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German Pages 867 [868] Year 2018
Klaus Garber Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597–1639)
Klaus Garber
Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597–1639) Ein Humanist im Zeitalter der Krisis
De Gruyter
ISBN 978-3-11-055004-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055092-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055018-4 Library of Congress Control Number: 2018941312 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Bartholomäus Strobel, Porträt Martin Opitz (1636/1637), Biblioteka Polskiej Akademii Nauk, Gdánsk Druck und buchbinderische Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Dem Gedenken Richard Alewyns (1902–1979) gewidmet
Inhaltsübersicht
Vorwort ................................................................................................................... XV I
Martin Opitz – ›Vater der deutschen Dichtung‹? ............................................ 1 Ein Eingangs-Essay
II
Epochale Signaturen um 1600 ...................................................................... 41 Ein religiös durchwirktes Ideen-Panorama
III
Eine gelehrte Jugend in Schlesien ................................................................. 81 Im Umkreis des Späthumanismus zu Bunzlau und Breslau
IV
Auf dem Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder .............. 125 Ein Lebenswerk formt sich heraus
V
Interimistische Stationen ............................................................................. 169 Görlitz und Frankfurt an der Oder
VI
Zu Gast auf einem Schloß ........................................................................... 211 Tobias Scultetus und ›Bellaquimontium‹
VII
Die reformierte Pfalz und der ›böhmische Aufstand‹ ................................. 243 Der Schlesier inmitten der nobilitas politica et litteraria
VIII
Publizistik im Umkreis des ›Winterkönigs‹ ................................................ 279 Die Schlesier und Zincgref; Camerarius und Opitz
IX
Erstes Exil: Opitz in den reformierten Niederlanden .................................. 319 Begegnung mit Daniel Heinsius
X
Ein quasiepisches Lehrgedicht als geschichtliches Vermächtnis ................ 357 Das ›Trost-Gedichte In Widerwertigkeit Deß Krieges‹
XI
In Siebenbürgen .......................................................................................... 399 Bewahrung der antiken Welt in der Schrift
VIII
Inhaltsübersicht
XII
Erste poetische Ernte ................................................................................... 425 Die ›Poemata‹ von 1624 und 1625
XIII
Poesie als ›verborgene Theologie‹ .............................................................. 455 Der Poetologe als Kulturpolitiker
XIV
Zwischen den Fronten ................................................................................. 491 Der Dichter im Schlesien nach der Katastrophe
XV
Der Schöpfer einer neuen Erzählform ......................................................... 535 Die ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹
XVI
In der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus ................................. 569 Die Paris-Mission im Auftrag Dohnas
XVII ›Von der Wahrheit der Christlichen Religion‹ ............................................ 607 Opitzens Vorrede zu Hugo Grotius’ opus magnum XVIII Fürst und Dichter ........................................................................................ 635 Die großen Texte auf die Piasten XIX
Letzte Lebensjahre in Großpolen und im Königlich Polnischen Preußen ... 677 Panegyrik und politische Fürstenlehre
XX
Der Dichter und seine Verehrer als Sachwalter des Werkes ....................... 727 Die Sammelausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts
Anhang Kommentierte Literaturkunde ..................................................................... 779 Ausgewählte Literatur ................................................................................. 829 Personenregister ...................................................................................................... 833
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................................... XV I
Martin Opitz – ›Vater der deutschen Dichtung‹? ............................................ 1 Ein Eingangs-Essay Selbsternannter Anspruch – Vorreiter Conrad Celtis – Neulateinische Matrix – Einsatz vor und neben Opitz – Sonderfall Heidelberg – Aufbruch in den Westen – Das nationalliterarische Projekt Julius Wilhelm Zincgrefs – Etablierung eines Werk-Profils – Regionale Verfaßtheit des alten deutschen Sprachraums – Rolle des Klein- und Tages-Schrifttums – Trophäenkunde – Die Stimme der Aufklärung: Gottscheds Opitz-Rede – Aufklärung im höfischen Jahrhundert – Die Schweizer und Zachariae – Lessing in Breslau – Der Fürsprecher ›altdeutscher‹ Überlieferungen: Herder – Umbruch in der Frühromantik – Ein Universalhistoriker frühneuzeitlicher Literatur Europas: Bouterwek – Volkes Stimme in den Freiheitskriegen – Im Vormärz: Gervinus – Anwalt der Freiheit und des poetisch-politischen Widerstandes: Hoffmann von Fallersleben – Ein Nachmärzler als Erbe des Gervinus: Heinrich Kurz – Das Hausbuch Scherers – Die Sozietäten und Opitz im Fadenkreuz geistesgeschichtlicher Hermeneutik – Opitz im ›Barock‹ – Gundolfs Opitz-Porträt – Übergang zu Richard Alewyn – ›Barockforschung‹: Eine Dokumentation post festum – Schlesische Geistigkeit – Eine Stimme aus dem fernen und doch nahen Breslau – Späthumanismus – Reformiertentum – Wissenskulturen – Grundlagenforschung – Noch einmal Breslau – Kunde aus den Vereinigten Staaten – Die Fruchtbringer und Opitz – Der Epistolarist – Opitius latinus – Pro Domo
II
Epochale Signaturen um 1600 ...................................................................... 41 Ein religiös durchwirktes Ideen-Panorama Präsenz des 16. Jahrhunderts – Geschichte und Werkgehalt – Zeitgenossenschaft – Die Humanisten im Zeitalter des Konfessionalismus – Europäisches Panorama – Leit- und Fluchtlinien der lutherischen Bewegung – Calvinistische Offensive – Ecclesia Reformata et Militans – Innerprotestantische Friktionen – Religiöse Polyphonie – Erster Blick nach Italien – Fanal aus Genf – Theologie, Migration und Märtyrertum – Sozinianismus – Polnische Brüder – Böhmische Brüder – Spiritualismus – Schmelztiegel Prag: Paracelsisten und Rosenkreuzer – Magna Graecia – Späthumanismus und Aufklärung
III
Eine gelehrte Jugend in Schlesien ................................................................. 81 Im Umkreis des Späthumanismus zu Bunzlau und Breslau Raumkunde im Blick auf den alten deutschen Sprachraum – Physiognomie Schlesiens – Bunzlau am Bober in den Augen von Opitzens erstem Biographen – Opitius eheu! – Im späthumanistischen Kairos – Senftleben als Widmungsempfänger – Ein Blick in den ›Strenarum Libellus‹ – Eine frühe Widmungsadresse – Die Hirten, Pan und Jesus – Hintersinnige amouröse Verse aus dem Stegreif – Markierung von Differenz – Metropole Breslau – Schule und Kirche als gelehrte Zentren – Johannes von Höckelshoven – Im Zentrum späthumanistischer Geistigkeit – Caspar Cunrad als Zeuge und Sachwalter einer geistigen Epoche –
X
Inhaltsverzeichnis
Werkprofil eines späthumanistischen Nestors – Zwei Texte auf Cunrad in Handschrift und Druck – ›Carmen Heroicum‹ – Umfunktionierung epischer Montur – Ein Held der frühen Moderne – Wahrer von Memoria – ›Non sum solus, ubi Salus Jehovae est‹
IV
Auf dem Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder .............. 125 Ein Lebenswerk formt sich heraus Der zeitgenössische Biograph ergreift das Wort – Ein Blick auf die Forschung – Eine fehlende Universität und das gymnasiale Umfeld – Georg von Schoenaich im Kontext seines Geschlechts – Ein erster Blick auf das Gymnasium Schoenaichianum – Eine innovative Disziplin – Caspar Dornau – Dornaus Übergang nach Beuthen – Kreation einer neuen Professur für Frömmigkeit – Georg Vechner – An der Wiege eines Lebenswerkes – Dornaus Rolle im linguistischen Diskurs um 1600 – Der ›Aristarchus‹: Ein sprach- und dichtungspolitisches Fanal – Ein Motto – Eine Widmungsadresse – ›Germania sacra‹ – Das edle Volk der Germanen – Wanderung und Schicksal von Sprachen – Klassizismus – Linguistische Misere auf deutschem Boden – ›Amadis‹ statt ›Bienenkorb‹ – Archäologie der deutschen Literatur – Europäischer Horizont – In eigener Sache – Alexandriner in deutschem Ton – Ein nicht zu verschweigender Vorgänger – Ausklang
V
Interimistische Stationen ............................................................................. 169 Görlitz und Frankfurt an der Oder Poetische Rückkehr nach Bunzlau – Ein zweiter Odysseus – Görlitz: Ein Kurzporträt – Religiöse Physiognomie – Das Gymnasium Augusteum – Auf forscherlichen Irrwegen – Hipponax Ad Asterien: Ein erster Blick – Eine ›hybride‹ Widmungsadresse an die Freunde der Jugend – Der Titelheld Hipponax, seine Hinkjamben und sein poetischer Vorwurf – Die ›puella amabilissima‹ Asterie – Der Dichter und seine Geliebte – Äußere und innere Schönheit – Hipponax als Satiriker und Euloge – Feier des Poeten und der Poesie – Heiterer Abgesang und Blick in die Zukunft – In Frankfurt an der Oder zu brisanter Zeit – Fürstlich sanktionierter Calvinismus und praktizierte Toleranz – Das Reformprojekt der ›Viadrina‹ – Noch einmal: Opitz in Frankfurt – ›Dulc-Amarum‹: Monaus persönliches Gedenkwerk – ›Dulc-Amarum‹ II: Dornaus ›Soliloquia‹ in vielerlei Gestalt – Opitzens Präsenz in Dornaus ›Dulc-Amarum‹ – Eine säkulare Gestalt am Altar der Göttin Salus und im Gebet – ›o mi Dornavi‹ – ›Pulcher flos temporis‹ – Elegeidion
VI
Zu Gast auf einem Schloß ........................................................................... 211 Tobias Scultetus und ›Bellaquimontium‹ Poetisches Porträt eines Großen der Zeit – Evokation altrömischen Ethos’ – pater charissime – Opitz bei Scultetus auf Schloß Bellaquimontium – Vita in Abbreviatur – Späthumanistisch-reformierte Mentalität – Im Umfeld des reformierten Generalstabs – Juvenilia et Officia – Innenansicht einer Adels-Bibliothek – Etablierung eines Vergilschen Prototyps – Im Gewande des Hirten-Heros Daphnis – Erneut: Eine Trouvaille – Der Vergilsche Sänger an der Oder – Wanderung der Hirtenflöte durch die europäische Literatur – ›pauper Iolas‹ und ›Daphni pater mitissime‹ – ›Non indigna cano‹ – Eine glückbringende Krähe auf der Eiche – Der Liebesdichter im Dienste Sophias – Poesie und Peregrinatio – ›Daphni ô Daphni omnia clamant‹ – Versinkendes Licht und aufsteigender Sternenhimmel
VII
Die reformierte Pfalz und der ›böhmische Aufstand‹ ................................. 243 Der Schlesier inmitten der nobilitas politica et litteraria Plädoyer für die ›geistigen Culturstrassen‹ – Schlesisch-Pfälzischer Brückenschlag – Calvinismus, Territorialstaat und Literatur – Der Weg zur Vorhut der Reformierten auf deutschem Boden – Bestimmende Rolle des Kurpfälzischen Oberrats und Christian von Anhalts – Auf schlesisch-pfälzischen Wegen – Janus Gruter und Georg Michael Lingelsheim – Mittelpunkt des Heidelberger Dichterkreises: Paul Schede Melissus – Der Publizist Petrus Denaisius –
Inhaltsverzeichnis
XI
Latein und Deutsch: Friedrich Lingelsheim – Folgenreiche Exkursion: Bei Bernegger in Straßburg – Konfessionspolitische Spezifizierung: Luthertum und Calvinismus – Dialektik des böhmisch-pfälzischen Aufstandes – Letzte Blütejahre in Heidelberg – Eine königliche Hommage Weckherlins – Der ›Winterkönig‹ in Prag – Eine Katastrophe säkularen Ausmaßes – Das Ende der Heidelberger ›Sodalitas Palatina‹
VIII
Publizistik im Umkreis des ›Winterkönigs‹ ................................................ 279 Die Schlesier und Zincgref; Camerarius und Opitz Die Reformierten erheben ihr Haupt in Breslau – Königlich verordnete Gewissensfreiheit – Publizistische Begleitung in Schlesien – Rückkehr in die Pfalz: Zincgref als Publizist – Zincgrefs ›Epos ad Fridericum‹: Rom als Paradigma – An der Wende der Zeiten – Bellum iustum und aetas aurea – Adhortatio und ›nutrex Germania‹ – ›Europa flagrans‹: Das brennende Europa – Pro Patria, pro Religione – Urbi et orbi – Ein Blick in Zincgrefs ›Quodlibetisches Weltkefig‹ – Übergang zu Opitz – Entdeckung eines poetischen Panegyricus auf Ludwig Camerarius – Porträt eines calvinistischen Wortführers – Publizistische Offensive – Der wortgewaltige Retter der Pfälzer Sache – Noch einmal: ›Oratio ad Fridericum Regem Bohemicae‹ – Königliche Nähe – Opus Dei – Zukunft, in der Vergangenheit gegenwärtig – Defensor religionis – Der Aufbruch poetisch-rhetorisch gewendet – O te pium Principem – Optimi Statvs Avctor – Religions- und staatspolitisches Credo – Apokalyptische Zeitdiagnostik – Fridericus soter
IX
Erstes Exil: Opitz in den reformierten Niederlanden .................................. 319 Begegnung mit Daniel Heinsius Ein neuerlicher Aufbruch – Auf dem Rhein – Noch einmal: Blutendes Vaterland – ›Chara Palatini tellus, vale!‹ – Leitstern und Kompaß des Lebens – Ein zweiter Odysseus, poetisch mutiert – Blick auf die Niederlande – Leiden als Hochburg gelehrter Studien – Geburt der nationalsprachigen Poesie und ihrer Theorie – Literaturpolitische Diskurse im Nachbarland: Scriverius – Nationale Rückversicherung – Europäische Figuration – Nationale Applikation – Preis der niederländischen Sprache und Poesie – Heinsius-Rezeption durch Opitz – Geistliche Adaptation – Die Widmungsadressen zum ›Lobgesang Jesu Christi‹ – Das Bekenntnis aller Christen – ›Hymnus oder Lobgesang Bacchi‹ – Poesie und Politik in einer Widmungsadresse – Rückkehr zum geistlichen Fach – Author pacis adest – Paradoxia crucicalis – Psalmistische Apokalyptik zeitversetzt – Vber des Hochgelehrten vnd weitberümbten Danielis Heinsij Niderländische Poemata – Die Nymphen auff der Maaß – Translatio artium – Heinsius alias Opitz
X
Ein quasiepisches Lehrgedicht als geschichtliches Vermächtnis ................ 357 Das ›Trost-Gedichte In Widerwertigkeit Deß Krieges‹ Offene Schreibsituation um 1600 – Vor 1620 – Philologica – Gattung – Gliederung – ›Heroisch getichte‹ – Prooemium – Tradition – Sannazaro – Calvinistisches Frankreich – Blick nach England und in die Niederlande – Heinsius’ ›De contemptu mortis‹ – Paratexte – Krieg; Bürgerkrieg; Nation – Tyrann und Tyrannei – Geschichte – Freiheit – Theologie – Consolatio – Schöpfer-Allmacht – Widerstand – ›Vnschuld vnd gutes Gewissen‹ / ›gute Sach und heiliges Gewissen‹ – Pax; Mars; Bellum iustum – Verfolgung der Hugenotten: Das Exemplum Frankreich – Heroische Behauptung der Nation: Das Exemplum Niederlande – Lehren für Deutschland: Held und Poet in Aktion – Finale – Eschatologie – Schlußgebet
XI
In Siebenbürgen .......................................................................................... 399 Bewahrung der antiken Welt in der Schrift Auftakt – Umrisse eines Siebenbürgen-Porträts in konfessioneller Perspektive – Sonderfall Siebenbürgen – Fürstliche Residenz Weißenburg – Religiöse Toleranz – Im Zeichen Bethlen Gábors – Das ›Academicum Collegium‹ – Poetische Reisegedanken auf dem Wege nach Sie-
XII
Inhaltsverzeichnis
benbürgen – Eine poetische Epistel an einen Weggefährten – Präsenz Roms – Ein Brief an den Nestor der schlesischen Späthumanisten – Allegorischer Abschied von Siebenbürgen – Heimkehr um des Werkes willen – Der Widmungsempfänger ›Zlatnas‹ Heinrich von Stange und Stonsdorf – Widmung und Rückblick auf Siebenbürgen in gattungspoetologischer Perspektive – Lokales Refugium – Intimität – Präsenz Roms II – Poetisch-memorialer Transfer – Der Freund und Emigrant – Hofkritik und Lob des Landlebens – Entwurf der Zukunft
XII
Erste poetische Ernte ................................................................................... 425 Die ›Poemata‹ von 1624 und 1625 Fliegende Blätter – Eine erste Präsentation der ›Poemata‹ von 1624 – Ein Titelkupfer – Porträt eines elsässischen Adligen – Poesie und Politik: Zincgrefs Widmung an Eberhard von Rappoltstein – Europäischer Stafettenlauf der Musen – ›Vnser Opitius‹ – Auftauchen eines ›altdeutschen‹ literarischen Kontinents – Opitz auf Pfälzer Parkett – Europa, Deutschland und der Pionier Martin Opitz – Der eigene Blick auf den Erstling – Ein pfälzisch-oberrheinisches Gratulations-Bouquet – Übersetzerisches Patchwork – Thematisch buntes Allerlei – Rahmung der Sammlung – Ein unzeitgemäßes politisches Schlußgedicht – Ein eigenständiger Sproß: Der Zincgrefsche Anhang – Ein erster Blick in die Kollektion der ›teutschen Poeten‹ – Eine unschöne Reaktion – Titelblatt-Ikonographie – Poetisches Musterbuch 1625
XIII
Poesie als ›verborgene Theologie‹ .............................................................. 455 Der Poetologe als Kulturpolitiker Praefiguratio: der Archeget – Historiographische Retrospektive – Deutsche Verspätung – Ein poetisches Reformprojekt in aufgewühlter Zeit – Verdecktes poetisches Sprechen – Übergang zur Poetologie – ›Germania‹ und die Germanen in der Rede ›Wider die Verachtung der deutschen Poesie‹ – Renaissance-Poesie in deutscher Sprache – Das ›Buch von der deutschen Poeterey‹ und seine Widmungsadresse – An die Heimatstadt ergehende Verheißungen – Rolle Breslaus – Prämierung der Frühe – Dichtung als verborgene Theologie – ›Prima philosophia‹ – Poet und Amtsträger – Universalität der Poesie und des Poeten – Poetische Praxis in Deutschland vor Opitz – Intertextuelles Agieren – Dialektik des Schreibens bei Gelegenheit – Standes-Ethos des Poeten – Mimesis – Heidnisches Götterwesen und humanistische Poesie – Poesie und Allegorie – Liebesdichtung doppelsinnig – Blick in die Zukunft – Neulateinische Mitgift – Germanen und deutschsprachige Poesie – Aufschwung und Niedergang der Poesie – ›Durchtriebenheit‹ und der ›rechte grieff‹ in poeticis – Poesie in fürstlichen Gemächern – Die Vorrede zu den Gedichten von 1625 – Blick auf die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ – Interaktion von Regent und Poet – Historische Paradigmen – Übergang nach Deutschland – Fürst und Fürsten-Ethos – Finale: Würde der Poesie und des Poeten unter fürstlichem Schirm
XIV
Zwischen den Fronten ................................................................................. 491 Der Dichter im Schlesien nach der Katastrophe Erwägungen zur Disposition – Ein erstes Mal bei Hans Ulrich von Schaffgotsch – Res gestae, historia und veritas – Bilder der Tugend – Sproß der von Promnitz: Eine illustre vita in nuce – Der Dichter vor dem Kaiser – Casa Austriaca – Verschränkung der Zeiten – Ein Haus, ›dem nichts auf Erden gleich‹ – Eine verwickelte Geschichte – Die böhmisch-schlesische Linie der von Dohnas – Freiherrschaft Wartenberg: Abraham und Karl Hannibal von Dohna – Kaisertreue, Katholizismus und religiöse Toleranz – Die Krisis – Im Dienste Dohnas – Die Stimme des Freundes und Biographen – Diplomatie und Dichten: Ein Lobgedicht auf Dohna – Auf diplomatischer Bühne – Erhebung in den Adelsstand – Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft – Ein Gesellschaftsbuch – Der Gekrönte – Symbolisches Ritual und Kapital – Fürstliche Präsente – Werk-Konspekt I: Trojanerinnen, Argenis, Dafne – WerkKonspekt II: Laudes Martis, Jonas – Werk-Konspekt III: La Capta Rupella, Disticha Catonis, Vielguet – Ernte am Ende des Jahrzehnts: Die Ausgabe von 1629
Inhaltsverzeichnis
XV
XIII
Der Schöpfer einer neuen Erzählform ......................................................... 535 Die ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ Übergang – Der Schäferdichter Opitz und die europäische Tradition – Literarischer Favorit Europas: Die Ekloge – Deutscher Sonderweg – Opitz und die Ekloge – Die Prosaekloge auf deutschem Boden – Umrisse eines Gattungs-Profils – Der Adressat – Die Widmungsadresse – Schicksal der jungen deutschen Literatur – Inkriminierte Schäferdichtung in der Moderne – Poetischer Vorwurf – Pastorale Selbsterkundung – Der Liebesdiskurs in der Prosaekloge – Schäferlich-gelehrte Referenz des Neuplatonismus – Auftritt der Nymphe – Poetisches Fluidum – Grotten-Magie und der Boberschwan – Aus dem Mythos in den Raum der Geschichte – Das edle Geschlecht der Schoffen – Auftritt der Parzen – Parzenlied – Noch einmal: Greuel der Konfessionskrieg – Das goldene Buch der Parzen – Zauberwesen, herrschaftliche Topographie und das Trauma Politik – Abschied im Zeichen der Poesie
XVI
In der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus ................................. 569 Die Paris-Mission im Auftrag Dohnas Frankreich unter Richelieu – Opitz ›auf diesem politischen Schauplatze‹ – Forum der ›Noblesse de robe‹: Das Pariser Parlament – Standespolitische Debatten im Umkreis der ›Etats généraux‹ – Bündnis mit dem Königtum. Die Rolle der ›politiques‹ – Gallikanismus und Royalismus – Geistiges Kräftefeld des Späthumanismus – Der Vater Jacques-Auguste de Thous: Christofle de Thou – Portrait Jacques-Auguste de Thous – Späthumanistisches Vermächtnis de Thous im Spiegel einer deutschen Übertragung von Zacharias Geizkofler – Die frères Dupuy und ihr ›Cabinet‹ – Charakteristik der ›Collection Dupuy‹ – Der Vater der Gebrüder Dupuy: Claude Dupuy – Im Dienst der Krone: Die Gebrüder Dupuy – Opitz im Umkreis der Dupuys
XVII ›Von der Wahrheit der Christlichen Religion‹ ............................................ 607 Opitzens Vorrede zu Hugo Grotius’ opus magnum Nochmals: Opitz und die Niederlande – Das niederländische geschichtliche Paradigma – Die Niederlande im Werk Opitzens – Verspätete persönliche Begegnung mit Grotius – Schlesische Konstellation – Die Paris-Mission in Dohnas Kalkül – Ein Text in einer Situation der Krisis – Umschwung in den Niederlanden – Nationale Identität aus dem Geist des Humanismus und Calvinismus – Dialektik der Staats-Religion – Der Theoretiker in praktischer Mission – Intellektuelle Vorgeschichte – Opitz und Colerus als Dolmetscher – Die Antwort des Grotius – Ein Blick in das opus magnum – Widmungsadresse – Universale theologische Fundierung – Der Gott der antiken Philosophie und die Krisis des Glaubens – Glaube und Vernunft – Der Gott der Testamente und die frühe Christenheit – Noch einmal: Krise des Glaubens – Geistige Heimat Breslau – Lob Breslaus – Die Stadt in Gottes Hand
XVIII Fürst und Dichter ........................................................................................ 635 Die großen Texte auf die Piasten Präsenz der Piasten – Princeps litteratus – Der geistliche Opitz im Kontext eines WidmungsChangements – Friedensfürst im Eisernen Zeitalter – ›Perle der Heldinnen‹: ›süsse Frömigkeit‹ der verewigten Fürstin – ›Alit poëtas aula nobiles vestra‹ – Anrufung der Piasten – ›O du Quell der Heylsamkeit‹ – ›O vnbeflecktes Liecht Des edlen Schlesien‹ – ›ich bin nicht unbekandt Dem hause‹ – ›O Königlicher Fürst/ [...] Du meiner Musen schutz‹ – Ein Blick nach Oels – Die verewigte Schwester der herzoglichen Brüder und der europäische Krieg – Prodigien und fürstliche Souveränität: Johann Christian tritt hervor – Der Psalmist und die Piasten
XIX
Letzte Lebensjahre in Großpolen und im Königlich Polnischen Preußen ... 677 Panegyrik und politische Fürstenlehre Rückkehr zu den Piasten – Raumkunde: Großpolen und Königlich Polnisches Preußen – Aufgelockerte religiöse Landschaft – Ein Blick nach Lissa – Silhouette Thorns – Endstation
Inhaltsverzeichnis
XIV
Danzig – 1633 als werkpolitisches Schlüsseldatum: Das ›Trost-Gedichte‹ erscheint – Nochmals 1633: Die Widmung an den Prinzen Ulrich von Holstein – Vollendung eines nationalen Projekts: Ein Held von epischer Statur betritt die Szene – Der Tod des Hoffnungsträgers im Jahr 1633: Die ›Laudatio Funebris‹ für Ulrich von Holstein – Der Held als Bannerträger von Hoffnung – An der Seite der Unterdrückten in geknebelten Landen – Eine Rede aus dem Grabe und die Antwort des Dichters – Eine fürstliche Freundschafts-Adresse – Ein anonymes Werk wird identifiziert – Die ›Conjunction‹: Bernhard von Sachsen-Weimar übernimmt die Stafette – Ratispona In Libertatem Vindicata: Das befreite Regensburg – Nochmals eine fürstliche Widmungsadresse – Schirmherr des ›Vaterlands‹ und des ›heiligen Glaubens‹ – Geschichtlicher Kairos: Ein Echo aus vorrevolutionärer Pfälzer Zeit – Auf dem Weg nach Polen – Ein prominenter Widmungsempfänger: Gerhard von Dönhoff – Ein Drama aus dem Exil – Porträt eines Wahlverwandten – Eine königliche Begegnung mit Folgen – Rex Serenissimus Potentissimusque – Vollendung des Genus ›Lob-rede‹ – Der Dichter als Stifter von Memoria auf polnischem Boden: Anna Wasa – Fabian von Czema – Die Stimme des Johann Amos Comenius – Panegyricus Raphaelis Comitis Lesnensis – Ein königliches Epithalamium – Geistliches Vermächtnis: Das Psalmen-Werk
XX
Der Dichter und seine Verehrer als Sachwalter des Werkes ....................... 727 Die Sammelausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts Eingang – Rückblende – Die erste Werkausgabe in eigener Regie – Die Ausgabe von 1629 und ein bemerkenswertes Widmungsgespann – Im Schatten des Todes – Publizistische Hoffnungen – Geistlicher Auftakt in Breslau und Frankfurt am Main – Mißgeschick über Mißgeschick bei den ›Weltlichen Gedichten‹ – Schicksal eines Berliner Unikats – Einkehr in Breslau – Die Ausgabe letzter Hand – Disposition der ›Weltlichen Gedichte‹ – Ein erstes Fazit – Ein letztes Mal: Widmungs- und Werkpolitik – An Apollo – Opitz unter den Fittichen eines Sozinianers – Die Stimme Andreas Hünefelds – Physiognomie der posthumen Danziger Ausgabe – Poetische Danziger Toten-Ehrung – Im sprachverwandten Nachbarland – Das nachopitzsche Schlesien – Zeit der Ernte – Esaias Fellgiebel – Krönender Abschluß – Kronzeuge der Aufklärung – Opitz in der Schweiz – Unter Kennern und ›Liebhabern der Alterthümer‹ – Auf der ›Spur der Schönheiten‹ – Der ›lautere Opitz‹: Anlage des Werkes – Rückkehr nach Leipzig – Unter der Obhut des Kaisers – Aus der Praeexistenz in die Existenz – Der gemißhandelte Opitz – Auf dem Weg zur Klassik – Ein abschließendes Wort
Anhang Kommentierte Literaturkunde ..................................................................... 779 Quellenkunde – Bibliographien und Teil-Bibliographien – Sammler und Sammlungen – Bibliotheks-Kataloge – Wege zur wissenschaftlichen Literatur – Abgeschlossene Bibliographien – Fortlaufende Bibliographien – Bio-bibliographisch-lexikalische Einträge – Handschriftliche Viten-Werke – Gedruckte Lexika und Verwandtes – Forscherliche Ernte der jüngsten Zeit
Ausgewählte Literatur ................................................................................. 829 Sammelbände – Verfasser-Schriften
Personenregister ...................................................................................................... 833
Vorwort Der Dichter Martin Opitz ist im kulturellen Gedächtnis der Deutschen nicht präsent. Publikumsverlage winken ab, wenn man ihnen eine Biographie des ›Vaters der deutschen Dichtung‹ anzudienen sucht. Dieser Autor bürgt nicht für einen hinreichenden Verkauf – auch dann nicht, wenn seine Aktualität dargetan werden kann. Dieses Schicksal teilt er mit so gut wie allen seinen Zeit- und Standesgenossen. Die deutsche Literatur des ›langen 17. Jahrhunderts‹ zwischen 1560/70 und 1730/40 ist – von Ausnahmen abgesehen – der Erinnerung entschwunden. Und wenn Fachleute bestätigen, daß eine lesenswerte Dichtung in Deutschland überhaupt erst mit Lessing beginne, dann ist ein ohnehin allfälliger Sachverhalt auch von vermeintlich kompetenter Seite sanktioniert. Ein Verfasser, der gerne über die verschiedenen Medien ein breiteres Publikum erreicht, operiert also mit einem umfänglichen Buch über einen sog. ›Barockdichter‹ in der Hand auf verlorenem Posten. Durch Wort und Tat möchte er zeigen, daß es sich immer noch lohnt, zu einem Autor wie Opitz oder einem seiner Weggefährten zu greifen. Und das im Blick auf eine jede und einen jeden, die sich die Freude am Lesen bewahrt haben. Wird er sie noch erreichen? Er wird sein Bestes geben, gewiß. Das aber heißt, er wird in erster Linie zu den Texten zu geleiten suchen. Sie bergen den Schatz, den zu heben vornehmste Pflicht der zu diesem Geschäft bestellten Sachwalter bleibt. Diese Texte aber sind ferngerückt. Und sie sind imprägniert von einer inzwischen mehr als zweitausend Jahre währenden Schreibpraxis. Sie gehören einer alteuropäischen Formkultur und Geistigkeit an, von der sie in einer jeden Zeile zehren. Nichts ist in verwandter Art und Weise nicht schon vor ihrem Erscheinen gesagt worden. Alles aber gehört in gleichem Maße dem jeweils zur Feder greifenden Autor. Diese Texte zeichnet ausnahmslos eine Melange aus, wie es sie in dieser Intensität nur in der vormodernen literarischen Praxis gegeben hat. Vom Hellenismus bis in die letzten Ausläufer des Spätbarocks spannt sich der Bogen. In einem jeden gelungenen Text ist ein Nachklang zu vernehmen. Ihn gilt es herauszuhören und zugleich den neuen Ton zu gewahren, der einem jeden substantiellen Text eignet. Das ist ein schwieriges und zugleich ein herrliches Geschäft. Schwierig ist es, weil es ausgebreitete Kenntnisse der europäischen Tradition voraussetzt; herrlich aber, weil der Entdeckungen in den je einzelnen Texten des zur Rede stehenden Autors kein Ende ist. Ein Entdecker ist auf Mitteilung aus. Er möchte Hörer und Leser Anteil nehmen lassen an dem, was er erkundet hat. Und mehr als das: Er möchte Wege des angemessenen Lesens weisen. Das Lesen alteuropäischer Texte bis an die Schwelle der Empfindsamkeit ist eine Kunst eigener Art. Sie will nicht nur gelernt, sondern zu-
XVI
Vorwort
gleich zur Diskussion gestellt und sodann weitergegeben sein. Ein jedes Buch zu einem der Autoren Alteuropas ist zugleich eines in der Schule des Lesens. Das begründet die Schwierigkeit wie den Reiz. Dieser Kunst eignen viele Facetten. Eine Rangordnung besteht nicht. Einmal tritt dieser Aspekt in den Vordergrund, ein andermal jener. Die unscheinbarste Beobachtung vermag nicht minder aufschlußreich zu sein als die große Bogenführung. Es zählt allein die textaufschließende Kraft. Sie birgt eben jene Impulse, denen zukunftsfähiges und also stets auch gegenwärtiges Potential eignet. Die Auslegung eines Textes ist eine durch und durch von der Geschichte gesteuerte. Zu einem jeden geschichtlich bedeutsamen Augenblick geben sich neue Aspekte zu erkennen. Die Auslegungsgeschichte selbst bleibt ein Konstituens der Auslegung. Die lebendigsten Auslegungen sind jene, in denen ein Funke über die Zeiten hinwegspringt ... Dieses Buch ist in maßgeblichen Teilen zu einem philologisch wie geschichtlich gleich prägnanten Zeitpunkt geschrieben worden. Was die Philologica betrifft, so ist ihm gleich ein dreifacher günstiger Umstand zugute gekommen. Erstmals liegen alle lateinischen Texte Opitzens in einer zweisprachigen, mit reichen Kommentaren versehenen Ausgabe vor. Nämliches gilt für die Briefe von und an Opitz sowie die sie begleitenden Zeugnisse zu Leben und Werk. Und schließlich war die kritische Gesamtausgabe der Opitzschen Texte schon zu Beginn der neunziger Jahre so weit gediehen, daß genügend Zeit verblieb, das noch Ausstehende aus dem letzten Jahrzehnt seines Lebens auf anderen Wegen zu beschaffen. Wohl ausgestattet also ging der Betrachter ans Werk. Sein Ziel aber war ein besonderes. Keineswegs sollte eine Biographie klassischen Musters unter Einbezug aller maßgeblichen Daten und Texte erstellt werden. Es ging um Erarbeitung markanter Stationen, geknüpft an die Präsenz einzelner markanter Titel. Damit gelangte ein doppeltes Erkenntnisinteresse zur Geltung. Räume wollten umrissen sein, in denen Opitz weilte und die seinem Werk zugute kamen, und zugleich sollten diejenigen Personen in ihnen hervortreten, denen er maßgebliche Impulse verdankte. Alle großen Literaturwissenschaftler waren immer auch Raumkundler. Diese Wissenschaft in Ehren zu halten und an ihrer Weiterentwicklung zu arbeiten, ist ein Gebot der Standesehre. Raumkunde aber ist in kunstwissenschaftlichen Arbeiten jedweder Provenienz kein Selbstzweck. Räume und in ihnen agierende Personen prägen die Physiognomie von Werken. In ihnen kursieren Diskurse, prägen sich Lebensformen aus, sind Traditionen gegenwärtig, die einen Autor, der mit ihnen in Kontakt gerät, zu allemal stimulierenden Begegnungen geleitet, welche in den Texten ihren Niederschlag finden. Sie begründen jenen geschichtlichen Gehalt, um deren Erschließung es allemal zu tun ist. Soll dies aber gelingen, so muß Mut zur Profilierung klar umrissener Untersuchungseinheiten obwalten. Alles zu wollen, um Vollständigkeit bemüht zu sein, ist einem jeden auf Exemplarität bedachten Verfahren nicht bekömmlich. Keineswegs alle Opitzschen Texte kommen im folgenden zur Sprache. Wenigstens einer aber soll sich mit jeder neu erreichten Station im Leben verbinden, und diesem soll sodann besondere Aufmerksamkeit gelten. Aufmerksamkeit aber heißt im Sinne des Gesagten, daß seine Bausteine, aus denen er gefügt ist, bekannt sein müssen, und daß zugleich seine innovativen Züge zur Darstellung gelangen. Und eben in dieser
Vorwort
XVII
letzteren Hinsicht kommt notgedrungen, aber keinesfalls befremdlich, jene Gegenwart zu ihrem Recht, welche Wahrnehmung und Auslegung allemal steuert. Auf eine denkwürdige Weise war Opitz wie ein jeder seiner späthumanistischen Standesgenossen um 1600 mit konfessionellen Fundamentalismen konfrontiert, die auf andere Weise auch in der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit ihr blutiges Haupt wieder erhoben haben. Opitz und seine Freunde haben Antworten in dieser Situation einer tiefen Krise gefunden, denen ein bewußtseinsförderndes, weil aufgeklärtes Moment eigen ist. Es weist voraus auf die Zeit der Aufklärung, in der alle bis heute gültigen Antworten auf die verhängnisvollen religiösen Verwerfungen formuliert wurden. Die Humanisten und insbesondere diejenigen in der Spätphase um 1600 haben maßgeblichen Anteil an der Herauskristallisierung dieser Botschaft. Opitzens Stimme in diesem respekterheischenden Chor verlauten zu lassen, ist ein Beweggrund des vorliegenden Buches. Sein Titel verweist auf ein doppeltes Anliegen. Opitz hat an vorderster Stelle – jedoch keineswegs alleine – eine Reform der deutschen Dichtung auf den Fundamenten der Antike und der europäischen Renaissance eingeleitet. Das hat ihm den Titel eines ›Vaters der deutschen Dichtung‹ eingetragen. Daß er diesen nur mit halbem Recht trägt, wird dieses Buch zeigen. Seine immense Leistung wird dadurch nicht geschmälert. Der Begriff des Reformators jedoch ist in der Regel theologischen Belangen vorbehalten. Die damit gegebene Oszillation der Nomenklatur ist eine dem Vorhaben des Buches durchaus entgegenkommende. Denn Opitz hat eben auch lebhaft an den religiösen und konfessionellen Problemen seiner Zeit Anteil genommen. Und hier hat er sich gleichfalls als ein Neuerer erwiesen, dem es gegeben war, Wege aus der Krise zu weisen, die ihm den – zugegebenermaßen ungewöhnlichen – Titel eines Aufklärers verleihen. Auch ein Opitz gehört hinein in den gewaltigen Transformationsprozeß, den die überkommenen Wissenskulturen und religiösen Anschauungsformen um 1600 erfahren. Auf vielfach unterirdischen Wegen gelangen Gedanken zur Artikulation, die vorausweisen auf das Zeitalter der Aufklärung. Genau dieser Zeit eignet eben deshalb ein Erbe, dessen Aneignung auch das folgende Buch gewidmet sein möchte. Seine Anfänge reichen zurück in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In ihnen galt es, unter den Augen Richard Alewyns eine Dissertation zur Naturerfahrung in der Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts abzufassen, die ohne die angemessene Präsenz Opitzens nicht zu schreiben gewesen wäre. Gleich in den siebziger Jahren, als es um die Vorbereitung eines Werkes zur europäischen ArkadienUtopie ging, wurde der Einsatz im 17. Jahrhundert wie selbstverständlich mit Opitz genommen. Seiner Person und seinem Werk aber war mehr zugedacht als die einschlägigen Texte zur Schäfer- und Landlebendichtung des Zeitraums zu stellen. An ihnen sollten die Bedingungen literarischer Produktion exemplarisch entfaltet werden. So entstand ein umfängliches Manuskript zur kulturpolitischen Biographie des jungen Opitz, begleitet von einer exemplarischen Studie zur kulturpolitischen Theorie des Autors und ihrer Flektion in drei ›arkadischen‹ Texten. In den frühen achtziger Jahren führte ein weiterer Weg zu dem Autor, auf dem Neuland zu betreten war. Das Rätsel von Opitzens spektakulärem Aufenthalt in Paris galt es zu lösen. Insgesamt wohl ein gutes Jahr hat sich der Autor immer wieder für
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einige Tage und gelegentlich auch für einige Wochen in der französischen Hauptstadt aufgehalten, um in den handschriftlichen und gedruckten Schätzen der Bibliothèque Nationale die einschlägigen Quellen aufzuspüren und durchzuarbeiten. Am Ende stand ein Manuskript, das unter dem Titel ›Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus‹ in französischer und deutscher Version zur Publikation gelangte, während ein darauf basierendes umfangreicheres über ›Opitz im Paris Richelieus‹ unpubliziert blieb. Dann trat eine im Grunde Jahrzehnte währende Zäsur ein. Der Literaturwissenschaftler mutierte zum Bibliotheksreisenden. In immer neuen Anläufen wurde nach dem Verbleib alter deutscher Bücher in Mittelosteuropa und der Sowjetunion gefahndet. Krakau und Breslau, Thorn und Danzig, Vilnius und Riga, Reval und Dorpat, St. Petersburg und Moskau, am Rande auch Minsk und Lemberg waren immer wieder besuchte Ortschaften, in deren Bibliotheken und Archiven zumeist im Solopart archäologische bibliophile Pionierarbeit zu leisten war. Nimmt man hinzu, daß parallel zu diesen Aktivitäten das Augenmerk immer wieder auf Walter Benjamin gelenkt wurde, so mag verständlich werden, daß die Anläufe auf dem Felde der Literatur des 17. Jahrhunderts und ihrer europäischen Voraussetzungen für eine – rückblickend übermäßig lange – Weile in den Hintergrund traten. Erst die Emeritierung führte den Unschwung herbei. Erntezeit brach an. Die bibliothekarischen Entdeckungen konnten – zumindest in Teilen – in die Scheuer eingefahren, die sie begleitenden Studien in Monographien und Sammelbänden vereint, lang gehegte Pläne wieder aufgenommen und gefördert werden. Darüber ist hier im einzelnen nicht zu berichten. Nur das im Blick auf Opitz und damit für dieses Buch Relevante ist knapp zu berühren. Die Umstände brachten es mit sich, daß im Zuge eines großen, von der VolkswagenStiftung und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Drittmittelprojekts zum personalen Gelegenheitsschrifttum vornehmlich auch Breslau immer wieder aufgesucht wurde. Am Ende stand eine dem alten Breslau gewidmete Monographie, die rechtzeitig vorlag, bevor die schlesische Metropole im Jahr 2016 als europäische Kulturhauptstadt fungierte. Sie trat neben ein Buch zum alten Königsberg, dessen Untergang samt seiner kulturellen Institutionen ein traumatisch besetztes Ereignis blieb, dem entgegenzuwirken die erwähnten Erkundungsreisen in den Osten vor allem dienten. Inzwischen konnte ein drittes Buch zum Abschluß gebracht werden, das noch einmal der kulturellen Silhouette zweier Städte auf schlesischem Boden gewidmet ist: Nun sind es die beiden höfischen Zentren in Liegnitz und Brieg, die in den Mittelpunkt der Betrachtung rückten. Mit Breslau, Liegnitz und Brieg, ja am Rande sogar noch mit Königsberg sind Orte namhaft gemacht, die im Leben Opitzens eine zentrale Rolle spielten. Was anläßlich ihrer Vorbereitung erforscht wurde, kam auch dem vorliegenden Buch zugute. Doch damit hatte es nicht sein Bewenden. Als der Verfasser in den achtziger Jahren unversehens in der Universitätsbibliothek zu Vilnius auf eine als verschollen geltende Ekloge Opitzens mit dem schönen Titel ›Daphnis‹ stieß, war sein Interesse für eine Institution und eine Person erwacht, das fortan erhalten blieb und sich in vielfältiger Weise verzweigte. Die gymnasiale Schöpfung des Freiherrn Georg von Schoenaich in Beuthen an der Oder nahm in ihrer einzigartig dastehenden Ausprägung für eine
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knapp bemessene Frist die Rolle einer dem Land fehlenden Universität wahr. Opitz kam genau im rechten Moment, bevor auch sie in den Strudel der Katastrophe hineingerissen wurde, machte daselbst Bekanntschaft mit einem großen Staatsmann und Förderer der Wissenschaften und Künste und zehrte ein Leben lang von diesen Impulsen. Eine gleichfalls abgeschlossene Monographie wird wiederum parallel zu diesem Buch vorgelegt werden. Opitz ist in seinem Leben immer wieder mit bedeutenden Persönlichkeiten zusammengetroffen. Viele von ihnen durfte er als seine Freunde und Mäzene verehren. So gut wie alle waren geprägt von dem Aufschwung, den die humanistischen Studien um 1600 genommen hatten. Zwei Zentren zeichneten sich ab, an denen das lebhafte intellektuelle – und diplomatische! – Geschehen sich verdichtete: die Pfalz und Schlesien. Schlesien war Opitzens Heimat, die Pfalz wurde für eine Weile seine Wahlheimat. Die Erforschung des Pfälzer Späthumanismus hat in den vergangenen Jahren einen mächtigen Aufschwung genommen. Das wird auch dieses Buch bezeugen. Gleich intensiv vermochte sich die diesbezügliche Forschung ungeachtet bemerkenswerter Vorstöße in Schlesien nicht zu etablieren. Wenn Breslau für den Verfasser zeitweilig zur zweiten Heimat wurde, so angesichts der einzigartigen Quellenlage in Handschrift und Druck, wie sie auf der Sandinsel im ehemaligen Augustinerkloster nach dem Kriege zusammengeströmt waren und daselbst von den polnischen Fachleuten hervorragend bibliothekarisch erschlossen wurden. Auf der Basis dieser Schätze ist ein Buch zum schlesischen Späthumanismus abgeschlossen worden, gruppiert um Jakob Monau, Tobias Scultetus, Nicolaus Henel von Hennenfeld und Caspar Cunrad, das in absehbarer Frist gleichfalls zugänglich sein sollte. So war es an der Zeit, lange zurückliegende Opitz-Studien wieder aufzunehmen und nach Maßgabe des Möglichen zum Abschluß zu führen. Ein dem Verfasser bislang unbekanntes Verfahren wurde beobachtet. Wo Studien aus der eigenen Feder vorlagen, wurde wiederholt auf sie zurückgegriffen. Fast immer wurde das vorgefundene Material einer durchgehenden Bearbeitung unterzogen und zugleich entweder erweitert oder gekürzt. So ist insbesondere die erwähnte Studie zum jungen Opitz, welche in den siebziger Jahren entstand und erst 2012 erschien, gänzlich neu geschrieben worden und umfaßt jetzt gleich mehrere Kapitel. In anderen Fällen wurden einzelne Anleihen getätigt, diese aber in neue Zusammenhänge eingerückt. Nur in einem Fall wäre es dem Verfasser nicht möglich gewesen, eine verbesserte neue Version zu erstellen. Die in den frühen achtziger Jahren geschriebene und gleichfalls 2012 erstmals publizierte Arbeit über Opitz in Paris ist diesem Buch mit einer neuen Einleitung versehen integriert worden. Darüber hinaus aber gilt, daß die weitaus große Mehrzahl der insgesamt zwanzig Kapitel dieses Buches neu geschrieben wurde. Alle einschlägigen Stationen und Personen sollten in wie auch immer variierender Optik ihren Auftritt erhalten und mit ihnen verknüpfte Texte interpretativ zur Darstellung gelangen. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Vorreden, Widmungsadressen und Geleitgedichte gelegt, die in aller Regel willkommene Einblicke in den Kontext der jeweiligen Texte gewähren. Figurationen des literarischen Lebens werden erkennbar, die sich nur an dieser Stelle abzeichnen. Wie die intertextuelle Forschung hat die den Paratexten gewidmete in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Konnte im ersten Fall von
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den inzwischen vorliegenden Ergebnissen durchgehend profitiert werden, so durfte im zweiten Fall des öfteren Neuland betreten werden. Texten wie Paratexten gilt eine gleich intensive Zuwendung in diesem Buch. Es erfüllt den Autor mit Befriedigung, nach langer Zeit der Beschäftigung nun endlich auch im Blick auf Opitz ein forscherliches Fazit ziehen zu können. Es ist ein letztes Mal, daß ein aus dem Arkadien-Projekt herausgewachsenes Vorhaben verfolgt und zu einem – wie auch immer vorläufigen – Abschluß geführt wurde. Fortan wird alle Kraft dem ursprünglichen Vorhaben selbst gewidmet sein. Seit langem ist ein erster, bis an das 17. Jahrhundert heranführender Band zur europäischen Arkadiendichtung abgeschlossen, der soeben einer Überarbeitung unterzogen wird. Eine erhebliche Folge von Kapiteln auch zum Anschlußband, der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts gewidmet, ist abgefaßt. Das Fehlende soll nunmehr zügig bewerkstelligt werden. Erst dann wird eine gravierende Lücke unseres Bildes der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts geschlossen sein. Und reichen Zeit und Kräfte, wird auch der stets geplante abschließende Band zum 18. Jahrhundert mit der Idylle und dem idyllischen Epos im Zentrum geschultert werden. Wie immer ist abschließend eine gerne wahrgenommene Gelegenheit zur Danksagung zu ergreifen. Er gilt an erster Stelle den Bibliotheken und Archiven sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dem Autor die Jahrzehnte über Gastrecht gewährt und ihn in vielfältigster Weise unterstützt haben. Das Osnabrücker Mikrofilmarchiv, Frucht der jahrzehntelangen Reisen und inzwischen vermehrt um ungezählte Digitalisate, bildete eine ständig konsultierte Institution, die so gut wie nie versagte. Das Archiv der Mikroformen und ein Aufsatzarchiv mit Zehntausenden unselbständiger wissenschaftlicher Schriften sind der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit assoziiert, die sich ihrerseits zu einem veritablen Forschungsquartier entwickelt hat. Dessen Leiterin Beate Mrohs und ihre studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter boten dem Verfasser jede erdenkliche Hilfe. Ohne die vor Ort vorhandene frühneuzeitliche Infrastruktur hätte auch dieses Buch nicht geschrieben werden können. Stets freundlich gewährte Hilfe erhielt der Verfasser zudem vor allem von altphilologischer Seite. Dankbar sei den diesbezüglichen Beiträgen von Armin Grundke, Stephan Heilen, Hartmut Laufhütte, Veronika Marschall und Robert Seidel gedacht. Auch in der Forschungsstelle zur Literatur der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück waren es in der Regel altphilologische Studierende, die sich an der redaktionellen Revision des Buches beteiligten. Dankbar erwähnt seien Christine Blum, Svenja Engling, Janina Di Massa und Anna-Maria Hake, die sich die Korrekturarbeiten teilten. Hilfe erhielten sie aus dem Familienkreis von Mareike, Sven und Irmhild Garber, die sich dankenswerterweise der kritischen Durchsicht des Manuskripts gleichfalls annahmen. Als Hüterin der archivalischen Schätze fungiert seit vielen Jahren Astrid Menke, deren Kompetenz gleichfalls ständig gefragt war. Daß der Emeritus über eine Reihe laufender Forschungsprojekte immer noch in stetigem Kontakt mit den jungen Menschen zusammenarbeiten darf, ist eine wunderschöne Erfahrung. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Fritz Thyssen Stif-
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tung, der VolkswagenStiftung und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gilt der Dank für stetige Förderung zu wechselnden Phasen, ohne die der produktive Elan des Autors mit Gewißheit versiegen würde. Die formale Einrichtung des Bandes und die Erstellung der Druckvorlage lag in den Händen von Stefan Anders im Zusammenwirken mit Svenja Engling. Kein Buch des Verfassers, dem Stefan Anders nicht seine inzwischen professionelle Hand und sein untrügliches Auge gewidmet hätte. Auch Martin Klöker, dem Autor und der Forschungsstelle zur Literatur der Frühen Neuzeit seit Jahrzehnten verbunden, beteiligte sich dankenswerterweise an einer kritischen Lesung des Textes. Der 2012 erschienene Band ›Wege in die Moderne. Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie‹ wurde von Stefan Anders im Zusammenwirken mit Axel E. Walter betreut. Er sollte nach dem Wunsch des Autors das Vorbild sein für das Opitzwerk. Daß sich der Verlag Walter de Gruyter diesem Wunsch nicht versagt hat, ist in erster Linie Manuela Gerlof zu verdanken, der der Autor seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden ist. Sehr angenehm gestaltete sich die Zusammenarbeit auch mit Annika Goldenbaum und Susanne Rade, bei denen die praktische Umsetzung des Projekts von seiten des Verlags lag. Gewidmet ist das Werk dem Gedenken Richard Alewyns. Vor nahezu hundert Jahren erschien in Heidelberg seine Dissertation zur Antigone-Übersetzung des Martin Opitz, die ihn schlagartig berühmt machte. Der Autor erlebte den großen Gelehrten und wunderbaren Menschen in den sechziger Jahren an seiner letzten Wirkungsstätte in Bonn und durfte den Emeritus hernach stets wieder in Perchting am Starnberger See aufsuchen. Erst im hohen Alter wird ganz kenntlich, auf wie vielen Wegen der Autor eine Förderung von Alewyn erfuhr, von dem alle wußten, daß er einzig dastand in seinem Fach. Die Erinnerung an ihn ist die Jahrzehnte über lebendig geblieben, und auch dieses Buch möge es bezeugen. Klaus Garber Osnabrück, im Frühjahr 2018
I. Martin Opitz – ›Vater der deutschen Dichtung‹? Ein Eingangs-Essay Selbsternannter Anspruch Martin Opitz – ›Vater der deutschen Dichtung‹. Als solcher ist er in die Literaturgeschichte eingegangen. Geschah dies zu Recht? Existierten Alternativen? Und wurde gar die gängige Redeweise in Frage gestellt? Beginnen wir mit dem Naheliegenden. Opitz selbst hat alles getan, um die erwähnte Redeweise zu ermöglichen. Er hat die vorangehende deutsche Dichtung des 16. Jahrhunderts wenn nicht diskreditiert, so doch beharrlich mit Schweigen bedacht. Sie genügte seinen Ansprüchen weder in formaler noch in sozialer Hinsicht, war sie doch nicht nach den Mustern der Antike geformt und verharrte im bürgerlichen Milieu. Anders dagegen im Mittelalter. Der höfischen Dichtung der Stauferzeit zollte er Respekt. Ansonsten aber war der Blick in das Ausland gerichtet, zumal nach Italien, nach Frankreich und in die Niederlande. Gelegentlich glitt er auch nach Spanien und Portugal, nach England und Schottland und schließlich im Osten nach Polen und Ungarn. Wo immer er aber Station machte, gewahrte er poetische Schöpfungen in der Volkssprache auf einem artistischen Niveau, wie es dieses auf deutschem Boden allenfalls im Lateinischen, nicht aber im Deutschen gab. Und diese hochartifizielle Poesie der europäischen Renaissance wurde getragen vor allem von den Fürsten an den Höfen, die zugleich als Mäzene der anspruchsvollen Schöpfungen fungierten, kam deren Pflege doch immer auch ihrem Ruhm zugute. In Deutschland gab es kein dem fortgeschrittenen Ausland vergleichbares literarisches Leben. Das 16. Jahrhundert hatte im Zeichen von Reformation und Konfessionalisierung gestanden, sie hatten alle Kräfte absorbiert. Entsprechend herrschte zu Beginn des 17. Jahrhunderts entschiedener Nachholbedarf. Den suchte Opitz zu befriedigen. Und das gleich in dreifacher Hinsicht: als Dichter, als Kulturpolitiker und als Diplomat. Diese Trias begründete seinen Ruhm. Sie wurde von seinen Zeitgenossen genau registriert und stets wieder herausgestrichen. Erst spätere Zeiten hatten ihre Schwierigkeiten mit dieser vermeintlich von der Dichtung wegführenden Betätigung auf anderen denn den poetischen Feldern. Heute wissen wir: Reden und Schreiben über Opitz ist so gut und angemessen wie es gelingt, allen drei Bezirken seines öffentlichen Wirkens darstellend Genüge zu tun. Sie hängen aufs engste miteinander zusammen.
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Vorreiter Conrad Celtis Opitz war keineswegs der erste, der sich als Gründerfigur auf deutschem Boden stilisierte, und er war selbstverständlich nicht der letzte. Warum aber fiel ausgerechnet ihm der zitierte Ehrentitel zu? Ein gutes Jahrhundert vor Opitz hatte der gebürtige Franke Conrad Celtis von sich reden gemacht. Seine Botschaft war so eindeutig und klar wie die seines Nachfahren Opitz. Sie aber war ihrer Zeit konform, kam nicht verspätet, auch wenn Celtis alles daran setzte, zur Eile zu ermahnen, um dem Gesagten und Geforderten Dringlichkeit und Nachdruck zu verleihen. Es sei hohe Zeit, so sein Kernargument, daß die Deutschen auf die Tagesordnung setzten, was in Italien mit Bravour seit geraumer Zeit praktiziert werde. Jenseits der Alpen, so der enthusiasmierte Redner, sei der Bruch mit den mittelalterlichen Überlieferungen vollzogen und die kulturelle Praxis in den Oberschichten auf die Antike – und das hieß: auf Rom – umgepolt worden. Bei den Alten galt es, die Muster zu suchen. Das gegebene Medium der Poesie und der Redekunst sei allein das klassische Latein, ausgestattet mit der Würde des geschichtlich Verbürgten, des ständisch Distinguierten und des räumlich Unrestringierten. Seinen Landsleuten verschrieb der Propagator einen Schnellkurs in Sachen Lateinfertigkeit. Das Vehikel auf dem steinigen Weg bildeten für den Rastlosen die sog. sodalitates. Überall in Italien waren ›Akademien‹ aus dem Boden geschossen, in denen auf der Antike basierende Formen der gelehrten Geselligkeit gepflegt wurden: Gespräch und Dialog, Rede und Poesie, Musik und Tanz, Lesung und Wissensmehrung. Schönheit und Adel des Geistes stand in unsichtbaren Lettern über dem kolloquialen Treiben, von Humanisten initiiert, von den Mächtigen und Wohlhabenden gefördert und einhellig begrüßt. Ein neues, an der römischen Antike sich herausbildendes Menschentum erblickte sich in idealem Gewand und verströmte ein verklärendes Licht auf das Leben, das sich unversehens festlich erhöht fand. Konnte es da Wunder nehmen, daß vor allem die oberen Chargen sich angezogen fühlten? Und war es nicht nur eine Frage der Zeit, daß die leuchtende Fackel übergriff auf die Länder ringsum? Gewiß, und doch konnte dies nicht umstandslos geschehen. In Italien war die Umstellung auf die Kultur des Lateinischen eine Wiederbelebung der eigenen Vergangenheit. Eine rinascita vollzog sich und wurde als solche gefeiert. Der denkwürdige Elan der Bewegung hatte hier eine seiner Wurzeln. Dem vermochten andere Länder nichts Ebenbürtiges zur Seite zu stellen. Sie mußten es aber, wenn anders die von den Italienern vorexerzierte Latinisierung der Bildung und Kultur auch bei ihnen gelingen sollte. Und so sind wir Zeugen des denkwürdigen Schauspiels, daß nationale Mythen ersonnen oder wiederbelebt werden, die die besondere Eignung gerade dieser oder jener Nation für den Aneignungsprozeß der Antike plausibel erscheinen lassen sollen. Die Selbststilisierung der Nationen zu wahrhaften Nachfahren der Griechen und Römer ist keine Erfindung der Enthusiasten des Altertums auf der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Sie ist auf andere Weise im Zeitalter der Renaissance gängige Praxis gewesen und hat zur nationalen Selbstfindung der Völker in der Frühen Neuzeit maßgeblich beigetragen. Sie erwachten im Fremden zu eigenem geistigem Leben. Celtis als die schlüssigste und schlagkräftigste Gestalt vor Opitz hielt zudem eine besondere Variante bereit, die sein Projekt praktisch unangreifbar, ja unschlagbar
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machte. Er führte die aus der späten Antike und dem Mittelalter herrührende VierWeltreiche-Konzeption seinem Vorhaben zu und überbot derart mit einem Schlag die Italiener. Von den Trojanern, so die Pointe, sei die weltumspannende Monarchie übergegangen auf die Griechen, sei von dort weitergewandert zu den Römern und habe bei den christianisierten Germanen ihren Abschluß und zugleich ihre Vollendung erfahren. So standen unversehens die germanischen Völker und nicht die romanischen als die wahren Erben der antiken Völkerschaften und Staaten da. An ihnen sei es an vorderster Stelle, sich dieses Erbes würdig zu erweisen und also eine Kultur zu generieren und zu pflegen, die als Gefäß wie als symbolisches Organon dieser einzigartigen geschichtlichen Auszeichnung fungierte. Ein attraktiveres Postament für die Erneuerung und Fortentwicklung einer universalen Formensprache im Medium des Lateinischen war nicht denkbar. Celtis war ein Coup gelungen, von dem der cisalpine Humanismus allenthalben zehrte.
Neulateinische Matrix Der Name des Celtis verlor sich nicht wieder. Unter den Humanisten war er allgegenwärtig. Ihm kam die Rolle eines Archegeten zu, wie sie die Humanisten, stets auf Selbsterhöhung bedacht, pflegten. Und er hatte auf das rechte Pferd gesetzt. Seit dem späten 15. und sodann das 16. Jahrhundert über entfaltete sich eine glanzvolle lateinische Literatur. Von der Weichsel bis zum Rhein und von der Donau bis zur Elbe sollte sie sich seinem Willen nach erstrecken, überall dort erklingen, wo Deutsche siedelten und die deutsche Sprache gepflegt wurde. In seinen ›Amores‹ hatte er diesen Raum symbolkräftig poetisch abgesteckt. Nun erwachte tatsächlich zeit- und raumversetzt im weiten alten deutschen Sprachraum eine lateinische Formkultur. Sie hat ihren Historiker als Ganze bislang nicht gefunden. Eine große Aufgabe harrt der Neolatinistik auf diesem Feld. Unter den mächtigen Reichsstädten im Südosten und Südwesten des Reiches gedieh sie ebenso wie an einer Reihe von Höfen, angefangen in der Kaiserstadt Wien. Das 16. Jahrhundert ist ein durch und durch zweisprachiges. Neben der deutschsprachigen Literatur im Bündnis mit der lutherischen Reformation erhebt sich das bislang unübersehbare Tableau der neulateinischen Literatur, und nur ausnahmsweise verlaufen Verbindungen zwischen den beiden Ausdrucksformen. Keine von beiden ist privilegiert gegenüber der anderen. Gleichberechtigt koexistieren sie. In dieser Situation erscheint auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die Gestalt Martin Opitzens. Er weiß um die Rolle, die ein Celtis gespielt hat. Doch hütet er sich mit Bedacht, viel Wesens darum zu machen, ist er doch darauf aus, sich seinerseits ein weiteres Mal als Archeget zu inszenieren. Archegeten aber gibt es per definitionem nur einmal, also müssen Retuschen herhalten. Auch ein Opitz hat sich als lateinischer Dichter verstanden und ein Leben lang die lateinische Sprache in Rede, Poesie und Brief vorbehaltlos gepflegt. Keineswegs war er von dem Gedanken umgetrieben, daß es mit der lateinischen Sprachkultur zu Ende gehen könnte. Rings um ihn herum stand sie weiterhin in Geltung, und das sollte über seinen Tod hinaus das gesamte Jahrhundert über so bleiben, auch wenn in dessen zweiter Hälfte ein gewisses
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Erlahmen unverkennbar wurde. Ebenso dringlich also wie eine Geschichte der lateinischen Literatur des 16. ist eine solche des 17. Jahrhunderts auf deutschem Boden. Der Entdeckungen wäre schlechterdings kein Ende, und mancher Name würde erstmals erstrahlen. Das Ingeniöse indes, das sich fortan mit Opitzens Namen verbinden sollte und in einer Rede, die wir alsbald kennenlernen werden, auf eine griffige Formel gebracht wurde, gab sich in dem Gespür zu erkennen, daß es mit dem Latein allein nicht mehr getan war. Seine Etablierung war unerläßlich, wenn anders ein Lehrgang in Formkultur absolviert sein sollte, wie er auch einem Opitz unerläßlich dünkte. Der aber war erfolgt. Was also lag näher, als eben ihn nun auch der deutschen Sprache angedeihen zu lassen. Ringsum in Europa waren die Kenner und Sachwalter des Lateinischen, waren die Humanisten damit befaßt, diese linguistische Transformation vorzunehmen. In so gut wie jedem Land gab es Wortführer, die sich an die Spitze der Bewegung gesetzt hatten. Ihr Ruhm verbreitete sich rasch und nicht selten über den ganzen Kontinent. Er haftete an ihrem Werk, nicht weniger aber an dem ihrer Gönner, die sie zu gewinnen gewußt hatten. Nach dem Vorgang Italiens, das den Schritt zur lingua volgata am frühesten getan hatte, steht das 16. Jahrhundert im Zeichen des ›nationalliterarischen Projekts‹, wie es bezeichnet werden darf, sofern man sich der Kautelen versichert hält, die dem Terminus des ›Nationalen‹ in der Frühen Neuzeit anhaften.
Einsatz vor und neben Opitz Es gliche einem Mirakel, hätte es nicht auch auf deutschem Boden und also im alten deutschen Sprachraum vor und neben Opitz Bestrebungen gegeben, dem europäischen Trend sich anzuschließen. Deren Rekonstruktion bleibt ein schwieriges Geschäft, und das nicht zuletzt, weil sich entsprechende Quellen nur teilweise erhalten haben. Immerhin ist erkennbar, daß im Osten wie im Westen zugleich verwandte Bemühungen einsetzten. Im Osten verbinden sie sich mit dem Namen Ernst Schwabes von der Heide. Dessen Gedichte sind nur vereinzelt überliefert. Auch Opitz zitiert aus ihnen, das aber bezeichnenderweise nicht zuletzt, um herauszustreichen, daß er unabhängig von dem in Danzig lebenden Schwabe von der Heide mit dem neuen Dichten im Deutschen eingesetzt habe. Er macht da durchaus keine rühmliche Figur. Immerhin ist es Opitz vor allem zu danken, daß sich der Name Schwabes aus dem literarischen Gedächtnis nicht wieder verlor, auch wenn er sich nicht mit einer konkreten Anschauung seines Dichtens verband. Anders stand es um eine Gestalt wie die von Theobald Hoeck. Den hatte es aus der Pfalz nach Böhmen verschlagen, wo er in den Dienst des böhmischen Magnaten Peter Wok von Rosenberg trat, einer Schlüsselfigur der ständischen antihabsburgischen Bewegung. Im mährischen Brünn erschien schon 1601 seine Gedichtsammlung mit dem ansprechenden Titel ›Schoenes Blumenfeld‹. Explizit verlegte sich Hoeck auf das Verfassen deutschsprachiger Gedichte, um beizutragen zum Ruhm seines Vaterlandes im Medium einer anspruchsvollen Poesie. Ungeachtet vieler Anleihen im ›altdeutschen Stil‹ ließ die Sammlung doch gleichfalls erkennen, daß man vor Opitz durchaus bereits auf dem Weg zu einer neuen deutschen Dichtung war. Und dies aus
Sonderfall Heidelberg
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verwandtem kulturpatriotischem Geist, geprägt von dem Willen, die deutsche Nation ebenbürtig neben den anderen Völkerschaften an den poetischen Errungenschaften der jüngsten Zeit teilhaben zu lassen, wie sie in Italien musterbildend erstmals zur Ausbildung gelangt waren. Doch dies blieben Einzelfälle. Viel komplizierter lagen die Dinge im Westen, und Opitz hatte alle Hände voll zu tun, auch hier Ansprüche der Priorität, an der ihm alles lag, zu behaupten. Im Südwesten war der Stern Georg Rodolf Weckherlins aufgegangen. Der fand am Stuttgarter Hof der Württemberger ein splendides Publikum für seinen Versuch, die höfische Gesellschaft im Medium einer gehobenen deutschsprachigen Poesie zu feiern. Das Mittel der Wahl war die von Horaz im Augusteischen Zeitalter ausgebildete Regenten-Ode, der Weckherlin als erster ein überzeugendes deutsches Gewand zu verleihen wußte. Durchaus mit Recht darf eine Geschichte der deutschen Literatur, geformt nach antiken Vorbildern, mit seinem Namen eröffnet werden. Wenn es dazu nicht kam, so nur, weil Weckherlin Deutschland frühzeitig verließ und herüberwechselte nach England, wo er als Diplomat im Umkreis König Jakobs I. eine herausragende Stellung einnahm. Er gab sein dichterisches Geschäft keineswegs preis. Nach Deutschland aber drang sein Schaffen nur noch ausnahmsweise herüber. Und als zu Beginn der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts eine große Sammlung seiner geistlichen und weltlichen Gedichte erschien, da war der Name Opitzens seit langem in aller Munde und das Diktum seiner Führerschaft konkurrenzlos in Umlauf. Weckherlin verharrte in einer – von Kennern wie Herder freilich wiederholt mit einem Fragezeichen versehenen – Ausnahmestellung.
Sonderfall Heidelberg Die vielleicht spektakulärste Wendung im Leben und Wirken des jungen Opitz vollzog sich im Umkreis des strahlenden Heidelberger Hofes und seiner berühmten Universität. Dort hatte sich ein Dichterkreis formiert, der seinen Ahnherrn in der Gestalt des Schede Melissus besaß und zu Zeiten Opitzens von der inspirierenden Aktivität des Julius Wilhelm Zincgref profitierte. Dieser in eine ältere und eine jüngere Generation sich verzweigenden poetischen Gemeinschaft kam die Nähe Frankreichs zugute. In das Königreich Franz I. blickte man voller Bewunderung, war es einem Dichterkreis dort doch gelungen, die französische Dichtung zu höchstem Ansehen bei Hofe zu führen und den König – wie in besten Augusteischen Zeiten – als Mäzen und tatkräftigen Förderer zu gewinnen. Allenthalben ist zu erkennen, wie der Stern der ›Pléiade‹ in die Pfalz herüber strahlte und die Gemüter bewegte, Nämliches zu versuchen. An keiner Stelle im alten deutschen Sprachraum waren die Voraussetzungen dafür besser. Das kurfürstliche Haus der Pfälzer kommunizierte mit den reformierten Zentren in West und Ost. Und es stand an der Spitze politischer Aktivitäten, die allemal dazu angetan waren, den poetischen Genius zu beflügeln. Wie im alten Rom und wie im zeitgenössischen Frankreich zeichnete sich eine Allianz von Macht und Poesie ab, die beiden Seiten nur zugute kommen konnte. Den Höhepunkt markierte der Aufbruch des Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. nach Prag zum Erwerb der böhmischen Königskrone. Offen suchten die reformierten Pfäl-
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zer die Konfrontation mit dem Kaiserhaus der Habsburger. Dem Vordringen der Katholiken sollte ein Riegel vorgeschoben werden, und das im Zentrum der Habsburger Nebenlande, in Böhmen mit Prag als traditioneller Krönungsstadt. Dieser Coup barg die weitreichendsten Perspektiven. Wäre er gelungen, die Verhältnisse im Einflußbereich der Habsburger hätten eine gänzlich andere Wendung genommen. Womöglich wäre es schon jetzt zu einer kleindeutschen Lösung unter reformierter Vorherrschaft gekommen – immer vorausgesetzt, man hätte sich mit den politisch viel zögerlicheren lutherischen Fürsten und Städten verständigen können. Doch dieser Nagelprobe bedurfte es gar nicht. Der im Sommer des Jahres 1619 in Prag gekürte Pfälzer scheiterte kläglich und mußte nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berge im November des Jahres 1620 schon wieder abdanken und ins niederländische Exil fliehen – geächtet und unter Verlust der Kurwürde, die an den Herzog von Bayern fiel, den eigentlichen Widersacher des Pfälzers. Die Heidelberger Dichter hatten das gewagte politische Unterfangen publizistisch und poetisch nachhaltig unterstützt. Und das gleichermaßen in vehementen Reden, die weiterhin vor allem auf Latein verlauteten, sowie – freilich eher vereinzelt – in deutschsprachigen Gedichten. Es konnte keinen Zweifel geben, daß im Falle eines Gelingens auch die deutsche Poesie einen mächtigen Aufschwung genommen hätte. Von Prag aus, so steht zu vermuten, wäre analog zu Frankreich unter königlichen Fittichen das nationalliterarische Projekt rasch gediehen. Nun aber kam alles anders. Der Heidelberger Kreis zerstob, die Formierung der deutschen Dichtung nahm Schaden, die Fäden mußten neu geknüpft werden. Und daß dies geschah, zählt vielleicht zu den größten Wundern in der jungen Geschichte der neueren deutschen Literatur. Der entscheidende Anteil gebührt keinem anderen als Julius Wilhelm Zincgref. Ein Wort dazu muß verlauten, denn der Name Opitzens ist an vorderster Stelle in Zincgrefs Vorhaben involviert. Für die Rede von Opitz als einem ›Vater der deutschen Dichtung‹ erfolgen in Heidelberg die entscheidenden Weichenstellungen.
Aufbruch in den Westen Opitz gehörte zu den vielen Schlesiern, die in den Westen aufbrachen. Zumeist, um daselbst ihren Studien nachzugehen oder aber Hofmeisterdienste zu verrichten, und das nicht selten an der Seite von schlesischen Adeligen. Schlesien verfügte über keine eigene Landesuniversität. Und die oberrheinische Trias Heidelberg, Straßburg, Basel besaß eine eminente Attraktivität. Der Nimbus der akademischen Kapazitäten, aber auch das reformierte Milieu, hatten daran entscheidenden Anteil. Diese pfälzischoberrheinischen Bastionen bildeten zudem das Einfallstor für den Übergang in die innere Schweiz selbst mit Genf als weiterem akademisch-reformiertem Zentrum, sodann aber auch nach Oberitalien sowie in den Süden und die Mitte Frankreichs, wo Lyon und Saumur, Orléans und Paris, sowie schließlich Sedan die studierwillige und vielfach reformierten Impulsen folgende Jugend anzogen. Ging es dann von dort weiter in die Niederlande oder nach England, so war ein akademisches und zugleich ein landeskundliches Pensum absolviert, von dem die den gelehrten Musen ergebenen Zöglinge nicht selten ein Leben lang zehrten.
Das nationalliterarische Projekt Julius Wilhelm Zincgrefs
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So auch Opitz. Er kam keineswegs als Unbekannter nach Heidelberg. Im Gymnasium Schoenaichianum in Beuthen an der Oder war er schon 1617 mit einer vehementen Rede zugunsten der deutschen Sprache hervorgetreten. Er besaß in Tobias Scultetus, der in der Nähe Beuthens in einem repräsentativen Schloß an der Oder residierte, einen einflußreichen Fürsprecher, der auch den Kontakt nach Heidelberg vermittelte. Und er hatte schon eine erkleckliche Anzahl nicht nur lateinischer, sondern auch deutscher Gedichte im Reisegepäck, als er 1619 in die Pfälzer Hochburg aufbrach und bei dem pfälzischen Rat Georg Michael Lingelsheim Quartier nahm. Diese Heidelberger gelehrte und literarische Symbiose, wie sie sich nun zwischen den am Ort wirkenden Personen und den Schlesiern mit Opitz an der Spitze für eine knapp bemessene Frist anbahnte, hatte für die Geschichte der deutschen Literatur die einschneidendsten Folgen. Sie stellt ein Schlüsselereignis für deren definitive Etablierung auf antiken Fundamenten in deutschsprachigem Gewand dar. Opitz ist hier Gebender und Nehmender zugleich, und seine Führungsrolle durchaus keine von vornherein gegebene. Dazu hatte sich, wie angedeutet, schon allzu viel in der Pfalz getan. Will man pointiert und ein wenig überzeichnet formulieren, so ist Opitz zu dem, was er dann alsbald wurde, nicht zuletzt dank Zincgref und seiner Freunde geworden. Und das – nochmals pointiert formuliert – post festum.
Das nationalliterarische Projekt Julius Wilhelm Zincgrefs Der Heidelberger Kreis hatte sich nach dem Einfall der spanischen Truppen unter Spinola schon aufgelöst, als Zincgref daran ging, zu retten, was zu retten war, also das poetische Gut der vorangegangenen Jahre zu bergen und vor dem Vergessen zu bewahren. Ein genuin humanistischer Impetus leitete ihn dabei. Erfüllt von patriotischem Eifer sollte am Exempel der Poesie gezeigt werden, wozu schließlich auch die Deutschen fähig seien. Dem pfälzischen Vaterland und den bedrohten Regionen allüberall in Deutschland bis hinein in den Osten Böhmens und Schlesiens sollte ein poetisches Vademecum an die Hand gegeben werden, von dem Ermutigung und Stärkung, ja Ermächtigung zum Widerstand ausging. Opitz war die Jahre über am produktivsten gewesen. Ihm räumte Zincgref generös die erste Stelle ein. Das schlug auch titularisch zu Buche. Die Angabe ›Martini Opicii Teutsche Poëmata‹ eröffnete das eindrucksvoll gestaltete Titelkupfer zu dem bei Zetzner in Straßburg 1624 erschienenen Werk. Seine inzwischen vorliegenden Gedichte füllten tatsächlich bereits einen mehrere Bogen umfassen Band. Aber auch die anderen Poeten, die nicht untätig geblieben waren, sollten zu Wort kommen, und das waren naturgemäß eben die im Südwesten lebenden mit Weckherlin an der Spitze. Auch sie hätten einen eigenen Band verdient und gefüllt. Zincgref aber begnügte sich mit dem Hinweis auf einen ›anhang Mehr auserleßener geticht anderer Teütscher Poëten‹, wie es schlicht auf dem nämlichen Titelkupfer heißt. Mehr Selbstverleugnung war schwerlich denkbar. Dem aus Schlesien Zugewanderten wurde eine Spitzenposition eingeräumt, wie sie selbstloser nicht hätte geraten können. Opitz aber erwies sich, so deutlich muß man es formulieren, der ihm zuteil gewordenen Ehrung nicht würdig. In scharfen Worten verwahrte er sich dagegen, daß ohne
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I. Eingangs-Essay
seine Mitwirkung eine Sammlung seiner Gedichte vorgenommen und diese zur Veröffentlichung gebracht worden war. Manche der nun zum Abdruck gelangten Gedichte hätte er gerne unterdrückt gesehen, andere hätten einer Überarbeitung bedurft. Insgesamt stellte er dem Herausgeber des Bandes ein schlechtes Zeugnis aus, denn die ganze Anlage und Abfolge des Dargebotenen erschien ihm mehr oder weniger verfehlt. Der Eklat war da und doch auch wieder nicht. Denn Zincgref erhob – nach allem was wir wissen – keinesfalls Protest. Das Anliegen, das nur als gemeinsames die erhoffte Wirkung zeitigen konnte, war ihm viel zu wichtig, als daß er es dem Gerede und der Zwietracht ausgesetzt hätte. Zum ersten Mal war ein Kompendium der deutschsprachigen Dichtung in der erneuerten humanistischen Version zustandegekommen, und dem redlichen Sachwalter bleibt der Ruhm, diesen allfälligen Schritt in schwerster Zeit mutig und aufopferungsvoll getan und publizistisch überaus geschickt lanciert zu haben.
Etablierung eines Werk-Profils Opitz aber beschritt sehr rasch eigene Wege, zu denen Zincgref indirekt den Anstoß gegeben hatte. Schon ein Jahr später, 1625, trat er mit einer nun von ihm selbst komponierten Sammlung seiner Gedichte hervor, und die hatte in der Tat ein gänzlich anderes Aussehen. In acht Bücher gliederte er jetzt die poetische Materie. Die Anordnung hätte nicht wohlüberlegter sein können. Sie überzeugte und ließ keine Wünsche offen. Zum ersten Mal und eben frühzeitig lag eine Kollektion von Gedichten in der deutschen Sprache vor, die für sich in Anspruch nehmen durfte, den großen ausländischen Vorbildern ebenbürtig zu sein. Die Deutschen hatten fortan ein Vorweisstück, das sie zu gleichberechtigten Partnern im Wettstreit der Nationen um die poetischen Trophäen erhob. Und da Opitz seinen ›Acht Büchern Deutscher Poematum‹ zudem eine fulminante Widmungsadresse an den Gründer der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ Fürst Ludwig zu Anhalt-Köthen vorangestellt hatte, war auch für den kulturpolitischen Paukenschlag gesorgt. Dem Zusammenspiel von Fürst und Poet in Europa ging der Dichter in seiner Vorrede nach, und nun ereignete sich dieses, programmatisch flankiert, im Medium der deutschen Poesie auch auf deutschem Boden. Opitz aber beließ es nicht dabei. Schon ein Jahr vorher, in dem gleichen Jahr, da die Zincgrefsche Anthologie erschien, hatte er unter dem Titel ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ ein kleines Büchlein mit Anweisungen zur Abfassung formal makelloser Gedichte in deutscher Sprache vorgelegt. Diese Lehrschrift garnierte er mit griffigen Formulierungen über Wesen und Würde der Poesie und des Poeten, allenthalben darauf bedacht, beider soziales Prestige zu erhöhen und einem weiteren Publikum plausibel zu machen. Und das mit Erfolg. Zu manchen Zeiten verging kein Jahr, da nicht eine neue Auflage seiner poetologischen Handreichung erschien. Mit der Zincgrefschen Sammlung der Gedichte Opitzens, mit der ›Poeterey‹ und den ›Acht Büchern Deutscher Poematum‹ war eine Trias von Arbeiten aus der Feder von Opitz verfügbar, die in der Mitte der zwanziger Jahre singulär dastand. Die Verzahnung von poetischer Innovation, programmatischer Pointierung und sozialer Liftung war nicht zu überbieten. Noch nicht dreißigjährig stand Opitz in Theorie und Praxis als Füh-
Regionale Verfaßtheit des alten deutschen Sprachraums
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rungsgestalt da, und niemand war zu sehen, der ihm diese Position hätte streitig machen können. Wir kommen in den folgenden Kapiteln dieses Buches auf alles nähere eingehend zurück.
Regionale Verfaßtheit des alten deutschen Sprachraums Um so wichtiger die Frage, was denn geschah, um ihn tatsächlich zum ›Vater der deutschen Dichtung‹ zu erheben bzw. umgekehrt, ihm eben diesen Titel abzuerkennen. Geht es in diesem kleinen einleitenden Essay um einige Fixpunkte der OpitzPhilologie, so darf ein Blick auf sein Nachleben nicht fehlen. Und da ist mit dem Einbekenntnis zu beginnen, daß wir nach wie vor keine genauere Kenntnis über die tatsächlichen Verhältnisse im 17. Jahrhundert selbst besitzen. Das führt zu einigen Überlegungen, die wir fortan gerne diskutiert sehen würden. Die Opitzsche Intervention ist durch und durch auf Normierung aus. Ein Regelwerk für Versbau, Gattungslehre und Stilhöhe ist fortan verfügbar, das den literarischen Verkehr reguliert. Neuerungen sind nicht vorgesehen und verlangen, wenn denn Bedarf besteht, ihrerseits nach Bekräftigung durch Autoritäten. Am Beispiel des von Opitz nicht behandelten daktylischen Verses ist dies schön zu beobachten. Es bedurfte einer Empfehlung des großen Sprachkundlers und Poetologen August Buchner, um ihn salonfähig zu machen. Und so nicht anders auf dem delikaten Feld der Wahl und Handhabung von Gattungen, wie vor allem an der Geschichte des Romans im 17. Jahrhundert ablesbar. Dieser normativen Tendenz – die Opitz im übrigen später immer wieder angekreidet werden sollte – steht nun jedoch ein durchaus gegenläufiger Befund zur Seite. Er hat in der Beschäftigung mit der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts bislang keineswegs die Aufmerksamkeit gefunden, die er verdiente. Die Literatur gerade dieses Zeitraums ist nämlich ein eminent regionales Ereignis. Und das nicht nur im Blick auf die Profile von Autoren, sondern zugleich auch hinsichtlich einer Diversität der dichterischen Praxis und damit des stilistischen Habitus. Von Stadt zu Stadt, von Hof zu Hof, von Territorium zu Territorium wechselt die Tonlage. Und insofern der deutsche Sprachraum weit über die Grenzen des alten Reichs hinaus sich erstreckt, werden ungezählte und eben durchaus verschiedene Stimmen vernehmbar. Ist uns wirklich stets gegenwärtig, daß von den baltischen Landen im Nordosten bis hinab nach Siebenbürgen ebenso rege eine deutsche Dichtung gepflegt wurde wie von den böhmischen Nebenländern im Osten bis ins Elsaß hinüber, vom hohen Norden der deutsch-dänischen Grenze bis hinunter in die Schweiz und die protestantischen Enklaven im habsburgischen Österreich? Ein unerhört reichhaltiges und vielstimmiges Konzert ertönt, und keine geschichtliche Darstellung ist verfügbar, die davon angemessen Kenntnis gäbe. Eine Geschichte der regionalen Literaturen im alten deutschen Sprachraum des 17. Jahrhunderts gehört zu den großen Desideraten der germanistischen Literaturgeschichtsschreibung. Dieser Herausforderung sich zu stellen aber implizierte die Bereitschaft, wirklich in die Niederungen herabzusteigen, den vielen bislang namenlosen Dichtern Gehör zu schenken und ihren zumeist unspektakulären Kreationen Gerechtigkeit widerfahren zu
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I. Eingangs-Essay
lassen. Nur so entstünde ein realitätsgerechtes Bild des literarischen Lebens im fälschlich so apostrophierten ›Zeitalter des Barock‹. In Wahrheit ist es über weite Strecken eines aus dem Geist des lateinischen Späthumanismus.
Rolle des Klein- und Tages-Schrifttums Tritt man aber einen Gang durch einzelne Bezirke des alten deutschen Sprachraums an, so geschieht dies mit Aussicht auf Erfolg am ehesten über das kleine regionenspezifische Tagesschrifttum. Es ist zu den herausragenden Ereignissen im Leben eines Menschen oder einer Gruppe verfaßt und vereinigt in Form von bunten Sträußen in der Regel die vor Ort schreibende gelehrte Zunft. Es wäre merkwürdig, wenn den Betrachter blätternd und lesend nicht ein Staunen überkäme. Da sind allenthalben Talente am Werk, die sich nicht zu verstecken brauchen. Und keineswegs nur im Lateinischen, sondern eben auch im Deutschen. Die mit dem Namen Opitzens sich verbindende Reform ist überall auf beachtlichem Niveau rasch umgesetzt worden und zeichnet sich in der Regel durch formale Gewandt- und Korrektheit aus. Das aber heißt keinesfalls, daß der stilistische Gestus ein uniformer wäre. Ganz im Gegenteil. Wie ihre Talente kennt eine jede Region ihre spezifischen Ausdrucksformen. Vor allem – und das allein ist im vorliegenden Zusammenhang entscheidend – kennt sie ihre Wortführer, um die die kleineren Geister sich scharen und zu denen sie aufblicken. Sie sind es, die der Region ihre Leuchtkraft verleihen und die sicherstellen, daß das poetische Treiben kein auf die jeweilige Lokalität beschränktes bleibt, vielmehr einzelne Namen und mit ihnen gelegentlich auch eine ganze Gruppe anderwärts Gehör und Anerkennung finden.
Trophäenkunde Damit sind wir aber auf andere Weise nur zu unserer Ausgangsfrage zurückgelangt. Allüberall ertönt das Lob Opitzens, gewiß. Auf ihn beruft man sich zurück und adelt damit zugleich das eigene, wie auch immer bescheidene Treiben. Es würde sich verlohnen, einmal eine Anthologie dieser nicht selten hymnischen Äußerungen zusammenzustellen. Das hindert aber keineswegs, daß vor Ort nicht auch die nämlichen Huldigungen angesichts der erlauchten heimischen Köpfe erfolgten. Ein Fleming in Leipzig, ein Albert und Dach in Königsberg, ein Rist in Hamburg, ein Rompler und Moscherosch in Straßburg, ein Harsdörffer, Klaj oder Birken in Nürnberg, ein Hoffmannswaldau und Lohenstein in Breslau, um nur ein paar Namen zu nennen, sind immer wieder bedichtet und ehrend gewürdigt worden. Auch diese Stimmen verlohnten eine Registratur und Betrachtung. Täuscht nicht alles, so gibt sich mehr als einmal durchaus eine leichte Reserve gegenüber Opitz zu erkennen. Je nachhaltiger das dichtende Jahrhundert sich mit ingeniösen Köpfen füllte, desto lebhafterer Anlaß bestand zur immer neuen Verteilung der Akzente und Trophäen. Am Ende war es keine Frage, daß die ›Neutöner‹ in Nürnberg und Schlesien ein artistisches Niveau erreicht hatten, mit dem Opitz und seine klassizistischen
Die Stimme der Aufklärung: Gottscheds Opitz-Rede
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Freunde der Frühe sich nicht messen konnten. Italienischer Marinismus und spanischer Gongorismus hatten eine Formkultur auch auf deutschem Boden gezeitigt, von der man zu Anfang des Jahrhunderts nicht einmal hätte träumen können. Ein Plädoyer also für die ebenso reizvolle wie dringliche Aufgabe, das so weit sich erstreckende literarische Feld des 17. Jahrhundert einmal auf die umlaufenden und ständig sich erneuernden Prämierungen hin in Augenschein zu nehmen. Dann nämlich würde sich vermutlich erweisen, daß die einseitige Erhebung Opitzens zum ›Vater der deutschen Dichtung‹ im 17. Jahrhundert selbst nur bedingt eine Stütze besäße. Das Bild war viel komplexer und bunter, als daß sich ihm umstandslos eine unverrückbare Rollenverteilung entnehmen ließe. Ist dem aber so, dann gewinnt die Frage eine um so größere Dringlichkeit, wann und von wem diese Absolutsetzung des Namens von Opitz überhaupt eingesetzt hat. Daß sie das ganze 17. Jahrhundert über immer wieder erfolgte, besagte dann weniger, gehörte sie doch zum poetischen Geschäft per se. Eine substantielle geschichtliche Perspektive brauchte sich mit den Lobeshymnen keineswegs zu verbinden. Dafür mußten alternative poetologische Voraussetzungen und normative ästhetische Setzungen gegeben sein, wie sie sich erst im 18. Jahrhundert, rückblickend auf das vorangegangene Jahrhundert, herausformten. Wir wechseln also herüber in das neue Säkulum und gelangen sogleich zu derjenigen Gestalt, die wie ein Celtis und ein Opitz nochmals für sich in Anspruch nehmen darf, zu den Gründerfiguren der deutschen Literatur zu zählen.1
Die Stimme der Aufklärung: Gottscheds Opitz-Rede Wir sprechen natürlich von Johann Christoph Gottsched. 1639, im Todesjahr Opitzens, war dessen Freund und Weggefährte Christoph Colerus zur Stelle und hielt in der Bibliothek des Magdaleneums zu Breslau eine Gedenkrede. In ihr wurde erstmals ein Bild Opitzens entworfen, das dem Poeten, dem Kulturpolitiker und dem Diplomaten gleichermaßen gerecht wurde.2 Ein derart spektakuläres Ereignis hat sich in der Geschichte der Opitz-Rezeption nur ein einziges Mal wiederholt, und das anläßlich des hundertsten Todestages von Opitz. Nun ergriff Gottsched vom ›philosophischen Catheder‹ der Universität Leipzig ––––––––– 1
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Ich resümiere im folgenden den Ertrag einer bereits in den 1970er Jahren erschienenen Studie: Klaus Garber: Martin Opitz – ›der Vater der deutschen Dichtung‹. Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik.- Stuttgart: Metzler 1976. Zum Kontext die beiden wichtigen Studien von Hans-Harald Müller: Barockforschung: Ideologie und Methode. Ein Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte 1870–1930.- Darmstadt: Thesen Verlag 1973; Herbert Jaumann: Die deutsche Barockliteratur. Wertung – Umwertung. Eine wertungsgeschichtliche Studie in systematischer Absicht.- Bonn: Bouvier 1975 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft; 181). Laudatio Honori & Memoriae V. Cl. Martini Opitii paulò post obitum ejus A. MDC.XXXIX. in Actu apud Uratislavienses publico solenniter dicta à Christophoro Colero, Praeter continuam Opitianae vitae narrationem complectens multorum quoque Principum atque celebrium Virorum, cum quibus Opitio consuetudo & amicitia fuit, memorabiles notitias. Publici juris fecit Melchior Weise Vralislav. Lipsiae, Sumptibus Philippi Fuhrmanni imprimebat Johannes Wittigau A. M DC. LXV.
I. Eingangs-Essay
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aus das Wort, um seinem großen Vorgänger zu huldigen. Wiederum mit einer guten Portion provokanter Zuspitzung wird man konstatieren dürfen, daß die beiden öffentlichen Kundgebungen die bedeutendsten Äußerungen über Opitz blieben, bevor zu später Stunde, von der zu sprechen sein wird, eine substantielle Opitz-Forschung einsetzte. Was immer jedoch diese letztere zutage fördern mochte, stets blieb sie gut beraten, zu den rednerischen Autoritäten aus dem Todes- und dem Jubiläums-Jahr zurückzukehren, um sich von ihnen belehren und anregen zu lassen. Als ›Lob= und Gedächtnißrede auf den Vater der deutschen Dichtkunst‹ führt Gottsched sein Vorhaben schon im Titel ein.3 Und das aus ungebrochener Überzeugung und mit vollem Recht nach Maßgabe der Züge, denen er in seinem Porträt Kontur verleiht. Opitz ist in seinen Augen der erste, dem es gelingt, eine deutsche Sprache als Poet und Redner zu pflegen, die allen Ansprüchen auf eine gehobene Diktion gerecht wird. Der Übergang zum Deutschen alleine also zählt nicht. Das Deutsche war auch im 16. Jahrhundert im Schwange, nun aber gerät es unter die Hände eines Formkünstlers. Keine alltagsweltliche Wendung ist als solche länger geduldet. Eine jede Formulierung muß sich ausweisen nach Maßgabe ihrer Befähigung, distinguierten Ansprüchen der Artikulation zu genügen. Und das in mehrfacher Hinsicht und durchaus präzise fixierter Absicht. Die Einheit der sprachlichen Diktion, ihre durchgängige Homogenität stellt sicher, daß sie an jedem Ort des deutschen Sprachraums verstanden wird und ihrerseits gepflegt zu werden vermag. Der Sprache ist in guter humanistischer Tradition eine politische Mitgift eigen. Sie trägt bei zur Unierung politischer Körperschaften und arbeitet auf ihre Weise nationaler Einigung vor. Zugleich stellt die gepflegte, um nicht zu sagen die elaborierte Handhabung der Sprache sicher, daß die Oberschichten ihr Beachtung schenken und sich ihrer Pflege annehmen. Gottsched gewahrt sehr genau die Hinwendung vor allem des Adels zum französischen Hof und der französischen Sprache seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dieser Ausrichtung entgegenzusteuern kann nur gelingen über ein qualifiziertes, gesellschaftlich akzeptiertes, weil im Niveau untadeliges linguistisches Medium. Einem derartigen kulturpolitischen Auftrag hat Opitz in den Augen Gottscheds wie kein anderer vorgearbeitet. Seine Aktualität ist eine ungebrochene. Auch ein Gottsched vermag sich mit Opitzens Position immer noch zu identifizieren. Doch damit nicht genug. Der eigentliche Skopus der Gottschedschen Lobrede ist an anderer Stelle zu suchen. Indem Opitz zum Deutschen überging, es adelte und dem gesellschaftlichen Verkehr einem Juwel gleich zuführte, leistete er seinem Land einen erzieherischen Dienst. Nun endlich wurde absehbar, daß alle die Menschen bewegen––––––––– 3
Johann Christoph Gottsched: Lob= und Gedächtnißrede auf den Vater der deutschen Dichtkunst, Martin Opitzen von Boberfeld, Nachdem selbiger vor hundert Jahren in Danzig Todes verblichen, zur Erneuerung seines Andenkens im 1739sten Jahre den 20 August auf der philosophischen Catheder zu Leipzig gehalten.- Leipzig: Breitkopf 1739. Wieder abgedruckt in: Johann Christoph Gottsched: Schriften zu Theorie und Praxis aufklärender Literatur. Hrsg. von Uwe-K. Ketelsen.Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1970 (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft; 532–534. Deutsche Literatur; 36), S. 121–148, sowie in: Johann Christoph Gottsched: Schriften zur Literatur. Hrsg. von Horst Steinmetz.- Stuttgart: Reclam 1972 (Reclams Universal-Bibliothek; 9361–9365), S. 212–238.
Aufklärung im höfischen Jahrhundert
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den Fragen im Medium der deutschen Sprache verhandelt werden konnten. Weit über den Bereich der Poesie hinaus erstreckte sich also, was mit Opitz begann. Der Übergang vom lateinischen zum deutschen Idiom lief darauf hinaus, daß wie die künstlerischen so auch die gelehrten Belange numehr in der Muttersprache wahrgenommen zu werden vermochten, war die deutsche Sprache doch zu Ansehen gelangt und bot sich somit zur Benutzung auch auf jenen Gebieten an, die traditionell bislang in der Obhut allein des Lateinischen gelegen hatten. Bildung des Volkes zeichnete sich als Ziel ab und wurde absehbar, sobald der einfache Mann nicht mehr an sprachlichen Barrieren scheiterte, seine Anliegen in der eigenen Sprache zu Wort kamen und damit Beteiligung, Mitwirkung, produktive Assimilation in den Horizont von Kulturpolitik rückte. Der Aufklärer Gottsched gibt sich derart unverhohlen auch in seiner Opitz-Rede zu erkennen. Er nimmt den ›Vater der deutschen Dichtung‹ für die Belange der eigenen Gegenwart in Anspruch. Ein Akt der Überblendung hat statt, wie er jeder produktiven Rezeption eignet. Opitz avanciert zum Herold eines Neuen, das ihm selbst fremd war. Was aber tut dies? Er hatte ein Tor aufgestoßen. Sache des Nachfahren blieb es, dieses zu durchschreiten und den Gewährsmann dabei an seiner Seite zu wissen. Nie wieder, so wird man feststellen dürfen, ist Opitz aus einem eklatanten Mißverständnis heraus so viel Ehre zuteil geworden. Da stand nicht nur ein Dichter am Beginn einer neuen Phase deutschen Dichtens. Nein, der ›Vater der deutschen Dichtung‹ war zugleich zum Stammvater der deutschen Aufklärung aufgerückt. Ein würdigeres Fortleben war nicht denkbar. Gottscheds Rede steht entsprechend singulär da in der Geschichte des Nachlebens des großen Schlesiers. Sie ehrt den Redner nicht weniger als die Figur seiner Rede. Ein Funke war übergesprungen. Die Trias Celtis, Opitz, Gottsched bleibt eine unwiederholbare. Die Entfaltung der deutschen Literatur und ihrer Auslegung hat ungemein von ihr profitiert.
Aufklärung im höfischen Jahrhundert Wie aber ging es weiter? Behauptete sich die Gottschedsche Ehrenrettung Opitzens? Und blieb sie in Kraft ungeachtet der Angriffe, die den Leipziger ›Literaturpapst‹ so bald ereilten und die ihm schwer zu schaffen machten? Mit einem gewissen Recht wird man diese Frage bejahen dürfen. Es hat im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts keine namhaften Stimmen gegeben, die grundsätzlich mit Opitz ins Gericht gegangen wären. Daran hatte Gottsched gewiß nur in eingeschränktem Maße Anteil. Aber der ›Boberschwan‹ war dank seiner präsent, und man konnte schwerlich an ihm vorübergehen, wenn es denn um Fragen der deutschen Literatur in ihrer geschichtlichen Entfaltung ging. Wir akzentuieren einige wenige Aspekte und Positionen aus diesem faszinierenden Kapitel der Aneignung der deutschen ›Barock‹-Literatur im nachfolgenden 18. Jahrhundert. Und wir sind dabei eingedenk der Tatsache, daß eben das Jahrhundert der Aufklärung zugleich eines der Höfe ist. Bleibt man also gut beraten, den schillernden Begriff des ›Barock‹ in erster Linie für die an den Höfen gedeihenden Künste zu reservieren, so folgen daraus sehr delikate Konfigurationen im Blick auf das Mit- wie
I. Eingangs-Essay
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das Nacheinander der beiden Säkula. Die kritischen, über den Tag hinaus informierten Geister wußten noch darum, ein Goethe durchaus eingeschlossen.
Die Schweizer und Zachariae Geschichtlich besonders signifikant dünkt es uns, daß ausgerechnet die erklärten Gottsched-Gegner Bodmer und Breitinger sich an die Schaffung einer großen Opitz-Ausgabe machten. Wäre sie zustandegekommen, die nachfolgende Opitz-Philologie hätte anders ausgeschaut. Doch es blieb bei einem einzigen voluminösen Band, vorbildlich gleichermaßen in der Text-Darbietung wie vor allem der Kommentierung. Die beiden Schweizer Poetologen hatten Kenntnis bekommen, daß sich ein Dritter namens Daniel Wilhelm Triller als Autodidakt und Gottschedianer fast zeitgleich an die Edition der Schriften Opitzens machte. Daraufhin strichen sie die Segel – leider, während ihr Konkurrent tatsächlich rasch vier Bände auf den Markt brachte, die indes fast ebenso rasch wieder dem Vergessen anheimfielen. Sind wir aber bei den Editionen, so will es etwas besagen, daß ein Anthologist wie Justus Friedrich Wilhelm Zachariae noch in den sechziger Jahren eine Folge von Ausgaben mit Autoren des 17. Jahrhunderts plante. Ganz selbstverständlich setzte auch er mit Opitz ein. Opitz war der erste auf dem Felde der neueren deutschen Poesie, diese Anschauung hatte sich durchgesetzt, und auch auf dem Sektor des Editionswesens war ein Widerschein davon zu gewahren.4
Lessing in Breslau Man weiß um das Interesse, das Lessing sowohl in seinen Breslauer wie auch seinen Wolfenbütteler Jahren der Literatur des 17. Jahrhunderts entgegenbrachte. Es bereitete ihm Vergnügen, sich an den Entdeckungen zu beteiligen, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrten. Gelehrte und Bibliothekare wie Johann Kaspar Arletius in Breslau planten Ausgaben und archivierten, was ihnen in die Hände fiel. Ein Lessing pflegte Umgang mit Arletius. Stolz machte er seinerseits einen Fund bekannt, welcher einem Autor zu einem Namen in der Literaturgeschichte verhalf, der ohne Lessings Beihilfe womöglich ein Anonymus geblieben wäre. ›Gedichte von Andreas Scultetus, aufgefunden von G.E.Lessing‹, so lautet der Titel, unter dem der Entdecker im Jahr 1771 in Braunschweig mit einer immerhin hundert Seiten umfassenden Ausgabe hervortrat. Gerne wüßte man Näheres über Lessings Verhältnis zu Opitz. Immerhin, ein sprechender Beleg ist zur Hand, und der ganze Lessing ist in ihm gegenwärtig. In einem Poem, das erst aus seinem Nachlaß bekannt wurde, gibt er einem Klopstock-Anhänger das Wort.5 Dieser mokiert sich über den Sprecher als eines kalten Vernünftlings, ––––––––– 4 5
Vgl. zu den näheren Einzelheiten das letzte Kapitel dieses Buches. Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. Band I: Gedichte. Fabeln. Lustspiele. Textredaktion Sibylle von Steinsdorff.- München: Hanser 1970, S. 157 f.
Der Fürsprecher ›altdeutscher‹ Überlieferungen: Herder
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welcher den Namen eines Dichters zu Unrecht führe, wogegen jener sich – auch unter Berufung auf Opitz – zur Wehr setzt. Was er in kritischer Absicht vorzutragen hat ist eben jenes, das Opitz für Lessing wie vordem für Gottsched teuer macht: Schlichtheit, Verständlichkeit, Vernunft. Wo die Ideale der Aufklärung in Kraft sind, da hat auch ein Opitz stets eine Chance. Wie von Gottsched wird Opitz von Lessing im Namen des aufklärerischen Stilideals optimaler Deutlichkeit und damit optimaler Wirksamkeit unter seinen Lesern gegen den Kult um Dunkelheit und Esoterik aufgerufen, wie er sich an den Namen Klopstocks geheftet hatte.
Der Fürsprecher ›altdeutscher‹ Überlieferungen: Herder Und Herder, der einzig im Jahrhundert dastehende Historiker der deutschen wie der europäischen Literatur, Ahnherr der Romantiker und zugleich doch ihr Widerpart? Sein Bild Opitzens blieb ein ebenso originelles wie eigenwilliges, vorgetragen in seinen ›Kritischen Wäldern‹ in einer Sprache, die in den Gefilden der Historie bislang nicht vernommen worden war und fortan nicht wieder erklingen sollte. Herder ist der größte und zugleich der am besten informierte Kritiker der höfischen Literaturpraxis der Frühen Neuzeit und zumal des 18. Jahrhunderts geblieben. Der Vereinnahmung der Literatur und überhaupt der Künste durch die Oberschichten setzte er das Ideal einer in den breiten Volksschichten lebendigen Literatur entgegen. Noch einmal leitete ihn ein durch und durch aufgeklärter Impetus. Die Bildung des Volkes gerade auch über die bildenden Mächte der Sprache blieben ihm vornehmstes Anliegen. Und unter diesem Aspekt sollte es tatsächlich eine Annäherung an Opitz geben. Sie erfolgte freilich auf einem Weg, der Hörern und Lesern die Sprache verschlagen mochte.6 Das 16. Jahrhundert im Zeichen eines Luther, eines Hutten, eines Fischart ist für ihn das goldene Zeitalter der nachmittelalterlichen Literatur, hat sie doch im Volk Wurzel gefaßt wie niemals vorher und niemals nachher wieder. Im 17. Jahrhundert verlieren sich diese verheißungsvollen Spuren sukzessiv und machen einer zunehmend sich Geltung verschaffenden höfischen Literaturpraxis Platz. Am Anfang aber, bei einem Weckherlin, den Herder glühend verehrte, einem Zincgref, einem Dach und wie sie heißen, ist der Faden zum 16. Jahrhundert noch nicht gerissen. Auch Opitz kommuniziert noch mit dieser lebendigen und ›körnichten‹, kraft- und ausdrucksvollen Sprache. Sein Deutsch, das er da selbst neu zu erfinden wähnte, ist immer noch gespeist von den Säften und Kräften der Zeit Luthers. Der gelehrte Humanist, der den Höfen zugewandte Dichter tritt in Herders Augen zurück hinter dem schlagkräftigen Autor, der seinen Beitrag leistet zur Bewerkstelligung des Brückenschlages zum Volke. Das war – wie bei Gottsched – gewiß ein historisches Mißverständnis. Aber eben ein produktives, noch einmal von der Aufklärung inspiriertes – einer Aufklärung, der ausgerechnet ein Herder, so die späteren ahnungslosen Künder der ›Deutsche Bewegung‹, den Fehdehandschuh hingeworfen haben sollte ... ––––––––– 6
Johann Gottfried Herder: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Fragmente, als Beilagen zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. Dritte Sammlung.- Riga: Hartknoch 1767.- In: Herders Sämmtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan. Band I.- Berlin: Weidmann 1877, S. 357–531.
I. Eingangs-Essay
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Umbruch in der Frühromantik Die tieferen Wurzeln für eine nun tatsächlich einsetzende Diskreditierung der Leistung Opitzens und der Seinen muß man in der Frühromantik suchen und genauer bei den Schlegels. Das ist ein eigenes und komplexes Kapitel. Insbesondere die Vorlesungen August Wilhelm Schlegels zur europäischen Literatur bringen ein historisches Diskurssystem in Umlauf, das der Frühen Neuzeit im Ganzen und dem deutschen 17. Jahrhundert im Besonderen nur abträglich sein kann – von Ausnahmen stets abgesehen. Indem sie die Kategorie der ›romantischen‹ Literatur statuieren und diese zugleich geschichtlich auf der Gegenseite der griechisch-römischen Antike verorten, gerät von vornherein auch die Renaissanceliteratur in eine Schieflage.7 Denn der Begriff des ›Romantischen‹ ist durch und durch wertbesetzt. Autochthone germanische Überlieferungen grundieren große ›romantische‹ Literatur, wie insbesondere im alteuropäischen ›Heldenepos‹ manifest. Die Blüte der ›romantischen‹ Literatur Europas liegt im Mittelalter. Wenn Genies wie Dante, Cervantes oder Shakespeare in der neueren Zeit Werke von weltliterarischem Rang schaffen, so unter Mobilisierung der germanisch-christlichen Überlieferungen, die eben das eigentliche Ferment der nachantiken, der ›romantischen‹ Literatur bergen. Da verschlägt es dann wenig, wenn die neueren Dichter von Petrarca bis Opitz den Schritt von der lateinischen zu der volkssprachigen Literatur bewerkstelligen. Die Vorbilder bleiben die antiken und zumal die römischen Autoren und eben sie verhindern den großen schöpferischen Ausgriff, wie er aller ›romantischen‹ Literatur, die diesen Namen verdient, eigen ist. Wir sind weit davon entfernt, diesen anspruchsvollen Schlegelschen Entwurf verantwortlich zu machen für die Niederungen, denen wir fortan nur allzu oft begegnen, wenn es denn um einen sachgerechten Zugang zur Literatur der europäischen Renaissance geht, der eben auch ein Opitz durch und durch angehört. Daß aber von den Gipfelleistungen der romantischen Literatur im Mittelalter kein produktiver Weg in die neuere Zeit führte, blieb ein Manko. Es zeitigte Folgen für die Literaturhistorie, welche fatal insbesondere bei kleineren und ideologisch anfälligeren Geistern zu Buche schlugen, von denen es im 19. Jahrhundert nur so wimmelt. Wir werden von der einen und der anderen dieser zwielichtigen Figuren hören, sind sie doch Teil des Gesamtbildes.
Ein Universalhistoriker frühneuzeitlicher Literatur Europas: Bouterwek Zuvor aber ist eines Mannes zu gedenken, der leider viel zu wenig bekannt und gewürdigt ist. Wir meinen den Göttinger Philosophen und Philologen Friedrich Bouterwek. Ihm verdanken wir die einzige großangelegte Geschichte der frühneuzeitlichen und also der nachantiken ebenso wie der nachmittelalterlichen Literatur Europas. Zu ihr wußte Bouterwek sich ermächtigt nicht zuletzt durch die Schlegelschen Vorgaben. ––––––––– 7
August Wilhelm Schlegel: Geschichte der romantischen Literatur. Hrsg. von Edgar Lohner.Stuttgart: Kohlhammer 1965 (Kritische Schriften und Briefe; 4).
Volkes Stimme in den Freiheitskriegen
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Auf nicht weniger als zwölf Bände schwoll das Werk in den Jahren zwischen 1801 und 1819 an. Die phantastischen Bestände der Göttinger Bibliothek standen ihm für sein Vorhaben zur Verfügung.8 Auch Bouterwek ist mit den Schlegels fasziniert von der mittelalterlichen Blüte der ›romantischen‹ Literatur. Unbestechlich aber gewahrt er neben den per se weltliterarischen Schöpfungen der neueren Zeit, die auch bei den Schlegels schon figurierten, die Meriten der gelehrten Literatur der Renaissance. Und zu ihr gehört nach der bahnbrechenden Einsicht Bouterweks eben auch die mit Opitz einsetzende deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts. Einen ganzen Band, den neunten in der mächtigen Folge, 1812 erschienen, hat er ihr gewidmet und ist damit der Begründer dieses Zweiges der deutschen Literaturgeschichte, wie immer wieder erinnert werden sollte. Hier ist nicht der rechte Ort, auf sein gehaltreiches Werk näher einzugehen, nur eines will akzentuiert sein. Opitz ist genau wie für seinen Lobredner im 18. Jahrhundert der Begründer einer exquisiten literarischen Formkultur auf den Fundamenten der Antike und der Renaissance. Damit rückt er nicht zum ›Vater der deutschen Dichtung‹ auf, wie Bouterwek ironisch anmerkt. Große Schöpfungen hatte es lange vor ihm und eben vor allem im deutschen Mittelalter gegeben. Aber er ist derjenige, der der deutschen Literatur nach dem Wildwuchs im 16. Jahrhundert ein neues Gütesiegel verschafft, indem er den sprachlichen und versifikatorischen Duktus einer streng regulierenden Überwachung unterwirft. Das Resultat sind stilistisch anspruchsvolle Kreationen. Und denen eignet ein Vorzug, welcher bei den Schlegels schlechterdings ausgeblendet blieb. Opitz und die Seinen führen mit ihren artistischen Exerzitien auf einen Weg in die Zukunft, der im 18. Jahrhundert gipfeln sollte. Ihr Klassizismus aus dem Geist der Antike und der Renaissance ist die Basis für das Wunder der weltliterarischen Klassik, wie es sich auf deutschem Boden und zumal in der Gestalt Goethes erfüllt. Damit war der Literaturgeschichtsschreibung ein evolutionistisches Modell gewonnen, das bei den Besten unter den Literarhistorikern alsbald Schule machen und ausgebaut werden sollte.
Volkes Stimme in den Freiheitskriegen Doch bevor es dazu kam, war die Opitz-Philologie mehr als einmal auf Abwege geraten. Auch diese muß man zur Kenntnis nehmen, denn sie blieben virulent, bildeten eine Quelle der pseudohistorischen Phraseologie und in eins damit einer politischen Usurpation. Wir meinen die Opitz-Adaptionen zur Zeit der Napoleonischen Okkupation und der Befreiungskriege, in denen sich ein unsäglicher Nationalismus und Populismus Bahn brach und dafür nicht zuletzt auch einen Opitz als Gewährsmann reklamierte. Am wirkungsvollsten betrieb dieses triste Geschäft der Breslauer Germanist Ludwig Wachler. Seine ›Geschichte der teutschen Nationallitteratur‹, die erstmals in ––––––––– 8
Friedrich Bouterwek: Geschichte der Poesie und Beredsamkeit seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Band I–XII.- Göttingen: Röwer 1801–1819 (Geschichte der Künste und Wissenschaften seit der Wiederherstellung derselben bis an das Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Dritte Abtheilung: Geschichte der schönen Wissenschaften).
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den Jahren 1818 und 1819 – also unmittelbar im Anschluß an Bouterwek – erschien, steht dafür vor allem ein.9 Die Erfahrung der Napoleonischen Unterjochung ist dem Werk eingeschrieben. Das mannhafte Volk der Deutschen und ihre lautere Sprache blieben das Unterpfand der Hoffnung selbst in trübsten Tagen. Auf diesen beiden Pfeilern ruht auch die Literaturgeschichte, die sich als Memorialwerk versteht. Das ist ein lauterer Vorsatz. Nun aber obliegt ihr die schlichte Mission, die in ›thatenreicher Zeit‹ entfachte ›vaterländische‹ Begeisterung im Volk lebendig zu halten und zu schüren. Was sollte ein Opitz hierzu beizutragen haben? Nun, des Zuträglichen zur Genüge, sofern man ihn nur gehörig verbog. Volkes Stimme ist allemal Richtschnur. Mit dieser Maxime trennt sich Wachler von vornherein von dem grassierenden Kult des Mittelalters. Seine Favoriten haben im Zeitalter Luthers gewirkt. Das 16. Jahrhundert hat in der Literaturgeschichtsschreibung des neunzehnten allemal Konjunktur. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bahnt sich indes eine Wende an, und das heißt für den Anwalt des Volkes: ein Irrweg. Fürsten, Adelige, Gelehrte, aber auch, man staune, Geschäftsleute, übernehmen das Zepter. Kirche und Staat befinden sich im Aufstieg. Ihnen sind die Belange des Volkes fremd. Und eben dies birgt die Chance für das Wirken Opitzens und seiner Freunde. Der Schlesier ist gewiß kein großer Dichter. Aber er hat den Vorzug, ein ›vaterländischer‹ Dichter zu sein. Und das vermöge seines Einsatzes für die deutsche Sprache und deren Pflege. »Opitz verleugnet nie mannhaft-teutsche, innig-fromme, sittlich-rechtliche Gesinnung«.10 Und damit ist er prädestiniert, einzugehen in das Pantheon der großen Deutschen, an denen sich die Literaturhistorie fortan immer wieder erbauen wird. Wachler ist einer der ersten, der die gängigen Stichworte lieferte. Daß ihnen ein fremdenfeindlicher Zungenschlag beiwohnt, ist schon bei ihm erkennbar. Er wird sich bewahren und zunehmend radikalisieren. In dieser ebenso absurden wie gefährlichen Mixtur kann das Bild Opitzens nur als ein entstelltes figurieren.
Im Vormärz: Gervinus Ein Beispiel für viele. Bis tief in das 20. Jahrhundert hinein verlauten ähnliche Töne, moduliert stets nach Maßgabe der jeweiligen politischen Vorgaben. Hier interessieren in unserer kleinen Revue die substantiellen Äußerungen, dazu angetan, der Erinnerung bewahrt und fortentwickelt zu werden. Zu ihnen zählen wir an erster Stelle das literarhistorische Werk des Vormärzlers und Liberalen Georg Gottfried Gervinus. Ihm ist die bedeutendste Geschichte der deutschen Literatur zu verdanken. die im 19. Jahrhundert zustandekam. Eine Nagelprobe darauf bilden nicht zuletzt die Kapitel über Opitz und sein Jahrhundert.11 ––––––––– 9
10 11
Ludwig Wachler: Vorlesungen über die Geschichte der teutschen Nationallitteratur. Erster [und] Zweiter Theil.- Frankfurt am Main: Hermannsche Buchhandlung 1818–1819. Ebenda, Teil II, S. 24. Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. Band I– V.- Leipzig: Engelmann 1835–1842 (Historische Schriften von G.G. Gervinus. Band II–VI; Geschichte der deutschen Dichtung, Band I–V). Zweite umgearbeitete Ausgabe.- Leipzig: Engel-
Im Vormärz: Gervinus
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Gervinus machte sich als Historiker ans Werk, nicht als Literaturwissenschaftler. Entsprechend ging es ihm nicht um eine ästhetische Beurteilung der Werke, sondern eine historische Rekonstruktion der literarischen Entwicklungslinien. Diese freiwillig einbekannte Einschränkung bezeichnet gewiß eine Grenze seines Werkes. Aber der Verzicht wird aufgewogen durch ein Maß an historischer Konkretion, die singulär dasteht im 19. Jahrhundert. Gervinus kennt seinen Hegel. Er weiß, daß eine geschichtliche Bewegung abgeschlossen sein muß, um rekonstruktionsfähig zu werden. Die Geschichte der deutschen Literatur ist es. Sie hat in der Klassik Goethes und Schillers einen weltliterarischen Gipfel erklommen, der nicht mehr zu überbieten sein wird. Eine genuine und substantielle nachklassische Literatur gibt es für ihn nicht mehr. Auch diese These ist heftig kritisiert worden und gewiß mit einigem Recht. Erinnert man sich aber auch, worin sie wurzelt? Vorbehaltlos distanziert sich Gervinus von jedweder Form der Schwärmerei für das Mittelalter. Wenn er zu der Romantik keinen Zugang fand, so nicht zuletzt, weil er ihr eine fatale Neigung zur Geschichtsklitterung ankreidete, wie sie ihm im Werk der Schlegels vor Augen stand. Einen einzigen Gipfel der Poesie zu statuieren und diesen ins Mittelalter zu verlegen, bezeichnete für ihn gleichermaßen ein literarhistorisches wie ein politisches Sakrileg. Und eben dieser kompromißlose Einspruch kommt nun auch seinem literarhistorischen Aufriß zugute. Die Assimilation der Antike ist die Voraussetzung für die Erhebung der europäischen Literaturen in der Frühen Neuzeit, wie sie im 18. Jahrhundert zum Abschluß gelangt, und dies eben in Deutschland in letzter Vollendung. Opitz hat das überhaupt nicht zu überschätzende Verdienst, mit seiner Eindeutschung der antiken und der neueren gemeineuropäischen Literatur die Grundlage für die sukzessive fortschreitende Adaptation dieses Erbes gelegt zu haben, das ein unverlierbares für die Nation und zumal ihre bürgerliche Trägerschaft bleiben sollte. Dem konstitutionellen Monarchisten ist das Bündnis, das Opitz mit den Fürsten einging, kein Einwand gegen seine Leistung. Sie war geschichtlich an der Zeit, galt es doch, der Verrohung der Bildung zu steuern. Und sie blieb eine temporäre, gelangte sie doch im Bündnis der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte im Zeitalter der Aufklärung zu einem Ausgleich. Auf der Ebene der Literatur ist an ihrem Ende bereits bewerkstelligt, was im Raum der Politik noch aussteht und von dem Angehörigen der Paulskirche lebhaft erhofft wird. Die politische Perspektivierung und Finalisierung zeitigt die maßgebliche Voraussetzung für die geschichtliche Rekonstruktion. Opitz und seine Mitstreiter zur Linken wie zur Rechten haben bleibenden Anteil an diesem Entwurf aus einem Guß. Opitz vollzieht die entscheidende Weichenstellung in der neueren Zeit, und insofern hat auch ein Gervinus keine Scheu, Opitz als den Vater der deutschen Dichtung zu apostrophieren. Die metaphorische Rede war in seinem Grundriß der deutschen Literatur vor Mißverständnis geschützt. Wäre es Gervinus vergönnt gewesen, auch die ästhetischen Regularien gleich eindrucksvoll herauszuarbeiten – das Opitz-Bild aus seiner Hand wäre schwerlich zu überbieten gewesen. So aber verblieben Aufgaben für eine freilich noch in weiter Ferne liegende Zukunft. ––––––––– mann 1840–1845. Dritter Theil: Vom Ende der Reformation bis zu Gottsched’s Zeiten. 2. Aufl. Mit einem Namen- und Sachregister.- Leipzig: Engelmann 1842. Kapitel IX: Eintritt des Kunstcharakters der neuern Zeit. Abt. 2: Mart. Opitz (206.) und Paul Flemming (236.).
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Anwalt der Freiheit und des poetisch-politischen Widerstandes: Hoffmann von Fallersleben Wir indes machen zunächst Halt an einer weiteren Station der Opitz-Rezeption. Sie ist vielleicht die aufsehenerregendste in der langen Geschichte von Opitz’ Nachleben geblieben. Von der romantischen Adaptation war die Rede, von der völkischen und zuletzt von der liberalen. Und nun ist es faszinierend zu gewahren, wie sich auch die radikaldemokratische Fraktion in der bewegten Zeit rund um die Paulskirche von 1848 noch auf Opitz zurückzubeziehen vermag. Unverlierbar bleibt die Intervention Hoffmanns von Fallersleben. Er wird nicht in erster Linie als Literarhistoriker tätig, sondern als Lyriker und Anthologist. Von der letzteren Spezies gibt es viele vor und nach ihm, keiner aber hat es ihm in der politischen Prägnanz und Brisanz der Auswahl und der Kommentare gleichgetan. Auch ein Opitz war optimal bei ihm aufgehoben. Seine ›Unpolitischen Gedichte‹ aus den Jahren 1840 und 1841 sowie seine 1843 erschienenen ›Politischen Gedichte aus der deutschen Vorzeit‹ sind ein politischer und ein poetischer Jungbrunnen des jungdeutschen Vormärz geblieben.12 Die ersteren brachten Hoffmann von Fallersleben ein Berufsverbot ein. So ging er dazu über, poetisch-politische Juwelen ›aus der deutschen Vorzeit‹ zu sammeln. Das machte ihn weniger angreifbar und brachte in vielen Fällen eine Wiederbelebung verschütteter Traditionen mit sich. Zwei wirkungsmächtige Texte hatte der junge Opitz in der Abfolge nur weniger Jahre verfaßt. Noch in Beuthen war 1617 sein Plädoyer für die allfällige Hochschätzung und praktische Verwendung der deutschen Sprache in einer emphatischen Rede vorgetragen worden. Schon wenige Jahre später sah sich der noch junge Dichter genötigt, von Heidelberg aus ein erstes Mal ins Exil auszuweichen, dessen letzte Station das dänische Jütland bezeichnete. Hier fand er Kraft und Muße, sein ›Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges‹ zu konzipieren, das er – den politischen Umständen geschuldet – erst viel später in den dreißiger Jahren publizieren konnte. In der Anthologie Hoffmanns von Fallersleben ist Opitz ein Ehrenplatz eingeräumt. Der radikaldemokratische Publizist in der unverfänglichen Rolle des Anthologisten verfügt über ein untrügliches Gespür für die politische Botschaft des ›TrostGedichtes‹. Freiheit ist das Losungswort, das über so gut wie allen der von ihm ausgewählten Versen steht. sie fodert Widerstand, Ihr Schutz, ihr Leben ist der Degen in der Hand. Sie trinkt nicht Muttermilch; Blut, Blut muß sie ernähren; Nicht Heulen, nicht Geschrei, nicht weiche Kinderzähren, Die Faust gehört darzu.13
Auf Widerstand gegen den Glaubenszwang, auf Freiheit des Glaubens und Bekennens ist das Poem gestimmt. Unverhohlen wird dem Mut und heroischen Widerstand der ––––––––– 12
13
Unpolitische Lieder von Hoffmann von Fallersleben. Erster [und] Zweiter Theil.- Hamburg: Hoffmann und Campe 1840–1841.- Politische Gedichte der deutschen Vorzeit. Hrsg. von Hoffmann von Fallersleben.- Leipzig: Engelmann 1843. Politische Gedichte der deutschen Vorzeit (Anm. 12), S. 244.
Ein Nachmärzler als Erbe des Gervinus: Heinrich Kurz
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Niederländer gegen den spanischen Aggressor Respekt von seiten des Dichters gezollt. An der Seite der Verfolgten und um ihres Glaubens wegen Leidenden ist sein Platz. Die Greuel der Bartholomäusnacht in Frankreich hätten nicht drastischer vergegenwärtigt werden können. Der politische Publizist, zu dem der junge Opitz in seinen Heidelberger Tagen rasch herangereift war, hatte das Medium gewechselt, war übergegangen zum Lehrgedicht und führte diesem Passagen aufrüttelnder politischer Botschaft zu, die auf eindrucksvolle Weise mit dem konsolatorischen Anliegen des ›Trost-Gedichtes‹ koinzidierten. Es wird Hoffmann von Fallersleben stets zur Ehre gereichen, daß er erstmals derart prononciert in der Geschichte der Opitz-Rezeption diesen Zug seines Werkes akzentuierte und durch klug ausgewählte Zitate belegte. Wieder hatte ein politisches Engagement zur Freilegung eines geschichtlichen Gehaltes in einem Poem aus der ›Vorzeit‹ geführt, dessen Potential geschichtlich noch nicht abgegolten war, vielmehr auf andere Weise dem Vormärzler als einzulösendes vor Augen stand. Der ›Tigersprung ins Vergangene‹, wie Benjamin ihn dem Historiker abforderte, blieb ein kraftspendender in der Gegenwart. Die Wiederentdeckung des politischen Lyrikers Martin Opitz ist das Verdienst Hoffmanns von Fallersleben. Und daran ändert – wie auf andere Weise im Falle des Gervinus – die Distanzierung von Opitzens Charakter gar nichts.
Ein Nachmärzler als Erbe des Gervinus: Heinrich Kurz Belassen wir es bei dieser einen Stimme. Auch ein Laube, ein Mundt und wie sie heißen wären mit Gewinn zu erinnern. Wir aber sind auf Akzentuierung bedacht, und das heißt auf Nominierung weiterhin aktueller historischer Zeugen. Zu diesen möchten wir eine Gestalt wie Heinrich Kurz zählen. Ihm gelang es, den Geist des radikalen Vormärz herüberzuretten in die Zeit nach 1848 und der Literaturgeschichtsschreibung zugute kommen zu lassen. In den Jahren zwischen 1851 und 1859 erschien eine dreibändige Literaturgeschichte aus seiner Feder.14 Wenn wir sie hier erwähnen (viele andere Werke aber außen vor lassen), so deshalb, weil auch sein Opitz-Porträt nochmals einen zu bewahrenden Zug in das Bild bringt, und nur das kann hier maßgeblich sein. Heinrich Kurz ist der Historiograph der städtischen Literatur und Kultur auf deutschem Boden. Seine kritischen Invektiven gegen den Gang, den die lutherische Reformation in den Städten und auf dem platten Land nahm, bleiben allemal lesenswert. Was die näheren Spezifika der Literatur angeht, so ist Gervinus für Kurz die erste Autorität, und ein Gutteil seiner Arbeit gilt dem Bemühen, einem breiteren Publikum über einprägsame Porträts entgegenzukommen. Das kardinale Übel erblickt der Demokrat in dem Erstarken der Fürsten im Gefolge der Reformation. An ihnen können die Dichter spätestens seit Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr vorbeigehen. Der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ – so die fortan nicht wieder preiszugebende Einsicht ––––––––– 14
Heinrich Kurz: Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller. Mit vielen nach den besten Originalen und Zeichnungen ausgeführten Illustrationen in Holzschnitt. Band I–III.- Leipzig: Teubner 1851–1859.
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eines Kurz wie vordem schon eines Gervinus – kommt das Verdienst zu, die ›höheren Stände‹ für die Belange der Poesie interessiert zu haben. Davon profitiert auch ein Opitz, der seinerseits einen unverächtlichen Beitrag zur Befestigung dieses Bündnisses leistet. Sehr wohl gewahrt auch Kurz, daß eine Orientierung am Ausland vonnöten war. Hier fand der Dichter »eine schon ausgebildete, künstlerische Gestaltung der Poesie« vor, deren Vorzüge er nun zielstrebig auch in Deutschland heimisch machte.15 Eben damit gewann er die Anerkennung der Fürsten, die eine Weile für das Gedeihen der Poesie unabdingbare Voraussetzung war. In der fortgeschrittensten politischen Fraktion des Vor- und Nachmärz wurden damit Einsichten zur Dichtung des frühen 17. Jahrhunderts erarbeitet und in Umlauf gebracht, die sich auch fürderhin als tragfähig erweisen sollten und allemal gegen die Schwärmer des Volkstums zu mobilisieren sind.
Das Hausbuch Scherers Von ihnen, einem Vilmar oder einem Pischon und wie sie wiederum heißen, soll hier nicht Rede sein, wie wir überhaupt Abstand davon nehmen, die sich zunehmend intensivierende literarhistorische Arbeit nach 1848 unserer kleinen Betrachtung im Blick auf Opitz zuzuführen. Das ist an anderer Stelle geschehen und bedarf hier nicht der Wiederholung. Alle diese Kompendien werfen einen nennenswerten wissenschaftsgeschichtlichen Ertrag nur ab, wenn man die leitenden Maximen ausführlich zu Wort kommen läßt und einer historischen Beurteilung zuführt. Erst dann gewinnen die einzelnen Porträts ihren angemessenen Platz, wie auch am Beispiel Opitzens gezeigt werden konnte. Ein eigenes Kapitel bezeichnet die Historiographie in Sachen deutscher Literatur im Zeitalter des Wilhelminismus, wie sie mit Scherers berühmter Literaturgeschichte im Jahr 1883 einsetzt, die es schließlich auf 16 Auflagen brachte und zum Hausbuch des gebildeten Bürgertums avancierte.16 Für das 17. Jahrhundert und speziell für Opitz kann man ihr nichts entnehmen, das sich für eine längerfristige Erkenntnis als förderlich erweisen würde. Dafür ist der methodische Rahmen um so aufschlußreicher, der zur Genüge erkennen läßt, in welchem Maße die literarische Kritik mit fortschreitendem 19. Jahrhundert in Verfall geriet. Liest man da in Scherers Porträt Opitzens, daß niemals »ein unbedeutender Dichter mit so geringem Recht eine bedeutende Stellung in der Literaturgeschichte errungen [hat] wie Opitz«, so ist ersichtlich, daß irgend Förderliches nicht zu erwarten ist.17 Selbst das ›Trost-Gedichte‹ sei infolge von ›endlosen Betrachtungen‹ ungenießbar.18 Allenfalls der Mut zu derart unqualifizierten Werturteilen bleibt bemerkenswert. Den Erfolg aber des Werkes beförderte er womöglich noch. Wohin also schauen, um noch einmal Anregendes und Weiterführendes zu vernehmen, um das es anläßlich dieser ––––––––– 15 16 17 18
Ebenda, Band II, S. 243. Wilhelm Scherer: Geschichte der Deutschen Litteratur.- Berlin: Weidmann 1883. Ebenda, S. 320. Vgl. ebenda, S. 321.
Die Sozietäten und Opitz im Fadenkreuz geistesgeschichtlicher Hermeneutik
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kleinen einleitenden Reprise doch geht, wenn anders das Profil des folgenden Versuches einen rezeptionsgeschichtlichen Rahmen erhalten soll.
Die Sozietäten und Opitz im Fadenkreuz geistesgeschichtlicher Hermeneutik Wir würden den Blick für einen Moment gerne auf einen der Großen unter den Kultur- und Religions-Morphologen der Frühen Neuzeit lenken, auf den ›Vater‹ der geisteswissenschaftlichen Methodik Wilhelm Dilthey. Er mühte sich sein Leben lang, dem naturwissenschaftlichen Szientismus – wie er bei Scherer fatal in der Literaturgeschichtsschreibung durchschlug – eine genuin geisteswissenschaftliche Hermeneutik zur Seite zu stellen. Diesem Bemühen verdanken wir eine Reihe exegetischer Exempel in weitausholender historischer Linienführung, die vor allem dem Zeitalter der Aufklärung und seiner Vorgeschichte im 17. Jahrhundert gelten. In ihnen erweist sich Dilthey womöglich stärker und treffsicherer als in seinen theoretischen Reflexionen, da er sich mit einem vitalen Neukantianismus konfrontiert sah, während er seine Philosophie des Geistes unter seinen Zeitgenossen weitgehend alleine zu bestreiten hatte. Es will etwas besagen, daß ein Hugo von Hofmannsthal ihm einen Nachruf widmete, den niemand vergessen wird, dem er zu Augen kam. Die geschichtlichen Arbeiten sind fast alle erst aus seinem Nachlaß hervorgetreten. So auch die beiden Kapitel ›Die europäische Wissenschaft des 17. Jahrhunderts und ihre Organe‹ sowie ›Die neue weltliche Kultur‹, die eingingen in den dritten Band seiner ›Gesammelten Schriften‹.19 Wo immer Dilthey tätig wird, da greift er unbedenklich aus auf alle philosophischen, theologischen und künstlerischen Manifestationen des Geistes. Entsprechend ist immer wieder auch von der Literatur die Rede, und so glücklicherweise auch von der des 17. Jahrhunderts. Dem ersten Kapitel des dritten Bandes sind auf der einen Seite Abschnitte zu den ›Wissenschaftlichen Vereinen‹ und den ›modernen Akademien‹ integriert. Sie entstanden in Auseinandersetzung mit Adolf von Harnacks großem mehrbändigen Werk zur Geschichte der Preußischen Akademie. Was hier auch und gerade zu den deutschen Ausprägungen, angefangen bei der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹, verlautet, gehört zum Besten, das wir besitzen und ist für eine Geschichte des Humanismus wie der Literatur der nachreformatorischen Zeit immer noch über weite Strecken zu entdecken. Eine universale Weite der Betrachtung zeitigt – genau wie bei Harnack selbst, auch aber natürlich bei Ernst Troeltsch, den Wahlverwandten und Zeitgenossen – bleibende Einsichten. Wir sagen dies, weil auch die Charakteristik der deutschen Sozietäten und vermittelt über sie die der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts davon profitiert. Die ›Idee der religiösen Toleranz‹ hat in ihnen eine Heimstatt.
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Beide sind Bestandteile der vom Herausgeber Paul Ritter so bezeichneten Studie ›Leibniz und sein Zeitalter‹. Vgl. Wilhelm Dilthey: Studien zur Geschichte des deutschen Geistes. Leibniz und sein Zeitalter. Friedrich der Grosse und die deutsche Aufklärung. Das Achtzehnte Jahrhundert und die geschichtliche Welt. 3., unveränd. Aufl.- Stuttgart: Teubner, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1962 (Gesammelte Schriften; 3), S. 1–80.
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Das führte ihnen jetzt die wachsende Masse aller derer zu, die für ihren Glauben leiden mußten. Und in dem schuldvoll traurigen Gange, den die [nachreformatorische] Kirchengeschichte unseres Volkes genommen hatte, lag es begründet, daß es sich hier im wesentlichen um Bekenner der reformierten Lehre handelte. So erklärt sich die Tatsache, daß in den Mitgliederlisten dieser Vereine, so weit wir dieselben wiederherstellen können, das reformierte Element oft entschieden überwiegt, vor allem auch in der Zahl der führenden Persönlichkeiten. Die ersten Ereignisse des dreißigjährigen Krieges brachten es dann mit sich, daß die Exulanten aus Böhmen, Mähren und Schlesien ein anderer charaktergebender Bestandteil in diesen Gesellschaften wurden. Die größte von ihnen, der ›Palmbaum‹ [Fruchtbringende Gesellschaft], besaß außerdem gleich seit ihren ersten Tagen ein gewisses Verhältnis zu dem reformierten Herrscherhause der Hohenzollern. Die Namen der brandenburgischen Adelsgeschlechter sind in ihren Listen auffallend stark vertreten, wie denn noch 1644 der große Kurfürst selber ihr Mitglied geworden ist. Dem entspricht, daß sie kein einziges Geschlecht aus dem lutherischen Sachsen zugelassen hat. [...] Unter den besonderen Aufgaben, die sie sich setzten, stand bei den einen die Pflege der deutschen Sprache und Literatur an der Spitze; wie diese Bestrebungen allerorten zu den Eigentümlichkeiten des Humanismus gehört hatten. Andere beschäftigten sich intensiver mit Mathematik, Physik und Technik. So die vielberufenen alchymistischen Gesellschaften, welche namentlich in den größeren Reichsstädten blühten, in engem Zusammenhange mit dem hier heimischen Kunsthandwerk.20
Damit waren zwei Pole umkreist und zugleich der auf der Hand liegende, aber allzu häufig abgeblendete Zusammenhang mit dem Humanismus markiert. Wie niemand sonst jedoch hat Dilthey (im Anschluß an Friedrich Wilhelm Barthold) das reformierte Element stark gemacht. Er wies es als Keimzelle der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ auf. Und hätte er sich einläßlicher mit den Anfängen der Literatur im 17. Jahrhundert bei den Schlesiern und Pfälzern befassen können, wäre er mit Gewißheit auch hier auf parallele Affinitäten gestoßen, die erst viel später – und mit einem guten Schuß provokanter Kühnheit – zur Geltung gebracht werden konnten. Immerhin sind in die aus dem Nachlaß geschöpfte Abhandlung ›Leibniz und sein Zeitalter‹ auch einige Passagen zur Literatur des 17. Jahrhunderts eingeflossen. Erstmals und auf lange Zeit allein wird den bestimmenden religiösen Mächten der ihnen gebührende Platz in der Betrachtung eingeräumt. Sie kreuzen sich mit sehr prägnanten sozialgeschichtlichen Feststellungen, die gleichfalls in den literarischen Porträts zu Buche schlagen. Seit langem erstmals wieder wird auch einer Gestalt wie Opitz jene historische Gerechtigkeit zuteil, die nur in Kenntnis der europäischen Zusammenhänge zu gewinnen ist. Man lese die entsprechenden Abschnitte in dem Kapitel ›Die neue weltliche Literatur‹, um sich von der Triftigkeit des Gesagten zu überzeugen. Die knappen Charakteristiken von Opitz, Fleming und Gryphius, ja noch die Aperçues etwa zu Dach, stehen singulär da im 19. Jahrhundert. Sie verlauten aber erst posthum in den zwanziger Jahren des neuen Jahrhunderts. Und da hatte sich die sog. ›Barockforschung‹ auch schon auf dem Felde der Literaturhistorie etabliert. Sie ist Opitz und den Seinen nicht eigentlich zugute gekommen, wie inzwischen hinlänglich bekannt.
Opitz im ›Barock‹ Die Stichworte hatten die Kunstwissenschaftler geliefert, ein Wölfflin, ein Dvořák, ein Worringer und andere. Fatal machte sich in ihren Werken die Neigung bemerkbar, ––––––––– 20
Ebenda, S. 20 f.
Gundolfs Opitz-Porträt
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formtypologische Beobachtungen national- bzw. rassenpsychologisch zu grundieren. Dann entstanden jene hyperthrophen Kreuzungen, in denen Stammeseigenschaften bruchlos in anthropologische und epochale Konstrukte übergingen, deren quasidialektischer Aplomb den geschichtlichen Substanzverlust nicht zu kaschieren vermochte. Der Schlüsselbegriff des Barock entsprang dieser spekulativen Strömung welche die Kunstwissenschaft ergriffen hatte. Er kam mit besonderem Anspruch daher, war ihm doch eine antithetische Position zur Renaissance zugewiesen. Für die Literaturwissenschaft hatte diese nomenklatorische Kreation die verhängnisvollsten Konsequenzen. Denn nun ging man daran, die genuinen Zusammenhänge mit Humanismus und Renaissance zu kappen und eine germanisch-barocke Formensprache den Dichtern des 17. Jahrhunderts zu unterstellen, die diese den geschichtlichen Humus raubten, in dem sie wurzelten. Da sehen sich dann die Repräsentanten der Literatur des 17. Jahrhunderts zu vitalen, leidenschaftlich ringenden, expressiv überbordenden Heroen umgemodelt. Ein Opitz landet je nach Geschmack einmal auf der Seite der blutarmen (und also ungermanischen) Verstandeskünstler, ein anderes Mal auf der den seelisch-emotionalen Aufschwüngen huldigenden (und also urgermanischen Impulsen folgenden) Poeten. Vergessen, um nicht zu sagen verachtet, waren ehrwürdige Gestalten wie ein Max von Waldberg, der soeben noch die Poesie Opitzens und seiner Zeitgenossen unter dem einzig treffenden Titel der ›Renaissance‹ (und damit des Humanismus) traktiert hatte. Aufgebauscht, in gleißendem Wortflitter eingehüllt, führten die humanistischen Poeten, umgetauft zu barocken Heroen, ein Scheinleben von Gnaden ihrer ebenso windigen wie ahnungslosen Schöpfer. Es ehrt den großen Kulturhistoriker Konrad Burdach, daß er vehementen Einspruch erhob. Eine Zeitlang aber mochte es scheinen, daß er alleine stand. Es bedurfte großer Anstrengungen, um den bis in den Nationalsozialismus hinein um sich greifenden Schaden zu beheben. Die neuere sog. Barockforschung ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen.
Gundolfs Opitz-Porträt Im Jahr 1923 erschien eine schmale Monographie mit dem schlichten Titel ›Martin Opitz‹ aus der Feder des womöglich renommiertesten Germanisten seiner Zeit Friedrich Gundolf.21 Was mochte einen eingeschworenen Georgianer wie Gundolf bewogen haben, sich Opitz zuzuwenden und vier Jahre später eine weitere Arbeit über Gryphius folgen zu lassen? Nun, auch in diesen broschüreförmigen Arbeiten stehen Sätze, die nur mit befremdetem Kopfschütteln zu parieren sind. Doch sie bleiben die Ausnahme. Der Blick ist europäisch ausgerichtet wie in den besten Studien des 19. Jahrhunderts. Es sind die formenden, die mit dem Humanismus nach Deutschland in das Land der Reformation gelangenden Kräfte, um die es dem Autor geht. Sie finden in Opitz frühzeitig ihren Meister. Ihm wie keinem anderen verdankt das literarische Jahrhundert die Rückkehr nach Europa. Das ist eine zutreffende und inmitten der Barock-Phantasien ringsum ehrenwerte Sicht der Dinge. Und natürlich ist sie begleitet ––––––––– 21
Friedrich Gundolf: Martin Opitz.- München, Leipzig: Duncker & Humblot 1923.
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von geschichtsphilosophischen und teleologischen Grundierungen. Man weiß um Gundolfs Vorliebe für die großen Gestalten. Zu denen darf ein Opitz nicht gezählt werden. Allenfalls ein Grimmelshausen hat ein Anrecht auf diesen Titel wie auf andere Weise womöglich Böhme. Und doch kommen Opitz Verdienste zu, die ihn in bestimmter Hinsicht zu einer singulär dastehenden Figur im literarischen Leben der Deutschen erhoben haben. Der prägnanten und fast durchgängig treffend akzentuierten Biographie steht ein Passus voran, welcher die Linien derart absteckt, daß der Leser Ersprießliches erwarten darf. Opitz wird zum Begründer der Wortekunst in neuhochdeutscher Sprache. Seine Poetik und Poeterei hat die vereinzelten, aus gleichen Bedürfnissen und Gesinnungen kommenden Ansätze einer neuhochdeutschen Humanistenliteratur zusammengefaßt, ermächtigt und aus privaten Versuchen ein Gesetz gemacht, als gültige Richtung befestigt was vorher läßliche Willkür war. Seine Vortaster Schede, Rebhuhn, Clajus, Hock, Weckherlin, Hübner, werden von ihm aus deutlich . . ihr Wollen bekam erst durch den Sieg seiner Reform ein Gesicht, und es ist sinnvoll, daß eine künstliche, auf dem Verstand begründete Wandlung nicht dem lebendigsten Temperament, Weckherlin, sondern dem verständigsten Kopf gelang.22
Man wird Gundolf attestieren dürfen, daß die biographische Forschung, wie sie sich vor allem an die Namen von Hermann Palm und Max Rubensohn knüpft, gewissenhaft verarbeitet ist. Der auf sechs Seiten komprimierte Lebenslauf ist womöglich der instruktivste bis dato verfügbare. Wenn Namen wie der von Tobias Scultetus und Institutionen wie das Beuthener Gymnasium Schoenachianum in ihm einen Platz haben, der Heidelberger Kreis sich mit wenigen Worten zutreffend charakterisiert findet, das frühe ›Trostgedichte im Widerwertigkeit des Krieges‹ als die vielleicht ›beste‹ Dichtung Opitzens apostrophiert wird, dann stimmen die Akzente. Die ›Teutschen Poemata‹ von 1624 sind »das erste Buch worin die deutsche Wortkunst als bewußt ›neue Richtung‹ erscheint.«23 Stößt der Leser im Kontext der Dohna-Episode auf Formulierungen wie: »seine ›Religion‹ war der Humanismus, nicht der Protestantismus«, oder anläßlich der späteren diplomatischen Missionen: »Er warb – ein Vorläufer von Leibniz – für einen Ausgleich der Bekenntnisse«, so sieht er sich für die eine oder andere Entgleisung (oder auch Fehlinformation: Johann Christian von Liegnitz und Brieg als ›Herzog von Thorn‹!) reichlich entschädigt. »Den Zusammenhang mit der älteren deutschen Literatur hält er aufrecht, ein Ahne Gottscheds, Lessings und Herders, mit seiner Ausgabe des Annolieds, seine letzte – fast seine rührendste Leistung.«24 Auch ein solcher Satz war vorher so noch nicht artikuliert worden. Zugleich geleitet dieses Aperçue zum Zentrum des Versuchs. Zutreffend gewahrt Gundolf den Neueinsatz in der europäischen Renaissance mit Petrarca. Er ist der Ahnherr der europäischen Humanisten. Und wenn Opitz als ein später Nachfahre in diese Reihe gestellt wird, dann stimmen die Gewichtungen. Gundolf hat das Opitzsche Werk Revue passieren lassen und sich insbesondere die ›Poeterey‹ vorgenommen, weil an ihr der aus der Renaissance herrührende gemeinhumanistische poetisch––––––––– 22 23 24
Ebenda, S. 4 f. Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 11 f.
Übergang zu Richard Alewyn
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poetologische Gestus am prägnantesten darzutun war. Im Blickfeld aber bleibt unverrückt das 18. Jahrhundert. Ohne Opitz, so das Diktum, kein dichterischer Aufschwung im 18. Jahrhundert. Das hörte man gewiß nicht zum ersten Mal. Aber vergleichbare Äußerungen lagen lange zurück und waren inzwischen überlagert durch gänzlich andere und eben in die Irre führende. Fixpunkt ist für den Georgianer natürlich Goethe. Aber muß man ihm das ankreiden, wenn die folgenden Überlegungen sich daran knüpfen? Dem alten deutschen Sprachgeist (ja Sprachleib) den zuletzt Luther verlautet hatte, wurde seit Opitz eine beziehungsreichere, gelenkigere, doch auch dünnere und mattere Wortgesinnung angewöhnt, unter der er sich weiter regte, mit der er sich dann zu einer wirklichen Redebildung durchdrang. Goethe formte die opitzianischen Erwerbe in das Luthererbe schließlich hinein, und sein Reichtum zehrt ebenso von gehobenem lutherischen Urgut deutscher Sprache wie von den gebildeten Zutaten im Übersetzergeschmack der Schlesier. Es ist ein weiterer Weg von Luther zu Opitz als von Opitz zu Goethe – an das ungeschlachte Lutherdeutsch konnte Goethe nicht unmittelbar anknüpfen, selbst wo er altertümelt. Ein Jahrhundert lang mußte das Deutsch durch mancherlei Rede- und Klingekünste geschmeidigt worden sein, um so willig dem Meister aller Seelenund Sittentöne zu gehorchen. [...] Vielleicht liegt sein [Opitzens] Verdienst weniger in dem was er geschaffen als was er verhütet: die Flucht deutschen Geistes aus der europäischen Bildung. Er hat eine Brücke gebaut zwischen Petrarca und Goethe über den von Luther gerissenen Abgrund hinweg. Manche werden diesen Abgrund heilsamer finden und wir könnten uns schönere Brücken denken. Aber so wie es gekommen ist, trägt sie seinen Namen.25
Übergang zu Richard Alewyn Darf in einem Essay – ausnahmsweise – ein persönlicheres Wort verlauten? Wer im Werk Benjamins sich auskennt, dem ist die Abfertigung Gundolfs im ›Wahlverwandtschaften-Aufsatz‹ in die Glieder gefahren. Eine derartige kritische Vernichtung vergißt sich nicht wieder. Wir haben uns auch deshalb gescheut, Gundolfs ›Opitz‹ näherzutreten. Als dies nunmehr zu später Stunde geschah, war das Erstaunen beträchtlich. Die voranstehenden Zeilen sollen folglich auch einem Versäumnis entgegenwirken. Doch nicht nur das. Der junge Richard Alewyn, berühmt geworden mit seiner Opitz-Dissertation, bekannte sich als Verehrer Gundolfs. Erst jetzt hat sich uns dieses lang gehegte Rätsel zumindest zu Teilen gelöst. Und das auch im Blick auf seine akademische Erstlingsarbeit. Kluge Köpfe haben ihr attestiert, daß mit ihr die Überwindung der fabulösen Barock-Expektorationen eingeleitet worden sei. Alewyn hätte sie gerne unter Gundolfs Schirmherrschaft entstanden gesehen. Er hatte sich mit dem erwähnten Max von Waldberg zu bescheiden. Und das gewiß nicht zu seinen Ungunsten. Dürfen wir dem verehrten Gelehrten und Lehrer glauben, so verdankte der Adept das Thema seiner Dissertation eben von Waldberg. »So wurde ich zum Barockforscher« kommentiert er lakonisch das Ereignis. Geht es um originäre Stationen der Opitz-Rezeption, so darf die Stimme Alewyns nicht fehlen. Alewyns Erstlingsschrift ›Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der Antigone-Übersetzung des Martin Opitz‹, die 1926 in den ›Neuen Hei––––––––– 25
Ebenda, S. 43, 52.
I. Eingangs-Essay
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delberger Jahrbüchern‹ erschien, hat ihre bleibende Bedeutung, so will es uns heute erscheinen, womöglich weniger im Blick auf das direkt zu Opitz Gesagte als vielmehr in dem erstmals zur Anwendung gelangenden Verfahren.26 Es ist ein stilphysiognomisches. Das war eine Erbschaft aus der Kunstwissenschaft. Doch wo sie dort – angefangen bei Wölfflin selbst – auf teilweise skurrile Abwege geführt hatte, da bewährte sie ihre Vorzüge in der auf das Wort gerichteten Betrachtung. Alewyn ist dieser Methode treu geblieben und in seinen reifen Arbeiten aus der Zeit nach der Emigration zeitigte sie im Blick auf die Romantik und Hofmannsthal Essays, welche singulär dastehen in der Geschichte des Faches. Im Werk Opitzens, so ließ er sich in Übereinstimmung mit Gundolf vernehmen, »bei dem die europäische Renaissance – als Stoffwelt, nicht als Stilkategorie verstanden – in die deutsche Dichtung eintritt, ist zum ersten Male die sittliche Apologie aus dem Geiste der deutschen Reformation mit der poetischen Anweisung im Sinne der Renaissance vereinigt.«27 Auch Alewyn ging aus von der poetischen wie der sozialen Dichotomie, welche die Literatur des 16. Jahrhunderts im Gefolge der Reformation durchwaltete. Dieser Gegensatz zwischen einer lateinischen Kunstdichtung und einer deutschen Volksdichtung beherrscht die unentschlossen gespannte Atmosphäre um die Wende des 16. Jahrhunderts. Alles wartete auf einen, der entschlossen war, diese Spannung aufzulösen. Das war Opitz. Er hatte nur eine einzige, simple Idee, die noch nicht einmal ganz originell war: die Nationalisierung der humanistischen Poesie durch Erfindung einer deutschen Kunstdichtung. Das Vorbild gab das stammverwandte Holland. Mit dieser Konzeption, wenn man will mit dem ›Aristarchus‹, ist er fertig. Alles andere ist nur noch Ausführung. Entwicklung gibt es nun nicht mehr, nur noch Erweiterung, Ausbau, Verbreitung. Und dieses Programm hat der kleine, lebhafte Mann durchgeführt unter Einsatz all seiner persönlichen Gaben, gewinnender Liebenswürdigkeit, unbeirrbarer Zähigkeit und patriotischen Eifers. Einige Begabungen mehr, und der literarische Betrieb wäre in Deutschland so zentralisiert worden, wie es in Frankreich geschah. Wenn man sich einmal daran gewöh-
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Richard Alewyn: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der AntigoneÜbersetzung des Martin Opitz.- In: Neue Heidelberger Jahrbücher. N.F. 1926, S. 3–63. Separatdruck: Heidelberg: Köster 1926. (Hiernach – aus dem Widmungsexemplar des Autors für seine Eltern, welches sich im Besitz des Verfassers befindet – zitiert). Reprint aus den ›Neuen Heidelberger Jahrbüchern‹: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1962 (Libelli; 79). Dazu die humorvolle Arabeske des Widmungsempfängers unseres Buches, mehr als ein halbes Jahrhundert später: »Wenn ich [...] zum Abschluß meiner Studien die Germanistik wählte, so hatte dies keinen tieferen Grund, als daß in meinem neunten Semester der väterliche Geldhahn zu versiegen drohte und ich geloben mußte, innerhalb von sechs Monaten mein Studium zu beenden. Für ein Staatsexamen war die Zeit zu knapp, also entschied ich mich für die Promotion. Aber in welchen Fächern? Philosophie stand für mich fest (wegen Hegel und Jaspers). Kunstgeschichte entfiel, weil der einzige Vertreter des Fachs ein Ekel war. Also Griechisch, denn in Pindar fühlte ich mich einigermaßen zu Hause. Aber eine Schnelldissertation autodidaktisch anzufertigen, traute ich mir allenfalls in der deutschen Literatur zu. Ich ging zu Gundolf, aber der nahm damals Doktoranden grundsätzlich nicht an. So wandte ich mich wie jedermann an Max von Waldberg. Die Themen, die ich ihm anbot, fanden allerdings keinen Anklang. So akzeptierte ich aus seinem Gegenangebot das Thema, dessen Bewältigung mir in vier Monaten möglich schien: die ›Antigone‹-Übersetzung des Martin Opitz, von deren Existenz ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte. So wurde ich zum ›Barockforscher‹.« – In: Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlaß des 70. Geburtstags von Robert Minder. Hrsg. von Siegfried Unseld.- Frankfurt a.M. 1972 (suhrkamp taschenbuch; 60), S. 18–20, das Zitat S. 19 f. Ebenda, S. 5.
›Barockforschung‹: Eine Dokumentation post festum
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nen wollte, Opitz nicht lediglich als Dichter, sondern als Literaturorganisator, als Impresario allergrößten Stils zu betrachten, dann müßte man bekennen, daß hier tatsächlich eine große Aufgabe den richtigen Mann gefunden hatte. Sein Verdienst allein ist es zu nennen, daß bei seinem Tode tatsächlich eine ganze Generation von jungen Dichtern auf dem Plan stand.28
Am Schluß der schmalen Studie, nachdem »alle Schichten der Formung durchmessen und auf ihren Ausdrucksgehalt befragt« worden waren, durfte ein epochales Fazit gezogen werden. Ein stilistischer Befund war diagnostiziert worden, »der stofflich als Rationalismus, formal als Klassizismus zu bezeichnen ist. Wir halten dieses Ergebnis im Ganzen für durchaus charakteristisch für den Stil Opitzens und seiner unmittelbaren Schule.«29 ›Klassizismus‹! Dieser Begriff war damit der Erforschung Opitzens und seiner Zeit definitiv gewonnen. Doch er verlangte nach Differenzierung und auch dieser Forderung kam der junge Dissertant nach. Wir haben diesen [den Stil] nach verwandten Mustern als ›Klassizismus‹ bezeichnet und glauben darunter jene Gruppe von Dichtern (die sogenannte Erste Schlesische Schule) fassen zu können, die sich vor den Eingang des Barockjahrhunderts lagert, als dessen untrennbare historische Voraussetzung, aber stilistisch von ihm ebenso ausdrücklich geschieden. Das beides möchte unsere Zubenennung ›vorbarock‹ ausdrücken. Diesem ›vorbarocken‹ antwortet nach den Gezeiten der Geschichte am Beginne des nächsten Jahrhunderts ein ›nachbarocker Klassizismus‹, der, in Gesinnung und Haltung verwandt, sich abermals um einen Führer gruppiert, um Gottsched.30
›Barockforschung‹: Eine Dokumentation post festum Damit war – drei Jahre nach Gundolf – gesagt, was zu sagen war, und die grassierende Rede von ›barocken‹ Zügen auch schon bei Opitz und den Seinen in die Schranken gewiesen. Für einen Moment mochte es scheinen, als sei die Beschäftigung mit Opitz zumindest vorläufig zu einem gewissen Abschluß gelangt. Dem war selbstverständlich nicht so. Denn zugestanden, daß die Fundamente dafür inzwischen hinlänglich gesichert waren, so blieb die Exegese der Werke doch weitgehend erst noch zu leisten. Und wurde der hohe Anspruch einer stilphysiognomischen Analyse ernst genommen, so stand man tatsächlich erst am Anfang. Heute, fast ein Jahrhundert später, wünscht man sich einen Forschungsbericht, in dem das Erreichte wie das Ausstehende gleich deutlich umrissen wäre. Alewyn selbst hatte in den sechziger Jahren einen Rückblick auf die so lebhafte ›Barockforschung‹ vor allem in den zwanziger Jahren, mit Ausgriffen auf das vorangegangene und das nachfolgende Jahrzehnt, veranstaltet. Und das in der sympathischen Form einer Darbietung von wissenschaftsgeschichtlich signifikanten Texten und Textausschnitten. ›Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche‹ betitelte er sein 1965 erstmals erschienenes Kompendium, das in Jahresfolge drei Auflagen erreichte.31 Das ––––––––– 28 29 30 31
Ebenda, S. 12. Ebenda, S. 52. Ebenda, S. 53. Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Hrsg. von Richard Alewyn.- Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1965 (Neue wissenschaftliche Bibliothek; 7. Literaturwissenschaft). 3. Aufl. 1968.
I. Eingangs-Essay
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Panorama hätte sich nicht vielseitiger darbieten können. Was Rang und Namen hatte bzw. beides soeben erwarb in der Zeit, die da dokumentiert wurde, war zur Stelle. Die Kapazitäten kamen zu Wort und ein Ertrag wurde erkennbar, der zum Staunen Anlaß gab angesichts der Originalität der Stimmen, die sich herausgefordert sahen durch die fremde Literaturlandschaft, als welche das 17. Jahrhundert bis dahin gegolten hatte. Herbert Cysarz und Karl Viëtor hatten sich an einem Gesamtbild der Epoche versucht, Will-Erich Peuckert und Josef Nadler die religiöse und die bayerisch-barocke Theater-Welt erschlossen, Erich Trunz, Günther Müller und Arnold Hirsch die soziale Verortung der Literatur vermessen und sie alle, von Fritz Strich über Alewyn selbst bis hin zu Benjamin, sich an der Habhaftwerdung von ›Stilen und Strukturen‹ beteiligt. Begleitet war der Prozeß von einer lebhaften Kultur der Diskussion und Kritik. Am Ende stand ein gewichtiger und bald Berühmtheit erlangender Forschungsbericht von Erich Trunz, der schon früher dem Späthumanismus eine bahnbrechende Studie gewidmet hatte. Das alles war imponierend und ging vielfach ein in die neuere Barockforschung nach dem Krieg, von der sogleich noch ein Wort verlauten soll. Das Bemerkenswerteste aber blieb womöglich das ›Vorwort‹ des Herausgebers selbst, der da seine ordnende Hand walten ließ, den einzelnen Beiträgen ihren Stellenwert anwies und schließlich seinerseits mit einer definitorischen Formulierung zum Zeitalter des Barock herausrückte, die Bestand hatte. Je nachhaltiger das gelehrte humanistische Fundament weiter Teile der Literatur des 17. Jahrhunderts freigelegt wurde, desto größer, so Alewyn, die Reserve gegenüber dem Barockbegriff als Stilphänomen. In Deutschland begann man also, den Stilbegriff ›barock‹ (als Adjektiv) überhaupt zu meiden (während er unter dem Stigma des deutschen Imports im Ausland seine Laufbahn erst begann). Bewahrt blieb der Begriff Barock dagegen als Bezeichnung einer Epoche, und es ist vielleicht sein bedeutendstes Verdienst, daß er zur Anerkennung der Autonomie und zur Erkenntnis des Wesens dieses Zeitalters verholfen hat. Es ist das Zeitalter zwischen Renaissance und Aufklärung, in dem – in Deutschland wie in Europa – die höfische Kultur gegenüber der bürgerlichen, der Katholizismus gegenüber dem Protestantismus, die Bildende Kunst und das Theater gegenüber der Literatur das Übergewicht besaßen.32
Schlesische Geistigkeit Was aber verblieb im Blick auf Opitz? Alewyn hatte Gundolfs Porträt in die Dokumentation mit aufgenommen. Es war die einzige, einem Autor alleine gewidmete Studie, in allen anderen ging es um bestimmte Probleme, die sich mit dem Namen eines bestimmten Dichters verbanden. Lag nun also eine Summe bis hart an die Grenze zu den vierziger Jahren vor, so darf von einer einleitenden kleinen Opitz-Studie selbstverständlich erwartet werden, daß Ausschau gehalten wird nach dem, was vor dem Krieg Förderliches des weiteren zustandekam. Und da ist mit Nachdruck auf jene Arbeiten zu verweisen, in denen das Wesen – wie das Rätsel – schlesischer Literatur, schlesischer Kultur, schlesischer Religiosität umkreist wurde. ––––––––– 32
Ebenda, 1. Aufl., S. 11.
Schlesische Geistigkeit
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1928 lag Will-Erich Peuckerts bahnbrechende Studie zu den Rosenkreuzern vor, einer gemeineuropäischen Bewegung, die indes in Schlesien Wurzel gefaßt hatte wie nirgendwo sonst. Schon vier Jahre früher waren gleich zwei Monographien zu Böhme aus der Feder von Peuckert und Paul Hankamer erschienen. Diese Vorstöße wurden lebhaft verfolgt von eben jener Barockforschung, von der soeben die Rede war. In den dreißiger Jahren trat dann Werner Milchs Monographie zu Daniel Czepko hinzu, der bedeutendsten Gestalt in der ersten Jahrhunderthälfte neben Opitz und Böhme, begleitet von einer Edition dieses bislang am Rande stehenden Dichters, welche den Blick auf die literarische Szene auch im Blick auf Opitz schlagartig veränderte. Die vielleicht überraschendste Intervention, welcher zugleich die nachhaltigste und bis heute andauernde Rezeption beschieden war, erfolgte von seiten eines Anglisten, der jedoch mit gleichem Recht den Titel eines Religionssoziologen in der Nachfolge von Max Weber und Ernst Troeltsch für sich hätte in Anspruch nehmen können. Nadler hatte den Blick auf die literarischen Landschaften gelenkt, die er – sehr zu seinem eigenen Schaden – mit solchen des Stammes kontaminierte. Wenn es eine Landschaft gab, die in so gut wie jeder Hinsicht singulär dastand im 17. Jahrhundert, so war es Schlesien. Das eben reizte den Kultur- und Religions-Morphologen, der sich schon mit bahnbrechenden Arbeiten zum Puritanismus in England, zur Reformation in Deutschland und zur Rolle des Alten Testaments für das Abendland hervorgetan hatte. Ausgerechnet im Jahr 1940 erschien dann unter dem Titel ›Deutscher Osten im deutschen Geist‹ Herbert Schöfflers Schlesienwerk.33 Sein Titel weckte böse Ahnungen. Doch er war mit Bedacht gewählt. Den Nationalsozialisten sollte ihre völkische Vereinnahmung des deutschen Ostens entwunden und gründlich verdorben werden. Denn Schöffler, der soeben die Buchreihe ›Das Abendland‹ begründet hatte, handelte von ganz anderen Erscheinungen als völkisch determinierten. Und die resümierten sich in einem Bild von Schlesien, das diesen Landstrich als eigentliche Brückenlandschaft Mittelosteuropas erwies, deren vermittelnde Rolle sich in den lebhaftesten Kontakten zum reformierten Westen mit der Pfalz, dem Oberrhein und den Niederlanden im Zentrum bekundete. Dieser eine Satz muß hinreichen, um das ungemein Förderliche der Betrachtungsweise auch für Leben und Werk Opitzens hervortreten zu lassen. Schöffler, der sich 1946 in Göttingen das Leben nahm, blieb ein in jeder Hinsicht ausgezeichneter Gewährsmann und Begleiter, wenn es denn nach dem Kriege darum ging, die Fäden neu zu knüpfen und auch das 17. Jahrhundert – und nicht nur das favorisierte Mittelalter hier, das Zeitalter der Reformation und Aufklärung dort – der europäischen Kulturgeschichte zurückzugewinnen. ––––––––– 33
Herbert Schöffler: Deutscher Osten im deutschen Geist. Von Martin Opitz zu Christian Wolf.Frankfurt a.M.: Klostermann 1940 (Das Abendland. Forschungen zur Geschichte europäischen Geisteslebens; 3). Die zweite Auflage erschien unter dem Titel: Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung. Von Martin Opitz zu Christian Wolff.- Frankfurt a.M.: Klostermann 1956. Der dritten und letzten Auflage aus dem Jahr 1974 ist ein Vorwort von Eckhard Heftrich vorangestellt, in dem die mit dem Werk verbundenen titularischen Fragen angesprochen werden. Der schöne Reihentitel Schöfflers aus der ersten Auflage ist dankenswerterweise wieder aufgenommen worden. Als sechster Band der Neuen Folge erschien das Werk. Der Verleger hatte ihm die Treue bewahrt.
I. Eingangs-Essay
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Eine Stimme aus dem fernen und doch nahen Breslau Wir haben zu akzentuieren und machen Halt, wo die eigenen Arbeiten einsetzen, also in den siebziger Jahren, stets erneut betonend, daß kein Literatur- oder Forschungsbericht in unserer Absicht liegt, sondern vielmehr Skizzen zu Problemfeldern, die zu betreten verbunden ist mit der Einladung, nach Möglichkeiten der Anknüpfung Ausschau zu halten. Und da ist mit einer stupenden Überraschung zu beginnen. Denn schon 1956 lag die erste und in dieser Anlage einzig gebliebene Opitz-Biographie der Nachkriegszeit vor. Und die kam aus Breslau, und damit dem inzwischen polnischen Schlesien. Was das seinerzeit bedeutete, ermißt man mehr als ein halbes Jahrhundert später womöglich kaum noch. Wie überall galt es in den an die Nachbarvölker übergegangenen deutschen Ostgebieten die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit zurückzudrängen. Diesem nur allzu verständlichen Agieren widersetzten sich Einzelne. Zu ihnen zählt – neben der Warschauer Kollegin Elida Maria Szarota – der polnische Germanist Marian Szyrocki. Mutig und beherzt wandte er sich den schlesischen Dichtern des 17. Jahrhunderts zu und legte binnen kurzem zwei Monographien zu Opitz und zum jungen Gryphius vor. Neben den Anregungen seines Lehrers Zdzisław Żygulski kamen ihm dabei die hervorragenden bibliothekarischen Verhältnisse in Breslau und zudem die offensichtlich regen Verbindungen zu Hans Mayer in Leipzig zugute. Beide Arbeiten erschienen in der von den ›Nationalpreisträgern‹ Werner Krauss und Hans Mayer herausgegebenen renommierten Reihe ›Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft‹ bei Rütten & Loening in Berlin. Diese hatte Krauss mit den ›Grundpositionen der französischen Aufklärung‹ eröffnet.34 Die Reihe blieb ein bevorzugtes Organ der epochemachenden Aufklärungs-Forschung der DDR unter der Stabführung von Krauss. Daß auch das 17. Jahrhundert hier ein Forum fand, rückte das Zeitalter in die geschichtlich angemessene Umgebung, das aber nur, weil die methodischen Prämissen stimmten, mittels derer die Arbeiten von Szyrocki und anderer in Angriff genommen wurden. Davon kann hier im einzelnen nicht gehandelt werden. Szyrocki war sich bewußt, daß er mit seinem Opitz- wie mit seinem Gryphius-Buch vielfach Neuland betrat. Die Herausarbeitung der Kontakte zu den Arianern und den polnischen Brüdern gehört ebenso zu seinen Verdiensten wie die entschiedene Nachzeichnung der Verbindungen zu den Irenikern im Umkreis des Beuthener Gymnasiums und der reformierten Piastenhöfe. Ein großer Reichtum an handschriftlichen und gedruckten Quellen wurde der Opitz-Forschung erstmals seit Hermann Palm wieder zugeführt. Nicht nur die geschichtlich, soziologisch und religionshistorisch fundamentierte Betrachtungsweise kam dem Entwurf des neuen OpitzBildes entgegen, auch die Grundlagenforschung, von der sogleich noch ein Wort verlautet, profitierte vielfach von ihr.
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Marian Szyrocki: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4). Hierin grundlegend: Bibliographie. Drucke, Handschriften und Briefe, S. 161–207. In der 2. überarb. Aufl. 1974 (Beck) forgefallen.
Späthumanismus
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Späthumanismus Soll nun abschließend nicht von einzelnen Arbeiten die Rede sein, die in den folgenden Kapiteln je nach vorgegebenem Zusammenhang Erwähnung finden, so bleibt es womöglich von Interesse, einige wenige allgemeinere Trends zu akzentuieren. An die erste Stelle möchten wir die Erschließung des Späthumanismus setzen, die Erich Trunz bahnbrechend eröffnet hatte.35 Indem diese nun kommunal bzw. territorial fokussiert wurde, vermochte zugleich zu fest umrissenen Untersuchungseinheiten fortgeschritten zu werden, wie sie sich an Autoren, Gattungen und Institutionen gleichermaßen hefteten. Keine Region war intensiver in das literarische Leben aus dem Geist des Späthumanismus involviert als eben Schlesien. So gut wie alle Dichter, die um die Jahrhundertwende zu Wort kamen, wurzelten in der lateinischen Formkultur, welche allemal die Matrix beim Übergang zur deutschen Formensprache abgab. Historiographie und Biographik, Stadt- und Landschafts-Panegyrik, Briefkultur und lateinische Dichtkunst vor allem in den kleinen Formen des Epigramms und verwandter Bildungen blieben die bevorzugten Medien dieser ungemein produktiven humanistischen Spezies. Je länger indes die Bemühungen um eine Bestandsaufnahme anhielten, desto deutlicher schälte sich heraus, daß ganze Kontinente einer Erschließung harrten und die Kräfte der vergleichsweise wenigen Neolatinisten kaum ausreichten, die vielen weißen Flecken auf der Landkarte der einschlägigen Überlieferung zu tilgen. Als ein Glücksfall durfte es gelten, daß neben Schlesien zugleich die späthumanistischen Zentren in der Pfalz und am Oberrhein ins Blickfeld rückten und lebhafte Bemühungen der Erschließung einsetzten. Sollte in einem Satz ein Resümee gewagt werden, so wären nach den Vorgaben des deutsch-amerikanischen Schlesien-Experten und Späthumanismusforschers Manfred P. Fleischer an erster Stelle gewiß die Dornau- und Lingelsheim-Monographien von Robert Seidel und Axel E. Walter sowie die um Zincgref gruppierten Arbeiten von Dieter Mertens und Theodor Verweyen zu erwähnen. Einen Haftpunkt besaßen diese Arbeiten nicht zuletzt in der Monographie zum Späthumanismus, aufgespannt zwischen den beiden Polen ›Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat‹, aus der Feder Wilhelm Kühlmanns. Diese allemal Neuland erschließenden Arbeiten fanden ihre Fortsetzung in der neuerlich auf die Kurpfalz gerichteten Dokumentation zur ›Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit‹ im Rahmen des großangelegten Projekts ›Europa Humanistica‹. Auch die folgenden Blätter werden zeigen, in welche Maße die Opitz-Forschung von diesen Studien profitierte.
Reformiertentum Weniger prominent und eher versteckt vollzog sich die Integration eines weiteren Forschungszweiges in die Barock- und speziell die Opitz-Forschung. In der Geschichts––––––––– 35
Erich Trunz: Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur.- In: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 21 (1931), S. 17–53. In erweiterter Fassung eingegangen in: ders.: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien.- München: Beck 1995, S. 7–82.
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I. Eingangs-Essay
wissenschaft vor allem, aber keineswegs allein dort, gewann das Paradigma ›Konfessionalisierung‹ seit den siebziger Jahren deutlich erkennbaren forscherlichen Zuspruch. Es währte nur eine vergleichsweise knappe Spanne, bis sich dieser geschichtlich-kirchengeschichtliche Ansatz etabliert hatte, erste Resümees und Forschungsberichte erschienen und lebhafte Kontroversen von sich reden machten. Das alles kann hier auf sich beruhen bleiben. Unter dem Titel ›Zweite Reformation‹ erfolgte die Etablierung dieser Formation des Protestantismus in der Nachfolge Luthers.36 Damit einher ging eine Anknüpfung an die bedeutenden Arbeiten insbesondere der religionssoziologischen Schule, von der bereits kurz die Rede war. Im Zuge dieser Neuorientierung der frühneuzeitlichen Geschichtswissenschaft und Theologie vollzog sich alsbald auch eine Hinwendung zu den regionalen Ausformungen und Ausdifferenzierungen des reformierten Bekenntnisses, um die es hier geht. Für die Opitz-Forschung waren selbstverständlich auch die reformierten Entwicklungen in der Pfalz, am Oberrhein und in der Schweiz ebenso von Interesse wie die in den Niederlanden und in Frankreich, am Rande auch in England. Der Fokus der investigativen Aktivitäten mußte sich jedoch auf den Osten richten, auf Böhmen und Mähren, Ungarn und Siebenbürgen, schließlich Großpolen und das Königlich Polnische Preußen, denn überall hatte auch das Reformiertentum Fuß gefaßt. Der Brennpunkt der Betrachtung aber hatte naturgemäß auf den diesbezüglichen Entwicklungen in Schlesien selbst zu liegen. Und auch hier kam der Forschung die Existenz großer Studien zumal aus dem 19. Jahrhundert entgegen, die seit langem erstmals wieder Interesse auf sich zogen. Die Namen eines Gillet, eines Sudhoff, eines Koffmane und eben auch eines Peuckert stehen stellvertretend dafür ein. Der Opitz-Forscher sah sich also gut gerüstet auf diesem Felde. Von Colerus im 17. Jahrhundert bis hin zu Schöffler im 20. Jahrhundert war der reformierte Einschlag in der Literatur Schlesiens und speziell im Blick auf Opitz wiederholt bemerkt worden. Und so gehörte es zu den erfreulichen Erfahrungen in der sich intensivierenden Debatte, daß der Beitrag der Literaturwissenschaft zur Ausgestaltung des Reformiertentums auf deutschem Boden und speziell in Schlesien aufmerksame Ohren in den Nachbarfächern fand und Arbeiten aus diesem Zweig der Literaturwissenschaft nicht nur gerne entgegengenommen, sondern wiederholt erbeten wurden, trugen sie doch zur Ausdifferenzierung des Bildes bei. In der Barockforschung selbst, aber auch der Opitz-Philologie, tat man sich merklich schwerer. Allzu beherrschend lastete das Paradigma ›Katholizismus‹, wie es schon in der Kunstwissenschaft Konjunktur gehabt hatte, seit Nadler, Günther Müller und anderen auf der Beschäftigung mit dem Barock. Am Schlusse war es vor allem die Gestalt Martin Opitzens, an Hand derer die These von der besonderen Affinität des Reformiertentums zu den Anfängen der neueren deutschen Literatur in den Bahnen des Klassizismus dargetan werden konnte. Auch die Arbeiten des vorliegenden Ban––––––––– 36
Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der ›Zweiten Reformation‹. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985. Hrsg. von Heinz Schilling.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 195). Hierin von literaturwissenschaftlicher Seite: Klaus Garber: Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche ›Barock-Literatur‹. Zu den konfessionspolitischen Ursprüngen der deutschen Nationalliteratur, S. 317–348.
Wissenskulturen
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des bezeugen dies. Und wenn soeben ein gehaltreiches Sammelwerk unter der Ägide von Joachim Bahlcke und Irene Dingel erstmals wieder ausschließlich dem Reformiertentum auf schlesischem Boden gewidmet ist und die Literatur und Kunstwissenschaften neben der Geschichtswissenschaft und der Theologie gleichgewichtig ihren Beitrag in die Synopsis einbringen, so erfüllt sich die Rede von dem unveräußerlichen Vorzug der interdisziplinären Arbeit auf das schönste.
Wissenskulturen Ein dritter und schon letzter thematischer Schwerpunkt will markiert sein. Er darf als der jüngste gelten, hat womöglich eine große Zukunft immer noch vor sich und ist allemal dazu angetan, auch das Bild Opitzens in ein neues Licht zu rücken. Die Frühe Neuzeit war ein Exerzierfeld der verschiedensten Diskurse, wie es ein solches in der Geschichte vorher nicht gegeben hatte und wie es auch in der Moderne nicht noch einmal in Erscheinung trat. Der zeitgleiche Einbruch des antiken und des arabischen Geistes in das jüdisch-christliche geprägte Weltbild erzeugte einen spekulativen heterodoxen Synchretismus, der alle Bereiche der Kultur ergriff und zu den atemberaubendsten Zeugungen geleitete. Diese nicht selten skurrilen Bildungen entzogen sich jedwedem einsinnigen disziplinären Zugriff. Die in sich verschlungenen Fäden, einer untergründigen und vielfach diskriminierten Abkunft geschuldet, verlangten nach Methoden und Persönlichkeiten, die bereit und in der Lage waren, sich auf dieses geistige Abenteuer einzulassen und aus der intellektuellen Gemengelage produktives Kapital zu schlagen. Es ging um die Erschließung von Wissenskulturen und eben unter diesem Namen machte die junge Forschungsrichtung alsbald von sich reden. Das Faszinierende für die Barock- und speziell die Opitz-Forschung wird darin zu suchen sein, daß sie einer immer schon überaus komplexen Strukturierung der Quellen wie auf den Leib geschneidert zu sein schien. Auch ein Opitz hatte sich offen gezeigt für das Neue, das sich da ringsum in den Künsten und Wissenschaften kundtat. Seine Dichtung wie seine Theorie zehrte mehr als einmal auch von den im Schwange befindlichen okkulten Wissensbeständen, die in Anspielungen und oftmals rätselhaften Wendungen auch in seinem Werk in Erscheinung traten. Aufmerksamer Registrator der modernsten gedanklichen Vorstöße, der er war, konnte er sein dichterisches wie theoretisches Handwerk unmöglich vor ihnen verschließen. Insbesondere die Exegese seiner poetologischen Texte profitiert gegenwärtig ungemein von der Erprobung wissensbasierter Theoreme an ihnen. Mit einem Schlag ist neben der Theologie vor allem die benachbarte Disziplin der Philosophie zu einem schlechterdings unentbehrlichen Partner der Philologie avanciert. Es gehört wenig Phantasie dazu, der Barockund speziell der Opitz-Philologie noch erhebliche Überraschungen zu prognostizieren.
Grundlagenforschung Wir enden daher mit einem Schwenk zu den urphilologischen Belangen, wie sie durch das Stichwort ›Grundlagenforschung‹ angedeutet sind und für die die Philologie am
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I. Eingangs-Essay
Ende alleine zuständig bleibt. Es geschieht dies mit außerordentlichem Respekt und einer gehörigen Portion Genugtuung zugleich. Die von uns an dieser Stelle vorgelegte Arbeit würde ein anderes Aussehen besitzen, wenn nicht allenthalben von den diesbezüglichen Arbeiten hätte gezehrt werden können. Ein Autor wie Opitz, an der Spitze einer jungen Bewegung, zog stets bibliophile Geister an. Von Entdeckungen einzelner Drucke wurde berichtet, Briefe aufgetan und veröffentlicht, Zeugnisse über Leben und Werk zugänglich gemacht etc. Und mehr als einmal führten diese Erkundungen auch zur Zusammenstellung seiner Schriften. Editorisch indes tat sich merklich weniger. Die Aufmerksamkeit war auf die ›Poeterey‹ und die Gedichtsammlung von 1624 konzentriert. Hier kamen frühzeitig dank Wilhelm Braune und vor allem dank Georg Witkowski ausgezeichnete Ausgaben zustande. Doch schon die maßgebliche Ausgabe von 1625 war in einer kritischen Edition nicht verfügbar. Dieses ganze philologische Tun und Lassen gäbe reichlich Stoff für einen auch wissenschaftsgeschichtlich ergiebigen Bericht. Ein solcher liegt jedoch jenseits unseres kleinen Essays. Dieser wendet sich viel mehr abschließend den jüngeren und jüngsten Unternehmungen zur Fundamentierung der Opitz-Philologie zu. Wir sind froh, zu später Stunde Zeuge ihres Heranwachsens geworden zu sein.
