199 erstere können sich aus etymologisch disparaten oder auch etymologisch zusammenhängenden Formen zusammensetzen. Homonyme verschiedenen Ursprungs sind etwa: un aune (lat. ALNUS) ‘arbre’ – une aune (fränk. *alina) ‘ancienne mesure de longueur’; un litre (von litron, altes Maß) ‘unité de mesure de capacité’ – une litre (alternative Form zu liste, lite, von germ. *lista ‘Borte’) ‘bandeau portant des armoiries dans les églises’; un livre (lat. LIBER) ‘ouvrage, volume’ – une livre (lat. LIBRA) ‘ancienne unité de compte de poids’; un moule (lat. MODULUS) ‘modèle creux servant à donner une forme’ – une moule (lat. MUSCULUS) ‘mollusque’; un page (vielleicht von griech. παιδίον ‘Junge’, romanisiert zu *páidion) ‘jeune garçon au service d’un prince’ – une page (lat. PAGINA) ‘côté d’un feuillet’; un poêle (lat. PALLIUM) ‘voile, dais, drap couvrant un cercueil’ – (lat. PENSILIS) ‘fourneau’ – une poêle (lat. PATELLA) ‘ustensile de cuisine’; un somme (lat. SOMNUS) ‘sommeil’ – une somme (lat. SUMMA) ‘total, ensemble de connaissances’; un souris (von sourire) ‘sourire’ (obs.) – une souris (lat. SOREX) ‘rongeur’; un tour (von tourner) ‘machine, mouvement circulaire, circonférence limitant un corps ou un lieu’ – une tour (lat. TURRIS) ‘construction élevée’ etc. (cf. Grevisse 1993, §456, a). Unter den Homonymen mit gemeinsamem Etymon lassen sich auflisten: une espace ‘terme de typographie ou de musique’ – un espace ‘intervalle, étendue’; la mémoire ‘faculté de se souvenir’ – un mémoire ‘exposé par écrit de certains faits’ || 199 Ferner kann der Genuswechsel zu spezifischen semantischen Differenzierungen beitragen, und dies nicht nur auf lexikalisch-semantischer Ebene, sondern auch mit Bezug auf die kategorielle Bedeutung; cf. personne (fem. Substantiv) ‘Person’ vs. personne als Indefinitpronomen in der Bedeutung ‘niemand; (irgend) jemand’. Vergleiche auch chose ‘Sache’ vs. chose in indefiniten pronominalen Wendungen wie autre chose, grand-chose, quelque chose, peu de chose (hinsichtlich des Genus liegt hier im Grunde ein undifferenzierter Gebrauch vor; vielmehr tritt im Französischen – mangels Existenz eines neutralen Genus – das Maskulinum Singular ein: «Il faut en tout cas rappeler que le genre grammatical masculin n’est pas uniquement l’expression du sexe masculin, mais qu’il sert aussi de genre commun, de genre neutre, de genre asexué»; cf. Grevisse 1993, §476, c, 1°). Daneben kann die Genusdifferenzierung mit der des Numerus einhergehen, so dass Genus und Numerus gemeinsam sich jeweils mit einer genau spezifizierten lexikalischen Bedeutung verbinden: nicht regelmäßig bei faire de bonnes œuvres (fem. Pl.) (auch im Sg. wie in: toute œuvre humaine est imparfaite) vs. le gros œuvre (mask. Sg.). Daneben existiert eine rein lexikalische Differenzierung mittels der Genusdetermination, cf.: merci (fem.) ‘grâce, pitié’ (cf. à la merci de, tenir qn à sa merci) vs. merci ‘remerciement’ (cf. un grand merci, mask.). Bei amour (mask. Sg.) vs. amours (in der Regel fem. Pl.), délice (mask. Sg.) vs. délices (fem. Pl.) und orgue (mask. Sg.) vs. orgues (fem. Pl.) korreliert das Genus und dessen Wechsel jeweils mit einem parallelen Wechsel des Numerus. Zum Plural als grammatischer Kategorie mit im Vergleich zum Singular intensivierend-modifizierender Funktion (so auch bei amours und orgues), die keiner eigentlichen Pluralisierung entspricht, cf. die Ausführungen zum Numerus Kap. 6.
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u.a.; une ombre ‘espace privé de lumière’ – un ombre ‘sorte de poisson’; la physique ‘science qui étudie les principes généraux des corps’ – le physique ‘aspect extérieur d’une personne’ etc. (cf. Grevisse 1993, §456, b). Die Gruppe der deverbalen Nomina, die innerhalb der Wortbildung als «Rückableitungen» bzw. (maskuline und feminine) Nullableitungen oder Konversionen behandelt werden, lassen sich ebenfalls als Homonyme mit gemeinsamem Etymon interpretieren (cf. ibid.): une aide ‘le fait d’aider’ (Prädikatnominalisierung) – un,e aide ‘celui/celle qui aide’ (Subjektnominalisierung); une cache ‘lieu secret propre à cacher/à se cacher’ – un cache ‘ce qui cache‘’; une garde ‘fait de garder’; ‘chose/celle/ceux qui garde(nt)’ – un garde ‘celui qui garde’ etc. Daneben existieren (meist monosyllabische) homophone Formen, die über das Genus disambiguiert werden können, z.B.: un cal – une cale; le col – la colle; le cours, le court – la cour; le faîte – la fête; le foie – la foi; le maire – la mer, la mère; le mal – la malle; le père, le pair – la paire; le pet – la paie, la paix; le poids, le pois – la poix; le rai – la raie; un roux – une roue; le sel – la selle; le sol – la sole; le tic – la tique; le tram – la trame etc. (cf. Grevisse 1993, §456, c). Eine leichte Tendenz zur Homophonie bzw. Homonymie entspricht dem isolierenden Typus (eine extreme Tendenz verweist dagegen bereits auf die Polysynthese). Auch der Monosyllabismus, der seinerseits die Homonymie verstärkt, stellt ein typologisches Charakteristikum einer isolierenden Sprache dar (cf. Skalička [1946]/1979, 188). 3) Genusmarkierung mittels Suffigierung Die Genusmarkierung kann an bestimmte Suffixe gebunden sein; dies entspricht der agglutinierenden typologischen Weise. Die mit folgenden Suffixen gebildeten Wörter zeichnen sich regelmäßig durch die Zugehörigkeit zur Gruppe der Maskulina aus: -ier (l’encrier), -age (le plumage),200 -as (le plâtras), -ement (le soulagement), -ament (le testament), -in (le rondin), -is (le roulis), -on (le coupon), -illon (le goupillon), -isme (l’héroïsme), -oir (le miroir). Das feminine Genus ist folgenden Suffixen inhärent: -ade, -aie, -aille, -aine, -aison, -ison, -ance, ande, -ée (lat. -ATA), -ence (lat. -ENTIA),201 -esse, -eur (lat. -OR; bildet Abstrakta, außer honneur, labeur),202 -ie, -ille, -ise, -sion, -tion, -té, -ure mit entsprechenden Bildungen: la colonnade, la chênaie, la pierraille, la douzaine, la cargaison, la trahison, la constance, une offrande, la poignée, une exigence, la || 200 Wörter wie la cage, la plage, une image gehören nicht hierher. 201 Silence (< lat. SILENTIUM, n.) ist maskulin. 202 Heur (< lat. AUGURIUM, n.) und die darauf aufbauenden Komposita bonheur und malheur sind ebenfalls maskulin.
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richesse, la douleur, la jalousie, la brindille,203 la gourmandise, la pression, la dentition, la bonté, la morsure. Grammatisches Genus und paragrammatisches Verfahren mittels Suffigierung können also unmittelbar miteinander interagieren.204 Die Genusdetermination ist hier suffixdeterminiert und insofern vom Inhalt (bei Substantiven auch vom Genus, cf. poignée < poing) der Basis und (im Unterschied zu Personen- und Tiernamen) der Bezeichnung des sekundären Elementes unabhängig, als es sich um eine – vom Suffix ausgehende – arbiträre grammatische Zuordnung zum Wortbildungsprodukt handelt. 4) Bezeichnungsgruppen (Baum und Frucht) Obige Aussage ist differenzierter zu betrachten im Zusammenhang mit den Bezeichnungen etwa von Baum und Frucht, wo eine Relation zwischen Genus der Fruchtbezeichnung (auch wenn diese nicht eigentlich als Basis für die Bildung der Baumbezeichnung angesehen werden kann, sondern nur den Stamm bzw. die Wurzel eines als primär gesetzten Elementes repräsentiert) und der Bezeichnung des Frucht produzierenden (maskulinen) Baumes gesehen werden kann (cf. sp. una cereza ‘eine Kirsche’ – un cerezo ‘ein Kischbaum’; anders bei frz. une pomme als produzierte Frucht und un [pomm]-ier als Bildung im Rahmen der sachbezeichnenden Relationskomposita,205 wobei das generische Suffix -ier den zugehörigen früchtetragenden Baum bezeichnet206(cf. Lüdtke 1996a, 266). Allerdings stehen bei der Bezeichnungsgruppe Baum und Frucht Bezeichnetes und Genuskategorisierung in keiner logisch-natürlichen Verbindung zueinander, die der ähnelte, die beim natürlichen Geschlecht operativ ist. Die Genusdetermination im Rahmen der Bezeichnung von Bäumen (und Früchten) spielt insofern eine Rolle, als hier seit lateinischer Zeit ein der Movie-
|| 203 Im Falle von les brindilles ‘Reisig’ (cf. la brindille ‘Zweiglein’) verfügt das Französische nur über den Plural, um die Kollektivität auszudrücken (cf. dt. Reisig). 204 Allerdings gilt es zu bedenken, dass die Genusmarkierung vorrangig qua Determinanten markiert bzw. an diesen identifiziert wird, d.h. Wissen um entsprechende Form-Funktions-Korrelationen muss beim individuellen Sprecher der heutigen Gemeinsprache nicht für jede dieser Formen in gleicher Weise gegeben sind (es existieren auch Ausnahmen). 205 In Lüdtke (2005, 451) definiert als «ein Kompositum, das aus einem Substantiv als Determinans und einem generischen Element mit substantivischer Funktion als Determinatum besteht und das durch ein Suffix ausgedrückt wird, z.B. it. libro ‘Buch’ + -aio ‘jemand’ → libraio ‘Buchhändler’, riso ‘Reis’ + -aia ‘etwas’ → risaia ‘Reisfeld’). 206 Dabei ist genauer von einem zum Substantiv konvertierten Relationsadjektiv unter Ellipse des Bezugsnomens auszugehen, cf. (ARBOR, fem. – altes lat. Genus) FIC-ARI-A (frz. figuier), (ARBOR, mask. – seit spätlat. Zeit) POM-ARI-US (frz. pommier) (cf. Lüdtke 1996a, 266).
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rung ähnliches, (aber nicht eigentlich wortbildendes) Verfahren mit unterschiedlichen Konsequenzen in den romanischen Sprachen wirksam war. So existiert im Spanischen (nicht aber im Französischen) die Möglichkeit, Frucht- und Baumnamen durch die Genusvariation – über eine noch näher zu bestimmende Relation – aufeinander zu beziehen, etwa nach dem Typ manzana ‘Apfel’ – manzano ‘Apfelbaum’. Dieses aus dem Lateinischen ererbte Verfahren wirft gewisse Probleme auf (cf. avocat – avocate mit Femininbildung über ein grammatisches Morphem); so erhebt sich – analog zum Verfahren der Movierung – die Frage, ob hier, zumal aus synchronischer Perspektive des aktuellen Spanischen, von einem eigentlich paragrammatischen Verfahren auszugehen ist. Die Tatsache, dass eine synchronische Analysierbarkeit insofern nicht gegeben ist, als nicht entschieden werden kann, welches der beiden Elemente als Basis und welches als Ableitung des zugrunde liegenden inhaltlichen Verfahrens fungiert, spricht nach Staib (1988, 203) gegen den Status des Verfahrens als einer produktiven Ableitungstechnik des Spanischen. Zum anderen kann, so Staib (1988, 204), «auch ein bloßer Genuswechsel, der durch die Alternanz -o/-a zum Ausdruck kommt, nicht als ein Verfahren der Wortbildung betrachtet werden» (cf. Kap. 5.6 zur Movierung).207 Insgesamt erscheint es also fraglich, ob dem im Lateinischen genusdeterminierten Entwicklungsprozess tatsächlich wortbildender Status zugeschrieben werden kann (cf. Lüdtke 1996a, 243; Staib 1988, 202–205): Dieser führte zu einem || 207 Das Argument, dass die Alternanz auf einem bloßen Genuswechsel beruhe, relativierte sich, wenn sich über den formalen Wechsel -o/-a synchronisch eine konstante Inhaltsbeziehung begründen ließe dergestalt, dass die auf -o endende Form systematisch den fruchttragenden Baum, die entsprechende Form auf -a regelmäßig die vom Baum produzierte Frucht bezeichnen würde. Eine lediglich analogische (nicht historisch begründete) Gestaltung im Rahmen der Genusopposition wie bei sp. papayo/papaya ‘Papayabaum/Papayafrucht’ und guayabo/guayaba ‘Guajavabaum/Guajavafrucht’ lässt dagegen die Annahme eines eigentlich wortbildenden Verfahrens als zweifelhaft erscheinen (cf. Lüdtke 1996a, 234); so sind die genannten femininen Fruchtbezeichnungen aus dem Arawakischen entlehnt, wobei die zugehörigen (maskulinen) Baumbezeichnungen erst analog zum Muster gebildet wurden. Andererseits besitzt die Flexion im Falle der Motion suffixähnlichen Charakter; so kann die Movierung als ein zu Wortbildungszwecken verfügbar gemachtes grammatisches Verfahren betrachtet werden, nicht jedoch etwa den Wechsel zwischen Deklinations- oder Konjugationsklassen – vor allem nicht, wenn sich die Zugehörigkeit zu einer solchen Klasse in einer rein formalen Variation (etwa Bildung des Infinitivs der Verben auf -er oder -re im Französischen) erschöpft und mit keiner funktionellen Opposition einhergeht. Im Bereich der Verbklassen wäre als analoger Fall die sog. «wortklasseninterne Konversion» zu nennen, die dann vorliegt, wenn etwa ein zunächst nur intransitiv verwendetes Verb einen transitiven Gebrauch annimmt oder umgekehrt (cf. engl. to march – to march the prisoners; to read a book – the book reads well, to scare s.o. – I don’t scare easily etc.). Auch hier kann nicht eigentlich von einem wortbildenden Verfahren gesprochen werden.
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durch deklinationsklasseninterne Homogenisierung motivierten Übergang vom Femininum zum Maskulinum bei Baumbezeichnungen des Typs pirus (fem. Sg.) ‘Birnbaum’ zu pirus (mask. Sg.) (cf. demgegenüber pirum (neutr. Sg.) ‘Birne’, pira (neutr. Pl.) ‘Birnen(ernte) (kollektiv)’). Nach Aufgabe der Opposition zwischen PIRUS und PIRUM im Zuge dieser Entwicklung und Verlust der kollektiven208 Bedeutungsimplikation von PIRA erfolgte eine Umdeutung von pira als neuer femininer Singularform209 (auf Grund der Homonymie der Endungen des Neutrums Plural und des Femininums Singular), die mit eingeschränkter erneuter Oppositionsbildung zwischen Maskulinum zur Bezeichnung des Baums und Femininum zur Bezeichnung der Frucht in einem Teil der Romania einherging (cf. it. pero/pera, rum. păr/pară ‘Birnbaum/Birne’, sp. manzano/manzana). So können die aktuellsynchronisch im Rahmen des Genuswechsels analysierbaren Neubildungen von Namen für Bäume zu den zugehörigen Früchten der Analogiewirkung zugerechnet werden.210 Wenn also zum Beispiel Baumbezeichnungen mit gewisser Regel-
|| 208 Hinsichtlich der Frage der Bedeutungskomponente der Kollektivität bei Baumbezeichnungen ist Staib (1988, 202) der Auffassung, dass «[w]egen des konkreten referentiellen Bezugs und wegen der möglichen relationellen Implikation einer Verbalhandlung wie auf der Bezeichnungsebene […] auch die Ableitung von Bezeichnungen der früchtetragenden (oder anderswie produzierenden) Bäume aus den Beziehungen der Früchte (oder anderer Produkte) selbst nicht den Bildungen mit quantifizierter Basis zuzurechen» sei, wie Staib dies etwa für frz. melonnière ‘Melonenbeet’, ardoisière ‘Schieferbruch’, grenier ‘Speicher, Dachboden’ etc. annimmt, wo eine «funktionelle Relation zwischen einer Sache und einer quantifizierten Substanz» (Staib 1988, 218), d.h. aus der Sicht der bezeichneten Sache eine quantifizierte Basis vorliegt. «Wenn man dennoch bei diesen Bildungen [wie pommier, B.K.] die ‘Ansammlung’ der durch die Ableitungsbasis bezeichneten Dinge empfindet, so zeugt dies wiederum davon, dass dem Suffix -ier bzw. -ero, a eine solche quantifizierende Funktion im Sinne einer Bezeichnungsgruppe zukommt, während dieser Inhalt bei den eigentlich quantifizierenden generischen Suffixen funktionell und darum konstant ist» (Staib 1988, 202–203). Auf diachronischer Ebene kann jedoch bei bestimmten Bildungen ein Zusammenhang mit auf Ellipsen zurückgehende Relationskomposita hergestellt werden, so etwa bei ardoisière, glaisière, marnière, sablière etc. (cf. elliptisch (FODINA) AURARIA, FERRARIA, MINIARIA etc.), wobei der Zusammenhang der Bildungen zunächst zu wahren und die Frage der kollektiven Bedeutung in Verbindung mit der Kollektivbildung neu zu reflektieren wäre (cf. Lüdtke 1996a, 266). 209 Vergleiche die Haltung Staibs (1988, 204): «Nur unter Bezeichnungsgesichtspunkten kann hierin eine Art Kollektivbildung gesehen werden, die jedoch spätestens beim Übergang in den Singular des Femininums ihre innere Motivation zusammen mit der Pluralität des Ausdrucks verlor». 210 Insgesamt schließt Staib (1988, 204), dass sich bei synchronischer Analyse die femininen Fruchtbezeichnungen des heutigen Spanisch «weder als Kollektivbildungen noch als anders geartete Ableitungen aus den maskulinen Baum- und Strauchnamen» darbieten; vielmehr sei «in dieser Genusalternanz ein Relikt der lateinischen Deklinationsklassen mit neuer Genuszuordnung zu sehen, der sich in nachlateinischer Zeit andere Bezeichnungen in mehr oder weniger großem Umfang im Rahmen der Analogie angeschlossen haben» (cf. sp. frambueso – frambuesa, castaño – castaña, banano – banana, naranjo – naranja).
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mäßigkeit zum Maskulinum tendieren, ob beeinflusst durch ein ursprüngliches lateinisches Maskulinum (wie beim Übergang von pirus fem. > pirus mask.), durch eine suffixbedingte Genusdetermination (frz. -ier mask. < lat. -ARIUS) oder ein Etymon nicht-lateinischen Ursprungs (cf. le hêtre < frk. °haistr, Wurzel °haisi ‘Gestrüpp, Dickicht’),211 so erhebt sich hier die Frage nach dem Maß des Wirkens von Analogie. Es finden sich aber auch feminine Baumbezeichnungen, die sich wiederum entweder auf ein lat. Neutrum Plural zurückführen lassen (la vigne ‘Weinrebe’ < lat. VĪNEA, von VĪNUM, n.; la viorne ‘Schneeball’ < lat. VĪBURNUM, Pl. VĪBURNA, als Fem. Sing. interpretiert), im Latein schwankendes Genusverhalten aufwiesen (cf. la ronce ‘Brombeerstrauch’ < lat. RUMEX, RUMICIS, mask. und fem.) oder schon lat. Femina waren (l’aubépine, fem. ‘Weißdorn’ < vlat. ALBISPINUM, klat. ALBA SPĪNA, fem.; la yeuse ‘Steineiche’ < lat. ĪLEX, ĪLICIS, fem.). Die Genusdetermination bei den Suffixen erweist sich insgesamt als ein primär aus dem Lateinischen ererbtes Relikt (abgesehen von anderen (gelehrten) Suffixen nicht-lateinischen Ursprungs). Sofern sich durch die Anwendung eines der oben aufgelisteten Suffixe über das implizierte inhaltliche Verfahren bestimmte Bezeichnungsgruppen formieren (z.B. die Gruppe der Bäume beim Suffix frz. -ier), besteht eine regelmäßige Korrelation zwischen grammatischem Genus und Bezeichnungsgruppe.212 5) Semantische Indikation Das Genus der Personennamen entspricht in der Regel deren Sexus: Paul est content – Virginie est contente. Die Namen für Länder und Provinzen, die im Französischen auf -e enden, sind gewöhnlich Femina: la France, l’Italie, la Provence; Ausnahmen hiervon sind le Cambodge, le Mexique, le Mozambique. Alle übrigen werden normalerweise als Maskulina behandelt: l’Iran, le Périgord. Bezüglich der zusammengesetzten Ländernamen, die aus der Verbindung mit einem Gattungsnamen hervorgegangen sind, gilt generell, dass der Gattungsname das Genus bestimmt: la Confédération Helvétique, le Royaume-Uni. Unsicherheiten im Gebrauch des Genus ergeben sich bei Städtenamen dann, wenn sich diese nicht obligatorisch mit einem Determinanten verbinden; der gesprochene Sprachgebrauch tendiert hier zur Generalisierung des Maskulinums: Paris est merveilleux, le vieux Paris, aber: Alexandrie est merveilleuse || 211 Ähnlich bei le chêne ‘die Eiche’ (< chasne, spätlat. CASSANUS, gallisch); dagegen geht le bouleau ‘die Birke’ (< afrz. boul) wiederum auf ein vlat. Maskulinum BETULLUS zurück. 212 Im Spanischen dagegen besteht Variation zwischen Maskulina und Femina, etwa la higuera ‘der Feigenbaum’ – el manzano ‘der Apfelbaum’.
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und Alger la blanche. Eine weitere Alternative besteht in der Umschreibung mittels la ville de (Paris/d’Alexandrie etc.). Die Namen von Schiffen und von Flugzeugtypen tendieren zum Maskulinum: le Normandie, un Boeing, un Airbus, aber la Marie-Joseph, une Caravelle (cf. Riegel et al. 1994, 178). 5.5.1.2 Formale Gestaltung des Femininums bei Lebewesen a) Genus und Sexus – koreferentielle Konflikte Die Kennzeichnung der inhaltlichen Kategorie Genus stellt einen besonderen Übergangsbereich zwischen Grammatik und Paragrammatik dar, was sich formal schon darin widerspiegelt, dass die Darstellungen (zumindest in manchen Schulgrammatiken) in der Regel nicht an einer Unterscheidung zwischen grammatischen und paragrammatischen Ausdrucksmöglichkeiten orientiert sind,213 sondern den gesamten Inhaltsbereich einheitlich zu erfassen suchen. Dabei wird die Frage nach den Unterschieden in den Inhalten, wie sie in Grammatik und Paragrammatik zum Ausdruck kommen, bzw. die Beobachtung des Vorliegens von Konvergenzzonen vernachlässigt. Diese Situation resultiert, wie sich vermuten lässt, zum Teil aus dem stillschweigend vorausgesetzten Erfahrungswissen, dass natürliches (biologisches) Genus (Geschlecht bzw. Sexus: männlich – weiblich) und grammatisches Genus (Femininum – Maskulinum – Neutrum214) in den Sprachen, die über Genusdifferenzierungen verfügen, nicht kongruieren müssen (abgesehen von weiteren Substantivklassen auf der Grundlage von semantischen bzw. klassematischen Oppositionen wie [± BELEBT] oder von der Einteilung nach Pflanzen, Werkzeugen u.a. wie z.B. in den Bantusprachen). Trotzdem kann sich eine gewisse «Logik» || 213 Die ansonsten in vielen Punkten ausgezeichnete Schulgrammatik von Klein / Kleineidam etwa führt unter den Mitteln zur Kennzeichnung des grammatischen Geschlechts (1983, 24) beim Maskulinum gemischt Formen wie le gant, le vin, le violon, le stage etc. und Suffigierungen der Art le virage, le développement, un aspirateur etc. als spezifische «Wortausgänge» bzw. Endungen an. 214 Im fünften Jahrhundert v. Chr. führte der griechische Sophist und Rhetoriker Protagoras (ca. 485 – ca. 411) eine Differenzierung in drei Genera für das Griechische ein: Maskulinum, Femininum und «Sachen». Aristoteles wiederum unterschied auf Grund der Feststellung, dass viele «Sachen» aus rein grammatischer Sicht entweder den Maskulina oder den Femina angehörten, eine dritte «intermediäre» Genuskategorie, woraus sich die Differenzierung in maskulin, feminin und «neutrum» (‘keines von beiden (Geschlechtern)’ zu lat. NEUTER) − dt. auch «sächlich» genannt − entwickelte. Die Kategorie Genus implizierte damit ursprünglich keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem natürlichen Geschlecht, sondern stellte eine wesentlich umfassender gedachte Kategorie dar, die sich auf eine bestimmte Kategorisierung nach einem Genus allgemein im Sinne einer «Art» oder «Klasse» bezog.
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dort etablieren, wo Konflikte zwischen natürlichem und grammatischem Geschlecht nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen215 gewisse Analogien einfordern, wobei Anomalien (cf. dt. neutrum das Mädchen) ein rekurrentes Phänomen darstellen. Im Englischen etwa hat hier die analogische Tendenz zur Aufgabe der Differenzierung zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht geführt unter Beibehalt allein des natürlichen Geschlechts; koreferentielle Konflikte wie in nachstehenden Beispielen des Deutschen entstehen daher in der Regel nicht (auch nicht bei Tieren, wo die Pronominalisierung stets die Möglichkeit zulässt, das natürliche Geschlecht explizit zu machen: the dog – she… aber auch shedog, cf. Kap. 5.5.2.3). Die homogene Gestaltung des Inhaltsbereichs der Genusmarkierung in einer Sprache wie dem Englischen ist allerdings an bestimmte morphologische Bedingungen geknüpft, die in der besonderen strukturellfunktionellen Organisation des aktuellen englischen Sprachsystems begründet liegen, die ihrerseits durch Reduktion der morphosyntaktischen Kongruenzphänomene (etwa Flexion der Pronomina nach grammatischem Genus) auf Grund des Abbaus der Flexionsmorphologie mit gesamtssystematischer Tragweite hervorgebracht wurde.216
|| 215 Zum Status «pragmatischer Relevanzbedingungen» in der Wortbildung cf. Laca (1987, 152): «Die Projizierung zweier grundlegender Unterscheidungen des insbesondere von COSERIU vertretenen ‘strukturellen Funktionalismus’ auf den Bereich der WB [Wortbildung; B.K.] (nämlich System/Norm, Bedeutung/Bezeichnung) führt weiter zu der Feststellung, dass die ‘anderen’ interpretationsleitenden Faktoren zum einen die Kenntnis des Wortschatzes der Einzelsprache, der die Norm-Ebene des WB-Systems darstellt, zum anderen das ‘Alltagswissen’ sind, als Summe von Kenntnissen und Annahmen hinsichtlich der Beschaffenheit der Welt (‘Kenntnis der Sachen’), und dies zusammen mit einer sehr allgemeinen pragmatischen ‘Relevanzbedingung’, die man in der Diskussion um die Realisierung von WB-Produkten stets berücksichtigen muss und die nur besagt, dass diese ‘Benennenswertes’ (relevante Klassen) bezeichnen sollen». 216 Wie in allen indoeuropäischen Sprachen bestand auch im Altenglischen Unabhängigkeit der Genera Nominis vom Geschlecht des bezeichneten Lebewesens (Personen oder Tiere). Das Genus stellt auf dieser Sprachstufe eine rein grammatische Kategorie in Abhängigkeit von der jeweiligen Deklinationsklassenzugehörigkeit eines Nomens dar und ist somit auf morphologischer Ebene zum einen über die Flexionsendung, im Kontext zudem über die Kongruenz des Artikels, des attributiven Adjektivs und des Pronomens zu identifizieren. Die Genusdifferenzierung auf grammatischer Ebene (nach maskulinen, femininen und neutralen Substantiven bzw. Adjektiven) führt hier zuweilen zu Konflikten mit dem Genus als klassematischer Kategorie wie z.B. bei ae. mægden, wīf (die Neutra sind, was als Anomalie empfunden werden kann) gegenüber wīfman (maskulin), wo das zweite Element des Kompositums als Maskulinum interpretiert wird. Im Mittelenglischen weicht im Zuge der allgemeinen Reduktion der Flexionsparadigmen (einschließlich des Wirkens von Ausgleichstendenzen zwischen Deklinationsklassen) das
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Unterschiedlich starke koreferentiell bedingte Konflikte tauchen in Situationen wie den folgenden auf, wo der Bezug auf das natürliche Geschlecht über das grammatische Genus mehr oder weniger akzeptabel erscheint (cf. den Dialog zwischen Strepsiades und Sokrates in Aristophanes’ Komödie αἱ νεφέλαι «Die Wolken», 423 v. Chr., Zweiter Akt, erste Szene, Z. 651ss.;217 frz. Version im Anhang): Sokrates. Noch Andres mußt du lernen, ehe dieses kommt: Vierfüßige Thiere nenne mir, die männlich sind. Strepsiades. Ich wäre rasend, wüßt’ ich nicht, was männlich ist: Der Bock, der Widder, dann der Stier, der Hund, der Spaz. Sokrates. Sieh nur, so geht’s dir! Sie, das Weibchen, nennst du Spaz, und Ihn, das Männchen, nennst du völlig ebenso. Strepsiades. Wie meinst du? Sokrates. Wie? Wie? Hier ein Spaz, und dort ein Spaz. Strepsiades. Ja, bei’m Poseidon! Aber nun – wie nenn’ ich’s recht? Sokrates. Du nennst das Weibchen Späzin und das Männchen Spaz. Strepsiades. Der Spaz, die Späzin! Köstlich, bei des Himmels Luft! So daß ich dir für diesen Unterricht allein mit Mehl den Backtrog bis zum Rande füllen muß. Sokrates. Sieh doch, ein neuer Schnizer! Backtrog sagst du da, als ob es männlich wäre, da’s doch weiblich ist. Strepsiades. Wie? Wäre Backtrog weiblich? Sokrates. Wie Kleonymos auch weiblich enden sollte. Strepsiades. Wie verstehst du das? Sokrates. Dir geht der Backtrog also wie Kleonymos.
|| grammatische Genus dem an der außersprachlichen Wirklichkeit orientierten natürlichen Geschlecht, das von der Zeit an nur noch am Bezugsnomen erkennbar ist (my wife – she etc.). 217 https://de.wikisource.org/wiki/Die_Wolken_(Aristophanes)
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Strepsiades. Ach, Freund, ein Backtrog fehlte dem Kleonymos, weßhalb er Mehl im runden Mörser knetete. Doch sage mir, wie muß ich künftig sagen? Sokrates. Wie? Backtrögin sagst du, wie du sagst die Sostratin. Strepsiades. Backtrögin also weiblich? Sokrates. Richtig sagst du so. Strepsiades. Dann hätten wir Backtrögin und Kleonymin. Sokrates. Nun mußt du mir von den Eigennamen lernen noch, was männlich unter diesen und was weiblich ist. Strepsiades. Was weiblich ist, das weiß ich recht gut. Sokrates. Sage denn. Strepsiades. Lysilla, Philinna, Kleitagora, Demetria. Sokrates. Und welche dann sind männlich? Strepsiades. Viele tausende: Philoxenos, Melesias, Amynias. Sokrates. Nun, diese sind nicht männlich, Unglückseliger. Strepsiades. Sie gelten euch nicht männlich? Sokrates. Nimmermehr; denn sprich: Wie rufst du wohl, begegnet dir Amynias? Strepsiades. Wie? Komm doch, ruf’ ich, komm doch her, Amynia! Sokrates. Sieh: einem Weibe rufst du, der Amynia. Strepsiades. Und das mit Recht doch, weil er nicht zu Felde zieht? – Doch was erlern’ ich Dinge da, die Jeder weiß? Sokrates. Nein, wahrlich! Aber seze dich jezt hier – (auf den Stuhl zeigend) Strepsiades. Und dann?
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Sokrates. Und denke dir von deinen Sachen Etwas aus. Strepsiades. Hier nicht, um alle Götter nicht! Nein muß es sein, so laß darauf mich denken an der Erde hier. Sokrates. Hieher! Es geht nicht anders! (Strepsiades sezt sich. Sokrates geht in das Haus.)
Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich in folgenden koreferentiellen Kontexten: a. b. c. d.
Das Mädchen … – es/sie nahm sein/ihr Kind auf den Arm. Das Kind hat sein/?ihr Spielzeug verloren. Die Mannsperson hat ihren/*seinen Wagen falsch geparkt. Der Trampel/Hausdrachen hat seinen/*ihren ganzen Charme eingesetzt.218
Dabei kann bei Koreferenz zwischen Personenbezeichnungen im Neutrum und anaphorischen Pronomina die Kongruenz dem natürlichen Geschlecht angepasst werden wie in (a), wo das anaphorische Pronomen sich sowohl nach dem grammatischen Genus wie nach dem natürlichen Geschlecht richten kann. Dagegen können bei einem bezüglich des natürlichen Geschlechts indeterminierten Substantiv wie in (b) die Akzeptabilitätsurteile schwanken. Bei Konkurrenz zwischen natürlichem Geschlecht und grammatischer Genusfixierung wie in (c) scheint das grammatische GLenus den Ausschlag für die Personenkongruenz zu geben. b) Gesprochene und geschriebene Sprache Gesprochene und geschriebene Sprache unterscheiden sich im Französischen beträchtlich hinsichtlich der formalen Kennzeichnung der jeweiligen femininen im Vergleich zur maskulinen Form, wobei letztere in der Mehrheit der Fälle als Ausgangspunkt zur Bildung des Femininums dient219 (cf. Grevisse 1993, §478, b). In der geschriebenen Sprache wird das Femininum häufig dadurch gebildet, dass ein finales -e an die maskuline Form angefügt wird: ami − amie, aïeul − aïeule, marchand − marchande, bourgeois − bourgeoise. Vom phonetischen Gesichtspunkt aus betrachtet können die sich im Schriftbild gegenüber der entsprechen|| 218 Das Akzeptabilitätsurteil ist fraglich bei mit «?», nicht statthaft bei mit «*» markierten Aussagen. 219 Zur Frage, ob die feminine oder maskuline Form jeweils als die primäre oder sekundäre zu betrachten sei, cf. Grevisse (1993, §478, a); siehe (ibid., §759, Hist.) auch zu Fällen, in denen zur Bildung des Maskulinums nachweislich auf das Feminin zurückgegriffen wurde.
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den maskulinen Form lediglich durch ein stummes -e auszeichnenden Femina mit der maskulinen Form übereinstimmen, und zwar dann, wenn letztere auf einen oralen Vokal auslautet: So bildet etwa [Ami] die phonetische Variante sowohl von ami als auch von amie; oder wenn die maskuline Form auf einen hörbaren Konsonanten endet: cf. [Ajœl], das aïeul sowie aïeule repräsentiert; [uRs], das den geschriebenen Varianten ours und ourse entspricht oder (un) martyr, (une) martyre, die beide die phonetische Repräsentation [mARtiR] besitzen. Die feminine Form kann sich gegenüber der maskulinen aber auch dadurch abheben, dass ein in der Graphie existenter finaler Konsonant gesprochen wird, der im Maskulinum stumm bleibt: [mARʃã] → [mARʃãd], [burʒwa] → [buRʒwAz]. Außer durch die Anfügung eines graphischen -e kann sich die Femininbildung in bestimmten Fällen auf graphischer Ebene in der Verdoppelung des auslautenden Konsonanten im Vergleich zur maskulinen Form manifestieren: etwa Verdoppellung des -l bei auf -el auslautenden Nomina bzw. bei gewissen Vornamen: colonel − colonelle, Gabriel − Gabrielle, wobei auch eine alternative neuere Graphie möglich ist: Michelle oder − sehr gängig − Michèle, Danielle oder manchmal Danièle, Emanuelle oder auch Emanuèle. Gaël als ethnische Bezeichnung (Substantiv oder Adjektiv) bildet als feminine Form Gaële; der Vorname wird häufig Gaëlle geschrieben (cf. Noëlle, Feminin von Noël). Ähnlich tritt bei gewissen femininen Bildungen zusätzlich zur Anfügung eines wortterminalen -e in der Graphie ein (meist auf Analogie beruhender) Konsonant in Graphie und Aussprache hinzu (cf. Grevisse 1993, §532; §484): ein -t- bei coi − coite, favori (Partizip < hist. favori) − favorite (nach ital. favorita statt urspr. regelmäßigem favorie), rigolo (fam.) − rigolote (cf. Grevisse 1993, §546), chou (fam.) − choute (nur Subst., sonst inv.), chouchou (fam.) − chouchoute, hobereau − hobereaute, mit Doppelkonsonant: coco − cocotte; ein -d- in esquimau − esquimaude (cf. Grevisse 1993, §544, c; §532),220 butor − butorde (obsolet); 221 ein -v- in bailli − baillive (zu urspr. mask. baillif); ein -n- in mimi (Kindersprache) mimine; ein -s- in andalou (für urspr. andalous < sp. andaluz) − andalouse (< urspr. mask. andalous).222 Auch ein auslautendes -s kann verdoppelt werden: So bildet métis [metis]
|| 220 Damourette/Pichon 1951, 303, §262, Anm. (4) führen esquimale an. 221 Das auf gewisse Tiere angewandte bedeaude ‘de deux couleurs’ stellt eine nominale (aber obsolete) Form dar: une bedeaude ‘corneille mantelée’ (neben une corneille bedeaude). 222 Die regionale Form champi ‘enfant trouvé’ schwankt zwischen champie und champise bzw. champisse als zugehörige Femina. Champi müsste gemäß seiner Etymologie (cf. Suffix -is) eigentlich die Graphie champis aufweisen mit zugehöriger femininer Variante champisse (das gleiche Suffix liegt in Afrz. apprentis (cf. apprentissage) zurgunde, das zunächst in apprentif umgestaltet wurde, anschließend in apprenti). Die alten Formen bzw. diesen entsprechende Femina sind noch in den Dialekten und zuweilen in den français régionaux bewahrt (cf. Grevisse 1993, §484).
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die feminine Form métisse [metis], gros [gRo] wird zu grosse [gRo:s], profès [pRɔfɛ] zu professe [prɔfɛs] (mit Wegfall des Akzents), analog bêta − bêtasse.223 Gewisse Adjektive, deren Bildung ein expressiver Wert zugrunde liegt (cf. baba, cracra, crado, cucu(l), flagada, gaga, gnangnan, ol(l)é ol(l)é, paf, raplapla, riquiqui/rikiki, toc-toc, rococo der familiären Gemeinsprache),224 können gegebenenfalls auch als Substantive fungieren und eine feminine Variante ausbilden; diese ist selten anzutreffen bei radin (radine), rapiat (rapiate), häufiger bei hurluberlu (hurluberlue) und vor allen Dingen bei rigolo (rigolote) (cf. Grevisse 1993, §532). Die Anfügung eines finalen «weiblichen» -e kann auch begleitet werden von einer graphischen und phonetischen Abänderung des auslautenden Konsonanten der maskulinen Form: f → v: veuf − veuve; c → qu:225 in Völkernamen: Franc − Franque, laïc226 (zuweilen laïque227) − laïque, Frédéric − Frédérique, Turc − Turque, ferner Grec − Greque; x → s:228 in den Bezeichnungen auf -eux (außer vieux) sowie in den Formen époux und jaloux: ambitieux, ambitieuse; époux − épouse; jaloux − jalouse; x → ss: in roux − rousse. Daneben wird fils [fis] zu fille [fij], loup [lu] zu louve [lu:v],229 sphinx zu sphinge; malin zu maligne mit Bezug auf das Femininum.230 Die Anfügung eines -e in der Graphie geht bei gewissen Femina mit verschiedenen anderen Phänomenen einher: Die Substantive auf -er erhalten einen Accent grave auf dem e; auf phonetischer Ebene manifestiert sich diese Änderung in der || 223 Nicht erwähnt sind hier regionale Aussprachevarianten sowie diaphasische Varianten, etwa bei der Rezitation gebundener Sprache (cf. Grevisse 1993, §29, Rem.). Ich orientiere mich im Folgenden an der geschriebenen Sprache, berücksichtige die Phonetik aber immer dort, wo wichtige Abweichungen bestehen. Maskuline und feminine Form zeigen zudem in bestimmten Fällen semantische Divergenzen (cf. Grevisse 1993, §475, b). 224 Hier kann von einem eigenen reduplizierenden Sprachtyp zuzuordnenden Konstruktionen gesprochen werden, wie er in Kap. 5.8.2 diskutiert wird. 225 Das c ist stumm in Franc, in den anderen Maskulina wird es als [k] ausgesprochen. 226 Als Substantiv häufiger denn als Adjektiv (cf. Grevisse 1993, §529, Rem.). 227 In der Bedeutung ‘partisan de la laïcité’ kommt in der Regel das Maskulin laïque zum Tragen (cf. Grevisse 1993, §483). 228 Das x ist stumm; das Femininum zeichnet sich auf phonetischer Ebene durch die Hinzufügung eines stimmhaften s [z] oder eines stimmlosen ss [s] aus (historisch betrachtet hat x das ursprüngliche s ersetzt) (cf. Grevisse 1993, §90, e, Hist.). 229 Loute dient als weibliche Form zu loup in affektivem Gebrauch (vergleiche die Reduplikation in louloute). 230 In der populären oder weniger gepflegten Sprache findet sich häufig maline als feminine Variante zu malin, die von den Autoren zu stilistischen Zwecken eingesetzt wird (cf. Grevisse 1993, §531, e), aber auch semantisch von maligne abweicht: So bedeutet maline häufig ‘fin, rusé, spirituel’, maligne impliziert dagegen eher die Bedeutung ‘méchant’.
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Hinzufügung eines Konsonanten und der Öffnung des Vokals: berger [bɛʀʒe] − bergère [bɛʀʒɛʀ]. Die auf -eau [o] auslautenden Substantive bilden eine feminine Variante auf -elle [ɛl]: chameau − chamelle (zu hobereau cf. supra); ein analoges Phänomen liegt vor bei fou [fu] − folle [fɔl]; vieux [vjø] − vieille [vjɛj].231 Bei auf -en, -on endenden Substantiven tritt eine Verdoppelung des -n ein: gardien − gardienne, baron − baronne. Eine Ausnahme davon bilden un mormon − une mormone sowie Lapone, Lettone, Niponne, Simone, die den Varianten mit Doppelkonsonant häufig vorgezogen werden.232 Verdoppelung des finalen -n unter Hinzufügung eines -e erfolgt auch bei folgenden Wörtern: chouan − chouanne; Jean − Jeanne; paysan − paysanne; Valaisan − Valaisanne; Veveysan − Veveysanne. Alle anderen Substantive auf -an sowie die auf -in und -ain auslautenden Nomina weisen keine Konsonantendoppelung auf: sultan − sultane, orphelin − orpheline, châtelain − châtelaine.233 Mit Blick auf die Aussprache ergeben sich Oppositionen bei den durch Nasalvokal markierten Maskulina, denen eine auf nasalen Konsonant auslautende feminine Form gegenübersteht; der Vokal der femininen Form erfährt dabei eine Denasalierung in der Endsilbe: [ɑ̃ ] wird zu [a]: sultan [syltɑ̃ ], sultane [syltan],234 [ɔ̃ ] zu [ɔ]: lion [ljɔ̃ ], lionne [ljɔn]; [ɛ̃ ] dagegen hat zwei Resultate: [ɛ] bei den auf -ain, en auslautenden Wörtern (und in daim): Africain [afʀikɛ̃ ] − Africaine [afʀikɛn], chien [ʃjɛ̃ ] − chienne [ʃjɛn], daim [dɛ̃ ] − daine [dɛn];235 [i] in den Wörtern auf -in: voisin [vwazɛ̃ ] − voisine [vwazin].236 Bei Substantiven auf -et (außer préfet, sous-préfet) wird das auslautende -t im Maskulinum verdoppelt: cadet − cadette; ebenso in den Wörtern chat, boulot,
|| 231 Diese Femina erklären sich aus ehemaligen auf l auslautenden maskulinen Formen: chamel, fol, vieil (cf. Grevisse 1993, §46, e; cf. auch §504, Hist.). 232 Zuweilen findet sich auch démone zu démon, allerdings ist un démon die gängigere Variante, insbesondere als pejorative Bezeichnung für eine Frau (da die Abweichung vom bezeichneten Geschlecht den affektiven Wert noch intensivieren kann). 233 Malin bildet als feminine Form maligne 234 Zur Graphie dieser jüngeren Form cf. Grevisse (1993, 765, §482, Hist.). 235 Zur obsoleten femininen Form dine cf. Grevisse (1993, 765, §482, Hist.; mittlerweile nicht mehr im P.R. verzeichnet, wie noch in Grevisse 1986 angegeben, aber noch bis 1989 von der Akademie als eigene Form geführt). Ebenfalls außer Gebrauch gekommen ist die einstige, wie sultane analogisch gebildete feminine Form zu quidam [kidam]/[kɥidam] (ursprünglich [kidɑ̃ ]) ‘ein Gewisser’): quidane. Poulin bildete ursprünglich ein regelmäßiges Femininum poulaine sowie eine analogische Form pouline, die beide nicht mehr gebraucht werden. 236 Bei sacristain und copain lauten die Femina (auf Grund Verwechslung der Endungen) sacristine und copine (langue familière) (wobei sacristaine nicht völlig außer Gebrauch scheint) (cf. Grevisse 1993, §482, b, Rem.).
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boscot (pop. et vieilli237), sot: chatte, boulotte, boscotte, sotte. Die anderen Wörter auf -at und -ot zeigen keine Verdoppelung des Konsonanten: avocat − avocate, idiot − idiote. Traditionell im Feminin findet sich auch rate,238 das aber kaum gebraucht wird (cf. Grevisse 1993, §474, a).239 5.5.1.3 Genus als grammatisch-paragrammatische Kategorie Die eigentliche hier zu diskutierende Frage tangiert die Art des auszudrückenden Inhalts: Dass das grammatische Genus eine rein grammatische Kategorie darstellt, bedarf zunächst keines weiteren Kommentars; allerdings können grammatische Genusmarkierung und Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts als eines auf außersprachlichen Kategorien bzw. Klassen beruhenden Merkmals über ein und dasselbe Verfahren zum Ausdruck gebracht werden − dort, wo sich grammatisches Genus und natürliches Geschlecht in einer das Genus differenzierenden Sprache entsprechen. Somit kann bei der Genuskennzeichnung die grammatische Inhalte vermittelnde Flexion zugleich dem Ausdruck einer semantischen Relation dienen, wie sie sonst über Verfahren der Wortbildung kodiert wird. Die Interferenz zwischen grammatischer und Wortbildungssemantik wird in Plank (1981) diskutiert, der einen markiertheitstheoretischen Ansatz im Rahmen des Konzeptes der natürlichen Morphologie vertritt. Die Femininbildung gehört gemäß der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Wortbildungstheorie dem paragrammatischen Verfahren der Modifizierung an; per definitionem kommt den materiellen Mitteln der Modifizierung eine primär lexikalische Funktion zu, die darin besteht, die Basis zu quantifizieren, was eine Änderung oder Modifizierung der lexikalischen Bedeutung der Basis impliziert. Die kategorielle Bedeutung der Basis wird von diesem inhaltlichen Prozess jedoch nicht berührt, d.h. es liegt eine inaktuelle paragrammatische Funktion vor. Auch vom Standpunkt der im Vorliegenden vertretenen paragrammatischen Konzeption erscheint der markiertheitstheoretische Ansatz als der Beschreibung angemessen.
|| 237 Nach P.R. s.v. als populär und obsolet markiert; selten ist der Gebrauch im Feminin. 238 Die Akademie der Wissenschaften bevorzugt ratte gegenüber rate zur Vermeidung jeglicher Verwechslung mit dem Körperorgan rate ‘Milz’ (cf. Grevisse 1993, §482, c, 2°). 239 In phonetischer Hinsicht kontrastiert in den Wörtern auf -ot ein geschlosseses [o] im Maskulin mit einem offenen [ɔ] im Feminin: [so] : [sɔt], [idjo] : [idjɔt].
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5.5.1.4 Markiertheitstheorie Die Genera des Französischen sind Maskulinum und Femininum; jedes Nomen der Sprache wird nach der grammatischen Kategorie Genus bestimmt und entsprechend in die Gruppe der Maskulina oder Femina eingeordnet. Diese zunächst der Wortkategorie des Nomens inhärente grammatische Bestimmung wird in die lexikographische Information der Wörterbücher aufgenommen, da sie sich zwar in der Syntax, d.h. der Verwendung eines Nomens in einem sprachlichen Kontext manifestiert und bestimmte Kongruenzphänomene (cf. Determinanten wie Artikel etc.) zeitigt, doch primär vom einzelnen lexikalischen Wort ausgeht. Daher ist die Bestimmung in der Regel eine implizite, die nur in bestimmten Fällen über die Wortmorphologie identifizierbar ist. Das Femininum kann im Allgemeinen als das markierte240 oder merkmalhaltige Element der innersprachlichen Opposition, das Maskulinum als das unmarkierte oder merkmallose Glied gelten, von dem ersteres abgeleitet wird, wobei es sich jedoch um keine durchgängige Zuordnung handelt.241 Hierzu lässt sich jedoch eine Einschränkung formulieren: So geht Plank (1981) davon aus, dass privative Oppositionen (im Sinne des Markiertheitskonzepts) eher im Bereich der abstrakten paradigmatischen Oppositionen vorkommen, d.h. mit Bezug auf die grammatischen paradigmatischen Relationen, wohingegen diese für den relationell-funktionellen Bereich, in Planks Terminologie für die konkreteren lexikalischen Relationen, eine nur beschränkte Gültigkeit besäßen; für letztere Relationen seien weniger privative (auch im Sinne Dokulils), als vielmehr «äquipollente» Oppositionen relevant (so das Ergebnis seiner Fallstudie Plank 1981, 67–89, insbesondere 82ss., 88–89). Da sich flexionsmorphologisch gekennzeichnete Kategorien(systeme) gegenüber derivationellen Relationen in der Regel durch eine differenziertere interne Strukturierung, einhergehend mit einem höheren Abstraktheitsgrad der Kategoriebedeutung auszeichnen, wird eine gewisse Korrelation zwischen Abstraktheit/Relationalität der jeweiligen Kategorie und Art der zugeordneten Oppositionsbeziehung greifbar: Abstrakte/relationale Konzepte (wie durch grammatische Bedeutungen enkodiert) korrelierten demnach eher mit privativen Oppositionen, konkrete/materielle Konzepte mit äquipollenten Oppositionen. || 240 Siehe selbst P.R. s.v. féminin, 5° Gram.: ‘Qui appartient au genre marqué (quand il y a deux genres)’. 241 Cf. Grevisse (1993, 758–759, §478, a): «La tradition veut qu’on parte du masculin pour donner le féminin, le masculin singulier étant, pour le nom (ainsi que pour l’adjectif et le pronom), la forme indifférenciée, neutralisée, comme l’infinitif pour le verbe. Du point de vue historique, il arrive que le masculin soit tiré du féminin […] et surtout que le féminin soit formé indépendamment du masculin».
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Plank schlussfolgert auf dem Hintergrund des angenommenen unterschiedlichen konzeptuellen Status der mit der derivationellen und flexivischen Morphologie verbundenen Kategorien, dass privative Oppositionen, die die Grundvoraussetzung für die Annahme konzeptueller Markiertheitsverhältnisse bilden, für Kategorien des wortbildenden Systems weniger symptomatisch sind als für die Kategorien des grammatischen Systems einer Sprache.242 Den privativen Oppositionen zuzurechnen seien im Bereich der Paragrammatik am ehesten einzelne Gegenüberstellungen von Grundwort und Ableitung, insbesondere bei dem – der Derivation zugewiesenen – Verfahren der Movierung, das hier interessiert (prêtre – prêtresse), bei der Diminutivierung und Augmentivierung (maison – maisonnette, caisse – caisson) sowie bei der Approximation (rouge – rougeâtre). Dennoch seien Wortbildungsverfahren oder kategorien wie die genannten einschließlich der Bildung von Substantivabstrakta (Prädikatnominalisierungen wie (la) pésidence ‘Präsidentschaft’: ‘le fait d’être président’), die Kollektivierung, die Kategorie der Obst produzierenden Bäume (cf. frz. pomm-ier, céris-ier), die der Bezeichnung bestimmter organspezifischer Krankheiten (griech. νεφρίτις ‘Nephritis, Nierenentzündung’ etc.), der Patronymika etc. oder der verschiedenen Zahlensysteme (Kardinalzahl, cf. SEPTEM, Ordinalzahl wie SEPT-IMUS, Proportionalzahl wie SEPT-UPLUS, Multiplikativzahl, z.B. SEPT-EMPLEX, Distributivzahl, cf. SEPT-ĒNĪ einschließlich der Häufigkeitsadverbien wie SEPT-IĒS im Lateinischen) grundsätzlich nicht dazu geeignet, privative Oppositionsbeziehungen zu begründen (cf. Plank 1981, 88).243 Die Wortbildungen entsprechen zwar insofern dem Prinzip der diagrammatischen Ikonizität, als das Derivat durch die Basis relativ motiviert ist und ein Mehr an Bedeutung gegenüber der Basiskategorie repräsentiert; allerdings beruht die
|| 242 Dies entspräche indirekt einer Haltung, die grundsätzlich ohne Nullmorphem in der Wortbildung zu operieren geneigt ist. 243 Diese Feststellung scheint so zu verstehen, dass die entsprechenden Oppositionen eines Paradigmas nach dem Prinzip der diagrammatischen Ikonizität «regulär» enkodiert sind und insofern «gleichwertige», aber keine privativen (konzeptuellen) Oppositionen konstituieren, d.h. lediglich im Verhältnis zur Basis repräsentieren die Ableitungen ein Mehr an Bedeutung, wohingegen die Glieder des jeweiligen Paradigmas untereinander sämtlich ein Mehr aufweisen, also keines der (derivationellen) Glieder als im Verhältnis zu einem anderen unmarkiert erscheint. Damit können im Regelfall für die genannten Wortbildungskategorien – abgesehen von gewissen Bildungen, die tatsächlich diagrammatisch-ikonisch (optimal) enkodierte privative Oppositionen zwischen paradigmatischen Kategorien bilden – keine Bedeutungskorrelationen zwischen markierten und unmarkierten Gliedern konstatiert werden, d.h. das Prinzip der diagrammatischen Ikonizität im Sinne der Markiertheitskorrelation ist bei diesen Wortbildungskategorien in seiner Wirkung eingeschränkt, so dass das bei Plank eigentlich untersuchte Reanalyseprinzip nicht zum Tragen kommt.
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Motiviertheit hier nicht, wie bei den privativen Oppositionen, auf einem Markiertheitsverhältnis. Dagegen formierten sich privative Oppositionen bevorzugt in solchen paradigmatisch strukturierten Kategorien, die mit einem niedrigen Konkretheitsgrad sowie geringem materiellen Enkodierungsaufwand verbunden seien, so etwa die grammatische Kategorie Kasus mit entsprechenden Differenzierungen (Nominativ, Akkusativ, Genitiv, Dativ, Vokativ). Auch die Konfiguration von Personalsystemen beruht auf privativen Oppositionen: «die dominante Korrelation ist die zwischen ‘Person’ bzw. Sprechaktbeteiligten (1. bzw. 2. Person, markiertes Glied) und ‘Nicht-Person’ bzw. Nicht-Sprechaktbeteiligten (3. Pers., unmarkiert)» (Plank 1981, 84; cf. grundlegend Benveniste [1946]/1966; cf. auch Riegel et al. 1994, 196–197). Durch die geläufige Rede von der «ersten, zweiten und dritten Person» wird zwar terminologisch eine völlige Gleichrangigkeit der Oppositionsglieder evoziert;244 trotzdem sind die Personalsysteme der verschiedenen Sprachen in der Regel semantisch nicht symmetrisch aufgebaut. Eine Relation der Privativität liegt auch der Singular-Plural-Opposition zugrunde, wobei der Singular infolge seiner Funktion als Nicht-Indikator der Kategorie Mehrheit als unmarkiertes Glied gilt.
|| 244 Cf. Benveniste ([1946]/1966, 226): «Il faut donc rechercher comment chaque personne s’oppose à l’ensemble des autres et sur quel principe est fondée leur opposition, puisque nous ne pouvons les atteindre que par ce qui les différencie». Auf der Grundlage einer Analyse der Personalsysteme einer umfangreichen Sprachpalette (Semitisch, Türkisch, Finno-Ugrisch mit Ostiak, Ungarisch, Georgisch, außerdem Nordwest-Kaukasisch mit Abkhaz, Tschekessisch, Dravidisch, Eskimo sowie amerindische Sprachen wie Burushaski, Chinook, daneben Koreanisch, Gilyak; im Rahmen der indoeuropäischen Sprachen: Sanskrit, Neugriechisch, Englisch, Russisch, Litauisch u.a. m.) gelangt Benveniste (ibid., 229) zu der Erkenntnis, «que les deux premières personnes ne sont pas sur le même plan que la troisième, que cell-ci est toujours traitée différemment et non comme une véritable ‘personne’ verbale et que la classification uniforme en trois personnes parallèles ne convient pas au verbe de ces langues». Die Opposition zwischen den ersten beiden Personen des Verbs und der dritten beruht vielmehr darauf, dass «[e]lles s’opposent comme les membres d’une corrélation, qui est la corrélation de personnalité: ‘je-tu’ possède la marque de personne; ‘il’ en est privé. La ‘3e personne’ a pour caractéristique et pour fonction constantes de représenter, sous le rapport de la forme même, un invariant non personnel» (ibid., 231), was bedeutet, dass «la ‘3e personne’ n’est pas une ‘personne’; c’est même la forme verbale qui a pour fonction d’exprimer la non-personne» (ibid., 228). Die Erscheinung, dass im Englischen gerade entgegen dieser Feststellung die dritte Person Singular als einzige morphologisch markiert ist (cf. (he) loves gegenüber (I, you, we, they) love), kann als Anomalie im Rahmen der nach Symmetrie strebenden indoeuropäischen Flexion interpretiert werden (cf. ibid., 229–230).
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Anne Lupinko (1990245) diskutiert ihrerseits zunächst die Frage, inwieweit es berechtigt ist, im Falle der Genusmarkierung (d.h. bei grammatischen Genus«Markern»246) von Morphemen als minimalen Form-Inhalts-Einheiten im Sinne de Saussures zu sprechen, die den Mitteln zum Ausdruck anderer grammatischer Kategorien (Numerus, Kasus, Tempus, Modus) einzureihen wären: «Le propre des marques est cette asymétrie dans le marquage, à savoir l’opposition marqué/non-marqué. C’est l’une des raisons pour parler de marques plutôt que de morphèmes. De cette situation, il faut conclure que s’il n’y a rien de marqué au masculin (ou au singulier, ou au présent), c’est parce qu’il n’y a rien à marquer» (Lupinko 1990, 190). Die Abgrenzung der Genus markierenden Mittel führt bekanntermaßen im skripturalen und im oralen Code zu unterschiedlichen Ergebnissen: So wird beispielsweise das Femininum beim Adjektiv (und bei den Partizipien) im allgemeinsten Fall im schriftlichen Medium mittels eines graphischen -e wie in grand – grande markiert gegenüber dem Auftreten eines zusätzlichen auslautenden Konsonanten [gRã] − [gRãd], [p(ə)ti] − [p(ə)tit] im gesprochenen Medium, wobei es im einzelnen gewisse (morphonologische) Modifikationen der Basis zu berücksichtigen gilt (siehe etwa die Vokalalternanz bei [vjø]/[vjεj] oder die Denasalierung bei [bɔ~]/[bɔn]). Der Buchstabe < e > tritt als Genusmarker auch an verschiedene Determinanten (z.B. un-e; tout-e; ce/cet – cette; nicht aber bei le (mask.) – la (fem.)); daneben kommt teilweise auch der Buchstabe < a > zum Tragen (la, ma etc.). Wird der Signifikant (signifiant)247 des Genus markierenden Elements erneut unter Bezug auf die Kategorie Adjektiv, im schriftlichen Medium betrachtet,
|| 245 Siehe auch Arrivé/Gadet/Galmiche (1986), Artikel «Genre». 246 Diese werden über ihre Funktion definiert; so besitzen die «Marker» laut Lupinko (1990, 189) allgemein eine eher grammatische als semantische Funktion. Dies widerspricht der hier vertretenen Auffassung von grammatischer Bedeutung als einer Art der Semantik einer Sprache, da grammatische und semantische Funktion über eine Inklusionsrelation miteinander in Verbindung stehen insofern, als die Semantik auch grammatische Funktionen einschließt, da «die ganze Sprache per definitionem ‘semantisch’ ist» (Coseriu [1972b]/1987, 88). Daher ist die eigentliche Frage, welche Art der Semantik von der Grammatik erfasst wird. Lupinkos Unterscheidung entspräche im Grunde der zwischen lexikalischer Bedeutung und instrumentaler sowie innerstruktureller Bedeutung, wobei die beiden letztgenannten der «Grammatik» angehören. Den «grammatischen» Markern werden wesentlich zwei Hauptfunktionen zugesprochen: einerseits die Sicherstellung der syntaktischen Kohäsion (etwa über Kasusmarker), andererseits die Herstellung eines Bezugs zur konkreten, Kontext dependenten Aussage (z.B. mittels der Marker für Tempus, Modus und Person). 247 Hinsichtlich des Signifikats (signifié) des Genus markierenden Elements äußert sich Lupinko dahingehend, dass dieser «bien vide» (1990, 189) sei.
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reduziert sich dieser auf eine minimale materielle Form (das ‘stumme’ -e); dieses ist durch Instabilität im Auftreten gekennzeichnet (Vorkommen laut Lupinko (1990, 189) in lediglich 60% der Fälle, cf. marron, jeune etc. ohne Genusvariation; im phonischen Code weisen offensichtlich sogar zwei Drittel der Adjektive keine Genusopposition auf: dure, joli – jolie etc.). Im oralen Medium taucht das Problem auf, dass der hörbare finale Konsonant zum einen variabel, zum anderen nicht prädiktibel ist, woraus Lupinko schließt: «elle [la consonne] ne peut donc être considérée comme la marque du féminin, à moins de considérer qu’il y a cinq ou six marques de féminins associées de manière totalement arbitraire aux adjectifs concernés» (Lupinko 1990, 193), wobei folgende weitere Gründe gegen eine Behandlung des auslautenden Konsonanten als Genusmarker sprechen: 1. Die Introspektion wird einen muttersprachlichen Sprecher dazu veranlassen, den finalen Konsonanten intuitiv eher als der Form des Adjektivs zugehörig zu bewerten und weniger als ein separierbares Genus markierendes Element (der Einfluss der Graphie soll dabei nicht als gegenläufiges Argument gelten). 2 Derselbe Konsonant tritt auch in Ableitungen mit entsprechender adjektivischer Grundlage zu Tage (cf. lentement [lãtmã], grandeur [gʀɑ̃ dœʀ]). 3. Er erscheint auch bei maskulinen Adjektiven in der Liaison (cf. un petit enfant: [œp(ɔ)titãfã]).248 Gehört der auslautende Konsonant der Form des Adjektivs an, verfügt dieses notwendigerweise über zwei Varianten: eine kurze und eine lange. Lupinko (1990, 194) erachtet es als einen «trait spécifique de la morphologie française, que de présenter pour un nombre non négligeable d’unités lexicales (environ 1/3 des adjectifs par exemple) une telle alternance entre formes brèves et formes longues selon le contexte»; dieses Phänomen findet sich (abgesehen von den Adjektiven) auch bei den Verben mit sogenannter Stammerweiterung bzw. zwei Stämmen (im Präsens) wie finir mit der Opposition [fini]/[finis]: je finis, nous finiss-ons, finiss-ant etc.;249 oder bei den Determinanten: ce/cet (vor Vokal) bzw. cette. || 248 An dieser Stelle soll auf phonetische Alternanzen wie der Wechsel von [d] zu [t] in [œgrãtãfã] oder von [s] zu [z] [lep(ə)tizãfã] in der Liaison nicht näher eingegangen werden. 249 Gadet (1992, 53) referiert auf die Opposition zwischen «forme longue» und «forme brève» mit Bezug auf die im français populaire beobachtbare Tendenz zur Vereinheitlichung der drei dominanten Konjugationstypen zugunsten der Gruppe der Verben, deren Infinitiv auf -er endet: «C’est aussi la régularisation du paradigme qui se montre décisive dans la tendance à la réduction des alternances entre forme longue et forme brève». Die Reduktionen der entsprechenden Alternanzen im modernen populären Französisch setzen laut Gadet eine ererbte
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Die kontextuellen Bedingungen, die eine solche Formenvariation erforderlich machen, reduzieren sich zunächst auf den Fall des (potentiellen) Aufeinandertreffens zweier Vokale; allgemein gilt hier die Regel, dass der Hiat nicht erlaubt ist, was eine Konsonant-Vokal-Abfolge mit sich bringt. Der Gebrauch der kurzen oder langen Form ergibt sich daraus, ob ein Konsonant oder Vokal folgt. Dies erklärt zum einen die Liaison ([p(ə)titãfã]), zum anderen die Elision (cf. l’enfant, wobei hier die kurze Form nicht auf Vokal, wie z.B. bei petit, sondern auf Konsonant endet). Hiermit kann aber auch das Auftreten eines Konsonanten, d.h. der langen Formen in der Ableitung mittels Suffixes erklärt werden: grand-eur [gRãdœR]. Lupinko (1990, 194) gelangt auf dieser Grundlage zu folgender tentativen Schlussfolgerung: «Le féminin se marque donc (apparemment) par l’utilisation de la forme longue. Ou plus précisément, le féminin se marque par l’utilisation de la forme longue alors même qu’aucune voyelle ne suit (apparemment): dans [p(ə)titfij], par exemple. Et donc alors même qu’elle n’était pas nécessaire».250
|| Entwicklung fort, die zur Zeit der Standardisierung der Sprache nicht zur Vollendung gekommen sei; vergleiche folgende Variationen zwischen einerseits «stummem e» und Vokal sowie andererseits zwischen Halbvokal und Null: il empaqu’te vs. il empaquète, j’ach(e)trai vs. j’achèterai, vous demanderiez vs. vous demand(e)riez, j’essuye oder il se noye mit hörbarem [j] neben j’essuie und il se noie. Der Ausfall eines stummen e kann zuweilen zu erheblichen Divergenzen zwischen ursprünglicher und populärer Form führen, cf. becter (je becte), wo der ursprüngliche Bezug zu becqueter ‘futtern’ nicht mehr erkennbar ist; oder magne-toi (< manier) mit der Opposition Halbvokal – Null. 250 Cf. Gadet (1992, 58): «Il [le genre, B.K.] est en français aléatoire pour les inanimés, et parfois non motivé pour les animés. Mais la véritable opposition joue de fait entre les mots terminés par une voyelle phonique, dont la plupart sont masculins, et les mots terminés par une consonne phonique (avec ou sans e muet), en majorité du féminin». Gadet fügt folgende weitere «Regel» hinzu: «Un trait également important est l’attaque du mot: en cas d’hésitation, un mot commençant par une voyelle est interprété comme féminin»; diese spiegelt jedoch nur eine je nach Sprecher mehr oder weniger beachtete Orientierung wider. Dennoch repräsentiert sie eine der großen Richtlinien, nach denen die Sprecher des populären Französisch das Genus zuweisen. Beim Auftreten beider motivierender Faktoren, nach denen das français populaire eine Regularisierung zu erreichen versucht, können Genusanpassungen wie die folgenden auftreten: une air, une ulcère, une clope, une grosse légume; un auto, le toux (cf. Gadet 1992, 58). Die Genusanpassung kann in Fällen wie une ulcère auch durch eine archaisierende Aussprache des Artikels bedingt sein, die vor Vokal [yn] lautet. Gewisse Ausdrücke populären Ursprungs untermauern die Tendenz: à la manque etc. Häufig lässt sich das zugewiesene Genus nur über die pronominale Wiederaufnahme identifizieren: renferme bien le café/sinon/l’arôme elle s’échappe (Gadet 1992, 59).
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Wird die Regel der Vokal-Konsonant-Alternanz als gültige Generalisierung akzeptiert, beruht die Genusmarkierung zum Teil auf einer Abweichung von dieser Regel und stellt damit eine Anomalie dar mit der Konsequenz, dass kein Signifikant greifbar ist, der als Träger der Markierung dient, sondern es existiert allein ein markierter Fall (cf. Lupinko 1990, 195). Eine alternative Lösung eröffnet sich über den Rekurs auf das sogenannte «e muet»: Da bei der Femininbildung die lange Form zum Tragen kommt, kann behauptet werden, dass im sich anschließenden Kontext ein Vokal folgen muss; ein Vokal, der im Französischen zuweilen stumm bleibt, aber dennoch vorhanden ist und auf graphischer Ebene als < e > realisiert wird. «On touche là le bout du paradoxe: partis d’une situation totalement différente de l’écrit, on s’aperçoit que le marquage du féminin à l’oral contrairement à l’apparence s’aligne sur l’écrit: à l’oral comme à l’écrit, c’est le e muet qui marque le féminin» (Lupinko 1990, 195). Daraus folgt, dass im code oral die lange Form vor diesem (nicht-existenten) Vokal die regelmäßige darstellt; dies erklärt ferner, dass dieses «e muet» in gewissen Mundarten (oder bei der Rezitation von Lyrik) zuweilen hörbar wird: [ynəpətitəfij]. Aus der Annahme einer Markiertheitsrelation beim Genus im Französischen folgt mit Blick auf das Maskulinum, dass «le masculin comme marque n’existe pas (il se pourrait qu’il existe comme genre lexical […]), ce n’est pas une catégorie de la langue» (Lupinko 1990, 190). So lässt sich annehmen, dass etwa die maskuline Form des definiten Artikels le (im Singular) die unmarkierte Variante darstellt, das feminine Pendant la die markierte (vergleiche den «maskulinen» sog. «Partitiv» du aus der Fusion von de + le, d.h. das -u bildet kein eigenes Kennzeichen des Maskulinums; genauso wenig existiert ein solches beim «maskulinen» Possessiv mon, wo lediglich ein Rest einer possessiven Basis erhalten ist, wie sie auch in mien vorkommt). Marker sind stets im System einer Markiertheitsopposition (markiert – nicht-markiert) zu betrachten; so bildet das jeweils unmarkierte Glied das Maskulinum für die Kategorie Genus, der Singular für die des Numerus, das Präsens mit Bezug auf die Kategorie Tempus, der Indikativ hinsichtlich des Modus, die dritte Person (als «Nicht-Person») innerhalb des Personalsystems. Wie bereits in der Paragrammatik muss an dieser Stelle auch für die Grammatik die Möglichkeit thematisiert werden, vom Konzept des Nullmorphems Gebrauch zu machen (siehe Kap. 5.4.3). Das Maskulinum wäre entsprechend durch ein Nullmorphem gekennzeichnet; allerdings trifft man hier auf die weder einfach zu umgehende noch leicht zu lösende Problematik der Kumulation der Nullmorpheme.251 Fer-
|| 251 Die Verbalform chante in il chante würde die Annahme von bis zu vier sich kumulierender Nullmorpheme erforderlich machen, die dem Ausdruck von Person (sofern von den pronoms
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ner wird damit nicht berücksichtigt, dass die Markiertheitsrelation eine in verschiedenen Systembereichen rekurrente Erscheinung darstellt. An Stelle der Annahme eines Nullmorphems sieht Lupinko die Lösung bereits in der Konzeption der Markiertheitstheorie begründet. Danach existiert laut Lupinko keine sprachliche Kategorie, die dem Maskulin dergestalt entspräche, dass dem Inhalt auch eine Form zugeordnet werden könnte. Die Autorin geht allerdings noch weiter, indem sie folgendes feststellt: «Il n’y a […] pas de marques de genre sur les noms […] Car il n’y a […] pas de choix quant au genre des noms» (1990, 190).252 Aus dieser Haltung heraus erklärt sich auch die Feststellung, dass das Maskulinum keine grammatische Kategorie des Französischen darstelle; das Genus der Substantive im Französischen erscheint laut Lupinko nämlich als «fixé par le lexique» und tritt daher allenfalls als ein «genre lexical» in Erscheinung (1990, 190). Dies bedeutet, dass die traditionell als grammatisches Genus dem natürlichen Genus gegenübergestellte Kategorie bei Lupinko als lexikalisches Genus erscheint. Die Begründung für diese Sichtweise stellt erneut eine Konsequenz aus einer Haltung dar, die von der Markiertheitstheorie ihren wesentlichen Impetus empfängt: «Il faut donc bien distinguer entre la question du genre lexical (qui n’est pas une marque, mais une catégorie, attribuée aux noms dans le lexique), et celle des marques de genre (qui sont des marques de féminin, portées sur certaines parties du discours adjacentes au nom)» (Lupinko 1990, 191). Auf diesem Hintergrund erfüllt die Kategorie des grammatischen Genus nicht nur die Funktion, die interne Kohäsion der Nominalgruppe auf syntaktischer Ebene zu gewährleisten, sondern dient auch der Herstellung eines eindeutigen referentiellen Bezuges. Lupinko fügt beiden Funktionen eine weitere Rolle als «procédé de catégorisation lexicale» (im Rahmen ihrer Konzeption des «genre lexical») hinzu und schließt daher (1990, 193): «on conçoit qu’il soit difficile de parler de signifié pour le genre». Da das «genre lexical» auf Grund seines rein arbiträren Charakters auch keine systematische sprachliche Funk-
|| personnels conjoints einmal abgesehen wird), Numerus, Tempus und Modus dienten (cf. Lupinko 1990, 190; Weidenbusch 1993, 61–64; Geckeler/Dietrich 1995, 84–85). 252 So wird ein Nomen wie table, maison im Französischen durch keine materiellen Marker als Feminin ausgewiesen. Davon ausgenommen sind, was Lupinko lediglich als «quelques cas bien répertoriés» bezeichnet; diese umfassen allgemein «des noms référant à des humains ou assimilés: animaux domestiques par exemple, par opposition aux animaux éloignés de l’homme» (Lupinko 1990, 190), also etwa Paare wie prince/princesse, chat/chatte etc.
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tion erfüllt, kann gefolgert werden, dass «[l]e genre lexical n’a en général pas de sens» (Lupinko 1990, 192).253 Der funktionelle Wert des Genus beruht also im Grunde auf denjenigen Fällen, in denen eine auf Bezeichnungsebene zumindest teilweise generalisierbare Strukturierung254 erkennbar ist, was in den europäischen Sprachen dann gegeben ist, wenn das Genus auf das Sexus verweist, auch wenn diese Klasse der Nomina (Menschen und menschennahe Lebewesen) einen im Vergleich zu den anderen Nomina quantitativ geringeren Anteil ausmacht (auszunehmen sind hier Bezeichnungen für menschliche oder auch tierische Lebewesen wie une sentinelle, un mannequin etc., in denen Genus und Sexus konfligieren). Trotz || 253 Die Frage, inwieweit sich die Genera in den (indoeuropäischen) Sprachen mit einer Bedeutung verbinden, wird auch in Skalička (1965b, 63–67) problematisiert; Skalička nimmt zwei Klassen von «absurden Einheiten» in den Sprachen an: solche ohne Bedeutung (z.B. die Deklinationen wie die lat. «erste», «zweite», «dritte» etc. Deklination und die Konjugationen) und solche, die zwar eine Bedeutung besitzen, die aber «in den Zusammenhang nicht passt» (1965b, 65), so bei den nominalen Genera der indoeuropäischen Sprachen. Dabei werden das Maskulinum und das Femininum als teilweise «überflüssige» Einheiten (cf. Mann – Frau, Lehrer – Lehrerin, Esel – Eselin) sowie als teilweise absurde Mittel der Klassifikation (Mond – Sonne) charakterisiert. Gemeint ist hier also das grammatische Genus. (Als wichtig stellt sich der Bezug zum natürlichen Geschlecht bzw. zur außersprachlichen Wirklichkeit heraus.) Nur in der Funktion als reine Instrumente der Klassifikation kann den Genera eine Bedeutung in gewissem Sinne abgesprochen werden, so etwa hinsichtlich des Neutrums; allerdings kann die Frage, ob das Neutrum eine Bedeutung besitzt oder nicht, nicht für alle Sprachen einheitlich beantwortet werden. So repräsentiert das Neutrum vielfach, wie etwa im Lateinischen, das typische Genus der Sachen; in anderen Sprachen, z.B. dem Tschechischen, dient das Neutrum auch zur Kennzeichnung der unreifen Wesen (cf. tsch. dítě ‘Kind’, kotě ‘Katzenjunges’), im Deutschen wiederum verbinden sich die Diminutiva mit dem Neutrum. 254 Die verschiedenen Sprachen verfügen über eine unterschiedliche Zahl an Genera (neben das Maskulinum und Femininum tritt im Lateinischen oder Altenglischen das Neutrum, in anderen Sprachen fehlen diese). Andere Sprachen (etwa die Gruppe der Bantusprachen) nehmen eine Kategorisierung nach Substantivklassen vor, die mit den Genera vergleichbar sind oder diese einschließen und deren Zahl mitunter weit größer ist (so besitzt das Suaheli acht nominale Klassen, die jeweils gegliedert sind nach: I: Personennamen; II: Namen für Bäume und Pflanzen und daraus gefertigten Gegenständen; III: Tiernamen, Fremdwörter, Namen für Früchte; IV: Substantiven zur Bezeichnung von Gegenständen, Werkzeugen, Sprachen, Sitten, der Art und Weise, der Diminutiva u.a.; V: abstrakten Begriffen, paarweise in Erscheinung tretenden Gegenständen wie Körperteilen, Früchten, Flüssigkeiten und anderen Stoffen, Augmentativa u.a.; VI: Abstrakta; (VII: umfasst nur zwei Substantive); VIII: Infinitiven). Trotz des auffälligen Unterschieds zwischen den Genera der indoeuropäischen Sprachen und den Substantivklassen der Bantusprachen lassen sich Affinitäten zwischen diesen feststellen: So ähnelt der Gegensatz zwischen Maskulinum und Femininum einerseits und Neutrum andererseits dem Kontrast zwischen der I. Klasse des Suaheli (cf. Msuaheli ‘der Suaheli’) und der IV. Klasse (cf. kisuaheli ‘das Suaheli’) (siehe ausführlich Skalička [1945]/1979, 198–237).
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gewisser übereinzelsprachlicher Divergenzen scheint dennoch eine allgemeine Aussage bezüglich der Strukturierung des Lexikons mittels des Genus konstatierbar; danach beruht diese auf «toujours cette même configuration assez particulière: un noyau plus ou moins porteur d’investissement référentiel – celui-ci étant semble-t-il lié à des catégories cruciales du découpage physico-culturel de l’univers −, dans un ensemble reposant sur des bases globalement formelles qui servent de principe structurant à l’organisation du lexique» (Lupinko 1990, 192). Im Französischen scheint die Differenzierung von Maskulinum und Femininum insgesamt gut etabliert bis hin zum populären Französisch, dem mit Bezug auf die prospektive Entwicklung der Sprache eine gewisse wegweisende Aussagekraft zugeschrieben wird, da hier normierende Kräfte zum Teil in nur abgemildeter Form greifen. So attestiert Gadet (1992, 59) dem populären Französisch eine «tendance très forte» zur Aufrechterhaltung der Genusopposition, die sogar so weit geht, dass zu Substantiven ohne hörbare feminine Form eine zusätzliche, als feminin erkennbare Form geschaffen wird wie in bleu – bleuse nach dem Muster creux – creuse. Im Gros der Fälle dienen Paare wie sot – sotte als Vorbild für die Bildung des Femininums, so etwa in rigolo – rigolote, chou – choute, riquiqui – riquiquite etc. (bei Nominalisierung mit Bezug zum natürlichen Geschlecht). Entsprechend werden bestimmte produktive Suffixe des Französischen zur Neubildung des Femininums eingesetzt (wobei die Bildungen von spezifischen semantischen Entwicklungen begleitet sein können): typesse ‘Weibsbild’, chefesse oder gonzesse, dabesse, abgeleitet jeweils von type, chef, gonze ‘gars, homme, type’ und dab ‘père’ im Argot. Dabei kommen auch Reanalysen zum Tragen, etwa beim attributiven Adjektiv (adjectif épithète). Hier wird im français populaire die Variation zwischen Maskulin und Feminin dadurch aufrechterhalten, dass beispielsweise pécuniaire als die feminine Form interpretiert wird, zu der eine analogische maskuline pécunier neu geschaffen wird. In ähnlicher Weise reanalysiert werden auch Adjektive des Typs avare, dem etwa ein Suffix -ard zugeschrieben wird (av-ard) mit avarde als zugehöriger femininer Form (analog bizarde zu bizarre, ignarde zu ignare etc.); partisan wiederum, das als Partizip Präsens aufgefasst wird, führt zu einer Form partisante etc. (cf. Gadet 1992, 59). Im Unterschied zum attributiv gebrauchten Adjektiv tendiert das prädikative Adjektiv des populären Französisch zur Invariabilität: l’homme et la femme ils sont normal (eventuell mit Regularisierung des Plurals); dieser Gebrauch kann durch Adverbien oder adverbiale Ausdrücke wie très, trop oder comme tout verstärkt werden (elle est gros comme tout). Zuweilen kann aber auch hier eine Genusanpassung erfolgen: c’est elle qui est la mieux habillée; celle qui se
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lève la plus tard; qu’est-ce qu’elle est belle en verte; elle est habillée courte; j’ai toujours marché droite etc. (cf. Gadet 1992, 60).255
5.5.2 Typologische Deutung 5.5.2.1 Invariabilität des Wortes Der Verfahrenstyp, der für das Französische auf Grund seiner isolierenden Strukturkomponente als eigentlicher Typus verstärkend im Bereich der Genusmarkierung zu betrachten ist, greift auf eine wesentliche Eigenschaft dieses holistisch gedachten morphologischen Strukturtyps zurück: Die (im Rahmen des Konstruktes hypothetisch als Idealfall gesetzte) Unveränderlichkeit des Wortes; dieses vermag seine Funktion im Satz bzw. zugehörige grammatische Determinierungen auf Grund der Abwesenheit entsprechender formaler Eigenschaften (abgesehen von seiner relativen Stellung im Satz) nicht preiszugeben (dies wiederum ist Prämisse für die Existenz des Wortes als autonome grammatische Schicht). Auf dem Hintergrund dieser wesentlichen typuskonstitutiven Eigenschaft wird auch das Funktionieren des Paradigmas als eines «Syntagmenparadigmas» deutlich. So kommt die Genusopposition zwischen Maskulinum und Femininum im Französischen erst über die Kombination von auf syntagmatischer Ebene funktionierenden Morphemwörtern (namentlich Artikel und Demonstrativ- bzw. Possessivpronomina) mit einem (morphologisch invarianten) Lexem zustande. So entsteht eine Kombination zweier «isolierter», d.h. von anderen Elementen des Satzes idealiter unabhängigen256 Elementen, wie sie dem isolierenden Konstrukt entspricht.
|| 255 Dass der Accord des Participe passé mit avoir in der gesprochenen Sprache kaum mehr eingehalten wird (les choses qu’on s’est dit), muss weniger den Idiosynkrasien des français populaire als der gesprochenen Sprache per se zugeschrieben werden. Weitere, nicht speziell populäre Züge sind folgende beide Ausnahmen zur Kongruenz zwischen Subjekt und Verb, deren Regeln im Allgemeinen eingehalten werden: (i) semantische Angleichung wie in tout le monde sont venus, wo das Subjekt grammatikalisch mit einem Verb im Singular kongruiert, logisch aber den Plural zulässt, da eine Personengruppe bezeichnet wird); (ii) sequenzieller Accord: Kongruenz mit dem dem Verb unmittelbar vorausgehenden Element, unabhängig von dessen Funktion (vor allem in der geschriebenen Sprache). Vergleiche Fälle des français populaire wie lui et moi sont d’accord, in denen die Personenkongruenz die dritte Person beim Verb (sont) erfordert und nicht die erste (lui et moi sommes d’accord). Allerdings wird die Konstruktion mit pronominaler Wiederaufnahme bevorzugt: lui et moi/on est tombés d’accord. 256 Die Determinanten des Französischen zeigen in Graphie und Aussprache vielfach eine eigene «sekundäre» Flexion (cf. un témoin : une attestation, cet expert : cette expertise etc.); auf das Englische trifft dagegen das Merkmal der Isolation eindeutiger zu.
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Das Verfahren der syntagmatischen (externen) Markierung kommt vornehmlich dort zum Tragen,257 wo das geschriebene Wort auf -e auslautet (abgesehen von separaten femininen Formen wie Suffixableitungen auf -esse etc.): Hier fallen feminine und maskuline Variante in Graphie und Aussprache zusammen, und die Genusvariation kommt allein über die externe Markierung zum Tragen: un élève − une élève, d.h. das grammatische Genus reflektiert das Sexus (allgemein bei Personen- und Berufs- bzw. Funktionsbezeichnungen). Diesem Verfahrenstyp der Genusmarkierung gehören etwa folgende Wörter an: acolyte, acrobate, adepte, adulte, adultère, aide, apatride, arbitre, athlète, avare, aveugle, bandagiste, bigame, camarade, centenaire, cinéaste, collègue, communiste, comparse, compatriote, complice, concierge, condisciple,258 convive, créole, dactylographe,259 disciple, domestique, élève, émule,260 énergumène, esclave, garde, gosse,261 hérétique, hôte,262 hypocrite, imbécile, interprète, malade, môme (fam. ou pop.), myope, novice, [otage], patriote, philosophe, photographe, pique-assiette, pupille etc. (cf. Grevisse 1993, §480). Zu dieser Gruppe an Nomina, die sich durch Invariabilität unabhängig vom Gebrauch im Maskulinum oder Femininum auszeichnen, lässt sich ferner die Mehrheit der mittels der Suffixe -aire (adversaire, bibliothécaire, célibataire, centenaire, fonctionnaire, libraire, locataire, partenaire, pensionnaire, propriétaire, secrétaire etc.) und -iste (artiste, bandagiste, chimiste, communiste, conformiste, copiste, cycliste, dentiste, journaliste, pianiste, terroriste, touriste, violoniste etc.) gebildeten Nomina zuordnen.
|| 257 Die «noms épicènes» des Französischen, die unabhängig vom bezeichneten Geschlecht nur über ein Genus verfügen (z.B. un otage, un témoin, un usager etc.) und daher zwar ein grammatisches Genus kennen, aber in Bezug auf das natürliche Geschlecht keine Differenzierung vornehmen, verhalten sich wie die Inanimata, die für Kategorien wie Numerus und Kasus durch ebenfalls externe, syntagmatische Markierungen gekennzeichnet werden. Gewisse auf -e auslautende maskuline Substantive werden zuweilen als Femina gebraucht: ancêtre, ange, capitaine, guide, ilote, lâche (cf. Grevisse 1993, §480, Rem. 3). 258 Condisciple wird von der Akademie und dem P.R. s.v. allein als maskulin ausgewiesen, wird aber gängig auch als feminine Form gebraucht (cf. Grevisse 1986, 806, §480). 259 Die volle Form dactylographe erscheint im P.R. als vieux markiert; stattdessen wird die Kürzung dactylo grundsätzlich bevorzugt mit hauptsächlicher berufsspezifisch bedingter Referenz auf Frauen, so dass auch bei Bezug auf eine männliche Person in der Regel die feminine Form bewahrt wird. Als Maskulinum verwendet (un dactylo) scheint dactylo(graphe) somit weniger akzeptabel, ist dagegen unproblematisch in prädikativer Stellung ohne Determinant mit Bezug auf einen Mann: Êtes-vous dactylo? – Il est dactylo (cf. P.R. s.v.). 260 Zuweilen als feminine Form mit Referenz auf eine männliche Person verwandt. 261 Mit femininer Form gosseline im français populaire. 262 Zur Bezeichnung eines weiblichen Gastes wird hôte verwendet, für die Gastgeberin hôtesse.
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Hinzu kommen Ethnika wie Belge, Madrilène, Russe etc., wobei vor allen Dingen solche Namen erwähnenswert sind, die nicht-europäische Völker bezeichnen und sich auf Grund der sprachspezifischen morphologischen Merkmale, genauer der Endung (so vor allem -o und -a) nicht für die Genusmarkierung des Französischen (namentlich durch Anfügung eines finalen -e) eignen; diese werden als solche ohne weitere Veränderung als Femina gebraucht (cf. Grevisse 1993, §481, c; §544, c): une Viking, une Ouolof, une Sioux, une Peau-Rouge, une Alur, une Ouled-Naïl. Auch Nivellierungen von historisch gegebenen Genusdifferenzierungen am Substantiv selbst können auftreten: So wird die einstige Genusopposition zwischen un esquimau und une esquimaude durch eine invariante Form esquimau oder eskimo, die durch Einsatz von Determinanten als maskuline oder feminine Form fungieren kann, verdrängt (cf. Grevisse 1993, §481, c).263 Auch gewisse auf -e endende Vornamen wie Camille, Claude, Dominique können zur Disambiguierung bezüglich der Genuszugehörigkeit syntagmatischer Mittel wie koreferentieller Pronomina etc. bedürfen, sofern die Identität der bezeichneten Person nicht bekannt ist oder aus dem Kontext nicht erschlossen werden kann. In der gesprochenen Sprache können hier gegebenenfalls auch Kongruenzphänomene keine Eindeutigkeit schaffen: «[…] note DOMINIQUE Dimier, déléguÉE FO, syndicat majoritaire dans l’entreprise» (Le Monde, 17/09/2002, IX). Ebenso verhält es sich bei Familiennamen, wenn diesen kein Vorname oder Titel vorausgeht. Auch hier dienen externe Mittel, z.B. isolierte Adjektive, zur Genusdifferenzierung: une certaine Dubois; Bovary [= Mme Bovary] est idiote (cf. Grevisse 1993, §428, c; cf. auch §481, b). Bei einer weiteren Gruppe von Substantiven wird das Maskulinum mit femininen externen Markierungen verwendet (abgesehen von den genannten ethnischen Namen nicht-französischen Ursprungs sowie den Eigennamen, die kein finales -e aufweisen): enfant, grognon, ronchon (cf. ronchonneur, ronchonneuse), snob,264 soprano,265 neben gewissen Bildungen (Konversionen bzw.
|| 263 In der Alltagssprache werden die adjektivisch gebrauchten ethnischen Namen allerdings häufig an den Numerus und, sofern möglich, an das Genus des Substantivs angepasst (cf. Grevisse 1993, §544, c): bantoue, bantous, bantoues; esquimaux, esquimaude, esquimaudes etc. 264 Veraltet auch une snobinette für une snob; snobette kommt selten vor (cf. Grevisse 1993, §481, a). 265 Soprano ist maskulin, wenn es die Stimmlage einer Person bezeichnet, kann aber auch bei Referenz auf eine Frau, die eine solche Stimmlage besitzt, als Maskulinum bewahrt werden: Mlle X est un soprano léger; allerdings auch Mlle Falcon était une remarquable soprano (siehe auch die Beispiele in P.R. s.v.: une soprano lyrique, une soprano dramatique sowie Grevisse
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Komposita; cf. Kap. 5.4.4.6, 5.4.4.7; 11.4) wie brise-fer, brise-tout,266 touche-àtout, sans-cœur, sans-souci, rien du tout, pied-noir, va-nu-pieds (oder vanupied).267 Schwankender Usus herrscht bei Referenz auf eine Frau zwischen un poison und une poison268 sowie bei un tatillon neben une tatillonne.269 Ferner werden gewisse Substantive, vor allen Dingen Berufsbezeichnungen (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°), die in der Gemeinsprache selbst mit Bezug auf Frauen usuell als Maskulina verwendet werden, im Sprachgebrauch des français familier oder français populaire ohne weiteres mit femininen Determinanten verwendet: une chef, une professeur etc. (cf. Grevisse 1993, §481, e). 5.5.2.2 Hinzutreten eines (sekundär flektierten) Suffixes Das auf vlat. -ISSA griechischen Ursprungs zurückgehende Suffix -esse diente im Afrz. systematisch zur Bezeichnung weiblicher Lebewesen (cf. geläufiges singesse). In der heutigen Gemeinsprache kennzeichnet -esse weibliche Wesen, wobei als Grundlage folgende Maskulina eintreten, ohne dass diese eine Modifikation erfahren (abgesehen vom Wegfall des auslautenden -e): âne, borgne, bougre (fam.), chanoine, clown,270 comte, contremaître,271 diable, drôle, druide, faune, gonze (sehr fam.), pair, ivrogne, maître, mulâtre, notaire,272 ogre, pair, pape (la papesse Jeanne), prêtre, prince, quaker,273 Suisse, tigre, traître, type (fam.), vicomte. Die nachstehenden Movierungen (Kap. 5.4.4; 5.6), die nicht allein auf dem Genus (ohne abgrenzbare Signifiant – Signifié-Verbindung wie im Falle von Baum- und Fruchtbezeichnungen) beruhen, sondern explizite Ableitungen der weiblichen (selten der männlichen) Personenbezeichnung darstellen, sind sehr
|| 1993, §476, a zu alto und contralto). Dagegen nur un sopraniste trotz des hinsichtlich der Kategorie Genus häufig polyvalenten Suffixes -iste. 266 In der Regel werden brise-fer und brise-tout von den Wörterbüchern als Maskulina behandelt; das Femininum ist aber nicht ausgeschlossen. 267 Nur als Femininum une marie-couche-toi-là. 268 Der Genusgebrauch ist hier (nach Grevisse 1993, §481, d, Anm. 10) unabhängig vom bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts vorherrschenden femininen Genus des Wortes poison (< lat. POTIO) ‘Gift’ zu sehen. 269 Zu laideron und souillon cf. Grevisse (1993, §476, a, Rem.). Die Akademie gibt une brouillonne vor, es findet sich aber auch une brouillon (cf. Grevisse 1993, §481, d). 270 Un clown [klun], une clownesse [klunɛs]. 271 Une contremaîtresse, zuweilen une contredame. 272 Die matrimonielle Movierung qua Suffix in notairesse ‘femme de notaire’ (mit Variante notaresse) gehört nicht mehr der aktuellen Gemeinsprache des Französischen an. 273 Un quaker [kwεkœR], une quakeresse [kwεkRεs].
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selten oder zum Teil archaisch und in der Regel nicht mehr im R.P. (1991/2004/2009) verzeichnet; mit Hilfe des Suffixes -esse werden gebildet: apothicairesse, bonzesse (oder bonzelle) (archaisierend ‘religieuse bouddhiste’), câpresse, félibresse zu félibre274 ‘écrivain, poète de langue d’oc’, jésuitesse zu jésuite, ladresse zu ladre (obsolet oder lit.) ‘avare, grigou’ (cf. adjektivisch: «elle est un peu ladre»), merlesse (alte Form zu merlette:275 ‘femelle du merle’), minimesse zu minime ‘religieux, religieuse de l’ordre monastique fondé par saint François de Paule (XVe)’, ministresse,276 moinesse,277 piffresse, satyresse, seigneuresse,278 stewardesse (oder -ess) (in der Regel tritt als dissoziative weibliche Funktionsbezeichnung hôtesse ein), Turquesse, vidamesse. 5.5.2.3 Das typisch isolierende Verfahren Als eine dem isolierenden Typus mit am besten eignende Genusmarkierung (abgesehen vom Typ des nur durch externe Determinierungen am per se invarianten Nomen kenntlich gemachten Genus, z.B. un, une élève) kann eine solche angesehen werden, die das Genus nicht über agglutinierende (mask. écrivain, agglutinierend auch une écriv-ain-e) und eventuell flektierende Morphologie zum Ausdruck bringt (chanteur – chanteuse), sondern rein lexikalisch, d.h. durch ein eigenes isoliertes Wort – ein Verfahren, wie es sich im Englischen in Bildungen wie girl-friend, she-dog, saleswoman/chairwoman/congresswoman, lady doctor/lady policeman realisiert findet und potentiell zur Genusmarkierung jederzeit zur Verfügung steht.279 Die bei der Genusmarkierung zur Anwendung
|| 274 Félibre < provenzalisch, von Mistral 1854 aufgegriffen, vielleicht von vlat. FELLEBRIS ‘nourisson (des muses)’, von FELLARE ‘sucer, téter’. 275 Die Form merlette kommt selten vor, eventuell auch in der Wappenkunde (cf. Grevisse 1993, §474, a sowie P.R. s.v.). 276 Als okkasionelle Form gebraucht (cf. Grevisse 1993, §476, b). 277 Cf. Grevisse 1993, §490. 278 Cf. Grevisse 1993, §489, c, Hist. 279 Die Tendenz geht (vor allem in den USA) allerdings hin zu einem de-gendering, also einer Ersetzung jeglicher das Sexus preisgebenden Benennung (vor allem für Berufe) durch Gender neutrale. So weicht die stewardess dem/der flight attendant, eine policewoman dem/der(?) police officer und WPC (Woman Police Constable) verliert das Attribut «weiblich», so dass PC Brown eine weibliche oder männliche Person bezeichnen kann. Für hostess kann Gender unmarkiertes host eintreten. Ebenso ist, wessen Sprache als «political correct» gelten soll, angehalten, fireman oder firewoman durch neutrales firefighter (cf. demgegenüber das flektierte prolexematische Suffix -eur, -euse des Französischen) zu ersetzen etc. Diese Entwicklung führt analog zur Verwendung von chairperson, salesperson etc. für die entsprechenden Komposita mit woman/man. Ähnliche Ersetzungen: post person, letter carrier (postwoman, postman); fisherperson/fisher (fisherman, fisherwoman). Die Sprachstruktur des Englischen, dessen Artikel (a/the)
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kommenden Verfahren gehören damit nicht nur der Movierung mittels Flexion und Agglutination an, sondern auch der Komposition. Im Französischen existiert eine ähnliche Technik der Genusmarkierung, die allerdings nur sporadisch zum Zuge kommt, und zwar dort, wo das Femininum in der Graphie (in Form einer Endung des Typs figlio – figlia, amico – amica im Falle der Movierung), nicht aber im phonischen Code über eine separate Form verfügt und daher im Falle der pragmatischen Notwendigkeit zur Disambiguierung, d.h. der Klarstellung, ob Referenz auf eine weibliche oder männliche Person vorliegt, über alternative Mittel verdeutlicht werden muss wie in den folgenden Beispielen: Je pleure, en ne m’interrompant que pour dire à Paul: ‘Je n’ai pas d’amie’ […]; mais le chagrin de mon petit frère me fait préciser: ‘Je n’ai pas d’amie fille.’ – Je trouve dommage que David n’ait pas plus d’amis hommes […] que d’amies femmes. (Grevisse 1993, §479, Rem. 1.) 5.5.2.4 Typologisch relevante Muster der Genusmarkierung Angesprochen sind Bildungen des Typs amie fille, amis hommes; auf die Frage, wie diese im Französischen zu interpretieren sind – und ob es sich hierbei um Bildungen eines eigentlichen Kompositionstyps280 handelt –, wird im Folgenden näher einzugehen sein (cf. dazu insbesondere Noailly 1990281). Vorwegnehmen
|| sich gegenüber der Kategorie Sexus neutral verhalten, ermöglicht solche sprachpolitischen Anpassungen: Suffigierungen wie author-ess, manager-ess, (comedian – ) comedienne werden zusehends durch andere Wortbildungsverfahren (lexematische Komposition) ersetzt oder die Suffigierung zwecks Genusmarkierung gänzlich aufgegeben (host). 280 Nach der in Rohrer (1967/1977) vorgenommenen Klassifikation, die an den syntaktischen Funktionen der Glieder einer Substantiv-Substantiv-Verbindung orientiert ist, könnte bei amie fille ein Kompositionstyp angenommen werden, wie er von Rohrer ([1967]/1977, 73ss.) als Typ «fille-mère ← la fille est mère» dargestellt wird (Typ: «sujet-attribut» der Prädikatkomposita; die verschiedenen inhaltlichen Untertypen – neben dem genannten Typ unterscheidet Rohrer den Fall «nœud papillon ← le noeud est comme un papillon», so femme-automate etc. – sollen nicht weiter vertieft werden, es sei nur vermerkt, dass Rohrer die Qualifikation (unter die bei Noailly beide genannten, von Rohrer differenzierten Typen subsumiert werden) nicht von der Koordination trennt, wie dies systematisch bei Noailly geschieht (cf. Noailly 1990, 37–38). Unter den genannten Typ des Musters «sujet-attribut» fallen dann allgemein Bildungen wie champion adolescent, christ-homme, diplomate-playboy, enfant-dieu, enfant poète, garçon-père, homme lige, instituteur bachelier, mari-célibataire, roi chevalier, garçon-brasseur, garçon épicier etc. 281 Im Rahmen der von Noailly (1990) unternommenen Studie zum «substantif épithète» im Französischen läge nach ihrer Interpretation bei soldat père, fille-mère und analogen Fällen der als qualifizierend zu bezeichnende Typ vor (cf. meine Analyse Kap. 5.5.2.6); diesem entspricht als Paraphrase eine Umschreibung mittels eines Attributsatzes (Relativsatz) gemäß dem Typ une fille qui est mère (als Zwischenstufe der Klausel im Zuge der Subordination zu fille-mère), innerhalb
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möchte ich, dass der Typ père soldat282 und andere Substantiv-SubstantivVerbindungen283 seit den letzten einhundert Jahren in einem zuvor unbekannten Maße zur Verfügung stehen (cf. Rohrer 1967/[1977], 75),284 wobei allerdings die verschiedenen substantivischen Kombinationstypen (bzw. alternative Bildungen zu Substantiv-Substantiv-Verbindungen, genauer präpositionale Fügungen und Bildungen mit Relationsadjektiven) bezüglich ihres Vorkommens
|| dessen mère über die Prädikation mit être eine prädikative Funktion ausübt. In der Konstruktion fille-mère dagegen fungiert mère als Epitheton, d.h. als Attribut. Im diskutierten Fall stellt sich die Frage, ob die funktionelle Opposition zwischen la fille qui est mère und fille-mère über die attributive Funktion des Relativsatzes als Ganzem in der Paraphrase gewahrt ist oder nicht. 282 Die Klassifikation nach den syntaktischen Funktionen der Elemente einer SubstantivSubstantiv-Verbindung im Rahmen eines syntaktischen Ansatzes operiert mit Termini wie Subjekt, «Prädikatsnomen» (bzw. «attribut» im Französischen) etc., so dass der Konstruktionstyp fille-mère als den Prädikatskomposita zugehörig erscheint. Irreführend ist es jedoch, wenn mit der syntaktischen eine rein formale Klassifizierung als «Attributivkomposita» einhergeht: Hier begegnet erneut das Paradox des formalen Vorliegens einer Substantiv-Substantiv-Verbindung, wobei ein Element als Attribut (frz. «épithète») fungiert, das im zugrunde liegenden Satz (oder auch in der Paraphrase, die allerdings nicht mit der syntaktischen Struktur als identisch gewertet werden kann) in Form eines Prädikats gegeben ist (siehe aber die vorhergehende Anmerkung). 283 Typologisch (bzw. in einer Wortbildungsstudie) gesondert zu behandeln und zu interpretieren wäre ferner der Typ der koordinierenden Substantiv-Substantiv-Komposita, der dem Muster mixeur-batteur, moissonneuse-lieuse, librairie-papeterie folgt, dessen Vertreter insofern eine genuin additive Struktur aufweisen und sich somit vom koordinierenden Typ jupe-culotte, tablier-robe, porte-fenêtre mit binärer Struktur absetzen, als sie im Prinzip für die Anfügung eines oder auch mehrerer weiterer Elemente offen sind. Die Fähigkeit zur Bildung von mehr als zweigliedrigen Kombinationen kann als eine für das Französische idiosynkratische strukturelle Möglichkeit betrachtet werden (cf. Wandruszka 1972, 147), cf. faucheuse-hâcheuse-chargeuse, laveur-graisseur-serviceman, bar-buffet-desserte. Auch Noailly geht auf die mehrgliedrigen substantivischen Verbindungen des Französischen im Rahmen der Koordination ein (cf. Noailly 1990, 65ss.). Die typologische Analyse kann hier auf Unterschiede zu den Komposita des so kompositionspotenten Deutschen aufmerksam machen, wobei sich erstaunlicherweise eine Parallele zwischen dem Französischen und dem noch stärker isolierenden Englischen und nicht zwischen den genealogisch verwandten Sprachen Deutsch und Englisch aufzeigen lässt: «Im Deutschen z.B. sind dreigliedrige Komposita dieser Form nicht üblich. Zweigliedrige Bildungen werden, zumal wenn es sich um nomina agentis handelt, häufig durch eine Verbindung formal nicht gleichartiger Konstituenten wiedergegeben, faucheuse-batteuse nicht als *Mäherdrescher, sondern Mähdrescher, peintredécorateur nicht *Dekorateurmaler, sondern Dekorationsmaler, chasseur-bombardier nicht *Jägerbomber, sondern Jagdbomber; cf. aber englisch fighter plane, fighter bomber – Kampfflugzeug» (Wandruszka 1972, 147, Anm. 1). 284 So heißt es bezüglich des Typs der prädikativen (Substantiv-Substantiv-)Komposita, die einen Vergleich implizieren (z.B. frz. homme-serpent): «Die Produktivität dieses Typs kennt fast keine Grenzen» (Rohrer 1967/[1977], 75).
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innerhalb der Varietäten bzw. die jeweils einzelsprachlich gegebenen Realisierungsmöglichkeiten innerhalb der romanischen Sprachfamilie differenzierter zu betrachten wären.285 Die Frage der Kontinuität seit lateinischer Zeit wiederum erscheint zumindest fraglich (cf. genauer Lüdtke 1996, 268). Dabei zeichnet sich dieser Typ gerade dadurch aus, dass er in der Regel nicht unter den lexikalisierten Elementen zu finden ist, sondern die Bildungen ad hoc gemäß dem in der Kommunikationssituation aufkommenden Bezeichnungsbedürfnis entstehen, so dass gerade aus der Sicht des schöpferischen Prozesses der Bildung (der Synthese) von einem eigentlichen Verfahren gesprochen werden kann. Im zur Diskussion stehenden Fall beruht die Motivation des Verfahrens auf der Notwendigkeit der Genusspezifikation (cf. Grevisse 1993, §491). Ungeachtet der Frage, ob Kombinationen wie amie fille, amis hommes etc. hinsichtlich des zugrunde liegenden Verfahrens analog zu den SubstantivSubstantiv-Verbindungen des qualifizierenden Typs zu interpretieren sind oder nicht, beziehen diese ihre Motivation daraus, dass die bereits vorliegende Movierung (ami, amie), die hier historisch-genealogisch verankert ist, eine Genusdifferenzierung im phonischen Code nicht hörbar zu Tage treten lässt, so dass alternative Mittel zur Genusmarkierung herangezogen werden müssen. Zu diesem Zweck wird im genannten Fall auf eine Bezeichnung zurückgegriffen, die die semantischen Merkmale bzw. Klasseme [± FEMININ] bzw. [± MASKULIN] enthält, möglichst aber keine weiteren semantischen Determinationen aufweist. Bei homme/femme kann die Bedeutung auf das Merkmal [+ MASKULIN/+ FEMININ] reduziert werden, werden diese als die jeweils «neutrale» Form gegenüber fille/ garçon etc. betrachtet, bei welchen als zusätzliche semantische Bestimmung das klassematische Merkmal [+ JUNG] hinzutritt. Allerdings können auch umgekehrt homme/femme ihrerseits als gegenüber fille/garçon merkmalhaltig angesehen werden insofern, als sie als weitere semantische Eigenschaft das Merkmal [+ ERWACHSEN] aufweisen. Bei den beiden Termini femme/homme liegen nomina absoluta vor, die bezüglich ihres Status als generische286 lexikalische Elemente (im Gegensatz zu || 285 So gerade der von Noailly (1990) unter der Identifikation gefasste Typ (cf. l’institution du mariage (neutrale Variante) vs. l’institution matrimoniale (eher fachsprachlich) vs. l’institution mariage (nicht mehr eigentlich standardsprachliche Variante). So behandelt auch Gadet (1992, 60) Bildungen des Typs (faire un) lavage auto, die als «formes de composition imitées du style publicitaire» keinen Artikel bzw. Präposition erfordern, im Rahmen ihrer Untersuchungen zum français populaire. 286 «Generisch» verstehe ich hier also in dem Sinne, dass über ein Lexem eine Klasse von Einheiten der außersprachlichen Welt (etwa die Klasse «Person», «Sache», «Ort» etc.) bezeich-
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den pronominalen bzw. prolexematischen) betrachtet werden können (Riegel et al. 1994, 173) sprechen diesbezüglich von «terme(s) classificateur(s)»). Diese bieten sich als konstitutive Elemente eines weiteren Verfahrens der Genusmarkierung an, indem sie als Surrogat für eine feminine Endung oder ein das Femininum indizierendes (sekundär flexivisches) Suffix fungieren können. Aus typologischer Sicht bildet das formale Verfahren der Verbindung zweier Substantive eine Form der Paraphrase eines sowohl in Grammatik wie Paragrammatik relevanten Inhaltes, die einer externen Markierung mittels isolierter Wörter entspricht. Die hierbei entstehenden Substantiv-Substantiv-Verbindungen lassen sich weiter klassifizieren (etwa Zugehörigkeit zu den Kombinationen des qualifizierenden Typs N1N2 nach Noailly (1990); cf. den Terminus der «appositionellen» bzw. «attributiven» Komposita etwa bei Marchand 21969). Der Typ kann mit Hilfe der Bildung femme professeur exemplarisch illustriert werden. Zu klären wäre, was die Bildung femme professeur eventuell von professeur femme in formaler und funktioneller Hinsicht absetzt, etwa unter dem Gesichtspunkt der Produktivität bzw. Frequenz solcher parallelen Bildungen. Festgestellt wurde bereits, dass femme in femme professeur etc. der Genusindikation dient, wie die Äquivalenz zu la professeur,287 wo das Genus allein über externe Mittel kenntlich gemacht wird, zeigt; anderes formuliert: femme etc. entspricht in der genannten Konstruktion einem syntagmatischen, das natürliche Geschlecht der bezeichneten Person kennzeichnenden, tendenziell nicht-lexikalischen Morphemwort instrumentalen Charakters. Die so entstehenden Substantiv-Substantiv-Verbindungen repräsentieren insofern den isolierenden Typus, als hier eine eigene Technik der Umschreibung eines bestimmten Inhalts entfaltet wird: Die eigentlich grammatische Funktion der Genusmarkierung wird quasi-lexikalisch ausgedrückt, wobei als geeignete Lexeme nur solche in Frage kommen, deren Semantik sich auf die auch in der Grammatik zum Tragen kommenden Bedeutungsmerkmale möglichst reduziert. Zudem bestehen gewisse Restriktionen, die diese Bildungsmöglichkeit von anderen abgrenzt (cf. redundantes *femme institutrice mit rela-
|| net wird. Dabei kann ein Lexem wie Mann als Hyperonym etwa zum Element Greis fungieren (bzw. als partielles Archilexem zu Vater, Lehrer, Meister etc.), andererseits erscheint Mann seinerseits als Hyponym etwa zu Mensch als dem eigentlichen Archilexem des Wortfeldes. 287 Im familiären Sprachgebrauch werden zur besseren Identifikation des natürlichen Geschlechts eher feminine externe (syntagmatische) Elemente wie Determinanten eingesetzt und weniger die Suffigierung: also nicht une aut(h)oresse/auteuresse/autrice etc. oder une écrivaine (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°), sondern vielmehr une auteur, une écrivain (cf. Beispiele ibid.) bei Invariabilität des Substantivs mit maskuliner Grundlage als neutraler Form.
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tionsadjektivischer Bildung). Man kann von einem «schwach idiomatisierten grammatischen Verfahren» sprechen (cf. Lüdtke 2005, 320). Eine zu amie fille, um bei diesem Beispiel zu bleiben, analoge Konstruktion im Bereich der Tierbezeichnungen liegt mit Bildungen wie ANIMAL FEMELLE/MÂLE etc. vor (P.R. s.v. mâle führt die ungewöhnliche Geschlechtsspezifizierung in Bezug auf Frösche an: une grenouille mâle; ebenso une souris femelle, un canari femelle),288 die ebenfalls auf generische Bezeichnungen rekurrieren. Die attributive Verwendung von (substantivischem bzw. adjektivischem289) mâle, femelle als generische Termini findet sich auch – allerdings mit deutlichen Gebrauchsbeschränkungen – beim Menschen;290,291 so wäre amie femelle wohl weniger akzeptabel als amie fille, amie femme, da bei mâle, femelle die wissenschaftlichbiologische Komponente im Vordergrund steht,292 wie sie etwa bei enfant mâle, héritier mâle herausgestellt werden soll. Außerdem wird die Anwendung von femelle auf eine weibliche Person fast immer als abschätzig interpretiert (cf. Grevisse 1986, §491). Bei Tieren handelt es sich in der Regel um noms épicènes, wenn eine Kennzeichnung durch mâle oder femelle erfolgt, d.h. um solche Lebewesen bezeichnende Substantive, die unabhängig vom grammatischen Geschlecht
|| 288 In augenfälliger Weise wird hier das Paradox zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht deutlich: So ist une grenouille mâle zum einen über den (auch hörbar) femininen Determinanten, eventuell auch über eine feminine Endung von grenouille (< vulglat. RANUCULA, Diminutiv von RANA) als grammatisch femminine Form identifizierbar, die mit dem das natürliche Geschlecht spezifizierenden Attribut mâle konfligiert. Die Verhältnisse komplizieren sich weiter dadurch, dass bei féminin/masculin, die (im biologisch-fachlichen Bezugsrahmen) an die Stelle von mâle/femelle treten können (cf. le sexe féminin), das Attribut sich etwa bei Bezeichnung des männlichen Geschlechts nach dem weiblichen Bezugsnomen richten kann (une star masculine). 289 Beispiele für die entsprechende Verwendung von mâle (< lat. MASCULUS), femmelle (< lat. FEMELLA ‘petite femme’) listet der P.R. unter dem entsprechenden adjektivischen Gebrauch auf. 290 Siehe das Beispiel in P.R. s.v.: Vous êtes un être humain femelle, Mademoiselle, une des deux formes du développement de l’embryon humain (Giraudoux). 291 Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Konstruktion wie *un vampire femeau nicht möglich ist, d.h. es existiert keine grammatisch maskuline Form zu femelle, die analog zu masculine funktionieren würde; dagegen kann féminin systematisch zu féminine gebildet werden. 292 Auch mit Bezug auf die Fortpflanzungsorgane von Pflanzen (männliche Staubgefäße bzw. weibliche Stempel) bzw. zur Qualifizierung der Pflanze selbst: fleur mâle, fleur/palmier femelle sowie allgemein zur Geschlechtsidentifikation von Organismen: gamète mâle ‘männliche Geschlechtszelle’, gonade mâle ‘männliche Keimdrüse’, hormone mâle ‘männliches (Geschlechts)Hormon’. Siehe auch im technischen Bereich (cf. P.R. s.v., II, 2°: «se dit de toute pièce de mécanisme qui s’insère dans une autre dite femelle»), z.B. tenon ‘Zapfen’ als ‘pièce mâle’ oder prise (de courant) mâle bzw. tuyau/agrafe/pression etc. femelle, fiche femelle etc.
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sowohl das feminine wie maskuline Tier bezeichnen können (etwa une panthère, un guépard; cf. auch Riegel et al. 1994, 173). Die Stellung der noms épicènes innerhalb der Bezeichnungsgruppe der Tiere kann wie folgt charakterisiert werden (cf. Grevisse 1993, §474, b): «La majorité des animaux sont désignés par un nom (dit épicène) qui a un seul genre, quel que soit le sexe. Ce nom est tantôt masculin, tantôt féminin, le choix étant déterminé par des raisons analogues à celles qui valent pour les noms inanimés […]: l’étymologie, l’analogie». Alternativ stehen im Bereich der Personenreferenz (selten mit Bezug auf Tiere und Pflanzen) die Epitheta masculin und féminin zur Verfügung: So spricht man auch von sexe, organisme féminin, sexe masculin etc., also mit Bezug auf das natürliche Geschlecht. Häufig werden aber mit masculin und féminin spezifische Eigenschaften bezeichnet, die mit dem jeweiligen Geschlecht assoziiert werden, d.h. es handelt sich um einen qualifizierenden Gebrauch der Relationsadjektive (mit metaphorischer Bedeutung): homme féminin, femme masculine, voix masculine (mit direktem Vergleich), intelligence féminine (grâce féminine, charme féminin, courage masculin) (Übertragung).293 Vom metaphorischen qualifizierenden Gebrauch ist der rein relationelle Gebrauch solcher Adjektive wie in revendications féminines, métier masculin abzugrenzen; relationsadjektivische Bildungen wie population masculine, main-d’oeuvre masculine sind zu interpretieren als etwas ‘qui est composé d’hommes’. In diesem Sinne zu verstehen ist auch der Gebrauch von masculin/féminin in folgenden Sätzen:294 «[…] commente Françoise Delamour, présidente du Conseil national des femmes françaises, qui fédère des ASSOCIATIONS FEMININES depuis 1901»; «‘Cette répartition n’a plus de raison d’être avec les machines, mais les CANDIDATURES aux postes préparatoires en pharmacie restent presque exclusivement FEMININES’, note Dominique Dimier, déléguée FO, syndicat majoritaire dans l’entreprise»; «Même choisi, le temps partiel rend à discriminer une partie du SALARIAT FEMININ»; «La paupérisation du SALARIAT FEMININ est liée sans conteste à la forte création d’emplois à temps partiel» ; «Les écarts de rémunération, bien qu’importants, se réduisent, des femmes accèdent de plus en plus souvent aux postes de cadres et embrassent des PROFESSIONS autrefois MASCULINES»; «Le SURCHOMAGE FEMININ est-il un phénomène récent?»; «Mais cinq ans plus tard, le taux de chômage féminin, 5,6%, était supérieur de 2,9 points à celui des hommes».
|| 293 Zur semantisch-funktionellen Analyse, die von Ballys Unterscheidung zwischen «transposition fonctionelle» und «transposition sémantique» inspiriert ist, cf. Bally (41965, 116). 294 Alle Beispiele aus Le Monde, 17/09/2002, IX.
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Folgende Bildungstypen, die das Geschlecht gewissermaßen auf lexikalischem Wege zum Ausdruck bringen, lassen sich für das Französische ausmachen:295 1.
Nachstellung von MASCULIN/FÉMININ als Epitheta:
(1) Retour en force des ladies à Hollywood. Comme faire-valoir des STARS MASCULINES? In diesem Beispiel soll über das adjektivische Attribut masculin die Genusambiguität gelöst und das Geschlecht der bezeichneten Person offengelegt werden, wobei die Endung sich nach dem grammatischen Genus (Femininum) des Bezugsnomens (des stars) richtet. Allgemein entspricht in ähnlichen Fällen das natürliche Geschlecht der bezeichneten Person nicht dem grammatischen Genus des Bezugsnomens: (2) Je laisserai aller ma MEGERE296 MASCULINE. Das Attribut enthält hier die Bedeutung [MASKULIN], dessen Endung (sofern vorhanden) liefert den grammatischen Inhalt [FEMININ] (cf. Bsp. 1); cf. analog folgende Beispiele (mit umgekehrten Verhältnissen von natürlichem und grammatischem Geschlecht). (3) CADRE FEMININ expert […]/recherche poste à responsabilité commerce international. (4) Auprès des MACHIAVELS FEMININS,/les Metternich les plus Metternich sont des nains; (5) Une des écoles d’OFFICIERS FEMININS. 2.
Nachstellung von MÂLE/FEMELLE als Epitheta:
(6) un banquier sans HERITIERS MALES; (7) un HIPPOPOTAME MALE, une girafe MALE; (8) Le prêtre découvre que Clarimonde est un VAMPIRE FEMELLE. 3.
Typ FEMME, DAME297/HOMME X:
(9) une FEMME SCULPTEUR, des FEMMES FORÇATs, des combats simulés entre FEMMESMEDECINS et sages-femmes, des DAMES CYCLISTES, une FEMME GUIDE (cf. Grevisse 1993, §480, Rem. 3.); des FEMMES-avocats (Grevisse 1993, §491)
|| 295 Beispiele nach Grevisse (1993s., §491). 296 Die Bezeichnung einer männlichen Person als mégère kann als sehr außergewöhnlich gelten. 297 Siehe auch dame-hôte (cf. Grevisse 1993, §480, Rem. 3).
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(10) des
HOMMES SAGES-FEMMES
(cf. Grevisse 1993, §476, b, 2°), un
HOMME FONC-
TIONNAIRE:
«Un père qui prend sa place au foyer peut être une solution. Le Conseil d’Etat a reconnu le 29 juillet le droit pour tout HOMME FONCTIONNAIRE à un an d’ancienneté dans sa carrière par enfant, bonification réservée jusque-là aux mères. L’égalité professionnelle n’est pas à sens unique» (Le Monde, 17/09/2002, IX). Weiter lassen sich auflisten (cf. TLFi, Version 10/12/2002, s.v. femme, I. C. 2.):298 FEMME terrassier, FEMME cantonnier, FEMME ingénieur, FEMME chercheur, FEMME (-)auteur, FEMME metteur en scène, FEMME fonctionnaire, FEMME écrivain, FEMME cosmonaute, FEMME artiste, FEMME cinéaste, FEMME(-)détective, FEMME apôtre, FEMME philosophe, FEMME poète, FEMME peintre FEMME maçon, FEMME-patron, etc. Immerhin in das Französische integriert sind die aus dem Englischen entlehnten Komposita boy-scout (veraltet299), girl-scout (selten) sowie girl-guide, an deren Stelle normalerweise die einfachen Formen verwendet werden. Das hier zugrunde liegende Bildungsmuster entspricht aber oben genannten Strukturen. Allerdings sind boy und girl im Französischen mit einer bestimmten Bedeutung entlehnt und entsprechen nicht frz. ‘garçon’ bzw. ‘(jeune) fille’.300 Die unter diesem Konstruktionstyp aufgelisteten Beispiele repräsentieren den für den polysynthetischen und isolierenden Sprachtypus charakteristischen Fall der Genusmarkierung mit Hilfe eines Attributs (generisches Nomen + Nomen adjectum); die im Folgenden aufgeführten Beispiele realisieren die umgekehrte Reihenfolge, in der das Genus alternativ zu einer (nicht usuellen) Endung oder einem Suffix (z.B. écrivaine, peintresse301) über ein lexikalisches Element umgesetzt wird. Die beiden Verfahren sind zwar nicht mit Blick auf die Bildungsmöglichkeiten, wohl aber was die Ebene der Bezeichnung anbelangt, äquivalent.
|| 298 Hierbei handelt es sich sämtlich um Bezeichnungen, in denen die Frau als die den jeweiligen Beruf selbst Ausübende erscheint und nicht etwa als Gattin eines Mannes in derselben Funktion (siehe Kap. 5.6.5). 299 Die ironische Komponente leitet zur familiären übertragenen Verwendung im Sinne von ‘idéaliste, naif’ über. 300 Cf. P.R. s.v. boy ‘jeune domestique indigène dans les pays autrefois colonisés’; ‘danseur de music-hall’; cf. s.v. girl ‘jeune danseuse de music-hall […]’. 301 Als Gelegenheitsbildungen (häufig mit ironischer Konnotation) kommen z.B. vor (cf. Grevisse 1993, §476, b): […] s’écriait une ECRIVAINE (COLETTE). – Une des ECRIVAINES les plus douées de la littérature germanopratine [= de Saint-Germain-des-Prés] d’entre les années 50 et 51 [= S. de Beauvoir] (J.-L. BORY); zur Verwendung von peintresse mit Belegen cf. Grevisse 1993, §486, a, §491.
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4. Typ X FEMME/FILLE/HOMME: (11) Des ÉCRIVAINS FEMMES; une POÈTE FILLE, une AMIE FILLE (cf. Grevisse 1993, §479, Rem. 1); un professeur FEMME; (12) Jamais, avant cet hiver, on n’avait vu […] tant de PEINTRES FEMMES prouver qu’elles ne le cèdent point aux hommes en tant qu’artistes. (13) On continue encore à faire disparaître des bébés FILLES dans les campagnes [en Chine]. 5.
Typ X FÉMININ/MASCULIN:
(14) «Or leur taux de chômage est plus élevé que celui de leurs MASCULINS» (Le Monde, 17/09/2002, IX).
HOMOLOGUES
6. Typ COQ/POULE X (cf. FEMME X) bei gewissen Jagdvögeln: (15) (16) 7.
COQ FAISAN, COQ PERDRIX; POULE FAISANE (mit weiblicher Endung), POULE PERDRIX. PÈRE/MÈRE X bei Tieren:302
(17) La MÈRE CONDOR fondit sur moi. 8. Typ LE MÂLE/LA FEMELLE DE L’ANIMAL: (18)
LE MÂLE DE LA LULU; LA FEMELLE DU MOUSTIQUE suce le sang.
9. Typ COQ/POULE DE X: (19) (20)
COQ DE PERDRIX,303 COQ DE FAISAN, POULE DE FAISAN.
Einen besonderen Status nimmt der folgende Typ ein, da analoge Bildungen wie pomme de terre in der Wortbildung zuweilen als Komposita behandelt werden,
|| 302 Nur in bestimmten Kontexten, die eine solche Ausdrucksvariante plausibel erscheinen lassen, gebraucht. 303 Form von G.R. (2011) aufgeführt (alle drei Bildungen besitzen eine regionale Beschränkung auf Belgien).
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was mit dem Grad der Idiomatisierung begründet wird. Aus der Sicht des Zustandekommens solcher Bildungen liegt jedoch kein Wortbildungsverfahren zugrunde, sondern vielmehr Konversion einer nach den Regeln der Syntax gebildeten Einheit der Rede.304 10. Typ FEMME/HOMME DE X: (21)
FEMME DE ménage, FEMME de journée, FEMME/VALET de chambre (cf. Grevisse 1993, §490); der TLFi (10/12/2002, s.v. femme, I. C. 2.) liefert ferner: FEMME de travail, FEMME de service, DAME bzw. DEMOISELLE/FEMME (selten) de compaignie, FEMME de charge (veraltet), FEMME d’ouvrage, FEMME d’affaires, FEMME de lettres; (22) FEMME de (mauvaise) vie, FEMME de noce, FEMME du dernier étage; FEMME de plaisir, FILLE de joie, FEMME en carte, FEMME de bordel, FEMME de maison close; FEMME de petite vertu; (23) HOTESSE DE CAISSE (cf. Le Monde, 17/09/2002, IX : «‘Une employée sur le cité de Sainte-Foy-lés-Lyon est bien mieux lotie que L’HOTESSE DE CAISSE de la grande surface d’à côté’, estime-t-il»); (24) HOMME D’ÉGLISE etc.
5.5.2.5 Stellung des Typs FEMME X im paragrammatischen System Das mich hier beschäftigende Hauptproblem betrifft die Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen zwei juxtaponierten Substantiven als syntaktischer Gruppe, unter denen das zweite in der Regel als determinierendes substantivisches Attribut zum ersten fungiert, einerseits und Substantiv-SubstantivKomposita andererseits (cf. Riegel et al. 1994, 186 mit Bezug auf Noailly 1990): «Parmi les séquences binominales N1-N2 il n’est pas toujours facile de distinguer les noms composés (chêne-liège, timbre-poste, talon aiguille, bœuf mode, etc.) des constructions syntaxiques où N2 joue par rapport à N1 le même rôle déterminatif qu’un adjectif (qualificatif ou relationnel) ou qu’un complément du nom (une maladie alibi, un professeur fantôme, une tarte maison, etc.). On notera toutefois que lorsque la caractérisation véhiculée équivaut à celle d’un adjectif qualificatif, N2 peut être précédé d’un adverbe marquant le degré (un remède vraiment miracle, des propos passablement cochons, un sujet un peu bateau, etc.) et même fonctionner comme attribut (Ce sujet est plutôt bateau)».
|| 304 Cf. Lüdtke (2001, 772): «Die unterschiedliche Art und Weise, wie Wortschatzeinheiten durch Wortbildungsregeln und durch syntaktische Regeln + Bedeutungswandel zustande kommen, gibt die eigentliche Begründung für den Ausschluss von Zeichenkombinationen wie frz. chemin de fer, it. sala da pranzo, rum. rea-voinţă aus der Wortbildung: Wortbildungsregeln und syntaktische Regeln funktionieren in verschiedener Weise».
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Der Konstruktionstyp femme professeur findet im Analysemodell nach Noailly – die Autorin unterscheidet vier Gruppen an NN-Verbindungen (Qualifizierung, Koordinierung, Komplementierung, Identifizierung)305 – dort seinen Platz, wo Fälle wie femme-chercheur (Noailly 1990, 23) oder femme médecin (ibid., 199) zwar nicht als eigener inhaltlicher Typ, aber im Rahmen des allgemeineren qualifizierenden Typs, unter welchen Bildungen wie une porte bibliothèque, l’homme forêt, un docteur cheval, une cité jardin fallen, behandelt werden. Nach Noailly (1990, 36) «qualifiziert» ein N2 ein N1 dann, wenn auf die entsprechende syntaktische Gruppe folgende Aussage zutrifft: N1 = N2. Die der Verbindung zugrunde liegende Relation lässt sich über einen Relativsatz spezifizieren: ein N1N2 entspricht einem «N1 qui est un N2»; so ist un livre événement ‘un livre qui est un événement’, un mot agrafe entspricht ‘un mot qui est une agrafe’ etc.306,307 Beim Versuch der Abgrenzung308 ist zu berücksichtigen, dass die Verfahren der Koordinierung309 und Qualifizierung310 häufig sehr eng beieinander liegen.
|| 305 Die Kriterien, nach denen Noailly Verbindungen aus (Artikel +) N1N2 mit N2 = substantivisches Epitheton analysiert, sind die Spezifika des Artikelgebrauchs sowie die Reihenfolge der Elemente innerhalb der NG. Für ihren Untersuchungsansatz charakteristisch ist eine Grundhaltung, die die Existenz eines intermediären Bereichs zwischen reiner Nominalgruppe und Kompositum im Französischen anerkennt. 306 Anders als Rohrer (1967/[1977], 75) differenziert Noailly nicht zwischen einer Relation ÊTRE und einer Relation ÊTRE COMME. So könne zwar für das zweite Beispiel eine Paraphrase mit «être comme» oder «être presque» als angemessen erscheinen, um die Approximation zum Ausdruck zu bringen; dennoch gilt, dass «la phrase à VÊTRE, telle quelle, est un des moyens privilégiés d’expression de la métaphore nominale» (Noailly 1990, 37). Gerade deshalb wäre ein weiterer Typ zu unterscheiden. 307 Zur Kritik an dieser Art der Paraphrasierung cf. Kap. 5.5.2.4. 308 Cf. Noailly (1990, 36): «les interférences sont très fréquentes de la coordination à la qualification d’une part, de la complémentation à l’identification d’autre part». Dabei wird die (vor allen Dingen in älteren Arbeiten) häufige Vermischung zwischen Koordination und Qualifikation kritisiert (ibid., 36). «Quand deux N sont ordonnés au même rang dans une phrase, on ne saurait donner le second pour l’épithète du premier, quelque large que soit la définition que l’on se donne de l’épithète» (ibid., 67). 309 Vergleiche die traditionelle Klassifizierung in Dvandvakomposita (d.h. solche, die auf asyndetischer Koordinierung zweier oder mehr der gleichen Wortart angehörender Elemente beruhen, die – abgesehen vom Fall der Lexikalisierung – prinzipiell permutierbar sind; zum Aspekt der Permutierbarkeit auch bei mehrgliedrigen Komposita im Französischen cf. Noailly 1990, 68–69) und «Attributivkomposita». 310 Cf. Noailly (1990, 92, 93): «Il semblerait […] que l’analyse qualificative soit l’archétype de la construction que nous étudions. […] on constate, dans les même cas binaires, une propension du système à mêler de la qualification à la coordination ou, si on préfère, à subordonner logiquement – comme il le fait syntaxiquement – N2 à N1». Siehe auch ibid., 92, Anm. 28: «Même des exemples consacrés n’y échappent pas. Ainsi: ‘Le BCBG aime la mesure en tout. Il a
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Die Paraphrasierungsmöglichkeit mittels Relativsatz (der eine Subordinierung innewohnt) weist unseren Genus markierenden Typ als dem Verfahren der Qualifizierung zugehörig aus, vergleiche: femme professeur/instituteur: ‘femme qui est professeur/instituteur’, amie fille: ‘amie qui est une fille’, femme automate ‘femme qui est (comme) un automate’ (Metaphorisierung).311,312 Dabei gilt wie für das herkömmliche «Attributivkompositum», dass das Determinatum als Gattungsbegriff fungiert, der durch sein Determinans subklassifiziert wird (z.B. patron-boucher, photo-souvenir, wagon-restaurant), so dass eine semantische Gleichwertigkeit der Glieder oder symmetrische Relation nicht mehr vorliegt. Rohrers (1967/[1977]) Beispiellisten zum Subtyp fille-mère (‘mère non mariée, célibataire’) des Kompositionstyps «sujet-attribut», der sich – einschließlich weiterer Subtypen – mit dem qualifizierenden Typ nach Noailly weitestgehend deckt, enthalten keine Bildungen, die der reinen Genusdetermination dienen. In Noailly (1990) wird der Bildungstyp femme professeur mit eine Berufsbezeichnung anzeigendem N2 nicht betrachtet; wird N2 durch ein Nomen
|| toujours peur d’en faire trop… Si excessivement tempéré qu’il en est ambigu. Ses shorts sont longs et ses jupes sont culottes’» (Nouvel Observateur, 17/1/86, 57) (Hervorhebung der Autorin). 311 Cf. Noailly (1990, 36): «l’identification comme la qualification sont des lieux d’expression privilégiés de la métaphore, alors que la complémentation ne s’y prête guère et la coordination pas du tout». Der Ausschluss einer metaphorischen Relation zwischen N1 und N2 resultiert daraus, dass beide Elemente einer Koordination prinzipiell demselben semantischen Bereich angehören: «Une coordination ordinaire n’exclut pas, à proprement parler, la figure rhétorique (cf. […] ‘[Elle aime] Ravel et les bains de mer’), mais rejette la métaphore, dans la mesure où celle-ci suppose une superposition – au moins partielle – des termes comparés. Or le principe de la coordination est de poser À CÔTÉ, pas PAR-DESSUS. Même dans les cas de disjonction sémantique, on n’obtient rien de plus qu’un zeugma. L’exclusion de la métaphore est donc, ici, liée aux exigences propres de la coordination» (ibid., 71). Da auch Bildungen des Typs oiseaumouche, chou-fleur etc. metaphorischen Charakter besitzen und diese wie femme médecin, femme automate zum selben Typ gehören, kann mit Bezug auf letzteren Typ die Koordinierung, die in der Regel keine Metaphorisierung zulässt, im Grunde ausgeschlossen werden (zu den spezifischen Eigenschaften des koordinierenden Typs, auf die hier nicht eingegangen zu werden braucht, cf. aber Noailly 1990, 65–93). 312 Als Test für die Koordinierung lässt sich auch die Paraphrasierung mittels einer Aussage, die das Verb ÊTRE enthält, nach folgendem Muster anwenden: enseignant chercheur : enseignant qui est aussi chercheur; dieser Test scheint für Beispiele des folgenden Typs nicht praktikabel: le latin-grec : le latin qui est aussi le grec. Der Blick auf die bezeichnete Realität macht den Unterschied klar: «Dans le [second] cas, les objets sont appréhendés comme distincts, malgré leur contiguïté; dans le [premier], ils se superposent, se recouvrent. C’est la même personne qui est à la fois enseignant et chercheur […] Les noms juxtaposés ne désignent pas deux (ou plus) réalités distinctes mais deux (ou plus) attributs d’une même réalité hybride» (Noailly 1990, 81–82).
Modifizierung – Genusmarkierung | 377
wie homme, femme, fille, garçon bzw. mâle, femelle repräsentiert, scheint das Ausschlusskriterium zum Tragen zu kommen, das in Bildungen wie amie fille mit N2 eine Art von «état naturel» verbindet (cf. Noailly 1990, 29): «J’ai également évité les cas où le N2 épithète était un nom de métier (boulanger, avocat), ou d’état naturel (nain, géant313), ou de situation sociale (ami, ennemi; célibataire, veuf),314 etc.», und zwar mit folgender Begründung: «Ces noms, qui servent à désigner principalement des personnes, ont un statut tout à fait particulier en français. Ils sont pris substantivement de façon très naturelle: une géante; mon avocat. Mais leur morphologie les rapproche des adjectifs: aucun n’a de genre fixe – critère déterminant dans la classification des substantifs et des adjectifs» (ibid.). Letzteres Argument kommt etwa bei amie fille (schon allein aus semantischen Gründen) nicht zur Anwendung, lässt sich aber insbesondere auf die auf -e auslautenden Bezeichnungen für diverse soziale Stellungen bzw. Rollen (cf. adulte, adepte, adultère, adversaire, camarade, célibataire, pupille etc.), Berufe und Funktionen (bibliothécaire, pianiste, acolyte, garde) oder Charakterisierungen (énergumène, gosse, hypocrite, imbécile etc.) u.a. beziehen (ähnlich bei un,e géante mit variablem Genus). In die Reihe dieser Substantive gehört auch automate (cf. Grevisse 1993, 761, §480); die inhärente adjektivische Funktion manifestiert sich hier in exemplarischer Weise, da die Interpretation als homme/femme automate impliziert ist. Die Substantive erscheinen damit als Ellipsen zu den entsprechenden Konstruktionen aus generischem Element und einem Nomen adjectum, gemäß dem Typ homme philosophe (cf. Arnauld/Lancelot [1660], 1966). Eine ähnliche Konstruktion existiert im Bereich der Tierbezeichnungen, wo als generische Bezeichnung einerseits mâle/femelle eingesetzt werden kann (analog zu dt. Schimpansenweibchen etc.) oder aber – mit Bezug auf eine spezifische Spezies (z.B. Fasan) – statt etwa des Terminus für das weibliche Tier allein (une
|| 313 Cf. Grevisse (1993, 518, §335, Rem. 5): «Une apposition peut perdre sa valeur nominale pour devenir une épithète. C’est le cas de géante dans ville géante. La métaphore n’est plus sensible et géant n’est plus qu’un synonyme de très grand». So wird etwa akkordiert: moissons géantes oder meetings monstres (cf. Grevisse 1993, §545, c). 314 Dagegen finden sich bei Rohrer (1967/[1977], 77ss.) Belege für alle drei Gruppen unter dem Typ «fille-mère» behandelt, vornehmlich solche, in denen N2 durch eine Berufsbezeichnung repräsentiert wird: ouvier boulanger/charpentier/ébéniste/maçon/peintre/zinguer etc. (ibid., 80). Ein einen spezifischen Seinszustand bezeichnendes N2 findet sich – mit weniger frequentem Vorkommen – etwa bei: christ-homme, christ-dieu, enfant-dieu; aus der Gruppe der sozialen Rollen lassen sich anführen: champion adolescent, fille-mère, garçon-père, instituteur bachelier, roi citoyen, reine mère u. v.a. m.
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faisane) ein weiblicher Oberbegriff hinzutritt: so etwa bei poule faisane [fәzan]/*poule faisan (cf. dt. Hirsch-, Elefantenkuh, aber nicht *Hirschweibchen,315 Fasanen-, Staußen-, Trappenhenne etc., aber fraglich ?Fasanenweibchen).316 Neben dem Gebrauch von mâle/femelle als Epitheta erscheint, wie oben gezeigt wurde (cf. Kap. 5.5.2.4), die Umschreibung mit le mâle/la femelle de l’animal/du genre als gängige Variante. Mit Blick auf den Bildungstyp amie femme zeichnet die von Noailly gesondert betrachteten Substantive «leur facilité à fonctionner comme attributs sans article» aus (Noailly 1990, 29), z.B. il est veuf, il est avocat, die sie ebenfalls den Adjektiven näherbringt. Dieses Kriterium trifft auch auf femme zu: elle est femme, très femme (cf. P.R. s.v.), wobei sogar die Möglichkeit der Intensivierung mittels Adverbien gegeben ist.317 Noailly (ibid.) gelangt auf diesem Hintergrund zu folgendem Ergebnis bezüglich der betrachteten attributiv gebrauchten Substantive: «Je crois donc qu’il faut renoncer à les étudier comme des substantifs ordinaires, et qu’il vaut mieux admettre qu’on a là en français une catégorie exactement intermédiaire, également apte aux emplois substantifs et aux emplois adjectifs […] Il serait donc malvenu de les faire intervenir ici comme substantifs épithètes, et nous avons négligé délibérément les exemples où ils intervenaient dans cette position».318
Daher könnte man sich fragen «pourquoi, dans le cas de l’attribut, on ne ressent pas le besoin d’avoir une désignation distincte selon que cet attribut est un nom ou un adjectif, alors que l’on sépare l’épithète de l’apposition. Certains parleraient simplement d’épithètes, soit adjectivales, soit nominales» (cf. auch Grevisse 1993, §334, Rem. 3). Riegel et al. (1994, 186) erkennen auch eine Funktion des Substantivs als Epitheton an: «Traditionnellement réservée à l’adjectif et
|| 315 Kuh tritt für Weibchen ein zur Bezeichnung des weiblichen Artgenossen bei Rindern, Hirschen, Elefanten, Giraffen, Flusspferden u.a.; cf. aber Pferd – Hengst – Stute (zur Suppletion cf. Kap. 5.6.3). 316 Cf. dt. Affenweibchen bzw. -männchen, Hirschkuh gegenüber Hirsch als Gattungsbezeichnung, die den männlichen Teil mit einschließt, d.h. nicht *Hirschmännchen. 317 In einer Fügung wie une femme très femme impliziert femme zwar «la sexualité considérée comme étant l’essence de la féminité» (TLFi, Version 10/12/2002, s.v. femme, I. A. 2.), doch sind in «féminité», worauf hier adjektivisch gebrauchtes femme verweist (cf. das ibid. [eigene Hervorhebung] genannte Beispiel: La femme très femme, ET TRÈS (…) CHATTE (Nouveau)), weitere Merkmale enthalten als in «le sexe féminin» allein, genauer die Gesamtheit «des caractères propres à la femme» (cf. P.R. s.v. féminité). Man vergleiche auch folgendes Beispiel (nach TLFi, 10/12/2002, s.v. femme, I. B. 1.), das auf die «intuition considérée comme une qualité spécifiquement féminine» referiert: Mais il y des indices qui ne trompent pas une femme aussi femme que moi, même si elle est restée vieille fille (Cocteau). 318 Siehe aber Noailly (1990, 43–46) zu den Adjektivierungstests von N2.
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aux participes, la fonction épithète est, au sens syntaxique du terme, également exercée par le nom dépourvu de déterminant (d’où l’expression d’emploi adjectival’) lorsqu’il est directement postposé au nom qu’il détermine». Tatsächlich scheinen die genannten Gruppen an Nomina (Berufsbezeichnungen, Bezeichnungen eines natürlichen Zustands sowie der sozialen Lage) einen kategoriellen Zwischenstatus zwischen Substantiv und Adjektiv im Französischen einzunehmen. Solche unscharfen Trennlinien sind für Syntax und Wortbildung des Französischen typisch: «Quant aux vrais composés du français […] ils se rapprochent sensiblement des groupes syntaxiques, dont ils ne sont parfois séparés que par de très fines nuances […] C’est là une des différences les plus remarquables avec l’allemand, où les composés ont une physionomie beaucoup plus accusée» (Bally 41965, 98). Man vergleiche auf diesem Hintergrund auch die herkömmlichen Einschätzungen der nominalen Kompositionsfähigkeit des Französischen im Verhältnis zum Deutschen – vielleicht bedürften diese einer Revision? 5.5.2.6 Der Typ «femme professeur»: Komposition zum Ausdruck des natürlichen Geschlechts Noailly (1990) sieht in Verbindungen des Typs femme professeur (Berufsbezeichnungen) und X FEMME (natürlicher Zustand) – in der Regel Personenbezeichnungen – nominale Verbindungen mit Sonderstatus, wobei letzterer auf ihrem adjektivischen Charakter beruht. Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, ob sich im Sprecherbewusstsein nicht ein Typ abzeichnet, der klarer abgegrenzt der Genusspezifikation (gemeint ist das natürliche Sexus) dient und auch der Komposition zugerechnet werden kann. Traditionell werden Konstruktionen wie un professeur femme im Rahmen der grammatischen Regeln des Gebrauchs der «Apposition» behandelt (cf. Grevisse 2011, §504; §341), wenn es um die Frage der Genusmarkierung geht. Die «Apposition» kann voran- oder nachgestellt werden: un professeur femme – une femme médecin. Insgesamt wird der Terminus der «Apposition» auf sehr heterogene grammatische Phänomene bezogen. Ursprünglich wurde mit Apposition lediglich eine Funktion des Nomens bezeichnet; insbesondere gemäß der Tradition der lateinischen Grammatik beschränkte sich die Funktion der Apposition auf solche Nomina, die einem anderen Nomen desselben Kasus und unter der Prämisse der referentiellen Identität asyndetisch juxtaponiert (construction directe) wurden, wie in urbs romana, rex Ancus. Die zweifache Möglichkeit der Übersetzung dieser Art nominaler Gruppen einerseits als la ville de Paris, andererseits als le roi Louis hat dazu geführt, dass die Apposition auch auf präpositionale Konstruktionen angewandt wurde sowie auf sogenannte «constructions
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détachées» (wobei erstere Konstruktion eine reine Präpositionalgruppe in der Funktion einer Ergänzung einer Nominalgruppe darstellt). Bei asyndetischen Substantiv-Substantiv-Verbindungen (NN) des Typs motclé, femme Premier Ministre, femme auteur liegt gemäß der aktuellen Wortbildungsforschung durchaus Wortbildung zugrunde (cf. übrigens auch Grevisse 2011, §528 zu NN-Verbindungen). Was in der Grammatik als «Apposition» erscheint, kann in der Wortbildung als «substantif épithète» (apposition directe, juxtaposition de deux noms) gefasst werden (cf. Noailly 1990). Auch hier sind beide Abfolgen – N1N2 und N2N1 – prinzipiell möglich. Allerdings hat die Wortbildungsforschung noch keine Klarheit bezüglich der Frage erlangt, ob ein lat. Typ EXERCITUS VICTOR, PORCUS FEMINA, LOCUS VIRGO den romanischen Determinatum-Determinans-Komposita (NN = N1N2) tatsächlich als Vorbild gedient hat und also lateinisch-romanische Kontinuität anzunehmen ist (cf. Lüdtke 1996a, 268). Als «substantivische Epitheta» werden im Ansatz nach Noailly in der aktuellen Gemeinsprache des Französischen Nomina wie die Folgenden gebraucht: clé, éclair, limite, miracle, témoin, type etc. (cf. ibid.). Für Konstruktionen des Typs femme professeur gilt, wie auch bei mot-clé, die Abfolge N1N2; die umgekehrte Anordnung liegt vor bei autoroute, maîtreautel (cf. Lüdtke 2005, 307). Allerdings kommen beim Genus markierenden Typ beide Stellungsvarianten offensichtlich gleichrangig vor: femme auteur – auteur femme. 319 Nun ist die Abfolge von Determinatum und Determinans im Romanischen und also auch in Determinativkomposita nicht beliebig. Der Vergleich mit Bildungen wie autoroute lässt darauf schließen, dass auch bei professeur femme von einer Abfolge N1N2 auszugehen ist, also die romanische Abfolge Determinatum-Determinans nicht durchbrochen wird. Abweichungen von der progressiven Stellung sind teilweise fremdem Einfluss (Lehnbildungen nach gelehrten griechischen Mustern oder Entlehnungen aus dem Englischen) zuzuschreiben, was ich im vorliegenden Fall nicht annehme (cf. Noailly 1990, 173–176): «On rappellera que l’ordre déterminé-déterminant est ici encore le seul qui soit conforme au système. Toutefois, dans le cadre de la construction directe N1N2, cette loi a des limites, et on a des cas de transgression [qui] sont de deux types: tantôt ce sont des calques de formations savantes empruntés au modèle grec; tantôt des anglicismes déclarés (l’un facilitant l’autre, sans doute). En effet, […] en grec ancien comme dans les langues germaniques, c’est l’ordre régressif qui est dominant».
|| 319 Eine Parallele findet sich im Englischen: «Tatsächlich existieren auf der Ebene der sprachlichen Norm […] Bildungen wie hammer-ax und ax-hammer» (cf. Brekle 1970, 146).
Modifizierung – Genusmarkierung | 381
Dies widerspräche vom theoretischen Standpunkt den im Bon Usage angegebenen sehr allgemeinen grammatischen Stellungsregeln, wonach im Typ femme professeur das abhängige Element femme voran- oder nachgestellt werden kann (Grevisse 1986, §335; 2011 §341).320 Riegel et al. (1994, 173) lassen Vor- und Nachstellung ebenfalls als fakultative Option offen, d.h. das Genus kann markiert werden «par l’antéposition ou la postposition du terme classificateur femme au nom masculin». Die angeführten Beispiele (un ingénieur/une femme ingénieur, un médecin/une femme médecin) belegen allerdings allein die Stellungsvariante FEMME X. Eine google-Trefferliste weist den Typ FEMME X ebenfalls als den eindeutig usuelleren aus. Diese Beobachtung wird durch TLFi (Version 10/12/2002, s.v. femme, I. C. 2. Rem. 1.) bestätigt: «Selon le cas, on rencontre le terme femme en premier ou second élément d’appos. ou de nom composé pour indiquer le genre fém. de professions pour lesquelles la lang. ne possède qu’un signifiant du genre masc.: femme maçon, femme-détective. Parmi ces appos. ou ces noms composés, certains sont réversibles (femme professeur, professeur femme), d’autres ne le sont pas (femme médecin); certains ont été crées pour éviter une ambiguïté (femme-patron/patronne)».
Wie lässt sich der Typ einordnen? Entweder können beide Elemente ohne Bedeutungsunterschied einmal Determinatum, einmal Determinans sein oder es handelt sich nicht in beiden Fällen in gleichem Maße um Komposition oder aber die inhaltliche Analyse erfordert analog zu des montres-bracelets – des bracelets-montres, die beide bildbar sind, eine Einordnung, gemäß Noaillys Klassifikation, unter den Typ der Koordination, was ich aufgrund obiger Abgrenzung (Kap. 5.5.2.5) von Koordination und Qualifikation nicht annehme. Andernfalls gingen wiederum, die inhaltliche Identität von FEMME X und X FEMME vorausgesetzt, die Typen der Qualifizierung und Identifizierung in diesem Falle ineinander auf. Die Identifizierung wirkt partikularisierend, benennt aus einer Klasse eine bestimmte Einheit, z.B. l’objet livre, la fée électricité, la planète Mars, le président Sarkozy, wobei gilt: N2 = un (type de) N1; «un N1» impliziert über den generischen Gebrauch des Artikel den Status als Klassifikator oder Interpretator
|| 320 Beide Konstruktionen werden in der Regel einheitlich behandelt (cf. etwa Grevisse 1993, §491 Rem. 1. und Rem. 2.): 1. «On ne met pas de trait d’union ordinairement dans les formules comme femme peintre ou peintre femme»; 2. «Pour l’accord des mots se rapportant à des syntagmes comme femme professeur et professeur femme, voir […]». In Schulgrammatiken (etwa Klein/Kleineidam 1983, 23) wird auf die Frequenz hingewiesen: «Ist der Kontext nicht eindeutig, so kann der Bezeichnung für Beruf oder Aktivität das Wort femme vorangestellt oder (weniger üblich, außer bei professeur femme) nachgestellt werden)».
382 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
von N1. Der enge Zusammenhang zwischen beiden Typen an Relationen, d.h. der Qualifizierung und der Identifizierung, kann wie folgt gefasst werden: «Or qualification et identification ont un point commun […]: c’est qu’elles reposent l’une et l’autre – quoique de façon bien différente – sur un énoncé à VÊtre. Dans la qualification, on dit de N1 qu’il est N2; dans l’identification, on implique de N2 qu’il est N1. On peut donc, d’une certaine manière, voir l’une comme l’envers de l’autre» (Noailly 1990, 154).
Andererseits stellt man fest, dass bei den Tierbezeichnungen nur die Nachstellung in Frage kommt: une panthère mâle, un guépard femelle, wobei hier mâle und femelle eher adjektivischen Charakter haben.321 Werden mâle/femelle dagegen als erstes Glied der Nominalgruppe gebraucht, kommt eine präpositionale Konstruktion zum Tragen: le mâle de la panthère, la femelle du guépard (cf. le facteur temps, l’institution mariage (Typ der Identifizierung bzw. Klassifizierung) mit Klassifikator als N1 – le facteur du temps, l’institution du mariage als alternative syntaktische Konstruktion). Analog hierzu und in Anbetracht obiger Beobachtungen liegt eine Interpretation nahe, die allein binominale Bildungen gemäß dem Typ FEMME X (femme auteur, poule faisane) als echte Determinativkomposita mit femme etc. als «Klassifikator» oder «Interpretator» (cf. Lüdtke 1984) einordnet. Der davon unabhängigen Frage, ob die relative Elementenabfolge eine inhaltliche Verschiebung im Sinne einer «Topikalisierung» eines Elementes mit sich bringt, wird im Folgenden nachgegangen. Insgesamt aber kann das natürliche Geschlecht (im Unterschied zum grammatikalischen Genus) auch über die Komposition ausgedrückt werden. In ähnlicher Weise kann das Geschlecht der Person über die Honorifika der Anrede oder die Angabe eines Titels signalisiert werden: Madame Dupont, le révérend père Dubois, Sa Majesté le roi; Madame la vicomtesse Davignon, Sa Majesté le roi Albert. In der juristischen Fachsprache, in der Kriminalterminologie oder bei pejorativer Konnotierung werden neben Madame X auch la femme X, l’épouse X, la dame X gebraucht (cf. TLFi 10/12/2002, s.v. femme, II.). Es wäre noch darauf hinzuweisen, dass die Konstruktion FEMME X, ähnlich wie die Relationsadjektive (cf. italien – italienne), auch Ethnika bezeichnet, cf. les femmes herero, une femme esquimau etc. (Grevisse 1993, §481, c).322
|| 321 Cf. Noailly (1990, 92): «Il faut reconnaître que la position de N2 dans le GN, et la construction directe, contribuent à le faire prendre pour un adjectif épithète, alors qu’à l’inverse on attend plutôt d’une coordination des marques particulières […]». 322 Die periphrastische Konstruktion kommt zum Tragen, sofern mittels der Determinanten (wie z.B. in UNE Viking, UNE Ouolof, UNE Sioux, UNE Peau-Rouge etc.) eine eindeutige Genusmarkierung nicht erreicht wird. Diese wird zuweilen selbst dann gebraucht, wenn der Kontext das
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5.5.2.7 Der Typ FEMME X oder X FEMME? Es lässt sich die Überlegung an Stellen, ob mit der formal-distributionellen Differenz, d.h. der Permutation der Glieder innerhalb der Nominalgruppe ein semantischer Unterschied einhergeht. Die Frage wird in der einschlägigen Literatur nicht diskutiert. Wird professeur als Determinans zu femme gefasst, so erscheint femme als das übergeordnete Glied der Gruppe N1N2; allerdings liegt die Vermutung nahe, dass – gemäß dem Hauptakzent – eine gewisse Verschiebung des Fokus mit stärkerer Akzentuierung des zweiten Elements eintritt und also die Bezeichnung des Berufes oder der Funktion (ich konzentriere mich auf diese Fälle) in den Vordergrund rückt. Der Typ FEMME X scheint der in der Norm verankerte (*médecin femme), so dass bei Annahme einer progressiven Abfolge323 femme als Determinatum anzusetzen ist. Allenfalls könnte man noch ein (partiell) grammatikalisiertes324 Muster annehmen, in dem das «generische» Element eine mit anderen das Geschlecht spezifizierenden Attributen (cf. femme/épouse/Mme fonctionnaire – letzteres in Kleinanzeigen; standardsprachlich als Autoritätsbezeichnung mit Artikel, z.B. Mme le Ministre/Mme l’Ambassadeur) restringiert permutierbare Konstante darstellt. Die Frage der Disparität zwischen den Bildungsmustern FEMME X und X FEMME stellt sich auch bezüglich des Artikelgebrauchs: Le professeur est une femme/*le professeur est femme gegenüber La femme est professeur. Hier kommt die Zwitterstellung gewisser berufsbezeichnender Nomina zwischen Adjektiven und Substantiven zur Geltung, die einhergeht mit der Möglichkeit der Verwendung in unartikulierter Form. So kann in Verbindung mit Bezeichnungen des Berufs, einer gesellschaftlichen Rolle, des sozialen Status oder einer Nationalität in prädikativer Funktion bzw. in der Verwendung als Apposition regelhaft
|| Geschlecht herausstellt: Landrecourt était […] secrètement marié à une femme ESQUIMAU (cf. Grevisse 1993, §481, c). Dabei kommt der Norm eine bedeutende Rolle zu: «Même des noms qui avaient traditionnellement un fém. particulier tendent à recevoir une forme commune aux deux genres» (ibid.), so gerade bei esquimau (oder eskimo), das für esquimaude gebraucht wird. 323 Cf. Noailly 1990, 176: «alors que la qualification adjective est décrite dans les ouvrages traditionnels comme antéposée OU postposée (au contraire de l’adjectif de relation, toujours et comme par définition postposé), ici nous voyons le substantif moins difficilement antéposé dans la détermination que dans la qualification. Cette différence demeure superficielle toutefois si on admet que dans les deux cas seule la postposition est fondamentalement naturelle». 324 Wichtig für die Frage der Grammatikalisierung wäre die Beschränkung der durch femme etc. zusätzlich beigesteuerten semantischen Komponente auf das Merkmal [+ WEIBLICH]. Die prinzipielle Offenheit und einfache Bildbarkeit des Musters kommt dann als weiterer Faktor hinzu: Soll ein spezifisches Mittel sich für die Genusmarkierung als adäquat erweisen, muss es – ähnlich wie bei der Pluralbildung – prinzipiell in allen möglichen Fällen, in denen Bedarf zur Explizierung des natürlichen Geschlechts aufkommen kann, verfügbar sein.
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der Null-Artikel stehen: cette femme est médecin/ingénieur/ministre. Die unartikulierte Verwendung kommt auch bei fille zum Tragen: elle est bonne fille,325 brave fille;326 elle est assez belle fille;327 elle ne s’est jamais mariée, mais elle n’est pas du tout vieille fille (Epitheton) (cf. P.R. s.v.) (cf. il aurait pu être bon élève). Dienen solche Sätze als Paraphrasen, könnte von einer Verdichtung eines Satzes als Grundlage eines Kompositums die Rede sein. Insgesamt richten sich die einer Gruppe wie femme professeur vorausgehenden Determinanten grundsätzlich nach dem grammatischen Genus des ersten Elements; dies gilt auch für weitere abhängige Elemente innerhalb des Satzes, die sich auf die entsprechende Nominalgruppe beziehen (cf. Grevisse 1993, §335; die folgenden Beispiele sind Grevisse 1993, §423, b entnommen): Les singes femelles supérieurs; Le témoin Julie Dupont est prié de prêter serment; Madame le président est habillée d’un tailleur sombre. Une femme professeur est venue se présenter. La sentinelle Dupont a été surprise. Le docteur Michelle Dumont a été appelé d’urgence. La girafe mâle est attentive à ses petits. La vedette Charlie Chaplin était attendue avec impatience. Andererseits setzt sich zuweilen ein Gebrauch durch, der dem natürlichen Geschlecht Vorzug vor der grammatischen Regel der Kongruenz mit dem ersten Element gibt (cf. Grevisse 1993, §423, b): Trois professeurs femmes ont été tuées; so auch bei an sich femininen ehrbezeugenden Anredeformeln (z.B. Sa Majesté, Son Excellence), wenn diese auf eine männliche Person angewandt werden. Der Gebrauch zeigt hier allerdings starke Schwankungen, d.h. Kongruenz sowohl gemäß dem Genus des Titels als auch in Übereinstimmung mit dem Sexus (vor allen Dingen bei koreferentiellen Pronomina) kommt vor: Sa Sainteté Jean XXIII pouvait-elle tirer son autorité d’une autre source que de sa qualité de vicaire de Jésus-Christ? (Dupré). Eine separate Untersuchung zu den in Frage stehenden Bildungsmustern FEMME X/X FEMME hinsichtlich einer möglichen semantischen Differenz bzw. eventueller Restriktionen bezüglich der Semantik von X ist mir nicht bekannt; letzten Endes kann aber nur die Befragung von Sprechern des heutigen Französisch Aufschluss über die Problematik geben. So ließe sich die Frage anhand einer Liste an auf -e auslautenden Personenbezeichnungen, die keine inhärente Genusmarkierung enthalten (cf. Grevisse 1993, §480), sowie einer Auswahl an
|| 325 Vergleiche lexikalisiertes bonne femme in attributiver Funktion rideaux bonne femme neben remèdes de bonne femme (P.R. s.v.). 326 Zu bonne femme, brave femme cf. auch TLFi, Version 10/12/2002, s.v. femme. 327 Cf. Grevisse (1993, 876, §570, a, 2°): «Si l’épithète précède, l’art. manque dans des expressions comme être beau joueur, ne pas être grand clerc et souvent quand l’épithète est bon ou mauvais: On peut être mauvais fils et bon père, comme on peut être bon fils et mauvais père […]».
Modifizierung – Genusmarkierung | 385
«noms épicènes» (cf. ibid., 748, §476, b, 1° sowie 762, 480, rem. 3), die jeweils auf Berufsbezeichnungen beschränkt sind, verifizieren (cf. den Fragebogen im Anhang328). Abgesehen von femme wurden auch fille, homme, garçon; femelle, mâle als das Sexus differenzierende Termini verwendet.329 Insgesamt lässt sich || 328 Anhand eines kleinen Fragebogens zu «L’expression du sexe chez l’homme» habe ich versucht, mit Muttersprachlern (männliche und weibliche Sprecher der Standardvarietät, Belegschaft einer Firma) über die Problematik ins Gespräch zu kommen. Anzumerken ist, dass prinzipiell beide Konstruktionstypen als korrekt anerkannt wurden. Zunächst sollte die Frage «Estimez-vous que le groupe nominal femme professeur égale plutôt à ‘femme qui est professeur’ ou à ‘professeur qui est une femme’, et, pareillement, «Considériez-vous la construction professeur femme plutôt comme étant identique à ‘professeur qui est une femme’ ou à ‘femme qui est professeur’?» durch Ankreuzen der entsprechenden Bedeutung beantwortet werden: femme professeur professeur femme
« femme qui est professeur » « professeur qui est une femme » « professeur qui est une femme » « femme qui est professeur »
Die Ergebnisse sprachen trotz grammatikalischer Richtigkeit beider Konstruktionstypen mit 6 : 0 für die erste Bedeutungsvariante. Bei den gängigsten Berufsbezeichnungen wurden die Befragten um Folgendes gebeten: À marquer d’une croix celle des deux expressions qui vous semble plusacceptable que l’autre: Tab. 6a: Im Sprecherbewusstsein (in)akzeptable Differenzierung des Sexus über ein lexikalisches generisches Element FEMME X
X FEMME
Verteilung
professeur
femme professeur
professeur femme
5:1
instituteur
femme instituteur
instituteur femme
4:2
médecin
femme médecin
médecin femme
6:0
ingénieur
femme ingénieur
ingénieur femme
6:0
In der Regel wird also ohne Spezifizierung des Kontextes der Redesituation der Beruf betont und das Sexus als sekundäre Bedeutungskomponente vorangestellt. Eine analoge Verteilung findet sich bei anderen, auch exotischen Berufen. Die Präposition von femme wird offensichtlich bei solchen Berufsbezeichnungen als «relativ natürlich» empfunden, die traditionell eher von Männern bekleidet wurden: arbitre, dentiste, fonctionnaire, photographe, pianiste; secrétaire lässt in dieser Reihe zunächst erstaunen, wird aber verständlich, wenn secrétaire auf den politischen Bereich eingegrenzt wird. Die noms épicènes mit nur einem grammatikalischen Geschlecht (z.B. auteur, cadre, écrivain, imprimeur, ingénieur, juge, médecin, pilote etc.) zeigen dabei keine Besonderheiten. 329 Bei der folgenden Frage ergab sich ein relativ einheitliches Bild, wobei klar war, dass bei ami und héritier die Artikulierung (un, une) bzw. der Artikel samt einer separaten weiblichen Form (un héritier/une héritière) das Sexus bereits indiziert, so dass eine weitere Präzisierung über ein lexikalisches generisches Element wie fille etc. nicht notwendig ist: Lesquelles des constructions mentionnées ci-dessous jugez-vous comme acceptables et lesquelles comme ne l’étant pas? (Cochez, s’il vous plaît):
386 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
schließen, dass der Konstruktionstyp femme X im Sprecherbewusstsein als die unmarkierte Variante der Indikation des Sexus verankert ist (cf. auch die höhere Frequenz in google-Trefferliste); es liegen also in der Regel N1N2-Verbindungen vor, in denen das lexikalische generische Element die Position N1 besetzt – mit folgender Einschränkung (laut Sprechereinschätzung wie folgt): «Tout dépendcx si l’on veut mettre l’accent sur le fait que la personne soit une femme (un ingénieur femme) ou bien qu’elle exerce telle ou telle profession (une femme ingénieur); verbalement, l’accent tonique est mis sur le denier mot du groupe nominal: un ingénieur femme, une femme ingénieur».
Die Frage der Genuskongruenz in nominalen Verbindungen wie femme instituteur oder héritier mâle (gegenüber une héritière), in denen also das lexikalische generische Element mit einem Nomen kombiniert erscheint, das sich auf Grund seiner Morphologie (Suffigierung) selbst für die Genusmarkierung im phonischen Code eignet (cf. *femme institutrice), ist typologisch interessant. Die Inakzeptabilität letzterer Verbindung resultiert zum einen aus der Redundanz der
|| Tab. 6b
ami
X FEMME (FILLE)/X HOMME (GARÇON)
X FEMELLE/X MÂLE
amie femme
amie femelle
ami mâle
héritier
6:0 6:0
ami garçon enfant
6:0 6:0
amie fille ami homme
Verteilung
enfant fille
enfant femelle
5:0
enfant garçon
enfant mâle
5:0
héritier femme
héritier femelle
6:0 6:0
héritier fille héritier homme héritier garçon
héritier mâle
5:1 6:0
Bei enfant kommt ebenfalls die Artikulierung zum Zuge: un enfant für ‘un garçon’ une enfant für ‘une fille’. Allerdings wird une enfant als fraglich bezüglich der grammatikalischen Korrektheit bewertet. Die Rolle des Kontextes ist auch im Sprecherbewusstsein eine zentrale: «Par contre, si l’on veut préciser le sexe, c’est le contexte qui peut le donner, exemple: j’ai deux enfants: un garçon et une fille (et non pas: j’ai un enfant garçon et un enfant fille)». Die Qualifizierung durch mâle und femelle wird im Bewusstsein der Sprecher der heutigen französischen Gemeinsprache lediglich für Tiere als akzeptabel eingeschätzt; nur eine der befragten Personen erachtete un héritier mâle als grammatikalisch korrekt.
Modifizierung – Genusmarkierung | 387
Geschlechtskennzeichnung;330 zum anderen hängt sie aber indirekt auch mit dem Gesamtsystem des Französischen zusammen bzw. beruht auf einem typologischen Hintergrund (cf. Noailly 1990, 44–45): «L’accord de nombre est muet, donc insignifiant dans le code oral. Et nous serions tentés de penser, comme déjà H. Frei […],331 que ’l’adjectif en français avancé marche par des voies diverses vers l’idéal de l’invariabilité’. A vrai dire, c’est toute la catégorie nominale qui est à peu près amorphe dans notre système, ou tend à le devenir. On pourrait le dire du genre aussi […] Pour le reste, il n’est guère embarrassant, il me semble, de ne pas marquer l’accord, les adjectifs de création récente (en -aire, -iste, -al, -el) ne le marquant pas non plus, au moins dans le code oral. L’adjectivation de tous les cas étudiés […] se mesure donc plus sur des tests syntaxiques que sur des critères morphologiques».
Für solche N2, die im oralen Code hörbar mit dem Genus von N1 akkordierbare Suffixe enthalten, gilt dieselbe Regel der Unveränderlichkeit von N2, so z.B. femme-chercheur, femme médecin: «Plus curieusement encore, dans des cas où N2 appartient à des séries suffixés (substantifs ou adjectifs […] à féminin marqué (on/332-onne; -eur/-euse), N2, sans gêne aucune, est volontiers laissé au masculin après des N2 [sic] pourtant féminins» (Noailly 1990, 22–23). Dies führt zu einer differenzierteren Charakterisierung des nominalen Systems des Französischen: «Donc, si, même quand l’accord est possible, il n’est pas automatique, si des suffixes réputés masculins ne sont pas mis au féminin là où les règles d’accord l’exigeraient, c’est que la concordance des genres à l’intérieur du GN est un phénomène bien secondaire dans le français d’aujourd’hui» (Noailly 1990, 23). Das erläuterte Verfahren der Genusmarkierung, das in den Bereich der «construction directe» von N1N2-Verbindungen bzw. der asyndetischen Substantiv-Substantiv-Komposita fällt, kennzeichnet, was die typologische Grundlage einer Sprache anlangt, primär die dem polysynthetischen Typ zugehörigen Sprachen, aber auch die isolierenden; cf. das Chinesische, in dem der attribu-
|| 330 Solche redundanten Bildungen finden sich vereinzelt in verschiedenen Systembereichen; cf. kat. petitet, wo -et das Diminutiv zu petit ‘klein’ anzeigt und insofern eine Intensivierung impliziert; so auch bei frz. petiot ‘petit, tout petit; petit enfant’, allerdings ist das Suffix -ot (< vlat. -OTTUS) im aktuellen Französischen nicht mehr produktiv (im Deutschen nicht möglich, cf. aber literarische Formeln wie Hänschen klein mit Intensivierung der Diminutivierung des Eigennamens durch das Adjektiv in zudem für das Deutsche markierter, da postponierter Stellung). 331 Frei, Henri (1929, 191). 332 Das Suffix -on wird nicht mehr in allen Fällen akkordiert, cf. elle est grognon, tatillon, brouillon, souillon etc. Das Suffix -eur zeigt ähnliche Tendenz zur Invariabilität; so findet sich in der gesprochenen Sprache auch la professeur gemäß des für das Französische aus typologischer Sicht idealtypischen Verfahrens der Genusmarkierung über die Determinanten bei Unveränderlichkeit des Wortes an sich.
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tive Typ, wie er sich im isolierenden Englischen durch girl-friend, she-bear etc. realisiert findet, eine wichtige Technik zur Gestaltung der Femininbildung darstellt: So heißt etwa Lehrer 教师 [jiàoshī], Lehrerin 女教师 [nǚjiàoshī] (‘Frau/weiblich Lehrer’), analog Arzt 医生 [yīshēng], Ärztin 女医生 [nǚyīshēng] (‘Frau Arzt’); oder 一个女人 [yīgènǚrén]333 ‘eine Frau’ (eigentlich ‘ein Stück weiblich Mensch’) verglichen mit 两个男人 [liǎngge nánrén] ‘zwei Männer’ (eigentlich: ‘zwei Stück männlich Mensch’).