Noch einmal Breslau Wo aber beginnen? Vielleicht am Ursprungsort und geheimen Zentrum – und also in Breslau selbst. Von dort, aber am Rande auch aus Schloß Fürstenstein und aus Danzig, waren die Jahrhunderte über in unregelmäßigen Abständen immer wieder Opitzens Leben und Werk betreffende Nachrichten verlautet. Und wie hätte es anders sein können? In Breslau war man schon im 18. Jahrhundert daran gegangen, das Opitzsche Werk möglichst komplett zusammenzubringen. Diese ehrenwerten Versuche verbanden sich, wie erwähnt, mit den Namen des Johann Kaspar Arletius. Wenig fehlte und es wäre schon jetzt zu einer Ausgabe der Schriften von Opitz gekommen. Und so nicht anders im Falle von Simon Dach, der in Breslau ebenfalls in Arletius einen passionierten Liebhaber und Sammler besaß. Beide Projekte zerschlugen sich, und in beiden Fällen waren übergroße Skrupel, gepaart mit Bescheidenheit und dem Wunsch, im Verborgenen zu verharren, dafür verantwortlich. Wenn aber Breslau bis heute das erste Quartier auch für die OpitzPhilologie geblieben ist, so hat dies nicht zuletzt im Wirken von Arletius und verwandter Geister seinen Grund. Also wäre zu berichten von dem Schicksal dieser und anderen Kollektionen, wie sie vor allem in der alten Breslauer Stadtbibliothek eine Heimstatt fanden. Doch das würde nicht nur eine Abhandlung, sondern ein Buch füllen. Wir haben uns seit den siebziger Jahren – einer Einladung Marian Szyrockis folgend – immer wieder in der nunmehrigen Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu aufgehalten. Über die Funde, über Erhaltenes und Verschollenes in Handschrift und Druck, wurde vielfach berichtet. Ein Fazit zu später Stunde muß lauten, daß allzu viel noch zu tun bleibt, und das insbesondere auf dem komplizierten Gebiet der Hand-
Kunde aus den Vereinigten Staaten
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schriftenkunde – einer Disziplin, die nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der herben Verluste in Breslau neu begründet werden mußte und in mancherlei Hinsicht immer noch in den Anfängen steckt. Es gehörte zu den Vorzügen des Szyrockischen Opitz-Buches, daß erstmals wieder über die Situation der Quellen vor Ort berichtet wurde. Um so unverständlicher, daß ausgerechnet dieser zentrale Teil des Werkes anläßlich einer Neuauflage in Westdeutschland fortfiel. Seither hat sich viel getan auch im Blick auf die Verhältnisse der Überlieferung von Quellen mit Bezug auf Opitz.
Kunde aus den Vereinigten Staaten Zwei gewichtige Stimmen verlauteten zunächst aus den Vereinigten Staaten, die überhaupt in der Grundlagenforschung zum Barock eine beachtliche Stellung behaupteten. Bezeichnenderweise kamen zwei Emigranten zu Wort. Curt von Faber du Faur trat mit seinem Katalog der Barock-Drucke hervor, die er teils aus Deutschland mit in die Staaten überführt, teils nach dem Krieg neu erworben hatte.37 Richard Alewyn, zurückhaltend im Lob, begrüßte das Werk, das für ihn dank der gediegenen Kommentare eine ganze Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts vertrat. Nur staunen konnte der Betrachter, was da – von Kennerhand ausgewählt – zusammengeströmt war. Und da alle Texte auf Mikrofiches zugänglich gemacht wurden, sah sich das Studium auch entlegener Texte eminent befördert. Nicht selten waren sogar Widmungsexemplare von Opitzens Hand dabei – eine Schatzgrube. Und natürlich weiß der Kenner, daß er mit Gewinn immer wieder auch zu der gleichfalls vorzüglichen Sammlung von Harold Jantz greift, die der deutsch-amerikanische Gelehrte in Baltimore aufbauen konnte, auch sie reich bestückt mit Opitiana.38 Ein Grundstock für die Opitz-Bibliographie in der Nachkriegszeit war gelegt. Gerhard Dünnhaupt, Leonard Forster, David Paisey und wie sie heißen, bauten fort an dem Turm, der immer wieder an unerwarteter Stelle Zuwachs erhielt. Auf das Jahr 1957 datiert das Erscheinen des ersten Bandes mit der Dokumentation der Bestände aus der Sammlung Faber du Faur. Fünf Jahre später trat George Schulz-Behrend mit einem Bericht über die Arbeiten an einer kritischen Gesamtausgabe der Werke Opitzens hervor. Da schien sich endlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Wunsch zu erfüllen, über eine gediegene Edition für den ›Vater der deutschen Dichtung‹ zu verfügen, nachdem im 19. Jahrhundert ungeachtet aller Lobeshymnen Entsprechendes nicht zustandegekommen war. Weitere sechs Jahre später lag der erste Band in der renommierten ›Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart‹ als Publikation Nr. 295 vor. Sie war chronologisch angelegt, umfaßte lateinische und deutsche Texte gleichermaßen und löste den Anspruch einer ›Kritischen Ausgabe‹ hinsichtlich Textdarbietung und Kommentierung voll ein. Die Ausgabe blieb das Werk eines hingebungsvoll ––––––––– 37
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Curt von Faber du Faur: German Baroque Literature. A Catalogue of the Collection in the Yale University Library. Band I–II.- New Haven/Conn., London: Yale University Press 1958–1969. German Baroque Literature. A Descriptive Catalogue of the Collection of Harold Jantz. And a Guide to the Collection on Microfilm. Band I–II.- New Haven/Conn: Research Publications, Inc. 1974.
I. Eingangs-Essay
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seinem Projekt ergebenen Einzelgängers. Auf der Wende von den achtziger zu den neunziger Jahren erschien der vierte Band, wiederum in zwei Halbbänden. Insgesamt 124 Texte Opitzens hatte der Herausgeber vorgelegt, bis in das Jahr 1630 war er vorgedrungen, zu dokumentieren blieb das letzte Jahrzehnt im Schaffen Opitzens nebst Nachträgen und posthumen Fortschreibungen. Dazu ist es bekanntlich nicht mehr gekommen. Die Opitz-Philologie wird dem 2010 verstorbenen bescheidenen Gelehrten, dem sie besonders viel verdankt, ein ehrendes Andenken bewahren.39
Die Fruchtbringer und Opitz So also galt es, auch von unserer Seite aus mit Sorge dafür zu tragen, daß die Herausgabe des Fehlenden in kompetente Hände gelangte. Inzwischen aber hatte sich Entscheidendes zugunsten Opitzens an anderer Stelle getan. Erneut haben wir uns zu zügeln und Knappheit walten zu lassen. Opitz und die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹. Das ist ein Duo, welches in darstellerischer Entfaltung durchaus Glanz zu erlangen vermag. Das Jahrhundert hätte nicht vielversprechender eingeläutet werden können. Der allzu früh verstorbene Zürcher Germanist Martin Bircher hatte als erster ein Auge auf die illustre Sozietät geworfen. Im Zusammenwirken mit dem gleichfalls unvergessenen Friedhelm Kemp veranstaltete er schon zu Beginn der siebziger Jahre eine auf vier Bände berechnete Edition der Programmschriften, von denen dreie im KöselVerlag erschienen, wo die beiden Kollegen eine ansprechende Barock-Reihe eröffnet hatten. Rasch zeigte sich, daß der Rahmen zu eng bemessen war. Und so wurde in Wolfenbüttel ein zweiter Anlauf genommen. Drei Stationen waren zu dokumentieren, an welchen die Oberhäupter der Gesellschaft residiert hatten: Köthen, Weimar und Halle. Bircher entschied sich überraschend, mit Halle und also mit der Zeit Herzog Augusts von Sachsen-Weißenfels einzusetzen, welche die Jahre zwischen 1667 und 1680 umspannte, bevor die Vereinigung mit dem Tod des Herzogs erlosch. Drei Bände legte Bircher vor. Dann trat der aus den Vereinigten Staaten nach Wolfenbüttel übergesiedelte Klaus Conermann an seine Seite und nach Birchers Tod an seine Stelle. Er hatte gleichfalls frühzeitig in der DDR eine dreibändige Dokumentation mit Schriften aus dem Umkreis der Fruchtbringer vorgelegt und sich insbesondere neben einer Einführung in die Gesellschaft durch eine Galerie der Porträts ihrer Mitglieder verdient gemacht. So vereinigten sich also zwei erste Fachleute zum gemeinsamen Werk. Der frühe Tod Birchers verhinderte eine langfristige Kooperation. Bei Conermann verblieb die Verantwortung für einen ordnungsgemäßen Fortgang. Er setzte einen neuen Akzent, indem nun mit der Dokumentation der ersten Phase der Gesellschaft in den Jahren 1617 bis 1650 unter Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen begonnen wurde. Sieben voluminöse Bände sind seither erschienen, das Jahr 1646 ist erreicht. Eine Wegstrecke von ––––––––– 39
Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621. Band II. Teil 1–2: Die Werke von 1621 bis 1626. Band III. Teil 1– 2: Die Übersetzung von John Barclays Argenis. Band IV. Teil 1–2: Die Werke von Ende 1626 bis 1630.- Stuttgart: Hiersemann 1968–1989 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295. 300–301. 296–297. 312–313).
Der Epistolarist
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vier Jahren also bleibt noch zurückzulegen. Wir sehen dem Verbleibenden mit großer Erwartung entgegen, enthält ein jeder neu hinzutretende Band doch fortan nicht mehr zu entbehrende Zeugnisse. Das Werk ist inzwischen bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt. Es besteht nach menschlichem Ermessen kein Anlaß zu Befürchtungen.
Der Epistolarist Warum aber dieser Exkurs? Weil die Gestalt Martin Opitzens nachhaltig in die Geschichte der Gesellschaft hineinspielt, und das lange vor der formellen Aufnahme des Dichters als der ›Gekrönte‹ im Jahre 1629. So lag der Gedanke nahe, dem illustren Mitglied parallel zu dem Hauptwerk eine gesonderte Dokumentation zu widmen. Jahrelang wurden von Conermann im Zusammenwirken mit Harald Bollbuck quellenkundliche Erhebungen betrieben. In Breslau sah man die beiden wiederholt in den Lesesälen der historischen Buchbestände auf der Sandinsel. Das Werk aber, das schließlich im Jahre 2009 vorgelegt werden konnte, übertraf alle Erwartungen. In drei neuerlich voluminösen Bänden, insgesamt über 2000 Seiten umfassend, wurden der Briefwechsel Opitzens nebst ungezählter weiterer ›Lebenszeugnisse‹ dargeboten. Und das, wo immer angängig, in kritischer Edition mit Übersetzung der lateinischen Texte und ausführlichen Sachkommentaren. Zum ersten Mal, so wird man konstatieren dürfen, wurde der Opitzsche Lebens- und Wirkungsraum als ein ganzer erfahrbar. Und das ungeachtet der herben Verluste, die auch die OpitzPhilologie auf dem Sektor der Handschriften seit dem Zweiten Weltkrieg zu beklagen hat.40
Opitius latinus Doch damit immer noch nicht genug. George Schulz-Behrend hatte auch die lateinischen Texte Opitzens in seine Edition aufgenommen – keine Selbstverständlichkeit, wie etwa ein Seitenblick auf die Dach-Ausgabe Walther Ziesemers aus der unmittelbaren Vorkriegszeit zeigt. Auf Übersetzungen freilich hatte er aus nur allzu verständlichen Gründen verzichtet. Hier blieb in einer Zeit, da die Kenntnisse des Lateinischen rapide zurückgehen, eine Schwelle, welche die Opitz-Rezeption beeinträchtigte. Und so ist ein letztes Mal Anlaß zur Bekundung von Lob, Dank und Respekt, daß auch diese noch offene Position zwischenzeitlich geschlossen wurde. Die Altphilologen und Neulateiner Veronika Marschall und Robert Seidel machten sich mit einer Schar von Mitwirkenden ans Werk und schufen in der ungemein knappen Frist von sechs Jahren – die Zeiten der Vorbereitung ausgenommen – eine dreibändige Ausgabe des gesamten ›Opitius latinus‹ in zweisprachiger Version und begleitet von umfängli––––––––– 40
Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009.
I. Eingangs-Essay
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chen Kommentaren, die keine Wünsche offen lassen.41 Gleich zwei Paukenschläge waren im neuen Jahrtausend in der Opitz-Philologie ertönt. Diese stand unversehens auf einem ganz neuen Fundament.42
Pro Domo Was in allen Anzeigen der im Vorstehenden kurz Revue passierenden Editionen zu betonen war – und der Verfasser ließ sich in keinem Fall die Gelegenheit dazu entgehen –, sei am Schluß wiederholt. Sollte es gelingen, auch die letzte verbliebene Lücke rasch zu schließen und die fehlenden deutschsprachigen Texte Opitzens vorzulegen – wiederum sind wir dankbar, daß die Aufgabe bei dem Celtis- und Opitz-Spezialisten Jörg Robert und seinen Mitstreitern liegt –, dann sind alle Voraussetzungen für die Schaffung einer großen Opitz-Monographie gegeben. Bislang sind wir auf vereinzelte Vorstöße zu einem Gesamtbild und auf eine Reihe freilich gewichtiger Sammelbände verwiesen, die man alle im folgenden dokumentiert und charakterisiert findet. Auch unser nunmehr vorgelegtes Werk versteht sich als Beitrag zu dem ebenso verlockenden wie schwierigen Vorhaben. Wenn wir selbst von einem möglicherweise noch weiter ausgreifenden Projekt Abstand genommen haben, so nur deshalb, weil das neunte Lebensjahrzehnt einem anderen treuen Begleiter vorbehalten ist. Die Geschichte der europäischen Arkadien-Utopie will zum Abschluß gebracht sein. Und so mag das Nachstehende und Opitz Gewidmete, konzentriert um Räume, Personen und vor allem Texte, auch als ›Vortrab‹, als ein ›Prodromus‹ zu einem Vorhaben gelesen werden, das ein langes Leben lang nicht aufgehört hat, Faszination auszuüben. Am Schluß hängt alles daran – und jeder produktive Autor weiß darum –, daß Gnade waltet, wenn es denn um die Rundung eines Lebenswerkes geht. Möge das Buch beitragen zur Freude auslösenden Begegnung mit Texten aus der Frühen Neuzeit, die allemal der deutschen wie der europäischen Literatur als ein nicht wegzudenkender Beitrag zugehörig bleiben.
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Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Band II: 1624–1631. Band III: 1631–1639. In Zusammenarbeit mit Wilhelm Kühlmann, Hans-Gert Roloff und zahlreichen Fachgelehrten hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009–2015 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). Das gilt im Übrigen auch für die hervorragende Dokumentation der wissenschaftlichen Literatur. Vgl.: Julian Paulus, Robert Seidel: Opitz-Bibliographie 1800–2002.- Heidelberg: Palatina 2003.
II. Epochale Signaturen um 1600 Ein religiös durchwirktes Ideen-Panorama Präsenz des 16. Jahrhunderts Opitz ist 1597 geboren. Man zählt ihn deshalb nicht zu den Dichtern des 16. Jahrhunderts. Gleichwohl besitzt das Datum symbolisches Gewicht. Sein Werk ist im 16. Jahrhundert verankert, und das nicht nur im Blick auf die poetischen und poetologischen Vorgaben, die ihn zumal aus der Romania erreichten. Das politische und geistige Kräftefeld des 16. Jahrhunderts insgesamt prägt seine Physiognomie. Er hat das ihm zugefallene Erbe bewahrt und unermüdlich an seiner Weiterentwicklung gearbeitet. Der Terminus ›Späthumanist‹ zeigt diese transitorische Stellung an. Der Rückbezug aber ist ein gänzlich anderer als jener, der in der deutschsprachigen Historiographie immer wieder auftauchte. Opitz in das 16. Jahrhundert zurückzuversetzen und mit dem Auftreten Luthers fast ein Jahrhundert früher zu kontaminieren, ergibt keinen Sinn. Im Werk Opitzens ist Luther allenfalls gelegentlich als Dolmetscher geistlicher und zumal biblischer Texte präsent. Programmatisch hat er sich nicht auf ihn bezogen. Einen Brückenschlag von dem geistlichen Reformator zu seinem eigenen reformatorischen Werk auf dem Gebiet der Poesie hat er nie vorgenommen, und wo er später versucht wurde, führte er in die Irre. Nicht die Reformation und die Reformatoren kommen ins Spiel, wenn Opitz aus der Optik des 16. Jahrhunderts ins Visier genommen wird, sondern ihre Folgewirkungen. Und das im Kontext paralleler und vielfach einander bedingender Entwicklungen. Ein Aufriß, so schwierig er sich ausnimmt, muß versucht werden, um Eckdaten zu gewinnen, die in Relation stehen zu zentralen Werkgehalten. Denn um deren Ergründung geht es vor allem. Dafür aber ist mehr vonnöten als eine gute Werkkenntnis. Erst im Spannungsverhältnis zwischen Werk und Umfeld springt der Funke über. Und dessen Eigenart ist es, einen der Poesie vermählten lebendigen Schein über die Zeiten hinweg mit sich zu führen. Das Momentane, dem Augenblick Geschuldete, und das ihm Enthobene begründen zusammen jene ästhetische Wirkung, um derentwillen die textuelle Begegnung gesucht wird.
Geschichte und Werkgehalt Das 16. Jahrhundert – nebst Vorläuferschaft vor allem über Italien – bot in Latein und Volkssprache das in der Antike fundierte poetische Rüstzeug, welches für einen Hu-
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manisten verbindlich blieb. Seine Beherrschung war eine selbstverständliche Voraussetzung für einen jeden Akt der Artikulation. Dieses poetische System aber lebte nicht aus sich allein. Der intertextuelle Verkehr war der lebhafteste. Und er kreuzte sich mit der geschichtlichen Bewegung. Die nur im Umkreis des Humanismus in dieser Intensität zutage tretende Spannung hatte ihre Ursache in der allfälligen Vermittlung zwischen einem äußerst kohärenten Sprach- und Stilwillen und der poetischen Verarbeitung je individueller geschichtlicher Erfahrungen. Jedes gelungene Gedicht bezeugt aufs Neue diesen schwierigen Akt der Balance. Gelingen aber heißt und hieß, beiden Seiten gleichermaßen gerecht zu werden. Für den Exegeten folgt daraus die Anweisung, seinerseits auf beiden Seiten zu Hause zu sein. Hier geht es um die eine der beiden Bezugsgrößen, um ›Geschichte‹ im weitesten Sinn. Sie ist eine allgegenwärtige, und das auch noch im vermeintlich esoterischen poetischen Exerzitium. Was aber geschichtlich namhaft zu machen ist, bleibt in einer kunstwissenschaftlichen Untersuchung immer schon präjudiziert durch die Werke als Richtmaß. Eine von ihnen absehende historische ›Einführung‹ zielt an der Aufgabe vorbei, die damit doch nicht relativiert und ihrer strengen Observanz beraubt würde. Im Gegenteil. Zur Sprache zu bringen ist, was in aller literarischen Bemühung als das immer wieder Gegenwärtige sich zu erkennen gegeben hat. Und das in den verschiedensten Bildern und Denkmustern. Integration historischer Diskurse in kunstwissenschaftliche Zusammenhänge, wie sie eine unveräußerliche Voraussetzung jedweder geschichtlich fundierten ästhetischen Betrachtung bleibt, ist eine vom Werk ausgehende und zu ihm zurückkehrende, endend in der Entfaltung des geschichtlichen Gehalts. Eine derartige Entzifferung ist – auf der Basis der jeweiligen Gattungsregularien – grundsätzlich nur am je einzelnen Werk mit Erfolg durchzuführen. Eben um dieser Verpflichtung auf das Besondere und Singuläre wegen bedarf die derart fokussierte ästhetische Betrachtung der Vergewisserung allgemeiner Bezugsgrößen. Deren Relevanz bemißt sich nach ihrer werkaufschließenden Kraft, die ihnen eignet.1
Zeitgenossenschaft Bildet das 16. Jahrhundert den entscheidenden geschichtlichen Parameter, so deshalb, weil sich in ihm die konfessionelle Ausdifferenzierung nebst allen ihr eigenen Begleit––––––––– 1
Zwei – gänzlich unzeitgemäße – Verweise: Walter Benjamin: Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft.- In: Die literarische Welt 7 (1931), Nr. 16, S. 3 f. Wiederabdruck in: ders.: Gesammelte Schriften. Band III: Kritiken und Rezensionen. Hrsg. von Hella Tiedemann-Bartels.- Frankfurt/Main: Suhrkamp 1972, S. 283–290, S. 645 f. (Apparat); Werner Krauss: Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag.- In: Sinn und Form 2 (1950), Heft 4, S. 65–126. Wieder abgedruckt in: ders.: Studien und Aufsätze.- Berlin: Rütten & Loening 1959 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 8), S. 19–71, sowie in: ders.: Literaturtheorie, Philosophie und Politik. Hrsg. von Manfred Naumann.- Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag 1984 (ders.: Das wissenschaftliche Werk; 1), S. 7–61. Hinzuzunehmen der ausführliche Lesarten-Apparat und Kommentar, S. 540–585. Erlaubt sei der Verweis auf eine Miszelle des Verfassers: Thirteen Theses on Literary Criticism.- In: New German Critique 1 (1973), S. 126–132.
Zeitgenossenschaft
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erscheinungen vollzieht. Es ist dies ein in jedem Land anders verlaufender Prozeß, der als solcher jedoch Europa insgesamt betrifft. Die Zeitzeugenschaft der Humanisten befindet sich in ständiger Bewegung. Je länger der Prozeß indes anhält, um so reicher und prägnanter nimmt sich das zur Anschauung gelangende geschichtliche Panorama aus. Es ist kein national zu verrechnendes. Die Humanistenschaft ist international vernetzt und verfügt über diverse Kanäle der Information. Das wichtigste Medium bleiben die Werke selbst. Was in diese in einem Akt primärer Adaptation Eingang findet, nimmt seine eigenen Wege und wird stetig fortgeschrieben. Doch diese ästhetische Progression bleibt rückbezogen auf Ereignisse und Prozesse, die als verwandelte in das Werk eingehen. In dem ständigen Wechsel von neu eintretenden historischen Referenzen und darauf antwortenden ästhetischen Verarbeitungen vollzieht sich der Evolutionsprozeß der Werke, zu deren Kettenbildung ein jeder produktive Autor seinen je eigenen Beitrag leistet. Dichter sind keine Theologen. Und wenn sie es sind, dann begeben sie sich als Dichter auf ein anderes Feld. Die Literatur des 16. Jahrhunderts ist voll von konfessionell stimmigen und in sich kohärenten Zeugnissen. Über diese ist hier kein Wort zu verlieren. Zu Ende des Jahrhunderts ist die konfessionelle Szene hinlänglich überschaubar. Direkt per Augenzeugenschaft, zumeist aber über Quellen verschiedenster Provenienz sind genügend viele Tatsachen und Bilder in Umlauf, die eine Bewertung und Positionierung erlauben. Eben deshalb die Markierung des Geburtsdatums von Opitz. Erwachend zu eigener geistiger Orientierung, liegt bereits mehr als ein halbes Jahrhundert hinter einer aufgewühlten Christenheit. Keiner der späteren Humanisten hat die Gründerfiguren im Zeitalter der Reformation noch persönlich erlebt oder gar mit ihnen Umgang gepflegt. Mit den Folgen ihres Wirkens sind sie konfrontiert, und die zeitigen gedankliche und religiöse Konsequenzen, die eben die besondere, ja einzigartige Signatur der Zeit um 1600 ausmachen. Eine Epoche sui generis zeichnet sich in Umrissen ab, und die späthumanistische Literatur hat einen eminenten Anteil an ihr, so auch die Opitzsche. Die Konfessionen haben sich konsolidiert, etabliert und institutionell formiert. Entsprechende Daten bezeichnen etwa das Tridentiner Konzil, die ›Confessio Augustana‹ oder die ›Confessio Helvetica‹. Die erste, aus literaturwissenschaftlicher Optik zu formulierende These lautet: die späthumanistische Intelligenz läßt sich nur bedingt einem dieser Bekenntnisse zurechnen. Das sie Verbindende und oftmals überraschend gleichlautend Formulierte liegt auf einer anderen Ebene. Die Generation um 1600 hat den Prozeß der konfessionellen Fraktionierung nebst ihren Begleiterscheinungen verfolgt und Schlüsse gezogen, die sich strikt konfessionell nicht mehr verrechnen lassen. Diese Geistigkeit aber will nicht abstrakt umrissen und damit um ihr Gesicht und ihre Faszination gebracht, sie will in actu im Werkgeschehen rebuchstabiert werden. Ohne Textexegese kein Zugang zur mentalen Verortung der nobilitas litteraria um 1600. Konfrontiert mit textuellen Angeboten aus den konfessionellen Lagern, antwortet diese souverän agierende Schicht mit einem selbst geprägten und verantworteten Textangebot. Das aber gibt sich nur in minutiöser Entzifferung zu erkennen.2 ––––––––– 2
Reiche Literatur zu den hier nur eben angetippten Zusammenhängen bei Klaus Garber: Literatur im Zeitalter der Krisis. Der europäische Späthumanismus um 1600. Hrsg. von Axel E. Walter.Münster: LIT (in Vorbereitung) (Kleine Schriften; 3).
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Die Humanisten im Zeitalter des Konfessionalismus Es mag paradox klingen, doch dürfte ein Sachverhalt plausibel zu machen sein, von dem der Ausgang zu nehmen ist: Die spezifische Mentalität der Späthumanisten um 1600 ist historisch triftig vermutlich nur vor dem Hintergrund der Folgewirkungen im Zuge der Konfessionalisierung zu entfalten. In der Auseinandersetzung mit ihnen gewinnt sich die Humanistenschaft zunehmend selbst. Dieser aufregende Vorgang läßt sich am genauesten in fest umrissenen regionalen Beobachtungsfeldern dingfest machen. Es ist mehr als ein Zufall, daß Schlesien in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zufällt. Opitz ist in keiner Weise dafür verantwortlich zu machen. Da sich aber wichtige Phasen seines Lebens mit seiner Heimat im weiteren Sinn verknüpfen, ist willkommene Veranlassung gegeben, den Lichtkegel der Betrachtung stets wieder auf Schlesien zu richten. Das wird in den folgenden Kapiteln geschehen. Zuvor sind jedoch allgemeinere Prozesse in Erinnerung zu rufen, in denen die nachfolgenden speziellen ihre Wurzel haben.3 Unter den Humanisten während der Mitte des 16. Jahrhunderts sind der Fortgang der lutherischen Reformation und insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Kaiser, einmündend ein erstes Mal in den Schmalkaldischen Krieg, mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und dichterisch wiederholt produktiv gewendet worden. Die Schäferdichtung und speziell die Ekloge, selbstverständlich in der lateinischen Version, hat daran einen ganz erheblichen Anteil. Sie lag in der Obhut der Humanisten, und dieselben kannten die in einer langen Tradition ausgebildeten Mittel der chiffrierten bukolischen Adaptation genau, so daß sich die Anwendung auf den konkreten Fall nahelegte. Das ist ein spannendes und insgesamt gut erforschtes Thema.4 ––––––––– 3
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Der Autodidakt im Fach Geschichte bezieht sich im folgenden vor allem auf die in der umfassenden Privatbibliothek leicht greifbaren und die Jahrzehnte über stets wieder konsultierten Werke: Gerhard Ritter: Die Neugestaltung Europas im 16. Jahrhundert. Die kirchlichen und staatlichen Wandlungen im Zeitalter der Reformation und der Glaubenskämpfe.- Berlin: Tempelhof 1950; Erich Hassinger: Das Werden des neuzeitlichen Europa. 1300–1600.- Braunschweig: Westermann 1959; Die Entstehung des neuzeitlichen Europa. Hrsg. von Josef Engel.- Stuttgart: Union Verlag 1971 (Handbuch der Europäischen Geschichte; 3); Ernst Walter Zeeden: Hegemonialkriege und Glaubenskämpfe. 1556–1648. 2. Aufl.- Frankfurt/Main, Berlin, Wien: Propyläen 1980 (Propyläen Geschichte Europas; 2); Heinrich Lutz: Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung. Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1490 bis 1648.- Frankfurt a.M., Berlin, Wien: Propyläen 1983 (Propyläen Geschichte Deutschlands; 4); Winfried Schulze: Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500–1618.- Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987 (Neue Historische Bibliothek. edition suhrkamp; 1268. N.F. 268); Heinz Schilling: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648.- Berlin: Siedler 1988 (Das Reich und die Deutschen. Siedler Deutsche Geschichte); Die Zeit der Konfessionen (1530–1620/30). Hrsg. von Marc Venard. Deutsche Ausgabe bearb. und hrsg. von Heribert Smolinsky.- Freiburg, Basel, Wien: Herder 1992 (Die Geschichte des Christentums. Religion – Politik – Kultur; 8); Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660.- Paderborn etc.: Schöningh 2007 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen; 2). Vgl. aus der Literatur etwa: Eckart Schäfer: Bukolik und Bauernkrieg. Joachim Camerarius als Dichter.- In: Joachim Camerarius (1500–1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation. Hrsg von Frank Baron.- München: Fink 1978 (Humanistische Bibliothek; I/24), S. 121–151. Zum Kontext vgl. Eckart Schäfer: Der deutsche Bauernkrieg in der neulateinischen Literatur.- In: Daphnis 9 (1980), S. 1–31. Des weiteren: Eckart Schäfer: Camerarius:
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Hier aber ist eine andere Wendung zu nehmen. Mit dem Einmünden des Humanismus in die zweite Jahrhunderthälfte verschiebt sich in aufsehenerregender Weise der Blick. Er löst sich von der Fixierung auf die deutschen Verhältnisse und gleitet herüber nach Europa. Deshalb ist es unerläßlich, eben dieses europäische Kräftefeld zu umreißen, weil es motivisch wie diskursiv zu einem zentralen poetischen Vorwurf im Umkreis des Späthumanismus aufrückt. Auch im Werk Opitzens wird man kaum jemals noch einen Nachhall der Schmalkaldischen Wirren finden. Omnipräsent aber ist die europäische konfessionelle Szene. Und eben dieser Richtungswechsel will in einer knappen historischen Linienführung nachvollzogen werden.5 Eine solche auf Knappheit bedachte Skizze ist auf Pointierung angewiesen. Die Verschiebung der Gewichte und das zeitweilige Zurücktreten des deutschen Schauplatzes sind die Folge des Aufstiegs der beiden Mächte, die an die vorderste Front des konfessionellen und des mit ihnen verknüpften politischen Ringens rücken. Die Erneuerung des Katholizismus und seine militante Umrüstung sowie der Aufstieg des Calvinismus zu einer religiösen wie politisch-militärischen Großmacht bezeichnen die beiden Pole, zwischen denen bis in das 17. Jahrhundert hinein das Ringen um die Vormacht vor allem verläuft. Die lutherische Bewegung als die ursprünglich früheste und nun zur dritten Kraft mutierende, nimmt eine in gewisser Hinsicht geradezu gegenläufige Bewegung. Den –––––––––
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Anonymität und Engagement. Von den Reformationseklogenpaaren zu ›Luthers Klage – ein Traum‹.- In: Joachim Camerarius. Hrsg. von Rainer Kößling, Günther Wartenberg.- Tübingen: Narr 2003 (Leipziger Studien zur Klassischen Philologie; 1), S. 133–174. Dazu die große Untersuchung von Joachim Hamm: Servilia bella. Bilder vom deutschen Bauernkrieg in neulateinischen Dichtungen des 16. Jahrhunderts.- Wiesbaden: Reichert 2001 (Imagines Medii Aevi; 7). Wichtig zum Kontext auch der Sammelband: Die Musen im Reformationszeitalter. Hrsg. von Walther Ludwig.- Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; 1), mit den einschlägigen Beiträgen. Hier von Lothar Mundt: Die sizilischen Musen in Wittenberg. Zur religiösen Funktionalisierung der neulateinischen Bukolik im deutschen Protestantismus des 16. Jahrhunderts, S. 265–288. Zum Paradigma Konfessionalisierung liegen einschlägige Forschungsberichte aus jüngerer Zeit vor, auf die verwiesen werden darf: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Band VII: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register. Hrsg. von Anton Schindling und Walter Ziegler unter Mitarbeit von Franz Brendle.- Münster: Aschendorff 1997 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung; 57). Hervorzuheben der weite Perspektiven eröffnende Beitrag des Initiators Anton Schindling: Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, S. 9–44, mit umfassender Literatur. Für den Brückenschlag zum nationalen Gedanken und zum späthumanistischen Diskurs im gleichen Band der historiographisch neue Perspektiven eröffnende und literaturwissenschaftlich vielfältige Anknüpfungen ermöglichende Beitrag von Georg Schmidt: Konfessionalisierung, Reich und Deutsche Nation, S. 171–199. Einschlägig ist sodann der Sammelband: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann und Hartmut Lehmann.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 201), hier wiederum in dem wichtigen einleitenden Beitrag von Thomas Kaufmann (S. 9–15) die Literatur in Auswahl. Die Arbeiten Heinz Schillings zum Thema leicht greifbar in: Ausgewählte Abhandlungen zur europäischen Reformations- und Konfessionsgeschichte. Hrsg. von Luise Schorn-Schütte, Olaf Mörke.- Berlin: Duncker & Humblot 2002 (Historische Forschungen; 75).
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lutherischen Glaubensgehalt abkelternd und systematisierend, eignet ihr fortan weniger eine offensive konfessionell-politische Stoßrichtung als vielmehr ein auf Bewahrung und Behauptung der von Luther vorgegebenen Glaubenslehren bedachtes Gebaren. Der europaweit geführte Kampf wird dominiert von Katholiken und Calvinisten sowie den kirchlichen und weltlichen Machthabern an ihrer Seite. Politische und konfessionelle Optionen sind in diesem Ringen nur schwer zu trennen, und je länger der Konflikt währt, desto deutlicher tritt der erstere Aspekt hervor. Dabei bleibt es denkwürdig, daß die katholische Seite über eine ungleich effizientere machtpolitische Ausgangsposition verfügt. Die Achse Rom, Wien, Madrid ist – ungeachtet gelegentlicher Konflikte – eine international agierende. Wenn es der Gegenseite gleichwohl gelingt, ihr erfolgreich entgegenzutreten, so ist dies begründet in der Attraktivität, die ihre Lehre ausübt, und in der Knüpfung von internationalen Kontakten und Bündnissen. So oder so wird in europäischer Perspektive agiert. Von daher ist auch die Literaturgeschichtsschreibung im Umkreis des Späthumanismus darauf verpflichtet, sich für eine europäische Betrachtung zu rüsten. Nicht zuletzt die Lebensläufe der humanistischen Protagonisten erschließen sich nur in hinreichender Kenntnis der von ihnen aufgesuchten Stätten, die in der Regel auch von religiösen bzw. konfessionellen Mustern geprägt sind. Und wiederum gilt in dieser europäischen Perspektivierung, daß das Luthertum merklich zurücktritt und nicht entfernt die nämlichen Spielräume einnimmt und offensiv behauptet.
Europäisches Panorama In Italien hob jene kulturelle und literarische Bewegung im Trecento an, von deren Impulsen Europa die Frühe Neuzeit über zehrte. Weniger gewürdigt ist der Umschlag, wie er sich um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert vollzog. Auf ihn ist man zum Beispiel als Historiker der europäischen Bukolik erpicht. Denn im Niedergang der italienischen Pentarchie sowie dem Auftauchen der beiden antagonistischen Großmächte Spanien und Frankreich auf dem Boden Italiens erfolgt inmitten der drohenden Gefahr die Zeugung gleich zweier wiederum komplementärer Gattungen, in denen eine Krisenerfahrung literarisch verarbeitet wird. Am sinnfälligsten ist dies in Sannazaros ›Arcadia‹, aber auch das Epos eines Boiardo, Ariost und Tasso ist durchsetzt von erzähltechnischen Umfunktionierungen des epischen Stil-Repertoires, in welchen sich eine gewandelte Optik flektiert, die ihrerseits dem politischen Drama auf der Halbinsel des Apennin geschuldet ist. Opitz, um stets wieder zu ihm herüberzublicken, verdankt einem Sannazaro die Eingebung zu einer singulär in seinem Werk dastehenden Erzählung.6 Ganz anders und doch auch wieder nicht auf seiten Spaniens. Wenn im 16. Jahrhundert dessen Aufstieg kulminiert und in der zweiten Jahrhunderthälfte unverkennbar ein Abstieg von den Höhen der Macht sich abzeichnet, so prägt auch dies den Gestus der Literatur im ›Siglo de oro‹. Noch einmal ist die Schäferliteratur der sensible Seismograph, in der Erzählung wie im Drama gleichermaßen, von der Erzählkunst ei––––––––– 6
Vgl. im Blick auf Sannazaro das 15. Kapitel des vorliegenden Buches.
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nes Cervantes gar nicht zu reden.7 In dem Maße aber wie der reale Machtverlust sich vollzieht, verschärft sich das Streben nach religiöser, nach konfessioneller Hegemonie. In der Literatur um 1600 gelten Spanien und zumal das spanische Königtum nebst Kirchenfürsten und Inquisition in den nichtkatholischen Ländern als Repräsentanten konfessioneller Repression und unnachgiebiger politischer Durchsetzung dieses Anspruchs. Die Vermittlungsversuche Karl V. sind lange vergessen. Philipp II. prägt das Bild seines Landes und dessen Religionspolitik. Auch Opitz und sein Werk werden das bezeugen. England ist bekanntlich einer der beiden Widersacher der iberischen Halbinsel, denen am Ende die Führungsrolle zufällt. Auf eine immer wieder zum Nachdenken herausfordernde Weise tritt das literarische England im europäischen Konzert zurück; seine Stimme wird nicht gleich merklich vernehmbar wie die der kontinentalen Mächte. Dieser Eindruck trügt jedoch in gewissem Grade und ist zu sehr geeicht auf die Entwicklung der Lyrik in den Nationalsprachen. Der Einfluß auf das Schauspielwesen ist bekannt. Zu bedenken aber ist auch, daß der literarische Einfluß ergänzt und begleitet wird von politischen Aktivitäten, in deren Gefolge auch der poetische Transfer an Zugkraft gewinnt. Eine Gestalt wie diejenige Philip Sidneys gehört zu den Wortführern und einflußreichsten Diplomaten auf der politischen Bühne Europas. Er ist wie niemand sonst der Hoffnungsträger für ein England, das sich langfristig auf dem Kontinent für die protestantische Sache engagiert. Seine ›Arcadia‹ wuchs zu einem europäischen Erfolg heran, und den verdankte sie der wiederum singulären poetischen Faktur nicht anders als dem heroischen Auftreten ihres Verfassers in dem konfessionellen Mehrfrontenkrieg.8 Eine – und langfristig die entscheidende – Schlüsselstellung behauptete Frankreich. Wenn es ein Land gab, in dem sich am frühesten die bis dato schlechterdings unvorstellbarsten Konflikte im Gefolge der Konfessionalisierung entzündeten, so war es das französische Königreich. Eben war unter Franz I. die Etablierung und Befestigung der Krongewalt nach dem hundertjährigen Krieg erfolgt, da brach der Sturm über das Land herein. Der Kampf zwischen Katholiken und Hugenotten, der wiederholt auch die Krone ins Wanken brachte, vermittelte eine Vorstellung von den Erschütterungen, die Europa insgesamt bevorstanden und die niemand frühzeitig so sehr gefürchtet hatte wie Erasmus. Am Ende bezeichnete die Bartholomäusnacht im Jahr 1572 mit der ––––––––– 7
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Auch hier nur ein Hinweis auf zwei klassische Arbeiten: Werner Krauss: Der spanische Hirtenroman. Prolegomena für seine Darstellung und Sinngebung.- In: ders.: Werk und Wort. Aufsätze zur Literaturwissenschaft und Wortgeschichte.- Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag 1972, S. 205–241, S. 351–362. Wieder abgedruckt in: ders.: Cervantes und seine Zeit. Hrsg. von Werner Bahner.- Berlin: Akademie-Verlag 1990 (ders.: Das wissenschaftliche Werk; 2), S. 262–293; Erich Köhler: Wandlungen Arkadien: die Marcela-Episode des ›Don Quijote‹ (I, 11-14).- In: Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag. Festschrift Werner Krauss.- Berlin: Rütten & Loening 1961, S. 41–46. Wieder abgedruckt in: Europäische Bukolik und Georgik. Hrsg. von Klaus Garber.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976 (Wege der Forschung; 355), S. 202–230. Es bleibt bei dem Vorsatz der Nomination weniger einschlägiger Titel: John Buxton: Sir Philip Sidney and the English Renaissance.- London: McMillan, New York: St. Martin’s Press 1954; David Norbrook: Poetry and Politics in the English Renaissance.- London etc.: Routledge & Kegan Paul 1984; Andrew Hadfield: Literature, Politics and National Identity. Reformation to Renaissance.- Cambridge: University Press 1994.
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Ermordung von Tausenden von Hugenotten ein Fanal, das sich aus der Literatur nicht wieder verlieren sollte, wie auch Opitz zur Genüge beweist. In Frankreich aber blieb es nicht bei diesem eruptiven Katarakt. Langfristig behauptete die Monarchie sich gegenüber den konfessionellen Parteiungen, und das zeitweilig auf der Basis von weit in die Zukunft weisenden Akten staatspolitischer und auf Befriedung bedachter Gesetzgebung. Wiederum wurde auch ein Opitz Zeuge des Auftauchens dieser in eine andere Zeit herübergeleitenden ›Geschichtszeichen‹.9 Und wiederum ganz anders die Niederlande. Ihr Versuch einer Loslösung von einer Weltmacht um des Glaubens willen machte schlagartig deutlich, welche politischen Energien die konfessionelle Unterdrückung zu entbinden vermochte. Die Publizistik, die politische und völkerrechtliche Theorie, nicht zuletzt die Literatur profitierte, ja zehrte zeitweilig leitmotivisch von diesem aufrüttelnden Geschehen. An der Selbstbehauptung der sieben die Freiheit erstreitenden Provinzen wurde manifest, daß religiöse Standfestigkeit zu fundamentalen politischen Umbrüchen führen konnte. Eine ungeheure Ermutigung ging von diesem Exempel aus, immer wieder beschworen in der Literatur. Wenn die Niederlande zur Zeit Opitzens so dicht zumal an die reformierten Territorien heranrückten wie kein anderes Land sonst, so war dies dem literarischen und politischen Gleichklang gleichermaßen geschuldet. Wenn dann wenig später das staatstragende Bekenntnis selbst die Quelle eines staatsgefährdenden Konflikts wurde, dann trug auch diese tragische Verstrickung dazu bei, der aus den Fängen der Konfession sich befreienden Staatsgewalt zunächst in der Theorie den Weg zu bahnen.10 Der Blick aber hat sich mit der nämlichen Intensität in den Osten jenseits des Reichs zu richten. Und das wiederum schwerlich mit mehr Berechtigung als im Blick auf Lebensgang und Werkgestalt Opitzens. Die beiden zentralen Mächte Ungarn und Polen bestärkten ihn gleichermaßen in seiner reformierten wie seiner royalistischen Ausrichtung, dort über das Auftreten Bethlen Gábors, hier über dasjenige Władysławs IV. Es waren die Außenposten, Siebenbürgen auf der einen Seite, das Preußen Königlich Polnischen Anteils auf der anderen, in denen unter dem Schirm fürstlicher bzw. königlicher Herrschaft eine Vielzahl weltanschaulicher und religiöser Bildungen erblühte, denen ein kaum erschöpfbares Potential geistiger Anregung eignete, das einen für alles Neue aufgeschlossenen Humanisten wie Opitz eine fruchtbare Quelle blieb. Erinnert sein aber will auch, daß von einer Metropole am mare balticum wie Danzig der Blick des Dichters sowohl nach Dänemark und Schweden wie für einen Moment auch nach Rußland gelenkt wurde.11
Leit- und Fluchtlinien der lutherischen Bewegung Die wesentlich von Melanchthon herrührende ›Confessio Augustana‹ aus dem Jahr 1530, zur Vorlage auf dem Augsburger Reichstag konzipiert, suchte den lutherischen ––––––––– 9 10
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Vgl. das 16. Kapitel des vorliegenden Buches mit der einschlägigen Literatur. Auch hier sei vorausblickend der Verweis auf das neunte und das siebzehnte Kapitel dieses Buches notiert. Ein vorläufig letztes Mal der interne Verweis: für Ungarn ist das elfte und für Polen das neunzehnte Kapitel jeweils mit der reichlich aufgeführten Literatur zu konsultieren.
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Lehrgehalt ein erstes Mal in eine verbindliche Form zu fassen und dabei – ganz im Sinne Melanchthons – scharfe antikatholische Töne zu vermeiden.12 Schon aber zeichnete sich auch innerhalb der evangelischen Bewegung eine Ausdifferenzierung ab. Sowohl das oberdeutsche Vierstädte-Bekenntnis der Reichsstädte Straßburg, Konstanz, Lindau und Memmingen, die sog. ›Confessio Tetrapolitana‹, als auch das theologische Manifest der Schweizer, die ›Ratio fidei‹ Ulrich Zwinglis, behaupteten sich als selbständige Bekenntnisschriften im protestantischen Lager.13 Dieses vereinigte sich im gleichen Jahr im Schmalkaldischen Bund, der in den kommenden Jahren eine stetige Erweiterung erfuhr. Der Siegeszug schien unaufhaltsam. Und das ungeachtet linksradikaler Seitentriebe, wie sie sich vor allem mit dem Namen Thomas Müntzers verbanden. Nicht vorauszusehen war zunächst, was das Auftreten Calvins und dasjenige Loyolas zu Beginn der vierziger Jahre für das Luthertum mit sich bringen sollte. Es war genau die Zeit, da sich auch ein Umschwung in der Politik des Kaisers ankündigte. An der konziliaren Idee wurde von Karl V. durchaus festgehalten. Nicht mehr ausgeschlossen aber schien je länger desto offenkundiger, daß ein Waffengang womöglich doch unvermeidbar sei. Erstmals stellten sich Erfolge beim Versuch einer Eindämmung der Reformation ein; gelegentlich gelang sogar ein Rückgewinn protestantischer Regionen für die katholische Seite. Kapazitäten in der Historiographie des Konfessionalismus wie Ernst Walter Zeeden und andere haben mit guten Gründen eben deshalb die Anfänge der konfessionellen Frontbildung bereits auf die frühen vierziger Jahre datiert.14 Der erste nachhaltige Einschnitt wird durch die verlorene Schlacht bei Mühlberg im Schmalkaldischen Krieg des Jahres 1547 markiert.15 Für einen Moment zeichnete ––––––––– 12
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Vgl. dazu aus der reichen Literatur etwa: Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. In Verbindung mit Barbara Hallensleben herausgegeben von Erwin Iserloh.- Münster: Aschendorff 1980 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; 118); Im Schatten der Confessio Augustana. Die Religionsverhandlungen des Augsburger Reichstages 1530 im historischen Kontext. Hrsg. von Herbert Immenkötter, Gunther Wenz.Münster: Aschendorff 1997 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; 136). Monographisch knapp Leif Grane: Die Confessio Augustana. Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation. 5. Aufl.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996 (UTB; 1400). Vgl. Bernd Moeller: Confessio Augustana – Confessio Tetrapolitana. Die Bekenntnisse von 1530 in ihrem Zusammenhang.- In: Wege der Neuzeit. Festschrift Heinz Schilling. Hrsg. von Stefan Ehrenpreis, Ute Lotz-Heumann, Olaf Mörke, Luise Schorn-Schütte.- Berlin: Duncker & Humblot 2007, S. 57–71; Die Zürcher Reformation. Ausstrahlungen und Rückwirkungen. Hrsg. von Alfred Schindler, Hans Stickelberger.- Bern etc.: Peter Lang 2001 (Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte; 18). Vgl. auch die Einträge in der Theologischen Realenzyklopädie (TRE) jeweils mit weiterer Literatur zu: Zürich, Band XXXVI (2004), S. 744–754 (Alfred Schindler); Genf, Band XII (1984), S. 368–375 (Robert M. Kingdon); Zwingli, Band XXXVI (2004), S. 793–809 (Volker Leppin); Bullinger, Band VII (1981), S. 375–387 (Fritz Büsser); Calvin, Band VII (1981), S. 568– 592 (Willem Nijenhuis). Vgl. neben der oben in Anm. 3 aufgeführten Monographie auch: Ernst Welter Zeeden: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe.- München, Wien: Oldenbourg 1965. Vgl. die Einträge ›Schmalkaldische Artikel‹ (Klaus Breuer), ›Schmalkaldischer Bund‹ (Gabriele Haug-Moritz, Georg Schmidt) und ›Schmalkaldischer Krieg‹ (Georg Schmidt, Siegrid Westphal) in: Theologische Realenzyklopädie XXX (1999), S. 214–231, mit der einschlägigen Literatur.
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sich sogar die Chance ab, das Reich zur kirchlichen Einheit zurückzuführen. Ein immenser publizistischer Schub begleitete das Ringen. Erstmals war die lutherische Stimme nicht mehr als die führende zu vernehmen. Und genau im Zuge der nun auch militärisch zutage getretenen Spaltung regten sich Verlautbarungen, die eine politische und rechtliche Lösung des konfessionellen Konflikts umkreisten.16 Waren die glaubensförmigen Differenzen nicht zu überwinden, so mußte Sorge für die Einheit der staatlichen Sphäre getragen werden, was auf nichts anderes hinauslief als auf eine Domestizierung der religiösen Fraktionen – ein erster Vorklang der alsbald in Frankreich in großem Stil und im Schutz einer mächtigen Institution wie des Parlaments ausgetragenen Debatte. Die Humanisten und nicht zuletzt ein Opitz waren ihre Zeugen. Wenig später war die Spaltung besiegelt. Der Kaiser hatte einen letzten Versuch zur Herbeiführung einer Einigung unternommen. Das ›Interim‹ des Jahres 1548, speziell auf das Reich gemünzt, wird das bleibende Zeugnis dieser nur allzu ehrenwerten Bemühung bleiben. Eine Variante des ›Interims‹ arbeitete Melanchthon für den sächsischen Kurfürsten aus. Auch diesem sog. ›Leipziger Interim‹ war es nicht beschieden, die zusehends auseinanderdriftenden Parteien wieder zusammenzuführen. Und das nun auch innerhalb des Luthertums selbst. Für die zunehmend offensiver hervortretenden Gnesiolutheraner war der Melanchthonsche Brückenschlag nicht akzeptierbar. Erstmals zeichnete sich eine Frontlinie gegenüber den ›Philippisten‹ ab, wie sie nun ihrerseits als Gruppe in Erscheinung trat.17 Der Schlußpunkt wurde Mitte der fünfziger Jahre gesetzt. Unter sächsischer Führung war ein Fürstenbündnis zustandegekommen, das in engem Kontakt mit Frankreich auf einen Religionsfrieden, und das hieß primär auf eine Gleichstellung der Konfessionen drang. ›Libertät‹ lautete das Stichwort, das zündete und bis tief in das 17. Jahrhundert immer wieder erklang. Wo politische Dichtung geformt wurde, wo politische Publizistik in ihre Rechte trat, wie in großem Stil unter den Reformierten, fehlte es nicht. Eine gehörige Karriere stand ihm bevor, und Opitz hatte nicht unwesentli––––––––– 16
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Vgl. Winfried Schulze: ›Ex dictamine rationis sapere‹. Zum Problem der Toleranz im Heiligen Römischen Reich nach dem Augsburger Religionsfrieden.- In: Querdenken. Dissens und Toleranz im Wandel der Geschichte. Festschrift Hans R. Guggisberg. Hrsg. von Michael Erbe u.a.- Mannheim: Palatium 1996, 223–239; ders.: Pluralisierung als Bedrohung: Toleranz als Lösung. Überlegungen zur Entstehung der Toleranz in der Frühen Neuzeit.- In: Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. Hrsg. von Heinz Duchhardt.München: Oldenbourg 1998 (Historische Zeitschrift. Beihefte N.F.; 26), S. 115–140. Vgl. den in europäischer Dimension angelegten Sammelband: Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt. Hrsg. von Luise Schorn-Schütte.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 203). Hier einleitend eine große wissenschaftshistorische Reprise von seiten der Herausgeberin: Das Interim (1548/50) im europäischen Kontext. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einleitung, S. 15–44. Vgl. auch den Eintrag ›Interim‹ von Joachim Mehlhausen in: Theologische Realenzyklopädie XVI (1987), S. 230–237, mit der weiteren Literatur. Zur Konfessionalisierung im Luthertum vgl.: Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988. Hrsg. von Hans-Christoph Rublack.- Gütersloh: Mohn 1992 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 197); Thomas Kaufmann: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts.- Tübingen: Mohr Siebeck 2006 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe; 29).
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chen Anteil daran. Indem der libertäre Gedanke jedoch auch in die ständische Politik Eingang fand, wurde jene religio-politische Kreuzung bewirkt, die in allen vom Adel dominierten Regionen eine zündende Kraft entfaltete. Die böhmisch-schlesische Kooperation, wie sie im folgenden immer wieder hervortreten wird, fußte nicht zuletzt auf ihr. Mit der Abdankung Karls V. und dem Übergang der Kaiserkrone auf seinen Bruder Ferdinand I. war der Weg frei für einen politischen Ausgleich. Er implizierte die Anerkennung des konfessionellen Status quo und damit – auf dem Boden des Reichsrechts – einen Verzicht auf die Religionseinheit im Reich. In diesem Sinne eignet dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 eine weit in die Zukunft reichende Bedeutung. In gewisser Weise ist der Westfälische Friedensschluß knapp hundert Jahre später in ihm vorgebildet.18 Das Unerhörte jedoch, so will es aus der Perspektive der Nachgeschichte und damit auch der des sich konsolidierenden Späthumanismus scheinen, wird darin zu suchen sein, daß der Kampf zwischen Katholiken und Protestanten im Lager der Protestanten selbst seine Fortsetzung fand, ja über weite Strecken jenen mit dem einstigen Glaubensgegner überlagerte, wo nicht verdrängte. Es ist dieses desolate Kapitel, welches für die Herausbildung der späthumanistischen Geistigkeit einschlägig blieb. Die Literatur um 1600 unter der Obhut der Humanisten ist ohne dessen gründliches Studium schlechterdings unverständlich.19
Calvinistische Offensive Schon in der Zürcher Reformation Zwinglis liegt der Nexus zwischen religiöser und städtischer Erneuerung offen zutage. Dieser Reformator war in ganz anderer Weise als Luther zugleich Staatsmann, der Glaubenskampf immer zugleich ein Machtkampf. Und so in analoger Form auch im Genf Calvins. Hier war nicht allein dem Bischof, sondern auch dem Führungsanspruch des savoyschen Herzogtums entgegenzutreten. Wenn es dann über der Reformation zu einem Konflikt zwischen den Reformatoren Calvin und Farel auf der einen, der städtischen Obrigkeit auf der anderen Seite kam, die Reformatoren die Stadt sogar zeitweilig verlassen mußten, so liegt nach Calvins ––––––––– 18
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Auch dazu einige wenige gezielte Hinweise: Axel Gotthard: Der Augsburger Religionsfrieden.Münster: Aschendorff 2004 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; 148); Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Hrsg. von Carl A. Hoffmann, Markus Johanns, Annette Kranz, Christof Trepesch, Oliver Zeidler. Begleitband zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg.- Regensburg: Schnell & Steiner 2005; Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Hrsg. von Heinz Schilling, Heribert Smolinsky.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 206). Hinzuzunehmen: Volker Press: Außerhalb des Religionsfriedens? Das reformierte Bekenntnis im Reich bis 1648.- In: Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Günter Vogler.- Weimar: Böhlau 1994, S. 309–335. Vgl.: Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (Anm. 17). Dazu exemplarisch die grundlegende Studie von Irene Dingel: Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1996 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte; 63).
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Rückkehr im Jahr 1541 dem Ausbau der Genfer Kirche doch ein nämlicher Impetus zugrunde. Hier in Genf wurde ein kirchenpolitisches Modell geschaffen, das in Westeuropa vorbildlich werden sollte.20 Entscheidend war, daß es unter Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger noch Ende der vierziger Jahre zu einer Vereinbarung in der Abendmahlsfrage gekommen war. Zwinglianer und Calvinisten waren hier fortan nicht mehr auseinander zu dividieren, und damit war der Aufstieg zur Weltkirche zwischen Zürich und Genf in einem fortan zentralen Punkt besiegelt. Mit der Calvinschen Doktrin, der Staat habe sich in den Dienst der Verbreitung der Herrschaft Gottes auf Erden zu stellen, erfuhr der Brückenschlag zwischen Politik und Bekenntnis seine Fundamentierung, der zu einem offensiven Agieren im öffentlichen Raum geleitete, wie er für den Calvinismus typisch blieb. Er wurde von den Humanisten in dem Maße genutzt, wie er Befreiung von katholischer Suprematie versprach. Doch ist unverkennbar, daß in diesem Bündnis Konflikte vorprogrammiert waren, sollte die religiöse Option nach humanistischem Verständnis doch vor Instrumenten des Zwangs jedweder Provenienz gerade geschützt werden. Auch hier fielen von seiten Opitzens immer wieder unmißverständliche Worte. Parallel zum Aufstieg des erneuerten Katholizismus fiel die Ausbreitung des Calvinismus seit den späten fünfziger Jahren. Die Generation vor Opitz wurde noch Zeuge dieses Prozesses. Und mehr als das. An der Knüpfung von Netzwerken unter den Sympathisanten der ›zweiten Reformation‹ waren sie wiederholt und gelegentlich an vorderster Stelle beteiligt. Das Schlesien seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hält dafür die besten Beispiele bereit. Namen wie die der Crafftheim, Scultetus, Monau und wie sie heißen, stehen dafür ein. Und so überall in Regionen, in denen der nunmehr europaweit ausgreifende Calvinismus Freunde und Sympathisanten unter der Gelehrtenschaft fand. Deren Zahl vergrößerte sich rasch, und entsprechend intensivierte sich der Austausch auf den verschiedenen Wegen. Reisediplomatie blieb eine Domäne führender Köpfe unter den Humanisten. Schon in den vierziger Jahren hatten sich in den Niederlanden und am Niederrhein calvinistische Gemeinden gebildet. In Frankreich verstärkte sich die Ansiedlung des calvinistischen Bekenntnisses seit den fünfziger Jahren merklich, und das vorzugsweise im Süden des Landes. Beide Länder besuchte Opitz, so daß am Ort Gelegenheit sein wird, die in seinen Gesichtskreis tretenden Bewegungen im Schnittfeld von Konfession, Politik und Recht des Näheren zu beleuchten. Auf deutschem Boden erfolgte ein – freilich singulär bleibender – Durchbruch mit dem Übergang der Kurpfalz zum Calvinismus im Jahr 1561. Nassau-Dillenburg, ––––––––– 20
Zum internationalen Calvinismus vgl. den reichen Ausstellungsführer: Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Hrsg. von Ansgar Reiss und Sabine Witt. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin und der Johannes a Lasco Bibliothek Emden.- Dresden: Sandstein 2009. Hier ein reichhaltiges Literaturverzeichnis. Vgl. außerdem die beiden Sammelbände: International Calvinism. 1541–1715. Hrsg. von Menna Prestwich.- Oxford: Clarendon Press 1986; Calvinism in Europe. 1540–1620. Hrsg. von Andrew Pettegree, Alastair Duke, Gillian Lewis.- Cambridge, New York, Melbourne: Cambridge University Press 1994. Eher am Rande jetzt auch: Huguenot Networks, 1560–1780. The Interactions and Impact of a Protestant Minority in Europa. Hrsg. von Vivienne Larminie.- New York, London: Routledge: Taylor & Francis 2018 (Politics and Culture in Europa, 1650-1750).
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Bremen, Lippe, Anhalt, Bentheim-Tecklenburg, Hanau und Emden bildeten im Reich des weiteren Inseln des neuen Glaubens, wie man angesichts der überwältigenden Präsenz der Lutheraner in Nord- und Mitteldeutschland wird sagen müssen. Wie im Luthertum erfolgten auch im Umkreis des reformierten Glaubens nach Genfer Vorbild namhafte Gründungen von Bildungsinstitutionen, so in Heidelberg, Herborn, Hanau, Kassel und Bremen. Die Fluktuation und der gelehrte Verkehr mit vergleichbaren Institutionen im Osten gehören zu den faszinierenden Aspekten des intellektuellen Verkehrs der nobilitas litteraria um 1600.21 Denn dies bezeichnet womöglich das einschneidendste Ereignis zumindest in der inneren Geschichte der Reformation, daß es dem Calvinismus gelang, wichtige Bastionen im Osten zu erobern. Gelehrtengeschichte und Geschichte des reformierten Glaubens sind in den Regionen Osteuropas vielfach aufs engste miteinander verknüpft. Im polnisch-litauischen Staat kam es vorzugsweise unter dem Adel, zumal in Kleinpolen und in Litauen selbst, zur Verankerung des reformierten Glaubens – eine Konstellation, die auch noch für die Opitz-Generation immer wieder vorteilhaft war, verfügte der Humanismus doch gerade in dieser Schicht über einen soliden Rückhalt. In Großpolen waren es zudem vornehmlich die Brüdergemeinden, welche die religiöse Physiognomie prägten.22 Daß es gelang, im Konsens von Sandomir die dogmatischen Unterschiede zwischen Lutheranern, Calvinisten und Brüdern zurücktreten zu lassen und sich gegenseitig der Rechtgläubigkeit zu versichern, war ein weit in die Zukunft weisender Akt, der der gleichzeitig allenthalben einsetzenden Konfessionalisierung auf das schönste widerstritt. Die Warschauer Konföderation schuf die Grundlage für das Nebeneinander von vier Konfessionen im Land. Sie war immer wieder bedroht und abhängig von der jeweiligen außenpolitischen Konstellation, doch auch ein Opitz profitierte noch von der zukunftsträchtigen Regelung.23 ––––––––– 21
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Zur Verbreitung des Calvinismus auf deutschem Boden vgl. den ergiebigen Sammelband, der erstmals eine Synopse versuchte: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der ›Zweiten Reformation‹. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985. Hrsg. von Heinz Schilling.- Gütersloh: Mohn 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 195). Vgl.: The Reformation in Eastern and Central Europe. Hrsg. von Karin Maag.- Aldershot: Scolar Press 1997 (St. Andrews Studies in Reformation History); Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Arno Strohmeyer.- Stuttgart: Steiner 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; 7). Vgl von historischer Seite auch den Sammelband: Metropolen im Wandel. Zentralität in Ostmitteleuropa an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Hrsg. von Evamaria Engel, Karen Lambrecht, Hanna Nogossek.- Berlin: Akademie Verlag 1995 (Forschungen zur Kultur im östlichen Mitteleuropa). Vgl. Michael G. Müller: Der ›Consensus Sendomirensis‹ – Geschichte eines Scheiterns? Zur Diskussion über Protestantismus und protestantische Konfessionalisierung in Polen-Litauen im 16. Jahrhundert.- In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift Winfried Eberhard. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Karen Lambrecht, Hans-Christian Maner.- Leipzig: Universitätsverlag 2006, S. 397–408. Vgl. auch Kurt Völker: Der Unionsgedanke des Consensus Sendomirensis.- In: Zeitschrift für Osteuropäische Geschichte N.F. 3 (1933), S. 508–525. Der Text selbst in: Die Synoden der Kirche Augsburgischer Konfession in Großpolen im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Hrsg. von Gottfried Smend.- Posen: Lu-
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Ein wiederum eigenes und überaus komplexes Kapitel aus der Geschichte des so vielgesichtigen Reformiertentums bezeichnet dessen Ansiedlung in Ungarn und speziell in Siebenbürgen. Eine Einführung in diese Glaubenslandschaft ist einem eigenen Kapitel vorbehalten, weilte Opitz doch zeitweilig in Siebenbürgen. Der Brückenschlag aber, und nun diese Metapher in andere Richtung gewendet, zwischen dem so fruchtbaren Nordosten in Gestalt Großpolens und dem Polen Königlich Polnischen Anteils sowie dem Südosten mit Ungarn und Siebenbürgen im Zentrum gerade auch im Blick auf das Reformiertentum fiel Böhmen und seinen Nebenländern zu. Wie so viele Humanisten bewegte sich auch ein Opitz in diesem Kräftefeld. Jeweils am Ort wird Gelegenheit sein, das für Leben und Werk Einschlägige zu vergegenwärtigen.24
Ecclesia Reformata et Militans Die Formierung des europäischen Calvinismus ist das eine einschneidende Ereignis im Zeitalter der Konfessionalisierung. Das andere ist in der Erneuerung des europäischen Katholizismus zu gewahren. Und wenn diese beiden Flügel zugleich als die politischen Triebkräfte identifiziert werden, ist bereits angedeutet, wie die Frontbildung in den kommenden Jahrzehnten auf einer oberen Ebene verlaufen wird. Liga und Union sind dominiert von diesen beiden mit militanter Macht ausgestatteten Bekenntnissen; beide bereit, die ständischen wie die staatlichen Bündnispartner hier wie dort –––––––––
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ther-Verlag 1930 (Jahrbuch des Theologischen Seminars der Unierten Evangelischen Kirche in Polen; 2), S. 61–64, sowie in: Ostmitteleuropas Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche A. und H.B. des Reformationszeitalters. Band III/1: 1564–1576. Hrsg. von Peter F. Barton.- Budapest: Presseabteilung des Synodalbüros der Reformierten Kirche in Ungarn 1987, S. 273–279. Zum Kontext die beiden Arbeiten von: Janusz Tazbir: Die Religionsgespräche in Polen und von Paul Wrzecionko: Religionsgespräche in Polen unter dem Aspekt ihrer Unionsbestrebungen.- In: Die Religionsgespräche der Reformationszeit. Hrsg. von Gerhard Müller.- Gütersloh: Mohn 1980 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 191), S. 127–144 bzw. S. 145–152. Zur Warschauer Konföderation: Gottfried Schramm: Ein Meilenstein der Glaubensfreiheit. Der Stand der Forschung über Ursprung und Schicksal der Warschauer Konföderation von 1573.- In: Zeitschrift für Ostforschung 24 (1975), S. 711–736. Sehr anregend geblieben insbesondere für die Verhältnisse in Großpolen Theodor Wotschke: Geschichte der Reformation in Polen.- Leipzig: Haupt 1911. Reprint Leipzig 1972 (Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation; 1), sowie Kai Eduard Jordt Jørgensen: Ökumenische Bestrebungen unter den polnischen Protestanten bis zum Jahre 1645.- Kopenhagen: Busck 1942. Und schließlich der Verweis auf das magistrale Werk von Gottfried Schramm: Der polnische Adel und die Reformation. 1548–1607.- Wiesbaden: Steiner 1965 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 36. Abteilung Universalgeschichte). Schon hier sei verwiesen auf: Joachim Bahlcke: Calvinism and estate liberation movements in Bohemia and Hungary (1570–1620).- In: The Reformation in Eastern und Central Europe (Anm. 22), S. 72–91; ders.: Die böhmische Brüder-Unität und der reformierte Typus der Reformation im östlichen Europa.- In: Comenius-Jahrbuch 16–17 (2008–2009), S. 11–23; ders.: Religion, Politik und Späthumanismus. Zum Wandel der schlesisch-böhmischen Beziehungen im konfessionellen Zeitalter.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 111), S. 69–92. Vgl. auch den wichtigen Beitrag von R.J.W. Evans: Calvinism in East Central Europe: Hungary and Her Neighbours.- In: International Calvinism (Anm. 20), S. 167–196.
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zu suchen, um den über Dialog bzw. Konzil nicht gelösten Konflikt nunmehr militärisch zu entscheiden. Genau in diese Zeit fällt die Formierung auch der humanistischen Bewegung in ihrer späteren Phase.25 Die Forschung zu Reform und Gegenreformation hat deutlich gemacht, daß letztere nur aus der langen Geschichte der Erneuerungsbewegungen innerhalb der katholischen Kirche verständlich zu machen und sodann in einem zweiten Schritt in ihrer Eigenart und dem mit ihr einhergehenden Umschwung zu bestimmen ist. Diese Reformgeschichte selbst, lange vor der lutherischen Reformation einsetzend und sie begleitend, ist ein faszinierendes Kapitel der Frömmigkeits- wie der Kirchengeschichte, das allemal am Anfang zu stehen hat, wenn es denn im folgenden immer wieder um ganz anders geartete Phänomene gehen wird. Diese Faszination rührt her von der Radikalität, mit der zuweilen fundamentale und eben in der Regel urchristliche Ideale und Lebensformen in einer gänzlich anders gearteten Gegenwart reaktiviert und rebuchstabiert wurden. Es genügt, an die diversen Ordensgründungen und vor allem an die von der Mystik inspirierten Glaubensbildungen zu erinnern, um sich zu vergewissern, in welche Richtung der Blick zu lenken wäre. Wenn sich selbst Opitz wie so viele seiner Standesgenossen gelegentlich dieser im Schoße der Reform erblühten Literatur zuwandte, so gehört auch das zur Polyphonie, die für die Zeit um 1600 zuallererst in Anschlag zu bringen ist. Mit dem Reformkonzil und damit in der Mitte des 16. Jahrhunderts intensiviert sich eine immer schon vorhandene und nun eine geradezu schicksalhafte Bedeutung erlangende Verquickung mit der Politik. Das Zusammen- wie das Widerspiel beider Lebensordnungen gehört gleichfalls zu der zuweilen atemberaubende Züge annehmenden Konfiguration, wie sie sich in dieser Form überhaupt erst im 16. Jahrhundert herausbildet. Mehr als einmal ist die politische Spitze der geistlichen entschieden voraus in ihrem Pochen auf Reform. Solange wie die Hoffnung auf Vermeidung des Bruchs innerhalb der Kirche auf kaiserlicher Seite lebendig war, wurden Erwartungen an die Würdenträger auf der Gegenseite herangetragen, die nicht einfach zu ignorieren waren. Das Konzil ist nicht zuletzt auch in dieser Perspektive zu sehen. Nachdem dann jedoch die Wiederzusammenführung der Bekenntnisse gescheitert war, behielten die politische Orientierung und das Agieren des katholischen Kaiser––––––––– 25
Aus der unübersehbaren Literatur sei hier zunächst zur ersten Orientierung verwiesen auf den umfassenden lexikalischen Eintrag mit reicher Literatur unter den Stichwort ›Katholische Reform und Gegenreformation‹ in der Theologischen Realenzyklopädie XVIII (1989), S. 45–72, von Gottfried Maron. Mit Gewinn zusätzlich herangezogen die Monographie von Karl Eder: Die Kirche im Zeitalter des konfessionellen Absolutismus. 1555–1648.- Freiburg: Herder 1949 (Kirchengeschichte; 3/2), sowie von einem weiteren ersten Sachkenner Hubert Jedin der Abschnitt ›Katholische Reform und Gegenreformation‹, in: Reformation, Katholische Reform und Gegenreformation.- Freiburg, Basel, Wien: Herder 1967 (Handbuch der Kirchengeschichte; 4), S. 449–604, S. 650–683. Vgl. auch das Kapitel ›Die katholische Kirche‹ von Marc Venard in: Die Zeit der Konfessionen (Anm. 3), S. 239–308. Als eine knappe und gehaltreiche erste Einführung in das Problem der Rekatholisierung vgl. Arno Herzig: Der Zwang zum wahren Glauben. Rekatholisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000 (Sammlung Vandenhoeck). Und schließlich der Hinweis auf ein reich bebildertes Werk: Miroslav Hroch, Anna Skýbová: Ecclesia militans. Inquisition im Zeltalter der Gegenreformation. Übersetzung aus dem Tschechischen von Wolf B. Oerter.- Erfurt: Edition Leipzig 1985.
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hauses gerade auch für die sich soeben im Prozeß der Erneuerung befindende Kirche den Charakter einer Herausforderung. Der imponierenden Gestalt Maximilians II. war es aufgetragen, die Grundsätze des Augsburger Religionsfriedens im politischen Ringen zur Durchsetzung zu verhelfen. Das Mit- und Nebeneinander mehrerer Bekenntnisse unter einem staatlichen Dach war nur über ein Kaisertum zu verwirklichen und zu garantieren, das sich zu einem solchen Prozeß der Ausdifferenzierung bekannte. Er bedurfte der staatlichen Obhut und blieb ein prekärer und immer wieder gefährdeter. Die Geschichte sollte alsbald lehren, welche fatalen Konsequenzen die Aufkündigung dieses Kompromisses zeitigte. Mit ihr waren die Humanisten um 1600 konfrontiert. Und auch hier bleibt denkwürdig, wie aus ihrem Kreise heraus, Opitz eingeschlossen, eine einmal bereits erreichte Parität wieder eingeklagt wurde. Die Humanisten aber sahen sich zugleich mit einem dem katholischen Reformund Erneuerungsprozeß inhärenten Schub auf einem Gebiet konfrontiert, der ihre ureigensten Anliegen betraf. Erneuerung hieß auch, aus verwandeltem Geist heraus in die Gesellschaft hineinzuwirken. Die Reformatoren lutherischer Provenienz hatten vorexerziert, wie der neue Glaube nach Institutionen der Bildung verlangte, in denen er einen festen Platz innehatte und die Aneignung der diversen Bildungsstoffe mit zu steuern imstande war. Lateinschulen, Gymnasien und Universitäten teilten sich alsbald in diesen hehren Auftrag. Auf katholischer Seite vollzog sich in geringem zeitlichem Abstand ein analoger Prozeß. Die Universitätsgründungen in Fulda und Würzburg, Ingolstadt und Dillingen stehen dafür ein. Er aber ist seinerseits gekoppelt an die prägnanteste Ausformung im Zuge dieser Glaubens- und Bildungsoffensive. Denn zu den wichtigsten Trägern des neuen Selbstbewußtseins der katholischen Kirche wurden die neuen Orden, die im Jesuitenorden ihre bekannteste und zugleich radikalste Verkörperung fanden. Und auch hier setzte sich die Annäherung an die Politik, die Imprägnation der Glaubensexerzitien mit Direktiven aus dem Raum der Politik rasch wieder durch. Es wird an Ort und Stelle bei gehöriger Gelegenheit zu zeigen sein, wie sich auch im Umkreis Opitzens der Jesuitenorden geradezu als eine Speerspitze behauptete, wenn es darum ging, den evangelischen Kordon aufzubrechen und eine Schneise in das Bildungsgefüge unter der Obhut lutherischer und gelegentlich reformierter Obrigkeit zu schlagen. Das Wirken der Jesuiten hat nicht zuletzt in prominenten Texten Opitzens seine Spuren hinterlassen. Es war dies eine selbstverständliche Konsequenz der Revitalisierung katholischer Gläubigkeit und ihrer bildungsförmigen Instrumentalisierung.
Innerprotestantische Friktionen Die Auseinandersetzung zwischen Calvinisten und Katholiken, wie sie seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auf wechselnden Schauplätzen und in zeitlich versetzten Phasen das Geschehen auf der europäischen Bühne bestimmte, besaß für den Zeitraum eines Jahrhunderts den Charakter einer geschichtlichen Makrostruktur. Sie ist allgegenwärtig und entsprechend auch in den fiktionalen Texten omnipräsent. Hier war ein Anschauungsmaterial vorhanden, das die dichterische Phantasie immer wieder beflügelte und sich so rasch nicht erschöpfte. Die Konfessionalisierung und die religiöse Lager-
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bildung nach 1550 bleiben das beherrschende, tief in den Künsten sich sedimentierende geschichtliche Paradigma. Gerade im Blick aber auf den Späthumanismus und speziell seine Ausformung auf deutschem Boden ist eine parallele Entwicklung von wenigstens gleicher Bedeutung. Das Eindringen reformierter Vorstellungen entfaltet überhaupt erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sein ihm inhärentes Potential, indem es die sich soeben formierende junge Glaubenslandschaft sogleich vor ganz neue Herausforderungen stellt. Dabei bleibt denkwürdig, daß der Augsburger Religionsfrieden mit diesem Problem noch nicht eigentlich konfrontiert ist. Wie anders ist es zu erklären, daß die Existenz reformierter Bekenntnisbildungen auf deutschem Boden nicht auch zu rechtlich-politischen Konsequenzen führte? Eine ausdrückliche Anerkennung der Reformierten erfolgte nicht, und das ganz offensichtlich weil die Notwendigkeit für einen derartigen Akt noch nicht vorhanden war oder aber zumindest doch ausgeblendet wurde.26 Das sollte sich bitter rächen. Der Kampf um eine Hineinnahme der Reformierten in den Religionsfrieden konnte längerfristig nicht ausbleiben. Nun aber war es zu spät. Die Trennung von Protestanten und Reformierten war erfolgt und über Bekenntnisschriften besiegelt. Die lutherische Konkordienformel von 1580 war ein eherner Fels, gegen den die Wellen immer wieder anbranden mochten, der aber nicht mehr zu erschüttern war.27 Nur jenseits seiner vermochten sich andere Glaubensformen zu etablieren. Daß dies aber geschah, ohne daß einer solchen Ausdifferenzierung die rechtliche Sanktionierung folgte, blieb das Signum der Zeit bis hinein in den Westfälischen Friedensschluß und womöglich auch noch darüber hinaus. Für den Kultur- und speziell den Literaturhistoriker ist die Erkenntnis einschlägig, daß fortan die eigentlichen Konfliktlinien unterhalb dieser rechtlichen Schwelle verliefen. Überall in Städten und Territorien, wo reformierte Anschauungen Platz gegriffen hatten, trafen ihre Sympathisanten auf eine lutherisch-protestantische Obrigkeit und Geistlichkeit, die aus den verschiedensten Gründen der Implantation reformierten Gedankenguts – von institutionellen Bildungen gar nicht zu reden – widerstritt. Auf eine geradezu verhängnisvolle Weise machte sich das Versäumnis der rechtlichen Anerkennung des dritten Bekenntnisses nun allüberall auf der lokalen Ebene geltend, unentwegt Zwist, aber eben auch bitteres Leid hervorrufend. ––––––––– 26
27
Vgl. hierzu Gotthard: Der Augsburger Religionsfrieden (Anm. 18), im Blick auf Maximilian II. und den Pfälzer Kurfürsten: »Zunächst einmal war der Kaiser tatsächlich davon überzeugt, daß der Calvinismus nicht vom Religionsfrieden gedeckt sei, daß also schon das Bekenntnis zu dieser 1555 nicht reichsrechtlich anerkannten Konfession die Ordnung im Reich gefährde. Vor allem aber wollte er sich nicht damit abfinden, daß sich in Heidelberg mit dem Calvinismus ein neuer Politikstil etablierte, der kämpferischer war als der an lutherischen Residenzen gepflegte, weiter ausgreifend, in internationalen Dimensionen kalkulierend.« (S. 326 f.) Vgl. auch Volker Press: Außerhalb des Religionsfriedens? Das reformierte Bekenntnis im Reich bis 1648.- In: Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Günter Vogler.Weimar: Böhlau 1994, S. 309–335, sowie Andreas Edel: Der Kaiser und Kurpfalz. Eine Studie zu den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564–1576).- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 58). Vgl. die Einträge ›Konkordienbuch‹ und ›Konkordienformel‹ von Ernst Koch in der Theologischen Realenzyklopädie XIX (1990), S. 472–483.
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Diese Konflikte wurden selbstverständlich nur in gemischt-konfessionellen Regionen virulent. Zu diesen zählte eben Schlesien allerdings an vorderster Stelle. Die ohnehin komplizierte Ausganglage mit einer katholischen Oberhoheit in einem weitgehend protestantischen Land verschärfte sich nunmehr durch die Präsenz reformierter Anhänger. Und so kristallisierte sich die immer wieder zutage tretende und aus der Rückschau geradezu unfaßbare Konstellation heraus, daß der katholisch-protestantische Antagonismus überlagert wurde von einem solchen zwischen Lutheranern und Reformierten. Das aber betraf nicht nur die Theologie oder die Kirchenbildung – im Gegenteil. Er ergriff alle Lebensbereiche und machte sich vor allem im Schulwesen geltend. Hier nämlich kam vielfach eine Gelehrtenschaft zum Zuge, die zunächst im Westen, dann aber auch im nahen Brandenburg Bekanntschaft gemacht hatte mit reformiertem Gedankengut. Auch der nur geringste Verdacht, daß von ihm Partikel in den schulischen Unterricht eindringen könnten, rief die lutherische Geistlichkeit und Lehrerschaft auf den Plan. So gut wie nie gelang eine Entschärfung und damit eine Lösung am Ort des Geschehens selbst. Die Obrigkeit wurde angerufen, mußte eingreifen und sah sich nicht selten vor die schwierigsten Entscheidungen gestellt. Ihr Votieren bis in die fürstlichen Spitzen hinein in diesem tragischen Kapitel ist von unerhörter Brisanz und bleibender Aktualität. Religiöses Konfligieren und städtisch-staatliches Pazifizieren stießen aufeinander, und mehr als einmal blieb es für eine Welle beim Remis. Auch in einer Opitz gewidmeten Darstellung wird dieses Kapitel wiederholt aufzuschlagen sein. Es ist nicht nur nicht wegzudenken aus der Geschichte des Späthumanismus speziell auf schlesischem Boden, nein, es ist geradezu eine bestimmende Lebenswirklichkeit. Und so unter den Betroffenen vor allem auf seiten der Minderheit. Nicht nur die sich verschärfende Rekatholisierung seit den späten zwanziger Jahren, deren Zeuge Opitz noch wurde, erzwang immer wieder Ausweisungen und damit Wellen der Emigration unter den Protestanten. Auch die sogenannten ›Kryptocalvinisten‹ wurden immer wieder Opfer der Inkriminierung von seiten ihrer protestantischen Glaubensverwandten und mußten ihren Wirkungsort verlassen. Die Geschichte des Konfessionskonflikts zwischen Lutheranern und Reformierten allein auf schlesischem Boden ist ungeschrieben. Nicht zuletzt die oftmals zeitgenössischen Darstellungen von Schulen und Kirchen, von den großen kirchengeschichtlichen Werken und Presbyterologien des 18. Jahrhunderts gar nicht zu reden, halten Material in Hülle und Fülle bereit, das eine Ahnung vermittelt von dem maßlosen Leid, welches gerade auch die innerprotestantische Friktion im Gefolge hatte.28 ––––––––– 28
Hier nur ein erster Hinweis auf zwei Publikationen jüngsten Datums: Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Irene Dingel.- Göttingen, Bristol/CT: Vandenhoeck & Ruprecht 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte; 106); Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Albrecht Ernst.- Heidelberg etc.: verlag regionalkultur 2012 (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte; 5). Dazu als exemplarische Studie der angedeuteten Konflikte: Klaus Garber: Krise des Luthertums in einer heterodoxen religiösen Landschaft. Schlesien und das östliche Europa am Vorabend
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Religiöse Polyphonie Einige wenige Eckdaten waren zu erinnern. Was da knapp und kurz mit Schwerpunkt in der Mitte des 16. Jahrhunderts zur Sprache kam, ist allemal auch für die Lebensläufe und ggf. die Werkprofile in späterer Zeit von Bedeutung. Doch nun geht es gezielt um die Antworten auf die Konfessionalisierung und die sie begleitenden Ereignisse eben um 1600, da sich allenthalben erste Resümees abzeichnen. Und das im Bereich der religiösen Artikulation ebenso wie in dem der gelehrten Diskussion und speziell der religionspolitischen Bilanzierung. Beide Bereiche kommunizieren vielfältig miteinander, und gerade auch die Literatur profitiert immens davon. Der Versuch muß also neuerlich gewagt werden, einige wenige Leitlinien auszuziehen. Eine äußerst reichhaltige Palette religiöser Artikulationen tut sich um 1600 auf. Sie war in dieser Form schlechterdings nicht vorauszusehen, läßt gleichwohl aber ahnen, welch ein Strom neuer Erfahrungen sich Bahn brach im Gefolge der Reformation und der frühzeitig aus dem Raum der Kirche erfolgten Reaktionen. In dem Maße, wie diese zur konfessionellen Verfestigung führten, eröffneten sich im gleichen Maße Freiräume, die von Minderheiten wahrgenommen wurden, die sich jenseits der dominanten Parteiungen ihren Weg suchten. Für die Humanisten waren gerade sie von besonderer Attraktivität, da ihnen eine individuelle Beglaubigung eignete, die zum entscheidenden Kriterium religiöser Authentizität aufrückte. Unversehens schienen sich Auswege aus den Fesseln jedweder dogmatischer Fixierung aufzutun, und eben über diese eröffneten sich Chancen eines näheren Austauschs, die Anschlüsse an heterodoxe Überzeugungen begünstigten. Wo immer man hinblickt unter den führenden Gestalten der Generation um Opitz ist deutlich, daß die Anstöße aus den konfessionell nicht gebundenen Kreisen aufgenommen und produktiv verarbeitet wurden. Es bedurfte dafür beileibe nicht nur Figuren wie die eines Daniel Czepko, in dessen Werk diese fruchtbare Amalgamierung geradezu paradigmatisch zu studieren ist. Einzelne Wendungen geben immer wieder Kunde davon, daß ein Funke übergesprungen ist. Ihnen gilt in der Bemühung gerade auch um die spezifisch literarischen Texte unter der Obhut der Humanisten die besondere Aufmerksamkeit, sind sie doch die vornehmsten Zeugen jener Symbiosebildungen, wie sie Geistigkeit und Mentalität um 1600 auszeichnen.29 –––––––––
29
des 30jährigen Krieges.- In: Luther – zeitgenössisch, historisch, kontrovers. Hrsg. von Richard Faber, Uwe Puschner.- Frankfurt/Main: Peter Lang 2017 (Zivilisationen & Geschichte; 50), S. 499–529. Unverändert aktuell die meisterhafte Darstellung von Friedrich Heer: Die dritte Kraft. Der europäische Humanismus zwischen den Fronten des konfessionellen Zeitalters.- Frankfurt/Main: Fischer 1959. Dazu Klaus Garber: Wege in die Zukunft. Friedrich Heers ›Die dritte Kraft‹ als europäisches Vermächtnis.- In: Die geistige Welt des Friedrich Heer. Hrsg. von Richard Faber, Sigurd Paul Scheichl.- Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2008, S. 107–128. Des weiteren stets mit Gewinn heranzuziehen: Joseph Lecler: Histoire de la tolérance au siècle de la réforme. Band I–II.- Paris: Aubier 1955 (Editions Montaigne). Deutsche Übersetzung von Elisabeth Schneider: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation. Band I–II.- Stuttgart: Schwabenverlag 1965 (Peter + Paul Bücherei). Ergiebig für das Folgende auch die Sammelbände: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit. Hrsg. von Heinrich Lutz.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge-
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Erster Blick nach Italien Noch einmal führen die Wege und Überlegungen nach Italien, und zwar gleichermaßen in den Norden wie in den Süden. Es wird denkwürdig bleiben, daß im Gefolge des ›Sacco di Roma‹ Luther geradezu als ein Prophet des göttlichen Strafgerichts angesichts der Verderbnisse von Papsttum und Kurie erscheint. Es sind also sehr eigene Wege, die die Reformation in Italien nimmt. Eben darin gründet die Faszination, die von Personen und Lehren aus diesem Raum ausgehen wird, und das nirgendwo mehr als im Osten Europas.30 Inmitten des von der Kurie dominierten und observierten Glaubenslebens regen sich die Stimmen, die auf Reform und Umkehr drängen und nahezu automatisch mit dem Kainsmal der Häresie behaftet werden. Eine jede oppositionelle, sich unter dem Dach einer staatlich sanktionierten andersgläubigen Macht artikulierende Religiosität hatte in den Leidensgestalten Italiens Gefährten zur Seite, deren aufsehenerregende Lehren allemal lebensgeschichtlich beglaubigt waren. Emigration blieb ein allgegenwärtiges Schicksal. Nur einige wenige Striche sind angängig. Ausgangspunkt für die verschiedenen sich von Rom lösenden Gruppierungen sind die Errichtung der Inquisition im Jahr 1542 und die Hinrichtung Michel Servets im Jahr 1553. Der radikale Antitrinitarier Servet stand mit an der Wiege der Unitarier, denen alsbald eine so wichtige Rolle zumal in Polen und Ungarn zufallen sollte. Hinsichtlich Italiens wird wiederum im Blick auf Mittelosteuropa der Sozinianismus als die folgenreichste religiöse Bewegung bezeichnet werden dürfen, in der gleichfalls das Antitrinitariertum zu den zentralen Axiomen zählt. Dieses kreuzt sich mit den Brüderbewegungen, die gleichfalls im Osten ihre wirkungsvollste Entfaltung erlangen. Es ist also ein erhebliches Pensum in nuce zu absolvieren, wenn anders die Anschlüsse an die späthumanistische Bewegung hergestellt werden sollen. –––––––––
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sellschaft 1977 (Wege der Forschung; 246); Religiöse Toleranz. Dokumente zur Geschichte einer Forderung. Eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Hans R. Guggisberg.- Stuttgart-Bad Canstatt: frommann-holzboog 1984 (Neuzeit im Aufbau; 4). Aus der jüngeren Zeit sei hier verwiesen auf: Heterodoxie in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Hartmut Laufhütte, Michael Titzmann.Tübingen: Niemeyer 2006 (Frühe Neuzeit; 117); Representing Religious Pluralization in Early Modern Europe. Hrsg. von Andreas Höfele, Stephan Laqué, Enno Ruge, Gabriela Schmidt.- Berlin: LIT 2007 (Pluralisierung & Autorität; 12); Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Friedrich Vollhardt unter Mitarbeit von Oliver Bach und Michael Multhammer.- Berlin, Boston: de Gruyter 2015 (Frühe Neuzeit; 198). Vgl. jetzt auch den wichtigen Band: Ideengeschichte um 1600. Konstellationen zwischen Schulmetaphysik, Konfessionalisierung und hermetischer Spekulation.- Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2017 (Problemata; 158). Vgl. dazu die große Darstellung von Delio Cantimori: Italienische Häretiker der Spätrenaissance. Deutsch von Werner Kaegi.- Basel: Schwabe 1949. Vgl. auch Antonio Rotondò: Studi e ricerche di storia ereticale italiana del Cinquecento.- Torino: Giappichelli 1974 (Pubblicazioni dell’Istituto di scienze politiche dell’Università di Torino; 31). Dazu der wichtige Sammelband: Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert. In Gemeinschaft mit Hans Rudolf Guggisberg und Bernd Moeller herausgegeben von Silvana Seidel-Menchi.- Wiesbaden: Harrassowitz 1992 (Wolfenbütteler Forschungen; 51). Hinzuzunehmen mit reicher Literatur die beiden Abhandlungen von Barbara Mahlmann-Bauer: Häresie aus juristischer Sicht. De haereticis an sint persequendi im Kontext.- In: Toleranzdiskurse (Anm. 29), S. 43–86; dies.: Protestantische Glaubensflüchtlinge in der Schweiz (1540–1580).- In: Heterodoxie (Anm. 29), S. 119–160.
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Fanal aus Genf Aus Spanien, aus der Provinz Huesca, kam die Person, die noch im katholischen Vienne zum Tode verurteilt und dann im protestantischen Genf auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, und das zwei Jahre vor dem Augsburger Religionsfrieden auf deutschem Boden. Die Ereignisse in der Romania eilten jenen im übrigen Europa voraus und entfalteten dort ihre Signalwirkung. Daß das Haupt der Reformierten sich dazu hergab, einen Weggefährten zu exekutieren, warf einen nicht wieder zu tilgenden Schatten auf sein geistliches Reformwerk und entfachte unter den Edelsten der dem jungen Glauben Gewonnenen einen Sturm der Entrüstung. Großartige Gegenentwürfe erblickten das Licht der Welt. Allen Abweichlern aber war schlagartig klar, was die Stunde geschlagen hatte, auch in Hochburgen des Protestantismus und im vorliegenden Fall im Herzland des Calvinismus. Fast will es scheinen, als sollten gerade auf Schweizer Boden – mit dem Basel des Erasmus an der Spitze – die Verbrechen gesühnt werden.31 Servet war in Straßburg mit Martin Bucer und Wolfgang Capito und in Basel mit Johannes Oekolampad zusammengetroffen. Er lebte viele Jahre in Frankreich unter einem Pseudonym, redigierte und publizierte unter ihm und wirkte auch als Arzt ausgestattet mit diesem Decknamen. Es ist nicht auszuschließen, daß Calvin an der Aufdeckung des Pseudonyms beteiligt war. Servet wurde wegen Häresie der Prozeß noch in Frankreich gemacht. Er konnte fliehen und versuchte, über Genf nach Italien zu entkommen. In Genf machte er Station, womöglich auf Calvin setzend, wählte erneut das Incognito, wurde neuerlich entdeckt, wegen Häresie vor Gericht gestellt und wegen antitrinitarischer Ansichten zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Calvins zentrale Rolle bei dem Strafverfahren steht außer Frage. Sebastian Castellio und andere verurteilten den barbarischen Akt aufs schärfste, betraf er doch einen Mann, der in Genf weder in Predigten noch Publikationen häretische Ansichten verbreitet hatte. Es sollte ein Exempel gegen den Antitrinitarismus statuiert werden. Daß gerade dieser sich sodann im Osten so eindrucksvoll behauptete, immer wieder aber auch Blutopfer erbrachte, gehört herein in die dramatische Geschichte gerade dieses Bekenntnisses, das in Servet einen seiner frühen Verfechter besaß. Die spätere Theologie der Aufklärung ist ohne diese Vorarbeit im 16. Jahrhundert schwerlich vorstellbar. Ihr war ein fruchtbares Erbe zugekommen. Dazu trug nicht wenig die Verarbeitung einer reichen europäisch-arabischen Mitgift bei. Die Ablehnung der kirchlichen Trinitätslehre speiste sich aus den verschiedensten Quellen und bekräftigte Servet in der Verwerfung der Vorstellung von einem unsichtbaren Vater, einem Christus mit zwei Naturen und einem davon gesonderten ––––––––– 31
Vgl. die – erschütternden – Abschnitte in dem Kapitel ›Protest gegen Calvin‹ bei Heer: Die dritte Kraft (Anm. 29), S. 274–292, S. 275–278. Vgl. die große Darstellung von Roland H. Bainton: Hunted Heretic. The Life and Death of Michael Servetus. 1511–1553.- Boston: Beacon Press 1953. Deutsche Übersetzung von Senta Bergfeld: Michael Servet. 1511–1533.- Gütersloh: Mohn 1960 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 178). Vgl. auch: Uwe Plath: Der Fall Servet und die Kontroverse um die Freiheit des Glaubens und Gewissens. Castellio, Calvin und Basel 1552–1556. Hrsg. von Wolfgang F. Stammler.- Essen: Alcorde 2014 (bearb. Neuausgabe einer 1974 erschienenen Dissertation). Weitere Literatur in dem Eintrag zu Servet von Jerome Friedman in der Theologischen Realenzyklopädie XXXI (2000), S. 173–176.
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Geist. Platonisches und neuplatonisches Gedankengut ist in seinen Schriften ebenso gegenwärtig wie das hermetische des Hermes Trismegistos, gnostisches ebenso wie irenäisches, jüdisch-rabbinisches ebenso wie aramäisches. Ein ganzes Zeitalter konnte aus Servets Kompendien häretisches Material beziehen. Servet blieb für die verschiedensten Flügel der Abweichler und insbesondere die Unitarier die maßgebliche Autorität. Neben anderen in der Schweiz lebenden Italienern, von denen zu sprechen sein wird, brachten Giovanni Gentile und Giorgio Biandrata seine Schriften nach Polen, Ungarn und Siebenbürgen. Sie wurden ins Polnische und Ungarische übersetzt. Da Servet sich in Permanenz gerade auch immer wieder mit Calvin auseinandersetzte, gelangten dessen Gedanken nicht zuletzt über sein Opfer im Osten in Umlauf. Wenn in Schlesien und vor allem in den Regionen der unmittelbaren polnischen Nachbarschaft des Antitrinitarismus bzw. Unitarismus die Humanisten mit diesem Gedankengut in Berührung kamen, ist das in erster Linie dem unerschrockenen Denker Servet zu danken, der dafür mit dem Leben zahlte.
Theologie, Migration und Märtyrertum Widmen wir uns also diesen Abweichlern und setzen wir ein mit Sebastian Castellio, dem engen Weggefährten Calvins, der über dem geschundenen Servet zu seinem schärfsten Gegner wurde, schon vorher jedoch mit ihm in Kontroversen verwickelt war. Er war Savoyarde, studierte am Collège de Trinité in Lyon, ging zur Reformation über und fand in Straßburg den Zugang zu Calvin. Von ihm wurde er als Schulmeister nach Genf gerufen, entzweite sich mit ihm über Fragen der Bibelkritik und verließ Genf, um nach Basel herüberzuwechseln, wo er in guter Erasmischer Tradition seine Bibelübersetzungen ins Lateinische und Französische erarbeitete.32 Seine explizite Stellungnahme gegen Calvin geriet zu einem europäischen Manifest, tief hineinwirkend auch in die Kirche und den Humanismus des Ostens. Schon ein Jahr nach der Ermordung Servets erschien sein Werk ›De haereticis‹. Diesem war auch deshalb eine gewaltige Wirkung beschieden, weil Castellio eine Schar unverdächtiger Zeugen aus der alten Kirche neben solchen aus der Gegenwart aufrufen konnte, die sich gegen die Ketzertötung ausgesprochen hatten. Verknüpft war diese Beweisführung mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Toleranz. Nicht zuletzt unter den Sozinianern wurde Castellio lebhaft diskutiert, hatte er sich doch immer wieder für die Vernunft als Schlüssel zur Erkenntnis der Grundlehren der Heiligen Schrift ausgesprochen. Er blieb erste Autorität für die Humanisten, und es nimmt nicht Wun––––––––– 32
Sebastian Castellio wurde im September 2015 ein Kongreß gewidmet, dessen Ergebnisse demnächst zu erwarten sind. Auch hier ist zudem auf das Castellio-Porträt von Heer in dem oben in Anm. 31 zitierten Kapitel ›Protest gegen Calvin‹ zu verweisen, das im wesentlichen Castellio gewidmet ist; vgl. daselbst S. 278–292. Vgl. die Monographie von Werner Kaegi: Castellio und die Anfänge der Toleranz.- Basel: Helbing & Lichtenhahn 1953 (Basler Universitätsreden; 32). Hinzuzunehmen der wichtige Sammelband: Castellioniana. Quatre études sur Sébastien Castellion et l’idée de la tolérance. Par Robert H. Bainton, Bruno Becker, Marius Valkhoff, Sape van der Woude.- Leiden: Brill 1951. Weitere Literatur in dem Eintrag zu Castellio von Hans R. Guggisberg in der Theologischen Realenzyklopädie VII (1981), S. 663–665.
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der, daß auch sein Stern in der Aufklärung wieder aufstieg. Sein letzter Wunsch lautete, nach Polen überzusiedeln. Er nahm auch darin den Weg so vieler verwandter Geister vorweg. Kehren wir zurück nach Italien, dem klassischen Land der Migration in beiderlei Richtung während dieser dramatischen Jahrzehnte und immer noch der produktivste Ideenspender. Auf der einen Seite stand in der Frühzeit der Reformation etwa der um Reginald Pole sich sammelnde Kreis von Viterbo und auf der anderen der um Juan de Valdés sich scharende von Neapel. Vor allem Valdés war im Süden Frankreichs wie Italiens eminent lebendig. Schüler von Valdés ist u.a. Bernardino Ochino.33 Zunächst im Orden der Franziskaner-Observanten zu Hause, wechselte er in den dreißiger Jahren zu dem strengsten Flügel des soeben gegründeten Kapuziner-Ordens herüber, dessen Generalvikar er werden sollte. Doch sein geistlicher Weg führte ihn weiter. Nach der Begegnung mit Vittoria Colonna in Rom und vor allem derjenigen mit Valdés in Neapel neigte er zusehends dem Kreis der Spiritualen zu. Als Prediger reiste er, begleitet von gewaltigem rednerischem Erfolg, durch das Land. Der wurde ihm zum Schicksal. Als er sich für einen der Häresie verdächtigten Fastenprediger in Venedig einsetzte, traf es ihn selbst. Ochino floh nach Graubünden, weilte später als Pfarrer der reformierten italienischen Gemeinde in Genf und gelangte schließlich über Basel nach Straßburg, dort mit Castellio, hier mit Bucer zusammentreffend. Doch die Odyssee war noch nicht beendet. Die Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg zwang ihn, nach England zu fliehen, auch hier Prediger der italienischen Flüchtlingsgemeinde in London. Nach dem Übergang der Krone auf die Tudors mußte er neuerlich das Feld räumen. Er kam nach Genf an dem Tag, da Servet hingerichtet wurde, und wechselte nach Zürich herüber, wo sich Kontakte u.a. zu Lelio Sozzini herstellten. Ausweisungen an mehreren Orten schlossen sich an. Er wandte sich nach Polen, mußte aus Krakau fliehen und sich erneut zur Emigration rüsten. Im Hause eines mährischen Antitrinitariers und Wiedertäufers starb er. Ein exemplarisches Migranten-Schicksal! Lebensläufe dieses Zuschnitts verloren sich nicht wieder aus der Erinnerung. Sie waren präsent, wenn es um Abkelterung und Bilanzierung von Geschehnissen auf dem Felde des Glaubens ging, ausgelöst durch Pochen auf Rechtgläubigkeit und Unterordnung unter die geistliche Hierarchie. Doch der Siegeszug der Ideen Ochinos – gerade auch in den Ländern Mittelosteuropas – war nicht aufzuhalten. Seine Lehren und die seiner Schüler und Verehrer kursierten über die Grenzen hinweg. Noch im Umkreis Opitzens begegnet man ihnen, vermittelt über das großpolnische Einfallstor und sein geistliches Hauptquartier Lissa. Unter einer Maske habe er gepredigt, um reformatorischem Gedankengut eine Chance zu bewahren. Doch das war ein eigenwilliges, das ihn mit Valdés, Colonna und anderen verband und im Spiritualismus sein Herz besaß. Analogien zu Schwenckfeld sind unverkennbar. Der Brückenschlag zu Lelio und Fausto Sozzini oder auch zu Giorgio Biandrata war ein von langer Hand vorgezeichneter. ––––––––– 33
Grundsätzlich ist auch hier und im folgenden stets zurückzuverweisen auf die einschlägigen Kapitel vor allem in den in Anmerkungen 29 und 30 zitierten Werke. Reiche Literatur findet sich in dem Eintrag zu Ochino von Umberto Mazzone in der Theologischen Realenzyklopädie XXV (1995), S. 1–6.
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Sozinianismus Die nachhaltigste Durchdringung der östlichen Regionen mit unorthodoxen und als häretisch verurteilten Glaubensbildungen, die auf italienischem Boden erwachsen waren, vollzog sich über den Sozinianismus. Er ist mit den Namen Lelio und Fausto Sozzinis verbunden. Der erstere, aus Siena stammend, stand den Täufern nahe und verließ Italien frühzeitig. Mit Celio Curione und Castellio befreundet, öffentlich zu Servet sich bekennend, kam er auf seinen Reisen quer durch Europa nicht nur mit Lutheranern und Calvinisten, sondern vor allem auch mit Täufern, Antitrinitariern und religiösen Freidenkern zusammen. Wiederholte Aufenthalte in Polen sind bezeugt, wo sich sein eigentliches Wirkungsfeld eröffnete.34 Lelios Neffe war Fausto Sozzini, ebenfalls aus Siena gebürtig. Aus Anlaß einer Verfolgung, die 1559 über seine Familie hereinbrach, kam er zunächst nach Lyon und sodann nach Zürich, wo er sich der hinterlassenen Papiere seines daselbst verstorbenen Onkels annahm. Als seinen eigentlichen Lehrer erkannte er nur diesen an. Schon seine erste Schrift, eine Auslegung des Johannes-Evangeliums, konnte als Programm des Antitrinitarismus gelesen werden. Von Basel aus wurde er nach Siebenbürgen berufen, wo er sich an dem Kampf gegen Franz Davidis beteiligte, der die Anbetungswürdigkeit Jesu in Frage stellte (Nonadorantismus). Weiterstrebend nach Polen, wo der Name Sozzini bereits einen guten Klang hatte, stand er an vorderster Stelle bei der Ausarbeitung und Behauptung des Antitrinitarismus und Unitarismus. Der Zugang zu dem Verein der Unitarier in Krakau blieb ihm freilich verwehrt, weil er sich weigerte, ein zweites Mal die Taufe zu empfangen. Er hatte die Genugtuung, auf der berühmten Synode von Raków im Jahre 1603 den Anabaptismus aus dem unitarischen Lehrgebäude ausscheiden zu sehen. Die bedeutendste Gemeinde mitsamt Schule und Druckerei blieb diejenige von Raków. Nicht zuletzt an ––––––––– 34
Vgl. auch hier wieder den Eintrag ›Sozzini/Sozinianer‹ von Wacław Urban in der Theologischen Realenzyklopädie XXXI (2000), S. 598–604. Der Eintrag ist freilich sehr knapp geraten. Man tut deshalb gut daran, zurückzugehen zu dem sehr eingehenden und die reiche ältere Literatur verarbeitenden Eintrag von Herzog und Zöckler zu ›Socin und der Socinianismus‹ in: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3. Aufl. XVIII (1906), S. 459–480. Es ist an dieser Stelle Veranlassung, auch für andere einschlägige Artikel auf dieses grundlegende, von J.J. Herzog begründete und von Alfred Hauck in dritter Auflage betreute Werk hinzuweisen. Nämliches gilt selbstverständlich auch für die vier Auflagen von ›Die Religion in Geschichte und Gegenwart‹. Nachdrücklich hingewiesen sei auch auf das luzide und möglicherweise singulär dastehende Kapitel ›Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus‹ in: Adolf von Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Band III: Die Entwicklung des kirchlichen Dogmas. 5., photomech. gedruckte Aufl. [der 4. Aufl. 1910].- Tübingen: Mohr (Siebeck) 1932. Hier im dritten und letzten Buch unter dem Titel ›Der dreifache Ausgang der Dogmengeschichte‹, das dritte Kapitel ›Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus‹, S. 765–808. Reiche Informationen auch – um wenigstens an einer Stelle an dieses grandiose Werk zu erinnern – bei Siegmund Jacob Baumgarten: Geschichte der Religionspartheyen. Herausgegeben von D. Johann Salomon Semler.- Halle: Gebauer 1766. Reprint Hildesheim: Olms 1966, S. 908–956: Von den Antitrinitariern. Zum Sozinianismus in Deutschland vgl. das entsprechende und wiederum sehr gehaltreiche Kapitel in: Siegfried Wollgast: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung. 1550–1650.- Berlin: Akademie-Verlag 1988, S. 346–422. Auch hier weitere und zumal neuere Literatur.
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schlesische Gymnasien gelangten immer wieder auch Absolventen von dort. Protestanten und Katholiken studierten daselbst neben Anabaptisten und Unitariern. Überall im Land, aber auch in Litauen und in Siebenbürgen, kam es zu sozinianischen Gemeindegründungen. Das sozinianische Bekenntnis war einleuchtend und letztlich schlicht genug. Kein Wunder, daß es unter den Humanisten Anklang fand. Es war der Vernunft zugänglich, vergewaltigte sie nicht durch Anmutungen, die ihr zuwiderliefen. Christus ist seinem Wesen nach Mensch, und nur dies. Er überragt die Menschen jedoch durch seine vollkommene Heiligkeit, welche ihn zur Mittlerrolle zwischen Gott und den Menschen qualifiziert. Eben deshalb darf und soll man ihn durchaus anbeten. Eine gegenteilige Auffassung, wie sie etwa Davidis verkörperte, wurde auch von den Sozinianern verworfen. Daraus aber folgt eben nicht, daß man ihn als Gott anbeten solle und dürfe. Dieses der Vernunft so sehr entgegenkommende Bekenntnis ging einher mit einer Zurückweisung der traditionellen Ansichten zur Erbsünde, zur Auferstehung der Toten und zur calvinistischen Prädestinationslehre. Ein sittliches Leben, so einer der Grundsätze Fausto Sozzinis, trage mehr zur Erlösung bei als die Gnade Gottes. Dementsprechend lehnte er die Kindertaufe ab und hielt die Sakramente nicht für notwendig. Sie rangierten allenfalls unter den Adiaphora. Weit also von den etablierten Konfessionen entfernt, verhielt er sich ihnen gegenüber gleichwohl tolerant. Eine Schwelle war seit langem überschritten. Der Abstand geleitete zur Abstandnahme von Polemik und Verurteilung, denen die Sozinianer selbst so massiv ausgesetzt waren. Ihr Fortleben grenzt an ein Wunder. Polen hatte daran den vornehmsten Anteil.
Polnische Brüder In unmittelbarer Nachbarschaft Schlesiens siedelten die Sozinianer. Der Austausch von Gelehrten und Theologen, Adligen und sogar einzelnen Fürsten mit ihnen ist bislang nur über gelegentliche Beobachtungen manifest, wie sie eben auch in eine OpitzStudie hineinspielen und dort am Ort zur Sprache kommen werden. Eine systematische Untersuchung bleibt überaus erwünscht.35 Die polnischen Sozinianer firmierten unter den verschiedensten Bezeichnungen. Am gebräuchlichsten blieb ›Polnische Brüder‹, aber auch die Begriffe ›Polnische Arianer‹, ›Antitrinitarier‹, ›Unitarier‹, ja selbst ›Servetianer‹ waren und sind im Umlauf und indizieren bereits die Bandbreite, zugleich aber auch die innere Zusammengehörigkeit und Verwandtschaft der sozinianischen Anschauungen. Hinzutraten Anregun––––––––– 35
Der oben in Anm. 34 zitierte Artikel von Urban hat seinen Schwerpunkt in dem ›polnischen Sozinianismus‹, der de facto einer zu den Polnischen Brüdern ist und daher hier vor allem heranzuziehen ist. Es lohnt sich, parallel dazu den Artikel ›Polen‹ in der Theologischen Realenzyklopädie mit heranzuziehen, wie überhaupt die den Ländern unter theologischer Perspektive gewidmeten Artikel in der Regel sehr ergiebig sind. Vgl. den Eintrag von Jerzy Kłoczowski, Band XXVI (1996), S. 758–778, S. 761–764: ›Zeit der großen Reformen‹. Eine schöne Einführung unter dem hier verfolgten Gesichtspunkt auch bei: Paul Wrzecionko: Humanismus und Aufklärung im Denken der polnischen Brüder.- In: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 9 (1966), S. 83–100.
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gen gleichermaßen aus dem deutschen Täufertum wie aus Seitentrieben des reformierten Bekenntnisses, die unter dem Begriff ›Ecclesia minor‹ liefen. Sollte ein zweiter Name neben dem Fausto Sozzinis erwähnt werden, der Einfluß nahm auf die Vorstellungen der Polnischen Brüder, so lautete er auf Giorgio Biandrata.36 Gebürtig aus Piemont, begann er seine Karriere als Leibarzt von Königin Bona Sforza in Krakau, übersiedelte hernach an den Hof der Jagiellonin Isabella, der Witwe des Königs von Ungarn und Woiwoden von Siebenbürgen, Johann I. Zápolya, und kehrte später nach Italien zurück. Er war also mit Zentren der heterodoxen Bewegungen im Osten vertraut, und eben dies dürfte u.a. den Anstoß dafür gegeben haben, daß die Loslösung zunächst vom Katholizismus, dann vom Calvinismus, den er in Genf kennengelernt hatte, sukzessive aber konsequent erfolgte. Er sympathisierte mit den antitrinitarischen Lehren seines Landsmannes Matteo Gribaldi, wurde daraufhin selbst des Antitrinitarismus verdächtigt und mußte Genf schließlich verlassen – ein weiteres Migranten-Schicksal. Polen blieb, wie so häufig, die Anlaufstelle der Wahl. Nun trat zu dem Krakau König Sigismund II. August noch der fürstliche Hof Nikolaus Radziwiłłs in Wilna. Auch der Kontakt nach Siebenbürgen riß nicht ab. Den Augen des gestrengen Calvin entkam er gleichwohl nicht. Der warnte die Geistlichen reformierten Bekenntnisses vor den von Biandrata ausgehenden Gefahren hinsichtlich der reinen Lehre – vergeblich. Biandrata gelang es, viele Reformierte für den Antitrinitarismus zu gewinnen. Es zählten alleine die Heilige Schrift und das Apostolische Glaubensbekenntnis. So vermochte er spätere christologische Theologumena zu identifizieren und für nichtig zu erklären. ›Nikodemisches‹ Verhalten war weiterhin gefragt. Diese ›politische‹ Tugend wurde keinesfalls nur auf dem weltlichen Parkett erworben. Der nach außen als Calvinist agierende Biandrata warb im Geheimen für seine Lehren und die seiner Glaubensfreunde, an der Spitze den leidenschaftlichen Dissidenten Franz Davidis, mit dem er in Siebenbürgen zusammenwirkte, sich später jedoch von ihm trennte. Es bleibt ein faszinierendes Kapitel, die beiden Wortführer an einer Geschichte sowohl des Antitrinitarismus wie die des Tridentismus arbeiten zu sehen. Das trinitarische Dogma ist ein sekundäres, zu späterer Stunde in die kirchliche Lehre eingeführt. Aufgrund dieser Irrlehre vertiefte sich der Graben zwischen Juden und Christen, mit der Folge, daß sich der Orient dem Islam zuwandte. Eine Stütze fand das Dogma vor allem in der Sorbonne. Die besten Köpfe aber ließen nicht ab von dem Versuch, die ursprüngliche wahre Lehre wiederherzustellen. So kommt auf andere Weise ein restaurativer, auf die Heilige Schrift und das Urchristentum rekurrierender Zug in das Geschichtsbild. Sie alle, ein Joachim von Fiore, ein Abaelard, ein Erasmus, ein Juan de Valdés, ein Valentino Gentile, ein Lelio Sozzini, ein Bernardino Ochino und wie sie sonst heißen mögen, haben Anteil an dieser faszinierenden urgeschichtlichen Wende, mit der ein genuin reformatorisches Anliegen über die Unitarier zum definitiven ––––––––– 36
Vgl. zu Biandrata das große Kapitel in der oben in Anm. 30 zitierten Monographie von Rotondò, S. 161–223. Von Rotondò stammt auch der Eintrag in der Theologischen Realenzyklopädie V (1980), S. 777–781, selbstverständlich mit weiterer Literatur. Ergiebig auch der Eintrag von Bálint Keserü in der vierten Auflage von ›Die Religion in Geschichte und Gegenwart‹, Band I (1998), Sp. 1406.
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Abschluß gebracht werden sollte. Es ist das nämliche triadische Modell, das der theologisch inspirierten Geschichtsphilosophie der Spiritualisten zugrundeliegt und dem eine so große Nachgeschichte zumal in der Romantik beschieden war.
Böhmische Brüder So eng wie zu den Polnischen blieb der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern.37 Diese rekrutierten sich ursprünglich aus Reformgruppen innerhalb des Hussitismus. Wenn ihnen später gerade auch für die schlesische Intelligenz eine wichtige Rolle zufiel, so vor allem deshalb, weil maßgebliche Repräsentanten des böhmischen und mährischen Adels ihnen zuneigten. Es existierten also Optionen seitens der Schlesier über das Reformiertentum hinaus, das traditionell wie in Polen, so auch in Böhmen eine starke Stellung wiederum vor allem im Adel behauptete. Die bis in das 15. Jahrhundert zurückführende Geschichte der Brüder kann hier unberücksichtigt bleiben. Der auch für die Nachbarn einschlägige Einsatz ist in der Stellung der Brüder im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts zu suchen. Seit dem Beginn der vierziger Jahre verschärften sich die Konflikte zwischen der utraquistischen Kirche, die lange ihren Frieden mit Rom geschlossen hatte, und den Brüdern. Zahlreiche von ihnen emigrierten nach Großpolen. Hier erwuchs in der Mitte des 16. Jahrhunderts unter dem Schutz des Adels eine rasch aufblühende Brüdergemeinde, deren Zentrum Lissa bildete. Ein weiterer Schwerpunkt brüderlichen Wirkens nach dem erzwungenen Auszug aus Böhmen tat sich in Mähren auf. Damit sind Eckdaten fixiert, die fortan für die nach Polen wie nach Mähren blickende Intelligenz von Bedeutung werden sollten.38 ––––––––– 37
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Die einschlägige Literatur zu den ›Böhmischen Brüdern‹ wieder in dem Eintrag von Franz Machilek in der Theologischen Realenzyklopädie VII (1981), S. 1–8. Dazu des weiteren der Eintrag von dems. zu ›Böhmen‹ in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Band I: Der Südosten. Hrsg. von Anton Schindling, Walter Ziegler.- Münster: Aschendorff 1989 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung; 49), S. 134–152. Vgl. auch die große Darstellung aus dem 19. Jahrhundert von Anton Gindely: Geschichte der Böhmischen Brüder. Band I–II. 2. Aufl.- Prag: Tempsky 1861–1862. Ausnahmsweise sei Gelegenheit genommen, eine ausführlichere Charakteristik einzublenden, die aus einem nach wie vor faszinierenden Werk stammt: Ernst Troeltsch: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. 3., photo-mechanisch gedruckte Auflage.- Tübingen: Mohr 1923 (Gesammelte Schriften; 1) (erste Auflage 1912!). Hier liest man in dem Stichwort ›mährische Brüder‹, S. 407 f.: »Sie bekennen mit jenen [den Taboriten] das wiklifitisch-franziskanische Ideal, verwerfen aber die Mittel der Gewalt als unchristlich. So entsteht hier der religiöse Verein oder Konventikel mit dem Streben, nach innen im eigenen Kreise möglichst das Liebes- und Heiligkeitsideal zu verwirklichen, nach außen von Staat und Gewalt und weltlicher Macht sich zurückzuziehen und in freiwilliger Zusammengehörigkeit das evangelische Gottesgesetz soweit zu verwirklichen, als es die Fortdauer der Welt und ihrer Ordnungen ermöglicht; damit ist auch der egalitäre Sozialismus wieder aufgegeben und durch den das Privateigentum und die weltliche Berufsarbeit voraussetzenden Liebeskommunismus der Gesinnung und praktischen Liebestätigkeit ersetzt. Es ist ›der erste große Versuch der Laienwelt, eine Religiosität zu verwirklichen, die nicht auf Kompromissen mit der Welt beruhte und mit sakralen Weihen und einer halben Sittlichkeit zufrieden wäre, sondern das ganze Leben in ihren Dienst nähme, der Rückzug der ernsten Chri-
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Seit 1562 verfügte die Unität über eine eigene Druckerei, die seit 1578 in Kralitz angesiedelt war. Dort erschienen ein tschechisches Neues Testament und eine ›Grammatica Bohemica‹. Parallel damit ging eine Konzentration auf das Schulwesen einher, und das in bewußter Reaktion auf die Vorstöße der Jesuiten auf diesem Sektor. Besonders nachhaltige Anstrengungen wurden im Gefolge des Konsenses von Sandomir auf die Ausarbeitung einer Bekenntnisschrift gelegt, und dies mit dem Ziel, Bekenntnisfreiheit beim Kaiser zu erwirken. Im Jahr 1575 konnte die ›Confessio Bohemica‹ Maximilian II. vorgelegt werden. Eine Vereinbarung kam jedoch nach Intervention des päpstlichen Nuntius nicht zustande. Im Gegenteil erging ein Druckverbot, begleitet von weiteren antibrüderlichen Maßnahmen.39 Dies hatte umgekehrt eine Abkehr der Brüder von ihrer antipolitischen Ausrichtung zur Folge. Zumal im Adel gewannen die Theorien der Monarchomachen zunehmend an Einfluß. Fortan wurden reformierte Bildungsanstalten in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden bevorzugt von dieser Oberschicht aufgesucht, mit allen fruchtbaren Konsequenzen hinsichtlich der Kommunikation mit der zum Reformiertentum tendierenden Gelehrtenschaft aus schlesischen Landen. In dem südböhmischen Magnaten Peter Wok von Rosenberg erhielt die Unität einen einflußreichen Unterstützer, der sich nach Kräften insbesondere den Angriffen aus Kreisen der Jesuiten widersetzte. Amandus Polanus von Polansdorf führte im Westen von Basel aus mit Gesinnungsgenossen den entsprechenden publizistischen Kampf.40 –––––––––
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sten aus der gefährlichen Welt zu enger brüderlicher Gemeinschaft, ausschließlichem Streben nach persönlicher Heiligung im Dulden und Entsagen, in unbedingter Friedfertigkeit und Selbstlosigkeit.‹ [...] Von der unmöglich erscheinenden Reform der Gesamtgesellschaft zog sich die christliche Idee auf sich selbst zurück, steigerte in ihrem Kreise den Individualismus der bloß religiösen Gleichheit und erfüllte ihn mit dem caritativen Gesellschaftsideal. Es ist die volle Rückkehr zum altchristlichen Sozialideal, nachdem die christliche Kultur der Kirche sich als eine Verweltlichung und Brechung der christlichen Moral und gewaltsame Durchsetzung des absoluten Natur- und Gottesgesetzes als eine blutige Utopie erwiesen hatte.« Das Zitat aus Karl Müller: Kirchengeschichte. Band II. Erster Halbband.- Tübingen: Mohr 1911, S. 86. Zur ›Confessio Bohemica‹ vgl. – mit reicher Literatur – etwa Joachim Bahlcke: Religionsfreiheit und Reichsbewußtsein. Deutungen des Augsburger Religionsfriedens im böhmisch-schlesischen Raum.- In: Der Augsburger Religionsfrieden (Anm. 18), S. 389–413, S. 399 f. Dazu der lateinische Text mit deutscher Übersetzung in: Böhmische Konfession 1575 – Confessio Bohemica MDLXXV. Hrsg. von Alfred Eckert.- Nürnberg: Eckert 1975. Zu Peter Wok von Rosenberg vgl. Hans Georg Uflacker: Christan I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des pfälzischen Königtums in Böhmen.Diss. phil. München 1926. Zum Kontext: Petr Mat’a: Vorkonfessionelles, überkonfessionelles, transkonfessionelles Christentum. Prolegomena zu einer Untersuchung der Konfessionalität des böhmischen und mährischen Hochadels zwischen Hussitismus und Zwangskatholisierung.- In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift Winfried Eberhard. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Karen Lambrecht, Hans-Christian Maner.- Leipzig: Universitätsverlag 2006, S. 307–331; Joachim Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619).- München: Oldenbourg 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte; 3). Hier insbesondere die beiden in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts und bis in das Schicksalsjahr 1619 führenden Kapitel: Das Ringen um die politische und religiöse Ordnung (1564–1599), S. 169–308, sowie: Ein länderübergreifendes Ständeprogramm als Antwort auf die Herausforderung von Königsgewalt und Gegenreformation (1599–1619), S. 309–445.
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Die politische Zuspitzung bewirkte, daß sich in Böhmen und Mähren eine Calvinisierung im Umkreis der Unität durchsetzte, ganz im Gegensatz zu der Entwicklung in Polen, wo weiter an der Selbständigkeit gegenüber Lutheranern wie Calvinisten festgehalten wurde. Blieb Wok von Rosenberg die eine zentrale Figur des Widerstands, so Wenzel Budowecz von Budowa die zweite.41 In Abwehr der antibrüderlichen Mandate erzwangen die utraquistisch-lutherisch-brüderlichen böhmischen Stände mit Unterstützung Budoweczs bei Rudolf II. im Jahr 1609 den berühmten Majestätsbrief, der den Anhängern der ›Confessio Bohemica‹ volle Religionsfreiheit in Böhmen zusicherte.42 Soll schließlich ein dritter Name aufgerufen werden, so ist es derjenige von Karl von Zierotin.43 Unter seiner Landeshauptmannschaft entfaltete sich das Brüderwesen weithin ungestört in Mähren. Die Kommunikation mit der schlesischen Oberschicht blieb hier wie dort die engste. Die Wende kam mit der verlorenen Schlacht am Weißen Berg. Sie leitete den Untergang der Unität ein. Mit 26 weiteren böhmischen Herren, Rittern und Bürgern fiel Wenzel Budowecz dem Prager Blutgericht von 1621 zum Opfer. Und auch in Mähren konnte Karl von Zierotin den Bedrängten nur noch kurze Zeit Schutz gewähren. Die ›Verneuerte Landesordnung‹ Ferdinands II. hob die Rechte der Stände in Böhmen wie in Mähren weitgehend auf. Im Land bleiben durfte nur, wer sich zum katholischen Glauben bekannte. Es blieb nur der Weg in den Untergrund oder derjenige ins Exil. Beide Länder hatten in der Folge einen immensen intellektuellen Tribut zu entrichten, der sehr viel einschneidender war als derjenige in Schlesien. Die aus Böhmen auswandernden Brüder wandten sich vor allem nach Großpolen, die aus Mähren in die Slowakei. Die Auflösung wie die Neugründung im Exil blieb ein sich auch in der Literatur der Opitz-Zeit vielfach flektierendes Ereignis. Ein bleibendes Denkmal wurde der Unität im Werk des Johann Amos Comenius gesetzt.
Spiritualismus Der Reigen religiöser Manifestationen um 1600 ist unerschöpflich. Auswahl und Akzentuierung bleiben geboten. Ein Wort über den Spiritualismus darf jedoch nicht feh––––––––– 41
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Vgl. den Eintrag zu ihm von Heribert Sturm.- In: Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder. Band I.- München, Wien: Oldenbourg 1979, S. 162. Dazu nach wie vor einschlägig die große Monographie von Anton Gindely: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609.- Prag: Tempsky 1858. Im Blick auf Schlesien und speziell auf Breslau: Paul Konrad: Der schlesische Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. vom Jahre 1609 in seiner Bedeutung für das städtische Konsistorium und die evangelischen Kirchengemeinden Breslaus.- Breslau: Kauffmann 1909. Aus der neueren Literatur: Zdeněk V. David: A Cohabitation of Convenience: The Utraquists and the Lutherans Under the Letter of Majesty, 1609– 1620.- In: The Bohemian Reformation and Religious Practice. Hrsg. von Zdeněk V. David, David R. Holeton. Band III.- Prag: Collegium Europaeum 2000, S. 173–214; Bahlcke: Religionsfreiheit und Reichsbewußtsein (Anm. 39), S. 400–404 mit weiterer Literatur. Vgl. die grundlegende Monographie von Peter Ritter v. Chlumecki: Carl von Zierotin und seine Zeit. 1564–1615.- Brünn: Nitsch 1862; Zweiter oder Beilagen-Band.- Brünn: Carl Winiker in Komm. 1879. Vgl. auch die reichhaltig quellenkundlich fundierte Arbeit von Tomáš Knoz: Konfessionelle Pluralität und religiöse Konflikte im Umkreis Karls d.Ä. von Žerotín in den zwanziger
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len, weil er auf schlesischem Boden seine womöglich eindrucksvollste Ausprägung erfuhr. Und das über eine frühzeitig auftretende prominente Figur, die ihrerseits zu immer neuen Zeugungen anregte. Das geknebelte, von Leiden erfüllte Land fand in dem spiritualistischen Gedankengut einen Ausweg aus der drangsalerfüllten Zeit und den Anmutungen, die mit der konfessionellen Parteibildung und der sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigernden religiösen Pression ausgingen. Keine Frage, sondern umgekehrt eine Selbstverständlichkeit, daß Opitz und seine Freunde immer wieder in Kontakt mit dieser allgegenwärtigen Bewegung und ihren Anhängern kamen.44 Es bleibt bemerkenswert, daß der Spiritualismus aus der reformatorischen Bewegung selbst herauswuchs, und das frühzeitig. Eben war das Prinzip sola scriptura kodifiziert, da setzten auch schon die Bestrebungen ein, dieser Fixierung zu entkommen. Eine Ahnung regte sich, die rasch zur Gewißheit werden sollte, daß in der Schriftgläubigkeit zugleich der Teufel der Buchstabengerechtigkeit steckte. Traten verschiedene Lesarten in die Welt, war der Konflikt vorprogrammiert. Wo aber war dann die Instanz, die zu schlichten imstande war? Nur die ursprünglichen Lehrmeister kamen in Frage. Doch war es nicht eine Überforderung, ihnen alleine das Schicksal über Wohl und Wehe der Gläubigen zu überantworten? Durften sie Unfehlbarkeit beanspruchen? War es vom christlichen Glauben her überhaupt vertretbar, ihnen eine solche Rolle zuzuweisen und damit dem eigenen Fragen, Denken und Fühlen ein Ende zu setzen? Fragen über Fragen, die sich zwangsläufig einstellen mußten. Welch ein Kreis großer Namen aber ist alsbald gegenwärtig, wenn denn Umschau gehalten wird nach eben jenen, die von Luther, auch aber von Zwingli und Calvin kamen und – einem inneren Gebot folgend – über sie hinausgeführt wurden. Es ging dies so gut wie niemals friedlich ab. Der Reformator bzw. die Reformatoren schalteten sich selbst noch ein, und nach ihrem Tod waren es ihre nur allzu häufig selbst ernannten Richter, die das Amt der Ab- und Ausgrenzung unbarmherzig übernahmen. Auch die Geschichte der Spiritualisten ist eine des Leides, der Verbannung, der Emigration. Um so bewundernswerter, welch ein Fundus tiefschürfender Gedanken und glaubender Gewißheit sich gerade mit diesen Zeugen verband, die die Erfahrung der Umkehr gemacht hatten und von der lebensbestimmenden Macht des Waltens eines göttlichen Geistes kündeten. So viele der Namen, so verschieden die verlautende Botschaft. Die eines Thomas Müntzer, eines Andreas Karlstadt, eines Sebastian Franck wären vielleicht an vorderster Stelle zu nennen, um nur auf deutschem Boden zu verbleiben. Und eben derjenige Kaspar Schwenckfelds, »eines der liebenswürdigsten und innerlich vornehmsten Anhänger und Reformgenossen Luthers, dessen Spiritualismus aber auch immer noch ein gemäßigt kirchlicher blieb«.45 ––––––––– 44
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und dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts.- In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung (Anm. 23), S. 459–475. Vgl. auch hier zur ersten Information den Eintrag ›Spiritualismus‹ von Robert Emmet McLaughlin mit reicher Literatur in der Theologischen Realenzyklopädie XXXI (2000), S. 701–708. Schon hier sei verwiesen auf das unten in Anm. 53 zitierte Werk von Peuckert. Zu Schwenckfeld vgl. den Eintrag von dem ersten Sachkenner Horst Weigelt in der Theologischen Realenzyklopädie XXX (1999) S. 712–719, mit der einschlägigen Literatur. Lesenswert geblieben ist auch der Eintrag in der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3.
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Schwenckfeld, altem schlesischem Adel entstammend, ging im Herzogtum Liegnitz schon zum Predigen über noch bevor er ordiniert worden war. »Du bist von Gott berufen, weil Du gewiß bist, Gottes Wort zu haben.« So äußerte er sich 1522 gegenüber dem Breslauer Reformator Johann Heß. Diese Gewißheit trug ihn über alle sich alsbald einstellenden Fährnisse hinweg.46 Um die innere Umkehr ging es, nicht um Buchstabengläubigkeit. Diese Botschaft machte sich der Piastenherzog Friedrich II. zu eigen und hielt – so lange er es irgend vermochte – seinem geistlichen Lehrer die Treue.47 Schon 1527 verlautete der Vorwurf der ›greulichen Ketzerei‹, wie er sich an den Namen und die Botschaft Schwenckfelds knüpfte. Der folgte seiner inneren Stimme, und die lautete auf Friedfertigkeit und Versöhnung. Das Wort des Evangeliums, so seine Überzeugung, sei eines »des Creutzes vnd eine thorheit allen weisen der welt [...]. Vnnd also müssen wir auch hiebey achtunge drauff haben/ daß wir Gotte in deme nit widerstreben«.48 Die Lauterkeit und Reinheit dieser Worte haben nichts von ihrer Gewalt verloren. Sie blieben anschlußfähig an humanistisches Ethos. Auch ein Opitz verharrte in ihrem Bann. In Liegnitz gelangte sogleich mit dem Einzug der Reformation eine Tiefe der Glaubenserfahrung zur Artikulation, auf welche sich die großen Geister in der Nachfolge sehr wohl berufen konnten. Auf der Ebene der Politik aber galten andere Maß–––––––––
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Aufl. XVIII (1906), S. 72–81, aus der Feder von R.H. Grützmacher. Vgl. auch die Einträge in den vier Auflagen des Handbuchs ›Die Religion in Geschichte und Gegenwart‹. Vgl. auch die tiefdringenden Äußerungen von Ernst Troeltsch: Sektentypus und Mystik auf protestantischen Boden.- In: ders.: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (Anm. 38), S. 794–964. Hier zu Schwenckfeld S. 881–885 mit dem obigen Zitat S. 881. Aus der jüngeren Literatur sei hier nur verwiesen auf: Thomas K. Kuhn: Caspar Schwenckfeld von Ossig. Reformatorischer Laientheologe und Spiritualist.- In: Theologen des 16. Jahrhunderts. Humanismus – Reformation – Katholische Erneuerung. Eine Einführung. Hrsg. von Martin H. Jung und Peter Walter.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, S. 191–208. Zur Rezeption in Schlesien: Horst Weigelt: Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums in Schlesien.- Berlin: de Gruyter 1973. Von polnischer Seite – wiederum mit überaus reichem LiteraturVerzeichnis und mit englischer Zusammenfassung – Gabriela Wąs: Kaspar von Schwenckfeld. Myśl i działalność do 1534 roku [Denken und Aktivitäten bis 1534].- Wrocław: Wyd. Uniwersytetu Wrocławskiego 2005 (Historia; 169). Zu verweisen ist auch auf die instruktiven Schwenckfeld-Passagen in der grundlegenden Abhandlung von Ferdinand Bahlow: Die Reformation in Liegnitz.- In: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins zu Liegnitz 6 (1915–1917), S. 97–288. Auch als Separatdruck Liegnitz: Krumbhaar 1918. Hier in den ›Mitteilungen‹ insbesondere S. 121–125, S. 134–139, S. 149–153, S. 156–166, S. 202–210. Als beredte Miszelle: Anne Conrad: ›Bald papistisch, bald lutherisch, bald schwenckfeldisch‹. Konfessionalisierung und konfessioneller Eklektizismus.- In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 76/77 (1997/98), S. 1–25. Zum Kontext das reichhaltige Sammelwerk: Dziedzictwo reformacji w księstwie legnickobrzeskim. Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg. Hrsg. von Jan Harasimowicz, Aleksandra Lipińska.- Legnica: Muzeum Miedzi w Legnicy 2007 (Źródła i materiały do dziejów Legnicy i księstwa Legnickiego; 4). Vgl. in europäischer Perspektive jetzt: Volkhard Wels: Manifestationen des Geistes. Frömmigkeit, Spiritualismus und Dichtung in der Frühen Neuzeit.- Göttingen: V & R Unipress 2014 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; 17). Zitiert bei Bahlow (Anm. 45), S. 125. Vgl. den Abschnitt ›Herzog Friedrich als Schirmherr der Reformation‹, bei Bahlow (Anm. 45), S. 184–210. Corpus Schwenckfeldianorum. Band III.- Leipzig: Breitkopf & Härtel 1913, S. 111.
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stäbe und Gesetze. Schweren Herzens mußte der Herzog sich von seinem Getreuen trennen, um den Frieden in seinem Herzogtum zu wahren. 1547 starb der Fürst. Testamentarisch verfügte er, »das reine Wort Gottes in Einigkeit und Sanftmuth den Unterthanen vortragen zu lassen, und die, so es zu Aufruhr oder zu einem Schanddeckel der Lüste brauchen, nicht zu dulden«.49 Das war aus dem Geiste Schwenckfelds gesprochen. Schwenckfeld aber hatte Schlesien schon lange verlassen und mußte alsbald die Erfahrung machen, daß seines Bleibens überall wo er auftauchte, nur kurz war, weil die theologischen Differenzen vor Ort nicht zu überbrücken waren. Ein unstetes, von Ausweisung und momentaner Neugründung erfülltes Leben blieb sein Schicksal. Ungebrochen publizierten er selbst und seine Freunde jene Schriften, die auf ergreifende Weise von den Segnungen des Geistes kündeten. Die Spuren dieses Lebens und Wirkens verloren sich nicht wieder, am allerwenigsten in seiner Heimat Schlesien. Immer wieder kam es vor, daß sich Geistliche in ihrer Gewissensnot auf Schwenckfeld beriefen. Und die großen geistlichen Zeugnisse eines Böhme, eines Weigel, eines Czepko sind immer wieder geprägt von seinem Gedankengut. Auch in Opitzens Werk haben sie ihre Spuren hinterlassen.
Schmelztiegel Prag: Paracelsisten und Rosenkreuzer Sehr unzureichend ist die Geschichte der heterodoxen Frömmigkeitsbewegungen im östlichen Europa im Hinblick auf die Einwirkungen des Paracelsismus und des Rosenkreuzertums bislang erforscht. Nur ein Knotenpunkt ist gut sichtbar zu gewahren, das Prag Rudolfs II. und die sich an seinem Hof und dessen Umkreis scharende Gesellschaft jedweder geistigen und gläubigen Provenienz. Daß die Heterodoxen unter ihnen einen festen Platz hatten, ist eine Selbstverständlichkeit, und daß sich unter ihnen Paracelsisten und Rosenkreuzer befanden, ebenfalls. Und das mit erheblicher Außenwirkung. Wiederum müssen einige wenige Striche hinreichen, will doch in diesem Eingangskapitel nicht mehr als eine kleine Synopse versucht sein.50 ––––––––– 49
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Zitiert nach Siegismund Justus Ehrhardt: Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens. Zweiten Theils Erster Haupt=Abschnitt, welcher die Protestantische Kirchen= und Prediger=Geschichte der Stadt und des Fürstentums Brieg in sich fasset.- Liegnitz: Pappäsche 1782, S. 13, Anm. (g). Der Eintrag Paracelsismus in der Theologischen Realenzyklopädie XXV (1995), S. 699–705, beschränkt sich s.v. ›Paracelsus‹ auf eine knappe halbe Seite. Das aufsehenerregende Phänomen ist damit in dem lexikalischen theologischen Basiswerk praktisch nicht präsent. Und so nicht anders in der vierten Auflage von ›Die Religion in Geschichte und Gegenwart‹. Wenn hier in den vergangenen Jahren ein Wechsel eingetreten ist, so ist dies vor allem den Arbeiten von Joachim Telle und Wilhelm Kühlmann zu verdanken. Vgl. ihre eindrucksvolle vierbändige Dokumentation: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Band I–II.Tübingen: Niemeyer 2001–2004; Band III/1–2.- Berlin: de Gruyter 2013 (Frühe Neuzeit; 59, 89, 170). Vgl darüber hinaus vor allem die beiden von Telle betreuten Sammelbände: Parerga Paracelsica. Paracelsus in Vergangenheit und Gegenwart. Hrsg. von Joachim Telle.- Stuttgart: Steiner 1991 (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit; 3); Analecta Paracelsica. Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit.Stuttgart: Steiner 1994 (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit; 4). Weitere Ar-
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Die Nachwirkungen des Paracelsus am Prager Hof und in den gelehrten Kreisen, die mit ihm in Kontakt standen, hat Evans in seinem klassischen Werk über Rudolf II. und seine Welt beschrieben.51 Es wäre unstatthaft und vergeblich, einen nochmaligen Extrakt daraus zu destillieren. Ein nachdrücklicher Verweis muß es tun. Auch Figuren wie Crato von Crafftheim und Peter Monau, der Bruder Jakobs, die uns wiederholt begegnen werden, gehören als Mediziner und Physiker in dieses Umfeld. Und zugleich will es etwas besagen, daß der größte Sammler von Manuskripten des Paracelsus der Schlesier Johannes Montanus aus Striegau war. Die erste große Ausgabe der Schriften des Paracelsus, welche 1589 und 1590 in Basel erschien, basierte ganz wesentlich auf diesen in Schlesien zusammengebrachten Quellen. Der Osten blieb für die Rezeption Paracelsischer Gedanken ein fruchtbares Feld. Und wiederum ist es bezeichnend, daß ein Sammler mit dem besten Auge für dieses kostbare Gut eben kein anderer als der Schlesier Will-Erich Peuckert war. Die Höfe, aber auch die großen Adelssitze blieben die bevorzugten kulturellen Institutionen, an denen paracelsisches, hermetisches, spiritualistisches, zuweilen sogar kabbalistisches Schrifttum zur Aufnahme und Pflege gelangte. Noch am Hof Georg Rudolfs in Liegnitz machte sich dieses Interesse geltend. Die berühmte ›Bibliotheca Rudolfina‹ besaß eine eigene Abteilung mit spiritualistischem Schrifttum. Nämliches gilt für die Hof- und Gymnasialbibliothek der Piasten zu Brieg. Die Kataloge beider Bibliotheken sind prall gefüllt mit entsprechendem Schrifttum. Überhaupt bleibt die Bibliotheks- und am Rande auch die Archivgeschichte ein erstes Instrument der Auskunft, wenn es auf Spurensuche nach diesen dem offiziellen Buchmarkt vielfach entzogenen Schrifttum geht. Auch das Werk eines Daniel Czepko sähe anders aus, wenn ihm auf dem Gut der Czigans nicht die eine oder andere Zimelie mit ›Hermetica‹ zur Hand gewesen wäre.52 Und was schließlich das nochmals unerschöpfliche Kapitel des Rosenkreuzertums angeht, so ist auch hier nur zu erinnern, daß ein zentraler Abschnitt daraus direkt hineingehört in das böhmisch-pfälzische Unternehmen um 1620, das wie kein zweites die Vorstellungswelt Opitzens und seiner Weggefährten beherrschte. Es ist das große –––––––––
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beiten von Telle aufgeführt in: Iliaster. Literatur und Naturkunde in der Frühen Neuzeit. Festschrift Joachim Telle. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Wolf-Dieter Müller-Jahncke.- Heidelberg: Manutius 1999; Schriftenverzeichnis Joachim Telle S. 345–358. Die Arbeiten von Kühlmann jetzt versammelt in: Wilhelm Kühlmann. Gelehrtenkultur und Spiritualismus. Studien zu Texten, Autoren und Diskursen der Frühen Neuzeit in Deutschland. Hrsg. von Jost Eickmeyer und Ladislaus Ludescher in Zusammenarbeit mit Björn Spiekermann. Band I–III.- Heidelberg: Mattes 2016. Band III: Spiritualismus und Paracelsismus. Vgl. R.J.W. Evans: Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History. 1576–1612.- Oxford: Clarendon Press 1973. Corrected Paperback Edition: London: Thames and Hudson 1997. Klaus Garber: Die Piastenhöfe in Liegnitz und Brieg als Zentren der deutschen Barockliteratur und als bibliothekarische Schatzhäuser.- In: Dziedzictwo reformacji w ksiestwie legnicko-brzeskim (Anm. 45), S. 191–209; ders.: Das Liegnitzer und Brieger Bibliothekswesen im kulturellen Kontext.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band XIX: Breslau – Universitätsbibliothek. Abteilung 4: Bestände aus Liegnitz und Brieg. Mit einer kultur- und bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg.von Stefan Anders, Sabine Beckmann, Klaus Garber.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2007, S. 17–85, Bibliographie S. 87–101, mit der Aufführung der historischen Kataloge.
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Verdienst von Frances A. Yates, dieses mit der Ausbreitung der Rosenkreuzer-Bewegung verknüpft und in dieser einen Schlüssel für jenes gefunden zu haben. Wir wissen selbstverständlich aus unseren Geschichtsbüchern, daß die Tochter Jakobs I. von England den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz heiratete, der wenige Jahre später den unglücklichen Versuch unternahm, den böhmischen Thron zu gewinnen, ein Unternehmen, das in einer schimpflichen Niederlage endete. Der ›Winterkönig und die Winterkönigin von Böhmen‹, wie man sie spöttisch nannte, flohen 1620 aus Prag und verbrachten ihr ganzes folgendes Leben als arme Vertriebene im Exil, nachdem sie sowohl die Pfalz als auch Böhmen verloren hatten. Was die Historiker vergaßen, war der Umstand, daß rosenkreuzerisches Denken diese Kulturperiode prägte, daß die ›Rosenkreuzermanifeste‹ damals erschienen und daß diese wiederum mit den in früheren Jahren in Böhmen von John Dee ausgelösten geistigen Bewegungen in kausaler Verbindung standen. Die kurze Regierungszeit Friedrichs und Elisabeths in der Pfalz waren ein goldenes Zeitalter der Hermetik, das sich sowohl auf die von Michael Maier geleitete alchimistische Bewegung als auch auf Dees ›Monas hieroglyphica‹ und alles damit Zusammenhängende gründete.53
Belassen wir es bei diesem Hinweis und damit dem auf ein Werk, das wie dasjenige von Evans ein faszinierendes Kapitel europäischer Geistigkeit um 1600 entfaltet, das in der Literatur und den bildenden Künsten gegenwärtig ist, aber eben auch in die politischen Aktivitäten immer wieder hineinspielt. Der Textexegese bleibt es vorbehalten, ihm von seiten der Literaturwissenschaft Rechnung zu tragen und Profil zu verleihen. Auch das Werk Opitzens gibt dazu hinreichenden Anlaß.
Magna Graecia Zum Schluß ist es von gewissem Reiz, nochmals zurückzukehren nach Italien. Noch einmal und vielleicht ein letztes Mal ergreift das Land die Führung. Nun aber nach dem Vorgang des Nordens und inspiriert durchaus von der ersten graecophilen Welle im Zeichen des Neuplatonismus der Süden der Magna Graecia. Hier waren Traditionen der Vorsokratik, die unergründlichen Gedankensplitter eines Parmenides und Empedokles, eines Pythagoras und Timaios der dem ionischen Meer zugewandten Erde eingesenkt, die zwei Jahrtausende später wiederbelebt wurden.54 ––––––––– 53
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Frances A. Yates: The Rosicrucian Enlightenment.- London, Boston: Routledge & Kegan Paul 1972. Deutsche Übersetzung von Eva Zahn unter dem Titel: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes.- Stuttgart: Klett 1975. Hier das Zitat S. 9 f. Vgl. den Eintrag ›Rosenkreutzer‹ in der Theologischen Realenzyklopädie XXIX (1998), S. 407–413 (Wilhelm Kühlmann), mit ausführlicher Literatur. Hier sei aus dem reichhaltigen Schrifttum verwiesen auf: Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jahrhundert. Hrsg. von der Bibliotheca Philosophica Hemetica.- Amsterdam: In de Pelikaan 2002. Vgl. auch das reich bebilderte Ausstellungswerk: Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke.Amsterdam: In de Pelikaan 1995. Natürlich ist das Rosenkreuzertum auch in Wollgasts Werk Gegenstand (vgl. Anm. 34). Hier einschlägig das Kapitel: Andreae, die Rosenkreuzer und der Sozietätsgedanke, S. 300–345. Und abschließend selbstverständlich der Verweis auf das klassische Werk von Will-Erich Peuckert: Die Rosenkreutzer. Zur Geschichte einer Reformation.- Jena: Diederichs 1928; Das Rosenkreuz. Mit einer Einleitung herausgegeben von Rolf Christian Zimmermann. 2. neugefaßte Auflage.- Berlin: Erich Schmidt 1973 (Pansophie; 3). Diese verschüttete Tradition ist bekanntlich in grandioser Manier von Ernesto Grassi und seinem Kreis rehabilitiert und restituiert worden. Vgl. die entsprechenden Beiträge in den beiden Jahrgän-
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Daß diese Schatzgräber um 1600 wiederum vielfach nur als verfolgte, eingekerkerte und verbrannte Ketzer ihr schöpferisches Werk alternativen Denkens zu verrichten vermochten, nimmt nach dem bislang schon Vorgetragenen gewiß kaum noch Wunder. Denn nun stand nicht nur die kirchliche Lehre und Tradition im engeren Sinn auf dem Prüfstand, sondern mit ihr die Gesamtheit der bis dato unbefragten kosmologischen und schöpfungstheologischen Vorstellungen, die Jahrhunderte über Orientierung in Raum und Zeit geboten hatten. Wir könnten zu Telesio, zu Patrizi und selbstverständlich zu dem Größten, zu Giordano Bruno greifen. Wir verweilen einen Moment lang bei Tommaso Campanella.55 Auch er ist der communis opinio nach festgelegt auf den fälschlich so genannten ›Sonnenstaat‹, die ›Città del Sole‹, also die Sonnenstadt – ursprünglich nichts anderes als ein Appendix zu den von Tobias Adami aus dem Gefängnis herausgeschmuggelten und 1623 in Frankfurt erschienenen ›Realis Philosophiae epilogisticae partes IV‹.56 Man muß, will und kann nicht eindringen in seine metaphysischen Lehrbücher, fast dreißigjähriger Kerkerhaft heldenhaft abgerungen, einen Blick in seine seit kurzem in einer vorzüglichen, von Kurt und Thomas Flasch besorgten deutschsprachigen Ausgabe vorliegenden ›Philosophischen Gedichte‹ werfen – auch sie im Gefängnis den Qualen der Folter entgegengeschrieben und ein Jahr vor der Sonnenstadt gleich–––––––––
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gen der ›Geistigen Überlieferung‹ (Berlin: Helmut Küpper vormals Georg Bondi 1940–1942). Zum Kontext die grundlegende Untersuchung von Grassi: Vom Vorrang des Logos. Das Problem der Antike in der Auseinandersetzung zwischen italienischer und deutscher Philosophie.- München: Beck 1939. Vgl. dazu die Einleitung von Grassi zu einem seiner letzten Bücher: Einführung in philosophische Probleme des Humanismus.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1986, S. 1–12. Zu vergleichen auch die diversen, hier nicht aufzuführenden Studien Grassis zu Vico. Zur ›philosophia perennis‹ vgl. das reiche Werk von Wilhelm Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit.- Frankfurt/Main: Suhrkamp 1998. Aus der reichen Literatur sei hier nur verwiesen auf den großen Essay von Kurt Flasch: Poesie – Philosophie – Politik: Tommaso Campanella.- In: Philosophische Gedichte. Italienisch – deutsch. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Thomas Flasch. Mit einleitendem Essay und Kommentar von Kurt Flasch.- Frankfurt/Main: Klostermann 1996, S. 11–95. Die Literatur ansonsten selbstverständlich zu konsultieren über das Campanella-Kapitel von Pavel Floss in der Neubearbeitung des Ueberweg: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Band I: Allgemeine Themen. Iberische Halbinsel. Italien. Hrsg. von Jean-Pierre Schobinger.- Basel: Schwabe 1998, S. 569– 600. Hier das Literaturverzeichnis S. 615–617. Zur Lyrik speziell die jüngsten Beiträge von Francesco Giancotti: Tommaso Campanella: Le poesie della ›Scelta‹ e la loro disposizione.- In: Studi Secenteschi 41 (2000), S. 3–25; 42 (2001), S. 3–57; Barbara Zandrino: I versi del pensiero. La ›Scelta d’alcune poesie filosofiche‹ di Tommaso Campanella.- In: La parola al testo. Scritti per Bice Mortara Garavelli. A cura di Gian Luigi Beccaria.- Alessandria: Edizioni dell’Orso 2002, S. 997–1031; Luigi Reina: Sulla poesia di Tommaso Campanella.- In: L’occhio e la memoria. Miscellanea di studi in onore di Natale Tedesco. Band I–II.- Palermo: Lombardi 2004, Band I, S. 169–179. Das folgende Campanella-Porträt übernommen aus Klaus Garber: Hoffnung im Vergangenen? Die Frühe Neuzeit und das werdende Europa.- In: Zwischeneuropa/Mitteleuropa. Sprache und Literatur in interkulturellen Konstellationen. Akten des Gründungskongresses des Mitteldeutschen Germanistenverbandes. Hrsg. von Walter Schmitz in Verbindung mit Jürgen Joachimsthaler.- Dresden: Thelem 2007 (Veröffentlichungen des Mitteleuropäischen Germanistenverbandes; 1), S. 43–57. Vgl. Flasch: Poesie – Philosophie – Politik (Anm. 55), S. 47.
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falls von Adami auf italienisch ediert –, um eine Ahnung von der Gewalt und Tiefe des Denkens zu gewinnen, das hinter den Schriftzügen steht, die da allgegenwärtig an den Mauern der in konzentrischen Kreisen angelegten Sonnenstadt ihre Bewohner tagtäglich begleiten.57 Denn Wissen ist neben Macht und neben Liebe der dritte Pfeiler, auf dem das Gemeinwesen der Ferne und also der Zukunft zu ruhen bestimmt ist. Io, che nacqui dal Senno e di Sofia, sagace amante del ben, vero e bello, il mondo vaneggiante a sé rubello richiamo al latte della madre mia. Essa mi nutre, al suo marito pia; e mi trasfonde seco, agile e snello, dentro ogni tutto, ed antico e novello, perché conoscitor e fabbro io sia. Se tutto il mondo è come casa nostra, fuggite, amici, le seconde scuole, ch’un dito, un grano ed un detal vel mostra. Se avanzano le cose le parole, doglia, superbia e l’ignoranza vostra stemprate al fuoco ch’io rubbai dal sole.
Von Intellekt und Weisheit geboren, ich, der forschend Gutes, Wahres und Schönes liebt, die sich bekämpft, die Irre ruf’ ich, rufe die Welt zu der Milch der Mutter. Dem Gatten treu verbunden, ernährt sie mich und führt mich mit sich schnell und behende, führt mich ein in alles Alte, Neue, daß ich als Dichter auch Denker sei. Ist das Universum wie unsre Wohnung, Freunde ihr, so flieht vor den zweiten Schulen, daß euch Punkt und Linie und Körper lehren. Gehen Worten Dinge voran, zerschmelze eure stolze, leidvolle Ignoranz in dem Feuer, das ich entriß der Sonne.
So das Eingangs-Sonett in Gestalt eines Prologs zu dem poetisch-philosophischen Zyklus. Es kann hier nicht entfernt ausgeschöpft werden; zu verweisen ist auf den Kommentar von Kurt Flasch.58 Nur ein Moment sei akzentuiert. Senno und Sofia, Vernunft und Weisheit, die Eltern, geleiten zu der ›ersten Schule‹, dem ewigen Universum als dem unversiegbaren Born von Erkenntnis wie dem lebendigen Quell der ––––––––– 57
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Vgl. das ›Prolog‹ betitelte Eingangsgedicht in italienischer und deutscher Fassung in der oben in Anm. 55 zitierten Ausgabe der philosophischen Gedichte Campanellas, S. 98 f. Der Kommentar in der in Anm. 55 zitierten Ausgabe S. 174–180.
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Erneuerung und Umgestaltung. Verbraucht, schal geworden und ein Grund der Entzweiung sind die Überlieferungen der ›zweiten Schule‹, der Schrift. Schrift ist auf ursprüngliches Wissen gegründet, wie es sich in Anblick und Erforschung des Kosmos bildet. Die Welt bekämpft sich im Zeichen des sekundären Wissens. Weisheit aber – auf Vernunft gegründet – geleitet zu unverbrüchlicher harmoniestiftender Einsicht, der immer auch eine aktive praxisorientierte Komponente eigen ist, über die die Transmission in die vergreiste, zerfallene, militarisierte Welt verläuft, deren Gewalt Campanella die Mehrzahl seiner Lebensjahre über unmittelbar erfuhr. Er hat diese in seine Metaphysik in ungezählten dialektischen Operationen integriert. Sie blieb die Chiffre des Nichts, der er seine dem Abglanz der Sonne entrissene Vision einer auf Einsicht in die Natur basierten zukünftigen Welt entgegenhielt. Das war der naturphilosophische, in der Tradition der antiken Kosmologie verwurzelte Kontrapunkt zu den Aporien, in die das christlich fundierte Europa fernab von den Prinzipien seines Stifters geraten war. Mit Campanella und seinen Lehrern und Freunden stieg das Buch der Natur als die erste und ursprüngliche Lehrerin der Menschheit unwiderruflich und mit Blick auf das 18. Jahrhundert sieghaft aus dem Schisma des zerfallenen Europa herauf. Doch nicht seinen machtpolitischen Spekulationen, einmal auf den Papst, einmal auf Spanien, einmal auf Frankreich gemünzt, von denen er die Rückkehr zur Einheit erhoffte, war ein Überleben beschieden. Es war der Denker und Dichter der dem Feuer der Sonne wie der brennenden Erde entrissenen Sophia von universaler, alle Menschen einender Gestalt, dem die Zukunft gehören sollte.
Späthumanismus und Aufklärung Nur ein einziges Mal sollte auch die philosophia perennis auf der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert, verpuppt in die Poesie, zu Wort kommen. Vielleicht, daß die kleine Passage dazu beiträgt, den folgenden Gedanken von anderer Seite aus ein wenig an Evidenz zu verleihen. Nur angetippt werden konnte ein geistiger und religiöser Kosmos, wie er sich um 1600 in unerhörtem Reichtum darbietet. Nun aber ist der Schritt zu Opitz zu tun und also ein erstes und durchaus vorläufiges Fazit zu ziehen. Es wird an Farbe gewinnen, wenn denn sogleich die Texte des Boberschwans in ihre Rechte treten. Sie nämlich sind das einzige und allein ausschlaggebende Zeugnis der poetischen wie der mentalen Verarbeitung jener Geschehnisse, die da in Auswahl und Abbreviatur die Bühne passierten und die sich konkretisieren werden im Fortgang unserer Untersuchung. Als Humanist wurde Opitz tituliert und schon jetzt das eine oder andere Mal aufgerufen. In der Tat nehmen wir sein Werk und insbesondere die ihm zugehörigen Paratexte als Quelle und Auskunftsmittel in Anspruch, um der Frage näher zu treten, wie ein Repräsentant der nobilitas litteraria um 1600 auf eben jene im religiösen Bereich sich vollziehenden Entwicklungen, Auseinandersetzungen und Konflikte gleichermaßen poetisch wie diskursiv reagiert. Die Antwort darauf ist so präzise und triftig, wie sie sich in der textuellen Materie selbst abzeichnet. Sie braucht deswegen
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keineswegs offen zutage zu liegen. Es wird mehr als einmal erheblicher interpretatorischer Anstrengungen bedürfen. Am Ende aber zählt allein das exegetisch entfaltete Bild. Es wird zu konstatieren sein, daß explizite konfessionelle oder auch religiöse Zuschreibungen im Blick auf Opitz wie auf so viele seiner Weggefährten nicht, oder genauer: nicht mehr möglich sind. Wo solche von Person und Werk her sich nahelegen, ist nur noch ausnahmsweise von einer zeittypischen Erscheinung zu sprechen. So gut wie alle bedeutenden Autoren haben sich der wortwörtlichen Bekenntnisse enthalten. Viel zu differenziert nahmen sich die weltanschaulichen und religiösen Optionen inzwischen aus, als daß sich eine einsinnige Positionierung noch nahegelegt hätte. Hybride Glaubensformen prägen die Signatur der Zeit, und die Humanisten stehen dafür wie keine andere Gruppe ein, sahen sie sich doch seit eh und je vor die Aufgabe gestellt, für Ausgleich und Vermittlung heterogener Überlieferungsbestände Sorge zu tragen, und das keinesfalls nur angesichts der ›heidnischen‹ antiken Erbschaften. So verschieden sich die Antworten indes ausnehmen, so deutlich erkennbar sind doch sich durchhaltende Argumente, Bilder und Motive. In auffälliger Weise beteiligt sich auch ein Opitz weniger an spekulativen, um theoretische Konsistenz bemühten Versuchen. Gerade umgekehrt erzeugt die religiöse, die theologische Spekulation eher Mißtrauen und ist mit einem Verdikt belegt. Zu viel derartiger Aufwand ist mit dem Bibelwort selbst wie mit dem seiner prominenten Ausleger getrieben worden, als daß in dieser Richtung noch Förderliches erhofft werden dürfte. Abstandnahme von der nicht endenden Spekulation ist das Anliegen eben jener, die den schlichten Glauben vor allem anderen wieder in seine Rechte eingesetzt sehen möchten, bietet alleine er doch die Gewähr für eine Befriedigung, um die es inzwischen vor allem geht. Bedürfte es eines Schlagwortes zur Kennzeichnung des allenthalben zutage tretenden antispekulativen Gestus, so wäre es das eines durchgehend zu gewahrenden Reduktionalismus. Spekulativer Hang ist in Glaubensfragen eine zu Irrwegen und Zank geleitende Fehlleistung. Er mag angebracht sein, nicht aber in jenen Regionen, da es um glaubensförmige Essentialia geht. Derer sind wenige, und die bedürfen allemal der Beglaubigung nicht nur durch das Wissen, sondern vor allem durch das Tun. Lange vor Einsatz des Pietismus sind die Grundlagen und Leitlinien einer sich an der Praxis bemessenden Gläubigkeit formuliert. Auch ein Opitz ist unmittelbar mit Vertretern dieser Überzeugung zusammengekommen und hat schon in jungen Jahren von ihnen lernen können. Wie bei den Reformatoren selbst ist auch bei den Humanisten ein Rückgang zu den biblischen Quellen und zu den frühchristlichen Zeugnissen zu gewahren. Dezidiert bestritten indes wird die Notwendigkeit ihrer dogmatischen Fixierung und ihrer zur konfessionellen Diversifikation geleitenden kontroversen Auslegung. Das Primat liegt auf der je einzelnen und individuellen Adaptation, deren einzig maßgebliches Kriterium die Überführung des Wortes und der Schrift in das Leben, in die Existenz darstellt. Und dazu gehört die mit dem Glauben innig verbundene Bereitschaft zum Gewährenlassen einer jeden gläubigen Seele und die Abstandnahme von Bekehrung und Zwang. Es wird sich zeigen, wie jene fundamentalen Sätze ausschauen, die sich da als religiöse Kernmaterie behaupten und ein unveräußerliches Glaubensgut bleiben. Wohin
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man jedoch blickt ist überdeutlich, daß es der Überdruß an der Mißachtung der christlichen Elementaria ist, welcher zu ihrer neuen Wertschätzung und Statuierung geleitet. Die Spaltung der Christenheit ist vollzogen. Sie ist nicht auf theologischem, nicht auf politischem Wege rückgängig zu machen, sondern alleine von innen heraus zu überwinden. Kampf ist immer da angesagt, wo Überwältigung droht oder praktiziert wird. Diese Waffe ist eine aus der Not geborene und wird als solche qualifiziert. Nur über das sich an dem Stifter selbst orientierende Verhalten ist die Heilung der schmerzlich schwelenden Wunde zu erhoffen. Mit all dem nur eben Angedeuteten und fortschreitend deutlicher zutage Tretenden zeichnen sich Umrisse einer Frömmigkeitskultur ab, die hinübergeleiten in das Zeitalter der Aufklärung. Es ist nicht zuletzt ein späthumanistisches Erbe, auf das sich Vertreter der Aufklärung, sofern sie an der theologischen Debatte teilnehmen, zurückbeziehen können. Ein Opitz ist in dieser Hinsicht gewiß nur ausnahmsweise dabei. Der Schwerpunkt seiner Rezeption lag auf dem Sektor, der von ihm als sein ureigentlicher reklamiert wurde. Doch auch sein dichterisches und kulturpolitisches Agieren war mitbestimmt durch die großen Fragen der Zeit. Ihnen stellte er sich, und das vielleicht energischer als in der landläufigen Vorstellung von dem ›Vater der deutschen Dichtung‹ gegenwärtig. Die Verschlingung der Motive zu gewahren, macht den Reiz eines produktiven Umgangs auch mit seinem Werk aus. Eine Geistigkeit wird erfahrbar, deren Aktualität immer noch besticht. Dieses ihr produktives Fortzeugen teilt sie mit jedweden den dogmatischen, fundamentalistischen Fremdbestimmungen sich entziehenden Formen des Denkens und Handelns, wie es ein Signum jedweden aufgeklärten Votierens bleiben wird.
III. Eine gelehrte Jugend in Schlesien Im Umkreis des Späthumanismus zu Bunzlau und Breslau Raumkunde im Blick auf den alten deutschen Sprachraum Wir gehen über zu Leben und Werk des jungen Martin Opitz. Und das nicht primär in biographischer Absicht. Für die einschlägigen Stationen seines Lebens ist durch die verfügbare Literatur bis auf weiteres hinlänglich gesorgt. Uns interessiert an dieser Stelle nicht anders als in den meisten der folgenden Kapitel, wie historisch, konfessionell und kulturell geprägte Räume Einfluß gewinnen auf den Lebensgang und den Werkgehalt eines Dichters. Diese Frage ist für eine jede literaturwissenschaftliche Untersuchung zur historischen Verortung eines Autors von maßgeblicher Bedeutung. In der Zeit vor 1800 jedoch gewinnt sie an Dringlichkeit. Noch gibt es keinen nationalen Literatur- und Kulturraum, in dem die Druckwerke – vermittelt über Verlage und Buchhändler – zirkulieren würden. Regionale Mächte bestimmen das Bild: Städte, weltliche und geistliche Fürstentümer, Dynastien etc. Und das zu keinem Zeitpunkt mehr als in dem des Humanismus. Raumkunde bleibt folglich die unerläßliche Voraussetzung für die Erkundung von Leben und Werk auch eines späthumanistischen Autors wie Martin Opitz. Und mit ihr ist folglich im Blick auf den jungen Opitz einzusetzen. Doch zunächst muß ein methodisches und wissenschaftshistorisches Wort verlauten. Natürlich ist uns bewußt, mit einem Begriff wie ›Raumkunde‹ Anstoß zu erregen. Er ist völkerpsychologisch und ethnisch etc. vielfältig vorbelastet. Um so mehr Veranlassung eben deshalb, ihn von diesen Befleckungen zu reinigen. Das aber geschieht am ehesten in actu, und also auch durch unsere sogleich einsetzende Betrachtung. Wir wissen dabei großartige Gewährsleute an unserer Seite, die ein Beispiel geben für eine genuine Handhabung raumkundlicher Konzepte. So denken wir – ganz abgesehen von Vorläufern im 18. und 19. Jahrhundert vom Schlage eines Herder oder Gervinus – an Literaturwissenschaftler und Kulturmorphologen wie Konrad Burdach oder Rudolf Borchardt, Robert Minder oder Herbert Schöffler, Richard Alewyn oder – last, not least, ungeachtet aller verbalen Verirrungen – Josef Nadler. Von ihnen allen kann man eminent lernen. Und so lohnt es sich allemal, diese Zugangsweise auch einem Autor wie Martin Opitz zugute kommen zu lassen.1 ––––––––– 1
Für das Nähere mit Literatur darf verwiesen werden auf Klaus Garber: Alteuropäisches Erbe. Das Werk Josef Nadlers in der Optik Rudolf Borchardts – mit Seitenblicken auf Konrad Burdach, Hugo von Hofmannsthal und Walter Benjamin.- In: ›Schöpferische Restauration‹. Traditionsverhal-
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Opitz hatte das Glück, in den beiden produktivsten kulturellen und literarischen Landschaften seine Jugend verbringen zu können, die im alten deutschen Sprachraum zu jener Zeit existierten. ›Alter deutscher Sprachraum‹! Dieser Begriff wird viele Male in unserem Buch erscheinen. Er ist keine Verlegenheitslösung, sondern den spezifischen deutschen Verhältnissen angepaßt. Dem Kulturhistoriker der Frühen Neuzeit ist es versagt, mit Kategorien wie ›Reich‹ oder ›Nation‹ mehr oder weniger unbesehen zu operieren. Deutsche Sprache und die auf ihr basierende kulturellen Manifestationen reichen insbesondere im Osten weit hinaus über die Grenzen des alten Reichs. Statt politischer Grenzziehungen sind sprachlich-kulturell offene Markierungen vorzunehmen, und eben diese ermöglicht der Terminus ›alter deutscher Sprachraum‹.2 Er ist auf das vielfältigste politisch, religiös, kulturell binnendifferenziert, wie sich konkret am Beispiel Opitzens zeigen wird. Auch dessen Biographie wäre gar nicht zu vergegenwärtigen, hantierte man mit wie auch immer gearteten nationalen Vermessungen. Maßgebliche Teile Europas, so viel wird deutlich werden, haben Anteil auch an seiner Biographie. Der gewählte und uns begleitende Terminus ist ein solcher, der dem europäischen Haus entgegenkommt, das zu keinem Zeitpunk ein reicher bestelltes war als in der Frühen Neuzeit.3
Physiognomie Schlesiens Opitz ist Schlesier. Diese schlichte Wahrheit zu vernehmen, verbindet sich für den ›Raumkundler‹ mit der Evokation eines historischen Mikrokosmos, und unsere darstellerische Kunst hat nicht zuletzt darin zu bestehen, ihm in aller gebotenen Kürze Konturen zu verleihen. –––––––––
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ten in der Literatur der Klassischen Moderne. Hrsg. von Barbara Beßlich, Dieter Martin.- Würzburg: Ergon Verlag 2014 (Klassische Moderne; 21), S. 115–144; ders.: Kulturelle Räume und präsentimentale Mentalität. Richard Alewyns Werk über Johann Beer und den Roman des 17. Jahrhunderts.- In: Johann Beer. Schriftsteller, Komponist und Hofbeamter 1655–1700. Hrsg. von Ferdinand van Ingen, Hans-Gert Roloff. Redaktion Ulrike Wels.- Bern etc.: Lang 2003 (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A: Kongreßberichte; 70), S. 15–37. Eingegangen in Klaus Garber: Zum Bilde Richard Alewyns.- München: Fink 2005, S. 37–59. Vgl. zum übergeordneten Zusammenhang auch: Kulturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk im Blick auf das Europa der Frühen Neuzeit. Unter Mitwirkung von Sabine Kleymann hrsg. von Klaus Garber.- München: Fink 2002, S. 38–56. Auch hier muß nochmals für das Weiterführende verwiesen auf zwei Arbeiten des Autors: Stadt und Literatur im alten deutschen Sprachraum. Umrisse der Forschung – Regionale Literaturgeschichte und kommunale Ikonologie – Nürnberg als Paradigma.- In: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1998 (Frühe Neuzeit; 39), Band I, S. 3–89. Eingegangen in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit.- Paderborn: Fink 2017, S. 183–261; ders.: Der alte deutsche Sprachraum des Ostens im Herzen Mitteleuropas.- In: ders: Nation – Literatur – Politische Mentalität. Beiträge zur Erinnerungskultur in Deutschland. Essays, Reden, Interventionen.- München: Fink 2004, S. 207–244. Ein – bis auf weiteres – letzter autorenbezogener Hinweis: Klaus Garber: Die Epoche der Frühen Neuzeit. Rückgewinnung einer kulturwissenschaftlichen Kategorie. Hrsg. von Kai Bremer.- Münster: LIT (in Vorbereitung) (Kleine Schriften; 2).
Physiognomie Schlesiens
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Schlesien steht singulär da im weiten alten deutschen Sprachraum. Kulturmorphologen wie der erwähnte Herbert Schöffler – Anglist seines Zeichens! – haben das gewußt und dem Schlesien der Frühen Neuzeit eine wunderbare, der historischen und kulturellen Landschaft geltende Monographie gewidmet. Von derartigen Landschaften ein farbenreiches Porträt zu zeichnen, ist eine Kunst ganz eigener Art. Da geht es um Linienführung, lokale Pointierung und Bündelung der verschiedensten geistigen Kräfte und Strömungen. Der Porträtist muß sich auf eine Zusammenführung häufig weit auseinanderliegender Gebiete und Themen verstehen, interdisziplinäres Handeln – so häufig beschworen – also in einer Person praktizieren. Auch von Schöffler kann man dies lernen, der gleich nach dem Machtantritt durch die Nazis von seinem Kölner Lehrstuhl vertrieben wurde, in Göttingen eine neue Heimat fand und dort 1946 Selbstmord beging.4 Schlesien gehörte – wie Mähren, die Grafschaft Glatz sowie Ober- und Niederlausitz – seit dem Jahr 1526 zu den sog. Böhmischen Nebenländern.5 Es bestand in dieser Zeit aus fünf immediaten, dem böhmischen König unmittelbar unterstehenden Erbfürstentümern, sieben Mediatfürstentümern im Besitz fürstlicher Häuser sowie einer Reihe von größeren und kleineren Herrschaften. Die immediaten Erbfürstentümer wurden gebildet durch Breslau, Schweidnitz-Jauer, Glogau, Troppau und Oppeln-Ratibor. Das letztere Territorium war erst 1521 vereinigt worden, fiel aber bereits 1532 nach dem Aussterben der Oppelner Piasten an Böhmen zurück und wanderte alsdann für zwanzig Jahre an die fränkischen Hohenzollern, bevor es in Einzelpfandschaften zerfiel. Das politisch wie kulturell bei weitem bedeutendste Mediatfürstentum, bis 1675 von den Piastenherzögen regiert, war Liegnitz-Brieg, das 1523 auch Wohlau hinzuerwerben konnte. Gleichfalls unter Piastenherrschaft bis 1625 bzw. 1653 stand Teschen, während Münsterberg-Frankenstein und Oels-Bernstadt vom Haus Podiebrad regiert wurden. Jägerndorf bildete das Einfallstor der Hohenzollern – ein noch von Friedrich ––––––––– 4 5
Wir verweisen zurück auf die Hinweise im ersten Kapitel, S. 31 mit Anm. 33. Für die folgenden Ausführungen sei an dieser Stelle ein für alle Mal auf die einschlägigen Darstellungen verwiesen: Colmar Grünhagen: Geschichte Schlesiens. Band I–II.- Gotha: Perthes 1884– 1886; Geschichte Schlesiens. Band I: Von der Urzeit bis zum Jahre 1526. Hrsg. von Ludwig Petry, Josef Joachim Menzel, Winfried Irgang. 5., durchges. Aufl.- Sigmaringen: Thorbecke 1988; Band II: Die Habsburgerzeit 1526–1740. Hrsg. von Ludwig Petry, Josef Joachim Menzel. 2., durchges. Aufl.- Sigmaringen: Thorbecke 1988; Band III: Preußisch-Schlesien 1740–1945. Österreichisch-Schlesien 1740–1918/45. Hrsg. von Josef Joachim Menzel.- Stuttgart: Thorbecke 1999. In der zehnbändigen Reihe ›Deutsche Geschichte im Osten Europas‹ wurde der Schlesien betreffende Band betreut von Norbert Conrads.- Berlin: Siedler 1994. Des weiteren: Joachim Bahlcke: Schlesien und die Schlesier.- München: Langen Müller 1996 (Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche; 7). Zur Forschungsgeschichte: Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2005 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; 11). Vgl. von Bahlcke auch: Krise und Krieg. Schlesien zur Zeit von Martin Opitz.- In: Martin Opitz 1597–1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner, Wolfgang Kessler.- Herne: Stiftung Martin-OpitzBibliothek 2006 (Martin Opitz-Bibliothek. Schriften; 3), S. 55–77. Zur Kulturgeschichte zuletzt: Klaus Garber: Nobilitas litteraria Silesiae. Schlesien – Herzlandschaft des europäischen Späthumanismus und der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Christine Absmeier.- Münster: LIT (in Vorbereitung) (Kleine Schriften; 4).
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III. Bunzlau und Breslau
dem Großen zur Rechtfertigung seines Überfalls genutztes Alibi, über dessen Haltlosigkeit kein Wort verloren zu werden braucht. Nachdem hier die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach ein knappes Jahrhundert regiert hatten und das Herzogtum dann für zwanzig Jahre an die Berliner Linie der Hohenzollern gefallen war, wurde es bereits 1621 eingezogen. Die Habsburger wußten sehr genau um die Gefahr, welche ihnen langfristig von dem unaufhaltsam nach oben strebenden Konkurrenten im Nordosten drohte. Auch Sagan war zeitweilig an Brandenburg-Ansbach verpfändet, ging dann aber rasch an die Freiherrn von Promnitz und später (1628) unter Erhebung zum Herzogtum an Wallenstein über, bevor es schließlich an die Lobkowitz fiel. Den Schluß bildete das Fürstentum Neisse mit dem Bistum Breslau, und damit so bedeutenden, für die Ausbreitung des Humanismus schlechterdings entscheidenden Figuren wie Johann IV. Roth und Johann V. Thurzo, Jakob von Salza und Balthasar von Promnitz, Kaspar von Logau und Martin von Gerstmann in den Reihen seiner Bischöfe. Freie Standesherrschaften waren schließlich Wartenberg, Trachenberg, Militsch und Pleß. Unter den sonstigen Herrschaften sei hier nur Beuthen an der Oder erwähnt, das über den Gründer eines ›Gymnasium illustre‹ Georg von Schoenaich aufs engste mit der Formation der neueren deutschen Literatur verbunden ist. Als Land der Krone Böhmen war Schlesien mittelbares Reichslehen und verfügte als solches weder über Sitz noch Stimme auf dem Reichstag. Auch war es ebenso wenig wie Böhmen in die auf dem Wormser Reichstag von 1495 vorgenommene Kreisverfassung des Reichs einbezogen. Die Fürstentage auf dem Breslauer Rathaus wurden von drei Kurien gebildet: die der Fürsten und Freiherrn, die der Erbfürstentümer und die der königlichen Städte, unter denen Breslau und zeitweilig auch Liegnitz hervorragten. Die entscheidenden verfassungsrechtlichen und institutionellen Weichenstellungen für das Land erfolgten gleich unter dem ersten Habsburger Landesherrn Ferdinand I. So zurückhaltend dieser konfessionell taktierte, so entschieden griff er andererseits in die Verfassung des Landes zugunsten der Königlichen Krone ein. Nur seinem behutsamen religionspolitischen Kurs dürfte es zu danken sein, daß die Übertragung der Oberlandeshauptmannschaft auf den Bischof von Breslau im Jahre 1536 von den Protestanten ohne nennenswerten Protest hingenommen wurde. Die Verbindung von Bischofsamt und Oberlandeshauptmannschaft blieb bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts in Kraft. 1548 wurde die Prager Appellationskammer geschaffen, womit die städtischen Gerichte fortan statt an das der Reichsacht verfallene protestantische Magdeburg an die königlich-habsburgische Instanz in der böhmischen Hauptstadt verwiesen waren. Ein Jahrzehnt später tat Ferdinand den für die Zukunft des Landes vielleicht einschneidendsten Schritt, indem er in der Kaiserlichen Hofburg in Breslau die der Wiener Hofkammer direkt nachgeordnete Schlesische Kammer installierte, die de jure für die fiskalischen Belange zuständig war, de facto aber immer mehr die Funktion einer königlichen Aufsichtsbehörde über das unbotmäßige, vom alten Glauben abgefallene und ständisch zunehmend erstarkende Land übernahm. Zur verfassungsmäßigen Vielfalt trat mit der Reformation die religiöse, deren Geschichte auf schlesischem Boden sehr eng mit der Herrschaft der Habsburger verbunden ist. Sie wurde Schlesiens Schicksal. In keinem Territorium des Alten Reichs nahm
Bunzlau am Bober in den Augen von Opitzens erstem Biographen
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die Gläubigkeit so vielfältige und eigenwillige Gestaltungen an wie in Schlesien. Keine Region des alten deutschen Sprachraums hat die neue Gotteserfahrung so tiefgründig weitergedacht und zugleich so bildkräftig theologisch und poetisch umkreist wie die erlauchten Geister des schlesischen mystischen Spiritualismus. Ist der deutschen Sprache nach dem lutherischen Durchbruch nochmals eine Verjüngung und ein innovativer metaphysischer Schub zugewachsen, so ist dies den schlesischen Denkern und Dichtern des 16. und 17. Jahrhunderts zu verdanken.6 Die Wirkungen reichten bekanntlich bis tief in den Pietismus, die Empfindsamkeit und den Sturm und Drang hinein, prägten den jungen Goethe ebenso wie Hölderlin und Jean Paul nebst der gesamten Romantik und inspirierten noch den spekulativen Idealismus eines Schelling, Franz von Baader und Hegel. Auch wenn die von Schlesien ihren Ausgang nehmende klassizistische Poesie im Ensemble der europäischen Nationalliteraturen ein vergleichsweise marginales Ereignis blieb, so war es der schlesischen geistlichen Dichtung nicht anders als der schlesischen Metaphysik und Mystik beschieden, den deutschen Radius zu überschreiten, Europa zu faszinieren und tief zumal in die Niederlande und nach England herüberzuwirken.
Bunzlau am Bober in den Augen von Opitzens erstem Biographen Die alten Redner lehren fast einhällig: man solle sein Vaterland loben, absonderlich, wenn man sonst wenig Gelegenheit zu öffentlichen Reden, oder auch nur überflüssige Zeit dazu habe. Doch mein allerliebstes Bunzlau! dein weitläuftiges Lob mögen andre und fremde angeben. Jch darf es nicht thun, weil man mich leichtlich einer übrigen Liebe zu meiner Vaterstadt beschuldigen, und daher mit üblen Nachreden belegen möchte. Unterdessen mögen sich andre Städte mit ihren prächtigen Kirchen und Rathhäusern, mit ihren vielen Gebäuden, mit ihrer überflüssigen Handlung, und mit mancherley andern bürgerlichen Glückseligkeiten groß machen; gnug! daß du wegen deiner beqvemen und angenehmen Lage, wegen deiner gesunden Luft und wegen des fruchtbaren Bodens wenigen, aber wegen deiner berühmten Männer keinen Städten in Schlesien, ja überhaupt nur etlichen in ganz Deutschland etwas nachgiebst; gnug! daß du in und auser Landes längst das Lob verdienet, daß du die vornehmsten, größten und berühmtesten Männer erzeugt, auferzogen und gezogen hast.
Man möchte meinen, daß da ein Opitz ein Lob auf seine Heimatstadt singt. Nein, er ist es nicht, obgleich die Worte auch aus seinem Munde stammen könnten. Ein Lands––––––––– 6
Grundlegend geblieben: Will-Erich Peuckert: Die Rosenkreutzer. Zur Geschichte einer Reformation.- Jena: Diederichs 1928. Darin insbesondere das vierte Kapitel: Abraham von Frankenberg (S. 243–384). Ihm liegt die unveröffentlicht gebliebene gleichnamige Dissertation Peuckerts zugrunde. Eine zweite neugefaßte Auflage des Werkes – jetzt als dritter Band der Trilogie ›Pansophie‹ zugeordnet – erschien 1973 bei Erich Schmidt in Berlin. Des weiteren einschlägig für Schlesien insbesondere die Schlußkapitel in Peuckerts zweitem Hauptwerk: Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie.- Stuttgart: Kohlhammer 1936. 2. überarb. und erw. Aufl.- Berlin: Erich Schmidt 1956. Beide Werke sind mit einem reichen Anmerkungs-Apparat ausgestattet. Wichtig geblieben auch das ältere Werk von Gustav Koffmane: Die religiösen Bewegungen in der evangelischen Kirche Schlesiens während des 17. Jahrhunderts.- Breslau 1880. Zum Kontext zuletzt: Kristine Hannak: Geist=reiche Critik. Hermetik, Mystik und das Werden der Aufklärung in spiritualistischer Literatur der Frühen Neuzeit.- Berlin, Boston: de Gruyter 2013 (Frühe Neuzeit; 182).
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III. Bunzlau und Breslau
mann von ihm, und ein sehr guter Freund hat sie gefunden. Und das unmittelbar nach Opitzens Tod. Christoph Colerus lautet sein Name. Wir werden ihm auf unserer Wanderung immer wieder begegnen, hat er uns doch die erste Opitz-Biographie geschenkt, durch und durch erfüllt nicht nur von Verehrung, sondern auch von zeitgenössischem Timbre. Eine Lob- und Gedächtnisrede verlautete da in der berühmten Bibliothek des Magdalenen-Gymnasiums zu Breslau, wo Colerus soeben das Amt des Bibliothekars übernommen hatte. Solch eine Rede vor einem akademischen Publikum wurde selbstverständlich auf Latein gehalten; das sprachen und verstanden alle, und vielfach waren diese Gelehrten im Lateinischen entschieden eloquenter als im Deutschen. Das änderte sich erst ein Jahrhundert später. Nun sollte alles Öffentliche auch auf Deutsch vorgetragen werden können. Und so machte sich denn ein eifriger Liebhaber Opitzens daran, die Colersche Rede zu verdeutschen und mit vielen gelehrten Beigaben in die Welt herausgehen zu lassen. Ihrer bedienen wir uns daher im folgenden.7 Verharren wir also noch einen Moment bei der Rede. Denn Colerus geht nun direkt im Anschluß an den zitierten Passus dazu über, von den gelehrten Koryphäen, die ––––––––– 7
Vgl. Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Ihn. Teil I–II.- Hirschberg: Krahn 1740–1741. Hier im ersten Teil, S. 35–278, nach einer Würdigung von Colerus und dem neuerlichen Abdruck der lateinischen Version sowie einem Abriß der Opitzschen Vita die deutsche Übersetzung mit den reichhaltigen Lindnerschen Annotationen, gefolgt nochmals von »Nacherinnerungen zu Coleri verdeutschter Lobrede auf Opitzen«. Das vorgelegte Zitat hier S. 129 f. Zu dem lateinischen Text vgl. neben der Edition durch Lindner auch den Erstdruck: Laudatio Honori & Memoriae V. Cl. Martini Opitii paulò post obitum ejus A. MDC. XXXIX. in Actu apud Uratislavienses publico solenniter dicta à Christophoro Colero, Praeter continuam Opitianae vitae narrationem complectens multorum quoque Principum atque celebrium Vororum, cum quibus Opitio consuetudo & amicitia fuit, memorabiles notitias. Publici juris fecit Melchior Weise Vralislav. Lipsiae, Sumptibus Philippi Fuhrmanni Imprimebat Johannes Wittigau A. M DC. LXV. Hier das Zitat in der folgenden Version: Patriam laudare Rhetores fusè praecipiunt, sed iis, quibus jejuna ad differendum materia, aut otii abundantia istud permittit aut persuadet. Laudum tamen tuarum campum alii et peregrini tutius pellustrent, quibus longè minus citra obtrectationem est; quam ut ego faciam, ô dulcissima mea mater Boleslavia. Jactent se aliae urbes templorum et Curiarum magnificentia, aedificiorum multitudine, mercaturae abundantiâ, civium hac vel illa civili beatitudine: Ego te sitûs commoditate et amaenitate ad nemora et plana camporum porrectam, aёris salubritate, terrę fęcunditate, paucis Silesię oppidis; Claritate verò ingeniorum nulli Silesiae, paucis Germaniae civitatibus secundam (quod praefiscini tamen dixerim) esse gratulatione et voto prosequor; quod praecipuè foris et domi aeterno illo elogio et summâ titulorum praedicari jam tot annis merueris magnorum Virorum genitrix, educatrix, altrix. (S. 15 f.). Lindner hat sich durchweg einer freien Übersetzung befleißigt. Diese ist wirkungsgeschichtlich jedoch von erheblichem Interesse geblieben. Die Rede von Colerus ging ein in Henning Wittes Memorialwerk: Memoriae Philosophorum, Oratorum, Poetarum, Historicorum, Et Philologorum. Nostri Secvli Clarissimorvm Renovatae Decas IV. Cvrante M. Henningo Witten.- Francofurti: Mart. Hallervord 1677, S. 439–477. Wiederabdruck auch im ersten Band der dreibändigen Fellgiebelschen Opitz-Ausgabe (Breslau 1689) sowie in dem entsprechenden Nachdruck aus dem Jahr 1690. In jüngster Zeit wurde die zweisprachige Lindnersche Version mit einer Einleitung dankenswerterweise wieder zugänglich gemacht in: Martin Opitz. Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band III, S. 1677–1915. Interpretation der Rede bei Klaus Garber: Martin Opitz – ›der Vater der deutschen Dichtung‹. Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik.- Stuttgart: Metzler 1976, S. 39–43 mit den Anmerkungen 7–23, S. 181.
Opitius eheu!
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da in Bunzlau geboren wurden und vielfach auch gewirkt haben, zu berichten. Das beginnt bei Martin von Gerstmann, dem berühmten Bischof auf der einzigartig schönen Dominsel an der Oder. Er hatte zuvor als Rat und Sekretär im Dienste Kaiser Maximilians II. gestanden und war mit der Erziehung der Erzherzöge Matthias und Maximilian betraut gewesen. Zeitweilig bekleidete er zudem die Oberhauptmannschaft von Ober- und Niederschlesien und damit das höchste Amt, das in Schlesien zu vergeben war. Und dann schreitet der Redner weiter zu Joachim vom Berge, der im Hause von Gerstmann eine zeitlang lebte und später als Reichshofrat eine berühmte Stiftung ins Leben rief, die so vielen Schlesiern zugute kam.
Opitius eheu! Einschlägig aber für Opitz bleiben Name und Geschlecht der Senftlebens in Bunzlau. Auf sie kommt Colerus denn auch sogleich zu sprechen, und damit ist nach wenigen Zwischenstationen der Übergang zu Opitz erreicht. Hören wir den Redner noch einmal, weiß er doch sogleich mit der Einführung seines Schützlings ein berühmtes Thema zu verknüpfen. Wir erinnern uns, um den zwischendurch hörbaren Seufzer verstehen zu können, daß wir uns inmitten einer Trauerfeierlichkeit befinden. Haec et plura alia Boleslavia sibi, Silesiae, Germaniae, sidera produxit, et posteritati Exempla dedit; inter quae forte quidem nascendi et fato aut dignatione, nonnullis impar, sed ingenio ac bonis animi, famaeque celebritate OPITIUS eheu noster – velut inter ignes Luna minores omnes supereminere videtur.8
So der effektvolle Auftakt. Ja, in der Tat, dieser Dichter kann, wie so viele andere Zunftgenossen auch, nicht mit einem adeligen Stammbaum oder mit vermögenden Eltern prangen. Alles, was er sich angeeignet und zu dem er sich gemacht hat, verdankt sich eigenem Tun und selbstverständlich der Protektion von Gönnern, die die einzig dastehende Begabung frühzeitig erkannten. Und eben genau dies ist es, was beharrlich im Werk Opitzens wie in dem eines jeden auf sich haltenden Humanisten als eine gedankliche Leitfigur wiederkehrt. Wissen, Können, Ehrbarkeit, Tugend und wie die Begriffe lauten, lassen sich nicht vererben und als fixe Größen von einer Generation auf die nächste übertragen. Sie wollen selbst erworben, selbst erprobt und selbst dem eigenen Leben und Wirken eingebildet werden. Wahrer Adel, so die seit dem Frühhumanismus unter Rückgriff auf die antiken Autoritäten ständig wiederholte Rede, bemißt sich nach inneren Werten, die ein ––––––––– 8
Colerus: Laudatio (Anm. 7), S. 18. In der Übersetzung Lindners (Anm. 7): Solche und noch mehr dergleichen Lichter hat mein Bunzlau theils für Schlesien insgesammt, theils für ganz Deutschland herfürgebracht, und der Nachwelt zum Exempel dargestellt. Unter diesen scheinet zwar unser Opitz, ach! unser Opitz! seiner Geburt, seinem Glück und seinen Ehrenstellen nach, einigen den Rang zu lassen; aber wegen seiner herrlichen Gemüthsgaben und dem weit erschollnen Ruhme scheinet er alle zu übertreffen, und leuchtet unter ihnen, wie der Mond unter kleinen Sternen herfür. (Band I, S. 136 f.).
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Mensch auszubilden imstande ist. In ihnen gründet die wahre Natur des Menschen, gründet sein ihm eigentümlicher Adel, nicht im äußeren Ansehen und damit in ständischen Abstufungen und Hierarchien. Mag dann zum inneren Adel der öffentliche hinzutreten, erfüllt sich ein humanistisches Ideal, nicht umgekehrt. Und auch ein Opitz stellt dafür ein Berühmtheit erlangendes Beispiel nach seiner durch den Kaiser erfolgten Nobilitierung. ›Vera nobilitas‹! Das war das zündende humanistische Stich- und Leitwort, unter dem dieser Stand für Anerkennung und Gleichberechtigung inmitten der ständisch fest gefügten Gesellschaft des Ancien Régime warb und publizistisch unermüdlich stritt.9
Im späthumanistischen Kairos Im Jahr 1597 wurde Opitz in Bunzlau am Bober geboren. Das Datum ist sprechend. Eben noch im 16. Jahrhundert kam der Dichter zur Welt. Seit den sechziger und siebziger Jahren, als die Impulse der Reformation langsam verebbten und das Reformiertentum überall im Land Platz griff, formierte sich auch der Späthumanismus. Seine große Zeit erstreckte sich bis in die ersten Dezennien des 17. Jahrhunderts. Für ein gutes halbes Jahrhundert war Schlesien diejenige kulturelle Landschaft im alten deutschen Sprachraum, in der die späthumanistischen Studien und die literarischen Schöpfungen womöglich am intensivsten gepflegt wurden. Das hatte seinen Grund eben in jener feingliedrigen politischen und rechtlichen Verfaßtheit, die wir andeuteten. Überall bei Hofe, in den Bistümern, unter den Adligen und vor allem in den Städten regte sich ein Bedürfnis, der jüngsten und modernsten geistigen Bewegung Raum zu gewähren und sich der kulturellen Kompetenz der Humanisten zu versichern. Und da das Land einzigartig ausgestattet war mit Gymnasien, war genügend geschultes Personal verfügbar, den Wünschen und Bedürfnissen der Obrigkeit jedweder Couleur zu Diensten zu sein. Wie kein anderer profitierte Opitz von dieser Situation. Er ist durch und durch ein Kind des Späthumanismus und der sozialen Chargen, in welche dieser eingebettet blieb und florierte.10 Und wie zur Bestätigung des Gesagten, fügen sich Herkunft und erste Ausbildung diesem Bild. Der Vater gehörte dem zünftigen Bürgertum an, er war Fleischermeister, ohne daß Colerus diese Abkunft auch nur mit einem Wort erwähnen würde. Anders im Blick auf die Mutter. Sie war, eine geborene Rothmann, die Tochter eines Bunzlauer Ratsherrn, verstarb jedoch bei seiner Geburt. Nun mußten Nahestehende sich des Sohnes annehmen; und daß und wie dieses geschah, hat sich aus dem Gedächtnis späterer Verehrer des Dichters nicht wieder verloren. Ganz dem angedeuteten klassischen Grundmuster verpflichtet, trat die Schule und traten Schulmänner in ihre Rechte ein. Wenn Opitz’ Lebenslauf von frühester Zeit an folgerichtig und seinem späteren ––––––––– 9
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Vgl. Klaus Garber: ›De vera nobilitate‹. Zur Formation humanistischer Mentalität im Quattrocento.- In: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit.- München: Fink 2009, S. 443– 503. Wir verweisen zurück auf die im Eingangs-Essay in der wissenschaftsgeschichtlichen Reprise aufgeführten Arbeiten zur Biographie Opitzens.
Senftleben als Widmungsempfänger
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Wirken förderlich verlief, so ist dieses nicht zuletzt seiner Heimatstadt und der in ihr tätigen, wie allenthalben um Schule und Kirche sich scharenden Gelehrtenschaft zu verdanken, zu der in einer kleineren Ortschaft wie Bunzlau die unmittelbare Nähe des Rathauses hinzutrat.11 Im späten 16. Jahrhundert hatten u.a. Matthias Hilwig und Salomon Gesner als Rektoren an der Bunzlauer Schule gewirkt. Als Opitz in die Schule eingeführt wurde, stand ihr ein Bruder des Vaters, Christoph Opitz, vor. Christoph Buchwälder, Georg Sauer und Martin Tscherning zählten zu seinen Lehrern. Entscheidend wurde die Begegnung mit Christoph Opitzens Nachfolger Valentin Senftleben. Sie bezeichnet die erste einschlägige Station auf dem Bildungsgang Opitzens, der hier alleine in stets wenigen Strichen zur Rede steht.12
Senftleben als Widmungsempfänger Senftleben hatte sich als ›Candidatus Juris‹ an der Universität Marburg aufgehalten, als ihn der Ruf auf das Rektorat in Bunzlau erreichte, wo er sich mit einer Rede ›De dignitate Scholarum‹ einführte. Auch Senftleben war wie Opitz und Colerus gebürtiger Bunzlauer, als im Jahre 1574 geborener freilich fast um eine Generation älter. So konnte er zum maßgeblichen Förderer des jungen Opitz aufrücken. Er hatte in Frankfurt an der Oder studiert, dieser Niederschlesien am nächsten gelegenen Universität, die von vielen Landeskindern angesichts einer fehlenden Universität in ihrer Heimat aufgesucht wurde. Und wie für so viele andere studierten Jünglinge schloß sich auch für Senftleben ein Dienst als Hofmeister an. Bei einem Baron von Biberstein verdingte er sich als ein solcher. Über das Rektorat an der Bunzlauer Schule führte der Weg in den Rat der Stadt. Senftleben bekleidete zunächst das Amt des Stadtvogts und wurde sodann zum Bürgermeister erkoren, ein Amt, in das er gleich fünfmal gewählt wurde. Opitz und die Lehrerschaft in Beuthen ließen es sich nicht nehmen, eine Festschrift vorzubereiten, die wesentlich auf Opitzens Betreiben zustandegekommen sein dürfte. Er selbst ist gleich mit vier Beiträgen in dem kleinen Bouquet vertreten. Der letzte trägt schon den Namen des Hipponax, dem eine so wichtige Rolle im Frühwerk Opitzens zukommen sollte, wie sogleich zu zeigen.13 ––––––––– 11
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Vgl. zum Folgenden die maßgeblich gebliebene Arbeit von Ewald Wernicke: Chronik der Stadt Bunzlau von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.- Bunzlau: Kreuschmer 1884. Zu Senftleben vgl. neben den einschlägigen Opitz-Monographien Wernicke: Chronik der Stadt Bunzlau (Anm. 11), S. 138 ff., sowie: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 14, Anm. 2; Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 283; Martin Opitz: Briefwechsel (Anm. 7), Band I, S. 217, sowie Register jeweils mit weiterer Literatur. Vgl.: Super [...] Dn. Valentini Sänfftleben Honoribus, cum Boleslaviensis Consul creatus esset, Amicorum Carmina. Bethaniae Ad Oderam, Literis Johannis Dörfferi. Ein Exemplar befindet sich etwa in dem mit Opitz-Drucken reich ausgestatteten Sammelband aus der Rhedigerschen Biblio-
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Wenn also in Bunzlau eine Förderung für Opitz zu erhoffen war, dann von Senftleben. Opitz war dies bewußt. Und so hat er sich auf die schönste denkbare Weise erkenntlich gezeigt. Er widmete Senftleben seine erste Gedichtsammlung und verewigte seinen Gönner darüber hinaus mit einem Gedicht darin. Da aber hatte er die Stadt bereits verlassen. Sein ansprechendes kleines Erstlingswerk aber gehört in den Bunzlauer Kontext, und so werfen wir an dieser Stelle einen Blick in selbiges. Dies aber erst, nachdem wir hinzugefügt haben, daß Opitz auch später dem verehrten ersten Mentor seines Lebens zu dessen zweiter Hochzeit gratulierte14 und sodann den 1627 in Jauer Verstorbenen das letzte Geleit in Gestalt eines großen Trauergedichts gab.15
Ein Blick in den ›Strenarum Libellus‹ Zunächst ein Wort zu der Sammlung selbst. Denn wie zielstrebig und hellsichtig sich Opitz von Beginn an der Fesseln seiner Herkunft zu entledigen und die Ratsgeschlechter und insbesondere die Akademikerschicht als Adressaten seiner Dichtung zu ge–––––––––
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thek des Elisabethanums zu Breslau, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau, dort unter der Signatur 4 E 515/4 geführt und heute in der BU Wrocław verwahrt. Signatur: 355066. Leicht greifbar ist auch das Exemplar aus dem Widmungsexemplar Opitzens für Janus Gruter, das JörgUlrich Fechner reproduzierte. Vgl. Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Faksimileausgabe des Janus Gruter gewidmeten Sammelbandes mit den handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen des Verfassers. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner.- Stuttgart: Metzler 1970 (Sammlung Metzler, 88). Hier als 5. Stück, S. [49]–[56]. Neben Opitz tragen Balthasar Exner, Jonas Melideus und Caspar Liebig bei. Die Opitzschen Beiträge selbst – nebst Einleitung – wiederabgedruckt in: Opitz: Gesammelte Werke I (1968), S. 42–45; in zweisprachiger Version mit Kommentar in: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 12), S. 54–47, Kommentar, S. 316–318. Vgl. Secundis Nuptiis quas Valentinus Sänfftleben p.t. Reipubl. Bolesl. Pro. Cons. cum Elisabetha Queisseriana Laurentii Prelleri [...] relicta Vidua Celebrare instituit ad X. Cal. Nov. Vere secundae ut sint precantur amici. Anno 1624. Typis Ligiis. Witkowski hatte zwei Exemplare in Fürstenstein und in der Stadtbibliothek Breslau aufgetan. Beide sind verschollen. Zu den Nachweisen vgl. Szyrocki Nr. 51, Szyrocki-Böttcher Nr. 51, Schulz-Behrend Nr. 65, Dünnhaupt Nr. 69 (mit wie üblich falscher Provenienz. UB Breslau!). Schulz-Behrend druckt den deutschsprachigen Text nach der zweiten Auflage der ›Poemata‹ von Opitz aus dem Jahr 1625. Vgl. Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. Teil I–II.- Stuttgart: Hiersemann 1978–1979 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300.301), Teil I, Nr. 65, S. 328–331. Es handelt sich um ein großes Gedicht in Alexandrinern. Vgl. Opitzens Beitrag, Bl. B1v, in: Valentini Sanftlebenii Bolesl. Reip. Patr. Consulis Viri Ampliss. Et Clariss. Memoriae Ac Honori P. Arae Exseqviales. Typis Lig. Ducalib. Ein weiterer Druck des Opitzschen Textes befindet sich unter den Epicedien der Leichenpredigt für Senftleben, die von Johann Wessel gehalten wurde und gleichfalls in der Fürstlichen Druckerei zu Liegnitz publiziert wurde. Wiederabdruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Georg Schulz-Behrend. Band IV: Die Werke von Ende 1626 bis 1630. Teil I–II.- Stuttgart: Hiersemann 1989–1990 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 312.313), Teil I, Nr. 81, S. 81 f., sowie in zweisprachiger Version in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 76 f., Kommentar S. 334–336. Die Trauerschrift im Anhang der Leichenpredigt ist hochkarätig besetzt. Unter den Beiträgern befinden sich Simon Grunaeus, Bernhard Wilhelm Nüßler und Melchior Lauban. Opitzens Beitrag ist nicht sonderlich herausgehoben, er steht an achter Stelle.
Ein Blick in den ›Strenarum Libellus‹
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winnen suchte, zeigt das ›Strenarum Libellus‹ in vorbildlicher Weise, welches er auf der Jahreswende 1615/16 in Görlitz bei Rambach vorlegte.16 Es enthält nämlich gleich mehrere Huldigungsgedichte an Bunzlauer Ratsmitglieder, so an Georg Tieffenbach (Nr. 2), an Elias Namsler (Nr. 3) und an David Freibisch (Nr. 7), sowie an die akademischen Honoratioren des Ortes, den königlichen Hofrichter Christoph Stöberkeil (Nr. 8), den Stadtsyndikus Johann Seiler (Nr. 9), die Schulmänner Valentin Senftleben (Nr. 6), Zacharias Schubert (Nr. 12), Caspar Bergmann (Nr. 17) und Martin Tscherning (Nr. 18), die Pastoren Martin Nüßler (Nr. 4) und Matthäus Wieland (Nr. 11), den Diakon Melchior Pöpler (Nr. 10), die Mediziner Georg Cober (Nr. 5) und Nikolaus Froben (Nr. 13), an einen Namensverwandten Martin Opitz, der 1613 als cand. jur. in Frankfurt an der Oder eingeschrieben ist (Nr. 15) und schließlich an den städtischen Kantor Georg Sauer (Nr. 16). Es ist genau jene Schicht also, die die Opitzsche Reformbewegung in den Städten, teilweise institutionalisiert in den sog. ›Sprachgesellschaften‹, zu tragen und weiterzuführen bestimmt war. ›Strenae‹ (Neujahrswünsche) sind es, die der junge angehende Dichter »dem Richter und Rektor der Heimatstadt« Valentin Senftleben in die Hände legt. Doch bevor die Widmungsadresse verlautet, ist ein poetischer Gruß von einer der Koryphäen der Breslauer nobilitas litteraria vorgeschaltet. Es muß Opitz mit Freude und Genugtuung erfüllt haben, daß er den berühmten Doktor der Medizin gewinnen konnte, seinen poetischen Erstling mit einem Zweizeiler zu zieren. Nachdrücklicher hätte er sich in nah und fern nicht einführen können. Natürlich ist er auf Latein verfaßt wie das Opitzsche Werk selbst auch. Das Geleitgedicht, ein Distichon, lautet: Martino Opitio Juveni Literatissimo. Musa, Minerva, Crisis, sibi te legêre ministrum: Fungâre officio fac benè, Phoebus eris.17
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Vgl. Martini Opitii Boleslaviensis Silesii Strenarum Libellus, Val. Sanftleben Praetori & Rectori patriae consecratus. Gorlicii Iohannes RhaMba eXCVDebat.- [1616]. Ein Exemplar befindet sich u.a. in der BU Wrocław. Signatur: 355062. Es eröffnet den einstigen Sammelband aus der Breslauer Stadtbibliothek 4 E 515/1, in dem sich auch das oben zitierte Stück Opitzens zur Amtseinführung Senftlebens befindet. Der Text ist als sechstes Stück in den ersten Band der Kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke von Schulz-Behrend eingegangen (S. 13–25) und findet sich zweisprachig jetzt gleichfalls im ersten Band der von Monika Marschall und Robert Seidel veranstalteten Ausgabe der Lateinische Werke (Anm. 12), S. 10–27, ausführlicher Kommentar S. 282– 293. Hier liest man aus der Feder von Seidel: »Die vergleichsweise ausführliche Behandlung der Gedichte bei Krause [Maria Krause: Studien zur deutschen und lateinischen Gelegenheitsdichtung von Martin Opitz.- Diss. phil. Breslau 1942] kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine qualifizierte Analyse des Büchleins noch aussteht.« (S. 283). Daran hat sich nichts geändert. Es käme wohl vor allem darauf an, aus dem Mund eines versierten Neolatinisten Näheres über die Handhabung des Lateinischen in diesem Frühwerk zu hören. Wir beschränken uns bewußt auf die Widmung an Senftleben. Opitz hat übrigens darauf verzichtet, seinen Erstling in die kleine Sammlung seiner Jugendschriften mit aufzunehmen, die er Gruter zudachte. Vgl. oben Anm. 13. Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 12), S. 10, Verse 1–2. Die deutsche Übersetzung hier wie auch im folgenden von Widu-Wolfgang Ehlers: Für Martin Opitz, | einen jungen Mann von höchster Bildung. | Die Muse, Minerva und Krisis erwählten dich zu ihrem Diener. | Erfülle gut deine Pflicht: Dann wirst du Phoebus sein. (S. 11).
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So spricht ein erfahrener Gelehrter, der sich als Mentor ungezählter jugendlicher Talente verdient gemacht hat, diese ermunternd, fördernd, geleitend. Wir werden ihn sogleich näher kennenlernen, nahm er in Breslau doch eine prominente Stellung ein. Mit diesem Entrée-Billet in der Hand konnte Opitz sich wohlgemut auf seinen weiteren Weg machen. Er wußte fortan einen Patron an seiner Seite. Und so kaum anders im Blick auf Senftleben.
Eine frühe Widmungsadresse »Dem würdigen Herrn Valentin Senftleben wünsche ich alles Gute«. So beginnt er seine Zuschrift. Sie steht in dieser Allgemeinheit voran, denn Opitz ist es darum zu tun, den Namen des Geehrten sogleich mit dem Lob der Stadt zu verbinden, geht es doch um deren Repräsentanten im vorliegenden Werk. Die Widmung an Senftleben ist folglich zugleich zu einer kleinen Huldigung an die Stadt Bunzlau geraten, wie Opitz wiederholt eine solche in seinem Leben vorgetragen hat, am nachhaltigsten in seinem berühmtesten Werk, dem ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ aus dem Jahr 1624, das er den Ratsherren der Stadt Bunzlau zueignete. Wir werden davon hören. Wie so häufig verschlingen sich Stadt- und Gelehrten-Preis, lebt eine jede herausragende Örtlichkeit doch von den Personen, die ihren Namen hinaus in die Welt tragen. V〈iro〉 A〈mplissimo〉 Valentino Sanftleben S.P.D. QUantum eo nomine, Vir Amplissime, me efferam, quod in hac vestra republica natus et educatus sim, dici non potest: quando et laus ipsius infantiam mei sermonis fugit, et beneficia quae ex ea hausi, cum huc nihil quam prolixum ac inexhaustum amorem afferre possim, meipsum excedunt. Inter caetera autem eum diem maximè memoria extendo, quo te praeceptore primum usus sum. Tu cum videbas me Latinitatis avidum, pudicam orationem et naturali pulcritudine exurgentem puero induisti. De aliis non dico, ne veritatis verba adulationis putes. Quam incredibili vero gaudio me ista afficiunt, tam aeterna tristitia damnat rerum mearum tenuitas, quae tuis beneficiis nunquam superesse poterit. In ostentationem tamen doloris, et ut scias quantum te colam, compendiariam gratiae inveni, haec ingenii ῥήµατα, ἐξ ὑπογύου σχεδιαθέντα, et nec stanti nec sedenti elapsa. Credendum tamen, fore aliquantivis precii, quia tibi sunt consecrata: Sunt praeterea joci in fine, quibus nequicquam offensae periculum est. Viro enim ὀυϰ ἀναϕροδίτῳ commisi, et venustas citra obscoenitatem nullibi exulat. Vale Φιλόπατριϛ, et vive. Boleslaviae Sil〈esiae〉 Anno MDCXVI. extremo Jan〈uario〉[.]18
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Ebenda, S. 10, 12. In deutscher Version: Wie stolz ich darauf bin, würdiger Herr, in dieser eurer Stadt geboren und erzogen worden zu sein, läßt sich nicht in Worte fassen, weil sowohl deren Ruhmeswürdigkeit die Sprachlosigkeit meiner Rede überfordert als auch die Wohltaten, die ich aus ihr geschöpft habe, über das, was ich erwidern kann, hinausgehen, da ich hier nichts beitragen kann als den breiten und unerschöpflichen Strom meiner Liebe. Neben allem anderen aber denke ich immer wieder an den Tag, an dem ich dich zum ersten Mal zum Lehrer hatte. Als du mein großes Interesse an der lateinischen Sprache erkanntest, stattetest du den Knaben mit einer anständigen und in natürlicher Schönheit emporstrebenden Beredsamkeit aus. All das andere erwähne ich nicht, damit du die Wahrheit nicht für Schmeichelei hältst. Aber so sehr mich diese Dinge mit unglaublicher Freude erfüllen, so sehr verdammt mich die Beschränktheit meiner Mittel zu ewiger Traurigkeit, weil sie deine Wohltaten niemals wird übertreffen können. Um meinen Schmerz zu beweisen und damit du weißt, wie sehr ich dich in Ehren halte, habe ich mir als kurzen Ausdruck meines Dankes diese ›aus dem Moment improvisierten Zeugnisse‹ meines Talentes, die mir zwi-
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So nimmt sie sich aus, eine klassische Widmung, und das nicht nur aus der Feder von Opitz. Kaum ein Satz, in dem nicht Rücknahmen, Verkleinerungen, Distanzierungen erfolgten. All das gehört zur Topologie der Bescheidenheit, für die die Redelehre ein ganzes Arsenal an Empfehlungen bereithält. Der Sinn ist ein immer gleicher. Eine jede Bemerkung dieser Art lenkt den Blick um so eher auf den jeweils zur Rede stehenden Sachverhalt. Dieser wird akzentuiert, dem Leser als zur Lektüre tauglicher nahegelegt, erhält ein werbendes Fähnchen. Deklariert sind alle diese Einsprengsel an den Widmungsempfänger, vor dem man mit dem nachfolgenden Vortrag bestehen möchte. Im Blick aber ist die gelehrte Zunft als solche, sie weiß sich augenzwinkernd angesprochen und aufgefordert zur Urteilsfindung. Kann diese anders ausfallen als der bescheidene und in Wahrheit selbstbewußte Autor allemal erwartet? Er sieht sich mit seinem Erstling eingemeindet in die illustre Schar, die sich auf ihr Handwerk versteht. Auch ein Opitz hat dies frühzeitig erfahren. Fragen wir aber nach dem tatsächlichen sachlichen Gehalt, und das ist allemal erlaubt, so bleiben die Blicke am Eingang haften. Dort verlautet das für die Bildungsgeschichte des jungen Autors Einschlägige. Opitz hatte, wie erwähnt, das Glück, daß in seiner Heimatstadt eine Lateinschule stand. Das reichte für die erste gelehrte Sozialisation aus. Es galt, das Lateinische in Wort und Schrift perfekt zu beherrschen. Diese unerläßliche Voraussetzung für den Aufstieg in den Gelehrtenstand knüpfte sich an den Namen Senftlebens. Der Autor tritt Senftleben nicht als ein unbeschriebenes Blatt entgegen. Er ist erfüllt von Wißbegierde und speziell von Interesse an der lateinischen Sprache. Diese Prädisposition merkt ihm der erfahrene Schulmann an und nutzt die damit verbundene Chance. Gesellen sich später andere Fremdsprachen hinzu, unter denen das Griechische nochmals eine Ausnahmestellung behauptet, so ist dies allemal willkommen und förderlich. Das Lateinische bleibt das Fundament für jedwedes andere, und das gleichermaßen in Wort und Schrift. Verläßt der Schüler die Lateinschule, beherrscht er beides in heute nicht mehr vorstellbarer Vollkommenheit. Insofern hat eine Person und Werk von Opitz gewidmete Studie allemal mit Bunzlau anzuheben. Bunzlau ist die Wiege seines gelehrten und dichterischen Weges gewesen, und an dem Tor dieser Stadt prangt an erster Stelle der Name Senftlebens.
Die Hirten, Pan und Jesus Wir aber bleiben noch bei dem Text selbst, um uns an seinem Eingang und an seinem Ende umzutun. Beide daselbst plazierten Gedichte lenken die Aufmerksamkeit des Lesers in jedem Fall auf sich. Der erwartet die üblichen poetischen Glückwünsche und Zuschriften an einen Kreis von Personen. Dann aber schlägt er einen Text auf, der ––––––––– schen Tür und Angel eingefallen sind, ausgedacht. Ich darf dennoch glauben, daß sie einen – wenn auch nur ganz kleinen – Wert haben werden, weil sie dir gewidmet sind. Außerdem stehen Scherze am Ende, mit denen keinerlei Gefahr besteht, Anstoß zu erregen. Denn ich vertraue sie einem Mann ›nicht ohne Anmut‹ an, und Anmut ohne Anstößigkeit ist überall zu Hause. Lebewohl, mein ›heimatliebender‹ Mitbürger. Bunzlau in Schlesien, am 31. Januar 1616[.] (S. 11, 13).
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in eine andere Richtung weist. Und nicht nur das. Schon in der Widmung war auf ›Scherze‹ verwiesen worden, die am Schluß des kleinen poetischen Straußes untergebracht seien. Eröffnet aber wird mit einem Gedicht ›An Jesus Christus‹. Derart besitzen die ›Strenae‹ also einen Rahmen, und den zu begutachten lohnt sich allemal. Jesu Christo Immanueli Saluti Viventium. DUm Cauri ac miseri Boreae gemitus spirantes Tristia sub brumae frigoris egelida Eructant rigidas glaciali murmure crustas, Aeraque infestis spiritibus feriunt, Tunc miserabilibus languescunt mortibus omnes Fontes et montes et nemora et siluae. Sed quando molli se verna nitela susurro Exerit, et dulces jam renovant Zephyri, Ingeminant blandos formosa prata cachinnos, Et totus mundi circulus una rosa est, Et pecus emissum late detondet eburnis Falcibus arguti graminis ambrosiam, Pastores ovibus juncti palantibus, antro Pana omnes, omnes Pana venire fremunt. Pan venit, atque feras ovibus defendit, amore Longo irretitus languiduli pecoris. Iam caput auricomum maturius extulit Eos, Solans diffusis obvia tempe oculis, Musaeisque avium junctim pendentia ramis Collegia aetherio carmine luxuriant, Pan venit, et laetum mundo mediatur amictum, Pan venit, et campos conficit Elysios. Sic nos damnati tenebris te, Jesule, vento, Lecta tibi vernis turba beamur agris.19
Wir haben das erste, nicht an eine Person bzw. ein Paar gerichtete Gedicht Opitzens aus seinem soeben in Gang kommenden Schaffen vor uns. Seine ganze Kunst hat er ––––––––– 19
Ebenda, S. 12, 14, Verse 1–24. In deutscher Version: An Jesus Christus | Immanuel, | den Heilsbringer der Lebenden. Wenn das dumpfe Blasen des Nordwest- und des schrecklichen Nordwindes bei der traurigen Kälte des Mittwinterfrostes unter eisigem Krachen starre Eiskrusten bersten läßt und die Luft mit feindlichen Böen peitscht, dann liegen in beklagenswerter Abgestorbenheit darnieder alle Quellen, Berge, Haine und Wälder. Aber wenn Frühlingsglanz sich mit zartem Summen ausbreitet und dann die süßen Zephyre sich erneut erheben, wenn aus anmutigen Wiesen wieder schmeichelndes Gelächter erschallt und der ganze Erdenkreis eine einzige Rose ist und das hinausgeführte Vieh weithin mit elfenbeinfarbenen Sicheln seiner Zähne des raschelnden Grases Ambrosia mäht, dann jauchzen die Hirten in der Höhle gemeinsam mit der schweifenden Herde alle, daß Pan, daß Pan kommt, jauchzen alle. ›Pan kommt und wehrt die Raubtiere von den Schafen ab, bestrickt von seiner langen Liebe zu dem trägen Vieh.‹ Schon erhebt Eos ihr goldgelocktes Haupt früher und erquickt mit weitschweifendem Blick das vor ihr hingestreckte Tal, und, auf beschwingten Ästen schwebend, ergötzen sich gemeinsam der Vögel Chöre mit luftigem Lied: ›Pan kommt und ersinnt der Welt ein fröhliches Gewand, Pan kommt und macht die Felder zu elysischen.‹ So frohlocken auch wir, die wir doch zur Finsternis verdammt waren, nach deiner Ankunft, Jesuskind, als die von dir erwählte Schar auf den Wiesen des Frühlings. (S. 13, 15).
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auf die zehn Distichen nebst Coda gewandt. Er wußte, daß an dieser Stelle genau hingeschaut werden würde. Und er enttäuscht nicht. Der hintergründigen Montage ist allenthalben Genüge getan. Der spätere Dichter der geistlichen Dichtung, der Hirtenund der Liebesdichtung ist im Bilde darüber, was einem Anfänger abverlangt wird. Wer unter den eben die Schulbank verlassenden Gleichaltrigen mag es ihm gleichgetan haben? Wir zögern nicht, schon in diesem Beitrag den späteren Dichter zu gewahren. Sprechen auf den verschiedenen Ebenen gerade in den ›niederen‹ Gattungen der Hirten- und Liebespoesie wird sein bevorzugtes Metier sein. Wir wollen ihm dabei, wo immer sich Gelegenheit bietet, auf der Spur bleiben. Das Neue Jahr beginnt seinen Lauf, Anlaß für den Dichter, die eingeführte Form der ›Strenae‹ aufzugreifen und eine kleine Komposition zu formen. Vorab aber ist dem geistlichen Beweggrund alles Seienden Genüge zu tun. Explizit an Jesus Christus als den ›Heilsbringer der Lebenden‹ und an ›Immanuel‹ als zukünftigen Messias ist das folgende Gedicht gerichtet. Das nimmt sich, versehen mit einer derartigen Überschrift, merkwürdig genug aus. Noch ist das Land in klirrender Kälte erstarrt. Der Dichter hat eine poetische Vergegenwärtigung des Winters in Wendungen vorgenommen, die mehr als einmal ihm alleine gehören dürften. Das motivisch nicht Alltägliche will sprachlich bewerkstelligt und in eben diesen Formulierungen dem Kreislauf der Literatur zugeführt werden. Und so nicht anders in der nachfolgenden Schilderung des erwachenden Frühlings. Hier sind Opitz Bilder und Metaphern gelungen, die aufhorchen lassen. Genau darum geht es auf der linguistischen Ebene. Ein neu in den Kreis der gelehrten Kollegen Eintretender gibt zu erkennen, daß er im Besitz eines ausgezeichneten Handwerkszeugs ist. Wer dies ersinnt, mit dem ist inskünftig zu rechnen. Dann erfolgt der Übergang in die schäferliche Sphäre. Mit dem Frühling kommt die Zeit der Hirten und ihres Gottes Pan. Den begrüßen sie jauchzend, steht er ihnen doch allemal zur Seite. Die ärgsten Feinde der Schafe, erfüllt von Liebe zu den Hilflosen, wehrt er ab. Eos erwacht und erquickt das Tal. Die Vögel vereinigen sich zum Chor und stimmen ein in den dem Hirtengott geltenden Jubel. Sein Werk ist es, wenn die Felder sich als elysische darbieten. Und dann ein nochmaliger Szenenwechsel. Wie die Hirten Pan, so frohlocken die Menschen insgemein ob der Ankunft des Jesuskindes. Sie waren verdammt und wissen sich dank seiner nunmehr als erwählte Schar, und das ausdrücklich als gleichfalls auf den Wiesen Verharrende, sind ihnen die Feldgötter und Nymphen, sind die Musen ihnen daselbst doch nahe. Und mehr noch, nehmen die elysischen Felder für die Erretteten doch paradiesische Züge an. Die Mitte in der poetischen Miniatur behaupten die Hirten, und mit ihnen Pan. Reminiszenzen an den Dichter der Hirtenlieder Vergil schwingen mit. Eine antike, eine heidnische Welt wird aufgerufen inmitten der anbrechenden und verjüngt sich darbietenden Frühlingsnatur. Mühelos hätte es der Dichter bei der Vergegenwärtigung von Winter und Frühling belassen können. Er wollte es anders. Eine Evokation der alten Welt sollte in seinem poetischen Erstling statthaben, und dies verbunden mit einem dezenten Fingerzeig, daß der Dichter über die gehörigen Mittel verfüge, wie mit dieser umzugehen sei. Die Hirten kennen keine Scheidung ihres Lebens in eine sündige und eine schuldlose Sphäre. Fortgang des Winters und Aufzug des Frühlings sind
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für sie und ihren Gott mit der Natur gegebene Erscheinungen, in die ihr Leben eingebettet bleibt. Ihr Gott aber und sie selbst erfahren im christlichen Zeitalter eine Verwandlung, und Opitz macht sich diese zunutze, denn natürlich weiß er um sie. Pan, der Hirtengott, hat seit langem seine Exegeten gefunden, und die setzen als geschulte Ausleger der alten Welt an seinem Namen an. Es genügt, einen Artikel hinzuzufügen, ›Pan‹ zu ›to pan‹ zu modeln, und schon steht der Hirtengott da als der Inbegriff des Alls, als Schöpfer und Lenker aller Dinge, eben als der Gott der Juden und Christen. Und so ist auch bei Opitz immer schon von mehr die Rede als von der unschuldigen antiken Hirtenwelt. Wie ihr Gott avancieren die Hirten als geschöpflicher Stand zur Menschheit schlechthin, die in Jesus Christus ihren Erlöser bekennt. Zu elysischen Gefilden macht Pan die Felder im Frühling; als Messias wird Christus auf die verwandelte Erde zurückkehren und den Geretteten das verheißene neue Paradies öffnen. Pan und Christus schließen sich nicht aus. Im Gedicht des hintersinnigen Dichters haben sie beide ihren Platz. Recht betrachtet, gelingt dem mit allen Wassern gewaschenen Humanisten die Symbiose beider Welten. Er ist Statthalter und Gebieter über einen poetischen und einen geistlichen Kosmos zugleich. Hätte es inmitten des konfessionellen Zeitalters einen symbolkräftigeren Auftakt geben können? Es zeichnet sich eine Versöhnung von antiker und christlicher Welt ab. Vorbehalten ist dieses Mirakel hier wie an ungezählten anderen Stellen im 17. Jahrhundert der Hirtenwelt. Eine Überblendung hat statt, und das poetische Mittel dazu ist im Verfahren des uneigentlichen Sprechens zuhanden. Ein das ganze Leben Opitzens begleitendes Anliegen wird erstmals laut. Wir werden ihm auf unserer Wanderung immer wieder begegnen, stehen wir doch um 1600 inmitten eines poetischen wie eines religiösen kairos. Ein geistlich-allegorisches Gedicht in einer Nußschale wird uns dargeboten, und die Pranke des Löwen ist bereits zu spüren. Auch dieser Dichter hat eine Affinität zur niedersten Gattung. Und zugleich zeigt er, daß man von Jesus Christus sprechen kann, ohne einen irgend verfänglichen Satz verlauten zu lassen. Das Schöne und Erbauliche im inneren Leben des Menschen, ganz auf das Ewige gewandt, kennt keine konfessionellen Fesseln. Uns aber, so viel dürfte deutlich sein, wird ein Lehrgang im Entziffern derartiger verschlüsselter Texte abverlangt. Gleich am Eingang haben wir uns dafür zu rüsten und nach bestem Vermögen auf den Weg zu machen.
Hintersinnige amouröse Verse aus dem Stegreif »Sunt praeterea joci in fine, quibus necquicquam offensae periculum est.« Angekündigte Scherze sollen verlauten – ausdrücklich mit dem Zusatz versehen, daß sie ungefährlich seien. Das läßt aufhorchen, und ohne auch nur einen ersten Blick getan zu haben, darf man sich darauf einstellen, daß besondere, und das heißt eben stets, daß hintersinnige literarische Kost geboten werden wird. Ein einfaches, unverfängliches Anhängsel, das kann und darf nicht sein, der Dichter hätte dann eine Chance verspielt. Und das nach dieser Introduktion! Wir sind, die Gedichte auf die Personen überblät-
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ternd, so neugierig wie der Leser. Wird Opitz noch einmal die Pranke des Löwen zeigen, oder wird er uns womöglich doch enttäuschen? Dann möchte man fast ablassen von einer näheren und weiteren Beschäftigung mit ihm. An dieser Stelle muß Argutes, muß Scharfsinniges verlauten – oder aber geschwiegen werden. Erotopaegnium Schediasticum. MIror Virgilium dulces neglexe puellas, Fors conscium sibi male, Et lusus tacitae metuentem probraque noctis, Quod recte et ordine evenit. Non ita ego, mea lux, desuetus vivo Diones, Aversus ut te negligam: Sed dare non habeo, nec tu tibi munera poscis: Animamque meque dedico. Vt dem ego me tibi, tu mihi te dato, ita elanguentes Tenacibusque brachiis, Immistoque levi nexu, jungentur amores In meque teque adinvicem. Vt dare poßim animam, cedo ebria rore labella Melissa nostra caelico, Sic animae haerentes roseo argutabimur ore, Violeto amoris pervio, Altera rursus, et altera, et altera, et altera rursus Adblandientes savia, Donec reclines ad languidulas convalles, Anima cadamus inplice. Tunc licet evulgent gratas me ferre puellis Strenas venustis nescium.20
Eine erste flüchtige Lektüre reicht hin, um zu erkennen, daß diesem Poem bestenfalls eine eigene Abhandlung gerecht zu werden vermöchte. Der Dichter kennt sich aus in den Schlichen und Winkelzügen zumal der antiken und der neulateinischen erotischen Poesie. Meisterhaft versteht er auf der Klaviatur zu spielen und dem vorliegenden Repertoire seinen eigenen Ton zu vermählen. Einige wenige und gelegentlich womöglich gewagte Hinweise müssen hinreichen. Texten dieser Güte kommt man nur bei mit einer gehörigen Portion Chuzpe auf seiten des Lesers wie des Interpreten. Der Dichter fordert geradezu dazu heraus. ––––––––– 20
Ebenda, S. 24, 26, Verse 1–22. In deutscher Version: Amouröse Verse aus dem Stegreif. Es wundert mich, daß Vergil die schönen Mädchen mißachten konnte, vielleicht, weil er sich selbst nicht kannte und die Spiele und Ungezogenheiten der stillen Nacht fürchtete, obwohl das alles seine Ordnung hat. Ich aber, mein Liebling, lebe nicht so entwöhnt der Dione, daß ich mich abwende und dich vernachlässige. Aber geben kann ich nichts, und du verlangst keine Geschenke: Meine Seele und mich aber widme ich dir. Damit ich mich dir geben kann, mußt du dich mir geben: So werden sich bei fester Umarmung und beweglicher Umschlingung schmachtende Liebesspiele verbinden für dich und mich im Wechselspiel. Damit ich dir meinen Seelenhauch geben kann, reich mir, meine Melissa, deine zarten, von himmlischem Tau trunkenen Lippen: So werden unsere Seelen aneinander haftend miteinander plaudern aus rosigem Munde, dem wegsamen Veilchenbeet der Liebe, indem wir einander neue und abermals neue, neue und wieder neue Küsse erkosen, bis wir uns rücklings in zart schmachtende Schluchten mit verflochtener Seele fallen lassen. Dann darf man ruhig verbreiten, ich sei nicht kundig darin, reizenden Mädchen gefällige Neujahrswünsche darzubringen. (S. 25, 27).
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Mit einer Vergil-Reminiszenz hebt er an. Der römische Dichter blieb der Maßstab für einen jeden die poetische Laufbahn betretenden Jüngling. Er selbst hatte sich explizit bescheiden mit seinen zehn Eklogen gegeben, bewußt zunächst die niederste Stufe besteigend. Spielerisch von dem Größten der römischen Literatur sich abzusetzen heißt implizit, an ihm sich messen zu lassen. Die Knabenliebe des Dichters war communis opinio in den gelehrten Kreisen Alteuropas. Also kann unverfänglich Verwunderung verlauten, daß er sich dem schönen Geschlecht entzog. Nun, wenn das der Fall war, dann waren die Schönen, die dem Dichter im Sinn lagen, womöglich von anderweitigem Wesen, und so womöglich auch seinem Adepten. Der gibt sich Didone, gibt sich Aphrodite mit vollen Zügen hin, er wird von seiner Melissa gewiß nicht lassen. Aber wie denn das? Nichts vermag er ihr zu geben, und sie umgekehrt verlangt von ihm keine Geschenke. Einer körperlosen Liebe, einer spirituellen passio wird da offensichtlich das Wort geredet. Seine Seele widmet der Sprechende der Geliebten. Damit diese Widmung erfolgen kann, muß umgekehrt auch sie sich ihm geben. Und dann setzen ungeachtet aller gegenteiligen Versicherung die Liebesspiele ein, wie sie leidenschaftlicher kaum sein könnten. Doch bleibt es bei dem ›Seelenhauch‹, den auszuhauchen der Liebende die vom himmlischen Tau trunkenen Lippen der Geliebten erbittet. Erst dann, die Seelen plaudernd aneinander haftend, wird ihre Liebe, einem Veilchenbeet gleichend, sich erfüllen. Ungezählte Küsse besiegeln ihren Bund, und gemeinsam herabsinkend in ›zart schmachtende Schluchten‹ findet ihr Treiben ein Ende. Dürftige paraphrasierende Worte gewiß, doch nüchtern stets hat der Leser sich des Sachgehalts der Texte zu versichern. Einem Liebesspiel von besonderer Art hat er offensichtlich beigewohnt. Wird er in Worte fassen können, was ihm durch den Sinn ging? Herrschte da womöglich verkehrte Welt in der Liebe? Bei der Geliebten muß die Führung liegen, nicht bei dem Liebenden; sie mußte sich ihm geben, bevor er sich ihr zu geben vermag. Dann erst kann das Spiel beginnen. Um diese Geliebte ist es offenkundig anders bestellt als um die schönen Mädchen, die da zu Anfang und zu Ende aufgerufen werden. Sie trägt die Züge der Venus, und was die zu entbinden imstande ist, ist von anderer Natur als das, was den Liebenden jenseits des Poems zu genießen vergönnt ist. Umstandslos nimmt diese Schöne die Züge der Musen an, in deren Gefolge Blumen sprießen, wo immer diese Liebenden den Boden betreten. Aus rosigem Mund verlautet die Plauderei der Liebenden. Die Assoziation der Rose stellt sich ein, eben jener Blume, die der Venus wie den Musen heilig ist. Himmlischer Tau breitet sich auf den ebenso zarten wie trunkenen Lippen der Geliebten aus. Hier werden unentwegt poetische Küsse getauscht, und wenn es mit dem Küssen ein Ende hat, ist auch das Gedichtete, ist auch das Poem zur Vollendung gelangt. In der Tat, Mädchen von dieser Artung bringt man – anders als den voranstehend bedichteten Männern – keine Neujahrswünsche dar. Sie liebt man als die Spenderinnen der holdesten Gaben, die ihren Jüngern vorbehalten sind. Erziehung zur Poesie, so ein alter und gängiger Topos, dem auch wir immer wieder begegnen werden, erfolgt im Medium des Liebesgedichts; es fungiert allüberall im Humanismus seit Petrarca als Initialzündung. Ein Opitz weiß selbstverständlich darum. Jedes gelungene Liebesgedicht ist mit einem doppelten Sinn begabt. Dafür hat der junge Dichter in
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seinem Erstling, erfüllt von Selbst- und Sendungsbewußtsein, ein Exempel geliefert. Er steht am Anfang einer poetischen Laufbahn.
Markierung von Differenz Die Vergil-Reminiszenz war also keine zufällige. Sie beide verbindet wie alle zur poetischen Feder greifenden Humanisten die Freude an der uneigentlichen Form der Rede. Im Liebesgedicht wie im Hirtengedicht besitzt dieser rednerische Gestus seine vornehmste Stätte der Bewährung. Der Dichter hat seine beiden den Haupttext rahmenden Stücke ausdrücklich verknüpft. Zu Anfang stehen Distichen, am Ende stehen Jamben, dort Pan und Christus gewidmet, hier den jungen Mädchen, die mit ›frischen‹ Versen begrüßt sein wollen. Anheimgestellt aber bleibt dieses Kunstwerk sui generis dem Leser. Er befindet über Ruhm und Nachruhm. Und so ist am Anfang des Poetisierens zugleich der Gedanke an sein Ende gegenwärtig. Dieser Dichter versteht sich – wie sein großer Vorgänger – auf die Rolle des Archegeten. Wir verlassen die Heimatstadt Opitzens und haben den Dichter schon in ihr als einen Großes verheißenden Adepten in Sachen Gelehrsamkeit und Poesie kennengelernt. Die Bemühung des Begriffs ›Frühreife‹ würde in die Irre führen. Zur Verfügung steht dem jungen Menschen und Absolventen der Bunzlauer Lateinschule ein hochartifizielles neulateinisches literarisches Repertoire. Es sich anzueignen ist mit dem Erwerb einer Fertigkeit verbunden, von der spätere Zeiten sich keine Vorstellungen mehr machen konnten. Delikatesse und Raffinesse sind eo ipso gegeben. Alles kommt auf die Adaptation an. In dem eminent dichten Netz des Sprechens sollen weitere neue Fäden geknüpft werden. Systemtheoretisch gesprochen geht es um die Markierung von Differenz, und sei diese noch so minimal. Opitz hat sich in der Erfüllung dieser Anforderung als ein auf dem Wege zur Meisterschaft befindliches, verheißungsvolles und vielversprechendes Talent erwiesen. Nicht mehr und nicht weniger war sein Anliegen gewesen. Eine Zeit der ersten Ausbildung war abgeschlossen. Ein Wechsel war fällig. Und der erfolgte, wie so häufig in Opitzens Leben, zielstrebig und geradlinig. Die nächste Station hätte nicht trefflicher gewählt werden können, wenn denn freie Wahl geherrscht hätte. Sie stellte ein Optimum dar.
Metropole Breslau Im Jahr 1614 wechselte der sechzehnjährige Opitz nach Breslau herüber. Ermöglicht wurde ihm dieser Schritt durch ein Stipendium der Dotation Martin Rothmann, der gar nicht so lange Zeit vorher diese Stiftung für mittellose Schüler und Studenten ins Leben gerufen hatte. Die verwandtschaftlichen Verbindungen der Rothmanns werden das ihre zu der glücklichen Entwicklung beigetragen haben. Im Blick auf das Alter des Jünglings möchte man mutmaßen, daß der Ortswechsel nicht eben einschneidende Konsequenzen zeitigen würde. Das Gegenteil ist der Fall, wie sich zeigen wird. Und das nicht nur, weil Opitz sogleich Zugang zu einem der beiden illustren Bildungsan-
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stalten vor Ort fand. Es war die intellektuelle Topographie Breslaus, die den Ambitionen des hochbegabten Zuwanderers so eminent entgegenkam. Ihr haben wir ein paar Worte zu widmen. Und das um so mehr, als Opitz sich gerade in entscheidenden Abschnitten seines Lebens immer wieder in der schlesischen Kapitale niederließ und von hier aus zu seinen diversen Missionen aufbrach.21 Die Stadt zählte um 1600 etwa 30.000 Einwohner. Sie gehörte damit zu den größten Städten im alten deutschen Sprachraum, übertroffen im alten Reich allenfalls von Köln und Nürnberg. Ihre Dominanz im mittelöstlichen Europa war manifest. Neben Prag im Herzland Böhmen sowie Krakau im Südosten Kleinpolens und Danzig hoch oben im Preußen Königlich Polnischen Anteils behauptete die Stadt ihre herausragende Stellung. Diese gründete selbstverständlich auch und womöglich primär in der optimalen Verkehrslage, und verbunden mit ihr in der ökonomischen Potenz. Die Hohe Straße, die von Leipzig aus über Görlitz nach Breslau und von dort weiter nach Krakau, Lemberg und Kiew ihren Weg nahm und die entscheidende Verbindung aus dem Reich in den Osten blieb, verzweigte sich genau in Breslau, indem von der Odermetropole aus Wege in der einen Richtung über Posen nach Thorn und Danzig, in der anderen durch das Marchtal an die Donau und weiter nach Ungarn führten. Die Stadt selbst aber wurde an einer Stelle gegründet, wo die Oder durch Stromspaltung bzw. die Einmündung mehrerer Nebenflüsse und Inselbildung dem planerischen Geist besondere Möglichkeiten bot. Die Stadt war nach ihrer Zerstörung durch die Mongolen von vornherein auf die weitesten Dimensionen hin angelegt. Der Breslauer Ring hatte in seiner Größe keine Parallele, diente aber seinerseits noch einer Stadt wie Krakau als Vorbild. Dank des einfühlsamen Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit ist das imposante Ensemble mit dem mächtigen Rathaus im Zentrum bis heute erfahrbar. Dem korrespondiert – wie auf andere Weise im alten Reich nur noch in Nürnberg – die imponierende Stellung der ratsfähigen Geschlechter, die über die Jahrhunderte hinweg vielfach den nämlichen Familien entstammten. Ob die Haunold oder die Metzler, die Monau oder die Rhediger, die Reichel oder die Rybisch, die Sebisch oder wie sie sonst heißen mögen – ihrer aller Name ist nicht nur aus der politischen oder wirtschaftlichen, sondern eben auch aus der Geschichte der Gelehrsamkeit und der Künste nicht wegzudenken. Hinzutrat die besondere Rolle der Religion, und wiederum stand Breslau auch hier einzig dar. Die Wegscheide bildete wie anderwärts die Reformation. In Breslau aber vollzog sie sich unter den Augen der Bischöfe auf der Dominsel. Das hat die Physiognomie der evangelischen Kirche nicht anders als die der evangelischen Theologie in den Mauern der Stadt geprägt. Man ging behutsam vor, wo immer möglich darauf bedacht, den Kontakt mit der katholischen Spitze zu wahren. Der Rat sah es als seine vornehmste Aufgabe in religionspolitischen Dingen an, nachdem die Einführung des neuen Glaubens vergleichsweise konfliktfrei erfolgt war, schützend seine Hand über die Evangelischen zu legen und einer Radikalisierung, welcher Provenienz auch im––––––––– 21
Die Literatur zu Breslau ist naturgemäß unübersehbar. Wir haben sie in allen relevanten Aspekten in einem jüngst erschienenen Buch verarbeitet, das einen über hundert Seiten umfassenden Anmerkungs-Apparat enthält. Darauf darf hier ein für alle Mal verwiesen werden, so daß sich eine neuerliche Dokumentation der Literatur erübrigt. Vgl. Klaus Garber: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2014.
Schule und Kirche als gelehrte Zentren
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mer, energisch zu wehren. Melanchthon blieb der reformatorische Ziehvater über die Generationen hinweg bis tief in das 17. Jahrhundert hinein. Doch da hatte sich die Lage schon dramatisch gewendet und zugespitzt. Nun galt es, dem andrängenden gegenreformatorischen Katholizismus Paroli zu bieten, und auch in dieser Hinsicht bewährte sich die erfahrene Oberschicht eindrucksvoll. Die politische und die konfessionelle Entwicklung des Landes wie der Stadt wird vielfältig und stets wieder in unsere um Opitz zentrierte Darstellung hineinspielen. Entscheidend aber blieb die intellektuelle Infrastruktur des Raumes, den Opitz betrat. Und hier gelangte eine Konfiguration zur Ausprägung, die in dieser Gestalt wiederum keine Parallele im alten deutschen Sprachraum besaß. Die mächtige Stadt war umgeben von einem Kranz an Höfen, mit dem sie in einem intensiven politischen und geistigen Austausch stand. Es genügt, die Namen von Liegnitz und Brieg, aber auch von Münsterberg und Oels aufzurufen, um andeutend kenntlich zu machen, an welche Fixund Eckpunkte primär zu denken ist.22 Der intellektuellen Elite kam diese Konstellation ganz ungemein zugute. Auch ein Opitz profitierte eminent von ihr, wie sich zeigen wird. Seine ersten Schritte aber tat er auf dem Boden Breslaus und seiner weithin berühmten gelehrten Fundamentierung. Davon ist zunächst zu sprechen, verbindet sie sich doch, wie nicht anders zu erwarten, alsbald mit produktiven Impulsen auf seiten unseres Schützlings.23
Schule und Kirche als gelehrte Zentren In Breslau setzte Opitz seine schulische Ausbildung fort. Der Weg war vorgezeichnet. Der Zugang zum berühmten Elisabeth-Gymnasium war ihm allerdings verwehrt, und vielleicht war er auch nicht einmal angestrebt. Die erste Bildungsanstalt vor Ort war ––––––––– 22
23
Auch hier darf verwiesen werden auf ein in Kürze erscheinendes Werk des Verfassers: Das alte Liegnitz und Brieg. Humanistisches Leben im Umkreis zweier schlesischer Piastenhöfe.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau. Will man sich über das im folgende Skizzierte näher informieren, so sei vor allem verwiesen auf die neuere Studie von Christine Absmeier: Das schlesische Schulwesen im Jahrhundert der Reformation. Ständische Bildungsreformen im Geiste Philipp Melanchthons.- Stuttgart: Steiner 2011 (Contubernium; 74). Wichtig sodann die beiden Standardwerke von Gustav Bauch: Geschichte des Breslauer Schulwesens vor der Reformation.- Breslau: Hirt 1909 (Codex diplomaticus Silesiae; 25); ders.: Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation. Der Universität Breslau zum hundertjährigen Jubiläum überreicht vom Verein für Geschichte Schlesiens.- Breslau: Hirt 1911 (Codex Diplomaticus Silesiae 26). Vgl. auch das Kapitel ›Hochburg des Wissens. Gymnasien, Professoren – und eine fehlende Universität‹, bei Garber: Das alte Breslau (Anm. 22), S. 121–177, Anmerkungen mit der Literatur S. 498–507. Aus der reichen Literatur zur Kirchengeschichte sei hier nur verwiesen auf: Quellenbuch zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Schlesien. Hrsg. von Gustav Adolf Benrath, Ulrich Hutter-Wolandt, Dietrich Meyer, Ludwig Petry, Horst Weigelt.- München: Oldenbourg 1992 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte; 1). Dazu die entsprechende Darstellung: Ulrich Hutter-Wolandt: Die evangelische Kirche Schlesiens im Wandel der Zeiten. Studien und Quellen zur Geschichte einer Territorialkirche.- Dortmund: Forschungsstelle Ostmitteleuropa 1991 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund. Reihe B; 43). Verwiesen werden darf auch auf das Kapitel ›Wiege des Glaubens. Dominsel und Bischöfe, Kirchen und Prediger‹ bei Garber: Das alte Breslau (Anm. 22), S. 66–120, Anmerkungen mit der Literatur S. 485–498.
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III. Bunzlau und Breslau
nicht expressis verbis, aber doch de facto vor allem den Kindern von Angehörigen aus der Breslauer Oberschicht vorbehalten. Das Breslauer Patriziat war eines der mächtigsten und potentesten im alten deutschen Sprachraum; den Zöglingen dieser Führungsschicht standen die Türen allemal offen. Und nicht nur das. Das Institut des Hofmeistertums, das sich beim Adel besonderer Beliebtheit erfreute, war selbstverständlich auch in patrizischen Kreisen in Kraft. Private und ›öffentliche‹ Ausbildung, verbunden mit ausführlichen Bildungsreisen eben an der Seite eines ›Hofmeisters‹, stellten sicher, daß die Vormachtstellung in der Stadt gewährleistet blieb und eine quasi dynastische Sukzession erfolgte. Über lange Zeiträume hinweg begegnen stets wieder die gleichen Namen illustrer Geschlechter, und das hervorragend entwickelte Bildungswesen trug maßgeblich dazu bei. Das Elisabethgymnasium also behauptete in sozialer Optik die erste Position vor Ort. Die Schule bei St. Maria Magdalena, die zu Opitzens Zeit noch nicht formell zum Gymnasium erhoben war, stand ihm indes nicht eigentlich nach. An beiden Schulen wirkten hervorragende Gelehrte, und gerade in dieser Hinsicht war es weite Phasen über nicht möglich, Rangunterschiede zu konstatieren. Beide Anstalten sahen Lehrkräfte in ihrer Mitte, die einen weit über Breslau und Schlesien hinausreichend klangvollen Namen besaßen. Wie oft kam es vor, daß Personen aus ihrem Kreis einen Ruf an eine Universität erhielten und ihm nicht folgten, weil sie ihren Breslauer Wirkungsraum hoch schätzten und um nichts in der Welt vertauschen wollten. Gerade weil also Schlesien eine eigene Universität fehlte, rückten die Gymnasien, auch wenn sie diesen Titel nicht führten, in die erste Position auf. Die intellektuelle Kapazität, über die sie verfügten, stand singulär da, und nicht nur ein Melanchthon konnte sich nicht genug tun darin, das schlesische Schulwesen zu preisen und es als vorbildlich hinzustellen. Opitz hätte an keiner Stelle reichere geistige Anregungen empfangen können. Er zehrte von dem, was Breslau ihm überreichlich bot. Immer wieder überrascht, wie schnell sich Kontakte gerade auch zu den gelehrten Koryphäen in der Stadt herstellten. So wie sich der Name des Elisabethgymnasiums mit dem der einen Hauptkirche der Stadt verband, so der der Schule und des nachmaligen Gymnasiums bei St. Magdalena mit dem der anderen. Beide Kirchen waren die maßgeblichen Träger bei der Einführung der Reformation gewesen und beide besaßen über die Jahrhunderte hinweg bedeutende Theologen in ihren Reihen, und das gerade auch zur Zeit Opitzens. Die Elisabethkirche hatte das Glück, mit Ambrosius Moibanus gleich zu Beginn der Reformation eine überragende Persönlichkeit für sich gewinnen zu können. Moibanus wechselte von dem Posten des Rektors der Schule bei Maria Magdalena, wo er das Griechische eingeführt hatte, auf den des Pfarrers bei St. Elisabeth herüber und stellte damit die enge Verbindung beider Ämter sinnfällig unter Beweis. Ihm zur Seite trat bei St. Maria Magdalena eine Persönlichkeit mit nicht weniger berühmtem Namen, lautend auf Johann Heß. Der durfte sich rühmen, die evangelische Lehre als erster in Breslau, ja womöglich in Schlesien überhaupt eingeführt zu haben, nämlich schon im Jahre 1623. Wie viel wäre über beide zu sagen. Und wie viel desgleichen über ihre Nachfolger hier wie dort. Die Namen von Gründerfiguren im 16. Jahrhundert wie Simon Musäus, von Maternus Eccilius und Johannes Aurifaber, von Esaias Heidenreich und Johannes Fleischer bei St. Elisabeth, diejenigen von Johannes Halbrod und Adam Cureus, Lu-
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cas und Joachim Pollio bei St. Maria Magdalena zu hören, verbindet sich mit der Erinnerung an das bewegte und nicht selten konfliktreiche Schicksal des jungen Glaubens in der Stadt. Auf der Wende vom 17. Jahrhundert und in dessen erster Hälfte führten Zacharias Hermann d.Ä. dort und – nach dem Weggang von Johannes Fleischer nach St. Elisabeth – Johann Scholtz d.J. hier das Zepter, sie alle durchweg mit geistlichem und gelehrtem Schrifttum hervortretend, über das sie sich weit über die Grenzen der Stadt hinaus einen Namen machten. Eine große Zeit bezeichnete sodann für beide Kirchen der Übergang in das 18. Jahrhundert. Breslau nahm führend teil an der Artikulation eines dem Konfessionalismus sich entringenden Glaubens aus dem Geist der Frühaufklärung. Wie dankbar bleiben wir dem großen schlesischen Presbyterologen Siegismund Justus Ehrhardt, daß er uns in dem ersten Band seines mächtigen Werkes die Namen aller in der Stadt wirkenden Theologen nebst ihren Schriften bewahrt hat.24 Und so nicht anders auf der Ebene der beiden Schulen, denn auch hier sah es der fromme Pfarrer als seine Aufgabe an, den überall erkennbaren Filiationen nachzugehen und also Porträts auch der Professorenschaft zu entwerfen. Vor allem aber machte sich der Schulmann Gustav Bauch um die Erforschung des Breslauer Schulwesens in Mittelalter und Reformation verdient.25 Wir müssen es auch hier bei wenigen Sätzen belassen, wollen wir doch fortschreiten zu dem Kollegenkreis, der Opitz am Magdaleneum entgegentrat. An der Elisabethschule, die bereits 1562 zum Gymnasium erhoben wurde, wären neben manchen der erwähnten Geistlichen, die in Personalunion das Schulamt wahrnahmen, Johannes Troger, Andreas Winkler und vor allem Petrus Vincentius zu nennen, der 1569 zum Rektor gewählt wurde und gleichzeitig als Inspektor der Breslauer Schulen wirkte. Noch bevor er 1581 starb war die Stafette 1578 auf Nikolaus Steinberg übergegangen, der ebenfalls als Schulinspektor fungierte. Um die Wende zum neuen Jahrhundert traten dann Johann Scholtz d.Ä. und Johann Scholtz d.J., vor allem aber Petrus Kirstenius hervor, dem Thomas Sagittarius und Elias Major nachfolgten, der letztere in führender Stelle in verschiedenen Ämtern tätig und maßgeblich beteiligt an der Installation von öffentlichen Schulactus und dramatischen Aufführungen an den beiden Schulen. Wir werden manchen von ihnen sogleich wiederbegegnen. Im Magdaleneum war 1552 Martin Helwig, der Schöpfer des berühmten Kartenwerks, als Rektor berufen worden. Er legte ein reichhaltiges Schrifttum für den schulischen Unterricht vor und beteiligte sich lebhaft an der Installation des Griechischen in Breslau. Als er 1574 starb, trat Kaspar Pridmann an seine Stelle. Mit seinem Nachfolger Johannes von Höckelshoven gelangen wir bereits zu der Generation der Lehrer von Opitz und seiner Freunde und Weggefährten. Speziell für das Lateinische war Adam Cureus d.J. zuständig. Ein Jahr vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges übernahm Magister Michael Poll die Leitung der Anstalt, nachdem Höckelshoven infolge eines Schlaganfalls daniederlag. Noch zu Lebzeiten Opitzens trat Magister Hein––––––––– 24
25
Siegismund Justus Ehrhardt: Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens, Ersten Theils Erster Haupt=Abschnitt, welcher die Protestantische Kirchen= und Prediger=Geschichte der Haupt=Stadt und des Fürstenthums Breslau wie auch des Namslauer Kreißes in sich fasset.- Liegnitz: Pappäsche 1780. Vgl. oben Anm. 23.
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rich Klose 1637 das Amt des Rektors an. Sechs Jahre später war es dann endlich soweit. Auch die Schule bei St. Maria Magdalena wurde zum Gymnasium erhoben, und wiederum stand Breslau damit auch im Schulwesen alleine da. Opitz erlebte die feierlich begangene Erhebung nicht mehr. Sein Name aber blieb in der Anstalt vor allem über seinen Freund Christoph Colerus gegenwärtig, von dessen Biographie wir hörten. Wie Valentin Senftleben in Bunzlau, so war Johannes von Höckelshoven an der Schule zu St. Maria Magdalena die entscheidende Figur, der er mannigfache Förderung verdankte.26
Johannes von Höckelshoven Die Professoren an den Gymnasien waren gelehrte Kapazitäten. Hatte man das Glück, ihnen zu begegnen und von ihnen unterrichtet zu werden, dann mochte es geschehen, daß der neueste in Europa in Umlauf befindliche Wissensstoff den jungen Menschen zu Ohren kam. Höckelshoven gehörte zu diesen für die Bildungsgeschichte im Umkreis des Humanismus überhaupt nicht zu unterschätzenden Figuren.27 Wenn Opitz schon früh die überraschendsten wissenschaftlichen Novitäten in sein Werk einfließen ließ, so verdankte er diese dem gelehrten Habitus der Poesie mannigfach zugute kommende Kompetenz neben der stetigen Lektüre auch der frühzeitig auf der Schule einsetzenden Begegnung mit der daselbst von engagierten Lehrern vorgetragenen gelehrten Materie. Ein weiter Kreis von Stoffen und Themen vermochte da von einer einzigen Person für den Lehrbetrieb aufbereitet und den Zöglingen vermittelt zu werden. Diese kamen, wenn sie denn das Studium ergriffen, gut präpariert auf die Universitäten. Wie oft mögen ihre Gedanken zurückgewandert sein zu ihren einstigen Lehrern? Wenn auch ein Opitz nur flüchtig Bekanntschaft machte mit der universitären Welt, so war doch auch er hervorragend gerüstet für seinen späteren Lebensweg. Und dies nicht zuletzt dank der Jahre auf dem Breslauer Magdaleneum. Am Beispiel Höckelshovens wollen wir exemplarisch aufzeigen, welch ein Wissenskosmos ihm daselbst allein in der Gestalt eben dieses namhaften Gelehrten zur Kenntnis gelangt sein mochte. Johannes von Höckelshoven wurde 1557 in Breslau als Sohn des aus Köln eingewanderten Buchbinders Hans Huckelshafen geboren. Er hatte das Glück, das Magdaleneum unter Martin Helwig und das Elisabethanum unter Nikolaus Steinberg besuchen zu können, die wir erwähnten. Insbesondere der Figur Helwigs bewahrte er ein bleibendes Andenken. Überzeugten Herzens bekannte er sich zu seinem großen Lehrer, dessen einstige Stelle einzunehmen er sich nun anschickte. Mit ihm wußte er, ––––––––– 26
27
Zu Schule und zum nachmaligen Gymnasium bei St. Maria Magdalena grundlegend: Carl Schönborn: Beiträge zur Geschichte der Schule und des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena in Breslau. I: Von 1266–1400; II: Von 1400–1570; III: Von 1570–1616; IV: Von 1617–1643.- Programme Gymnasium Maria Magdalena Breslau 1843, 1844, 1848, 1857. Dort Teil III, S. 48, kurz über Opitzens Besuch der Anstalt. Zu Höckelshoven vgl. Schönborn: Beiträge (Anm. 26), Teil III, S. 27–30, S. 43 f.; Bauch: Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation (Anm. 23), S. 325–333.
Johannes von Höckelshoven
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daß die Jugend mit kurzen und klaren Lehren zuerst in das Vorzimmer der lateinischen Sprache hineingebracht, dann aber, sobald sie die gebräuchlichen und gewöhnlichen Lehren des lateinischen Ausdrucks gelernt hätte, in den Innenraum derselben durch die Lektüre der auserwähltesten Autoren eingeführt werden müsse. ›Daß dieser Weg zur Erlangung des notwendigen Rüstzeuges der lateinischen Sprache der vorteilhafteste ist, darüber bin ich von meinem einstigen treuen Lehrer und Vorgänger Martin Helwig aus Neiße belehrt worden, der durch sehr kurze etymologische und syntaktische Lehren zuerst den jungen Leuten eine gewisse Probe dieser Sprachen darbot, bald aber, sobald er sah, daß sich die Urteilskraft einstellte, ihren Geist mit dem vollen Safte der Latinität vermittelst sehr sorgfältiger Erläuterung der besten Autoren durchtränkte, ja, vollkommen sättigte.‹28
Zum Studium begab Höckelshoven sich sodann in das nachlutherische und nachmelanchthonische Wittenberg, wo er 1588 zum Magister promoviert wurde. Als Andreas Calagius 1591 aus seiner Stellung bei St. Maria Magdalena aufgrund kryptocalvinistischen Verdachts entlassen wurde, rückte Höckelshoven nach. Wie üblich lief die dichterische Tätigkeit kontinuierlich neben der schulischen her. Im Jahr 1594 etwa wurde der berühmte Breslauer Garten des Dr. Lorenz Scholtz besungen. Höckelshoven beteiligte sich ebenso wie sein Vorgänger Pridmann. Kurz vor der Jahrhundertwende, ein Jahr nach der Geburt Opitzens, übernahm Höckelshoven im Jahr 1598 das Amt des Rektors. Fünf ehemalige Schüler, die nun in Frankfurt an der Oder studierten, gratulierten zu dem feierlichen Akt, darunter Valentin Senftleben aus Bunzlau.29 Nur ein Jahr später wurde auch Höckelshoven das Opfer einer Verdächtigung. Die Atmosphäre war aufgeladen, die Verfolgung der als Kryptocalvinisten inkriminierten Gelehrten, ob Theologen oder Schulmänner, überall im Gange. Höckelshoven durfte sich jedoch der Unterstützung des Rats versichert halten und vermochte seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Seit der Übernahme des Rektorats zeichnete er als von Höckelshoven. Die näheren Umstände seiner Nobilitierung sind nicht bekannt. Eine überaus fruchtbare Schaffensphase fand ihre Fortsetzung auch auf dem Felde der amtlichen pädagogischen Obliegenheiten und den aus ihnen hervorgehenden bzw. mit ihnen verbundenen Publikationen. In der Dialektik bot Höckelshoven seit 1607 einen Vortrag an, in dem es um eine so kardinale Frage wie Anlage, Übereinstimmung und Differenz der dialektischen Lehrbücher von Melanchthon und dem großen reformierten Gelehrten Petrus Ramus sowie um ihrer beider Stellung zu den Vorgaben des Aristoteles ging. Diese Veranstaltung hatte den Zweck, die von auswärts hinzukommenden und mit der Methode des Ramus vertrauten Schüler an die Lehre Melanchthon heranzuführen und umgekehrt in Breslau das weithin Aufsehen erregende Werk des Ramus bekannt zu machen – mit der Folge, daß die alleinige Stellung Melanch––––––––– 28
29
Zitiert bei Bauch: Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation (Anm. 23), S. 124, anläßlich der Bearbeitung der Melanchthonschen Dialektik durch Höckelshoven im Jahre 1617. Vgl.: Viro [...] Dn. Magistro Iohanni Hoeckelshofen Vratislaviensi Silesio, Cvm In Inclyta Inclytorum Vratislauiensium Schola, ad D. Mariam Magdalenam debita Rectoratus insignia ex amplissimi Senatus iussu, in virorum literatissimorum congressu, iuuenum florentissimorum consessu, Virtvtis Et Ervditionis Merito consequetur, Die D. Bartholomedi, Anno 1598. Gratvlationes A Bene Precantibus nuper discipulis scriptae in amoenis Marchionum Athenis. Typis Nicolai Voltzij. Exemplar in der BU Wrocław: 509674.
III. Bunzlau und Breslau
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thons erschüttert wurde. Der Rektor am Elisabeth-Gymnasium Nikolaus Steinberg als Obmann für die Schulen trat der Neuerung um der Einheitlichkeit der Ausbildung willen denn auch alsbald entgegen. Höckelshoven indes brauchte sich nicht getroffen zu fühlen. Ihn hatte allein wissenschaftliche Neugierde und also eine Erweiterung des Horizonts geleitet. Von einer Entfremdung im Blick auf Melanchthon konnte keine Rede sein. Ein Jahr vor seinem Tod widmete er – von Dankbarkeit erfüllt – dem Rat der Stadt Breslau eine Hommage an diesen in Gestalt eines mächtigen, den Charakter eines Vermächtnisses annehmenden ›Compendium Philippomelanchthonianae & Dialecticae‹ bei Georg Baumann in Breslau. Zugleich aber erwies er auch seinem alten Lehrer Helwig nochmals Reverenz, dessen Kompendium er dem eigenen zugrundelegte. Die Dialektik, aber auch die Logik waren seine Steckenpferde. Schon 1611 hatte er ein eigenes logisches System geschaffen, das in jenem Jahr in Form eines ›Systema Logicum‹ in Frankfurt am Main bei Matthäus Becker zum Druck gelangte. Janus Gruter, Daniel Bucretius, Caspar Cunrad, Friedrich Taubmann und wie die Großen hießen, von denen noch die Rede sein wird, steuerten Ehrengedichte zu diesem Werk bei. Ein Jahr später folgte ein knapper Auszug, ›Logica Compendiosa‹ betitelt, mit dem der Autor in den schlesischen Raum zurückkehrte. Das Werk erschien bei Bössemesser in Oels. Auch das weite Gebiet der eben in einer modernen Umgestaltung aufsteigenden praktischen Philosophie bestellte der fruchtbare Lehrer und Autor. Ethik, Ökonomie und Politik umschrieben im weitesten Sinn den Radius eines Faches, das inzwischen auf den Universitäten die besten Köpfe an sich zog. 1604 erschien seine in drei Bücher gegliederte ›Philosophia practica‹ wiederum in Frankfurt am Main, nun bei Sigmund Latomus. Seine Schüler nutzten sie als Handbuch und Nachschlagewerk für ihre auf der Universität im Fach zu absolvierenden Disputationen. Selbst auf die Naturwissenschaften griff Höckelshoven – genau wie Steinberg am Gymnasium St. Elisabeth – aus. Er las eine umfassende Kosmologie, die von den Erscheinungen der Natur, von dem Sternenhimmel, den Pflanzen, den Tieren, von den Menschen und ihren Ordnungen handelte. Sie gelangte nicht zum Druck. Doch in der Handschriftenabteilung der Breslauer Stadtbibliothek hatte sich aus dem Besitz des Magdaleneums die Nachschrift eines Schülers erhalten (M 1382). Ob sie gerettet werden konnte? Als Höckelshoven schließlich 1618 starb, war die Trauer in der Stadt groß. Zahlreiche Schüler bekundeten dem Dahingegangenen in mehreren Sammel-Trauerschriften ihre Verehrung.30 Die schulische Anstalt und ihr Rektor standen auf der Höhe ihres Ansehens, und jedem Kundigen mußte deutlich vor Augen stehen, daß auf dem Felde gediegener und weithin sichtbarer gelehrter Arbeit das Magdaleneum keinen Vergleich mehr zu scheuen brauchte – auch nicht mit dem benachbarten ElisabethGymnasium. ––––––––– 30
Man findet die drei Trauerschriften aufgeführt bei Bauch: Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation (Anm. 23), S. 330, Anm. 3. Opitz ist in keiner dabei. Die Drucke wurden in der Wirkungsstätte Höckelshovens, im Gymnasium Maria Magdalena verwahrt und gingen über die alte Breslauer Stadtbibliothek nach dem Krieg ein in den Besitz der BU Wrocław: Signaturen: 523122, 523123 und 523123a.
Im Zentrum späthumanistischer Geistigkeit
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Im Zentrum späthumanistischer Geistigkeit Vom Humanismus zu sprechen heißt, von Zentrenbildungen zu handeln. Humanistische Geistigkeit ist auf Kommunikation, auf gelehrten Austausch geeicht. Diese mag sich über Orte und Länder hinweg erstrecken. Dann sind Reisen und Briefe die Mittel und Medien der Wahl, um Entfernungen zu überbrücken. Die Humanisten haben sich ihrer mit Leidenschaft bedient. Netzwerke werden auf diese Weise im nachhinein erkennbar, die unschätzbare Dienste leisten bei dem Nachvollzug der Wanderwege des Wissens. Immer wieder aber kommt es dann vor, daß lokale Massierungen der Intelligenz zu beobachten sind. Über ganz Europa erstreckt sich eine imaginäre Landkarte mit gelehrten Knotenpunkten. Daselbst präsent zu sein, die Vorteile eines unmittelbaren gelehrten Verkehrs genießen zu dürfen, bedeutet einen Glücksfall. Opitz hat ihn erfahren und von ihm eminent profitieren dürfen. Schon in Bunzlau zeichneten sich erste Umrisse einer Verdichtung gelehrter Impulse ab. In Breslau erfolgte ein erstes Mal und zu früher Stunde in seinem Leben ein weiterer inspirierender Schub, von dem der Dichter und Gelehrte nicht anders als der inskünftige Kulturpolitiker und Diplomat ein Leben lang zehrte. Und das gleichermaßen über das Assimilieren von Ideen wie über die persönliche Begegnung mit bedeutenden Persönlichkeiten, die sich auf eine denkwürdige Weise geneigt zeigten, einem jungen Menschen Wege zu weisen, der ihnen für eine nicht alltägliche Laufbahn prädestiniert erschien. Nicht anders ist es zu erklären, daß er sich erkühnen durfte, ihnen zu huldigen und – selbstverständlich verdeckt – Ansprüche zu formulieren sowie umgekehrt Gehör zu finden und frühzeitig mit Ehrungen bedacht zu werden. Wenn in einem vergleichsweise kurzen Leben Herausragendes geleistet wurde, so auch dank der Eingemeindung in eine nobilitas litteraria nah und fern, in der sich Opitz souverän zu bewegen wußte. An keiner Stätte im alten Reich um 1600 hätte er dazu mehr angeregt werden können als im schlesischen Breslau. Nur eine Stadt im Osten des alten deutschen Sprachraums mochte es diesem Zentrum späthumanistischer Geistigkeit darin gleichtun, und zwar die Königsstadt Prag. Dort aber zentrierte sich das geistige Leben um einen Hof und für eine bemessene Frist auch um eine Person. Das geistige Prag ist als das späthumanistische Rudolphs II. in die Geschichte der Frühen Neuzeit eingegangen. Es will denkwürdig bleiben, überrascht von daher aber auch keineswegs, daß gerade zwischen Prag und Breslau um das Jahr 1600 die lebhaftesten personellen Verbindungen verliefen.31 In Breslau selbst aber war es neuerlich das Patriziat, das den Rahmen bot für die Entfaltung einer intellektuellen Kultur, deren Dichte und Intensität im nachhinein stets aufs neue Staunen hervorruft. Indem Opitz Zeuge und Mitwirkender auf diesem reich gezierten Parkett wurde, und das, noch bevor die Katastrophe Stadt und Land erschütterte, durfte er sich als ein Bevorzugter, um nicht zu sagen als in den Bezirken des ––––––––– 31
Meisterhaft entfaltet von R.J.W. Evans: Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History 1576-1612.- Oxford University Press 1973. Corrected Paperback Edition 1997. Deutsche Version unter dem (den Gehalt des Werkes nicht treffenden) Titel: Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit.Graz, Wien, Köln: Styria 1980. Vgl. auch das schöne Werk von Erich Trunz: Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolfs II. 1576–1612.- Neumünster: Wachholtz 1992 (Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte; 18).
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III. Bunzlau und Breslau
Geistes Ausgezeichneter, wo nicht Gesegneter begreifen. Wir haben mehr als einen Erweis dankbarer Ergriffenheit für dieses Geschenk des Lebens. Als Opitz die Stadt betrat, lag eine große Phase humanistischen Wirkens bereits hinter ihr, an die sich die Erinnerung weit über die Schwellenzeit um 1600 hinaus bewahrte. Der Umstand, daß unter den Bischöfen auf der Dominsel humanistische Interessen lebendig blieben und seit der Reformation auch in den führenden Schichten der Stadt eine verstärkte Aufmerksamkeit den Antikestudien zugute kam, führte zu dieser Symbiose, die sich mit den Namen herausragender Persönlichkeiten verband. Einen deutlich erkennbaren Einschnitt bezeichnete das Auftreten und Wirken des nachmals kaiserlichen Leibarztes Crato von Crafftheim.32 Er weilte oftmals auswärts, zumal in Prag und Wien, kehrte jedoch immer wieder in seine Heimatstadt Breslau zurück und führte dort ein splendides Haus, in dem die kirchlichen und gelehrten Würdenträger lebhaft verkehrten. Ein Andreas Dudith, einst Bischof von Fünfkirchen in Ungarn, ein Nikolaus II. Rhediger, der Bruder des Sammlers Thomas Rhediger, dem die Breslauer Stadtbibliothek ihren Namen verdankte, ein Petrus Vincentius, Rektor des Elisabethanums wie wir hörten, ein Johannes Aurifaber, Pastor bei St. Elisabeth und Herausgeber der Tischreden Luthers, ein Zacharias Ursinus, der große reformierte Theologe, und wie sie sonst heißen mögen, trafen daselbst zusammen – humanistische Kreisbildung auf höchstem Niveau. Auch die Gebrüder Peter und Jakob Monau zählten dazu.33 Peter, berühmter Mediziner seines Zeichens wie Crato selbst, verstarb früh und wurde lebhaft betrauert. Sein Bruder Jakob aber überschritt die Schwelle zum neuen Jahrhundert knapp und nahm nach dem Tod Cratos dessen Funktion unter veränderten Bedingungen wahr. Niemand aus der Opitz-Generation, der sich seines Wirkens nicht erinnerte, auch wenn es – wie eben auch im Falle Opitzens – zu einer persönlichen Begegnung mit dem 1603 Verstorbenen nicht mehr gekommen war. Es blieb das Kennzeichen Breslaus, daß sich von Generation zu Generation immer wieder Persönlichkeiten fanden, um die sich die Jüngeren scharten. War das Haus Monaus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein humanistisches Zentrum, so eine Generation später das Haus Nikolaus III. Rhediger. Dem ist Opitz noch persönlich begegnet. Der allseits verehrte Ansprechpartner und Förderer aber Opitzens und seiner Weggefährten blieb der Mediziner und nachmalige Stadtphysikus von Breslau Caspar Cunrad. Bei ihm haben wir zu verweilen, ist er doch aus der persönlichen wie der dichterischen Biographie Opitzens nicht wegzudenken.34 ––––––––– 32
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Grundlegend zu diesen Kreisen und unüberholt, weil aus reichem Breslauer Archivmaterial geschöpft, das nur teilweise erhalten ist: J.F.A. Gillet: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte, Band I–II.- Frankfurt/Main: Brönner 1860. Zum Folgenden demnächst mit reicher Literatur Klaus Garber: Blüte des Späthumanismus in Schlesien um 1600. Tobias Scultetus, Caspar Cunrad, Nicolaus Henel und ihr Stammvater Jakob Monau.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau. Eine eigene, Cunrad gewidmete Arbeit fehlt. Das bis dato Ausführlichste bei Klaus Garber: Verzeichnis bio-bibliographischer handschriftlicher und gedruckter Hilfsmittel zur schlesischen Personenkunde der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Späthumanismus.- In: Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken und Archiven Mittel- und Osteuropas.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013 (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 4), S. 97–157. Hier der ausführlich kommentierte
Caspar Cunrad als Zeuge und Sachwalter einer geistigen Epoche
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Caspar Cunrad als Zeuge und Sachwalter einer geistigen Epoche Im Jahr 1571 wurde Cunrad in Breslau geboren. Seine Ausbildung dürfte er in seiner Heimatstadt erfahren haben. Zum Studium wandte er sich an die Universitäten, die für die protestantischen Schlesier am leichtesten zu erreichen waren, nach Frankfurt/Oder und Wittenberg. Den Magister erwarb er 1595 in Leipzig. Damit war die erste Studienphase abgeschlossen. Er bekleidete zunächst Positionen als Hauslehrer, dann erfolgte der Aufbruch in den Westen, wie ihn so viele Schlesier vor ihm getan hatten und wie so viele dies nach ihm tun sollten, ein Opitz inbegriffen. Cunrad war da schon mit ersten moralphilosophischen und poetischen Arbeiten hervorgetreten. Sie hatten ihm bereits 1601, im Jahr seines Aufbruchs nach Basel, den Titel eines Kaiserlich gekrönten Poeten beschert. Die Ehrung war in Prag vorgenommen worden, und der Strauß der ihm gewidmeten Ehrengedichte hat sich glücklicherweise erhalten.35 In Basel aber galt das Studium dem künftigen Broterwerb. In Breslau hatte er den berühmten Mediziner Daniel Rindfleisch wirken sehen, mit dem er frühzeitig in Kontakt getreten sein muß. Rindfleisch, der sich in guter humanistischer Manier in Bucretius umgetauft hatte, pflegte regen Kontakt mit der studierenden und poetisch ambitionierten Jugend. Er war für die Jüngeren ein Vorbild. Nicht ausgeschlossen also, daß er auch bestimmend auf die Berufswahl Cunrads einwirkte. Drei Jahre hielt dieser sich in Basel auf. Dann kehrte er nach dem Erwerb seines Doktortitels im Fach der Medizin im Jahr 1604 in seine Heimatstadt zurück. Sein Leben daselbst verlief äußerlich unspektakulär. Cunrad ließ sich als Arzt nieder und erwarb zunehmend Ansehen. So bedeutete es zweifellos die Krönung seines beruflichen Lebens, als er im Jahre 1621 die Stelle eines Breslauer Stadtphysikus zugesprochen erhielt. Er trat die Nachfolge von Daniel Bucretius an und bewegte sich somit auch in den Fußstapfen eines Crato von Crafftheim. Anders aber als diesen zog es ihn nicht in die Weite zur Wahrnehmung ehrenvoller Stellen im Umkreis von Kaiser und König in Wien und Prag. Er wirkte vor Ort. Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir in der freiwillig erkorenen Seßhaftigkeit eine der Voraussetzungen für die Konzentration auf sein Werk erblicken, das er sich zur Lebensaufgabe gesetzt hatte. Nur in Breslau und von Breslau aus vermochte Cunrad jenen im nachhinein unfaßbar reichen schriftstellerischen Elan zu entfalten, der auf ein einziges Ziel ausgerichtet war: schreibend und sammelnd wollte er die gelehrte und zumal die poetische Leistung seiner Vaterstadt und seiner weiteren schlesischen Heimat dokumentieren. Über diese Aufgabe ist er zum Historiographen des literarischen Lebens eines ganzen Landstrichs geworden. Und da er das Glück hatte, sein Lebenswerk durch seine Söhne auf verschiedenen Wegen fortgesetzt zu sehen, rückten Vater wie Kinder unversehens –––––––––
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Eintrag zum personenbezogenen Werk Cunrads S. 132–144. Heranzuziehen des weiteren der Eintrag des Verfassers in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u.a. Band I–VI.- Berlin, Boston: de Gruyter 2011– 2017, Band II (2012), Sp. 75–85. Vgl. auch das eingehende Cunrad-Kapitel in dem Anm. 33 zitierten Werk des Verfassers mit der Aufführung aller einschlägigen Cunradschen Werke. Vgl: Auspicio atqve Auctoritate Divi Rvdolphi II. [...] Laurea M. Caspari Conrado Vratisl. Per [...] Jacobum Chimarrhaeum, Ruremundanum [...] collata Prid. Non. ApriL. A.C. MDCI. Lignicii typis Sartorianis. Exemplar: UB Prag, 5 K 214, adl. 7.
III. Bunzlau und Breslau
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zu Zeitzeugen auf, deren Kompendien, in denen sich biographische und poetische Züge fruchtbar kreuzen, noch heute zum eisernen Rüstzeug eines jeden zünftigen Schlesienkundlers gehören.
Werkprofil eines späthumanistischen Nestors Hier geht es um ein Werk, das uns im Blick auf Opitz interessiert. Cunrads großes Vorbild Jakob Monau hatte damit begonnen, poetische Zuschriften zu einem von ihm gewählten Wahlspruch zu sammeln und, verbunden mit knappen Angaben zu den jeweiligen Verfassern, zu einem Strauß zu binden. ›Ipse faciet‹ lautete das Motto, unter dem Monau um Beiträge nachsuchte bzw. diese alsbald von nah und fern auf eigene Initiative zugesandt erhielt. Schon im Jahr 1581 lag eine erste kleine Sammlung vor. Im Jahr 1595 erschien eine zweite und wesentlich erweiterte. Ein jeder Beiträger fühlte sich geehrt, zu dem Werk eines der Großen der Zeit beitragen zu dürfen. Und natürlich war einem jeden, der zur Feder griff, klar, daß er sich selbst derart ein wie auch immer bescheidenes Denkmal setzte. Man wußte sich in ehrenvoller Gemeinschaft und blickte voll Neugier auf den Arrangeur und auf die Position, die er dem Einsender in seinem poetischen Kompendium wohl einräumen würde.36 Das Beispiel Monaus machte Schule. Allenthalben sprossen Gemeinschaftswerke mit Beiträgen zu einem ›Symbolon‹, das der jeweils mit ihm sich Schmückende erkoren hatte. Und so auch Cunrad. Bei ihm aber war alles zugleich anders. Das lag an der ungewöhnlichen Schaffensfreude bzw. genauer: der singulär dastehenden Befähigung zur Stiftung von Gemeinschaft unter der Gelehrtenschaft und wiederum vorzugsweise der schlesischen. Um 1600 war deren Produktivität kaum noch überschaubar. Schlesien und das benachbarte Böhmen waren erfüllt von späthumanistisch-neulateinischer Anagramm- und Epigrammkultur. An beiden hafteten Namen von Verfassern, Beiträgern und Bedichteten. Ein Kosmos gelehrter Verbindungen tat sich hier auf. Er verlangte nach Verarbeitung, und das hieß nach Zusammenführung. Nichts sollte verloren gehen, ein so gewiß nicht wiederkehrender Zenit gelehrten poetischen Wirkens dokumentiert und für eine jede erdenkliche Zukunft gesichert werden. Cunrad nahm diese Chance wahr und agierte ebenso einfallsreich wie entschlossen. Er begann frühzeitig mit der Anlage von Sammelwerken, und das über lange Zeit auf parallelen Wegen. Wir müssen ein Wort darüber verlieren, da auch ein Opitz in dieses atemberaubende Treiben gleich mehrfach involviert war, und zwar bereits in seiner frühen Breslauer Zeit. Schon im Jahr 1600 setzte Cunrad mit einer ersten Dekade von sog. Anagrammgedichten ein, in denen der Name eines Bedichteten, in der Buchstabenfolge leicht versetzt, zum scharfsinnigen Erfinden einer hervorstechenden Eigenschaft dieser Person einlud. Dekade auf Dekade folgte, und eine jede besaß einen neuen Widmungsempfänger. Das verband Cunrad mit ungezählten Kollegen und stiftete Freundschaft. 1606 lag eine Hundertschaft mit Anagrammen vor. ––––––––– 36
Verwiesen sei für alle näheren Einzelheiten auf das Monau-Porträt des Verfassers in: Schlesische Lebensbilder. Band XII. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Würzburg: Stiftung Kulturwerk Schlesien 2017, S. 57–70. Vgl. auch das Monau-Kapitel in dem in Anm. 33 zitierten Werk des Verfassers.
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Auf seiten des Epigramms verzichtete Cunrad auf die Feingliederung nach Dekaden. Er ging gleich über zu Zenturien. Zwischen den Jahren 1609 und 1613 konnte er fünf Hundertschaften mit Epigrammen vorlegen. Die berühmtesten Namen waren unter den Widmungsempfängern und den epigrammatisch Verewigten. Und damit nicht genug. In dem Nachlaß Cunrads verbirgt sich eine Handschrift mit nicht weniger als elf Büchern, abweichend von den gedruckten Epigramm-Sammlungen nach Anlässen und Formen gegliedert. Sie ist bis heute nicht ediert worden und verspricht doch einen Einblick in das literarische Leben Schlesiens und Breslaus um 1600 wie wenige Dokumente sonst.37 Schließlich aber nahm Cunrad die von Monau eröffnete Gepflogenheit wieder auf und sammelte seinerseits Zuschriften zu einem von ihm erwählten Wahlspruch. In den Psalmen hatte er ihn gefunden. ›Domini est Salus‹ lautete er; »Bei dem HERRN findet man Hilfe« übersetzte Luther. Der Spruch mochte einladen, sich zu dieser Glaubenswahrheit und in gleichem Atemzug zu demjenigen zu bekennen, der ihn sich zu eigen gemacht hatte und öffentlich mit ihm hervorgetreten war. Cunrad führte das von Monau eröffnete geistlich-poetische Spiel, das ein typisches Kennzeichen des Späthumanismus blieb und schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts merklich zurücktrat, zu einem krönenden Abschluß. Im Jahr 1606 setzte er mit ihm ein, im Jahr 1615 machte er ein erstes Mal Halt. Fünf Zenturien waren beisammen. Doch dann erfolgte 1622 ein zweiter Anlauf, der bis in das Jahr 1632 währte. Zwei Jahre vor seinem Tod beschloß Cunrad ein nahezu sein gesamtes produktives Leben umspannendes Werk. Zehn Hundertschaften waren nochmals nacheinander hervorgetreten. Es gab Überschneidungen zu der VorgängerFolge, gewiß. Aber was zählte das angesichts des Reichtums? Alles, was schreibend im näheren und ferneren Umkreis hervorgetreten war, sah es als eine Ehre an, dem in Breslau residierenden Nestor der schlesischen Gelehrtenschaft beitragend Reverenz zu erweisen. Cunrad war ihrer aller Patron. Und dann der Schlußpunkt! Auf Bekanntmachung und Verewigung von Personen war schließlich alles hinausgelaufen. Cunrads jüngerer und alsbald berühmter Freund Nicolaus Henel von Hennenfeld hatte schon frühzeitig damit begonnen, eine schlesische Personenkunde zu verfassen. ›Silesia Togata‹ betitelte er sie. Urschrift und diverse Abschriften schlummerten ungedruckt über Jahrhunderte in seinem eigenen Nachlaß und dem von Geistesverwandten, wurden im Zweiten Weltkrieg schwer versehrt und sind bis heute keiner kritischen Edition gewürdigt worden.38 Cunrad wurde hingegen ein glücklicheres Los zuteil. Da ihm nun schon einmal so viele Namen und ––––––––– 37
38
Vgl.: Casparis Cunradi Silesii Epigrammatum Liber I [–] XI. B 1916. Der Text wird in der Handschriften-Abteilung der BU Wrocław verwahrt. Er befand sich ursprünglich in der BernhardinerBibliothek, wie aus dem vorangestellten ›B‹ in der Handschriften-Nummer ersichtlich, ging von dort über in die Stadtbibliothek Breslau, erhielt dort die Signatur B 1916 und wird unter eben dieser heute in der BU Wrocław verwahrt. Kopie der Handschrift – wie auch aller Cunrad-Drucke aus der BU Wrocław – in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Alles Nähere zu dieser auch für Opitz zentralen Figur in dem letzten, Henel gewidmeten Kapitel des oben in Anm. 33 zitierten Werkes des Verfassers. Von diesem stammt auch der Eintrag zu Henel in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon III (2014), Sp. 254–266.
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poetische Charaktere bekannt waren, hub er nunmehr an, in gedrängtesten zweizeiligen Versen, in Distichen, winzige poetische Miniaturen dieser und anderer Personen zu entwerfen. Nochmals sage und schreibe dreitausend solcher Kurzporträts konnte er in seinen ›Prosopographiae Melicae‹ in den Jahren 1615 und 1621 präsentieren. Nur die Tausendschaft war noch dazu in der Lage, das reiche Aufkommen zu bergen. Sein Sohn Johann Heinrich nahm das Spiel auf. Auf rund 10.000 Distichen soll er es gebracht haben. Die fielen einem rührigen Geist namens Caspar Theophil Schindler in die Hände. Dieser filterte die auf schlesische Personen bezogenen Distichen von Vater und Sohn Cunrad aus der Masse heraus und veröffentlichte sie fast ein Jahrhundert später unter eben jenem Titel, den auch Henel aus naheliegenden Gründen gewählt hatte: Silesia Togata.39 Die Cunradsche ›Silesia Togata‹ ist nebst Fortschreibungen, wie sie im 18. Jahrhundert erfolgten, das wichtigste Nachschlagewerk geblieben, das wir zu einer Personenkunde vornehmlich der späthumanistischen nobilitas litteraria Schlesiens besitzen. Und ein solches wird es solange bleiben, bis der eminente biographische Fundus, gruppiert um die Namen eben eines Henel von Hennenfeld, auch aber eines Gottfried Hanke oder eines Christian Ezechiel, aus den Schätzen zumal der ehemaligen Breslauer Stadtbibliothek gehoben und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt gemacht worden ist. Hier wartet eine große Aufgabe auf kundige Hände, geht es doch um die Dokumentation des reichsten Literatur- und Kulturraums im alten deutschen Sprachraum um 1600. Wir aber haben uns zu Opitz zurückzuwenden und alles Vorstehende war im Blick auf ihn nur eben angedeutet.
Zwei Texte auf Cunrad in Handschrift und Druck Für einen Moment sei es erlaubt, in die Katakomben der philologischen Rüstkammer hinabzusteigen. Wir hatten das Glück, uns stets wieder in der unerschöpflichen Breslauer Universitätsbibliothek aufhalten zu dürfen. Je länger und häufiger die Aufenthalte währten, desto mehr verlagerte sich die Arbeit aus dem Lesesaal für alte Drucke in den für die Handschriften. Hier lagen die Verhältnisse völlig anders als dort. Die Drucke waren nach dem Krieg aus den verschiedensten Bibliotheken Schlesiens in ––––––––– 39
Der Titel dieses Grundlagenwerkes der schlesischen Gelehrtenschaft: Jo. Henrici, Casp. Fil. Cunradi Silesia Togata, Sive Silesiorum doctrina & virtutibus clarissimorum Elogia, Singulis distichis comprehensa; quibus Dies omnium natales & emortuales, Officiorumque ab ipsis gestorum Tituli subjunguntur. Ex Avtoris Mscto, Quod in Bibliotheca Paterna viderat, edidit Caspar Theophil. Schindlervs, Lignicensis Silesius.- Liegnitz: Rorlach 1706. Ein durchschossenes Exemplar mit ungezählten handschriftlichen Nachträgen, herrührend aus der Rhedigerschen Bibliothek und unter der Signatur 4 A 33 übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau, befindet sich heute in der BU Wrocław. Signatur: 337104. Eine stets zu berücksichtigende Fortsetzung erfuhr das Werk in: Johann Christian Leuschner: Ad Cvnradi Silesiam Togatam Spicilegivm Primvm [–] XXXXVIII.Hirschberg: Krahn [Nr. 33: Hirschberg: Reimer; ab Nr. 34: Breslau: Grass] 1752–1784. Exemplar in der BU Wrocław: 442246. Filme und Kopien beider Werke in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück.
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Breslau zusammengeströmt. Viele von ihnen waren daher gleich mehrfach vorhanden. Zwar gab es im Einzelfall auch Verluste zu beklagen, wie sie vor allem die Einzeldrucke aus der Abteilung ›Genealogica‹ betrafen. Die mächtigen Sammelbände jedoch, vielfach mit Hunderten von Einzeldrucken bestückt, waren größtenteils erhalten und bargen schlechterdings unerschöpfliche Ausbeute. Ganz anders in der Abteilung der Handschriften. Es währte nicht lange und dem sich Umtuenden wurde klar, daß mit einer erheblichen Verlustrate zu rechnen sei. Und das nicht für einzelne Gruppen oder Abteilungen, sondern quer durch den Bestand hindurch. In vielen Fällen waren mehrbändige Werke eines Autors nur noch fragmentarisch überliefert, in anderen waren Originale vorhanden und Abschriften verschollen oder umgekehrt etc. In dieser Situation half nur geduldige Suche vor Ort, und das hieß intensives Studium der alten Kataloge, die sich glücklicherweise zum größeren Teil erhalten hatten. Wer diesen Weg beschritt, wurde belohnt mit reichen Funden. Und so auch im Falle Cunrads und Opitzens. Wir müssen den Leser um ein wenig Geduld bitten, geht es doch zumindest in einem Fall um einen sehr frühen Text Opitzens, über den ein lebenslang währendes Bündnis zwischen dem Älteren und dem Jüngeren gestiftet wurde. Ein Teil des Cunradschen Nachlasses ist über seinen Sohn Johann Heinrich in die berühmte Milichsche Bibliothek in Görlitz gelangt, die besonders reich war an Handschriften.40 Teile daraus nun wiederum gelangten nach dem Zweiten Weltkrieg in die Universitätsbibliothek Breslau, darunter ein Band Mil. 214, der seinerseits eine Reihe einzelne Handschriften enthält, darunter die Nummern Mil. IV. 32 und Mil. IV. 33. Sie bergen u.a. von Cunrads Hand eine erkleckliche Anzahl von Zuschriften zu seinem Wahlspruch ›Domini est Salus‹. Im Jahr 1615 hatte er die fünfte Zenturie vorgelegt. In den beiden Handschriften sammelte er Beiträge zur Fortsetzung seines Werkes, wie sie dann seit 1622 so eindrucksvoll zustandekam. Beide Manuskript-Corpora nun enthalten jeweils einen Beitrag von Opitz, und das letztere sogar einen solchen auf Opitz. Das ist eine derart seltene Konstellation, daß wir ihr im Eingang zu unserem Werk Aufmerksamkeit widmen müssen, sind doch früheste und zugleich gewichtige poetische Zeugnisse aus der Feder Opitzens namhaft zu machen.41 Im Jahr 1621 erschien das dritte und letzte Millenarium von Cunrads ›Prosopographiae melicae‹. Wie üblich stehen selbstverständlich auch diesem Werk Begleitgedichte von Kollegen und Freunden voran. Martin Zeidler und Melchior Haus aus Lauban, Conrad Bavarus aus Leipzig und Friedrich Zamehl aus Elbing gratulieren dem Verfasser. Der hatte diesen dritten Teil seines opus magnum drei Adligen gewidmet, ––––––––– 40
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Vgl. den Ausstellungs-Führer: Johann Gottlieb Milich. Gelehrter und Sammler. Hrsg. von der Stiftung Schlesisches Museum zu Görlitz.- Görlitz, Zittau: Oettel 2000. Darin die instruktiven Beiträge von Anja Häse, Martin Kügler und Walter Schmitz. Vgl. auch Walter Schmitz, Anja Häse: Die Büchersammlung des Schweidnitzer Avokaten Johann Gottlieb Milich (1678–1726). Bildungsgeschichte in kulturräumlicher Betrachtung.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 40/41 (1999/2000), S. 67–84. Einen Katalog der Handschriften aus der Milichschen Bibliothek wurde von dem allzu früh verstorbenen Experten Leon Garecki erarbeitet. Vgl.: Katalog Rękopisów: Dawny zbiór Biblioteki J.G. Milicha w Zgorzelcu [Handschriften-Katalog. Die alte Sammlung der Bibliothek J.G. Milichs].- Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 1990. Wir verweisen für das Nähere auf das in Anm. 34 zitierte Verzeichnis des Verfassers, S. 137–140.
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nämlich Christoph Georg von Bergk, Christoph von Hoberg und Christoph Oelhafen von Schöllenbach. Eine an Cunrad gerichtete Zuschrift nimmt schon von der Anordnung her eine Sonderstellung ein, ist sie doch auf einem gesonderten Blatt untergebracht. ›Carmen Heroicvm Casparis Cvnradi V.C. symbolo dictum, vbi obiter de Prosographicis eius‹ ist sie tituliert und datiert, herrührend aus Breslau, auf den April des Jahres 1621. Das Stück mit dem Titel, welcher aufhorchen läßt, entstammt der Feder von Martin Opitz und weist eine denkwürdige Entstehungs- und Publikationsgeschichte auf. Es taucht nämlich auch in Cunrads Sammelwerk zu seinem Motto ›Domini est Salus‹ wieder auf, und zwar in der neunten Zenturie der zweiten Folge aus dem Jahr 1624. Dort aber ist es begleitet mit einer Zuschrift Opitzens aus Alba Julia in Siebenbürgen, die fälschlich auf den Januar des Jahres 1624 datiert ist, als Opitz Siebenbürgen schon wieder verlassen hatte. Sinn gibt sie nur, wenn diese Zuschrift ein Jahr vordatiert wird, also auf das Jahr 1623. Cunrad, so ist daraus zu ersehen, hat gleich eine zweifache Verwendung des Opitzschen Gedichtes vorgenommen; es war ihm offensichtlich besonders kostbar. Aber damit stehen wir immer noch am Anfang unserer kleinen philologischen Revue. Wir müssen uns in einem zweiten Schritt den zwei Handschriften aus Cunrads Nachlaß zuwenden, die uns bei unseren archäologischen Erkundungen in die Hände fielen. Und dabei gibt sich der bemerkenswerte Sachverhalt zu erkennen, daß Cunrad die Handschrift Mil. IV. 32 mit der Abfolge von Zuschriften zu seinem Wahlspruch tatsächlich eröffnet eben mit Opitzens ›Carmen Heroicum‹. ›Martinus Opicius Bolislav Aulae Ducalis Lignic. Familiaris‹ ist der Beitrag überschrieben und versehen mit einem Zusatz: ›Vratislaviae scripsit M. VIIbri Anno M.DCXV. P[rae]s.[entavit] Martinus Opicius, Bolislaviensis‹. Opitz also entweder selbst oder aber Cunrad hatten einen Bezug zum Hof Georg Rudolfs in Liegnitz hergestellt, der nur Sinn machte, wenn tatsächlich schon eine Verbindung des jungen Dichters zu dem illustren Piasten bestand. Und zugleich war über die Datierung auf den September des Jahres 1615 sichergestellt, daß in der Tat ein frühes Stück Opitzens aus seiner Breslauer Zeit vorlag. Ein Jahr nach seinem Einzug in Breslau war es für Cunrad verfaßt worden und hatte spätestens jetzt den Blick des berühmten Humanisten auf den jungen Dichter gelenkt. Cunrad hatte nicht gezögert, den Text in der Handschrift Mil. IV. 32 an den Anfang seines ›Theatrum Symbolicum‹ zu stellen, unter welchem Titel die Zuschriften zu seinem Wahlspruch zusammengeführt wurden, und ihn sodann noch einmal für sein ›Millenarium III.‹ zu verwenden. Auch die Handschrift Mil. IV. 33 birgt einschlägige textuelle Materie im Blick auf Opitz. Hier nämlich findet sich unter der vorletzten Nummer 245 der zweite Opitzsche Beitrag aus der neunten Zenturie des Cunradschen ›Theatrum Symbolicum‹ zum Wahlspruch ›Domini est Salus‹. Und hier steht auch der im Druck fortgelassene Titel: ›Ad Nob. & CL. Virum CASPARUM CUNRADUM, de ipsius Symbolo DOMINI EST SALUS.‹ Auch die Datierung ist – im Gegensatz zu der Zuschrift aus Siebenbürgen – in dem Druck korrekt: ›P[rae]s:[entavit] Martinus Opitius Professor in Collegio Albano Ordinarius. Scrips. Albae Juliae Dacorum 17. d. Jan 1623.‹ Zudem birgt die Handschrift auf den Seiten 86 f. von alter bzw. S. 196 f. von neuerer bibliothekarisch-archivalischer Hand auch noch ein Gedicht auf Opitz.
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Eben diese Trias soll uns im folgenden beschäftigen, ist es doch unser Anliegen, eine jede Periode bzw. einen jeden Ort im Leben Opitzens mit der Inspektion wenigstens eines exemplarischen Beitrages zu verbinden. Alle Bemühung um das Leben eines Autors und um die Kontexte, in denen es sich entfaltet, alle Bemühung aber auch um die Sicherung des Textbestandes bleiben eine vergebliche, wenn sie nicht hinführen zu den Texten selbst und deren historischen Gehalt. Nach Kräften wollen wir bemüht bleiben, das Bild des Dichters Martin Opitz zu konturieren und derart zu seinem Nachleben beizutragen. Das schönste Geschäft des Philologen, Textauslegung, also ist zu verrichten, und so auch im Blick auf die beiden von uns namhaft gemachten Beiträge für Caspar Cunrad.
›Carmen Heroicum‹ ›Carmen heroicum Casparis Cunradi V.C. symbolo dictum, vbi obiter de Proso(po)graphicis eius.‹ So liest sich die Überschrift zu dem ›heroischen Gedicht‹ im Jahre 1621. Auf den Wahlspruch Cunrads hin war es vor sechs Jahren verfaßt worden. Im Titel ist eben dieser originäre Bezug festgehalten. Nun aber rückt es ein in den Vorspann zu Cunrads drittem prosopographischen Millenarium, von dem schon 1615 die beiden ersten Bände erschienen waren. Entsprechend lautet die Übersetzung unseres Gewährsmannes: ›Gedicht auf einen Helden. Auf den Wahlspruch des hochverehrten Caspar Cunrad mit gelegentlichen Hinweisen auf seine Prosopographia‹.42 Opitz hatte also schon zur Zeit der Abfassung seines Gedichts Kenntnis von Cunrads opus magnum, das sich da herausformte, und auch diese Verbindung wird explizit im Titel namhaft gemacht. Opitz wurde just in dem Moment tätig, da die erste Folge mit fünf Zenturien zu Cunrads Wahlspruch abgeschlossen vorlag und der Auftakt zu seiner Prosopographie erfolgt war. Im Rückblick wird man sagen dürfen, daß diese beiden Werke in der Folgezeit sich vor allem mit dem Namen Cunrads verbanden, blieben sie doch eine personenkundliche Quelle ersten Ranges. Opitz war – wie so oft – genau im richtigen Moment zur Stelle. ›Carmen heroicum‹! Später in seiner ›Poeterey‹, von der wir noch hören werden, schickte sich Opitz zu einer Definition an. Die war auf das Epos gemünzt, in dessen Mittelpunkt seit Homer und Vergil Leben und Taten eines ›Helden‹ stehen. Zugleich erfolgte eine versifikatorische Festlegung. Für das antike Epos ist der Hexameter verbindlich. Seine Entsprechung findet er im Deutschen eben mit dem Übergang in das 17. Jahrhundert durch den Alexandriner. Auf andere Weise sind diese ›heroischen‹ Merkmale auch in einem Gelegenheitsgedicht wie dem vorliegenden gegeben. Eine herausragende Person wird bedichtet, ––––––––– 42
Auch dieses Gedicht liegt, wie alle lateinischen Texte bis zum Jahr 1630, inzwischen gleich in zwei Opitz-Ausgaben vor, nämlich derjenigen von George Schulz-Behrend, die leider nur bis zum Jahr 1630 geführt werden konnte, und sodann in der zweisprachigen von Veronika Marschall und Robert Seidel, die das komplette lateinische Textcorpus Opitzens darbietet. Vgl. zum ›Carmen Heroicum‹ für Cunrad: Opitz: Gesammelte Werke. Band I (Anm. 12), S. 2–8 (mit ausführlicher Einleitung von Schulz-Behrend), sowie Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 12), S. 230–235, gleichfalls ausführlicher Kommentar von Robert Seidel S. 432–435.
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und das in Hexametern, für die der Übersetzer Georg Burkard, der das Gedicht erstmals im Deutschen zugänglich gemacht hat, entsprechend gleichfalls den Alexandriner wählt. ›Gedicht auf einen Helden‹ hat der Übersetzer den in der Poetik eingeführten Gattungsbegriff ›Carmen heroicum‹ übertragen. In diesem metaphorischen Sinn werden wir einen ›Helden‹ kennenlernen, dem Opitz eine ganz eigene Physiognomie zu verleihen gewußt hat.
Umfunktionierung epischer Montur CVNRADE, humani mens et sublimis imago Numinis, in quo se virtus miratur, et omne Quodcunque est alti metas escendere mundi Ausum, ac libratos tecum exsuperare triumphos Celorum; cui mirandum Natura volumen, Prodiga tota sui, patet, et vis vna malorum Tollere morborum mendas mortalibus aegris; Cui mens immensum sano lymphata furore, Impendens se tota sibi, tot numinis oestro Concita, diuinos panxit scito ordine versus; Cui cura imbelli iamdudum doctior orbis Subiugat ingenii, recte hercle! atque ordine, fasces; Cui nimium pressae modo Relligionis ab aestu, Instinctu diuum horribili, ista locutio nata est Sancta: SALVS DOMINI, quam nunc licet impare sensu, Natio doctorum simili iunctim ore frequentant[.]43
Derartige Verse kann ein Dichter nur einmal formulieren. Höher auszugreifen vermag auch ein Lobredner nicht. Es sind Verse, wie sie am Eingang eines Epos nach der obligatorischen Anrufung der Musen verlauten könnten. Dort gelten sie einer in den Mythos verwobenen Person. Hier sind sie auf einen Zeitgenossen des Dichters gemünzt. Solch eine Umfunktionierung einer epischen Redeweise in einem an eine bestimmte Person gerichteten Gedicht ist ein ebenso kühner wie gewagter Kunstgriff. Opitz hat ihn getan, und mancherlei des Ungewöhnlichen, das dem heutigen Hörer und Leser befremden mag, ist eben dieser quasiepischen Herkunft geschuldet. Eine dem Epos geziemende heroische Sprechweise wird übertragen in den Lobpreis einer lebenden Person. Ein derartiges Manöver kann auch der größte Dichter nicht unbegrenzt oft ––––––––– 43
So ebenda die Verse 1–16. Die deutsche Übersetzung: Menschlicher Göttlichkeit Seele, Cunradus! Der göttlichen Abbild! | Mann, in dem sie sich selbst bestaunt, die Vollkommenheit, gleichfalls | Alles, was je Überschreitung der Grenzen der riesigen Erde | Wagte, mit dir Übersiegung beständiger Siege des Himmels; | Mann, dem die ganze Natur, die mit sich so verschwenderisch umgeht, | Ihr erstaunliches Buch eröffnet und der zu der einen | Kraft den Zugang besitzt, den Menschen, die krank sind, den Makel | Böser Gebrechen zu nehmen; und Mann, dessen Geist, in gesundem | Wahn unermeßlich rasend und ganz sich selber gewidmet, | Göttlichen Furors voll so viele göttliche Verse | Klug geordnet erschuf; und dem die Welt der Gelehrten, des Geistes, | Lang schon in friedlichem Dienst die Regierung gegeben, fürwahr mit | Völligem Recht; und Mann, in dem, als der Glaube vor kurzem | Furchtbar gedrückt und bedroht war, durch heiligen göttlichen Antrieb | ›Heil ist im Herrn‹ entstand, der Wahlspruch, der fromme, den nunmehr, | Wenn auch in anderem Sinn, der Gelehrten Stand wie mit einem | Munde benutzt[.] (S. 231, 233).
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wiederholen. Der stilistische Gestus nutzt sich ab und verkommt zur leeren Schablone. Anders im vorliegenden Fall. Wir sind Zeugen einer Erstlingstat. Und das gleichermaßen im Blick auf den Sprecher wie den Angesprochenen. Opitz hat den Mann als Empfänger gewählt, auf den als einzigen in diesen Jahren ein Ton paßte, der bei jedem anderen lebenden mit einem unschönen Beiklang versehen gewesen wäre. Der Dichter hat darum gewußt. Er setzte alles ein, hätte scheitern können und trug schließlich den Sieg davon. Cunrad antwortete umgehend. Wir haben seine Antwort kennengelernt. Sie hätte keinen würdigeren Ort finden können als am Eingang von Opitzens erster größerer Arbeit, seinem ›Strenarum Libellus‹. Der große Mann war gewonnen worden. Was das für einen blutjungen Menschen bedeutete, der sich eben anschickte, eine dichterische Laufbahn zu betreten, ist uns Späteren nicht mehr nachvollziehbar. Die wichtigste Figur im späthumanistischen Schlesien stand fortan fördernd an der Seite des aufstrebenden Jünglings. Und da die Protektion nicht nur briefliche, sondern auch öffentliche Bekundung fand, erfolgten Opitzens Schritte nach menschlichem Ermessen fortan auf einem sicheren Grund. Nichts Unehrenwertes war daran, wie spätere Zeiten vermeinten. Die Weitergabe eines Stabes über die Zeiten hinweg war inauguriert, eine weit in die Zukunft weisende Prämierung erfolgt. Dieser junge Mensch durfte sich insgeheim schon als ein gekrönter wähnen. Er hat, indem er ein heroicum carmen auf den ›hochverehrten Caspar Cunrad‹ applizierte, für die gehörige Mischung aus gattungseigenen und die Person charakterisierenden Passagen Sorge getragen. Das war schwierig genug. Und wenn denn schon diese anspruchsvolle Form gewählt wurde, so kam alles auf die Erfindung, die inventio an, mittels derer der Dichter sich unverwechselbar in die Geschichte dieser poetischen Redeweise einzuschreiben vermochte. Ungewöhnliche Wendungen sind in der Tat in reichlicher Anzahl vorhanden.
Ein Held der frühen Moderne Eine menschlich-göttliche Seele zeichnet den Geehrten aus, ein Abbild der göttlichen selbst ist sie. Diese Redeweise war legitimiert seit dem Wiederaufstieg des Neuplatonismus in der Renaissance. Aber hatte sie genau in dieser Formulierung schon einmal Eingang in die Dichtung gefunden? Wir wissen es nicht. Wohl aber läßt sich schon ahnen, was auf dem Spiel steht, wenn der Dichter es wagt, zu einer derartigen Wendung zu greifen. Von Anfang an ist ein Thema präludiert, und das im Blick auf diesen einen Mann, der einzig dasteht. In ihm bestaunt die virtus, bestaunt die Vollkommenheit der göttlichen Seele sich selbst. Über die Grenzen der Erde hat der Angeredete sich hinausgewagt, ist eingedrungen in die Sphären des Himmels, gleicht derart den Heroen des Altertums wie der neueren Zeit, die sich erhoben haben über alle irdischen Fesseln und jedwede Beschränktheit. In der Renaissance feiern diese Gestalten ihre Wiederauferstehung. Der Besungene gehört zu ihnen, ist ein uomo universale, wie er den Humanisten zumal auf italienischem Boden erstmals wieder verehrenswert war. Auch in Opitzens Gedicht ist ein übermenschliches Wesen im Visier, dem es offensichtlich gegeben ist, so die unversehens sich einstellende Vermutung, Natürliches und Übernatürliches in sich zu vereinen. Und tatsächlich beschreitet der Dichter die-
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sen Pfad. Der Brückenschlag erfolgt, wie es naheliegt bei eben dieser Person, einem Mediziner, über die Natur. Die Natur, so eine alte Vorstellung im alten Europa, ist ein beschriebenes Buch, und wohl dem, der sich auskennt in der Kunst des Lesens in ihm, auf daß sie ihre Geheimnisse preisgibt. Dem Adressaten ist diese Befähigung eigen; die Natur öffnet ihm ihre geheimen Kammern. Und wie sollte sie dies nicht, dürfen wir schon hier ergänzen, denn wie vermöchte der berühmte Mediziner sein Handwerk auszuüben, wenn er nicht um die Schliche und Kniffe wüßte, ihr beizukommen im Dienste des Menschen. Zuallererst ist es der Mediziner und damit der Naturwissenschaftler oder schlichter der Naturkundige, der in den Blick rückt und dem Dichter den Einstieg verschafft. Vollkommenheit, wie sie da gleich einleitend beschworen wird, umgreift die Totalität des Seins, mit der der Mensch Umgang hat, und dazu gehört die Göttin ›Natura‹ in all ihrem verschwenderischen Reichtum nebst all den Wundern, die sie in ihrem Schoße birgt. Gebührt ihr alles denkbare Interesse seit der Frührenaissance, da antike und orientalische Quellen erstmals wieder überreich fließen, so will dieses vom Dichter aktiviert sein, da einer aus der Mitte der humanistischen Zunft eben diesem ausgezeichneten ›Buch‹ sein Wissen verdankt und das ›Gelesene‹ in seine fachliche Obhut nimmt. Doch dann – und natürlich erwartet – zur anderen Seite dieses über alle Maßen preiswürdigen Wesens. Ein göttlicher Furor wohnt ihm inne, Zeichen und Inbegriff einer menschlichen und zugleich einer übermenschlichen Bestimmung, den göttlichen Gaben des Geistes sich hinzugeben und den Musen zu Willen zu sein. Aber auch hier kommt sogleich Besonderes ins Spiel, wie es sich eben mit dieser einen ausgezeichneten Person verbindet. Klug geordnet erschafft der Gepriesene seine göttlichen Verse. Auf Zusammenführung des in der Welt Verstreuten ist er aus, auf Synopsis, und das in einem Akt der Verpflichtung, einem jeden in der Welt des Geistes und der Poesie Hervorgetretenen einen ehrenvollen Platz anzuweisen, seine Stimme im großen Konzert verlauten zu lassen. Wer so selbstlos und umsichtig agiert, dem darf attestiert werden, auf eine einzigartige Weise einen friedlichen Dienst zu verrichten, über dem ihm eine Rolle zufällt, wie sie nur einmal zu vergeben ist. Eine metaphorische ›Regierung‹ übt er aus im ›mundus intelligibilis‹, die ihn zu einem Nestor der nobilitas litteraria hat aufrücken lassen. Nur an einer derartigen Figur konnte Opitz folglich seine ganze Kunst des Rühmens und Preisens entfalten. Er hätte keinen würdigeren Vorwurf für einen seiner poetischen Erstlinge auftun können. Und dann tritt eine dritte Macht in das Blickfeld. Undenkbar, daß Opitz darauf verzichtet hätte, ihr unkommentiert Eintritt in sein Poem zu gewähren. Der Übergang zur Religion ist erfolgt, vorgegeben durch den Anlaß, handelt es sich doch um eine Zuschrift zu Cunrads den Psalmen entnommenem Wahlspruch. Cunrad hat ihn gewählt, »als der Glaube vor kurzem furchtbar gedrückt und bedroht war«. Das war er schon einmal, als der Psalmist diese Worte fand. Nun hat sich die Bedrohung in jüngster Zeit wiederholt. Weiter darf und kann der Dichter an dieser Stelle nicht gehen, will er sein Gedicht und den Ruf des Geehrten nicht gefährden. Ein jeder kundige Leser aber wußte, von was da die Rede ist. Die katholische Seite ließ nicht ab von dem Bemühen, den auf dem Boden Schlesiens sich ausbreitenden evangelischen Glauben zurückzudrängen. Der soeben ergan-
Wahrer von Memoria
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gene Majestätsbrief von Kaiser Rudolf II. aus dem Jahr 1609 hatte den Bedrängten eine zeitweilige Erleichterung verschafft, die es dem Dichter erlaubte, die schrecklichen Geschehnisse in die jüngste Vergangenheit zu verlegen.
Wahrer von Memoria Cunrad aber hatte ein allseits sichtbares Zeichen gesetzt. Wer sich zur evangelischen Sache bekannte, fand nicht nur Trost in dem Spruch, sondern bekundete Zugehörigkeit zu dem Bund. Und das war keine Selbstverständlichkeit, wußte jedermann doch von der reformierten Orientierung des großen Humanisten. Das von Zenturie zu Zenturie fortschreitende Werk Cunrads hatte sich zu einem Haft- und Fixpunkt gleichermaßen in gelehrten wie in religiösen Dingen herausgebildet. Der Dichter erinnerte auch daran dezent. Docte heros, pueri faciles si suscipis ausus, Et me Musaeas dignaris carpere Laurus, Cultores inter tibi quos Fama ardua fecit, (Si te, quod novit mundi MENS, nullus adulor) Infantes etiam non aspernabere versus, Quamvis te laus mortalis ventosa fauoris Non capit aut hoederae vis ambitiosa tumentis, (Quando, quum cupis, ipse tibi tua propria laus es, Et merito soli stat ab ordine conscia virtus)[.]44
So der Wortlaut des Einschubs, den der Dichter zum Abschluß des ersten poetischen Gedankens, den wir zitierten, folgen läßt. Der Ausdruck der eigenen Bescheidenheit gehört zu einem jeden Lobgedicht dazu. Wir hörten ihn anläßlich der Ehrung Senftlebens, und nun kehrt er an wohlkalkulierter Stelle in dem Cunrad gewidmeten Panegyrikon wieder. Aber dürfen wir es wirklich bei diesem Hinweis belassen? Nach dem Feuerwerk an Einfällen und Bildern gibt der eingerückte Passus doppelt zu denken. Zunächst im Blick auf die gewählten Wendungen selbst. Immerhin greift der Dichter auch mit diesen Versen auf Cunrad nach dem Lorbeer, wie ihn Apollo und die Musen für den ihnen Ergebenem bereithalten. Vor allem aber kann der Dichter sich darauf verlassen, daß einem jeden Kenner der Kontrast zwischen tatsächlich präsentierter poetischer Kost und prätendiertem Lallen ins Auge springt. Wenn die Gebärde der Demut aber schon unverzichtbar ist, so birgt sie doch allemal den Verweis, daß der Leser sich auf das Lesen und Entziffern eines hintergründigen, eines mehrsinnigen Textes vorbereiten möge. Nichts ist nur wortwörtlich zu nehmen, alles mit mehrfachem Sinn begabt. Eine Einladung, genau hinzuschauen, geht von der Zurücknahme ––––––––– 44
So ebenda die Verse 17–25. In der deutschen Fassung: [...] Wenn du, du Held und Gelehrter, die leichten | Knabenversuche annimmst und mir den Griff nach der Musen | Lorbeer erlaubst, so wirst du, umringt von Verehrern, die hohes | Ansehn dir gab (allerdings: die Weltseele weiß, daß ich nie dir | Schmeichle), die lallenden Verse, die kindlichen, auch nicht verschmähen, | Wenn auch das windige Lob der menschlichen Gunst dich nicht einfängt | Noch des rankenden Efeus Gewalt, die die Ehrbegier stachelt | (Bist du doch, wenn du es willst, dir selbst deine eigene Rühmung; | Werte dürfen mit Fug und Recht ihrer selbst sich bewußt sein)[.] (S. 233).
III. Bunzlau und Breslau
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des eigenen dichterischen Tuns aus. Sie will auch hinsichtlich der Cunrad-Ehrung wahrgenommen werden. Und so kehrt der Dichter zurück zu der Trias, um die herum er sein Gedicht gruppiert. Indem Cunrad sich diesem Wahlspruch verschrieb, überwand er die Welt und überantwortete sich dem Ewigen. Alles Gleißende, alles Hoffärtige hat nicht nur in diesem Leben keinen Raum; es prallt wie alles Irdische und Nichtige an ihm ab. Was er ist und was er wirkt, entzieht ihn aller Unbilden in der Welt und erhebt ihn zum Himmel. Indem er sich eben diesen Wahlspruch erkor, überließ er sein Leben einem anderen und stellte sich zugleich unter den höchsten denkbaren Anspruch. Ein Exempel vollkommenen Daseins soll er abgeben, den Wahlspruch leben und ihn lebend beglaubigen. Gäbe es aber eine schönere Bekräftigung für ein Wirken im Namen des Höchsten als diejenige, die sich mit Cunrads Namen verbindet? In den Dienst der Kranken und Gebrechlichen ist er getreten, hat sich in die Nachfolge dessen gestellt, der dieses Leben vorlebte. Doch ist er nicht nur auf die Heilung des Leibes bedacht. Er ist zugleich ein Wahrer und Wächter über das Leben der Toten. Aus dieser Engführung bezieht das Gedicht seinen Gehalt, und nicht genug zu bewundern bleibt das ingeniöse Agieren des Dichters, dieses nur Cunrad zugehörige Lebenswerk und Wirkungsfeld zum Angelpunkt des Poems zu machen. Macte heros, orbem tibi devincire labora Insueta virtute tua: Sciti omine porro Ingenij diuina tua vela aequoris alto Pande, et arenoso iamdudum pulvere tristes Illustres animas, quae te vel mille per annos Lentae vindicias exspectauere senectae, Erue, queisque olim vita est concessa, renasci Ex te ne prohibe: quin, si tibi viuere votum est, Fac vti discusso doctus lentore resurgat Orbis, et ipsorum clemens miserere nepotum, Ad quos quum sensim defluxo tempore ventum Ingenii flagrantis opus, lacrymabit, et in se Flebit Posteritas occasi secula mundi, Subtractumque sibi tumidis lugebit ocellis.45
Ein Äonenwirbel hat statt. Endlos zurückliegende Zeiten werden aufgerufen, endlos in der Zukunft sich erstreckende imaginiert. Sie alle, die der Zeit bereits verhaftet waren, und alle jene, die ihr inskünftig Tribut zahlen müssen, erleiden ein nämliches Schick––––––––– 45
So ebenda die Verse 43–56. In der deutschen Version: Heil dir, du Held! Bemüh dich, durch deinen besonderen Wert die | Welt dir verpflichtet zu machen. Und setze, geleitet von deinem | Kundigen Geist, noch ferner die gottvollen Segel zur hohen | See hin, entreiß die berühmten Verstorbnen, die lange schon trauern | Und dich seit Tausenden Jahren als Retter erwarten vor trägem | Altern, entreiß sie dem Staub, dem sandigen Staub, und verwehre | Nicht, daß die, denen einst das Leben geschenkt war, durch dich nun | Wieder geboren werden; ja, wenn du ihr Aufleben wünschest, | Wirke drauf hin, daß die Welt der Gelehrten die Schlaffheit verscheucht und | Wieder ersteht, und erbarm dich in Güte der Enkel, der Enkel! | Ist im Verfließen der Zeit zu diesen allmählich das Werk des | Glühenden Geistes gelangt, wird die Nachwelt zu weinen beginnen, | Wird bei sich um die Zeit, die untergegangene Weltzeit | Trauern und das, was ihr fehlt, mit geschwollenen Augen beklagen. (S. 233, 235).
›Non sum solus, ubi Salus Jehovae est‹
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sal, sind sie allesamt doch Sterbliche. Sie sind gestorben und sie werden sterben. Einem aber auf Erden, der sein Leben unter das Motto ›Domini est Salus‹ gestellt hat, wird ein Werk, das ansonsten nur Gott im Himmel vorbehalten ist, seinerseits auf Erden verrichten. Er wird Sorge tragen dafür, daß die Toten ihren Namen bewahren und fortleben bis an das Ende der Zeiten. Er wird ihr Gedächtnis stiften über die verewigende Schrift, wird dem Tod widerstreiten im Namen eines Lebens im Geiste und derart selbst erhoben werden in den Himmel. An keinem Lebenden hätte Opitz diese urhumanistische Botschaft mit mehr Anspruch auf Glaubwürdigkeit demonstrieren können als eben an Cunrad. Er war für Ungezählte in seinem Memorialwerk zum Inbegriff eines Spenders von Hoffnung aufgerückt – der Hoffnung eines jeden der Zeit unterworfenen menschlichen Wesens, dieser in einem Akt der Rettung enthoben zu werden. Erlösung von dem Tod war der Welt der Gläubigen zugesprochen worden. Im Umkreis des Humanismus kehrt dieses Versprechen auf andere Weise wieder. Der über die Schrift Gebietende ist begabt mit dem Vermögen der Verewigung. Cunrad nimmt den darin implizierten Auftrag wahr, und sein Werk bekundet den Ernst, mit dem dies geschieht. Wenn Spätere sich an die Zeit um 1600 und die während ihrer Wirkenden erinnern sollten, Tränen darüber vergießend, so ist dies der memorialen Trauerarbeit eines Cunrad in erster Linie zu verdanken. In Opitz aber, in dem Jüngling, fand Cunrad den poetischen Visionär, der das irdische Werk des Verehrten unter die Sterne hob. Cunrad dankte ihm diese ihm dargebrachte Huldigung zeitlebens.
›Non sum solus, ubi Salus Jehovae est‹ Mit einem ergreifenden Wunsch hatte der Dichter sein großes, sein singulär dastehendes Poem der Breslauer Jugend beendet. Demjenigen, der die Gewähr dafür bot, daß die barbarischen Zeiten nicht wiederkehren würden, da die Finsternis des Vergessens über der Menschheit gelegen hatte, derjenige, der das würdigste dem Menschen anheimgestellte Werk des Erinnerns wie niemand sonst auf sich genommen hatte, eben derjenige wird am Ende selbst der göttlichen Gnade überantwortet. Das nämliche Heil möge ihm zuteil werden, das ihn befähigte, ungezählte fromme Gelehrte vor dem Vergessen zu bewahren und sie in diesem Sinne zu retten. Ein letztes Mal stellt der Dichter eine kühne Verbindung her zwischen dem Wirken Gottes und dem eines gottähnlichen Menschen, von dem am Beginn des Gedichts die Rede war. Wenn etwas auf Erden vor den Augen Gottes als Gott wohlgefällig gelten darf, so ist es das allein dem Menschen zuteil gewordene Geschenk des die Zeiten überbrückenden und verbindenden Gedenkens. Wer wie Cunrad diese Gabe tätig bewährte, für den durfte göttliches Heil am Ende dichtend und glaubend erbeten werden. Noch ein weiteres Mal wandte sich Opitz dem Inhaber des Wahlspruchs ›Domini est Salus‹ zu. Das geschah aus der Ferne. Er weilte in Siebenbürgen, und wir werden auch von diesem denkwürdigen Aufenthalt und einem wunderbaren Poem, das er zeitigte, hören. Opitz hat auf eine Überschrift verzichtet, wohl aber hat er das Gedicht mit dem derzeitigen Ort seines Wirkens und einem Datum versehen: »Weißenburg in Siebenbürgen, wo er zu dieser Zeit als ordentlicher Professor wirkte, am 17. Januar
III. Bunzlau und Breslau
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1623.«46 Unvergleichlich viel weniger aufwendig, und also unter Verzicht auf stetige Überhöhung, hat er sich aus dem fernen Land vernehmen lassen. Persönliches kommt zu seinem Recht, und Cunrad darf es anvertraut werden, denn wer würde dem unstetig in die Welt Verschlagenen näher stehen als eben der Vertraute in Breslau? Jetzt, aus dem Abstand zu den Breslauer Jahren, kann der Dichter bereits Rückblick halten. Auch ihn hat Cunrads Wahlspruchwerk ermuntert, sich unter die ›Schwäne‹ zu mischen und seinen Beitrag zu ihm zu leisten. Wir haben ihn kennengelernt. Die Tat eines Knaben war es, der den tiefen Sinn eben dieses Wahlspruchs vorgeblich noch nicht recht erkannt hatte und seine Worte noch nicht recht abzuwägen verstand. Nun, wir haben vernommen, wie es um derartige Bekundungen bestellt war und ist. Jetzt hat er die Heimat verlassen und ist dichterisch herangereift. Doch ein solches Resümee reicht nicht entfernt hin. Ein, zwei Worte genügen, um schlagartig ein Drama historischen Ausmaßes in Erinnerung zu rufen. Den ›Blitzschlag eines unseligen Geschicks‹ hat er fern von der Heimat fürchten gelernt. Ja, das geschah in jenem Jahr, da die Katastrophe des Pfälzer Kurfürsten in Prag auch über den Heidelberger Dichterkreis hereingebrochen war und sich dieser vor den nahenden Truppen des spanischen Feldherrn Spinola in alle Welt flüchtete. Wir werden davon hören. Opitz verschlug es in die Niederlande und sodann in den hohen Norden Jütlands. In gewisser Weise gehörte seine alsbald sich anschließende Zeit in Siebenbürgen in einem weiteren Sinn auch noch zu den Jahren seines unfreiwilligen Exils. Grund genug also, den väterlichen Freund und Schirmherrn mit einem Wort an dieses dunkle Schicksal zu erinnern. Nicht jedem durfte man davon sprechen. Das Gelegenheitsgedicht aber, so ersehen wir aus der eingestreuten Wendung, ist – wie das Schäfergedicht, von dem wir hören werden – der gehörige Ort für eine verklausulierte persönliche Botschaft. Das nicht zuletzt macht seinen Wert im Zeitalter eines ansonsten nach festen Regularien organisierten literarischen Betriebs aus, in dem das Persönliche verpönt ist und allenfalls in Paratexten sich behauptet. Erfüllt von der Erinnerung an die Schläge des Schicksals fern von seinen Weggefährten ergreift der Dichter den Cunradschen Wahlspruch mit Inbrunst. Während eines Fiebers hat er dessen wohltuende Wirkung neuerlich erfahren. Eine solche Mitteilung erwartete man vielleicht in einem Brief. Wie sich zeigt, ist auch das an einen Vertrauten gerichtete Poem der gehörige Ort dafür, und wenn nicht alles täuscht, ist es darüber hinaus bevorzugt das lateinische Idiom, das zu derartigen Einsprengseln ermutigt. Göttlicher Beistand über den Cunradschen Spruch ist ihm in dieser kritischen Situation zuteil geworden, seine lebensspendende Kraft hat er an dem in der Ferne Daniederliegenden erwiesen. Sint longè mihi Patria et Parentes, Sint cari (grave dictu id est!) amici, Et qvodcumque juvat domi morantes; Non sum solus, ubi SALUS JEHOVAE EST.
––––––––– 46
Vgl. den Druck des Gedichts ebenda, S. 254, Verse 26–29. Die Übersetzung sowie der Kommentar (S. 460–462) rühren her von Ralf-Georg Czapla.
›Non sum solus, ubi Salus Jehovae est‹
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So die letzten Zeilen im hendekasylabischen Versmaß. Es mögen Heimat und Eltern weit von mir entfernt sein, auch die geliebten Freunde (dies zu sagen, fällt mir schwer!) und was immer den Daheimgebliebenen Freude macht – ich bin nicht allein, wo das Heil bei Jehova ist.47
Derart nimmt sich das unvergleichlich anspruchslosere Poem wie ein Gegenstück zu dem vorangehenden aus. Wurde in jenem der Adressat überschwenglich gepriesen, so tritt der Sprecher nunmehr in seiner persönlichen Bewandtnis hervor. Die Ferne von der Heimat mag dazu ermuntert haben. Wir erinnern uns jedoch, daß beide Gedichte von vornherein für das Wahlspruchwerk Cunrads bestimmt waren. So mochte es den Dichter verlocken, die Spannbreite der Redeformen auszuloten und in ein und demselben Werk Cunrads zu dokumentieren. Er war der versierte Lobredner und scheute sich doch zugleich nicht, in guter alter Tradition Persönliches im Gedicht anklingen zu lassen. Dieser Duplizität des poetischen Agierens werden wir auf unserer Wanderung immer wieder begegnen und ihr unsere Aufmerksamkeit widmen, ist sie doch geeignet, Einsicht in den literarischen Verkehr im Zeitalter des Späthumanismus zu gewähren.
––––––––– 47
Ebenda, S. 255.
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder Ein Lebenswerk formt sich heraus Der zeitgenössische Biograph ergreift das Wort Jch weiß nicht durch was für eine glückliche Gelegenheit er von Breßlau nach Beuthen, und in die daselbst berühmte Freyherrliche Schule kam, welche der grosse Musenfreund, der hochgeborne Schöneich, gestiftet hatte. Seine Absicht war, sich je mehr und mehr geschickt zu machen, auf die hohe Schule zu reisen. Er wurde hier, theils seines tugendhaften Wandels, theils auf Anrathen Caspar Dornaues, in das vornehme Haus, oder vielmehr in den Hof des grossen Tobias Sculteti von Schwanensee und Bregoschütz aufgenommen und dessen Sohne zum Aufseher oder Hofmeister angeordnet. Doch als kurz darauf hierselbst einige Veränderungen vorgingen; so änderte sich auch dieses sein Glück dabey.1
So Opitzens Freund und Redner anläßlich seines Todes in seinem Beuthen gewidmeten Passus. Wir lernten Colerus bereits kennen. Lakonischer hätte er sich nicht geben können. War ihm nicht bewußt, daß er eine entscheidende Station im Leben Opitzens im Anschluß an die Jahre in Breslau berührte? Im Gegenteil. Mit Gewißheit war er sich über die Bedeutung gerade dieses Orts völlig im Klaren. Es gab andere Gründe zur Lakonie. Und das noch mehr als zwanzig Jahre nach Opitzens Einkehr in Beuthen an der Oder. Der Redner verriet sie selbst in einer Andeutung, die ein jeder seiner Zuhörer auch eine Generation später sehr wohl verstand. Einige Veränderungen seien vorgegangen. Das klang harmlos und war doch aufregend genug. Noch vor der Katastrophe im November 1620, die sich wie ein roter Faden durch unsere Erzählung zieht, war der Gründer der Schule gestorben. Und als das Ende des ›Winterkönigs‹ wenig später besiegelt war, nahm sich fortan alles anders aus in Schlesien. So auch in Beuthen, und das mit Gewißheit nachhaltiger als anderwärts. ––––––––– 1
So die Übersetzung des Colerschen Textes durch Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Ihn. Teil I–II.- Hirschberg: Krahn 1740–1741, Teil I, S. 154–156. Zur näheren Charakteristik des Werkes vgl. das vorangehende Kapitel. Der lateinische Text: Laudatio Honori & Memoriae V. Cl. Martini Opitii paulò post obitum ejus A. MDC. XXXIX. in Actu apud Uratislavienses publico solenniter dicta à Christophoro Colero.Leipzig: Fuhrmann/Wittigau 1665. Hier das Zitat: Sed nescio quá occasione, felici tamen, Vratislaviâ Bethaniam Illustris Schönaichii, studiorum olim insignis nutritii, concessit, ut studia et mores in Academiam magis magisque praepararet. Ibi commendatione tàm propriarum virtutum quàm Casp. Dornavii, in aedes seu potius quandam potentioris aulam receptus, ac filio Magnifici Viri Tobiae Sculteti de Schvvanensee in Brego-Schiz [...] datus est Ephorus. Sed paulô post mutatus status Nostri fortunam quoque involvit[.] (S. 25).
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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Ein Blick auf die Forschung Die Gründe lassen sich benennen. Wir aber haben vorher einen beträchtlichen Weg zurückzulegen, um den springenden Punkt zu erreichen. Der Kürze haben wir uns zu befleißigen, gewiß. Und doch ist viel zu sagen. Da kommt uns entgegen, daß die Beuthener Anstalt, von der im folgenden die Rede sein soll, in den vergangenen Jahrzehnten in das volle Licht der Forschung getreten ist. Und so nicht minder manche der daselbst wirkenden Personen. Langsam schälte sich die Einsicht heraus, daß hier unversehens ein schlechterdings einzigartiger Leuchtturm in der schlesischen Landschaft emporgestiegen war. Sein Feuer brannte hell und einladend. Ungewöhnliche Schicksale spielten sich in seinem Umkreis ab. Und ein Opitz hätte an keiner anderen Stelle im Land jene Impulse empfangen können, die ihn geradezu ruckartig nach vorne beförderten. Seine Zeit daselbst war knapp bemessen. Aber sie reichte hin, um ihn zu verändern und mit Kost zu versorgen, von der er ein Leben lang zehrte. Wohin also können wir uns wenden, wenn es denn um diese Phase im Leben Opitzens geht? Nun, nicht nur auf jahrzehntelange eigene Vorarbeiten wie für nahezu jedes Kapitel, sondern auf ein Buch, das parallel zu dem hier vorliegenden erscheint.2 Aber ––––––––– 2
Vgl. Klaus Garber: Adel, Frömmigkeit und Kultur in Schlesien um 1600. Das Gymnasium Schoenaichianum Georgs von Schoenaich im Kontext von Konfessionalismus und Späthumanismus.Köln, Weimar, Wien: Böhlau (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 5). Hier ist die gesamte einschlägige Literatur versammelt und in einem Forschungsbericht näher charakterisiert, worauf an dieser Stelle verwiesen werden darf. Das Buch beruht auf Studien zu Opitz und zum Gymnasium Schoenaichinum, die in den siebziger Jahren auf der Grundlage der reichen Göttinger Bestände erarbeitet wurden. Den Anstoß gab vermutlich die aufsehenerregende Studie von Jörg-Ulrich Fechner: Der Lehr- und Lektüreplan des Schönaichianums in Beuthen als bildungsgeschichtliche Voraussetzung der Literatur.- In: Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines BarockSymposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel. Hrsg. von Albrecht Schöne.- München: Beck 1976, S. 325–334. Rasch zeigte sich, daß sich an vielen Stellen Möglichkeiten zu einer Vertiefung eröffneten. Wenn die drei entsprechenden Arbeiten des Verfassers, die alle erst sehr viel später erschienen sind, hier aufgeführt werden, so auch, weil sie auf verschiedene Weise einen je neuen Blick auf die illustre Schöpfung ermöglichen. Vgl. unter Markierung der Beuthen-Passagen: Klaus Garber: Martin Opitz.- In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Harald Steinhagen, Benno von Wiese.- Berlin: Schmidt 1984, S. 118 f., Anmerkungen S. 172 f.; ders.: Der junge Martin Opitz. Umrisse einer kulturpolitischen Biographie.- In: Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg. von Stefan Anders, Axel E. Walter.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 90–106; ders.: DAPHNIS. Ein unbekanntes Epithalamium und eine wiederaufgefundene Ekloge von Martin Opitz in einem Sammelband des schlesischen Gymnasiums Schönaichianum zu Beuthen [an der Oder] in der litauischen Universitätsbibliothek Vilnius.- In: Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013 (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 4), S. 15–36 (zitiert im folgenden: Gymnasium Schoenaichianum). Diese letztere Abhandlung, zwei entdeckten bzw. wiederentdeckten Opitz-Texten in der Universitätsbibliothek Vilnius geltend, konnte interessierten Kollegen schon in den siebziger Jahren zugänglich gemacht werden und wurde von diesen gerne benutzt und entsprechend zitiert. Das gilt vor allem für die an späterer Stelle zitierten Arbeiten von Wilhelm Kühlmann und Robert Seidel. Auch Siegfried Wollgast lag das Manuskript vor, dessen Studie alsbald neben die Fechnersche trat. Vgl. Siegfried Wollgast: Zum Schönaichianum in Beuthen
Ein Blick auf die Forschung
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auch dieses stützt sich auf gewichtige vorangegangene Arbeiten. Und da ist es höchst bemerkenswert, daß die hier zu erwähnenden Verfasser mehrfach bereits im 18. Jahrhundert tätig wurden und in gewisser Weise bis auf den heutigen Tag die Wegweisenden geblieben sind. Wenn ein Presbyterologe ganz ungewöhnlichen Formats sich dazu verstand, seine Präsentation von schlesischen Predigern mit der von schlesischen Schulmännern zu verbinden, und also tatsächlich Gelehrtengeschichte vor Ort zu betreiben, dann ließ das aufhorchen. Es war ein Zeichen für den besonderen Rang, den die schlesischen Schulen und Gymnasien innehatten. Und wenn eben dieser Pfarrer und Gelehrte es sich angelegen sein ließ, unparteiisch die Orte ihres Wirkens in der Reihenfolge des Alphabets abzuschreiten, dann war nicht nur für Breslau, womit er einsetzte, sondern auch für Carolath-Beuthen, über das im zweiten Band gehandelt wurde, frühzeitig Sorge getragen.3 Dies vorauszuschicken ist erforderlich, denn wir haben von der mehr als merkwürdigen Situation zu berichten, daß die bedeutendste Arbeit, die zu unserem Gegenstand erschien, den kuriosen Titel ›Nachlese‹ trägt. Nachlese zu was um alles in der Welt? Eben zu Siegismund Justus Ehrhardts Presbyterologie Schlesiens und dem darin befindlichen und 1782 erschienenen Eintrag zur Pfarrer- und Professorenschaft in Beuthen. Schon zwei Jahre später war der reformierte Geistliche und Rektor des Breslauer Friedrich-Gymnasiums Daniel Heinrich Hering mit seiner ›Nachlese‹ zur Stelle. Und es sollte nicht bei der einen bleiben. Vier weitere schlossen sich an. Dem Chronisten war die immense Bedeutung der Institution und ihres Lehrkörpers sukzessive bewußt geworden, und er beeilte sich, allen Zeugnissen, von denen er Kenntnis erhielt, nachzugehen und so gründlich und umfassend als irgend möglich Auskunft über ihren Inhalt zu geben.4 Wechseln wir dann herüber in das 19. Jahrhundert, so treffen wir auf einen Gymnasial-Professor und leidenschaftlichen Erforscher seiner Heimat, der den in ihr tätig gewesenen Regenten und dem in ihr florierenden religiösen und geistigen Leben sich wiederholt zuwandte und dem es schließlich vergönnt war, die bis heute gültige Darstellung über die Schule, ihren Gründer und das Geschlecht, dem er zugehörte, zu verfassen. Erstmals – und leider nur ein einziges Mal! – standen ihm alle im fürstlichen Familien-Archiv vorhandenen Materialien zur Verfügung, die seit dem Zweiten Welt––––––––– 3
4
an der Oder.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 35 (1994), S. 63–103. Vgl. Siegismund Justus Ehrhardts, Pastors der Pfarr=Kirche zu Beschine, der Patriotisch=Schlesischen Sozietät ordentlichen, und der Lateinischen Gesellschaft zu Jena Ehren=Mitglieds Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens, Zweiten Theils zweiter Haupt=Abschnitt, welcher die Protestantische Kirchen= und Prediger=Geschichte des Fürstenthums Carolat=Beuthen in sich fasset.Liegnitz: Pappäsche 1782. Das dem Fürstentum Carolath-Beuthen gewidmete Kapitel umfaßt im zweiten Band der Ehrhardtschen Presbyterologie die Seiten 561–608. Vgl. Daniel Heinrich Hering: Geschichte des ehemaligen berühmten Gymnasiums zu Beuthen an der Oder, Erste [bis] (fünfte) Nachlese.- Programme Friedrichs-Gymnasium Breslau 1784–1788. Vgl. von Hering auch: Beuthnische Sachen. Ein Anhang zur Geschichte des beuthnischen Gymnasiums, womit zu dem öffentlichen Examen in der Königlichen Friedrichs=Schule und den dabey anzustellenden Redübungen auf den 15. 16. 17. April mit geziemender Ergebenheit einladet Daniel Heinrich Hering, Königl. Oberconsistorial=Rath und Hofprediger, der Schule Director.- Breslau, 1789. gedruckt mit Kreuzerischen Schriften. (Progr. Kgl. Friedrichs-Schule Breslau).
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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krieg zumeist verschollen sind. So ist Christian David Klopsch für die Präsentation so manch einer wichtigen Quelle der erste und einzige Gewährsmann geblieben.5 Es dauerte lange Zeit, bevor der Faden wieder aufgenommen und weitergesponnen wurde. Und als dies geschah, war es die Literaturwissenschaft, die sich an die Spitze setzte, genauer: Vertreter aus der Barockforschung, und noch präziser: Fachleute auf den Spuren Opitzens. Wenn heute der Name Beuthens in einer interessierten Öffentlichkeit einen guten Klang hat, so ist dies nicht zuletzt den um die Gestalt Opitzens sich gruppierenden forscherlichen Bemühungen zu verdanken. Wir bewegen uns also im Zentrum, wenn wir dem Kapitel Opitz und Beuthen einen gehörigen und ihm allemal gebührenden Platz einräumen. Mehr als nur von Opitz wird die Rede sein müssen. Und unser Vorsatz, die Betrachtung von Ort, Person und Text wo immer möglich miteinander zu verbinden und in exemplarischer Behandlung zu verdichten, wird sich auch im vorliegenden Kapitel einlösen lassen. So viel in aller Kürze. Ist aber immer wieder von der Kultur des Erinnerns in unserem Buch die Rede, so beweist und bewährt diese sich gerade auch im Umgang mit den forscherlichen Leistungen der Vorgänger. Und wenn heute Sorge herrschen muß, daß dieser Tugend zuweilen nicht mehr die nötige Pflege zugewandt wird, so ist doppelter Anlaß, ihr die Ehre zu geben. Nicht mehr als ein wenig Geduld ist daher schon an dieser Stelle und sodann an späteren Stationen zu erbitten für die unerläßlichen Prolegomena, wie sie immer wieder eingeschaltet werden.
Eine fehlende Universität und das gymnasiale Umfeld Schlesien besaß bis in das frühe 19. Jahrhundert keine eigene Universität. Das verwundert, ist jedoch in gewissem Grad erklärlich. Das Land war, wie einleitend schon angedeutet, herrschaftlich diversifiziert. Wo hätte eine Universität ihren Platz finden können? Nun, an den beiden Stellen, die in erster Linie in Frage kamen, wurden tatsächlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts entsprechende Versuche unternommen. Und das im Einklang mit parallelen Initiativen im alten Reich selbst, hatte allenthalben im Gefolge der Reformation sich doch das Bedürfnis geregt, über eigene hohe Schulen aus dem neuen Geist zu verfügen. In diesem Sinne ist das 16. Jahrhundert das eigentliche Gründungs-Säkulum im Blick auf die Universitäten gewesen. Große Hoffnungen knüpften sich an die Einrichtungen – zumal nachdem Melanchthon das Zepter übernommen und Entwürfe für einen modernen, und das hieß vor allem für einen auf den alten Sprachen basierenden Lehrbetrieb vorgelegt hatte. Probleme blieben nicht aus, und die früh einsetzende und überaus kontrovers verlaufende Konfessionalisierung hatte maßgeblichen Anteil daran. So auch in Schlesien. Die in gewisser Hinsicht als Landeshauptstadt fungierende Metropole Breslau und die weitgehend eigenständigen Piasten-Fürstentümer Liegnitz ––––––––– 5
Vgl. Christian David Klopsch: Geschichte des berühmten Schönaichischen Gymnasiums zu Beuthen an der Oder, aus den Urkunden des Fürstlich=Carolatischen Archivs und den besten darüber vorhandenen Schriften gesammelt von C.D. Klopsch, Rector des evangelischen Gymnasiums zu Groß=Glogau.- Groß-Glogau: Günter 1818.
Eine fehlende Universität und das gymnasiale Umfeld
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und Brieg übernahmen die Initiative. In Breslau war es das Patriziat, das naturgemäß auf die Etablierung einer hohen Schule in den Mauern der Stadt drängte. Und das noch vor Einzug der Reformation. Es fand die Unterstützung des böhmischen Königs. Der stellte tatsächlich im Juli des Jahres 1505 eine Stiftungsurkunde aus. Sie hat sich bis heute im Original erhalten. Ausdrücklich nahm der König Bezug auf seinen großen Vorgänger Karl IV., welcher die Universität Prag im Jahr 1356 ins Leben gerufen hatte. Nun sollte im benachbarten Schlesien eine zweite Universität entstehen. Die intellektuelle Geschichte Breslaus wäre mit Gewißheit gänzlich anders verlaufen, wenn das patrizisch-königliche Projekt erfolgreich gewesen wäre. Doch es fehlte an zureichenden Mitteln. Die Stadt war nicht willens, die nötige Ausstattung zu übernehmen, schielte auf die kirchlichen Besitzungen und rief auch damit den Papst auf den Plan. Im Zusammenwirken mit der altehrwürdigen Krakauer Universität, welche die Konkurrenz fürchtete, vereitelte dieser das Vorhaben.6 Ganz anders gestalteten sich die Dinge in den Piasten-Fürstentümern. In ihnen hatte die Reformation frühzeitig Einzug gehalten. Herzog Friedrich II., der ihre Ausbreitung so intensiv befördert hatte, gedachte sein religiöses und kulturelles Werk mit der Schöpfung einer Universität zu krönen. Und tatsächlich kam die herzogliche Stiftung im Jahr 1526 zustande. Die erste protestantische Hochschule im Heiligen Römischen Reich war damit eben zu jener Zeit entstanden, da sich der Übergang Schlesiens unter die Krone Habsburgs vollzog. Doch dem wiederum von vielen Hoffnungen begleiteten Vorhaben war kein Glück beschert. Und das ausgerechnet im Gefolge der Reformation. In Liegnitz wirkte der große, zunächst von Luther inspirierte und dann alsbald von dem Reformator fallengelassene Kaspar Schwenckfeld. Die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Schwenckfeldianern spitzten sich rasch zu – Vorbote der Konflikte, die den jungen Glauben alsbald im ganzen Land erschüttern sollten. Die eben ins Leben gerufene Hochschule wurde in die Turbulenzen hineingezogen. Schon drei Jahre später mußte sie ihre gerade erst geöffneten Tore wieder schließen.7 Das gelehrte Leben in Schlesien blieb verwiesen auf die Gymnasien, die ihren Bildungsauftrag, aber auch forscherliche Initiativen jedweder Art vorzüglich wahrnahmen. Vom Magdaleneum und vom Elisabethanum in Breslau haben wir gehört. Aber auch die Piasten waren nicht untätig geblieben, ja in ihrem Herrschaftsbereich kam ––––––––– 6
7
Hier sei aus der vergleichsweise reichen Literatur nur verwiesen auf die jüngere Darstellung von Jan Harasimowicz: ›Pro felici orthodoxe christiane religionis nostre incremento, pro gloria et exaltatione regni ac corone nostre boemie‹. Der Gründungsversuch einer jagiellonischen Universität in Breslau im Jahr 1505.- In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Karen Lambrecht, Hans-Christian Maner.- Leipzig: Universitätsverlag 2006, S. 85–94. Zum Kontext vgl. die große Abhandlung von Gustav Bauch: Schlesien und die Universität Krakau im XV. und XVI. Jahrhundert.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 41 (1907), S. 99–180. Dazu das Kapitel ›Versuch der Gründung einer städtischen Universität in Breslau‹.- In: Gustav Bauch: Geschichte des Breslauer Schulwesens vor der Reformation.- Breslau: Hirt 1909 (Codex Diplomaticus Silesiae; 25), S. 241–281. Vgl. Gustav Koffmane: Eine schlesische Universität in der Reformationszeit.- In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 2 (1883), S. 34–38; Gerhard Eberlein: Die erste evangelische Universität.- In: Evangelisches Kirchenblatt für Schlesien 4 (1901) Nr. 36/37/38, S. 281–282, 289–290 und S. 297–298.
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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vielleicht die berühmteste Einrichtung zustande, die Schlesien für einige Jahrzehnte sein eigen nannte. Wir meinen das Trozendorfsche Gymnasium. Als ein Bollwerk des Luthertums verstand sich die Schule unter Trozendorfs Führung. So konnte es nicht ausbleiben, daß mit dem Erwachen des reformierten Bekenntnisses und dessen späterer Förderung durch die Piasten selbst, die konfessionellen Querelen auch Goldberg erreichten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war der Höhepunkt der einst blühenden Anstalt überschritten.8 Und nun, für wenige Dezennien, kam die Stunde Beuthens, und niemand profitierte von ihr so nachhaltig wie Opitz. Noch einmal fügten sich die Wege zu seinen Gunsten.
Georg von Schoenaich im Kontext seines Geschlechts Der Gründer des Beuthener Gymnasiums entstammte einem Geschlecht, das schon seit Jahrhunderten in Schlesien siedelte. Als maßgebliche Gründerfigur in der neueren Zeit hat Fabian von Schoenaich zu gelten. Anfang der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts fiel ihm das Erbe Franz von Rechenbergs zu, und damit auch die Herrschaft Beuthen. Fabian stieg zu einem der größten Grundbesitzer in Schlesien auf. Er wandte sich der Reformation zu. Beides trug dazu bei, die Voraussetzung für das Werk seines Neffen Georg zu legen.9 Der mußte freilich nahezu von vorne beginnen. Ein Zerwürfnis Fabians mit dem Kaiser hatte das Haus unversehens an den Rand des Ruins geführt. Wieder waren u.a. die unüberbrückbaren konfessionellen Gegensätze im Spiel. In deren Zeichen vollzog sich nun auch das Aufbauwerk Georgs, das hier allein zur Rede steht.10 Georg von Schoenaich wurde im Jahr 1557 als Sohn des Johannes von Schoenaich und seiner Gemahlin Anna von Berge in Tscheln in der Niederlausitz geboren. Er war damit wesentlich jünger als der 1519 in Breslau geborene Crato von Crafftheim und der 1525 geborene Nikolaus II. Rhediger, jünger auch als der 1546 geborene Jakob Monau, fast gleichaltrig indes mit dem 1555 geborenen Nikolaus III. Rhediger und um ein Jahrzehnt älter als der 1565 geborene Tobias Scultetus, schließlich um eine halbe Generation geschieden von dem 1571 geborenen Caspar Cunrad und fast eine ganze von einer Persönlichkeit wie Nicolaus Henel von Hennenfeld, der 1582 zur Welt kam. ––––––––– 8
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Grundlegend geblieben ist die aus den Quellen erarbeitete Darstellung von Gustav Bauch: Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule.- Berlin: Weidmann 1921 (Monumenta Germaniae Paedagogica; 57). Vgl. zur Geschichte des Geschlechts: Christian David Klopsch: Geschichte des Geschlechts von Schönaich. Heft I–IV.- Glogau: Gottschalk 1847–1856; Günther Grundmann: Die Lebensbilder der Herren von Schoenaich auf Schloß Carolath.- In: Jahrbuch der schlesischen Friedrich Wilhelms Universität zu Breslau 6 (1961), S. 229–330. Zu Georg von Schoenaich vgl. Klopsch: Geschichte des Geschlechts von Schönaich. Drittes Heft, S. 11–120, mit dem Abdruck dreier Briefe Georg von Schoenaichs S. 120–124. Des weiteren Grundmann: Die Lebensbilder der Herren von Schoenaich, S. 255–264. Vgl. von Grundmann auch das Porträt Georg von Schoenaichs.- In: Schlesier des 16. bis 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Erich Graber, Max Hippe.- Breslau: Korn 1931. 2. Aufl. Sigmaringen: Thorbecke 1985 (Schlesische Lebensbilder; 4), S. 68–74.
Georg von Schoenaich im Kontext seines Geschlechts
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Wir erwähnen dies, weil alle Persönlichkeiten auch in unserer Darstellung wiederholt figurieren. Die Obhut über Georg und seinen Bildungsgang übernahm zunächst Fabian von Schoenaich selbst. Er schickte seinen Neffen auf das Freystädter Gymnasium, wo er u.a. von dem bedeutenden Gelehrten Johannes Ferinarius unterrichtet wurde, der später eine Professur für Historie und Poesie in Marburg bekleidete. Im Jahr 1575 wechselte er zum Jurastudium nach Wittenberg. Zurückgekehrt zu Fabian, widmete er sich der Verwaltung der ausgebreiteten Besitzungen. Entscheidende Erfahrungen verdankte er seinen Reisen, die ihn nach Meißen und Breslau, vor allem jedoch nach Prag und Wien führten. Hier oblag ihm die Wahrnehmung der Rechtsgeschäfte seines Vetters, und derart rüstete er sich zugleich für die Aufgaben in der Zukunft, die ihn als Haupterben Fabians erwarteten. Fabian war 1591 gestorben. Georg ehelichte die Witwe Fabians vier Jahre später in Parchwitz und wandte sich der Arrondierung und rechtlichen Sicherung des überkommenen Erbes zu. Reichlich vorhandene Mittel erlaubten es ihm, Kaiser Rudolf II. mit attraktiven Offerten entgegenzukommen. Es gelang ihm, einen großen Teil der Güter seines Vetters in den definitiven Besitz der Familie zu bringen, darunter Carolath, Beuthen und Milkau. Georg ging sogleich daran, den befestigten Besitz zu akkulturieren. Auf eine denkwürdige Weise begriff er diese Tat als eine Verpflichtung gegenüber seinen Untertanen und als eine Dankesgabe gegenüber Gott. Ein tief religiöses Wesen offenbarte sich in all seinen Unternehmungen. Aus den Herrschaften Carolath und Beuthen sowie den zugekauften Gütern Mellendorf und Amtitz wurden ein Haupt- und zwei Neben-Majorate gebildet. Auch diesen Akt begriff er als einen göttlicher Fürsorge geschuldeten. Wenig später wurde Georg zum kaiserlichen Hofrat ernannt. Er erhielt den Freiherren-Titel und wurde in die Schlesische Kammer berufen. Ende des Jahres 1611 erfolgte die Wahl zum Kanzler und die Ernennung zum wirkl. Geh. Rat. Ungeachtet seiner zahllosen daraus resultierenden Verpflichtungen blieb der Fürst den auf das Innere seines Besitzes gerichteten Aufgaben treu. Auf dreie war sein Augenmerk in besonderer Weise gerichtet. Er widmete sich – wie sein Vetter – dem Armenwesen durch die Gründung eines Hospitals, wandte sich dem Kirchwesen zu und krönte sein Werk durch die Schaffung zunächst eines Pädagogiums und sodann eines Gymnasiums. Aus welchem Geist heraus dies geschah, ließ er selbst in seinem ersten Testament aus dem Jahr 1612 verlauten: Denn obwohl der Höchste mit seiner väterlichen Hülfe fast lange aufgezogen, und mich von meiner Jugend an bis in mein 38. Jahr viel Armuth, Drangsal, Noth und Unglück, auch Mühe und Arbeit erdulden und versuchen lassen, so hat er doch hernachmals sehr plötzlichen und gleichsam wie auf einmal, mit großen Haufen seinen zeitlichen Segen über mich kommen lassen und von derselben Zeit an zu meiner Wirthschaft, Nahrung und vielansehnlichem Werk und Anrichtungen dermaßen seinen Gedieg und Segen gegeben, daß solch wenige Zeit über mein Vermögen sich fast vermehrt und so groß worden, dass ich frei bekennen muß, er habe mehr gegeben, als ich jemals hätte wünschen, bitten und begehren dürfen.11
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Zitiert bei Klopsch: Geschichte des Geschlechts (Anm. 9), Drittes Heft, S. 20, sowie bei Grundmann: Die Lebensbilder (Anm. 9), S. 260.
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IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
Ein erster Blick auf das Gymnasium Schoenaichianum Georg begann gleich zu Beginn des neuen Jahrhunderts mit der Umformung derjenigen Schulanstalt, die er in Beuthen bereits vorfand. Überaus förderlich erwies sich die Nähe zu den Schulen in der Umgebung. So kam eine der Gründerfiguren wie Adam Liebig – auch er später von Opitz bedichtet – aus Goldberg herüber und nahm die Professur für das Griechische wahr. Liebig war es gleichfalls, der das neu errichtete Gymnasium, in dem Opitz später eine berühmte Rede halten sollte, seinerseits im Jahre 1614 mit einer Eröffnungsrede einweihte. Von Anfang an hatten reformierte Lehrkräfte in der Schule einen festen Platz. Nicht nur über Georg selbst, sondern auch über seine beiden reformiert ausgerichteten Pfarrer Petrus Titus und Jeremias Colerus verliefen enge Beziehungen zu Johannes Piscator in Herborn und Abraham Scultetus in Heidelberg. Es blieb von Beginn an das Kennzeichen der Anstalt, daß – wie in der Kirche zu Beuthen selbst – auf ausdrückliches Geheiß des Freiherrn theologische Differenzen gemieden und brüderlicher Umgang im Geiste Christi gepflegt wurden. Dem ungehinderten und sehr lebhaften Zuzug von Schülern kam diese auf Befriedung bedachte Haltung sehr zugute. Nicht nur aus Schlesien, sondern auch aus Polen, Böhmen und Mähren, den Lausitzen und der Mark, ja vereinzelt auch aus der Pfalz kamen die Zöglinge. Das Renommee der Anstalt hatte sich rasch herumgesprochen, und die religiöse Offenheit trug zu ihrem Erfolg bei. Kontinuierlich schritt Georg mit seinem Aufbauwerk fort. Und wenn wir einzelne Namen hier en passant aufführen, so deshalb, weil sie so gut wie alle auch im Werk Opitzens wieder auftauchen. Wir haben sie in unserem dem Beuthener Gymnasium gewidmeten Werk Revue passieren lassen und dürfen deshalb an dieser Stelle nur vereinzelt Akzente setzen. Als das Gymnasium, hervorgegangen aus dem Pädagogium, eröffnet wurde, waren fünf Professuren besetzt. Balthasar Exner sollte über Geschichte lesen, Adam Liebig über Logik, Petrus Titus und Jeremias Colerus über Theologie und Benjamin Ursinus über Mathematik. Mit dieser Kernmannschaft wurde der Anfang im Jahr 1614 gemacht. Das entscheidende Ereignis für die Schule blieb jedoch die Berufung Caspar Dornaus von Görlitz nach Beuthen. Hering datiert auf seine Antrittsrede im Jahr 1616 sogar die Eröffnung des Gymnasiums, die sein Nachfolger Klopsch schon für das Jahr 1614 reklamiert hatte. Die Frage muß offen bleiben und ist zweitrangig. Mit Dornaus Kommen wurde weit über Beuthen hinaus ein Zeichen gesetzt. Die Schoenaichsche Gründung trat schlagartig in das Licht der Öffentlichkeit, und ein Opitz fand einen Gesprächspartner und einen Großen in der Welt des Geistes an seiner Seite, den er immer wieder besang. Neben Cunrad trat solcherart Dornau, und der junge Dichter ließ es sich nicht nehmen, wie schon Cunrad so nun auch Dornau die Kunst der poetischen Wohlredenheit zugute kommen zu lassen. Nur einer tat es Dornau an Bedeutung für das junge Gymnasium gleich: der Theologe Georg Vechner. Von beiden muß daher kurz gesprochen werden, und das eben nicht zuletzt im Blick auf die doppelte Funktion beider als prominente Lehrer und Autoren einerseits wie als Adressaten von Zuschriften aus Opitzens Hand andererseits.
Eine innovative Disziplin
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Eine innovative Disziplin Der Freiherr Georg von Schoenaich war ein gläubiger Mensch, und er war ein schöpferischer Kopf. Auf Umsetzung des christlichen Glaubens in die raue Wirklichkeit war sein Sinnen und Trachten gerichtet. Zwei Bereiche vor allem waren es, in denen eminenter Handlungsbedarf bestand. Die politische Welt befand sich in einem Umbruch weitesten und nach wie vor unübersehbarsten Ausmaßes. Die Christenheit war endgültig im Gefolge der Reformation gespalten. Auf ein und demselben Staatsgebiet standen seither Anhänger verschiedener Glaubensrichtungen einander gegenüber. Das stellte nicht nur die Staatsgewalt selbst, sondern auch die Staatsdenker und zumal die Juristen vor die größten Probleme. Praktikable Formen des Umgangs der Angehörigen verschiedener Konfessionen unter dem Dach des einen Staates mußten erkundet und sodann in die Praxis umgesetzt werden. Die auf diesem Felde emporschießende Literatur gehört zu den faszinierendsten Zeugnissen, die die Frühe Neuzeit kennt. Die Größten des Zeitalters, ein Justus Lipsius, ein Jean Bodin, ein Hugo Grotius und wie sie heißen mögen, beteiligten sich mit Werken an der Diskussion, denen ein fortwährendes, bis heute anhaltendes Nachleben beschert ist. Immer deutlicher zeigte sich, daß dem Staat Aufgaben bislang unbekannten Ausmaßes zufallen würden. Eine Disziplin formte sich heraus, der alsbald die Rolle einer Königsdisziplin zufiel, die Wissenschaft von der Politik. Die war etwas gänzlich anderes als das, was heute unter diesem Begriff firmiert. Im Alten Europa kam ihr die Aufgabe zu, den gesamten inneren und äußeren Bereich öffentlichen Wirkens zu vermessen. Und das auf einer philosophischen Grundlage, anläßlich deren Ausarbeitung die antike Disziplin der Politik rehabilitiert und zugleich den modernen Anforderungen entsprechend umgeformt wurde. Was würde man darum geben, auch den Diplomaten Martin Opitz unter den Autoren zu sehen.12 Zugleich mußte Sorge getragen werden, daß eine Gelehrtenschaft herangebildet wurde, die vertraut war mit den neuen ›politischen‹ Denkrichtungen, wie sie die Universitäten sukzessive eroberten. Entsprechende Schulung war vonnöten. Dafür war das klassische Gymnasium mit seiner Privilegierung der alten Sprachen nur unzureichend gerüstet. Das neue Fach mit seiner neuen Materie mußte an reformorientierten Instituten überhaupt erst installiert werden. Auf eine denkwürdige Weise taten sich dabei ––––––––– 12
Vgl. zum Kontext die einschlägigen Abschnitte mit der Literatur bei Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Band I: Reichspublizistik und Policeywissenschaft. 1600– 1800.- München: Beck 1988. Hier insbesondere das vierte Kapitel: Ius publicum Imperii RomanoGermanici, S. 126–224. Sehr förderlich geblieben ist die Studie des nachmaligen bayerischen Kultusministers Hans Maier, deren Untertitel vor allem zu beachten ist: Die ältere deutsche Staatsund Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Deutschland.- Neuwied am Rhein, Berlin: Luchterhand 1966 (Politica. Abhandlungen und Texte zur politischen Wissenschaft; 13). Hier vor allem der zweite Teil: Ständegesellschaft und ›gute Polizei‹ im älteren deutschen Staatswesen, S. 50–115. Vgl. von Maier auch: Ältere deutsche Staatslehre und westliche politische Tradition.- Tübingen: Mohr 1966 (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart; 321). Vgl. schließlich auch das besonders instruktive Kapitel ›Die Grundlagen der Politischen Wissenschaft‹ in: Horst Dreitzel: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die ›Politica‹ des Henning Arnisaeus (ca. 1575–1636).- Wiesbaden: Steiner 1970 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 55), S. 87–169.
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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Gründungen aus reformiertem Geist in besonderer Weise hervor. So eben auch die von Schoenaichsche Schöpfung. Und doch ist damit immer noch nicht alles Einschlägige erwähnt. Der sich neu herausformende Staat verlangte nach einer ›Staatsdienerschaft‹, die in der Lage war, sich ›staatsmännisch‹ zu verhalten. Das aber hieß, daß sie in der Lage war, den Staat und seine Spitze, den Fürsten, in unterschiedlichen Situationen angemessen zu repräsentieren. Allemal waren Hoheitsakte vor den Augen wenn nicht einer Öffentlichkeit, so doch vor einer illustren Oberschicht zu exekutieren, die in den Händen von sach- und fachkundigen Vermittlern lag. Entsprechend war ein dem Anlaß gemäßes und im Zeremoniell geregeltes Verhalten zu beobachten. Das mußte erlernt und in Auftritt und Rede bewährt werden. Wo aber waren Professoren in Sicht, die sich auch auf diese Kunst verstanden? Genau vor dieser Frage stand der Gründer eines modernen Gymnasiums, stand also Georg von Schoenaich. Er war ein scharfer Beobachter der jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet des Staatswesens und der Anforderungen an den Fürsten. Dessen Aufgabe bestand nicht zuletzt darin, auf dem Gebiet der Bildung nichts zu versäumen, sondern das, was förderlich war für die Ausübung von Herrschaft auf seinem Territorium, zur Erprobung und Geltung gelangen zu lassen. Wie stets aber, wenn es denn um etwas Neues geht, hing alles an geeigneten Personen. Sie mußten ausgespäht und – falls sie sich denn zeigten – angesprochen und schließlich gewonnen werden. Gelang das aber, fiel mit einer solch aufwendigen Aktion nicht nur ein Licht auf den inskünftigen Stelleninhaber, sondern auch auf seinen Dienstherrn, der ihn zu verpflichten imstande war.
Caspar Dornau Georg landete diesen Coup. Er vermochte für sein akademisches Reformwerk in Gestalt eines ›Gymnasium illustre‹ die erste Kapazität zu gewinnen: Caspar Dornau.13 Der hatte zur Zeit seiner Berufung eine überaus ehrenvolle Stellung inne. Er war Rektor des hochangesehenen Görlitzer Gymnasiums. Dieses stand ebenbürtig etwa neben den beiden Breslauer Schulen, zu denen hin enge Verbindungen verliefen. Nach allem was wir wissen, machte sich der Fürst höchstselbst auf den Weg, um den schon damals berühmten Gelehrten und Diplomaten für das neu geschaffene Amt zu gewinnen. Es muß Dornau schließlich gereizt haben, der Stelle mit eben diesem nicht alltäglichen Profil Gestalt und Renommee zu verschaffen. Und das gelang ihm in der Tat. Schwer auszumalen, wie viel gerade auch Opitz ihm verdankte. Fast zeitgleich trafen sie in Beuthen ein. ––––––––– 13
Grundlegend Robert Seidel: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk.- Tübingen: Niemeyer 1994 (Frühe Neuzeit; 20). Vgl. auch: R.J.W. Evans: Rudolph II and his World. A Study in Intellectual History 1576–1612.- Oxford: Clarendon Press 1973, S. 148 ff., sowie Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters.- Tübingen: Niemeyer 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 3), S. 140 ff., S. 165 ff. u.ö.