5.5.3 Der Konstruktionstyp FEMME (DE) X und generische Komposition Der behandelte Konstruktionstyp FEMME X, das auf einer präpositionalen Fügung FEMME/HOMME DE X wie in femme de ménage, homme de mer beruhende Muster sowie die generischen Komposita des Typs ménagère, marin zeigen Funktionsüberschneidungen: ihre Bedeutung umfasst einen Handlungsträger («quelqu’un qui») samt dessen Sexus. Das Geschlecht der bezeichneten Person wird bei den generischen Suffixen über die interne Flexion, also die entsprechende männliche oder – sofern verfügbar – weibliche Suffixvariante zum Ausdruck gebracht (arboriculteur, -trice), d.h. zum Klassem [PERSON] tritt eventuell ein Merkmal [+ WEIBLICH] hinzu. In den beiden anderen Konstruktionen wird das Sexus lexikalisch markiert. Die aus prolexematischer Komposition hervorgegangenen Bildungen konstituieren bestimmte Bezeichnungsgruppen im Bereich der menschlichen Lebewesen bzw. deren Funktion: Es handelt sich um Nomina agentis (Subjektnominalisierungen) wie dépanneur bzw. Relationskomposita mit Klassem [LEBEWESEN] bzw. [PERSON] des Typs caissier. In der präpositionalen Verbindung wird die durch das generische Suffix bezeichnete Entität334 (bzw. das Determinatum) durch das generische Element lexikalischen (nicht pronominalen, aber klassematischen) Charakters zum Ausdruck gebracht, das seinerseits eine Determination durch die präpositionale Ergänzung erfährt; cf. folgende potentielle Entsprechungen (mit unterschiedlichen Fixierungen im Lexikon, cf. homme d’affaires ‘Geschäftsmann’ – affairiste ‘Geschäftemacher’; homme de loi ‘Jurist’ : législateur ‘Gesetzgeber’; femme de ménage ‘Raumpflegerin’ : ménagère ‘Hausfrau’ etc.): homme de Néandertal : Néandert(h)alien; homme de politique : politicien; homme de mer : marin; homme
|| 333 Zwischen einer Zahl und einem Nomen muss – in Abhängigkeit vom Nomen – in der Regel ein Zähleinheitswort stehen; ge ist das am häufigsten gebrauchte. 334 Bei polyvalentem Status des generischen Suffixes tritt eine Beschränkung der verschiedenen Funktionen auf einen der möglichen funktionellen Werte ein.
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de péché : pécheur; homme de guerre : guerrier; mit unterschiedlichen Nominalstämmen: homme d’église : ecclésiastique; homme de science : savant; homme/ femme de lettres : écrivain/écrivaine, une écrivain (fam.) Bei Bildungen des präpositionalen Typs wie femme de ménage, femme de journée, fille de journée etc.335 bezeichnen – im Unterschied zum Muster femme médecin – femme, fille weniger das Sexus allein, sondern bereits den Träger einer Funktion mit besonderem Bezug auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld. Daraus resultiert die besondere Affinität zu den generischen, vor allem den Relationskomposita (cf. caissière ‘femme de/à la caisse’): Genauso wie die generischen Elemente der generischen Komposita aus dem Bereich der Nomina agentis bzw. solche, die ein Klassem [PERSON] enthalten, umschrieben werden können mittels ‘homme, femme, personne qui’ oder – abstrakter und adäquater – durch ‘celui/celle (bzw. neutrales celui) qui’ bzw. – bei den Relationskomposita – ‘celui Präp. X’ (z.B. vigneron, caissier, bouquetière, disquaire, citoyen, diététicien, projectionniste etc.), so enthält der Konstruktionstyp FILLE DE X: fille d’auberge, fille de ferme, fille de cuisine etc.336 einen als weiblich (ggf. männlich) charakterisierten Handlungsträger als Determinatum, der in Relation zu einem bestimmten Einsatzbereich X gestellt wird. Dabei kann das Nomen absolutum fille ersetzt werden durch ein Nomen adjectum mit eingeschränkterer Extension (und größerer Intension, d.h. zusätzlichen Inhaltsmerkmalen): ouvrière, couturière (cf. Grevisse 1993, §349, a, 4°). Beim präpositionalen Typ also liegt offensichtlich ein Muster zugrunde, in dem fille/femme die Bedeutung ‘jeune fille/femme employée à une fonction/un travail’ besitzt (sofern es sich nicht um reine Idiomatisierung handelt337). Die Zahl der Bildungen nach dem Muster ist allerdings sehr beschränkt. Insgesamt eignen sich zum Ausdruck von Berufsbezeichnung folgende lexikalische Einheiten: femme de, fille de, dame de, demoiselle de, homme de, garçon de.338 Unter
|| 335 Daneben – aber selten – femme en journée, in Anlehnung an verbale Wendungen wie travailler en journée, aller en journée, mit gewisser Häufigkeit auch noch couturière en journée sowie ouvrière en journée. Konkurrenz zur Präposition de besteht ferner durch Bildungen mit à (ebenfalls in Analogie zu verbalen Ausdrücken): une femme à la journée, servante à la journée, couturière à la journée, ouvrière à la journée (cf. Grevisse 1993, §349, a, 4°); femme à soldats (TLFi, 10/12/2002, s.v. femme, I. C. 3.a); femme au foyer (daneben existiert veraltetes femme de foyer). 336 Cf. dame d’œuvres, dame de charité, dame patronnesse: ‘femme du monde qui se consacre à des œuvres de bienfaisance, qui patronne des fêtes de charité’ sowie dame, demoiselle de compagnie: ‘personne appointée pour tenir compagnie à une autre’ (cf. P.R. s.v. dame, compagnie). 337 Die Wendung femme de ménage wird auch ersetzt durch femme de journée oder femme à la journée; ersteres findet sich dabei durch à la journée ergänzt: femme de ménage à la journée (Grevisse 1993, §349, 4). 338 Cf. G.R. 2011, tableau noms de métiers.
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formalem Aspekt entspricht letzterer Typ im Unterschied zu den generischen Komposita jedoch nicht paragrammatischen, sondern grammatischen Verfahren, da die Bildungsregeln der freien Syntax entstammen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Konstruktionstyp femme de lettres das Determinatum femme bereits auf die eine bestimmte (durch die präpositionale Ergänzung spezifizierte) Tätigkeit ausübende Person verweist und mehr Eigenschaften als das Sexus allein impliziert. Anders dagegen beim Bildungstyp femme auteur/écrivain/poète, wo der inhaltliche Beitrag des lexikalischen generischen Elementes auf die Femininmarkierung beschränkt bleibt.
5.5.4 Typologische Tragweite der einzelnen Genus markierenden Konstruktionen – Zusammenfassung Das lexikalische Element mit generischer Funktion (Typ FEMME X) ist also prinzipiell in der Lage, Artikel oder andere Determinanten, die eine Genusmarkierung kenntlich machen (une enfant, elle est cadre, cette prof), bzw. ein weibliches generisches Wortbildungssuffix zu substituieren (une vendeuse). In letzterem Fall ist die Genusmarkierung redundant. Aus der Sicht des idealtypischen typologischen Konstrukts im Rahmen der Isolation wäre der periphrastische Typ femme + unveränderliches Nomen das dem Sprachtypus adäquateste Realisierungsmuster, da das genustragende Element der Gruppe der isolierten Lexeme angehört und selbst nicht der Flexion unterworfen ist: Anders als die femininen Suffixe zeitigt femme weder flexivische Abwandlungen des Stammes (cf. diacre – diaconesse, doge – dogaresse, prophète – prophétesse etc.) noch sekundäre Flexionserscheinungen wie bei der Suffigierung (chanteur – chanteuse, acteur – actrice etc.) oder im Falle der externen Genusmarkierung durch Artikulierung, Determinanten etc. (un,e élève etc.); als independentes Morphem gehört femme auch nicht zu den agglutinierenden Suffixen, sondern entspricht vielmehr neben dem isolierenden auch dem polysynthetischen Konstrukt (Typ der asyndetischen Komposition). Der generische Status eines lexikalischen Elementes wie femme, homme, der die Affinität zur generischen Komposition (mit prolexematischem oder pronominalen Status des generischen Elements) bedingt, findet im zwischensprachlichen Vergleich eine Stütze: So kann zwecks Genusdisambiguierung analog zum tendenziell isolierenden Französischen im stärker isolierenden Englischen an die Stelle von femme, homme etc. bzw. woman, girl, (seltener) man und boy (so zwar girl scout und boy scout, aber girl guide – *boy guide) auch ein pronominales Element treten, vergleiche: woman friend, woman doctor,
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woman driver, woman politician; girl-friend, girl guide, girl scout; man-friend, boy-friend, a man child neben she-ass, she-bear, she-cat, she-devil (fig.) etc. (wobei das Maskulin in der Regel als neutrale Form dient).339 Gewisse Gebrauchsbeschränkungen gilt es jedoch zu berücksichtigen: Die Genuskennzeichnung mittels eines modifizierenden Pronomens kann Tiere und Personifikationen betreffen, dagegen offensichtlich nicht Personen: *sheteacher. In der Dominanz des Vorkommens der femininen Pronominalformen gegenüber den jeweiligen maskulinen spiegelt sich die spezifische Bezeichnungsnotwendigkeit, um die Referenz auf ein weibliches Lebewesen explizit zu machen; seltener muss dagegen das Maskulinum herausgestellt werden. Dennoch existieren Bildungen wie he-goat etc. Eine weitere Parallele besteht zudem in der im Englischen ebenfalls gegebenen (historisch begründeten) Möglichkeit zur Voran- oder Nachstellung des Genus markierenden Elementes: So gehören zum attributiven Typ girl friend ‘friend who is a girl’ (oder: girl-child, maidservant, manservant) auch Kombinationen wie ape-man, messenger boy, peasant girl, puppy dog, servant girl, slave girl, washerman, washer woman (bondmaid, bondman, bondwoman repräsentieren historisch denselben Typ). Der Typ boy-friend bildete eventuell das für das Altenglische regelmäßige Muster (cf. Marchand 21969, 61 Anm. 46). Interessant ist dabei insbesondere der Typ washerman, washer woman, da hier zusätzlich zum hinsichtlich der Genusmarkierung indifferenten generischen Element, ausgedrückt durch das wortbildende Suffix -er, das Sexus in lexikalischer Form hinzutritt. Die Bildung der weiblichen Form qua Suffix kann eingeschränkt sein (etwa bei *professeuse340); eine solche Einschränkung ist nicht allein Voraussetzung dafür, dass das Sexus unter Rekurs auf Mittel der Isolation markiert wird (cf. nachstehende Zusammenfassung). Vielmehr lässt sich mit Einflüssen seitens
|| 339 Das maskuline Pronomen he bezeichnet im Englischen eine männliche Person oder Tier (he looks interesting; he’s a fine stallion) oder eine Person oder Tier mit unbekanntem oder nicht näher spezifiziertem Geschlecht: a member of the party may vote as he sees fit; auch bei Referenz auf ein unspezifiziertes Antezedens (one, whoever, anybody) wird he verwendet: everybody can do as he likes in this country. Das englische Pronomen she referiert auf weibliche Personen oder Tiere (she is an actress; she’s a fine mare) und bezeichnet auch personifizierte Gegenstände, die als weiblich ausgewiesen werden, d.h. Autos, Schiffe, Nationen (im australischen und neuseeländischen Englisch ist es die feminine Form des Pronomens, die im informellen Stil an Stelle von it treten kann: she’s apples, she’ll be right). Im Zuge der Etablierung einer «politisch korrekten» (cf. Kap. 5.5.2.3) Ausdrucksweise wird verstärkt die Formel «her or she» bzw. «she or he» verwendet. 340 Allerdings von Voltaire tatsächlich gebildet, cf. Grevisse (1993, 751, §476, b, 1°, Hist.).
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des dominanten typologischen Prinzips rechnen, das zum Ausbau der Syntagmatik bzw. der Unveränderlichkeit des Wortes strebt. So dringen Formen wie une écrivain, une future professeur, une puissante chef, auch in die Schriftsprache vor (cf. Grevisse 1993, §476b, 1°).341 Bei auf -e auslautenden Bezeichnungen für bestimmte Personengruppen entspricht das Verfahren der Genusmarkierung (unveränderliches Wort mit externer Kennzeichnung des Genus) ebenfalls annähernd dem Typus: un, une élève. Hier taucht wie bei professeur etc. das Problem auf, dass die Genusmarkierung über externe Determinanten zwar regelmäßig im Singular (Ausnahme: l’élève etc.), nicht aber im Plural (les/mes élèves – maskulin und feminin) zur Disambiguierung hinreicht. Bei professeur kann alternativ auf die Umschreibung mit femme rekurriert werden (cf. umgangssprachliches un,e professeur neben standardsprachlichem une femme professeur, les professeurs – les femmes professeurs). Zusammenfassung Aus inhaltlich-typologischer Sicht stellt sich der gesamte Bereich der Kennzeichnung des Genus bzw. Sexus im Französischen wie folgt dar: Für den isolierenden Typus charakteristisch zeichnen namentlich diejenigen Verfahren, die mit isolierenden, genauer morphologisch zum einen unmarkierten (cf. écrivain : ecrivaine als okkasioneller Bildung gegenüber typusadäquatem une (femme) auteur) und invarianten, nur über externe Mittel, d.h. auf syntagmatischer Ebene determinierten (un, une élève), zum anderen vorrangig morphologisch einfachen, nicht komplexen (primären) sprachlichen Einheiten (une aide vs. une chant-euse) operieren, um den entsprechenden Inhalt zu transportieren. Allerdings sind hier zusätzlich die historisch-genealogisch verankerten, tradierten Verfahren zu berücksichtigen (so z.B. die Movierung; cf. Kap. 5.6); diese bringen weitere typologische Verfahren zur Anwendung, vornehmlich das der Agglutination und (sekundär) der Flexion, z.B. instituteur – institutrice gegenüber rein agglutinierendem étudiant – étudiante). Wie gelingt es nun der Sprache, die idiosynkratischen sprachstrukturellen und historischen Prämissen gemäß dem «génie du français» so zu entfalten, dass sich eventuell allmählich verstärkende Tendenzen, wie sie in gebündelter Form als Wirken eines neuen bzw. spezifisch «neufranzösischen» typologischen Prinzips gedeutet werden können (cf. Kap. 14), stärker zur Durchsetzung gelangen? Im untersuchten Bereich hat sich hier die Funktion der Determinanten als
|| 341 Dass für bestimmte Berufe keine explizit feminine Variante existiert, hat häufig einen sozialen Ursprung, da eine ganze Reihe von Berufen erst für Frauen zugänglich gemacht werden mussten.
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genusindizierende Mittel in Verbindung mit einer zunehmend zur Unveränderlichkeit tendierenden Einheit Wort als bedeutend erwiesen gemäß dem mit Bezug auf bestimmte Formen als neuartig auftretenden Typ un professeur – une prof(esseur), un,e chef, un,e ministre, un,e secrétaire, un, e responsable etc. Abgesehen von Verwendungen wie in «[…] affirme LA MINISTRE» (Le Monde, 17/09/2002, IX) kann die Referenz auf das weibliche Sexus bei Berufs- und Amtsbezeichnungen wie chef, ministre auch durch den (mehr oder weniger eindeutig) weiblichen Personennamen kenntlich gemacht werden. Die Funktionsbezeichnung wird dabei dem Eigennamen appositiv (ohne Artikel) nachgestellt; z.B.: «[…] argumente BRIGITTE Grésy, CHEF du service des droits des femmes au ministère des affaires sociales, du travail et de la solidarité» (ibid.). Der Bezug auf eine weibliche Person kann weitere Kongruenzphänomene in der Syntax bedingen, die jedoch im code oral mitunter nicht zum Tragen kommen: «NICOLE Ameline, MINISTRE déléguÉE à la parité et à l’égalité professionnelle, se donne cinq ans pour faire progresser la parité au sein des entreprises et des administrations»; «[…] nuance MICHÈLE Monrique, SÉCRÉTAIRE confédérALE FO chargÉE de l’égalité» (ibid.). Unveränderlichkeit des morphologisch einfachen primären Wortes ist ein wesentliches Merkmal des isolierenden Typus; die Genusmarkierung über lexikalische Mittel entspricht in besonderer Weise dem polysynthetischen Konstrukt, ist aber auf Grund der Affinitäten zwischen Polysynthese und Isolation auch letzterem Typus eigen. Einen solchen Status – morphologische Simplizität und Invarianz (abgesehen vom Ausdruck anderer grammatischer Kategorien, die eventuell an derselben Wortkategorie zum Tragen kommen, wie die Pluralmarkierung; doch auch hier kann auf die Unveränderlichkeit im oralen Code verwiesen werden) – besitzt die lexikalische Einheit femme im heutigen Französisch, die analog zu den (sekundär flektierten) generischen Suffixen (viticulteur, -trice) bzw. dem Verfahren der Movierung die Kategorie Genus als eine semantische Kategorie realisiert. Der Gebrauch der periphrastischen Konstruktion ist pragmatisch motiviert, d.h. an der Bezeichnung des natürlichen Geschlechts orientiert und unterscheidet sich dadurch vom arbiträren grammatischen Genus, das im isolierenden Englischen, abgesehen von einigen Relikten (Pronomina: she, her, hers; he, his; it, its), dem natürlichen Geschlecht gewichen ist (the girl – she etc.). Die Tendenz zur Ausbildung einer invarianten, für Maskulinum und Femininum identischen Form manifestiert sich zudem in der wachsenden Produktivität gewisser – zumindest im code oral – genusinvarianter Suffixe wie -el, -al, -aire, -iste sowie in der Neigung bestimmter Suffixe, den Genusakkord nicht mehr zu vollziehen, so etwa -on und -eur, bei denen eine Nivellierung der Opposition -on/-onne und -eur/-euse zu verzeichnen ist. Wo also agglutinierende und/oder flexivische
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Formen in diese neue typologische Struktur eingebettet werden müssen, erfolgt dies zum Teil über die Reduktion der Suffixvariation mit Bezug auf die Funktion Genus, den Einsatz instrumentaler Wörter oder lexikalische Elemente. Die prototypisch isolierenden Mittel sind daher Bildungen nach dem Muster un écrivain mit familiärem une écrivain (neben okkasionellem une écrivaine);342 un professeur, une professeur (umgangssprachlich) oder une femme professeur; un,e cycliste bzw. des femmes cyclistes. Tatsächlich erlangen diese und analoge Strategien (cf. die entsprechenden Bildungsmuster im Bereich der tierischen Bezeichnungen) teilweise auch dort den Vorrang, wo feminine Bildungen – vornehmlich über genussensitive Suffixe – im aktuellen Französischen zur Verfügung stehen. Sprachpolitische Maßnahmen können zu dieser typologisch fundierbaren Tendenz abschwächend oder verschärfend hinzutreten: Das vereinzelte Streben nach völliger sozialer Gleichrangigkeit der Geschlechter propagiert zum einen den Ausbau der Femininmarker, zum anderen ein System wie im Englischen mit Vereinheitlichung des Maskulinums für beide Geschlechter, auch bei den Determinanten: «‘L’évolution sociale qui tend à la promotion de la femme dans la vie politique et professionnelle a introduit des formes de féminin pour de nombreuses fonctions: artisane, attachée, auditrice, aviatrice, championne, avocate, etc. Mais comme c’est aussi un fait social concomitant qu’une distinction demeure malgré l’égalité formellement acquise par les femmes, celles-ci tendent à revendiquer l’emploi du titre au masculin pour manifester l’égalité absolue: D’où le professeur Mme X, le docteur Mme Y, etc.’» (Dupré 1972, zit. nach TLFi, Version 10/12/2002, s.v. femme, I., C., 2. Rem. 1.).
5.5.5 Exemplifizierung des französischen Sprachtypus Die von solchen Faktoren abstrahierenden Tendenzen, die den Typus des heutigen Französischen reflektieren, führen zu Bildungen, wie sie im Folgenden
|| 342 Das Muster un,e + auf -e auslautendes Substantiv (un,e diplomate) wird zuweilen als «unlogisch» empfunden, da das auslautende -e auch dazu dienen kann, eine Form ohne -e und eine Form mit -e im phonischen Code voneinander abzugrenzen, z.B. hier mit Nasalvokal im Maskulin gegenüber nasalem Konsonant unter Denasalierung des vorausgehenden Vokals im Feminin. In solchen Fällen bzw. dann, wenn eine Movierung vorliegt (z.B. sp. un gitano, una gitana), kann das -e als Femininmarker interpretiert werden: So wurde das ursprüngliche Formenpaar un gitane, une gitane gemäß des als regelmäßig empfundenen Musters zur Kennzeichnung der Genusopposition umgestaltet zu un gitan, une gitane. Weitere Formen, die auf -e im Maskulin auslauten und gelegentlich als Femina interpretiert werden, sind: ancêtre, ange, architecte, capitaine, guide, ilote, lâche, mime (cf. Grevisse 1993, §480, Rem. 3).
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(unter Berücksichtigung des Formenbestandes tradierter Suffixe) beschrieben werden:343 1. Depuis la mort de la grande Marie Noël, nos FEMMES POETES se font rares; 2. Un soupir, s’il vous plait, à la POETE FILLE. Der Gebrauch von poète an Stelle von poétesse ist dadurch begründbar, dass letztere Bildung allmählich eine pejorative Konnotation ausbildet und daher die Umschreibung als femme poète (cf. den prädikativen Gebrauch von poète in «Cette femme est un grand poète», P.R. s.v.) vorgezogen wird. Der Gebrauch von poétesse kann insofern als markiert gelten, die «periphrastische» Bildung entsprechend als die unmarkierte. In folgendem Beispiel ersetzt FEMME AVOCAT die Forme AVOCATE: 3. Plusieurs FEMMES-AVOCATS mènent campagne sur le viol. In solchen und ähnlichen Bildungen lässt sich aus dem Kontext erschließen, worauf jeweils der Akzent gelegt werden soll: die ungewöhnliche Rolle einer Frau als Dichterin, die Jugendlichkeit derselben etc.; auf jeden Fall wird das Sexus als relevant erachtet und ggf. die typusadäquate lexikalische Paraphrase (obwohl als vieilli markiert) vor der flexivischen Movierung gewählt (cf. Kap. 5.6). Die Bildung avocate ist (laut Grand Robert 2011 s.v.) seit 1750 «au propre» (in figurativem Sinne seit dem 14. Jahrhundert) belegt und wird zur Bezeichnung einer weiblichen Person neben un avocat usuell verwendet (vereinzelt lässt sich auch femme avocate nachweisen). Bei Ambiguität im Plural wie bei les cyclistes in 4. Elle était souvent vêtue de jupes-culottes, comme en portaient alors les DAMES CYCLISTES
ist die lexikalische Umschreibung notwendig, da der Plural trotz Artikulierung keinen Aufschluss über das Geschlecht der intendierten Personengruppe zulässt (und ein jupe-culotte vielleicht nicht notwendigerweise ein Frauen vorbehaltenes Kleidungsstück darstellt). Anders als im vorhergehenden Beispiel dient die periphrastische Umschreibung hier primär der Disambiguierung, die in diesem Fall notwendig materiell zum Ausdruck kommen muss, da keine separate feminine Form zur Verfügung steht. Im Falle von Tierbezeichnungen tritt der lexikalische Typ ein, um namentlich im fachsprachlichen Bereich verwendete suppletive, dem isolierenden Typ ebenfalls entsprechende, aber potenziell schwierige Formen zugunsten des || 343 Beispiele nach Grevisse 1993, §491.
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einfacheren und geläufigen Musters zu ersetzen; cf. den Gebrauch von (LA) MÈRE LIÈVRE statt LA HASE in: 5. Enseignements maternels que donnent aussi, à leurs petits, l’hirondelle, LA MERE LIEVRE, la chatte. Das auf lexikalischer Paraphrase beruhende Verfahren lässt sich hier über ein pragmatisches Argument mit der Erziehungsfunktion der Mutter im Rahmen des Muttertier-Jungtier-Schemas (cf. Kap. 5.6.2 zur Movierung) begründen, die die Existenz einer separaten weiblichen Bezeichnung in Form einer Movierung motivieren kann; diese ist aber von lièvre nicht bildbar (vergleiche aber le lapin – la lapine).344 Daher wird auf ein neues Lexem rekurriert, wobei die Umschreibung mittels mère zusätzlich eine stärkere expressive Komponente, die die Mutterfunktion betont, besitzt. Weitere Beispiele für den Einsatz von lexikalischen Paraphrasen für suppletive Formen sind folgende: 6. Der Gebrauch von SINGE FEMELLE345 statt GUENON in Nos cousines germaines, les singes femelles supérieurs mit Kongruenz des adjektivischen Attributs (supérieurs) zum Nomen singe (femelle selbst besitzt keine separate maskuline Form wie etwa féminin − féminine, sondern wird lediglich für die Kategorie Numerus akkordiert) auf Grund des übertragenen Gebrauchs; 7. die Verwendung von CERF MÂLE/CERF FEMELLE an Stelle des Paares CERF/BICHE: Lors des ouvertures du mois d’août (1er août pour les cerfs mâles, 23 août pour les cerfs femelles et les chamois) zur Betonung der Verteilung per se analoger Handlungen. Die drei letztgenannten Beispiele (5, 6, 7) deuten auf eine Reduktion der Suppletion im alltagssprachlichen Gebrauch zugunsten einer lexikalischen Umschreibung mittels der Attribute mâle/femelle etc. hin, was zum Teil auf den höheren Schwierigkeitsgrad bei der Erlernung zurückgeführt werden kann. Interessant ist daher das ebenfalls beobachtbare Auftreten neuer Vorkommen von Suppletion: «Bonne femme figure assez bien le féminin de type» (cf. Grevisse 1993, §486, a). Von typologischem Interesse sind ferner solche Formen, die zunächst Movierungen mittels Suffix (vornehmlich -esse) darstellen und parallel dazu eine se-
|| 344 Vergleiche die adjektivische übertragene Verwendung von lapin – lapinE in une mère lapine ‘une femme très féconde’ (P.R. s.v. lapin, ine) im familiären Sprachgebrauch. 345 Singesse wird nur selten für den Bezug auf das weibliche Tier gebraucht, stattdessen tritt guenon ein; etwas häufiger findet sich dagegen die übertragene Bedeutung von singesse (cf. Grevisse 1993, §486, a).
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kundäre konkurrierende weibliche Form ausgebildet haben, die der maskulinen Form entspricht und lediglich den Determinanten wechselt und damit ebenfalls dem Typ un, e élève folgt (mit finalem e in der Graphie); dazu gehören (cf. Grevisse 1993, §486, a):346 une borgne347 statt une borgnesse, une ivrogne statt une ivrognesse, une mulâtre statt une mulâtresse,348 une pauvre statt une pauvresse (veraltet), une sauvage statt une sauvagesse (veraltet),349 une Suisse statt une Suissesse,350 une traître351 (fam.) statt une traîtresse; ferner (mythologisch) une faune statt une faunesse.352 Seltenere feminine Formen auf -esse sind folgende:353 une boyesse (‘servante indigène’ im Französischen Afrikas), une cheffesse (populär sowie in Polynesien), une larronnesse354 (selten und literarisch), une peintresse;355 Tierbezeichnungen: une bufflesse, une singesse (selten an Stelle von üblichem une guenon; häufiger fig.); ferner: une centauresse (mythologisch oder fig.). Mit einer Modifikation der zugrunde liegenden maskulinen Form gehen folge Bildungen einher (siehe auch Grevisse 1993, §489, c): abbé − abbesse, devin −
|| 346 Als in spezifischer Weise semantisch motiviert können der Gebrauch von une hôte gegenüber hôtesse (cf. Grevisse 1993, §480, Rem. 2) sowie von (une) maître an Stelle von maîtresse gelten (cf. Grevisse 1993, §486, a). 347 Weniger despektierlich als nur selten gebrauchtes borgnesse, letztere Form findet sich nicht in P.R. s.v. verzeichnet (auch kein Beleg für une borgne). 348 P.R. (s.v.) weist darauf hin, dass adjektivisch auch mulâtre für beide Genera gebraucht wird: Il est mulâtre, fillette mulâtre. 349 Daneben existiert auch sauvageonne. 350 Laut Grevisse (1993, 768, §486, a) ist une Suisse im gepflegten Sprachgebrauch seltener als une Suissesse. Vergleiche P.R. s.v.: «Suissesse, qui a pris une valeur ironique, est aujourd’hui remplacé par l’adj. (une dame suisse)». 351 Traîtresse als Adjektiv gebraucht gehört vorrangig der literarischen Sprache an; in der alltäglichen Umgangssprache tritt traître häufig als feminine Form ein. 352 Semantisch bildet (aus dem Englischen entlehntes) patronnesse (normalerweise attributiv gebraucht als dame patronnesse) nicht das weibliche Pendant zu patron (cf. supra Kap. 5.5.3). 353 Daneben ließen sich als noch seltener gebrauchte Formen teilweise archaischen Charakters anführen: apothicairesse, bonzesse (oder bonzelle), câpresse, félibresse, jésuitesse, ladresse, merlesse, minimesse, ministresse, moinesse, piffresse, satyresse, seigneuresse, stewardesse (oder -ess), Turquesse, vidamesse (cf. Grevisse 1993, §486, a). 354 Larronne wird kaum mehr gebracht, larron selbst kann als obsolet gelten. 355 Peintresse kommt als okkasionelle Bildung (mit ironischer oder pejorativer Konnotation) vor (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°; ibid., §486, a; ibid. §491). In spezialisierter Anwendung bezeichnet peintresse auch ‘celle qui fait de la peinture sur porcelaine (dans des écoles professionnelles de Paris)’. Bei Fayence-Malerei spricht man regional auch von peinteuse (in Quimper), was eine maskuline Form peinteur voraussetzt, die im Afrz. existierte (cf. Grevisse 1993, §486, a).
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devineresse,356 diacre − diaconesse, dieu − déesse, doge − dogaresse, duc − duchesse, nègre − négresse, poète − poétesse, prophète − prophétesse. Als weitere das weibliche Geschlecht signalisierende feminine Suffixe (neben -esse) existieren: -ine in héros − héroïne, feuillant − feuillantine, speaker [spikœR] − speakerine [spikRin],357 tsar − tsarine, gosse − gosseline (pop.); ferner Victor − Victorine, Jacques − Jacqueline und andere Vornamen; -ette in merle − merlette, Yves − Yvette, Henri − Henriette und ähnlichen Vornamen sowie snob − snobinette; -otte in Charles − Charlotte (mit Charlot als hypokoristische Form von Charles); -onne in sauvage358 − sauvageonne, buffle − bufflonne (als Tierbezeichnung); -ie in Vornamen: Émile − Émilie, Léon − Léonie etc.; -taine in chef − cheftaine (< Englischen) in der Sprache der Pfadfinder; -aise in Basque − Basquaise (neben une Baque); -esque in Maure − Mauresque (einst auch als Maskulinum); -ide in sylphe − sylphide ‘Luftgeist’, gnome − gnomide (sehr selten). Der Fall einer historisch bedingten maskulinen Form, der ein anderes Maskulinum zugrunde liegt, lässt sich anhand des Paares une dinde, un dindon illustrieren: ursprünglich lautete das Maskulinum hier un dinde,359 zurückgehend auf eine Reduktion von coq d’Inde bzw. poule d’Inde mit Erhalt der Präposition (mit Inde = Amerika), das dann zu dindon umgestaltet wurde.360 Analoge Bildungen aus dem Tierbereich sind: canard − cane, loup-cervier − loup-cerve, mulet − mule; ebenso: rousseau − rousse;361 unter den Personenbezeichnungen finden sich: vieillard − vieille,362 compagnon − compagne.363 Eine (aus der Sicht der aktuellen Synchronie des Französischen) als Substitution des Suffixes interpretierbare Variation kommt in folgenden Fällen zum Tragen; Tierbezeichnungen: chevreau ‘le petit de la chèvre’ − chevrette ‘petite chèvre’ (cf. biquet und biquette ‘Zicklein’); chevrette bedeutet zugleich ‘femelle du
|| 356 Ursprünglich die feminine Form von devineur. 357 Auch speakeress nach englischem Vorbild. 358 Sauvageon ‘garçon sauvage’ als Maskulin zu sauvageonne (bzw. – damit konkurrierend – une sauvage, une sauvagesse) und Parallelform zu un sauvage wird selten gebraucht, dann v.a. als metaphorische Verwendung, abgeleitet von ‘arbre venu naturellement’. 359 Im Regionalfranzösischen ist dinde als maskuline Variante noch erhalten. 360 Ursprünglich handelt es sich um Bezeichnungen für aus Asien stammende Perlhühner; coq d’Inde hat sich im Regionalfranzösischen gehalten. Als Synonym kommt vor: poulet d’Inde (cf. Grevsise 1993, 770, §488, a, Hist.). 361 Als weitere auf Suffixalternation beruhende Varianten kommen gelegentlich vor: roussotte, roussiotte, rousseaute. 362 Vieillarde erscheint in seinen Vorkommen häufig pejorativ konnotiert, aber nicht in allen Verwendungen. 363 Compagnonne gehört der literarischen Sprache an, häufig mit pejorativer Konnotation.
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chevreuil’ (weibliches Tier) bzw. ‘petit chevreuil’ (cf. chevrotin364 ‘petit chevreuil’ bzw. ‘petit du chevreuil’ sowie faon als suppletivische Form); lévrier (‘Windhund’) − levrette365 (‘Windhündin’), perroquet − perruche, poney − ponette; mit Referenz auf Personen: péquenot366 (oder pèquenot) (fam.) − péquenaude, Pierrot − Pierrette, gouverneur − gouvernante,367 salaud368 − salope369 (vulg.), serviteur − servante. Können Bildungen wie signore − signora oder signorina; señor − señora oder señorita; mister − mistress oder miss auf Grund der alternativen femininen Form noch der Gruppe mit Suffixalternation zugerechnet werden, sind Paare wie roi − reine,370neveu − nièce, garçon – fille, cerf − biche eher der Suppletion zuzuweisen; gewisse Anglizismen und andere Lehnwörter zeigen ebenfalls eine idiosynkratische Formenalternation je nach bezeichnetem Geschlecht, z.B.: un sportsman [spɔRtsmAn], une sportswoman [spɔʀtswuman], analog tennisman, tenniswoman etc.; un barman, une barmaid [bARmɛd]. Ähnlich verhält es sich mit nicht naturalisierten Wörtern wie maharajah (-djah) − maharani (-né); chah
|| 364 Die angegebenen usuellen Paraphrasen der Wörterbücher bezeichnen mit petit offensichtlich nicht nur das kleine Tier, sondern zugleich das Tierjunge (P.R. s.v. chevreuil beispielsweise verweist auf chevrotin unter Angabe der Bedeutung ‘petit chevreuil’; s.v. chevrotin findet sich die Definition ‘petit du chevreuil’), cf. auch ibid. s.v. chat etc. Allerdings kann auf semantischer Ebene differenziert werden zwischen der diminutiven Bedeutung mit Bezug auf die physische Größe (‘petit animal’) und der Bedeutung ‘neugeborenes bzw. noch nicht ausgewachsenes junges Tier’ mit Bezug auf das Alter, auch wenn beide in diesem Falle miteinander einhergehen, wie z.B. explizit die Bildung bicot aufzeigt, die das Attribut «petit» in Verbindung mit der Bedeutung ‘junges Tier’ als ‘petit chevreau’ (also eigentlich ‘kleines Zicklein’) bringt. 365 Historisch gesehen stellt die feminine Form levrette eine Kontraktion aus levrerette dar, abgeleitet mittels des Suffixes -ette von maskulinem lévrier. Levrette bezeichnet neben dem weiblichen Artenvertreter eine bestimmte kleinwüchsige Hunderasse derselben Art. 366 Neben der an der Aussprache orientierten Form pecnot und der orthographischen Variante pecquenaud (beide zitiert in P.R. s.v.) existiert aber auch die Form péquenaud, zu der péquenaude die analoge feminine Form (parallel zu péquenot) darstellt. Es bestehen also zwei homophone Varianten im Maskulinum. Die feminine Form péquenotte besitzt äußerst seltenes Vorkommen. 367 Gouvernant als Synonym zu gouverneur ist veraltet. 368 Salaud ist von sale abgeleitet. Salaude findet sich zuweilen belegt; umgekehrt wurde nach salope auch die Graphie des Maskulinums analogisch angepasst und homophones salop statt salaud gebildet. 369 Eventuell gebildet aus sale und hoppe, einer dialektalen Form von huppe ‘oiseau connu pour sa saleté’ (cf. P.R. s.v.). 370 Lat. REINE geht historisch auf von lat. REX mittels des Suffixes -ina abgeleitetes REGINA zurück, roi auf den Akkusativ von REX: REGEM.
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(shah, schah) − chahbanou; goï (pl. goïm bzw. goy, pl. goym [gɔim] oder goyim [gɔjim]) − goïa (goya) mit französiertem femininem Adjektiv: une fille goye. Die Prädikatnominalisierungen des Französischen auf -eur [œR] zeigen ein regelmäßig mittels des Suffixes -euse371 [øz] gebildetes Femininum: menteur − menteuse, voleur − voleuse. Die Möglichkeit der Femininbildung nach diesem Muster gilt für solche deverbalen Ableitungen, deren maskuline Form auf -eur eine Ersetzung durch ein Präsenspartizip auf -ant zulässt, abgesehen von folgenden Ausnahmen: éditeur, exécuteur, inspecteur, inventeur, persécuteur, bei denen das Suffix -teur im Femininum die Variante -trice aufweist:372 éditrice, exécutrice, inspectrice, inventrice, persécutrice. Die nicht auf ein Verb des Französischen zurückgehenden Substantive auf -teur bilden ein Femininum auf trice:373 directeur − directrice. Ebenfalls auf dieses gelehrte Suffix greifen zurück ambassadeur − ambassadrice,374 empereur − impératrice. Das Femininum zu débiteur (‘celui qui débite’ < DEBITER) lautet débiteuse, das zu débiteur in der Bedeutung ‘celui qui doit’ (< lat. DEBITOR) dagegen débitrice (< lat. DEBITRIX): diese an die semantische Polyvalenz des Maskulinums gekoppelte Opposition wird nicht regelmäßig eingehalten, sondern stellt vielmehr eine im Maskulinum nicht gegebene Möglichkeit der Disambiguierung im fachterminologischen Bereich über die femininen Suffixvarianten -euse und -trice dar.375 Das Femininum zu chanteur lautet üblicherweise chanteuse, wohingegen cantatrice zur Bezeichnung einer ‘chanteuse professionnelle d’opéra ou de chant classique’ dient. Émetteur bildet entgegen der oben konstatierten Regel als feminine Form émettrice und nicht *émetteuse; enquêteur korreliert mit femininem enquêteuse (mit konkurrierender Variante enquêtrice). Procureur bildet als Femininum procuratrice, wenn ersterem die Bedeutung ‘celui qui a reçu pouvoir d’agir pour un autre’ zugrundeliegt; procureuse stellt die einstige matrimonielle Movierung zu procureur ‘femme du procureur (magistrat)’ dar. Autocrate als Zarentitel führte
|| 371 Historisch begründet sind diese Femina durch ein im Mittelfranzösischen eingetretenes Verstummen des -r im Auslaut, so dass die Feminina zu den Substantiven auf -eur wie die auf -eux ausgesprochen wurden; in Analogie zu letzteren, die ihre zugehörige feminine Form auf -euse (< lat. -OSAM) bilden, wurde auch das Femininum der auf -eur suffigierten Formen gestaltet. 372 Den genannten Bildungen liegen nicht die Verben éditer, exécuter etc. zugrunde, sondern die Verben sind umgekehrt von den Substantiven abgeleitet, die ihrerseits aus dem Lateinischen entlehnt sind (außer éditeur, das semantisch von lat. EDITOR abweicht und nach édition gebildet wurde). 373 Das maskulinem -teur entsprechende Suffix -trice geht auf lat. -TRIX zurück (cf. lat. ACCUSATOR − ACCUSATRIX). 374 Ambassadrice ist wie cantatrice über das Italienische entlehnt. 375 Cf. P.R. s.v. 3.: «Dans le langage commercial, la débitrice est celle qui est en dette; la débiteuse est l’employée chargée de comptabiliser les achats» (Dupré).
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einst zu femininem autocratrice,376 es findet sich auch une autocrate. Bei dem aus dem Englischen entlehnten supporter/supporteur [sypɔʀtɛʀ; sypɔʀtœʀ] wird in der Sprache des Sports zuweilen – wohl auf der Grundlage der alternativen Aussprache [-œR]377 – als zugehöriges Femininum supportrice gebildet; bei enchanteur, pécheur, vengeur tritt ein Wechsel von -eur zu -eresse ein: enchanteresse, pécheresse, vengeresse (nur selten). 378 Im fachsprachlichen Bereich gilt Analoges mit Bezug auf bailleur, défendeur, demandeur und vendeur der Rechtssprache sowie im Falle von charmeur, chasseur in der Sprache der Dichtung. Im alltäglichen Sprachgebrauch stehen die femininen Formen demandeuse, vendeuse, charmeuse, chasseuse zur Verfügung. Emmerdeur (vulg.) besitzt neben emmerdeuse eine feminine Variante emmerderesse; acquéresse statt *acquéreresse wird in manchen Wörterbüchern verzeichnet; daneben existieren weitere feminine Formen: acquéreure und acquéreuse als einzige regelmäßig gebildete Form, die allerdings nur wenig gebräuchlich ist. Die maskuline Variante acquéreur kann sich auf beide Geschlechter beziehen. Im usage familier wird doctoresse als Feminin zu docteur gebraucht; dies gilt allerdings nur für den medizinischen Bereich, d.h. Frauen, die nicht Ärztinnen von Beruf sind, werden nicht mit doctoresse bezeichnet. Diese Variante ist auch in der Schriftsprache anzutreffen. In der «Apposition» tritt dennoch docteur an die Stelle von doctoresse. Pastoresse ‘femme de pasteur (protestant)’ als matrimonielle Movierung zu pasteur ist nur selten in den Wörterbüchern verzeichnet;379 zu autoresse existieren als okkasionelle Varianten authoress(e) (ursprünglich gebraucht mit Bezug auf englische Schriftstellerinnen) sowie auteuresse; 380 autrice wird als historische Form zuweilen wiederbelebt (in G.R. 2011 s.v. verzeichnet; cf. auch SIEFAR381).
|| 376 Das Femininum auf -trice lässt sich dadurch erklären, dass neben autocrate auch die lateinische Form autocrator existierte. 377 Das analog zu den anderen maskulinen Formen gebildete supporteur, das auch in der Graphie diese Aussprache reflektiert, kommt in Frankreich und Belgien nur sporadisch vor, ist aber in Québec weiter verbreitet. 378 Im Afrz. bildeten die Maskulina auf -eur als zugehörige Femina Formen auf -eresse: danseresse, menteresse, tromperesse etc. Als Suffix liegt -esse zugrunde, das an den Kasus Rectus der maskulinen Form angefügt wurde: dansere etc. Dieses Verfahren wurde, außer in den genannten Fällen, von -euse verdrängt. Es kam auch vor, dass -esse an -eur angefügt wurde, cf. seigneuresse. Analog wurde auch prieuresse wiederbelebt. 379 In der Schweiz auch pastourelle. 380 Auteure findet sich in Québec, stellt aber mittlerweile auch eine Form der französischen Gemeinsprache dar: Marie Gauvillé est journaliste et auteure… («trait d’union», printemps 2011). 381 Société Internationale pour l'Etude des Femmes de l'Ancien Régime, siehe http://siefar.org/laguerre-des-mots-dictionnaire/les-mots-de-a-a-z-lettre-a/#Autrice; auteuse gilt als «barbarisme»
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Die Wörter inférieur, supérieur, mineur und prieur bilden ihr feminines Pendant über die bloße Hinzufügung eines femininen -e,382 d.h. gemäß dem Verfahren,383 wie es auch bei der Kongruenz der Adjektive Gültigkeit besitzt. Tatsächlich liegen hier adjektivische Formen bzw. ehemalige Adjektive im Komparativ zugrunde, die substantiviert wurden. Die aus dem Lateinischen entlehnten Wörter auf -seur, -sseur besitzen keine separate feminine Form, sondern die Maskulina werden auch mit Referenz auf weibliche Personen verwendet: elle est mon successeur. Vom Verb connaître abgeleitetes connaisseur weist dagegen eine eigene feminine Bildung connaisseuse auf; allerdings wird die maskuline Form häufig auch mit Bezug auf eine Frau zur Anwendung gebracht, wobei der Bezug über andere sprachliche Indizien klargestellt wird (wenn etwa die weibliche Person einer hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit heterogen zusammengesetzten Gruppe zugeordnet wird). Der an anderer Stelle diskutierte (Kap. 5.6.5) pragmatische Aspekt, der bestimmte Femininbildungen auf Grund mehr oder weniger dringlicher Bezeichnungsnotwendigkeiten erforderlich macht, kann mit den relationellen Bezeichnungsgruppen bei Personenbezeichnungen korreliert werden (cf. Staib 1988, 182–183). Das Gros der personenbezeichnenden Bildungen auf -ier etwa beruht auf relationellen Bezeichnungen bestimmter beruflicher Tätigkeiten; diese repräsentieren jedoch traditionelle Männerberufe, die, da heutzutage vielfach außer Gebrauch, eine Erweiterung der maskulinen um eine feminine Form nicht mehr pragmatisch zu motivieren vermögen. Daneben treten im Bereich der femininen Personenbezeichnungen auf -ière Blockierungen dort auf, wo entsprechende Bildungen auf -ière bereits für bestimmte Sachbezeichnungen fixiert sind: So ist ardoisière als weibliche Form zu ardoisier (Personenbezeichnung) durch ardoisière ‘Schieferbruch’ blockiert, trotzdem die weibliche Form des Adjektivs zu ardoisier ardoisière lautet.384 Zu un boutonnier existiert die weibliche Berufsbezeichnung une boutonnière sowie die (spätere) Bildung für die Sachbezeichnung une boutonnière ‘petite fente faite à un vêtement pour y
|| bzw. «déchire absolument les oreilles», siehe Y a-t-il une histoire littéraire des femmes? «Masculin et féminin: une question soumise à l'Académie française», Fabula-LhT n°7, avril 2010, http://www.fabula.org/lht/7/index.php?id=179. 382 In Canada werden Femina wie docteure, auteure etc. systematisch gebildet. 383 Vergleiche den Komparativ meilleur sowie folgende Reihe an aus dem Lateinischen entlehnten adjektivischen Oppositionspaaren, deren Funktion im Lateinischen dem Komparativ entsprach: antérieur − postérieur, citérieur − ultérieur, extérieur − intérieur, majeur − mineur, supérieur − inférieur. Alle bilden das zugehörige Feminin nach der allgemeinen Regel der Addition eines femininen -e. 384 Boel (1976, 22) listet französische Berufsbezeichnungen auf -ière auf.
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passer un bouton’ (G.R. 2011, s.v.). Im Rahmen der Möglichkeiten des Sprachsystems potenziell bildbare Formen können also «blockiert» sein wie im Falle von le médecin – *la médecine (im 16. Jahrhundert zuweilen gebräuchlich neben medicineuse), le cafetier – *la cafetière, zumindest ambig le coiffeur – *la coiffeuse (‘Frisierkommode’), le cuisinier – *la cuisinière (‘Küchenherd’); cf. aber umgangssprachlich verständlich: Tu sais, Machine, la sœur de Machin? Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf die Genusdifferenzierung bei Gattungsnamen im Französischen folgendes festhalten: Bezeichnungen für nicht belebte Bezugsobjekte besitzen ein arbiträres Genus, das maskulin (le sable) oder feminin (la table) sein kann. Im Zweifelsfall muss daher ein Wörterbuch zu Rate gezogen werden, um das Genus zu bestimmen (cf. tentacule (m.), anagramme (f.), hypallage (f.), après-midi (m. und f.), en-tête (m.) etc.). Trotz der häufigen etymologischen Bedingtheit oder des teilweise bestimmenden Einflusses kultureller Faktoren (cf. frz. le soleil und la lune385 gegenüber dt. die Sonne, der Mond) lässt sich das Genus nicht mit generalisierbaren semantischen Oppositionen in Verbindung bringen: le fauteuil/la chaise – un vélo/une bicyclette – le fleuve/la rivière. Bei der Modifizierung (cf. Lüdtke 1996a, 242–243; Lüdtke 2001a, 778; Lüdtke 2005, 313–385) – wie zudem bei der Kollektivbildung (cf. ibid.) – lassen sich Konvergenzen zwischen dem Subsystem der Grammatik und dem der Wortbildung feststellen (cf. Dokulil 1968a, 11; Lüdtke 2001a, 765). Die Suffigierung zieht im Rahmen der Genusmarkierung grundsätzlich eine Genusvariation nach sich (cf. Zwanenburg 1988; Lupinko 1990). Auch bei einem Suffix wie sp. -idad in claridad ‘Klarheit’, das hier zur Prädikatnominalisierung führt, kommt zum einen die Wortkategorie (Substantiv) zum Ausdruck, zum anderen ist zugleich die Bestimmung als Femininum gegeben. Die grammatische Kategorie Genus ist hier also an das wortbildende Affix gekoppelt. Eine verlässliche Prädiktibilität des Genus besteht bei folgenden mittels Suffixen gebildeten Formen: Bildungen auf -isme/-asme sind generell maskulin: purisme, socialisme, enthousiasme, pléonasme; Feminina sind dagegen solche auf -ade und -ude: ambassade, colonnade; solitude, certitude; ebenfalls feminin sind die Diminutivbildungen auf ette: maisonnette. Bezeichnungen auf -ille scheinen ebenfalls größtenteils den Femina anzugehören (ausgenommen gorille): aiguille, cheville, fille, lentille etc.
|| 385 Dieser Gebrauch kann als «metaphorisches» Genus bezeichnet werden (cf. etwa die Referenz auf Schiffe oder Ländernamen im Englischen als Femina mittels Pronomina, z.B. England – it/Albion – she etc., oder die Verbindung gewisser Lautqualitäten mit bestimmten Inhalten im Rahmen der Lautsymbolik etc.). Ausgangspunkt für eine Übertragung bestimmter maskuliner oder femininer Eigenschaften bilden diejenigen Begriffe, in denen Genus und Sexus einander korrespondieren.
404 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
Feminin sind auch Formen auf -aison: raison, saison, fenaison etc.386 In einer agglutinierenden Sprache, in der Ausdruck und Inhalt prototypisch in einem Verhältnis der Isomorphie stehen, wäre die grammatische Kategorie Genus idealiter durch ein eigenes Morphem realisiert, d.h. die Inhalte grammatischer und paragrammatischer Natur erscheinen im Idealfall formal getrennt.387 Eine besondere (Unter)Gruppe innerhalb der Gattungsnamen bilden die Bezeichnungen für belebte Entitäten; hier entspricht die Genusunterscheidung regelhaft einem Unterschied im natürlichen Geschlecht. Ausnahmen von dieser natürlichen Motivation sind Fälle von Femina wie recrue, sentinelle, estafette, ordonnance, vigie etc., die eine gewöhnlich von Männern ausgeübte Tätigkeit implizieren, so dass Genus und Sexus der jeweils bezeichneten Person miteinander konfligieren. Umgekehrt existieren maskuline Bezeichnungen, die sich hauptsächlich auf weibliche Personen beziehen, z.B. mannequin, souillon, laideron, tendron, boudin (fam.) etc. Beide Gruppen sind hinsichtlich ihres Umfangs relativ restringiert. Ferner existieren Feminina (connaissance, personne, vedette, victime etc.) oder Maskulina (auteur, facteur, modèle, otage, témoin, usager etc.), die jeweils sowohl eine weibliche wie männliche Bezugsperson zulassen. Hier ist das Sexus häufig irrelevant oder von sekundärer Bedeutung, muss gegebenenfalls aber spezifiziert werden (cf. auteur etc.). Typologisch relevant (cf. supra Kap. 5.5.4) ist insbesondere der Fall einer Gruppe an Wörtern, die keine Genusdifferenzierung am Wort selbst besitzt, sondern sich mit einem maskulinen oder femininen Determinanten (oder anderen syntagmatischen Mitteln wie Adjektiven etc.) verbindet, um über das grammatische Genus auf das bezeichnete Sexus zu referieren wie im Typ un élève – une élève, un concierge – une concierge, un choriste – une choriste; de bonnes élèves. Abgesehen von der variablen Genusmarkierung über externe Determinanten, also durch analytische Mittel, ist der Typ femme professeur (bzw. professeur femme) typologisch von besonderer Bedeutung: Hier wird das Sexus durch die Vor- oder Nachstellung eines «generischen» lexikalischen Elements wie femme in Verbindung mit der maskulinen Form der Personenbezeichnung kenntlich gemacht; bei bezüglich des Geschlechts nicht markierten Tierbezeichnungen werden lexikalisches mâle und femelle gebraucht: un ingénieur – || 386 Das Genus qua syntagmatischer Artikulierung dient ferner vielfach der Homonymendifferenzierung: le livre/la livre; le moule/la moule; le vase/la vase; le mort/la mort etc. 387 Allgemein können Suffixe die Wortkategorie mitbestimmen, müssen dies aber nicht notwendigerweise, da Suffixe auch wortartübergreifend (etwa bei der Bildung von Substantiven und entsprechenden Relationsadjektiven) verwendet werden können. Hier sind die Möglichkeiten aber nicht beliebig (zur Frage der wortkategorialen Markierung mittels eines Nullsuffixes cf. Stein [1970]/1981).
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une femme ingénieur, un médecin – une femme médecin; une panthère mâle – un guépard femelle (cf. Kap. 5.5.2.5–5.5.4; 5.5.7). Damit besitzen lediglich die auf -e auslautenden Nomina (un, une athlète) und diejenigen mit agglutinierender Variation der Endung nach Vorbild der Genusmarkierung beim Adjektiv (Anfügung eines femininen -e im skripturalen Code) zwei Genera. Bei letzteren kann die Variation ohne Einfluss auf die Aussprache erfolgen (rival/rivale) oder eine solche nach sich ziehen. Ändert sich die Aussprache, geht diese Modifikation einher mit der hörbaren Realisation des auslautenden Konsonanten entweder ohne Beeinflussung des finalen Vokals oder unter gleichzeitiger phonetischer Variation desselben: avocat – avocate, renard – renarde, cousin – cousine, lion – lionne. Schließlich kann auch der finale Konsonant selbst eine phonetische Wandlung erfahren: veuf/veuve. Bei den anderen Nomina beruht die Genusmarkierung auf einer Opposition (einfacher oder komplexer) lexikalischer (relationeller) Varianten (cf. Riegel et al. 1994, 173, Rem. 1). Die Genusopposition wird vor allen Dingen dann zugunsten des Maskulinums neutralisiert, wenn die Gattung als solche in den Blick genommen und vom Sexus des Individuums abstrahiert wird: L’homme est un roseau pensant – Les époux se doivent mutuellement assistance – Les chiens ne font pas des chats. Obige Beobachtungen zur Suffixvariation erinnern an die Flexionsendungen, die mehrere grammatische Funktionen kumulieren. So finden sich etwa im Lateinischen Numerus, Genus und Kasus in einer Endung ausgedrückt, z.B. equos. Flexion ist also nicht nur für die grammatischen Endungen typisch, sondern tangiert auch die wortbildenden Affixe. Ein gemeinsames Auftreten von Wortbildungsfunktion (Prädikatnominalisierung) und grammatischer Kategorie (Femininum) in einem Suffix wie sp. -idad scheint einen für den flektierenden, nicht aber den isolierenden oder agglutinierenden Sprachtypus charakteristischen Zug darzustellen, da im isolierenden Konstruktum Genusmarkierungen (als grammatische Kategorie) idealer Weise nicht vorkommen, der agglutinierende Prototyp ein eigenes Morphem erfordern würde. Diese flektierende Komponente ist auf das entsprechende Verhalten der Suffixe bereits im Latein sowie deren Kontinuität in nachlateinischer Zeit zurückzuführen. Das Wortbildungsverfahren erscheint hier aus rein materieller Sicht somit als einerseits der Agglutination eigen (Anfügung eines Affixes an den Wortstamm oder die Basis), andererseits treten flektierende Elemente auf,388 indem
|| 388 Ähnliche Erscheinungen sind auch im Bereich der Grammatik zu beobachten: So ist der Gebrauch des Artikels im Französischen einerseits als ein Zug des isolierenden Konstruktes zu betrachten, da er zu den isolierten Funktionswörtern gehört; andererseits sind le, la auch für
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Funktionen hinzukommen, die der Grammatik angehören und nicht der Wortbildung. Sofern die Bildung des Femininums über Mittel erfolgt, die sich zwischen Grammatik und Paragrammatik situieren (Movierung), entspricht diese einer anderen Funktion: nicht der Bezeichnung des grammatischen, sondern des natürlichen Geschlechts, etwa bei it. figli-a ‘Tochter’ gegenüber figli-o ‘Sohn’: Hier verbindet sich die Endung des Femininums, eigentlich eine grammatische Endung, mit der Markierung des Sexus,389 so dass das Bezeichnete das natürliche Geschlecht ist. Ein typologisch dem isolierenden und insbesondere dem polysynthetischen Konstrukt eignendes Verfahren der Genusmarkierung ist mit lexikalischen Einheiten (bzw. Nomina adiecta) wie femina gegeben. Solche Nomina (wie homme, femme etc.), die sehr allgemeine (generische) Kategorien bezeichnen, können im Sinne der Grammatik von Port Royal (1660) als «Stützwörter», etwa im Bezeichnungsbereich der Berufe, dienen. Da diese Nomina mit den Berufsbezeichnungen gemeinsam impliziert werden, kann es zur Ellipse kommen; die zugehörigen nominalen Attribute wie professeur in homme professeur etc. fungieren daher ursprünglich als Adjektive, die über den elliptischen Gebrauch als Substantive uminterpretiert werden.
5.5.6 Nomina absoluta, Nomina adiecta Eine wichtige Unterscheidung zwischen Wörtern, die eine primäre Realitätserfassung gewährleisten, und solchen, die allein unter Rekurs auf erstere eine
|| Genus und Numerus markiert (im Unterschied zu engl. the), les in Bezug auf die Kategorie Numerus (cf. ebenso engl. the), du, de la tragen eine Kennzeichnung für Kasus, Genus und Numerus (cf. den ererbten sächsischen Genitiv mit flexivischem ’s gegenüber dem germanischen Genitiv mit of als Verfahren der Isolation im heutigen Englisch), des für «Kasus» und Numerus (engl. nur of + Artikel), au, à la (bzw. à l’), aux hinsichtlich der Kategorien «Kasus» (genauer wird eine indirekte Konstruktion hergestellt), Genus und Numerus (bzw. Kasus und Numerus bei à l’) oder Kasus und Numerus (engl. to + Artikel). Analoges gilt für die Personalpronomina etc. 389 Auch andere Wortbildungsverfahren werden allein unter Rückgriff auf grammatische Mittel gekennzeichnet, etwa im Bereich der verschiedenen Typen von Konversion (cf. rum. albu-l, it. l’anda-re, wo Selektion eines Basismorphems – des Morphems des Maskulinums Singular in Verbindung mit dem bestimmten Artikel bei der Konversion vom Adjektiv zum Substantiv, des Infinitivmorphems bei der Konversionsrichtung Verb → Substantiv – vorliegt); einen besonderen Fall stellt ferner die sogenannte Rückableitung des Typs frz. marcher → la marche dar (es liegt der Konversionstyp zugrunde, der auf dem Übergang von einer Wortkategorie in eine andere über den reinen Wechsel der Flexionskategorien beruht, d.h. auf dem Paradigmawechsel; cf. Lüdtke 2001a, 765 und 775).
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Klassifizierung der Wirklichkeit vermögen und insofern als sekundär zu betrachten sind, stammt von Juan Luis Vives. Er differenziert in De censura veri (1782, 146) (cf. Coseriu 1971c, 247–248) innerhalb der rerum nomina (primärsprachliche Bezeichnungen) einerseits zwischen den rerum nomina in eigentlichem Sinne, die auch als absoluta bezeichnet werden und «quae cujusque essentiam denotant» bzw. «sine adjecto significant» (z.B. homo, capra, lapis, aurum), und andererseits den appellationes, «quae aliquid affingunt substantiae» und «cum adiecto significant» (z.B. magister, dominus, pater, dives, pauper, consul, judex). Dietrich (1973, 51) zitiert Quintilian als eigentlichen Urheber dieser Differenzierung, wobei Quintilian zwischen rerum nomina und apposita unterscheidet. Dietrich (ibid.) nennt diese jeweils nomina denominativa und nomina adiecta; Coseriu spricht für dieselbe Opposition von nomina absoluta und nomina adiecta. Staib (1988, 89)390 folgt der Terminologie nach Coseriu, die ich beibehalte. Die Nomina absoluta klassifizieren die Gegenstände und Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit in spezifischer Weise, und darin liegt ihre Besonderheit: Wörter wie Mann, Baum, Löwe, Tisch sind primärsprachliche Bezeichnungen, die die Sachverhalte der Welt direkt klassifizieren; es handelt sich zudem um absolute und einfache Bezeichnungen. Nomina adiecta sind demgegenüber Wörter wie Greis, Dieb, Bote; diese repräsentieren im Unterschied zu den Nomina absoluta die Gegenstände und Sachverhalte der außersprachlichen Realität nicht einfach und direkt, sondern mittelbar in dem Sinne, dass die Klassifizierung der außersprachlichen Welt nur auf dem Umweg über die einfachen Substanzbezeichnungen möglich ist: Sie weisen die Sachverhalte als eine Substanz aus, für die ein spezifisches zusätzliches (differentielles) Merkmal charakteristisch ist, und stellen «adjektivische Bestimmungen» von Lexemen (z.B. Mann) dar, die als Klassen von Einheiten der Realität fassbar sind. Diesem Merkmal kann in der Paraphrase über einen Relativsatz Rechnung getragen werden. Die Merkmalhaltigkeit gegenüber den Nomina absoluta bedingt die semantische Komplexität der nomina adiecta: Sie setzen sich in der Regel aus zwei Elementen zusammen, einer Art Substanzbezeichnung und einer Merkmalsbezeichnung. So kann der Inhalt von Greis verstanden werden als ‘einer, der alt ist’, der von Dieb als ‘einer, der stiehlt’ ein Bote wäre analog ‘einer, der überbringt’ etc. Aus semantischer Sicht sind die Nomina adiecta deshalb sekundär,
|| 390 Staib hat den Nomina adiecta im Rahmen seiner funktionellen Untersuchung zu den generischen Komposita im Französischen und Spanischen ein eigenes Kapitel gewidmet. Meine Ausführungen sind an Staibs (1988, 89–92) ausgezeichneter Darstellung orientiert.
408 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
weil sie eine komplexe Inhaltsstruktur besitzen; andererseits können sie unter lexikologischem Aspekt als primär gelten, weil die semantische Komplexität nicht mit einer morphologischen korreliert. Der lexikologische Gesichtspunkt ist es nun, der die unter formalem Aspekt primären Nomina adiecta von den generischen Komposita abhebt, die zum einen – wie auch die Nomina adiecta – semantisch komplex sind und ebenfalls eine Kombination aus Substanz- und Merkmalsbezeichnung implizieren, bei denen jedoch zum anderen die semantische Komplexität zusätzlich ein Pendant auf formaler Ebene besitzt. Nomina adiecta und generische Komposita sind also beide als semantisch komplex aufzufassen, doch allein bei letzteren spiegelt sich diese inhaltliche Gliederung auf materieller Ebene. Abgesehen von der morphologischen Strukturierung besteht ein weiterer Unterschied zwischen Nomina adiecta und generischen Komposita bzw. zwischen primären und sekundären (also im Wortschatz einer Sprache nicht primär gegebenen, sondern durch Wortbildungsverfahren abgeleiteten) Nomina adiecta (cf. Staib 1988, 90) darin, dass sie jeweils die primäre Substanzbezeichnung, auf der sie beruhen, auf verschiedene Weise in sich aufnehmen. Die primären Nomina adiecta scheinen ein Lexem zu implizieren, das innerhalb des Wortfeldes,391 in dem sie funktionieren, als ein (zumindest partielles) Archilexem fungiert (cf. Staib 1988, 90); dies wäre für die genannten Nomina adiecta Greis, Bote, Dieb etc. das Lexem Mensch.392 Demgegenüber implizieren die sekundären Nomina adiecta (die generischen Komposita) «auf Systemebene entweder nur die allgemeine Kategorie der Substanz, wie z.B. frz. ier und span. -ero, oder sie implizieren eine lexikalische Klasse wie etwa frz. -
|| 391 Zur Wortfeldkonzeption, wie sie hier verstanden werden soll, cf. Coseriu (1970c); Coseriu/Geckeler (1974) bzw. dies. (1981) sowie Geckeler (1971/31982). 392 Das Problem, das sich bei den primären Nomina adiecta stellt, beruht darauf, dass diese paradigmatisch im Wortfeld einem Archilexem hierarchisch untergeordnet sind und zu diesem daher in einer Relation der Hyponymie stehen. So gesehen müssten primäre Wörter wie Rose, Tulpe, Nelke, die zum Archilexem Blume eben eine solche Hyponymierelation begründen, als Nomina adiecta angesehen werden. Analog könnten Mann, Frau, Kind als Hyponyme von Mensch interpretiert werden mit der Begründung, dass sie das Lexem Mensch sowie ein weiteres Merkmal, etwa [+ MÄNNLICH], [+ WEIBLICH], [+ JUNG], einschließen und also als semantisch komplex zu betrachten sind. Allerdings kann eingeräumt werden, dass auch die «Archilexeme» selbst erneut in Hyponymierelation zu semantisch noch weiter gefassten Einheiten stehen, so dass etwa Blume, Strauch, Baum etc. nicht als Nomina absoluta, sondern als Nomina adiecta in Bezug auf Pflanze fungieren würden. Eine klare Unterscheidung zwischen Nomina absoluta und primären Nomina adiecta kann daher einzig unter Rekurs auf das entsprechende Wortfeld getroffen werden (cf. Staib 1988, 91). Zur semantischen Relation der Hyponymie cf. insbesondere Lyons (1968, 453ss.).
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iste, span. -ista die Klasse der Personen und frz. -oir und im Allgemeinen auch span. -dero die Klasse der Sachen» (Staib 1988, 90). Primäre und sekundäre Nomina adiecta unterscheiden sich darüber hinaus in der Art der Referenz auf das Substanzmerkmal, das sie integrieren. Bei den primären Nomina adiecta wird dieses bloß impliziert; deshalb kann das Merkmal einem einfachen Lexem der Sprache entsprechen, muss aber nicht. Dagegen umfassen die sekundären Nomina adiecta prinzipiell eine in der Sprache primär gegebene Substanz-, Handlungs-, Zustands- oder Eigenschaftsbezeichnung nicht nur auf semantischer Ebene, sondern auch materiell: «Daher ist die Paraphrasierung der sekundären Nomina adiecta, die die semantische Gegliedertheit zum Ausdruck bringen soll, im Allgemeinen unter Rückgriff auf das als Merkmalsbezeichnung dienende Primärlexem eindeutig, was im übrigen im Einklang mit der fortdauernden Motiviertheit der Bildung steht, während das in den primären Nomina adiecta enthaltene Merkmal der Substanz vom Sprecher gewusst wird und nicht aus dem Wort selbst substrahiert werden kann. Dieses implizite Wissen um das Merkmal bedingt, da sein Inhalt nicht notwendigerweise als einfaches Lexem in der Sprache vorkommt, weshalb Paraphrasierungen von berufsbezeichnenden Nomina adiecta wie Arzt, Architekt, Professor und von Gerätebezeichnungen wie Zange, Gabel usw. wegen der notwendigen Umschreibung des Merkmals mit vorhandenen sprachlichen Mitteln erschwert werden»393 (Staib 1988, 90).
Der Gedanke der Nomina adiecta scheint bereits in der Grammaire générale et raisonnée ou La Grammaire de Port-Royal394 (1660) von Antoine Arnauld und Claude Lancelot indirekt zum Tragen zu kommen, wie sich insbesondere in der eigenen Bezeichnung der Verfasser dieser Art von Grammatik, die sich einerseits als Grammatiker, andererseits und insbesondere auch als Philosophen verstanden, widerspiegelt: So findet sich das hier diskutierte Phänomen der Nomina adiecta in der Bezeichnung homme philosophe (siehe auch (homme) roy, peintre, soldat, die in der Grammaire générale ([1660]/1966, 33) als «Berufsbezeichnungen» betrachtet werden) direkt angesprochen. Eigentlich handelt es sich bei diesen «Berufsbezeichnungen», die als substantivierte Adjektive aufgefasst werden, um Relationsadjektive. Interessant ist
|| 393 Daher könnte auch die Adäquatheit der oben für Bote angegebenen Paraphrase ‘einer, der überbringt’ mit dem Argument in Frage gestellt werden, dass genau diese Verbindung aus Substanz und Merkmal durch Überbringer zum Ausdruck gebracht wird. Allerdings sind auch Verben wie tragen, befördern etc. semantisch zu restringiert, als dass sie der Komplexität des in Bote enthaltenen Merkmals Rechnung tragen könnten (cf. Staib 1988, 90–91). 394 Siehe Arnauld/Lancelot ([1660]/1966, Chapitre II: «Des noms, & premièrement des substantifs & adjectifs», insbesondere 33).
410 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
dabei die Entstehungsmöglichkeit aus einer Ellipse,395 die auf eine gewisse Redundanz des «generischen Lexems» hinweist; so etwa veranschaulicht durch FABER FERRARIUS (FABER ‘Handwerker’ + FERRARIUS: Relationsadjektiv zu ‘Eisen’) → Ø FERRARIUS (‘Eisenhandwerker’) als Grundlage für die weitere Entwicklung in den romanischen Sprachen (z.B. in sp. herrero ‘Schmied’). Ellipsen des nominalen (generischen) Elementes, wie sie bei der Substantivierung von Relationsadjektiven vorkommen (une femme adultère → une adultère, une vieille femme → une vieille, une femme brune/blonde → une brune/blonde etc.), sollen uns hier dagegen weniger interessieren, sondern vielmehr solche Nomina adiecta,396 die vom synchronischen Standpunkt tatsächlich als Nomina empfunden werden und nicht als konvertierte Adjektive. Auch aus heutiger Sicht als «nominal» betrachtete Formen wie professeur sind nach den Autoren der Grammaire générale ([1660]/1966, 33) als ursprüngliche Adjektive einzustufen: «Mais il y a vne autre sorte de noms qui passent pour substantifs, quoy qu’en effet ils soient adjectifs, puis qu’ils signifient vne forme accidentelle, & qu’ils marquent aussi vn sujet auquel convient cette forme. Tels sont les noms de diverses professions des hommes, comme Roy, Philosophe, Peintre, Soldat, &c. et ce qui fait que ces noms passent pour substantifs, est que ne pouvant avoir pour sujet que l’homme seul, au moins pour l’ordinaire & selon la premiere imposition des noms: il n’a pas esté necessaire d’y joindre leur substantif, parce qu’on l’y peut sous-entendre sans aucune confusion, le rapport ne s’en pouvant faire à aucun autre. Et par là ces mots ont eu dans l’vsage ce qui est particulier aux substantifs, qui est de subsister seuls dans le discours».
Bei Verbindungen wie femme président, femme mère, femme étudiante397 wird der in der außersprachlichen Wirklichkeit jeweils bezeichnete Gegenstand lexikalisch als femme (evtl. homme) – also bezüglich des Geschlechts – in allgemeiner Weise kategorisiert. Mère beispielsweise enthält dann gegenüber femme das zusätzliche Merkmal [+ ELTER], gegenüber homme das weitere Merkmal [+ WEIB-
|| 395 Siehe auch Lüdtke (2001/2002a) zur Attributtransposition. Konversion und Ellipse, mit ihrer gegenseitigen Bedingtheit, sind an verschiedenen Wortbildungsverfahren bzw. deren Herausbildung beteiligt. Hier scheint Potential für weitere Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen dem Latein und Romanischen zu bestehen. 396 Hier wäre auch nach sogenannten Wortbildungslücken, die durch Blockierungen auf Grund bereits existenter Bildungen und andere Faktoren bedingt sein können, zu fragen (zur Erörterung der Wortbildungslücken cf. allgemein Geckeler 1977; Weidenbusch 1993 im Rahmen des von der Autorin behandelten Bereichs sowie Laca 1986). 397 Ebenso bei homme candidat/femme candidate mit Redundanz der Genusmarkierung (wobei homme/femme im Grunde keine andere Funktion als die der Genusbezeichnung bei Lebewesen (Mensch) erfüllen). Bei camarade P.-D.G. und camarade patriote verbinden sich jeweils zwei Nomina adiecta.
Modifizierung – Genusmarkierung | 411
LICH].
Mère wäre nach Staib (1988) als eigenes primäres Nomen adiectum zu fassen, das seinerseits zur Spezifizierung von femme als Nomen absolutum dient. Im Rahmen des Bezeichnungsbereichs der Berufe steht der Gebrauch von femme im gesellschaftspolitischen Diskurs der Emanzipation der Frau, wobei in all denjenigen Fällen, in denen die feminine Form nicht morphologisch (bzw. auf lautlicher Ebene) zum Tragen kommt, ein solches Stützwort erforderlich werden kann (aber nicht immer hinzutritt). Die Motivation solcher Bildungen liegt in der Nicht-Verfügbarkeit einer separaten femininen Form zur Bezeichnung eines von einer Frau ausgeübten Berufs (meist handelt es sich um solche Berufsbezeichnungen, die ursprünglich den Männern vorbehalten waren) (cf. aber femme président und existentes présidente), die auf einer grammatischen Endung (étudiant – étudiante) oder einem nach dem Genus variierenden generischen Suffix beruhen kann. Im Beispiel un professeur femme funktioniert femme als Entsprechung zu einem weiblichen generischen Suffix (cf. -trice, -euse etc.) (cf. Kap. 5.5.3), auch mit Blick auf die Positionierung. Unter den beiden Stellungsvarianten une femme professeur und un professeur femme ist erstere die allgemein übliche, wobei jedoch beide neben der Bezeichnung einer weiblichen Person mit einer bestimmten Funktion oder Aktivität etc. (funktionelle Movierung) die inhaltliche Interpretation als «Gattin eines Mannes mit Beruf (Titel) X» (matrimonielle Movierung) ebenfalls zulassen (cf. Kap. 5.6.5). Die Variante FEMME X entspricht der Interpretation im Rahmen eines implizierten, nicht notwendigerweise ausgedrückten generischen Elementes (cf. une secrétaire). Vom Standpunkt der Allgemeinen Typenlehre repräsentiert der lexikalische Ausdruck eines (para)grammatischen Inhalts einen Zug des polysynthetischen Konstruktes (cf. das bekannte Beispiel des Ausdrucks des Dativs durch das lexikalische Element geben im Chinesischen398). Auch die asyndetische Verbindung ohne Instrumentalwörter entspricht dem polysynthetischen Konstrukt.
|| 398 Hier spielen allerdings komplexe Verhältnisse und unterschiedliche Kriterien zusammen, die getrennt zu behandeln wären, z.B. (Empfänger)Diathese, einzelsprachliche Stellung der Kasus im System einer Sprache etc. Skalička (1946/1979, 192–193) veranschaulicht aber im Kontext seiner Ausführungen deutlich die Zusammenhänge zwischen lexikalischen und formalen Elementen: «Die zweite Methode, wie der polysynthetische Typus das Problem der Kasusverhältnisse löst, liegt in der Verbindung der Semanteme mittels eines dritten Semantems. Die dritten Semanteme erhalten so die Funktion eines Formelements oder, besser gesagt, sie stehen dort, wo in anderen Sprachen ein Formelement steht. Jedenfalls kann das betreffende Element seinen Zusammenhang mit dem reinen Semantem einbüssen, damit wird wieder der polysynthetische Typus negiert. Mit den Methoden des polysynthetischen Typus entsteht z.B.
412 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
5.5.7 Der Typ FEMME X/X FEMME und Polysynthese Der Aufsatz Skaličkas ([1946]/1979, 180–197) ist zwar der typologischen Analyse des Chinesischen, genauer der Klarstellung der typologischen Zugehörigkeit – entsprechend seiner Konstrukttheorie – jeweils des Chinesischen und des Englischen in Konfrontation miteinander gewidmet; dennoch finden sich darin keine detaillierten Aussagen hinsichtlich der Genusbildung in Grammatik oder Wortbildung mit der einzigen Ausnahme, dass, wie festgestellt wird, Klassifizierungen wie Deklinationen und Genera, die allgemein das flektierende Konstrukt auszeichnen, in dieser Sprache fehlen.399 Interessant wäre gerade zu erfahren, wie das Chinesische, das in stringenter Weise (durch die Herausschälung der gemeinsamen und grundlegend differentiellen typologischen Züge zwischen dem isolierenden Englischen und dem – nicht isolierenden – Chinesischen400) und entgegen der linguistischen Tradition dem polysynthetischen Konstrukt zugewiesen wird, die Frage der Differenzierung zwischen den Geschlechtern bei Personen- und Tierbezeichnungen löst. Hier müssen Grammatiken konsultiert werden;401 das umfassende, für einen nicht Chinesisch Sprechenden relativ leicht erschließbare Werk von Sung (1984, 150) liefert hier folgende Auskunft (cf. http://de.bab.la/woerterbuch/chinesisch-deutsch/): «Ein künstliches Geschlecht […] hat das chinesische Nomen nicht. Wenn erforderlich, stellt man einfach die Zeichen 女 [nǚ] (Frau) oder 男 [nán] (Mann) vor die Person, z.B. 男学生 [xuéshēng] (Student) und 女学生 [nǚxuésheng] (Studentin), 男朋友 [nánpéngyǒu] (Freund) und 女朋友 [nǚyǒu] (Freundin), 男人 [nánrén] (Mann), 女人 [nǚrén] (Frau). Zur Bezeichnung des natürlichen Geschlechts von Tieren kann man die Zeichen 公 [gōng] (Herr) und 母 [mǔ] (…) (Mutter) verwenden, z.B. 母 [mǔ] (…) 鸡] [jī] (Huhn) und 公 鸡 [gōngjī] (Hahn), 公兔子 [gōngtùzi] Hase und 母兔 [mǔtùzi] (Häsin), 母猪 [mǔzhū] (Bache, Sau) und 公猪 [gōngzhū] (Keiler, Eber) usw.».402
|| sozusagen ein Dativ, nämlich aus dem Verb gei ‘geben’. Z.B. Ta sung gei wo yo föng hsin ‘er hat mir einen Brief geschickt’, wörtlich ‘er schicken geben ich ein Siegel Brief’». 399 «Die Situation im Chinesischen und anderen Sprachen des polysynthetischen Typus ist interessant. Natürlich fehlen hier die Deklinationen und auch die Genera» (Skalička [1946]/1979, 191). 400 Cf. Skalička ([1951]/1979, 57): «Ein wichtiges Merkmal dieses [des polysynthetischen, B.K.] Typs ist es, dass die Wörter weder dekliniert noch konjugiert werden. In dieser Beziehung geht der polysynthetische Typ noch weiter als der isolierende […]». 401 Da das Chinesische über keine Genera verfügt, wird diese Kategorie in Grammatiken des Chinesischen, die sich auch Aspekten der Wortbildung widmen, mitunter nicht berücksichtigt oder gar weder auf diesen Umstand hingewiesen, noch auf andere Formen der Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts eingegangen. 402 Die phonetische Transkription habe ich eingefügt.
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Hier besteht über die Bedeutung(sentwicklung) der lexikalischen Morpheme eine Analogie zum Ausdruck der Numeralia bei Substantiven, die in polysynthetischen Sprachen gemeinsam mit sogenannten «Zahleinheitswörtern» bzw. Numerativa gebraucht werden (cf. Skalička [1946]/1979, 191), oder zur bereits erwähnten lexikalischen Umschreibung des Dativs mit Hilfe des Verbs gei ‘geben’ im Chinesischen oder durch das Verb na, ebenfalls ‘geben’, im westafrikanischen Eẁe (cf. die Kennzeichnung allgemein von Richtungsangaben in Eẁe mittels des Verbs dé, das häufig auch den Akkusativ vertritt) (siehe Westermann 1905, 23). Trotz der Zentralität des Aufsatzes sollen an dieser Stelle lediglich einige kurze Feststellungen, die die Frage der Genusmarkierung bzw. den bei femme professeur zugrunde liegenden Konstruktionstyp zumindest tangieren, knapp reflektiert werden; so heißt es (Skalička 1946/1979, 193):403 «Es gibt keinen Artikel. Das entspricht vollkommen dem polysynthetischen Typus. Andere Sprachen (Türkisch, Arabisch, Ungarisch usw.) haben auch Possessivsuffixe (arab. abī ‘mein Vater’), ferner Prädikatsuffixe (samojedisch ījak ‘ich bin Sohn’), Genussuffixe, Klassensuffixe usw. Das alles fehlt im Chinesischen». Aus grammatischer Sicht lässt sich das Merkmal der Unveränderlichkeit des Wortes ergänzen (ibid., 193–194): «Die chinesischen Adjektiva haben eine ganz einfache Morphologie. Der polysynthetische Typus – wie auch der isolierende und der agglutinierende – kennt keine Kongruenz [d.h. Kongruenz in Bezug auf Genus, Numerus und Kasus, B.K.]. Das Chinesische Adjektivum hao ‘gut’ bedeutet also bonus, bona, bonorum usw.». Im Rahmen der Genusmarkierung (Kap. 5.5.2.6) und allgemein der Verfahren der Komposition (cf. Kap. 11.1) wurde die asyndetische Konstruktion angesprochen, die mit dem isolierenden Verfahren einhergehen kann. Veranschaulicht wurde diese anhand der Substantiv-Substantiv-Verbindung femme poète etc. Dieser Verfahrenstyp ist insbesondere Kennzeichen des polysynthetischen Typus (cf. Skalička [1946]/1979, 191): «Jetzt kommen wir zu anderen Elementen, welche die Beziehung der Substantiva zueinander und die Beziehungen von Substantiv und Verb ausdrücken und die in den europäischen Sprachen die Form von Kasus und Präposition annehmen. Wie verhält sich eine Sprache, die als polysynthetisch bezeichnet werden kann? Da der Polysynthetismus Verbindung der Semanteme ohne Mithilfe von Formmorphemen bedeutet, wird diese Verbindung entweder durch blosse Juxtaposition oder mit Hilfe von Semantemen in der Funktion von Formwörtern ausgerückt».
|| 403 Der genannte Aufsatz ist insofern zu beachten, als darin einige grundlegende Feststellungen zur Wortbildung an und für sich, genauer zu ihrer bereits problematisierten Stellung innerhalb des Sprachsystems sowie auch zur Frage der Einordnung der Lehnwörter und gelehrten Elemente aus der Sicht des Typus getroffen werden.
414 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
In Skalička (1966b; cf. Haarmann 1976, 58) wird als wesentliche Eigenschaft des polysynthetischen Konstruktes die Verwendung von Wurzelmorphemen als Ableitungssuffixe genannt; dies lässt sich so deuten, dass Lexeme dort komponiert werden, wo in anderen Sprachen agglutinierende Suffixe angefügt werden. Daraus resultiert die so herausragende Rolle der Komposita im polysynthetischen Konstrukt. Auch Formwörter, sofern existent, sind – wie angedeutet – aus ursprünglichen Lexemen oder Semantemen hervorgegangen: «Die Präpositionen werden durch Verba, die Postpositionen durch Substantiva ausgedrückt. So z.B. dsai ‘zu, existieren’, gen ‘mit, folgen’, dao ‘zu, kommen’, schang ‘auf, steigen’, li ‘zu, das Innere’, hou ‘hinter, hintere Seite’, wai ‘aus, äussere Seite’» (Skalička [1946]/1979, 193; [1951]/1979, 57). Die Formwörter sind aber eigentlich ein Charakteristikum des isolierenden Typus.404 So besitzt das Chinesische weniger Formwörter als das isolierende Englische; ferner erfüllen einige von ihnen gleichzeitig die Funktion von Semantemen (cf. Skalička [1946]/1979, 185). Diese doppelte Funktion zeigt den (gegebenenfalls historisch begründbaren) Übergang bzw. schillernden Status dieser Elemente zwischen Lexem und Funktions- oder Instrumentalwort, was dem polysynthetischen Ideal nahekommt. Auf der Syntax der Sprache beruhende usuelle bzw. idiomatisierte Kombinationen des Typs chemin de fer oder femmme de ménage, die durch wiederholten Gebrauch in der Rede hervorgegangen sind, sind für den polysynthetischen Typ also eher untypisch, nicht aber mit Bezug auf das isolierende Konstrukt, das durch solche Konstruktionen deutlich geprägt ist.
5.6 Movierung: grammatisches oder paragrammatisches Verfahren? Das Genus gleicht insofern einer lexikalischen Bedeutung (cf. weiter unten zum Begriff des «genre lexical» nach Lupinko 1990), als die Verbindung zwischen Nomen und Genus nicht grundsätzlich eine vom natürlichen Geschlecht motivierte darstellt, sondern im Sinne einer arbiträren Relation konventionell festgelegt ist. Im Französischen davon abweichende, d.h. motivierte Fälle der Genus-
|| 404 Cf. Skalička ([1946]/1979, 185): «Das Englische besitzt eine grosse Anzahl formaler Elemente, welche die Beziehungen der Semanteme ausdrücken. Das Englische hat den Artikel, eine Menge von Präpositionen, der [sic] mit Hilfe einer Präposition ausgedrückte Dativ, viele Pronomina. Die Beziehungen zwischen den Wörtern werden durch kleine, isolierte Formwörter ausgedrückt. Das Englische verdient also die Bezeichnung einer isolierenden Sprache».
Movierung: grammatisches oder paragrammatisches Verfahren? | 415
markierung verweisen auf den Bereich der Paragrammatik und können in enger Verbindung mit den Deklinationsklassen des Lateinischen stehen (vergleiche den Fall der Movierung (bzw. Motion) bei lat. FILIUS : FILIA): Sie reflektieren dann entweder grammatische Strukturen des ererbten Typus oder resultieren aus dem Gebrauch gelehrter Affixe. Hier stellt sich die Frage der Durchsichtigkeit für den muttersprachlichen Sprecher (etwa bei frz. fils : fille < lat. FILIUS : FILIA oder ami : amie (Opposition nur im skripturalen Code) < lat. AMICUS : AMICA(M);405 cf. it. figlio ‘Sohn’ : figlia ‘Tochter’, zio ‘Onkel’ : zia ‘Tante’; sp. tío ‘Onkel’ : tía ‘Tante’, hijo ‘Sohn’ : hija ‘Tochter’, hermano ‘Bruder’ : hermana ‘Schwester’; rum. vecin ‘Nachbar’ : vecină ‘Nachbarin’ etc.406) in der aktuellen Synchronie des Französischen. Oben genannte Beispiele repräsentieren Fälle der (flexivischen) Movierung: Bei der Movierung diesen Typs handelt es sich um ein Verfahren, das materiell zur Flexion zu rechnen ist (cf. die sog. erste und zweite Deklinationsklasse mit Thema-Vokal a- bzw. -o, auf die die genannten Beispiele zurückgeführt werden können), dessen Inhalt sich aber insofern als eine paragrammatische Bestimmung darbietet, als diese auf einer Modifizierung des Basiselements beruht, dem ein weiteres inhaltliches Element hinzugefügt wird. Die Definition dieser zusätzlichen Bestimmung nimmt dabei Bezug auf die semantische Klasse des natürlichen Geschlechts und weniger auf eine grammatische Kategorie «Genus». Dieses inhaltliche Merkmal dient seinerseits zur Konstitution einer Bezeichnungsgruppe407 in der Wortbildung, da das über die Basis Bezeichnete jeweils als der Klasse der femininen Lebewesen zugehörig gekennzeichnet wird. Das Flexionselement fungiert hier wie ein wortbildendes Suffix (cf. Lüdtke 2001a, 765; 1996a, 242–243). Doch so klar, wie sie zunächst scheint, erweist sich die Lage bei näherer Betrachtung nicht; denn wie der bloße Bezug zur Bezeichnungsebene andeutet, stellt sich, soll die Movierung zu den eigentlich paragrammatischen Verfahren gerechnet werden, die Frage nach der impliziten grammatischen Bestimmung einerseits, der zu grammatikalisierenden Basis andererseits. Es geht also um die prinzipielle Frage, ob Wortbildung mittels einer Flexionsendung als solche akzeptiert werden kann. So gälte es zu bedenken, dass etwa im Falle von it. || 405 Das sogenannte feminine -e hat seinen Ursprung im wortfinalen -a der lateinischen femininen Substantive der ersten Deklinationsklasse: amie < AMICA(M). Zahlreiche Femina gehen jedoch nicht unmittelbar auf das Lateinische zurück; so ist etwa marchande von primärem marchand abgeleitet. Diesen Umstand gilt es bei der Frage der Movierung prinzipiell zu berücksichtigen. 406 Siehe vor allen Dingen auch analoge Bildungen im Bereich der Ethnika. 407 Zum Begriff der Bezeichnungsgruppe cf. Lüdtke (1987, 78–83) sowie Staib (1988, 180–183).
416 | Eine inhaltliche wort- und formbildende Typologie
figlio – figlia oder sp. pavo ‘Truthahn’ – pava ‘Truthenne’ bei Isolation der Genus markierenden Endungen -o/-a die Basis keine eigenständige analysierbare Einheit ergibt, d.h. die Wortbildungsopposition (cf. Lüdtke 2001a, 768) würde hier auf der Konfrontation einer – sowohl in formaler wie inhaltlicher Sicht – unvollständigen Basiseinheit (der Wurzel fili-) und einer grammatischen Endung beruhen, wodurch die Zweigliedrigkeit der jeweiligen Bildungen in Frage gestellt wird (cf. Staib 1988, 204). Dies rechtfertigt andererseits die Einordnung der Movierung zu den formal flektierenden Verfahren. Andererseits ist der mit dem Verfahren der Movierung bei Mensch- und Tierbezeichnungen auszudrückende Inhalt ein konstanter und – unter Rekurs auf entsprechende semantische Merkmale – durchaus eingrenzbarer; das funktionelle Kriterium einer durch das Verfahren vermittelten systematischen inhaltlichen Konstante scheint hier erfüllt, nicht aber bei den unten angesprochenen Sachbezeichnungen wie huevo (‘Ei’)/hueva (‘Fischei; Rogen’). Hier kann man wohl zustimmen, wenn Staib (1988, 204) anmerkt: «Da ferner einer solchen Endung auch keine hinreichend genaue Wortbildungsfunktion in systematischer Hinsicht zugeschrieben werden kann, blei---bt trotz der intuitiv empfundenen Bedeutungsbeziehung zwischen den partiellen Homonymen letztlich nichts anderes übrig, als diese Lexempaare als etymologische Dubletten mit mehr oder weniger divergierender Bedeutung aufzufassen. Die Beziehung stellt sich somit als ein doppelter Bezug auf eine gemeinsame Wurzel dar, der jedoch nicht dahingehend gedeutet werden kann, eines der beiden Lexeme impliziere das andere im Sinne einer Ableitungsbeziehung der aktuellen Synchronie».
Das diesem paragrammatisch-grammatischen Verfahren zugrunde liegende Paradox (Nicht-Analysierbarkeit der Basis, Nichterfüllung des Kriteriums der formal-inhaltlichen Zweigliedrigkeit, Schwierigkeit der Bestimmung der Ableitungsrichtung – eine auf der Analysierbarkeit bzw. Durchsichtigkeit beruhende Voraussetzung für die Produktivität eines Verfahrens im aktuellen Wortbildungssystem einer Sprache – Problem der Identifikation einer einheitlichen Wortbildungsfunktion auf Systemebene) ergibt sich nur bei Einsatz einer formal flexivischen Endung als wortbildendem Mittel. Vergleicht man demgegenüber inhaltlich identische und formal insofern analog gebildete Einheiten, als diese auf einem agglutinierenden Suffix an Stelle einer Flexionsendung beruhen wie in dt. Minister – Ministerin, so sind die Voraussetzungen für eine Wortbildung erfüllt. Immerhin können aber die Bildungen mittels Suffix im Deutschen (bzw. die lexikalische Variante im Französischen nach dem Muster FEMME X, cf. dt. Hirschkuh) und das lateinische Verfahren in ihrer inhaltlichen Intention als einander analog aufgefasst werden, auch wenn hier unterschiedliche (bzw. ineinander übergehende) materielle Mittel (Flexion bzw. Agglutination) zum
Movierung: grammatisches oder paragrammatisches Verfahren? | 417
Tragen kommen. Beide drücken eine übereinzelsprachlich identische Funktion aus, was eventuell dazu berechtigt, auch bei filio − filia von einer Ableitung – allerdings mit Mitteln, die auch der Grammatik angehören – zu sprechen. Das Dilemma der Interferenz grammatischer und paragrammatischer Inhalte und formaler Mittel löst sich offensichtlich nur dann, wenn vom Zwang rigoroser Zuordnungen abgegangen wird und die Fakten mehr aus der Sicht der zugrunde liegenden typologischen Basis betrachtet werden (siehe zu dieser Diskussion auch Staib 1988, 202–205).408 Von der Funktion des Genuswechsels als potentiell paragrammatischem Verfahren wie beim Typ sp. pavo/pava, wo die Variation im grammatischen Genus über die o-/a-Alternanz der Markierung des Unterschieds im natürlichen Geschlecht bei Lebewesen dient, allerdings abzusetzen sind die oben genannten Fälle von Sachbezeichnungen wie sp. peso ‘Gewicht; Peso’/pesa ‘Gewicht’, tallo ‘Stiel, Stengel’/talla ‘Körpergröße’, lomo ‘Rücken’/loma ‘Hügel’, fajo ‘Bündel’/faja ‘Mieder’, in denen die grammatische Genusalternanz zwei lexikalischsemantisch in Beziehung zueinander stehende Einheiten einander zuordnet, ohne dass diese Verbindung zwischen Maskulinum und Feminin (als grammatischen Kategorien) im Rahmen eines einheitlichen funktionellen Verfahrens erfasst werden könnte (cf. Staib 1988, 204 sowie García 1970–1971, 39–54, insbesondere 39). Das in obigem Sinne grammatisch-paragrammatische Verfahren der Movierung lässt sich vom synchronischen Standpunkt der aktuellen Gemeinsprache des Französischen als ein «paradigmatisches» (in typologischem Sinne nach Coseriu) bezeichnen; es handelt sich um ein Relikt des im Romanischen operativen typologischen Prinzips mit paralleler inhaltlich-materieller Gestaltung, wobei die Genusmarkierung als interne (nicht-relationelle, nicht-aktuelle) Funktion mit einem entsprechenden nicht-relationellen, paradigmatischen materiellen Verfahren korreliert.
5.6.1 Movierung bei Mensch und Tier Ausgehend von der Beobachtung unterschiedlicher Produktivität des von ihm explizit als «derivationell» ausgewiesenen Verfahrens der Movierung im Bereich der Femininbildung409 jeweils bei Personen und Tieren410 im Deutschen und
|| 408 Siehe zu dieser Diskussion auch Staib (1988, 202–205). 409 In der Regel wird dem maskulinen Geschlecht ein spezifisches Femininum zugeordnet; daneben existieren aber auch Fälle wie Ente – Enterich etc., in denen die Gattungsbezeichnung
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Englischen versucht Plank (1981, 96–101) in einer Fallstudie (vornehmlich zum Deutschen) zu eruieren, welche Movierungsregeln sowie insbesondere Movierungsrestriktionen sich eventuell formulieren lassen, die den Selektionsbeschränkungen der movierbaren animierten Basen hinsichtlich der Klassenzugehörigkeit zur Gruppe der menschlichen oder tierischen Lebewesen Rechnung zu tragen in der Lage sind. Angesichts der für Movierungen mit tierischer Basis operativen Restriktionen411 wird eine Movierungsregel, die die Femininbildung allein mit Bezug auf die Klasse der «personalen» Lebewesen zulässt und tierische Bildungen als lexikalisierte Ausnahmen ausweist, die isoliert aufzulisten wären, aufgestellt. So regt Plank (1981, 101) an in Erwägung zu ziehen, «das Begriffsschema der Movierung noch dadurch [zu generalisieren] […], dass die Differenzierung ‘Personen/Tiere’ aufgegeben wird; stattdessen könnte von einer Skala der Individualität oder Personalität ausgegangen werden, auf der nur die höchsten Positionen movierungszugänglich sind – und den höchsten Grad personaler Identität weisen eben nur die Menschen und die ihnen am nächsten stehenden Lebewesen auf» (siehe insbesondere auch Plank 1981, 101 bzw. 261 Anm. 18). Allerdings wird hier von einer Generalisierung der grammatischen Kategorisierung der möglichen tierischen Movierungen Abstand genommen; so
|| insgesamt durch ein Femininum repräsentiert wird und das abgeleitete Element ein spezifisches Maskulinum ist (also nicht: *Entin). In diesem Fall kann kein im Sinne eines regelhaften Verfahrens verallgemeinerbarer Schluss gezogen werden, wonach ein zugehöriges Maskulinum durch Movierung gebildet würde (cf. die Ente – der Enterich, aber die Biene – *der Bienerich), ebenso wenig wie bei einem der allgemeinen Tierbezeichnung zugrunde liegenden Maskulinum ein moviertes Femininum als Regelfall zu existieren scheint (cf. der Hund – die Hündin, aber der Fisch – *die Fischin). 410 Die allgemeine semantische Bedingung, dass die durch die Basis bezeichneten nominalen Einheiten überhaupt Lebewesen und keine Gegenstände darstellen und zudem die Bedingung erfüllen, ein (identifizierbares) natürliches Geschlecht zu besitzen, soll hier implizit vorausgesetzt werden. Die auf der matrimoniellen Relation beruhende Movierungsfunktion des Inhalts ‘Frau von’ soll weiter unten behandelt werden (cf. Plank 1981, Kapitel 3, Fallstudie 7, 116–119). 411 So erscheint -ess im Englischen nur mit einer sehr begrenzten Auswahl an Tiernamen (cf. entlehntes tigress und lioness, obsoletes wolfess, leopardess, pantheress, doggess), wohingegen im Deutschen auch Bildungen wie Eselin, Hündin, Löwin, Wölfin, Füchsin, Störchin, Bärin, Tigerin, Häsin, Äffin, Dächsin möglich sind (cf. Plank 1981, 96). Allerdings sind im Deutschen etwa nicht durch -in movierbar (abgesehen zudem von Fällen der Femininbildung durch lexikalische Suppletion wie bei dt. Hengst – Stute) bzw. als wenig akzeptable feminine Tierbezeichnungen zu betrachten: Ente – *Entin (aber Enterich); Gans – *Gänsin (aber Gänserich/Gans(er)/Ganter), Taube – *Täubin (aber Tauberich/Tauber); *(Gold)Fischin, *Bienin, *Würmin, *Schlangin, *Ameisin, *Mäusin, ??Rabin, *Elefantin, *Nashornin, *Igelin, *Maikäferin, *Spinnin, *Flöhin, *Karnickelin, *Stinktierin (da Tier neutral), *Wieselin, *Elchin, *Känguruhin, *Rattin (cf. aber Rättin im Titel des Buches (Die Rättin) von G. Grass), *Adlerin, *Walin etc.
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«ist das grammatische Genus von allgemeiner Gattungsbezeichnung und Movierung immer komplementär; nur Maskulina haben -in-Derivate und nur Femina -(e)r/-(e)rich-Derivate» (Plank 1981, 97). Alternativ wäre die Lösung zweier homonymer materieller Formen (bzw. Wortbildungsverfahren) im Bereich der Mensch- und Tierbezeichnungen denkbar, jeweils zum Ausdruck der Funktion ‘Person weiblichen Geschlechts’ und ‘Tier weiblichen Geschlechts’. Hier kann jedoch vorweggenommen werden, dass die Annahme eines zugrunde liegenden einheitlichen Schemas bzw. einer gemeinsamen Wortbildungsfunktion (‘Person/Tier weiblichen Geschlechts’) mit Generalisierungserweiterung auf die Klasse der ‘weiblichen Lebewesen mit hohem Personalitätsgrad’ als Invariante naheliegender scheint.412
5.6.2 Tierische Movierungen Ein wesentlicher Faktor hinsichtlich der tierischen Movierungsmöglichkeiten scheint (cf. Plank 1981, Fallstudie 3, 96–101), die Relation bzw. Interaktion im Rahmen eines «Schemas», das das Verhältnis zwischen Muttertier und Tierjungem fokussiert, darzustellen: «Der Zusammenhang von Muttertier und Tierjungen verweist auf entscheidende Kontexte, in denen ein echter Movierungsbedarf besteht. Interaktionen von Muttertier und Tierjungen […] dürften zu den wenigen Situationstypen gehören, bei denen für den menschlichen Betrachter tierische Geschlechtsunterschiede eine Rolle spielen» (Plank 1981, 99).
Damit scheint sich ein gewisses Potential für die Ausbildung einer Genusdifferenzierung mittels Movierung tendenziell dort zu ergeben, wo auf Grund der kulturell relevanten Relation zwischen Muttertier und Tierjungem413 einerseits ein Bezeichnungsbedarf besteht – beruhend auf der Notwendigkeit der Identifi-
|| 412 Boel (1976, 30–31, Anm. 3) unterscheidet in Anlehnung an G. Guillaume (und vor diesem Hjelmslev) zwischen noms sexués und noms épicènes (also solchen, die gemäß der Kategorie Sexus variieren oder unverändelrich bleiben) innerhalb der Klasse der «l’animé» bezeichnenden Nomina, die Menschen und Tiere umfasst, wobei sich unter beiden sowohl noms sexués wie noms épicènes finden; daher erübrige sich eine Differenzierung zwischen «l’animé humain» und «l’animé animal». 413 Der individuellen Bezeichnung von männlichem und weiblichem Wesen im Tierbereich scheint auch dort eine gewisse Motivation unterstellt werden zu können, wo weibliches und männliches Tier längere Paarungszeiten abhalten, wie dies etwa bei den Störchen der Fall ist, so dass neben dem Situationstyp der Mutter-Jungtier Interaktion ferner ein paarungspartnerbezogenes Interaktionsschema angenommen werden kann (cf. Plank 1981, 100–101).
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kation des weiblichen Gattungsvertreters414 –, andererseits und entscheidend dort, wo die Vermeidung von Koreferenzkonflikten in Sprachen mit Kongruenzsystem auf der Basis des grammatischen Genus (cf. das Mutterschwein … ihr Junges gegenüber die (Mutter)Sau… ihr Junges etc.) erstrebenswert erscheint. In solchen koreferentiell geprägten Kontexten scheinen dann zuweilen auch inusuelle, in Wörterbüchern mitunter nicht belegte Ad-hoc-Movierungen möglich (wenn auch mit variierendem Akzeptabilitätsgrad) (cf. etwa Schimpansin, Leopardin, Schwänin/?Schwanin, ??Kamelin). Bei femininen Tierbezeichnungen treten Genus/Geschlecht-Konflikte nicht auf (cf. die Dogge/Antilope und ihr Junges), was das systematische Fehlen entsprechender Movierungen auf -in erklärt (*Doggin/*Antilopin). Die Beobachtung, dass bei weiblichen Gattungsbezeichnungen die Movierung zur Bildung des Maskulinums (Typ die Ente – der Enterich) im Deutschen relativ schwach ausgeprägt ist, könnte analog darauf zurückgeführt werden, dass sich die Interaktion zwischen Vatertier und Tierjungem im Verhältnis zur Relation MuttertierTierjunges normalerweise weniger intensiv gestaltet.415 Bei Tieren dagegen, deren Geschlecht ohnehin nicht unmittelbar wahrgenommen wird (z.B. bei Fischen), da dieses etwa im Alltag eher unerheblich ist, scheinen Genusdifferenzierungen weniger häufig aufzutreten. Überhaupt ist der Grad der Domestizierung einer Tiergattung und deren innerkulturellen Stellung als Nutz-, Haus-, Zucht- und Jagdtier eine der eindeutiger beobachtbaren Voraussetzungen für die Herausbildung einer Movierungsfunktion. Hier wird bei menschlichem Einfluss auf die Fortpflanzung das Geschlecht des Tieres deutlich wahrgenommen.416 Das pragmatische Moment der Bezeichnungsrelevanz,417 genauer des Bedarfs der sprachlichen Differenzierung zwischen männlicher
|| 414 So treten bei maskulinen Tierbezeichnungen notwendigerweise Kongruenzkonflikte auf, wenn nicht auf die Gattung als solche, sondern auf das Muttertier referiert werden soll, da in Fällen wie der Dackel und sein/*ihr Junges die anaphorische Referenz über das maskuline Pronomen die Gattung als solche oder den männlichen Vertreter derselben als Antezedens implizieren würde. 415 Hier kann auf die häufige Unmarkiertheit des Femininums bei Haus- und Zuchttieren hingewiesen werden (cf. Lyons 1977, 308). 416 Cf. J. Grimm, Deutsche Grammatik, 1831, 317. So wurde im Lateinischen mit dem Aufkommen der Taubenzucht und daraus erwachsender pragmatischer Relevanz der Unterscheidung zwischen Männchen und Weibchen zu ursprünglich allein existentem columba für ‘(weibliche oder männliche) Taube’ eine maskuline Form columbus ‘Täuberich’ gebildet (cf. Plank 1981, 97 bzw. 261, Anm. 11; cf. Wackernagel 1924, 26. 417 So besteht keine sichtliche Notwendigkeit zur Bildung etwa von *Flöhin im Deutschen.
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und weiblicher Bezeichnung erweist sich somit als ein wesentlicher Faktor bei der potentiellen Verfahrenskonstitution. Als weiteres pragmatisch motiviertes Kriterium der Bezeichnungsnotwendigkeit des Sexus wäre in Erwägung zu ziehen: Zum einen die Gestalt des zu bezeichnenden Tieres, wobei die Nähe zum Menschen, d.h. das Kriterium der relativen physiognomischen Größe (bzw. Höhe) zuweilen ausschlaggebend sein kann; damit im Zusammenhang ferner das funktionelle Merkmal der ‘Menschenähnlichkeit’ in dem Sinne, dass bestimmte Tiere über ihre Rolle in Fabeln, Mythen und Märchen als männliche und weibliche personalisierte Wesen auftreten418 und als solche kenntlich gemacht werden müssen, wobei hier nicht klar ist, inwieweit Übernahmen aus der Literatur tatsächlich in den Alltagswortschatz eindringen. Letzteres Kriterium muss wohl im Sinne eines Kulturspezifikums gedeutet werden. Überhaupt ist die einzelsprachliche Variation in diesem Bereich nicht unerheblich: cf. etwa ahd. brackin zu bracko ‘Spürhund’, wisentin zu wisunt ‘Wisent’, phāwin zu phāwo ‘Pfau’; mhd. windinne zu wint ‘Windspiel’, mhd. tiubin *‘Täubin’ zu fem. tûbe ‘Taube’ neben moviertem tûber/tiuber ‘Täuber’; russ. verbljudica *‘Kamelin’ zu verbljud, sokolica/sokolixa *‘Falkin’ zu sokol, slonixa *‘Elefantin’ zu slon; frz. la chamelle *‘Kamelin’ zu le chameau; hausa tsuntsuwā *‘Vögelin’ zu tsuntsū; woleaianisch laigeriug *‘Walin’ zu igeriug (alle Beispiele aus Plank 1981, 98).
5.6.3 Movierung und Suppletion bei Tierbezeichnungen Im Bereich der Bezeichnung des Sexus bei Tieren macht man mit gewisser übereinzelsprachlicher Frequenz die typologisch relevante Beobachtung, dass speziell bei den bekanntesten und als Haus- und Zuchttiere genutzten Gattungen (eventuell auch mit Bezug auf Raubtiere) «statt morphologisch ausgedrückter Movierung bevorzugt distinkte oder hochgradig suppletivische […] lexikalische Grundeinheiten genutzt werden, die eventuell noch durch weitere Grundeinheiten als allgemeine Gattungsbezeichnung ergänzt werden können (cf. dt. Pferd – Hengst – Stute)» (Plank 1981, 97–98). Als der eigentliche Ort der Suppletivbildung ist jedoch die Fachterminologie419 anzusehen (siehe dazu die erkleckliche Liste in Grevisse 1993 zum Französischen), wobei in der Regel die Kongruenz
|| 418 Z.B. bei une centauresse (auch fig.), une satyresse (sofern noch gebräuchlich), une faune bzw. une faunesse. 419 Abgesehen von ebenfalls eher im fachsprachlichen Gebrauch usuellen Komposita des Typs dt. Elefantenkuh; cf. auch alternative Kompositionstypen mit -weibchen, -männchen.
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von grammatischem Genus und natürlichem Geschlecht gewahrt ist. Das Verfahren der Suppletion gehört zwar nicht zu den materiell-funktionellen Techniken der Wortbildung, muss aber als wichtiges typusindizierendes Phänomen gewertet werden, das wesentlich an der Strukturierung bestimmter sprachlicher (grammatischer wie paragrammatischer) Bereiche teilhat. Mit Bezug auf die Einzelsprache trägt diese Strukturkomponente zur Manifestation der isolierenden Typusdominante im Sprachsystem des Französischen bei.
5.6.4 Movierung und Isolation Die pragmatische Motivation des Verfahrens der Movierung über die Vermeidung von Konflikten zwischen grammatischem Genus und natürlichem Geschlecht (was die Existenz eines Kongruenzsystems zur Herstellung einer Korrelation zwischen den beiden Kategorien in einer Sprache voraussetzt) weist ein hohes Maß an Plausibilität auf. Die Verankerung der Movierung in pragmatischen Nützlichkeitserwägungen sowie die spezifische morphologische Beschaffenheit einer Sprache erlauben es ferner, die relative Abwesenheit dieses wortbildenden Verfahrens in einer zur extremen Isolation tendierenden Sprache wie dem modernen Englischen teilweise zu begründen. Da das englische Nominalsystem der grammatischen Kategorie Genus gegenüber indifferent ist, ist auch die wesentliche Motivation für die Existenz von Movierung im Sprachsystem – das Aufkommen entsprechender Genus-/Geschlecht-Konflikte – nicht gegeben. Wird etwa im Englischen auf Tiere über die für alle drei Genera differenzierten Personalpronomina des Singulars referiert (he, she, it), kommt − meist in der Intention, eine affektische (mitunter auch personalisierende) Wirkung zu erzielen − in der Regel das maskuline Pronomen he, sonst neutrales it zum Tragen. Allerdings besteht dank der Abwesenheit einer inhärenten Genusdeterminiertheit beim Nomen jederzeit die Möglichkeit, die Zugehörigkeit des Tieres zu den männlichen oder weiblichen Lebewesen zu akzentuieren (cf. she-bear, hemonkey etc.), ohne dass Genuskonflikte entstünden. Auf dem Hintergrund der Annahme einer gewissen Tendenz Genus markierender Sprachen mit Flexion zum Rückgriff auf Movierungen (bei Tieren) wäre dann aber zu prüfen, ob im stark flektierenden Altenglischen, in dem Substantive für alle drei Genera markiert waren, erwartungsgemäß das Verfahren der Movierung im tierischen Bereich produktiver als heute war oder nicht. Hier scheinen für das altenglische Sprachsystem – abgesehen von gewissen Ausnahmen wie wylfen zu wulf (‘Wölfin’ zu ‘Wolf’), fyxen zu fox (‘Füchsin’ zu ‘Fuchs’), biren(e)/beren zu bera (‘Bärin’ zu ‘Bär’), möglicherweise (grund-)
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wyrgen ‘(weibliches) Meerungeheuer’ zu wearg, asse ‘Eselin’ zu assa ‘Esel’ – kaum movierte Tierbezeichnungen belegt. Der Widerspruch löst sich aber bei näherer Betrachtung auf: So besteht Evidenz für die Annahme (cf. Plank 1981, 100 bzw. 261 Anm. 16), dass auch auf dieser historischen Stufe des Englischen die Genuswahl koreferentieller Pronomina vielfach am natürlichen Geschlecht orientiert war, so dass Genus-Geschlechts-Kollisionen umgangen werden konnten, ohne auf die Technik der Movierung auszuweichen. Abschließend lässt sich festhalten, dass (zumindest in einer Sprache wie dem Deutschen) «die Möglichkeiten und Beschränkungen der derivationellen Movierung vermutlich doch als regelhaft beschrieben werden [können], wenn die semantisch-pragmatischen Basis-Beschränkungen der Regel (menschennahe Tiere, insbesondere Muttertier-Tierjunges- und Paarungspartner-Interaktionen, siehe Kap. 5.6.6–5.6.7) und ihre syntaktische Determiniertheit (durch grammatisches Genus bzw. Klasse gesteuertes Kongruenzsystem) erkannt werden» (Plank 1981, 101).
5.6.5 Funktionelle und matrimonielle Movierungen Das grammatisch-paragrammatische Verfahren der Movierung,420 das mittels der Suffixe dt. -in, engl. -ess etc. ausgedrückt wird und dessen inhaltliche Komponente in einer Mehrzahl der Bildungen erfasst werden kann über eine relativ allgemeine Bezeichnungsfunktion wie ‘Person (evtl. Tier) weiblichen Geschlechts’, die auf bestimmten Klassemen beruht ([± PERSONAL] bzw. [± TIERISCH], [± WEIBLICH] bzw. [± MÄNNLICH], [± MUTTERTIER] bzw. [± VATERTIER] bzw. [± TIERJUNGES], [± PAARUNGSPARTNER] oder [± EHEPARTNER]) und weitere funktionelle Merkmale zulässt, v.a. das semantische Kriterium [± BERUFSBEZEICHNUNG], braucht nicht notwendigerweise in zwei homonyme Verfahren aufgeteilt zu werden, deren Basen zum einen das Kriterium der weiblichen Personen, zum anderen das der weiblichen Tiere profilieren. Auch bezüglich der Grundfunktion ‘Person (Tier) weiblichen Geschlechts’ erhebt sich die Frage, ob eine einzige Grundbedeutung zugrunde zu legen sei, unter der sich die inhaltlichen Komponenten ‘Ehefrau eines Mannes von Männern vorbehaltenem Beruf/Stand’ sowie ‘(Ehe)Frau (eines Mannes) mit Männern vorbehaltenem Beruf/Stand’ subsumieren lassen, oder ob hier vielleicht zwei homonyme Verfahren mit entsprechender Bedeutung zu unterscheiden sind. Plausibler wäre auch hier die Annahme einer einheitlichen Grundbedeutung,
|| 420 Termini «funktionelle und matrimonielle Movierungen» nach Plank (1981), der sich seinerseits beruft auf Noreen (1894); cf. Wessén (1968/1971).
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die auf Grund ihres höheren Abstraktionsgrades alle beide Movierungsbedeutungen in sich vereint: Eine solche semantische Invariante läge in der reinen Zusammengehörigkeitsrelation von männlichen und weiblichen Lebewesen begründet, die sich ihrerseits in die allgemeine Grundfunktion ‘Person weiblichen Geschlechts’ integrieren lässt. Die einzelnen Bedeutungsvarianten entsprächen jeweils der Realisierung der Invarianten in Abhängigkeit von den spezifischen kontextuellen Determinationen. Auf dieser Folie stellt sich die matrimonielle Bedeutung als eine gegenüber der funktionellen spezifische Konkretisierung der gemeinsam zugrunde liegenden semantischen Invarianten dar; die matrimonielle Variante wäre nur bei solchen Basen zugelassen, die die Konkretisierung der Relation ‘zugehöriges weibliches Wesen’ im Sinne von ‘Ehefrau’ als die (in Abhängigkeit von der jeweiligen sozialen Struktur) plausibelste auswiese. Der historische Ursprung gewisser Movierungssuffixe bzw. -suffixerweiterungen im Indogermanischen scheint (cf. Plank 1981, 119 mit weiteren Quellenangaben) die Annahme einer gemeinsamen abstrakt-relationalen Grundbedeutung ‘Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht’ zu bestätigen. 5.6.5.1 Das Deutsche Für das Deutsche gilt zunächst der doppelte Befund, dass einerseits die matrimonielle Bedeutungsvariante weniger über das derivationelle Verfahren der Movierung als vielmehr vorrangig über die Komposition zum Ausdruck gebracht wird (cf. Arztfrau, Gärtnersfrau, Präsidentengatt-in – im zuletzt genannten Beispiel mit suffixaler Movierung beim zweiten Kompositionselement), andererseits Movierungen mittels Suffixe in der Regel nicht als matrimoniell interpretiert werden (cf. Ärztin, Gärtnerin, Präsidentin etc.). Dazwischen liegen solche Bildungen, die ein gewisses Maß an Ambiguität aufweisen und weder der funktionellen noch der matrimoniellen Kategorie eindeutig anzugehören scheinen; vergleiche Movierungen auf dt. -in wie Generalin, Majorin (beide literarisch), Chefin, Meisterin, Herrin, Wirtin, Bäuerin mit der möglichen Interpretation sowohl als ‘weiblicher General/Chef/Bauer/…’ wie auch als ‘Ehefrau des/eines Generals/Chefs/Bauern/…’.421 Der funktionelle Unterschied zwischen beiden Movierungsverfahren kann in bestimmten Fällen auch zusammenfallen, so dass eine Bedeutungsdifferen|| 421 In bestimmten Dialekten (cf. niederdt. die Amtmannsche, die Pastorsche) und in früheren Epochen (etwa auch bei männlichen Vornamen als Basis: Carlin, Wilhelmin vs. Caroline, Wilhelmine) scheint die matrimonielle Bedeutungsvariante eher gängig (gewesen) zu sein (cf. Plank 1981, 116; cf. Grimm 1831, 339–340).
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zierung ‘funktionell/matrimoniell’ nicht möglich ist; dies ist etwa bei Berlinerin oder Nachbarin gegeben, wo der semantische Aspekt aber auf der Akzentuierung des natürlichen Geschlechts beruht, nicht auf dem matrimoniellen Status der jeweiligen Person. Allein funktionelle Movierung liegt dann vor, wenn die Movierung klar der Bezeichnung des Berufes oder Ranges einer weiblichen Person dient, wobei diese entweder ledig oder auch verheiratet sein kann – letzteres nur, wenn der Mann selbst nicht den entsprechenden Beruf ausübt oder Rang bekleidet – wie dies etwa bei Königin, Gräfin, Chefin, Bäuerin etc. der Fall ist. Daneben können die mit einem Beruf, Amt, Rang oder Titel verbundenen Qualitäten auch von der männlichen Basis auf die Frau übertragen werden, so dass eine eigentlich nur matrimoniell begründete Movierung zugleich in den funktionellen Bereich mit der Gattin als Eigenschaftsträger verweist. Die umgekehrte Übertragungsrichtung von der Frau zum Mann ist dagegen in gewissen Bereichen ausgeschlossen (cf. Königin Silvia [von Schweden], aber nicht König Philip [von England] oder König Claus (der Niederlande); cf. Plank 1981, 117 bzw. 263, Anm. 37). Die Tatsache, dass «Schlüsse der Art ‘wenn Frau eines X, dann weiblicher X’ bei vielen Realisierungen der Variablen X legitim bzw. gesellschaftlich sanktioniert sind, sollte mit erklären, warum überhaupt in manchen Sprachen – ‘produktiver’ als im Deutschen oder Englischen – die gleichen (derivationellen) Ausdrucksmittel für funktionelle und matrimonielle Movierung verwendet werden» (Plank 1981, 117). Es wäre zu klären, wie sich die funktionellen, matrimoniellen bzw. zwischen beiden schwankenden Bedeutungen selbst begründen lassen sowie deren entsprechende einzelsprachliche Distribution samt Restriktionen (v.a. bezüglich der matrimoniellen Grundbedeutung, cf. dt. Ärztin, Köchin, Verkäuferin etc., schwed. sångerska, kokerska, skådespelerska; russ. skripačka, povarixa, rabotnica mit rein funktioneller Bedeutung), wobei es insbesondere der Beobachtung Rechnung zu tragen gälte, dass «die Distribution der verschiedenen Movierungsbedeutungen zu einem bestimmten Grad übereinzelsprachlich offenbar invariant ist» (cf. etwa dt. Läuferin und die ebenfalls nicht-matrimoniell zu interpretierenden Entsprechungen im Schwedischen und Russischen oder die in der Regel matrimoniell determinierten Movierungen Generalin/generalska/general’ša; cf. Plank 1981, 118). Die Ausprägung der genannten semantischen Movierungstypen sowie deren Distribution lassen sich mit Plank (cf. Plank 1981, 118–119) im Sinne einer pragmatisch bzw. soziologisch motivierten Begründung wie folgt deuten: Die matrimonielle Movierungsbedeutung erscheint als die operative Movierungsvariante, wenn der von der Basis bezeichnete Beruf oder Stand in einer bestimmten Gesellschaft eine primär Männern vorbehaltene Tätigkeit oder einen domi-
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nant von Männern bekleideten Rang bezeichnet. Die funktionelle Lesart erweist sich v.a. bei nicht geschlechterspezifischen Berufen und hierarchisch geordneten Funktionen sowie bei Basen, die keinen Beruf oder Stand implizieren, als die dominante. Ambiguitäten zwischen beiden Bedeutungen bzw. deren Neutralisierung (siehe oben Königin etc.) können sich dann einstellen, wenn unter Emanzipationstendenzen ehemals männlichen Amtsträgern vorbehaltene Berufe allmählich auch Frauen zugänglich werden oder wenn Eigenschaften eines Berufes/Standes vom in der Regel männlichen Ehepartner auf den weiblichen übergehen (namentlich bei sozial hoch eingestuften Funktionen422). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass «[d]ie Semantik des Wortbildungsmusters der Movierung […] also unmittelbar die gesellschaftlichen Verhältnisse [reflektiert], was den Status von Mann und Frau betrifft; übereinzelsprachliche Invarianzen in der Distribution und Beschränkung der matrimoniellen Bedeutung sind demnach nur Ausdruck ähnlicher sozialer Verhältnisse. Auf Grund der pragmatischen Bedingung der Wortbildungsregel wird die matrimonielle Bedeutungsvariante umso weniger ausgeprägt sein, je emanzipierter, d.h. je unbeschränkter in der Berufswahl und je unabhängiger von den Statusattributen des Ehemanns, die Frau in der Gesellschaft ist» (Plank 1981, 118–119).
Daher kann sich die Produktivität des matrimoniellen Movierungsverfahrens diachronisch insofern wandeln, als seine Beschränkungen wachsen, ohne dass das Verfahren selbst aufgegeben wird; dies kann trotzdem dann eintreten, wenn die basisbezüglichen pragmatischen Bedingungen keine Gültigkeit mehr besitzen. Auf diesem Hintergrund lässt sich das Aufkommen von Bildungen nach dem Kompositionstyp Präsidentengattin als Ersatz zum Ausdruck der matrimoniellen Movierungsbedeutung ‘Ehefrau von’ erklären. 5.6.5.2 Das Französische (in der Sprachpolitik) Die lateinischen Suffixe der Femininbildung wurden in den romanischen Sprachen tradiert und sind in der Wortbildung abzuhandeln. Die aus dem Lateinischen ererbte flexivische Movierung über ein feminines Genusmorphem (dort das vorherrschende Verfahren) nimmt auf Grund der idiosynkratischen morphologischen Charakteristika eine Zwischenstellung zwischen Grammatik und Paragrammatik ein. Hier kann die Markierung des Femininums bei Adjektiven als musterhaftes Verfahren dienen (cf. beau – belle und chameau – chamelle etc.).
|| 422 So etwa bei russ. pomeščica, millionerša, dt. Chefin, Meisterin, Herrin, aber weniger bei rabotnica/Arbeiterin ‘Frau eines Arbeiters’.
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Im Bereich der Femininbildung weicht das Französische vom Deutschen, für das der Bereich gut nachvollziehbar ist, ab: Im Deutschen überwiegt die Movierung des Typs Minister – Ministerin, d.h. die Movierung nicht mittels Flexion, sondern mittels Suffigierung (cf. lat. REX – REGINA; cf. griech. -ISSA: frz. maître – maîtresse). Im Französischen dagegen sind Flexion und agglutinierende Suffigierung nicht gleichermaßen eindeutig gegeneinander abgegrenzt; so kann etwa frz. -ière, -euse (laitière, pêcheuse) etc. als feminine Suffixvariante zu -ier, -eur (laitier, pêcheur) etc. aufgefasst werden, wobei die Markierung des Femininums über die Flexion des Suffixes bzw. über ein moviertes maskulines Suffix -eur erfolgt. So stehen hier einerseits generische Komposition (Subjektnominalisierungen wie in dirige-ant, dirige-ante bzw. Relationskomposita mit Klassem [PERSON] wie bei charbonn-ier, charbonn-ière; cf. Lüdtke 1996a, 264– 266) und Relationsadjektivbildung durch teilweise Suffixüberschneidungen in unmittelbarer Verbindung. Bestimmte das Genus differenzierende Suffixe haben im Laufe ihrer Entwicklung und in Abgrenzung zueinander pejorative oder verstärkt meliorative Konnotationen aufgenommen. So hat das Suffix -euse eine herabsetzende Bedeutung entwickelt, die vom Verweis auf sozial niedrigstehende Berufe herrührt (coiffeuse, nettoyeuse, vendeuse). Zu sculpteur existiert beispielsweise eine regelmäßig gebildete feminine Variante sculpteuse; trotzdem wird zur Klärung des Sexus sculptrice, sculpteure oder das beide Geschlechter abdeckende sculpteur (neben une femme sculpteur, une femme sculpteuse oder auch une sculpteur plasticienne) tendenziell bevorzugt (Lenoble-Pinson 2002, 1063). Im Gegenzug wird der Gebrauch des Suffixes -trice, welches mit hochrangigen oder angesehenen Berufen assoziiert wird, gegenüber anderen Suffixvarianten ausgebaut (cantatrice, inspectrice, rédactrice) (Lenoble-Pinson 2006, 649). Oder aber das Maskulin bleibt auch bei Bezug auf eine Frau dort erhalten, wo diese einen gesellschaftlich angesehenen, mit Autorität einhergehenden Beruf bekleidet (le médecin légiste général – zusehends konkurrenziert von Formen wie la médecin légiste, siehe Lenoble-Pinson 2002, 1063; 2008, 78) oder die feminine Form die Besetzung des Amtes durch einen Mann ausschließen würde (élire une présidente; cf. Lenoble-Pinson 2008, 77). Lenoble-Pinson (2006) widmet sich (unter Berücksichtigung der Sprachhistorie) intensiv der Frage, wie sich die Markierung des weiblichen Sexus bei Berufsbezeichnungen und beruflichen Titeln (mit Bezug v.a. auf Belgien, Québec und auch Frankreich) entwickelt. Auf dem Hintergrund offizieller normativer Empfehlungen betrachtet sie den sich im aktuellen Sprachgebrauch der jeweiligen Sprachvarietät manifestierenden «Sprachwandel» (Lenoble-Pinson 2006,
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640), ausgelöst durch ein wachsendes Gender-sensitives Bewusstsein und einhergehende gesellschaftspolitische Bewegungen und Bestrebungen. Die Empfehlungen des einstigen Premierministers Lionel Jospin vom 6. März 1998 befürworten – wider die Haltung der Académie française – die Verwendung der für das Femininum ausgezeichneten Formen des Typs directrice, inspectrice für den Bereich der Administration.423 In seinem Vorwort zum Leitfaden Femme, j’écris ton nom424 heißt es: «la question de la féminisation des titres est symbolique et non linguistique» – der Guide dʼaide à la féminisation steht explizit im Dienst all derer «qui souhaitent faire avancer la cause de la féminisation» und gibt, abgesehen von Gebrauchsregel zur Feminisierung (Seiten 21– 27), auch eine Wortliste zur orientierenden Konsultation an die Hand. Wo allerdings die Funktion und nicht die ausübende Person im Vordergrund steht, gilt – jedenfalls für den juristischen Bereich: «l’emploi du masculin est conforme à la règle» (Bericht der Commission générale de terminologie et de néologie).425 Die Art der Widerstände gegen eine weitere Feminisierung der Berufsbezeichnungen und Titel sind, so das Ergebnis von Lenoble-Pinson (2006), «faiblement linguistiques et majoritairement idéologiques», denn «[e]lles touchent profondément le rapport de la personne (femme ou homme) à la langue, à son sexe et à sa fonction dans la société» (Lenoble-Pinson 2006, 647). Interessant sind dabei nicht nur die Möglichkeiten und Grenzen der im Rahmen des sprachlichen Systems wie der Norm bildbaren Formen; im jeweiligen Gebrauch spiegeln sich darüber hinaus sowohl «le malaise social, le choix, les hésitations» als auch «l’insécurité linguistique de l’usager». Die entstehende Unsicherheit hinsichtlich des «richtigen» Gebrauchs ob der vielfältigen (und tendenziell wachsenden, weil sprachnormativ sanktionierten) Optionen, um das Sexus (hörbar) kenntlich zu machen (chercheuse – chercheur – chercheure), bedingt ihrerseits die weitere Entwicklung und Gestalt der französischen Gemeinsprache. So vermehrt sie die sogenannten «formes épicènes», wie sie bereits bei den klassischen Berufen zum Tragen kommen (docteur, ingénieur, juge, médecin, ministre, professeur), «au point que l’augmentation du nombre de formes épicènes risque de faire croire que le masculin est dominant en français» (Lenoble|| 423 Jospin, Lionel, Circulaire du 6 mars 1998 relative à la féminisation des noms de métier, fonction, grade ou titre, Journal officiel de la République française du 8 mars 1998, 130:57 (1998), 3565. 424 Femme, j’écris ton nom… Guide d’aide à la féminisation des noms de métiers, titres, grades et fonctions, herausgegeben 1999 vom Institut national de la langue française (INaLF)/Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS). 425 Commission générale de terminologie et de néologie, Rapport sur la féminisation des noms de métier, fonction, grade ou titre, Paris, 1998.
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Pinson 2006, 649). Dem (generischen) Maskulinum, als der von der Person (und ihrem Geschlecht) abstrahierenden «neutralen» Form, bleibt ohnehin die Bezeichnung der reinen Funktion vorbehalten. Insgesamt trägt diese Entwicklung zur Gender-indifferenten, bezüglich des Sexus unmarkierten und unveränderlichen Wortform bei, die dem isolierenden Typus entspricht. Die Frage der Markierung des Femininums bildet lediglich einen exemplarischen Teilbereich der Sprache des heutigen Französisch ab, der die Interaktion zwischen sozial und kulturell geprägtem Sprachverhalten der Sprecher bzw. Sprecherinnen und institutionell auf die Norm Einfluss nehmender Sprachpolitik veranschaulicht (siehe auch Lenoble-Pinson 2008; Mathieu 2002). Inwiefern sprachpolitische Entscheidungen und daraus resultierende Vorgaben über diesen abgegrenzten sprachlichen Bereich hinaus mit typologischen Merkmalen korrelieren oder interferieren, wäre eine eigene Untersuchung wert. Andere solcher (para)grammatischer Entwicklungen lassen sich auch über die Fortschreibung und die Aktualisierungen des bon usage nachvollziehen (cf. etwa Lenoble-Pinson 2014). 5.6.5.3 Das Englische Die Parallele zum Englischen hat für die typologische Interpretation bzw. die Frage, welche Gestalt das isolierende Konstrukt – als ein hypothetisches Ideal – in der konkreten sprachlichen Realisierung mit relativ großer Konstruktnähe annehmen könnte (auch wenn sich die Voraussetzung der Konstruktaffinität nicht notwendiger Weise auf alle Systembereiche gleichermaßen beziehen muss), heuristischen Wert. Die Kategorie Genus stellt im isolierenden Englischen keine der Wortkategorie Nomen (oder Adjektiv) inhärente grammatische Bestimmung dar; vielmehr ist die Genusbestimmung eine von der Semantik des einzelnen Wortes geleitete und insofern eine grundlegend onomasiologisch orientierte Kategorie, als sie eine Orientierung am natürlichen Geschlecht aufweist. Die Markierung des biologischen «Sexus» erfolgt also ausschließlich über externe materielle Verfahren, genauer über koreferentiell gebrauchte Pronomina: wh-Pronomen (zur Unterscheidung von Personen und Nicht-Personen), Personal- und Reflexivpronomen (im Singular). Da ihre Wahl von den außersprachlichen Fakten determiniert wird, die materiellen Mittel aber selbst jeweils ein in sich strukturiertes innersprachliches System bilden, bestehen Bezüge zwischen natürlichem Geschlecht und der grammatischen Kategorie gender. Auf dieser Grundlage wird durch die Pronomina who und which zunächst eine grobe Zweigliederung zwischen den gender-Klassen der «personalen» und «nicht-personalen» Einheiten vorgegeben. Die sprachlichen Elemente ersterer Klasse dienen größtenteils dazu, auf menschliche, die letzterer vornehmlich auf
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nicht-menschliche und unbelebte Einheiten der außersprachlichen Welt zu verweisen. Bei den Lebewesen wird ferner zwischen Personen- und Tierbezeichnungen unterschieden. Bei hinsichtlich des Genus zunächst undifferenzierten Klassen kann über die Koreferenz das intendierte Geschlecht in jedem der Fälle expliziert werden, ohne auf flexivische oder agglutinierende Mittel, die am Nomen selbst zum Tragen kommen, zurückgreifen zu müssen (etwa im Falle von Tieren, auch Gegenständen wie Schiffen, die übertragen als männlich oder weiblich betrachtet werden können).426
5.6.6 Die Funktion ‘Person/Tier weiblichen Geschlechts’ als skalare Größe der Personalisierung Eine unmittelbare Entsprechung zwischen Genus und Geschlecht ist im Französischen bei denjenigen Bildungen gegeben, die entweder auf einer Ableitung mittels Suffix beruhen,427 wobei das Suffix selbst eine maskuline und eine feminine Variante aufweist (Movierung über Flexion beim personenbezeichnenden Suffix: etwa -ier/-ière, -eur/-euse, -teur/-trice, z.B.: un romancier – une romancière, un menteur – une menteuse, un instituteur – une institutrice; un paysan – une paysanne; un gamin – une gamine bei gleichbleibender Basis im Unterschied zu etwa dt. Lehr-er – Lehr-er-in, wo unter Akkumulation eines generischen und eines Genus markierenden Suffixes eine Opposition (-er-)-Ø beim Maskulinum und (-er-)-in beim Femininum entsteht), oder auf der einfachen Movierung mittels Anfügen einer das Femininum markierenden (flexivischen) Endung (im Allgemeinen -e neben diversen morphonologischen Varianten des Stammauslauts). Schließlich besteht die Möglichkeit der Kennzeichnung des Femininums allein über externe Determinanten wie etwa den Artikel (cf. die Situation im Englischen). Seltener tritt der Fall auf, dass die maskuline Form auf der Grundlage der femininen gebildet wurde; so ist veuf von veuve abgeleitet, puceau von pucelle, tourtereau von tourterelle; laborantin von laborantine (< Deutsch), concubin von concubine. Relativ seltenes Vorkommen besitzen folgende Formen: bacchant als || 426 Auch Grevisse (1993) trennt in seinen Beispiellisten nicht zwischen Mensch und Tier, sondern wählt eine Systematisierung nach rein alphabetischem Kriterium. Ich werde dagegen innerhalb der Dachgruppe der weiblichen Lebewesen menschliche und tierische Entitäten als eigene Kategorien behandeln, um die Gruppe der Berufsbezeichnungen auf die reine Kategorie der Personen beziehen zu können. 427 Relationsadjektivbildung mit anschließender Konversion zum Substantiv bzw. generische Komposition einschließlich Bildung von Relationskomposita.
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Maskulin zu bacchante, ballerin zu ballerine (< Ital.), gourgandin zu gourgandine (< dialektal), prostitué zu prostituée, strip-teaseur zu strip-teaseuse, lavandier zu lavandière (Zaire), rombier zu rombière.428 Die Entsprechung zwischen Genus und Geschlecht ist aber vielfach nicht derart symmetrisch gestaltet; dies wird bei Genusoppositionen wie courtisan – courtisane, gars – garce besonders manifest, wo erhebliche semantische Differenzen bestehen. Allerdings sind solche semantischen Abweichungen auf Fixierungen im Lexikon zurückzuführen. So kann garce ‘fille de mauvaise vie’ bzw. ‘femme dont on a à se plaindre pour quelque raison’ als Einschränkung der Extension (bzw. Vergrößerung der Intension) auf eine spezifische Bedeutungsvariante bzw. die pejorative übertragene Bedeutung (der die reine am Geschlecht orientierte Opposition aber jeweils primär zugrunde liegt, d.h. die feminine Form geht formal und inhaltlich auf die maskuline zurück429) interpretiert werden. Anders gelagert scheint der Fall bei bekannten Oppositionen wie mère und père, wo formal Suppletion (cf. Kap. 5.6.7) vorliegt und inhaltlich nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass sich die feminine Form aufgliedern läßt in eine Inhaltseinheit ‹père + FEMME›.430 Die im Prinzip nie auszuschließende semantische Fixierung bzw. die idiosynkratischen semantischen Merkmale der Basen erlauben also zuweilen keine Reduktion der femininen Form auf die maskuline, zu welcher lediglich ein Merkmal [+ FEMININ] hinzuträte. Das onomasiologisch auf das Sexus abhebende Merkmal fungiert auch bei maître und maîtresse nicht mehr als eigentlich oppositionsbildend, seitdem maîtresse durch die spezialisierte Bedeutung ‘femme avec qui on a des rapports sexuels en dehors du mariage’ in seiner Verwendung als reines Femininum zu maître relativ prekär geworden ist. Daher fungiert maîtresse nur noch bedingt als feminines Pendant zu maître (außer in maîtresse d’école), das somit über
|| 428 Neubildungen des Maskulinums in Analogie zum Femininum sind ebenfalls möglich, cf. juif (afrz. juiu) nach juive (cf. Grevisse 1993, §478, a, Hist.; cf. ibid. §529, Hist.). 429 Cf. P.R. s.v. garce: ehemaliges (bis ins 16. Jahrhundert) Femininum von gars. 430 Das Wirken solcher simplifizierender Analysen, in denen auf semantischer Ebene mère von père, tante von oncle etc. abzuleiten versucht wird, spiegelt sich in dem Bemühen einiger amerikanischer Feministinnen, die dafür plädieren, die synchronisch in wo-man analysierte Form engl. woman (mit Verbleib einer unanalysierbaren Einheit wo- wie in per-ceive, re-ceive oder cran-berry) durch wo-person (mit gewisser Analogie zu chair-man, das durch chair-person ersetzt werden solle etc.) zu substituieren. Woman wird in dieser Interpretation eindeutig als eine sekundäre Bildung zu engl. man betrachtet (cf. Dressler 1987, 104 bzw. 124, Anm. 8; zur politischen Debatte siehe auch Grevisse 1993, §476, c, 1°). Das Honolulu County Committee on the Status of Women empfiehlt mittlerweile auch die Verwendung von early humans statt cavemen, individual show statt one-man-band.
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kein eigentliches feminines Pendant verfügt (abgesehen von der Verwendung von maître auch als Bezeichnung für weibliche Personen431), genauso wie eine Entsprechung zu maîtresse in oben genannter Bedeutung bei den Maskulina (mangels Bezeichnungsbedarfs) nicht existiert. Auch preux und prude haben sich zu Wörtern völlig verschiedenen Inhalts entwickelt. Interessant ist der Fall, dass mittels eines zum Geschlecht kontradiktorischen Einsatzes des Genus eine Intensivierung insofern erreicht werden kann, als ein bereits pejorativer Ausdruck in seiner pejorativen Bedeutungsnuance noch weiter verstärkt wird. So wird gonzesse (‘femme’ in vulgärer Sprache) als beleidigende Anrede gebraucht; wird das Schimpfwort, das eigentlich über seine Semantik auf eine weibliche Person verweist, zudem mit Referenz auf einen Mann verwendet, so tritt die Wirkung einer Intensivierung der perjorativen Komponente ein, vergleiche: Taisez-vous, gonzesse, je vais vous corriger [von einem Soldaten zu einem anderen]432 oder Sézenac! Une donneuse [= un délateur]! tu te rends compte!433Ähnlich verhält es sich bei tapette (populär und vulgär ‘pédéraste passif’, ‘tante’), das als feminine Form in der Anwendung auf eine männliche Person beschränkt ist, wie umgekehrt die als maskulin434 ausgewiesene Form laideron sich ausschließlich auf eine Frau bezieht (cf. Grevisse 1993, §476, a, Rem.).435
|| 431 Maître als feminine grammatische Form, d.h. einhergehend mit femininen Determinanten, findet sich allerdings selten, so etwa in der Korrespondenz zwischen Flaubert und George Sand; letztere wird darin angesprochen als chère maître, chère bon maître, chère et vaillant maître. Aber auch in denjenigen Fällen, in denen keine Referenz auf eine weibliche Person, sondern ein metaphorischer Gebrauch vorliegt und insofern die Ambiguität von maîtresse, genauer der Bezug auf eine bestimmte Art des Lebenswandels erst gar nicht zustande kommt, wird die grammatische Form maîtresse zugunsten des Maskulinums maître vermieden, cf. Une grande puisssance entend se démontrer aussi maître de l’escalade que du contrôle (cf. Grevisse 1993, §486, a). 432 Beispiel aus Dorgelès (cf. Grevisse 1993, §476, c, 2°). 433 S. de Beauvoir (cf. Grevisse 1993, §476, c, 2°). 434 Nach Aussage der Akademie maskulin; die Verwendung als Femininum (une laideron) war bis zum 19. Jahrhundert geläufig, wird aber in der heutigen Gemeinsprache kaum mehr gebraucht (cf. Grevisse 1993, §476, a, Rem.; als Femininum veraltet auch nach P.R.). Daneben existiert laideronne als substantivische und adjektivische Form (cf. auch P.R. s.v.). 435 Dass die maskuline Form chameau als Schimpfwort für eine Frau, das Femininum vache als despektierliche Bezeichnung für einen Mann dienen kann, findet seine Begründung dagegen eher in der Tatsache, dass der Gebrauch als Schimpfwort hier geschlechtsinsensitiv gedacht ist; so auch bei der Verwendung von cochon in despektierlicher Verwendungsweise (mit sehr familiärer femininer Variante cochonne, die nur übertragen verwendet wird). Zu con (fam. und vulg.) existiert mittlerweile eine feminine Form conne.
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5.6.7 Suppletion Die Symmetrie der Zuordnungen zwischen Maskulinum und Femininum wird ferner durch Suppletion gestört bzw. durch mehrfache Zuordnungen unterbrochen: So entsprechen etwa Monsieur sowohl Madame als auch Mademoiselle je nach matrimoniellem Status (cf. bei vorausgehendem Determinanten: un monsieur – une dame436/une demoiselle437); femme andererseits dient als feminines Pendant sowohl zu homme als auch zu mari, fille zu fils wie zu garçon. Bei hôte kommen weitere semantische Bezüge ins Spiel: So heißt es une hôte im Falle der empfangenen Person, dagegen une hôtesse, soll die empfangende Person bezeichnet werden. Suppletive Formen, d.h. gegenseitige (semantisch basierte) Zuordnungen unterschiedlicher Stämme bei maskuliner und femininer Form, sind bei folgenden lexikalischen Paarbildungen gegeben: homme – femme, jeune homme – jeune fille, père – mère, compère – commère,438 papa – maman, parâtre – marâtre, parrain – marraine, frère – sœur, confrère – consœur,439 gars440 oder garçon441 – fille, garçonnet442 – fillette, mari – femme/dame,443 gendre – bru, oncle – tante, amant – maîtresse, moine444– religieuse, monsieur – madame, mademoiselle, scout445 – guide,
|| 436 Une madame nur im langage populaire oder mit ironischer Nuance. 437 Auf Grund der Divergenzen nicht nur formaler, sondern auch semantischer Natur sowie hinsichtlich der Vitalität kann demoiselle nicht mehr als Femininum zu damoiseau betrachtet werden (cf. Grevisse 1993, §475, b und §485, Hist.). 438 Commère in der Bedeutung ‘personne bavarde et médisante’ findet zuweilen auch auf Männer Anwendung (cf. Grevisse 1993, §490). 439 Nur unter Schwestern desselben religiösen Ordens oder derselben Vereinigung gebraucht; auch ein Bruder derselben religiösen Vereinigung wird daher von confrère mit Bezug auf eine Schwester sprechen: Mon cher confrère et chère lectrice (Flaubert; cf. Grevisse 1993, §490); doch auch in solchen Fällen scheint sich consœur allmählich durchzusetzen bzw. wird der einstigen Unterscheidung keine Bedeutung mehr beigemessen. Zum Gebrauch von confrère als feminine Form cf. Grevisse (1993, 773, §490). 440 Gars [gɑ] (zurückgehend auf den afrz. Kasus rectus von garçon) stellt das Äquivalent von garçon im familiären Sprachgebrauch dar. 441 Garçonne, nach einem Roman von V. Margueritte (1922), ist pejorativ konnotiert; garce als Femininum zu gars ist meist sehr familiär und pejorativ (nur in bestimmten Regionen bewahrt es die neutrale Bedeutung von ‘fille’). 442 Garçonnette bei Chateaubriand (cf. Grevisse 1993, §490). 443 Femme als feminines Pendant zu mari wird zuweilen als zu familiär betrachtet und daher gegebenenfalls durch dame ersetzt (cf. Grevisse 1993, §490). Der alternative Gebrauch von épouse trägt administrativen Unterton. In der populären Umgangssprache vertritt umgekehrt auch homme mari. 444 Moinesse kommt in pejorativer oder scherzhafter Verwendung vor (cf. Grevisse 1993, §490). Als Terminus technicus existiert moniale (cf. Grevisse 1993, §490 mit historischer Begründung der Form).
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seigneur446 – dame, Hébreu447/Juif – Juive/Israélite, lord – lady, valet de chambre – femme de chambre. Abgesehen von der Suppletion, bei der die formale Divergenz die semantische Konvergenz verschleiert, kommt es zuweilen vor, dass eine bestimmte Funktion bzw. ein Beruf oder auch eine nicht mehr eigentlich funktionell determinierte Bezeichnung (nur noch anachronistisch etwa bei eunuque ‘Eunuch; Haremswächter’, castrat ‘Kastrat; Sänger mit Kastratenstimme’) dergestalt intim mit dem Geschlecht der jeweiligen Person verbunden sind, dass sie tatsächlich geschlechtsspezifische Bereiche konstituieren, die nur von Männern oder Frauen repräsentiert werden können; so sind nourrice oder ténor eindeutig an die Eigenschaft als Frau oder Mann gebunden, wie dies großteils auch bei folgenden Bezeichnungen der Fall ist:448 Maskulina:449 baryton, *bellâtre, benêt [bənɛ], cardinal, castrat, célébrant, chapelain, curé, *don Juan,450 éphèbe,451 eunuque, évêque, fat, flandrin, garnement, *gentilhomme, *godelureau, *grigou, mousquetaire, mousse, *mufle, officiant, page, *paltoquet, patriarche, pédéraste, *pignouf, preux,452 sigisbée, souteneur, ténor, valet etc.453,454
|| 445 Scoute als Femininum kommt gelegentlich vor, kann aber nicht wirklich als usuell gelten. Zuweilen kommt auch maskulines scout mit Referenz auf das weibliche Geschlecht zur Anwendung. 446 Zur sporadischen Wiederbelebung von seigneuresse cf. Grevisse (1993, 772, §489, c, Hist.). 447 Hébreuse ist nicht völlig ungebräuchlich. 448 Cf. Grevisse (1993, 744, §475, c). 449 Die mit einem Asteriskus gekennzeichneten Formen stellen Neuaufnahmen der 13. Ausgabe (1993) von Le Bon Usage gegenüber der 12. Edition (1986) dar; die Formen in eckigen Klammern sind in der Neuauflage nicht mehr explizit erwähnt. Cf. die 14. Ausgabe 2007 bzw. 15. 2011. 450 In bestimmten Kontexten besteht Bedarf zur Bildung eines analogischen Femininums don Juane (cf. den Titel des Romans von Marcel Prévost (1922): Les don Juanes). 451 Une éphèbe ist nicht ausgeschlossen. 452 Preuse stellt eine archaische Form der Literatur des Mittelalters dar, womit eine heldenhafte kriegerische Frau (auch als literarisches bzw. künstlerisches Motiv) bezeichnet wurde. 453 Im Grunde müsste für jeden Fall der Zusammenhang zwischen Funktion und Geschlecht gesondert und in detaillierter semantischer Analyse herausgestellt werden. 454 Cocu wiederum, dessen Anwendung sich gemäß Definition lange Zeit ausschließlich auf Männer bezog, wird mittlerweile auch auf Frauen angewandt – zuweilen auch ohne formale Angleichung an das Femininum (cf. aber bereits Rabelais): Comment diable seroyt elle coquë, qui ne feut oncques mariée? oder La cocuë imaginaire, anonyme Komödie von 1660 (cf. Grevisse 1993, §475, c).
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Feminina: accouchée, amazone, béguine, bigouden, bonne, camériste, chambrière, *conasse (vulg.), *couventine, *covergirl, diva, donzelle, douairière, duègne, dulcinée, girl, *gouine (vulg.), goule, grue, harengère, hétaïre, lavandière,455 lesbienne, lingère, [marâtre], maritorne, matrone, mégère, ménagère, midinette, mijaurée, modiste, muse, naïade, *nana (sehr familiär), nonne, nonnain,456 nourrice, nurse, odalisque, parturiente, *pépée (sehr familiär), péronnelle, pimbêche, pin-up, *poupée, [pondeuse], putain (vulg.), [rombière457], rosière, *tapin, sagefemme,458 starlette, strip-teaseuse,459 vamp, vierge etc. Zwischen menschlichem Geschlecht und Genusmarkierung können auch Disparitäten auftauchen dergestalt, dass eine feminine Form sich nur auf männliche Personen bezieht oder umgekehrt Maskulina primär Frauen bezeichnen. Feminina: basse, vigie, ordonnance,460 tapette (vulg.), frappe (sehr familiär), gouape (familiär); Sa Sainteté, Son Éminence. Maskulina: bas-bleu,461 mannequin, tendron, alto,462 contralto,463 trottin.
|| 455 Lavandier existiert im Französischen von Zaire als mehr oder weniger okkasionelle maskuline Bildung (cf. Grevisse 1993, §475, c). 456 Nonne und nonnain (obsolet) sind pejorativ konnotiert (cf. Grevisse 1993, §490). 457 Vom Femininum wurde ein rezentes Maskulinum rombier abgeleitet (cf. Grevisse 1993, §478, a, Hist.). 458 Der Beruf der sage-femme (oder sagefemme) ‘celle dont le métier est d’accoucher les femmes’ steht in Frankreich seit 1982 auch Männern offen; seither kann der Begriff sowohl zur Bezeichnung von weiblichen wie männlichen Hebammen dienen, wobei das Bezeichnungsparadox (vergleichbar mit *Feuerwehrmännin) bei Referenz auf einen Mann durch die Voranstellung des «generischen» Elementes homme mit sage-femme als substantivischem Epitheton gelöst wird: un homme sage-femme (ähnliche Situationen ergeben sich bei anderen Berufen, die zunehmend auch von Männern ausgeübt werden, so etwa bei nettoyeuse etc.; cf. Grevisse 1993, §476, b, 2°). Alternativ zu sage-femme mit Bezug auf einen Mann wäre die Einführung eines neuen Begriffs mit Genusopposition zur Verfügung gestanden: maïeuticien, maïeuticienne (zu griech. maieutikê ‘art de faire accoucher’), cf. auch accoucheur, accoucheuse. 459 Strip-teaseur scheint kaum vorzukommen; zu den auf die referentielle Gruppe der weiblichen Personen beschränkten femininen Bildungen kann ferner das als «familier» markierte Synonym effeuilleuse hinzugefügt werden. 460 Ordonnance erhält häufig, vor allen Dingen in der gesprochenen Sprache, das Genus gemäß dem Geschlecht des zugrundliegenden Personenbezugs (zu Beispielen cf. Grevisse 1993, §476, a). 461 Es findet sich auch une bas bleu (cf. Grevisse 1993, §476 a). 462 Feminin laut P.R. s.v.
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Der Konflikt zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht lässt sich über die Syllepse (constructio ad sensum, «accord logique» oder «accord avec le sens») 464 auflösen. So dominiert in dem Fall, dass eine Frau oder ein Mann einen Beinamen oder ein Pseudonym mit maskulinem resp. femininem Genus trägt, das natürliche Geschlecht in aller Regel über das grammatische.465,466 Okkasionelle Syllepsen finden sich bei Berufsbezeichnungen, die über keine separate feminine Form verfügen, wie z.B. auteur (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°), oder bei spezifisch weiblichen Berufen, deren Bezeichnung Maskulina sind, etwa bei mannequin; hier findet gegebenenfalls Angleichung des Attributs, des Partizips, des Personalpronomens an das natürliche Geschlecht statt (zu Beispielen cf. Grevisse 1993, §429, c, 1°). Die Syllepse kommt bevorzugt vor zum einen bei oben genannten (maskulinen und femininen) Personenbezeichnungen, zum anderen bei den Honorifika,467 z.B. Son altesse royale, Votre Altesse, Sa Majesté, Votre Seigneurie, Votre Excellence, Votre Éminence etc.468 Sie findet sich zudem bei «generischen» Be-
|| 463 Maskulin laut P.R. s.v.; der Trésor vermerkt s.v. Rem. «Le genre fém. est attesté pour désigner la pers. possédant cette voix (cf. Lar. Lang. fr.). Une gamme continue de la basse au ténor et de la contralto au soprano (Arts et litt. dans la société contemp., 1935, 3606)». 464 «La syllepse consiste à faire l’accord d’un mot, non avec le mot auquel il se rapporte selon les règles grammaticales, mais avec le terme qu’on a dans l’idée. […] Nous distinguons trois cas: il n’y a pas de donneur explicite […]; le donneur ne peut suffire à lui seul à indiquer le genre et le nombre […]; l’accord contredit le genre et/ou le nombre normaux du donneur […]; ce dernier cas représente la syllepse proprement dite» (Grevisse 1993, §426). 465 So mit Bezug auf George Sand (einem allerdings exzeptionellen Beispiel): George Sand a l’air très simple, toute naturelle, mais elle est complexe, elle est même mystérieuse (P. Clarac; cf. Grevisse 1993, §429, b, 2°) oder im Märchen von Barbe-Bleue nach Charles Perrault in den Histoires ou Contes du temps passé (1697); cf. Barbe-Bleue a déjà épousé six femmes, qu’il a égorgées (Grand Larousse encylopédique, 1960–1964) (cf. Grevisse 1993, §429, b, 2°). 466 Bei Fusion von Name und Attribut wird das ursprüngliche Genus unterdrückt: Barberousse s’est noyé dans le Cydnos (cf. Grevisse 1993, §429, b, 2°). Dagegen bleibt das grammatische Genus besser bewahrt, wenn der Name einen Artikel beinhaltet: le Petit Chaperon rouge. Doch auch hier können das Attribut oder weiter entfernt stehende Wörter das dem Sexus entsprechende Genus annehmen: Le Castor [= S. de Beauvoir] s’en est doucement plainte dans son roman (Sartre) (cf. Grevisse 1993, §429, b, 2°). 467 Bezüglich der Frage der Genuskongruenz dominiert in der Regel aber beim Ausdruck Sa Majesté sowie anderen Honorifika die feminine Form; dies gilt auch für solche Personalpronomina, die nicht in demselben (Neben-)Satz wie der Titel selbst stehen: Leurs Excellences […] s’empressèrent autour de Delestang. Elles le félicitaient discrètement (Zola) (cf. Grevisse 1993, §429, c, 1°) 468 Das Verfahren der Syllepse scheint dort eher akzeptabel, wo das koreferentielle Pronomen nicht in demselben (Neben-)Satz erscheint wie der Name selbst: Son Altesse se tenait dans le
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zeichnungen, die sowohl auf männliche wie weibliche Personen anwendbar sind, so dass bei Koreferenz das entsprechende Pronomen gewählt werden kann, wie z.B. bei personne, figure, noblesse, personnalité, célébrité etc. (cf. Grevisse 1993, §476, 2° sowie §629, b, 1°). Laideron bezieht sich zwar ausschließlich auf eine weibliche Person, wird aber, wie es scheint, durchweg für das maskuline Genus akkordiert. Daneben existiert aber auch die Form laideronne; souillon variiert demgegenüber bezüglich des Genus entsprechend des Sexus der bezeichneten Person (laut Vorgabe der Akademie, cf. Grevisse 1993, §476, a, Rem.), auch wenn im aktuellen Gebrauch Referenz auf männliche Bezugspersonen selten vorzukommen scheint, so dass auch das feminine Genus vorherrscht: La souillon bafouée par ses sœurs devient un garçon.469 Allerdings finden sich auch Beispiele für die Verwendung des Maskulinums unter Bezug auf weibliche Personen: Des filles impossibles, de vrais souillons.470 Die morphologisch für das Femininum markierte Form souillonne dagegen ist äußerst selten. Ferner existieren die in der französischen Grammatik noms épicènes genannten Bezeichnungen,471 d.h. solche, die unabhängig vom Geschlecht der bezeichneten Person relativ472 konstant eine spezifische, aber arbiträre Genuszuordnung repräsentieren. Hier sind bei den maskulinen Bezeichnungen namentlich solche Berufsbezeichnungen relevant, die ursprünglich den Männern vorbehalten waren, sowie solche Bezeichnungen, bei denen das zugrunde liegende Geschlecht der intendierten Person unerheblich ist (das Maskulinum vertritt hier das undifferenzierte neutrale Genus473); vergleiche folgende Beispiele aus dem Bereich der Maskulina:474
|| salon. Adossé à la cheminée, il fumait en causant avec ses hôtes (R. Rolland) (cf. Grevisse 1986, 664, §429, c, 1°). 469 Poirot-Delpech (Le Monde, 23/11/1984; cf. Grevisse 1993, §476, a, Rem.). 470 Bernanos (cf. Grevisse 1993, §476, a, Rem.). 471 Cf. Grevisse (1993, §476, b). 472 Okkasionelle Femininbildungen (mitunter scherzhaft) kommen jedoch auch hier vor: une amphitryonne, une ange, une authoresse/autoresse, une bandite, une bourrelle (adjektivisch: La nature est assez bourrelle (Céline); ‘femme de bourreau’ (Nodier)), une cheffesse, une conjointe, une écrivaine, une fantassine, une forçate, une malfaitrice, une ministresse, une petite monstre, une peintresse, une sculptrice/sculpteuse, une petite voyoute, une voyoue/voyouse (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°). 473 Cf. den Eintrag in P.R. s.v. masculin II. (Hapax 14. Jahrhundert): «Qui s’applique aux êtres mâles, mais le plus souvent (en français) à des êtres et à des choses sans rapport avec l’un ou l’autre sexe. Genre masculin. Mot, substantif masculin». 474 Cf. Grevisse (1993, §476, b, 1°).
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Acquéreur,475 agresseur, amateur,476 [amour],477 [amphitryon], [ange],478 apôtre, [architecte], armateur, artilleur, assassin,479 auteur, avant-coureur, bandit, bâtonnier, bourgmestre,480 bourreau, brigand, [cadre], censeur, charlatan, chef,481 [cicérone], clerc, cocher, conjoint, *coryphée,482 courrier,483 défenseur, *démon,484 déserteur, despote, diplomate, échevin, écrivain, escroc, expert, fantassin, fauxmonnayeur, filou, [flirt], forçat, fossoyer, géomètre, *gogo, goinfre, gourmet, grand couturier, imposteur, imprimeur, individu, ingénieur, juge, juré, littérateur, magistrat, malfaiteur, *maquignon, mécène, médecin, [membre], ministre, [modèle], *monarque, [monstre], oiseleur, oppresseur, *otage, paria, peintre, pilote, *planton, plombier, possesseur, précurseur, prédateur, prédécesseur, *proches, professeur, prosélyte, reporter, rhéteur, saligaud (sehr familiär), sauveur, [scripte485], sculpteur, *second,486 serrurier, successeur, supporter, *tabellion, *tâcheron, témoin, terrassier, tirailleur, tyran, usager, vainqueur, [violon], voyou etc.487
|| 475 Zu den verschiedenen möglichen femininen Varianten cf. Grevisse (1993, 772, §489, c). 476 Zu amatrice cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°. 477 Die Formen in eckigen Klammern sind in der 13. Auflage von Grevisse (1993) gegenüber der vorherigen Auflage Grevisse (1986) nicht mehr enthalten (cf. die 14. Auflage 2007). 478 Gewisse Personenbezeichnungen, die im Maskulin auf -e enden, werden gelegentlich als Feminina interpretiert, dazu gehören neben ange (Grevisse führt Belege für folgende Bezeichnungen an: Engel weiblichen Geschlechts, Frau in der Rolle eines Engels, übertragene Bedeutung mit Bezug auf engelhafte Musik, mit Bezug auf eine Frau), auch ange gardienne, ancêtre, capitaine, guide (als feminine Form gewöhnlich in der Bedeutung ‘scout de sexe féminin’, aber auch im Sinne von ‘femme qui conduit’) ilote, lâche (cf. Grevisse 1986, 762, §480, Rem. 3). 479 Zu assassine cf. Grevisse (1993, 749, §476, b, 1°). Assassine stellt die reguläre adjektivische feminine Variante dar; auch bei expert ist das Adjektiv bezüglich des Genus variabel. 480 Grevisse (1993, 749, §476, b, 1°) zitiert «Madame la BOURGMESTRE de Hvalstad» (Bedel). 481 Cf. Grevisse (1993, 767, §486, a) zum Suffix -esse. 482 Die mit einem Asteriskus gekennzeichneten Formen sind neu in Grevisse (1993) gegenüber Grevisse (1986). Belegt ist auch la coryphée (cf. die 14. Auflage 2007). 483 Auch la courrière. 484 Zuweilen vorkommendes démone kann ein übernatürliches Wesen bezeichnen, aber auch metaphorisch auf eine Frau angewandt werden. 485 Neuere Wörterbücher (siehe auch P.R. s.v.) weisen scripte, eine französierte Kürzung von script-girl, als «nom épicène» aus. 486 Seconde wird gebraucht zur Bezeichnung einer Verkäuferin in der Rangstellung unterhalb des Abteilungsleiters eines Kaufhauses oder der Person unterhalb der première. 487 Zu den besonderen Kongruenzregeln bei gens, in der Regel Maskulinum Plural, cf. Grevisse (1993, 756, §477): «s’il est précédé immédiatement d’une épithète ou d’un déterminant ayant une terminaison différente pour chaque genre, on met au féminin cette épithète et ce déterminant ainsi que toute épithète attachée ou tout déterminant ou pronom placés avant gens, et faisant partie du même syntagme, – mais on laisse au masculin tous les autres mots
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In der familiären Umgangssprache des Französischen wird der Bezug auf eine Frau auch ohne Modifikation einer dieser maskulinen Basen durch externe Determinanten, Epitheta, Attribute gekennzeichnet; solcher Gebrauch ist auch der geschriebenen Sprache nicht fremd (vergleiche die Beispiele in Grevisse 1993, §476, b, 1°). «Noms épicènes» aus dem Bereich der Femina sind etwa: bête,488 brute, canaille, *crapule, dupe, estafette, femmelette, fripouille, mauviette, ouailles, pécore,489 personne, recrue, sainte nitouche, sentinelle, star, vedette, victime etc.490 Aus semantischen Gründen wird dupe (ebenso espèce etc.) im populären Französisch auch an das natürliche Geschlecht der bezeichneten Person angepasst: il a été le dupe dans cette histoire, un espèce d’abruti (cf. Gadet 1992, 59). Bei verschiedenen Bezeichnungen, die metaphorisch oder metonymisch auf Personen angewandt werden, bleiben ursprüngliche Bedeutung und ursprüngliches Genus noch spürbar, so etwa bei autorité, brebis, célébrité, chiffe, clarinette, contrebasse, étoile, fine bouche, forte tête, grosse légume, mauvaise langue, notabilité, personnalité, Sa Majesté, Son Altesse, vache etc. Ähnlich auch bei Eigennamen zur Bezeichnung eines bestimmten Personentypus: Cassandre, Sibylle etc.491
|| dont gens commande l’accord (épithètes détachées; pronoms redondants; adjectifs, participes et pronoms placés après gens)»; cf. z.B. Ce sont les meilleures gens que j’ai connus; Instruits par l’expérience, les vieilles gens sont soupçonneux (Dictionnaire de l’Académie). Zum Gebrauch von tous (im Maskulinum) vor gens mit folgendem (attributiven) Adjektiv oder einer Ergänzung sowie zum Akkord bei Verbindungen aus gens und de + Nomen (das eine Eigenschaft, einen Beruf oder einen Zustand bezeichnet), wie in gens de cœur, gens d’honneur, gens d’affaires etc. (gemäß dem Typ de nombreux gens de lettres (Dictionnaire de l’Académie)) cf. Grevisse (1993, 757, §477, Rem. 1. und 2.). 488 Bête wird in der gesprochenen Umgangssprache in Verbindung mit den maskulinen Adjektiven gros und grand – häufig mit affektivem Unterton – gebraucht, wenn die bezeichnete Person eine männliche ist (cf. Grevisse 1993, §476, b, 2°). Analog findet sich auch dupe mit maskulinem Artikel. 489 Das feminine pécore ist obsolet, v.a. mit Referenz auf eine männliche Person. Im 20. Jahrhundert lebte pécore im Argot als maskulines Wort (sporadisch mit Bezug auf eine Frau im Femininum) wieder auf in der Bedeutung ‘paysan’, eventuell unter Einfluss von péquenot. 490 Légume in une grosse légume ist eigentlich maskulin, wird aber in der langue familière in Anlehnung an die langue populaire mit femininem Beiwort zur Bezeichnung einer hochgestellten Persönlichkeit gebraucht (cf. Grevisse 1993, §471, a). 491 Die genannten Bezeichnungen regieren in der Regel die Genuskongruenz der davon abhängigen Satzelemente, cf. Une des personnalités impliquées dans un des plus grands scandals financiers […] est redevenue vice-maire de Canton, blanchie par le pouvoir (Fr. Deron in Le Monde, 26/04/1989); allerdings ist auch Genuskongruenz mit dem natürlichen Geschlecht anzutreffen: La double prévision d’un Cassandre [= Jean-Pierre Chevènement] (in Le Monde, 31/01/1991, 9).
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Bei Bezeichnungen, bei denen eine Genusvariation in Einklang mit dem zugrunde liegenden natürlichen Geschlecht der bezeichneten Person auftritt, wird dort das Maskulinum verwendet, wo eine hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit heterogene Gruppe intendiert ist oder in dem Falle, dass eine weibliche Person bewusst einer sich aus Männern wie Frauen zusammensetzenden Klasse zugeordnet werden soll: Sa fille, son premier-né, emportée […] par une de ces maladies étranges (zu weiteren Beispielen, die diesen Gebrauch bei époux, gamins, ascendant, poète, docteur, traître492 illustrieren, cf. Grevisse 1993, §476, c).493 Im langage familier wird mittels eines vom natürlichen Geschlecht bewusst abweichenden Genusgebrauchs ein affektiver Wert zu erzeugen gesucht (cf. Grevisse 1993, §476, 2°). So kann das Maskulinum an Stelle der femininen Form eingesetzt werden: mon pauvre chéri statt ma pauvre chérie, mon petit statt ma petite, mon vieux statt ma vieille; umgekehrt kann das Femininum an die Stelle einer maskulinen Form treten (jedoch seltener im Vorkommen): ma petite mignonne für mon petit mignon, ma gosse für mon gosse, ma vieille für mon vieux. 5.6.7.1 Der ambige Typ «mairesse»: ʻfemme du maireʼ – ʻfemme exerçant les fonctions de maireʼ Im Folgenden sollen die beiden inhaltlichen Typen im Rahmen der Bezeichnung weiblicher Lebewesen, d.h. funktionelle und matrimonielle Movierung im Französischen untersucht werden: ‘Ehefrau eines Mannes von Männern vorbehaltenem Beruf/Stand’ (Ministerin als ‘Gattin eines Ministers’) bzw. ‘Frau mit Männern vorbehaltenem Beruf/Stand’ (Ministerin als Frau mit Ministeramt).
|| 492 Im Ausdruck en traître kann das Subjekt zwar auch im Plural stehen, allerdings wird das als neutral interpretierte Maskulinum mit Bezug auf das Subjekt grundsätzlich bevorzugt, so dass traîtresse kaum vorkommt. Im usuellen Sprachgebrauch wird traître häufig als feminine Form verwandt, etwa la vengeance traître (Victor Hugo) (cf. Grevisse 1993, §486 bzw. §535, a, Hist.; im Alt- und Mittelfranzösischen wurden maistre und traitre adjektivisch gängig als Femina gebraucht). Der Ausdruck en maîtresse wird auf Grund der besonderen Bedeutungsspezialisierung von maîtresse (cf. Grevisse 1993, §486, a) zu vermeiden gesucht (cf. Grevisse 1993, §339, b). Während maître nur in Ausnahmefällen mit femininen Determinanten erscheint, findet sich une traître im langage familier (cf. Grevisse 1993, §486, a sowie §535, a zum adjektivischen Gebrauch von maître/maîtresse und traître/traîtresse: danach gehört traîtresse vornehmlich der literarischen Sprache an). 493 Mit Apposition, die das natürliche Geschlecht indiziert: Madame le président (vergleiche dagegen: Sa Sainteté le pape; siehe zu diesem Gebrauch Grevisse 1993, §338, a).
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1) Funktionelle Movierung Beim Typ der funktionellen Movierung dient das Femininum nicht nur zur Bezeichnung einer weiblichen Person, sondern der in der Basis (die eine männliche Person impliziert) enthaltene Bezug auf eine Funktion, ein Amt, einen Stand etc. bezieht sich auf diese Person selbst (und nicht, wie bei der matrimoniellen Movierung, auf den männlichen Partner), so etwa bei un maire, une mairesse ʻfemme exerçant les fonctions de maireʼ (ursprünglich matrimoniell, cf. infra sowie Grevisse 1993, §486, a). Ein analoges Verhalten liegt folgenden Formen zugrunde: bonzesse zu bonze (oder bonzelle) (‘femme bouddhiste cloîtrée’), félibresse494 zu félibre (‘écrivain, poète de langue d’oc’), jésuitesse495 zu jésuite, minimesse zu minime ‘religieux, religieuse496 de l’ordre monastique fondé par saint François de Paule (15. Jahrhundert)’), ministresse497 zu ministre, seigneuresse498 zu seigneur, stewardesse (oder -ess) zu steward. 2) Matrimonielle Movierung Bei diesem inhaltlichen Typ bezeichnet die feminine Variante auf der Grundlage des zugehörigen Maskulinums eine weibliche Person, die über die Relation der Ehe mit der entsprechenden männlichen Person in Verbindung steht: un notaire – une notairesse ‘femme de notaire’.499 Zur Bezeichnung einer Frau mit Amt wird in der aktuellen Gemeinsprache des Französischen die maskuline Form angewandt: maître Suzanne X, notaire; elle est notaire. Analog zu notairesse sind zu verstehen: un consul – une consulesse ‘femme de consul’, une pastoresse ‘femme de pasteur (protestant)’ zu un pasteur, un maire – une mairesse ‘femme du maire’: Monsieur le maire flanqué de sa mairesse (heute funktionelle Movierung, ansonsten scherzhaft).500 Banquière ‘femme de banquier’ ist heute zuweilen als funktionelle Movierung in den Wörterbüchern verzeichnet (von der Akademie nicht anerkannt), une procureuse zu un procureur stellt in der aktuellen Synchronie des Französischen einen Anachronismus dar. Die matrimonielle Movie-
|| 494 In P.R. ist die weibliche Form nicht separat aufgeführt. 495 Nicht in P.R. 2009 enhalten. 496 Die feminine Form minimesse ist nicht in P.R. verzeichnet; dafür wird minime auf männliche und weibliche Personen bezogen. 497 Noch als okkasionelle Form gebraucht, cf. (Grevisse 1993, §476, b). 498 Cf. Grevisse (1993, §489, c, Hist.). 499 Heute allerdings obsolet oder nur noch in scherzhafter Verwendung. Die einstige Variante notaresse (1841), auf die notairesse zurückgeht, ist nicht mehr gebräuchlich (cf. Grevisse 1993, §486, a, sowie §475, b; cf. P.R. s.v.). 500 Eine matrimonielle Movierung liegt wahrscheinlich auch bei der mittlerweile obsoleten Form apothicairesse (nicht in P.R. 2009 verzeichnet) vor.