Caspar Dornau
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Dornau wurde 1577 in Ziegenbrück im Vogtland geboren, war also zwanzig Jahre älter als Opitz. Er besuchte, wie üblich, die Lateinschule seines Heimatortes und ging zum Zwecke philologischer und medizinischer Studien an der Universität zunächst nach Jena. Das war ein folgenreicher Schritt. Die Gründung der Universität erfolgte nach der Niederlage des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen in der Schlacht bei Mühlberg im Jahr 1547. Der Fürst verlor mit der Kurwürde auch das Wittenberger Land und damit die Hochburg des Luthertums. Nachdem einzelne Lehrkräfte schon vorher auf eine ›Hohe Schule‹ berufen worden waren, erfolgte 1557 die formelle Gründung. Es zeigte sich rasch, daß neben dem kursächsischen Wittenberg und auf andere Weise auch neben Leipzig in der Gründung der Ernestiner alsbald eine gemäßigtere Form des Protestantismus eine Chance erhielt. Das kam allen Fächern zugute, nicht zuletzt der Ethik und Politik. Dornau hatte das Glück, hier in der Gestalt Wolfgang Heiders einer ersten Kapazität zu begegnen. Mit einer gewissen Zuspitzung dürfte die Vermutung erlaubt sein, daß Dornau den Weg nach Beuthen vermutlich nicht gefunden hätte, wenn er nicht in Jena bei Heider gehört hätte. Dieser vertrat die ›Philosophia practica‹, in der Ethik und die Wissenschaft von der ›Politik‹ dominierten. Entsprechend nannte sich Heider seit 1610 ›Professor Ethices et Politices‹, und das war in jener Zeit durchaus noch eine Ausnahme. Seine beiden Hauptwerke ›Philosophicae politicae systema‹ und ›Philosophiae moralis Systema‹ erschienen erst 1628 und 1629 posthum, sie beruhten aber auf Vorlesungen, die Dornau ebenso gehört haben wird wie die zahlreichen Reden Heiders, die gleichfalls gedruckt wurden. Vernimmt man einen Titel wie ›De philosophiae politicae dignitate et necessitate‹, so wähnt man Dornau zu hören. Hier in Jena unter Heider wurde der Grund gelegt für Dornaus späteres akademisches Wirken in Beuthen. Den anderen Pol im Blick auf seine spätere Tätigkeit vor allem auf dem Feld der praktischen Politik selbst bezeichnet die Königsstadt Prag. Die höfische Kapitale bot Dornau reiche gesellschaftliche Anregungen. Sie rührten insbesondere her von dem böhmischen Adel, der sich in der Hauptstadt versammelte und um die Krone scharte. Mit Sicherheit fand Dornau auch Kontakt zu den hermetisch-alchemistischen Kreisen, die sich im Umkreis Rudolfs II. kaiserlicher Förderung erfreuten. Er selbst verdingte sich u.a. als Präzeptor in adligen Familien. Entscheidend wurden die Kontakte zu den Häusern Budowecz, Zierotin und Smirziz, denn damit gelangte er direkt in die Kreise, die maßgeblich an den Vorbereitungen des Böhmischen Aufstandes beteiligt waren. Wir kommen darauf zurück. Dann folgte die für einen jeden in die soziale und berufliche Höhe Strebenden obligatorische Studienreise in den Westen. Als Hofmeister an der Seite des jungen Jaroslaw von Smirziz absolvierte er sie in den Jahren zwischen 1603 und 1607, da sich so viele namhafte Schlesier gleichfalls im Westen aufhielten. In Basel erwarb er den Doktor der Medizin. Im Zusammenhang seiner peregrinatio academica lernte Dornau die kulturellen Zentren des westeuropäischen Calvinismus, darunter den kurpfälzischen Hof in Heidelberg, kennen. Seine Kontakte zu französischen Hugenotten (z.B. Philippe DuPlessis-Mornay) überlagerten sich mit den seit längerem bestehenden Beziehungen zu Vertretern der böhmischen und mährischen Ständeopposition wie den Budoweczs und den Zierotins, so dass Dornau
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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präzise Einblicke in die politischen Diskursformationen innerhalb der protestantischen Welt eröffnet wurden.14
Es war die typische konfessionell-politische Sozialisation, die Dornau in engem Kontakt mit den Wortführern des westeuropäischen Calvinismus und deren Ablegern unter dem Adel im Osten erfuhr. Eine solche war nur in den Jahren vor 1620 möglich. Sie wurde gerade eben auch einem Opitz noch erfahrbar, und ein Dornau trug maßgeblich dazu bei. Dornau hatte seine erste berufliche Position in Görlitz gefunden und nahm diese daselbst ungewöhnlich lange sieben Jahre zwischen 1608 und 1615 wahr. Er heiratete die Tochter eines Görlitzer Patriziers und entwarf für das Görlitzer Gymnasium eine neue Schulordnung, die damit an die Stelle derjenigen von Petrus Vincentius trat. Die gelehrte Muße, die ihm verblieb, nutzte er für ein reiches panegyrisches Schrifttum, in das systematisch auch Mitglieder aus dem Umkreis des Prager Hofes einbezogen wurden. Prag blieb vor 1620 – neben Heidelberg im Westen – die angesehenste und, was die beruflichen Optionen anging, begehrteste Kapitale im alten deutschen Sprachraum, und das ungeachtet der kaiserlichen Oberherrschaft. Dornaus ›Rudolphus Habsburgicus‹ etwa zeigt, welche Hoffnungen sich an die Habsburger und die in Prag residierenden Kaiser Rudolph II. und Matthias knüpften. Eine Hochburg der Gelehrten und der Schönen Künste war zu feiern, wie sie allenfalls noch in Heidelberg existierte. Doch dieser Glanz erlosch schlagartig mit der Katastrophe im Jahr 1620 und erstrahlte erst später wieder unter anderen Vorzeichen.
Dornaus Übergang nach Beuthen Ausgestattet mit dem Adelstitel, den er 1613 in Prag verliehen bekommen hatte, zog Dornau 1616 in Beuthen ein. Seine Antrittsrede geriet zu einem derartig spektakulären Akt, daß ein so gewissenhafter Historiker wie Hering auf sie die Überführung der Schule in ein Gymnasium datierte.15 Nachdem er das Thema einmal ergriffen hatte, folgte im kommenden Jahr eine weitere Rede, in der dem eingeführten Vorwurf neue, und das hieß nun vielfach dialektisch angelegte kontrastive Momente abgewonnen wurden.16 Der Rede aber in der Mittelstellung zur Fundamentierung der neugeschaf––––––––– 14
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Robert Seidel: Caspar Dornau.- In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon II (2012), Sp. 171–180, Sp. 172. Der Titel der illustren Rede: Casparis Dornavii Parallela Morum Seculi, Hoc est, Dissertatio, Quâ probatur: vitia nostrae tempestatis, prisci item aevi fuisse; Habita In Illustri Bethanéo Silesiorum ad Oderam Ipso Inaugurationis suae die XIIX Augusti Anno MDCXVI. Gorlicii Johannes RhaMba eXCVDebat. Die Rede ist selbstverständlich Georg von Schoenaich gewidmet. Die Widmung ist datiert auf den 15. Oktober des Jahres 1616. Der Pfalzgraf Johann Jakob Grasser aus Basel, Caspar Dornau und Balthasar Exner tragen Ehrengedichte bei. Der Text ist leicht einsehbar über die Sammlung Faber du Faur (Nr. 63). Casparis Dornavii Felicitas Seculi, hoc est, Oratio, quâ probatur; artes & liberales & mechanicas, nostrâ aetate cultiores esse, quâm multis retrò seculis: Praemissa recitationi legum in Illustri Gymnasio Schönaichiano. Bethaniae Typis Johannis Dörfferi. Die Rede ist Herzog Georg Rudolf ge-
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fenen Professur blieb es vorbehalten, in einer glanzvollen rhetorischen Volte eine Vermittlung zu umkreisen und Wege in die Praxis zu weisen. Sie ist ›Charidemus‹ betitelt und gewann rasch Berühmtheit.17 Opitz dürfte sie gehört haben. Derart stellt sich das frühe Beuthener rednerische Œuvre als eine thematisch eng verzahnte Trilogie dar. Es gehört zu den forschungspolitischen Höhepunkten der insgesamt wenig entwickelten Späthumanismus-Forschung, dieser inneren Einheit der Beuthener Texte Dornaus auf die Spur gekommen zu sein und ihr in weit ausholenden geschichtsphilopsophisch-epochentheoretisch angelegten Betrachtungen Relief verliehen zu haben. Das kann hier nicht geschehen. Wir verweisen auf inzwischen vorliegende Arbeiten.18 Resümierend in einem Satz läßt sich feststellen, daß es Dornau immer wieder gelingt, angesichts der Segnungen in Kunst und Wissenschaft, wie sie die jüngere Zeit auszeichnen, auch aber angesichts verheißungsvoller Wendungen im Bereich der Religion und der Politik, der Jugend Hoffnung und Vertrauen auf eine segensreiche Zukunft zuzusprechen. Man war soeben Zeuge, wie im Schoße der Rosenkreuzer eine Botschaft geboren wurde, an deren Entfaltung sich Erwartungen knüpften, wie sie in der Utopie einer ›Generalreformation‹ des Zeitalters die weitesten Perspektiven eröffnete.19 Beuthen stand im Begriff, zum Umschlagplatz modernster Ideen zu werden. Religion, Künste und Wissenschaften erfuhren gemeinsam eine umfassende Erneuerung, und Dornau machte sich in Beuthen zu einem ihrer Sprecher. Darin stand er singulär da, und Opitz hatte wiederum das Glück, dabei zu sein.
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widmet. Sie ist nicht datiert; Zuschriften fehlen! Dieses Werk ist gleichfalls eingegangen in die Sammlung Faber du Faur (Nr. 67). Casparis Dornavii Charidemus, hoc est, De Morum Pulchritudine, Necessitate, Utilitate, ad civilem conversationem, Oratio Avspicalis, Habita in Illustri Panegyre gymnasii Schönaichii ad Oderam. Primitiae Chalcographicae Joannis Dörferi VVitebergensis, Typographi Schönaichii Bethaniae Elysiorum an. MDCXVII. Das Werk ist wiederum über die Sammlung Faber du Faur leicht greifbar (Nr. 64). Vgl. Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat (Anm. 13). Hier das Kapitel: ›Begründung und Begrenzung des frühbarocken Modernismus‹, mit den drei Unterkapiteln ›Höhe der Zeit? Das Thema ›de felicitate saeculi‹ bei Caspar Dornau und Johann Balthasar Schupp‹, sodann ›Nihil novi sub sole‹: Die Auflösung der Dekadenzperspektive‹ sowie ›Fortschritte ohne Gewähr: die ›neuen Dinge‹ und der alte Mensch‹, S. 136–188. Darauf aufbauend Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 13), S. 265–306: Der Gelehrte in seiner Zeit. Verhaltenslehre und Epochenanalyse. Die drei großen programmatischen Reden Dornaus aus den Beuthener Jahren (›Charidemus‹, ›Parallela morum seculi‹, ›Felicitas seculi‹). Akkommodation und Fortschrittsoptimismus als Losungen der Zeit. Nochmals einige wenige gezielte Literaturhinweise zu diesem großen Thema des Zeitalters: Frances A. Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes.- Stuttgart: Klett 1975. Aus dem Englischen übersetzt von Eva Zahn. Titel der englischsprachigen Originalausgabe: The Rosicrucian Enlightenment.- London, Boston: Routledge & Kegan Paul 1972; Siegfried Wollgast: Andreae, die Rosenkreuzer und der Sozietätsgedanke.- In: ders.: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650.- Berlin: Akademie-Verlag 1988, S. 300–345; Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jahrhundert. Hrsg. von der Bibliotheca Philosophica Hermetica.Amsterdam: In de Pelikaan 2002.
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IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
Kreation einer neuen Professur für Frömmigkeit Der Freiherr aber, diese doch wohl singulär unter seinen Standesgenossen dastehende Persönlichkeit, beließ es nicht bei der Installation einer neuartigen Professur für Sitten (mores), wie sie eigens von dem Fürsten nominiert wurde. Das Zentrum seines Denkens und Sinnens blieb der Glaube. Georg muß ein Landesherr gewesen sein, der erfüllt war von tiefer Religiosität. Wir kennen solche Figuren zumal aus dem Zeitalter der Reformation. Nun aber um 1600 war ein Wandel von epochaler Statur eingetreten. Eine kaum noch überschaubare Vielfalt religiöser Optionen hatte sich aufgetan. Wollte man einen kühnen Satz wagen, so könnte man für einen Moment der Idee Raum geben, daß es womöglich nicht zuletzt die Bestimmung der Reformation blieb, in ihrem Schoße vielen über sie hinausgehenden bzw. von ihr abweichenden Gestalten des Glaubens ein Lebensrecht zu eröffnen. Und das selbstverständlich gegen den Willen des großen Reformators, der noch zu seinen Lebzeiten sich vehement gegen Andersgläubige verwahrte, und dabei eben keineswegs nur die Altgläubigen im Blick hatte. Wie auch immer. Die Zeit um 1600 war eine der religiösen Polyphonie; eben dies macht ihren besonderen Reiz für den ihr nachsinnenden Betrachter aus. Auch ein Georg von Schoenaich war involviert in dieses ringsum sich entfaltende Glaubensleben. Und das als glaubend Herausgeforderter und sich Positionierender nicht anders denn als oberster Hirte seines Landes, der in tätigem Umgang mit den der Zeit geschuldeten Umbrüchen nach den erzieherischen Konsequenzen Ausschau zu halten hatte. Sein Gymnasium war nicht zuletzt errichtet, um Antworten zu finden auf drängende, ja oftmals quälende Fragen der Zeit. Es mußte eine Antwort sein, die der religiösen Vielfalt Rechnung trug und die zugleich Bestand verhieß. Die konfessionellen Lager, so viel war gewiß, waren nicht in der Lage, ein derartiges religiöses Angebot zu offerieren. Eine antidoktrinäre Haltung war gefordert, verbunden mit dem Mut des Aufbruchs zu neuen Ufern. Das war es, was die Zeit verlangte. Und so machte sich dieser gewissenhafte Fürst daran, eine Professur zu konzipieren, von der wir wiederum vermuten, daß sie in dieser Ausprägung singulär dastand in ihrer Zeit. Wohlgemerkt, eine Professur für Theologie war vorhanden und ordnungsgemäß mit einem Theologen besetzt. Eine zweite theologische Professur wurde geschaffen. Und das nicht, um zwei verschiedenen Konfessionen akademischen Raum zu gewähren. Nein, im Gegenteil, um eine überkonfessionelle oder postkonfessionelle Religion zum Gegenstand akademischen Unterrichts zu erheben, die es in dieser Form an den Universitäten nicht gab. Selbstverständlich ging es um die christliche Religion, keineswegs um eine Philosophie oder Theologie der Weltreligionen. Doch innerhalb der so reichen und inzwischen so weiten Welt des christlichen Glaubens sollten just die Pfade und die Lehrsätze erkundet werden, die alle Christen als die ihrigen anzuerkennen in der Lage wären. Ein großes Unierungswerk schwebte dem Freiherrn vor, das doch zugleich auf einfache, auf elementare Grundsätze gegründet war. Dafür bedurfte es der Besinnung auf einige Fundamentalsätze, die in jedem Fall verbindlich blieben; dazu bedurfte es jedoch vor allem der Herausstellung eines aus christlichem Geist erfolgenden Lebenswandels. ›Praxis pietatis‹ lautete ein kursierendes Stichwort, einer Losung gleich. Sie versprach, die Gräben zwischen den Konfessionen zuzuschütten, Zwist und Streit um
Georg Vechner
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Buchstaben zu beenden und Befriedung zu stiften. Eirene, die Friedensgöttin, steht auch als Schutzengel über dem akademischen Tempel, den der Freiherr da aufzurichten im Begriff war. Erasmus und seine ›Querela pacis‹ sind nahe. Die Epoche um 1600 ist die große Zeit der religiösen Synopsis und in diesem Sinn eine Zeit der ersten Aufklärung.
Georg Vechner Und wieder galt es, eine Person zu finden, die dieses ebenso schlichte wie anspruchsvolle Programm mit Leben zu erfüllen imstande war. Und tatsächlich kam nach Beuthen jene Persönlichkeit, die neben Dornau zu der zweiten zentralen Figur im Gymnasium aufrücken sollte, da wissenschaftlich von hervorragendem Ruf, welcher sich in Beuthen weiter befestigte. Es war dies Georg Vechner.20 Er war gebürtiger Freistädter. Dort kam er 1590 zur Welt. Der gleichnamige Vater wirkte daselbst und nachmalig in Sprottau als Pfarrer. Die Mutter stammte gleichfalls aus einem Pastorenhaushalt in Herndorf. Die theologische Karriere war also vorgegeben. Vechner besuchte die Schulen in Freistadt, Glogau und Görlitz und nach dem Wechsel des Vaters von Freistadt nach Sprottau vermutlich auch die dortige Schule. Die genauen Daten seines Studiums in Frankfurt sind nicht bekannt. Vechner war es – anders als so vielen theologischen Standesgenossen – vergönnt, nicht nur das akademische Frankfurt, sondern auch den akademischen Westen kennenzulernen. Er wurde Erzieher zweier jüngerer Grafen von Solms, nämlich des Sohnes und des Enkels des Geheimen Rats Johann Albert von Solms am Hof des pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. Hier in Heidelberg kam er in Kontakt mit dem kurfürstlichen Hofprediger Abraham Scultetus. In Heidelberg verteidigte Vechner eine unter dem Vorsitz von Christoph Jungnitz abgehaltene Disputation. Sie ist David Pareus, dem Beuthener Pastor Petrus Titus, Bartholomäus Pitiscus und Abraham Scultetus, ›Dnn. Patrones & fautores suos‹ gewidmet, bezeugt also eindrucksvoll den schlesisch-pfälzischen Brückenschlag, von dem ausführlich zu sprechen sein wird. Im März des Jahres 1616 erging der Ruf auf die Professur für Theologie in Beuthen. Im Laufe des Jahres hielt Vechner seine Antrittsvorlesung, und anschließend erfolgte seine offizielle Bestallung. Im Jahr darauf erwarb er den theologischen Doktor bei Pelargus in Frankfurt. Entscheidend aber im Blick auf seine Karriere wie auf das Renommee der Anstalt wurde nun, daß er im Jahre 1619, dem Todesjahr Georgs, herüberwechselte auf eben jene zweite von Georg von Schoenaich neu geschaffene theologische Professur, mit der Beuthen ein weiteres Alleinstellungsmerkmal erhielt, die Professur für Frömmigkeit (pietas). Dabei blieb es denkwürdig, daß der Theologe in der Lage war, einer explizit konfessionsneutralen Professur Statur zu verleihen. Offenbar waren für den an der Universität Frankfurt ausgebildeten Theologen, der zeit––––––––– 20
Zu Georg Vechner vgl. Klopsch: Geschichte des Geschlechts (Anm. 9), Drittes Heft, S. 43; Viertes Heft, S. 52 ff.; Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 13), S. 244 f. mit Anm. 50; Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 311 f.; Garber: Gymnasium Schoenaichianum (Anm. 2), S. 29 f., Anm. 25.
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weilig auch am Hof Friedrichs V. in der Pfalz gewirkt hatte, hinreichend viele theologische Ressourcen aktualisierbar, um den Anforderungen des Freiherrn im Blick auf eine Entkonfessionalisierung des Glaubens, wie sie der Professur aufgetragen war, zu genügen.21 Wen aber Georg da berufen hatte, wird erst ganz deutlich über den weiteren Lebensgang, den Vechner einschlug. Vor den Verdächtigungen, die auch er in exponierter theologischer Position zu erleiden hatte, wich er ungeachtet des Schutzes, den er von seiten Georgs und Johannes’ von Schoenaich genoß, nach Lissa aus, der Hochburg der Brüderunität. Im März 1639 wurde er von der Unität der Reformierten und der Böhmischen Brüder in Polen mittels der bei ihnen gebräuchlichen Ordination von dem General-Senior Martin Orminius in die Brüderunität zu Lissa aufgenommen. Das war nur möglich, sofern eine Affinität zu dieser Glaubensgemeinschaft bestand, wie sie eben auch in Beuthen schon erkennbar und von Georg merklich befördert worden war. 1645 nahm er an dem berühmten Thorner Kolloquium teil und unterzeichnete mit anderen die ›Professio et Declaratio doctrinae Ecclesiarum Reformatarum‹. Seine Karriere beschloß er als Superintendent und Hofprediger Johann Christians sowie als Rektor des Gymnasiums in Brieg. Am Beginn seiner Laufbahn aber hatte Beuthen gestanden. Dem Freiherrn und dem Gymnasium bewahrte er ein treues Gedenken.
An der Wiege eines Lebenswerkes Opitz wußte um das Besondere dieses Mannes. Wie Dornau bedichtete er auch Vechner wiederholt. Ihm war es vergönnt, in jungen Jahren teilzuhaben an der Herausformung zweier Gedanken- und Glaubensgebäude, die auf geheime Weise miteinander kommunizierten und deren Besonderes es war, auf der Höhe der Zeit errichtet zu werden. Diese temporale Bestimmung aber bedarf der Spezifizierung. Was da um 1600 unter den führenden Köpfen in Umlauf war, entfaltete Langzeitwirkungen. Es vergaß sich nicht wieder, wurde weitergesponnen und mündete schließlich ein in das Jahrhundert der Aufklärung. Gerade diese Nachgeschichte ist eine faszinierende, und das nicht zuletzt, weil sie sich vielfach auf unterirdischen Bahnen vollzog. Doch das in Beuthen an geistiger Wirklichkeit Umkreiste, war gefährdet, und das von innen wie von außen. Auch im Beuthener Lehrkörper gab es nach allem was wir wissen Gestalten, die argwöhnisch auf diejenigen blickten, die da in Glaubensdingen ––––––––– 21
Eine Untersuchung von Vechners Beuthener Arbeiten steht aus. Heranzuziehen wären vor allem: Singulare Gymnasii Schönaichiani Charisma: H.E. Professio Pietatis Pro Fundatoris Μακαρίτου Intentione Dilucidè à Professionibus caeteris Theologicis distincta, Brevique futurae Institutionis typo adumbrata, juventutique commendata, Indicii Initiique Publici gratiâ, â Georgio Vechnero S.S.T. D. & in Illustri Schonaichiano Pietatis Professore. Bethaniae, Typis Joannis Dörfferi. (BU Wrocław R 244 (25) = 426417). Hinzuzunehmen die Einladung zur Antrittsvorlesung: Georgius Vechnerus, Pietatis Professionem, In Illustri Schonaichiano Gymnasio, exorsurus, Lecturis comprecor, Petri exemplo. 2. Pet. 1. v. 2.3. (StB Breslau, herrührend aus der Bernhardiner-Bibliothek (8 B 8402); BU Wrocław 313065). Und schließlich: Indicium Professionis Theologicae, In Illustri Shönaichiano Ductu Ac auspicio Dei opt. Max. à Georgio Vechnero Freist. Sil. susceptae & inceptae, publico datum Ad VI. Id. Jan. Anni M.DC.XVII. Bethaniae Ad Oderam, Typis Johannis Dörfferi (BU Wrocław: R 244 (24a) = 426416).
Dornaus Rolle im linguistischen Diskurs um 1600
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neue Wege beschritten. Sie wußten, daß es sich für die Karriere auszahlte, wenn man an geeigneter Stelle Verdacht schürte, Personen anschwärzte, ja womöglich die ganze Institution ins Gerede brachte. Auf ›Kryptocalvinismus‹, auf ›Arianismus‹, ja zuweilen sogar auf ›Socinianismus‹ lauteten die tödlich wirkenden Formeln. Sie waren auch anderwärts zu vernehmen, verdichteten sich aber im Blick auf Beuthen, machte doch auch der Fürst keinen Hehl daraus, daß er sich in Glaubensfragen nicht dogmatisch fixieren ließ, sondern Gewährenlassen für sich wie für die Professorenschaft beobachtet sehen wollte. Und so war es eben kein Zufall, sondern in der so ungewöhnlichen Verfaßtheit der Anstalt begründet, daß sie mit in die Katastrophe des Jahres 1620 hineingerissen wurde, von der sie sich nicht mehr erholen sollte. Dem Freiherrn blieb es erspart, diese noch mitzuerleben. Er starb im Jahr 1619, tief betrauert von Gefährten in nah und fern. Die zu seinem Tod verfaßten Gedichte sind nicht nur von einer Fülle, sondern zugleich von einer Intensität in der Beschwörung seiner Lauterkeit, für die es wenige Parallelen geben dürfte. Sein Andenken lebte fort, und das genau so verhalten und so verdeckt wie das Reich der Ideen, das um ihn herum errichtet worden war. Und so will es etwas besagen, um auf einen schon geäußerten Gedanken zurückzukommen, daß es einer auf Kontext, auf geschichtliche Konstellationen bedachten Literatur- und Kulturwissenschaft im Gefolge der späten sechziger Jahre vorbehalten blieb, eine nun tatsächlich zündende Wiederentdeckung ins Werk zu setzen. Der Freiherr und seine gymnasiale Schöpfung sowie die mit beiden sich verbindenden geistigen Anregungen sind heute wieder gegenwärtig, und das nicht zuletzt im Blick auf Opitz und seinen Bildungsgang. Dieser hatte das Glück, genau zum richtigen Zeitpunkt sowohl gekommen als auch wieder gegangen zu sein. Die maßgeblichen Köpfe, von denen wir hörten, hatten eben ihre Stellen bezogen als er eintraf, und als er wieder aufbrach, lebte der Freiherr noch und seine Schöpfung stand in der schönsten Blüte. Für uns aber, die wir in unserem Versuch auf Akzentuierung und Verdichtung bedacht sein möchten, stets wieder den Texten zustreben, ist es nun von schwerlich zu überschätzender Bedeutung, daß unser ›Held‹ seinerseits an der Ausformung progressiver Diskurse an vorderster Stelle in Beuthen teilnahm. Er assimilierte die Eindrücke, die er empfing, in seltener Lebhaftigkeit. Und er war hell und wach genug, sie produktiv derart um- und weiterzubilden, daß am Ende ein Entwurf sich herausgeschält hatte, der nur noch ihm gehörte. Wenn Beuthen und das Gymnasium Schoenaichianum heute in Fachkreisen wieder Nimbus besitzen, ist dies, so paradox es klingen mag, in erster Linie Opitz und einem aus seinem Mund herrührenden und einem Fanfarenstoß gleich in die Welt tretenden Manifest zu verdanken, dem für alle Zeit der Name ›Beuthen an der Oder‹ auf der Stirn geschrieben steht.
Dornaus Rolle im linguistischen Diskurs um 1600 Wir haben, um den Rahmen zu zimmern, zurückzukehren zu Caspar Dornau und seinem Wirken vor Ort. Colerus hatte seinen Namen und den eines zweiten, den wir sogleich kennenlernen werden, genannt, als es um die für Opitz prägenden Figuren ging. Und eben dies nun bewahrheitete sich auf jenem Gebiet, für das der Name Opit-
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zens fortan einstand. Zu den Anregungen, die Opitz in Beuthen empfing, gehörten die linguistischen und des näheren die sprachpolitischen Erörterungen, wie sie seit dem Frühhumanismus im Schwange waren. Sie gruppierten sich um die Rolle des Lateinischen und das Verhältnis der prominenten europäischen Verkehrssprache der Gelehrten zu den jeweils heimischen, den muttersprachlichen Idiomen. Kein Land, das nicht erfüllt war von Traktaten, die die Würde der lingua vulgata priesen und für ihre Würdigung und ihre Verwendung warben. Nun kam zu später Stunde auch Deutschland zum Zuge.22 Erste Versuche in der Abfassung deutscher Gedichte nach einer neuen Façon waren hervorgetreten. Sie kursierten natürlich auch in Beuthen. Und so sah sich an erster Stelle ein Caspar Dornau veranlaßt, die Fragen im Blick auf die Probleme einer modernen Erziehung, wie sie im Zentrum seines Denkens stand, aufzugreifen. Schon in seinem ›Rudolphus Habsburgicus‹ aus dem Jahre 1613 hatte Dornau das Idealbild eines Fürsten entworfen, wie es sich auch in der Hochschätzung der Muttersprache flektierte. Dort hieß es im Blick auf den großen Habsburger: Oder soll ich etwa nüchtern darüber hinweggehen, daß er Reskripte, Privilegien, Urkunden in der Sprache der Deutschen herausgeben ließ, während sie zu dieser Zeit sonst in Latein abgefaßt wurden, was den meisten aus dem Adel dunkel oder gänzlich unbekannt war? Es ist kaum auszusprechen, welche Würde, welch ehrenvolle Wertschätzung unserer Muttersprache hieraus erwuchs. Wenn deren Glanz, Reinheit, Großartigkeit und Ausdrucksfülle von uns ebenso mit Eifer und Fleiß bekannt gemacht würde, wie sie von den auswärtigen Wortbrocken Halbgebildeter verschandelt wird, dann wäre fürwahr das Ansehen unserer Sprache und unserer Nation bei anderen Völkern größer.23
Man meint, Opitz zu vernehmen. Da äußert sich ein Patriot, dem die Sache des Deutschen eine Herzensangelegenheit zu sein scheint. Doch Vorsicht ist geboten. Der Passus steht offensichtlich allein. Er ist okkasionell eingestreut, führt jedoch nicht zu einer Verlängerung der Linien. Das eben blieb Opitz vorbehalten. Dornau hat den Adel im Auge, genauso wie wenige Jahre später die Wortführer in der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹. Er soll teilhaben an der vor allem von den Gelehrten getragenen Kultur. Die Benutzung des Deutschen ist das Mittel der Wahl, um diese Integration des Adels in das Projekt der patriotischen Akkulturation, wie es um 1600 so lebhaft diskutiert wird, zu befördern. Wie alsbald bei Opitz wird auch von Dornau kein Geringerer als Karl der Große namhaft gemacht, der als erster diesen über die deutsche Sprache vermittelten Prozeß der Bildung in Gang gesetzt habe. ––––––––– 22
23
Vgl. Klaus Garber: Die Idee der Nationalsprache und Nationalliteratur in der Frühen Neuzeit Europas.- In: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit.- München: Fink 2009, S. 107–213. Vgl. auch ders.: Zur Konstitution der europäischen Nationalliteraturen. Implikationen und Perspektiven.- In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1989 (Frühe Neuzeit; 1), S. 1–55. Eingegangen in: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit, S. 15–70. Zitiert bei Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 13), S. 321, in dem für uns einschlägigen Kapitel: Latein und Deutsch. Martin Opitz als Dornaus Schüler am Schönaichianum. Dornaus Ansichten über den Wert der deutschen Sprache. Der Einfluß Dornaus und des Beuthener Lehrbetriebs auf die Frühschriften von Opitz, S. 307–337. Hier auch S. 321, Anm. 52, der lateinische Text.
Der ›Aristarchus‹: Ein sprach- und dichtungspolitisches Fanal
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Der Schule kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Auch darüber belehrt bereits Dornaus ›Ulysses scholasticus‹. »Schändlich ist wahrhaftig jene Trägheit, in der wir zurückgelehnt verharren und es absichtlich zu verhindern scheinen, daß unserem Vaterland jemals Ehre durch die Pflege der Muttersprache zuwachsen könnte«.24 Man vermeint neuerlich, die Worte Opitzens zu vernehmen. Der erzieherische ›politische‹ Impetus bleibt fragwürdig, solange wie ihm nicht auch der linguistische zugeführt ist. Im erwachenden Konzert der Nationalsprachen hat auch die Pflege des Deutschen ihren legitimen Platz. Schon zeichnet sich die Engführung von nationalem und linguistischem Agieren ab. Die Verpflanzung der von langer Hand im europäischen Kontext verhandelten Sprachenpolitik in patriotischer Absicht nach Deutschland steht auf der Tagesordnung, und ein ›Politicus‹ wie Dornau, der große Lehrer Opitzens, macht sich zu ihrem Propagator. In den akademischen Disputationen, wie sie selbstverständlich auch in Beuthen gepflegt wurden, vertiefte Dornau die Problematik und führte seine Schüler über deren aktive Mitwirkung an dieselbe heran. Sie hatten Thesen zu verteidigen und argumentativ für sie zu werben. Die Schüler sollten auf diese Weise vertraut gemacht werden mit den Aufgaben, die sie beruflich erwarteten, und dabei spielte der sprachliche Aspekt eine eminente Rolle. Der Erwerb der Sprache wird thematisiert, die Stellung der neueren Sprachen neben den alten herausgearbeitet und die besondere Rolle der Muttersprache akzentuiert. Allen drei so unterschiedlichen und doch miteinander verknüpften Formen des linguistischen Diskurses muß die nämliche Aufmerksamkeit gelten. Auch die Muttersprache behauptet also ihren Platz, und damit auch das Deutsche. Es kann nicht länger ignoriert werden, wo ringsum die Volkssprachen bis in die Poesie hinein ihre Eignung wie ihre Gleichrangigkeit neben dem vorherrschenden Latein unter Beweis gestellt haben. Sprachgewandtheit und Vielsprachigkeit ist ein den Menschen auszeichnendes Vermögen, betont Dornau in Übereinstimmung mit den vielen humanistischen Theoretikern der Sprache vor ihm. Nun aber kommt auch in Deutschland ein soeben erwachendes Interesse an deutschsprachigen Verlautbarungen zum Zuge, wie man sie in Zeugnissen aus einer oftmals weit zurückliegenden Vergangenheit entdeckt hatte. Die Würde des Deutschen findet sich unversehens auch historisch legitimiert. Opitz erfuhr von all dem schon in Beuthen und brachte sich derart auf den neuesten Stand der Diskussion.
Der ›Aristarchus‹: Ein sprach- und dichtungspolitisches Fanal Wir sind ein wenig ausführlicher gewesen, ging es doch darum, eine Erkundung des Milieus vorzunehmen, von dem Opitz auf jenem Gebiet umfangen blieb, das das seinige und alleine das seinige werden sollte. Es ist dieses Mit- und Ineinander von intellektuellem Fluidum und persönlicher Note, das die große Leistung begünstigt, die sich immer dadurch auszeichnen wird, als unverwechselbare, von einer individuellen Handschrift geprägte in die Welt zu treten. ––––––––– 24
Zitiert bei Seidel, S. 327.
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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Diesem Wunder produktiver Schöpfungskraft auf der Spur zu bleiben, ist ein Vergnügen eigener Art. An den springenden Punkt aber gelangt es, wenn Texte ins Blickfeld treten, die dazu ermutigen, diesen nicht selten entsagungsvollen Weg zu beschreiten. Entsprechend machen wir bevorzugt dort Station, wo eben ein derartiges Ereignis sich vollzieht. Das geschieht um den Preis, nur eine kleine Anzahl von Texten behandeln zu können; der Einläßlichkeit kommt ein derartiges Vorgehen jedoch allemal zugute. Und so wenden wir uns einem berühmtem Text Opitzens zu, der fest verbunden ist mit dem Namen Beuthens und in gewisser Hinsicht auch demjenigen Dornaus. Die Rede soll sein von seinem ›Aristarchis sive De Contemptu Linguae Teutonicae‹.25 Er erschien im Jahr 1617 in der Beuthener Druckerei, die der Fürst eigens im Zuge der Gründung des Gymnasiums ins Leben gerufen hatte, nämlich bei Johann Dörffer. Wir plädieren seit längerem dafür, gerade dieser Offizin eine Darstellung zu widmen. Die Voraussetzungen dafür sind immer noch sehr gut. Die meisten der aus ihr stammenden Drucke dürften sich vor allem in Breslau erhalten haben. Eine intellektuelle Physiognomie würde erkennbar werden, die durch und durch das Signum Beuthens trägt. Redeübungen gehörten, wie in einem jeden Gymnasium, so auch in Beuthen zum Pflichtprogramm. Es gab keine Disziplin, die unmittelbarer in die Praxis hinübergeleitete als die Kunst der Rede. Für einen Erzieher wie Dornau war sie von elementarer Bedeutung. Und so war es wiederum ein Glücksfall, daß für das Fach ein hervorragender Lehrer in Gestalt von Jonas Melideus in Beuthen wirkte, mit dem Dornau gewiß intensiv zusammenarbeitete.26 Opitz begegnete ihm selbstverständlich auch und hat ––––––––– 25
26
Der Originaltitel lautet: Aristarchus sive De Contemptu Linguae Teutonicae. Auctore Martino Opitio. Bethaniae, Excudebat Joannes Dörfer. Das Werk liegt inzwischen in zwei neueren Ausgaben vor, die eine davon ausgestattet mit einer deutschen Übersetzung. Vgl.: Martin Opitz. Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 51–75. Sodann: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. In Zusammenarbeit mit Wilhelm Kühlmann, Hans-Gert Roloff und zahlreichen Fachgelehrten herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 58–89, Kommentar S. 319–337. Die Übersetzung des Vorspanns rührt her von Veronika Marschall, diejenige des vorgeschalteten Gedichts ›Ad Germaniam‹ und des ›Aristarchus‹ selbst von Herbert Jaumann. In den Kommentar des Vorspanns teilen sich Veronika Marschall und Jörg Robert; derjenige zum ›Aristarchus‹ selbst liegt bei Jörg Robert. Damit ist der komplette Text einschließlich der Beigaben erstmals zweisprachig verfügbar und zugleich mit einem hervorragenden Kommentar ausgestattet. Die zitierten deutschsprachigen Übersetzungen sind dieser Edition entnommen. Eine ältere zweisprachige Ausgabe stammt von Georg Witkowski. Vgl. Martin Opitzens ›Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae‹ und ›Buch von der Deutschen Poeterey‹. Hrsg. von Georg Witkowski.- Leipzig: Veit 1888. Witkowski bietet eine deutsche Übersetzung des ›Aristarchus‹ (mit Ausnahme der Vorrede und des Eingangs-Gedichts) sowie einen Zeilenkommentar. Die große Einleitung zu dieser Edition ist sehr lesenswert geblieben. Zu erwähnen bleibt schließlich, daß sich in der von Herbert Jaumann veranstalteten ›Studienausgabe‹ der ›Poeterey‹ auch eine Übersetzung des ›Aristarchus‹ nebst Kommentar befindet (S. 77–94, S. 169–173). Vgl.: Buch von der Deutschen Poeterey. Hrsg. von Herbert Jaumann. Studienausgabe.- Stuttgart: Reclam 2002 (Reclams Universal-Bibliothek; 18214). Zu Melideus vgl. Bauch: Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule (Anm 8), S. 444–484; Klopsch: Geschichte des berühmten Schönaichischen Gymnasiums (Anm. 5), S. 58 f., S. 253–
Ein Motto
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ihn wiederholt bedichtet. Es würde sich also lohnen, wie sich aus unseren eingestreuten Bemerkungen bereits nahelegt, den Poemen aus der Feder Opitzens auf das Beuthener Personal eine eigene Studie zu widmen. Mit Gewißheit würde sie bemerkenswerte Ergebnisse zeitigen. Unsere Aufgabe kann das an dieser Stelle nicht sein. Auch Opitz wird sich zu Zwecken der schulischen Übung rednerisch präpariert haben. Was also läge näher als die Vermutung, nein die Erwartung, daß er auch seinen ›Aristarchus‹ vor der Kollegen- und Schülerschaft vorgetragen habe. Seine Worte sind erfüllt von rednerischem Schwung. Und doch liegt bislang kein Dokument vor, das definitiv einen Redeaktus Opitzens in Beuthen bezeugte. Auch der geduckte Text enthält keinerlei Hinweis in dieser Richtung. Eine Ankündigung zu einem öffentlichen Vortrag, wie üblich, ist dem Text nicht vorgeschaltet. Und auch auf dem Titel selbst taucht ein Begriff wie ›oratio‹ nicht auf. Wir müssen also davon ausgehen, daß es zu einem Vortrag nicht kam, ohne daß es möglich wäre, plausible Gründe für diesen auffälligen Befund beizubringen. Der Verve der Argumentation tut dies keinerlei Abbruch. Wir haben es mit einem rhetorisch bravourösen Kabinettstück zu tun. Und was dessen Thema angeht, so stand es ihm an Akkuratesse nicht nach, verdankte seine Durchschlagskraft indes nicht zuletzt dem rednerischen Schwung.27
Ein Motto Kein Text von Bedeutung im Umkreis des Humanismus, den nicht eine Widmung zierte. Auch wir haben derartige Stücke aus der Feder von Opitz bereits kennenge–––––––––
27
259; ders.: Geschichte des Geschlechts, Drittes Heft (Anm. 9), S. 43; Entner (Anm. 27), S. 32–39; Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 13), S. 246 mit Anm. 59; Wollgast: Schönaichianum (Anm. 2), S. 74, S. 93, S. 99; Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), 309, 365; II, 352; Garber: Gymnasium Schoenaichianum (Anm. 2), S. 32 f., Anm. 28. Die Literatur zum ›Aristarchus‹ ist gerade in letzter Zeit angewachsen, gleichwohl bleiben auch die älteren Studien wichtig. Wir verweisen vor allem auf die grundlegende Studie von Curt von Faber du Faur: Der ›Aristarchus‹: Eine Neuwertung.- In: Publications of the Modern Language Association 69 (1954), S. 566–590, mit der die neuere Forschung zum ›Aristarchus‹ einsetzt. Es folgte die gleichfalls wichtige Studie von Heinz Entner: Zum Kontext von Martin Opitz’ ›Aristarchus‹.- In: Germania Wratislaviensia 47 (1982), S. 3–58 (Acta Universitatis Wratislaviensis; 617). Sodann lohnt sich ein Blick in das Opitz-Kapitel von Horst Rüdiger: Wesen und Wandlung des Humanismus.- Hamburg: Hoffmann und Campe 1937 (Europa-Bibliothek), 2. verb. Aufl.- Hildesheim: Olms 1966, S. 137–155, insbes. S. 145–151. Vgl. auch Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Band I: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Der Wandel der literarischen Formensprache vom Mittelalter zur Neuzeit.- Hamburg: Hoffmann und Campe 1949, S. 356–358. Sodann das wichtige Kapitel: Caspar Barth und Martin Opitz: Der neulateinische Manierismus und die Begründung der muttersprachlichen Kunstdichtung, in: Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat (Anm. 13), S. 255–266, hier S. 262–266 zum ›Aristarchus‹. In Anm. 219 liest man: »Eine einläßliche, kontextbezogene Analyse fehlt.« Vgl. auch Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 13), S. 312, S. 315–317, S. 334–337. Im Übrigen ist zu verweisen auf die in den Anmerkungen und in den vorangehenden Arbeiten des Verfassers zitierte Literatur. Vgl.: Garber: Martin Opitz (Anm. 2), S. 134–137; ders.: Zur Konstitution der europäischen Nationalliteraturen (Anm. 22), S. 44–49, Neudruck S. 58–62; ders.: Die Idee der Nationalsprache (Anm. 22), S. 191–207; ders.: Wege in die Moderne (Anm. 2), S. 150–155. Weitere Angaben im 13. Kapitel.
IV. Auf dem Gymnasium Schoenaichianum
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lernt. Nun schließt sich aus gleichfalls früher Zeit eine weitere an. Und die liegt genau auf dem von Dornau eingeschlagenen Weg. Den Adel galt es für das Reformprojekt der deutschen Sprache und Literatur zu gewinnen. Und entsprechend dieser Maxime operiert auch Opitz. Wie dies aber geschieht, ist allemal aufschlußreich. Fäden werden verknüpft, die – zusammengeführt – Einblick in ein profundes humanistisches Anliegen gewähren. Ein Motto aus einer Rede Ciceros hat Opitz Text und Widmung vorangestellt. Amemus patriam, consulamus bonis: praesentes fructus negligamus: posteritati et gloriae serviamus: id esse optimum putemus, quod erit rectissimum: speremus quae volumus, sed quod acciderit, feramus: cogitemus denique, corpus virorum fortium magnorumque hominum esse mortale, animi vero motus et virtutis gloriam sempiternam.28
Sätze, in denen ein jeder Humanist sich wiedererkennen konnte. Indem Opitz sie zitierte, bekannte er sich zu ihnen. Und in der Tat sind alle Motive angeschlagen, die auch in seinem Werk immer wieder auftauchen. Das Vaterland (patria) ist der eine Pol, welcher im Denken und Dichten umkreist wird. Es verlohnt einen jeden denkbaren Einsatz, und die Humanisten vermögen Besonderes zu seinem Wohle beizutragen, verdanken ihm aber zugleich Verheißungsvolles. Und damit gelangt der andere Pol ins Visier. Sind sie erpicht darauf, der Nachwelt und dem Ruhm zu dienen, so knüpft sich dieser Vorsatz eben in erster Linie an ihr patriotisches Agieren. Sie verrichten stellvertretend einen Dienst für eine Gemeinschaft, der sie überhaupt erst in ihrem Werk Gestalt verleihen. Das war bei Dante so, und das wird Jahrhunderte über so bleiben. Und es bedarf der Betonung, denn dieser patriotische Eifer ist weit entfernt von dem späteren aggressiven und aufgeputschten. Die Völker und ihre Staaten haben Platz in dem einen Europa. Und wenn es unter ihnen Wetteifer gibt, so vorzugsweise den um die geistigen Trophäen, nicht um die Insignien der nackten und bloßen Macht. Ruhm ist verknüpft mit Tugend und diese verschwistert mit Geist. Humanistisches Ethos ist ein der Zeit enthobenes. Zieht man die Linien aber aus, so eröffnen sich die weitesten Perspektiven. Eine zweite Bildungsmacht ist neben den christlichen Glauben getreten. Beiden eignet eine je eigene Verbindlichkeit. Und daß sie verträglich sind, wird auch ein Opitz nicht müde, unter Beweis zu stellen. Dies und nur dies legitimiert die Rede, daß mit der Renaissance, daß mit der Eröffnung der Frühen Neuzeit etwas Neues in die Welt tritt. Die geistigen Ströme, wie sie die Frühe Neuzeit durchziehen, sind so lange lebendig, wie diese Symbiose Bestand hat. Und ist es unstatthaft, selbst das Werk eines Goethe noch erfüllt zu sehen von den nämlichen Impulsen? ––––––––– 28
So der lateinische Text in: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 58. Die Übersetzung von Veronika Marschall: Wir wollen das Vaterland lieben, den Guten helfen; wir wollen die gegenwärtigen Vorteile geringschätzen; der Nachwelt und dem Ruhm wollen wir dienen; wir wollen das für das Beste halten, was das Richtigste ist; wir wollen auf das hoffen, was wir uns wünschen, aber ertragen, was immer eintreten mag; wir wollen schließlich bedenken, daß der Leib tapferer Männer und bedeutender Menschen sterblich ist, das Wirken des Geistes und der Ruhm der Tugend aber unsterblich sind. (S. 59).
Eine Widmungsadresse
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Eine Widmungsadresse Friedrich von Kreckwitz und Austen sowie Wigand von Gersdorff hat Opitz seinen ›Aristarchus‹ zugeeignet.29 Beide waren Schüler von Caspar Dornau. Die Widmung erfolgte also mit Bedacht, und Dornau wird dies zu würdigen gewußt haben. Wir aber erinnern uns der schönen Charakteristik, die ein Altmeister der Barock-Philologie und ein Sammler kostbarer Drucke wie Curt von Faber du Faur für die beiden gefunden hat. Sie müssen wesentlich älter als Opitz gewesen sein, er redet sie ›Nobilissimi Heroes‹ an und bezeichnet sich selbst als ›adolescentem‹. [...] Es handelt sich um zwei Repräsentanten des grundbesitzenden Adels, junge Männer, deren Arbeit in der Verwaltung ihrer Güter, deren Erholung in Jagen und Reiten bestehen musste. Viel anderes war bei der Schwierigkeit des Reisens in Schlesien nicht übrig, das Eichendorff in seinem ›Deutsches Adelsleben am Schlusse des 18. Jahrhunderts‹ noch drastisch genug schildert.30
Von Faber du Faur macht auch darauf aufmerksam, daß sich diese adlige Lebenswelt ebenso wie die zunehmende Offizierstätigkeit des Adels in der Dichtung des 17. Jahrhunderts so gut wie gar nicht ausprägt. Bei den schreibenden Pfarrern und Schulmeistern ist das begreiflich, aber auch die nicht selten dichtenden Kavaliere zeigen nichts von diesem Geist, die Stadtadligen wie Hofmannswaldau und Lohenstein nicht, aber auch nicht A.A. von Haugwitz, Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen, Hans Aßmann von Abschatz und Hans von Assig, die Altadligen. Bei ihnen allen bleibt der in der Vorrede zum ›Aristarchus‹ festgelegte Ton, eine Wertschätzung der Studiertheit, der Sprachen und Weltkenntnis, eine höfische Form, der alles Junkerliche und Arrogante sehr fern liegt. Hätte man nicht Darstellungen wie Paul Winklers ›Edelmann‹ von 1697 oder Christian Reuters ›Graf Ehrenfried‹, so würde man aus dem Schrifttum des Barock eine vorwiegend bürgerliche und gelehrt interessierte Gesellschaftsschicht erschliessen.31
Wie richtig gesehen und wie tiefgründig erläutert! Dem Außenseiter stehen oftmals die treffendsten Worte zur Verfügung. Opitz nun nimmt ganz im Sinne seines Lehrers einen erzieherischen Auftrag wahr. Er bedeutet den Herren, wohin sie das Schiff ihres Lebens zu lenken haben, und zwar so, daß sie selbst sich immer schon auf der richtigen Fährte wissen dürfen. Er greift die Worte Ciceros wieder auf und entfaltet ihren Gehalt. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, und dies als ein mit Geist begabtes Wesen. Das ist die erste Bestimmung und eben keinesfalls eine soziale, wonach den Menschen verschiedene Stufen auf der Staffel der Stände zukämen. Unterschiede gibt es nicht primär als vorgegebene, sondern als selbst verursachte, und das nach Maßgabe des Gebrauchs, den ein Mensch von der höchsten, der göttlichen Gabe des Geistes macht. Jeder Mensch trägt einen Samen der Tugend in sich; er will gepflegt und zum Wachsen gebracht werden. ––––––––– 29
30 31
Vgl. zu dem Geschlecht der von Gersdorff Johannes Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung.- Leipzig: Fleischer 1720, S. 390–400; zu dem Geschlecht der von Kreckwitz, S. 549– 562. Faber du Faur: Der ›Aristarchus‹ (Anm. 27), S. 576 f. Ebenda, S. 577 f.
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Verschiedenheit unter den Menschen ist eine unbestreitbare Gegebenheit. Und das gleichermaßen im Blick auf Geburt wie Begabung. Entscheidend ist das Vorbild jener, die sich nicht auf den ererbten Stand verlassen, sondern ihren Stand durch ihre Tätigkeit erwirken. Eine ständische Ordnung ist vorgegeben, und kein Humanist im alten Europa würde sich dazu verstehen, an dieser Tatsache zu rütteln. Aber dieser Ordo ist nicht eo ipso der Grund für Vorrechte und Privilegien, er will vielmehr aus der Ordnung der ›zweiten Natur‹ in eine des Geistes überführt werden. Erst wenn dies geschehen ist, erlangt die Einnahme des Platzes auf der ständischen Staffel ihre Legitimation in einem höheren Sinn als dem der bloßen Abkunft. Doch auch diese ganz aus dem Geist des Humanismus getroffene Feststellung bedarf noch der näheren Spezifizierung. Die Beschäftigung mit den Dingen des Geistes ist eine löbliche und ehrenwerte. An ihr Ziel aber gelangt sie alleine, wenn sie zur Selbsterkenntnis und zur Bestimmung des dem Menschen als Menschen Aufgetragenen führt. Und eben da hapert es bei den meisten. Opitz hält entsprechende Beispiele bereit. Die sind so gewählt, daß kein Zweifel darüber aufkommen kann, welche Schicht er im Auge hat, nämlich eben jene, der auch die beiden Adressaten angehören. Nur von Pferden und Hunden zu reden ist ebenso nichtig wie nur Waffen und Schwerter blitzen zu lassen. Ja, noch das Streben nach feinen Sitten und nach Lebensart verfällt der Kritik. Müßigen Beschäftigungen wird da nachgegangen, die ein Leben nicht eigentlich erfüllen können. Wird darin auch ein Gran Neid vernehmbar? Ganz falsch wäre es, das Vorgetragene strikt beim Wort zu nehmen. Der Sprecher schafft sich eine Folie, um auf das ihm – und seinem humanistischen Stand – Wesentliche zu kommen, und das kann nur in der Anknüpfung an das bereits Angeklungene und für einen Moment Zurückgenommene liegen. Genau in der Mitte der kleinen Verlautbarung kommt er zum Zentrum dessen, was zu sagen er sich vorgesetzt hat. Optime autem ii temporis sui calculum ponere mihi semper visi sunt, qui literarum cognitionem externae elegantiae dulci contubernio jungunt. Moderatur enim librorum amorem, ne infra sui generis authoritatem excrescat, polita illa et ad comitatem magis composita calliditas: quam vicissim literatae sapientiae dedita mens flectit et gubernat, ne, dum futilibus et fluxis rebus nimis est intenta, illud propter quod homines sumus, negligat et omittat.32
So hätte Opitz vor seinem Besuch in Beuthen nicht sprechen können. Der Kern der Botschaft Dornaus wird in zündende Formulierungen gefaßt. Ein modernes Bildungsideal gibt sich zu erkennen. Der gelehrte Humanismus erfährt eine Ergänzung, eine unerläßliche Zugabe, die der jüngsten geschichtlichen Erfahrung geschuldet ist. Eine Kontamination von substantieller Bildung und gepflegtem Auftreten, von eruditio und ––––––––– 32
So der lateinische Text in: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 60. Hier und im folgenden in der Übersetzung von Veronika Marschall: Am besten aber schienen mir immer diejenigen ihre Zeit einzuteilen, die die Erkenntnis der wissenschaftlichen Studien mit der Eleganz ihrer äußeren Erscheinung in einer angenehmen Kameradschaft verbinden. Denn, auf daß sie nicht unterhalb der Würde ihrer Herkunft Auswüchse zeitige, setzt der Liebe zu den Büchern jene gewandte und mehr zur Höflichkeit ausgerüstete Lebensklugheit die Schranken, die wiederum der der gelehrten Weisheit ergebene Geist beugt und lenkt, damit sie nicht, während sie sich mit eitlen und nichtigen Dingen allzusehr abgibt, jenes, weswegen wir Menschen sind, vernachlässige und verliere. (S. 61).
›Germania sacra‹
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elegantia tritt in das Blickfeld, die einer auf Integration in den Staat erpichten adligen Jugend ins Stammbuch geschrieben wird. Adelige Herkunft alleine reicht nicht mehr hin, weltabgewandtes Gelehrtentum, womöglich zum Pedantentum tendierend, jedoch ebenso wenig. Geistvolle Weltläufigkeit lautet die Formel, und diese birgt, richtig gehandhabt, kein Paradox, sondern ein in actu zu verwirklichendes mondänes Ideal. So gesehen rücken auch die Widmungsempfänger in die zweite Linie. Der eigentliche Adressat der knappen Einlassung ist kein anderer als Dornau selbst. Ihm wird bedeutet, daß sein zum Aufstieg sich rüstender Schüler die Botschaft seines Lehrers verstanden hat und sie inskünftig selbständig in Wort und Tat repräsentieren kann. Und die beiden Angesprochenen? Nun, man braucht gar nicht bis zum Ende gelesen zu haben, um zu wissen, daß sie selbstverständlich genau dieses von dem Sprecher skizzierte Ideal erfüllen. Vos cum politicam illam et civilem prudentiam ametis; literas etiam ac eruditionem non odistis: et quotiescunque à domesticis occupationibus respirare vobis datur, ad libellos vestros charissimos, tanquam portum curarum ac asylum, non illibenter confugitis.33
Die ›politische‹, die gesellschaftliche Klugheit lieben sie. Die ›prudentia politica‹ ist aufgestiegen in der Moderne, begleitet von der ›prudentia civilis‹. Ein Lipsius hat ihr das Wort geliehen und so auf andere Weise auch ein Dornau. Der Opitz in Beuthen ist angelangt auf der Höhe seiner Zeit. Ein Leben lang wird er dafür streiten, die Segnungen des Geistes den Anforderungen des Tages nicht zu opfern, sondern jene Balance zu leben, die das Vermächtnis des erneuerten Humanismus blieb, welches er so eindrucksvoll verkörpern sollte. Seine frühe Widmungsadresse an zwei Beuthener Adepten ist aus seinem geistigen und schriftstellerischen Haushalt schwerlich wegzudenken.
›Germania sacra‹ Eine textuelle Trias hat Opitz im Vorspann zu seinem Werk gezimmert. Ob sie auch kaschieren sollte, daß kein Beiträger sich eigens zu einem freundschaftlichen Begleitgruß eingefunden hatte? Der ›Aristarchus‹ ist eines der ganz wenigen selbständigen Stücke Opitzens, dem eine solche Beigabe fehlt. Daran weitergehende Spekulationen zu knüpfen, ist müßig. Und das um so mehr, als reichlich gehaltvolle textuelle Materie vorhanden ist, mit der Opitz den Eingang zu seinem programmatischen Erstling hat ausstatten können. ›Ad Germaniam‹, wie er seine zwölf elegischen Distichen tituliert hat, beschließt den kleinen Kranz eindrucksvoll. Eine zweite Adressatin tritt hervor, eine uneigentliche und zugleich eine einzigartige. Ganz ausdrücklich wird ihr zugeeignet, was da im folgenden verlautet. Und das ist ganz auf eben diese Empfängerin gemünzt, gehört ihr im eigentlichen Sinn selbst ––––––––– 33
Ebenda. Die deutsche Übersetzung: Ihr haßt, während ihr jene politische und gesellschaftliche Klugheit liebt, auch die Wissenschaft und die Bildung nicht. Und wie oft auch immer es Euch gegeben ist, Euch von den Beschäftigungen in bezug auf Eure Güter zu erholen, flüchtet ihr Euch mit größter Freude zu den Euch so teuren Büchern wie in einen Hafen und Zufluchtsort vor den Sorgen. (Ebenda).
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zu. ›Teutonia terra‹ ist im Blickfeld. Die existiert in der Tat nur in jenen Umrissen, die der Natur geschuldet sind; als ein politischer Körper ist ›Teutonia‹ nicht gegenwärtig. Wohl aber umschlingt ›Teutonia‹ ein einigendes Band, und das ist ihre Sprache. Auch ein Opitz wie ein jeder Humanist ermutigt zum Gebrauch des Begriffs ›alter deutscher Sprachraum‹. Er ist uns teuer, weil politisch unverdächtig und den tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt. Zur Verteidigung der deutschen Sprache schwingt der Dichter sich auf. Das ist etwas anderes als von heldenhaften Taten und mannhaftem Sinn zu künden. Solch ein Tun mag berechtigt sein und immer wieder Fürsprecher finden, kann deutsche Tugend doch niemals ganz versiegen. Der hier aber das Wort Ergreifende hat Anderes und Höheres im Sinn. Ausdrücklich wendet er sich an die Mutter, die ›sancta parens‹, und die hat andere Gaben zu vergeben als jene, die sich im mannhaften Reckentum kundtun. Von glühender Liebe zu ihr ist der Sprecher erfüllt. Mögen seine Gaben, die er ihr darbringt, gering sein; das, wovon sie künden, ist erfüllt von Glanz. Und der Dichter weiß sich des Vorzugs gewürdigt, an ihm teilzuhaben. Es ist die Sprache, die die heilige Mutter hütet, und mit deren Schönheiten ihn – den Geringen – das Schicksal (sors) gesegnet hat. Die Sprache – und des näheren die deutsche – ist, überführt in die Schrift, das Medium von Ruhm und damit von Nachleben. Alles, was den Sterblichen eigen ist, steht unter dem Gesetz der Vergänglichkeit und ist damit dem Vergessen überantwortet. Nur die Schrift, nur das Werk überdauert, und eben an beides knüpft sich der Ruhm, der als solcher befreit ist vom Makel der Eitelkeit wie des Hochmuts. Noch die Taten der Edelsten sind angewiesen auf die des Wortes Mächtigen, sind sie doch die Stifter jedweden überdauernden Ruhms. »Es leben durch Gesänge die Könige und die Triumphe der Könige« – »Vivunt carminibus reges, regumque triumphi«. Und dann der Clou. Auch sie, die große Mutter, lebt, indem sie gefeiert wird durch das Wort der Dichter. Die ihr gewidmeten Verse aber sind nicht erpicht auf Ruhm; sie entspringen der ›pietas‹, wie sie der ›sancta parens‹ gebührt. Das alles ist jedenfalls humanistisches Gemeingut. Aber damit ist noch nichts gesagt über die Funktion, die dem Verlauteten eben jetzt in der Stunde des Sprechers zukommt. Der nämlich schickt sich an, ein Werk zu inaugurieren, das Deutschland, das ›Germania‹ unmittelbar zugute kommt. Es ist ein auf die Sprache gerichtetes und als solches ein alle Mitglieder der einen Sprachgemeinschaft betreffendes und damit jedwedem Separatismus entzogenes. Indem der Dichter sich rüstet, einen Lobpreis auf die deutsche Sprache anzustimmen, leistet er ein einigendes und im weiteren ein befriedendes Werk. Trennendes rückt in das zweite Glied, da von der einen Sprache überwölbt. Derartiges hat im Zeitalter des Konfessionalismus immer auch eine religionspolitische Bedeutung. Wichtiger aber ist in Übereinstimmung mit dem Humanismus der virtuelle nationale Impetus. Auf Einheit der Deutschen zielt die linguistische Intervention. ›Germania‹ als politischer Körper ist im Visier. Wer einen derart mächtigen Vorwurf als Redner und Dichter sich erwählt, der rückt unversehens selbst zu einer Gründerfigur auf. Ihm ist es gegeben, die dem Vaterland, die der ›Germania‹ zuträglichen Worte zu finden. Er steht am Eingang eines neuen Zeitalters. Und auf nichts Geringeres läuft die Opitzsche Reform der Dichtung, so wie sie ihm vorschwebte, ja tatsäch-
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lich heraus. Er war von Beginn an stets der beste Anwalt seiner selbst und damit seines Werkes.
Das edle Volk der Germanen Opitz verbleibt in humanistischen Gleisen. Und das impliziert, nach ›Germania‹ nun auch dem Volk der Germanen selbst zu huldigen und diesem Tribut zu zollen. Das ist schlichtweg obligatorisch seit der Wiederentdeckung des entsprechenden Textes von Tacitus, der sofort Furore unter den Humanisten machte. Endlich hatte man einen Text zur Hand, der ausgestattet war mit der Würde der Alten, der es den auf Wetteifer bedachten Humanisten gestattete, dem Romkult der Italiener mit einem der Germanen zu begegnen. Ursprungsmythen entscheiden über die Projekte der Gegenwart. Es bedurfte der Anknüpfungen, um das Aktuelle mit dem Nimbus des immer schon Verbürgten zu umgeben. Legitimation zählte doppelt in einem Zeitalter, in dem es um einen beständigen Kulturtransfer ging. Nur wer ausgestattet war mit Kronzeugen einer im Mythischen sich verlierenden Vergangenheit war gerüstet zum Wettkampf um die kulturellen wie die literarischen Trophäen. Ein jeder Humanist wußte darum, und so auch ein Opitz.34 Ein heldenmütiges Volk hat da in der fernen Vergangenheit gesiedelt, erfüllt von der Liebe für die Freiheit des Vaterlandes und eingegangen in die Geschichte als ein Bollwerk gegen die Römer und schließlich als deren Überwinder. Ein Exempel statuierten die Germanen in der Art wie Tugend und Sittenreinheit, Achtung vor Recht und Gesetz ein Bündnis eingingen mit Tapferkeit und Siegeswillen, wenn es denn um die Behauptung des Vaterlandes ging. Und dann ihre Sprache! Auf sie zielt letztlich alles ab. Wir vernehmen die rauschenden Akkorde, die sich auch in der deutschen Übersetzung noch mitteilen: Accedebat ad vitae ac gestorum gravitatem lingua factis non dispar: succulenta illa et propriae cujusdam majestatis plenissima. Hac excelsae suae mentis sensa libere et nullo ambitu explicabant, hac ad arma se invicem hortabantur, hac saepe sola inimicorum minas quasi fulmine quodam evertebant. Eam tam generosam, tam nobilem ac patriam suam spirantem linguam, per ita prolixam tot seculorum seriem, puram nobis et ab omni externa illuvie mundam tradiderunt. Et confirmare ausim, nullam reliquarum linguarum, fatalem suam periodum, quam in omnibus humanis rebus experimur, per tantum tempus – vires ultra sortemque senectae produxisse.35
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Vgl. aus der reichen Literatur etwa: Jacques Ridé: L’image du Germain dans la pensée et la littérature allemandes de la redécouverte de Tacite à la fin du XVIème siècle (Contribution à l’étude de la genèse d’un mythe). Band I–III.- Thèse l’université de Paris IV, Lille: Université de Lille III; Paris: Champion 1977; Ludwig Krapf: Germanenmythus und Reichsideologie. Frühhumanistische Rezeptionsweisen der taciteischen ›Germania‹.- Tübingen: Niemeyer 1979 (Studien zur deutschen Literatur; 59). Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 64, 66. Die deutsche Version: Zu dem Ernst ihrer Lebens- und Handlungsweise gesellte sich eine Sprache, die ihren Taten gleich voller Kraft und eigentümlicher Hoheit war. In ihr drückten sie ihre erhabenen Gesinnungen frei und ohne Umschweif aus, durch sie feuerten sie sich gegenseitig zum Kampfe an, durch sie allein machten sie oft, wie durch einen Blitzstrahl, die Drohungen ihrer Feinde zunichte. Diese edle, vornehme Spra-
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Somit ist rasch ein erster Höhepunkt erreicht. Unter Verzicht auf jedwede historische Spezifizierung wird ein Fixpunkt in einer fernen Vergangenheit statuiert, ausgezeichnet mit der Kraft, Impulse zu generieren, die bis in die Gegenwart hinein vernehmbar bleiben. So war es bei den Römern auf italischem Boden und so soll es nach dem Willen des Redners auch auf deutschem Boden sein. Um verbindliche Ziele zu markieren, Aufforderungen zu formulieren, mit Programm und Konzept an die gegenwärtigen Geschlechter herantreten zu können, muß sichergestellt sein, daß nicht Neues, sondern Uraltes und somit Unverbrüchliches eingefordert wird. Kein kundiger Hörer oder Leser wird sich an die faktische Verifizierung des Vernommenen machen, ein jeder aber wissen, daß ein unverzichtbares, ja ein existentielles Gut mit den Weihen des immer schon Verbürgten umgeben wird. Manöver dieser Art sind nur erlaubt, wenn es um die letzten Dinge geht. So in der Religion und so – unter den Humanisten – im Medium von Sprache und Kultur. Die deutsche Sprache hat einen ursprünglichen Kern. Er ist in jeder in der deutschen Sprache verlautenden Äußerung gegenwärtig. Und wenn er zeitweilig verschüttet gewesen sein mochte, so ist seine Wiederentdeckung geboten. Innovation zählt gerade nicht. Und dabei ist es gleichgültig, ob sich denn ein empirischer Beweis für eine derartige Behauptung antreten läßt. Entscheidend bleibt, daß das anvisierte Ziel überzeugend dargetan zu werden vermag und es werbende Kraft zu entfalten imstande ist. Die Sprache der Germanen ist ein unerschöpflicher Generator geblieben. Jetzt in der Gegenwart gilt es, ein Reformvorhaben auf dem Gebiet der Dichtung auf den Weg zu bringen, und das, was neu und zugleich uralt an ihm ist, liegt allein auf der Ebene der Sprache beschlossen. Ist diese linguistische Fundamentierung gelungen, braucht für den poetischen Transfer keine Sorge gehegt zu werden. Eben deshalb die Extrapolation auf dem vorgängigen Terrain der Sprache. Sie nötigt den Sprecher sprachhistorisch wie sprachpolitisch zu kühnen Verlautbarungen, wie sich nun zeigt.
Wanderung und Schicksal von Sprachen Rein und unbefleckt habe sich die germanische – und wie wir nun substituieren dürfen: die deutsche Sprache – über die Zeiten hinweg durchgehalten, so hatte der Sprecher ausgeführt. Das sei keinem anderen der konkurrierenden Idiome gelungen. Derartiges mag plausibel sein hinsichtlich des Griechischen, mit dessen Erwähnung Opitz einsetzt. Aufgrund der Barbarei anderer Völker, so sein Statement, sei das Griechische verderbt und entartet; kaum wiederzuerkennen sei es in der Gegenwart. Aber ist das nicht nur die eine Seite der Medaille? Kein Wort verlautet über die grandiose Wiedererweckung der griechischen Sprache zumal im Florenz des Quattrocento, verbunden mit der Rückführung eines unerschöpflichen Arsenals an Wissen und Weisheit. Dieser Opitz selbstverständlich gegenwärtige Sachverhalt paßt nicht in seine Argumenta––––––––– che, die den Geist ihres Volkes atmet, haben sie uns lauter und rein, frei von jeder fremden Befleckung, lange Jahrhunderte hindurch bewahrt, und ich möchte zu behaupten wagen, daß keine Sprache die Zeit, welche ihr, wie allem Irdischen, nach unserer Erfahrung das Schicksal gesetzt hat, so weit über die Kräfte und das Los des Alters hinaus ausgedehnt hat. (S. 65, 67).
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tion und kann deshalb entfallen. Stets ist die in actu verfolgte rednerische Strategie im Auge zu behalten. Und so vor allem im Blick auf den abenteuerlichen Passus, den er dem Schicksal des Lateinischen hat angedeihen lassen. Wir rekapitulieren in gebotenen Kürze und knüpfen wie immer unsere Erwägungen daran. Nur eine Glanzzeit hat das Lateinische erlebt, und die erstreckte sich unter der Regierung von Kaiser Augustus. Es war eben jene, da auch die klassische römische Literatur erblühte, Richtmaß für alle Zeit. Schon unter den Nachfolgern setzte der Verfall ein, und das aus angebbaren und sehr bemerkenswerten Gründen. Die Herrscher, ein Claudius, ein Nero, ein Domitian, waren korrupt und verderbt, ja ›verbrecherische Ungeheuer in Menschengestalt‹, wie Opitz sich nicht scheut zu verkünden (monstris hominum ac sceleribus). Sie rissen die Sprache mit in das Verderben hinein. Diese überall im Umkreis des Humanismus verlautende These ist nur allzu deutlich durchsetzt mit aktuellem Timbre. Sprache, Dichtung, Kultur gedeihen nur unter weiser und vorbildlicher Herrschaft. Ein jeder Fürst hat gleichermaßen die Verantwortung für die politischen wie die geistigen Güter. Unaufhörlich hat auch ein Opitz diese Botschaft verkündet, sie blieb ein Essential für einen jeden standesbewußten Humanisten, und auch der ›Aristarchus‹ legt davon Zeugnis ab. Doch nun zu der anderen und gleich wichtigen, ja geradezu förmlich sich aufdrängenden Frage. Hat die lateinische Sprache einen stetigen Niedergang erleiden müssen, wie steht es dann um ihre Wiederbelebung in der jüngsten Vergangenheit? In Italien hob sie an und erstreckte sich alsbald über ganz Europa. Auch hier weicht Opitz aus, und das ist erklärlich und symptomatisch. Er kapriziert sich auf eine bestimmte Verunstaltung des Lateins, wie er sie gerade auch in der Gegenwart beobachtet. Der entsprechende Passus ist nur allzu beredt: Iam quilibet nostrum singularem loquendi ideam aut proponit sibi ipse, aut fingit. Vtut loquamur, dummodo non sileamus, perinde est. Salustius antiquum nomen audit, et Criticis curiosissimis mortalium relinquendus. Cicero, praeclarus ille quidem Orator, sed qui perpetuo hoc laborat vitio, quod intellegi non erubescat. Quae calamitas ac invidia Ovidium etiam, poëtarum omnium longè ingeniosissimum, deprehendit. Petronius vero, Tacitus, Curtius, Symmachus ac reliquus ille priscorum ordo Lunae regna sunt, in quae, praeter Endymionem, quem altera demum luce rediisse perhibent, nemo hactenus vivorum nisi somniando pervenit. Haec censura universae classicorum cohorti intentatur. Novorum interea quorundam, et terrae filiorum inusitatam ac portentosam dicendi rationem, miro judiciorum applausu, colimus et amplectimur. Sic elegantissimam illam Venerem Romanam et fraudamus decore nativo, et spurio fuco corrumpimus.36
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Ebenda, S. 68. Der deutsche Text: Ein jeder von uns richtet sich heute nach einem besonderen Begriff von der Sprache oder macht sich gar selbst einen zurecht. Wie wir sprechen, ist gleichgültig, wenn wir nur nicht schweigen. Sallust steht in dem Rufe eines Altertümlers und wird den Kritikern, den Wißbegierigsten der Sterblichen, überlassen. Cicero ist zwar ein trefflicher Redner, er leidet aber beständig an dem Fehler, daß er ohne Scheu verständlich schreibt. Derselbe schlimme Vorwurf trifft auch Ovid, den weitaus begabtesten aller Dichter. Petronius vollends, Tacitus, Curtius, Symmachus und die übrige Schar der Alten gehören ins Reich der Luna, und dort ist außer dem Endymion, welcher erst am zweiten Tag zurückgekehrt sein soll, bis jetzt noch kein Lebender außer im Traume eingedrungen. Während dieser Maßstab an die ganze Schar der Klassiker angelegt wird, üben wir uns unter dem wunderlichen Beifall der Kunstrichter in jener weit hergeholten, monströsen Redeweise einiger von den neuen Staubgeborenen und übernehmen sie als unsere ei-
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Klassizismus Man erkennt sogleich, worum es geht. Ein eindrucksvolles, um nicht zu sagen ein grandioses Bekenntnis zur Klassik in Sprache, Dichtung und Philosophie vernehmen wir. Wie lateinisch zu sprechen und zu dichten sei, ist allemal in der antiken Blütezeit demonstriert, ja geradezu kodifiziert worden. Reinheit (puritas) und Koinzidenz von Thema und Ausdruck (also das aptum), ist durchgängig beobachtet. In der Gegenwart aber hat die Sucht der Abweichung, der Überbietung, der Manieriertheit Platz gegriffen, und der ist kompromißlos zu widerstreiten. Kein Wort verlautet über die großartige lateinische Rede in Prosa und Vers auf den Fundamenten der augusteischen Klassik, wie sie die Wiedergeburt des Lateinischen seit der Frührenaissance gezeitigt hat. Opitz muß bei der Dingfestmachung der Ab- und Irrwege bleiben, um den Neuanfang, um den es ihm geht, auf allen linguistischen Ebenen überzeugend vollziehen zu können. Was ihm für das Deutschen vorschwebt, ist im Lateinischen überall dort, wo den Klassikern nachgefolgt wurde, eindrucksvolle Gegenwart. Eben das soll im Lateinischen so bleiben und im Deutschen nun ins Werk gesetzt werden. Anstatt aber das Lateinische nun in der wiederauferstandenen Ciceronischen Version zum Vorbild zu erheben, wird die Verunzierung der in die Jahre gekommenen Latinität apostrophiert, um den Schwenk zum Klassizismus um so wirkungsvoller vollziehen zu können, wie er dem Reformator des Deutschen vorbehalten bleiben soll. Klar aber ist, daß jedwedem Manierismus und falschem Modernismus in Hinsicht auf eine jede sprachliche Verlautbarung eine kompromißlose Abfuhr erteilt wird. Opitz und die von ihm propagierte Reform der Dichtung ruhen auf den Fundamenten der antiken Klassik und ihrer proklamierten Revitalisierung in der Moderne. Als antimanieristischer – oder wenn man denn die berühmte Formel Richard Alewyns aufgreifen will – als vorbarocker Klassizist ist er zutreffend charakterisiert, und auch sein ›Aristarchus‹ bietet dafür einen trefflichen Beweis.
Linguistische Misere auf deutschem Boden Und die anderen, vor allem die gegenwärtigen Sprachen? Opitz ist klug genug, sich einer näheren Einlassung zu enthalten. Er steuert entschieden auf das Deutsche zu. Und da wiederholt sich nun das Manöver. Kritik, harsche Kritik ist fällig. Die Deutschen haben von den Germanen das edle Gefäß der deutschen Sprache »bis auf den heutigen Tag unvermischt und unverfälscht« entgegennehmen dürfen. Nun aber entblöden sie sich nicht, diese zu verunstalten, und nur wenige sind es, die dagegen Kurs halten. Das Erzübel, ein ganzes langes 17. Jahrhundert immer wieder gebrandmarkt, ist die ›Sprachmengerei‹, wie es mit einem Begriff der Zeit heißt. Auch hier mangelt es Opitz nicht an zündenden Formulierungen, die Wirkung zeitigten und in den sog. ›Sprachgesellschaften‹, auch aber und vor allem in der Pastorale immer wieder auftauchen. ––––––––– gene. So bringen wir die feine römische Schönheit um ihren angeborenen Schmuck und verderben sie durch trügerische Schminke. (S. 69).
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Exteras regiones periculoso ac incredibili labore, neque sumptibus exiguis peragramus; et impense hoc agimus, ne similes patriae ac nobis videamur. Sic dum effrenata quadam cupidine peregrinum idioma addiscimus, negligimus nostrum ac in contemptum adducimus. [...] Ego tamen, non ut utilissima peregrinandi consuetudo intermittatur suadeo: sed ut desideratissimae patriae nostrae dignitas salubri auxilio conservetur. Sedulo hoc agamus, ut qui à Gallis ac Italis humanitatem mutuamur et elegantiam: non minus ab ipsis et linguam nostram, quod certatim eos facere in sua animadvertimus, perpolire accurate et exornare addiscamus.37
Versteht man, warum Opitz auf eine Exkursion in die Nachbarländer verzichtete? Er hätte wenig Kritisches anzuführen gehabt, wohl aber Lobens- und Nachahmenswertes, wie an dieser Stelle geschehen. Insbesondere die Romanen sind nicht nur Vorbilder in höfischer Etikette und Manier, an denen dem Kreis um Dornau so sehr gelegen war, sie sind auch Vorbilder im Umgang mit ihrer Sprache. Ehrfurcht vor der Sprache gebietet die Vermeidung von Fremdwörtern, wo und soweit immer angängig. Sprechende Beispiele aus der Antike hält der Redner bereit, um diesen Grundsatz zu befestigen. In Rom verbot man im öffentlichen Raum den Gebrauch des Griechischen. Die Benutzung der heimischen Sprache war ein patriotischer Akt, bezeugte Stolz auf das Vaterland, ja war geradezu Indikator für die Intaktheit der öffentlichen Ordnung und ihrer Institutionen. Keine Reflexion über die Sprache im Umkreis des Humanismus, die diesen politischen Horizont nicht eröffnete. Die Redekunst war eine öffentlich verbürgte, und ihre Gediegenheit wie ihre Unantastbarkeit das Siegel auf ein funktionierendes, ein vorbildliches Gemeinwesen. Überzeugungen dieser Art stehen auch hinter den Äußerungen Opitzens, die nichts gemein haben mit späterer bornierter völkischer Sprachpolitik. Ein letztes Mal also zurück zu den Deutschen und den bei ihnen vorwaltenden Umgang mit der Sprache. Nunc pudet patriae; et saepe hoc agimus, ne nihil minus quam Teutonicum idioma callere videamur. [...] Contemnimus itaque nos ipsi, et contemnimur. Interim purissima et â peregrino squalore libera hactenus lingua mutat, et in miras loquendi formulas degenerat. Monstra vocabulorum et carcinomata irrepunt occulte, ad quae genuinus aliquis Germanus quandoque vix indignationem, quandoque nauseam vix tenet. Dicas in sentinam durare hanc linguam, ad quam reliquarum sordes torrente promiscuo deferantur. Nulla ferme periodus est, nulla interpunctio, quae non ascititium quid redoleat. Jam à Latinis, jam Gallis, Hispanis etiam ac Italis mutuamur, quod domi nascitur longe elegantius.38
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Ebenda, S. 70. Der vorangestellte kurze Textausschnitt ebenda, S. 69. Der deutsche Text: Mit unglaublichen, gefahrvollen Mühen und mit nicht geringen Kosten durchwandern wir fremde Länder und streben eifrig danach, unser Vaterland und unser Wesen unkenntlich zu machen. Indem wir mit ungezügelter Gier eine fremde Sprache erlernen, vernachlässigen wir die eigene und machen sie verächtlich. [...] Doch will ich damit nicht geraten haben, die nützliche Gewohnheit des Reisens aufzugeben – nein, es geht nur darum, das Ansehen unseres geliebten Vaterlandes durch heilsame Hilfe zu erhalten. Wir wollen eifrig dafür sorgen, daß wir von den Franzosen und Italienern, von denen wir Bildung und feine Sitten entlehnen, auch erlernen, unsere Sprache mit Sorgfalt auszubilden und zu schmücken, ganz so, wie jene es offensichtlich mit der ihrigen tun. (S. 71). Ebenda, S. 70, 72. In der deutschen Version: Wir schämen uns jetzt unseres Vaterlandes und bemühen uns gar so zu tun, als verständen wir die deutsche Sprache schlechter als jede andere. [...] So verachten wir uns selbst und werden verachtet. Indessen verändert sich die reine und bisher von fremder Befleckung unberührte Sprache und entartet zu wunderlichen Redeweisen. Wortun-
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Opitz hat jede Menge Beispiele bereit, um seine Zeitklage zu untermauern. Auch den Lehrer Dornau bemüht er, »mein günstiger Gönner und die Zierde unseres Deutschland« – »vir literatissimus, et Germaniae nostrae singulare ornamentum«, wie es vielsagend heißt. In der Tat war die Kritik am Sprachverhalten der Deutschen verbreitet und keineswegs eine Besonderheit Opitzens. Die Kritik am höfischen Wesen, wie sie vor allem in der sog. ›à-la-mode‹-Bewegung in Umlauf war, lebte gerade auch vom Aufspießen sprachlicher Entgleisungen. Eine ganze Gattung komischer Literatur bis hin zum ›berger extravagant‹ Sorels und Gryphius’ konnte sich nicht genug darin tun, abgefeimte und lächerliche ›Sprachmenger‹ vorzuführen. Ganz falsch aber wäre es, aus den Bemerkungen, wie sie sich nun auch ein Opitz zu eigen macht, eine auf aktuelle Verhältnisse gemünzte kulturkritische Note heraushören zu wollen. Der Kulturpolitiker hat nicht relevante Mißstände im Blick, er bedient sich kursierender Bilder und Argumente, um das Podest für seinen Auftritt als Reformator der deutschen Sprache und Dichtung zu zimmern. Eben dieses zentrale Anliegen tritt nun nach den obligatorischen Prolegomena in den Mittelpunkt. Damit gelangen wir zu Opitz als dem programmatischen Kopf einer allfälligen Initiative von in der Tat weitestem Ausmaß.
›Amadis‹ statt ›Bienenkorb‹ Verschwunden ist die Beiziehung der Germanen. Statt dessen steigt Opitz sehr aktuell ein und zog sich damit sogleich einen Tadel zu, der tatsächlich zu einer – gewiß nur widerwillig akzeptierten – Textkorrektur führte. Der Literaturstratege muß dartun, daß die Deutschen der weiter fortgeschrittenen Italiener, Spanier oder Franzosen nicht bedürfen, um poetisch auf die rechte Bahn zu gelangen. Diese Behauptung kann Überzeugungskraft aber nur gewinnen, wenn aktuelle Beispiele verfügbar sind; die Germanen können hier nicht eigentlich weiterhelfen. Opitz hat in der Tat ein triftiges Paradigma zur Hand, und er sorgt, wie so häufig, zugleich für eine Überraschung, die eine gehörige Reaktion herausforderte. Wir stehen, wie nicht eben häufig im 17. Jahrhundert, an der Schwelle einer instruktiven literaturpolitischen Rochade. Ingenium certe verborum nostrorum et tractus sententiarum ita decens est, ita felix: ut neque Hispanorum majestati, neque Italorum decentiae, neque Gallorum venustae volubilitati concedere debeat. Cujus rei unicam Amadaei historiam, in nostrum idioma conversam, optimae fidei testem arcessere possumus. Quem quidem librum, quod quidam ita atroci stylo et indignanti pungunt ac confodiunt, causam profecto non habent. Nihil sane est in tam festivo opere, quod non et ad morum comitatem praecepta ingerat, et honesta suavitate conditum vim quasi asperioribus naturis faciat, ac nil tale cogitantes expugnet. Delitiarum omnium pyxidem dixerim, myrothecium Gratiarum, curarum medelam, lenam morum: absque quo nec ipsa Venus satis venusta. Verba singula majestatem spirant singularem ac elegantiam, et sensus nostros non ducunt, sed rapiunt. Adeo inusitata facilitas, gratia inexhausta ac lepos ita lectorem detinet, ut quo magis eadem repetat, eo mi-
––––––––– getüme und Krebsgeschwüre schleichen sich ein, bei denen ein ehrlicher Deutscher bald eine Entrüstung oder seinen Ekel nicht mehr zurückhalten kann. Man kann sagen, diese Sprache wird zur Kloake, in die sich wahllos aller Unflat ergießt. Es gibt beinahe keinen Abschnitt, keinen einzelnen Satz, an welchem nicht eine fremde Zutat zu spüren ist. Einmal entlehnen wir von den Römern, dann wieder von den Franzosen und sogar von den Spaniern und Italienern, was unser heimischer Boden viel besser hervorbringt. (S. 71, 73).
›Amadis‹ statt ›Bienenkorb‹
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nus fastidium relectionis ullum sentire sibi videatur. Quae omnia et pellicere nos ad se, et invitare ad excogitanda plura paris elegantiae ac festivitatis debent.39
Nur selten kommt es vor, daß wir zeitgenössische Reaktionen auf ein jüngst erschienenes Werk lesen können. Opitz beschert uns die Freude. Und wieder beweist er das richtige Gespür. In Europa war im 16. Jahrhundert ein Roman in Umlauf, der Furore machte wie kein anderer. Ursprünglich auf der iberischen Halbinsel beheimatet, dieser wichtigsten Agentur frühneuzeitlicher Romanliteratur jeder Spielart, eroberte er rasch die literarischen Zentren und zumal die Höfe Europas. Deutschland beteiligte sich seit den späten sechziger Jahren lebhaft an dem Boom, wie er bezeichnenderweise vor allem von Frankreich herüberschwappte. Noch im 16. Jahrhundert waren alle vierundzwanzig Bücher des Amadis-Romans eingedeutscht, und auch ein Konzentrat, eine ›Schatzkammer‹, war verfügbar. Die Verleger in Frankfurt am Main und Mömpelgard konnten gar nicht schnell genug mit Nachdrucken den unersättlichen Lesehunger befriedigen.40 Dieses grandiose romaneske Serienwerk also hat Opitz vor Augen und preist es in höchsten Tönen. Deutschland hatte sich als ebenbürtig mit den Nachbarn erwiesen und die Tauglichkeit der deutschen Sprache für anspruchsvolle Übersetzungen unter Beweis gestellt. Und natürlich reizte den Kulturpolitiker zudem die vornehmliche Verbreitung in eben jenem sozialen Milieu, welches auch er im Auge hatte: den Adel und die diversen Chargen bei Hofe. Noch im 16. Jahrhunderts war über die weiter fortgeschrittenen Romanen der literarische Brückenschlag herüber zu den oberen Ständen getan. Opitz sollte sich alsbald zum Propagator eben dieser Umpolung der Literatur in ––––––––– 39
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Der lateinische Text in der von Opitz an zwei Stellen korrigierten Version in: Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner.- Stuttgart 1970 (Sammlung Metzler; 88), S. [81]. Der deutsche Text in: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 75 und 77, mit einem Eingriff des Verfassers: Der Geist unserer Worte und der Fluß unserer Sätze ist so angemessen und so glücklich, daß sie weder der gemessenen Würde des Spaniers noch der Feinheit des Italieners noch der Zierlichkeit und Zungenfertigkeit des Franzosen zu weichen brauchen. Ein schlagender Beweis ist die ganz einzigartige deutsche Übersetzung 〈der ›Historien des Amadis‹〉. Man hat gar keinen Grund, dieses Buch so hart und erbittert anzugreifen und zu verurteilen, wie das manche tun. Überall in diesem artigen Werke sind Lehren 〈zur Leutseligkeit im Verhalten〉 enthalten, und da es mit einer ehrbaren Anmut geschrieben ist, tut es härteren Naturen gleichsam Gewalt an und nimmt Leute für sich ein, die sonst gar nicht an solche Dinge denken. Ich möchte es ein Gefäß aller Lieblichkeit nennen, ein Salbendöschen der Grazien, ein Mittel zur Vertreibung der Sorgen, eine Verführerin zu feinen Sitten, und ohne das alles ist ja die Göttin der Schönheit selbst nicht schön genug. Jedes einzelne Wort atmet eine besondere Würde und Feinheit und nimmt unsere Sinne nicht langsam ein, sondern erobert sie im Sturm. So sehr fesselt den Leser die ungewöhnliche Leichtigkeit, die unerschöpfliche Anmut und Liebenswürdigkeit, daß er nie, sooft er es auch wieder liest, Abneigung dagegen empfindet. Das alles muß uns anziehen und auch dazu einladen, noch mehr von gleicher Anmut und Artigkeit zu ersinnen. Zur Amadis-Rezeption grundlegend: Hilkert Weddige: Die ›Historien vom Amadis auss Franckreich‹. Dokumentarische Grundlegung zur Entstehung und Rezeption.- Wiesbaden: Steiner 1975 (Beiträge zur Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts; 2). Vgl. auch den Eintrag ›Amadis‹ von Weddige in: Die Deutsche Literatur. Biographisches und bibliographisches Lexikon. Reihe II: Die Deutsche Literatur zwischen 1450 und 1620. Hrsg. von Hans-Gert Roloff. Redaktion: Jörg Jungmayr. Abteilung A: Autorenlexikon. Band II: Lieferung 1 bis 5.- Bern etc.: Peter Lang 1991; Lieferung 6 bis 10.- Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2001, S. 391–418.
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Deutschland machen. Hier im ›Aristarchus‹ greifen wir ein erstes Zeugnis dieses genialen Visionärs, wenn es denn um die soziale Liftung der Literatur geht. Doch ihm wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht, ausgerechnet durch seinen tief verehrten Lehrer Caspar Dornau. Nicht ausgeschlossen, daß auch dieser nicht ganz frei war in seinem Handlungsspielraum, sondern eine Direktive des Freiherrn zu befolgen hatte. Eine Ungeheuerlichkeit hatte statt. Der Name eines Werkes mußte aus dem Verkehr gezogen und durch den eines anderen ersetzt werden. Der ›Amadis‹ hatte von Sittenwächtern – wie sie allemal zur Stelle waren, wenn es um Amatoria ging – lebhafte Kritik auf sich gezogen, wie ja auch von Opitz angedeutet. Das mochte dem Freiherrn zu Ohren gekommen sein, und der verstand keinen Spaß, wenn es um Sitte und Glauben ging. Was auch immer im einzelnen sich zugetragen haben mag, Fazit ist, daß der Ritter- und Liebesroman ›Amadis‹ durch einen aus Holland herrührenden Titel ersetzt wurde.41 Das war kurios genug. 1569 hatte Philips van Marnix van St. Aldegonde, einer der führenden niederländischen Calvinisten und Kämpfer gegen die spanische Vormacht, ein Werk mit dem Titel ›De Biënkorf der H. Roomsche Kercke‹ (Der Bienenkorb der Heiligen Römischen Kirche) veröffentlicht. Es gehörte hinein in die lebhafte antikatholische Publizistik auf niederländischem Boden, wie sie alsbald auch im Südwesten Deutschlands vernehmbar werden sollte. Wir werden davon hören. Zehn Jahre später war der ›Bienenkorb‹ von Johann Fischart ins Deutsche übersetzt und zugleich in seiner satirischen Tendenz um grandiose Einlagen bereichert worden. Nun mochte das im fernen Beuthen Gefallen finden, war aber natürlich nicht ungefährlich, denn ängstlich war der Freiherr doch darauf bedacht, sein Gymnasium vor konfessionellen Auseinandersetzungen zu bewahren.42 Opitz aber mußte den Eingriff als eine Gefährdung seines Werkes begreifen. Der gesamte Kontext, den wir zitierten, war auf den ›Amadis‹-Roman gemünzt und ergab schlechterdings keinerlei Sinn in bezug auf Marnix oder Fischart. Die Zensoren hatten versucht, den Schaden durch Ersatz der ›morum comitatem praecepta‹ in ›fidei testem‹ einzugrenzen, die Operation blieb jedoch vergeblich. Ein glücklicher Umstand hat es gefügt, daß sich ein Handexemplar von Opitz erhalten hat, in dem die Korrekturen rückgängig gemacht worden sind.43 In der ersten Ausgabe seiner Gedichte, die sein Freund Zincgref veranstaltete und von der wir hören werden, ist der kaum verständliche Eingriff gleichfalls beseitigt und der originäre Wortlaut wieder hergestellt. Wir werden auf unserer Wanderung, die bereits länger währt als vorausgesehen, Opitz mit seinen Heidelberger Freunden als einen vehementen Publizisten im Stile ––––––––– 41
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Zum Texteingriff im ›Aristarchus‹ an der erwähnten Stelle vgl. Ernst Höpfner: Amadis, nicht Bienenkorb.- In: Zeitschrift für deutsche Philologie 8 (1877), S. 474–477. Zu Marnix vgl. zur ersten Information den ausführlichen Eintrag von Theodor Schott und S.D. van Been in der (großartigen) von Albert Hauck herausgegebenen: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3. Aufl. XII (1903), S. 347–355. Im Nachfolgewerk der Nachkriegszeit, der ›Theologischen Realenzyklopädie‹, ist der Name von Marnix verschwunden. Dagegen hat sich in allen vier Auflagen von ›Die Religion in Geschichte und Gegenwart‹ der Marnix-Eintrag erhalten. Zu Fischart vgl. den Eintrag mit der Literatur von Ulrich Seelbach in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon II (2012), Sp. 358–383. Vgl. oben Anm. 39.
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Fischarts kennenlernen. Insofern bleibt es eine von tiefer Ironie umspielte literarische Delikatesse, daß Opitz ausgerechnet jener konfessionelle und existentielle Bezug, der alsbald entscheidend für ihn werden sollte, von seinen Beuthener Gönnern gegen seinen Willen aufgezwungen wurde. Opitz war ja mit seiner ›Amadis‹-Reminiszenz gerade einem expliziten Schwenk in den Westen aus dem Weg gegangen, der sein Erstlings-Szenarium nur stören konnte. Der ›Amadis‹ kursierte allüberall.44 Eine Berufung auf ihn nahm Opitz nichts von seiner so emsig gehüteten Erstlingstat. Der ›Amadis‹ war in den Augen seiner Kritiker moralisch zwielichtig, gewiß. Das brauchte Opitz jedoch nicht zu stören, wenn nur die literaturpolitischen Gewichte austariert blieben. Die von den Beuthenern sinnwidrig vorgenommene Berufung auf Marnix und damit auch auf Fischart brachte gerade eine von Opitz sorgfältig beobachtete Strategie ins Wanken. Er wußte, was er tat, als er sich für die ›Amadis‹-Referenz entschied, gefährdete diese seinen Prioritätsanspruch doch nicht. Ob er aber auch wußte, was er dem Freund aus Heidelberger Tagen schuldete, dem er die Restitution an einer schlechterdings entscheidenden Stelle seines Manifestes verdankte?
Archäologie der deutschen Literatur So ist es denn ausgemachte Sache in den Augen Opitzens, daß die Deutschen sich unverzüglich an die Pflege einer deutschsprachigen Poesie machen können, die keinen Vergleich mit den Nachbarn zu scheuen braucht. Ermutigen dazu vermögen neben den noch einmal angerufenen Germanen nicht zuletzt die Zeugnisse, die ein Melchior Goldast soeben aus einer fernen Vergangenheit ans Tageslicht gezogen hat. Er sei, so Opitz, »ein Mann, geboren zum Nutzen und zum Ruhme Deutschlands«. Das kann an dieser Stelle gesagt werden, weil Goldast ja keine mit Opitz konkurrierende Person ist. Im Gegenteil. Was Goldast auf dem Felde der Wiederentdeckung alter deutscher Poesie geleistet hat, nimmt Opitz als erster nunmehr wieder auf und stellt damit den Anschluß an eine glorreiche Vergangenheit her. Der Ruhm der beiden verteilt sich ohne Verlust für die eine oder die andere Seite auf beide Schultern. Um Deutschland, um die patria, geht es hier wie dort. Diese patriotische Perspektive ist ständig im Visier und zieht sich durch das ganze Werk.45 ––––––––– 44
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Auch Fischart hatte sich an der Eindeutschung beteiligt. Vgl.: Das Sechste Buch. Vom Amadis auß Franckreich/ auch seinen Nachkommen vnd Sönen/ gantz nützlich von guten Lehren/ vnd lieblich von geschichten zu Lesen/ auß Frantzösischer sprach newlich in Teutsche durch J.[ohann] F.[ischart] M.[entzer] G.[enannt] gebracht. Allen Ehrliebenden vom Adel/ züchtigen Frawen vnd Jungfrawen/ sehr nützlich vnd kurtzweilig zu lesen. Mit Röm. Käy. May Privilegien. Getruckt zu Franckfurt am Mayn. [Kolophon:] Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Peter Schmid/ in verlegung Hieronymi Feyrabends. Jm Jar 1572.- Reprint: Bern etc.: Peter Lang 1988 (Bibliotheca Anastatica Germanica). Fischart hat seiner Übersetzung ein längeres Gedicht in vierhebigen Jamben vorangestellt, betitelt: Eine Vorbereitung in den Amadis. Zu den Initialen des Übersetzers vgl. Weddige, S. 62–64. Vgl. in diesem Zusammenhang Graeme Dunphy: Melchior Goldast und Martin Opitz. Humanistische Mittelalter-Rezeption um 1600.- In: Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters
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Natürlich können Goldast und Opitz – entgegen einer Versicherung von seiten des letzteren – keine genuin germanischen Zeugnisse beibringen. Opitz zitiert ein Gedicht des Marners, von dem er freimütig einräumt, daß dieser »freilich in einer späteren Zeit schrieb«. Es bleibt bei diesem einen Beispiel aus der Generation der Spruchdichter nach Walther von der Vogelweide. Noch ist die Kenntnis der mittelhochdeutschen Lyrik rudimentär, und da die stadtbürgerliche Dichtung des 15. und 16. Jahrhunderts für Opitz keiner Erwähnung wert ist, muß er sogleich herüberspringen in die eigene Gegenwart. Zunächst aber wird der europäische Prospekt aufgemacht, denn nur vor dessen Hintergrund zeichnet sich in hinlänglicher Deutlichkeit ab, was der Sprecher nun seinerseits in die Waagschale zu werfen hat.
Europäischer Horizont Et dolendum profecto, tam felicem poëtandi spiritum plane hactenus interceptum fuisse. Cum Italia tot Petrarchas, Ariostos, Tassos; Gallia Marottos, Bartasios, Ronsardos et alios Poëtas praeclaros in dedecus nostri et exprobrationem eduxerit: Belgae quoque eadem virtute stimulati id ipsum tentaverint. Nec infeliciter sane. Extant enim praeter caetera, Danielis Heinsii, hominis ad miraculum usque eruditi, Poëmatia vernacula, quibus ille Latinorum suorum carminum elegantiam non aequavit modo, sed quadamtenus illa et seipsum fere exuperavit. Nos apertis oculis bona fide dormimus: cum tamen non pari modo successu, sed iisdem quoque numeris, gravitate non dissimiliis quib〈us〉 reliquae illae gentes, carmina nostra instruere possemus.46
Der Horizont der europäischen Renaissancepoesie ist dem Sprecher gegenwärtig. Drei Länder ragen hervor und behaupten eine besondere Rolle: Italien, Frankreich und die Niederlande. Das ist – ungeachtet der Erwähnung von Ariost und Tasso sowie von du Bartas – vor allem auf die Lyrik gemünzt. In ihr wurden die ersten volkssprachigen Schritte getan, und die Poetik flektierte diesen Sachverhalt. Daher fehlt an dieser Stelle etwa England. Auch Spanien aber ist nicht präsent, wobei stets unterschwellig auch andere als literarische Gründe mitspielen. Daß der Osten und zumal Ungarn und Polen unerwähnt bleiben, dürfte eher dem Zufall geschuldet sein. Die Versuche etwa eines Kochanowski waren selbstverständlich in Beuthen bekannt. Einen Sonderfall behaupteten die Niederlande. Darüber wird an späterer Stelle ausführlicher zu sprechen sein. Hier aber ist in aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennbar, welche Rolle dem Lateinischen zukommt, von dem da etwas früher so de––––––––– 46
und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Nicola McLelland, Hans-Jochen Schiewer, Stefanie Schmitt.Tübingen: Niemeyer 2008, S. 105–121. Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 78. Der deutsche Text: Und es ist wahrlich zu beklagen, daß diese glückliche dichterische Begabung inzwischen ganz abgebrochen ist, während Italien so viele Petrarcas, Ariosts und Tassos, Frankreich so viele Marots, Bartas’, Ronsards und andere treffliche Dichter zu unserer Schande und Schmach hervorgebracht hat, während auch die Niederländer, von demselben edlen Triebe durchglüht, Gleiches zu erreichen versucht haben, und zwar mit recht viel Glück. Denn es gibt, abgesehen von den übrigen, von dem wunderbar gelehrten Daniel Heinsius Gedichte in seiner Muttersprache, in denen er die Formvollendung seiner lateinischen Gedichte nicht nur erreicht, sondern bis zu einem gewissen Grade diese und sich selbst beinahe übertroffen hat. Wir aber, wir schlafen ruhig weiter mit offenen Augen. Dabei wären wir doch in der Lage, nicht nur ebenso erfolgreich, sondern auch in denselben Versmaßen und mit ähnlicher Würde wie jene andern Völker zu dichten. (S. 79).
In eigener Sache
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spektierlich geredet worden war. An der hohen und elaborierten Kunst der lateinischen Poesie muß sich die volkssprachige messen lassen, und wenn sie – wie im Falle des Heinsius – derselben ebenbürtig ist, ja sie womöglich übertrifft, dann impliziert ein solches Urteil das denkbar größte Lob. Das Lateinische bleibt der unverrückbare Maßstab für die volkssprachige Poesie. An dieser Stelle rückt Opitz also ohne weitere Worte die Verhältnisse wieder zurecht. An seine Poesie wird dieselbe Meßlatte angelegt werden, die er für Heinsius bereithält, und analog in jedem anderen vergleichbaren Fall. Ein Tableau aufzumachen, wie hier von Opitz in aller Kürze getätigt, geschieht allemal in strategischer Absicht und birgt Chancen wie Risiken zugleich. Die erlauchtesten Namen der jüngsten Zeit werden aufgerufen. Ihr Nimbus ist immens. Mit Petrarca oder Ronsard in einem Atemzug genannt zu werden, bedeutet, einen Ritterschlag zu empfangen. Es kann auf dieser Ebene nicht mehr um Überbietung gehen. Ein solcher Anspruch wäre absurd. Doch in der Muttersprache ebenso zu exzellieren wie es die Größten in den Nachbarländern vorgemacht haben, bedeutet automatisch einzugehen in das Pantheon der europäischen Literatur und nicht endenden Ruhmes gewärtig sein zu dürfen. Zu den Besonderheiten der deutschen Verspätung aber wird eben auch gehören, vergleichbare europäische Lorbeerkränze nicht mehr gewunden zu bekommen. Anders als ein Petrarca oder Ronsard ist ein Opitz in der europäischen Literaturszene so wenig gegenwärtig wie seine Nachfolger. Doch das ist ein anderes und hier gar nicht zur Rede stehendes Phänomen. Denn nun schickt sich der Redner an, sich in eigener Sache vernehmen zu lassen. Und dann wird es stets spannend, um nicht zu sagen aufregend.
In eigener Sache Memini Illustri ac Nobilissimo Viro, Dn. Tobiae Sculteto à Schvvannensehe ac Bregoschitz, Consiliario Imperatoris ac Commissario, etc. Dn. ac Maecenati meo aeternum venerando Germanicos quosdam meos, Gallico more effictos, versiculos non ita pridem fuisse oblatos. Ibi Heros Literatissimus conatum meum non improbare non solum, sed et nutu humanissimo solari cepit ac corroborare. ›Ego ubi ingenio non fuit locus‹, ut cum Fabio loquar, ›curae testimonium promeruisse contentus‹, nisi successu, laudabili tamen industria, non degenerem patriae incolam praestare me volui. Juvit diligentiam natura, et facilitas provocavit audaciam. Primum itaque illud versuum genus temtavi, quod Alexandrinum (ab autore Italo, ut ferunt, ejus nominis) Gallis dicitur, et loco Hexametrorum Latinorum ab iis habetur. Cujus exemplum apponere non sum veritus.47
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Ebenda, S. 78. Der deutsche Text: Vor nicht sehr langer Zeit habe ich dem erlauchten und edlen Herrn, Herrn Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz, Kaiserlicher Rat und Commissar usw., meinem stets zu verehrenden Herrn und Gönner, einige von mir nach französischer Art gedichtete Verse gewidmet. Dieser hochgebildete, großartige Mann hat meinen Versuch gebilligt, ja er hat mich mit freundlichem Zuspruch ermutigt und in meinem Bestreben bestärkt. ›Wo ich kein Talent zeigen konnte‹, um mit Fabius zu reden, ›habe ich doch voller Zufriedenheit, das Zeugnis des Eifers erlangt zu haben,‹ mich als einen wenn auch nicht an Erfolg, so doch durch löbliches Streben nicht unwürdigen Sohn meines Vaterlandes zeigen wollen. Die natürliche Begabung unterstützte meinen Fleiß, und die Leichtigkeit erweckte meinen Mut. So habe ich zuerst
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So taucht der Name von Tobias Scultetus erstmals nun auch bei Opitz auf. Wir werden ihn kennenlernen. Hier geht es um die Rolle, die ihm von Opitz zugedacht ist. Er braucht einen Schirmherrn für seine Erstlingstat. Alle von ihm erwähnten Vorgänger im Ausland hatten glänzende Unterstützung für ihr volkssprachiges Werk von Fürsten und Königen erhalten. Dafür ist es im Blick auf Opitz entschieden zu früh. Immerhin mit Scultetus kann er aufwarten, und wir werden erfahren, welch eine bedeutende Persönlichkeit Opitz da für seine ersten Gehversuche in der deutschsprachigen Poesie gewonnen hatte. In der Tat ist es sein erstes Gedicht in deutscher Sprache, das wir von ihm in der Hand haben. Ein gesonderter Druck ist nicht bekannt und wird wohl auch nicht existiert haben. Vielleicht überreichte Opitz seinem Patron ein handgeschriebenes Stück. Vielleicht aber erwirkte er ganz allgemein eine Lizenz, den Namen von Scultetus in seinem ›Aristarchus‹ anläßlich seiner Einführung als deutschsprachiger Dichter verwenden zu dürfen. Denn diese leistet ein Doppeltes. Wenn Scultetus sich zu Opitzens poetischen Versuchen bekennt, adelt er diese mit seinem Namen, so wie dies stets die Aufgabe der Widmungsempfänger und Mäzene war. Vor allem jedoch kann der Dichter dem berühmten Mann Worte des Lobes in den Mund legen, die selbst verlauten zu lassen die Grenze des Geziemenden überschreiten würde. Daß Opitz gleichwohl sich nicht scheut, Weihrauch auf sein Haupt zu streuen, ist ersichtlich. Es wird dabei auch in unserem Text nicht bleiben. Ein Wörtchen verrät ihn. Zuerst (primum) habe er sich in der Form des Alexandrinergedichts versucht. Die Wendung ist mehrdeutig, gewiß, und diese Mehrdeutigkeit ist kein Zufall. Zuerst, so mag man lesen, habe er den Alexandriner probieren und seinem Gebrauch im Deutschen erkunden wollen. Es schwingt aber auch mit, daß er als erster dieses besonders angesehene Versmaß für ein Gedicht benutzt habe. Ein Erstlingsrecht würde somit sogleich anläßlich der Einführung des an vorderster Stelle plazierten Gedichts reklamiert, und daß wir mit dieser Vermutung nicht in die Irre gehen, wird sich zeigen. Frühe und zugleich erstmals in der deutschen Sprache verlautende Verse sollen präsentiert werden; eine besondere, eine einzigartige Autorenrolle wird inauguriert. Schwer vorstellbar indes, daß der Dichter nicht gewußt haben sollte, bereits Vorgänger gehabt zu haben. Sie bleiben in jedem Fall unerwähnt.
Alexandriner in deutschem Ton O Fortun/ o Fortun/ stieffmutter aller frewden/ Anfeinderin der lust/ erweckerin der noth/ Du todtes leben/ ja du lebendiger Todt/ Durch welcher grimm sich mus manch trewes hertze scheiden. Sol deine grawsamkeit den auch mein junges leben (Des allen vngeacht das mir Natura mehr
––––––––– mich in jener Versart versucht, welche die Franzosen (nach einem italienischen Dichter dieses Namens, wie man sagt) Alexandriner nennen und die sie anstelle der lateinischen Hexameter verwenden. Ich scheue mich nicht, hier ein Beispiel dafür zu zitieren[.] (S. 79).
Alexandriner in deutschem Ton
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Als ich auch wirdig bin geschencket gunst vnd ehr) Jn trübniß vnd gefahr so trawrig lassen schweben?48
So hebt das Gedicht an. Die Schicksalsgöttin hat der Dichter als poetischen Vorwurf gewählt. Das läßt aufhorchen. Eine bittere Anklage wird laut. Reich ausgestattet von der Natur, wie der Jüngling von sich bekannt, vergeht sich das ›schnöde Weib‹, wie es an späteren Stellen heißt, an ihm aus keinem anderen Grund als dem der Rachsucht. Doch dann folgt der Umschlag. Auf Gott wird der von der Göttin Verfolgte setzen. Und so lauten die Schlußzeilen: Wer sich auff Gott verlest/ der mag gar künlich dencken/ Das er alles vnglück so vns offtmals zusteht/ (Ob es gleich in der erst schwer vnd gedrang’ hergeht) Zu seiner stell’ vnd stundt mit frewden werde lencken.49
So zeichnet sich der Sinn des Einstiegs mit einem Alexandrinergedicht in der ersten Position ab. Mit einem Lehrgedicht will Opitz hervortreten. Der launen- und nicht selten frevelhaften Göttin, in Bildern und auf Flugblättern allgegenwärtig, wird Paroli geboten im Namen eines durch nichts zu erschütterndem Gottvertrauens. Über diesen Sprecher hat das Schicksal keine Gewalt. Das lyrische Ich ist seiner Person Garant einer Ordnung, die durch keine Macht ins Wanken zu bringen ist. Neostoische und christliche Züge gehen in dem ersten deutschsprachigen Gedicht des die poetische Laufbahn Betretenden ein Bündnis ein. Es führt zugleich ein Gütesiegel für die Poesie mit sich, das eben von dieser über das Leben hinausführenden Wahrheit kündet. Poesie, so die mitschwingende Verheißung dieses Erstlings, nimmt auf ihre Weise teil an der Sittigung des Menschen und ist damit den Anfeindungen, wie sie nicht verstummen wollen, entzogen. Auch das mochte Scultetus bewogen haben, seinen Schützling mit seinem Namen an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Auf einem ganz anderen Blatt steht das künstlerische Niveau des Gedichts. Nur an dieser Stelle hat Opitz es an die Öffentlichkeit treten lassen, in seine späteren Gedichtsammlungen hat er ihm keinen Einlaß mehr gewährt. Aus gutem Grund: es hapert entschieden mit dem Versmaß. Das alternierende Schema ist noch nicht in Kraft. Gerade dieses sollte ihm so wichtig werden, ja wurde geradezu als sein Markenzeichen wenige Jahre später gehandelt. Lernten wir den jugendlichen lateinischen Dichter kennen als einen im Vollbesitz seiner poetischen und inventorischen Fähigkeiten agierenden, so ist beim Wechsel ins Deutsche eine gewisse Schwerfälligkeit des Ausdrucks unverkennbar. Die Erbschaft des so verpönten poetischen Gebarens des 16. Jahrhunderts bleibt vernehmbar. Dieser einsinnige poetische Duktus, wie er der Konzentration auf eine überhaupt erst zu erlernende poetische Sprache geschuldet war, mußte überwunden werden, wenn anders der selbst ernannte Anspruch eingelöst sein wollte. Im ›Aristarchus‹ lernen wir einen Opitz auf dem Wege zu der ihm möglichen vollkommenen Beherrschung des poetischen Handwerks kennen. Nicht zuletzt darin liegt der Reiz gerade dieses Textes, der ein publizistisches Unikat blieb. ––––––––– 48 49
Ebenda, S. 78, 80. Ebenda, S. 80.
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Ein nicht zu verschweigender Vorgänger Sodann war das im Latein eingeführte Epigramm in das Deutsche zu überführen. Drei Beispiele gibt Opitz. Wieder wird ein lehrhafter Zug akzentuiert, und mit dem Vers hapert es neuerlich: Wollust vnd vppigkeit der welt must du vermeiden/ Vnd treten mit gedult der scharffen dörner weg/ So er dich tragen sol auff den lieblichen steg/ Vnd in das schöne schlos der wahren lust vnd frewden.50
Die Nagelprobe aber blieb das Sonett. Petrarca hatte es als die lyrische Form par excellence in seinem ›Canzoniere‹ ausgeformt. Kein Dichter, der seine ersten Schritte in der lyrischen Formensprache erprobte, der an dem Sonett vorbeigekommen wäre. So war es in Europa ringsum gewesen, und so mußte dieser Lehrgang sogleich auch im Deutschen absolviert werden. Doch da ergab sich eine denkwürdige Situation. Opitz hatte tatsächlich kein eigenes Beispiel zur Hand. Er mußte ausweichen auf einen Vorgänger, der doch als ein solcher zugleich nicht eigentlich anerkannt und aufgewertet werden durfte. Die Worte, die er fand, sind sprechend genug. Aliter rursum ista Ernesti Schwaben von der Heyde, politißimi hominis, et mira suavitate morum commendatißimi: cujus tamen Germanica quaedam carmina longe post vidi, quam de hoc scribendi modo cogitaveram.51
Priorität zählt für Opitz alles. Es sind Wendungen dieser Art, die unter den Kollegen schon im 17. Jahrhundert wiederholt dezente Abstandnahme zeitigten, genau so wie später bei einem Autor wie Sigmund von Birken, der freilich unvergleichlich viel entschiedener in die Trompete des eigenen Ruhms blies. Den Großen unter den Lyrikern des 17. Jahrhunderts, einem Fleming, einem Dach, einem Klaj, war diese Pose fremd. Hier wurde im nachhinein eine Wegscheide erkennbar, die in diesem auf Normen fixierten Jahrhundert ein Gradmesser des lyrischen Ingeniums blieb. Eine Grenze ist markiert, und sie darf bei allem Respekt als solche angedeutet werden. Ernst Schwabe von der Heide also ist Opitzens Gewährsmann.52 Rätsel ranken sich um sein Leben und sein Werk. Bezeugt ist der aus dem Adel stammende Schwabe als ––––––––– 50 51
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Ebenda. Ebenda, S. 82. Der deutsche Text: Wieder anders sind die folgenden des Ernst Schwabe von der Heyde, eines sehr gebildeten und durch die wunderbare Liebenswürdigkeit seines Charakters sehr angenehmen Mannes. Seine deutschen Gedichte habe ich jedoch viel später gesehen, als ich selbst den Gedanken gefaßt habe, in dieser Art zu dichten. (S. 83). Zu Schwabe von der Heide vgl. den Eintrag von Achim Aurnhammer in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. X (2011), S. 658. Aurnhammer ist auch die – einer kleinen Sensation gleichkommende – Entdeckung dreier weiterer Sonette von Schwabe gelungen, die wesentlich dazu beitragen, das Profil dieses Autors zu schärfen. Vgl. Achim Aurnhammer: Neues vom alten Ernst Schwabe von der Heyde. Drei Sonette auf die Krönung des Kaisers Matthias (1612).- In: Daphnis 31 (2002), S. 279–298. Vgl. auch Klaus Ley: Das Einleitungsgedicht zum ›Canzoniere‹. Ernst Schwabes von der Heyde Übertragung im Kontext der Petrarca-Rezeption.- In: Studi italo-tedeschi / Deutschitalienische Studien (im Druck, abgeschlossen 2005). Die ältere, Opitz und Schwabe von der Heide betreffende Literatur, findet man aufgeführt in dem oben erwähnten Artikel Aurnhammers.
Ein nicht zu verschweigender Vorgänger
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Student an der Universität Frankfurt an der Oder, und das zeitgleich mit Opitz. Wir werden ihm also wieder begegnen. Als Sterbedatum figuriert der 4. Juni des Jahres 1626. Er soll von einem polnischen Feldmarschall erdolcht worden sein. Verifiziert ist die spektakuläre Nachricht aber bis heute nicht. Sein Nachleben, so die Ironie der Geschichte, verdankt er alleine Opitz und seinem Zeugnis im ›Aristarchus‹. Der nämlich präsentiert aus der Feder Schwabes zunächst ein Sonett, das sich bei näherem Hinsehen als eine freie Bearbeitung des Eingangsgedichts von Petrarcas ›Canzoniere‹ erweist. Derart wird eine frappierende Dreierbeziehung erkennbar, an die bei jeder sich bietenden Gelegenheit erinnert werden sollte, steht sie doch am Beginn der neueren Geschichte der deutschen Lyrik. Das Gedicht lautet: Sonnet. Jhr die jhr höret an wie mancher sturmwind wehet/ Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/ Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/ Vnd ein vorletztes hertz vol tausen wunden sehet. Erlernet wol hierauß was man in Lieb’ ausstehet/ Darin die junge zeit mich lies ergeben sein/ Als ich für wahre lust hielt’ einen falschen schein/ Darüber mich jetzund hertzliche rew’ vmbfehet: Vnd fliehet solche brunst vnd jhre süsse Gifft/ Der eiteln schönheit glantz/ die vns das Hertz schnel trifft/ Vnd angst vnd schmertzen vol witzlos herummer leitet: Ohn Tugend ist schönheit nur ein triegliches Kleidt; Wer solcher dienstbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt: Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.53
Das Staunen ist erheblich und hält an. Da verlautet, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ein makelloses Gedicht. Nur im Eingang zu dem zweiten Terzett liegt der Akzent bei ›schönheit‹ unschön auf der zweiten Silbe. Die Gedankenführung ist überzeugend. Der thematische Tenor ist durch das berühmte Eingangssonett Petrarcas vorgegeben. Im Deutschen aber gelingt auf Anhieb eine ansprechende und durchaus hörund lesbare Adaptation. Und das nicht aus der Feder von Opitz, sondern eben eines Anonymus, der Opitz seinen Namen verdankt. Dieser hat, wie er schreibt, auch andere Gedichte von Schwabe gesehen. Nicht auszudenken, wie die Geschichte der deutschen Lyrik am Eingang des 17. Jahrhunderts sich ausnehmen würde, wenn tatsächlich ein Sonett-Zyklus von Schwabe von der Heide zustandegekommen wäre und den Weg zum Drucker gefunden hätte. Das Zeug dazu, so viel ist nach der Kostprobe ersichtlich, hatte der Verfasser dieses Poems allemal. Opitz hätte es noch schwerer gehabt, seine prätendierte Position zu behaupten. Und dementsprechend ist er kommentierend und prospektierend sogleich wieder zur Stelle. Ejusmodi itaque, ut cernitis, versus deduci varie ac instrui possunt: quod et Germanica mea Poëmatia, quae aut cum Latinis, aut seorsim aliquando, volente Deo, prodibunt εἰς γλυϰεϱὸν φάος ἡελίοιο, ostendent amplius et edocebunt.54
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Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 25), S. 82. Ebenda, S. 84. Der deutsche Text: Wie man sieht, können derartige Verse also nicht auf verschiedene Art gebaut und angeordnet werden; das werde ich auch anhand meiner eigenen deutschen Ge-
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Der Poetologe schaltet sich ein. Wenigstens auf diesem Feld soll und darf es keinerlei Zweifel geben, wo die Erstlingsrechte liegen. Silbenzahl, Betonung und Pausierung im Sonett werden fixiert, und sodann der ›vers commun‹ eingeführt. Hier hat Opitz einen eigenen und überzeugenden Beitrag parat, der hinsichtlich der Akzentuierung fehlerlos gebaut ist und sich umstandslos neben dem wiederum von Schwabe beigebrachten behauptet. Geht es dann um das Problem der Elision des ›e‹ um der Einhaltung der Silbenzahl willen, so kann Opitz neuerlich vier von Schwabe herrührende Alexandriner anführen. Sie sind ohne Verstoß gegen die natürliche Betonung gebaut. Die später so vehement von Opitz proklamierte versifikatorische Normierung ist also bei Schwabe schon in die Tat umgesetzt. Sie spielt im ›Aristarchus‹ noch keine Rolle. Hier an den Schlußpassagen des ›Aristarchus‹ geht es um die Präsentation verschiedener Vers- und Gedichtformen im Deutschen. Und so tritt neben den Alexandriner das Epigramm und neben den ›vers commun‹ das Anagramm. Es erfreute sich am frühesten der Erprobung im Deutschen und verdiente seit langem eine eigene Darstellung, schossen doch gerade in Schlesien die Versspiele nur so aus dem Boden. Mehrere Beispiele kann Opitz aus der eigenen Produktion beibringen. Und auch das wieder mit einem willkommenen personalpolitischen Nebeneffekt. Das Anagramm – wie auf andere Weise eben das Epigramm – ist eine geeignete poetische Miniatur, um Personen über den Buchstabenwechsel zu ehren. Tobias Scultetus und Johannes von Landskron, aber auch Daniel und Margarete Rindfleisch wird diese Ehre zuteil, und die werden an dem arguten Spiel ihre Freude gehabt haben. Auch Schwabe von der Heide hat sich in dieser Form versucht, und Opitz läßt auch ihn ein letztes Mal zu Wort kommen. Er besaß, so viel ist evident, Einblick in ein erhebliches lyrisches Repertoire des Freundes aus Frankfurter Tagen.
Ausklang Auf Bilanzierung und einprägsame Resümierung ist der junge Opitz aus. Von Beginn an ist er der Dichter und zugleich der Prophet einer neuen deutschen Poesie. Und so eben dezidiert auch im ›Aristarchus‹. Die Beispiele sind vorgeführt. Nun kann mit anderer Berechtigung ein Schlußwort verlauten, das sich nicht wieder vergessen sollte. Es überlebte Opitz und füllte das Herz der patriotischen Humanisten mit Stolz. Nemo igitur ignorare diutius potest, nihil obstare quo minus nostra etiam lingua emergat imposterum ac in lucem protrahatur: lingua venusta, lingua decens, lingua gravis ac patriae suae, tot ingentium heroum nutrici, dignissima, lingua quae integra et incommista tot jam labentibus annis ad nos pervenit. Hanc, si qui coelo vestro, hoc est, vobis ipsis non invidetis, amate, hanc expolite, hic viros vos praestate. Hic Rhodus, hic saltus.55
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dichte noch deutlicher zeigen und nachweisen, die entweder zusammen mit den lateinischen oder, so Gott will, eines Tages gesondert ans Licht treten werden, ans süße Licht der Sonne. (S. 85). Ebenda, S. 88. Der deutsche Text: Hinfort muß also jedermann wissen: Dem steht nichts im Wege, daß auch unsere Sprache aus dem Dunkel auftauche und ans Licht gezogen werde, diese schöne, feine, kräftige Sprache, die ihres Vaterlandes, der Amme so vieler gewaltiger Helden, so wür-
Ausklang
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Effektvoller hätte Opitz nicht schließen können. Dieser prospektive Redner beherrschte alle persuativen Register. Es ging um mehr als die deutsche Sprache als Vehikel der erneuerten Poesie. Einem vaterländischen Anliegen sollte Genüge getan werden. Ein Zweiklang wurde beschworen, der frei war von chauvinistischen Nebentönen. Europa blieb im Auge, und eine jede Nation sollte im Medium von Sprache und Dichtung den ihr zukommenden Part übernehmen. In Renaissance und Humanismus ist die europäische Idee auf der Ebene der Kultur geboren worden. Die Existenz nationaler Staaten war vorgegeben und blieb verbindlich. Und so erfüllte in dem territorial wie kommunal gegliederten deutschen Landen die Sprache immer auch eine Vorreiterrolle. Was in ihr einheitsstiftend verrichtet wurde, war begabt mit einer unterschwellig mitschwingenden politischen Notation. Sprache, Dichtung und ›Vaterland‹ wurden in einer jeder relevanten Äußerung als ein Dreiklang vernehmbar. Opitz stand als einer der ersten da, die den lateinisch geprägten Diskurs in den auf die deutsche Sprache gemünzten überführten. Dieser Tat verdankte er seinen Ruhm, und sein in Beuthen entstandener ›Aristarchus‹ legte dafür den Grund.
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V. Interimistische Stationen Görlitz und Frankfurt an der Oder Poetische Rückkehr nach Bunzlau Ferax Bolesla, grande Slesiae lumen, Et hortulorum dulciumque rivorum, Sed et virûm nutricula alma doctorum; Quos forte nomen inter audiet pulchrum, Opitii non impotens tui Musa, Virgisque committenda poedagogorum; Sed sat virilis, sed decora, sed fulgens, Famaeque plena literariae Musa. Quam te relinquo non libenter, ô mater, Et matre si quid charius: sed hoc sidus Fatale nobis, et noverca Fortuna Mandat jubetque, destitutus ut plane Et consilî expers omnis exteras terras Dehinc peragrem, inops, egenus, exulque; Ac absque nervis ambulem. Vale longum O officina, ô hospita alma Musarum[.]1
Wir kehren – mit Opitz – noch einmal nach Bunzlau zurück. Doch das nur, weil ein Gedicht von dem Dichter dazu Veranlassung gibt. Im September des Jahres 1617 wurde Valentin Senftleben in sein Amt als Bürgermeister in Bunzlau eingeführt. Da hatte ––––––––– 1
Ein Neudruck des Textes nebst seinem Kontext findet sich sowohl in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 42– 45, als auch in zweisprachiger Version in der von Veronika Marschall und Robert Seidel herausgegebenen Ausgabe von Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 54–57. Das vorgelegte Zitat Verse 1–16. Die Übersetzung stammt von Robert Seidel und Widu-Wolfgang Ehlers, der hinzugehörige Kommentar (S. 316–319) von Robert Seidel. Der deutsche Text: Reiches Bunzlau, du strahlende Leuchte Schlesiens, nährende Mutter von Gärten und lieblichen Bächen, auch von gelehrten Männern – unter denen vielleicht auch die kundige und doch den Ruten der Schulmeister ausgelieferte Muse deines Opitz einen guten Ruf haben wird. Aber es ist ja eine recht tatkräftige, schöne und strahlende Muse, voll von literarischem Ruhm – wie ungern ich dich verlasse, die du mir Mutter bist oder womöglich noch lieber als eine Mutter! Aber dieser Stern, der uns Unglück bringt, und die stiefmütterliche Fortuna verlangen und fordern, daß ich fortan völlig verlassen und ohne jeden Rat fremde Länder durchstreife, arm, hilflos und ohne Heimat, und kraftlos wandere. Leb wohl für lange Zeit, Werkstatt und gastfreundliche Wirtin der Musen. (S. 57).
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V. Görlitz und Frankfurt/Oder
Opitz seine Heimatstadt lange verlassen. Der Abschied von Bunzlau ist also ein fingierter. In einem weiteren Sinn aber geht es tatsächlich um Abschied. Und wenn wir mit diesem Gedicht ein neues Kapitel eröffnen, so eben aus diesem Grund. Nur allzu deutlich zeichnet sich ab, daß eine neue, von Unsicherheit und Ungewißheit geprägte Phase im Leben des Dichters sich ankündigt. Das Wundervolle auch von Opitzens Gedichten beruht nicht zuletzt darauf, daß der Dichter – wie ein jeder auf sich haltende Humanist – persönliche Umstände stets mit allgemeinen poetischen Reflexionen zu umgeben versteht. Nur um diese kann es in der textuellen Arbeit gehen, soll doch am Ende eine Poetologie im Gefolge eines Lebenswerkes sich abzeichnen, gewonnen aus dem nahezu unerschöpflichen poetischen Angebot, wie es auch das Opitzsche Werk auszeichnet. Wir haben Senftleben als Widmungsempfänger von Opitzens Erstling, dem ›Strenarum Libellus‹, kennengelernt, das auch schon einen Beitrag auf diesen enthielt. Nun geht es um die poetische Feier Senftlebens anläßlich seiner Amtseinführung als Bürgermeister von Bunzlau. In der kleinen ›Festschrift‹, die da undatiert bei Dörffer vermutlich noch 1617 erschien, ist Opitz – neben drei anderweitigen Beiträgern – mit vier Gedichten vertreten. Das Bouquet trug also die Insignien seines Namens. Das aber war nur möglich aus dem inzwischen eingetretenen zeitlichen Abstand heraus. Opitz führte Regie, und er durfte das, weil er sich zwischenzeitlich einen Namen erworben hatte. Das vierte und letzte Gedicht der kleinen Folge, ›Hipponax‹ betitelt, gibt Kunde von dem Wandel. Es wird sich zeigen, daß wir es mit Fug und Recht an den Beginn unserer weiteren Wanderung stellen, immer noch beim jungen Opitz verharrend, geht es doch um die Anfänge, die die beredtesten auch im Wirken eines durch und durch von den Gaben der Vorgänger lebenden Humanisten bleiben. Noch einmal erklingt das Lob der Vaterstadt Bunzlau. Eine Leuchte Schlesiens ist sie. Auf eine bei den Alten überall zu vernehmende Weise ist ihr lichtes Wesen vorgebildet in den Schönheiten der Natur, und das vornehmlich über Gewässer und Gärten, den Wohnsitzen und Gaben der Musen. Nun aber hat dieser gesegnete Ort nochmals ungeahnten Nimbus erlangt. Ein neuer Name ist am poetischen Sternenhimmel Bunzlaus aufgestiegen, und der lautet auf keinen anderen als den des Verfassers des vorliegenden Gedichtes. Ein derartiger Akt der Selbstaufwertung und Selbstinszenierung bleibt ungewöhnlich und riskant. Opitz wagt den Schritt. Noch bevor sich andere an sein Lob machten, ist er selbst schon zur Stelle gewesen und schreibt sich in das Gedächtnis der Bunzlauer Ehrengalerie ein.
Ein zweiter Odysseus Das alleine wäre bemerkenswert genug. Nun aber erfolgt die Eingemeindung ins Bunzlauer Pantheon zusammen mit einem Seitenschwenk, der womöglich überhaupt verantwortlich ist für diesen aufsehenerregenden Gründungsakt. Der Dichter, der da seinen Beitrag leistet zum Ruhme Bunzlaus, ist zugleich ein solcher, dessen Muse den Schulmeistern ausgeliefert blieb. Dies konnte sich unmöglich auf die Lehrerschaft seiner Heimatstadt beziehen. Und auch wenn es nicht möglich ist, Näheres über einen derartigen Passus auszumachen, der sich wie ein Querschläger ausnimmt, so muß
Ein zweiter Odysseus
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doch ein Bedürfnis bestanden haben, von einer Unbotmäßigkeit Kunde zu geben, die womöglich sogar bekannt geworden war. Nicht ausgeschlossen, aber nicht mehr als spekulativ, daß der substantielle Eingriff in den ›Aristarchus‹, von dem wir hörten, der unmittelbare Anlaß war. Dann hätte eine literaturpolitische Fehlleistung ihre Quittung erhalten, die freilich kaschiert werden mußte, galt es doch, gleichermaßen Caspar Dornau wie den Freiherrn nicht in das Blickfeld rücken zu lassen. ›Fortuna‹ hatte der Dichter in seinem ersten Alexandriner-Gedicht im ›Aristarchus‹ angerufen und ihr Unglück bereitendes Wirken beredt vergegenwärtigt. Nun ist die Göttin des Schicksals erneut präsent, und fast möchte man wähnen, daß dunkle Vorahnungen sich bestätigt hätten. Doch eine derart umstandslose Überführung elaborierter humanistischer Texte in die Wirklichkeit des Lebens ist selbstverständlich unstatthaft. Der Unglück ankündigende Stern und die stiefmütterliche Göttin ›Fortuna‹ haben ihre Macht an dem Jüngling unter Beweis gestellt. Einsam ist das lyrische Ich und durchstreift ohne Ratgeber fremde Länder. Die Heimat ist verlassen, und eine neue, zweite Heimat ist dem Irrenden nicht wieder zuteil geworden. Von der wirtlichen Stätte der Musen, von Bunzlau, verabschiedet er sich nicht anders als von dem Geehrten und den Gefährten daselbst. Ihnen möge es wohl ergehen. At nos miselli, pauperes et extorres, Fortasse frustra saepe, more Ulysseo, Optabimus videre patriae fumum!2
So die drei letzten Zeilen. Eine Überblendung der Zeiten hat statt. Die Heimatstadt hatte der Dichter lange verlassen, und nicht ein einziges Indiz spricht dafür, daß der Übergang in die schlesische Kapitale mit wie auch immer gearteten Problemen verbunden gewesen wäre. Zur Zeit der Niederschrift des Gedichts steht er vor dem Abschied aus Beuthen oder aber er hat die mit so vielen Anregungen verbundene Stätte des Freiherrn bereits verlassen. Viel ist spekuliert worden über Zerwürfnisse oder Anfeindungen, die der Dichter hätte ertragen müssen, und Zeilen wie die vorgelegten mußten nicht zuletzt für entsprechende Mutmaßungen herhalten. Wir gedenken hier wie an anderer Stelle uns derartiger Expektorationen zu enthalten. Erste und einzige Instanz bleibt der Text. Und der ist eindeutig. Eine ungewisse Zukunft liegt über dem weiteren Lebensweg des Dichters. Nicht nur die Zeit in Bunzlau und Breslau, auch diejenige in Beuthen ist beendet oder steht im Begriff zu Ende zu gehen. Was da als odysseische Irrfahrt imaginiert wird, birgt ein Rätsel, und der Dichter beläßt es bei ihm. Der Text flektiert eine beileibe nicht wörtlich zu nehmende, jedoch unverkennbare Situation der Ungewißheit, ja, der momentanen Ortlosigkeit. Wir sind nicht berechtigt, dieser Leerstelle mit Daten und Fakten unsererseits den Anschein wie auch immer gearteter Realität zu verleihen. Wohl aber dürfen wir sie unserer Darstellung zugute kommen lassen, die, wie eine jede Leben und Werk geltende, auf Übergänge und behutsames Fortschreiten verwie––––––––– 2
Ebenda, S. 56, Verse 27–29. Der deutsche Text: Ich aber, unglücklich, arm und heimatlos, werde wahrscheinlich oft vergeblich wie Odysseus wünschen, den Rauch der heimatlichen Herde zu sehen. (S. 57).
V. Görlitz und Frankfurt/Oder
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sen ist. Wir betreten für eine kleine Weile eine Phase im Leben Opitzens, die sich nicht durch spektakuläre Ereignisse auszeichnet, eher im Dunkeln liegt. Doch auch sie hält Texte bereit, denen wir uns in gewohnter Einläßlichkeit und Perspektivierung zuwenden möchten. Görlitz, Frankfurt/Oder und ein illustres Schloß an der Oder nebst seinem Schloßherrn, dessen Namen wir schon kennen, werden die lokalen Fixpunkte sein, um die unsere Darstellung in diesem und im nächsten Kapitel sich gruppiert. Der ›Aristarchus‹, Opitzens schlagkräftigster Text, der seine Verve den Beuthener Annregungen verdankte, war in die Welt getreten. Der Dichter aber schickte sich an, zu neuen Ufern aufzubrechen. Fast mochte es scheinen, als befände er sich für eine Weile in einem Wartestand, bevor der entscheidende Schritt in seinem Leben getan wurde. Aber das ist post festum gesprochen. Wir verweilen bei ihm die Monate über vor seinem folgenreichen Aufbruch, und das auch nur, wie gleichfalls angedeutet, weil der eine oder andere Text betrachtet sein will, den er auf der Zwischenstation zuwege brachte. Die Daten der Aufenthalte an den drei zur Sprache kommenden Orten sind exakt nicht mehr zu rekonstruieren. Zur Erkundung der Sache tragen sie nichts Einschlägiges bei. Und so wissen wir uns auch ungebunden hinsichtlich der Reihenfolge. Wir setzen ein mit Görlitz.
Görlitz: Ein Kurzporträt Auch Görlitz ist aus der Literatur und Kultur des alten deutschen Sprachraums im Osten nicht wegzudenken. Es ist eine Stadt mit ganz eigener Physiognomie, die zugleich geprägt ist von ihrer einzigartigen Lage und damit den geistigen Strömungen ringsum, die sich in ihr treffen. Nicht verschiedener könnten die konfessionellen und kulturellen Landschaften Schlesiens und Sachsens sich darbieten. Görlitz in der Oberlausitz bildet einen in beide Richtungen weisenden Brückenkopf, und zuweilen mag es scheinen, als würde die Dualität just in dieser Stadt manifest. Sie bewies eine große Kraft der Assimilation. Und für eine Reihe großer Geister gerade aus der Opitz-Zeit blieb sie ein willkommenes, ja zuweilen ein überlebenswichtiges Refugium. Ein paar kurze Striche müssen hinreichen zur Zeichnung eines Bildes, das nicht aufgehört hat, Faszination auszuüben. Und das bis heute. Einzigartig steht das bauliche Ensemble inmitten der vom Krieg verwüsteten Städtelandschaft Deutschlands da. Einem Wunder gleich blieb Görlitz von der kulturellen Vernichtungsmaschinerie unter der Stabführung Churchills verschont.3 Wann und wo angängig, ist gerade im Blick auf die Frühe Neuzeit eine kulturpolitische Topographie das Mittel der Wahl. Görlitz gehörte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zum Markgraftum Oberlausitz. Dieses grenzte im Westen an das Kurfürstentum Sachsen, im Norden an das Markgraftum Niederlausitz, im Osten an die schlesischen Herzogtümer und im Süden an das Königreich Böhmen. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts waren die größeren Städte im Sechsstädtebund vereint, zu dem ––––––––– 3
Vgl. in dieser Hinsicht vor allem die einprägsamen und reich illustrierten Arbeiten des langjährigen Leiters des stadtgeschichtlichen Museums zu Görlitz Ernst-Heinz Lemper. Verwiesen sei hier nur auf: Görlitz. Eine historische Topographie.- Zittau: Oettel 2001.
Religiöse Physiognomie
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Görlitz, Bautzen, Zittau, Kamenz, Lauban und Löbau gehörten; Görlitz behauptete die Spitzenstellung. Wie der Grafschaft kam auch der Stadt ihre distinguierte Lage zugute. Am Oberlauf der Neiße angelegt, die schon frühzeitig mittels einer Brücke überquert werden konnte, kreuzten sich in der Stadt zwei zentrale, den Westen mit dem Osten und den Süden mit dem Norden verbindende Verkehrs- und Handelswege, nämlich die berühmte ›Via Regia‹, die aus dem Rhein-Main-Gebiet über das thüringische Erfurt und das sächsische Leipzig in das niederschlesische Breslau und weiter nach Kleinpolen und die polnische Königsresidenz Krakau führte, mit einer zweiten Straße, die entlang des Neißetals verlief und die Verbindung zwischen Böhmen und dem Königssitz Prag, dem Kurfürstentum Brandenburg mit Frankfurt an der Oder und der Ostseeküste mit Stettin im Zentrum herstellte. Eine günstigere Positionierung war nicht denkbar. Und sie kam dem Fluß der Ideen ungemein zugute.4
Religiöse Physiognomie Die entscheidende Zäsur mit all ihren Folgewirkungen, die sich in Görlitz ganz besonders virulent ausnahmen, bezeichnete die Reformation. Die Stadt gehörte zum Bistum Meißen. Die Pfarrkirche St. Nikolai und insbesondere die einzigartig über der Neiße gelegene Kirche St. Peter und Paul beherrschten und beherrschen bis heute das Bild. Schon mit zu Beginn der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts verbreiteten sich die Lehren Luthers in der Stadt. Anders als in den umliegenden Fürstentümern machten sich in der Oberlausitz die Stände deren Förderung zueigen, während im Sechsstädtebund die Initiative naturgemäß bei den Magistraten lag. Über vier Jahrzehnte erstreckte sich die Durchsetzung des Glaubenswechsels, und gerade als sich ein Ende abzeichnete, drangen die Vorboten der ›zweiten Reformation‹ auch in Görlitz ein.5 ––––––––– 4
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Maßgeblich geblieben, aber leider nur das Mittelalter und die städtische Topographie umfassend: Richard Jecht: Geschichte der Stadt Görlitz. Erster Band. 1. Halbband: Allgemeine Geschichte der Stadt Görlitz im Mittelalter.- Görlitz: Verlag des Magistrats der Stadt Görlitz 1926. Erster Band. 2. Halbband: Umfassend die Teillieferungen 7–12 und Register. Topographie der Stadt Görlitz mit zahlreichen Abbildungen und 2 Karten.- Görlitz: Hoffmann & Reiber 1927–1934. Hinzuzunehmen: Richard Jecht: Quellen zur Geschichte der Stadt Görlitz bis 1600.- Görlitz: Selbstverlag des Magistrats und Worbs Komm. 1909. Ein gewisser Anschluß wird hergestellt durch: Alt-Görlitz einst und jetzt. Bearbeitet von Professor Ludwig Feyerabend, abgeschlossen von Arthur Haupt.Görlitz: Hoffmann & Reiber 1927–1928. Vgl. auch: Görlitz. Von der mittelalterlichen Handelsstadt zur Grenzstadt an der Neiße. Hrsg. von Uta Marquardt, Norbert Faust.- Görlitz, Zittau: Oettel 2000. Schließlich kann jetzt verwiesen werden auf den Eintrag ›Görlitz‹ von Kai Wenzel in: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Hrsg. von Wolfgang Adam und Siegrid Westphal in Verbindung mit Claudius Sittig und Winfried Siebers. Band I: Augsburg-Gottorf.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 595–639. Hier auch weitere Literatur. Zum Kontext: Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Stuttgart: Steiner (Komm.) 2007 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 30). Vgl. Alfred Zobel: Untersuchungen über die Anfänge der Reformation in Görlitz und der Preußischen Oberlausitz. Teil 1–2.- In: Neues Lausitzisches Magazin 101 (1925), S. 133–188; 102 (1926), S. 126–251, sowie: Ernst-Heinz Lemper: Görlitz und die Oberlausitz im Zeitalter der Re-
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Und nicht nur sie. Ein polyreligiöser Reigen griff Platz, der Görlitz rasch zu einer der kompliziertesten und eben deshalb faszinierendsten Metropolen in Glaubensdingen erhob. Um derentwillen ist sie uns teuer und darf in einer Opitz gewidmeten Darstellung ihren wohlbegründeten Platz behaupten, partizipierten doch gerade die Späthumanisten seiner Generation immens von ihr. Es ist das große Verdienst der jüngeren Forschung, wie sie zunächst vor allem in Polen und der DDR einen Nährboden fand, diesen hier sich abzeichnenden Verbindungen nachgegangen zu sein, welche sich als überaus förderlich auch für die Literaturgeschichtsschreibung erwiesen.6 Wie in Schlesien und zumal in Liegnitz war es auch in Görlitz die Attraktivität, die das Wirken Kaspar Schwenckfelds auf die höfischen wie die bürgerlichen Eliten ausübte, welche den Prozeß auf unterirdischen Wegen in Gang setzte. Eine entscheidende Etappe bezeichnete die Gründung des ›Convivium Musicum‹ in den Mauern der Stadt. Diese informelle Gemeinschaft trug die Züge einer städtischen Sozietät, war geeicht auf die Pflege verschiedener Disziplinen und eben keinesfalls nur die der Musik. Vor allem aber, so wird man im Rückblick sagen dürfen, war sie ein Ort, in dem heterodoxe religiöse Anschauungen zum Austausch gelangten, welche alle jene anzogen, die den auch in Görlitz nicht ausbleibenden konfessionellen Querelen auszuweichen strebten.7 Zu den weiterhin virulenten Ideen Schwenckfelds und der Reformierten, als Kryptocalvinisten an den Pranger gestellt, traten nun diejenigen des Paracelsus und seiner Schüler, die in Görlitz einen zentralen Umschlagplatz besaßen.8 Und das dank des zeitweiligen Professors am Gymnasium und Bürgermeisters Bartholomäus Scultetus, des berühmten Mathematikers und Kartographen mit einem Ruf weit über Görlitz hinaus.9 Scultetus hatte noch in Wittenberg bei dem greisen Melanchthon und sodann bei seinem Schwiegersohn Caspar Peucer gehört. Letzterer galt als Haupt des sächsischen ›Kryptocalvinismus‹, der bis zu seinem gewaltsam herbeigeführten Untergang auch in Sachsen nicht zum Schweigen gebracht zu werden vermochte. In Görlitz liefen die –––––––––
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formation.- In: Europa in der Frühen Neuzeit. Band I: Vormoderne. Hrsg. von Erich Donnert.Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1997, S. 281–300. Zum Kontext: Karlheinz Blaschke: Lausitzen.In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Band VI: Nachträge. Hrsg. von Anton Schindling, Walter Ziegler.- Münster: Aschendorff 1996 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung; 56), S. 92–113 (mit weiterer Literatur). Sehr lesenswert auch: Robert J.W. Evans: Die Oberlausitz, Böhmen und Europa. Internationale Aspekte von Reformation und Gegenreformation.- In: Die Oberlausitz (Anm. 4), S. 135–151. Zu denken ist hier vor allem an die Arbeiten von Ernst-Heinz Lemper, Siegfried Wollgast und Marian Szyrocki, die alle unter mehrfachen Aspekten auch in diesem Buch aufgeführt werden. Vgl. Max Gondolatsch: Der Personenkreis und das Görlitzer ›Convivium‹ und ›Collegium musicum‹ im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Neues Lausitzisches Magazin 112 (1936), S. 76–155; ders.: Das Convivium Musicum (1570–1620) und das Collegium musicum (um 1649) in Görlitz.- In: Zeitschrift für Musikwissenschaft 3 (1920/21), S. 588–605. Vgl. Ernst-Heinz Lemper: Görlitz und der Paracelcismus.- In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 18 (1970), S. 347–360. Vgl. den Eintrag zu Bartholomäus Scultetus von Manfred P. Fleischer in: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Josef Joachim Menzel, Ludwig Petry.- Sigmaringen: Thorbecke 1990 (Schlesische Lebensbilder; 6), S. 46–55. Hier auch weitere Literatur.
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kursierenden paracelsistischen Handschriften ein, wurden unter der Stabführung von Scultetus studiert, redigiert und im Anschluß an die um die Schriften von Paracelsus bemühten Hüter seines Erbes weitergeleitet. Die wiederum einzig im Zeitalter dastehenden Kalender des Scultetus mit seinen Tagebucheintragungen vermitteln die Jahre über ein fesselndes Bild dieser eher im Verborgenen sich abspielenden Aktivitäten, in denen mathematische und medizinische, astrologische und astronomische Ströme sich kreuzen. Das spektakulärste und nun direkt in die Opitz-Zeit hineinführende Ereignis blieb jedoch die Präsenz Jakob Böhmes und seiner Schüler in Görlitz, bis heute eindrucksvoll gegenwärtig auf dem Görlitzer Friedhof ›Zum Heiligen Grab‹, dieser Pilgerstätte von Böhme-Verehrern aus aller Welt.10 Kein anderer als Bartholomäus Scultetus hat dem jungen Böhme im Jahr 1599 die Görlitzer Bürgerurkunde ausgestellt. Ihm sollten schwere Jahre bevorstehen, und das wegen eines Widersachers, der sich – wie so viele seiner Glaubensgenossen – geradezu als Verfolger Böhmes gerierte. Wir sprechen von dem lutherischen ›Pastor primarius‹ der Peterskirche Gregor Richter, der ihn als Häretiker diffamierte und ein zeitweiliges Publikationsverbot seiner Schriften durchsetzte.11 Wenn Böhme auch in der Stadt selbst vielfältige und zumeist unterschwellige Unterstützung erfuhr, so ist dies dem Vorgänger im Amt an der Peterskirche Martin Moller zu verdanken, der um 1600 eine zentrale Stellung auch für die humanistische Intelligenz innehatte. Ein geheimer Zirkel von Böhme-Anhängern versammelte sich um den gleichfalls als Kryptocalvinisten verunglimpften Pfarrer, der später dem bedrängten Böhme immer wieder zur Seite sprang. Moller selbst pflegte Verbindungen auch zu den Rosenkreuzern, trat als evangelischer Erbauungsschriftsteller mit Liedern und Texten hervor, die vielfach aus der vorreformatorischen Mystik schöpften und – genau wie die Schriften Johann Arndts – ein Echo bei allen auf Überwindung der konfessionellen Scheidelinien bedachten Geistern fand. Dazu verhalf ihm auch seine angesehene Stellung am Görlitzer Gymnasium. Diesem haben wir uns gleichfalls kurz zuzuwenden, war es doch die intellektuelle Vorhut vor Ort, mit der Opitz und seine Freunde in erster Linie in Berührung kamen.12 ––––––––– 10
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Vgl. Gustaf Dalman: Das Heilige Grab in Görlitz und sein Verhältnis zum Original in Jerusalem.In: Neues Lausitzisches Magazin 91 (1915), S. 198–244; Till Meinert: Die Heilig-Grab-Anlage in Görlitz. Architektur und Geschichte eines spätmittelalterlichen Bauensembles.- Esens: Rust 2004. Aus der unübersehbaren Böhme-Literatur sei hier gezielt nur verwiesen auf: Ernst-Heinz Lemper: Jakob Böhme. Leben und Werk.- Berlin: Union Verlag 1976. Hier S. 25–49 ein einleitendes Kapitel mit Abschnitten zum Kryptocalvinismus, Humanismus, Paracelsismus, Rosenkreuzertum und den Nachwirkungen der Mystik. Eine entsprechende Einbettung in den geistes- und konfessionsgeschichtlichen Hintergrund auch bei Siegfried Wollgast: Jakob Böhme – Werk und Wirkung.- In: ders: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650.- Berlin: Akademie-Verlag 1988, S. 677–740. Die Literatur reich dokumentiert in dem instruktiven BöhmeArtikel von Sibylle Rusterholz in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. [Abt. 4:] Grundriss der Geschichte der Philosophie des 17. Jahrhunderts. Band IV: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa. Hrsg. von Helmut Holzhey, Wilhelm SchmidtBiggemann unter Mitarbeit von Vilem Mudroch.- Basel: Schwabe 2001, S. 61–142. Zu Martin Moller vgl. den Eintrag von Fritz Lau in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl. Band IV.- Tübingen: Mohr (Paul Siebeck) 1960, Sp. 1089, sowie im Bio-Bibliographischen Kirchenlexikon VI (1993), Sp. 45–48 (Theodor Mahlmann).
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Das Gymnasium Augusteum Die Gelehrtenschaft und zumal die Opitz-Generation blickten, wenn es denn um Görlitz ging, auf das illustre Gymnasium. Es bildete in anderer Weise als in Breslau das intellektuelle Zentrum der Stadt, stand es doch singulär da in der Verdichtung gelehrter Potenz, und das eben gerade um 1600. Wenn Opitz, ob womöglich von Breslau oder von Beuthen oder auch von Frankfurt/Oder aus gelegentlich nach Görlitz herüberwechselte, so um einzelner Personen wegen, die am Gymnasium wirkten. Erwähnen wir nur den Namen von Caspar Dornau, so rücken zugleich Leitfiguren vor und nach ihm in den Blick, über die, sofern noch nicht geschehen, ein Wort verlauten muß, prägten sie doch die intellektuelle Szene weit über Görlitz hinaus. Nur in dem Maße, wie die geistige Topographie sukzessiv sich herausbildet, wird auch jenes Milieu erfahrbar, von dem Figuren wie Opitz allemal profitierten.13 Wie anderwärts existierte auch in Görlitz schon im späteren Mittelalter eine Lateinschule. Und wie immer bezeichnete die Reformation eine erste Zäsur. Die Schule wurde im Geiste Melanchthons umgeformt. Der Übergang in die Zeit der Konfessionalisierung und damit das Eindringen des Reformiertentums prägen den späthumanistischen Schultypus, der als ein Eckpfeiler auch in der Literaturgeschichte fungiert. In ihr erfolgt die Gründung des Gymnasiums. Für den Februar des Jahres 1564 ist die kaiserliche Bestätigung für die Übergabe des Klosters an die Stadt bezeugt, in der es seine Bleibe finden sollte. Als erster Rektor fungierte Petrus Vincentius, der 1566 seine alsbald Berühmtheit erlangende Schulordnung vorlegte. Er blieb der Stadt freilich nur drei Jahre erhalten. Nicht ausgeschlossen, daß – wie in so vielen anderen Fällen – Anfeindungen den Ausschlag gaben. Ein gestreuter Verdacht hinsichtlich kryptocalvinistischer Sympathien genügte, um eine ersprießliche Amtsführung unmöglich zu machen. Doch mögen auch andere Gründe für seinen raschen Abgang verantwortlich sein. Am Elisabethanum in Breslau fand er, wie erwähnt, eine neue Wirkungsstätte. Joachim Meister folgte ihm nach. Er hatte bereits Rektorenämter in Lauban und Elbing bekleidet, bevor er in Görlitz eintraf und dort nun fünfzehn Jahre das Rektorat innehatte. Neben ihm unterrichtete Bartholomäus Scultetus, von dem wir schon hör––––––––– 13
Zum Gymnasium vgl. die grundlegende erste Darstellung von Christian Knauth: Das Gymnasium Avgvstvm zu Görlitz; in seiner alten und neuen inner- und äußerlichen Gestalt der verflossenen 200 Jahren, bey desselben Jubel-Feyer den 25 und 26 Jun. 1765, nebst vorgängiger Anzeige der alten Schulen geschichtsmäßig entworffen, Görlitz.- Fickelscherer (1765), sowie die glänzend gearbeitete und mit reichen Beigaben versehene Darstellung von Schütt und Struve: Zur Geschichte des städtischen Gymnasiums zu Görlitz bis zu Baumeister’s Amtsantritt vom Rektor [Karl Gottfried Schütt]; Zur Geschichte des Gymnasiums in Görlitz von der Mitte des XVIII. Jahrhunderts an bis auf die Gegenwart von E.E. Struve.- In: Programm durch welches zur Feier des 300jährigen Jubiläums des städtischen evangelischen Gymnasiums zu Görlitz am 26. und 27. Juni 1865 geziemend einladen der Direktor und das Lehrerkollegium, Görlitz.- Vierling’sche Buchdruckerei 1865 [Exemplar des äußerst selten gewordenen, 110 bzw. 47 Seiten umfassenden Programms in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück]. Neuerdings Joachim Bahlcke: Das Görlitzer ›Gymnasium Augustum‹. Entwicklung, Struktur und regionale Ausstrahlung einer höheren Schule im konfessionellen Zeitalter.- In: Die Oberlausitz (Anm. 4), S. 289–310.
Auf forscherlichen Irrwegen
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ten. Und als dann Laurentius Ludovicus, schon in Goldberg unter Trozendorf tätig, das Görlitzer Gymnasium übernahm, konnte es in der Gelehrtenwelt keinen Zweifel mehr geben, daß das ›Augusteum‹ zu einer der führenden gymnasialen Anstalten im Alten Reich aufgestiegen war. Nach Martin Mylius wurde schließlich Caspar Dornau als Rektor berufen. 1608 wurde er in sein Amt eingeführt, das er bis zu seinem Weggang nach Beuthen im Jahr 1615 innehatte.14 Und nun tauchen eben diejenigen Personen vermehrt auf, die aus dem Umkreis Opitzens bekannt sind und Verkehr mit ihm pflegten. Da ist in erster Linie Elias Cüchler zu nennen. 1568 geboren, fiel sein Schulbesuch noch in die Zeit des Rektorats von Meister und Ludovicus. 1593 fand er selbst den Zugang zu der illustren Anstalt, stieg sukzessive in ihr auf und trat schließlich die Nachfolge Dornaus im Amt des Rektorats an. In dieser Funktion begegnete Opitz ihm. Und das mit Folgen, wie sogleich zu hören.
Auf forscherlichen Irrwegen Die Aufenthalte des Dichters in Görlitz verbinden sich textgeschichtlich mit einer der großen frühen Arbeiten Opitzens, die 1618 bei dem Görlitzer Verleger Johann Rambau erschien.15 Tatsächlich handelt es sich um das umfänglichste lateinischsprachige Versgedicht, das Opitz überhaupt verfaßt hat. Wenn wir also in Görlitz Station machen, so vornehmlich aus diesem Anlaß. Und der weicht sehr entschieden ab von jenen Beweggründen, die die ältere Forschung auf die Fährte der Görlitzer Periode im Leben Opitzens geführt haben. Die ausführlichste Darstellung, die wir in dieser Hinsicht besitzen, ist über hundert Jahre alt und hat tatsächlich in jüngster Zeit eine buchförmige Neuauflage erfahren. Max Rubensohn füllte in den Jahren 1895 und 1899 gleich zwei Bände der von August Sauer herausgegebenen Zeitschrift ›Euphorion‹ mit seiner Abhandlung ›Der junge Opitz‹. Er erfreute sich des Vorzugs, die Schätze der Königlichen Bibliothek zu Berlin ausschöpfen zu können, die so vielen Arbeiten zur älteren deutschen Literatur zugute kam. Und er hatte Kontakt mit anderweitigen Bibliotheken, reich bestückt mit Opitz-Drucken, an der Spitze selbstverständlich die Stadtbibliothek zu Breslau, die eben erst aus drei gymnasialen Vorgänger-Bibliotheken erwachsen war.16 ––––––––– 14
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Vgl. hierzu die Kapitel ›Görlitz‹ und ›Der Reformpädagoge‹, in: Robert Seidel: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk.- Tübingen: Niemeyer 1994 (Frühe Neuzeit; 20), S. 142–176, S. 177–229. Die Görlitzer Druck- und Verlagstätigkeit hat wesentlichen Anteil an der starken Position der Stadt im Zeitalter des Späthumanismus. Vgl. die klassische Darstellung von Christian Knauth: Annales typographici Lvsatiae Svperioris, oder Geschichte der Ober-Lausitzischen Buchdruckereyen.- Lauban: Schillen (1740); ders.: Historischer Abriß Von dem Anfang und Wachsthum der Gelehrsamkeit In Ober-Lausitz, Und wie die Ober-Lausitzischen Buchdruckereyen Derselben gedienet, bey Gelegenheit des Dritten Buchdrucker-Jubel-Festes 1740.- Leipzig, Görlitz: Richter 1740. Dazu Gustav Köhler: Zur Geschichte der Buchdruckerei in Görlitz.- In: Neues Lausitzisches Magazin 35 (1859), S. 34–56, S. 227–236. Vgl. Max Rubensohn: Der junge Opitz.- In: Euphorion 2 (1895), S. 57–99; 6 (1899), S. 24–67, 221–271. Neudruck unter dem Titel: Studien zu Martin Opitz. Mit einem wissenschaftshistori-
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Mit einem Kapitel ›Asterie. Liebes- und Dichterleben in Görlitz‹ setzte Rubensohn ein. Nicht weniger als gute vierzig Seiten wendete er auf das Thema. Und das im wesentlichen in vorbereitender Absicht. Denn eine zweite Abhandlung, nunmehr knapp hundert Seiten beanspruchend, gilt explizit ›Hipponax und Aristarchus‹. Die beiden Abhandlungen sind voll von biographischen, werkgeschichtlichen und poetologischen Ausführungen. Fraglich freilich bleibt, ob der ansehnliche philologische Aufwand überhaupt betrieben worden wäre, wenn Rubensohn nicht eine vermeintliche Entdeckung gemacht hätte, der er für seine Opitz-Forschung entscheidendes Gewicht beimaß. So wähnte er, einer Geliebten Opitzens in Görlitz auf die Spur gekommen zu sein, und zwar der Tochter seines Bunzlauer Landsmannes und des nachmaligen Rektors zu Görlitz Elias Cüchler. Hier schien sich der Schlüssel zu bieten für das große Liebesgedicht, dem auch wir uns zuwenden wollen. Wenn Rubensohn aber an dieser Stelle erwähnt werden muß, so ob der Irrwege, den humanistische Texte in erlebnisästhetischer Betrachtung stets wieder ausgesetzt waren. Und so erfüllt es uns mit Kummer, daß auch die kritische Opitz-Ausgabe, die der verehrte Gelehrte George Schulz-Behrend erarbeitet hat, im Blick auf den ›Hipponax‹ Opitzens noch im Banne dieser Fehllesungen steht. Sie sollten endgültig der Vergangenheit angehören.
Hipponax Ad Asterien: Ein erster Blick Doch nun zu dem ungewöhnlichen Text selbst.17 Er gehört hinein in das reiche Kapitel des deutsch-niederländischen Kulturaustausches, das für Opitz von maßgeblicher Bedeutung blieb und uns wiederholt beschäftigen wird. Auch seinem ›Hipponax‹ liegt eine niederländische Quelle zugrunde. Sie rührt her von Daniel Heinsius, dem Opitz immer wieder gerne folgte. Seine Verserzählung ›Hipponax, ad Thaumantidem suavissimam puellam‹ ist das einschlägige Referenzwerk, dem Opitz über weite Strecken folgt. Die intertextuelle Forschung jüngeren Datums hat die Anknüpfungen und Weiterbildungen im einzelnen ausgewiesen.18 ––––––––– 17
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schen Nachwort hrsg. von Robert Seidel.- Heidelberg: Winter 2005 (Beihefte zum Euphorion; 49). Der Titel: Martini Opitii Hipponax Ad Asterien puellam formae & animi dotibus longè amabilissimam. Item Germanica quaedam ejusdem argumenti. Gorlicii IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant. [1618] Das Opitzsche Handexemplar des Gedichts steht als erstes Stück in der Janus Gruter gewidmeten Sammelschrift seiner frühen Arbeiten. Vgl. Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner.- Stuttgart: Metzler 1970 (Sammlung Metzler; 88), S. [5]–[23]. Es ist – mit ausführlicher Einleitung – wiederabgedruckt in: Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), Band I, S. 98–113, sowie in zweisprachiger Version mit ausführlichem Kommentar in Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), S. 110–131. Der Kommentar (S. 351–361) rührt her von Robert Seidel, die Übersetzung von Wolfgang Schibel. Vgl. Robert Seidel: Zwischen Architextualität und Intertextualität. Überlegungen zur Poetik neulateinischer Dichtung am Beispiel von Martin Opitzens ›Hipponax ad Asterien‹.- In: ›Parodia‹ und Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Reinhold F. Glei, Robert Seidel.- Tübingen: Niemeyer 2006 (Frühe Neuzeit; 120), S. 171– 195. In einem Anhang (S. 196–207) wird der lateinische Text mit der Übersetzung Schibels geboten.– Wir kommen auf Heinsius und seine Poemata ausführlich im neunten Kapitel zurück.
Eine ›hybride‹ Widmungsadresse an die Freunde der Jugend
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Auch das berechtigt uns, eine Lesung in einem Zuge vorzunehmen, um der Tiefenstruktur ansichtig zu bleiben, welche gerade diesen Text auszeichnet. Angeregt durch Heinsius und ein reiches, vornehmlich erotisch-allegorisches Repertoire der europäischen Literatur hat Opitz ein polysemantisches Gewebe geknüpft, das geradezu dazu auffordert, der erkennbaren Knotenpunkte habhaft zu werden. Nur darauf ist unsere Lesung gerichtet, geht es doch in einem jeden Kapitel nicht zuletzt darum, einen Beitrag zu leisten zum angemessenen Umgang mit großen Zeugnissen humanistischer Schriftkultur und also der Bewahrung kritischer Lesekultur. Der Text besteht aus 323 Hinkjamben. Dieser Vers, der antike jambische Trimeter, wird aus sechs Längeneinheiten gebildet, bei denen der letzte Versfuß durch einen Trochäus oder Spondeus ersetzt wird, so daß der Vers ›hinkt‹. Opitz kommt selbst zu Ende des Gedichts auf dieses vergleichsweise ungewöhnliche Metrum zurück, das bereits durch Heinsius vorgegeben war. Der Text selbst kombiniert Elemente elegischer Liebesklage, populärphilosophischer Ethik und humanistischer Invektive, der Sprecher positioniert sich also [...] in wechselndem Gestus als sehnsuchtsvoller Liebhaber, als eklektisch argumentierender Weiser und als gelehrter Poet, der im lebensweltlichem Umfeld zwischen Freundschaften und Anfeindungen seine durchaus zeittypischen Erfahrungen reflektiert und dabei studentisches Stutzertum, gelehrten Pedantismus und den allgemeinen moralischen Verfall tadelt.19
Tun wir uns also in aller Freiheit in diesem durch und durch ›dialektischen‹ Gebilde ein wenig um. Zu beginnen ist stets, sofern vorhanden, mit den Paratexten, sind sie doch allemal die zunächst zu konsultierenden Wegweiser.
Eine ›hybride‹ Widmungsadresse an die Freunde der Jugend Für seinen ›Hipponax‹ hat Opitz darauf verzichtet, eine herausragende Empfängerschaft zu wählen. Ganz offensichtlich sollte der Text, der so komplex war und so viel Anlaß zu Mißverständnis bot, in die Hände von Vertrauten gelegt werden. Bei ihnen war er sicher, daß sie einen professionellen Umgang mit ihm zu pflegen und sich an dem Hintersinn des Dargebotenen zu erfreuen vermochten. Auch ein Caspar Kirchner und Bernhard Wilhelm Nüßler, die Gefährten seit der frühen Jugend, waren zugleich Repräsentanten jener gelehrten Schicht, die Opitz in diesem Fall in erster Linie anpeilte. Die ständische Elite, der er nicht unbedingt den nämlichen Blick der Connaisseurs zutraute, blieb außen vor. Es sollten sich genügend Gelegenheiten ergeben, auch diese immer wieder mit ins Spiel zu bringen. Als ein Kenner einschlägiger Themen und Motive der Moralphilosophie führt der Dichter sich ein, ganz so, wie sie im Umlauf waren. Bewußt wird zunächst ein anderer Ton angeschlagen als in den meisten der nachfolgenden Passagen. Es wäre zu viel gesagt, wenn man behauptete, eine Leseanweisung würde geboten. Immerhin wird eine mit dem Anstrich strikter Seriosität versehene Kost im Eingang verabreicht, dazu bestimmt, bei der Lektüre des Haupttextes weiterhin gegenwärtig zu bleiben. Eine er––––––––– 19
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ste Bogenführung kündigt sich an, die auf Spannung, auf Gegensätzlichkeit hinwirkt. Hybride Textbausteine sollen geschliffen werden, die eine Herausforderung für den Leser darstellen. Ruhe des Gemütes, so der junge und populär sich gebende raisonnierende Sprecher, sei die vornehmste Bestimmung des Menschen, die Kenntnis der Wissenschaften indes das wichtigste Instrument, um den erwünschten Zustand der ›tranquilitas animi‹ herbeizuführen. Ein mit Geist begabtes Wesen zu sein ist das, was den Menschen zum Menschen macht und ihn auszeichnet. Als Geistwesen pariert er alle Schläge des Schicksals, bleibt im Kern unberührt und unerschüttert. Die der Welt angehörigen Güter mit dem Reichtum an der Spitze, weiß er als das zu bewerten, was sie sind. Die Glücksgöttin regiert über sie, und das sagt dem Weisen genug. Was diesem zufällt, verdankt sich eigenem Wirken, verdankt sich der Tugend, und was ihm eigen ist an weltlichen Gütern hat keinen Einfluß auf eine Lebensführung, die unter einem anderen Stern steht. So weit eine knappe Paraphrase des Eingangs der Widmungsadresse unter Verzicht auf Wiedergabe des Wortlautes selbst. Nicht ein Gedanke, der nur dem Sprecher angehörte. Populärphilosophisches Allgemeingut verlautet, jedweder originelle Gestus wird vermieden. Wer derart sich einführt, dem darf man sich jetzt und auf seinem weiteren Weg ruhigen Gewissens anvertrauen. Denn nun nähert sich der Dichter jenem Thema, von dem er weiß, daß es gefährlich für ihn werden könnte. Als Liebesdichter ist er unterwegs, frönt eben jenem poetischen Geschäft, das der Jugend geziemt. Der Liebensgott aber, so weiß der Sprecher nur allzu gut, ist ein außerordentlich ›unverschämter Gast‹ (impudens hospes). Den rechten Umgang mit ihm gilt es einzuüben, und was heißt dies auf dem Felde der Dichtung anderes, als dabei die eingeführten Praktiken zu beobachten. Die Geliebten, die da figurieren, so das einleitende Statement, sind fiktive Wesen, erfunden, um das poetische Ingenium zu entzünden. Nichts als eine Entspannung seines Geistes habe der Sprecher mittels der nachfolgenden Zeilen gesucht. Warum dann aber der seriöse, um nicht zu sagen gravitätische Ton zu Anfang? Man sieht, schon in der Widmung wird das Spiel auf verschiedenen Ebenen eröffnet, und die eingestreuten antiken Reminiszenzen tragen das ihre zu dem Verwirrspiel bei. Der Dichter schickt sich an, den gelehrten Jünglingen, die ausdrücklich als solche noch einmal apostrophiert werden, eine Kostprobe zu servieren, die nach anderen Maßstäben beurteilt sein will als denen erprobten Ernstes im Leben. Etwas Delikates verläßt das Schreibpult, und bei dem Sprecher stellen für einen Moment sich Zweifel ein, ob Derartiges selbst Freunden überreicht werden darf, und zudem solchen in jugendlichem Alter. Utrum enim nuntius magis voti fiat compos, an qui misit, ϰόϱης ἐν γοὐνασι ϰεῖται.20
Da ist sie also, die Titelheldin. Mehr gedankliches Hin und Her schon in der Vorrede ist nicht denkbar. Die Hinkjamben haben offensichtlich Einfluß genommen auf die Stringenz des Vorgetragenen. Eines Puzzlespiels haben wir gewärtig zu sein, und das setzt Kenntnis der Mosaiksteinchen voraus, die da in souveräner Freiheit kombiniert ––––––––– 20
Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), S. 112. Der deutsche Text: Denn ob am Ende eher der Bote das Gewünschte erlangt oder der, der ihn geschickt hat, das liegt bei dem Mädchen. (S. 113).
Der Titelheld Hipponax, seine Hinkjamben und sein poetischer Vorwurf
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werden und in ihrer Fügung ein permanent wechselndes Bild ergeben, je nach dem Schwenk, den der Betrachter mit dem Dichter vollzieht. Wir dürfen und können nicht mehr an dieser Stelle tun, als einige Einstellungen zu erproben und uns an dem zu erfreuen, was sich da blitzartig zeigt und alsbald wieder entzieht. Der Dichter ist als eben Zwanzigjähriger im Vollbesitz seines artistischen Vermögens.
Der Titelheld Hipponax, seine Hinkjamben und sein poetischer Vorwurf Opitz wie sein Vorgänger Heinsius wählen für ihr Gedicht die Gestalt des Hipponax. Er ist keine fiktive Figur. Und mehr noch. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Wahl des Versmaßes und dem Protagonisten des Gedichts.21 Der griechische Lyriker Hipponax aus Ephesos nämlich, um 500 v. Chr. wirkend, gilt als Archeget eben dieses Verses und der mit ihm verbundenen poetischen Praxis aggressiven Spottens. Der Hinkjambus wird schon in der Antike als versifikatorische Waffe benutzt. Heinsius wie Opitz nehmen diese Vorgabe auf. Heinsius nutzt sie, um einem mißliebigen Rivalen die Leviten zu lesen; Opitz, um aufgeblasenen Liebhabern in höfischem Habit und nichtsnutzen, eitlen Poeten und liederlichen Frauen Schmähverse ins Stammbuch zu schreiben. Schon im Übergang von den Niederlanden nach Deutschland findet eine gewichtige Umpolung statt, und auch dieser Transfer begünstigt das uneigentliche, polyphone Sprechen, das nachzuvollziehen die eigentliche Leistung des Lesers darstellt, damals wie heute. Hipponax erscheint als der Sprecher des Gedichts. Er ist es, der sich mit seinen Versen an das liebenswerteste Mädchen Asterie wendet – eine Lieblingsfigur in der humanistischen Liebeslyrik, auch bei Opitz. Eine ganze Reihe von Gedichten ist ihr gewidmet. Der Grund liegt auf der Hand. Der Blick zu den Sternen verbindet sich mit ihrem Namen, und damit der auf die Poesie wie den sie begleitenden Ruhm. Neben der Laura Petrarcas erfreut sich eben deshalb die Asterie einer besonderen Beliebtheit im Umkreis des lyrisch-erotischen Humanismus, war die Gestalt doch geradezu dazu prädestiniert, zur Verkörperung humanistischer Vorstellungen und Werte im fingierten uneigentlichen erotischen Diskurs aufzurücken. Sie verdiente in dieser Rolle eine eigene ihr gewidmete Darstellung aus kompetenter komparatistischer Hand.
Die ›puella amabilissima‹ Asterie Wie es um diese Geliebte bestellt ist, verraten sogleich die ersten Zeilen, und wir haben alle Veranlassung, ihnen ein aufmerksames Gehör zu schenken, denn so wie hier ist sie, wenn überhaupt, bislang nur in Hinkjamben besungen worden. DIvina virgo, dulcium puellarum Flos nemini mortalium prius tacte, Tangende nulli prurientibus verbis, Aut gestibus factisque non verecundis.
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Vgl. zum Folgenden die einschlägigen Informationen im Seidelschen Kommentar.
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O alma nympha, quis furor tuum pectus, Illud beatum, candidum, innocens pectus Quae strix nocente fascino profanavit? Tot delicata verba, quae polo Phaebum Deducerent Lunamque dißipat Cori Ferocientis impetus truci flatu. Et tu, rebellis, obstinata me linquis, Et ut timoris hinnulus tener plenus Jugis inerrat montium exul et clivis, Timetque tuta cuncta; sic tuum vatem Frustra vereris, aufugisque nequicquam.22
Ein überirdisches Wesen betritt die Szene, schön, unberührt, eine göttliche Jungfrau. Weh dem, der sich ihr unziemlich nähert. Nun aber ist sie einem ›finsteren Wahn‹ verfallen, und was anderes sollte der Grund dafür sein als die Befürchtung, eben jener unzüchtigen Befleckung ausgesetzt zu werden. Mit den vielen großen weiblichen Gestalten der Weltliteratur flieht sie in die unwirtlichsten und fernsten Bezirke der Berge, um dieser Schmach zu entgehen. Eine Gestalt aber wird benannt, der gegenüber sie einen besonderen Argwohn hegt. Es ist der Dichter, ist eben der Sprecher des Gedichts Hipponax. Das reicht hin, ohne auch nur eine weitere Zeile zu kennen, um zu ahnen, daß eine Geschichte zwischen dem Titelhelden als Repräsentanten des Standes der Poeten und seiner Geliebten anheben wird, von welch letzterer zu vermuten steht, daß sie mehr und anderes ist als dies; nämlich sein Geschöpf, und als solches nochmals mehr als dies, nämlich die Inkarnation der Poesie schlechthin. Ob diese Vermutung sich bewahrheitet? Wir stellen keine rhetorische Frage, wissen selbst nach Lektüre der ersten Zeilen nicht mehr, als was in ihnen verlautet, und das vom ersten Moment an zweiund mehrdeutig.
Der Dichter und seine Geliebte Vor diesem Dichter, so Hipponax weiter, braucht Asterie sich nicht zu fürchten. Er schleicht sich nicht als schamloser Verführer an die Geliebte heran wie Apollo es tat, als er Daphne zur Liebe zu zwingen versuchte. Er ist aber auch kein zweiter Aeneas, der »die sittsame Dido zum Besten hielt«, wie es da despektierlich von dem Vergilschen Helden heißt. Nein, dieser fromme Sänger, der sich ausdrücklich so tituliert, ist begabt mit den Flügeln des Pegasus. Bei ihm wird die Geliebte auf andere Weise auf––––––––– 22
Der lateinische Text in Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), Verse 1–15, S. 112 und 114. Die deutsche Übersetzung: Göttliche Jungfrau, lieblicher Mädchen Blüte, von keinem Sterblichen noch berührt, von keinem zu berühren mit Worten voll Begier oder Gesten und Handlungen ohne Scheu. O holde Schöne, welcher finstere Wahn hat dein Gemüt, jenes selige, reine, unschuldige Gemüt, welche Ohreule hat es durch Schadenzauber entweiht? Soviele reizende Worte, die Phoebus und Luna vom Himmel herabholen könnten, vertreibt der Ansturm des wilden Nordwestwindes mit heftigem Blasen. Und du, abspenstig gemacht, verläßt mich fest entschlossen, und wie ein zartes Hirschkalb voller Furcht weitab über Anhöhen und Hänge der Berge irrt und sich von allem bedroht fühlt, obwohl es ohne Gefahr ist, so bist du umsonst argwöhnisch gegenüber deinem Dichter und entziehst dich ihm ohne Grund. (S. 113 und 115).
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gehoben sein, nämlich eingegangen in die Poesie, in seine Poesie. Kein Grund also, daß sie sich entzieht. Das Gestirn ihrer liebreizenden Augen, dem sie ihren Namen verdankt, möge sie ihm nicht entziehen, einwilligen also darein, von ihm besungen zu werden, wie wir übersetzen dürfen. Was einleitend in der Widmung verlautete, kann nun reaktiviert werden. Der hier Sprechende ist nicht begütert, gleichwohl zutiefst zufrieden mit dem, was ihm dank der ›Gunst der himmlischen Mächte zuteil geworden ist‹, und was anderes sollte dies sein als seine Berufung zum Dichter? Sie wird abgeblendet, bleibt dem Subtext zugewiesen, der da beständig mitgelesen sein will. Ist der Sprecher freigiebig in der Mitteilung all jener Eigenschaften und Gaben, die ihn auszeichnen und die allemal darauf hinauslaufen, dem gemeinen Verständnis dessen, was als erstrebenswert gilt zu widerstreiten, so zeichnet sich zugleich doch auch in diesem Kaleidoskop jenes flüchtige und scheue Wesen der Poesie ab, das da der Geliebten übereignet wird und der sein stetiges Trachten gilt. Das Los, das er gezogen hat, ist das größte und zugleich das geringste. Es ist ein Paradoxon, dem gleichend, das da in einer jeden authentischen religiösen Rede verlauten mag. Das höchste Gut des Glaubens und das höchste Gut, über das der Humanist, über das der Dichter gebietet, sie ähneln sich auf eine denkwürdige Weise. Weit entfernt aber sind noch die Tage, da eine Vermischung beider Sphären statthaben wird. Keine Kunstreligion wird beschworen, aber eben ein höchstes irdisches Juwel, das nur den Auserwählten zufällt und im gewöhnlichen Leben wenig zählt. Wir nehmen teil, so viel zeichnet sich bereits ab, an einer Feier der Poesie, eingekleidet in die Pose der Verehrung einer Geliebten und ihrer Erhöhung zu einer Gottheit, wie sie nur im Milieu der Alten imaginiert werden durfte.
Äußere und innere Schönheit Gelangt dann die satirische Mitgift des Hinkverses zum Tragen, so tut der Sprecher sich nicht genug darin, das aufgeblähte Stutzertum der Liebhaber wie das ehrlose Gebaren der zuchtlosen Geliebten gehörig zu geißeln. Ein Gegenbild erscheint, welches das hier sich darbietende Paar Hipponax und Asterie in um so reinerem Licht erstrahlen läßt. Wir aber dürfen das in unserer Erzählung aussparen. Keuschheit ist das Siegel Asteriens, und der Liebende der beredte Künder ihrer Meriten. Kein irdisches Verlangen befleckt diese Liebe, sie ist anderem zugewandt als dem Nichtigen und nur allzu oft von Schimpf und Schande Besudelten. Sittsamkeit, so Hipponax in der Rolle des Mahners, möge ihre Vorzüge, möge ihre Schönheit umkleiden. Das ist ihr Part. Die ›Frucht des heiteren Scherzes‹ braucht sie deswegen nicht zu entbehren. Damit kommt sein Part ins Spiel, und der lautet dahingehend, der scherzhaften Muse seine Stimme zu leihen und sie im Gesang des Irdischen zu entheben ... Ihr schadet es nicht, wenn dieser Liebende verstohlen einen Kuß ihr raubt, ist es doch, wie wir ergänzen dürfen, ein den fleischlichen Sinnen entzogener. Und einmal da angekommen, öffnen sich die Schleusen und die dem Neuplatonismus verpflichteten Vokabeln und Vorstellungen fließen dem Liebenden nur so zu. Wieder öffnet er sein Füllhorn, nun aber zum Preis einer süßen Liebesgemeinschaft, die eine der See-
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len ist. Sich selbst ist der Liebende entrissen, wenn er nach ihren Augen lechzt, hat ihn doch, so lesen wir im Subtext, der poetische Furor ergriffen. Ihre schöne Gestalt ist der Ausdruck ihrer inneren Schönheit, und diese ist es, welcher der Liebende fortwährend besingt, indem er ihre Schönheit poetisch umkreist. Dem Liebenden als dem Dichter bleibt es vorbehalten, diese Schönheit ohne Schleier zu gewahren, er ist der Herold des höchsten, des überirdischen Gutes auf Erden.