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rung besaß in der Vergangenheit stärkeres Gewicht als heute, was mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft zusammenhängt: So diente etwa étudiante einst als Bezeichnung für eine ‘maîtresse d’étudiant’ (cf. Grevisse 1993, §475, b, Hist.). 3) Ambige Movierungen Als ambige Movierungen sollen solche auf eine weibliche Person referierende Bildungen bezeichnet werden, die sowohl den matrimoniellen als auch den beruflichen bzw. allgemein funktionellen Status der entsprechenden Person betreffen wie z.B. bei un boucher – une bouchère ‘femme de boucher; femme qui tient une boucherie’. Die Ambiguität ist vielfach über den je zeitbedingten gesellschaftlichen Hintergrund begründbar und kann dann auftreten, wen der matrimonielle Status allmählich von einem funktionellen abgelöst wird. Im Zuge der allmählichen Öffnung ursprünglich Männern vorbehaltener Berufe für Frauen tritt auch ein Wandel in der Bedeutung ein, so dass weniger (oder nur noch als parallele Bedeutungsvariante) der Stand der Frau als Gattin des Berufsträgers über die spezifische Femininbildung bezeichnet wird als vielmehr regelhaft die Position der Frau, die selbst als Funktionsträger erscheint. Ambiguität besteht etwa bei ambassadrice, womit mittlerweile die Amtsinhaberin selbst, d.h. ‘femme représentant officiellement son pays dans un État étranger’ bezeichnet werden kann; allerdings scheint die maskuline Form – als die offizielle Bezeichnung – auch in dem Fall, dass es sich um eine Botschafterin handelt, zu dominieren. Heute weiterhin mit Bezug auf Geschlecht und Funktion gebräuchlich sind etwa colonelle, générale, maréchale, ebenso reine, impératrice, ambassadrice, préfète. Pharmacienne wird in der heutigen Gemeinsprache eindeutig als Bezeichnung für die Trägerin des Berufes aufgefasst. Die Zugänglichkeit bestimmter Berufe bzw. Rechte (cf. un électeur – une électrice) und Freiheiten auch für das weibliche Geschlecht hat die Einführung – neben pharmacienne – folgender femininer Berufsbezeichnungen in die Norm der französischen Gemeinsprache notwendig gemacht:501,502 auditrice zu auditeur, aviatrice zu aviateur, factrice zu facteur,
|| 501 Die Wörterbücher (so auch der Petit Robert) verzeichnen in bestimmten Fällen nur die maskuline Variante (colon); zuweilen ist die Existenz einer entsprechenden weiblichen Form umstritten (couvreur, jockey) oder wird als selten ausgewiesen (chausseuse, cochère, imprimeuse; plombière außer in Québec). Als nicht belegt gilt sie für oiseleuse, interessant ist jedoch der Hinweis auf die potenzielle Bildbarkeit etwa für artificière, carillonneuse, charpentière, forestière, plafonneuse, serrurière, terrassière, tonnelière etc.), cf. Grevisse 2007, §487 c) 2° R14. Virtualität belegt der Robert auch für harpagonne, wohingegen der Trésor (s.v. Rem.) einen Beleg anführt (Bloy, Journal 1900, 39).
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*compositrice zu compositeur, *éditrice zu éditeur, *exploratrice zu explorateur, *rameuse zu rameur, postière zu postier, artisane zu artisan, *bûcheronne zu bûcheron,503 attachée zu attaché, employée zu employé, candidate zu candidat, avocate zu avocat.504 Als mittlerweile gängige Form kann ferner championne betrachtet werden; daneben besitzen folgende weitere feminine Bildungen eine erhöhte Akzeptanz (zu Belegen cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°): oratrice, partisane,505 pionnière, soldate, hurluberlue, officière,506 agente,507 commise.508 5.6.7.2 Interaktion Muttertier/Tierjunges Die Mehrheit der Tierbezeichnungen sind zum einen gegenüber der eigentlichen Geschlechtszugehörigkeit des Wesens indifferent, d.h. Genus und Sexus korrelieren nicht notwendigerweise, zum anderen wird im Gros der Fälle keine Differenzierung in weibliche und männliche Gattungsvertreter vorgenommen, wobei die Gattung als solche das eine (Maskulina: hanneton, brochet, canari, orvet, hérisson, puma, hippopotame etc.) oder das andere (Femina: mouche, truite, grive, couleuvre, loutre, panthère, girafe, baleine etc.) Genus tragen kann (noms épicènes). Insgesamt wird die Genusvariation hauptsächlich von analogischen Tendenzen oder der Etymologie beeinflusst. Das Genus der Tiernamen reflektiert das natürliche Geschlecht häufig in solchen Fällen, in denen das bezeichnete Tier für den Menschen durch Zucht und Jagd einen besonderen Stellenwert besitzt. Hier kommt die Verbindung zwischen Mensch und zu kulturellen Zwecken domestizierbaren Tieren zur
|| 502 Die folgenden weiblichen Bildungen wurden von der Akademie in den Jahren 1932–1935 eingeführt; die mit einem Asteriskus markierten Formen stellen Neuaufnahmen nach Grevisse (1993) gegenüber Grevisse (1986), wo diese noch nicht verzeichnet waren, dar (cf. ibid. §476, b, Rem. 1). Die Bildung chauffeuse ‘celle qui conduit une auto’, die ursprünglich von der Akademie anerkannt worden war, konnte sich nicht durchsetzen (1988 nicht mehr aufgenommen). Die in gewissen Wörterbüchern enthaltene Form banquière (ursprünglich ‘femme de banquier’) wurde als funktionelle Movierung nicht anerkannt. 503 Angesichts der sprachgeschichtlich nur geringen Produktivität des Suffixes -on/-onne (cf. Staib 1988, 170), die in der aktuellen Synchronie des Französischen sogar als völlig eingebüßt gelten kann, erstaunt diese relativ rezente feminine Bildung. 504 Früher nur in übertragener Bedeutung. 505 Abgesehen von der Formel être partisane de. 506 Cf. Grevisse (1993, 751, §476, b, 1°, Rem. 1): «fait partie de la terminologie de l’Armée du salut». 507 Agente findet sich, sofern es überhaupt vorkommt, meist – aber nicht nur – in pejorativ konnotierter Verwendung (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°, Rem. 1). 508 In der Bedeutung ‘employée de magasin’ im Süden Frankreichs geläufig sowie entsprechend bei gewissen Autoren wie Toulet, Mauriac, Pagnol, Audiberti u.a. (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°, Rem. 1).
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Geltung, die als wesentliche Grundrelation die Ausbildung einer femininen zur existenten maskulinen Bezeichnung begünstigen kann (cf. Grevisse 1993, §474): «Certains noms concernant une particularité d’un sexe ont le genre correspondant à ce sexe: un hongre [‘Wallach’]; une couveuse [‘Bruthenne’],509 une pondeuse [‘Legehenne’]». So wird in der Gemeinsprache das Femininum als das die Gattung als solche bezeichnende Genus bevorzugt, wenn aus der Sicht des Tierzüchters dem weiblichen Tier größere Bedeutung zukommt als dem männlichen, cf.: la vache, l’abeille, la poule, la chèvre. In der Gruppe der domestizierten, insbesondere zu Zuchtzwecken eingesetzten Tiere kommen weitere lexikalisch-semantische Differenzierungen innerhalb der Gemeinsprache zum Tragen, die sich aus dem jeweiligen besonderen Bezeichnungsbedarf im Zusammenhang mit dem Geschlecht, aber auch dem Alter des Lebewesens erklären. Davon abhängende semantische Differenzierungen innerhalb der Norm der Gemeinsprache (abgesehen von hinzutretenden, in diesem Bereich sehr bedeutsamen regionalen Bezeichnungen510) können sein: vache ‘Kuh’, taureau ‘Stier, Bulle’, daneben bœuf ‘mâle châtré’/‘Ochse’ (auch ‘Rind-, Ochsenfleisch’), veau ‘Kalb’ (auch ‘Kalbfleisch’); bouvillon oder châtron ‘jeune mâle châtré’, taurillon ‘jeune taureau’, génisse ‘Färse, Kalbe’ oder taure (‘femelle qui n’as pas encore mis bas’). Generischen Charakter tragen folgende Bezeichnungen: (des) bovins ‘Rinder’, (des) ovins ‘Schafe’, (des) bovidés ‘Horntiere’, (des) bestiaux ‘Vieh’; im Alltagsgebrauch tritt für (des) bovins etc. der Plural (des) vaches oder die Kollektivbezeichnung le bétail ‘Vieh’ ein. Auch bei canard als Gattung ergeben sich bestimmte Differenzierungen: Neben der Geschlechtsdifferenzierung (einschließlich der kastrierten Tiere), cf. cane – canard bzw. als regionale Variante malard (ohne weibliches Pendant, für das als suppletive Form cane eintritt), zeichnet sich als weitere wichtige Gliederung einerseits die Unterscheidung zwischen Muttertier – Tierjunges, cf. (regelmäßig gebildete) Bezeichnungen für Jungtiere wie z.B. caneton ‘petit du canard’; canette ‘petite cane’,511 andererseits die zwischen Haustier – freilebendes Tier ab. Es existieren zwar keine eigenen generischen Termini zur Bezeichnung von ‘canard domestique’ und ‘canard sauvage’, man vergleiche aber die Fülle der Bezeichnungen für die verschiedenen (noch weiter spezifizierbaren) untergeordneten Arten: eider, macreuse, milouin, pilet, sarcelle, souchet, tardone.
|| 509 Couveuse ‘poule qui couve’ (nicht gemeint ist hier die Bedeutung ‘incubateur’). 510 Zu nennen wären etwa (cf. Grevisse 1993, §474, Rem. 3.) tauret, taurin, génisson, génissonne u.a. m. 511 Allerdings geht canard historisch wiederum auf die Diminutivform canette zurück.
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Hier ergeben sich Bezeichnungsnotwendigen im Zusammenhang mit der Zucht (cf. auch halbrun ‘jeune canard sauvage’, P.R. s.v.). Die Unterscheidung zwischen wildlebendem und häuslichem Tier kommt auch bei sanglier – laie bzw. verrat ‘porc mâle employé comme reproducteur’ – truie ‘femelle du porc, du verrat’ (P.R. s.v.) zum Tragen (cf. dt. Wildschwein als Bezeichnung für die Gattung an sich sowie das männliche Tier neben Wildsau für das weibliche Tier; Eber repräsentiert gegenüber dem freilebenden Schwein das männliche Hausschwein, die Sau den weiblichen Vertreter der häuslichen bzw. Zucht-Spezies). Ähnlich mit Bezug auf das reproduzierende bzw. kastrierte Tier: cochon ‘animal domestique; porc élevé pour l’alimentation (le plus souvent châtré, opposé à verrat)’ (P.R. s.v.) bzw. zur Bezeichnung des jungen Tieres: goret ‘jeune cochon’, cochonnet ‘petit cochon, cochon de lait’, pourceau (veraltet oder literarisch für cochon, porc), porcelet ‘jeune porc’. Durch Movierung, genauer mittels eines femininen Suffixes gebildete Formen in diesem Bereich sind etwa faisan, faisane,512 lapin, lapine; auf einer femininen Endung beruht die Genusopposition bei le rat – la rate/ratte. In letzterem Fall kann die Genusdifferenzierung pragmatisch motiviert sein durch den Umgang mit Ratten in wissenschaftlichen Labors (in den regionalen Mundarten bezeichnet rate entweder die Gattung als solche oder allgemein Nagetiere). Suppletive Formen sind bélier – brebis, bouc – chèvre (bique fam.), brocard/broquard ‘chevreuil mâle d’un an environ’ (P.R. s.v.) – chevreuil, cerf – biche, chien de chasse – lice, coq – poule, étalon – jument,513 jars – oie, lièvre514 – hase, malard/malart (région.) ‘canard mâle’/(canard) – cane, matou/chat515 – chatte,516 sanglier – laie, singe517 – guenon, taureau – vache, verrat518 – truie.519
|| 512 Adjektivisch: poule faisane. Faisande ist als feminine Form aus der Gemeinsprache des Französischen verschwunden (cf. Grevisse 1993, §484). 513 Cavale als Synonym gehört der Sprache der Dichtung an (cf. Grevisse 1993, §490). 514 In der Fachterminologie der Jäger wird zur Bezeichnung des ‘lièvre mâle’ oder ‘lapin mâle’ auch bouquin verwendet (cf. Grevisse 1993, §490). 515 Matou ‘chat domestique mâle et entier’ (cf. P.R. s.v.) kann als generischer Terminus (cf. chat) fungieren und zugleich das männliche Tier bezeichnen. 516 Cf. Grevisse (1993, 742, §474, Rem. 1): «Chatte, dans les parlers pop. de l’Est et de la Suisse, est un concurrent de chat, sous l’influenece de l’allem. Katze, fém. quel que soit le sexe». 517 Zu singesse cf. supra Kap. 5.5.5. 518 Auch porc (das zugleich als generische Bezeichnung dient). 519 Als Synonym für truie (‘Zuchtsau’) existiert coche; nach Grevisse (2011, §503) ist coche aus der Gemeinsprache des heutigen Französisch verschwunden, lebt aber noch in den Patois fort (laut G.R. 2011 und Tfi s.v. veraltet oder (G.R.) regional). In übertragener Bedeutung und pejorativ konnotiert wird coche (in sehr familiärer Sprache) zuweilen auf Frauen angewandt. Cochonne, rein übertragen gebraucht, ist ebenfalls sehr familiär.
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5.6.7.3 Menschennahe Tiere Auch gewisse nicht-einheimische Tierrassen, die zu den in Europa besser bekannten Tieren – vornehmlich Raubtieren – gehören und den Menschen auf Grund ihrer Stärke und anderer Merkmale als in gewisser Hinsicht ebenbürtig gelten, sowie in Fabeln, Mythen und Märchen vorkommende Tiere bilden eine zweite Gruppe, die häufig eine doppelte Genusmarkierung aufweisen. So finden sich in der literarischen Sprache dort, wo Tieren menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden, zuweilen Bildungen – insbesondere zur Bezeichnung des weiblichen Tieres – die im Alltagsgebrauch keine Verwendung finden. Laut Plank lassen sich Femininbildung bei Mensch und Tier über eine Skala der Individualität oder Personalität (cf. Plank 1981, 101) auf einen gemeinsamen Nenner bringen, wobei Menschen und den Menschen nahestehende Tiere die höchsten Positionen dieser Skala besetzen und sich somit für die Movierung, d.h. als Basen einer sekundären Bildung eignen (siehe auch Plank 1981, 101 bzw. 261, Anm. 18). Was dieses Argument bekräftigt,520 ist die Tatsache, dass eine Vielzahl der Nutztiere, mit denen der Mensch im europäischen Kulturraum vertraut ist und deren idiosynkratische Verhaltensweisen und Eigenschaften landläufig bekannt – und auch nachahmbar – sind, nicht nur in Fabeln (ein nach Plank 1981, 98 sekundäres Moment bezüglich der Ausbildung einer Movierungsfunktion) als «Akteure» auftreten, sondern sich zudem für den übertragenen Gebrauch eignen, d.h. in vielen Fällen eine metaphorische Bedeutung entwickeln. Bei solchen metaphorischen, auf Menschen angewandte Bezeichnungen (cf. un,e paresseux,-euse ‘Faultier’ und ‘Faulenzer(in), Faulpelz’) handelt es sich – fast ausnahmslos – zum einen um pejorativ konnotierte (Ausnahme: jeune loup mit eher positiver Wendung der dem Tier zugeschriebenen Eigenschaft der Listigkeit, Schläue), in der Regel für das familiäre Register markierte Ausdrücke, zum anderen um solche, die Identität zwischen Geschlecht des Tieres und der Person aufweisen (vereinzelte Ausnahmen, die sowohl eher Kosewörter repräsentieren als auch auf beiderlei Geschlecht zutreffen können, sind etwa frz. mon (petit) lapin, dt. (mein) Hase, (mein) Häschen, ma colombe, ma biche etc.). Zu
|| 520 Die auf Greenbaum et al. (1990, 99ss.) zurückgreifenden Angaben basieren interessanter Weise auf einer solchen Skala personaler Identität, wie sie von Plank (1981) vorgeschlagen wird, d.h. die oberste Klassifikation folgt nicht der traditionellen Unterscheidung zwischen den semantischen Klassen der «belebten» (menschlichen und tierischen) und «unbelebten» Entitäten (so auch bei Grevisse 1993, cf. insbesondere §457), sondern einer Gliederung, die die Differenzierung in «personale» und «nichtpersonale» Einheiten als primär zugrunde legt. Erst in einem zweiten Schritt wird zwischen «menschlichen» und «nichtmenschlichen» bzw. «unbelebten» referentiellen Einheiten unterschieden, wobei diese Gliederung mit ersterer weitgehend übereinstimmt, sich aber nicht völlig mit dieser zu decken braucht.
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diesem Phänomen mit übereinzelsprachlicher Relevanz lassen sich etwa folgende Beispiele aus dem Französischen anführen:521 1. Maskuline Bezeichnungen: un aigle,522 un asticot (‘Made’; ‘komischer Kerl, Kauz’), un butor (une butorde) (‘Rohrdommel’; ‘Flegel, Rüpel’), un chameau (‘Kamel’; ‘Schuft; (Frau) Biest’, cf. Grevisse 1993, §476, c, 2°), un cochon (‘Schwein’; ‘Schwein, Ferkel’) un gorille (‘Gorilla’; ‘Leibwächter’), un lapin (‘Kaninchen’; cf. un chaud lapin ‘geiler Bock’, mon (petit) lapin ‘mein Häschen’), un loulou, (‘Spitz (Hund)’; ‘mauvais garçon’; cf. loup ‘Wolf; Wolfsbarsch’; jeune loup ‘ehrgeiziger junger Mann’, un loup de mer ‘alter Seebär’); un maquereau (‘Makrele’; ‘Zuhälter’), un morpion (‘Filzlaus’; ‘Knirps’), un moustique (‘Mücke’; ‘(kleiner) Wicht’), un oiseau (‘Vogel’; cf. un drôle d’oiseau ‘komischer Kauz’, un oiseau rare ‘weißer Rabe (iron.)’), un ouistiti (‘Seiden-, Pinseläffchen’; cf. un drôle de ouistiti ‘eine seltsame Type’), un pigeon (‘Taube’), le pigeon (‘der Dumme, Geprellte’), un porc (‘Schwein’; ‘Dreckschwein’), un rat (‘Ratte’; cf. un rat de bibliothèque ‘Bücherwurm’, un rat d’hôtel ‘Hoteldieb’, un petit rat de l’Opéra ‘Ballettratte’), un requin (‘Hai’; cf. un requin (de la finance) ‘Finanzhai’), un saint-bernard (‘Bernhardiner’; ‘aufopferungsvoller Mensch’), un serin (‘Kanarienvogel’; ‘Einfaltspinsel’), un singe (‘Affe’), le singe (patron ‘der Alte’), un veau (‘Kalb’; ‘Trampel’), un zèbre (‘Zebra’; cf. un drôle de zèbre ‘komischer Kauz’) etc. 2. Feminine Bezeichnungen: une bécasse (‘Waldschnepfe’; ‘dumme Gans, Pute’), une bécassine (‘Sumpfschnepfe’; ‘dumme Gans, Pute’), une biche (‘Hirschkuh’; cf. ma biche ‘mein Schätzchen’), une bique (‘Ziege, Geiß’; cf. une grande bique ‘Hopfenstange’, une vieille bique ‘alte Ziege’), une buse (‘Bussard’; ‘dumme Gans, Ziege’), une colom-
|| 521 Hinzu kommen gewisse metaphorische Verwendungen von Eigennamen wie in un Apollon, un Tarzan, une Ève, une Vénus, un Cerbère etc.; ferner entstammen dem mythologischen Bereich Bezeichnungen wie une amazone, une diablesse (un diable), un dragon, un faune, une fée, une furie, un géant (une géante), un monstre, une nymphe, un phénix, un satyre, une sirène, un sphinx, un titan, un triton. 522 In übertragener Bedeutung auf Frauen angewandt steht aigle im Allgemeinen im Maskulinum (der Gebrauch als feminine Form ist selten, dagegen bezeichnet une aigle das weibliche Tier). In der Heraldik hat sich der vom Sexus des Tieres unabhängige historische Gebrauch des Feminins (cf. l’aigle impériale) gehalten (< lat. AQUILA, fem.), aber zuweilen findet sich auch das Maskulin: l’aigle Prussien (mit übertragener Bedeutung). Der geschlechtsinsensitive Gebrauch sowohl als Maskulin und Feminin geht auf das Altfranzösische zurück (cf. Grevisse 1993, §480, Rem.1).
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be (‘Taube’; cf. ma colombe), une dinde (‘Truthenne’; ‘dumme Pute, Gans’), une grue (‘Kranich’; ‘Nutte’), une linotte (‘Hänfling’; ‘dünner, schwächlicher Mensch’), une morue (‘Kabeljau’; ‘Nutte’), une pie (‘Elster’; ‘Schwatzbase’), une puce (‘Floh’; cf. ma puce ‘(mein) Mäuschen’), une tigresse (‘Tigerin’; ‘Furie’), une vache (‘Kuh’; cf. (une peau de) vache ‘Schuft’), une vipère (‘Viper’; ‘Schlange, Giftkröte’). Wenn sich also bestimmte Tiere als Träger deutlich menschlicher Eigenschaften eignen, so besteht hier nach der Personalitätsskala Planks ein erhöhtes Potential zur Ausbildung einer separaten femininen Form; der Ort, an dem Tieren solche menschennahen Züge zugesprochen werden, ist vielfach der literarische Sprachgebrauch, wo feminine Bildungen wie la rossignole zu le rossignol, la serine zu le serin (‘Kanarienvogel’) anzutreffen sind. Es handelt sich dabei vielfach um ad-hoc-Bildungen, wie folgende Formen veranschaulichen: une écureuille (‘Eichhörnchen’) zu un écureuil, une ouistitite (‘Seiden-, Pinseläffchen’) zu un ouistiti, une papillonne523 zu un papillon, une animale zu un animal.524 Neben den genannten großteils einheimischen Tieren, deren Eigenschaften bzw. Verhalten über bestimmte Aktionsschemata mit Menschen in Verbindung gebracht werden können, erweisen sich nichteinheimische Tiere, namentlich Raubtiere, auf Grund ihrer Größe und physischen Stärke als geeignet, mit Menschen verglichen und hinsichtlich des Personalitätskriteriums in eine dem Menschen nahe Position gerückt zu werden. Durch Movierung gebildete Genusoppositionen wie un lion – une lionne, l’ours – l’ourse, un tigre – une tigresse etc. lassen sich auf diese Weise begründen. Femininbildungen, die in der Norm existieren, aber nur selten gebraucht werden, sind im Rahmen der Movierung une éléphante zu un éléphant, la moinelle zu le moineau (‘Spatz, Sperling’), une oiselle zu un oiseau.525 Formal mittels eines weiblichen Suffixes gebildet und ebenfalls kaum gebraucht sind: la merlette526 zu le merle (‘Amsel’), la bufflesse/buflonne zu le buffle, la butorde527 zu le butor (‘Rohrdommel’). Ein wesentliches Interaktionsschema, das eine Movierungsfunktion begründen kann, stellt (neben den Muttertier-Tierjunges-Interaktionen) die Relation zwischen den Paarungspartnern dar; als Beispiel kann hier das Paarungs|| 523 Als pragmatisch motivierte Bezeichungsnotwendigkeit auch in der Biologie. 524 Cf. Grevisse (1993, 741, §474). 525 Cf. Grevisse (1993, 741, §474). 526 Auch als Begriff der Heraldik; merlesse findet sich zudem im sprichwörtlichen Gebrauch, der selbst aber als obsolet gelten kann: C’est l’histoire du merle et de la merlesse. 527 Nur in übertragener Bedeutung gebraucht als despektierliche Bezeichnung für eine Frau; in dieser Verwendung finden sich auch chamelle, oiselle, serine etc.
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verhalten von Störchen dienen (cf. Plank 1981, 100–101), das mit einer ausgedehnten (eventuell arbeitsteiligen) Verbindung einhergeht. Die Namen der Jungtiere tragen wie die Mehrheit der generischen Bezeichnungen nur ein Genus (Maskulinum oder Femininum); allerdings sind sowohl die Namen für die Tierjungen sowie die Gattungsnamen vielfach für das maskuline Genus gekennzeichnet, wobei dieses nicht als das den männlichen Wesen korrespondierende Genus aufzufassen ist, sondern als ein Maskulinum, das vielmehr einem genusindifferenten, asexuellen Neutrum528 gleichkommt; vergleiche zu Jungtiernamen aiglon, caneton, chaton, chiot, chevreau,529 lionceau, marcassin, oison, poulain,530 poussin, veau, faisandeau/faisanneau, souriceau, perdreau, dindonneau531 etc. Das maskuline Genus kann sich also mit bestimmten Suffixen verbinden (z.B. la souris – le souriceau etc.). Ein Beispiel des Französischen, in dem Maskulinum und Femininum undifferenziert sowohl für die Bezeichnung des männlichen wie des weiblichen Tie-
|| 528 Auch die Bezeichnungen für Kleinkinder sind im gewöhnlichen Sprachgebrauch maskulin, wenn das natürliche Geschlecht nicht in den Blick kommt. Bei Bedarf einer Spezifizierung des Geschlechts steht z.B. die feminine Form nouvelle-née zur Verfügung (selten wird nouveaunée gebraucht, cf. aber Grevisse 1993, §476, b, 1°, Rem. 2 bzw. 926, §1357, b, 7° zur Veränderlichkeit von nouveau in pränominaler und präadjektivischer bzw. präpartizipialer Stellung). Pouponne (zu poupon ‘Baby’) ist von der Akademie anerkannt, enfançonne kommt individuell bei gewissen Autoren vor (enfançon selbst gilt als veraltet); enfant, das sich früher auch bei Referenz auf ein Mädchen mit einem maskulinen Determinanten verband, wird heute variabel gebraucht (un, une enfant), kann aber nach wie vor in seiner maskulinen Form sowohl Jungen wie Mädchen bezeichnen, wenn die Klasse der Kinder insgesamt, die beiderlei Geschlecht umfasst, gemeint ist (cf. Grevisse 1993, §476, b, 1°). 529 Die aus dem 20. Jahrhundert datierende, innerhalb derselben stilistischen Varietät als Diminutiv zu familiärem bique ‘chèvre’ gebildete (semantische) Variante bicot bezeichnet ein ‘petit chevreau’ und stellt somit die diminutive Form des das Tierjunge bezeichnenden Substantivs dar. Parallel existiert die nicht diminutive, nach beiden Genera differenzierte Form biquet, ette, die das Tierjunge bezeichnet und zugleich als Kosewort in übertragenem Sinne fungiert. Als weiteres Synonym zu chevreau dient cabri ‘petit de la chèvre’. 530 Pouliche ist nicht die feminine Form von poulin (pouliche: ‘jeune jument jusqu’à l’âge adulte, mais qui n’a plus l’âge d’un poulin’ (cf. Grevisse 1993, §488, b, N.B.). Bei agneau existiert eine – allerdings nur eingeschränkt usuelle – feminine Variante agnelle (cf. Grevisse 1993, §474, b). Volaille ist feminin auf Grund der ursprünglichen kollektiven Bedeutung, die bis heute erhalten ist (cf. la volaille ‘ensemble des oiseaux qu’on élève pour leurs œufs ou leur chair’ vs. une volaille ‘oiseau de basse-cour’). Volatile – feminin – besaß ebenfalls kollektive Bedeutung; diese ging jedoch mit einher gehendem Genuswechsel vom Femininum zum Maskulinum unter (cf. Grevisse 1993, §474, b). 531 Zunächst wurde dindon zu dinde zur Bezeichnung des Jungtieres gebildet; dindon bezeichnete dann das männliche Tier und dindonneau wurde als neue Form zur Bezeichnung des Jungtieres verwendet.
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res verwendet werden, so dass etwa die eigentlich feminine Form in Kombination mit dem klassematischen Merkmal [MÂLE] vorkommt, ist linotte (‘Hänfling’ von linot): la linotte mâle, des mâles de linotte.532 Daneben kann auch der gewissermaßen umgekehrte Fall eintreten, dass also ein ursprünglich als Bezeichnung einer spezifischen Art fungierender Name, der sich auf männliche wie weibliche Artenvertreter bezog, eine Restriktion der Extension erfährt und nur noch den weiblichen Vertreter einer bestimmten Art bezeichnet; dieser Fall liegt etwa beim bereits erwähnten guenon (‘Affenweibchen’) vor. Ferner kann innerhalb einer ursprünglichen Differenzierung von männlichem und weiblichem Gattungsvertreter die feminine Form ihre Extension erweitern, indem sie zur Bezeichnung einer – mitunter spezifischeren – Gattung allgemein genutzt wird, so etwa bei perruche: perruche bezeichnet nicht nur das weibliche Tier zum Maskulinum perroquet, sondern eine eigene Untergattung (ohne Differenzierung des Sexus) derselben Vogelart. Auf Grund des arbiträren Charakters der Genuszuweisung bei Tiernamen treten auch Schwankungen auf: So kommt phalène als maskuline und feminine Form vor; ebenso bei grouse (‘Rauhfußhuhn’). Im Schwanken des Gebrauchs, der vornehmlich für die regionalen Varietäten des Französischen charakteristisch ist, spiegelt sich häufig ein älterer Sprachzustand wider. Als Maskulina können gelten: anchois (‘Anchovis, Sardelle’), chevesne (chevaine/chevenne) (‘Döbel; Rohrkarpfen’), cloporte (‘Landassel’), crabe (‘Krebs; Krabbe’), éphémère (‘Eintagsfliege’), grèbe (‘Lappentaucher’), iguane (‘Leguan’), lampyre (‘Großer Leuchtkäfer’), moustique (‘Stechmücke’), polype (‘Polyp’), poulpe (‘Krake’), scarabée (‘Skarabäus’), serpent (‘Schlange’), termite (‘Termite’); an Femina finden sich: amibe (‘Amöbe’), forficule (‘Ohrwurm’; maskulin nach G.R. 2011, s.v.), fourmi (‘Ameise’), hydre (‘Süßwasserpolyp’), loutre (‘Otter’), scolopendre (‘Bandassel’), tique (‘Zecke’), vipère (‘Viper’).
5.7 Modifizierung – Kollektivbildung Eine Untersuchung zur Wortbildung des Französischen lässt auf den ersten Blick gewisse auffällige Abweichungen von den in anderen romanischen Sprachen für dieselben inhaltlichen Funktionen herangezogenen materiellen Verfahren erkennen. Ähnlich wie sich das Französische im Bereich der Verbalmorphologie durch den regelmäßigen und zur Personenmarkierung (einschließlich des Numerus) notwendigen Einsatz von Personalpronomina auszeichnet, exis-
|| 532 Cf. supra Kap. 5.5.1.2 zu rat, rate sowie chat, chatte (bzw. Grevisse 1993, §474, b).
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tieren im Bereich der Wortbildung Phänomene, die weniger als isoliert oder zufällig zu betrachten, sondern, wie sich vermuten lässt, vielmehr in einem größeren Zusammenhang der strukturellen Entwicklung und synchronischen Organisation des morphologischen Systems zu analysieren und zu deuten sind. Als Interpretationsrahmen dient die typologische Ebene: Wie die Stellung der Personalpronomina in der Grammatik lassen sich bestimmte Verfahren zum Ausdruck in der Paragrammatik relevanter Inhalte als Manifestationen eines einheitlichen höheren Prinzips, das Grammatik und Paragrammatik erfasst, interpretieren. Im Mittelpunkt steht die Auslagerung von Funktionen auf die syntagmatische Ebene, wie sie beispielsweise für die Diminutivbildung, aber auch die Kollektivierung in Anspruch genommen werden kann.533 Die Kollektivbildung gehört in den Bereich der Modifizierung; insofern als die Funktion der Modifizierung allgemein auf einer Quantifizierung der Basis beruht (cf. z.B. Coseriu 1968c, 13), kann die Kollektivierung als ein zentraler Bereich dieses Wortbildungstyps verstanden werden. Inhaltlich leistet die Kollektivbildung die Erfassung einer Vielheit als Einheit (cf. Lüdtke 1996a, 243– 244). Als eigene Verfahrenskategorie nimmt die Kollektivbildung im Lateinischen eine untergeordnete Position ein. Gegenstand der Kollektivierung bilden Pflanzen, namentlich Bäume (lat. Bildungen auf -ETUM: ARBORETUM ‘Hain’) und Personen (lat. mittels -ELA: CLIENTELA ‘Klienten’, PARENTELA ‘Verwandtschaft, Verwandte’) (cf. das Deutsche mit Bildungen wie Studentenschaft, Rinderherde etc.). Die kollektive Bedeutung findet sich als Redebedeutungstyp vielfach auch bei den desubstantivischen Prädikatnominalisierungen des Typs EQUITATUS ‘Ritterschaft’, MAGISTRATUS ‘Behörde’. In den romanischen Sprachen ist -ETUM als maskulines Suffix erhalten geblieben und verzeichnet für das Französische bis zur altfranzösischen Epoche Kontinuität in der Form -OI (z.B. sapoi ‘Tannenwald’). Auch das Suffix -aison (< lat. -ATIONEM) vermag, eine kollektive Bedeutung zu transportieren; so bereits im Lateinischen, wo -IO gelegentlich eine solche entfaltet (CABALLATIO ‘Futter für das Pferd’; CAPILLATIO ‘Behaarung’). Die kollektive Funktion entwickelt sich im «Übergang von der spontanen zur funktionellen Kollektivität», jeweils basierend auf der deverbalen oder denominalen Ableitung (siehe Burdy 2013, 236 bzw. Baldinger 1950, 215). Die kollektive Bedeutung kann, so die Beobachtung (Burdy 2013, 236), zwischen Abstraktum und Konkretum vermitteln (z.B. spätlat. NUTRITIO ‘nourriture’ > afrz. nourreçon ‘fait de
|| 533 Cf. Lüdtke (1996a, 244–245); zur historischen Entwicklung der Diminutivbildung im Französischen unter typologischem Aspekt siehe ausführlich Eckert (1986, 284–318), zur synchronischen Verwendung von «petit» Dietrich 1999.
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nourrir un enfant’; afrz./mfrz. ‘personnes qui ont été nourries ensemble’; nfrz. ‘enfant qu’une femme nourrit de son lait’; synchron nicht mehr analysierbar ist etwa moisson < klass. lat. MESSIS, vlat. MESSIO ‘récolte des céréales’; ‘ensemble des céréales sur pied’; ‘ce qui est récolté’) (Burdy 2013, 230; 236). Bei feuillaison ‘ensemble de feuilles’ scheint zudem ein eigenes Verfahren vorzuliegen, nicht so etwa bei batison ‘ensemble de ce qui est bâti’ (Lüdtke 2015, 810–811). Die im Romanischen im Vergleich zum Latein neu aufgekommenen Kollektivierungsverfahren haben sich gemeinhin auf der Basis des Neutrums entwickelt. Der Plural, der einen kollektiven Redebedeutungstyp verkörpert, entwickelt nach Untergang des Neutrums als grammatischer Kategorie eine neue kollektive Funktion. Das ursprüngliche Neutrum Pl. auf -a mit nunmehr kollektiver Funktion wird von der Kategorie des Genus unabhängig und bildet eine eigene Wortbildungsbedeutung, die in den romanischen Sprachen fast völlig untergeht. Ebenfalls zur Kollektivierung ausgenutzt wird die Form des Neutrums mit zugrunde liegendem substantiviertem Adjektiv, dessen kollektive Redebedeutung im Singular und insbesondere im Plural mit gewisser Regelmäßigkeit gegeben ist. Über das als Leitwort fungierende und mit Hilfe des Suffixes -ATICUM gebildete VIATICUM (‘das, was zur Reise gehört’, cf. frz. voyage), das ursprünglich als Relationsadjektiv fungierte, wird im Galloromanischen -age als Kollektivsuffix paragrammatikalisiert (cf. Lüdtke 1996a, 243). Damit ist der Weg zur Verselbständigung des Suffixes -age zur Bildung von Kollektivableitungen geschaffen, vergleiche: afrz. barnage ‘Barone’ (kollektiv), cf. nfrz. baronnage, cousinage (veraltet), échevinage (cf. Lüdtke 1978, 202, Anm. 73), feuillage ‘Laub’, branchage ‘Astwerk, Geäst’, plumage ‘Gefieder’, outillage ‘Werkzeug(ausrüstung)’; laitage wird bevorzugt in der Pluralform laitages ‘Milchprodukte’ gebraucht: Hierin mag sich eine Abschwächung der kollektiven Bedeutung im Sinne einer Fassung des bezeichneten Begriffs als Einheit manifestieren, indem diese Einheit (unter dem Gesichtspunkt der Bezeichnung) erneut als Vielheit erscheint, was durch den grammatischen Plural ausgedrückt wird; ähnlich bei rouage, das in der Bedeutung ‘Räderwerk’ ebenfalls vornehmlich in pluralisierter Form steht. Mit Beginn der neufranzösischen Periode (ca. ab dem 17. Jahrhundert) sind zahlreiche Bildungen mit kollektiver Bedeutung untergegangen.534 Den auf das || 534 Eckert (1986, 320–321) listet für das Mittelfranzösische noch folgende Bildungen auf -age mit kollektiver Funktion auf: aviage ‘suite d’aïeux’, buissonnage ‘ensemble de buissons’, charruage ‘tout ce qu’il faut pour une charrue’, clouage ‘ensemble des clous», communage ‘assemblée bourgeoisiale’, confrérage ‘confraternité’, fleurage ‘les fleurs’, friponnage ‘groupe de fripons’, fruitage ‘ensemble des fruits d’un arbre’, galinage ‘les poules’, grangeage ‘grains ou fruits conservés dans une grange’, grenage ‘grains, graines’, légumage ‘les légumes’, lettriage ‘documents, actes écrits’, maisonnage ‘tout ce qui appartient à une maison de campagne’, ondage ‘les ondes’, parentage les
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Neutrum Singular zurückgehenden maskulinen Suffixen entspricht mitunter eine andere Art der Paragrammatikalisierung als den auf dem Neutrum Pl. beruhenden. -ETA (konkurrierend mit -ETUM) führt zu Bildungen wie frz. hêtraie (‘Buchenhain’), roseraie ‘Rosengarten’ oder, mit Suffixvariation unter Bezug auf dieselbe Gruppierung einer bestimmten Pflanze, cerisaie (< cerise) und ceriseraie, orangeaie neben orangeraie (< oranger), wobei der Unterschied der Bildung auf die jeweilige Basis zurückzuführen ist (cf. Staib 1988, 221); als einzige rezente Bildung ist suberaie/subéraie (‘Korkeichenwald’ zu suber ‘Korkeiche’) zu verzeichnen (cf. ibid., 222). Staib (1988, 178) unterscheidet Kollektiva, die eine Substanz als Vielheit von einzelnen Dingen erfassen, ohne eine Relation zwischen zwei Substanzen herzustellen (cf. sp. vacada ‘Kühe (kollektiv)’ gegenüber vaqueriza ‘Ort mit Kühen bzw. für Kühe’).535 Diejenigen der auf dem Verfahren der denominalen generischen Komposition beruhenden Bildungen, deren Suffixe innerhalb des klassematischen Bereichs der [NICHT-LEBEWESEN] zusätzlich zur Grundfunktion, also der Relation zwischen zwei Substanzen, eine quantifizierte Basis implizieren, besitzen nach Staib eine «quasi-kollektive» Bedeutung. Unter Rekurs auf die Bezeichnungsfunktion kann diese Bedeutung als ‘Ort mit vielen Sachen’ gefasst werden (cf. Staib 1988, 179).536,537 Staib fasst also die Kollektivität grund-
|| ‘parents’, pastourage ‘les bergers’, pennage ‘ensemble des plumes’, porcage ‘troupe de porcs’, prestrage ‘ensemble des prêtres’, vaissellage ‘ensemble de vases’. 535 In Staibs (1988) onomasiologisch orientierter Analyse stellt die reine Relation zwischen zwei Substanzen insgesamt die Grundfunktion der denominalen generischen Komposita dar; daher werden diese von Lüdtke (1996) als Relationskomposita bezeichnet. Diese Relation ist im Vergleich zu anderen Wortbildungstypen genauer dadurch charakterisiert, dass die generischen Komposita eine Verbindung zwischen einer generisch bezeichneten Substanz und einer anderen Substanz beinhalten, wobei die beiden Substanzen referentiell nicht identisch sind (Staib 1988, 200). Im Unterschied zu den denominalen generischen Komposita implizieren die deverbalen generischen Komposita eine Relation zwischen einer Handlung und einer Substanz. Die Kollektiva setzen sich von den denominalen generischen Komposita dadurch ab, dass sie sich lediglich auf eine Substanz, aber nicht eine Relation zwischen zwei Substanzen beziehen (cf. Staib 1988, 178). 536 In Staibs (1988) Ansatz kann die Differenzierung zwischen den Bezeichnungsrelationen ‘Sache – Substanz’ und ‘Sache – quantifizierte Basis’ lediglich unter dem Aspekt der Bezeichnungsebene erfolgen, was darauf beruht, dass gewisse generische Ableitungen keine eigene Sache per se bezeichnen, sondern in Bezug auf eine Basis eine bestimmte quantifizierende Funktion besitzen. So bezeichnen Kollektiva wie frz. feuillage, plumage prinzipiell keine andere Sache als die Basiswörter feuille, plume, jedoch implizieren sie eine Vielheit von Dingen (cf. Staib 1988, 199–200). 537 Zur Kritik dieser Auffassung der Relationskomposita als auf einer funktionellen Relation zwischen einer Sache und einer quantifizierten Substanz (cf. Staib 1988, 218) beruhend cf. Lüdtke (1996, 266), wo darauf hingewiesen wird, dass bestimmte Relationskomposita diachro-
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sätzlich als quantifizierte Basis und rechnet dazu solche Ableitungen, die als Basis keine einfache, sondern eine quantifizierte Substanz implizieren (cf. Staib 1988, 218, 222). Mit dem Suffix -aie konkurriert auf synchronischer Ebene vornehmlich das Suffix –ière. Eine sehr überschaubare Anzahl an Dubletten entsteht darüber hinaus über Suffixbildungen mit -ette und -ède (cf. jonchaie – joncheraie – jonchère < jonc ‘Binse’; houssaie – houssière < houx ‘Stechpalme’; fraiseraie – fraisière < fraise ‘Erdbeere’; coudraie – coudrette < coudrier ‘Haselstrauch’; olivaie – oliveraie – olivette < olivier ‘Olivenbaum’; pineraie und pinière werden nur selten für pinède < pin ‘Pinie’ gebraucht538), wobei -aie (-ette und -ède) nach Staib (1988, 221) die Relation ‘Sache − quantifizierte Substanz’ als funktionelle Ableitungskategorie implizieren und nicht lediglich als Bezeichnungsgruppe. Es geht also um den Bezeichnungsbereich der Anpflanzungen bzw. der Orte, an denen Pflanzen wachsen.539 Die Anpflanzungsbezeichnungen mittels -aie mögen sich von denen auf ière dadurch unterscheiden, dass -aie die Kollektivität per se bezeichnet, -ière dagegen vornehmlich die künstlich geschaffene Anpflanzung.540 Die Pluralform -ALIA liegt Bildungen zugrunde wie z.B. frz. broussaille (‘Gestrüpp, Dickicht’), ferraille (‘Schrott’), grenaille (‘Schrot’), muraille (‘étendue de murs épais et assez élevés’; G.R. 2011, s.v.), pierraille (‘Schotter’), tripaille (‘Eingeweide’). Nach der mittelfranzösischen Epoche untergegangen sind dentailles ‘les dents, denture’, fustaille ‘réunion de fûts, barriques’, ossaille ‘amas d’os’, ramaille ‘brachage’ etc. Das Suffix -aille diente im Alt- bzw. Mittelfranzösischen auch zur Bildung von Personenbezeichnungen, die als Gruppe und damit kollektiv gefasst wurden, wie z.B. baronaille ‘assemblée de barons’, coquinaille ‘bande de coquins’, merdaille ‘troupe de gens méprisables’, povraille ‘amas de pauvre gens’, wobei (in Abhängigkeit von der Basis) vielfach eine pejorative Bedeutungskomponente auftritt. In der aktuellen Gemeinsprache sind erhalten piétaille (‘les gens d'humble condition, les petits, les subalternes’, G.R. 2011, s.v.), valetaille (‘ensemble des valets d’une maison’, pejorativ). Von den einstigen Kollektiva im Bereich der Tierbezeichnungen (cf. mfrz. bissaille ‘troupe de biches’, chiennaille ‘tas de chiens’, poulaille ‘poules, volaille’, singaille ‘race des singes’ etc.) hat das aktuelle Französisch bewahrt: moutonnaille, ouailles, renardaille, verminaille, volaille.
|| nisch aus Ellipsen hervorgegangen sind; eine einheitliche Interpretation scheint aus diachronischer Sicht naheliegend. 538 Es existiert zudem eine Form pignade oder pignada, die regional, d.h. in der Gaskogne für pinède gebräuchlich ist. 539 Cf. Diekmann (1973; 1975); siehe auch Rohrer (1975) sowie Diekmann (1975a). 540 Cf. Tomassone/Combettes (1970, 224–233, hier 232).
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Das Suffix -(A)TURE bildet vorrangig Prädikatnominalisierungen, kann aber auch eine kollektive Funktion ausbilden, sofern es sich um desubstantivische Ableitungen handelt, so etwa bei magistrature, préfecture, prélature, souspréfecture (cf. Lüdtke 1978, 202); aus der mfrz. Epoche überkommen ist ramure ‘ensemble des branches et rameaux (d’un arbre)’ (G.R. 2011, s.v.); denture besitzt eine literarische (‘ensemble des dents (d’une personne, d’un animal)’), eine technische (‘ensemble des dents d’une roue dentée’) sowie eine auf den dentalen Bereich spezialisierte Bedeutung (‘appareillage dentaire’) (ibid.). Erhalten ist ferner membrure mit einer literarischen und einer technischen Bedeutung: ‘ensemble des membres d’une personne’; ‘ensemble des membres d’un navire, charpente’ (ibid.). Das komplexe Suffix -eria, das die Fortsetzung von -ARIUS + -IA in sich vereint, besitzt im Mittelfranzösischen eine kollektive Bedeutung, die im heutigen Französisch regelmäßig durch syntagmatische Mittel zum Ausdruck gebracht werden muss (oder über ein grammatisches Verfahren, hier den Plural). Im Mittelfranzösischen noch geläufig sind boucherie ‘corporation, lignée des bouchers’, diablerie ‘ensemble des diables’,541 prestrerie ‘ensemble des prêtres’, sotterie ‘confrérie des sots’ (cf. Eckert 1986, 319). Etliche andere Bildungen des Alt- und Mittelfranzösischen sind untergegangen (z.B. carnasserie ‘ensemble des chairs’ mit pejorativer Komponente, corderie ‘ensemble des cordes’, fatrasserie ‘amas de fatras’, grosserie ‘ensemble des domestiques d’une maison’, ossaillerie ‘collectif d’os’ (pejorativ) etc.). Die kollektive Funktion kommt heute noch teilweise zum Tragen (etwa weiterhin in den Dialekten), z.B. in frz. lingerie (‘Wäsche’), moinerie, paysannerie, truanderie (obsolet), vitrerie, chevalerie (cf. Lüdtke 1978, 207; siehe auch Staib 1988, 215, 217).
5.7.1 Sprachtypologische Entwicklung Im Zuge des typologischen Wandels,542 der sich über die mittelfranzösische Epoche (ca. 1330 bis ca. 1500 bzw. hineinreichend ins 16. Jh.) erstreckt, sind viele Veränderungen in der internen wie externen Sprachgeschichte eingetre|| 541 Heute noch gebräuchlich in der Bedeutung «représentation d'une scène comportant des diables» (G.R. 2011, s.v.). 542 Gemäß der hier angenommenen Vorstellung von dem, was als Typ einer Sprache anzusehen ist, soll sich dieser im Sprachsystem mit seinen Subsystemen (incl. der Wortbildung) insofern manifestieren, als er zu deren Strukturierung und Organisation wesentlich beiträgt, so dass er sich überhaupt erst empirisch-induktiv entdecken lässt, und dies vornehmlich im Falle des typologischen Wandels, wo das alte und das neue Prinzip aufeinandertreffen und eine mehr oder minder tiefer gehende Umstrukturierung des Systems bedingen können.
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ten. Hinsichtlich der schwierigen Frage der so angesetzten Periodisierung des Mittelfranzösischen orientiere ich mich an Marchello-Nizia (2005), die auf das Dictionnaire du Moyen Français (DMF) verweist (2005, 4) – eines der Großprojekte des ATILF (Analyse et traitement informatique de la langue française) neben v.a. dem Trésor de la langue française (TLF), das das sog. «Mittelfranzösisch» innerhalb dieses Zeitraumes situiert.543 Marchello-Nizia (2005, 3–9) begründet anhand der internen und externen Einflüsse auf die Sprachentwicklung diese Periodisierung – beginnendes 14. bis Ende 15. Jh. – ausführlich. Innerhalb dieser Umwälzungen haben viele der im Altfranzösischen einst produktiven Suffixe zum Ausdruck der Kollektivität ihre Produktivität eingebüßt oder sind untergegangen (so -ain, -in, -un, -as, -ie).544 Eine ganze Reihe an Suffixen mit kollektiver Bedeutung erfahren eine Umparagrammatikalisierung,545 indem sie, ausgehend von einer pejorativen Grundlage, eine pejorative Bedeutung annehmen, so namentlich -aille. An die Stelle der untergegangenen oder unproduktiv gewordenen Suffixe trat zum einen das einfache isolierte Wort, also ein neues Lexem, oder die Umschreibung mittels einer lexikalischen Paraphrase, um die im Suffix enthaltene paragrammatische Relation zum Ausdruck zu bringen (siehe ausführlich Eckert 1986, 319–323). Die lexikalische Paraphrase kann sich zugleich als Explikat der im Suffix enthaltenen konstanten Wortbildungsbedeutung eignen, wenn diese im Sinne einer metasprachlichen Paraphrase (also unter Rekurs auf die gegebenen primär- bzw. objektsprachlichen Mittel) die regelmäßige, durch das wortbildende Mittel implizierte Funktion in möglichst großer Annäherung reflektiert (Kap. 5.2.1). Zum Ausdruck der Funktion der Kollektivität besitzt die aktuelle Gemeinsprache solche umschreibenden Mittel wie un ensemble de…, un tas de…, une bande de… etc. Neben dem Rekurs auf das Lexikon der Sprache bzw. auf deren syntaktische Mittel eröffnet sich als dritte Option, um eine alt- bzw. mittelfranzösische Kollektivableitung zu ersetzen, der Ausdruck der Funktion der Kollektivität über ein grammatisches Mittel: die Pluralisierung wie in nfrz. les
|| 543 Das DMF hat zum Ziel, für die Epoche des beginnenden 14. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert (1330–1500) ein mit dem TLF vergleichbares Rechercheinstrument zur Verfügung zu stellen. 544 Die Belege zur mfrz. Epoche sowie einige aus nfrz. Zeit sind der Dissertation Eckerts (1986) entnommen. 545 In Lüdtke (2005, 452) definiert als «der Vorgang, bei dem ein bestimmtes Wortbildungsmittel dazu verwendet wird, vom Ausdruck einer bestimmten Wortbildungsbedeutung zu einer anderen Wortbildungsbedeutung überzugehen wie z.B. das deverbale Adjektivsuffix frz. -age (volage ‘flatterhaft’) zur Kollektivbildung (feuillage ‘Blattwerk’) und zur Prädikatnominalisierung (lavage ‘Waschen’, ausgehend von voyage ‘Reise’)» (cf. Kap. 5.7).
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fleurs für fleurage, les fruits für mfrz. fruiterie (kollektiv) etc.546 In der aktuellen Synchronie des Französischen ist der Gebrauch von Umschreibungen wie un ensemble de zum Ausdruck der Kollektivität zuweilen unumgänglich. Gadet (1992, 61) spricht in Bezug auf solche Umschreibungen von «Determinanten», auf die besonders das français populaire zum Ausdruck der Quantität zurückgreift; die Begriffswahl erklärt sich daraus, dass die in Frage stehenden Konstruktionen wie «sortes d’articles complexes» fungieren, so etwa des tas/des masses/des kilos/des tonnes/des tapées de, une flopée/une chiée de etc.547 In dieser Auffassung bestätigt sich die diesen quantifizierenden Ausdrücken inhärente instrumentale Bedeutung; auf Grund ihrer instrumentalen Funktion können sie unter die Morphemwörtern in der hier zugrunde gelegten Auffassung eingeordnet werden (cf. Kap. 2.1.2 bzw. Coseriu [1972b]/1987). Insgesamt stellt die Kollektivbildung in den romanischen Sprachen eine gut entwickelte Kategorie dar; allerdings bietet die Situation ein recht unübersichtliches Bild. Dies liegt zum einen daran, dass die Kollektivierungsverfahren diverse Entwicklungen sowie vielfältige Innovationen widerspiegeln. Allerdings stehen die starken semantischen Spezialisierungen im Rahmen der Kollektivierung von Pflanzen, insbesondere von Bäumen, Personen sowie Sachen sehr heterogener Natur der Herausbildung eines einheitlichen Verfahrens entgegen. Zudem bestehen zuweilen Abgrenzungsprobleme zwischen den Verfahren der Kollektivierung und den Verfahren der Diminutivierung und Pejoration. Kompliziert wird das Bild durch Lexikalisierungen, die Demotivation zahlreicher Wörter sowie Zuordnungsprobleme, indem eigentlich anderen Verfahren angehörende Bildungen auf Grund auftretender kollektiver Redebedeutungen zu den Kollektiva gerechnet werden. Auch die Abgrenzung der Kollektivbildung von gewissen Typen von Relationskomposita wirft, wie angedeutet, Probleme auf (cf. Lüdtke 1996a, 244).
|| 546 Gemeint ist hier die rein quantifizierende Bedeutung, die eine Substanz als Vielheit von mehreren Einheiten erfasst, ohne Relation zu einer weiteren Substanz. Bildungen des Typs vitrerie, pierrerie(s) stellen (unter onomasiologischem Aspekt) Modifizierungen mit impliziter kollektiver Relation ohne Einschluss einer Satzfunktion dar; als generische Komposita mit Topikalisierung der Umstandsbestimmung des Ortes bezeichnen Bildungen wie laiterie, crémerie den Ort, an dem eine Tätigkeit ausgeübt wird (cf. laitier, crémier) (cf. Staib 1988, 215–217). Den denominalen generischen Komposita liegt dann unter Bezeichnungsaspekt die Relation ‘quantifizierte Substanz – Sache’ zugrunde (cf. ibid., 179). 547 In dieser Varietät des Französischen spielt die Intonation zudem eine signifikante Rolle, cf.: Tu as de ces questions! Il a une de ces faims!
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5.7.2 Der Typ «le coup de» Die Kollektivbildung als inhaltliches Verfahren der Modifizierung erhellt die Relevanz der im Französischen zur Anwendung kommenden syntagmatischen Verfahren etwa im Vergleich zum Spanischen, wie sich anhand der Suffixe sp. -azo, -ada aufweisen lässt (cf. Gauger 1971b, 13–29, 30–40; zur Abgrenzung der beiden Suffixe siehe insbesondere ibid., 36–37). An Stelle der agglutinierenden Suffigierung rekurriert das Französische auf die periphrastische Ausdrucksweise mittels le coup de. Dies führt zu folgender regelmäßiger Divergenz zwischen den im Spanischen und Französischen jeweils verwendeten Ausdrucksmitteln: el martillazo – le coup de marteau; la puñalada – le coup de poignard etc. Andererseits existieren aber auch im Französischen agglutinierende Suffixe, die dem Ausdruck der inhaltlichen Funktion der Kollektivität dienen (cf. el empujón – la poussée). Der Inhalt des Suffixes -azo lässt sich dabei angeben als ‘Schlag mit X’, der von -ada548 (cf. frz. -ée;549 cf. Gauger 1971b, 30ss.; Baldinger 1950) weist eine komplexere interne Struktur auf. Neben der instrumentalen Ergänzung550 findet sich auch (allerdings weniger häufig) die lokale realisiert: pechada ‘golpe dado en el pecho’ (bzw. ‘el dar un golpe en el pecho’, semelfaktiv) (cf. Lüdtke 1978, 65 und passim). An dieser Stelle interessiert jedoch vorrangig die quantitative Be|| 548 Das Suffix -ada stellt nicht bloß die feminine Form von -ado dar, sondern es handelt sich um zwei separate Suffixe. 549 Zur funktionellen Abgrenzung von anderen Suffixen cf. Kap. 5.4.4.3. 550 Während Gaugers (1971b, 13ss.) Interpretation des Typs martillazo bzw. lanzada grundlegend am Sprecherbewustsein bzw. dem Bezeichneten orientiert ist, lässt die Interpretation im Rahmen des modifizierten syntaktischen Ansatzes, wie er etwa von Lüdtke (1978) vertreten wird, zunächst zwei Möglichkeit offen: zum einen die Entwicklung über ein explizites Verb martillar → martillazo, lanzar → lanzada, zum anderen die mittels eines impliziten Verbs, wobei martillo, lanza jeweils als instrumentale Ergänzung dient. Allerdings existiert nur zu einer geringen Anzahl an Ableitungen auf -azo ein materiell entsprechendes Verb; andererseits ist das Suffix sehr produktiv. Sofern tatsächlich ein solches Verb vorhanden ist, kann die Bedeutung des Nomens actionis auf -azo oder -ada aber nicht in allen Fällen auf das explizite Verb zurückgeführt werden (cf. Lüdtke 1978, 65). Das Verb martillar etwa enthält die inhaltliche Bestimmung der Frequentativität und weicht damit von der Semelfaktivität in martillazo und auch martillada ab, wohingegen sich die frequentative Bedeutung von martilleo auf martillear und martillar problemlos zurückführen lässt. Lanzada wiederum kann nur in einer seiner beiden voneinander deutlich abweichenden Bedeutungen auf lanzar bezogen werden. Daher plädiert Lüdtke (ibid.) für die Deutung der in Frage stehenden Ableitungen als Entwicklungen über ein implizites Verb, wobei bei martillazo materiell eine desubstantivische Ableitung anzusetzen wäre, inhaltlich eine deverbale. Zum sp. Suffix -ón in seiner -azo und -ado entsprechenden Bedeutung ‘Schlag’ cf. Gauger (1971b, 41–51).
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deutung von -azo bzw. -ada.551 Folgendes regelmäßiges Verhalten zwischen den beiden Sprachen stellt sich ein: -ada: la puñalada (‘Dolchstoß’) – le coup de poignard, patada – coup de pied; llamada – coup de téléphone, mirada – coup d’œil (cf. sp. vistazo); -azo: el martillazo (‘Hammerschlag’) – le coup de marteau, capotazo – coup de cape, cintarazo – coup de ceinture, aguijonazo – coup d’aiguillon, punterazo – coup de pied, sablazo – coup d’épée/de sabre, puyazo – coup de pique, tijeretazo – coup de ciseaux, lanzazo – coup de lance, puñetazo – coup de poing, navajazo – coup de couteau, cabezazo – coup de tête, lametazo – coup de langue (Beispiele nach Gauger 1971b). Das Suffix -azo gibt in erster Linie das Instrument an, mittels dessen der Schlag ausgeführt wird; dennoch umfassen die Bildungen mit -azo wesentlich allgemeiner sämtliche als «schlagartig» aufgefasste Erscheinungen. Ähnlich funktioniert das französische Bildungsmuster coup de: Konstruktionen des Typs coup de ciseaux, coup de frein, coup de peigne, coup de trompette, de cloche, de téléphone, coups de sifflets, de dés lassen sich nicht unmittelbar über eine Handlung des Schlagens oder Stoßens, der Hiebe, Stiche etc. erfassen. Für Vorkommen wie coup de vent/de soleil; Le loup un coup de dent, le bœuf un coup de corne (La Fontaine, Fables, III, 14) stehen vielfach keine spanischen Entsprechungen auf -azo zur Verfügung. Auffällig ist im Französischen die Abgrenzung der Bereiche (plötzlich hereinbrechende) Witterung bzw. Atmosphäre552 und Körper(teile); cf. folgende Beispiele mit unterschiedlichem Grad des Übergangs in die Phraseologie: coup de neige, de gel, grêle, de pluie, de chaud, de froid etc., aber coup de chaleur (‘Hitzschlag’); coup de soleil (‘Sonnenbrand’); coup de foudre (‘Blitzschlag; Liebe auf den ersten Blick’); coup de tonnerre (‘Donnerschlag; schwerer Schlag’); coup de queue, de main, de poing; coup de pied (‘Fußtritt’); coup d’aile (‘Flügel-
|| 551 Cf. beaucoup < belcop, aus beau + coup, das im 16. Jahrhundert moult ersetzte. 552 Im Französischen existieren u.a. (cf. ensoleillé,e) einige (vornehmlich) attributiv gebrauchte adjektivischen Bildungen mittels des denominalen Suffixes -eux (‘qui présente, possède’), z.B. neige → neigeux (‘où il y a de la neige’): vent → venteux (un jour venteux), brume → brumeux (un ciel/temps brumeux), brouillard → brouillardeux (un paysage/matin brouillardeux), pluie → pluvieux (un été pluvieux) etc.; atmosphärisch-klimatische Bedingungen werden aber in der Regel durch idiomatisierte Periphrasen des Typs Il fait + N (jour/nuit/(du) soleil/du brouillard/de la pluie/du vent/de l'orage) bzw. Il fait + N + Adj. (grand vent/un froid terrible/une belle journée/une nuit froide/une chaleur accablante etc.) oder Il fait + Adj. (clair/noir/sombre/beau/ mauvais/chaud/doux/bon/tiède/lourd/étouffant/froid/frais/glacial/sec/humide etc.) ausgedrückt. An die Stelle von il fait du vent/il fait grand vent kann auch die Struktur il y a du vent (du soleil/clair de lune etc.) treten. Statt des Gebrauchs eines einfachen Verbs wie il pleut/il vente/le soleil brille rekurriert das Französische vielfach auf die genannten stark idiomatisierten periphrastischen Wendungen, die dem Typus des Französischen entsprechen (zu den «constructions à verbe support» cf. Kap. 3.6.2.1; 4.2.4 bzw. Kap. 5.8.1).
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schlag’); coup de bouche; coup de dent; coup de cravache etc. Weitere idiomatische Wendungen sind: donner un coup de main à quelqu’un ‘jdm. unter die Arme greifen/jdm. zur Hand gehen’, jeter un coup d’œil sur qc ‘einen Blick auf etw. werfen’, faire qc sur un coup de tête ‘etw. unüberlegt angehen’, passer un coup de fil ‘telefonieren’, faire un coup d’éclat ‘Aufsehen erregen’, passer en coup de vent ‘auf einen Sprung vorbeikommen’, tirer un coup de feu ‘einen Schuss abgeben’, il y a eu un coup de théâtre ‘es gab eine unerwartete Wendung’, c’est un coup de bol ‘es ist ein reiner Glücksfall!’, il a eu un coup de sang ‘er ist plötzlich wütend geworden’. Die Periphrase lässt aber Spielraum für weitere Möglichkeiten: J'ai attrapé un coup d'soleil // Un coup d'amour, un coup d'je t'aime (Le coup de soleil, Riccardo Cocciante). Das Französische greift also dort, wo das Spanische von einem der drei Suffixe (-azo, -ada bzw. -ón) zum Ausdruck der Bedeutung ‘Schlag mit X’ Gebrauch macht, zu einer Umschreibung auf syntagmatischer Ebene mittels einer das Lexem coup determinierenden präpositionalen Ergänzung zurück, wobei coup den Bezeichnungsbereich angibt, der sich im Spanischen durch die Einheitlichkeit der entsprechenden Suffixbildungen konstituiert: Das Substantiv der Präpositionalphrase benennt im Falle der Bedeutung ‘Schlag mit X’ das Instrument, mit dem der Schlag ausgeführt wird (coups de bâton, coup de marteau, coup de massue, de raquette, de rouleau (anticellulite), de sabre; coup de brique, de pierres etc.). Über ein eigenes Suffix zum Ausdruck dieser Bedeutung verfügt das Französische nicht. Die selbst periphrastische Konstruktion mit coup de kann sich auch mit dem syntagmatischen Ausdruck des Diminutivs (cf. Kap. 5.8.1) verbinden, wie in folgendem Beispiel: Ils se serrent l’un contre l’autre dans la salle de bains embuée: Il y a un petit coup de désir entre eux, ils se respirent, ils se caressent.553 Der Inhalt der Quantität beruht bei sp. -ada wesentlich auf der grob als ‘Fülle von X’ eingrenzbaren Bedeutung554 mit Übergang zur Bedeutung ‘Schlag mit X’,555 die mit der unmittelbar angrenzenden Funktion ‘schnelle, heftige Bewe-
|| 553 Demure, Jean-Paul, Le fils du vent, Paris, Gallimard, 1983, 44; zit. nach Dietrich 1999, 1268. 554 Gauger (1971b) geht im Rahmen seines vom Sprecherbewusstsein her argumentierenden Ansatzes im Falle von sp. -ada von einem polysemen Suffix aus, das vier verschiedene, aber nicht unabhängig nebeneinander stehende Bedeutungen in sich vereint: Vielmehr gewährleisten diese die Herstellung eines einheitlichen Zusammenhangs. Dies gilt jedoch nicht für sp. azo, für das ein -azo I und ein -azo II angenommen wird, wobei -azo II Bildungen des Typs martillazo kennzeichnet, -azo I dagegen die augmentative Funktion vertritt (cf. Gauger 1971b, 13–14). Auch das Suffix -ón wäre in zwei inhaltlich divergente und damit lediglich homophone bzw. homonyme Suffixe zu gliedern (cf. Gauger 1971b, 41). 555 Dieser Übergang entspricht nach Gauger (1971b, 30) dem Perspektivenwechsel von der Betrachtung des Vorgangs zu der des Resultats, wobei der quantitative Aspekt in den Vordergrund rückt.
Modifizierung: Diminutiv-, Augmentativ- und Pejorativbildung | 461
gung’ (cf. frz. tout à coup, d’un coup) zusammenhängt und eine Bedeutungskomponente bildet. In der Funktion ‘Fülle von X’ entspricht -ada zumindest approximativ ebenfalls einem Suffix im Französischen: dem bereits angedeuteten -ée556 (cf. sp. el empuj-ón ‘der Stoß’ – frz. la pouss-ée). Abgesehen von diesen beiden Bedeutungsaspekten stehen für die (inhaltlich deverbale) reine Prädikatnominalisierung im Französischen zuweilen auch äquivalente Lexeme zur Verfügung, etwa zu sp. llamada ‘acción y resultado de llamar’ (cf. llamamiento) oder mirada ‘acción y efecto de mirar’ frz. appel, regard. Ferner bestehen Überschneidungen zwischen sp. -ada557 und frz. -ade, so dass also -ada in bestimmten Fällen frz. -ade entsprechen kann, eine Entsprechung zu frz. -ée aber nicht gegeben ist. In Lüdtkes (1978, 432) Interpretation unterscheiden sich die drei Suffixe -azo, -ada und -ón im Rahmen der Ableitung über ein implizites Verb und ein Substantiv in instrumentaler oder lokaler Funktion lediglich in der Norm; das Französische ist in seinen Verwendungsmöglichkeiten von -ée (oder auch -ade) zum Ausdruck dieser Relation stark eingeschränkt (cf. ibid.).
5.8 Modifizierung zwischen Quantifizierung und Qualifizierung: Diminutiv-, Augmentativ- und Pejorativbildung 5.8 Modifizierung: Diminutiv-, Augmentativ- und Pejorativbildung Im Anschluss an die knappe Erörterung des Bereichs der Kollektivierung soll auf Diminutiv- und Augmentativbildung (bzw. Pejoration) näher eingegangen werden. Auch die Diminutivierung und Augmentivierung stellen spezifischere Formen der Quantifizierung dar. Letzere gehört dem inhaltlichen Wortbildungsverfahren der Modifizierung an: Der semantische Wert des Basislexems bleibt bei der entsprechenden Suffigierung erhalten, es tritt lediglich eine Ände-
|| 556 Das Suffix -ée implizierte im Altfranzösischen nicht die Funktion der Kollektivität (eine ‘Tracht Prügel’), sondern bezog sich regelmäßig auf einen einzelnen Schlag, verband sich also mit einer semelfaktiven Bestimmung; zudem ist häufig die lokale Funktion realisiert, z.B. bei bauffrée (← bauffrer, bâfrer) ‘coup donné sur la joue’, jouée ‘coup donné sur la joue’, colée ‘coup sur la nuque’, dentée ‘coup sur les dents’, dossé ‘coup sur le dos’, goulée ‘coup sur la gueule’, oreillée ‘coup sur l’oreille’, testée ‘coup donné sur la tête’ gegenüber coudée ‘coup de coude’, épaulée ‘coup avec l’épaule’ mit instrumentaler Funktion. 557 Diesem kann nach Gauger (1971b, 31–32) die Bedeutung ‘Y charakterisiert durch X’ bzw. ‘X charakteristisch für Y’ beigelegt werden, wobei die Kombination mit der Bedeutung ‘Fülle’ ebenfalls auftreten kann. So verweist z.B. bobada (‘Dummheit’) auf einen bobo (‘Dummkopf’) als eine Person, die bobadas äußert oder vollbringt; doch ist bobada nicht nur das, was einen bobo charakterisiert, sondern auch das, was durch den bobo charakteristisch repräsentiert wird.
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rung im Sinne einer Modifizierung der Grundlage im Verhältnis zum Derivat ein. Eine Untersuchung der verschiedenen Funktionsbereiche des Adjektivs petit, das – insoweit vorwegnehmend – im Französischen ein vorrangiges Mittel zum Ausdruck der diminutiven Funktion darstellt, steht im Spannungsfeld einer Erörterung der Diachronie sowie des synchronischen Funktionierens der Diminutiva im Neufranzösischen. Die Diminutivierung, die lateinische Verfahren fortsetzt, wird gewöhnlich in Verbindung mit der Augmentivierung abgehandelt; letztere stellt jedoch gegenüber dem Latein eine Neuerung des Romanischen dar. Häufig ergeben sich zudem Überschneidungen mit der Pejoration. Quantifizierung und Qualifizierung stehen insofern in einem engen Verhältnis zueinander. Neben der Quantifizierung gehören auch die angrenzenden Verfahren der Intensivierung558 und Approximation zur Wortbildungskategorie der Modifizierung. Die romanischen Suffixe der Diminutivbildung setzen formal lateinische Muster fort (ausgenommen diejenigen Wörter, die im Lateinischen mit den entsprechenden Suffixen gebildet worden waren). Die Augmentativbildung dagegen stellt eine romanische Innovation dar. Ferner weichen die einzelnen romanischen Sprachen hinsichtlich des jeweils zur Diminutivbildung bevorzugt herangezogenen Suffixes vom Lateinischen ab; im Italienischen wird vorrangig -in- (manina ‘Händchen’) gebraucht, im Spanischen -it- (casita ‘Häuschen’), im Okzitanischen und Katalanischen -et- (cf. okz. bosquet ‘Wäldchen’, kat. petitet ‘klein (diminutiv)’); im Rumänischen fungiert jedoch weiterhin -el (oraşel ‘Städtchen’) (cf. das im Lateinischen bei nominaler Basis vorherrschende -ULneben -ELL-, einer Fusion aus -UL- und auslautendem N oder R) als eindeutig produktivstes Suffix. Im Französischen kann die Diminutivbildung jedoch als eigentlich entparagrammatikalisiert559 angesehen werden. Die geringe Zahl der noch als diminutive Bildungen erkennbaren Wörter sind sämtlich lexikalisiert (maisonnette ‘Häuschen’,560 trottiner ‘trippeln’), so dass in produktiver Weise im
|| 558 Auch mit Diminutivsuffixen kann eine Intensivierung impliziert sein, wenn die Eigenschaft des Grundwortes in ihrem Grad nicht abgeschwächt wird (wie etwa bei sp. ahora → ahorita), sondern vielmehr eine Verstärkung derselben eintritt, wie in kat. petit → petitet, sp. bajo → bajito, callando → callandito (‘mucksmäuschenstill’), it. bello → bellino. 559 Entparagrammatikalisierung ist «die Aufgabe einer Wortbildungsbedeutung» (cf. Lüdtke 2005, 443). Wird nur ein einzelnes Wort entparagrammatikalisiert, kommt dies einer Demotivierung gleich. Es kann aber vorkommen, dass eine Wortbildungsbedeutung (ganz oder zum Teil) aufgegeben wird; dies ist bei der diminutiven Bedeutung im Französischen der Fall (cf. auch Lüdtke 1996, 239–240). 560 Dass hier etwa eine Lexikalisierung anzusetzen ist, lässt sich damit begründen dass maisonnette nicht lediglich ‘une petite maison’ bedeutet (cf. dt. ‘Maisonnette’), sondern auf Grund
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Grunde einzig das syntagmatische Verfahren über das Adjektiv petit + Nomen im Französischen zum Tragen kommt (siehe insbesondere die Studie von Hasselrot 1972; auch Hasselrot 1957). Innerhalb der Konstruktion aus petit + Nomen (also in attributiver Funktion gebraucht) besitzt petit den Status eines Adjektivs, dessen Bedeutung sich (teilweise) auf die instrumentale Funktion der Diminutivierung konzentriert. Insofern funktioniert petit im Grunde als reiner Diminutivator des folgenden Lexems und kann dann unter die Morpheme mit instrumentaler Bedeutung bzw. die Morphemwörter (cf. Kap. 2.1.2) eingereiht werden,561 cf. (de) petits mots (‘Wörtchen’). Von stark idiomatisierten Bildungen des Typs Je vous enverrai un petit mot (‘ein paar Zeilen’) sind lexikalisch differenzierende wie petit-beurre etc. abzugrenzen.562 Die einzelnen romanischen Sprachen divergieren erheblich in der Entwicklung und (vergleicht man etwa das Italienische und Spanische) Distribution der Diminutivverfahren; die Abweichungen der jeweiligen paragrammatischen Systeme untereinander werden zudem durch die große Zahl der Lexikalisierungen verstärkt (cf. frz. fossette ‘Grübchen’ gegenüber petite fosse). Die einzelnen diminutivierenden Suffixe unterscheiden sich jedoch nicht nur je nach Einzelsprache, sondern namentlich auch in Abhängigkeit von der Wortkategorie, wobei ein unterschiedliches Maß an Produktivität feststellbar ist (cf. sp. ¡Me parece bajito (< bajo)! – Il me semble vraiment petit ! cerca → cercita – tout près; ahora → ahorita – maintenant même; beim Gerundium: andando → andandito – en marchant à petits pas; valando → volandito – en volant tres rapidement; cf. Lüdtke 1988, 375). Zur Diminutivierung eignen sich zunächst einmal die Substantive (maison → maisonnette), aber auch die Adjektive (rouge → rougeâtre), Verben (crier → criailler) und – mit Bezug auf das Französische nur diachronisch – auch die
|| der besonderen Eigenschaften eine spezifische Art von maison impliziert (cf. die prädikative Verwendung von petit in Verbindung mit maisonnette in folgendem Satz: La maisonnette que nous habitons est petite, mais charmante (Reybaud, Jérôme Paturot, 1842, 451; cf. TLFi s.v. petit). 561 Ähnlich kann im Zusammenhang mit den Kollektivierungsverfahren (Kap. 5.7) bei ensemble de, tas de etc. von «komplexen Determinanten» die Rede sein; geht man auch diesbezüglich von einer instrumentalen Bedeutung aus, fungieren diese als Kollektivatoren. 562 Vom Standpunkt der Grammatikalisierung wird der Terminus «Affixoid» mit der Begründung, dass es ein nicht völlig freies Morphem bilde, zuweilen ebenfalls auf petit angewandt (zu einer Diskussion des nicht unproblematischen Begriffs siehe Schmidt 1987). Hasselrot (1972, 87) bezeichnet petit als «Präfixoid». Ich übernehme keinen der beiden Begriffe.
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Kategorie der Adverbien (cf. tant → tantet). Je nach Kontext563 weisen die Ableitungen mit diminutiver Grundfunktion daher unterschiedliche Redebedeutungen auf, so dass die eigentlich diminutivierende Funktion z.B. in Namen als eine hypokoristische erscheinen kann (sp. Paquito ‘Fränzchen’); daneben ist die pejorative Interpretation möglich (it. vecchietto ‘ältlich’) und insbesondere bei Verben die frequentative (frz. trottiner, piétiner; criailler, tirailler, toussailler; pointiller; buvoter, clignoter, crachoter, dansoter; voleter, claqueter; pleurnicher; grattouiller etc.).564 Die Diminutivierung kann sich auch auf das Objekt der
|| 563 Die Möglichkeiten der je nach Kontext spezifischen Bedeutungsentfaltung stehen jedoch auch in gewisser Abhängigkeit von der Wortkategorie der Grundlage: So manifestiert sich die Quantifizierung bzw. Diminutivierung als umfassende Funktion bei nominaler Basis vorrangig darin, dass das Lexem «in quantitativer Hinsicht bezüglich seiner unterdurchschnittlichen Dimension spezifiziert» wird (cf. Eckert 1986, 285). Bei verbaler Grundlage erfolgt die Quantifizierung bevorzugt unter dem Aspekt der Frequentativität (im Sinne einer raschen Abfolge von kurzen, abgeschwächten Handlungen). Beim Adjektiv wiederum impliziert die diminutive Bedeutung eine Abschwächung in der Qualität der durch die Basis vorgegebenen Eigenschaft, beim Adverb bedeutet die Quantifizierung eine Abschwächung im Sinne von ‘un peu’. Bei diesen bevorzugten Bedeutungen, die die Diminutivbildungen in bestimmten Kontexten bzw. Texten (und ggf. Textsorten) annehmen können, handelt es sich um Fixierungen in der Norm bzw. um in der Rede gemäß der Redesituation erforderliche Werte. Diese verweisen jedoch alle auf eine einheitliche Grundfunktion auf der Ebene des Systems, die in einer ‘Verminderung’ zu sehen ist. Die affektiven Werte hängen in der Regel von der Kenntnis der Sachen oder vom weiteren Kontext ab. So kann etwa une petite heurette vom Sprecher nur in affektivem Sinne geäußert bzw. vom Hörer interpretiert werden, da eine objektive Verminderung einer Zeitangabe nicht möglich ist. Geht man also von einer einheitlichen Grundfunktion der Diminutiva aus, die je nach Kontext bestimmte Redebedeutungen zulässt, ist auch der Gebrauch der verschiedenen Verfahren der Diminutivierung durch die Dichter der Pléiade in bestimmten Textsorten (Liebeslyrik) in diesem Sinne zu interpretieren: Die Textfunktionen werden erst durch die Grundfunktion ermöglicht. Um die verschiedenen affektiven Werte einordnen zu können, ist es also erforderlich, zwischen Sprachbedeutung und Redebedeutung zu trennen. Um des Eindrucks willen sei das Gedicht «Une beauté de quinze ans enfantine» von Pierre de Ronsard an dieser Stelle zitiert (aus: Les amours de Cassandre, 1552; Hervorhebung B.K.): Une beauté de quinze ans enfantine, / Un or frisé de maint crêpe annelET, / Un front de rose, un teint damoiselET, / Un ris qui l’âme aux Astres achemine; // Une vertu de telle beauté digne, / Un col de neige, une gorge de lait, / Un cœur jà mûr en un sein verdELET, / En Dame humaine une beauté divine; // Un œil puissant de faire jours les nuits, / Une main douce à forcer les ennuis, / Qui tient ma vie en ses doigts enfermée; // Avec un chant découpé doucement / Or’ d’un souris, or’ d’un gémissement, / De tels sorciers ma raison fut charmée. 564 Mayerthaler (1977, 31, Anm. 15) rechnet Abschwächungsbildungen wie etwa dt. rötlich oder iterative Verben wie dt. hüsteln etc. nicht zu den Diminutiva, da sie mit den Diminutivierungen nur ganz bestimmte Eigenschaften teilen und daher nicht als eigentliche Diminutiva zu qualifizieren seien. Allerdings können etwa im Portugiesischen oder auch im Schwäbischen
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Handlung beziehen wie in it. bevicchiare ‘süffeln’, bevucchiare. Gemeinromanisch ist die Konservierung und insbesondere der beachtliche Ausbau des Verfahrensspektrums der Diminutivierung von Substantiven und Adjektiven im Vergleich zum Lateinischen; lediglich das Französische ist von dieser gesamtromanischen Tendenz ausgenommen. In der aktuellen französischen Gemeinsprache sind die Möglichkeiten der Diminutivierung mittels Suffixe stark begrenzt. Aus dem reichen Suffixinventar, über das das Altfranzösische verfügte, ist als einziges Verfahren die Suffigierung mittels -ette im Neufranzösischen erhalten geblieben.565 Die maskuline Variante -et hat im heutigen Französisch seine Produktivität völlig eingebüßt; auch das Suffix -ELET566 (oiseau → oiselet), das zur Zeit der Pléiade proliferierend in Gebrauch war,567 ist im heutigen Französischen nur noch teilweise produktiv. Die überkommenen Formen stellen sich auch hier durchweg als Lexikalisierungen dar. Als (fast gänzlich) entparagrammatikalisiert bzw. Bewahrungen älterer (adjektivischer und nominaler) Bildungen im heutigen Französisch können interpretiert werden:568 rond → rondelet (‘qui a des formes arrondies’; cf. (umgangssprachlich und ironisch) rondouillet);569 ähnlich bei: aigrelet (‘légèrement aigre’maigrelet (‘qui est un peu trop maigre’; cf. umgangssprachlich gebräuchlichere maigrichon, maigriot), angelet – angelot (‘petit ange’), cordelette (‘corde fine’), gouttelette (‘petite goutte’), tartelette (‘petite tarte’). Durch die Ableitung jeu (‘Spiel’) → jouet (‘Spielzeug’) wird eine jeweils andere Sache bezeichnet, d.h. auch hier handelt es sich nicht um eine Art der Verkleinerung, sondern um eine konkrete, zum Spielen verwandte Sache. Auch das Suffix -on, das bis ins 17. Jahrhundert noch zahlreiche Wörter bildete, ist nicht mehr als systematische Möglichkeit verfügbar. So liegt bei peton (‘Füßchen’) eine Suffigierung mit -on (< ONEM; cf. aiglon ‘petit de l’aigle’, Marion)
|| Verben diminutiviert werden, so beispielsweise im Umgang mit Haustieren wie Hunden oder Kindern: Tu schön komme-le! 565 Der Wert des Suffixes -ette erschöpft sich im Grunde in der diminutivierenden Funktion, wobei die Genusmarkierung in den Hintergrund tritt, was zugleich eine Reduktion der paradigmatischen Markierungen, hier des Genus, bedeutet (cf. Kap. 5.8). 566 Das Suffix ist analysierbar in afrz. -el und -et, wobei -et/-it eine Fortsetzung des früh entlehnten Suffixes -ĪTT/ĬTT- unsicheren, eventuell keltischen Ursprungs darstellen kann (-ĪTT/ĬTTist erstmals dokumentiert in Frauennamen wie Britta, Julitta). 567 Auch Kumulationen von diminutiver Bedeutung über eine Kombination sowohl des paradigmatischen wie des syntagmatischen Verfahrens wie in petit oiselet finden sich in dieser Zeit. 568 Cf. jeweils G.R. s.v. 569 Bildungen des 20. Jahrhunderts sind beispielsweise: tristouillet ‘un peu triste’ mit der Variante tristounet, rondouillet als Variante zu rondouillard (selbst 19. Jahrhundert) (cf. Pejoration).
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zugrunde, die für den Sprecher des aktuellen Französisch als Wortbildung nicht mehr analysierbar (oder «durchsichtig») ist (-on diente im Altfranzösischen neben der Diminutivbildung teilweise – unter Einfluss des Italienischen (cf. frz. caisson < it. cassone) und Spanischen – auch zum Ausdruck der augmentativen Funktion, cf. un million ‘un grand mille’ (it. miglione) etc.). Eine Metonymie liegt vor bei le Petit Chaperon rouge (‘Rotkäppchen’, siehe auch Poucelet ‘Däumling’). Insgesamt kann für das Französische die Umschreibung mit petit + Nomen als das hauptsächliche und typische Verfahren zum Ausdruck der Diminutivierung in der aktuellen Synchronie des Französischen gelten. Alternativ kommen prädeterminierende Mittel wie mini-570 und micro-571 zum Tragen (bzw. maxi- als augmentatives Element). Bei mini- macht sich der Einfluss des Englischen bemerkbar: engl. miniskirt gelangte als mini-jupe ins Französische (cf. aber auch jupette) und übernahm gewissermaßen die Rolle als Leitwort für weitere analoge Bildungen, was die Interpretation von mini- als selbständiges Element, das sich mit anderen Wörtern kombinieren lässt, voraussetzt. Mini existiert in der familiären Sprache auch als unveränderliches Adjektiv, das dem Nomen nachgestellt wird: la mode mini (bzw. als Adverb gebraucht s’habiller mini), bar-mini. Außerdem kann mini- auch Adjektive modifizieren, was petit nicht vermag, etwa bei mini-alocoolisé, wo mini- die Periphrase un peu + Adjektiv ersetzt (cf. supra). Allerdings unterliegt dieser Gebrauch deutlichen Restriktionen der Norm. Durch Reduplikation des Elementes mini- kann zusätzlich eine Intensivierung der diminutiven Komponente erzielt werden: une mini-mini-jupe (cf. infra zur Intensivierung Kap. 5.8.5 bzw. zur Reduplikation Kap. 5.8.2).572
|| 570 Der präfixale Status von mini- lässt sich über bestimmte Tests nachweisen; so ist z.B. eine Steigerung nicht möglich: *une très mini-jupe, was bei petit jedoch möglich ist: une très petite maison. 571 Weidenbusch (2002) lässt die präfixalen Elemente mini- und micro- (bzw. maxi- und macro-) in ihrer Studie zur Präfigierung im Französischen mit dem Argument außer Acht, dass erst geklärt werden müsse, ob bzw. inwieweit überhaupt die Präfigierung für die Diminutivbildung verantwortlich sei; ferner wäre eine Gegenüberstellung mit den diminutiven Suffixen des Französischen erforderlich (cf. zudem auch Verwendungen wie in mode mini). In Weidenbusch (2002, 228) wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Diminutivierung bei Substantiven in der aktuellen Gemeinsprache häufig auch mittels des Präfixes mini- erfolge (minivacances, minibus, mini-chaîne, mini-orchestre etc.) (cf. Blochwitz/Runkewitz 1971, 64–67). 572 Die Frage der Abschwächung bestimmter intensivierender Elemente im Laufe der Geschichte einer Sprache sowie deren abermaliger Verstärkung durch neu hinzutretende intensivierende Elemente stellt ein Phänomen dar, das sich in verschiedenen Bereichen des Sprachsystems beobachten lässt, etwa bei den verschiedenen Formen der syntaktischen Negation.
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Als Folgeerscheinung zum verstärkten Aufkommen von mini-573 führt Eckert (1986, 298) zudem die Verwendung von bébé (bzw. als Anglizismus baby-) als ebenfalls prädeterminierendes bzw. eventuell präfixales Element mit diminutivierender Bedeutung an, z.B. bébé-héros, bébé-Peugeot, bébé-phoque. Das Element baby kann jedoch auch in postdeterminierender Stellung auftreten, wie in un whisky baby.574 Bezüglich der Funktionsverteilung im Sprachsystem stellt sich die Frage, ob bébé(-) jeweils in Voran- oder Nachstellung tatsächlich eine gleichermaßen instrumentale Funktion besitzt wie etwa petit.575 Der Einfluss des Englischen zeigt sich gerade auch an der Wortstellung, d.h. dem Einsatz der Prädetermination. Weiter oben (Kap. 1.5) wurde darzulegen versucht, weshalb die Sprache der Dichtung als die aus typologischer Sicht eigentlich aussagekräftige Varietät einer Sprache betrachtet werden kann. Interessant ist daher die Beobachtung, dass in dichterischer Sprache auch eine blockierte Diminutivbildung oder eine solche, die inhaltlich nie eine Diminutivität implizierte, (re)aktiviert werden
|| 573 Mayerthalers (1977) Erklärung der Produktivität des Elementes mini- im Französischen greift im Rahmen der Theorie morphologischer Natürlichkeit auf das Prinzip der Markiertheitsumkehrung zurück, wobei die Umkehrung der Markiertheitsverhältnisse durch phonetischen Ikonismus begründet wird. Dieser beruht auf der Beobachtung, dass ‘Kleinheit’ in natürlichen Sprachen häufig durch einen [- TIEFEN] bzw. vorrangig [+ HOHEN] Vokalismus abgebildet wird. Das präfixale Element mini- weist einen [+ HOHEN] Vokalismus auf, wohingegen französische Diminutivsuffixe wie -ette ([ɛt]), -et ([ɛ]), -in ([ɛ̃ ]), -on ([ɔ̃ ]), -eau ([o]), -âtre ([atr]) etc. durch einen [-HOHEN] Vokalismus bzw. einen [+ TIEFEN] Vokalismus gekennzeichnet sind. Damit ergeben die Diminutivsuffixe des Französischen im Gegensatz zu mini- sämtlich markierte Kontexte. Der Wert ‘unmarkiert’ motiviert nach dieser Auffassung die Anwendung von mini- im Französischen (bzw. dessen Übernahme in andere Sprachen) auf Kosten der Diminutivsuffixe: «Die Markiertheitsumkehrung a) ist in dem Sinne Li-spezifisch, als sie die frz. Diminution charakterisiert; sie begründet damit auch, weshalb das Frz. in seinem Diminutionsverhalten ein von den Sprachen der Romania continua deutlich verschiedenes Bild bietet» (Mayerthaler 1977, 38–39). 574 Es wäre also zu prüfen, inwieweit bei den genannten Elementen bébé(-) und baby(-) tatsächlich zu petit oder mini- analoge Verwendungen vorliegen oder ob die Funktion von bébé nicht doch noch zu stark an die Konstruktion bébé + Tiername (appositiv gebraucht) zur Bezeichnung des jeweiligen Tierjungen angelehnt ist, wie in bébé chien, bébé chat. 575 Kombinationen wie arbre enfant, cèdre adolescent, die im jeweiligen Fall auch Hapaxlegomena darstellen können, verbinden sich – wie das sporadisch anzutreffende embryon (z.B. un réseau embryon) – eher mit einer Bedeutung «ce qui commence d’être, mais qui n’est pas achevé» und sind zudem auf Grund ihrer Semantik in der Verwendung bzw. im Bezeichnungsbereich eingeschränkter (z.B. restringierter Gebrauch im Zusammenhang mit entwicklungsfähigen Lebewesen oder Objekten) als etwa petit oder mini-.
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kann, wie das Gedicht «Le début et la fin» von Raymond Queneau576 erhellt: Hierin spielt der Dichter mit den verschiedenen Verfahrenstypen, die die Sprache ihm an die Hand gibt: petite aube, petite crêpe, microaube, crépuscule (in der Neuinterpretation als ‘petite crêpe’; crépuscule selbst besitzt synchronisch aber keinen diminutiven Wert): Au petit jour naît la petite aube, la microaube puis c’est le soleil bien à plat sur sa tartine il finit par s’étaler, on le bat avec le blanc des nuages et la farine des fumées de la nuit et le soir meurt, la toute petite crêpe, la crépuscule.
Trotz abgrenzbarer Basis liegt auch Ableitungen wie nfrz. groupe → groupuscule (‘Splittergruppe’) kein eigentliches Verfahren zugrunde, da es sich hierbei um die Übernahme einzelner Wörter, nicht jedoch um die von bereits lateinisch produktiven Verfahren handelt. Die Studien Hasselrots (1972, 79–81; 1957, 202– 203) dokumentieren insbesondere die nur schwache Produktivität der Suffixe et(te) und -ot(te) im Französischen des 20. Jahrhunderts vornehmlich im nominalen Bereich; eine gewisse Anzahl an Bildungen ist jedoch weiterhin zumindest im Bereich der Marken- und Personennamen zu verzeichnen. Andererseits wird die Feststellung getroffen, dass «c’est une spécialité de la langue française littéraire que de former les diminutifs véritables de façon analytique» (Hasselrot 1972, 87). Dies bekräftigt die These von der exklusiven Rolle der Sprache der Dichtung als dem eigentlichen Ort, an dem die einer Sprache inhärenten Möglichkeiten bzw. die Prinzipien des Sprachtypus sich voll und umfassend entfalten. Die ebenfalls in der literarischen Sprache dokumentierbaren kreativen Suffixbildungen sind daher anders zu bewerten: Die für gewisse Suffixe noch marginal vorhandene Vitalität stellt mehr eine theoretische als eine effektive dar, da die Verwendungen eines Suffixes weniger die aktuelle Gemeinsprache reflektieren, als dass sie vielmehr bestimmten stilistischen Zwecken unterliegen und somit als diaphasisch markiert gelten können (abgesehen von den gerade auch in der Literatur wieder aufgegriffenen Archaismen). Die Verwendung in der Literatur macht aber auch die Grenzen des Verfahrens deutlich: So können Bildungen wie jupette, œuvrette, batelet, branchette, scénette, vaguelette als für den heutigen durchschnittlichen Sprecher des Französischen analysierbar und akzepta-
|| 576 Auszug aus Le chien à la mandoline, in: Le Monde, 13/02/1965, 12.5; cf. Eckert (1986, 293, Anm. 70).
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bel gelten; als unmöglich anzusehen ist jedoch etwa chosette (cf. die störende Homophonie zu chaussette). Die Reaktivierungen in literarischen Texten spiegeln zunächst eine noch vorhandene Vitalität der Suffixe wider. Diese Bobachtung widerspräche dabei der angenommenen typologischen Entwicklung hin zu einem Ausbau der syntagmatischen Ebene bzw. der Tendenz zum unveränderlichen isolierten Wort an Stelle etwa der paragrammatischen Suffigierung. Es zeigt sich aber, dass das suffigierende Verfahren einer Verstärkung bedarf, um seine Wirkung zu entfalten: So finden sich hinreichend redundante Bildungen, in denen sich die diminutiven Markierungen häufen wie petite maisonnette oder mini-chambrette, mini-jupette, mini-starlette, mini-poubelette (cf. Eckert 1986, 298). Dafür, dass die Dichtung als typologisch besonders aussagekräftig anzusehen ist, spricht auch die Studie Dietrichs (1999): Er sucht das syntagmatische bzw. periphrastische Verfahren zum Ausdruck des Diminutivs bei Substantiven, die eine Handlung implizieren, anhand von Belegen aus literarischen Texten des 18. und 19. Jahrhunderts zu veranschaulichen. Dabei kann er die Produktivität der Paraphrase mit petit in nominalen Konstruktionen, die einen Vorgang oder eine Handlung bezeichnen, nachweisen. Der so gebildete «verbale» Diminutiv existiert als vitale Erscheinung in den literarischen Texten des heutigen Französisch, ist aber bereits seit dem 18. Jahrhundert belegbar (Dietrich 1999, 1269). Zu diesen Konstruktionen zählen hauptsächlich Ausdrücke, die ein Stützverb wie (y) avoir, faire, prendre etc. in Verbindung mit einem Nomen umfassen, das per se oder erst gemeinsam mit dem Stützverb einen Prozess oder eine Handlung kennzeichnet. Die Funktion von petit beruht dann auf der Modifizierung dieser so zum Ausdruck gebrachten Handlung im Sinne einer Abschwächung (avoir/faire un petit sourire). Als Folie, auf der sich die neue Funktion von petit im Sprachsystem des heutigen Französischen erhellt, ist festzuhalten: die Suffixbildungen auf -ette entsprechen nicht mehr dem Gebrauch der französischen Alltagssprache, sondern treten im Sprecherbewusstsein eher als markierte Bildungen in Erscheinung, zumal wenn Häufungen vorkommen: «Et si […] dans un texte français, on trouve à intervalles trop rapprochés des diminutifs, même les plus communs tels que chambrette, jardinet, maisonnette, on s’étonne et l’on soupçonne, en général avec raison, qu’on a sous les yeux la traduction un peu gauche d’un auteur étranger (souvent espagnol ou italien)» (Hasselrot 1972, 90).
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5.8.1 Funktionen von «petit/petite» Der typologische Wandel, den das Französische im Mittelalter durchlief, hat im Zuge der Umstrukturierungen in den verschiedenen Systembereichen zu einer Stärkung der periphrastischen Konstruktionen geführt. Damit einhergehend wurde die Diminutivierung auf suffixaler Basis fast durchgängig durch das syntagmatische Verfahren im Rahmen der nominalen Periphrase petit + N (cf. engl. little book ‘Büchlein’) substituiert, die den isolierenden Typus realisiert. Für dieses Verfahren ist ein ähnliches Spektrum an Bedeutungen zu veranschlagen, wie es in den anderen romanischen Sprachen durch die Suffixvarianten ausgedrückt wird.577 Die Gegenüberstellung von petit fonctionnaire und haut fonctionnaire zeigt, dass «petit» in ersterer Kombination nicht ‘klein von Statur’ bedeutet, sondern eine Person auf einem rangniederen Posten (im Vergleich zu einem hohen Beamten) kennzeichnet. Ähnliche Fälle der übertragenen Bedeutung bzw. lexikalischen Differenzierungen, die sehr zahlreich sind, liegen vor in den folgenden Beispielen: petit commerçant vs. gros commerçant, les petites gens (‘die kleinen Leute’; cf. grande dame/grand homme), petit-bourgeois/petitebourgeoise (‘Kleinbürger(in)’ bzw. ‘kleinbürgerlich’) vs. la haute bourgeoisie etc.; petit-beurre (‘Butterkeks’), petit-déjeuner (‘Frühstück’), petits-enfants (‘Enkelkinder’), petite-fille (‘Enkelin’), petit-fils (‘Enkel’), petite-nièce, petites-nièces (‘Großnichte’), petit-neveu, petits-neveux (‘Großneffe’), petits fours (gefülltes Feingebäck), petit-gris (‘Feh (Pelz)’; ‘(gesprenkelte) Weinbergschnecke’), petitlait (‘Molke’), petit mal (‘kleiner epileptischer Anfall’), petit-nègre (‘Kauderwelsch’), petit pain (‘Brötchen’), petit point (‘Perlstich’), petits pois (‘grüne Erbsen’), petit-suisse (‘kleiner runder Doppelrahmfrischkäse’) etc. Dietrich (1999) untersucht die analytische bzw. periphrastische Bildungsweise des Diminutivs im heutigen Französisch (die Beispiele sind literarisch, entsprechen aber dem Gemeinfranzösisch, z.B. je veux poser petite question)
|| 577 Gemäß dem Prinzip, das den «romanischen» Sprachtypus charakterisiert (cf. Kap. 3.7.3) und parallele Verfahren für entsprechende Inhalte erfordert, gilt für das Altfranzösische noch die Opposition zwischen syntagmatischen Verfahren, die einen impliziten Vergleich mit einer Grundstufe enthalten, und der paradigmatischen Suffigierung bei Fehlen einer solchen Relation. Inwieweit ein relationeller Bezug zu einer als «Normgröße» fassbaren Grundstufe möglich ist, hängt von den Sachen an sich bzw. der Kenntnis der Sachen ab. Da allerdings das Französische das periphrastische Prinzip unter Zurückdrängung des alten, auf der Opposition zwischen relationellen und nicht-relationellen Funktionen beruhenden Prinzips ausbaut, fällt diese Opposition weg.
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unter besonderer Konzentration auf solche Konstruktionen,578 in denen die Nominalphrase, die eine Handlung im weitesten Sinne beschreibt und als deren Bestandteil ein Dimensionsadjektiv wie petit erscheint, entweder das direkte Objekt des Verbs eines Hauptsatzes darstellt, wie in (1) Si mon oncle le permet, j’ai promis à mademoiselle de Gribeaucourt de lui dire un petit bonsoir (Balzac 1965, 146579), oder eine Konstruktion mit «Stützverb» des folgenden Typs bildet (2): Il eut un petit geste d’impatience (Maupassant 1980, 415580).581 In den in Frage stehenden syntaktischen Gruppen mit avoir als «verbe support» (bzw. «verbe de présentation»582) ist das direkte Objekt wie folgt charakterisiert: «Avoir est un verbe support qui entre dans des constructions nominales dans lesquelles le complément d’objet direct ou bien est un substantif déverbal (*avoir des sauts, un froncement de sourcils, un haussement d’épaules etc. 583) ou bien un nom qui désigne une action à lui seul ou qui la désigne par la combinaison du verbe de présentation, avoir, et le complément d’objet direct» (Dietrich 1999, 1264).
|| 578 Gemeinhin wird der Terminus «Funktionsverbgefüge» (FVG)/«construction à verbe support» (CVS) gebraucht, für deren Vorliegen jedoch unterschiedliche Analysekriterien angesetzt werden. In der Regel weisen die Konstruktionen eine Struktur «verbe support + préposition + N (+ compléments)» auf, wie z.B. in être en charge de, être en alternance avec, mettre en mouvement, rester en rapport avec, mettre ses projets en exécution etc. Detges (1996, 19) geht von komplexen Prädikaten nach folgender Maßgabe aus: «Funktionsverbgefüge sind komplexe Prädikate, deren verbale Formative keine lexikalischen Vollverben, sondern Funktionsverben sind. Diese treten nur zusammen mit nominalen Formativen NFVG auf, denen sie keinen Aktantenstatus, sondern die Funktion von Prädikatskernen zuweisen. Auf syntaktischer Ebene sind NFVG keine E[rgänzungen] der FV und aus diesem Grund weder erfragbar noch anaphorisierbar.» 579 Balzac, Honoré de, Eugénie Grandet, Paris, Garnier, 1965. 580 Maupassant, Guy de, Bel-ami. Paris, 1980. 581 Zum Aspekt der Grammatikalisierung cf. Dietrich (1999, 1265): «Les constructions à verbes supports (‘Funktionsverbgefüge’) […] sont caractérisées par le fait que le complément d’objet ou prépositionnel du verbe support n’est, en réalité, qu’un complément syntaxique apparent puisque le verbe support, qui est un verbe dont la signification lexicale est grammaticalisée, n’est pas un verbe autonome, mais entre dans une périphrase plus ou moins grammaticalisée qui a la même fonction syntaxique que le verbe». So entspricht Ils ont de petits sauts en arrière einem einfachen Verb, das syntaktisch äquivalent ist zu Ils sautent en arrière. 582 Zur präsentativen Funktion der Stützverbkonstruktionen cf. Dietrich (1999, 1265): «la construction à verbe support a une fonction ‘présentative’, c’est-à-dire qu’elle présente l’action […] comme extérieure au sujet, comme presque indépendante de la volonté du sujet. Le sujet ne ‘fait’ pas l’action, mais il ‘a’ le procès, c’est-à-dire qu’il ‘se manifeste’ chez lui». 583 Solche Stützverbkonstruktionen finden sich fast ausschließlich in Verbindung mit einer Qualifizierung, wie sie durch ein Dimensionsadjektiv (petit, grand etc.) erfolgen kann, so dass die mit Asteriskus markierten Formen in der Regel nicht vorkommen, sondern lediglich avoir de petits sauts, avoir un petit froncement de sourcils etc.
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Der nominale Ausdruck eines Prozesses oder einer Handlung beruht damit auf der Verbindung folgender drei Elemente: (1) eines Stützverbs oder eines Vollverbs (dire un petit bonsoir584) mit einem Substantiv, das einen Prozess in weitestem Sinne bezeichnet (avoir un petit geste d’impatience), sowie einer Determination dieses Substantivs durch ein qualifizierendes Adjektiv, das dessen Dimensionen angibt, wobei es sich in der Regel um das Element petit handelt, das den Wert eines Morphems mit diminutiver Funktion annimmt (avoir de petit sauts en arrière) (cf. Dietrich 1999, 1264). Auch andere Determinanten als petit kommen vor: Elle eut un vague haussement d’épaules (Belletto 1982, 286585); Hugo eut un rire nerveux (Châteaureynaud 1982, 103586). Als wichtige «verbes supports» dienen im Französischen namentlich avoir, y avoir, faire sowie prendre.587 Solche komplexen Prädikate mit «Stützverb» sind vornehmlich aus dem Englischen bekannt (cf. to have a game of football vs. to play football, to have a try vs. to try, to have a talk vs. to talk etc.; cf. Labuhn 2001; cf. Kap. 3.6.2.1; 4.2.4). In der Konstruktion avoir + petit + Substantiv stellt avoir das Resultat einer Handlung als ein mehr oder weniger unfreiwilliges Ereignis dar und steht damit im Gegensatz zu einer direkten Konstruktion, die mit dem Basisverb selbst oder mit faire gebildet wurde: avoir un petit geste – faire un petit geste; avoir un petit rire – rire (abzugrenzen wiederum von sourire: avoir un petit sourire ‘dünn lächeln’); avoir un petit choc – éprouver un petit choc etc.
|| 584 Eine Konstruktion mit Vollverb liegt ebenfalls vor in folgenden Beispielen (cf. Dietrich 1999, 1266–1267): souffler un petit vent (de trêve), ressentir un petit picotement de jalousie, envoyer un petit mot de condoléances, laisser un petit mot etc., wobei «petit mot» bereits lexikalisiert ist. Bei dire bonjour/bonsoir impliziert «bonjour/bonsoir» als Interjektion bereits den Prozess der Äußerung, des Sagens (cf. supra 5.4.4.5 die «verbes délocutifs»). 585 Belletto, René, Sur la terre comme au ciel. Paris, Hachette, 1982. 586 Châteaureynaud, Georges Olivier, La faculté des songes, Paris, Grasset, 1982. 587 Die Stützwortkonstruktion aus avoir + Substantiv stellt den durch das Substantiv bezeichneten Prozess unter dem «Aktionsmodus» der «Präsentierung» dar; dies gilt auch für die unpersönliche Konstruktion il y a + petit + (einen Prozess bezeichnendes) Substantiv. Die analoge Konstruktion mit prendre dagegen drückt den «ingressiven» Aktionsmodus aus: Les femmes, un peu choquées par la forme et pour la forme, prenaient un petit air gêné (Maupassant, Guy de, Bel-ami, Paris, 101; zit. nach Dietrich 1999, 1268). In der Konstruktion faire + petit/grand + deverbales bzw. eine Handlung bezeichnendes Substantiv ersetzt faire das spezifischere Basisverb: faire un salut à quelqu’un für saluer quelqu’un. Die Stützwortkonstruktion stellt hier die Handlung als abstrakten und damit gewissermaßen institutionalisierten Prozess dar: faire un petit/grand salut (à qn), faire un petit signe (à qn), faire une petite joie (à qn), faire un petit tour.
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Damit scheint petit, wie auch die diminutiven Suffixe, affektive Werte vermitteln zu können:588 «Le contexte, en plus, suggère une interprétation affective (‘action gracieuse et agréable pour le sujet parlant et la demoiselle à qui s’adresse l’action en cause’), de sorte qu’on peut parler d’une formation diminutive dans le cas de cette construction nominale ([dire] un petit bonsoir)» (Dietrich 1999, 1263).
Ferner verbindet sich petit vornehmlich bei Kosenamen oder allgemein Personennamen mit dem Possessivum, was den affektiven Wert verstärkt (cf. Hérisson 1956a; 1956b; 1959–1960): ma petite chérie, ma petite Minette etc.; faire son petit coup de tête, faire son petit compliment à quelqu’un (cf. Dietrich 1999, 1268). Die je nach Kontext neben der Bedeutung einer objektiven Kleinheit mit gewisser semantischer Variation (cf. dès sa petite jeunesse, au petit printemps)589 identifizierbaren affektiven Konnotationen (liebenswerter Charakter der Handlung, Sympathie, Ironie auf Seiten des Sprechers etc.) hängen mit der nur unvollständigen Grammatikalisierung des periphrastischen Diminutivs zusammen.590 In der beschriebenen Verwendungsweise impliziert petit eine Reduktion des durch die Verbalergänzung ausgedrückten Inhalts und insofern der Handlung selbst, da das Komplement samt übergeordnetem Verb einen Prozess, eine Handlung oder das Resultat derselben bezeichnen. Diese Verwendung bringt petit dem präfixalen diminutivierenden Element mini- insofern nahe, als letzteres auch adverbiale Funktion ausüben kann wie in s’habiller mini, minialcoolisé. Dies gilt lediglich in funktioneller Hinsicht, da in den nominalen Syntagmen, wie sie von Dietrich untersucht werden, petit zwar als ein das Nomen modifizierendes Adjektiv fungiert, Nomen und Verb jedoch eine semantische Einheit bilden und gemeinsam einen Prozess bezeichnen: So gilt für das Beispiel
|| 588 Cf. Hasselrot (1957, 281): «si la fréquence des diminutifs synthétiques subit une baisse radicale quand on passe des autres langues romanes au français, le total des diminutifs varie peu; petit a pris la place laissée vacante par les ‘suffixaux’, et ainsi la totalité affective est sauvegardée». 589 Der objektive Wert liegt ebenfalls zugrunde in folgenden Beispielen: éprouver une petite déception, jouer un petit air, entendre le petit claquement de pattes des tourterelles sur la terrasse (cf. Dietrich 1999, 1266). 590 In den genannten Beispielen wäre im Italienischen oder Spanischen die Verwendung des entsprechenden periphrastischen Diminutivs keine adäquate Lösung, sondern es müsste lauten it. fin da giovanetto, fin dalla prima gioventù; sp. desde su edad muy temprana bzw. all’iniziare della primavera, al comienzo de la primavera.
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(1), dass «le complément d’objet direct bonsoir est le contenu de l’action de dire et, par sa signification lexicale même, fait union avec le verbe dire» (Dietrich 1999, 1263). Die Umschreibungen mit petit sind daher mit den Diminutiven in den anderen romanischen Sprachen (wo sie beim Substantiv weit ausgeprägter sind als im Französischen) dort nicht identisch, wo eine verbale Basis bzw. Verbmodifizierung mit Suffix vorliegt, da diese häufig eine frequentative oder pejorative Komponente enthält, wie sie durch petit nicht impliziert wird (cf. crier > criailler entspräche also nicht crier → faire/pousser un petit cri mangels der frequentativen Determination; andererseits lässt sich die Iteration in periphrastischem faire de petits cris durch den Plural anzeigen). Die Kombination der Verfahren ist natürlich auch möglich: faire/pousser un petit criaillement oder – mit metaphorischer Bedeutung – donner une petite criaillerie (pejorativ, häufig selbst als Plural: criailleries). Die syntagmatisch gebildeten verbalen Diminutive des untersuchten Typs entsprechen nach Dietrich Bildungen wie it. canterellare, saltellare, fischiettare, rubacchiare oder sp. canturrear, mordiscar, neviscar, port. cantarolar, neviscar also nicht, da letztere die bezeichnete Handlung oder den bezeichneten Prozess – abgesehen von der diminutiven Funktion – zusätzlich in einer bestimmten «Aktionsart» als statische, dynamische, ingressive, resultative etc. Vorgänge darstellen, was das einfache Verb nicht leistet (cf. Dietrich 1999, 1265). Insgesamt beschreitet das Französische damit einen ganz eigenen Weg.
5.8.2 Reduplikation als typologischer Parameter Die Reduplikation als eine «vollständige oder teilweise Wiederholung des Wurzelelements» (Sapir [1921]/1961, 76) stellt ein in den Sprachen der Welt sehr weit verbreitetes Phänomen dar. Sie kann, abgesehen vom Wortstamm oder ganzen Wort, auch einzelne Affixe, d.h. Präfixe, Suffixe und Infixe betreffen (siehe Moravcsik 2000, 545–552).591 Als beachtenswerte (para)grammatische Technik wurde sie in der Geschichte der Typologie immer wieder kurz beleuchtet, führte aber nicht zur Konstitution eines eigenen morphologischen Typus mit namhaftem Stellenwert, da sie nur Subsysteme erfasst bzw. sprachliche Teilfunktionen auszudrücken vermag. Immerhin zählt Humboldt ([1822]/1963, 42) die «Silbenwiederholung» zu den sprachlichen Mitteln, die zum Ausdruck der «ächten
|| 591 Machinchose kann als eine inhaltliche Reduplikation mit wortinterner Übersetzung von einer Varietät in die andere (familiärer Sprachgebrauch → Standard) betrachtet werden, wobei die formale Variation die inhaltliche Verschiedenartigkeit der bezeichneten Sache reflektiert.
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grammatischen Formen»592 geeignet sind; Sapir ([1921]/1961) seinerseits räumt der Reduplikation einen zentralen Platz unter den morphologischen Grundtypen, die dem Ausdruck inhaltlicher Kategorien dienen, ein. So liefert seine «kurze Darstellung der verschiedenen grammatischen Kategorien […], wie sie die Sprachforschung bisher zutage gefördert hat,» sechs bekannte Haupttypen, wobei diese «Kategorien» grammatische wie paragrammatische Verfahren in sich schließen (cf. Sapir [1921]/1961, 63): 1. Serialisierung der Satzelemente («Wortstellung») 2. Komposition («Wortzusammensetzung») 3. Affigierung (Präfigierung, Suffigierung sowie Infigierung593) 4. Lautalternationen im Inneren des Wurzel- oder des grammatischen Elements (Vokal- oder Konsonantenwechsel594) 5. Reduplikation (zur Illustration cf. Sapir [1921]/1961,76–78) 6. Tonunterschiede mit zwei Dimensionen: (a) solche «dynamischer Art» (Betonung) sowie (b) solche «melodischer Art» (Tonhöhe) In den verschiedenen Einzelsprachen der Welt ist die Reduplikation als morphologisches Verfahren in unterschiedlichem Maße dazu geeignet, grammatische und/oder paragrammatische Funktionen zu übernehmen. Wiltshire/Marantz (2000, 557) definieren die Reduplikation in diesem funktional zweidimensionalen wortbildenden und wortformenbildenden Sinne: «The term reduplication is applied to a type of word formation (in the broad sense, including both derivation and inflection) in which the phonological form of an affix is determined in whole or in part by the phonological form of the base to which it attaches.» In einer Konstruktion XbX mit Xb = Basis repräsentiert also X zum einen ein Lexem, zum anderen ein Affix in oben genanntem Sinne, wobei gemäß dem Abbildungstyp der «exakten totalen Reduplikation» gilt, dass «the reduplicating affix repeats the entire phonological form of the base» (Wiltshire/Marantz 2000, 558). So erfolgt etwa die Pluralbildung in Warlpiri bei bestimmten Nomen durch Wiederholung der nominalen Basis, die affigiert wird, z.B.: kamina ‘Mädchen’, kamina-kamina ‘Mädchen (Pl.)’; mardukuja ‘Frau’, mardukuja-mardukuja ‘Frauen’. || 592 «Grammatische Form» ist in einer Sprache das, was in ihr «ein grammatisches Verhältnis charakteristisch (so, dass es im gleichen Fall immer wiederkehrt) bezeichnet» (Humboldt [1822]/1963, 42). 593 Infixe sind in verschiedenen südostasiatischen Sprachen von Bedeutung, jedoch ist keine Sprache ausschließlich infigierend. 594 Als Untergruppe der internen Lautveränderungen können Alternationen in der Quantität von Vokalen oder Konsonantendoppelungen gerechnet werden (cf. Sapir [1921]/1961, 63).
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Der Begriff der Reduplikation schließt auch Fälle der Triplikation bzw. mehrfachen Wiederholung ein gemäß dem Schema XbXX. Die zweifache zusätzliche Abbildung der Basis geht mit anderen Funktionen einher als die einfache Doppelung. Dieser Reduplikationstypus ist im Chinesischen bei adjektivischen Basen vertreten (cf. Wiltshire/Marantz 2000, 559): ang ‘rot’, ang-ang ‘rötlich’, ang-ang-ang ‘äußerst rot’; oder Mokilese, das die reduplizierende Technik zum Ausdruck des progressiven Aspekts bei Verben verwendet, die Triplikation dagegen für fortdauernde Handlungen: roar ‘zittern machen’, roar-roar ‘(gerade) zittern’, roar-roar-roar ‘weiterhin zittern’; soang ‘fest’, soang-soang ‘fest sitzen’, soang-soang-soang ‘immer noch fest sein/sitzen’. Schon nach Sapirs Funktionstypologie der Reduplikation lassen sich über die Methode, die er als «Ausdruck eines ohne weiteres verständlichen Symbolismus» (Sapir [1921]/1961, 76) begreift, (mit Abwandlung) folgende (para)grammatischen Werte vermitteln: (verschiedene Typen595 der) Pluralität, aspektive Dimensionen (z.B. Ausdruck einer gewohnheitsmäßigen Handlung, durativer Aspekt; auch Perfektivität596), darunter die Iterativität, Augmentivierung (incl. Diminutivierung als Gegenpol597), Intensivierung (siehe ausführlich mit Sprachbelegen Wiltshire/Marantz 2000, 561).598 Die Reduplikation begegnet im Französischen als marginales paragrammatisches Phänomen (mémé, pépé) mit diminutivierend-hypochoristischer Funktion sowie als syntaktisches Phänomen zur spontanen Intensivierung: frz. très
|| 595 Beispielsweise der Plural der Diversität in Tamil: maram ‘Baum’, maram-kiram ‘Bäume und dergleichen’ oder distributive Pluralformen wie in Yoruba: orí ‘Kopf’, oroorí ‘jeder Kopf’; ìtàdógú ‘15. Tag’, ìťììtàdógú ‘jeder 15. Tag’ (cf. Wiltshire/Marantz 2000, 561). 596 Cf. die wortinitiale Reduplikation, wie sie in den älteren indogermanischen Sprachen in bestimmten Fällen zur Bildung des Perfekts dient, z.B. Sanskrit dadarscha ‘ich habe gesehen’, griech. leleupa ‘ich habe verlassen’, lat. TETIGI ‘ich habe berührt’, gotisch lelot ‘ich habe gelassen’ (Sapir [1921]/1961, 78). 597 Siehe den Ausdruck der verringerten Intensität bei Verben in Kihehe: kwíita-kw-íita MODERAT-INF-(ein)gießen ‘ein bisschen (ein)gießen’; ku-tova-tova INF-MODERAT-schlagen ‘ein bisschen schlagen’; oder diminutive Bedeutungen bei Nomina in Agta: /wer/ ‘Bucht’ /wala-wer/ ‘kleine Bucht’; /bág/ ‘g-Saite’, /bala-bág/ ‘kleine g-Saite’ (cf. Wiltshire/Marantz 2000, 559). 598 Einige Beispiele aus dem verbalen Bereich zum Ausdruck des iterativen oder intensivierenden Aspekts sind: 1) wiederholtes Vorkommen mit gleichbleibenden Partizipanten (in Quileute): /élā:xali/ ‘ich ging weg von ihm’, /é?elā:xali/ ‘ich gehe oft von ihm weg’; 2) reziproke Handlung (z.B. Yami): /palu/ ‘schlagen’, /mipalupalu/ ‘sich gegenseitig schlagen’; 3) wiederholtes Vorkommen mit mehreren Partizipanten (z.B. Twi): /wu/ ‘sterben’, /wuwu/ ‘(in großer Zahl) sterben’; /bu/ ‘biegen, brechen’, /bubu/ ‘etwas an vielen Stellen biegen, brechen/viele Dinge brechen’; 4) gesteigerte Intensität (z.B. Thai): /dii/ ‘gut sein’, /díidii/ ‘äußerst gut sein’.
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très bien (auch sp. muy muy bien etc.) (cf. infra Kap. 5.8.5.1). Beide Verfahren sind diastratisch (mit Bezug auf die soziale Gruppe) bzw. diaphasisch (Sprachstil) markiert. Die Reduplikation ist als ein Verfahren der Wortbildung nur dann anzusehen, wenn es sich nicht um bloße Wortschöpfung (cf. Onomatopoetika wie a-reu a-reu, guili-guili, gouzi-gouzi, cancan etc.) handelt.599 Das (syntaktische) Verfahren der totalen Reduplikation ist gemäß dem Prinzip des konstruktionellen Ikonismus600 als «unmarkiert» oder «natürlich» bezüglich sprachlicher Funktionen wie Pluralbildung, Intensivierung, Augmentivierung, Iterativbildung zu beurteilen, da gilt: «Was konzeptuell bzw. in der physikalischen Welt ‘mehr’ ist, sollte auch konstruktionell ‘mehr’ sein» (Mayerthaler 1977, 28).601 Allerdings erkennt bereits Sapir, dass das symbolische Prinzip des konstruktionellen Ikonismus schnell an seine Grenzen stößt.602
|| 599 Zu einer umfangreichen Liste und Klassifikation von reduplizierenden Bildungen, die die phonologische Struktur von Echowörtern im Französischen einschließt, siehe Mayerthaler 1977, 78–92 (cf. u.a. Morin 1972; siehe auch Trabant 1988). 600 Eine morphologische Konstruktion kann genau dann als natürlich bzw. unmarkiert gelten, wenn sie konstruktionellen Ikonismus («motivation by form» nach Marchand) aufweist. Konstruktioneller Ikonismus ist dann gegeben, wenn sich konzeptuelle Merkmalhaftigkeit auf morphologische Merkmalhaftigkeit abbildet. Diminutivkonstruktionen sind demnach konstruktionell ikonisch, wenn ein konzeptuelles «Weniger» auch konstruktionell als ein «Weniger» abgebildet wird. Die partielle Reduplikation ist daher mit Bezug auf die Diminutivierung konstruktionell ikonisch, da nur ein Teil der Derivationsbasis redupliziert wird (cf. baballe (balle), fofolle (folle) etc.). Demgegenüber dient die totale Reduplikation in den Sprachen der Welt vielfach der Repräsentation dessen, was als konzeptuell «mehr» verstanden wird. 601 Zur Natürlichkeitstheorie unter Anwendung sowohl auf die grammatischen wie paragrammatischen Systeme von Sprachen siehe Dressler et al. (1987); zur typologischen Dimension siehe insbesondere den Beitrag (ibid., 99–126) von Dressler. 602 Dies wird in Sapir ([1921]/1961, 77) unterstrichen: So werden zunächst solche Beispiele wie Somali fen ‘benagen’, fen-fen ‘von allen Seiten benagen’ erwähnt, die jedoch noch nicht «die Grenzen des natürlichen und ursprünglichen Sinnbereichs dieser Methode» überschreiten. Demgegenüber erfüllt das Verfahren etwa in Ewe eine «abstrakte Funktion», wo die Reduplikation dazu verwendet wird, zum einen den Infinitiv an Verben zu markieren, zum anderen deverbale (partizipiale) Adjektive zu bilden, z.B. ji ‘gehen’, jiji ‘gehend’, wo ‘tun’, wowo ‘getan’; mawomawo ‘nicht zu tun, untunlich (nicht ratsam)’ mit Verdoppelung des Verbalstammes sowie des Negationselements. Im Hottentottischen dient der reduplizierende Prozess zum einen zum Ausdruck einer grammatischen Funktion, des Kausativums, z.B. gam-gam ‘zum Sagen bringen, sagen machen’ (von gam ‘sagen’); daneben erfüllt das Verfahren die paragrammatische Funktion der Bildung denominaler Verben wie in khoe-khoe ‘Hottentottisch sprechen’ (aus khoe-b ‘Mensch; Hottentotte’); cf. analog Kwakiutl metmat ‘Muscheln essen’ (mit Wurzelelement met ‘Muschel’). Für Französisch-basierte Kreolsprachen der Karibik konstatieren Kouwenberg/LaCharité (2011) allgemein ein Fehlen ikonischer Verbreduplikation, was auf einen gemeinsamen Ursprung dieser Sprachvarietäten hinweist. Insgesamt ist die Studie
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Für das mir immer wieder als Vergleichsfolie dienende Englische unterscheidet Hohenhaus innerhalb der von ihm untersuchten Muster von Ad-hocBildungen neben «dummy-compounds»,603 «phrasal compounds» (I-told-you-so attitude), «expletive infixation»604 auch den Typ der «Identical Constituent Compounds» (ICC) (cf. Hohenhaus 1998) z.B. wrong-wrong, rich-rich, hot-hot, wedding-wedding, fish-fish, film-film etc.605 Der mit diesem Doppelungsverfahren verbundene systematische Wert beruht auf der Funktion, den durch das verdoppelte Element (Xb) zum Ausdruck gebrachten Inhalt als einen besonders typischen Fall von Xb dazustellen. Nach Hohenhaus folgen also die ICCBildungen dem semantischen Muster ‹XbX = a proper/prototypical Xb›. Diese im Grunde intensivierende Funktion lässt sich durch das Beispiel bath-bath illustrieren: There was a bath in the guest house… well, not a bath-bath, rather a large sink… Analog lässt sich die Bedeutung der ICC-Bildungen in den folgenden Beispielen explizieren: shut-shut: ‘not just shut temporarily, but closed down completely’; hangover-hangover: i.e. bedingt durch exzessiven Alkoholmissbrauch; pasta-pasta: i.e. italienische Nudeln, aber nicht etwa schwäbische Spätzle; bread-bread: i.e. nicht Toast- oder Knäckebrot etc. Auch das Französische kennt Bildungen dieses Typs, z.B. femme-femme ‹une femme vraiment femme› (cf. Grevisse 1993, 518, §335, 4. bzw. 2011, §340 b), 1°); cf. weiterhin: Dans les sociétés riches et oisives, comme la Cour de Versailles ou […] dans le MONDE-MONDE peint par Proust, les loisirs ne manquaient jamais.606 − Barrès, qui cultive au jardin infécond de Bérénice la mélancolie de n’être pas né POETE
|| ein Indiz für die semantische Komplexität reduplizierender Prozesse selbst in morphologisch reduzierten Kreolsprachen; diese Komplexität lässt sich mit semantischer und formaler Ikonizität allein nicht greifen. Je stärker jedoch, so das Ergebnis, die Ikonizität eines reduplizierenden Verfahrens abnimmt, desto weniger transparent und vorhersagbar wird dieses – und verliert dabei umso mehr an Produktivität. 603 Cf. Hohenhaus (2000); der Mechanismus von «dummy-compounds» lässt sich mit der Pronominalisierung vergleichen: die Bedeutung dieser ad hoc gebildeten «Komposita» erschöpft sich in der (gewöhnlich anaphorischen) intertextuellen Referenz. Gebildet werden die «dummy-compounds» in der Regel mittels eines semantisch «leeren» Determinatums wie thing oder business und einer weiteren Konstituenten, die dem Teil des Ko(n)texts entstammt, auf den das Kompositum deiktisch (ohne Nennfunktion) referiert. 604 Diastratisch bzw. diaphasisch markierte Beispiele sind: al-bloody-mighty, abso-bloominlutely, unbe-fucking-lievable. 605 Ich stütze mich auf einen Gastvortrag, gehalten am 16.01.2002 am Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg. 606 Maurois, André, Lettres à l’inconnue, Paris, Fayard, 1956,189.
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[= poète en vers].607 Die in der Regel als expressive Hapax legomena registrierten Bildungen stellen ein Phänomen der Syntax dar; es handelt sich wie bei den «Präpositionalkomposita» um «Wörter der Rede» und nicht um «Wörter der Sprache» (cf.: elle est vraiment très jolie – elle est très très jolie – elle est jolie jolie / une femme vraiment femme – une femme-femme). Dennoch spiegelt sich darin eine Sprachtechnik, die die isolierte lexikalische Einheit für ähnliche Funktionen wie – im Rahmen der Grammatik – die der (intensivierenden) Adverbien oder, innerhalb der paragrammatischen Verfahren, der Verfahren der Modifizierung (cf. infra Intensivierung Kap. 5.8.5.2, z.B. richissime, archiconnu, hypersensible etc.) verfügbar macht. POETE
5.8.3 Reduplikation im Französischen: Diminutivierung und Intensivierung Neben dem leicht produktiven Suffix -et(te), das Substantive und Adjektive diminutiviert, den präfixalen Elementen mini- und micro- sowie der Umschreibung mittels petit + Nomen als demjenigen Verfahren, das den Typus des heutigen Französisch repräsentiert, kann die Reduplikation dann unter die diminutivierenden paragrammatischen Verfahren der heutigen französischen Gemeinsprache gerechnet werden, wenn das neu gebildete Wort in einem solchen semantischen Verhältnis zu einer Wortbildungsbasis steht, dass ein Verfahren identifizierbar wird – eine Voraussetzung, welche bei den Wortschöpfungen oder den Onomatopoetika (cf. blabla, cricri, teuf-teuf, miam miam, gna(n) gna(n)) in der Regel nicht erfüllt ist. Wörter wie pépé, mémé zur Bezeichnung von Verwandtschaftsbeziehungen beruhen (neben einer EchowortKomponente) auf einer partiellen Reduplikation von père und mère (cf. pépère, mémère mit Reduplikation der initialen Silbe von (grand-)père/mère); die Wortbildungsbedeutung beruht auf einer diminutivierend-hypochoristischen Funktion wie bei un ours → nounours oder bête → bébête, cul → cucu(l) (‘un peu bête’); elle est fofolle (‘un peu folle’) etc. Analog zur Affigierung lässt die partielle morphologische Diminutivierung unter dem Aspekt der Form eine Auffächerung in initiale (foufou/fofolle ← fou/folle), mediale (Mimile ← Émile) und finale (toto ← auto) Reduplikation zu. Das reduplizierende Verfahren kommt vor allem bei der Bildung affektiv verwendeter Vornamen zum Tragen, cf. Kosenamen wie Mimi für Michèle/Micheline (auch für minet, mignon), Momo (← Monique), Juju (← Julien), Coco (← Colette), meist hervorgegangen aus der Verdoppelung der
|| 607 Desonay, Fernand, Bulletin de l’Académie royale de langue et de littérature françaises, Bruxelles, L’Académie, 1955, 160.
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ersten Silbe. Derselbe Mechanismus kann sich auch auf die Endsilbe eines Namens beziehen: So wird Nanar aus Bernard, Bébert aus Albert oder Robert gebildet, in Nénesse für Ernest wird die komplexe Gruppe vereinfacht (cf. Gadet 1992, 109). Bei den Eigennamen geht also – analog zum Verfahren der Suffigierung (z.B. Pierrot ‘Peterchen’, sp. Paquito ‘Fränzchen’) – die diminutivierende Grundbedeutung in der Regel mit einer hypochoristisch-affektiven Konnotation einher. Die syntaktische Reduplikation ihrerseits ist zur Vermittlung eines diminutiven Wertes nicht geeignet, oder genauer führt die syntaktische Reduplikation immer zum Ausdruck eines anderen Wertes als dem der Diminutivierung: der Intensivierung bzw. Augmentivierung. Die Intensivierung kommt zum Tragen, wo die Reduplikation eines ganzen Wortes einen superlativischen Wert annimmt: Ce n’est pas joli joli (cf. infra zur Intensivierung Kap. 5.8.5.1). Hinsichtlich der diaphasischen Variation ist die Reduplikation hauptsächlich ein Charakteristikum der Kindersprache, allgemeiner der Umgangssprache oder des Argot. Dabei kann sich die Reduplikation auch auf Lehnwörter erstrecken, wie bei c’est kif-kif ‘das ist Jacke wie Hose’ (< Arab. kīf kīf ‘comme comme’). Weitere Bildungen zu den genannten Formen der Reduplikation im Französischen sind: chouchoute, doudoune, guéguerre, gougoutte, gugusse, neuneuil/neunœuil, nunuche, popote, sosot/sosotte, susucre, zizique; bonbon, chienchien, chouchou, crincrin, doudou, fanfan, gingin, nounou, pipi, plan-plan, tonton, tutu; pêle-mêle, prêchi-prêcha, maman, tata(n) etc. Im Kontext der romanischen Sprachen und aus typologischer Perspektive findet sie eine eher geringe Beachtung: «Es ist […] eigenartig, dass in allen bisherigen Studien zur Diminution in romanischen Sprachen die Möglichkeit reduplikativer Diminution nicht bemerkt wird.608 Zwar taucht regelmäßig die Unterscheidung zwischen analytischer/syntaktischer (z.B. frz. petite maison) und synthetischer/morphologischer Diminution (z.B. frz. maisonnette) auf, aber dass die morphologische Diminution neben dem affixalen auch einen reduplikativen Typ umfasst, wurde offensichtlich übersehen, obwohl dieser Diminutionstypus nicht nur im Frz., sondern z.B. auch im Ptg. belegt werden könnte. Hierauf hinzuweisen, erscheint mir im Sinne einer künftigen, integrierten Darstellung der Diminution in romanischen Sprachen sinnvoll» (Mayerthaler 1977, 33).
Auf den (typologischen) Stellenwert von petit innerhalb der Diminutivbildung des Französischen (cf. auch Hérisson 1956a; 1956b; 1959–1960) wurde bereits eingegangen (cf. supra Kap. 5.8.1). Petit als isoliertes Wort kann nun auf syn-
|| 608 Cf. dagegen Lüdtke 2001a, 776.
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tagmatischer Ebene hinzutreten, um die formal bereits über andere morphologische Verfahren (agglutinierende Suffigierung oder Reduplikation) erreichte affektive Komponente zu verstärken. «Petit est également employé pour renforcer la valeur hypocoristique des diminutifs affectueux de prénoms d’adultes tels que Margot, Mado, Jacquot, Pierrot, Jo (de Georges), Jeannot ou Nanot, Jeannette, Dédette (Odette). Mimi (Marie), etc. …, et l’on dit volontiers ‘ma petite Mimi’, ‘mon petit Pierrot’» (Hérisson 1956a, 38).
Dem isolierenden Typus entspricht vor allem das Verfahren der syntagmatischen Reduplikation eines ganzen Wortes wie im Falle der Intensivierungsfunktion: Qu’il est con con mon mec.
5.8.4 Quantifizierung als Qualifizierung Die Quantifizierung umfasst neben der Diminutivierung als deren «entgegengerichtetes» Pendant die Augmentivierung. Das Besondere bei diesen beiden Formen der Quantifizierung beruht auf der Möglichkeit deren Verbindung einerseits mit einer positiven, andererseits aber auch einer negativen Wertung, wobei letztere den Übergang zur Pejoration begründet. So lässt sich das Attribut «klein» einerseits mit der konnotativen Haltung der Niedrigkeit korrelieren, aber auch mit der hypokoristischen Bedeutung der Niedlichkeit, Zärtlichkeit, die eher der positiven Seite einer implizierten Einschätzung zuzurechnen ist. Eine entsprechende meliorative bzw. pejorative Interpretation lässt sich anhand der Augmentivierung aufzeigen: Was als groß eingestuft wird, kann zum einen als schön, zum anderen als hässlich aufgefasst werden.609,610 Folgende übereinzelsprachliche Möglichkeiten der Korrelation von Quantifizierung und Qualifizierung bestehen (cf. Lüdtke 2005, 328ss.):
|| 609 Im Spanischen wird der Terminus derivación apreciativa verwendet, wobei die Betonung nicht auf dem Moment der realen Größe liegt, sondern auf dem der jeweiligen Einschätzung, die mit dem «Groß-Sein» ausgedrückt werden soll. 610 Zur funktionellen Reichweite der quantifizierenden Ableitungen durch Suffixe gehören wesentlich auch bestimmte kontextuell determinierte Redebedeutungen, d.h. pragmatische Funktionen, wie sie in Ad-hoc-Bildungen auftreten. Zu solchen Kontexten gehören der Babytalk, das «Liebesgeflüster», intime Gespräche oder auch Manifestationen emotionaler Erregtheit wie Wutausbrüche etc. Trotz der Vielfalt solcher Redeverwendungen kann allerdings die Annahme einer einheitlichen Grundfunktion aufrechterhalten werden.
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Diminutivierung (klein)
(gut) Melioration
Pejoration (schlecht)
(groß) Augmentivierung Abb. 5: Korrelation von Quantifizierung und Qualifizierung
Oder als Kreuzklassifikation dargestellt mit Beispielen aus dem Italienischen:611 Tab. 7: Qualifizierung und Quantifizierung im Italienischen
Diminutivierung (klein)
Augmentivierung (groß)
Melioration
libretto librettino librino
‘Büchlein, Büchelchen’ librone
positiv konnotiert
Pejoration
libruccio librettuccio
negativ konnotiert
‘schlechtes Buch’ (‘Schinken’) ‘schlechtes Wetter’
libraccio tempaccio
5.8.4.1 Augmentativbildung Als eine romanische Neuerung ist die Augmentativbildung diachronisch in allen romanischen Sprachen außer dem Französischen produktiv gewesen.612 || 611 Schaubilder nach Lüdtke (2002b). 612 Dass nicht von einer «Lücke» im System die Rede sein kann, hat Geckeler (1977) nachhaltig betont. Die zugrunde liegende Problematik ist eine Frage der in der Norm realisierten Phänomene; hier können «Lücken» nachgewiesen werden, nicht aber im Rahmen des Systems, was den Begriff des Systems ad absurdum führen würde: «Wenn man vom System der Sprache spricht, so müssen dabei dessen zwei Aspekte in Betracht gezogen werden, und zwar einmal das System als System der Möglichkeiten (der potentiellen Realisierungen) und zum anderen das System als System des wirklich Realisierten (des effektiv Existenten). Nun können Lücken im System des wirklich Realisierten faktisch erst festgestellt werden, wenn die sie bestimmenden Koordinaten oder Parameter im System der Möglichkeiten vorgegeben und somit ablesbar sind (Matrixlücken). Wir sind daher der Ansicht, dass es bei innersprachlicher Betrachtungsweise prinzipiell unlogisch wäre, Lücken im System der Möglichkeiten auch nur anzunehmen»
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Die Augmentivierung ist prinzipiell als Möglichkeit im System des Französischen angelegt, nur in der Regel nicht realisiert oder, wenn realisiert, dann fast ausnahmslos unter Anwendung des syntagmatischen Verfahrens. Der Vergleich mit den anderen romanischen Sprachen erweist die Sonderstellung des Französischen in diesem Systembereich. Allerdings hat sich kein einheitliches Verfahren herausgebildet, auch wenn die romanischen Sprachen zum Ausdruck dieser Funktion in der Regel auf ein besonderes Suffix des Lateinischen, -O, -ONIS, zurückgreifen (in Adjektiv bildender Funktion erscheint es als -ONEUS, z.B. it. elegantone, -a ‘herausgeputzt’, sp. dulzón ‘widerlich süß’). Das Suffix tritt an substantivische, verbale und adjektivische Basen; die gebildeten Substantive implizieren inhaltlich eine für eine Person charakteristische negative Eigenschaft, wie sie als Beinamen verwendet wird (z.B. BIBERE → BIBO). Die angenommene Entwicklung lässt sich anhand des Typs NASUS → NASO veranschaulichen: NASO ‘Mensch mit großer Nase’ wird uminterpretiert im Sinne einer Quantifizierung von NASUS → NASO ‘große Nase’. Die Umparagrammatikalisierung613 im Rahmen der Quantifizierung manifestiert sich meist als eine Augmentivierung (cf. it. gattone ‘große Katze’; rum. măturoi ‘großer Besen’; sp. cajón ‘große Kiste’, port. caixão), im Französischen (chaton ‘Kätzchen’) und Okzitanischen (caton) sowie im Katalanischen (caixó ‘Schächtelchen’) dagegen als Diminutivierung. Ferner beruht die Augmentativbildung in den romanischen Sprachen auf dem Suffix -ACEUS, -A, das zur Bildung von Relationsadjektiven diente und auch pejorative Funktion übernahm (produktiv etwa im Italienischen), wobei die Pejoration in unterschiedlichem Grad kombiniert mit der augmentivierenden Funktion als Redebedeutung auftreten kann. Ferner kann aber auch die reine Augmentivierung dominieren (wie im Katalanischen und Okzitanischen). Die Funktion der Diminutivierung wird im Französischen regelmäßig auf periphrastische Weise über die Umschreibung mit petit + Nomen zum Ausdruck gebracht, wobei es sich um ein produktives Verfahren der Diminutivierung von Substantiven handelt. Stellt nun die Augmentivierung das inhaltliche Pendant zur Diminutivierung dar, fällt unmittelbar auf, dass die Untersuchung der entsprechenden Konstruktion grand + Nomen unter diesem Aspekt bislang offen|| (Geckeler 1977, 72). Der Systembegriff ist hier jeweils auf die Einzelsprache anzuwenden, d.h. grammatische wie wortbildende Verfahren sind als je einzelsprachlich spezifische zu betrachten und können, müssen aber nicht im je anderen System als Möglichkeiten angelegt sein. 613 Definiert in Lüdtke (1996, 240) als «die Ersetzung eines inhaltlichen Verfahrens durch ein anderes inhaltliches Verfahren bei gleich bleibendem oder teilweise gleich bleibendem formalen Verfahren» (cf. auch Kap. 5.7 zur Kollektivbildung bzw. Lüdtke 2005, 452 s.v. «Umparagrammatikalisierung»).
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sichtlich kein großes Interesse geweckt hat. Dies scheint umso erstaunlicher, als die augmentativen Formen des Französischen durchweg noch stärker lexikalisiert sind als etwa die Diminutivbildungen (cf. etwa plâtras ‘Gipsschutt’ etc.), d.h. obwohl kein produktives Verfahren zum Ausdruck der Augmentivierung im Französischen zur Verfügung steht. In der Studie Dietrichs (1999) zur syntagmatischen Bildung des Diminutivs im Französischen bei Substantiven, die eine Handlung im weitesten Sinne bezeichnen, wird zumindest auf die Parallelität von Ausdrücken wie faire un petit salut à quelqu’un und faire un grand salut à quelqu’un aufmerksam gemacht (Dietrich 1999, 1268), wobei das Schema614 faire + petit/grand + Prädikatnominalisierung/Nomen, das einen Prozess (eine Handlung, eine Bewegung etc.) bezeichnet, zugrunde liegt. Vom Standpunkt der Grammatikalisierung wird durch dieses Schema impliziert, dass in der Konstruktion mit petit wie bei den Bildungen mit grand (z.B. Il s’est très bien habillé pour aller au théâtre ce soir; «Tu t’es mis sur ton 31!», lui disent ses amis avec un grand sourire …) ein gleicher Grammatikalisierungsgrad erreicht ist. Das ist nicht gesichert. Außerdem sind Diminutivierung und Augmentivierung auch mit Bezug auf die zugrunde liegenden Basen nicht symmetrisch verteilt, und die hypokoristische Verwendungsweise verleiht der Diminutivierung offensichtlich einen Vorsprung in der Vitalität. Immerhin wäre das inhaltliche Pendant zur Diminutivbildung in der Sprache formal durch eine parallele Konstruktion mit gleichem typologischem Stellenwert realisiert. Neu zu interpretieren gälte es allemal metaphorische Verwendungen des Typs deux grandes heures (‘deux heures et plus’une grande minute; Il vous en faut deux grands mètres (G.R. 2011, s.v. grand);615 une grande blague etc. auf der einen Seite und un grand vent, une grande chaleur, une grande pluie, un grand froid, un grand bruit, un grand effort, un grand coup auf der anderen, wobei in letzterer Reihe grand dem Ausdruck der Intensivierung dient. Davon abzugrenzen wären idiomatische Wendungen wie avoir grand avantage, faire grand tort, avoir grand besoin, avoir grand-faim, avoir grand-soif, avoir grand-peur etc.; auch in NNVerbindungen: Votre séjour grand ski à partir de 31 euros.
|| 614 Aus der Sicht der Grammatikalisierungsforschung kann von «Schema» oder «Muster» die Rede sein, was vom jeweiligen Grammatikmodell abhängt: Ein Schema impliziert eine oder mehrere offene bzw. zu besetzende Stellen innerhalb einer komplexen Wendung, die aus mehreren Teilen besteht (cf. sp. hay/hubo ([…]) que [INF], z.B. hay mucho que hacer); ein Muster liefert eher eine Vorlage, nach der eine Konstruktion analog gebildet wird (z.B. dar las buenas tardes wie dar los buenos días) (cf. Haase 2001, 3). 615 Hier tatsächlich formal wie inhaltlich symmetrisch zu une petite heure ‘un peu moins d'une heure’, une petite minute etc.
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Immerhin besitzt das Französische zur Bildung von Augmentativa kein anderes produktives Verfahren als die Umschreibung mittels eines lexikalischen Elements wie grand (bzw. gros: il ne put s'empêcher d'avoir un gros rire de gorge; il finit par éclater d’un gros rire sonore etc.). Einem Superlativ entsprechen Bildungen wie Il est grand travailleur; C’est un grand lâche, grand sot, grand imbécile; un grand joueur, buveur; un grand menteur; une grande beauté; grande coquette, grande amoureuse, grande bavarde etc., wobei auch ironische und pejorative Konnotationen hinzutreten können: de grands mots, de grandes phrases etc., z. B: Ah! Monsieur Lysidas, vous nous assommez avec vos grands mots… Pensez-vous qu'un nom grec donne plus de poids à vos raisons? (Molière, Critique de l'École des femmes, 6; G.R. 2011 s.v. assommer). 5.8.4.2 Pejorativbildung Eine lateinische Grundlage der Pejorativbildung (cf. Lüdtke 1996a, 245) ist einzig mit dem Suffix -ASTER, -ASTRA gegeben,616 das Substantiven eine pejorative Konnotation verlieh (z.B. OLEASTER ‘wilder Ölbaum’). Die romanischen Ableitungen setzen, abgesehen von rezenten Neubildungen, lateinische fort (cf. frz. marâtre), ohne dass hierdurch eine direkte Kontinuität der romanischen Pejorativbildung mit einem lateinischen Muster begründet werden könnte (worauf auch Divergenzen in der Produktivität, die in Abweichung vom Lateinischen in manchen romanischen Sprachen recht groß sind, schließen lassen). Auf germ. -hard zurückgehendes frz. -ard (ursprünglich in Personennamen verwendet) wurde im Mittelalter ins Französische entlehnt und vom germanischen Kompositionselement zum Suffix mit pejorativer Bedeutung reanalysiert; so erhalten in riche → richard (‘reicher Kerl’) oder in politicard (‘dubioser, skrupelloser Politiker’).
5.8.5 Intensivierung 5.8.5.1 Grammatik Auf grammatischer Ebene kann die Intensivierung als Begleitfunktion der Pluralbedeutung (zur Pluralmarkierung im code oral/écrit cf. Kap. 6.1) in Erscheinung treten. So bezeichnet z.B. les orgues im Feminin ein einziges Instrument, wohingegen das Maskulinum Plural mehrere Instrumente indiziert. Der femini-
|| 616 Bei -ACEUS, -UCEUS kann sowohl die Quantifizierung wie die Pejorativbildung der semantischen Entwicklung in den romanischen Sprachen als Grundlage gedient haben; die Frage muss derzeit noch offen bleiben (cf. Lüdtke 1996, 245).
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ne Plural kann als emphatischer Plural interpretiert werden (cf. Grevisse 1993, §461, c; cf. Kap. 6.3). Ein analoger Fall liegt bei les amours vor, wo der (feminine) Plural als emphatische Entsprechung des Singulars gebraucht wird (cf. Grevisse 1993, §461, a). Ein rein emphatischer Plural ist ebenfalls gegeben bei der (literarischen) Verwendung des Eigennamens eines Individuums mit pluralischem Determinanten: LES Chastellain, LES Molinet (Grevisse 1993, §493, b). Um ein ähnliches Phänomen handelt es sich bei der diaphasisch als umgangssprachlich markierten Verwendung eines pluralischen Determinanten in Verbindung mit einer numerischen Angabe im Singular: Marius rentre à présent à DES une heure du matin! (Victor Hugo, Les Misérables, IV, VIII, 3.; cf. Grevisse 1993, §493, b, Rem.). Dem traditionellen Elativ entspricht die hohe Intensitätsstufe, zu deren Ausdruck bestimmte Präfixe dienen. In der Grammatik kommen für diese Funktion vorrangig Adverbien zum Tragen, namentlich das Adverb très (un très grand arbre), das seinerseits, einhergehend mit bestimmten Bedeutungsschattierungen, durch tout,617 fort, bien sowie die adverbiale Wendung tout à fait ersetzt werden kann. Besonders im populären Französischen finden sich zum Ausdruck des Elativs eine Reihe von alternativ zu très gebrauchte Ausdrücke: il est fin prêt, elle est tout plein gentille, il est rien bête, il est tout chose etc. Daneben wird der hohe Intensitätsgrad durch auf -ment abgeleitete Adverbien wie absolument, complètement,618 entièrement, extrêmement, totalement ausgedrückt (Il est totalement idiot). Die Bedeutung einer hohen Intensität resultiert hierbei nicht aus der Funktion von -ment, sondern einzig aus der lexikalischen Semantik des zugrunde liegenden Adjektivs. Analoges gilt für Adjektive wie absolu, achevé, énorme, excellent, immense, parfait, affreux, horrible etc., die einen hohen Intensitätsgrad – sei es mit Blick auf Größe, Bedeutung, sei es hinsichtlich einer günstigen bzw. ungünstigen Einschätzung – vermitteln; dies betrifft ferner auch die aus dem Lateinischen entlehnten Superlative extrême, suprême, infime und minime. In der Umgangssprache sind drôlement, rudement, vachement in intensivierender Funktion geläufig: Elle est drôlement bien; Malheureusement Dominique s'entêtait et s'obstinait et demeurait vachement honnête et prude quoiqu'elle ait
|| 617 Tout drückt aus, dass die Eigenschaft, die dem Substantiv durch das zugehörige Adjektiv zugewiesen wird, den Referenten in seiner Gesamtheit betrifft (une histoire toute incroyable). Der Gebrauch von fort im schriftlichen Bereich ist leicht archaisierend oder regional; bien bringt eine subjektive Einschätzung zum Ausdruck: il est bien intelligent. 618 Complètement und absolument werden sogar in Bezug auf nicht gradierbare Begriffe verwendet.
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fini par concéder un peu de pelotage (R. Queneau, Loin de Rueil, 172. bzw. G.R. 2011, s.v.). Die Adverbien trop, exagérément, excessivement bringen eine über eine bestimmte Normgröße hinausgehende Intensität zum Ausdruck (Il me semblait que j'expiais le malheur d'avoir été, depuis l'enfance, exagérément couvé, épié, servi; cf. Mauriac, le Nœud de vipères, 33 bzw. TLFi s.v.); ebenfalls der Intensivierung dienen si und si peu, das eine negative Intensität kennzeichnet (an beide kann sich ein konsekutiver Nebensatz anschließen: L’hiver a été si rude que l’eau de la rivière a gelé). Ferner existieren verschiedene idiomatische Ausdrücke, in denen ein Adjektiv eine Ergänzung bei sich trägt: So etwa bei infinitivischen Ergänzungen, die eine Konsequenz bildhaft zum Ausdruck bringen: bête à pleurer, laid à hurler, fou à lier. Verstärkende adverbielle Wendungen sind außerdem on ne peut plus, tout ce qu’il y a de (plus) (elle est tout ce qu’il y a de plus élégante), comme tout, des mieux, des plus (il est des plus habile(s)). Die beiden letztgenannten stellen ehemalige relative Superlative dar, die ein Adjektiv im Plural (eventuell auch im Singular) nach sich ziehen: La phrase de Proust est des plus complexes. Die intensivierende Funktion wird in der gesprochenen Sprache auch über die Reduplikation, genauer die Wiederholung des Adjektivs (ohne Sprechpause) transportiert: Un monde fou fou fou (Filmtitel), Belles, belles, belles comme le jour (Name eines Liedes). Der Gebrauch der Negation hebt die Intensität der gegenteiligen Eigenschaft hervor, was zu einer zweifachen Wirkung bzw. der Umkehrung sowie des Litotes führt: C’est pas joli joli (= C’est très vilain). In der gesprochenen Sprache dient ferner der Ausrufesatz ohne besondere morphologische, sondern lediglich prosodische Kennzeichnung der Intensivierung: Elle est belle! Hinzu treten kann allerdings ein intensivierendes Adverb, das v.a. einen Ausruf markiert: Il est si petit, le nouveau-né! Que c’est beau! oder umgangssprachlich (Qu’est-)ce que c’est beau! Que de monde! Comme c’est laid, Si vous saviez combien je l’aime! In der gesprochenen Sprache existieren außerdem idiosynkratische Formen, die ebenfalls von spezifischen Intonationsregeln gelenkt werden (cf. Gadet 1992, 62): Une vache D’ALLURE, Il est con FAUT VOIR COMME, Il est bête/MAIS BETE, Elle lui en a donné une bonne/MAIS ALORS UNE BONNE, Il est bête/CE QUI S’APPELLE BETE. Die Mehrheit dieser Ausdrücke findet sich in postadjektivischer Stellung «ce qui, selon l’ordre progressif, leur procure les meilleures chances de s’imposer» (Gadet 1992, 62). Damit vergleichbar sind gewisse, vom jeweiligen Adjektiv abhängige Ausdrücke mit comme bzw. stereotype Muster, die einen Vergleich beinhalten und intensivierende Funktion besitzen, cf.: riche comme Crésus, rapide comme l’éclair, blanc comme neige, bête comme ses pieds, con comme un manche, heureux comme un pou, rond comme une bille.
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Der mittlere bis schwache Intensitätsgrad kann in der Grammatik ebenfalls über isolierte Wörter, d.h. Adverbien und adverbiale Wendungen wie à moitié, moyennement, en partie, assez, légèrement, faiblement, à peine, (un) peu etc. zum Ausdruck kommen. Allerdings handelt es sich dabei vielfach um eigentlich lexikalische Mittel, was dem Typus entspricht: Adverbien auf -ment wie médiocrement, modérément, passablement etc. drücken zwar einen schwachen Intensitätsgrad aus, jedoch ist das Adverb bildende Element -ment nicht ausschlaggebend für diese Bedeutung, sondern der lexikalische Gehalt der zugrunde liegenden Adjektive, die über ihre Semantik bereits einen schwachen Intensitätsgrad in sich integriert haben (cf. minuscule etc.). Umgangssprachliche Äquivalente zu assez sind plutôt und pas mal, die in Konstruktionen wie il est plutôt bête, la voiture est pas mal esquintée dem Adverb très entsprechen können. 5.8.5.2 Paragrammatik Das paragrammatische Verfahren der Intensivierung kann als eine Innovation der romanischen Sprachen angesehen werden. Das aus dem Lateinischen entlehnte grammatische Morphem -ISSIM-US intensiviert Adjektive; dies gilt für die romanischen Sprachen mit Ausnahme des Rumänischen und nur bedingt für das Französische. -ISSIM-US besaß im Lateinischen die Funktion des Superlativs bzw. Elativs und wurde in die romanischen Sprachen zunächst als Superlativ entlehnt.619 Durch Umparagrammatikalisierung ging es von einem grammatischen Morphem zu einem wortbildenden Suffix mit intensivierender Funktion über. In frz. -issime (zum Teil auch aus dem Italienischen entlehnt, z.B. rarissime etc.620) wirkt die lateinische Funktion des Elativs noch nach, so bei Adjektiven, die Respekt implizieren (sérénissime, éminentissime etc.), oder solchen, die eine ironische oder scherzhafte Konnotation beinhalten (grandissime, richissime etc.): Paris continue sa marche en avant vers le Paris parissime, capitale superspirituelle (Jacques Perret, Bâtons dans les roues, 25; cf. G.R. 2011, s.v. -issime).621
|| 619 Spuren des aus dem Lateinischen überkommenen synthetischen Superlativs findet sich bereits im Altfranzösischen: E! Durendal, cum [= comme] es bele e seintisme! (Chanson de Roland, éd. G. Moignet, Paris, Bordas, 1969, 2344); Un grandisme nés plat (Aucassin et Nicolette, éd. critique, 2e éd. revue et corrigée. Chronologie, préface, bibliographie, traduction et notes par Jean Dufournet. Paris, Flammarion, 1984, XXIV). 620 Cf. in der Musik aus dem Italienischen: dolcissimo, fortissimo, pianissimo, prestissimo; daneben auch bravissimo! 621 Frz. mille → millésime ‘Jahreszahl’; ‘Jahrgang (eines Weines)’ ist lexikalisiert.
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Insgesamt listet der Grand Robert (2011) folgende Stichwörter: altissime, bellissime, carissime, célébrissime, directissime, doctissime, éminentissime, excellentissime, généralissime, grandissime, gravissime, ignorantissime, illustrissime, modernissime, rarissime, révérendissime, richissime, savantissime, sérénissime/La Sérénissime (Venedig); weitere (umgangssprachliche) Bildungen: génialissime, nobilissime, simplissime, vérissime622 etc. In der Werbesprache (Galeries Lafayette) wird vom Substantiv soldes eine nominale Intensivierung abgeleitet: Soldissimes jusqu’à –50% et livraison offerte, c’est parti!, was, da in der Norm des Französischen sonst nicht produktiv, den erzielten Effekt des Außergewöhnlichen zeitigt. Im Italienischen sind Bildungen wie occasionissima nicht ungewöhnlich. Zu den Verfahren, die je nach romanischer Einzelsprache eine individuelle Verbreitung und Verwendung aufweisen, gehört mit Bezug auf das Französische das präfixale Element archi- (z.B. archifaux ‘völlig falsch’), das in der Umgangssprache zur Quantifizierung von Adjektiven dient (cf. Weidenbusch 1993, 234–237; 2002, 228): archibête, archicomble, archicon, archinul, archiconnu etc. (die Beispiele sind Legion). Cf. aber auch folgende literarische Beispiele (Beispiele nach G.R. 2011, s.v. archi-): Quoi! cela est fait? — Eh oui! madame, fait et archifait! (Saint-Simon, Mémoires, viii, 52) Tout cela est archi-passé (Chateaubriand, Mémoires d'outre-tombe, III, ii). Ils seraient archifous (Émile Augier, Les Effrontés, III, 9). Il vit d'abord non loin de lui, le roi des rois, l'Agamemmon littéraire, l'archicélèbre (…) romancier, Gaston Chaudesaigues (Léon Bloy, Le Désespéré, 191). (…) ses vieilles illusions archidécrépites, crevassées, poussiéreuses, grelottantes (Léon Bloy, Le Désespéré, 75). Des mots pourtant de toi connus, ressassés, archifamiliers (Aragon, Blanche ou l’oubli, I, viii, 133). (…) une expérience archimillénaire semble prouver que l'huile et le miel sont deux choses également nécessaires (Jacques Perret, Bâtons dans les roues, 277). J'étais archisûr que vous étiez au courant… Je pensais que vous vous en fichiez (J. Romains, Les Hommes de bonne volonté, vol. 22, 77).
|| 622 «Valérius Maximianus Galérius, fils d’Hercule, fils adoptif de l’empereur, César, éternel et très-heureux; Parthique, triomphateur, amateur de la science, et vérissime philosophe; sénat très-vénérable et sacré, vous permettez donc que ma voix se fasse entendre!» (Chateaubriand, Les Martyrs, ou le triomphe de la religion chrétienne, Livre XVI).
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On rêverait même, tant pis, de dictature architotalitaire et superarbitraire (Jacques Perret, Bâtons dans les roues, 13). L'as-tu trouvée, ton Imprimeuse, ou la cherches-tu encore? — Trouvée!… archi-trouvée!… Demain, je te montrerai tous mes plans. (Alphonse Daudet, Fromont jeune et Risler aîné, 186)
Die gelehrten Elemente még(a)- (< griech. megas, megalê ‘grand’) und mégal(o)entstammen der wissenschaftlichen Terminologie, letzteres kommt namentlich im didaktischen Bereich zur Anwendung. Még(a)- dient zur Bezeichnung von Maßeinheiten in der Bedeutung ‘eine Million von’, z.B. mégavoltampère, im Schülerargot als tatsächlich intensivierendes Präfix: une mégachiée etc. (cf. auch gängiges Il est complètement mégalo(mane)). Bei Präfixen bzw. präpositionalen Elementen, die eine Situierung implizieren (cf. jüngere Bildungen des Typs extrafin, ultramoderne), ist die Intensivierung als Redebedeutungstyp der Situierung zu deuten (cf. lat. PERDURUS). Die Intensivierung als Redebedeutungstyp oder «Wortschatzbedeutungsgruppe» geht also auf eine Grundbedeutung, die eine situierende ist, zurück (cf. Weidenbusch 1993, 88–93). Die Produktivität der präfixalen Elemente mit kontextuell intensivierender Funktion ist in der Gemeinsprache recht hoch, namentlich jedoch in der Fachsprache der Werbung. Das Päfix super- verbindet sich mit Substantiven und Adjektiven (super forme, supersophistiqué, supergrand, superintelligent) (cf. Weidenbusch 1993, 219–222); ultra- besitzt in der Gemein- und Werbesprache annähernde Produktivität (cf. Weidenbusch 1993, 229–234) in Verbindung mit adjektivischen Basen (ultra-chaud, ultraléger, ultra-moderne etc.). Von geringerer Produktivität ist zum einen sur-, das Verben und Substantive intensiviert (cf. surdéterminer, suréquiper; in der Wirtschaft surexploiter, surintensité etc.), wohingegen die Modifizierung von Adjektiven mit sur- (surbaissé, surfin, suraigu) eher selten ist (cf. Weidenbusch 1993, 203–208); zum anderen hyper-, das bei Substantiven und Adjektiven vorkommt. Hyper- besitzt eine starke Beschränkung auf den medizinischen Fachbereich und ist häufig negativ im Sinne von ‘zu viel’ konnotiert (hypersécrétion, hypertendu, hypernerveux, hypersensible) (cf. Weidenbusch 1993, 213– 217). Das präfixale Element extra-, das nur bei Adjektiven auftritt, entwickelt vor allem in der Werbesprache eine intensivierende Bedeutung (extra-souple), wo es auch eine bestimmte Qualitätsstufe bezeichnet (extra-dry, extra-fin, extra-fort, extra-léger) (cf. Weidenbusch 1993, 151–152). Damit verbleibt archials einziges Präfix, dessen intensivierende Funktion sich nicht aus der Situierung ableitet, bei dem also die Intensivierung die Wortbildungsbedeutung und nicht lediglich eine Wortschatzbedeutungsgruppe bzw. eine Redebedeutung darstellt.
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Auch Zeitausdrücke können im Rahmen der Wortkategorie Substantiv intensiviert werden, cf. okz. dimenjada ‘Sonntag (in seinem Verlauf)’; it. giornata ‘Tag’; kat. diada ‘Tag’; sp. añada ‘Jahr (in Bezug auf Ernte, Witterung etc.)’; port. autonada ‘Herbst’; frz. journée ‘Tag (in seinem Verlauf)’ (cf. lexikalisierte année, matinée, nuitée, soirée, veillée). Abgesehen von der zeitlichen Dimension können bei Substantiven auch andere Inhaltsbereiche durch die Intensivierung erfasst werden, etwa solche, die Mengen bezeichnen (cf. kat. boirada ‘Nebelbank; dichter Nebel’, gentada ‘Volksmenge’). Das Suffix -ée per se konstituiert damit keinen eigenen temporalen Wert; dieser wird vielmehr durch die Basis impliziert. Das Suffix erweist sich aber insgesamt in seiner Funktion als uneinheitlich (zu une poignée ‘eine Handvoll’; une cuillerée ‘ein Löffel voll’ etc.; cf. Kap. 5.7 zur Kollektivbildung).623 Die genannten Verfahren zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie einen hohen Intensitätsgrad zum Ausdruck bringen, wie archi-, extra-, super-; einen übermäßig hohen Grad implizieren die präfixalen Elemente hyper- und ultra-. Wird die Dimension der Intensität als eine nach beiden Seiten offene Skala gefasst, lässt sich auch eine Art der Intensität unterscheiden, die einen schwachen oder mittleren Grad zum Ausdruck bringt. So kann das Präfix sous- – vornehmlich im wirtschaftlichen Bereich – im Rahmen einer antonymischen Relation zu sur- gefasst werden, cf. Oppositionspaare wie surexploiter/sous-exploiter, surconsommation/sous-consommation. Bildungen des Typs sous-consommation und analoge Bildungen, die nur als Prädikatnominalisierung belegt sind und bei denen also kein Verb (z.B. *sous-consommer) existiert, sind dennoch als deverbale Bildungen, die auf einer Modifizierung beruhen, zu betrachten (cf. Weidenbusch 1993, 209, 212). So handelt es sich bei sur- und sous- um Entwicklungen aus situierten Verben. Bei sous-estimer liegt die Redebedeutung ‘au-dessous de la norme’ vor, für sous-chauffer lässt sich die Redebedeutung als ‘insuffisance’ umreißen. Ähnliche Oppositionspaare wie zwischen sur- (mit gelehrter Variante super-) und sous- lassen sich für hyper- und die gelehrte Variante von sous- − hypo- − finden, so dass sich surbzw. super- und hyper- auf der einen, sous- und hypo- auf der anderen Seite gegenüberstehen.
|| 623 Bei homme → hommée ‘so viel, wie ein Mensch an einem Tag arbeiten kann’ verbindet sich die Quantität des zum implizierten Verbs gehörenden Objekts mit der Zeitdauer, die zur Eingrenzung und damit Bemessung dieser Quantität dient.
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Eine mittlere Intensität kann mittels des präfigierten Adverbs mi- (cf. sehr produktives démi- und gelehrtes semi-) unterschieden werden, dessen Funktion sich – ähnlich wie bei der Situierung mittels präpositionaler Elemente – aus der Einhaltung einer Grenze bzw. der Bedeutung ‘division par deux’ ableiten lässt und mit welchem der Redebedeutungstyp ‘(de) caractère incomplèt, imparfait’ einhergeht:
Folgende Beispiele (G.R. 2011, s.v. mi-, demi-, semi) veranschaulichen den Gebrauch von mi-(häufig bei Paaren): une cigarette MI-ÉTEINTE accrochée à la bouche (Roger Frison-Roche, Premier de cordée, 106); la neige MI-FONDUE (ibid., 294), un balcon aérien MI-SUSPENDU dans le vide (ibid., 182); un air MI-SÉRIEUX MIPLAISANT. Elle a dit cela MI-SÉRIEUSE MI-RIANTE; Mme Verdurin, semblant toujours avoir l'air d'admettre entièrement les motifs MI-ARTISTIQUES, MI-HUMANITAIRES, que M. de Charlus lui donnait de l'intérêt qu'il portait à Morel (un jeune violoniste) (Marcel Proust, Sodome et Gomorrhe, Bibliothèque de la Pléiade, vol. 2, 1043); il donnait sur la vie privée d'Henri, de Dubreuilh, d'Anne, de Nadine, un tas de détails MI-VRAIS MI-FAUX, choisis de façon à les rendre aussi odieux que ridicules (Simone de Beauvoir, Les Mandarins, 551); zu demi-: Pâte demi-feuilletée (1750, D. D. L.); Filasses demi-rouies (Jacques Lourd, Le Lin, 118). Namentlich im wissenschaftlich-technischen Bereich bildet das Element semi- Adjektive ähnlichen Typs, daneben existieren zahlreiche okkasionelle Bildungen: semi-aride, semiclandestin, semi-débutant (1926, D. D. L.), semi-développé, semi-féodal, semiindustrialisé, semi-légal, semi-mécanisé, semi-militaire (1868, D. D. L.), semimobile, semi-officiel, semi-osseux, semi-permanent, semi-politique (1934, L. Daudet, in D. D. L.), semi-privé, semi-rural. Der Ausdruck des Elativs kann über die (als Relation fassbare) grammatische Kategorie der Komparation624 als eine weitere Schnittstelle zwischen Grammatik und Lexikon gelten; er wird teilweise paradigmatisch, teilweise syntagmatisch kodiert. Die gemeinsame Funktion des paradigmatischen (Präfigierung) und syntagmatischen Ausdrucksverfahrens (adverbiale Determination) zur Modifizierung des Basiswortes im Rahmen der Intensivierung ist nur bei || 624 Siehe im Bereich der Grammatik (Kap. 3.7.3) die Ausbildung syntagmatischer Verfahren der Komparation: Paul est plus grand que Pierre; Paul est le plus grand.
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Adjektiven des nicht-relationellen Typs (also nicht bei den sog. Relationsadjektiven) möglich, wobei die Grundbedeutung des Basiswortes bewahrt wird.