Hipponax als Satiriker und Euloge Und dann gibt sich Hipponax als der Sprecher dieses Textes tatsächlich des Näheren zu erkennen. Nur allzu genau weiß der, daß es ihm an illustren Vorfahren und an der Würde der Abstammung mangelt. Was er ist und zu wem er wurde, verdankt er eigener Leistung. Mit einem klugen Kopf ist er gesegnet, und dem entspringt, was er bislang vermocht hat. Hinsichtlich des Ortes seiner Geburt braucht er sich wahrlich nicht zu schämen. Reich an gelehrten Männern war und ist die Stadt, geziert durch Gärten und Gewässer, wie noch einmal zu vernehmen. Sogar Namen fallen. Senftlebens gewinnende Rede und Kirchners elegante Muse finden Erwähnung. Hipponax aus Ephesos ist versetzt an den Bober. Wann wird er mit den Freunden und der Geliebten daselbst wieder wandeln, dort – so dürfen wir ergänzen –, wo die Musen einen ihnen geweihten Raum bevölkern? Sie sind im Visier, wenn es um die Schöne geht; ihnen weiht sich der Liebende, und so kann er sich zum Sprecher des gesamten poetischen Standes machen. Numini suum et sancto Propago nostra semen imputat caelo. Me laus scientiae aureae et fames famae, Genîque calcar campo honoris instigat; Me literarum fervor è sinu mundi Molestiis subducit atquè secernit Plebe implicatâ multum inanibus curis.23
Dem niederen Volk sind die Weihen einer höheren Bestimmung vorenthalten. Diese bittere Erkenntnis war einem jeden Humanisten gegenwärtig, und nur ausnahmsweise knüpfte sich daran eine nachdenkliche Reflexion. Entsprechend klingt das Motiv auch im ›Hipponax‹ nur eben an. Der Sprecher nämlich nimmt diejenigen aufs Korn, die den hehren Namen des Dichters schänden. Dichterlinge sind es, die da einen ›feilen Lorbeerkranz‹ erwerben und ihre Muse nur gegen klingende Münze in Gang setzen. Damit ist das Stichwort gegeben für eine Tirade, die auf andere Weise bei Heinsius vorgegeben war und dem satirischen Duktus des Hipponax Genüge tut. ––––––––– 23
Ebenda, S. 124, Verse 211–216. Der deutsche Text: Unser Geschlecht schreibt seinen Ursprung einem göttlichen Wesen und dem heiligen Himmel zu. Mich stacheln die hohe Geltung der goldenen Wissenschaft, der Hunger nach Ruhm und der Sporn des Genius zum Wettlauf um die Ehre an. Mich führt brennendes Interesse an der gelehrten Literatur aus dem Treiben der Welt mit seinen Beschwernissen hinweg und scheidet mich von der Menge, die ganz in fruchtlose Sorgen verstrickt ist. (S. 125).
Feier des Poeten und der Poesie
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Die Buchstabengelehrten werden gegeißelt, die den schöpferischen Funken niemals in sich gespürt haben. Noch einmal fällt ein abschätziges Wort über Pädagogen und Schulmeister, die da den Wert der aus freien Stücken den Alten ergebenen Geister nicht zu würdigen wissen. Vestrisne nostra caelica ausa cancellis, Vestrine limite ingenî veternosi Et angiporto clauditis?24
Dagegen lehnt der Sprecher sich auf und scheut nicht die übelsten Beschimpfungen – Hipponax der Stammvater der Hinksilben in heftigster Aktion.
Feier des Poeten und der Poesie Der wahre Poet aber, mit brennendem Herzen den Wissenschaften und Künsten ergeben, scheidet schon zu Lebzeiten aus dem Leben aus, bringt er der Geliebten doch sein Leben dar. Ewiges Leben ist ihnen gewiß, leben sie doch fort in immerwährendem Ruhm. Ein Feuer wühlt in dem Dichter, das die Gluten des Ätna übertrifft. Nur dieser ›furor‹ ist lebenzerstörend und lebenspendend zugleich. Den Mänaden auf dem Pindus gleich, durchglüht von Bacchus, dem Gott des Weines und der Poesie, erhebt der Poet sich über das Irdische um des einen Auftrages willen, der über die Zeiten hinweg an die erlauchten Geister ergeht. Als ›vierte Schwester‹ gesellt sich die Geliebte zu den drei Grazien. Tui decoris cultor atque adorator Virtutis adsum. [...] Non rarò ad unam siderum trahit metam. Occurre jußis caelitum: manum fatis, Os dede nobis suave nectar exhalans, Suavesque flores; dede basium nobis, Signum futuri et dulce faederis pignus.25
Ein Hymnus, verpuppt in die Hinkjamben und emporgleitend zu den Sternen, ist zu seinem Ende gelangt. Was auch immer der Anteil des Heinsius im einzelnen war, dem deutschen Dichter ist ein mitreißendes Eulogium auf die Gaben der Schönheit, die Gaben der Poesie gelungen. Als Asteriens leidenschaftlicher Diener gibt er sich zu erkennen. Einem Wunder gleich verschmelzen Liebender und Geliebte im Wechsel des Kusses zu einem immerwährenden, einem göttlichen Geschöpf, das die Gestalt eines Poems tragen wird. ––––––––– 24
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Ebenda, Verse 245–247. Der deutsche Text: Unsere vom Himmel eingegebenen Vorhaben sperrt ihr in eure Käfige, in die Grenze und die enge Gasse eures kraftlosen Geistes ein? (S. 125). Ebenda, S. 128, Verse 300 f. und 306–310. Der deutsche Text: [Als] Verehrer deiner Schönheit und Anbeter deiner Tugend stehe ich vor dir. [...] Nicht selten zieht das göttliche Zusammenwirken entfernter Gestirne zwei Seelen zum selben Ziel. Komme dem Willen der Himmlischen entgegen, gib dem Schicksal die Hand, mir aber deinen Mund, der süßen Nektar atmet und süßen Blütenduft; gib mir einen Kuß als Zeichen und süßes Unterpfand unseres künftigen Bundes. (S. 129).
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Der Dichter wußte, warum er in einem Widmungsexemplar mit seinen frühen Arbeiten an den freundschaftlich verbundenen Janus Gruter das Versgedicht ›Hipponax ad Asteriam‹ an den Anfang setzte. Wie auf andere Weise im ›Aristarchus‹ wurde auch mittels dieses Textes ein Ritual der Initiation zelebriert. Ein Lebensentwurf wird erkennbar, der ganz im Zeichen der Poesie steht. Zu ihr rüstet sich der Sprechende und gibt doch zugleich ein imponierendes Zeugnis in actu. Dieser Sprecher hat Großes im Sinn, erpicht auf strahlenden Ruhm. Getragen von Sendungsbewußtsein versinken die Hemmnisse des Alltags vor dem visionären Auge. Von jemandem, der sich derart zu sprechen erkühnt, ist Besonderes zu erwarten. Asterie blieb der Leitstern, der dem Dichter auf seinem Wege leuchtete. Und der erwies sich als ein ihr würdiger Liebhaber, als welchen er sich im Gewande des Hipponax der Überirdischen verschrieben hatte.
Heiterer Abgesang und Blick in die Zukunft Ein großer poetischer Vorwurf, eingekleidet in ein Liebesgedicht und dargeboten in Hinkjamben, gelangte zur Darstellung. Der Scherz im Ernst aber, er will bewahrt sein, wenn anders nicht Frevel am Geist der Poesie begangen werden soll. Und genau so verfährt denn auch der Dichter. Anders als der hinkende Jambus wird der Liebende nicht lahm sein, wenn denn die Geliebte ihm ihre Gunst gewährt. Verschließt sie sich aber seinem Werben, werden des Jambus Zornesblitze sie nicht verschonen. So ist am Ende alles wieder offen. Und so kann sich der Dichter zu guter letzt, wie es sich geziemt, wieder an seine Freunde wenden, die er als Empfänger dieses Poems erwählt hatte. Nichtigkeiten (nugae) habe er verlauten lassen. Und wie sollte es anders sein? Der Dichter steht am Anfang, hat sich als Kommender präsentiert. Gefallen hat es ihm, auf lateinisch zu ›schwatzen‹, wie es da abschätzig heißt. Im Visier aber ist seit Beuthen das Deutsche. Entsprechend folgen ein paar deutsche Gedichte. Auch für sie hat der Dichter eine heitere Einführung bereit. Sollte es Personen geben, deren Magen diese Kost nicht zusagt, so möchten sie doch den Lukian um ein Brechmittel bitten, um ihn wieder zu reinigen. Dieser aber weiß noch mehr. Dann und wann sei es schlicht angenehm, ›verrückt‹ zu sein. Und von Platon schließlich sei der Spruch überliefert, ein ›Dichterhaus habe vergeblich einen Bewohner vertrieben‹ – vergeblich, so dürfen wir ein letztes Mal ergänzen, weil seine Poesie in aller Munde war. Warum aber, so unsere abschließende Frage, der kleine deutschsprachige Strauß im Anhang zu dem großen lateinischen Poem? Drei Gründe wären zu erwägen. Opitz nahm eine jede sich bietende Gelegenheit wahr, zwischenzeitlich entstandene Poesie an geeigneter Stelle zu plazieren. Das war im ›Aristarchus‹ so und wiederholt sich nun im ›Hipponax‹. Zugleich aber galt es, das sprachliche Gleichgewicht wieder herzustellen, nachdem ein so leidenschaftliches Plädoyer für das Deutsche eben erst verlautet war. Das wichtigste Argument aber hat der Dichter selbst vorgegeben in seiner Nachschrift an die Freunde. Denn die Präsentation der sechs deutschen Gedichte wird verknüpft mit der Erwartung, daß sie, vereint mit anderen, einstmals gesammelt vorlie-
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gen mögen. Der gerade mit seinen ersten deutschsprachigen Stücken hervortretende Dichter hat bereits deren Kollektion im Blick. Erst dann darf er Ebenbürtigkeit mit seinen Vorbildern im Europa der Petrarcas, Ronsards und Heinsius’ für sich reklamieren. Schritt für Schritt wird der Pfad auf dem Weg zum Ruhm avisiert, und stets ist der Dichter planend und entwerfend seinen Taten schon voraus. Auch das gehört zum Geschäft des Impresarios in eigener Sache, das Opitz so meisterhaft beherrschte.
In Frankfurt an der Oder zu brisanter Zeit Das Kapitel ›Opitz in Frankfurt an der Oder‹ ist ein weitgehend unbeschriebenes. Max Rubensohn hatte sich, wie erwähnt, an ihm versucht. Ihm ging es um den Dichter des ›Hipponax‹ und damit um die Spuren einer erotischen Delikatesse. Eine solche Exkursion war nicht dazu angetan, den Faden wiederaufzunehmen und ihn weiterzuspinnen. Eine völlig andere Art der Betrachtung muß an ihre Stelle treten. Und die paßt sich auch und im Blick auf Frankfurt in jene innere Biographie Opitzens ein, der unser Interesse gilt und die mit jedem weiteren Schritt zunehmende Evidenz und Konsistenz gewinnen sollte. Es ist nicht mehr erforderlich, als vor Ort jeweils den politischen, intellektuellen und religiösen Radius mit wenigen Strichen zu vermessen. Religion und Politik bleiben die beiden bestimmenden Mächte für Opitz und die späthumanistische Intelligenz insgesamt. Und so auch hinsichtlich Frankfurts. Gerne würden wir diesen Ort gleichfalls in seiner Prägekraft für die intellektuelle Biographie Opitzens fortan genuin in Anschlag gebracht sehen. Noch einmal traf er zu einem Zeitpunkt in einem Land und in einer Stadt ein, die soeben einen weit über die Region hinaus wirkenden Umbruch erfuhren. Wieder war es die religiöse und genauer: die konfessionelle Situierung, in der es merkliche Bewegung gab. Und natürlich war sie verknüpft mit politischen Maßnahmen, die dem auf den ersten Blick innerkirchlichen Vorgang alsbald energische Dynamik verliehen. Entscheidend aber blieb, daß der religiöse und politische Umschwung in kaum vorstellbaren Maße Stellungsnahmen, Debatten, Konflikte mit sich brachte, die unerhörten Widerhall in der intellektuellen Szene nach sich zogen. Allein in den Jahren zwischen 1614 und 1617 sollen um die zweihundert Streitschriften erschienen sein, die einem dramatischen Glaubenswechsel, von dem sogleich zu sprechen sein wird, galten.26 ––––––––– 26
Vgl. Rudolf Kniebe: Der Schriftenstreit über die Reformation des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg seit 1613.- Halle-Wittenberg: Niemeyer 1902. Daß ungeachtet der Aufrufe der Fürsten zu Toleranz die Kämpfe zwischen Lutheranern und Calvinisten zumal auf der Kanzel auch im 17. Jahrhundert fortwährten, ist aktenkundig. Vgl. die Abhandlung von Paul Schwartz: Aus der Zeit der Kämpfe zwischen Lutherischen und Reformierten im 17. Jahrhundert.- In: Schriften des Vereins für Geschichte der Neumark 24 (1910), S. 35–88. Vgl. von Schwartz auch: Unitarier in der Neumark.- In: Schriften des Vereins 10 (1900), S. 61–72. Zu wünschen wäre eine Dokumentation der Druckproduktion des 17. Jahrhunderts aus Frankfurter Offizinen, wie sie für das 16. Jahrhundert hervorragend erarbeitet vorliegt in: Hans-Erich Teitge: Der Buchdruck des 16. Jahrhunderts in Frankfurt an der Oder. Verzeichnis der Drucke.- Berlin 2000 (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin Preussischer Kulturbesitz; 11). Vgl. von Teitge auch: Berliner Manu-
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Machen wir also auch in Frankfurt an der Oder länger als in der Opitz-Forschung üblich Station, so aus keinem anderen Grund als dem, uns der diskursiven Energien zu versichern, die selbstverständlich auch einen Opitz erreicht haben, in Frankfurt nicht anders als in Beuthen oder Görlitz. Wie auf allen bisherigen Stationen seines bewegten jugendlichen Lebens wurde er auch in Frankfurt Zeuge einer vitalen Erschütterung herkömmlicher Gewißheiten, die einhergingen mit Vorstößen, in denen sich eine Zukunft ankündigte, die in Frankfurt nicht anders als in Beuthen einen jeden aufmerksamen Zeitgenossen und Zeitdiagnostiker in ihren Bann schlagen mußte. Wir dürfen die Chance nicht verpassen, davon in aller gebotenen Kürze eine hinlänglich präzise Vorstellung zu vermitteln. Wie für so viele Schlesier war die Stadt mit ihrer Universität auch für Opitz der gegebene Ort zur Aufnahme eines Studiums, das freilich denkbar kurz währen sollte. Speziell zwischen dem Breslauer und dem Frankfurter Rat bestanden enge Beziehungen. Frankfurt war am Ausgang des Mittelalters die größte und reichste aller märkischen Städte; Berlin stand weit dahinter zurück. Wie Görlitz kam auch Frankfurt dem grenzüberschreitenden Austausch entgegen, der für die mobile nobilitas litteraria so wichtig blieb. Über Frankfurt im Ostbrandenburgischen wurde der Oderraum mit seinen Verbindungen hin zu Schlesien und zur Niederlausitz ebenso wie zu Pommern und Polen erschlossen. Die Verbindungen belebten sich noch einmal merklich in der Zeit um 1600. Wie immer waren es politische und religiöse Beweggründe, die dazu beitrugen. Und wie so häufig war Opitz genau im richtigen Moment zur Stelle.27 Kaum Näheres ist über seinen Aufenthalt bekannt, der auch terminlich nicht mehr exakt zu fixieren ist. Um so wichtiger, über die politisch-konfessionelle Situation informiert zu sein, deren Zeuge er wurde. Und das an einem akademischen Kristallisationspunkt, über den in einer Opitz gewidmeten Arbeit in jedem Fall zu handeln ist. Ein bislang blinder Fleck bedarf der Beseitigung, auf daß an seine Stelle ein Bild tritt, das fortan der inneren Lebensgeschichte des Dichters integriert sein will. Da wir zudem noch einmal das Glück haben, wenigstens einen bemerkenswerten Text mit Frankfurt und seinem Druckwesen verbinden zu können, besteht gehöriger Anlaß, wiederum für eine knapp bemessene Weile Halt zu machen.
Fürstlich sanktionierter Calvinismus und praktizierte Toleranz Wie stets und überall bezeichnet das Eindringen reformatorischer Gedanken auch in Brandenburg ein eigenes Kapitel, das uns hier nicht beschäftigen kann. Die Stunde für die Generation vor Opitz wie auch für die seinige kommt mit der Belebung reformierter Ideen, wie sie aufs engste mit der Formierung des Späthumanismus verknüpft ist. ––––––––– 27
skripte und Viadrina-Drucke. Kleine Schriften. Hrsg. von Wolfgang Milde.- Hildesheim: Weidmann 2004 (Spolia Berolinensia; 20). Ein Eintrag zu Frankfurt/Oder fehlt leider in dem oben Anm. 4 aufgeführten ›Handbuch der kulturellen Zentren‹. Zur Geschichte der Stadt vergleiche man: Christian Wilhelm Spieker: Geschichte der Stadt Frankfurt an der Oder von der Gründung der Stadt bis zum Königthum der Hohenzollern.- Frankfurt/Oder: Harnecke 1853; Frankfurt an der Oder 1253–2003. Hrsg. von Ulrich Knefelkamp, Siegfried Griesa.- Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung 2003.
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Starke späthumanistische Bastionen, so die Faustregel, sind eben solche, in denen reformierte Ideen Virulenz erlangt haben.28 In Brandenburg werden entsprechende Tendenzen unter Kurfürst Johann Georg (1571–1598), dann aber vor allem unter seinem Sohn Joachim Friedrich (1598–1608) erkennbar. Und das womöglich weniger auf dem Feld der Theologie selbst als auf dem der Bündnispolitik, die um 1600 in ihre entscheidende Phase eintritt. Die protestantische Union formierte sich auf Betreiben vor allem Frankreichs, Englands und der Niederlande, und die calvinistische bzw. reformierte bzw. puritanische Vorreiterrolle blieb unverkennbar. Schon unter Joachim Friedrich wurden die Zurüstungen für ein entsprechendes Engagement des Kurfürstentums getroffen, die dann unter seinem Sohn Johann Sigismund (1608–1619) spektakuläre Realität werden sollten.29 Bemerkenswert bleibt zunächst, daß schon unter Joachim Friedrich ein Bestreben von fürstlicher Seite aus sich ankündigt, auf konfessionellen Rigorismus oder Fundamentalismus zu verzichten. In den neunziger Jahren werden dann die ersten Glaubensflüchtlinge in Brandenburg angesiedelt. Diese Maßnahme ging einher mit einer von Joachim Friedrich ausgehenden Anweisung an Haus, Hof und Herrschaft, eine tolerante Praxis gegenüber Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen zu beobachten. Über seinen Generalsuperintendenten, den ›märkischen Melanchthon‹ Christoph Pelargus, ließ er ein mildes Visitationsverfahren praktizieren. Die Konkordienformel lehnte er für seine Person ab, schloß sie doch Reformierte aus. Und bewußt bestellte ––––––––– 28
29
Es liegen zwei ausgezeichnete lexikalische Einführungen, jeweils mit reicher Literatur, vor. Vgl. den Eintrag ›Brandenburg‹ von Dietrich Kurze, Gerd Heinrich und Wilhelm Dittmann in: Theologische Realenzyklopädie VII (1981), S. 104–131. Der hier interessierende Abschnitt ›Brandenburg II. Reformation und Neuzeit‹, S. 111–128, stammt aus der Feder von Heinrich. Des weiteren: Anton Schindling, Manfred Rudersdorf: Kurbrandenburg.- In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Band II: Der Nordosten. 3. Aufl.- Münster: Aschendorff 1993 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung; 50), S. 34–66. Wir möchten an dieser Stelle gezielt hinweisen auf die quellenkundlich hervorragend ausgestatteten Beiträge aus dem 18. Jahrhundert des uns wohlbekannten Daniel Heinrich Hering: Historische Nachricht von dem ersten Anfang der Evangelisch= Reformirten Kirche in Brandenburg und Preußen unter dem gottseligen Churfürsten Johann Sigismund nebst den drey Bekentnißschrifen dieser Kirche.- Halle: Curt 1778; ders.: Verbesserungen und Zusätze zur Historischen Nachricht [...].- Halle: Curt 1783; ders.: Beiträge zur Geschichte der Evangelisch=Reformirten Kirche in den Preußisch=Brandenburgischen Ländern. Erster [und] Zweeter Theil.- Breslau: Meyer 1784–1785; ders.: Neue Beiträge zur Geschichte der EvangelischReformirten Kirche in den Preußisch=Brandenburgischen Ländern. Erster [und] Zweeter Theil.Berlin: Lange 1786–1787. Kopien aller selten zusammen verwahrten Arbeiten in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Vgl. zum Folgenden neben der in Anm. 28 zitierten Literatur: Wolfgang Gericke: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union. 1540– 1815.- Bielefeld: Luther-Verlag 1977 (Unio und Confessio; 6). Darin: Die gemäßigt reformierte ›Confessio Sigismundi‹ (›Marchica‹) von 1614 und der Verzicht auf einen geschlossenen konfessionellen brandenburgischen Territorialstaat, S. 22–29. Des weiteren: Gerd Heinrich: Religionstoleranz in Brandenburg-Preußen. Idee und Wirklichkeit.- In: Preußen. Beiträge zu einer politischen Kultur. Band II (1981), S. 61–88; Zum Kontext: Eike Wollgast: Formen landesfürstlicher Reformation in Deutschland. Kursachsen – Württemberg/Brandenburg – Kurpfalz.- In: Die dänische Reformation vor ihrem internationalen Hintergrund. Hrsg. von Leif Grane, Kai Hørby.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; 46), S. 57–90.
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er gemäßigte Calvinisten zu seinen Hofräten. Altkirchliche Gebräuche in Gestalt von Amtstrachten, Gesängen und Liturgieteilen wurden geduldet. Die Gründung des Joachimsthaler Gymnasiums im Jahre 1607 sollte ausdrücklich jesuitischem Einfluß entgegenwirken. Kontakte insbesondere zur reformierten Pfalz und zu den Niederlanden wurden aktiviert. Deutlich zeichnen sich unter seiner Regentschaft zugleich Umrisse einer gemeinprotestantischen Politik ab, deren Komplement eben die konfessionelle Duldung im Inneren bildet. Wenn der Fürst sich entschloß, seine beiden ältesten Söhne Johann Sigismund und Johann Georg zum Studium nach Straßburg zu schicken, so war evident, daß die Orientierung hin zum Westen noch im 16. Jahrhundert einsetzte, wie sie dann alsbald bündnispolitisch zu Buche schlug. Spätestens jetzt setzte sich die Erkenntnis durch, daß der Calvinismus die modernere und aktivere Richtung im Protestantismus war. Im Verein mit der Rezeption des vor allem niederländisch geprägten Neustoizismus waren die Grundlagen gelegt für eine aufsehenerregende Aktion von europäischer Bedeutung, verbunden für zwei, drei Dezennien mit einschneidenden Konsequenzen gerade auch für jene Fürstenhäuser in Schlesien, denen Opitz am nächsten stand.30 Im Dezember des Jahres 1613 vollzog Johann Sigismund – nach dem Vorgang seines Bruders Ernst, der im nämlichen Jahr starb – den Schritt zum reformierten Bekenntnis.31 Gleich im nächsten Jahr ließ er die ›Confessio Sigismundi‹ folgen, die zu einem zentralen religionspolitischen Dokument in dieser spannungsgeladenen Zeit geriet. Weder die Kurfürstin, noch die Stände oder gar das ›Volk‹ schlossen sich diesem ––––––––– 30
31
Vgl. die – rasch Berühmtheit erlangte – Abhandlung von Otto Hintze: Kalvinismus und Staatsraison in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts.- In: Historische Zeitschrift 144 (1931), S. 229–286. Sie ist eingegangen in: ders.: Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preussens. Herausgegeben und eingeleitet von Gerhard Oestreich. 2., durchges. Aufl.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1967 (Gesammelte Abhandlungen; 3), S. 255–312. Der Neudruck ist um zahlreiche Anmerkungen des Herausgebers ergänzt und daher vorzugsweise zu benutzen. Komplementär heranzuziehen: Gerhard Oestreich: Fundamente preussischer Geistesgeschichte. Religion und Weltanschauung in Brandenburg im 17. Jahrhundert.- In: ders.: Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Brigitta Oestreich.- Berlin: Duncker & Humblot 1980, S. 275–297. Zum Kontext vgl. die gleichfalls vielzitierte grundlegende Abhandlung von Oestreich: Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen.- In: ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze.- Berlin: Duncker & Humblot 1969, S. 101– 156, insbesondere S. 139 ff. Vgl. schließlich auch Christof Römer: Der Beginn der calvinischen Politik des Hauses Brandenburg.- In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 23 (1974), S. 99–112. Vgl. dazu vor allem die in Anm. 28 an erster Stelle aus der Feder Herings zitierte Monographie aus dem Jahr 1778 mit allen einschlägigen Dokumenten. Vgl. auch Anton Chroust: Aktenstücke zur brandenburgischen Geschichte unter Kurfürst Johann Sigismund.- In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 9 (1897), S. 1–21. Zu den Folgewirkungen dieses einschneidenden Ereignisses vgl. neben der oben in Anm. 26 zitierten Literatur auch: Ernst Opgenoorth: Die Reformierten in Brandenburg-Preußen. Minderheit und Elite?- In: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 439–459; Bodo Nischan: The Second Reformation in Brandenburg. Aims and Goals.- In: The Sixteenth-Century Journal 14/2 (1983), S. 173–187; Reformatio et Reformationes. Festschrift Lothar Graf zu Dohna. Hrsg. von A. Mehl und W. Chr. Schneider.- Technische Hochschule Darmstadt 1989.
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Glaubenswechsel an. Das Wittenberger Bekenntnis blieb als erste Landes-Konfession neben dem reformierten Glauben bestehen, und auch Altgläubige bewahrten vielfach ihren Platz. Derart existierten drei Gestaltungen christlichen Glaubens im Land nebeneinander, und die fürstliche Spitze betrachtete es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, das friedliche Nebeneinander zu gewährleisten. Das war ein Durchbruch. Der Grundsatz ›Cuius regio eius religio‹ war damit außer Kraft gesetzt. Eine merklich auf Polykonfessionalität angelegte Religionspolitik brach sich Bahn. Gewissensfreiheit wurde postuliert, die offenkundig selbst Katholiken einschloß. Insoweit hat mithin der Konfessionswechsel des Kurfürsten, der auch Brandenburgs Rolle als protestantische Vormacht im Reiche vorbereiten half, Epoche gemacht; und er hat mit dem Niederlegen kleinstaatlicher Konfessionsgrenzen die Wege erweitert für das Eindringen moderner Staats-, Rechts- und Kulturideen niederländischer und französischer Herkunft nach Berlin-Brandenburg und dem späteren Preußen.32
Genau in diesen Jahren, den letzten vor der Katastrophe in Böhmen und den böhmischen Nebenländern, weilte Opitz vermutlich mehr als einmal, von Beuthen und Görlitz, womöglich auch von Breslau aus herüberkommend, in jenem Land, das mit einem Schlag an die Spitze zukunftsweisender religionspolitischer Bewegungen rückte. Es kann keinen Zweifel geben, daß das, was sich dort abspielte, in den Kreisen der Gelehrtenschaft rege Diskussionen hervorrief, die keinesfalls immer in schriftlichen Zeugnissen einen Niederschlag finden mußten. Genug, wenn sie wahrgenommen und verarbeitet wurden, kamen sie doch allemal dem Werk auf welch unterirdischen Wegen auch immer zugute. Im Falle Opitzens aber trat etwas anderes hinzu, das zu jener Zeit nicht entfernt absehbar war. Er sollte im Auftrage seiner späteren Dienstherren mehr als einmal in diplomatischer Mission nach Brandenburg zurückkehren. Vor allem aber spielte eben just dieses Kurfürstentum eine entscheidende Rolle, als die Piastenherzöge in äußerster Not auf der Wende von den zwanziger zu den dreißiger Jahren gleich mehrfach ihr Land verlassen mußten und zeitweilig auch in Brandenburg ein Refugium fanden. Opitz war auch jetzt immer wieder tätig an ihrer Seite. Das Land unter reformierter Spitze ist aus seiner Biographie so wenig wie aus seinem Werk wegzudenken. Bewegt aber hat er sich in den Monaten seiner ersten Begegnung mit ihm naturgemäß in akademischem Milieu. Und auch davon ist nun zu sprechen.33 ––––––––– 32
33
So Heinrich in dem oben in Anm. 28 zitierten Artikel in der Theologischen Realenzyklopädie VII (1981), S. 114. Vgl. zur Geschichte der Universität Frankfurt/Oder, der sog. ›Viadrina‹, den Eintrag von Gerd Heinrich mit der reichen Literatur in: Theologische Realenzyklopädie XI (1983), S. 335–342. Vorausgegangen war: Günter Mühlpfordt: Die Oderuniversität Frankfurt (1506–1811). Mit einem Beitrag von Ralf-Rüdiger Targiel: Eine deutsche Hochschule in der Geschichte BrandenburgPreußens und der europäischen Wissenschaft. Zum 475. Jahrestag der Eröffnung der Frankfurter Universität.- Frankfurt/Oder 1981 (Frankfurter Beiträge zur Geschichte; 9); Die Oder-Universität Frankfurt. Hrsg. von Günther Haase, Joachim Winkler.- Weimar: Böhlau Nachf. 1983. Sehr ergiebig auch der Jubiläums-Sammelband anläßlich des fünfhundertsten Gründungsjahres 2006: Europäische Bildungsströme. Die Viadrina im Kontext der europäischen Gelehrtenrepublik der Frühen Neuzeit (1506–1811). Hrsg. von Reinhard Blänkner.- Schöneiche bei Berlin: scrîpvaz-Verlag
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Das Reformprojekt der ›Viadrina‹ Noch vor Einsatz der Reformation war im Jahr 1506 durch Kurfürst Joachim I. eine Universität in Frankfurt an der Oder eröffnet worden. Das war überraschend. Nicht die Residenzstadt Berlin bzw. Cölln, sondern Frankfurt kam zum Zuge. Ganz offensichtlich war es die Randlage mit den erwähnten Zugängen zu den Nachbarregionen, die den Ausschlag gaben und gerade Schlesien und den Lausitzen so eminent zugute kommen sollten. Zu Buche schlug aber gewiß auch, daß Berlin nicht Sitz eines Bischofs war, wohingegen sich in Frankfurt-Lebus unter dem Vorsitz Bischofs Dietrich von Bülow tatsächlich ein Universitäts-Gründungs-Konsortium gebildet hatte. Als es dann im frühen 16. Jahrhundert zur formellen Gründung kam, blieb es Brandenburg vorbehalten, die letzte Hochschule vor Einsatz der Reformation ins Leben gerufen zu haben. Schon in den Einladungen des Landesfürsten wurde darauf abgehoben, daß in der Neugründung besonderer Wert auf die Pflege der humanistischen Studien gelegt werden solle. Sie kamen vor allem der Jurisprudenz zugute, die den Kern der Hochschule bis in das Jahr 1811 bildete, da die Universität nach Breslau verlegt wurde. Es gelang, den berühmten Juristen Gregor Schmerlin (alias Publius Vigilantius) aus Straßburg nach Frankfurt zu holen. In der Artistenfakultät kamen gleich zwei Tacitus-Kenner zu Wort: Johannes Rhagius Aesticampianus, der regelmäßig über Tacitus las, und Jodocus Willich, der im Übergang zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Publikation seiner Kommentare zur ›Germania‹ des Tacitus begann. Entscheidend blieb – wie stets – der Umbruch in der Reformation. Er zeitigte, um nur wenige Akzente zu setzen, die Berufung von Melanchthons Schwiegersohn Georg Sabinus auf den Lehrstuhl für Rhetorik im Jahr 1538. Fortan kam dieser Position besondere Bedeutung zu, die sich bis in die Jahre Opitzens hinein erstreckte. Und das im Gleichklang mit der evangelisch-lutherischen Fakultät. Diese besaß bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein, als die Dominanz der Lutheraner sich abzuschwächen begann, eine philippistische, sodann eine gnesiolutherische und schließlich beim Übergang zum 17. Jahrhundert eine philippistisch-kryptocalvinistische Ausprägung. Auch Frankfurt blieben die konfessionellen Querelen nicht erspart. Und wie in anderen Territorien mußte auch im Brandenburgischen Frankfurt der Kurfürst 1562 mit einem ›Toleranz-Erlaß‹ eingreifen und sich um Befriedung bemühen. Wenn die Viadrina schließlich zu einer gerade auch für die Schlesier attraktiven akademischen Hochburg im Osten aufstieg, so aufgrund des nicht aufzuhaltenden reformierten Philippismus im Zuge der ›Zweiten Reformation‹. Dozenten und Studie––––––––– 2008. Zur Frühgeschichte vgl. Gustav Bauch: Die Anfänge der Universität Frankfurt a.O. und die Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens an der Hochschule (1506–1540).- Berlin: Harrwitz Nachf. 1900 (Texte und Forschungen zur Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in den Ländern deutscher Zunge; 3). Neuerdings: Michael Höhle: Universität und Reformation. Die Universität Frankfurt (Oder) von 1506 bis 1550.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2002 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte; 25). Äußerst gehalt- und quellenreich auch geblieben das Kapitel ›Von der Universität Frankfurt an der Oder‹.- In: Hering: Historische Nachricht (1778) (Anm. 28), S. 322–332; Verbesserungen und Zusätze (1783) (Anm. 28), S. 68–71. Die ›Zusätze‹ in den Nachfolgebänden (vgl. ebenfalls Anm. 28) betreffen die spätere, hier nicht zur Rede stehende Zeit.
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rende, die in der Lutherstadt Wittenberg keine Bleibe mehr fanden, wichen nicht zuletzt immer wieder auch nach Frankfurt aus. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive bezeichnet die Zeit um 1600 in jeder Hinsicht eine der Blüte. Die Jahrzehnte zwischen 1580 und 1620 boten den Professoren im Rahmen der geistigen Zeitenwende [!] Europas in mehr als vier Friedensjahrzehnten die Chance stetiger Lehre, Forschung und der Publikation von Schriften, die von der geistigen und materiellen Drehscheibe der relativ großen Stadt (ca. 8000 Einwohner) weit in den ost- und südosteuropäischen Raum hinein, vor allem auf Erzieher und Amtsträger wirkten.34
Auch Frankfurt leistete – wie auf andere Weise Beuthen, zeitweilig aber eben auch Görlitz – in dieser Schwellen- und Sattelzeit um 1600 seinen Beitrag zur Ausbildung einer polyphonen religiösen Kultur, und dies im engen Zusammenwirken mit dem in Frankfurt sich hoher Wertschätzung erfreuenden Neostoizismus und einer breitgefächerten Aristenfakultät. Mehr als ein Name ist uns begegnet und wird uns weiterhin begegnen, wenn es denn immer wieder um prägende Einflüsse auf Opitz und seine Freunde im Kontext des Späthumanismus geht. Da ist Henning Arnisaeus, Verfasser einer ›Politik‹ und gerühmt als ›protestantischer Aristoteles‹; da ist Johann Bergius, Universalist und, ausgestattet mit kurfürstlicher Autorität, offizieller Repräsentant einer Toleranzpolitik, dem das Haus Brandenburg sich verschrieben hatte; da ist der Kryptocalvinist Johannes Heidenreich, der mit seiner Schrift über die ›Böhmischen Brüder‹ erhebliches Aufsehen hervorrief und später nach Breslau herüberwechselte; da ist der Moraltheologe Christoph Neander, der engen Kontakt nicht zuletzt zu Martin Moller in Görlitz hielt; da ist der Superintendent und überzeugte Ireniker Christoph Pelargus; und da ist schließlich Michael Praetorius als Repräsentant der Musikkultur an der Viadrina und als einer der Begründer der protestantischen Kirchenmusik. Es nimmt nicht Wunder, daß eine derartige mit hochkarätigen und weltanschaulich attraktiven Persönlichkeiten ausgestattete Alma mater ein Anziehungspunkt mit weiter Ausstrahlungskraft blieb. Als Kurfürst Johann Sigismund dann 1613 zum reformierten Bekenntnis übertrat, war die Verankerung der ›zweiten Reformation‹ an der Viadrina definitiv gesichert, im Unterschied zu Beuthen, auch aber zu den schlesischen Gymnasien, von kurzzeitigen Unterbrechungen abgesehen. Die Universität entwickelte sich zu einem polykonfessionellen Geisteszentrum, herrschte die reformierte Fraktion doch nicht als ›Einheitspartei‹. Ausdrücklich wurde über den Kurfürsten von den Professoren Toleranz verlangt. Der Zugewinn an persönlicher Freiheit und wechselseitiger Duldung zeitigte eine Kultur der Diskussion, für die Frankfurt wiederholt gerühmt wurde. Die Universität war eingebunden in den lebhaften geistigen Verkehr über die Grenzen hinweg, wie er wiederum insbesondere den heterodoxen Anliegen der Späthumanisten zugute kam.35 ––––––––– 34
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So Heinrich in dem oben in Anm. 33 zitierten Beitrag in der Theologischen Realenzyklopädie XI (1983), S. 338. Vgl. Othmar Feyl: Die Universität Frankfurt (Oder) in der Bildungsgeschichte des östlichen Europa.- Frankfurt/Oder 1980 (Frankfurter Beiträge zur Geschichte; 8). Speziell im Blick auf Schlesien wichtig geblieben: D. Arnold: Die Universität Frankfurt a.d.O. und der schlesische Protestantismus.- In: Correspondenzblatt des Vereins für die Geschichte der Evangelischen Kirche Schlesiens
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Noch einmal: Opitz in Frankfurt Man gäbe viel darum, Näheres auch über die personellen wie die ideellen Kontakte in Erfahrung zu bringen, die Opitz in den Monaten seines Verweilens in der Stadt empfangen durfte. Die Quellen versagen hierzu fast ganz. Opitzens erster Biograph Christoph Colerus beschränkt sich auf die Notiz, daß sein Held in der Oderstadt ein Jahr lang in engem Verkehr mit seinem Jugendfreund Nüßler lebte. Quâ occasione uterque, ille carminibus, hic eleganti et politissimo scripto, Laude Araneae [...] Proxeneta Andrea Geislero tum Cancellario Ligio, viam ad aulam et gratiam Illustriss. Celsissimique Principis Georgii Rudolfi invenit, sub cujus tutela ac umbra suavissimum illud par olorum postea securè vixit et cantavit.36
Das aber sollte im Falle Opitzens noch eine ganze Weile dauern. Es ist offenkundig, daß auch Colerus nähere Informationen in bezug auf Opitz in Frankfurt fehlen. Sind die Rekonstruktion von Kreisbildungen und von wissenschaftlichem Verkehr die Fundamente einer gediegenen Biographie, wie wir sie für nahezu alle Stationen im Leben Opitzens vornehmen können, so ist dies speziell für Frankfurt nicht möglich. Fruchtbar wurde vor allem die Begegnung mit Schwabe von der Heide, wie sie alsbald im ›Aristarchus‹ sich bezeugte. Und doch bietet gerade der Besuch der Frankfurter Universität Anlaß zu einer weitergehenden Überlegung, die an dieser Stelle ihren gehörigen Platz hat. Schon 1613 war die Immatrikulation eines Martin Opitz an der Viadrina erfolgt.37 Ob sie für unseren Dichter vorgenommen wurde, muß offen bleiben, ist aber wahrscheinlich. Er ist da der letzte in einer Gruppe von Bunzlauern, die einen Eintrag in der Frankfurter Matrikel erhielten. Möglicherweise ermunterte Senftleben seine Schüler zu einer Einschreibung. Ein späterer Eintrag aus der Zeit des faktischen Aufenthaltes von Opitz in Frankfurt ist nicht bekannt. Das ist mehr als symptomatisch. Der Universität verdankt Opitz in disziplinärer Hinsicht keine wesentlichen Anregungen. –––––––––
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1907, S. 268–289. Hinzuzunehmen die beiden parallel angelegten prosopographischen Studien: Gottfried Kliesch: Der Einfluss der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische Bildungsgeschichte dargestellt an den Breslauer Immatrikulierten von 1506–1648.- Würzburg: Holzner 1961 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 5); Otto Bardong: Die Breslauer an der Universität Frankfurt (Oder). Ein Beitrag zur schlesischen Bildungsgeschichte 1648–1811.- Würzburg: Holzner 1970 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 14). Der lateinische Text: Laudatio Honori & Memoriae V. Cl. Martini Opitii paulò post obitum ejus A. MDC. XXXIX. in Actu apud Uratislavienses publico solenniter dicta à Christophoro Colero.Leipzig: Fuhrmann/Wittigau 1665, S. 26. In der deutschen Übersetzung Lindners: Umständliche Nachricht von [...] Martin Opitz von Boberfeld Leben, Tode und Schriften. Hrsg. von Kaspar Gottlieb Lindner. Teil I.- Hirschberg: Krahn 1740, S. 156: Beyde bahnten sich hier den Weg zu dem Herzoglichen Hofe nach Lignitz; Opitz durch seine schönen Gedichte, Nüßler aber durch seine wohlausgearbeitete Schrift, von dem Lobe der Spinne, Sehr vieles half auch der damalige Lignitzische Kanzler, Andreas Geisler, dazu, welcher beyde seinem durchtlauchten Herzog George Rudolph anrühmte, unter dessen Schutz sie auch hernach gelebt und als ein paar Schwäne sanft und schön gesungen haben. Vgl. Martin Opitz. Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band I, S. 202 f., mit Kommentar.
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Er soll sich juristischer Studien während der kurzen Frist in der Stadt der Viadrina befleißigt haben. Ein ordnungsgemäßes Studium wurde niemals absolviert. Dazu wiederum paßt, daß es Opitz nicht vergönnt war, in jungen Jahren eine große Bildungsreise zu unternehmen. Die Schweiz und Italien, klassische Ziele einer peregrinatio academica, hat er nie gesehen, Frankreich und seine Hauptstadt erst sehr viel später und für eine knapp bemessene Frist. Was er sich erwarb – und das war staunenswert genug –, verdankte sich persönlichen Kontakten und einer offensichtlich unermüdlichen Lektüre. Er wußte, warum er immer wieder auf das Thema des Erwerbs von Fertigkeiten aus eigener Kraft in den Künsten und Wissenschaften zurückkam. Es war sein Weg, den er einzuschlagen hatte. Wir können nur konstatieren, daß ihm das rege geistige Klima an der Viadrina in den entscheidenden Jahren vor 1620 zuträglich war. Und wir schätzen uns glücklich, auch aus Frankfurt ein poetisches Juwel aus seiner Feder zu besitzen, auf das wir einen Blick werfen wollen, ist es doch zugleich geeignet, erneut einen Brückenschlag vorzubereiten. Noch einmal tritt die Gestalt Caspar Dornaus in unser Blickfeld. Und zugleich kündigt sich eine zweite Persönlichkeit an, auch sie neben Dornau schon von Colerus erwähnt, der wir uns eben im folgenden Kapitel zuzuwenden haben, blieb sie für ihn womöglich doch die wichtigste in den Jahren seiner Jugend.
›Dulc-Amarum‹: Monaus persönliches Gedenkwerk Unsere Wege führen uns stets wieder zurück in die Zeit und zu der Generation vor Opitz, da die Grundlagen des Späthumanismus gelegt wurden. Jakob Monau erweist sich hier in so gut wie jeder Hinsicht als Schlüsselfigur. Zu seinen Meriten gehört, daß er gerade am Rande der Literaturgeschichte als Pionier tätig wurde. Zu diesen Gründertaten möchten wir die Ausbildung und Pflege des Freundschaftsbuches zählen. Ein solches führten auch andere. Monau aber erweiterte dessen Spektrum. Er nahm auch familiäre Bewandtnisse in sein amikales Werk mit auf. Uns ist nicht bekannt, wer ihm zumal in Deutschland darin womöglich bereits vorangegangen war. In Schlesien jedoch verband sich die Neuerung mit seinem Namen und fand Nachahmung eben im Rückbezug auf ihn. ›Dulc-Amarum‹ lautete der Titel des bunten Straußes, unter dem er noch im 16. Jahrhundert hervortrat. Darüber sogleich. 1581 erschien von Monau sein zunächst noch schmales Bändchen mit Zuschriften zu seinem Symbolum ›Ipse faciet‹.38 Schmal ist es in der Tat, dafür aber um so gewichtiger im Blick auf die Personen, die sich da einfinden, um Monau als Träger eben dieses Wahlspruchs zu ehren. Andreas Dudith und Johannes Crato von Crafftheim, Johannes Sambucus und Johannes Sturm, Théodore de Bèze und Lambertus Danaeus, Matthaeus Usbecius und Theodor Zwinger d.Ä., Petrus Monavius und Petrus Vin––––––––– 38
Vgl. Iacobi Monawi Symbolvm. Ipse faciet: Virorum Clarissimorvm, Et Amicorvm Carissimorvm Versibvs Celebratvm Et Exornatvm.- Anno Christi M.D.LXXXI. Ein Widmungsexemplar für Johann von Zierotín aus der Bibliothek der Kirche bzw. des Gymnasiums zu Maria-Magdalena in Breslau ging über in die alte Breslauer Stadtbibliothek (Signatur: 8 N 1324) und wird heute in der BU Wrocław verwahrt. Signatur: 372253.
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centius, Johannes Caselius und Nikolaus II. Rhediger, Johann Matthäus Wacker von Wackenfels und Paul Schede Melissus, Johannes Posthius und Johannes Schosser, Nathan Chytraeus und Nicolaus Reusner, Nicodemus Frischlin und Georg Calaminus, Georg Vechner und Hieronymus Arconatus sind unter ihnen. Es ist mehr als Freude an den großen Namen, die den Historiker des Späthumanismus dazu bewegt, ihrer bei jeder Gelegenheit wieder zu gedenken. Diese Personen sind es, die die nachfolgende Generation als ihre großen Vorbilder vor Augen hat. Mit jedem Namen verbindet sich Spezifisches. Nicht nur im Blick auf das Werk, sondern mehr als einmal und ebenso gewichtig im Blick auf die Förderung der humanistischen Studien in Gestalt von Mäzenatentum und Ausbildungsimpulsen. Der Opitz-Generation ist eine ein und im Einzelfall auch zwei Generationen ältere vorgelagert, die zumal in Schlesien für die Jüngeren den Horizont bezeichnet, in dem das eigene Wirken seine Orientierung, aber eben auch seine Maßstäbe gewann. Als Monau dann mit einer ungleich weiträumiger angelegten Kollektion im Jahr 1595 hervortrat, war erkennbar, daß in dramatisch sich zuspitzender Zeit mehr und anderes zu dokumentieren war als die gelehrte Meritokratie.39 Die Wortführer des politischen Aufbruchs kamen zu Wort bzw. wurden bedichtet. Nicht eindringlicher hätte die Sammlungsbewegung zumal des westeuropäischen Reformiertentums zutage treten können als in der von Monau an die Glaubensverwandten herausgegangenen Offerte. Spätestens jetzt war klar, daß auf schlesischem Boden Monau zu der zentralen Figur des gleichermaßen gelehrt wie politisch aspirierten Späthumanismus aufgerückt war. Sein ›Symbolon‹ steht dafür ein, und entsprechend überschwenglich waren die Ehrungen, die ihn erreichten, und das bis über seinen Tod hinaus. Auch ein Opitz ist noch in seinem Bann. Wir müssen jedoch einem anderen Aspekt dieses seines zweiten Werkes nähertreten. Es besitzt nämlich einen vielversprechenden Anhang, betitelt ›Glykypikron Siue Dvlc-Amarvm‹.40 Dieses hat ein völlig anderes Gepräge als das Hauptwerk. Nun nämlich tritt eine eher private Sphäre hervor. Der selbständig und souverän agierende Privatier Monau muß das Bedürfnis empfunden haben, dem gelehrt-amikalen Raum, der ein öffentlicher war, einen der Öffentlichkeit eher entzogenen zur Seite zu stellen, der sein eigenes Recht behauptete. Auch auf dieser Ebene wurde selbstverständlich eine jede wie auch immer persönliche Bewandtnis der rednerischen Verlautbarung zugeführt und erreichte derart ihr Publikum. Unverkennbar aber ist, daß der Kreis der Angehörigen im weiteren Sinn nun ein eigenes Forum mit eigenem Tonfall erhält. Würdigende Erinnerung soll auch ihm nicht vorenthalten werden. Es sind von Verehrung und Liebe geprägte Worte, die da verlauten, und der schöne Titel hält diesen neuen Einsatz fest. ––––––––– 39
40
Vgl. Symbolvm Iacobi Monawi. IPSE FACIET[.] Variis Variorvm Avctorvm Carminibvs Expressvm Et Decoratvm. Cum nonnullis appendicibus.- Gorlicii Iohannes Rhamba excudebat. 1595. Widmungsexemplar aus der Augustiner Chorherren-Bibliothek Auf dem Sande! Signatur in der alten Breslauer Staats- und Universitätsbibliothek: Lat. rec. I. Oct. 15. Übergegangen in die BU Wrocław. Signatur: 303038. Vgl. ΓΛΥΚΥΠΙΚΡΟΝ Siue Dvlc-Amarvm Jacobi Monawij. Der Titel ist dem Monauschen Werk von 1595 beigebunden. Es existieren jedoch auch selbständig erschienene Exemplare. Die Eigenständigkeit des Werkes kommt auch darin zum Ausdruck.
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Monau hat in seinem ›Dulc-Amarum‹ die Gedichte publiziert, die ihm zu seiner ersten und seiner zweiten Hochzeit zugedacht waren. Natürlich waren sie schon vorher im Umlauf. Daß aber der Geehrte sich nun selbst ans Werk machte und für Bewahrung in einem Bouquet weiterer Huldigungen sorgte, bleibt bemerkenswert. Auch der Strauß an Epicedien für die so früh verstorbene erste Gattin hat Eingang in das Gedenkwerk gefunden. Desgleichen die Trauerschrift für den ebenfalls früh verstorbenen und als Mediziner hochgeachteten Bruder Peter. Wieder sind die berühmtesten Namen unter den Trauernden. Als dann der Sohn Monaus Christian stirbt, ist die nobilitas litteraria neuerlich zur Stelle. Der zweite Sohn Friedrich steht vor einer zweiten Ehe, und noch einmal wiederholt sich das Spiel. Süßes und Bitteres, Hochzeit und Tod bestimmen das Bild. Wir müssen uns mit diesem Hinweis begnügen. Schon in einem vorangehenden ›Appendix‹ hatte Monau unter anderem die ihm zugedachten ›Strenae‹ seines Freundes Caspar Cunrad wieder gedruckt. Die herausragenden privaten Ereignisse im Umkreis eines zu einem Gutteil der Öffentlichkeit zugehörigen Lebens sollten neben der gelehrten Sphäre des Wirkens dem Vergessen entzogen werden, und das gleichermaßen im Blick auf die eigene Person wie auf die der ihr vertraut Verbundenen. Nicht zuletzt der Biographie wurde derart vorgearbeitet. Und tatsächlich hat sich eine Reihe von Gelegenheitsarbeiten zu den erwähnten Anlässen nicht mehr nachweisen lassen. Die Einsammlung und Kranzbildung hatte also auch einen wichtigen überlieferungsgeschichtlichen Effekt. Eine große Figur hatte dem engsten Kreis ein Denkmal gesetzt.
›Dulc-Amarum‹ II: Dornaus ›Soliloquia‹ in vielerlei Gestalt Unter denjenigen, die das von Monau gestiftete Exempel aufgriffen und sich ihrerseits mit einem Werk des nämlichen Obertitels der Öffentlichkeit zuwandten, befindet sich Caspar Dornau. Nun aber steht nicht mehr ein Symbolon voran, um das sich diverse Zuschriften gruppieren. Aus dem bescheidenen Monauschen Anhang ist ein voluminöses Werk eigenen Ranges geworden. Der Monausche Einfall hat inspirierend fortgewirkt. Sukzession im schönsten Sinn humanistischer Produktivität zeichnet sich ab. In Dornaus neuer Wirkungsstätte Beuthen an der Oder erschien das Werk im Jahre 1618. Es ist eines völlig eigenen Gepräges. Und da der Name Opitzens gleich mehrmals in ihm präsent ist, müssen wir ein Wort über seine Anlage verlieren, die sich denkwürdig genug ausnimmt. Ein selbstbewußter, um seine Meriten wissender hochangesehener Humanist schafft sich ein ihm auf den Leib geschneidertes erbaulichamikales Gewand.41 ––––––––– 41
Vgl.: Casparis Dornavii Dvlc-Amarum, h.e. De dulcedine ex amaritie crucis, morborum & mortis haurienda, Soliloquia: cum Episodiis argumenti haud absimilis. Indiculum pagina praefationi subjicit. Jesaiae 40. v. 29. Jehova defecto viribus robur copiosè suppedicat. Bethaniae Typis Joan. Dörfferi. Das hier benutzte Exemplar entstammt der Schloßbibliothek zu Oels, die in ihrem wertvollen Altbestand zu Ende des 19. Jahrhunderts in die Königliche Bibliothek zu Dresden überführt wurde. Der reiche Bestand an Silesiaca in der nunmehrigen Staats-, Landes- und Universitätsbi-
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Zu den Adligen, denen Dornau in Prag begegnet war, zählte Wenzel Budowecz (1551–1621).42 Dieser gehörte als hochrangiger Vertreter des böhmischen Adels zu den Wortführern der antikatholischen Partei, war einer der herausragenden Köpfe der Brüderunität und wurde nach dem gescheiterten Aufstand wie so viele andere Mitkämpfer im Jahr 1621 in Prag hingerichtet. Dornau wagte es, dem Ermordeten ein anonymes Andenken zu widmen. Eine von tiefem Pessimismus zeugende Botschaft war da im Blick auf Wenzel zu vernehmen. »Mein Budowecz, bewahrte dein Glaube diese grauen Haare vor dem Tod, damit nun die gottlose Marter sie schändet? Ich wundere mich nicht. Selbst wenn Christus die Gefilde dieser Erde besuchte, würde, glaube ich, eine solch grausame Hand ihn niederstrecken.«43 Äußerungen wie diese signalisieren eine Mentalität, wie sie nach 1620 zeitweilig Platz griff und hineingehört in die letzte Phase des Späthumanismus im Umkreis der reformierten Intelligenz, deren beredter Zeuge auch Opitz werden sollte. Wir aber haben zurückzukehren in die Jahre vor Dornaus Übergang nach Beuthen. Wenzel und seine Familie wurden nämlich im wahrsten Sinne des Wortes in einer lebensgefährlichen Krise die Retter des Gelehrten. Während seiner Görlitzer Zeit weilte Dornau gelegentlich bei der Familie Budowecz auf Schloß in Münchengrätz. Gut bezeugt ist ein Aufenthalt von Oktober 1615 bis März 1616. Er erholte sich während dieses halben Jahres von einer schweren Krankheit, und die Familie des Weggefährten entbot jede erdenkliche Hilfe. Nicht eben häufig sind Zeugnisse im 17. Jahrhundert zur Hand, die Einblick gewähren in die Art und Weise, wie das Ringen mit dem Tod sich ausnahm. Aus einem Abschiedsbrief Wenzels erfahren wir ausnahmsweise Näheres. Ich kann nicht anders als Schmerz darüber empfinden, daß du von mir abgereist bist. Wie oft ich nämlich an meine angenehme Unterhaltung hier mit dir denke, nicht nur, als du schon von dem brennenden und höchst gefährlichen Fieber genesen warst, sondern auch damals, als dein Sinn mitten in den Anfällen und Hitzewallungen des seiner Kräfte fast beraubten und dahingestreckten Körpers dennoch aufrecht und tapfer in Christus unserer Zuversicht verharrte – so oft hatten wir gemeinsamen Trost, du der Kranke und ich der Greis, die wir ja beide, was jenen äußeren Menschen anging, von Tag zu Tag abnahmen. Damals trösteten wir uns gegenseitig mit frommen Gesprächen: daß uns weder Krankheiten noch Alter noch schließlich der Tod selbst von jener Hoffnung abbringen würden, die uns von Gott selbst, der zu betrügen unfähig ist, in Christus verheißen wurde.44
Nicht sprechender hätte der Ursprung eines der großen, die Zeiten überdauernden Werkes von Dornau bezeichnet werden können. Was da zwischen einem Adeligen und einem Bürgerlichen, geeint im Glauben, umkreist wurde, kehrte auf andere Weise in Dornaus ›Dulc-Amarum‹ wieder. Der Gelehrte, unentwegt schreibend tätig, hatte sich entschlossen, seine Krankheit zum Tod und was geistlich aus ihr resultierte, zum Ge––––––––– 42
43 44
bliothek Dresden rührt nicht zuletzt her aus dieser ergiebigen Quelle. Signatur: Lit. Lat. rec A 800m. Zum Folgenden verweisen wir ein für alle Mal zurück auf das Kapitel ›Dornau und die Budoweczs: Freundschaft und Bestand‹ bei Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 14), S. 45–53. Dort jeweils auch die einschlägige Literatur. Zitiert bei Seidel, S. 45. Das Zitat ebenda, S. 50.
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genstand eines persönlich gehaltenen erbaulichen Werkes zu erheben. Das war etwas anderes als das, was Monau praktiziert hatte, und doch verwies es – nicht zuletzt über den identischen Titel – auf Gemeinsames. Was an Schönem, das Leben Verwandelndem, und an Bitterem, an ein Ende des Lebens Gemahnendes, erfahren worden war, wurde der Schrift anvertraut, nahm Züge aus Weisheit und Frömmigkeit gepaarter Sinnfälligkeit des menschlichen Loses an und durfte derart der öffentlichen Teilhabe überantwortet werden. Dornau beschritt diesen Weg mit einer Konsequenz und Folgerichtigkeit, für die wenig andere Beispiele aus der Zeit verfügbar sein dürften. Das Werk verdient seit langem eine eingehende Analyse. Wir müssen uns auf wenige zu Opitz hinführende Sätze beschränken. Nimmt es nach dem Gesagten noch Wunder, daß es Wenzel Budowecz gewidmet ist? Alles andere hätte erstaunt. Gleichwohl. Eine exponierte Verlautbarung in Gestalt einer Widmungsadresse an einen der Wortführer der Aufständischen war nur in den Jahren vor 1620 möglich. In fünf Abteilungen, sie alle jeweils Dutzende von Seiten füllend, hat Dornau seine ›Soliloquia‹ gegliedert. Der biographische Bezug bleibt bis in die Titulaturen hinein gewahrt. Die ›Soteria In Natalitiis Christi‹, mit der das Werk anhebt, sind nach dem ersten Fieber formuliert worden. Ihnen schließen sich ›Poëmatia Sacra‹ an, die ihren Ausgang von einzelnen Bibelstellen nehmen. Und in dieser Abteilung tauchen dann auch die Referenzen an die Vorgänger im Blick auf die literarische Wahlspruch-Kultur auf. Die Symbola von Exner, Cunrad und Bucretius finden Erwähnung. Dornau wußte, in welcher Tradition er sich ungeachtet aller Neuerungen bewegte. Gesonderte ›Soteria‹ gelten sodann seinem gegenwärtigen Dienstherrn Georg von Schoenaich. Und nur an dieser Stelle verlautet ausnahmsweise auch einmal ein deutschsprachiger Vierzeiler: HAlt hier mit Christo Marterwoch/ Vnd nim gedultig auff sein Joch: So wirstu droben Osterfreud Mit jhm halten in ewigkeit.45
Im Anschluß findet im dritten Teil ein ›Absinthium divinum‹ seinen Platz, und dies mit ausdrücklichem Verweis auf die Wiederkehr der fiebrigen Krankheit, die Dornau im gleichen Jahr 1616 nochmals ereilte. Die wiederum weit ausgreifende Schrift ist dem Vater Wenzels Adam Budowecz zugeeignet, die Familie bleibt also präsent. Und dann hat Dornau eine mächtige Zypresse, eine ›Cupressus‹, in Gestalt von weit mehr als hundert Trauergedichten aufgerichtet und ihm vertraute Personen mit verewigenden Versen bedacht. Hier am ehesten kommt ein Cunradsches Anliegen zum Tragen, Personenkunde zu pflegen. So wenig wie bei dem Schlesier gelangt hinsichtlich Dornaus das Staunen an ein Ende, welch ein Reigen illustrer Namen da für einen Moment poetisches Leben empfängt. Manch ein Stück ist als Einzeldruck bekannt; das meiste dürfte nur an dieser Stelle überliefert sein. Ein Genesender hält dankbar Umschau und gedenkt der Davongegangenen. Und so steuern wir zu auf den Schluß, die fünfte Abteilung. Schon am Ende der vierten hatte Dornau poetische Gedenkzeilen auf Mitglieder der eigenen Familie vor ––––––––– 45
Dulc-Amarum (Anm. 41), Bl. D8v.
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allem anläßlich des Todes seiner Kinder publiziert, solche aus eigener Feder wie Zuschriften von Freunden und Kollegen. Da kam er der Monauschen Praxis am nächsten. Dann aber rückt er selbst als Kranker und Genesender in den Mittelpunkt. ›Exequien‹ werden gespendet. Doch sie gelten einem Überlebenden. Die Paradoxie des Titels ›Dulc-Amarum‹ erfüllt sich schließlich aufs schönste. ›Casparis Dornavii Exequiae Viventis, hoc est. Epistolarum & Carminum, à Patronis amicisque pro recuperata valetudine nuncupatorum Libellus.‹46 Nach der Widmung machen Wenzel und Adam Budowecz den Anfang in Prosa. Schon mit Johann von Zierotin erfolgt der Übergang zum Vers. Der Wechsel der Redeform bleibt gewahrt, doch überwiegen naturgemäß versifizierte Zuschriften, darunter auch griechischsprachige, etwa von Georg Vechner. Die dominante Präsenz des Adels zu Beginn ist unverkennbar, bevor die Gelehrtenschaft jedweder Provenienz zu Wort kommt, darunter nicht zuletzt die Beuthener Kollegenschaft. Was gäbe man darum, die vielen berühmten Namen aufzurufen. Wie Monau, wie Cunrad erfreute sich Dornau eines Rufes, der alles was Rang und Namen hatte dazu verlockte, dem Daniederliegenden Zuspruch zu spenden. Und das von nah und fern. Hier kann es aus der illustren Schar nur um einen Einzigen gehen. Immerhin, das Forum wollte skizziert sein, auf dem er seinen Auftritt hat.
Opitzens Präsenz in Dornaus ›Dulc-Amarum‹ Wir machen Halt bei einer ins Auge fallenden Zwischenüberschrift: ›Illustris Schönaichiani Gymnasii I. Lamentatio Super Periculosissimo Morbo Dn. Casparis Dornavii‹. Diese ›Lamentatio‹ umfaßt nur ein Stück und ist nicht gezeichnet. Gleich danach aber unter Ziffer ›II.‹ setzt ein ›Plausus Super Restituta Eidem Clariss. Dornavio à Deo Opt. Max. Sanitate‹ ein, in dem nun Mitglieder des Gymnasiums das Wort ergreifen. Dornau hat den Pädagogiarchen und Professor für Logik Adam Liebig an den Anfang gestellt, der vermutlich auch die Eingangsverse verfaßte. Der Görlitzer Stabinus Christophorus Staude schließt sich an, der dem Freiherrn und seiner Schöpfung rechtlichen Beistand leistete. Balthasar Exner, Professor für Historie, nimmt die dritte Position ein. Mit einem ›Eidyllion‹ grüßt Elias Cüchler aus Görlitz in seiner Eigenschaft als Rektor des Gymnasiums. Mit Jonas Melideus erfolgt die Rückkehr nach Beuthen; er steuert eine Horaz-Parodie bei. Damit findet diese Sequenz ihren Abschluß, doch mit Ambrosius Schneeweiß etwa wird auch an späterer Stelle nochmals eine Stimme aus Beuthen laut. Das gymnasiale Umfeld zumal aus der näheren und weiteren Umgebung bleibt vielfach gewahrt, und Görlitz ist naturgemäß besonders oft vertreten. Dann aber wechselt die Szene herüber nach Frankfurt an der Oder. Ein Chrysostomus Nüßler aus Friedland in Böhmen läßt sich als erster ohne eine nähere Berufsangabe gleich zweifach vernehmen. Der Name begegnet uns hier nicht das erste Mal. Er hatte mit einer der beiden lyrischen Zuschriften schon eine kleine, gleichfalls Dornau zugedachte Genesungsschrift eröffnet, die zwei Jahre vorher in Frankfurt erschie––––––––– 46
Die ›Exequiae‹ setzen auf Blatt L5v ein und erstrecken sich bis Blatt V7v. Sie sind u.a. dem Kollegen am Beuthener Gymnasium und Professor für Medizin Jakob Behrnauer gewidmet.
Eine säkulare Gestalt am Altar der Göttin Salus und im Gebet
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nen war.47 Und tatsächlich sind die drei weiteren seinerzeitigen Beiträger nun auch im ›Dulc-Amarum‹ aus dem Jahr 1618 wieder vertreten, sie alle jedoch – im Gegensatz zu dem Erstling – mit mehr als einem Beitrag: Opitzens Weggefährte von Jugendzeit an Bernhard Wilhelm Nüßler nämlich mit zweien, Wilhelm Bundschuh (Cothurnus) aus Friedland gleichfalls mit zweien und gleich mit dreien: Martin Opitz.48 Ein Quartett hatte sich da zusammengetan, um dem Erkrankten noch im Jahr der schweren Krise selbst Zuspruch zukommen zu lassen. Wir wissen nicht, von wem die Initiative ausging. Möglicherweise hatte sie Opitz selbst ergriffen. In jedem Fall ragt sein Gedicht in Umfang und Form aus dem kleinen Bouquet hervor, in dem es die zweite Stelle einnimmt. Als Dornau dann daran ging, die ihm zugedachten ›Exequiae‹ zusammenzuführen, griff er selbstverständlich auch auf den Opitzschen Beitrag zurück. Doch damit nicht genug. Zwei weitere Gedichte Opitzens konnte er präsentieren, merklich zurückhaltender in Umfang und Anspruch. Auch hier muß offen bleiben, ob Opitz von dem Dornauschen Projekt gehört hatte und daraufhin zur Feder griff oder ob möglicherweise sogar Dornau ihn ausdrücklich ermunterte. Wie auch immer. Wir haben uns der Trilogie zuzuwenden und lösen damit unser Versprechen ein, auch dem Opitz der Frankfurter Zeit poetisch in actu zu begegnen.
Eine säkulare Gestalt am Altar der Göttin Salus und im Gebet Beginnen wir mit dem Erstling aus dem Jahr 1616. Er präsentiert sich interessanterweise zweiteilig. Einer briefähnlichen Zuschrift – ›An Caspar Dornau, den hochberühmten Mann, sendet Opitz seinen Gruß‹ – folgt das Gedicht in elegischen Versen, unterzeichnet ›Martinus Opitius Bolaviensis‹.49 Opitz verzichtet also auf eine nähere Angabe, wo er sich während der Abfassung aufhält. Wie immer zählt eine jede Zeile. Wir können nicht anders als die in Prosa gehaltene Botschaft auch in unserem Buch nochmals wiederzugeben. Der ganze Opitz, noch keine zwanzig Jahre alt, ist gegenwärtig. ––––––––– 47
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Pro Salute Casparis Dornavii Viri Nob. Cl. Et Excellentiss. Philos. Et Medici Morum in Illustri Gymnasio Bethaniensi Literatissimi Professoris. Post gravissimum morbum Soteria. Francofurti Marchionum Typis Johannis Eichorn. Anno M.DC.XVI. Der Herausgeber der Werke Opitzens George Schulz-Behrend hatte ein Exemplar in der Universitätsbibliothek Amsterdam aufgetan. Signatur: Br. B g 5. Er legte es seiner Edition zugrunde. Vgl. Martin Opitz: Gesammelte Werke. Band I, Nr. 7, S. 26–29. Er versah diese mit einer ausführlichen Einleitung, in der auch über die – ausnahmsweise verfügbare – handschriftliche Überlieferung berichtet wird, auf die schon Szyrocki in seiner Opitz-Biographie hingewiesen hatte. Eine zweisprachige Ausgabe liegt seither des weiteren vor in Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), S. 26–29, S. 293–296, versehen mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar von Robert Seidel. Vgl. auch die Angaben zur Überlieferung des Opitzschen Gedichtes bei Seidel: Späthumanismus in Schlesien (Anm. 14), S. 466, Anm. 38. Die drei Opitz-Beiträge stehen in den ›Dulc-Amararum Soliloquia‹ auf den Blättern T2r–T4r. Die Folge war auch schon angedruckt bei Ernst Höpfner: Amadis, nicht Bienenkorb.- In: Zeitschrift für deutsche Philologie 8 (1877), S. 467–477, S. 474–477. Den wenige Zeilen umfassenden ›Brief‹ findet man auch schon abgedruckt bei Reifferscheid, S. 742 f. Er ist jetzt gleichfalls zweisprachig zugänglich in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 37), S. 220 f. Das Gedicht selbst, ebenfalls mit Überlieferungsgeschichte und Kommentar, ebenda S. 222–224.
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QUia tuam sortem saeculi putamus, DORNAVI, et non parum interesse aevi nostri, quomodo et quam bene vivas: Saluti, cum qua in gratiam rediisti, ARAS statuimus. Accedit, quod privatis nominibus tantum tuae benevolentiae devincti sumus, quantum quisque suo proprio parenti. Damus igitur tibi hoc officium: quod licet ad eruditionis tuae fastigium non aspiret, vix aspernaberis credo: seu quia majus praestare nunc per angustias temporis non possumus; seu quia ardentibus ad misericordem Deum precibus, valetudini tuae nihil magis confert: quas nulla exuperabit ἀντισήϰωσις. Vale magna literarum confidentia, et, quod facis, constanter nos ama, ac Ill. SCULTETO commenda.50
Mit einer kühnen Parallelisierung eröffnet Opitz die wenigen Zeilen, von denen man erwarten würde, daß sie leichtfüßiger daherkämen. Doch es ist eben nicht nur ein kleiner Brief, als welcher er womöglich zunächst konzipiert war, eröffnet er nun doch einen gewichtigen poetischen Gruß. Müssen wir uns mit dem Hinweis begnügen, daß der Sprechende wieder einmal ein hyperbolisches Stilmittel bemüht, stets auf Überbietung bedacht? Es ist, aller möglichen Formelhaftigkeit ungeachtet, mehr im Spiel. Ob in Görlitz oder schon in Beuthen, der Angesprochene hat in jedem Fall eine wichtige öffentliche Position inne. In Beuthen wird er eine umgemodelte, den Bedürfnissen des modernen Staates angepaßte Moralphilosophie vertreten. Sein Wort hat auf andere Weise ein nämliches Gewicht wie das Agieren der politischen Protagonisten. Auch er leistet einen unverzichtbaren Beitrag zum Wohlergehen der öffentlichen Belange. Der Humanist zumal in den zentralen gelehrten Chargen gehört der res publica gleichfalls als ein Agent an vorderster Stelle zu. Auch an seinem sach- und fachkundigen Wirken hängt das ›Schicksal des Zeitalters‹. Die dem Genesenden zugedachten Wünsche gelten einer Person, die eine leibliche und eine öffentliche Gestalt besitzt. Noch in der persönlichsten Bekundung von Seiten eines Humanisten ist der politische Raum gegenwärtig. Von einer ganz anders gearteten Duplizität leben die folgenden Zeilen. Der Göttin ›Salus‹ gilt es einen Altar zu errichten, hat sie doch das Wunder vollbracht, dem Todkranken ihre heilenden Kräfte zu spenden. Ein Akt der Dankbarkeit ist zu vollziehen, und der wird eingebettet in ein heidnisches Szenarium. Daß dieser hinsichtlich der artistischen Delikatesse Wünsche offen läßt, gehört in jedem Fall zum rednerischen Pflichtpensum. Viel wichtiger ist, was en passant einfließt. Ein Verhältnis der Abhängigkeit besteht. Der Obhut des leiblichen Vaters entwachsen, nimmt der Angesprochene für den Sprecher auf andere Weise ein väterliches Amt wahr. Mehr als einem persönlichen Verlangen kommt dieser also nach. Er gehorcht einer Pflicht, wohl wissend, daß er einen Gönner anspricht, von dem auch auf dem weiteren Lebensweg Schutz ––––––––– 50
Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), S. 26 f. Die deutsche Übersetzung: Weil wir dein Schicksal mit dem des Zeitalters gleichsetzen, mein Dornau, und der Meinung sind, es sei für unsere Zeit von nicht geringer Bedeutung, wie du lebst und wie gut es dir geht, errichten wir der Göttin Salus, mit der du wieder in gutem Einvernehmen bist, einen Altar. Hinzu kommt, daß wir in persönlicher Hinsicht so sehr an dein Wohlwollen gebunden sind wie ein jeder an seinen eigenen Vater. Wir bringen dir also diese Gabe pflichtschuldigst dar, die du, mag sie auch an die Höhe deiner Bildung nicht heranreichen, doch wohl nicht verachten wirst, sei es, weil wir etwas Größeres jetzt aus Mangel an Zeit nicht leisten können, sei es, weil deiner Gesundheit doch nichts zuträglicher ist als brennende Gebete zu dem barmherzigen Gott, welchen ja kein anderes Tun jemals gleichkommen wird. Lebe wohl, du große Hoffnung der Wissenschaften, liebe uns beständig, wie du es ja tust, und empfiehl uns dem edlen Scultetus. (S. 27).
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und Förderung erbeten werden. Und nicht nur von ihm. Die letzten Worte gelten einem zweiten Begleiter in eine unbekannte Zukunft. Es wird sich sogleich erweisen, welch eminente Bedeutung auch ihm zukommt. Doch wir sind noch nicht am Ende. Was zählt am Schluß im Blick auf den der Krankheit sich Entringenden sind Gebete, gerichtet an einen barmherzigen Gott. Kein anderes Tun, so der ausdrückliche Vermerk, kommt dieser demütigen Gebärde gleich. Auch das rednerische Geschick verliert angesichts dieser Quelle des Trostes und der Hoffnung an Bedeutung. Zugleich aber ereignet sich zwischen den Zeilen neuerlich mehr und anderes. Die Göttin Salus hat ihres Amtes gewaltet, nun ist der Gott der Christenheit gegenwärtig. In der Agenda des Humanisten schließt das eine das andere nicht aus. Die Freiheit des Dichters wie des Redners führt eine erzieherische Mitgift bei sich. Die edelsten Gaben der Antike wollen auch im christlichen Zeitalter erinnert sein. Die Humanisten bleiben Sachwalter eines ungeteilten europäischen Erbes. Noch die unscheinbarste Verlautbarung wirkt darauf hin und bezeugt den selbstergriffenen Auftrag, der einer von weitesten Dimensionen ist.
›o mi Dornavi‹ Das nachfolgende Gedicht löst ein, was in der Prosa nur eben anklang. Es währt eine Weile, bis der lyrische Sprecher bei seinem Gegenüber angelangt ist. In den Auftakt hat er alle Kunst gelegt. Demonstrativ werden unverbrauchte Einfälle und Wendungen bemüht. Phoebus möge an seiner Seite sein und dem ›schwachen Dichter‹ (poeta tener) aufhelfen. Was aber ist dann zu vermeiden, wenn dem Gott der Musen Ansprechendes geboten sein will? Der sich Rüstende – besessen vom Wein – gedenkt nicht, trunkene Verse hervorzustoßen, wie den Poeten so häufig nachgesagt. Auch wird er sich von dem Liebesgott nicht umgarnen lassen. Das alles ist ihm fern. Er hat die gehörigen Adynata bereit, um seinen Versicherungen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Hat man einen derartigen Eingang schon einmal vernommen? SIc tibi rivalis Zephyrus Hyacinthia labra Ne petat, os pueri blandaque colla tui, Quem saevi livore proci rubefacta peremtum Sentit sub primi tempora veris humus, Cinge comam, mi Phoebe, meam, teneroque poêtae Suffice nectareis lactea verba modis.51
Die Feuerprobe der artistischen Fertigkeit ist bestanden, und nun kann der Adressat ins Auge gefaßt werden. Ihm ist signalisiert worden, daß kein poetischer Schwächling das Wort ergreift. Ein ›Werk allein der frommen Dankbarkeit‹ will verrichtet sein (Vnius extollam Dî pietatis opus, V. 16). Ein säkulares Ereignis hat stattgehabt. Einer ––––––––– 51
Ebenda, S. 26, Verse 1–6. Die deutsche Übersetzung: So wahr ich wünsche, daß dein Nebenbuhler Zephyrus nicht die Lippen des Hyacinthus begehre und das Antlitz und den zarten Hals deines Knaben, dessen durch den Neid des zornigen Freiers herbeigeführten Tod die gerötete Erde in der ersten Zeit des Frühlings fühlt – umkränze du mein Haar, mein Phoebus, und durchtränke dem schwachen Dichter seine milchigen Worte mit Weisen, süß wie Nektar. (S. 27).
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der Großen ist dem Sprecher, ist dem Vaterland und ist der gelehrten Welt zurückgegeben worden, und das nicht für den Moment, sondern für spätere Zeiten. Noch einmal stellt der Sprechende eine Relation her zwischen dem Genesenden, dessen Geist aus der Umnachtung erwacht, und seiner Zeit, als deren Anwalt er nunmehr apostrophiert werden kann. Und noch einmal gelingt es dem Dichter derart, das Besondere gerade dieses Bedichteten zu akzentuieren. Dornau ist kraft seines Ingeniums wie kraft seines ihm vom Freiherrn zugesprochenen Amtes dafür prädestiniert, seine Zeit mit dem ihm verliehenen gelehrten Rüstzeug zu durchdringen und derart sich selbst wie seine Adepten vorzubereiten auf ein von Wissen und Erkenntnis geleitetes Wirken in ihr. Ob dieser Gedanke von einem Zweiten auf eine gleich souveräne Weise hätte artikuliert werden können? Opitz gibt sich in jedem Fall als jemand zu erkennen, der die Triebfeder der Schoenaichschen wie der Dornauschen disziplinären Innovation zeitgleich mit ihr bereits auf den poetischen Begriff zu bringen vermag. Und das in denkbar knappen Worten: Vos mihi, vos patriae, vos docto redditis orbi Dornavij sacrum saecula sera caput. Mens aevi vindex prorsus collapsa jacebat[.]52
Als Verkörperung seiner Zeit apostrophiert der Sprecher den Adressaten. Dieser aber ist ein Opfer der Krankheit geworden, und auch dafür wollen die nicht alltäglichen Wendungen gefunden sein. Niedergestreckt am Boden ist er, ein ›Fremdling im eigenen Hause‹ (hospita tanta domo, V. 20). Der Leib, bestimmt als Herberge eines gewaltigen Geistes, ist hinfällig geworden, er vermag seiner irdischen Bestimmung nicht länger nachzukommen. Die duale anthropologische Verfaßtheit, unentwegt im Zeitalter umkreist, manifestiert sich an einem ihrer Protagonisten in aller Drastik. Zugleich aber ist imaginativ die diesem Geist verheißene Transfiguration im Blick, und auch hier fließen antike und christliche Vorstellungen untrennbar ineinander. Die »harmonische Bewegung des Himmels und die Gefilde der Seligen [wetteiferten] darum, seine Seele bei sich ansiedeln zu wollen.« Iam motus coeli concors, sedesque beatae Certabant animam velle locare suam.53
Ein Kampf ganz eigener Art um die Seele des vor dem Eingang in die Ewigkeit Stehenden zeichnet sich für einen Moment ab. Zugleich stehen die irdischen Götter in Gestalt der ›Zungen verewigter Männer‹ (divinorum ora virorum) bereit, ihres gedenkenden Amtes zu walten. Doch die ›Himmlischen‹ (Superi) und der ›oberste Fürst der Götter‹ wollen es anders, und auch in diesem Akt der Rettung bleibt die zeitenübergreifende Symbiose der antiken und der nachantiken Welt gewahrt. Sie haben die ›Stimmen der Herzen‹, sie ––––––––– 52
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Ebenda, S. 28, Verse 17–19. Die deutsche Übersetzung: Ihr gebt mir, dem Vaterland, der gelehrten Welt das edle Haupt Dornaus für spätere Zeiten zurück. Sein Geist, der der Anwalt seiner eigenen Zeit ist, lag völlig niedergestreckt am Boden[.] (S. 29). Ebenda, S. 28, Verse 23 f.
›Pulcher flos temporis‹
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haben die ›Wehklagen‹ vernommen. Der dem Tode Geweihte ist dem Leben, ist den ihm Nahen, ja ist sich selbst zurückgegeben. Wundert es da noch, daß die Feier dieses beglückenden Ereignisses auf den beiden Tabulaturen begangen wird, die der Dichter unentwegt parallel in Bewegung setzt? Der ›heiligen Salus‹ wird der Altar errichtet, das Dankesopfer aber ehrfurchtsvoll dem kirchlichen Ritus gemäß mit Weihrauch und Wein dargebracht. Mit dieser einen knappen Wendung hat es sein Bewenden. Merklich ist der Dichter darauf aus, einen nicht allzu beschwerten Abgang sich zu verschaffen. Nun kann im Bild die eingangs verworfene Willfährigkeit gegenüber den Liebesgöttern in ihr Recht gesetzt werden. Den züchtigen Nymphen zu willfahren und ein Werk frommer Dankbarkeit zu errichten, hatte der Dichter versprochen. Jetzt, am Schluß, ist ihm die Szene des in unerschütterlicher Treue des Geliebten harrenden und am Ende für ihre Treue belohnten Mädchens zuhanden, um ein sinnfälliges Gleichnis zu stiften. In Treue, so mag der Leser und Hörer vergewissert sein, haben die dem Erkrankten Verbundenen ausgeharrt. Nun ist er zurückgekehrt ins Leben, ist wieder unter ihnen, eine Lücke, so die Worte, die die Krankheit erwirkte, hat sich geschlossen; ›o mi Dornavi‹ darf der Sprechende sich erkühnen auszurufen. Dann aber ist der Abstand sogleich wieder bezeichnet. Diese ›unsere Jugend‹ bedarf seines hilfreichen Rates. Ein letzter Chiasmus verlautet, und ein großes Gedicht findet seinen gefälligen Abschluß. Nunc tibi tam laeto esse detur, quantum hactenus aegro. Vix poteris vita sic meliore frui.54
›Pulcher flos temporis‹ Im ›Dulc-Amarum‹ Dornaus hat das Opitzsche Gedicht zwei Weggefährten erhalten. Nun ist eine Trilogie beieinander, und sogleich wird deutlich, daß ein jedes der drei Gedichte von dieser Zusammenführung nochmals profitiert. Entsprechend besteht ein wesentliches Geschäft des Exegeten darin, dieser Konsonanzen gewahr zu werden. Wir wenden uns dem dritten Beitrag zu. Dornau ist definitiv in Beuthen angelangt. Das verschafft dem Sprecher die willkommene Gelegenheit, den Lobpreis des Bedichteten mit dem des Musenortes zu kombinieren. SI quid adhuc Divi patriis jam restat in oris, Quod laudi pateat, nec nomina prima parentum In nobis tacitis dudum defodimus umbris; Hoc uno genios patriae probet esse benignos, Qui nostris saevam defendant jugiter oris Barbariem, placidoque velint nos surgere cultu.55
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Ebenda, S. 28, Verse 43 f. Die deutsche Übersetzung: Nun mag es dir vergönnt sein, so froh zu sein, wie du bisher krank warst. Dann wirst du kaum ein besseres Leben genießen können. (S. 29). Ebenda, S. 102, Verse 1–6. Die Übersetzung rührt her von Reinhard Klockow, der hinzugehörige Kommentar (S. 346 f.) ebenfalls von Klockow sowie von Robert Seidel. Der deutsche Text: Wenn es wirklich noch etwas Göttliches in unseren heimatlichen Gefilden gibt, das Lob verdient, und
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Sukzession, wie immer wieder zu betonen, zählt alles im Umkreis des Humanismus. Einmal erfolgte Akkulturation darf nicht wieder preisgegeben werden, sondern will fortgeschrieben sein. Wie Hünen nehmen sich da die ›Vorväter‹ aus, mit denen verglichen die gegenwärtig Wirkenden eine ›stumme Schattenexistenz‹ führen. Das Lob der Vergangenheit und die Herabstufung der Gegenwart gehören zusammen, und eine wortwörtliche Rebuchstabierung ist selbstverständlich obsolet. Wenn jemand es vermocht hat, den Transfer aus der gloriosen Vergangenheit in eine prekäre Gegenwart zu bewerkstelligen, so ist es der Gepriesene. Ihm ist es zu danken, daß die ›Schutzgeister des Vaterlandes‹ auch dem gegenwärtigen Geschlecht gewogen sind. Wieder also wird das Vaterland (patria) aufgerufen, ist es doch das A und O im Wirken von Dornau. ›Wüste Barbarei‹ herrscht ringsum. Von ›unseren Landen‹, von Schlesien bzw. einzelnen Regionen daselbst, konnte sie ferngehalten werden. Akkulturation wehrt der Barbarei. Diese droht unaufhörlich. Hat es aber eine Zeit gegeben, in der das Bewußtsein für die obwaltende Labilität ausgeprägter gewesen wäre? Die Fundamente schwanken seit der Entzweiung der Christenheit. Entsprechend empfängt der Begriff der patria eine neue Würde in diesen Zeitläuften. Opitz steht an vorderster Stelle, wenn es darum geht, patriotischem Ethos Relief zu verleihen. Dornau war und blieb ihm ein Gewährsmann für die allfällige Abwendung drohenden Unheils. In der auf ihn gemünzten Rede fand der jugendliche Dichter ein, wenn nicht sogar das Thema seines Lebens. Dann schließt sich in einem zweiten Block, die Verse sieben bis fünfzehn umfassend, die Engführung zwischen Dornau und Beuthen an. Auch sie hätte nicht glanzvoller, ja, nicht erhabener zur Darstellung gelangen können. Beuthen hat das kostbarste aller denkbaren Güter in seinen Mauern vereinnahmen können. Und erneut stellt sich sogleich der ›vaterländische‹ Gedanke ein. Eine jede Hoffnung, die das Vaterland hegen mochte, hat sich in Dornau erfüllt und kommt nun der Stadt oder genauer: einer einzigen ihrer Institutionen zugute. Opitz vermeidet allerdings die direkte Erwähnung der Schoenaichschen Schöpfung. Ein jeder Leser und Hörer weiß, daß allein sie gemeint ist. Der Dichter hält an dem Bild der Stadt als der Wiege und würdigen Pflanzstätte des Geistes fest, weil er derart einen kühnen Schwenk in die Glanzzeit Griechenlands vollziehen kann. Unversehens taucht das Perikleische Athen an der Schwelle zu seiner höchsten Blüte auf. Und auch dort ist es eine einzige Gestalt, in der die erhabensten moralischen und politischen Energien manifest werden. Es ist aus nur allzu naheliegenden Gründen das Athen des Sokrates, welches da aufgerufen wird. Ein Weiser von sokratischer Statur hat den Weg nach Beuthen gefunden, das diesen Schatz eifersüchtig hütet. Eine schönere Ehrung von Person und Institution war nicht denkbar, und wiederum ist nicht auszuschließen, daß bei Opitz das Erstlingsrecht für diese doppelte Feier des Geistes verblieb. In seinen Worten: ––––––––– wenn wir, stumme Schattenexistenzen, die besten Namen der Vorväter nicht schon längst in uns begraben haben, so ist das doch wohl ein Beweis dafür, daß uns in diesem einen die Schutzgeister des Vaterlandes gewogen sind, die ohne Unterlaß die wüste Barbarei von unseren Landen fernhalten und wollen, daß wir in ruhiger Pflege heranwachsen. (S. 103).
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Omnibus hoc uno majus commisimus uni Bethaniae, cunctas voto conclusit avaro Spes patriae locus iste sibi; quodcunque potentum Admirandus amor jubet expectare Deorum, Incipit hoc nobis debere urbs omnibus una. Graecia sic quondam solis quaerebat Athenis Socraticos, aevi miracula sancta, furores, Commissasque sibi virtutum in Socrate vires: Tanto felices jactabat ab hospite terras.56
Derartige Worte konnten ihre Wirkung bei dem Geehrten nicht verfehlen. Opitz hatte sich Dornau dauerhaft verpflichtet. Gewiß würde es sich lohnen, nach Zeilen womöglich gleichen Ranges unter den ›Exequiae‹ im letzten Teil des Dornauschen Werkes Ausschau zu halten. In dem kleinen und doch so gewichtigen Gedicht, gerade achtundzwanzig Hexameter umfassend, ist der Höhepunkt indes erreicht. Zwei poetische Gedanken geleiten zum Schluß. Dornau, die ›schöne Blume‹ seiner Zeit, möge sich daran machen, seine Gedanken der dauerhaften Schrift anzuvertrauen, auf daß die Nachfahren von ihnen zehren können. Den nicht mit diesen unermeßlichen Gaben Gesegneten aber bleibt angesichts dieses gewaltigen Werkes nur der Trost, daß es letztlich ihrer aller ›Mutter‹ zugute kommen wird. Wer mag sie sein? Die ›patria‹, die ›alma mater Bethaniensis‹? Bewußt beläßt der Dichter die letzten Worte im Ungewissen. Gewiß ist nur, daß Dornau die Kräfte des Geistes allemal beflügelt. Eine musische Allusion stellt sich unversehens ein. Auch ein Dornau hat den Stand der Poeten, in dem sich alle Weisheit über die Zeiten hinweg konzentriert, auf seine Weise geadelt. Und das in einer Zeit, deren düstere Züge unverhohlen auch in den Schlußzeilen mitschwingen. Nos, viles umbrae, quos conscia numina Divûm Ferre animum ignavo majorem viribus aevo, Et miserè augustas inter sordescere curas, Non capiente suam, mandant, re paupere mentem, Quandocunque tuae monumenta ingentia dextrae Judicii majore oculo lustrare licebit; Fortiter hoc nostram solemur schemate sortem, Quod quaecunque aliis Natura infesta negavit, Ingentique tibi conceßit funditus ausu, Omnia sint nostrae laudi cessura parenti.57
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Ebenda, S. 102, Verse 7–15. Die deutsche Übersetzung: Mit diesem einen haben wir etwas, das größer ist als alles andere, allein Beuthen überlassen. Alle Hoffnungen des Vaterlandes, alles, was die wunderbare Liebe der mächtigen Götter uns noch erwarten läßt, schloß diese Stadt mit eifersüchtigem Streben in ihren Mauern ein. Und allmählich schuldet diese eine Stadt uns allen dieses eine. So suchte einst Griechenland allein in Athen die sokratischen Verzückungen, diese göttlichen Wunderzeichen ihrer Zeit, und die moralischen Kräfte, die dem Land in der Person des Sokrates zuteil geworden waren. Es brüstete sich mit Gegenden, die das Glück hatten, einen so großen Mann zu beherbergen. (S. 103). Ebenda, S. 102, Verse 19–28. Die deutsche Übersetzung: Wir, nichtige Schatten, denen der wissende Wille der Götter es auferlegt, einen Geist zu ertragen, der sein kraftloses Zeitalter überragt, und dabei selbst, umgeben von erhabenen Aufgaben, elend zu verkommen, da wir mit unseren armseligen Möglichkeiten sein Denken nicht fassen können – wenn wir dermaleinst die gewalti-
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Elegeidion Nach diesem rednerischen Aufschwung gebietet es die Beachtung von Maß und Dezenz, gebietet ein ungeschriebenes aptum, einen Wechsel der Tonlage vorzunehmen. Opitz weiß darum und signalisiert bereits im Titel, daß nur noch ein kleines Gedicht in elegischen Versen folgen wird. Er hätte nicht glücklicher verfahren können. Noch einmal erhält ein poetischer Gedanke eine derart geschliffene Gestalt, daß er sich aus dem Gedächtnis nicht wieder verliert. Eine Miniatur wird geprägt, der für den Bruchteil einer Sekunde ein Rätsel eingeschrieben ist, das sich unversehens löst und, wie es sich geziemt, für den Betrachter eine erhebliche Überraschung bereithält. ΕΛΕΓΕΙ∆ΙΟΝ. QUalis apis teneri strepitu delata susurri, Remigiis libans aëra praepetibus, Et modò per campos faciles, perque obvia tempe Matris magnae agili lusitat in gremio, Et nunc florum animam tumidis lasciva labellis Purpureaeque rapit munera sancta rosae: Sed dum prudenti nequicquam fertur in umbra, Stringit felices succina gemma pedes, Quam Phoebe et Phaëtusa et Lampetie aurea triga Populeo stillant jugiter è latice. Heliadumque pias lachrymas implexa venustat, Compedibusque simul fit pretiosa suis. Sic dum Bethaniae, Dornavi, vivis in oris, Nostra tibi grata est patria, tu patriae.58
Derartige Bilder erfindet ein Humanist zu Anfang des 17. Jahrhunderts nicht mehr. Er weiß um ihre Prägung in der Antike und kann möglicherweise zusätzlich zurückgreifen auf Vorgänger in der neulateinischen Poesie. Ihm allein aber gehört stets die Ausformung im Detail und selbstverständlich die Schlußpointe, mit der der Dichter einen ebenso kühnen wie eigenwilligen Akzent setzt. Das Motiv des an einem Harztropfen haftenden Tieres übernimmt Opitz, wie uns der dankenswerterweise vorliegende Kommentar belehrt, von Martial; die zwei He–––––––––
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gen Werke deiner Rechten mit gereifter Urteilskraft betrachten dürfen, wollen wir uns tapfer mit dem folgenden Gedanken über unser Schicksal trösten: All das, was eine feindliche Natur den anderen verweigerte und in einem ungeheuren Aufschwung dir allein zuteil werden ließ, all das wird unser aller Mutter zum Ruhm gereichen. (S. 103). Ebenda, S. 102, 104, Verse 1–14. Die deutsche Übersetzung: Kleines Gedicht in elegischen Versen. | Wie die Biene, die mit zartem Summen dahergeflogen kommt, dabei mit raschen Flügeln die Luft streichelt und bald durch offene Gefilde, bald durch waldige Schluchten ihren Weg suchend im lebendigen Schoß der großen Mutter tändelt und nun mutwillig mit schwellenden Lippen den Blumen ihren Seelenhauch und der Purpurrose ihre heiligen Gaben raubt; dann aber, als sie in vergeblicher Vorsicht im Waldesschatten umherfliegt, umschließt die glücklichen Füße ein Harztropfen, wie ihn Phoebe, Phaetusa und Lampetie, die goldene Dreiheit, ohne Unterlaß aus dem Saft der Pappeln hervorquellen lassen. Und so eingeschlossen, ziert sie die mitleidigen Tränen der Heliostöchter und wird zugleich selbst durch ihre Fesseln zur Kostbarkeit. So auch du, Dornau: Indem du in den Mauern von Beuthen lebst, ist dir unser Vaterland willkommen und du dem Vaterland. (S. 103, 105).
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liaden Lampetia und Phaetusa rühren her aus der berühmten Erzählung Ovids; der Name der dritten, Phoebe, entstammt einer anderweitigen Quelle. Man erinnert sich: Phaeton stürzt mit dem geraubten Sonnenwagen seines Vaters ab, seine drei trauernden Schwestern werden in Pappeln verwandelt, ihre Tränen in Bernstein.59 Aus diesen Vorgaben formt Opitz seine kleine Elegie, und nicht enden will das Staunen über die Kunstfertigkeit, mit der das geschieht. Sie zu ergründen ist nicht mehr die Aufgabe des Kommentars, sondern des Exegeten. Und der muß den Mut haben, sich gelegentlich weit vorzuwagen, will doch das immer noch pulsierende Leben der wundervollen Zeilen eingefangen sein. Das Schicksal der Biene prägt die Zeilen. Im Schoß der Natur sich tummelnd genießt sie die Gaben, die die Blumen für sie bereithalten, die Purpurrose an der Spitze. Zum Erblühen bringt sie die holden Gewächse, nimmt teil an dem Wunder stetiger Verwandlung im unablässigen Werden und Vergehen. Auch sie ist nicht ausgenommen von diesem Gesetz alles Daseins. Doch ein Tod eigener Art ist ihr vorbehalten. Im Harztropfen, betrauert von den drei Holden, überlebt sie in verwandelter und immer noch schöner Gestalt. Da ist, ohne daß es eines Wortes bedürfte, unentwegt von dem Stand der Poeten die Rede, der im Volk der Bienen und ihrem wundersamen Wirken seit jeher ein symbolkräftiges Analogon besitzt. Und so gesehen ist der zu dem Geehrten führende Weg dann doch in der kleinen Erzählung sinnbildlich bereits vorbereitet, hat seine praefiguratio in ihr. Zugleich aber tritt das Unwiederholbare, an eben diese eine Gestalt Geknüpfte hinzu, und der Exeget schätzt sich am Schluß seinerseits glücklich, dem alle drei Gedichte prägenden Begriff und der mit ihm verbundenen Vorstellungswelt noch einmal zu begegnen. Dornau ist in Beuthen angekommen, lebt in den Mauern der Stadt, die nicht zuletzt durch ihn Berühmtheit erlangte. Es soll nach dem Willen nicht nur des Dichters ein dauerhafter sein. Nichts anderes war im Jahr 1618 zu gewärtigen. Auch ein Dornau beteiligte sich lebhaft an der Feier der Zeiten, die eben jetzt in der Vorbereitung großer Taten kulminierte. Im Hintergrund auch dieses Gedichts wie der gesamten Trias schwingt die Hoffnung auf einen Umschwung mit. Es wird ein politischer, es wird ein patriotischer sein. An dieser Stelle in Beuthen, da allenthalben auf Zukunft hingewirkt wird, ist der Dornau geziemende Platz. Von hier aus wie von keinem anderen Ort vermag er seinerseits sein dem Vaterland zugute kommendes Werk in Angriff zu nehmen. Es wird Schlesien aus den Fesseln lösen, es wird die ›Germania sacra‹, von der da zu gleicher Zeit die Rede war, ihrer Bestimmung entgegenführen, welche auf Einheit wie auf Einigkeit lautet, und es wird den Gleichschritt mit den Gleichgesinnten in Ost und West sicherstellen, der diese nobilitas litteraria gerade auch in Beuthen sich versichert und verpflichtet wußte. Die patria, initiales Signum des in Lettern gefaßten kairos vor 1620, ist eine räumlich überschaubare und eine weit ausgreifende zugleich, und Dornau einer ihrer Repräsentanten. ––––––––– 59
Vgl. den Kommentar von Klockow und Seidel in: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), S. 348.
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Standen das vorangehende und das nunmehr zum Abschluß gelangte Kapitel nicht zuletzt im Zeichen Dornaus, so hätte der Abschied von ihm nicht aparter sich vollziehen können. Der Dichter hatte ihn für alle erdenkliche Zeit in Beuthen angesiedelt. Er sollte sich täuschen. Wir aber bleiben in der Tat weiterhin im Umkreis Beuthens. Denn in der Nähe des unversehens zum Musensitz aufgerückten Städtchens lebte eine Persönlichkeit, die als einzige dazu angetan gewesen wäre, wenn es denn um einen Wettstreit ginge, wie er auch bei Opitz anklang, einen solchen erfolgreich zu bestehen. Ein Colerus wußte, warum er nur zwei Personen neben dem Freiherrn namentlich hervorhob, als es um eben diese entscheidende Phase im Leben Opitzens ging. Wir also haben uns nunmehr eben jener zweiten Gestalt und ihrem Lebensraum in gebotener Einläßlichkeit zuzuwenden, wurden doch noch einmal an der Oder und genauer oberhalb ihrer in splendidem Quartier Wege in die Zukunft eröffnet.
VI. Zu Gast auf einem Schloß Tobias Scultetus und ›Bellaquimontium‹ Poetisches Porträt eines Großen der Zeit CARMEN HEROICUM. AESTUO, nec voti novit se terminus, omnis Incerta sub mole precum versatur imago. Plus est quod vero patriae debemus amori, Quam quod quisque sibi; nec commoda publica tanto Sunt fraudanda bono. Deus est, Deus, ille vigorem Et mentis commissa tuae tibi munera, forti Confirmabit ope; quamvis tot mille labores Incumbunt Scultete tuo celsissime collo. Ich bin in Unruhe, und das Ziel meines Gebetes kennt sich selbst nicht. Unter der Last der Ungewißheit stellen sich Bitten jeder Art ein. Mehr ist es, was wir der wahren Liebe zum Vaterland schuldig sind, als was jeder sich selbst schuldig ist; und der gemeine Nutzen darf nicht um ein solches Gut gebracht werden. Es gibt einen Gott, und jener Gott wird die Kraft und die dir anvertrauten Gaben deines Geistes mit kraftvoller Hilfe stärken, obgleich so viele tausend Mühen schwer auf deinem Nacken lasten, erhabener Scultetus.
Neuerlich begegnen wir einem ›Carmen Heroicum‹ aus der Feder des jungen Opitz. Es steht nicht alleine. Vier Personen haben sich zu einer kleinen Schrift zusammengetan. Der Sohn des Beehrten ist darunter, sodann der uns schon bekannte Balthasar Exner und schließlich ein gewisser Michael Schmid, den wir gleichfalls in Beuthen als Schüler bzw. Alumnen in einer bis dato unbekannten Gedichtsammlung identifizieren konnten. Opitz macht den Schluß. Sein Gedicht ist erneut das entschieden längste, und wieder legt sich die Vermutung nahe, daß er auch der Initiator der poetischen Gabe war. Sie ist dem Angesprochenen zum Namenstag, möglicherweise auch zum Geburtstag, zugedacht gewesen. Der Beglückwünschte stand damals im 51. oder 52. Lebensjahr, und das Gedicht gibt von seiner Betagtheit gleichfalls Kunde. In der letzten von uns zitierten Zeile, dem achten Vers, fällt erstmals sein Name. Wir wollen seine Biographie noch hintanstellen, auf deren Präsentation wir viele Jahre gewendet haben, und zunächst bei dem Gedicht verbleiben, das mit seinen vierunddreißig Versen zu denen mittlerer Länge gehört, also vergleichsweise leicht überschaubar ist.1 ––––––––– 1
Quaternio Votorum Pro Salute. Illustris & Magnifici Viri Dn. Tobia à Schvvannensee Et Bregoschitz cognomento Sculteti, Bellaquimontii & Hirschfeldae Haereditarii, Comitis S. Palatii, Com-
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Was mag der Grund für die Unruhe des Sprechenden sein, der sich da selbst zu verlieren scheint? Wir haben – das Angebot des Textes betrachtend – nur die Möglichkeit, den Adressaten für den prekären Zustand des Sprechenden verantwortlich zu machen. Einen Sterbenskranken hatten wir soeben über ein Opitzsches Gedicht näher kennengelernt. Jetzt aber wird nicht ein Kranker angeredet. Noch einmal begegnen wir über Opitz’ Versen einer Person, deren Existenz und deren Wirken von entscheidender Bedeutung für das ›Vaterland‹ sind. Dahinter tritt die persönliche Befindlichkeit des Sprechers wie die einer jeden anderen Person zurück. Es geht um das öffentliche Wohl, das nicht zuletzt an der Präsenz des Bedichteten hängt. Im Bündnis mit Gott wirkt er und darf sich seiner Hilfe versichert halten. Derer aber ist er mehr als bedürftig, ruhen doch allzu große Bürden auf seiner Schulter. Die Vermutung also liegt nahe, daß es die Sorge um den Überbeanspruchten ist, die Unruhe und Verlust seiner selbst auf seiten des Dichters zur Folge hat. Er ist dem Empfänger des Gedichts, einer erhabenen Persönlichkeit, in jedem Fall tief verbunden und womöglich auch verpflichtet. Non equidem invideo requiem, et jam tempora cana Multum sparsa nive, faciesque exercita curis, AEtatem superant: sed tu tamen ardua facta Sublimesque animos patriae ne subtrahe nostrae, Et famae superesto tuae. Plus tendimus ultra, Qui reliquos infra nos linquimus. Una quietis Spes generosae animae est, nullam sperare quietem.2
Ein Gleichschritt wird erkennbar. In dem Maße, wie das Antlitz des Angesprochenen klarer hervortritt, verdeutlicht sich zugleich die delikate Situation des Sprechers. Dem –––––––––
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missarii Caesaris Augustiss. & Consiliarii, Patroni Regii per Silesiam & Lusatiam Fisci, JCti Clarissimi, Literatissimi Herois, ad diem XXII. Augusti, qui est dies Tobiae cultus & reverentiae ergo à filio & clientibus devotissimis nuncupatorum. Bethaniae Typis Johannis Dörfferi. Es handelt sich um ein schmales, nur vier Quartblätter umfassendes Heft. Der Opitzsche Text steht auf den Blättern π3r–π4r. Er ist inzwischen wieder leicht zugänglich in: Martin Opitz. Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 40–41. In zweisprachiger Version in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 52–55, Kommentar S. 315 f. Die Übersetzung und der Kommentar rühren her von Robert Seidel. Der Abdruck erfolgt in beiden Fällen nach dem Exemplar aus der Breslauer Stadtbibliothek (4 E 515/89), das überging in die BU Wrocław (355151). Das Exemplar ist versehen mit einem Eintrag von Hermann Markgraf zur Person, wie er ihn durchgängig in der einstmals Tausende von Titeln umfassenden GenealogicaAbteilung nach deren Einrichtung anzubringen pflegte, lautend: Schwanensee, Tobias von Aug. 22. Ein Eintrag an anderer Stelle auf dem Titelblatt verweist auf das Todesjahr von Scultetus.– Die beiden eingangs vorgelegten Zitate in Band I der Lateinischen Werke, S. 52 und 53. Ebenda, Verse 9–15. Die deutsche Übersetzung: Ich mißgönne es dir nicht zu ruhen, und schon weisen deine Schläfen, die stark mit weißgrauem Schnee durchsetzt sind, und dein von Sorgen zerfurchtes Antlitz über dein eigentliches Alter hinaus. Aber dennoch: entziehe du dein schwieriges Tun und deinen erhabenen Sinn nicht unserem Vaterland, und bleibe noch am Leben für deinen Ruhm. Über alle Grenzen streben wir empor, wenn wir die übrigen hinter uns lassen. Die einzige Hoffnung auf Ruhe besteht für eine würdige Seele darin, keine Ruhe zu erhoffen. (Ebenda).
Evokation altrömischen Ethos’
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Wohlergehen des Adressaten hat er sich wie seine drei mit ihm Auftretenden verschrieben. Dieser Vorsatz gebietet, auf dessen Schonung hinzuwirken. Nicht für das Wiedererlangen der Kräfte selbst braucht Sorge getragen zu werden, sondern für den rechten Gebrauch der Kräfte zumal in hohem Alter. Doch diese Maxime widerstreitet einer gegenläufigen. Der Angeredete ist – aus welchen Gründen auch immer – unverzichtbar, und das ganz besonders wiederum im Blick auf das Vaterland. Schon nimmt sich das von Sorgen zerfurchte Antlitz an Jahren betagter aus als dies tatsächlich der Fall ist. Darf der Sprecher zu Mäßigung mahnen, wo doch auch ihm nur allzu bewußt ist, was an dem rückhaltlosen Agieren gerade dieser einen Person hängt? Sein Tun möge er der ›patria‹ nicht entziehen. Kommt das nicht einer verdeckten Aufforderung gleich, sich eben gerade nicht zu schonen?
Evokation altrömischen Ethos’ Eine ausweglose Situation zeichnet sich ab, die der Redner zu bewältigen hat. Geht es aber, wie eingangs hervorgehoben, nicht um die Person, sondern stets zuerst und ganz in altrömischem Sinn um das öffentliche Wohl, so dürfte deutlich sein, auf welche Seite die Waagschale sich schließlich senken wird. Doch mag das Abwägen ausgehen wie auch immer, allemal hat der Dichter mit wenigen Strichen vermocht, das Bild einer Person zu zeichnen, die zu Höchstem berufen ist und die diesem Auftrag bis an die Grenze des einem Menschen Möglichen nachkommt. Und dann erfolgt tatsächlich der erwartete Rekurs auf die heldischen Erzählungen, mit denen Rom Jahrhunderte über die Poesie im Umkreis des Humanismus beschenkte wie befeuerte. Saltem parce tibi pater, et te conjugis oro Dilectae, natique tui non improba vota Commoveant. Tantum vix Thessala pharmaca vitae, Quantum cura nocet. Praestat superesse tenello Jncolumem Ascanio, celeri quam morte peremptum Linquere divitias haeredi. Exempla parentum Plus quovis rectore valent. AEnëia virtus Et facies veneranda patris prolem omnia magna Attentare jubet. Spectaclum haud pulchrius ullum est, Ac quando magni patris non degener haeres, Virtutem assequitur clari genitoris avitam.3
Die ›Vota Pro Salutate‹ gebieten es, daß der das Wort Ergreifende zu Schonung und behutsamem Umgang mit den Kräften ermahnt. Die argumentative Ungelegenheit, die ––––––––– 3
Ebenda, Verse 16–26. Die deutsche Übersetzung: Schone doch dich ein wenig, Vater, und mögen dich die nicht unberechtigten Bitten deiner geliebten Gattin und deines Sohnes bewegen. Kaum schaden thessalische Gifte dem Leben so sehr wie die Sorge. Besser ist es, dem zarten kleinen Ascanius zuliebe gesund am Leben zu bleiben als, von einem raschen Tod dahingerafft, ihm, wenn er erbt, Reichtümer zu hinterlassen. Das Vorbild der Eltern zählt mehr als jeder Lehrmeister. Die Tapferkeit eines Aeneas und das verehrungswürdige Antlitz eines Vaters fordern den Nachkommen auf, alle großen Taten zu versuchen. Kein Schauspiel ist schöner anzusehen, als wenn der nicht unwürdige Sproß eines großen Vaters die alte Tapferkeit seines ruhmreichen Erzeugers erreicht. (Ebenda).
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er sich damit bereitet, ist indes derart keineswegs beseitigt. Geschickt und kaum merklich weiß er sie zu umgehen. Die Familie des Gewürdigten kommt für einen Moment in Gestalt der Gattin und des einzigen Sohnes ins Spiel. Solche Einsprengsel sind nur im Gelegenheitsgedicht möglich und erlaubt. Die unschätzbare Qualität dieses minoritären Genres rührt nicht zuletzt daher. An dieser Stelle ist die Funktion leicht zu erschließen. Über den kleinen Hieronymus Kaspar erfolgt der Schwenk zu dem zarten Ascanius. Und damit ist der Autor unversehens mitten in der Vergilschen ›Aeneis‹. Wird aber Aeneas als rühmliches Vorbild für den Sohn aufgerufen, so gilt nämliches im Blick auf Scultetus. Solchermaßen aber ist die heroische Fallhöhe wieder hergestellt. Einem zweiten Aeneas gleich opfert sich der Bedichtete auf für sein Vaterland. Schonung kennt er ebenso wenig wie seine ›imago‹. Die heroische Tugend ist eine unteilbare, sie verlangt das Letzte von ihrem Träger. Die familiäre Sphäre ist in die öffentliche erhoben. In die römische Toga gehüllt, schreitet der große Staatsmann der Gegenwart einher.
pater charissime Hos numeros tibi pono, pater charissime. Sed tu, Alme Deus, si te communia flectere vota, Si possunt lacrymae, sero tibi tale reposcas Nobile depositum coeli: concede quietem, Et morbos dispelle malos, curasque voraces Praepes Hyperboreas Aquilo deportet in undas; Donec ovans animi, vitae satur atque dierum, In laetas patrii sedes succedat Olympi.4
Der letzte Wunsch für den ›besten Vater‹ (pater charissime) richtet sich an einen gütigen Gott (Alme Deus), des ihm Ergebenen sich anzunehmen, der da zur gewiß nicht geringen Überraschung als ›edles Kapital des Himmels‹ (Nobile depositum coeli) sich apostrophiert sieht. Die Erfindung ungewöhnlicher Bilder und Metaphern bleibt das Ingredienz eines kunstvollen Textes, und auch ein Opitz frönt dieser Lust bis in den letzten Vers hinein. Ruhe (quies), ist das höchste Gut in diesem von Aufgaben und Ämtern überladenen Leben. Noch einmal klingen neben den Krankheiten die verzehrenden Sorgen an, die diesem an der vordersten Spitze Wirkenden nicht erspart blieben und nun von den hyperboreischen Fluten endgültig davon getragen werden mögen. Der Wechsel der mythisch-religiös-christlichen Register bleibt spielerisch erhalten. Satt am Leben und an Tagen möge der ehrfürchtig Bedichtete und immer zugleich ––––––––– 4
Ebenda, S. 52, 54, Verse 27–34. Die deutsche Übersetzung: Diese Verse schreibe ich für dich auf, bester Vater. Doch du, gütiger Gott, wenn dich allgemeine Wünsche, wenn dich Tränen zu rühren vermögen, dann mögest du erst spät ein solch edles Kapital des Himmels für dich zurückfordern. Gewähre ihm Ruhe, vertreibe die bösen Krankheiten, und möge der schnelle Nordwind die verzehrenden Sorgen in die hyperboreischen Fluten davontragen, bis Scultetus, frohlockend im Geiste, satt am Leben und an Tagen, dir in die glückseligen Gefilde des väterlichen Olymp nachfolge. (S. 53, 55).
Opitz bei Scultetus auf Schloß Bellaquimontium
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Umworbene eingehen in die ›glückseligen Gefilde des väterlichen Olymp‹ (laetas patrii sedes Olympi). Als zweiter Aeneas war er aufgerufen worden, als welcher er doch zugleich ein Inbegriff und Pfand göttlicher Präsenz auf Erden ist, dem die väterliche Gnade des christlichen Gottes verheißen bleibt. Der Poesie und noch dem unscheinbarsten Gelegenheitsgedicht ist die Evokation von Welten und Zeiten über alle trennenden Scheidelinien hinweg vorbehalten. Die Humanisten wußten sich dieser einzigartigen Gabe der Musen über die Jahrhunderte der frühen Moderne hinweg und bis in die Tage Goethes hinein frohgemut versichert zu halten.
Opitz bei Scultetus auf Schloß Bellaquimontium Der Name der Person ist in dem vorgelegten Gedicht gefallen, der wir uns nunmehr zuzuwenden haben. Doch – wie immer – nicht nur ihr. Es ist wenigstens ein weiterer großer Text heranzuziehen. Und es sind – gleichfalls wie immer – die Anschlüsse an Personen und Personenkreise, Räume und Institutionen herzustellen, die prägenden Einfluß gewannen. Immer geht es um Opitz, immer aber zugleich auch um mehr. Die Jahrzehnte vor und nach 1600 sollen zugleich Kontur gewinnen. Opitz prägt sie und wird von ihnen geprägt. Dieser einfache Sachverhalt begründet den Reiz der darstellenden Vergegenwärtigung. Kein Kapitel, das schreibend nicht Erstaunen hervorruft angesichts des da Zutagetretenden. Es liegt weit zurück und bleibt Gegenwart wie Zukunft doch auf denkwürdige Weise zugehörig. Ein Gefühl des Glücks stellt sich ein angesichts der Teilhabe. Wir bewegen uns, nachdem Abschied zu nehmen war von Bunzlau und für eine Weile von Breslau, nun schon geraume Zeit in einem vergleichsweise gut überschaubaren Raum. Beuthen an der Oder, Görlitz an der Neisse und Frankfurt wiederum an der Oder wurden betreten. Das geschah, ohne nähere Nachforschungen über die exakten zeitlichen Relationen anzustellen. Sie lassen sich, so Konsens in der Forschung, auf Tag und Monat genau ohnehin nicht mehr fixieren. Für unser Porträt sind sie unerheblich, will doch das geistige Fluidum eingefangen werden, das zwischen ihnen waltet. Und so wissen wir uns gleichfalls näherer zeitlicher Erkundungen entbunden, wenn es um eine letzte Station unseres Protagonisten an der Oder geht. Eine lokale Quadriga ist in der knappen Frist zwischen dem ersten Abschied von Breslau und dem bevorstehenden Aufbruch in die Ferne zu inspizieren; ein jedes Glied von eigenem Gewicht. Ist einem Kenner Opitzens und seines Lebensganges bekannt, wer den Kontakt zu der Person herstellte, die nunmehr in den Blickpunkt rückt, und das, um es zu wiederholen, unbesorgt um die exakten zeitlichen Margen? Er mag zustandegekommen sein anläßlich eines Besuchs des hochgestellten Gastes bei Georg von Schoenaich und in dessen Gymnasium. Caspar Dornau mag den vielversprechenden Eleven der Aufmerksamkeit des berühmten Mannes empfohlen haben. So will es Colerus. Möglich aber auch, daß Caspar Cunrad von Breslau aus sich einschaltete. Er unterhielt enge Verbindungen zu dem Residenten an der Oder, dem er gleichermaßen religiös wie politisch verbunden war. Er hatte Opitz in Breslau bei seinem illustren Amtsvorgänger Daniel Rindfleisch als Hauslehrer und Erzieher wirken sehen und konnte also auch in dieser
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Hinsicht für ihn tätig werden. Tatsächlich bekleidete Opitz für rund ein Jahr um 1617 herum eben diese Funktion nun auch an der Oder. Es mögen, wie so oft im Leben Opitzens, eine Reihe glücklicher Umstände zusammengekommen sein. Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, genannt Scultetus, tritt nun in Erscheinung, und mit ihm sein splendider Alterssitz Schloß Bellaquimontium auf einer Erhebung an der Oder unweit von Beuthen. Stets ist Vorsicht geboten mit allzu merklichen Akzentuierungen. Und doch könnte mit einer Reihe durchaus guter Gründe der Vermutung Raum gegeben werden, daß Scultetus eine zentrale Rolle im Leben Opitzens gespielt hat, ja, vielleicht sogar seine wichtigste Bezugsperson blieb, lange bevor dann die Piastenherzöge immer bestimmender in sein Wirkungsfeld traten. Scultetus nahm diese für den aufstrebenden Jüngling aus vielerlei Gründen ein, und am Ende summierten sie sich in einer inneren Folgerichtigkeit, deren wiederholtes Zutagetreten und Offenbarwerden in der Vita Opitzens nur Staunen hervorrufen kann. Erstmals in seinem Leben begegnete Opitz in direktem Umgang einer Persönlichkeit von Stand und Würden, die an der Spitze der politischen und amtlichen Hierarchie in Böhmen und Nebenländern stand. Was adliger Glanz, gepaart mit Bildung und Literarizität bedeutete, konnte er hier ebenso erleben wie die Ausstattung mit gesellschaftlichen Kontakten, die weit hinausreichten über Schlesien, ja über den deutschen Sprachraum. Eine international anerkannte und wirksame Figur trat in sein Blickfeld, die eine Ahnung vermitteln mochte, wie es de facto um die adlige Welt Alteuropas bestellt war, die da mitten im Umbruch sich befand und in vorher so nicht gekannter amtlicher Funktion zum entscheidenden Träger der sich herausformenden und neu justierten staatlichen Organe heranwuchs. Weite des Horizonts, gepaart mit deutlich erkennbaren Beziehungen zum Reformiertentum und folglich involviert in entsprechende politische Initiativen, gaben Gelegenheit, das poetische wie das gelehrte Handwerk unversehens hineingestellt zu sehen in eine West wie Ost umspannende Bündnispolitik, die rasch publizistische Früchte zeitigen sollte auf seiten des Schützlings. Denn zu einem solchen wurde Opitz rasch im Hause und im Umgang mit dem Herrn von Stand. Ihm oblag die Verantwortung für das Heranwachsen des einzigen Sohnes aus der Ehe mit einer allzu früh verstorbenen Gattin, der Scultetus gedenkend die Treue bis in den eigenen Tod bewahrte. Er bewegte sich erstmals und für eine Weile tagtäglich in einem Milieu, das ihm schlechterdings unerschöpfliche Anregung bot. Er begegnete Gästen, die sich auf Bellaquimontium einfanden, und er konnte sich ungehindert umtun in den Schätzen, die da auf dem Alterssitz des Patrons zusammengeströmt waren. Musicalia, Werke der Bildenden Kunst und kostbares Ausstattungsgut umgab den aus kleinen Verhältnissen Aufgestiegenen erstmals. Vor allem aber besaß der Dienstherr eine bedeutende Bibliothek. Und die gewann, wie zu zeigen sein wird, schwerlich zu überschätzenden Einfluß auf das Projekt des Lebens, das der Feuerkopf sich vorgesetzt hatte. Der Brückenschlag Beuthen-Bellaquimontium blieb einer von weitreichendsten Folgen. Wenn der alsbald in die Ferne Aufbrechende nicht mehr als Novize seinen Weg antrat, so verdankte er dies eben jener Konstellation, wie sie nur für eine knappe Zeitspanne gegeben war, und das just zu der Zeit, da Opitz an der Oder weilte. Wir gäben viel darum, Näheres über das Schloß selbst in Erfahrung zu bringen. Doch die Quellen, so weit zu sehen, versagen. Das Schloß wurde – genau wie das
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Gymnasium Schoenaichianum – frühzeitig ein Opfer kriegerischer Handlungen. So rückte auch dieses Juwel auf andere Weise zu einem Sinnbild des Untergangs der Reformiertentums im östlichen Europa auf. Um so mehr Veranlassung, seiner gedenkend tätig zu bleiben. Und wer böte dazu mehr Veranlassung als ein Tobias von Schwanensee und Bregoschitz auf Schloß Bellaquimontium?
Vita in Abbreviatur Leben und Werk großer Humanisten sind oftmals erstaunlich gut bezeugt. Und das über direkte Quellen wie auch über Zeugnisse aus dem Umfeld. Im Fall von Scultetus ist dies anders. Sein Leben endete im Jahr der Böhmischen Katastrophe. Das mag mit dafür verantwortlich sein, daß eine Leichenpredigt oder anderweitige Gedenkschriften bisher nicht aufgefunden werden konnten. Damit aber fehlen Auskunftsmedien von in der Regel hervorragender Qualität. Nur für die Frühzeit ist vergleichsweise ergiebiges Material verfügbar. Wären nicht Briefe vorhanden, wie sie vor allem in Basel und in Hamburg bewahrt werden, das Bild nähme sich noch viel lückenhafter aus. Wir haben die bekannt gewordenen Daten über einen langen Zeitraum hinweg gesammelt, unterstützt in jüngerer Zeit durch schöne Funde von anderer Seite. Inzwischen liegen mehrere Darstellungen aus unserer Feder vor, so daß Kürze beobachtet werden darf. Immerhin. Das im Blick auch auf Opitz Ergiebige will beigebracht sein, denn nochmals: Scultetus blieb bis zum Tod des großen Mentors geradezu eine Leitfigur in den jungen Jahren Opitzens.5 Tobias Scultetus wurde am 29. Oktober 1565 im sächsischen Oschatz in der Markgrafschaft Meißen geboren. Nach dem Besuch der Lateinschule in seiner Heimatstadt ist er zum Wintersemester 1577 an der Universität Leipzig eingeschrieben. Sein Studium verdiente er sich als Hofmeister. Laurentius Wacholt, Tessen von Parsow und Martin Parlovius aus Pommern, Christoph und Andreas Pflugk aus Meißen und vor allem Siegismund und Franziskus von Burghaus tauchen in seinem Umkreis auf. Nachdem er schon früher die beiden jungen Edelleute Pflugk in Eythra bei Leipzig unterrichtet hatte, begleitete er sie 1586 nach Leipzig. Im Herbst 1587 erwarb er ––––––––– 5
Zu Scultetus kann jetzt an erster Stelle verwiesen werden auf einen detaillierteren Eintrag des Verfassers in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon V (2016), Sp. 611–622. Hier sind im Anschluß an eine Biographie und eine Werkcharakteristik die Quellen und die – insgesamt spärliche – wissenschaftliche Literatur zusammengetragen. Voran gingen Einträge in der ersten und zweiten Auflage des Killyschen Literaturlexikons aus der Feder des Verfassers. Die bislang umfänglichste Darstellung zu Scultetus liegt vor in: Klaus Garber: DAPHNIS. Ein unbekanntes Epithalamium und eine wiederaufgefundene Ekloge von Martin Opitz in einem Sammelband des schlesischen Gymnasiums Schönaichianum zu Beuthen [an der Oder] in der litauischen Universitätsbibliothek Vilnius.- In: Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013 (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 4), S. 1– 96, nebst Anhang S. 97–157. Wir kommen auf die Abhandlung an späterer Stelle zurück. In Bälde eingehend das dritte, Scultetus gewidmete Kapitel in: Klaus Garber: Blüte des Späthumanismus in Schlesien um 1600. Tobias Scultetus, Caspar Cunrad, Nicolaus Henel und ihr Stammvater Jakob Monau.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau.
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dort den Baccalaureus, im Wintersemester 1588/89 den Magister. Aus dieser Zeit sind seine ersten Gedichte bezeugt. Entscheidend wurde die Begegnung mit den Gebrüdern von Burghaus aus einer alten schlesischen Familie.6 Im Winter 1591 war Siegismund von Burghaus in Leipzig immatrikuliert und brach danach – vermutlich mit Scultetus – nach Heidelberg auf, wo er am 17. März 1592 bezeugt ist. Scultetus zeichnet am 4. Juli 1593 als ›Magister Ossitiensis Misnicus‹ in der Heidelberger Matrikel. Organisiert war der Aufenthalt in der pfälzischen Metropole nach einem handschriftlichen Zeugnis von Henel von Hennenfeld durch den gebürtigen Schlesier und nun als Hofprediger in Heidelberg wirkenden Theologen David Pareus. 1594 trat Scultetus mit seiner einzigen größeren Gedichtsammlung ›Subsecivorum poëticorum tetras prima‹ bei Abraham Smesmann in Heidelberg hervor. An ihrer Spitze figuriert der Name von Schede Melissus. Dieser verlieh Scultetus im Oktober 1594 die Würde eines poeta laureatus, für die der Geehrte sich im März 1595 von Genf aus bedankte. Schon im Januar 1595 hatte Scultetus in Straßburg einen Panegyricus ›Ulysses, seu parva Odyssea‹ vorgetragen, den er den polnischen Edelleuten Wenzel und Raphael Leszczyński widmete. Vom Oberrhein aus begab sich Scultetus wiederum als Hofmeister auf ausgedehnte Reisen, die ihm sein Schützling Siegismund von Burghaus ermöglichte. Im Frühling 1595 sind beide in der Genfer Akademie eingeschrieben. Théodore de Bèze hatte eine Empfehlung für sie ausgesprochen. Auf der Rückreise von Genf nach Schlesien hielten sie sich, wie über Caspar Schoppe bezeugt, geraume Zeit in Ingolstadt auf. Im Frühjahr 1596 weilte Scultetus dann in Breslau und lernte spätestens jetzt Monau persönlich kennen, dessen mäzenatische Stellung Scultetus nach Monaus Tod einnahm. Welche Umstände Scultetus und Burghaus 1596 nach Köln führten, ist nicht bekannt. Noch vor seinem Aufbruch nach Italien weilte Scultetus im Umkreis von Burghaus sowie Johann Matthäus Wacker von Wackenfels in Prag. Im Januar 1599 ließ er sich zum Studium der Rechte in Padua einschreiben. Den Titel eines Doktors beider Rechte erwarb er im Oktober des gleichen Jahres in Basel. Seine Dissertation wurde 1599 in Basel bei Konrad von Waldkirch gedruckt. ––––––––– 6
Zu dem Geschlecht der von Burghaus vgl. Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung.Leipzig: Fleischer 1720, S. 10–19; Zweite Vorstellung.- Leipzig, Breslau: Rohrlach 1728, S. 50 f. Die grundlegende Darstellung ist im Status eines Manuskripts verblieben, das sich in der BU Wrocław erhalten hat. Vgl. ›Martini Hankii de Imperii Romani Comitibus Burghausiis Opus Historicum‹ (R 740). Auch in Hankes handschriftlichen ›Vitae Silesiae‹ (R 2664) findet sich sowohl ein Eintrag zu dem 1619 verstorbenen Nikolaus II. von Burghaus (S. 264) wie zu Siegismund von Burghaus (S. 281–282 mit dem Zusatz ›Sigism. fil.‹) Ein weiterer Eintrag zu dem letzteren auch in einer Abschrift an gleicher Stelle (mit zweiter Paginierung), S. 395–396. Eine Fortsetzung des Hankeschen Werkes lieferte Christian Gottfried Klose. Auch sie verblieb im Status der Handschrift (R 590). Ein wichtiger Eintrag auch in Henels ›Silesia Togata‹ (R 570). Hier S. 115–119 zu Siegismund von Burghaus d.Ä., S. 190–192 zu Nikolaus von Burghaus, S. 308–312 zu Siegismund von Burghaus. Darauf fußend der Eintrag in der Fibigerschen Version der ›Silesia Renovata‹ Henels, Pars Altera.- Breslau, Leipzig: Bauch 1704, S. 344–354. Vgl. auch die Einträge in Johann Heinrich Cunrads ›Silesia Togata‹, S. 32 f. Auch in Henels ›Decas Elogiorum Silesiacorum Prima [–] Decima‹ (R 2155a) spielt der Name der Burghaus wiederholt hinein. In der zweiten Dekade wird Siegismund von Burghaus bedichtet; die zehnte ist Nikolaus III. von Burghaus (›Patrono suo clementi‹) gewidmet.
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Dann ging es über Verona in die Toskana. Im April 1600 hielten sich Scultetus und die Gebrüder Burghaus in Siena auf. Der weitere Weg führte sie u.a. nach Genua, Venedig und Rom. Hernach wurden u.a. Orange, Avignon, Arles und Marseille in Frankreich, Valencia, Madrid und Toledo u.a. in Spanien bereist. Aufenthalte in Flandern, den Niederlanden, Lothringen und England sind gleichfalls bezeugt. Der vorletzte Brief an Johann Jakob Grynaeus vom 27. März 1601, dem wir die Reisestationen entnehmen, kommt aus Paris, der letzte vom 12. März 1602 aus Prag. Die Reiseund Ausbildungsjahre waren beendet. Die nachfolgenden Lebensjahre sind über seine Personalakte im Österreichischen Staatsarchiv zu Wien sowie vor allem über das Gelegenheitsschrifttum zu rekonstruieren. Vermutlich auf Fürsprache der Familie von Burghaus erhielt Scultetus eine Anstellung als Kaiserlicher Rat. Er war zunächst in der Hofkammer zu Prag tätig. Um 1607 wechselte er zur böhmischen bzw. schlesischen Kammer, zuständig als Fiskalbeamter für Niederschlesien und die Niederlausitz. Ein Fiskaltraktat aus seiner Feder hat sich erhalten. Am 22. Oktober 1608 verlieh ihm Kaiser Rudolf II. das Adelsprädikat ›von Bregoschitz und Schwanensee‹ und eine Wappenbesserung. Am 24. November 1610 wurde er zum Pfalzgrafen erhoben. Verleihungen des Dichterlorbeers an Christoph Schwartzbach, Michael Aschenborn und Abraham Paritius sind bezeugt. Eine enge Verbindung bestand zu dem seit 1601 in der Nachfolge Tycho Brahes am Prager Hof Rudolfs II. wirkenden Johannes Kepler. Der berühmte Astronom widmete Scultetus mit Datum vom 13. April 1612 seine ›Eclogae chronicae‹ (erschienen 1615), in denen über eine Sammlung von Briefen Probleme der Lebenszeit Jesu behandelt werden. Die Prager Jahre des Scultetus bedürften dringend einer näheren Untersuchung im Kontext der schlesischen Kolonie am Hof Rudolfs II. Im Juni 1608 heiratete Tobias Scultetus schließlich Catharina, die Tochter des Hieronymus Treutler von Kroschwitz in Beuthen an der Oder. Seinen Wohnsitz nahm er alsbald oberhalb des Flusses im Schloß Bellaquimontium; dieses erlangte Berühmtheit durch Opitz. Nach der Erhebung des Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. zum böhmischen König wurde Scultetus zum Direktor der Schlesischen Kammer bestimmt. Sein letzter Dienst galt dem König. Nach einem glanzvollen Einzug durch Breslau, anläßlich dessen die calvinistische Intelligenz Friedrich emphatisch begrüßte, sollte eine Huldigung durch die lausitzischen Stände erfolgen. Angesichts der bedrohlichen Kriegslage mußte der König jedoch über Görlitz und Zittau nach Prag zurückeilen, während Scultetus in der Niederlausitz stellvertretend die Huldigung gemeinsam mit den Grafen Philipp und Heinrich von Solms entgegennahm. Er gehörte zum Kreis der engsten Vertrauten des Königs. Die Katastrophe, die sodann im November 1620 über den ›Winterkönig‹ hereinbrach, erlebte er nicht mehr. Am 26. April 1620 starb er in seiner Wahlheimat Breslau. Eine Leichenpredigt für Scultetus ist, wie erwähnt, nicht bekannt. Auch wurde ihm offenkundig keine posthume Ehrung zuteil. Er war in den Strudel des Untergangs des Pfälzisch-Böhmischen Königshauses hineingerissen worden. Eine Persönlichkeit von der Statur Nicolaus Henel von Hennenfelds hätte die posthume Ehrung in die Hand nehmen müssen. Doch blieb die Erinnerung an das polito-konfessionelle Engagement des späthumanistischen Wortführers lebendig und verbot eine Hommage in verwandelter Zeit. Das Porträt von dem Hofstecher Rudolfs II. Aegidius Sadeler im Rijks-
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museum zu Amsterdam, geziert durch ein sechszeiliges Epigramm Keplers, zeigt einen gefestigten, in der tiefsten Krise der Frühen Neuzeit um 1600 sich behauptenden Staatsmann.7
Späthumanistisch-reformierte Mentalität Soweit eine Rekapitulation der bekannten und einschlägigen Daten. Wie immer geht es um ihre historische Verortung, ihre Bewertung und ihre Bedeutung für die Kreise, die vornehmlich Kontakt mit eben der Persönlichkeit hatten, die wir soeben nochmals vorstellten und die nun auf Opitz hin zu fokussieren ist. Scultetus war gut dreißig Jahre älter als Opitz. Er wurde geboren zu einer Zeit, da der Konfessionskonflikt sich unaufhaltsam zuspitzte und die Hoffnung auf einen Ausweg aus der religiösen Spaltung im Erlöschen begriffen war. Das unterschied ihn von dem zwanzig Jahre älteren Jakob Monau und mehr noch von dem vierzig Jahre älteren Crato von Crafftheim, die beide noch das Eindringen des jungen Glaubens unter der Ägide Melanchthons in Schlesien miterlebten und für eine Weile auf die Vermeidung des religiösen Bruches setzen durften, bevor der Horizont sich definitiv verdüsterte. Das Antlitz des Scultetus betrachtend wird offenbar, daß das eiserne Zeitalter mit unbarmherzigem Griffel die herben Züge hervorgetrieben hatte, um die auch ein Opitz wußte. Die Signaturen der Zeit waren allenthalben zu gewahren. Eine Gestalt wie Scultetus war für die jüngere Generation und damit für Opitz zunächst ob ihrer Weltläufigkeit von Bedeutung. Auf den gesamten westlichen Kontinent war in jungen Jahren zumeist in der Funktion des Hofmeisters adliger Personen ausgegriffen worden. Aus persönlicher Anschauung vermochte Kenntnis über Orte und Personen vermittelt zu werden, die den Jungen Orientierungsmargen bot. Und für wen wäre dies wichtiger gewesen als für Opitz? Ihm waren vergleichbare Optionen verschlossen geblieben. Er war bis zum Ende seiner Jugend, die wir im Blick auf seine innere Lebensgeschichte vergleichsweise präzise datieren können, auf die Vermittlung von welthaltigem Stoff aus erfahrener Hand angewiesen. Niemand war dafür prädestinierter als eben Scultetus, an dessen häuslichem splendidem Ambiente der junge Dichter und Erzieher sich erfreuen durfte. Halten wir aber nach einem fixen Punkt in dem gewiß lebhaften Gespräch Ausschau, so ist es neuerlich der konfessionelle Aspekt, welcher sich an vorderster Stelle behauptet. Wo immer Scultetus auf seinen Reisen geweilt hatte, war er auf Zentren reformierter Anschauung gestoßen; wo diese fehlten, da waren es, wie etwa in Norditalien, ja am Rande noch in Spanien, überaus lebendige heterodoxe Glaubensbildungen bis hin zum Sozinianismus, die eine Ahnung von der Vielfalt, zugleich aber auch von der Attraktivität von religiösen Optionen vermittelten, die inzwischen dem Schoß der una sancta ecclesia entwachsen waren. Für diese gelehrten Geister, die da an der Gewinnung einer persönlich zu verantwortenden Haltung in Glaubensdingen arbeiteten, ––––––––– 7
Wir haben im Vorangehenden verzichtet auf nähere Nachweise zum Lebenslauf aus der vorliegenden Literatur. Diese ist komplett verarbeitet in den oben Anm. 5 aufgeführten Arbeiten des Verfassers, auf die nochmals verwiesen werden darf.
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war eine Bindung an das Luthertum gegen Ende des 16. Jahrhunderts nur noch ausnahmsweise denkbar. Sie gerieten automatisch in den Bann eines viel nachhaltiger um Versöhnung von Glauben, Wissen und Vernunft kreisenden Denkens, das ihrer Biographie schließlich die weltanschauliche und metaphysische Konsistenz verlieh, welche wir auch bei Opitz, stetig fortschreitend, bewundern lernen.
Im Umfeld des reformierten Generalstabs Damit ist Entscheidendes jedoch womöglich immer noch nicht zureichend zum Ausdruck gebracht. Scultetus stand nach seiner Rückkehr in die Heimat an der vordersten amtlichen Stelle im böhmischen Königreich und dessen Nebenländern. Als Kammerfiskal für Niederschlesien und die Niederlausitz war ihm eine zentrale Position zugefallen. Es paßte zu dem Bild des umfassend Gelehrten, daß er sich mit einem eigenen fiskalischen Traktat hervortat, der ganz offensichtlich Aufsehen erregte, denn wie anders hätte ein Henel von Hennenfeld sich ansonsten dazu verstehen können, ihm Platz in seiner ›Silesiographia Renovata‹ einzuräumen?8 Scultetus muß das Vertrauen von Kaiser Rudolf II. und Kaiser Matthias besessen haben, sonst hätte er sich nicht unangefochten am Prager Hof halten können. Hier war ein Wirkungsraum gegeben, den es nirgendwo in Schlesien gab. Und über Prag verliefen die direkten Verbindungen nach Wien. Scultetus war automatisch mit Informationen aus erster Hand ausgestattet.9 Doch diese enge amtliche Liaison steht in scharfem Kontrast zu der konfessionellen Orientierung. Scultetus kam damit jedoch keinesfalls eine Ausnahmeposition zu. Zu den aufsehenerregenden Fixpunkten der schlesischen Geistesgeschichte gehört der Umstand, daß hohe Amtsträger in den Städten und bei Hofe mit reformiertem Glauben ein enges dienstliches Verhältnis zum Kaiserhof in Wien bzw. Prag unterhielten. Das erforderte höchstes persönliches und diplomatisches Geschick. Opitzens großen Lehrmeister Caspar Dornau und Tobias Scultetus standen ein für diese prekäre Lage, von der Opitz hinschauend und lernend nur profitieren konnte, geriet er selbst später doch in Situationen, die an Brisanz schwerlich noch zu überbieten waren. Zur inneren Geschichte derartiger Lebensläufe gehört es, daß eine strikt beobachtete Balance plötzlich hintangestellt werden kann und eine wohlgehütete Gesinnung sich Bahn bricht, sobald ein Umschwung eintritt. Das hat nichts mit Opportunismus zu tun, sondern ist nur auf andere Weise Ausdruck der äußerst komplizierten Gegebenheiten zumal in den schlesischen Nebenländern, in denen politische Belange und religiöse Überzeugungen nur allzu oft einander widerstritten. Auch Scultetus zählt zu ––––––––– 8
9
Vgl.: Tractatus de fisco. Summarium.- In: Nicolaus Henel von Hennenfeld: Silesiographia Renovata. Band I–II. [Hrsg. von Michael Joseph Fibiger].- Breslau, Leipzig: Christian Bauch 1704, Band II, S. 1205–1209. Heranzuziehen vor allem R.J.W. Evans: Rudolf II and His World. A Study in Intellectual History 1576–1612.- Oxford: Clarendon Pr. 1973. Corrected Paperback-Edition: Thames and Hudson 1997. Vgl. das 4. Kapitel: The Habsburgs, Bohemia, and Humanist Culture, S. 116–161. Hier S. 148–150 über die schlesischen Humanisten im Umkreis des Prager Hofes. Vgl. auch S. 234 f. Vgl. auch Erich Trunz: Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolfs II. 1576–1612.- Neumünster: Wachholtz 1992. Hier das siebte Kapitel: Die neulateinische Dichtung, S. 86–95.
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den Leitfiguren, die diesen Konflikt auszutragen hatten und schlagartig aus der Defensive heraustraten. Wie überall in Schlesien geschah dies auch auf Schloß Bellaquimontium, als der pfälzische Kurfürst zum böhmischen König erhoben wurde. Sogleich wurde Scultetus mit dem höchsten Amt in Schlesien betraut, das der böhmische König zu vergeben hatte. Er wurde Direktor der Schlesischen Kammer und stand damit an der Spitze der zentralen politischen Agentur im Land. Das war eine Position, die nur einem auf der reformierten Seite stehenden Beamten zuerkannt werden konnte. Scultetus muß in Heidelberg wie in Prag dafür bekannt gewesen sein. Daraus aber folgt ein Doppeltes. Er war, wie womöglich niemand sonst in Schlesien, eingeweiht in die Pläne des international agierenden Reformiertentums am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Seine in der Jugend und während der Hofmeisterdienste begründeten engen Kontakte schlugen in einer dramatischen geschichtlichen Phase nun voll zu Buche. Opitz aber, und dies zum anderen, weilte während der Zeit unmittelbar vor dem Pfälzer Coup an der Seite von Scultetus. Wir möchten der Überzeugung Ausdruck verleihen, daß Opitz die entscheidende politische Sozialisation vor dem eigenen Aufbruch in den Westen seinem Dienstherrn Scultetus zu verdanken hat. Dieser wird es schließlich auch gewesen sein, der ihm die Wege in den Westen öffnete, die beschreitend ein Bildungsgang zu einem ersten Abschluß gelangte, der ein politischer, religiöser und – nicht zuletzt – ein literarischer war. Und auch für diesen letzten Akt erfolgte auf Schloß Bellaquimontium gleich in doppelter Hinsicht eine richtungsweisende Weichenstellung.
Juvenilia et Officia Für einen angehenden Gelehrten, der vermutlich seinen späteren, der Politik gewidmeten Lebensweg noch nicht im Auge hatte, war es eine Selbstverständlichkeit, sich an den literarischen Gesellschaftsspielen zu beteiligen, wie sie schon auf der Schule eingeübt und dann in der Studien- und Hofmeisterzeit mit Kennerschaft praktiziert wurden. Entsprechende Zeugnisse, in erster Linie aus Leipzig und Umgebung, später aus Heidelberg und Basel, liegen auch im Fall von Scultetus zur Genüge vor. Wir dürfen sie auf sich beruhen lassen, zumal sie in unseren zitierten Arbeiten bereits durchgehend präsentiert wurden. Anders steht es jedoch, wenn von gelehrter Seite der anspruchsvollere Versuch unternommen wird, sich an der poetischen Kultur unabhängig von Anlässen und Adressaten zu beteiligen. Dann gelten neue Maßstäbe, und zugleich ist die kollegiale Öffentlichkeit kritisch präsent. Scultetus hat in jungen Jahren dieses Risiko nicht gescheut. Maßgeblich dafür war sein Aufenthalt in Heidelberg. Hier geriet er in die Nähe der ersten Autorität, wenn es um die Pflege der lateinischen und alsbald auch der volkssprachigen Kunstdichtung ging: Schede Melissus. Scultetus nahm sich viel vor. Er wollte teilhaben an dem Aufstieg zum poetischen Parnaß und die daselbst zu erwartenden Früchte des Ruhms ernten. Das einschlägige Zeugnis dafür sind seine allegorisch umrankten Liebesgedichte. In sie müssen wir einen kurzen Blick werfen, kehren die poetischen Sprießlinge doch – anders gewendet – alsbald bei seinem Schützling wieder.
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1594 erschien bei Abraham Smesmann in Heidelberg eine weiträumig angelegte poetische ›Subsecivorum Poëticorum Tetras Prima‹.10 Das ›Svspiriorvm Ad Sophiam Libellus‹, welches das Werk eröffnet, birgt nicht weniger als sechsundsechzig durchnumerierte Gedichte. Scultetus zieht in ihnen alle Register der petrarkistischen erotischen Camouflage. Doch diese sind umfunktioniert und fungieren in uneigentlicher Rede zum Lobpreis Sophias, der Schönen der Weisheit. O inter lacrumas Svspiria exhalata! O Corde imo Svspiria nata mihi! Ite, meae quondam, Sophiae eheu! vltima dona; Si potis, illa meis inlacrumet lacrumis! Adspiciat grandes, quas dudum perfero poenas! Adspiciat, vitam quam miserabilem agam! Sola potest, miserum heu! misero subducere fato; Si moriar, Tituli, ah! pars quota ei fuero?11
So hebt er an, und die folgende Sequenz gibt sich als eine grandiose Modulation des einen poetischen Gedankens der ersehnten Zuwendung zu Sophia. Viele Stimmen bezeugen, daß seine ›Suspiria‹ aufmerksame Leser gefunden haben, und auch ein Opitz gehörte selbstverständlich zu ihnen. Und so nicht anders sein ›Phalevcorvm‹ und sein ›Philotesiorvm Libellus‹ sowie nicht zuletzt seine Sammlung mit Epigrammen, die die ›tetras prima‹ beschließt. Scultetus beließ es bei dieser seiner einzigen und so verheißungsvollen Gedichtsammlung; weitere folgten nicht mehr. Immerhin, die Kollektion reichte hin, um ihm den begehrten Titel eines poeta laureatus zu verschaffen. Wir können die Gründe der Preisgabe der ›tetras‹ nur vermuten. Es waren die zunehmenden öffentlichen Pflichten, welche ein Fortschreiten in den Gefilden der Poesie verhindert haben dürften. Das begann im Hofmeisteramt und setzte sich fort in der Tätigkeit im Schatten der Prager Burg, bis schließlich die höchsten Sprossen der Karriereleiter erklommen waren. Auffällig bleibt, daß Scultetus, wenn er denn noch einmal hervortrat, zu gewichtigen politischen Ereignissen sich vernehmen ließ. Schon beim seinerzeitigen Fürsteneinzug in Naumburg war auch der junge Scultetus unter den Gratulanten.12 Im Jahr 1611 zog ––––––––– 10
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Tobiae Scvlteti Ossitiensis Subsecivorum Poëticorum Tetras Prima; In qua Suspiria; Phaleuci; Philotesia; Epigrammata. Myrtilleti Ad Nicrvm, Typis Abrahami Smesmanni. Anno MDXCIV. Leicht greifbares Exemplar in der Sammlung Faber du Faur Nr. 33. Es entstammt der Maria Magdalenen-Bibliothek zu Breslau und wurde also als Dublette veräußert. Die alte Signatur: 8 N 401/3. So das Eingangsgedicht, Bl. B1r. Die deutsche Übersetzung: Oh ihr unter Tränen ausgestoßenen Seufzer! | Oh ihr tief in meinem Herzen geborenen Seufzer! | Ach, geht ihr letzten Geschenke an Sophia, die einst die meine war; | Wenn sie es kann, soll jene meine Tränen beweinen! | Sie soll die schweren Strafen schauen, die ich schon seit langer Zeit ertrage! | Sie soll das bemitleidenswerte Leben schauen, das ich führe. | Ach, sie könnte mich Elenden als einzige diesem elenden Schicksal entreißen; | Ach, wenn ich einst sterbe, wird sie dann wohl ihrerseits wenigstens im Umfang einiger Zeilen oder Worte über meinen Tod seufzen? Vgl.: De Illvstriss. Ac Potentissimorvm Principvm, Atqve Electorvm splendidissimo in vrbem Nvmbvrgvm ingressu, III. die Iulij, Anno M.D.XXCVII. facto. Carmen Scriptvm à Tobia Sculteto Ossitiense. Lipsiae, Imprimebat Iohannes Steinman. (Ex. Sächsische Universitäts- und Landesbibliothek Dresden, H. Sax. H, 538,3; Staatsbibliothek zu Berlin Preussischer Kulturbesitz, Xc 568
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Kaiser Matthias in Breslau ein. Selbstverständlich war Scultetus unter jenen, die ihm poetische Lorbeerkränze wanden.13 Nämliches wiederholte sich freilich nicht mehr, als fast ein Jahrzehnt später der Pfälzer Kurfürst und nunmehrige böhmische König in Breslau weilte. Der hochrangige Beamte durfte sich nicht exponieren. Unter den Dutzenden von Flugblättern und Flugschriften zu diesem Anlaß, in welchen die gesamte reformierte Intelligenz sich enthusiastisch ein Stelldichein gab, fehlt der Präsident der Schlesischen Kammer. Im Einklang mit der hochrangigen politischen Stellung war ein poetischer Funktionswechsel vonstatten gegangen. Im Blick auf Scultetus kam er noch einmal zum Tragen, als es galt, Georg von Schoenaich im Schicksalsjahr 1619 die letzte Ehre zu geben. Opitz trat somit oberhalb Beuthens mit einer Persönlichkeit in Kontakt, welche die unentwegt von den Humanisten beschworene Einheit von öffentlichen, gelehrten und ›artistischen‹ Tätigkeiten vorbildlich in seiner Person verkörperte. Opitz war zu jung als daß er noch in den Genuß einer Krönung durch den dazu bestellten Pfalzgrafen gekommen wäre. Wenn er aber nach Exempeln für die erhabene Trias Ausschau hielt, stellte sich das Bild des Scultetus wie selbstverständlich ein. Ja, eine der großen Dichtungen Opitzens, die uns sogleich beschäftigen wird, wäre vermutlich nicht zustandegekommen, wenn ihm in Scultetus nicht die leibhafte Verkörperung seines Ideals und die seines Standes entgegengetreten wäre. Denkwürdig aber wird immer bleiben, daß es Opitz selbst dank unermüdlicher Anstrengung vergönnt war, die so oft als Wunschbild beschworenen Einheit seinerseits tatsächlich zu leben. Er rang sein poetisches Geschäft je länger desto entschiedener den stetig wachsenden politisch-diplomatischen Verpflichtungen ab. Nur ein splendides Haus zu führen blieb ihm versagt.
Innenansicht einer Adels-Bibliothek Zu den Bestsellern des berühmten Antwerpener Verlagshauses Plantin gehörte das erstmals 1570 erschienene ›Theatrum Orbis Terrarum‹.14 Eine jede größere Bibliothek, deren Besitzer etwas auf sich hielt, erwarb ein Exemplar. Die letzte bei Johannes Moretus gedruckte lateinische Auflage kam im Jahr 1601 heraus. Verfasser war der Ant––––––––– 13
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(5) (Widmungsexemplar)). Der Titel auch bei Rudolf Bemmann: Bibliographie der Sächsischen Geschichte. Band I, Halbband 1.- Leipzig, Berlin: Teubner 1918, S. 224. Acclamationes Votivae in publicâ Silesiae laetitiâ, Sub Adventum Sereniss. Ac Potentiss. Principis ac Domini Dn. Matthiae Secundi, Hungariae Et Bohemiae Regis, [...] Domini nostri Clementiss. Qvi Ingressus est Vratislaviam Silesiae Metropolin a.d. XVIII. VIIbris, Anno MatthIâ SeCVnDo gVbernante. Vratislaviae, Sub incude Typographicâ Baumanniana. Anno, DeVs nobIsCVM. [1611]. BU Wrocław 426979 und 537625 (letzteres aus der Bernhardiner-Bibliothek 4W 114/5.) Vgl. auch die Nachweise in Heinrich Wendts ›Katalog der Druckschriften über die Stadt Breslau‹ (Breslau: Morgenstern 1903), S. 3, wo auch die anderweitigen poetischen Huldigungen aufgeführt sind. Hier der Nachweis für die beiden Exemplare im heutigen Schlesisch-Lausitzischen Kabinett der BU Wrocław, Yb 25/6, Yb 26/6. Ein weiteres Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin Preussischer Kulturbesitz, Xc 528 (21). Vgl. zum Folgenden die sehr wichtige Arbeit von Peter H. Meurer: Ein Ortelius-Atlas aus dem Vorbesitz von Tobias Scultetus.- In: Cartographica Helvetica 21/22 (2000), S. 3–10. Der Studie sind auch einschlägige neue Daten zur Biographie von Scultetus zu entnehmen.
Innenansicht einer Adels-Bibliothek
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werpener Kartograph und Altphilologe Abraham Ortelius (1527–1598). Gesuchte Raritäten sind, wie jeder Sammler weiß, mit handschriftlichen Beigaben versehene Exemplare. Ein solches der letzten Auflage tauchte zu unbekannter Zeit auf dem Antiquariatsmarkt auf und erregte Aufmerksamkeit – eben wegen eines handschriftlichen Besitzvermerkes: »Ex libris T. Scultiti Cui Emit Antverpiae Anno 1601, Mense Majo XXXVI taleris, absque ligatura, qua constitit IV taleris.« Mehr kann der Buchhistoriker von einer ›inscriptio manu propria‹ nicht verlangen. Käufer, Ort des Kaufes und Preis für Buch und Einband sind ausgewiesen. Tobias Scultetus tritt uns unversehens als Sammler von Büchern entgegen. Eine derartige Notiz hat Interesse für die Biographie des Käufers. Sie steht hier gar nicht zur Rede. Wir wünschen nähere Bekanntschaft mit dem Bibliophilen zu machen, und das in sehr bestimmter Absicht. Dabei dürfen wir uns der Hilfe von Autoritäten anvertrauen, die frühzeitig einen Blick für die hier sich im Zusammenhang mit Opitz auftuenden Perspektiven besaßen. Zu ihnen zählt der Leipziger Literaturhistoriker Georg Witkowski. Er hat eine beredte Äußerung des Beuthener Professors für Historie Balthasar Exner aufgetan, der uns schon wiederholt begegnete. In der Zuschrift an Scultetus in einem seinem Symbolon ›Spero Meliora‹ gewidmeten Werk aus dem Jahr 1619 liest man: Wer begünstigt mehr als Du in dieser Gegend Wissenschaften und Künste? Oder, selbst wenn sie jemand begünstigt, wer unterstützt sie so? ... Du hast, ohne Ruhm zu sagen, nicht nur ganz Europa, nämlich Deutschland, Holland, Belgien, England, Spanien, Frankreich, die Schweiz, Österreich, Ungarn und Sarmatien durchzogen, Du hast auch alle berühmten Leute jener Länder kennen gelernt. ... Dein Haus ist ein Orakel, magst Du zugegen oder fern sein. Denn wenn Du anwesend bist, gewährst Du uns einen Schatz aller Kenntnisse und unterstützest uns durch Deinen reichen Geist und Dein scharfes Urteil. Bist Du aber abwesend, so haben wir Deine Bibliothek, die mit Büchern aller Fächer reich gefüllt ist.15
Damit liegt eine noch zu Lebzeiten von Scultetus erfolgte Äußerung vor, die Gewicht besitzt. Auch ein Scultetus pflegte eine seinem Stand entsprechende Bibliothek. Eine solche Feststellung erfindet ein Lobredner nicht. Sie war ohnehin zu vermuten und erhält über das Exnersche Zeugnis ihre Bestätigung. Standesgemäßheit aber hat in bibliothekarischen Belangen Signifikanz. Wie ein jeder Blick in historische Kataloge von Bibliotheken und privaten Sammlungen belegt – und ihre Lektüre ist ein Vergnügen eigener Art! –, hat die Bibliothek eines Gelehrten eine gänzlich andere Physiognomie als die eines Adligen. Überschneidungen mag es in der Fachliteratur geben, ––––––––– 15
Vgl. die Einleitung von Georg Witkowskis zu: Martin Opitzens Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae und Buch von der Deutschen Poeterey.- Leipzig: Veit 1888, S. 1–74, S. 15 f. Der Exnersche Text: AD Illustrem & Magnificum Virum Dn. Tobiam A Schvvanensehe Et Bregoschitz cognomento Scvltetvm, Haereditarium Hirschfeldae, & Bellaquimontii Bethaniae, Sac. Caes. Maiest. Consiliarium, Sacri Palatii Comitem, & per Silesiam ac Lusatiam inferior. Fisci Regis Praefectum longe digniss. & celeberrimum.- In: Balth. Exneri De Hirschberga, Poetae Caesarii & Professoris Historici; Anchora Vtrivsqve Vitae: Hoc est Symbolicum Spero Meliora A trecentis, qua genus, qua doctrinam Illustribus & Clariss. in Europa Viris Carmine celebratum: Cvi Accesservnt Amores Conivgales Et Analecta Encomiastica Ab Illustribus quibusdam & Clarissimis passim Viris scripta. Hanoviae, Typis Wechelianis, apud Danielem ac Dauidem Aubrios & Clementum Schleichium. Anno MDCXIX, Bl. A2r–A8v. Es handelt sich um die Widmungs-Zuschrift. Der Passus zur Bibliothek des Scultetus Bl. A6r–A7r.
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doch auch hier ist eine Adelsbibliothek aus naheliegenden Gründen auf die in die Praxis geleitenden Hand- und Lehrbücher kapriziert. Vor allem aber und allein hier einschlägig: Adelsbibliotheken zeichnen sich in der Regel durch eine massive Präsenz der schönen Künste aus. Das gilt in ganz besonderem Maße für Bestände aus der antiken und zumal der jeweils gegenwärtigen Literatur. An der Wiederentdeckung der antiken Literaturen und an ihrer Publikation in Gegenwart und jüngster Vergangenheit teilzuhaben, ist ein Gebot der Standesehre. Nicht minder aber gilt dies für die aktuelle schöne Literatur. Und das nicht zuletzt, weil auch das adlige weibliche Geschlecht sich gerade dieser literarischen Spezies mit Vorliebe lesend zuwendet. Dabei kommt dem Adel über Reisen und gesellschaftliche Kontakte das Prä zugute, durchweg in den modernen Sprachen bewandert zu sein. Auch im Blick auf Scultetus dürfen wir gute Kenntnisse zumindest der westeuropäischen Sprachen voraussetzen. Und diese schlagen dann auch auf dem Felde der Bibliophilie zu Buche. Wenn also Exner seinem Gönner Scultetus bescheinigt, daß die Gäste im Hause sich frei in den Bücherschätzen umzutun pflegten, dann dürfte auch Opitz von dieser Lizenz besonders ausgiebigen Gebrauch gemacht haben. Er wird hier die neuere europäische Literatur in der lateinischen Version ebenso wie in der volkssprachigen vorgefunden haben. Vieles von dem, was quellenkritische Forschung vor allem im Blick auf die Lyrik des jungen Opitz ermittelt hat, wird der Dichter womöglich bereits auf Schloß Bellaquimontium in der Hand gehabt haben. Ob Petrarca oder Veronica Gambara, Ronsard oder du Bellay, Heinsius oder die Beiträger des ›Bloem-Hof‹, ja womöglich selbst Sidney oder Shakespeare, um nur einige wenige Namen zu nennen, mögen ihm schon bei seinem Gönner vor Augen gekommen sein. Mit Sicherheit aber war es das erste Mal, daß er mit einem literarischen Kosmos direkt in Fühlung gelangte, von dem er ein Leben lang zehrte. Bibliotheken dieses Zuschnitts gab es nur im Adel und bei Hof. Was in Beuthen auf dem Gymnasium hinsichtlich des Wertes der im heimischen Idiom verfaßten Literaturen zumal im Umkreis Dornaus traktiert wurde, fand in der Schloßbibliothek seines Gönners ein eindrucksvolles Komplement. Theorie und dichterische Praxis traten zusammen, um einem auf Großes sinnenden Genius ein Bild der seiner harrenden Aufgaben zu vermitteln. Auch in dieser Hinsicht gehören Person und Lebensraum des Scultetus zu den Essentialia seiner Bildungsgeschichte und insbesondere zum Reifungsprozeß des Dichters in der Volkssprache. Nirgendwo war bislang mehr lebendiger Stoff einer auf die Prospektive gewendeten Anschauung verfügbar als eben bei diesem adligen Grandseigneur. Und so brach er mit Gewißheit als bereits Belesener in den modernen Literaturen in den Westen auf, auch damit seinem Dienstherrn eine Generation später folgend.
Etablierung eines Vergilschen Prototyps Gut vorstellbar, daß der Besucher auf dem Schloß mit Erwägungen einsetzte, auf welch eine besondere Weise er den Hausherrn poetisch ehren könne, und das nicht zusammen mit anderen, sondern als alleine auftretender Autor. Vielleicht lag ein der-
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artiger Gedanke so nahe, daß es keiner längerer Überlegungen bedurfte. Wie auch immer. Die getroffene Entscheidung hätte nicht glücklicher, zugleich aber auch nicht anspruchsvoller ausfallen können. Opitz begab sich auf eingeführtes Terrain, also war so noch nicht Verlautetes dem Reigen zuzuführen. Zugute kam ihm der vergleichsweise noch nicht allzu lang zurückliegende Übergang in das neue Jahrhundert. Es vermochte mit einem Beitrag eröffnet zu werden, ohne daß links und rechts schon Ähnliches in Permanenz erfolgt wäre. Die Wahl fiel auf eine eingeführte Gattung der europäischen Literatur. Und diese verband sich für einen jeden, der zu ihr griff, mit dem Namen jenes Autors, der in der langen Frühen Neuzeit bis in die Tage des 18. Jahrhunderts hinein unstrittig die höchste Autorität genoß. In seiner Nachfolge tätig zu werden, verhieß allemal Ruhm, blieb aber stets auch ein Wagnis. Hochgesteckte Standards durften nicht unterboten werden. Eine gehörige Portion Selbstvertrauen war vonnöten, wußte ein jeder doch, der in die Fußstapfen des großen Römers trat, daß er ehrenvoll bestehen müsse. Tatsächlich besitzen wir aus dem Umkreis der Gattung, die Opitz erkor, ungezählte Stücke, die reine Dutzendware sind und keinerlei Anspruch auf ein produktives Weiterleben beanspruchen können. Das sollte selbstverständlich im Falle des jungen Opitz anders sein. Er wandte sich also der Gattung der von Vergil begründeten Ekloge zu. Und das in vergleichsweise kurzem Abstand gleich zweimal. Das schmale Vergilsche Eklogenbuch, gerade einmal zehn Stücke umfassend, kannte ein jeder durch die Lateinschule gegangene Eleve auswendig. Es existierte kein Text des Altertums, der allgegenwärtiger gewesen wäre bis in die Tage Goethes hinein, als der Vergilsche pastorale Kranz. Viele Faktoren kamen zusammen. Am wichtigsten blieb, daß der Hirtenmonolog bzw. das Hirtengespräch einluden zum uneigentlichen und mit allegorischem Sinn begabten Sprechen. Der Hirt war eine Kunstfigur, war immer mehr und anderes als der Hüter von Schafen in natura.16 Als derart elaborierte Figur wollte ihr Besonderes, zum Sinnen, Rätseln und Entdecken Einladendes anvertraut werden. Das war schon bei Vergil so, setzte sich bei seinen Nachfolgern in Rom fort, und als die Gattung dann in der Frührenaissance bei den Italienern wiederentdeckt wurde, kannte der auf sie gewendete Scharfsinn keine ––––––––– 16
Für das Einschlägige und insbesondere für weitere Literatur sei verwiesen auf die folgenden lexikalischen Einträge des Verfassers: ›Arkadien-Utopie‹.- In: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Band I–IV. Hrsg. von Hans Jörg Sandkühler.- Hamburg: Meiner 1990. Band IV, S. 685–690; ›Schäferdichtung‹.- In: Literaturlexikon. Hrsg. von Walter Killy. Band I– XV.- Gütersloh, München: Bertelsmann Lexikon Verlag 1988–1993. Band XIII und XIV: Begriffe, Realien, Methoden. Hrsg. von Volker Meid. Band XIV (1993), S. 338–341; ›Bukolik‹.- In: Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. von Klaus Weimar. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 1997–2003. Band I, S. 287–291; ›Schäferdichtung‹.- In: Das Fischer Lexikon. Literatur. Band I–III. Hrsg. von Ulfert Ricklefs.- Frankfurt/Main 1996. Band III, S. 1746–1765.Zur Gattung im europäischen Kontext vgl. Klaus Garber: Arkadien und Gesellschaft. Skizze zur Sozialgeschichte der Schäferdichtung als utopischer Literaturform Europas.- In: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Band I–III. Hrsg. von Wilhelm Voßkamp.Stuttgart: Metzler 1982. Band II, S. 37–81. [Auch als suhrkamp-taschenbuch der wissenschaft. Band 1159. 1985.] Wiederabgedruckt unter dem Titel: Arkadien und Gesellschaft. Skizze zur Sozialgeschichte der Schäfer-, Landleben- und Idyllendichtung als utopischer Literaturform Europas.- In: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- München: Fink 2009, S. 229–274.
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Grenzen. Zur Ekloge zu greifen und verschlüsselt zu agieren war eins. Bis heute geben manche Stücke nicht mehr lösbare Rätsel auf. Und das in einer Gattung, die in der Hierarchie der Stoffe und Stile, in die die Literatur Europas poetologisch eingeteilt war, die niederste Stufe einnahm. Sie lebte von Paradoxien. Und natürlich reizte das auch einen Opitz. Wie im zwiegesichtigen Liebesgedicht konnte man in der enigmatischen Ekloge größte Kunstfertigkeit unter Beweis stellen.
Im Gewande des Hirten-Heros Daphnis Die Ekloge, die Hunderte von Exemplaren allein in der neulateinischen Version zählt, ist der großen Masse nach Gelegenheitsdichtung. Auch sie kennt also Anlässe und Adressaten, nun aber in der nur ihr eigenen Form der schäferlichen Einkleidung. Vergil hatte auch diese Praxis begründet, ja Ansätze dazu waren schon im Hellenismus bei seinem Vorgänger Theokrit zu gewahren. Ein jeder Schäferdichter wußte um diese Mitgift. Sie hatte nichts Besonderes und schon gar nichts Verächtliches. Erst als die Grundlagen der alteuropäischen Literatur im Zuge der Empfindsamkeit ins Wanken gerieten, verlor sich auch diese über Jahrhunderte stillschweigend bewährte Übereinkunft, und ihr Stammvater Vergil geriet ins kritische Visier, von seinen Nachfolgern gar nicht zu reden. Es bedurfte energischer Maßnahmen im 20. Jahrhundert, um überhaupt erst die Voraussetzungen für einen angemessenen Umgang gerade mit dieser literarischen Erbschaft zurückzugewinnen. Heute besteht unter Kennern kein Zweifel, daß die komplexesten Eklogen stets auch die reizvollsten sind und sich ein immenses semantisches Potential in der so anspruchslos daherkommenden niederen Gattung verborgen hält. An einem einzigen Exempel mag dies gezeigt sein. Das Bild des Autors Martin Opitz wie das seines zum poetischen Vorwurf Erkorenen und in ein pastorales Gewand Gehüllten wird gleichermaßen davon profitieren. Die Anfänge der Hirtendichtung verlieren sich im geschichtlichen Dunkel.17 Als ihr Begründer gilt der auf der Wende vom achten zum siebten vorchristlichen Jahrhundert lebende Dichter Stesichoros. Und schon er soll ein dem Hirten Daphnis gewidmetes Lied gedichtet haben, das sich nicht erhalten hat. Daphnis erscheint da als Besungener, und zugleich gilt er selbst als Erfinder der Hirtenpoesie. Ihm kommt also von Beginn an eine herausragende Stellung zu. Die Philologen der alexandrinischen gelehrten Schulen trugen dem Rechnung. Am Eingang der ›Eidyllia‹ des Theokrit, mit der die erhaltene bukolische Überlieferung einsetzt, plazierten sie das Hirtengedicht mit dem Titel ›Daphnis‹. Der Hirte Tityrus trägt es vor, und auch diesem Hirtennamen sollte eine große Geschichte bevorstehen, wurde er doch mit demjenigen Vergils identifiziert, welcher in seiner ersten Ekloge, versetzt mit autobiographischen Anspielungen, eben unter die––––––––– 17
Für das Folgende, auch im Blick auf die einschlägige und hier nicht nochmals zu wiederholende Literatur, sei verwiesen auf: Klaus Garber: Arkadien. Ein Wunschbild der europäischen Literatur.München: Fink 2009. Hierin das zweite Kapitel, betitelt: Mythische Hirtenwelt, S. 17–31, sowie das dritte Kapitel, betitelt: Vergil als Begründer der europäischen Arkadien-Utopie, S. 33–42, Anmerkungen S. 120–124.
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sem Namen hervorgetreten war. Das Theokritsche ›Eidyllion‹ aber, zehrend von der mythischen Überlieferung, präsentiert ein dem musischen Dasein gewidmetes Schicksal, verkörpert im Hirtenheros Daphnis. Dieser widersetzt sich der Macht der Liebe, erzürnt damit die Liebesgöttin und bezahlt seine Verweigerung mit dem Tod. Der Hirtenschalmei, die er auch selbst handhabt, ist es vorbehalten, von seinem dem Gesang zugetanen Leben zu künden. Einem zweiten Orpheus gleich versammelt er die schöne Natur, versammelt er Tiere und Menschen, Götter und Hirten um sich, und einmütig antwortet die beseligte Gemeinschaft, gibt trauernd dem Dahinscheidenden das letzte Geleit. Diese mythische Hirtengestalt, Inbegriff musischer Bestimmung, wird sich aus der europäischen Literatur nicht mehr verlieren. Über Vergil und dessen fünfte und neunte Ekloge erfährt das Motiv weitere Ausgestaltung, unterlegt mit besonders zukunftsträchtigen politischen Allusionen. Zur Hochzeit der Pflege der neulateinischen Ekloge um die Wende zum 16. Jahrhundert lebt das Motiv allenthalben fort.18 Helius Eobanus Hessus und Euricius Cordus, Joachim Camerarius, Petrus Lotichius Secundus und wie die berühmten Namen sonst lauten mögen, haben sich seiner bedient und an der Fortbildung gearbeitet. Viel gäbe man darum, nähere Kenntnis zu besitzen von dem, was Opitz im einzelnen lesend gegenwärtig war. Aber das ist die Situation, die bei so gut wie jedem anspruchsvollen Gedicht im 17. Jahrhundert in Anschlag zu bringen ist. Letztlich darf die Besorgnis ob dieses Umstandes nicht überhand nehmen. Schließlich zählt der Text als Text. Und wenn nicht sein intertextuelles Gewebe komplett zu rekonstruieren ist, so gibt sich sein verborgenes, sein subkutanes ›zweites Leben‹ doch bei aufmerksamer Lektüre in der Regel sehr wohl zu erkennen.
Erneut: Eine Trouvaille Auf unseren Pfaden nicht zuletzt durch die Opitz-Philologie begleiten uns schöne Funde, aufgetan von Kolleginnen und Kollegen und von uns selbst. Solche von Finderglück begleiteten Begebnisse kommen stets dem Autor zugute, sind aber auch Bestandteile der Wissenschaftsgeschichte. Es gab Phasen im Fach, da Entdeckungen und Entdecker größtes Ansehen genossen. In Zeiten, da die Überlieferung sich in dramatischem Umbruch befindet, mag das anders sein. Die Spezies der Bibliophilen wird jedoch nicht aussterben. Und sie wird immer wieder Mittel und Wege finden, von den Abenteuern des Aufspürens und Sicherstellens Kunde zu geben. Denn oftmals reicht ein einziger, bislang fehlender Baustein, um dem Gebäude mittels seiner Einfügung ein verändertes, wo nicht gar ein neues Antlitz zu verleihen. Diejenigen Personen, die sich für die Anfänge der neueren deutschen Literatur um 1600 interessierten – und das in der Hochphase der quellenkundlichen Philologie um 1900 –, hatten das Glück, auf die Schätze der intakten und allemal im Aufschwung befindlichen deutschen Bibliotheken zurückgreifen zu können. Wo die Bestände vor Ort versagten, wandte man sich an das fabelhafte Auskunftsbüro in der Königlichen ––––––––– 18
Vgl. das Kapitel: Der mythische Hirtensänger Daphnis in der Tradition der europäischen Ekloge, in: Garber: Martin Opitz (Anm. 5), S. 46–63 (mit reicher Literatur).
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Bibliothek zu Berlin. Die besaß selbst ihrerseits die reichsten Bestände auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Literatur. In diesem Zeitraum nämlich zählte das Klein- und Gelegenheitsschrifttum besonders – wie auch in unserer Darstellung schon erkennbar. Dafür mußten sich Sammler interessieren, denn diese Literatur lag, obgleich so opulent, am Rande des Weges. Berlin besaß einen solchen Kenner in der Gestalt des Freiherrn Karl Hartwig Gregor von Meusebach. Der fahndete nach jedem und noch dem kleinsten Druck aus dem alten deutschen Sprachraum und legte ihn wohlgeordnet nach regionalen Kriterien ab. Auf diese Art und Weise ist die spätere Staatsbibliothek zu Berlin zu der umfassendsten Kollektion von Gelegenheitsgedichten gekommen, die auf deutschem Boden existierte.19 Sie standen daselbst bevorzugt an zwei Stellen, an denen die äußerst gehaltreichen Sammelbände zusammengeführt waren. In der Abteilung Xc wurden die neulateinischen Texte verwahrt, in Abteilung Yf die deutschsprachigen. Natürlich gab es keine strengen Scheidelinien, aber das Prinzip wurde beobachtet, und in den gleichfalls einzigartigen systematischen Realkatalogen, welche die Bibliothek neben den Verfasserkatalogen führte, konnte man die Pracht bewundern, noch bevor man ans Bestellen ging. Mit diesem Luxus, welcher der deutschen Literaturwissenschaft immens zugute gekommen ist, war es nach der nationalsozialistischen Barbarei vorbei. Die neulateinischen Casualia wurden wie die Neolatinistika insgesamt schwer getroffen, viele der ausgelagerten Bestände kamen nicht zurück. Und die Tausende von deutschsprachigen, regional in Sammelbänden zusammengefaßten Bestände wurden geteilt. Ein Teil kehrte von den Auslagerungsorten nach Berlin zurück, ein anderer gelangte mit den wertvollsten anderweitigen Schätzen in die Jagiellonen-Bibliothek nach Krakau, wo sie bis heute verwahrt werden. So gab es über viele Jahre nur eine einzige Stelle, an denen sie zumindest auf Mikrofilm und im Papierabzug wieder zusammengebracht worden waren – in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück.20 Wir wähnen, daß es für Leser, die sich unserem Buch zuwenden, von Interesse sein könnte, auch über Informationen dieser Art aus der Feder eines Bibliotheksreisenden unterrichtet zu sein. Unter den Berliner Neolatinistika befand sich eine Ekloge von Opitz, gerichtet an seinen Patron Tobias Scultetus. Das war natürlich ein literarisches Ereignis. Max Rubensohn, von dem wir hörten, hatte das Stück in der Hand gehabt.21 Es rührte gewiß her aus der Meusebachschen Kollektion. Und es schien ein ––––––––– 19
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Vgl. den Eintrag des hochbetagten, größten gegenwärtigen Bibliographen des deutschen Sprachraums Herbert Jacob zu von Meusebach in: Karl Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. 2. Aufl. Band XIV. Hrsg. von Herbert Jacob.- Berlin: AkademieVerlag 1959, S. 673–680. Vgl. Klaus Garber: Der Zweite Weltkrieg und seine bibliothekarischen Spätfolgen. Noch immer geteilte Sammlungen deutscher Literatur in großen historischen Bibliotheken Europas und ihre Restitution als europäische Aufgabe.- In: ders.: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 611–663. Hier das Kapitel ›Berlin/Krakau‹, S. 613–633, mit einem längeren Meusebach-Passus sowie zu den Katalogen und den erwähnten Systemstellen der neulateinischen und der deutschen Literatur. Hier gleichfalls Angaben zu dem Erhaltenen und zu den Verlusten. Vgl. Max Rubensohn: Studien zu Martin Opitz. Mit einem wissenschaftshistorischen Nachwort herausgegeben von Robert Seidel.- Heidelberg: Winter 2005 (Beihefte zum Euphorion; 49) (Erst-
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Unikat zu sein, zumindest war kein weiteres Exemplar bekannt. Es ist im Krieg verschollen, und mit seinem definitiven Verlust muß gerechnet werden. Die Überlieferung Opitzscher Texte wies fortan auch an dieser Stelle eine empfindliche Lücke auf. Der ebenso rührige wie sorgfältige Herausgeber der Werke Opitzens George SchulzBehrend mußte sich mit dem Wiederabdruck in Opitzens ›Silvae‹ aus dem Jahr 1631 begnügen. Auch er hatte kein weiteres Exemplar auftun können. Doch nun rasch und zügig zum Schlußpunkt.22 Als wir in den achtziger Jahren erstmals in die Sowjetunion aufbrachen, um nach Büchern aus deutschen Bibliotheken zu suchen, die nach dem Krieg dorthin gelangt waren, konnten wir – freilich erst im zweiten Anlauf – auch die Hauptstadt der seinerzeitigen sowjetischen Republik Litauen besuchen. In das Riesenreich hatte es wertvollste Bestände vor allem aus dem nahegelegenen Königsberg verschlagen, die vor allem in die Akademiebibliothek zu Vilnius gelangt waren. Wir aber strebten auch in die alte Universitätsbibliothek dortselbst, die über großartige Altbestände verfügte. In der Regel kommt man ohne nähere Vorkenntnisse, muß sich also auf seinen Spürsinn verlassen. Man blättert in den verfügbaren Katalogen – und so stets auch nach Büchern von Martin Opitz. Wenn dann aber fast auf Anhieb ein Sammelband mit einem bislang unbekannten Opitz-Gedicht zutage tritt und in der unmittelbaren Nachbarschaft die nur aus Berlin bekannte Ekloge sich zu erkennen gibt, dann kennt das Finderglück wieder einmal keine Grenzen. Der Sammelband rührte her aus der Bibliothek des Prediger-Konvents im weißrussischen Grodno.23 Er entpuppte sich als eine mit Beuthen-Drucken wohlbestückte Zimelie. Viele der Lehrer und Schüler des Gymnasium Schoenaichianum waren hier schreibend und angeredet bezeugt. Wenn wir sehr bald nach dem Fund interessierte Kolleginnen und Kollegen mit biographischen Informationen aus dem Personenkreis um das Gymnasium versorgen konnten, so rührten sie zumeist aus dieser Quelle. Unter den Stücken befand sich auch eine kleine Sammelschrift zur Hochzeit des Beuthener Kantors Heinrich Rethel. Die Kollegen- und Schülerschaft griff zur Feder. Darunter auch Opitz, der ein wundervolles Liebesgedicht beisteuerte, das nun der OpitzPhilologie zugeführt werden konnte. Die Ekloge befand sich nicht im Band, sondern wurde separat als Einzelstück bewahrt. Ihr haben wir uns nach diesem kleinen und hoffentlich anregenden Umweg nunmehr zuzuwenden.24 –––––––––
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druck 1895/1899), S. 76, Anm. 3. Hier heißt es: »[...] Daphnis ecloga. Ad Tob. Scultetum. Von letzterer giebt es in Berlin einen bisher nicht beachteten Sonderdruck«. Und dann folgt der Titel. Natürlich handelt es sich nicht um einen Sonderdruck, sondern einen Einzeldruck. Eine Angabe der Berliner Signatur fehlt bei Rubensohn. Vgl. dazu das Kapitel ›Die Opitzsche Ekloge unter den Berliner Neolatinistika‹, in: Garber: Martin Opitz (Anm. 5), S. 63 f. Vgl. zum Folgenden das Kapitel ›Das katholische Vilnius und seine Universitätsbibliothek‹ in dem oben Anm. 5 zitierten Werk Martin Opitz, S. 5–14. Vgl. dazu das Kapitel ›Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen an der Oder und ein zeitgenössischer Sammelband aus seinem Umkreis‹, ebenda S. 15–36, sowie das anschließende Kapitel ›Amor fatalis – Amor coniugalis. Ein [unbekanntes] Epithalamium des jungen Martin Opitz‹, ebenda S. 36–46. Vgl. zur Überlieferung der Ekloge ebenda, S. 63–65. Zum Text selbst vgl. Martini Opitii Daphnis. Bethaniae ad Oderam. Literis Joannis Dörferi. An. MDCXVII. Die Widmung findet sich auf der Rückseite des Titelblattes: Illustri Magnifico Et Nobilissimo Viro, Dn. Tobiae à Schvvannensee Et Bregoschitz, cognomento Sculteto Bellaquimontii & Hirschfeldae Haereditario, Sac. Lateranensis
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Der Vergilsche Sänger an der Oder FOrte sub egelidis quercûs prostratus Iolas Frondibus, irriguis Viadrus quà labitur undis, Et rauco pulsat montis concussa susurro Oppositi latera, ac cedentia dorsa fatigat; Illic hos tenui ludebat arundine cantus[.]25
Schäferdichtung, so besagt ein zäh sich haltendes Vorteil, spiele in einem fernen, mythisch verklärten Arkadien. Das Gegenteil ist der Fall, wie auch der Opitzsche Text zeigt. Die Gelegenheitsdichtung ist in aller Regel lokalisiert. So wie sie bestimmten Personen gewidmet ist – und nur von diesem personalen Kasualschrifttum ist hier stets die Rede –, gewährt sie gerne Raum und Zeit Einlaß, die sich mit dem distinkten Anlaß verbinden, und das bevorzugt am Eingang und sodann wieder am Ausgang des Textes. Für die Schäferdichtung und speziell die Ekloge trifft diese Feststellung in besonderem Maße zu. Der Schäfer singt und kommuniziert in der zumeist schönen und lieblichen Natur. Die Vergegenwärtigung seines Lebensraumes gehört zur Poetik des Schäfergedichts. In der anlaßbezogenen Variante – und diese überwiegt eben bei weitem – kommt die Lokalität des bzw. der Adressatinnen und Adressaten ins Spiel. Die Ehrung des jeweiligen Personals umfaßt gerne auch die Örtlichkeit, walten doch oftmals geheime Konsonanzen zwischen Person und Umgebung. In der Ekloge haben die Schäfer dort ihren bevorzugten Platz, wo der Gefeierte selbst seinen Lebens- und Wirkungsraum besitzt. So auch in Opitzens Ekloge. Schäferinnen und Schäfer, angesiedelt bei Gewässern, sind ein beliebtes Motiv, verbindet sich damit doch die Assoziation an Musen und Nymphen als Beförderinnen von Dichten und Singen. Der Opitzsche Sänger läßt sein Lied an der Oder erklingen. Doch es erfolgt ein Zusatz. Er hält sich am Fluß auf und gewahrt die gegenüber liegenden Flanken eines Bergrückens. Auch damit wird zunächst einmal einer poetolo–––––––––
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Palatii Comiti, Caes. Maj. Consiliario & Commissario, Fisci Regii per Sil. & Lusatiam Patrono & J. Cto., Heroi Literatissimo, Moecenati domestico D.C.Q. Autor. Eingegangen in: Mart. Opitii Silvarvm Libri III. Epigrammatvm Liber Vnvs. E Museio Bernhardi Gvilielmi Nüssleri.- Frankfurt: David Müller 1631, S. 75–78. Hier S. 78–80 auch Opitzens zweite neulateinische Ekloge ›Nisa Ecloga‹. Dem verdienstvollen Herausgeber des Opitzschen Werkes George Schulz-Behrend stand nur der Abdruck aus den ›Silvae‹ zur Verfügung. Vgl. Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Band I (Anm. 1), S. 77–80. Nachdem der Erstdruck in Vilnius wiederaufgefunden wurde, konnte er im ›Opitius latinus‹ zugrundegelegt werden. Vgl.: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 1), S. 90–97, Kommentar S. 337–342. Die Übersetzung ist – wie das Original – in Hexametern gehalten und rührt her von Georg Burkard. Den wie immer gehaltreichen Kommentar verfaßte Robert Seidel. Die Erstveröffentlichung der Ekloge ›Daphnis‹ in unserer gleichnamigen Studie, die den Band ›Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas‹ (Anm. 5) eröffnet, ist mit einer Prosaübersetzung versehen. Hiernach wird im folgenden zitiert. Lateinischer Text und Übersetzung finden sich auf den Seiten 66–71. Eine Interpretation der Ekloge ebenda, S. 91–96. Verse 1–5. Der deutsche Text: Hingestreckt einmal unter dem kühlenden Laub einer Eiche, dort, wo die Oder mit netzenden Wellen dahingleitet, mit dumpfem Getön an die bedrängten Flanken des gegenüberliegenden Berges schlägt und die zurückweichenden Bergrücken zermürbt, dort sang Iolas die folgenden Lieder auf zartem Rohr[.] (S. 68).