5.8.6 Approximation Beruht die Intensivierung auf der Überschreitung einer Normgröße im Hinblick auf eine Eigenschaft, so impliziert die Approximation (cf. Lüdtke 1996a, 246; 2005, 356–358) eine Annäherung an eine bestimmte Eigenschaft. Dieser Inhaltstyp korreliert also mit der Adjektivbildung. 5.8.6.1 Grammatik Auf grammatischer Ebene kann die Approximation durch den Gebrauch des Plurals in Wendungen des Typs vers LES une heure, mesurer dans LES un mètre quatre-vingts etc. zum Ausdruck kommen (cf. Grevisse 1993, §493, b, Remarque). Der Pluralgebrauch beruht in den genannten Fällen auf der Analogie zu tatsächlichen Pluralbezeichnungen (vers les deux heures, dans les deux mètres) (cf. Grevisse 1993, §493, b, Rem.); analog mit Possessivpronomen anstatt mit definitem Artikel im Plural: Ils [= des regards] me venaient du haut de SES un mètre quatre-vingts (cf. Grevisse 1993, §493, b, Rem.). Der Fall mit pluralischem Possessivpronomen findet sich häufig bei der Angabe der Körpergröße, teilweise einer Mengenangabe im Sinne eines materiellen Gewinnes, auch wenn das Bezugswort im Singular steht: Il avait l’air d’un Français […] avec sa petite moustache, ses joues rouges, SES un mètre soixante et [sic] dix (Aragon) – Qu’est-ce que peut gagner de l’heure un ouvrier peintre, actuellement? – Je crois que Péclet a SES un franc vingt-cinq (Romains) (cf. Grevisse 1993, §436, c, Rem.). Bei den auf lexikalischer Ebene bestehenden Mittel zum Ausdruck der Approximation handelt es sich um Adverbien wie quasi (bzw. dessen umgangssprachliches Derivat quasiment): Le raisin est quasi mûr und presque «indiquant que la propriété exprimée par l’adjectif est proche de la limite à partir de laquelle elle caractérise valablement le nom» (cf. Riegel et al. 1994, 362): Mon verre est presque vide. 5.8.6.2 Paragrammatik Im Rahmen der paragrammatischen Techniken der Modifizierung von Adjektiven drückte das Lateinische die Funktion der Approximation mittels des Suffi-
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xes -ASTER aus (cf. Pejoration, supra 5.8.2), auf das Bildungen wie frz. douceâtre, rosâtre, roussâtre, tristâtre, it. biancastro625 etc. zurückzuführen sind.626 Konnotationsfreie, also nicht pejorative Approximationen finden sich im Bereich der Farbadjektive. Die romanischen Sprachen weisen hier eine große Vielfalt an Möglichkeiten auf (cf. dagegen einheitlich dt. -lich wie in bläulich, grünlich etc.; siehe hierzu Schmitt 1995): frz. blancbleuâtre (‘weißbläulich’), blanchâtre, bleuâtre, brunâtre, grisâtre, jaunâtre, noirâtre, rougeâtre, roussâtre (Haar), verdâtre etc.;627 it. bianchiccio ‘weißlich’, verdognolo ‘grünlich’; rum. albăstriu ‘bläulich’; kat. blavís ‘bläulich’, rogenc ‘rötlich’;628 sp. amarillejo ‘gelblich’, amarillento ‘fahlgelb’, azulado, azulenco ‘bläulich’,629 blanquecino ‘weißlich’, verdoso, verdusco ‘grünlich’, negruzco ‘schwärzlich’, rojizo ‘rötlich’; port. grisalho ‘gräulich’. Das Suffix -OSUS (CLAMOSUS ‘laut schreiend’) verband sich im Lateinischen in bestimmten Fällen auch mit verbalen Basen und beinhaltete eine Quantifizierung bzw. Intensivierung; in einigen romanischen Sprachen ist das Suffix in dieser Funktion erhalten, cf. frz. convoiteux ‘begehrlich’, peureux ‘ängstlich’ etc. (cf. Lüdtke 1996a, 257). Ein einheitliches Verfahren zum Ausdruck der Approximation hat sich in den romanischen Sprachen nicht herausgebildet; immerhin erscheint die Funktion der Approximation bei einigen Adjektiven als Redebedeutungstyp der Diminutivierung. Diese Adjektive sind aus der Umparagrammatikalisierung lateinischer Suffixe zum Ausdruck der Diminutivierung hervorgegangen, wobei die Approximation zum einen als Diskursbedeutung, zum anderen aber auch als Wortbildungsbedeutung auftreten kann: maladif ‘kränklich’, vieillot ‘ältlich’ etc. Frz. négroïde, ellipsoïde repräsentieren rezentere Bildungen mit Hilfe des griechischen lexikalischen Elements ειδος, das in verschiedenen Sprachen zur Bildung von Adjektiven und Substantiven dient (Internationalismen).
|| 625 Außerhalb der Italo- und Galloromania besitzt dieses Suffix pejorative Funktion. Der bei der Modifizierung von Farbadjektiven fehlende pejorative Wert stellt sich im Französischen dann ein, wenn als Basis kein Farbadjektiv zugrunde liegt. 626 Wie die Intensivierung kann auch die Approximation als Redebedeutungstyp der Situierung auftreten, und zwar beim Präfix sub- (cf. SUBDURUS ‘ziemlich hart’); allerdings gilt dies nur für das Lateinische, nicht für das Romanische. 627 Aber bleuté ‘légèrement bleu’. 628 Das Suffix ist hier aus dem Germanischen entlehnt. 629 Ebenfalls mit germanischem Suffix.
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5.8.7 Negierung Es existieren in den romanischen Sprachen bzw. im Französischen eindeutig paragrammatische Verfahren der Negierung630 (Präfixe); andererseits speziell im Französischen auch solche, die – im Bereich der Wort- und Satzglied- (im Unterschied zur Satz-) Negierung – jeweils nur für die aktuelle Synchronie und in Zusammenschau von Grammatik und Paragrammatik eine Zuordnung zu den jeweiligen Verfahren erlauben oder eine klare Abgrenzung eben nicht erlauben. Die Prädikatsnegierung erfolgt im Französischen in der Regel über eine Art «Zirkumfixkonstruktion» der Partikeln ne … pas. Neben ne und pas kommen (zum Ausdruck u.a. der relativen Negierung) auf syntaktischer Ebene andere Adverbien bzw. Partikeln und (adjektivische) Indefinitpronomina zum Einsatz: point, nullement, aucunement, mie; plus, jamais, guère, nulle part; aucun, nul, personne, rien (mais, goutte, mot)), z.B.631 je ne l’oublierai jamais, il ne va nulle part; sans aucun effort; sans voix (‘sprachlos’); sans mot dire (‘wortlos’). Hinzu kommen negierende Elemente wie die koordinierende Konjunktion ni … ni (ni aujourd’hui ni demain) sowie Präpositionen wie sans, excepté, sauf (Il perdit tout sauf l’honneur) etc.; diese können sich auch auf einen verblosen Satz beziehen (Plus de pain! – Pas le temps de faire mieux. Ni de dîner). In Subjektfunktion dienen aucun/personne/nul/rien ne… als Indefinitpronomen: nul n’est censé ignorer la loi; jamais personne n'en a rien su (G. Sand, La Petite Fadette, 195; cf. G.R. 2011 s.v. personne). Als Antwortpartikel dient im Französischen non, das auf die ontische Bedeutung eines Satzes verweist (cf. Kap. 2.1.3), wie über die beiden Sätze Hans hat das Buch gelesen und Hans hat das Buch nicht gelesen veranschaulicht werden kann: Die ontische Bedeutung beinhaltet den Existenzwert des mittels eines Satzes Erfassten. Die Negierung tritt hier also in Kombination mit ontischen Determinierungen des Satzes als affirmativ, interrogativ, imperativ, optativ auf. Wird ein einzelnes Element negiert, kommt in der Regel non zum Tragen: Il est de nationalité non-française. Die Negierung eines Adjektivs durch pas (une mésaventure pas drôle) gehört vielfach der Umgangssprache an (Riegel et al. 1994, 416).
|| 630 In der Sprachwissenschaft wird für die Inhalte des Verneinens in der Regel grundsätzlich (und unterschiedslos für Grammatik und Paragrammatik) der Terminus Negation verwendet; eine Unterscheidung zwischen Negierung und Negation scheint einer Diskussion zu entbehren. 631 Zur diachronischen Entwicklung mit Bezug auf das Französische, in der pas (< lat. PASSUM) (wie auch afrz. mie < lat. MICA ‘Krümel’, afrz. point < lat. PUNCTUM mit syntaktischen und stilistischen Unterschieden im Gebrauch von pas und point) ursprünglich als intensivierendes, d.h. negationsverstärkendes Element zu ne hinzutrat, cf. Price (1988, 275–281).
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Der Ausdruck der syntaktischen Negierung im Französischen variiert in Abhängigkeit einerseits vom Sprachniveau, andererseits vom medialen Aspekt (geschriebene oder gesprochene Sprache). Bei der Negierung des Prädikats fehlt umgangssprachlich häufig ne, wie in Il écoute pas, in einem gepflegteren Sprachstil bzw. in Verbindung mit bestimmten Verben, die einen aspektiven oder modalen Wert beinhalten (+ Infinitiv), wird pas (als historisches Relikt) ausgespart: je ne saurais dire. Zu diesen Verben gehören neben savoir ferner cesser, oser, pouvoir. Auch nach hypothetischem si steht zuweilen kein pas: Si je ne me trompe (cf. auch N’était la neige, on se serait cru au printemps); auch nicht in verschiedenen anderen Konstruktionen wie z.B. Qui n’en conviendrait? – Que [= pourquoi] ne le disiez-vous plus tôt? – Il n’y a personne qui ne sache cela. – Voilà/Il y a trois mois que je ne l’ai vu. – Il n’empêche… Je n’ai cure… N’importe… (cf. Riegel et al. 1994, 419). Wird die Partikel ne in der gesprochenen Sprache vielfach ausgelassen (Je veux pas), erfährt sie gerade einen besonderen Gebrauch (ne explétif) in einem gehobeneren Sprachstil (Je crains qu’elle ne parte). Ferner deckt sich der Skopus der Negierung auf syntaktischer Ebene nicht notwendigerweise mit ihrer semantischen Tragweite, da die Stellung der Negationselemente nicht automatisch Aufschluss darüber gibt, welches Element negiert werden soll. Die Negierung operiert mit drei Dimensionen: einer lexikalischen632 einer paragrammatischen (croyant/incroyant) und einer ggf. grammatischen (un homme sans foi; les sans-Dieu mit Konversion; il n’est pas croyant;633 il est non croyant; les non-croyants mit Konversion). Innerhalb ersterer ist die lexikalischsemantische Relation der Antonymie interessant: Sie stellt Begriffe mit entgegen gesetzter Bedeutung einander gegenüber (haut/bas). Damit bewegt sie sich im Rahmen der konträren Oppositionsrelationen. Sie stellt einen Fall dar, der über die eigentliche Negierung hinausgeht: Semantische Gegensatzpaare wie petit/grand, beau/laid, die lexikalische Einheiten ohne morphologische Verbindung zusammenstellen, beinhalten nämlich keine Negierung im eigentlichen Sinne, sondern implizieren vielmehr einen reinen Bedeutungsgegensatz, der Zwischengrade zulässt. Die Antonymie verhält sich damit ähnlich wie der (nachstehend beschriebene) konträre Typ im Bereich der paragrammatischen || 632 Umschreibungen eines negierten Inhalts wie (diaphasisch markiertes) Qu'est-ce que ça peut bien te foutre! (‘das geht dich einen Dreck = (überhaupt) gar nichts an’) bleiben unberücksichtigt. 633 Syntax, also grammatische Negation, und Wortbildungsparaphrase können hier in den romanischen Sprachen zusammenfallen; cf. it. infelice ‘non felice’, das seinerseits Wortbildungsstatus zugeschrieben werden kann (im Französischen und Portugiesischen zeigt die Orthografie mit Bindestrich die Idiomatisierung an).
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Verfahren: heureux – malheureux (cf. Lüdtke 2002b; cf. Lüdtke 2005, 358–363). Hierbei liegt ein universelles Phänomen vor, das die Sprache im Allgemeinen (cf. Coseriu 31994, 63; 1988, 250ss.) tangiert. Innerhalb der paragrammatischen Verfahren erfolgte die Negierung im Lateinischen (cf. Lüdtke 1996a, 246–247; Lüdtke 2005, 358–363) über das Präfix INmit entsprechenden Varianten (IN- + r-/l-/m- → IR-R-, IL-L-, IM-M- mit Erhalt in den romanischen Sprachen: irrégulier, illégal, immortel) je nach Wortkategorie, cf.: INCOMMODUS ‘unbequem’ (Adjektiv), INOPINATUS ‘unvermutet’ (Partizip), auch bei INDECERE ‘übel anstehen’ (Verb); NE- (NESCIRE ‘nicht wissen’) wurde nur selten gebraucht und besitzt keine Fortsetzer. Das präpositionale Element DIS- (‘auseinander’) kann eine zum Grundwort entgegengesetzte Bedeutung vermitteln und insofern eine Negierung implizieren (DISSIMILIS ‘unähnlich’, DISIUNGERE ‘trennen’). Die Negierung mittels IN- wird im Romanischen nicht fortgeführt, DISdagegen entwickelt sich in den romanischen Sprachen allgemein zu einem negierenden Präfix; dabei ist eine «Integration als antonymische Relation […] regelmäßig möglich» (Lüdtke 1996a, 247), cf. frz. désagréable ‘unangenehm’ (kat./sp. desagradable; port. desagradável), déshonneur ‘Unehre’ (kat. deshonor; sp. deshonra, port. desonra) (selteneres Vorkommen in Verbindung mit Substantiven), déloyal ‘unredlich’ (dé- suppliert dés- vor Konsonant), déconseiller ‘abraten’ (sp. desaconsejar; port. desaconselhar).634 Im Französischen und Italienischen hat MINUS- oder fränkisch (bzw. germanisch) missi- eine negierende Funktion angenommen (frz. mécontenter ‘unzufrieden machen’, méconnaître ‘verkennen’, mésestime (‘non-estime’); it. miscredente ‘ungläubig’). Das heute in den romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) zum Tragen kommende negierende Präfix in- ist eine Entlehnung aus dem Lateinischen: frz. inutile ‘unnütz’, inutilité ‘Nutzlosigkeit’ (it. inutile, inutilità; kat./sp./port. inútil, kat. inutilitat; sp. inutilidad, port. inutilidade). Eine Entlehnung aus dem Griechischen (über das Lateinische) stellt a(n)- dar, cf. Frz. anormale, analphabète etc. (It. anormale; Rum. anorganic; Kat. anorgànic; Sp. analfabético; Port. anormal). Komposita, die die Bedeutung einer Negierung angenommen haben, gehen auf lat. MALE, BENE zurück: frz. mal → maladroit (‘ungeschickt’), malhonnête (‘ne pas honnête’), It., Sp. malsano (also *insano/*dissano) ‘ungesund’, Frz. malsain, malséant ‘unschicklich’, Sp. malsonante ‘unanständig’. Bei der paragrammatischen Negierung bestehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten einer Gegensatzrelation: (a) der kontradiktorische Gegensatz und (b) die konträre Gegensatzrelation (cf. Lüdtke 2002b). So beinhaltet etwa die Bil-
|| 634 Im Italienischen entwickelte sich DIS- zu einem negativen Präfix s- (sgradevole ‘unangenehm’), das mit latinisierendem dis- alternieren kann (disgradevole, disconoscere ‘verkennen’).
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dung von illégitime eine kontradiktorische Negierung von légitime, da die Verneinung von légitime eine Frage des Entweder-Oder darstellt und keine Zwischenlösung erlaubt, also illégitime = pas légitime bzw. pas illégitime = légitime. Es handelt sich bei diesem Typ der Negierung um eine übereinzelsprachlich gültige Beziehung. Der zweite Typ räumt dagegen Zwischenstufen ein: So kann ein malheureux ein pas heureux in unterschiedlichem Maße implizieren, situiert sich also auf einer Skala zwischen pas heureux und heureux unter Einschluss der Option pas heureux, aber unter Ausschluss von heureux (das Dritte, also eine Zwischenstufe zwischen heureux und malheureux ist dagegen nicht ausgeschlossen). Auch hier kann über die syntaktische Negierung der paragrammatischen Negierung der konträre Charakter der Bedeutung herausgestellt werden: Je ne suis pas malheureux ≠ Je suis heureux. Lexikalische Einheiten können über die einfache Hinzufügung eines Negationselementes wie pas, non, point (zur Differenzierung cf. Grevisse 2011, §1027) verneint werden: une voiture chère/pas chère/pas belle/point laide,635 un article structuré/pas structuré; le conformisme/le non-conformisme. Die Elemente NEC wie in NECOPINATUS ‘unvermutet’ sowie NON wie in NONAMICUS entstammen der syntaktischen Negierung. Im Französischen treten Negierungen des Typs nonsavoir ‘Nichtwissen’, nonfoi ‘Unglaube’ bereits seit dem 12./13. Jahrhundert auf. Bildungen, die das Element non, no, não enthalten, wie in frz. nonphilosophique, non-participation ‘Nichtbeteiligung’, non-intervention ‘Nichteinmischung’; it. non intervento; rum. non-violenţă ‘Gewaltlosigkeit’; kat. noviolència; sp. no intervención; port. não-combatante etc. werden in der Literatur häufig als Präfigierungen behandelt.636 Auf Grund des fehlenden Unterschieds zur grammatischen Negierung ist hier allerdings kein Wortbildungsverfahren anzusetzen.637 Weitere Beispiele aus dem Französischen sind: non-gréviste || 635 «Non reste prédominant dans un exposé intellectuel, scientifique, philosophique, juridique, etc., et pas est quasi exclu avec des adjectifs propres à ces domaines. […] Non paraît fort rare, même par écrit, devant des adjectifs monosyllabiques comme beau, bon, cher, gros, jeune, vieux, etc. […] Pas est très fréquent, même dans l’écrit, avec les adjectifs épithètes postposés, alors qu’ils sont généralement antéposés ; il est fréquent aussi avec beaucoup d’autres adjectifs, notamment avec ceux qui appartiennent eux-mêmes au registre familier. […] La préférence pour pas (ou point) est nette aussi lorsque la négation porte sur un adjectif coordonné, explicitement ou implicitement, notamment quand la construction avec non ferait penser davantage à une opposition entre les termes» (Grevisse 2011, §1027, a), 2°–5°). 636 Der Präfigierung ordnen auch Riegel et al. (1994, 411) den «prädeterminierenden» Gebrauch der Adverbien non und pas zu, allerdings nicht ohne die Affinität zur grammatischen Negierung zu betonen. 637 Für den syntaktischen Status von non spricht sein Vorkommen als pas intensivierendes Element zur Hervorhebung eine Gegensatzes: Je suis obligé de prendre les mots dans le sens
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(‘Nichtstreikender’), non coupable (‘nicht schuldig’), (pacte de) non-agression (‘Nichtangriffspakt’), non-assistance (‘unterlassene Hilfeleistung’), non-figuratif (‘nicht bildlich’), non-fumeur (‘Nichtraucher’), (député) non-inscrit (‘fraktionsloser Abgeordneter’), (traité de) non-prolifération (‘Atom(waffen-)sperrvertrag’), non-sens (‘Unsinn’), en non-stop (‘unablässig’, Adverb), non-violence (‘Gewaltlosigkeit’); dagegen lexikalisiert und undurchsichtig: nonchalent (‘lässig; unbekümmert’), nonchalence, non-lieu (‘Einstellung des (Straf)Verfahrens’), nonobstant (‘ungeachtet, trotz’, Präposition) etc.
5.8.8 Modifizierung – typologische Interpretation Der gesamte Funktionsbereich, der über die verschiedenen Verfahrenstypen der Modifizierung erfasst wird (Femininbildung, Kollektivierung, Quantifizierung und Qualifizierung mit Diminutivierung, Augmentivierung, Pejoration, Intensivierung, Negierung, Aspekt und Situierung), lässt sich typologisch relativ einheitlich einordnen. Modifizierung wird dabei verstanden als derjenige «Bereich der Wortbildung, der durch eine inaktuelle paragrammatische Bestimmung zustande kommt» (Lüdtke 2005, 447). «Inaktuell» meint, dass die Paragrammatikalisierung keine spezifische Funktion im Satz enthält; die paragrammatische Funktion bezieht sich auf den lexikalischen Inhalt der Basis als solcher und tangiert also nicht deren kategorielle Bedeutung oder Funktion als Satzglied. Die Besonderheit der Modifizierung liegt darin, dass die implizite paragrammatische Bestimmung («nicht aktuell») mit einer expliziten grammatischen Determination wie der des Numerus oder Genus in Beziehung gesetzt werden kann: Auch hier haben wir es nicht mit Funktionen «im Satz» zu tun, sondern mit Funktionen der «Wörter» per se. Daher lassen sich die universellen Inhalte «Geschlecht», «Vielheit» oder «Kollektivität» entweder als (explizite) grammatische «inaktuelle» Funktionen (une femme; les gens, beaucoup de lettres; l’ensemble des barons) oder als (implizite) paragrammatische «inaktuelle» Funktionen zum Ausdruck bringen (it. figlia, frz. feuillage; femme poète/poète
|| qu'ils ont aujourd'hui, et non pas toujours dans celui qu'ils pourraient ou devraient avoir. (Paul Claudel, Cahier IV, août 1919, in Journal, Bibliothèque de la Pléiade, vol. 1, 451; cf. G.R. 2011, s.v. abîmer). Der Gebrauch von non pas, um zu betonen, dass etwas geleugnet wird, bzw. zur Abschwächung des harschen Charakters einer abwehrenden (prädikatlosen) Antwort wie in Aije tout dit? Non pas! (G. Duhamel, Les Plaisirs et les Jeux, 121; cf. G.R. 2011, s.v. non) gilt als obsolet.
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femme). Dieser Umstand bildet eine Schnittstelle für die grammatischparagrammatisch-typologische Interpretation (cf. Kap. 1.3). Für die Femininbildung sind die aus dem Lateinischen überkommenen Verfahren (Motion, Suffigierung) verantwortlich. Dabei ist die wortartinterne (flexivische) Konversion bzw. der Wechsel der grammatischen Morpheme wie bei sp. hijo – hija für das Französische nicht tragfähig (cf. fils – fille); die an deren Stelle tretende rein prädeterminierende Artikulierung, also Markierung über grammatische Morpheme (le/la poète) reicht jedoch nicht hin, um den Funktionsbereich abzudecken. Dies hängt damit zusammen, dass für das Französische (Frankreich) starke normative Restriktionen bestehen (nicht akzeptiertes la ministre; le ministre für eine Frau dagegen sogar als Ehrbezeugung). Daher ist die Suffigierung samt Markierung über ein feminines Genusmorphem von Bedeutung: ouvrier – ouvrière; le poète – la poétesse bzw. femme poète, da letzteres beispielsweise mittlerweile ironische Konnotationen angenommen hat. Das Französische entfaltet hier ein Verfahren, das mit lexikalischen, aber durch die Idiomatisierung auf die instrumentale Bedeutung [+ FEMININ] (selten [+ MASKULIN]) eingeschränkten Morphemen operiert. Die syntaktische Struktur femme X entspricht dem Typus der Sprache, da durch ein solches isoliertes Morphem die syntagmatischen Strukturen in Opposition zur paradigmatischen Flexion bzw. Suffigierung (Prinzip der Analyse vs. Synthese) ausgebaut wird. Aber auch der Gebrauch von Determinanten (cf. Pluralbildung) allein ohne in der chaîne parlée akustisch wahrnehmbare Endung bzw. Suffigierung entspricht dem typologischen Prinzip. Analoges gilt für Tierbezeichnungen, wo die lexikalischen Elemente mâle bzw. femelle zum Ausdruck des Sexus dienen. Die Kollektivbildung des Französischen bringt ebenfalls das typologische Prinzip zur Entfaltung, wenngleich das Suffix -age (< lat. -ATICUM) den Typuswandel nicht reflektiert. Trotzdem kann auf syntagmatische Gruppen («komplexe Determinanten») wie beaucoup de, ensemble de sowie im Besonderen auf die Struktur coup de verwiesen werden. Der Bereich der Diminutivierung und Augmentivierung ist zum einen dadurch geprägt, dass die lateinischen Suffixe ihre Produktivität verloren haben, wobei die Entparagrammatikalisierung bzw. Lexikalisierung (erhalten sind die ehemals lateinischen Suffixe fast nur zur Lexemdifferenzierung) bei der Augmentivierung noch weiter vorangeschritten ist als bei der Diminutivbildung (cf. plâtras ‘Gipsschutt’). Das Französische erhält dadurch eine Ausnahmerolle unter den romanischen Sprachen. Zum anderen wurden die lateinischen Diminutivverfahren (bei den Substantiven) weitestgehend ersetzt durch die syntagmatischen Strukturen petit (bzw. grand) + N, wobei petit auch die hypokoristischen Bedeutungstypen mit entfaltet.
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Die Intensivierung erscheint als Verfahren wenig einheitlich und zeigt Verquickungen mit der Situierung (die Intensivierung tritt als Diskursbedeutungstyp bei situierenden Präfixen auf) und Kollektivierung (cf. sp. añada ‘Erntejahr’). Das Französische bedient sich hier typusgerecht der grammatischen Morpheme, d.h. isolierter Marker, vornehmlich (abgesehen vom Pluralgebrauch und dann ebenfalls v.a. über die Determinanten wie les) der Adverbien (je nach diaphasischer Varietät) très, fort, assez etc. Interessant ist, dass innerhalb der grammatischen Mittel die in sich wieder abgeleiteten Adverbien rein lexikalisch funktionieren, da die Bedeutung der Intensivierung sich allein über den lexikalischen Gehalt des zugrunde liegenden Adjektivs (z.B. total → totalement) ergibt. Auch die Reduplikation verstärkt, wenngleich als nicht-paragrammatisches Verfahren die Syntagmatik. Die Approximation als Intensivierung einer Eigenschaft verwendet analoge Verfahren: isolierte Adjektiv modifizierende Adverbien wie quasi; presque etc.; auch die bloße Pluralbildung hilft in diesem Falle, die syntagmatische Achse zu entwickeln. Eine Besonderheit stellt die Intensivierung über die Mittel der Präfigierung dar, die im Gegensatz zu den unproduktiv gewordenen Suffixen der Diminutiv- und Augmentativbildung sehr lebendig sind. Hier kommt die dem Typus der heutigen französischen Gemeinsprache eignende Konversion zum Tragen (cf. Lüdtke 2005, 314). Die Negierung bleibt innerhalb dieser typologisch einheitlichen Linie, indem die Muster bzw. Morpheme der syntaktischen Negation verwendet werden, um einzelne Wörter zu negieren, so durch die Partikeln pas, non und point. Für die Kategorie Aspekt gilt, dass die paragrammatischen Verfahren durch hauptsächlich grammatikalisierte Verbalperiphrasen ersetzt wurden, die in Kap. 7.3 besprochen werden und sich als besondere Manifestationen des aktuellen Sprachtypus herausstellen. Der Aspekt (Iteration mit Semelfaktivität bzw. Frequentativität) kommt zwar regelmäßig bei der Verbbildung vor (cf. Lüdtke 2005, 364); allerdings sind die Aspektbedeutungen, wie sie bei der Situierung und Transposition präpositionaler Fügungen als den wirksamen Verfahrenstypen in Erscheinung treten, als Nebenwirkung der Diskursbedeutungstypen der Situierung zu deuten. Die Situierung bringt zum einen Präpositionen und Adverbien in paradigmatischer Form über die morphologische Präfigierung zur Geltung gemäß den aus dem Lateinischen tradierten Verfahrenstypen. Daneben verwendet das Französische die der Syntax entstammenden Konstruktionen mit den entweder erbwörtlich entwickelten oder einheimischen Präpositionen. Der Versuch, die Bedeutung der bei der Situierung angewandten Verfahren bzw. präpositionen Elemente über die Bedeutungsparaphrase zu umreißen zeigte, dass die Wortbildungsparaphrase vielfach als primärsprachliches Äquivalent und damit Ersatz
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für die Wortbildung herangezogen werden kann. Die Situierung stellt aber neben der Modifizierung auch die Transposition als wichtiges Verfahren heraus: So entwickeln verschiedene Präfixe die Basis und leiten sie in eine andere Wortkategorie über. Hiermit ist eine Funktion «im Satz» berührt und wird also der Bereich der Modifizierung verlassen. Rein morphologisch betrachtet entspricht dem französischen Typus die Entwicklung bzw. suffixlose Konversion unter den paragrammatischen Verfahren am vollständigsten. Die Konversion bzw. Transposition (mit Suffix) ist an vielen Wortbildungsverfahren beteiligt; dadurch erweist sich das Wirken des französischen typologischen Prinzips auch innerhalb des paragrammatischen Systems dieser romanischen Sprache.
6 Numerus Im Gegensatz zum grammatischen Genus beim Nomen (bzw. dessen veränderlichen Modifikatoren), das als «genre lexical» aufgefasst werden kann, existiert eine entsprechende Kategorie, also ein «nombre lexical», nur in Fällen wie ciseaux, funérailles etc., wo der Numerus1 an das Lexem gebunden erscheint, bzw. bei «unregelmäßiger» Pluralbildung. Je nach Bezeichnungsnotwendigkeit kann der Numerus nämlich in der Regel variabel als Einzahl oder Mehrzahl realisiert werden,2 wohingegen das Genus eine dem Nomen inhärente Kategorie darstellt (und auch beim natürlichen Geschlecht nicht variabel ist).3 Im Unterschied zur Kategorie Genus akkordieren im Französischen sämtliche veränderlichen Verbalkategorien (i. d. R. nicht Präpositionen, Konjunktionen, Adverbien außer tout) auch mit Bezug auf den Numerus. Allerdings ist hier je nach Wortkategorie auf Signifikantebene eine materiell zuweilen nur minimale und instabile Ausdrucksform gegeben. Dies trifft besonders auf die Substantive und Adjektive des Französischen zu: Hier erfolgt die Numeruskennzeichnung im Regelfall graphisch mittels eines -s (abgesehen von Stammalternationen, d.h. Introflexion wie in travail – travaux, cheval – chevaux etc.).4
|| 1 Der Plural als grammatische Kategorie muss nicht mit dem Plural als logischem oder mathematischem Begriff zusammenfallen (cf. Grevisse 1993, §492, N.B.): Plus d’un se RAPPELA. Moins de deux mois ONT suffi (cf. ibid., 669, §431, c). – Vingt pour cent de la population SONT DEÇUS. Les deux tiers du pays SONT OCCUPES (cf. ibid., 650ss. und 652–653, §422, c, 4° und 5°). – Une journée et demie S’EST PASSEE. Mesurer 1,80 METRE (cf. ibid., 677–678, §436, c). 2 Hinsichtlich der Verweisfunktion siehe Lupinko (1990, 193, N.B.): «Pour ce qui est du nombre, il peut, en tant qu’il est variable, se voir affecté à une fonction référentielle particulière. Celle-ci mériterait cependant d’être étudiée de près: elle ne se réduit pas à l’opposition unique/multiple». Zur Pluralität der Personen beim Verb cf. Benveniste ([1946]/1966). 3 Die Orientierung des Numerus an einer bestimmten, in der außersprachlichen Realität gegebenen Situation führt zuweilen zu einer Auffassung, wonach der Numerus weniger als grammatische, sondern vielmehr als semantische Kategorie, die einer spezifischen Bezeichnungsfunktion Rechnung trägt, eingeordnet wird. 4 Auch im français populaire ist die introflexivische Pluralbildung gut ins System integriert und wird in der Regel eingehalten. Immerhin existiert eine große Gruppe an Substantiven und Adjektiven, die den Plural über eine Stammalternation bilden. Es handelt sich hier also um die Aufrechterhaltung einer Abweichung vom allgemeineren Fall, der die Pluralbildung auf -s vorsieht; homogenisierte Bildungen (des animals statt des animaux) sind nicht allzu frequent, wenngleich Schwankungen vorkommen (banals oder banaux). Die Tendenz im lexikalischen Bereich ist im français populaire oder argotique dennoch immer wieder an der regelmäßigen Bildung orientiert (un guindal, des guindals) (cf. Gadet 1992, 57). https://doi.org/10.1515/9783110693966-006
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Im code oral ist dieser Marker nicht distinktiv, außer im Falle der Liaison. Die Gestaltung der Numerusopposition operiert bei den variablen attributiven Adjektiven mit analogen materiellen Mitteln. Die Markierung der Numerusopposition fällt somit, vornehmlich im code oral, vielfach den Determinanten zu. Entsprechend erfährt diese grammatische Kategorie eine formal augenfälligere Markierung bei den Determinanten, aber auch den Pronomina sowie den Verben (cf. Benveniste [1946/1966]).5
6.1 Formale Markierung des Numerus Die Numerusopposition spiegelt sich innerhalb der Nominalgruppe im Gebrauch der Determinanten und der von der Nominalgruppe abhängigen Adjektive, die im Numerus akkordiert werden. Dabei werden die vokalisch anlautenden Substantive im phonischen Code mit dem vorausgehenden Determinanten oder ggf. Adjektiv über die Liaison mittels [z] verbunden:6 les amis [lezami]; les vieux amis [levjøzami]. Dieselbe lautliche Verbindung wird hergestellt mit dem auslautenden pluralischen -s und einem nachfolgenden, vokalisch anlautenden Adjektiv: les produits agricoles [lepʀɔdɥizagʀikɔl]. Die Pluralbildung beim Substantiv folgt bestimmten allgemeinen Regeln: Im skripturalen Code wird ein finales -s angefügt, außer wenn das Nomen selbst
|| 5 Auf der Grundlage der für die Markierung jeweils zentralen Mittel lässt sich für das Französische eine gewissermaßen komplementäre Distribution zwischen Genus und Numerus feststellen, wobei bei den Determinanten der Numerus über das Genus dominiert (cf. des, les, mes/tes/ses die für das Femininum nicht separat markiert sind), beim Adjektiv das Genus als dominant hervortritt (de(s) petites querelles – de(s) petits malheurs ohne (abgesehen von [də/de]) hörbares Pluralkennzeichen im code oral), beim Verb der Numerus (die Verbalendungen sind für Maskulinum und Femininum identisch; im populären Französisch kann eine Neutralisation der klitischen Personalpronomina zugunsten der maskulinen Formen eintreten) und bei den Pronomina das Genus im Verhältnis zum Numerus überwiegt (cf. die feminine Pluralform elles mit stummem -s im oralen Code außer bei Liaison). Zur Funktionsverteilung auf syntaktischer Ebene cf. Lupinko (1990, 193, N.B.): «Si le genre sert à la cohésion syntaxique du groupe nominal, le nombre participe quant à lui, avec accord sujet-verbe, à assurer la cohésion syntaxique du noyau phrastique». 6 Das im code oral nicht hörbare Pluralkennzeichen -s wird in der Bindung hörbar. Die Liaison zwischen klitischen Pronomina und nachfolgendem Verb wird obligatorisch ausgeführt (Ils écoutent [ilzekut]), dagegen ist die Bindung zwischen syntaktisch in eine Nominalgruppe eingebettetem Substantiv und folgendem Verb eher unüblich: Les enfants écoutent [lezãfãekut] (cf. Lupinko 1990, 191, N.B.). Im français populaire ist die Liaison ebenfalls obligatorisch im Falle des Artikels, hingegen fakultativ und selten bis unüblich beim Adjektiv: les enfants [lezɑ̃ fɑ̃ ] – les petits enfants [lep(ə)tiɑ̃ fɑ̃ ] (cf. Gadet 1992, 57).
Agglutination, (Intro)flexion, Suppletion beim Numerus | 505
auf -s, -x oder -z endet. Der so markierte Plural ist rein graphischer Natur (außer bei Liaison mit dem folgenden Wort): mur – murs, gant – gants, pie – pies, apôtre – apôtres, aber un/des permis, un/des prix, un/des nez. Findet keine Liaison statt und wird die Pluralmarkierung weder am Determinanten noch am Epitheton hörbar, bleibt der Status dieser Nomina bezüglich der Kategorie Numerus in der gesprochenen Sprache ambig: Je n’ai pas écrit de lettre/lettres. Dies gilt in bestimmten Fällen auch auf schriftlicher Ebene: Je n’ai pas reçu de colis. An Stelle eines -s kommt bei verschiedenen Endungen ein -x als Pluralmarkierung zum Tragen: -au (tuyaux), -eau (manteaux), -eu (cheveux); hiervon sind Fälle wie des landaus, des pneus ausgenommen. Eine bestimmte Anzahl an Wörtern auf ou bildet den Plural ebenfalls auf -x (bijoux, cailloux, choux, genoux, hiboux, joujoux, poux und mittlerweile auch ripoux ‘korrupter (Polizei)Beamte’). bei der großen Gruppe der introflektierenden Formen auf -al, -ail enden die entsprechenden Pluralformen auf [o]).7
6.2 Agglutination, (Intro)flexion, Suppletion beim Numerus Aus der Sicht der allgemeinen Typen bzw. Typuskonstrukte (cf. Kap. 3.4) handelt es sich in den (in 6.1) genannten Fällen um Ausdrucksmittel, die dem agglutinierenden Verfahren entstammen; daneben kann die Pluralmarkierung auch über das (intro)flexivische morphologische Verfahren erfolgen. So bilden die Nomina auf -al den zugehörigen Plural auf -aux: chevaux, journaux etc. mit Ausnahme derjenigen Gruppe an Nomina, deren Pluralform dem vorherrschenden Muster auf -s folgt (z.B. bals, carnavals, cérémonials etc.) oder sowohl die flexivische als auch die agglutinierende Variante kennt (wie z.B. idéals, idéaux). Die Nomina auf -ail bilden den Plural zwar «regelmäßig» auf -ails (détails, rails etc.); eine Reihe von auf -ail endenden Wörtern entspricht aber dem Muster wie bei -al/-aux: bail – baux, corail – coraux, émail – émaux, soupirail – soupiraux, travail – travaux, vantail – vantaux, vitrail – vitraux etc. Die monosyllabischen Wörter œuf, bœuf und os verfügen über einen «regelmäßigen» Plural im skripturalen Code (œufs, bœufs, os), wohingegen sich
|| 7 Dass die Alternanz zwischen -al und -aux im français populaire vital ist, zeigt sich an spielerischen Neubildungen des Typs une photal (des photos [o]), une motal (des motos [o]), le métral (les métros [o]), in denen durch einen Prozess der Reanalyse, der ein phonetisch als [o] realisiertes Suffix -aux im Plural supponiert, die entsprechenden Singularformen rekonstruiert werden. Trotzdem bleiben solche Bildungen auf den Sprachgebrauch des Schulargots beschränkt und stellen weniger ein Charakteristikum des français populaire insgesamt dar (cf. Gadet 1992, 58).
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die Pluralform auf phonischer Ebene dadurch auszeichnet, dass der Endkonsonant stumm bleibt und eine Schließung des Vokals eintritt: Sg. [œf], Pl. [ø]; Sg. [bœf], Pl. [bø]; Sg. [ɔs], Pl. [o].8 Drei Substantive des Französischen gestalten den Plural auf dergestalt idiosynkratische Weise, dass hier von (einer Vorstufe der) Suppletion gesprochen werden kann, da Singular und zugehöriger Plural als separate Formen gelernt werden müssen: œil [œj] − yeux [jø]; allerdings gilt die regelmäßige Form für zusammengesetzte Wörter: œils-de-bœuf; ciel [sjɛl] − cieux [sjø], aber wiederum ciels etwa in der Kombination ciels de lit; aïeul [ajœl] − aïeux [ajø] und aïeul(e)s (jeweils in der Bedeutung ‘les ancêtres’ und ‘les grands-parents’). Die zusammengesetzten Formen, die in einem Wort geschrieben werden (des gendarmes < gent d’armes), bilden den Plural genauso wie die einfachen Formen (außer die Paare monsieur – messieurs, madame – mesdames, bonhomme – bonshommes, gentilhomme – gentilshommes,9 in denen der vorausgehende agglutinierte Determinant bzw. das Adjektiv Numeruskongruenz aufweisen). Bei den graphisch nicht zu einer Einheit verschmolzenen Formen können einzig das Nomen und das Adjektiv ein Pluralkennzeichen tragen (z.B. rougesgorges, mots-clés), wohingegen alle anderen Wortkategorien invariabel bleiben: des arrière-boutiques, des contre-offensives, des laissez-passer, des passepartout, des va-et-vient, des qu’en-dira-t’on. Zu berücksichtigen gilt es ferner die wortinterne Struktur solcher Verbindungen, wonach sich die angegebenen Muster spezifizieren lassen: Im Falle der syntaktischen Verbindung von Adjektiv und Nomen tragen beide die Pluralmarkierung: des coffres-forts, des basses-cours etc. (aber des nouveau-nés auf Grund der adverbialen Funktion von nouveau); bei einer solchen mit zwei Nomina, zwischen denen eine Relation der Gleichwertigkeit besteht, erhalten ebenfalls beide Glieder eine Pluralmarkierung: des portesfenêtres. Fungiert das zweite Nomen, das durch eine Präposition eingeleitet sein kann, aber nicht muss, als Komplement, bleibt es unverändert: des timbresposte, des pauses-café, des arcs-en-ciel (cf. Noailly 1990). Innerhalb der Bildungen bestehend aus V+N bleibt das verbale Element invariabel; das Nomen erscheint im Singular oder Plural je nachdem, ob es als singularische oder plurali-
|| 8 Im français populaire werden die entsprechenden Formen dahingehend regularisiert, dass der Endkonsonant gemäß dem allgemeinen Fall auch gesprochen wird: [dezœf], [dezos] (cf. Gadet 1992, 58). 9 Das populäre Französisch analysiert in Fällen wie bonhomme nicht, sondern bildet als regelmäßige Pluralform des bonhommes (cf. Gadet 1992, 58).
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sche Einheit aufgefasst wird: des chasse-neige, des tire-bouchons; in porteavions und sèche-cheveux steht das nominale Komplement immer im Plural. Im Falle von Lehnwörtern kommen für die Kategorie Numerus zwei Aspekte zur Geltung. Zum einen bewahrt der gepflegte Sprachgebrauch häufig die Pluralform nach fremdem Muster als Zeichen der Bildung oder der Abgrenzung: un minimum – des minima, un lied – des lieder de Schubert. Im gängigen Sprachgebrauch scheint sich die morphologische Integration der fremden Formen ins aktuelle Sprachsystem umso rascher zu vollziehen, je älter die Entlehnung ist: des trémolos (nicht des tremoli, ital.), des leitmotivs neben des leitmotive.
6.3 Der Numerus bei Gattungsnamen Die Kategorie Numerus (Singular und Plural) bezieht sich in der Regel nur auf Einheiten, die als zählbar behandelt werden können: un soldat, un cheval, une pomme, un essaim, ce régiment.10 Der Singular steht für ein einmaliges,11 der Plural für ein mehrfaches Vorkommen eines durch ein (primäres oder sekundäres) Substantiv bezeichneten Lebewesens, Gegenstandes oder Sachverhaltes (une voiture : des voitures − un encouragement : des encouragements). Bei primären und sekundären Begriffen wie foule, troupeau, tas; ramassis (< ramasser), valetaille (< valet), clientèle (< lat. CLIENTELA < CLIENS, CLIENTIS) (cf. Grevisse 1993, §452, c) bezeichnet der Singular ein als Kollektivum (siehe Kap. 5.7) gefasstes Gesamt an Einheiten, das gegebenenfalls den entsprechenden individuellen Begriffen, aus denen sich die Gesamtheit zusammensetzt, gegenüber gestellt
|| 10 Eine Substanz kann als eine individualisierte zählbare Einheit oder als eine unzählbare Menge gefasst bzw. kategorisiert werden. Im Französischen bezeichnet derselbe Begriff systematisch das Tier und das Fleisch des Tieres, die Frucht und deren Substanz: J’ai deux grands bœufs dans mon étable – Aujourd’hui j’ai mangé du bœuf; J’ai acheté des citrons – Il y a du citron dans ce gâteau. Umgekehrt kann eine zählbare Einheit grundsätzlich als Menge gefasst werden; spezifische Individuen können somit in ein mehr oder weniger abgegrenztes Ganzes übergehen: Août est la saison où il y a du touriste à Paris – Dans cette rivière, il y a de la truite (cf. Riegel et al. 1994, 170, Rem.). Siehe dazu Lüdtke 2005, 322–323: «Unter den Übergängen von einer Unterkategorie zur anderen betrifft die Kollektivbildung der [sic] Übergang von ‘zählbaren Substantiven’ (engl. count nouns) zu ‘Stoffnamen’. Dieser liegt vor beim Übergang vom Diskontinuierlichen zum Kontinuierlichen wie in frz. un/le mouton ‘ein/das Schaf oder ein/der Hammel’ zu du mouton ‘Schaf/Hammel als Fleisch’. Du mouton ist also eigentlich weder ein Singular (denn des moutons ist nicht der Plural zu du mouton) noch ein Partitiv, wie der sog. ‘partitive Artikel’ des Französischen glauben machen will». 11 Zu singularischen Begriffen, die sich auf Individuen beziehen, aber in kollektiver Bedeutung gebraucht werden, wie etwa in Avoir le cheveu blond, cf. Grevisse (1993, §493, a).
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werden kann: z.B. homme, vache, pierre, truc, valet, client. Entsprechend dient der Plural zur Bezeichnung mehr als einer der entsprechenn Einheiten: J’ai ainsi eu, au cours de ma vie, des tas de contacts avec des tas de gens sérieux.12 Zwar zeigt die große Mehrheit der Nomina im Französischen eine erwartbare Variation bezüglich der Numeruskategorisierung (cf. Grevisse 1993, §§500–525), dies jedoch nicht ohne Abweichungen. Eine inhaltliche Kategorisierung zeichnet sich, ähnlich wie in der Paragrammatik, über die durch die jeweiligen Gebrauchsrestriktionen bzw. (Nicht)Anwendung der Pluralfunktion konstituierten Bezeichnungsbereiche ab: Die Namen für die Wissenschaften und Künste verbinden sich gewöhnlich mit dem Singular: la botanique, la peinture (aber: les mathématiques; cf. Grevisse 1993, §498, f); ebenso bei Stoffnamen: l’or, l’argent (auch übertragen: avoir de l’argent; cf. ibid.); Eigenschaften: la solidité, la fragilité; menschliche Sinne: l’odorat; geographische Kardinalpunkte: le nord; manche Infinitive sowie Adjektive, die substantivisch gebraucht werden: le boire et le manger, l’utile et l’agréable (Abstrakta). Substantive, die grundsätzlich im Singular gebraucht werden, können in bestimmten Fällen – mitunter mit einhergehender Bedeutungsvariation – auch im Plural stehen: pratiquer la peinture : des PEINTURES abstraites – le fer rouille : un marchand de FERS – Nous nous avançâmes parmi LES BRONZES, LES MARBRES (Chateaubriand, Natchez, VI) – La bonté est une vertu, mais ce n’est pas toujours par vertu qu’une femme a DES BONTÉS pour un homme (V. de Jouy, cit. P. Larousse). Der Plural kann auch auf die interne Gliederung einer Wissenschaft in verschiedene Subdisziplinen verweisen: Aujourd’hui, la géométrie comporte un champ de recherches immense, allant de la géométrie plane AUX GÉOMÉTRIES à n dimensions, de la géométrie classique AUX GÉOMÉTRIES définies par un groupe de transformations (Gonseth, le Grand Lar. enc., art. géométrie) (cf. Grevisse 2011, §507, a).13 Umgekehrt können gewisse Gattungsnamen (noms communs) ausschließlich als pluralische Formen auftreten. Hier lassen sich die folgenden Bezeichnungsbereiche eingrenzen (cf. die anthropologisch fundierten konzeptuellen Felder einer lexikalischen Typologie nach Koch 2001, 1173 bzw. Kap. 13.5): Begriffe, die ganz offensichtlich eine homogene Vielheit an Lebewesen oder
|| 12 Antoine de Saint-Exupérie, Le Petit Prince, Éditions Gallimard Jeunesse, [1946]/1999,10. 13 La gent ‘nation, race’ wie in la gent féminine (‘les femmes’), la gent masculine (‘les hommes’) verfügt über keine eigene Pluralform (abgesehen von der Lehnübersetzung droit des gens (< lat. JUS GENTIUM)). Damit sind die Singularform gent und der scheinbar zugehörige Plural gens ‘personnes’ dissoziiert, da letzteres nicht als die pluralische Variante von gent fungiert.
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Gegenständen bezeichnen: bestiaux (‘Vieh’), pierreries (‘Edelsteine’), proches (‘Angehörige’),14 annales (‘Annalen’), archives (‘Archiv’) etc. gegenüber solchen Begriffen, die ein recht vages Gesamt bezeichnen, innerhalb dessen sich nur schwer einzelne Einheiten identifizieren lassen wie armoiries etc. (cf. Grevisse 1993, §495; cf. §498). Der grammatische Plural15 verweist in diesen Fällen auf die interne Zusammensetzung aus mehreren Komponenten; es handelt sich bei diesen Nomina (Pluralia tantum) um Zeremonien (accordailles16/fiançailles ‘Verlobung’, épousailles, funérailles ‘Bestattung’, laudes, lupercales ‘Luperkalien’, matines ‘Mette’, obsèques ‘Trauerfeier’, vêpres ‘Vesper’); ein bestimmtes Verfahren oder Vorgehen (pourparlers ‘Verhandlung(en)’, préparatifs ‘Vorbereitung(en)’, prolégomènes, représailles ‘Vergeltungsmaßnahmen’, sévices ‘Misshandlungen’); Geldbeträge (appointements ‘(Dienst)Bezüge’, arrhes ‘Anzahlung’, émoluments ‘Vergütung’, gages ‘Lohn’, honoraires ‘Honorar’); umliegende Lokalitäten (alentours ‘Umgebung’, (aux) confins (de) ‘an der Grenze zu’), environs ‘Umgebung’); mit Figuren operierende Spiele (dames ‘Dame’; échecs ‘Schach’); Zeitraumgliederungen wie
|| 14 Innerhalb der bestimmte Verwandtschaftsverhältnisse bezeichnenden Begriffe verfügt die Pluralform aïeux [ajø] ‘ancêtres’ (literarisch) (als historischer Plural zu aïeul) über kein singularisches Pendant; stattdessen wird gegebenenfalls auf die Periphrase un de mes aïeux rekurriert. Aïeul,e [ajœl] ‘grand-père’, ‘grand-mère’ (obsolet) bildet (analog zum Singular) den Plural aïeuls, aïeules [ajœl] (im gepflegten Sprachgebrauch). Auch die Formen les bisaïeuls ‘les arrière-grands-parents’, les trisaïeuls ‘les parents des bisaïeuls’ existieren, wobei die Form bisaïeux, sofern vorkommend, im Sinne von ‘aïeux’ Verwendung findet. Der einst als Wallonismus betrachtete Singular parent zu parents (‘père et mère’) zur Bezeichnung eines Elternteils scheint im 20. Jahrhundert (zunächst und vor allem im Bereich der Biologie) stärkere Verbreitung erfahren zu haben (cf. die von Eltern abgeleitete Form das/der Elter zur Bezeichnung eines Elternteils beim Menschen, bei Tieren und Pflanzen). Auch les grands-parents, les beauxparents, les petits-enfants werden einzig im Plural gebraucht; der in den Wörterbüchern nicht belegte Singular petit-enfant scheint in den allgemeinen Sprachgebrauch einzudringen: M. […] / et Mme […] / partagent avec Julie et Géraldine la joie d’annoncer la naissance de / Margaux / le 4 janvier 1985 à Paris. / Cinquième PETIT-ENFANT de M. […] et Mme […] (Le Monde, 12/01/1985, 25; cf. Grevisse 1993, §496 a). 15 Bei gewissen Nomina (aïeux, appas, appointements, ciseaux, émoluments, gages, lunettes, menottes, nouilles, parents, règles, saturnales, vacances) bezieht sich die Restriktion der exklusiv pluralischen Verwendung nur auf eine (manchmal auch mehrere) ihrer Bedeutungen (cf. Grevisse 1993, §496): Zu den Nomina dieser Rubrik zählen ferner assises (‘réunion de juges qui siègent’), assistants (‘personnes présentes’), atours (‘parure’, ‘ornements [surtout d’une femme]’), braies (‘pantalon’; cf. Grevisse 1993, §498, b); couches (‘enfantement’), fumées (‘excréments de cerfs, etc.’), humanités (‘genre d’études’) lettres (‘littérature’), limbes (‘séjour des morts’; ‘état incertain’), oreillons (‘maladie’), régates (‘course de bateaux’) etc. 16 Accordailles (< accorder) repräsentiert eine bereits ursprünglich im Plural gebrauchte Form.
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Jahreszeiten etc., Witterungen und natürliche Zyklen, Feste (calendes, ides ‘Iden’, saturnales, intempéries ‘Unbilden der Witterung; schlechtes Wetter’, quatretemps, menstrues/règles, vacances, prémices ‘Anfänge’,); Lebensmittel (rillettes ‘Fleischsorte’, tagliatelles/tagliatelli, nouilles ‘Nudeln’, vivres ‘Lebensmittel’, victuailles ‘Proviant’); Sitten und Gebräuche (mœurs,17 us in us et coutumes ‘Sitten und Gebräuche’); Geräte (agrès ‘(Turn)Geräte’, bésicles ‘Brille (scherzhaft)’, lunettes ‘Brille’, ciseaux ‘Schere’, menottes ‘Handschellen’). Die auf den spezifischen kompositen Charakter von Gegenständen oder Vorgängen abhebende Perspektive manifestiert sich im grammatischen Plural ferner etwa bei décombres (‘Trümmer; Schutt’), entrailles (‘Eingeweide’), varia (‘Verschiedenes’), affres (‘Qualen’), (être aux) aguets (‘auf der Lauer liegen; auf der Hut sein’), (sans) ambages (‘ohne Umschweife’), arrérages, babines (‘Lefzen’), béatilles, blandices, brisées (marcher sur les brisées de qn ‘jdm ins Gehege kommen’), complies, condoléances (‘Beileid’), cortès, dépens (aux dépens de ‘auf Kosten von’), ébats (‘Herumtollen; muntere Spiele’), écrouelles, effondrilles, errements (‘Irrtümer; Irrwege’), fringues/frusques (‘Klamotten (umgangssprachlich)’), gémonies,18 génitoires, gens, grègues, hardes (‘abgetragene Kleider’), impenses, laisssées, links, llanos, lochies, lods, mamours (faire des mamours à qn ‘mit jdm schmusen’), mânes, nippes, pénates, poucettes, pouilles, relevailles, royalties (‘Tantiemen’), thermes (‘Thermen’), tricoises, tripous (‘Tripus’).19 Eine weitere Gruppe konstituiert sich allein auf historischem Hintergrund (aguets, fonts) (abgesehen von fachsprachlichen Begriffen obsoleten Charakters) (cf. Grevisse 1993, §502, c) etc.20
|| 17 Mœurs stellte bereits im Lateinischen eine Pluralform dar. 18 Gémonies (< lat. GEMONIAE (SCALAE) ‘escalier des gémissements’) verkörpert einen alten Plural. 19 Die Liste an Begriffen, die häufiger im Plural als im Singular gebraucht werden, ließe sich um etliche weitere ergänzen. Gewöhnlich als pluralische Formen werden folgende Begriffe verwendet, die je nach Bezeichnungsbedarf aber auch im Singular stehen können: hémorroïdes, houseaux, jonchets, lombes, matassins, prémisses, ramilles. Analoges gilt für den sporadisch (zuweilen unter Bewahrung der Form) singularisch angewandten Anglizismus chips: un chips [t∫ips]. 20 Einige der aufgeführten Begriffe finden sich auch im Singular, sei es in der literarischen Sprache, in Texten archaisierenden Stils, in mundartlicher Färbung oder anderen Texten mit bestimmter sprecherabhängiger Intention. Ténèbres seinerseits wird im alltäglichen Sprachgebrauch durchweg im Plural gebraucht; in der Sprache der Literatur hingegen wird es häufig im Singular verwendet: Il fallait seulement commencer de marcher en avant, dans la TÉNÈBRE, un peu à l’aveuglette, et essayer de faire du bien (Camus, La Peste, 249–250). Umgekehrt hat die (ländliche) Volkssprache vom Plural bestiaux eine Singularform bestiau gebildet, die auch von den Schriftstellern bewusst eingesetzt wird. Neben dem in rein übertragenem Sinn gebrauchten (historischen) Plural appas zu appât (cf. Grevisse 1993, §496, a sowie Hist.; §501, Hist.) in der Bedeutung ‘charmes, attrait’ (obsolet oder literarisch mit Bezug auf Sachen; veraltet oder scherzhaft mit
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Bezeichnungen für Sachen (Gegenstände, Zeichen, Produkte etc.), die aus zwei gleichen Bestandteilen aufgebaut sind, schwanken häufig im Gebrauch zwischen Singular und Plural je nachdem, ob der Gegenstand etc. als Ganzer oder dessen Teile akzentuiert werden sollen. Dies trifft etwa zu auf des tenailles/une tenaille, des ciseaux/un ciseau, des cisailles/une cisaille, les forceps gegenüber le forceps (u.a. in Belgien), une jumelle/des jumelles (neben periphrastischem une paire de jumelles), un lorgnon/des lorgnons,21 meist des castagnettes, un haltère/des haltères, un guillement (z.B. un guillemet ouvrant, le guillemet fermant) oder des guillements, une moustache (häufig des moustaches sowie une paire de moustaches) (cf. Grevisse 1993, §498, a). Nomina mit pluralischer Form, die aus zwei symmetrischen Teilen bestehende Gegenstände bezeichnen, nehmen eine exemplarische Position insofern ein, als sie entweder über eine korrespondierende singularische Form verfügen, die ein analoges, nicht komposites Element bezeichnet: ciseaux ‘Schere’/ciseau ‘Meißel’ – lunettes ‘Brille’/lunette ‘Fernrohr’; oder aber sie werden mit derselben Bedeutung ebenfalls im Singular gebraucht je nachdem, ob das Objekt eher in seinem kombinatorischen Charakter oder als Einheit betrachtet wird. Mehrheitlich singularisch behandelt werden culotte, lorgnon, pantalon etc., eher pluralisch dagegen (paire de) jumelles, pincettes, tenailles etc. Auch bei Bezeichnungen für Kleidungsstücke, die den Rumpf des menschlichen Körpers einschließlich der Beine bedecken (cf. Grevisse 1993, §498, b), bestehen Schwankungen im Gebrauch von Singular und Plural. Zu den Begriffen, deren Vorkommen im Singular häufiger ist, zählen etwa: caleçon(s), culotte(s), pantalon(s), short(s), blue-jeans(s), jean(s), slack(s), bermuda(s) etc.; auch periphrastisches une paire de culottes ist gängig. Wenn das Kleidungsstück die Beine nicht bedeckt, wird das entsprechende Wort grundsätzlich im Singular gebraucht, so bei caleçon, culotte zur Bezeichnung für Damenwäsche, auch bei slip, cache-sexe. Der Plural ist dagegen (ursprünglich) usuell bei archaisierenden oder regional gebrauchten Begriffen wie braies, chausses und grègues; dasselbe gilt bezüglich gewisser Anglizismen (z.B. jodhpurs, knickerbockers – wobei knicker auch im Singular vertreten ist – pyjamas neben pyjama). Nicht nur aus zwei Teilen bestehende Gegenstände, sondern auch solche, die sich aus mehreren Teilen zusammensetzen, bieten Anlass zu Variationen im
|| Bezug auf die Reize einer Frau) findet sich auch eine Form appâts (z.B. les appâts du jeu) (zur einstigen sporadischen Verwendung im Singular cf. Grevisse 1993, §496, a, Hist.). 21 Der Plural des lorgnons ‘Kneifer’ erscheint plausibel, zumal lorgnon ursprünglich ein Monokel bezeichnete; in derselben Bedeutung wie des lorgnongs wird auch des pince-nez (‘Kneifer, Zwicker’) gebraucht.
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Numerusgebrauch (cf. Grevisse 1993, §498, c): So heißt es l’escalier (gängig auch les escaliers), meist des coulisses (auch la coulisse, vornehmlich im übertragenen Sinn: Il fait agir les autres et se tient dans la coulisse), mehrheitlich les halles (zuweilen la halle) etc. Bei orgue tritt zusätzlich zur Numerusvariation eine Genusvariation ein: Der häufigere Gebrauch im Plural (als Femininum) dient zur Bezeichnung eines einzelnen Instruments (emphatischer Plural, cf. Grevisse 1993, §493, b): Les orgues s’étaient TUES, RELAYÉES maintenant par des cuivres et des tambours (Camus, L’exil et le royaume, Bibliothèque de la Pléiade, 1678); das Maskulin steht bevorzugt dann, wenn tatsächlich auf eine Pluralität referiert werden soll, cf. J’ai entendu UN orgue […] jouer, à la messe, les airs les plus doux et les plus tendres (Chateaubriand, Itinéraire de Paris à Jérusalem, Bibliothèque de la Pléiade, 989) gegenüber dem semantischen Plural Il ne reste guère d’orgues ANCIENS en France (M. Chapuis, Le Monde, 05/09/1967) (cf. Grevisse 1993, §461, c) (diese Distribution von Genus und Numerus ist jedoch nicht konstant). Ferner werden zahlreiche Begriffe, die sanitäre Anlagen bzw. Einrichtungen bezeichnen, hauptsächlich im Plural gebraucht, auch wenn es sich um eine einzige Einrichtung (allerdings in der Regel mit einer Ansammlung an gleichen Einrichtungsgegenständen) handelt (der Singular ist jedoch nicht ausgeschlossen). Dies trifft etwa zu auf lieux, latrines, commodités, goguenots (populär) oder gogues (vulgär), chiottes (vulgär), feuillées (für Feldsoldaten, Pfadfinderlager), bouteilles (auf einem Schiff). Analoge Vorkommen liegen vor bei water-closet(s) (obsolet), häufig in verkürzter Form als closet(s) (obsolet), water oder waters bzw. w.-c. [dubləvese], fam. vécés [vese], cabinet(s), toilette(s), lavabo(s). Gegenüber aller aux waters etc. wird der Singular gebraucht in aller à la garderobe, à la selle (aller à la cour in Belgien und im Norden Frankreichs; euphemistisch auch aller quelque part etc.) sowie in den (euphemistischen) Periphrasen le petit endroit, le petit coin, le buen retiro etc. Auch bei den Namen für Feste, Zeremonien, Versammlungen und ähnliche Veranstaltungen stehen Singular und Plural vielfach in Konkurrenz zueinander: in der Regel wird les festivités gebraucht neben la festivité, la noce (übertragen nur im Singular: ne pas être à la noce, faire la noce) oder les noces, l’Avent (les Avents ist regional), Pâques (maskulin Singular oder feminin Plural),22 les comi-
|| 22 Der Singular wird v.a. dann gebraucht, wenn Pâques ohne Determinant konstruiert wird: Pâques était venu; oder mit unbestimmtem Artikel zum Ausdruck des Gedankens der Einheit: un Pâques. Im Plural steht Pâques vor allem dann, wenn es mit Determinant verwendet wird (abgesehen vom unbestimmten Artikel Singular) zur Bezeichnung entweder eines einzelnen Festes: Depuis les Pâques PRÉCÉDENTES (cf. Grevisse 1993, §463, a) oder des entsprechenden als
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ces (selten un comice in der Bedeutung ‘comices agricoles’), des agapes (sporadisch l’agape), une absoute (des absoutes in Belgien), des canicules (in Belgien, Ostfrankreich und der Schweiz). Abgesehen von solchen Bezeichnungsbereichen kann die Numerusopposition mit anderen Inhalten korrelieren (cf. Grevisse 1993, §493) und etwa in den Funktionsbereich der Kollektiva übergreifen: Dies ist dann gegeben, wenn der Singular eine generische Bedeutung annimmt und zur Bezeichnung sämtlicher Vertreter einer bestimmten Kategorie dient. In dieser Funktion kann der Singular an die Stelle des Plurals treten: Protéger LA VEUVE et L’ORPHELIN – Il avait LE CHEVEU un peu plus épais, le nez plus fort et L’ŒIL plus vif [que son frère] (Sand, La Petite Fadette, II).23 Der Plural findet sich zuweilen mit Bezug auf unzählbare Begriffe wie des farines: Hierbei wird über die Pluralmarkierung ein Stoffname (nom massif) als in verschiedenen Arten vorkommend gefasst oder aber die Vorstellung eines beträchtlichen Ausmaßes evoziert (emphatischer Plural) wie in folgenden Fällen: des sables mouvants, les neiges éternelles, les eaux d’un fleuve, les cieux, dans les airs; manger des épinards/des confitures, prendre les eaux [= faire une cure thermale] (cf. Grevisse 1993, §506, c;24 cf. ibid., §498 sowie §461 zu amours, orgues). Einen weiteren Sonderfall stellen Bezeichnungen dar, die sich normalerweise mit einem einzigartigen Gegenstand verbinden (le soleil, l’infini etc.), aber dennoch die Pluralisierbarkeit nicht ausschließen: Cet enfant ne dessine que des soleils − Pascal distingue deux infinis: celui de grandeur et de petitesse (cf. Riegel et al. 1994, 173). Kollektivbegriffe wiederum bezeichnen lexikalisch und daher
|| singulär gefassten Zeitabschnitts; dieser Gebrauch (mit Determinant im Plural) dient auch zur Bezeichnung einer tatsächlichen Pluralität: Au souvenir de tant de Pâques DOULOUREUSES (zur Wendung faire de BONNES Pâques (oder pâques) bzw. den Ausdrücken Pâques fleuries, Pâques closes, den Wunschformeln JOYEUSES Pâques! BONNES Pâques! und anderen Fällen cf. Grevisse 1993, §463, a). Von der Bezeichnung des christlichen Festes (Pâques als maskuline singularische oder feminine pluralische Form) ist la Pâque (im Feminin Singular mit definitem Artikel) zur Bezeichnung des jüdischen (orthodoxen) Festes zu unterscheiden. Die Genus- und Numeruskorrelationen sind allerdings nicht konstant (cf. Grevisse 1993, §463 a). 23 Distributiv gebrauchtes chaque betrachtet isoliert die Einzelelemente aus einem Gesamt: À CHAQUE JOUR suffit sa peine (Sprichw.) (cf. tous les jours) (cf. Grevisse 2011, §506, R1). 24 Ciel bildet den Plural auf cieux immer dann, wenn eine der folgenden Bedeutungen zugrunde liegt: ‘tableau ou partie de tableau représentant le ciel’, ‘climat’, ‘chacune des sphères où se meuvent les astres, selon l’ancienne cosmographie’, ‘plafond de carrière’, ‘couronnement d’un lit’ etc.; cieux dient meist als emphatische Variante von ciel (bes. im literarischen Sprachgebrauch). Aus sprachgeschichtlicher Sicht stellt cieux die ursprüngliche regelmäßige Pluralform dar, ciels die neuere analogische Bildung zu ciel (cf. Grevisse 1993, §506 c sowie Hist.; cf. §504 c, Hist.).
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bereits im Singular eine interne Pluralität (client/clientèle – arbre/forêt), die ihrerseits über entsprechende materielle Verfahren pluralisierbar ist (le clientèles, les forêts) (cf. Kap. 5.7). Neben der Kollektivfunktion kann dem Plural auch eine intensivierende Funktion zukommen (cf. Kap. 5.8.5.1): Ein rein emphatischer Plural liegt vor beim (literarischen) Gebrauch eines pluralischen Determinanten mit Bezug auf ein Individuum, für welches der Eigenname steht, der selbst kein Pluralkennzeichen trägt (Grevisse 1993, §510, Rem.): Les CHRYSOSTOME, les BASILE, les CYRILLE viennent, comme les CICÉRON et les ATTICUS, étudier l’éloquence à sa source (Chateaubriand, Itinéraire de Paris à Jérusalem, Bibliothèque de la Pléiade, 907). Ein analoger Gebrauch findet sich bei midi und minuit (cf. sur les midi/minuit, vers les midi/minuit); beide können zudem morphologisch für den Plural markiert werden: La lumière immense des MIDIS de la terre africaine (Louÿs) – Le bleu parfait des MINUITS d’août (Colette) (beide Beispiele aus Trésor, s.v., cf. Grevisse 2011, §506 b), 3°, R3). In den Rahmen der Approximation (cf. Kap. 5.8.6) fällt die Verwendung des Determinanten im Plural vor einer numerischen Angabe im Singular, da hier der Plural einer ungefähren Angabe entspricht (und sich durch Analogie zu Ausdrücken mit pluralischem Bezugswort wie mesurer dans les deux mètres etc. rechtfertigen lässt): La messe à la mode finie vers LES une heure (Stendhal, La Chartreuse de Parme, XIII) – Les parents d’Ernestine […] mesurent l’un et l’autre dans LES un mètre quatre-vingts (Vailland, Beau masque, I, 1) (cf. Grevisse 2011, §506 b), 3°).
6.4 Der Numerus bei Eigennamen Den naturwissenschaftlichen Bereichen entstammende Termini, die der Klassifikation von Pflanzen und Tieren dienen und die Gattung, die Art etc. anzeigen, werden regelmäßig in den Plural gesetzt: Crucifères, Rosacées, Équidés, Marsupiaux etc. Im Plural stehen meist auch Ethnien, die Namen der Angehörigen religiöser Orden oder von Dynastien, die Namen von Religionsanhängern etc., wobei im Falle der Bezeichnung des jeweiligen Individuums auch der Singular zum Tragen kommen kann: les Bochimans, les Germains, les Capets, les Capétiens, les Condés (aber les Horace und les Curiace, da diese kein Geschlecht bilden), les servites, les hussites etc.; im Singular: Un livre sur le péché, écrit par un JÉSUITE (Green, Journal, 14 janv. 1952), le dernier CAPÉTIEN. Unsicherer ist der Gebrauch mit Bezug auf metonymisch verwendete Eigennamen: des Picassos oder in metaphorischer Verwendung: Ce sont des Tartuffes (cf. Grevisse 2011, §508, a), 2°).
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Darüber hinaus sind gewisse Ortsbezeichnungen, Namen von Gebirgsketten, Archipelen, Regionen sowie von Sternbildern, deren Referent jeweils als eine aus mehreren Komponenten gebildete Einheit aufgefasst wird, nur im Plural usuell (cf. Grevisse 1993, §495, b): Les Pyrénées, les Carpates, les Apennins, les Vosges etc.; les Antilles, les Baléares, les Célèbes, les Cyclades, les Seychelles etc.; les ÉtatsUnis, les Asturies, les Abruzzes, les Grisons, les Cévennes etc.; les Gémeaux, les Pléiades etc. Eine gewisse Anzahl an Eigennamen verfügt sowohl über eine singularische wie eine pluralische Form, wobei mit dieser Variation gewisse Bedeutungsunterschiede einhergehen können: la Flandre oder les Flandres, l’Ardenne oder les Ardennes, l’Inde oder les Indes, la Fagne oder les Fagnes (in Belgien), la Cornouaille oder les Cornouailles, l’Amérique oder les Amériques.25 Ortsbezeichnungen, die den bestimmten Artikel Plural enthalten, werden als Pluralia behandelt: Les Baux DEVIENNENT un foyer de protestantisme – Les Sables [= Les Sablesd’Olonne] ARMAIENT jusqu’à 100 morutiers annuellement (Côte de l’Atlantique, Michelin, 1969, 141). Ortsnamen, die den bestimmten Artikel im Plural formal nicht einbinden, zählen dagegen zu den Singularia, und zwar unabhängig von einer eventuell zugrunde liegenden pluralischen etymologischen Form: Aigues-Mortes […] ETAIT RAMASSEE dans l’enceinte rectangulaire de SES hautes murailles (Barrès, Jardin de Bérénice, 67) (cf. Grevisse 2011, §508, b, 2°).
6.4.1 Numerus- und Genusmarkierung: eine einheitliche Interpretation? Betrachtet man zunächst die verbale Kategorie Substantiv, nimmt innerhalb der Numerusmarkierung die Liaison eine besondere Stellung ein; im populären Französisch kann sie sogar als eigenes Mittel mit grammatischer Funktion angesehen werden und nicht − wie im Standardfranzösischen − als Indikator für den Gebrauch einer bestimmten diaphasischen Varietät: «nous dirons qu’elle [la liaison] tend à fonctionner en français populaire […] comme marque grammaticale autonome de pluriel» (Gadet 1992, 49). Da im Französischen der Plural eines Nomens häufig nur über die Determinanten (also etwa über die Opposition les vs. le, la) zum Ausdruck kommt, hat das français populaire das «prädeterminierende» [z] wie in les enfants als ein Plural indizierendes proklitisches Element grammatikalisiert und dessen Gebrauch ausgedehnt (cf. Gadet 1992, 48). So findet sich die Proklise auch in Verbindung mit invariablen Determinanten wie Numeralia, z.B. quatre z yeux (cf. das Verb zieuter bzw. zyeuter ‘angu-
|| 25 Vergleiche einstige Bezeichnungen wie les Russies, les Espagnoles, les Gaules (noch im Titel des Erzbischofs von Lyon, der primat des Gaules lyonnaises genannt wird).
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cken’), cinq z amis oder nach dem «partitiven Artikel» de in beaucoup d(e) z yeux. Der Status als «Pluralpräfix» wird besonders deutlich im Falle des NullArtikels: une femme à z yeux bleus. Das [z] kann auch im Anschluss an ganze Wortgruppen proklitisch an ein Adjektiv angefügt werden: les chemins de fer z anglais, wobei hier die Wortgruppe (als Idiomatisierung einer Verbindung der freien Syntax) wie ein einfaches Wort behandelt wird und der Plural auf phonetischer Ebene – abgesehen vom bestimmten Artikel les – nur über das klitische Element [z] kenntlich wird (nicht am Substantiv chemin selbst). Wird statt von Proklise von einer Pluralisierung des dem Nomen vorausgehenden Elementes, also in erster Linie des jeweiligen Determinanten ausgegangen, können selbst Präfixe wie ex-26 ein Pluralkennzeichen erhalten: mes ex z amis [mεzεksəzami], ebenso Konjunktionen wie comme: c’est pas commode comme z horaires. Solche Markierungen kommen auch außerhalb der Nominalgruppe zum Tragen: l’idée d’avoir z été trompés, das in Analogie zu l’idée qu’ils ont été trompés gebildet sein kann. Im Rahmen der Verbparadigmen gilt das, was oben zur Genusmarkierung (Kap. 5.5.1.4) hinsichtlich des «e muet» im oralen und skripturalen Code ausgesagt wurde, in gewisser Weise auch für die Kategorie Numerus: Der Plural wird im Präsens der Mehrheit der Verben (mit Ausnahme der zweiten Person und für den Fall, dass die erste durch on ersetzt wird) auf analoge Weise wie das Genus gekennzeichnet: il finit [fini]/ils finissent [finis], elle rend [rã]/elles rendent [rãd] etc., wobei auch hier die lange Form gebraucht wird, obwohl diese vielleicht zunächst als gar nicht notwendig erscheint (immerhin entspricht bei den Verben der umfangreichsten sogenannten ersten Gruppe mit Infinitiv auf -er die lange Form der kurzen: il parle [i(l)paʀl]/ils parlent [i(l)paʀl]/– hierin manifestiert sich die Tendenz zur Invariabilität des Wortes auch beim Verbum). Dennoch gilt für die große Mehrheit der Verben, dass der Plural durch die lange Form kenntlich gemacht wird. Der Schluss auf die Numerusmarkierung bleibt aber ein tentativer: «L’explication risque donc d’être la même: la marque du pluriel à l’oral serait le e muet (se différenciant par conséquent dans ce cas de l’écrit)» (Lupinko 1990, 195, N.B.).
|| 26 Die Funktion von ex- in Bildungen dieses Typs kann als lexikalisch und nicht präpositional eingeordnet werden, da ein Bezug zur Situierung offensichtlich nicht mehr besteht (cf. Weidenbusch 1993, 113).
Der Numerus bei Eigennamen | 517
6.4.2 Ausdruck des Numerus bei Nomina ohne Singular: isolierendes und syntagmatisches Verfahren Gewisse Substantive, die ein Gesamt an getrennt betrachtbaren Lebewesen oder Gegenständen bezeichnen, lassen sich mit Numeralia (außer un, une)27 oder Indefinitpronomina mit quantitativem Sinn wie plusieurs oder quelques verbinden: quelques bestiaux, vingt-deux petits-enfants etc. Hier erfolgt eine Quantifizierung qua isolierter Wörter. Gens beispielsweise wird in der Regel nicht mit Bezug auf eine genau definierte Menge an Personen gebraucht – außer wenn gewisse Adjektive voraufgehen, cf. Il y vint TROIS PAUVRES gens – Nous étions DIX HONNÊTES gens – Ces quatre frères étaient QUATRE BRAVES gens – Il approche du banc où étaient assis DEUX VIEILLES gens (Estaunié, Ascension de M. Baslèvre, Épilogue).28 Gendarme (< gent d’armes) und gendelettre, agglutiniert aus gens de lettres (auch un gendelettres, v.a. scherzhaft) erlauben eine Verwendung im Singular: Gendelettre dans l’âme, elle faisait passer la copie avant tout (Marcel Proust, À la recherche du temps perdu, vol. 1, 261) (cf. Grevisse 1993, §497, a, b; §§495–496). Für die übrigen Substantive kommen eigentlich periphrastische29 Mittel der Pluralkennzeichnung zum Tragen, etwa UNE PAIRE DE lunettes, TROIS OFFICES DE
|| 27 Zum Ausdruck der Einheit mit einem pluralischen Begriff wurden im Altfranzösischen und bis ins 16. Jahrhundert die Pluralformen uns, unes des indefiniten Artikels vor Substantiven gebraucht, die lediglich über eine Pluralform verfügten oder im Singular und Plural eine (lexikalische) semantische Differenz aufwiesen, sowie in Verbindung mit Begriffen, die paarweise vorkommende Gegenstände oder als Kollektiva aufgefasste Entitäten bezeichnen: Avoit UNES grandes joes [= joue] […] et UNES grans narines lees [= larges] et UNES grosses levres […] et UNS grans dens gaunes (Aucassin et Nicolete, XXIV). – Une messe, UNES matines, UNES vespres bien sonneez sont à demy dictes (Rabelais; cf. Grevisse 1993, §568, Hist. 2). Diese Pluralformen sind erhalten in den Pronomina les uns, quelques-uns und können nicht durch ambiges des ersetzt angesehen werden (die Einheit bezüglich eines Begriffs wie vêpres kann daher lediglich mittels einer entsprechenden Periphrase zum Ausdruck gebracht werden; cf. Grevisse 1993, §497 b). 28 Ohne voraufgehendes Adjektiv ist dieser Gebrauch als archaisch oder regional zu betrachten: Les vaches […] poussaient un faible meuglement vers ces DEUX gens qui passaient (Maupassant, Contes et nouvelles: Le Diable); dies gilt auch für quelques: Tous ceux qui avaient des noms et des visages étaient là. Et même QUELQUES gens en plus (Noël, Petit-jour, 9) (cf. Grevisse 1993, §497 a). 29 Cf. auch die typologische Synopse des Französischen und Englischen in Geckeler (2001); mit Bezug auf die Numerusmarkierung existiert im Englischen ein Allomorph {0} wie in fish (Sg.) – fish (Pl.), analog sheep – sheep-Ø, deer – deer-Ø etc. Demgegenüber sind aber auch Relikte der altenglischen (bzw. mittelenglischen) Muster der Pluralbildung zu berücksichtigen, die zum Teil auf i-Umlaut (+ -Ø) beruhen wie in mouse – mice, louse – lice, foot – feet, tooth – teeth: Solche Umlautplurale beruhen auf morphologisch bedingter Vokalalternation der Stammsilbe (dabei bewirkt die i-Endung im Germanischen den i-Umlaut, cf. mys < *mus-iz, fet < *fot-iz) und sind dem introflexivischen Konstrukt der Allgemeinen Typenlehre zuzuweisen.
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vêpres, CHAQUE PÉRIODE DE vacances etc.; zu diesen gehört insbesondere auch die Umschreibung mittels un,e de(s) …: UNE DES Antilles françaises (Grand Larousse encyclopédique, s.v. Guadeloupe) − L’UN DE ces gens y arrive (Estaunié, Appel de la route, 353) − À L’UNE DE mes premières vacances (Pommier, Spectacle intérieur, 79) – Le boycottage des Jeux olympiques de Moscou, envisagé comme L’UNE DES représailles possibles des pays occidentaux (Le Monde, 04/01/1980, 4) (cf. Grevisse 2011, §510, b). Daneben existieren verschiedene (zum Teil nicht der Norm der französischen Gemeinsprache entsprechende) Alternativen; dazu gehören folgende (isolierende bzw. periphrastische) Verfahren, die in ihrer Gesamtheit den Typus des heutigen Französisch akzentuieren: 1) Gebrauch einer Kardinalzahl oder eines Indefinitbegleiters in Verbindung mit einem (in einer bestimmten Bedeutung) gewöhnlich im Plural vorkommenden Begriff: trois vacances, toutes les vacances, trois mémoires etc.30 2) Gebrauch von chaque in Verbindung mit einem pluralischen Begriff:31 À chaque vacances (cf. supra Kap. 6.3).32 3) Singularisierung eines rein oder vornehmlich pluralischen Begriffs: La France victorieuse se contenta de récupérer UNE ANTILLE (Goubert, Initiation à l’histoire de la France, 238) – Pendant une VACANCE que je passais chez ma grand-mère (Hellens, Contes et nouvelles ou les souvenirs de Frédéric, 71) − Son frère Gabriel qui est descendu de Paris pour cette VACANCE [à Pâques] (Navarre, Je vis où je m’attache, 114); in Verbindung mit chaque: chaque vacance (im Sinne von ‘période de congé’), chaque oreillon (maladie).33
|| Zusätzlich kann die Pluralindikation auf eigene Morpheme zurückgreifen: So tritt bei child – children abgesehen von den Plural markierenden Morphemen {-r(e), -en} zusätzlich eine phonetisch bedingte Vokalalternation ein (cf. brother – brethren etc.), bei Formen wie calf /kɑ:f/ – calves /kɑ:vz/ neben {-es} eine Konsonantenalternation (cf. house /-s/ : houses (/-zɪz/). 30 Zu Beispielen cf. Grevisse (1993, §497, c). 31 Chaque + Kardinalzahl/Ordinalzahl stellt eine alte Konstruktion dar (cf. Grevisse 1993, §611 Hist.). Zum fest verankerten Ausdruck entre chaque arbre etc., wo distributives chaque formal einen singularischen Begriff einleitet, semantisch aber auf eine Pluralität verweist, cf. Grevisse (1993, §1012, a) sowie Kap. 6.3. 32 Zu verschiedenen Belegen cf. Grevisse (1993, §611). 33 Zur nur bedingt als akzeptabel eingeschätzten Konstruktion chaque (Singular) + Numeral + Substantiv im Plural (CHAQUE six mois, à CHAQUE cinq minutes etc.), in der eine pluralische numerische Angabe wie ein einzelnes Gesamt behandelt wird, cf. Grevisse (1993, §611; cf. auch §431). In Verbindung mit einer Ordinalzahl ist die Konstruktion eher akzeptabel: CHAQUE septième année etc. Als der Norm der Gemeinsprache gemäß gilt die Gruppe ‹tous + definiter Artikel + Numeral + Substantiv›: TOUS LES trois jours (mit distributiver Bedeutung ‘un jour sur trois’) etc. (cf. Grevisse 1993, §616, a, 2°). Der literarischen Sprache gehören folgende Wendungen an:
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4) Ähnlich wie chaque verhalten sich aucun und nul, die sich gewöhnlich mit einem Nomen im Singular verbinden; diese können auch im Plural gebraucht werden, stehen sie vor einem Nomen, das über keine singularische Form verfügt oder im Plural eine ganz spezifische Bedeutung annimmt (cf. Grevisse 1993, §608, c): Il ne fait AUCUNS frais inutiles (Martin du G., Devenir! Bibliothèque de la Pléiade, 190) – Lui pouvait bien se permettre de n’avoir AUCUNES manières (La Varende, Roi d’Écosse, 260). In Verbindung mit verschiedenen Klassen von Substantiven gehört diese Konstruktion vornehmlich der geschriebenen (literarischen) Sprache an: S’il n’a touché AUCUNS fruits (Code civil, art. 1682) – On ne peut lui attribuer […] AUCUNES ombres intérieures (Valéry, M. Teste, 104). Mit nul: NULLES paroles n’égaleront jamais la tendresse d’un tel langage (de Musset, Nouvelles: Emmeline, V).34
|| de trois heures en trois heures, de deux en deux heures etc. Gängig ist die Formulierung un jour (un mois etc.) sur deux, sur trois etc.; es findet sich zudem die alternative Konstruktion mit vorausgehendem, durch de eingeleitetem Komplement: de deux dimanches l’un etc. (cf. Grevisse 1993, §611). 34 Zu einer Diskussion des Gebrauchs von aucun im Singular (z.B. Je n’ai fait aucun frais im Sinne von ‘aucun des frais que j’aurais pu faire’) vor einem gewöhnlich pluralisch verstandenen Substantiv cf. Grevisse (1993, §608, c).
7 Tempus, Aspekt und Modus Die Formen des Verbums zeigen Variation in Abhängigkeit von verschiedenen Verbalkategorien, unter denen traditionell die Kategorien Person, Numerus, Modus, Tempus, Aspekt und Diathese unterschieden werden.1 Der Modus als eine der grammatischen Kategorien des Verbs dient im weiteren Sinne der Charakterisierung der subjektiven Stellungnahme des Sprechers zur Geltung des durch die Aussage bezeichneten Sachverhalts. Innerhalb der Modi kann der Indikativ als neutrale Kategorie aufgefasst werden, die in den meisten Sprachen über ein selbständiges Formenparadigma verfügt. Daneben sind Konjunktiv und Imperativ ebenfalls in der Mehrheit der Sprachen vertreten; dies gilt nicht für den Konditionalis, der etwa für das Französische typisch ist, wo er jedoch keinen Modus, sondern vielmehr ein Tempus bezeichnet, auch nicht für den Optativ, der sich im Griechischen, Türkischen und Finnischen (zum Ausdruck erfüllbarer Wünsche) realisiert findet, den Suppositiv im Türkischen (zum Ausdruck einer Vermutung), den Energikus im Arabischen (der nachdrückliche Behauptungen kennzeichnet) und andere Modi, die in den Sprachen nicht mit gleicher Frequenz vertreten sind. Auch für die genannten mehr oder weniger übereinzelsprachlich greifenden Verbalkategorien muss ein passendes Beschreibungsinstrumentarium bzw. modell gefunden werden, um der angestrebten, möglichst umfassenden (para)grammatisch-typologischen Sprachbeschreibung nachkommen zu können. Im System der Verbalkategorien nach Roman Jakobson (1957) betrifft der Modus das Verhältnis zwischen dem mitgeteilten Geschehnis (GM) und dessen Teilnehmern (TM) einerseits und den Teilnehmern am Geschehnis des Sprechens (TS) andererseits (TMGM/TS). Der Modus bezeichnet die Haltung des Sprechers hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der Verbalhandlung und ihrem Agens oder ihrem Zweck. So kann der Sprecher die Handlung als (unsichere) Tatsache (Wahrscheinlichkeit) (Indikativ bzw. Konjunktiv), als bedingt (Konditional), als eine vom Agens gewünschte (Optativ) oder eine vom Agens geforderte Handlung (Imperativ) betrachten, worauf sich die Existenz der entsprechenden Modi gründet. Das Tempus (oder die Zeitstufe) stellt eine weitere grundlegende (morphologisch-) grammatische Kategorie des Verbs dar: Sie dient der Kennzeichnung des zeitlichen Verhältnisses zwischen Sprechakt und dem durch die Aussage bezeichneten Sachverhalt oder Ereignis. Dadurch wird das Geschehen, auf das
|| 1 Cf. Guillaume (1929/1968); David/Kleiber (1983); Confais (1990); Leeman-Bouix (1994). https://doi.org/10.1515/9783110693966-007
Tempus, Aspekt und Modus | 521
referiert wird, zu der zeitlichen Perspektive des Sprechenden in Beziehung gesetzt. Entsprechend charakterisiert das Tempus das zeitliche Verhältnis des mitgeteilten Geschehnisses (GM) hinsichtlich des Augenblicks des Sprechakts (GS), d.h. das Geschehnis selbst des Sprechens (GMGS). Das Präsens schließt diesen Augenblick mit ein, die Vergangenheit situiert sich vor, das Futur nach diesem Augenblick: Präsens
Vergangenheit
Futur
Abb. 6: Tempus und Sprechakt
Das Präteritum, das den durch den Sprechakt mitgeteilten Sachverhalt vor dem Sprech(zeit)punkt situiert (GM vor GS), und das Präsens, das die Gleichzeitigkeit von Sprechakt und mitgeteiltem Geschehnis anzeigt (GM parallel zu GS), werden auch als «absolute» Tempora bezeichnet gegenüber den «relativen» Tempora, bei denen Sprechakt und mitgeteiltes Ereignis über einen Referenzpunkt (R) in Beziehung zueinander gesetzt werden (so beim Plusquamperfekt: GM vor R vor GS, Futur II: GM vor R nach GS, Perfekt: GM vor R parallel zu GS). Neben den Grundbedeutungen der Tempusformen lassen sich mannigfaltige Redebedeutungen gegeneinander abgrenzen. Die verbale Kategorie des Aspektes fokussiert die interne zeitliche Struktur bzw. spezifische semantische Komponenten von Verbbedeutungen; dies gilt auch für die Aktionsart (cf. infra). Der Unterschied zum Tempus beruht darauf, dass durch das Tempus eine zeitliche Lokalisierung des vom Verb bezeichneten Sachverhalts relativ zum Sprechzeitpunkt erfolgt. Aspekt und Aktionsart (im engeren Sinn) wiederum unterscheiden sich dadurch,2 dass der Aspekt in der Morphologie einzelner Sprachen grammatikalisiert ist. Dagegen ist die Aktionsart auf die Möglichkeiten der Bedeutungsdeterminierung des Verbinhalts durch morphologische Ableitung beschränkt. So besitzen etwa die meisten Verben des Englischen relativ abgelöst von ihrer inhärenten Aktionsart neben der einfa-
|| 2 Cf. Agrell, Sigurd (1908): Aspektänderung und Aktionsartbildung beim polnischen Zeitworte. Lund; mit diesem Werk wurde die Unterscheidung zwischen Aspekt und diversen Aktionsarttypen in die funktionelle Beschreibung der slawischen Sprachen eingeführt.
522 | Tempus, Aspekt und Modus
chen eine progressive Form (cf. I sing – I am singing etc.). Anders als der Aspekt wird die Aktionsart in der Regel als eine in der Semantik des Verbs, also auf lexikalischer Ebene verankerte und daher «objektive» Kategorie aufgefasst.3Die enge Beziehung zwischen den beiden verbalen Kategorien spiegelt sich darin, dass die Bildung bestimmter Aspektformen in Abhängigkeit von der verbinhärenten Aktionsart erfolgt (so können im Englischen Zustandsverben keine progressive Form annehmen: *I am knowing).4 Insofern als die Funktion der Aktionsarten darin gesehen wird, die lexikalische Bedeutung des Ausgangsverbs durch eine zusätzliche Bestimmung bezüglich der Art und Weise der Handlungsausführung (bzw. mit Blick auf einen bestimmten Zeitabschnitt, auf die Charakterisierung der Handlung in quantitativer Hinsicht, auf das Ergebnis der Handlung) zu modifizieren bzw. präzisieren, und nicht in der Repräsentation von bezeichneter Handlung, Zustand oder Erscheinung aus sprecherzentrierter Perspektive, gehört die Aktionsartbildung und nicht der Aspekt zur Paragrammatik bzw. der Aspekt dann nicht, wenn er in einer Sprache als Bestandteil des grammatischen Systems verankert ist. Die Aktionsarten beruhen u.a. auf folgenden Kriterien bzw. Dichotomien:5 statischer vs. dynamischer Charakter einer Situation (statische Zustandsverben
|| 3 Aspekte wie Aktionsarten können als subjektive oder objektive qualifiziert werden; «objektiv» bezieht sich hier auf den innersprachlichen Wert, «subjektiv» nimmt Bezug auf den Handlungsträger und dessen Perspektive auf die Verbalhandlung. 4 Im Englischen stehen solche Verben einer Bildung der «progressive form» entgegen, die grob folgende Inhalte zum Ausdruck zu bringen geeignet sind: eine Sinneswahrnehmung (to hear, to notice), eine Meinung, Vorstellung oder Wissen über etwas (to believe, to forget, to imagine, to know, to realize, to seem, to understand), eine Vorliebe oder Abneigung (to hate, to like, to love, to prefer), ein Vorhaben oder einen Wunsch (to mean, to want, to wish), eine Zugehörigkeit (to belong to), ein Verhältnis zwischen mehreren Elementen (to be located) oder eine Eigenschaft (to cost). 5 Cf. die ingressive (Ausdruck des Beginns einer Handlung: ‘anfangen zu’), delimitative (Kennzeichnung eines begrenzten, in der Regel unbedeuteten Zeitabschnitts der Handlung: ‘eine Weile, ein wenig’), perdurative (Kennzeichnung eines begrenzten, gewöhnlich längeren Zeitabschnitts: ‘längere Zeit hindurch’), egressive (Markierung des Abbruchs der Handlung: ‘aufhören zu’) Aktionsart im Russischen als einige der Haupttypen unter den gemäß ihrer lexikalischen Bedeutung differenzierten Bestimmungen der Handlungsausführung. Die Dependenz des Aspekts von der jeweiligen verbinhärenten, lexikalisch-semantisch begründeten Aktionsart zeigt sich darin, dass die Aktionsarten meist nur entweder den vollendeten oder unvollendeten Aspekt zulassen, der allerdings als grammatikalisierte Funktion erscheint: So sind ingressive Verben im Russischen in der Regel vollendet und nur selten unvollendet, die Verben der delimitativen Aktionsart sind prinzipiell vollendet, vollendet sind auch die der perdurativen Aktionsart (unvollendete Aspektpartner sind hier ebenfalls selten), letzteres gilt auch für die egressive Aktionsart. Abgesehen von diesen Verben, die einen bestimmten Zeitab-
Tempus, Aspekt und Modus | 523
vs. Vorgangs- bzw. Tätigkeitsverben, cf. posséder, savoir, aimer vs. fleurir, battre); Verlaufsweise eines Vorgangs (durativ mit intern nicht strukturiertem, kontinuierlichem Verlauf), z.B. travailler, brûler, versus nicht-durativ mit in Phasen – End- oder Anfangsphase – zergliederbarem Verlauf: dt. aufarbeiten, verbrennen, erblühen); Wiederholung und Frequenz (habituativ bzw. iterativ: flattern);6 Kausalität bzw. Wirken eines Agens (Handlungsverben wie écrire, lire vs. Vorgangsverben wie fleurir, vieillir); Kausativum bzw. Faktitivum (cf. Verben wie fällen, tränken) etc. Den faktitiven bzw. kausativen Verben wie nettoyer, ondoyer, rougeoyer steht in der Grammatik die periphrastische Konstruktion mit faire faire qc à qn gegenüber (cf. infra Kap. 7.6.2, Punkt 15). Eine grundlegende Differenzierung im Rahmen der Kategorie Aspekt ist dabei die Dichotomie Imperfektiv vs. Perfektiv (auch gefasst im Rahmen der Opposition Kursiv (Aterminativ) vs. Terminativ). Der Imperfektiv stellt einen Vorgang als einen zeitlich nicht strukturierten, kontinuierlichen Verlauf dar; im Perfektiv wird ein Vorgang als ein in Phasen gegliederter Verlauf gefasst.7 Aus dieser Definition der aspektuellen Subkategorien resultiert auch die Auffassung, dass
|| schnitt der Handlung kennzeichnen, gehören auch Verben, die die Handlung in quantitativer Hinsicht näher bestimmen, semantisch in den Bereich der Aktionsarten, wobei folgende Funktionen zum Ausdruck kommen: Einmaligkeit und Kürze einer Handlung (‘einmal kurz’) mittels sog. Momentanverben (momentane Aktionsart einhergehend mit vollendetem Aspekt); verminderte Intensität der Handlung (‘nur ein wenig, nur etwas, leicht’) (vollendeter Aspekt, unvollendete Aspektpartner kommen aber mit bestimmten Präfixen vor); mehrfache Wiederholung der Handlung (‘öfter, wiederholt’) (iterative Aktionsart ausnahmslos kombiniert mit dem vollendetem Aspekt; zudem dominiert gewöhnlich als Tempus das Präteritum), wobei Unterfunktionen dieser Aktionsart unterschieden werden können. Als weiterer Typ an Verben, die eine bestimmte Aktionsart implizieren, sind Verben anzuführen, die das Ergebnis einer Handlung näher bestimmen, indem entweder der Prozess der Fertigstellung einer Handlung hervorgehoben (‘zu Ende, fertig’) (resultative Aktionsart mit vollendetem Aspekt, unvollendete Aspektpartner sind aber gebräuchlich) oder die Ausschöpfung des Inhalts der Handlung gekennzeichnet wird (‘ganz, völlig, zur Genüge, übermäßig’). 6 Die Quantifizierung eines Verbinhaltes im Sinne der Frequentativität impliziert eine Iteration, wobei die Wiederholung der Handlung zusätzlich in kurzen Intervallen erfolgt (cf. Eckert 1986, 317–318). 7 Abgesehen davon, dass speziell dem slawischen Aspektsystem die Opposition zwischen imperfektiv und perfektiv als funktionelle Hauptgliederung zugrunde liegt (cf. russ. pisat’ ‘schreiben (imperfektiv)’ – napisat’ ‘schreiben (perfektiv)’), kommen zum einen weitere Differenzierungen, namentlich innerhalb des Imperfektivs, zum Tragen; zum anderen gilt es darüber hinaus grundsätzlich zwischen den je nach Einzelsprache spezifischen funktionellen Oppositionen im Rahmen des Aspekts und der spezifischen Kombination dieser Dimensionen in ihrem Verhältnis der Dominanz bzw. Unterordnung, die nicht in allen Aspektsprachen dieselbe ist, zu unterscheiden.
524 | Tempus, Aspekt und Modus
der Perfektiv ein Geschehen in seiner Gesamtheit, der Imperfektiv dagegen eine Verlaufsphase bezeichne.8 Morphologisch reich entwickelt ist diese Opposition vor allen Dingen in den slawischen Sprachen; so können bestimmte Verbklassen eigene perfektive Formen bilden (cf. russ. pisat ‘schreiben’ vs. napisat ‘zu Ende schreiben’, čitat ‘lesen’ vs. pročitat ‘durchlesen’). In diesen Sprachen existieren auch perfektive Formen, die einen Verlauf rein zeitlich begrenzen, d.h. als relativ kurz kennzeichnen (russ. my tancevali ‘wir tanzten’ vs. my potancevali ‘wir tanzten ein wenig’). Probleme bei der Systematisierung bzw. der Definition resultieren u.a. anderem daraus, dass etwa im Russischen der Aspekt,9 genauer die Unterscheidung zwischen perfektiven und imperfektiven Verbalformen mit den Aktionsarten, hier der Differenzierung zwischen durativen und nicht-durativen Verben, interferiert: So verfügen durative Verben in der Regel lediglich über eine imperfektive Variante (spat ‘schlafen’, zit ‘wohnen’, sidet ‘sitzen’), nicht-durative Verben dagegen sowohl über eine imperfektive wie eine perfektive Form (cf. probuzdat’sja vs. probudit’sja ‘aufwachen’, naxodit vs. najti ‘finden’ jeweils Imperfektiv vs. Perfektiv). Daher klassifizieren verschiedene Systematisierungsversuche die Aktionsarten unter die Kategorie Aspekt. Bezüglich der formalen Mittel zum Ausdruck der Aktionsarten eines Verbs bestehen folgende Möglichkeiten: a. lexematische Mittel: über die Lexemwahl können verschiedene Unterscheidungen im Rahmen der Aktionsarten vermittelt werden. Man vergleiche etwa die folgenden drei Verben des Deutschen: arbeiten, das als durativ und
|| 8 Die Opposition zwischen Perfektiv und Imperfektiv wird in der wissenschaftlichen Literatur häufig identifiziert mit der Unterscheidung nach Durativ und Nicht-Durativ bzw. vollendet vs. unvollendet im Rahmen der Aktionsarten, da durative Verben wie imperfektive Verben einen Vorgang bezeichnen, der mit Bezug auf seinen zeitlichen Verlauf als kontinuierlich bzw. nicht weiter strukturiert dargestellt wird (z.B. dt. essen); analog implizieren nicht-durative Verben wie perfektive Verben einen in Phasen gegliederten Vorgang (cf. dt. einen Apfel essen; cf. auch die Dichotomie zwischen telisch vs. atelisch wie bei dt. Wein trinken vs. ein Glas Wein trinken). Als Subklassen der durativen Verben gelten gemeinhin die iterativen (vs. semelfaktiven) Verben, die die Wiederholung eines Vorgangs kennzeichnen (flattern vs. sticheln), sowie die diminutiven Verben, die eine geringe Intensität des bezeichneten Vorgangs implizieren (hüsteln, lächeln, tänzeln). Als Subklassen der nicht-durativen Verben werden gezählt: die ingressiven bzw. inchoativen Verben, die den Beginn eines Vorgangs bezeichnen (entflammen, einschlafen), die resultativen Verben, die den Verlauf und das Ende eines Vorgangs markieren (verbrennen, zerbrechen) sowie transformative Verben, die einen Übergang von einem Zustand in einen anderen implizieren (altern, abkühlen) oder punktuelle Verben, die einen abrupten Situationswechsel kennzeichnen (platzen, finden). 9 Meine Angaben zum Russischen beziehe ich aus Kirschbaum (2001, 44–61).
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dynamisch charakterisiert werden kann, finden, das nicht-durativ, aber dynamisch ist, sowie kennen, das ein statisches Verb repräsentiert. b. Paragrammatische Mittel: vom durativen Verb arbeiten kann das nichtdurative Verb aufarbeiten abgeleitet werden. c. Morpho-syntaktische Mittel: Dazu gehört insbesondere die Objektwahl; so kennzeichnet dt. er aß Äpfel den Vorgang als durativ (ohne Endpunkt bzw. nicht grenzbezogen, nicht-terminativ/kursiv). Im Satz dt. er aß einen Apfel ist dagegen durch das Objekt ein natürlicher Endpunkt der Handlung impliziert, d.h. das Verb ist als ein nicht-duratives (telisches) zu interpretieren (terminativ). Ferner kann die Tempuswahl die Aktionsart determinieren: Hier kann der Gebrauch des Passé simple im Französischen in Verbindung mit terminativen (nicht-durativen) Verben genannt werden (cf. je voyais – je vis; je connaissais – je connus). Auch die Verwendung nominaler Kasus, wie sie namentlich für die agglutinierenden Sprachen, z.B. das Finnische, typisch sind, steht in Verbindung mit dem Ausdruck der Aktionsart eines Verbs: So ist der Partitiv finn. kirjaa in luen kirjaa (‘ich lese in dem Buch’) ein Kennzeichen für einen imperfektiven Vorgang, wohingegen der Akkusativ kirjan (‘ich lese das Buch’) einen perfektiven Vorgang impliziert. Die genannten Mittel können auch in Kombination auftreten, was die Klassifizierung von Verben nach ihrer Aktionsart zusätzlich verkompliziert.
7.1 Das Kategorialsystem nach Roman Jakobson Im Kategorialsystem nach Jakobson10 (1957/[1963/1970/1974]; cf. Coseriu 1976, 74ss.; Dietrich 1973, 127ss. 11) bezeichnet der Aspekt den Gegenstand des Spre|| 10 Das Kategorialsystem nach Jakobson konzentriert sich auf die Analyse des Sprechaktes aus der Sicht der Funktionen des Verbums, wonach sich unterscheiden lassen: a) der Sprechakt selbst, also das Sprechen per se (S); b) der Stoff des Sprechaktes: das Mitgeteilte, der im Sprechen thematisierte Vorgang (M); c) das Geschehnis (G) (sowohl der Sprechakt als auch der Vorgang, der im Sprechen thematisiert wird, also (M), stellen Geschehnisse dar); d) die Teilnehmer an diesem Geschehnis (T) (Teilnehmer können entweder am Sprechakt selbst beteiligte Personen oder am mitgeteilten Vorgang Beteiligte sein). Die vier Bergriffe lauten in der französischen Fassung (Jakobson 1957, 181): l’énonciation elle-même – son objet, la matière énoncée – l’acte ou le procès lui-même – ses protagonistes («agent» ou «patient»). Dietrich (1973, 128) gibt diese Termini wieder als Redeakt – Gegenstand der Rede – Handlung – der in ihr Handelnde. Die deutsche Fassung von G. Stein (cf. Jakobson 1974, 39) übersetzt als: die Rede – ihr Gegenstand, die Materie des Berichts – das Geschehen – jeder der an ihm Beteiligten. Dabei
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chens, also das mitgeteilte Geschehnis (GM) ohne Bezug auf Teilnehmer oder den Sprechakt, und zwar in quantitativer Hinsicht (die Kategorie «Status» erfüllt die gleiche Funktion mit Blick auf eine qualitative Charakterisierung). Die Auffassung der Kategorie Aspekt als bloße Quantifizierung der mitgeteilten Handlung entspricht der Jakobsonschen Haltung, wonach sich der Aspekt in Bezug auf die Handlung selbst verhalte wie der Numerus in Bezug auf die Teilnehmer.12 Die Tempussysteme der Einzelsprachen weisen eine idiosynkratische Binnengliederung auf; die einzelnen Verbalformen umfassen dabei häufig nicht nur temporale, sondern auch aspektuelle und modale Kategorien; Tempus, Modus und Aspekt stellen daher eng ineinander verflochtene Kategorien des Verbs dar,13 die gemeinsam ein ausgebildetes Formenparadigma ergeben. Die verbalen Kategorien manifestieren sich zum einen in der Variation der Endung, zum anderen kann deren Kennzeichnung formal auch eine Modifikation des Verbalstammes erfordern (cf. frz. savoir – je sais – que tu saches etc.). || können der Sprechakt und das Mitgeteilte zeitlich und materiell zusammenfallen; logisch und begrifflich sind sie jedoch zu differenzieren: Wenn beispielsweise jemand sagt: «Ich schreibe» und zeitgleich das Gesagte schreibt, so wird der Sprechakt gebildet von «ich schreibe», das Mitgeteilte ist das Schreiben selbst; wenn jemand sagt: «Ich spreche jetzt über die Sprachanalyse», ist der Gegenstand des Sprechens nicht eigentlich die Sprachanalyse (ich spreche also nicht über die Sprachanalyse), sondern das Sprechen selbst (als das Mitgeteilte). Analog können auch die Teilnehmer am Sprechakt und am Mitgeteilten materiell kongruieren; dennoch besteht eine Differenz auf begrifflicher Ebene: Die Aussage «ich habe gelesen» lässt das sprechende Ich, das über sich selbst spricht, einerseits als Teilnehmer am Sprechen erscheinen, andererseits am Mitgeteilten, am Vorgang des Lesens. Auf diesem Hintergrund erhellt sich die Gliederung nach den Grundbegriffen a) das mitgeteilte Geschehnis GM, b) das Geschehnis selbst des Sprechens (GS), c) die Teilnehmer am mitgeteilten Geschehnis (TM) sowie die Teilnehmer am Geschehnis des Sprechens (TS). 11 Dietrich (1973, 128) übersetzt die relevanten Begriffe wie folgt: die Handlung des Redegegenstandes (Hr) – die Redehandlung selbst (HR) – die Handelnden des Redegegenstandes (hr) – einer der Handelnden des Sprechakts (hR); in der deutschen Fassung des Aufsatzes von Jakobson (1974, 39) lauten die Termini: ein berichtetes Geschehen – ein Sprechakt – ein Beteiligter am berichteten Geschehen – ein Beteiligter am Sprechakt. 12 Laut Jakobson (1957) besteht die Funktion des Aspekts darin, die Handlung dahingehend zu charakterisieren, ob diese als vollendet oder unvollendet zu betrachten ist; gewissermaßen als bloße Subkategorien des Aspekts wären nach Jakobson Aktionsarten wie durativ, ingressiv, terminativ, iterativ etc. zu begreifen. 13 Die Dimensionen des Verbs werden auf Kosten der Kategorie Aspekt häufig auf die temporale Funktion reduziert, an die der Aspekt im Französischen eng gebunden ist; so wird dem Hilfsverb aller in elle va chanter häufig die temporale Funktion eines Futur immédiat zugeschrieben, obgleich aller den imminentiellen Aspekt (nach Riegel et al. 1994, 245) impliziert bzw. nach Coseriu (1976, 123–124) futurische und progressiv-prospektive Periphrasen bildet.
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Der Ausdruck der drei Kategorien ist dabei nicht nur auf die entsprechenden morphologisch ausgebildeten Verbalformen beschränkt, sondern wird teilweise auch durch lexikalische oder syntaktische Mittel zum Ausdruck gebracht. So kann die Modalität im Deutschen oder Englischen etwa lexikalisch über die Modalverben (dürfen, mögen, können, müssen, sollen, wollen bzw. can, must, should, have to, may, might, (not) want to etc.) oder Satzadverbien (z.B. hoffentlich, vielleicht; probably, maybe bzw. über Verben wie to be sure/likely to etc.) kenntlich gemacht werden. Zu den syntaktischen Mitteln, die dem Ausdruck der Modalität dienen, gehören periphrastische Umschreibungen, im Deutschen etwa mit würde, sowie Konstruktionen mit haben und sein (jeweils in Verbindung mit dem Infinitiv: Ich habe noch fünf Briefe zu schreiben etc.).14 Die enge Wechselbeziehung zwischen den Kategorien Tempus und Aspekt manifestiert sich gerade im Russischen, wo die Bildung von vollendeten und unvollendeten Verben (die auch nichtkonjugierte Verbalformen umfassen) je nach Tempus (und Modus bzw. Diathese) des entsprechenden Verbs gewissen besonderen Bestimmungen unterliegt. So gilt für die Bildung der Tempusformen des Indikativs in Präsens, Präteritum und Futur folgendes: Das Präsens (einschließlich der Partizipien des Präsens – Aktiv und Passiv) ist nur im Falle von unvollendeten Verben bildbar, was zugleich heißt, dass vollendete Verben über keine Präsensformen verfügen. Diese Eigenschaft der vollendeten Verben resultiert aus den besonderen Merkmalen des vollendeten Aspekts: Erfassung der Handlung als ein ganzheitliches Geschehen, Gerichtetheit auf das Erreichen des Endpunktes der Handlung. Dagegen erfolgt die Bildung des Präteritums in identischer Weise bei vollendeten und unvollendeten Verben. Die Bildung des Futurs ist ebenfalls unabhängig vom Aspekt des jeweiligen Verbs.15 Der perfektive Aspekt kann sich je nach prospektiver oder retrospektiver Fokussierung der Verbalhandlung auf die Zukunft oder die Vergangenheit beziehen (cf. russ. ja napišu als perfektives Präsens zu perfektivem napisat’ ‘schreiben’ zur Bezeichnung einer zukünftigen Handlung ‘ich werde schreiben’).
|| 14 Im Rahmen der Modallogik wären die logischen Kategorien der deontischen und epistemischen Modalität zu berücksichtigen, wie sie in der Regel bei einer Analyse des Englischen in den Blick genommen werden. 15 Bezüglich der Bildungsweise entsprechen die Futurformen der vollendeten Verben den Präsensformen von unvollendeten Verben, wobei die Futurformen unvollendeter Verben komponierte Formen darstellen; cf. Präsens: Ø (vollendeter Aspekt: nicht besetzt), он читáeт (unvollendeter Aspekt) ‘er liest’; Präteritum: он прочитáл (vollendet), он читáл (unvollendet) ‘er las, hat (hatte) gelesen’; Futur: он прочитáeт (vollendet), он бýдет читáть (unvollendet) ‘er wird lesen, er wird gelesen haben’.
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Das spezifische Verhältnis zwischen der Kategorie Aspekt und der des Tempus in einer Sprache ist insofern zu beachten, als der Aspekt nicht immer einem eigenen sprachlichen Wert entspricht, wodurch ihm in einer Sprache funktionellen Status zukommt, sondern der Aspekt auch als lediglich sekundärer Effekt der Kategorie Tempus erscheinen kann.16 In den romanischen Sprachen etwa besitzen die Aspektbedeutungen in der Regel den Status sekundärer Wirkungen der Tempusbedeutungen, wobei es letztere sind, die eigentlich sprachfunktionellen Wert besitzen. Grundsätzlich kann der Aspekt als primäre (dominante und funktionelle) Dimension oder als sekundäre (nicht-funktionelle) in einer Sprache in Erscheinung treten.
7.1.1 Genus, Person, Status, Taxis und Evidenz Jakobson (1957) unterscheidet im Rahmen seines Entwurfs eines Systems der Kategorien des Verbs zwischen verschiedenen sprachbestimmten und sprechbestimmten Werten, die sich alle aus dem Kommunikationsprozess ableiten lassen sollen.17 Neben den bereits genannten Funktionen werden zudem unterschieden: Genus, Status, Taxis und Evidenz. Der Kommunikationsprozess als Grundlage für die Identifikation und Definition der Verbalkategorien rechtfertigt sich darüber, dass dieser als eine universelle, übereinzelsprachliche Größe betrachtet wird und die Bedingung des Sprechens überhaupt reflektiert. Wie bei den Kategorien der traditionellen Grammatik sind die eruierten Kategorien nicht notwendigerweise in dem Sinne universell, dass sie für alle Einzelsprachen konstitutiv sind, und sie sind dies auch nicht hinsichtlich der jeweiligen Realisierungsmöglichkeiten; immerhin können sie aber als Ausgangspunkt für || 16 So kennzeichnet das romanische Imperfekt zwar häufig eine Handlung in ihrem Verlauf und entspricht daher dem slawischen Imperfektiv hinsichtlich des Bezeichneten; auch wird mit dem romanischen historischen bzw. zusammengesetzten Perfekt vielfach eine abgeschlossene Handlung bezeichnet, wie dies in den slawischen Sprachen über das Perfektiv geschieht. Doch legitimiert dies nicht die Identifikation des romanischen Imperfekts bzw. Perfekts mit dem slawischen Imperfektiv oder Perfektiv, da der sprachliche Wert der romanischen Tempora sich nicht über genannte Bezeichnungsfunktionen definiert. Daher wird im Russischen das Imperfektiv in Sätzen des Typs ja čital Puškina ‘ich las Puschkin (ich habe Puschkin gelesen)’ oder včera ja čital celyj den’ ‘gestern habe ich den ganzen Tag gelesen’ verwendet, wo in den romanischen Sprachen das Imperfekt nicht zur Anwendung kommt (cf. stattdessen sp. ayer leí todo el día («perfektiv» – pretérito indefinido)). 17 Nicht unmittelbar auf die Analyse des Kommunikationsgeschehens zurückzuführen ist allerdings die Differenzierung in «qualitativ» und «quantitativ», die bei den Kategorienpaaren Genus und Numerus bzw. Status und Aspekt zum Tragen kommt.
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eine mögliche Charakterisierung des Verbalsystems einer jeden Sprache angesehen werden. Im Folgenden sollen die bislang noch nicht angesprochenen Grundkategorien des Verbums nach Jakobson kurz erläutert werden: Sie alle beruhen wesentlich auf den mit Blick auf den Kommunikationsprozess als fundamental erachteten Relationen (GM, GS, TM, TS):18 1) Das GENUS bezieht sich, wie die Kategorie Numerus, auf TM; während sich jedoch das Genus im Sinne einer Qualifikation auf die Teilnehmer am mitgeteilten Geschehnis ohne Relation zum Sprechakt bezieht, ist die zugrunde liegende Relation bei der Kategorie NUMERUS eine quantifizierende. Im romanischen Verbalsystem ist diese Kategorie nur beim Passiv realisiert (frz. la cérémonie fut faite) und teilweise beim Reflexiv (it. mi sono lavata; je me suis lavée19). Typischerweise tritt sie (wie bereits lateinisch) beim Partizip auf (frz. je suis venu,e, it. sono venuto,a etc.; auch bei vorausgehendem direkten Objekt: frz. la lettre que j’ai écrite, it. l’ho scritta). Demgegenüber ist die Kategorie des Numerus im Romanischen in der Regel an die Personenkennzeichnung gekoppelt, so beim finiten, zuweilen auch beim infiniten Verb (sp. el decirlo yo ‘die Tatsache, dass ich es sage’). Ohne Bindung an die Person tritt der Numerus beim infiniten Verb lediglich in dessen Partizipialform auf (it. visto – visti; [on est] allé(e)s, monté(e)s – im Französischen allerdings stumm). 2) Die PERSON bezieht sich auf die Teilnehmer am mitgeteilten Geschehnis, wobei eine Relation zu den Teilnehmern am Sprechakt etabliert wird (TM/TS): bei der 1. Person besteht Koinzidenz zwischen TM und dem Sprecher (eventuell nur teilweise, etwa im Plural), bei der 2. Person ist TM identisch mit dem Hörer (dem Angesprochenen), bei der 3. Person entspricht TM keinem von beiden (cf. Benveniste [1946]/1966). 3) Der STATUS bezeichnet wie der Aspekt das mitgeteilte Geschehnis (GM); während der Status das Ereignis, auf das referiert wird, ohne Einbeziehung der Teilnehmer und ohne Bezug auf den Sprechakt in qualitativer Weise charakterisiert, bestimmt der Aspekt dieses in quantitativer Hinsicht. Beim Status bezieht sich die qualitative Charakterisierung auf den logischen Aspekt von GM (d.h. auf die Bestimmung als affirmativ, negativ, interrogativ, negativ-interrogativ; cf. die als ontisch oder «äußerungskategoriell» fassbare Art der funktionellen (grammatischen) Bedeutung nach Coseriu [1972b]/1987, 89–90, 149–150). In den romani-
|| 18 GM = mitgeteiltes Geschehnis, GS = Geschehnis des Sprechens, TM = Teilnehmer am mitgeteilten Geschehnis, TS = Teilnehmer am Geschehnis des Sprechens. 19 Im Französischen kommt der Genusakkord häufig nur in der Schrift-, nicht aber in der gesprochenen Sprache zur Geltung.
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schen Sprachen kommt der Status primär als Eigenschaft der Einheit Satz zum Tragen; allerdings erfordert der Ausdruck des Status in bestimmten Fällen spezifische Modifikationen auf syntaktischer Ebene, so etwa bei der Inversion. Spezifische Anpassungen ergeben sich auch im Bereich der Morphologie, etwa beim Imperativ und dessen Negation (it. canta – non cantare, rum. cîntă – nu cînta, sp. canta – no cantes, ne parle pas, ne parlez pas/plus), bei der Opposition Gerundium – negiertes Gerundium (rum. scriind – nescriind, cîntînd – necîntînd) sowie beim Partizip und dessen negierter Form (rum. văzut – nevăzut – mit nestatt nu wie beim Gerundium). 4) Die TAXIS charakterisiert das mitgeteilte Geschehnis im Hinblick auf seine Stellung zu einem anderen Geschehnis als Mitgeteiltes (oder Stoff des Sprechaktes), wobei kein Bezug zum Sprechakt begründet wird (GMGM).20 Im Romanischen findet sich die Kategorie Taxis bei gewissen unpersönlicher Konstruktionen in Verbindung mit dem Gerundium, dem Infinitiv oder dem Partizip realisiert, cf. frz. manger en chantant, manger après avoir chanté, it. mangiare cantando, ballare dopo mangiato [fa male] etc.). Der Infinitiv umfasst in solchen Fällen keine Relation zum Sprechakt, was die Annahme nahelegt, dass hier kein Zeitstufenverhältnis vorliegt, sondern eine reine Sequenz von Handlungen. 5) Bei der EVIDENZ liegt eine indirekt mitgeteilte Verbalhandlung zugrunde (indirekte Auskunft): Sie bezeichnet diejenige Kategorie, die es dem Sprecher ermöglicht, sich auf einen anderen Sprechakt zu beziehen, so dass der Sprecher sich als jemand ausweist, der das Geschehnis nicht unmittelbar selbst erfahren hat (cf. Peter soll mit Hans gesprochen haben ‘ich versichere es nicht, ich weiß es nur vom Hörensagen’). Es handelt sich also um ein Verhältnis zwischen einem Geschehnis, das in Bezug auf ein anderes Geschehnis (als Redegegenstand) mitgeteilt wird, und einem Sprechakt (GMGMS/GS). Realisiert ist diese Kategorie etwa im Bulgarischen zum Ausdruck des direkten und indirekten Berichts. In den romanischen Sprachen wird zum Ausdruck dieser Sprachfunktion im allgemein der Konditionalis eingesetzt, cf. frz. il serait parti, sp. habría partido, it. sarebbe partito, zuweilen kommt auch das Futur zum Tragen: sp. serán las 2. Wie die Beispiele zeigen, existieren (im Westromanischen und Italienischen)21 || 20 Die «sekundären Tempora» des Romanischen fallen nicht unter die Kategorie Taxis, da etwa das Plusquamperfekt oder das Futur antérieur (Futurum Perfektum) zwar durchaus ein Verhältnis, aber nur indirekt in Form eines «sekundären» Bezugs zum Sprechakt implizieren. 21 Das Rumänische dagegen drückt die Kategorie der Evidenz nur in manchen Fällen mittels des Konditionalis aus, verfügt aber über separate Formen, die dieser Kategorie einen besonderen funktionellen Status verleihen. So besteht hier ein sogenannter Modus «Präsumptivus» (da aber die Kategorie durch mehrere Modi realisiert werden kann, erscheint es problematisch, hier von einem eigenen «Modus» zu sprechen): ar fi plecat – ar fi plecînd/sǎ fi plecat – sǎ fi
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zum Ausdruck dieser Kategorie keine eigenen Formen, sondern die Kennzeichnung der Kategorie wird als sekundäre Funktion von anderen Formen übernommen. Diese inhaltlichen Bestimmungen bedingen auf formaler Ebene entweder die Ausprägung eines einzelsprachlich spezifischen Inventars an Flexionsendungen oder von Kategoriensystemen auf der Grundlage anderer Ausdrucksformen. Auch finden sich die genannten Kategorien nicht ausschließlich am Verb realisiert: So stellt etwa der Numerus in gewissen Sprachen eine sowohl an Verb wie Nomen und Adjektiv markierte Kategorie dar; die Kategorie Person kommt (abgesehen vom Verb oder in Verbindung mit diesem) vornehmlich bei den Personalpronomina zum Tragen. Die Opposition Aktiv-Passiv ist eher als ein sich auf den ganzen Satz beziehendes Phänomen zu betrachten. Tempus und Aspekt sind insofern von besonderem Interesse, als sie nicht nur über grammatische, sondern auch über lexikalische Verfahren gestaltet werden (und zudem die Einheit Satz wie die des Textes tangieren) können. Die genannten Kategorien dienen wesentlich der Vermittlung eines Bezuges zwischen Sprache und außersprachlicher Realität. Daraus resultiert ihre Abhängigkeit von der jeweiligen Äußerungssituation.
7.1.2 Die Modi des Verbs Die traditionelle Definition der Modi ist am Begriff der Modalität orientiert,22 wonach die Modi die Haltung des Sprechersubjekts hinsichtlich des von ihm
|| plecînd (‘es ist möglich, dass er abgereist ist/abreist’) (als letztes Relikt des Konditionalis stellt ar die dritte Person Sg./Pl. des Auxiliars des periphrastischen Konditionals dar (wahrscheinlich aus lat. HABUĔRĬM)). 22 Die Philosophie der Scholastik des 13. Jahrhunderts stellte (in Anlehnung an die Stoa der Antike) die Sprache in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses, das auf die Erforschung der der Realität zugrunde liegenden Organisation ausgerichtet war, indem Sprache als Medium betrachtet wurde, um zu tieferer Erkenntnis über die Beschaffenheit der Welt, genauer ihre Bedeutung (mit impliziertem Wahrheitscharakter) zu gelangen. Von diesem Streben zeugen die vielfältigen Werke, deren Titel De modis significandi lautet; daher auch der Name für die Grammatiker der Zeit, die als Modisten bezeichnet wurden. Aufgabe der sich als wissenschaftlich verstehenden «spekulativen» Grammatik (< lat. SPECULUM) war es, im Rahmen als universal postulierter primärer Prinzipien, auf denen die Logik, die Epistemologie, die Metaphysik und damit auch die Grammatik aufbauten, die Verbindungen zwischen dem Denken der Menschen bzw. deren Sprache als Manifestationen des menschlichen Intellekts und den mittels Sprache bezeichneten Dingen aufzudecken. Die Grammatik stellte sich damit als eine philosophische Theorie der «Redeteile» dar, da die sprachlichen Zeichen die Natur der bezeichneten Gegen-
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Geäußerten zum Ausdruck bringen und damit verschiedene Arten der Betrachtung des durch das Verb bezeichneten Vorgangs implizieren. Insofern als die Modi des Verbums «constituent des cadres de classement qui regroupent chacun un certain nombre de formes verbales» (Riegel et al. 1994, 287), bestehen Affinitäten zu den Modi der Erfassung (bzw. Kategorisierung) der Phänomene der außersprachlichen Realität mittels der Wortkategorien (d.h. zum Wie der Realitätserfassung), wobei sich die hier angesprochenen Modi allerdings innerhalb der Wortkategorie des Verbums bewegen (als Zentrum des Satzes ist damit aber auch der gesamte Satz bzw. die gesamte Äußerung betroffen; anders formuliert: die Kategorien, die den Satz als Ganzes betreffen, werden gewöhnlich am Verb ausgedrückt). Das Wie der Erfassung bezieht sich somit zum einen auf das durch das Verb bezeichnete Geschehen; zum anderen handelt es sich nicht um eine objektive Kategorisierung (wie im Falle der Verbalkategorien), sondern um eine subjektive. Im Französischen lassen sich – je nach theoretischer Ausrichtung – fünf Modi unterscheiden: Indikativ, Subjunktiv («Konjunktiv»), Imperativ, Infinitiv sowie die Partizipialformen (dem das Gérondif bzw. «Gerundium» zugewiesen wird). Traditionell wurde auch das Conditionnel («Konditional») im Französischen als Modus behandelt; mittlerweile wird in den Grammatiken des Französischen jedoch eine Haltung vertreten, die das Conditionnel dem Indikativ zuordnet, wofür gewisse semantische und formale Gründe sprechen (cf. Riegel et al. 1994, 315–320 bzw. Grevisse 1993, §859, N.B.).23 Gemäß der Art der Betrachtung des Verbalvorgangs durch den Sprecher ergeben sich für die verschiedenen Modi folgende Bestimmungen: Der Indikativ präsentiert das Verbalgeschehen als ein sich real ereignendes und wird daher
|| stände nicht unmittelbar, sondern entsprechend ihres Vorkommens in einer bestimmten Seinsweise in bestimmten Modi repräsentierten, deren unmittelbarer Reflex die Wortkategorien darstellen. Sprache als «Spiegel» gefasst sollte somit die Realität reflektieren, wie sie den Phänomenen der außersprachlichen Wirklichkeit zugrunde liegt. 23 Die Einordnung des Conditionnel als Modus bezieht sich, genauer gesagt, primär auf gewisse seiner sprachlichen Werte. So wurde häufig auch zwischen einem modalen und einem temporalen (indikativischen) Gebrauch unterschieden. Die einhellige Klassifizierung des Conditionnel als Tempus des Indikativs beruht wesentlich auf seiner Funktion als ein Futur der Vergangenheit oder ein hypothetisches Futur (das sich, etwa in einem Konditionalsatz, nach dem Verbalgeschehen situiert oder zumindest als dessen Folge anzusehen ist). In einem Satz kann das Conditionnel immer dann stehen, wenn auch der Indikativ Futur möglich ist (hier in der abhängigen indirekten Rede als Futur der Vergangenheit): Il dit qu’il ira./Il a dit qu’il irait. – Il est certain qu’il ira./Il était certain qu’il irait. Entsprechend ist der Gebrauch des Conditionnel ausgeschlossen, wenn das Futur nicht möglich ist (d.h. in Konditionalsätzen) (cf. Grevisse 1993, §850, b, 3°; §851, b, 4°; §853, b, 2°; §854, b, 2°).
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auch «mode du fait» bezeichnet; er steht damit in Opposition zum Subjonctif als demjenigen Modus, der das Geschehen als ein virtuelles darstellt. Im Imperativ schließlich stellt sich die Verbalhandlung in der direktiven Form eines Befehls, einer Aufforderung, Mahnung, Bitte dar. Die Gleichsetzung von Modus und Modalität verhindert eine klare Bestimmung und gegenseitige Abgrenzung der Modi gemäß bestimmten charakteristischen Eigenschaften; insbesondere lassen sich Infinitiv und Partizip nur schwerlich mit einer eigenen Modalität in Verbindung bringen. Wichtiger noch ist die Feststellung der Nicht-Koinzidenz von Verbmodus und Modalität: Ein und dieselbe Modalität kann auf verschiedene Art und Weise ausgedrückt werden (mittels verschiedener Modi oder Satzstrukturen);24 umgekehrt kann ein und derselbe Modus verschiedene Modalitäten implizieren. So dient der Subjonctif traditionell zum Ausdruck eines Willens, eines Wunsches, des Zweifels, der Furcht: Je veux/souhaite/doute/crains qu’il vienne. Die genannten Modalitäten stehen in Abhängigkeit vom Kontext, genauer vom Verbum des übergeordneten Satzes, das den Gebrauch des Subjonctif erforderlich macht. Unabhängig davon drückt ein Modus per se stets eine bestimmte Modalität aus.25
|| 24 So kann die an eine Bedingung geknüpfte Möglichkeit (Eventualität) mittels verschiedener grammatischer Konstruktionen und Modi ausgedrückt werden (cf. Riegel et al. 1994, 288): Si vous preniez une aspirine, vous n’auriez plus mal à la tête. – Prenez une aspirine, vous n’aurez plus mal à la tête. – Vous prenez une aspirine et votre migraine s’en va. – En prenant une aspirine, vous n’aurez plus mal à la tête. – Il suffit de prendre une aspirine pour ne plus avoir mal à la tête. 25 Auf dieser Verwechslung beruht auch die Postulation eines konditionalen Modus im Französischen; sie ergibt sich daraus, dass die Verbalhandlung als an eine Bedingung geknüpft betrachtet wird: Si j’étais plus intélligent, je serais heureux. Allerdings kann die durch den untergeordneten Satz eines hypothetischen Satzgefüges ausgedrückte Bedingung bei weitem nicht allen Werten des Conditionnel Rechnung tragen. Wollte man das Conditionnel als Modus behandeln, müsste dies auch für das Futur gelten. Das Futur wäre dann der Modus des Wahrscheinlichen, des Möglichen in Opposition zum Conditionnel als dem Modus des Hypothetischen oder des Irrealen. So eignet sich auch das Futur (Futur simple und Futur antérieur) zuweilen eher zum Ausdruck der Wahrscheinlichkeit als eines mit Sicherheit angebbaren zukünftigen Ereignisses; dies zeigt etwa der umgangssprachliche Gebrauch des einfachen Futurs von avoir und être zum Ausdruck einer wahrscheinlichen Erklärung für einen gegenwärtigen Sachverhalt: Pour qui donc a-t-on sonné la cloche des morts? Ah! Mon Dieu, ce SERA pour Mme Rousseau. – Notre ami est absent: il AURA encore sa migraine (cf. Grevisse 1993, §857, b, 3°; oder mit Futur antérieur ebenfalls zum Ausdruck einer wahrscheinlichen Erklärung: J’AURAI LAISSE mes lunettes en haut. Courez vite me les chercher (cf. ibid., 1259, 858, b, 1°; cf. demgegenüber den Gebrauch des Conditionnel ibid., 1260, §859, a, 2°; 1262, §860, b). Die Begründung hierfür ist darin zu sehen, dass jede Verbalform, die dem Ausdruck eines zukünftigen Ereignisses dient, notwendigerweise zunächst ein Ereignis im Sinne einer Wahrscheinlichkeit impliziert, die keine völlige Sicherheit zulässt. Ferner ist das Futur dem Conditionnel in
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Streng voneinander zu trennen sind jeweils Äußerungskategorie (Satzmodus) und verbaler Modus (etwa beim Imperativ), auch wenn diese aufeinander verweisen können (cf. Lüdtke 1996b, 2.2.1). So lassen sich bestimmte Korrelationen zwischen Modus und Äußerungskategorie konstatieren: Der Indikativ erscheint primär in Deklarativsätzen (Assertiv) und Interrogativsätzen (il mange, il a mangé, mangera-t-il?); im Indikativ stehen auch Verben, die als Prädikat eines Teilsatzes fungieren (je sais qu’il est arrivé). Der Imperativ kann als der typischerweise in Befehlssätzen und in Optativsätzen gebrauchte Modus betrachtet werden (mange, dormez en paix, dormons). Der Subjonctif ist ebenfalls der Modus der Äußerungskategorie des Befehls sowie des Optativsatzes (für diejenigen Personen, die im Imperativ nicht verfügbar sind). Auch der Subjonctif kann als Verbform eines Teilsatzes dienen (cf. qu’il mange, qu’il vienne, qu’ils dorment en paix!). Der Subjonctif zeigt in diesem Fall an, dass der Sprecher für die Realität des Verbalgeschehens nicht einsteht (Je veux, je crains etc. qu’il réussisse). Das Conditionnel ist kein mit einer bestimmten Äußerungskategorie (einem bestimmten Satztyp) besonders intim verbundenes Tempus: Wie auch der Indikativ erscheint es sowohl in Aussagesätzen, in Interrogativ- und Exklamativsätzen. Die Modi unterscheiden sich zunächst bezüglich ihrer Fähigkeit, die einzelnen grammatischen Personen sowie Tempora des Verbums anzuzeigen, woraus eine Unterscheidung in «modes personnels» und «modes impersonnels» im Französischen resultiert:26 Die «persönlichen» (konjugierten) Verbalmodi sind in der Lage, im Rahmen der Verbflexion die einzelnen grammatischen Personen mittels eines spezifischen Formeninventars zu differenzieren (das Verb dient ferner als Prädikat des Satzes). Dies kann umfassend erfolgen, wie beim Indikativ und Subjonctif, oder nur partiell, wie etwa beim Imperativ, der lediglich in der zweiten Person Singular und Plural sowie in der ersten Person Plural vorkommt. Allerdings situieren diese drei Modi das Verbalgeschehen nicht gleichermaßen im Verhältnis zur Achse der Zeit: Der Indikativ, bei dem die einzelnen Tempusformen am umfassendsten realisiert sind, vermag als einziger Modus die Handlung in den drei Zeiträumen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu lokalisieren; in dieser Hinsicht erscheint der Subjonctif gemäß || evidenter Weise auch formal parallel gestaltet (dies gilt synchronisch wie diachronisch; cf. Grevisse 1993, §779). Verfügt ein Verb zudem über Formen zum Ausdruck des einen Tempus, dann ist auch das andere Tempus als Formensystem realisiert. 26 Cf. Grevisse (1993, 1118, §738): «Les modes sont les formes que prend le verbe selon les types de phrase où il sert de prédicat ou selon le rôle qu’il joue dans la phrase dont il n’est pas le prédicat. Ils se divisent en modes personnels et en modes impersonnels selon que le verbe varie ou non d’après la personne grammaticale. Cette distinction coïncide à peu près avec la précédente: les modes impersonnels, d’ordinaire, ne servent pas quand le verbe est prédicat de la phrase».
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den zur Verfügung stehenden Formen deutlich eingeschränkter. Die Formen des Imperativs implizieren wesentlich eine Ausrichtung auf die Zukunft. Die zweite Gruppe umfasst Modi, die zugleich als unpersönlich (da sie über keine Personalendungen verfügen, also auf nicht-konjugierten Verbalformen beruhen) wie nicht-temporal zu bezeichnen sind (das Verb nimmt eine andere Funktion als die des Prädikats im Satz ein). Dazu gehören der Infinitiv und das Partizip (sowie das Gérondif). Eine Situierung der Verbalhandlung bezüglich der Zeit ist über diese invarianten Formen per se nicht zu leisten; vielmehr ermöglichen das konjugierte Verb, von dem sie abhängen, oder der Kontext die Verankerung des bezeichneten Ereignisses in der Zeit. Infinitiv und Partizip werden darüber hinaus auch als Nominalformen des Verbums betrachtet, wobei der Infinitiv gewisse Eigenschaften mit den Nomina teilt (Funktion als Subjekt, «Prädikatsnomen», direktes Objekt etc., cf.: Braconner n’est pas voler. – J’aime lire); das Partizip (aktiv und passiv) hat gewisse Charakteristika mit dem (qualifizierenden) Adjektiv gemein (cf. Un homme averti en vaut deux (Sprichwort) – On demande un employé parlant l’anglais). Das Gérondif wiederum zeigt Affinitäten zur Wortkategorie Adverb (cf. C’est en forgeant qu’on devient forgeron (Sprichw.)) (cf. Grevisse 1993, §738, b, 1°–3°). Die unpersönlichen Modi werden also gewissermaßen über andere Wortkategorien, deren Funktion die jeweilige Verbalform annehmen kann, klassifiziert.
7.2 Der Verbalaspekt Der durch das Verb ausgedrückte Handlungsprozess lässt sich unter zwei Blickwinkeln betrachten: einer «externen» und einer «internen» Perspektive. Bei ersterer wird die Handlung gemäß der Zeitenabfolge, also chronologisch in einem der drei Zeiträume (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) in Abhängigkeit vom Verhältnis zwischen Äußerungszeitpunkt und Handlungszeitpunkt situiert. Die zweite Perspektive analysiert den Vorgang an und für sich in seinem «internen Verlauf»; hierbei wird die aspektive Dimension berührt. So kann durch ein Verbalgeschehen in inhärenter Weise eine gewisse Handlungsdauer impliziert sein, die unabhängig von der tatsächlichen Chronologie der Ereignisfolge zu bestimmen ist. Dieser intern fokussierte Handlungsverlauf kann einerseits als ein einheitlicher Zeitraum gefasst oder aber in sich analysiert, d.h. in einzelne aufeinander folgende Phasen gegliedert und gegebenenfalls vom Handlungsbeginn bis zu seinem Ende betrachtet werden. So stellt das Passé simple in Il voyagea die vergangene Handlung als eine globale dar, wohingegen in Il se mit à voyager das «Semi-Auxiliar» se mettre à den vergangenen Prozess in seinem Beginn erfasst.
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Beide Arten der Betrachtung des Verbalgeschehens verhalten sich unterschiedlich mit Blick auf den Handlungszeitpunkt als dem gemeinsamen Bezugspunkt: In chronologischer Perspektive wird dieser Bezugspunkt im Verhältnis zum Äußerungszeitpunkt gesehen; Handlungszeitpunkt und Äußerungszeitpunkt können sich dabei decken (Präsens) oder auch nicht (Vergangenheit oder Zukunft). Dagegen kann bei Einnahme der internen, aspektorientierten Perspektive dieser gemeinsame Bezugspunkt verschiedene Positionen innerhalb des Handlungsverlaufs einnehmen, sofern dieser sich in sukzessive Etappen gliedern lässt (darstellbar auf der Linie der Zeit als ein jeweils durch Beginn und Ende begrenzter zeitlicher Ausschnitt unter Ausblendung des Davor und Danach): (début)
(fin du procès)
Die aspektiven Oppositionen des Französischen werden in sehr unterschiedlicher Weise ausgedrückt: Der Handlungszeitpunkt T’ kann je nach Sicht auf das Verbalgeschehen verschiedene Positionen besetzen; wird der Prozess in seinem Beginn erfasst (Il se mit à voyager), situiert sich T’ in unmittelbarere Nähe zur Anfangsgrenze:
T’
Bei Vorliegen einer vollendeten Handlung (Il a voyagé) befindet sich T’ nach der Endzäsur, d.h. die finale Grenze ist erreicht worden: T’
Abb. 7: interne Fokussierung des Handlungsverlaufs
Die einzelnen von T’ besetzbaren Positionen erfassen also den Vorgang in seinen verschiedenen Verlaufsphasen; wird die Handlung als eine globale betrachtet, kann T’ in dieser Weise nicht dargestellt werden.27
|| 27 Riegel et al. (1994, 292); siehe dort zu bibliographischen Angaben.
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7.2.1 Die Opposition «vollendet/unvollendet» Die Aspekte charakterisieren die durch das Verb ausgedrückte Handlung nach spezifischen Eigenschaften des Vollzugs. In den slawischen Sprachen, in denen die konjugierten wie die nichtkonjugierten Formen aller Verben eine Aspektbestimmung enthalten, ist die Opposition zwischen einem vollendeten oder perfektiven Aspekt einerseits, einem unvollendeten oder imperfektiven Aspekt andererseits von grundlegender Bedeutung. Im Slawischen (ich beziehe mich auf das Russische) ist der vollendete Aspekt morphologisch durch spezifische Mittel gekennzeichnet. Inhaltlich stellt der vollendete Aspekt die betreffende Handlung als ein ganzheitliches Geschehen dar, das auf das Erreichen des Endpunktes (im Sinne eines Abschlusses der Handlung oder des Erfassens eines Resultats) gerichtet ist. In schematischer Darstellung befindet sich der Bezugspunkt T’ auf der Zeitlinie nach der finalen Grenze. Diesen Merkmalen des vollendeten Aspekts gegenüber verhält sich der unvollendete Aspekt neutral: Er bezeichnet die betreffende Handlung als solche, ihren Verlauf, häufig auch deren unbegrenzte Dauer oder Wiederholung; daher kann der Bezugspunkt T’ mit verschiedenen Stadien zwischen Initial- und Endpunkt zusammenfallen. Die Frage der Erreichung des Endpunktes (retrospektiv als Resultat, prospektiv als Möglichkeit) ist mit Bezug auf die Handlungsdarstellung irrelevant. Hinsichtlich ihrer lexikalischen Grundbedeutung stimmen vollendetes Verb und unvollendetes Verb eines Aspektpaares miteinander überein; der Unterschied der Aspektpartner beruht einzig auf der grammatischen Bedeutung des jeweiligen Aspekts. Die Opposition «vollendet/unvollendet» stellt sich im Französischen als eine systematische insofern dar, als sie sich auf formaler Ebene in allen Modi in der Gliederung zwischen komponierten und einfachen Formen manifestiert. Eine solche Interpretation spiegelt eine gängige Position in der französischen Grammatik wider, die in der Theorie nach Coseriu (1976) eine idiosynkratische Deutung erfährt:28 «bei der parallelen Perspektive hat man automatisch die Verbalhandlung in ihrem Verlauf, also den kursiven Aspekt; bei der nicht-parallelen
|| 28 Der Bezug zwischen formaler Gestaltung der Tempusformen und damit verbundenem Aspektgehalt findet Eingang in eine an der Coseriu’schen Haltung orientierten Konzeption dort, wo die komponierten Formen des romanischen Verbalsystems als einen Bezug zum Sprecher begründend dargestellt werden (cf. Geckeler/Dietrich 1995, 88ss.). Danach wird die in Coseriu ([1980c]/1987) erläuterte Zeitraumbegrenzung zunächst deiktisch verankert (cf. weiter unten).
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Perspektive – sei sie retrospektiv oder prospektiv – hat man die Verbalhandlung außerhalb ihres Ablaufs, und dadurch den ‘komplexiven’ Aspekt» (Coseriu 1976, 110–111).
7.2.2 Die deiktisch bestimmten Zeiträume im romanischen Tempussystem Das integrative Beschreibungsmodell nach Eugenio Coseriu (1976) stellt das Tempussystem der einzelnen romanischen Sprachen auf eine gesamtromanische Basis. Im Folgenden soll die Darstellung der französischen Tempora sowie deren zugrunde liegender Funktionen im Vordergrund stehen. Das romanische Tempussystem ist aus den im Lateinischen vorherrschenden Verhältnissen erwachsen. Die hier existenten Tempora übersteigen zahlenmäßig das Vorkommen von Zeiträumen, wie sie übereinzelsprachlich gegeben sind. Diese Zeiträume definieren sich über die Orientierung am Sprecher (egozentrierte Perspektive): Seine Gegenwart markiert die «gegebene» Gegenwart als die zentrale Bezugsgröße. Das von ihm ausgehende «Ich», «Hier» und «Jetzt» bestimmt über die deiktischen Kategorien die Perspektive. Die räumliche Wahrnehmung wird hier auf die Kategorie Zeit übertragen: Deiktika wie ici, là29 indizieren die Position des Sprechers im Raum; die Opposition moi – toi beispielsweise markiert die räumliche Distanz zum Du, die Referenz auf eux/elles – cela signalisiert die Distanz zu den Personen und Gegenständen außerhalb des Dialogs. Entsprechungen unter den Temporaladverbien, die die jeweiligen Zeiträume markieren, liegen vor mit alors – maintenant – (et) alors; hier – aujourd’hui – demain; die entsprechenden zeitlichen Relationen bilden die Basis für das temporale Grundschema im Romanischen bzw. Französischen. Aus der Perspektive des Sprechers (d.h. aus der Sicht seiner Gegenwart) erscheint der vor dieser Gegenwart liegende Zeitraum als Vergangenheit, sofern dieser als von der Gegenwart getrennt erfasst wird. Hier kommt vornehmlich das (in der Schriftsprache gebrauchte) Passé simple (cf. das dt. Präteritum) zum Tragen (dem in der gesprochenen Sprache das Passé composé entspricht; vergleiche das dt. Perfekt).30 Entsprechend ist der vor ihm liegende Zeitraum als ein zukünftiger bestimmbar.
|| 29 Diese können auch einen temporalen Bezug anzeigen. 30 Von sonstigen medial bedingten, d.h. auf der Opposition Schriftsprache vs. gesprochene Sprache beruhenden Unterschieden soll an dieser Stelle abstrahiert werden.
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7.2.3 Die Dimensionen der «Ebene» und der «Perspektive» Unter Berücksichtigung der Interdependenz von Tempus und Aspekt können für die romanischen Sprachen (bzw. speziell das Französische) verschiedene prinzipiell mögliche Korrelationen von Tempus und aspektiven Inhalten angenommen werden (cf. Coseriu [1980c]/1987, 127ss.). Coseriu unterscheidet innerhalb der temporalen Dimensionen zwischen «Ebene» und «Perspektive».31 7.2.3.1 Aktuelle vs. inaktuelle Zeitebene Die Ebene kann gefasst werden als diejenige Dimension, die es ermöglicht, bestimmte Verbalhandlungen auf der als uneingeschränkt betrachteten realen Zeitachse im direkten Verhältnis zum Redeakt zu situieren, während andere Handlungen als in ihren Auswirkungen lediglich restringiert erscheinen und auf einer gewissermaßen zurückgesetzten Linie lokalisiert werden (da sie lediglich die Bedingungen, Begleitumstände etc. ersterer Handlungen repräsentieren). Beide «Linien» entsprechen Ebenen, die sich fassen lassen über die Opposition von «aktuellen» und «inaktuellen» Handlungen; die Unterscheidung ist grundlegend für das romanische Tempussystem im Vergleich etwa auch zum germanischen System. Aktuelle Handlungen gehören dem Sprechzeitpunkt an oder sind auf der uneingeschränkten Linie der realen Zeit situierbar. Die Linie des Inaktuellen, die sich zu der des Aktuellen parallel verhält, umfasst diejenigen Ereignisse, die im Moment des Sprechens nicht unmittelbar präsent sind, aber auch nicht als vorzeitig oder nachzeitig verstanden werden können. Das Inaktuelle positioniert sich somit nicht auf der Linie der realen Zeit, sondern steht allein in Opposition zur Aktualität des Sprechers. (Die inaktuelle Ausdehnung wird in den romanischen Sprachen im Rahmen der Gegenwart durch das Imperfekt bezeichnet.) Die Validität der Aktualität wird allgemein durch unsichere Faktoren begrenzt, wie sie durch bestimmte kontextuelle Bedingungen entstehen oder Vermutungen zugrunde liegen. Beide Ebenen, die aktuelle wie die inaktuelle, müssen, da sie als temporale Dimensionen verstanden werden können, auf das Tempussystem einer Sprache bezogen werden. Unter Anwendung auf die romanischen Sprachen erhält man hier die Opposition zwischen Präsens und Imperfekt (je le fais – je le faisais), so dass das Präsens in den romanischen Sprachen die aktuelle Ebene der Gegen-
|| 31 Coseriu setzt gewissermaßen an die Stelle der traditionellen grammatischen Kategorien Tempus und Aspekt anders gefasste, neue Dimensionen, die sich mit den alten Kategorien zum einen weder zu decken brauchen, noch eine reine Uminterpretation derselben darstellen.
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wart repräsentiert. Die Ebene bildet die Basisdimension im Verbalsystem der romanischen Sprachen, weshalb das Imperfekt hier auch weniger ein Tempus der Vergangenheit als vielmehr das Zentrum (bzw. den neutralen Pol) der inaktuellen Ebene darstellt. Insofern kann im Grunde keine direkte Opposition zwischen Imparfait und Passé simple konstatiert werden. Vielmehr steht zunächst auf einer ersten Stufe die inaktuelle Ebene der aktuellen gegenüber und innerhalb dieser fungieren jeweils das Imparfait und das Présent als Foki der genannten Ebenen. Erst über das Präsens wird eine erneute Opposition, die zwischen Présent und Passé défini, begründet. Die entscheidenden Oppositionen innerhalb des französischen Tempussystems sind daher zum einen die zwischen Présent und Futur bzw. Présent und Passé simple (aktuelle Zeitebene), zu der die Oppositionen zwischen aktueller und inaktueller Ebene, also die zwischen Présent und Imparfait bzw. Futur und Conditionnel, hinzutreten. Présent, Futur simple und Passé simple stellen die dem jeweiligen Zeitraum zuzuordnenden Zustände und Handlungen als uneingeschränkt geltend dar; sie bezeichnen gewissermaßen den «Vordergrund» der Handlung oder zeitlichen Darstellung und werden daher als «aktuell» bezeichnet. Über eine solche Interpretation der temporalen Bezüge innerhalb des romanischen Verbalsystems lassen sich die Verwendungen des Imperfekts umfassend erklären: Das sich auf der «inaktuellen Zeitebene» (modellhaft) situierende «inaktuelle Tempus» stellt die zu den jeweiligen Vordergrundshandlungen gehörenden parallelen «Hintergrundsdarstellungen» bereit. Diese Handlungen betreffen also nicht direkt die Ereignisse der aktuellen Zeitebene, sondern stehen zu diesen in einer gewissen Distanz, sind in gewisser Hinsicht unsicher, in ihrer Gültigkeit eingeschränkt, bedingt. Solche Einschränkungen können manifest werden: a. in Höflichkeitsformen (frz. Je VOULAIS te dire quelque chose pendant que nous sommes seuls); b. in Konditionalsätzen (frz. Si j’AVAIS l’argent, je te le donnerais); c. im Ausdruck einer Verkleinerung oder «Verniedlichung» (als «Imparfait hypocoristique» oder «Imparfait mignard» bezeichnet, etwa wenn im Französischen die Mutter zum Kind sagt Comme il ÉTAIT sage, mon garçon! Comme il AIMAIT bien sa maman!); d. im Falle der Imitation einer Situation («Nachspielen» in der Vorstellung, z.B. frz. Moi j’ETAIS le roi et toi la reine, bekannt als «Imparfait préludique») etc. (cf. Grevisse 1993, §851). Am deutlichsten wird diese Distanzierung zur aktuellen Ebene im als indirekte Rede (Discours indirect) bekannten Fall: Hier kommt die zeitliche Einschränkung dadurch zum Tragen, dass die ursprünglich direkt erfolgte Aussage indirekt wie-
Der Verbalaspekt | 541
dergegeben wird und damit grammatikalisch in vielen Fällen einer einleitenden Formel bedarf, die die Abhängigkeit der indirekten Aussage vom übergeordneten Verb kenntlich macht: Elle m’a dit qu’elle ÉTAIT malade; Elle m’a téléphoné pour dire qu’elle VIENDRAIT me voir ce soir (Voraussetzung für die Distanzierung auf der temporalen Ebene in der indirekten Rede ist, dass das Verbum des übergeordneten Hauptsatzes in einem Tempus der Vergangenheit steht). Das Imparfait entspricht (im unabhängigen Satz) zeitlich dem Präsens, der sogenannte Konditional Präsens dem Futur; das Conditionnel présent wird hier also als Tempus (futur dans le passé) und nicht als Modus gebraucht. Dem Passé simple entspricht als inaktuelles Tempus der Vergangenheit das Plus-que-parfait, das im Französischen in morphologisch «einfacher» Form nicht existiert: Tab. 8: Aktuelle und inaktuelle Zeitebene im Französischen
Zeit
Vergangenheit
Aktuelles Tempus Beispiel
Gegenwart
Zukunft
Passé simple
Présent
Futur
il/elle chanta
Il/elle chante
il/elle chantera
Inaktuelles Tempus
«einfaches» Plus-que-parfait (im Frz. inexistent)
Imparfait
Conditionnel (Présent)
Beispiel
----
il/elle chantait
il/elle chanterait
Der «valeur générale» des Imparfait wird normativ i.d.R. wie folgt umrissen: «L’imparfait montre un fait en train de se dérouler dans une portion du passé, mais sans faire voir le début ni la fin du fait», z.B. Comme le soir TOMBAIT, l’homme sombre arriva (cf. Grevisse 1993, §851); erst das Beispiel stellt die auf dem Hintergrund der bisherigen Funktionsanalyse innerhalb des romanischen Verbalsystems verkürzte Sicht heraus. Kontextgebundene Redebedeutungen des Imparfait im Französischen können unter anderen sein: Imparfait, das eine Gewohnheit oder eine wiederholt eintretende Handlung bezeichnet: Il se levait tous les jours à sept heures. Imparfait zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit des untergeordneten im Verhältnis zum übergeordneten Satz: Nous étions à l’étude, quand le Proviseur entra. Deskriptives Imparfait zur Darstellung der Umstände, des Hintergrunds (Erläuterungen, Kommentare), auf dem eine Handlung stattfindet: Il dut détourner la tête, car il était sur le point de pleurer.
542 | Tempus, Aspekt und Modus
Bereits angesprochenen wurden die mit Blick auf die aktuelle Ebene einschränkenden bzw. distanzierenden Funktionen des Imparfait zum Ausdruck einer Hypothese, die den Irrealis der Gegenwart kennzeichnet (in konditionalen Satzgefügen); in Höflichkeit oder Abschwächung markierender Funktion; als «Imparfait préludique»; als «Imparfait hypocoristique». In allen diesen Redebedeutungen bleibt das Moment der Inaktualität der Gegenwart erhalten. Anstatt von multiplen Redebedeutungen einer Grundfunktion auszugehen, lassen sich alternativ verschiedene eigene semantische Werte im Rahmen der Polysemie-Konzeption annehmen, die – so z.B. im multidimensionalen Ansatz Viguiers 2011 – jeweils von spezifischen Gebrauchsbedingungen ausgelöst werden, die es zu eruieren gilt. Meine Analyse, die von der Ebene des Typus herkommt, versucht stattdessen, in der diachronischen Ausbildung verschiedener Werte eine Grund«motivation» aufzudecken; prinzipiell erscheint dabei eine an den Schnittstellen der sprachlichen Ebenen orientierte Herangehensweise, die die verschiedenen Subsysteme als interdependent erkennt, als gleichwohl der vielversprechendste Weg. 7.2.3.2 Primäre und sekundäre Perspektive Die Perspektive als zweite temporale Dimension stellt gegenüber der Ebene ein Mittel dar, um eine Verbalhandlung direkt oder indirekt auf einen bestimmten Punkt zu beziehen. Dieser Bezugspunkt wird auf der aktuellen Ebene durch den jeweiligen Sprechzeitpunkt repräsentiert; auf der inaktuellen Ebene ist dies der «besprochene» Moment, der häufig in der Vergangenheit liegt, aber auch die Gegenwart (wie im Konditionalsystem: si j’avais …) oder die Zukunft betreffen kann (wie im «Imparfait préludique»: Alors j’étais le roi et toi tu étais la reine) (cf. supra). Dies bedeutet, dass das Inaktuelle aus der Sicht des Aktuellen zwar häufig als Vergangenheit interpretiert wird; darin liegt jedoch nicht die Funktion der Opposition der aktuellen und inaktuellen Linie, sondern hier wird lediglich eine unter anderen Möglichkeiten der Begrenzung der Aktualität manifest. Die Perspektive kann ihrerseits entweder als «parallel», «prospektiv» oder «retrospektiv» charakterisiert werden je nachdem, ob sie den Bezugspunkt mit umfasst (parallel, etwa beim romanischen Präsens und Imperfekt) oder die Verbalhandlung nach (prospektiv) bzw. vor (retrospektiv) dem Bezugspunkt lokalisiert.
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Coseriu unterscheidet für die romanischen Sprachen drei Perspektiven. Die erste Perspektive dient der unmittelbaren Kontrastierung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und damit der Gegenüberstellung der durch diese definierten Zeiträume (und nicht von Zeitpunkten). Der Zeitraum der Gegenwart ist unbegrenzt und daher mit der Zeit an sich äquivalent. Der Zeitraum der Vergangenheit wird (durch den Zeitpunkt des Sprechakts) rechts begrenzt und ist retrospektiv unbegrenzt; der Zeitraum der Zukunft wird (ebenfalls durch den Moment des Sprechaktes) links begrenzt und ist prospektiv unbegrenzt (cf. Dietrich 1973, 134): «Gegenwart»
«Vergangenheit»
«Zukunft»
Abb. 8: Zeiträume der primären Perspektive
Auf der inaktuellen Ebene kommt dem Imperfekt die Rolle des Präsens zu; die Zukunft des Imperfekts wird durch den Konditional des Präsens ausgedrückt, die Vergangenheit gegebenenfalls durch das einfache, d.h. nicht komponierte Plusquamperfekt (wie etwa im Portugiesischen vorhanden). Die parallelen Funktionen spiegeln sich hier in der Parallelität der Formen wider (cf. die historische Entwicklung der materiellen Mittel zum Ausdruck der Tempora in den romanischen Sprachen). Neben den morphologisch einfachen Tempora oder Grundtempora besteht innerhalb des romanischen Tempussystems die Möglichkeit, die primäre (deiktische) Aufgliederung oder Perspektivierung der Zeitraumvorstellungen in jedem der Zeiträume zu wiederholen, wobei sekundäre (bzw. tertiäre) Zeiträume entstehen. So funktioniert die zweite Perspektive analog zur ersten in den bereits durch die erste Perspektive konstituierten Zeiträumen, die ihrerseits als «Gegenwart» fungieren. Im Französischen ergibt sich in der zweiten Perspektive innerhalb des aktuellen Präsens eine Gegenüberstellung von j’ai fait – je fais – je vais faire und auf der Ebene des inaktuellen Präsens j’avais fait – je faisais – j’allais faire. Während sich der Sprecher in der primären Vergangenheitsperspektive über das Passé simple (il chanta) auf eine von ihm als getrennt erfahrene Vergangenheit bezieht, betrachtet der Sprecher in der sekundären Vergangenheitsperspektive
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die Vergangenheit von seinem gegenwärtigen Standpunkt aus; hierzu verwendet er das Passé composé (il a chanté). Analoges gilt für die übrigen Tempora: So kann der Sprecher das Futur (il chantera – primäre Perspektive: von der Gegenwart als getrennt erfasstes, zukünftiges Geschehen) in einer sekundären Perspektive von seiner Gegenwart aus betrachten, wobei eine periphrastische (syntagmatische) Form verwendet wird, um diese Relation – die InBezugsetzung zur Gegenwart des Sprechers – zum Ausdruck zu bringen: il va chanter. Dieser aus der unterschiedlichen Perspektivierung resultierende Bedeutungsunterschied muss nicht in allen Redeverwendungen zum Tragen kommen, sondern kann auch durch den Kontext neutralisiert sein. Im Portugiesischen lassen sich ferner in dieser Perspektive unterscheiden: tive feito – fiz – fui fazer und sogar folgende «Fächer» sind im Portugiesischen besetzt: terei feito – farei – irei fazer etc. Diese beiden im Französischen nicht vollständig umgesetzten Reihen sind aber auch hier als Möglichkeiten innerhalb des Tempussystems angelegt und stellen (wo nicht realisiert) potentiell bildbare Formen dar: j’eus fait – je fis – *j’allai faire bzw. j’aurai fait – je ferai – *j’irai faire. Erste und zweite Perspektive unterscheiden sich also hinsichtlich ihrer zugehörigen Formen dadurch, dass die erste Perspektive über einfache, die zweite über komponierte Formen verfügt. Ferner lassen sich die aus der Anwendung der zweiten Perspektive resultierenden Zeiträume erneut untergliedern, so dass man eine dritte Perspektive erhält. Ihre Formen werden im Französischen durch die sogenannten «überkomponierten» Formen (formes surcomposées) repräsentiert: j’ai eu fait, j’avais eu fait, j’aurai eu fait etc. Überblickend lässt sich folgende Darstellung zu den temporalen Dimensionen (des Indikativs) im Französischen entwerfen (zu allen kursiven Formen finden sich Belege in Le bon usage, 142007 bzw. 152011):
Der Verbalaspekt | 545
Tab. 9: Temporale Dimensionen (Ebenen und Perspektiven) des Französischen (Indikativ) Tab. 9a: Aktuelle Zeit (AZ) Ebene: aktuelle Zeit (AZ)
Bezugspunkt: Sprechzeitpunkt
retrospektive
parallele Perspektive
prospektive
primäre Perspektive
Passé simple
(Fokuskategorie) Présent
Futur simple
sekundäre Perspektive
Passé antérieur
tertiäre Passé Perspektive antérieur surcomposé
Passé composé
Futur proche
Futur antérieur
Passé surcomposé
Futur antérieur surcomposé
Tab. 9b: Inaktuelle Zeit (IZ) Ebene: inaktuelle Zeit (IZ)
primäre Perspektive
Bezugspunkt: besprochener Augenblick
retrospektive
parallele Perspektive
prospektive
*einfaches Plus-que-parfait
(Fokuskategorie) Imparfait
Conditionnel
sekundäre Perspektive tertiäre Perspektive
Plus-que-parfait
Plus-queparfait surcomposé
Conditionnel passé
Conditionnel passé surcomposé
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Tab. 9c: Beispiele AZ Ebene: AZ
primäre Perspektive
je chantai
je chante
je chanterai
sekundäre Perspektive
J’eus chanté
tertiäre Perspektive
*j’allai chanter
j’ai chanté je suis parti etc.
je vais chanter
j’aurai chanté
*j’irai chanter
*je j’aura *j’irai *je *j’irai *je j’eus eu *j’alla *je fus *j’allai j’ai eu *je chan- i avoir allé aller chan- vais suis vais i eu avoir serai aller té32 chan- chan- chan- té avoir allé aller chan- chan- allé chanter té té chan- ter ter j’ai chan- chan- chan- té j’eus ter j’aura ter ter té été été i été parti parti parti
Tab. 9d: Beispiele IZ
*je chant__
je chantais
je chanterais
Ebene: IZ primäre Persp.
sekundäre Persp.
*je/j’__ chanté
*je/j’__ chanter
tertiäre Persp.
j’avais chan- j’allais chan- j’aurais chanté ter té
*j’irais chanter
*je/j’_ *je/j’_ *je/j’_ *je/j’_ j’avai *j’allai *j’étai *j’allai j’aurais *j’irai *je *j’irais s s s eu s serais aller eu avoir allé aller s eu chan- chan- chan- chan- chan- avoir allé aller chan- avoir allé chanté chanté chan- chan- té32 chan- chan- ter té té ter ter j’avai ter ter j’aurais té ter s été été parti parti
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7.2.4 Aspekt als typologische Dimension Die verschiedenen gegeneinander abgrenzbaren Aspekttypen, wie sie für das Slawische oder Germanische bestimmt wurden, lassen sich auch im romanischen Verbalsystem wiederfinden, allerdings kommen hier völlig andere Ausdrucksmittel zum Zuge, die der jeweiligen typologischen Struktur der Sprachsysteme zu entsprechen scheinen. So erfolgt die differenzierte Aspektgestaltung des romanischen Verbalsystems im Rahmen eines sekundären Systems, das mit periphrastischen Ausdrucksmitteln operiert. Auch in diesem sekundären System dominiert die grundlegende temporale Orientierung der zentralen Kategorie, nämlich der sekundären Perspektive, deren Funktion – so sei erinnert – darin besteht, die innerhalb einer primären Perspektivierung abgegrenzten Zeiträume (nach Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft) auf der Basis der aktuellen (je chantai – je chante – je chanterai) und inaktuellen (Ø – je chantais – je chanterais) Zeitebene im Verhältnis zu einem Bezugspunkt zu gliedern (z.B. j’ai chanté – je chante – je vais chanter). Eine solche Gliederung bezieht sich in analoger Weise auf jeden der in sekundärer Perspektivierung erfassten Zeiträume. Diese an der Zeitraumbestimmung orientierte Kategorie (sekundäre Perspektive) bedingt, dass die aspektive Dimension hier nur als eine indirekte, implizite in Erscheinung treten kann, und zwar als terminativer Aspekt (j’ai fait). 32
33
|| 32 Der vom Passé antérieur surcomposé im Verhältnis zum Passé simple vermittelte spezifische Wert entspricht (zumindest theoretisch) der besonderen Nuance, die das Passé plusque-parfait surcomposé im Verhältnis zum Imparfait vermittelt, bzw. der im Passé surcomposé im Vergleich zum Présent enthaltenen Nuance. Zur Frage des tatsächlichen Vorkommens und der funktionellen Notwendigkeit eines Passé antérieur surcomposé siehe ausführlich Cornu (1953, 124–127); zusammenfassend lässt sich diesbezüglich folgendes festhalten (ibid., 126; ich unterstreiche): «[…] le passé composé et le plus-que-parfait, qui […] occupent dans la chronologie en profondeur une position de deuxième plan par rapport au premier plan que constituent les formes simples, justifient l’emploi par rapport à eux-mêmes des constructions de troisième plan, les formes surcomposées. […], par exemple, ‘lorsque j’eus eu fini, je partis’, situe la première image verbale sur un troisième plan par rapport à la seconde, qui occupe le premier plan. Aussi ne conçoit-on pas ici […] l’utilité du passé antérieur surcomposé». 33 Das Conditionnel passé surcomposé ist in seinem Gebrauch auf den modalen Wert beschränkt; in der geschriebenen Sprache sind die «überkomponierten» Formen des Conditionnel passé so gut wie nicht vertreten und gehören vornehmlich dem Typ s’il aurait eu écrit cette lettre, il me l’aurait montrée an. Demgegenüber bedient sich die gesprochene Sprache dieser Formen mit einer gewissen Frequenz; hier kommen die folgenden beiden parallelen Typen vor: (i) il aurait eu écrit cette lettre, il me l’aurait montrée, (ii) il aurait eu écrit cette lettre qu’il me l’aurait montrée. Das Conditionnel passé surcomposé drückt in der Regel die Vorzeitigkeit einer Handlung gegenüber einer anderen, durch ein Conditionnel passé bezeichneten Handlung aus; dieses Zeitverhältnis gilt für die genannten Typen gleichermaßen (cf. Cornu 1953, 131–135; 184–187).
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Die genuin aspektiven Dimensionen werden erst im Rahmen anderer Kategorien verwirklicht: der der «Schau», des «Resultats» und der «Phase» (cf. infra), die ihrerseits offenbar weitere Bestimmungen der sekundären Perspektive darstellen (bzw. diese integrieren) und auf der dritten Stufe des romanischen Verbalsystems verankert sind. Diese Kategorien werden also weder mit dem Verbalbegriff selbst, also unabhängig von der zeitlichen Orientierung umgesetzt (wie im Slawischen), noch im Rahmen der Zeitraumbestimmung (wie die griechischen Aspekte) vermittelt, sondern sie beziehen sich erst auf einen innerhalb eines Zeitraums im Verhältnis zu möglichen anderen Handlungen lokalisierten Handlungszeitpunkt bzw. auf die entsprechende Handlung. Die Besonderheit des romanischen Aspektsystems beruht nun (im Unterschied etwa zum Englischen) darauf, dass die Aspektbestimmung im Romanischen nicht mit der Zeitpunktbestimmung innerhalb des entsprechenden Zeitraumes zusammenfällt, sondern eine weitere Bestimmung darstellt, die zudem eine besondere materielle Ausformung erfährt. Letztere manifestiert sich in folgenden typologisch interpretierbaren Äußerungsformen, die die romanischen Sprachen von den slawischen, vom Griechischen oder Englischen absetzen: a. Der slawische Aspekt, der independent von der temporalen Determination und im Verhältnis zu dieser als primär angesehen werden muss, ist integraler Bestandteil des Verbalbegriffs selbst (cf. pisat’ ‘schreiben (imperfektiv)’ – napisat’ ‘schreiben (perfektiv)’ etc.). b. Der griechische Aspekt ist in spezifischer Weise Zeitraum gebunden: Er erscheint als Parallelfunktion mit der primären Lokalisierung einer Handlung innerhalb eines Zeitraumes und ist an diese untrennbar gebunden. So erfüllt das griech. Imperfekt die Funktion «Vergangenheit» als eine «imperfektive» (ἕγραφου), das griech. Perfekt drückt simultan «Präsens» und «Resultativ» (γέγραφα) aus. c. Der englische Aspekt kongruiert mit der Zeitpunktdetermination innerhalb der Zeiträume. So ist die Bestimmung einer Handlung allein innerhalb des Zeitraums Präsens aspektiv indeterminiert (I write); dagegen geht die Lokalisierung einer Handlung mit Blick auf einen bestimmten Zeitpunkt einher mit einer aspektiven Determination (I am writing, I have written). d. Der romanische Aspekt wiederum ist, wie bereits erwähnt, keine Funktion der Zeitpunktbestimmung, sondern stellt eine weitere Determination dar, die in Opposition zur Zeitpunktbestimmung tritt. Um ein Beispiel zu nennen: sp. he estado escribiendo ist bezüglich des Zeitraums als «Präsens» charakterisiert, bezüglich des Zeitpunktes (Lokalisierung der Verbalhandlung im Verhältnis zum Sprechzeitpunkt innerhalb der jeweiligen Zeiträume) als «vorzeitig» und auf der dritten Stufe des Aspektsystems als «Win-
Der Verbalaspekt | 549
kelschau» (cf. infra); erst die Einordnung als «Winkelschau» verleiht dieser Form aspektiven Charakter. Lediglich die «impliziten» Aspekte treten parallel zur Zeitraumbestimmung (kursiver Aspekt bzw. komplexiver Aspekt der primären Perspektive (einfache Zeitformen)) bzw. zur Bestimmung der Zeitpunkte ein (terminativ − nicht-terminativ innerhalb der Dimension der Vollendung in subjektiver Perspektive, z.B. he escrito mucho; subjektiv: ‘jetzt schreibe ich nicht’; cf. Coseriu 1976, 98).
7.2.5 Aspekttypologie Das Französische und typologisch affine Englische weisen auch mit Blick auf die Kategorie Aspekt Parallelen wie idiosynkratische Formen der sprachsystematischen Gestaltung auf. Eine unmittelbare Übereinstimmung zwischen dem romanischen und dem englischen Aspektsystem kann mithin pauschal nicht aufrechterhalten werden; vielmehr beruht der Unterschied grundlegend darauf, dass im romanischen Verbalsystem die Kategorie Aspekt erst auf einer weiteren, im Englischen nicht vorhandenen Ebene zum Tragen kommt. Die Gemeinsamkeit beider Sprachen ist eine in der höchsten Ebene der sprachstrukturellen Gestaltung verankerte, typologisch bedingte. Diese typologische Nähe manifestiert sich hinsichtlich der formalen Gestaltung des Verbalsystems im Rekurs auf «syntagmatische» Verfahren. Die Beobachtung, dass die Kategorie Aspekt – wie andere grammatische bzw. paragrammatische Kategorien auch – typologisch interpretierbar ist, ist per se keine Selbstverständlichkeit. Nach J. Holt (1943) lassen sich auf formaler Ebene vier Verfahrenstypen zum Ausdruck des Verbalaspekts unterscheiden (cf. Coseriu 1976, 117–118): 1. «Radikaler» Aspekt: Dieser beruht auf der Alternation des Verbalstammes («Stammaspekt»), etwa bei lat. SEDEO – CONSIDO; russ. летáть, also letat’ (unbestimmt ‘fliegen’) – летéть, also letet’ (bestimmt ‘fliegen’).34 2. «Flexioneller» Aspekt: Dieser wird über die Flexion im Rahmen der Verbkonjugation ausgedrückt (z.B. griech. λύω – λέλυκα – ἕλυον – ἕλυσα ‘lösen’).
|| 34 Dieses Verbpaar gehört zu den 17 nichtpräfigierten Verbpaaren des Russischen, die eine Fortbewegung im Raum kennzeichnen und deren beide Glieder unvollendet sind. Die lexikalische Grundbedeutung beider Verben ist identisch; der Unterschied beider Elemente besteht jedoch in der Angabe der Richtung, in der die Fortbewegung erfolgt: Die determinierten Glieder dieser Paare bezeichnen eine Handlung, die ausschließlich in einer Richtung erfolgt; die indeterminierten Glieder bezeichnen eine Handlung, die nicht nur in einer Richtung verläuft oder überhaupt keine Richtung impliziert.
550 | Tempus, Aspekt und Modus
3.
«Syntagmatischer» Aspekt: Dieser kommt durch Verbalperiphrasen, die in der Regel ein Hilfsverb enthalten, zum Tragen. Diese Aspektform ist in prototypischer Weise im Romanischen verwirklicht, wobei grundsätzlich die Möglichkeit der Koexistenz des syntagmatischen Aspekts mit den anderen Aspekttypen besteht: Entweder treten diese als marginale lexikalische Typen in Erscheinung (so beim derivativen Aspekt auf der Grundlage paragrammatischer Verfahren oder beim radikalen Aspekt) oder sie liegen in impliziter Form als Nebenbedeutungen vor, was etwa auf den flexionellen Aspekt zutrifft. 4. «Derivativer» Aspekt: Dieser ist ein «Ableitungsaspekt», d.h. er manifestiert sich in der Derivation (cf. lat. CANO – CANTO, SALTO – SALTITO;35 gr. έχω – ίσχω ‘haben’; russ. pisat’ – napisat’ ‘schreiben’; dt. jagen – erjagen, trinken – austrinken). Zur Holtschen Aspekttypologie ist Folgendes anzumerken: Zum einen entspricht die Berücksichtigung grammatischer wie paragrammatischer bzw. lexikalischer Ausdrucksmittel dem hier vertretenen Ansatz einer grammatischparagrammatischen Analyse. Zum anderen fügen sich die vier zunächst als rein formale Techniken ausgewiesenen Aspekttypen in die Typuskonstrukte der Allgemeinen Typenlehre ein. In diesem Kontext können die angeführten Typen nicht mehr bloß als rein formale Verfahren betrachtet werden, sondern sie erlangen als Glieder einer Konstellation funktional aufeinander abgestimmter Merkmale einen eigenen Stellenwert: Als Manifestationen der höchsten Prinzipien sprachlicher Organisation strukturieren sie den entsprechenden Systembereich in einer Weise, dass das Wirken des Typus zu tage tritt. Der hier nach Holt als «flexionell» bezeichnete Aspekttypus könnte unter der genannten typologischen Prämisse als Manifestation des traditionell flektierenden (auch «flexivisch» bezeichneten) Typus gedeutet werden; der «radikale» Aspekttypus dagegen wäre als ein Subtyp des flexionellen in gleichem Sinne zu verstehen, wie der introflexiv(isch)e (oder introflektierende) Typus mit Bezug auf die holistischen Typuskonstrukte einen Subtypus des flektierenden Konstruktes darstellt. Die Introflexion kann allgemein als eine Spielart der Flexion aufgefasst
|| 35 Eine entparagrammatikalisierte Aspektbedeutung des Lateinischen ist die Phase im Rahmen der Verbmodifizierung (cf. Coseriu 1976, 103–106). So ging der suffixale Ausdruck folgender Bedeutungen unter: der desiderativen (INCIPERE → INCIPESSERE ‘anfangen wollen’, SCRIBERE → SCRIPTURIRE ‘schreiben wollen’), der konativen (CAPERE → CAPTARE ‘wiederholt nach etwas greifen’, FUGERE → FUGITARE ‘eilig fliegen’), der ingressiv-progressiven (FLORERE → FLORESCERE ‘aufblühen’) (einschließlich der gegebenenfalls mit auftretenden Situierung: FATISCI ‘ermatten’ → DEFETISCI ‘völlig ermatten’) (cf. Lüdtke 1996a, 247).
Der Verbalaspekt | 551
werden, die sich dadurch auszeichnet, dass eine regelmäßige interne (Vokal-) Alternation, die sowohl zum Ausdruck grammatischer wie paragrammatischer Inhalte dienen kann, die Wurzel erfasst; anders formuliert: eine hinsichtlich Form und Funktion eindeutige Segmentierung von Wurzel- und grammatischer Endung bzw. Wortbildungsmorphem ist nicht möglich (zur Unterscheidung zwischen dem flektierenden und introflektierenden Typus cf. Kap. 3.4.5).36 In Coseriu ([1980c]/1987, 123) ist von einer lediglich dreifachen Gliederung an typologischen Gestaltungsmöglichkeiten des Aspekts die Rede, wonach unterschieden werden können: ein als «lexikalisch» oder «derivativ» bezeichneter Aspekttyp, ein «flexivischer» sowie ein «periphrastischer» Typus. Hieraus geht jedoch nicht hervor, ob nun der «radikale» Aspekttypus nach Holt, der in dieser dreifachen Gliederung keine eigene Kategorie darstellt, als Variante des «flexivischen» Aspekts (wenn überhaupt) diesem oder vielmehr dem lexikalischen Aspekt subsumiert wird (der syntagmatische Typus scheidet a priori aus). Holt weist jedoch darauf hin, dass Formen wie russ. letat’ – letet’ auf keiner produktiven und vorhersagbaren Alternation beruhen. Die Dimension der «Determinierung» wie bei russ. letat’ ‘(in eine unbestimmte Richtung) fliegen’ versus letet’ ‘(in eine bestimmte Richtung) fliegen’ ist also nicht bei allen Verben gleichermaßen vertreten, sondern auf eine besondere Gruppe an Verben begrenzt. In bestimmten Fällen können regelhafte introflexivische Alternationen auch der Derivation zugeschrieben werden.37 Ähnlich ist z.B. im Französischen die Verwendung der Verbalperiphrase aller faire auf einen Gebrauch von aller im Präsens und Imparfait, also in diesem Fall nicht auf eine bestimmte Verbgruppe, sondern auf eine bestimmte Auswahl an Tempora beschränkt (je vais (le) faire, j’allais (le) faire). Demgegenüber kann im Spanischen das Hilfsverb in allen Tempora stehen (iba a hacer(lo)). Das Wirken der für eine Sprache als typisch bestimmten Basisdominante (im Rahmen der holistisch gefassten Konstrukte) zeigt sich im Rahmen obiger Klassifizierung insofern, als die typologische Charakterisierung etwa des Griechischen als einer Sprache mit dominant flektierender Basis im aspektiven Subsystem, sofern dieses mit dem flexivischen Aspekt operiert, einen Reflex findet. Allerdings lässt sich in Bezug auf das Griechische einwenden, dass der «deriva|| 36 Interessant wäre ein Vergleich mit dem Arabischen als einer prototypisch introflektierenden Sprache, die über zwei Aspektformen verfügt: Diese sind nach unterschiedlichen Konjugationsmustern gestaltet und dienen der Unterscheidung von Perfekt und Imperfekt zum Ausdruck der Opposition ‘Präteritum’ vs. ‘Präsens/Futur’. 37 Auf die uneinheitliche Differenzierung zwischen (grammatischem) Aspekt und (lexikalischen) Aktionsarten wurde bereits hingewiesen; ferner sind stets die sprachspezifischen Gegebenheiten genau zu analysieren.
552 | Tempus, Aspekt und Modus
tive» Aspekt für diese Sprache ebenfalls Relevanz besitzt. Hierin manifestiert sich zum einen die prinzipiell einzuräumende Möglichkeit der Koexistenz verschiedener idealtypischer Merkmalskonfigurationen in einem Sprachsystem bzw. dessen Subsystemen; zum anderen zeigt sich, dass das paragrammatische System aus einer typologischen Analyse weder ausgeschlossen werden darf, um der Gestaltung der einzelnen Systembereiche Rechnung zu tragen, noch ein in der grammatisch-typologischen Interpretation fundierter Ansatz bereits apriorisch als inadäquat für die Analyse der paragrammatischen Strukturen verworfen werden muss. Positiv formuliert: Ein und dasselbe Analysemodell vermag mitunter gemeinsame typologische Prinzipien in Grammatik und Paragrammatik (nicht ohne Berücksichtigung der funktionellen Unterschiede) offen zu legen und in eine einheitliche Interpretation einzubinden. Aus der Sicht der Konstrukttheorie gehört der «derivative» Aspekt vornehmlich in den Bereich der agglutinierenden sprachstrukturell-typologischen Verfahren.38 Die agglutinierende Komponente spiegelt im Französischen hauptsächlich auch die agglutinierenden paragrammatischen Verfahren des Lateinischen wider.
7.2.6 Aspektive Stufensysteme Ferner lässt sich der Aspekt unterschiedlichen Stufen des Auftretens im Verhältnis zur Kategorie Tempus zuordnen. So kann der Aspekt unabhängig vom Tempus, mit diesem einhergehend oder als zusätzlich zur temporalen Bestimmung eintretende Kategorie in einer Sprache realisiert sein.39
|| 38 Die Frage, inwieweit die Mittel zur Kennzeichnung des Aspekts im Rahmen der agglutinierenden Verfahren eher der Paragrammatik als der Grammatik angehören, scheint einer Überprüfung auf übereinzelsprachlicher Ebene wert. Was ebenfalls zu untersuchen bliebe, wäre die Frage, welche Verfahren in einer Sprache mit polysynthetischer Basis zur Vermittlung der Kategorie Aspekt in dominanter Weise zum Tragen kommen. In der als polysynthetisch zu charakterisierenden westafrikanischen Sprache Eẁe wird der progressive Aspekt nach folgendem Muster gebildet: mele yiyim (eigentlich mele yiyi me < yi ‘gehen’) ‘ich bin Gehen Inneres’, d.h. ‘ich bin im Gehen, bin gehend’); der ingressive Aspekt (der zugleich eine Intention impliziert) folgt einem ähnlichen Prinzip: mele yiyi ge (bzw. mele yiyi gbe) ‘ich bin in der Gegend (ge < gbe) des Gehens’, also ‘ich bin im Begriff (bzw. habe die Absicht) zu gehen’). Auch im Rahmen der Markierung der Kategorie Aspekt lässt sich also das für eine polysynthetische Sprache als dominant geltende Prinzip, das auf dem lexikalischen Ausdruck (cf. me ‘Inneres’, ge < gbe ‘Gegend’) grammatischer Kategorien beruht, aufzeigen (cf. Westermann 1905, I., 25). 39 «Der Aspekt kann in einer Sprache sozusagen ‘vor’, ‘mit’, bzw. ‘nach’ dem Tempus auftreten, und insofern bilden Tempus und Aspekt ein Kontinuum, das als Ganzes zu betrachten ist» (Coseriu [1980c]/1987, 122).
Der Verbalaspekt | 553
Der erste Fall trifft, wie wir gesehen haben, auf die slawischen Sprachen zu: Hier wird der Aspekt bereits mit dem Verbalbegriff (mit unterschiedlicher formaler Kennzeichnung, etwa derivativ, also über Präfixe und Suffixe, oder über «radikale» Alternation) aktualisiert (also gewissermaßen auf einer «Nullstufe»). Im Slawischen dominiert somit die Kategorie Aspekt über die des Tempus; der Aspekt entspricht hier einer autonomen funktionellen Kategorie und ist nicht bloß sekundäre Manifestation einer anderen im Rahmen des grammatischen Systems. In anderen Sprachen wird die aspektive Determinierung erst im Zusammenhang mit der temporalen Perspektivierung des Verbalbegriffs kenntlich. So tritt etwa im (Alt)Griechischen (wo die Infinitive einerseits temporale, andererseits aspektive Oppositionen begründen) der Aspekt auf der Stufe unterhalb des reinen Verbalbegriffs im Rahmen der Zeitraumbestimmung ein und wird hier über die konjugierten Verbalformen (Flexion) realisiert (1. Stufe). Einen dritten Fall repräsentieren diejenigen Sprachen, in denen der Verbalaspekt auch nicht mit der temporalen Bestimmung des Verbalbegriffs zum Tragen kommt, sondern erst auf einer weiteren Stufe der Perspektivierung innerhalb der primären Zeitdimensionen greift. So findet sich der Aspekt beispielsweise im Englischen auf der zweiten Stufe (abgesehen vom reinen, unaktualisierten Verbalbegriff) nach der Zeitraumbestimmung mit der Lokalisierung der Zeitpunkte innerhalb der Zeiträume realisiert: Hier sind die einfachen Tempora hinsichtlich der aspektiven Determinierung neutral; erst innerhalb der primären Zeiträume werden Unterscheidungen wie I am writing – I have written eingeführt (ebenfalls im Rahmen der Konjugation des Verbs mit dominant syntagmatischen Mitteln) (cf. Coseriu 1976, 114, dort auch in systematischer Darstellung). Schließlich kann der Aspekt auf einer noch anderen Stufe als der sekundären Ebene vermittelt werden wie etwa in den romanischen Sprachen, in denen das Basissystem ein rein temporal fundiertes darstellt. Die romanischen Sprachen markieren den Aspekt erst auf einer dritten Stufe (als Nebenbedeutung beim flexionellen Aspekt), die auf die Zeitpunktbestimmung folgt. Das romanische Verbalsystem kann somit seinerseits als ein dreistufiges charakterisiert werden: a) Die erste Stufe wird durch das Grundsystem konstituiert, auf dem die Gestaltung der Zeiträume beruht; die hier relevanten Kategorien sind die der Zeitebene sowie der primären Perspektive. In formaler Hinsicht entspricht dieses System also den einfachen Tempusformen. b) Die zweite Stufe begründet ein sekundäres System, das die Zeitpunkte innerhalb der Zeiträume bestimmt; als relevante Kategorie fungiert hier die sekundäre Perspektive. Bezüglich der formalen Gestaltung entspricht dieses System den periphrastischen Formen mit HABERE (TENERE) + Partizip und Hilfsverb (meist IRE) + Infinitiv (im Rumänischen auch mit Konjunktiv). c) Ein tertiäres System ordnet auf der drit-
554 | Tempus, Aspekt und Modus
ten Stufe den bereits lokalisierten individuellen Zeitpunkten einen ganz bestimmten aspektiven Wert zu; die hier relevanten Kategorien sind die der Schau, der Phase und eventuell die des Resultats. Unter formalem Gesichtspunkt kommen hier Periphrasen unterschiedlicher Natur zum Tragen. Die Verbindung zwischen diesen Systemen beruht darauf, dass jede Verbalform, die als Zentrum einer Bestimmung fungiert, als merkmalloses (neutrales, extensives) Glied Ausgangspunkt für die weiteren Oppositionen wird (so etwa die einfachen Verbalformen, die als merkmallose Glieder für alle weiteren Determinierungen oder Oppositionen verfügbar gemacht werden können; siehe ausführlich Coseriu 1976, 115ss.). Damit lassen sich die nach Holt bestimmten Aspekttypen den verschiedenen Stufen, auf denen die einzelnen Verbbedeutungen ausgedrückt werden, zuordnen: So setzt etwa der griechische Aspekt, der zur Exemplifizierung des flexionellen Verbalaspektes diente, den Aspekt innerhalb der Verbkonjugation um, was die Flexion als materielles Verfahren plausibel erscheinen lässt. Wird der Verbalaspekt über die Formen des konjugierten Verbums kodiert, geht er in diesem Falle einher mit der Tempusmarkierung am Verb, die die Zeiträume gegeneinander abgrenzt. Der derivative Aspekt dagegen stellt offenbar weder eine mit der Zeitraumnoch mit der Zeitpunktbestimmung eintretende Funktion dar (cf. russ. pisat’ ‘schreiben (imperfektiv)’ – napisat’ ‘schreiben (perfektiv)’), sondern geht den Bestimmungen auf der zweiten und ersten Stufe vorauf, tritt also unmittelbar mit dem Verbalbegriff ein (so vor allen Dingen in den slawischen Sprachen). Aspektive Werte werden hier also lexikalisch vermittelt: «Der Ausdruck des Aspekts kann ‘lexikalisch’ (‘derivativ’), flexivisch oder periphrastisch sein. Er ist normalerweise dann ‘lexikalisch’, wenn der Aspekt das Tempus dominiert und bereits mit dem Verbalbegriff auftritt, wie in den slawischen Sprachen» (Coseriu [1980c]/1987, 123). Der Verbalaspekt kann, abgesehen von sekundären Wortschatzeinheiten, die durch paragrammatische Verfahren zustande gekommen sind, auch durch rein primäre Wortschatzeinheiten, d.h. über die Wortsemantik zum Ausdruck kommen (z.B. duratives posséder vs. punktuelles trouver; cf. infra 7.3.3). Das Russische seinerseits verfügt über einaspektige Verben, die auf Grund ihrer lexikalischen Bedeutung (durativ) nur in einem Aspekt verwendet werden (Imperfektiv); ferner existiert eine Gruppe von zweiaspektigen Verben (nicht-durativ), die sowohl den vollendeten wie den unvollendeten Aspekt markieren können (cf. Kap. 7.2 bzw. 7.2.1) und deren aktuelle Aspektbedeutung sich jeweils aus dem Textzusammenhang ergibt (обещáть ‘versprechen (vollendet und unvollendet)’, телеграфи´ровать ‘telegrafieren (vollendet und unvollendet)’).
Der Aspekt im Romanischen | 555
Wird der radikale Aspekttypus als lexikalisch bestimmt wie bei Holt, situieren sich beide, der radikale wie der lexikalische, auf einer gemeinsamen Stufe (der des Verbalbegriffs) (cf. supra russ. letat’ ‘in eine unbestimmte Richtung fliegen’ – letet’ ‘in eine bestimmte Richtung fliegen’, nosit’ ‘tragen (nicht telisch)’ – nesti ‘tragen (telisch)’); dennoch kann die Möglichkeit einer Situierung des radikalen Aspekttypus (wie des flexionellen) auf der ersten Stufe (mit Bindung an die interne Stammalternation des Verbs bzw. im Rahmen der Verbflexion) für bestimmte ((intro)flektierende) Sprachen nicht ausgeschlossen werden, sofern die entsprechenden Stammalternationen eine gewisse Regelhaftigkeit erkennen lassen und Oppositionen begründen. Die Charakterisierung als lexikalisch wird von Holt aber auch für den derivativen Typus in Anspruch genommen; dies erscheint dann plausibel, wird «lexikalisch» verstanden als den Wortschatz – und damit auch die regelhaften Verfahren der Derivation – der Sprache betreffend. Dadurch wird jedoch der Unterschied zwischen rein lexikalisch-semantischen und auf paragrammatischen Verfahren beruhenden Aspektmarkierungen verwischt (cf. Aspektpaare wie dt. trinken – austrinken etc., die in den Bereich der Modifizierung, also der Paragrammatik fallen). Zusammenfassend lassen sich auf dieser Grundlage unterscheiden: ein lexikalisch-derivativer Aspekt, ein (intro)flexivischer Aspekt sowie ein syntagmatischer (periphrastischer) Aspekt. Dabei ist der lexikalische bzw. derivative mit dem grammatischen periphrastischen Aspekt offensichtlich nicht unmittelbar vergleichbar, was auf die jeweilige Abgrenzung der formalen und inhaltlichen Verfahren entsprechend der Systembereiche, denen diese Gestaltungstechniken angehören, zurückzuführen ist.
7.3 Der Aspekt im Romanischen Der Aspekt wird im Romanischen erst auf einer dritten Stufe der durch das Verb markierten Funktionen materiell realisiert und tritt unabhängig von der Verbkonjugation ein. Die einzelnen Stufen sind: Verbalbegriff («Nullstufe») – Zeitraumgestaltung innerhalb des Grundsystems (1. Stufe) – Zeitpunktbestimmung innerhalb der Zeiträume (2. Stufe) – idiosynkratische Aspektbestimmung der Zeitpunkte (3. Stufe) (cf. Coseriu 1976, 114–115). Damit können weder die einfachen Formen (der primären Perspektive auf der aktuellen und inaktuellen Zeitebene) dem flektierenden Verbalaspekt wie im Griechischen, noch die komponierten Formen den Verbalperiphrasen des syntagmatischen Aspektes nach Holt zugeschrieben werden, da Verbalformen wie j’ai écrit – j’écris – je vais écrire im Rahmen des sekundären Systems, das die Zeitpunkte innerhalb der Zeiträume verankert, zu interpre-
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tieren sind und noch nicht eigentlich das aspektive System tangieren. Die «periphrastischen» Verbalformen wie das Passé composé oder das mit aller + Infinitiv umschriebene Futur stellen daher periphrastische Mittel der Tempusgestaltung in typologischem Sinne dar, sind aber nicht Bestandteil eines als «syntagmatisch» zu betrachtenden Aspekttypus. Der flexionelle Aspekt ist im Französischen vielmehr nur als eine Nebenbedeutung (d.h. als eine Sekundärwirkung und nicht als eine explizit zum Tragen kommende Aspektkategorie) der primären Perspektive beim Présent, der sekundären und tertiären Perspektive bei den komponierten («überkomponierten») Formen der nicht-parallelen (retrospektiven oder prospektiven) Perspektive zu betrachten. Diese Aussage entspricht der Feststellung Holts, wonach im Romanischen der flexionelle Aspekt als ein impliziter Aspekttypus mit geringerer Tragweite erscheint (cf. Coseriu 1976, 118).
7.3.1 Tempus und Aspekt im romanischen Verbalsystem Der Aspekt40 hat in die sprachwissenschaftliche Untersuchung des Französischen erst in jüngerer Vergangenheit als relevante Kategorie Eingang gefunden, deren Stellenwert für diese Sprache jedoch von den Sprachwissenschaftlern unterschiedlich bewertet wird.41 7.3.1.1 Grundsystem des romanischen Verbums Die Kategorien der Zeitebene (aktuell/inaktuell) sowie der primären Perspektive sind inhärente Kategorien der romanischen Verbalform; sie sind unabdingbare Bestandteile des romanischen Verbs und bilden als solche das Grundsystem hinsichtlich der temporalen und aspektiven Einordnung einer Verbalform (cf. Coseriu 1976, 110; Coseriu 1962). Dieselben Kategorien dienen vornehmlich der Zeitraumbestimmung, was dazu führt, dass das romanische Verbalsystem als ein temporal fundiertes erscheint. Die hier zum Tragen kommenden Aspekte sind der kursive und der komplexive; diese werden sekundär in Abhängigkeit von der Perspektive bestimmt: So impliziert die parallele Perspektive den kursiven Aspekt, der die Verbalhandlung in ihrem Verlauf darstellt; die nichtparallele (retrospektive oder prospektive) Perspektive fokussiert die Verbal|| 40 Zu einer Begriffsbestimmung der Kategorie Aspekt siehe auch Dietrich (1973, 118–119). 41 Zu einer moderaten Haltung mit Blick auf die Feinheit des Rasters der potentiell unterscheidbaren (zahllosen) aspektiven Dimensionen cf. Riegel et al. (1994, 297, Rem.); zur Geschichte der Kategorie cf. knapp ebenfalls Riegel et al. (1994, 292, Hist.) samt bibliographischen Verweisen.
Der Aspekt im Romanischen | 557
handlung «außerhalb» ihres Ablaufs (cf. Coseriu 1976, 110); diese Sichtweise ist konstitutiv für den «komplexiven» Aspekt. Es zeigt sich somit, dass sich das Grundsystem des romanischen Verbs auf formaler Ebene durch die materiell einfachen Tempora auszeichnet. Vom gesamtromanischen Standpunkt gilt, dass die Grundsysteme der einzelnen Sprachen bezüglich der Zahl der verfügbaren einfachen Tempora zwar divergieren können, dass diese aber dennoch in einem System der formal-inhaltlichen Gestaltung in vergleichbarer Weise organisiert sind. Das Portugiesische realisiert dieses als gesamtromanisch zu betrachtende Grundsystem am vollständigsten. In allen Systemen lässt sich dabei eine deutliche Parallelität der inhaltlichformalen Strukturierung bezüglich der Zeitebene und der Perspektive nachweisen, so dass ähnlichen Funktionen materiell in ähnlicher Weise gestaltete Formen korrespondieren (cf. Coseriu 1976, 111–123):42 Tab. 10: Formeninventar des romanischen Grundsystems für Zeitebene und Perspektive Portugiesisch: inaktuell
Spanisch:
Italienisch:
Französisch:
Rumänisch:
Endung
-a
parallel
Stamm
faz
retrospektiv
Stamm
fiz
prospektiv
Stamm
far
inaktuell
Endung
-a
parallel
Stamm
haθ
retrospektiv
Stamm
hiθ
prospektiv
Stamm
Har
inaktuell
Endung
vo
parallel
Stamm
fač
retrospektiv
Stamm
feč far
prospektiv
Stamm
inaktuell
Endung
-ais ([ε])
parallel
Stamm
fε/fəz fi
retrospektiv
Stamm
prospektiv
Stamm
fər
inaktuell
Endung
-m
parallel
Stamm
făc/fac
retrospektiv
Stamm
făcu
|| 42 Die klare und parallele Gestaltung der Formen im Romanischen beruht für deren Mehrheit auf einer gemeinsamen Tradierung aus dem Lateinischen; manche der Formen sind aber erst qua Analogiewirkung homogenisiert worden (cf. z.B. die Stämme sp. hi und rum. fǎcu-).
558 | Tempus, Aspekt und Modus
7.3.1.2 Verbalperiphrasen in den romanischen Sprachen Der Aspekt kommt in den romanischen Sprachen also als eine weitere Bestimmung im Anschluss an die Zeitraum- und Zeitpunktbestimmung zum Tragen und wird – sofern nicht als lediglich impliziter Aspekt (im Sinne einer Nebenbestimmung oder Sekundärfunktion) realisiert – über die Verbalperiphrasen zum Ausdruck gebracht (cf. Coseriu 1976, 119). Der Aspekt begründet somit ein sekundäres bzw. sogar tertiäres System, das zum Grundsystem, wie durch die einfachen Zeitformen konstituiert, hinzutritt. Die periphrastischen Ausdrucksmodi stellen grammatische Mittel dar, «weil sie prinzipiell für alle Verben möglich sind» (cf. Coseriu 1976, 119); ihr Status als «Periphrasen» lässt sich damit begründen, dass sie «einfache Bedeutungen haben, also Bedeutungen, die nicht völlig ihren bildenden Gliedern entsprechen und die in Oppositionen mit einfachen Formen eintreten» (ibid.).43 Wichtig ist, dass im Falle eines an sich (d.h. hinsichtlich seiner lexikalischen Semantik) ingressiven, inzeptiven, kontinuativen, konklusiven oder egressiven Verbums eine grammatische Verbalperiphrase nur dann vorliegt, wenn die entsprechende lexikalische Bedeutung in der periphrastischen Konstruktion nicht mehr verfügbar ist. Daher ist als grammatische Verbalperiphrase des Französischen etwa je me mets à écrire zu betrachten,44 nicht aber je commence à écrire, je continue à écrire,45 je finis d’écrire, da hier die Verben commencer, continuer, finir ihre lexikalische Bedeutung beibehalten. 7.3.1.3 Semantik der Verbalperiphrasen Die Bedeutung einer Verbalperiphrase (cf. Coseriu 1976, 123) ergibt sich entweder aus der lexikalischen Bedeutung des Hilfsverbs, der grammatischen Bedeutung des Hauptverbs oder aus einer Kombination beider; zunächst soll auf die Hilfsverben eingegangen werden, dann auf das Hauptverb. Beim Verb HABERE (TENERE) bedingt die lexikalische possessive Bedeutung die grammatische Bedeutung im Sinne einer Zugehörigkeit, die sich mit Blick auf den aspektiven Wert dahingehend konkretisiert, dass die Possessivität im
|| 43 Die Diskussion um die Frage der Grammatikalität der relevanten periphrastischen Konstruktionen sowie deren Status als Verbalperiphrasen soll mich an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen. Der Leser sei stattdessen verwiesen auf Coseriu (1976, 119ss.) bzw. Dietrich (1973, 56–64). 44 Ähnlich bei it. mi metto a scrivere, sp. me pongo a escribir, rum. mǎ pun pe scris, it. prendo a dire, sp. cojo y digo, rum. iau şi scriu etc., wo die Hilfsverben nicht mehr ‘sich legen’, ‘nehmen’, ‘anfassen’ im eigentlichen Sinn bedeuten. 45 Anders allerdings siehe Dietrich (1973, 141, e).
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Sinne einer Beziehung zu einem bestimmten Zeitpunkt determiniert wird; diese Beziehung kann retrospektiv oder prospektiv orientiert sein (cf. frz. j’ai écrit, j’ai à écrire), wobei der Bezug zum Präsens als Fokuskategorie in beiden Richtungen gewahrt ist. Das Verb HABERE (TENERE) impliziert als grammatische Bedeutung: ‘von einem Augenblick an bis zum betrachteten Zeitpunkt’ bzw. ‘von diesem Zeitpunkt an’. Die Bewegungsverben verbinden sich mit diversen richtungsspezifizierenden Bedeutungen je nachdem, welche Richtung durch sie als lexikalische Elemente indiziert wird. So kennzeichnet IRE eine Bewegung auf etwas hin, was dieses Verb zum Ausdruck für eine futurische und progressiv-prospektive Periphrase, die jeweils ein Handlungsziel mit einschließt, prädestiniert (cf. frz. je vais faire: hier ist das Ziel noch unerreicht gegenüber je vais disant, wo das Ziel allmählich erreicht wird: die Handlung entwickelt sich progressiv in Richtung auf das Futur). VENIRE bringt eine Bewegung von etwas her zum Ausdruck und eignet sich daher als Ausdrucksmittel für unterschiedliche progressive Periphrasen (cf. frz. je viens disant; frz. les vivres vinrent à manquer; frz. je viens de dire) (ähnlich lassen sich sp., port. andar46 sowie die auf die Verben SEQUI47 und STARE48 zurückgehenden Periphrasen deuten).49 Die Analyse des zweiten Elements der periphrastischen Konstruktion ergibt für das Gerundium eine Funktion, die die Verbalhandlung als im Verlauf begriffen darstellt; dabei ist die Handlung teilweise bereits verwirklicht und teilweise noch zu verwirklichen. Daher bietet sich das Gerundium zum Ausdruck der
|| 46 Im Rahmen der lexikalischen Bedeutung drücken sp./port. andar eine bezüglich der Direktivität unbestimmte Bewegung aus, die keine unmittelbare Zielorientierung erkennen lässt. Daher eignet sich dieses Verb für die begleitende Schau (cf. sp. ando diciendo, port. ando dizendo: der Betrachtungspunkt schreitet progressiv mit der Handlung voran, wobei das Ziel nicht anvisiert wird). 47 SEQUI (sp. seguir) vereint in seiner lexikalischen Bedeutung die Her- mit der Hinbewegung und repräsentiert insofern eine Kombination aus IRE + VENIRE: ‘bis hier und von hier an’. Diese Eigenschaft verleiht dem Verb seine Eignung als Ausdrucksmittel des Kontinuativums (sp. sigo diciendo). 48 STARE impliziert in lexikalischer Hinsicht eine statische Bedeutung, drückt also keine Bewegung, sondern vielmehr einen Zustand aus, wodurch dieses Verb zum Ausdruck der partialisierenden Schau (cf. it. sto scrivendo, sp. estoy escribiendo, port. estou a escrever, estou escrevendo, rum. stau şi scriu) als besonders geeignet erscheint. Es impliziert auch eine statische Sicht auf eine noch nicht begonnene (it. sto per scrivere, sp. estoy por escribir, port. estou para escrever, rum. sta şa cada ‘er fällt beinahe hin’) oder eine bereits vergangene abgeschlossene Handlung (sp./port. está escrito, it. (mundartlich) sta scritto). 49 Verben, die an und für sich eine ingressive, inzeptive, kontinuative, konklusive oder egressive Bedeutung besitzen, werden hier nicht weiter aufgeführt.
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partialisierenden (sp. estoy haciendo) und begleitenden Schau (sp. ando haciendo) an und kann zudem progressive Bedeutungen annehmen (cf. sp. vengo haciendo, voy haciendo). Insofern drückt eine Verbalperiphrase, die ein Gerundium enthält, implizit eine unabgeschlossene, im Ablauf erfasste Handlung aus. Demgegenüber verbindet sich das Partizip Perfekt mit der Bedeutung der Abgeschlossenheit: Die Handlung wird nach ihrem Ablauf fokussiert. Die terminative Bedeutung bleibt in den Periphrasen erhalten, die als eine subjektive (j’ai écrit, sp. he escrito) oder objektive (sp. está escrito) realisiert sein kann. Unabhängig vom Ablauf und dem Aspekt der Abgeschlossenheit einer Handlung markiert der Infinitiv stets das reine Verbalgeschehen; daher dient er dort als adäquates Ausdrucksmedium, wo die Kriterien des Verlaufs oder der Abgeschlossenheit keine Relevanz besitzen oder durch andere Mittel bereits realisiert sind (sp. acabo de escribir). Der Infinitiv eignet sich ferner zum Ausdruck einer in der Zukunft liegenden Handlung (die, da als solche noch nicht realisiert, weder in ihrem Verlauf noch als abgeschlossen betrachtet werden kann, cf. frz. je vais écrire, je me mets à écrire, sp. estoy por escribir). In bestimmten Fällen kann der Infinitiv auch – in seiner Eigenschaft als das neutrale (extensive) Glied einer Verbalopposition – andere Formen supplieren (cf. port. estou escrevendo oder estou a escrever). In der Regel findet jedoch die von der jeweiligen Form abhängige Bedeutung beider Glieder Eingang in die Verbalperiphrase (dabei können beide Komponenten in ihrem aspektiven Bedeutungsbeitrag identifizierbar und gegeneinander abgrenzbar sein oder das Hilfsverb allein kann die aspektive Bedeutung tragen, wie dies in kopulativen Konstruktionen der Fall ist).50 In anderen Periphrasentypen kann auch die Bedeutung des Elements, das eine Verbindung zwischen den beiden verbalen Gliedern herstellt, einen relevanten Bedeutungsbeitrag leisten, indem es die spezifische Orientiertheit der Betrachtung vorgibt; vergleiche beispielsweise frz. venir à, it. venire a: Hier wird durch die Präposition eine Herbewegung in Richtung auf den initialen Punkt der Handlung angedeutet, woraus die inzeptive Bedeutung resultiert; bei frz. venir de51 wird durch
|| 50 In it. sto dicendo, sp. estoy diciendo impliziert die Bedeutung von STARE eine statische Betrachtungsweise, die Bedeutung des Gerundiums eine Betrachtung der Handlung in ihrem Ablauf. In kopulativen Periphrasen des Typs it. piglio e me ne vado, sp. cojo y escribo, rum. iau şi scriu, stau şi vorbesc wird der aspektive Wert dagegen einzig durch das jeweilige Hilfsverb (pigliare, coger, a lua, a sta) ausgedrückt. 51 Die Konstruktion ist bereits seit dem 13. Jahrhundert belegt, wobei jedoch nicht geklärt ist, von welchem Zeitpunkt an venir seinen ursprünglichen semantischen Wert verlor und die Funktion eines aspektiven Hilfsverbs übernahm, ab wann also je viens de le voir nicht mehr in der Bedeutung von ‘Ich komme von einem Besuch bei ihm’ aufgefasst wurde.
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die Präposition eine Herbewegung vom Ende der Handlung an angezeigt, was die egressive Bedeutung bedingt.52,53 Der Gebrauch der Konstruktion mit venir de situiert somit eine Handlung unmittelbar vor dem Augenblick des Erzählens (Je viens de le voir) bzw. vor dem Zeitpunkt, auf den sich die Erzählung bezieht (Il venait de partir au moment où j’ai reçu ta lettre); die Konstruktion ist beinahe ausschließlich auf den Indicatif présent und Imparfait beschränkt.54
7.3.2 Aspektive Dimensionen Aspektdimensionen, nach denen sich eine Verbalhandlung fokussieren lässt, sind (cf. Coseriu [1980b]/1987, 121): Dauer der Verbalhandlung (objektive Quantität) bzw. Durativ (und Nicht-Durativ), Häufigkeit ihrer Okkurrenz bzw. Frequentativ (Habituativ und Iterativ vs. Semelfaktiv), initiale (Ingressiv und Inchoativ) bzw. finale Limitation beim Nicht-Durativ, Resultativ, der im Moment der Fokussierung erreichte Verlauf (objektive Phase), Verhältnis zu anderen Handlungen, mögliche inhärente Teleologie (Ausrichtung auf ein Objekt/Bestimmung), Faktivitvum bzw. Kausativum, Orientiertheit am Sprechzeitpunkt etc.
7.3.3 Die aspektiven Dimensionen im Romanischen Im Anschluss an die Darstellung der Grundprinzipien der Strukturierung des romanischen Tempussystems stellt sich die Frage nach den Dimensionen des Aspekts und deren formalem Ausdruck in den romanischen Sprachen. Die As-
|| 52 In it. sto per scrivere, sp. estoy por escribir gibt das Verbindungselement (per, por) ein Ziel an, was die Konstruktion als ingressiv kennzeichnet; in it. sto a scrivere drückt a eine bloße Relation aus - mit einhergehender kontinuativer Bedeutung. 53 Mit Hilfe der Verben venir und aller, die ursprünglich eine Bewegung zu etwas hin bzw. eine Bewegung von etwas weg zum Ausdruck brachten, hat das Französische die Möglichkeit entwickelt anzuzeigen, dass vergangene und zukünftige Ereignisse in direkter Beziehung zur Gegenwart gesehen werden können (cf. Flydal 1943). 54 Price (1988, 262, Anm. 9) führt ein Beispiel im Infinitiv an: A … doit venir de se laver les cheveux (Robbe-Grillet) und verweist auf Imbs (1960, 116), der ein Beispiel im Futur zitiert: … les quotidiens que vous viendrez d’acheter au moment où le cycliste les aura livrés (Butor, M.: La modification, 37, cf. ibid., 201 und 227; auch zitiert in Dietrich 1973, 147, Anm. 64). Beispiele für den Gebrauch in weiteren Tempora liefern Georges und Robert Le Bidois (1938) 2 1967b, 698.
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pektdimensionen, die für die romanischen Sprachen als besonders typisch gelten können, sind folgende: 1) Dauer, 2) Verbalnumerus bzw. Wiederholung, 3) Determinierung oder Orientierung, 4) Vollendung, 5) Resultat, 6) Schau, 7) Phase oder Grad, 8) Situierung oder Abfolge. Diese sollen im Anschluss kommentiert werden. 1) Die Kategorie der Dauer bezieht sich auf die Zeitspanne, über die hinweg sich eine Verbalhandlung erstreckt. Die Dauer bezeichnet diejenige Dimension, auf der das Durative und das Nicht-Durative (Momentane, Punktuelle) einander gegenüberstehen; beide können in Kombination miteinander auftreten, wobei es zur Intermittenz kommt (cf. je le retrouve pendant un mois). Mit Bezug auf die romanischen Sprachen ergibt sich diese Dimension als Sekundärfunktion der primären (temporalen) Perspektive und repräsentiert hier keine grammatische Kategorie, sondern eine über die lexikalischen Einheiten vermittelte Dimension, die im Rahmen der Aktionsarten zu behandeln wäre. Im romanischen Verbalsystem ist diese Dimension auch in bestimmten Bereichen des paragrammatischen Systems realisiert. Über die Semantik des zugrunde liegenden Verbs kommt die durative Aktionsart etwa zum Ausdruck in attendre, demeurer, posséder, regarder, réfléchir etc. Die «parallele» Perspektive lässt eine Verbalhandlung in der Regel als durativ erscheinen mit der Konsequenz, dass ein auf Grund seiner lexikalischen Semantik als momentan oder punktuell zu charakterisierendes Verb (z.B. arriver, éclater, exploser, mourir, sursauter, trouver etc.) im Präsens nicht zugleich so verwendet werden kann, dass es eine Dauer impliziert. In der sekundären und tertiären Perspektive hingegen steht der Auffassung eines Verbalgeschehens als eines momentanen nichts im Wege.55 2) Mit der Dimension der Dauer eng verbunden ist die des Verbalnumerus bzw. der Wiederholung; diese Dimension lässt sich im Rahmen der Opposition semelfaktiv (einmalige Handlung) – iterativ bzw. frequentativ (in bestimmten (evtl. kürzeren) Abständen mehrfach wiederholte Handlung) fassen (cf. z.B. russ. govorit’ ‘sprechen’ vs. govorivat’ ‘(immer wieder) sprechen’). Die Affinität zwischen Dauer bzw. Intermittenz und Frequentativität (bzw. Iterativität) resultiert
|| 55 In den slawischen Sprachen verbindet sich diese Dimension im Allgemeinen mit der Opposition perfektiv-imperfektiv, d.h. ein als lexikalisch «momentan» einzustufendes Verb ist in der Regel bereits als perfektiv bestimmt.
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daraus, dass eine sich wiederholt einstellende Handlung sich global als eine dauerhafte darstellen kann; eine semelfaktive kann dagegen als eine momentane in Erscheinung treten. In den romanischen Sprachen werden diese Werte zuweilen lexikalisch (derivativ) im Bereich der verbalen Diminutiva umgesetzt, cf. frz. sauter ‘springen’ – sautiller ‘hüpfen’; sp. besar ‘küssen’ – besuquear ‘abküssen’; frz. crier ‘schreien’ – criailler ‘dauernd schreien’. Die Frequentativität kommt paragrammatisch zum Ausdruck in voir – revoir, lire – relire, dire – redire etc. Über ein grammatisches Mittel verfügen die romanischen Sprachen lediglich zum Ausdruck der einfachen Wiederholung, indem sie auf die periphrastischen Konstruktionen rekurrieren, die eine weitere Bestimmung des Verbs gegenüber dem einfachen Verbinhalt einschließen, cf.: it. dico – torno a dire; okz. dise – torni dire, torni a dire; kat. dic – torno a dir; sp. digo – vuelvo a decir; port. digo – volto a dizer, torno a dizer. 3) Die Determinierung oder Orientierung ist die Dimension, die eine Verbalhandlung als (ziel)gerichtet (telisch) bzw. nicht (ziel)gerichtet (nicht telisch) ausweist (cf. supra russ. nosit’ (‘tragen (nicht telisch)’) – nesti (‘tragen (telisch)’). In den romanischen Sprachen werden diese Werte rein lexikalisch, etwa in frz. marcher – aller oder rum. a purta (‘tragen’) – a duce (‘bringen’), vermittelt; oder bei faire (ohne Objekt) – défaire etc. mittels paragrammatischer Verfahren.56
|| 56 Coseriu ([1980c]/1987, 129) differenziert also nicht zwischen «lexikalisch» im Falle der Opposition marcher – aller oder rum. a purta – a duce (im Rahmen der aspektiven Dimension der Determinierung oder Orientierung), wo die in Opposition zueinander stehenden Verben nicht formal, sondern lediglich über die Verbsemantik zusammenhängen, und «lexikalisch» unter Anwendung auf Oppositionspaare wie frz. sauter – sautiller, sp. besar – besuquear (in Bezug auf die Dimension der Dauer), die auf einem Ableitungsverhältnis (Bildung von verbalen Diminutiven über paragrammatische Verfahren) beruhen. Allgemein unterscheidet Coseriu im Kontext der romanischen Sprachen nicht zwischen Aspekt und Aktionsarten; stattdessen werden die für das romanische Verbalsystem grundlegenden aspektiven Bedeutungen im Rahmen der aspektiven «Dimensionen» beschrieben.
564 Tempus, Aspekt und Modus 4) Die Dimension der Vollendung bezieht sich darauf, ob ein Verbalgeschehen als vollendet (abgeschlossen: ) oder (noch) nicht vollendet ( . . .) aufzufassen ist, oder ob hinsichtlich dieser Opposition Neutralität besteht (Faktizität: ), wobei die Vollendung als «subjektiv» (terminativ bzw. cessativ) oder «objektiv» (kompletiv) charakterisiert werden kann. Die Bestimmung der Vollendung als subjektiv oder objektiv steht in Abhängigkeit davon, ob das Sub jekt die Handlung zu einem objektiven Ende gebracht hat oder nicht (terminativ: , z.B. sp. he escrito mucho; dt. ich habe viel geschrieben: subjektiv: «jetzt schreibe ich nicht»; kompletiv: , z.B.: sp. he escrito el libro; dt. ich habe das Buch geschrieben: objektiv: «ich habe das, was ich machen sollte, zur Vollendung gebracht»). Zudem wird lediglich die subjektive Vollendung (Terminativität) über die Verbalform markiert, die objektive Vollendung (Kompletivität) wird durch den Zusammenhang bestimmt. Die objektive Vollendung einer (transitiven) Verbalhandlung wird in manchen romanischen Sprachen auch im Rahmen der Kategorie der Diathese gestaltet; allerdings handelt es sich hier lediglich um ein marginales System an materiellen Verfahren (wobei auch eine Verbindung mit anderen Kategorien zum Tragen kommen kann): z.B. bei sp. es realizado (passive Diathese) gegenüber está realizado (passive Diathese + ‘Vollendung’); port. é realizado – está realizado; kat. és realitzat – está realitzat; it. viene realizzato – è realizzato.57 Die Bedeutung «perfektiv» – «imperfektiv» – «faktisch» ergibt sich als Nebenbedeutung der sekundären Perspektive, d.h. die Vollendung ist erst in der sekundären Perspektive als Dimension in allen Zeiträumen vertreten (und zwar als Nebenfunktion, cf. j’ai fait, j’eus fait, j’aurai fait). Als Nebenbedeutung bzw. Funktion der primären Perspektive tritt die Opposition «Komplexivität» vs. «Kursivität» auf. Die komplexiven Einheiten der primären Perspektive sind sämtlich als faktisch zu charakterisieren (z.B. je finis de lire als ‘komplexive’ faktische Einheit der primären Perspektive gegenüber j’ai fini de lire mit perfektiver aspektiver Nebenbestimmung innerhalb der sekundären Perspektive). Allerdings kommt es auch vor, dass der Endpunkt besonders fokussiert wird; dies ist bei den «zyklischen» oder telischen Handlungen (lire un page, manger une pomme,
57 Vergleiche frz. être dépaysé – se trouver dépaysé, wo das Prädikat bei se trouver einen Zustand bezeichnet, der als Resultat der Handlung aufgefasst werden kann, was die Vollendung der Handlung voraussetzt (siehe die im Folgenden besprochene Dimension des Resultats); allerdings ist auch eine Konstruktion se trouver en train de faire qc möglich, d.h. se trouver ist mitunter als reines Äquivalent zu être zu verstehen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine grammatikalisierte Konstruktion.
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chanter une chanson etc.) der Fall. Bei den entsprechenden «nicht-zyklischen», nicht-telischen Handlungen (lire, manger, chanter etc.) wird dagegen eher der Beginn der Handlung akzentuiert. Mit der primären Perspektive werden zugleich zwei Aspekte impliziert: a) in paralleler Perspektive wird die betrachtete Verbalhandlung in ihrem Ablauf dargestellt (Kursivität); b) in der nicht-parallelen (retrospektiven oder prospektiven) Perspektive wird das Verbalgeschehen «außerhalb» seines Verlaufs als Ganzes, als «Komplex» in den Blick genommen (Komplexivität). Beide Aspekte bilden sekundäre Nebenfunktionen der Perspektive. Das Präsens und das Imperfekt sind somit als kursive Formen zu betrachten, alle übrigen als komplexive. Man stellt hierbei fest, dass mit dem Verlauf einer Handlung eine gewisse Ausdehnung in der Zeit involviert ist. Lexikalisch als punktuell gekennzeichnete Verben (z.B. trouver, arriver etc.) können somit nicht als Bezugspunkt auf jeder Ebene fungieren, da sie nicht als Verlauf gefasst werden können. Im Präsens bedingen solche Verben daher entweder eine Neutralisation mit Blick auf ein Vergangenheitstempus oder ein zukünftiges Geschehen oder sie bedeuten eine wiederholte Handlung (je trouve ‘ich meine, ich finde’; il arrive demain) (cf. Coseriu 1976, 95). In den romanischen Sprachen stellt die Dimension der Vollendung58 keine Funktion des Sprachsystems dar, ist also als aspektive Kategorie nicht grammatikalisiert, sondern wird über die Kenntnis der Sachen begründet; oder aber sie tritt als Begleiterscheinung der temporalen Perspektiven auf (i. A. Cessativum). In den slawischen Sprachen liegt hier dagegen eine tatsächlich sprachliche Funktion, die eine objektive Vollendung impliziert, zugrunde.
5) Die Dimension des Resultats äußert sich darin, dass ein Verbalgeschehen ein möglicherweise eintretendes Resultat mit integriert oder nicht, so dass die Verbalhandlung entweder als «resultativ» oder «nicht-resultativ» erscheint. Auch hier kann zwischen einer «subjektiven» und einer «objektiven» Sicht differenziert werden. Das subjektiv Resultative nimmt Bezug auf das Agens (ist «effektiv», da es eine Wirkung darstellt); das Resultat tangiert diesen als ein permansives oder nicht permansives (cf. Pronominalverben wie se réveiller ‘erwachen’). Das «objektiv» Resultative bezieht sich auf das Objekt der Handlung als Produkt
|| 58 Par- ist als präpositionales Element im heutigen Französisch nicht mehr produktiv; erhalten sind noch Oppositionen wie in faire – parfaire (z.B. parfaire son ouvrage, son travail); ebenso bei achever – parachever (aber noch afrz. parlire etc.).
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(ist «produktiv») und ergibt sich aus dem lexikalischen Inhalt des jeweiligen Verbs. Das Resultat kann also entweder effektiv oder nicht effektiv bzw. produktiv oder nicht produktiv sein. Als effektives Resultat ist diese Dimension in den romanischen Sprachen nicht durch eine eigene funktionelle Kategorie vertreten, sondern stellt sich (wie die Vollendung) als Nebeneffekt der sekundären Perspektive ein. Das Spanische und Portugiesische verfügen durch die Konstruktion estar + Partizip (sp. estoy lavado, está escrito), die in den anderen romanischen Sprachen nicht von der Vox zu unterscheiden ist, über ein Mittel zur Markierung des «effektiven Resultats». Das ‘Produktiv-Resultative’ wird im Spanischen, Portugiesischen, Katalanischen im Rahmen eines Marginalsystems realisiert, wobei tener/ter/tenir + Partizip Perfekt als Hilfsverben dienen und das Partizip mit dem Objekt kongruiert.59 Innerhalb dieses Systems kommen lediglich transitive Verben in Verbindung mit einem realisierten Objekt zum Tragen: tengo escritos dos libros, la tengo bien sabida; tenho escritos dois livros; tinc escrits dos llibres. In ähnlicher Weise scheinen die sp. Konstruktionen mit traer (cf. lo traigo bien estudiado; eso me trae preocupado) sowie die analoge Konstruktion mit llevar (lo lleva estudiado todo) zu funktionieren, wobei jedoch die «kontinuative Phase» (zur «Phase» cf. infra) mit zur Geltung kommt. 6) Die Schau als weitere Dimension ermöglicht die Evokation einer Verbalhandlung als eines partialisierten oder ganzheitlich gefassten globalen Geschehens.60 Die partialisierende Schau umfasst die «Betrachtung der Verbalhandlung zwischen zwei Punkten (A, B) ihres Ablaufs» (cf. Coseriu 1976, 10061). Bezüglich der partia-lisierenden Schau dominiert in den romanischen Sprachen der Rückgriff auf Verbalperiphrasen, gebildet aus auf lat. STARE (bzw. ESSE) zurückgehenden Verben oder sogenannten Bewegungsverben, die in Hilfsverbfunktion in Verbindung mit dem Gerundium oder dem Infinitiv eines anderen Verbs gebraucht werden. Alternativ können auch ein Hilfsverb und ein Vollverb in kopulativer Konstruktion stehen; cf. sp. estoy diciendo, voy diciendo; port.
|| 59 Im Portugiesischen beruht die Markierung des Resultativ-Produktiven auf der Kongruenz mit dem Objekt, da ter + Partizip bereits durch die sekundäre Perspektive (perfeito composto) besetzt ist. Schon im Lateinischen besaß HABERE + Partizip diese Funktion (und darf also nicht mit der sekundären Perspektive in den romanischen Sprachen verwechselt werden; cf. Coseriu 1976, 99). 60 Zu dieser Dimension in den romanischen Sprachen und im Altgriechischen cf. Coseriu ([1968d]/1987). 61 Erst die Partialisierung lässt diese Konkretisierung, d.h. die Beschränkung des betrachteten Geschehens auf die Strecke zwischen A und B zu, wie bei der «Winkelschau» als besonderem Fall der partialisierenden Schau deutlich wird.
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estou a dizer; rum. stau şi spun (‘ich sage gerade’). Die Partialisierung kommt als Aktionsart (sofern differenziert) auch bei der paragrammatischen Modifizierung von Verben zum Tragen, z.B. voir – prévoir, ver – prever, fallen – hinfallen etc. Die «partialisierende Schau»62 kann mit Blick auf die romanischen Sprachen weiter subkategorisiert werden (cf. Coseriu [1980d]/1987, 130–131): a) Nimmt die partialisierenden Schau die Ausprägung der «Winkelschau» an, wird die Handlung zwischen zwei Punkten (A und B) fokussiert; A und B können entweder initiales und finales Stadium der betrachteten Verbalhandlung markieren oder in einem gemeinsamen Punkt C konvergieren (estoy leyendo todo el día). Die Winkelschau ist in der Norm aller romanischer Sprachen mit Ausnahme des aktuellen Französischen realisiert (cf. z.B. port. estou a cantar, estou cantando; sp. estoy cantando; kat. estic cantant; okz. som a cantar; surselv. stun a cantar; sard. sòe kantande; it. sto cantando, sto a canatre etc.; rum. stau şi cînt, şed şi cînt; sînt cîntînd (alte dialektale Form)); frz. être en train de (chanter) realisiert die Winkelschau nicht in Reinform, sondern stellt eine Verquickung mit der kontinuativen Phase nach Dietrich (cf. 1973, 140, 126–127 und 146) dar.63 Dietrich (1973, 141) unterscheidet in einer Erweiterung der Differenzierung nach Coseriu einen besonderen Typ der «Winkelschau»; ein Sonderfall der partialisierenden Schau liegt nämlich dann vor, wenn die Verbalhandlung sich || 62 Dietrich (1973, 139–142) unterscheidet – nach Coseriu – innerhalb der partialisierenden Schau als Unterkategorien a) die Winkelschau, b) die komitative Schau, c) die prospektive Schau, d) die retrospektive Schau, e) die kontinuative Schau sowie, in Erweiterung der Coseriu’schen Gliederung die extensive Schau (siehe dazu ibid.), die als ein Sonderfall der Partialisierung betrachtet wird, in dem die Ausdehnung der Handlung akzentuiert wird. Als Nebenfunktion der extensiven Schau tritt die Kategorie der Dauer auf; ferner lässt sich ein «Synkretismus mit der Kategorie der ‘kontinuativen Phase’» (cf. Dietrich 1973, 146) feststellen. 63 Die progressive Aspektkategorie bezeichnet eine relativ zu einem implizit oder explizit ausgedrückten Bezugspunkt andauernde Tätigkeit, die im Englischen durch die sogenannte progressive Form realisiert wird: John was singing (when I came in) (cf. sp. Juan está cantando; isländ. Jón er aδ syngja). Im Englischen dient der progressive (bzw. kontinuative) Aspekt daher zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit (wird die progressive Aspektkategorie als synonym zum Durativ verstanden, wird diese in den Bereich der Aktionsarten verwiesen, was in Bezug auf das Englische, in dem der progressive Aspekt grammatikalisiert ist, inadäquat wäre). Im Neufranzösischen wiederum existiert keine völlig grammatikalisierte Form, die einem engl. I am singing entspräche; die frz. Periphrase je suis en train de chanter wird häufig als äquivalent zur progressiven Form des Englischen angegeben. Allerdings hat die Analyse des dreistufigen Systems des romanischen Verbums gezeigt, dass den englischen Formen mit to be zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit im Romanischen eher die einfachen Verbalformen bzw. die Formen mit HABERE (TENERE) entsprechen als die mit STARE gebildeten romanischen Formen, also frz. j’écris, j’ai écrit für engl. I am writing, I have been writing etc.
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nicht zwischen den Punkten A und B abspielt, sondern Anfangs- und Endpunkt des Verbalgeschehens mit diesen Eckpunkten unmittelbar zusammenfallen und somit die gesamte Ausdehnung der Handlung als Grundlage der Fokuskategorie dient.64 Die extensive Schau ist im Portugiesischen und Spanischen realisiert; die entsprechenden Periphrasen verwenden [BLEIBEN] + Gerundium: Port. Sp.
fico pensando, fico a pensar (me) quedo pensando Schau-Punkt
cantar
Schau-Punkt
cantar
ACB estuvo cantando todo el día
AC
B
(se) quedó cantando todo el día
Abb. 9: Sonderfälle der partialisierenden Schau (Schaubild nach Dietrich 1973, 142)
b) Die «retrospektive Schau» betrachtet das Verbalgeschehen bis zum Punkt C als dem «Jetzt» der Betrachtung. Die Möglichkeiten der romanischen Sprachen, sofern realisiert, greifen hier auf die periphrastische Konstruktion aus venire + Gerundium zurück: port. venho fazendo; sp. vengo haciendo (kat. bzw. typisch kastilisch vinc fent); it. vengo facendo; frz. je viens faisant wird heute nicht mehr gebraucht. c) Die «prospektive Schau» impliziert die Betrachtung der Handlung vom Punkt C aus. Die Handlung erweist sich als eine progressive, d.h. die Subkategorie der Phase bildet in den romanischen Sprachen eine Nebenfunktion der prospektiven Schau mit Ausnahme des heutigen Französisch, wo die Progressivität (cf. je vais faisant) eher als Hauptfunktion zu interpretieren ist und die prospektive Schau als Begleitwirkung derselben (cf. Dietrich 1973, 145). In den romanischen Sprachen ist die prospektive Schau hinsichtlich der Realisierungen in der Norm außer im Portugiesischen und Spanischen, die die systematischen funktionel-
|| 64 Siehe das Schaubild Abb. 10 weiter unten, das demjenigen in Coseriu ([1968d]/1987, 58 und [1980c]/1987, 131) sowie in Dietrich (1973, 139) entspricht.
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len Möglichkeiten des romanischen Verbalsystems am umfassendsten in der Norm realisiert haben, kongruent mit der komitativen Schau (cf. Port. vou fazendo; tudo já vai arranjado; Sp. voy haciendo; ya va todo arreglado). d) Die «komitative Schau» nimmt die Verbalhandlung an vereinzelten Stellen ihres Verlaufs (für den Ausschnitt zwischen den Punkten A und B) in den Blickpunkt. Im Portugiesischen ist die komitative Schau durch folgende Konstruktionen realisert: ando fazendo, ando a fazer (auch vivo fazendo, vivo a fazer), im Spanischen durch andar + Gerundium (ando haciendo). Hinzu kommen Verbindungen mit Adjektiven und Partizipien: Port. ando desesperado, ando triste; Sp. ando metido en líos, ando enfermo (nur bei Adjektiven, die ganz bestimmte Qualitäten enthalten, auch im Italienischen realisiert, cf.: andava fornito di ottimo intendimento, andava famoso/insigne/illustre). Das Französische (je vais faisant) zeigt hier (wie die übrigen romanischen Sprachen, cf. z.B. Kat. vaig fen; Okz. vau fasent;65 It. vado facendo etc.) einen Zusammenfall der Opposition zwischen der komitativen und der prospektiven Schau. e) Die «kontinuative Schau» liegt dann vor, wenn das Verbalgeschehen vor und nach dem Punkt C betrachtet wird, und lässt sich damit als Kombination aus «retrospektiver» und «prospektiver Schau» bestimmen. Einige der romanischen Sprachen drücken die «kontinuative Schau» mittels der sich aus sequi (oder anderen «Semi-Auxiliaren») und Gerundium zusammensetzenden Verbalperiphrasen aus: Port. sigo fazendo, prossigo fazendo, continuo fazendo; Sp. sigo haciendo, continúo haciendo, permanezco haciendo oder Kat. segueix treballant, persisteix essent. Daneben machen fast alle romanischen Sprachen zum Ausdruck dieser Schauart von Konstruktionen, die ein Verbum adiectum (siehe Kapitel 7.4) wie in CONTINUARE AD + Infinitiv enthalten, Gebrauch: Port. continuo a ler; Okz. contunhi de/a legir; Frz. je continue à lire; Rät. (surselv.) jeu cuntinuéschel a luvrar; It. continuo a lavorare, seguito a leggere; Rum. continuu să lucrez. || 65 Zum Italienischen cf. Dietrich (1973, 140 sowie Anm. 52, 53).
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Das folgende Schaubild soll die erläuterten Verhältnisse illustrieren: estar haciendo (Schaupunkt) Winkelschau
venir haciendo (retrospektiv)
ir haciendo (prospektiv) andar haciendo (komitativ) seguir haciendo (kontinuativ)
A
C
B (Verbalgeschehen)
Abb. 10: Die kontinuative Schau (Schaubild nach Coseriu [1968d]/1987, 58 und [1980c]/1987, 131 sowie Dietrich 1973, 139)
Im Vergleich zur «partialisierenden Schau» wird die «globalisierende» (oder «globale»/«nicht-partialisierende»)66 Betrachtung des Verbalgeschehens in den romanischen Sprachen gegenüber der partialisierenden Schau weniger häufig als die profilierte Kategorie angewandt. Sie ist in allen romanischen Sprachen mit Ausnahme des Französischen verwirklicht. Die globale Schau findet ihr Ausdrucksmedium gegenüber den periphrastischen Mitteln der partialisierenden Schau bevorzugt in solchen Periphrasen, die Bewegungsverben (z.B. sp. voy y escribo) und insbesondere Verben mit semantischem Gehalt ‘nehmen, anfassen, ergreifen’ jeweils in Hilfsverbfunktion integrieren (cf. Coseriu 1966b). Diese erscheinen eingebettet in eine kopulative Konstruktion mit einem Vollverb, das das eigentliche Geschehen bezeichnet; cf.: Port. Sp.
pego e escrevo, agarro e escrevo; tomo y escribo, cojo y escribo, agarro y escribo;
|| 66 Hier gilt die Einschränkung, dass die globalisierende und die partialisierende Schau nur indirekt eine Opposition bilden insofern, als die einfache, bezüglich der Schau noch nicht determinierte Verbalform zu beiden in einer ähnlichen Relation steht, da sie prinzipiell für beide Funktionen eintreten kann. So bildet etwa sp. hago als gegenüber der Schau neutrale Verbalform gewissermaßen die Schnittmenge der Funktionsbereiche zwischen globalisierendem tomo y hago und partialisierendem estoy haciendo (cf. Dietrich 1973, 142).
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Kat. Okz . Rät. It. Rum.
agafo i m’en vaig (bes. im Roussillon); me preni e m’en vau; tole e vede, pegl e vign, préndel e móndel; prendo e scrivo, piglio e scrivo; iau şi scriu,67 mă iau şi scriu, m-apuc şi scriu; mă pun şi scriu.
Restriktionen hinsichtlich der Realisierung der im Rahmen der aspektiven Dimension «Schau» möglichen Periphrasen in der Norm der einzelnen romanischen Sprachen ergeben sich aus den Erfahrungen bzw. Bedingungen der außersprachlichen Wirklichkeit: Ist die Bezeichnung der Partialisierung auf Grund der Art der zugrunde liegenden Handlung nicht möglich, so braucht auch nicht deren Einheitlichkeit über eine globale Schau akzentuiert zu werden. Vielfach liegen hier weniger Prozesse, sondern verbal ausgedrückte Qualitäten vor (cf. Dietrich 1973, 100), wie sie auch über die Verba adiecta (cf. Kap. 7.4) zum Ausdruck kommen (cf. *está pudiendo venir, *viene soliendo pasearse por aquí). Zudem stehen punktuelle Handlungen gwöhnlich einer Partialisierung entgegen (cf. *el vaso se está rompiendo).68 Hinsichtlich des Satzmodus (cf. Lüdtke 1996b) sind die aspektiven Verbalperiphrasen im Rahmen der Dimensionen der Schau auf die affirmative und interrogative Aussageweise beschränkt, da die entsprechenden Konstruktionen in der Regel weitere Bestimmungen des Verbs mit aufnehmen, die mit der Negierung wie der Aufforderung interferieren.69 Restriktionen in der jeweiligen Norm der Einzelsprache betreffen aber vor allen Dingen die Selektion der Tempora und Modi der verschiedenen Verbalperiphrasen, durch die sie sich gegenüber den lexikalischen Verbindungen abheben.70
|| 67 Etwa zu übersetzen als ‘ich schreibe wirklich’. 68 So ist etwa auch el soldado estuvo disparando un tiro ausgeschlossen. Partialisierung ist hier in der Regel nur bei einem impliziten pluralischen Verbalnumerus, d.h. einer wiederholten Handlung möglich; vergleiche: el soldado estuvo disparando tiros; fueron llegando los huéspedes. 69 Dort, wo scheinbar negierte partialisierte Periphrasen vorliegen, wird meist auf metasprachlicher Ebene der gesamte durch das Verb bezeichnete Prozess im Sinne einer Korrektur negiert und nicht speziell die partialisierte Handlung. Die sich ergebende Korrektur enthält somit wiederum einen positiven Ausdruck der Partialisierung: Non sta cantando, ma piuttosto gridando. 70 Cf. Dietrich (1973, 143, Anm. 60) zu solchen Restriktionen in der Norm des Spanischen, Italienischen und Französischen, sofern Verbalperiphrasen zum Ausdruck aspektiver Dimensionen im einzelsprachlichen System überhaupt jeweils realisiert sind. Für das Französische lassen sich etwa für die prospektive Schau (je vais faisant) nur Formen im Présent, Imparfait und Plusque-parfait des Indikativs belegen.
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7) Neben der «Schau» stellt auch die «Phase» oder der «Grad» eine für das Romanische symptomatische aspektive Dimension innerhalb des Verbalsystems dar. Phase oder Grad tangieren die objektiven Phasen des durch ein Verb bezeichneten Geschehens, d.h. dessen Grad der Realisierung von der Warte des Sprechzeitpunktes aus gesehen (cf. Dietrich 1973, 144). Es bestehen verschiedene Möglichkeiten des Sprecherbezugs auf die verschiedenen Phasen des Verbalgeschehens; als entsprechende «Phasen»-Werte sind der imminentielle71 (cf. frz. être sur le point de), ingressive bzw. inzeptive (z.B. frz. se mettre à, se prendre à; commencer à), progressive (frz. aller + Gerundium), regressive, konklusive (frz. cesser de, finir de) und egressive (z.B. frz. venir de faire ‘gerade getan haben’) zu nennen, die allesamt prinzipielle Möglichkeiten des romanischen Verbalsystems darstellen und sich hier zumindest teilweise realisiert finden.72 Die verschiedenen Phasen lassen sich auf einer linearen Achse darstellen (cf. Coseriu [1980c]/1987, 131) und sollen im Anschluss kurz erläutert werden:73
inzeptiv
Verbalgeschehen progressiv regressiv
ingessiv imminentiell
konklusiv egressiv
Abb. 11: Die aspektive Dimension «Phase»
|| 71 Der imminentielle Wert lässt sich im Französischen auch durch das Imparfait ausdrücken in dem Falle, dass ein Faktum als notwendige Konsequenz eines anderen (nicht eingetretenen) Faktums gesehen wird. Die sich normalerweise unmittelbar einstellende unabdingbare Konsequenz erscheint dann als Bestandteil der vorausgesetzten vergangenen Handlung (cf. Grevisse 1993, §851, b, 1°; auch §850, b, 1°), z.B. Elle mit la main sur le loquet. Un pas de plus, elle ETAIT dans la rue (Victor Hugo). 72 Cf. die Mannigfaltigkeit der Lokalkasus in finno-ugrischen Sprachen oder den Turksprachen wie Illativ, Elativ mit Bezug nicht auf die temporale, sondern die räumliche Dimension. 73 Dietrich (1973, 144–147) nennt innerhalb der Dimensionen Phase oder Grad 1) die imminentielle Phase, 2) die ingressive Phase, die bei ihm (im Vergleich zu Coseriu [1980c]/1987, 131) mit der inzeptiven Phase zusammengezogen erscheint, 3) die progressive Phase, 5) die konklusive Phase (diese ist gemeint, auch wenn sie nicht so benannt wird, cf. aber Coseriu [1980c]/1987, 131), 6) die egressive Phase; in Coseriu (ibid.) wird ferner eine regressive Phase lediglich benannt. Dietrichs Gliederung weist darüber hinaus eine als «kontinuativ» bezeichnete Phase auf.
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a) Die «imminentielle Phase» bezeichnet die Fokussierung der Handlung vor ihrem Beginn (BP = Betrachtungspunkt): ↓ BP Zum Ausdruck dieser Kategorie stehen in den romanischen Sprachen in der Regel besondere Verbalperiphrasen zur Verfügung: Port. Sp. Okz. Frz. Rät. It. Rum.
estou por fazer, estou para fazer; estoy por hacer, estoy para74 hacer, estoy a punto de hacer; som per far, vau per far, som a punt de far; je suis sur le point de faire; (Obwalden) jeu stun per far, jeu sun per far, jeu sun sil precint da (per) far; sto per fare, sono per fare, sono lì per fare, auch sono sul punto di fare, sono in procinto di fare (letzteres wie Rät. Lexikalisch); stau să cad, vrea să cadă, urma să cadă, eam să cad.
b) Die «inzeptive Phase» (Dietrich 1973, 145)75 fokussiert den Beginn der Handlung: ↓ BP Zum Ausdruck dieser Phase greifen die romanischen Sprachen auf zwei separate Typen an Verbalperiphrasen zurück:76 zum einen auf (i) ein Inventar an teil-
|| 74 Mit den Konstruktionen des Port. und Sp., die para einschließen, verbindet sich die lexikalische Nebenbedeutung der ‘Bereitschaft’ für den Fall, dass die Konstruktion als negierte erscheint, wodurch ihr ein lexikalischer Wert zukommt. 75 Traditionell wird mit den Ingressiva das plötzliche Einsetzen eines Vorgangs oder Zustands (cf. dt. entflammen, aufspringen) in Abgrenzung zu den Inchoativa, die eher einen allmählichen Zustands- oder Vorgangswandel kennzeichnen (cf. dt. erblühen, verwelken), zu akzentuieren gesucht; beide werden gelegentlich auch als synonym behandelt. 76 Diese Differenzierung wurde von Dietrich (1973, 154–156) eingeführt, um den konstitutiven Unterschieden Rechnung zu tragen, wie sie zwischen den verschiedenen Typen von Verbalperiphrasen feststellbar sind. So sind Periphrasen wie estoy escribiendo, voy escribiendo, cojo y escribo etc. abzugrenzen einerseits gegenüber solchen, die Verba adiecta enthalten, z.B. empiezo a escribir, acabo por escribir, und andererseits solchen, die je nach zugrunde liegender
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weise «marginalen» Periphrasentypen («intensive Periphrasen») und (ii) auf Verbalperiphrasen, die Verba adiecta (etwa solche mit der Bedeutung ‘anfangen’ u.a.) in sich schließen («extensive Periphrasen»). 77 Die inzeptive Phase wird in fast allen romanischen Sprachen konkurrierend sowohl durch intensive als auch durch extensive Periphrasen realisiert. Einige der intensiven Periphrasen weisen (namentlich mit Bezug auf die Iberoromania) äußerst begrenzte Systeme auf, die eine Kombination mit nur einer kleinen Auswahl an Verben zulassen. Demgegenüber können die extensiven Periphrasen als weitgehend grammatikalisiert angesehen werden, da sie eine Verbindung mit fast allen Verben ermöglichen.78 Vergleiche folgende Systeme: Port. (i) saio dizendo, rompo a chorar, deito a correr, pego a fazer, agarro a fazer, dou a fazer, caio a fazer (Bras.), ponho-me a fazer, desato a fazer, entro a considerar, desando a fazer, despejo a fazer (Bras.); (ii) começo a fazer;
|| Verbindung als Varianten von Verba adiecta zu interpretieren sind (z.B. me pongo a escribir etc.). Die bestehenden Unterschiede lassen sich nach drei miteinander in Verbindung stehenden Kriterien systematisieren, die wiederum das spezifische syntaktische Verhalten der einzelnen Typen an Verbalperiphrasen reflektieren und in die Unterscheidung zwischen intensiven und extensiven Periphrasen einmünden: 1) Modifizierbarkeit des Verbum adiectum; 2) Konstruktion des Verbum adiectum mit einem anderen Verb im Infinitiv (enthält die Konstruktion ein Gerundium wie in continuó escribiendo, führt eine Modifizierung des Verbum adiectum notwendigerweise zu einer «construcción mediata» [in weiter unten, Kap. 7.4, erläutertem Sinne] mit der Konsequenz, dass das Verbum adiectum mit dem durch das Gerundium implizierten Verballexem kein Prädikat bildet (cf. Dietrich 1973, 154); 3) «objektiver» Charakter derjenigen Kategorien, die mittels Verba adiecta enthaltende Periphrasen ausgedrückt werden; solche «objektive» Kategorien zeichnen sich dadurch aus, dass – wie bei der Phase und der «einreihenden Situierung» – die Handlung in Bezug auf andere Handlungen «objektiv» situiert wird (die «objektiven» Kategorien stehen in Opposition zu den «subjektiven» Kategorien wie der sekundären Perspektive oder der Schau, die eine Betrachtung der Verbalhandlung aus der Sicht des Subjekts in qualitativer Hinsicht implizieren). Die objektiven Kategorien nehmen im Gesamt des Verbalsystems eine marginalere Position ein als die subjektiven Kategorien. 77 «Intensive Periphrasen» definieren sich als solche, deren Konstruktion auf Verba denominativa in modifizierender Funktion beruht, wobei dieselben «Modifikatoren» in keinem Fall autonom modifiziert werden können; «extensive Periphrasen» sind demgegenüber solche, die vornehmlich mit Hilfe von Verba adiecta gebildet werden und deren «Modifikatoren» bei gleichbleibender instrumentaler Funktion teilweise autonom modifiziert werden können (cf. Dietrich 1973, 155). 78 Laut Dietrich (1973, 155) erscheinen die «extensiven Periphrasen» häufig allerdings als geringer grammatikalisiert, «weil die lexikalische Bedeutung der ‘verba adiecta’ in der instrumentalen Funktion erhalten bleibt und weil bei den hier als ‘verba adiecta’ auftretenden ‘verba denominativa’ wie poner, mettre, mettere usw. die Verbindung zwischen der lexikalischen und der instrumentalen Bedeutung auf Grund des objektiven Charakters der in Frage kommenden Kategorien deutlicher als bei ‘intensiven Periphrasen’ ist».
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Sp.
Kat. Okz. Frz. Rät. It. Sard. Rum.
(i) salgo diciendo, rompo a declarar, echo a correr, me echo a hacer, cogío a …, doy a andar (obsolet), agarro a … (Am.), me pongo a hacer,79 me suelto a contar, me largo a reír (Am.), entro a reflexionar; (ii) empiezo a comer, comienzo a entender; (i) rompo a plorar, em prendo a far, agaro a far; (ii) començo a far; (i) me meti a far, me boti a far; (ii) comenci a far; (i) je me mets à chanter, je me prends à écrire (afrz. pren a faire); (ii) je commence à chanter ; (i) se méttel a far; (ii) entschéivel a far; (i) prendo a scrivere, mi metto a studiare;80 (ii) comincio a lavorare; (i) mi pondzo a ffáker; (i) prind să citesc, prind a citi, mă pun să citesc; (ii) încep să citesc, încep a citi.
c) Die «progressive Phase» bezeichnet die Erfassung der bereits eingesetzten Handlung in ihrem weiteren Verlauf. Sie bildet im Romanischen in der Regel eine Nebenfunktion der «prospektiven Schau»: ↓ BP Hier wird erneut die Abweichung des Französischen im Vergleich zu den anderen romanischen Sprachen hinsichtlich des Umfangs der realisierten, prinzipiell gegebenen Möglichkeiten zum Ausdruck einer verbalen Funktion deutlich. Waren bislang die untersuchten Verbalperiphrasen im Französischen in dieser Hinsicht eher unterrepräsentiert, tritt hier der Fall auf, dass einzig in der Norm des Französischen die progressive Phase über ein bestimmtes Ausdrucksmittel verfügt, und zwar über die Konstruktion bestehend aus frz. aller + (en) + gérondif. Diese wird im aktuellen Französischen in der überwiegenden Mehrheit der Vorkommen mit Verben konstruiert, die irgend eine Progression zum Ausdruck bringen: les eaux vont croissant, les prix vont (en) augmentant, elles étaient allées se raréfiant; Le nombre des vocations va diminuant (Malègue, Augustin, vol. 2, 1933, 316).81
|| 79 Als «intensive Periphrase» betrachtet von Dietrich (1973, 145), als «extensive» ibid., 156. 80 Die letzten beiden Anmerkungen treffen auch auf mi metto a studiare zu. 81 Proust, Marcel, À la recherche du temps perdu, V. éd. de la Pléiade, vol. 3, Paris, 1954, 261.
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d) Die «kontinuative Phase» impliziert eine Erfassung der Handlung in der Mitte der vorgestellten Linie des Handlungsverlaufs: ↓
↓
BP . . . BP Diese Phase ist im Romanischen nicht durch einen eigenen Periphrasentyp materiell gestaltet, sondern tritt als sekundärer Redebedeutungstyp der Partialisierung auf. Allein das Französische hat mit je suis en train de lire eine funktionelle Konstruktion zur Bezeichnung der kontinuativen Phase ausgebildet. Die Periphrase ist hier als «Synkretismus» zwischen der Winkelschau und der kontinuativen Phase zu deuten (cf. Dietrich 1973, 146; siehe die Winkelschau). Im Rahmen der Winkelschau ist der funktionelle Anwendungsspielraum dieser Kategorie allerdings durch die Bedingungen der Phase beschränkt: Die Phase berücksichtigt nicht den Zusammenfall von A und B, wie dies in der Schau möglich ist. In bestimmten Periphrasen des Spanischen verbindet sich die Kategorie der kontinuativen Phase mit der des «Resultats»; hierzu zählen die periphrastischen Konstruktionen llevar + Part. Pass./Gerundio82 und traer + Part. Pass. e) Die «konklusive Phase» umfasst die Betrachtung der Handlung in ihrem Endpunkt. Sie wird in den romanischen Sprachen primär mittels Periphrasen, die Verba adiecta in der Bedeutung ‘aufhören’ etc. enthalten, zum Ausdruck gebracht: ↓ BP Als Beispiele aus den romanischen Sprachen lassen sich anführen: Port. cesso, deixo de chorar, paro de chorar (bras.); Sp. ceso, dejo de llorar; Frz. je cesse de pleurnicher, je finis de pleurer;
|| 82 Bei der Periphrase mit llevar bestehen je nach Konstruktionsart funktionelle Unterschiede: Wird die Periphrase mit dem Partizip Perfekt gebildet, dominiert die Kategorie des Resultats; die Phase fungiert dann als Nebenbestimmung. Wird die Periphrase mit dem Gerundium konstruiert, überwiegt die kontinuative Phase, und die Kategorie des Resultats erscheint als Nebenfunktion. In beiden Fällen bedarf die Konstruktion offensichtlich einer expliziten Tempusangabe: llevo tres años escribiendo este libro (cf. Dietrich 1973, 146).
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It. cesso, smetto di piangere; Rum. încet să plîng. f) Die «egressive Phase» nimmt die Handlung nach ihrem Abschluss in den Blickpunkt: ↓ BP Die besondere Konzentration auf den bereits überschrittenen, aber unmittelbaren Endpunkt der Handlung findet in den romanischen Sprachen verschiedene periphrastische Ausprägungen: port. acabo de fazer; venho de fazer (bras.); sp. acabo de hacer; kat. acabo de far; okz. veni de far, veniá de dejunar; frz. je viens de chanter. Die Periphrase ist in den romanischen Sprachen in der primären parallelen und prospektiven Perspektive überall funktionell. In den ostromanischen Sprachen ist die egressive Phase allerdings in der Norm nicht durch eine eigene Periphrase realisiert; in den iberoromanischen Sprachen bewahrt acabar in der primären retrospektiven und der sekundären Perspektive seine lexikalische Bedeutung bei: he acabado de convencerle ‘es ist mir gelungen, ihn zu überzeugen’. Gleiches trifft auf die Negierung zu: no acabo de ver … ‘es gelingt mir nicht, … zu sehen’. 8) Die aspektive Dimension der «Situierung» oder «Abfolge» situiert eine Verbalhandlung im Verhältnis zu anderen, im Regelfall nicht explizit benannten Handlungen.83 Diese aspektive Kategorie weist drei Subkategorien auf: a) die «Einreihung», b) den «Ausgang» bzw. die «resultierende Handlung» (cf. Resultat als eigene aspektive Dimension, die die Handlung nicht gegenüber einer anderen Handlung einordnet) sowie c) die «Abhebung». Diese drei aspektiven Subtypen lassen sich zunächst anhand von gewissen Beispielen veranschaulichen: a) it. cominciò, continuò, finí col dire (‘sagte zunächst, dann, schließlich’), cominciò coll’ucciderli tutti; sp. acabar llorando (‘schließlich weinen’); b) it. venne a cadere; sp. (por fin) vino a caer (‘fiel am Ende hin’); frz. les vivres vinrent à manquer (‘die Lebensmittel gingen schließlich ’us»); c) sp. viene y dice; frz. il vient prétendre (‘da sagt er doch’).
|| 83 Diese aspektive Dimension wurde von Coseriu (1966b, 41, Anm. 39) nur ganz am Rande eingeführt und erst im Anschluss von Dietrich (1973, 147–151) näher bestimmt und weiterentwickelt; auf Dietrich geht auch die interne Subkategorisierung zurück.
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Die Möglichkeit der Konfrontation der periphrastischen Konstruktionen mit einfachen Verbalformen sowie der Befund deren innerromanischen Entsprechung (cf. etwa li uccise tutti; por fin cayó; il prétendit – il alla prétendre que la terre était carrée) lässt darauf schließen, dass die Bedeutung der in den syntagmatischen Verbindungen verwendeten Verba denominativa nicht mit ihrer lexikalischen Bedeutung identisch ist, d.h. vino entspricht nicht ‘er kam’, il alla nicht ‘er ging’. Werden diese Verbindungen mit den bisher untersuchten Typen an Aspektperiphrasen auf semantischer Ebene verglichen, ist zu beobachten, dass sie keine Auskunft über den konkreten Handlungsverlauf erteilen. Ihre Funktion besteht vielmehr darin, die Handlung in ihrer Stellung zu anderen Verbalereignissen, die Bestandteil des Kontextes bilden, zu akzentuieren bzw. zu situieren. Als oppositive Ebenen lassen sich die der betrachteten und die der nicht betrachteten (kontextuellen) Handlung identifizieren. In den romanischen Sprachen tritt die «Situierung» in diesem Sinne in dreifacher Gestalt auf. a) Bei der «Einreihung» erscheint die Handlung als ein Glied unter anderen, nicht notwendigerweise explizit eingeführten Handlungselementen. Die in Frage stehende Handlung kann dabei sowohl als initiales, die Handlung fortsetzendes intermediäres oder finales Glied der Handlungskette «eingereiht» werden. Die Betrachtung der so situierten Handlung auf einer ersten Ebene impliziert zugleich eine Inbezugsetzung zu den evozierten Hintergrundsereignissen als der zweiten Ebene (cf. die schematischen Darstellungen in Dietrich 1973, 148 etwa zu italienisch: cominciò col dire, continuò col gridare, finì col cantare). Dem Italienischen stehen im Portugiesischen, Spanischen und Französischen jeweils folgende Verbalperiphrasen gegenüber: Port.:
começo cantando, começo por cantar; continuo em cantar, continuo com cantar; acabo cantando, acabo por cantar, acabo em cantar, acabo com cantar, termino cantando; Span.: comienzo cantando, empiezo cantando, comienzo por cantar, empiezo por cantar; continúo por cantar; acabo cantando, termino cantando, acabo por cantar, termino por cantar, concluyo por cantar; Frz.: il commença par84 chanter; je finis par chanter.85
|| 84 Cf. die entsprechenden ingressiven bzw. inzeptiven und konklusiven «Phasen», etwa frz. je commence à manger, je finis de manger; letzteres auch in Opposition zum perfektiven Gebrauch des Passé composé als komponierter Verbalform der zweiten Perspektive. 85 Auf diesem Hintergrund ließen sich miteinander konfrontieren: Zum einen ingressive (bzw. inzeptive) und konklusive Phase wie in den grammatikalisierten periphrastischen Verbalformen
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b) Die zweite Subkategorie im Rahmen der Situierung bildet die «resultierende» Handlung: Bei der Situierung ist das «Resultat» bzw. der «Ausgang» keine unmittelbare Konsequenz der voraufgehenden, explizit eingeführten Handlungen (also der ersten Ebene der «betrachteten» Handlungen), sondern ist als Folge der zuvor nicht ausdrücklich erwähnten kontextuellen Ereignisse zu sehen. Das Resultat, das nun Gegenstand der Betrachtung wird, wird somit von der bis dahin nicht betrachteten kontextuellen Handlungsebene auf die Vordergrundsebene gehoben. Darauf sind Redebedeutungstypen bzw. Charakterisierungen als ‘plötzlich’, ‘unvermutet’, ‘erfolgreich’, ‘approximativ’ etc. zurückzuführen, die konkret aus der je spezifischen Situation ableitbar sind. Die Kategorie wird in manchen romanischen Sprachen mittels der Konstruktion VENIRE AD + Infinitiv oder ähnliche periphrastische Wendungen vermittelt (cf. die schematische Darstellung in Dietrich 1973, 149): Port.: veio a chover, venho a saber; im Bras. auch chegava a rir;86 || je commence à lire, je finis de lire, die insofern als nicht relationelle Kategorien funktionieren, als sie keine Beziehung zu einer anderen impliziten Handlung oder einem Handlungskomplex einer zweiten im Hintergrund befindlichen (evozierten, nicht betrachteten) Ebene begründen, sondern das Geschehen allein für sich (in seinem objektiven Ablauf) in den Blickpunkt nehmen. Zum anderen wären einander gegenüberzustellen: konklusives je finis (Passé simple) de manger (im Rahmen der Dimension Phase) als komplexive faktische Verbalform der primären Perspektive und j’ai fini de manger; in letzterer Verbalform, die als komplex gebildete der sekundären Perspektive angehört, erscheint die perfektive aspektive Komponente als Nebeneffekt der sekundären Perspektive und nicht als (grammatikalisierte) Funktion der Sprache und tritt gewissermaßen zur Phasenbestimmung als konklusiv hinzu. Außerdem kann je finis de manger der transitiv konstruierten (zyklischen) Verbalform je mange une pomme mit Akzentuierung des Endpunktes gegenübergestellt werden, wobei sich bei ersterer die Frage nach der subjektiv verstandenen Vollendung stellt, d.h. ob diese als terminativ (cessativ) aufzufassen ist. Damit wird zugleich die Frage nach der Einordnung hinsichtlich der Dimension des Resultats berührt, cf. etwa j’ai écrit la lettre gegenüber j’ai fini la lettre (cf. afrz. j’ai la lettre écrite und die Ausbildung und Regelung des Akkords) − hier als objektives produktives Resultat, d.h. als solches, das das Produkt der Handlung und nicht das Agens selbst (subjektives effektives Resultat wie etwa bei s’étouffer) tangiert (in letzterem Fall repräsentiert die Dimension des Resultats keine eigene funktionelle Kategorie, sondern ergibt sich – wie die Vollendung – als Nebeneffekt der sekundären Perspektive). Es gilt also z.B. gegeneinander abzugrenzen und im Zusammenhang mit der primären und sekundären Perspektive sowie unter Einbezug der eventuell bestehenden grammatischen Funktion einer Kategorie oder deren Auftreten als Nebeneffekt (im Rahmen der Lexik oder vermittelt über paragrammatische Verfahren) zu interpretieren: terminative (cessative) und nicht-terminative (nichtcessative) subjektive bzw. perfektive (imperfektive) objektive Vollendung; konklusive Phase; aspektive Resultativität bzw. resultierende Handlung im Rahmen der Situierung oder Abfolge. 86 Dietrich (1973, 149) weist hier auf die Möglichkeit der Nebenfunktion der Einreihung hin. Diese besteht bei sp. llegó a hundirse etc.
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Span.: vino a morir; llegó a hundirse; Kat.: vindrà a ser el mateix; It.: «pensai che… venivo a render loro un bene»; «la luce venne improvvisamente a mancare»; «nel momento in cui perfino i rumori… pareva si attenuassero, venissero a spegnersi» (zit. nach Dietrich 1973, 149). Frz.: il venait à tout déranger; frz. venir à wird vornehmlich in der dritten Person gebraucht. c) Die «Abhebung» impliziert eine Betrachtung der Verbalhandlung, die diese als eine deutlich vom Kontext (der selbst in der Regel durch ein rein mitgedachtes Geschehen der «nicht-betrachteten» Ebene gebildet wird) gelöste, «abgehobene» darstellt. Die Abhebung steht in Opposition zum «Resultat» insofern, als sie sich nicht in Konsequenz des implizierten Kontextes ergibt, sondern sich absolut einstellt. Die hier feststellbaren Redebedeutungen lassen sich, anders als beim «Ausgang», über diesen «Absolutheitscharakter» des Resultats erklären. In Frage kommen unter anderen Bedeutungen wie ‘vorwurfsvoll’, ‘unerwartet’, ‘außergewöhnlich’ (cf. Dietrich 1973, 150 bzw. 74–75; 117ss.). Mit der Abhebung können auf der dann nicht betrachteten Ebene die entgegen gesetzten möglichen Bedeutungen des ‘Erwarteten’ oder ‘Folgerichtigen’, ‘Angemessenen’ verbunden sein. In den romanischen Sprachen korreliert die Abhebung regelmäßig mit der Dimension der globalen Schau; cf. etwa sp. cogió y dijo, worin sich die globale Schau manifestiert, gegenüber fue y dijo, wo die Abhebung von der Darstellung der kontextuellen Erscheinungen hinzutritt. Die «abhebende Situierung» ist im Romanischen durch folgende Periphrasen materiell gestaltet, die prinzipiell in allen Tempora und Modi funktionieren können: Sp.: Frz.: It.:
va y hace, llega y hace, viene y hace ¡no vayas a créer …! il va faire (≠ futur proche); il vient faire va a fare
Im Französischen lässt sich (analog beim sp. Typ va a hacer) die Periphrase mit aller + Infinitiv im Präsens und Imperfekt nur unter Rückgriff auf den Kontext von der sekundären prospektiven Perspektive im präsentischen Zeitraum abgrenzen. Als Unterscheidungskriterium dient die Prospektivität: Or pour elle, cette soirée n’avait pas le but de …, but qu’elle allait pourtant prétendre être le sien, et qui était – réellement – celui de M. de Charlus.87 || 87 Proust, Marcel, À la recherche du temps perdu, V. Éd. de la Pléiade, vol. 3, Paris, 1954, 269.
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Die Annahme der Funktion der Abhebung erklärt sich aus der Unmöglichkeit des Kontextes, die prospektive Perspektive zu integrieren. Ferner ist im Falle der Negation zuweilen im Präsens und Imperfekt mit einem Synkretismus mit der sekundären prospektiven Perspektive innerhalb des Zeitraums Präsens zu rechnen. Die Negation in Verbindung mit der prospektiven Funktion ist nicht prinzipiell ausgeschlossen (wenngleich selten), cf.: Et il se demanda si M. Fleurier n’allait pas bientôt mourir; Ils ne vont pas nous faire une vie très gaie.88 Dagegen erlauben die kopulativen Verbalperiphrasen keine Negierung (im Sp. kommt hier ir a + Infinitiv als Konstruktion zum Tragen). Wie lassen sich die verschiedenen temporalen und aspektiven Dimensionen in den romanischen Sprachen kombinieren? Als am vollsten und regelmäßigsten entwickelt unter den romanischen Sprachen (cf. Coseriu 1976; Dietrich 1973, 133–151) können das Verbalsystem des Spanischen und des Portugiesischen gelten. Hier sind die prinzipiell bei allen Verben und in sämtlichen funktionell analogen Fällen verfügbaren temporalen Ebenen und Perspektiven bzw. aspektiven Dimensionen (in genannter Reihenfolge) folgende (cf. Kap. 7.2.3.2 zum Französischen): die Ebene (port. faço – fazia; frz. je fais – je faisais), die primäre Perspektive (fiz – faço – farei, fizera – fazia – faria; je fis – je fais – je ferai, *__ – je faisais – je ferais), die sekundäre Perspektive (tenho feito89 – faço – vou fazer, tinha feito – fazia – ia fazer; j’ai fait – je fais – je vais faire, j’avais fait – je faisais – j’allais faire etc.), die Schau (estou a fazer, estava a fazer, estive a fazer; frz. je suis en train de faire etc.), die Phase (estou por fazer, ponho-me a fazer, acabo de fazer; frz. je suis sur le point de faire, je me mets à faire, je viens de faire etc.) sowie die Situierung (acabo chorando, venho a saber; frz. je finis par chanter, les vivres vinrent à manquer etc.).90
|| 88 Sartre, Jean-Paul, Le mur, Paris, Gallimard, 1946, 221; Anouilh, Jean, L’alouette. Paris, La Table Ronde, 1953, 214 (cf. Dietrich 1973, 151). 89 Cf. Dietrich (1973, 138): «[…] tenho feito bezieht so ausdrücklich das Ganze der Handlung auf den Sprechpunkt, dass eine Ausdehnung der retrospektiven Perspektive innerhalb des Zeitraums Präsens auf die ganze, also auch die primäre retrospektive Perspektive (fiz) nicht möglich ist». 90 Im Normalfall treten allenfalls vier dieser Dimensionen gemeinsam auf, d.h. Schau, Phase und Situierung sind keine komplementären, sondern mutuell exklusive Dimensionen (cf. Coseriu 1976, 132). Begrenzte Tragweite scheinen außerdem die Dimension des Resultats (cf. sp. está escrito, queda hecho, tengo escrito und – kombiniert mit der Schau [nach Dietrich mit der kontinuativen Phase] – llevo escrito) sowie der Vollendung und Wiederholung zu besitzen; letztere bilden eher sekundäre (kontextuell bedingte) oder lexikalisch determinierte Dimensionen.
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7.4 Verba adiecta Die Partikularität der hier betrachteten Verbalperiphrasen beruht darauf, dass das als Auxiliar fungierende Verb als Modifikator des die eigentliche Verbalhandlung zum Ausdruck bringenden Vollverbs fungiert, so dass dessen Semantik instrumentalen, aber nicht eigentlich lexikalischen Wert besitzt. Hinsichtlich der Frage der Abgrenzung und Identifizierung von Verbalperiphrasen sind die verba adiecta aus funktioneller Sicht aufschlussreich. Lexeme lassen sich unter dem Gesichtspunkt der Realitätserfassung in zwei Gruppen einteilen. Erstere Gruppe enthält demnach solche Lexeme, die eine primäre Klassifikation der außersprachlichen Wirklichkeit vornehmen (z.B. Mensch, Ziege, Stein, Gold). Die zweite umfasst solche Lexeme, die ähnlich wie Adjektive funktionieren: Sie bestimmen in qualifizierender (und zugleich denotativer) Weise solche Einheiten der Realität, die ihrerseits der Klasse der primär kassifizierenden Lexeme angehören (so etwa Vater, ein Armer, Richter, Greis zu ‘Mensch’). Juan Luis Vives,91 auf den diese Unterscheidung offensichtlich zurückgeht, nennt die Lexeme der ersten Gruppe (eigentliche) rerum nomina oder absoluta, die der zweiten appellationes. Diese terminologische Unterscheidung deckt sich mit der in nomina denominativa und nomina adiecta nach Dietrich (1973, 51), an deren Stelle sich bei Coseriu wiederum die Termini nomina absoluta und nomina adiecta finden (Kap. 5.5.6). Eugenio Coseriu sieht diese Klassifikation der Lexeme auf Grund ihres Bezuges zur außersprachlichen Wirklichkeit nicht auf Substantive begrenzt (cf. Coseriu [1972b]/1987, 89–90), sondern nimmt eine analoge Unterscheidung zu der in substantiva absoluta (z.B. Mensch, Baum, Himmel) und substantiva adiecta (z.B. Vater, Doktor, Herr) innerhalb der Wortkategorie der Verben vor (cf. Coseriu 1971c, 247–248), die entsprechend zwischen verba absoluta (etwa lesen, laufen) und verba adiecta (etwa anfangen, fortsetzen) differenziert. So wird mit Blick auf Verben wie dt. können, wollen, müssen, dürfen, sollen etc. oder anfangen, fortfahren, aufhören die Feststellung gemacht, dass diese die außersprachliche Wirklichkeit nicht primär erfassen oder strukturieren und also auch keine Sachverhalte der Wirklichkeit bezeichnen (keine «primär reale» Bedeutung aufweisen, cf. Dietrich 1973, 52), sondern eine Bedeutung besitzen, die primär || 91 Cf. Vives, Juan Luis (1782, vol. 3, 146): «Ex categorematicis, aliae rem simplicem, et unam, significant sine adjecto, ut, quae cujusque essentiam denotant, homo, capra, lapis, aurum, cujusmodi sunt pleraque nomina substantiva unius generis, quae Quintilianus vocat rerum nomina, philosophorum usus, absoluta: alia cum adjecto significant, ut, quae dicuntur adjectiva, quae idem Quintilianus apposita nuncupat; item nomina communia, et unius generis nonulla, qua aliquid affingunt substantiae, velut, magister, dominus, pater, dives, pauper, consul, judex, appellationes nominatur».
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auf eine andere verbale Einheit bezogen ist und sich erst eigentlich über diesen Bezug konstituiert: «Ihre lexikalische Bedeutung existiert dann nur, insofern sie sich auf ein anderes Verbum beziehen und es modifizieren» (Dietrich 1973, 52). Damit reduziert sich also die lexikalische Bedeutung auf die Art der Seinserfassung der primären Handlung. Da sich die Verba adiecta lediglich auf das Wie der Realitätserfassung beziehen, nicht aber auf das Was der Erfassung der außersprachlichen Wirklichkeit (im Rahmen der Wortkategorie Verb), verleiht ihnen ihre Funktion als Modifikatoren eines primären Verbums gewissermaßen adjektivischen Status.92 Diese Eigenschaft teilen sie mit den Nomina adiecta mit Bezug auf die Substantive. Verbalformen wie il continue, he must, suele (solía) funktionieren daher in der Regel als verbale Bestimmungen einer primär realitätserfassenden Verbalhandlung. Verba adiecta liegen in einer Sprache also dann vor, wenn ein Verb als Modifikator eines anderen Verbs fungiert; insofern besitzen die Auxiliare im Rahmen ihrer modifizierenden, morphematischen Funktion93 instrumentalen Charakter und können mit Raether (1968) als «Morphemverben» bezeichnet werden (cf. Dietrich 1973, 38–39). Hier gilt es zwischen zwei Typen von Verben zu unterscheiden: solchen, die auf Grund ihrer lexikalischen Bedeutung in Verbindung mit einem anderen Verb regelmäßig als modifizierende Elemente funktionieren (z.B. dt. anfangen, sp. soler), und solchen, die prinzipiell sowohl Verba denominativa als auch Verba adiecta sein können (cf. dt. brauchen wie in er braucht die Information und er braucht heute nicht (zu) arbeiten; pflegen: sie pflegte den Kranken versus sie pflegte zu rauchen; sp. deber in me debe dinero und debe venir mañana; frz. devoir, z.B. vous me devez dix euro gegenüber il doit arriver demain).94
|| 92 Auch ein Adjektiv wie groß besitzt keine primär realitätserfassende Bedeutung, da es erst über den Bezug auf ein primär reales Lexemwort aus dem Bereich der Substantive als dessen «Modifikator» eine bestimmte Funktion erlangt. 93 Morphemverben liegen nur dann vor, wenn der Verbalperiphrase als Einheit eine bestimmte grammatische Funktion zugeschrieben werden kann. Eine solche morphematische Funktion wurde von Coseriu (1962, 6) für bestimmte Verben, die als Bestandteile von Verbalperiphrasen vorkommen, zunächst für das Spanische (cf. Verben wie sp. acabar, andar, continuar, echarse, encontrarse, entrar, estar, hallarse, ir, ponerse, quedar, quedarse, resultar, salir, seguir, tornarse, venir, verse, volverse in Verbindung mit dem Gerundium oder gefolgt von Präposition + Infinitiv) identifiziert (unter Rückgriff auf Alonso 1939, 105–138). Dabei spielen die syntagmatische und die paradigmatische Dimension eine Rolle (cf. Dietrich 1973, 29–39), da für ebensolche Verben gilt: «además de asumir los morfemas de persona, tiempo, etc., funcionan ellos mismos como ‘morfemas’, es decir, como modificadores gramaticales de los verbos en gerundio o infinitivo con los que se hallan construídos)» (Coseriu 1962, 6). 94 Die Verba adiecta rekrutieren sich aus verschiedenen Verbtypen, wobei allerdings die Verbsemantik gewisse Verben für einen Gebrauch als Verba adiecta (und Verba denominativa)
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Wie lassen sich Verba adiecta von anderen Verben abgrenzen?95 Eine Identifikation erfolgt primär auf syntaktischer Ebene. Als Kriterium dient die Feststellung, dass der Status eines Verbs in einer entsprechenden Konstruktion nicht autonom ist, sondern seine Funktion darin besteht, ein anderes Verb näher zu bestimmen.96 Dass ein Verbum adiectum selbst nicht autonomen Status besitzt, kann durch Fragen wie «Was macht (machte etc.) er etc. dort?» geprüft werden, auf die mit einem Verbum adiectum allein nicht geantwortet werden kann, sondern nur in Verbindung mit einem Verbum denominativum. Um im Französischen etwa il veut écrire von einer rein formal analogen Konstruktion wie il espère gagner oder il sait éviter ce danger abzugrenzen, muss geprüft werden, ob il espère bzw. il sait eine Qualifizierung von gagner bzw. éviter darstellt, was hier negiert werden kann. Vielmehr handelt es sich bei il espère und il sait um selbständige Satzteile, die den jeweiligen untergeordneten Infinitiv als Objekt regieren (cf. il l’espère; il le sait). Auch il le veut ist dann insofern ambig, als es entweder als Verbum adiectum gebraucht werden kann (und dann etwa il veut écrire ersetzt) oder aber als Verbum denominativum (je veux ma chance) (siehe zu dieser Problematik Coseriu 1962, 6–7 sowie Dietrich 1973, 42–44).97 Dagegen ist il
|| eher prädestiniert als andere. Bestimmte Verben unterscheiden sich auch in ihrem morphologischen Verhalten je nachdem, ob sie als Verba adiecta oder Verba denominativa gebraucht werden, so etwa die Modalverben des Deutschen; cf.: Er hat das Buch sofort ge-brauch-t – Ich habe es ja selbst ge-woll-t (Verbum denominativum) gegenüber Sie hätten nicht (zu) schreiben brauch-en – Er hätte gerne kommen woll-en (Verbum adiectum); analog: Er hat die Sache sofort ge-konn-t vs. Er hätte die Aufgabe gar nicht ausführen könn-en. Die Verba adiecta bilden trotzdem keine besondere Kategorie an Verben, die bestimmte universelle Inhalte zum Ausdruck bringen und in vielen Sprachen formal in ähnlicher Weise gestaltet sind. 95 Auf die einzelnen möglichen Kriterien bzw. Verfahren der Abgrenzung soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden; stattdessen sei auf Dietrich (1973) verwiesen, wo das paradigmatische (ibid., 29ss.) und das syntagmatische (ibid., 40ss.) Kriterium sowie der semantische Aspekt (ibid., 44ss.) aus der Sicht verschiedener Sprachforscher erörtert werden (zur speziellen Position Coserius siehe jeweils ibid., 34–35 bzw. 42–44). 96 Verbum adiectum und modifiziertes Verbum denominativum besitzen damit dieselbe Satzfunktion. Dies lässt sich besonders anhand des Deutschen aufzeigen, cf. Das Buch, das er angefangen hat zu lesen, wobei «Buch» nicht Objekt zu «anfangen» bildet, sondern Objekt des durch «anfangen» modifizierten primären Verbs «lesen» ist: «Die hypotaktischen Satzteile können also in diesen Fällen nicht als Ergänzung des Ortes, Umstandes, Zweckes, usw. interpretiert werden, sondern nur als Satzteile, deren Funktion nicht im einzelnen unabhängig vom Verband mit dem ‘auxiliant’, also der Gesamtkonstruktion und -funktion der Periphrase, bestimmt werden kann» (Dietrich 1973, 44). 97 Zum Tragen kommt hier, was Coseriu (1962, 7) im Rahmen der Erörterung des «syntaktischen Kriteriums» zur Identifizierung von Verbalperiphrasen die «construcción ‘inmediata’» bzw. «construcción ‘mediata’» nennt. Die construcción inmediata definiert sich dadurch, dass das modifizieren-
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veut in il veut écrire als weitere Bestimmung zu écrire zu interpretieren und bezieht sich auf den Realitätsmodus der Umsetzung der Verbalhandlung. Zur Bestimmung der instrumentalen Bedeutung des Verbums adiectum als «Modifikator» muss geklärt sein, inwieweit seine Bedeutung aus der lexikalischen Bedeutung ableitbar ist oder nicht. Das Problem stellt sich im Rahmen der Grammatikalisierung der Verbalperiphrase. Die Verwendung eines Auxiliars als Verbum adiectum kann also mit einem unterschiedlichen Grad der Abweichung vom rein lexikalischen Gehalt des Verbs einhergehen.98 Die Frage stellt sich, ob in Verba adiecta einschließenden Konstruktionen letzere prinzipiell grammatische Funktion haben − womit ausgesagt wäre, dass «alle lexikalischen Inhalte solcher Verben prinzipiell als instrumental (= grammatisch) anzusehen sind» (Dietrich 1973, 55) − oder ob sie auch als weitere lexikalische (adverbielle) Bestimmungen
|| de Verbum oder der Auxiliant (da er ein anderes Verb determiniert) keinen eigenen syntaktischen Bezugspunkt, d.h. keine weitere Ergänzung des Ortes, der Zeit, der Art und Weise (Objekt, präpositionale oder adverbielle Bestimmung) etc. aufweisen darf. Allein das modifizierte Verbum denominativum, genauer die Periphrase als Ganze kann eventuell ein Objekt oder eine adverbielle Ergänzung zu sich nehmen. Der construcción inmediata ohne Bezugspunkt steht die construcción mediata mit Bezugspunkt gegenüber: Sie ist dadurch charakterisiert, dass der Auxiliant auf einen anderen Bezugspunkt als das subordinierte Element (im Falle von Konstruktionen mit Gerundium, Infinitiv, Konjunktiv) bzw. das koordinierte Element, das selbst keine Ergänzung bildet (im Falle von kopulativen Konstruktionen), «abgelenkt» wird. Deshalb liegt hier keine periphrastische Konstruktion vor. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die «Mediatisierung», die durch die Existenz eines äußeren Bezugspunktes zustande kommt, explizit wie implizit in Erscheinung treten kann. Ist sie nichtexplizit, muss sie aus dem (sprachlichen oder nichtsprachlichen) Kontext restituiert werden, wie sich durch folgendes Beispielpaar illustrieren lässt (cf. Coseriu 1962, 7): Salió DE LA CASA diciendo que volvería a las tres bzw. ¿Está Juan? – No está. Salío (scil. DE AQUÍ) diciendo que volvería a las tres. In keinem der beiden Fälle liegt eine Periphrase vor: Im ersten Beispiel wird sie explizit verhindert, im zweiten implizit durch die kontextuell gegebene Ortsbestimmung zu salir. Dadurch ist salir als autonom funktionierendes Verb mit lexikalischer (nicht instrumentell-modifizierender) Bedeutung zu interpretieren. Darf einerseits (gemäß Definition der construcción inmediata) der Auxiliant kein Objekt regieren, so darf andererseits der Auxilié (das modifizierte Verbum denominativum) nicht die Ergänzung (des Ortes, der Zeit, des Umstandes, des Zweckes etc.) des Auxilianten bilden; cf.: va a cacciare bzw. va a caccia gegenüber va cacciando. Das modifizierte Verb darf also selbst nicht als syntaktische Ergänzung des Auxiliars dienen, die dieses bei Bewahrung seiner lexikalischen Bedeutung (in nicht-periphrastischer Konstruktion) zu sich nehmen könnte, da das Auxilliar in der construcción inmediata eben kein Objekt und keine Ergänzung haben darf. 98 Cf. Dietrich (1973, 55): «Falls mit ‘verba adiecta’ in Verbindung mit einem anderen Verbum (scil. denominativum) Verbalperiphrasen gebildet werden können, ist bei deren Identifizierung zu berücksichtigen, dass die instrumentale Bedeutung der Modifikatoren jeweils gleich ihrer lexikalischen Bedeutung ist. […] Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, dass Konstruktionen mit ‘verba adiecta’ als grammatische Verbalperiphrasen funktionieren können. In der genannten semantischen Hinsicht unterscheiden sie sich jedoch von allen anderen Verbalperiphrasen».
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anderer Verben fungieren können? Es scheint, als könne diese Frage im Sinne einer durchgängig anzunehmenden Instrumentalität der Morphemwörter oder auch «Morphemverben» entschieden werden: Verba adiecta qualifizieren immer den Inhalt von Verben, die eine primäre Realitätserfassung enthalten, was ihre lexikalische Bedeutung als eine instrumental-modifizierende eingrenzen lässt. Dies gilt jedoch nicht ohne die Einschränkung, dass hier ein ganz bestimmter Typ an Grammatikalität vorliegt (cf. Dietrich 1973, 152ss.).99 Wenn man nun die Verba adiecta und Substantiva adiecta miteinander vergleicht, so fällt auf, dass diese lediglich die inhaltliche Eigenschaft teilen, die außersprachliche Wirklichkeit nicht primär zu erfassen. Während aber Nomina adiecta auch tatsächlich zur Bezeichnung dieser Realität geeignet sind, fehlt den Verba adiecta diese Fähigkeit: Ihre Funktion beschränkt sich auf die Modifizierung der Bedeutung anderer Verben. Anders als die Nomina adiecta sind die Verba adiecta zudem auch semantisch nicht komplex aufgebaut, da sie kein primäres Verbum absolutum implizieren. «Die Verba adiecta gehören folglich einer ganz anderen Ebene an als die Nomina adiecta; ihre Funktion ist eine modifizierend-determinierende, im Unterschied zur qualifizierend-denotativen Funktion der Nomina adiecta» (Staib 1988, 92).
7.5 Aspekt und paragrammatisches System (des Romanischen) Die Kategorie Aspekt wird zuweilen (cf. etwa Grevisse 1993, §740; 2007/2011, §770) definiert als die Art und Weise, in der der Verlauf, das Fortschreiten, die Vollendung einer Handlung ausgedrückt werden. Im Französischen kommt der Aspekt zum einen bei den Tempora zum Tragen (cf. Grevisse 2011, §770). Traditionell steht hier die Opposition Imparfait – Passé simple im Vordergrund, wobei sich mit dem Imparfait eine als unvollendet aufgefasste Handlung verbindet, während das Passé simple eine vollendete Handlung markiert (cf. aber andere der mannigfachen Werte des Imparfait: Imparfait narratif, auch «Imparfait de rupture/de clôture/pittoresque/journalistique/de reportage» genannt, v.a. als Stilmittel der literarischen Sprache, Beispiele wie Je repris courage: dans deux heures du renfort arrivait (= devait arriver), wo das Imparfait Ereignisse bezeichnet, die vom Bezugspunkt der Vergangenheit aus noch in der || 99 Die in den Verbalperiphrasen zum Tragen kommenden grammatischen Kategorien können sich mit solchen decken, wie sie bereits durch innere Bestimmungen ausgedrückt werden (z.B. Modus, Aspekt etc.), sie können aber auch andere Funktionen beinhalten, z.B. Wiederholung bei sp. soler + Infinitiv etc. Hier stehen die im Rahmen der Kategorien Phase und Situierung ggf. identifizierbaren aspektuellen Funktionen im Vordergrund.
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Zukunft liegen etc.; cf. Grevisse 2011, §881). Andere Interpretationen sprechen dem Imparfait dagegen primär anaphorischen Charakter zu, darunter auch Coseriu 1977 (cf. Kap. 7.2.3 zu «Ebene» und «Perspektive»), wonach das Imparfait keinen «Aspekt» ausdrückt, sondern sich zunächst vom Présent abhebt, indem sein Bezugspunkt nicht mit dem Sprechzeitpunkt übereinstimmt, sondern ein «externer» ist (cf. Laca 2003, 148; Larrivée 2005). Der Befund der grammatikalischen «Aspektlosigkeit» lässt sich laut Laca (2003, 149) für die Romania auf das Présent wie das einfache Futur ausdehnen: «Le fait que les acceptions d’aspect syntaxique ne se manifestent qu’à certains temps, notamment le présent, l’imparfait et le futur, peut être compris comme la conséquence d’une contrainte sur la récursivité de l’aspect syntaxique, ce qui conforte l’hypothèse que ces trois temps sont, dans les langues romanes, des ‘temps sans aspect’».
Der Aspekt der Vollendung kommt darüber hinaus über die komponierten Zeiten des Französischen (il a beaucoup changé) zum Ausdruck. Der Aspekt wird zudem einerseits über die «Semi-Auxiliare» (cf. Grevisse 1993, §§789–791; 2011, §§819–821) vermittelt, andererseits durch ein bestimmtes Inventar an Suffixen (buvoter versus boire) sowie Präfixen (retravailler). Auf Adverbien, die aspektuelle Nuancen transportieren (Plötzlichkeit, Wiederholung etc., cf. Grevisse 2011, §1004), sei der Vollständigkeit halber hingewiesen, ohne – da hier nicht relevant – auf diese näher einzugehen (eine Interaktion zwischen Präpositionen und Adverbien wie depuis oder rum. tocmai bzw. dt. gerade und dem Ausdruck der Perfektivität wird in Schaden 2007 berücksichtigt).100 Allgemeiner betrifft der Aspekt die perspektivischen Möglichkeiten, eine Verbalhandlung zu fokussieren. Der Aspekt ist vornehmlich Bestandteil des grammatischen Systems einer Sprache. Außerhalb der Grammatik besitzt der Aspekt seinen Ort im Wortschatz; hier spricht man (im Kontext der slawischen Sprachen) statt von Aspekt von Aktionsart, die die spezifische Realisationsart einer Verbalhandlung (im Rahmen der Verbsemantik) beschreibt (cf. die effektive, perdurative, kursive, terminative/cessative, inchoative u.a. Aktionsarten, z.B. Punktualität und Vollendung bei éclater). Mit Bezug auf die slawischen Sprachen kann diese || 100 Eine Einteilung wie in Grevisse (1993, 1192–1201, §§790–791) zeigt deutlich die Schwächen einer rein formalen Gliederung: Hier werden Verbalperiphrasen, die mit einem gemeinsamen «Semi-Auxiliar» gebildet werden, gemäß ihren spezifischen syntaktischen Eigenschaften aufgelistet und grammatisch und inhaltlich analysiert; allerdings wird ihre Funktion im gesamten Verbalsystem der Einzelsprachen nicht berücksichtigt. So werden hier auch solche Verbalperiphrasen − nach rein materiellen Gesichtspunkten − zusammen gruppiert, die aspektiven Werten und anderen Dimensionen entsprechen. Es wird damit zusammengestellt, was funktionell nicht zusammengehört, dagegen getrennt behandelt, was funktionell eine Einheit bildet.
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dichotomische Zuweisung des Aspekts zum grammatischen, der Aktionsarten zum lexikalischen System aufrechterhalten werden, da hier die Determination eines Verbalbegriffs nach einer Aktionsart insofern tatsächlich der Lexik angehört, als der so determinierte Verbalbegriff darüber hinaus noch prinzipiell als perfektiv oder imperfektiv bestimmt werden kann. Problematisch wird die Übertragung einer solchen Auffassung von Aspekt und Aktionsart dort, wo die Aktionsarten offensichtlich nicht nur dem Wortschatz angehören, sondern auch für das grammatische System funktionellen Status besitzen (etwa in den romanischen Sprachen realisiert über die regelmäßig bei den verschiedenen Verben und Tempora auftretenden Verbalperiphrasen, cf. supra Kap. 7.3.1.2). Andererseits ist die Opposition zwischen Aspekt und Aktionsart nicht durchweg klar zu bestimmen. So können in den slawischen Sprachen im Rahmen der Lexik realisierte Aktionsarten101 in anderen Sprachen auch der Grammatik zugeordnet und hier der funktionellen Kategorie Aspekt subsumiert sein. Die Unterscheidung zwischen Aspekt und Aktionsart ist dadurch aber nicht prinzipiell in Frage gestellt; vielmehr geht es um die jeweilige Art der Anwendung bzw. Deutung der Dichotomie: Entweder operiert man mit einer Auffassung von Aspekt und Aktionsart, die diese (wie im Slawischen) jeweils entweder der Grammatik oder dem Wortschatz zuordnet; hier muss damit gerechnet werden, dass sich im übereinzelsprachlichen Kontext eine divergierende Situation hinsichtlich der Verteilung der Inhalte auf Grammatik oder Wortschatz ergibt. Oder aber man räumt für eine Sprache prinzipiell die Möglichkeit des Vorkommens sowohl der Kategorie Aspekt wie der der verschiedenen Aktionsarten in Grammatik und Wortschatz und sogar in beiden parallel ein, wobei dann die in Abhängigkeit von der Einzelsprache individuelle Strukturierung aufgedeckt werden muss. Aspektive Werte kommen über das grammatische System hinaus in der Wortbildung etwa bei den deverbalen Substantiven und Adjektiven zum Tragen. So bedingt der Erhalt der Reflexivität etwa bei frz. se réveiller → le réveil (‘das Erwachen’), dass der aspektive Wert der (subjektiven) Resultativität auch in der Prädikatnominalisierung bewahrt wird.102 Auch die Dimension des Verbalnumerus
|| 101 Siehe präziser die Erläuterungen weiter oben Kap. 7.2.1 bzw. Coseriu ([1980c]/1987, 126, Anm. 11): «Im übrigen ist im Slawischen ein primäres Verb von seiner lexikalischen Bedeutung her entweder perfektiv oder imperfektiv, und die Opposition perfektiv/imperfektiv hat nur insofern auch einen grammatischen Status, als es für jedes perfektive Verb im Prinzip auch ein imperfektives gibt (und für jedes imperfektive Verb mindestens ein perfektives) und als die Wahl zwischen beiden Aspekten dort gewissen Einschränkungen, die aus ihren Kombinationen mit den temporalen Dimensionen herrühren, sowie syntaktischen Restriktionen auf der Satzebene unterworfen ist». 102 Allerdings kann man, ausgehend von den Bestimmungen des paragrammatischen Systems, die Reflexivität auch als eigenen Determinationstyp, der in der deverbalen Nominali-
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kann als Aktionsart in die Wortbildung eingehen, als Frequentativität z.B. bei piller → pillard (Subst. und Adj.) oder als Semelfaktivität (etwa bei sp. martillar → martillazo, it. coltello → [VERB] → coltellata). Der Aspekt kann also im Wortschatz relevant werden, und zwar zum einen «prägrammatisch» (mit anderen Dimensionen) bei primären Verben und paragrammatisch bei modifizierten Verben103 (cf. Coseriu [1980c]/1987, 125). Außerdem können sich nomina agentis (Prädikatnominalisierung mit Topikalisierung der Subjektfunktion) mit aspektiven Werten verbinden. In der Wortbildung ist der Aspekt dann als Kategorie nicht eigentlich zu berücksichtigen, wenn Grundwort und Ableitung sich bezüglich des Aspekts nicht unterscheiden (cf. Lüdtke 1978, 64). So kann – im Rahmen der Prädikatnominalisierungen – beispielsweise battement sowohl semelfaktiv wie frequentativ (als die für Grundwort wie Ableitung in der Norm übliche Bedeutung) interpretiert werden. Beide Bedeutungen sind jedoch auch im Grundwort battre enthalten. Der aspektive Wert der Resultativität tritt in Kombination mit der Diathese auf, etwa mit dem Aktiv in frz. découverte ‘le fait d’avoir découvert’, mit dem Passiv in élection ‘le fait d’être élu’ (neben ‘le fait d’élire’mit dem Reflexivum in attendrissement ‘le fait de s’être attendri’ (neben ‘le fait d’être attendri’).
7.6 Tempus und Aspekt im Französischen Zunächst gilt es zwischen zwei Begriffen von «Zeit» zu unterscheiden: der bezeichneten Zeit (dt. Zeit, engl. time) und der zum Ausdruck letzterer dienenden grammatischen Kategorie «Zeit», bezeichnet als Tempus bzw. tense. Im Französischen dagegen ist der Terminus temps in genanntem Sinne mehrdeutig. Bezeichnete Zeit und grammatisches Tempus müssen sich nicht decken: Ein und derselbe Zeitraum kann mit Hilfe verschiedener «temps verbaux» angezeigt werden wie umgekehrt ein und dasselbe «temps verbal» das Verbalgeschehen in verschiedenen Zeiträumen situieren kann. Als Beispiel mag das Imparfait des Indikativs im Französischen dienen, das die Handlung in jedem der drei Zeiträume (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) zu situieren vermag: Il partait
|| sierung erhalten bleibt (z.B. frz. s’obstiner → obstination), betrachten und daneben resultative Aktionsarten in der Wortbildung, die sich nicht mit der Reflexivität verbinden, unterscheiden (z.B. frz. blesser → blessure, it. ferire → ferita, sp. herir → herida). 103 Dt. finden, treffen (primäres Verb) und modifiziertes auffinden, antreffen sind lexikalisch «momentan»; werden sie dagegen in Verbindung mit einer Zeitdauer verwendet (er ist einen Monat lang anzutreffen), erhalten sie einen iterativen bzw. «intermittenten» Sinn (cf. auch mit Participe présent: Je la trouve fouillant dans mon tiroir mit durativer Komponente). Analog bei frz. trouver und retrouver (cf. Coseriu [1980c]/1987, 125).
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lorsque le téléphone sonna (Vergangenheit); Si tu étais ici, quel bonheur! (Gegenwart); Il serait heureux s’il réussissait à son examen (Zukunft). Ebenso kann eine Futurform auf eine gegenwärtige oder sogar vergangene Situation verweisen: Je ne trouve pas le chocolat; ce sera Claire qui l’aura mangé. Jeder Modus verfügt über verschiedene Tempusformen. Mit Bezug auf die unpersönlichen Modi wie z.B. den Infinitiv kann nicht eigentlich von einer eigenen Tempusreferenz gesprochen werden, da sie selbst keine Möglichkeit zur Indikation des temporalen Bezugsrahmens besitzen. Vielmehr ist die jeweilige (Rede)Bedeutung in der Regel nur im Verhältnis zu einer konjugierten Verbalform zu bestimmen; so etwa ein zukünftiger Bezug in J’espère rentrer demain oder mit Lokalisierung in der Vergangenheit in Elle croyait tout savoir. Die drei Zeiträume, die die Grunddimensionen eines temporalen Bezugssystems bilden, also Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, werden gewöhnlich aus sprecherzentrierter Perspektive und mit Bezug auf den Äußerungszeitpunkt definiert. Die Äußerungssituation repräsentiert daher den fundamentalen Bezugspunkt. Der Sprechzeitpunkt gibt gewissermaßen den Fokus der Perspektive vor, von dem aus die Handlung betrachtet wird. Dieser Punkt markiert einen «initialen» Bezugspunkt, der als T0 bezeichnet werden kann und die Verankerung für den Begriff des «Präsens» liefert. Einen weiteren, gewissermaßen «abgeleiteten» Bezugspunkt (T’) stellt der Zeitpunkt dar, an dem das durch das Verb bezeichnete Geschehen in seiner zeitlichen Ausdehnung oder in seinem Verlauf betrachtet wird. Jeder Moment T’ wird in einer temporalen Analyse letztendlich in Verhältnis zu T0 der Äußerung gesetzt, wobei zwei Fälle eintreten können: 1.
Zusammenfall von T0 und T’: Der Zeitpunkt der Handlung in der Zeit und der Sprechzeitpunkt sind kongruent. Dieser Fall liegt etwa vor bei En ce moment, je travaille: T’/T0
2.
Nicht-Kongruenz von T0 und T’: Liegt der Zeitpunkt des Ereignisses T’ vor dem Äußerungszeitpunkt T0, gehört die Handlung der Vergangenheit an, z.B. La première neige est tombée hier: T’
T0
Situiert sich der Zeitpunkt des Ereignisses T’ nach dem Sprechzeitpunkt T0, liegt die Handlung in der Zukunft: Et la chaleur aura raison des égoïstes (P. Eluard)
T0
T’
Abb. 12: Verhältnis von Sprechzeitpunkt und Handlung in der Zeit
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Das Futur stellt kein eigentliches Pendant zur Vergangenheit in dem Sinne dar, dass es, von der Gegenwart aus betrachtet, das zugehörige symmetrische Glied auf der Achse der Zeit bildet. Während eine Zeitform der Vergangenheit als Ort dessen, «was gewesen ist», eindeutig der Realität angehört, ist die Zukunft zunächst der Ort des Vorstellbaren, des Wahrscheinlichen oder Möglichen. Entsprechend besitzt das verbale Tempus Futur im Französischen verschiedene modale Werte (Probabilität, Eventualität u.a.) je nachdem, wie das Zukünftige aufgefasst wird. Dies liefert auch eine Erklärung für die teilweise Einordnung des Futurs als Modus. Diese Diskrepanz bezüglich des Bezeichneten spiegelt sich in der im Französischen jeweils zum Ausdruck von Vergangenheit und Zukunft zur Verfügung stehenden Zeitformen wider, die für den Zeitraum der Vergangenheit wesentlich umfangreicher sind (cf. die Übersicht zu den formes surcomposées, Kap. 7.7.1). Die Einteilung in T0 und T’ ermöglicht zwar eine Zeitraumbegrenzung nach Gegenwart Vergangenheit und Zukunft; sie vermag jedoch nicht, der Vielfalt der einfachen Tempora, namentlich der Zeitformen der Vergangenheit, und genauso wenig den idiosynkratischen Zügen des Systems der komponierten Zeitformen Rechnung zu tragen. Daher bedarf diese Unterscheidung zwischen Äußerungs- und Handlungszeitpunkt104 zusätzlicher, meist aspektiver oder kontextueller Bestimmungen. In ein derartiges temporales Referenzschema lässt sich ein dritter Bezugspunkt in sinnvoller Weise einführen: ein Referenzpunkt R, der sich mit dem Handlungszeitpunkt decken oder aber auch davon abweichen kann und der es ermöglicht, das Funktionieren der komponierten Verbalformen aus temporaler Perspektive zu deuten, ohne von der Zeitraumeinteilung abgehen zu müssen. Dieser Punkt R wird über zusätzliche, durch den Kontext gegebene Informationen über begleitende Handlungen oder mittels Zeitadverbien (hier, aujourd’hui, maintenant etc.)105 definiert. Was die einfachen Zeitformen anlangt, kongruiert
|| 104 Unter «Zeitpunkt» ist hier nicht notwendigerweise ein punktuelles Ereignis zu verstehen, sondern die Verbalhandlung ist stets primär zu fassen als ein Ereignis «in der Zeit». 105 Die Verbalform ist oftmals hinreichend, um den bezeichneten Vorgang in der Zeit zu situieren. So ist der Satz La cathédrale fut restaurée eindeutig der Vergangenheit zuzuweisen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall; hier können textuell gegebene Anhaltspunkte wie Zeitadverbien oder temporale Bestimmungen (Daten, Gefüge aus Haupt- und Nebensatz) etc. zum Tragen kommen. Die textuelle Explikation des zeitlichen Rahmens ist auf Grund der Polyvalenz dieses Tempus häufig dann notwendig, wenn die Aussage im Präsens des Indikativs steht. Daher ist die Verbalform allein nicht in allen Fällen gleichermaßen verantwortlich für die temporale Lokalisierung der Verbalhandlung: «Les temps verbaux sont considérés comme déictiques lorsqu’ils expriment une relation (chronique) avec un élément constitutif de la situation d’énonciation, le moment où
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der Referenzpunkt mit dem Zeitpunkt des betrachteten Verbalgeschehens, wohingegen bei den komponierten Zeiten eine notwendige Verschiebung zwischen R und T’ auftritt. R bestimmt hier die Perspektive, von der aus die Handlung betrachtet wird. So ist z.B. in Maintenant que Pierre a dîné, il va au cinéma der mittels des Passé composé ausgedrückte Handlungszeitpunkt (a dîné) vorzeitig zum Äußerungszeitpunkt (die Handlung liegt in der Vergangenheit), während der Referenzpunkt mit dem Sprechzeitpunkt koinzidiert (das Verbalgeschehen wird vom Äußerungsakt aus betrachtet: «maintenant que…»). Genauso lassen sich Imparfait und Plus-que-parfait einander gegenüberstellen; in Il fermait la porte fallen Referenzpunkt und Handlungszeitpunkt zusammen; in Quand il avait fermé la porte, il sortait liegt der Referenzpunkt von il sortait, der durch den Hauptsatz ausgedrückt wird, notwendig nach dem durch das Plus-queParfait ausgedrückten Ereignis (cf. Riegel et al. 1994, 290, Rem.). Auf den Referenzpunkt wird zuweilen auch dort zurückgegriffen (siehe Kamp/Rohrer 1983),106 wo es den Gebrauch der einfachen, nicht komponierten Zeitformen zu klären gilt, namentlich beim Imparfait und Passé simple. Im Beispielsatz Orphée chanta; le soleil se levait wird der Referenzpunkt des Passé simple durch das Imparfait se levait beibehalten, wohingegen in Orphée chanta; le soleil se leva durch das Passé simple se leva ein neuer Referenzpunkt im Verhältnis zu chanta eingeführt wird.107
7.6.1 Ausdruck des Aspekts im Französischen Die vielfältigen potentiell unterscheidbaren Aspekte werden also nicht durchweg mittels der (hinsichtlich der Zeitebene und der primären Perspektive stets charak-
|| le locuteur parle. Mais ils ne réfèrent pas à un moment du temps de la même manière qu’une expression nominale renvoie à son référent. Les formes verbales situent dans le temps un état de choses dénoté par l’énoncé. Dans la mesure où c’est le référent total de l’énoncé qui est repéré par rapport à un moment donné, tout l’énoncé contribue à la localisation temporelle, qui n’est pas assurée par le seul verbe» (cf. Riegel et al. 1994, 291, Rem.). 106 Weitere bibliographische Angaben finden sich in Riegel et al. (1994, 290). 107 Zur Unterscheidung zwischen temps relatifs und temps absolus cf. Yvon (1951a, 1951b): «‹il n’y a pas dans le verbe français de tiroirs adaptés spécialement les uns à la chronologie absolue, les autres à la chronologie relative› […]; ainsi un temps composé comme le plus-que parfait est tantôt utilisé en corrélation avec un temps simple (passé simple ou imparfait), tantôt employé sans temps corrélatif» (cf. Riegel et al. 1994, 291). Der Begriff «tiroirs verbaux», der von manchen französischen Grammatikern übernommen wird, wurde von Damourette/Pichon zur Bezeichnung der am Verb ausgedrückten Tempora vorgeschlagen (siehe auch Mellet 1988, 16–18).
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terisierten) Verbalformen oder durch die Verbsemantik per se definiert; vielmehr lässt sich für das Französische folgendes Inventar an Ausdrucksmitteln feststellen: Die Verbkonjugation (cf. den flexivischen Aspekt): Sie ermöglicht die Opposition folgender zweifacher aspektiver Distinktionen: die Unterscheidung «vollendet/nicht vollendet» wird durch die Gegenüberstellung von komponierten und einfachen Formen erreicht (cf. Riegel et al. 1994, 248ss.); in den romanischen Sprachen gilt allerdings, dass die «Aspektbedeutungen der einfachen Tempusformen (z.B. ‘vollendet’ – ‘nicht vollendet’) nur Sekundärfolgen der Tempusunterscheidungen» sind (Coseriu [1980c]/1987, 122). Die Opposition zwischen dem unbegrenzten (aterminativen) und begrenzten (terminativen) Aspekt (bzw. in anderer Terminologie zwischen dem kursiven und komplexiven Aspekt) betrifft vornehmlich die Gegenüberstellung von Imparfait und Passé simple in der Schriftsprache (oder auch von Imparfait und Passé composé im code parlé). Paragrammatische Verfahren (siehe Kap. 7.2.5): Die entsprechenden Mittel der Aspektgestaltung sind relativ begrenzt, z.B.: Gebrauch von Präfixen wie re- (z.B. repeindre; Ausdruck des iterativen Aspekts); Einsatz von Suffixen wie -iser (z.B. finaliser, se radicaliser: Marker des inchoativen Aspektes), -oter und -eter (wie in radoter, feuilleter, voleter: iterativer Aspekt). Gebrauch der Pronominalform (Madame se meurt! : Madame est morte!: se mourir indiziert den progressiven Aspekt); eventuell auch in Verbindung mit einem Präfix, z.B. in s’endormir ( Ausdruck des inchoativen Aspekts). Die Verbsemantik (rein lexikalisch-semantische Oppositionen): Hier kommt vor allen Dingen die Unterscheidung zwischen dem perfektiven und imperfektiven Aspekt zum Tragen (sortir/marcher). Die «Semi-Auxiliare» sowie die Verbalperiphrasen können verschiedene Aspekte realisieren («syntagmatischer Aspekt»). Hier ist zu unterscheiden zwischen einerseits eigentlichen Verbalperiphrasen, die grammatikalisiert sind und die als Gesamtkonstruktion die Bedeutung des Verbs, das den Aspekt zum Ausdruck bringt, nicht mehr erkennen lassen (z.B. aller + Infinitiv mit temporalem (futurischem) Wert und sekundärer aspektiver Bedeutung oder aller + Partizip Präsens bzw. Gerundium), und andererseits periphrastischen Konstruktionen wie être en train de. Die Verben commencer à (de), se mettre à bezeichnen bezüglich der Frage der objektiven Umsetzung der Verbalhandlung den ingressiven Aspekt (die
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ingressive «Phase»): Die Verbalhandlung wird im Augenblick ihres Einsetzens erfasst, z.B. il commence à pleuvoir. Dabei ist der periphrastische Ausdruck commencer à (de) auf Grund der evidenten lexikalischen Bedeutung nicht als grammatikalisierte Verbalperiphrase anzusehen (cf. Coseriu 1976, 125); im Gegensatz dazu stellt se mettre à eine tatsächlich grammatikalisierte Konstruktion dar (cf. die literarische Konstruktion se prendre à). Steht eine Verbalhandlung im Begriff der Vollendung (ist aber noch nicht vollendet), kann der terminative (cessative) Aspekt mittels des syntagmatischen Ausdrucks finir de kenntlich gemacht werden: Elle finit de jouer; allerdings handelt es sich auch hierbei nicht um eine Verbalperiphrase in grammatischem Sinne (insgesamt ist die Dimension der Vollendung in den romanischen Sprachen nicht als Sprachfunktion realisiert, sondern ergibt sich aus der Sachkenntnis oder als Sekundäreffekt der temporalen Perspektiven; cf. Coseriu [1980c]/1987, 129). Einen anderen aspektiven Wert drücken die syntagmatischen Formen mit par aus: So bezieht sich finir par (wie commencer par) auf die Dimension der «einreihenden Situierung» (‘Abfolge’) (cf. nicht als Verbalperiphrase grammatikalisiertes commencer à/de mit variabler Präposition gegenüber grammatikalisiertem108 commencer par sowie analog finir de im Vergleich zu finir par).109 Als ebenfalls nicht grammatikalisierte periphrastische Ausdrücke, die den terminativen Aspekt betreffen, finden sich im Französischen achever de, cesser de. Die Konstruktionen mittels verba adiecta (achever de, finir de, cesser de) bezeichnen hier genauer die «konklusive Phase». Der periphrastische Ausdruck être en train de realisiert die «Winkelschau» – allerdings nicht vollständig, sondern verbindet sich mit der «kontinuativen Phase». Die «kontinuative Schau» wiederum wird durch die (nicht als grammatische Verbalperiphrase fungierende) Konstruktion continuer à, die ebenfalls auf ein verbum adiectum zurückgreift, vermittelt. Die genannten aspektiven Dimensionen werden weiter unten ausführlicher dargestellt (cf. Coseriu 1962, 1966b, [1968d]/1987, [1980c]/1987; Dietrich 1973).
|| 108 Als grammatikalisiert kann auch frz. se mettre à gelten, als nicht grammatikalisiert dagegen continuer à. 109 Grammatikalisiertes commencer par faire qc ‘zuerst, anfangs etwas tun’ ist nicht zu verwechseln mit commencer avec qc ‘mit etw. anfangen, beginnen’, das keinen Infinitiv anschließt und zuweilen an Stelle von commencer par verwendet wird mit dem Unterschied, dass bei commencer par eine Abfolge von Elementen impliziert ist, bei commencer avec nicht, z.B. La salacité commence avec le regard de qui ne s’est pas accepté comme réserve de sensations inouïes et ineffables (Poirot-Delpech, dans le Monde, 19/03/1976); Apparemment que l’amour […] commence avec cette bonne foi-là (Marivaux, La vie de Marianne, 63–64).
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7.6.2 «(Semi-)Auxiliare» des Französischen Als eigentliche Auxiliare werden von der grammatischen Tradition hauptsächlich avoir und être anerkannt, wohingegen diejenigen Hilfsverben, die zum Ausdruck aspektiver und modaler Werte beim Verb dienen, eher als «Semi-Auxiliare» bezeichnet werden. Ihre Konstruktion erfordert fast ausnahmslos (cf. aller in frz. il va chantant) einen Anschluss mit Infinitiv. Ihr Status als Auxiliare wird so weit eingeräumt, als sie – wie avoir und être – grammatische Bedeutungen kennzeichnen, also etwa die Grammatikalität der Konstruktion [Auxiliar + Infinitiv] vergleichbar ist mit der Verbindung [avoir/être + Partizip Perfekt] (und damit in Opposition steht zu lexikalischen «Vollverben» als solchen Verben, die für sich ein Prädikat bilden können). Immerhin ist die Zahl der Auxiliare in dem Maße nicht exhaustiv auflistbar, als ihr lexikalischer Gehalt noch aktiv ist, da die Konstruktionen, in die diese Verben eingehen, als in unterschiedlichem Maße grammatikalisiert gelten können. So kann bei aller der lexikalische Wert, der dem Gebrauch als Bewegungsverb zugrunde liegt, zu ambigen Konstruktionen führen, cf. je vais rendre visite à ma tante, wo aller einerseits eine allative Interpretation als Bewegungsverb einräumt, das gegebenenfalls durch ein anderes Verb wie partir, courir, passer etc. ersetzt werden kann, andererseits den imminentiellen Aspekt als Deutungsmöglichkeit nahe legt (cf. Laca 2003, 141–142).110 Hinzu treten Verwendungen wie Je vais bientôt aller me coucher; Je vais aller manger in denen sich die Semantik der Bewegung und der imminentielle Charakter (Je vais manger allein kann schon interpretiert werden als ein «futur proche» der Handlung manger) dergestalt verbinden, dass die Redundanz von aller den Effekt mit sich bringt, das imminentielle Futur ein wenig weiter in die Zukunft hinauszuschieben. In anderen Tempora als dem Présent und dem Imparfait ge-
|| 110 Cf. Gougenheim (1929); Helland (1994); in Grevisse (1993, 1192, §789) finden sich weiterführende bibliographische Hinweise. Laca (2003, 135–151) untersucht auf dem Hintergrund ihrer Studien aus dem Jahre 2002 (cf. ibid.), in denen sie die auf distributionellen Kriterien (Möglichkeiten der Kombination der Periphrasen) mit sich anschließenden semantischen Implikationen fundierte Hypothese vertritt, «que les périphrases ‘aspectuelles’ des langues romanes se divisent en deux catégories, que l’on peut associer respectivement à l’expression de l’aspect lexical (Aktionsart, modification d’éventualité) et à l’expression de l’aspect syntaxique (‘point de vue’ aspectuel)», die Spielräume auf einer Grammatikalisierungsskala, innerhalb derer eine Konstruktion beiden Kategorien an Periphrasen angehören kann und damit einen Synkretismus aufweist. Der Frage wird interromanisch (etymologisch) und im Rahmen der jeweiligen Einzelsprache nachgegangen. Für aller ergibt sich, dass – als grammatikalisierte Periphrase zum Ausdruck des Futurs – die Konstruktion «ne manifeste pas de syncrétisme entre aspect syntaxique et modification d’éventualité, mais tout au plus un syncrétisme entre aspect prospectif et localisation temporelle» (Laca 2003, 146).
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braucht, lässt die Konstruktion aller + Infinitiv einzig die allative Interpretation von aller mit finaler Orientierung des Infinitivs zu: Il alla répondre, mais on l’en a empêché; Il est allé crier, mais il s’est trouvé sans voix (Laca 2003, 145). Ausgenommen hiervon ist die (jüngste und am wenigsten grammatikalisiserte) modale Bedeutung, die offensichtlich erstmals (Schrott 1997, 258, Anm. 457) von Pichon bzw. Damourette/Pichon (1933, 93–97; 1936, 107, 818–830) als «l’allure extraordinaire» bezeichnet wurde und durch folgendes Beispiel illustriert werden kann: Si vous voyez simplement «œuf» dans une liste d’ingrédients… n’allez surtout pas imaginer qu’il s’agit d’œufs frais (‘… glauben sie v.a. bloß nicht/bilden sie sich vor allem bloß nicht ein …’) (siehe dazu die Studie von Schrott 1997). Mit Hilfe der aspektiven Auxiliare kann die Verbalhandlung zu verschiedenen Etappen ihrer Realisierung betrachtet werden: Sei es noch vor deren Einsetzen, sei es nach deren Vollendung. Der imminentielle Aspekt, d.h. die Betrachtung der Handlung noch vor ihrem Beginn, wird durch folgende syntagmatische Konstruktionen gekennzeichnet: aller + Infinitiv, être sur le point de, être en passe de. Dabei wird aller in der Regel einzig im Präsens und im Imparfait gebraucht; im Präsens (elle va chanter) steht der Gebrauch dieses Hilfsverbs in Konkurrenz zum einfach gebildeten Futur (elle chantera), vornehmlich in der gesprochenen Sprache. Im Imparfait (elle allait chanter) gebraucht, rivalisiert dieselbe Konstruktion mit dem Conditionalis des Präsens (elle chanterait) und drückt eine zukünftige Handlung in der Vergangenheit aus. Im Folgenden soll die Funktion einiger der «(Semi)-Auxiliare» des Französischen näher umrissen werden (cf. Grevisse 1993, §§790–791; 2011, §§819–821): 1) (S’en) aller (in der Verwendung als Hilfsverb des Futurs) + Infinitiv:111 Zum Ausdruck des Futurs wird die (grammatikalisierte) periphrastische Konstruktion aller + Infinitiv gebraucht, in der aller als Hilfsverb fungiert. Im Indikativ Präsens kennzeichnet diese Verbalperiphrase eine von der Gegenwart aus anvisierte zukünftige Verbalhandlung, die häufig ein unmittelbares (futur proche/immédiat oder futur périphrastique), aber auch ein weiter entferntes, allerdings als unvermeidlich betrachtetes zukünftiges Geschehen markiert: Si la crise se prolonge encore plusieurs années, elle VA donner bien des difficultés au gouvernement (Grevisse 2011 §820 a), 1°). In der zweiten Person kann die Periphrase einen unmittelbar auszuführenden Befehl kennzeichnen: Tu VAS laisser ton petit frère tranquille! (ibid.)
|| 111 Zum Gebrauch des Modalverbs vouloir in temporaler Funktion mit aspektivem Wert cf. infra nächstes Kapitel 7.6.3, 6).
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Dieses periphrastische Futur tritt in starke Konkurrenz zum einfachen Futur und wird in der gesprochenen Sprache scheinbar in bis zu einem Drittel aller Fälle gebraucht (cf. Grevisse 1993, §790; 2011, §820 a), 1°); doch auch in der geschriebenen Sprache kann es als fest etabliert gelten und hat seinen Platz sogar in der «langue écrite la plus élaborée» (cf. La libération ne VA, tout d’abord, apporter au pays […] aucune aisance matérielle (Charles de Gaulle, Mémoires de guerre, vol. 3, 7). Dies würde einerseits der Ausdehnung des syntagmatischen typologischen Prinzips entsprechen; andererseits stellt sich die Frage, ob diese Tendenz zum verstärkten Ersatz des einfachen durch das komponierte Futur auf funktioneller Ebene Konsequenzen mit sich bringt. Mithin würde auf der Ebene der aktuellen Zeit (temporale Dimension) zunehmend die primäre Perspektive (z.B. je chanterai) durch die sekundäre Perspektive (je vais chanter) ersetzt werden. Die Gliederung der Zeiträume ist hinsichtlich ihres Funktionierens jedoch eine jeweils analoge, d.h. auch in der zweiten Perspektive wird eine Gegenwart mit einer Zukunft und einer Vergangenheit kontrastiert, nur dass hier (anders als in der primären Perspektive) die Zeiträume bereits durch die Perspektive konstituiert werden. Die in der primären Perspektive abgegrenzten Zeiträume fungieren in der sekundären Perspektive jeweils als «Gegenwart» oder Bezugsraum für die weitere Zeitraumgliederung, analog die der sekundären für die Kontrastierung der Zeiträume in der tertiären Perspektive. Mit Blick auf die sprachlichen Werte bewirkt der dominante Gebrauch der Formen der primären oder sekundären Perspektive − ihrerseits jeweils realisiert durch einfache oder komponierte Formen − insofern keine funktionelle Verlagerung, als die perspektivischen Verhältnisse gleich bleiben. Wird eine solche Verschiebung typologisch begründet, bedeutet dies, ausgehend von der Tendenz zur verstärkten Ausbildung der äußeren Determinationen (hier in Gestalt von Periphrasen) mit Bezug auf die Sprachfunktionen im Allgemeinen und für aktuelle, relationelle (bzw. durch den Satz gegebene) Funktionen im Speziellen, eine Stärkung des periphrastischen Verfahrens und damit eine Bestätigung des «französischen» Typus im Bereich des französischen Tempussystems. Anders formuliert: Die induktiv, d.h. durch empirische Beobachtung ermittelte Tendenz zur (formalen) Ersetzung der (nicht-komponierten, einfachen) Formen der primären Ebene durch diejenigen (komponiert erscheinenden) der sekundären Ebene würde sich typologisch auf die Dominanz der (aktuellen) periphrastisch ausgedrückten Funktionen zurückführen lassen. Die auf die romanischen Sprachen anwendbaren typologischen Oppositionen gemäß dem «romanischen Prinzip» (cf. supra) zeigen damit auch im Bereich des Tempussystems für das Französische eine zunehmend eingeschränkte Gültigkeit, was die typologische Divergenz des Französischen von den anderen romanischen Sprachen aber-
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mals unter Beweis stellt (nicht zu übersehen: gefolgt vom Spanischen, wo varietätenspezifisch ebenfalls die periphrastischen Formen zunehmen). Der «aktuelle» Gehalt der periphrastischen (komponierten) Konstruktion aller + Infinitiv zum Ausdruck einer temporalen Funktion im Französischen ließe sich über den Bezug zum Sprechzeitpunkt begründen: Das zukünftige Verbalgeschehen wird nicht als vom Sprecher losgelöst, sondern als mit diesem in Verbindung stehend betrachtet und wird damit als eine relationelle Funktion greifbar (cf. Geckeler/Dietrich 1995, 88ss.). Die Paraphrase s’en aller wird ebenfalls im Sinne eines Futur proche gebraucht, jedoch vornehmlich in der ersten Person Singular des Indikativs Präsens (in anderen Personen wird die Verwendung als archaisch empfunden): Je M’EN VAIS faire moi-même au lecteur les honneurs de ma personne (Hippolyte Taine, Vie et opinions de M. Frédéric-Thomas Graindorge, 14). In der literarischen Sprache wird aller als Hilfsverb zuweilen auch im Subjonctif présent verwendet: Ah! croyez-vous que j’AILLE dormir (Paul Valéry, «Mon Faust», Lust, III, 7). Im Indikativ des Imparfait drückt aller eine im Verhältnis zu vergangenen Ereignissen zukünftige Handlung aus: Comme j’ALLAIS avoir quinze ans (de Musset, Poésies nouvelles, «Nuit de décembre»); On m’expliquait […] que, malgré tout, il ALLAIT gagner (Duby, Dimanche de Bouvines, 8). Dabei kann eine imminente Handlung zum Ausdruck kommen, die jedoch nicht umgesetzt, sondern vor der Erfüllung vereitelt wurde: Il glissait peu à peu, il ALLAIT tomber dans l’eau, Frédéric fit un bond et le rattrapa (Flaubert, L’éducation sentimentale, I, 1). Auch hier ist der Gebrauch von s’en aller archaisch: Depuis longtemps malade, leur souveraine, disaient-elles, S’EN ALLAIT mourir (Loti, Mariage de Loti, II, 4). 2) Aller + Infinitiv: Bei der periphrastischen Verbalkonstruktion aller faire steht aller in allen Zeiten und Personen zur Verfügung und kann hier die Bedeutung «se diposer à», «se trouver dans la situation de» tragen; sie dient dann dem Ausdruck eines unerwarteten, außergewöhnlichen oder unangenehmen Ereignisses: Je n’IRAI pas vous fournir un prétexte (Littré), il alla prétendre que la terre était carrée.112 Die Konstruktion lässt sich aus der Sicht des Aspekts als «abhebende Situierung» interpretieren (cf. sp. va y hace, llega y hace, viene y hace etc. in koordinierender Konstruktion).
|| 112 In der umgangssprachlichen Wendung aller chercher dans les … (‘coûter environ’) ist diese Bedeutung stark abgeschwächt (cf. Grevisse 1993, §584, d; 2011, §602 a), 1°): Cette voiture VA CHERCHER DANS LES vingt millions de centimes (Dictionnaire de l’Académie 1988, art. chercher, hier als «vulg.», 2001, als «pop.» gekennzeichnet); die Konstruktion mit aller tirer ist noch stärker umgangssprachlich markiert: Une localité qui VA TIRER DANS LES deux mille habitants (Aragon, Cloches de Bâle, II, 9).
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Die Koordinierung zweier Imperative in Va et dis, wobei der zweite an die Stelle eines infinitivischen Komplements tritt (cf. Va dire), wird von Grevisse (1993, §269, Rem. 2. bzw. Grevisse 2011, §272, b) 2°) schlicht als rhetorische Stilfigur des Hendiadyoins interpretiert; vergleiche folgendes Beispiel, in dem die Parataxe an die Stelle der Hypotaxe tritt: Comme un temple rempli de voix ET de prières [= de voix qui prient] (Lamartine, Harmonies poétiques et religieuses, I, 1, cf. auch Coseriu 1966b, 16, Anm. 5 und passim); sie findet sich bevorzugt bei aller: Mais ALLEZ, DITES à mes disciples, et spécialement à Pierre, qu’il vous précède en Galilée (Bible, Marc, XVI, 7, Übers. Osty-Trinquet; Übersetzung Segond: Mais ALLEZ DIRE…). – VAS et FAIS un tour à la cuisine (E. Brieux, zit. nach Sandfeld 2 1965, vol. 3, 153113). Im Licht der Interpretation der sp. Konstruktion tomo y me voy scheint es, als habe auch das Französische in folgender (nicht exhaustiver) Auflistung («⌐gehen (hingehen) und¬») seinen Platz: «Zusätzlich, und als unmittelbarer funktioneller Zusammenhang unserer Wendung, darf noch die Dokumentation anderer materiell und inhaltlich verwandter Konstruktionen zusammenfassend erwähnt werden […]: ⌐gehen (hingehen) und¬ (deutsch, englisch, schwedisch, spanisch, portugiesisch, italienisch, neugriechisch), ⌐kommen und¬ (deutsch, italienisch, neugriechisch, am. spanisch), ⌐ankommen und¬ (am. spanisch), stare et (italienisch, rumänisch), ⌐sitzen und¬ (rumänisch, albanisch, neugriechisch), ⌐sein und¬ (albanisch), ⌐sich legen und¬ (rumänisch, albanisch), ⌐springen und¬ (spanisch, englisch), ⌐sich anregen und¬ (rumänisch), ⌐zurückgehen und¬ (sizilianisch)» (Coseriu 1966b, 33–34).
Die genannten kopulativen Konstruktionen aus Hilfsverb (vielfach ein Bewegungsverb bzw. ein Verb mit der Bedeutung ‘nehmen, anfassen, ergreifen’) und das Verbalgeschehen bezeichnendem Vollverb verwirklichen die «globale Schau». 3) Aller pour + Infinitiv:114 Aller pour + Infinitiv kennzeichnet eine Handlung, die man sich unmittelbar zu tun anschickt, und ist damit semantisch vergleichbar mit der imminentiellen Verbalperiphrase être sur le point de (cf. supra), wie sie
|| 113 Sandfeld wird von Coseriu (1966b) im Zusammenhang mit der diskutierten Konstruktion tomo y me voy und deren verschiedenen einzelsprachlichen Ausformungen etc. unter Konzentration auf das Rumänische besprochen (cf. Sandfeld Jensen 1900, 83ss., insbesondere 89–91, sowie id. 1904, 24–25; cf. auch Sandfeld/Olsen, 1936, 253–254). 114 Die Konstruktion des Infinitivs mit der Präposition pour zum Ausdruck der Finalität zeigt den rein intentionalen Status der Handlung an. In Quebec wird venir pour in der Bedeutung von ‘être sur le point de’ gebraucht, ohne dass eine räumliche Bewegung impliziert wird (cf. Grevisse 1993, §791, n). In Konstruktionen aus einem intransitiven Bewegungsverb und einem Infinitiv, der ein Ziel markiert, wird der Infinitiv in der Regel ohne Präposition konstruiert, die Konstruktion mit pour ist jedoch möglich, um den intentionalen Charakter der Handlung zu akzentuieren (cf. Je rentre (pour) travailler) (cf. Grevisse 1993, §878, d, 2°).
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im Rahmen der Dimension «Phase» oder «Grad» identifiziert wurde und die die objektive Phase des durch ein Verb bezeichneten Geschehens betrifft: Folle! ALLA POUR dire l’abbé, − mais il s’arrêta devant ce mot cruel (Barbey d’Aurevilly, Prêtre marié, Pl., 1125 ; cf. Grevisse 2011, §820, c); häufig bei szenischen Anweisungen: Il VA POUR sortir et voit la marquise (de Musset, Il faut qu’une porte soit ouverte ou fermée; cf. Grevisse 2011, §820, c).115 4) Aller + Gerundium: Die Konstruktion aus aller + Gerundium stellt eine grammatikalisierte Verbalperiphrase dar, die den progressiven Aspekt der bezeichneten Verbalhandlung (genauer die «progressive Phase» mit der «Schau» als Nebenbestimmung) zum Ausdruck bringt; ihr kann die Präposition en vorausgehen:116 La pratique des sacrifices humains EST ALLEE S’AMPLIFIANT au Mexique (Soustelle, Aztèques, 88). – Le pouvoir explosif de toute œuvre VA EN S’AFFAIBLISSANT (de Montherlant, Port-Royal, 206). – Un mal qui VA EN AUGMENTANT (Dictionnaire de l’Académie). Die Variante mit Reflexivum s’en aller ist Kennzeichen eines gehobeneren Sprachstils:117 Quelle fut cette musique délicieuse et qui S’EN VA DECLINANT? – Cet homme S’EN VA MOURANT (Académie). Beide Konstruktionen können auch mit être an Stelle von aller gebildet werden: En dépit des critiques, le succès de Littré A ETE EN S’AFFIRMANT (Matoré, Histoire des dictionnaires français, 124). Die Konstruktion ‹aller + Gerundium› stellte im Altfranzösischen eine frequente Verbindung dar, die nicht notwendigerweise eine Bewegung implizieren
|| 115 Die periphrastische Konstruktion aller à + Infinitiv besitzt die Bedeutung ‘tendre à, aller jusqu’à’ und gehört der literarischen Sprache (der klassischen Autoren) an: Sa plus grande hardiesse sociale [= de Robespierre], en 1789, VA À demander qu’on reprenne aux seigneurs les biens des communautés usurpés par eux (Jean Jaurès, Histoire socialiste de la Révolution française, vol. 1, fasc. 1, 502 ; cf. Grevisse 2007, §820 d). 116 In der Konstruktion mit en soll, wie zuweilen behauptet wird, aller seinen Charakter als Vollverb stärker bewahren und der Handlungsaspekt gegenüber der Hilfsverbfunktion stärker hervortreten, als dies in der Konstruktion ohne Präposition der Fall ist. Dies lässt sich aber nur selten nachweisen: La tempête va en s’apaisant/la tempête va s’apaisant. Allerdings scheint die Wendung ohne en eher einem literarischen Duktus zu eignen; cf. Quand le génie gothique s’est à jamais éteint […], l’architecture VA SE TERNISSANT, SE DÉCOLORANT, S’EFFAÇANT de plus en plus (Victor Hugo, Notre-Dame de Paris, V, 3). Zuweilen wird die Konstruktion als aus einem veränderlichen Partizip Präsens bestehend behandelt: […] pallier la pénurie de prêtres qui va aller GRANDISSANTE (Fesquet, dans la Revue nouvelle, avril 1982, 465) (cf. Grevisse 1993, §790, e; Grevisse 2011 §280 e), R4). 117 S’en aller konstruiert mit einem Partizip Perfekt diente einst der Kennzeichnung der Vollendung der Handlung in unmittelbarer Zukunft; diese Konstruktion muss als obsolet angesehen werden (cf. aber noch Littré (s.v. aller, 31°): La chose S’EN VA FAITE; Grevisse 1993, §790, e, Hist. bzw. Grevisse 2011, §820 e, H2).
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musste, z.B. il va dormant; Il va chantant (im Sinne von ‘il est en train de chanter’). In der heute eher archaisierenden Wendung ist der Bezug zu einer durch das Verb aller implizierten Bewegung nur noch metaphorisch vorhanden insofern, als ein Werden angezeigt werden soll: Le mal va croissant. 5) Être ist Bestandteil verschiedener Verbalperiphrasen, insbesondere der folgenden:118 Être en train de drückt ein sich im Vorgang befindliches Verbalgeschehen, also den kontinuativen (bzw. durativen) Aspekt einer Verbalhandlung aus (cf. Riegel et al. 1994, 253): Je suis en train de chanter sous la pluie. In der genannten Periphrase vermischen sich zwei aspektive Werte: zum einen die partialisierende Schau in Gestalt der «Winkelschau», die in der Norm des aktuellen Französischen nicht verankert ist (cf. den Typ sp. estoy haciendo, port. estou fazendo/estou a fazer), zum anderen die Dimension der (objektiven) Phase oder des Grades. Dietrich (1973, 140) spricht mit Bezug auf frz. être en train de (chanter) von einem «Synkretismus zwischen ‘Winkelschau’ und ‘kontinuativer Phase’» (cf. supra 7.3.3 Punkt 7). Zum Ausdruck des progressiven Aspekts dient im Französischen marginal auch die Umschreibung mit être à :119 Elle est à (‘occupée à’) son travail, elle est à travailler – Elle est toujours à (‘en train de’) se plaindre. Être sur le point de (Le gouvernement est sur le point de prendre telle décision) kennzeichnet die «imminentielle Phase» (oder den «imminentiellen Grad») im Sinne des Maßes der Realisierung der bezeichneten Verbalhandlung (in objektiver Sicht). Einen ähnlichen Bezug stellen die folgenden periphrastischen Konstruktionen her: être près de (Quand le jour est près de paraître – Les démarches étaient près d’aboutir), être au moment de (C’était un complot d’évasion qui était au moment de réussir), être à la veille de (Il fallait du personnel, et l’on était toujours à la veille d’en manquer), être en passe de (Hélas! nous
|| 118 Belege jeweils aus P.R. […] s.v. [cf. G.R./P.R.2011] 119 Im Altfranzösischen wurde die Konstruktion être/aller + -ant häufig zum Ausdruck des imperfektiven Aspekts verwendet, so etwa im Rolandslied: Karles l’entent ki est as porz passant (‘Karl, der über die Pässe geht, hört es’). – Pur qu’alez arestant? (‘Warum bleibt Ihr stehen?’). Die Konstruktion mit aller bleibt bis ins 16. und 17. Jahrhundert allgemein gebräuchlich, être + ant wird noch sporadisch gebraucht: Dans la prison qui vous va renfermant (Voiture) (cf. Price 1988, 261). Im modernen Französisch ist die Konstruktion aller + -ant (zuweilen in Verbindung mit en) nur noch in literarischer Sprache usuell, sofern der Gedanke des Fortschreitens zum Ausdruck gebracht werden soll, wenn also der semantische Wert von aller in seiner Verwendung als Vollverb teilweise (z.B. in übertragenem Sinn) erhalten bleibt: Les difficultés vont augmentant. – La rivière va en serpentant (cf. Price 1988, 262).
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ne sommes pas encore connues; mais nous sommes en passe de l’être), être en voie de (Plaie en voie de […] se cicatricer). Être pour + Infinitiv (‘être sur le point de’) kann ebenfalls (abgesehen von der Bedeutung ‘être destiné à, être de nature à’) ein unmittelbar bevorstehendes Futur kennzeichnen (Quand il fut pour la quitter devant la porte de sa maison). Être kann auch für aller eintreten (cf. Grevisse 1993, §878, d, 2°, Rem. 1) und wird dann ohne Präposition konstruiert: J’ai été le TROUVER – Chacun fut SE COUCHER (Mérimée). Hierbei drückt der Infinitiv eine zielgerichtete oder zweckbestimmte Handlung aus.120 6) Venir à kennzeichnet ein zufälliges, unvorhergesehenes Ereignis und ist im Rahmen der aspektiven Dimension der «Situierung» oder «Abfolge», genauer des «Ausgangs» zu interpretieren (les vivres vinrent à manquer). 7) Venir de + Infinitiv erfasst eine Handlung, unmittelbar nachdem sie zu ihrem Abschluss gekommen ist (Mettez-vous à la place d’une jeune femme à qui vous viendrez de faire une déclaration, Romains, M. Le Trouhadec saisi par la débauche, I, 3; cf. Grevisse 2011, §821, o), 2°), wobei der hier vermittelte aspektive Wert nicht mit dem perfektiven Wert der entsprechenden komponierten Formen (vous aurez fait) übereinstimmt: Venir de drückt vielmehr den egressiven Aspekt (im Rahmen der Dimension «Phase» oder «Grad») aus, bezeichnet also eine Handlung unmittelbar nach ihrer Vollendung und verhält sich somit in gewisser Hinsicht symmetrisch zu aller + Infinitiv.121 8) Venir + Infinitiv: ohne Präposition konstruiert (frz. il vient prétendre) kann der aspektiven Dimension der «Situierung» («Abfolge») angehören und eine Form der Abhebung gegenüber anderen (impliziten) Handlungen kennzeichnen. Zuweilen besitzt die Periphrase eine stark abgeschwächte Bedeutung, die annähernd dem einfachen Verb entspricht: Ne VENEZ pas me DIRE que vous l’ignorez. Dies trifft namentlich auf unbelebte Subjekte zu (Après notre élection,
|| 120 Vergleiche folgende Verbindung von Ortsbestimmung und finalem Infinitiv in einer koordinierenden Konstruktion, was die Affinität beider Komplemente anzeigt: À 6 heures il allait au Jockey ou SE PROMENER au Bois (Proust, Marcel, À la recherche du temps perdu, vol. 2, 602; cf. Grevisse 2011, §908, R17). 121 Die Symmetrie ist als eine grammatisch-semantische zu verstehen (abgesehen von den lexikalisch-semantischen Eigenschaften von aller und venir): aller + Infinitiv drückt eine Handlung aus, die unmittelbar vor dem initialen Punkt erfasst wird, venir de + Infinitiv eine solche, die unmittelbar nach ihrem finalen Stadium betrachtet wird. Allerdings bildet das «futur immédiat» oder «futur proche» aus aller + Infinitiv einen integralen Bestandteil des Tempussystems des Französischen, wohingegen venir de + Infinitiv (das analog auch «passé récent» oder «passé proche» genannt wird) lediglich den Status einer grammatikalisierten aspektiven Verbalperiphrase besitzt.
Tempus und Aspekt im Französischen | 603
qui pour eux était déjà le monde à l’envers, la loi 101 VINT les RENDRE enragés, René Lévesque, Attendez que je me rappelle…, 391; cf. Grevisse 2011, §821 o), 3°). 9) Die Konstruktion aus venir + Gerundium (frz. je viens faisant), die die «retrospektive Schau» umsetzt, ist im aktuellen Französisch nicht mehr gebräuchlich. 10) Revenir in der Bedeutung ‘reprendre (ce qu’on a laissé, cessé)’ wird mit der Präposition à konstruiert (revenir à ses premières amours), an die sich auch ein Infinitiv anschließen kann: Nous en REVÎNMES forcément À PARLER de la vie en général (Céline, Voyage au bout de la nuit, F°, 273; cf. Grevisse 2011, §821 o), 1°); insofern steht es in Verbindung mit einer Wiederholung (iterativer Aspekt). 11) Beim Verb faire (in der Verwendung als «Semi-Auxiliar») wird in den Grammatiken häufig eine Unterscheidung getroffen zwischen der Wendung ne faire que de, die ein in ganz naher Vergangenheit liegendes Ereignis zum Ausdruck bringt (‘venir de’), also den egressiven Aspekt, und ne faire que mit der Bedeutung ‘ne faire autre chose que, faire seulement’, wobei letztere Konstruktion entweder Fortdauer (‘ne cesser de’) oder eine Beschränkung auf eine Handlung (‘se borner à’) kennzeichnet: Il ne fait que bâiller (cf. dt. Er liest dauernd/immerzu. Er tut nichts als lesen), aber auch: Il n’y avait pas une heure qu’elle savait − et, déjà, elle NE FAISAIT plus seulement QUE DE résigner (Martin du G., Les Thibault, Bibl. de la Pléiade, vol. 1, 944 ; cf. Grevisse 2011, §821, f), 2°). Diese Unterscheidung wird nicht (und wurde im 17. und 18. Jahrhundert nicht) durchweg befolgt: Il ne fait que d’arriver, laissez-lui le temps de se reposer (‘il vient d’arriver’), aber auch: Une jolie demoiselle QUI NE FAISAIT QUE sortir du couvent (Daudet, N. Roumestan, I; cf. ibid.). Geläufig ist ne faire que vor allem in der Verbindung ne faire que commencer, wo der restriktive Gehalt sich auf die temporale Dimension bezieht und dabei unmittelbare Vergangenheit (‘gerade erst getan haben’) und den inzeptiven Charakter der Handlung (commencer à) miteinander verbindet. 12) Die nicht grammatikalisierte Wendung se trouver à + Infinitiv wird in der Bedeutung ‘être en train de’ gebraucht: Je ME TROUVAIS, un matin, À jouer avec deux nouveaux (Bourget, cit. Robert) – Le Parlement […] SE TROUVE A devenir, au seizième siècle, le centre de recrutement de nouvelles élites (A. Rousseaux, Le Figaro littéraire, 2 avril 1949; cf. Grevisse 2011, §821, h). 13) Partir à, repartir à und se prendre à kennzeichnen den Eintritt in eine Handlung und drücken so die ingressive Aktionsart aus (vergleiche commencer à/de und se mettre à). Die Wendung mit (re)partir stellt eine sehr gewählte Konstruktion dar: Il REPARTAIT À déchiqueter sa proie (Duhamel, Biographie de mes fantômes, 175; cf. Grevisse 2011, §821, i). Partir und repartir à verbinden sich vornehmlich mit dem Infinitiv rire:122 Ne me regardez pas, je sens que je PARTIRAIS || 122 Zurückgehend, wie sich vermuten lässt, auf die alte Formel partir d’un (grand) éclat de rire.
604 | Tempus, Aspekt und Modus
À rire (Aymé). Die verbale Konstruktion mit se prendre à besitzt ebenfalls die Bedeutung ‘se mettre à’ (mit der Komponente des Unvermuteten), ist ebenfalls literarisch, aber weniger gesucht: Emma SE PRIT À rire (Flaubert, Mme Bovary, II, 12) – Je ME PRENAIT À courir (Arland, Terre natale, 217; cf. ibid.). 14) Das zuweilen als «Semi-Auxiliar» betrachtete Verb arrêter (cf. Grevisse 1993, §791) besitzt auch dann, wenn es einen Infinitiv nach sich zieht wie in Il n’ARRÊTE pas DE fumer (eventuell mit Reflexivum: Et ce sang qui ne S’ARRÊTE DE couler, Larbaud), die Bedeutung von ‘cesser’ und markiert also den cessativen Aspekt. 15) Faire und laisser (traditionell als Verben klassifiziert, die einen untergeordneten Satz im Infinitiv einleiten) werden zuweilen zu den Auxiliaren mit aspektivem Wert gezählt, da beide Hilfsverben in Verbindung mit einem Verb im Infinitiv eine faktitive Konstruktion bilden: César a fait construire un pont. Dabei ist das «Semi-Auxiliar» faire Bestandteil von Verbalperiphrasen, die sich durch ein aktives Subjekt auszeichnen; das Faktitivum besitzt kausativen Sinn (cf. Grevisse 1993, §282 sowie ibid., §744, e, 3°): Je FERAI venir cet homme (‘je ferai en sorte qu’il viendra, je serai cause qu’il viendra’) – Et l’on FIT traverser tout Paris à ces femmes (Victor Hugo, Les Châtiments, V, 11); auch in Verbindung mit dem Verb faire: Certains hommes se réjouissent de FAIRE FAIRE à leurs amis des choses qui leur sont désagréables (Flaubert, Éducation sentimentale, II, 6). Das Verb laisser kann eine durch das Subjekt gebilligte Handlung anzeigen. Im Gegensatz zum durch faire ausgedrückten Faktitivum123 (Kausativum) erscheint das Subjekt in passiver Haltung: Il a laissé battre son petit frère.124 Die Suffixe -iser, -fier (cf. Grevisse 1993, §169, a, 3. und 4.) besitzen ebenfalls einen faktitiven Wert, z.B. monopoliser, américaniser, marginaliser, pasteuriser, neutraliser, personnifier, vitrifier, statufier. Typologisch bedeutsam ist die Beobachtung, dass die periphrastischen Konstruktionen häufig durch isolierende Adverbien ersetzt werden: partez toujours/je vous rejoins (‘gehen sie ruhig/nur/trotzdem, ich komme nach’) (cf. Gadet 1992, 57).
|| 123 Cf. Grevisse (1993, 1127, §744, e, 3° sowie ibid., 1279–1282, §873) zur Frage der Konstruktion des Verbs. 124 Bei ne pas laisser de + Infinitiv (‘ne pas cesser de, ne pas manquer de’) handelt sich um eine bevorzugt in der literarischen Sprache vorkommende Wendung: Il y a là une conception de l’artiste qui ne laisse pas d’étonner (Benda, Précision, 89; cf. Grevisse 2011, §821, g, 1°). Eine ebenfalls literarische, semantisch analoge Konstruktion liegt vor in ne pas laisser que de: Cette indulgence […] ne laisse pas que d’être un peu suspecte (Sartre, Idiot de la famille, vol. 1, 306; cf. ibid.).