Wanderung der Hirtenflöte durch die europäische Literatur
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gischen Vorgabe Genüge getan. Der Ort des Sängers ist eingefriedet. Bäume und Erhebungen sorgen für die Abschirmung von der Außenwelt. Der Musenort ist dem Alltäglichen entzogen. Doch im pastoralen Gelegenheitsgedicht kommt mehr hinzu. Die Bergrücken finden Erwähnung, weil eine Beziehung zum Adressaten besteht, ohne daß eine nähere Angabe bereits erfolgte. Der zeitgenössische Leser ist informiert, und der Dichter wird im Verlaufe des Textes sein Übriges tun, um den vorerst impliziten Verweis zu konkretisieren. Iolas also greift zur Hirtenflöte. Ein jeder Leser der Ekloge wußte, daß eine Vergilsche Figur adaptiert wird. Im Reigen von dessen Eklogen ist er eine Nebenperson. Es führt keine direkte Fährte von dem Römer zu Opitz. Womöglich aber ist auch das Kalkül. Nicht über eine einzige Gestalt aus dem Vergilschen Angebot an Hirtennamen mögen Vergleiche angestellt werden. Die Opitzsche Ekloge als ganze stellt sich dem Erstlingswerk des Mantuaners und reklamiert eben jenen Anspruch, der mit dieser von Vergil geschaffenen Form verbunden ist. Doch sei zugleich vor Überbeanspruchung dieser Erwägung gewarnt. Es lag inzwischen ein so reiches textuelles Angebot an neulateinischen Eklogen vor, daß Opitz durchaus anderen Anregungen zu folgen vermochte. Selbst die Daphnis-Eklogen hatten bereits Konjunktur gehabt, und das bis in die unmittelbare Gegenwart hinein. Wie immer also zählt die je einzelne Version. Auch die Opitzsche Ekloge erhält genügend Züge stofflich wie stilistisch, die ihm alleine zugehören dürften oder aber von ihm mit neuer Bedeutung versehen wurden. Das beginnt sogleich mit den ersten Zeilen im Anschluß an die Lokalisierung des Sängers. Rasch lüftet sich dann auch schon das Iolas-Rätsel.
Wanderung der Hirtenflöte durch die europäische Literatur Hic tibi, Daphni pater mitissime, pauper Iolas, Silvestres calamos quercûs de robore pendit. Da veniam, si plura nequit. His Tityrus olim Demulsit rigidas dilectae Amaryllidis aures. Haec mihi pastorum liquit solatia noster Tityrus. O quoties dulcis Galatea canenti Favit, et obliquis arrisit Alexis ocellis. Saepe illum tenerae charis cum matribus agnae, Saepe etiam sanctae stupuerunt numina silvae. Haec abiens mihi dona dedit, hoc pignus amoris, Dixit, habe: ecce Siracosii tibi munera vatis, Munera parva quidem, sed non incognita nymphis Naiasin, Panique tibi; te sacra Lycaei Culmina non tenuere, et tanti Maenalus ipse Vix fuit, ac suavis Siculi pastoris avena.26
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Verse 6–20. Die deutsche Übersetzung: Dir, mildester Vater Daphnis, schenkt hier der arme Iolas eine ländliche Flöte aus Eichenholz. Verzeih, wenn er mehr nicht vermag. Mit ihr schmeichelte einst Tityrus den verhärteten Ohren der geliebten Amaryllis. Unser Tityrus ließ mir diesen Trost der Hirten zurück. O, wie oft war die süße Galatea dem Sänger wohlgesonnen, und wie oft lächel-
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Eine derartige pastorale Inszenierung konnte, so möchten wir vermuten, nur ein Opitz ersinnen. Mehr in Bescheidenheit gekleideter Selbstanspruch ist nicht möglich. Der Dichter wußte, warum er zur Ekloge griff. Noch vor der Zuwendung zu dem eigentlichen Adressaten werden die auf die eigene Person gemünzten Formulierungen in Umlauf gebracht. Sie sind durch und durch pastoral durchwirkt, geben sich als referentielle Versatzstücke und erfüllen eben in dieser sublimen motivischen Herabstufung den ihnen zugedachten Zweck der poetischen Erhöhung des Hirten-Poeten. Diesem kann unbenommen Ehre über Ehre zuteil werden, ist er doch nur ein die Flöte blasender Hirte. Die Ergänzung, ja die Vervollständigung des Motivs bleibt dem Hörer bzw. Leser vorbehalten. Ist es verständlich, an derartigen Stellen genüßlich innezuhalten, um den Dichter beim Aufbau seines Ruhmestempels zu beobachten und ihm dabei auf die Schliche zu kommen? Als Schenkender gibt sich der arme Hirte Iolas zu erkennen. Das Kostbarste gibt er aus der Hand, das ein Hirte der Literatur zu vergeben hat, seine Hirtenflöte. Dem Adressaten ist sie zugedacht, von dem sogleich Näheres verlauten wird. Der Schenkende indes ist selbst ein Beschenkter gewesen, und das Geschenk im einen wie im anderen Fall das nämliche. Schon Tityrus hat auf eben dieser Flöte geblasen, und die Texte seiner Lieder, die da anklingen, passen – wie der Name des singenden Hirten Tityrus – nur zu einem einzigen Hirtendichter. Der aber ist seinerseits auch bereits ein Beschenkter, hat die Gabe in Gestalt der Hirtenflöte von dem Sänger aus Syrakus entgegengenommen. So zeichnet sich ein Wanderweg der Flöte ab. Von Theokrit gelangt sie zu Vergil und über ›unseren Tityrus‹ zu dem Sänger des vorliegenden Gedichts, der sie seinerseits an dessen Adressaten weiterreicht. Neuerlich wird Sukzession erkennbar, und das in niederem bukolischen Stil, begleitet von betörendem Anspruch. Sannazaro, der italienische Dichter der ›Arcadia‹ auf der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, hatte den Transfer der Hirtendichtung von der Antike in die Moderne im Bild der Weitergabe der Hirtenflöte durchgespielt. Nicht völlig auszuschließen, daß ein Anklang an den einflußreichsten Hirtendichter der neueren Zeit in der Verbeugung vor ›unserem Tityrus‹ mitschwingt. Doch das ist unerheblich und wichtig alleine, daß das ehrwürdige Instrument nun bei dem Sänger des hier und jetzt zum Vortrag gelangenden Liedes angekommen ist. In die Nachfolger der beiden Archegeten auf griechischem bzw. römischen Boden stellt er sich und begründet damit einen nämlichen Nimbus für sich. Das erscheint unerhört, ist aber als literarisches Spiel mit der schäferlichen Lizenz versehen. Wir verstehen also, warum der Dichter zur Hirtendichtung greift. Dem Adressaten und Patron wird Größtes und Zukunftsträchtiges augenzwinkernd mit der Mine der Bescheidenheit offeriert.
––––––––– te ihn Alexis mit seinen Äuglein von der Seite an. Oftmals bestaunten ihn die zarten Schafe mit ihren lieben Müttern, oftmals sogar die Gottheiten des heiligen Waldes. Im Weggehen gab er mir dies als Geschenk und sagte: ›Nimm dies als Unterpfand der Liebe! Siehe, eine Gabe des Sängers von Syrakus für dich, zwar ein kleines Geschenk, aber nicht unbekannt den Wassernymphen und Dir, dem Pan: Dich hielten die heiligen Bergspitzen des Lycäon nicht zurück, und kaum bedeutete Dir Mänalus selbst so viel wie die süßklingende Flöte des sizilischen Hirten.‹ (S. 68 f.).
›pauper Iolas‹ und ›Daphni pater mitissime‹
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›pauper Iolas‹ und ›Daphni pater mitissime‹ Tu quoque, nostra licet curis sint cantica, Daphni, Inferiora tuis, tenues ne despice cannas, Et non excultae modulamina rustica Musae. Nec te poeniteat, pecoris quia pauperis haeres Incedo, sub tecta meas intrasse capellas. Crescet ager mecum, crescent armenta gregesque, Quantum vere novo florem flos trudit, et arbos E tenui radice venit, ex arbore sylva, Sylva olim seris factura nepotibus umbram.27
Derartige, auf ein Leben als Dichter rekurrierende Bilder ließen sich nur in der Schäferdichtung vortragen. Das zarte Schilfrohr hat der Sänger gewählt, ländliche Weisen singt er, und kunstlos gibt sich seine Muse. Sein Vortrag bezeugt in actu das Gegenteil. Nicht nur das prätendierte eigene Unvermögen, nein, die humilitas einer ganzen Gattung Europas wird mobilisiert, um Niedrigkeit zu fingieren. Nur in der Hirtendichtung vermochte die Bescheidenheits-Topologie aus deren Konstruktion selbst herausgesponnen und damit dem persönlichen Belieben entzogen zu werden. Doch war zur Genüge bekannt, daß eben diese Gattung das Komplement zum Epos stellte. Wenn da also im Hirtenlied angeblich Dinge verhandelt werden, die den Ohren des Gegenübers nicht würdig seien, so erledigt sich auch diese devotionale Gebärde über die Poetologie des Hirtengedichts. Der Hirte aber, der da vor einen der Großen dieser Welt tritt, er weiß, daß es mit dem, was da hier und jetzt verlautet, nicht sein Bewenden haben wird. Der von ihm bestellte Acker wird wachsen und ungeahnte Früchte zeitigen. In das Geringste verpuppt ist schon jetzt das Bedeutendste. Dem Hirtengedicht werden – wie bei dem großen Vorgänger – die anspruchsvollen Formen in Gestalt von Lehr- und Heldengedicht folgen, die wir kennenlernen werden. Dieser Flöte sollen Töne abgewonnen werden, die nicht wieder verhallen. Inskünftiger Ruhm ist im Visier, und den darf nur beschwören, wer um die in ihm schlummernden Kräfte weiß. Die ›Ecloga Daphnis‹ trägt ein spiegelbildliches Antlitz. Der Hirtenheros ist Bedichteter und Dichter in eins. Ihm haben wird uns nach dieser grandiosen Ouvertüre nunmehr zuzuwenden.
›Non indigna cano‹ Non indigna cano, nec degener incola campi Pastorum vereor cantûs, et nuper Hyella Nympharum flos atque decus prolixa favoris
––––––––– 27
Verse 21–29. Die deutsche Übersetzung: Auch Du, Daphnis, – auch wenn unsere Gesänge unbedeutender sind als das, was Dir am Herzen liegt – verachte nicht das zarte Schilfrohr und die ländlichen Weisen einer kunstlosen Muse! Auch soll es Dich nicht verdrießen, daß unter das Dach meine Ziegen getreten sind, weil ich ja der Erbe nur einer ärmlichen Herde bin. Der Acker wird mit mir wachsen, wachsen werden das Großvieh und die Herden, so viel, wie im Frühling Blüte um Blüte treibt und der Baum aus zarter Wurzel hervorkommt, aus dem Baum aber der Wald, ein Wald, der einstmals den späten Enkeln Schatten gewähren wird. (S. 69).
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Argumenta dedit: Pan has laudavit avenas, Et Satyri, Faunique, et monticolae Sylvani. Sunt Musis, sunt et Phoebo mea carmina curae, Hic mentem intrepidam de sordibus eximit aevi, Et me simplicibus curis beat[.]28
Als ›pater‹ wird Daphnis kaum jemals bezeichnet worden sein. Es ist der Schirm- und Schutz-Patron, der hinter dem Ahnherrn der Hirten auftaucht. Sind wir uns vorab jedoch bewußt, was diese Inthronisation bedeutet, und zumal, welche Folgen sie zeitigt? Einer Person in der Hirtendichtung den Ehrentitel ›Daphnis‹ zu verleihen, kann nur einmal im Werk eines Autors geschehen. Der derart Ausgezeichnete im Werk Opitzens ist Scultetus. Er behauptet damit eine Sonderstellung gleichermaßen im Leben wie im Werk. In der Tat wüßten wir keine zweite Person zu benennen, die ihr diesen Rang streitig zu machen vermöchte. Scultetus blieb für Opitz Richtschnur dessen, was ihm als ideales personelles Forum seines Reformprojektes vorschwebte. Und wenn es Scultetus schließlich war, der die entscheidende Weichenstellung in seinem Leben initiierte, dann mochte es rückblickend mehr als plausibel erscheinen, daß ihm die pastorale Trophäe zuerkannt worden war. Der Dichter selbst hat in der obligatorischen pastoralen Verschlüsselung signalisiert, was ihm gerade diese Begegnung bedeutete. Nochmals erklingt in Vergilschen Wendungen ein Lobpreis auf die Schönheiten, die der Hirte seiner Flöte zu entlocken weiß. Dies verdeckt und bildlich abgeschattet hervorzuheben ist ja vonnöten, wenn anders der Sänger sich als einer präsentieren will, der tatsächlich auserkoren ist dazu, den großen Meister poetisch zu ehren. Diese ausgezeichnete Chance darf keinem Dutzendpoeten überlassen bleiben. »Nichts Unwürdiges singe ich«, so betont er, und weil dies so ist, kann er sich nun auch diesem nicht alltäglichen Sujet zuwenden. Pan selbst hat eben diese Flöte nebst seinem Gefolge gelobt. Den Musen und ihrem Gott ist sie gefällig. Den Widrigkeiten der Zeit entreißt sich der Hirte wie sein Ahne, indem er sie zum Klingen bringt. Es ist nicht umsonst diejenige, die auf eine lange Vorgeschichte zurückblickt. Theokrit und Vergil Würdiges und also der Zeit Enthobenes soll ihr entlockt werden.
Eine glückbringende Krähe auf der Eiche Und dann gelangt tatsächlich eine kleine Erzählung zum pastoralen Vortrag, die uns eine Vorstellung von dem Zusammentreffen des niederen Hirten mit dem Hirtenfürsten vermittelt. Nur in der Pastorale sind solche lebensgeschichtlich fundierten Narrative möglich, nachdem Vergil entsprechende Optionen eröffnet hatte. Das hat nichts ––––––––– 28
Verse 30–37. Die deutsche Übersetzung: Nichts Unwürdiges singe ich. Nicht als schwächlicher Bewohner der Feldflur fürchte ich die Gesänge der Hirten; und neulich noch gab mir Hyella, die Blüte und Zierde der Nymphen, reichliche Zeichen ihrer Gunst. Pan lobte diese Flöte, ebenso die Satyrn, die Faune und die bergbewohnenden Waldgötter. Meine Lieder liegen den Musen, liegen dem Phöbus am Herzen. Er entreißt den furchtlosen Geist den Widrigkeiten der Zeit und beglückt mich mit einfachen Verrichtungen, denen ich mich widme. (S. 69).
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zu tun mit Erlebniskultur, wie sie später der Literatur abgefordert wurde. Gattungsbezogene Regularien werden beobachtet und in humanistischer Manier kunstvoll moduliert. Literarische Konsistenz wird derart erwirkt. Sie alleine bietet die Gewähr für literarisches Fortleben. Und wenn diese artifizielle Kunstszene eben zusammen mit der literarischen Moderne im 20. Jahrhundert wiederauflebte, dürfte an dieser Stelle der Grund für eine immer noch virulente säkulare Kontaktstiftung zu suchen sein. Der Sänger ist nicht von dem Hirtenheros gerufen worden, dessen Tugend und von Milde strahlendes Antlitz ihm nur allzu gegenwärtig sind. Es war sein Wunsch und Wille, gerade ihm näherzutreten. Über eine Vergil-Assoziation will das einzigartige Begebnis angebahnt sein. Dem armen Meliboeus der ersten Ekloge war Unheil durch eine Krähe auf einer Eiche bedeutet worden. Eben dieses literarisch geadelte Tier verheißt nun Glück und ermuntert zu dem Aufbruch, und der führt nicht länger zu einer Herde, sondern tatsächlich in das Haus des Berühmten. Ein ›schäferlicher‹ Mitgenosse hat sich eingeschaltet, womöglich Dornau; noch zittert das Bangen nach, ob der kühne Vorsatz von Erfolg gekrönt sein wird. Doch mit den Sternen im Bunde fügt alles sich zum Guten. Einem Gott wähnte der Vergilsche Tityrus im fernen Rom begegnet zu sein. Eine hilfsbereite Gottheit erblickt nun auch der Hirte Iolas. Nichts findet Eingang in die Pastorale, das nicht literarisch präfiguriert wäre. Muße hält sie bereit, das höchste und stets ersehnte Gut, entspringt ihr doch das einzige, das zählt im Leben eines Hirten wie eines Humanisten: Gesang. Für den Angesprochenen gilt diese Gleichung aber nicht umstandslos. Er hat ein Ohr für den Hirtengesang, ist ihm wohlgesonnen. Für ihn sind es jedoch die Nebenstunden, die den Musen gehören. Schwer lastet das Wohlergehen des Vaterlandes auf ihm. Der Opitzsche Daphnis ist – nicht anders als die gleichnamigen Gestalten seiner Vorgänger – im aufgewühlten 16. Jahrhundert eine politisch gewichtige Figur. Beide Aspekte wollen in einem schäferlichen Lobpreis zur Geltung gebracht sein. Damit gelangen wir zur Mitte der Ekloge. Doch hören wir den Hirten zunächst noch einmal selbst: [...] unica virtus Inclyta, et augusti clementia caelica vultûs, Daphni, tuas me sponte mea deduxit in oras. Jam sex ferme pater Titan per signa cucurrit, Cum mihi fausta tuos persuasit ab ilice cornix Aspirare lares, et idem quoque charus Amyntas, Spemque metumque inter, dilecto in cortice scripsit. Nec mens laeva fuit. Satis ô satis omnia votis Respondere meis; juverunt sidera sortem. Non alibi licuit numen praesentius ullum Cernere: tu nostrae concedis dulcia Musae Otia, et ô utinam sint longa, nec improba lappae Semina se loliumque istis immisceat agris. Tu pastorales cantus et rustica verba Aspicis his oculis, patriae quîs commoda nostrae Collustrare soles, rebusque occurrere fessis.29
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Verse 37–52. Die deutsche Übersetzung: Allein die weithin bekannte Tugend und die himmlische Milde des erhabenen Antlitzes, Daphnis, führten mich nach meinem Willen in Deine Gefilde. Fast
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Der Liebesdichter im Dienste Sophias Stets haben wir uns gegenwärtig zu halten, daß die Ehrung eines Großen der Zeit einem Schäfergedicht anvertraut ist. Dieser Umstand bestimmt nicht nur den Gestus des Sprechens, sondern auch die Wahl der die Person auszeichnenden Attribute. Und das in ständigem Rückbezug auf die niederen Verrichtungen des Hirten und dessen Standesgenossen. Gesang und Sangeskunst sind die einschlägigen Ingredienzien, über die der Abstand zwischen Sprecher und Angesprochenem markiert wird. Wettgesang und eifersüchtiges Wachen über die je eigenen Meriten bestimmen das alltägliche Geschäft der auf dem Felde zusammenkommenden Hirten. Im adressatenbezogenen Schäfergedicht nach der Art des vorliegenden Poems schreibt der Dichter, der da seine Stimme dem armen Hirten Iolas leiht, seinem Poem nicht weniger als eine Poetologie angemessenen lyrischen Sprechens ein. Und das auf dem einen Gebiet, das über Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur humanistischen Zunft entschied, der Liebesdichtung. Tu quando tenerae fastûs recitamus Hyellae, Crudelesque oculos, et durae spicula formae, Oblitum revocas ignem, et suspiria docta, O inter lacrymas suspiria exhalata, Aphrosynaeque dolos, Sophiaeque adamantina corda: Quae te sub caeli tulerunt vaga sidera, mollis Ante genas certa lanugine vestiit aetas.30
Die Hirten vom Schlage des Iolas wissen nichts vom verdeckten Sinn ihrer Liebeslieder; diese sind einsinnig und verweigern sich einer Lektüre auf verschiedenen semantischen Ebenen. Eben dieser Praxis, die hier der niederen Hirtenzunft unterlegt wird, haben sich die Humanisten, angefangen bei ihrem Stammvater Petrarca, entschieden entzogen. Ihre Liebesdichtung ist semantisch polyphon. Auch ein Opitz ist von Beginn an ein Meister in dieser amourösen Mehrdeutigkeit. Hier nun, in der pastoralen Euloge, avanciert der Gepriesene selbst zu einem Dichter, der sich von Jugend an auf die allegorische Linienführung in eroticis versteht. ›Suspiria docta‹ dichtete er, und die sind anders geartet als die der ungelehrten Hirten. Die Prädikationen gleichen sich exakt und sind doch scharf geschieden. ›Sophia‹ gel–––––––––
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schon sechs Zeichen durchlief Vater Titan, seitdem eine glückbringende Krähe von einer Eiche mich bewog, mich Deinem Haus zu nähern, und dasselbe schrieb auch der liebe Amyntas, zwischen Hoffnung und Furcht, auf geliebter Rinde. Auch war mein Sinn nicht unempfänglich für die Vorbedeutung. Genug, mehr als genug, entsprach alles meinen Wünschen; es halfen die Sterne dem Schicksal. Nicht anderswo war es vergönnt, eine hilfsbereitere Gottheit zu erblicken: Du gewährst unserer Muse süße Muße, und wenn sie doch lange währte und sich diesen Äckern nicht der schlimme Samen von Klette und Lolch einmischten! Du blickst auf die Hirtengesänge und die bäuerlichen Worte mit den Augen, mit denen Du das Wohlergehen unseres Vaterlandes zu beobachten und dem Elend zu Hilfe zu kommen pflegst. (S. 69 f.). Verse 53–59. Die deutsche Übersetzung: Wenn wir vom Stolz der zarten Hyella singen, von ihren grausamen Augen und den Lanzen ihrer hartherzigen Schönheit, rufst Du vergessenes Feuer und gelehrte Seufzer ins Gedächtnis, o Seufzer, ausgehaucht unter Tränen, sowie die Listen der Aphrosyne und das eiserne Herz der Sophia. Dies trug Dich unter die schweifenden Sterne des Himmels hinan, bevor noch ein zartes Alter die Wangen mit deutlichem Bartflaum bekleidete. (S. 70).
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ten die ›Suspiria‹ zuallererst. Sie scheint der sich verweigernden petrarkistischen Schönen zu gleichen, ausgestattet ebenfalls mit einem eisernen Herz. Doch dies ist nun Ingredienz zum Erweis ihrer unverrückbaren Tugend. Zur Inkarnation von Weisheit war sie von dem Adepten der Liebespoesie umfunktioniert worden. Zwei poetische Welten stoßen hier aufeinander. Dem Bedichteten ist es vorbehalten, der allegorischen Kehrseite der amatorischen Poesie sein Wort zu leihen, und in der Opitzschen Ekloge ist ein Widerhall dieser ingeniösen Operation zu vernehmen.
Poesie und Peregrinatio Auch dieser Jüngling, nun zu Daphnis erhoben, hatte bewiesen, daß er sich auf das poetische Geschäft verstand. Er ragte heraus aus der Schar der schlichten Hirten, denen der Sänger sich zugehörig weiß – eine weitere Geste der Bescheidenheit, die nach dem, was aus seinem Munde verlautete, wiederum für sich spricht. Auf der Ebene des Dichtertums waltet Gleichstand zwischen dem Geehrten und seinem Lobredner. Ganz anders auf der öffentlichen Bühne. Auch diese ist im Schäfergedicht präsent, jedoch gleichfalls verdeckt. Der peregrinatio academica et aulica ist es vorbehalten, Kunde zu geben von den Obliegenheiten, die den inskünftigen Gelehrten und Staatsmann erwarten. Fortunate virûm, longae indulgentia Famae Concessit se tota tibi, tua praetulit annis Gloria primaevis meritae virtutis honorem. Non modo vicinos saltus, vicinaque circum Litora, Daphni, tuos laudavit cunctus amores Pastor: et Arcadiae cecinit gens omnis in aruis Ingenii monimenta tui. Te Tibridis undae, Te Rhodanus stupuit; te pulcra Garumna Tagusque Plausibus excepit laetis: Nordvvicides agnae Exiliere tibi: Benaci fluminis exul Infelix, soboles magnorum invicta deorum, Omnia rura, tuos retulerunt omnia cantus.31
Hirtengesang schallt wider in der die Singenden umgebenden schönen Natur. Diesem Sänger, der eine so eindrucksvolle Probe seiner Sangeskunst geliefert hatte und der mehr und anderes ist als ein Hirt der Literatur, ist Größeres vorbehalten. Die Stationen seiner Reisen als Hofmeister tönen wider von seinen Gesängen, die einen nicht aufzuhaltenden Siegeszug angetreten haben. So gelingt es dem Dichter, die schäferlich-sängerische mit der biographisch-diplomatischen Sphäre zu verknüpfen. Niemals würde ––––––––– 31
Verse 60–71. Die deutsche Übersetzung: Glückseligster der Männer, die Gunst weitreichenden Ruhmes gewährte sich Dir ganz; dein Ruhm trug schon den frühen Lebensjahren verdienter Ehre Tugend voran. Nicht nur in den benachbarten Triften und an den Stränden ringsum, Daphnis, pries jeder Hirt Deine Liebeslieder; und das ganze Volk besang auf den Gefilden Arkadiens die Zeugnisse Deines Talentes. Vor Dir erstaunten die Wellen des Tibers, vor Dir die Rhône. Dich empfingen mit freundlichem Beifall die schöne Garonne und der schöne Tajo; vor dir sprangen die Schafe von Nordvijk auf. Der unglückliche Flüchtling des Benakischen Flusses, der unbesiegte Sprößling großer Götter, und alle Felder klangen wider von Deinen Gesängen. (S. 70).
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er sich dazu verstehen, an dieser Stelle mit Fiktionen aufzuwarten. Alle Orte sind, wie wir an anderer Stelle gezeigt haben, über briefliche Botschaften bezeugt, werden aber in der Schäferdichtung naturgemäß über die Flüsse aufgerufen. Ein weiter gespannter räumlicher Radius ist kaum denkbar. Zugleich aber werden Akzentuierungen erkennbar. Konfessionelle und akademische Markierungen zeichnen sich ab. Rom ist mehr als das päpstliche. Eine Konzentration der Gelehrsamkeit hat statt, die den Schwenk über Norditalien hinaus unverzichtbar macht, nicht zuletzt angesichts der Nähe Neapels. Auch des Gardasees wird mit gutem Grund gedacht, ist daselbst doch die Heimat der Scaligers zu suchen, die Leiden zu einer Hochburg insbesondere reformierter Gelehrsamkeit erhoben, wovon zu sprechen sein wird. Wenn dann in Nordwijk, der Wirkungsstätte des großen Gelehrten und Dichters Janus Dousa, die Schafe erfreut aufspringen, so weiß der mit der schäferlichen Allegorik Vertraute, daß hier in den Niederlanden gelehrte Früchte genossen wurden, die auch dem Besungenen vielfach zugute kamen. Über die Rhone aber und auf andere Weise auch über die Garonne führten die Wege hinweg in die Quartiere der glaubensverwandten Hugenotten. Und wenn schließlich der Tajo und damit Spanien und seine Hauptstadt Erwähnung finden, so ist angedeutet, daß die Gegenseite ebenfalls erkundet wurde; das katholische Imperium hat sein Zentrum nicht nur im vertrauten Wien, sondern mehr noch um 1600 in Madrid. Vorbereitung auf ein berufliches Leben ist absolviert worden, und die Ekloge kündet auf ihre Weise davon.
›Daphni ô Daphni omnia clamant‹ Um das Jahr 1617 herum wird Opitz seine Daphnis gewidmete Ekloge verfaßt haben. Da lagen die Reisejahre lange hinter dem Geehrten, und auch sein berufliches Wirken ging dem Abschluß entgegen. Dieses selbst ist nicht mehr Gegenstand des Gedichts. Gewiß hätten sich auch dafür pastorale Bilder angeboten. Opitz hat allerdings von ihrem Gebrauch Abstand genommen. Die Gründe sind nur zu vermuten. Über die religiöse wie die politische Orientierung eines Scultetus konnte kurz vor der militanten Aktivierung der Fronten kein Zweifel bestehen. Ihr Einbezug hätte die fragile pastorale Szenerie gefährdet und wäre bei dem Adressaten gewiß auf Unverständnis gestoßen. Es blieb dabei, die Sorge für das Vaterland zu erinnern, die diesem Hirtenkönig stets vornehmstes Anliegen gewesen war. Nun aber, am Ende eines tatenreichen Lebens, ist der Geehrte in ein neues Stadium eingetreten. Nach einem Übermaß an Verpflichtungen darf er der nur allzu verdienten Muße frönen, darf ausruhen und sich seines Ruhmes erfreuen. Und so werden noch einmal die pastoralen Register gezogen. Sympathetische Teilnahme und allerorts ertönender Gesang lauten ihre Insignien. Die pastorale, durch die Ahnherrn der Antike literarisch präfigurierte schöne Natur hat teil an dem Glück, welches den aus den öffentlichen Geschäften an Haus und Herd Zurückkehrenden erwarten. Ein Kreis schließt sich. Die Vögel, in einem Gedicht von ihm in allegorischer Manier besungen, sind zur Stelle mit ihrer wohltönenden Antwort. Philomela hatte der Geehrte seine Stimme geliehen. Keiner der berühmten Sänger des Altertums tut es ihr gleich. Aus dem Gefilde, von dem Besungenen mit Ruhm erfüllt, tönt es ›mit erborg-
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ter Stimme‹ wider: »Daphnis, o Daphnis, so ruft alles, so wird alles rufen, solange das Gefilde von rauhtönenden Zikaden, solange das Gestade vom süßen Gesang der Vögel ertönen wird.« Als einzig dastehender Sänger geht der Bedichtete in die Nachwelt ein. Daran aber haben der Dichter und sein Geschöpf Iolas ihren unverächtlichen Anteil. Der Ahnherr Vergil ist gegenwärtig, wenn das Schaf geschlachtet wird und der Altar mit Lorbeer und Efeu bekränzt dasteht. Bilder, nicht versiegende Bilder der einen poetischen Gabe stellen sich ein, dargebracht und Erinnerung stiftend über die Zeiten hinweg. Ein neuer Herr wird kommen, wenn der Besungene »Teil des himmlischen Hofsaals« geworden ist. Auch der aber wird das Lied des dankbaren Iolas weitergeben, und Korntriften wie wildes Gebüsch werden widerhallen von dem einen Namen ›Daphnis‹. Auf ihn hatte der Dichter den über alle Maßen Verehrten getauft. Einer ländlichen Muse war er anvertraut, doch auch sie, gerade sie, ist der Zeit enthoben, war es doch die Flöte der Archegeten, eines Simichides-Theokrit und eines Tityrus-Vergil, auf der die Töne erklangen. In dieser Gewißheit darf der Hirte sich mit einem letzten Wunsch für Daphnis auf den Lippen verabschieden. Ein großes Gedicht ist zum Abschluß gelangt. So mag es willkommen sein, noch einmal in den Text hineinzuhorchen: Jam quoque, solicitae post mille negotia vitae, Si libet ad lucos et amoena vireta reverti, Te veniente nemus gaudet, tibi sacchara sudat, Ambrosiis arbusta madent saltusque pruinis, Mentitur ros mella: tuis elementa polusque Conjurata favent umbris. Audisne canoro Ceu volucrum ingeminat gens candida gutture carmen? Non tot in aurata lusit testudine voces Ingenioso Orpheus Thrax pollice, non tot Iopae Criniti musaea chelys, non tibia diae Euterpes, quot sola modos Philomela sequaces Caelesti ore facit. Tibi laude oppleta loquuntur Avia voce notha: Daphni ô Daphni omnia clamant, Omnia clamabunt, raucis dum rura cicadis, Dum suavi volucrum resonabunt litora cantu. Ipse ego, si te fortè movent mea munera, purum Quotquot erunt anni, mactabo altaribus agnum, Et lauri foliis, hederaque altaria cingam: Ac cum jam Superae fueris pars nobilis aulae, Atque aliquis laetas ibit novus hospes in oras, Narrabit grati laudabile carmen Iolae, Cum Daphnin campi et segetes, cum lustra vocabunt. Te mea Musa canet; quamvis sit rustica, nullo Per sylvas et rura tamen reticebitur aevo. Interea hos calamos, cantor quae Tityrus ipse Simichidae mihi dona dedit, facili aspice vultu, Sic, ô Daphni, tuis responsent omnia votis.32
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Verse 72–98. Die deutsche Übersetzung: Bald auch, nach tausend Geschäften eines unruhigen Lebens, wenn es beliebt, zu den Hainen und lieblichen Gebüschen zurückzukehren, freut sich der Hain Deiner Rückkunft. Dir schmilzt der Zuckersaft; es triefen Gebüsche und Gebirgstriften von ambrosischem Reif; der Tau scheint wie Honig; die Elemente und der Himmelspol begünstigen –
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Versinkendes Licht und aufsteigender Sternenhimmel Zur Ekloge gehört die Rahmung der pastoralen Szenerie. In der Frühe pflegt der schäferliche Gesang anzuheben, am Abend wird er beschlossen. Die schäferliche Literatur ist seit Vergil erfüllt von unvergeßlichen Abendbildern. Ein jeder auf sich haltende Schäferdichter versucht sich an einer neuen Prägung. Wie sollte Opitz da eine Ausnahme machen? Auch seine Version des Motivs wird sich aus der literarischen Erinnerung nicht verlieren. Das Licht entschwindet vor den Augen des Sängers, und die Sterne ziehen herauf, Boten und Wahrzeichen des Segens, welcher mit der Poesie herabsinkt auf die Erde. Wir aber, indem wir noch einmal aus Beuthen und Bellaquimontium verlautende Verse vernommen haben, nehmen Abschied mit ihm und von seiner schlesischen Heimat, und das für eine beträchtliche Weile. Ein neuer Lebensabschnitt tut sich auf, und Scultetus dürfte entscheidenden Anteil daran gehabt haben, daß er sich dem jungen Dichter eröffnete. Auch sein Abendbild zeigt, zu was der eben Zwanzigjährige inzwischen fähig war. »[...] Dem Singenden entreißen die aufgehenden Sterne das Licht und streuen Sesam aus wolkenlosem Tau über die Erdbeerbäume hin.« Ein derartiges Bild begleitet einen jeden Betrachter fortan. Haec projectus humi secum cantabat Iolas, Cantanti eripiunt surgentia sidera lucem, Sesamaque è sudo spargunt super arbuta rore.33
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miteinander verschworen – Deinen Geist. Hörst Du, wie die reine Schar der Vögel das Lied mit wohltönender Kehle zum wiederholten Mal singt? Nicht so viele Töne spielte auf vergoldeter Laute mit erfindungsreichem Daumen der thrakische Orpheus, nicht so viele die musische Leier des langgelockten Iopas, nicht die Flöte der Göttlichen Euterpe, wie allein Philomela mit himmlischem Mund geschmeidige Weisen erzeugt. Es sprechen, durch dich mit Ruhm erfüllt, die weglosen Gefilde mit erborgter Stimme: ›Daphnis, o Daphnis‹, so ruft alles, so wird alles rufen, solange das Gefilde von rauhtönenden Zikaden, solange das Gestade vom süßen Gesang der Vögel ertönen wird. Wenn Dich vielleicht meine Geschenke bewegen, werde ich selbst Dir ein reines Schaf am Altar schlachten, wie viele Jahre mir auch immer bleiben. Und den Altar will ich kränzen mit Lorbeerblättern und Efeu. Und wenn Du einst ein edler Teil des himmlischen Hofsaals sein wirst, und ein neuer Gast schreiten wird in die üppigen Gefilde, wird er das löbliche Lied des dankbaren Iolas erzählen, wenn die Felder und Korntriften den Daphnis, wenn ihn das wilde Gebüsch rufen wird. Dich wird meine Muse besingen; mag sie auch ländlich sein, so wird sie doch zu keiner Zeit verstummen durch Wälder und Felder hin. Inzwischen schaue mit mildem Gesicht auf diese Flöte, die der Sänger Tityrus selbst mir als Geschenk des Simichides gab. So, o Daphnis, möge alles deinen Wünschen entsprechen. (S. 70 f.). Verse 99–101.
VII. Die reformierte Pfalz und der ›böhmische Aufstand‹ Der Schlesier inmitten der nobilitas politica et litteraria Plädoyer für die ›geistigen Culturstrassen‹ Zu Ende des 19. Jahrhunderts erschienen aus der Feder eines eifrigen Bibliotheksreisenden seiner Zeit einige Studien über seine aufsehenerregenden Funde auf dem Gebiet des spätmittelalterlichen Handschriftenwesens. Seit dem Humanismus hatten sich von Neugier getriebene Geister auf den Weg gemacht, um Neuland über unbekannte Quellen zu erkunden. Es sind immer nur einige wenige, die oft ihre besten Lebensjahre für dieses entsagungsvolle Geschäft aufopfern. Ein Lohn in Gestalt geistiger Anerkennung fällt ihnen nur selten zu. Geistesverwandte aber wissen um die Faszination gerade dieses Treibens, knüpfen sich daran doch mehr als einmal bahnbrechende neue Einsichten. Geradezu ein Musterbeispiel ist die Gestalt Konrad Burdachs. In Prag, im Mährischen, in Rom, begab er sich auf die Spurensuche nach altdeutschen Handschriften. Am ihrem Ende stand ein monumentales, zehn Bände in zwanzig Teilbänden umfassendes Werk, versehen mit dem eindrucksvollen Obertitel ›Vom Mittelalter zur Reformation‹. Quellendarbietung und kulturgeschichtliche Erschließung hielten sich die Waage. Richard Alewyn, dem unser Buch gewidmet ist, gratulierte als blutjunger Habilitand dem siebzigjährigen berühmten Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der sein Leben, ausgestattet mit einer phantastischen Bibliothek, in den Dienst der Wissenschaft gestellt hatte. Hat er doch Kärrnerwerk nie gescheut und doch gebaut wie ein König, hat er doch stets selbst an den Fundamenten gemauert, wenn er säkulare Überschau halten wollte. Was uns erst als Zukunftsaufgabe wieder vor Augen steht, das ist hier vor aller Entzweiung verwirklicht: die Vereinigung von Stofferschließung und Sinndeutung. Denn bei ihm ist das keine nachträgliche ›Synthese‹, sondern angeborene und übrigens urdeutsche Universalität.1
Damit war ausgesprochen, was auf andere Weise kein geringerer als Hugo von Hofmannsthal schon vorher zum Ausdruck gebracht hatte. Aber der nun über sechzigjährige Mann leistet in seinem Hauptwerk, an dem er seit Dezennien arbeitet, einen unermeßbar wertvollen Beitrag zur deutschen Sprach- das ist, wie er es richtig versteht, zur deutschen Geistesgeschichte. Dieses Werk und dieses Leben, völlig unberührt von der
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Richard Alewyn: Konrad Burdach, zum 70. Geburtstag.- In: Vossische Zeitung, 28. Mai 1929.
VII. In der reformierten Pfalz
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lärmenden Mitwelt, hat etwas von der Reinheit wie sie früheren Dezennien unserer Geistesgeschichte eignet.2
Man wird überrascht sein über diese Worte an dieser Stelle. Zu den – leider zu selten praktizierten – Tugenden im Raume der geschichtlichen Wissenschaften gehört der Einbezug großer Leistungen, wo immer sich dazu ein Anlaß bietet. Burdach hatte seine Entdeckungen verbunden mit einer Theorie der materiellen Wanderwege geistiger Güter, wie sie aus dem Fortleben der Handschriften an bestimmten geistigen Knotenpunkten herausgewachsen waren. Warum blieb das eine Werk Gegenstand weiterer Überlieferung, das andere nicht? Diese Frage geleitete hinüber zu einer Geschichte des literarischen Geschmacks, ja einer Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, wie sie sich viel später etablierte. Burdach aber gab dieser Betrachtung eine ganz eigene, nach wie vor aktuelle Wendung. Längst kennt man die Wichtigkeit landschaftlicher Betrachtung. Wir besitzen für das 11. und 12. Jahrhundert wie für die neuere Zeit zahlreiche mehr oder minder consequente litterarhistorische Charakteristiken bestimmter deutscher Landestheile. Längst hat man die Bedeutung gewisser Metropolen des litterarischen Lebens beobachtet und die von ihnen ausgehenden Anregungen zu ermitteln gesucht. Die neueren Specialgeschichten deutscher Städte und Territorien widmen regelmässig auch der geistigen Cultur ihre Aufmerksamkeit. Aber mir scheint, als ob das Problem der litterarischen Communication noch nicht ausreichend erwogen worden sei. Eine emsige Wissenschaft verfolgt die materielle Cultur sorgfältig auf ihren Pfaden: eine Geschichte der Handels- und Verkehrsstrassen, der Emporien, der Zollgrenzen gewährt je länger je mehr fruchtbare Einsichten, die der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu gute kommen. Es fehlt jedoch an zusammenhängenden Untersuchungen der geistigen Culturstrassen.3
Damit war das Programm einer literarischen, einer kulturellen Raumkunde, einer Kulturraumkunde, in die Debatte gebracht. Sie blieb in der Fassung, die Burdach ihr in Theorie und Praxis zu verleihen vermochte, sein eigenstes Gut. Stammeskundliche, rassistische, Blut und Landschaft verhängnisvoll mystifizierende Züge waren ihr fremd. An den Arbeiten Wilhelm Scherers, mit Gewißheit jedoch auch an denen von Gervinus, hatte Burdach beobachten können, welche Vorteile eine präzise räumliche Situierung literarischer, geistiger Schöpfungen mit sich führte. Raum war ihm stets geschichtlich bestimmter, niemals natürlich gegebener. Auf ihm als einem Schauplatz versammelte er, was ihm in disziplinenübergreifender Forschung zufiel und räumlich spezifiziert verdichtete. Und das nicht statisch, sondern in lebendiger Bewegung, in ständigem Austausch, auf geprägten Bahnen, die zu erkunden sich allemal lohnte, weil sie geeignet waren, Erkenntnisse über literarische, geistige Zirkulationen zu eröffnen, also nicht nur den Raum von Produktion, sondern zugleich den Radius von Wirkungen zu erfassen und derart Werke, Bilder, Ideen in den geschichtlichen Kreislauf zurückzuführen.4 ––––––––– 2
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Hugo von Hofmannsthal – Florens Christian Rang. Briefwechsel 1905–1924.- In: Die Neue Rundschau 70 (1959), S. 402–448, S. 415. Konrad Burdach: Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung. Erstes [und einziges] Heft.- Halle: Niemeyer 1893, S. V. So die Zusammenfassung bei Klaus Garber: Versunkene Monumentalität. Das Werk Konrad Burdachs.- In: Kulturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk im Blick auf das Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber. Unter Mitwirkung von Sabine Kleymann.- München: Fink
Schlesisch-Pfälzischer Brückenschlag
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Schlesisch-Pfälzischer Brückenschlag Wir stehen am Übergang Opitzens aus der schlesischen Heimat in den Westen, in die Pfalz, nach Heidelberg. Das ist in einer jeden auf Leben und Werk des Dichters konzentrierten Darstellung ein fixer Posten. Dieser aber will, gemäß den Burdachschen Äußerungen, eingerückt sein in eine Rekonstruktion des kulturellen Transfers, dem auch der Schritt, den Opitz nunmehr tat, zugehört. Wenn Betrachtungen dieser Art einläßlicheren Charakter gewinnen, so eben, weil diese kontextuelle Situierung allemal zu beobachten ist. Und zu ihnen gibt es in einer Opitz gewidmeten Darstellung im Blick auf Zeitpunkt und Örtlichkeit schwerlich nachhaltiger Veranlassung als anläßlich seines Aufbruchs in die kurpfälzische Metropole. Indem wir mit einigen Strichen diese ›geistige Culturstrasse‹ nachzeichnen, wissen wir uns inzwischen in guter forscherlicher Gesellschaft. Schon frühzeitig hatten Literaturwissenschaftler wie Georg Gottfried Gervinus im 19. oder Josef Nadler im frühen 20. Jahrhundert diesen Austausch zwischen dem Osten und dem Westen, speziell zwischen Böhmen und Schlesien dort, der Pfalz und dem Oberrhein hier ins Auge gefaßt. Es bedurfte jedoch einer umfassenden bildungsgeschichtlichen und religionspolitischen Verortung, um den treibenden Kräften auf die Spur zu kommen. Wie erwähnt, ist diese forscherliche Leistung vor allem mit dem Namen Herbert Schöfflers verbunden. Inzwischen nun ist für Schlesien und womöglich mehr noch für die Pfalz Grundlagenforschung mannigfacher Art absolviert worden, die mit erheblichem Gewinn auch für eine Gestalt wie Opitz aktiviert werden kann. Zwei Fixpunkte sind hervorzuheben und zu konkretisieren. Ausgangspunkt blieb die akademische Ausnahmesituation Schlesiens. Wo Fürsten vor allem im Gefolge der Reformation Universitäten eingerichtet hatten, scheiterten entsprechende Versuche in dem böhmischen Nebenland. Hinsichtlich der akademischen Qualifikationen konnten die glänzenden Gymnasien das Fehlen der gelehrten Spitzenposition nicht kompensieren. Die Studierenden waren darauf angewiesen, einen Studienort jenseits der Landesgrenzen zu suchen. Blieben sie in der Nähe, so gerieten sie in den Bannkreis der lutherisch geprägten Hochburgen zumal in Wittenberg und Leipzig, auf andere Weise und für eine Weile auch in Frankfurt an der Oder. Erst als das Reformiertentum zunehmend auch im Osten Bastionen eroberte, änderte sich das Bild. In Schlesien bot das Gymnasium Schoenaichianum für kurze Zeit eine universitätsähnliche Ausbildung an. In Frankfurt an der Oder übernahm die ›Viadrina‹ diese Funktion. Doch diese gelehrte Figuration war allein nicht in der Lage, den Drang nach Erkenntnis zu befriedigen. Nur allzu bekannt war, daß sich die Neuerungen auf dem Gebiet der Gelehrsamkeit an den Hochschulen im Westen vollzogen. Das galt keinesfalls nur für Heidelberg. Auch Straßburg und Basel waren von vornherein im Blickfeld, und wiederum auf andere Weise auch die Neugründung Leiden in den Niederlanden, von ferneren gelehrten Quartieren gar nicht zu reden. Der akademische Exodus aus dem Osten, aus Schlesien und den Lausitzen, auch aber aus Böhmen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in den Westen hat in dieser bildungsge––––––––– 2002, S. 109–157. Hier S. 132–140: Theorie der kulturellen Straßen und Räume, desgleichen S. 117–120 (mit den Anmerkungen 11–19) auch zu Burdach und Scherer.
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schichtlichen Gegebenheit seinen maßgeblichen Grund, und die entsprechenden Wanderwege sind inzwischen gut erforscht. Von gleichem Gewicht aber war die konfessionelle Kommunikation. Unser Buch durchzieht die Frage nach den religiösen Optionen daselbst. Und das mit besonderem Augenmerk auf die Präsenz der Reformierten. Ihre Zahl in Schlesien wuchs kontinuierlich an, und eben sie sind es, die mit besonderer Intensität in den Westen und die dortigen reformierten Zentren blickten. Wo immer möglich, suchten sie den direkten Kontakt, mit der Konsequenz, den persönlichen Aufbruch zu betreiben. Ein nicht abreißender Strom insbesondere von Studierenden hat sich bis in die Jahre der die Pfalz treffenden Katastrophe auf den Weg gemacht. Aber auch auf anderer als der akademischen Ebene herrschte ein lebhafter Austausch. Insbesondere vom Berufsverbot Betroffene suchten eine neue Chance im Westen. Umgekehrt kehrten viele der im Westen Ausgebildeten in ihre Heimat zurück. Die Biographien zahlreicher Reisender weisen dieses Doppelbild auf. Es ist vor allem verantwortlich für den Gewinn, den die Regionen hier wie dort aus der lebhaften Wanderbewegung zogen. Vorab sei ein Gesichtspunkt akzentuiert. Es waren in der Regel konfessionelle Beweggründe, die den Schritt in den Westen begünstigten. Gerade für die studierende Jugend, gelegentlich aber auch für bereits namhafte Gelehrte kam hinzu, daß auf den Universitäten im Umfeld eines reformierten Milieus Wissensstoffe und wissenschaftliche Methoden zum Vortrag gelangten, die nur hier zu vernehmen waren. Und das in stetig wechselnder personeller und disziplinärer Konstellation. Allein eine Betrachtung der Trias Heidelberg, Straßburg, Basel würde diese Feststellung bekräftigen. Das Angebot war so dicht und zugleich so vielseitig, daß Besucher aus der Ferne allemal mit einer Fülle von Anregungen und Einsichten vertraut gemacht wurden, von denen ein Leben lang gezehrt werden konnte. Und eben diese Bündelung gelehrter Innovation kam bevorzugt jenen Quartieren zugute, an denen die in ihre Heimat Zurückkehrenden Quartier nahmen und ihren Beruf fortan ausübten. Akademische Emigration und Remigration gehören in ungezählten Fällen zusammen.5
Calvinismus, Territorialstaat und Literatur Und so eben auch im Falle Opitzens. Uns erwartet die beträchtliche Herausforderung, in aller gebotenen Kürze, jedoch auch in aller notwendigen Gründlichkeit, ein Bild von dem Raum zu vermitteln, der für eine Weile derjenige unseres Dichters sein soll––––––––– 5
Einschlägige Beiträge insbesondere zur angesprochenen Bildungsgeschichte jeweils mit der Literatur jetzt in: Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Albrecht Ernst.- Heidelberg etc.: verlag regionalkultur 2012 (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte; 5). Vgl. auch: Joachim Bahlcke: Bildungswege, Wissenstransfer und Kommunikation. Schlesische Studenten an europäischen Universitäten der Frühen Neuzeit.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 18 (2010), S. 37–55, sowie den wichtigen Sammelband: Späthumanismus und reformierte Konfession. Theologie, Jurisprudenz und Philosophie in Heidelberg an der Wende zum 17. Jahrhundert. Hrsg. von Christoph Strohm, Joseph S. Feedman, Herman J. Selderhuis.- Tübingen: Mohr & Siebeck 2006 (Spätmittelalter und Reformation. N.R.; 31).
Calvinismus, Territorialstaat und Literatur
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te, und das zu unermeßlichem Gewinn für Leben und Werk des Schlesiers. Wir sind in der glücklichen Lage, auf ausgedehnte Forschungen in frühen Jahren zurückgreifen zu können, die in besonders intensivem Maße Heidelberg und der Pfalz im Kontext Opitzens und der Anfänge der neueren Dichtung galten. Der Umschwung in der Opitz-Forschung, wie er sich fast zeitgleich im Zuge der sozialhistorischen Orientierung der Germanistik seit den siebziger Jahren abzeichnete, profitierte hinsichtlich der Frühen Neuzeit nicht zuletzt von jenen geschichtswissenschaftlichen Studien, die sich der Rolle des Calvinismus anläßlich der Staatsbildungsprozesse um 1600 zuwandten. Gerhard Oestreich blieb hier für eine Weile maßgebliche Autorität. Wir haben davon im Kontext des Aufenthalts von Opitz in Frankfurt an der Oder gehört. Nun aber, mit dem Übertritt in die kurpfälzische Metropole, kam der Beschäftigung mit Opitz und den Kreisen, die ihm in Heidelberg begegneten, das Erscheinen der bahnbrechenden Monographie von Volker Press zum Einzug des Reformiertentums im pfälzischen Territorialstaat, zu seinen Institutionen, kulturellen Agenturen und leitenden Personen eminent entgegen. Eine Erinnerung daran scheint uns an dieser Stelle nach dem allzu frühen Tod des Gelehrten geboten.6 Der parallele und schließlich dann doch entscheidende Anstoß erfolgte, wie nicht anders zu erwarten, aus der Literaturwissenschaft selbst. Im Jahr 1972 traten Dieter Mertens und Theodor Verweyen mit einem Beitrag zu Vorarbeiten für eine ZincgrefAusgabe hervor, der aufhorchen ließ. Zwei Jahre später lag eine bahnbrechende Studie von einem der beiden Herausgeber vor. Der Historiker Dieter Mertens ergriff das Wort, dessen Tod im Jahr 2014 zu betrauern war. Im Rückgriff auf renommierte ältere Arbeiten vermochte er am Paradigma des neulateinischen Dichters bei Gelegenheit Thomas Ludolf Adam die gelehrte und literarisch aktive Szene Heidelbergs zu entfalten und generationsspezifisch zu differenzieren. Und als dann wiederum wenige Jahre später der erste Band der Julius Wilhelm Zincgref-Ausgabe erschien, überaus reich ausgestattet mit einschlägiger kommentatorischer Materie, war eine Initialzündung erfolgt, die wiederum der Opitz-Philologie zugute kam.7 Inzwischen ist nochmals ein immenser Zuwachs an Kenntnis durch das großangelegte Projekt ›Europa Humanistica‹ zu verbuchen. Er ist keinem Territorium des alten deutschen Sprachraums mehr zugute gekommen als der Pfalz und damit ihrer Kapitale Heidelberg sowie der daselbst konzentrierten humanistischen Geistigkeit und philologischen Regsamkeit. In fünf voluminösen Bänden ist das reiche Material unter der Stabführung von Wilhelm Kühlmann und eines engagierten Mitarbeiterkreises inzwischen ausgeschöpft. Wiederum gibt auch unser Buch Zeugnis von dem Gewinn, der auf den verschiedensten Gebieten zu verbuchen ist.8 ––––––––– 6
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Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619.- Stuttgart: Klett 1970 (Kieler Historische Studien; 7). Vgl. dazu die Rezension des Verfassers in: Daphnis 7 (1978), S. 743–745. Vgl.: Dieter Mertens, Theodor Verweyen: Bericht über die Vorarbeiten zu einer Zincgref-Ausgabe.- In: Jahrbuch für Internationale Germanistik IV/2 (1972), S. 125–150; Dieter Mertens: Zu Heidelberger Dichtern von Schede bis Zincgref.- In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 103 (1974), S. 200–241. Vgl. dazu auch unten Anm. 9. Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Abt. I: Die Kurpfalz. Band I/1: Marquard Freher. Band I/2: Janus
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Heidelberg als Residenz der Pfälzer Kurfürsten bildete im Reich die Vorhut des Calvinismus mit den entsprechenden, zeitweilig lebhaften politischen Kontakten zum westeuropäischen Calvinismus insbesondere der Niederlande und Frankreichs. Gab es im Reich und zudem vor allem in Schlesien eine Hoffnung auf die Stabilisierung der protestantischen Position und speziell bei den Calvinisten auf ihre reichsrechtlich verbindliche Anerkennung und Selbstbehauptung sowohl gegenüber Katholiken wie gegenüber Protestanten, so knüpfte sie sich an die Pfälzer Dynastie.9 Wie kaum jemals wieder in der Geschichte der deutschen ›Barockliteratur‹ sind die Anfänge der neuen deutschen Kunstdichtung in Heidelberg mit den gleichzeitigen konfessionspolitischen Aktivitäten aufs engste verknüpft. Dichtung nimmt in den verschiedensten literarischen Medien engagiert für die calvinistische Sache Partei, treibt auf ihre Weise den politischen Prozeß durch gezielte Voten mit voran. Opitz inauguriert diese literaturpolitischen Unternehmungen keineswegs, sondern findet sie bei seinem Eintreffen bereits vor. Wie sehr er jedoch alsbald unter ihren Bann gerät und in Schlesien vorbereitete Positionen nun ihre Konkretisierung erfahren, zeigen seine in Heidelberg entstehenden politischen Dichtungen. Diese vermitteln einen Begriff von den Möglichkeiten, welche die neue humanistisch geprägte deutsche Kunstdichtung, begünstigt und stimuliert durch eine politische Konstellation von größter geschichtlicher Tragweite, einen Moment lang in ihren Anfängen besaß. Sie hat die hier sich eröffnenden Chancen im Rahmen des historisch Möglichen voll genutzt. Und sie wurde hineingezogen in die Katastrophe, wie sie das Scheitern des Winterkönigs sinnfällig bezeichnet. Anders als dem Nachbarvolk in den Niederlanden blieb dem reichsdeutschen Calvinismus unter Pfälzer Führung der politische Erfolg versagt. Die literaturpolitischen Konsequenzen waren einschneidend. Das zeigt sich auch am Beispiel Opitzens. Das Faszinosum indes, das von seiner Gestalt ausgeht, gründet nicht zuletzt darin, daß er am politisierten Heidelberger Späthumanismus partizipiert hatte und sich nach dem Untergang der Pfalz nun neu orientieren mußte. Der geschichtliche Gehalt, die politische Dimension und Perspektive seiner Heidelberger politischen Dichtung und die seiner Weggefährten aber erschließt sich wie stets nur in der Rückprojektion auf den –––––––––
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Gruter. Hrsg. und bearb. von Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann, Susann El Kholi. Band II: David Pareus, Johann Philipp Pareus und Daniel Pareus. Hrsg. und bearb. von Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann, Susann El Kholi, Björn Spiekermann. Band III: Jacob Micyllus, Johannes Posthius, Johannes Opsopoeus und Abraham Scultetus. Hrsg. und bearb. von Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann, Susann El Kholi, Björn Spiekermann. Band IV: Hieronymus Commelinus und seine Erben, Balthasar Copius, Lambertus Ludolfus Pithopoeus, Henricus Smetius, Simon Stenius, Friedrich Sylburg. Hrsg. und bearb. von Wilhelm Kühlmann, Ralf Georg Czapla, Reinhard Gruhl, Michael Hanstein, Volker Hartmann, Susann El Kholi. Band V: Wilhelm Xylander, Aemilius Portus, Daniel Tossanus d.Ä., Paulus Tossanus, Franciscus Junius d.Ä., Giulio Pace, Dionysius Gothofredus, Johann Kahl. Hrsg. und bearb. von Wilhelm Kühlmann, Ralf Georg Czapla, Reinhard Gruhl, Michael Hanstein, Volker Hartmann, Bianca Hufnagel, Ladislaus Ludescher.Turnhout: Brepols 2005–2016 (Europa Humanistica). Die gesamte Literatur jetzt zusammengeführt in: Volker Hartmann, Wilhelm Kühlmann: Heidelberg als kulturelles Zentrum der Frühen Neuzeit. Grundriß und Bibliographie.- Heidelberg: Manutius 2012. Hinzuzunehmen: Die Wittelsbacher und die Kurpfalz in der Neuzeit. Zwischen Reformation und Revolution. Hrsg. von Wilhelm Kreutz, Wilhelm Kühlmann, Hermann Wiegand.Regensburg: Schnell & Steiner 2013.
Der Weg zur Vorhut der Reformierten auf deutschem Boden
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geschichtlichen Prozeß. Er ist daher hier in aller gebotenen Kürze zunächst zu skizzieren.10
Der Weg zur Vorhut der Reformierten auf deutschem Boden Die Reformation hatte die Pfalz schon früh erreicht, ohne sich freilich zunächst der Förderung von seiten der monarchischen Spitze zu erfreuen. Das Territorium blieb unter dem im alten Glauben verharrenden Ludwig V. (1508–1544) ein »konfessionelles Neutrum«, womit zugleich gesagt ist, daß es reformatorischen Einwirkungen keinen Widerstand entgegensetzte.11 Vor allem die Ritterschaft wechselte vielfach zum Luthertum. Für die protestantische Sache blieben die traditionell engen Beziehungen zu den oberrheinischen reformierten Metropolen Straßburg und Basel wichtig. Während die zuvor unter Kurfürst Philipp führende humanistische und moderne Universität mehrheitlich am Katholizismus festhielt und viele der vom reformierten Protestantismus angezogenen Studenten verlor, zogen umgekehrt viele bürgerliche graduierte Räte aus Oberdeutschland in die pfälzische Hauptstadt und bildeten das maßgebliche Ferment beim Übergang des Kurfürstentums zum reformierten Bekenntnis. Dieser Zustrom gelehrt-reformierter Kräfte schwoll unter den Regentschaft Friedrichs II. (1544–56) insofern noch an, als nach dem Schmalkaldischen Krieg die oberdeutschen reformierten Zentren (Straßburg, Ulm, Augsburg) auf kaiserlichen Druck hin zum – reichspolitisch konservativen – Luthertum hinübergedrängt wurden.12 In Heidelberg selbst blieb der Rat unter Friedrich II. während der konfessionspolitischen Schwankungen infolge des Schmalkaldischen Krieges ein Element protestantischer Kontinuität. Unter der kurzen Regentschaft Ottheinrichs (1556–59) gelangte der Protestantismus dann voll zum Durchbruch und fand neben dem Rat auch in der Universität eine Stütze, da diese von einer immer noch eher scholastischen Korporation zu einer evangelischen landesherrlichen Institution mit entsprechender Berufungspolitik umgestaltet und damit zugleich die Verantwortung für die Installation des Heidelberger Späthumanismus geschaffen wurde. Gleich unter dem Nachfolger Friedrich III. (1559–76), dem ›Frommen‹, vollzog sich dann der letzte und entscheidende Schritt mit dem offenen Übertritt zum reformierten Bekenntnis und der Einführung des von Olevian und Ursinus geschaffenen ––––––––– 10
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Vgl. zum Folgenden den zweiten Teil der in Anm. 6 zitierten Untersuchung von Press, betitelt ›Persönlichkeiten, Gruppen und Fraktionen‹, S. 168–515, dem wir im wesentlichen folgen. Des weiteren: Wilhelm Volkert: Kurpfalz zwischen Luthertum und Calvinismus (1559–1620).- In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Hrsg. von Max Spindler. Band III/2: Franken, Schwaben, Oberpfalz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts.- München: Beck 1971, S. 1306–1317. Der Artikel ist außerordentlich reich mit Literatur ausgestattet. Jetzt auch mit der neueren Literatur die sehr konzise Studie von Anton Schindling: Die reformierten Kurfürsten aus der Linie PfalzSimmern und das Heilige Römische Reich (1559 bis 1685).- In: Die Wittelsbacher (Anm. 9), S. 13–43. Press: Calvinismus und Territorialstaat (Anm. 6), S. 172. Vgl. Regina Baar-Cantoni: Religionspolitik Friedrichs II. von der Pfalz im Spannungsfeld von Reichs- und Landespolitik.- Stuttgart: Kohlhammer 2011 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; 188).
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sog. ›Heidelberger Katechismus‹.13 Treibende Kraft war bezeichnenderweise wiederum ein Exulant, nämlich der Augsburger Patriziersohn Christoph von Ehem, wie überhaupt die reformierten Exulanten im Ober- und Kirchenrat das reformierte Rückgrat bildeten und zugleich die notwendigen Außenkontakte mit den Niederlanden und mit Frankreich knüpften. Im Reich selbst aber drohte der Pfalz nun zunehmend die Gefahr politischer Isolierung. Um so mehr, als der konfessionspolitische Status der Reformierten nicht eindeutig rechtlich fixiert war und der Religionsfrieden explizit nur für die Katholiken und die Mitglieder der ›Confessio Augustana‹ galt. Wenn die Gefahr der politischen Isolierung und konfessionellen Ächtung vorerst gebannt werden konnte, so vor allem, weil Friedrich und seine Räte auf dem Augsburger Reichstag von 1566 die dem Protestantismus nach einer definitiven Spaltung drohenden Gefahren überzeugend deutlich machen konnten, und weil Kursachsen, das die Westkontakte der Pfalz keinesfalls billigte, am konfessionellen Status quo nicht rütteln ließ – das freilich auch nur solange, wie die Philippisten dort dominierten – also bis 1570. Die weitere Assimilation des Reformiertentums einschließlich der entsprechenden westeuropäischen politischen Orientierung erfuhr dann durch den lutherisch gebliebenen Ludwig VI. (1576–83) eine zeitweilige Unterbrechung. Nur die institutionelle Verankerung in den weltlichen und kirchlichen Behörden und der Ausbau des Fürstentums Pfalz-Lautern unter Johann Casimir (1583–92) gewährleistete das Überleben des reformierten Bekenntnisses.14 Dieser selbst hatte 1568 in Frankreich in den Religionskriegen auf der Seite der Hugenotten teilgenommen, hatte in das Geschlecht der Brederode geheiratet, das an der Spitze des Aufstandes in den Niederlanden stand, und hatte schließlich durch Bestellung Ludwigs I. von Sayn-Wittgenstein zum Großhofmeister den fortan ausschlaggebenden Kontakt zu den Calvinisten in der Wetterau geknüpft.
Bestimmende Rolle des Kurpfälzischen Oberrats und Christians von Anhalt Unter Friedrich IV. (1592–1610) traten die Vorbereitungen zur großen konfessionspolitischen Auseinandersetzung, die wie anderorts in Westeuropa auch im Reich mit der Begründung der neuen deutschen Kunstdichtung exakt zusammenfiel, dann in ihr entscheidendes Stadium.15 Einen gar nicht zu unterschätzenden Anteil daran haben einerseits die kompromißlos reformierten Mitglieder vor allem im Oberrat, anderseits eine ––––––––– 13
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Vgl. das große Kapitel ›Friedrich III. (1559-1576)‹ bei Press: Calvinismus und Territorialstaat (Anm. 6), S. 221–266. Vgl. zum Näheren die unten Anm. 23 aufgeführte Literatur. Wiederum ist zu verweisen auf die beiden Kapitel zu Johann Casimir bei Press (Anm. 6), S. 299– 321 und S. 322–368. Vgl. Press (Anm. 6), S. 369–478. Aus der neueren Literatur: Armin Schlechter: Kurfürst Friedrichs IV. von der Pfalz. Persönlichkeit und zeitgenössische Würdigung.- In: Union und Liga 1608/ 09. Konfessionelle Bündnisse im Reich – Weichenstellung zum Religionskrieg? Hrsg. von Albrecht Ernst, Anton Schindling.- Stuttgart: Kohlhammer 2010 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; 178), S. 137– 166. In dem wichtigen Sammelband auch weitere Beiträge zu dem hier verhandelten Fragenkreis.
Bestimmende Rolle des Kurpfälzischen Oberrats und Christians von Anhalt
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Reihe auswärtiger Gestalten, darunter die Wetterauer Grafen und insbesondere diejenige Persönlichkeit, die bis zur Schlacht am Weißen Berg als Schlüsselfigur der Pfälzer Politik gelten darf: Christian von Anhalt.16 Als Hofmeister des jungen Friedrich IV. fungierten Otto von Grünrade und Georg Ludwig von Hutten. Grünrade war über den sächsischen Philippismus zum Reformiertentum gekommen und hatte bereits entscheidenden Einfluß auf die Durchsetzung dieses Bekenntnisses in der Wetterau genommen, bevor er 1584 dem Ruf nach Heidelberg folgte. Hutten, ein humanistisch gebildeter Ritter, stand gleichfalls den Reformierten nahe. Er scheint der ritterlich-höfischen Erziehung seines Zöglings den Vorzug vor der wissenschaftlich-politischen gegeben zu haben. Vor allem tritt jedoch mit Hutten ein Exponent der immer noch einflußreichen Pfälzer Reichsritterschaft in die Szene, der die ehemals von Johann Casimir mit Unterstützung der bürgerlichen Gelehrten verfolgte Mediatisierungs- und territoriale Arrondierungspolitik bremste und offensichtlich weitgespannte Pläne mit diesem untergehenden Stand unter Pfälzischer Führung hegte. Erst nach seinem Sturz war der Weg für eine vorbehaltlos reformierte Politik der gelehrten Räte wie der auswärtigen Kräfte frei. Neben die adligen Hoferzieher trat Georg Michael Lingelsheim als religiöser Präzeptor Friedrichs IV. Er entstammte der reformierten Minorität Straßburgs, hatte in Heidelberg und Basel studiert und bewahrte seinen humanistischen Neigungen und seinen gelehrt-epistolarischen Kontakten lebenslänglich die Treue, während er dreißig Jahre lang im Pfälzer Oberrat mitwirkte und dort unbeirrt zur aktiven calvinistischen Bündnisfront hielt.17 Ihm zur Seite wirkte Volrad von Plessen, Hofgerichtsrat und gleichzeitig Kammerjunker des jungen Kurfürsten; auch er ein weitgebildeter adliger Humanist sowie überzeugter Calvinist und in dieser Verbindung ebenso wie Lingelsheim eine zentrale Figur des Heidelberger Späthumanismus. Nimmt man die Gestalt von Michael Loefenius, eines gleichfalls radikalen Calvinisten, hinzu, so ist der Kreis der progressiven und nach dem Sturz Huttens maßgeblichen Kräfte im Oberrat bezeichnet; alle drei stammten nicht aus der Pfalz oder ihrer näheren Umgebung, hatten in Basel studiert und waren unbedingte Calvinisten, wenn auch mit unterschiedlicher Elastizität. Sie bildeten eine geschlossene Fraktion, blieben aber zunächst im Hintergrund. Mit der Reichsritterschaft hatten sie keinerlei gemeinsame Interessen, wohl aber waren sie den wetterauischen Grafen, vor allem Wittgenstein, eng verbunden.18
Unterstützung erhielt diese Gruppe aus dem Hofgericht insbesondere durch die für den Heidelberger Späthumanismus gleichfalls zentrale Gestalt des Ludwig Camerarius. Zu den in Pfälzer Diensten bereits bewährten Wittgensteiner und Nassauer Grafen trat sodann unter Friedrich IV. als vorwärtstreibende Kraft Christian von Anhalt. Sein Ruhmesstern war als Heerführer auf hugenottischer Seite 1591 in Frankreich aufgegangen. Über die eigens auf seine Person zugeschnittene Statthalterschaft in der Oberpfalz gelang es der Kurpfalz, konkurrierende Angebote von kaiserlicher Seite abzu––––––––– 16
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Vgl. zum Folgenden Volker Press: Die Ritterschaft im Kraichgau zwischen Reich und Territorium 1500–1623.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 122/ N.F. 83 (1974), S. 35–98. Vgl. zu ihm unten S. 256 mit Anm. 29. Press: Calvinismus und Territorialstaat (Anm. 6), S. 393.
VII. In der reformierten Pfalz
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wehren. Aus philippistischem Hause – das Anhaltiner Zerbst seines Vaters Joachim Ernst sollte bald eine wichtige Zufluchtsstätte für ›kryptocalvinistische‹ Exulanten werden –, in Sachsen in Berührung mit der ›zweiten Reformation‹ gekommen, verheiratet mit Anna von Bentheim, ausgestattet mit glänzenden Kontakten zu Heinrich IV., wuchs sein Einfluß auf die Pfälzer Politik beständig.19 Er wollte die evangelischen Stände Deutschlands einigen, um ihnen im Bunde mit außerdeutschen protestantischen Mächten im Reiche eine Machtstellung zu verschaffen, an der die katholischen Reichsstände, der Kaiser und selbst die gefürchteten Spanier nicht rütteln konnten.20
Er ist der Initiator auf dem von der Pfalz seit langem angesteuerten Weg zur Union – ein Plan, der ganz auf der Linie Heinrichs IV. lag. Über ihn verlief der Kontakt zu den böhmischen Ständen, und über ihn erfolgte die Annäherung an den Führer des oberund niederösterreichischen protestantischen Adels Georg Erasmus von Tschernembl, der die Idee eines nichtkatholischen Herrscherhauses ins Spiel brachte, wie sie unter Friedrich V. dann für eine kurze Frist – lebhaft unterstützt vom Heidelberger Dichterkreis – Wirklichkeit werden sollte.21
Auf schlesisch-pfälzischen Wegen Opitz bewegte sich mit seinem Übertritt von Schlesien in die Pfalz und damit im weiteren Sinn in den reformierten südwestdeutschen Raum auf Bahnen, die durch namhafte Vorgänger, aber auch durch Altersgenossen und Freunde geebnet waren. Der Übergang zum reformierten Bekenntnis unter Friedrich III. hatte einen beträchtlichen Bedarf an reformierten Kräften erzeugt. So ist es kein Wunder, daß die geschichtlich bedeutsamsten Köpfe zumeist Theologen sind. Gerade Schlesien konnte aus den geschilderten Gründen ein beträchtliches Potential zur Verfügung stellen. »Man wird geradezu sagen können, daß zu jener Zeit Schlesier in der Pfalz kulturell und geistig treibende Kräfte und führende Köpfe waren.«22 ––––––––– 19
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Wichtig geblieben: Hans Georg Uflacker: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des pfälzischen Königtums in Böhmen.- Diss. phil. München 1926 (masch.). Vgl. jetzt vor allem: Ernst-Joachim Westerburg: Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg und der politische Calvinismus. Zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges.Thalhofen: Bauer 2003. Vgl. auch den Artikel zu Wok von Rosenberg in: Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder. Band III. Hrsg. von Heribert Sturm.- München: Oldenbourg 2000, S. 512, sowie den Eintrag von Annemarie Enneper zur Adelsfamilie der von Rosenbergs in: NDB XXII (2005), S. 57 f., mit weiterer Literatur. Vgl. schließlich auch Václav Bůžek: Die politische Rolle der Residenz Peter Woks von Rosenberg in Třeboň/Wittingau zur Zeit des Bruderzwists.- In: Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608–1611). Hrsg. von dems.- České Budějovice: Vyd. Jihočeská Univerzita 2010 (Opera historica; 14), S. 307–330. Annelise Tecke: Die kurpfälzische Politik und der Ausbruch des dreißigjährigen Krieges.- Diss. phil. Hamburg 1931 (masch.), S. 58. Dazu wiederum grundlegend: Hans Sturmberger: Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns.Graz, Köln: Böhlau 1953 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs; 3). G[ustav] Hecht: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 81/ N.F. 42 (1929), S. 176–222, S. 178. Vgl. jetzt die einschlä-
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Das beginnt, um hier nur die bekanntesten Namen zu nennen, mit Zacharias Ursinus aus Breslau, der 1561 in das neben der Hochschule bedeutendste Bildungsinstitut der Kurpfalz, das Sapienzkollegium, eintrat. Zusammen mit Olevian – gleichfalls einem aus Trier Zugereisten Exulanten, der später maßgeblich am Aufbau des Calvinismus in der Grafschaft Nassau mitwirkte – schuf er den Heidelberger Katechismus, nach dessen Durchsetzung weitere Reformierte gerade auch aus Schlesien angelockt wurden.23 Die bedeutendste und einflußreichste Gestalt aus Schlesien ist ohne Zweifel Abraham Scultetus.24 Er wurde 1595 als Hofprediger an die Seite des gleichfalls aus Schlesien stammenden Bartholomäus Pitiscus berufen, dessen Stelle er 1614 übernahm. Als Mitglied des Heidelberger Kirchenrats und Inspektor der Kirchen und Schulen, als Reformator in der Oberpfalz (Amberg) und Begleiter Christians von Anhalt im Jülicher Erbfolgekrieg und Friedrichs V. nach England anläßlich seiner Hochzeit, als Mitwirkender an der Installation des reformierten Bekenntnisses in Brandenburg nach dem Übergang der Hohenzollern vom lutherischen zum calvinistischen Glauben und schließlich – schon Professor für Theologie an der Universität Heidelberg – als Dele–––––––––
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gigen Beiträge in dem oben Anm. 5 zitierten Sammelband ›Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600‹. Zum Kontext aus jüngster Zeit: Kontakte der schlesischen Reformierten um 1600 zu westlichen Reichsterritorien.- In: Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Irene Dingel.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte; 106), S.139–156. Vgl. den Eintrag von Harm Klueting zu Ursinus in: Theologische Realenzyklopädie XXXIV (2002), S. 445–450, mit weiterer reichhaltiger Literatur. Wegen der quellenkundlichen Fundierung weiterhin unentbehrlich: Karl Sudhoff: C. Olevianus und Z. Ursinus. Leben und ausgewählte Schriften. Nach handschriftlichen und gleichzeitigen Quellen.- Elberfeld: Friderichs 1857 (Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformirten Kirche; 8). Verwiesen sei auch auf Derk Visser: Zacharias Ursinus (1534–1583). Melanchthons Geist im Heidelberger Katechismus.- In: Melanchthon in seinen Schülern. Hrsg. von Heinz Scheible.- Wiesbaden: Harrassowitz 1997 (Wolfenbütteler Forschungen; 73), S. 373–390. Sodann gerade für die Frühzeit des Ursinus ergiebig die dem Gedenken an den – unvergessenen – Theologen Hans Joachim Iwand gewidmete Studie von Erdmann K. Sturm: Der junge Zacharias Ursin. Sein Weg vom Philippismus zum Calvinismus (1534–1562).- Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1972 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche; 33). Zum Kontext die reiche Studie von Manfred P. Fleischer: The Success of Ursinus: A Triumph of Intellectual Friendship.- In: Controversy and Conciliation. The Reformation and the Palatinate 1559–1583.- Pennsylvania: Pickwick 1986 (Pittsburgh Theological Monographs; 18) S. 101–115. Und zum Heidelberger Katechismus selbst zuletzt: Macht des Glaubens – 450 Jahre Heidelberger Katechismus. Hrsg. von Karla ApperlooBoersma, Herman J. Selderhuis.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. Vgl. Gustav Adolf Benrath: Abraham Scultetus (1566–1624).- In: Pfälzer Lebensbilder. Hrsg. von Kurt Baumann. Band II.- Speyer: Verlag der Pfälz. Ges. zur Förderung der Wiss. in Speyer 1970, S. 97–116; ders.: Abraham Scultetus.- In: Biographisches Lexikon für Ostfriesland. Band I.- Aurich: Ostfriesische Landschaft 1993, S. 315–317. Benrath ist auch der Herausgeber der Selbstbiographie des Scultetus: Die Selbstbiographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566-1624). Hrsg. von Gustav Adolf Benrath.- Karlsruhe: Evang. Presseverband 1966. Zuletzt mit weiterer Literatur die große Abhandlung von Joachim Bahlcke: Religiöse Kommunikation, Reisediplomatie und politische Lagerbildung. Die Bedeutung des reformierten Theologen Abraham Scultetus für die Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz um 1600.- In: Schlesien und der deutsche Südwesten (Anm. 5), S. 187–220.
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gierter der Dordrechter Nationalsynode besaß er einen weit über die Pfalz hinausreichenden Einfluß und Wirkungskreis, der in der kurzen Episode als Hofprediger Friedrichs V. in Prag gipfelte, bevor dann der Absturz zusammen mit dem Hause folgte, in dessen Dienst er sich gestellt hatte. Der Reigen der aus Opitz’ Kreisen in den Westen ziehenden Personen beginnt mit dem fünf Jahre älteren Schul- und Jugendfreund Caspar Kirchner, den wir kennengelernt haben. Er war Opitz nach Breslau vorangegangen. Von dort brach er 1615 zum Studium nach Straßburg auf. Bernegger, von dem wir hören werden, nennt dann auch Kirchner ausdrücklich als einen der Erneuerer der deutschen Dichtung neben Opitz und Zincgref. Von Straßburg aus war Kirchner nach zweijährigem Aufenthalt in die Niederlande weitergezogen und hatte Zugang zu Daniel Heinsius bekommen – auch darin Opitzens Lebensweg präformierend. Anders als Opitz konnte Kirchner weiter nach Belgien, Frankreich und England reisen; Belgien und England hat Opitz nie gesehen, Frankreich erst später. In Breslau unterhielten alle für Kirchner wie für Opitz bedeutsamen Persönlichkeiten Kontakte mit den Gelehrten und Dichtern des südwestdeutschen Späthumanismus. Namentlich pflegten Nikolaus Henel, Daniel Rindfleisch und Caspar Cunrad zahlreiche höflichkeitsbeziehungen zu den gelehrten und poeten des Oberrheines. Die erinnerung an Paulus Melissus war in diesen kreisen noch frisch; mehr als einer, der hier ab und zu gieng, hatte Melissus persönlich gekannt, ja von seinen händen den lorbeer empfangen und von daher den ehrentitel eines Melisseischen poeten geführt. Cunrad selbst hatte sein doctordiplom 1604 in Basel erworben und am Oberrhein, namentlich in Heidelberg, eine reiche ernte von bekantschaften gemacht. Kein wunder, dass auch in Cunrads kreise der hauch von einem neuen geiste unter den gelehrten zu spüren war.25
Auf Bellaquimontium konnte Scultetus als Pfalzgraf und gekrönter lateinischer Dichter, der seine 1594 in Heidelberg erschienenen lateinischen Gedichte Schede Melissus gewidmet hatte, den Blick Opitzens in den Westen lenken. Wir haben davon im voranstehenden Kapitel gehört. Schließlich hatte Dornau selbst in Basel promoviert und sich in Heidelberg aufgehalten. So trat Opitz die Bedeutung der großen Metropolen des Oberrheins und Westeuropas in der Begegnung mit Freunden und Gönnern vor Augen, bevor er selbst sich auf die Reise machte und zum Heidelberger Dichterkreis stieß.
Janus Gruter und Georg Michael Lingelsheim Institutionell ist der Heidelberger Dichterkreis, über den hier nur das im Zusammenhang Erforderliche gesagt werden muß, vor allem über die Universität und den Pfälzer Hof, speziell die Oberbehörde, verankert. Zwei Namen stehen dafür vornehmlich ein: Janus Gruter und Georg Michael Lingelsheim. Beide Gestalten verbinden zugleich die ältere und die jüngere Generation der Heidelberger Dichter. Opitz verstand es wieder––––––––– 25
Ernst Höpfner: Straßburg und Martin Opitz.- In: Beiträge zur deutschen Philologie. Julius Zacher dargebracht als Festgabe zum 28. October 1879.- Halle/Saale: Buchhandlung des Waisenhauses 1880, S. 293–302, S. 296.
Janus Gruter und Georg Michael Lingelsheim
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um – mittels Eigeninitiative und Empfehlungen – zu beiden in engen Kontakt zu treten. Noch bevor Opitz selbst in das Land kam, das wie kein anderes in Europa vom konfessionspolitischen Antagonismus geprägt wurde, lernte er in Janus Gruter den Vertreter eines Geschlechts kennen, dessen Schicksal zutiefst von der Geschichte des reformierten Bekenntnisses in den Niederlanden bestimmt war.26 Sein Vater Wouter de Gruytere war im ›Bund der Edlen‹ tätig gewesen und ritt 1566 unter der Führung Brederodes mit in die Hauptstadt Antwerpen ein, um die Forderungen der Geusen gegenüber der spanischen Statthalterin Margarethe von Parma zu bekräftigen. Gruters Mutter stand »unter der Anklage, in Abwesenheit ihres Gatten Geusen bzw. um des Glaubens willen Verdächtigte beherbergt zu haben. Sie entschlossen sich zu schnellster Flucht nach England.«27 Den englischen Jahren Janus Gruters hat Leonard Forster seine tiefdringende Studie gewidmet.28 Zurückgekehrt in die Niederlande (1577) war Gruters Vater später (1584–85) zusammen mit Marnix, Loefdeel und anderen führend an der Verteidigung Antwerpens gegen Spanien beteiligt. Nach dem Fall Antwerpens – und damit der endgültigen Abtrennung der südlichen Niederlande – floh Wouter de Gruytere nach Danzig, wo seit langem eine reformierte Gemeinde bestand. Der Sohn, zunächst kurze Zeit an der Universität in Oxford, hatte eben noch an der neugegründeten Universität Leiden sein Jurastudium, das ihn u.a. mit Donellus, Janus Dousa, Lipsius und seinem Altersgenossen Arminius zusammengeführt hatte, mit der Promotion abschließen können (1584). Nach Heidelberg geleitete ihn 1592 der Umstand, daß er sich als Calvinist weigerte, die in Wittenberg nach dem Tode Kurfürst Christians von den Professoren verlangte Unterschrift unter die Konkordienformel zu leisten. Den schnell zu den kurfürstlichen Räten – darunter Lingelsheim – hergestellten Kontakten dürfte es zu danken sein, daß sich Friedrich IV. selbst nachhaltig – und gegen den Widerstand des Senats der Universität – für eine Professur Gruters im Fach Historie verwendete (1593). Sein eigentliches, ihn ungleich befriedigenderes Amt fand er jedoch in der Verwaltung der berühmten ›Bibliotheca Palatina‹ seit 1602. Als deren Vorsteher, als berühmtem Editor und Kommentator vornehmlich römischer Texte und Herausgeber des großen Sammelwerks ›Inscriptiones Antiquae‹ (1. Aufl. 1602/1603), der mit glänzenden gelehrten Verbindungen in ganz Europa ausgestattet war, galt ihm die Erwartung Opitzens. Es versteht sich von selbst, daß er ungeachtet aller humanistischen Irenik vorbehaltlos auf der Seite des Winterkönigs stand. ––––––––– 26
27 28
Die maßgebliche Biographie stammt von Gottfried Smend: Jan Gruter. Sein Leben und Wirken. Ein Niederländer auf deutschen Hochschulen. Letzter Bibliothekar der alten Palatina zu Heidelberg.- Bonn: Universitätsdruckerei 1939. Vgl. jetzt das reiche textuelle und biographische Material in dem oben in Anm. 8 aufgeführten Werk zum Pfälzer Humanismus. Der zweite Teilband des ersten Bandes daselbst ist ausschließlich Gruter gewidmet. Vgl. auch den Eintrag von Volker Hartmann mit weiterer Literatur in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon III (2014), Sp. 107–125. Smend: Jan Gruter (Anm. 26), S. 15. Leonard Forster: Janus Gruter’s English Years. Studies in the Continuity of Dutch Literature in Exile in Elizabethan England.- Leiden: University Press, London: University Press 1967 (Publications of the Sir Thomas Browne Institute Leiden; 3).
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Ins Haus Lingelsheims gelangte Opitz wiederum als Erzieher.29 Lingelsheim hatte neben seiner einflußreichen politischen Tätigkeit als Oberrat seine gelehrten Kontakte und Neigungen stets weiterzupflegen gewußt. Seine Freunde und Kollegen in Heidelberg sind Studierte der höheren Fakultäten, in der Mehrzahl graduierte Juristen; sie sind entweder in den Spitzenpositionen der kurpfälzischen Behörden und Politik tätig oder Universitätslehrer in einer höheren Fakultät und damit etwa doppelt so hoch bezahlt wie die Artisten. Als Räte und Beisitzer in Hofgericht, Oberrat und Reichskammergericht sind sie die dauernden und selbständigen Partner oder Konkurrenten der adeligen Räte und Beisitzer.30
Hinzu kommen die ausgedehnten epistolarischen Verbindungen, von denen der noch im 17. Jahrhundert gedruckte Briefwechsel mit Jacques Bongars, die bei Reifferscheid gedruckten Briefwechsel, vor allem von und mit Bernegger, Goldast, Grotius, Gruter, Venator und Zincgref, sowie der ungedruckte mit Ludwig I. von Sayn-Wittgenstein Zeugnis ablegen.31 »Lingelsheim war kein Vertreter einer militanten reformierten Orthodoxie mehr, doch bei aller Irenik hielt er entschieden am reformierten Glauben fest und nahm stets Anteil am Schicksal der calvinischen Minorität seiner Heimatstadt [Straßburg]«.32 Weniger forciert auf die Böhmische Krone setzend, geriet aber auch ein Lingelsheim schließlich in den Strudel der Katastrophe.
Mittelpunkt des Heidelberger Dichterkreises: Paul Schede Melissus Die drei Autoren Schede, Denaisius und F[riedrich] Lingelsheim repräsentieren eine ältere, von Opitz unabhängige Heidelberger Dichtungstradition. [...] Bedeutsam ist, daß alle drei Autoren sich um das Haus Lingelsheim gruppieren [...]. Er [Schede] gehört wie Denaisius zu den in Lingelsheims Briefen an J. Bongars immer und immer wieder genannten ›amici‹.33
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Vgl. Axel E. Walter: Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims.- Tübingen: Niemeyer 2004 (Frühe Neuzeit; 95). In diesem grundlegenden Werk ein erster Teil, betitelt: Georg Michael Lingelsheim – Leben, Wirken und Werk, S. 69–247. Vgl. von Walter insbesondere im Blick auf Opitz auch: Kurpfälzisch-schlesische Kulturtransferprozesse im Zeitalter des Späthumanismus – am Beispiel der Beziehungen von Martin Opitz und seinem schlesischen Freundeskreis zu Georg Michael Lingelsheim.- In: Schlesien und der deutsche Südwesten (Anm. 5), S. 41–84. Vgl. auch unten Anm. 48. Mertens: Zu Heidelberger Dichtern (Anm. 7), S. 229. Vgl. dazu den zweiten Teil der oben Anm. 29 zitierten Untersuchung Walters, betitelt: Der Korrespondentenkreis Georg Michael Lingelsheims, S. 251–472. Das Verzeichnis ist lokal gegliedert und gleichermaßen mit einschlägigen biographischen und ortskundlichen Informationen versehen. Die Briefe selbst vielfach in: Briefe G.M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Nach Handschriften herausgegeben und erläutert von Alexander Reifferscheid.- Heilbronn: Henninger 1889 (Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des 17. Jahrhunderts; 1) [Mehr nicht erschienen]. Press: Calvinismus und Territorialstaat (Anm. 6), S. 371. Mertens: Zu Heidelberger Dichtern (Anm. 7), S. 227 f. Zu Schede Melissus vgl. den Eintrag von Jörg Robert mit der gesamten einschlägigen Literatur in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520– 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon V (2016), Sp. 478–494. Hier sei nur verwiesen auf die unpubliziert gebliebene ältere Arbeit von Ludwig Krauß: Paul Schede-Melissus. Sein Le-
Mittelpunkt des Heidelberger Dichterkreises: Paul Schede Melissus
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Die für die Pfalz und den Oberrhein typische Orientierung zum calvinistischen Westeuropa bewährt sich auch bei ihnen. Vor allem Schede Melissus ist diesem dichten politischen und ästhetischen Kommunikationsnetz integriert. »Melissus was the leading German literary humanist of his day, like Utenhove personally acquainted with the Pleiade poets and with England, and like him polyglot, writing verses in Latin, German and French.«34 Die Kontakte zur Pleiade sind durch die Monographie von Nolhac so gut wie erschöpfend erhellt.35 Die Kenntnis von seinem Aufenthalt in England hat kürzlich in anderem Zusammenhang eine überraschende Vertiefung erfahren. Schede Melissus, der Frankreich, vor allem Paris, Genf und Italien bereits kannte, wurde von Hans von Tschernembl dazu ausersehen, dessen beide Söhne Georg Erasmus und Hans Christoph von Tschernembl auf ihrer Kavalierstour zu begleiten. Die erste nachhaltige Berührung des späteren führenden Kopfes des niederösterreichischen protestantischen Widerstandes erfolgte zweifellos über Schede Melissus, der von 1568 bis 1571 im Genf Calvins und Bezas geweilt hatte.36 Dieser Auftrag Tschernembls brachte ihm nicht nur eine ausgedehnte Wiederbegegnung mit Paris, die vom Sommer 1584 bis in das Frühjahr 1585 währte, sondern auch die Begegnung mit dem protestantischen England Elisabeths I., der Schede Melissus seine Gedichte überreichen konnte. Interessant aber für den Pfälzer Hof – der ihn 1586 von der Tschernemblschen Hofmeisterstelle abberief und ihm die Leitung der berühmten Palatina anvertraute – war Schede Melissus wegen seiner Verbindung zu den hugenottischen Psalmendichtern und Tonsetzern während seines ersten Aufenthaltes in Paris (1567/68) und in Genf geworden. Psalmendichtung und -gesang bilden in ganz anderer Weise als das Gemeindelied unter den Lutheranern ein Ferment konfessioneller Identität und politischer Selbstbehauptung unter den Reformierten und speziell den französischen Hugenotten. Der ohnehin im Calvinismus viel intensivere Rückbezug auf das Alte Testament fand in den Psalmen jene religiöse Auserwähltheit artikuliert, die nicht nur ein zentrales calvinistisches Dogma bestätigte, sondern auch ein Kraftzentrum des Widerstands bildete. Der gemeinschaftliche Psalmengesang hat für das Hugenottentum eine gar nicht zu unterschätzende gruppenbildende und stabilisierende Funktion ausgeübt.37 Schede Melissus geriet in Frankreich und in der Schweiz nicht nur in literarischen bzw. persönlichen Kontakt mit den beiden führenden Psalmenübersetzern und Reformierten Clément Marot und Théodore de Bèze. Er gewann auch eine Anschauung, welche Konsequenzen seine öffentliche Praktizierung für die Gläubigen zeitigte, wie ––––––––– 34
35
36 37
ben nach den vorhandenen Quellen und nach seinen lateinischen Dichtungen als ein Leitweg zur Gelehrtengeschichte jener Zeit. Band I–II.- Nürnberg 1918. Leonard Forster: Kleine Schriften zur deutschen Literatur im 17. Jahrhundert.- Amsterdam: Rodopi 1977 (Daphnis; VI/4), S. 87. Pierre de Nolhac: Un poète rhénan ami de la Pléiade. Paul Melissus.- Paris: Champion 1923 (Bibliothèque littéraire de la Renaissance. Nouvelle série; 9). Vgl. Sturmberger: Georg Erasmus Tschernembl (Anm. 21), S. 37 ff. Aus der reichen Literatur sei hier nur auf ein gehaltreiches Sammelwerk verwiesen, in das die maßgeblichen Arbeiten Eingang gefunden haben: Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Hrsg. von Eckhard Grunewald, Henning P. Jürgens, Jan R. Luh.- Tübingen: Niemeyer 2004 (Frühe Neuzeit; 97).
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sie sich schon im Lebensweg Marots abzeichneten und dann in der Ermordung Goudimels, des berühmten Musikers der Hugenotten, während der Hugenottenverfolgungen in Lyon, ihren sinnfälligen Ausdruck fanden. Das Erscheinungsjahr der ersten Gesamtausgabe der Psalter in der Übersetzung Marots und Bezas ist zugleich das Jahr, in dem die Bürgerkriege in Frankreich anheben: 1562. So war in Deutschland die calvinistische Vorhut der Pfalz der gegebene Lebensraum für Schede Melissus. Von Genf aus holte ihn Kurfürst Friedrich III. 1571 nach Heidelberg und betraute ihn mit der Übersetzung der Psalmen Marots und Bezas. Die Übersetzung der ersten fünfzig Psalmen erschien bereits 1572, vermochte sich freilich gegenüber der ein Jahr später erscheinenden des Ambrosius Lobwasser nicht durchzusetzen. Als berühmter, vom Kaiser gekrönter Dichter (1564) fand er in Heidelberg als direkter Vorgänger Gruters in der ›Palatina‹ seine Wirkungsstätte bis zu seinem Tode im Jahre 1602.
Der Publizist Petrus Denaisius Das Wirken des Petrus Denaisius ist unvergleichlich viel enger und intensiver mit dem Pfälzischen Raum verbunden als das des humanistischen Kosmopoliten Schede Melissus.38 Der poetische Ertrag an deutschsprachiger Dichtung ist – soweit bisher unübersehbar – gering. Dafür zeichnet sich die für die Heidelberger um den Winterkönig so typische politisch-publizistische Wirksamkeit in seinem Werk um so deutlicher ab. Sie ist getragen von einem kämpferischen calvinistischen Ethos, wie es bei den jüngeren Heidelberger Dichtern, insbesondere bei Zincgref, dann fortlebt. Denaisius entstammte einer Hugenottenfamilie, die während der Bürgerkriege im Elsaß Zuflucht fand, wo er in Straßburg 1560 geboren wurde. Sein Rechtsstudium absolvierte er in Padua, schloß es mit der Promotion in Basel ab und trat dann durch Vermittlung Lingelsheims in den diplomatischen Dienst des kurpfälzischen Hofes, für den er u.a. als Gesandter am polnischen und englischen Hof tätig wurde. Von 1590 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1610 war er als Vertreter der weltlichen Kurfürsten Beisitzer des Kammergerichts in Speyer. [Denaisius,] seit 1589 Schwiegersohn des Oberratsmitgliedes und Vizekanzlers Culmann, wohnte während seiner sechs Heidelberger Jahre (1584–1590) zumindest zeitweise im Hause des Laurentius Zincgref, des Vaters des Dichters, und blieb auch während seiner Tätigkeit als Beisitzer am Reichskammergericht in Speyer (seit 1590) mit den Lingelsheim und Zincgref in engem Kontakt.39
Die große Tradition politisch-konfessionellen Schrifttums aus calvinistischem Geist in der Pfalz repräsentiert Denaisius durch seine Gegenschrift ›Dissertatio De Idolo Hallensi‹ (1605) zu Lipsius’ mariologischem Alterswerk ›Diva Virgo Hallensis‹ (1604), sodann durch die evangelische Antwort ›Drey Jesuwiten Latein‹ (1607) und schließ––––––––– 38
39
Auch zu Denaisius und die ihm gewidmete Literatur kann jetzt verwiesen werden auf den Eintrag von Theodor Verweyen in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon II (2012), Sp. 137–145. Mertens: Zu Heidelberger Dichtern (Anm. 7), S. 228.
Der Publizist Petrus Denaisius
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lich durch zwei Übersetzungen von Antoine Arnaulds ›Le franc et véritable Discours au Roy, Sur le restablissement qui lui est demandé pour les jésuites‹ (1602) und Jakobs I. Fürstenspiegel ΒΑΣΙΛΙΚΟΝ ∆ΩΡΟΝ (1604).40 Dies letztere Werk ist Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz von dem Übersetzer gewidmet.41 Die mit den Initialen ›P.D.‹ unterzeichnete Vorrede ist politisch unspezifisch. Anders steht es um die Vorrede, welche Denaisius seiner Übersetzung der antijesuitischen Kampfschrift des Pariser Parlamentsmitgliedes Antoine Arnauld vorausgeschickt hat. Sie liefert eine selbständige Einschätzung des Vorgangs und erweist Denaisius als brillanten politischen Analytiker sowie als gewandten deutschsprachigen Publizisten.42 Ihm geht es in seiner Vorrede um die Identifizierung derer, die hinter dem Gesetz zur Ausweisung der Jesuiten im Jahre 1594 stehen. Es sind dies nach Denaisius gute Katholiken, nämlich die vier Fakultäten der Pariser Universität, der Pariser Klerus und die Räte und Beisitzer des Pariser Parlaments. Was den Klerus angehe, so Denaisius, so habe sich dieser dadurch ausgezeichnet, daß er die Reformierten nicht nur – wie die Jesuiten – des Landes verwiesen habe, sondern im Rauch gen Himmel geschickt/ vnnd nachmaln alle so viel deren noch vberig sind/ gern in einem löffel erdrencken möchten/ da es bey jhrem willen vnd vermögen stünde/ oder ohn endliche zerrüttung deß gantzen Königreichs geschehen köndte.43
Die Parlamentsmitglieder jedoch, nicht »weniger von wegen jres einbrünstigen eiffers zur Römischen/ vnd tragenden eussersten haß vnd neids gegen der Reformirten Religion bekandt«, hätten die Edikte zugunsten der Ligisten und zur Ausrottung der Hugenotten unter Franz I. und Heinrich II. mitgetragen, dagegen das von Heinrich IV. erneuerte Toleranzedikt beharrlich sabotiert.44 Endlichen hat jhre May: anders wollen frieden im Land haben/ vnd sein Reich vor vnummgänglichen vntergang erretten/ so hat er die publication dem Parlament mit gewalt/ vnd hernach mit dem schwerth müssen abnötigen vnd aufftringen.45
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Die Titel aufgeführt bei Verweyen (Anm. 38), Sp. 143 f. Wichtig geblieben zur ersten Information – neben dem Eintrag von Kurt Hannemann in NDB III (1957), S. 592 f. – Julius Zacher: Die deutschen Sprichwörtersammlungen nebst Beiträgen zur Charakteristik der Meusebachschen Bibliothek. Eine bibliographische Skizze.- Leipzig: Weigel 1852, S. 45–55. ΒΑΣΙΛΙΚΟΝ ∆ΩΡΟΝ. Oder Jnstruction vnd Vnderrichtung IACOBI deß Ersten dieses namens in Engelandt/ Schottlandt/ Franckreich/ vnd Jrrlandt Königs/ an Seiner Kön. Mayt. geliebten Sohn Printz Henrichen. Auß dem Englischen verteutscht. Gedruckt in der Keys. Reichsstatt Speyer/ durch Melchior Harmann. Jm Jahr M.DCIIII. Exemplar in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Bedencken An die Königliche May: in Franckreich/ Vber der Jesuiter bey deroselben gesuchten außsöhnung/ vnd widereinkommung in jhrer May. Landen. Newlicher tagen außgangen/ und auß der Frantzösischen in vnsere Teutsche Sprach versetzet. Sampt einer Vorred/ vnd zu ende angeheffter Erklärung etlicher dunckeler Päß darinnen. Gedruckt zu Heidelberg/ im Jahr M DC II. Die gleich im folgenden Jahr – ohne Ortsangabe – erscheinende zweite Auflage ist – im Gegensatz zu dem bei Hannemann erweckten Anschein – textlich identisch. Wir zitieren nach der Heidelberger Ausgabe, die sich z.B. in Berlin, in München und in Wolfenbüttel erhalten hat. Ebenda, Bl. a5r. Ebenda, Bl. a5r f. Ebenda, Bl. a6v f.
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Auch Arnauld als Verfasser des von Denaisius übersetzten Gutachtens ist Parlamentarier und Katholik. Für ihn wie für die übrigen Ankläger der Jesuiten ist denn auch allein maßgebend, daß der militante geistliche Orden zu einer Gefahr für die Einheit des Staates, die eben sich formierende absolutistische Monarchie, geworden ist. Als »verführer der jugend/ zerstörer der gemeinen Ruhe/ vnd feind des Königs vnd Königreichs« wird er verdammt, denn »vmb vndertruckung vnd zerzerrung der Königlichen Eminentz vnnd Frantzösischen Monarchi« sei es den Jesuiten zu tun gewesen.46 Diese aber vermögen gleichwohl den Anschein zu erwecken als seien es ihre Glaubensgegner, die ihre Verweisung aus Frankreich betrieben. Sie wiederholen damit ihre bekannte Praxis, alle die jenigen/ so jhnen zu weit in die charten sehen/ andre vor jhrem spiel warnen/ vnnd sich jhrem vornehmen entweders widersetzen oder auch nicht theilhafftig machen wollen/ für Ketzer/ oder ja für solche Leuth/ die mit den Ketzern leichen/ vnd einer Politischen Religion anhengig weren/ auß zuschreien vnd offentlich zu beschüldigen. Vnd ist ihnen gleichwohl anfangs solcher griff nit vbel gerathen/ sondern so lang gut gethan/ biß jhr intent endlich außgebrochen/ vnd die zeit selbsten jhnen das Visier abgezogen/ ihre heucheley entdeckt/ vnd menniglichen (aber vielen gar zu spaht) zu erkennen geben/ warmit sie vnter solchem deckmantel der Religion vnnd angemastem Schaffskleid schwanger gangen.47
Dieses Zitat dürfte reichen, um den in der calvinistischen Pfalz vernehmbaren Ton konfessionspolitischer Polemik hinlänglich prägnant zu charakterisieren. Eine derartige Sprache der Demaskierung forderte zu schonungsloser Abrechnung heraus. Die bestialische Brutalität der Eroberer nach dem Fall Heidelbergs im Jahr 1622, die Ausrottung des calvinistischen Nests, war nicht zuletzt die Antwort auf eine Publizistik nach der Art des Denaisius.
Latein und Deutsch: Friedrich Lingelsheim Schließlich ein Wort über Friedrich Lingelsheim.48 Als ältester Sohn aus der ersten Ehe Georg Michael Lingelsheims mit Claudina Virot studierte er zunächst in Heidelberg Jura, seit 1613 zusammen mit Zincgref in Orléans und starb frühzeitig im Anschluß an eine Bildungsreise nach Italien im Jahr 1616. So wie Denaisius im Zincgrefschen Anhang zur Opitz-Ausgabe mit einem Hochzeitsgedicht auf Georg Michael Lingelsheims zweite Heirat mit der Tochter des angesehenen Heidelberger Oberrats Michael Loefenius hervortrat, so Friedrich Lingelsheim mit einem anläßlich der dritten Ehe seiner Schwester Salome – eines von sieben Geschwistern – mit Petrus de Spina, promoviertem Mediziner (1615 Basel) und seit 1620 Professor für Medizin in Heidelberg, seit 1622 Hofmedikus. ––––––––– 46 47 48
Ebenda, Bl. a7r und Bl. a4r. Ebenda, Bl. a3r. Zu Friedrich Lingelsheim vgl. den Doppeleintrag zu diesem und seinem Vater Georg Michael Lingelsheim mit der Bekanntmachung wichtiger neu aufgefundener Texte und der – spärlichen – Literatur von Axel E. Walter. in: Frühe Neuzeit in Deutschland (Anm. 33) IV (2015), Sp. 141– 153.
Folgenreiche Exkursion: Bei Bernegger in Straßburg
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Über die Lingelsheims liefen die Kontakte zu den jüngeren Heidelberger Dichtern, insbesondere Zincgref. Der soziale Status dieser Schicht ist eindeutig. Die erwähnten Personen um Georg Michael Lingelsheim – mit Ausnahme von Schede Melissus und dem Jurastudenten Friedrich Lingelsheim – »gehören der höchsten bürgerlichen Beamtenschicht der Pfalz an« und sind als solche klar geschieden von der Schicht der Kirch- und Schuldiener bzw. den Mitgliedern der Artistenfakultät, über die Dieter Mertens instruktiv am Beispiel von Johannes und Thomas Ludolf Adam gehandelt hat.49 Besonders aufschlußreich sind die gleichfalls von Mertens aufgedeckten ästhetischen Konsequenzen dieser sozialen Differenzierung. Für die niederen, mit geringerem sozialen Prestige ausgestatteten akademischen Berufe bleibt das Lateinische Vehikel und Ausdruck beruflicher Qualifikation. »Solange und überall dort, wo dieser funktionale Zusammenhang zwischen Beruf und Dichten besteht, sind im Druck publizierte deutsche Gedichte kaum zu erwarten.« Für die akademische und beamtete Oberschicht in der Pfalz »besteht kein solcher Zusammenhang zwischen Beruf und Dichten, so daß in ihrer Poesie Sprache, Formen und Motive ohne berufsbezogene Rechtfertigungen und Rücksichten Verwendung finden können.«50 Sie ist es denn auch, die ohne Statusgefährdung das Experiment einer deutschsprachigen Kunstdichtung wagen kann.
Folgenreiche Exkursion: Bei Bernegger in Straßburg Diese Heidelberger Dichter und Gelehrten verfügten über traditionelle enge Beziehungen zum Oberrhein, insbesondere zur reformierten Minorität in Straßburg.51 Das gleiche gilt für die schlesische Intelligenz, die wie nach Heidelberg, so nach Straßburg und Basel ausgerichtet war. Auch Opitz nahm von Heidelberg aus die Gelegenheit wahr, der berühmten alten Reichsstadt einen Besuch abzustatten. Er galt dem Haupt ––––––––– 49 50 51
Mertens: Zu Heidelberger Dichtern (Anm. 7), S. 228. Ebenda, S. 230 und S. 229. Straßburg hat in den letzten Jahrzehnten im Mittelpunkt historischer, konfessions- und bildungsgeschichtlicher Forschungen gestanden. An dieser Stelle sei aus der Literatur nur verwiesen auf: Anton Schindling: Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621.- Wiesbaden: Steiner 1977 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 77. Abt. Universalgesch.); Strasbourg au cœur religieux du XVIe siècle. Hommage à Lucien Febvre. Edité par Georges Livet, Francis Rapp, Jean Rott.- Strasbourg: Librairie Istra 1977 (Société savante d’Alsace et des régions de l’Est. Collection ›Grandes publications‹; 12); Thomas A. Brady, Jr.: Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg.- Leiden: Brill 1978 (Studies in Medieval and Reformation Thought; 22); Erdmann Weyrauch: Konfessionelle Krise und soziale Stabilität. Das Interim in Straßburg (1548–1562).- Stuttgart: KlettCotta 1978 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit; 7); Histoire du Gymnase Jean Sturm. Berceau de l’Université de Strasbourg 1538–1988. Textes réunies et publ. par Pierre Schang et Georges Livet.- Strasbourg: Ed. Oberlin 1988 (Publications de la Société savante d’Alsace et des régions de l’Est; 34); James Kittelson: Toward an Established Church. Strasbourg from 1500 to the Dawn of the Seventeenth Century.- Mainz: von Zabern 2000 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 182). Zurückverwiesen sei auch auf die wichtige, in Anm. 25 zitierte Arbeit von Höpfner.
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des Straßburger Humanismus, das in engstem Kontakt mit den Heidelbergern und vor allem Lingelsheim stand: Matthias Bernegger.52 Damit verschaffte sich Opitz in jungen Jahren – vermittelt über Lingelsheim – nochmals Zugang zu einer der Schlüsselgestalten des europäischen Späthumanismus. Bernegger, seit 1613 Professor für Geschichte an dem berühmten, von Johannes Sturm begründeten Gymnasium, das 1621 in eine Universität umgewandelt wurde, war eben damit befaßt, seine ›Tuba pacis‹ (1621) abzufassen, der schon im Jahr 1620 ein ›Proaulium tubae pacis‹ vorausging. Aus der Perspektive der späteren ›Barockdichtung‹ nimmt sich Berneggers politische Kampfschrift – wie die in die gleiche Zeit fallende Produktion der Heidelberger – revolutionär aus.53 Mit einer Entschiedenheit, die ebenso von politischer Klarsicht wie von emotionaler Abscheu gegenüber den politischen Machenschaften der Gegenseite gespeist ist, ruft Bernegger in der ›Tuba pacis‹ die Anhänger aller drei Konfessionen im alten Reich zur Einsicht in die Hintergründe der spanischen Hegemonialpolitik und zum geschlossenen Widerstand gegen die drohende, unmittelbar bevorstehende Überwältigung auf. Insbesondere die Katholiken in Deutschland sucht er zu überzeugen, daß ihr konfessionelles Anliegen bei den Spaniern und ihren Handlangern, den Jesuiten, keineswegs aufgehoben sei, sondern von den kühl rechnenden Taktikern nur dazu benutzt werde, einen Stützpunkt im Reich zu gewinnen. Die Parteinahme ist also nicht umstandslos antikatholisch. Vielmehr sucht Bernegger alle konfessionspolitischen Fraktionen des alten Reichs zum Widerstand – und das heißt zunächst: zur Einigung – zu motivieren. Ein solches Vorhaben setzt den Verzicht auf eine dogmatische Profilierung der Konfessionen voraus. Im Werk Berneggers gehen antispanische Militanz und konfessionelle Toleranz eben jene Symbiose ein, wie sie so besonders typisch ist für die Gruppe der ›politiques‹ in Frankreich, darüber hinaus jedoch überall im Umkreis von Späthumanismus und Reformiertentum ihre Anhänger hat. Einher geht diese mit dem Aufstieg des absolutistischen Staats verbundene Orientierung mit einer Instrumentalisierung der überkommenen wissenschaftlichen Disziplinen. Bernegger hat denn auch darauf bestanden, in Straßburg neben der Geschichte die Politik vertreten zu können. Und das nicht in einem unverbundenen Nebeneinander, sondern in der Aktualisierung der Geschichte als Exemplum für die sachgemäße Erkenntnis und Lösung gegenwärtiger politischer Probleme. Das Vorbild gab ihm die ––––––––– 52
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Zu Bernegger vgl. die Einträge von Herbert Jaumann in: ders.: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Band I: Bio-bibliographisches Repertorium.- Berlin, New York: de Gruyter 2004, S. 89 f., sowie von Wilhelm Kühlmann in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. I (2008), S. 478 f. Grundlegend geblieben ist Carl Bünger: Matthias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Straßburgs zur Zeit des dreißigjährigen Krieges.- Straßburg: Trübner 1893. Vgl. auch Erich Berneker: Matthias Bernegger, der Straßburger Historiker.- In: Julius Echter und seine Zeit. Hrsg. von Friedrich Merzbacher.- Würzburg: Echter 1973, S. 283–314, sowie den Beitrag von dem langjährigen Leiter des Straßburger Stadtarchivs François-Joseph Fuchs: Matthias Bernegger und die Anfänge der Straßburger Universität.- In: Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard. Hrsg. von Friedrich Seck.- Sigmaringen: Thorbecke 1995 (Contubernium; 41), S. 27–40. Vgl. Waltraud Foitzik: ›Tuba Pacis‹. Matthias Bernegger und der Friedensgedanke des 17. Jahrhunderts.- Diss. phil. Münster 1955 (masch.).
Konfessionspolitische Spezifizierung: Luthertum und Calvinismus
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Gestalt des Justus Lipsius ab, dessen ›Politik‹ mit dem Herzstück der ›prudentia civilis‹ er in den akademischen Unterricht in Straßburg einführte.54 Mit Lipsius ist Bernegger auch verbunden im Versuch einer produktiven Rezeption der Gestalt des Tacitus, dessen politischer Realismus unter den Bedingungen der römischen Kaiserzeit im Zuge des sich formierenden Absolutismus – wie auf andere Weise die Philosophie Senecas – eben jetzt ein geschärftes Interesse fand.55 Nimmt man hinzu, daß der antikatholische Impetus Berneggers getragen ist von einem lebhaften Plädoyer für die deutsche Muttersprache – so etwa im ›Suetonianischen Fürstenspiegel‹ (1625) –, daß Bernegger die jungen Heidelberger Dichter lebhaft ermunterte und dementsprechend auch später Opitzens erste, in Straßburg erschienene und von Zincgref veranstaltete Ausgabe seiner Gedichte betreute, so dürfte deutlich sein, daß Opitz in Straßburg nochmals einen Mentor fand, der die zukunftsweisenden Elemente der europäischen Bildung um 1600 mit sicherer Hand zusammenfaßte und in seinem Irenismus und humanistischen ›Nationalismus‹ auch noch – wie die Gestalt Georg Philipp Harsdörffers zeigt – die folgende Generation prägte. Von dem maßgeblich mit Heidelberg und den Dichtern im Pfälzer Umkreis und zumal Straßburgs verbundenen Projekt der Schaffung einer ersten Ausgabe der Gedichte Opitzens wird angesichts der besonderen Wichtigkeit in einem eigenen Kapitel unseres Buches gehandelt werden. Wir aber haben zunächst den historischen Bogen noch einmal aufzuspannen, wie er sich mit dem Namen der Kurpfalz und ihres Fürsten in dessen letzter Phase verbindet. Opitz weilte seit 1618 in der Stadt. Er war Zeuge der atemberaubenden Ereignisse und nahm publizierend teil an ihnen. Wiederum ist ein großer Text von ihm sogleich vorzustellen. Das aber kann nur gelingen in genauer Kenntnis der denkwürdigen Aktionen, die das Antlitz Mitteleuropas verändern sollten.
Konfessionspolitische Spezifizierung: Luthertum und Calvinismus Das böhmische Unternehmen Friedrichs V. und seine publizistische dichterische Begleitung bezeichnet nicht nur eine Wende im Leben Opitzens, sondern in der Formierung der deutschen Literatur schlechthin. Man darf es mit Recht als ein geschichtliches Datum von europäischem Rang bezeichnen. Der faktische Hergang ist oft genug ––––––––– 54
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Dazu – neben der oben Anm. 51 zitierten Arbeit von Schindling – auch das Kapitel: Paradigmenwechsel: Matthias Bernegger (1582–1640) als Vertreter der politisch-historischen Philologie des Frühbarock.- In: Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalter.- Tübingen: Niemeyer 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 3), S. 43–66. Vgl. das – in der Literaturwissenschaft bislang kaum wahrgenommene – Kapitel: Tacitismus und Neustoizismus, in: Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band I: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800.- München: Beck 1988, S. 93–104. Vgl. darüberhinaus auch von Wilhelm Kühlmann: Geschichte als Gegenwart: Formen der politischen Reflexion im deutschen ›Tacitismus‹ des 17. Jahrhunderts.- In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sebastian Neumeister, Conrad Wiedemann. Teil I–II.- Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 14), Band II, S. 325–348 (mit reicher Literatur).
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Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Wir kommen auf Einzelnes zurück. Hier geht es um die Ausleuchtung der Hintergründe, die stets verknüpft sind mit konfessionellen Optionen. Zu den prägenden Erfahrungen, die der Pfalz sowie ihren Repräsentanten im Kontakt mit dem westeuropäischen Calvinismus zuteil geworden waren, gehörten jene des Bürgerkriegs und des aktiven Widerstands gegen die etablierte katholische Obrigkeit. Eine solche hatte sich im Raum des Luthertums nicht durchzusetzen vermocht. Der Schmalkaldische Krieg war in der Geschichte des Protestantismus eine Episode geblieben. Das Schmalkaldische Bündnis selbst war von vornherein als reines Defensivbündnis konzipiert worden. »Seine Führer verstanden es nicht, ihren Kampf unter ein positives politisches Ziel zu stellen, von dem eine werbende Kraft ausging.«56 Hatte das Folgen, dann die Beförderung noch größerer Skrupel bei der Agitation gegen den Kaiser. Diese wurden nicht nur durch die Niederlage genährt, die die Evangelischen bei ihrem ersten kriegerischen Auftreten sogleich bitter zu schmecken bekamen. Sie waren der lutherischen Theologie selbst inhärent. Indem sie ihr ganzes Gewicht auf die innere Erneuerung, die innere Glaubenserfahrung legte, sank das Äußere zu einem Sekundären herab. Staat und Gesellschaft nahm Luther denn auch als gegebene Größen hin. Lag über der Sanktionierung des ständischen Ordo-Gedankens der Widerschein göttlicher Schöpfungsordnung, der seine Weiterbildung in der ständischen Berufsethik Luthers fand, so nahm der Staat in Luthers Anschauung zunehmend den Charakter einer gottverordneten Zwangsanstalt an. Der schroffe Dualismus der Lutherschen Theologie fand darin sein Analogon. Ist die menschliche Natur nur sola gratia gerechtfertigt, der Akt der Gnade ganz ins Innere verlegt, so müssen um so striktere Vorkehrungen getroffen werden, um die abgefallene Natur im äußeren, staatlichen Bereich zu zügeln. Eine utopische Perspektive im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich ist dem Luthertum daher fremd. Der Kampf mit dem linken Flügel der Reformation ist in der Lutherschen Theologie selbst vorgezeichnet. Der tiefe Pessimismus ihrer Anthropologie begünstigt die Hinnahme staatlicher Gewalt per se ebenso wie sie die Artikulation eines prononcierten Widerstandsrechts verhindert.57 ––––––––– 56
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Ernst Walter Zeeden: Die europäischen Staaten 1450-1660. Deutschland von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Westfälischen Frieden 1648.- In: Handbuch der europäischen Geschichte. Hrsg. von Theodor Schieder. Band III: Die Entstehung des neuzeitlichen Europa. Hrsg. von Josef Engel.- Stuttgart: Klett-Cotta 1971, S. 445–580, S. 536. Verwiesen sei hier auf den von Gunther Wolf herausgegebenen Sammelband: Luther und die Obrigkeit.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972 (Wege der Forschung; 85). Darin eine Auswahlbibliographie für das Schrifttum zwischen 1910 und 1970, S. 469–482. Vgl. auch die einschlägigen Beiträge in: Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen. Hrsg. von Heinz-Horst Schrey.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1969 (Wege der Forschung; 107), hier S. 557–566 ebenfalls eine reiche Bibliographie zum Thema, sowie die ›Bibliographie zur Zwei-Reiche-Lehre‹ in: Zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers. Mit einer Einführung von Gerhard Sauter und einer kommentierten Bibliographie von Johannes Haun.- München: Kaiser 1973 (Theologische Bücherei; 49), S. 215–245. Grundlegend insbes. die Arbeiten von Johannes Heckel. Hier sei nur verwiesen auf: Im Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre. Zwei Abhandlungen zum Reichs- und Kirchenbegriff Martin Luthers.- München: Kaiser 1957 (Theologische Existenz heute. N.F.; 55). Zum Kontext Hans Scholl: Reformation und Politik. Politische Ethik bei Luther, Calvin und den Frühhugenotten.- Stuttgart [etc.]: Kohlhammer 1976 (Urban-Taschenbücher; 616). Ergiebig auch die beiden Sammelbände: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Prote-
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Ganz anders dagegen im Calvinismus. Die Idee der Prädestination war hier unlösbar an die Manifestation im individuellen, im kirchlichen und im staatlichen Bereich geknüpft. Die Affinität der Calvinschen Theologie zum Alten Testament realisiert sich nicht zuletzt in ihrer ausgeprägten theokratischen Substanz. Gehört es zur religiösen Verpflichtung des Calvinisten, für eine im göttlichen Gebot fundierte politische Ordnung zu wirken, so ist darin das Recht und die Pflicht zum Widerstand gegen eine Obrigkeit eingeschlossen, die gegen dieses Gebot verstößt. Der theokratische Utopismus hat daher sein Äquivalent in den Theorien der Monarchomachen gefunden. Jenseits der Theorie jedoch legte der Calvinismus im Raum der Geschichte ein bleibendes Zeugnis seines theologischen wie politischen Heroismus in den Bürgerkriegen in England, Frankreich und den Niederlanden ab.58 –––––––––
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stanten 1523–1546. Hrsg. von Heinz Scheible.- Gütersloh: Mohn 1969 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte; 10); Widerstandsrecht. Hrsg. von Arthur Kaufmann in Verbindung mit Leonhard E. Backmann.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972 (Wege der Forschung; 173). Vgl. das klassische, inkommensurable Werk zum gesamten Fragenkomplex: Ernst Troeltsch: Gesammelte Schriften. Band I: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen.- Tübingen: Mohr 1912. Dritte, photo-mechanisch gedruckte Auflage.- Tübingen: Mohr 1923. Reprint Aalen: Scientia 1961. Hier im dritten Kapitel ›Der Protestantismus‹ die beiden ersten Abschnitte: ›Das soziologische Problem des Protestantismus‹ und ›Das Luthertum‹, S. 427–512 und S. 512– 605. Aus der neueren Literatur sei hier nur verwiesen auf die große Monographie von Irene Dingel: Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts.- Heidelberg: Verein für Reformationsgeschichte 1996 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte; 63). Aus der reichen Forschungsliteratur sei verwiesen auf das große und schlechterdings grundlegende Kapitel ›Der Calvinismus‹ in dem in der voranstehenden Anmerkung ausgewiesenen Werk Troeltschs, S. 605–794. Vielfach darauf fußend und ausdrücklich auf Troeltsch Bezug nehmend die aus einer Dissertation hervorgegangene Arbeit des Meinecke-Schülers und späteren großen Renaissance-Forschers Hans Baron: Calvins Staatsanschauung und das Konfessionelle Zeitalter.Berlin, München: Oldenbourg 1924 (Historische Zeitschrift. Beiheft; 1). Aus den zahlreichen Arbeiten des führenden Calvin-Forschers Josef Bohatec sei hier erwähnt: Calvin und das Recht.Feudingen: Buchdruckerei und Verlagsanstalt; Graz: Böhlau 1934. Reprint Aalen: Scientia 1971; ders.: Calvins Lehre von Staat und Kirche. Mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens.- Breslau: Marcus 1937 (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte; 147). Reprint Aalen: Scientia 1968. Hier in der Einleitung ein instruktiver Forschungsbericht. Hervorzuheben die Untersuchung von Ludwig Cardauns: Die Lehre vom Widerstandsrecht des Volks gegen die rechtmässige Obrigkeit im Luthertum und im Calvinismus des 16. Jahrhunderts.Diss. phil. Bonn 1903; Gisbert Beyerhaus: Studien zur Staatsanschauung Calvins. Mit besonderer Berücksichtigung seines Souveränitätsbegriffs.- Berlin: Trowitzsch 1910 (Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche; 7); Kurt Wolzendorff: Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des modernen Staatsgedankens.- Breslau: Marcus 1916 (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte; 126). Reprint Aalen: Scientia 1968. Vgl. auch John William Allen: A History of Political Thought in the Sixteenth Century.New York: Barnes & Noble 1928. Reprint with revised Bibliographical Notes.- London: Methuen 1957, S. 49–72; Pierre Mesnard: L’essor de la philosophie politique au XVIe siècle. Troisième édition.- Paris: Vrin 1977 (De Pétrarque à Descartes; 19), S. 267–385: ›Un effort de reconstruction: la politique calviniste‹ (Erstauflage 1936); Quentin Skinner: The Foundations of Modern Political Thought. Band I: The Renaissance. Band II: The Age of Reformation.- Cambridge [etc.]: Cambridge University Press 1978, Band II, S. 187–358: ›Calvinism and the Theory of Revolution‹. Dieser Band, ein glänzend disponiertes dreiteiliges Werk (Part one: ›Absolutism and the Lu-
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Die Pfalz als Vorhut des Calvinismus in Deutschland war in diese konfessionspolitischen Auseinandersetzungen mehr als einmal verwickelt. Friedrich III., der Begründer des Pfälzer Calvinismus, hatte bei seinen Hilfsaktionen noch Vorsicht walten lassen. Unter Johann Casimir und Friedrich IV. häuften sich dann die militärischen und finanziellen Interventionen in Frankreich und den Niederlanden zur Unterstützung der bedrängten Glaubensgenossen. In ihnen gewann das Haupt der Pfälzer Politik, Christian von Anhalt, zum einen seine militärischen und strategischen Erfahrungen, zum anderen aber auch die Grundbegriffe seines politischen Katechismus. Ganz anders als in den binnendeutschen lutherischen Territorien bildete sich in dem Außenposten des deutschen Protestantismus in direktem politischen und militärischen Kontakt mit den westeuropäischen Staaten ein Bewußtsein der militanten Kraft der Gegenreformation und damit zugleich ein Bewußtsein der Gefahren, die dem Bestand des Protestantismus auf europäischer Ebene insgesamt drohten.59 Hier haben die gleichfalls von Christian von Anhalt unermüdlich betriebenen Unierungs- und Bündnis-Aktivitäten der Pfalz ihren Ursprung. Stets traten im Calvinismus – und so auch in der Pfalz – irenische und polemisch kämpferische Züge hart nebeneinander auf.60 Die vermeintliche Aporie löst sich auf, sofern sie ins geschichtliche Kräftefeld zurückprojiziert wird. Gegenüber dem lutherischen Protestantismus sind von calvinistischer Seite im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts alle erdenklichen –––––––––
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theran Reformation‹; Part two: ›Constitutionalism and the Counter Reformation‹; Part three: ›Calvinism and the Theory of Revolution‹), ist ausgestattet mit einer umfassenden Bibliographie. Nochmals sei verwiesen auf das Werk von Troeltsch (Anm. 57) mit dem großen Kapitel ›Der Calvinismus‹, S. 605–794. Eine Bresche schlug ein im Jahr 1985 vom Verein für Reformationsgeschichte abgehaltenes Kolloquium. Vgl.: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der ›Zweiten Reformation‹. Hrsg. von Heinz Schilling.- Gütersloh: Mohn 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 195). Die letzte eindrucksvolle Dokumentation, versehen mit reichhaltiger Literatur: Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin und der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Hrsg. von Ansgar Reiss, Sabine Witt.- Dresden: Sandstein 2009. Vgl. Aart A. van Schelven: Der Generalstab des politischen Calvinismus in Zentraleuropa zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges.- In: Archiv für Reformationsgeschichte 36 (1939), 117–141. Speziell zum Pfälzer Kontext: Peter Krüger: Die Beziehungen der Rheinischen Pfalz zu Westeuropa 1576–82. Die auswärtigen Beziehungen des Pfalzgrafen Johann Casimir 1576–82.- Diss. phil. München 1964 (masch.); Bernard Vogler: Die Rolle der Pfälzischen Kurfürsten in den französischen Religionskriegen (1559–1592).- In: Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 37/38 (1970/71), Teil I, S. 235–266. Zu Christian von Anhalt in seiner Funktion als Heerführer: Julius Krebs: Christian von Anhalt und die Kurpfälzische Politik am Beginn des dreissigjährigen Krieges (23. Mai – 3. Oktober 1618).- Leipzig: Duncker & Humblot 1872. Jetzt sehr instruktiv: Cornel A. Zwierlein: Heidelberg und ›der Westen‹ um 1600.- In: Späthumanismus und reformierte Konfession (Anm. 5), S. 27–92. Sehr schön gezeigt in der Untersuchung von Wilhelm Holtmann: Die Pfälzische Irenik im Zeitalter der Gegenreformation.- Diss. theol. Göttingen 1960 (masch.). Vgl. auch Tobias Sarx: Heidelberger Irenik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges.- In: Union und Liga (Anm. 15), S. 167– 196. Schließlich liegt eine instruktive Arbeit vor in: Herman Selderhuis: Frieden aus Heidelberg. Pfältzer Irenik und melanchthonische Theologie bei den Heidelberger Theologen David Pareus (1548–1622) und Franciscus Junius (1545–1602).- In: Konfrontation und Dialog. Philipp Melanchthons Beitrag zu einer ökumenischen Hermeneutik. Hrsg. von Günter Frank, Stephan MeierOeser.- Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006 (Schriften der Europäischen Melanchthonakademie Mainz; 1), S. 235–257.
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Anstrengungen wenn nicht zur Verschleifung der dogmatischen Gegensätze, so doch zu ihrer Überwölbung im Zeichen eines gemeinsamen antikatholischen Bündnisses unternommen worden. Insofern tritt im Calvinismus frühzeitig eine moderne irenische Strömung hervor, wie sie – unter ganz anderen Voraussetzungen – auch dem frühmodernen absolutistischen Staat eigen ist. Wenn jedoch der Staat seinen Souveränitätsanspruch kraft konfessionspolitischer Neutralität statuiert, so eignet der calvinistischen Toleranz nichts weniger als Überparteilichkeit im Streit der Konfessionen. Ihr liegt vielmehr die politische Erkenntnis zugrunde, die ihre Führer inspirierte, daß nur mittels Zusammenfassung aller protestantischen Kräfte eine Selbstbehauptung, wenn nicht gar eine Expansion der evangelischen Bewegung möglich sei. Es gehört zur Tragik der Geschichte des europäischen Protestantismus, daß diese Einschätzung im Luthertum nicht nur nicht durchgesetzt werden konnte, sondern zunehmend auf Widerstand stieß. Der Untergang des Philippismus und der Sieg der Orthodoxie in Kursachsen stehen dafür paradigmatisch ein.61 Kursachsen ist es – mit Ausnahme der kurzen Episode Christians I. – denn auch vor allem anzulasten, daß alle Bündnisbestrebungen entweder sabotiert oder nur mit ängstlichem Blick auf Kaiser und Reich exekutiert wurden. Es muß wie ein Siegel auf die politischen Aporien der lutherischen Theologie wirken, daß ausgerechnet das Ursprungsland der Reformation diese Wendung nahm, wie sie schließlich im Separatfrieden mit dem Kaiser definitiv ratifiziert wurde. Schwerlich dürfte zu übersehen sein, wie sich in dieser Abwehrstellung gegenüber dem Calvinismus – Philippisten werden bezeichnenderweise immer wieder als ›Kryptocalvinisten‹ denunziert – ein Bewußtsein der Unterlegenheit, wo nicht gar des Verrats gegenüber dem dynamischen, welterobernden Impetus des Protestantismus regt, der aus der Orthodoxie vertrieben war und im westeuropäischen Calvinismus fortlebte. Der zunehmenden Isolierung der Pfalz gegenüber den lutherischen Territorien korrespondierte notwendig eine intensivierte Bündnispolitik mit dem westeuropäischen Ausland. Und auch hier muß es aus der Optik der protestantischen Sache als verhängnisvoll bezeichnet werden, daß dieser Politik nur zögernd Unterstützung zuteil wurde. Frankreichs großangelegte antihabsburgische europäische Koalitionspolitik, die sich im Jülicher Erbfolgekrieg hätte bewähren sollen, war nach der Ermordung Heinrichs IV. zusammengebrochen. England operierte unter Jakob I. mit äußerster Vorsicht und stetem Blick nach Wien und hat die Intervention in Böhmen nicht mitgetragen. Die Kräfte der Niederlande schließlich waren zu erschöpft, als daß auf sie ernsthaft hätte gesetzt werden können. So trat zu den Divergenzen in der mit großer Mühe nach mehr als fünfzehn Jahren zustandegebrachten evangelischen Union eine unglückliche außenpolitische Konstellation, die nichts Gutes für das ›böhmische Abenteuer‹ Friedrichs V. verhieß.
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Vgl. Thomas Klein: Der Kampf um die zweite Reformation in Kursachsen: 1586–1591.- Köln, Graz: Böhlau 1962 (Mitteldeutsche Forschungen; 25).
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Dialektik des böhmisch-pfälzischen Aufstandes Diesem Unternehmen ist eine denkwürdige Dialektik inhärent geblieben. Die Interessen Böhmens und der Pfalz koinzidierten nur partiell, d.h. insofern sie die gemeinsame evangelische Sache betrafen. Ansonsten war die Situation der evangelischen Stände Böhmens nicht vergleichbar mit der des ranghöchsten weltlichen Kurfürstentums im alten Reich. Der Konflikt der evangelischen Stände mit den katholischen Habsburgern ist in Österreich selbst, den Ländern der böhmischen Krone – Böhmen, Mähren, Schlesien und den Lausitzen – und in Ungarn klar vorgezeichnet. Mit der Behauptung des evangelischen Bekenntnisses geht es allemal auch um die Wahrung ständischer Autogenität und Libertät gegenüber dem zentralistisch-frühabsolutistischen Anspruch Habsburgs, wie er sich hinter der forcierten Rekatholisierung verbirgt. Dementsprechend mischen sich auch im böhmischen Aufstand ständisch-konservative und konfessionell-protestantische Elemente. Was uns in dieser Zeit als überschäumende und bestimmende Kraft des alten Ständegedankens entgegentritt, ist eine Form der heftigen und leidenschaftlichen, temporär auch sehr wirksamen Reaktion gegen die Neubegründung der Herrschergewalt. Das Ständetum bäumte sich zu einer noch immer imponierenden Höhe auf unter dem Druck der sich stärkenden Fürstenmacht, die in Theorie und Praxis an den Tag trat. Dabei kam diesen adeligen und bürgerlichen Korporationen die konfessionelle Frage außerordentlich zu Hilfe. Die Stände wurden zu Trägern des neuen Glaubens, der durch ihre politische Machtstellung sich erst gegen die Abwehr der alten Kirche und des katholischen Landesfürstentums abschirmen konnte. Es war die wechselseitige Verknüpfung zwischen Ständetum und Protestantismus, welche das eine wie das andere zu größerer Wirkung brachte. Sie profitierten beide von einander.62
Daß diese Deklaration ständischer Autonomie durchaus vom Gedanken der Volkssouveränität begleitet sein konnte – die freilich an die Repräsentanz in den Ständen gebunden blieb – zeigt das politische Konzept des vielleicht größten religiösen Widerstandkämpfers auf deutschem Boden im konfessionellen Zeitalter, Georg Erasmus von Tschernembls. In Konsequenz dieser Vorstellung legte die ›Confoederatio Bohemica‹ von 1619 denn auch ein Wahlkönigtum für Böhmen fest. Die eigentliche Staatsgewalt lag dabei in den Händen einer ständischen Oligarchie, die sich auch das Widerstandsrecht gegenüber dem König sicherte.63 ––––––––– 62
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Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges.- München, Wien: Oldenbourg 1959 (Janus-Bücher. Berichte zur Weltgeschichte; 13), S. 19. Wir verweisen auch zu diesem Problem auf die reiche Literatur bei Garber: Der junge Martin Opitz (Anm. 2), S. 132 f., Anm. 178. Vgl. hierzu Rudolf Stanka: Die böhmische Conföderationsakte von 1619.- Berlin: Ebering 1932 (Historische Studien; 213). Vgl. aus der neueren Literatur etwa Joachim Bahlcke: Modernization and State-building in an East-Central European Estates’ System. The Example of the Confoederatio Bohemica of 1619.- In: Parliaments, Estates & Representation 17 (1997), S. 61–73; Winfried Becker: Ständestaat und Konfessionsbildung am Beispiel der böhmischen Konföderationsakte von 1619.- In: Politik und Konfession. Festschrift Konrad Repgen. Hrsg. von Dieter Albrecht.- Berlin: Duncker & Humblot 1983, S. 77–99. Eine englische Zusammenfassung unter dem Titel ›The Czech confederation of 1619‹ bei Karolina Adamová: První česká federativní ústava z roku 1619.Prag: Ústav Státu a Práva AV ČR [u.a.] 2009 (Ediční řada Ústavu státu a práva AV ČR).
Letzte Blütejahre in Heidelberg
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Hier wäre auch mit dem reformierten böhmischen Königtum der Pfälzer der Konflikt programmiert gewesen, wenn dieses länger als ganze fünfzehn Monate gewährt hätte. Für die Kurpfalz und ihre aktivsten Köpfe, Christian von Anhalt und Ludwig Camerarius, ging es keineswegs um die Konservierung oder Restaurierung ständischer Privilegien, sondern um die Sicherung des evangelischen Bekenntnisses und damit die Abwehr der katholisch-habsburgischen Umklammerung, wie sie sich seit den siebziger Jahren in Auswirkung des Tridentinums immer deutlicher abzeichnete. Zugleich lockte mit dem Gewinn der böhmischen Krone der Erwerb einer weiteren, nämlich dritten evangelischen Kurwürde, und nicht zuletzt schien auf diese Weise der Ausbau der kurpfälzischen Hausmacht garantiert. Wenn also auch auf Pfälzer Seite jene Mischung aus konfessionellen und machtpolitischen Motiven zu beobachten ist, wie sie in den Konfessionskriegen allenfalls aufbrachen, so sind es hier dynastische und nicht ständische Interessen, wie sie im säkularen Bereich vor allem bei Christian von Anhalt aber auch zeitweilig bei Camerarius zum Vorschein kamen. Diese liefen den libertären Interessen der böhmischen Frondeure diametral entgegen, ohne daß der latente Antagonismus in der kurzen Spanne, die dem Winterkönigtum Friedrichs V. beschieden war, hätte zum Ausbruch kommen können. Gewiß liegt hier jedoch einer der Gründe für die äußerste Reserve, der Friedrich beim Rothenburger Unions-Treffen sogleich nach seiner Wahl zum böhmischen König begegnete. Die Vormacht der Pfalz im alten Reich – gerade gegenüber Kursachsens – wäre endgültig besiegelt gewesen.
Letzte Blütejahre in Heidelberg Deren Blütejahre hoben noch unter Friedrich IV. an. Heidelberg wurde zunehmend ein kulturelles Zentrum. Hierzu trugen nicht zuletzt Glaubensflüchtlinge aus den spanischen Niederlanden und aus Frankreich, Wallonen und Hugenotten bei. Von ihnen profitierte auch die berühmte Heidelberger Universität als älteste auf deutschem Boden, an der nun vorwiegend reformierte Gelehrte lehrten, viele davon aus der Schweiz und aus Frankreich, gelegentlich aus den Niederlanden. Der Einzugsbereich erweiterte sich auf das calvinistische Europa. Heidelberg wurde zum ›deutschen Genf‹ und nach der Gründung von Leiden, wovon alsbald zu sprechen ist, zum ›dritten Genf‹. Keine Volksgruppe profitierte davon mehr als die Schlesier.64 Die Internationalisierung kam zugleich in der Heiratspolitik zum Ausdruck. Zwar gelang es nicht, den Pfälzer Administrator Johann Casimir mit Elisabeth von England zu verheiraten. Kurfürst Friedrich IV. vermochte jedoch die Tochter Wilhelms I. von Oranien heimzuführen. Der spektakulärste Akt stand jedoch noch bevor. Im Jahr 1610 war der Kurfürst mit nur 36 Jahren gestorben. Der älteste, erst vierzehnjährige Sohn wurde von der Ritterakademie zu Sedan, wo er in der calvinistischen Hochburg eine ––––––––– 64
Vgl. Frieder Hepp: ›Der Pfaltz Haupt flecken‹. Heidelberg um 1600.- In: Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz (unten Anm. 69), S. 75–82; ders.: Auf dem Gipfel der Macht. Die Residenzstadt Heidelberg unter Kurfürst Friedrich V.- In: Der Winterkönig. Königlicher Glanz in Amberg (vgl. unten Anm. 69), S. 74–84.
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glänzende Ausbildung erhielt, zurückbeordert nach Heidelberg. Die Vormundschaft fiel gemäß der Verfügung Friedrichs an das gleichfalls calvinistische Haus von PfalzZweibrücken, während das lutherische Pfalz-Neuburg das Nachsehen hatte. Das Interim aber währte nur kurze Zeit. Denn schon drei Jahre später ging ein spektakuläres Ereignis über die Bühne, das die Pfalz und seine Residenz mit einem Schlag in den Blickpunkt der vornehmen Welt Europas rückte – und zugleich literarische Manifestationen zeitigte, die auch einen Opitz in Bann schlagen mußten.65 Im Dezember des Jahres 1612 erfolgte die Verlobung Friedrichs V. mit Elisabeth der Tochter des Stuart-Königs Karl I. von England. Im Januar des folgenden Jahres schloß sich die Ratifizierung des Heiratsvertrages an, dem schwierige Verhandlungen vorausgegangen waren. Gekrönt wurden die zeremoniellen Prolegomena einen Monat später durch die Verleihung des Hosenbandordens an den Bräutigam. Aus dem Pfalzgrafen war der ›Prince Palatine‹ geworden. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden am Abend des 21. Februar mit einem Feuerwerk auf der Themse eröffnet. Ein Paar wurde gefeiert, das mit einem Schlag zum Hoffnungsträger des evangelischen Europa aufrückte. Das prunkvolle höfische Agieren setzte sich beim Einzug des Brautpaares im Juni 1613 in Heidelberg fort. Mehrere Tage währte das festliche Treiben, in dessen Verlauf sich Friedrich nach absolvierter Englandfahrt in antiker Rüstung als alter und neuer Argonautenführer Jason präsentierte. Als solcher ist er auf einer Statue des Heidelberger Schlosses verewigt. Die Verbindung einer Angehörigen des Hauses Stuart mit dem Pfälzer Kurprinzen und alsbaldigen König zeitigte ein opulentes festliches Bouquet, wie es kaum jemals vorher zustande gekommen war. Und die Residenz hatte ihren gehörigen Anteil an dem splendiden fürstlichen Gebaren, das unter Friedrich V. seinen Höhepunkt erreichen sollte. Die Um- und Ausgestaltung des Schlosses, die Friedrich IV. bereits in die Wege geleitet hatte, wurde fortgesetzt. Und eben jetzt nahm auch der ›Hortus Palatinus‹ seine bis heute bewahrte Gestalt an. Schloß und Garten oberhalb des Neckars bildeten ein einmaliges Ensemble. Die Pfalz hatte ein architektonisches Wahrzeichen fürstlicher Macht und Kultur erhalten, das den nunmehr zügig beschrittenen Weg von der Kur- zur Königswürde sinnfällig unterstrich. Ein glänzendes Kapitel höfischer Festkultur wurde in den nur allzu knapp bemessenen Jahren entrollt. ––––––––– 65
Vgl. den – spektakulären, mit zahlreichen einschlägigen Beiträgen und reicher Literatur ausgestatteten – Sammelband: The Palatine Wedding of 1613: Protestant Alliance and Court Festival. Hrsg. von Sara Smart, Mara R. Wade.- Wiesbaden: Harrassowitz 2013 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung; 29). Zum Kontext: Benita Berning: ›Nach altem löblichen Gebrauch.‹ Die böhmischen Königskrönungen der Frühen Neuzeit (1526–1743).- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2008 (Stuttgarter Historische Forschungen; 6). Darin das Kapitel: Kontinuität statt Stiftung neuer Traditionen. Friedrich von der Pfalz (1619), S. 133–154. Hinzuzunehmen die Monographie von Christof Ginzel: Poetry, Politics and Promises of Empire. Prophetic Rhetoric in the English and Neo-Latin Epithalamia on the occasion of the Palatine Marriage in 1613.- Göttingen: V&R unipress 2009 (Super alta perennis. Studien zur Wirkung der Klassischen Antike; 7). Und erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die gehaltreiche Abhandlung von Jane O. Newman: Marriages of Convenience: Patterns of Alliance in Heidelberg Politics and Opitz’s Poetics.- In: Modern Language Notes 100 (1985), S. 537–576.
Eine königliche Hommage Weckherlins
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Eine königliche Hommage Weckherlins Wir aber haben für einen Moment eines literarischen Ereignisses mit Blick auf Opitz zu gedenken. Dieser hatte im fernen Breslau selbstverständlich keine Möglichkeit und auch keine Veranlassung, seinerseits poetisch herüberzugrüßen an den Neckar. Diese Rolle wurde von einem anderen wahrgenommen, von dem wir gehört haben und der uns weiterhin begegnen wird, blieb er doch der geheime literarische Hoffnungsträger im Südwesten. Am Stuttgarter Hof bestimmte Georg Rodolf Weckherlin den höfischen Festkalender für eine knapp bemessene Weile maßgeblich.66 1616 war er mit einem ›Triumf‹ anläßlich einer Taufe im fürstlichen Hause hervorgetreten, und das sowohl in deutscher wie in englischer Version. Schon hier fällt auf, daß die Festbeschreibung immer wieder mit Liedeinlagen versehen ist, zu denen gelegentlich auch ›heroische‹ Verse im Alexandriner treten, in denen der Autor sein lyrisches Talent unter Beweis stellt. Zwei Jahre später war er noch einmal mit einer ausgedehnten Festbeschreibung anläßlich einer Taufe und einer Hochzeit im herzoglichen Haus Württemberg zu vernehmen. Hinzu gesellte sich noch im gleichen Jahr die ›Beschreibung‹ eines Balletts, das natürlich auf Weckherlins Erfindung zurückging. Nun wurden der Herzog und seine Brüder mit französischen Versen begrüßt. Es war klar, daß hier ein begnadeter Dichter gleich zu Beginn des Jahrhunderts seine Rolle als Hofpoet gefunden hatte. Diese Charge sollte erst wieder anläßlich der Feierlichkeiten zum Westfälischen Friedensschluß weithin sichtbar besetzt werden. Sie war einem Opitz denkbar fremd oder – und womöglich etwas vorsichtiger: Die passenden Gelegenheiten boten sich ihm nicht. Auf derart imponierende Weise für den Pfälzer Hof tätig zu werden, kam für den in Stuttgart verpflichteten Weckherlin nicht in Frage. Doch der ingeniöse Dichter fand einen anderen Weg. 1618 erschienen in Stuttgart Weckherlins ›Oden und Gesänge‹. Sie waren im Vorspann als ein ›erstes Buch‹ ausgewiesen. Es sollte sich also Weiteres anschließen. Tatsächlich trat schon ein Jahr später ein ›ander Buch‹ hinzu. Dabei blieb es bis in die vierziger Jahre hinein.67 Weckherlin, inzwischen in England, wo er schon vorher immer wieder geweilt hatte, eröffnete sein Werk – im Anschluß an ein Gedicht auf sein Buch, wie es unter den Humanisten üblich war – mit einer großen Huldigung ––––––––– 66
67
Vgl.: Stuttgarter Hoffeste. Texte und Materialien zur höfischen Repräsentation im frühen 17. Jahrhundert. Hrsg. von Ludwig Krapf, Christian Wagenknecht.- Tübingen: Niemeyer 1979 (Neudrucke deutscher Literaturwerke; 26). Vgl. jetzt auch zum Kontext: Richard E. Schade: Court Festival Culture During the Reign of Duke Friedrich von Württemberg (1593–1608).- In: Daphnis 32 2003), S. 83–118; Hofkultur um 1600. Die Hofmusik Herzog Friedrichs I. von Württemberg und ihr kulturelles Umfeld. Hrsg. von Joachim Kremer, Sönke Lorenz, Peter Rückert.- Ostfildern: Thorbecke 2010 (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte; 15). Vgl.: [Titelkupfer:] Oden vnd Gesänge Durch Georg Rodolf Weckherlin. [Gesetzter Titel:] Das Erste Buch Oden vnd Gesäng. [Kolophon:] Stutgardt/ Getruckt bey Johan-Weyrich Rößlin/ Jm Jahr 1618. [Gesetzter Titel:] Das ander Buch Oden vnd Gesäng. Durch Georg-Rodolf Weckherlin. [Kolophon:] Stutgart/ Gedruckt bey Johan-Weyrich Rößlin. Jm Jahr 1619. Die beiden Bücher der ›Oden‹ wieder abgedruckt in: Georg Rudolf Weckherlins Gedichte. Hrsg. von Hermann Fischer. Band I–III.- Stuttgart 1894–1907 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 199, 200, 245). Reprint: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1968.
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der Pfälzischen Kurfürstin und ›Gebornen Königlichen Princessin auß Groß-Brittanien‹ Elisabeth.68 Ihr galt das erste Wort, und nicht seinem Dienstherren, dem Markgrafen zu Baden Georg Friedrich, dem der zweite Band gewidmet ist. Der Diplomat, zu dem Weckherlin aufgerückt war, begrüßte die von der Themse an den Neckar gelangte Pfalzgräfin gleich in vier Sprachen. Zu dem Lateinischen und Englischen traten das Französische und Deutsche, und sorgfältig wurde auf Parität achtgegeben; je fünf Zeilen stehen in der Viererfolge zur Verfügung. Die deutschsprachigen Verse machen stets den Schluß, und mit ihnen fährt der Dichter nach Absolvierung der reizvollen polyglotten Einlage sodann auch fort. Weckherlin hat auf den Alexandriner verzichtet, schlägt einen liedhaften vierhebigen Ton an, unbesorgt um die akzentuarischen Regularien, so daß über die lockere versifikatorische Handhabe eine Nähe zu der Fürstin spürbar wird, wie sie Opitz in jedem Fall sich verboten hätte. Ein leichtfüßiges Eingangsgedicht ist zustande gekommen, das seine Fortsetzung in der ersten Ode empfängt, die der Heimführung der Kurfürstin aus England an den Neckar gewidmet ist. Strophe, Antistrophe und Epode wechseln in Horazischer Manier einander fünfmal ab, bevor in einer zweiten Ode dem Herzog zu Württemberg Johann Friedrich gehuldigt wird. So nimmt Weckherlin noch vor Opitz im Südwesten das Amt der Regentenhuldigung poetisch überzeugend wahr. Wäre der Pfälzer Herrschaft Dauer beschieden gewesen – mit Sicherheit wäre Weckherlin in Prag zum ersten Sänger am Königlichen Hof aufgestiegen. Er war für diese Rolle prädestiniert, und die Spur einer Erinnerung daran verlor sich in seiner Heimat nicht wieder. Dann kam jedoch alles anders. Ein Opitz erhielt eine Chance und nahm sie auf seine Weise zielstrebig wahr. Ein Blick indes in die ›Oden und Gesänge‹ zeigt, daß die deutsche Literatur womöglich auf eine andere Bahn geführt worden wäre, wenn die Weckherlinsche Muse das Richtmaß abgegeben hätte. Auch und gerade in einer Opitz gewidmeten Darstellung sollten die – streckenweise verlockenden – Alternativen im Auge bleiben.
Der ›Winterkönig‹ in Prag Die Pfalz erblühte unter dem Stern des jungen Paares. Der Hof galt als der strahlendste im alten Reich. Und die königliche Liaison beflügelte nun auch politische Optionen und Visionen. England schien für weiterreichende Pläne gewonnen. Zudem ver––––––––– 68
Vgl. das Eingangs- und Widmungsgedicht im Anschluß an das obligatorische poetische Wegegeleit des Autors ›An mein Buch‹, betitelt: An die Durchleuchtigste vnd Hochgeborne Fürstin vnd Fraw/ Fraw Elisabeth Pfaltzgräfin bey Rhein/ Churfürstin/ Hertzogin in Bayern/ etc. Gräfin zu Veldentz vnd Spanheim/ etc. Geborne Königliche Princessin auß Groß-Britannien/ etc. Meine gnädigste Fürstin vnd Fraw/ etc. Das Gedicht steht in der Erstausgabe von 1618 auf Blatt A3r bis Blatt A8v (S. 5–16). In der Ausgabe Fischers: Weckherlins Gedichte (Anm. 67) Band I, Nr. 42, S. 89–98, knapper Kommentar Band II, S. 473 f. Zum Kontext im Zusammenhang einer aufgefundenen Handschrift: Leonard Forster: Ein viersprachiger Gedichtzyklus G.R. Weckherlins.- In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 1 (1957), S. 11–29. Wieder abgedruckt in Forster: Kleine Schriften (Anm. 34), S. 171–191.
Der ›Winterkönig‹ in Prag
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liefen über die Mutter des Pfalzgrafen enge verwandtschaftliche Verbindungen in die Niederlande und nach Frankreich, die man nach dem Tode Heinrichs IV. glaubte reaktivieren zu können.69 Nach allem bislang Bekannten beteiligte sich der junge Kurfürst an den weit ausgreifenden Planungen nur am Rande und eher zögerlich. So konnte es geschehen, daß in dem durchaus gespaltenen Oberrat die Befürworter eines Griffs nach der böhmischen Königskrone sich vernehmbarer machten. Letztlich liefen die Fäden bei Christian von Anhalt zusammen, der seinerseits in engem Kontakt mit Camerarius stand. Bei ihnen aber gab es keine Zweifel, was zu tun sei, wenn anders der Protestantismus aus der katholischen Umklammerung befreit werden sollte. Und so rüstete man sich für den Zug in das europäische Herzland, um Habsburg ein königliches Faustpfand zu entwinden. Die Prager Episode ist ein eigenes und nochmals faszinierendes Kapitel. Vergeblich hatten die Pfälzer versucht, die bayerischen Wittelsbacher in München dazu zu bewegen, dem verhaßten Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich, der sich bei der Verfolgung der Protestanten innerhalb seiner Territorien besonders hervorgetan hatte, den Weg zur Krone in der Nachfolge von Kaiser Matthias zu versperren und den Wittelsbacher Herzog Maximilian auf den Thron zu heben. Das Scheitern dieses Vorhabens, für das sich Friedrich V. persönlich an der Isar eingesetzt hatte, ließ rasch offenbar werden, daß Ferdinand schon bald auch in Prag seinen Einzug halten würde. Seine Wahl zum Kaiser konnten die Pfälzer nicht verhindern, sie gaben ihm schließlich sogar selbst ihre Stimme. Böhmen aber und seinen Nebenländern sollte seine königliche Regentschaft erspart bleiben. Eine Königskandidatur Friedrichs rückte in greifbare Nähe. Der Pfälzer sah sich mitten hineingestellt in das Drängen Christians von Anhalt zur Annahme und dem ––––––––– 69
Die reiche Literatur findet man verarbeitet und verzeichnet in drei eindrucksvollen Katalogwerken: Der Winterkönig. Friedrich V. Der letzte Kurfürst aus der Oberen Pfalz. Amberg – Heidelberg – Prag – Den Haag. Hrsg. von Peter Wolf, Michael Henker, Evamaria Brockhoff, Barbara Steinherr, Stephan Lippold. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2003. Stadtmuseum Amberg.- Augsburg: Federer & Krauß 2003 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur; 46/3); Der Winterkönig. Königlicher Glanz in Amberg. Vortragsreihe des Stadtarchivs Amberg zur Landesausstellung 2003. Hrsg. von Johannes Laschinger.- Amberg: Stadtarchiv 2004 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Amberg; 1); Der Winterkönig. Heidelberg zwischen höfischer Pracht und Dreißigjährigem Krieg. Hrsg. von Annette Frese, Frieder Hepp, Renate Ludwig.- Remshalden: Greiner 2004. Sehr quellenintensiv auch gearbeitet und mit kritischem Forschungsbericht ausgestattet: Peter Bilhöfer: Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – der Winterkönig von Böhmen (1596–1632).- Heidelberg: Eigenverlag RheinNeckar-Kreis 2004 (Bausteine zur Kreisgeschichte; 7). Kurzfassungen in: Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz (s.o.), S. 19–32, sowie: Die Wittelsbacher (Anm. 9), S. 45–62. Reiches Material – entgegen dem nicht völlig zutreffenden Untertitel – auch bei Christine van Eickels: Schlesien im böhmischen Ständestaat. Voraussetzungen und Verlauf der böhmischen Revolution in Schlesien.Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1994 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; 2). Leider nicht zum Druck gelangt: John Gustav Weiß: Friedrich der Fünfte von der Pfalz. König von Böhmen. Band I–II. Eberbach 1938. Ein Exemplar wird im Stadtarchiv Eberbach/Baden verwahrt. Kopie in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Die letzte zum Druck gelangte Arbeit von Weiß: Die Vorgeschichte des böhmischen Abenteuers Friedrichs V. von der Pfalz.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 92/N.F. 53 (1940), S. 383–492.
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Bedenken mancher seiner Räte, die eine derartige Standeserhöhung für nicht angemessen ansahen und eine politische Überforderung der Pfalz befürchteten. Friedrich entschied sich, dem Anhaltiner zu folgen. Das letztlich ausschlaggebende Argument ist beredt genug, kehrt es doch bei seinen Panegyren, denen wir uns sogleich zuzuwenden haben, als das zentrale und nun poetisch überhöhte wieder. Er sei entschieden, so seine Worte, dem »willen des Allmachtigen nicht zu widerstreben« und im »nahmen Gottes diese ordentliche Vocation« anzunehmen. Noch einmal bestimmte ein konfessionelles Votum ein in seinen Dimensionen überhaupt gar nicht abschätzbares, an europäische Grundfesten rüttelndes Vorhaben. Am 4. November 1619 krönten die Böhmen Friedrich zu ihrem König. Kurz vorher, im Juli 1619, war die böhmische Konföderations-Akte verabschiedet worden, die die gemeinsame Vertretung der fünf Kronländer – Böhmen, Mähren, Schlesien und die Lausitzen – vertraglich fixierte und den Ständen die freie Königswahl zusprach. Rascher als zu erwarten gewesen, wurde von eben diesem Verfassungsinstrument nun Gebrauch gemacht. Friedrich profitierte davon; klar war aber auch, daß seine königliche Macht von vornherein eingeschränkt war durch die der Stände. Schon im März 1620 wurde auf einem Generallandtag (im mährischen Olmütz) der Sohn Friedrichs als dessen Nachfolger auf dem Königsthron deklariert. Damit schien die Übernahme der Prager Krone durch die Wittelsbacher dauerhaft gesichert und Habsburg definitiv ausgeschaltet. Eben das waren die Nachrichten, die auch in die Pfalz gelangten. Stände und König aber waren begreiflicherweise zunächst vor allem bemüht, für legitimistische Akte Sorge zu tragen. Das begann beim Rückgriff auf die Krönungsordnung aus der Zeit Karls IV. Immer noch schwebte dessen Königtum als ein nie wieder erreichtes Ideal auch über dem Zeremoniell, und das vermutlich niemals nachhaltiger als in dem Moment, da die Habsburger in einem furiosen Akt definitiv verabschiedet schienen. Nun waren es, statt der katholischen Bischöfe, die Repräsentanten der Utraquisten und der Böhmischen Brüder, die dem Gekürten die Krone auf das Haupt setzten. Auch die Salbung, von Friedrichs calvinistischen Scharfmachern als ›papistisch‹ verpönt, setzte der junge König durch. Als gleichberechtigtes Glied wollte er in die europäischen Königsfamilien aufgenommen sein, und an eben diesem Anspruch hielt er bis zu seinem Tod fest. Ein neues ›Goldenes Zeitalter‹ schien anzubrechen. Auch publizistisch war das gute eine Jahr der Pfälzer in Prag nebst seiner Nachgeschichte ein einschlägiges Ereignis. Wer das Glück hatte, in den Schätzen des Prager Nationalmuseums sich umtun zu können, wird es bezeugen. Es gereicht der älteren deutschen und der jüngeren tschechischen Forschung zur Ehre, daß sie ein aufmerksames Auge auf dieses Schrift- und Bildgut hatte, so daß für eine detailliertere Anschauung gesorgt ist.70 ––––––––– 70
Aus der reichen Literatur sei hier nur verwiesen auf die bekannte ältere Arbeit des Verfassers einer Geschichte der böhmischen Literatur, Rudolf Wolkan: Deutsche Lieder auf den Winterkönig. Hrsg. von Rudolf Wolkan.- Prag: Calve 1898 (Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen; 8), sowie auf das Werk der verdienstvollen Hüterin der Schätze im Museum der tschechischen Nationalbibliothek Mirjam Bohatcová: Irrgarten der Schicksale. Einblattdrucke vom Anfang des Dreißigjährigen Krieges.- Praha: Artia 1966. Aus jüngster Zeit: Jana Hubková: Friedrich V. von der Pfalz in den illustrierten Flugblättern und Flugschriften seiner Zeit.- In: Der Winterkönig. Fried-
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Selbstverständlich wurde auch in Prag der Einzug Friedrichs mit seiner Gemahlin und seinem Gefolge festlich begangen. Dort aber scheint der aus Heidelberg mit angereiste und wortgewaltige Prediger Abraham Scultetus eine Hauptrolle gespielt zu haben. Und das nicht nur auf der Kanzel, wie glücklicherweise erhaltene Predigten bezeugen. Der kampfesmutige Calvinist war zugleich ein Bilderstürmer. Der Veitsdom, Krönungsstätte und zugleich eine Wiege und ein Schmuckstück spätgotischer bildnerischer Kultur, wurde erbarmungslos geplündert. Daß derartige Aktionen im Volk Unwillen erregten, liegt auf der Hand. Aber auch der Sache Friedrichs wurde geschadet, und eine nähere Bindung der Pfälzer Gäste an die Einheimischen verhindert. Nur in einem langwierigen Prozeß wäre es – wenn überhaupt jemals – gelungen, den Pfälzer Wittelsbachern auf dem Prager Thron jenen Nimbus zu verschaffen, den die Luxemburger und dann die Habsburger, von Ausnahmen abgesehen, ihm nicht zuletzt dank splendider kultureller Schöpfungen immer wieder verliehen hatten. Wir müssen es bei diesen Bemerkungen belassen, denn unser ›Held‹ verblieb ja in der Pfalz. Und was von dort aus seinem Mund und dem seiner Freunde verlautete, wird uns sogleich beschäftigen. Friedrich begab sich alsbald auf eine Huldigungsreise durch die Böhmischen Nebenländer, ohne sie freilich alle noch vor der Katastrophe zu erreichen. Der Bildersturm hatte auch dort hohe Wellen geschlagen. Durch bewußtes Aufsuchen katholischer Kirchen und Klöster suchte er den eingetretenen Schaden wettzumachen. In Breslau diskutierte er auf der Dominsel mit den Domherren über die Frage des Reliquienkultes und war im mährischen Brünn Gast bei einer Gemeinde von Widertäufern. Ein streng calvinistisches Gebaren wie von seinem Hofprediger praktiziert, war ihm offenkundig fremd. Ein besonderes Ereignis stellte sodann der Einzug in Breslau dar. Er ist religionswie literaturhistorisch von gleich großem Interesse. Wir eröffnen das folgende Kapitel mit dem spektakulären Begängnis, anläßlich dessen den Freunden und Gönnern Opitzens eine besondere Rolle zufiel. Doch zunächst ist unsere kleine pfälzisch-böhmische Erzählung zum Abschluß zu bringen.
Eine Katastrophe säkularen Ausmaßes Die Lausitzen erreichte Friedrich schon nicht mehr. Scultetus vertrat ihn, wie wir hörten. Im September 1620 begab sich Friedrich zu seiner Armee. Er soll sich persönlich nicht nur um den Nachschub und die Anlage von Befestigungen, sondern auch um Verpflegung und Versorgung von Verwundeten gekümmert haben – ein weiterer notierenswerter Zug im Blick auf die ihm geltenden Huldigungen unserer Dichter. Nach niedrig gehaltenen und ergebnislosen kleineren kriegerischen Auseinandersetzungen ––––––––– rich von der Pfalz (Anm. 69), S. 107–110, sowie: Frieder Hepp: ›Deß gewesten Pfaltzgrafen Glück und Unglück‹. Aufstieg und Fall des ›Winterkönigs‹ im Spiegel der zeitgenössischen Flugblattpublizistik.- In: Der Winterkönig. Heidelberg zwischen höfischer Pracht (Anm. 69), S. 39–51. Zuletzt: Michael Schilling: Die bildpublizistischen Kampagnen um Friedrichs V. böhmisches Königtum und ihre mediengeschichtliche Bedeutung.- In: Die Wittelsbacher (Anm. 9), S. 389–408. Zum Kontext: Karl Mayr-Deisinger: Die Flugschriften der Jahre 1618–1620 und ihre politische Bedeutung.- Habilitationsschrift München 1893.
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zwischen dem ständischen Heer der Böhmen und der kaiserlich ligistischen Streitmacht kam es am 8. November 1620 zur entscheidenden Schlacht vor den Toren von Prag. Ausgerechnet Christian von Anhalt mußte dem König am Reichstor die eingetretene Katastrophe offenbaren. Der König räumte sofort den Hradschin und floh über die Moldau in die Prager Altstadt. Da Prag nicht zu halten war, richteten sich seine Hoffnungen auf Schlesien. Ein weiteres Mal betrat er das Land und seine Hauptstadt, nun als Getriebener. Wir werden auch davon hören, wenn die Piasten alsbald in unser Blickfeld rücken. Uns verbleibt eine letzte Reflexion auf das zunächst unscheinbare und auf längere Sicht dann doch epochale Ereignis. Mit der überstürzten Flucht aus Prag im November 1620 nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berg endete die böhmische Regentschaft Friedrichs V. Nicht nur die Überlegenheit der Gegenreformation, sondern auch die Krise des Protestantismus, wie sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang im Gegensatz zwischen Heidelberg und Dresden, Genf und Wittenberg geschwelt hatte, trat damit offen zutage. Am Weißen Berg siegten Prinzipien: der Katholizismus der Gegenreformation über den Geist der Reformation, der Gedanke des Fürstenstaates über die Idee der ständisch-aristokratischen Staatsgestaltung. Auch hier erwies sich Tschernembl als ein Analytiker des Geistes der Zeit; sein Wort: ›Religio und Libertas hangen aneinander‹ deutete treffend die fast unlösliche Verflechtung konfessioneller und staatspolitischer Momente im Denken dieser Zeit. Wer konnte die politische Bedeutung der Prager Schlacht in ihrer Auswirkung auf die späteren Jahrhunderte aber besser kennzeichnen als dies Bismarck tat, wenn er meinte, bei einem anderen Ausgang dieses Treffens würden die Kriege von 1864 bis 1870 vermeidbar gewesen sein?71
In der Tat ist der Zusammenbruch der Pfälzer Böhmenpolitik nur in den weitesten geschichtlichen Dimensionen zu erfassen. Wäre es der Pfalz gelungen, sich in Böhmen zu behaupten, hätte davon nicht nur der Calvinismus, sondern der europäische Protestantismus insgesamt profitiert. So aber wurde mit dem Sieg der katholischen Seite die Grundlage für die dreihundertjährige Herrschaft des Hauses Habsburg und den Ausbau der Wittelsbacher Position in Bayern mit dem Erwerb der Kurwürde und der Annexion der Oberpfalz gelegt. Indem der Calvinismus in seinem deutschen Zentrum, der Kurpfalz, tödlich getroffen wurde, verlor der deutsche Protestantismus insgesamt seine Verbindung zu den westeuropäischen Reformierten. Die Entfremdung Deutschlands von den westeuropäischen Nationalstaaten und dem sukzessiven Aufbau bürgerlicher Demokratien nimmt hier ihren Ausgang und wird im Zeitalter der französischen und amerikanischen Revolution zu Ende des 18. Jahrhunderts besiegelt.
Das Ende der Heidelberger ›Sodalitas Palatina‹ Die der Katastrophe in Böhmen folgende Katastrophe in der Pfalz riß auch den Heidelberger Gelehrten- und Dichterkreis auseinander. Er wäre berufen gewesen – inspiriert von großen politischen Hoffnungen, wie sie an der Wiege aller europäischen Nationalliteraturen stehen – eine neue deutsche Kunstdichtung hervorzubringen und zu ––––––––– 71
Sturmberger: Aufstand in Böhmen (Anm. 62), S. 92 f.
Das Ende der Heidelberger ›Sodalitas Palatina‹
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tragen, in der ein formales, an der Antike und der Renaissance geschultes Niveau und ein politisches Ethos vereint gewesen wären. Die ihm vergönnte Zeitspanne war zu kurz als daß die verheißungsvollen Anfänge traditionsbildend hätten wirken können. Die Initiative der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹, von einem ähnlichen Geist beflügelt, büßte gleichfalls jenen politischen Elan ein, der an ihrer Wiege stand. Und als die Opitzsche Bewegung nach einer zeitlichen Zäsur nach Nord-, Mittelund Ostdeutschland übergriff und in den protestantischen Kommunen teilweise feste institutionelle Formen fand, da hatte sich die geschichtliche Situation bereits grundlegend gewandelt. Der Protestantismus befand sich überall in der Defensive. Nur der kometenhafte Aufstieg Gustav II. Adolfs riß noch einmal mit, er fand mit dem frühen Tod des genialen Feldherrn und Politikers allerdings ein jähes Ende. Wir werden auch davon ausführlicher hören, spielt doch gerade die schwedische Episode, alsbald verknüpft mit der polnischen, massiv in Leben und Werk Opitzens hinein. Was aber Heidelberg und seine Dichter und Gelehrten angeht, so war Exilierung für viele das bittere Schicksal, voran für Friedrich V. selbst, der seine Exilregierung in Den Haag aufbaute. Lingelsheim wich in seine Heimatstadt Straßburg aus, wo er zusammen mit Bernegger wiederum eine wichtige und einflußreiche, stets zu Hilfe bereite Kontaktperson für viele der Jüngeren wurde, die auch Opitz entschieden zugute kam. Die Befreiung Heidelbergs 1632 führte Lingelsheim nochmals kurz in die Pfälzer Residenz zurück, bevor die Schlacht bei Nördlingen ihr Schicksal besiegelte. Lingelsheim flüchtete nach Frankenthal, wurde dort eingekerkert und starb zwei Jahre später (1636). Gruter, der Editor und Kommentator, wurde mit dem Verlust der Palatina und seiner Privatbibliothek tödlich in seinem wissenschaftlichen Wirken getroffen. Er fand Unterschlupf bei seinem Schwiegersohn Smend in Bretten, erlebte die Huldigung von seiten der Universität in Tübingen und endete als leidenschaftlicher Gärtner auf dem Gut Berhelden seines Schwiegersohns. Im Todesjahr 1627 erreichte ihn nochmals ein ehrenvoller Ruf aus seiner Heimat, und zwar aus Groningen, nachdem schon am Anfang seiner Heidelberger Karriere ein konkurrierender aus Leiden gestanden hatte. Auch für Zincgref war die Eroberung Heidelbergs das Ereignis, »das in seine Lebensverhältnisse mit ganzer Schwere eingriff.« Sein Leben ist mit dem Schicksal der Pfalz verflochten, dessen reich gesegnete Fluren, dessen hoch entwickelte Culturblüte unter der eisernen Gewalt eines Krieges verdarben, der für eine ganze Generation nicht ein Zustand der Ausnahme, sondern fortdauernde Bedingung ihres daseins war.72
So begann auch für Zincgref ein unstetes und von finanziellen Nöten bedrücktes Wanderleben (Heilbronn, Frankfurt, Straßburg, Worms, St. Goar), das sich nur vorübergehend nochmals im Dienste der Zweibrückener Linie der Pfälzer mit der Tätigkeit eines Landschreibers in Kreuznach und Alzey konsolidierte. Auch er hat die zweite Katastrophe der Pfalz nach der Schlacht bei Nördlingen noch erlebt und starb – wie Lingelsheim – kurz darauf (1634). ––––––––– 72
Franz Schnorr von Carolsfeld: Julius Wilhelm Zincgrefs Leben und Schriften.- In: Archiv für Litteraturgeschichte 8 (1879), S. 1–58, S. 446–490. Die Zitate hier S. 21 und S. 6.
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VII. In der reformierten Pfalz
Opitz aber hatte sich angesichts der herannahenden Truppen Spinolas schon früher in die Niederlande abgesetzt. Davon wird sogleich zu handeln sein. Zunächst jedoch ist die publizistische Ernte in Augenschein zu nehmen, die das pfälzisch-böhmische Projekt in den Jahren der Regentschaft des Pfälzer Kurfürsten und nachmaligen böhmischen Königs zeitigte. Sie ist literaturgeschichtlich von eminenter Bedeutung. Und ein glücklicher Umstand will es, daß die beiden Freunde jeweils mit herausragenden Texten dabei sind. Eben darauf soll der Schwerpunkt liegen.
VIII. Publizistik im Umkreis des ›Winterkönigs‹ Die Schlesier und Zincgref; Camerarius und Opitz Die Reformierten erheben ihr Haupt in Breslau Das böhmische Unternehmen Friedrichs ist publizistisch wie literarisch von einer lebhaften Produktion begleitet gewesen. Und das nicht nur in actu selbst. Die Vor- und insbesondere die Nachgeschichte waren für die Schöpfer von Texten und Liedern, Bildern und Emblemen gleich ergiebig. Es lag in der Natur der Sache, daß sie sich an den Regionen des Geschehens konzentrierten, also vornehmlich in der Pfalz und in Böhmen sowie in Schlesien und den Niederlanden. Und entsprechend verdichtete sich die Überlieferung in den Haupt- und Residenzstädten, wo die Akteure wirkten oder doch kurzzeitig Aufenthalt nahmen. Heidelberg und Prag, Breslau und Den Haag sind solche Stätten, die ein reiches Material bewahren. Wir wünschten, daß es einmal in einer großen synoptischen Darstellung zusammengeführt würde. Wir blicken für einen Moment nach Breslau, um die Basis für unsere Textanalysen zu gewinnen, die vornehmlich Zincgref und natürlich Opitz selbst gelten sollen. Auch hier haben sich zahlreiche Zeugnisse aus jenen schlesischen Dichter- und Gelehrtenkreisen erhalten, mit denen Opitz kommunizierte. Sie verdankten ihre Entstehung zumeist der Huldigungsreise, die Friedrich nach Breslau führte. Und sie interessieren uns, weil sie zeigen, welche Hoffnungen sich auch in Schlesien an die translatio der böhmischen Krone von den Habsburgern auf die Pfälzer knüpften. Wir haben uns in ihnen und den – vielfach handschriftlichen Zeugnissen aus dem Umfeld – umgetan und berichten darüber in aller gebotenen Kürze. Es wird sich zeigen, daß für das Verständnis der beiden Protagonisten eben dieses Kapitels Förderliches namhaft gemacht werden kann. Wir kehren also für eine kurze Weile zurück nach Breslau, woselbst sich bewegende Szenen abspielten.1 ––––––––– 1
Wir greifen zurück auf eine Abhandlung, betitelt: Späthumanismus, Kryptocalvinismus und Spiritualismus. Eine kulturelle Blüte von europäischer Leuchtkraft im Schlesien um 1600 mit einem Blick auf die Regionen in der geistigen Nachbarschaft, die den Eingang bildet zu einem abgeschlossenen Buch: Nobilitas litteraria Silesiae. Schlesien – Herzlandschaft des europäischen Späthumanismus und der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Christine Absmeier.Münster: LIT (in Vorbereitung) (Kleine Schriften; 4). Die Arbeit ist außerordentlich reichhaltig mit Literatur ausgestattet, auf die hier verwiesen werden darf, um Wiederholungen zu vermeiden. Für das Folgende ist insbesondere heranzuziehen das letzte Kapitel ›Erste gründung der reformierten Gemeinde in Breslau‹, in: J.[ohann] F.[ranz] A.[lbert] Gillet: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte. Nach handschriftlichen Quellen. Erster [und] Zweiter Teil.- Frankfurt/Main.: Brönner 1860, Teil II, S. 419–450.
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VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
Denn die entscheidende Stunde für die reformierte Gelehrtenschaft schlug auch in Schlesien mit der Einnahme des böhmischen Königthrons durch den Pfälzer Kurfürsten. Erstmals durfte eine ganze Generation es wagen, ihr Haupt zu erheben und lange gehegte Überzeugungen öffentlich zu bekunden. Die machtvolle Demonstration des Umschwungs in der Krönungsstadt Prag selbst ist das eine; der triumphale Zug des Pfälzers durch Schlesien und speziell seine Huldigung in der schlesischen Metropole Breslau das andere. Am vierten November 1619 war die Krönung in Prag erfolgt. Ein gutes Vierteljahr später, am 23. Februar 1620, traf der König in der schlesischen Hauptstadt ein. Die Stadt war mit Ehrenpforten, Sinnbildern und Inschriften geschmückt. Der König wurde von Fürsten und Ständen sowie der Ritter- und Bürgerschaft festlich eingeholt. Es war der Sonntag Sexagesimae. Der erste Gang führte den König in die Elisabethkirche. Dort waltete Zacharias Hermann seines Amtes und empfing den König mit einer lateinischen Rede; er hatte ja auch bereits die Wahl Friedrichs zum böhmischen König in einer ›Frewdenpredigt‹ begrüßt. Am Folgetag huldigte auch das Domkapitel.2 Residenz nahm der König im Hause Gottfried Uthmanns. In seinem Gefolge befanden sich Ludwig Camerarius und Abraham Scultetus. Letzterer unterließ es nicht, daran zu erinnern, daß zwei seiner Heidelberger Vorgänger, Ursinus und Eccilius, bereits auf der Kanzel der Elisabethkirche gestanden hätten. Der endlich erfolgte bekenntnisförmige Gleichklang zwischen der Pfalz und Schlesien sollte sinnfällig werden. Takt und Klugheit geboten es, nicht Scultetus die Huldigungs-Predigt halten zu lassen; allzu bekannt war auch in Breslau, daß der ebenso wortgewaltige wie radikal agierende reformierte Prediger die Gefühle manch eines Gläubigen verletzt hatte, als er in der Prager Hofkirche zu einer systematischen Säuberung von jedwedem kultischen Schmuck übergegangen war. Der Vorsteher des geistlichen Ministeriums und Pfarrer zu St. Elisabeth Zacharias Herrmann als erste theologische Autorität vor Ort übernahm das ehrenvolle Amt.3 Scultetus predigte statt dessen am darauffolgenden Sonntag Estomihi auf der Königlichen Burg. Was Rang und Namen besaß und sich dem reformierten Bekenntnis zugewandt hatte bzw. ihm zuneigte, war anwesend. Die drei reformierten schlesischen ––––––––– 2
3
Ein deutschsprachiger Auszug aus der Rede Hermanns bei Friedrich Lucae: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober= und Nieder=Schlesien/ [...].- Franckfurt am Mäyn/ Jn Verlegung Friedrich Knochen/ Buchhändlern. M DC LXXXIX., S. 500 f. Der Titel der Predigt Hermanns anläßlich der Wahl Friedrichs zum böhmischen König am 13. Oktober 1619: Frewdenpredigt/ Am 20. Sontage nach Trinitatis/ An welchem die Königliche Wahl DEß Durchlauchtigsten/ Großmächtigsten Fürsten vnd Herren/ Herren Friedrich [...] zum Haupt/ König vnd Herren im Königreich Böheimb/ in allen Breßlawischen Kirchen der Augspurgischen Confession, offentlich publiciret vnd abgekündiget worden. Gehalten Durch Zachariam Hermannum, der H. Schrifft Doctorem, Pfarrherrn vnd Inspectorem der Kirchen vnd Schulen in Breßlaw.- Breslau: Baumann 1619. Exemplar in der Biblioteka Uniwersytecka Wrocław, Schlesisch-Lausitzisches Kabinett: Yb 40/2. Huldigungspredigt/ Als Der Durchlauchtigste/ Großmächtigste Fürst vnd Herr/ Herr Friedrich König zu Böhmen [...] Von den hochlöblichen Herren Fürsten vnd Ständen in Ober vnd Nider Schlesien/ zu Breßlaw/ den 27. Tag Februarij dieses 1620 Jahres die Huldigung empfangen/ Jn der Kirchen zu S. Elisabeth gehalten/ Von Zacharia Hermanno, der H: Schrifft Doctore, der Kirchen vnd Schulen in Breßlaw Inspectore.- Breslau: Baumann 1620. Exemplar in der Biblioteka Uniwersytecka Wrocław, Schlesisch-Lausitzisches Kabinett: Yb 47/8.