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7.6.3 Tendenzen des «français populaire» Ein Desiderat ist eine typologische Analyse des français populaire. Eine solche kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Dass diese Varietät des Französischen eigenen Gesetzen und Verfahren in Grammatik und Paragrammatik folgt, die die Etablierung eines für diese spezifischen kohärenten Systems vorantreiben (cf. Solözismen der Art: je me suis en allé; nous deux mon chien; la chose que j’ai besoin; nous avions convenu; aussitôt son retour; cela l’a stupéfaite etc.), haben verschiedene Werke mit unterschiedlicher Akzentsetzung vermittelt (Henri Bauche 1920; Pierre Guiraud 1965; Françoise Gadet 1992). Die wirksamen Tendenzen lassen sich auch in der Gemeinsprache nachweisen, erfahren im français populaire jedoch eine Verdichtung. Die relevanten Mechanismen operieren namentlich über Analogien, Abbau von Irregularitäten bzw. Homogenisierung bestehender Muster hin zu neuer Regelhaftigkeit (z.B: je m’ai blessé; les chevals; vous disez, romper les rangs, pleuver), teilweise auch unter Auftreten von Übergeneralisierungen bzw. Hyperkorrekturen. Eine vom grammatischen auf den paragrammatischen Bereich ausgreifende typologisch orientierte Studie zum français populaire steht gleichermaßen aus. So fügen sich in meine Analyse des wortbildenden Systems der französischen Gemeinsprache etwa Wortbildungsphänomene im Bereich der denominalen Verbalisierung (Entwicklung) des populären Typs la chute chuter (statt choir), clôture clôturer (statt clore), course courser (statt courir), vor allem bei zugrunde liegendem Nomen auf –(t)ion/-(s)(s)ion: la réflexion réflexionner, la vision visionner (der G.R. 2011 listet fast genau 100 Einträge dieses Typs125), oder die vitale bidirektionale Konversion bei den Adverbien und Präpositionen (des Ortes, der Zeit), so z.B. die Verwendung von aussitôt als Präposition: aussitôt leur départ (cf. G.R. 2011, s.v. bzw. Guiraud 1965, 58–59): Die volkstümliche Varietät treibt voran, was sich in der Gemeinsprache als typologische Tendenz manifestiert. Die folgenden Beobachtungen haben stellvertretenden Charakter und benennen bloß einzelne dieser Entwicklungslinien, wobei sich im Näheren abzeichnen: Auf syntaktischer Ebene die Tendenz zur «progressiven Abfolge», die dem Schema Subjekt – Prädikat – Objekt entspricht. Strukturen, die diesem Serialisierungsmuster zuwiderlaufen (wie Fälle der Inversion), werden sukzessive verdrängt oder stellen zumindest eine häufige Fehlerquelle dar.
|| 125 Abzüglich der reflexiven Varianten oder solchen wie r(é)approvisionner; nicht dazu gehören ferner Situierungen des Typs amunitionner, approvisionner, désaffectionner, embastionner, endivisionner, repositionner, surdimensionner etc.
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Diese Tendenz geht auf morphosyntaktischer Ebene einher mit einem verstärkten Ausbau der analytischen grammatischen Konstruktionen, einhergehend mit einer Schwächung der noch verbleibenden Reste einer Deklination bzw. dem Abbau der funktionskumulierenden synthetischen Formen. Die Entwicklung führt hin zu einer Regularisierung der Paradigmen und tendenziell zur Invariabilität des Wortes (cf. den typologischen Umbruch in der mittelfranzösischen Epoche). 1. Grammatik Die Analogiewirkungen vollziehen sich genauer im Rahmen der Verbmorphologie (cf. Gadet 1992, 52–57) zugunsten einer Verallgemeinerung des Paradigmas der (sogenannten ersten) Gruppe der Verben, die den Infinitiv auf -er bilden;126 sie stellen die einzige produktive Gruppe dar, der die große Mehrheit der französischen Verben angehört. Insgesamt führt dies zur Etablierung eines einheitlichen Verbparadigmas für alle Verben des Französischen, indem sich die zweite große (schwach produktive) Gruppe der -ir Verben sowie die Gruppe der restlichen (nicht mehr produktiven) Verben der ersten unterordnen. Diese Form der Homogenisierung beruht im français populaire auf folgenden drei Mechanismen: (1) Übertritt in die andere Flexionsgruppe: Der Wechsel in der Flexionsmorphologie führt zu folgenden Bildungen wie: mouler le café, agoniser d’injures, cuiser, lotisser, mouver, s’assir, mit semantischem Wandel: visionner (< vision) (‘voir/regarder pour examiner’), réceptionner (< réception) (‘recevoir pour examiner’). (2) Synonymische Substitution: Dieser seit altfranzösischer Zeit operative Mechanismus beruht auf der Ersetzung eines Verbs, dessen Paradigmenbildung auf verschiedene Stämme zurückgreift, durch ein «regelmäßiges» Verb: entourer für ceindre, tomber oder chuter für choir, fermer an Stelle von clore, pousser statt croître, détester für haïr, brouter für paître (‘weiden’), chercher für quérir, habiller an Stelle von vêtir, solutionner für résoudre etc. (3) Schaffung neuer verbaler Wendungen: z.B. faire frire an Stelle von frire allein, être nuisible für nuire, avoir peur für craindre etc. Unter den populären Varianten der aspektiven Periphrasen, die häufig regionale Spezifika darstellen, finden sich die folgenden (cf. Gadet 1992, 57). Damit wird die Palette der verfügbaren Verbalperiphrasen erweitert:
|| 126 Neu geschaffene Verben gehören immer dieser Hauptgruppe an; dazu wird in denominalen oder deadjektivischen Verben ein -t- zwischen Basis und Endung eingefügt wie in zyeuter (< (les) yeux) ‘(jdn) angucken’ (mit z- als pluralmarkierendes Präfix des français populaire; cf. Gadet 1992, 48), siroter (< sirop) ‘mit Genuss schlürfen’, gagater (< gâteux) ‘devenir gaga’, z.B.: il gagate devant les bébés etc.
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Tab. 11: Aspektive Verbalperiphrasen – Standardfranzösisch und français populaire Standardsprachliches Französisch
français populaire
Beispiel
venir de
1)
sortir de
je sors d’être malade
être en train de
2)
être à, être après
il est à travailler
127
être sur le point de
3)
être pour, être + participe présent128
j’étais pour partir, j’étais partant quand il est arrivé
4)
4)
penser de, manquer de
j’ai pensé de tomber
5)
s’en aller faire,
je m’en vais te dire ce que je pense, il veut pas pleuvoir tout de suite
6)
vouloir + inf. aller aller faire
5)
faillir 129 130
aller faire
7)
1) Sortir de dient vornehmlich in der familiären oder populären Sprache zur Kennzeichnung einer unmittelbaren Vergangenheit und damit des egressiven Aspektes; solcher Gebrauch ist nicht daran gebunden, dass sortir zugleich auf das Verlassen eines Ortes hinweist (wie bei Je sors d’entendre le sermon; Grevisse 2011, §821, m). Die räumliche Bindung, durch die die Vollendung der Handlung ursprünglich an das Verlassen des Ortes, an dem die Handlung stattfand, gekoppelt war (cf. letztes Beispiel), wird gelöst und auf die Zeitraumebene übertragen (cf. venir). 2) Être à ist auch in der Gemeinsprache vertreten (cf. supra Kap. 7.6.2., 5), wohingegen der Gebrauch von être après hier eher als obsolet zu charakterisieren ist; in der Umgangssprache wiederum ist être après in bestimmten Regionen nicht ungewöhnlich. 3) Être pour dient zur Bezeichnung eines unmittelbaren Futurs: Quand le temps est pour changer (Jules Romains (1922): Lucienne (Psyché 1), 169; cf. Grevisse 1993, §791, d, 2°–3° bzw. 2011, §821, d, 3°). || 127 Cf. auch être près de/au moment de/à la veille de/en passe de/en voie de, die weniger gebräuchlich sind (cf. Grevisse 1993, §791, d bzw. 2011, §821 d, 1°). 128 Être ersetzt in der aus être + participe présent bestehenden Konstruktion aller in der Funktion als «Semi-Auxiliar» und dient also nicht als Kopulaverb (wobei die Partizipialform ein Gerundium ist), z.B. La plupart de ces difficultés ont été s’aggravant (cf. Grevisse 1993, §245, b, 2°, Rem. 2.). Die Konstruktion von être in Verbindung mit einem Präsenspartizip war im Altfranzösischen dort gängig, wo in der heutigen Gemeinsprache Periphrasen wie être en train de + Infinitiv zum Tragen kommen (die Verwendung reicht bis ins 17. Jahrhundert). 129 Cf. den Aufsatz: «Sobre el gramema de conato en las lenguas iberorrománicas» von Bellosta von Colbe (2001, 131–167) sowie meine Rezension (Kretz 2003). 130 Aller + Infinitiv markiert nicht nur eine naheliegende Zukunft, sondern kann auch eine entferntere Zukunft, die als unausweichlich betrachtet wird, zum Ausdruck bringen.
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4) Faillir und manquer (de) zeigen an, dass eine Handlung beinahe, aber letztendlich doch nicht ausgeführt wurde; dabei bezieht sich manquer einzig auf unangenehme Sachverhalte: La pendule a manqué (de) tomber (cf. Grevisse 1993, §791, e bzw. 2011, §821, e, 1°). Der Infinitiv wird mit oder ohne Präposition konstruiert: Marc manque D’être tué par son rival (Henriot in Le Monde, 07/11/1951; cf. Grevisse 2011, §908, a, 10°) – Son fils manqua l’ÉTOUFFER sous les baisers (André Maurois: Lélia, 133; cf. ibid.). In dieser Funktion wird auch faillir gebraucht, allerdings in der Regel lediglich im Passé simple, im Passé composé sowie im Plus-que-parfait (des Indikativs): Elle FAILLIT dire quelque chose, mais se tut (Roger Martin du Gard (1920–1939): Les Thibault, Pl, vol. 2, 501; cf. Grevisse 2011, §821, e, 2°) – J’AI FAILLI vous écrire / J’AVAIS FAILLI lui écrire (ibid.). Der Gebrauch von penser in dieser Bedeutung (zuweilen sogar mit einem unbelebten Agens) gehört weiterhin auch der literarischen Sprache an: J’ai raconté cela à quelqu’un qui […] A PENSÉ en être malade (Julien Green, Journal, 16 mai 1956) – Il entra dans le bateau que son poids PENSA faire tourner (Théophile Gautier (1863): Le Capitaine Fracasse) (cf. Grevisse 2011, §821, e, 3°). 5) S’en aller + Infinitiv als Äquivalent zu aller + Infinitiv wird (in der Gemeinsprache) primär in der ersten Person Singular gebraucht; der Gebrauch in anderen Personen gilt als archaisch (cf. Grevisse 1993, §790, a, 1°). 6) Auch vouloir kann in den Bedeutungsbereich von aller als Hilfsverb übergreifen, indem es in übertragener Bedeutung eines zugrunde liegenden Wollens eine zukünftige Handlung zum Ausdruck bringt: Ce mur veut tomber. Da eine kurz vor der Realisierung stehende Handlung angezeigt wird, wird der imminentielle Aspekt ausgedrückt: Die Handlung wird so dargestellt, als hinge ihre Umsetzung vom Willen des Agens ab. Dieser Wille wird zuweilen auch einem unbelebten Agens zugeschrieben (cf. Grevisse 1993, §791, p bzw. Grevisse 2011, §821, q, 1°): La blessure semblait VOULOIR se fermer (Georges Duhamel (1932): Tel qu’en luimême…, XXIX). Dieser Gebrauch findet sich häufig in Verbindung mit der Negation: Tu portes au cœur une blessure qui NE VEUT PAS guérir (Alfred de Musset: Conf., IV, 3; cf. Grevisse, ibid.). Eine Verwendung von vouloir wie in On dirait qu’il veut pleuvoir – Cette année, il ne veut pas pleuvoir, also in Verbindung mit Wetterangaben, ist in vielen Regionen Frankreichs gebräuchlich, insbesondere in Wallonien. Im Französischen der Franche-Comté und der Schweiz fungiert vouloir als tatsächliches Hilfsverb des Futurs. Dass sich vouloir zum Ausdruck einer zukünftigen Handlung eignet, ist gemäß der Semantik des Verbs naheliegend: die Realisierung der zunächst als Intention gegebenen Handlung liegt notwendigerweise in der Zukunft, und zwar in einer unmittelbaren (cf. engl. will zum Ausdruck einer spontanen Willensäußerung, die sich auf die unmittelbare Zukunft bezieht, wie in I will lend you a hand, sowie allgemein die historische Entwicklung des engl. Hilfsverbs will mit deontischer modaler als der ursprünglichen und epistemischer futurischer
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Bedeutung; auf dem Hintergrund des Beispiels von Musset cf. zudem engl. The door won’t close properly etc. bzw. dt. Die Tür will nicht richtig zugehen etc.). 7) Ein für das français populaire idiosynkratischer Gebrauch liegt vor bei der Verwendung von aller + Infinitiv zum Ausdruck einer naheliegenden Zukunft in Verbindung mit einem sich selbst aus aller faire zusammensetzenden Infinitiv – eine Konstruktion, die das Standardfranzösisch eher zu vermeiden sucht und die sich in der Literatur nicht untersucht findet: Je vais aller me coucher/manger/ me promener/faire un tour dehors (cf. Kap. 7.6.2). Die Konstruktion ist etwa möglich bei Ausdruck einer bezüglich Anfangs- und Endpunkt unbestimmten Dauer: Je vais aller travailler, ausgeschlossen dagegen z.B. in *je vais aller partir/sortir/voyager etc. In ersterem Fall ist nicht die Intention impliziert wie in je vais travailler, auch nicht der Umstand des sich an den Arbeitsplatz Begebens, sondern die Aufnahme der Aktivität zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. Das zweite Beispiel zeigt, dass die Konstruktion der Verwendung mit Verben, die eine Bewegung im Raum anzeigen, offensichtlich entgegensteht. Für Konstruktionen bestehend aus aller + Verbalperiphrase des Typs aller se mettre à/aller finir par/aller commencer à + Infinitiv gilt, dass die durch das Verb im Infinitiv bezeichnete Handlung in unbestimmter Weise und auf eine unbestimmte Zeit verzögert wird. 2. Paragrammatik Die wortbildenden Mittel des français populaire stimmen im Prinzip mit denen der Gemeinsprache überein, allerdings bestehen Unterschiede in der Distribution und Frequenz der Verwendung. Da normative Vorgaben nicht derart greifen wie in der Standardsprache, können im System des populären Französisch auch in der Gemeinsprache sanktionierte Wortbildungsmuster produktiv sein. Hauptverfahren der Wortbildung bildet die Derivation mit Schwerpunkt auf der Suffigierung und etwas geringerer Aktivität im Bereich der Präfigierung. Im Vergleich zur Gemeinsprache verfügt das populäre Französisch über ein insgesamt umfangreicheres Inventar an Suffixen (incl. einer sog. «parasitären Suffigierung»131), die eine grö-
|| 131 Die sogenannte «parasitäre Suffigierung» beruht auf der Analyse eines Elementes in eine Basis und ein Suffix, wobei das Suffix durch ein anderes ersetzt wird; dabei kann es sich auch um ein nur scheinbares Suffix handeln oder um eine bloße Hinzufügung eines Elementes (toutime ‘tout’). Manche dieser Suffixe werden nur in Verbindung mit einer bestimmten Basis gebraucht oder finden sich lediglich in ein oder zwei Lexikalisierungen: espingouin, amerloque, gigolpince, éconocroques, morbaque, boutanche, calbute etc. In Fällen, in denen ein (echter oder scheinbarer) Stamm von einem als Suffix fungierenden Element abtrennbar ist, lassen sich zuweilen auch inhaltliche Regelmäßigkeiten in der Bildung erkennen, wohingegen in anderen Bildungen reine Wortspielerei zum Tragen kommt (so in Reihen wie moche, mochard, mochetard, mochetingue) (cf.
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ßere Produktivität aufweisen. Gadet (1992, 104) sieht hier einen Zusammenhang mit der «tendance progressive» des modernen Französisch. Auf die Suffixe des français commun wird im français populaire rekurriert, allerdings findet sich, da Restriktionen (mit Bezug auf die Basis) gelockert werden, deren Kombinierbarkeit erhöht, die Mittel der Diminutiv- und Augmentativbildung werden umfangreich ausgeschöpft, ebenso die zum Ausdruck der Iterativität und Frequentativität. Deverbale Adjektive wie pinaucumettable ([pine-au-cul-]mett-able) oder Subjektnominalisierungen auf -eur/-euse wie in tombeuse dans les pommes, il est très faiseur l’amour dans les buissons werden leicht gebildet (Gadet 1992, 104). Das populäre Französisch besitzt vor allem eine größere Palette an Suffixen zur Bildung von pejorativ verwendeten Ausdrücken als die Gemeinsprache. Die Suffigierungen dienen hauptsächlich der Bildung von Substantiven (gelegentlich einhergehend mit einer Stammreduktion), vergleiche folgende Typen auf -o wie in socialo, alcoolo, clodo, avaro, proprio; auf -ard: déchard, douillard, pantouflard oder -aud in salaud. Viele Suffixe sind, so Gadet (1992, 105), «souples et souvent interchangeables, au gré de la fantaisie du locuteur». Gewisse Suffixe gehören vornehmlich der populären Sprache an, andere wiederum sind eher dem Argot132 eigen; zu ersterer Gruppe gehören etwa folgende Bildungen auf -os (v.a. in der Jugendsprache verbreitet): craignos, gratos, faire cassos, chouettos, coolos, nullos; Bildungen auf -ouse/-ouze: picouse, centrouse, perlouze; auf -go/-got: icigo, parigot, mendigot. Unter den Präfixen erfährt r(e)- im populären Französisch eine Ausweitung seines Funktionsbereichs, indem es das einfache Verb ersetzt und somit eine aspektive Opposition nivelliert: le train rentre en gare, ça rentre dans la définition. Analog tritt rarranger an die Stelle von arranger, repartir ersetzt partir etc. (cf. Gadet 1992, 106). In Verbindung mit einem Verb drückt re- auch die Wiederholung einer Handlung aus: raller. Die Komposition bedeutet für das français populaire ein «procédé moyennement productif». Die größte Produktivität besitzt der Typ der VerbErgänzung-Komposita (cf. Kap. 11.4): saute-ruisseau, grippe-sou, pique-assiette, accroche-cœur, cache-misère, tord-boyau, tire-jus, brûle-gueule. Eine wachsende || Gadet 1992, 105). Von solchen Bildungsmechanismen bleiben jedoch Suffixe wie die folgenden insofern unberührt, als sie eine sowohl in der Gemeinsprache wie dem populären Französischen (und Argot) identische Funktion bzw. Wortbildungsbedeutung aufweisen: -ier, -age, -et, -ot, -eur sowie die verbbildenden Suffixe -eter und -oter. 132 Für den Argot typische Suffixe sind etwa (cf. Gadet 1992, 105): -aga (poulaga, pastaga), -aille (poiscaille, flicaille), -bar (calebar, loubar), -du (loquedu, chomedu), -if (morcif, porcif), -oche (cinoche, bidoche), -uche (gauluche), man, das aus dem Englischen entlehnt ist: fauch’man, arrang’man, poul’man (‘poulet, la police’).
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Produktivität verzeichnet der Konstruktionstyp bestehend aus SubstantivSubstantiv-Verbindungen: remède miracle, paquet cadeau, prix choc, tarte maison, lavage éclair; mit zweitem Nomen in der Funktion als Epitheton zu N1 (cf. Kap. 11): une allure canaille, un culot monstre, une histoire chouette, un effet bœuf etc. Das als Epitheton gebrauchte N2 kann in gewissen Positionen auch in prädikativer Stellung erscheinen: la situation est vraiment limite, votre tarte / elle est maison?; so auch bei être désordre/chagrin/colère/tout chose etc. Im français populaire findet sich, wie angedeutet, die Fähigkeit der französischen Gemeinsprache zur denominalen Entwicklung noch erhöht: elle est bien chapeautée (chapeauter < chapeau); häufig ist die Ableitung von Verben auf der Basis von (anschaulich-konkreten) Benennungen für Körperteile: gueuler (< gueule), zieuter (< z (< les) yeux), se boyauter (< boyau ‘Darm’), blairer (< blair ‘nez, visage’), queuter (< queue) etc. An Stelle von verbalen Wendungen, die ein Stützverb wie faire erfordern, cf. etwa être/se porter candidat (cf. Kap. 3.6.2.1; 4.2.4), bildet das populäre Französisch direkt ein denominales Verb: chuter, candidater, auditionner (‘écouter pour juger’ < audition), solutionner etc. Überhaupt ist der Wortkategorienwechsel in verschiedene Richtungen erhöht: z.B. Konversion von Präpositionen, die als Adverbien fungieren: j’ai l’ai rangé autour; von Nomen zu Präpositionen (so v.a. von côté, façon, genre, question, histoire, rayon, style, tendance, version u.a., die mehr oder weniger schwerfällige Formulierungen wie quant à, en ce qui concerne ersetzen, z.B. côté travail, question environnement; siehe Klöden 2001) etc.; daneben die Tendenz zur Verwendung bestimmter Adjektive in adverbialer Funktion: déconner sec, il l’a fait facile, acheter utile, rouler français. Ein solcher Gebrauch weist über die aus der Standardsprache bekannten und eingrenzbaren Fälle hinaus und legt eine Systematik nahe. Hinzu tritt der adverbiale Gebrauch von Nomina: y aller pépère etc.; vergleiche zudem rien in: c’est rien con; total in: total / il laisse tout tomber; résultat in: résultat des courses / c’est raté (cf. Gadet 1992, 108). Die bekannten Lexikalisierungen des Typs une pas grand chose, décrochez-moi ça, va comme je te pousse, suivez-moi-jeunehomme etc., die auf Konstruktionen der freien Syntax beruhen, entstammen teilweise der Sprache des Volkes und stellen Konversionen von syntagmatischen Einheiten oder ganzen Sätzen dar. Soll dem français populaire ein prädiktiver Wert zukommen, deutet dieser, abgesehen von einer strengeren Einhaltung der Abfolge der satzkonstituierenden Elemente gemäß SPO, auf eine Intensivierung der Analyse hin mit folgenden Kennzeichen: Regularisierung und Homogenisierung im Bereich der Flexionsparadigmen, die zugleich reduziert werden; erhöhte Invarianz des Wortes als Folge; verstärkte Durchlässigkeit der Wortkategorien, d.h. mehr Möglichkeiten der wortkategorialen Übergänge, was einer erleichterten Anwendung von Kon-
612 | Tempus, Aspekt und Modus
version gleichkommt; Ausbau der paragrammatischen Verfahren der denominalen Verbalisierung (Entwicklung) des Typs candidater, queuter; Bildung zahlreicher Verb-Ergänzung-Komposita sowie von Substantiv-Substantiv-Verbindungen des Typs remède miracle im Rahmen der asyndetischen Strukturen (Polysynthese). Eine gegenläufige Tendenz zeichnet sich mit dem Ausbau und neuen Vitalität der suffixalen Derivation durch Lockerung von Restriktionen der Norm zur Steigerung der Kombinierbarkeit der Morpheme an (Verstärkung der agglutinierenden Komponente). Andererseits konkurrieren affektiv-expressive Suffixe zum Ausdruck von Diminutivierung und Augmentivierung mit syntaktischen Intensivierungen der Art On pique un bon vieux petit roupillon des familles.133
7.7 Die «formes surcomposées» 7.7.1 Systematizität Im Folgenden möchte ich mich einem auf Grund der Systematizität höchst interessanten Phänomen des Französischen widmen: den sog. «überkomponierten» Formen bzw. formes surcomposés.133,134 Sind die Ebenen des französischen Verbalsystems (aktuelle und inaktuelle Zeit) nicht in allen Perspektiven verfügbar (cf. Schaubild Kap. 7.2.3.2), verweist das hohe Maß der regelhaften Bildbarkeit und also prinzipiellen Verfügbarkeit der Formen trotz deren Restriktionen (in Abhängigkeit von der Varietät) hinsichtlich der aktuellen diskursiven Verwendung auf die dynamische Eigenschaft der Sprache. Gewisse Frequenzverschiebungen im Gebrauch der Tempora (Passé simple: je chantai → Passé composé: j’ai chanté und in dem Zuge Passé antérieur: j’eus chan-
|| 133 Zum Forschungsüberblick mit weitreichenden bibliographischen Angaben sowie einer erklecklichen Belegsammlung sei auf die komparatistische Darstellung zur Verbreitung der Formen in der Gesamtromania, Holtus 1995, 85–114, verwiesen. An dieser Stelle seien lediglich folgende ausgewählte genannt: Foulet, Lucien, Le développement des formes surcomposées, Romania 51 (1925), 203–252; Christmann, Hans Helmut, Zu den «formes surcomposées» im Französischen, Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 68 (1958), 72–100; Nilsson-Ehle, Hans, Remarques sur les formes surcomposées en français, Studia Neophilologica 26 (1953/1954), 157–167; Ulleland, Magnus, Sur les formes surcomposées en sursilvain, Studia Neophilologica 36/2 (1964), 277–307. 134 Im grammatischen Kontext wurde dieser Terminus offensichtlich erstmals von L’Abbé de Dangeau (= Louis de Courcillon), Opuscules sur la grammaire, 1927 verwendet (die grammatischen Schriften wurden in den Jahren 1694/1711, 1717 und 1722 veröffentlicht; cf. im Anhang den Auszug aus der Encyclopédie méthodique, vol. 3: Grammaire et littérature von Beauzée/Chesneau/Marmontel, 1786, 509) und in Anlehnung an diesen von L’Abbé Vallart 1744 in seiner Grammaire françoise übernommen (cf. ebenfalls den Anhang).
Die «formes surcomposées» | 613
té → Passé surcomposé: j’ai eu chanté) mögen die Entwicklung hin zur verstärkt analytischen Bildungsweise forcieren. Der Rekurs auf die formes surcomposées scheint aber vor allem dort legitimiert, wo sich Leerstellen im Formeninventar auftun. Das Aufkommen der formes surcomposées kann daher in plausibler Weise motiviert sein durch die Notwendigkeit, den perfektiven Aspekt im Verhältnis zu einer komponierten Zeitform zu kennzeichnen. Beispielsweise kann eine «überkomponierte» Konstruktion des Typs Après que J’AI EU FINI la lecture de «Passions al dente», le soir même J'AI EXÉCUTÉ la recette des spaghetti à l'ail… dort, wo keine usuelle des Typs Après AVOIR FINI…, J’AI EXÉCUTÉ… zur Verfügung steht (cf. z.B. Cependant la barbe me venoit; et quand elle A ÉTÉ VENUE, je l’AI FAIT raser; Diderot, Neveu de Rameau, 7; cf. Grevisse 2011, §818, H), eintreten und im genannten Fall durchaus die litterarische Variante Lorsque J’EUS FINI, J'AI EXÉCUTÉ… ersetzen. Die Entwicklung fügt sich in die aktuelle typologische, deren Charakteristikum der Ausbau der analytischen Formen ist, womit die formes surcomposées (belegt seit Beginn des 13. Jahrhunderts) kein primär auf Schriftsteller der Klassik wie Bossuet, Diderot, Pascal, Mme de Sévigné u.a. beschränktes Phänomen darstellen. Die Art dieser Analyse soll in Bezug auf Form und Funktion im Folgenden näher beschrieben werden: Die sogenannten «überkomponierten» Formen des Französischen bilden diejenigen zusammengesetzten Tempora, in denen das mehrteilige Prädikat sich analysieren lässt in zwei, im Passiv sogar drei aufeinander folgende Hilfsverben (avoir + avoir + être), so dass dieses insgesamt mit bis zu drei Partizipien (Perfekt) konstruiert erscheint, wobei in der Regel nur das letzte akkordierbar ist: j’ai chanté → j’ai eu chanté; Ce vin les a eu vite grisés; je suis allé(e) → j’ai été allé(e); Quand la nuit a été tombée. Die «temps surcomposés» werden also mit dem Hilfsverb avoir gebildet, das einer bereits komponierten Temporalform zugefügt wird, die ihrerseits das Hilfsverb avoir (zuweilen être, etwa beim Verbtyp tomber) enthält. Beispiele für mit avoir gebildete Formen wären: Quand j’AI EU bien REGARDE les étranges toupies plantées là comme des quilles […], un malaise m’a pris (Kemp, Le Monde, 08/05/1957, cf. Grevisse 2011, §818 a), 1°). – Quand il m’A EU QUITTE, j’ai réfléchi que […] (Green, Journal, 10/06/1948, cf. ibid.); Bildung mit être: Quand mad. de Vernon A ETE PARTIE, je me suis retrouvée plus mal qu’avant son arrivée (Mme de Staёl, Delphine, II, 3, cf. ibid.). Die Diathese (voix active wie voix passive) ist für die verschiedenen Zeitstufen (einschl. des Subjonctif) bezüglich der Bildbarkeit des Formeninventars (cf. nachstehende Übersicht) voll verfügbar (nicht so bezüglich des tatsächlichen Gebrauchs). Vertreten sind die Formen namentlich im frankoprovenzalischen Raum, z.B. in der Sprachvarietät Gaga um Saint-Étienne, in Lyon und in Savoyen, in der Schweiz sowie in Québec, aber auch im Standardfranzösischen.
614 | Tempus, Aspekt und Modus
Tab. 12: Les formes surcomposées (temps et modes)135 Indicatif Tempus/Modus
Voix active
Voix passive
Verbes pronominaux136
Passé surcomposé137
j’ai eu chanté
Plus-que-parfait surcomposé
j’avais eu chanté j’avais été allé(e)
j’avais eu été nommé(e)
je m’étais eu assis(e)
Futur antérieur surcomposé
j’aurai eu chanté j’aurai été allé(e)
j’aurai eu été nommé(e)
je me serai eu assis(e)
Passé antérieur surcomposé
j’eus eu chanté
j’eus eu été nommé(e)
je me fus eu assis(e)
j’aurais eu été nommé(e)
je me serais eu assis(e)
que j’aie eu été nommé(e)
que je me sois eu assis(e)
j’ai été allé(e)
j’eus été allé(e)
Conditionnel j’aurais eu chan- j’aurais été passé surcomposé té allé(e)
j’ai eu été nom- *je m’ai été assis(e) => mé(e) [je me suis] [eu assis(e)]138
Subjonctif Passé surcomposé que j’aie eu chanté
que j’aie été allé(e)
Plus-que-parfait139 (que) j’eusse eu surcomposé chanté
(que) j’eusse été (que) j’eusse eu (que) je me fusse eu allé(e) été nommé(e) assis(e) Infinitif
Passé surcomposé avoir eu chanté
avoir été allé(e) avoir eu été nommé(e)
Passé surcomposé ayant eu chanté
ayant été allé(e) ayant eu été allé(e)
s’être eu assis(e)
Participe s’étant eu assis(e)
Impératif Passé surcomposé aie eu chanté
aie été allé(e)
aie eu été nommé(e)
te sois eu assis(e)
|| 135 Cf. auch Grevisse 2011, §§826; 885; 886; 891; 897; 918; §§939 und 942, N.B. 1 zum Accord des Participe passé. 136 Eigentlich nur in der gesprochenen Sprache vorkommend. 137 In der gesprochenen Sprache tritt das Passé surcomposé tendenziell für das Passé antérieur ein. 138 Das Reflexivpronomen kann (im Standardfranzösisch) nicht vom Hilfsverb avoir gefolgt werden. In den volkstümlichen Varietäten der «langue d’oïl», z.B. im Wallonischen, ist dieser Gebrauch aber (wie übrigens auch bei den formes composées) nicht unüblich (cf. Cornu 1953, 206). Die eckigen Klammern sollen die jeweilige syntaktische Einheit verdeutlichen (cf. Holtus 1995, 90). 139 Fungiert als Conditionnel passé 2e forme.
Die «formes surcomposées» | 615
In der Terminologie nach Damourette/Pichon (1936, §§1775ss.) bezeichnen diese Tempora funktionell ein «bisantérieur», d.h. «des faits antérieurs et accomplis par rapport à des faits qui, eux-mêmes antérieurs par rapport à d’autres faits, s’exprimeraient par les temps composés correspondants» (cf. Grevisse 1993, §788 bzw. Grevisse 2011, §886). Ausgedrückt wird also (bei Vorkommen im temporalen Nebensatz) die Vorzeitigkeit im Verhältnis zur Vorzeitigkeit.140 Am häufigsten anzutreffen ist eine Zeitenfolge, in der das Passé surcomposé (indicatif) einen «fait accompli et antérieur» im Verhältnis zu einer ebenfalls abgeschlossenen, durch das Passé composé (stellvertretend für das einfach gebildete Passé simple) bezeichneten Handlung markiert: Dès qu’il a eu fini son repas, il est sorti. Dieser Gebrauch im temporalen Nebensatz zum Ausdruck der Anteriorität ist in der Norm des Französischen anerkannt und besitzt auch eine relativ hohe Frequenz. Wichtig ist das aspektive Moment der Vollendung. Daher sind die formes (hyper)(sur)composées, deren komponierte Form der inhaltlichen Bestimmung als «accompli» entspricht, wesentlicher Bestandteil des aspektiven Systems des Französischen. Der Wert der Vorzeitigkeit resultiert dabei regelmäßig aus der aspektiven Dimension (eine vollendete Handlung situiert sich vor einer ebensolchen) und ist keine inhärente Bestimmung der ((über)komponierten) Tempusformen. So drücken die formes surcomposées bei Gebrauch im unabhängigen Temporalsatz den perfektiven Aspekt im Vergleich zur entsprechenden komponierten Form aus: Il a eu fini son repas en cinq minutes. Die temps surcomposés gehören insgesamt vorrangig der gesprochenen Sprache an; ihre Verwendung ist zudem an bestimmte diatopische Varietäten gebunden und stellt insbesondere ein Charakteristikum des populären Französisch dar. Abgesehen von der gesprochenen Sprache finden sie sich auch − hauptsächlich in aktivischer Form − im schriftlichen Bereich, allerdings mehrheitlich in oben genannter Funktion. Daneben treten sie im unabhängigen Satz auf, wobei dieser Gebrauch jedoch als diatopisch markiert gilt; dennoch ist auch diese Verwendung Bestandteil des Pariser Französisch (j’ai l’ai eu fait / mais je ne le fais plus depuis longtemps). Hier schließen die «überkomponierten» Formen eine Lücke im aspektiven System des Französischen, «qui ne dispose pas d’autre moyen d’exprimer une action continue dans le passé» (cf. Gadet 1992, 56).
|| 140 Die Vorzeitigkeit wird explizit angezeigt durch temporale Konjunktionen oder entsprechende Wendungen wie après que, aussitôt que, dès que, lorsque, quand); sie kann aber auch durch Komplemente gekennzeichnet werden, die die Erfüllung der Handlung innerhalb einer Frist anzeigen (etwa bei bientôt, vite etc.).
616 | Tempus, Aspekt und Modus
Innerhalb der Tendenz des français populaire zur Simplifizierung und Homogenisierung des komplexen französischen Verbalsystems stellen die «überkomponierten» Formen zwar einerseits einen Ausbau der Verbalmorphologie dar (cf. auch den von Appuhn 1966 gebrauchten Begriff «hyperperiphrastische Tempora»), andererseits ist die Verbmorphologie der Hilfsverben avoir und être in den frequenten Zeitstufen (sowie die der Partizipien Perfekt – Vereinheitlichungen sind hier ja nicht ausgeschlossen, z.B. j’avais bientôt eu cuisé) bekannt. Die Komplexität verlagert sich von der Synthese hin zur Analyse bzw. analytischen Kumulation, wobei der Aspekt neu gestaltet wird.141 Ähnlich wie Passé surcomposé und Passé composé (indicatif)142 erscheint das Plus-que-parfait surcomposé vielfach in Verbindung mit einem Plus-queparfait (jeweils im Indikativ):143 À peine l’AVAIS-je EU quittée qu’ils s’étaient reformés (Marcel Proust, À la recherche du temps perdu, vol. 2, 29144); J’avais un fils qu’on appelait mort. […] Comme s’il AVAIT jamais ÉTÉ NÉ (Cixous, Angst, 147). Auch Beispiele für das Futur antérieur surcomposé lassen sich finden (On pense que M. Tardieu en AURA EU FINI hier soir avec les résistances du Dr Schacht, il aura pris le train de 20 heures pour être à 6 h 30 à Paris, tenir à 10 le conseil des ministres (Maurras, cit. Damourette/Pichon, §1859). Hier gilt analog die inhaltliche Ausrichtung auf die Vollendung einer Handlung im Vergleich zu einem zukünftigen Moment. Das Passé antérieur surcomposé ist in der gesprochenen Sprache nicht anzutreffen und nur sehr selten in der geschriebenen Sprache: Son fils était resté à terre pour fermer la barrière. Quand il eut manœuvré et que la voiture l’EûT [sic] EU FRANCHIE, le petit courut
|| 141 Das zum Passé surcomposé in Verhältnis gesetzte Verb kann aber auch einer anderen Zeitform der Vergangenheit angehören: Quand j’AI EU PASSÉ mon bachot […], j’AURAIS PU […] DEVENIR un avocat (Zola, Bonheur des Dames, III; cf. Grevisse 2011, §886 a). Das Passé simple ist in dieser Verbindung jedoch selten, da das Passé antérieur hier eher als dem Register angemessen erscheint: Quand on A EU QUITTÉ la gare, IL Y EUT un soupir de soulagement (J.-J. Gautier, Chambre du fond, 223, cf. ibid.). 142 Vor allen Dingen im okzitanischen und frankoprovenzalischen Sprachraum wird das Passé surcomposé (mit bestimmten Konnotationen) an Stelle des Passé composé verwendet: Mais comment que t’en AS EU ENTENDU causer, toi, de Méséglise? […] Comme M. le curé nous l’A EU FAIT ressortir bien des fois, s’il y a une femme qui peut compter d’aller près du bon Dieu, sûr et certain que c’est elle [dit la servante Françoise] (Proust, Marcel, À la Recherche du temps perdu, vol. 2, pp. 25–26; cf. Grevisse 2011, §886 a), R) – Ça s’échappe un détenu. On en A EU VU [= On a déjà vu cela] (P. Thurre, Farinet, I, 4; cf. ibid.). 143 Als Beispiel mit übergeordnetem Verb nicht im Plus-que-parfait lässt sich anführen: Si on lui AVAIT EU […] PRÉSENTÉ un autre prisonnier, il S’EN SERAIT APERÇU (Garçon, Louis XVII, 540; cf. Grevisse 2011, §886, b), in diesem Falle eingebettet in ein hypothetisches Satzgefüge. 144 Zu den nachfolgenden Belegen cf. Grevisse 2011, §818.
Die «formes surcomposées» | 617
pour grimper auprès de son père (Vialar, Fusil à deux coups, 15). Ferner existieren als «überkomponierte» Tempora: Das Conditionnel surcomposé (Elle n’AURAIT pas ÉTÉ plutôt ARRIVÉE qu’elle s’en serait aperçue (Marcel Proust, À la recherche du temps perdu, vol. 2, 597), wobei zum eigentlichen Wert des Conditionnel passé erneut die aspektive Komponente der Vollendung hinzutritt; der Subjonctif passé surcomposé (Je me serais ennuyée à mourir avant qu’il n’AIT EU FINI, si je n’avais pas été installée près de cette fenêtre-là (Paratte, trad. de: Montgomery, Anne… La maison aux pignons verts, 80) mit ebenfalls aspektiver Akzentuierung der Vollendung. Die Verbalformen des Subjonctif plus-que-parfait surcomposé sind in der gesprochenen Sprache nicht vertreten und auch im schriftlichen Sprachgebrauch ein Phänomen «rarissime»; der Wert entspricht dem Conditionnel: De par la rage de sa passion Jacques EÛT EU ACQUIS des boutons sur la face s’il n’eût eu Martine pour s’excercer (Queneau, Loin de Rueil, F°, 156). – Après que j’EUSSE EU FINI nous fûmes invités […] à une soirée (Verlaine). Auch nicht-konjugierte Verbalformen sind bildbar, so das Participe passé surcomposé (AYANT EU TERMINÉ son travail avant midi, il a pu avoir son train ordinaire (cf. Grevisse 2011, §818 a), 8°) sowie der Infinitif passé surcomposé (Le plombier est parti sans AVOIR EU ACHEVÉ son travail (cf. ibid., 9°). Transformationen ins Passiv wie Quand j’AI ÉTÉ NOMMÉ (Passé composé) → Quand j’AI EU ÉTÉ NOMMÉ (Passé surcomposé) sind in der geschriebenen Sprache nur selten belegt (Quand il [= le Dict. gén.] A EU ÉTÉ TERMINÉ, M. Paris en a donné un compte rendu (E. Ritter; Beispiel eines schweizer Autors; cf. Grevisse 1993, §788, b). Bei den reflexiven Verben (verbes pronominaux) ergeben sich gewisse Verschiebungen bezüglich des Gebrauchs von avoir und être in den komponierten Formen: Quand je me suis assis (Passé composé) → *Quand je m’ai été assis, sondern → Quand je me suis eu assis (Passé surcomposé). Die Inkongruenz bezüglich der Bildung der komponierten Form des Hilfsverbs (ÊTRE: avoir été → être eu) liegt darin begründet, dass auf ein Reflexivpronomen nicht das Hilfsverb avoir folgen kann. Die formes surcomposées pronominales sind im Grunde nur in der gesprochenen Sprache anzutreffen: Quand il s’EST EU EMBARQUÉ, quand il l’a eu fait, il a vu … (Bsp. Mündlich kommuniziert, cit. Damourette/Pichon, §2010; cf. Grevisse 1993, §788, c). Die Überlegung kann aufkommen, ob nicht auch Verbalperiphrasen wie aller faire und venir de faire eine «überkomponierte» Variante aufweisen (könnten). Hugo Zeller (1930) macht in seiner Dissertation zur «Grammatik in der grossen französischen Enzyklopädie» von Diderot, d’Alembert et al. (1751–1780) darauf aufmerksam, dass «Beauzée im Französischen ein ‘prétérit prochain’: je
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viens, je viendrai de chanter und ein ‘futur prochain’: je vais, j’allai chanter» entdeckt.145 Solche Hinweise (ungeachtet der Unhaltbarkeit des Entwurfs eines Tempussystems des Französischen wie von Beauzée vorgeschlagen; zur Interpretation auf der Grundlage der Encyclopédie méthodique als Erweiterung ersterer cf. Swiggers 1986) auf eine bezüglich der Tempusauswahl erweiterte Verwendung der genannten Verbalperiphrase(n) (für das «futur proche» über das Présent und Imparfait hinaus) finden keine Fortsetzung in der linguistischen Literatur. Zumindest sei ein weiteres Beispiel zitiert, welches aber die allative Interpretation nicht ausschließt: Dans cette perplexité, je résolus de retourner sous la fenêtre d’où descendait une si douce manne. Comme le premier moyen que j’avais employé m’avait réussi, je résolus de l’employer encore. Aussitôt j’appelai les muses au secours de ma pauvre imagination et, après bien des efforts et bien des ratures, j’assemblai, tant bien que mal, les vers de ce couplet que J’ALLAI CHANTER le soir même sous sa fenêtre. Je suis prêt! Une voix chérie M’a secrètement appelé; Faut-il mon sang? faut-il ma vie… (Charles Testut, Saint-Denis, 2e partie: Le Retour, chap. VI: «Sous une fenêtre», 1849)
Abgesehen von Bildungen wie je vais bientôt avoir fini la traduction de cette page; je viens d’avoir eu 20 ans (einmal zum Ausdruck der Vorzeitigkeit, zum anderen der unmittelbaren Vollendung) und im Unterschied zu Formen wie j’allais chanter gehen also offensichtlich auf Grund der nämlichen aspektiven Dimension das periphrastische futur proche und eine «überkomponierte» formale Gestaltung offensichtlich nicht zusammen, also nicht *je suis allé(e) chanter → *j’ai été allé(e) chanter (die Bildung der einen Form legitimierte die der anderen). Von der grammatikalisierten Verbalperiphrase abzugrenzen sind dabei immer Konstruktionen, die ein nicht als Auxiliar zu interpretierendes Bewegungsverb einschließen, in denen also die Semantik von (je nach romanischer
|| 145 Cf. folgendes Beispiel (aus: «NOTE X. Sur la chanson 6. Spirito Gentil, & le personnage à qui elle est adressée» von Jacques François Paul Aldonce de Sade, Mémoires pour la vie de François Pétrarque, tirés de ses œuvres et de auteurs contemporains, Avec des Notes ou Dissertations, & les Pièces justificatives, vol 2, Amsterdam, Arskée & Mercus, 1764): «Le 29 Novembre étant à Gênes, où il apprit les mauvais bruits qui couroient sur le compte de Rienzi, il lui écrivit : ne me forcez pas à quitter ma lyre, sur laquelle J’ALLAI CHANTER vos louanges, pour faire une satyre contre vous» (meine Hervorhebung; Übersetzung aus dem Lateinischen: HANC MIHI QUOQUE DURISSIMAM NECESSITATEM EXIMO, NE LYRICUS APPARATUS TUARUM LAUDUM IN QUO QUIDEM, TESTE HOC CALAMO, MULTUS ERAM, DESINERE COGATUR IN SATYRAM).
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Einzelsprache) ⌐ aller ¬ etc. erhalten ist. Statt über einen Gebrauch des «passé récent» bzw. der entsprechenden Verbalperiphrase wie in *je suis venu(e) de chanter → *j’ai été venu(e) de chanter lässt sich andererseits die den formes surcomposées inhärente aspektive Komponente des «accompli/terminé/parachevé» intensivieren, indem auf eine Verbalperiphrase wie finir de (cf. supra) eine «Überkomposition» angewandt wird: Lorsqu’il a eu fini de chanter, il est rentré. Tatsächlich ist das gebräuchlichste Auftreten der formes surcomposées eines in Verbindung mit Verbalperiphrasen des Typs commencer à/de, finir par oder semantisch angrenzenden Verben wie achever de, arrêter de, in denen der ingressive oder konklusive, cessative etc. Aspekt betont wird.
7.7.2 Die «formes hypersurcomposées» In bestimmten volkstümlichen Varietäten der Suisse française (SF) existiert neben einem «gewöhnlichen» Passé surcomposé ein Passé surcomposé mit spezifischem Wert; es wird gebildet, indem die komponierten Formen gewissermaßen «überüberkomponiert» werden, z.B. (cf. Cornu 1953, 225–227): Mon père-gran A ZAU ZU IMPRONTAON capitô «Mon grand-père a [eu eu] emprunté (du temps où il vivait encore) un capital» (Recueil de morceaux choisis en patois de la SF, Vaud, La pinte où l’on va); A-t-on rein Z’ÂO Z’U VU de pe brâvo! «A-t-on jamais rien [eu eu] vu de plus joli!» (Conteur vaudois, 1883, n° 19; cf. Cornu 1953, 225). Die «formes hypersurcomposées» begegnen mit auffälliger Häufigkeit und im Grunde ausschließlich in der schweizerischen Waadt, wo sie sehr wahrscheinlich auch ihren Ursprung haben (Cornu 1953, 226 zitiert ein einzelnes Beispiel, das aus dem 18. Jahrhundert datiert146). Allerdings lässt sich nicht völlig ausschließen, dass sich sporadisch auch in anderen Varietäten des frankoprovenzalischen Gebietes aus Überkomposition hervorgegangene Formen finden, so dass als Wiege der «formes hypersurcomposées» der gesamte frankoprovenzalische Raum anzusehen ist. Den formalen Ursprung dieser «construction barbare» führt Cornu (1953, 226) auf komponierte Formen im Passiv der mundartlichen Varietäten der Waadt zurück, wobei das Passé composé il a été durch il est eu ersetzt wird (wie bei den reflexiven Verben des Passé surcomposé: je me suis eu assis). Wie il a été durch il est eu ersetzt wird, wird an Stelle von il a été aimé die Form il est eu
|| 146 Vo saray don, Messieu, ce vo plié d’acuta, / Que ma félie et cé cor SE SON ZAU ZU AMA… (Le conte de Craizu, Lutry, Vaud, BGl., 1906) «vous saurez donc, Messieurs, s’il vous plaît d’écouter, que ma fille et cet individu se sont aimés autrefois…».
620 | Tempus, Aspekt und Modus
aimé gebraucht. Die Entstehung der «hyperkomponierten» Formen lässt sich damit erklären, dass auf Grund der Häufigkeit der Formen des Passé surcomposé des Typs quand j’ai eu dit im gesprochenen Französisch und erst recht in den Mundarten das Partizip eu als spezifisches Merkmal der «überkomponierten» Formen überhaupt interpretiert wurde bzw. wird. Im Bewusstsein der PatoisSprecher der Waadt stellt il est eu aimé ein Passé composé dar, auf dessen Grundlage eine «überkomponierte» Form gebildet wurde, indem das Charakteristikum der Überkomposition hinzugefügt wurde: il est eu eu aimé. Von da aus hat sich diese Bildungsweise auf die mit avoir gebildeten Formen des Aktivs ausgedehnt, wobei die Ausweitung auf das Aktiv durch die reflexiven Verben begünstigt wurde. Solche Formen sind etwa il a eu eu vu, die damit eine doppelte Konstruktion zum Typ il a eu vu repräsentieren, die sich bereits vom Passé composé (il a vu) abheben. Neben dem Passé hypersurcomposé existiert im Patois der Waadt auch eine «überüberkomponierte» Variante des Plus-que-parfait mit im Vergleich zum Plus-que-parfait surcomposé spezifischen Wert, z.B.: Dou vîlhio z’amis qu’AVIONT Z’ÂO Z’U PASSÂ l’écoula einseimblio se reincontront y’a on part d’ans «Deux vieux amis qui (avaient eu passé) avaient fréquenté les mêmes classes se rencontrent il y a plusieurs années» (Conteur vaudois, 1888, n° 4); Sa fenna qu’AVÂI Z’ÂO Z’U ÈTÂ à maitré on municipiau… «Sa femme qui avait été bonne chez un municipal…» (Conteur vaudois, 1887, n° 35); L’AVAI Z’AU ZU ETA notéro… «il avait été notaire» (Jules Cordey, Por la veillâ, Lausanne, Payot, 1950, 143); ein Beispiel zum Plus-que-parfait hypersurcomposé im Passif: On gaillâ qu’avâi z’âo z’u ètâ recrutâ dein l’artiléri… «un gaillard qui avait été recruté dans l’artillerie…» (Conteur vaudois, 1887, n° 11) (cf. Cornu 1935, 231). Das Waadter Patois verwendet vorzugsweise den Infinitif hypersurcomposé zum Ausdruck der spezifischen Nuance der Vergangenheit: sè cognessont po S’ETRE Z’AO Z’U VUS «ils se connaissaient pour s’être déjà vus» (Conteur vaudois, 1893, n° 39) (cf. Cornu 1935, 235). Insgesamt schließt auch Cornu (1953, 235) bezüglich der Entwicklung der «überkomponierten» Formen (und insbesondere des Passé surcomposé) in den galloromanischen Mundarten, dass die Ausbreitung dieser Formen eng mit dem Rückgang des Passé simple und des Passé antérieur in Verbindung stehe. 147 Für die «überkomponierten» Formen gilt zum einen, dass die
|| 147 Diese These, wonach die Herausbildung der «formes surcomposées» mit dem geringeren Gebrauch des Passé simple und des Passé antérieur in unmittelbarem Zusammenhang stehe, wird vielfach vertreten: So wie Je mangeai durch J’ai mangé Konkurrenz erfahre, sei J’eus mangé durch J’ai eu mangé bedroht (so auch die Haltung in Riegel et al. 1994, 252, Rem.: «il [le
Die «formes surcomposées» | 621
französische Sprache diese «tenait en réserve dès le début», diese also den im System angelegten Möglichkeiten entsprechen; zum anderen, dass diese Formen «ne sont cependant entrées dans l’emploi que vers la fin du XIIIe siècle, lorsque le passé composé eut empiété sur le domaine du passé simple, et non pas à une époque antérieure pour l’expression de la priorité dans le temps de certains faits par rapport à d’autres, passés mais actuels» (Cornu 1953, 235; Hervorhebung B.K.).
7.7.3 Die «überkomponierten» Formen im «français populaire» Das Tempussystem des Standardfranzösischen liegt mit seinen elf Tempora des Indikativs über dem Durchschnitt (von etwa acht Tempora im Indikativ) – verglichen mit anderen indoeuropäischen Sprachen; es zeichnet sich ferner durch deutliche Unterschiede in der Bildungsweise aus (vor allem bei Passé simple, Passé antérieur und der sogenannten «zweiten Form» des Conditionnel passé). Dieses komplexe System wird im français populaire zu vereinfachen gesucht, indem einerseits nur eine geringere Zahl an Tempora zum Einsatz kommt, andererseits das Prinzip der Analogie Stück um Stück eine Stärkung erfährt (cf. Gadet 1992, 54–57) mit folgenden Tendenzen: 1) Das Passé simple kommt in der gesprochenen Sprache kaum mehr zum Zuge; zudem treten bei den noch gebräuchlichen Formen Bildungsprobleme auf: il s’enfuya statt il s’enfuit, il conquérit an Stelle von il conquiert, ils envahissèrent anstatt ils envahirent etc. 2) Passé antérieur und Conditionnel passé sind aus der gesprochenen Sprache im Grunde verschwunden. 3) Das Imparfait besitzt einen affektiven Gebrauch, der nicht nur für das français populaire, sondern auch und vornehmlich für das umgangssprachliche
|| passé surcomposé] est venu compléter le système des temps du passé depuis la disparition du passé simple de l’oral»). Gegen eine solche tentative Erklärung spricht allerdings, dass die «überkomponierten» Formen schon seit beginn des 13. Jahrhunderts belegt sind, als das Passé simple noch voll gebraucht wurde; ferner sind diese doppelt zusammengesetzten Formen in Dialekten usuell, in denen das Passé simple und auch das Passé antérieur als vital gelten können, etwa in Wallonien (cf. Grevisse 1993, §788, Hist.). Eine eventuell angemessenere Erklärung ist daher folgende, da sie den hinzutretenden aspektuellen Wert würdigt: «Il est donc préférable de penser que les temps surcomposés sont nés pour marquer l’accompli par rapport aux temps composés» (ibid.). Insgesamt werden die «formes surcomposées» oder «temps surcomposés» verstärkt seit dem 17. Jahrhundert gebraucht, stellen aber dennoch eher marginale Systeme dar.
622 | Tempus, Aspekt und Modus
Französisch charakteristisch zeichnet (cf. Grevisse 1993, §851, 5°) und hautsächlich im Umgang mit Kindern und Tieren Verwendung findet: Il avait mal à son doigt le bébé; häufig in Verbindung mit dem Personalpronomen on: On avait bien mangé sa pâtée. 4) Das Futur scheint trotz seiner Schwierigkeiten bei der Formenbildung in das System des français populaire gut integriert. Allerdings besteht eine Tendenz zur Reduktion der Bandbreite der Formen auf -erai, -irai oder -rai, indem ein Fall (der vom Präsens oder Infinitiv abgeleitet ist) verallgemeinert wird: je couvrerai, j’allerai, j’envoirai, je cuiserai, je mourirai, il voira, l’eau bouillira etc.148 Das Futur der Verben auf -ayer und -oyer wird häufig durch ein [j] kenntlich gemacht: je paierai [pejre], il aboiera [abwajra], was der Tendenz zur Regularisierung entspricht; bei den Verben der Gruppe auf -ir kann eine Gemination eintreten: [finirre]. Hier wie im Standardfranzösischen gilt, dass die Schwierigkeiten der korrekten Bildung der Verbalformen die analytische Tendenz in der Sprache insofern stärken, als mit dem periphrastischen Futur eine Konstruktion zur Verfügung steht, deren Bildung leichter zu handhaben ist (l’eau va bouillir). Allerdings wird die periphrastische Konstruktion aus aller + Infinitiv nicht von allen Sprechern als mit dem einfachen Futur äquivalent angesehen, wie dies in den Grammatiken der Fall ist, wo sie als eine gleichwertige tempusmarkierende, komponierte Form der gesprochenen Sprache eingeführt wird. Die Formen sind tatsächlich auf aspektiver Ebene nicht kongruent: Das mit aller gebildete periphrastische Futur drückt eine progressiv-prospektive Sicht aus (cf. Coseriu 1976, 124) und stellt im Unterschied zum einfachen Futur einen Bezug zum Sprecher her. 5) Der Gebrauch des Subjonctif ist im Grunde auf den Subjonctif présent und den Subjonctif passé begrenzt. Wie gewisse Hyperkorrekturen erkennen lassen, kann allerdings von einem Schwund aus dem System nicht gesprochen werden; im Gegenteil wird zuweilen sogar die Opposition zum Indikativ durch ein finales [j] deutlich zu signalisieren gesucht: que j’aye, qu’il soye, qu’ils croyent. Dieses [j] «tend à devenir une marque autonome de subjonctif» (Gadet 1992, 55), was wiederum eine Tendenz zur Regelmäßigkeit und Transparenz der Formen widerspiegelt. 6) Die Bildung der komponierten Zeitformen stellt für die Sprecher nur bedingt eine Schwierigkeit dar. Diese beruht gegebenenfalls zum einen auf der
|| 148 «C’est ici l’instabilité qui domine, sans qu’il soit facile d’établir si une formation est systématique chez un locuteur (a fortiori dans un groupe social), ou si elle relève du lapsus, ou encore de la variation stylistique» (Gadet 1992, 54, Anm. 2).
Die «formes surcomposées» | 623
Notwendigkeit der Kenntnis der unregelmäßigen Formen des Participe Passé, zum anderen und hauptsächlich auf der vorausgesetzten richtigen Wahl des Hilfsverbs, avoir oder être. Der Sprachgebrauch des populären Französisch zeigt hier gewisse Schwankungen (il est claboté, il a claboté); häufig ist auch eine Generalisierung zugunsten des Gebrauchs von avoir (j’ai resté toute la semaine au lit), namentlich bei den reflexiven Verben (je m’ai trompé, elle s’a donné un coup) festzustellen. Zum Tragen kommt darüber hinaus die Verallgemeinerung der semantischen Opposition zwischen avoir, das zum Ausdruck einer vergangen Handlung dient, und être, das einen aus einer voraufgehenden Handlung resultierenden Zustand beschreibt: il a divorcé gegenüber il est divorcé. Diese semantische Distinktion lässt sich ausweiten auf Fälle wie il a mouru vs. il est mort, il est mouru; il est bu ‘il est ivre’ vs. il a bu (cf. Gadet 1992, 55). 7) Der Accord des Participe Passé nach Genus und Numerus ist bei der Bildung der periphrastischen Tempora mit être weit zurückgedrängt (et pourquoi elle s’est ouvert / la porte?).149
7.7.4 Verbreitung der «formes (hyper)surcomposées» Es lässt sich beobachten (cf. die Studie von Holtus 1995), dass das Französische unter allen romanischen Idiomen die formes surcomposées bzw. deren jeweilige romanische Entsprechungen in den verschiedenen Zeitstufen am umfangreichsten zur Anwendung bringt. Folgende Übersicht (nicht belegt bzw. fraglich: ; einzig im Rumänischen vorhanden: ) versucht das Französische innerhalb der Gesamtromania bezüglich der Verbreitung der verschiedenen Typen an formes (hyper)surcomposées zu situieren.
|| 149 Dieselbe Tendenz gilt für avoir, was jedoch nicht als spezifischer Zug des français populaire zu werten ist, sondern als allgemeines Phänomen der gesprochenen Sprache (cf. Gadet 1992, 56).
624 | Tempus, Aspekt und Modus
Tab. 13: Les formes surcomposées (temps et modes) – Verbreitung (nach Holtus 1995, 108)150
Diatopische Variation
Galloroman. Varietäten
Rätoroman. Varietäten
Italoroman. Varietäten
Iberoroman. Varietäten
Ostroman. Varietäten
transitive Verben – «verbes actifs» Indicatif (Typ: J’ai eu chanté) Passé surcomposé
Sf, Df, Rf, FP, OBR, L, Fri
Di
C, Sp C
Plus-que-parfait Sf, Df, Rf, O surcomposé
BR, Fri
Di
Futur antérieur surcomposé
Sf, Rf, O
BR, Fri
Di
Passé antérieur surcomposé
Sf, Df, O
Conditionnel Sf, Df, Rf, FP, OFri passé surcomposé
Ru
Di
Voix passive (Typ: J’ai eu été nommé) Passé surcompo- Sf, Df, O sé indicatif
BR
Plus-que-parfait Sf, O, FP surcomposé (inc. hypersurcomposé)
Di
Subjonctif Passé surcomposé Sf, O
BR, Fri
Plus-que-parfait Sf, Rf, FP, O surcomposé
BR, Fri
Ru Di
Infinitif Passé surcomposéSf, Rf, O
BR, Fri
Di
|| 150 Holtus (1995) bezieht folgende romanische Sprachvarietäten in seine Studie ein: Französisch (Standardsprache, französische Dialekte, Français régional), Frankoprovenzalisch, Okzitanisch (Galloromania); Italienisch (vor allem oberitalienische Dialekte); Bündnerromanisch, Ladinisch, Friaulisch (Rätoromania); Rumänisch; Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch (Iberoromania). Für das Portugiesische finden sich allenfalls Hinweise auf die Verwendung der Formen, so offensichtlich ausschließlich im mündlichen Sprachgebrauch, ohne dass schriftlichen Belege unmittelbar zugänglich wären. Die Frage der Klassifikation soll hier nicht interessieren (cf. dazu Lüdtke 2001b).
Die «formes surcomposées» | 625
Tab. 13 (Fortsetzung)
Diatopische Variation
Galloroman. Varietäten
Rätoroman. Italoroman. Varietäten Varietäten
Iberoroman. Varietäten
Ostroman. Varietäten
Participe Passé surcomposé Sf, O
BR, Fri
Di
Voix passive Passé surcomposé O Verbes pronominaux (Typ: Je me suis eu assis) Vorkommen
Sf, Rf, FP, O
Di
Intransitive Verben – «verbes neutres» (Typ: J’ai été allé) Vorkommen
Sf, Df,Rf, FP
Ru (Typ: Je suis été entré)
Vorkommen
Rf, O
Vorkommen
Rf, FP
BR
dialetti ladino veneti
Ru (Konj.)
Formes hypersurcomposées
Impératif Passé surcomposé ?
?
?
?
?
Bezeichnung
Bünderromanisch (BR)
(ober)ital. Dialekte (Di)
Katalanisch (C)
Rumänisch (Ru)
Standardfrz. (Sf) frz. Dialekte (Df) Français régional (Rf) Frankoprovenzalisch (FP) Okzitanisch (O)
Ladinisch (L) Friaulisch (Fri)
Spanisch
(formale Entsprechung, (Sp) (Vorkommen funktional allg. einge- wie Plusquamperfekt) schränkt) [Portugiesisch (Pt)]
Die Zusammenschau des Auftretens der «(über)überkomponierten» Formen mit Bezug auf die Romania macht für mich folgendes ersichtlich: Das Französische ist die einzige Standardvarietät, die die Formen umfassend ausgebaut hat und auch zur Anwendung bringt. Fast alle Felder (mit Ausnahme des Subjonctif passé surcomposé passif sowie des Sondertyps Je suis été + PP («verbe neutre»))
626 | Tempus, Aspekt und Modus
sind in der Standardsprache belegt (abgesehen vom ohnehin bezüglich Bildung und Gebrauch fragwürdigen Imperativ, für den es keine Bezeichnungsnotwendigkeit geben dürfte)151 und auch die formes hypersurcomposées sind zumindest im français régional vertreten. Betrachtet man die typologische Entwicklung der romanischen Sprachen, ist das Französische diejenige Standardsprache, die sich am weitesten vom «romanischen Typus» nach Coseriu (1971) entfernt (cf. Kap. 3.7.3) und ein eigenes typologisches Prinzip entwickelt hat. Zu beobachten ist auf Grund der sprachlichen Daten also immerhin eine starke Tendenz zur Analyse bis hin zu Formen wie quand il a eu été terminé, il a eu eu vu etc. Zu den Restriktionen in den anderen romanischen Sprachen, die die augenfälligen Divergenzen in Norm und System erhellen können, müssten eigene Untersuchungen angestellt werden. Die Sonderstellung des Französischen – mitunter eine typologisch bedingte – zeichnet sich aber auf diesem Hintergrund umso klarer ab.
7.7.5 Aspekt und Verbsemantik Auch die Semantik eines Verbs per se kann dessen aspektiven Gehalt bedingen: So impliziert z.B. das inchoative Verb se liquéfier einen Übergang in einen Zustand ebenso wie tarir (‘versiegen (lassen)’), grandir, rougir (‘devenir rouge’; analog bei anderen von Farbadjektiven abgeleiteten Verben). Verben wie éclater, exploser, mourir, sursauter, trouver wiederum bezeichnet eine im Moment bereits vollendete Handlung, wohingegen der Aspekt der Dauer durch Verben wie attendre, posséder, réfléchir angezeigt wird (cf. Grevisse 1993, §744, e). Spezifischere verbale Formen, die an die Stelle eines prädikativen Ausdrucks wie devenir rouge etc. treten können, sind Verbindungen aus den folgenden Verben und nachstehendem Prädikat: se faire (vieux), tomber (malade, amoureux), passer (capitaine), tourner à (l’orage). Wie devenir präzisieren diese Verben den relationellen Gehalt der kopulativen Verbindung im Vergleich zu être in aspektivem Sinne. Dieser beruht in den genannten Fällen auf der Kenn|| 151 Bei den sprachlichen «Lücken» lassen sich verschiedene Typen differenzieren: Wenn beispielsweise im romanischen Verbalsystem das Französische in der primären Perspektive (Ebene der inaktuellen Zeit) im Vergleich zum Portugiesischen eine Leerstelle aufweist, da kein einfach gebildetes Plusquamperfekt zur Verfügung steht (cf. port. fizera – fazia – faria gegenüber frz. *__ – je faisais – je ferais), so handelt es sich hier um eine andere Art der «Leerstelle» als bei lediglich in der Norm unrealisiert gebliebenen, im Rahmen der Möglichkeiten des Sys-
tems aber bildbaren Formen wie z.B. beim Subjonctif surcomposé passif, der in der Norm des Standardfranzösischen nicht vertreten ist (cf. zur Problematik auch Geckeler 1977).
Die «formes surcomposées» | 627
zeichnung des Eintritts in einen Zustand. Demgegenüber kehren demeurer und rester das Anhalten bzw. die Dauer der prädikativen Relation hervor. Zusätzlich kann der Aspekt durch verschiedene aspektive Adverbien ausgedrückt werden (cf. Grevisse 1993, §965); letztere integrieren in der Regel eine temporale und eine modale Komponente und können Bedeutungsmerkmale wie Abruptheit, Dauer, Wiederholung etc. zur Geltung bringen: aussitôt, immédiatement, incontinent (‘tout de suite, sur-le-champ’), incessament, soudain, longtemps, toujours,152 literarisch oder veraltet derechef (‘une seconde fois; encore une fois’), parfois, quelquefois, souvent. Daneben existieren zahlreiche adverbielle Fügungen: tout de suite, tout à coup, sur-le-champ, sur l’heure, sans délai, tout le temps, de nouveau, à nouveau, de temps en temps, de suite etc.153 Solche Umstandsbestimmungen der Zeit drücken vielfach den iterativen Aspekt aus (il vient souvent).154 Ferner kann das Vorkommen eines Objekts (cf. supra) die Aspektbedeutung der durch das Verb implizierten Handlung modifizieren, indem diese als eine inhärent telische dargestellt wird und somit einen gewissermaßen natürlichen Endpunkt erhält (cf. Elle écrit un roman).
7.7.6 Der Aspekt im paragrammatischen System des Französischen Die Kategorie Aspekt lässt sich auf lateinischer Grundlage differenzieren in die Wortbildungsbedeutung der (einfachen) Wiederholung (Semelfaktivität) sowie die der mehrfachen Iteration bzw. Frequentativität; beide Bedeutungstypen haben in den romanischen Sprachen eine unterschiedliche Entwicklung eingeschlagen (cf. Lüdtke 1996a, 247; zum Verbalnumerus Coseriu [1955]/1987, 29). Allgemein kommt die Wiederholung in den romanischen Sprachen mit Ausnahme des Rumänischen durch Weiterführungen des Präfixes RE- zum Ausdruck (cf. REFACERE)155: frz. refaire ‘wieder machen’; it. rifare; okz./kat. refer; sp.
|| 152 Toujours kann die Fortdauer einer Tatsache anzeigen; es entspricht dann encore oder einer Umschreibung mit continuer à: Jacques dormait toujours et la bonne aussi (Duras; cf. Grevisse 1993, §967, e). 153 Zu den spezifischen Eigenschaften einiger der aufgeführten Adverbien bzw. adverbiellen Fügungen cf. Grevisse (1993,1437–1442, §967). 154 Cf. Grevisse (1993, 1437–1441, §967) zum Gebrauch bestimmter Adverbien mit aspektivem Wert. 155 Die Bedeutung der Wiederholung wird im Übergang zum Romanischen formal deutlicher gestaltet als im Lateinischen, so dass nicht REFICERE, sondern ein abgewandeltes REFACERE zugrunde zu legen ist (cf. Lüdtke 1996, 247).
628 | Tempus, Aspekt und Modus
rehacer; port. refazer. Im Iberoromanischen ist der paragrammatische Ausdruck der Wiederholung eingeschränkt, da dieser Inhalt vorrangig durch Verbalperiphrasen vermittelt wird: sp. volver a, tornar a + Inf.; kat. tornar a + Inf.; port. voltar a, tornar a + Inf. ‘wieder’. Diese grammatikalisierten Konstruktionen bringen das periphrastische Prinzip voll zur Entfaltung und geben über den Sprachtypus Aufschluss. Die Frequentativität drückte das Lateinische mittels des Suffixes -IT- (LECTITARE ‘eifrig lesen’) aus; dieses findet jedoch keine regelmäßige Fortsetzung in den einzelnen romanischen Idiomen. Stattdessen übernimmt die Diminutivierung von Verben diese Funktion.156 In den romanischen Sprachen finden sich analog die lexikalischen Oppositionen der verbalen Diminutive wie frz. sauter ‘springen’ – sautiller ‘hüpfen’ oder sp. besar ‘küssen’ – besuquear ‘abküssen’. Die engen Bezüge zur Dimension der Dauer ergeben sich aus der einheitlichen Erfassung einer (mehrfach) wiederholten Handlung als einer insgesamt durativen, während sich eine semelfaktive wiederum im Sinne einer momentanen darstellen kann. Damit lässt sich schließen, dass der Ausdruck der aspektuellen Dimension im Übergang vom Latein zum Romanischen von der lateinischen Verbbildung auf die romanisch typischen Verbalperiphrasen übergegangen ist. Hier ist der Ausdruck des Aspekts ein eigenes sprachliches Verfahren; nicht so bei den sich als Sekundärbedeutung der Präpositionen einstellenden Diskursbedeutungstypen im Rahmen der Situierung (Kap. 9) und bei den transponierten Verben, als deren Grundlage eine präpositionale Fügung dient.
7.7.7 Das Suffix -BILIS im Französischen 1) Transitive und intransitive verbale Basis Die Frage wurde aufgeworfen, inwiefern die Kategorie Modus in der Paragrammatik Eingang findet, wobei auf Bildungen wie mangeable, éligible hingewiesen wurde. Zur Debatte stehen hier in der Regel deverbale Adjektivbildungen mittels des Suffixes -ble, das in der heutigen Gemeinsprache des Französischen vornehmlich in der Variante -able (< lat. -ABILEM), in geringerem Maße in der von
|| 156 Daneben erfolgt eine Paragrammatikalisierung des griech. Suffixes -ιζ- (adaptiert als -IDIA-), das jedoch nur mit Einschränkungen die Funktionen der mehrfachen Iteration und Frequentativität erfüllt. Vergleiche etwa sp. rasguear ‘(die Gitarrenseiten) leicht anreißen’, gotear ‘tropfen’, cojear ‘hinken’ (letztere beide als Entwicklungen, nicht Modifizierungen) (cf. Lüdtke 1996a, 247).
Die «formes surcomposées» | 629
-ible (in vlat. Zeit von -ABILEM stark konkurrenziert) produktiv ist; allerdings dokumentieren die Wörterbücher nicht sämtliche Bildungen. Der hier angesprochene Bereich der Adjektivierung zeigt eine klare Zweiteilung in einen denominalen Bereich mit denominalen Suffixen und einen deverbalen Bereich mit deverbalen Suffixen; diese Beobachtung lässt sich als Grundsatz fassen (cf. Lüdtke 1996a, 256): «Die Betrachtung der adjektivbildenden Suffixe zeigt, dass sie sich recht klar in deverbale und denominale aufteilen, wobei die Überschneidungen des einen Bereichs mit dem anderen relativ geringfügig sind. So unterscheiden sich also die im Allgemeinen attributentwickelnden denominalen Suffixe in funktioneller Hinsicht von den subjektbezogenen deverbalen Suffixen» (cf. auch Laca 1986; Staib 1988). Die im Rahmen eines paragrammatischen Ansatzes als subjektbezogen zu bezeichnenden deverbalen Adjektivbildungen (z.B. durable, analysable) können weitere Bestimmungen wie ‘aktiv’, ‘passiv’, ‘Möglichkeit’ enthalten. Unter diesen zusätzlichen Determinierungen, die analogen syntaktischen bzw. grammatischen Funktionen entsprechen, soll im Folgenden die der Möglichkeit näher betrachtet werden.157 Dabei können bei der subjektbezogenen Adjektivierung die weiteren Bestimmungen (also [AKTIV], [PASSIV], [MÖGLICHKEIT]) in unterschiedlichen Konstellationen auftreten: Am häufigsten erscheint die Kombination aus [PASSIV + MÖGLICHKEIT] (paraphrasierbar als ‘qui peut être Vpp’: discutable etc.), seltener die von [AKTIV + MÖGLICHKEIT]: convenable, périssable, secourable, valable cf. Grevisse 2011, §169, 1.) Die identifizierte Funktion ‘possibilité d’être’ richtet sich auf die potentielle Durchführbarkeit einer Handlung mit Bezug auf ein bestimmtes Objekt. Diese Funktion ist eng an die wortkategorialen bzw. syntaktischen Eigenschaften der Basis geknüpft, die mehrheitlich von (hauptsächlich transitiven) Verben gebildet wird, cf.: faisable, acceptable, maniable; lisible;158 auch mit sekundärem Verb als Grundlage décapotable (< dé-capoter), prévisible (pré-voir), rééligible (ré-élire) sowie mit negierendem Präfix in-, das sich vornehmlich an sekundäre
|| 157 Während im Französischen -able/-ible prinzipiell sowohl zum Ausdruck der aktiven wie der überwiegenden passiven Möglichkeit dient, wird im Italienischen auch formal zwischen den diathetischen Funktionen klar differenziert: So dient -evole zum Ausdruck der aktiven (incantevole ‘bezaubernd’), -abile/-ibile zum Ausdruck der passiven Möglichkeit (cantabile ‘singbar’) (weniger eindeutig ist die Unterscheidung im Katalanischen). Die gelehrte Form ist allgemein die häufigere: frz. acceptable, kat. realitzable, sp. creíble (zum Portugiesischen und Rumänischen cf. ferner Lüdtke 1996a, 257–258). 158 Letztere Bildung lässt erkennen, dass als zusätzliche semantische Komponente die Bestimmung der durch das Verb implizierten Handlung als einer mit leichter Umsetzbarkeit hinzutreten kann; ebenso bei compréhensible, influençable u.a.
630 | Tempus, Aspekt und Modus
Adjektive auf -able bindet: inaliénable, incessable, incroyable, intolérable, invraisemblable etc. (cf. Weidenbusch 2002, 227ss. bzw. Thiele 21985, 108–110).159 Die Suffixvariante -ible (< lat. IBILIS)160 bildet entsprechende Adjektive, die ebenfalls eine passive Möglichkeit implizieren, wobei als Basis aus dem Lateinischen entlehnte Verben in Frage kommen; die Formen des Verbums gehen auf den Infinitiv (amovible < lat. AMOVERE, compatible < lat. COMPATI) oder auf das Partizip Perfekt zurück (conductible < lat. CONDUCTUS, transmissible < lat. TRANSMISSUM, Supinum von TRANSMITTERE). In bestimmten Fällen findet sich auch ein Adjektiv auf -ible, das primär auf ein bereits existentes Substantiv des Französischen, teilweise auf -ion (extractible ← extraction), zurückgeht, z.B. pénible (< peine). Das Suffix -ible bildet zuweilen aber auch Adjektive auf der Grundlage eines französischen Verbs: lisible (< lire), traduisible (< traduire), nuisible (< nuire). In manchen Fällen wurden dabei Formen auf -able durch solche auf -ible verdrängt: lisable – lisible, nuisable - nuisible. Umgekehrt hat négligeable die Form négligible ersetzt.161 Das Problem der dem Verfahren zuzuschreibenden Funktion bzw. Funktionen betrifft die semantischen, genauer grammatischen Bestimmungen einerseits der implizierten Möglichkeit der Ausführbarkeit der durch das Verb bezeichneten Handlung, andererseits die auf dem (in der Regel) transitiven Charakter der Basisverben beruhende potentielle passive Gerichtetheit dieser möglichen Handlung. Die Paraphrase ist also grundlegend zunächst eine passive modalisierte. Es wäre zu hinterfragen, ob die passive Handlungsorientierung eine notwendige Bestimmung der dem Verfahren zugrunde liegenden Funktion darstellt oder ob nicht die modale Funktion des Suffixes (und seiner Varianten) als ein-
|| 159 Zuweilen ist allein das negierte Element, nicht aber die positive Form im Wortschatz enthalten, cf. insatiable/*satiable (Thiele 21985, 109 nennt als ein weiteres solches Oppositionspaar infatigable/*fatigable; letzteres (< lat. FATIGABILIS) wird aber von G.R. 2011 sowie P.R. 2012 s.v. verzeichnet). 160 Die Variante -uble wiederum verbindet sich ausschließlich mit einigen wenigen gelehrten Wörtern, z.B. soluble, dissoluble, hydrosoluble, indissoluble, insoluble, liposoluble, résoluble. Zu den morphophonemischen Bedingungen der komplementären allomorphischen Distribution cf. Thiele (21985, 109), wobei die konstatierbaren Regularitäten Affinitäten zu den Nominalisierungen auf -ion, -age und -ement aufweisen. So wird das Suffix -ible an den Stamm der entsprechenden Prädikatnominalisierungen angefügt: corruptible, fusible, admissible, accessible, submersible, réflexible, perceptible, (prév)isible etc. 161 Miteinander konkurrierende Vorkommen sind auch heute noch anzutreffen: So wird inaccessible ‘qui ne peut être atteint’ (ohne Verfügbarkeit einer entsprechenden verbalen Basis in der französischen Gemeinsprache) zuweilen durch inatteignable (mit verbaler Basis atteindre im Französischen) ersetzt.
Die «formes surcomposées» | 631
heitliche Funktion hinreicht (die Modalität ist immer beteiligt). Dies gerade weil – vom Standpunkt der Grammatik aus – die Bildungen auf -ble funktional durchaus mit den Möglichkeiten der Passivierung des französischen grammatischen Systems zu korrelieren sind (cf. insbesondere Riegel et al. 1994, 442–444). Für die Annahme einer solchen restringierten Semantik des Verfahrens, die sich auf den modalen Aspekt konzentriert, spräche zumindest, dass sich die potentielle Menge der Verben, die als Basis der Suffigierung dienen können, nicht ausschließlich aus transitiven Verben rekrutiert, sondern auch intransitive Verben (sowie denominale Ableitungen) zulässt. Die Adjektivbildungen mittels -ble lassen sich entsprechend danach klassifizieren, ob die Bedeutungsparaphrase ein primär transitiv oder intransitiv verwendetes Verb enthält, z.B. pardonnable ‘qui peut être pardonné’ bzw. nuisible ‘qui nuit’ bzw. ‘qui peut nuire’ (cf. Thiele 21985, 108–110): 162 Über ein intransitives163 Verb lassen sich die folgenden Ableitungen fassen: durable ‘de nature à durer longtemps’ (durer); 164 convenable ‘qui convient’ (convenir),165 valable ‘à quoi on reconnaît une valeur’ (valoir); périssable ‘qui est sujet à périr’ (périr; ursprünglich ‘qui fait périr’); nuisible ‘qui nuit’ (nuire à); disponible ‘dont on peut disposer’ (mlat. DISPONIBILIS < DISPONERE ‘disposer de’), flottable ‘sur lequel du bois peut flotter; qui peut flotter’ (flotter), navigable ‘où l’on peut naviguer’ (< lat. NAVIGABILIS; cf. naviguer), responsable ‘qui doit répondre de ses actes’ (répondre de).
|| 162 Die Formen irrémédiable und das weniger gebräuchliche remédiable sowie (être) susceptible (de) sind aus dem Lateinischen (IRREMEDIABILIS, SUSCEPTIBILIS) entlehnt. 163 Als «intransitiv» werden hier solche Verben bezeichnet, die entweder ein indirekt konstruiertes Objekt (nuire à) zu sich nehmen oder auch ohne Objekt, also «absolut» gebraucht werden können (etwa vivre). 164 Cf. Lüdtke (1996a, 256, 257) zur subjektbezogenen Adjektivierung: «Eine Kontinuität der aktiven Bedeutung besteht bei -BILIS (CANATBILIS), das aber doch mehrheitlich passive Bedeutung hat». Abgesehen von der Subjektbezogenheit im Aktiv wird auch hier auf die in -BILIS enthaltenen weiteren «idiosynkratische[n] Bestimmungen» (cf. frz. durable) hingewiesen. 165 Das negierte Element lautet hier nicht (bzw. unangemessen so, cf. G.R. 2011, s.v., wo es als vieux markiert wird) *inconvenable, sondern inconvenant. Zuweilen können Überschneidungen der Funktionsbereiche bei (aktivischen) Bildungen auf -able mit nominaler Grundlage und Bildungen auf der Grundlage des Präsenspartizips festgestellt werden, cf. effroyable ‘qui remplit d’effroi’ (Basis effroi) gegenüber effrayant ‘qui inspire ou peut inspirer de la frayeur, de l’effroi’ (< effrayer).
632 | Tempus, Aspekt und Modus
Mittels eines transitiven166 Verbs lassen sich beispielsweise umschreiben:167 calculable, pardonnable, adorable, lavable, mangeable, défendable, tenable,168 vendable, punissable, connaissable, croyable, faisable, guérissable, haïssable (‘qui mérite d’être haï’169), mettable, saisissable; convertible, corrigible, divisible; traduisible, lisible; éligible. In Fällen der semantischen Transposition (und Fixierung) ist eine Bestimmung der Bedeutung des mittels -ble neu gebildeten Adjektivs im Rahmen der Wortbildungsbedeutung erschwert oder gar nicht zu leisten. Die semantische Transposition lässt sich dadurch nachweisen, dass ein Adverb gebildet werden kann: So setzt beispielsweise die Bildbarkeit von considérablement zu considé-
|| 166 Unter «transitiv» verstehe ich hier eine direkte Transitivität in dem Sinne, dass sich das Verb notwendig mit einem direkten (Akkusativ-)Objekt verbindet (etwa suivre qn), also nicht absolut gebraucht wird und auch nicht eine indirekte Konstruktion (wie bei nuire à qn) nach sich zieht. 167 Bei gelehrten lateinischen Stämmen als Basen (als Suffixvariante dient dann -ible) liegen unterschiedliche Grade der Dissoziation vor, cf. disponible zu disposer, éligible zu élire, viable zu vivre etc., wobei es auch vorkommt, dass im Französischen kein entsprechendes Verb verfügbar ist (Suppletion) wie etwa bei audible zu entendre. Daher ist prinzipiell mit der Möglichkeit zu rechnen, dass einer Bildung keine eigene verbale Grundlage entspricht, diese aber potentiell bildbar wäre. So etwa bei ministrable ‘susceptible de devenir ministre’, für welches in der Norm keine Basis *ministrer zur Verfügung steht; oder bei cyclable: *cycler ‘faire du vélo’ ist zwar historisch belegbar, aber als Verb der aktuellen Synchronie des Französischen nicht existent. Ferner sind bestimmte Bildungen synchronisch nicht mehr motiviert, d.h. die Ableitungsbeziehung zwischen Grundlage und Wortbildungsprodukt ist verdunkelt bzw. «undurchsichtig». Isolierte Basen liegen vor bei possible (< lat. POSSE), potable (< lat. POTARE). 168 Die (veraltende positive) Bedeutung ‘que l’on peut tenir’ (milit. Kontext) konkurriert hier mit ‘où l’on peut se tenir’ (immer negiert), z.B. Ce n'est plus tenable, nous grillons, dit Gervaise en s'essuyant la figure (Zola, l'Assommoir, vol. 1, 183., cf. G.R. 2011 s.v.; cf. intenable). 169 Für Bildungen wie haïssable ‘qui mérite d’être haï’, exécrable (< lat EXECRABILIS) «qu’on doit exécrer», détestable (< lat. DETESTABILIS) ‘qu’on doit détester’ (allerdings ist diese Bedeutung obsolet), abominable (< lat. ABOMINABILIS) ‘qui mérite d’être abominé’ etc., die vornehmlich eine ablehnende Haltung bzw. ein eindeutig negatives Werturteil gegenüber dem Bezugsgegenstand suggerieren, lässt sich an Stelle des modalen Wertes, der auf einer Potentialität beruht, auch die Funktionsbestimmung im Sinne einer Notwendigkeit vertreten (cf. Weidenbusch 2002; Thiele 21985, 110 in Bezug auf détestable, haïssable, insupportable, die sich mit Hilfe des Lexems mériter fassen lässt (cf. méprisable ‘qui mérite le mépris’). Vergleiche andererseits auch wertneutrales responsable ‘qui doit répondre de ses actes’ sowie comptable ‘qui a des comptes à rendre’. Die Umschreibung mit Semantemen, wie sie in mériter enthalten sind, ist häufig anzutreffen, vornehmlich bei einer implizierten positiven Bewertung: honorable (< lat. HONORABILIS) ‘qui mérite d’être honoré’, respectable ‘qui mérite du respect’, admirable (< lat. ADMIRABILIS) ‘d’une qualité digne d’admiration’, estimable ‘digne d’estime’, recommandable ‘digne d’être recommandé’ etc.
Die «formes surcomposées» | 633
rable die semantische Transposition voraus. Entsprechend lässt sich die Bedeutung von considérable nicht umschreiben als ‘qui peut être considéré’, sondern die implizierte Bedeutung ist ‘très important’. Adjektive auf -ble, die auf die verbale Funktion der Basis zurückführen (und eine Wortbildungsbedeutung ‹qui peut être Vpp› zulassen), sind dagegen nicht adverbialisierbar. Auch andere Typen von sekundären Adjektiven, deren zugrunde liegende Wortbildungsverfahren transparent sind, widerstehen in der Norm der Adverbialisierung. Dies gilt neben den deverbalen Adjektiven, cf. z.B. courir ‘laufen’ → courant ‘üblich, gebräuchlich’ → couramment ‘üblicherweise, häufig’ und nicht ‘*in laufender Weise’, für die denominalen, cf. présidentiel, die zusammengesetzten wie aigre-doux und die modifizierten Adjektive mit diminutiver Funktion. So lässt sich etwa présidentiellement nicht in Referenzwerken wie dem G.R. oder TLFi finden, wohl aber in gewissen Internetschlagzeilen, z.B. Sarkozy-DSK, le duel présidentiellement vôtre …,170 als Satzadverb in présidentiellement parlant, als modifizierendes Adverb in Verwendungen wie La France n’est-elle pas déjà présidentiellement rayonnante?, Hollande présidentiellement mort u.a. Diese Verwendungsweisen in der Rede erscheinen vielfach pointiert und heben sich also durch den innovativen Charakter stilistisch von der Normbedeutung ab, weisen zugleich aber auf die virtuellen Möglichkeiten des Systems hin. Analoges gilt für Diskursbedeutungen wie ça rigole aigre-doucement; sourire, répondre aigre-doucement (bei gleichzeitiger Verwendung des passé simple) etc., wie sie sich im Sprachgebrauch des Internets ebenfalls einschleichen (cf. supra Kapitel 1.7 zu Sprachtypus und Standardsprache). Auch in Bezug auf Farbadjektive weist das System des Französischen durch (noch) nicht traditionell gewordene Realisierungen wie grisement, aber auch Konstruktionen wie ‹Farbadj + -âtre + -ment› über die Norm hinaus: «leur usage, issu d’un esprit créatif, est présent dans la langue, et non point uniquement dans la langue poétique […] Loin de se soumettre à la norme, l’esprit créatif plonge dans l’univers coloré pour nous offrir un coloris catégoriel […] Nous constatons même des réactions plus transgressives dans l’adverbialisation des adjectifs de couleur suffixés -âtre dans les exemples suivants: les plantes sont olivacées, seulement les tiges reluient rougeâtrement ou rougeâtre-brûnatrement [sic] a [sic] travers les feuilles; A l’heure où Lance Armstrong parade jaunâtrement sur les Champs-Elysées, le Hamuta Stadium ouvre ses vannes à des champions qui ; le monsieur âgé de quatre-vingt-douze ans se plaint verdâtrement auprès du psychiatre» (Mora Millan 2005, 227–228; 239, Anm. 26), wobei das français familier als Sprache des Internets zukunftsweisend sein kann. || 170 Actualité publiée le mardi 22 juin 2010 sur http://www.slate.fr.
634 | Tempus, Aspekt und Modus
Resümierend kann festgehalten werden, dass sich die Bedeutung der Bildungen mittels -ble im Französischen bei transitiv-verbaler Basis systematisch mit einer passiven Handlungsorientierung korrelieren lässt. Die diathetische semantische Bestimmung ist dabei für das Verfahren nicht unabdingbar: Das Vorkommen zugrunde liegender intransitiver Verben (cf. nuisible) trotz Gewährleistung einer einheitlichen Wortbildungsfunktion (für transitive und intransitive Verben) lässt die Passivität als eine für das Verfahren nicht konstitutive Restriktion erkennen. Die für die Entwicklung von Adjektiven aus Verben mittels des Suffixes -able/-ible im Französischen angenommene einheitliche Wortbildungsfunktion lässt sich genauer als ‘Möglichkeit’ (eventuell ‘Notwendigkeit’ als alternative modale Funktion) mit Bezug auf die Ausführung der durch das Verb bezeichneten Handlung fassen und kann paraphrasiert werden als ‹qui peut V›. Die durch das Wortbildungsverfahren zum Tragen kommende Funktion, die eine passive Möglichkeit impliziert, kann als in dieser allgemeineren Funktion enthalten angesehen werden, ohne von zwei homonymen Suffixen und entsprechenden Funktionen (aktive und passive Möglichkeit) ausgehen zu müssen. Die gemeinsame Funktion spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass einige der Wortbildungsprodukte auf -ble diathetisch zweiwertig funktionieren, indem ihnen sowohl eine passive wie eine aktive Bedeutung zukommt (etwa bei sensible ‘qui peut être senti’ bzw. ‘qui peut sentir’). Auf denominale Bildungen komme ich im Folgenden zu sprechen. 2) Nominale Basis Die Ableitungen mittels -able/-ible im Französischen lassen mit Blick auf die wortkategoriale Bestimmung der Grundlage neben transitiven und intransitiven Verben auch den selteneren Fall einer nominalen Basis zu, so beispielsweise bei ministrable ‘susceptible de devenir ministre’ (< ministre). Thiele (21985, 116) nimmt zur semantischen Bestimmung der denominalen Bildungen im Vergleich zu den deverbalen als syntaktische Grundlage die Konstruktion ‹avoir + Nobj› an; die Bedeutung von confort-able ließe sich demnach umschreiben als ‘qui a du confort’. Neben der Bedeutung ‘qui a …’ findet sich seltener auch die Bedeutung ‘qui donne’ bzw. ‘(qui est) enclin à’, z.B. pitoyabel ‘qui est enclin à la pitié’. Dieser Kategorie, in der das Suffix (vornehmlich in der Varianten -able) auf das Zutreffen einer von der nominalen Basis implizierten Eigenschaft verweist, gehören z.B. an: charitable ‘qui a de la charité’ (< charité), équitable ‘qui a de l’équité’ (< équité), raisonnable ‘qui a de la ’aison» (< raison); effroyable ‘qui donne de l’effroi’ (< effroi), rentable ‘qui donne une rente’ (< rente), pénible ‘qui donne de la peine’ (< peine). Auf Grund der Tatsache, dass die Grundlage als
Die «formes surcomposées» | 635
Nomen kategorisierbar ist, kommt eine passive Bedeutung nicht mehr unmittelbar in Frage. Eine einheitliche Wortbildungsfunktion kann dann angenommen werden, wenn sich die Bedeutung ‹qui a N›, die durch das Suffix -able/-ible kategorial als eine Eigenschaft erscheint, der oben beschriebenen und als bisherige Funktion vorausgesetzten Bedeutung subsumieren ließe. Da allerdings ‹qui a N› nur selten interpretiert werden kann als ‹qui peut avoir N›, um eine modale Funktion aufrechtzuerhalten, bei einer verbalen Grundlage jedoch grundsätzlich von einer modalen Funktion ausgegangen werden kann, sollte hier nicht gleichermaßen von einer modalen Funktion die Rede sein. Daher bieten sich aus funktioneller Sicht zwei Deutungsmöglichkeiten an: Entweder ist mit der Existenz zweier homonymer Suffixe zu rechnen, die sich mit unterschiedlichen Bedeutungen verbinden, wonach etwa -ble1 im Französischen eine (passive) Möglichkeit (selten eine Notwendigkeit) in Hinblick auf eine Handlung bezeichnet, während -ble2 auf eine auf ein Nomen bezogene Eigenschaft verweist. Oder aber es wird eine einzige polyseme Suffixvariante -ble1/2 zugrunde gelegt, die zwei divergente Bedeutungen in sich vereint. Unter letzterer Annahme wäre also das Problem zu lösen, die den «Modaladjektiven»171 zugeschriebene, funktionell konstitutive modale Komponente auch in einer Bedeutung wie ‘qui a du confort’ etc. aufzuzeigen. Es scheint allerdings, als gingen Paraphrasen wie ‘qui peut offrir du confort’ über die durch das Wortbildungsverfahren implizierte Wortbildungsbedeutung hinaus. Für die Suche nach den im Französischen verfügbaren Mitteln der Kennzeichnung von Modalität in Grammatik und Paragrammatik kämen (synchronisch gesehen) lediglich die Bildungen auf verbaler Grundlage in Frage. Insgesamt lässt sich der Typ der Adjektivierung im Rahmen des Wortbildungsprozesses der Transposition/Entwicklung als eine systematische paragrammatische Möglichkeit zum Ausdruck primär der Kategorie Modus, in zweiter Linie der des Passifs betrachten, was eine Zuordnung der -able/-ibleBildungen nach inhaltlichen Kriterien unter die passiven Verfahren des Französischen nicht auszuschließen braucht.172 || 171 Ein zuweilen, aber uneinheitlich gebrauchter und nicht klar definierter Begriff; modale Adjektive oder Modaladjektive des Deutschen wären solche wie kommunikations-, interaktionsfähig, also mit Hilfe des Elements -fähig gebildete sekundäre Adjektive (siehe dazu Kulakov 2007). Ein Modaladjektiv des Englischen wäre etwa impossible (allgemein zu den «modalen Kategorien» cf. den gleichnamigen Artikel von Zaefferer 2001). 172 Aus historischer Sicht haben folgende grammatischen bzw. paragrammatischen Verfahren eine passive Funktion entwickelt: Abgesehen von den Ableitungen von Adjektiven auf BILIS (LAUDABILIS), auf -UUS (PRAECIPUUS ‘eigentümlich’) das Partizip Perfekt, das Gerundivum
636 | Tempus, Aspekt und Modus
Betrachtet man die weiter gefassten Verstehensweisen von «Modalität» (also neben den alethischen), lässt sich für die deverbalen wie die denominalen Entwicklungen mittels der Suffixe -able/-ible im Französischen eine weit gefasste einheitliche Wortbildungsbedeutung annehmen, die zwei polyseme Suffixvarianten zulässt. Voraussetzung ist, dass man in Paraphrasen wie ‘être enclin à’ eine ‘manière’ bzw. ‘modalité d’être’ der Disposition erkennt und für den genannten Wortbildungstyp anerkennt; cf. TLFi s.v. modalité, «B. LINGUISTIQUE» bzw. s.v. enclin): Pour conclure provisoirement sur les emplois du terme «modalité(s)», on peut dire qu'il hésite fondamentalement entre un sens faible (‘manière d'être’) tiré du vocabulaire général, qui en fait un terme passe-partout, et un sens spécialisé de manière relativement arbitraire à partir de la tradition logique, dans les usages linguistiques. Mais il y a de fréquentes interférences entre les deux… ENCLIN, INE, adj. Littér. [S'applique à un être animé et, plus fréquemment humain; toujours accompagné d'un compl. généralement introduit par à, quelquefois par vers, et désignant un comportement, une manière d'être] Qui est porté, comme par prédisposition naturelle, à.
Ich schlage diese Lösung vor, da zum einen dem Begriff «Modalität» eine trennscharfe Definition offensichtlich nicht entspricht (cf. Zaefferer 2001173), zum anderen der «sens faible (‘manière d'être’)» noch ausstehenden Untersuchungen der denominalen Ableitungen mittels -able/-ible den Weg offen hält.
7.8 Die Kategorie Modus im Französischen Indikativ, Subjonctif und gegebenenfalls Imperativ im Französischen sind nicht gleichermaßen dazu geeignet, eine bestimmte Verbalhandlung auf der Zeitlinie
|| (LAUDANDUS), sowie, neben einigen marginalen Suffixen, die partizipmodifizierenden Suffixe IVUS (CAPTIVUS ‘(kriegs)gefangen’), -ICIUS (MISSICIUS ‘aus dem Kriegsdienst entlassen’), -ILIS (TEXTILIS ‘gewebt’), unter denen sich nur -IVIUS und -ICIUS fortgesetzt haben (wobei die ursprünglich departizipialen Suffixe umparagrammatikalisiert wurden zu den deverbalen Suffixen -TIVUS (-SIVUS) bzw. -TICIUS (-SICIUS)) (cf. Lüdtke 1996a, 256). 173 «Vielleicht ist die[se] Allgegenwärtigkeit mit ein Grund dafür, dass Modalität so schwer begrifflich zu fassen ist»; dies gilt erst recht für einen typologischen Zusammenhang: «Angesichts der Vielfalt an modalen Kategorien […] verwundert es nicht, dass die Kodierungsmittel für diese Kategorie eine noch größere Vielfalt aufweisen, von der Nullkodierung bei Prädikaten mit modalen Interpretationen über die Affixe und die Modalverben bis zu elaborierten Matrixsätzen mit einer Reihe anderer Argumente neben der modalisierten Proposition» (Zaefferer 2001, 784; 814).
Die Kategorie Modus im Französischen | 637
zu situieren. Allein der Indikativ verfügt über das notwendige Formeninventar, um die oben differenzierten Kategorien des Verbalsystems (cf. 7.2.2) (in je nach romanischer Einzelsprache unterschiedlicher Vollständigkeit) abzudecken oder dafür einzutreten. So vermag der Indikativ die Verbalhandlung in allen abgegrenzten Zeiträumen (Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft) zu verorten, wohingegen das System der verfügbaren Subjonctif-Formen die Zeiträume nur bedingt auszufüllen in der Lage ist. Der Imperativ schließlich impliziert im Wesentlichen eine Orientierung an der Zukunft. Die Differenzierung zwischen Modus und Modalität führt auf die Frage hin, welche Modalitäten sowohl im grammatischen wie paragrammatischen System vertreten sind, wobei die jeweiligen funktionellen Abweichungen im Zusammenhang mit der Stellung eines Verfahrens innerhalb des jeweiligen Systembereichs zu beurteilen sind. Die auffällig umfangreiche Verwendung von Auxiliaren in einer Sprache kann typologisch als Kennzeichen des strukturellsyntagmatischen Verfahrens bzw. des isolierenden Konstrukts gewertet werden. Auxiliare dienen im Französischen auch zum Ausdruck modaler Werte. Analog zu den Tempora des Französischen lassen sich die Formen des Subjonctif (Subjonctif présent/passé/passé surcomposé/imparfait/plus-que-parfait/ plus-que-parfait surcomposé) nach den Kriterien der Ebene und der Perspektive in der Zusammenschau wie folgt darstellen: Tab. 14: Ebenen und Perspektiven des Französischen Subjonctif Tab. 14a: Aktuelle Zeit (AZ)
Ebene: aktuelle Zeit
Bezugspunkt: Sprechzeitpunkt
retrospektive
respektive Perspektive
prospektive
primäre Perspektive
(Fokuskategorie) Subjonctif présent
sekundäre Perspektive
Subjonctif passé
tertiäre Perspektive
Subj. passé surcomposé
→
638 | Tempus, Aspekt und Modus
Tab. 14b: inaktuelle Zeit (IZ)
Ebene: inaktuelle Zeit
Bezugspunkt: besprochener Augenblick
retrospektive
respektive Perspektive
primäre Perspektive
prospektive
(Fokuskategorie) Subjonctif imparfait
sekundäre Perspektive
Subjonctif plus-queparfait
tertiäre Perspektive
*
* = Subj. plus-que-parfait surcomposé
Tab. 14c: Beispiele AZ
Ebene: AZ
primäre Perspektive
sekundäre Perspektive tertiäre Perspektive
que je chante
que j’aie chanté
que j’aille chanter
que que *que je *que j’aie j’aille sois j’aille eu avoir allé aller chanté chanté chanter chanter
Modalverben | 639
Tab. 14d: Beispiele IZ
Ebene: IZ
primäre Persp.
que je chantasse
sekundäre Persp.
tertiäre Persp.
que j’eusse chanté
que j’allasse chanter
*que que *que *que j’eusse j’allasse je fusse j’allasse avoir allé aller eu chanté chanté chanter chanter
7.9 Modalverben Auxiliare des Französischen, die einen modalen Wert zum Ausdruck bringen, sind vor allen Dingen devoir und pouvoir (eventuell risquer). Als Verbum adiectum bezeichnet devoir zum einen eine individuelle Verpflichtung (Tu devais lui rendre ce livre), zum anderen eine Wahrscheinlichkeit174 (Je ne crois pas qu’il DOIVE pleuvoir) bzw. sachliche Notwendigkeit (Je croyais qu’il devait arriver demain) (im Rahmen der deontischen und epistemischen Modalitäten175). Eine futurische Bedeutung ist für devoir (bzw. lat. DEBERE) offensichtlich (cf. Dietrich 1973, 76; 45) nur als Redebedeutung gegeben (v.a. als futur dans le passé: Il devait mourir deux jours plus tard); damit scheidet die Annahme einer funktionellen Äquivalenz mit der Periphrase aller + Infinitiv aus (tatsächlich prospektiv grammatikalisiert ist DEBERE offensichtlich nur im Sardischen, z.B. deppo áere; cf. Dietrich 1973, 1). Die Bedeutung der Obliagtion (cf. Il doit partir) vermittelt auch die Wendung avoir à + Infinitiv. Zwar zeigt avoir hier nicht sämtliche typischen Merkmale eines «Semi-Auxiliars», dennoch weicht die Bedeutung von
|| 174 In dieser Bedeutung kann devoir in einer komponierten Zeitform + Infinitiv Präsens an Stelle eines Infinitivs der Vergangenheit stehen, der durch devoir in einer einfachen Zeitform eingeleitet wird, also C’est là qu’il A DÛ s’asseoir et il se peut que la chose n’ait commencé que longtemps après (Giono, Un de Baumugnes, x; cf. Grevisse 2011, §821 c) 1°) an Stelle von … c’est là qu’il doit s’être assis… 175 Der Begriff «Modalität» sowie die sprachwissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der sich daran anschließenden Terminologie ab der antiken Grammatikschreibung (aus modallogischer Perspektive) bedürften eigener Betrachtungen.
640 | Tempus, Aspekt und Modus
avoir in dieser Konstruktion von seiner herkömmlichen Bedeutung ab: Nous AVONS À causer tous les deux.176 Pouvoir kann eine Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck bringen (Il PEUT avoir quinze ans – Il POUVAIT être une heure du matin – Attention! un accident PEUT arriver). Pouvoir markiert ferner eine Fähigkeit: Il est blessé, mais il PEUT marcher – Elle peut chanter, wobei sich pouvoir allerdings diesen Bedeutungsbereich mit savoir teilt; letzteres dient dem spezifischeren Ausdruck einer physischen oder geistigen Fähigkeit: Je sais nager, parler russe. Pouvoir impliziert zudem die einem Dritten erteilte Erlaubnis zur Durchführung einer Handlung: Vous POUVEZ partir (vielfach in einem interrogativen Satz oder einem Verbot: Est-ce que je peux poser une question? – Vous ne pouvez pas descendre du train). Im Rahmen des Ausdrucks der Probabilität bringt pouvoir eine allgemeine Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck (il peut pleuvoir), wohingegen devoir eine stärkere Wahrscheinlichkeit (il doit pleuvoir) signalisiert. Risquer als «Semi-Auxiliar» gebraucht drückt in der Regel eine Möglichkeit aus, deren Konsequenzen als für das Subjekt schädlich aufgefasst werden (z.B. Il risque de tomber). Das Verb wird aber zunehmend ohne diese Restriktion verwendet, d.h. auch bei Betrachtung einer Eventualität mit günstigen Folgen: Un tacticien qui savait qu’il risquait de perdre tout, mais aussi qu’il risquait de tout gagner (Mauriac, dans le Figaro littéraire, 14–23 juin 1968).
|| 176 Zur semantischen Differenz der drei Konstruktionen avoir à faire à/avec/de, avoir affaire à qn/avec qn/de qn. cf. Grevisse 1993, §283, e sowie Rem. bzw. Hist. zur Orthographie bzw. Grevisse 2011, §288, e) N.B. sowie H5. Zur Interpretation des (fakultativ) in der Konstruktion auftretenden direkten Objekts (J’ai un livre à lire. J’ai beaucoup (ou trop) à faire) als Objekt des Infinitivs oder als direktes Objekt von avoir (bei Stellung nach avoir; der Infinitiv wird dann zum Komplement dieses Objekts) sowie allgemein zur Stellung des direkten (bzw. eines anderen) Komplements cf. Grevisse (1993, §791, b) (zur Frage des Accords des Partizips Perfekt bei einem avoir vorausgehenden direkten Objekt cf. zudem ibid., §915, Rem. 2.). Der Ausdruck avoir fort à faire ‘avoir des difficultés’ scheint einem archaischen Gebrauch anzugehören. Einen aus der Sicht der Wortfolgetypologie (und hier namentlich im Vergleich zum Englischen) interessanten Fall stellen Konstruktionen wie die folgenden dar: Vous n’AVEZ qu’un instant À attendre (G.R. 2011, s.v. avoir, III, 1). – Elles ONT rien de plus important À penser [dit le garde champêtre] (Chevalier, Clochemerle, XVIII ; cf. Grevisse 2011, §821 b). – J’en sais moins long que le dernier de Clochemerle qui n’A que ses affaires À s’occuper [dit le maire] (ibid., VII). – AVOIR loin À aller bzw. AVOIR loin À + inf. ‘avoir un long chemin pour’ gehört der umgangssprachlichen Redeweise an (cf. Grevisse 1993, §969bis, b bzw. Grevisse 2011, §1009, b). Eine analoge Konstruktion findet sich bei il y a: IL Y A beaucoup A faire – IL Y AURAIT beaucoup de choses A dire – IL n’Y A qu’A patienter.
8 Genus verbi: syntagmatische Realisierung einer verbalen Kategorie Gemäß dem System der Verbalkategorien nach Roman Jakobson (cf. Coseriu 1976, 74ss.) bezeichnet die Vox oder Diathese ein Verhältnis zwischen dem mitgeteilten Geschehnis (GM) und den darin involvierten Teilnehmern (T). Das Subjekt bildet den logisch ersten Teilnehmer: Dieses kann Agens der Handlung sein (Vox activa), Gegenstand der Handlung (Vox passiva) oder Agens und Patiens zugleich (Vox media, einschließlich Reflexivum): GM T
GM T
Aktiv
GM T
Passiv
Medium
Abb. 13: Genus verbi
Das Passiv gehört im Rahmen der Jakobsonschen Konzeption des Verbalsystems zu den «verhältnisbestimmenden» Kategorien: Verbalkategorien können entweder nur das mitgeteilte Geschehnis (GM) oder dessen Teilnehmer (TM) betreffen oder diese wiederum im Verhältnis zu einem oder mehreren anderen Elementen (aus GM, GS, TM, TS) charakterisieren. Als «bezeichnend» sind die Verbalkategorien dann aufzufassen, wenn sie kein Verhältnis zwischen (GM) und (TM) betreffen (sondern nur GM oder TM, also die Kategorien Genus, Numerus, Person, Status, Aspekt, Tempus).1 So gilt etwa die Kategorie des Numerus als bezeichnend, da sie allein die Zahl2 der Teilnehmer am mitgeteilten Ge|| 1 Jakobson spricht ursprünglich an Stelle der von Coseriu 1968/69 eingeführten Termini «bezeichnend» und «verhältnisbestimmend» (s. Coseriu 1976) von «designator» und «connector» bzw. frz. «désignateur» und «connecteur» (cf. Jakobson 1963, 181), dt. «Designator» und «Konnektor» (cf. Jakobson 1974, 39); Dietrich (1973, 128) behält die Terminologie Coserius bei. 2 Die «bezeichnenden» Verbalkategorien können qualifizierender oder quantifizierender Natur sein und betreffen dann die Qualität oder Quantität des entsprechenden Elementes bzw. eine der vier Grundkategorien des Verbums: Genus/Numerus/Person, Status/Aspekt/Tempus). Dies trifft auf die bezeichnenden Kategorien Genus als einer qualifizierenden (cf. Coseriu 1976, 76, 77 bzw. Dietrich 1973, 128–129) und Numerus als einer quantifizierenden (cf. jeweils ibid.) zu. Die bezeichnenden wie die verhältnisbestimmenden Kategorien können ferner sprachbestimmt oder sprechbestimmt sein; sie sind sprachbestimmt, wenn sie keine Beziehung (zwischen GM und/oder TM) zum Sprechakt (genauer zu GS oder TS) einschließen (Dietrich (1973, 128) nennt hier statt (…/HR = Redehandlung) und (…/hR = Sender oder Empfänger) die Relahttps://doi.org/10.1515/9783110693966-008
642 | Genus verbi: syntagmatische Realisierung einer verbalen Kategorie
schehnis (TM) betrifft. Demgegenüber repräsentiert das Passiv eine «verhältnisbestimmende» Kategorie, da es ein Verhältnis zwischen dem mitgeteilten Geschehnis (GM) und seinen Teilnehmern (TM) einschließt (ich werde gehört schließt ein Verhältnis zwischen meiner Person und dem Geschehnis des Hörens ein). Verhältnisbestimmenden Kategorien liegt daher eine Relation (TM GM) bzw. (GM GM) zugrunde (also bei Diathese, Modus, Taxis und Evidenz). Das Passiv (voix passive) als Kategorie des (französischen) Verbs, das neben dem Aktiv (voix active) und dem Medium (voix médienne/moyenne/pronominale) der Diathese (diathèse) angehört, konstituiert sich materiell auf der Basis komponierter Verbalformen, die sich aus einer Form des Auxiliars être und dem Perfektpartizip des entsprechenden (aktiven) Verbs zusammensetzen (cf. infra die verschiedenen Typen der formes (hyper)surcomposés, z.B. J’ai été allé). Man kann hier auch eine Sicht vertreten, die die Konstruktion dergestalt analysiert, dass an die als aktiv gefasste Basisform des Verbs ein «diskontinuierliches» Morphem [ÊTRE + PARTICIPE PASSÉ] angefügt wird (so bei Riegel et al. 1994, 433): accuser → être accusé, j’accuse → je suis accusé, tu avais accusé → tu avais été accusé etc.3 Die Frage stellt sich, wie dann die (über)überkomponierten Formen zu interpretieren wären. Das Verb être ist in der Passivkonstruktion Träger der Kategorien Modus, Tempus, Person und Numerus. Die Konstruktion betrifft somit zwar primär die Verbmorphologie, tangiert jedoch auch die syntaktische Ebene, d.h. den Satz als Ganzen. Die beiden Sätze Le ministre inaugurera l’exposition ↔ L’exposition sera inaugurée par le ministre können daher als zwei unterschiedliche Realisationstypen eines gemeinsamen zugrunde liegenden Satzes angesehen werden. Damit verfügen potentiell alle Sätze, deren Verb ein direktes Objekt erfordert (aktive Konstruktion), über eine entsprechende passive
|| tionen (…/HR) und (…hr = Handelnder des Redegegenstandes) als entsprechende charakterisierende Relationen); sie sind sprechbestimmt, wenn sie eine notwendige Beziehung zum aktuellen Sprechakt einschließen. So stellt die Verbalkategorie Plural eine «sprachbestimmte» Kategorie dar, die sich ohne Rekurs auf einen bestimmten Sprechakt definiert; dagegen ist z.B. das «Ich» eine «sprechbestimmte» Kategorie, da das «Ich» immer eine sprechende Person ist und damit die Beziehung zum Sprechakt bereits Bestandteil ihrer Definition ist. (Bei Jakobson ist an dieser Stelle von non-shifter und shifter bzw. den Oppositionspaaren frz. Non-embrayeur – embrayeur (1963, 182) und dt. Nicht-Verschieber – Verschieber (1974, 39) die Rede.) 3 Die Konstruktion aus être + Partizip Perfekt dient auch als Bildungsmuster komponierter Formen mit aktiver Bedeutung bei Verben, die mit dem Hilfsverb être konstruiert werden: il est venu (cf. Riegel et al. 1994, 251–252). Sie schafft ferner den Übergang zur Bildung der formes surcomposées bei reflexiven Verben, z.B.: Je me suis eu assis (cf. auch den Typ je suis été entré etc.) (cf. Kap. 7.7).
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Entsprechung, die sich durch folgende sprachstrukturelle Merkmale auszeichnet: Das Objekt des aktiven Satzes (l’exposition) wird zum Subjekt der entsprechenden passiven Konstruktion; Das Verb in der Form des Partizips Perfekt wird mit dem Hilfsverb être konjugiert; das Partizip kongruiert nach Tempus und Modus mit dem konjugierten Verb im Aktiv (sera inaugurée); das Subjekt des aktiven Satzes kann eventuell als Präpositionalobjekt (complément d’agent) realisiert sein, das durch die Präpositionen par oder de eingeleitet wird (par le ministre); Aus morphologisch-typologischer Sicht gehört die periphrastische Passivkonstruktion des Französischen zu den Manifestationen des syntagmatischen Verfahrens. Auf semantischer Ebene spiegelt die Diathese die Art und Weise, in der das Verb die semantischen Rollen seiner Aktanten verteilt; der Übergang vom Aktiv zum Passiv setzt zunächst das Vorliegen eines direkt transitiven Verbs voraus, wobei diese Regel gewissen Restriktionen unterworfen ist (cf. Riegel et al. 1994, 433ss.). Die Transformation des Aktivs in eine passive Konstruktion bringt eine formale Veränderung der Aktanten (das Subjekt des Aktivs wird zum Agenskomplement, das Objekt zum Subjekt des Passivs) sowie der Rollen, die diesen zufallen, mit sich: Le cheval a mordu le chien (Subjekt = Agens) → Le chien a été mordu par le cheval (Subjekt = Patiens, aber le cheval = Agens, le chien = Patiens in beiden Sätzen). Nach den griechischen Grammatikern wird auch ein Medium unterschieden, das dann vorliegt, wenn das Subjekt zugleich Agens und Patiens des Verbs darstellt. Zuweilen wird diese Funktion in den französischen reflexiven Verben bzw. Konstruktionen (cf. Riegel et al. 1994, 255ss.) wiederzuerkennen gesucht, da, so die Begründung, etwa in je me lave das Subjekt zugleich als Agens und Patiens fungiere. Allerdings entspricht das Medium des griechischen Verbs, das für alle Verben regelmäßig gebildet werden kann, nicht den reflexiven Konstruktionen des Französischen, die diverse semantisch und syntaktisch nicht leicht zu lösende Probleme aufgeben (cf. Riegel et al. 1994, 255ss.). Die reflexiven Formen (formes pronominales) mit passiver Bedeutung (cf. Riegel et al. 1994, 256ss.) können allerdings auch als alternative Möglichkeiten der Passivbildung im Französischen angesehen werden; das Subjekt des reflexiven Satzes erscheint im semantisch äquivalenten aktiven Satz als Objekt. Zwar stellt die passive Konstruktion eine adäquate Umschreibung der reflexiven Konstruktion dar, allerdings erlaubt letztere in der Regel keine Agenskomplementierung in herkömmlichem Sinne: Le vin d’Alsace se boit jeune (*par les connaisseurs) –
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Les connaisseurs boivent le vin d’Alsace jeune – Le vin d’Alsace est bu jeune par les connaisseurs (Bsp. ibid., 442). Neben diesen periphrastischen Konstruktionen existieren im Französischen folgende weitere Mittel zum Ausdruck des Passivs: Sogenannte «symmetrische» oder «neutrale» Verben (Riegel et al. 1994, 227–229), die zwei alternative Konstruktionen zulassen: das Objekt der transitiven Konstruktion (Le vent casse les branches) dient zugleich als Subjekt einer intransitiven Konstruktion mit passiver Bedeutung (Les branches cassent (sous l’effet du vent)), wobei die semantische Rolle von les branches bewahrt wird. Diese Konstruktion entspricht einem Vorgangspassiv (passif processif): Les branches sont cassées par le vent. Die hier zum Tragen kommenden Verben lassen sich nach semantischen Kriterien charakterisieren: Es handelt sich vornehmlich um solche Verben, die eine Zustandsänderung anzeigen (changer, cuire, dorer, pourrir, ressusciter etc.); häufig liegen von Adjektiven abgeleitete Verben vor (brunir, durcir, dorer, grossir, vieillir etc.). Das Subjekt der transitiven Konstruktion kann als zusätzlicher (agentiver oder kausativer) Aktant interpretiert werden, der sich nach folgendem Schema auf die intransitive Konstruktion anwenden lässt: Les pommes pourrissent → L’humidité pourrit les pommes/L’humidité fait pourrir les pommes. Daneben stehen zum Ausdruck des Passivs im Französischen Konstruktionen zur Verfügung, deren Verb im Infinitiv mittels der reflexiven Verben se faire, se laisser, se voir, s’entendre (Riegel et al. 1994, 229ss.) eingeleitet wird; diese können als Auxiliare mit passiver Funktion betrachtet werden, die das direkte oder indirekte Objekt einer aktiven Konstruktion zum Subjekt einer äquivalenten Konstruktion mit passiver Funktion transformieren: Le ministre s’est fait/laissé/vu insulter par des agriculteurs en colère [= Des agriculteurs en colère ont insulté le ministre] – Il s’est vu fermer la porte au nez par le concierge [= Le concierge lui a fermé la porte au nez]. Se voir kann sowohl mit dem Partizip Perfekt als auch mit dem Infinitiv konstruiert werden: Elle s’est vue contrainte à renoncer – Elle s’est vu refuser/Elle s’est vue refusée l’entrée du club. In den genannten Konstruktionen kann das Subjekt des entsprechenden Aktivsatzes als Grundlage des Agenskomplements fungieren. Die Verben faire und laisser bewahren einen kausativen Wert (Riegel et al. 1994, 229ss.), wobei faire ein gewisses Maß an Verantwortung des Subjekts für das, was ihm widerfährt, impliziert (Il s’est fait opérer par un charlatan – Il s’est fait renverser par une voiture [par imprudence/pour toucher une indemnité] – Il a tout fait pour se faire remarquer); laisser dagegen akzentuiert das passive Unbeteiligtsein des Subjekts an der ihm widerfahrenden Handlung (Il s’est laissé emmener/frapper sans réagir). Die Verben der Wahrnehmung se voir und s’entendre transformieren das in
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der Regel (mit gewissen Ausnahmen) als [+ MENSCHLICH] charakterisierte Komplement des Aktivsatzes in ein Subjekt in der Rolle des Beobachters der ihm widerfahrenden Handlung: Le jury a décerné le premier prix à Paul → Paul a vu le jury lui décerner le premier prix → Paul s’est vu décerner le premier prix par le jury (Bsp. in Riegel et al. 1994, 442; cf. Grevisse 2011, §821, p) Der Vorzug solcher mit reflexiven Auxiliaren gebildeten Konstruktionen besteht darin, dass sekundäre Komplemente (Il s’est vu offrir/signifier/ attribuer/refuser/enlever etc. quelque chose), die sonst nicht als Subjekt eines mit être gebildeten Passivsatzes erscheinen können, passiviert werden und damit als Thema des Satzes fungieren können – eine Konstruktion, die aus dem Englischen wohl bekannt ist: My father gave me this book (to give s.o. sth./sth. to s.o) → I was given this book by my father. Auch Verben wie subir/supporter/endurer4 oder Wendungen des Typs faire l’objet de, être la cible de, être la victime de, être la proie de etc., die zwischen dem entsprechenden Subjekt und dem zugehörigen Komplement eine Relation begründen, die semantisch einer passiven Konstruktion entspricht, können eine passive Funktion erfüllen: Ce nouveau logo a fait l’objet de nombreuses études et tests ↔ Ce nouveau logo a été étudié et testé/On a étudié et testé ce logo (plusieurs fois). Solche Verbalformen können als «Stützverben» (verbes support; cf. Riegel et al. 1994, 232–233) mit passivem Wert interpretiert werden, wie folgende Gegenüberstellung illustriert: Pierre a fait une erreur/Pierre a été victime d’une erreur – Pierre a pratiqué plusieurs opérations/Pierre a subi plusieurs opérations. Ferner dienen die Suffixe -able und -ible regelmäßig dann als eine weitere Möglichkeit zum Ausdruck einer passiven Funktion, wenn sie Adjektive bilden, die auf eine (direkt5) transitive verbale Grundlage zurückgehen (z.B. passiver un verbe, transporter un blessé etc.). Die Semantik dieser Adjektive impliziert dann eine Eigenschaft, die sich mittels einer «modalisierten» passiven Wendung umschreiben lässt (‹qui peut être – Vpp›): Ce verbe est passivable/ce verbe peut être passivé – Le blessé était intransportable/Le blessé ne pouvait pas être transporté (cf. Kap. 7.7.7 zum Suffix -bilis bzw. frz. -able/-ible).
|| 4 In Verbindung mit entsprechenden Verben kann ein aktives Subjekt als Patiens erscheinen: Le sage supporte/subit/endure les injures. Eine solche Relation, bei der aktives Subjekt und Objekt eines transitiven Verbums nicht mit den semantischen Rollen Agens und Patiens korrelieren, tritt lexikalisch auch häufig bei gewissen Verben auf, cf.: Jean a perdu mon stylo – Des arbres bordent la route. 5 Transitivität ist hier zu verstehen in einem engeren Sinne als ein Akkusativkomplement nach sich ziehend (cf. Kap. 7.7.7).
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Die passive Bedeutung kann ferner durch die Nominalisierung transitiver Verben zum Ausdruck gebracht werden: Die Bewahrung der Valenzeigenschaften der zugrunde liegenden verbalen Basis und namentlich die Möglichkeit der Konstruktion mit einem Agenskomplement führen dazu, dass eine Nominalgruppe des Typs l’assassinat d’Henri IV par Ravaillac als Entsprechung zu Henri IV est/a été assassiné par Ravaillac gedeutet werden kann, die beide als passive Varianten von Ravaillac assassine/a assassiné Henri IV interpretierbar sind. Eine passive Bedeutung wird ferner durch Oppositionspaare, die aus einem Nomen agentis (Prädikatnominalisierung + Subjektfunktion) und einem Nomen patientis (Prädikatnominalisierung + Objektfunktion) bestehen, impliziert. Die hier einander gegenüber gestellten Glieder lassen sich, je nach implizierter Grammatikalisierungsfunktion, als aktives oder passives Subjekt des durch das Verb bezeichneten Vorgangs deuten: employeur/employé, imprimeur/imprimé, électeur/élu, vainqueur/vaincu, offenseur/offensé etc.6
|| 6 Zu zahlreichen bibliographischen Angaben cf. Riegel et al. (1994, 444).
9 Situierung Liegen zwei Elemente A und B vor, die durch eine Relation wie z.B. bei le train de Paris (mit train = A, Paris = B) charakterisiert werden, so kann – bei Vorliegen einer Präpositionalgruppe – von Situierung1 gesprochen werden. Die Präposition de stellt eine Relation zwischen A und B her und «situiert» dabei A (Paris) gegenüber B (le train) (eine analoge Funktion besitzen übrigens auch koordinierende und subordinierende Konjunktionen2). Auf Grund seines Status als Relationselement wird de als R bezeichnet (die Richtung wird dabei nicht näher spezifiziert; vergleiche demgegenüber das Deutsche mit der Zug von/nach Paris). In entsprechenden präpositionalen Wortgruppen bzw. Verbindungen aus A, R und B (etwa in le voyage à Rome/en Italie etc.) besitzt jedes Element eine Form und eine Bedeutung, wobei die Bedeutung weder von train noch von Paris der Bedeutung von de subsumiert werden kann. Jedes Element bedarf vielmehr der gesonderten Betrachtung. Dabei spiegelt sich in der Verwendung von präpositionalen Wortgruppen wie in en vain etc. das Wissen der Sprecher um eine feste Verbindung R + B wider. Dieses Konzept lässt sich auf die verschiedensten Typen an Präpositionalgruppen anwenden: il passe pour habile, un homme vêtu de noir etc. (cf. Lang 1991). Die Situierung ist auf inhaltlicher Ebene in der Entwicklung vom Latein zum Romanischen weitgehend von Kontinuität geprägt, wohingegen sich auf formaler Ebene starke Variation abzeichnet, die im Großen und Ganzen die Entwicklung im Bereich der Präpositionen allgemein widerspiegelt. Dies zeigt sich etwa an der (wenn auch nicht durchgängigen) Verdrängung der Präpositionen SUB und SUPER jeweils durch SUBTUS und SUPRA, was einen entsprechenden Wandel bei den homophonen Präfixen nach sich zog (cf. it. sottoporre ‘unterwerfen’, sovraporre ‘übereinanderlegen’). Die verdrängten Präpositionen gehen in der Regel unter; dagegen koexistieren die älteren Präfixe mit den neu aufgekommenen (z.B. it. soffriggere ‘anbraten’). Die Konservationen bzw. alten Prä-
|| 1 «Situierung» kann also die paragrammatische Situierung sowie eine Kategorie des Aspekts (cf. Kap. 7.3.3, 8) bezeichnen. 2 Indem die Präposition als Relationselement gefasst wird, erlangt diese eine Bedeutung, die genau diese Relation umfasst; dies stellt eine andere Konzeption der Präpositionen dar als etwa ein Ansatz, der Präpositionen als semantisch leere Wörter («mots vides») betrachtet (zur Diskussion siehe auch Kailuweit 2001, 33–62). Zur Frage, ob das Französische überhaupt über subordinierende Konjunktionen verfügt oder ob nicht eher von Präpositionen allein die Rede sein sollte, cf. Coseriu (31994, 210); Lüdtke (1984, 207) sowie Lang (1991, 72). https://doi.org/10.1515/9783110693966-009
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fixbildungen lassen sich zuweilen noch analysieren, auch wenn manche bereits zu den Lexikalisierungen zu zählen sind (z.B. it. sopportare ‘ertragen’). Der permanente Relatinisierungsprozess bedingt, dass lateinische Präpositionen in die romanischen Sprachen kontinuierlich eindringen (z.B. it. subordinare) mit der Konsequenz, dass sich für einen einzelnen Inhalt im Rahmen der Situierung mehrere formale Entsprechungen finden lassen. Bei der Gliederung dieses Inhalts durch die einzelnen Formen kommen starke normative Tendenzen zum Tragen. Über die Vermittlung durch das Lateinische finden auch griechische Elemente Eingang in die Wortbildungssysteme der romanischen Sprachen, so etwa ANTI-. Bezüglich der Wortbildungsverfahren gestaltet sich die Situierung im Rahmen der Modifizierung, wobei sich Präpositionen und «präpositionale Präfixe» analog nach antonymischen Oppositionen formieren (cf. Lüdtke 1996a, 248). Die Situierung kommt bei Verben, Substantiven und Adjektiven zur Anwendung; vom modifizierenden Verfahren der Situierung gilt es die Entwicklung von Verben, Substantiven und Adjektiven, der als Basen präpositionale Fügungen zugrunde liegen, klar zu trennen. Traditionell wurden bzw. in rein morphologisch orientierten Wortbildungsansätzen werden weiterhin Entwicklungen des Typs embarquer als «Parasynthetika» bezeichnet (cf. Darmesteter 1877, 129 bzw. 21894, 95–103), also formal als Klammerbildungen mit zugleich Prä- und Suffigierung (cf. auch EXTRAORDINARIUS mit Präfix EXTRA- und Suffix -ARIUS bzw. infra zur Relationsadjektivbildung). Sie gehören jedoch nicht zur Situierung, da das präpositionale Element Bestandteil der Grundlage ist, was bei «Parasynthetika» so nicht aufgefasst wird: Wie bei EXTRAORDINARIUS nicht nur eine Relation zum Substantiv ORDO gegeben ist (cf. das Relationsadjektiv ORDINARIUS),3 sondern zur gesamten präpositionalen Fügung «EXTRA ORDINEM», besteht beim Typ embarquer eine Relation nicht allein zum Substantiv barque, sondern zur präpositionalen Gruppe «en/dans la barque». In ersterem Fall wird die präpositionale Fügung mit Attributfunktion zu einem Adjektiv entwickelt, in letzterem handelt es sich um eine Verbalisierung einer präpositionalen Fügung mit Substantiv (Prädikatfunktion). Vielfach liegt die bloße Ersetzung eines formalen Verfahrens vor, wobei der Inhalt bewahrt wird. Die Situierung stellt also eher eine Konservation dar (zu den einzelnen Präpositionen bzw. präpositionalen Präfixen siehe Lüdtke 1996a, 248–252). In der Wortbildung treten die Präpositionen in Form von Präfixen mit verschiedenen Varianten auf; die Funktion der Situierung bleibt trotz der materiellen Variation erhalten. Dies bedeutet, «dass die Präfixe inhaltlich nicht einheit|| 3 Also auch nicht zu analysieren als ORDO > ORDINARIUS > EXTRAORDINARIUS.
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lich gestaltet sind und zum Teil Präpositionen entsprechen, zum Teil aber auch andere Funktionen haben» (Lüdtke 1996a, 248). Bei der Situierung von Verben mittels präpositionalem Präfix ist weder A noch B im Verb enthalten, sondern beide sind Bestandteil eines Verb modifizierenden Gefüges; cf. PERCURRERE (‘durchlaufen’), dessen Bedeutung auf einen Ausdruck A currit per B zurückgeführt werden kann. Dabei dient letztgenannter Ausdruck als Paraphrase für die Wortbildung. Präpositionen sind als Wörter zu betrachten (es handelt sich um Präpositionen, nicht um Präfixe); sofern Präpositionen dennoch als Präfixe in Erscheinung treten, handelt es sich nach Lang nicht um Vorkommen von Flexion, sondern um Wortbildung (cf. Lang 1991, 35–36 bzw. 148ss.; zur Gegenüberstellung von Präpositionen und Kasus cf. die Diskussion in Lang 1991, 30– 36; cf. Kailuweit 2001, 37). Bei der Situierung treten verschiedene Redebedeutungstypen auf:4 ein räumlicher, ein zeitlicher sowie ein «notioneller» oder begrifflicher Typ (cf. Pottier 1962; Lang 1991; Weidenbusch 1993).5 Dabei entspricht die Frage nach || 4 Die traditionelle Behandlung des Bereichs, der hier als Situierung bezeichnet wird, verfährt nach völlig anderen Kriterien. So ordnet etwa Meyer-Lübke (1894, 567) die Situierung der Präfixbildung zu und legt somit ein formales Gliederungskriterium zugrunde, wie dieses insgesamt zur Strukturierung des Bereichs der Präfixbildung dient. Dabei besitzt die Präfixbildung bei Meyer-Lübke einen Zwischenstatus zwischen Ableitung und Komposition. Die Präfixe werden wesentlich nach den beiden Eigenschaften Trennbarkeit und Herkunft aus Adverbien oder Präpositionen klassifiziert. Diese etymologisch orientierte Gliederung korreliert jedoch nicht mit einer entsprechenden adverbialen bzw. präpositionalen Funktion innerhalb der Wortbildungen. Auf Grund der Interpretation nach formalen Gesichtspunkten gelangt MeyerLübke zu einer Deutung der Bildungen als Zusammenrückungen, Zusammenfügungen oder Parasynthetika (cf. Lüdtke 1996a, 248). Die traditionelle Auffassung, wie sie durch MeyerLübke vertreten wird, kann heute als besonders unzulänglich erkannt werden. Darmesteter (21894) interpretiert ein Element wie en in enrichir, embarquer etc. als Adverb oder Präposition (cf. Weidenbusch 1993); in der neueren Literatur wurde dieses dann meist lediglich als Präfix benannt, ohne jedoch eine detailliertere Definition dieses Präfixcharakters zu liefern, und ohne Angabe der Funktion. Die Rezeption konzentrierte sich also auf die Analyse solch «präpositionaler Elemente» im Rahmen der Präfixe, so dass deren eigentlich präpositionaler Charakter, wie er bei Darmesteter noch gegeben war, aus dem Blick verloren ging. Damit einher ging ein Bruch in der Rezeption, der sich als ein Verharren im reinen Formalismus erwies: R + B wurden als Elemente erkannt, jedoch nicht das Verhältnis RA. Pottier (1962) stellt die Elemente, die traditionell als A und B bezeichnet werden, dann in neuer Interpretation als Relationselemente dar und ordnet diese als «situierende» Elemente der Situierung (situation) zu. 5 Wenn diese Bedeutungen Redebedeutungstypen der Situierung repräsentieren und die Situierung ein Verfahren der Modifizierung darstellt, so können bei den Entwicklungen entsprechende Bedeutungstypen in gleicher Weise nur deshalb unterschieden werden, weil sich die Situierung auf die Wortbildungsbasen, also die zugrunde liegenden syntaktischen Fügungen bezieht, wie sie die Paraphrase reflektiert. Analog kann in Fällen des Typs dépoter (also bei
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dem Befinden an einer bestimmten Stelle im Raum der Grundfunktion (J’habite à Paris). Von dieser lässt sich wiederum die temporale Redebedeutung ableiten, wie dies auch in anderen Sprachen der Fall ist (cf. dt. vor dem Haus, vor zwei Stunden etc.): Nous le verrons à deux heures; Il ne faut pas lui courir après; après la conférence. Die «notionelle» Bedeutung (cf. Pottier 1962) umfasst sämtliche anderen Situierungen, die weder Raum noch Zeit betreffen (cf. dt. vor lauter Angst), die jedoch nicht exhaustiv erfassbar sind (z.B. Einräumung, Grund etc.). Situierungen des Typs après-guerre, après-demain oder avant-veille, avanthier schließen damit temporale Werte wie Nachzeitigkeit bzw. Vorzeitigkeit (cf. auch das Präfix anti- wie in antidater etc.) ein; in der Grammatik werden diese durch die Tempuswahl in Verbindung mit bestimmten Adverbien zum Ausdruck gebracht. Die räumliche (als grundlegende) und die zeitliche Dimension sind häufig eng aneinander gekoppelt (cf. arrière-boutique, arrière-garde, arrière-saison; avant-train; antichambre). Ähnliche Relationen lassen sich bei postscolaire, postdater bzw. räumlich postposer bzw. prédire, préclassique, présélection bzw. räumlich prémolaire etc. sowie zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit bei coprésident, concitoyen, coexister feststellen. Bei einer Analyse der Bedeutung der einzelnen Elemente, die in die präpositionale Gruppe eingehen, gilt es verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, um die Situierung in ihrer Sprachbedeutung zu erfassen (cf. Lüdtke 2002b): 1) Zugrunde liegende Präposition In Sätzen wie Je suis À Paris – Il est CONTRE tous handelt es sich um statische Varianten der präpositionalen Bedeutung, d.h. solche ohne weitere Spezifizierung des Kontaktes zwischen A und der als einfach gefassten Grenze B):
|| Bildungen, die traditionell im Rahmen der Parasynthetika behandelt wurden) von «Situierung von Verben» nur insofern die Rede sein, als auf die syntaktischen Verhältnisse der Grundlage Bezug genommen wird, die im Wortbildungsprodukt aus dem Grunde mit bestimmten Abwandlungen erhalten bleiben, weil das zur Anwendung kommende Wortbildungsverfahren auf die Konversion (der zugrunde liegenden präpositionalen Gruppe) zurückgreift. Dies mag erklären, weshalb Lang (1991) die Entwicklungen dépoter, dératiser neben der verbalen Modifizierung découler anführt. Ferner wird nicht das präpositionale Element (etwa dé- in découler) durch das Verb (couler) modifiziert, sondern umgekehrt das Verb durch das präpositionale Element (cf. Weidenbusch 1993, 95–96).
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Bei der verbalen Situierung dagegen wird durch die Präposition stets eine dynamische Variante im Sinne einer gerichteten Handlung vorgegeben (durch Pfeile symbolisiert). Mit der Direktionalität der Präposition hängt auch zusammen, dass etwa bei kausativen oder faktitiven Verben ein Prozess impliziert ist (embellir). Die Prozesshaftigkeit lässt sich zunächst durch einen Satz wie Je vais à Paris illustrieren, der als dynamische Variante eine Bewegung zu B hin umfasst:
Im Falle von Je suis dans Paris oder le voyage en Italie wird B als Raum gefasst:
2) Elementenabfolge Bei den Konversionen präpositionaler Fügungen (traditionell als «desubstantivische Parasynthetika» bezeichnet) des Typs embarquer, débarquer, atterrir, die aus einem präpositionalen Element, einem Substantiv und einer Verbalendung bestehen und die also nicht als Modifizierungen von Verben (wie etwa modifiziertes accourir oder découler) zu interpretieren sind und bei denen das präpositionale Element somit auch kein Präfix, sondern Bestandteil der konvertierten Grundlage (als Wortgruppe) ist, stellt sich die Frage, ob das im Wortbildungsprodukt erscheinende Substantiv hinsichtlich des präpositionalen Elementes R
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als A (das Situierte/terme situé) oder als B (das, in Bezug worauf situiert wird/terme situant) zu interpretieren ist. Im Rahmen der Situierung mit der für den Inhalt der Wortbildung verantwortlichen Grundlage, innerhalb der wiederum die ein A gegenüber einem B situierende Präposition als Ankerpunkt erscheint, ist der die Elemente A und B einschließende Kontext zu betrachten: Es stellt sich die Schwierigkeit, eine solche Wortbildungsparaphrase zu finden, in der auch die im Wortbildungsprodukt auftretenden präpositionalen Elemente enthalten sind – auch wenn dies nicht immer möglich ist (cf. Agrainer ‘amener du grain À qc’ gegenüber EMpoussiérer ‘mettre de la poussière SUR qc’) –, d.h. es bedarf einer Analyse dergestalt, dass Form und Inhalt gemeinsam interpretiert werden (können). Als ein Kriterium für die Adäquatheit der Paraphrase dient gerade das Vorkommen des präpositionalen Elementes in derselben; allerdings wird diesem Umstand in der Regel weniger Beachtung geschenkt als der materiellen Reihenfolge der Glieder A, B und R im Wortbildungsprodukt. Die Serialisierung gemäß A Präposition (R) B, wie sie der Syntax des Französischen in der Regel entspricht, wird dabei auf die Wortbildungsprodukte zu übertragen gesucht (cf. Weidenbusch 1993, 67). So bieten sich jeweils für embarquer, débarquer und atterrir folgende Paraphrasen an: ‘mettre en barque’, ‘mettre hors de (la) barque’, ‘venir à terre’, die nicht nur Bestandteile der Paraphrase bilden, sondern insofern als Grundlagen der entsprechenden Wortbildungen fungieren, als sie «inhaltlichen Basen» entsprechen (cf. Kap. 5.2). Zu berücksichtigen wäre jeweils auch die Valenz des Verbs (cf. infra Punkt 6). Bei der Verbalisierung (cf. die Entwicklungen ensemencer, ensabler) kann die innerstrukturelle Elementenabfolge allerdings prinzipiell RB oder RA sein, z.B. Jean met un champ (A) dans la semence (B)/Jean met de la semence (A) dans un champ (B),6 d.h. RB wie RA stellen systematische Möglichkeiten dar. Beispielsweise liegt bei der Entwicklung von empoisonner im begrifflichen Anwendungsfeld RA zugrunde, d.h. das im Wortbildungsprodukt enthaltene Substantiv ist A (‘mettre du poison (A) en (R) quelqu’un (B)’ – cf. allerdings ‘pourvoir quelqu’un de poison’); RB (das im Wortbildungsprodukt vorliegende Substantiv ist B) ist etwa gegeben bei der (begrifflichen) Entwicklung von entasser (‘mettre des choses (A) en (R) tas (B)’) (cf. Weidenbusch 1993, 122ss.). Wie bei den semantischen Rollen ein Agens/Patiens etc. unabhänging von den syntaktischen
|| 6 Cf. Darmesteter (21894, 100): «Il semblerait que dans ensemencer en soit adverbe (mettre la semence en, dedans), mais il faut analyser: mettre le champ en semence. De même, sans doute, empoisonner, empester, empierrer, enfariner et d’autres».
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Funktionen identifizierbar ist (Pierre empoisonne Jacques/Jacques est empoisonné par Pierre), gibt uns – über die möglichen metasprachlichen Paraphrasierungen im Sinne einer innersprachlichen Übersetzung der Wortbildungsbedeutung hinaus – die Kenntnis der Welt und der Sachen Aufschluss darüber, was jeweils als situé (A) zu deuten ist. Bei ‘ornativen’ Verben des Typs ADUMBRARE: ferre UMBRAM (A) AD (R) aliquid (B) → aliquid (A) ADUMBRARE (RA) stellt sich der Redebedeutungstyp ‘versehen mit’ ein. Allerdings greift auch hier eine Bedeutungsparaphrase wie ‘pourvoir de’ (cf. ensabler ‘recouvrir, remplir de sable’ oder empoisonner ‘pourvoir qn de poison’) nur auf dem Niveau der lexikalischen Bedeutung, nicht aber dem der Wortbildungsverfahren. Die entsprechende Wortbildungsbedeutung lässt sich adäquater formalisierend fassen als «Verbalisierung einer präpositionalen Fügung mit Substantiv» (cf. Weidenbusch 1993, 71). Umgekehrt zu den «ornativen» Verben funktionieren die das «präpositionale Präfix» dé- (einschließlich der Varianten wie in désarmer etc.)7 enthaltenden «privativen»8 Bildungen des Typs défeuiller: Der Bedeutung ‘versehen mit’ steht hier die Paraphrase ‘wegnehmen von’ (‘priver de’ bzw. ‘enlever de’) gegenüber (cf. Lang 1991, 160–162). Das Problem der adäquaten Paraphrase stellt sich analog: So wären für défeuiller sowohl (a) ‘dépouiller/priver un arbre (A) de ses feuilles (RB)’ wie (b) ‘ôter/enlever les feuilles (A) d’un arbre (RB)’ denkbar, wobei ersichtlich wird, dass A in (a) durch arbre (bzw. B durch feuilles), in (b) dagegen durch feuilles (bzw. B durch arbre) repräsentiert wird. Daraus folgt, dass in défeuiller einmal eine Struktur (RB) (in a) vorläge, wohingegen (in b) das Problem auftaucht, dass die Paraphrase eine Struktur (AR) vorgibt, in der R nach A erscheint, was zu einem Widerspruch zwischen Grundlage und Wortbildung führt.9 Allerdings arbre als situiertes Element A zu betrachten, widerspräche unserer Welt- und Sachkenntnis: In beiden Paraphrasen wissen wir und entspricht es unserer Vorstellung, dass die Blätter vom Baum entfernt und nicht der Baum von seinen Blättern getrennt wird. Insgesamt lässt sich daher einzig auf Grund der außersprachlichen Fakten bzw. der Kenntnis der Sachen sowie der Norm entscheiden, was jeweils als das situierte Element zu deuten sei (cf. Weiden-
|| 7 Cf. Lang (1991, 167): «DES kommt in Wortbildungen nicht vor. Es gibt auch keine anderslautenden Varianten für diesen Gebrauch. DES- ist eine Präfixvariante von DE, nicht von DES». 8 Zur Opposition zwischen als «ablativ» bezeichneten Verben (des Typs débarquer, déballer) und privativen Verben (détacher, désarmer) nach Marchand cf. Marchand 1974, 407ss. 9 Zur Problematik, ob der Wortbildung eine Relation (RA) oder (RB) zugrunde liegt, cf. zudem Weidenbusch (1993, 67–71).
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busch 1993, 68–70).10 Man vergleiche folgende Verben: agrainer, empoussiérer, désarmer etc. mit agrainer ‘amener du grain (A) à qn (RB)’ vs. ‘pourvoir qn (A) de grain (RB)’; empoussiérer ‘mettre de la poussière (A) sur qc (RB)’ vs. ‘pourvoir (couvrir) qc (A) de poussière (RB)’; désarmer ‘’éloigner les armes (A) de qn (RB)’vs. ‘priver qn (A) de ses armes (RB)’, wobei die erste Paraphrase jeweils diejenige Variante darstellt, in der das Substantiv (im Wortbildungsprodukt) durch A repräsentiert wird. Beide Paraphrasentypen gehören nicht der Systemebene an: Die Wortbildungsbedeutung sagt lediglich aus, dass es sich um eine Verbalisierung einer präpositionalen Fügung (A-R-B) handelt. Zur Elementenabfolge kommt daher die Welt- und Sachkenntnis notwendig hinzu. Weidenbusch (1993, 68–69; zur Diskussion siehe ausführlich ibid., 69, Anm. 111) formuliert dies so: «Die Einstufung des Substantivs als A geht von den Paraphrasen ‘amener du grain à qqn.’, ‘mettre de la poussière sur qqch.’ und ‘éloigner les armes de qqn.’ aus, in denen die Substantive, die ebenfalls im Wortbildungsprodukt erhalten bleiben, vor der Präposition stehen und gemäß der Konstruktion A Präposition B als A zu interpretieren sind. Diese Interpretation deckt sich mit den außersprachlichen Fakten, denen zufolge das Korn, der Staub und die Waffen [,] diejenigen Gegenstände sind, welche bewegt werden, d.h. diejenigen, welche situiert werden. Aus diesem Grund liegt es nahe, Korn, Staub und Waffen ebenfalls in den Paraphrasen ‘pourvoir qqn. de grain’, ‘pourvoir (couvrir) qqch. de poussière’ und ‘priver qqn. d’armes’ als A zu bezeichnen».
Die Frage nach der Elementenabfolge stellt sich also adäquater dar als eine solche nach dem Situierten, die sich ihrerseits verquickt mit der Einordnung der Wortbildung als Modifizierung oder Entwicklung. Die mittels eines präpositionalen Elementes gebildeten Wörter können ja prinzipiell den Modifizierungen wie den Entwicklungen angehören (zur Exemplifizierung cf. Lang 1991, 156– 162): «Bei den Modifizierungen stellen die präpositionalen Elemente Wortbildungsmittel dar im Unterschied zu den Entwicklungen, wo sie Bestandteil der Basis sind» (Weidenbusch 1993, 71). Grundsätzlich gilt, dass Modifizierungen von Substantiven dann vorliegen, wenn das im Wortbildungsprodukt vorkommende Substantiv nicht als B (ge-
|| 10 Hier passt das Beispiel vom «Papierkorb» (cf. Coseriu 1977, 50–51; Kabatek/Murgía/Coseriu 1997, 258–260) – wir wissen auf Grund unserer Kenntnis der Sachen, dass der Papierkorb nicht aus Papier besteht, sondern für Papier bestimmt ist, und akzeptieren nur diese Bedeutung als die Wortschatzbedeutung (Lexikalisierung), wie sie der Sprachnorm entspricht, wenngleich die andere eine im Rahmen des Wortbildungsverfahrens (N+N-Kompositum) mögliche darstellt. Die Wortbildungsbedeutung (‹Papier – präpositionale Funktion (bzw. ‘hat zu tun mit’) – Korb›) lässt zunächst prinzipiell verschiedene Lesarten zu.
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mäß dem Schema A-R-B) interpretierbar ist, sondern die Struktur der Wortbildung auf einer Präfigierung von A (als Basis) beruht (cf. Weidenbusch 1993, 94; cf. Lang 1991). So ist dépoter als Entwicklung zu interpretieren (innerhalb der Wortschatzbedeutungsgruppe ‘enlever/ôter A de B’: ‘ôter la plante (A) du (R) pot (B)’): das im Wortbildungsprodukt vorkommende substantivische Element pot erweist sich als B, also als dasjenige Element, demgegenüber ein A situiert wird. Eine Modifizierung ist demgegenüber gegeben bei découler, paraphrasierbar als ‘l’eau (A) coule de (R) la montagne (B)’.11 Allerdings entspräche gemäß der Welt- und Sachkenntnis bei dératiser rat A (paraphrasierbar als ‘enlever les rats (A) de (R) la cave/d’un lieu (B)’, ggf. auch ‘débarasser (un lieu) des rats’) als dem situé; ferner liegt rat als Substantiv der Wortbildung zugrunde. Dabei handelt es sich m. E. trotzdem nicht (wie von Lang 1991 analog zur Präfigierung découler angenommen) um eine Verbmodifizierung, sondern um eine Entwicklung, so dass bei diesem Wortbildungsverfahren offensichtlich auch A im Wortbildungsprodukt erhalten sein kann. Weidenbusch weist explizit (1993, 131) auf die Schwierigkeit der Einordnung des Typs dératiser zum Verfahren der Modifizerung oder Entwicklung hin (ein Verb °ratiser ist nicht vorhanden, da außersprachlich nicht notwendig), grenzt sich aber ebenfalls von Langs Deutung ab: Da die Wortschatzbedeutungen solcher mittels dé- gebildeter Verben (‘enlever A’, ‘priver de A’ etc.) stets Bezug auf das Substantiv nehmen, nicht aber auf das unpräfigierte (bzw. beim Typ ensémencer mit en- versehene, aus einer präpositionalen Fügung mit Substantiv entwickelte) Verb, betrachtet Weidenbusch in Einvernehmen mit Pottier (1962, 198–201) den Typ dératiser als verbale (begriffliche) Entwicklung einer präpositionalen Fügung. 3) Anwendungsbereich Als Anwendungsbereiche der Situierung wurden bereits genannt die räumliche und die zeitliche Dimension sowie ein «begrifflicher» bzw. «notioneller» Bereich, zu dem verschiedene andere Begriffe gezählt werden, wobei die Anwendung im Raum den frequentesten Fall repräsentiert (z.B. embarquer). Der Bezug
|| 11 Dieser Ansatz stellt eine Uminterpretation Pottiers (1962, 198–199) durch Lang (1991) und im Anschluss Weidenbusch (1993, v.a. 50ss.; 95) dar. Pottier fasst das Verb couler als A auf und nicht das über die Kenntnis der Welt zu restituierende l’eau mit dem Ergebnis, dass in der Interpretation Pottiers A im Wortbildungsprodukt erscheint, nicht so in der Deutung nach Lang, der zufolge sogar weder A noch B darin enthalten sind. Die Modifizierung von Verben unterscheidet sich also von der von Substantiven und Adjektiven grundlegend dadurch, dass bei letzterer A die Basis repräsentiert.
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auf die temporale Dimension kommt in der Paragrammatik eher selten vor (cf. lat. PERNOCTARE ‘die Nacht verbringen’; frz. ajourner ‘vertagen’; it. adgiornare;). Dies lässt sich damit begründen, dass zum Ausdruck temporaler Inhalte bzw. Begriffe beim Verb (gemeint ist hier nicht die grammatikalische Kategorie Tempus) im Regelfall auf andere sprachliche Ausdrucksmittel rekurriert wird. Die bei der Situierung wie in sp. anochecer (‘Nacht werden’) zum Tragen kommenden Zeitangaben (Tag, Nacht, cf. dt. übernachten etc.) sind semantisch sehr allgemeiner Natur und noch näher zu eruierenden Restriktionen unterworfen (cf. dt. verjähren, vertagen gegenüber potentiell bildbarem, aber nicht existentem *vermonaten, *verwochen; stunden dagegen enthält kein präpositionales Element); diese sind mit den spezifischen Tempusangaben der Verbmorphologie semantisch nicht zu vergleichen (der Verbinhalt des «Verschiebens» etc. kann in jedem grammatikalischen Tempus, das die Sprache besitzt, gebildet werden). 4) Semantische Transposition Mit der Entwicklung einer präpositionalen Wendung, d.h. der syntaktischen Transposition geht häufig eine semantische Transposition einher, cf. embarquer: Die Ausdehnung des Bereichs der Nautik über den der Luftfahrt auf den Bereich der Fahrzeuge kann hier zu einer Metaphorisierung bzw. semantischen Transposition führen. So nimmt embarquer in s’embarquer dans une affaire einen übertragenen Wert (‘sich auf etwas einlassen’) an; cf. s’ensilvecer (‘verwildern’) (mit Bezug auf un campo): Hier wird nicht mehr der Urwald in ursprünglichem Sinne assoziiert, sondern die Bedeutung ist eine übertragene (cf. das bekannte Leitbeispiel nach Bally 41965, 116–117: chaleur/végétation tropicale ‘Hitze/Vegetation in den Tropen’ gegenüber ‘Hitze/Vegetation wie in den Tropen’ mit impliziertem Vergleich oder héroїne cornélienne ‘Heldin bei Corneille (Chimène)’ oder ‘Heldin wie bei Corneille (Charlotte Corday)’. Die semantische Transposition ist hier in der syntaktischen bereits enthalten. 5) Semantik des Verbs Hierbei gilt es etwa zu unterscheiden zwischen einer kausativen bzw. faktitiven Bedeutung (z.B. frz. enrichir) oder einer inchoativen Bedeutung (z.B. sp. anochecer, dt. aufwachen). Form und Inhalt müssen ferner gemeinsam interpretiert werden, da in einem Beispiel wie Jean rend/fait faire la photo (A) *PLUS GRANDE (B) → Jean AGRANDIT (RB) la photo (A) im Gegensatz zur italienischen Variante Giovanni trasforma la foto (A) IN (R) GRANDE (B) → Giovanni INGRANDISCE (RB) la foto (A) das präpositionale Element a nicht motiviert würde; dies wäre
Situierung | 657
der Fall in Jacques met l’étang (A) À (R) SEC (B) → Jacques ASSÈCHE (RB) l’étang (A). Dies wird noch deutlicher anhand des folgenden Beispiels: Juan pone algo (A) en (R) claro (B) → Juan aclara (RB) (*enclara) algo (A) (allerdings verwendete hier bereits das Lateinische AD CLARUM). Insgesamt aber stellt das Spanische vielfach bessere Entsprechungen zwischen Wortbildungsprodukt und Grundlage bereit als etwa das Französische. 6) Valenz des Verbs Ein Verb wie embarquer lässt – dekontextualisiert – offen, ob etwas in, auf etc. etwas verladen, an Bord genommen wird, man sich selbst in etwas begibt, etwas beginnt oder sich etwas (Wasser) über die barque ausbreitet etc. (cf. G.R. 2011, s.v.). Das Verb erfordert bzw. erlaubt sehr unterschiedliche Konstruktionen12 und umfasst als diskursive Varianten transitive Verwendungen (a–e) (mit direktem Objekt) (a) (mit (a) oder ohne Präpositionalergänzung (b)), absolute (ohne Objekt (c)), kausative (mit Präpositionalergänzung) (d), passive (e) sowie intransitive (f– i) (mit (f) und ohne (g) Präpositionalergänzung), pronominale (h) (mit Präpositionalergänzung (h), (i)), übertragene (i; d, Bsp. 3) etc. mit entsprechenden Aktanten (Komplementen/Ergänzungen)13 und zusätzlichen freien Angaben (Zirkumstanten/Supplementen): a. Embarquer DES PASSAGERS, DES TROUPES sur un bateau, à bord d'un bateau. b. Embarquer UNE LAME, UN COUP DE MER. Il a bien embarqué, mal embarqué son affaire. c. La mer est mauvaise, le navire embarque. d. Embarquer DES MARCHANDISES dans un wagon. Embarquer UN PASSAGER dans sa voiture. Ses amis L'ont embarqué dans ce procès. e. Être embarqué : être engagé sans retour. f. Il a embarqué hier pour le Maroc. Embarquer dans un train, un avion. g. La mer embarque. h. Il s'est embarqué à Bordeaux. S'embarquer dans une voiture, en chemin de fer, en avion. i. S'embarquer dans un procès interminable, une intrigue, un complot. S'embarquer dans un long discours …
|| 12 Zu «Valenz des Verbs» cf. Lüdtke (2002b) sowie Weidenbusch (1993, 96, Anm. 197). 13 Also prime actant: ‹sujet›; second actant: ‹complément (d’objet) direct ou objet›; tiers actant: ‹complément indirect ou complément d’attribution› (Tesnière setzt sich selbst – in aller Kürze – kritisch mit den traditionellen Termini bzw. v.a. deren Ablösung auseinander, cf. Tesnière 1959, 107ss., v.a. 108, Anm. 1; 109, Anm. 2).
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Eine Bildung wie dépoter (‘umtopfen’) stellt nach valenztheoretischen Begriffen ein zweiwertiges Verb dar: Je (1. Aktant) dépote la plante (2. Aktant), wobei dépoter ein direktes Objekt erfordert.14 Es lässt sich die Frage nach dem funktionellen Gewinn einer solchen Bildung gegenüber einer präpositionalen Fügung wie J’ôte la plante du pot (mit zugrunde liegender Struktur RB) stellen: Einerseits wird die lexikalische Komplexität erhöht, andererseits erfährt die Valenz der Grundlage im Verhältnis zu der der Ableitung eine Reduktion, was als Vorteil gewertet werden kann: So ist ôter in J’ôte la plante du pot als trivalentes Verb gebraucht (mit je = 1. Aktant, la plante = 2. Aktant; du pot = 3. Aktant). Analog erfolgt eine Reduktion der Valenz bei Jean se met quelque chose dans la tête gegenüber Jean s’entête, wobei die lexikalische Komplexität der präpositionalen Fügung in die situierende Ableitung s’entêter eingeht. Der umgekehrte Fall der Erweiterung der Valenz des Verbs setzt eine Loslösung von der semantischen Grundlage voraus. So ist s’embarquer in Jean s’embarque zweiwertig (Jean, se). Stellt das Fahrzeug keine Form der barque dar wie bei Jean s’embarque dans un avion oder bei semantischer Transposition wie in Jean s’embarque dans une affaire (cf. supra), erweitert sich die Valenz des Verbs um eine Stelle bzw. einen Aktanten. 7) Kontext und Weltwissen Die Frage des Kontextes bzw. Weltwissens sei auf der Folie der Valenz erneut aufgeworfen: Situierungen bei Verben, also Modifizierungen durch Präpositionen wie im Falle von découler (‘hinabfließen’, intransitiv bzw. monovalent: L’eau découle) bzw. angabenbezogene Verbalisierungen (Konversionen) wie dépoter (‘(ôter la plante A) du pot’ mit RB) erfordern zur Interpretation einen Kontext, da etwa nicht klar ist, wovon eine Sache (z.B. Wasser) herabfließt (z.B. l’eau découle…), oder ob etwa beim Umtopfen ein Aus- oder Eintopfen gemeint ist. Das Wissen, dass beispielsweise Wasser von etwas herabfließt, ist implizit im Sprecherwissen präsent (so wird automatisch ergänzt: Der Apfel fällt vom Baum – Der Apfel fällt herab (– vom Baum)). Ebenso muss bei der Verbmodifizierung découler das Inhaltselement, das angibt, wovon das Wasser herabfließt, aus dem Kontext restituiert werden: L’eau découle (de la montagne). Die NichtBerücksichtigung des Kontextes führt zu Irrtümern, da zum Funktionieren der
|| 14 Cf. Weidenbusch (1993, 95): «Das Verb, die Basis des Wortbildungsverfahrens, wird situiert durch das Hinzufügen der Angabe ‘der Lage, der Richtung, der Zeit’ […], die sich nicht auf die Verbalhandlung selbst, sondern auf die an ihr beteiligten Aktanten und die Zirkumstanten bezieht. Bei intransitiven Verben funktioniert das Subjekt als A, bei transitiven das direkte Objekt» (cf. Dokulil 1968b, 209).
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Präposition ein Kontext mit A und B erforderlich ist (cf. Lang 1991, 149–150). Eine Präzisierung erfolgt über eine fakultative Ergänzung, wodurch découler als zweiwertiges Verb gebraucht wird. Die Analyse von L’eau coule de la montagne ergibt dann: de (R) la montagne (B) couler (A). Pottier ging von einer wie folgt darstellbaren Analyse für DEcouler aus: DE (R = élément de relation) la montagne (B = terme situant) couler (A = terme situé) [sic, cf. supra], wobei a (= objet du terme situé: l’eau) in diesem Fall nicht besetzt ist.15 Damit unterlief Pottier bei der Lokalisierung von A (= zugrunde liegendes Verb) eine missliche Interpretation: «was in seinen Beispielen [découler, dépoter, dératiser, devancer], vom Berg herunter bzw. aus dem Topf herauskommt bzw. vor Pierre ist, das sind nicht Verbalhandlungen wie ‘couler’, ‘ôter’ oder ‘marcher’, sondern Gegenstände wie ‘Wasser’, ‘Pflanzen’ bzw. ‘Ratten’ oder Sachverhalte wie ‘Jean marche’» (Lang 1991, 149–150). Im Unterschied zu Pottier wird bei Lang nun nicht das Verb couler situiert, das einen Prozess impliziert, sondern l’eau, das bei Pottier nicht berücksichtigt wird. Durch seine Uminterpretation Pottiers (1962) erreicht Lang (1991) eine durchweg funktionierende Paraphrase, die die Bedeutung von Bildungen des Typs DÉcouler wiederzugeben vermag: DE (R) la montagne (B) l’eau (A) couler bzw. nach dem Schema A-(R-B): L’eau (A) COULE DE (R) la montagne (B) → L’eau (A) DÉ-(R)COULE (de la montagne (B)). Auf diesem Analysehintergrund lassen sich die Wortbildungsprodukte découler, dépoter, dératiser, devancer wie folgt wiedergeben (Darstellung nach Lang 1992): Tab. 15: Bedeutungsaspekte der Präposition
R
B
A
DEcouler
de
la montagne
l’eau
DEpoter
de
le pot
la plante
ôter
DEratiser
de
le pot/la cave
les rats
ôter
DEVANcer
devant
Pierre
Jean march
-er
couler
Werden nur diejenigen Elemente dargestellt, die im Wortbildungsprodukt erhalten bleiben, ergibt sich:
|| 15 Pottier wählt die Darstellungsform nach der Anordnung R B A a. Die Funktion von a lässt sich anhand von DÉpoter illustrieren: DU (R) pot (B) ôter (A) la plante (a).
660 | Situierung
Tab. 15a: Elemente, die im Wortbildungsprodukt erhalten bleiben
R DEcouler
B
A
DE _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ couler
Modifizierung DEpoter
DE_ _ __ _ _ _ _ _ _ pot_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _er
Entwicklung DEratiser
DE_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _rat _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ iser
Entwicklung DEVANcer
DEVAN_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ cer
Entwicklung
Der wesentliche Vorteil eines Interpretationsansatzes, der von einer Analyse des Präfixes als präpositionalem Element ausgeht (cf. Weidenbusch 1993; Lang 1991), beruht u.a. darauf, dass bei einer Wortbildung wie enrichir, der gewöhnlich eine Wortbildungsparaphrase ‘rendre (plus) riche’ zugeordnet wird, die traditionellen Analysen zwar die adjektivische Basis riche zu motivieren geeignet sind, nicht aber gleichermaßen auch dem präpositionalen Element sowohl auf formaler wie inhaltlicher Ebene Rechnung tragen. Die Solidarität von Form und Inhalt wird in einer Interpretation, die von einer adjektivischen Basis in Verbindung mit einem faktitiven Verb ausgeht, nicht gewahrt (cf. Punkt e). Sollte eine formal und inhaltlich angemessene Paraphrase nicht gefunden werden können, setzt dennoch eine adäquate inhaltliche Analyse der Präposition eine Sicht voraus, die alle Elemente der Gruppe, in die die Präposition eingebunden erscheint, sukzessive auf ihre Bedeutung hin untersucht. Nur auf diesem Weg, der von einer zunächst hypothetisch angenommenen Sprachbedeutung der Präposition ausgeht und hinführt zu den Typen an Redebedeutungen, die sich auf der Grundlage der einzelnen Redebedeutungen konstituieren, und gleichzeitig in analytischer Betrachtung Präposition samt voraufgehenden und nachfolgenden Elementen (cf. voyage en Italie, arbre en fleurs, docteur en/es lettres etc.) analysiert, kann das Problem, zur Sprachbedeutung vorzudringen, angemessen angegangen werden.
10 Attributtransposition (Relationsadjektivbildung) und Konversion präpositionaler Fügungen – typologische Einordnung 1
Attributtransposition u. Konversion präpositionaler Fügungen – typolog. Einordnung
Die theoretische Bedeutung der Konversion im Rahmen dieser typologischparagrammatischen Untersuchung wurde bislang wiederholt herauszustellen versucht. Ein besonderer Fall liegt bei denjenigen Bildungen vor, die aus der Sicht einer inhaltlichen Wortbildungslehre als «Attributtranspositionen», mit Coseriu als «attributive Entwicklungen» bzw. «Attributentwicklungen» bezeichnet werden können. Traditionell wurden diese (ebenfalls mit Bezug auf die Inhaltsseite) als Relationsadjektive klassifiziert (cf. la voiture présidentielle ‘la voiture du président’).1 Was die Begriffe voneinander unterscheidet, ist, dass «Relationsadjektiv» die Beziehung eines Adjektivs zu einem zugrunde liegenden Substantiv «in sehr allgemeiner Weise» charakterisiert; die beiden anderen Begriffe weisen dem Substantiv der Grundlage die Funktion eines Attributes zu, «dessen Kategorienwechsel zum Adjektiv entweder grammatisch allgemein als Transposition (Bally) bzw. Translation (Tesnière) oder innerhalb der Wortbildung als Entwicklung (Coseriu) betrachtet wird» (Lüdtke 1995, 139; zum Begriff «syntactic (transpositional) adjective» bei Marchand cf. ibid., 139, v.a. Anm. 3). Lüdtke bewertet die Begriffe im Verhältnis zueinander: «Diese drei Termini erfassen verschiedene Elemente des Inhalts der desubstantivischen Adjektivierungen und können durchaus, da es keinen den gesamten Inhalt klar erfassenden Terminus gibt, beliebig verwendet werden» (ibid.).
|| 1 Die Bezeichnung als «Relationsadjektiv» geht wahrscheinlich auf Bally (41965, 97) zurück: «l’adjectif dit ‘de relation’ transpose des substantifs (soleil, crâne, cerveau, etc.) sans rien changer à leur valeur de substantifs». Lüdtke (1995, 138–139, Anm. 2) weist darauf hin, dass die Termini «adjectif de relation» sowie «adjectif relationnel» zwar schon von Henri Frei in seiner Grammaire des fautes (1929, 81–82 und passim) verwendet werden und von Bally erst 1932 in der 1. Auflage seiner Linguistique générale française; dass aber trotzdem die Annahme, wenngleich mangels gegenseitiger Verweise der Autoren aufeinander letzten Endes nicht gesichert, zumindest nahe liege, dass der Begriff durch Ballys Lehre vermittelt wurde. Auch Coseriu lehnt sich an Ballys Definition an, abstrahiert aber von der Unterscheidung zwischen «transposition syntaxique» und «transposition sémantique». Der Begriff «attributive Entwicklung» wird in Coseriu (1977, 51; 57) eingeführt. Zur Stellung der Relationsadjektive im Rahmen seiner Hierarchiserung der Transpositionstypen cf. auch Staib 1989 (bzw. Kap. 5.4.2 zur Transposition sowie Staib 1988). https://doi.org/10.1515/9783110693966-010
662 | Attributtransposition u. Konversion präpositionaler Fügungen – typolog. Einordnung
Vom Standpunkt der in dieser Arbeit zugrunde gelegten theoretischen Prämissen (Kap. 1.2) kommt diesen Bildungen insofern eine herausgehobene Stellung zu, als sie ein Pendant zu den Konversionen präpositionaler Fügungen des Typs embarquer im Bereich der Verbalisierung darstellen. Die Affinitäten zwischen Attributentwicklung und Konversion präpositionaler syntaktischer Gruppen wurden von Weidenbusch (1993, 75ss.) im Rahmen ihrer Betrachtungen zur Entwicklung von Adjektiven aus präpositionalen Fügungen (mit Substantiv), namentlich solchen des Typs international, offen gelegt: So implizieren Wortgruppen des Typs contre la monarchie, entre les nations auf syntaktischer Ebene eine attributive Funktion, «da sie ein substantivisches A voraussetzen, welches durch die präpositionale Fügung modifiziert wird» (Weidenbusch 1993, 78), z.B. des tendances antimonarchiques/des journaux antimonarchistes. Somit entspricht beispielsweise der Bildung international eine Paraphrase im Rahmen der impliziten grammatischen Determinierungen . Ein präpositionales Gefüge des Typs frz. outre-mer – d’outre-mer → ultra-marin wird also adjektiviert, wobei die Präpositionen in der Regel zwar das Latein widerspiegeln, aber eine Entsprechung in einer einfachen oder komplexen romanischen Präposition besitzen. Die für die Adjektivierung verwendeten Suffixe sind dieselben, die einfache Substantive in attributiver Funktion zu Adjektiven entwickeln: «wie frz. national von nation, so wird auch international von entre nations mit -al entwickelt, obgleich die Form die unangemessene Analyse in inter- und -national nahelegt» (Lüdtke 1996a, 260). Weitere Beispiele sind etwa antigouvernemental, extraparlementaire, intracérébral, préindustriel, postindustriel, sous-marin, suburbain, supersonique, transocéanique etc. (siehe Lüdtke 1995, 149). Wird national wiedergegeben als , kann analog das Verfahren der Entwicklung von Verben aus einer präpositionalen Fügung des Typs débarquer dargestellt als . Die Verfahren der Attributtransposition sowie der Verbalisierung auf der Grundlage einer syntaktischen Fügung unterscheiden sich also durch die Wortart des Wortbildungsproduktes und die implizierte syntaktische Funktion der präpositionalen Fügung. Die grammatischen Bestimmungen ‘attributive Funktion’ bzw. ‘Verbalergänzung’ sind neben der Basis (de la nation, de la barque) notwendig anzugeben, da präpositionale Fügungen in beiden Funktionen erscheinen können. Interessant ist der Fall der Attributtransposition zunächst in historischer Perspektive, die den typologischen Umbruch im Mittelfranzösischen mit erfasst. Im Übergang zum Neufranzösischen hat sich ein neuer Verfahrenstyp etabliert (cf. Eckert 1986), der die syntagmatische Ebene zur Entfaltung bringt; so ist im
Attributtransposition u. Konversion präpositionaler Fügungen – typolog. Einordnung | 663
Gros der Fälle die Attributentwicklung in den romanischen Sprachen durch das Attribut substituiert worden (cf. Lüdtke 1996a, 258). Materiell manifestiert sich dieser Wandel in der Konstruktion als präpositionale Ergänzung (cf. avoir une volonté de fer), wobei aber auch beide Konstruktionen (je nach Varietät) nebeneinander bestehen bleiben können wie in it. una disciplina di ferro : una disciplina ferrea (‘eine eiserne Disziplin’); une patience d’ange : une patience angélique. Dass Attribut und Attributentwicklung in den romanischen Sprachen teilweise koexistieren, lässt sich damit begründen, dass auch für die Attributentwicklung zumindest partiell von volkstümlicher Tradierung ausgegangen werden kann, so namentlich in fachsprachlichen Bereichen. Verstärkt wurde diese Entwicklung zudem durch Relatinisierung und Entlehnungen aus anderen Sprachen (cf. Lüdtke 1996a, 258; 260; cf. 1995, 148–149): «Erst mit der Entwicklung des wissenschaftlich-technischen und politischen Wortschatzes vom 18. Jahrhundert an ist ein spezifisches Verfahren der Attributentwicklung wieder aus dem Latein entlehnt und produktiv geworden, das nicht direkt tradiert wurde. Es liegt der Typ EXTRAORDINARIUS ‘außerordentlich’ zugrunde, der auch im Vulgärlatein und im mittelalterlichen Latein zu Neubildungen führte und zum Teil in die romanischen Sprachen entlehnt wurde, z.B. ULTRAMONTANUS ‘jenseits der Berge wohnend’, frz. ultra-montain (1323 belegt)».
Präpositionale Konstruktionen des Typs una disciplina di ferro gehören nun nicht der Wortbildung an; in ihnen reflektieren sich einzig syntaktische Regeln, nicht aber ein paragrammatisches Verfahren. Dennoch sind sie aus der Sicht der typologischen Entwicklung des Französischen von Bedeutung, da sich auch in ihnen die Gültigkeit des syntagmatischen Prinzips reflektiert (cf. Kap. 11.1). Der erläuterte Typ frz. extraordinaire stellt eine für diese Sprache typische Erscheinung dar: Die relativ hohe Produktivität dieses Typs im Romanischen übersteigt die des Lateinischen und ist hauptsächlich über das Französische vermittelt worden (cf. exemplarisch frz. extra-utérin, intersubjectif, préscolaire, postopératoire, surhumain etc.), wobei eine hohe interromanische Lehnaktivität besteht (cf. Lüdtke 1996a, 260). Parallel zur Attributtransposition ist im Bereich der Verbalisierung der Verfahrenstyp, der auf der Konversion einer präpositionalen Fügung als Grundlage beruht, im Lateinischen noch wenig entwickelt und wird hier eher von einer Gruppe ‹Präposition + Substantiv› als von einer Fügung ‹Präposition + Adjektiv› abgeleitet; in romanischer Zeit zeichnet er sich dagegen durch eine hohe Produktivität aus, cf. frz. accoupler, allonger, embaumer, enivrer, édenter, égayer etc. (cf. Lüdtke 1996a, 262). Aus typologischer Sicht kann sich die Annahme der Entwicklung hin zu einer steigenden Produktivität der Konversion präpositiona-
664 | Attributtransposition u. Konversion präpositionaler Fügungen – typolog. Einordnung
ler Fügungen im Übergang vom Latein zu den romanischen Sprachen auf folgendes Argument stützen (ibid.): «Wie die Präpositionen umgestaltet werden, so auch die präpositionalen Fügungen, die zu Verben konvertiert werden. Die höhere Produktivität der Konversion von Substantiven und Adjektiven ohne Präposition zu Verben im Latein und die höhere Produktivität der Konversion auf der Grundlage einer präpositionalen Fügung in den romanischen Sprachen ließe sich begründen durch den Wandel vom lateinischen Kasussystem, in dem nur ein Teil der Relationen im Satz durch Präpositionen ausgedrückt wurde, zu solchen grammatischen Verfahren, bei denen die Relationen im Satz (außer Subjekt und meist Objekt) fast gänzlich durch Präpositionen ausgedrückt werden. So dürfte dieser grammatische Wandel den paragrammatischen Wandel nach sich gezogen haben».
Die Wortbildungstypen dieses Bereichs besitzen zudem eine relativ hohe Konstanz, so dass im Grunde lediglich eine Verlagerung der quantitativen Verhältnisse zugunsten der auf präpositionalen Fügungen beruhenden Konversionen eingetreten ist; diese ist jedoch augenfällig (cf. Lüdtke 1996a, 263). Allgemein leistet es die Konversion, die präpositionalen Fügungen als Ganze für die Wortbildung verfügbar zu machen; dabei kann die syntaktische Struktur mit gewissen (die Valenz der syntaktischen Grundlage bzw. der Wortbildungsbasis betreffenden) Einschränkungen (cf. Lüdtke 2002b) erhalten bleiben.
11 Lexemkomposition Über die typologische Charakterisierung des wortbildenden Systems der Sprachen hat sich Skalička im Rahmen seiner Konstrukttheorie nur gelegentlich und in der Regel äußerst knapp geäußert. Ansätze bzw. Anhaltspunkte gehen dahin,1 das für den isolierenden (mit analytischen Mitteln operierenden) Typus charakteristische «Wortbildungsverfahren» in solchen Bildungen zu sehen (von den eigentlich paragrammatischen Verfahren zunächst abgesehen), in denen die Glieder durch ein präpositionales Element (namentlich de und à, in geringerem Maße en, marginal auch andere Präpositionen) miteinander verbunden werden, wie durch folgende Typen veranschaulicht: Bildungen mit de: frz. chemin de fer, conseil d’État, point de départ, pomme de terre, salle de bains, permis de conduire etc.; mit Erweiterung des Determinans: billet de chemin de fer, purée de pomme de terre, dame-d’onze-heures (‘Milchstern (Pflanze)’). Selteneres Vorkommen besitzen Verbindungen mit artikulierter zweiter Komponente: maison de la culture, Code de la route, syndicat des enseignants etc. Bildungen mit à sind beispielsweise: avion à réaction, brosse à dents, fer à cheval, ennemi à mort, marche à pied, moulin à vent, moteur à essence, verre à liqueur etc.; mit artikuliertem zweitem Element: boîte aux lettres, conférence au sommet, mise au point, pot-au-feu, travail à la chaîne etc.; mit infinitivischem zweitem Glied: crème à raser, cartes à jouer, salle à manger. Seltener sind Verbindungen mit mehrgliedrigem präpositionalen Determinans: bête à bon Dieu (‘Marienkäfer’), chandail à col roulé, missile à tête nucléaire. Verbindungen, die andere Präpositionen als de und à enthalten, sind etwa: film en couleurs, enseignement par correspondance, confection pour dames, avion sans pilote, service après vente, gravure sur bois, territoire sous mandat, enfant avant terme, amour contre nature (cf. Thiele 21985, 84–86). Gerade die «Präpositionalkomposita» gehören aber nicht in eine Wortbildungslehre, da es sich um bloße Elemente der wiederholten Rede handelt, die nicht auf einem inhaltlichen Wortbildungsverfahren beruhen. In der Regel wird jedoch anders argumentiert bzw. verfahren: Die präpositionalen Verbindungen des Typs pomme de terre werden dann zur Wortbildung gerechnet, wenn sie einen gewissen Grad an «Lexikalisierung» aufweisen und, als Voraussetzung der «Lexikalisierung», mit einer bestimmten Frequenz in einer Sprache belegt sind (cf. Bauer 2001, 702). Das Kriterium der Lexikalisierung (von Wortbildungen) bzw. Idiomatisierung (als Wiederholung grammatisch gebildeter Redeeinheiten) (zur
|| 1 Bestätigend Sgall, persönliche Mitteilung. https://doi.org/10.1515/9783110693966-011
666 | Lexemkomposition
Unterscheidung cf. Lang 1987; Lüdtke 2005, 72–73; 269) geht allerdings analytisch von der bereits geschaffenen Wortbildung bzw. der phraseologischen Einheit, also der Wortschöpfung allgemein, aus und nicht vom Gesichtspunkt des dynamischen Wortbildungsprozesses, nach dem eine Bildung geschaffen wird und der der Frage nach den inhaltlichen Verfahren entspricht; nur letztere Perspektive kann die für eine Sprache typischen Wortbildungsverfahren offen legen und insofern einer inhaltlichen Wortbildungslehre angemessen sein. Auch nach Lang (1987, 183) liegt bei Bildungen des Typs sp. casa de campo oder analog frz. pomme de terre (sowie sp. vino blanco, frz. roue dentée, dt. rote Rüben) nicht Komposition vor, sondern «ein Stück wiederholter Rede»; deshalb können entsprechende Verbindungen nur als «Namen der Rede» bezeichnet werden, nicht aber als «Namen der Sprache» und damit als eigentliche Wortbildungen.2 Weidenbusch (1993, 81) argumentiert, dass «auch die der ‘wiederholten Rede’ angehörenden pomme de terre, casa de campo, chien de berger, fils de roi eine Deaktualisierung der Komponenten, cf. z.B. fils du roi, chien du berger,3 beinhalten und als Namen der Sprache bezeichnet werden können, auch wenn sie in den Wörterbüchern nicht konsequent aufgenommen werden». Trotzdem stimmt sie der Zuordnung der genannten Bildungen zur «wiederholten Rede» bzw. deren Beschreibung im Rahmen der Phraseologie prinzipiell zu. Bauer (2001, 702–705) lehnt eine Zuordnung der als «Präpositionalkomposita» (composés prépositionnels, prepositional compounds) bezeichneten syntaktischen Verbindungen des Typs chemin de fer zur Komposition ebenfalls ab. Als Ausschlusskriterium dient ihm die Tatsache, dass die beiden lexikalischen Elemente der Kombination durch ein präpositionales Element miteinander verbunden werden, auch wenn semantische Kompositionalität nicht mehr gewährleistet ist. Ein Unterschied zwischen präpositionalen Verbindungen des Typs pomme de terre und enger definierten Komposita ist laut Bauer in vielen der Fälle «a lack of the binary structure which typifies compounds» (2001, 705). Die Argumentation ergibt sich daraus, dass Bildungen des Typs pomme de terre wie idiomatisierte Wendungen (cf. frz. comme il faut, Possessivkonstruktionen wie engl. women’s liberation sowie «Zusammenrückungen» bzw. aus syntaktischen Strukturen abgeleitete Benennungen des Typs dt. Vergissmeinnicht; frz. le je-ne-sais-quoi) behan-
|| 2 Um zu eigentlichen Wortbildungen bzw. «Namen der Sprache» zu werden, genüge es nach Langs Auffassung, dass diese (so die bleibende Möglichkeit) durch die Sprecher zu «Zusammenrückungen» subordiniert würden. 3 Vergleiche Bally (41965, 94, §141), der fils de roi ohne Kennzeichen der Aktualisierung als eine «virtuelle» Einheit der langue betrachtet, die der syntaktischen Gruppe fils du roi als Einheit der parole gegenübersteht.
Nach grammatischen Regeln gebildete Wörter vs. Komposition | 667
delt werden, was prinzipiell richtig ist; die Begründung ist jedoch eine abweichende (und nicht stringent ausschließende). Solche nicht auf bloßer asyndetischer Kombination beruhenden Verbindungen werden demgegenüber als echte Komposita anerkannt, deren Komponenten entweder durch «some kind of linking element, which thus comes to act as an empty morph» (2001, 702) oder durch eine Flexionsform eines der beiden miteinander verbundenen Elemente in Beziehung zueinander gesetzt werden.4 Der erste Fall kann durch Khmer yian-∂-thaan [wörtlich: Fahrzeug-BINDEGLIED-Platz] ‘Garage’ veranschaulicht werden, der zweite durch Dänisch jul-e-dag [wörtlich: Weihnachten-BINDEGLIED-Tag] ‘erster Weihnachtsfeiertag’, wobei das verbindende Element in letzterem Beispiel aus einem Genitiv hervorgegangen ist (cf. Bauer 2001, 702–703). Die beschriebene, auf der syntaktischen Kombination sprachlicher Einheiten beruhende Bildungsweise ist in der Lage, regelmäßige allgemeine Bedeutungen auch materiell systematisch zum Ausdruck zu bringen, wobei sich asyndetische Komposita vielfach durch entsprechende (auf Bezeichnungsebene äquivalente) präpositionale Bildungen ersetzen lassen (cf. cigarette-filtre und cigarette à bout filtre). Aufgrund dieser funktionellen Erwägung sowie angesichts ihres verbreiteten Vorkommens in der Sprache stellt die idiomatische Bildungsweise nach grammatischen Regeln mit Blick auf eine typologische Charakterisierung des Französischen eine m. E. der Betrachtung würdige Erscheinung dar. Daneben existieren Kombinationen gemäß dem produktiven romanischen Muster tire-bouchon; dieser Typ (cf. Kap. 11.4) hat die Wortbildungstheorie stark
|| 4 Tatsächlich beruht die Bedeutung vieler Präpositionen lediglich darauf, eine Relation zwischen zwei Elementen herzustellen. So können im Prozess der Idiomatisierung de und à (unabhängig von ihrer Funktion als frei vorkommende Morphemwörter) in entsprechenden Verbindungen die Bedeutung anderer Präpositionen einnehmen, d.h. unterschiedliche Relationen zum Ausdruck bringen, cf. de: médecin de famille ‘médecin pour la famille’, classe de neige ‘classe dans la neige’, coup de pied ‘coup avec le pied’, soirée d’automne ‘soirée pendant l’automne’, médecin de campagne ‘médecin à la campagne’ etc.; à: couteau à fromage, fer à souder, machine à repasser, pelle à tarte, tasse à café, verre à liqueur: Hier gibt die zweite Komponente den Verwendungszweck an, d.h. à erscheint in der Funktion von pour; in frein à main, fusil à piston, moteur à essence, moteur à réaction entspricht à eher der Präposition par zum Ausdruck einer spezifischen Funktionsweise. Die Bestandteile werden betont in balai à manche, casque à pointe, charrette à bras, cruche à anse, robe à traîne, stylo à billes, wagon à couloir, d.h. à erscheint in der Funktion von avec (cf. Thiele 21985, 91). Laut Klöden (2001, 65–66) stellt de «die Präposition mit der größten Extension» des Französischen dar, gefolgt von à und mittlerweile sur als ebenfalls äußerst abstrakte, d.h. polyseme Präposition. De und à können in bestimmten Wortpaaren durch den Ausdruck zum einen des Inhalts, zum anderen des Zwecks in Opposition zu einander treten, cf.: verre de vin (Inhalt) – verre à vin (Zweck).
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beschäftigt und auch für die paragrammatisch-typologische Interpretation bietet das Verfahren eine interessante Struktur. Ein weiterer Typ (aérogare) assimiliert ein meist gelehrtes Element und findet in den Studien zur Wortbildung in der Regel geringere Beachtung. Dieser Typ ist typologisch zwar insofern von gewisser Relevanz, als er auf die Lehnaktivität einer Sprache schließen lässt (bzw. auf ein in die Sprache integriertes fremdes Wortbildungssystem: im romanischen Kontext lateinische und griechische Einflüsse); dennoch ist er abgesehen von der Frage der Einordnung zur Derivation oder Komposition (cf. Lüdtke 2001a, 774 bzw. 1978, 196; 2005, 306–307) bezüglich der wortinternen Struktur nicht von großem typologischem Interesse. Ich werde auch nicht weiter darauf eingehen; vielmehr soll im Folgenden der präpositionale sowie der juxtaponierende Typ mit Blick auf ihre besondere Stellung im Französischen und hinsichtlich eines typologischen Deutungsversuchs noch genauer betrachtet werden.
11.1 Nach grammatischen Regeln gebildete Wörter vs. Komposition Die Existenz der nach grammatischen Regeln gebildeten Wörter im System des Französischen scheint als Phänomen der Sprache zu bedeutend, als dass dieses aus einer typologischen Analyse des Sprachsystems einschließlich des wortbildenden Systems ausgeschlossen werden könnte. Der eine Präposition enthaltende syndetische Bildungstyp (pomme de terre, chef d’œuvre, salle à manger, arc-en-ciel) kommt im Französischen des 13. Jahrhunderts auf und verzeichnet in den nachfolgenden Jahrhunderten eine wachsende Produktivität, was laut Thiele (21985, 84) zu einer Schwächung des asyndetisch-juxtaponierenden Verfahrens führt. Die asyndetische Substantiv-Substantiv-Komposition (homme-grenouille, chien-loup, fille-mère, cigarette-filtre etc.) ist im Gegenwartsfranzösisch mit geringerer Frequenz vertreten als ersterer Typ, jedoch eigentlich schon sehr alt. Erste Belege reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück (veine-port, 1314, cf. Noailly 1990, 208) und entsprechen der einstigen afrz. Syntax (cf. fête-Dieu, Hôtel-Dieu, bain-marie; Toponyme: Nogent-le-Roi, Château-Thierry; Flüche: Ventrebleu!; die Präposition malgré (< mal gré) etc.). Seit dem 19. und vor allen Dingen 20. Jahrhundert hat dieser Kompositionstyp deutlich an Vitalität gewonnen (cf. Kampers-Manhe 1993).5 Vornehmlich unter dem Einfluss der Fachsprachen, so u.a.
|| 5 Noch nach Grevisse (1993, 237, §178, c) ist der Kompositionstyp «[n]om formé d’un nom et d’un nom complément juxtaposé […] devenu peu productif»; in Grevisse 2011 (§179, c, 1°) wird dagegen auf die neu gewonnene Vitalität hingewiesen.
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der Wirtschaftssprache, teilweise ggf. (aber wohl eher marginal) in Anlehnung an germanische Vorbilder (die Entwicklungen im Englischen wie Französischen verlaufen vielmehr parallel) trifft man in der Gemeinsprache des modernen Französisch auf eine schier unerschöpfliche Anzahl asyndetischer Kombinationen nach folgenden Mustern (cf. Grevisse 1993, 536, §348, b): Le match France – Belgique, le franc or, un vélo modèle course, un pyjama taille 50, un lustre genre rouet, des boutons fantaisie, un lavage minute, du papier écolier, un costume pure laine, une poche revolver, une poche poitrine, un bébé-éprouvette, des pneus neige, un chapeau haute forme. – Son artillerie tous-azimuts et tous-terrains. – Moyens de transmissions «dernier cri» etc. In der Werbesprache werden solche Ausdrücke aufgrund ihrer Knappheit und Prägnanz bevorzugt, die Sprache des Internets ist voll davon. Die Frage nach den zum Ausdruck entsprechender Relationen alternativ zur Verfügung stehenden Mitteln drängt sich auf. Hier kommen insbesondere Relationsadjektive in Frage; im Vergleich zu diesen sind der Bildungsfähigkeit von Konstruktionen wie den oben angeführten im Grunde keine Grenzen gesetzt (Kampers-Manhe 1993). Allerdings wirft die Analyse und Klassifikation der Typen verschiedene Probleme auf. Noailly (1990) dokumentiert eine zu würdigende Ansammlung an Belegen und versucht diese, gemäß den folgenden Typen zu ordnen, die das inhaltliche Verhältnis zwischen N1 und N2 zu erfassen suchen: «qualification, coordination, complémentation, identification», auf die ich nicht näher eingehen möchte. Der Ansatz scheint jedoch tragfähig. Die präpositionale Verbindung begründet daneben ein im Französischen stets verfügbares (da in der Syntax verankertes) Verfahren (so etwa auch alternativ zum Typ coupepapier6). Rohrer (1977, 145ss.) hat der «Tendenz zur präpositionslosen Syntax» ein eigenes Kapitel gewidmet, wobei mit A. G. Hatcher (1944, 517) zunächst auf das Englische Bezug genommen wird: «In the last few decades, however, and particularly in the last few years, the preference has been growing, in all categories for (uninflected) noun combinations, regardless of length, at the expense of prepositional phrases». Für das Französische konstatiert Rohrer (1977, 145): «Auch in der französischen Syntax werden die präpositionslosen Verbindungen
|| 6 «In allen Fällen, wo ein Kompositum dieses Typs nicht existiert, werden […] für die entsprechenden Bezeichnungen prolexematische Komposita (oder primäre Nomina agentis) in präpositionaler Konstruktion mit einem weiteren Element verwendet; cf. z.B. sp. tenedor de libros, it. ladro di cavalli (was etwa ‘rubacavalli’ entsprechen würde), it. contachilometri, contagocce, aber contatore della luce (del gas). […] so kann man im Spanischen für cuentakilómetros ohne weiteres contador de kilómetros sagen» (Coseriu 1977, 58–59).
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immer häufiger. Es tauchen Konstruktionen auf, die vor einigen Jahrzehnten noch völlig unmöglich gewesen wären». Zum Beleg werden Beispiele wie die folgenden angeführt: Venez sur place à nos frais: votre voyage avion aller-retour France-Corse vous sera remboursé. (Elle, N° 867, S. 3A); Il y a un facteur constant écart-distance (Monde, 5/2/1963); on sait qu’il existe deux formes de vaccins: le vaccin à virus tués, […] et le vaccin virus vivants «atténués» ou vaccin Sabin qui se prend par la bouche (Express, 17/10/1963, S. 60 mit zum einen syndetischer, zum anderen asyndetischer Konstruktionsweise); le nouveau S P Dunlop est aussi un pneu «haute sécurité» (A, Match, N° 740, S. 153); un nouveau tableau de bord «haute sécurité» […], finition «grand couturier» (A, Match, N° 755, 110); Nord-Aviation travaillant depuis trois ans avec le constructeur allemand à la mise au point de nouveaux missiles antichars et airsol. (Express, N° 710, S. 31); le plus dur, c’est Maggie, la femme-enfant, la femme innocence et vérité, rencontrée un soir dans le parc, à l’arrêt de l’autobus (Express, N° 710, S. 34).
Im Englischen können offensichtlich bis zu sieben Glieder miteinander kombiniert werden (cf. Rohrer 1977, 146).7 Rohrer betrachtet solche «asyntaktischen» Verbindungen als Phänomene der Syntax, nicht der Morphologie, die – unter Berufung auf Otto Jespersen (1914) und Hans Marchand (1960a) – einen «neuen syntaktischen Typ» begründen (ibid.);8 cf. zum Französischen: étage haute fréquence, maillots deux-pièces, tourne-disque haute fidélité. Rohrer begreift die Komposition «als ein Verfahren, das ebenfalls Wortgruppen auf die Wortebene transponiert» (1977, 147) – eine Interpretation, die mit dem Konzept der hierarchisch geordneten grammatischen Ebenen innerhalb des Sprachsystems (cf. Kap. 2.2) (bzw. dem der Subordinierung) kompatibel ist. So geht Rohrer für das Französische ebenfalls von der Existenz einer eigenen Ebene Wort aus. Das Französische transponiert Wortgruppen und Sätze auf die
|| 7 Es werden genannt: Air-Raid Sector Fund Drive, 7-week Red Cross part-time course, 17nation Genevan disarmament conference (Rohrer 1977, 146). 8 Als Kompositum definiert Rohrer (1977, 200) «ein mit einfachen Monemen kommutierbares Syntagma der synchronischen Sprachtechnik, das nur global modifiziert werden kann, und dessen unmittelbare Bestandteile freie Moneme sind». Die Komposition untergliedert Rohrer (im Rahmen seines transformationalistischen Ansatzes) in folgende Typen: Verbindungen aus «sujet – attribut» (prêtre blouson noir), solche aus «sujet – objet d’un verbe du type avoir» (maillots deux-pièces), «sujet – complément d’objet direct» (restaurant-libre-service), «verbe – complément d’objet direct» (lave-pare-brise), «sujet – complément circonstanciel» (assurance tous risques), «objet direct – complément circonstanciel» (soudures haute fréquence) (zu den Belegen cf. Rohrer 1977, 148–151).
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Wortebene mittels des Verfahrens der Konversion (cf. Attributtranspositionen mit Suffix des Typs international neben Modifizierungen wie superproduction etc.). So finden sich Ad-hoc-Bildungen neben solchen, die aus der Rede bereits ins Lexikon eingegangen sind (cf. je-m’en-foutisme) (teilweise mit phonetischer Adaptation), z.B.: Grand Guignol (Eigenname) → [grandguignol]-esque (Monde, 18/4/1963; cf. G.R. 2011, s.v.); bon garçon → [bon garçonn]-isme (Express, 17/10/1963, 15; cf. G.R. 2011, s.v.); arts ménagers → [arts ménag]-istes (A, Marie Claire, N° 110, 18); bon Dieu → [bondieus]-eries (Butor, Modification, 282; cf. G.R. 2011, s.v. sowie bondieusard, bondieusarderie, bondieuser); première dame → ex[première dame] (Modifizierung) (Match, N° 762, 58), immeuble-tour → super[immeuble-tour] (Modifizierung) (Match, 2/11/1963).9 In Verbindung mit bestimmten Lexemen (z.B. aide) wäre eine analogische Reihenbildung denkbar; so ließen sich in Analogie zu aide-femme de ménage bilden (cf. Rohrer 1977, 147– 148): aide-femme de chambre, aide-hôtesse de l’air, aide-secrétaire commerciale, aide-secrétaire de médecin etc. Insgesamt zeichnet sich im Französischen der letzten beiden Jahrhunderte eine steigende Produktivität der verschiedenen Kompositionsverfahren vor allem im Bereich der Nominalkomposita ab. Auch Rohrer stellt sich die rekurrente prinzipielle Frage nach den Faktoren, die die im Vergleich zum Deutschen oder Englischen relativ geringere Produktivität der Komposition im Französischen bedingen.10 Die Problematisierung kann dabei nur im Rahmen des Gesamtsystems, d.h. auf dem Hintergrund anderer morphosyntaktischer Phänomene und Entwicklungen angegangen werden mit dem Ziel «Verhältnisse und Entsprechungen zwischen einzelnen Verfahren auf verschiedenen Gebieten des sprachlichen Systems festzustellen», wobei eine solche Untersuchung auf der
|| 9 Folgende Beispiele aus dem Deutschen und Englischen ließen sich in entsprechender Weise interpretieren: dt. Geschwister-Scholl-Platz, Altherrenverein, Saure-Gurken-Zeit, Reitende Artillerie-Kaserne; engl. artificial flower dealer, old book shop etc. (cf. Rohrer 1977, 148). 10 Die von Rohrer (1977, 201) als «pseudo-wissenschaftlich» bezeichneten Erklärungsversuche wie «le génie de la langue française est rebelle à la composition» (Dauzat 1954, 74), die zum Teil auf die «impossibilité structurale à former des composés» (Sauvageot 1964, 111) des Französischen verweisen, benennen laut Rohrer einzig die Tatsache, dass im Französischen Komposita zahlenmäßig relativ schwach vertreten sind, ohne selbst etwas zu erklären. Solche Stellungnahmen sind aber dennoch insofern von sprachwissenschaftlichem Interesse, als über den explizit gesuchten Bezug zum Gesamtsystem, wie ihn der Begriff des «génie» repräsentiert, auch die Ebene des Typus tangiert wird. So steht die Debatte um den «génie de la langue», wie von Irene Monreal-Wickert für die französische Aufklärungsepoche veranschaulicht, im engen Kontext einer eigentlich typologischen Diskussion, die die Analyse auf gesamtsystematischer Ebene anstrebt (siehe meine unveröffentlichte Arbeit (2002); zur Bedeutungsgeschichte des Begriffs «génie» beim Abbé Girard bzw. den Enzyklopädisten cf. Monreal-Wickert 1977, 70–73).
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Voraussetzung basiert, «dass einige wenige Züge ein ganzes sprachliches System regieren, und dass zwischen den einzelnen Teilen dieses Systems eine gegenseitige Abhängigkeit herrscht» (Rohrer 1977, 201).11 Es lässt sich annehmen, dass die beschriebenen Verbindungen einen größeren typologischen Zusammenhang abbilden und in Konkurrenz zur suffixalen Derivation treten: Die Sprache des 20. und 21. Jahrhunderts bedient sich derjenigen Mittel und Verfahren, die dem Typus in seiner bisherigen Entwicklung hin zur Verstärkung der analytischen Verfahren am ehesten entsprechen. Wie im isolierenden Englischen kommt das isolierte Wort verstärkt zum Tragen,12 das hier etwa den adjektivischen (suffixalen) Bildungen gegenübersteht: la monnaie argent/la monnaie d’argent/la monnaie argentique. Die Fähigkeit zur Relationsadjektivbildung des Französischen entspricht in anderen Sprachen der Vitalität der Komposition. Die zur Verfügung stehenden (ererbten oder neu entlehnten) Suffixe fügen sich in die aktuelle typologische Struktur, wenngleich sie einen anderen Typus repräsentieren. Weniger «progressive» Elemente werden also fortgeführt. Noailly vermutet in den extrem vitalen N1+N2-Verbindungen eine Rückkehr zu einer archaischen Syntax (cf. fête-Dieu, le cor Rollant etc.): «On tient là un des signes principaux de l’amorce d’une mutation syntaxique du français : notre langue, parvenue au bout de son chemin ‘analytique’, reprendrait la route en sens inverse et s’essaierait à des formes syntaxiques plus brutes, plus primaires, plus immédiates, avec moins d’articles, moins de suffixes, moins de prépositions» (Noailly 1990, 13).
Der Höhepunkt der Entwicklung zur Analyse sei also bereits überschritten; als korrelativer Merkmalskomplex und Indiz für die Neuausrichtung der Syntax werden die proliferierenden N1N2-Verbindungen, die Verbreitung der «construc|| 11 Im Rahmen einer solchen Untersuchung des gesamten grammatischen Systems mit typologischer Intention hat Eugenio Coseriu eine Parallelität zwischen gewissen syntaktischen Konstruktionen des Deutschen und den Nominalkomposita festgestellt: auf der Seite der Syntax die Fähigkeit, zwischen Artikel und Determinatum eine Vielzahl von Bestimmungen einzuschieben (z.B. von den in unseren vorherigen Vorlesungen dargelegten Prinzipien ausgehend), auf der der Nominalkomposita die teilweise gegebene Möglichkeit, eine Reihe von Bestimmungen vor das Determinatum zu stellen (cf. Rohrer 1977, 201). Die Annahme eines Zusammenhangs zwischen beiden sprachlichen Phänomenen wird durch die Beobachtung gestützt, dass im Altgriechischen, das über analoge syntaktische Konstruktionen verfügt, die Verfahren der Komposition ebenfalls stark ausgeprägt sind. Die allgemeine Sprachtypologie bietet für beide Sprachen eine Erklärung im Rahmen der polysynthetischen Verfahren. 12 An dieser Stelle wäre der gemäß den Vertretern der Prager Schule betonte nominale Charakter des Englischen, dem ein typologischer Wert eingeräumt wird, eventuell mit zu bedenken (cf. Trnka 1928; Vachek, 1961; siehe auch Labuhn 2001, 5–6).
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tions à verbe support» des Typs exiger réparation sowie der adverbiale Gebrauch von Adjektiven (faire solide) genannt – eine Annahme, der eine zyklische Vorstellung der Sprachentwicklung unterliegt (cf. Noailly 1990, 210). Ich gehe nicht so weit, sondern sehe in den genannten Tendenzen, deren Zusammenhang die vorliegende Arbeit bestätigt, eine (wie auch im Englischen) sich intensivierende isolierende bis zum Teil polysynthetische Tendenz.
11.2 Wortbildung im isolierenden Konstrukt Eine Zuordnung der beschriebenen «präpositionalen Wörter» zum isolierenden Typus erfolgt in der Prager Schule auf dem Hintergrund kontrastivonomasiologischer Betrachtungen. So geht es Skalička ([1951]/1979, 57) darum, die sprachspezifischen Unterschiede der Verfahren zur Benennung ein und derselben außersprachlichen Sachverhalte je nach vorherrschender bzw. identifizierbarer Basisdominante in der Morphologie herauszustellen. Die Komposition als Wortbildungsverfahren repräsentiert aus allgemein-typologischer Sicht einen genuinen Zug des polysynthetischen Typus, wohingegen für die anderen Konstrukttypen kein wortbildendes Verfahren als zugleich besonders prägnante typologische Eigenschaft identifiziert wurde. Das Deutsche etwa ist für seine extrem entfalteten Möglichkeiten zur Bildung von Komposita bekannt. Die Komposition wurde auch von Coseriu als grundlegende Komponente des für das Deutsche und Altgriechische eruierten einheitlichen funktionell-strukturellen Prinzips auf typologischer Ebene aufgedeckt. Skalička kommentiert die Komposita des Deutschen wie folgt: «Diese sind vor allem bei der Bildung von Substantiven von Bedeutung. Wo man in anderen Sprachen eine Ableitung oder ein besonderes, nicht abgeleitetes Wort,13 u. U. auch zwei Wörter findet, steht im Deutschen oft ein Kompositum» ([1951]/1979, 57). Als Beispiele können genannt werden:14
|| 13 Skalička bleibt hinsichtlich der verwendeten Terminologie zuweilen sehr vage; so ist an verschiedenen Stellen von «besonderen» Wörtern die Rede; damit sind die nicht abgeleiteten, undurchsichtigen «einfachen» Wörter gemeint. 14 Die Grundlage der Oppositionen in dieser Gegenüberstellung bildet die Bezeichnung: Die horizontal angeordneten Wörter beziehen sich in der außersprachlichen Wirklichkeit jeweils auf dasselbe. Allerdings ist ein Vergleich des Lexikons verschiedener Sprachen in dieser Weise in größerem Umfang allein nicht sinnvoll, da die Wortbildung nicht aus der Gesamtstruktur des einzelsprachlichen Systems, die Morphologie und Syntax mit einschließt, als davon unabhängige Komponente herausgelöst werden kann. Auch die semantischen Oppositionen sind
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Dt. Dampf-schiff Tsch. parník (cf. parní ‘Dampf-’) Frz. bateau à vapeur Haupt-stadt hlavní (‘Haupt-’) město (‘Stadt’) capitale Haus-meister domovn-ík (cf. domov ‘Heim’, concierge domovní ‘Haus-’) Was sich hierin zeigt, ist im Grunde einzig die Tendenz des Deutschen, bei vor allen Dingen substantivischen Neubildungen Komposita mit polysynthetischer Struktur (zwei oder mehr nicht durch Präposition verbundene Elemente) zu wählen, wo andere Sprachen andere Verfahren anwenden (so etwa im Falle der generischen Komposition mit agglutinierender suffixaler Derivation, cf. parník, domovník). Die Vermutung liegt nahe, dass sich «präpositionale Komposita» in relativ idealer Weise in das morphologische und syntaktische System einer isolierenden (analytischen) Sprache wie das Französische, das auf grammatischer Ebene mit Präpositionen operiert, einfügen. Die als repräsentativ gedachten Beispiele sind mit Blick auf den zwischensprachlichen Vergleich nicht hinreichend aussagekräftig, solange umgangreichere Untersuchungen fehlen. Sehr grob mögen sie zumindest eine Tendenz hinsichtlich der von den Sprachen jeweils bevorzugten Verfahren skizzieren. In Skaličkas ([1951]/1979, 28) Ausführungen zum isolierenden Konstrukt finden sich verschiedene Hinweise auf die Wortbildung; danach kommen in einer isolierenden Sprache die folgenden drei Verfahren zum Tragen, die er mit den Verhältnissen im Deutschen vergleicht. Skaličkas Vorgehen ist dabei, wie angesprochen, an der Bezeichnungsebene orientiert, so dass die kontrastive Analyse nicht – von der Gebildetheit der Wörter ausgehend – formal analoge Einheiten miteinander konfrontiert, sondern Bezeichnungsäquivalente: (1) Frz. le concierge Dt. der Hausmeister Frz. brancard Dt. die Tragbahre (2) bon, bonne gut la bonne die Amme conter15 erzählen le conte die Erzählung (3) le chemin de die Eisenbahn le bateau à der Dampfer fer vapeur Eine ähnliche Gegenüberstellung findet sich in Leisi (71985, 100), die abermals die Dominanz der Komposition für das Deutsche in Bereichen unter Beweis
|| andere, da Bedeutungen grundlegend einzelsprachlicher Natur sind; nur die Bezeichnungen bleiben. 15 Skalička legt als selegiertes Morphem jeweils die Form der dritten Person Singular Präsens Indikativ (also il neige, il départ, il conte, il fait) zugrunde, was nicht plausibel ist.
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stellt, in denen im Französischen die Agglutination vorherrscht16 – in den nachstehenden Beispielen realisiert über die generische Komposition, die auf Suffixe mit sehr allgemeiner Bedeutung rekurriert: (4)
Frz.
cendr-ier Dt. Aschen-becher pomp-ier Feuer-wehr-mann funicul-aire Seil-bahn dort-oir Schlaf-saal lav-oir Wasch-becken ceris-ier Kirsch-baum
Mit Blick auf das Französische handelt es sich bei (1) um ein einfaches, nicht abgeleitetes Wort (concierge, brancard), dem im Deutschen Komposita gegenüberstehen; unter (2) wird das Verfahren der Konversion für die Nominalisierung veranschaulicht, wobei jeweils ein bestimmtes Basismorphem zugrunde liegt. Die dritte Kategorie rekrutiert sich aus dem Bereich der idiomatisierten «Wörtern der Rede», zu denen in Skaličkas Typologie des Französischen vorrangig die «präpositionalen Komposita» gerechnet werden. Der Stellenwert der (homonymen17) Konversion innerhalb einer tendenziell isolierenden Sprache wie dem Französischen wird in Skaličkas zahlreichen Aufsätzen nicht ausführlicher kommentiert; dass die Konversion aber eine zentrale Rolle im Französischen einnimmt (cf. Kap. 5.4.4), wird bei ihm qua Illustration über Beispiele dokumentiert, wobei offensichtlich ein proportionales Verhältnis zwischen der Anzahl der zu einem Verfahren gegebenen Beispiele und dessen Zentralität im wortbildenden System supponiert wird. Immerhin wird die vor allem auf das isolierende Englisch zutreffende erleichterte Transposition in Richtung vom Verb zum Substantiv und umgekehrt18 (bzw. allgemein die
|| 16 Kontrastiv und mit Bezug auf die paragrammatisch-typologische Perspektive cf. Leisi (71985, 100): «Das Vorherrschen des einen oder anderen Typus ist für eine Sprache charakteristisch. […] Der deutschen Komposition steht hier in vielen anderen Fällen eine französische Derivation gegenüber; das Französische ist, wie auch das Italienische, eine stark derivierende Sprache». 17 Im Falle der Transposition des Typs beau → beauté kommt die suffixale Agglutination zum Zuge, die den isolierenden Typus weniger rein verkörpert als die homonyme Konversion des Typs beau → le beau. 18 Die Konversionsrichtung Substantiv → Verb steht im Englischen an der Spitze aller möglichen Richtungen des Wortkategorienwechsels. Die Konversion des Adjektivs zum Substantiv ist an bestimmte syntaktische Positionen gebunden und beruht vielfach auf einer Ellipse des Nomens: a daily newspaper → a daily; the poor people → the poor etc. Die umgekehrte Richtung Verb → Sub-
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Durchlässigkeit der Wortkategorien mit unterschiedlicher Direktionalität der Konversionsrichtung; cf. auch Kortmann 1999, 66–67)19 hervorgehoben. Die als lediglich marginal dargestellte Rolle der Suffigierung entspricht in diesem stark reduzierten Maße weder den paragrammatischen Fakten, noch kommt diese Darstellung der Notwendigkeit nach, den weiterhin wirksamen Einfluss des ererbten Typus im Französischen (und auch Englischen)20 zu berücksichtigen; für das Konstrukt aber gilt: «Eine weitere Eigenschaft des isolierenden Typs ist es also, dass er die Bildung von Komposita und die Ableitung durch Suffixe möglichst vermeidet. Neue Wörter werden eher auf andere Weise gebildet. Wichtig ist jedoch, dass Verba ohne Veränderung als Substantive auftreten können und umgekehrt. Das bedeutet, dass es keine vollkommen scharfe Abgrenzung zwischen den Substantiven und Verben gibt, wie sie etwa im Tschechischen oder Latein besteht» (Skalička [1951]/1979, 29).
|| stantiv zeigt ein weniger aktives Verhalten, kompensiert aber, dass das Englische zur Bildung denominaler Verben nur über wenige produktive Derivationssuffixe verfügt: -ify (beautify, codify) und besonders -ize (sympathize, containerize) (cf. Kortmann 1999, 67). Beide Suffixe spielen auch in der Verbbildung des Französischen eine wichtige Rolle: Für die Verbalisierung ist in der aktuellen Gemeinsprache zunächst die Konversion, einhergehend mit der Einreihung in das Paradigma der Verbgruppe auf -er (indexer), maßgeblich, sodann aber auch die Suffigierung mittels -iser (stabiliser, intensifier) und -ifier (électrifier), letztere allerdings mit geringerer Produktivität. Im Französischen ist an Stelle der Verbalisierung, an der die Konversion namentlich bei aus präpositionalen Fügungen zusammengesetzten Basen (cf. embaumer, enivrer, débarquer, égayer etc.) einen besonderen Anteil hat, die Stellung der Prädikatnominalisierung innerhalb der romanischen Wortbildung hervorzuheben. Ihre Zentralität beruht wiederum auf dem Suffixreichtum, wie ihn die romanischen Sprachen aus dem Latein ererbt haben. 19 Siehe dazu ausführlich Leisi (71985, 108ss.) mit Bezug auf das Englische. Die Durchlässigkeit wird gemeinhin mit der Flexionsarmut des Englischen erklärt (ibid., 111): «Die Funktionsübertragung ist dadurch so leicht, dass das betreffende Wort kein Wortart-Kennzeichen mehr trägt». Die Konversion erweist sich für das Englische seit der mittelenglischen Periode (ca. ab dem 12. Jahrhundert), in nennenswerter Weise erst seit der frühneuenglischen Zeit (ca. ab dem 16. Jahrhundert) als ein wirklich produktives Verfahren, wohingegen Derivation und Komposition schon im Altenglischen die produktivsten Wortbildungsprozesse darstellten (cf. Kortmann 1999, 66–67). Das Französische kommt aufgrund seiner noch stärker erhaltenen Flexionsmorphologie (insbesondere im nominalen Bereich, bei der Verbalmorphologie ist der Erhalt der Infinitivendung relevant) bezüglich der Vitalität des Wortkategorienwechsels dem Englischen nicht gleich. 20 Cf. Leisi (71985, 111) mit Blick auf die funktionell-paragrammatische Tragweite der Konversion: «Widerstände gegen die Konversion [sind] vor allem bei Wörtern zu erwarten, die noch ein deutliches Substantiv-, Verb- oder Adjektivsuffix zeigen. Dies ist der Fall bei den Wörtern lateinischer Herkunft: stupefy und expand sind durch die Endungen als Verben festgelegt, cursory, natural, specific als Adjektive, debtor, celibacy, decoration als Substantive. Diese Wörter bilden daher ein Gerüst, auf das sich die Kategorie der Wortart stützen kann».
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Die historische Situation der Herkunft aus dem Latein bedingt innerhalb der romanischen Sprachen also eine starke agglutinierende Komponente über die affixale Derivation. Der Typus und seine Entwicklung können nicht gänzlich unabhängig von diesen Voraussetzungen betrachtet werden. Auf die typologisch-paragrammatisch ambivalente Rolle der Lehnwörter (die nicht zur Wortbildung im eigentlichen Sinne gehören, aber strukturell dennoch eine gewisse typologische Relevanz besitzen) wird weiter unten (Kap. 13) noch einzugehen sein. Was das Inventar der produktiven Suffixe anbelangt, stellt sich zum einen die Frage der Kontinuität, zum anderen die der Neuentlehnung von Suffixen.21 Eine fehlende morphologische Abgrenzung zwischen den einzelnen Wortarten bedingt, dass die (vielfach im Sprecherbewusstsein verankerte) kategoriale Bedeutung des Basiswortes und des abgeleiteten Wortes über die Verwendung im Satz und hier kontextuell gegebene syntagmatische Marker disambiguiert werden,22 was ein typisches Charakteristikum des isolierenden Konstruktes darstellt. Dieser Umstand ist nicht unwichtig, gerade weil bei der Frage der Konversion Basiswort und neu gebildetes Wort betrachtet werden, nicht aber die zu diesen jeweils gehörigen morphologischen Begleiterscheinungen. Dass es sich hier in der Regel nicht um grammatische Endungen wie bei rum. albu-l handelt, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den morphologischen Zügen des isolierenden Konstrukts, demgemäß grammatische Inhalte idealiter über eigenständige Morphemwörter markiert werden (cf. nécessaire → le nécessaire). In den einzelnen Sprachen muss für die verschiedenen Systeme bzw. Subsysteme (d.h. sowohl in der Grammatik als auch in der Wortbildung) prinzipiell von der Kopräsenz verschiedener typologischer Komponenten ausgegangen werden. Insbesondere ist mit einer Asymmetrie hinsichtlich der Dominanten im morphosyntaktischen (im Französischen repräsentiert durch analytische (syntagmati|| 21 Cf. Thiele (21985, 67): «Gelehrte Bildungen sind bis in die Anfänge der französischen Sprache zurückzuverfolgen. Ein stabiles Wortbildungssystem, das auf lateinischen oder griechischen Bausteinen basiert, hat sich im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts ausgeprägt, an dessen Grundlegung die Übersetzer Karls des V. maßgeblich Anteil hatten. Einen ersten Höherpunkt erreicht die ‘gelehrte’ Bildungsweise mit dem 16. Jahrhundert». Man vergleiche das Englische, in dessen historischer Entwicklung sich das Problem der «Hard words» in besonderem Maße stellte, nicht ohne verschiedene Probleme sprachlicher wie gesellschaftlicher Natur nach sich zu ziehen (cf. detailliert Leisi 71985). 22 Leisi (71985, 107) geht sogar so weit, dass er bestimmten, vor allen Dingen den meist gebrauchten (auffälliger Weise einsilbigen) Wörtern wie change, rest, cure, will, cry, turn, start, stop, set eine festgelegte Wortartzugehörigkeit (im Sinne einer ersten Verwendungsweise, der gegenüber die anderen als untergeordnet empfunden werden) abspricht, so dass eine solche erst über die Verwendung in einem bestimmten Kontext identifizierbar wird, ohne eine kategorielle Eigenschaft des Wortes per se darzustellen.
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sche) Konstruktionen bzw. die Isolation) und wortbildenden (Agglutination bzw. Isolation und teilweise Polysynthese23) Bereich zu rechnen. Im Falle der asyndetischen Komposition verbindet sich im Französischen die syntagmatische Komponente im Bereich der Morphologie mit einem polysynthetischen Zug in der Wortbildung, der auf der Kombination von an sich isoliert dastehenden, idealiter einfachen (morphologisch unmarkierten, da theoretisch unveränderlichen) Wörtern beruht. Für keine der romanischen Sprachen existiert bislang eine umfassende Beschreibung der nach syntaktischen Regeln gebildeten Wörter (cf. Lüdtke 2001a, 765). Auf syntaktischer Ebene manifestiert sich die Wirkung der Konversion in einem Phänomen, das als «wortklasseninterne Konversion» bezeichnet werden kann; dieses soll im Folgenden kurz zur Sprache kommen.
11.3 Wortklasseninterne Konversion Die Wortkategorien stellen grammatische Kategorien dar, die sich wie alle anderen grammatischen Kategorien innerhalb der Trias von System, Norm, Rede situieren. Für das Französische ist im Allgemeinen die Zugehörigkeit eines Wortes zu einer Wortkategorie eher erkennbar, als dies für das Englische der Fall ist, wobei die zunächst okkasionelle Verwendung eines Wortes in einer anderen als derjenigen Wortkategorie, die ihr bis zu diesem Zeitpunkt gemäß dem Normbewusstsein der Sprecher einer bestimmten Sprachgemeinschaft als Basiskategorie zugeteilt wurde, als zusätzliche zu den im Rahmen der Möglichkeiten des Systems bisher realisierten wortkategoriellen Verwendungsweisen hinzutritt (cf. Rohrer 1977, 102 ss.; cf. L. J. Piccardo 1952, 1024). Solche der Rede angehörenden okkasionellen Verwendungen begegnen Im Französischen vielfach im Rahmen der Nominalkomposition, wo Wörter, die im «normalen» Sprachgebrauch als Substantive empfunden werden, als Adjektive in Erscheinung treten, wie etwa bei folgenden Wörtern: ville, série, touriste, ange, chatte etc.,25,26 z.B. type touriste, fille ange. Es wurde bereits aufgezeigt,
|| 23 Die Agglutination ergibt sich aus der historisch bedingten Präsenz von prä- und suffigierenden Mitteln; die Isolation ist durch das nicht motivierte Wort, die Suppletion sowie durch die Existenz von Lehnwörtern vertreten. Die Konversion stärkt zum einen das isolierte Wort, trägt aber auch Affinitäten zu Polysynthese. 24 Piccardo, L. J. (1952): El concepto de «partes de la oración». Montevideo u.a. 25 Die Belege bei Rohrer (1977, 103) sind u.a. folgende: Milan […] une ville […] la transformer afin de la rendre moins série; Cela fait touriste […]; Elle était très chatte avec lui, le grisait de baisers derrière les portes […]; Jamais il n’y a rien de si pur, de si ange, de si agneau, et de si colombe que cette chère nonnain (zu den genauen Quellenangaben siehe ibid.).
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dass «eine unvollkommene Abgrenzung zwischen den einzelnen Wortarten eine weitere Eigenschaft des isolierenden Typs ist» (Skalička [1951]/1979, 29). Hier ist das Französische (cf. vorhergehendes Kapitel) in der Entwicklung noch lange nicht so weit fortgeschritten wie das Englische,27 zeigt aber parallele Tendenzen. Doch nicht nur zwischen Wortkategorien, sondern auch innerhalb einer einzelnen Wortkategorie können sich Funktionsübergänge vollziehen, die im Rahmen der sogenannten wortklasseninternen28 Konversion eine spezifische grammatische Eigenschaft einer Wortkategorie betreffen. Ein Klassenwechsel, wie er beim Übergang von einem transitiven zu einem intransitiven Verb (oder auch beim Genuswechsel wie im Falle von Movierungen der Art König – Königin) vor-
|| 26 Interessant ist eine Analyse von verschiedenen Ausgaben von dictionnaires d’usage in bestimmten zeitlichen Etappen, um entsprechende Veränderungen der Norm zu dokumentieren, d.h. Übernahmen von okkasionellen Bildungen der Rede, wie sie aus wiederholtem Gebrauch eines Wortes in für andere Wortkategorien typischen Positionen resultieren. Ein Vergleich der Ausgabe von Petit Larousse von 1925 mit der von 1948 unter diesem Aspekt ergibt nach Rohrer (1977, 103) für folgende zur entsprechenden Zeit im «usage» als Substantive kategorisierten Wörter eine zusätzliche adjektivische Verwendungsmöglichkeit: témoin, sport, limite, éclair, standard; die neu bearbeitete Auflage von 1961 belegt zu modèle, record, miniature, fantôme jeweils eine neu hinzugekommene adjektivische Bedeutung. 27 Der Wortkategorienwechsel kann sich auch auf phonologischer bzw. suprasegmentaler (statt morphologischer) Ebene manifestieren. Man spricht hier aufgrund des spezifischen formalen Kriteriums, d.h. der Änderung in der Lautqualität bzw. der Akzentuierung auch von bloß «partieller» Konversion, da keine völlige Homophonie zwischen den Einheiten gegeben ist. So stellt beispielsweise die Opposition zwischen auslautendem stimmlosem und stimmhaftem Frikativ in «Konversions»-Paaren wie the belief /f/ – to believe /v/, the use /s/ – to use /z/, the mouth /θ/ – to mouth /ð/ ein einstiges Wortbildungsmuster des Englischen dar, das heute nicht mehr produktiv ist. Hierher gehören auch Verlagerungen des Hauptakzents wie bei to subJECT – the SUBject, to abSTRACT – the ABstract, to inCREASE – the INcrease; ähnlich in folgenden Fällen: to sit UP – SIT-ups, to take OFF – ready for TAKE-off, to show OFF – SHOW-off (cf. Kortmann 1999, 68). 28 Der Terminus «wortkategorieintern» analog zu «Wortkategorie» ist nicht usuell, wie auch sonst in der Regel von «Wortklasse» oder «Wortart» die Rede ist; zum Unterschied zwischen Wortart, Wortklasse und Wortkategorie siehe Coseriu ([1955]/1987, 24–44 sowie [1972a]/1987, 88). Man vergleiche auch die «Klassenbedeutung» nach Dokulil (1968, 13), wonach «die grammatische Bedeutung der Wortform, die bei allen Wörtern derselben Wortart ausgedrückt ist (z.B. Numerus und Kasus der Substantive) und also eine Wortartbedeutung (Klassen-) darstellt, […] bestimmte Beziehungsbedeutungen, die mit einem jeden Wort derselben Wortart verbunden sein können und deren Einheit mit den entsprechenden Mitteln die sog. (morphologische) grammatische Kategorie bildet», verallgemeinert.
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liegt, wird von Coseriu (1982a, 13) dem inhaltlichen Verfahren der Modifizierung als ein Untertyp desselben Rangs wie die Quantifizierung29 subsumiert. Aus dem typologisch affinen Englischen wiederum ist das Verfahren des wortklasseninternen Wechsels gut bekannt. In der anglistischen Literatur wird dieses Phänomen zuweilen dem Grenzbereich zwischen Wortbildung und Syntax zugewiesen und als Resultat eines syntaktischen Prozesses aufgefasst (cf. Kortmann 1999, 67–68). Der am direktesten an ein Wortbildungsverfahren angrenzende Typ der wortklasseninternen Konversion findet sich im verbalen Bereich dort, wo gemäß ihren typischen Konstruktionsbedingungen als transitiv (hier zu verstehen als ein direktes Objekt nach sich ziehend) oder intransitiv (kein direktes Objekt erfordernd)30 behandelte Verben eine zusätzliche intransitive bzw. transitive Gebrauchsmöglichkeit erlauben. Ein Übergang von der Kategorie der intransitiven zu den transitiven Verben lässt sich anhand folgender Beispiele des Englischen belegen: march ‘marschieren’ – to march (the prisoners) ‘die Soldaten marschieren lassen’; run ‘laufen’ – to run (the car into the garage) ‘das Auto in die Garage fahren’; stand – to stand (the bottle upside down) ‘die Flasche auf den Kopf stellen’. Die umgekehrte Konversionsrichtung liegt vor bei: to read a book – the book reads well; to scare someone – I don’t scare easily (auch als Medium bezeichnet). Funktionell sind von der wortklasseninternen Konversion hauptsächlich die Kausativität und die Aktiv-Passiv-Diathese betroffen.31 Dadurch werden Verben für verschiedene Kompositionstypen (etwa Verb + direktes Objekt) neu verfügbar gemacht. Im Rahmen der Wortkategorien Substantiv und Adjektiv manifestiert sich der interne Klassenwechsel etwa in der Verwendung von gewöhnlich als «nicht-zählbar» behandelten Substantiven als zählbare Substanti-
|| 29 Die Quantifizierung schließt ihrerseits die Diminutivbildung ein, als deren Variante wiederum die Approximation erscheint, ebenso die Augmentativbildung, die Kollektivbildung, die Intensivierung, die Wiederholung, die Negierung, die Partialisierung bzw. Situierung (cf. Weidenbusch 1993, 88 bzw. Lüdtke 1996a) u.a. (cf. Coseriu 1982a, 13). Zu den Subtypen, die gemäß der je spezifischeren implizierten grammatischen Funktion im Rahmen der Entwicklung und Komposition unterschieden werden können, cf. Coseriu (1982a, 13–14). 30 Als indirekt transitiv werden zuweilen diejenigen Verben bezeichnet, die mit einem indirekten Objekt konstruiert werden. 31 Eine gewisse Systematizität lässt sich mit Bezug auf die jeweils vom Subjekt eines intransitiv gebrauchten Verbs bzw. dem Objekt eines transitiven Verbs mit kausativer Funktion eingenommenen semantischen Rollen konstatieren: so erscheint das direkte Objekt eines transitivkausativen Verbs häufig als Patiens und das Subjekt des entsprechenden intransitiven Gebrauchs desselben Verbs als Agens, cf.: The sergeant paraded the company versus The company paraded; I am exercising my dog versus My dog is exercising (cf. Greenbaum/Quirk 1990, 211).
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ve (z.B. beer – two beers, coffee – two coffees)32 bzw. im Gebrauch von in der Regel nicht gradierbaren Adjektiven in Verbindung mit einem intensivierenden Gradadverb (English – to look very English). Das Phänomen der wortklasseninternen Konversion findet sich in sehr eingeschränktem Maße auch im Französischen (z.B. monter: elle est montée au sixième étage/il a monté les valises; agir: le médicament a fini par agir/Qu’est-ce qui agit un être ?; blaguer: Vous blaguez!/blaguer les petites manies de qn etc.). Der Funktionswechsel innerhalb einer Wortkategorie wie bei engl. to march (transitiv und intransitiv) kann auch mit einer deutlichen semantischen Veränderung auf lexikalischer Ebene einhergehen; insofern trägt die Konstruktion des Verbs zur semantischen Bestimmung von dessen lexikalischer Bedeutung bei, was als Argument dafür gewertet werden kann, hier von tatsächlich wortbildender Funktion zu sprechen. Dies setzt voraus, dass beide Verben im Sinne von Grundlage und Ableitung interpretiert werden können. Die semantische Verbindung wiederum muss im Rahmen einer systematischen Veränderung der Bedeutung der Ableitung gegenüber dem Grundwort definiert werden können, d.h. es darf sich bei der neu geschaffenen Bedeutung nicht um eine reine Wortschatzbedeutung handeln. Verben des Französischen, die eine doppelte Konstruktion sowohl als transitives wie intransitives Verb zulassen und dabei eine deutliche lexikalisch-semantische Veränderung aufweisen, sind etwa folgende: prendre in Ça ne prend [= marche] pas/Les pommes de terre prennent [= attachent] au fond de la casserole/Ça prend [= nécessite] au moins deux heures oder Son cœur bat/Il bat [= mêle] les cartes (cf. Riegel et al. 1994, 221). Bei absolut gebrauchten transitiven Verben scheint sich eine eigentliche Wortbildungsfunktion insofern abzuzeichnen, als der Gebrauch ohne direktes Objekt (sofern dieses nicht aus dem Kontext zu rekonstruieren bleibt) eine weitere inhaltliche Bestimmung impliziert, die sich mit dem Inhalt ‘habitude’ fassen lässt: Hier tritt die transitive Verwendung des Verbs gewissermaßen als Grundlage in Erscheinung, zu der der absolute Gebrauch als Ableitung fungiert; die entsprechende Wortbildungsbedeutung lässt sich auf eine regelmäßige Systembedeutung reduzieren, die sich etwa im Falle von boire als ‘habitude’ oder ‘disposition’ darbietet, cf.: Il boit [= Il est alcoolique] – Elle ne voit plus [= Elle est aveugle] – Est-ce que vous conduisez? [= Est-ce que vous savez conduire?] (cf. Riegel et al. 1994, 221).
|| 32 Das als zählbare Einheit gebrauchte beer und coffee vertritt «a glass of beer», «a cup of coffee», d.h. der Substanzbegriff wird durch die Verwendung eines quantifizierenden Determinanten als eine klar abgegrenzte Einheit erfasst.
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Als eigentlich intransitiv können solche Verben verstanden werden, die weder ein direkt noch ein indirekt konstruiertes Objekt erfordern, deren Semantik aber die bezeichnete Verbalhandlung derart global erfasst, dass etwaige durch ein Objekt vermittelbare Spezifizierungen bereits darin enthalten sind; so etwa bei ronfler, éternuer, bailler, tousser, agoniser, cabotiner, jeûner etc. Von solchen Verben abgesehen, kennen bestimmte intransitive Verben, die eine optische oder akustische Sinneswahrnehmung zum Ausdruck bringen, eine okkasionelle transitive Verwendung, die die durch das Verb vermittelte Handlung als Äußerung darstellt: Le chien aboya/L’adjudant aboya un ordre. − Le sommier grince/Il grinça [= dit en grinçant] de vagues menaces. − Le feu crépite/Le téléscripteur crépita [= afficha en crépitant] la nouvelle. − Les bijoux scintillaient/Le journal lumineux scintillait [annonçait en scintillant] à intervalles réguliers la nouvelle année. − Il ne cesse de tousser/Il nous toussa un discret avertissement [= Il nous avertit en toussant discrètement] (cf. Riegel et al. 1994, 221).
11.4 Der Typ der Verb-Ergänzung-Komposita 11.4.1 Forschungsüberblick Der Typ an Wortbildungsverfahren, der sich durch französisch coupe-papier veranschaulichen lässt, wird in der Geschichte der Wortbildungslehre auch als «composition par phrases» bezeichnet,33 so vermutlich erstmals bei A. Darmesteter (1874, 146/1894, 168). Davor ist bei F. Diez (1836–1838) von «Zusammensetzungen von Phrasen» (1838, 360/51882, 722) die Rede (die «Verbalzusammensetzung» (51882, 705) mit griech. άρχέ-λαος, φιλ-άνϑρωπος sowie dt. Sprich-wort als Vertretern wird an anderer Stelle behandelt). Tollemache (1945) spricht von «composti contenenti una frase» (cf. Bork 1990, 33); auch Gauger (1971b, 155) erkennt in den Wortstrukturen Sätze: «Diese Zusammensetzungen sind, da in ihnen eine Verb-Objekt-Beziehung greifbar lebendig ist, tatsächlich Sätze. In cigarette-filtre kann zwar ein Satz paraphrastisch hineininterpretiert werden; das Wort tire-bouchon dagegen ist als solches bereits ein (nennen-
|| 33 Zur Frage der Genese dieses Typs an Wortbildungsverfahren cf. Bork 1990.
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der)34 Satz und zwar ein solcher von unzweifelhaftem, bei den Bildungen dieses Typs gleichbleibendem Muster: X tire le bouchon […]».35
Kristoffer Nyrop führt diesen Typ ebenfalls unter der Kategorie «composition par phrases» auf.36 Neuere Studien zu diesem Wortbildungstyp im Französischen stellen Mechtild Bierbach (1982), Hand Dieter Bork (1990) und Andreas Gather (2001) dar. Die von Bork vorgestellte Rechercheleistung ist ob der Schwierigkeit der Dokumentation und Bewertung der in Frage stehenden Bildungen bemerkenswert. Denn eine Besonderheit des Kompositionstyps liegt offenbar in seiner «Plastizität»: Die Bildungen sind auf eine Wirkung im Moment bzw. im Prozess der Bildung hin angelegt und ihr Funktionieren eher nicht darauf ausgerichtet, dass der Gebrauch usuell wird (cf. ähnlich dt. himmelschreiend, himmelstürmend, herzerweichend etc.). Der Bildungstyp ist bereits für das Sanskrit, das Altpersische und namentlich das Altgriechische belegbar; deutliche Produktivität besitzt er in den romanischen Sprachen, darunter vor allen Dingen im Italienischen und Französischen, wo er im Altfranzösischen gut entwickelt ist (cf. Eigennamen wie Bois l’eau → Boileau, taille-fer → Taillefer etc.) (siehe Coseriu 1977). Grevisse (1993, 235, §178) als Vertreter der traditionellen deskriptiven Grammatiken des Französischen führt den Kompositionstyp bestehend aus ‹Verb + nominales Element (Nomen ohne Determinant, eventuell Pronomen)› als erstes der Verfahren an, die als «composition proprement dite» des Französischen bezeichnet werden. Was das aus ‹verbalem Element + nominale Ergänzung (häufig direktes Objekt)› bestehende Kompositionsmuster besonders auszeichnet, ist seine Produktivität im gesamtromanischen Kontext. Als Beispiele finden sich: amuse-gueule, cache-sexe, coupe-circuit, coupe-gorge, cure-dent, étouffe-chrétien, lave-vaisselle, perce-oreille, perce-neige, portebagage, porte-jupe, pousse-café, prie-Dieu, remonte-pente etc.37
|| 34 Cf. die Geschichte der Genese dieses Typs und dessen ursprüngliche Nennfunktion (Bezeichnung von Personen etc.). 35 «Entscheidend ist […], dass der S a t z c h a r a k t e r des Typus tire-bouchon festgehalten wird. Mit ihm, wie auch mit der Abwesenheit eines Primärwortes, hängt zusammen, dass diese Bildungen einheitlicher sind als die der anderen Typen» (Gauger 1971b, 156; Hervorhebung des Autors); mit den «anderen Typen» sind ebenfalls als Satzkomposita bezeichnete Bildungen, die eigentlich in den Wortschatz aufgenommene Einheiten der wiederholten Rede darstellen, des Musters un suivez-moi-jeune-homme etc. gemeint. 36 Siehe Nyrop (1908/21936); siehe auch Gauger (1971b, 155–156; 156, Anm. 67) sowie Rohrer (1977, 135). 37 Auch in adverbialen Wendungen des Typs: à brûle-pourpoint (‘geradeheraus, ohne Umschweife’), à tire-larigot (‘reichlich, sehr viel’), à tue-tête (z.B. crier, chanter: ‘aus Leibeskräften’, ‘aus vollem Hals’), d’arrache-pied (‘unermüdlich, unablässig’).
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Verschiedene Probleme tauchen bei der Analyse solcher Verbindungen auf: So die Frage, wie die dem jeweiligen Kompositum zugrunde liegende Verbalform grammatisch zu bestimmen sei. Der umstrittene Charakter des verbalen Elements geht einher mit der Aufgabe der syntaktischen Interpretation des folgenden Nomens, das in der Regel als Ergänzung des Verbs betrachtet wird.38 Darmesteters Interpretation wurde rezipiert, als sähe er darin einen ursprünglichen Imperativ39 vorliegen (zur Rezeptionsgeschichte cf. Bierbach 1982). Neben dem Imperativ40 werden alternativ die Annahme eines zugrunde liegenden reinen «Verbalthemas»41 sowie die der 3. Person Singular Präsens des Indikativs (Aktiv)42 zur Diskussion gestellt (cf. fait-tout ‘(schwerer) Kochtopf’, abat-jour
|| 38 Der Kompositionstyp, wie durch croque-monsieur, croque-madame, pense-bête, sautemouton, crève-cœur veranschaulicht (Typ «verbe + sujet»), repräsentiert ein heute nicht mehr produktives Verfahren. Frequenter ist das Bildungsmuster in Toponymika: Chantemerle, Hurlevent, Pissevache (Flussname). 39 Diskutiert wird diese These in Blümel (1965, 82–87), auf die Rohrer (1977, 134) Bezug nimmt. 40 Wortbildungen wie it. passatempo ‘Zeitvertreib’, frz. perce-neige ‘Schneeglöckchen’, sp. cagatintas ‘Federfuchser’, port. caça-votos ‘Stimmenjäger’ sind nicht als «Imperativkomposita» zu werten, da sie keinen Imperativ enthalten. Dagegen beruhen diejenigen Bildungen, die tatsächlich einen Imperativ enthalten (z.B. sp. hazmerreír ‘mach mich lachen’, ‘komische Figur’ oder sp. correveidile ‘Klatschmaul’; bereits bei lat. NOLI ME TANGERE ‘rühr mich nicht an’) auf Konversionen von nach syntaktischen bzw. grammatischen Regeln gebildeten Kombinationen der wiederholten Rede bzw. sind Zusammenrückungen (cf. Lüdtke 1996a, 252, 269). 41 «In tutti questi casi si tratta sicuramente di un puro tema verbale che affiora nella coscienza linguistica libero da qualsiasi elemento sintattico» (Pagliaro, Antonino (1930): Sommario di linguistica arioeuropea. I. Rom, 161; zu den allgemein theoretischen und synchronfunktionellen Argumenten cf. Ibid., 160–162). Cf. Marouzeau, Jean (1952): «Composés à thème verbal», FM 20, 81–86; «Thèmes verbaux en français», ibid., 161–164. Ein ähnlicher Fall liegt vor bei beau/belle → beauté, wo der deadjektivischen Prädikatnominalisierung ein in dem Sinne neutrales Adjektiv zugrunde liegt, als dieses hinsichtlich des Genus unspezifiziert ist. 42 Wird im Verbalthema eine dritte Person Singular Präsens Indikativ zu erkennen gesucht, entsprächen das implizite Agens bzw. das implizite Instrument einem Subjekt, wie es auf grammatischer Ebene einerseits in Form der Personalpronomina erscheint oder in (evtl. redundanter) Weise über Personalpronomen und Personalendung des Verbs ausgedrückt wird. Im Lateinischen (cantat) und den romanischen Sprachen, die als «pro-drop» klassifiziert werden können (sp./it. canta etc.), besteht die Möglichkeit des Ausdrucks des Subjekts allein über die Personalform des Verbs, wenn andere Mittel ausscheiden – so ein Kriterium partieller Sprachtypologien. Zu diesen Sprachen gehört das Französische gerade nicht. Das Verb bedarf hier eines materiellen Ausdrucks des Subjekts.
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‘Lampenschirm’, tord-boyaux ‘Fusel’ etc.).43 Die Deutung im Sinne eines reinen «Verbalthemas»,44 wie es als Stamm in den verschiedenen Sprachen erscheint, schließt die Annahme eines Nullmorphems in Komposita45 wie it. tagliacarte (taglia-Ø + carte) oder coupe-papier in inhaltlicher Analogie zu Bildungen wie coup-eur,46 mouve-ment (cf. Coseriu 1977, 60; cf. dazu Lüdtke 2001a, 775) prinzipiell zumindest nicht aus.47 Das angenommene Nullmorphem wie in ouvre-Ø-
|| 43 Ist die Verbalform gleichlautend mit einem Nomen, wird diese zuweilen auch als Nomen interpretiert, woraus sich orthographische Varianten wie soutien-gorge, appui-tête, appui-main etc. erklären. 44 Der Begriff Verbalthema bezieht sich auf den materiellen Ausdruck; berücksichtigt man die Konstruktion, in der diese Form erscheint, ergibt sich für Coseriu (1977, 58) als Funktion die eines substantivierten Partizips, das – als inhaltliche Einheit – ein aktives transitives (tagliacarte), ein kausatives (perditempo «qualcosa que fa perdere il tempo») oder gar ein passives (spazzavento «luogo [che è] spazzato dal vento») sein kann (cf. Coseriu 1977, 58). 45 Rohrer (1977, 34ss.) stellt sich die Frage, ob der Typ compte-gouttes zu den Komposita oder den Nullableitungen zur rechnen sei: «Versucht man Bildungen wie compte-gouttes, lave-glace in ‘immediate constituents’ zu zerlegen, so stößt man auf große Schwierigkeiten. Die Segmentierung in compte + gouttes ist nicht möglich, da im Französischen kein autonomes Monem compte mit der Bedeutung ‘celui qui compte’ existiert. In der Tat finden sich im heutigen Französisch keine deverbalen Nullableitungen, die den Täter einer Handlung bezeichnen. Die wenigen Bildungen wie garde, guide stehen isoliert da und gehen auf einen früheren Sprachzustand zurück» (Rohrer 1977, 34). Seine Lösung sieht ein Nullelement vor, das als Determinatum des verbalen Elementes in der Wortfuge lokalisiert wird. Für Rohrer ergibt sich als Konsequenz, dass garde-magasin nicht zu den Nullableitungen zu rechnen ist, sondern zu den (endozentrischen) Substantiv-Substantiv-Komposita gehört, wobei das Syntagma Verb + Nullsuffix als Determinatum des Kompositums fungiert (cf. Rohrer 1977, 129). Die spezifische Fragestellung, ob die Bildungen nach dem Modell compte-gouttes unter die Komposita oder Nullableitungen einzuordnen seien, wird auf dem Hintergrund der im selben Kontext problematisierten Fälle wie avant-guerre etc. verständlich. Die Frage der Nullableitung wäre aber allgemeiner im Rahmen der auf eine Sprache angewandten wortbildenden Theorie zu stellen, nicht als Alternative zwischen zwei Verfahren «Komposition oder Nullableitung» mit Bezug auf ein einzelnes Wortbildungsmuster. Rohrer bezieht zumindest den Fall mit ein, dass als Basis ein lexematisches Kompositum compte-gouttes fungiert, an welches dann das Nullsuffix angehängt wird: «Man ist sich heute fast durchweg einig [Rohrer beruft sich auf A. Pagliaro, Ch. Bally, J. Marouzeau, und H. Marchand; B.K.], dass compte-gouttes ein Nullsuffix enthält und dass dieses Nullsuffix zwischen compte- und gouttes lokalisiert werden kann. Unklar bei dieser Analyse ist jedoch, ob dieses Nullsuffix ein unmittelbarer Bestandteil von comptegouttes ist, – wenn die ganze Verbindung als Kompositum zu interpretieren wäre –, oder ob es nur ein unmittelbarer Bestandteil von compte-Ø ist» (Rohrer 1977, 40). 46 Bei den prolexematischen oder generischen Komposita liegt formal eine Ableitung vor. 47 Gauger (1971a, 21–22) weist die Nullsuffix-These im Falle von marcher → la marche dezidiert zurück: «Es ist wichtig zu sehen, dass auch in durchsichtigen Wörtern wie la marche oder la compra Gliederung vorliegt […] auch diese Wörter enthalten somit – formal und inhaltlich –
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boîte entspräche einem Suffix der generischen Komposition (etwa -eur) mit dem Inhalt ‘qui fait X’ oder im genannten Beispiel ‘quelque chose qui ouvre la boîte’.48 Daneben erweist sich jedoch die Position des ggf. angenommenen Nullmorphems als besonders problematisch: Dieses wird im Kompositionstyp frz. coupe-papier unmittelbar in der Wortfuge situiert. Dieser Fall ist nicht identisch mit lexikalisch bedingten Fugenelementen oder Infixen (bzw. Interfixen) wie al- in sp. fri-al-dad (← frío) ‘Kälte’, -i- in pel-i-negro (← pelo + negro) ‘schwarzhaarig’ oder -s- in en-s-anchar (← ancho) ‘erweitern’ (cf. dt. Komposition-s-typ
|| das Grundwort in sich selbst. Aus diesem Grunde ist es unnötig und schief, diese Wörter als mit einem sogenannten ‘Nullsuffix’ versehen zu betrachten. Eine solche Sicht […] deutet die Subtraktivbildungen von den Suffixbildungen her. Hierzu ist aber kein Anlass. […] Zwei verschiedene formale Verfahren, die Suffigierung und die Subtraktion, haben hier dieselbe Funktion […] Dem Wort la marche ‘fehlt’ nichts, hier ist nichts zu ergänzen: das, was -ment in l’accomplissement und -age in le lavage leisten, leistet in la marche die Subtraktion. Diese ist einfach eine andere Möglichkeit, Durchsichtigkeit zu schaffen». Eine solche Argumentation baut auf dem spezifischen wortbildungstheoretischen Konzept der Durchsichtigkeit auf; danach entsprechen sowohl materielle Kompositionalität als auch materielle Subtraktivität diesem Begriff. Da Subtraktion und Addition (Suffigierung) als formal und inhaltlich gleichberechtigte Prozesse angesehen werden, werden zudem Oppositionen nicht erst von den Produkten her fokussiert, sondern bereits auf der Stufe deren Zustandekommens. Man gelangt hier in den Bereich der Markiertheit, wo nicht von materiell realisierter Null-Markierung ausgegangen zu werden braucht. Objektive Markiertheit der einen Form im Verhältnis zur anderen liegt allerdings nicht vor; vielmehr besteht Wertneutralität im Sinn einer völligen Gleichberechtigung der Glieder. Allein die Frequenz und das Sprecherbewusstsein geben den Ausschlag (letzen Endes teilweise auch die Konvention), indem dem Sprecher prinzipiell die Fähigkeit unterstellt wird, die jeweils ursprünglichere der beiden Formen im Falle von Ableitungen des Typs marche (← marcher) (auch als Rückableitung bezeichnet) bzw. von Bildungen wie forme (→ former) im Gros der Fälle erkennen zu können. (Die Pfeilrichtung verweist vom Basiswort der Ableitung bzw. Subtraktion auf das Ergebnis dieses Prozesses; Gauger (1971a) verwendet die umgekehrte Pfeilrichtung, die die implizierte Verweisfunktion zum Ausdruck bringen soll.) 48 Im Prozess der lexematischen Komposition wird in der Interpretation nach Coseriu (1977) das generische Element der prolexematischen Komposition gewissermaßen «unterdrückt», ebenso etwaige Präpositionen, die in der entsprechenden Struktur der freien Syntax auftreten können, z.B. coupeur de papier, also in solchen Konstruktionen, in denen sich ein substantivisches prolexematisches Kompositum über eine präpositionale Konstruktion mit einem anderen Substantiv verbindet. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn das zweite Glied der Wortbildung (papier) einer Funktion entspricht (z.B. direktes Objekt), wie sie auf die Konstruktion des Verbs (couper – von coupeur impliziert) ohne Präposition (couper le papier) zutrifft (cf. Coseriu 1977, 58). Dies gilt jedoch nicht ausschließlich: So lautet etwa für sp. correfaldas die entsprechende Konstruktion der freien Syntax «alguien que corre tras [las] faldas», für it. girasole etwa «un x che gira verso il sole», sp. girasol; entsprechend wäre eine präpositionale Fügung erforderlich bei frz. réveille-matin, marche-pied, it. marciapiedi etc. (cf. Coseriu 1977, 58).
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etc.), die keine formale Autonomie besitzen, da ihnen auch kein Inhalt entspricht (cf. Lüdtke 2001a, 775 sowie 1978, 26). Demgegenüber würde dem Nullmorphem in coupe-Ø-papier eine (generische) Funktion zugesprochen und dieses somit als Wortbildungselement fungieren. Ein Nullmorphem in einer solchen Position entspricht aber weder der Grammatik des Französischen, noch findet sich ein entsprechendes Phänomen typischerweise in analogen Stellungen in den anderen romanischen Sprachen. Insofern scheint dessen Annahme den Prinzipien der einzelsprachlichen Morphologie vielmehr zu widersprechen. Für das Französische sind Infixe sogar ausgesprochen untypisch. Erst recht kommen diese hier nicht in wortbildender Funktion vor, sondern es handelt sich allenfalls um lexikalisch (cf. voir – vi-sion statt *vi-tion) bzw. morphologisch bedingte Suffixvarianten (cf. -(a)ble und (a)bil-, -(i)fi- und -(i)fica- wie etwa in aimable und amabilité, simplifier und simplification) (cf. Lüdtke 2001a, 775). Sollten solche Sinn tragenden Elemente wie das Determinatum, wenngleich an der Oberfläche nur durch ein Nullmorphem realisiert, tatsächlich in die Schnittstelle49 der miteinander kombinierten Elemente verlegt werden, so müsste diese Annahme besser begründet werden. Ballys (41965) Interpretation, die an seinem Konzept des binären Charakters des Syntagmas orientiert ist, setzt zwar einerseits eine komplexe Basis in porteplume analog zu Federhalter an, dennoch bleibt die Frage der Lokalisierung des Nullsuffixes im Grunde offen: «[…] porte-plume (= (chose qui) porte une plume) et all. Federhalter (= etwas (-er), was eine Feder hält) sont des dérivés, le premier au moyen d’un suffixe implicite, le second par le suffixe -er; il s’ensuit que le suffixe est le t de l’ensemble du radical complexe, lequel équivaut à une unité t’» (Bally 41965, §158, 103–104). Der komplexe Charakter der Basis wird in folgender Anmerkung zu Federhalter betont: «Il est évident que l’analyse ‘Halter einer Feder’ est absurde, Halter étant pratiquement inexistant, de même que Hacker dans Holzhacker, Macher dans Uhrmacher, etc. De même en français, bien que d’une façon moins apparente, le suffixe accolé au terme t d’un composé (p. ex. -eur dans tailleur de pierres) indique la dérivation de l’ensemble: ‘celui (-eur) qui taille des pierres’; il en est de même pour les désinences des composés verbaux tel que pêch(er) à la ligne, etc.» (Bally 41965, 103, §158, Anm. 1).
|| 49 Cf. Lüdtke (2001a, 779): «[…] Allerdings kann ein Suffix bzw. Affix allgemein in den romanischen Sprachen nicht zwischen Lexemen vorkommen, was der Annahme eines Null-Suffixes in diesem Fall einen Sonderstatus gibt». Cf. auch für das Französische untypische Bildungen wie prévention incendie gegenüber typischem prévention routière oder *briseur grève (aber: briseur de grève), die ein sekundäres nominales Element mit einem weiteren Nomen kombinieren.
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In der Bildung tailleur de pierres bezieht sich also das Determinatum t (-eur von tailleur) auf die semantische Einheit [taill(er) des pierres], auch wenn das Suffix formal an das Verb angefügt wird. Dass das Morphem -eur als Agensindikator (‘celui qui Xvb’) − mit X = t’ ([taill(er) des pierres]) − nicht am Ende der syntaktischen Gruppe als Ganzer auftritt, lässt sich auf den besonderen Kompositionstyp, d.h. dessen syndetischen Charakter zurückführen (wobei tailleur als eigenständiges Lexem existiert). Hier widerspricht der Ort des Determinatums nicht Grundsätzen der einzelsprachlichen morphologischen Plausibilität. Stützt man sich in Analyse und Interpretation auf Bildungen wie dt. Federhalter, Nussknacker etc., beobachtet man (abgesehen von der Lokalisierung des generischen Elements an einer der (jeweiligen) Sprache entsprechenden Stelle) hinsichtlich der materiellen Gestaltung eine Umkehrung der relativen Stellung von verbalem Element und zugehöriger Ergänzung im Typ it. fruttivendolo,50 wohingegen bei sp. cascanueces, frz. casse-noix die Syntax beibehalten wird (cf. infra Kap. 12.2). Die Affinität zu den mittels Suffixe abgeleiteten generischen Komposita führt ihrerseits auf einen anderen Bildungstyp im Rahmen der Komposition über: Als zu compte-gouttes alternatives Verfahren steht die präpositionale Verbindung compteur de gouttes zur Verfügung (cf. supra Kap. 11.4.1) oder eine Komposition des Typs «sujet-attribut» (‘oiseau qui est un rouge-gorge’) wie in der möglichen (aber in der Norm inexistenten) Bildung oiseau rouge-gorge statt rouge-gorge (cf. Rohrer 1977, 38–39; cf. Kap. 11.1). Im Französischen koexistiert eine ganze Reihe von solchen einander mehr oder weniger entsprechenden51 Bildungen im Rahmen der beiden Verfahrenstypen (cf. Huttenlocher 1966; Coseriu 1977, 59; Rohrer 1977, 129): arracheur − arrachoir − arrache-racine(s); compteur (de gouttes, à gaz) − compte-gouttes (compte-tours etc.); fumeur (de cigarettes) − fume-cigarette; gratteur (de papier) − gratte-papier; lanceur (de javelot) − lance-fusée; porteur (de bagages, de drapeau) − porte-bagages, portedrapeau (porte-enseigne, porte-étendard, porte-journaux etc.); mouilleur − mouille-étiquettes; laveuse − lave-main (cf. lave-vaisselle); brisant − brise-lames;
|| 50 Zuweilen wird der Typ fruttivendolo auch den «Parasynthetika» subsumiert, die dann nicht nur Bildungen umfassen, die sowohl eine Prä- wie eine Suffigierung beinhalten, sondern auch solche, die auf einem Kompositions- und einen Derivationsprozess (sp. pordiosera, dt. Dickhäuter, Einhänder, Vierfüßer, dickköpfig) beruhen. 51 Cf. ähnlich dt. Handels-mann − Händl-er, in denen sich die inhaltliche Parallelität des generischen Suffixes -er und des Kompositionselementes -mann reflektiert. Dennoch bestehen Unterschiede im Gebrauch: so wird erstere Bildung zum einen von einem heutigen Sprecher des Deutschen als eindeutig obsolet eingestuft, zum anderen trägt diese eine pejorative Konnotation, die bereits zu einem Bedeutungswandel (‘Hausierer’) geführt hat (und damit wird auch etwas Anderes bezeichnet).
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chaufferette − chauffe-pieds (cf. chauffe-plats); séchoir − sèche-cheveux; gardien − garde-chasse (garde-magasin, garde-malade etc.); ouvreur − ouvre-boîtes; couvercle − couvre-plat; curette − cure-dent (cf. cure-ongles, cure-oreilles); couverture − couvre-lit (cf. couvre-pied[s]); réveil − réveille-matin etc. Bezüglich der Frage der Opposition etwa von coupe-papier zu anderen Ableitungen auf der Grundlage desselben Verbalstamms (z.B. coupe-cigares, coupe-ongles, coupe-circuit, coupe-feu, coupe-vent, coupe-file, coupe-gorge) sind nur diejenigen Bildungen interessant, die eine zumindest teilweise inhaltliche Konvergenz mit dem als generisches Kompositum interpretierten ersten Element (coupe-Ø : coupeur) erkennen lassen. Fixierungen im Lexikon stellen dabei (je nach Grad der noch oder auch nicht mehr bestehenden Analysierbarkeit der Verbindung) ein Problem dar (cf. chantefable (Aucassin et Nicolette, Prosimetrum um 1225), hoche(-)queue (‘Bachstelze’), claquedent (‘Bettler’), marchepied ‘Trittbrett’). Die verschiedenen Verbalstämme, auf die das Kompositionsverfahren zurückgreift, können auf ihre Produktivität hin untersucht werden (cf. Thiele 2 1985, 72; siehe auch Bork 1990, 362; Gauger 1971a, 140). Wörterbücher wie etwa der Grand Robert geben über einen Vergleich der Anzahl der Bildungen Aufschluss über die Produktivität: Zu den produktiven Verbalstämmen gehören im Französischen:52 brise-, cache-, casse-, chasse-, chauffe-, couvre-, croque-, essuie, garde-, gratte-, lance-, pare-, passe-, pèse-, porte-, presse-, serre-, tire-. Die in Bildungen dieses Typs bevorzugten Verben gälte es separat zu untersuchen; es scheint aber, als läge eine Präferenz auf der Verwendung des Paradigmas der Verben auf -er. Die Analogiewirkung scheint für diese Bildungen erheblich. Die Disponibilität des Bildungsmusters im modernen Französisch zeigt sich in rezenten Bildungen wie brise-glace, pare-chocs, lance-missiles, lance-fusées, porteavions, porte-hélicoptères etc., die vornehmlich fachsprachlichen Bereichen wie der Technik entstammen. Bei den Neubildungen handelt es sich hauptsächlich um Bezeichnungen für Inanimata, die Apparate, Maschinen, Werkzeuge, Geräte und sonstige Gebrauchsgegenstände umfassen (essuie-mains, appuie-livres, porte-allumettes, presse-fruits, rince-bouteilles etc.); einige Beispiele etwa aus dem Bereich der || 52 Abgesehen von den in den Wörterbüchern verzeichneten Neueinträgen spiegelt sich die Produktivität bzw. «disponibilité» eines Wortbildungsverfahrens immer wieder in der dichterischen Sprache in Form von spielerischen Neubildungen. Eine anschauliche Stelle ist folgende: «C’est alors que le catholique pratiquant sent monter en lui de terribles questions. Hélas […] puisqu’il y a des cache-nez […] des cache-tampons […] des cache-cols […] des cache-noisettes […] des cache-pots pourquoi n’y a-t-il pas de cache-pape […] point d’interrogation et plus d’autres questions» (Jacques Prévert, Paroles, Paris, Gallimard, 1949 , 112–113).
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Landwirtschaft: casse-mottes, coupe-foin, coupe-lande, coupe-paille, couperacines, coupe-tiges, hache-fourrage, hache-maïs, hache-sarment, taille-buisson, tranche-gazon, lave-racines (Dubois 1962, 90, cf. 93). Personenbezeichnungen nach diesem Typ werden offensichtlich weniger häufig gebildet; zudem besitzen sie vielfach einen despektierlichen Charakter (tire-sou, gâte-sauce, gâtemétier, traîne-malheur, traîne-misère, gratte-papier, trouble-fête, lèche-bottes, lèche-cul, lèche-queue etc.). Im fachsprachlichen Bereich finden sich auch Tierund Pflanzennamen: garde-bœuf, gâte-bois, porte-queue, tourne-pierre, tuemouche; dompte-venin, perce-neige, tue-chien, tue-loup. Bei dem im Verhältnis zu vielen jüngeren Bildungen des Typs coupe-papier schon für das Ende des 10. Jahrhunderts belegten Kompositum tournesol (cf. Bork 1990, §348, 352–353),53 gebildet nach it. tornasole oder sp. tornasol (cf. auch it. girasole bzw. sp. girasol), ist ein zugrunde liegender adjektivischer Gebrauch (etwa mit Bezug auf eine Pflanze) naheliegend.54 Dies leitet zur Frage der historischen Entwicklung dieses kompositionellen paragrammatischen Verfahrens über.
11.4.2 Historische Entwicklung und Analyse Im Lateinischen werden Nomina agentis nicht nur durch die Suffixe -TOR, -TRIX/SOR; -O, -ONIS gebildet, sondern auch durch Konversion (-A) (INCOLA ‘Einwohner’); im Falle von Bildungen des Typs AGRICOLA (< ager und colere:55‘Landmann’) liegt eine komplexe, aus zwei Elementen bestehende Basis zugrunde. Bildungen gemäß diesem Muster werden gewöhnlich als Lexemkompositionen analysiert, also als AGRI-COLA; damit wird allerdings die zugrunde liegende Konversion (AGRICOL-A) verkannt. Eine analoge Interpretation als Konversionen trifft auf Bildungen des Typs AURIFEX (< AURUM und FACERE: ‘Goldschmied’) zu. Der Wort-
|| 53 Die ungewöhnlichere Schreibweise in einem Wort anstatt mit Bindestrich kann ein Hinweis auf das höhere Alter der Bildung sein (cf. portefaix (1270), portefeuille (1544), portemanteau (1547), (en un) tournemain (1556), tournevis (1676), portemine (1893) etc.; Datierung nach G.R.). 54 Zur adjektivischen Verwendung des Typs compte-gouttes cf. Rohrer 1977, 136–138. 55 Das Element -I- wie in lat. TERRIMOTUM zeigt an, dass die syntaktische Kombination paragrammatischen Status erlangt hat. Dieses Fugenelement erscheint in Komposita und wurde auf Juxtapositionen des Lateinischen angewandt (cf. Appendix Probi: «AQUAEDUCTUS, nicht AQUIDUCTUS»). Das -I- ist nicht zu interpretieren als Genitiv (*AGER, AGRI), sondern stellt eine Innovation gegenüber den indogermanischen Sprachen dar (cf. Fugenelemente im Deutschen wie -s, r in Hochzeitskleid, Liebeslied, Kinderwagen, Rinderschnitzel, die weder als Genitiv, noch als Pluralkennzeichen zu deuten sind, d.h. ein Kinderwagen ist nicht (nur) für mehrere Kinder bestimmt, ein Rinderschnitzel bezieht sich nicht auf mehrere Rinder etc.) (Lüdtke 2002b).
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bildungstyp AGRICOLA ist im Romanischen zwar nicht erbwörtlich erhalten, wurde aber im Italienischen mit Hilfe des Suffixes -olo neu gestaltet: fruttivendolo (‘Obst(und Gemüse-)händler’), panicuocolo (‘Bäcker (veraltet)’). Solche Bildungen werden, wie oben veranschaulicht (Kap. 11.4.1), als Vergleichsbasis herangezogen, um ein Nullsuffix im Wortbildungstyp coupe-papier zu rechtfertigen. Wird also bei der Analyse der romanischen VE-Komposita analog zum Typ fruttivendolo ein Nullsuffix mit generischer Bedeutung gefordert, müsste ein solches Nullsuffix konsequenter Weise bereits für das Latein vorausgesetzt werden, so etwa in VERTICORDIA (‘die Herzen Wendende’). Eine solche Annahme scheint für eine Sprache mit elaborierter Flexionsmorphologie wie dem Latein nicht plausibel (cf. Lüdtke 1996a, 264, 269). Wie im Lateinischen bei AGRICOLA und AURIFEX (d.h. den EV-Komposita) (cf. VERTICORDIA) von Konversionen zu Substantiven ausgegangen werden kann, lassen die VE-Komposita des Romanischen auf eine paragrammatische Beteiligung und Funktion der Konversion schließen. Auf die Verwendung als Attribut verweisen Bildungen wie frz. florifère (< lat. FLORIFER) ‘qui porte des fleurs’, diamantifère etc.: Diese integrieren ein Element, das auf lat. -FER (< FERRE) ‘qui porte’ zurückgeht (cf. das aus dem Griechischen entlehnte Element -phore (< φέρειν/phérein ‘porter’) wie in doryphore (< δορυφόρος ‘porte-lance’/‘Speerträger’), sémaphore etc.); dabei handelt es sich um rein adjektivisch verwendete Formen, z.B. tige florifère, plante florifère, ebenso bei diamantifère: sable, gîte diamantifère. Einzugehen wäre im Folgenden auf die im Latein im Vergleich zum Französischen umgekehrte Anordnung von verbalem und nominalem Element.
11.4.3 Typologischer Wandel auf syntaktischer Ebene und die Frage der Entstehung der romanischen Verb-Ergänzung-Komposita Die Frage nach dem Ursprung des Wortbildungsmusters und nach dessen Existenz in lateinischer oder romanischer Zeit kann aufgeworfen werden mit dem Ziel, Aspekte der Synchronie zu erhellen, wodurch dem Rekurs auf die Diachronie eine heuristische Funktion zukommt. Der Herkunfts- und Entstehungsfrage aufgespürt hat Hans Dieter Bork (1990) in seiner die Forschungsliteratur genau aufarbeitenden Studie. Typologisch interessant sind die wenigen (und letzten Endes Desiderat bleibenden)56 Überlegungen Borks zum syntaktischen Wandel
|| 56 Eine Diskussion des Verhältnisses zwischen Wortbildung und Syntax wird aus wortbildungstheoretischer Sicht dadurch umgangen, dass «unter Vernachlässigung des Standpunktes, dass Komposition und Syntax nichts miteinander zu tun haben», lediglich die einschlägi-
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bzw. Wandel der Serialisierung der Satzglieder; diese resultieren als sekundäre Fragestellung aus der Problematisierung eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem Aussterben des lateinischen Typs der Ergänzung-VerbKomposita und der Stärkung des romanisch bildungsreichen Typs nach dem Muster Verb-Ergänzung (cf. Bork 1990, 344, §339ss.): «Trotz der Spuren, die das Wortbildungsmuster Ergänzung + Verb im Romanischen hinterlassen hat […], kann kein Zweifel daran bestehen, dass seit Beginn der Überlieferung der romanischen Sprachen die VE-Komposita die EV-Zusammensetzungen völlig verdecken. […] will die communis opinio, dass die VE-Bildungen eine romanische Neuerung darstellen. Der Tod des EV-Musters wird in der Regel lediglich konstatiert, ohne die Angabe näherer Umstände. Es erscheint mir sinnvoll, die Frage nach einer Beziehung zwischen den beiden Vorgängen zu stellen».
Das Problem stellt sich also, ob der Wandel in der wortbildungsinternen Struktur von den lat. EV-Komposita zu den romanischen VE-Komposita als Reflex der Verfestigung der Abfolge der Basiselemente des Satzes gemäß (S)VO (bzw. (S)PO) im Übergang vom Latein (mit relativ freier Satzgliedstellung) zum Romanischen gedeutet werden kann (cf. Bork 1990, 369, §363). Es ist mehr als wahrscheinlich, dass ein Wechsel in der Abfolge von Determinatum und Determinans (cf. madrelingua vs. parola chiave) im Zusammenhang mit einem solchen Wandel der Satzgliedfolge zu sehen ist (Lüdtke 1996a, 267). Dieser Annahme kann die Theorie der «Umsetzung» in romanischer Zeit entgegengesetzt werden: Hierbei geht es um die Möglichkeit der Lehnübersetzung direkt aus dem Griechischen57 oder qua Vermittlung über das Lateinische.58 Bork hält eine solche These von der «Umsetzung», die spätestens ins 14. Jahrhundert fiele, mit Bezug auf tournesol (Erstbeleg Ende 10. Jahrhundert) für wenig wahrscheinlich, zumal weder die Kenntnis des Griechischen und noch weniger die Durchsichtigkeit eines Gräzismus im Lateinischen für einen Sprecher dieser Zeit vorausgesetzt werden könne (Bork 1990, §348, 353). Die romanische Verbreitung
|| gen Positionen zu dem von Bork in den Raum gestellten Problem skizziert werden (Bork 1990, §363, 369–370). Abschließend wird «eine bemerkenswerte Koinzidenz zwischen der Geschichte der Verb-Objekt-Stellung und derjenigen der Verb-Ergänzungskomposita» festgestellt (Bork 1990, §378, 384); die Frage der Kausalität muss unentschieden bleiben. Die Fakten bezüglich Herkunft und Herausbildung der lateinisch-romanischen Verb-Ergänzung-Komposita und Entwicklung der lateinisch-romanischen Wortstellung erweisen sich immerhin als kompatibel. 57 So z.B. für tournesol: nach A. Scheler (31888, s.v.) Übersetzung von griech. ὴλιοτρόπιου ‘qui se tourne vers le soleil’ (cf. Bork 1990, §348, 353). 58 Nach Gammilscheg (1928/21969), s.v. tournesol, liegt eine Lehnübersetzung aus lat. HELIOTROPIUM zu griech. ἥλιος ‘Sonne’ und τρέπειυ ‘wenden’ vor (cf. Bork 1990, §348, 353).
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des Begriffs wiederum legt eine Entstehung «before the breakup of the linguistic unity of Romania» (Lloyd 1968, 25 A 27) nahe, was die Annahme interromanischer Entlehnung entkräftet. Indizien für eine Antwort auf die Frage, ob der Typ im Romanischen neu geschaffen wurde oder bloß eine Umkehrung der Elemente stattgefunden hat, liefert die Suche nach solchen Belegen, die im Latein und Romanischen dasselbe sprachliche Material verwenden, dieses aber unterschiedlich, d.h. gemäß der jeweils vorherrschenden Satzgliedfolge anordnen. Solche sprachlichen Paare dienen als Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung, wann spätestens eine solche Umstrukturierung eingetreten sein kann.59 Laut Lüdtke (1996a, 269) sind die lateinischen EV-Komposita in der gesprochenen Sprache untergegangen, «jedoch wahrscheinlich durch den Typ der Verb-Ergänzung-Komposita ersetzt worden. Dies konnte zu einer Zeit geschehen, als beide Verfahren im Latein noch nebeneinander bestanden». Dies bedeutet, dass der Typ im Romanischen neu geschaffen wurde. Insgesamt wird der Kompositionstyp auf einen Ursprung im Griechischen zurückgeführt; griechischer Einfluss wird auch bei der Ausbildung eines eigenen lateinischen, aber dem griechischen Vorbild entsprechenden Modells vorausgesetzt.60 Das Wortbildungsmuster besitzt damit lateinische Vorgänger, wobei die griechisch-lateinische Zweisprachigkeit der Römer offensichtlich eine wesentliche Rolle gespielt hat. So waren die Römer mit dem griechischen Wortbildungstyp vertraut und bildeten ihn in ihrer Sprache nach: FLEXANIMUS (‘herzerweichend’), VERSIFORMIS (‘die Gestalt ändern’) (cf. Lüdtke 1996a, 269). Hinsichtlich der syntaktischen Basisstruktur im Griechischen war sowohl die Abfolge Verb-Ergänzung wie die Anordnung Ergänzung-Verb verbreitet, wohingegen das Lateinische ausschließlich die syntaktische Struktur Ergänzung-Verb entwickelte (cf. LANIGER ‘Wolle tragend’, CAPRIMULGUS, cf. frz. tète-
|| 59 Übertragungen der Wortformen aus dem Lateinischen ins Romanische, wie sie sich zuweilen belegen lassen, können Aufschluss über die Existenz bzw. Gestaltung des Bildungstyps in lateinischer Zeit geben. Einerseits schreibt etwa W. v. Wartburg dem Muster einen betont lateinisch-romanischen Charakter zu, der die Möglichkeit der Rückführung auf ein bereits lateinisch produktives Muster offen lässt; andererseits wird die extensive romanische Verbreitung der Komposita aus Verb und Ergänzung als vorrangig gewertet, was Wartburgs ambivalente Haltung bedingt (cf. Bork 1990). 60 Cf. dazu Bork (1990, §377, 382): «Dass die Dominanz der VO-Stellung auf den Einfluss des Griechischen zurückgeführt wird, deckt sich mit der von mir geteilten Meinung über die Geburtshilfe des Griechischen bei der Entstehung der lateinischen VE-Komposita». Coseriu (1977, 48) scheint sogar griechischen Einfluss bis in die romanische Zeit anzunehmen: «das Griechische hat übrigens höchstwahrscheinlich zur Entstehung und Entwicklung dieses Typs im Romanischen beigetragen» (cf. auch Bork 1990, §348, 353–354).
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chèvre ‘Ziegenmelker (Vogel)’). Bei den griechischen Bildungen handelte es sich grundsätzlich um Adjektive, die insbesondere im fachsprachlichen Bereich auch zu Substantiven konvertiert wurden (cf. Bork 1990, §297, 305): «Die lateinischen EV-Komposita sind ursprünglich Adjektive, doch gibt es ‘unter den adjektivischen Personalnomina viele Substantivierungen’ (Leumann 1977, 393, §336), ebenso wie bei den EV-Komposita im Griechischen und den griechischen und lateinischen VE-Komposita». Gemäß der Feststellung Leumanns wird der Ursprung der Komposita aus Verb und Ergänzung im Bereich der Personenbezeichnungen angesetzt (cf. taillefer) mit anschließender Ausweitung des Verfahrens seit dem Mittelalter zunächst auf Pflanzen- und Tier- und schließlich auf Sachbezeichnungen (Werkzeug- und Ortsbezeichnungen). Im Romanischen werden die für das Griechische und Latein bekannten Bezeichnungsgruppen weitgehend fortgesetzt (cf. frz. couvre-chef ‘Kopfbedeckung’, it. girasole ‘Sonnenblume’, rum. papă-lapte ‘Grünschnabel’, sp. quebrantahuesos ‘Bart-, Lämmergeier’, kat. picaplets ‘Winkeladvokat’, port. papa-figos ‘Feigendrossel, Besansegel’; cf. Bork 1990). Die sich mit den romanischen VE-Komposita verbindenden Bezeichnungsmöglichkeiten decken sich in auffälliger Weise mit der Vielfalt an Bezeichnungsmöglichkeiten, wie sie die deverbalen generischen Komposita aufweisen (cf. Lüdtke 1996a, 269). Genauso wie letztere in der Regel auf subjektbezogene Adjektivierungen sowie Relationsadjektive zurückgehen,61 liegen den VE-Komposita ursprünglich subjektbezogene Adjektive (mit voraufgehender Ellipse des Substantivs) zugrunde, die in den romanischen Sprachen zu Substantiven konvertiert wurden. Unter formalem Aspekt handelt es sich bei der generischen Komposition um Suffigierungen, im Falle der VE-Komposita kommt als materiell weniger offenkundiges Verfahren die Konversion zu Substantiven der syntagmatischen Gruppe aus Verb und Ergänzung zum Tragen (cf. Lüdtke 1996a, 269).62
|| 61 Zur Frage der Ellipse bei den generischen Komposita cf. Lüdtke (1996a, 263), wo sich in bestimmten Fällen eine analoge Interpretation anbietet: «Von der Geschichte her ist es fraglich, ob ein generisches Element zugrunde liegt, denn in vielen Fällen ist gerade die Ellipse eines Lexems nachweisbar» (cf. insbesondere den Typ der Relationskomposita, der eine Sache bezeichnet, z.B. ardoisière, glaisière, marnière, sablière etc., die in Anlehnung an den elliptischen Typ des Lat. (FODINA) AURARIA, FERRARIA, MINIARIA etc. interpretiert werden können). Die Bezeichnungsgruppen bei elliptischen Bildungen sind, da sie auf ein spezifisches Lexem verweisen, in der Regel eher eingrenzbar als die Bezeichnungsgruppen bei Konversionen (cf. Lüdtke 1996a, 266). 62 Darüber hinaus können generische Komposita und auf Konversion beruhende deverbale Subjektnominalisierungen (Nomina agentis) des Typs un,e guide funktionell in Konkurrenz zueinander treten.
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Die Interpretation als subjektbezogene Adjektive liefert auch eine Erklärung für die große Bezeichnungsvielfalt. Es lässt sich vermuten, dass diese von den Substantiven herrührt, auf die sich die adjektivischen Bildungen bezogen. Der zugrunde liegende Prozess lässt sich anhand einer rezenten Bildung erhellen: Wie zunächst appareil lave-vaisselle gebildet wurde mit adjektivischer Verwendung des VE-Kompositums und anschließender Substantivierung (lavevaisselle), lässt sich für die anderen VE-Komposita eine Konversion zum Substantiv annehmen. Die Einführungsphase mit zugrunde liegender adjektivischer Verwendung muss dabei nicht in allen Fällen belegt sein; immerhin ist auf Bezeichnungsebene stets ein Element zu ergänzen, was die Annahme eines zum adjektivischen VE-Kompositum gehörigen Bezugsnomens weiterhin plausibel macht. Auch bei Ablehnung der Nullsuffixtheorie bleibt bei der Analyse der Wortbildungsstruktur eine semantische Leerstelle, die es kontextuell zu besetzen gilt (cf. (frère) coupe-chou(x) ‘Kohlschneider’ bzw. ‘Laienbruder (pejorativ)’; heute ‘(Kurz)Säbel’). So wird bei coupe-choux das Element, das den Kohl schneidet, nicht ausgedrückt. Zu den Bezeichnungsbereichen treten ferner die spezifischen Sprachstile hinzu, in denen die Ausdrücke verwendet werden können. Zusammensetzungen, die, analog zu den lat. EV-Komposita, eine EVStruktur mit verbbasiertem zweitem Element integrieren, finden sich auch in den romanischen Sprachen bzw. im heutigen Französisch. Bei diesen Zusammensetzungen handelt es sich typischer Weise um adjektivische Bildungen, die ein Partizip (Präsens oder Perfekt) enthalten: lieutenant (‘Oberleutnant’), clairvoyant (‘klarsichtig’), clairsemé (‘dünngesät’) etc. (cf. Lüdtke 1996a, 270) und als Ergänzung Objekte und Adverbien zu sich nehmen. Eine Substantivierung der partizipialen Bildung ist dabei jederzeit möglich (cf. un bébé nouveau-né → un nouveau-né). Dieser an die lateinische Satzgliedfolge angelehnte Strukturtyp kommt in den romanischen Sprachen jedoch nur ganz nachrangig vor (cf. supra Kap. 4.2.4). Trotz der Ähnlichkeit der beiden Typen weist das sich in den romanischen Sprachen etablierte Muster gemäß der syntaktischen Abfolge VerbErgänzung im Vergleich zum Modell nach lateinischem Vorbild eine deutlich andere Verbreitung bezüglich der Varietäten auf. Mit dieser Interpretation des Wortbildungstyps compte-gouttes als Konversion – zunächst zu einem (subjektbezogenen) Adjektiv in lateinischer Zeit,63 anschließend (mit Ellipse des Substantivs) zu einem Substantiv in romanischer Zeit – einer Gruppe bestehend aus Verb + Ergänzung im Einklang steht Weidenbuschs Interpretation zum einen des Typs après-guerre (64), zum anderen der suffixlosen Verbalisierung des Typs embarquer, die Konversionen präpositionaler Fügungen darstellen: Sowohl beim Kompositionstyp coupe-papier als auch bei der nicht-affigierten Verbalisierung des Typs embarquer wie der Situierung gewinnt die Konversion syntagmatischer Gruppen an Bedeutung. Der Wandel von einer lateinisch gültigen Abfolge Ergänzung-Verb in den entsprechenden Komposita zu einer im Romanischen implementierten Struktur Verb-Ergänzung reflektiert dabei den typologischen Wandel auf syntaktischer Ebene, der im Französischen zu einer generell gültigen DeterminatumDeterminans Struktur geführt hat. Verschiedene Korrelationen zwischen dem syntaktischen Verhalten von regierendem Nomen und Genitivattribut einerseits, zwischen Nomen und Adjektiv und der relativen Stellung von Determinatum und Determinans in einem Substantiv-Substantiv-Kompositum werden in der neueren Forschung diskutiert (cf. Bauer 2001, der sich auf ein Sprachensample mit Vertretern aus sechs großen Sprachräumen stützt), darunter zwei Hypothesen zur Erklärung der relativen Stellung von verbalem und nominalem Element im Wortbildungstyp coupe-papier (bei Bauer als «synthetic compounds» klassifiziert): Zufolge der ersten Hypothese entspricht die wortinterne Abfolge von Verb und Ergänzung des Kompositums (im Französischen Typ coupe-papier: VE) der Anordnung von Verb und direktem Objekt auf syntaktischer Ebene (frz. qc qui coupe le papier: (S)VO). Die zweite Hypothese korreliert die Abfolge von Verb und Ergänzung bzw. die von V-E innerhalb dieses Kompositionstyps mit der relativen Stellung von Determinatum und Determinans in DeterminativKomposita derselben Sprache, wobei V-E der Abfolge DeterminatumDeterminans entspräche (frz. coupe-papier/couper le papier – cigarette-filtre). Hier wären einzelsprachliche paragrammatisch-grammatische Studien unter Berücksichtigung von Diachronie und Synchronie sowie Typologie weiterhin von Nöten. Gauger sieht (abgesehen von Lehnübersetzung etc.) einen Zusammenhang zwischen dem für die romanischen Sprachen typischen Determinationsverhältnis und deren prinzipieller (schwachen) Kompositionsfähigkeit (Gauger 1971a, 158– 161; cf. Bally 41965, 238, §37965). Als Gegenbeispiel dient das Deutsche: Im Gegen-
|| 64 Es liegt keine «syntaktische Transposition» mit Ellipse (cf. Bally 41965, 159) zugrunde, sondern zwei Wortbildungsverfahren (Adjektivierung und Substantivierung); erstere führen lediglich zur Bildung von «Wörtern der Rede» (cf. Weidenbusch 1993, 83–85). 65 «L’opposition des séquences dans les composés français et allemands est celle qui frappe le plus quand on aborde la question de l’ordre progressif ou anticipateur. On sait d’ailleurs que les composés français sont plus près de la syntaxe que ceux de l’allemand (cf. pot à lait et Milchtopf; voyez cependant carte-réponse) et c’est précisément l’ordre tt’ [déterminé – détermi-
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satz zu dieser kompositionsfreudigen Sprache (mit Determinationsrichtung Determinans-Determinatum) sei die romanisch typische, progressive Abfolge Determinatum-Determinans der Komposition nicht zuträglich, da hierdurch eine Abgrenzung zu den Kombinationsverfahren der Syntax erschwert werde. Die Prädeterminierung wie im Deutschen statt Postdeterminierung wie im Französischen gehe einher mit verhältnismäßig stärkerer «Integriertheit» aus der Sicht des Sprecherbewusstseins (Gauger 1971b, 161). Gerade das Französische besitzt laut Gauger (1971b, 161) eine nur begrenzte Fähigkeit zur morphologischen Differenzierung zwischen lexematischer Komposition und nach den Regeln der Syntax zustande gekommenen syntagmatischen Verbindungen, was die Komposition insgesamt schwäche – und m. E. dafür die Konversionstypen stärkt. Dagegen gerieten Syntax und Wortbildung etwa im Deutschen nicht miteinander in Konflikt; vielmehr erreiche das Deutsche dank seiner der Syntax gegenläufigen Determinationsrichtung eine erhöhte Prominenz der auf diese Weise gestärkten Komposition.
|| nant, BK] qui est le principal facteur de ce rapprochement; l’ordre inverse aurait été un obstacle sérieux» (Bally 41965, 238, §379).
12 Die «positionelle Typologie» Die auch als «positionelle Typologie» bezeichnete Richtung beruht auf der Serialisierung der den Satz konstituierenden Elemente (unter besonderer Berücksichtigung des relativen Stellungsverhältnisses der Glieder mit Blick auf das Verb). Die Relevanz dieser Typologie erweist sich auf dem Hintergrund der Errungenschaften, die in der Nachfolge von J. H. Greenberg (1963b1) auf diesem Gebiet erzielt wurden, nicht zuletzt, was das Ansehen der Sprachtypologie als solcher – als traditionelle morphologische Disziplin teilweise in ihrem Wert verkannt und diskreditiert – anbelangt. Es fand teilweise auch eine QuasiGleichsetzung der syntaktischen Typologie nach Maßgabe der Wortfolgetypologie der Greenbergschen Tradition mit der Sprachtypologie überhaupt statt; diese Traditionslinie hatte die Aufstellung von Korrelationen in der Art von Implikationen zum Ziel: So wurden gesetzesähnliche Sätze formuliert, die von der Basiswortstellung auf das stellungsmäßige Verhalten etwa des ein Nomen modifizierenden Adjektivs, des Genitivattributs, der Relativsätze im Verhältnis zum Bezugsnomen etc. schließen lassen. Die Abfolge von Determinans und Determinatum sowie die Serialisierung, d.h. die Stellung des Verbs bezüglich des Subjekts und der Objekte, bildet das entscheidende Klassifikationskriterium in Greenbergs Konzept der Implikationsuniversalien, das eine herausragende Leistung im Bereich der Universalienforschung darstellt; mit ihr wurde der typologischen Forschung ein neuer Weg aufgezeigt: Auf der Grundlage der Wortfolgetypologie wurde auch der Bereich der Syntax für typologische Untersuchungen begehbar gemacht. Die Universalienforschung bedingte auf diese Weise eine Neuausrichtung des Erkenntnisinteresses, das nunmehr der Bestimmung des Verhältnisses von «Universalem und Partikularem in der Sprache» dienen sollte, um «so den Begriff ‘mögliche menschliche Sprache zu spezifizieren’» (Bossong 1980, 4). Auf dieser Basis2 versucht die neuere typologische Forschung, mögliche Implikationen von Wortstellung und dem Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein bestimmter Kategorien aufzudecken und zu katalogisieren. Die Wortfolgetypologie galt dabei neben der morphologischen Typologie lange Zeit als die aussichtsreichste Basis für den Versuch, eine (noch inexistente) holistische Typologie zu erstellen. Dieses Verfahren soll im Folgenden näher erläutert werden. || 1 Mit «the order of meaningful elements» ist nach traditioneller Terminologie die Wortfolge gemeint. Die Universalien sind im Appendix III aufgeführt (cf. Greenberg 1963b); zu einer Zusammenfassung cf. Ineichen (21991, 110–111). 2 Einen Überblick bietet Ineichen (21991, 107ss.). https://doi.org/10.1515/9783110693966-012
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Die Wortfolgetypologie3 kann als eine besondere Form der partiellen Typologie aufgefasst werden, deren Untersuchungsgegenstand nicht sprachliche Gesamtsysteme, sondern nur Teilsysteme (Syntax, Morphologie, Phonologie etc.) bilden. Was wiederholt zu Kritik an partiellen Typologien geführt hat, ist die starke Divergenz der Forschungsergebnisse jeweils in Abhängigkeit vom zugrunde gelegten Analyseparameter, so dass einerseits die Eigenständigkeit der jeweils besonderen Organisationsprinzipien unterliegenden Teilsysteme zwingend berücksichtigt werden muss, andererseits zugleich eine Integration zu einer holistischen Gesamtsystemtypologie immer mehr in den Bereich der Utopie rückt.4 Greenbergs Ansatz zur Wortfolgetypologie (1963) wurde von Winfried P. Lehmann (1973), Theo Vennemann (1974, 1975) und anderen weitergeführt (cf. auch Ineichen 21991, 130ss.); Grundthese ist, dass Sprachen die Bandbreite an intermediären Positionen zwischen den Extremtypen (S)PO und (S)OP abdecken. Schwankungen ergeben sich dabei nicht nur aus diachronischer Perspektive, sondern auch bei einer synchronischen Betrachtungsweise treten Gradabstufungen im Sinne von Prinzipienmischungen innerhalb der einzelnen Typen auf. Eine solche typologische Konzeption kann als «dynamische» Typologie charakterisiert werden. Greenbergs Modell sieht neben einem Hauptmerkmal weitere, daraus abgeleitete Merkmale oder Implikationen vor. Das Problem des typologischen Wandels, wie es im Rahmen von Untersuchungen zur Wortfolge von Vennemann (1975) in Angriff genommen wurde, der sich insbesondere auf die Ergebnisse Greenbergs (1963; cf. Ineichen 21991) und W. P. Lehmanns (1972a) stützt, erscheint hier eingebettet in die eigene Konzeption einer als «natürlich» begriffenen generativen Grammatik («natürlich», da eine Serialisierung der Satzelemente, wie sie in den Sprachen realiter vorzufinden ist, zugrunde gelegt wird). Vennemanns Theorie orientiert sich im Wesent-
|| 3 Die Grundwortstellung bildet selbst den zentralen Parameter für die positionelle typologische Richtung, die einzig unter der Voraussetzung, dass sie nicht nur die Serialisierung der Satzelemente Subjekt, Prädikat und Objekt in ihrem relativen Verhältnis zueinander berücksichtigt, sondern auch Korrelationen zu weiteren grammatischen (morphologischen) Eigenschaften einer Sprache herzustellen versucht, tatsächlich als eine typologische Richtung und nicht als bloße Art der Klassifizierung angesehen werden kann. 4 Dass sogar innerhalb eines Teilsystems oder innerhalb von Ausschnitten eines Teilsystems verschiedene Prinzipien oder Konstruktionsmuster konkurrieren können, hat Eckerts typologische Studie (1986) klar erhellt: «[…] dass ein System aus typologischer Sicht keineswegs homogen ist, sondern in der Regel Verfahren umfasst, die unterschiedlichen Typen zuzuordnen sind (Eckert 1986, 48–49 und 68ss.) – die Darstellung der alt- und mittelfranzösischen Verhältnisse bei Eckert selbst liefert hierfür den besten Beweis» (Wunderli 1989, 307).
700 | Die «positionelle Typologie»
lichen an einer morphosyntaktischen Organisation der durch die Sprache zu vermittelnden Inhalte, die auf einer kategorialen Syntax beruht. Nach dieser Konzeption bilden die Morpheme bestimmte Relationen zu anderen Elementen aus, die als Operator-Operand-Beziehungen expliziert werden, wobei spezifische Konstellationen dieser Relationen möglich sind.5 Vennemann (1974, 1975) erweiterte Greenbergs Ansatz um den von Sapir (1921) eingeführten Begriff des drift, der als universal postuliert wird, und entwickelte darauf aufbauend die Theorie der zyklischen Sprachentwicklung. Danach bewegt sich die Entwicklung der Sprachen zwischen den Polen (S)PO und (S)OP. Die jeweils zwischen den Extremen eingenommene Stellung sowie die bis dahin durchlaufene Entwicklungsgeschichte ermöglichen nach Vennemann, Aussagen über den weiteren Entwicklungsverlauf zu treffen (was zur Frage des Funktionierens von Sprachwandel überleitet).6 Zwar kann die Richtung der Strömung nicht angegeben werden, doch wird angenommen, dass unter verschiedenen möglichen Entwicklungslinien diejenige bevorzugt wird, die einer «Interaktion zwischen spezifisch einzelsprachlichen Strukturen und allgemeinen Prinzipien der sprachlichen Organisation» (Ineichen 21991, 131–132) Rechnung trägt. Laut Vennemann manifestiert sich die Strömung nach Sapir in drei miteinander interagierenden Tendenzen (cf. Vennemann 1975); diese sind: (S1) Die relativ frequente Nivellierung der Opposition zwischen Subjekt und Objekt, was einer Reduktion morphologischer Markierungen entspricht. (S2) Die Tendenz, syntaktische Beziehungen primär über die Wortstellung zum Ausdruck zu bringen. (S3) Die Tendenz zur Unveränderlichkeit des Wortes. (S2) sagt aus, dass die morphologische Reduktion, d.h. der Verlust der Kasusanzeige zur Festigung der Wortstellung führt. Andererseits bedingt die Tatsache, dass bestimmte Wortstellungsmuster allmählich gegenüber anderen dominie-
|| 5 Die Operator-Operand-Beziehung erinnert in einem strukturalistischen Rahmen an die Determination bei Bally (41965; cf. Geisler 1982). 6 Eine ähnliche Vorstellung vom Entwicklungsverlauf der Sprachen findet sich bereits bei Gabelentz, allerdings mit dem – als mehr oder weniger bedeutend eingeschätzten – Unterschied, dass er statt von einer zyklischen Bewegung von einem spiralförmigen Verlauf der sprachtypologischen Entwicklung ausgeht, «nach der die Hilfswörter des isolierenden Stadiums allmählich zu agglutinierenden Affixen werden, die dann immer enger mit den Wortstämmen verknüpft werden, bis flexivische Endungen und Stammalternationen entstehen; eine weitere phonetische Reduktion führt dann wieder zu unflektierten Wortformen, deren Funktion im Satz nun wiederum mit Hilfe von Hilfswörtern angegeben wird, usw.» (cf. Sgall 1979, 1).
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ren, Redundanz bei gewissen morphologischen Kennzeichnungen. (S3) ist eine Konsequenz der phonologischen Einflüsse, die für (S1) verantwortlich sind. Statistische Erhebungen belegen, dass für die syntaktische Organisation einer Sprache die relative Stellung des Verbs V bzw. des Prädikats und seines Objektes O von entscheidender Bedeutung ist (wobei als O in der Regel das direkte Objekt, zumeist realisiert durch eine NP, zugrunde gelegt wird). Je nach der Stellung des Objektes relativ zum Prädikat unterscheidet die Wortfolgetypologie PO-Sprachen und OP-Sprachen. Von Greenberg und W. P. Lehmann statistisch ermittelte Präferenzen führten zur Formulierung folgender allgemeiner Sätze (GL = «Greenberg/Lehmann»; cf. Ineichen 21991, 132–133; Harris 1978, 7): 7 (GL1) Die Genitivattribute haben die Tendenz, in OP-Sprachen vor, in POSprachen nach dem Bezugsnomen zu stehen. (GL2) In OP-Sprachen wird das Nomen gefolgt von Suffixen und/oder Postpositionen, in PO-Sprachen gehen dem Nomen Präpositionen voran (cf. Harris 1978). (GL3) Der Auxiliarkomplex hat die Tendenz, in OP-Sprachen nach, in POSprachen vor dem Hauptverb zu stehen (nach Harris sind in OPSprachen Auxiliare rar, in PO-Sprachen dagegen häufig). (GL4) Bei der Komparation hat der Vergleichsausdruck die Tendenz, in OPSprachen vor, in PO-Sprachen nach dem Adjektiv zu stehen. (GL5) In Aussagesätzen hat das Subjekt die Tendenz, vor dem Objekt zu stehen. (GL6) OP-Sprachen haben «fast immer» Kasussysteme. Nach Harris (1978, 7) ließe sich diese Liste durch folgendes Merkmal ergänzen: (GL7) Adjektive und Relativa stehen in OP-Sprachen vor, in PO-Sprachen nach dem Nomen. Bezüglich der Systematik des Sprachwandels formuliert Vennemann neun Sätze (V1 – V9); da diesen ein universeller Charakter zugesprochen wird, handelt es sich auch um typologisch relevante Sätze, die hier kurz vorgestellt werden sollen: (V1) Die Sprachen weisen die Tendenz auf, die zwischen Operator und Operand feststellbaren Hierarchien gemäß einem bestimmten Richtungsprinzip zu serialisieren, dessen natürliche Ausformung wie folgt zu explizieren wäre:
|| 7 Zu einer Diskussion der von Greenberg aufgestellten, den jeweiligen Gleichungen entsprechenden Universalien cf. Comrie (1981, 87–88).
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{Operator} ({Operand}) Operator
[Operand]
in XP-Sprachen
[Operand]
Operator
in PX-Sprachen
{ } beliebige Strukturen auf einer niedrigeren Ebene Überführung in [ ] auf höherer Ebene befindliche Explikate (die inneren Klammern determinieren die Richtung der Umwandlung)
Dieses Prinzip lässt sich auf alle Universalien anwenden, in deren Zentrum eine Operator-Operand-Beziehung steht (als Folge von (GL 1–4)). Beispiele für Explikate des oben formalisierten Serialisierungsprinzips sind der of-Genitiv im Englischen und seine präpositive Entsprechung (cf. im Deutschen: seines Meisters Stimme/des Sprechers Absicht), wobei letztere Serialisierungsmöglichkeit als markiert zu gelten hat und aus einer XP-Struktur hervorgegangen ist; daneben die Komparative: «größer als X» (in PO) vs. «X als größer» (in OP). Für Betrachtungen dieser Arbeit von besonderem Interesse sind Explikate mit Bezug auf das Romanische;8 hier können als Beispiele postpositiver Morphologie, die auf die lateinische XP-Struktur zurückgehen, die Adverbialbildung mittels des Morphems -ment sowie die Bildung des Futurs und des Konditionals (mit X + habere) genannt werden. (V2) Die Sprachen zeigen die Tendenz, Hervorhebungen möglichst an den Satzanfang zu stellen. Abgesehen von Gründen der Topikalisierung erscheint das Subjekt aus (diskurs)funktionalen Erwägungen meist an erster Stelle im Satz, entweder gemäß der Struktur SXP oder SPX (cf. (GL 5)). Unter den Begriff der Topikalisierung fällt auch der Artikel, der (wie die Demonstrativa) ein Nominales N determiniert. Die Richtung des Sprachwandels verläuft von konsistenten XP-Sprachen ohne Artikel über Topikalisierungen TPX zum Ausbau des Artikels in PX-Sprachen, die aber eine Tendenz zur erneuten Abstoßung des Artikels aufweisen. Die Entwicklung vom Lateinischen zum Französischen wäre ein Beispiel für einen solchen Wandel.
|| 8 Ein Relikt der lateinischen XP-Struktur gemäß (GL 1) scheint noch in den Straßburger Eiden (a. 842) anzutreffen zu sein, und zwar in der Formel pro Deo amur, ‘pour l’amour de Dieu’.
Die «positionelle Typologie» | 703
(V3)
Sprachen, die bezüglich der Subjekt-Objekt-Markierung morphologisch eindeutig und konstant verfahren, sind zumeist XP-Sprachen; Sprachen mit schwächer ausgebildeter SO-Morphologie sind zumeist PX-Sprachen.
Dieser Satz lässt sich von (GL 6) ableiten und entspricht Greenbergs Universale 41, wonach XP-Sprachen eine relativ eindeutige morphologische Kennzeichnung von Subjekt und Objekt aufweisen, und zwar unabhängig von der Wortstellung. Als einschränkende Bemerkung ist darauf hinzuweisen, dass auch Sprachen, denen im Wesentlichen eine PX-Struktur zugrunde liegt, eine SOMorphologie aufweisen können (etwa Altenglisch oder Neuhochdeutsch), d.h. die Systeme sind i. A. nicht einheitlich ausgeprägt. (V4) Wenn (V3) wegen Verlustes der SO-Markierung in einer Sprache nicht mehr gilt, tritt ein Wandel nach PX ein. Der Wandel nach PX zieht bedeutende Umstrukturierungen bezüglich der Satzgliedstellung nach sich (Auswirkungen auf die Stellung des Relativsatzes und anderer Nebensätze sowie der Adverbialen). Trotz Generalisierung des Schemas PX werden alte Strukturen gemäß XP in manchen Teilbereichen bewahrt. (V5) Der Wandel von einer SXP-Sprache zu einer SPX-Sprache verläuft über eine Zwischenphase mit einer TPX-Struktur. (V6) Wenn eine Sprache während des Wandels von XP nach PX erneut ein morphologisches Inventar (gemäß V3) ausbildet, nimmt sie wieder eine Struktur nach XP an. (V7) Die für den phonologischen Wandel hauptursächlichen Prozesse sind Neutralisierung und Reduktion. Aus diesem Prinzip resultiert (S3) bei Sapir, d.h. die Tendenz zur Unveränderlichkeit des Wortes. Die eigentliche Reduktionsstufe ist bei Einsilbigkeit erreicht. Aus der Perspektive der morphologischen Typologie läge hier ein gerichteter Wandel vor, der von der Agglutination über die Flexion zur Isolation führt. (V8) Jedes morphologische System zerfällt irgendwann durch Einfluss phonologischer Tendenzen. Ein Beispiel, welches die – im Rahmen der historischen Grammatik allgemein anerkannte (cf. Ineichen 21991, 135) – Gültigkeit dieses Satzes bestätigt, ist gerade der Wandel vom Latein zum Romanischen. (V9) Innerhalb des Systems einer konsistenten XP-Sprache führt phonologischer Wandel durch Schwächung der morphologisch markierten Differenzierungen zu Ambiguitäten, zu deren Kompensation die Wortfolge beiträgt.
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Als Konsequenz der Übernahme der zuvor morphologisch ausgedrückten Funktionen durch die Syntax wird die zunächst «freie» Wortstellung durch eine «feste» abgelöst. Die «feste» bzw. «grammatikalisierte» Wortfolge im Satz, wie sie gemäß der morphologischen Struktur primär für isolierende Sprachen in Anspruch genommen wird, stellt kein notwendiges Merkmal von Sprachen dieses Typs dar. Die Wortfolge isolierender Sprachen könnte prinzipiell also auch frei sein, da syntaktische Funktionen idealiter durch Morphemwörter, also Präpositionen, Konjunktionen etc. ausgedrückt werden (cf. die Kennzeichnung des in der Regel personalen Objektes im Spanischen durch die Präposition a mit Akkusativ, die dem Objekt relative Stellungsfreiheit innerhalb des Satzes einräumt). Im Französischen, Englischen und anderen Sprachen wird das direkte Objekt nicht durch ein instrumentales Morphem, sondern durch die reine postverbale Stellung markiert (und steht damit auf Grund seiner positionellen Eigenschaften in Opposition zum grammatischen Subjekt, das in präverbaler Stellung erscheint). Da im Französischen wie im Englischen aber auch Hilfswörter, etwa zur Markierung des indirekten Objekts, verwendet werden (cf. frz. J’ai donné le livre à Jean, aber Je le lui ai donné, dagegen mit betonter Form Je l’ai donné à lui (et non pas à Yves); vergleiche engl. I gave John the book/I gave the book to John und I gave him the book vs. betont I gave the book to him),9 tritt hier eine isolierende bzw. polysynthetische Erscheinung (morphologisch nicht markiertes Objekt) gemeinsam mit anderen, für die Isolierung typischen Attributen auf (cf. Sgall 1979, 9 bzw. 19, Anm. 20). Allerdings ist das bloße Faktum der (Nicht-)Grammatikalisierung der Serialisierung der konstitutiven Elemente des Satzes per se nicht das für die Typologisierung entscheidende syntaktische Moment; von vorrangiger Relevanz ist vielmehr der Unterschied im Grad der «Freiheit» der Wortfolge im Vergleich zu einer eindeutig «grammatikalisierten» Wortstellung im Rahmen des Satzes. Insofern stellt die Satzgliedstellung vielfach einen relativen und keinen absoluten typologischen Parameter dar. Die fixe Wortstellung im Satz ist für die dominant polysynthetischen und isolierenden Sprachen jedoch typisch. Die Ergebnisse sollen in folgender Übersicht nochmals dargestellt werden:
|| 9 Es handelt sich hierbei um Fälle der Dativierung, denen eine Verschiebung in der Valenz zugrunde liegt, so dass Alternanzen zwischen einem Genitiv-, Akkusativ- oder Präpositionalobjekt mit einem Dativ- bzw. indirekten Objekt auftreten; cf. auch dt.: Er schickt den Brief an sie vs. Er schickt ihr den Brief.
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Tab. 16: Typologisch relevante Korrelationen der Wortfolge Sprache
z.B. Latein XP
Merkmal
z.B. Englisch PX
Verhältnis Genitivvor Bezugs-N bzw. GN nach Bezugs-N bzw. NG attribut – regierendes (possessor noun – possessed noun) (possessed noun – possessor noun) Nomen (z.B. seines Meisters Stimme) z.B. die Stimme seines Meisters the voice of his master PRO DEO AMUR pour l’amour de Dieu Adjektive
vor (Bezugs-N)
nach (Bezugs-N)
Relativa
vor (Bezugs-N)
nach (Bezugs-N)
Suffixe/Prä- bzw. Postpositionen
N + Suffix/Po z.B. lente-ment
Pr + Nomen
Auxiliare
selten
häufig
Haupt-V + Aux.
Aux. + Haupt-V
Komparation
Vergleichsausdruck + Adj. «X als größer»
Adj. + Vergleichsausdruck «größer als X»
Kasussysteme
in der Regel existent
SO- Morphologie
eindeutig, konstant
i. d. R. schwächer ausgebildet
Aussagesätze
SO (bei SXP)
SO (aber SPX)
Topikalisierung Artikel/Demonstrativa
Satzanfang Ø+N
Satzanfang Art./Dem. + N
Sprachwandel
Operator-[Operand]
«dynamisiert» Subjekt Sprachwandel
[Operand]-Operator
Ø + N [XP] → TPX → Art./Dem. + N [PX] → Ø + N SXP → TPX → SPX SXP
SPX SXP → TPX → SPX
Lautneutralisierung/ Agglutination → Flexion → Isolation (Unveränderlichkeit des Wortes – -reduktion Monosyllabismus)
Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich die Sprachen i. A. nicht streng konsistent bezüglich der Implikationen ihrer Objekt-Prädikat-Syntax verhalten (unter den westeuropäischen Sprachen, die im Grunde das PX-Muster repräsentieren, zeichnen sich speziell die romanischen Sprachen durch Inkonsistenz in der Strukturierung der Adjektiv-Nomen-Modifikation aus). Sprachliche Evolution wird dabei auch in Vennemanns Konzeption auf der Grundlage von Extrempositionen beschrieben, denen sich die Sprachen in unterschiedlichem
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Maße annähern. Sprachwandel wird damit im Rahmen des Begriffs der Skalarität interpretiert. Wissenschaftsgeschichtlich bedeutet dies die Fortsetzung einer Linie, die von Humboldt über Finck zu Skalička und Uspenskij reicht (cf. Kretz 2002). Die Suche nach einem Maßstab, anhand dessen sich die Approximation an ein bestimmtes Konstrukt adäquat bestimmen ließe, konnte bisher keine voll befriedigende Lösung aufzeigen. Die neueren Ansätze der Wortfolgetypologie stellen aber insofern einen Fortschritt in Aussicht, als zwischen den Positionen, die zwischen den beiden Extremen (XP) und (PX) und deren Implikationen denkbar sind, Ordnungsrelationen hergestellt werden können. Angesichts dieser vom zentralen Verhältnis der Grundstellung von Prädikat (Verb) und Objekt abgeleiteten Aussagen und damit verbundenen Implikationen stellt sich Sprachwandel dar als ein sprachintern von universalen Bedingungen der Sprachstruktur gelenkter Prozess, d.h. Sprachwandel manifestiert sich in Veränderungen, die im System bereits angelegt bzw. «intern motiviert» (cf. W. P. Lehmann 1972b, 988) sind. Aus typologischer Sicht kann zumindest spekulativ angenommen werden, dass ein Zusammenhang zwischen relativer Freiheit bzw. spezifischen Mustern der Grundwortstellung, d.h. der Serialisierung von SPO und morphologischem Typus besteht, auch wenn die diachronische Fragestellung, die den möglichen Zusammenhang zwischen Wandel der Basiswortfolge und morphologischtypologischem Wandel (entweder als universelle Tendenz oder als auf gewisse Einzelsprachen anwendbare Korrelation) thematisiert, noch genauer untersucht werden muss. Hinsichtlich des Lateins kann zumindest folgendes gemutmaßt werden (cf. Ch. Lehmann 1985a, 91): «It is tempting to speculate that the famous word order freedom of Latin might have to do with the fact that almost all of the Latin nouns […] have case affixes and therefore a modifying slot, and that this gives them their relative independence».
12.1 Positionelle Typologie und Wortbildung Es lässt sich die Frage aufwerfen, inwieweit im zwischensprachlichen Vergleich Affinitäten zwischen etwa der Stellung des Genitivattributs und dem Determinationsverhältnis in den sogenannten Bahuvrīhi- oder Possessivkomposita (cf. Rotkehlchen, Milchgesicht) (bzw. den Determinativkomposita mit gleichem Determinationsverhältnis, cf. Gesichtsmilch) bestehen; oder ob sich sonstige Konvergenzen zwischen den im Rahmen der seriellen Typologie aufgestellten Korrelationen und dem Stellungsverhältnis von determinierendem (bzw. modifizierendem) und determiniertem (bzw. modifizierten) Element innerhalb eines
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Kompositums (vornehmlich Substantiv-Substantiv-Komposita) oder der Stellung des Adjektivs im Kompositionstyp bestehend aus Substantiv und Adjektiv aufzeigen lassen. Um zu stichhaltigen Ergebnissen zu gelangen, bedürfte es einer bezüglich der Sprachenauswahl breiter angelegten Studie (unter Berücksichtigung der Kriterien der genealogischen Divergenz, arealen Diversität etc.). Den typologischen Aspekt unter Einbeziehung des syntaktischen Wandels suchen die Studien Wiecher Zwanenburgs (1991), Claude Buridants (1993) sowie der Aufsatz von Laurie Bauer (2001) mit Bezug auf das wortbildende System (genauer die Komposition) zu erhellen. Hans Dieter Bork (1990) hielt sich (cf. Kap. 11.4.3) in dieser Frage sehr bedeckt und wagte auch keine voreiligen Mutmaßungen. Zwanenburg (1991) war mir lediglich über Buridant (1993) zugänglich:10 Hier findet sich ein Hinweis auf eine Korrelation zwischen der Determinationsrichtung innerhalb eines Kompositums (so auch im Typ coupe-papier) und der Wortstellung, genauer dem mit dem Übergang vom Lateinischen zum Romanischen eingetretenen Wandel in der Stellung der Glieder auf syntaktischer Ebene. In Buridant (1993, 35) wird nur eine knappe Aussage bezüglich der von Zwanenburg konstatierten Grundgedanken getroffen: Ausgehend von dem als «branching» bekannten theoretischen Konzept zur Analyse von Wortbildungsprodukten, demgemäß je nach Stellung des den Kopf modifizierenden Elements zwischen rechts- und linksverzweigenden Komposita unterschieden wird, unternimmt Zwanenburg eine mit dem klassischen Latein beginnenden Studie zum Französischen «mettant remarquablement en évidence les rapports étroits qui unissent la composition et la syntaxe: si l’on définit la ‘tête’ comme le constituant du mot composé déterminant la catégorie, la composition avec tête à droite, de type ‘germanique’ est restée à droite aussi longtemps que la syntaxe a été orientée à droite, en ancien français, la composition passant à gauche, selon le type ‘roman’, quand la syntaxe a changé d’orientation» (Buridant 1993, 35–36). Der Wechsel in der Basiswortstellung vom Lateinischen, in dem das Verb in der Regel zu einer Stellung am Satzende (und das Subjekt zum Satzanfang) tendierte (SXP), hin zu afrz. TPX,11 wobei das Altfranzösische eine starke Tendenz zur Verbzweitstellung zeigt, und schließlich zu SPX, wird also bei Zwanenburg unmittelbar mit der internen Determinationsstruktur der Komposita in || 10 Die Quelle konnte leider auch mit Hilfe der bibliographischen Angaben des Beitrags von Buridant nicht ausfindig gemacht werden. 11 Das Altfranzösische zeichnet sich hauptsächlich durch zwei Grundwortstellungstypen aus: SPX (Ergänzung), z.B. Li quens Rollant apelet Oliver ‘Graf Roland ruft Oliver’; Rollant ferit en une perre bise ‘Roland schlug auf einen dunklen Stein’ und XPS: Dis blanches mules fist amener Marsilies ‘zehn weiße Maultiere ließ Marsilie herbeiführen’; Morz est Rollant ‘Roland ist tot’; Enz el verger s’en est alez li reis ‘In den Obstgarten ist der König gegangen’ (cf. Price 1988, 283–284).
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Verbindung gebracht. Interessant ist hierbei insbesondere der Bezug zum diskutierten Kompositionstyp essuie-glace. Ausläufer des Altfranzösischen mit genannter basissyntaktischer Struktur finden sich bis in die mfrz. Epoche: «L’ancien français en est au stade TVX: il présente une large zone thématique devant le sujet […] le sujet occupera, de plus en plus essentiellement, cette zone, pour faire corps avec le verbe, mais des éléments de résistance subsistent en moyen français» (Buridant 1993, 35). la roi cort = the king’s court orbateor = Goldschläger
l’or batre = das Gold schlagen
essuie-glace ↔
monter sur la colline ↔
Scheibenwischer
auf den Berg steigen
Abb. 14: Basiswortstellung und Determinationsstruktur
Für den hier diskutierten Fall ist die Verlängerung der Perspektive nach hinten ins Lateinische von Bedeutung; ebenso der postulierte unmittelbare Zusammenhang zwischen Wortbildung (Komposition) und Syntax über das für die Analyse der wortbildenden Mechanismen und der syntaktischen Typologie relevante Kriterium der Determinationsverhältnisse. Diese werden von Geisler (1982) in seiner grundlegend positionell orientierten historischen Studie, die sich (mit retrospektivem Ausgriff auf das Indogermanische) vom Lateinischen, Altfranzösischen über das Mittelfranzösische zum Neufranzösischen erstreckt, untersucht. Doch obwohl die Frage der Determinationsrichtung (als einem unter verschiedenen anderen aufeinander abgestimmten Parametern) eines der zentralen Analysekriterien darstellt, bleiben die lexeminternen Verhältnisse außen vor bzw. werden nur mit Bezug auf die Entwicklung von Präpositionen unter dem Aspekt der Klitisierung gestreift. Hinsichtlich der Frage, wie sich die jeweilige Gerichtetheit der Determination erklären lässt, liefert Geisler lediglich den Hinweis, dass die Determinationsrichtung grundsätzlich durch Morpheme in der Funktion als Determinantien geregelt wird. Als Indikator für die Kohäsion zwischen morphologischen Determinantien und dem Determinatum dient der Synthetisierungsgrad (Geisler 1982, 16). Der Begriff der Determination (wie übrigens auch der der Synthese) wird aber nur unzureichend definiert (wie Geisler 1982, 246 selbst einräumt): «Unter Determination soll eine rein formalgrammatische Bezogenheit zweier Elemente verstanden werden, die auf Grund ihrer Gerichtetheit den vom Spre-
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cher intendierten Gesamtaufbau der Information innerhalb des Diskurses ermöglicht» (Geisler 1982, 239–240). Trotzdem kommt in dieser Formulierung ein in anderer Hinsicht wesentlicher Aspekt zum Tragen, der die positionelle Typologie weiterhin attraktiv macht: das Maß der freien Verfügbarkeit der Position der Satzkonstituenten für Zwecke, die im Dienste des Aufbaus einer bestimmten Informationsstruktur stehen. Dieser Aspekt ist insofern von Relevanz, als das Kriterium der «freien» oder «festen» Wortfolge Bestandteil einer typologischen Interpretation ist, die die Existenz der einen oder anderen Wortfolge aus der morphologischen Struktur heraus erklärbar zu machen sucht. Die diskursfunktionellen Möglichkeiten der Syntax hat Sgall (Benešová/Sgall 1973; Benešová/Hajičová/Sgall 1973; Sgall 1982; Sgall 1987a; Sgall 1987b; Sgall 1994; Sgall/Hajičová/Panevová 1986) in Verbindung mit der morphologischen Struktur des Gesamtsystems für die Typologie nutzbar gemacht.
12.2 Die Stellung des Französischen Greenberg (1963) unterscheidet in seiner positionellen Typologie unter Berücksichtigung des Subjektes drei Grundstellungsytpen: PSO (I), SPO (II) und SOP (III); das Latein gehört demnach der Gruppe III, das Französische der Gruppe II an. Es bestehen, wie oben (Kap. 12) veranschaulicht wurde, gewisse Korrelationen zwischen dieser Wortstellungssystematik und dem Verhalten bestimmter anderer Elemente im Satz: So kann in einer Sprache grundsätzlich zwischen der Realisation von relationsmarkierenden Morphemwörtern als Präpositionen (Pr) oder Postpositionen (Po) differenziert werden, wobei das Französische lediglich über Präpositionen verfügt. Relevant ist ferner die relative Stellung des Genitivattributs zum regierenden Nomen mit den Möglichkeiten NG (possessed noun – possessor noun) und GN (possessor noun – possessed noun). Schließlich erweist sich in der Greenbergschen positionellen Typologie die Stellung der Adjektive relativ zum Nomen gemäß den Schemata NA/AN als aussagekräftiger Parameter (diese ist unabhängig vom eventuell abweichenden Verhalten der Artikel, Demonstrativa und Numeralia in der gegebenen Sprache) (cf. Kap. 12). Dieses Verhältnis zwischen einerseits der relativen Stellung des Nomens, das den Besitz anzeigt (possessed noun), und des den Besitzer indizierenden Nomens (possessor noun) und andererseits der Serialisierung von modifizierendem Element und nominalem Kopf in einem Substantiv-SubstantivKompositum wird in Bauer (2001, 697, Tab. 51.3) untersucht. Im Französischen liegt hier in der Regel eine präpositionale Konstruktion la maison de mon père, also die Abfolge possessed noun-possessor noun (NG), zugrunde, die auf para-
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grammatischer Ebene mit einer Verbindung tarte maison, also H(ead)M(odifier), korreliert. Die Betrachtung der relativen Stellung von Nomen und Adjektiv im Verhältnis zu modifizierendem Element und nominalem Kopf in einem Substantiv-Substantiv-Kompositum ergibt für das Französische die relativ regelmäßige Abfolge NA (un homme sympathique) sowie die Kompositionsstruktur H-M (homme grenouille), von der Ausnahmen möglich sind (un grand homme ‘un homme important’ vs. un homme grand ‘un homme de grande taille’ bzw. autoroute an Stelle von *route auto); Befunde für ein breites Sprachensample sind in Bauer (2001, 697, cf. Tabelle 51.2) zusammengestellt. Auf dieser Grundlage ergeben sich zwei einander entgegengesetzte, in sich jeweils harmonische Konstellationen je nachdem, ob das Determinatum dem Determinans voraufgeht (progressive Determinationsrichtung) oder umgekehrt (regressive Determination) (cf. Ineichen 21991, 111; Bally 41965 spricht von ordre progressif vs. ordre régressif oder anticipateur). Tab. 17: Korrelationen gemäß PO/OP (1)
[PS]
PO
Pr
NG
NA
(2)
[SP]
OP
Po
GN
AN
Dabei ist für die syntaktische Organisation primär das relative Verhältnis zwischen O und P von Belang. Die aufgeführten Regularitäten gelten darüber hinaus nicht absolut, sondern in ein und derselben Sprache können Repräsentanten aus (1) und (2) koexistieren, cf. frz. une belle femme, un livre magnifique etc. (abgesehen von semantisch verschiedenen Fällen wie le pauvre homme vs. un homme pauvre etc.). Sgall (persönliche Mitteilung) räumt in Bezug auf das Französische ein, dass hier die als typisch angenommene Abfolge DeterminatumDeterminans nicht durchgängig eingehalten werde, indem er auf das Schema Subjekt – Prädikat (– Objekt) verweist. Tatsächlich resultiert aus den Universalien nach Greenberg bzw. W. P. Lehmann (vergleiche auch GL (1–4) Kap. 12), die auf statistisch eruierten korrelativen Dominanzrelationen beruhen, dass die hier unter (1) aufgelisteten morphosyntaktischen Eigenschaften, die in sich eine harmonische Konstellation bilden, nur dann eine (relativ) konsistente Determinatum-Determinans-Struktur abbildeten, wenn das Verb dem Subjekt vorauf ginge, also der Grundwortstellungstyp PSO vorläge. Damit kann Sgalls Aussage mit Bezug auf das moderne Französisch (bzw. alle indogermanischen Sprachen mit SPO, denen sämtlich ursprünglich eine SOP-Struktur zugrunde lag) bestätigt werden. Eine XPS-Struktur, neben SPO eine der beiden dominanten Wortstellungstypen des Altfranzösischen, findet sich im modernen Franzö-
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sisch jedoch in gewissen Fällen der Inversion (cf. Price 1988, 285ss.; auch Gadet 1992, 80–83). Abgesehen von den in den obigen Konstellationsreihen enthaltenen Parametern ließen sich auch die Präfixe bzw. Suffixe in diese Korrelationen einbinden. Dabei geht in der Regel PO und die Existenz von Präfixen miteinander einher; allerdings kann keine in den realen Sprachen nachweisbare eindeutige Korrelation OP → Suffixe konstatiert werden. Vielmehr kann auch in PO Sprachen (und nicht nur in OP Sprachen) die Suffigierung dominieren bis hin zur ausschließlichen Verwendung von Suffixen wie im Finnischen als einer PO Sprache (die Suffixpräferenz lässt sich damit erklären, dass Basen vor Ableitungen kognitiv verarbeitet werden; zusätzlich wird eine Hierarchie der lexikalischen Erkennung angenommen, wonach gilt: Ende > Anfang > Mitte eines Wortes; cf. Naumann/Vogel 2000, 941 mit weiterführender Literatur). Mit Bezug auf Sprachen, die sowohl Präfixe als auch Suffixe besitzen wie das Französische, lässt sich annehmen: «[P]refixational derivations are lexical rather than grammatical and more opaque and lexicalized than suffixations. This is consistent with the observation that prefixational derivations are typically base-modifying verbalizations, while suffixational derivations are often nominalizations, serving the more grammatical function of transposing stems or other word classes» (Naumann/Vogel 2000, 941).
Die Beobachtung, dass ausschließlich mit Präfixen operierende Sprachen sämtlich PO Sprachen sind, die zudem eher von Präpositionen als von Postpositionen Gebrauch machen, erscheint unter der Annahme plausibel, dass für Morphologie und Syntax (bzw. Wortbildung und Grammatik) von der Gültigkeit eines gemeinsamen Prinzips ausgegangen wird, das die Stellung des «Kopfes» nach folgender Maßgabe bestimmt: «The affixal head of a word is ordered on the same side of its subcategorized modifier(s) as P is ordered relative to NP within PP, and as V is ordered relative to a direct object NP» (Hawkins/Gilligan 1988, 22712). Auf das Französische, das nicht nur Präfixe, sondern vornehmlich auch Suffixe zur Anwendung bringt, angewandt bedeutet dies: Da mit Blick auf die Morphosyntax in einer Präpositionalphrase wie sur la table die Präposition (P) (sur) links von NP (la table) erscheint und einem Satz wie Il regarde la photo eine PO-Struktur mit Linksstellung des Verbs relativ zur NP (la photo) in Funktion des direkten Objekts zugrunde liegt, muss auf paragrammatischer Ebene
|| 12 Zur bibliographischen Angabe cf. Naumann/Vogel (2000); zur «Head Ordering Principle» (aus der Sicht psycholinguistischer Prozesse der Wortverarbeitung) siehe Stump (2001, 709– 710).
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gelten, dass der affigierte Kopf eines Wortes ebenfalls links vom modifizierenden Element erscheint (cf. désagréable mit präfigiertem rechtslokalisiertem Kopf gegenüber emballage mit linkslokalisiertem Kopf im Falle der Suffigierung). Ferner sind Affixe historisch häufig auf Kompositionselemente oder freie lexikalische Morpheme zurückzuführen und lassen sich daher in bestimmten Fällen als direkte Indizien bezüglich der (historischen) Wortstellung einer Sprache deuten.13 Es scheint also, als stünden die von Vennemann, W. P. Lehmann etc. im Anschluss an die Greenbergsche positionelle Typologie formulierten Implikationen etwa bezüglich der Stellung des Genitivattributs in einer (noch näher zu beschreibenden) Verbindung zu bestimmten Phänomenen in der Wortbildung. Die Intention, über die typologisch fundierte Syntaxanalyse die Typologie auch in die Wortbildung hereinzubringen, scheint ein erst jüngerer Gedanke (cf. Bauer 2001). So haben erst vornehmlich sprachtypologisch begründete Erkenntnisinteressen solche Zusammenhänge als noch unreflektiert herausgestellt.14 Die Studie von Bauer (2001, 695–707) zur Komposition, die sich im gegebenen Band in die Reihe der morphologisch-typologischen Strukturierungstechniken (neben Agglutination und Flexion, Introflexion, Inkorporation) eingliedert, liefert ansatzweise Antworten auf die in den vorhergehenden Abschnitten problematisierten Fragen, insbesondere die nach einem spezifischen Bezug zwischen Wortstellungstypologie und Determinationsverhältnis innerhalb der Wortbildungsprodukte der Komposition.15 Bauer (2001, 701–702) stellt zwei Hypothesen zur Erklärung der relativen Stellung von verbalem und nominalem Element in einem Kompositum vor, wobei der Wortbildungstyp coupe-papier unter die «synthetic compounds»16 einzugliedern wäre (zur Abgrenzung dieser auch als «Verbalkomposita» bezeichneten Bildungen cf. Bauer 2001, 701), zu denen Bildungen wie truck-driver, peace-keeping, home-made gehören. Diese
|| 13 Cf. Givón (1971) sowie Greenbergs (1963) Universalien 3, 4 und 27 bzw. Naumann/Vogel (2000, 941). 14 In der Studie Buridants (1993, 25–49) kommt die typologische Auseinandersetzung gewiss zu kurz. Zwar werden Anknüpfungspunkte (etwa über den Bezug auf Coserius Typologie der romanischen Sprachen, Eckerts Studie (1986) zum typologischen Wandel in mittelfranzösischer Zeit) an verschiedenen Stellen gesucht; die aufgezeigten Aspekte, die eine Integration in einen syntaktischen Ansatz ermöglichen könnten, werden aber nicht voll weiterentwickelt. 15 Allerdings lässt die Sprachenauswahl kaum Rückschlüsse auf die Verhältnisse in den romanischen Sprachen zu, auch wenn sporadisch Beispiele aus dem Französischen berücksichtigt werden. 16 Als solche bezeichnet bei Marchand (21969, 15ss.).
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beruhen auf Wortgruppen oder syntaktischen Konstruktionen, die sich dadurch auszeichnen, dass «the modifying element in the compound is (usually) interpreted as an argument of the verb from which the head element is derived» (Bauer 2001, 701). Gemäß der ersten Hypothese entspricht die Verb-Argument-Struktur innerhalb des Kompositums der Reihenfolge von Verb und direktem Objekt auf syntaktischer Ebene. Im Französischen entspräche dabei die Serialisierung von Verb und (nominaler) Ergänzung im Typ coupe-papier, auf den ich mich hier beschränke, tatsächlich der syntaktischen Basistruktur (S)VO bzw. (S)PO, wie die metasprachliche (aber mit primärsprachlichen Mitteln und nach objektsprachlichen Regeln formulierte) Paraphrase bestätigt: ‘quelque chose qui coupe le papier’.17,18 Die zweite Hypothese korreliert die wortinterne Verb-Argument-Struktur des synthetischen Kompositums mit der Reihenfolge von Kopf und modifizierendem Element in sogenannten Tatpuruṣa-Komposita gemäß der Klassifikation der indischen Grammatiktradition (Determinativ-Komposita) in derselben Sprache.19 Im Französischen verbindet sich dabei eine paragrammatische Struktur Verb – nominales Argument (coupe-papier) mit einer Abfolge H-M eines Determinativkompositums des Typs homme-grenouille (Reihenfolge DeterminatumDeterminans bzw. tt’ in der Terminologie nach Bally).
|| 17 Eine Auswertung der Daten zu ausgewählten Sprachen aus verschiedenen Sprachräumen (Afrika, Eurasien, Südostasien und Ozeanien, Australien-Neu Guinea, Nordamerika, Südamerika), die die Positionskorrelation von Verb und Objekt in einem «synthetischen Kompositum» und dem relativen Stellungsverhältnis von Verb und Objekt auf syntaktischer Ebene illustrieren, findet sich in Bauer (2001, 702 Tab. 51.7). Es zeigt sich, dass die Reihenfolge der Elemente in einem solchen synthetischen Kompositum offensichtlich eher in Abhängigkeit von morphologischen als syntaktischen Kriterien steht. 18 Sgall (persönliche Mitteilung) macht darauf aufmerksam, dass sich SOV (bzw. SOP) als ursprünglich dominante Grundwortstellung einer Sprache auch dort zu SVO (bzw. SPO) gewandelt habe, wo es weit weniger Verb-Argument-Komposita gibt als Argument-VerbKomposita (cf. das Deutsche, Englische, die slawischen Sprachen). Eine Auswirkung des syntaktischen Wandels auf die interne Struktur paragrammatischer Bildungen scheint allerdings eher denkbar als eine Beeinflussung in umgekehrter Richtung. 19 Die zweite Hypothese, die auf der Korrelation der relativen Stellung von Verb und Objekt in einem synthetischen Kompositum mit der Position von Kopf und modifizierendem Element in Tatpuruṣa-Komposita (endozentrischen Determinativkomposita) beruht, wird nach Bauers Untersuchung durch die Fakten eher gestützt als die erste (cf. Bauer 2001, 702, Tab. 51.8).
13 Nichtmotiviertheit des Wortes im Französischen: Dissoziation, Suppletion und Lehnaktivität Auf die Rolle der Lehnwörter als eines symptomatischen Zuges des isolierenden typologischen Konstruktes wurde in den bisherigen Ausführungen (cf. Kap. 3.6.2.2) bereits hingedeutet: «Der isolierende Sprachtypus bedarf wie im Englischen der isolierten Wörter, d.h. vor allem der Lehnwörter» (Skalička 1975a, 411), und zwar deshalb, weil idealiter Konversion vorherrscht und Wortbildungsmorpheme weniger typisch sind. So lässt sich auf das Englische und Französische übertragen, was auch für das Rumänische gilt, dass nämlich die Lehnwörter «ein Ergebnis der Aktivität d[ies]er […] Sprache[n]» (ibid.) darstellt. Dies bedeutet, dass der isolierende Typus eine Integration von Lehnwörtern zulässt, andererseits eine Entwicklung in Richtung analytischer Strukturen die Lehnaktivität begünstigt. Unter den typologisch relevanten Erscheinungen nimmt der Lehnwortschatz in der Diachronie dieser Sprache einen wichtigen Platz ein, woraus Konsequenzen unterschiedlichster Natur resultieren, wie sie für die englische Sprachgeschichte bzw. die aktuelle Synchronie in Handbüchern und Sprachgeschichten dargestellt sind (cf. Baugh/Cable 1993; M. Scheler 1977; Leisi 71985 u.a.). Auf Sprecherseite hängt das Bewusstsein um den Bestandteil bzw. die Akzeptanz der Lehnwörter vom Bildungsgrad ab; je nach Sprecher können «Hard Words» daher aus Unkenntnis quasi nicht-existent sein (cf. Kap. 3.6.2). Der Versuch einer typologischen Deutung der Rolle der entlehnten bzw. gelehrten Elemente innerhalb des Sprachsystems kann sich als Ausgangspunkt auf gewisse (vom aktuellen Forschungsstandpunkt zu präzisierende) Aussagen in Skalička stützen (siehe etwa Skalička [1946]/1979, 183; cf. auch Skalička 1975a): «Die Aufnahme von Fremdwörtern ist sehr bezeichnend für die Eigenart einer Sprache. Das Englische hat viele Lehnwörter, das Chinesische sehr wenig. Typologisch ist das sehr wichtig. Ein entlehntes Wort bleibt vom Standpunkt der Wortbildung notwendig unklar. Es gehört zu den isolierten Lexemen (cf. engl. madam). Ein einheimisches Wort hat immer die grössere Wahrscheinlichkeit, beschreibend zu sein (cf. franz. madame)».
Der Einfluss des Lateinischen auf den Wortschatz der romanischen Sprachen ist ein besonderer; hier stellt sich die Frage der Kontinuität zum einen mit Blick auf die Verfahren als Gesamheit, zum anderen hinsichtlich der einzelnen Entlehnungen. In Bezug auf letztere können Wörter als Ganze übernommen worden sein, es können aber auch nur die Basislexeme oder bestimmte Wortbildungs-
https://doi.org/10.1515/9783110693966-013
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elemente aufgenommen oder tradiert worden sein. Noch komplexer wird die Situation durch Neuentlehnungen entweder aus dem Latein oder über andere romanische Sprachen, wobei noch Lehnbildungen und verschiedene andere Verfahren hinzutreten (zur Systematik des Lehnguts mit Bezug auf das Englische cf. Görlach 31994, 135ss., zur Stratifizierung des Wortschatzes insbesondere M. Scheler 1977; Leisi 71985). Zu Faktoren, die eine intensive «produktive» Entlehnung (welche ihrerseits eine günstige Koinzidenz entsprechender außersprachlicher historischer Bedingungen voraussetzt) zu bestimmten Phasen der Sprachentwicklung bedingen, indem sie die erfolgreiche Integration der Lehnwörter in das übrige Sprachsystem ermöglichen können, gehört die Tendenz des isolierenden Konstruktes, das einfache, arbiträre, abstrakte und polyseme Wort als ein isoliertes gegenüber dem komplexen, analysierbaren, durchsichtigen,1 motivierten Wort zu präferieren. Die Stärkung des isolierten Wortes folgt aus der Aktivität des zugrunde liegenden Typus bzw. der isolierenden Komponente innerhalb einer Sprache. Eine solche Betrachtungsweise kann in gewisser Hinsicht die historischen Fakten a posteriori theoretisch begründen helfen. Die Lehnaktivität einer Sprache ist nicht Bestandteil der wortbildenden Prinzipien und somit auch nicht Gegenstand einer Wortbildungslehre; allein der typologische Rahmen erlaubt die Einbeziehung des Lehnwortschatzes als eigenen Untersuchungsbereich einer grammatisch-paragrammatischen Analyse. Das Vorkommen von Dissoziation innerhalb des Wortschatzes folgt teilweise aus der Aufnahme von Wortgut aus anderen Sprachen, im Falle der romanischen Sprachen an erster Stelle aus dem genealogisch unmittelbar verwandten Latein. Die Dissoziation im lexikalischen Bereich beruht auf der Verdunkelung von etymologischen Wortfamilien. Suppletion dagegen meint nach der klassischen, auf Hermann Osthoffs (1899) Begriff des «Suppletivwesens» zurückgehenden Bestimmung die Ergänzung eines defektiven Flexionsparadigmas durch ein lexikalisch analoges, aber etymologisch fremdes Stammmorphem. Ein anschauliches Beispiel bildet das Flexionsparadigma von frz. aller, das auf drei verschiedene lat. Etyma – AMBULARE, VADERE, IRE – zurückgreift, um Person bzw.
|| 1 Im Falle vorhersagbarer (systematischer) Bildungen nach bestimmten paragrammatischen Verfahren spricht man von deren motiviertem Charakter; diese Art der Systematizität, die auf der «Serialität der Prozesse» beruht, macht gerade die Grammatikalität von Wortbildungen aus: «Wenn die Funktion des Verfahrens (z.B. eines Suffixes wie -age) bekannt ist, ist die Bedeutung der Ableitung vorhersagbar, auch wenn sie noch nie vorher gebildet worden sein sollte» (Geckeler/Dietrich 1995, 99–100). An Stelle des Terminus der Motiviertheit verwendet Gauger den der «Durchsichtigkeit» (bzw. Transparenz) der Wortbildungsprodukte (cf. Gauger 1971a; 1971b). Im Gegensatz zu einem gemäß einem produktiven Wortbildungsverfahren zustande gekommenen Wortbildungsprodukt ist das Basislexem immer undurchsichtig oder opaque.
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Numerus/ Tempus/Modus auszudrücken (aller, nous allons, que j’aille – je vais, ils/elles vont – j’irai(s); Datenmaterial für Vorkommen von Synkretismus, also Homonymie wie im Falle von tu es [ɛ] – il/elle/on est [ɛ], in Spannung zu und Korrelation mit suppletivischen paradigmatischen Mustern der Verbalmorphologie liefert Hinzelin 2012 im Spektrum der Varietäten der Romania continua). Analoges gilt für dt. sein: (ich) bin, (er) ist, (wir) sind; (sie) war etc. oder bei den drei Suppletivstämmen FERRO – TULI – LATUM, aus denen sich das Paradigma von lat. FERRE (‘tragen’) zusammensetzt (cf. Mel’čuk 2000): Ein und dasselbe lexikalische Verb kann also im Rahmen der Formen, die seinen Paradigmen zugeordnet werden, formal divergierende Verbalstämme identischen Inhalts vereinen. Genauso verhält es sich bei den engl. Komparativformen von good: bett(-er) und be(-st) oder denen des Lateinischen BONUS – MELIOR – OPTIMUS, MALUS – PĒIOR – PESSIMUS, cf. frz. bon – meilleur; bien – mieux; mauvais – pire; mal – pis.2 Nach Bally (41965, 178, §287) gilt für suppletive Zeichen, dass diese «ont exactement la même signification, et des signifiants hétérogènes dont le rôle est déterminé par un choix arbitraire». Als definitorisches Kriterium der Suppletion legt Bally damit die Bedingung zugrunde, dass bei Variation des Signifiant der Signifié konstant bleibt (cf. Bally 41965, 178–179, §288). Bally differenziert dabei in Analogie zur partiellen Homonymie zwischen partieller Suppletion (z.B. prouver : preuve) als asemantischer Alternation, die ihrerseits im Gegensatz steht zu einer signifikanten Opposition bei Gast : Gäste etc., wo die Vokalalternanz (Umlaut) eine grammatische Funktion beinhaltet, und totaler Suppletion. Totale Suppletion setzt folgendes voraus: «Deux supplétifs parfaits doivent présenter, outre l’identité des significations, une hétérogénéité complète des signifiants et une identité absolue des fonctions» (Bally 41965, 180, §290). Die Suppletion erfasst nach Bally sowohl grammatische wie paragrammatische Funktionen: 3 || 2 Im français populaire lässt sich beobachten, dass Sprecher zur Regularisierung der verschiedenen Stämme des Suppletivparadigmas der Komparationsformen von bon und mauvais neigen; so ist zwar der Gebrauch von plus bon selten, dagegen sind plus pire, plus mieux (que) häufiger anzutreffen (cf. auch den adverbialen Gebrauch von davantage que/comme an Stelle von plus que) (cf. Gadet 1992, 61). 3 Cf. demgegenüber Ronneberger-Sibolds (1988, 453) bewusst rein synchronisch orientierte Definition der Suppletion: «Als suppletiv soll eine Flexionsform gelten, die nicht nach den generellen phonologischen und morphologischen Regeln der betreffenden Sprachen abgeleitet werden kann […]. Nach dieser Definition ist also eine Form suppletiv, sobald sie von den Sprachbenutzern individuell als ganze gelernt und bei der Produktion und Perzeption verwendet werden muss». Der so umrissene synchronische Begriff unterscheidet sich von dem Begriff nach Osthoff (1899) insofern, als letzterer für die Paradigmenkonstitution etymologisch verschiedene Wurzeln voraussetzt, was bei Ronneberger-Sibold nicht der Fall ist. Ein weiterer Unterschied zum etymologisch fundierten Suppletivbegriff beruht darauf, dass «Suppletion in
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«Ainsi le rapport entre nom d’action et verbe est normalement marqué par un suffixe (laver : lavage), qui peut être zéro (marcher : marche), mais dans quelques cas, il est représenté par des radicaux hétérogènes (dormir : sommeil; tomber : chute; jurer : serment; frapper : coup); ces radicaux se suppléent réciproquement. Le cas analogue, mais non identique, de eau : aquatique; foie : hépatique etc.» (Bally 41965, 178, §287).
Ballys Begriff der Suppletion ist ähnlich weit gefasst wie der der Transposition; so findet sein spezifisches Konzept der Suppletion auch Anwendung auf Personalpronomina als rein grammatischer Morpheme (oder Instrumentalwörter), da ihnen ein identischer semantischer Wert zugeordnet werden kann. Dies trifft etwa auf se und lui in «Paul s’admire et ne pense qu’à lui» zu; ebenso bei que und quoi in «Je ne sais ni que faire ni à quoi me résoudre». Das Pronomen celui/celle suppliert nach Ballys Interpretation den Artikel in «le chapeau de Pierre et celui de Paul» (cf. Bally 41965, 178, §287). Kritisch erscheint der Fall namentlich bei dem zwischen très und beaucoup bestehenden Verhältnis (wie in «Paul est très aimé» vs. «Tout le monde l’aime beaucoup») mit konventionell festgelegter Distribution der einen oder anderen Form: vor Adjektiv (bzw. adjektivisch gebrauchtem Partizip) oder Adverb stehen très (bzw. bien oder fort), in Verbindung mit einem Verb beaucoup (oder ebenfalls bien) (cf. demgegenüber dt. Paul ist sehr beliebt vs. Alle mögen ihn sehr). Problematisch erscheint es ferner, von Suppletion zu sprechen, wenn die Opposition zwischen der direkten und indirekten (mit präpositionalem Anschluss des Objekts) Konstruktion eines transitiven Verbs als Fall der Suppletion betrachtet wird wie bei décider qc (L’UE se congratule de la trêve unilatérale décidée par l’URNG pour les élections; Dictionnaire Linguee 2018, s.v. «décider la trêve») – décider de (Nous devons décider de la meilleure manière de réagir; ibid. s.v. «décider de»); apprendre qc (un live n’est excusable qu’autant qu’il apprend quelque chose (Voltaire); P.R. s.v.) – apprendre à (lire à un enfant) vs. désirer mourir (nur noch vieux oder littéraire: Elles désirent de plaire, P.R. s.v.). Zur Suppletion rechnet Bally darüber hinaus den Wechsel des Gebrauchs von Subjonctif und Impératif in Fällen wie Meurs! und Qu’il meure!: Anders als das Latein, das über zwei Arten des Imperativs verfügte − eine zur Kennzeich|| Derivationsparadigmen» nicht berücksichtigt wird, und zwar mit folgender Begründung: «Es ist nämlich sehr schwierig, die Grenze zu ziehen zwischen Einheiten, die inhaltlich überhaupt in einem paradigmatischen Verhältnis stehen, das folglich mehr oder weniger regelmäßig ausgedrückt werden kann, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist und die lediglich zu einem gemeinsamen Wortfeld gehören» (Ronneberger-Sibold 1988, 453, Anm. 1). So ließe sich problematisieren, ob Wortpaaren wie Mutter – Vater, Frau – Mann derselbe Begriff von Suppletion zugrunde gelegt werden kann wie Ente – Erpel (cf. alternativ Enterich) oder auch Huhn – Hahn. Diese Frage wird diskutiert in Strunk (1977, 6–7) sowie Mel’čuk (1976, 50ss.).