Königlich verordnete Gewissensfreiheit
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Fürsten bildeten die Spitze: Johann Christian und Georg Rudolf von Liegnitz und Brieg sowie Herzog Johann Georg von Brandenburg-Jägerndorf. Groß aber war nach dem Zeugnis von Lucae auch der Zudrang von Patriziern und Gelehrten aus der Stadt und dem Umland. Seiner Rede, so Lucae, wohnete der König/ die Schlesischen Hertzoge Reformirter Religion/ und andere Herren andächtig bey: hierzu drungen sich auch selbst viel Breßlauische Patritii und Gelehrte/ und accomodirten sich freywillig der Reformirten Religion/ die Magnetische Krafft dieses geistreichen Lehrers empfindende[.]4
Drei Tage später, am Aschermittwoch, ließ Herzog Johann Christian seinen reformierten Pastor in Strehlen Johannes Buchwälder an der gleichen Stelle predigen. Der Boden war also bereitet; es bedurfte nur der glücklichen Stunde, um die zum reformierten Glauben tendierenden Persönlichkeiten hervortreten zu lassen. Der König hatte den Reformierten in der Stadt bis auf weiteres den großen Saal der Königlichen Burg zur Ausübung ihres Glaubens überlassen. Auch war ihnen gestattet, Schulen einzurichten, Wohnungen für die Kirchen- und Schuldiener bereitzustellen etc. Man konnte zur Installation des nicht länger inkriminierten Bekenntnisses übergehen. Der wichtigste Akt bestand in der Einrichtung des Gemeindewesens und der Wahl von Vorstehern. Es wird denkwürdig bleiben, daß die beiden größten im Lande lebenden Gelehrten, die sich bislang schon schreibend um den Zusammenhalt der reformierten Intelligenz bemüht hatten, nun auch explizit in eine Führungsrolle hineingewählt wurden. Sie sind uns wohlbekannt. Es handelte sich um Nicolaus Henel von Hennenfeld und Caspar Cunrad. Und eben sie finden sich selbstverständlich nun auch unter den publizistisch Hervortretenden.
Königlich verordnete Gewissensfreiheit Dem König wurde eine Bittschrift überreicht: ›An die zu Böhaimb Kön. Mt. König Fridericum etc. Supplication der Evangelischen Reformirten Jnwohner in der Stadt Breßlaw vmb verstattung des freyen Exercitii Religionis.‹5 Es ist dies ein großes, um nicht zu sagen: ein erhabenes Dokument der reformierten Bekennerschaft auf schlesischem und speziell auf Breslauer Boden. Das erduldete Unrecht, die erlittene Verunglimpfung bricht sich Bahn. Endlich ist die Stunde gekommen, die Herzen öffnen zu können und Hoffnung schöpfen zu dürfen für eine Zukunft, in der auch den Reformierten inmitten einer lutherisch geprägten Umwelt ein Daseinsrecht nicht länger verweigert wird. Von Gott und der Augsburgischen Konfession abgefallen zu sein, bleibt ein Vorwurf, den die nun zu freiem Wort gelangenden Beschuldigten mit allem Nachdruck zurückweisen. In ihren Händen und Herzen, so wird man zu verstehen haben, ist die ursprüngliche reformatorische Botschaft besser aufgehoben als in den fanatisierten Buchstabengläubigen, die die ›Confessio Augustana‹ für ihre Zwecke der Installation ––––––––– 4 5
Lucae: Schlesiens cursieuse Denckwürdigkeiten (Anm. 2), S. 502. Vgl. Gillet: Crato von Crafftheim (Anm. 1), Teil II, S. 422, Anm. 6.
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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einer gelehrten Kaste mißbrauchen. Es will etwas besagen, daß nach wie vor die Option auf das eine, vor nunmehr fast hundert Jahren bezeugte und schriftlich fixierte Bekenntnis offen gehalten wird. Es hätte, mit anderen Worten, zu jener verhängnisvollen Spaltung nicht zu kommen brauchen, wenn anders ein versöhnlicher Geist auf allen Seiten gewaltet hätte. Die Verfasser des historischen Dokuments, deren Namen man nur allzugern kennen würde, wissen, wovon sie sprechen. Schon zu Weihnachten 1619 war, wie sie zu erwähnen nicht vergessen, in der Schloßkirche zu Brieg das Abendmahl nach reformierter Manier gehalten worden. Caspar Cunrad und seine Frau sowie deren Freund Sleupner hatten daran teilgenommen. Die Supplikation an den König hält die Reaktion darauf fest. ›Zween hiesige Doctores‹ hätten an dem geistlichen Akt teilgenommen. Mit der Folge, daß man Sie deromaßen angefeindet, ja offentlich auff den Cantzeln (vngeachtet, daß in derer zwischen der Cron Böhaimb vnnd den andern incorporirten Länndern auffgerichteten Confoederation derogleichen vorbitterte=vnzeittige anzöpffungen, vnndt alle personalia, von den Cantzeln vnndt sonsten, bey allerseits Religionsvorwandten, gäntzlich vnndt bey straff der remotion ab officiis, vorboten worden,) auff Sie debacchiret, Sie angestochen vnnd außgehiepet, alß wann es die ärgsten Apostatae oder Mammelucken wehren, Also daß es fast das ansehen hatt, alß ob man nur den gemainen Pöfel mit Haß vnndt siedehaißem eyffer gegen den Reformirten Kirchen anzuefüllen vnndt fölglichen die Obrigkeit, darmitt dieselbe, inani metu seditionis a vulgo excitanda, den freyen lauff deß heyligen Evangelii vorhindere, zuvorlaiten gesinnet wehre.6
In diese Situation hinein wurde gesprochen. Eine politische Instanz war erstmals da, der die Breslauer sich anvertrauen durften. Und der König antwortete in einer ›Concession‹, die vernehmbar werden ließ, daß ein neuer Frühling für die geknebelten Reformierten in Schlesien erblüht war. Wofür die humanistische Gelehrtenschaft unaufhörlich gestritten hatte, war nun mit einem Schlag zum Greifen nahe: Freiheit in der Ausübung der Religion. Noch einmal wurde nicht ein Gegensatz zur Augsburgischen Konfession statuiert, sondern deren rechtes Verständnis gerade den Reformierten attestiert.7 Auch dieser König und sein Beraterstab wußten, daß von einer friedlichen Praxis in religiösen Angelegenheiten das Gemeinwesen profitierte; zur ›stabilirung gemainen wohlstandes‹ trug sie bei. Das war das Fazit der auf europäischem Boden ausgetragenen Schlacht, die eben seit längerem auch eine um das rechte Verhältnis von Glauben und Gemeinwohl, in modernen Begriffen: von Kirche und Staat war. An der vordersten Frontlinie war diese Auseinandersetzung um 1600 entschieden und die Humanisten hatten allerorten an prominenter Stelle mitgekämpft und ihren ›staatstragenden‹ Beitrag geleistet. ––––––––– 6 7
Ebenda, Teil II, S. 423 f. Vgl.: Derer zu Böhaimb Königlichen Majestät Königs Friderici etc. Concession über das freye Exercitium der Reformirten Religion, denen itztgedachter Religion zuegethanen in der Stadt Breßlaw etc. erthailet. d. 5. Martii. Anno 1620. Zitiert bei Gillet, Teil II, S. 426, Anm. 7. Das wichtige Dokument ist wiederholt abgedruckt worden, so etwa in: Acta Publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schlesischen Fürsten und Stände. Hrsg. von Hermann Palm. Jahrgang 1620.Breslau: Max 1872, S. 56–58.
Publizistische Begleitung in Schlesien
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Ein Wissen und Empfinden, an einem Neuanfang zu stehen, muß sich den Angesprochenen mitgeteilt haben. »Geben in Vnserer Stadt Breßlaw den fünften tag des Monats Martij, Nach Christi Vnsers lieben Herrn vnd Seligmachers geburt im 1620. Vnsers Bohaimbischen Reichs im Ersten Jahre.«, so hieß es da in der Urkunde.8 Für Böhmen und seine Nebenländer war eine neue geschichtliche Zeit angebrochen. Hundert Jahre nach dem Übergang an die Habsburger eröffnete der Pfälzer eine historische Epoche und die war an das Versprechen geknüpft, fortan ein jedes religiöses Bekenntnis unter der Böhmischen Krone zu dulden. Das war auch ein staatspolitisches Kontrastprogramm zur Habsburger Praxis. Denn nun versicherte der König, daß jedermänniglich Männlichen vnd Weiblichen Geschlechts Personen, so der Böhmischen und Augspurgischen Confession zugethan, jedes Orts Kirchen, Pfarrhäuser, Schulen und Begräbnis zu erbauen, Evangelische Priester vnd Schulmeister anzunehmen vnd die alten Ceremonien eines jeden Christlichen Gewißen vnd Gottes Wort nach zu behalten oder fahren zu lassen verstattet vnd zugelaßen seyn solle[.]9
Noch einmal bewährte sich eine in Schlesien und speziell in Breslau schon immer beobachtete Liberalität, die über dem Eifer verschüttet zu werden drohte, und nun im Blick auf den frei gewählten Umgang mit den hergebrachten Zeremonien ihre Bekräftigung fand.
Publizistische Begleitung in Schlesien Eine überschäumende Woge publizistischer Verlautbarungen ging mit dem revolutionären Umschwung in Stadt und Land einher. Alles was Rang und Namen unter den Reformierten hatte, beteiligte sich an der Feier einer Befreiung von Fesseln, die so lebhaft gespürt worden waren. Neben die erstmals mögliche Predigt aus reformiertem Geist und die formelle Begrüßung des Pfälzer Kurfürsten und nunmehrigen Böhmischen Königs trat ein Aufgebot an überschwenglichen Freudenbekundungen, wie es sie in dieser massiven Formierung auf schlesischem Boden noch nie gegeben hatte. In den frühen Tagen der Reformation war lutherisches Schriftgut auf vielen Wegen importiert worden. Es kam von auswärtigen Druckereien. Jetzt erstmals waren Offizinen vor Ort ausgelastet mit aktuellen Botschaften. Das Schreiben und das Drucken bei Gelegenheit nahmen für eine nur allzu knapp bemessene Frist eine eindeutig politische Wendung. Auch die Pfälzer Stimmen eines Zincgref und eines Opitz müssen in diesem Kontext situiert werden. Und für Opitz kam womöglich noch hinzu, daß er es als schmerzhaft empfinden mußte, nicht unmittelbar am Ort des Geschehens in seiner Heimat zu weilen, sondern aus der Ferne herüber grüßen zu sollen. Das gesamte einschlägige Material in Gestalt von Flugblättern und Flugschriften, historischen Liedern und Pamphleten, Predigten und Prognostica etc. wurde in einmaliger Geschlossenheit in der Stadtbibliothek zu Breslau verwahrt und dort zu später ––––––––– 8 9
Ebenda, S. 58. Ebenda, S. 56.
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Stunde in der Abteilung der auf Breslau bezogenen Druckschriften versammelt. Heinrich Wendt eröffnete seinen grundlegenden Katalog nach einer einleitenden Rubrik eben mit diesem Schrifttum.10 Es ist das große Verdienst der polnischen Bibliothekare, dieses ortsgeschichtliche Schrifttum nach den alten Signaturen zusammengehalten und in das nach dem Krieg neu gebildete Schlesisch-Lausitzische Kabinett integriert zu haben, welches eine Fundgrube ersten Ranges für die auf den schlesisch-lausitzischen Raum ausgerichtete Forschung aller Disziplinen darstellt. Die alte Breslauer Stadtbibliothek war reich an Doppelexemplaren dieses um die dramatischen Jahre zwischen 1619 und 1621 kreisenden Quellenguts. Es dürfte in der überwiegenden Mehrzahl aus der gerade hinsichtlich des Kleinschrifttums unerschöpflichen Bernhardiner-Bibliothek hergerührt haben, wo erste Fachleute im 18. Jahrhundert saßen, die einen Blick für dieses dem Verschleiß besonders ausgesetzte Quellengut besaßen. Im Zweiten Weltkrieg sind auch auf diesem Sektor nicht unerhebliche Verluste eingetreten, wie ein von dem Verfasser im Jahre 1989 vorgenommener Abgleich mit dem Wendtschen Katalog ergab. In den meisten Fällen konnte jedoch über Mehrfachexemplare Ersatz gestellt werden, so daß die titularischen Einbußen sich in Grenzen halten. Das gesamte Material wurde – wie Hunderte anderer zumeist unikater (und vielfach auch handschriftlicher) Titel aus der jetzigen Universitätsbibliothek zu Breslau – frühzeitig auf Initiative des Verfassers verfilmt und ist damit seit längerem auch im Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück verfügbar. Werfen wir also einen Blick auf Verfasser und Titel, und auch das nur bezüglich der dem Aufenthalt des Königs in Breslau gewidmeten Schriften. Zu mehr ist an dieser Stelle nicht der Ort. Immerhin, die gewählte titularische Aufmachung ist in mehr als einem Fall selbst bereits sprechend genug. Eine gründlichere neuere Untersuchung des Materials mit Blick auf seine konfessionellen und politischen Konnotationen steht nach wie vor aus. Wie womöglich detaillierter vorzugehen sei, soll sogleich am Beispiel der beiden nunmehrigen Pfälzer Protagonisten gezeigt werden. Wir orientieren uns an der Präsentation des Materials, wie Karl Bruchmann sie vor mehr als hundert Jahren vorgenommen hat, und werfen einige Schlaglichter. ––––––––– 10
Vgl. Heinrich Wendt: Katalog der Druckschriften über die Stadt Breslau. Hrsg. von der Verwaltung der Stadtbibliothek.- Breslau: Morgenstern 1903. Hier eingangs unter der – bis heute gültigen – Signaturengruppe Yb der Paragraph ›Ortsgeschichtliche Flugschriften‹, S. 2–67, darin S. 4–13: Flugschriften 1619–1740. Auf diesen Sammlungen basierend, jedoch leider ohne Angabe von Signaturen: Karl Bruchmann: Die auf den ersten Aufenthalt des Winterkönigs in Breslau bezüglichen Flugschriften der Breslauer Stadtbibliothek. Ein Beitrag zur Quellenkunde des dreißigjährigen Krieges.- Progr. Königl. König-Wilhelms-Gymnasium Breslau 1904/05. Vgl. von Bruchmann auch: Archivalia inedita zur Geschichte des Winterkönigs.- Progr. Königl. König-Wilhelms-Gymnasium Breslau 1908/09. Daraus erwachsen die einschlägige Monographie von Bruchmann: Die Huldigungsfahrt König Friedrichs I. von Böhmen (des ›Winterkönigs‹) nach Mähren und Schlesien.- Breslau: Hirt 1909 (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte; 9). Vgl. jetzt (leider ohne Kenntnis der Breslauer Quellen): Armin Schlechter: Das ›böhmische Abenteuer‹ Kurfürst Friedrichs V. von der Pfalz in der zeitgenössischen schlesischen Publizstik.- In: Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Albrecht Ernst.- Heidelberg etc.: verlag regionalkultur 2012 (Pforzheimer Gespräche; 5), S. 261–295.
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Mit der erwähnten Freudenpredigt am 20. Sonntag nach Trinitatis durch Zacharias Hermann, erste theologische und administrative Autorität am Platz, hebt der Reigen an. Gleich unter der fünften Position ist die Opitzsche Rede auf den böhmischen König plaziert. Sie erschien in Heidelberg, gehörte aber selbstverständlich in den Breslauer publizistischen Kontext, war gewiß umgehend nach Breslau gelangt und dort der einrucksvollen Sammlung hinzugefügt worden. Der Bibliograph scheute sich nicht, seinerseits mit knappen Charakteristiken hervorzutreten. Wo der Vf. die von den Kaiserlichen in Böhmen verübten Gewalttätigkeiten darstellt, fehlt es seinen Worten nicht an Kraft und Schärfe zum Ausdruck seiner Entrüstung: Um so befremdlicher erscheint es, daß Opitz wenige Jahre später in die Dienste der katholischen Partei trat.11
So ist auch an dieser Stelle ersichtlich, daß den berühmten Autor ein gravierendes Handicap in seiner Biographie begleitet. Es wird auch uns neuerlich zu beschäftigen haben, und das in der Hoffnung, es endgültig zu den Akten legen zu können. Caspar Cunrad, wie wir gehört haben in den Vorstand der reformierten Gemeinde gewählt, ist mit einer Reihe von Epigrammen zur Stelle, die gleich an mehreren Orten erschienen. Sie sind dem Sohn des Königs gewidmet und womöglich teilweise erst während des Aufenthalts des Königs in der Stadt entstanden. Auch der uns gleichfalls wohlbekannte Johannes von Höckelshoven beteiligte sich an der Begrüßung des Königs. Darunter sind auch zwei deutsche Beiträge, der eine bezeichnenderweise an die Gattin Friedrichs und nunmehrige Königin Elisabeth gerichtet, die Tochter des englischen Königs Jakob I. Melchior Lauban, der Rektor des Brieger Gymnasiums, ist dabei, desgleichen Samuel Besler, der Kantor daselbst, sowie David Rhenisch, der Ekklesiast bei St. Elisabeth. Der Katalog liest sich wie ein Aushängeschild der gelehrten Prominenz in Stadt und Land. Es dürfte kein zweites Zeugnis existieren, in dem sich die reformierte Intelligenz so geschlossen zusammenfindet. Ein großes geistiges Potential wird erkennbar, das dem schlesischen und speziell dem Breslauer Späthumanismus sein eigenes Gesicht verleiht. Die Mehrzahl der Texte ist auf Latein verfaßt. Doch treten dazwischen sowohl in Vers wie in Prosa immer wieder ebenfalls deutschsprachige Beiträge auf. Auch für eine sprachgeschichtliche und selbst für eine versifikatorische Untersuchung bietet sich das Material also an. Die nobilitas litteraria indes bleibt durchweg beim Latein. Wir begegnen einem Henel von Hennenfeld als weiterem Vorsteher der reformierten Gemeinde. Und wir sehen gleich mehrfach den Doktor beider Rechte, Scholarchen und Rektor des Elisabeth-Gymnasiums Thomas Sagittarius hervortreten. Er steuert u.a. eine ›Ecloga Virgiliana‹ bei, wie sie sich eben zur Regenten-Huldigung anbot. Mehrfach ist die Vergilsche Form unter den Texten vertreten. Auch eine ›Porta Pacis‹ hat Sagittarius aufgerichtet, die eben die dem König gewidmete Ehrenpforte zum Gegenstand hat. Desgleichen ist ein ›Epos‹ aus seiner Feder bezeugt, 1312 Hexameter umfassend. Es blieb das detaillierteste Zeugnis des Königlichen Aufenthaltes in Breslau und erfreute sich der Aufmerksamkeit ob seines Quellenwertes. Den Einzug des Königs in Breslau gab Georg Reutter in einer ausführlichen deutschsprachigen Beschreibung wieder. ––––––––– 11
Bruchmann: Die auf den ersten Aufenthalt (Anm. 10), S. 6.
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Jonas Melideus, so eng mit dem Gymnasium Schoenaichianum verbunden, hat ein großes Hexameter-Gedicht verfaßt, in dem die Glaubensverfolgungen in Frankreich und in den Niederlanden poetisch verarbeitet werden. Es würde sich lohnen, den Zuschriften der Beuthener einmal gesondert nachzugehen. Sie sind bezeichnenderweise wiederholt vertreten. Nur einer fehlt, wie bereits bemerkt. Tobias Scultetus, in der unmittelbaren Umgebung des Königs für diesen wirkend, enthielt sich, nach allem, was bislang bekannt ist, der öffentlichen Huldigung. Soweit der knappe Blick nach Breslau. Vernehmen wir nun also, was aus der kurfürstlichen Residenz aus dem oratorischen Schatzkästlein verlautete, und beginnen wir mit dem Haupt des Heidelberger Kreises, beginnen wir mit Julius Wilhelm Zincgref. Er soll auch hier aus gegebenem Anlaß seinen Platz haben, wird uns in prominenter Rolle jedoch an späterer Stelle neuerlich zu beschäftigen haben. Und das in unmittelbarer Mission für Opitz.
Rückkehr in die Pfalz: Zincgref als Publizist Zincgref war dank Herkunft und Schulung in besonderer Weise dazu befähigt, politischen Vorgängen auf den Grund zu gehen und zugleich publizistisch in sie einzugreifen.12 Der Vater Laurentius Zincgref hatte auf längeren Reisen unmittelbare Anschauung von den dramatischen Vorgängen in Frankreich und den Niederlanden gewonnen. Nach dem Erwerb des Lizentiats der Rechte in Orléans war er 1570 zum kurfürstlichen Rat in Heidelberg ernannt worden. In seiner Eigenschaft als Kriegsrat kam er 1574 in die Niederlande zurück, als es galt, den Protestanten bei ihrem zweiten Aufstand gegen die Spanier zu Hilfe zu kommen; dies – nach einem brieflichen Zeugnis – »im Namen der ›Teutschen Freiheit‹ und wider die ›einreißende tyrannei und ewige dienstbarkeit unsers geliebten vatterlandes‹«.13 Das waren Worte, die alsbald bei dem Sohn – nicht anders als bei Opitz – einen Widerhall finden sollten. Altersgenossen Zincgrefs waren zum einen der schon erwähnte Friedrich Lingelsheim, der Zincgref auch auf seinen Reisen nach England und in die Niederlande begleitete, sowie zum anderen Johann Leonhard Weidner, der Herausgeber einer 1619 erschienenen ›Triga amico-poetica‹, die ein Forum für die lateinische Produktion vornehmlich eben des jüngeren, sich um Zincgref sammelnden Heidelberger Dichterkrei––––––––– 12
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Die einschlägige Literatur zu Zincgref findet man jetzt in Originalbeiträgen des Bandes bzw. in Form von Referenzen versammelt in der vielfach Neuland erschließenden jüngsten Publikation: Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz. In Verbindung mit Hermann Wiegand herausgegeben von Wilhelm Kühlmann.- Ubstadt-Weiher etc.: verlag regionalkultur 2011. Hinzuzunehmen, um nur einen weiteren Akzent zu setzen, Theodor Verweyen: Parallel Lives: Martin Opitz and Julius Wilhelm Zincgref.- In: Early Modern German Literature 1350–1700. Hrsg. von Max Reinhart.- Rochester, NY: Camden House 2007 (The Camden House History of German Literature; 4), S. 823–852. Wilhelm Kühlmann, in Verbindung mit Lutz Claren und Karl Friedrich Zinkgräf: Laurentius Zincgref, der Vater. Lebensspuren und Lebensleistungen des Heidelberger Hofgerichtsrats. Mit einem juristischen Briefgutachten für den Theologen David Pareus sowie der Erstübersetzung (von Lutz Claren) der Vita L. Zincgrefs bei Melchior Adam.- In: Julius Wilhelm Zincgref (Anm. 12), S. 135–164, S. 141.
Rückkehr in die Pfalz: Zincgref als Publizist
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ses bot.14 Weidner hat sich als Herausgeber und als Biograph um seinen Weggefährten immer wieder verdient gemacht. Auch steuerte er Sprichworte zum ›Florilegium Ethico-Politicum‹ (1610/11) seines Lehrers Gruter bei, mit dem er das anthologistische Interesse teilte, wie es auch für die Heidelberger typisch blieb. Zu den vielen glücklichen Umständen, die den Lebensweg Opitzens auszeichnen, gehört auch, daß Zincgref 1617 von ausgedehnten Reisen nach Heidelberg zurückkehrte und also anwesend war, als Opitz wenig später daselbst eintraf. Ihr Zusammenwirken konnte daher noch auf dem Boden der Pfälzer Residenz bekräftigt werden, und die zeitliche Koinzidenz der beiden nachhaltigen poetisch-rhetorischen Interventionen zugunsten des Pfälzer Kurfürsten steht symbolisch dafür ein. Es ist das Jahr, da Zincgref mit seinem ›Epos ad Fridericum‹ hervortrat, mit dem er seine – doch wohl singulär dastehende – politische Publizistik für die Pfälzer Sache eröffnete, von der auch Opitz dann so eminent profitieren sollte. Der große Erforscher des Klein- und Tagesschrifttums Emil Weller und der nicht minder bedeutende Bibliothekar und umsichtig recherchierende frühe Biograph Zincgrefs Franz Schnorr von Carolsfeld wiesen auf diesen Aspekt im Wirken Zincgrefs bereits hin. Mertens und Verweyen haben ihn im Zuge ihrer Vorbereitungen einer Ausgabe der Werke Zincgrefs wieder aufgegriffen und weitergeführt. Schien 1867 die Formulierung Wellers ›Zincgref als Politiker‹ noch allzu kühn zu sein, so kann heute nach den Ausführungen Schnorr von Carolsfelds und dem Fund des ›Epos‹ behauptet werden, daß Zincgrefs literarische Produktion aus der Zeit zwischen 1619 und 1623 vornehmlich als politische Publizistik aufzufassen ist.15
An dessen Anfang steht Zincgrefs Gedicht auf Friedrich V., das – entgegen der Fiktion – natürlich durchaus nach Annahme der Königskrone durch Friedrich geschrieben sein kann, also nach dem August 1619, an dessen Ende die ›Vermanung zur Dapfferkeit‹ (1622) und das ›Quotlibetische Weltkefig‹ (1623) stehen. Dazwischen liegen die ›Newe Zeitungen Von unterschiedlichen Orten‹ (1619) und die ›Zeitung aus der ChurrPfaltz‹ (1621).16 Diese Schriften – ebenso wie die ›Facetiae Pennalium‹ (1618) und die ›Emblematum Ethico-Politicorum Centuria‹ (1619) – ––––––––– 14
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Triga Amico-Poetica. siue Ivlii Gvlielmi Zincgrefii Heidelbergensis Iuuenilia Poetica: Friderici Lingelshemii Heidelbergensis p.[ost] m.[ortem] Reliquiae Poeticae. Ioannis Leonhardi VVeidneri Palatini Conatuum Poeticorum Prodromus. Editio prima procurata ab eodem Ioanne Leonhardo VVeidnero. Excusa Anno M.DC.XIX. Vgl. zu Weidner das große Porträt von Jost Eickmeyer: Johann Leonhard Weidner. Freund, Biograph und literarischer Erbe Julius Wilhelm Zincgrefs.- In: Julius Wilhelm Zincgref (Anm. 12), S. 471–512. Vgl. auch den Eintrag zu Weidner in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. XII (2011), S. 213 f. Dieter Mertens, Theodor Verweyen: Bericht über die Vorarbeiten zu einer Zincgref-Ausgabe.- In: Jahrbuch für Internationale Germanistik IV/2 (1972), S. 125–150, S. 149 f. Die drei ReferenzTexte: Emil Weller: Der Dichter Zinkgref als Verfasser des Welt- und Hummel-Käfigs.- In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N.F. 3 (1856), S. 297–300; ders.: Zincgref als Politiker.In: Serapeum 28 (1867), S. 156; Franz Schnorr von Carolsfeld: Julius Wilhelm Zincgrefs Leben und Schriften.- In: Archiv für Literaturgeschichte 8 (1879), S. 1–58, S. 446–490. Vgl. die höchst verdienstvolle ›bibliographische Übersicht‹ mit Exemplar-Nachweisen bei Schnorr von Carolsfeld, S. 52–58, S. 487–490.
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sind nicht mehr aus einem gegebenen gesellschaftlichen Anlaß für eine kleine Gruppe geschrieben, sondern aus politischem Anlaß entstanden, mit öffentlichen Problemen befaßt und für ein größeres Publikum in und außerhalb der Pfalz bestimmt. Der Weigerung Zincgrefs, die standesübliche Karriere einzuschlagen, entspricht das Abrücken von der ständischen Gesellschaftspoesie. Seine literarische Tätigkeit ist nicht mehr an den Konventionen einer begrenzten Personengruppe ausgerichtet, sondern zielt auf ein Sachprogramm, als dessen Elemente der politische Kampf der Pfalz und die ›Teutsche Musa‹ zu nennen sind.17
Am ehesten verbleibt das Epos auf Friedrich in neulateinischer gebundener Rede dem humanistisch gebildeten Dichter-, Gelehrten- und Beamtenkreisen in Heidelberg verhaftet. Und dementsprechend ist es durchsetzt mit den bekannten Versatzstücken der lateinischen Herrscherlob-Topik. Dies aber schließt die aktuelle Volte nicht aus, sondern ermöglicht sie in gewisser Weise überhaupt erst, indem das neue, noch nicht artikulierte Argument dem vorgegebenen Schema integriert werden kann. Nachdem das Epos kürzlich in zweisprachiger Version wieder zugänglich gemacht wurde, nehmen wir die Gelegenheit wahr – einen lange zurückliegenden Versuch wiederaufnehmend und weiterführend –, einen Blick in den faszinierenden Text zu werfen. Ein weiterer in Zincgrefs ›Quotlibetisches Weltkefig‹ wird sich anschließen. Dem Verständnis der Opitzschen ›Oratio‹ für den böhmischen König wie seiner ›Laudatio‹ auf Camerarius wird die nun auch für Zincgref beobachtete Doppellesung allemal zugute kommen.
Zincgrefs ›Epos ad Fridericum‹: Rom als Paradigma Nur 184 Hexameter umfaßt das ›Epos‹ Zincgrefs.18 Nicht die Länge des Textes ist für die Wahl dieses Begriffs maßgeblich, sondern seine dreifache Konnotation. Es sind dies das klassische epische Versmaß, der herausgehobene, um nicht zu sagen ›erhabene‹ Vorwurf und die Stilhöhe, fungiert doch das genus grande gleichermaßen vornehmlich für epische wie für tragische Sujets. Wenn es einen politischen Rückhalt für die geschichtliche Substanz eines ›Epos‹ gab, dann mit Gewißheit in der calvinistischen Kurpfalz, die vor der größten Bewährungsprobe in ihrer jahrhundertealten Geschichte stand. ––––––––– 17
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Dieter Mertens: Zu Heidelberger Dichtern von Schede bis Zincgref.- In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 103 (1974), S. 200–241, S. 232. Vgl. von Mertens auch: Julius Wilhelm Zincgref und das Problem des Späthumanismus.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 150 (2002), S. 185–207. Ad Fridericum Bohemiae Regem Pium Felicem Inclytum B. RP. N. Epos. Julii Guilielmi Zincgrefii. M.DC.XIX. Das einzig erhaltene Exemplar in der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen wurde dem Verfasser von seinem Entdecker Dieter Mertens schon in den siebziger Jahren zugänglich gemacht. In dem Opitz-Porträt aus dem Jahr 1986 und der in den siebziger Jahren geschriebenen Abhandlung über den jungen Opitz, welche erst 2012 erschien, konnte der aufrichtige Dank jeweils am Ort zum Ausdruck gebracht werden. Auf der seinerzeit zugesandten Kopie findet sich auf dem Titelblatt die Notiz ›Weltkefig folgt. D.M.‹. Der Verfasser erinnert sich mit Freude an den lebhaften Austausch mit dem 2014 verstorbenen Freiburger Kollegen. Diesem war es vergönnt, die von ihm vorbereitete zweisprachige Edition des Textes noch zu erleben. Vgl.: Dieter Mertens: Zincgrefs ›Epos ad Fridericum‹.- In: Julius Wilhelm Zincgref (Anm. 12), S. 101–133. Hier der zweisprachige Text S. 116–133.
An der Wende der Zeiten
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Der promovierte Jurist Zincgref stellt dem Werk – einem Motto gleich – eine Passage aus Johann Oldendorps juristischem Lexikon voran, das bereits die Richtung ahnen läßt, die sein ›Epos‹ einschlagen wird.19 Es ist die Äußerung eines prominenten Staatsrechtlers aus reformierter Optik, die seine Verlautbarung prägt. Rechtssicherheit gründet in Freiheit, die jedwede Obrigkeit zu respektieren hat; Unterdrückung der Untertanen untergräbt umgekehrt obrigkeitliche Autorität. Als Paradigma figuriert Rom. Dessen Herrschaft umfaßte den Weltkreis, solange es sich der Zuneigung der Bürger versichert wußte. In dem Moment, da sich Willkür ausbreitete, büßte die Herrschaft Glanz und Würde ein, wurde also, wie ergänzt werden darf, von innen heraus zerrüttet mit allen Folgen für die vormals weltumspannende Rolle von Stadt und Staat. Es gehört wenig Phantasie dazu, in diesem Vorspann das Schicksal Habsburgs bedeutet zu sehen. Ein durch und durch versierter politischer Autor hat im Schicksal Roms eine ›praefiguratio‹ des Schicksals der Weltmacht in der Gegenwart vor Augen. Ermutigung ging aus von dieser ›coincidentia temporum‹ und eben genau sie bestimmt den Tenor des nachfolgenden Textes. Ein geschichtsphilosophischer Rahmen ist gezimmert, geeignet, die Lesung des Textes zu steuern.
An der Wende der Zeiten Als Lob des Königs gibt sich dieser Text sogleich zu Eingang. Und das gründet in der Person nicht anders als in der Folge großer Könige, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation sein eigen genannt hat, das Friedrich nunmehr repräsentiert. Das gilt im Besonderen für die Wittelsbacher, denen auch die Habsburger so viele bedeutende Könige und Kaiser verdanken. In dieser illustren Reihe steht Friedrich. Tu quae jam reliquis est maxima portio laudum Nobilitas generis, minimam facis esse tuarum.20
Sein über eine große Tradition legitimierter politischer Anspruch ist von vornherein ein das alte Reich umspannender und damit die konfessionellen Scheidelinien relativierender. Als böhmischer König wird er über den partialen Mächten thronen. Entsprechend knüpfen sich immense Hoffnungen an seine Regentschaft. Auf ein eindrucksvolles Repertoire römisch-caesaristischer Panegyrik vermag der Dichter zurückzugreifen, derart das junge böhmisch-pfälzische Königtum mit einer Aura uranfänglicher Bilder und Symbole umfangend. Zukünftige Generationen werden von den Segnungen seiner Herrschaft zehren können. Eine Augusteische, von Vergil in unvergeßliche Worte gekleidete Situation, wird sich wiederholen, eine alte Welt dahingehen und eine neue emporsteigen. An der Scheide der Äonen sieht sich der junge König in Vergilscher Manier plaziert. ––––––––– 19
20
Zu Oldendorp vgl. Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Band I: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800.- München: Beck 1988, S. 85 f., mit der einschlägigen Literatur. Zincgref: Epos ad Fridericum (Anm. 18), Verse 26 f. Die deutsche Übersetzung: Du machst den Adel des Geschlechtes, der für andere bereits den größten Teil ihrer Verdienste ausmacht, zum kleinsten Deiner Verdienste. (S. 123).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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Einer durch das Glück der Geburt gesegneten Menschheit steht ein Glück gewährendes neues Jahrhundert, ja ein ›heiliges Zeitalter‹ (sanctum aevum) bevor. Das neue Reich ist auf andere Weise zugleich das alte, weil das ungeteilte. Wo ein derartiger säkularer Umschwung statthat, wo Gerechtigkeit und Treue zurückkehren, da sind auch die Musen nicht fern. Ite ergò ite anni, ingeniis florescite doctis, Exilio reducem, ductu auspiciisque FRIDERICI, Virtutem, Imperio faciemque reducite priscam, Ducite justitiam, cum justitiâque sororem Germanam revocate fidem, revocate Camoenas.21
Bellum iustum und aetas aurea Vorher jedoch ist ein kriegerisches Pensum zu absolvieren. Der Dichter, erfüllt von reformiertem Geist, weiß um die Notwendigkeit, aber auch die Sinnfälligkeit dieses herben Geschäfts. Wo Unterdrückung waltet, wo Herrschaft die ihr verliehene Macht mißbraucht, ist Gegenwehr angesagt und muß ergriffen werden. Diese Lektion wurde auch einem Opitz im Umkreis Heidelbergs zuteil. Sie hat vielleicht die tiefsten, ja die erhabensten Spuren in seinem Werk hinterlassen. Eine Botschaft verlautete, in der Glaube und Politik sich trafen in einem Dritten, der Hinwirkung auf ein Leben in Freiheit, das, wie die Dinge nun einmal lagen, eine Freiheit zur Ausübung eines je eigenen inneren frommen Lebens war. Auch ein Zincgref hat dafür aufrüttelnde, ja blitzartig ergreifende Worte gefunden. In dieser auf eine junge, gleichwohl bereits artikulierte Tradition theologisch inspirierten Widerstands zurückblickende reformierte Intelligenz gehen der Aufruf zu den Waffen und das keinen Moment preisgegebene Bekenntnis zum Frieden zusammen. Wir wissen um das nur allzu berechtigte Mißtrauen, das dieser prekären Allianz entgegenzubringen ist. Auch im Calvinismus hat sie desaströse Auswüchse gezeitigt, von denen zu sprechen sein wird. Hier auf deutschem Boden und im Blick auf Schlesien und seine Nebenländer liegen die bitteren Erfahrungen mit einem militanten Glaubensgegner der bellizistischen Attacke zugrunde. Eine kurze Phase des unumgänglichen Waffengangs steht bevor; um so eindringlicher malen sich die Verheißungen eines alsbald nachfolgenden Friedens. Er soll, wie immer wieder zu betonen ist, einer der glaubensförmigen Selbstbestimmung sein. Daran läßt auch der Publizist Zincgref keinen Zweifel. Ite anni, FRIDERICUS adest, qui prospicit aevo, Proque hoc arma feret, pacemque armatus amabit, Et nostris hostem peregrinum arcebit ab oris, Atque perennanti circumdabit omnia Lege.
––––––––– 21
Verse 41–45. Die deutsche Übersetzung: Also wohlan, ihr Jahre, wohlan, blüht auf durch gelehrte Geister, geleitet die Tugend, die unter Friedrichs Führung und Schutz aus der Verbannung zurückkehrt, heim und gebt dem Reich sein altes Gesicht wieder. Bringt die Gerechtigkeit mit und ruft mitsamt der Gerechtigkeit ihre Schwester, die wahre Treue, zurück, ruft die Musen herbei. (S. 123).
Adhortatio und ›nutrex Germania‹
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En FRIDERICUS adest, durissima quaeque subire Germanum pulcrumque putans, gravitate serenâ Plenus, quo vivit somni vix parcior alter. Hic Martem ac Martis bella, impia bella fugabit, Barbariemque procul cum matre Tyrannide vastum Vel solo terrore sui compellet in aequor[.]22
Adhortatio und ›nutrex Germania‹ Derart ist ein erster poetischer Gedanke abgeschlossen. Eine Ehrung ist erfolgt und ein reformiertes staatsrechtlich-politologisches Axiom, eingekleidet in herkömmliche Bilder, rekapituliert. Damit ist die Voraussetzung geschaffen für den Übergang zur Handlungsanweisung. Auch sie liegt in den Händen des Dichters, ja gehört zu seinen ureigenen Aufgaben. Die Pfälzer Publizistik ist direkt involviert in das zeitgleiche politische Geschehen. Ja, man sagt womöglich nicht zu viel, wenn man die These riskiert, daß sie nicht unerheblichen Anteil gehabt haben dürfte an den Erwägungen in der kurpfälzischen Residenz, wie sie der heiklen Mission vorausgingen. Die Stimmen eines Zincgref, eines Opitz wurden mit Gewißheit gehört und vor allem über die Mitglieder des Oberrats in die überaus schwierige Entscheidungsfindung einbezogen. Nur selten in der Dichtung des 17. Jahrhunderts ist ein derartig enger Nexus zu gewahren. Es war die Gunst einer knappen Zeitspanne, die eine so nicht wiederkehrende Sternstunde der Poesie zeitigte. Die Waage sollte sich endlich zugunsten der immer wieder von Unterdrückung bedrohten Glaubensgenossen senken, und die Poesie nahm den ihr dabei zugewiesenen Part eindrucksvoll wahr. Ein großes – und seltenes – Kapitel politischer Dichtung auf deutschem Boden wurde geschrieben. Im konkreten Fall bedeutete dies, den zögernden Kurfürsten zu ermuntern, die geschichtliche Chance zu ergreifen und den vorgezeichneten Weg mutig zu beschreiten. Quid cessas, FRIDERICE? Deo quid cedere porrò Cunctatrix dubitat virtus, cum vita salusque A te tantorum populorum pendeat uno, Et caput hoc tot regnorum sibi fecerit ordo? Exigit hoc dudum nutrix Germania, sese Hostibus externis, et quod damnosius hoste, Externis vitiis praedae indignata futuram. En, FRIDERICE, tuis ipsos cum supplice mundo Affusos genibus proceres, tantumque timentes, Ne reputes ausis indigna pericula, Princeps, Illa tuis, et digna tuâ sua regna repulsâ;
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Verse 46–55. Die deutsche Übersetzung: Wohlan, ihr Jahre, Friedrich ist da, der Vorsorge trifft für das Zeitalter und für dieses die Waffen tragen wird; den Frieden wird er bewaffnet lieben, und dem fremden Feind wird er von unseren Grenzen fernhalten, und alles wird er mit beständigem Gesetz umgeben. Sieh, Friedrich ist da, der es für recht und schön erachtet, selbst noch die härtesten Mühen auf sich zu nehmen, der von heiterer Würde erfüllt ist, der jeden an Enthaltsamkeit vom Schlaf übertrifft. Er wird Mars und die Kriege des Mars, die ruchlosen Kriege vertreiben, und er wird die Barbarei mitsamt ihrer Mutter, der Tyrannis, allein durch den Schrecken, den er einflößt, auf das weite Meer hinaus treiben[.] (S. 123, S. 125).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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Magnanimo cum nota tibi sub pectore virtus, Virtus digna legi majora ad sceptra regenda, Excubet et pompâ longè meliore triumphes In cunctorum animis hominum, meritoque repellas Quae solus sprevisse potes, solusque mereri.23
Es ist evident, daß – zumindest dem textuellen Angebot nach – die Entscheidung noch nicht gefallen ist. Als Zögernder erscheint der Fürst. Derart setzt sich die obwaltende Spaltung hinsichtlich der Einschätzung der zu ergreifenden Schritte bis hin zur fürstlichen Spitze fort. Friedrich selbst muß überzeugt werden. Der Dichter ist eindeutig auf der Seite derer, die dazu auffordern, nicht länger zu zögern. Eine immense Verantwortung ruht auf dem Haupt des zur Tat Erkorenen. Die göttliche Ordnung, so zu Recht von dem Übersetzer ergänzt, hat er auf seiner Seite. Das Schicksal ganzer Völkerschaften hängt von ihm ab. Und dann ist sie wieder da, die ›Mutter Germania‹, von Opitz stetig angerufen, der humanistischen Zunft teuer, so auch Zincgref. Indem Friedrich sich zum Zug nach Böhmen bereit machen soll, nimmt er einen nationalen Auftrag wahr. Ganz Deutschland ist bedroht, nicht nur das protestantische. Der Dichter hat ein nationales Wächteramt inne. Und dies erstreckt sich über das machtpolitische hinaus. Von ›ausländischen Lastern‹ (externis vitiis) ist die Rede. Das sind andere als die insbesondere den ›Welschen‹ stets nachgesagten. Das Erzübel der religiösen Unterdrückung ist im Visier. Von ihm sind alle Gläubigen auf dem Boden ›Germanias‹ bedroht. Die dem Fürsten zugeschriebene nationale Verantwortung wird auf andere Weise auch von dem Dichter wahrgenommen. Beide treffen sich in einer sich über die Konfessionen hinweg erstreckenden Berufung auf ein angestammtes Menschenrecht, das politischer wie religiöser Verfügung entzogen ist. Ganz falsch wäre es folglich, aus den Zeilen eine ›ausländerfeindliche‹ Haltung heraushören zu wollen. Der Dichter hat sich eine nähere Spezifizierung des nicht nur politischen, sondern eben auch religiösen Aggressors für den Schluß aufgespart. In der Tat ist es eine fremde Macht, die das Unwesen schürt. Doch agiert sie nicht als eine ›völkische‹, sondern als eine widerchristliche. Entsprechend haben wir immer wieder zu konstatieren, daß aus der Mitte der Humanisten heraus jene Werte erstmals und in aller Behutsamkeit umkreist werden, denen eine große Zukunft gehören sollte, und das in einem Prozeß stetig fortschreitender Entfaltung und Präzisierung. Die ›nutrix Germania‹ fungiert derart als ein Integral, um politische wie religiöse Integrität zu markieren und im aktuellen Prozeß einzuklagen. ––––––––– 23
Verse 60–75. Die deutsche Übersetzung: Was zögerst Du, Friedrich? Was scheut sich die zaudernde Tugend noch, Gott nachzugeben, da Leben und Heil so großer Völker einzig von Dir abhängt und die [göttliche] Ordnung sich eben dieses Haupt so vieler Reiche erkoren hat? Dieses [Haupt] fordert schon längst die Mutter Germania, die sich empört, dass sie ausländischen Feinden und, was noch verderblicher ist als ein Feind, ausländischen Lastern zur Beute werden wird. Siehe Friedrich, die Vornehmen, die gemeinsam mit der flehenden Welt zu Deinen Knien liegen und einzig fürchten, Du möchtest die Gefahren Deinem Beginnen, Fürst, für unwert und ihre Reiche Deiner Zurückweisung für wert erachten. Weil in Deiner hochgesinnten Brust die bewährte Tugend wacht – die Tugend, die würdig ist, zu größerer Herrschaft erwählt zu werden –, und Du mit weitaus besserer Pracht in den Herzen aller Menschen triumphierst, magst Du mit Recht zurückweisen, was Du allein verachten und Du allein verdienen kannst. (S. 125).
›Europa flagrans‹: Das brennende Europa
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Die ›Vornehmen‹, also den Adel, weiß der Dichter auf seiner Seite. So flektiert sich auch an dieser Stelle die immer wieder zu beobachtende Bindung des obersten Standes an die evangelische Botschaft, und dies im Namen von ständischer wie mentaler ›libertas‹. Vor allem im böhmischen Adel hatte der Kurfürst und inskünftige König unter diesem spezifischen Aspekt Unterstützung, und das in Wahrnehmung einer alten, im Grunde bis in die hussitischen Zeiten zurückreichenden Tradition. Leser und Hörer auch des Zincgrefschen ›Epos‹ wußten um diesen Hintergrund. Er wich merklich ab von der ›durchwachsenen‹ Beurteilung, die das Projekt im Kreis der Berater Friedrichs erfuhr. Tugend (virtus) im umfassendsten Sinn des Wortes, ist vonnöten, um über Zweifel und Ungewißheit zu triumphieren. Dieser Fürst ist zu Höchstem berufen. Die Königskrone ist die ihm geziemende. Es sollte nach dem Wunsch des Dichters und seiner Freunde eine solche sein, unter der alle Deutschen sich wiederfinden konnten. Die Krone Habsburgs mußte übergehen auf die Pfälzer Wittelsbacher. Für einen Moment wankten die Fugen des alten Reichs.
›Europa flagrans‹: Das brennende Europa Noch einmal setzt der Dichter an. Zum Dolmetscher jener Stimmen macht er sich, die da den Raum erfüllen und seinen eigenen Worten jene Zugkraft verleihen, die die Zögernden in ihren Bann schlagen werden. Der Gesichtskreis weitet sich. Europa tritt in das Blickfeld. Europa brennt. Da ist es undenkbar, daß der Fürst die Hände in den Schoß legt. Für einen Moment klingt der bündnispolitische Aspekt der Mission Friedrichs an. Ringsum herrschen Krieg und Schlachtenlärm, ist der wahre Glaube bedroht, Zusammenschluß folglich dringend geboten. Im Bunde mit der Glücksgöttin darf der zukünftige König sich wähnen. Ja, mehr noch. Friedrich ist ein Erwählter aus göttlicher Gnade, und so, als Inbegriff wahrer Frömmigkeit, ist er dazu bestimmt, der rechten, der gerechten Sache beizuspringen. Er darf, ja er muß sich als göttliches Werkzeug verstehen. Nicht weniger als einem himmlischen Ratschluß gehorcht er, der da mit machtvollem Finger auch in sein Herz geschrieben ist. Ihm, der das ihm Aufgetragene zu seiner Sache macht, gebührt noch einmal der Titel eines ›Vaters‹, eines ›pater patriae‹. Wahrgenommen sein aber will, daß es niemals nur um die politische Behauptung geht, wenn der Fürst den Feldherrenstab ergreift. Wichtiger als die Freiheit des Körpers, so explizit, ist die des Geistes. Ein Feldzug für Gewissensfreiheit steht auf der Tagesordnung. Und das, wie ergänzt werden darf, überall dort, wo diese Freiheit geknebelt wird. Das gibt der bevorstehenden Aktion ihren weitläufigen Horizont, der in den mondialen Wendungen wiederholt anklingt. Glückliche Vorzeichen hat der Tugendreiche an seiner Seite. Nichts Ebenbürtiges haben die Feinde dem entgegenzusetzen, weil es ihnen an der inneren Reinheit gebricht. Am Ende wird Frieden, wird dauerhafter Frieden stehen. En verba, en ipsas libeat cognoscere voces: Tene orbis communis amor, ter maxime Princeps, Europâ tenuisse manus flagrante decebit?
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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Haud equidem. Tantâ tandem quid strage paretur Ignoras? quaerit terrarum hominumque tumultu, Quid praestet Fortuna tuis virtutibus, imò Invenit, munusque suum parvum ipsa fatetur. Accipe quam ferimus submissâ mente Coronam, Et fer opem fessis, ventura ut secula discant, Nempe potestatem solâ virtute parari, Et vitium omne, omnes semper servire Nerones. Nec nostro, Princeps, debes haec regna favori, Quae DEUS ipse tibi offert, et tua propria Virtus. O felix, quem tanto operi coeleste citavit Decretum, digito scriptum haec per corda potenti. Ter felix, servata brevi quem tanta vocabunt Verum regna patrem, patriaeque suisque timentem, Securumque sui, tanto majoribus olim Laudibus ornandum, quanto, quam corporis, extat Libertas animae major[.]24
Pro Patria, pro Religione Glückliche Vorzeichen (fausta omnia) darf der über alle Maßen Tugendhafte und Tapfere zugunsten seiner Mission im Spiel sehen. Diese antike Erbschaft ist immer neu zu aktivieren und verleiht jeder übermenschlichen Aktion jene zweite Weihe, die sich in den Sternen birgt und von der der Dichter im Bunde mit den Alten zu künden weiß. Um nichts Geringeres geht es, als den Völkern endlich ›wahren Frieden‹ (vera quies) zu bringen. Bitten und Klagen haben nichts vermocht. Im Gegenteil. Von ›Sizilianischen Vespern‹ ist da die Rede, die die Feinde den unbotmäßigen Evangelischen zugedacht haben. Ein widerspenstiges Geschlecht soll endgültig vernichtet werden. Dagegen steht der Fürst auf, und der Dichter weiß, daß ihm die ›verbündeten Völker‹ zu Hilfe kommen werden. Sie haben die gerechte Sache auf ihrer Seite, so die unumstößliche, stets wieder im Umkreis der reformierten Publizistik verlautende Botschaft. Auf eine denkwürdige Weise hat sich die mit dem reformatorischen Aufbruch verbundene säkulare Gewißheit, auf der rechten Seite zu stehen, nämlich das Evangelium aus den Fesseln befreit zu haben und wohlgemut für es einstehen zu dürfen, in ––––––––– 24
Verse 76–95. Die deutsche Übersetzung: Wohlan, es mag gefallen, die Worte, die Stimmen selbst zu hören: Wird Dich die gemeinsame Liebe des Erdkreises zieren, dreimal größter Fürst, dafür dass Du die Hände in den Schoß legst, während Europa brennt? Gewiss nicht. Weißt Du denn, um was es in solch gewaltigem Ringen geht? Im Kriegslärm der Länder und Völker sucht das Glück, was es Deinen Tugenden biete. Ja, es ist fündig geworden, selber zeigt es sein kleines Geschenk: Nimm an die Krone, die wir demütig darbieten, und komm den Erschöpften zu Hilfe, damit die künftigen Zeiten lernen, dass Herrschaft denn doch allein durch Tugend erworben wird, und dass jegliches Laster, jeder Nero immer nur dient. Aber nicht unserer Gunst, Fürst, verdankst Du diese Reiche, Gott bietet sie Dir an und Deine eigene Tugend. Du Glücklicher, den zu solch bedeutendem Werk himmlischer Ratschluss, mit machtvollem Finger in diese Herzen geschrieben, berief. Dreimal Glücklicher, den schon bald so große Reiche ob ihrer Rettung einen wahren Vater nennen werden, der um das Land und die Seinen besorgt ist und unbesorgt um sich selber, und der künftig mit umso größerem Lob auszuzeichnen sein wird, als die Freiheit des Geistes größer ist als die des Körpers. (S. 127).
Pro Patria, pro Religione
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das reformierte Lager herübergerettet. Einzustehen ist für beides. Das Vaterland wie die Religion sind gleichermaßen bedroht. ›Pro Patria, Pro Relligione‹ lautet daher in Majuskeln die Kernbotschaft in der Mitte des Textes. Es ist eine Formel, wie sie im Munde der Reformierten ihren geschichtsträchtigen Sinn erhält. Das war in Frankreich und in den Niederlanden nicht anders gewesen. Nunmehr erscholl die Parole auf dem Boden des alten Reichs. Der Funken sollte überspringen aus der reformierten Pfalz in das Herzland Europas, wo sich seine Zukunft entschied. Als ›einzige Hoffnung unseres Landes‹ (nostrae spes unica terrae, V. 126) wird der Glückliche angesprochen, dem es aufgetragen ist, die Wende herbeizuführen. Prag rückt – für eine nur allzu knapp bemessene Frist – in den Mittelpunkt der europäischen Politik, und der Dichter weiß um den kairos dieses Augenblicks. Aufmunterung ist sein Metier. Und so gleitet der Blick hinüber in die böhmische Krönungsstadt, deren Tore weit geöffnet sind. Der König und die Königin – sie werden daselbst erwartet. Diese fröhliche Botschaft hält der Dichter bereit, Räume und Völkerschaften verbindend. Ein Retter naht und der führt ein religiöses und ein politisches Vermächtnis mit sich. Ingredere ô felix nostrae spes unica terrae: Nunquam ita suspendis oculis insomnibus aegris Nocturno aut vigili cunctantis tarda diei Lux observatur, quantum maturus anhelo Aspectus tuus huic populo speratur et urbi, Cui tecum mox vita salus sanguisque redibit. En portas jam PRAGA suas, jam pectora pandit Civica turba tibi, innumeros plebs obvia plausûs Sollicitasque preces pro te super aethera fundit, Serus ut in coelum redeas, in longa superstes Secula nobiscum degens, regnesque beatus. Ingredere ô Heros, tecumque Britannica Diva, Quâ cuncti gens una sumus, Palatinus et Anglus, Lusatus Moravusque Silesus atque Boëmus. Ingredere ô Dominos nobis paritura Virago, Rege ELISA viro felix, felicior ille Te magni Regis gnatâ, Regumque parente. Intrate optati, par nobile parque beatum, Quantamque adventu vestro servabitis urbem[.]25
––––––––– 25
Verse 126–144. Die deutsche Übersetzung: Tritt ein, Du vom Glück Begünstigter, einzige Hoffnung unseres Landes: Niemals wird mit so erwartungsvollen Augen von schlaflosen Kranken oder dem Nachtwächter das säumige Licht des zögernden Tages erwartet, wie Deinen baldigen Anblick dieses lechzende Volk und die Stadt erhofft, der mit Dir bald Leben und Heil und Blut zurückkehren wird. Siehe, schon öffnet Dir Prag seine Tore und die Menge der Bürger ihre Herzen, die herbeiströmende Bevölkerung schickt unzähligen Beifall und besorgte Bitten für Dich zum Himmel, Du mögest erst spät zum Himmel zurückkehren, mögest für lange Zeit uns erhalten bleiben und ein glücklicher Herrscher sein. Tritt ein, Du Held, und mit Dir die göttliche Britin, dank derer wir alle ein Volk sind, Pfälzer und Engländer, Lausitzer und Mährer, Schlesier und Böhmen. Tritt ein, Heldin, die uns Herrscher gebären wird, Elisa, gesegnet durch ihren königlichen Mann, gesegneter er durch Dich, die Tochter eines großen Königs und Mutter von Königen. Tretet ein, willkommen, gleich adlig und gleich glücklich, und welch großartige Stadt ihr durch euren Einzug retten werdet, seht mit erstaunten Augen und haltet sie für die Eure. (S. 129, S. 131).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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Urbi et orbi Auf England waren die Hoffnungen gerichtet, nachdem die Hugenotten ihren Sympathisanten Heinrich IV. verloren hatten und die Niederlande vom Kampf gegen die spanische Großmacht erschöpft waren. Nur allzu rasch sollte sich zeigen, daß auch diese Rechnung nicht aufging. Die so vielversprechende fürstliche pfälzisch-britannische Verbindung zeitigte keinen nachhaltigen politischen Effekt. Auch Zincgrefs Zeilen bezeugen, was man sich von dem illustren Paar versprach. Genau an dieser Stelle wird zu dem Höchsten gegriffen. Für die ihrige mögen die Einziehenden die großartige Stadt halten, die nunmehr auf Rettung von außen angewiesen ist. Wie ein roter Faden zieht sich der Rekurs auf die gerechte Sache (iusta causa) durch die poetische Rede. Niemals kann sie letztlich im Stich gelassen werden. »Atque opus hoc dium toto cantabitur orbe – Und darum wird dieses göttlich-erhabene Werk auf dem ganzen Erdkreis besungen werden.« (V. 148) Größtes naht, Größtes verlangt nach dem Sänger. Den Erdkreis umspannen die glückbringenden Taten (actis felicibus, V. 153). Den Blick aber zurückwendend in die Heimat, bietet sich verklausuliert ein anderes Bild dar. Dem Volk daselbst möge es versagt sein, Furcht für sich selbst zu empfinden, alle Gedanken seien bei dem Fürsten in der Ferne. Schmerzlich ist seine Abwesenheit, um so größer die Freude bei seiner Rückkehr, die nur eine in der imperialen Gebärde des Siegers sein kann und darf. Und so stellen sich unversehens die ins Pastorale hinüberspielenden Bilder wieder ein, in denen seit Vergil jede heilbringende Tat einer sympathetischen Natur und mit ihr Bacchus, Ceres und Minerva anvertraut war. Glanz wird auf den Gefilden liegen, Fruchtbarkeit auf Bergen und Äckern walten. Derart eingefaßt in die Bilder des Friedens tritt der politische Publizist am Ende unverhüllt hervor. Durchaus Verschiedenes firmiert da unter dem Begriff des Friedens. Bei den Spaniern nimmt er sich düsterer aus als selbst der Krieg. Dieser diabolischen Verheißung des Friedens gilt es zu wehren. Et quis praetereà bellum, belloque moretur Pejorem multò, quam spondet Iberia, pacem? Quis paveat, variâ quos parturit arte Tyrannus Ille vel ille dolos, orbis praedo ille vel ille, Incolumi hoc vinclo, quod jungit UTRUMQUE LEONEM?26
Da erklingt die Sprache, die Opitz in seinem ›Trost-Gedichte‹ sprechen wird. Die Pfalz und Böhmen haben sich zusammengeschlossen. Nur vereint sind sie unbesiegbar. Darf aber das ›rheinische Volk‹ (gens Rhenana) die Früchte des Sieges genießen, so trägt die eine, die wahre Religion den Sieg davon, und die ist eine weltumspannende. Am Schluß weitet sich das politische und religiöse Friedrich-Epos zum menschheitlichen. Es gibt nur einen Gott und also nur einen auf ihn gerichteten Glauben. Aus ––––––––– 26
Verse 165–169. Die deutsche Übersetzung: Und wer sonst wird den Krieg und das, was viel schlimmer ist als der Krieg: den Frieden, den Spanien verspricht, aufhalten? Wer mag noch die Ränke fürchten, die mit allerlei Gewandtheit der ein oder andere Tyrann, der ein oder andere Länderräuber hervorbringt, wenn nur dieses Band unversehrt ist, das beide Löwen verbindet? (S. 133).
Ein Blick in Zincgrefs ›Quodlibetisches Weltkefig‹
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der Mitte der Publizistik an der Wende der Zeiten um 1600 entspringt die Vision einer Ökumene des Glaubens, die als eine alle Menschen verbindende einer unausdenklichen Zukunft anheimgestellt bleibt. An Friedrich, den gerechten und frommen König, ist dieses Wunder der Ausbreitung des wahren Glaubens gebunden. Nur als im rechten Glauben verharrend darf er die politische Umwälzung ins Werk setzen. In dieser Verschränkung und nur in ihr ist gewährleistet, daß der Zug hinauf auf die Prager Burg, einem neuen Zion gleich, auf einem tragfähigen Fundament ruht. Das Licht des Evangeliums leuchtet ihm voran, und wenn dieses nicht erlischt, so allein deshalb, weil ihm ein frommer Herold folgt. Aus dieser Überzeugung speiste sich der Geist des Widerstands im Umkreis der Reformierten. Mit der mutig ergriffenen Gegenwart eröffnet sich ein unübersehbarer, ja ein zeitloser politischer und religiöser Prospekt. Im Prag Rudolfs II. hatten die chiliastischen Tagträume immer schon eine bevorzugte Heimstatt. Auch Zincgrefs Friedrich-Epos zehrt von ihnen. In grandiosen Akkorden endet sein Werk. Ergo, FRIDRICE, tuo gens jam Rhenana triumphat Ipsaque Relligio revirescit honore, DEIque Purior et tecum cultus celebratur in orbe. Corpora volvuntur lapsu: sic ille sacrorum DIVERTI NESCIT cursus, fideique propago, Quidquid inhumanum contrà genus usque laboret. Donec erit coelum, Regis pia fama FRIDRICI NUNQUAM EXTINGUETUR, nullum extinguetur in aevum LUX EVANGELII: statuâ subscriptus in omni, Qua Sol cunque rotans habitatis imminet oris, Fridricus verae Fidei Defensor, et Orbis UNA SALUS ET HONOS, à posteritate legetur.27
Ein Blick in Zincgrefs ›Quodlibetisches Weltkefig‹ Vier Jahre später, nach dem schmählichen Ende in Böhmen, der Zerstörung der Pfalz sowie dem großen Exodus aus Heidelberg, hat Zincgref nochmals als politischer Publizist das Wort ergriffen. Nun erfolgte die Intervention in der deutschen Sprache. Nur mit Staunen gewahrt der Hörer und Leser, mit welcher Verve eine umgepolte linguistische Schleuder geführt wird, deren Treffsicherheit nicht zielgenauer hätte sein können. Eine große Tradition der satirischen Schmährede, am Oberrhein seit mehr als einer Generation im Umlauf, teilt ihre Impulse dem Exilanten aus der Pfalz mit. Wir ––––––––– 27
Verse 172–184. Die deutsche Übersetzung: Also feiert, Friedrich, durch Deine Erhebung das rheinische Volk schon einen Triumph und erstarkt die Religion, mit Dir wird die reinere Gottesverehrung auf Erden gefeiert. Denn wie die unerschütterlichen Himmelskörper fortwährend auf ihrer Bahn kreisen, so kennt auch der Lauf des Gottesdienstes und die Ausbreitung des Glaubens kein Abweichen, was auch immer ein unmenschliches Geschlecht in einem fort dagegen unternimmt. Solange der Himmel sein wird, wird der fromme Ruf des Königs Friedrich niemals ausgelöscht werden, wird in keine Ewigkeit ausgelöscht werden das Licht des Evangeliums. Auf jedem Standbild, überall wo die kreisende Sonne bewohnten Gestaden scheint, liest die Nachwelt die Inschrift: ›Friedrich Verteidiger des wahren Glaubens und des Erdkreises einziges Heil und Zier.‹ (S. 133).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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können es uns nicht versagen, wenigstens einen knappen Blick auf dieses rhetorische Feuerwerk zu richten.28 Schon ein Fischart hatte immer wieder die zündenden Worte gegen pfäffisches Unwesen und skrupelloses politisches Agieren im Schlepptau der Jesuiten gefunden. Denaisius zehrte davon, wie wir hörten, und so nicht anders auch ein Zincgref. In Erinnerung zu halten verdient jedoch vor allem, daß sich hinter dieser Phalanx die mächtige Gestalt eines Rabelais erhebt. An satirischem Feuer tat es ihm keiner in der Frühen Neuzeit gleich. Nicht verwunderlich, daß Fischart dem satirischen Epos ›Gargantua et Pantagruel‹, diesem unsterblichen Werk der Weltliteratur, übersetzend und bearbeitend seine Stimme lieh. Die pfälzische Publizistik und der fruchtbare Boden, auf dem sie erblühte, bleibt ein Wunder der deutschen Literatur im europäischen Kontext. Der allegorische Titel signalisiert einen Umschlag: Quodlibetisches Weltkefig/ Darinnen gleichsamb/ als in einem Spiegel/ das gegenwertige Weltgetümmel/ gehümmel/ vnd Getrümmel/ Wüten vnd Toben/ Liegen/ Triegen vnd Kriegen/ Jrren/ Wirren vnnd Synceriren/ Schwarm und Alarm zusehen. Gedrückt Jm Jahr/ 1623.29 Der Übergang ins ›Zeitalter des Barock‹ scheint vollzogen. Die geschichtliche Katastrophe, bis zur Jahrhundertmitte sich perpetuierend, ruft das Bild des ›Weltkefigs‹ hervor, in den eingeschlossen die Völker Europas auf deutschem Boden wüten. Es ist die gleiche geschichtliche Erfahrung, die die Aufnahme und Weiterbildung der Fortuna-Allegorie im 17. Jahrhundert begünstigte. So stellt sich auch gleich zu Anfang des politischen Traktats das Bild der Narren ein, die den Weltkäfig bevölkern. Statt politischer Agitation, Scheidung in Freund und Gegner der Pfälzer Sache und also Identifizierung der widerstreitenden konfessionspolitischen Parteien nun womöglich das entpolitisierte allegorische Bild der umstandslos der Narretei ergebenen Menschheit? Mitnichten, wie schon der Titel der späteren Auflagen beweist, die ins »grosse Wunderjahr 1632« fallen, dem Befreiungsjahr der Pfalz wie des Todes Gustav Adolfs: Quotlibetisches Welt vnd Hummel Kefig: Darinnen das jtziger Zeit gegenwertiges tyrannisirend rauberische Weltgetümmel/ Gehümmel vnd Getrümmel/ wüten vnd toben/ jrren/ verwirren/ sinceriren, liegen/ triegen/ vnd kriegen/ gleichsam als in einem klaren Spiegel vor Augen gestellet/ vnd erwiesen wird/ Daß in Teutschland kein beständiger Fried zu hoffen/ ehe vnd zuvor die Ketzer alle gut Catholisch seyen. Dem hochbedrängten Vaterland Teutscher Nation zur hochnöthigsten Warnung wolmeynend in Druck gegeben. Ridentem dicere verum, nil vetat, et prodest. Intendum genus est peritiae, vitare, quod doctis placeat. Gedruckt im grossen Wunder Jahr/ M.DC.XXXII.30
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Vgl. jetzt – mit der Literatur – Werner Wilhelm Schnabel: Zincgrefs ›Quodlibetisches Weltkefig‹. Eine satirisch-polemische Flugschrift gegen den politischen Katholizismus.- In: Julius Wilhelm Zincgref (Anm. 12), S. 223–262. Es erschien vermutlich schon 1622 eine Ausgabe, von der sich nur ein Exemplar in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek erhalten hat. Vgl. dazu Schnabel, S. 225 mit Anm. 10. Die von uns zitierte Ausgabe wurde in den siebziger Jahren in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aufgefunden, war seinerzeit unbekannt und ist jetzt auch aufgeführt bei Schnabel, S. 229, Anm. 28, Besitzangaben Anm. 29. Wir zitieren im folgenden nach dem Göttinger Exemplar, Signatur: H. Germ. un. VIII, 77 (40). Auch an dieser Stelle sei der posthume Dank des Verfassers an Dieter Mertens ausgesprochen, daß ihm in den siebziger Jahren ein Exemplar des Drucks von 1632 aus der Bayerischen Staatsbibliothek München zugänglich gemacht wurde. Es handelt sich um die Ausgabe D in der von Schnorr von Carolsfeld: Julius Wilhelm Zincgrefs Leben und Schriften (Anm. 15), S. 57 f., beigegebenen Bibliographie von vier Drucken des ›Welt-
Ein Blick in Zincgrefs ›Quodlibetisches Weltkefig‹
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Genau mit diesem Fazit hatte auch die erste Auflage aus dem Jahr 1623 geschlossen. Damit aber spezifiziert sich die Allegorie geschichtlich. Das Bild des Weltkäfigs ist ganz offensichtlich von der sich über Deutschland ausbreitenden katholischen Tyrannis inspiriert. In ihm agieren die verhaßten katholischen Widersacher. Die protestantische Seite erscheint 1623 in der Gestalt der ohnmächtig Duldenden. Die Mächtigen des Reichs teilen dieses Los mit dem niedrigen ›Schäfer, dem Dichter.‹ Können Teudsche Fürsten/ Graffen vnd Herren/ vnd fürnehme Städte vertragen/ daß sie einem jeden Spannischen Geisthirten/ oder Römische[n] Kuttenhengste zu Gebot stehen müssen. So kan ichs der ich ohne das nie vber den Schäfferstab kommen bin/ noch weit bessers dulden.31
Das hindert indes keineswegs, daß der Dichter seines Amtes waltet, die Machenschaften des Gegners aufdeckt und in einer satirisch-allegorischen Kampfschrift ungeachtet der desolaten Situation den Widerstand zu schüren sucht. Spornt das ›Epos‹ Zincgrefs Friedrich V. zum Marsch nach Prag an, so deckt das ›Quodlibetische Weltkefig‹ die Hintergründe und Konsequenzen des Unternehmens auf, das nun abgeschlossen und für die Reflexion offen ist. Das Urteil über die katholisch-jesuitische Seite ist so vernichtend wie einige Jahre vorher bereits bei Denaisius. Der Böhmenzug Friedrichs – so das Fazit der mit zahlreichen Argumenten gestützten These Zincgrefs – hat das Schicksal der Pfalz nicht besiegelt, weil dieses ihr schon viel früher von katholischer Seite zugedacht war. Den Angelpunkt seiner Analyse findet Zincgref im Tridentinischen Konzil. So lange ein Füncklein vom Concilio Tridentino glimmet/ [...] ist das Vrtheil den Ketzern schon gefellet/ der Stab vorlengst gebrochen/ vnd hat nur bißhero gemangelt an des Bapst Executorn, dem Käyser vnd Spanier/ vnnd mögen alle Vncatholische dieses kecklich glauben/ daß wie die Gense jhre Mertens Nacht/ vnd die Frantzosen jhre Bartels Nacht haben/ Also die Teudschen (aber es ist wahr/ diese haben keine Nacht/ sondern halten nur den Tag) Jch wolte sagen/ also haben sie jhre gewisse Schlacht= vnd Metzeltag nach gewissem vmblauff der Zeiten/ bald zu Costantz am Bodensee/ bald in NiederTeudschland/ bald in Steyermarck vnd anders wo.32
Die Wahl Ferdinands von Innerösterreich zunächst zum König der Kronländer und dann zum Kaiser erfolgt, »damit die Pfaffen [...] nur allein einen Keyser hetten/ vnd die Ketzer keinen.«33 So kann die Annahme der böhmischen Krone, wie Zincgref unmißverständlich herausstellt, von katholischer Seite als Akt der Usurpation gegenüber dem Kaiser hingestellt werden. O wie seyn sie so froh gewesen/ daß Fritz den Böhmen willfahret/ es ist jhnen angst gewesen/ er werde nicht so keck seyn/ daß er die Cron annehme/ vnd werden sie also keine Vrsach an jhn haben können/ jhre längst gefaste Vrtheil gegen jhme zu exequiren/ vnd per consequens dermal eins
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32 33
käfigs‹. Vgl. auch dort S. 44 ff. zum Vergleich der Drucke. Die undatierte Ausgabe B, ›Getruckt im Grossen Wunder Jahr‹ und von Schnorr von Carolsfeld ins Jahr 1623 gesetzt, dürfte zeitlich zwischen 1623 und 1632 zu plazieren sein. Vgl. zu dem gesamten Fragenkomplex jetzt eingehend Schnabel, S. 229 ff. Zincgref: Quodlibetisches Weltkefig/ Darinnen gleichsamb/ als in einem Spiegel/ das gegenwertige Weltgetümmel/ gehümmel/ vnd Getrümmel/ Wüten vnd Toben/ Liegen/ Triegen vnd Kriegen/ Jrren/ Wirren vnnd Synceriren/ Schwarm vnd Alarm zusehen. Gedruckt Jm Jahr/ 1623, S. 13. Ebenda, S. 3 f. Zincgref: Quotlibetisches Welt vnd Hummel Kefig, 1632, S. 7.
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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das Kalb mit der Kuhe zu würgen/ darumb sagt der Spanisch Gesandt/ Er könte seinem König keine frölichere Bottschafft bringen/ als eben diese/ daß Fritz dem Keyser die Cron gestohlen/ vnnd muß sich also auch hinein des Käysers Nahm mißbrauchen lassen/ vnd wer des Käysers Freund seyn wil/ Christum als ein verführer des Volcks vnd seine Glieder/ als des Käysers Rebellen verdammen helffen/ [...].34
Auch habe Bayern schon lange vor dem Böhmenzug nach der Kurwürde geschielt, ungeachtet legitimerer Ansprüche der Pfälzer. Derart enthüllt Zincgref nun umgekehrt die Gegenseite als den Zerstörer der hergebrachten Ordnung im Reich – »daß diese Leute mit den Reichs Constitutionen vmbgehen/ wie eine Saw mit einem Lumpen«.35 Vor diesem Hintergrund, welcher den Blick auf die europäische Bürgerkriegsszene einschließt, gewinnt das leidenschaftliche Bekenntnis Zincgrefs zur monarchomachischen Theorie seine Kraft. Es belegt, daß der materielle Zusammenbruch in der Pfalz keinesfalls mit dem geistigen einherging, sondern im Gegenteil Papst und Kaisertum nunmehr die Züge des antichristlichen Tyrannen annehmen, gegen die es in Theorie und Praxis Widerstand zu leisten gilt. Derart tragen auch sie – ex negativo – zur Ausformung der säkularisierten modernen Staatstheorie und Staatsgewalt inmitten der Bürgerkriege bei. Ich gestehe daß die Obrigkeit von Gott ist/ aber die Obrigkeit die wieder Gott ist/ vnd thut/ die sag ich/ sey vom Teuffel/ vnd keine Dienerin Gottes/ sondern des Satans/ der auch ein Fürst genandt wird dieser Welt. So heist es derohalben/ man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Seynd also die jenige Vnterthanen mit nichten lesae majestatis terrenae schüldig/ die einen reum Majestatis divinae, vnd einen per duellem, den sie zuvor selbst erhöhet/ wieder absetzen; Sondern dieser ist ein Reus lesae reipubl: der wieder Eyd vnd Pflicht/ Capitulation vnd leges fundamentales handelt/ den statum vnd formam eines freyen Landes zuverendern/ vnd ein Erbland daraus zu machen vnterstehet/ (also per consequens ein Tyrannus).36
Übergang zu Opitz Damit ist das politisch-publizistische Umfeld umrissen, in dem Opitz sich während seiner Heidelberger Zeit bewegt. Die tiefsten Spuren hat es in Opitzens größter Dichtung hinterlassen, dem ›Trost-Gedichte in Widerwärtigkeit des Krieges‹, dem wir uns sogleich zuwenden werden. Es ist ohne die Erfahrungen in der Pfälzer Residenz undenkbar. Erst im räumlichen und – freilich geringfügigen – zeitlichen Abstand läuterte sich die an den Namen Heidelbergs geknüpfte politische Bildungsgeschichte Opitzens zum erhabenen genus grande des epischen Lehrgedichts. Direkten Bezug auf die Situation und Politik der Pfalz nehmen dagegen seine ›Oratio ad Fridericum Regem Bohemiae‹, seine ›Panegyris‹ auf Ludwig Camerarius sowie sein Gedicht ›Ein Gebet/ daß Gott die Spanier widerumb vom Rheinstrom wolle treiben‹. Letzteres ist von Zincgref noch nach der ›Beschluß Elegie‹ in der von ihm veranstalteten Straßburger Ausgabe der Gedichte Opitzens plaziert worden. Wir werden auch davon eingehender hören. Die in Heidelberg empfangenen Impulse bestim––––––––– 34 35 36
Zincgref: Quodlibetisches Weltkefig, 1623, S. 6. Ebenda. Ebenda, S. 9.
Entdeckung eines poetischen Panegyricus auf Ludwig Camerarius
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men sein Lebenswerk. Sie sind daher auch nur sukzessive zur Darstellung zu bringen. Hier geht es um seine beiden lateinischen publizistischen Interventionen. Wir werfen einen knappen Blick in Opitzens Lobrede auf Ludwig Camerarius und wenden uns sodann eingehender seiner Rede auf den Pfälzer Kurfürsten zu.
Entdeckung eines poetischen Panegyricus auf Ludwig Camerarius Opitz bleibt in beiden Fällen beim Lateinischen. Die optimale Verbreitung in den einschlägigen Kreisen sollte sichergestellt sein. Im einen Fall bedient er sich der Prosa, dem vergleichsweise umfänglicheren argumentativen Duktus Rechnung tragend, im anderen greift er zum Vers. 159 Hexameter hat er dem verehrten Empfänger Camerarius gewidmet. Während die Rede auf Friedrich zum Druck gelangte, verblieb seine Lobschrift im Status des Manuskripts. Dieses wurde überhaupt erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Königlichen Bibliothek, der nachmaligen Bayerischen Staatsbibliothek in München entdeckt. Es hatte sich im Nachlaß des Empfängers verborgen. Der glückliche Finder war kein anderer als der hochverdiente Historiker Hermann Palm, dem auch die Opitz-Philologie so viele wichtige Beiträge verdankt. Was dieser freilich zu dem kleinen Text zu sagen hatte, glich beschämend dem, was da in der zeitgleichen bürgerlichen Literaturgeschichte allemal zu lesen war, wenn es denn um rhetorisch geprägtes personales Gelegenheitsschrifttum ging. Das Verdienst lag in der Präsentation des kleinen Textes.37 Größere Aufmerksamkeit freilich fand er nicht. Opitz als Publizist blieb weiterhin ein unbeschriebenes Blatt. Immerhin, der Text fand Eingang in die beiden seit jüngerem verfügbaren Opitz-Ausgaben. Und die verdiente Übersetzerin und Kommentatorin im ›Opitius latinus‹ legte inzwischen auch eine instruktive Studie vor; ein weiterer Grund dafür, daß wir uns kurz fassen dürfen.38 Was aber mochte Opitz bewogen haben, von einer Publikation Abstand zu nehmen? Hier herrschte kein Zufall. An keiner Stelle hatte der Dichter sich so weit vorgewagt. Er beging das Sakrileg, den amtierenden Kaiser zu schmähen. Wäre der Text vor die Augen des Wiener Hofes gelangt, so hätte sich Opitzens weiterer Lebensgang aller Voraussicht nach anders ausgenommen. Er hatte, wohlwissend um die Brisanz, sein wenig später erschienenes ›Trost-Gedichte‹ bei sich behalten und gab es erst viel später frei für eine Publikation. Er wird nach 1620, so steht zu vermuten, sorgenerfüllt auf die Aufnahme seiner Friedrich gewidmeten ›Oratio‹ geblickt und sich mehr als einmal unvorsichtiger Übereilung geziehen haben. Zu den vielen Rätseln seiner so ––––––––– 37
38
Hermann Palm: Opitz und Ludwig Camerarius.- In: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Mit einem Bildnisse von M. Opitz.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik Leipzig 1977, S. 149–157. Stefanie Arend: Zur Topik und Faktur von Martin Opitzens Panegyricus auf Ludwig Camerarius.In: Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit. Poetische Kleinformen und ihre Funktionen zwischen Renaissance und Aufklärung. Hrsg. von Beate Czapla, Ralf Georg Czapla, Robert Seidel.- Tübingen: Niemeyer 2003 (Frühe Neuzeit; 77), S. 330–345. Hier S. 346–355 auch eine zweisprachige Version des Textes.
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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viele riskante Wendungen nehmenden Biographie zählt auch, daß er Spuren zu verwischen und mehr als einmal in delikater Situation Schaden von sich fernzuhalten vermochte. Diese Huldigung des Camerarius aber wäre womöglich nicht glimpflich ausgegangen, wenn sie denn das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätte. Neuerlich bewies Opitz strategisches Geschick, indem er sich einen großen Staatsmann über die Poesie verpflichtete. Ludwig Camerarius war neben Christian von Anhalt die maßgebliche Persönlichkeit während der dramatischen Jahre Pfälzer Politik um 1620. Opitz setzte also wiederum auf den Richtigen. Wie für andere große Gestalten dieser aufgewühlten Zeit um 1600 – zum Beispiel dem Camerarius wenigstens ebenbürtigen Führer des calvinistischen Flügels in Oberösterreich Georg Erasmus von Tschernembl – verfügen wir auch für Camerarius über eine ausgezeichnete Biographie, der sogar die Ehre zuteil wurde, zusammen mit anderen Arbeiten und einem ausführlichen Porträt ihres Verfassers eine weitere Auflage zu erleben.39 Einige wenige Sätze mögen statthaft sein, tragen sie doch bei zum Verständnis der nicht eben selbstverständlichen Entscheidung von Opitz, sich gerade diesem Wortführer im Kreis um den Pfälzer Kurfürsten zuzuwenden.
Porträt eines calvinistischen Wortführers Camerarius, 1573 in Nürnberg geboren, war der Enkel des Freundes und Mitarbeiters von Melanchthon Joachim Camerarius. Das spätere religionspolitische Wirken von Ludwig Camerarius ist auf andere Weise bereits in dem des berühmten Großvaters vorgebildet. Joachim, den Liebhabern der bukolischen Muse vor allem durch seine Nähe zum Erfurter Humanistenkreis und durch seine aufsehenerregenden griechischen Eklogen vertraut, stand u.a. Melanchthon auf dem Augsburger Reichstag von 1530 zur Seite. Später als Professor für Griechisch und Latein an der Universität in Leipzig wirkte er unter Herzog Moritz maßgeblich mit an der Neuordnung des albertinischen Kirchen- und Schulwesens, was ihm zu später Stunde den Titel ›Geburtshelfer eines sächsischen Konfessionsluthertums‹ einbrachte.40 Das konfessionspolitische Wirken ––––––––– 39
40
Friedrich Hermann Schubert: Ludwig Camerarius. 1573–1651. Eine Biographie.- Kallmünz/Obf: Lassleben 1955 (Münchener Historische Studien. Abteilung Neuere Geschichte; 1). 2. Aufl. [ergänzt um die Abhandlung:] Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus. Mit Beiträgen zu Leben und Werk des Verfassers. Herausgegeben von Anton Schindling unter Mitarbeit von Markus Gerstmeier.- Münster: Aschendorff 2013. Zu bemerken ist zu dem eindrucksvollen Werk, daß die Rolle des Humanismus im Leben der drei Generationen Camerarius, wie sie im zweiten Kapitel wiederholt angesprochen wird, aus heutiger Sicht als verzeichnet gelten muß. Die jüngere Forschung zum Späthumanismus hat hier eine entschiedene Revision in der problematischen Handhabung einschlägiger kritischer Kategorien herbeigeführt. Schubert hatte sich der gerade in dieser Hinsicht veralteten Arbeit von Friedrich Stählin anvertraut: Humanismus und Reformation im bürgerlichen Raum. Eine Untersuchung der biographischen Schriften des Joachim Camerarius.- Leipzig: Heinsius Nachf. 1936 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 159). Vgl. im übrigen zu Joachim Camerarius d.Ä. den Eintrag von Joachim Hamm in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon I (2011), Sp. 425–438. Hier Sp. 438–444 auch ein Eintrag von Wolfgang Harms zu dem Sohn Joachim und Vater von Ludwig Camerarius. Zitiert bei Hamm, Sp. 427.
Porträt eines calvinistischen Wortführers
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seines Enkels ein halbes Jahrhundert später nahm eine andere Richtung. Die ›zweite Reformation‹ hatte gerade humanistisch gestimmte Gemüter ergriffen und Ludwig Camerarius wurde einer ihrer Wortführer. Das führte ihn fast zwangsläufig in die Hochburg des Reformiertentums. Der Vater Joachim d.J., berühmter Mediziner und gleichfalls schriftstellerisch tätig, hatte in Nürnberg ein offenes Haus nach Art eines Patriziers geführt, stand in gelehrtem und beruflichem Kontakt weit über die Mauern der heimlichen Hauptstadt des alten Reichs hinaus. Man fühlt sich an Kapazitäten wie Crato von Crafftheim erinnert, wenn man erfährt, daß auch der Vater von Ludwig sowohl den Kaiser als auch den Kurfürsten von der Pfalz zu seinen Patienten zählte. Bei einem Jakob Monau, einem Nikolaus III. Rhediger, einem Tobias Scultetus blieb eine Verbindung zu den Camerarius in Nürnberg lebendig, und damit ein humanistischer Einschlag, der noch bei Ludwig zum Tragen kam. Wie bei Joachim aber und schon bei Crato selbst, formte sich auch bei Ludwig die religiöse Erbschaft im reformierten Sinne um – ein bezeichnender Vorgang in der Generation der um die Mitte des Jahrhunderts Geborenen, der einher ging mit einer sich ständig verstärkenden Politisierung angesichts der militärischen Erfolge auf seiten des nach dem Tridentinum erstarkten gegenreformatorischen Katholizismus. Camerarius war nach einem Studium in Altdorf, Helmstedt und Leipzig sowie in Norditalien zum Doktor beider Rechte in Basel promoviert worden und damit außer für eine wissenschaftliche Laufbahn, die er ausschlug, qualifiziert für eine politische. Nach der Tätigkeit am Reichskammergericht trat der eben Fünfundzwanzigjährige in die Dienste eines der mächtigsten Fürsten des alten Reichs, diejenigen Kurfürst Friedrichs IV. von der Pfalz. Es war eine Entscheidung für das Leben, die weit hinausreichte über die Jahre bis zum Verlust der Kurwürde. Auf denkwürdige Weise hielt er dem Geschlecht die Treue auch im niederländischen Exil und wirkte unermüdlich für seine politische Rehabilitierung. Im Obersten Hofgericht, dem mit Hippolyt von Colli eine der Pfälzer Kapazitäten vorstand, erhielt er einen Platz, und es war nur eine Frage der Zeit, wann er in den Oberrat herüberwechselte. Das geschah 1603 oder 1604, und nun wurde die Außenpolitik sein Metier, das er offenbar als eine Art Berufung empfand. Er wollte von Beginn an dem bedrohten Protestantismus seine Kräfte leihen, und das über Mitwirkung an einer weitläufigen Bündnispolitik, die seine Blicke und Schritte automatisch in den Westen lenkte. Nur von der Pfalz aus konnte Derartiges in großem Stil geschehen. An der Bildung der ›Union‹ der Evangelischen hatte er seit 1608 maßgeblichen Anteil. Nachdem der Regensburger Reichstag von 1613 – der letzte vor dem großen Kriege, an dem Camerarius neben dem kurbrandenburgischen Deputierten Abraham von Dohna als maßgeblicher Repräsentant des reformierten Lagers hervortrat – gescheitert war, ergriff Camerarius – er hatte seinen Platz an vorderster Stelle neben Christan von Anhalt – die Maßnahmen von Heidelberg aus, die auf den Weg nach Prag führten. Stetiges und oftmals bezeugtes Bestreben, den Frieden zu wahren, und feste Entschlossenheit, zum Äußersten zu schreiten, falls die Krise nicht beigelegt werden konnte, hielten sich die Waage. Über allem stand die Rettung der protestantischen Sache. Es kann keinen Zweifel geben, daß hier der Grund für die ›hommage‹ zu suchen ist, die Opitz ihm zuteil werden ließ. Nämliches für Christian von Anhalt ins Werk zu
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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setzen, verbot sich, weil es einen Affront gegenüber den Pfälzern bedeutet hätte. So blieb es dem Camerarius gewidmeten Text vorbehalten, das Pfälzer Credo unterhalb der fürstlichen Ebene aus der Feder Opitzens zu bergen.
Publizistische Offensive Für Camerarius aber war die Zeit des Wirkens für die Pfälzer Sache nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berge nicht beendet. Im Gegenteil, in gewisser Hinsicht kam sie erst noch. Und das auf der Ebene der praktischen Politik, vor allem aber auf der der Publizistik. Es muß Opitz mit Genugtuung erfüllt haben, daß er auch in dieser Hinsicht auf den Richtigen gesetzt hatte. Und nur zu gerne wüßte man, wie er auf dieses publizistische Feuerwerk reagierte, er, der inzwischen selbst unter schwierigsten Bedingungen sein Auskommen zu suchen und einen Ausgleich zwischen den Anforderungen des Tages und seinem dichterischen Metier zu finden hatte. Camerarius war an der Seite Friedrichs, als dieser auf der Flucht und zugleich in diplomatischer Mission über Schlesien und Norddeutschland in die Niederlande zog und von dort aus im Exil unermüdlich die politischen Fäden knüpfte, während seine Residenz am Neckar den Truppen Spinolas in die Hände fiel und das gelehrte wie das poetische Leben daselbst sein Ende fand – ein einschneidendes Ereignis auch für die Geschichte der jungen, soeben erst unter den Fittichen zumal der Südwestdeutschen und an der Spitze der Heidelberger zu neuem Leben erwachten deutschen Literatur. Im Spätsommer des Jahres 1620 waren den Pfälzern Briefe führender Vertreter der kaiserlichen Partei in die Hände gefallen. Camerarius nutzte die Chance, sogleich in die publizistische Offensive zu gehen.41 Noch im Jahr 1620 erschien eine Flugschrift, in der die geplanten Machenschaften der Gegenseite aufs Korn genommen und die verhängnisvollen Folgen für die Pfälzer minutiös dargelegt und zitativ dokumentiert wurden. Insbesondere vor den gefährlichen Absichten des Kaisers wurde gewarnt, dem man doch eben noch in Frankfurt seine Stimme gegeben hatte. Die Ächtung Friedrichs und die Übertragung der Kurwürde von den pfälzischen Wittelsbachern auf die bayerischen prognostizierte der ›Herausgeber‹ hellsichtig, wie sie im einen Fall im Januar 1621 und im anderen im Februar 1623 dann auch tatsächlich erfolgten. Eine große Nähe zu dem Opitzschen, Camerarius gewidmeten Text zeichnet sich ab. Camerarius mußte sein eigenes politisch-publizistisches Anliegen, poetisch gewendet, haarscharf getroffen wiedererkennen. Die Antwort der Gegenseite ließ nicht auf sich warten. Camerarius hatte es nicht vermocht, das umfängliche Pfälzer Aktenmaterial aus dem Strudel des Untergangs, der Prag so urplötzlich heimgesucht hatte, zu retten. Ein unermeßlicher Schatz fiel nun umgekehrt den Truppen Tillys in die Hände, der die grandiosesten publizistischen Perspektiven eröffnete. Nun lagen die Ziele der Pfälzer offen zutage und konnten weidlich polemisch-satirisch ausgeschlachtet werden. Mit der ›Anhaltischen Kanzlei‹ erschien 1621 ein umfängliches Werk aus dem Kreis der Liga, das noch im selben ––––––––– 41
Vgl. zum Folgenden das Kapitel ›Camerarius als Publizist‹ bei Schubert: Ludwig Camerarius (Anm. 31), S. 108–143; 2. Aufl. S. 138–173, jeweils mit der einschlägigen Literatur.
Der wortgewaltige Retter der Pfälzer Sache
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Jahr weitere Auflagen erlebte. Die Pfälzer Sache schien definitiv vor der deutschen wie der europäischen Öffentlichkeit bloßgestellt und diskreditiert. Doch die Eroberung von Briefschaften auf der Wiener Hofburg durch die Truppen Ernst von Mansfelds versorgte auch die Pfälzer nochmals mit weiterem ergiebigem Material. Der Fehdehandschuh konnte aufgenommen werden. Ein sogenannter Kanzleienstreit hob an, in dem Camerarius rasch zum Wortführer der Pfälzer Partei heranwuchs, deren Sache er auch später aus dem Niederländischen Exil des Winterkönigs heraus meisterhaft vertrat. Es gelang ihm, durch eine Gegenschrift, betitelt ›Cancellaria Hispanica‹, das publizistische Gleichgewicht wieder herzustellen und als den eigentlichen Scharfmacher Madrid zu identifizieren. Alsbald erfüllte ein so noch nicht dagewesenes öffentliches Schlachtgetümmel die deutschen Lande. Wort, Bild, Ton in allen Formaten wurden aktiviert. Der konfessionelle Streit wurde überlagert und über weite Strecken sogar an den Rand gedrängt durch ein politisches Verwirrspiel, wie es das Reich noch nicht erlebt hatte. Ein großes mediengeschichtliches Kapitel war aufgeschlagen, wie es bis in die Tage der Französischen Revolution nicht wiederkehren sollte. Den Namen Opitzens suchen wir vergeblich in ihm. Er hatte sich zur Zeit des Aufbruchs geäußert, kam noch einmal im ›Trost-Gedichte‹ in großem Stil auf das europäische Drama zurück, enthielt sich aber weiterer direkter publizistischer Intervention. Zincgrefs ›Weltkefig‹ indes steht neben anderen Texten als ein beredtes Zeugnis dafür ein, was der politisch unterlegenen Seite an satirischer Verve geblieben war. Und das in diesem medialen Krieg immer wieder auch in deutscher Sprache! Ein großes Kapitel der deutschen Literaturgeschichte harrt der zusammenhängenden Aufarbeitung. Wir dürfen ihm nicht nähertreten, wenngleich sich auch und gerade in ihm der historische Umbruch um 1600 drastisch manifestiert. Wir haben statt dessen einen Blick in den Text zu werfen, der die einzigartige Rolle, welche Camerarius da zugefallen war, seinerseits eindrucksvoll spiegelt.42
Der wortgewaltige Retter der Pfälzer Sache Gleich in der ersten Zeile stellt Opitz klar, daß nächst dem König dem Adressaten Camerarius der Dank der ›mißhandelten Schlesier‹ (indignè tractatis Silesis) für geleistete Hilfe zu gelten habe. An die Seite seines Vaterlandes (patriae meae) hat sich der verehrte Mentor gestellt und derart dafür Sorge getragen, daß es der Mißgunst eines ––––––––– 42
Der Titel: Panegyris In Magnifici Nobilissimi et Amplissimi Viri, Dn. Ludovici Camerarii Procancellariatum Silesiae. Auctore Mart. Opitio.- Der erstmals bei Palm abgedruckte Text ist jetzt zugänglich in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George SchulzBehrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 181–186, sowie in zweisprachiger Version in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 220–229, Kommentar S. 425–430. Textdarbietung, Übersetzung und Kommentar stammen von Stefanie Arend. Im Anschluß an ihre in Anm. 30 zitierte Studie ist, wie erwähnt, auch der Opitz-Text mit deutscher Übersetzung wiedergegeben (S. 346–355).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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›wilden Tyrannen‹ (saevi tyranni) nicht anheimfiel. Das waren Worte, die man derart gezielt gemünzt von Opitz noch nicht gehört hatte und in dieser Deutlichkeit im Blick auf den Kaiser auch nicht wieder hören sollte. Den ›Elenden‹ (miseris) ist er geschickt worden, und dafür gebührt ihm der nun im Lobgedicht dargebrachte Dank. Ein dunkles, ja ein fatales Licht fällt auf das Königtum in Böhmen, das sich da ruchlos eingenistet hat. Nur allzu berechtigt war der Aufstand, der den Unterdrückten die Freiheit zurückbrachte. Wie viel aber war zu erdulden, bevor diese Wende eintrat. Den nämlichen grauenerregenden Bildern, die uns sogleich in der Rede auf den König begegnen werden, hat Opitz auch in seinem ›Panegyricus‹ Eingang gewährt. Hier aber kommt weiteres hinzu. Der Kaiser selbst wird für das unsägliche Geschehen verantwortlich gemacht. Seine ›clementia‹, vornehmstes Ingredienz herrscherlicher Tugend der Habsburger, steht an der Wiege dessen, was da an Unfaßbarem verlautet. »Rex peccare jubet qui non vetat.« »Der König, der zu sündigen nicht verbietet, befiehlt es«. (V. 54). Das waren unerhörte Worte, bekannt aus dem Frankreich der Hugenottenkriege, nunmehr aber auch im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation nicht länger verpönt, sondern im Munde eines Dichters, der poetisch die gleiche Sprache wie die publizistischen Scharfmacher spricht. Eine Überbietung war nicht mehr möglich. Einen langen Passus auf den jungen König hat Opitz eingeschaltet, bevor er sich seinem Adressaten zuwendet. Auch diese Worte kehren in der ›Oratio‹ wieder. Es ist offenkundig, daß beide Texte parallel gearbeitet und entsprechend auch zu lesen sind. Was an Ruhm und Glanz dem König eignet, hat sein Pendant auf der Ebene seiner Begleiter und an der Spitze selbstverständlich auf seiten von Camerarius. Es sind die inkommensurablen Waffen, die der Geehrte in den Dienst des Vaterlandes zu stellen weiß und von denen wir hörten. Hier war ein die Feder Führender zu feiern, der unter Beweis gestellt hatte, zu was die gelehrte Schar in der Lage war, wenn die geschichtliche Stunde es erforderte. Unbestechlich, so Opitz, hat Camerarius dem Recht das Wort geredet und damit die Berechtigung, ja die Notwendigkeit des Pfälzer Projekts unangreifbar gemacht. Das zählte nicht weniger als die Taten der Feldherren. Zu einem einzig dastehenden Wirken war Camerarius von dem Höchsten berufen worden, und ein Dichter fand seinerseits die Worte, davon über die Zeiten hinweg zu künden. Große Dankbarkeit sollte sich bewahren, daß gerade dieser Text aus der Feder des zeitweiligen Pfälzer Wahlbürgers in die mächtige Sammlung der Papiere der Familie Camerarius geraten war und sich daselbst bis zu seiner Wiederentdeckung erhielt.
Noch einmal: ›Oratio ad Fridericum Regem Bohemicae‹ Doch nun sogleich zu Opitzens ›Oratio‹.43 Die ›Rede an den allergnädigsten und großmächtigsten Fürsten Friedrich‹ wendet sich ausdrücklich an den ›König von Böhmen‹. Die Krönung im September des Jahres 1619 ist also erfolgt. Daraus ist nicht au––––––––– 43
Auch hier der Titel: Oratio Ad Serenissimvm Ac Potentissimvm Principem Fridericvm Regem Bohemiae. Auctore Martino Opitio Silesio. Typis Gotthardi Voegelini. Das Werk befindet sich,
Noch einmal: ›Oratio ad Fridericum Regem Bohemicae‹
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tomatisch zu schließen, daß die Rede als Ganze erst nach der Inthronisation abgefaßt worden sei. Einzelne Passagen legen die Vermutung nahe, daß sie vor dem Aufbruch aus Heidelberg konzipiert wurden. Am Schluß zählt wie immer alleine der textuelle Befund. Und der gibt sich, wie gleichfalls bekanntermaßen gängige Praxis, als Montage geprägter Versatzstücke mit aktuellen, auf die Situation bezogenen Redeeinheiten. Zustandegekommen ist eine exzellent angelegte öffentliche rednerische Kundgebung, welche zu den Glanzstücken schlesisch-pfälzischer Publizistik in den Jahren um 1620 gezählt werden darf. »Die Rede ist in der Forschung bislang wenig beachtet worden«, so das lakonische Statement des verdienstvollen Herausgebers des ›Opitius latinus‹ Robert Seidel noch im Jahre 2009, der auch die – wie immer vorbildliche – Kommentierung besorgte. Nun, da lagen unsere Bemühungen um die Rede bereits einige Dezennien zurück, blieben unpubliziert, erblickten in extenso erst drei Jahre nach dem ersten Band der erwähnten zweisprachigen Publikation Opitzens das Licht der Welt. So ist nunmehr um so willkommenere Gelegenheit, der mitreißenden Rede fast vierhundert Jahre nach ihrer erstmaligen Bekanntgabe auch darstellerisch ein nachhaltigeres Echo zuteil werden zu lassen. Wir vermögen es nicht zu hindern, daß unsere Lesungen sich ausnehmen mögen, als seien da Dinge zur Verhandlung gelangt, deren Prozeß noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann. Gut möglich, daß es die ästhetischen Valenzen sind, die dieses Wunder bewirken; möglich aber auch, daß Texte dieser Art Botschaften mit sich führen, die selbst materialiter noch nicht abgegolten sind. Und also gilt es neuerlich, eine ausgewogene Mitte zwischen Textdarbietung und darstellerischer Adaptation zu wahren. Die Idee, die bei unseren Erkundungen zu unserer eigenen Überraschung zunehmend an Gestalt gewinnt, sollte sich auch auf seiten des Lesers im fortschreitenden Lesen konkretisieren. Das Bemühen um ihre Statuierung beginnt bei dem Blick auf das Titelblatt. Daß da der König als ›rex serenissimus‹ und als ›rex potentissimus‹ apostrophiert wird, bedarf keiner weiteren Worte. Wir verharren für einen Moment bei der Einführung des Autors: ›Auctore Martino Opitio Silesio‹. Dieser Zusatz dürfte kaum zufällig sein. Der Sprecher der Rede weilt in der Pfalz. Er ist Gast dort, kommt aus der Fremde, und das kurze Zeit vor dem Aufbruch des Königs. Auch um die schlesische Sache wird es gehen, und das in vorderster Linie, wie der alsbaldige Besuch des frisch Gekrönten in dem wichtigsten der böhmischen Nebenländer beweist. Das Schicksal der Heimat des Redners ist in den Feldzug des Königs einbegriffen. Der Redner erhebt seine Stimme ––––––––– wie erwähnt, in der Sammlung der Breslauer Druckschriften innerhalb des Schlesisch-Lausitzischen Kabinetts (Yb 47/15) der Universitätsbibliothek Breslau und wurde dortselbst von uns benutzt. Vgl. oben Anm. 10, sowie Garber: Der junge Martin Opitz. Umrisse einer kulturpolitischen Biographie.- In ders.: Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg. von Stefan Anders, Axel E. Walter.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 77–145, S. 142 f. Eine einläßlichere neuere Studie scheint zu fehlen. Der Text ist leicht zugänglich in: Opitz: Gesammelte Werke. Band I (Anm. 42), S. 170–180, sowie in zweisprachiger Version in: Opitz: Lateinische Werke. Band I (Anm. 42), S. 200–221, Kommentar S. 417–425. Die Übersetzung rührt her von Hans-Jörg Lieder, Monika Marschall und Robert Seidel, der Kommentar von Robert Seidel.
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nicht zuletzt in eigener Sache und in der seiner Landsleute. Seine Positionierung ist bereits titularisch markiert.
Königliche Nähe Wir wechseln also von Zincgref herüber zu Opitz. Der Wechsel ist mehr als einer der Redehaltung vom Hexameter zur Prosa. Ein andersgeartetes Autoren-Profil zeichnet sich mit Einsatz der ersten Zeile ab. Waren wir einläßlicher als womöglich angängig, als wir uns dem Zincgrefschen ›Epos‹ zuwandten, so kommt uns dies nun zustatten, können wir doch die Vorteile einer parallelen Lektüre wahrnehmen. In einem Opitzschen Text muß zunächst der Autor in eigener Sache zu Wort und allemal zu seinem Recht kommen. Einstimmen in den Jubel der Christenheit anläßlich des erhofften Einzugs des Königs in sein nunmehriges Königreich sollte der Autor mit dem ersten Satz. Aber nein, dieser Autor will es anders. Hier in der Pfalz sind es die besonderen Umstände, die zu einem besonderen Auftakt ermutigen. Der Sprecher nimmt eine Sonderstellung ein, ist er doch, aus der Fremde kommend, sanftmütig in den Armen des Königs selbst aufgenommen worden. So wäre die Schande eine unerträgliche, wollte er schweigen. Doch nicht darum ist es zu tun. Eine Nähe zum einstmaligen Kurfürsten und nunmehrigen König wird suggeriert, wie sie nur einem Einzigen zukommt, dem hier und jetzt zu Wort sich meldenden Redner. Der bleibt sich treu, ist in der Gebärde der Bescheidenheit weiterhin aus auf das Höchste, nur ihm Zukommende und ihm Mögliche. Diese Pose gehört zum Archegeten hinzu; sie läßt sich nicht nach Belieben ablegen.
Opus Dei Die Wahl des Königs ist erfolgt. Sie will gleich eingangs einer verbindlichen Deutung entgegengeführt und damit der momentanen Situierung entzogen sein. Niemand, der vom Eifer für den Frieden und vom Wohlergehen des Vaterlandes erfüllt ist, vermag sich der Sinnfälligkeit eben dieses einen, singulär dastehenden Ereignisses zu entziehen. Es ist eines, das dem göttlichen Ratschluß entspringt, geschichtliche und religiöse Notwendigkeit und Stringenz auf seiner Seite hat. Die Wahl ist dem Himmel selbst zuzuschreiben und damit menschlichem Deuteln enthoben. Diese Feststellung als erste zu treffen, gebietet nicht zuletzt die Redlichkeit des Zeitzeugen, der Bemerkenswertes zu berichten weiß. So der Eingang. Der König hat den Beifall von großen Teilen des Reichs auf seiner Seite gehabt, er hat sich der Freundschaft vieler Fürsten und Könige erfreut, gewiß. »Dennoch meinten nicht wenige, angesichts des bejammernswerten Zustands unserer Lage, du selbst würdest dich der beneidenswerten Ehre entziehen.«44 Eben diese Befürchtung war auch bei Zincgref laut geworden. Ein Reflex der Unsicherheit, ja der Niedergeschla––––––––– 44
Ebenda, S. 203. Der lateinische Text: deplorandi tamen statûs nostri conditione moti, teipsum quoque tam invidiosum honorem detrectaturum non pauci existimabant. (S. 202).
Zukunft, in der Vergangenheit gegenwärtig
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genheit, ist in die Rede eingegangen, wird hier jedoch sehr spezifisch gewendet. Nicht das Zögern im Umkreis des Fürsten wird thematisiert. Vielmehr steht die momentan als aussichtslos eingeschätzte Lage der Protestanten im Fokus, die Anlaß zur Entmutigung hätte geben können. Wie anders soll der ›status deplorandi‹ gedeutet werden, von dem im folgenden so beredt gehandelt werden wird? An dieser Stelle geht es um den Fürsten. Er ist es, der der Furcht keinen Einlaß in sein Gemüt gestattet. Das aber nicht aus eigener Macht und Vollkommenheit, sondern gelenkt von der Hand des Höchsten. Als Beschützer und Vater, als ›tutor‹ und ›parens‹ vermag er sich derart der ›überaus gepeinigten Waisen‹ (afflictos pupillos) annehmen, als welche die Evangelischen verklausuliert wiederum in Erscheinung treten. Das Königtum, das hier als im Aufgang begriffen geschildert wird, ist ein in einer einmaligen geschichtlichen Situation ergriffenes und damit von vornherein gerechtfertigtes. Schutz und Schirm gegenüber den Bedrängten und Schutzlosen im Namen des Höchsten werden aktiviert. Es ist die vornehmste königliche Aufgabe, die da aufgerufen wird. Indem Friedrich sich ihr stellt, bewährt er eine Tugend, die religiös fundiert ist. Einen »Würdigeren«, so der Redner, »findet dieses Jahrhundert sicherlich nicht.«45 Derart gelingt es dem Sprecher, die rhetorische amplificatio sehr konkret auf den aktuellen, als krisenhaft ausgewiesenen Zustand in der Gegenwart zurückzubeziehen. Göttlicher Ratschluß und fürstliche Größe sind vereint, ja, die Tugenden, die den Fürsten auszeichnen, sind von dem ›unsterblichen Gott‹ (Deus immortalis) in eben diesem Abkömmling eines bewundernswerten Geschlechtes vereinigt. Wie oft freveln Regenten an ihrer herrscherlichen Bestimmung, die doch eine von Gott verliehene bleibt. »In dir aber, ich rede frei, finden selbst die Feinde nichts, was sie tadeln könnten.«46
Zukunft, in der Vergangenheit gegenwärtig Damit gelangt eine erste rednerische Bogenführung zum Abschluß und die ›laudatio Friderici‹ wird eröffnet. Wie immer ist Ausschau zu halten nach aktuellen Einsatzpassagen. An erster Stelle und im Bunde mit der Tugend steht die Frömmigkeit des Fürsten. Daß sie als einzige in der Lage ist, den ansonsten unbesiegbaren Geist zu überwinden, gehört allein zu den Zügen dieses Regenten. Religiosität aber ist in jenen Jahren undenkbar ohne die Bereitschaft, stets zu ihrer Verteidigung gerüstet zu sein. Das eine in solchen Lobpreisungen ist der faktische Befund, das andere und jedenfalls gleich wichtige die adhortative Zuspitzung. Der Fürst ist Erbe einer in der Familie beheimateten und unter Beweis gestellten Bereitschaft zur Erfüllung eben dieses Auftrages. Das wiederum andere ist die Bewährung der je eigenen Person. Sie wird ihm attestiert, steht aber hinsichtlich der aktuellen Schicksalsfrage noch aus. An die Residenz, an Heidelberg, ist diese fürstliche Familie gebunden. Dort hat sie ihren Sitz, zugleich aber auch ihre Festung. Als Angehöriger eines Schutz- und Trutz––––––––– 45 46
Ebenda. Der lateinische Text: nescio; digniorem certè seculum hoc non invenit. (Ebenda). Ebenda. Der lateinische Text: In te quod culpent, liberè loquor, ipsi hostes non inveniunt. (Ebenda).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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bündnisses empfindet sich ein jedes Mitglied der Familie, und dieses Schutzes, so darf hinzugefügt werden, ist vor allem die bedrängte Religion bedürftig. Wahrgenommen werden aber will auch, daß eine dritte Institution mit in das Spiel kommt, die ›Akademie‹. In der Universität ist der gelehrte Sachverstand versammelt, von dort kommen die gelehrten Beraterstäbe, ohne die die herrscherliche Macht dem blinden Dezisionismus verfiele. Ob es um die Poeten geht, ob um die ›vires docti‹, stets bleibt Opitz in guter humanistischer Tradition darauf bedacht, ihres unverzichtbaren Anteils zu gedenken, wenn es um die öffentlichen Belange, wenn es um die res publica geht. Umkreist werden will die Jugend Friedrichs. Diesem Fürsten ist gleichermaßen die Vorausschau in die Zukunft wie die Erinnerung an die Vergangenheit eigen. Eine derartige Befähigung mag kompensieren, was dem Fürsten an Jahren fehlt. Erinnert er sich aber, welche Taten von seinen Vorgängern verrichtet wurden, so resultieren daraus zugleich die Aufgaben für die Zukunft wie von selbst. Der ihm abverlangte Auftrag ist zutiefst bestimmt von dem Wissen um die Geschicke der Evangelischen auf deutschem wie auf europäischem Boden. Ein Fürst aus der Dynastie der Wittelsbacher ist zu Beginn des neuen Jahrhunderts – der stattgehabten Religionskriege in der Vergangenheit gewärtig – wie von selbst festgelegt auf unverrückbare religionspolitische Maximen. Die Generation um 1600, und keinesfalls nur die fürstliche, trägt ein ebenso sensibles wie brisantes Erbe mit sich.
Defensor religionis Die Entscheidung ist gefallen. Bemerkenswert bleibt indes, daß Opitz dem Fürsten attestiert, die ihm angebotene Herrschaft nicht sogleich angetreten zu haben. Jedwedem Verdacht einer unrechtmäßigen Adaptation soll von vornherein der Stachel genommen werden. Ist es statthaft, auch in dieser – de facto nicht zu verifizierenden – Äußerung einen Reflex der deliberativen Phase zu erblicken, die dem Entschluß vorausging? Der Redner nutzt das derart eingeführte Argument, um die unumstößliche Bereitschaft zur Behauptung der Herrschaft zu statuieren, die eben einem Herrscher zufiel, der die übermenschliche Kraft besaß, sie auszuschlagen. Nicht nur ein zweiter Trajan, nein ein zweiter Augustus hat den Thron bestiegen. Auch hier ist ein tertium comparationis zur Stelle. Wie Augustus aufstieg im Bürgerkrieg und die kriegerischen Parteien befriedete, so ist es das Los Friedrichs, in aufgewühlter Zeit sein Regentenamt wahrzunehmen. Schutz den Vielen zu spenden, die ihn bedürfen, ist sein vornehmster Auftrag, und wer wollte überhören, daß es die Glaubensgenossen sind, die eben dieser fürstlichen Obhut anheimgestellt sind? »Fahre fort, König, die herrlichste Krone für die Rettung der Bürger zu verdienen«, so lautet der Zuspruch des Redners.47 Und der findet später, wie nicht anders zu erwarten, seine detaillierte Konkretisierung. Zunächst jedoch will die Physiognomie des jungen Königs vergegenwärtigt sein. Diesem sind Eigenschaften zu eigen, die ihn prädestiniert erscheinen lassen, sich den ––––––––– 47
Ebenda, S. 205. Der lateinische Text: Perge, REX, mereri pulcherrimam coronam OB CIVES SERVATOS. (S. 204).
Der Aufbruch poetisch-rhetorisch gewendet
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Schwachen und Hilfsbedürftigen zuzuwenden. Es sind – auf den ersten Blick – ganz unfürstliche Tugenden, die da aufgerufen werden. Milde gehört dazu, des weiteren Bescheidenheit, ja Leutseligkeit. Dieser Fürst hat es nicht nötig, die primären Attribute eines Regenten hervorzukehren; er ist als Person, was er gemäß Standesgebot und Standesehre sein soll. Wäre all dies aber denkbar ohne den Einschlag von Künsten und Wissenschaften? Eine Phalanx gelehrter Autoritäten schart sich um einen, der selbst die Studien über alles liebt. Ein Heiligtum der Bildung ist zuhanden, die einzigartige und in der gelehrten Welt berühmte ›Bibliotheca Palatina‹. Anders als Alexander beherrscht der Pfälzer viele Sprachen. Ihm mögen Statuen und verewigende Zeugnisse der Schrift noch nicht gewidmet sein. Dafür aber ist den Untertanen die Liebe zu ihrem so ungewöhnlichen Fürsten ins Herz gepflanzt. Und ein Opitz gehört zu den ersten, die sich an die Spendung ewigen Ruhmes in actu machen.
Der Aufbruch poetisch-rhetorisch gewendet Trauer und Freude (tristi laetitia) mischen sich in den Abschied der Untergebenen von ihrem Fürsten. Alte und Junge, Männer und Frauen geben ihm das Geleit. Man könnte meinen, sie alle wären eines Vaters beraubt. Die Bevölkerung steht, so läßt der Redner durchblicken, als ganze hinter dem Aufbrechenden. Daß es mit Bangnis und Trauer geschieht, steht auf einem anderen Blatt. Der Fluß, die Kirchen, die Einwohnerschaft samt dem heimatlichen Quartier fühlen sich verlassen. Nur wenige Begleiter hat der Fürst an seiner Seite. Um so lebhafter folgen ihm die daheim Verharrenden mit ihren Wünschen. Das Unerhörte aber liegt darin, daß ein fürstliches Paar gemeinsam aufbricht. Es will scheinen, so der Redner, die Königin verlasse ihre Heimat ein zweites Mal, und das Extraordinäre malt sich entsprechend in Antlitz und Gebärden. Dieser Redner nutzt die Möglichkeit zur Vergegenwärtigung einer Szenerie, welche in all ihren bewegenden menschlichen Zügen zugleich implizite politische Signale birgt. Ein heldenhaftes Losreißen haben die Zurückbleibenden erlebt. Das edle Ziel war wichtiger als die Wahrung der Bande, die den Fürsten mit seiner Familie und seinem Volk umschlungen hielten. Hier in der Residenz war ein Fürst gegenwärtig, der seine Untertanen nicht zu fürchten brauchte. Ein Gegenbild wird gezeichnet zu dem, das die Hörer und potentiellen Leser sogleich erwartet. Aus einer befriedeten Landschaft in eine von Unheil überzogene bricht der Fürst auf. Um so bemerkenswerter der Mut! Ibas à pace ad bellum, à notis ad peregrinos, à pacatissimo Rheni littore ad manantem incolarum suorum sanguine Muldam, à vinetis et invidendae pulchritudinis horto ad campos latrociniis cyclopum et suorum cadaveribus squallentes, ab arce amoenissimâ ad vastam quidem, desolatam tamen et spoliatam quasi regiam. Infelix mutatio: nisi et regiae splendorem, et agris ver perpetuum, et Muldae tranquillitatem, et peregrinis amicum, et militantibus pacem reduceres.48
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Ebenda, S. 206, 208. Die deutsche Übersetzung: Du gingst vom Frieden zum Krieg, von den Bekannten zu Fremden, vom überaus friedlichen Ufer des Rheins zur Moldau, die vom Blut ihrer Einwohner überläuft, von Weinbergen und einem Garten von beneidenswerter Schönheit zu Fel-
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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Wir schreiben das Jahr 1619. Der ein Jahr vorher erfolgte Prager Fenstersturz hat an der Moldau noch keine blutigen Folgen gezeitigt. Die Moldau indes schwimmt bereits metaphorisch im Blut angesichts der gewalttätigen Unterdrückung, die die Evangelischen in Habsburger Landen nicht anders als an der Seine und wo immer sonst zu erleiden hatten. Auch Opitzens Rede vermittelt eine Ahnung, welche Erwartungen sich an den Einzug des jungen Königs in der Prager Burg knüpften. Blutbefleckt war die Herrschaft. In blühende Gefilde sollte die königliche Landschaft samt allen Nebenländern neuerlich verwandelt werden. Was dies meinte, haben wir vernommen. Freiheit der religiösen Betätigung stand an der Spitze der Maßnahmen, die Friedrich sogleich verfügte. In den Farben der ›aetas aurea‹ malte sich das Bild einer repressionsfreien ›civitas‹ unter den Fittichen eines der Gewalt entsagenden friedliebenden Fürsten. Alle poetischen Register stehen dem Redner zur Beschwörung dieses ›summum bonum‹ zur Verfügung. Der reformierten Pfalz und ihrem königlichen Repräsentanten ist es vorbehalten, diesen Bildern jene politischen Hoffnungen zu vermählen, die in den ›Tagträumen‹ so vieler religiöser Visionäre erahnt und umkreist worden waren, und dies nicht zuletzt auf der Prager Burg. Ein Zincgref, ein Opitz – sie wußten darum.
O te pium Principem ›Vicit iter durum pietas‹ (Frömmigkeit siegte über die harte Reise). So das Motto, das über den nachfolgenden Passagen seinen geziemenden Platz hat. Wo dieser Fürst erscheint, kehrt alles sich um in Freude und Segen. Er ist das Gegenbild zu Hannibal. Dessen Heereszug ist begleitet von Furcht und Schrecken, die mit seinem Auftauchen einhergehen. Fast ein Dutzend Wendungen hält der Redner bereit, um dem auf allen Ebenen zutagetretenden Gegensatz Konturen zu leihen. Dieser Heerführer, der sich da vom lieblichen Neckar in die rauhe böhmische Bergwelt aufgemacht hat, er ist ein Glücks- und Friedensspender. Trauer herrschte überall, und wir wissen um ihre Ursachen. Nun aber kehrt sie sich um in Ausgelassenheit und Freude. Credo etiam, si vllus rerum mortalium sensus defunctis relinquitur, incredibili hilaritate perfundi; et operaepretium fecisse moriendo sibi omninò videri, beatos eorum manes, quotquot hactenus libertati publicae cruore suo litaverunt.49
›O te pium Principem‹! Dieser Fürst ist würdig, mit seiner Herrschaft den Erdkreis zu umspannen. Die ›Grausamkeit des Schicksals selbst und die uns zugefügten Wunden‹ –––––––––
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dern, die besudelt sind von den Raubzügen der Zyklopen und den Leichen ihrer Spießgesellen, vom lieblichsten Schloß zu einer zwar gewaltigen, aber zerstörten und gleichsam ausgeraubten Königsburg. Eine unglückliche Veränderung – wenn du nicht der Burg Glanz, den Äckern ewigen Frühling, der Moldau Ruhe, den Fremden einen Freund und den im Feld stehenden Soldaten Frieden brächtest. (S. 207, 209). Ebenda, S. 208. Ich glaube sogar, wenn irgendeine Empfindung irdischer Angelegenheiten den Toten übrigbleibt, daß die glückseligen Seelen derer, die bislang mit ihrem Blut der allgemeinen Freiheit geopfert haben, von unglaublicher Heiterkeit durchdrungen werden und meinen, durch ihren Tod etwas ganz Wertvolles geleistet zu haben. (S. 209).
Optimi Statvs Avctor
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(ipsa fortunae atrocitas et impressa nobis vulnera) haben ihn bewogen, die Krone zu ergreifen. Ein gekrönter Schmerzensmann wird für einen Moment sichtbar, sich opfernd für die gute Sache. Man weiß, er steht nicht allein im Zeitalter. Wo die Welt aus den Fugen geraten ist, macht das Märtyrertum auch vor Königen und Kaisern nicht halt. Eingreifen in den verhängnisvollen Lauf der Geschichte hat im konfessionellen Zeitalter allenthalben seinen Preis. Weder ein Zincgref noch ein Opitz konnten ahnen, als sie ihre Worte formulierten, daß auch ihr Held in so naher Zukunft die bitteren Früchte seines königlichen Mutes, gegründet auf Frömmigkeit, kosten sollte.
Optimi Statvs Avctor Unausdenkbar, was das Schicksal in seinem Schoß beschlossen hielt. Der Geburtstag des Helden, seine Wahl zum König und sein Ergreifen der Rolle, die ihrem Träger alles abverlangen sollte, bewirkt, daß auch die ihm Zugetanen, Wiedergeborenen gleich, einen zweiten Geburtstag feiern dürfen. Der ganze christliche Erdkreis profitiert von dieser Tat. Eine Zeit der Grausamkeit, ja der Tyrannis ist an ihr Ende gelangt; ein neues Zeitalter zieht herauf. Neuerlich werden die altrömischen, werden die Vergilschen Töne im Hintergrund vernehmbar. Noch einmal wiederholt sich im christlichen Säkulum ein säkularer Umschwung. Das konfessionelle Zeitalter gelangt an sein Ende, und einem Fürsten aus dem Haus der Pfälzer ist es vorbehalten, die Einheit der Christenheit wieder herzustellen. Mit ihr einher geht die Restitution der staatlichen Gewalt. Das war die Aufgabe allerorts im Gefolge der Bürgerkriege, am sichtbarsten in Frankreich. Die ›dritte Kraft‹, die gelehrte Juristenschaft zumal, hatte entscheidenden Anteil daran. Nun erwartet den jungen böhmischen König und seine Berater die nämliche Aufgabe. Die Redner aber sind zur Stelle, die zündenden Worte für das herculeische Werk zu artikulieren. Parere possumus, tyrannidem perferre non possumus. Serviemus tibi, vt liberi simus. Salve Rex, Salve Pater Patriae, Salve delitiae generis humani. Pro te, illustre aevi decus, pro tuâ incolumitate Vota suscipimus: nam te imperante de nostrâ sumus securi. Concedat tibi Deus, vt manu tuâ nutantia reipublicae pondera fulciantur et restituantur; vt compos fias voti quod tantopere Octavius olim expetebat, vt dicaris OPTIMI STATVS AVCTOR.50
Kaum mehr als die Zeitspanne eines guten Jahres verging, und die Zeitgenossen sahen sich der bitteren Notwendigkeit ausgesetzt, die soeben verlauteten Worte nunmehr mit ungläubigen Ohren zu vernehmen. Dem jungendlichen Fürsten, so der Redner, möge es vergönnt sein zu erleben, daß die Fundamente seiner Herrschaft auch im Alter intakt geblieben waren. Der Neuanfang sollte ein bleibender sein. Auf die Pfalz und auf ––––––––– 50
Ebenda, S. 210. Wir können gehorchen, die Tyrannei ertragen können wir nicht. Wir werden dir dienen, um frei zu sein. Sei gegrüßt, König, sei gegrüßt, Vater des Vaterlandes, sei gegrüßt, Freude der Menschheit. Für dich, glänzende Zier des Zeitalters, für deine Unversehrtheit beten wir, denn wenn du über uns herrschst, sind wir sicher. Möge Gott dir zugestehen, daß unter deiner Hand das schwankende Gebäude des Staates gestützt und wieder aufgerichtet werde, damit dir der Wunsch erfüllt werde, den einstmals Octavius so sehr hegte, daß man sage: OPTIMI STATUS AUCTOR – Errichter des besten Zustandes. (S. 211).
VIII. Publizistik von Zincgref und Opitz
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Böhmen im Bunde mit England und Schottland, für welche die Königin stand, war das Werk gegründet. Es entsprang, so wird der Redner nicht müde zu betonen, keinesfalls der Liebe zur Herrschaft an sich, sondern der Liebe zum Frieden. Doch es blieb immer auch zugleich ein Opfergang. Um der allgemeinen Sicherheit wegen wurde die persönliche Ruhe preisgegeben. Einmal in der Geschichte, so mag es dem Redner gedünkt haben, wurde das humanistische Ideal des wahren Fürsten Wirklichkeit in der Gestalt Friedrichs. Die rednerische Emphase beruht auf dem Mitvollzug eines schier außergewöhnlichen Geschehnisses. Das Schicksal, so der noch einmal sich einstellende Begriff, ist in actu für König und Untergebene ein einiges.
Religions- und staatspolitisches Credo Und dann bringt Opitz, einem Vermächtnis gleich, diejenigen Worte zu Gehör, die in vielfacher Variation sein Werk durchziehen, weil sie ihm die teuersten blieben. Wie die schlesischen Piasten, wie die Magnaten in der Nachbarschaft seiner Heimat, wie die polnischen Könige, denen er schließlich dienen durfte, steht auch Friedrich ein für die Gewährung von Gewissensfreiheit als der unabdingbaren Voraussetzung für die von Zwang befreite Ausübung der Religion. Und immer wieder sind es die Heiden, die einer korrumpierten christlichen Welt die Vorbilder für den ehrfürchtigen Umgang mit dem Höchsten stellen. Verwüstung und Schändung kommen mit den Galliern über Rom. Einem einfachen Mann aber aus dem Volke, Lucius Albinius, so weiß der Redner, ist es vorbehalten, den fliehenden Vestalinnen Platz in seiner Kutsche einzuräumen und dafür Frau und Kinder momentan abzusetzen. Adeò tum quoque in vltimis, religio publica privatis affectibus antecellebat. Corpore attentari et fortunis, grave; conscientiâ, intolerabile est. Libertatis verò hanc indolem videmus, vt eam nemo bonus nisi cum animâ amittat.51
Opitz greift zu derartigen Bildern aus einer reichen Überlieferung. Es würde sich lohnen, sie einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen, gehören sie doch in die Geschichte einer Antike und Christenheit umgreifenden Gläubigkeit. In dem Maße, wie Haß und Gewalt in Wort und Tat unter den christlichen Konfessionen Platz griffen, gewannen jene Zeugnisse der nichtchristlichen, der ›heidnischen‹ Welt eine Leuchtkraft, die sich erhielt und schließlich einmünden sollte in jene dichterischen und religionsphilosophischen Gestaltungen, denen mit Gewißheit ein verjüngtes Leben inmitten obwaltender fanatischer Gläubigkeit prophezeit werden darf. Es sollte deutlich werden im Zuge unser Betrachtung, daß auch ein Opitz dieser Schar von Bildnern und Denkern angehört, die – einem Wunder gleich – über die Jahrhunderte hinweg stets wieder beredte Künder findet. ––––––––– 51
Ebenda, S. 212. So sehr pflegte damals, auch bei den Geringsten, die öffentliche Religion die persönlichen Gefühle zu übertreffen. Am Körper und an Gütern Schaden zu nehmen ist schwer zu ertragen, am Gewissen Schaden zu nehmen ist unerträglich. Die Natur der Freiheit aber ist, wie wir sehen, tatsächlich so geartet, daß kein rechtschaffener Mann sie verlieren kann, es sei denn zusammen mit seinem Leben. (S. 213).
Apokalyptische Zeitdiagnostik
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1619 war es für eine knapp bemessene Frist möglich, vorbehaltlos zu sprechen. Gleichwohl bleibt es bemerkenswert, wie weit Opitz sich vorwagt und sich zu Worten erkühnt, die ein wenig später nicht ein zweites Mal aus seinem Mund verlautet wären. Er weiß um die Pflicht der Untertanen zu Gehorsam. Doch dieses Gebot gilt – gemäß calvinistischem Verständnis – nur so lange, wie die Obrigkeit nicht korrumpiert ist. Nicht aus einem ›Geist der Rebellion‹ (animo rebellandi) heraus haben die Menschen einmütig gehandelt, sondern um ›unsäglichen Machenschaften‹ (infandae machinationis) zu begegnen. Nicht eine Rebellion gegen den König wurde verübt, sondern die Waffen richteten sich – nach unendlich lang bewahrter Geduld – »gegen die Betrügereien blutrünstiger Mörder« (dolos sanguinariorum). Kein Vertrauen mehr herrschte in eine Obrigkeit, deren Versicherungen nicht länger zu glauben waren und die Meineide wie ein Würfelspiel praktizierte. Ein Exemplum hat sich den Protestanten tief eingeprägt: das Erscheinen von Jan Hus auf dem Konzil zu Konstanz. Opitz ist es gegenwärtig. Kaum anders wäre es einem Luther in Worms gegangen, hätte nicht der Kaiser eine Befleckung seines Namens befürchtet, wenn denn die Zusicherung freien Geleits gebrochen worden wäre. Gewiß, der Redner ist damit befaßt, historische Paradigmen für die Berechtigung des Agierens auf seiten der Pfälzer beizubringen. Indem er aber derart verfährt, wird zugleich evident, daß die Kluft, die sich gegenüber der katholischen Obrigkeit aufgetan hat, schon lange eine nicht mehr überbrückbare ist. Um 1620 ist das Reich nicht nur konfessionell, sondern auch politisch gespalten. Hätte ein erfolgreicher Aufstand die Kluft schließen können? Zweifel daran sind mehr als berechtigt.
Apokalyptische Zeitdiagnostik Eben in diesen Jahren, nein, fast schon muß man sagen: in diesen Monaten, formt sich ein Bild auf die jüngste Geschichte heraus, wie ein solches bis dahin noch nicht existiert hatte. Die Geschichte als eine Katastrophenstätte ist erfahrbar geworden, und die Fundamente des abgrundtiefen ›barocken Pessimismus‹ werden sichtbar. Ein Walter Benjamin wußte, warum er den theologischen und geschichtsphilosophischen Hebel eben hier ansetzte. Nicht anthropologische und existentielle Entitäten standen und stehen zur Rede, sondern von Menschenhand produzierte und bis dato unausdenkliche Greuel. Der Opitz des ›Trost-Gedichte‹ ist in der ›Oratio‹ an den inskünftigen Böhmischen König gegenwärtig. Der Blick auf die jüngste Zeit, die Europa durchlebt hat, ist der nämliche. War es denkbar, daß derartige Erfahrungen sich jemals wieder verlieren würden? Die Gegenseite hat ein Exempel geliefert, wie man mit unliebsamen Königen umgeht. Grausam ist an jenem ›unvergleichlichen Kriegshelden‹ Heinrich IV. gefrevelt worden, der die ›drückende Last des ganzen Vaterlandes‹ auf sich genommen hatte. Und wie stand es um den Schwiegervater des Königs, den ›unvergleichlichen König von Britannien‹, eben Jakob I.? Throne waren nicht mehr sicher, die Erde bebte, so daß der politische Ordo, göttlich sanktioniert, schwankte. Der Redner jedoch erblickt darin nicht ein quasi naturwüchsiges Gesetz. Er macht die Verantwortlichen in den höchsten Rängen auf der Gegenseite verantwortlich für das Unerhörte, das da als bis-
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lang Unbekanntes in Europa eingebrochen ist und die Festen zum Wanken gebracht hat. Eine Welt steht auf dem Kopf, ganz so, wie ein Rabelais sie satirisch aufgespießt hatte. Kirchen wurden geschändet und geschlossen, Unschuldige in Kerker geworfen und gequält, die Verordnungen König Rudolfs II., des ›göttlichen‹, verspottet, »das Recht der Völker«, soeben erst kodifiziert, »umgestoßen, der Staat wie durch eine Sintflut überschwemmt und die Religion durch außerordentliche Hinterlist in Unordnung gebracht.«52 Noch einmal: Wie sollte die Erschütterung, die da in der frühen Moderne ein erstes Mal in unerhörter Wucht manifest wurde, jemals erinnernd getilgt werden? Auch ein Opitz hat alles getan, was in seiner rednerischen Macht stand, die Greuel der seelischen, der sittlichen, der religiösen Verwüstung in Worte zu bannen. Jedweder neuerlichen Begegnung verschlägt es über die Zeiten hinweg den Atem. Das so betitelte Katastrophen-Jahrhundert der jüngsten Zeit besitzt einen Wiedergänger im sechzehnten. Belassen wir es bei einem einzigem längeren Zitat und ermuntern, besser: ermutigen, zu eigener Lektüre. Die Bilder waren vielfach im Umlauf, Opitz ist immer auch montierend am Werk. Ihrer Gewalt tut das keinen Abbruch. Gerade in den Niederungen des Alltäglichen ereignet sich das Furchtbarste, Katarakte werden sichtbar, vor denen die Worte versagen. Die Literatur um 1600 ist europaweit damit befaßt, vor diesem Hintergrund einer neuen Sprache zu ihrem Recht zu verhelfen. Ein irreversibler Weg in die zweite Moderne ist eröffnet. Dichtend, redend, argumentierend dabei gewesen zu sein, begründet nicht zuletzt die Größe eines Opitz. Horresco referens immanitatem barbaris inauditam, et apud posteros vix inventuram fidem. Neque infantium vagitûs, neque singultûs puerorum, neque lachrymas matronarum, neque canos senum, rabidas ac saevientes belluas commovisse; virgines promiscuè imminutas, juxtà strenuos et imbecilles obtruncatos, agros vastatos, regni opes attritas, periisse flammis quod ferrum reliquerat. Lugenda adhuc enumeravimus: eundum ad erubescenda est. Matrem liberos, ne gladiorum acie caderent, in flumen abjecisse; cadavera mortuorum medio templorum sepulchris eruta; foeminas situ nondum corruptas denudatas, in aris (obstupescant Christiani) manibus et pedibus ligatas, ad fores templi fulcris erectas; et alia prorsus abominabili saevitiâ perpetrata. O saeculum etiam Mezentiis, Tiberiis, Neronibus et Domitianis, in crudelitatem ingeniosius!53
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Ebenda, S. 215. ruptum fas gentium; respublica velut diluvio inundata; et religio miris dolis turbata est. (S. 214). Ebenda, S. 216. Ich schaudere davor zurück, über die selbst bei den Barbaren unbekannte Grausamkeit zu berichten, die bei den Späteren kaum Glauben finden wird: Weder das Wimmern der Neugeborenen noch das Schluchzen der Kinder noch die Tränen der Mütter noch das graue Haar der Greise hat die wütenden und wilden Bestien gerührt; Jungfrauen wurden gemeinschaftlich vergewaltigt, auf gleiche Art Starke und Schwache niedergemetzelt, Äcker verwüstet, die Mittel des Königreiches aufgezehrt, durch Feuer vernichtet, was das Schwert übrig gelassen hatte. Bisher haben wir das Bejammernswerte aufgezählt; nun heißt es zum Beschämenden zu kommen: Eine Mutter warf ihre Kinder, damit sie nicht durch die Schärfe der Schwerter umkamen, in den Fluß; die Körper der Toten wurden inmitten der Kirchen aus den Grüften gezerrt; Frauen, die noch nicht vom Alter gezeichnet waren, wurden entkleidet (die Christen sollen erstarren) an Händen und Füßen auf die Altäre gebunden und vor den Türen der Kirche an Pfählen aufgerichtet; und andere Dinge von ganz und gar verabscheuungswürdiger Grausamkeit wurden begangen. O Jahrhundert, an Grausamkeit einfallsreicher als ein Mezentius, Tiberius, Nero oder Domitian. (S. 217).
Fridericus soter
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Fridericus soter Friedrich war dazu bestimmt, einer entwurzelten Welt wiederum einen Boden zu verschaffen. Und so endet die aufrüttelnde Rede mit einer letzten Zuwendung zu dem König. Die Rückkehr in die eigene Heimat, in das geliebte Breslau, ist darin beschlossen. Diejenigen, die ihm auf seinem Weg folgen, diejenigen, die ihn sehnsüchtig erwarten, sie sind sein und also bereit, auch ihr Leben für ihn zu opfern, ist er doch auf der Seite des Guten, des Gerechten, des Frieden Verheißenden. Zögernd werden sie das Schwert ergreifen, zögernd es niederlegen, bis der Sieg definitiv der ihrige ist. In Prag ist der König angekommen. Nährerin und Gastgeberin ist ihm die Stadt. Nun allerdings ergeht die Bitte an den Fürsten, weiterzuziehen nach Schlesien, wo er gleichfalls sehnsüchtig erwartet wird. Seine Soldaten werden nicht gefürchtet, dienen sie doch einem maßvollen König. Einhellig wird der Jubel sein. Fürsten und Adel, Ratsherren und Volk werden zugegen sein, wenn denn der erhoffte Tag gekommen ist. Breslau, die schönste unter den Städten, ist gerüstet, die vielen Türme werden sich gleichsam verneigen und die ganze Stadt sich der Erhabenheit dieser seiner Majestät rühmen. Wir haben von dem Einzug Friedrichs in der schlesischen Kapitale gehört. Auch in Opitzens Rede ist ein überschwengliches Echo zu vernehmen. Das letzte Wort gilt Gott, dem das Schicksal dieses außergewöhnlichen Fürsten anheimgestellt bleibt. Und so klingt die Rede in mächtigen Akkorden aus. Die Religion und die Wiederkehr der Wahrheit, die Freiheit und das Vaterland – auf diese Grundakkorde sind die Schlußpassagen gestimmt. Mit Zincgrefs ›Epos‹ und Opitz’ ›Oratio‹ liegen zwei geschichtsträchtige Dokumente in den letzten Stunden vor der nahenden Katastrophe vor, wie sie glückverheißender, wie sie beredter sich nicht hätten ausnehmen können. Die Ehre der pfälzisch-böhmischen Intelligenz, ihre Bereitschaft, der guten Sache ihre Stimme zu leihen, war für immer besiegelt. Die deutsche Literatur erhielt einen Zuwachs an lebendiger Kraft, und der schlesisch-pfälzische Brückenschlag hatte ein unverlierbares Vermächtnis gezeitigt. Dominum vniversi, qui mutat tempora et vices temporum, abjicit reges et instituit, publica voce supplices veneramur, Majestatem tuam custodiat, servet, protegat, regat consilia tua et cogitationes. Floreat sub te religio, et à pietate tuâ incrementum accipiat fidemque veritatis[.] [...] Si verò tristius quid paras, ô Deus, et finem laborum propter peccata nostra nondum facis, fac vt pro nominis tui defensione, pro Principe nostro, pro libertate, pro patria, aut superemus fortiter, aut beatè occumbamus, aut vtrunque. Tuere imperium ejus qui tuam gloriam tuetur, eumque functum longissimâ statione mortali, repositâ mole reipublicae felicissimâ, ab hoc caduco transfer ad sceptrum vitae, quod non auferetur in aeternum.54
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Ebenda, S. 218. Wir bitten demütig mit lauter Stimme den Herrn der Welt, der die Verhältnisse und den Lauf der Zeiten wandelt, Könige abberuft und einsetzt, er möge deine Majestät bewachen, er bewahre, schütze und lenke deine Ratschlüsse und Überlegungen. Unter deiner Herrschaft blühe die Religion und durch deine Frömmigkeit möge sie Zuwachs und Vertrauen in die Wahrheit finden. [...] Wenn du aber, o Gott, etwas Traurigeres bereit hältst und wegen unserer Sünden unseren Leiden noch kein Ende gönnst, bewirke, daß wir für die Verteidigung deines Namens, für unseren Fürsten, für die Freiheit und für das Vaterland entweder tapfer siegen oder glücklich sterben oder beides. Schütze die Herrschaft dessen, der deinen Ruhm schützt, und geleite ihn nach einem langen irdischen Wirken, nachdem er die glückliche Bürde der Staatsführung abgelegt hat, von dieser Vergänglichkeit zur Herrschaft über das Leben, die in Ewigkeit nicht genommen wird. (S. 219).
IX. Erstes Exil: Opitz in den reformierten Niederlanden Begegnung mit Daniel Heinsius Ein neuerlicher Aufbruch Als Opitz von seiner Heimat in die Pfalz aufbrach, hatte er sich geziemend avisiert. Derartiges vermochte über illustre Mittelsmänner geschehen. Der briefliche Weg wurde gleichfalls gerne gewählt. Opitz war einem eingeführten Brauch gefolgt und hatte zur Feder gegriffen, um sie poetisch zu spitzen. Das aber war stets nur die eine Hälfte. Er mußte punktgenau den richtigen Adressaten ansprechen und er mußte über wenigstens eine illustre Referenz verfügen. Das alles war gegeben. Er wandte sich an Janus Gruter und er durfte sich auf den Kontakt berufen, den Tobias Scultetus bereits nach Heidelberg hin gestiftet hatte.1 Ein ähnliches und doch zugleich ganz anders geartetes Szenarium dann zwei Jahre später. Opitz war vorsichtig. Der Einfall der Spanier in die untere Pfalz war erfolgt. Noch lag es für manch einen womöglich noch jenseits des Vorstellbaren, daß der Weitermarsch an den Neckar rasch erfolgen könnte. Immerhin, beunruhigende Nachrichten kursierten auch in Heidelberg. Opitz muß sie ernst genommen haben. In Böhmen stand der Pfälzer Kurfürst und nunmehrige Böhmische König unmittelbar vor der schwersten Bewährungsprobe. Da verließ der Dichter, der ja in der Pfalz verblieben und nicht mit nach Prag gezogen war, die kurfürstliche Residenz. Es war ein erstes Mal ein expliziter Aufbruch ins Exil. Weitere sollten folgen. ––––––––– 1
Vgl. das von Opitz’ Hand herrührende Manuskript des Gedichts an Gruter, das sich einst in der Heidelberger Palatina befand, von dort in die Vaticana zu Rom gelangte und nun als Faksimile wieder zugänglich ist in: Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Faksimileausgabe des Janus Gruter gewidmeten Sammelbandes mit den handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen des Verfassers. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner.- Stuttgart: Metzler 1970 (sammlung metzler; 88), S. [2] – [3]. Ein Einzeldruck ist nicht bezeugt. Das Gedicht wurde in den 1631 erschienenen ›Silvae‹ Opitzens gedruckt: Ad Ianvm Grvtervm. Wiedergabe danach mit deutscher Übersetzung in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 172 f., Kommentar S. 482 f. Die Übersetzung rührt her von Christian Käßler, der Kommentar von Robert Seidel. Vgl. zum Kontext auch: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band I, S. 253–257 (kommentierter Brief Nüßlers vom 1. Juli 1620 an Janus Gruter, insbes. K III/5). Hier auf S. 266–268 auch der Text des an Heinsius gerichteten Gedichts noch einmal. Vgl. Anm. 2.
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Dieser aber war begleitet von der Aussicht auf eine singuläre Begegnung. Opitz muß sie seit längerem herbeigewünscht haben. Kein Autor aus den Nachbarstaaten stand seinem poetisch-kulturpolitischen Projekt näher als sein unmittelbarer Vorgänger in den Niederlanden. Ihn galt es aufzusuchen und zu gewinnen. Und wiederum fast umgehend sollte sich zeigen, daß ein prägender Einfluß auf das eigene Werk sich angebahnt hatte, der vielfältige Früchte zeitigte. Es gibt keinen zweiten Autor, der eine ähnlich prominente Rolle in Opitzens Texten spielen würde, wie eben derjenige, den er noch vor seinem Eintreffen poetisch zu begrüßen sich anschickte. Wie auf allen seinen Pfaden leitete ihn ein untrüglicher Instinkt. Der aber war gepaart mit einem gehörigen Schuß Selbstbewußtsein. Wie anders hätte ein junger Mann noch ohne weltläufigen Namen es sonst wagen können, eine der Kapazitäten der europäischen nobilitas litteraria anzusprechen. Opitz durfte sich neuerlich darauf verlassen, daß er angekündigt und also der Empfänger vor übermäßiger Überraschung gefeit war. Immerhin. Auch die poetische Botschaft wollte absolviert sein. Sie mußte vor den Augen des Adressaten nicht nur Bestand haben. Sie sollte als eine Gabe besonderer Güte auffallen und sich einprägen. Doch auch vor dieser Situation stand Opitz ja nicht ein erstes Mal.
Auf dem Rhein Opitz hat seinem Gedicht für Heinsius, das sich gleichermaßen als Ankündigung und Hommage gibt, eine genauere Angabe hinzugefügt, wann und wo es abgefaßt wurde. Das kommt gelegentlich vor, ist aufs Ganze gesehen aber doch nicht allzu häufig anzutreffen. Im vorliegenden Fall verbirgt sich mehr hinter dem Postskriptum, und natürlich wußte Opitz nicht nur darum, sondern hatte die Wendung wohlkalkuliert eingesetzt. Wir beginnen also entgegen aller guten Gewohnheit mit dem Schluß, der dem Gedicht die erwünschte Stoßrichtung verschafft.2 ›Perscriptum in Rheno flumine, m〈ense〉 VIIIbr〈is〉 An〈no〉 M.DC.XX.‹ (Geschrieben auf dem Flusse Rhein im Monat Oktober 1620). Der Dichter ist aufgebrochen, jedoch am Ort der Bestimmung seiner Reise noch nicht angekommen. Eine transitorische Situation wird imaginiert, wie sie im Gedicht selbst ihre genaue Entsprechung hat. Der Sprecher läßt ein im Osten blutüberströmtes Land hinter sich. Er rüstet sich für eine Begegnung mit gesegneten, mit wiedererblühten Landschaften. Er hält Rückblick und Vorausschau. Und er weiß aus dieser klassischen Position eines Reisenden poetisches Kapital zu schlagen. Wie aber steht es um ihn selbst? Er reiht sich ein in die unübersehbare Schar literarisch verbürgter Gestalten, die ihr Schicksal auf das Wasser verschlagen hat. Das li––––––––– 2
Das Gedicht mit dem Titel ›Ad Danielem Heinsivm‹ findet man in zweisprachiger Version in: Opitz: Lateinische Werke. Band II (Anm. 1), S. 174–177, Kommentar S. 484–487. Übersetzung und Kommentar rühren her von Wilhelm Kühlmann. Vgl. von Kühlmann in diesem Zusammenhang auch die schöne Studie: Von Heidelberg zurück nach Schlesien. Opitz’ frühe Lebensstationen im Spiegel seiner lateinischen Lyrik.- In: Regionaler Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internet. Festschrift Klaus Garber. Hrsg. von Axel E. Walter.- Amsterdam, New York: Rodopi 2005 (Chloe; 36), S. 413–430.
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quide Element ist das Symbol für Ungewißheit, und also für Bedrohung wie Verheißung zugleich. Nicht das Leben des Sprechers selbst ist unmittelbar bedroht. Er hat Platz gefunden auf einem Schiff. Aber auch in dieser Position befindet er sich in bester literarischer Gesellschaft. Der solchermaßen Dahinziehende bevölkert ein gleichfalls symbolisch konnotiertes Gefährt. Die Reise auf dem Schiff gleicht der durch das Leben. Zu keinem Zeitpunkt stand der Sinngehalt dieses Bildes seinen Zeitgenossen prägnanter vor Augen als eben um 1600. Zu jener Zeit war das Wissen um dessen Bedeutung noch lebendig. Spätere Generationen mochten Vergleichbares erlebt haben, doch besaßen sie die Schlüssel für das geprägte und durch Überlieferung geadelte ikonographische Repertoire nicht mehr. Sie waren in der Kunst der Bilddeutung verarmt. Und sie waren der Entzifferung der semantisch unterlegten Bilder häufig gar nicht mehr gewachsen. So lange eine humanistische Matrix sich wirkungsmächtig behauptete, stellten sich derartige Probleme nicht. Die Schiffsreise blieb eine durch den Urstoff des Lebens selbst gefährdete. Nur bei ruhigen Gezeiten vollzog sie sich entspannt. Schicksalsgleich aber erhoben sich Stürme und Wellen, und wie oft bot das stabilste Gefährt keinen Schutz mehr. Der Sprecher des Gedichts fügt sich ein in die Helden der Weltliteratur, angefangen bei Odysseus und Aeneas, die eben diesem Abenteuer des Lebens ausgeliefert waren. Aber wiederholte es sich auf andere Weise nicht im Dasein eines jeden Menschen? Die bemessene Spanne zwischen Geburt und Tod hielt genügend Überraschendes bereit. Und das Lebensschiff, das da in den Künsten seine Bahnen zieht, bewährt seine Lebens- und Leuchtkraft folglich bis an das Ende der Tage. Unser Dichter in Gestalt des lyrischen Sprechers ist auf dem Fluß unterwegs. Das mindert womöglich die Gefahr, verschärft aber die Erfahrung der Zeit. Ihr ist er für die Dauer der Wegstrecke besonders intensiv unterworfen. Für einen Humanisten aber folgt daraus keineswegs die poetische Verpflichtung, von seiner ›temporären‹ Befindlichkeit Kunde zu geben, zum ›Erlebnisdichter‹ zu mutieren, wie in späteren Zeiten von ihm erwartet. Er betreibt vielmehr Zeitenkunde, legt Zeugnis ab, nennt die unerhörten Begebnisse beim Namen und rüstet sich für die Stählung der poetischen Kraft, um ihnen standzuhalten und auslegend, sinnschöpfend zu begegnen. So auch unser Dichter.
Noch einmal: Blutendes Vaterland Traumatisch besetzt bleibt die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit. Wo es nur allzu verständlich erscheint, daß Weinen die Reaktion auf die Untaten ist, die dem Volk der Deutschen in einem unverdienten Krieg zugefügt werden, da will der Sprecher nicht auf der Seite derer gefunden werden, die der Schmach eines großen Volkes und den Niederlagen, die andere erleiden mußten, mit Freude begegnen. Was da an dem einen, Deutsche wie Böhmen verbindenden Fluß, was in Mähren und nicht zuletzt in Schlesien sich zugetragen hat, übersteigt jedwedes menschliche Fassungsvermögen und vermag Tränen, wie der Leser imaginiert, zum Erstarren zu bringen vor Entsetzen. An der Elbe wohnende Böhmen wurden niedergemetzelt. Ein trauriges Los
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IX. Im ersten Exil: die Niederlande
(tristia fata) hat die Mähren ereilt. Und vor seiner Tür hat der Schlesier die barbarischen Feldzeichen (barbara signa) erblickt, nachdem das Land in den gewaltigen Kampf der Parteien hineingezogen wurde. Das Auge des Sprechers ist nicht fixiert, wie man wähnen könnte, auf die Ereignisse nach dem Prager Fenstersturz, auf welche Spätere den Beginn des Dreißigjährigen Krieges datieren sollten. Mehr als ein halbes Jahrhundert währt inzwischen in Böhmen und seinen Nebenländern – nicht anders als in den österreichischen Erbländern – die Unterdrückung der Evangelischen. Sie zeitigt jene Greuel, die auch Opitz in seinen Lobreden auf Camerarius und den Winterkönig in all ihrer Drastik vergegenwärtigt hatte. Sie sind ein Mahnmal und geben zugleich der Vorstellung Raum, daß auch der Dichter aus seinem Vaterland Schlesien in die Pfalz herübergekommen war als dieses bereits überzogen war von Krieg und Blut. Das Schicksal eines Exulanten zeichnet sich retrospektiv ab. Der aber ist soeben im Begriff, einen zweiten Aufbruch zu vollziehen. Aus dem Osten schwenkt der Blick in den Westen. Sorgfältig hatte es der Dichter neuerlich vermieden, den Kaiser direkt für die Untaten in seiner Heimat namhaft zu machen. Hinsichtlich der Spanier entfällt diese politisch gebotene Rücksicht. Sie haben, fährt der Dichter fort, den Rhein erreicht. Der Fluß, der in Friedenszeiten Wein zu spenden pflegt, ist nun übersät von der feindlichen Soldateska. Ein stehendes Motiv im Werk Opitzens wird für einen Moment aufgerufen, dem wir wiederbegegnen werden. Opitz ist an dieser Stelle dem politischen Geschehen zeitlich am nächsten. Der Durchbruch der Spanier in die Pfalz ist soeben erfolgt. Wäre er aber womöglich zu verhindern gewesen? Auch diese Überlegung spielt in die Opitzschen Verse hinein. Er schickt sich an, mit einer Epoche seines Lebens abzuschließen und eine Art Resümee verlautet, zusammengedrängt in wenige Worte. Von einem ›Zaudern‹ (cunctatio) ist die Rede, das beitrug zu jener verhängnisvollen Situation, daß nun spanische Truppen deutschen Boden betreten haben. Wiederum wird die nähere Konkretion gemieden; ein ›verborgener Grund‹ (abdita caussa) will umkreist sein. Der Leser weiß sich seinen Reim darauf zu machen. Mehr als einer der Verbündeten, auf die man setzte, hat versagt. Und daß es nur die Spanier sein können, die davon profitierten, ist gleichfalls ausgemachte Sache.
›Chara Palatini tellus, vale!‹ Nun aber zieht sich das Unheil über einem Musensitz zusammen, der einzig dasteht. Nach den Myrthen trägt er seinen Namen und ist daher Apollo der liebste. Der Heidelberger Gelehrten- und Dichterkreis rückt für einen Moment in das Blickfeld. Aus gegebenem Anlaß hat Opitz darauf verzichtet, ihm eine eigene Eloge zukommen zu lassen. Der zentrale Vorwurf seines Abschieds- und Aufbruchs-Poems wäre Gefahr gelaufen, an die zweite Stelle zu rücken. Es genügt, den Sitz des Apollo aufzurufen, um einen – nunmehr namenlosen – Strom an Erinnerungen zu evozieren. Diese glücklichen Tage am Neckar sind vorbei. Noch ist im fernen Böhmen und am Neckar selbst die Katastrophe gar nicht hereingebrochen. Der Dichter aber hat die Zeichen der Zeit erkannt. Das visionäre, das prophetische Vermögen des Poeten akti-
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viert er. Entsetzen über den gegenwärtigen Anblick der Schicksalsschläge (Territa fortunae praesentis imagine) hat den Musensitz ergriffen – mit Folgen, die der Dichter ausmalt, obgleich sie selbst faktisch doch noch gar nicht eingetreten sind. Auseinandergetrieben sein wird die gelehrte Schar alsbald. Und das mit einem ›traurigen Murmeln‹ (Moesto murmere) auf den Lippen, in das gehüllt nun schlagartig offenbar wird, was dem einzigartigen Ort bevorsteht: ›Liebe Erde der Pfalz, bald wohl schon spanisch, lebe wohl.‹ (Chara Palatini, cras fortè Hispanica, tellus, [...] vale.) Noch ist die Neckarstadt erfüllt von Hoffnung. Noch ist der Kreis beieinander. Doch der Dichter will es anders. Die Hoffnung für die geliebte zweite Heimat ist zerstoben. Das Paradies am Neckar wird alsbald nicht mehr sein. Der Dichter ist der erste, der den bitteren Schritt vollzieht. Er weist dem Kreis als Ganzem jenes Schicksal zu, das ihm allein bis zur gegenwärtigen Stunde zuerkannt ist. Gruter hatte ihn gerufen. Nun hat er ihn verlassen müssen. Das aber – wie ausdrücklich betont – nicht freiwillig (non vltrò). Und so nicht anders das Haus Lingelsheims, in das ›willkommene Schwellen‹ (limina grata lares) geleiteten. Eine vertraute Welt ist nicht mehr. Doch den Reisenden auf dem Schiff erwartet im Gegensatz zu so vielen literarischen Vorgängern kein ungewisses Schicksal. Er darf sich mit Zuversicht der Zukunft zuwenden. Und die nimmt sich nach dem dunklen Eingang um so heller aus.
Leitstern und Kompaß des Lebens Der zweite Teil des Gedichts ist erreicht. Nunmehr tritt der Titel in seine vollen Rechte ein: ›Ad Danielem Heinsivm‹. Einem Geheiß der Götter ist der Sprecher gefolgt. Den Kurs seines Schiffes aber, den Wind, welcher die Segel blähte, hat die Liebe zu jenem gelenkt, dem die sehnsuchtsvolle Erwartung gilt. Schon von Kindesbeinen an habe ihn dieses Verlangen erfüllt. Das ist natürlich übertrieben, doch in die Formulierung fließt ein, daß es eben nicht ein momentaner Entschluß war, sich dem Niederländer zu nähern. Die Bekanntschaft mit dessen Werk ist eine seit längerem gestiftete. Und sie rührt nicht her von der Schule, wo das Lateinische und Griechische obligatorisch sind, sondern verdankt sich glücklichen persönlichen Umständen, von denen wir hörten. Leiden wird er betreten, erfüllt von den Honigwaben des Verehrten, und derart der antiken Hochburg des Geistes und der Künste, Athen, noch vorzuziehen. Eine eben aus dem Widerstand hervorgegangene Stätte der Musen steht im Begriff, den antiken Kultstätten der Künste im umfassenden Sinn des Wortes den Rang abzulaufen. Für einen Moment nimmt Heinsius die Stelle eines Repräsentanten des niederländischen Gelehrten- und Dichterkreises ein, und die dunkle Wendung beläßt dem Hörer und Leser die nähere Konkretisierung. Der aber denkt zurück an die Heidelberger Republik des Geistes. Ihr war es nicht vergönnt, sich im Widerstand zu behaupten und sich zu neuer Blüte zu erheben. Dem Dichter indes ist das ›Unheil‹ (damna) zum Glück ausgeschlagen. Ja mehr noch; was ein gütiges Geschick zuvor dem Sprecher nicht gewährte, das hält nun ein dunkles für ihn bereit. So sorgt der Dichter in seinem Text für die Aufklärung ›dunk-
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IX. Im ersten Exil: die Niederlande
ler‹ Orte. Kein Wort wird zurückgenommen, doch für den Sprecher verbirgt sich in dem Unheil ein geheimer Sinn. Er darf sich zu den Auserwählten zählen, die nach der Flucht tatsächlich Einzigartiges erwartet. Das Exil steht im Begriff, sich in Segen zu verkehren. Erneut sieht sich der Sprecher in der Rolle dessen, der eine Staffel aufnimmt, sich in sie einreiht und eben deshalb geehrt und ausgezeichnet ist durch illustre Vorgänger. Einer aus dem berühmten Geschlecht der Scaliger, Joseph Justus, hat einst Heinsius nach Holland geholt. Nun steht der Sprecher im Begriff, die Hand des über alles verehrten Niederländers zu ergreifen. Sukzession wird neuerlich inauguriert. Ein Opitz wird in Deutschland zu dem bestimmt sein, was ein Heinsius in den Niederlanden verrichtete. Und der Schlesier wäre nicht der, der er ist, verbände er diese Ehre nicht mit einer in die Zukunft weisenden Gebärde. Was er dem Verehrten da poetisch überreicht, ist gezeichnet durch die unvorteilhafte Situation der Entstehung. Flugs springt ein weiteres Motiv für die Wahl von Schiff und Schiffahrt hervor. Glückliche Verrichtung eines musischen Auftrages ist verknüpft mit dem Weilen in der schönen Natur bei ungestörter Ruhe. Das ist die klassische Szenerie für das literarisch geadelte Hirtentum. Die Hirten der Literatur stehen in einem natürlichen Bund mit den Musen und teilen mit ihnen das inspirierende Quartier. Der Sprecher aber befindet sich per Schiff auf dem Wasser. Und so ist unversehens ein Grund für die vorgeblich nicht vollkommenen Verse zur Hand.
Ein zweiter Odysseus, poetisch mutiert Noch einmal wird eine uranfängliche Szenerie imaginiert. In actu kann nur Unvollendetes verrichtet werden. Das Große steht aus. Die archegetische Pose Vergils zeichnet sich im Hintergrund ab. In der Nähe eines gegenwärtig Großen wird der Sprecher zu dem werden, was dieser schon ist. Ja, in die Zukunft blickend, späht das Auge schon über Leiden hinaus. Mit jungen Adeligen aus Jütland ist er auf dem Schiff. Nicht ausgeschlossen, daß die Wege, die ein dunkles und letztlich stets gütiges Schicksal dem momentan noch Irrenden bestimmt hat, ihn tatsächlich in die nordischen, die ›cimbrischen‹ Gefilde führen. Ein nochmaliger Umschlag hat statt. Das semantische Potential, das sich mit Reise, Schiffahrt und Wasser verbindet, will ausgeschöpft sein, zu vielfältig sind die literarischen Konsonanzen. Und so nimmt sich der imaginierte Aufenthalt in Leiden und bei dem verehrten Adressaten überraschend dann doch nur als eine beglückende Zwischenstation aus. Das Schicksal holt ihn wieder ein. Auch er wird – einem zweiten Odysseus gleich – weiter umherirren und das Los der Unbehausten teilen. Damit ist mehr verknüpft als ein ungewisses Schicksal. Das Vaterland und mit ihm der Alptraum der Geschichte und Politik, angesichts einer sich abzeichnenden erfüllten Zukunft für einen Moment in den Hintergrund getreten, wird sich neuerlich zu Wort melden. Wohin es ihn treibt, und das womöglich weit über ›Cimbrien‹ hinaus – stets wird das Gepäck der jüngsten Vergangenheit auf seinen Schultern lasten. Genauso sollte es kommen. Der Einsamkeit als dem Nährboden aller großen Taten in den Gefilden des Geistes war es vorbehalten, die Zunge des großen, des epischen,
Blick auf die Niederlande
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des die Geschichte umspannenden Dichters zu lösen. Momentan indes erwartet den Seefahrenden nach so vielen Unbilden die Aufnahme bei dem Künder nationaler Größe auch auf dem Felde der Poesie in den Niederlanden. Die nämliche heroische Aufgabe aber wird der Sprecher als die seinige erkennen. Auch ihm ist eine nationale Mission aufgetragen. Erst nach einem neuerlichen Aufbruch wird er in der Ferne und in der Einsamkeit ganz bei sich angekommen, erst dann die Bildungsgeschichte seiner Jugend abgeschlossen sein. Und darum wird das folgende Kapitel alleine der größten Dichtung seines Lebens gehören. Doch hören wir seine Stimme selbst, wie sie auf dem Rhein sich ausnimmt, horchen wir hinein in die letzten Verse seines Heinsius gewidmeten Poems. Hoc pretio terrae pereat mihi cura paternae, Et bona sic fiat, quae mala caussa fuit. Addimus et versus, sed magna parte iacentes: Hoc, vbi sunt nati, ventus et vnda facit. Libera iactatis mens non est; languet vt ipsi: Aönides solidae rura quietis amant. At meliora canam, vestro subuectus amore, Quem per tam dubium quaerere iuuit iter. Intereà mea me repetit fortuna, nec alto Hic quoque subducta est nostra carina freto. Errandum, et forsan nec Cimbria vasta, nec illa Quae terris olim nunc mihi finis erit. Quò me cunque tamen fata (o fata aspera!) ducent, Reflectam ad vultum lumina nostra tuum. Tu gratum fesso littus, tu rursus eunti In mare Ledaei sideris instar eris.3
Blick auf die Niederlande Noch einmal berührte der junge Dichter auf seinem durch die politischen Umstände erzwungenen Lebensweg ein vom Geist des Calvinismus durchdrungenes Land. Allgegenwärtig war die Erinnerung an den vor mehr als fünfzig Jahren ausgebrochenen Freiheitskrieg in den Niederlanden. Opitz indes traf das Land in einer Phase tiefer religionspolitischer Erschütterungen an. Nachdem der äußere Druck seit 1606 für eine ––––––––– 3
Ebenda, Verse 31–46. Die deutsche Übersetzung: Für diese Entschädigung [Heinsius’ Hand ergreifen zu dürfen] mag mir meine Sorge um das Heimatland vergehen, und was ein übler Anlaß war, mag sich zum Guten wenden. Auch Verse fügen wir hinzu, doch zum großen Teil unvollkommene; dies machen Wind und Welle, wo sie ja entstanden sind. Denen, die hin und her verschlagen sind, ist ein freier Geist nicht beschieden, er ist kraftlos wie sie selbst. Die Musen lieben die ländlichen Gefilde ungestörter Ruhe. Besseres aber will ich singen, in Liebe zu dir emporgetragen, den aufzusuchen auf solch gefährlicher Reise mich mit Freude erfüllte. Einstweilen holt mich mein Schicksal ein, und mein Lebensschiff ist auch hier nicht der hohen See entzogen. Herumirren muß ich, und vielleicht wird nicht einmal das wüste Kimbrien und werden auch nicht die Länder, die einst die Erde umgrenzten, mir zum Ziel gesetzt sein. Doch wohin auch immer mich das Schicksal (o hartes Schicksal!) führen wird, meine Augen will ich auf dein Antlitz zurück richten. Du wirst dem Ermatteten ein rettendes Ufer, du wirst dem, der wieder aufs Meer fährt, wie das Gestirn der Ledasöhne sein. (S. 175, 177).
IX. Im ersten Exil: die Niederlande
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Weile erlahmt war, erschütterten nun heftigste Konflikte das Innere der jungen Republik.4 Mit der jahrelangen Auseinandersetzung zwischen Arminianern und Gomaristen, Remonstranten und Kontraremonstranten und der anschließenden kompromißlosen Lösung des Konflikts auf der Dordrechter Synode 1618/1619 fiel ein tiefer Schatten auf ein Gemeinwesen, das sein Daseinsrecht in der heroischen Verteidigung seiner Autonomie und seiner überkommenen soziopolitischen Strukturen gegenüber dem spanisch-katholischen Absolutismus besaß. In der gewaltsamen Durchsetzung der orthodoxen calvinistischen Linie und der ebenso unnachsichtigen Verdammung des Arminianismus kehrte der Calvinismus in einem Land, in dem er selbst die Führungsrolle übernehmen konnte, seine militante Seite hervor. Die Einkerkerung des Arminianers Hugo Grotius und die Hinrichtung des über siebzigjährigen großen Führers des Aufstandes Johan van Oldenbarnevelt sind Schandmale auf dem jungen Staat, die als solche auch von den Zeitgenossen und insbesondere den reformierten Parteigängern wahrgenommen wurden. Die knappe, aber tiefsinnige Bemerkung von Opitzens Freund und erstem Biographen Christoph Colerus, daß Opitz an Ort und Stelle aus diesem tragischen Vorgang lernte und in seiner Heimat Gelegenheit hatte, von dergleichen selbstmörderischen Unternehmungen abzuraten, will ernst genommen sein. Der Gewaltakt in Dordrecht und seine Exekution mußte als Desavouierung des humanistischen Irenismus erscheinen, der gerade in den Niederlanden eine feste Tradition besaß und dem die Calvinisten, Opitz eingeschlossen, das Wort geredet hatten. Wenn die Niederlande im 17. Jahrhundert gleichwohl den verschiedensten religiösen Gruppierungen eine Heimstatt boten, so ist das u.a. auch hier der zeitweiligen Konsolidierung fürstenähnlicher Macht unter der Statthalterschaft Friedrich Heinrichs von Oranien zu danken, die sich durch Neutralität und Toleranz in religiösen Dingen legitimierte und so die Folgen der verhängnisvollen Dordrechter Synodalen-Politik milderte. Wir kommen in dem späteren, einem der Großen des Landes gewidmeten Kapitel, auf die hier nur eben angeschnittenen Fragen zurück. ––––––––– 4
Hier sei nur verwiesen auf: Pieter Geyl: The Netherlands in the Seventeenth Century. Part One: 1609–1648. Second Edition.- London: Benn, New York: Barnes & Noble 1966 (1. Aufl. 1936); Geoffrey Parker: Der Aufstand der Niederlande. Von der Herrschaft der Spanier zur Gründung der Niederländischen Republik 1549–1609.- München: Callwey 1979, sowie auf den perspektivenreichen Forschungsbericht von Heinz Schilling: Der Aufstand der Niederlande: Bürgerliche Revolution oder Elitenkonflikt.- In: 200 Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung. Hrsg. von Hans-Ulrich Wehler.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1976 (Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft; 2), S. 177–231. Vgl. neben dem zitierten Werk von Pieter Geyl auch Douglas Nobbs: Theocracy and Toleration. A Study of the Disputes in Dutch Calvinism from 1600 to 1650.- Cambridge: University Press 1938; Gerhard Güldner: Das Toleranz-Problem in den Niederlanden im Ausgang des 16. Jahrhunderts.- Lübeck, Hamburg: Matthiesen 1968 (Historische Studien; 403), S. 138 ff. (zugrunde liegt die Hamburger Dissertation aus dem Jahre 1966/67). Schließlich sei verwiesen auf das große Kapitel: Die Revolution der Niederlande und die Kämpfe um die Religionsfreiheit.- In: Joseph Lecler: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation. Band I–II.- Stuttgart: Schwaben 1965, Band II, S.233–397, insbes. S. 367 ff. Zur neueren Literatur vgl. das Kapitel 17 mit der Anm. 4.
Leiden als Hochburg gelehrter Studien
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Leiden als Hochburg gelehrter Studien Opitz gelangte anläßlich seines Aufenthalts in Leiden in eines der Zentren späthumanistischer europäischer Bildung. Um die Ansätze zu einer dem humanistischen Geist entsprungenen klassizistischen niederländischen Kunstdichtung kennenzulernen, bedurfte es freilich keiner Reise nach Holland mehr. Heinsius’ eben erschienene ›Nederduytsche Poemata‹ (1616) und der › Den Bloem-Hof Van de Nederlantsche Jeught‹ (1608) waren ihm durch seinen Freund Caspar Kirchner und seinen Beuthener Gönner Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz bereits bekannt. Auch dem Besuch Opitzens in Leiden wird man dementsprechend in philologischer Perspektive allein nicht gerecht. Die Universität Leiden war 1575 unmittelbar nach dem Abzug der spanischen Belagerer gegründet worden. Dieser Ursprung lag als Verpflichtung über der frühesten und bedeutendsten Universität des Landes und prägte mehr oder weniger deutlich auch die politisch-wissenschaftliche Physiognomie ihrer Repräsentanten.5 Der Begründer des europäischen Ruhms der Leidener Hohen Schule, Justus Lipsius, hatte – ungeachtet seiner späteren Rückkehr in die katholischen Südstaaten und seines Wirkens in Löwen – während seiner Leidener Jahre die Politik der nördlichen Niederlande gegen die Spanier mitgetragen. Seine auf ganz Europa ausstrahlende Neubegründung des Stoizismus ist ohne die Erfahrung der konfessionspolitischen Bürgerkriege in Frankreich und den Niederlanden undenkbar.6 ––––––––– 5
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Vgl. zum Folgenden den eindrucksvollen Jubiläumsband: Leiden University in the Seventeenth Century. An Exchange of Learning. Hrsg. von Th. H. Lunsingh Scheurleer, G.H.M Posthumus Meyjes.- Leiden: Universitaire Pers, Brill 1975. Dazu der von R.E.O. Ekkart zusammengestellte Sammelband: Athenae Batavae. De Leidse Universiteit/ the University of Leiden. 1575–1975.Leiden: Universitaire Pers 1975. Des weiteren: Paul Dibon: L’Université de Leyde et la République des Lettres au 17e siècle.- In: Quaerendo 5 (1975), S. 5–37, sowie von deutscher Seite aus Heinz Schneppen: Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jahrhundert.- Münster: Aschendorf 1960 (Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung; 6). Vgl. aus der jüngsten Zeit Willem Otterspeer: Good, Gratifying and Renowned. A Concise History of Leiden University. Translated from the Dutch by John R.J. Eyck.- Leiden: University Press 2015 (Leiden Publications). Zum Kontext die fulminante Studie von J.A. van Dorsten: Poets, Patrons, and Professors. Sir Philip Sidney, Daniel Rogers, and the Leiden Humanists.- Leiden: University Press, London: Oxford University Press 1962 (Publications of the Sir Thomas Browne Institute Leiden. Gen Series; 2). Die Gestalt des Justus Lipsius und die gesellschaftspolitische Rolle des Neustoizismus ist – speziell auch für die Barockforschung – durch das Lebenswerk von Gerhard Oestreich erschlossen worden. Vgl. vor allem Gerhard Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung.- Habilitationsschrift FU Berlin 1954 (Masch.). [Aus dem Nachlaß] hrsg. und eingeleitet von Nicolette Mout.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 38). Vgl. auch die einschlägigen Beiträge in den beiden Sammelbänden mit den Arbeiten von Gerhard Oestreich: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze.- Berlin: Duncker & Humblot 1969; ders.: Strukturprobleme der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Brigitta Oestreich.- Berlin: Duncker & Humblot 1980. Weitere Beiträge in: ders.: Neostoicism and the Early Modern State. Hrsg. von Brigitta Oestreich, H.G. Koenigsberger. Übersetzt von David McLintock.- Cambridge: University Press [1982] (Cambridge Studies in Early Modern History). Darüber hinaus sei hier nur verwiesen auf Jason Lewis Saunders: Justus Lipsius. The Philo-
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Sein ebenso berühmter Nachfolger Joseph Justus Scaliger – Sohn des berühmten Julius Caesar – hatte in Frankreich selbst noch aktiv an den kriegerischen Auseinandersetzungen mitgewirkt, hatte im Anschluß an die Bartholomäusnacht nach Genf fliehen müssen, trat nach seiner Leidener Berufung in Kontakt mit Staatsmännern wie Moritz von Nassau und Oldenbarnevelt und geriet später dann in die Schußlinie der Jesuiten.7 Der Briefwechsel von Scaliger insbesondere mit Lingelsheim belegt, in welchem Maße die beiden Gelehrten in der Sorge um das Schicksal des Pfälzer und niederländischen Calvinismus verbunden waren. In der jüngeren, um Scaliger in Leiden gescharten Generation, mit der Opitz nach dem Colerschen Zeugnis persönlich Bekanntschaft machte, verschoben sich die Gewichtungen, doch im gelehrten Milieu allein hat es auch sie nicht durchweg gehalten. Nur Petrus Scriverius bzw. Peter Scriver ist politisch explizit nicht hervorgetreten, artikulierte sich in der Vorrede zur HeinsiusAusgabe jedoch gleichfalls deutlich, wie sogleich zu zeigen.8 Vossius war überzeugter Arminianer und als solcher auf alle erdenkliche Weise auch um den Preis seiner Amtsenthebung bemüht, die konfessionellen Gegensätze zu –––––––––
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sophy of Renaissance Stoicism.- New York: The Liberal Arts Press 1955; Hendrik D.L Vervliet: Lipsius’ jeugd 1547–1578. Analecta voor een kritische biografie.- Brussel: AWSLK 1969 (Mededelinge van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België. Klasse der Letteren; 31, Nr.7); J. Kluyskens: Justus Lipsius and the Jesuits. With Four Unpublished Letters.- In: Humanistica Lovaniensia 23 (1974), S. 244–270; Günter Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik.- Berlin, New York: de Gruyter 1978, S. 67–113; Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters.- Tübingen: Niemeyer 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 3), S. 204 ff. Aus der neueren Literatur vgl. man etwa: Erik De Bom: Geleerden en politiek. De politieke ideeën van Justus Lipsius in de vroegmoderne Nederlanden.- Hilversum: Verloren 2011; vgl. von dem Autor auch die Aufsatzsammlung: (Un)masking the Realities of Power. Justus Lipsius and the Dynamics of Political Writing in Early Modern Europe.- Leiden: Brill 2011 (Brill’s Studies in Intellectual History; 193). Ein zum Humanismus herüberführender Sammelband liegt vor mit: Justus Lipsius und der europäische Späthumanismus in Oberdeutschland. Hrsg. von Alois Schmid.- München: Beck 2008 (Beiheft der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte; 33). Vgl. Charles Nisard: Le triumvirat littéraire au XVIe siècle. Juste Lipse, Joseph Scaliger et Isaac Casaubon.- Paris: Amyot 1852; Jacob Bernays: Joseph Justus Scaliger.- Berlin: Hertz 1855; Clemens M. Bruehl: Josef Justus Scaliger. Ein Beitrag zur geistesgeschichtlichen Bedeutung der Altertumswissenschaft.- In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 12 (1960), S. 201–218; 13 (1961), S. 45–65. Vgl. auch das große Werk von Anthony Grafton: Joseph Scaliger. A Study in the History of Classical Scholarship. Band I–II.- Oxford: Clarendon Press 1983–1993 (OxfordWarburg Studies). Aus der neueren Literatur sei hier nur verwiesen auf Mark Somos: Secularisation and the Leiden Circle.- Leiden etc.: Brill 2011. Zu Julius Caesar Scaliger: Vernon Hall, Jr.: Life of Julius Caesar Scaliger (1484–1558).- Philadelphia: American Philosophical Society 1950 (Transactions of the American Philosophical Society. N.F.; 40, 2), S. 85–170; des weiteren Kristian Jensen: Rhetorical Philosophy and Philosophical Grammar. Julius Caesar Scaliger’s Theory of Language.- München: Fink 1990 (Humanistische Bibliothek: Texte und Abhandlungen; 46). Zu Scriver vgl.: P. Tuynman: Petrus Scriverius. 12 January 1576 – 30 April 1660.- In: Quaerendo 7 (1977), S. 5–45; C.[ornelis] S.M. Rademaker: Scriverius and Grotius.- In: Quaerendo 7 (1977), S. 46–57. Vgl. aus der neueren Literatur: Sandra Langereis: Geschiedenis als ambacht. Oudheidkunde in de Gouden Eeuw: Arnoldus Buchelius en Petrus Scriverius.- Hilversum: Historische Vereniging Holland 2001 (Hollandse Studiën; 37).
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mildern.9 Rutgers – Heinsius’ Schwager – war seit 1614 in schwedischen Diensten vorwiegend als Gesandter tätig, wofür er 1619 geadelt wurde.10 Und schließlich Opitzens bewundertes Vorbild Heinsius, dem er jetzt in Leiden huldigen konnte.11 Auch dessen Familie war zutiefst in den Bürgerkrieg involviert. Sie mußte aus dem für kurze Zeit calvinistischen Gent nach Zeeland und England fliehen, bevor sie später in die nördlichen Niederlande zurückkehren konnte. Heinsius machte ab 1600 auf der Leidener Universität Karriere. Aber auch für ihn blieb das imposante wissenschaftliche Lebenswerk nur eine Seite seines Wirkens. Als Sekretär nahm er an der Dordrechter Synode teil und war für die endgültige Revision der synodalen Artikel verantwortlich. Dem orthodoxen calvinistischen Flügel zuneigend, wahrte er gleichwohl Kontakte zu den Arminianern wie zu Grotius. In Heinsius’ neulateinischer Tragödie auf die Ermordung Wilhelms von Oranien, seinem Gedicht auf Heemskerck zu Anfang der ›Nederduytschen Poemata‹, seinem Panegyricus auf den Friedensschluß zwischen Philipp IV. und den Generalstaaten, flektierte sich das politische Interesse des führenden Vertreters nationalsprachiger Dichtung in den Niederlanden. ––––––––– 9
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Zu Vossius umfassend C.[ornelis] S.M. Rademaker: Gerardus Joannes Vossius (1577–1649).Zwolle: Willink 1967 (Zwolse reeks v. taal- en letterkundige studies; 21 ); ders.: Gerardi Joannis Vossii de vita sua usque ad annum MDCXVII delineatio.- In: Lias 1 (1974), S. 243–265; ders.: Life and Work of Gerardus Joannes Vossius (1577–1649).- Assen: van Gorcum 1981 (Respublica literaria Neerlandica; 5); Nicholas Wickenden: G.J. Vossius and the Humanist Concept of History.Assen: van Gorcum 1993 (Respublica literaria Neerlandica; 8). Zu Rutgers liegt m.W. keine Monographie vor. Vgl. den Eintrag von Richard Hoche in der ADB XXX (1890), S. 42–44, sowie die in Anmerkung 11 zitierten Arbeiten zu Heinsius. Zu Heinsius vgl. die ergiebige Einführung von Baerbel Becker-Cantarino: Daniel Heinsius.- Boston: Twayne 1978 (Twayne’s World Authors Series; 447). Vgl. auch Dirk Johannes Hendrik ter Horst: Daniel Heinsius (1580–1655). Proefschrift Leiden 1934, Kapitel III: Daniel Heinsius als Nederduitsch dichter, S. 40 ff. Zum Theoretiker Heinsius vgl. J.H. Meter: De Literaire Theorieën van Daniël Heinsius.- Amsterdam: Hakkert 1975; vgl. von Meter auch: The Literary Theories of Daniel Heinsius. A Study of the Development and Background of His Views on Literary Theory and Criticism During the Period from 1602 to 1612.- Assen: van Gorcum 1984 (Respublica literaria Neerlandica; 6). Ergiebig auch Herman de la Fontaine Verwey: Notes on the début of Daniel Heinsius as a Dutch Poet.- In: Quaerendo 3 (1973), S. 291–308. Seit Neuerem liegt ein sehr gehaltreicher Sammelband vor. Vgl.: Daniel Heinsius. Klassischer Philologe und Poet. Hrsg. von Eckard Lefèvre, Eckart Schäfer.- Tübingen: Narr 2008 (NeoLatina; 13). Darin werden auch die Beziehungen des niederdeutschen Dichters zu prominenten Figuren aus Deutschland behandelt. Vgl. etwa den Beitrag von Achim Aurnhammer: Daniel Heinsius und die Anfänge der deutschen Barockdichtung, S. 329–345. Zum Kontext vgl. den interessanten Sammelband: ›Typisch Nederlands‹. De Nederlandse identiteit in de letterkunde. Uitgegeven door Karl Enekel, Sjaak Onderdelinden, Paul J. Smith.- Voorthuizen: Florivallis 1999; darin: Jan Bloemendal: Rond de Vater des Vaderlands. Oranje, Heinsius en Leiden, S. 10–25. Des weiteren: A.M. Hagen: De lof der Nederlandse taal.- Nijmegen: Katholieke Universiteit Nijmegen 1999 (mit einem Blick auch auf Heinsius). Zum Kontext des weiteren: Theodoor Weevers: Poetry of the Netherlands in its European Context 1170–1930. Illustrated with Poems in Original and Translation.- London: Athlone Press 1960, S. 64–101: Lyrical and Reflective Poetry of the Renaissance; Paul R. Sellin: Daniel Heinsius and Stuart England. With a Short-Title Checklist of the Works of Daniel Heinsius.- Leiden: University Press, London: Oxford University Press 1968 (Publications of the Sir Thomas Browne Institute Leiden; 3); Marijke Spies: Rhetoric, Rhetoricians and Poets. Studies in Renaissance Poetry and Poetics. Hrsg. von Henk Duits, Ton van Strien.- Amsterdam: University Press 1999.