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nung eines Befehls (BIBE!), eine zweite im Konjunktiv zum Ausdruck einer einfachen Aufforderung oder Ermahnung (BIBAS!) − die in bestimmten Fällen gegeneinander ausgetauscht werden konnten, kann das Französische nicht zwischen zwei entsprechenden Formen ein und desselben Paradigmas wechseln: Einerseits muss der Sprecher zwischen einem Meurs! und einem Que tu meures! eindeutig wählen, andererseits existiert kein imperativisches Äquivalent zu Qu’il meure! Der Subjonctif übernimmt hier Werte des nicht in allen Fällen verfügbaren Imperativs, so dass das folgende funktional einheitliche Paradigma entsteht: que je meure! meurs! qu’il meure! mourons! mourez! qu’ils meurent! (Bally 4 1965, 179, §288). Selbst auf syntaktischer Ebene lässt sich laut Bally eine Art Suppletion feststellen, etwa bei Unterschieden bezüglich der Stellungsregeln, wenn mehrere Personalpronomen in Verbindung gebraucht werden (von Bally 4 1965, 179, §289 als «séquences supplétives» bezeichnet): il me le donne : il le lui donne; donne-le-moi : ne me le donne pas. Unter den isolierten Wörtern des Französischen finden sich zahlreiche vordergründige Ableitungen, die zum einen ein Derivationsverhältnis zu implizieren scheinen, da ihnen tatsächlich eine Suffixbildung zugrunde liegt, die andererseits jedoch einer Abgrenzung der Basis innerhalb des Wortbildungsproduktes widerstehen: die synchronisch nicht isolierbare «Basis» und das entsprechende Lexem, wie es im Wortschatz des aktuellen Französisch existiert, stimmen materiell nicht miteinander überein. Dabei bestehen Unterschiede bezüglich der formalen Diskrepanz: So kann für den Sprecher der aktuellen Gemeinsprache ein Zusammenhang zwischen père – paternel, mois – mensuel oder auch zwischen den Paaren dimanche – dominical, œil – oculaire, maudire – malédiction noch etablierbar sein, nicht mehr jedoch zwischen semaine – hebdomadaire, lettre – épistolaire, foie – hépatique; aveugle – cécité etc., sofern Kenntnisse der klassischen Sprachen Latein und Griechisch bzw. solche zur Sprachgeschichte des Französischen nicht zur Vorbedingung für ein Verständnis der Bildungen gemacht werden sollen. Totale Suppletion nach Bally liegt auch vor beim Verb tomber und chute als zugehöriger Prädikatnominalisierung (vergleiche demgegenüber éteindre – extinction, s’agenouiller – génuflexion etc., die etymologisch miteinander zusammenhängen). Es handelt sich vielfach um zu lateinischer Zeit gebildete und über das Latein vermittelte oder zu späterer Zeit (eventuell über eine romanische Schwester) entlehnte oder (bei nicht-kontinuierlicher Tradierung) wieder eingeführte Ableitungen (wobei es zwischen den abgeleiteten Wortbildungsprodukten per se und den zugrunde liegenden Verfahren zu differenzieren gilt). Ableitungen auf der Basis eines lateinischen Lexems sind etwa action, fraction, aggression: hier handelt es sich nicht um «Nomina actionis» bzw. Prädikatnominalisierungen auf -tion/-sion, genauso wenig wie médiéval, féodal, septentrional als de-
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substantivische Adjektivbildungen auf -al zu interpretieren sind, da die Basislexeme medium aevum, feudum, septentrio keine Wortschatzeinheiten des heutigen Französischen darstellen.4 Die Suppletion bildet einen Gegenpol zur Polysemie insofern, als die Polysemie auf materieller Identität bei gleichzeitiger semantischer Differenzierung beruht, wohingegen die Suppletion trotz gegebener semantischer Verbindung die Abwesenheit von materieller Kongruenz impliziert. Für die lexikalische Typologie bedeutet dies: «The presence of more or less congruent motivated lexical items in a given language is an important feature for lexical typology. Languages with strong allomorphic tendencies necessarily reduce lexical congruence» (Koch 2001, 1162). Die Relevanz typologischer linguistischer Forschung, die (trotz bestehender unterschiedlicher Begriffe bezüglich des Sprachtyps in Abgrenzung zu den sprachlichen Universalien) mögliche Interdependenzen von lexikalischer Semantik und (para)grammatischer Semantik bewusst einkalkuliert, wird in Koptjevskaja-Tamm/Vanhove/Koch (2007) in vielfältiger Weise herausgestellt. Die breite Palette der von den Autoren angeführten Phänomenen, die nicht als losgelöste, sondern mit anderen sprachlichen Bereichen interagierende Organisationmuster zu betrachten sind, umfassen u.v.a. die Bildung delokutiver Verben (Koptjevskaja-Tamm/Vanhove/Koch 2007, 168; siehe Plank 2005 – siehe Kap. 5.4.4.5 in dieser Arbeit) oder Fragen der Suppletion bei Verbparadigmen (go PRESENT– went PAST) als Beispiel der Interaktion von Lexikon und Grammatik (siehe die 193 Sprachen berücksichtigende Studie Veselinova 2006). Letztgenannte Studie zeigt, dass «suppletion tends to be linked to verbs with particular lexical meanings (e.g., MOTION), with different meanings picked up by suppletion according to different grammatical categories (e.g. tense-aspect-mood, or imperative)» – solche Beobachtungen gälte es sicher zu vertiefen. Die umfassende Sicht verweist auch auf Fragen des Bedeutungswandels, Prozesse der Grammatikalisierung etc., die in (lexikalisch) typologischer Forschung mitge-
|| 4 Es erhebt sich die Frage, ob namentlich solche Fälle wie père – paternel, die auf materieller Ebene noch eine gewisse Affinität zwischen den semantisch einander entsprechenden Formen erkennen lassen, der Wortbildung oder dem Lexikon zugerechnet werden sollen: Sollen zwei allomorphe Basen angenommen werden, von denen diejenige, die in die Ableitung einfließt, den Lehncharakter preisgibt; oder wäre vielmehr eine Beschreibungsmethode vorzuziehen, die die inhaltlich zusammenhängenden Glieder des jeweiligen Paares über eine rein lexikalische Assoziation einander zuordnet und somit trotz der vielfach gegebenen Isolierbarkeit und synchronischen Funktionalität des jeweiligen Wortbildungselementes die teilweise Analysierbarkeit dem Lexikon unterordnet (cf. Geckeler/Dietrich 1995, 100). Das Problem erscheint mir als ein graduelles, das im Einzelfall jedes der beiden Modelle rechtfertigen kann.
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dacht werden müssen. Auf historischer Ebene impliziert dieses Forschungsbewusstsein die weitergehende Suche nach «crosslinguistically recurrent patterns in contact-induced lexicalization and lexical change», d.h. nach Unterschieden in der Fähigkeit zur Lehnaktivität «among the different parts oft he lexicon and the corresponding processes in the interation of new words, or patterns of lexical acculturation» (Koptjevskaja-Tamm/Vanhove/Koch 2007, 171), da diese Prozesse sprachtypologische Aussagekraft besitzen.
13.1 Charakterisierung des «lexikalischen Systems» des Französischen Ausgehend von verschiedenen Hinweisen zur Stellung der Wortbildung innerhalb einer sprachtypologischen Analyse gemäß der Allgemeinen Typenlehre, die in Skalička (1946/1979) wie nirgendwo sonst in Skaličkas Schriften dergestalt explizit thematisiert wird, soll im Folgenden das lexikalische System (cf. Skalička 1965a, 154) einer Sprache anhand der Allgemeinen Typenlehre bzw. der allgemeinen Sprachwissenschaft charakterisiert werden. Die Verbindungslinien und Übergangszonen zwischen lexikalischer Semantik (cf. auch Skalička 1982), inhaltlicher Wortbildung (Paragrammatik), Wortformenbildung (Morphosyntax bzw. Grammatik) und einer funktionellstrukturellen Typologie stellen sich aus der Sicht des Prager Typologen Skalička (1965a) wie folgt dar: 1. Als der eigentliche Ort der Typologie wird die Morphologie ausgewiesen (cf. Skalička 1965a, 153) 2. Dabei gründet sich die «raison d’être» der Morphologie nicht auf die Vermittlung neuer Tatsachen, sondern darauf, syntaktische Muster explizit zu machen und in ihrer Funktionalität darzustellen, wozu die Gliederung der Wörter nach Wortkategorien bzw. Wortklassen gehört. Die Bedeutung eines Satzes bzw. einer Äußerung wird «mit dieser oder jener Morphologie weder reicher noch ärmer» (ibid.). 3. Im Gegensatz zur Morphologie ist die Syntax «der Sprache unentbehrlich. Jede natürliche Sprache besitzt etwas, das als Subjekt, Prädikat, Attribut, Parataxe, Hypotaxe usw. bezeichnet werden kann» (ibid., 154). 4. Die Verschiedenheiten auf syntaktischer Ebene «sind eng mit der Morphologie verknüpft. Die grammatische Satzgliedfolge setzt endungslose Wörter, d.h. eine morphologische Tatsache voraus. […] Wenn einige Autoren (Milewski, Bazell u.a.) von einer syntaktischen Typologie sprechen, so verwenden sie auch morphologische Kriterien, d.h. verschiedene Endungen, die Konstruktion des Wortes usw.» (ibid., 154).
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5.
Zudem gilt, dass das «lexikalische System» weder mit Synonymie, Polysemie und Homonymie noch mit der «inneren Sprachform» identifiziert werden darf. Letztere nimmt Bezug auf den Grad der Motiviertheit der Wörter; in ihr besteht der augenfälligste Unterschied zur Morphologie. Dennoch ist dieser Aspekt für den Aufbau des lexikalischen Systems nicht von essentieller Bedeutung, da der Wortschatz «ein Abbild der außersprachlichen Welt» repräsentiert (cf. Skalička 1965, 154) und daher die Basis der lexikalischen Systeme verschiedener Sprachen die gleiche ist (cf. ibid., 155).5 6. Die typologischen Eigenschaften des Wortschatzes umfassen die «innere Sprachform» (Grad an Polysemie, Bedeutungsumfang von Verben etc.; cf. infra 13.5). So hängt etwa die Quantität, mit der polyseme Einheiten in einer Sprache auftreten, eng mit der Motivation der Wörter zusammen. Die Sprachen des isolierenden Typus Englisch, Französisch usw. tendieren zur Polysemie, indem sie alte Wörter für neue Begriffe instrumentalisieren. Daraus wiederum resultiert eine Disposition zur Ausbildung der Konversion (cf. Skalička 1965, 156). 7. Die einzelsprachlich idiosynkratische semantische Differenzierung eines Bezeichnungsbereichs ist laut Skalička unabhängig von der morphologischen Beschaffenheit bzw. Motiviertheit der Wörter an sich; diese allein ist aber typologisch relevant. Es besteht also ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der «Motivierung» der Wörter und der morphologischen Typologie: Beispielsweise präferiert das polysynthetische Chinesische die Komposition, die agglutinierenden Sprachen Ungarisch und Türkisch die Derivation, die flektierende Suahelisprache die Gliederung der Substantive nach spezifischen Klassensystemen (cf. msuaheli ‘der Suaheli’, kisuaheli ‘die Suahelisprache’) (ibid., 155).
|| 5 So bleibt (abgesehen von den Beziehungen innerhalb des Wortfeldes, d.h. der semantischen Gliederung des Bezeichnungsbereichs) das Wort für «Schuster» insofern das gleiche, als es in den gleichen syntagmatischen, paradigmatischen und sonstigen Beziehungen zu anderen Wörtern steht, unabhängig davon, ob dafür Wörter wie Schuhmacher oder *Schuh-er (ung. cipész zu cipő ‘Schuh’, türk. konduraci zu kondura ‘Schuh’), Näher (lat. SUTOR von SUERE ‘nähen’) oder Schuster (tschech. švec, finn. suutari) verwendet werden.
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13.2 Abstraktheit des Französischen vs. Expressivität des Deutschen Eine traditionelle Charakterisierung des Wortschatzes des Französischen kreist um die Diskussion des «abstrakten» Charakters des Französischen etwa im Vergleich zum expressiveren Deutschen. Bally (41965, 346–351, §§574–582) nimmt speziell Bezug auf die Besonderheiten der lexikalischen Kategorie Verb im Französischen, die Konsequenzen für den Gebrauch der Nomina zeitigen: «les verbes français présentent l’action sous une forme abstraite; le verbe allemand est plus concret; il insiste sur les modalités et sur les détails» (ibid., 346, §574). So sei die Rolle der (konjugierten) Verbalformen, genauer die «tendance phénoméniste» – definiert als die «attention portée vers le devenir, le déroulement des faits et leurs particularités» (Bally 41965, 346, §574) – im Deutschen wesentlich bedeutender, als dies im Französischen der Fall sei, «où l’expression verbale recule devant l’emprise croissante du substantif» (ibid.). Das Verb im Deutschen weicht insofern vom Verhalten des französischen Verbs ab, als es auf semantischer Ebene offensichtlich als erheblich differenzierter erscheint. Illustrieren lässt sich dieser Unterschied anhand einer Reihe von Verben wie stellen, setzen, legen, hängen,6 denen im Französischen ein einziges Verb mettre gegenübersteht. Koch (2001, 1152) interpretiert diese Divergenz in der lexikalischen Strukturierung eines semantischen Bereichs als «choice of a more abstract taxonomic level in French than in German». Dasselbe Verb mettre wird auch zur Bezeichnung einer Handlung gebraucht, die das Deutsche in Abhängigkeit vom Gegenstand, auf den sich die Handlung bezieht, differenziert in Vorgänge wie (einen Hut) aufsetzen, (ein Kleid) anziehen, ((sich) eine Schürze) umbinden, etc. Auch in Bezug auf die Modalität einer durch ein Verb ausgedrückten Bewegung ergeben sich Unterschiede: So ist diese (mitunter einschließlich des Mittels) im Deutschen häufig bereits im Verb impliziert (cf. gehen, marschieren, schreiten, laufen; fahren, reiten, fliegen etc.), d.h. je nach Bewegungsart wird der semantisch spezifizierte verbale Begriff gewählt, der nicht einfach durch ein allgemeineres Bewegungsverb ersetzt werden könnte. Demgegenüber bedient sich das Französische vielfach einzig des Verbs aller, was nicht bedeutet, dass die Art und Weise der Bewegung nicht zusätzlich spezifiziert werden kann (cf. aller en voiture/en train/en avion, aller à cheval, à bicyclette, à pied). Bei Erschließbarkeit aus dem Kontext muss das Mittel bzw. die
|| 6 Koch (2001, 1152) macht darauf aufmerksam, dass bei einem Vergleich des Französischen mit dem Deutschen der höhere Grad an Abstraktheit nicht immer auf der Seite ersterer Sprache liegen muss (cf. dt. Straße vs. frz. rue/route, die allerdings dem nominalen Bereich entstammen).
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Art und Weise dagegen nicht notwendig ergänzt werden. Ähnliches gilt für die Möglichkeiten des Ausdrucks der Befindlichkeit im Raum: So sagt das Deutsche stehen, liegen, sitzen, hängen, wo im Französischen être oder se trouver als Äquivalente vielfach hinreichen (cf. Bally 41965, 346–347, §574). Skalička (1965a, 156) interpretiert das Phänomen, dass Sprachen wie das Deutsche, Tschechische, Ungarische etc. in gewissen Bereichen zwischen verschiedenen semantisch differenzierten Verben unterscheiden, wohingegen das Französische nur ein Lexem zur Anwendung bringt, und damit das einzelne Verbum einen expressiveren Charakter erlangt als etwa im Französischen (cf. Les troupes sont entrées dans la ville − Le train est entré en gare − Le navire est entré au port − La loi est entrée en vigueur etc. gegenüber dt. einmarschieren, einfahren, einlaufen, in Kraft treten; siehe Sauvageot 1957, 221ss.), typologisch mit der Spezifität des Verbums und seiner dominant syntaktischen Funktion, als Verankerung des Satzes zu fungieren. Die semantische Funktion kann teilweise auch durch andere Wörter vermittelt werden. So ist es z.B. nicht unabdingbar, zwischen Verben wie gehen, fahren, reiten zu differenzieren, wenn die Bewegung bereits durch das Subjekt, Objekt oder Adverbiale präzisiert wird.7 Da das Französische aller von solchen nicht absolut notwendigen semantischen Präzisionen abstrahiert, sind nach Skalička «auch die Wörter des Satzes voneinander recht unabhängig» mit der weiteren Begründung, dass hier offensichtlich ein Zusammenhang mit dem isolierenden Sprachtypus besteht; Sprachen wie das Deutsche verfügten dagegen über «eine Art Kongruenz» (cf. Skalička 1965a, 157). Im verbalen Bereich zeichnet sich das Deutsche gegenüber dem Französischen insbesondere auch durch seine zahlreichen Präfixbildungen8,9 aus, die
|| 7 Cf. auch Ullmann (41969, 143), der von «économie verbale» spricht, wodurch das Französische ein Maximum an Abstraktion erreiche: «L’analyse des notions y gagne, certes, car on dégage ce qui est essentiel et supprime tout le reste» (ibid.), im Gegenzug aber in Kauf nehme, dass «les mots risquent de devenir incolores et s’acheminent vers le terme-omnibus». Daraus resultiert, dass «le rôle du contexte est relativement plus important en français que dans les langues plus concrètes. Elastique et général à l’état isolé, le sens du mot français a besoin de cadres solides pour se préciser» (ibid.; Hervorhebung des Autors). 8 Hier besteht ein historisch-genealogischer Zusammenhang zwischen dem Englischen und Deutschen, der bislang beinahe unbeachtet blieb und auf dem die Parallelität zwischen trennbaren Verbalpräfixen, häufig auch als Präverbien bezeichnet, im Deutschen (sie sind auch im Ungarischen stark vertreten; cf. Soltész 1968; Skalička 1968a) und den Partikelverben im Englischen beruht (cf. Weimann 1995, 103–105). Eine Anmerkung in diese Richtung findet sich in Koch (2001): «Phrasal verbs as E. to go up could be associated to idioms […], but in some languages they optionally look like a kind of prefixation […]: cf. Germ. Wenn er ihn herüber|lockt ‘if he lures him to come over’, but: er lockt ihn herüber ‘he lures him to come over’; Hung. elfutott,
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der Aspektbezeichnung dienen und (in der literarischen Sprache10) zu kreativem Gebrauch Anlass geben können (cf. Dressler 1981). Das Französische weicht stattdessen auf das einfache Verb oder Präpositionen aus, was den Charakter des Französischen gegenüber dem Deutschen erneut als «abstrakter» bzw. «statischer» erscheinen lässt: «Le français ne connaît pas non plus les innombrables préfixes qui précisent l’aspect du verbe en allemand: aus-, zu-, hin-, heran-, ver-, etc. Il y supplée, soit par des verbes simples (zuschneiden – couper), soit par des prépositions (hineindringen – dans, herandrängen – contre), soit par des synonymes indépendants. C’est là un des aspects du caractère ‘abstrait’ et statique du vocabulaire français» (Ullmann 41969, 128).
13.3 «Les dominantes sémantiques du français» Ullmann (41969) schält unter dem Kapitel «Les dominantes sémantiques du français» verschiedene (insgesamt neun) dominantes sémantiques, also charakteristische Züge der Strukturierung des französischen Lexikons heraus; als idiosynkratische Tendenzen des Französischen kennzeichnen sie auch den Typ der Sprache auf «semantischer Ebene», da sich die Eigenschaften in dieser Konstellation (zu betrachten ist immer auch die spezifische einzelsprachliche Gewichtung) in sonst keiner Sprache wiederfinden (cf. Ullmann 41969, 316–318):11 An erster Stelle kennzeichnet das Wort im Französischen seine grundsätzliche Arbitrarität: Die Verdunkelung etymologischer Verbindungen sowie die relative Schwäche der morphologischen bzw. (auch auf onomatopoetischen Beziehungen beruhenden) lautlichen Motivation haben zur Dominanz des unmotivierten Wortes im Französischen geführt, dessen Form aus sich heraus
|| but also futott el ‘s/he ran away’» (zur Affinität zwischen Phrasal verbs und Idiomen cf. Leisi 7 1985, 95ss.). 9 Siehe auch Bally (41965, 304, §499 mit Beispielen) zur Rolle der trennbaren Verbalpräfixe im Wortbildungssystem des Deutschen, die selbst bei entlehnter Basis (z.B. etwas einexerzieren) oder im Falle der Lehnübersetzung zum Tragen kommt: «Les emprunts confirment aussi cette tendance de l’allemand à motiver les mots par adjonction de particules […]» (Hervorhebung von mir), cf.: an den Haaren herbei-gezogen (gegenüber frz. tiré par les cheveux), nichts zu wünschen übrig lassen (im Vergleich zu ne rien laisser à désirer), an der Nase herum-führen (frz. mener par le bout du nez), das zählt nicht mit (frz. cela ne compte pas); dieser Zug des Deutschen wurde von Coseriu ([1980a]/1988) typologisch im Vergleich mit dem Altgriechischen interpretiert (siehe Kap. 4.2.2) 10 So können etwa eigentlich nicht trennbare Verbalpräfixe als trennbare gebraucht werden wie in J. Ringelnatz’s Turnermarsch: «Faltet die Fahnen ent!» (cf. Dressler 1981, 425). 11 Die genannten Aspekte gehen im Grunde auf Bally (41965) zurück.
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keinen Rückschluss auf die Bedeutung zulässt. Nach Bally beruht das arbiträre Zeichen im Sinne de Saussures auf dessen morphologisch einfacher, nicht komplexer Form, wohingegen einer komplexen Form per definitionem eine motivierte Struktur zugrunde liegt (41965, 169, §312;12 cf. Ibid., 127–130, §§197–200). Der arbiträre Charakter des Zeichens im Französischen steht im Zusammenhang mit dem viel berufenen, mit der Wertschätzung der französischen Sprache untrennbar verbundenen Begriff der clarté, als dessen Garant er gilt: «Le français aime le signe simple et le signe arbitraire; théoriquement, c’est un gain pour la communication. La motivation explicite, grand levier d’expression, est gênante pour les échanges réguliers […] c’est par l’arbitraire du signe que le français est clair; seulement il ne l’est pas à peu de frais; pour arriver à la propriété des termes, le parleur doit fixer ces termes au moyen d’associations compliquées, qui varient d’un cas à l’autre» (Bally 41965, 367, §607).
Die clarté wiederum steht im Gegensatz zur précision (bzw. distinction nach Descartes) als Tendenz des Deutschen, die auf einer Durchdringung der Begriffe beruht. Schließlich zeichnet sich die Präzision auf sprachlicher Ebene dadurch aus, dass sie «s’oppose à la clarté comme le signe explicite au signe arbitraire […]; car celui-ci tire toute sa valeur des signes qui diffèrent de lui et soutiennent avec lui des rapports oppositifs, alors que le signe motivé dit par lui-même quelque chose de l’idée qu’il exprime; il restreint d’autant le rôle des oppositions purement différentielles» (Bally, 41965, 358–359, §594). Unter diesen Aspekt fällt auch die Charakterisierung des Französischen durch de Saussure als eine «lexikologische» Sprache im Gegensatz zu einer solchen, die von grammatischen (bzw. paragrammatischen) Strukturen dominiert wird: «Les divers idiomes renferment toujours des éléments des deux ordres – radicalement arbitraires et relativement motivés – mais dans des proportions très variables, et c’est là un caractère important, qui peut entrer en ligne de compte dans leur classement» (de Saussure 1995, 183).
Als eine relativ «lexikologische» Sprache wird eine solche betrachtet, in der die Unmotiviertheit ihr Maximum erreicht, wohingegen bei einem Maximum an
|| 12 «[L]e français tend insensiblement vers le signe simple, l’allemand vers le signe complexe. […] En effet, signe simple équivaut le plus souvent à signe arbitraire dans le sens saussurien; le signe complexe est, par définition, motivé. Mais le signe arbitraire se contente d’étiqueter les objets et présente les procès comme des faits accomplis; le signe motivé décrit les objets et rend le mouvement et l’action dans leur développement» (Bally 41965, 169, §312).
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Motiviertheit von einer relativ «grammatischen» bzw. «paragrammatischen» Sprache die Rede sein kann: «Ce sont comme deux pôles entre lesquels se meut tout le système, deux courants opposés qui se partagent le mouvement de la langue ; la tendance à employer l’instrument lexicologique, le signe immotivé, et la préférence accordée à l’instrument grammatical, c’est-à-dire à la règle de construction» (de Saussure 1995, 183). Nach de Saussure ist der lexikologische Charakter des Englischen ausgeprägter als der des Deutschen, das Chinesische markiert den Gipfel einer als lexikologisch zu bezeichnenden Sprache, das Indoeuropäische als Sprachfamilie mit dem indo-arischen Sanskrit als besonderem Vertreter das entgegen gesetzte Extrem. Was das Französische anbelangt, sei dieses gegenüber dem Latein durch «un énorme accroissement de l’arbitraire» bzw. einen beträchtlichen Verlust der Motiviertheit gekennzeichnet (de Saussure 1995, 184; cf. Bally 41965, 341–345, §§566–571; cf. auch 238ss., 303– 304;13 v. Wartburg [1946]/1988, 263–267; Ullmann 41969, insbesondere 101–131, 142–146).
13.4 Syntax und lexikalisches System Mit der Annahme einer Sprache mit mehr oder weniger lexikologischem Charakter trifft de Saussure ein typologisches Kriterium. Nach Maßgabe der Konstrukttypen ist die Morphologie «der Sprache entbehrlich» (Skalička 1965a, 153), da sie sich prinzipiell nicht dazu eignet, neue Bedeutungen zu schaffen, sondern der Kategorisierung der Lexeme nach grammatischen Kategorien, namentlich nach Wortkategorien dient. Die morphologische Gestaltung ist sprachspezifisch individuell und zugleich nur innerhalb gewisser Grenzen variabel. Grundsätzlich sind alle in den Sprachen realisierten Gestaltungsmöglichkeiten, d.h. Kombinationen von Typuskonstrukten, im Hinblick auf die Erfassung der außersprachlichen Gegenstände und Sachverhalte einander ebenbürtig; keine Struktur bzw. Mischung von Strukturmustern bietet prinzipiell eine adäquatere Lösung als eine andere, um die Phänomene der Welt zu versprachlichen. Demgegenüber kommt keine Sprache ohne syntaktische Struktur aus. Es scheint also, als seien das «lexikalische System» und die Anordnung der Lexeme, die die in der außersprachlichen Wirklichkeit anzutreffenden Gegenstände, Sachverhalte und Ereignisse bezeichnen, allein unabdingbare Bestand-
|| 13 «Nous ne retenons ici que deux faits qui font paraître, par opposition, la préférence du français pour le mot simple: 1) son attitude vis-à-vis des composés de l’allemand; 2) les procédés qu’il emploie pour éviter la dérivation suffixale» (Bally 41965, 303, §496).
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teile für die Konstituierung einer Sprache. Dem prinzipiell linearen Charakter der Sprache zufolge können mit der Bedingung des Vorhandenseins einer syntaktischen Strukturiertheit der Satzgliedabfolge bei gleichzeitiger Entbehrlichkeit grammatisch-morphologischer Elemente, d.h. von Flexionskategorien in traditionellem Verständnis (also von flektierten Wortformen) die Prämissen für die Existenz einer natürlichen Sprache hinreichend definiert werden. Dies bestätigt indirekt das Phänomen des Radebrechens bei Nichteinheimischen, die sich im anfänglichen Prozess des Fremdspracherwerbs über die bloße Serialisierung von unflektierten Wortformen (Stämmen oder Nennformen, in flektierenden Sprachen wie dem Deutschen von Infinitiven, wobei hier das Modell der weder konjugierten noch deklinierten und auch nicht nach Genera oder nach Substantivklassen etc. kategorisierten Wörter gemäß dem polysynthetischen Konstrukt gemeint ist) durchaus verständlich machen können (unter Einsatz von Mimik, Gestik etc.). Syntax und lexikalisches System (mit unmotivierten und motivierten Einheiten) besitzen demgemäß eine gewisse Priorität im Aufbau einer Sprache. Umgekehrt gilt dann auch, dass bei ausgebildeter Morphologie die Syntax entsprechend variabel ist: Wird in einer flexionsarmen Sprache die Wortfolge im Satz in der Regel zur Kennzeichnung von Subjekt, Prädikat, Objekt grammatikalisiert, kann in einer Sprache mit reich entwickelter Flexionsmorphologie die Syntax zu Zwecken der Thema-Rhema-Gliederung etc. ausgenutzt werden, so etwa auch im Latein. Eine grammatisch relevante Stellung der Satzglieder wiederum setzt «endungslose Wörter, d.h. eine morphologische Tatsache voraus» (Skalička 1965a, 154). Ein einschneidender typologischer Wandel im Bereich der Morphologie scheint daher nicht gut denkbar ohne Konsequenzen auf syntaktischer Ebene.14 Auf theoretischer Ebene impliziert dies, dass eine rein syntaktische Typologie nicht sehr tragfähig sein kann (cf. supra GL 1–7, Kap. 12). So ist auch darauf hinzuweisen, dass die gängig als «Wortstellungstypologie» bezeichnete Tradition, die zum Teil auf der quantifizierenden Typologie nach Greenberg erwachsen ist, zumindest in ihrer späteren Version nicht allein auf Grund der Serialisierung der Satzbausteine SPO Universalien abzuleiten versucht hat, sondern dass es hier immer um das Verhältnis dieser Satzkonstituenten und deren weiteren Bestimmungen bzw. Attribute zueinander geht, die in der Regel auch morphologische Marker tragen.
|| 14 Zu einem Überblick über die Kernprobleme cf. Ineichen (21991, 123–136).
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13.4.1 «La préférence très marquée pour le mot arbitraire, isolé et indécomposable» Als Ursachen für das synchronische Erscheinungsbild des französischen Wortschatzes, d.h. für die «préférence très marqué pour le mot arbitraire, isolé et indécomposable» der modernen Gemeinsprache (Ullmann 41969, 126–127) kommt vornehmlich das Zusammenwirken folgender historischer Faktoren in Frage: 1) phonetische Wandlungsprozesse; 2) eine eingeschränkt produktive Derivation bzw. Komposition; 3) die massive Aufnahme von nicht-autochthonen gelehrten Wörtern. Sobald der Wortschatz einer Sprache zumindest zwei tief verwurzelte Strata umfasst, die sich auf den Grad der Konsoziierung der einzelnen Lexeme auswirkt, kann von einer «langue à deux étages» gesprochen werden (cf. Koch 2001, 1163; Gauger 1971a, 168; Ullmann 41969, 128–131; Albrecht 1970, 28–30; 215–220). So wird die bisherige typologische Einordnung des Englischen und Französischen als demselben morphologischen Sprachtypus angehörig auf Grund der Tatsache, dass sich beide Sprachen auch durch ein erhebliches Vorkommen an ursprünglich gelehrten Latinismen innerhalb des Wortschatzes auszeichnen, untermauert (cf. z.B. die Relationsadjektive frz. urbain, e, engl. urban < lat. URBANUS, die keine materielle Affinität bzw. Kongruenz zum entsprechenden Substantiv frz. ville bzw. engl. town/city aufweisen, so dass die Basis isoliert erscheint) (cf. Koch 2001, 1164). Stärker als im Englischen hängt der Grad der formalen Ähnlichkeit etwa zwischen Substantiv und zugehörigem Adjektiv in den romanischen Sprachen vielfach von der relativen Auswirkung von Lautwandel auf aktuelle Signifiants ab, wie besonders eindringlich durch das Französische veranschaulicht, z.B. frz. maturité (< lat. MATURITAS) ‘Reife’, das eine lediglich geringe Kongruenz zum Adjektiv mûr erkennen lässt (dagegen sp. madurez − maduro, ital. maturità − maturo). Auf Grund dieser Eigenschaft heben sich die romanischen Sprachen von solchen Sprachen ab, in denen sich die auf Motivation beruhenden Verbindungen auf ein und dasselbe Stratum des Lexikons konzentrieren (cf. ung. tudomány ‘Wissenschaft’, tudományos ‘wissenschaftlich’, tudományosság ‘wissenschaftlicher Chrakter’ etc.) (cf. Koch 2001, 1164). Abgesehen von Lautwandel und beträchtlicher Aufnahme von Latinismen, die den Wortschatz des heutigen Französisch deutlich prägen, bleibt das Postulat einer diachronisch sich verstärkenden Derivationsschwäche weiter zu hinterfragen. So ist Geckeler (2001) darum bemüht, die von Skalička in seiner Konstrukttypologie für das isolierende Modell als typisch gekennzeichneten Merkmale «geringe Anzahl wortbildender Elemente», «geringe Anzahl zusam-
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mengesetzter Wörter (Komposita)» (Skalička 1966b, 29; cf. Haarmann 1976, 57) mit Anwendung auf das Französische bzw. das Englische zu verifizieren und mit Blick auf die Skalička’sche Einschätzung zu rektifizieren; am Ende steht folgendes Ergebnis: «Da das Englische und das Französische in ihrer heutigen Synchronie reichlich Gebrauch von der Suffigierung und der Komposition15 machen, stimmen sie in dieser Hinsicht nicht mit dem isolierenden Sprachtypus überein. Skaličkas Einschätzung der Suffigierung als wenig produktiv […] mag sich durch ältere französische Literatur zur Derivation und durch die zu starke Zentrierung seiner Optik auf die Diminutiv- und Augmentativbildung mittels Suffixen im modernen Französisch […]16 erklären – hier gibt es Parallelen zum Englischen»17 (Geckeler 2001, 119).
Auch Ullmann (41969, 128) schränkt seine Äußerung zur Kompositionsschwäche des Französischen ein: «Bien entendu, composition et dérivation sont toujours très vivantes et productives en français». Die mehr oder weniger ausgeprägte Fähigkeit zur Bildung von Komposita im Französischen kann erst über den Vergleich mit einer Sprache wie dem Deutschen, in der die Komposition eine hohe Produktivität besitzt, beurteilt werden. Wo das Deutsche die lexematische Komposition als Verfahren einsetzt, wählt das Französische häufig entweder das einfache Wort oder die Suffigierung. So lassen sich etwa das dt. Kompositum und das frz. einfache Wort einander gegenüberstellen: Erdteil : continent, Handschuh : gant, Fingerhut : dé, Schlittschuh : patin, Lebensmittel : vivres (den-
|| 15 Siehe Skalička (1975b, 411): «Man benutzt im Französischen noch andere Wortbildungsmethoden, die dem isolierenden Typ entsprechen, und zwar aus mehreren Wörtern bestehende Lexeme, z.B. mots croisés ‘Kreuzworträtsel’ [asyndetische Komposition, B.K.], oder die Konversion, z.B. bon – le bon, bonne – la bonne etc.». 16 Relativierend mit Bezug auf diese Einschätzung der Suffigierung im Französischen cf. Skalička (1975b, 411; ich unterstreiche): «Es muss wieder betont werden, dass die Methoden des isolierenden Sprachtypus im Französischen keineswegs eine Monopolstellung einnehmen. Ableitungen sind gut bekannt, einige Ableitungsmorpheme finden eine ausgedehnte Anwendung (z.B. -ier); man weiß aber, dass die Zahl der französischen Ableitungen sich z.B. mit den Ableitungen in den südromanischen Sprachen nicht messen kann. Die südromanischen Sprachen (Spanisch, Portugiesisch, Italienisch) haben fremde Wörter nicht so reichlich aufgenommen. Der isolierende Sprachtypus ist hier zwar stark, aber nicht so ausgesprochen wie im Französischen. Ableitungen sind hier in hohem Maß entwickelt, cf. nur die Deminutiva wie span. mujer ‘Frau’, mujerzuela (dem.), mujerona (augm.), mujercilla (deprez.), mujeruca (despect.)». 17 Eine parallele Erscheinung, die im Englischen wie Französischen zur Verstärkung der isolierenden Komponente beiträgt, besteht in der Tendenz zur Bildung von Wortkürzungen (cf. Skalička 1975b, 411): «Die Tendenz zur Wortisolierung wird in der neuesten Zeit durch die bekannten Abkürzungen manifestiert, cf. z.B. le vélo < vélocipède, ciné oder cinéma < cinématograph [sic], la radio < radiographie, l’auto < automobile < voiture automobile».
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rées), Hungersnot : famine; aus dem Bereich der adjektivischen Bildungen: menschenscheu : sauvage, leichtgläubig : crédule, alleinstehend : isolé; suffixale Ableitungen (einschließlich generischer Komposita) als Entsprechungen zu dt. Lexemkomposita liegen etwa vor bei: pèlerin-age : Pilger-fahrt, prêtr-ise : Priester-stand, oreill-er : Kopf-kissen, pomm-ier : Apfel-baum (Bally 41965, 303, §497).18 Die für die heutige französische Gemeinsprache produktivsten Wortbildungsverfahren beruhen auf der Transposition sowie der generischen Komposition, also der Suffigierung. Abgesehen von der grundlegenden Arbitrarität mit Konsequenz auf die Abstraktheit des Wortschatzes, verstärkt durch die «grave dislocation des séries étymologiques» (Ullmann 41969, 129) auf Grund der historisch bedeutenden Aufnahme gelehrten Wortguts in die französische Sprache, werden weitere Züge angeführt: So die Feststellung, dass «[l]es valeurs affectives sont réalisées à l’aide de mécanismes délicats» und dass «[l]es distinctions synonymiques sont nettes et subtiles». Der erstgenannte Aspekt beruht vornehmlich auf dem emotiven Akzent sowie der Satzgliedstellung, der zweitgenannte auf der für die Strukturierung der Synonymierelationen des Französischen prägenden parallelen Existenz von autochthonem und gelehrtem Wort. Synonymenreichtum ist eine grundlegende Eigenschaft speziell des englischen Wortschatzes – eine der Konsequenzen des durch die intensive Entlehnung lateinisch-romanischer Elemente im Verlaufe der englischen Sprachgeschichte bedingten hohen Wortreichtums (cf. M. Scheler 1977, 96ss. zum Wortfeld [BEFREIEN] im Englischen). Aber auch das Französische verfügt über Reihen approximativer Synonyme wie aimer – chérir – affectionner – adorer – idolâtrer; destin – destinée – sort – fatalité; faible – chétif – frêle – malingre – débile etc.
|| 18 Interessant sind auch die frz. Entsprechungen zu dt. zusammengesetzten Verben, wie sie von Bally (41965, 303, §497) angeführt werden: Das Französische greift hier nach Bally entweder auf einfache oder nur schwer analysierbare Verben zurück oder auf «des constructions périphrastiques et nettement syntaxiques» wie bei sich krank arbeiten, das entweder mit se surmener oder mit se rendre malade à force de travailler wiedergegeben werden kann; bei lobsingen stehen als Äquivalente exalter oder chanter les louanges de quelqu’un zur Verfügung; cf. ferner trocken legen gegenüber der präfixalen Bildung assécher, Schlittschuh laufen und das einfache Wort patiner etc.
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13.4.2 Polysemie und Homonymie Ein weiteres Wesensmerkmal des Wortes im Französischen ist nach Ullmann seine Anlage zur Polysemie: Die morphologische Simplizität des Zeichens bedingt dessen Tendenz zur semantischen Differenzierung, d.h. Anreicherung mit zusätzlichen (Rede-)Bedeutungen, «qui, occasionnels au début, deviennent souvent usuels», da bei nicht bestehender Motivation die Verbindung von Form und Bedeutung völlig arbiträr ist. Motivierte Wörter widerstehen dagegen allein schon auf Grund ihrer formalen Komplexität der Aufnahme zusätzlicher Bedeutungen, wobei «les signes sont moins chargés sémantiquement s’ils ont à coté d’eux beaucoup de signes motivés» (Bally 41965, 343, §569). Aus der Tendenz zur morphologischen Nichtmotiviertheit (cf. Koch 2001, 1161ss. 19) resultiert also die postulierte Tendenz des Französischen (Bally 41965, 343, §569), die lexikalisch-semantische Relation der Polysemie,20 z.B. bei frz. vol ‘Flug’; ‘Diebstahl’, als Motivationstechnik relativ zu präferieren. Koch (2001, 1172) räumt ein, dass es abgesehen von diesem rein semasiologischen Argument auch die onomasiologische Perspektive zu betonen gilt, die die Polysemie genauso wie die Wortbildung als einen wichtigen Faktor der Motivation herausstellt. So sei nicht die Motiviertheit per se gering, sondern der Grad der Explizitheit erweise sich im Französischen in vielen Fällen tatsächlich als relativ || 19 Es lässt sich ein Kontinuum der unterschiedlichen Grade an «Explizitheit» innerhalb der Dimension der Transparenz entwerfen, das von völliger Abwesenheit von Motiviertheit über gänzliche formale Identität (Polysemie) und annähernde materielle Teil-Ganzes-Identität mit stärkeren oder schwächeren formalen Divergenzen zwischen den Einheiten als Ganzen (Tonalternationen, Kategorienwechsel, cf. engl. CONtest – (to) conTEST) zu einer immer ausgeprägteren Teil-Ganzes-Differenzierung (Derivation, Komposition, Idiome) reicht. Die Relation zwischen Teil und Ganzes bezieht sich etwa in banqu-ier auf L1 = banquier als Ganzes und L2 = banque als Teil (cf. Koch 2001, 1158; 1161–1162). 20 Es stellt sich das Problem der Definition des Begriffs Polysemie. Albrecht (1970, 315) unterscheidet unter Bezug auf den «abstrakten Charakter» des Wortes im Französischen zwischen Extension und Intension. Die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen «Abstraktheit» und Polysemie des Wortes lässt sich über die Zipfsche Werkzeugmetapher (Albrecht 1970, 166) veranschaulichen: Das allgemeine (abstrakte) Wort lässt sich mit einem primitiven Werkzeug vergleichen, das auf Grund seiner einfachen Form zu vielen verschiedenen Zwecken verwendet werden kann, aber bei höheren Anforderungen an die Präzision versagt. Demgegenüber gleiche das polyseme Wort gewissermaßen einem polyfunktionalen «Kombiwerkzeug», das verschiedene Werkzeuge in sich vereint: Die Einheit des Geräts wird nicht durch eine einheitliche Funktion der einzelnen zusammengefügten Werkzeuge gewahrt, sondern ergibt sich aus deren kombinierter Verfügbarkeit. Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Einheit des Wortes bzw. dem Verhältnis zwischen den aktuellen (Rede-)Bedeutungen und lexikalischen Bedeutungen eines Wortes.
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eingeschränkt (cf. Bally zur précision). Da dies jedoch auch auf die anderen romanischen Sprachen sowie das Englische zutreffe, sei in diesen Sprachen ein ähnlich hohes Maß an Polysemie zu erwarten. Diese Annahme findet Bestätigung in Skaličkas (1965a, 165) Behauptung einer für das Französische wie das Englische gleichermaßen ausgeprägten Tendenz zur Polysemie, die aus dem isolierenden Charakter der beiden Sprachen resultiere. Die aufgezeigte Tendenz zur Polysemie des einfachen Wortes bedingt wiederum dessen syntaktische bzw. kontextuelle Abhängigkeit.21 Insgesamt erfährt also die Bedeutung eines Wortes im Französischen erst über die Verwendung in einem spezifischen Kontext eine Präzisierung bzw. Desambiguierung,22 wobei die semantische Polyvalenz des Wortes grundlegend dazu dient, die Schwäche der formal-expliziten Motivation zu kompensieren. Ferner spielt im Französischen die Homonymie keine unerhebliche Rolle. Die Homonymie wurde vor allem im Zusammenhang mit der typologischen Charakterisierung des Englischen im Vergleich zum Chinesischen (cf. Skalička 1946/1979; cf. knapp auch Koch 2001, 1173) gestreift. Daraus ergab sich, dass eine relativ ausgeprägte Homonymie zwar durchaus einer isolierenden Sprache entspricht, dass deren extreme Ausprägung in einer Sprache allerdings eher Charakteristikum einer polysynthetischen Sprache wie dem Chinesischen ist. Das isolierende Konstrukt neigt nämlich eher dazu, die sprachlichen Elemente voneinander zu entfernen bzw. zu isolieren, wohingegen eine starke Tendenz zur Homonymie einen verbindenden Effekt auf die lexikalischen Elemente besitzt (cf. Skalička [1946]/1979, 188–189). Im Zusammenhang mit dieser konsoziierenden Wirkung steht offensichtlich auch die Tendenz der polysynthetischen Sprachen zur Komposition (cf. Skalička [1946]/1979, 189). Der Monosyllabismus korreliert damit insofern, als er einer aktiven Komposition
|| 21 «Nous avons fait prévoir que, dans son fonctionnement, le signe simple dépend davantage de la parole que le motivé. Cela ressort en tout cas de la définition même de l’arbitraire: le sens n’étant fixé que par associations, il est naturel que ces associations tendent à se réaliser dans la parole. Cela découle ensuite de la multiplicité des sens dont se charge le signe arbitraire dans une langue qui motive peu. Chacun de ces sens ne peut être convenablement fixé que par l’appoint d’un contexte ou d’une situation» (Bally 41965, 343, §570). 22 Ein Beispiel soll den genannten Umstand illustrieren (cf. Bally 41965, 343, §569): Bei einem einfachen, nicht-komponierten Zeichen besteht keine durch Motivation begründete Einschränkung der Verwendung in der Rede; so bleibt frz. pendule ein pendule, ob der Gegenstand nun an der Wand aufgehängt oder auf einen Kaminsims gestellt wird. Diese Flexibilität bezüglich der Verwendungsmöglichkeiten, die das morphologisch unmotivierte Wort im Unterschied zum komplexen Wort mit sich bringt, indem eine Anpassung an den jeweiligen Kontext leichter gewährleistet ist, ist bei einem motivierten Wort wie dt. Wanduhr nicht gegeben.
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zugrunde liegen kann und die Homonymie Polysemie fördert (siehe Kap. 3.1.2). Die Neigung zur Einsilbigkeit kennzeichnet auch das isolierende Konstrukt, wenngleich in geringerem Maße als das polysynthetische Ideal. Dabei ist der Monosyllabismus im Französischen – hauptsächlich bedingt durch historische Lautentwicklungen – offensichtlich wiederum stärker entwickelt als in einer flektierenden Sprache wie dem Tschechischen (cf. Skalička [1951]/1979, 27).23 Zusammenfassung Unter den bislang erläuterten Eigenschaften: Arbitrarität, Abstraktheit, Polyvalenz (einschließlich einer Vielfalt objektiver und affektiver Werte), Ambiguität (durch Polysemie und Homonymie), die ihrerseits bedingen, dass die semantische Autonomie des individuellen Wortes relativ gering ist (die Desambiguierung erfolgt über den Redekontext), korreliert die mangelnde semantische Autonomie mit weiteren bereits angesprochenen strukturellen Besonderheiten des Wortes: So stellt das Wort im Französischen keine phonetische Einheit dar, sondern ist Bestandteil einer größeren rhythmischen Gruppe.24 Auf grammatischer Ebene wiederum manifestiert sich das arbiträre Zeichen als unmittelbare Folgeerscheinung in der Tendenz zur analytischen Sprachstruktur: «Dénués de motivation lexicale, les mots sont aussi […] de plus en plus affranchis de toute détermination syntaxique» (Ullmann 41969, 131). So geht die semantische Un-
|| 23 Als Konsequenz aus dem reichen Vorkommen an Homonymen und Polysemen im Französischen ergibt sich eine erhöhte Gefahr der Ambiguität mit einhergehenden falschen Assoziationen; auch die Tatsache, dass als phonetische Einheit in der Regel die rhythmische Gruppe dient, verstärkt dieses Risiko – dies ein weiterer Aspekt, der das lexikalische System des Französischen charakterisiert. Die im Französischen sehr beliebten Wortspiele zeugen davon, dass sich die Sprecher der semantischen Unterschiede allerdings bewusst sind; als Reaktion der Sprache auf starke Homonymie und Polysemie kommen homonyme und stark polyseme Wörter tendenziell allmählich außer Gebrauch. 24 Der Begriff des mot phonétique, der auf dem Verständnis der Wortgruppe als der eigentlich akzentuellen Einheit des Französischen beruht, stellt die Autonomie der Einheit Wort grundlegend in Frage. Als Ausprägung der Dominanz der Wortgruppe im Französischen kann auch das von André Martinet (1980, 102) als «amalgame» bezeichnete Phänomen betrachtet werden, d.h. die Verschmelzung von beispielsweise Präposition und bestimmtem Artikel wie in au, aux, du, des, ès (wobei hier auch von «portmanteau»-Morphemen die Rede ist). Die Elision kann ebenfalls unter diesen Aspekt subsumiert werden (cf. frz. j’ai lu L’article etc.). Letzterer Gesichtspunkt trifft auch auf das Englische zu (cf. IT’S easy, I’VE understood, I’LL lend you a hand etc.). Das Phänomen des sogenannten Gruppengenitivs (cf. the boy next door’s bicycle) (cf. Bloomfield, L. ([1933]/1965): Language, 178) sowie die besondere Rolle des possessiven -s als Flexionselement oder eher als enklitisches Element (cf. O’Grady et al. 1997) stellen die Einheit Wort zusätzlich in Frage.
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motiviertheit des Wortes im Französischen mit Unmotiviertheit auf grammatischer Ebene einher, wobei letztere im Anwachsen begriffen ist. Insgesamt wird deutlich, dass die Tendenz zum einfachen Wort, die sich aus den genannten Kriterien ableiten lässt, die Struktur der französischen Sprache nachhaltig beeinflusst. Wenn keine formal motivierten Assoziationen bestehen, gewinnt das Wort an Abstraktheit und neigt zur Intellektualisierung (cf. insbesondere Brøndal 1936), da es aus sich heraus keinen unmittelbaren Aufschluss über seine Bedeutung zulässt; vielmehr definiert es sich über seine Beziehungen zu anderen Wörtern im Rahmen des assoziativen Feldes, in welches es sich einfügt. Das Wort im Französischen bildet auch insofern keine «syntaktische Einheit» (es ist nach Coseriu vielmehr «autonom»), als seine Funktion innerhalb einer Aussage im Wesentlichen nur über die zugehörigen Determinanten und die Stellung im Satz erschließbar wird (cf. demgegenüber das Latein). Die semantische Motiviertheit ist laut Bally (41965) wiederum hinreichend akzentuiert, um die relative morphologische Unmotiviertheit zu kompensieren.
13.5 Interlinguale engynomische Divergenzen Die Bezüge zu den semantischen Phänomenen Homonymie und Polysemie wurden im Vorhergehenden herausgestellt; Koch (2001) führt zur Erfassung der lexikalischen Beziehungen im Rahmen einer primär onomasiologischen und teilweise semasiologischen Perspektive neben der Frage der Motivation25 sowie den Parametern Polysemie und Homonymie die Begriffe Engynomy und Metataxe26 (siehe auch Koch 1995) als weitere Untersuchungskriterien ein. Engyno-
|| 25 Koch (2001, 1156) weist darauf hin, dass die von Ullmann, Stephen (1966): «Semantic Universals», in: Greenberg, J. H. (21966) (ed.), Universals of Language. Cambridge, Mass., London, 217–262, hier 221–222 unterschiedenen drei Arten der Motivation (phonetische Motivation, die in Onomatopoetika wie dt. zupfen, rauschen, säuseln, zwitschern vorkommt; morphologische Motivation im Bereich der Wortbildung, etwa bei frz. chant-eur, parc autos; semantische Motivation im Falle der Metaphorisierung, z.B. frz. bouche ‘Mund’; ‘Öffnung’) nicht auf der selben Ebene anzusiedeln sind: «Note, for instance, that ‘morphological motivation’ insists on formal properties of words, whereas ‘semantic motivation’ (in the sense of ‘metaphorical motivation’) highlights cognitive relations». 26 Mit dem Begriff wird dem Umstand Rechnung zu tragen gesucht, dass das Streben nach Äquivalenten zum Ausdruck bestimmter Inhalte je nach Sprache eine syntaktisch andere Strukturierung erforderlich machen kann; Koch rekurriert hinsichtlich einer Definition (2001, 1169) auf Tesnière, Lucien (1959, 284): «Toute langue établit entre les catégories de la pensée et les catégories grammaticales qui les expriment, certaines correspondances qui lui sont propres. […] Mais, toutes les langues ne faisant pas forcément appel à la même catégorie grammaticale
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mie bezeichnet eine kognitive Dimension, die sich auf zwischensprachlich (im Rahmen des Lexikons) divergente Organisationsmuster bezieht, die aus Konzeptualisierungsunterschieden etwa im Bereich der Körperteile resultieren. So existieren einerseits Sprachen des Typs A, z.B. Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch u.a., die im Bereich der oberen und unteren Körperteile eine Gliederung in jeweils drei «engynomische» Ebenen [ARM] – [HAND] – [FINGER] und [BEIN] – [FUß] – [ZEH] vornehmen, und andererseits Sprachen des Typs B wie Suaheli, Tzeltal, Igbo-Nigerianisch u.a., die jeweils nur zwischen zwei Ebenen [ARM] + [HAND] (als eine Einheit gefasst) – [FINGER] und [BEIN] + [FUß] (ihrerseits eine engynomische Ebene bildend) – [ZEH] differenzieren (cf. z.B. Suaheli mkono ‘Arm und Hand’ – kidole (cha mkono) ‘Finger’ und mguu ‘Bein und Fuß’ – kidole (cha mguu) ‘Zeh’) (cf. Koch 2001, 1153). Solche zwischensprachlichen engynomischen Verschiebungen bzw. Divergenzmuster bezüglich der Einteilung resp. Konzeptualisierung der in der außersprachlichen Welt anzutreffenden Phänomene auf lexikalisch-semantischer Ebene (cf. ferner die zeitliche Einteilung des Tages wie bei dt. Tag als polysemem Begriff, dem russisch d’en’, schwedisch dag, finnisch päivä ([TAG IM GEGENSATZ ZU NACHT]) und eine zweite engynomische Ebene sútki, dygn, vuorokausi (TAG im Sinne von 24 STUNDEN) gegenüber stehen; alle vier Sprachen besitzen ferner einen Begriff für [SONNE]: dt. Sonne, russ. sólnc’e, schwed. sol, finn. aurinko; demgegenüber lexikalisieren ungarisch nap, Japanisch hi, und Chinesisch rì jeweils [SONNE] und [TAG (IM GEGENSATZ ZU NACHT)] auf einer engynomischen Ebene; cf. Skalička
|| pour exprimer la même catégorie de la pensée, il en résulte que la traduction d’une langue dans une autre nécessite quelquefois l’appel à une catégorie grammaticale différente. C’est la forme la plus simple de la métataxe». Es lassen sich eine kategoriale und eine partizipantenorientierte Form der Metataxe unterscheiden (cf. Koch 2001, 1169–1171; 1171–1172; Bally 41965, 349–350). Zur kategorialen Metataxe gehört beispielsweise der Fall eines eine Bewegung umfassenden Handlungsrahmens wie dt. Anton schwimmt über den Fluss, analog engl. Anthony is swimming across the river vs. frz. Antoine traverse la ravière à la nage oder sp. Antonio atravesa el río a nado. Dabei können das Deutsche und Englische als Sprachen mit «Satelliten-Rahmen» betrachtet werden, da sie die zentrale kognitive Dimension [WEG] durch einen Satelliten, d.h. ein Adverb, eine Präposition, ein Verbalpräfix etc. wiedergegeben, wohingegen das Französische und Spanische als Sprachen mit «verbalem Rahmen» klassifiziert werden können, da hier die Dimension [WEG] durch das Verb per se zum Ausdruck kommt (cf. Ungerer/Schmidt 1996, 238; Tesnière 1959, 310; Koch 2001, 1170). Beim zweiten Typ der Metataxe steht die Realisisierung der verbalen Partizipanten wie in Sätzen der Art engl. I miss you gegenüber frz. Vous me manquez im Zentrum der Betrachtung: Hier entsprechen jeweils das Subjekt (vous) und indirekte Objekt (me) des frz. Verbs manquer dem direkten Objekt (you) und Subjekt (I) des engl. Verbs to miss.
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1982, 454; Koch 2001, 1153) begegneten bereits bei der Gliederung verbaler Handlungen, wie sie bei dt. gehen, fahren, reiten gegenüber frz. aller vorliegen. Nach Skalička (1965a) stehen den Unterschieden zwischen den Sprachen, wie sie die morphologisch orientierte Typologie expliziert, «Ähnlichkeiten der lexikalischen Systeme gegenüber, die weit grösser sind» als die Unterschiede (Skalička 1965a, 157). Diese Ähnlichkeiten sind darauf zurückzuführen, dass die verschiedenen natürlichen Sprachen eine für sie alle identische Außenwelt zu erfassen suchen, so dass alle Sprachen, auch wenn sie bezüglich der morphologischen Bedingungen mit unterschiedlichen Mitteln operieren, zur Konstituierung ihres Wortschatzes auf dieselbe Basis zurückgreifen. Zudem «verleiht der anthropozentrische Charakter […] den lexikalischen Systemen verschiedener Sprachen eine fast identische Konstruktion»27 (Skalička 1965a, 157; siehe Skalička 1982). Erheblich ist jedoch der Unterschied, der zwischen den Sprachen hinsichtlich des (nur schwer bestimmbaren) Ausmaßes an Polysemie innerhalb des Lexikons besteht, das durch den Grad der Motivation der Wörter bedingt wird. Dabei tendieren die Sprachen des isolierenden Typus wie Englisch und Französisch «zur Ausnützung alter Wörter für neue Begriffe, d.h. zur Polysemie. Diese Tatsache manifestiert sich auch in der Konversion» (Skalička 1965a, 156). Bei der morphologisch unmarkierten (homonymen) Transposition kann in folgendem Sinne von «funktioneller Polysemie» gesprochen werden: «So wie der Zerfall einer lexikalen Polysemie innerhalb einer Wortart in Homonyme nicht an seine Manifestation auf der Ebene der morphologischen Form gebunden ist, kann nicht einmal der Zerfall einer funktionellen oder funktionell-semantischen Polysemie zwischen Wortarten in selbständige Wörter an deren Ausdruck in der morphologischen Form gebunden sein» (Dokulil 1968c, 57).28
|| 27 Koch stellt fest, dass «it is symptomatic that lexical typology received important inspirations especially from the ‘safe’ borderland between grammatical typology and lexicology. […] We should not neglect, however, the less spectacular contributions of (even traditional) contrastive and structural linguistics and of anthropology to lexical typology» (2001, 1142; 1143; cf. ibid. zu umfangreichen Hinweisen auf weiterführende Literatur). Das von Koch stark akzentuierte Moment der anthropologischen Verankerung einer lexikalischen Typologie, das auch in Skalička (1965, 157) zum Tragen kommt, ist gewiss hoch zu bewerten. So erweisen sich gerade solche Beispiele aus der Literatur als für eine lexikalische Typologie geeignet, die zu anthropologisch fundamentalen konzeptuellen Feldern und Domänen gehören; Koch (2001, 1173) listet beispielsweise auf: VERWANDTSCHAFTSBEZIEHUNGEN, MENSCHLICHER KÖRPER, MENSCHLICHES WESEN, NAHRUNGSZUBEREITUNG, FARBEN, DIMENSIONEN, BEWEGUNG, TAG UND NACHT, WALD-BAUM-HOLZ-FRUCHT, TIERE UND FLEISCH, LAUTE, HERSTELLUNG VON GEGENSTÄNDEN, EIGENSCHAFTEN, PSYCHOLOGISCHE EINSTELLUNGEN u.a. 28 Dabei ist für flektierende Sprachen mit folgender besonderen Situation zu rechnen: «Wir müssen jedoch gestehen, dass in den Sprachen, in denen die Wortarten morphologisch mar-
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Was hier als «funktionelle Polysemie» verstanden werden kann (cf. Konversionen des Typs engl. mother → to mother), hat nichts zu tun mit syntaktischer Ambiguität (Lesarten von Sätzen), die zu verschiedenen Strukturierungsmöglichkeiten im Rahmen der vom amerikanischen Strukturalismus entwickelten IC-Analyse (immediate constituent analysis) führt (cf. Tom sah den Mann mit dem Fernrohr, in dem die Präpositionalphrase MIT DEM FERNROHR als entweder das Nomen Mann oder die Verbalphrase modifizierender Adjunkt interpretiert werden kann). Die Auffassung von Konversion als wortkategoriale Polysemie spielt jedoch in der kognitiven Semantik im Rahmen der Metaphernforschung eine wesentliche Rolle (siehe Kap. 5.4.2, 5.4.3). Auch Ullmann (41969, 316) betont, dass die «syntaktische Transposition» sowie die metonymische Verdichtung im Rahmen der lexikalischen Semantik zwei wesentliche Formen der Polysemie im Französischen ausmachen. Allerdings bilden laut Skalička solche interlingualen engynomischen Divergenzen bzw. eine mehr oder weniger differenzierte Strukturierung des Lexikons mit Bezug auf die Konzeptualisierung ein und derselben Sachverhalte, die eine feinere oder gröbere Rasterung bestimmter Lexemfelder, etwa des Spektrums der Farben oder von Bezeichnungen für Tiere (etwa für [KAMEL] im Arabischen), ergeben, noch keine Basis für eine komplexe Typologie, «keine Erklärung der Form und ihrer Unterschiede, bzw. ihrer Typologie» (Skalička 1982, 455). Skalička (1965a, 157) weist solche lexematischen Unterschiede, zu denen auch die erwähnte größere oder geringere Expressivität gehört, dem Bereich der «Stilistik», genauer den stilistischen Synonyma bzw. allgemein der Plastizität des Lexikons einer Sprache, nicht aber der Lexematik im allgemeinen Sinne zu. Im Gegensatz zur lexikalischen Semantik umfasst die grammatische Semantik Konstruktionsregeln, deren Vorkommen oder Abwesenheit in einer Sprache für die Konstituierung ihrer individuellen Struktur und deren Eigenschaften erheblich sind. Auch hierbei handelt es sich um semantische Einheiten; ihre Funktion, wie etwa im Falle der Kongruenz oder der Genusoppositionen, kann redundant sein oder sich gar als «absurd» (wie zum Teil beim Genus) darbieten.29 Diese grammatischen Kategorien dienen jedoch syntaktischen Zwecken und stehen damit im Dienste der sprachlichen Form, insofern als ihnen eine Konstruktionsfunktion zukommt: So bezeichnet das Subjekt das Agens oder ein
|| kant geformt sind (wir denken hier nicht an die unflektierbaren Wortarten), bei den flektierbaren Wortarten ein derartiger Fall verhältnismässig selten ist und dass man in der Regel auch hier bei einer tieferen Analyse solche grammatischen Eigenschaften aufdecken kann, die einen formalen Ausdruck eines neuen Wortes darstellen» (Dokulil 1968d, 57). 29 Zu den «absurden Einheiten» in den Sprachen cf. Skalička (1965b).
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«psychologisches Subjekt» und besitzt überdies eine satzbildende Funktion. Seine materielle Gestaltung erfolgt mittels verschiedener Kasus (z.B. Nominativ, Ergativ) oder qua Satzgliedstellung. Grammatische Funktionen wie Kasus sind vom Standpunkt der Semantik zuweilen schwer fassbar. Dennoch tragen grammatisch-semantische Einheiten entscheidend zur Konstruktion einer Sprache bei, aber in anderer Weise als lexikalisch-semantische Einheiten. Letztere sind als Basis für eine Sprachtypologie allein nicht tragfähig: «Eine Typologie der natürlichen Sprachen kann nur im Hinblick auf die formale Seite der Sprache, d.h. auf den Ausdruck und auf den Konstruktionsteil der inhaltlichen Seite der Sprache aufgebaut werden» (Skalička 1982, 455). Das abschließende Ergebnis, zu dem Koch in seiner kognitivonomasiologisch fundierten, am Universale der Diskursivität nach Oesterreicher (198930) orientierten Studie gelangt, wonach «[v]ery much like grammatical typology, lexical typology has to deal with recurrent designation problems» und wonach ferner gilt, dass «despite the great lexical variety in the world’s languages, the number of possible solutions does not seem to be unlimited when viewed from a cognitive perspective» (2001, 1173), halten wir im Rahmen einer Typologie natürlicher Sprachen nur dort für praktikabel, wo Verbindungslinien zur morphologischen Typologie eindeutig gezogen werden können: «Man kann […] nicht den Wortschatz verschiedener Sprachen mit Hilfe einer Typologie charakterisieren. Die typologischen Eigenschaften des Wortschatzes (die ‘innere Sprachform’, das Ausmass der Polysemie, die enge oder weite Bedeutung der Verba) hängen mit der morphologischen Typologie eng zusammen und bilden keine selbständige Typologie» (Skalička 1965a, 157).
Koch (2001) trägt diesem Erfordernis Rechnung, indem er etwa die Polysemie als ein Extrem auf einem universellen Kontinuum auffasst, an dessen anderem Ende relativ komplexe lexikalische Einheiten wie Komposita oder Idiome zu situieren sind (cf. Koch 2001, 1162, Abb. 85.19). Die Frage der Motiviertheit einer lexikalischen Einheit beinhaltet also neben einer kognitiven Dimension grundlegend auch eine formale Dimension im Rahmen der Transparenz. Ferner anerkennt auch Koch (2001, 1172, cf. 1143) trotz der grundlegenden Haltung, wonach «lexical typology is mainly onomasiological», da sogar «the apparently
|| 30 «In meinen Augen ist die Diskursivität insofern als der für jede ernstzunehmende typologische Forschung unverzichtbare Grundbegriff zu betrachten, als mit ihm notwendig die Betrachtung der Prinzipien der Verknüpfung von Inhaltsprozessen mit Ausdrucksprozessen gefordert ist, als mit ihm die Zeichenbildung auf allen relevanten Ebenen der sprachlichen Strukturierung ins Zentrum rückt» (Oesterreicher 1989, 241–242; Hervorhebung des Autors).
Interlinguale engynomische Divergenzen | 739
semasiological step from formal to cognitive relations in motivation […] is ancillary to overriding onomasiological questions» nichtsdestoweniger, dass sich zumindest zwei semasiologische Aspekte im Rahmen einer lexikalischen Typologie zur Diskussion stellen: die lexikalischen Phänomene der Polysemie und Homonymie, die sich ausschließlich vom Standpunkt des Signifiant definieren lassen. Zusammenfassung Im Sinne einer allgemeinen Charakterisierung des «lexikalischen Systems» des Französischen ist für die aktuelle Gemeinsprache eine Tendenz zum einfachen (idealiter einsilbigen), arbiträren, unmotivierten (nicht analysierbaren, opaquen), dafür abstrakten und polysemen Zeichen mit Konsequenz für die grammatische Struktur feststellbar (cf. Bally 41965; Ullmann 41969; Koch 2001; Skalička 1965a). Das geringe Maß an formaler Komplexität auf morphologischer Ebene bedingt dabei ein Fehlen von auf formalen Aspekten bzw. paragrammatischen Strukturen beruhenden Bedeutungsassoziationen, wie sie die morphologische Motivation (und Transparenz) mit sich bringt. Die prinzipielle Arbitrarität des Wortes, die durch die mangelnde Motiviertheit intensiviert wird, steht mit dem abstrakten Charakter des individuellen Wortes in Verbindung. Aus der relativ geringen morphologischen Motiviertheit des Einzelwortes resultiert zudem eine größere Abhängigkeit der Bedeutung vom Kontext und damit von der Funktion eines Wortes in einer Äußerung bzw. dessen Stellung im Satz. Hinzu treten auf grammatischer Ebene gewisse analytische Tendenzen, die sich etwa im Fehlen wortkategorialer Determinationen manifestieren können. Die Tendenz zum nicht-motivierten Wort erfuhr im Übergang vom Latein zum Französischen eine deutliche Profilierung; dabei stützt sich die berühmte clarté des Französischen gerade auf die morphologische Einfachheit des Wortes (ebenso wie die séquence progressive). Die Aufnahme gelehrter Wörter in mittelfranzösischer Zeit (d.h. der Zeit des typologischen Umbruchs) verstärkt die Isolation der Wörter, die vorrangig in Phänomenen wie Suppletion und Dissoziation ihren eigenen typologischen Reflex findet. Das Französische wird auf diesem Hintergrund als «lexikologische» Sprache im Sinne de Saussures gefasst als eine Sprache, die im Gegensatz steht zu einer von grammatischen bzw. paragrammatischen Strukturen dominierten Sprache. Das Chinesische kann als Repräsentantin des äußersten Extrems einer solchen lexikologischen, durch das isolierte, da unmotivierte oder dissoziierte und invariante Wort geprägten Sprache betrachtet werden. Da morphologisch begründete Bedeutungsassoziationen, wie sie bei komplexen, d.h. in der Regel motivierten Wortstrukturen anzutreffen sind, nicht
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auftreten, kommen als Tendenzen, denen eine quasi-kompensatorische Funktion zugeschrieben wird, Erscheinungen wie semantischer Wandel (Metonymisierung), Polysemie und Homonymie beim einfachen Wort zum Tragen (die aber nur statistisch erfassbar sind). Die Tendenz zur Bedeutungsdifferenzierung kann sich auch in idiomatischen Wendungen des Typs mettre à jour : mettre au jour manifestieren, die trotz annähernder formaler Identität eine recht unterschiedliche Bedeutung aufweisen und die syntagmatischen Komponenten des Französischen akzentuieren. Zu solchen festen Wendungen, die bei relativ geringer formaler Abwandlung mit einer deutlichen Bedeutungsveränderung einhergehen (und die das Französische auf Grund ihrer nicht unbeachtlichen Zahl deutlich charakterisieren), gehören etwa (cf. Bally 41965, 314, §519): mettre la main à (l’ouvrage) : mettre la main sur (un voleur); je le veux : je le veux bien; prendre congé : prendre un congé; prendre parti pour (quelqu’un) : prendre un parti : prendre son parti d’(une mésaventure); prendre quelqu’un pour (domestique) : prendre quelqu’un pour un (domestique); traiter en (ennemi) : traiter de (filou); (faire) mal : (faire) du mal; (voyager) à pied : (mettre l’arme) au pied : (un portrait) en pied; (exposer quelque chose) à l’air : (cette idée est) dans l’air : (tenir le bras) en l’air; (cette viande est cuite) à point : (ce travail est) au point; (je respire) à peine : avoir de la peine à (faire un travail) : avoir peine à (respirer); donnez-vous la peine (d’entrer) : se donner de la peine; (vivre) en repos : (être momentanément) au repos; (une armée) en retraite : (un fonctionnaire) à la retraite etc. Als typologisch wichtige Konsequenz der Erosion von wortkategorialen Markierungen bzw. der reduzierten Alternanz der Wortformen kann ferner die Konversion gelten, die in ganz besonderer Weise für den isolierenden Typus konstitutiv ist. Eine wissenschaftliche Traditionslinie lässt sich im romanischen Kontext auf wortbildungstheoretischer Ebene von Charles Bally (41965) und Eugenio Coseriu zu Jens Lüdtke ziehen; in diese Reihe gehört auch Miloš Dokulil, der in seiner onomatologischen Benennungslehre von einer grundlegenden DeterminatumDeterminans-Struktur in expliziter Anlehnung an Bally (cf. Dokulil 1964, 215) ausgeht. Bei Bally erfährt die Trias an Zügen – isoliertes Wort, gelehrte Wörter, Polysemie – hinsichtlich einer Charakterisierung des «lexikalischen Systems» des Französischen eine besondere Aufmerksamkeit; bei Skalička, der ebenfalls auf Bally zurückgreift, wird die Konversion als Folgeerscheinung dieser typologisch relevanten Merkmalsverbindung aus isoliertem Wort, Lehnwörter und Polysemie betont. Die Konversion (als eigenes wortbildendes) Verfahren besitzt für die Typologisierung des Französischen besonderen Stellenwert; die Relevanz der Konversion unter den für das Französische typischen Wortbildungsverfahren konnte nachgezeichnet und somit aufgewiesen werden, dass die Konversion auch im
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Rahmen einer typologischen Interpretation, die die historische Abstammung vom flektierenden Latein berücksichtigt, auf Grund der Genealogie nicht zu einem Widerspruch bezüglich der synchronischen Typologisierung führt.
13.6 Die Rolle des introflexivischen Typs in der Allgemeinen Typenlehre und im Französischen 1.1 Rolle des introflexivischen Typs in der Allgemeinen Typenlehre und im Französischen Bei den von der Introflexion31 tangierten Bereichen handelt es sich zuweilen um Transitionszonen zwischen Grammatik und Wortbildung, die auf morphonologischen Alternationen beruhen, aber nicht notwendigerweise produktive Verfahren der einzelnen Sprachen repräsentieren (oder als solche nur in gewissen historischen Etappen der Sprachentwicklung und anschließend als Grundlage für weitere Analogiebildungen fungierten). Solche Übergangsbereiche sind aber in besonderer Weise dazu geeignet, Zusammenhänge zwischen grammatischem System bzw. Morphosyntax einerseits und der Wortbildung andererseits zu erhellen. Das Ziel, auch das paragrammatische System auf besondere typologische Züge hin zu untersuchen, erfordert in Bezug auf das Französische die Einbeziehung dieses in den Sprachen der Welt in der Regel weniger ausgeprägten Typs der Allgemeinen Typenlehre. Als Ausformungen des introflexivischen Typus können, abgesehen von der prototypisch introflektierenden R&P-Morphologie (root and pattern morphology) des Arabischen als der semitischen Sprachfamilie zugehörig, Apophonie und Umlaut im Rahmen der indogermanischen Sprachen betrachtet werden. An Stelle von Apophonie (Vokalabstufung) ist gängiger von Ablaut die Rede; der Begriff bezieht sich auf die indogermanische Sprachfamilie und bezeichnet (seit Jacob Grimm) einen systematischen Wechsel bestimmter Vokale in etymologisch verwandten Wörtern. Der Ablaut impliziert zunächst rein phonetische bzw. phonologische Phänomene, die namentlich in den germanischen Sprachen der Morphologisierung unterlagen: So dient der Ablaut zur Markierung der Tempusopposition im Rahmen der Flexion der starken Verben (cf. dt. singen – sang – gesungen). Abgesehen vom grammatischen Funktionen bringt die Apophonie auch paragrammatische Funktionen zum Ausdruck: dt. fahren – Fuhre – Fahrt – Furt.32 Da auch bei der als Umlaut33 bezeichneten Erscheinung der
|| 31 Siehe die Charakterisierung der morphologischen Typen (Kap. 3.3; 3.4). 32 In Abhängigkeit von der Art der Vokalabstufung werden ferner ein qualitativer und ein quantitativer Ablaut unterschieden, deren Ausbildung jeweils auf die zu einer bestimmten historischen Sprachstufe geltenden Betonungsverhältnisse zurückzuführen ist. So ist der für die starken Ver-
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Wechsel zwischen Umlautphonem und dem entsprechenden nicht umgelautetem Phonem eine (paradigmatische) grammatische Kategorie implizieren konnte, traten (im Rahmen des für die germanischen Dialekte – mit Ausnahme des Gotischen – typischen i-Umlauts) Morphologisierungen ein, die analogisch übertragen wurden (cf. die Pluralbildung bei dt. Vater : Väter). Prädikatnominalisierungen des Französischen des Typs acheter : achat, donner : don, jouer : jeu, gagner : gain, soigner : soin etc. weisen gegenüber denjenigen des Deutschen wie finden : Fund, singen : Sang, kneifen : Kniff, binden : Band, Binde etc. den Unterschied auf, dass die Vokalvariationen hier nicht prädiktibel34 sind, was damit zusammenhängt, dass die Apophonie fast keine (para)grammatische Rolle spielt; damit liegt im Grunde kein produktives Verfahren zugrunde. Im Deutschen dagegen unterliegen die apophonischen Oppositionen zwischen verbaler Grundlage und abgeleitetem Nomen trotz ihrer Mannigfaltigkeit bestimmten Regularitäten. Da sie ferner auf bestimmte Möglichkeiten beschränkt (cf. Bally 41965, 307, §504) sind, wird ein bestimmtes Maß der Vorhersagbarkeit erreicht. So ist die Vitalität der involvierten morpho(no)logischen Muster mit Blick auf den Grad der formalen Motiviertheit bzw. Transparenz von
|| ben charakteristische Ablaut durch den musikalischen oder dynamischen (expiratorischen) Akzent des Indogermanischen bedingt: Der musikalische Akzent (die Tonhöhenvariation) konnte eine qualitative Vokalalternation in der Wurzelsilbe (oder bei einem Suffix bzw. Flexionsmorphem) nach sich ziehen (cf. lat. TEGERE : TOGA); der dynamische Akzent (die Tonstärkenvariation) konnte eine quantitative Vokalalternation bewirken (cf. lat. TEGERE : TĒXI), wobei eine Normalstufe, eine Reduktionsstufe und eine Schwundstufe unterschieden werden. Innerhalb ein und derselben (Wurzel-)Silbe können beide Alternationsarten vorkommen (cf. lat. AGERE : ĒGI). Die Ablautreihen, wie sie für die germanischen Sprachen (etwa im Rahmen der Konjugationsklassen der starken Verben) bekannt sind, beruhen allerdings auf morphologischen, nicht phonologischen Regeln, genauer auf der spezifischen konsonantischen Umgebung des Ablautvokals (cf. die Stammformen Infinitiv, Präteritum Singular bzw. Plural, Partizip Perfekt), z.B. im Mittelenglischen: 1. riden [i:] (Präs. (Inf.), 2. (I, he) rood [ɔ:] (1.+ 3. Sg. Prät. Ind.), 3. thou ride, we riden [i] (restliches Prät. (Pl.)), 4. (y)riden [i] (Part Perf.); analog: writen – wroot – writen – (y)writen; drynken [i] – drank [a] – dronken [u] – dronken [u] (Wurzel auf gedeckten Nasal); helpen [e] – halp [a] – Ø [u] – holpen [ɔ] (Wurzel auf gedeckte Liquida) etc. 33 Mit Umlaut wird der Prozess bzw. das Resultat einer partiellen Assimilation, in der der Vokal der Haupttonsilbe an den Vokal der folgenden (minderbetonten) Silbe antizipierend angeglichen wird, erfasst. 34 «Les racines du français (actuel!) ne sont soumises à aucune règle qui détermine leurs dimensions, leurs formes et leurs variations. […] Leur constitution phonique est livrée au hasard […] Rien ne règle le choix et la disposition des voyelles et des consonnes. […] Les alternances de la conjugaison morte sont chaotiques: reçois : recevons, prends : prenons, veux : voulons, vaux : valons, peux : pouvons, etc.» (Bally 41965, 252, §405), wobei hier namentlich grammatische Oppositionen angesprochen sind.
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Relevanz; dies illustriert das «wurzelflektierende», auf einer elaborierten «rootand-pattern»-Morphology beruhende System des Arabischen, das auf Grund der hohen Regelmäßigkeit der Muster hohe Transparenz erlangt (cf. qāriʔ ‘Leser’ – qaraʔa ‘lesen’). Im Deutschen werden entsprechende Muster weiterhin durch, wenn auch begrenzte, analogische Reihen gestützt, z.B. Flug – fliegen, cf. Schub – schieben, Guss – gießen, Genuss – genießen etc. (in geringerem Maße dagegen im Englischen, cf. song – (to) sing etc.) (cf. Koch 2001, 1163). Im Französischen sind also dergleichen lautliche Variationen weniger dazu geeignet, ein Ableitungsverhältnis dadurch anzuzeigen, dass das Derivat nicht nur inhaltlich, sondern auch materiell eine Affinität zum Basiswort erkennen lässt. Ganz im Gegenteil bedingt die lautliche Differenz zwischen Grundlage und Ableitung sogar deren Dissoziation, so dass das abgeleitete Wort vielmehr als ein einfaches (primäres) Wort erscheint (cf. Bally 41965, 307, §504). Diese Art der Dissoziation verstärkt damit die typologisch dem isolierenden Konstrukt eignende Tendenz zur Ausprägung des einfachen, nicht abgeleiteten Wortes im Rahmen des Lexikons. Da introflexivische Muster sowohl grammatische als auch paragrammatische Funktionen transportieren können, zeichnen sich mit besonderem Bezug auf das Französische zwei unterschiedliche Tendenzen ab: Auf der einen Seite führen phonologische Alternanzen zwischen etymologisch verbundenen Formen des Typs jouer : jeu zu Dissoziationserscheinungen im Rahmen des Lexikons, die eine verstärkte Prominenz des einfachen Wortes bedingen; auf der anderen Seite werden morphonologische Alternanzen mit grammatischer Relevanz im Französischen allmählich abgebaut mit der Konsequenz der Stärkung der Invariabilität des einzelnen Wortes.35 Diese doppelschichtige Tendenz sowohl zum isoliert dastehenden wie zum bezüglich der Flexionsformen und der internen Stammalternationen unveränderlichen Wort zeichnet den isolierenden Typus insgesamt aus.
|| 35 «Quant aux variations, elles sont réduites à presque rien; on sait que le français marche vers l’invariabilité du radical. Les alternances régulières sont en déclin: celles du type jette : jeter, appelle : appeler est toujours plus négligée dans la prononciation populaire: l’allongement des voyelles finales au féminin, dans les substantifs et les adjectifs, a presque disparu dans le français commun (amie se prononce comme ami, pensée comme pensé). […] Il est curieux de constater que certaines alternances assez régulières ne jouent encore aucun rôle et ne sont pas aperçues, p. ex. celle qui est créée par le passage de è ouvert à é fermé sous l’influence d’un é fermé ou d’un i suivants: aimons (è) : aimez (é), bête (è) : bêtise (é) et aussi la distinction entre a long et grave des substantifs en -age et a bref et aigu des verbes en -ager: un voyage (ā) : il voyage (ă); de même pour ménage, ravage, fourrage, présage, ombrage, outrage, etc.» (Bally 41965, 252–253, §405).
14 Rückblick und Ausblick: Der Typus des Französischen im Kontext einer Eurolinguistik In diesem Schlusskapitel werde ich keine Zusammenfassung geben; stattdessen sei der Leser, der sich einen Überblick über die Inhalte der Arbeit verschaffen möchte, auf Vorwort, Einleitung sowie die Eingangskapitel 1.1. und 1.2 verwiesen. In diesem Rückblick möchte ich stattdessen die im vorgelegten Ansatz eingenommenen Perspektiven nochmals bewusst machen und die Ergebnisse in konziser Form einordnen: (i) im Rahmen der Französistik, (ii) im Kontext der romanischen Sprachen als (indo)europäische Sprachen, (iii) hinsichtlich der Aktualität der Parameter der Allgemeinen Typenlehre und deren weiteren Anwendungsmöglichkeiten im Forschungsfeld einer gesamteuropäischen Linguistik. 1. Zunächst zum Ergebnis der Untersuchung: Die Typologisierung der aktuellen Gemeinsprache des Französischen (Standardvarietät unter Berücksichtigung des langage populaire), genauer der Subsysteme der Grammatik wie der Paragrammatik, legt als einheitliche Tendenz eine Zuordnung des Französischen zum isolierenden Konstrukt, das der Allgemeinen Typenlehre entnommen ist, nahe. Eine solche typologische Einordnung lässt sich für das grammatische System klar nachweisen. So operiert das Französische mit syntagmatischen (analytischen) Verfahren, d.h. die grammatischen Funktionen werden von der Wortmorphologie auf die syntaktische Ebene ausgelagert. Diese isolierende Entwicklung im theoretischen Rahmen der Allgemeinen Typenlehre hat sprachhistorische Vorläufer: den Ausbau der (indoeuropäischen) romanischen Varietäten auf der Basis des (italischen) Lateins bzw. gesprochenen Vulgärlateins zum einen, zum anderen den typologischen Wandel (Mitte 14. Jh. bis ca. 1500/1600) des Französischen (zur Periodisierung s. Kap. 5.7.1). Dies ist bedeutsam, da das Französische nie in allen Teilsystemen den ererbten flektierenden, auf paradigmatischen (synthetischen) Mitteln aufbauenden Typus gänzlich abgelegt, sondern paradigmatische Verfahren (in Grammatik und Paragrammatik) bewahrt hat. 2. Dieses Ergebnis wirft die Frage nach der Stellung des Französischen innerhalb der romanischen Sprachen (zum Rumänischen cf. Bochmann 2004), die in sich genealogisch verbunden sind und zudem teilweise in Sprachkontakt zueinander stehen, auf. So zeigt es in Anbetracht der Entfaltung der isolierenden typologischen Komponente sowie einzelner polysynthetischer Tendenzen wie Ausbildung einer Objektkonjugation mit Klitisierung (à Jean, je le lui ai donné
https://doi.org/10.1515/9783110693966-014
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(mon vélo), cf. Kap. 4.3.2) Affinitäten nicht nur zu anderen europäischen, aber nicht-romanischen, sondern sogar zu außereuropäischen Sprachen (cf. Koch 2008, 53). Trotzdem wird die Zugehörigkeit zur Romania continua bestätigt (cf. einschlägig Büchi 1998), weshalb gegenteilige Urteile eher als vorschnell zu gelten haben. Das Französische spiegelt aus dieser Sicht eine gesamteuropäische Entwicklung wider; interessant ist dabei die Feststellung, dass die zu beobachtende europäische Konvergenz ein kulturelles und soziales Phänomen darstellt, «das wahrscheinlich im Französischen des Hochmittelalters seinen Ausgangspunkt hatte und auf die Sprachen und Sprachstrukturen ausstrahlt» (Hinrichs et al. 2009, V). In dieser Entwicklung werden – auf linguistischer Ebene – die syntagmatischen Strukturprinzipien ausgebaut, ohne dass das Strukturgefälle zu einem radikalen Verlust der paradigmatischen Mittel führen würde (cf. die Beiträge in Hinrichs 2004a); die funktionelle Interdependenz der Teilbereiche (also die holistische Perspektive) darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden. Erst durch sie kann die typologische Perspektive ihren besonderen Beitrag zur Forschung wirklich zur Geltung bringen. Das Problem dabei ist die Erfassung der Untersuchungsgegenstände (Inhalte, Funktionen, Kategorien, deren Strukturen bzw. Formen und Verfahren) dergestalt, dass sie sich einheitlich beschreiben und (sprachtypologisch) interpretieren lassen; diesem eigenen Anspruch an Theorie und Methode habe ich in meiner Untersuchung des Französischen auf allen sprachlichen Ebenen, soweit mir möglich, Rechnung getragen. Das Englische diente dabei wiederholt als heuristische Hilfe, weil es den isolierenden Typus noch besser verkörpert als das Französische; daher habe ich beide Sprachen an verschiedenen Stellen (in synchronischer wie diachronischer Betrachtung) zueinander in Parallele gesetzt. Innerhalb eines «europäischen Sprachbundes» besitzt das Englische aufgrund seiner ubiquitären Präsenz in der Kommunikation einen besonderen Einfluss auf die anderen Sprachen: Über Lehnaktivität auf lexikalischer Ebene (Internationalismen) wie der Ebene der paragrammatischen Bildungsmuster wirkt der Sprachtyp, der sich im Englischen manifestiert, dominant mit Blick auf eine mögliche Unifizierungstendenz. Dieser dem Englischen zugrundeliegende Sprachtypus wiederum befördert zugleich die interlingual-mutuelle Fähigkeit zur Lehnaktivität. Innerhalb dieses europäischen Settings erweist sich das Englische erstaunlicher Weise (und dabei radikaler als die anderen Sprachen Europas, aber ähnlich wie das Französische innerhalb der Romania) als eigenwilliger «Bündnispartner»: Seine Entwicklung entspricht nicht gleichermaßen der Konvergenz im Rahmen des SAE (Standard Average European), wie dies beim Deutschen, Französischen und den norditalienischen Dialekten der Fall ist,
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die einen Kernbereich für eine solche Abgrenzung nach «Europäismen» repräsentieren.1 Das Englische bildet auf der Basis solcher Kriterien keinen typischen Vertreter der europäischen Sprachen (Has-pelmath/König 1999, 126). 3. Innerhalb solcher Fragestellungen richtet sich also der Blick verschärft auf die die (Indo)europäistik schon seit jeher beschäftigende Frage der Opposition Analyse-Synthese (zum Englischen siehe Siemund 2004; zum Slawischen Ohnheiser 2004).2 Neu in den Blick gelangen über solche Fokussierungen die Arealbzw. Kontaktlinguistik bzw. Sprachbunddiskussion, v.a. die Balkanforschung.3 Auf dem Hintergrund der Globalisierung in der Welt (Frage der Sprachverständigung) wird der Gegenstand eines sprachlichen Eurozentrismus bzw. einer Eurolinguistik4 (siehe den Eurolinguistischen Arbeitskreis/Eurolinguistic Association Mannheim, ELAMA) aber unweigerlich verstärkt in den Mittelpunkt rücken: als sprachpolitisches einschließlich sprachdidaktisches, gesellschaftliches und sprachkulturelles Phänomen. Mit Spannung werden sich demgemäß sprachliche Entwicklungen, die in der Folge erwartbar eintreten, dokumentieren lassen und ggf. neue Forschungslinien eröffnen. Der Beitrag der Studie zu diesem linguistischen Diskurs im Rahmen der Opposition «Analytismus-Synthetismus» europäischer Tragweite ist darin zu sehen, dass hier ein Verfahren der Typologisierung auf der Grundlage einer – soweit in beiden Systembereichen herstellbar – kohärenten Theoriebildung in Grammatik und Paragrammatik auf eine Einzelsprache exemplarisch angewandt wurde. Ein ganzsystemischer Anspruch wird dabei immer wieder die Frage der Einheitlichkeit der Theorie und deren Anwendung auf die Subsysteme aufwerfen.5
|| 1 Nach Haspelmath/König 1999 sind dies etwa: Syntax mentaler Präfixe: mich friert/ich friere; externe/interne Possessoren: Du gehst mir auf die Nerven/*Du gehst auf meine Nerven; Intensifikatoren und Reflexivpronomina; Negation und Negativpronomen; Opposition definiter – indefiniter Artikel; Akkusativität statt Ergativität; Koordination von Phrasentypen; Komplementierung mittels subjektlosen Infinitivs; Komparativbildung mittels Partikel u.a. (cf. Haspelmath 2001). 2 Ohnheiser (2004) wendet die Analytismus-Synthetismus-Debatte speziell – und darin eine erfreuliche Ausnahme – auf Wortbildungsphänomene (im Kontext slawischer Sprachen) an. 3 Cf. Skalička (1934) zu einer Charakteristik des eurasischen Sprachbundes; 1968d, 1972, 1974b: zur Typologie der Balkansprachen; 1968c: zum Problem des Donausprachbundes; [1958a]/1979: zur Typologie der slawischen Sprachen; 1975a, 1968a/1979: zur Typologie der finnisch-ugrischen Sprachen; 1935a: Studien zur mitteleuropäischen Phonologie. 4 Begriff nach Norbert Reiter; siehe Hinrichts et al. (2009). 5 Zur typologischen Theoriebildung und deren Problematik siehe Hinrichs (2004a).
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Dazu habe ich ein methodisches Vorgehen gewählt, das die Typen der Allgemeinen Typenlehre mit dem Ziel der typologischen Charakterisierung gleichsam wie Schablonen auf das Französische legt, und habe parallel die Abweichung des Französischen vom einzigen für die romanischen Sprachen bislang eruierten typologischen Prinzip untersucht, um abschließend für diese romanische Sprache eine Entwicklungstendenz im Rahmen der Parameter «Isolation» (als abstrakter Konstrukttyp) – unter Einbeziehung der anderen kopräsenten Konstrukttypen – und «Ausbau der syntagmatischen Achse» (diachronische Fortsetzung des «romanischen Prinzips») in Abgleich mit dem Englischen zu formulieren. Ziel war also, die Allgemeine Typenlehre mit prinzipieller Anwendungsmöglichkeit auf alle Sprachen und die engere romanistische Perspektive bzw. die einzelsprachliche Typologisierung aufeinander zu beziehen. Zu bedenken galt und gilt es dabei, dass zum einen solche abstrakten Raster Ideale darstellen, die mehr oder weniger approximativ erreicht werden, und dass zum anderen die Mischung der kopräsenten Typen, deren organisches Zusammenspiel, den Einzeltypus ausmacht. Hinrichs (2004b, 24) sieht einen vielversprechenden Weg für zukünftige eurolinguistisch-typologisch zentrierte Projekte darin, «aus den in den Sprachen angewandten Konstruktionstechniken eine abstrakte Basistypologie zu extrapolieren und dann zu sehen, wie diese in Sprache X realisiert ist» (cf. dazu das Modell nach Bossong 20046). In dieser Untersuchung habe ich ein mehrper|| 6 Das Modell nach Bossong (2004) soll knapp skizziert werden, ist es doch ein schöner Beleg für die andauernde Leistungsfähigkeit der klassischen Tradition, die Potenzial für den Entwurf innovativer Modelle in sich trägt. Bossong greift grob auf zwei komplementäre Traditionsstränge zurück: Zum einen auf die «Fusionstypologie» Schlegelscher Prägung: sie erlaubt, Sprachen gemäß ihrem Fusionsgrad (totale Analyse vs. totale Synthese bzw. mit Zwischenstufe nach der Humboldt’schen Tradition: Isolation – Agglutination – Flexion) typologisch auf einer «Fusionsskala» (mit freien – verbundenen – verschmolzenen Formen) zu situieren. Zum anderen stützt sich Bossongs Ansatz auf die Greenbergsche Richtung der «Positionstypologie», von der er den zweiten dichotomischen Parameter der Prä- und Postposition (Verhältnis Grammem zu Lexem) ableitet. Die Marker grammatischer Relationen (traditionell Kasusendungen und Adpositionen) werden mit Konzentration auf den nominalen Bereich hinsichtlich ihres Fusionsgrades (morphologische Uniformität: einheitlicher Fusionsgrad vs. morphologische Bi- bzw. Pluriformität: zwei oder mehr Abstufungen) und ihrer relativen syntagmatischen Stellung zum Lexem bestimmt (positionelle Uniformität: nur Prä- oder nur Postposition vs. positionelle Biformität: Prä- und Postposition) und in Verhältnis zueinander gesetzt. Die konkret untersuchten «grammatischen Relationen» umfassen aktantielle (AGENS, PATIENS, BENFAKTIV) und zirkumstantielle (LOKATIV, DIREKTIONAL oder TERMINATIV). Das Lateinische verfügt danach über analytische Präpositionen in Kombination mit synthetischen Kasusendungen und lässt sich als total biform einordnen; die romanischen Sprachen sind in ihrer Entwicklung am Pol der totalen (positionellen wie morphologischen) Uniformität angelangt: nominale grammatische
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spektivisches Modell vorgestellt, in dem typologisch Allgemeines und Spezifisches, Grammatik und Paragrammatik differenziert und zugleich zusammengeführt werden. Die klassischen Typuskonzepte als korrelative Cluster interdependenter morphosyntaktischer Merkmale bilden ein theoretisches Konstrukt, das m.E. eine große Anwendungsplausibilität besitzt und daher geeignet sein kann, die typologische Perspektive auch auf andere Sprachkreise (erst recht im Rahmen der europäischen Sprachen) auszudehnen. Einzig die Paragrammatik sollte nicht – wie schon in der klassischen Typologie – weiterhin auf Kosten der grammatischen Relationen vernachlässigt werden.
|| Relatoren rekrutieren sich ausschließlich aus der Gruppe der in sich analytischen Präpositionen (agglutinierende oder synthetische Numerusendungen werden nicht untersucht). Insgesamt wird für das Indogermanische ein Wandel konstatiert von einem «älteren» Typus, dem die Sprachen Latein, Altfranzösisch und Rumänisch angehören, hin zu einem «neueren» Typus des Indogermanischen, der u.a. die germanischen Sprachen (Englisch, Festlandskandinavisch) und die heutigen romanischen Sprachen (inklusive des Sardischen, exklusive des Rumänischen) umfasst und sich in einem morphosyntaktischen Umbau manifestiert: morphologische Umstrukturierung von der Synthetizität zur Analytizität und positioneller Strukturwandel vom «linksverzweigenden» zum «rechtsverzweigenden» Typus (also von SOV zu SVO bzw. VSO).
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16 Anhang
GRAMMAIRE FRANÇOISE, Par Monsieur l’Abbé V A L L A R T .
A PARIS, Chez DESAINT & SAILLANT, rue S. Jean de Beauvais. _______________________________ MDCCXLIV. Avec Approbation & Privilège du Roy.
https://doi.org/10.1515/9783110693966-016
790 | Anhang
vij [...] Non seulement les Auteurs de
Anhang | 791
[…] 235
236 Tous ces temps simples, composez & surcomposez. Je commence par les temps simples. […] 241
792 | Anhang
Expression du sexe chez l’homme À marquer d’une croix celle des deux expressions qui vous semble plus acceptable que l’autre FEMME X
X FEMME
professeur
femme professeur
professeur femme
instituteur
femme instituteur
instituteur femme
médecin
femme médecin
médecin femme
ingénieur
femme ingénieur
ingénieur femme
Estimez-vous que le groupe nominal femme professeur égale plutôt à ‘femme qui est professeur’ ou à ‘professeur qui est une femme’, et, pareillement, considériez-vous la construction professeur femme plutôt comme étant identique à ‘professeur qui est une femme’ ou à ‘femme qui est professeur’ ? femme professeur professeur femme
‘femme qui est professeur’ ‘professeur qui est une femme’ FEMME X
‘professeur qui est une femme’ ‘femme qui est professeur’ X FEMME
Noms de profession se terminant en -e acrobate
femme acrobate
acrobate femme
arbitre
femme arbitre
arbitre femme
architecte
femme architecte
architecte femme
artiste
femme artiste
artiste femme
bibliothécaire
femme bibliothécaire
bibliothécaire femme
capitaine
femme capitaine
capitaine femme
chimiste
femme chimiste
chimiste femme
cinéaste
femme cinéaste
cinéaste femme
comparse
femme comparse
comparse femme
concierge
femme concierge
concierge femme
copiste
femme copiste
copiste femme
cycliste
femme cycliste
cycliste femme
dentiste
femme dentiste
dentiste femme
fonctionnaire
femme fonctionnaire
fonctionnaire femme
Anhang | 793
FEMME X
X FEMME
guide
femme guide
guide femme
interprète
femme interprète
interprète femme
journaliste
femme journaliste
journaliste femme
libraire
femme libraire
libraire femme
philosophe
femme philosophe
philosophe femme
photographe
femme photographe
photographe femme
pianiste
femme pianiste
pianiste femme
secrétaire
femme secrétaire
secrétaire femme
violoniste
femme violoniste
violoniste femme
« Noms épicènes » (qui n’ont qu’un genre, quel que soit le sexe désigné) apôtre
femme apôtre
apôtre femme
armateur
femme armateur
armateur femme
artilleur
femme artilleur
artilleur femme
auteur
femme auteur
auteur femme
bâtonnier
femme bâtonnier
bâtonnier femme
bourreau
femme bourreau
bourreau femme
cadre
femme cadre
cadre femme
censeur
femme censeur
censeur femme
charlatan
femme charlatan
charlatan femme
chef
femme chef
chef femme
clerc
femme clerc
clerc femme
courrier
femme courrier
courrier femme
diplomate
femme diplomate
diplomate femme
écrivain
femme écrivain
écrivain femme
expert
femme expert
expert femme
fantassin
femme fantassin
fantassin femme
faux-monnayeur
femme faux-monnayeur
faux-monnayeur femme
fossoyeur
femme fossoyeur
fossoyeur femme
géomètre
femme géomètre
géomètre femme
794 | Anhang
FEMME X
X FEMME
grand couturier
femme grand couturier
grand couturier femme
imprimeur
femme imprimeur
imprimeur femme
ingénieur
femme ingénieur
ingénieur emme
juge
femme juge
juge femme
juré
femme juré
juré femme
littérateur
femme littérateur
littérateur femme
magistrat
femme magistrat
magistrat femme
maquignon
femme maquignon
maquignon femme
médecin
femme médecin
médecin femme
ministre
femme ministre
ministre femme
oiseleur
femme oiseleur
oiseleur femme
peintre
femme peintre
peintre femme
pilote
femme pilote
pilote femme
plombier
femme plombier
plombier femme
professeur
femme professeur
professeur femme
reporter
femme reporter
reporter femme
rhéteur
femme rhéteur
rhéteur femme
sculpteur
femme sculpteur
sculpteur femme
serrurier
femme serrurier
serrurier femme
terrassier
femme terrassier
terrassier femme
tirailleur
femme tirailleur
tirailleur femme
Lesquelles des constructions mentionnées ci-dessous jugez-vous comme acceptables et lesquelles comme ne l’étant pas? (Cochez, s’il vous plaît.)
ami enfant héritier
X FEMME (FILLE)/X HOMME (GARÇON)
X FEMELLE/X MÂLE
amie femme/amie fille ami homme/ami garçon enfant fille enfant garçon
amie femelle ami mâle enfant femelle enfant mâle
héritier femme/héritier fille héritier homme/héritier garçon
héritier femelle héritier mâle
Anhang | 795
Les Nuées Sokrates1. Mais il y a d’abord, avant cela, beaucoup d’autres choses à apprendre: ainsi, parmi les quadrupèdes, quels sont vraiment les mâles? Strepsiades. Mais je connais les mâles, si j’ai bien ma tête; bélier, bouc, taureau, chien, coq. Sokrates. Vois-tu ce qui t’arrive? Tu donnes le nom de «coq» aussi bien à la femelle qu’au mâle. Strepsiades. Comment donc? Voyons! Sokrates. Comment? Un coq et une coq. Strepsiades. Par Poseidon! Mais de quel nom veux-tu que je l’appelle? Sokrates. «Femelle du coq» et l’autre «coq». Strepsiades. «Femelle du coq»! Par l’air! Voilà qui est bien. Pour cette leçon seule, je remplirais de farine d’orge, jusqu’aux bords, ton auge à pétrir. Sokrates. Autre faute! Tu donnes la qualité de mâle à un être femelle. Strepsiades. Comment, en la désignant, fais-je de l’auge un mâle? Sokrates. Absolument comme quand tu dis «Kléonymos». Strepsiades. Comment cela? Dis-le-moi. Sokrates. Parce que «auge» (κάρδοπος) et «Kléonymos» sont du même genre. Strepsiades. Mais, mon bon, Kléonymos n’avait pas d’auge à pétrir: il se servait d’un mortier rond. Enfin, comment dire? Sokrates. Comment?«La auge», comme tu dirais «la Sostrata». Strepsiades. «La auge» au féminin?
|| 1 https://fr.wikisource.org/wiki/Les_Nu%C3%A9es_(trad._Eug%C3%A8ne_Talbot), ab Z. 192ss.
796 | Anhang
Sokrates. C’est bien dit. Strepsiades. C’est cela même: «la auge» (καρδόπη) comme «la Cléonymè». Sokrates. Maintenant il faut que tu apprennes à distinguer les noms propres masculins des féminins. Strepsiades. Mais je connais des noms féminins. Sokrates. Dis. Strepsiades. Lysilla, Philinna, Clitagora, Dèmètria. Sokrates. Et des noms masculins? Strepsiades. Dix mille: Philoxénos, Mélèsias, Amynias. Sokrates. Mais, malheureux! Ce ne sont pas là des noms d’hommes. Strepsiades. Comment! Pas des noms d’hommes? Sokrates. Pas du tout. Comment, si cela se rencontrait, appellerais-tu Amynias? Strepsiades. Comment? «Ohé, dirais-je, ici, ici, Amynia!» Sokrates. Vois-tu? Tu appelles Amynias «Amynia», d’un nom de femme! Strepsiades. Aussi ai-je raison, puisqu’ «elle» ne va pas à l’armée. Mais à quoi sert d’apprendre ce que nous savons tous? Sokrates. À rien, par Zeus! Mais couche-toi là. Strepsiades. Pourquoi faire? Sokrates. Songe un peu à tes affaires. Strepsiades. Ah! Je t’en prie, pas là. S’il le faut, laisse-moi m’étendre par terre pour rêver à tout cela. Sokrates. Cela ne se peut pas autrement.
17 Register 17.1 Sprachenregister Abkhaz 352 Adygheisch 185 Agta 476 Albanisch 599 Algonkin-Fox 126 Altaisch 110 – Ural-Altaisch 109 Amerindisch 126, 127, 352 Annamitisch (s. a. Vietnamesisch) 75 Arabisch 113, 128, 413, 480, 520, 551, 737, 741, 743 Armenisch 109 Awarisch 244 Aztekisch – Uto-Aztekisch (s. a. Nahuatl) 163 Bantusprachen 93, 109, 111, 127, 274, 341, 358 Baskisch 56, 109, 185 Berbersprachen 113 Bretonisch 29, 93 Britannisch 93 Bündnerromanisch 27, 186, 624, 625 Burushaski 185, 352 Chinesisch 3, 24, 31, 32, 39, 57, 75, 76–81, 83–86, 97, 98, 105, 106, 115, 118, 120, 122, 123, 126, 127, 152, 175, 176, 183, 274, 387, 411–414, 476, 714, 721, 726, 732, 735, 739 – Altchinesisch 57 Chinook 189, 352 Cornisch (s. Britannisch) 93 Dänisch 142, 667 Deutsch 26–29, 32, 35, 54, 69, 70, 72–74, 81, 87, 107, 112–114, 124, 127, 140, 142, 167–170, 174, 175, 178, 180, 181, 184, 186, 193, 204, 207, 209, 217, 219, 221, 222, 225, 231, 242, 255, 258, 269–271, 273, 275, 277, 289, 292, 301, 321, 333,
https://doi.org/10.1515/9783110693966-017
337, 341, 342, 366, 377, 378, 403, 412, 416, 418, 421, 423–426, 430, 445, 446, 462, 464, 494, 523–525, 538, 550, 555, 564, 573, 582, 583, 587, 589, 599, 603, 609, 641, 642, 650, 656, 666, 671, 674, 675, 682, 683, 686, 688, 716, 717, 722, 723, 729, 730, 732, 734–736, 741, 742 Dravidisch 352 Englisch VIII, 1, 3, 4, 10, 12, 24, 29, 31, 35, 37, 40, 51, 63, 68, 71, 78, 82,87, 92, 105–107, 112, 115–117, 120, 122–124, 128, 129, 134–143, 152, 164, 167–170, 174–176, 180–184, 189, 190, 203, 223, 224, 228, 237, 243, 247, 255, 269, 271, 283–289, 294, 320, 321, 323, 331, 334, 338, 342, 352, 360, 364, 366, 372, 380, 388, 390, 391, 393, 394, 397, 398, 401, 403, 406, 412, 414, 418, 422, 423, 425, 429, 431, 466, 467, 470, 472, 478, 507, 517, 521, 522, 527, 548, 549, 553, 567, 589, 599, 608–610, 635, 640, 645, 666, 669–673, 675–681, 702, 704, 705, 713– 716, 721, 723, 726, 728–733, 735–737, 743, 745–748 – Altenglisch 134–136, 138, 141, 170, 175, 182; 183, 321, 342, 358, 391, 422, 517, 676, 703 – Frühneuenglisch 676 – Mittelenglisch 135, 140, 141, 342, 517, 676, 742 – neuseeländisches Englisch 391 Eskimo 109, 126, 352, 362, 383 – Eskimo-Aleutisch 126 Ewe 477 Finnisch 10, 109, 110, 117, 125, 520, 525, 711, 721, 735 Finno-Ugrisch 125, 171, 352, 572, 746 Frankoprovenzalisch 613, 616, 619, 624, 625
798 | Register
Französisch – Altfranzösisch 2, 28, 32, 106, 197, 295, 313, 320, 321, 326, 332, 334, 346, 340, 363, 397, 401, 431, 433, 440, 447, 451, 452, 454–456, 461, 465, 466, 470, 488, 495, 517, 565, 575, 579, 600, 601, 606, 607, 668, 683, 699, 707, 708, 710, 748 – Mittelfranzösisch 12, 68, 137, 159, 295, 400, 440, 452, 454–457, 606, 662, 699, 708, 712, 739 – Neufranzösisch 2, 32, 36, 160, 332, 334, 392, 452, 456, 462, 465, 468, 567, 662, 708 – Standardfranzösisch 186, 191, 333, 515, 607, 609, 613, 614, 621, 622, 625, 626 Friaulisch 624, 625 Gälisch 93 Georgisch 15, 109, 185, 352 Germanisch 21, 35, 72, 89, 112, 113, 141, 168, 182, 237, 284, 321, 380, 406, 476, 485, 494, 497, 517, 539, 547, 669, 707, 741, 742, 748 Gilyak 352 Gotisch 102, 476, 742, 600 Griechisch 10, 56, 92, 102, 163, 171, 184, 277, 290, 335, 341, 347, 351, 363, 376, 380, 427, 435, 476, 485, 490, 494, 497, 520, 548, 549, 551, 553–555, 628, 643, 648, 668, 672, 677, 682, 691–694, 718 – Altgriechisch 5, 14, 15, 24, 28, 56, 66, 68, 69, 150, 162, 166, 169, 170, 172, 173, 175, 176, 178, 179, 183, 184, 380, 553, 566, 672, 673, 683, 724 – Neugriechisch 352, 599 Hausa 421 Hawaiisch 105 Hottentottisch 477 Igbo-Nigerianisch 735 Indoarisch → Sanskrit Indoeuropäisch 12, 27,76, 79, 81, 85, 102, 110, 136, 171, 185, 244, 342, 352, 358, 621, 726, 744
Indogermanisch 29, 62, 89, 111, 183, 185, 244, 333, 424, 476, 690, 708, 710, 741, 742, 748 – Ostindogermanisch 109 Indonesisch 109, 126 Irisch 93, 102 Italienisch 10, 27, 35, 42, 64, 71, 72, 130, 142, 149, 151, 155, 156, 159, 173, 174, 184, 185, 217, 267, 269, 288, 290–292, 302, 312 320, 324, 337, 339, 346, 374, 382, 400, 406, 415, 431, 462, 463, 464–466, 469, 473, 474, 478, 482, 483, 488, 489, 491, 494, 496–499, 507, 529, 530, 557, 558– 561, 563, 564, 567–569, 571, 573, 575, 577, 578, 580, 589, 599, 624, 625, 627, 629, 647, 648, 656, 663, 669, 675, 683– 686, 688, 690, 691, 694, 728, 729 – Oberitalienisch 624, 625 – Süditalienisch 31, 186 Italisch 744 Japanisch 15, 109, 172, 244, 735 Katalanisch 72, 76, 179, 230, 300, 387, 462, 483, 491, 494, 497, 498, 563, 564, 566, 567–569, 571, 575, 577, 580, 624, 625, 627–629, 694 Kaukasisch 185, 244, 352 Kawi 103 Keltisch 93, 113, 465 Khmer 667 Kihehe 476 Koreanisch 352 Korsisch 31 Kwakiutl 477 Ladinisch 624, 625 Laotisch 75 Latein 2–4, 8, 12, 13, 17, 20, 23, 24, 26–28, 37, 42, 49, 53, 56, 59–66, 68, 70, 71, 78, 87, 91, 92, 95, 96, 102, 107, 111, 124, 127, 128, 135, 140, 141, 152, 153, 155, 156, 158, 159, 160, 170, 171, 176, 179, 188, 189, 191, 197, 217, 234, 244, 247, 266, 269, 272, 284, 287, 290, 293–296, 303, 306, 311, 313, 314, 317, 319–322,
Sprachenregister | 799
329, 331, 332, 335–340, 341, 351, 358, 363, 367, 369, 376, 379, 380, 399–402, 405, 410, 415, 416, 420, 426, 427, 447, 451, 452, 462, 465, 468, 476, 483, 485, 486, 488, 490, 493–495, 497, 500, 501, 507, 508, 510, 529, 531, 538, 549, 550, 552, 557, 566, 618, 627, 628, 630–632, 639, 647, 648, 656, 662–664, 668, 676, 677, 684, 690–696, 702, 703, 705–709, 714–718, 721, 726–728, 730, 734, 739, 741, 742, 744, 747, 748 – Altlatein 63 – klassisches Latein 153–157, 160, 290, 332–334, 340, 452, 707 – Mittellatein 631, 663 – Spätlatein 334, 337, 340, 451 – Vulgärlatein 152–157, 159, 160, 332, 340, 363, 364, 369, 387, 452, 629, 663, 744 Litauisch 352 Mari (s. a. Uralisch) 108 Mexikanisch 163, 164, 187 Nahuatl (s. a. Aztekisch) 125, 163, 164, 186, 187, 189 Nenzisch 185 Niederländisch 168, 174 Niger-Kongo-Familie 75 Okzitanisch 462, 483, 491, 563, 567, 569, 571, 573, 575, 577, 616, 624, 625, 627 Ostiak 352 Portugiesisch 72, 151, 156, 159, 464, 474, 483, 491, 494, 496–498, 543, 544, 557, 559, 560, 563, 564, 566–570, 573, 574, 576–579, 581, 599, 601, 624–626, 628, 629, 684, 694, 729 Quileute 476 Romanisch VII, VIII, 1, 2, 4, 6–17, 21–23, 25– 28, 32, 35, 37, 59, 66, 69, 71, 72, 80, 87, 99, 110, 124, 129, 130, 138, 141, 142, 151–160, 167, 174, 179, 183–186, 217, 219, 229, 230, 237, 239, 262, 267, 268,
272, 273, 284, 285, 288–290, 292, 294, 320, 323, 329, 331, 338, 367, 380, 410, 417, 426, 450–452, 457, 462, 463, 470, 474, 480, 482, 483, 485, 488, 489, 494–497, 499, 502, 528–530, 537–543, 547–550, 553, 555–558, 561–581, 588, 593–595, 597, 618, 623–628, 637, 647, 648, 662–664, 667, 668, 676–678, 683, 684, 687, 691–697, 702, 703, 705, 707, 712, 714–716, 718, 728, 732, 740, 744, 745, 747, 748 – Bündnerromanisch (s. a. Rätoromanisch) 186, 624, 625 – Galloromanisch 179, 323, 452, 494, 620, 624, 625 – Iberoromanisch 179, 574, 577, 607, 624, 625, 628 – Italoromanisch 494, 624, 625 – Ostromanisch 577, 624, 625 – Rätoromanisch (s. a. Bündnerromanisch) 130, 569, 571, 573, 575, 624, 625 – Südromanisch 159, 729 – Westromanisch 530 Rumänisch 10, 14, 27, 28, 72, 130, 137, 151, 152, 155, 157, 159, 185, 186, 290, 320, 339, 374, 406, 415, 462, 483, 488, 494, 497, 498, 530, 553, 557–560, 563, 567, 569, 571, 573, 575, 577, 587, 599, 623– 625, 627, 629, 677, 694, 714, 744, 748 Russisch 117, 321, 421, 425, 426, 523, 524, 527, 549, 550, 551, 554, 555, 562, 563, 735 Sanskrit 28, 92, 96, 102, 352, 476, 683, 726 Sardisch 137, 186, 567, 575, 639, 748 Schottisch → Gälisch Schwedisch 168, 174, 425, 599, 735 Semitisch 29, 112, 113, 128, 352, 741 – Hamito-Semitisch 113, 125 Siamesisch 75 Sibirisch – Paläosibirisch (s. a. Tschuktschisch) 125 Sizilianisch 599 Slawisch 15, 29, 35, 111, 124, 171, 201, 290, 521, 523, 524, 528, 537, 547, 548, 553, 554, 562, 565, 587, 588, 713, 746
800 | Register
Somali 477 Spanisch 3, 10, 41, 49, 50, 59–64, 68, 70– 72, 81, 117, 123, 132, 148, 151, 152, 155– 157, 159, 174, 179, 186, 218–221, 230, 232, 234, 236, 255, 257, 259–261, 266, 268–270, 272, 290, 291, 295, 296, 300, 301, 320, 322, 326, 337–340, 346, 394, 403, 405, 407–410, 415–417, 453, 458– 464, 466, 473, 474, 477, 480, 481, 483, 484, 491, 494, 497, 498, 500, 501, 528– 530, 548, 551, 557–561, 563, 564, 566– 571, 573, 575–581, 583, 586, 589, 598, 599, 601, 624, 625, 627–629, 656, 657, 666, 669, 684, 686, 688, 690, 694, 704, 728, 729, 735 Suaheli 32, 90, 93, 358, 721, 735 Surselvisch (s. a. Bündnerromanisch) 27, 567, 569 Takelma 125 Tamil 476 Thai 75, 476 Tschechisch 5, 18, 28, 127, 200, 203, 207, 286, 358, 676, 721, 723, 733 Tschekessisch 352 Tschuktschisch (s. a. Paläosibirisch) 125, 126, 182 Türkisch 32, 56, 109, 110, 117, 352, 413, 520, 721 Twi 476 Tzeltal 735 Ungarisch 10, 32, 56, 107–109, 125, 163, 171, 185, 294, 352, 413, 721, 723, 735 Ural-Altaisch → Altaisch Uralisch 108, 109, 185 Uto-Aztekisch → Aztekisch Vietnamesisch 75, 115, 118 Walisisch 93, 108 – Walisisch-Romani 108 Wallonisch 509, 608, 614, 621 Woleaianisch 421 Yami 476 Yoruba 75, 115, 476
Sachregister | 801
17.2 Sachregister absolute Hypostase (s. elliptische Hypostase; s. a. Entwicklung; s. a. Transposition) 277, 278, 298 Abstraktheit (s. Expressivität) 8, 91, 148, 350, 722, 730, 731, 733, 734 Adjektivnominalisierung 298, 299 Adposition (s. Postposition; s. Präposition) 11, 747 Adverbialisierung 317, 633 Äquivalent 44, 65, 196, 208, 214–216, 224, 226, 234, 270, 273, 276, 279, 280, 303, 433, 488, 501, 564, 608, 674, 718, 723, 730, 734 äußere (syntagmatische) materielle Bestimmungen (s. innere (paradigmatische) materielle Bestimmungen; s. a. äußere (relationelle) Funktionen; s. a. innere (nicht-relationelle) Funktionen) 98, 151, 152, 153 (s. auch 268, 597) äußere (relationelle) Funktionen (s. a. innere (nicht-relationelle) Funktionen) 153, 160, 213, 268, 470, 597, 598 Affigierung (s. Infigierung; s. Präfigierung; s. Suffigierung; s. Transfigierung; s. a. Endung; s. a. Flexion) 82, 88, 110, 112, 124–126, 475, 479 Affix (s. a. affixale Komposition; s. Infix; s. Suffix) 23, 26, 28, 30, 52, 54, 80, 86, 87, 89, 92, 106, 107, 109, 113, 115, 122, 125, 126, 129, 135, 144, 165, 188, 272, 284, 288, 403, 405, 415, 474, 475, 636, 687, 700, 706, 712 affixale Komposition 84 Agens (s. Patiens) 16, 19, 42, 155, 164, 234, 243, 245–247, 249, 253, 255–260, 308, 520, 523, 565, 579, 608, 641, 643–646, 652, 680, 684, 688, 737, 747 Agglutination 12, 30, 91, 93, 95, 96, 106, 107, 108, 110, 113, 116, 117, 118, 120, 122, 124, 125, 126, 127, 129, 207, 274, 325, 365, 392, 405, 416, 505, 675, 678, 703, 705, 712, 747 agglutinierend 3, 6, 7, 12, 21, 24, 30, 32, 56, 79, 86, 91, 92, 94, 99, 101–110, 117, 118,
121, 122, 125–128, 132, 133, 264, 265, 336, 364, 390, 392, 393, 404, 405, 413, 414, 416, 427, 430, 458, 481, 505, 525, 552, 612, 674, 677, 700, 721, 748 aktuell (s. mit Funktion im Satz; s. Entwicklung/Transposition; s. a. inaktuell/nichtaktuell; s. a. virtuell; s. a. ohne Funktion im Satz; s. a. Modifizierung) 41, 49, 70, 74, 88, 89, 142, 153, 154, 160, 173, 213, 221, 224, 233, 235, 264–269, 271, 315, 316, 324, 331, 339, 417, 499, 539–543, 545, 547, 554–557, 597, 598, 612, 626, 637, 642 allativ (s. Illativ; s. Elativ (räumlich)) 595, 596, 618 Allgemeine Typenlehre 1, 8, 14, 16, 55, 747 Alltagswortschatz 421 Analogie (s. offene Analogie) 140, 153, 155, 186, 187, 228, 229, 242, 257, 282, 285, 286–288, 291, 319, 325, 339, 340, 342, 346, 370, 389, 400, 413, 431, 493, 514, 516, 557, 605, 606, 621, 671, 685, 689, 716, 741 Analyse (s. Synthese) 12, 13, 97, 98, 119, 120, 123, 135, 155, 235, 265, 500, 611, 613, 616, 626, 672, 746, 747 analytisch (s. synthetisch) 3, 7, 9, 12, 13, 30, 63, 92, 97, 98, 101, 105, 110, 116, 117, 119, 122, 123, 130, 132, 134, 136, 137, 139, 140, 144, 152, 170, 214, 265, 404, 470, 480, 606, 613, 616, 622, 660, 665, 666, 672, 674, 677, 714, 733, 739, 744, 747, 748 Antitaxe (s. Hypertaxe; s. Hypotaxe; s. Parataxe) 69, 70 Approximation 6, 29, 102, 105, 128, 331, 351, 375, 462, 493, 494, 501, 514, 680, 706 arbitraire 354, 636, 716, 725, 726, 728, 732 Arbitrarität 8, 724, 730, 733, 739 Aspekt (s. Modus; s. Tempus) 6, 7, 11, 14, 41, 45, 110, 126, 137, 138, 154, 161, 176, 199, 262, 268, 273, 305, 306, 307, 331, 464, 476, 476, 496, 499, 501, 520–640, 641, 647, 724
802 | Register
aspektiv 262, 476, 496, 535, 536, 539, 547– 549, 551–565, 571, 572, 577, 579, 581, 587, 588, 589, 591, 593–596, 601, 602, 604, 606, 607, 610, 615, 617–619, 622, 626, 627 aspektive Stufensysteme 552 Aspekttypologie 549, 550 aspektuell 7, 138, 268, 307, 523, 526, 586, 587, 621, 628 assertiv (s. imperativ; s. interrogativ; s. optativ) 41, 46, 534 atelisch (s. telisch; s. nicht-telisch) 524 aterminativ (s. terminativ; s. cessativ; s. nicht-cessativ) 523, 593 Attribut 21, 49, 61, 77, 78, 82, 109, 165, 217, 219, 221, 232, 234, 236, 238, 243, 247, 271, 272, 295, 305, 308, 318, 364, 365, 366, 369, 371, 372, 374, 376, 378, 383, 396, 399, 406, 426, 436, 439, 481, 648, 657, 661–663, 670, 688, 691, 696, 698, 701, 705, 706, 709, 712, 720, 727 Attributtransposition (s. Relationsadjektiv; s. Relationsadjektivbildung) 7, 29, 215, 291, 324, 410, 661–663, 671 Augmentativ (s. Diminutiv) 126, 206, 330, 358, 485 Augmentativbildung (s. Diminutivbildung) 6, 159, 170, 269, 331, 461, 462, 482, 483, 501, 610, 680, 729, Auxiliar (s. Semiauxiliar) 113, 129, 137, 531, 582, 583, 585, 595, 596, 604, 618, 637, 639, 642, 644, 645, 701, 705 Basisdominante (s. dominante sémantique; s. Typusdominante) 3, 24, 120, 122, 127, 128, 551, 673 Bestimmungen → paradigmatisch vs. syntagmatisch; → implizit vs. explizit; → innere vs. äußere (materielle Bestimmungen); → nicht-relationell vs. relationell; → inaktuell/nicht-aktuell/virtuell vs. aktuell; → in absentia vs. in praesentia; → ohne Funktion im Satz vs. mit Funktion im Satz
cessativ (s. nicht-cessativ; s. a. aterminativ; s. a. terminativ; s. a. nicht-terminativ) 564, 565, 579, 587, 594, 604, 619 chaîne parlée 50, 64, 113, 151, 298, 500 construcción inmediata (s. construcción mediata) 584, 585 construcción mediata (s. construcción inmediata) 574, 585 coupe-papier 87, 184, 219, 231, 682, 685, 686, 689–691, 696, 707, 712, 713 coup de 458–461, 473, 500, 657, 667 deiktisch 155, 161, 323, 478, 537, 538, 543 délocutif 319, 320, 322, 323, 472 Derivation (s. dérivation régressive; s. dérivation inverse; s. Rückableitung) 28, 29, 32, 86, 90, 94, 104, 122, 125–129, 135, 142, 143, 159, 168–170, 172, 200, 206, 207, 209, 230, 237, 263, 265, 279, 281, 283–285, 292, 294, 303, 312, 321, 361, 475, 477, 550, 551, 555, 609, 612, 668, 672, 674–677, 687, 688, 711, 717, 718, 721, 726, 728, 729, 731 dérivation inverse 294 dérivation régressive 281, 284, 294 Determinans (s. Determinatum) 69, 83, 124, 204, 206, 218, 220, 222, 227, 228, 232, 246, 271, 325, 337, 376, 380, 381, 383, 665, 692, 696–698, 710, 713, 740 Determinatum (s. Determinans) 69, 83, 157, 177, 182, 183, 204, 206, 218, 219, 220, 221, 222, 227, 228, 232, 239, 246, 271, 272, 285, 325, 327, 376, 380, 381, 383, 388–390, 672, 685, 687, 688, 692, 696–698, 708, 710, 713, 740 Diachronie (s. Synchronie) VII, 17, 23, 32, 118, 133, 149, 150, 151, 199, 462, 691, 696, 714 diachronisch (s. synchronisch) 2, 4, 10, 11, 17, 27–29, 32, 33, 53, 68, 107, 118, 127, 133, 134, 136, 139, 143, 167, 228, 290, 292, 310, 312, 339, 426, 454, 463, 482, 495, 534, 542, 699, 706, 728, 745, 747 Diathese (s. Vox) 14, 110, 133, 172, 260, 273, 316, 411, 520, 527, 564, 580, 613, 641– 643, 680
Sachregister | 803
diatopisch (s. a. Variation; s. a. Varietät) 33, 615, 624, 625 Diminutiv 6, 31, 32, 159, 170, 206, 288, 330, 358, 369, 387, 444, 449, 460, 462, 463, 464, 467, 469, 470, 473, 474, 477, 500, 563, 628 Diminutivierung (s. Diminutivbildung) 14, 29, 351, 387, 457, 461–466, 470, 476, 477, 479–484, 494, 499, 500, 612, 628 Diminutivbildung (s. Diminutivierung) 32, 161, 170, 269, 331, 403, 451, 461, 462, 464, 466, 467, 480, 484, 500, 501, 610, 680, 729 Dissoziation (s. a. Suppletion) 8, 55, 124, 129, 142, 143, 632, 714, 715, 739, 743 DNA (= denominale Nomina agentis) 19, 217, 218, 225, 231, 236, 241, 249, 250, 252, 255–260, 270, 278, 309, 311, 314, 316, 366, 388, 389, 589, 669, 690, 694 dominante sémantique (s. Basisdominante; s. Typusdominante) 724–726 durativ (s. nicht-durativ; s. perdurativ) 476, 523, 524, 525, 526, 554, 562, 589, 601, 628 egressiv (s. ingressiv) 522, 558, 559, 561, 572, 577, 602, 603, 607 Eigenname (s. Gattungsname) 6, 31, 61, 132, 344, 362, 387, 393, 439, 447, 480, 486, 514, 515, 517, 671, 683 Elativ (räumlich; s. allativ; s. Illativ) 28, 29, 109, 131, 156, 486, 488, 492, 572 elliptische Hypostase (s. absolute Hypostase; s. a. Entwicklung; s. a. Transposition) 277, 278, 309 Endung (s. a. Affigierung; s. a. Flexion) 26, 29–31, 41, 49, 56, 57, 63, 77, 79, 86, 87, 89, 90, 93, 96, 100, 106, 109, 111, 112, 115, 117, 118, 119, 127, 129, 131, 140, 141, 184, 188, 189, 191, 275, 286, 288, 292, 304, 312, 314, 323, 332, 333, 339, 341, 342, 348, 362, 365, 368, 369, 371, 372, 373, 405, 406, 411, 415, 416, 430, 445, 500, 504, 505, 517, 526, 531, 535, 551, 557, 606, 651, 676, 677, 684, 700, 720, 747, 748 engynomisch 32, 734, 735, 737
Entwicklung (s. Transposition; s. Hypostase) 21, 27, 31, 88, 89, 124, 202, 207, 215, 229, 236, 237, 241, 242, 243, 245, 260, 264, 265, 266, 269, 270, 288, 293, 294, 317, 323, 325, 326, 327, 458, 483, 485, 491, 502, 605, 611, 612, 628, 634, 635, 636, 648, 649, 650, 652, 654, 655, 656, 660, 661, 662, 663, 680 Eurolinguistik 8, 744, 746 Evidenz (s. Status; s. Taxis) 3, 28, 122, 423, 528, 530, 642 explizit (explizite grammatische Funktion; s. implizite grammatische Funktion) 45, 266, 267, 499 explizite Transposition (s. implizite Transposition; s. lexikalische Transposition; s. syntagmatische Transposition; s. syntaktische Transposition; s. a. Entwicklung; s. a. Hypostase) 280, 282 Expressivität (s. Abstraktheit) 722, 737 Faktitivum 155, 523, 604 Femininum 160, 268, 299, 312, 314, 331, 333, 339, 341, 345, 347, 348, 350, 353, 358–361, 363, 365, 368, 371, 393, 400,401, 403, 405, 406, 417, 418, 420, 426–435, 437, 439, 440, 441, 444, 449, 504, 512 femme (femme x / x femme / femme (de) x) 373, 376, 379, 381, 382–386, 388, 390, 411, 412, 416, 500, 792–794 flektierend (s. introflektierend) 3, 5–7, 12, 13, 21, 24, 30, 31, 47, 56, 59, 60, 63, 68, 78, 90, 91, 93–95, 97–99, 102, 103, 107, 108, 110–112, 114, 119, 121, 122, 125, 127, 128, 132, 134, 167, 189, 200, 207, 209, 274, 275, 294, 331, 364, 405, 412, 416, 422, 550, 551, 555, 721, 727, 733, 736, 741, 743, 744 Flexion (s. a. Endung; s. a. Affigierung) 12, 13, 23, 27–31, 56, 63, 77, 84, 867–91, 95, 97, 100, 102, 106, 110–112, 118, 120, 122, 128–130, 132, 133, 136, 137, 140, 141, 144, 146, 152, 155, 160, 170, 182, 184, 229, 262, 275, 284, 286, 290–293, 300, 312, 314, 338, 342, 349, 352, 360, 365, 368, 390, 392, 405, 406, 415, 416,
804 | Register
422, 427, 430, 500, 531, 534, 549, 550, 553–555, 606, 611, 649, 667, 676, 691, 703, 705, 712, 715, 716, 727, 733, 741– 743, 747 flexivisch 26, 27, 28, 29, 30, 31, 93, 107, 111, 112, 127, 131, 137, 207, 284, 351, 368, 390, 393, 395, 406, 415, 416, 426, 430, 500, 505, 550, 551, 554, 555, 593, 700 flexivische Konversion 112, 127, 500 formes hypersurcomposées (s. überkomponierte Formen) 7, 619, 625, 626 formes surcomposées 544, 547, 591, 612--624, 642 français populaire (s. a. Standardsprache) 333–355, 359–361, 363, 367, 457, 503– 506, 515, 605–611, 616, 621–623, 716 frequentativ (s. habituativ; s. iterativ; s. semelfaktiv) 458, 464, 474, 561, 562, 589 funktionelle Grammatik (s. konstitutionelle Grammatik; s. relationelle Grammatik) 36, 39, 44, 46, 243, 247, 257 funktionelle Movierung (s. matrimonielle Movierung; s. a. Motion) 411, 425, 441, 443 Funktionsverbgefüge 133, 139, 471 Funktionswort 52, 76, 77, 115, 118, 119, 123, 125, 274, 405 Fusion (s. Synthese; s. a. Fusionsindex; s. a. Syntheseindex) 102, 111, 116–118, 120– 122, 125, 130, 137, 356, 436, 462, 747 fusionierend 102, 118, 135 Fusionsindex (s. Syntheseindex; s. a. Fusion; s. a. Synthese) 102, 116–118 futur immédiat 526, 602 futur proche 268, 580, 595, 596, 598, 602, 618 Gattungsname (s. Eigenname) 61, 340, 403, 404, 449, 507, 508 generisch 17, 25, 40, 43, 76, 82, 87, 88, 124, 126, 200, 202, 206, 207, 215, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 231, 235, 238, 239, 242, 260, 264, 266, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 277, 281, 302, 314, 315, 316, 319, 325, 326, 327, 328, 337, 339, 367, 369, 372, 377, 381, 383, 385, 386,
388, 389, 390, 391, 393, 404, 406, 407, 408, 410, 411, 427, 429, 430, 435, 436, 444, 445, 449, 453, 457, 513, 674, 675, 685, 686, 687, 688, 689, 691, 694, 730 generische Komposition (s. lexematische Komposition; s. a. Lexemkomposition) 25, 88, 124, 126, 200, 202, 206, 207, 215, 238, 242, 260, 264, 269, 271, 273, 277, 281, 314, 316, 325, 327, 388, 390, 427, 430, 453, 674, 675, 686, 694, 730 Genusmarkierung 6, 27, 130, 330, 332, 333, 336, 337, 342, 356, 360, 362, 364, 365, 367, 368, 372, 379, 382–384, 386, 387, 390–393, 403–406, 410, 413, 417, 435, 446, 465, 515, 516 Genus verbi (s. Diathese; s. Vox) 41, 161, 641 globale Schau (s. komitative Schau, s. kontinuative Schau; s. partialisierende Schau; s. prospektive Schau; s. retrospektive Schau; s. Winkelschau) 535, 536, 563, 566, 570, 571, 580, 599 Grad 562, 572, 600–602 Grammatik → funktionelle Grammatik; → konstitutionelle Grammatik; → relationelle Grammatik Grammatikalisierung 2, 29, 30, 88, 89, 91, 93, 98, 106, 109, 118–121, 124, 130, 139, 188, 213–215, 221, 222, 253, 262, 266, 267, 271, 272, 276, 279, 291, 310, 331, 383, 463, 471, 473, 484, 585, 595, 646, 704, 719 Grammatikalisierungsformel 5, 213, 215, 222, 272, 291 Grammatik des Wortschatzes (s. Paragrammatik) 1, 6, 17, 26, 262, 266 grammatisches Genus 331, 337, 341, 349, 357, 361, 423 grammatische Schicht 51–61, 64–68, 81, 84, 85, 98, 360 grammatischer Typus 32 grammatisches Wort 20, 57, 58–63 Gruppengenitiv 29, 138, 224, 225, 733 habituativ (s. iterativ; s. frequentativ; s. semelfaktiv) 523, 561 Hilfstypus 3, 94, 122, 127
Sachregister | 805
Homonymie (s. Polysemie; s. Synonymie) 19, 57, 82, 96, 100, 109, 111, 115, 122, 133, 140, 174, 209, 257, 303, 336, 339, 716, 721, 731–734, 739, 740 Hypertaxe (s. Antitaxe; s. Hypotaxe; s. Parataxe) 69–71 Hypostase (s. absolute Hypostase; s. elliptische Hypostase; s. a. Entwicklung; s. a. Transposition) 205, 275, 277, 278, 295, 298, 299, 301, 309, 312 Hypotaxe (s. Antitaxe; s. Hypertaxe; s. Parataxe) 69, 70, 71, 599, 720 Illativ (s. allativ; Elativ (räumlich)) 109, 572 imminentiell 572 imperativ (s. assertiv; s. interrogativ; s. optativ) 41, 185, 495 Imperfektiv (s. Perfektiv) 523, 524, 528, 554 implizit (implizite grammatische Funktion; s. explizite grammatische Funktion) 217 implizite Transposition (s. explizite Transposition; s. lexikalische Transposition; s. syntagmatische Transposition; s. syntaktische Transposition; s. a. Entwicklung; s. a. Hypostase) 281, 282 in absentia (s. in praesentia) 50, 153, 287 inaktuell (nicht-aktuell; s. virtuell; s. ohne Funktion im Satz; s. Modifizierung; s. a. mit Funktion im Satz; s. a. Entwicklung/ Transposition) 49, 70, 213, 217, 264, 267, 268, 271, 331, 349, 499, 539, 540, 541, 542, 543, 545, 547, 555, 556, 557, 612, 626, 638 inchoativ 524, 561, 573, 587, 593, 626, 656 Infigierung (s. Affigierung; s. Präfigierung; s. Suffigierung; s. Transfigierung) 475 Infinitivnominalisierung 294 Infix (s. Präfix; s. Suffix) 30, 86, 87, 113, 474, 475, 686, 687 ingressiv (s. ingressiv-progressiv; s. egressiv) 472, 474, 522, 524, 526, 552, 558, 559, 561, 572, 578, 593, 594, 603, 619 Ingressiv 109, 561, 573, 578 ingressiv-progressiv (s. progressiv; s. regressiv) 550 inhaltlich (inhaltliche Wortbildungslehre) 1, 5, 14, 15, 17, 19, 22, 31, 34, 36, 38, 44–
46, 53, 54, 78, 82, 88, 90, 98, 124, 130, 142, 148, 149, 167, 169, 172, 176, 185, 198, 199, 200, 201, 205, 208, 214, 217– 220, 226– 237, 243, 244, 246– 248, 252, 253, 256–261, 263–265, 268, 270, 271, 278, 288, 291, 303, 311, 313, 315, 323– 326, 338, 340, 341, 349, 365, 375, 381, 382, 390, 392, 408, 411, 415, 416, 417, 423, 431, 440, 441, 450, 451, 458, 460, 461, 467, 474, 475, 483, 484, 508, 531, 537, 555, 557, 586, 587, 599, 609, 615, 616, 635, 647, 648, 652, 660, 661, 665, 666, 669, 680, 681, 685, 686, 689, 717, 719, 720, 738, 743 Inkorporation (s. Polysynthese) 96, 114, 125, 127, 162, 163, 164, 165, 169, 171, 177, 178, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 190, 191, 192, 194, 712 inkorporierend 3, 12, 96, 99, 114, 115, 125, 126, 162, 163, 171, 182, 183, 185, 191 innere (paradigmatische) materielle Bestimmungen (s. äußere (syntagmatische) materielle Bestimmungen; s. a. nichtrelationelle Funktionen; s. a. relationelle Funktionen) 153, 157 innere Flexion 112 innere (nicht-relationelle) Funktionen (s. a. äußere (relationelle) Funktionen) 153, 154, 155, 156, 417, 470 in praesentia (s. in absentia) 50, 153, 287 integrale Typologie 4, 22, 144, 145, 147, 150, 151, 162, 166, 172 Intensivierung 6, 28, 29, 153, 167, 174, 331, 332, 378, 387, 432, 462, 466, 476, 477, 479, 480, 481, 484, 485, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 493, 494, 499, 501, 611, 612, 680 interdigitalisierendes Affix 113 interlinguale engynomische Divergenzen 32, 734, 735, 737 interrogativ (s. assertiv; s. imperativ; s. optativ) 41, 46, 72, 79, 157, 323, 495, 529, 534, 571, 640 introflektierend (s. flektierend) 3, 93, 94, 102, 112, 113, 121, 128, 505, 550, 551, 741 Introflexion 79, 112, 113, 114, 120, 127, 128, 129, 275, 503, 550, 712
806 | Register
introflexivisch 8, 79, 99, 130, 503, 517, 551, 741, 743 inzeptiv 558, 559, 560, 572, 573, 574, 578, 603 Isolation 3, 5, 6, 12, 13, 25, 75, 93, 97, 98, 116, 118, 119, 120, 122, 123, 124, 125, 127, 129, 134, 191, 292, 294, 360, 390, 391, 393, 406, 416, 422, 678, 703, 705, 739, 747 isolierend 3–5, 7, 8, 12, 13, 21, 24, 25, 31, 55–59, 63, 68, 75, 77, 78, 85, 92, 94, 96–99, 102, 105–107, 110, 115–119, 121– 125, 128–137, 139–143, 155, 181, 182, 191, 194, 196, 201, 265, 274, 289, 292, 294, 317, 323, 331, 334, 336, 360, 364, 366, 368, 372, 387, 388, 390, 392–395, 405, 406, 412– 414, 422, 429, 470, 481, 517, 518, 604, 637, 665, 672–679, 700, 704, 714, 715, 721, 723, 728, 729, 732, 733, 736, 740, 743–745 Isolierung 12, 95, 98, 123, 146, 704, 729 iterativ (s. frequentativ; s. habituativ; s. semelfaktiv) 313, 464, 476, 477, 523, 524, 526, 561, 562, 589, 593, 603, 627 Kategorialsystem 525 Kausativum 112, 127, 291, 477, 523, 561, 604 Klassifikator 76, 84, 274, 381, 382 Klauselgrammatik 67 Klitika 186, 187, 190, 191 Klitisierung 30, 184, 185, 191, 708, 744 Kollektivbildung (s. Kollektivierung) 6, 170, 268, 302, 331, 339, 403, 450, 451, 456, 457, 458, 483, 491, 500, 507, 680 Kollektivierung (s. Kollektivbildung) 28, 127, 153, 174, 313, 332, 351, 451, 452, 457, 461, 463, 499, 501 komitativ 567, 569, 570 komitative Schau (s. kontinuative Schau; s. partialisierende Schau; s. prospektive Schau; s. retrospektive Schau; s. Winkelschau) 567, 569 kompletiv 564 komplexiv 538, 549, 556, 557, 564, 565, 579, Komposition → affixale Komposition; → generische Komposition/lexematische Komposition; → Lexemkomposition
konklusiv 558, 559, 572, 576, 578, 579, 594, 619 konstitutionelle Grammatik (s. funktionelle Grammatik; s. relationelle Grammatik) 2, 38, 39, 43, 45, 254 Konstrukt (s. typologisches Konstrukt) 3, 4, 8, 12, 18, 21–25, 53, 55–57, 75, 79, 81, 92–106, 109, 111, 113, 115, 120–123, 125, 127–137, 143, 145, 172, 178, 189, 211, 216, 265, 317, 331, 360, 390, 393, 405, 406, 411, 412, 414, 429, 505, 517, 550– 552, 637, 665, 673, 674, 676, 677, 706, 714, 715, 726, 732, 733, 743, 744, 747, 748 kontinuativ 558, 559, 561, 566, 567, 569, 570, 572, 576, 581, 594, 601 kontinuative Schau (s. komitative Schau; s. partialisierende Schau; s. prospektive Schau; s. retrospektive Schau; s. Winkelschau) 567, 569, 570, 594 Konversion (präpositionaler Fügung; s. a. wortklassentinterne Konversion) 323, 661 kursiv 523, 525, 537, 544, 549, 556, 565, 587, 593 Lehnaktivität VIII, 25, 37, 143, 663, 668, 714, 715, 720, 745 Lehnwortschatz 714, 715 Lexem 26, 29, 31, 40, 41, 44, 53–60, 74, 76, 78, 80, 81, 86, 89, 92, 96, 105, 111, 113, 115, 123–125, 128, 129, 136, 137, 170, 174, 176, 185, 195, 199, 210, 217, 233, 235, 239, 245, 252, 254, 256, 257, 259, 264–266, 270, 271, 273, 274, 276, 278– 280, 283, 285, 314, 323, 328, 360, 367, 368, 390, 396, 407–410, 414, 416, 456, 460, 461, 463, 464, 475, 500, 503, 524, 574, 582, 583, 632, 665, 671, 687, 688, 690, 694, 714, 715, 718, 719, 723, 726, 728, 729, 730, 737, 747 lexematische Komposition (s. generische Komposition; s. a. lexematische Komposition) 7, 17, 88, 124, 202, 206, 207, 209, 217, 222, 264, 266, 270, 273, 274, 275, 365, 686, 729
Sachregister | 807
Lexemkomposition (s. a. lexematische Komposition/generische Komposition) 264, 270, 665, 690 lexikalisches System 588, 720, 721, 726, 727, 733, 736, 739, 740 lexikalische Transposition (s. explizite Transposition; s. implizite Transposition; s. syntagmatische Transposition; s. syntaktische Transposition; s. a. Entwicklung; s. a. Hypostase) 276, 279–282 locution verbale 5, 179, 319 markiert (s. unmarkiert) 23, 28, 29, 41, 59, 63, 68, 79, 84, 90, 110, 111, 129–131, 190, 192, 225, 231, 238, 269, 292, 299, 307, 334, 337, 345, 348–356, 361, 381, 387, 388, 391, 392, 395, 404, 406, 422, 435, 437, 443, 446, 467–469, 471, 477, 478, 486, 487, 496, 504, 505, 514, 531, 538, 555, 560, 564, 586, 590, 596, 599, 604, 607, 615, 631, 640, 677, 702–704, 726 Markiertheit 350–352, 356, 357, 467, 686 Markiertheitstheorie 350, 357 matrimonielle Movierung (s. funktionelle Movierung; s. a. Motion) 363, 400, 401, 411, 418, 423–426, 433, 440–442 Melioration (s. Pejoration) 80, 482 mit Funktion im Satz (s. ohne Funktion im Satz; s. a. aktuell; s. a. inaktuell/nichtaktuell 46, 47, 153, 268 Modalverb 7, 139, 157, 158, 176, 296, 297, 527, 584, 596, 636, 639 Modifizierung 6, 17, 41, 87, 88, 93, 133, 153, 170, 174, 175, 181, 202, 206, 207, 223, 230, 236, 260, 264–272, 288, 293, 302, 326, 330, 331, 349, 403, 415, 450, 451, 457, 458, 461, 462, 469, 474, 479, 490– 499, 502, 550, 555, 567, 574, 586, 628, 648–651, 654, 655, 658, 660, 671, 680 Modus (s. Aspekt; s. Tempus) 11, 14, 29, 41, 47, 48, 89, 110, 133, 137, 138, 140, 154, 199, 224, 316, 323, 328, 353, 356, 357, 520, 526, 527, 530, 532–534, 541, 571, 585, 586, 590, 591, 614, 628, 635, 636, 637, 642, 643, 716
Motion (s. Movierung) 112, 127, 206, 330, 331, 338, 415, 500 Motiviertheit (s. Nichtmotiviertheit) 32, 211, 214, 219, 228, 352, 409, 715, 721, 726, 731, 734, 738, 739, 742 Movierung (s. funktionelle, Movierung; s. matrimonielle Movierung; s. Motion) 6, 292, 302, 338, 351, 363, 365, 367, 392– 396, 400, 401, 406, 411, 414–427, 430, 440–448, 679 natürliches Geschlecht (s. (grammatisches) Genus; s. Sexus) 137, 299, 331, 334, 337, 342, 341, 343, 345, 349, 357, 358, 359, 361, 368–371, 379, 382–385, 393, 404, 406, 412, 414, 415, 417, 418, 422, 423, 425, 429, 436, 439, 440, 443, 449, 503 Negierung 6, 311, 331, 495–499, 501, 571, 577, 581, 680 nicht-cessativ (s. cessativ; s. a. aterminativ; s. a. terminativ; s. a. nicht-terminativ) 579 nicht-durativ (s. durativ) 523, 524, 525, 554, 561, 562 Nichtmotiviertheit (s. Motiviertheit) 8, 234, 656, 714, 731, 739, 678 nicht-relationell (nicht-relationelle Funktionen; s. relationelle Funktionen) 153, 154, 155, 156, 161, 417, 470, 493 nicht-telisch (s. atelisch) 56 Nomina absoluta 40, 301, 302, 367, 406, 407, 408, 582 Nomina adiecta 302, 406–410, 582, 583, 586 Nominalkomposition 5, 125, 164, 173, 174, 67 Nullableitung 5, 87, 200, 229, 265, 282, 284, 285, 291, 326, 336, 68 Numerativ 76, 274, 413 Numerus 6, 11, 14, 29, 41, 47, 49, 61, 63, 68, 89, 96, 111, 112, 130–132, 137, 152, 153, 155, 160, 213, 267, 268, 304, 307, 310, 333, 335, 353, 356, 357, 361, 362, 396, 405, 406, 413, 450, 499, 503–508, 512– 517, 520, 526, 528, 529, 531, 562, 571, 588, 623, 627, 641, 642, 679, 716, 748
808 | Register
Objektkonjugation (s. Subjektkonjugation) 5, 184, 744 offene Analogie 282, 285 ohne Funktion im Satz (s. mit Funktion im Satz) 2, 46–48 onomasiologisch 5, 16, 18, 19, 42, 87, 88, 202–207, 218, 219, 221, 223, 243, 244, 246, 248, 249, 250, 251, 253, 254, 262, 263, 274, 322, 330, 429, 431, 453, 457, 673, 731, 734, 738 optativ (s. assertiv; s. imperativ; s. interrogativ) 41, 495 Paradigma (s. Syntagma) 26, 30, 43, 48, 49, 56, 59, 60, 63, 74, 95, 111, 151, 228, 284, 288, 289, 291, 292, 294, 304, 310, 314, 323, 331, 351, 360, 406, 520, 526, 606, 676, 689, 715, 716, 718 paradigmatisch (s. syntagmatisch) 13, 21, 26, 42, 47–50, 55, 59, 64, 74, 96, 98, 130, 144, 151–155, 160, 228, 232, 250, 267, 287, 331, 350–352, 408, 417, 465, 470, 492, 500, 501, 583, 584, 716, 717, 721, 742, 744, 745 Paragrammatikalisierung 27, 28, 263, 264, 265, 267, 453, 456, 462, 483, 488, 494, 499, 500, 628 Paraphrase (s. a. Periphrase; s. Verbalperiphrase) 5, 44, 48, 66, 208–220, 223– 226, 236, 258, 259, 288, 291, 303, 309, 325, 326, 365, 366, 368, 375, 384, 395, 396, 399, 407, 409, 456, 469, 496, 501, 598, 630, 631, 635, 636, 649, 652, 653, 654, 659, 660, 662, 713 paraphrastisch (s. a. periphrastisch) 208,682 parasynthetisch/Parasynthese/Parasynthetika 323–325, 648–651, 688 Parataxe (s. Antitaxe; s. Hypertaxe; s. Hypotaxe) 69, 70, 195, 599, 720 partialisierende Schau (s. komitative Schau; s. kontinuative Schau; s. prospektive Schau; s. retrospektive Schau; s. Winkelschau) 559, 560, 566, 567, 568, 570, 601
Partikel 5, 24, 60, 66, 68, 69, 77–79, 80, 84–86, 138, 140, 155, 162, 166–183, 189, 192, 292, 321, 495, 496, 501, 723, 746 Partikelverb 138, 166, 168, 169, 171, 172, 723 Partizip 6, 28, 29, 71, 234, 261, 278, 292, 294, 301–316, 333, 346, 353, 359, 400, 436, 497, 527, 529, 530, 532, 533, 535, 553, 560, 566, 569, 576, 593, 595, 600, 607, 613, 616, 620, 630, 631, 635, 640, 642, 643, 685, 695, 717, 742 passé proche 602 passé récent 602, 619 Patiens (s. Agens) 163, 234, 247, 641, 643, 645, 652, 680, 747 Pejoration (s. Melioration) 80, 457, 461, 462, 465, 481–483, 494, 499 pejorativ 64, 183, 269, 296, 302, 348, 382, 395, 397, 398, 427, 431, 432, 433, 435, 445, 446, 454–456, 461, 464, 474, 481, 483, 485, 494, 610, 688, 695 Pejorativbildung 6, 269, 331, 461, 485 perdurativ (s. durativ; s. nicht-durativ) 522, 587 Perfektiv (s. Imperfektiv) 523–525, 527, 528, 537, 548, 554, 562, 564, 578, 579, 587, 588, 593, 602, 613, 615 Periphrase (s. Verbalperiphrase; s. a. Paraphrase) 73, 138, 152, 154, 155, 161, 167, 210–213, 268, 459, 460, 466, 470, 471, 501, 509, 512, 517, 526, 550, 551, 554, 555, 558–560, 566–588, 593, 594–597, 599, 600–602, 604, 606, 607, 609, 617, 618, 619, 628, 629 periphrastisch VIII, 7, 133, 137, 138, 144, 152, 154, 155, 156, 160, 161, 179, 268, 269, 302, 317, 382, 390, 393, 395, 458– 560, 469, 470, 473, 474, 483, 511, 517, 518, 523, 527, 531, 544, 547, 551, 553– 556, 558, 559, 563, 568, 570, 576–579, 585, 593, 594, 596, 597, 598, 600, 601, 604, 616, 618, 622, 623, 628, 643, 644 Perspektive → primäre Perspektive; → sekundäre Perspektive; → tertiäre Perspektive; → Ebene petit/petite 48, 160, 161, 264, 267, 292, 302, 314, 318–320, 333, 354, 355, 365, 369, 374, 384, 387, 396, 398, 399, 402, 436,
Sachregister | 809
437, 440, 442, 444–447, 449, 451, 454, 460, 462–474, 479, 480, 481, 483, 484, 487, 493, 496, 500, 504, 508, 509, 512, 517, 596, 612, 681 Phase 139, 206, 330, 523, 524, 535, 536, 548, 550, 554, 561, 562, 566–568, 572– 579, 581, 586, 594, 600, 601–602 phrasal verb 138, 168, 169, 723, 724 Polysemie (s. Homonymie; s. Synonymie) 8, 19, 32, 88, 90, 107, 174, 242, 252, 257, 259, 542, 719, 721, 731–740 Polysynthese (s. a. Inkorporation) 3, 5, 12, 79, 96, 98, 102, 114–129, 132, 146, 162, 163, 174, 175, 177, 178, 184, 185, 190, 194, 265, 274, 275, 326, 393, 412, 612, 678 polysynthetisch 3, 5, 7, 23, 24, 31, 35, 57, 68, 75, 77, 93–102, 114–118, 121–126, 129, 130, 162, 163, 165, 171, 172, 175, 176, 178, 180, 182, 183, 194, 195, 265, 275, 321, 372, 387, 390, 393, 406, 411– 414, 502, 552, 672–674, 678, 704, 721, 727, 732, 733, 744 positionelle Typologie (s. Wortfolgetypologie) 7, 50, 698, 699, 706, 709, 712 Postposition (s. Adposition; s. Präposition) 71, 381, 383, 414, 701, 705, 709, 711, 747 präfigierte Verben 5, 24, 140, 166–173, 177– 179, 181, 193, 549, 655 Präfigierung (s. Affigierung; s. Infigierung; Suffigierung; s. Transfigierung) 80, 83, 87, 111, 171, 175, 181, 263, 271, 284, 324, 325, 466, 475, 482, 498, 501, 609, 655 Präfix (s. Infix; s. Suffix) 7, 41, 54, 77, 79, 80, 85, 90, 93, 109, 113, 126, 133, 166, 168– 175, 177, 190, 323, 324, 466, 474, 486, 490, 491, 494, 495, 497, 501, 502, 516, 523, 553, 587, 593, 606, 610, 627, 629, 647–651, 653, 660, 711, 723, 724, 735, 746 Präposition (s. Adposition; s. Postposition) 6, 7, 12, 27, 41, 54, 59, 71, 72, 77, 105, 112, 123, 129–132, 138–140, 143, 144, 153, 165, 167–170, 179, 181, 182, 185, 186, 192, 193, 196, 197, 217, 221, 222, 234, 236, 264, 269, 271, 272, 280, 292, 293, 304, 307, 317, 323–327, 329, 366,
367, 379, 380, 382, 385, 388–390, 398, 413, 414, 460, 479, 490, 492, 495, 497, 499, 501, 503, 506, 516, 560, 561, 565, 583, 585, 587, 594, 599, 600, 602, 603, 605, 608, 611, 628, 643, 647–669, 673– 676, 686, 688, 696, 701, 704, 708, 709, 711, 717, 724, 733, 735, 737, 747, 748 präpositionale Fügung (s. Konversion präpositionaler Fügung) 6, 143, 153, 217, 234, 236, 272, 317, 323–327, 366, 388, 501, 628, 648, 651, 653–655, 658, 661– 664, 676, 686, 696 Präpositionalkomposita 143, 479, 665, 666, 674 Prager Schule VIII, 5, 11, 16, 21, 34, 55, 92, 99, 120, 672, 673 prepositional verbs 168, 169 primäre Perspektive (s. sekundäre Perspektive; s. tertiäre Perspektive; s. a. Ebene) 544–546, 581, 597, 637, 638 Primärwortschatz 262 progressiv (s. ingressiv-progressiv; s. regressiv) 137, 186, 305, 380, 383, 476, 522, 526, 550, 552, 559, 560, 567, 568, 572, 575, 593, 600, 601, 605, 610, 622, 672, 697, 710, 739 prolexematisch 217, 230, 239, 243, 260, 270, 273, 325, 364, 368 prolexematische Komposition (s. generische Komposition) 82, 88, 124, 206, 217, 239, 270, 325, 388, 390, 669, 685, 686 prospektiv (s. retrospektiv) 5, 37, 359, 526, 527, 537, 538, 542, 543, 545, 556, 557, 559, 565, 567, 568–571, 575, 577, 580, 581, 622, 637–639 prospektive Schau (s. komitative Schau; s. kontinuative Schau; s. partialisierende Schau; s. retrospektive Schau; s. Winkelschau) 568, 569, 571, 575 Prototyp 24, 34, 94, 97, 102, 105, 113, 116, 124, 128, 134, 405 prototypisch 3, 12, 15, 61, 65, 94, 108, 109, 112, 113, 116, 128, 155, 165, 257, 320, 394, 404, 478, 550, 551, 741 Qualifizierung 231, 369, 375, 376, 381, 382, 386, 461, 462, 471, 481, 482, 499, 584
810 | Register
Quantifizierung 88, 116, 331, 451, 461, 462, 464, 481–483, 485, 489, 494, 499, 517, 523, 526, 680 Reduplikation 80, 83, 84, 347, 466, 474– 481, 487, 501 reduplizierend 347, 476–479 regressiv (s. progressiv) 281, 284, 291, 294, 313, 314, 380, 572, 710 relationell (relationelle Funktionen; relationelle Grammatik; s. nicht-relationelle Funktionen) 2, 17, 38, 39, 42–46, 58, 62, 153–156, 159–161, 203, 209, 211– 213, 223, 230, 244, 253, 254, 259, 268, 311, 312, 313, 339, 350, 370, 374, 402, 405, 417, 470, 493, 578, 579, 597, 598, 626, 661 Relationsadjektiv 29, 107, 217, 247, 337, 366, 370, 374, 382, 387, 409, 410, 452, 483, 493, 648, 661–664, 669, 694, 728 Relationsadjektivbildung (s. Attributtransposition) 29, 215, 217, 370, 404, 427, 430, 483, 648, 661–664, 672 resultativ 1, 242, 247, 273, 474, 522, 523, 524, 548, 561, 565, 566, 579, 588, 589 retrospektiv (s. prospektiv) 527, 537, 538, 542, 543, 545, 556, 557, 559, 565, 577, 581, 637, 638, 708 retrospektive Schau (s. komitative Schau; s. kontinuative Schau; s. partialisierende Schau; s. prospektive Schau; s. Winkelschau) 567, 568, 569, 570, 603 root and pattern morphology 113, 741, 743 Rückableitung (s. dérivation inverse; s. dérivation régressive) 228, 229, 294, 336, 406, 685, 686 Satzfunktion 5, 47–49, 56, 58, 60, 61–62, 65, 68, 78, 88, 89, 95, 96, 106, 214–217, 221, 231, 240, 241, 243–250, 272, 276, 279, 280, 322, 457, 584 Satzgrammatik 42, 68 Schicht (s. grammatische Schicht) 2, 3, 5, 20, 21, 38, 39, 49, 50, 51–70, 73, 75, 77, 81, 84, 85, 94, 96, 98, 99, 135, 236, 267, 277, 294, 360
Schau (s. globale Schau; s. komitative Schau; s. kontinuative Schau; s. partialisierende Schau; s. prospektive Schau; s. retrospektive Schau; s. Winkelschau) 548, 554, 559, 560, 562, 566–572, 574–576, 580, 581, 594, 599–601, 603 sekundäre Flexion 130, 360, 363, 364, 368, 390, 392, 393 sekundäre Perspektive (s. primäre Perspektive; s. tertiäre Perspektive; s. a. Ebene) 542–546, 547, 548, 553, 556, 562, 564, 566, 574, 577, 579–581, 597, 637, 638, 639 Sem 88, 97, 165, 262 semantische Rolle 5, 16, 19, 243–250, 255, 256, 291, 644, 645, 652 semelfaktiv (s. frequentativ; s. habituativ; s. iterativ) 45, 273, 313, 458, 461, 501, 524, 561, 562, 563, 589, 627, 628 Semi-Auxiliar (s. Auxiliar) 137, 535, 569, 587, 593, 595–604, 607, 639, 640 Sexus (s. natürliches Geschlecht; s. grammatisches Genus) 6, 27, 331–360, 361, 364, 365, 379, 384–386, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 395, 403, 404, 405, 406, 419, 421, 427–429, 431, 436, 437, 443, 447, 450, 500 Situierung 7, 11, 168, 199, 331, 490, 494, 499, 501, 502, 516, 550, 562, 574,577, 578, 579, 580, 581, 586, 594, 598, 602, 628, 647–660, 680, 696 Skalarität 102, 116–128, 430–432, 706 Sprachkontakt 4, 134–136, 141, 744, 746 Sprachpolitik 6, 288, 364, 365, 394, 426– 429, 746 Sprachwandel 2, 4, 57, 120, 149, 150, 274, 427, 700, 701, 702, 704, 706 Standardsprache 2, 5, 25, 33–35, 108, 186, 191, 196, 197, 333, 367, 383, 385, 392, 474, 515, 607, 609, 611, 613, 614, 621, 622, 624, 625, 626, 633, 744 Status (s. Evidenz; s. Taxis) 528–531 Subjektkonjugation (s. Objektkonjugation) 5, 184–190 Subjektnominalisierung 126, 215, 230, 231, 234, 241, 242, 246, 255–260, 261, 266, 336, 388, 427, 610, 694
Sachregister | 811
Subordinierung 3, 5, 19, 20, 21, 45, 57, 69, 70, 71, 72, 73–86, 108, 196, 213, 223– 225, 233, 234, 236, 237, 238, 239, 254, 277, 292, 376, 584, 585, 647, 666, 670 Suffigierung (s. Affigierung; s. Infigierung; s. Präfigierung; s. Transfigierung) 13, 80, 83, 87, 88, 132, 135, 165, 200, 219, 229, 231, 261, 263, 265, 275, 280, 281, 282, 284, 294, 295, 303, 312, 317, 318, 323, 324, 325, 336, 337, 341, 364, 365, 368, 386, 390, 400, 403, 427, 458, 461, 465, 469, 470, 475, 480, 481, 500, 609, 610, 631, 648, 676, 678, 685, 686, 688, 694, 711, 712, 729, 730 Suffix (s. Infix; s. Präfix) 5, 7, 19, 21, 25, 26, 28, 30, 31, 41, 48, 54, 57, 73, 77, 79, 80, 82, 84, 86, 87, 89, 90, 107, 109, 113, 122, 124, 126, 129, 142, 143, 174, 185, 188, 191, 206, 217, 219, 221, 229, 230, 231, 239, 242, 255–258, 261, 264, 269, 271, 280, 281, 284, 286, 290,291, 296, 300, 302–304, 309–314, 317, 319, 323– 327, 332, 334, 336, 337, 339, 340, 346, 355, 359, 361, 363, 364, 368, 372, 387, 388, 390, 391, 393–396, 398–400, 403, 405, 411, 413–416, 423, 424, 426, 427, 430, 438, 443, 445, 448, 449, 451–456, 458–463, 465, 468–470, 473, 474, 479, 481, 483, 485, 488, 491, 494, 500–502, 505, 550, 553, 587, 593, 604, 609, 610, 612, 628–636, 645, 648, 662, 671, 672, 674–677, 685–688, 690, 691, 695, 696, 701, 705, 711, 715, 717, 718, 729, 742 suffixal 424, 470, 550, 612, 672, 674, 675, 726, 730 Suppletion (s. a. Dissoziation) VIII, 6, 8, 117, 118, 215, 378, 396, 399, 418, 421, 422, 431, 433, 434, 505–507, 632, 678, 714– 743 Synchronie (s. Diachronie) 16, 22, 36, 74, 150, 199, 398, 415, 416, 441, 443, 457, 466, 495, 632, 691, 696, 714, 729 synchronisch (s. diachronisch) 2, 11, 15, 17, 32, 33, 37, 139, 142, 143, 179, 210, 284, 312, 320, 338, 339, 410, 417, 431, 451, 452, 454, 462, 468, 534, 632, 635, 670, 684, 699, 716, 718, 719, 728, 741, 745
Synonymie (s. Homonymie; s. Polysemie) 13, 57, 96, 109, 111, 133, 180, 208, 214, 226, 247, 377, 398, 399, 435, 447, 449, 567, 573, 606, 721, 724, 730, 737 Syntagma (s. Paradigma) 40, 47, 48–50, 62, 70, 72, 228, 229, 232, 238, 243, 246, 254, 267, 283, 284, 285, 287, 299, 670, 685, 687 syntagmatisch (s. paradigmatisch) 6, 7, 8, 13, 21, 25, 48, 49, 50, 51, 54, 55, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 68, 72, 74, 78, 84, 96, 97, 98, 134, 135, 138, 140, 144, 151, 152, 153, 155, 159, 160, 161, 167, 174, 179, 181, 219, 224, 228, 232, 238, 243, 267, 268, 270, 279, 281, 287, 292, 293, 294, 302, 303, 310, 317, 322, 323, 331–334, 360, 361, 362, 368, 392, 404, 451, 455, 458, 460, 463, 465, 469, 470, 474, 481, 483, 484, 492, 500, 501, 517–519, 544, 549, 550, 551, 553, 555, 556, 578, 583, 584, 593, 594, 596, 597, 611, 637, 641–646, 662, 663, 677, 678, 694, 696, 697, 721, 740, 744, 745, 747 syntagmatische Transposition (s. explizite Transposition; s. implizite Transposition; s. lexikalische Transposition; s. syntaktische Transposition; s. a. Entwicklung; s. a. Hypostase) 276, 278, 279, 280, 281, 282 syntaktischer Ansatz 5, 10, 12, 165, 202– 203, 209, 225–262, 288, 366, 458, 712 syntaktische Transposition (s. explizite Transposition; s. implizite Transposition; s. lexikalische Transposition; s. syntagmatische Transposition; s. a. Entwicklung; s. a. Hypostase) 264, 275, 276–279, 281, 282, 283, 290, 295, 309, 314, 327, 696, 737 Synthese (s. Analyse; s. a. Syntheseindex; s. a. Fusion; s. a. Fusionsindex) 12, 13, 96, 97, 98, 102, 116, 117, 135, 235, 265, 367, 500, 616, 708, 746, 747–748 Syntheseindex (s. Fusionsindex; s. a. Synthese; s. a. Fusion) 96, 102, 116–118 synthetisch (s. analytisch) 3, 12, 13, 95, 96, 97, 98, 110, 119, 135, 137, 144, 152, 153,
812 | Register
155, 156, 160, 161, 191, 211, 473, 480, 488, 606, 696, 712, 713, 744, 747, 748 Systematizität 612–619, 680, 715 Taxis (s. Evidenz; s. Status) 528, 530, 642 telisch (s. atelisch; s. nicht-telisch) 222, 524, 525, 555, 563, 564, 627 Tempus (s. Aspekt; s. Modus) 6, 7, 11, 14, 29, 41, 47, 48, 89, 110, 133, 137, 138, 154, 161, 176, 189, 224, 288, 316, 328, 353, 356, 357, 520–523, 525–528, 531, 532, 534, 537–541, 543, 544, 552–554, 556, 561, 565, 576, 589–591, 593, 597, 602, 614, 615, 618, 621, 638, 641–643, 650, 656, 716, 741 terminativ (s. aterminativ; s. cessativ; s. nicht-cessativ) 564, 579, 587, 593, 594, 747 tertiäre Perspektive (s. primäre Perspektive; s. sekundäre Perspektive; s. a. Ebene) 543, 545, 546, 553, 556, 562, 597, 637– 639 Textgrammatik 68 Tiefenkasus 19, 245, 259 Topikalisierung 19, 45, 73, 217, 230, 231, 236–243, 245, 246–253, 258, 259, 261, 273, 311, 382, 457, 589, 702, 705 Transfigierung (s. Affigierung; s. Infigierung; s. Präfigierung; s. Suffigierung) 113 transphrastische Grammatik 68 Transposition (s. explizite Transposition; s. implizite Transposition; s. lexikalische Transposition; s. syntagmatische Transposition; s. syntaktische Transposition; s. a. Entwicklung; s. a. Hypostase) 5, 17, 21, 25, 31, 48, 88, 129, 202, 205–207, 217, 229, 236, 264–267, 269, 271, 272, 275–277, 282, 285, 288, 289, 291, 293, 296, 299, 302, 303, 309–311, 317, 323, 325, 326, 331, 370, 501, 502, 632, 633, 635, 656, 658, 661, 675 Typologie (s. integrale Typologie; s. positionelle Typologie) 3–5, 7, 9, 13, 14, 16, 31, 32, 50, 91, 95, 99–104, 108, 115, 116, 118, 119, 126, 134, 144–148, 150, 151, 155, 162, 163, 170, 175, 198, 199, 201, 274, 328, 474, 508, 675, 696, 698, 699,
703, 706, 708, 709, 712, 719, 720, 721, 727, 736–739, 746, 748 typologisches Konstrukt 22, 99, 120 Typusdominante (s. Basisdominante; s. dominante sémantique) 24, 25, 74, 108, 422 überkomponierte Formen (s. formes (hyper) surcomposées) 544, 547, 556, 612, 613, 615– 621, 625, 642 Universale 51, 128, 260, 698, 703, 738 unmarkiert (s. markiert) 64, 81, 164, 188, 230, 231, 275, 287, 288, 292, 294, 350– 352, 356, 364, 386, 392, 395, 429, 467, 477, 678, 736 unvollendet (s. vollendet) 306, 522–524, 526, 527, 537, 549, 554, 586 Variation (s. Varietät) 26, 64, 67, 92, 93, 117, 131, 137, 217, 218, 220, 296, 315, 338, 340, 354, 355, 359, 361, 394, 398, 403, 405, 417, 421, 440, 443, 453, 473, 474, 480, 508, 511, 512, 515, 520, 526, 622, 624, 625, 647, 648, 716, 742, 743 Varietät (s. Variation) 2, 9, 25, 33, 57, 74, 186, 321, 367, 449, 450, 457, 467, 474, 501, 515, 605, 612, 614, 615, 619, 624, 625, 663, 695, 716, 744 Verbalaspekt 535, 549, 553–555 Verbalkomposita 5, 168, 179, 181, 712 Verbalnomen 28 Verbalperiphrase 154, 551, 558, 560, 583, 585, 594, 596, 599, 600, 602, 609, 618, 619 Verb-Ergänzung-Komposita 87 Verbsemantik 261, 563, 583, 587, 593, 626 verbum adiectum, verba diecta 569, 574, 584, 585, 594, 639 Verfahrenstyp 21, 74, 84, 88, 112, 126, 144, 148, 202, 229, 231, 236, 242, 266, 268, 270, 272, 293, 317, 330, 360, 361, 413, 468, 499, 501, 549, 662, 663, 688 virtuell (s. aktuell) 34, 41, 65, 70, 149, 224, 250, 315, 316, 320, 533, 633, 666 vollendet (s. unvollendet) 307, 309, 522– 524, 526, 527, 536, 537, 549, 554, 564, 586, 593, 594, 615, 626
Sachregister | 813
Vox (s. Diathese) 154, 566, 641 Winkelschau (s. komitative Schau; s. kontinuative Schau; s. partialisierende Schau; s. prospektive Schau; s. retrospektive Schau) 549, 566, 567, 570, 576, 594, 601 Wortbildungsbedeutung 1, 5, 17, 19, 21, 26– 28, 44, 48, 79, 90, 208–213, 215–217, 245, 252, 253, 257, 260, 262, 263, 320, 452, 456, 462, 479, 490, 494, 610, 627, 632, 633, 635, 636, 653, 654, 681 Wortbildungsgrammatik (s. Paragrammatik) 44 Wortfolgetypologie (s. positionelle Typologie) 50, 108, 640, 698, 699, 701, 706 Wortformenbildung 89, 90, 95, 105, 720 Wortgrammatik 67, 68 Wortgruppengrammatik 67, 68 wortklasseninterne Konversion 338, 678 Wortschatz (s. Alltagswortschatz; s. Lehnwortschatz; s. Primärwortschatz) 1, 6, 8, 17, 22, 26, 37, 44, 47, 78, 124, 135, 140–143, 160, 178, 227, 262, 266, 273, 283, 301, 327, 342, 408, 555, 587–589, 630, 663, 683, 714, 715, 718, 721, 722, 728, 730, 736, 738 Wortschatzbedeutung 44, 208, 211–213, 226, 252, 257, 490, 654, 655, 681 Wortschatzbedeutungsgruppe 490, 655 Wortschatzbereicherung 37 Wortschatzeinheiten 233, 327, 374, 554, 719 Wurzelflexion 112 Zirkumfixkonstruktion 495 Zusammenrückung 57, 131, 179, 292, 293, 326, 649, 666, 684