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Geburt der nationalsprachigen Poesie und ihrer Theorie Wir haben einen Blick in Heinsius’ ›Nederduytsche Poemata‹ zu werfen, denn auf sie war auch der Blick Opitzens zuförderst gerichtet. Und das gleich in doppelter Hinsicht. Das Werk selbst will kurz inspiziert sein. Vor allem aber ist der Vorrede aus der Feder von Scriver zu gedenken, die Opitz und mit ihm seine Pfälzer Freunde tief beeindruckt haben muß und mit deren Behandlung deshalb zu beginnen ist. Doch auch das eine oder andere Einzelstück des Heinsius muß in unsere Betrachtung einfließen. Sein Einfluß auf Opitz blieb schlechterdings singulär, löste er ihm doch gleich mehrfach die deutsche Zunge. Fast gleichzeitig mit Deutschland ergriffen die Niederlande in der nationalliterarischen und kulturpolitischen Debatte das Wort. Es kam nicht zu spät und wurde besonders aufmerksam beim Nachbarn vernommen. Kein Volk der neueren Geschichte hatte ein annähernd vergleichbares Lehrstück politischer, konfessioneller und nationaler Selbstbehauptung gegenüber einem übermächtigem Aggressor geliefert. Der Heroismus der Freiheitskämpfer machte sinnfällig, wozu die jungen Völker im Bunde mit der neuen Religion imstande waren, die aus der Erinnerung an die Wunder, die Gott seinem auserwählten Volk bereitet hatte, immer wieder Kraft für die Selbstbehauptung in vermeintlich auswegloser Situation schöpften. Wer wundert sich doch nicht/ der Niederland betrachtet/ Der Spanschen Hoffart Zaum? wie war es so verachtet? Noch hat der kleine Platz so viel nechst GOtt/ gethan/ Was warlich die Vernunfft gar vbel fassen kan[.]12
So war das aus dem Strudel der Umwälzungen hervorgegangene reformierte Eiland noch zu Lebzeiten der heroischen Akteure in die Geschichte und zugleich in die Poesie eingegangen. In keinem anderen Land Europas waren politische und poetische Emanzipation so sinnfällig synchron verlaufen wie in den Niederlanden. Eben war die Schlacht auf Leben und Tod bestanden, da schuf sich das bewundernswerte Volk in Leiden eine Bildungsstätte von sogleich europäischem Ruf, band die besten Köpfe an sich, vollzog den Schritt zu einer neuen niederländischen Kunstdichtung auf der Basis einer heroisch gedeuteten Antike und stellte diese zu wiederholten Malen ihrerseits in den Dienst des Volkes, indem sie die Erinnerung an die Helden des Widerstandkampfes wachhielt. Sinnfälliger konnte das in der poetischen Theorie stets behauptete Zusammengehen von nationalem und poetischem Aufschwung nicht bestätigt werden. Auch in Opitzens Werk flektiert es sich vielfach.13 ––––––––– 12
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Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 238. Zu den frühen deutsch-niederländischen literarischen Beziehungen grundlegend Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts.- Assen, Amsterdam: van Gorcum 1976 (Respublica Literaria Neerlandica; 1). Ders.: Renaissancepoesie und erbaulich-moralische Dichtung. Niederländisch-deutsche Literaturbeziehungen im frühen 17. Jahrhundert.- In: Duitse Kroniek 29 (1977), S. 103–123. Vgl. auch das Kapitel ›Die Dichtkunst in der Landessprache und die neuentdeckte Versform‹ in: Gustav Schönle: Deutsch-Niederländische Beziehungen in der Li-
Literaturpolitische Diskurse im Nachbarland: Scriverius
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Die erste Gedichtsammlung aus dem neuen Geist blieb das beredteste Zeugnis für diese Symbiose. 1616 – ein Jahr vor Opitzens ›Aristarch‹, zwei Jahre vor Weckherlins ›Oden und Gesängen‹ – erschienen in Amsterdam bei Willem Janszoon die ›Nederduytsche Poemata‹ von Daniel Heinsius. Sie wurden für die deutschen Dichter im Umkreis von Martin Opitz das Grundbuch einer aus Liebes- und Gelegenheits- und Lehrdichtung zusammengesetzten nationalsprachigen Lyriksammlung, deren Niveau in Sprache, Form und Thema den Deutschen fortan verbindlich vor Augen stand.14 In einer Gedichtsammlung sind Anlage und Abfolge der Beiträge stets von besonderer Bedeutung. Auch die ›Nederduytsche Poemata‹ halten die Spuren der geschichtlichen Auseinandersetzung fest. Programmatisch steht ein großes Alexandrinergedicht auf einen der Anführer des Widerstandes im niederländischen Befreiungskampf Jacob van Heemskerck am Anfang der Gedichte, gefolgt von der poetischen Vergegenwärtigung zweier Städte, deren Namen gleichfalls aufs engste mit dem Krieg gegen die Spanier verbunden waren und derer auch Opitz im ›Trost-Gedichte‹ ausdrücklich und eingehend gedenken wird: Leidens und Oostendes. Erst nach dieser machtvollen geschichtlich-politischen Trias wendet sich Heinsius der Einbürgerung der überkommenen Liebesdichtung zu; das Signal war unübersehbar.
Literaturpolitische Diskurse im Nachbarland: Scriverius Wenn das Gedichtbuch von Heinsius rasch Durchschlagskraft gewann, so verdankte es dies nicht zuletzt dem Herausgeber, der der Sammlung eine große Vorrede vorausschickte. Es kann keinen Zweifel geben, daß Opitz sich später seinerseits durch sie ermutigt fühlte, analog zu verfahren. So wie Opitz in Zincgref fand Heinsius in Peter Scriver einen glühenden Verehrer und hingebungsvollen Herausgeber. Anders aber als der ehrgeizige Opitz hielt es Heinsius niemals für angezeigt, sich von seinem Ge–––––––––
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teratur des 17. Jahrhunderts.- Leiden: Universitaire Pers 1968 (Leidse germanistische en anglistische reeks; 7), S. 12 ff. Des weiteren Ferdinand van Ingen: Do ut des. Holländisch-deutsche Wechselbeziehungen im 17. Jahrhundert.- In: Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur. Hrsg. von Martin Bircher, Eberhard Mannack.- Hamburg: Hauswedell 1977 (Dokumente des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur; 3), S. 72–115; Guillaume van Gemert: Niederländische Einflüsse auf die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Zwei Aufsätze.- Trento: Univ. degli Studi di Trento, Facoltà di Lettere e Filosofia 1993 (Ricerche di Germanistica; 5). Besonders wichtig geblieben die Arbeiten von Leonard Forster. Vgl. vor allem: Die Niederlande und die Anfänge der Barocklyrik in Deutschland.- Groningen: Wolters 1967 (Voordrachten gehouden voor de Gelderse leergangen te Arnhem; 20). Weitere Arbeiten unten. Aus jüngerer Zeit sind heranzuziehen die Sammelbände: Niederländische Lyrik und ihre deutsche Rezeption in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Lothar Jordan.- Wiesbaden: Harrassowitz 2003 (Wolfenbütteler Forschungen; 99), sowie: Niederländisch-deutsche Kulturbeziehungen 1600–1830. Hrsg. von Jan Konst, Inger Leemans, Bettina Noack.- Göttingen: V&R-unipress 2009 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; 7). Zurückverwiesen sei auch auf die Angaben in Anm. 11. Die niederdeutschen Gedichte von Heinsius mit dem Vorspann von Scriver sind in einem wissenschaftlich hervorragend aufbereiteten Nachdruck leicht greifbar: Daniel Heinsius: Nederduytsche Poemata. Faksimiledruck nach der Erstausgabe von 1616. Herausgegeben und eingeleitet von Barbara Becker-Cantarino.- Bern, Frankfurt a.M.: Lang 1983 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts; 31).
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folgsmann zu distanzieren. Die ›Nederduytschen Poemata‹ blieben in der von Scriver besorgten Form in den neuen Auflagen im Umlauf – und mit ihnen die Scriversche Vorrede, der unser Interesse für einen Moment gelten soll. Sie ist ihrerseits dem niederländischen Botschafter des schwedischen Königs Gustav II. Adolf mit Residenz beim General der Niederlande und großen Mäzen der niederländischen Dichter und Künstler Jacob van Dijck gewidmet, stellt also den protestantischen Bezug sogleich wieder her. Was hatte Scriver zu dem Werk des Freundes und Weggefährten beizutragen? Er setzt ein mit dem griechisch-römischen sprachpolitischen Paradigma, das je nach Bedarf einmal für die Unterwerfung der Römer unter die Griechen, ein anderes Mal für ihre linguistische Selbstbehauptung in Anspruch genommen werden kann. Mit Horaz verwendet Scriver nicht das panegyrische, sondern das satirische Argument. Rom ist »door de groote soeticheyt vande Griecsche sprake« eingenommen und so auch der Dichter Horaz, bevor der Ahnherr Romulus dem Dichter erscheint und ihm vorhält: »Dat hy dede gelijc de gene die hout int vvout dragen; daer het doch maer al te veel en vvast.« Damit ist die similitudo temporum hergestellt. Die Situation gleicht der unter unseren landslyden, die doorgaens de Romeinen, ende somtijdts ooc de Griecken, soo veel toegeven, dat zy hare manieren, sprake, schriften leeren, ende daer in soo veel tijdt besteden ende toebrengen, dat zy nieuvvers vremdelingen en sijn dan in haer vaderlandt, nieuwers en dolen, en stameren, belacchelicken sijn dan daer zy geboren siin; geen talen min en konnen, en leeren, en verstaen, dan die haer de nature ende hare ouders geleert hebben.15
So schafft der Theoretiker die argumentative Plattform für die intendierte Wendung der Dinge. Wo die Humanisten der Frühzeit die antiken Humaniora gegen die Barbarei ihrer Umwelt durchzusetzen suchen, da haben die nationalsprachigen Theoretiker des Späthumanismus nun das Primat der alten Sprachen im Auge, das dem Übergang zu dem heimischen Idiom entgegensteht. Kein Wort verliert Scriver über die ›welsche‹ Überfremdung, die in Deutschland so häufig zur Diskussion steht. Auch fällt an dieser Stelle kein Wort über die poetischen Versuche der ›Rederijkers‹. Sie sind von vornherein genausowenig konkurrenzfähig wie die Reimereien der Pritschmeister in Deutschland, die Opitz disqualifiziert. Es geht allein um die Installation und Absicherung der klassizistischen nationalsprachigen Kunstdichtung. Genau wie die Opitzsche Dichtung in Deutschland hat auch die niederländische Poesie des Heinsius ihre Vorläufer. Sie sind in den letzten Jahren intensiv erforscht worden. Ob nun Lucas de Heere, Marnix van St. Aldegonde und Jan van der Noot im Süden oder Jan van Hout, Janus Dousa d.Ä. und Gruter im Norden – sie gehen Heinsius so voraus wie die südwestdeutschen und nordostdeutschen Dichter dem Schlesier Martin Opitz. Warum aber verbindet sich die Erinnerung an den Neuanfang nachträg––––––––– 15
Die Zitate ebenda, S. 3 f. Vgl. zum Kontext aus der einleitenden Abhandlung der Herausgeberin zur Edition vor allem die Kapitel ›Petrus Scriverius und die Ausgaben der ›Nederduytschen Poemata‹‹, S. 22* ff., sowie ›Die Vorreden‹, S. 37* ff. Hier auch S. 37* der Verweis auf Derk Hoek: Haags leven bij de inzet van de Gouden Eeuw. Rondom Mr. Jacob van Dijck (1564–1631).- Assen: Van Gorcum 1966 (Van Gorcum’s historische bibliotheek; 76), mit den Ausführungen über Jacob van Dijck und seinen Kreis, S. 116–267.
Nationale Rückversicherung
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lich nur mit einzelnen Namen wie demjenigen eines Heinsius oder eines Opitz? Weil sie ein breites Spektrum an Gattungen musterbildend zur Verfügung stellen und in geschickter Komposition zusammenschließen.
Nationale Rückversicherung Mehr aber noch, weil sie selbst oder durch Gefolgsleute die historische Tiefenperspektive aufbauen, in die sie ihr Werk einrücken oder eingerückt sehen wollen und ihm über den Anschluß an ausgezeichnete Traditionen ihren Nimbus sichern. Genau so verfährt Scriver und sollte damit seinen getreuesten Nachahmer eben in Opitz finden, dessen Vorrede zu seinen Gedichten von 1625 an Fürst Ludwig von AnhaltKöthen undenkbar ohne das Vorbild Scrivers ist. Scriver hatte sich in Leiden der Erforschung der Geschichte Hollands gewidmet. Nichts war der jungen Republik nötiger als die Selbstfindung auf dem Umweg einer Selbstvergewisserung ihrer nationalen Vorgeschichte. Seit Beginn der Revolte findet man die Humanisten mit Scriver an der Spitze befaßt mit der heimischen Geschichte. To understand Scriverius and the whole Leiden circle just named – to understand, that is, their predilection for history or, to be more precise, for national historiography, it is necessary to place oneself in this ›climate‹, in which the study of the nation’s formative period, hand in hand with the description of the revolt itself, began to flourish both in Latin and in the vernacular. It was a newly flowering practice in historical studies, designed to provide the commonwealth in its new independence with at one moment historical justification for its existence and at another a proud tradition, but, in any event, to give it a historical identity.16
Auf dem Felde der Literaturgeschichte war materialiter gerade umgekehrt zu verfahren. National zu votieren hieß hier, die Anschlüsse an die nationalliterarischen Paradigmen herzustellen. Waren sie im Inland nicht zu finden, so mußten sie im Ausland gesucht werden. War ›national‹, was an Gehalten und Formen in der auf der Antike fußenden humanistischen Dichtung seine Pflegestätte besaß, so führte der Weg automatisch zu den Vorbildern im Ausland. Damit aber rückte derjenige Dichter, zu dessen nationalsprachigem Werk die entsprechende Vorrede konzipiert war, in die Rolle des Begründers der kunstgemäßen nationalen Poesie. So Opitz in Deutschland dank geschickter eigener Regie; so Heinsius in den Niederlanden dank der theoretischen und historischen Ausführungen des Peter Scriver, der nun auch in der Literaturdebatte eine einflußreiche Rolle übernahm.
Europäische Figuration De Italiaenen sijn de eerste, die in onsen tijdt de geleertheyt ende byna teenemael vervallen sprake der Romeinen vveder opgebout ende verciert hebben: maer hebben daerentusschen niet vergeten haer eygen. De geleerde Petrarcha, die soo veel int Latijn gedaen en beschreven hadde, heeft driemael groter eer in zijn moederstale behaelt, ende is veel meer bekent gevvorden door zijn Tos-
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Tuynman: Petrus Scriverius (Anm. 8), S. 7.
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caenschen sanck, als door alle het geen dat hy aen den dach gebrocht heeft. Politianus heeft hem by zijne grote vvetenschap, noch oock by den Griecschen ende Romeinschen sanck, die hem de susters van Apollo soo mildelicken uytgedeelt hadden, niet konnen houden, sonder de Italiaensche poësy te gedencken. Sanazarius en is niet te vreden geweest dat hy den Koninck ende vorst aller Poëten Virgilius in de oude Roomsche sprake hadde derven beroepen, heeft oock moeten toonen waer hy geboren was, ende niet ondancbaer te sijn tegen het landt dat hem voortgebracht ende opgevoedet hadde: heeft derhalven zijn soete Arcadia in zijn eygen tale uytgegeven. In Vrancrijck, onder veel anderen die niet te vergeefs voor de deuren van Calliope geclopt hebben, ende door haer geleertheyt op de koetse des Faems geraect sijn, is Petrus Ronsardus ten lesten voortgecomen; den welcken men segt dat twaelff geheele jaren besich is geweest om hem inde Griecsche tale te oeffenen: (van vvaer alle geleertheydt ende wetenschap ontspruijt: maer insonderheydt de Poësy haeren eersten oorspronc, konste, aerdt ende soeticheyt ontleent:) alleenlicken om in zijn eygen tale te schrijven, ende de maechdekens van Parnassus nae zijn vaderlandt te trecken. Het vvelck alsoo hy hadde beginnen te doen, heeft terstont alle de geleerden van gansch Vrancrijck als betovert, ende niet min loff end eer ingeleyt, dan of hy onder de eerste Griecsche ofte Latijnsche schrijvers plaetse verdient hadde. iae heeft van zijnen Koninc groote gaven end een rijck incomen daer door verkregen. Van gelijcken ijver is geweest Salustius Bartas, die by velen niet min en werdt gepresen, sonderlinge in het aensien van zijn geleertheyt ende de heylige ende hoge stoffe die hy verkosen heeft. Ontallicke meer geleerden hebben haer aldaer met haer eygen tale bemoeyt, en die altijdt getracht te verheerlicken. Veel Spangiaerts ooc mede en hebben Spangien niet vergeten, oft sy schoon in de Latijnsche sprake hadden connen uytmunten, ende self Romen bestrijden.17
Diese Scriversche Passage ist wichtig genug, um als Ganze in Erinnerung gerufen zu werden. Sie hat auch Opitz als Leitfaden bei seiner literaturgeschichtlichen Orientierung im europäischen Raum gedient. Einmal entworfen, kann sie erweitert, verkürzt, variiert und neu akzentuiert werden und dabei stets doch nur dazu beitragen, daß sich die Namen einiger Ausgezeichneter ins Gedächtnis einprägen. Scriver nimmt die alte Debatte Latein versus volgare wieder auf. Ihm geht es um die Aufwertung und Einführung der Nationalsprache. Also wird die Argumentation so angelegt, daß die Dichter ihren eigentlichen Ruhm im Übergang zur muttersprachlichen Dichtung erlangt haben. Damit ist keinerlei Abwertung des Lateinischen oder Griechischen verbunden. Im Gegenteil. In der Parallelführung beider ist zugleich die Vorbildlichkeit der alten Sprachen und Literaturen für die jungen heimischen impliziert. Sichergestellt werden soll nur, daß diese jenen nicht nachgeordnet werden. Diese Debatte war in Theorie und Praxis lange entschieden, sie brauchte nur auf die heimische Situation angewandt zu werden. Viel ergiebiger und interessanter ist es denn auch, einen Moment bei den Namen selbst zu verharren. Die nationalsprachige Reform vollzieht sich in allen Ländern zuerst in den lyrischen Genera. Und folglich rücken jene Dichter in den Vordergrund, die auf diesem Feld am intensivsten vorgearbeitet haben. Aus dem Florentiner Dreigestirn bleibt deshalb zur Eröffnung einer volkssprachigen Lyriksammlung nur der Name Petrarcas stehen. Hinzutreten diejenigen Polizianos und Sannazaros. Der ›Orfeo‹ des ersteren steht am Beginn der lyrischen Oper Europas; die ›Arcadia‹ des letzteren am Beginn der pastoralen Mischform aus Vers und Prosa mit maßgeblichem lyrisch-eklogenhaften Einschlag. In beiden Fällen werden zugleich also wiederum Gattungs-Archegeten ausgezeichnet. ––––––––– 17
Heinsius: Nederduytsche Poemata (Anm. 14), S. 4–6.
Nationale Applikation
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In Frankreich hat sich Ronsard gegenüber du Bellay durchgesetzt. Die königliche Privilegierung der muttersprachigen Poesie war an keiner anderen Gestalt sinnfälliger zu exemplifizieren. Sie koinzidierte mit Franz’ I. eigenen frühabsolutistischen Bemühungen um die Durchsetzung des Französischen als Verwaltungssprache – so lag der nationale Beitrag einer volkssprachig gewendeten Poesie zum Greifen nahe. Sehr viel verwickelter ist die Einführung des Namens von du Bartas. Für die epische Tradition griffen die Humanisten vornehmlich auf Petrarca und Ronsard zurück – um den Preis, ausschließlich neulateinische Muster benennen zu können. Du Bartas hatte nicht nur wie die Italiener oder Spanier den Übergang zur Volkssprache vollzogen, sondern mit seinem Schöpfungsepos einen alttestamentarischen Stoff gewählt, der neben den Psalmen der reformierten Anhängerschaft besonders teuer war, handelte er doch von der Auserwähltheit des Volkes Gottes, als das sich die Calvinisten in aller Bedrängnis in der Gegenwart selbst fühlen durften. Hier war die umworbene epische Form mit dem kongenialen Gehalt verschmolzen, das dürfte du Bartas den Einzug in die Scriversche Vorrede als zweitem Franzosen gesichert haben, wie er dann gleichfalls für Opitz vorbildlich wurde. Daß Garcilaso und Boscán keine Erwähnung finden, ist schwerlich ein Zufall. Spaniens nationalliterarischer Beitrag wird pauschal erwähnt, ein näheres Eingehen ist dem Kulturpolitiker nach allem Geschehenen ganz offensichtlich nicht möglich; dieses Schweigen wurde von jedermann verstanden. Dagegen erstaunt zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Verzicht auf die Elisabethaner, zumal Sidney und Spenser. Schwer vorstellbar, daß Scriver den Niederländern eine gewisse Priorität unter den germanischen Sprachen vorbehalten wissen wollte. Die Engländer fehlen so wie die Vorgänger im eignen Land, so daß Zäsur und Neuanfang mit Heinsius rhetorisch um so wirkungsvoller herausgearbeitet werden können. Es wird zu Opitz’ unbestreitbaren Verdiensten gehören, die Erinnerung an die großen Engländer in seinem Rundgang durch das musterprägende Europa lebendig gehalten zu haben.
Nationale Applikation Aufgabe der Niederlande ist es, Anschluß an diese in knappsten Strichen von Scriver nachgezeichnete europäische Entwicklung zu gewinnen. Wy alleen ondancbaer tegen ons landt, ondancbaer tegen onse sprake, hebben tot noch toe meest al of de selfde veracht, often laten schoffieren van die gene die geen anderen conden, ende teenemael blindt ende onwetende waren.18
Damit reiht sich Scriver ein in die illustre Reihe zwischen Dante und Herder, die nicht müde wurde, die falsche, nämlich die die heimische Sprache und Literatur vernachlässigende Anlehnung an das Ausland zu geißeln und das Wagnis der Einbürgerung der antiken Musen im heimischen Idiom zu preisen. Furcht vor Fehlern darf davon nicht abhalten. Sie sind, so Scriver, auch den Franzosen unterlaufen und entsprechend ––––––––– 18
Ebenda, S. 6.
IX. Im ersten Exil: die Niederlande
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sind die wenigen in der Volkssprache vorliegenden poetischen Exempel gleichfalls nicht frei von ihnen. Die Niederländer dürfen und sollen sich wie alle anderen Völker an dem großen Experiment beteiligen. Die Hoffnung richtet sich auf die Zukunft. Wie muß der Dichter aussehen, dem die Trophäe winkt? Er muß in den Wissenschaften bewandert und zumal im Griechischen und Lateinischen zu Hause sein. VVy sullen hier niet seggen hoedanich onse Poëet is, die selve over al in ander talen spreect; maer veel liever op hem versoecken, dat hyt ten besten wil houden dat zijne Duytsche vruchten, die van hem self nauwelicken int licht te verwachten waren, hem door een soete dieverije (gelijck als wytduyden) afhandich gemaect siinde, aldus nu voorden dach komen.19
Natürlich ist es niemand anderes als Heinsius, den der Sprecher im Auge hat. Mäzene müssen die kommenden Dichter ermutigen durch ihr Interesse. Die Republik kennt keine Könige als Mäzene. Männer vom Schlage van Dijcks nehmen ihre Stelle ein. Im Lob auf den vorbildlich für Vaterland, Künste und Wissenschaften Wirkenden klingt die Vorrede folglich aus.
Preis der niederländischen Sprache und Poesie Interessanterweise hat Scriver der Vorrede noch ein Alexandrinergedicht auf van Dijck folgen lassen. Es ist ein einziger großer Hymnus auf die Einzigartigkeit der niederländischen Sprache und Poesie, wie sie sich in dem Werk des Heinsius in all ihrem Glanz erstmals zu erkennen gibt. Jetzt vermögen beide sich einzureihen in die großen nationalen Literaturen seit der ersten Blütezeit in Griechenland, vermögen sich neben ihnen ebenbürtig behaupten. Nein, mehr noch. Die romanischen Sprachen, und zumal die französische, fußen auf dem Lateinischen und gehen mit ihm eine unschöne Kreuzung ein. Das Niederländische ist autonom und autochthon. Es ist die Sprache eines seit Urzeiten freien Volkes, das seine Freiheit in der jüngsten Vergangenheit eindrucksvoll behauptet hat. Und so ist es kein Zufall, daß Scriver seinerseits auf den Eingang der ›Poemata‹ des Heinsius zurückkommt. In der heimischen Sprache werden die Helden des Landes, die Fanale des Widerstandes und des endlichen Sieges gefeiert. VVant soo ghy hooren vvilt het loff der vromer Helden, Die voor het vaderlandt het lijff te pande stelden: Daer aen heeft ons Poëet zijn frisch gemoet geleydt, En door zijn pen bevrijdt van alle sterflickheydt. Ghy Heemskerck, diemen sach Mars over Thetis bringen, En op zijn eygen stroom den Spangiaert gingt bespringen: Al liet ghy daer den geest, soo is de eer bevvaerdt, En ghy licht hier bedeckt met vrij-gevochten aerdt. V Leyden is bekent, die met die groene baeren Des grooten Oceaens quam voor uvv vest gevaeren, Boysott: en Vander-Does. doen hebt ghy ingehaelt
––––––––– 19
Ebenda, S. 7.
Heinsius-Rezeption durch Opitz
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De Pegaseesche vloedt, en met uvv bloedt betaelt. En op vvien is gescharpt soo menich Spaensche degen VVordt ghy ô vrome stadt Ostende niet versvvegen: Naer een soo lang beleg, nae kommer ende kouvv, VVat heeft de vyandt doch gevvonnen, als berouvv? Ghy Helden vvijt beroemt, vvie soud’ u doch vergeten? Al sat Heyns aen den disch vand’ Hemelsche Poeten[.]20
Das ist – bis in den Wortlaut hinein – die Sprache, die Opitz in seinem ›Trost-Gedichte‹ und verwandten Stücken alsbald verlauten lassen wird. Das Vorbild der Niederländer, der Heinsius, Scriver und wie sie heißen, ist mehr als ein poetisches. Die Einheit von ›res armae‹ und ›res literae‹, von Scriver unentwegt in seinem Gedicht umspielt, wies die Richtung in der aktuellen Stunde. Es ist die Symbiose aus politischer, sprich nationaler Autarkie und heimischer, alle Glieder der Nation einender Sprache, der das Wort geredet wird. Die Niederländer durften sich rühmen, jene Symbiose als Pfand auf eine große Zukunft erstritten zu haben. Den Deutschen blieb sie noch über Jahrhunderte versagt.
Heinsius-Rezeption durch Opitz Neunundzwanzig Gedichte des Heinsius hat der Herausgeber Scriver in den ›Nederduytschen Poemata‹ vereinigt. Das war im Blick auf den Umfang nicht eben viel. Aber was besagt dies im Blick auf die Wirkung? Opitz hat eine Reihe von Gedichten als Vorbild für seine eigenen frühen lyrischen Versuche gewählt, und in mehr als einem Fall sind sie explizit als Übersetzungen aus dem Niederländischen ausgewiesen. So eng hat sich Opitz an keinen anderen Dichter aus der europäischen Literatur angeschlossen. Eine sprachliche Verwandtschaft machte sich stilprägend geltend. Wollte man es überspitzt formulieren, so könnte eine griffige These lauten, daß Opitz über der Begegnung mit Heinsius zum Lyriker in der Volkssprache erwacht ist. Und parallel dazu zehrte er von dem diskursiven Angebot, welches Scriver bereithielt. Bis in die Anlage der Opitzschen Poemata spielen Analogien hinein. Wir werden davon hören, wenn wir uns an späterer Stelle den beiden frühen Opitzschen Gedichtsammlungen eingehender zuwenden, die an dieser Stelle vorerst nur okkasionell berührt werden. Gleich bemerkenswert jedoch ist nunmehr die Feststellung, daß Opitz es nicht bei einer produktiven Aneignung des lyrischen Formen- und Motivrepertoires beließ, welches der Niederländer bereitstellte. Das Angebot seines bewunderten Vorbildes war entschieden reicher und Opitz machte übersetzend ausgiebig von ihm Gebrauch. Ja, würde man sich nochmals zu einer kühnen These verstehen, so könnte sie dahingehend lauten, daß Opitz durch Heinsius auch zur großen und weit ausholenden Versdichtung in der deutschen Sprache ermutigt wurde. Und das zunächst im Medium der Übersetzung und alsbald auch selbsttätig. Diese poetische Emanzipation kam insbesondere der geistlichen Dichtung zugute, und von ihr ist folglich in diesem Kapitel ––––––––– 20
Ebenda, S. 15.
IX. Im ersten Exil: die Niederlande
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vorzugsweise zu sprechen. Im parallelen weltlichen Part beschritt er eigene Wege; darüber sogleich im folgenden Kapitel.
Geistliche Adaptation Zum Neuen Jahr 1616 las Heinsius seinem Freund Jacob van Dijck einen ›Lof-sanck van Iesus Christus‹ vor. Noch im gleichen Jahr erschien das Werk im Druck und ab 1618 war es auch in den ›Nederduytschen Poemata‹ des Autors zu lesen. Gewidmet war es demjenigen, der als erster von ihm gehört hatte, eben van Dijck.21 In gewisser Weise wiederholte sich eine vergleichbare Situation alsbald auf deutschem Boden. Wieder war ein Freund im Spiel. Caspar Kirchner regte Opitz zu einer Übersetzung von Heinsius’ ›Lof-sanck‹ an. Und auch das nicht zufällig. Kirchner war nach einem Studium in Straßburg seit dem Juni des Jahres 1617 an der Universität in Leiden eingeschrieben. Dort machte er die Bekanntschaft mit Heinsius. Als er sich ein Jahr später wieder auf den Heimweg begab, überreichte ihm der große Gelehrte ein Geleitgedicht und ein Epithalamium mit einem niederländischen Beitrag von ihm. Die Begegnung zündete. Auch Kirchner wußte fortan, was poetisch auf der Tagesordnung stand. Der Niederländer hatte entscheidende Schrittmacherdienste geleistet. Opitz hatte sich bereits in den ›Poemata‹ von Heinsius umgetan und sich bei Gelegenheit von ihm anregen lassen. Nun aber ging es um einen selbständigen größeren Text. Opitz muß sich alsbald an die Arbeit gemacht haben. Schon am ersten Januar des Jahres 1620 lag die Übersetzung komplett vor. Opitz hatte also mehr als ein Gedicht im Gepäck, als er im Herbst des nämlichen Jahres in die Niederlande aufbrach. Er konnte dem verehrten Meister auch schon seinen ›Lobgesang‹ vorlegen. Gewidmet aber wurde der Text dem Vetter und dem Freund aus frühesten Bunzlauer Tagen.22 Es war nicht das erste Mal, daß Opitz ein geistliches Thema aufgriff und in größerem Stil behandelte. Eben im Jahr 1620 war er bereits mit einem großen ›Sermo De Passione [...] Jesv Christi‹ hervorgetreten.23 Der Druckort verwies auf seine neue Wirkungsstätte. Bei Vögelin in Heidelberg kam das Werk heraus. Zincgref und Venator, ihm nunmehr nahe, gratulierten. Die Widmung aber ging in die Heimat. Gleich vier großen Förderern gilt die Zueignung, darunter keinem Geringeren als Tobias ––––––––– 21 22
23
Wir verweisen zurück auf Anmerkung 15. Das Voranstehende in dem herausgeberischen Vorspann von George Schulz-Behrend zu der Edition des Textes sowie in der Widmung an Kirchner. Vgl. unten S. 339 f. mit Anm. 24. Martini Opitii Sermo De Passione Domini Ac Salvatoris Nostri Jesv Christi. Item Evcharistia, Sive Meditatio in sacrâ Coenâ ejusdem. Haidelbergae, Typis Gotthardi Voegelini. Anno M.DC.XX. Exemplar des seltenen Werkes in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften zu Görlitz, herrührend aus der Milichschen Sammlung: A IV 4° 20. Neudruck in: Opitz: Gesammelte Werke, Band I (Anm. 12), S. 152–169. Zweisprachige Version in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 170–201, Kommentar S. 392–417. Die Übersetzung stammt von Georg Burkard, der Kommentar von Veronika Marschall. Spezialliteratur fehlt. Die Literatur zum Kontext ebenda, S. 394 f. Vgl. auch: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 1), Band I, S. 258 f.
Die Widmungsadressen zum ›Lobgesang Jesu Christi‹
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Scultetus. Widmung und Text werden ihn noch vor seinem Tod erreicht haben, der ja gleichfalls in das Jahr 1620 fiel. Es muß ihn mit Genugtuung erfüllt haben, seinen Schützling auf erfolgreichen Pfaden unterwegs zu wissen. Hier ist nicht der Ort, dem Text näherzutreten. Opitz aber beließ es, wie schon im Titel avisiert, nicht bei dem großen Passions-Sermo. Er fügte auch eine bereits in Bunzlau entstandene poetische Feier des Abendmahls bei, und das aus der Erwägung heraus, wie er in der Widmung ausführte, daß sie an dieser Stelle den ihr gebührenden Platz besäße. Das war ein von Wagemut beseeltes Unterfangen. Ein jeder wußte um die Zwistigkeiten, die sich an dem Gedächtnismahl gerade auch zwischen Lutheranern und Calvinisten entzündet hatten. Opitz umschiffte die Problematik, indem er eine – ergreifende – geistliche Betrachtung anstellte und nur an einer einzigen Stelle fast en passant einfließen ließ, daß es sich um ein ›geheimnisvolles Mahl‹ (mysticum convivium) handele, Christus selbstverständlich nicht das Brot und nicht der Wein sei, sondern das Brot und der Wein des Heils. So gab der junge Dichter, der sehr wohl wußte, daß die Theologie nicht sein Metier sei, ein Muster für den vorbildlichen und zum Frieden geleitenden Umgang mit einer ehrwürdigen Tradition. An dieser Stelle ist allein ausschlaggebend, daß Opitz für die Rede in Prosa und für die Feier der Eucharistie in Versen wie selbstverständlich das Lateinische wählte. Es war die Sprache, in der der Kosmos geistlicher Sujets die Jahrhunderte über traktiert worden war und – mehr als das – in der die Humanisten überall in Europa große Schöpfungen gestaltet hatten. Auch Heinsius war unter anderem schon 1613 mit einer Passionsrede an der Universität hervorgetreten. Opitz befand sich also in bester Gesellschaft und seine beiden Texte bezeugen dies vielfältig. Nun aber galt es, die großen Themen der christlich-abendländischen Überlieferung auch in der deutschen Sprache anspruchsvoll zu adaptieren. Und bei dieser literarisch wie kulturpolitisch gleich wichtigen Tat hat Heinsius offensichtlich die wichtigsten Schrittmacherdienste geleistet. Fortan läßt sich der geistliche Dichter und Rhetor bevorzugt auf Deutsch vernehmen. Ein ungeheurer Fundus geistlicher Artikulation wurde dem Deutschen gewonnen.
Die Widmungsadressen zum ›Lobgesang Jesu Christi‹ Gleich zwei Vorreden hat Opitz seiner Verdeutschung der Vorlage des Heinsius beigegeben, eine an Caspar Kirchner, eine zweite an den Leser.24 Man darf gespannt ––––––––– 24
Dan. Heinsii Lobgesang Jesv Christi des einigen vnd ewigen Sohnes Gottes: Auß dem Holländischen in Hoch=Deutsch gebracht durch Mart. Opitium. [Kolophon:] Zu Görlitz im Marggraffthumb Oberlausitz druckts Johann Rhambaw. M.DC.XXI. Zwei Widmungsexemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek (Elisabethkirche), übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 513/5, 4 E 515/6) heute verwahrt in der BU Wrocław (355059, 355067), das erstere Abraham von Bibran zugeeignet. Vgl. dazu auch: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 1), Band I, S. 277 f. Neudruck in: Opitz: Gesammelte Werke, Band I (Anm. 12), S. 267–390. Der Text von Heinsius erschien 1616 separat in Amsterdam und war, wie erwähnt, seit 1618 den ›Nederduytschen Poemata‹ eingefügt. Wir zitieren nach der Ausgabe Schulz-Behrends. Die Vorrede an Kirchner daselbst S. 272 f., diejenige an den Leser S. 273–276.
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IX. Im ersten Exil: die Niederlande
sein, ob divergierende Formen der Rede auszumachen sind. Was die Zuschrift an Kirchner angeht, so ist ihr eine sehr schöne amikale Gebärde anvertraut, die zugleich biographische und werkpolitische Bedeutung besitzt. Doch natürlich beläßt es Opitz an beiden Stellen nicht bei eher persönlich gehaltenen Wendungen. Auch diese Widmungen sind so gut wie eine jede Äußerung im Vorspann der gezielten Regie des Autors Martin Opitz unterworfen und geleiten entsprechend zum Mitvollzug anläßlich der Zimmerei am Postament. Es herrscht Krieg. Wie viele lassen sich dazu verleiten, Abstand zu nehmen von der stetigen Pflege der Studien und der ›Schönheit der wissenschafft‹ zu entsagen. Und wie wenige sind es, welche den ›Lehren der männlichen Weißheit‹ weiterhin die Treue bewahren. So der Eingang. Dann aber wendet der Autor sich dem Freund zu. Eine pessimistische Bemerkung verlautet, dahingehend, daß »sich alles zue der alten Barbarey wieder anleßt«. Derartiges darf man nicht zu stark gewichten, muß es funktional nehmen. Wenn Opitz nun ein Gedicht in der Muttersprache vorlegt und dieses mit einer Widmungsadresse versieht, dann arbeitet er der ›Barbarey‹ entgegen, hebt sich erkennbar ab von dem, was ringsum geschieht. Eine Freiheit wird behauptet und über die Beschäftigung mit ›weiser Leute Schrifften‹ bestärkt. Dann aber wird der Freund direkt angeredet, und das in schönen und offenen Worten. Dieser hat ihn ermuntert zu der Tat; sein ›gutachten‹ war ausschlaggebend. Ohne Kirchner, so dürfen wir folgern, gäbe es den Opitzschen Text nicht. Und mehr noch. Der Freund war der entscheidende Mittelsmann im Blick auf Heinsius. Er schätzt den niederländischen Autor hoch, und Opitz selbst kann bezeugen, daß der große Mann diese Wertschätzung des Schlesiers seinerseits erwiderte. Die Rolle Kirchners auf dem niederländischen Parkett ist also schwerlich zu überschätzen. Er wird beigetragen haben, Türen zu öffnen, und die Vorrede spiegelt dies wider. Die Widmung nimmt für einen Moment die Züge einer noblen Dankesadresse an. Dann aber nähert sich der kleine Text auch schon dem Ende zu und somit müssen die Zügel gestrafft werden. Verhüllt in das Lob des Freundes wird Eigenlob inszeniert. »Stelle ich mir das werck für augen/ so ist es Poetisch: in welcher Kunst ich wenig dieser zeit euch zue vergleichen/ keinen vorzusetzen weiß.« Gewiß, Kirchner ist des Deutschen wie des Niederländischen gleich mächtig. Der Autor dieses Textes aber ist nicht er, sondern Opitz, und wenn bislang nichts vorliegt, was an die Versuche des Freundes heranreicht, dann füllt eben Opitz nunmehr die Lücke. Auch im geistlichen Metier ist ein Erstlingsrecht reklamiert, und das dezent durch die Blume. Die Vorrede ›An den Leser‹ ist da sehr viel deutlicher. Als ihm vor geraumer Zeit, so der Autor, einige holländische Verse in die Hände gefallen seien, da habe er sich angeregt gefühlt, Vergleichbares auch im Deutschen zu versuchen. Bislang seien seine diesbezüglichen Bemühungen vor allem »auff weltliche sachen (wie dann die jugend auß mangel reifferen verstandes im gebrauch hatt) gerichtet« gewesen. Diese zumindest teilweise zu publizieren, hätten ihn ›tapffere Männer‹ ermuntert, darunter kein Geringerer als Gruter selbst, wie eingestreute lateinische Verse bezeugen, die zu zitieren der Autor sich nicht scheut. Wie aber sind die Zeiten beschaffen, da man sich zu einer derartigen Tat erkühnen muß? Ein Beispiel ist zur Hand, und das ist wahrlich sprechend genug. Im vergangenen Frühjahr habe er in vier Büchern sein ›Trostgetichte in wiederwertigkeit [!] des
Das Bekenntnis aller Christen
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Krieges‹ geschrieben. Veröffentlicht habe er es nicht, und zwar, weil ›guete freunde [ihm] wiederrathen‹ hätten. Sie wußten um die Brisanz und taten gewiß gut daran. Den Autor muß es geschmerzt haben. Nun aber ist da ja auch noch der ›Lobgesang‹, »zwar nicht aus meinem Gehirn entsponnen; aber doch gäntzlich werth/ daß er nicht allein von mir in vnsere/ sondern auch von viel gelehrterern in aller welt zungen versetzet werde.« So fungiert die Übersetzung als Substitut für das nicht zur Veröffentlichung gelangte große weltliche Gedicht. Zugleich aber ist ein Werkprospekt eröffnet. So wie im weltlichen ist im geistlichen poetischen Metier eine Führungsrolle markiert. Dieser Autor umgreift das Repertoire aller verfügbarer Gattungen und Sprechhaltungen. Weltliche und geistliche Texte stehen gleichberechtigt nebeneinander. Daß dies keine leere Ankündigung ist, wird der Autor schon in Bälde unter Beweis stellen. Und das nicht nur auf der Ebene der Textproduktion selbst, sondern durch Anordnung und Plazierung in der gleichfalls in Bälde einsetzenden publizistischen Synopsis seiner Schriften. An dieser Stelle, in der Vorrede an seine Leser des ›Lobgedichts‹, greifen wir in zielstrebigem Prospekt erstmals den fortan verbindlichen Aufriß des Werkes. Geistliches und weltliches Œuvre bilden zusammen eine Einheit. Dem hat fortan eine jede Beschäftigung mit Opitz Rechnung zu tragen. Heinsius und Kirchner bleibt das Verdienst, eine derartige Perspektive eröffnet und Opitz auch in dieser Hinsicht als Gründungsfigur etabliert zu haben.
Das Bekenntnis aller Christen Entsprechend spart Opitz nicht mit ehrerbietigem Lob gegenüber Heinsius. Und er weiß sich dabei an der Seite von Scriver, dessen Rolle bei dieser Weitergabe des poetischen Stabes eben keineswegs unterschätzt werden darf. Scriver hat den ›Lof-sanck‹ des Heinsius als ›die Perle seiner wercke‹ bezeichnet, in dem er »alle menschliche vnd himmlische Weißheit zuesammen geholet/ vnd die vnglückseligen verächter der hochfliegenden Poeten zue schanden vnd zue nichte gemacht hat.« Nämliches darf sich nun auch Opitz zuschreiben. Es sei ein Andachtsbuch entstanden, so äußert sich Heinsius gegenüber van Dijck, das man nicht »ohn bewegung vnd grosse andacht« vernehmen könne. Dem schließt Opitz sich an, und das in nur allzu beredten Wendungen. Ich muß auch wol sagen wie er/ das es meine höchste Poesie gewesen sey/ daran ich die zeit meines Lebens mein eusserstes genügen gehabt habe. Es ist hier nichts ohne außerlesene worte/ ohne tieffen verstand/ ohne anleitung zue der Gottesfurcht: nichts das nicht mit der Heyligen Schrifft/ mit aller grossen Helden/ aller hohen Seelen/ aller Christlichen Lehrer meinung vbereinstimme: nichts das wir Christen nicht alle miteinander bekennen.
Die in die Poesie gekleidete Botschaft ist eine verbindliche und sie ist eine allgemeine. Nichts verlautet in ihr, das nicht von allen Menschen geteilt werden könnte. Die Kirchen- und Konfessionsspaltung ist eine widersinnige, weil unnötige. Ein rechter Umgang mit der Schrift impliziert die Begegnung mit einem unverbrüchlichen Wahr-
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heitsgehalt. Das ist die Botschaft der Humanisten seit 1600, ist die der ›dritten Kraft‹, die sich da fortan nicht mehr überhörbar etabliert hat. Und sie reicht weiter als in die christlichen Lande. Alle ›grossen Helden‹, alle ›hohen Seelen‹ können ihr ihre Zustimmung nicht versagen, sind doch menschliche wie göttliche Essentialia gleichermaßen ein für alle Mal verbindlich kodifiziert. Die Poesie partizipiert an diesem Wunder. Sie sagt mit ihren Mitteln und in ihrer Sprache das Nämliche. Einem Auseinanderdividieren von Bibel und Poesie ist daher zu wehren. Und das geschieht auf dem wohlvertrauten Weg einer Einübung im allegorischen Lesen. Einen längeren Passus hat Opitz dieser Praxis gewidmet, die eben für das Verständnis geistlicher wie weltlicher Poesie gleichermaßen in Anschlag zu bringen ist. Augustinus war das ganze Mittelalter über die einschlägige Autorität, auf die sich nun auch Opitz beruft. Solch eine naheliegende und durch Tradition verbürgte Praxis aber darf nicht hindern, das Neue zu gewahren. Die Humanisten sind die Erben zweier großer europäisch-orientalischer Überlieferungen. Ihr allegorisches Rüstzeug muß derart beschaffen sein, daß es allen unverlierbaren Quellen gleichermaßen gerecht wird. Auch das Opitzsche Werk ist geprägt von entsprechenden Operationen. Sie verdienen allemal unsere besondere Aufmerksamkeit, werden vermittels ihrer doch die weltumspannenden Wurzeln von Theologie und Poesie gleichermaßen erkennbar, die eben bereits unter den Humanisten im Visier sind.
›Hymnus oder Lobgesang Bacchi‹ Belassen wir es an dieser Stelle bei dem Vorgetragenen. An späterer Stelle wird auf die ›Lobrede‹ zurückzukommen sein, erfuhr sie doch einen einschneidenden Adressatenwechsel. Scriver, um auf ihn zurückzukommen, hatte die ›Nederduytschen Poemata‹ schon 1616 mit zwei Beigaben versehen. Er fügte ihnen eine kleine Folge mit viel beachteten ›Emblemata Amatoria‹ hinzu. Und er gab ihnen einen ›Hymnvs oft LofSanck van Bacchus‹ bei, ›VVaer in’tgebruyck ende misbruyck vande VVijn beschreven vvort.‹ Heinsius war seinerseits nicht der erste, der dem ironisch-satirischen Lobgesang ein dichterisches Gewand verlieh. Ronsard zum Beispiel war ihm mit einer ›Hymne de Bacus‹ vorangegangen. Wie bei Heinsius wird sie als ein Fastnachtgedicht ausgegeben. Der Wein und die mit ihm verbundenen Freuden des Lebens werden gefeiert. Der versierte Altphilologe aber läßt es dabei nicht bewenden. Mythologische Erzählungen werden eingeflochten und das ganze Gedicht mit einem üppigen Anmerkungsapparat überzogen. Um den Kontrast von thematischem Vorwurf und gelehrter Adaptation ist es nicht zuletzt zu tun. Und natürlich wird der Brückenschlag vom Weingott zu dem der Poesie vollzogen. Entflammt vom Schwarm der Mänaden ergießt sich ein Strom musischer Inspiration über den Dichter. Dieses mitreißende Enkomium ließ Opitz sich nicht entgehen. Er konnte es in den ›Nederduytschen Poemata‹ lesen, wo es eben seit 1616 seinen festen Platz hatte und derart zu einem integralen der ›Poemata‹ in Gestalt eines Anhangs wurde. Genau diese Stelle nimmt es auch in Opitzens erster Gedichtsammlung aus dem Jahr 1624 ein,
Poesie und Politik in einer Widmungsadresse
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nachdem es schon zwei Jahre vorher selbständig erschienen war. Der Herausgeber dieser Kollektion, Julius Wilhelm Zincgref, hatte Kenntnis von der Opitzschen Übersetzung und wollte auf ihre Präsentation in seiner Edition nicht verzichten. In zweiter Position kam sie im Anschluß an den ›Aristarchus‹ im Anhang zum Abdruck. Doch das um einen nicht unerheblichen Preis. Es gibt keinen größeren Text von Opitz, der nicht mit einer Widmungsadresse ausgestattet wäre. Opitz nahm, wie immer wieder zu wiederholen, eine jede sich bietende Gelegenheit wahr, ihm wichtige Personen zu ehren, und seien es auch nur die guten Freunde der Jugend. Jeder Zueignung war eine über den unmittelbaren Anlaß hinausreichende Botschaft anzuvertrauen. Das Korpus der personenbezogenen Texte im Vorspann zu einem Text ist eine unerhört ergiebige Quelle für Leben, Werk und Kulturpolitik dieses Autors und insofern auf andere Weise integraler Bestandteil seines Œuvres. Opitz muß das Fehlen einer Widmung angesichts der Wichtigkeit gerade dieser Übertragung gestört, wenn nicht empört haben. Folglich nahm er die erstbeste Gelegenheit war, die Scharte auszuwetzen. Und diese Gelegenheit kam schon ein Jahr später, als er die erste von ihm selbst veranstaltete Sammlung seiner Gedichte herausgab. Natürlich war ein wichtiger Adressat umstandslos zur Hand. Opitz hatte seinen Blick ständig auf den Hof bzw. die Höfe der Piasten gerichtet. Am Liegnitzer Hof wirkte in der zentralen Position des Kanzlers der Doktor beider Rechte Andreas Geisler. Dieser war im Juni des Jahres 1624 gestorben. Der Text gibt davon keine Kenntnis. Opitz hatte seine Übersetzung, wie die Widmung ausweist, schon im Februar des Jahres 1622 überreicht. Nun hatte sie zugleich den Charakter einer posthumen Ehrung angenommen. Opitz begrüßte den hochrangigen Liegnitzer Repräsentanten mit 25 Hendekasyllaben. Und das wie stets auf geistvolle, zugleich aber auch auf eine für ihn nicht immer schmeichelhafte Art und Weise.25
Poesie und Politik in einer Widmungsadresse Vielbeschäftigt ist der große Mann; unablässige Arbeit lastet auf ihm. Der Humanist weiß um das ›Gegengift‹: Ruhe. Sie aufzurufen verknüpft sich automatisch mit der Anrufung der Musen. So auch im vorliegenden Fall. Doch wir bewegen uns im Um––––––––– 25
Der Titel des Erstdrucks: Danielis Heinsii Hymnus oder LOBGESANG Bacchi, darinnen der gebrauch vnd missbrauch des Weines beschrieben wird. Aus dem Holländischen in Hochdeutsch gebracht Durch Martinum Opitium. Gedruckt zur Liegnitz Im Iahr 1622. Exemplare aus der Rhedigerschen und der Bernhardiner-Bibliothek übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 513/3, 4 E 515/8 und 4 V 67/9), heute verwahrt in der BU Wrocław: 355057, 355069, 427028; das letztere ein Widmungsexemplar für Michael Bartsch. Neudruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. Hrsg. von George SchulzBehrend.- Stuttgart: Hiersemann 1978 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300. 301), 1. Teil, S. 11–44. Die Erstausgabe ist Wilhelm Verlingen gewidmet, ›seinen gutten freundt‹. Vgl.: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 1), Band I, S. 285 f. Die Widmung an Geisler findet man nicht nur in der zitierten Ausgabe Schulz-Behrends (S. 18 f.), sondern auch zweisprachig in: Opitz: Lateinische Werke, Band II (Anm. 1), S. 54–57, Kommentar S. 305–308. Die Übersetzung rührt her von Ralf-Georg Czapla, der Kommentar – mit Literatur – von Czapla und Veronika Marschall. Hiernach zitiert.
IX. Im ersten Exil: die Niederlande
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kreis Opitzens. Dann kommt stets Besonderes, speziell auf den Autor Gemünztes ins Spiel. Nicht darf der Sprecher es belassen bei einer bloßen Einladung in den Musenhain; nein, zusammen mit dem Angesprochenen wolle man »im neuen Hain des Teutonischen Pindus« ruhen. Jedoch, das alleine tut es immer noch nicht. Schließlich ist das, was da auf dem Deutschen Helikon verlautet, frisch und neu, ist soeben erst gezeugt, und der Schöpfer dieses ›ehrfurchtsgebietenden Heiligtums‹ will durchaus nicht unerkannt und unbekannt bleiben. Als erster wird er »dessen Schatten und verborgene Quellen« zugänglich machen, wenn nicht die traurige Zeit, wenn nicht die Waffen und der Neid ihn daran hindern. Jüngste Vergangenheit, Gegenwart und nahe Zukunft sind, wenn es denn um die Poesie geht, verknüpft mit dem Namen eines einzigen. Ob sein Name verlautet? Eine fast müßige Frage. Die Zukunft wird erfüllt sein von wohlklingenden Liedern, dargebracht auf einer glänzenden Laute; diese »heiligen Gluten eures Opitz wird kein Schicksalsschlag mindern oder die Flut der finsteren Styx erfassen.« So viel Selbstbewußtsein ist nicht zu überbieten: Der junge Poet als Künder dauerhaften eigenen Ruhms über den Tod und über die Zeiten hinweg. Wir können nicht hindern, zu Weckherlin oder zu Fleming oder zu Dach herüberzuschauen. Undenkbar, daß Ähnliches aus ihrem Munde verlautete. Ein Begründer der neuen deutschen Poesie reklamiert das Recht darauf für sich und niemanden sonst. So kann es nicht ausbleiben, daß Reserve sich regt, schon unter den Zeitgenossen, und immer wieder laut wird gleichfalls über die Zeiten hinweg. So wie der Dichter sich erhebt über das gemeine Volk, so der Politiker. Kleinliche Sorgen sind beiden fremd. Befaßt mit der Wahrnehmung verschiedener Rollen bewegen sie sich doch stets auf einer Ebene. Bittend für den großen Mann vereinen sich Phoebus und seine zierlichen Schwestern. Und die Verse, welche da erklingen, sind das Unterpfand auf die Einlösung eben dieser Bitte. Ihnen ist die Aufforderung anvertraut, die Freuden des Lyaeus, des Freudenbringers Bacchus, zu genießen. Doch eine andere Freude zählt mehr, genau so wie Bacchus mehr bereithält als die Freuden des Weines. »Wenn freie Zeit ist [...], ruhe auf deren [der zierlichen Schwestern] neuem Pindus bei den paphischen Myrten und deinen Lorbeerbäumen und am Ufer eines murmelnden Bächleins.« Der Lorbeerkranz ziert beide, den Politiker wie den Dichter. Doch dies mit einem gravierenden Unterschied. Bei Myrten und Lorbeerbäumen an einem murmelnden Bächlein Rast zu nehmen, impliziert für den Politiker, die geweihten Bezirke des Dichters zu betreten. Läßt er sich dazu herbei, würdigt er das Metier des Poeten. So löst sich die Gleichung am Schluß stets zugunsten des einen der beiden auf, ohne daß dies eigens gesagt werden müßte. Auch Name und Werk des Adressaten Andreas Geisler würden sich lange verloren haben, wenn sie denn nicht aufgerufen worden wären von dem Hüter der Musen, sind diese doch die einzigen, bei denen Erinnerung bewahrt bleibt so lange wie sie ihre Fäden spinnen. Vernehmen wir im Anschluß an die Paraphrase aber nun Opitz selbst: SI nostris leviter vacare Musis Tot te continui sinunt labores, Huc, vir magne, veni, novoque Pindi
Rückkehr zum geistlichen Fach
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Mecum Teutonici quiesce luco, Cujus nos pia sacra, cuius vmbras Primi pandimus, abditosque fontes; Ni moesti rabie vetamur aevi Armorumque sono, nec ille, magnis Livor mentibus additus, virentem Saevo fregerit impetu juventam. Sed vivent nitidi canora plectri Olim carmina, nec sacros Opitî Vestri deteret vlla sors calores, Aut aestus Stygis occupabit atrae. Nec tu non etiam potentis ausus Acres ingenii ferente vento Vltra futile littus, et minutas, Queîs plebs atteritur profana, curas, O Geislere, vehes. Id ipse Phoebus, Et Phoebi lepidae rogant Sorores; Quarum, si vacat, (et vacet, Lyaei Festo laetifici) recente Pindo, Ad myrtos Paphias, tuasque laurus, Et rivi vada garruli quiesce.
Rückkehr zum geistlichen Fach Opitz hatte allen Grund stolz zu sein. Noch einmal hatte er es geschafft, einem großen Text des Dichters aus dem Nachbarland eine zweite Heimstatt auf deutschem Boden zu verschaffen. Das Gedicht bezeugte zur Genüge, wie es um diesen Stolz des näheren bestellt war. Vielleicht, daß wir es nicht besäßen, wenn es nicht zu der Begegnung mit dem Niederländer gekommen wäre. Und so ja auch sein vorangegangenes geistliches Lobgedicht. Zweimal war Heinsius die Quelle für zwei imponierende Würfe in der deutschen Sprache gewesen. Keiner aus der Schar der europäischen Dichter hatte nachhaltigeren Einfluß auf das Schaffen des doch immer noch jugendlichen Dichters genommen. Das Leidener Rencontre zeitigte bewundernswürdige Früchte. Zincgref aber, der getreue Sachwalter Opitzens, ließ es sich nicht nehmen, gleich beide Übertragungen seiner Ausgabe der Gedichte Opitzens hinzuzufügen. So ergab sich denn die denkwürdige Situation, daß zwei prominente Texte von Heinsius wie von Opitz seit 1624 parallel im Anhang zu Opitzens Gedichten in deutscher Version zu lesen waren. Eine schönere Ehrung hätte dem verehrten Mentor in den Niederlanden nicht widerfahren können. Opitz aber muß nunmehr Kräfte in sich gespürt haben, auch selbständig sich größeren Texten zuzuwenden. Wohlgemerkt, wir sprechen nach wie vor nicht vom ›Trost-Gedichte‹. Er verblieb beim geistlichen Schrifttum und trat mit einem zweiten großen Text hervor. Nachhaltig formte sich folglich bereits zu Beginn der zwanziger Jahre das Profil auch des geistlichen Dichters heraus. Vermutlich noch 1624 erschien in der Fürstlichen Druckerei zu Liegnitz neuerlich ein ›Lobgesang‹, nunmehr dem freudigen Begebnis der Geburt Christi gewidmet. Es kam zu spät, als daß es als weiteres Dokument einer fruchtbaren Schaffensphase Opitzens in der Zincgrefschen Anthologie noch hätte seinen Platz finden können. Um so prominenter behauptete er diesen in den von Opitz selbst veranstalteten Ausgaben,
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wo er seit 1625 und 1629 an vorderster Stelle plaziert ist. Opitz maß ihm besondere Bedeutung bei, wie der Eingang in der Sparte des geistlichen Schrifttums bezeugt. Erst in der Ausgabe letzter Hand, als weitere geistliche Texte verfügbar waren, gruppierte er um. Es kann kaum einen Zweifel geben, daß die intensive Beschäftigung mit dem ›Lof-sanck‹ von Heinsius die Anregung dafür gab, sich noch einmal im sakralen Metier zu versuchen. Der Herausgeber der Werke Opitzens, George Schulz-Behrend, vermutet womöglich zu Recht, daß Herzog Georg Rudolf der geheime Adressat des Gedichts gewesen sein könnte, dessen lautere Frömmigkeit bekannt war. Wir werden noch hören, wie Opitz später diesem Umstand auch widmungsstrategisch Rechnung trug. Dieses Gedicht aber war in Siebenbürgen entstanden. Und es blieb wiederum einem Freund und Gefährten aus Jugendtagen, es blieb Bernhard Wilhelm Nüßler gewidmet. Der ›Lobgesang‹ stellt Opitz’ Beitrag zur volkssprachlichen christlichen Epik dar, einem beliebten und dankbaren Gebiete, auf dem Du Bartas und Heinsius zuvor schon Beachtliches geleistet hatten und auf dem Milton 1667 den höchsten Ruhm ernten sollte.
So der Herausgeber. Gleichwohl ist unverkennbar, daß eine angelegentlichere Beschäftigung mit diesem Zweig der Opitzschen Dichtung erst in jüngerer Zeit eingesetzt hat. Um so mehr Veranlassung, die Gleichgewichtigkeit von geistlicher und weltlicher Dichtung im Schaffen Opitzens zu betonen. Wir haben nur ausnahmsweise die Möglichkeit, die größeren Texte im Œuvre Opitzens eingehender zu betrachten. So muß es auch an dieser Stelle bei einem Blick in die Widmung und sodann in den Text selbst bleiben.26
Author pacis adest Als ein Neujahrsgeschenk (strena) hat Opitz sein Poem gegenüber Nüßler in der Widmungszuschrift apostrophiert, die auf den 30. Dezember des Jahres 1623 datiert ist. ›Strenae‹ zum Jahreswechsel pflegen oftmals leichtfüßig daherzukommen. Opitz ––––––––– 26
Martini Opitii Lobgesang Vber den Frewdenreichen Geburtstag Vnseres HErren vnd Heilandes JEsu Christi. Gedruckt in der Fürstlichen Druckerey zur Liegnitz/ Durch Sebastianum Koch. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/13 und 4 E 513/4), jetzt verwahrt in der BU Wrocław: 355075 und 355058. Bei dem letzteren Exemplar handelt es sich neuerlich um ein Geschenkexemplar für Abraham von Bibran, dem Opitz verbunden war und den er wiederholt bedichtete. Vgl. dazu auch: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 1), Band I, S. 314 f. Ein weiteres Exemplar aus der Reimannschen Bibliothek zu Liegnitz jetzt in der BU Wrocław unter der Signatur 426963. Der Text des Werkes in: Opitz: Gesammelte Werke, Band II (Anm. 25), 1. Teil, S. 118–151. Hier das vorgelegte Zitat S. 121 f. Die Widmung für Nüßler und die ihm gewidmete ›Elegia‹ zweisprachig auch in: Opitz: Lateinische Werke, Band I (Anm. 23), S. 244–251, Kommentar S. 449–457. Die Übersetzung rührt her von Peter Fiers, der Kommentar von Fiers und Veronika Marschall. Hier auch Hinweise zur Literatur. Vgl. auch Paul Böckmann: Der Lobgesang auf die Geburt Jesu Christi von Martin Opitz und das Stilproblem der deutschen Barocklyrik.- In: Festschrift Heinrich Bornkamm.- Gütersloh: Mohn 1966 (Archiv für Reformationsgeschichte; 57), S. 182–207.
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aber hat ein mächtiges Gedicht in Alexandrinern verfaßt und diese mit umfänglichen Annotationen versehen. Eine derartige Praxis hatte er nicht zuletzt bei dem großen Philologen Heinsius studieren können und von ihr nicht nur in seinen Übertragungen dieses Autors, sondern auch anderweitig gerade eben in Siebenbürgen Gebrauch gemacht. Dort residierte Heinrich von Stange und Stonsdorf, von dem wir gleichfalls hören werden, den Opitz auch an dieser Stelle dankbar erwähnt. Opitz wußte, daß er sich Besonderes vorgenommen hatte, und das kam vornehmlich in einer Elegie zum Ausdruck, die schon vor einem Jahr in Siebenbürgen gedichtet, gleichfalls Nüßler zugeeignet worden war und nun der eigentlichen Widmung folgte. Geht es um ein geistliches Werk, dann ist die Abwertung der der Liebesgöttin und ihrem blinden Sohn gewidmeten Poesie rasch zur Stelle. Und mehr als das. Bei einer solchen Gelegenheit, so Opitz ausdrücklich, hat dann auch die ›blinde Weisheit der alten Philosophen‹ zu schweigen (Priscorum sileat sapientia coeca sophorum). An dem rechten Umgang mit derartigen Formulierungen ist viel gelegen. Ihre Aufgabe ist es, den singulären Rang des geistlichen poetischen Vorwurfs herauszustreichen. Ansonsten haben wir bereits jetzt genügend Beispiele kennengelernt, die den professionellen Umgang mit der ›weltlichen Materie‹ veranschaulichen. Sie wird mit einem zweiten Sinn begabt und damit ihrer vordergründigen Erscheinung enthoben. Zwei Welten wollen zusammengebracht werden und die Humanisten bleiben die versierten Meister in dieser Stiftung einer coincidentia oppositorum. In der vorliegenden geistlichen Elegie ist indes von einer ganz anders gearteten Zweiheit die Rede. Christus der Friedensbringer ist gekommen. Die himmlischen Heerscharen eilen herbei, um ihn zu sehen. Sterne weisen den Weg zu der bescheidenen Hütte. Himmlische und irdische Geschöpfe vereinen sich zur Anbetung. Hier auf der geistlichen Ebene ist jene Vereinigung der beiden Welten eine selbstverständliche, die auf der Ebene der Geschichte und damit der weltlichen Poesie immer wieder neu bewerkstelligt sein will. Doch es kommt noch eine dritte Ebene ins Spiel, die soziale. Könige und Hirten nähern sich gleichermaßen der ärmlichen Hütte. Welch ein Unterschied: Während die Mächtigen, womöglich verführt vom Wein, in tiefen Schlaf versinken, betritt das verachtete, jedoch ›für den Glauben empfängliche Volk‹ glücklich und vergnügt die Grotte. Da sind sie also wieder, die durch die Heilige Schrift und durch die antike Literatur geadelten Geschöpfe. Die Niedersten erweisen sich als diejenigen, bei denen die überirdische Botschaft am ehesten verfängt. In geistlicher Perspektive verkehren sich die weltlichen Ordnungen. Und so nicht anders in der Literatur. Die Geburt des stilus humilis der Alten koinzidiert aufs wundersamste mit der Geburt des Erlösers. Aus der Humilität ziehen die Theologen und die Dichter, wenn sie sich denn auf ihr Metier verstehen, die schönsten, weil für den gemeinen Sinn paradoxesten geistlich-poetischen Eingebungen. Si tibi marmorei pereuntia limine templi Munera, et Eoi non damus orbis opes: Paupertas pietatis amans exosaque fraudi, Et mens plena fide te, puer alme, capit. Simplicius quid erat miseris pastoribus usquam? Tu tamen hos primos in tua sacra vocas.
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Dum domini rerum, et vincti fortaßè Lyaeo Reges lenta gravi membra sopore levant, Plebs contempta, capax fidei tamen, occupat antrum, Neglectis gregibus, laeta libensque tuum, Occurritque tibi: sic his quoque versibus (illos Non ignoro tui muneris esse) fave.27
Paradoxia crucicalis Auf Paradoxa jedweder Art ist das Erscheinen Christi in der Welt gegründet. Schwerlich kann es einen Zweifel geben, daß eben dieser Umstand den Reiz für den gelehrten Poeten ausmacht. Nun einmal kann er sich, geleitet von einem reichen biblischmotivischen Angebot, der Lust hingeben, seinerseits an der Wunder über Wunder bergenden Materie gestaltend mitzuwirken. Auf den arguten Stil ist die poetische Feder des Humanisten geeicht. Hier, an der Wiege Jesu, findet sie unerschöpflichen Stoff zur Probe aufs Exempel. Womit zugleich gesagt ist, daß es verfehlt wäre, den Autor auf einzelne Formulierungen festzulegen, ihn womöglich gar konfessionell zu fixieren. Ohne Verständnis für Autonomie und Autarkie des stilistischen Gebarens bleibt ein Zugang zum humanistischen Schrifttum verschlossen. Das gilt für alle poetischen Vorwürfe, die geistlichen nicht ausgenommen. Es wird sich zeigen, daß auch in diesem Bereich deutliche aktuelle Signale zu vernehmen sind. Auf die Schulung der Wahrnehmung eben für sie kommt es an. Die Paradoxien beginnen im Blick auf den Ort, da das Loblied verfaßt wird, und die Verfassung, in der sich sein Autor befindet. Am ›wilden ort‹ hat er Quartier bezogen, der nicht eben gesegnet ist durch die Pflege der freien Künste. Auf ›Dacien‹ verweist die Marginalie, in Siebenbürgen also schwingt er sich auf, und das geschwächt durch Krankheit. Aber gleicht er damit nicht eben demjenigen, den zu besingen er sich anschickt, sowie den Sängern, die da ihre Stimme erheben? Was die Örtlichkeit angeht, so bedarf es ›der Kirchen‹ nicht; ein ›reines Hertz‹ alleine ist vonnöten. Ein ›niedriges getichte‹ wird verlauten, darin dem so ähnlich, was die ›armen Hirten‹ vorzutragen hatten. Zu ihnen hätte der Dichter sich gesellen mögen, mit ihnen lobpreisend tätig sein. Mit einem grünen ›Lorbeerlaub‹ wäre er zur Stelle. Im ›schlechten Lied‹, im niedersten Ton wäre Höchstes verlautet – das Konstruktionsprinzip der geistlichen wie der weltlichen Hirtenliteratur Europas. Von einer anderen Liebe als der zu Galathee, Repräsentantin schäferlich-amouröser Muse, wird gesungen werden. Wir aber wissen, wie die Hirtendichter mit ihr um––––––––– 27
Ebenda, Verse 25–36. Die deutsche Übersetzung: Wenn wir dir keine vergänglichen Geschenke und keinen morgenländischen Reichtum an der Schwelle eines marmornen Tempels darbringen, so nehmen dich, holder Knabe, die Armut, eine Freundin der Frömmigkeit, doch dem Truge verhaßt, und ein vom Glauben erfülltes Herz auf. Wo gab es etwas Einfacheres als arme Hirten? Trotzdem lädst du diese als erste zu deinem Fest. Während die Herren der Welt und die Könige, vielleicht vom Wein gefesselt, die schweren Glieder durch einen tiefen Schlaf stärken, füllt das zwar verachtete, doch für den Glauben empfängliche Volk glücklich und vergnügt deine Grotte, nachdem es seine Herden zurückgelassen hat, und eilt dir entgegen. Sei also auch diesen Zeilen gewogen (ich weiß genau, daß jene anderen ein Werk deiner Gnade sind)! (S. 249).
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zugehen pflegen. Und so sind die auf die schöne Schäferin gemünzten Worte genausowenig wortwörtlich zu nehmen wie die der Mutter Gottes geltenden, die da den Humanisten für einen Moment in das Gewand des Mariologen schlüpfen lassen. Gibt es ein dankbareres Sujet als die Vergegenwärtigung einer Jungfrau, die ein Menschenkind zur Welt gebracht hat, welches zugleich Gottes Sohn ist? Beide Motivstränge werden von dem versiert dialektisch operierenden Poeten aktiviert. Nur eines ist theologisch festzuhalten. Es gilt ein ›Geburtsfest‹ zu besingen, An dem du worden bist das was wir Menschen sein/ Vnd bleibst doch wahrer Gott; bist Gott vnd Mensch allein.28
Diese Einheit in der Zweiheit blieb für Opitz wie für die meisten seiner Standesgenossen verbindlich. Sozinianischen Gedanken hat er sich zumindest im Blick auf dieses Dogma nicht genähert. Christus war auch für ihn mehr als ein wahrer gläubiger Mensch. Und doch wurde daraus nicht eigens viel Wesen gemacht. Man muß sich dem Schluß des Gedichtes zuwenden, um den aktuellen Skopus zu gewahren. Die Zeit ist von Kriegsgetümmel erfüllt. Indes nicht nur das. Zwist, Zank und Streit unter den Menschen haben um sich gegriffen. Die Christenheit selbst ist entzweit. Dieser fatalen Entwicklung stemmt sich auch ein Opitz bei jeder sich bietenden Gelegenheit entgegen. Befriedung ist mit Erasmus das Zauberwort. Nur über sie wird die verhängnisvolle, ja die teuflische Spaltung der Christenheit rückgängig zu machen sein. Es bleibt dies die humanistische Überzeugung, die die Generation um 1600 als Vermächtnis hinterlassen wird. Hilff das wir vns in dir dem höchsten Gutte frewen/ Vnd jetzt auff deinen Tag mit dir durch dich vernewen/ Ziehn an ein Ehrenkleid/ vnd halten steiff vnd fest Den Frieden den du vns anjetzt verkünden lest. Nim auch/ du starcker Held/ von vnserm Vaterlande Den Eyfer deiner Hand/ bind mit dem starken bande Der Göttlichen gewalt des Teuffels wütten an/ Auff das er vns dein Volck nicht mehr verfolgen kan/ Das fast zu schlagen ist von stetem streit’ vnd kriegen: Zeuch du mit vns zu Feld’ auff das wir nicht erliegen/ Du grosser Capiteyn/ beut du vns deine Hand/ Vnd thu dem grimmen Heer’ der Feinde wiederstand. Verleih’ vns einigkeit/ hilff das wir deine Glieder/ Du Haupt der Christenheit/ als ware trewe Brüder/ Der zwietracht abgethan/ behertzt zusammen stehn/ Vnd deiner Feinde trutz frey vnter Augen gehn. So wollen wir dir jetzt vnd dann in jenem Leben/ Den rhum der dir gehört mit rechter andacht geben/ Der du ein warer Mensch bist worden in der zeit/ Vnd bist auch warer Gott mit Gott in ewigkeit.29
––––––––– 28 29
Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 26), S. 129, Verse 27 f. Ebenda, S. 137 f., Verse 281–300.
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Psalmistische Apokalyptik zeitversetzt Die Adaptation der Psalmen durchzieht das Werk Opitzens. Wie seine französischen und niederländischen Kollegen griff er immer wieder auf sie zurück. Dieser singulär im Alten Testament dastehende Text faszinierte insbesondere die reformiert aspirierte Intelligenz, begegnete sie doch einem kampfgestählten Gesang, wie er ihr in einer aufgewühlten, von Drangsal erfüllten Zeit aus dem Herzen sprach. Bei diesen poetischen Bearbeitungen war mehr im Spiel als die Freude an einem Gelingen verheißenden sprachlichen Experiment. Eine aufrüttelnde Botschaft erklang, die ohne große Mühe zu transponieren war und allemal in der Gegenwart verstanden wurde.30 Im vorliegenden Fall verblieb Opitz im Lateinischen. Alsbald sollte er auch in der Rolle eines Dolmetschers des Psalmisten zum Deutschen übergehen. Am Ende seines Lebens war das ganze Buch der Psalmen dank seines unermüdlichen Wirkens komplett auch in der nachlutherischen Muttersprache der Humanisten verfügbar. Schon Heinsius hatte seinem ›Lof-sanck‹ eine Psalmen-Paraphrase beigefügt. Nun folgte ihm Opitz darin wieder nach. So erhielt sein eigener Lobgesang derart eine sehr sinnfällige Rahmung. Den beiden Vorreden zu Beginn korrespondiert ein poetischer ›Abgesang‹. Noch einmal wird der Leser eingeladen zu geistlicher Meditation, aber eben auch zu politischer Deliberation. Die vom Psalmisten vorgegebene Verschränkung beider Bereiche bleibt gewahrt.31 Ein erschreckendes Eingangs-Szenario entwirft Opitz mit dem Dichter des 79. Psalms. Kriegshaufen verheeren das Land, grausame Völkerscharen plündern und entweihen die Heiligtümer des einen Gottes seines Volkes. Jerusalem ist zerstört und die Gottlosen füttern Vögel mit dem Gehirn und wilde Tiere mit den Eingeweiden der getöteten Menschen. Die Erde ist rotgefärbt, die Flüsse erfüllt von dem Blut der nicht bestatteten Leichen. Lachend laben sich die Sieger an dem Unglück der Besiegten. Der Untergang stimuliert die wilden Gemüter. Was noch erwartet die verlassene Gemeinde Gottes? Ist des göttlichen Zornes nicht genug? Wir halten inne. Nicht das erste Mal begegnen wir Bildern wie den soeben aufgerufenen. Was der Psalmist verkündet, besitzt eine Parallele in der Gegenwart. Auch in ihr sind entsetzliche Greuel geschehen. Opitz und seine Freunde hatten keinen Zweifel gelassen, wo die Urheber des maßlosen Martyriums zu suchen seien. Es waren die spanischen Söldner, es waren die von katholischen geistlichen und weltlichen Regenten in Dienst genommenen Bestien in Menschengestalt, die nie dagewesene Frevel verübt hatten. Die Schändung des Glaubens und der ihm geweihten Heiligtümer war auf andere Weise auch über die Lutheraner gekommen und insonderheit über die Hugenotten in Frankreich und die Calvinisten in den Niederlanden, auch aber über die Evangelischen in den Habsburger Landen. Ausgeschlossen, daß der Sprung über die Zeiten hinweg nicht hörend und lesend vollzogen worden wäre.
––––––––– 30 31
Vgl. dazu die Literaturangaben im vorletzten Kapitel unseres Buches. Der Text in der Ausgabe Schulz-Behrends auf den Seiten 150 f. In zweisprachiger Version in: Opitz: Lateinische Werke, Band I (Anm. 23), S. 250–253, der Kommentar, S. 458–460. Die Übersetzung stammt wiederum von Peter Fiers, der Kommentar von Fiers und Veronika Marschall.
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Doch nun zur Gegenseite. Der Gott der Israeliten wird angerufen. Ihm wird die Rache anheimgestellt. Und die ist ihrerseits an Grausamkeit nicht zu überbieten. Ablassen möge der Gott der Väter von seinem Zorn, sein Volk wieder aufrichten und seine Waffen in dessen Dienst stellen. Herbeieilen möge der Rächer und die Ketten seines Volkes zerreißen. Erweichen lassen möge er sich von den Tränen der Bedrängten. Redde perversis mala quae dederunt Septies castris, et ab insolenti Jacta vicino toties, in ipsum Probra retorque. Atque sic grex nos tuus usque et usque Ibimus, prompti simul et parati Ore non falso tibi consecratas Pangere laudes.32
Nun, diese finstere Botschaft war gewiß nicht umstandslos in die Gegenwart zu versetzen. Sie verlangte nach Übersetzung. Und dann, recht gelesen und ausgelegt, empfahl sie sich zu Zusammenschluß und Gegenwehr, wie viele Male bereis verlautet. Der rächende Gott Israels war mit Gewißheit nicht der politisch agierende der Humanisten inmitten des konfessionellen Zeitalters. Vielstimmig ist der Chor, und eine jede Verallgemeinerung verbietet sich. Wo immer wir Opitz in politischer und religiöser Mission als Poeten begegnen, fehlt das versöhnliche, auf Ausgleich bedachte Wort nicht. Soeben in seinem ›Lobgesang‹ war es erklungen. Wo aber das Gebot der Stunde es verlangte und zum Widerstand aufgerufen werden mußte, da war nicht zuletzt das Wort des Psalmisten zur Stelle. So bezeugte auch diese geistliche Dichtung Opitzens nebst ihrer Paratexte die ganze Bandbreite der Antworten auf eine von der fundamentalen Krise erschütterten Zeit.
Vber des Hochgelehrten vnd weitberümbten Danielis Heinsij Niderländische Poemata Übersetzend war insonderheit der frühe Opitz eifrig damit befaßt, Texte seines niederländischen Vorbildes in das Deutsche zu übertragen. Doch nicht nur das. Er bedichtete auch dessen Werk und seinen Urheber. Gleich in der Sammlung der ›Poemata‹ von 1624 konnte Zincgref neben Übertragungen einzelner Gedichte von Heinsius ebenfalls einen Lobpreis von Opitz auf die erste Gedichtsammlung seines Vorgängers präsentieren. Äußerungen dieser Art sind stets besonders ergiebig. Sie besagen ebensoviel über den Bedichteten wie über den Dichter selbst. So ist auch Opitzens großes Alexandrinergedicht zu einer beredten Kundgebung seines Wirkens geworden. Eine ––––––––– 32
Ebenda, Schlußverse 49–56. Die deutsche Übersetzung: Vergelte ihnen, nachdem die Festungen zerstört worden sind, das Übel, das sie zugefügt haben, siebenmal und wende die Schmähungen, mit denen uns der Nachbar in seinem Übermut so oft beworfen hat, gegen ihn selbst. So werden wir dann für immer und immerzu als deine Herde mit dir gehen, stets bereit und gewillt, mit einem Mund, der kein Falsch kennt, das dir geweihte Lob anzustimmen. (S. 253).
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gute Gelegenheit folglich, mit ihrer Betrachtung unser niederländisches Kapitel vorläufig zu beschließen. Und das auf die bereits geübte Art und Weise. Opitz rekurriert in seinem Gedicht gleich auf zwei illustre Praetexte, herrührend von Heinsius selbst und von Jacob van Dijck, den wir gleichfalls bereits kennenlernten. Ein glücklicher Umstand hat es gefügt, daß ein erster Kenner der frühen literarischen Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland eine eingehende Interpretation des Opitzschen Gedichts im Rückbezug auf seine Quellen vorgenommen hat. Dem einstigen Präsidenten der Vereinigung für Internationale Germanistik, Leonard Forster, verdanken wir sie.33 So können wir es in dieser Hinsicht bei einem nachdrücklichen Verweis belassen, um uns auf den poetischen Gedanken und seine Auslegung zu konzentrieren, für die Forster gleichfalls bereits wertvolle Fingerzeige gegeben hat. Wir bedienen uns, sehr wohl informiert über die späteren Opitzschen Eingriffe und Korrekturen, mit Bedacht der Erstfassung, wie sie eben 1624 ans Licht trat.34
Die Nymphen auff der Maaß JHr Nymphen auff der Maaß/ jhr Meer einwohnerinnen Hebt ewre Häupter auff/ erhöhet ewre Sinnen/ Frew dich/ du schöner Rein/ vnd du gelehrte Statt/ Die Hungersnoth vnd Krieg zugleich getragen hat: Der gantze Helicon ist bey dir eingezogen/ Nach dem der hohe Geist von Gent hieher geflogen/ Die Tauben/ so zuvor die Zeitung zugebracht/ Hat Venus jetzt auch hier zu Burgerin gemacht/ Der Edle von der Does hat erstlich sie gelocket/ Sein’ Jda gleichfals offt an jhren Mund getrucket/ Sein’ Jda die den Mars so jnniglich verwundt/ Daß er Schwerdt/ Schildt vnd Spieß nicht lenger halten kundt. Die Thränen so vor Lieb auß seinen Augen flossen/ Sind der Maranen Heer ins Läger auch geschossen/ Da ward es gar zu naß. Sie liessen Leiden stehn/ Vnd furchteten/ die Flut möcht an die Kröser [Hälse] gehn.35
Wir vermögen es nicht zu hindern, haben immer wieder zum Ausdruck zu bringen, wie sehr man die Kunst, ja die Raffinesse der Opitzschen Muse bewundern kann, ja ––––––––– 33
34
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Vgl. Leonard Forster: Notes Towards a Commentary on Opitz’s ›Vber des Hochgelehrten vnd weitberümbten Danielis Heinsij Niderländische Poemata‹.- In: Martin Opitz. Studien zu Werk und Person. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino.- Amsterdam: Rodopi 1982 (Daphnis; 11/3), S. 477– 490. Martini Opicii Teutsche Poëmata und Aristarchus Wieder [!] die verachtung Teutscher Sprach. [...].- Straßburg: Zetzner 1624, S. 9 f. Reprint: Hildesheim, New York: Olms 1975. Zu den näheren Einzelheiten dieser Ausgabe vgl. das 12. Kapitel unseres Buches. Verwiesen sei auch hier schon auf den maßgeblichen Neudruck: Martin Opitz: Teutsche Poemata. Abdruck der Ausgabe von 1624 mit den Varianten der Einzeldrucke und der späteren Ausgaben. Hrsg. von Georg Witkowski.- Halle: Niemeyer 1902 (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 189-192), S. 24 f. Wir zitieren, wie erwähnt, nach der Erstfassung. Ebenda, Verse 1–16.
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muß. Der Helikon ist aus Griechenland in die Niederlande versetzt. Und das im Blick auf einen Dichter und Gelehrten, ebenso aber im Blick auf eine bestimmte Stadt. Die aber zehrt nicht nur von dem Ruhm des Mannes, der da aus den südlichen Niederlanden in die nördlichen zurückgekehrt ist. Sie ist ebenso bedeutend aufgrund ihres heroischen Widerstandes, den sie den Spaniern leistete. Neuerlich ist ein Bündnis von Poesie und Politik zu betrachten. Eine substantielle Schicht der Opitzschen Poesie verdichtet sich und will herausgestellt sein. Dann aber wird es kryptisch und also kommentierungsbedürftig. Tauben waren in der Schlacht wichtige Überbringer der neuesten ›Zeitung‹, besaßen eine kriegsentscheidende Funktion. Nun hat ein Wechsel stattgefunden. Venus tritt hervor und damit der Born der Poesie. Doch damit nicht genug. Entschieden Spezifischeres ist im Visier. Das Werk der Göttin ist es, daß nunmehr auch Tauben unter ihren Fittichen in die Stadt eingezogen sind. Liebespoesie verlautet in Leiden. Sie rührt her von Janus Dousa, der als der erste galt, welcher sich nicht nur in lateinischen, sondern eben auch in volkssprachigen Amatoria versuchte. In Dousas Poesie erscheint die schöne Ida, die symbolisch überhöhte Geliebte gleich Petrarcas Laura und all ihrer Nachfahren. Und wiederum mehr als das. Inbegriff der Poesie Dousas ist sie. Der aber hatte sich als einer der maßgeblichen Verteidiger der Stadt hervorgetan. Entsprechend ist es der Schönen gelungen, den Gott des Krieges seiner Waffen zu entkleiden. Der Liebesgott und der Gott des Krieges – wie oft werden sie in Wort und Bild miteinander gezeigt. Jetzt aber kann die vertraute Konfiguration blitzartig aktuell gewendet werden. Poetische Innovation und heldenhafte Bewährung gehen zusammen; die Macht der Poesie entbindet ungeahnte Kräfte, die weit über die Gefilde der Schönen Künste hinausreichen. Die Marranen, die Spanier, haben es bitter erfahren müssen. Unentwegt bewährt sich derart eine poetisch-politische Engführung, die Opitz vorbildlich in den Niederlanden im Umkreis von Heinsius vorgebildet fand.
Translatio artium Und dann der Umschlag. Die Spanier sind vertrieben. Pallas und Phoebus halten Einzug. Eine Stadt, ein Land erblühen in Künsten und Wissenschaften. Die Niederlande werden zu einem zweiten Athen und Rom. Alsbald beginnt das Spiel mit der Vergabe der Trophäen aufs Neue, vordergründig und hintergründig zugleich inszeniert und selbstverständlich am Ende zulaufend auf unseren ›Helden‹. So bald der Spanier nun vrlaub hat genommen Deß Wassers vngewohnt: Jst Pallas zu euch kommen/ Vnd Phoebus hat mit jhm die Musen hergebracht/ Die dann auß Niderland Athen vnd Rom gemacht/ Es war noch nicht genug/ der Held von Brennus Stamme/ Der grosse Scaliger/ steckt auff sein helle Flamme/ Die Franckreich war entführt: Ein Mann/ ein einig Mann Der Adler in der Lufft/ redt alle Völcker an/ Biß jhr auch Heinsius/ jhr Phoenix vnsrer Zeiten/ Jhr Sohn der Ewigkeit/ beguntet außzubreiten Die Flügel der Vernunfft. Das kleine Vatterland
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Trotzt jetzt die grosse Welt mit ewerem Verstandt. Was Aristoteles/ was Socrates gelehret/ Was Orpheûs sang/ was Rom von Mantua gehöret/ Was Tullius gesagt/ was jergendt jemand kan/ Das sicht man jetzt von euch/ von euch/ jhr Gentscher Schwan.36
Die Tränen der Venus sind übergegangen in die geöffneten Schleusen der Geusen. Darauf waren die Spanier nicht gefaßt. Der ihnen ironisch attestierte ›vrlaub‹ ist einer von besonderer Art. Er zeitigt weltgeschichtliche Wirkung. Auf freiem, auf befreitem Boden erwächst ein Gemeinwesen, das sich geeint weiß in einer gemeinsamen jüngsten Vergangenheit und das diese widergespiegelt findet in den Werken des Geistes. Diese translatio ist mehr als eine formelle. Den Schöpfungen bleiben die Male des Kampfes um das Überleben eingezeichnet. Auf niederländischem Boden ist eine Hochburg des Wissens und der Künste erwachsen, die es mit den Alten aufnehmen kann, weil sie eine einmalige geschichtliche Physiognomie prägt, die unwiederholbar blieb. Ein Kosmos des Geistes ist es, der da aufgerichtet wird, und die antiken Größen bezeugen es. Die antike Philosophie, verkörpert in Sokrates, Aristoteles und Cicero, hat Einzug gehalten an der Alma mater zu Leiden. Zwei Namen fehlen. Niemand repräsentierte Weisheit und politisches Wissen eindringlicher als die erste Kapazität Leidens, Lipsius. Sein Name aber fällt ebensowenig wie der seines ersten Gewährsmannes Tacitus. Lipsius hatte die gesegneten nördlichen Niederlande bereits wieder verlassen, war zurückgekehrt in die spanischen Niederlande. Ein solcher Schritt darf in der Poesie mit Schweigen quittiert werden. An seine Stelle ist der gleich berühmte Scaliger getreten. Aus Frankreich ist er an die junge Leidener Universität gekommen und hat ihr rasch seinen Stempel aufgedrückt. Wie Lipsius als die philosophische galt Scaliger als die poetische oder besser: als die ›artistische‹ Kapazität. Die Genealogie des illustren Geschlechts hatte schon in die Scriversche Vorrede hineingespielt, wie wir hörten. Und die Poesie selbst? Sie hatte, wenn es denn nur um einen Namen gehen sollte, tatsächlich einen Repräsentanten, der letztlich überall in Europa als das non plus ultra galt, lautend auf den Namen des Mantuaners Vergil. Sein Werk war die Inkarnation dessen, was als Höchstes ein Dichter zu leisten vermochte. Und da zählte auch nicht, daß das dramatische Fach in seinem Werk fehlte. Dessen Pflege insonderheit in der Kombination von Wort und Ton, die Schöpfung der Oper, mochten die Neueren, mochten die Italiener sich auf die Fahne schreiben. Der Vater der Poesie blieb der Römer.
Heinsius alias Opitz Nun aber trat ein Hüne auf, dem es gegeben war, die Fülle der Geistigkeit, in der Antike begründet, auf verschiedene Schultern verteilt, in einer einzigen Person zu vereinen. Mehr Hyperbolik war nicht möglich. Sie aber ist vonnöten, um auf das Eine zu ––––––––– 36
Ebenda, Verse 17–32.
Heinsius alias Opitz
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kommen, das der deutsche Dichter herausarbeiten möchte, betrifft es doch sein ureigenstes Anliegen. Die Teutsche Poesy war gantz vnd gar verlohren/ Wir wusten selber kaum von wannen wir geboren/ Die Sprache/ vor der vor viel Feind erschrocken sindt/ Vergassen wir mit fleiß vnd schlugen sie in Windt. Biß ewer fewrig Hertz ist endlich außgerissen/ Vnd hat vns klar gemacht/ wie schändtlich wir verliessen Was allen doch gebürt: Wir redten gut Latein/ Und wolte keiner nicht für Teutsch gescholten sein. Der war’ weit vber Meer in Griechenland geflogen/ Der hatt Jtalien/ der Franckreich durchgezogen/ Der prallte Spanisch her. Jhr habt sie recht verlacht/ Vnd vnsre Muttersprach in jhren werth gebracht/ Hierumb wirdt ewer Lob ohn alles ende blühen/ Das ewige Geschrey von euch wirdt ferne ziehen/ Von dar die schöne Sonn auß jhrem Beth auffsteht/ Vnd widerumb zu ruh mit jhren Pferden geht. Jch auch/ weil jhr mir seyt im Schreiben vorgegangen/ Was ich für Ruhm vnd Ehr durch Hochteutsch werd erlangen/ Will meinem Vatterlandt bekennen ohne schew/ Daß ewre Poesy der meinen Mutter sey.37
Heinsius hat das Werk vollbracht, das vor ihm überall in Ost und West vonstatten gegangen war. Die Muttersprache war für die Formen und Gehalte der antiken und der modernen neulateinischen Poesie gewonnen worden. Warum aber behauptet Heinsius für Opitz nochmals eine Sonderstellung? Weil er sich des Deutschen bedient. Das war in europäischer Optik eine sehr ungewöhnliche Sicht der Dinge und auch Opitz rühmte den Niederländer anderwärts für seine in der niederländischen Sprache verlautenden Verse. Für sie attestierte ihm Opitz ein Erstlingsrecht und verschwieg damit die Vorgänger des Heinsius ebenso wie er seine eigenen Präzedenten am liebsten unerwähnt ließ. Nun aber, da es um entscheidende Ursprungsfragen geht, wird nochmals umgruppiert. Und das mittels einer raffinierten Überblendung. Heinsius wird als Wiedererwecker der deutschen Sprache im Medium der Poesie gefeiert. Das ist ein so aufsehenerregendes Ereignis, daß dem Stifter dieser Tat nur das allerhöchste Lob gerecht werden kann. Wollte man die Linien ausziehen, so kommt Heinsius neben Petrarca, Ronsard und Sidney zu stehen, um nur die Namen der drei Größten im volkssprachigen lyrischen Metier zu nennen. Doch diese Gleichung kann nicht komplett aufgehen. Und Opitz beläßt es in fast abenteuerlicher Kühnheit bei dieser Unschärfe. Als Schüler des Heinsius bekennt er sich, die Rolle der Mutter verbleibt dem Niederländer, der Deutsche begnügt sich mit der des Zöglings. Das aber nur, wenn man sich mit einer wortwörtlichen Lesung begnügt. Ein derart schlichtes Lektüreverhalten ist so gut wie niemals angängig, wenn es denn um humanistische Texte geht. Unerwähnt nämlich bleibt, daß Heinsius seine poetische Reform im Niederdeutschen verrichtete. Das ist etwas anderes als das, was die Italiener und Spanier, die Franzosen ––––––––– 37
Ebenda, Verse 33–52.
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IX. Im ersten Exil: die Niederlande
und Engländer ebenso wie die Ungarn oder die Polen ins Werk setzten. Ihre Sprache blieb eine die Nation umspannende. Die Nation der nördlichen Niederlande war soeben erst geboren worden, war das Produkt einer Abspaltung jüngsten Datums, und entsprechend auch die poetische Mission eine fragile. Der entscheidende Schritt stand aus. Und so sehen wir unseren Helden zu guter Letzt erneut auf dem Plan. Was der verehrte Niederländer begonnen hat, vollendet der Schlesier. Ihm allein ist es vorbehalten, das Hochdeutsche als Sprache einer veredelten Poesie der Moderne zu kreieren. Sie umgreift alle Völkerschaften deutscher Zunge, erstreckt sich so weit wie der deutsche Sprachraum reicht, und überbietet alle dialektologisch eingefärbten Idiome. Den Schlüsselbegriff des ›Hochdeutschen‹ hat Opitz sich für den Schluß vorbehalten. Er gebraucht ihn so gut wie nie. Hier ist er zur Stelle. Die Krönung des von dem Niederländer Eröffneten ist dem Schlesier vorbehalten. Derart zeichnet sich eine geheime translatio ab. Alle auf Heinsius gemünzten Worte des Lobes zielen über den mitgeführten Subtext auch auf Opitz. Und der steht am Beginn seiner dichterischen Laufbahn. Wollte der unüberhörbare Anspruch eingelöst werden, so mußte Besonderes vor die Augen der Mitwelt gestellt werden. Opitz verließ die Niederlande mit dem Vorsatz, das Werk zu schaffen, das keiner vor ihm in der verjüngten deutschen Sprache zu dichten vermocht hatte. Ein Muster im genus grande war zu schultern und die Einsamkeit im hohen Norden ermöglichte ihm die Einlösung eines Versprechens, mit dem seine Jugend und sein Jugendwerk zu einem sinnfälligen Abschluß gelangte.
X. Ein quasiepisches Lehrgedicht als geschichtliches Vermächtnis Das ›Trost-Gedichte In Widerwertigkeit Deß Krieges‹ Wir kommen erstmals zu einem Kapitel, das einem einzigen Text Opitzens gewidmet ist. Entsprechend wäre auch mit anderen großen Texten Opitzens zu verfahren. Darstellend tätig zu werden heißt jedoch immer zugleich, gewichtend ans Werk zu gehen. Daß das im folgenden zur Rede stehende Werk Opitzens singulär dasteht in seinem reichen Œuvre, ist unstrittig. Und das nicht nur seines Sujets und dessen poetischer Verarbeitung wegen. Nein, es schließt auch in einem inneren Sinn eine Epoche seines Lebens ab. Nach Schlesien zurückkehrend, findet er seine Heimat als eine andere vor und hat selbst sich neu zu positionieren, lebend, arbeitend, schreibend. Ein letztes Mal in seinem Leben verblieb ihm eine wohlbemessene Frist der Muße. Er nutzte sie zur Abfassung eines großen, ja womöglich eben doch seines größten Werkes. Ihm sind die folgenden Blätter gewidmet. Zunächst aber gilt es, in der Mitte unseres Werkes angelangt, neuerlich ein wenig auszuholen und die größeren Zusammenhänge zu erinnern, wie von Zeit zu Zeit in einer umfänglicheren Arbeit geboten.
Offene Schreibsituation um 1600 Der Konstitution der neueren deutschen Literatur, wie wir sie in den zwanziger Jahren mit Opitzens Beiträgen und programmatischen Verlautbarungen einsetzen lassen, geht eine Phase des Experimentierens voran, für die uns ganz offensichtlich bis heute die angemessenen Kategorien der Beschreibung fehlen. Der Opitzsche Klassizismus ist streng normierend. Er gewinnt seine Muster aus der Adaptation der kurrenten lateinischen und nationalsprachigen Muster und ihrer demonstrativen Ausstellung im Deutschen. Das heißt nicht, daß nicht auch Ausprägungen individueller Physiognomie und aktueller Implementierung gelängen. Sie aber sind dem normenbesetzten Muster eingeschrieben und in aller Regel nur in einem sehr behutsamen und aufwendigen Verfahren intertextueller Analytik freizulegen. Das Gattungsschema bildet eine Tiefenstruktur von unerhörter normativer Macht. Das große Einzelstück verdankt sich eben der souveränen Beherrschung des Repertoires, dem kalkuliert die subtile Abweichung eingezeichnet ist. Jedes gelungene Werk nimmt damit die Form eines Palimpsests an. Eine zweite Ebene wird hinter den vertrauten Schriftzeichen erkennbar, und der Scharfsinn des Dichters bewährt sich darin, wie er Licht und Schatten so zu verteilen weiß, daß des Sinnens und Enträt-
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X. Das ›Trost-Gedichte‹
selns angesichts der prinzipiell unendlichen Sinnstufen kein Ende beschieden ist. An der Auslegungsgeschichte, die auch und gerade dem intertextuell verfaßten Werk beschieden sein kann, bemißt sich, ob es eine solche zu eröffnen vermochte oder aber als Dutzendware nicht imstande war, exegetischen Tiefsinn freizusetzen. In diesem strengen Sinn gilt für das klassizistische Werk jedweder Gattungszugehörigkeit, daß seine Nachgeschichte zugleich seine Kritik vorbereitet. Dieser das 17. Jahrhundert in Deutschland beherrschenden Konfiguration von Literatur und Kritik, die die nämliche ist, welche seit der Reformulierung der antiken Muster im Italien des Trecento grundsätzlich in Anschlag zu bringen ist, widerstreitet eine andere, die diesem enigmatischen Verfahren allegorischer Einschreibung in festumrissenen Gattungsszenarien sich entzieht. Der hier ins Auge zu fassende Werktypus ist weniger streng reguliert, also offener, gelegentlich intertextuell anspruchsloser, direkter und unverhohlener im agitatorischen Zugriff, mit einem Wort in seinem aktuellen Zuschnitt auf unmittelbare Wirkung bedacht, statt auf sukzessive Entdeckung seines hintergründigen Sinnpotentials. In diesen der Opitzschen Reform vorgelagerten Texten lebt ein Impetus der mit der Reformation in großem Stil in die Literatur gelangenden polemischen Zurüstung fort, um 1600 eine nochmalige Metamorphose zu erfahren. Die Literaturwissenschaft hat die Ingredienzien der literarischen Streitschriftenkultur, wie sie alle Gattungen ergreift und zu neuen Formprägungen geleitet, inzwischen umfassend aufgearbeitet. Was uns fehlt, so will es scheinen, ist die phänomenologische Aussonderung und kategoriale Fixierung eines Typus agitatorischer Literatur, der durch und durch bereits affiziert ist von den humanistischen Gepflogenheiten traditionsgeleiteter Textproduktion, ohne doch schon auf die normierenden Purismen verpflichtet zu sein, wie sie seit 1624 zumindest proklamatorisch die Regel werden.
Vor 1620 Zu gedenken ist folglich einer literarischen Praxis kurz vor dem Einsatz des Dreißigjährigen Krieges, welche sich noch einmal im Horizont alternativer politischer Optionen entfaltet und ihnen mit einem offenen appellativen agitatorischen Duktus in der Werkorganisation antwortet. Entsprechend könnte es das Anliegen einer epochalen Spezifizierung des literarischen Handelns sein, der Literaturgeschichte einen Typ des Schreibens zu gewinnen, der sich im Zeichen des Späthumanismus formt und so lange schöpferische Impulse zeitigt, wie sich mit dem Ringen der konfessionellen Parteiungen politische Hoffnungen assoziieren, die es verlockend erscheinen lassen, literarische Waffen in ihm zu schmieden und zum Einsatz zu bringen. Wir haben gesehen, in welchem Maße im Umkreis der Heidelberger und Straßburger eine derartige poetisch-publizistische Praxis gepflegt wurde. Die Namen eines Fischart, eines Denaisius, eines Zincgref standen dafür ein. Ein Autorentypus trat hervor, der geprägt ist von dem überall im Späthumanismus zu beobachtenden politischen Aktionismus im Zuge der konfessionellen Parteibildungen, und der, sofern eine literarische Artikulation intendiert war, notgedrungen zur Erprobung effizienter, publikumswirksamer, um Aufklärung bemühter Strategien geleitet wurde.
Philologica
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Es ist mit anderen Worten der Geschichte der deutschen Literatur eine kurze, aber fruchtbare Phase politischen Dichtens zurückzugewinnen. Sie formt sich im Zeichen der Konfessionalisierung. Aber – und das im Unterschied zur Literatur im Zeichen der Reformation – sie ist bereits berührt von den westeuropäischen Entwürfen zur Überwindung der konfessionellen Schismen. Sie gehört hinein in die Vorgeschichte aufgeklärten Denkens und Dichtens, und es ist dieser in die Agitatorik verpuppte Zug, der unsere besondere Bemühung gelten sollte. Und so auch im Blick auf Opitz. Seine beiden lateinischen Texte, dem Winterkönig und Camerarius geltend, haben wir kennengelernt. Nun tun wir den bereits wiederholt angekündigten Schritt und wenden uns einer dem nämlichen Geist verpflichteten deutschsprachigen Dichtung zu.
Philologica Opitzens ›Trost-Gedichte In Widerwertigkeit Deß Krieges‹, von dem im folgenden zu handeln ist, stammt von einem Autor, der soeben mit dem ›Aristarchus‹ einen lateinischsprachigen Appell zur Umpolung des literarischen Betriebs auf das Deutsche hatte verlauten lassen, aber noch vier Jahre von seiner Anleitung zur deutschen Poesie – dem 1624 erschienenen ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ – entfernt war. Es ist Ende 1620, Anfang 1621 in der Abgeschiedenheit Jütlands entstanden. Opitz brachte den Vorwurf aus den Niederlanden mit. In den hohen Norden hatte den schlesischen Emigranten ein mäzenatisches Angebot geführt. Der Dichter, der in Heidelberg zum führenden Kopf der jungen Bewegung aufgerückt war, sah sich wie andere nach dem stürmischen Vormarsch der Katholiken unversehens vor das Nichts gestellt. Der Weg in seine schlesische Heimat war abgeschnitten. Breslau hatte eben noch dem flüchtigen Winterkönig ein paar Tage Asyl auf seinem Weg in das niederländische Exil gewähren können. Seine Mäzene, die Herzöge von Liegnitz und Brieg, waren in das ›Böhmische Abenteuer‹ Friedrichs von der Pfalz verstrickt. Es schien angeraten, vorläufigen Abstand von der exponierten Landschaft und ihren aufständischen Wortführern zu halten. Diese Vorsicht erstreckte sich selbstverständlich auch auf die Publizistik. Das im Frühjahr 1621 abgeschlossene ›Trost-Gedichte‹ wurde unter Verschluß gehalten und für bessere Zeiten aufgehoben. Diese kamen erst mit dem siegreichen Zug Gustav II. Adolfs durch Deutschland in den dreißiger Jahren. 1633 ließ Opitz das Werk in den Druck gehen. Verlegt wurde es bei seinem alten Freund und Weggefährten David Müller in Breslau, gedruckt jedoch bei Henning Köhler in Leipzig. Wie bei fast allen Werken des 17. Jahrhunderts haben wir keine Kenntnis der handschriftlichen Fassungen, weder der Urschrift aus den frühen zwanziger Jahren, noch des späteren Manuskripts der Druckvorlage. Die Frage möglicher Eingriffe in den Text ist also nicht zu beantworten. Sie dürften sich im wesentlichen auf sprachlich-metrische Besserungen beschränkt haben. Gewißheit ist auf diesem Felde jedoch nicht zu erlangen.1 ––––––––– 1
Der Titel: TrostGedichte Jn Widerwertigkeit Deß Krieges; Jn vier Bücher abgetheilt/ Vnd vor etzlichen Jahren von einem bekandten Poëten anderwerts geschrieben. Jn verlegung David Müllers
X. Das ›Trost-Gedichte‹
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Gattung Die Gattungsfrage, mit der im Umkreis klassizistischen Dichtens zu beginnen ist, stellt sich als eine der schwierigsten nicht nur im Blick auf Opitz, sondern überhaupt der Literatur des 17. Jahrhunderts dar. Es gibt eine Reihe von Opitzschen Texten, die in dieser Hinsicht Rätsel aufwerfen. Schon darin wird erkennbar, daß er nicht nur der geschickte Kompilator und Plagiator ist, als der er lange Zeit galt. Vielmehr gehört er in die Reihe der Gründerfiguren der frühneuzeitlichen Literatur Europas. Er hat der deutschen Literatur wie niemand sonst im 17. Jahrhundert den Formenreichtum der inzwischen ausgebildeten europäischen Literatur zugeführt. ––––––––– Buchhendlers in Breßlaw. Leipzig/ Gedruckt bey Henning Kölern/ Anno MDCXXXIII. Die Breslauer Stadtbibliothek war im Besitz zweier Exemplare aus der Rhedigerschen- und der Bernhardiner-Bibliothek, die dort unter den Signaturen 4 E 515/62 und 4 V 52/50 verwahrt wurden. Sie gingen über in die BU Wrocław, wo sie unter den Signaturen 355124 und 534416 verwahrt werden und wo sich aus andersweitiger Provenienz weitere Exemplare befinden. Der Text wird im folgenden zitiert nach der Ausgabe: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 187–266. Hier S. 187 ff. von dem verdienstvollen Herausgeber die druckgeschichtlichen Daten sowie die Informationen zu Widmungsempfängern etc. Im folgenden wird unter Angabe des Buches und des Verses bzw. der Verse zitiert. Aus der neueren Literatur sei verwiesen auf: Leonard William Cunningham: Martin Opitz’ ›Trost-Gedichte in Widerwertigkeit des Krieges‹.- Phil. Diss. University of Texas, Austin 1969. Druck unter dem Titel: Martin Opitz. Poems of Consolation in Adversities of War.- Bonn: Bouvier 1974 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft; 134). Dazu die Rezension von Wilhelm Kühlmann in: Daphnis 4 (1975), S. 217–219: Sodann legte Klaus Garber eine eingehendere Interpretation vor. Sie ist dem Opitz-Porträt aus dem Jahr 1984 integriert (S. 145– 163). Seither ist zu verweisen auf: Barbara Becker-Cantarino: Daniel Heinsius’ ›De contemptu mortis‹ und Opitz’ ›Trostgedichte‹.- In: Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi 1990 (Chloe; 10), S. 37–56; Jörg-Ulrich Fechner: Martin Opitz’ ›Trostgedichte‹ in der Nachfolge von Petrarcas ›De remediis utriusque fortunae‹? Eine methodische Überlegung.- In: Opitz und seine Welt, S. 157–172; Jean Charus: Les [!] ›Trost-Gedichte‹ d’Opitz.- In: Le texte et l’idée 10 (1995), S. 45–61; Jean-Daniel Krebs: Martin Opitz’ ›TrostGedicht in Widerwertigkeit Deß Krieges‹ (Bücher I und II). Von der national-politischen Trauerarbeit zum Ideal des Neustoizismus.In: Littérature & civilisation au capes et à l’agrégation d’allemand (1996), S. 1–14; Andreas Solbach: Rhetorik des Trostes: Opitz’ ›Trostgedichte in Widerwertigkeit deß Krieges‹ (1621/33).- In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (Frühe Neuzeit; 63), S. 222–235; Klaus Garber: Konfessioneller Fundamentalismus und späthumanistischer Nationalismus. Die europäischen Bürgerkriege in der poetischen Transformation um 1600. Opitzens ›Trost-Getichte in Widerwärtigkeit des Krieges‹.- In: Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. Hrsg. von Heinz Schilling unter Mitarbeit von Elisabeth MüllerLuckner.- München: Oldenbourg 2007 (Schriften des Historischen Kollegs; 70), S. 23–46; Achim Aurnhammer: Martin Opitz’ ›Trost-Getichte‹: ein Gründungstext der deutscher Nationalliteratur aus dem Geist des Stoizismus.- In: Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. Hrsg. von Barbara Neymeyr, Jochen Schmidt, Bernhard Zimmermann. Band I–II.- Berlin, New York: de Gruyter 2008, Band II, S. 711–729. Zum Lebensraum, in dem das große Gedicht entstand, sei erinnert an die wichtige Arbeit von Vello Helk: Martin Opitz in Dänemark.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 5 (1978), S. 143–150.
Gattung
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Ernst Robert Curtius hat die Einführung des von ihm über alles favorisierten Topik-Paradigmas in die europäische Literaturwissenschaft am Beispiel der ›Trostrede‹ vollzogen.2 Was er namhaft macht, entstammt der Gelegenheitsrede in weitestem Sinn. Der Tod von Personen verlangt nach Schemata, mittels derer er literarisch zu traktieren ist. Dazu gehört das Arsenal von Gründen des Trostes. Jeder Dichter wie jeder Leser von Epicedien kennt sie. Statius, der große Mittler zu Ende der römischen Literatur, hatte sie vor allem in Umlauf gebracht. Es ist ersichtlich, daß Werken wie dem Opitzschen ›Trost-Gedichte‹ mit ihnen überhaupt nicht beizukommen ist. Man muß die Tradition der consolatio-Literatur in Philosophie und Theologie bemühen, wenn man den Rang bezeichnen will, den das Opitzsche Gedicht einnimmt.3 Das bekannteste Werk einer episch strukturierten Trostschrift ist Boethius’ ›De Consolatio philosophiae‹. Es ist in Prosa und Vers verfaßt sowie in fünf Bücher abgeteilt. Es gehörte zu den meistgelesenen Büchern im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gleiches wird man von Johannes Gersons ›De Consolatio theologiae‹ schon deshalb nicht sagen können, weil es erst am Ausgang des Mittelalters entstand, dann freilich gleichfalls rege Verbreitung im Druck fand. Eine politisch gewendete, episch angelegte und explizit als consolatio deklarierte Literatur vor Opitz ist nicht bekannt. Sie muß bis auf weiteres als sein Werk gelten, was natürlich nicht heißt, daß es nicht voll wäre von literarischen Adaptationen der verschiedensten Art. Opitz greift ein aktuelles Thema auf: Den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, den er im Eingang zum ersten Buch als »jetzigen vnglückseligen Böhmischen Krieg« tituliert. Er will nach dem Vorspruch zum ersten Buch Klage über seinen Ausbruch führen und zugleich doch Trost spenden in dem Unglück. Wir haben es also mit einer Kontamination verschiedener Gattungselemente zu tun. Krieg, womöglich Bürgerkrieg, damit einhergehend die Zerrüttung von Nationen und die Hoffnung auf ihr Wiedererstehen, sind klassische Themen der antiken und humanistischen Epik. Der junge Opitz schickt sich an, zur höchsten Gattung zu greifen, als welche die national inspirierte Epik im europäischen Humanismus mit Rekurs auf die Archegeten Homer und Vergil galt. Das Sujet ist ein solches von epischer Dignität. Wort- und Verswahl indizieren die Höhenlage des genus grande gemäß der Dreistillehre.4 ––––––––– 2
3
4
Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter. 2., durchges. Aufl.Bern: Francke 1954, S. 90–92: Topik der Trostrede. Zur consolatio-Tradition in der europäischen Literatur vgl. Rudolf Kassel: Untersuchungen zur griechischen und römischen Konsolationsliteratur.- München: Beck 1958; Horst-Theodor Johann: Trauer und Trost. Eine quellen- und strukturanalytische Untersuchung der philosophischen Trostschriften über den Tod.- München: Fink 1968. Grundlegend Peter von Moos: Consolatio. Studien zur mittellateinischen Trostliteratur über den Tod und zum Problem der christlichen Trauer. Band I–IV.- 1971–1972. Dazu der Eintrag von A. Grözinger im ›Historischen Wörterbuch der Rhetorik‹. Band II (1994), Sp. 367–373. Texte wie Heinsius’ ›De contemptu mortis‹ oder eben auch Opitzens ›Trost-Gedichte‹ werden durch diese Arbeiten nicht eigentlich getroffen. Das wichtigste zur Traditionsgeschichte in der in Anm. 1 zitierten Arbeit von Barbara Becker-Cantarino. Zur Gattung ›Epos‹ sei hier aus der unübersehbaren Literatur nur verwiesen auf Ernst Rohmer: Das epische Projekt. Poetik und Funktion des ›carmen heroicum‹ in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts.- Heidelberg: Winter 1998 (Beihefte zum Euphorion; 30). Der Titel ist mißver-
X. Das ›Trost-Gedichte‹
362
Auch die Einteilung in eine Folge von Büchern ist epischer Brauch. Die Anzahl der Bücher – vier bei Opitz – markiert freilich eine unübersehbare Abweichung. Das Epos bevorzugt die Zahl zwölf oder zwanzig oder vierundzwanzig. Ein Stoff epischer Dimensionen, eingespannt zwischen die Pole von Herkunft und zukünftiger Bestimmung einer Nation, ist in vier Büchern nicht zu bewältigen. Die vier Bücher sind der klassische Formtyp des Lehrgedichts. Auch diesem ist der nationale Stoff nicht fremd. Das beweist das wirkungsmächtigste Muster, Vergils Gedicht vom Landbau, die ›Georgica‹. Opitz also stutzt die epische Form hinunter auf die des Lehrgedichts. Diesem aber schreibt er einen ausdrücklichen geistlichen Zweck ein. Zeigen wolle er, wie es gleichfalls im Vorspann zum ersten Buch heißt, daß alles, was Schreckliches sich da im gegenwärtigen Kriege abspiele, »nicht ohn sonderbare schickung GOttes (geschehe)/ vnd setzet [er, der Dichter] die Vrsachen/ warumb er seiner Kirchen solches Creutz vnd Trübsal zusende.«5 Der profane nationale Vorwurf des klassischen Epos wird also umschlungen von einem christlich-theologischen in der Tradition der geistlichen consolatio. Opitz hat ihn so ernst genommen, daß er in der Ausgabe letzter Hand seiner Werke das ›TrostGedichte‹ den ›Geistlichen Poemata‹ zuwies. Es besteht kein Grund, die geistliche Seite des Epos abzublenden und interpretatorisch zu beschatten. Im Gegenteil stellt das Werk ein maßgebliches Zeugnis für die Physiognomie humanistischer Frömmigkeit am Ausgang einer ersten Phase der Konfessionalisierung am Eingang des neuen Jahrhunderts dar. Es will auch unter diesem entwicklungsgeschichtlich einschlägigen Aspekt der Evolution einer humanitas christiana in der Frühen Neuzeit ausgeschöpft sein. Aufgetragen ist dem Exegeten, der relativen Eigenständigkeit beider Bereiche wie ihrer wechselseitigen Verschlingung gleich intensive Aufmerksamkeit zu widmen. Es bedeutet keine Einschränkung dieser Maxime, wenn zugleich als Heuristikum postuliert wird, daß die explizite theologische Absichtserklärung und Leseanweisung von seiten des Autors auch den Zweck hat, den radikalen politischen Gehalt des Werkes abzuschirmen und geistlich wo nicht zu kaschieren, so doch zu mildern, ihn also assimilierbar zu machen.
Gliederung Der Doppelaspekt des Werkes kommt auch in seiner Anlage zur Geltung. In den vier Büchern gelangt alternierend einmal der geistliche, das andere Mal der politische Vorwurf ausgeprägter zum Vortrag. Wollte man grob schematisierend zur Konturierung der Linien verfahren, so dürfte gelten, daß das erste Buch beherrscht wird durch das Kriegsgeschehen auf deutschem Boden. Dieser relativen politischen Dominanz korrespondiert im dritten Buch die Verlagerung des Akzents auf die europäischen Bürger- und Konfessionskriege zumal in Frankreich und in den Niederlanden. ––––––––– 5
ständlich. Tatsächlich handelt es sich zu großen Teilen um eine – höchst willkommene – Darlegung der europäischen Poetologie des Epos. Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), S. 191.
›Heroisch getichte‹
363
So gesehen sind die Bücher eins und drei des Werkes die von dem politischen Drama beherrschten. Die Bücher zwei und vier hingegen lassen sich in erster Linie die Explikation theologisch-moralphilosophischer Gehalte angelegen sein. In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, daß sie auf das geschichtliche und also auch religions- und kirchengeschichtliche Geschehen antworten. Ihnen kommt also zugleich der Charakter eines ersten theologischen Fazits, der Abkelterung eines theologischen Gehalts, ja geradezu die Artikulation einer neuen Glaubenserfahrung zu. Insofern sich diese allenthalben mit Motiven der erneuerten und kurrenten philosophischen Lehren verbindet, wird jene Verschmelzung prominenter Diskurse erreicht, wie sie als ganz besonders typisch gerade für die späthumanistische intellektuelle Situation um 1600 anzusprechen ist. Wo immer man Zugang zu dem ›Trost-Gedichte‹ zu gewinnen sucht, erweist es sich als Zentral- und Schlüsseltext der Epoche. Folglich kann ihm nur eine auf das einzelne zielende Textanalyse gerecht werden. Sie fehlt uns bislang und könnte nur in einer umfänglicheren Monographie geleistet werden. Der folgende Versuch will nicht zuletzt als ein Prolegomenon zu einer solchen Lesung verstanden sein.
›Heroisch getichte‹ Drei Jahre nach Abfassung des ›Trost-Gedichte‹ hatte Opitz sein kleines kulturpolitisch-poetologisches Manifest hinausgehen lassen, etwas anspruchsvoll tituliert als ›Buch von der Deutschen Poeterey‹. Wir werden es des Näheren sogleich kennenlernen. Verglichen mit den späteren Kompendien kann es bestenfalls als ein Prodromus zu ihnen gelten. Vielleicht war ihm auch deshalb seine nachhaltige Wirkung beschieden. In unserem Zusammenhang ist auf den kleinen Text zurückzukommen, weil Opitz in ihm tatsächlich mehrfach aus seinem noch unpublizierten ›Trost-Gedichte‹ zitiert. Ihm war also daran gelegen, von seiner Existenz Kenntnis zu geben und Neugierde zu erwecken, auch wenn er aus den angedeuteten Gründen zunächst davon Abstand nahm, seine Arbeit als ganze vorzulegen. Der Text figuriert innerhalb der Gattungslehre des fünften Kapitels der Poetik. Sie ist den klassischen Lehrstücken der Rhetorik von der inventio und der dispositio integriert. ›Von der zuegehör der Deutschen Poesie/ vnd erstlich von der invention oder erfindung/ vnd Disposition oder abtheilung der dinge von denen wir schreiben wollen‹ lautet der Abschnitt.6 Die Brücke ist denkbar schlicht. Mit der ›erfindung‹ der dinge, wie sie ureigenstes Geschäft des Dichters sei, ginge die »einer füglichen vnd artigen ordnung« des Erfundenen zusammen. »Hier mußen wir vns besinnen/ in was für einem genere carminis vnd art der getichte (weil ein jegliches seine besondere zuegehör hat) wir zue schreiben willens sein.« Damit ist das Thema genera bereits erreicht. Es wird eröffnet mit der Einführung des von Opitz sog. ›Heroisch getichte‹. Wer da aber vermeinte, er erhielte einläßlichere Bestimmungen dieser Gattung geliefert, ––––––––– 6
Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu herausgegeben von Richard Alewyn. 2. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1966 (Neudrucke Deutscher Literaturwerke; 8), S. 17–24. Die folgenden Zitate am Eingang S. 17.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
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sieht sich enttäuscht. Ein Zusatz in Klammern reicht hin: »Ein Heroisch getichte (das gemeiniglich weitleufftig ist/ vnd von hohem wesen redet)«. Opitz weiß, daß er über den von ihm in diesem Kapitel gleich eingangs erwähnten Scaliger nicht herauskommen kann, der jedem Leser seiner Schrift bekannt ist. Der Verweis genügt. Immerhin sorgt die Kürze an dieser Stellung für eine Verwirrung, in die unser Text indirekt involviert ist. Opitz geht nämlich sogleich zu Anweisungen über, wie es dem pragmatischen Duktus seiner kleinen Schrift entspricht. Ein ›Heroisch getichte‹ hebe an mit einer Zusammenfassung »von seinem innhalte vnd der Proposition«. Demonstriert wird das anhand des Eingangs der bereits erwähnten ›Georgica‹ Vergils. Der Leser war darauf vorbereitet, über das Wesen des Epos belehrt zu werden. Tatsächlich erfolgt ein Rückgriff auf die Gattung des Lehrgedichts. Opitz scheint keinen Unterschied zwischen beiden zu machen. Das ist bemerkenswert. Die Dreistillehre plazierte das Epos gemäß der ›Rota Vergilii‹ auf der obersten Stufe, das Lehrgedicht auf der mittleren. Indem Opitz gleich das nächste Beispiel aus seinem »noch vnaußgemachten Trostgetichte in Wiederwertigkeit des Krieges« beibringt, läßt er es teilhaben an der aus der Vermischung herrührenden Konfusion der genera. Es changiert nicht nur zwischen geistlichem und weltlichem, sondern auch zwischen epischem und lehrhaftem Gedicht. Denn daran läßt der Kontext der Poetik keinen Zweifel, daß wir uns mit dem Passus zum ›Heroisch getichte‹ auf seiten des Epos befinden, wie durch die prominente Stellung am Eingang der Gattungslehre von vornherein wahrscheinlich und durch den direkten Fortgang mit der zweiten hohen Gattung, der Tragödie, bekräftigt. Tatsächlich bedient sich der Dichter der Exempel aus beiden Gattungen. Er zitiert neben Vergil und sich selbst aus Lukrez’ ›De rerum natura‹ und aus du Bartas’ ›La seconde semaine‹, also wiederum einem Lehrgedicht und einem epischen Text. Die theoretische Bestimmung der Gattung indes, welche sich anschließt, zielt eindeutig auf das Epos vom Typ Homers und Vergils. Die hier getroffenen Bestimmungen gelten nur für dieses, nicht für das Lehrgedicht. Ein Epos dieses Typs steht in Deutschland aus. Opitz weiß das. Er rechnet sein Werk ganz offensichtlich ihm nicht zu. Es ist der Zukunft vorbehalten. Ob aber bey vns Deutschen so bald jemand kommen möchte/ der sich eines volkommenen Heroischen werckes vnterstehen werde/ stehe ich sehr im zweifel/ vnnd bin nur der gedancken/ es sey leichtlicher zue wündschen als zue hoffen.7
Tatsächlich fehlt das klassische Epos im Opitzschen Gattungs-Repertoire. Auch übersetzend legte er kein Muster vor.
Prooemium Wir haben zum Text selbst zu greifen, immer noch auf der Spur nach einer Lösung des Rätsels der Gattung. Das Epos wird eröffnet durch das Prooemium. Opitz hatte in seiner ›Poeterey‹ nur die ersten vier Zeilen des ›Trost-Gedichtes‹ zitiert. Sie sind dem ––––––––– 7
Ebenda, S. 20.
Prooemium
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Vorwurf gewidmet, dem also, was er in der ›Poeterey‹ ›innhalte‹, ›Proposition‹ nannte. Sie bekräftigen, was Ergebnis unserer bisherigen Erkundungen war. DEs schweren Krieges Last/ den Deutschland jetzt empfindet/ Vnd daß GOTT nicht vmbsonst so hefftig angezündet Den Eyfer seiner Macht/ auch wo in solcher Pein Trost her zu holen ist/ sol mein Getichte seyn.8
Zwei große Themen sind Gegenstand des ›Trost-Gedichtes‹. Es greift das nationale Sujet auf, wie es der ureigenste Gegenstand des Epos ist, umgreift es jedoch in theologischer Deutungsperspektive, indem der Dichter den göttlichen Grund für das Geschehen wie die Heilmittel des Trostes inmitten des Unheils zum Thema des Gedichts erhebt. Der antike Themenkreis wird also gewahrt und zugleich überschritten, oder genauer: umformuliert. Denn der Gedanke göttlichen Hineinwirkens in den geschichtlichen Gang der Völker und speziell des griechischen bzw. römischen war dem antiken Epos gleichfalls selbstverständlich. Opitz also versetzt das antike Epos mit seinem nationalen Sujet in das nachantike christliche Zeitalter, indem er dessen religiöse Mitgift theologisch-monotheistisch umfunktioniert und den persönlichen Gott zugleich als Quelle des Trostes apostrophiert. Opitz weiß sich mit diesem Vorhaben als Begründer einer neuen Gattung weitreichender Dimensionen. Das Prooemium ist der Ort, an dem diese umkreist werden dürfen. Nicht die Musen mögen Beistand spenden. Gott selber möge dem Dichter die Kräfte für sein Geschäft leihen – neuerliche Umfunktionierung der antiken MusenAnrufung zugunsten des christlichen Vorstellungshorizontes. Gib meiner Zungen doch mit deiner Glut zu brennen/ Regiere meine Faust/ laß meine Jugend rennen Durch diese wüste Bahn/ durch dieses newe Feld/ Darauff noch keiner hat für mir den Fuß gestellt.9
Der humanistische Dichter ist in Selbstzuschreibungen noch nie zurückhaltend gewesen. Opitz verzichtet darauf, Vorgänger namhaft zu machen. Hätte er es gekonnt? Und worauf bezog sich der Anspruch, erster auf diesem ›neuen Feld‹, dieser ›wüsten‹, noch unkultivierten ›Bahn‹ zu sein? Der erste zu sein, der sich an diesem Vorwurf in deutscher Sprache versuchte, konnte ihm niemand streitig machen. Mit Opitz beginnt in der klassizistischen Poesie Deutschlands die Einholung des weltgeschichtlichen Dramas der neueren Religionskriege in das große weiträumige Alexandrinergedicht, dem unausweichlich sogleich epische Aspirationen anhaften. Sie finden durch den Opitzschen Selbstanspruch ihre Bekräftigung. Also beziehen sich die einleitenden Worte nicht nur auf die deutsche Sprache, die erstmals diesem Gegenstand sich gewachsen zeigen muß, sondern auf die Konstruktion der Gattung selbst als eine Antike und Moderne kontaminierende. Das Prooemium läßt die Geltung des Anspruchs auf eine bemerkenswerte Weise in der Schwebe. Ein Mal ist es der neue Stoff, der unter des Dichters Hand erstmals ––––––––– 8 9
Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), Buch I, Verse 1–4. Ebenda, Verse 9–12.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
366
Form und Statur erhält, einmal die deutsche Sprache, in der das Vorhaben sich realisiert. Der Dichter verläßt mit seinem Werk die Gattung der Liebesdichtung ebenso wie das an große Herren gerichtete Panegyrikon. Aber auch das epische Fabelwesen aller Couleur, hinabreichend bis in die jüngste Amadis-Produktion, wird verabschiedet. Zum Abschluß gebracht wird die kleine Reihe mit dem Vorsatz, nun schreiben zu wollen »wie man sich im Creutz’ auch frewen sol/ | Seyn Meister seiner selbst.«10 Das ist ersichtlich eine Verkürzung, die das Gedicht auf das Lehrgedicht beschränkt. Tatsächlich will der Dichter das Neue seiner Tat in der Versetzung der Musen vom Parnaß in sein Vaterland erblicken. Das Prooemium bezeugt das Unerhörte, welches hier ins Werk gesetzt wird und im folgenden verlauten soll, trefflich. Die Frage der Gattung bleibt wie in der Poetik eine offene. Werfen wir folglich einen Blick auf die Tradition, in die Opitz sich womöglich hätte stellen können.
Tradition Mit den Konfessionskriegen tritt auch die europäische Literatur in eine qualitativ neue Phase ein. Eine große vergleichende Untersuchung zur ›Bürgerkriegs-Literatur‹ oder auch nur einzelner ihrer Gattungen zwischen 1550 und 1650 steht aus. Die Bahnen der Tradition sind nur mühsam und jeweils Schritt für Schritt zu rekonstruieren. Dabei erweist es sich als folgenschwer, daß Italien ausnahmsweise musterprägend nicht vorangegangen war. Geschichtlicher Anlaß hätte sehr wohl bestanden. Die konfessionellen Bürgerkriege haben ein Vorspiel anderer Art, das sich für das betroffene Land gleichfalls als ein nationales Drama darstellte. Gemeint ist der Einfall der Franzosen und Spanier auf der Apennin-Halbinsel. Hier hätte der Stoff für ein Werk der hohen erzählenden Gattung gelegen. Der Erweis ist ex contrario zu erbringen.
Sannazaro Immer wieder ist zu erinnern, daß bukolische und epische Dichtung seit Vergil komplementäre Funktionen wahrnehmen. Die gemäß der ›Rota Vergilii‹ niedrigste und höchste Gattung sind durch ein auf Vergil selbst zurückgehendes System von Verstrebungen miteinander verklammert. Auch im niederen genus vermag der Dichter Höchstes zu sagen. Paradigma: Vergils vierte Ekloge. Daß daran auch in den neueren Literaturen festgehalten wird, zeigt einer ihrer Schlüsseltexte, dem eine angemessene Würdigung bislang nicht widerfahren ist: Jacopo Sannazaros ›Arcadia‹.11 ––––––––– 10 11
Ebenda, Verse 28 f. Es darf verwiesen werden auf Klaus Garber: Formen pastoralen Erzählens im frühneuzeitlichen Europa.- In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 10 (1985), S. 1– 22. Eingegangen in: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- München: Fink 2009, S. 303–322. Hier ein Abschnitt ›Das ›neue Arkadien‹ und der Untergang Neapels – Sannazaros ›Arcadia‹‹. Eine eingehende Interpretation im ersten Band des Arkadien-Werkes des Verfassers, das noch ungedruckt ist.
Calvinistisches Frankreich
367
Obgleich vor der Invasion seiner neapolitanisch-süditalienischen Heimat konzipiert, nimmt der Dichter in verschlüsselten enigmatischen Bildern der ausgebreiteten bukolischen Tier-Allegorik das Drama des Untergangs des neapolitanischen Königreichs der Aragonesen prophetisch vorweg. Besäßen wir eine Geschichte der europäischen Bukolik und speziell der europäischen Ekloge, so vermöchte gezeigt zu werden, wie die nachfolgenden Erschütterungen des 16. Jahrhunderts in Europa gerade in dieser Gattung bevorzugt verarbeitet würden. Ein Text von weltliterarischer Statur wie Spensers ›Shepheardes Calender‹ lebt von dieser lebendigen Tradition, wie sie auch in Deutschland ihre großen Repräsentanten besitzt.
Calvinistisches Frankreich Dies nur als kleine Reminiszenz im Blick auf eine von Italien aus inaugurierte Tradition. Sannazaro ist in der Ekloge Europas allgegenwärtig – und nicht nur in ihr. Ein vergleichbarer Archeget für das politische Epos im Zeitalter der Bürgerkriege fehlt. Folglich gibt es keine gefestigte Tradition. Die Führung im 16. Jahrhundert übernimmt Frankreich.12 Der Versuch Ronsards belegt, welch heroischer Anstrengungen es bedurfte, das genus grande in der neueren Zeit zu revitalisieren. Ronsard nahm sich – wie Petrarca – nochmals die Alten, Homer und Vergil, zum Vorbild. Das Epos der Bürgerkriege konnte von ihnen nur bedingt profitieren. Es mußte eigene Wege beschreiten, ging es doch nicht länger darum, den Weg sich formierender Nationen als vielmehr die Zerrüttung nationaler Strukturen in aktuellen Bürgerkriegen literarisch zu verarbeiten.13 Es ist wie in den Niederlanden, in England und in Deutschland so auch in Frankreich die von der Streitkultur und den politischen Energien des Calvinismus berührte literarische Intelligenz, die sich zum Vorreiter macht. Und wieder gilt die Feststellung im Blick auf eine den aktuellen Anforderungen so wenig genügende europäische Literaturwissenschaft, daß es an einer Geschichte der von der Zweiten Reformation berührten europäischen Literatur im fraglichen Zeitraum 1550–1650, dem Achsen-Jahrhundert zwischen Renaissance und Aufklärung, mangelt. ––––––––– 12
13
Unter dem hier verfolgten konfessionspolitischen Gesichtspunkt für Frankreich einschlägig: Jacques Pineaux: La poésie des protestants de langue française (1559–1598).- Paris: Klincksieck 1971 (Bibliothèque française et romane, série C: Etudes littéraires; 28). Vgl. auch Peter Burke: The Two Faces of Calvinism.- In: French Literature and its Background. Band I: The Sixteenth Century. Hrsg. von J. Cruickshank.- Oxford: University Press 1968, S. 47–62. In welchem Umfang die lateinische Epik des 17. Jahrhunderts von den Hugenottenkriegen geprägt ist, zeigte zuletzt instruktiv Ludwig Braun: Lateinische Epik im Frankreich des 17. Jahrhunderts.In: Neulateinisches Jahrbuch 1 (1999), S. 9–20. Zur parallelen Gattung des Trauerspiels vgl. Raymond Lebègue: La tragédie religieuse en France. Les débuts (1514–1573).- Paris: Champion 1929 (Bibliothèque littéraire de la Renaissance, nouvelle série, Tome XVII), insbesondere Buch III: Les tragédies bibliques écrites en français par les protestants, S. 289 ff. Als Spezialbeitrag Anne Neuschäfer: Théodore de Bèze und seine ›Tragédie Françoise‹ Abraham Sacrifiant. Ein hugenottischer Beitrag zur französischen Nationalliteratur.- In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1989 (Frühe Neuzeit; 1), S. 382– 403.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
368
Agrippa d’Aubigné und Guillaume Salluste, seigneur du Bartas, sind die Repräsentanten einer epischen Kultur aus dem Geist des Protestantismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich. Nur der letztere findet in der Poetik des Opitz Erwähnung.14 Seine Schöpfungsgeschichte ›La Sepmaine ou Création du Monde‹ (1578) hat bekanntlich den größten Epiker aus puritanischem Geist, hat Miltons ›Paradise Lost‹ inspiriert. Sein Ethos lebt auch bei Klopstock weiter. »Der Dichter nimmt die Mittlerstellung zwischen den Menschen und Gott ein, dessen Größe und Majestät er verkündet. Der humanistische poeta-vates-Gedanke der Pleiadengeneration bekommt bei du Bartas eine religiöse Sinnhaftigkeit von protestantischem Ernst.«15 Auch das machte ihn einem Verkünder der Würde und hohen Bestimmung des Poeten wie Opitz sympathisch. Dem gewaltigen Anspruch ist wie so häufig das Scheitern oder doch das Nichtvollenden beigesellt. Von den 28 Gesängen der zweiten ›Sepmaine‹ kamen nur 15 zustande. Das Geheimnis ihres Erfolgs unter den Zeitgenossen, ungeachtet ihres fragmentarischen Charakters, war den aktuellen Konnotationen des gewaltigen Epos von der Schöpfung geschuldet. Du Bartas verstand es, der Geschichte des jüdischen Volkes, seiner Leiden wie seiner welthistorischen Bestimmung die Leiden wie die Hoffnungen der französischen Nation einzuschreiben. Und dies aus einem patriotisch-protestantischen Ethos heraus, wie es sich auch in seiner politischen Lyrik kundtat. Wie Vergil seinem Augustus, so weissagte du Bartas seinem König Heinrich IV. eine große Zukunft als nationaler Heros und Friedensfürst einer wieder mit sich versöhnten Nation. Keinen Moment war es du Bartas zweifelhaft, daß die Hugenotten die gerechte Sache nach Gottes Willen auf ihrer Seite hatten. Das geeinte Frankreich war ein protestantisches. Es blieb ihm erspart, Heinrichs Herüberwechseln zur Gegenseite erleben und verarbeiten zu müssen. Das war dem etwas jüngeren und sehr viel länger lebenden Zeitgenossen Agrippa d’Aubigné aufgetragen.16 Auch er ist ein glühender Parteigänger der hugenottischen Sache. Seine ›Tragiques‹ nicht anders als seine ›Histoire Universelle‹ verdanken sich eingestandenerma––––––––– 14
15
16
Eine neue große Du Bartas-Monographie unter den hier angedeuteten Aspekten fehlt. Vgl. Kurt Reichenberger: Du Bartas und sein Schöpfungsepos.- München: Hueber 1962 (Münchner Romanistische Arbeiten; 17); Du Bartas. Poète encyclopédique du XVIe siècle. Hrsg. von James Dauphiné.- Lyon: La Manufacture 1988; ›La Sepmaine‹ de Guillaume de Salluste Du Bartas. Hrsg. von Simone Perrier.- Paris 1993 (Cahier Textuel; 13). Vgl. jetzt Violaine Giacomotto-Charra: La forme des choses. Poésie et savoirs dans ›La sepmaine‹ de Du Bartas.- Toulouse: Presses Univ. du Mirail 2009 (Cribles. Essais de littérature); ›La Sepmaine‹ de Du Bartas. Ses lecteurs et la science du temps. Hrsg. von Denis Bjaï.- Genf: Droz 2015 (Cahiers d’Humanisme et Renaissance). Walter Mönch: Frankreichs Literatur im XVI. Jahrhundert. Eine nationalpolitische Geistesgeschichte der französischen Renaissance.- Berlin: de Gruyter 1938 (Grundriss der romanischen Philologie. N.F. 1,5), S. 279. Vgl. die Untersuchung von Dagmar Stöferle: Agrippa d’Aubigné – Apokalyptik und Selbstschreibung.- München: Fink 2008. Aus der reichhaltigen Literatur sei verwiesen auf: Marguerite Soulié: L’inspiration biblique dans la poésie religieuse d’Agrippa d’Aubigné.- Paris: Klincksieck 1977; Marie-Madeleine Fragonard: La pensée religieuse d’Agrippa d’Aubigné et son expression.- Paris: Champion 2004; Elliott Forsyth: La Justice de Dieu. ›Les Tragiques‹ d’Agrippa d’Aubigné et la Réforme protestante en France au XVIe siècle.- Paris: Champion 2005; Frank Lestringant: Lire ›Les Tragiques‹ d’Agrippa d’Aubigné.- Paris: Classiques Garnier 2013 (Etudes et essais sur la Renaissance; 102).
Blick nach England und in die Niederlande
369
ßen einem religiösen Erweckungserlebnis, geknüpft an eine Vision des Siegs der calvinistischen Kirche. Ihr sucht er als Dichter gerecht zu werden. Dichten heißt für ihn, das Werk mit einem kämpferischen politischen Ethos zu imprägnieren. Wie alle von ihrer poetischen wie politischen Mission Überzeugten bekennt er sich zum furor poeticus als Quelle einer jeden großen Zeugung. Seine ›Tragiques‹ genügen diesem hohen Anspruch. Sie sind zu d e m maßgeblichen poetischen Zeugnis der französischen Bürgerkriege herangewachsen. Und sie blieben ein unerschöpflicher Fundus, wenn es um die Vergegenwärtigung der mit ihnen einhergehenden Greuel ging, vornehmlich solcher, die die Protestanten erleiden mußten. Wieder ist die heilige Zahl ›sieben‹ verbindlich für die Gliederung. Der erste titelgebende Gesang ›Misères‹ ist voll von Bildern der Grausamkeit. Die Nation steht vor dem Abgrund. Die Schuldzuweisungen sind eindeutig. Der Kardinal von Lothringen und Katharina von Medici haben das Elend des Vaterlands zu verantworten. In dem ›Princes‹ betitelten zweiten Gesang wird das schmähliche und schändliche Treiben bei Hof gegeißelt. Im dritten Gesang, der ›Chambre dorée‹, kommt die korrupte Rechtssprechung der Parlamente zur Sprache. ›Feux‹ ist den protestantischen Märtyrern Europas gewidmet – angefangen bei den böhmischen Hussiten. ›Fers‹ gilt den Verfolgten, deren militärische Macht nicht hinreicht, um sich gegen den überlegenen Gegner zu behaupten. ›Vengeances‹ erfleht den Zorn Gottes über die Feinde der protestantischen Sache. Und ›Jugement‹ schließlich weiß diese siegreich am Ende der Tage, wenn Gericht gehalten wird über die Sünder und die Erwählten in die Ewigkeit eingehen. Töne von Dantescher Gewalt werden vernehmbar. In einem Jubel, Frieden und ewige Freude verkündend, klingt das Werk aus. Wer, der den Opitzschen Text im Ohr hat, würde sich nicht immer wieder an das ›Trost-Gedichte‹ erinnert fühlen?
Blick nach England und in die Niederlande Englands größter epischer Text, Spensers ›Faerie Queen‹, war im Deutschland um 1600 nicht assimilierbar. Es fehlte an den gesellschaftlichen Voraussetzungen, wie sie um den Hof Elisabeths gegeben waren, der das geheime Kraftzentrum des Werkes bildete. Und Sidney, der andere große Epiker, der den heroischen Schäferroman zum Organon allegorisch verschlüsselter politischer Intervention zugunsten der Protestanten und ihrer Königin umformte, wurde erst später von Opitz in Deutschland heimisch gemacht.17 ––––––––– 17
Vgl. aus der reichen Literatur etwa David Norbrook: Poetry and Politics in the English Renaissance.- Oxford, New York: Oxford University Press 2002; John Pendergast: Religion, Allegory, and Literacy in Early Modern England. 1560–1640. The control of the word.- Aldershot, Burlington/VT: Ashgate 2006. – Zu Spenser sei hier nur verwiesen auf: Christopher Burlinson: Allegory, Space and the Material World in the Writings of Edmund Spenser.- Woodbridge/Suffolk, Rochester/NY: Brewer 2006 (Studies in Renaissance literature; 17). Zu Sidney vgl. etwa: John Webster: Sir Philip Sidney and the Poetics of Protestantism. A Study of Contexts.- Minneapolis: University of Minnesota Press 1978; Blair Worden: The Sound of Virtue. Philip Sidney’s ›Arcadia‹ and Elizabethan Politics.- New Haven/CT, London: Yale University Press 1996. Zum Kontext: Kenneth Borris: Allegory and Epic in English Renaissance Literature. Heroic Form in Sidney, Spenser and Milton.- Cambridge etc.: Cambridge Univ. Press 2000.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
370
Unmittelbar wirksam hingegen wurden die benachbarten Niederlande.18 In der Geburtsstunde der neueren deutschen Literatur kommt ihnen die entscheidende Rolle des Helfers zu. Hier gab es schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine berühmte satirische Literatur mit antikatholischer Tendenz. Marnix ›De Biënkorf der H. Roomsche Kerke‹ steht dafür vor allem ein. Daß er Fischarts Aufmerksamkeit fand, nimmt nicht Wunder, trafen sich doch zwei glühende Gegner katholischen und jesuitischen Wesens. Bis nach Beuthen war der Ruf des Textes gedrungen; wir haben davon gehört. Als die Niederlande dann siegreich aus einem mörderischen Kampf hervorgegangen waren, mehrten sich die Zeugnisse kämpferischer patriotischer Zeugnisse merklich. Heinsius wiederum ist jener der Texte zu verdanken, dem Opitz vermutlich die entscheidende Anregung für sein ›Trost-Gedichte‹ verdankte. Nimmt man hinzu, daß er bei seinem Aufenthalt auch bereits Kenntnis von einem anderen soeben entstehenden Text gewonnen hatte, den er später selbst (aus der lateinischen Version) übersetzen sollte, Grotius’ ›Bewys van den waren Godsdienst‹, so sind damit eine Reihe von Texten der neueren Literatur benannt, die man im Auge haben sollte, wenn man den textuellen Hintergrund markieren will, vor dem das ›Trost-Gedichte‹ zu sehen ist.
Heinsius’ ›De contemptu mortis‹ Wie den Deutschen blieb den Niederländern die Ausformung der politischen Epik versagt. Und wie in Deutschland ist die Ausformung dieses Typus mit dem Lehrgedicht verwoben bzw. in dieses verpuppt. Maßgebliches Zeugnis dafür in direkter zeitlicher Nachbarschaft zu Opitz ist Daniel Heinsius’ ›De contemptu mortis‹. Es erschien 1621, also in dem Jahr, da auch Opitz’ ›Trost-Gedichte‹ das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätte, wenn die politischen Umstände dies erlaubt hätten. Opitz kannte es mit Gewißheit, bevor er aus den Niederlanden in den hohen Norden aufbrach.19 Ins Auge springt zunächst die formale Verwandtschaft. Das Werk ist in vier Bücher eingeteilt – wie bei Opitz gewiß angeregt durch Vergil. Vor allem aber steht auch in dem Werk des Heinsius vor jedem der vier Bücher jeweils ein ›argumentum‹, das Inhalt und Skopus zusammenfaßt. Nicht übernommen hat Opitz hingegen das abschließende ›argumentum doctrinae‹, in dem der Dichter den Lehrgehalt nochmals systematisch in Prosa expliziert. In ihm und einem nachfolgenden Register, gebildet aus zentralen Argumenten und poetischen Exempeln, kommt der lehrhafte Charakter des Werkes am deutlichsten zur Geltung. Heinsius wollte sein Werk explizit als Unterweisung im rechten Umgang mit dem Tod verstanden wissen. Das war schon immer ein kardinales Thema gewesen. Also geht es um die zeittypische Spezifik. Sie prägt auf der einen Seite den poetisch artikulierten theologisch-philosophischen Lehrgehalt selbst. Heinsius ist wie Lipsius, wie Grotius und ungezählte andere durch die konfessionellen Kriege belehrt. Während sie ––––––––– 18 19
Wir verweisen zurück auf das vorangehende Kapitel und die daselbst aufgeführte Literatur. Wir verweisen nochmals auf: Barbara Becker-Cantarino: Daniel Heinsius’ ›De contemptu mortis‹ und Opitz’ ›Trostgedichte‹.- In: Opitz und seine Welt (Anm. 1), S. 37–56.
Paratexte
371
Lipsius zur Erneuerung der Philosophie der Stoa führen, zentriert um den Kardinalbegriff der constantia, Grotius zur Herausarbeitung des allen Bekenntnissen Gemeinsamen, wie sie einhergeht mit einem Bekenntnis zu wechselseitiger Duldung und Toleranz, setzt Heinsius auf eine Kontamination stoischer und platonischer Elemente. Das platonische Erbe »of man’s divine origin and destination leads to an almost optimistic acceptance and world outlook and provides the strength for his contempt for death.«20 Der Glaube an den persönlichen Gott lebt ungebrochen bei Heinsius fort. Er verbindet sich – wie wiederum das dritte Buch seines Gedichts beweist – mit einer glühenden Vaterlandsliebe, die einhergeht mit einer Geißelung des katholischen Aggressors. Die Niederlande waren ein Opfer dieser Unterdrückung. Jetzt möge Frieden herrschen. In dieser Hoffnung klingt das dritte Buch aus. Doch sie verbindet sich mit der im gleichen Buch offen artikulierten Aufforderung an Gustav II. Adolf, den Kriegsschauplatz in Polen zu verlassen und den bedrängten Protestanten im Westen gegen die Spanier beizustehen. Der Erasmische miles christianus ist in Heinsius’ Konzept der Niederländer, der sein bedrohtes Vaterland zu verteidigen und für die Unabhängigkeit von den Spaniern sein Leben in die Schanze zu schlagen bereit ist. Überwindung der Furcht vor dem Tode, eigentliches Thema des Buches, geleitet zur Vision des unerschrockenen Kämpfers für das Vaterland. Das metaphysische Lehrgedicht birgt politischen Zündstoff. Der aufgewühlte Geist der Bürgerkriege ergreift der Lehre gewidmete Gattungen, die dagegen resistent sein sollten. Damit dürfte angedeutet sein, wo Opitz sich ermutigt finden konnte bei seinem Experiment, die theologisch-philosophische consolatio-Tradition mit der aktuellen politischen Analyse und Parteinahme zu verbinden. Ihrer beider Verschmelzung verleiht seinem Lehrgedicht seine Authentizität und Zeitgenossenschaft, seine dem Krisenjahrhundert geschuldete Statur.
Paratexte Humanistische Texte sind von Paratexten umgeben. Ihnen kommt in der Regel eine zentrale Funktion auch hinsichtlich der Werkerschließung zu. Ihnen pflegen Signale eingearbeitet zu sein, die richtungsweisend für die Lesung zu werden vermögen. Diese Leseanweisungen sind gerade im Blick auf die hermetische Anlage gattungsgebundener Texte gar nicht zu überschätzen. Sie unterliegen auch ihrerseits Gattungskonventionen. Aber diese sind andere als die der jeweiligen Haupttexte. Dieser Hiat will textexegetisch genutzt sein. Wo über Haupt- und Begleittexte Korrespondenzen sich einstellen, darf ein besonderes Interesse des Autors vermutet werden. Hier werden Einsatzstellen markiert, die erste Orientierungen gewähren. Die bis in jüngste Zeit zu beobachtende Praxis, Widmungsadressen, Vorreden, Verlegerbeigaben anläßlich der Darbietung von Texten zu eliminieren, spricht jeder Erfahrung im Umgang mit humanistischen Texten Hohn. Und das nicht aus Gründen der Beschädigung einer nicht vorhandenen Organizität, ––––––––– 20
Bärbel Becker-Cantarino: Daniel Heinsius.- Boston: Twayne Publ. 1978 (Twayne’s World Authors Series; 477: The Netherlands), S. 103.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
372
sondern aus solchen durchgängig vorauszusetzender hermetisch-allegorischer Verweisung zwischen Haupttext und Beigaben. Das Opitzsche ›Trost-Gedichte‹ macht von dieser Regel keine Ausnahme. Schon der junge Opitz beobachtet ein höchst bewußtes und wohlkalkuliertes Szenario in der Plazierung von Widmungsadressen und anderweitigen Beigaben. Wir haben davon gehört. Im Fall des ›Trost-Gedichtes‹ kam der späte Zeitpunkt der Publikation hinzu. Erst mit der Veröffentlichung des ›Trost-Gedichtes‹ wurden auch Zugaben bekannt. Sie rühren aus den frühen dreißiger und nicht aus den frühen zwanziger Jahren. Opitz mußte wissen, daß er mit dem ›Trost-Gedichte‹ einen seiner großen Texte zur Publikation bringen würde und daß es nicht allzu viele weitere Gelegenheiten für die Präsentation eines episch strukturierten Textes geben würde. In dieser Optik überrascht die Wahl des Adressaten. Sie ist charakteristisch und wiederum sehr sprechend. Aber sie hat nicht den Charakter des Spektakulären. Wer einen gezielten Bogenschlag zu den Repräsentanten seiner Heimat erwartete, sieht sich enttäuscht. Es scheint auf deutscher Seite keine Persönlichkeit in Sicht, die eine Widmung dieses durch und durch national imprägnierten Textes hätte auf sich ziehen können. Ein Königtum wie in der Romania oder auch in England hier, Polen und Ungarn dort vermochte einem Text dieser Statur mit eindeutiger theologischer Ausrichtung keinen Schutz und Schirm zu bieten. Opitz also nutzte wie so häufig in seinem Leben die Huldigung, um einer freundschaftlichen Verbindung zu einer hochgestellten Persönlichkeit ein Denkmal zu setzen. Wir werden uns an späterer Stelle ausführlich mit der Widmung aus dem Jahr 1633 beschäftigen.21 Hier geht es um das Gedicht aus den frühen zwanziger Jahren.22
Krieg; Bürgerkrieg; Nation Eröffnet wird das ›Trost-Gedichte‹ mit dem Ausbruch des Krieges in Böhmen. Zeitgeschehen wird so unmittelbar wie in keinem Opitzschen Werk sonst zum Vorwurf der Darstellung. Noch bevor die Schilderung einsetzt, ist eines klar: Das Ungeheure liegt darin, daß dieser Krieg nicht einer der Nation mit einer fremden ist, sondern daß er auch einer unter Deutschen ist. [...] Wir haben viel erlidten/ Mit andern vnd mit vns selbst vnter vns gestritten.23
Was einleitend dezent anklingt, wird orchestrale Entfaltung im folgenden erfahren. Wie für du Bartas und d’Aubigné Frankreich, wie für Marnix und Heinsius die Niederlande, so stellt für Opitz und seine Heidelberger Freunde Deutschland die Krone der Nationen dar. Seit Dante ist das Lob der Nation im Umkreis des Humanismus laut geworden. Opitzens Stimme gehört ihm als eine gediegene zu. Daher die Verzweiflung, rückverweisend bis auf Dante und Petrarca, daß die Nation die Schmach zu er––––––––– 21 22 23
Vgl. unten Kapitel 19, S. 687 ff. Wir verweisen zurück auf die in Anm. 1 zitierte Literatur. Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), Buch I, Verse 57 f.
Krieg; Bürgerkrieg; Nation
373
leiden hat, in Zwist und Hader verfallen zu sein. Wenn etwas den Haß auf den von den Konfessionen ausgehenden Brand schürt, so ist es der Blick auf das einst stolze und nun gedemütigte Vaterland. Es muß erleiden, daß die Feinde von außen in die Heimat eindringen. Viel verhängnisvoller aber bleibt, daß die Glieder der einen Nation auseinandergerissen werden. Das edle Deutsche Land/ mit vnerschöpfften Gaben Von GOtt vnd der Natur auff Erden hoch erhaben/ Dem niemand vor der Zeit an Krieges-Thaten gleich’/ Vnd das viel Jahre her an Friedens-Künsten reich In voller Blühte stund/ ward/ vnd ist auch noch heute/ Sein Widerpart selbselbst/ vnd frembder Völcker Beute.24
Opitz hat die Schrecken des Krieges in einer Drastik vergegenwärtigt, die den Dichter wiederholt in helles Entsetzen ausbrechen ließ und zum Einhalten nötigte. Dieser Stilzug nötigt als kalkulierte Unterbrechung aber auch den Leser innezuhalten, Atem zu schöpfen und sich zu sammeln angesichts der Deutung des Geschehens, die er nach Präsentation so unerhörter Geschehnisse erwarten darf – und geboten bekommt. Die Bilder sind vielfach nicht Opitzens Schöpfung, sondern entstammen der Tradition. Unter den Neueren dürfte d’Aubigné die wichtigste Quelle der Inspiration darstellen. Das tut ihrer Gewalt keinen Abbruch. Sie stehen singulär da am Eingang zur deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Und sie konnten fortan nicht mehr überboten werden. Das alleine sollte genügen, um die Rede von einem in der Mitte des Jahrhunderts einsetzenden Literatur-Barock zum Verstummen zu bringen. Auf der Stilebene ist das Barock-Problem nicht zu lösen. ›Barocker‹ als in manchen Passagen des ›TrostGedichte‹ geht es das ganze 17. Jahrhundert nicht mehr. Es ist das Krisenjahrhundert des Späthumanismus, das diesen Bildern ihren Stempel aufdrückt. Sie gehören dem genus grande an und vertreten die seit Homer obligatorischen Schlachten-Szenen im gerafften und gedrungenen Stil des Lehrgedichts mit epischer Aspiration. Sie gehorchen dem Topos der ›verkehrten Welt‹. Das Unterste ist nach oben gekehrt. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Alle Ordnungen sind zerstoben. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Endzeitliche Bilder stellen sich ein. Der ferne Tag des Schreckens, nein, des Untergangs, ist unmittelbare Gegenwart bzw. jüngste Vergangenheit. In den großen Texten des Späthumanismus ist Zeiterfahrung in einer Authentizität gestaltet wie nur selten in der Geschichte der europäischen Literatur. Das Unerhörte des Erfahrenen brach in die großen Texte ein und sicherte ihnen ein Leben über die Zeiten hinweg. Das Volck ist hin vnd her geflohn mit hellem hauffen/ Die Töchter sind bey Nacht auff Berge zugelauffen/ Schon halb für Schrecken todt/ die Mutter hat die Zeit/ In der sie einen Mann erkandt/ vermaledeyt.25
Die Schöpfung selbst erscheint in ihren Gesetzen sistiert. Darum ist es kein Zufall, sondern entspringt neuerlich genauer poetischer Kalkulation, wenn auf der Gegenseite ––––––––– 24 25
Ebenda, Verse 61–66. Ebenda, Verse 109–112.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
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Bilder paradiesischer Unschuld stehen. Sie markieren das Einst, sind solche des göttlichen Ursprungs der Schöpfung und kontrastieren dem Frevel, der ihr als göttlicher widerfährt. Die bäurische und die schäferliche Welt – Anklang an die ›Bucolica‹ und ›Georgica‹ Vergils, des größten Dichters der Bürgerkriege – steht für ihre Unversehrtheit, die nun im Krieg dahin ist. Was hilfft es/ daß jetzund die Wiesen grüne werden/ Vnd daß der weisse Stier entdeckt die Schoß der Erden Mit seiner Hörner Krafft/ daß aller Platz der Welt Wie newgeboren wird? Das Feld steht ohne Feld/ Der Acker fraget nun nach keinem grossen bawen/ Mit Leichen zugesäet; er fragt nach keinem tawen/ Nach keinem düngen nicht: Was sonst der Regen thut/ Wird jetzt genung gethan durch feistes Menschen-Blut.26
Der entfachte Feuerbrand ist nur in theologischen Kategorien und Bildern in seiner ganzen Wucht und Tiefe zu fassen. Darum ist die Frage nach dem Verursacher eine so dringliche, ja unabweisbare, so vorsichtig sie auch in das Gewebe des Textes eingewirkt sein will.
Tyrann und Tyrannei Wie also sieht das Bild des Aggressors aus? Er trägt die Züge des Tyrannen, wie sie dem Zeitalter vor allem aus dem Theater bekannt waren. Einen ärgeren Feind hat die Welt bislang nicht gesehen als den, der nun sich anschickt, das deutsche Land zu zerrütten. Er ist Handlanger Der ärgsten Wüterey/ so/ seit die Welt erbawt Von GOtt gestanden ist/ die Sonne hat geschawt.27
Von ›Bestien‹ ist da die Rede, die sich nicht scheuen, jedermann jeden Standes abzuschlachten.28 Wie aber ist er zu identifizieren? Den Rhein ist er heraufgezogen und hat den edlen Fluß mit Blut getränkt. Statt der Weinreben steht nun »Das grosse Kriegesheer der scheußlichen Maranen | An seinem Vfer«.29 Die Christen, aus deren Mitte heraus die Aggression und die Tyrannei erwächst, sind Spanier. Sie müssen und dürfen nach der ganzen Stoßrichtung des Textes als die für das Unheil Verantwortlichen namhaft gemacht werden. Den Statthaltern der Gegenreformation wird die Schuld aufgebürdet, daran läßt der Text keinen Zweifel, und das natürlich ist der Grund, warum er in der Schublade verbleiben mußte, solange wie die Spanier und ihre Verbündeten im Vormarsch waren. Die Heiden, so der Dichter, haben solche Grausamkeit nicht unter sich wüten sehen. ––––––––– 26 27 28 29
Ebenda, Verse 73–80. Ebenda, Verse 143 f. Ebenda, vgl. Verse 145–148. Ebenda, Verse 249 f.
Geschichte
375
Was jhr noch nicht gethan das thut die Christenheit. Wo solcher Mensch auch kan den Christen-Namen haben.30
Die Tyrannis hat sich inmitten der Christenheit eingenistet. Es ist diese Ungeheuerlichkeit, die den Dichter beschäftigt, auf die er zu wiederholten Malen zurückkommt, und die natürlich seine Theologie nicht unberührt läßt. Hellsichtig gewahrt er, daß die von Christen ausgelöste und zu verantwortende Metzelei dem Glauben seine Anhänger raubt, den Weg in die Gottlosigkeit befördert. Zugleich – auch das will wahrgenommen sein – bezeichnet das vom Aggressor in das Land getragene himmelschreiende Unrecht eine geschichtliche Zäsur. »Die alte Deutsche Trew hat sich hinweg verlohren«.31 Die Moderne hat Einzug gehalten im Land, das nicht nur sein physisches, sondern auch sein moralisches Gesicht verloren hat. An späterer Stelle anläßlich der Hugenottenkriege kommt der Dichter auf die Physiognomie des Tyrannen zurück. Nun wird er auch namentlich identifiziert. Karl IX. ist verantwortlich für das Blutbad und die unsäglichen Greuel. Der Preis? Er ist zumal aus der großen Trauerspiel-Literatur bekannt. Die Furien des bösen Gewissens bemächtigen sich seiner, plagen ihn mit Bildern des Schreckens, verfolgen ihn in die Träume, zerrütten sein Selbst, noch bevor das letzte Gericht über den Verworfenen heraufzieht. Es bleibet einmal wahr: Gewalt vnd Tyranney Sind auch noch auff der Welt nicht jhrer Straffe frey. Sie tragen für vnd für den Hencker in dem Hertzen/ Der beißt vnd naget sie/ der lescht die Marter-Kertzen Nicht aus zu Tag vnd Nacht/ [...].32
Genügend Beispiele aus der Antike können aufgerufen werden. Jetzt aber in der christlichen Ära »scheußt GOtt den harten Pfeil | Der gar zu tieff verletzt/ an dem man nicht wird heil.«33
Geschichte Auch das Lehrgedicht hat teil an dem epischen Ausgriff in die Geschichte, darin seine Mittelstellung zwischen beiden Gattungen erneut bekräftigend. Es galt, den Vergleich zwischen einstigem und heutigem Zustand der Welt in das Werk einzuführen. Das geschieht nicht interesselos, sondern über eine figurale historische Linienführung. Im Untergang des letzten und mächtigsten Weltreichs des Altertums ist auch der des mächtigsten der Gegenwart bedeutet. Wie nur im Spanien der Gegenwart ging im Römischen Weltreich die Sonne auf und unter. Was aber ist aus ihm geworden, nachdem der Verfall eingesetzt hatte, der Abfall von den Sitten der Alten einmal vollzogen war? Die Grenzscheide wird durch den Übergang zum Prinzipat bezeichnet. Caesars ––––––––– 30 31 32 33
Ebenda, Verse 168 f. Ebenda, Vers 201. Ebenda, Buch III, Verse 159–163. Ebenda, Verse 171 f.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
376
Aufstieg wird in direkten Kontakt zum Einbruch der Laster in die mächtige Weltstadt gebracht. Dem Text ist tatsächlich ein unüberhörbares Lob der Republik und eine Absage an die unkontrollierte Einmann-Herrschaft eingeschrieben. Sind wir befugt, die Parallele zu Spanien und der jungen Republik der Niederlande zu ziehen? Es gehört zu den Signaturen der großen Texte aus dem Umkreis des Humanismus, daß sie seit Petrarca der allegorischen Lesung sich nur selten versagen. Sie setzen auf die Befähigung des Lesers zu einer Form der Lektüre, der Gewahrung von Analogien, welche eine wie selbstverständlich vollzogene Praxis blieb. Und der Dichter ermutigt zu ihr am Ende jener gewaltigen Passage, die in ihrer Kühnheit und Radikalität keine Parallele in seinem Werk hat – und gewiß nur wenige in der Literatur des 17. Jahrhunderts. Es hieß nur alles Rom/ es gieng in jhrem Reiche Zu Abend in die See der gülden Sonnen Lauff/ Vnd stund zu Morgen auch in jhrer Herrschafft auff. Was nun die grosse Stadt durch Schweiß vnd Blut erworben/ Das ist hernach durch Glück vnd Wollust gantz verdorben. [...] Da durffte Marius vnd Cinna sich erregen/ Da durffte Cesar Rom zu seinen Füssen legen: Die Stadt so alles zwang/ so allzeit vnverzagt/ Ward durch den Ehrgeitz zahm/ ward jhres Bürgers Magd. Die Stadt die aller Welt für diesem vorgeschrieben Vollbrachte was hernach jhm einer ließ belieben. Es halff kein Cicero/ noch tausend Zungen Schar; Es halff kein Cato zu/ wie sawer er auch war. Die Freyheit gieng nur fort: Nun dieser wird erstochen/ Bezahlet mit der Haut; nicht aber vngerochen: Octavius wacht auff/ vnd nimbt sich seiner an/ Macht was noch ledig ist jhm vollend vnterthan. Da ward kein Scipio/ kein Fabius gehöret/ Kein Bürgermeister mehr noch Rathesherr geehret. Da war kein Cassius/ kein Brutus in der Stadt/ Der feindlicher Gewalt frey vnter Augen trat. An Tugend stat kam Mord/ Neid/ List vnd Hofepossen; [...] Diß thut der Vberfluß. Was wil man aber sagen Von Sachen welche sich mit Heyden zugetragen? Ob billich wol ein Christ jhm diese gantze Welt Vnd aller Völcker Heer für seinen Spiegel helt.34
Der Passus gehört hinein in das wiederum große, aber ungeschriebene Kapitel der Nachrufe auf das republikanische Rom im europäischen Humanismus, wie es anhebt mit Petrarca und Rienzo und sich erstreckt bis in die Tage Herders, Schillers und der französischen Revolutionäre. Opitz, der seinem Jahrhundert vorlebte, wie das Bündnis mit dem Regenten zu suchen sei und seine gesamte Widmungspolitik diesem Ziel anpaßte, war mit dem republikanischen Flügel des Humanismus sehr wohl in der Lage, sich zum Fürsprecher der Vorzüge Roms bis an die Schwelle Caesars aufzuwerfen. ––––––––– 34
Ebenda, Buch I, Verse 350–354, 361–377, 393–396.
Freiheit
377
Hier geht es um einen spezifischen Zug. Unter den Händen des einen Tyrannen versinken nicht nur die wohlaustarierten senatorischen und konsularischen Funktionen. Auch die Religion leidet Schaden angesichts der totalen Veräußerlichung des Lebens. Diese tut sich in der Jagd nach Reichtum kund, die auch räumlich keine Grenzen kennt, den Erdball umgreift. Man sieht, die Analogie trägt nur partiell. Übermäßigen Luxus wird man dem spanischen Hof der Gegenreformation schwerlich nachsagen können. Der Vergleich macht sich an den Auswüchsen der Einmannherrschaft fest. Sie ist hier wie da weltumspannend und basiert auf der Ausplünderung ganzer Kontinente. Das Ziel der Kritik ist neuerlich dem Bild anvertraut, mit dem der geschichtliche Exkurs endet. Der moderne Nachfahre der römischen Kaiser, ein Christ, hält ›aller Völcker Heer für seinen Spiegel‹, will sagen, modelt es nach seinem Willen. Das ist die religionspolitische Konsequenz aus dem Ausflug in die Geschichte. Wo Alleinherrschaft praktiziert wird, hat die Vielgestaltigkeit des Glaubens keine Chance. Die Tyrannis erstreckt sich auch auf dasjenige, was seinem Wesen nach sich des Eingriffs und der Modelung durch fremde Mächte entzieht. Spanien, das die Freiheit weit mehr knebelt als die römischen Kaiser, agiert schändlicher als die Heiden es je vermocht hätten. Das ist der Skopus, auf den das geschichtliche Paradigma zuläuft.
Freiheit Tyrannis ist bestimmt durch Eliminierung der Freiheit. Das wurde am Paradigma Rom deutlich. In der christlichen Ära wandelt sich dieses. Unterdrückung von Freiheit meint nun, Verweigerung der Wahl des je eigenen Glaubens. Dieses Problem gelangt massiv erst mit der Konfessionalisierung auf die Tagesordnung. Tyrannis ist durch Glaubenszwang und Glaubensunterdrückung gekennzeichnet. Opitz’ Werk hat politisch wie theologisch sein Zentrum im Einklagen von Freiheit. Der Rom-Passus hatte den Untergang der bürgerlich-republikanischen Rechte und Institutionen in der Kaiserzeit gegeißelt. Diese Linie wird in der neueren Zeit nicht bzw. nur indirekt weitergeführt. Es geht um die Behauptung der Glaubensrechte der je einzelnen und damit um das friedliche Nebeneinander heterogener Bekenntnisse. Der Glaube ist ein selbstgewählter, selbstverantworteter. Er kann eben deshalb nicht verordnet und von oben reguliert werden. Er ist ein inneres Gut, das keine Verletzung duldet. Darum legt der Gedanke sich nahe, daß bei Zuwiderhandlung gegen dieses Grundgesetz, diese magna charta des Glaubens, andere denn religiöse Motive im Spiel sind. Es gehört zu der unerhörten Modernität auch des ›Trost-Gedichtes‹, daß es mehr als ein halbes Jahrhundert nach Einsatz der Glaubenskriege bereits einen massiven Ideologieverdacht zu artikulieren vermag. Wir müssen lassen sehn gantz richtig/ klar vnd frey Daß die Religion kein Räubermantel sey/ Kein falscher Vmbhang nicht.35
––––––––– 35
Ebenda, Verse 459–461.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
378
Religion ist kein Alibi für säkulare machtpolitische und expansorische Zwecke. Wo legitimer Kampf in ihrem Umkreis zu gewahren ist, da gewaltloser um des wahren Glaubens wegen. Das ›Trost-Gedichte‹ erlaubt eine Lesung, derzufolge der Tyrann, der identifiziert wurde, sich aus der Wertegemeinschaft der Christenheit verabschiedet hat, weil er andere denn religiöse Ziele verfolgt. Das ist die Konsequenz aus der unzweideutig und wiederholt bekräftigten Überzeugung, daß Glauben frei gewählte und Gottesdienst frei ausgeübte Praxis ist. Wer dagegen verstößt, verfolgt jedenfalls andere Zwecke. In diesem Kontext formt sich als Antwort auf die Glaubenskrise, wie sie die Konfessionalisierung mit sich führt, eine Verinnerlichung des Glaubens heraus, für die das ›Trost-Gedichte‹ ein maßgeblicher Zeuge am Eingang des neuen Jahrhunderts ist.
Theologie Wie antwortet der Dichter auf das Unheil? Er bedient sich auf der einen Seite der im Umlauf befindlichen Wendungen. An erster Stelle ist das Argument der gerechten Strafe Gottes zur Hand, das das gesamte Jahrhundert über weiterhin bemüht wird. Gottes Allmacht ist unbegrenzt. Auf ihn ist alles, was geschieht, zurückzuführen. Also auch die jetzige Heimsuchung. Von gleich topischer Natur ist der Rekurs auf die Verdorbenheit des gegenwärtigen Geschlechts, das den Zorn ganz nach alttestamentarischer Manier zwangsläufig auf sich zieht. Alle sind mit Sünden befleckt, alle damit Urheber der Katastrophe. Es ist ersichtlich, daß dieses Argument nicht umstandslos mit der Namhaftmachung des Aggressors in Einklang zu bringen ist. Die relative Autonomie geprägter Topoi schlägt hier durch. Aber doch nicht nur dies. Es gehört zur durchgängigen Strategie des politischen Dichters, der sein Geschäft versteht, Einseitigkeiten wieder auszubalancieren, um sich jederzeit salvieren zu können. Wir möchten der Arme-SünderFormel auch diese strategische Funktion einräumen. Ponderierung, Austarierung von geprägten Textsegmenten, ist entsprechend die wichtigste Aufgabe des Exegeten. Sie setzt geschichtliche Situierung voraus, wenn anders sie nicht schlecht dezisionistisch daherkommen soll. Zurückkehrend zur theologischen Explikation artikuliert Opitz die Gewißheit, daß Gottes Zorn ein befristeter ist, seine Güte wieder hervortreten wird. Väterliche Liebe, so die Lehre, bekundet sich auch im Strafen. Not und Trübsal sind das Schicksal der Kirche seit eh und je. Solchen Versicherungen ist kein spezifischer dichterischer Gehalt eigen, eher hingegen schon der Beobachtung, daß er dem Erwählungs-Dogma keinen Eingang gewährt. Vor allem aber ist zu beachten, daß auch in die theologischen Passagen die Motivik der Tyrannei eindringt. Das ›schöne Land‹ ist »Des Feindes Tyranney gegeben in die Hand.«36 Mit solchen Einsprengseln wird die soeben statuierte Egalität der Sünder mit einem Strich wieder relativiert. Und das kalkuliert. Gottes Zorn trifft die einen als Täter, die anderen als Opfer. Es ist nach dem Vorherigen kein Zweifel, wie die Verteilung der Rollen erfolgt. ––––––––– 36
Ebenda, Verse 287 f.
Theologie
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In diesem Zusammenhang ist auf das Spezifische der Glaubenserfahrung zurückzukommen und diese nun zu vertiefen. Sie artikuliert sich im Anschluß an das Davidische Paradigma besonders eindringlich. »So heisset Nothdurfft beten«; »So heisset Vnglück vns für GOttes Augen treten«. So das consolatio-Argument. »Die Widerwertigkeit | Sol wie ein Fechtplan seyn«37, hatte es da geheißen. Das aber gilt nun auch für die Kirche. Sie hat immer in Unterdrückung gelebt. Keiner Tyrannei ist es bislang gelungen, Gott von ›seinem Volk‹ zu scheiden. Widerstand im geistlichen Bereich zu üben heißt, das Bekenntnis, den eigenen Glauben sich auch um den Preis des Todes nicht abhandeln zu lassen. Das ›Trost-Gedichte‹ hat intensiv Anteil an der MärtyrerTheologie. Zu ihr gehört die Überzeugung, daß der Tyrann dem Glauben nichts anhaben kann. Das aber gilt nur, wenn er nicht an äußeren Symbolen und institutionellen Formen der Praktizierung haftet. Damit wird der theologische Grund, in dem auch das ›Trost-Gedichte‹ wurzelt, offenbar. Es ist, um es mit einem der Entfaltung bedürftigen Schlagwort zu sagen, eine postkonfessionelle Gestalt des Glaubens, die an den einschlägigen Stellen sichtbar wird. Dem Glauben ist durch Gewalt nichts anzuhaben. Er ist aber durch Gewalt auch nicht zu erzwingen. Sein Wesen ist umschrieben durch die Trias Freiheit, Praxis, Toleranz – alle drei fundiert in einer unantastbaren Sphäre absoluter Innerlichkeit. Es ist ja nichts so frey/ nichts also vngedrungen Als wol der Gottesdienst: so bald er wird erzwungen/ So ist er nur ein Schein/ ein holer falscher Thon. Gut von sich selber thun das heist Religion/ Das ist GOtt angenehm. Laßt Ketzer Ketzer bleiben/ Vnd gleubet jhr für euch: Begehrt sie nicht zu treiben. Geheissen willig seyn ist plötzlich vmbgewandt/ Trew die aus Furchte kömpt hat mißlichen Bestand. Ein Mensch kan seinen Sinn wol für den andern schliessen; Der Glauben liget tieff. GOtt kennet die Gewissen/ Sucht alle Nieren durch/ siht aller Hertzen Raht/ Vnd weis was ich vnd du/ vnd der verschuldet hat.38
Schon im ersten Buch seines ›Trost-Gedichtes‹ formuliert der Dichter ein nicht mehr überbietbares Bekenntnis. Es kann im folgenden weiter entfaltet, prinzipiell aber nicht mehr um wesentliche neue Bestimmungen bereichert werden. Folglich bleiben die Versuche, eine sukzessive Klimax dem Werk zu unterstellen, verfehlt. Es lebt von dem immer erneuten Einsatz und damit der Vielfalt wie der Variation sich darbietender Aspekte. Der Angriff des (katholischen) Aggressors prallt ab an der Unerschütterlichkeit des (protestantischen) Glaubens. An dieser Stelle ist die Fernwirkung der Lutherischen Revolution bis in die späthumanistische intellektuelle Vorhut hinein am deutlichsten. Die Absage an die rituellen Praktiken raubt dem Gegner die Einsatzstellen für einen Angriff. Der Glaube läßt sich unter allen denkbaren Umständen praktizieren; er ist unabhängig von Raum und Zeit. Genau das war Luthers Erfahrung und insonderheit die in seiner Frühzeit. Sie erwirkt eine unerhörte Freiheit im Raum der ––––––––– 37 38
Ebenda, Verse 417 f., 423 f. Ebenda, Verse 465–476.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
380
Politik und ihrer Machinationen. Eroberungen können im Felde der Bekenntnisse getätigt werden, nicht aber auf dem des Glaubens. Daher bangt der Dichter mit seinen Gesinnungsgenossen um die Nation, die nicht dem Aggressor anheimfallen soll, nicht jedoch in letzter Instanz um das Fortleben des rechten Glaubens. Das ›Trost-Gedichte‹ gewinnt seinen Grund zum kraftspendenden Trost also aus der ihm inhärenten Glaubens-Figur selbst. Er bewährt sich als ein allein dem Glauben geschuldeter. An dieser Stelle wird die Aufklärung einsetzen und das Gemeinsame der diversen christlichen Ausprägungen des Glaubens finden. Sie ist bei Opitz geknüpft an die Überzeugung, daß der Glaube ›tieff liget‹. Das ist alles andere als eine Metapher. Es ist wiederum Kernsubstanz des Werkgehalts, wie ein Passus an viel späterer Stelle bekräftigt. An der hiesigen, zum Abschluß des ersten Buches, gleitet der Gedanke herüber zu Christus als ›imago‹ wahren Seins aus der unerschütterlichen Tiefe des Glaubens heraus. Auch an der Restauration der beispielgebenden Gestalt der ursprünglichen und urchristlichen Prägung in der Nachfolge des Erasmus arbeitet der Dichter also mit – darin gleichfalls ein Widerpart zu katholischer Lehre und Praxis.
Consolatio Expliziter Zweck des Werkes ist es, Trostgründe inmitten des Unheils beizubringen. Alle vier Bücher tragen bei zu diesem Ziel. Dies allerdings in verschiedener Intensität. Im ersten Buch sind es die Gestalten Davids und Jesu, die der Dichter aufruft, um Figuren zu erinnern, die das genaue Gegenteil zur herrschenden Wüterei verkörpern. Als solche vermögen sie eine Quelle des Trostes zu sein. König David, der von der Sünde sich Abwendende und zu Gott und zum gerechten Königtum Zurückfindende, steht dafür ein. Inmitten der Kritik des Caesarismus – dem alten römischen und – verkappt – dem modernen spanischen – hält Opitz ihm eine in das Alte Testament führende Alternative entgegen. ›Gebet vnd Andacht‹ sind Davids Antwort, als Gott ihn wegen ›Mordt vnd schnöder Vnzucht‹ straft. Sein ›guter Geist‹ möge den armen Sünder ›trösten für vnd für‹. Das ist die Reaktion des wahrhaft Gläubigen auf Zucht und Strafe für begangenes Vergehen. Die Not, so der Humanist, lehre beten, nicht aber Zeiten des Glücks, ›wann alles grünt vnd blüht‹. [...] Die Widerwertigkeit Sol wie ein Fechtplan seyn/ vnd wie ein steter Streit In welchem GOtt vns zeigt/ wie vnd mit was für Wegen Vns müglich sey die Macht der Sünden zu erlegen/ Wie wir der Seelen Feind bestehen nach Gebür/ Vnd kommen dann mit Ruhm/ Ehr vnd Triumph herfür.39
Dem Bild korrespondiert jenes das erste Buch abschließende, wie es aus dem Neuen Testament gewonnen wird. Die Menschen, so das Motto, sollen ihre Not so tragen, wie Christus sie trug.40 Das Werk kennt durchaus also auch eine Christologie. Chri––––––––– 39 40
Ebenda, Verse 399 f., 416 f., 420, 423–428. Ebenda, vgl. Vers 479.
Consolatio
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stus erduldet den Zorn Gottes um der Erlösung der Menschheit willen, für die der Weltenlenker Menschengestalt annahm. Diesen soteriologischen Lehrgehalt formuliert der Dichter durchaus. Indem Christus das tiefste Tal des Leidens durchschreitet, sich nicht auflehnt, den von Gott gewiesenen Pfad befolgt, vermag er Gnade für das menschliche Geschlecht zu erwirken. Ebenso wichtig aber bleibt ein anderer Aspekt. Jesus ist nicht der ganz andere. Er ist die Inkarnation dessen, was einem jeden Menschen, der in seinem Namen sich bekennt, aufgetragen ist. Er hat, um es zu wiederholen, den Charakter einer ›imago‹. Wer Christus Ebenbild zu werden nicht begehrt/ Wer jhm nicht folgen wil ist seiner auch nicht werth.41
Der Gang des wahren Christen durch die Welt gleicht dem der Kirche, deren Bestimmung gleichfalls ›ist dulden hier auff Erden‹.42 Der Acker, auf dem sie steht, ist erfüllt vom Blut der Frommen. Das war in der Urzeit so. Das setzt sich inmitten des christlichen Äon fort – und drastischer nie als in der jüngsten Zeit. Gibt es Trost, so den, daß Gott ›sein Volck‹ erhören und nicht fallen lassen wird.43 Diejenigen, die des rechten Glaubens sind, wissen sich des göttlichen Beistands gewiß. In diesem Sinn kommt dem ›Trost-Gedichte‹ auch die Aufgabe zu, die Geängstigten und Bedrängten zu sammeln und zu ermutigen. Daß diese Ermutigung den geistlichen Bereich durchaus überschreitet, gehört zur Physiognomie des polito-theologischen Werks. Der Dichter ist weit entfernt davon, nur eine nach innen gerichtete Verarbeitung des weltgeschichtlichen Dramas vorzunehmen, womöglich gar in Quietismus zu verfallen. Der gläubigen Hinnahme und demütigen Begegnung des Unglücks korrespondiert die politische Antwort. Beide Seiten sind gleich ernst zu nehmen und interpretatorisch zu entfalten. Die Trost-Topik durchzieht das nach ihm benannte große Gedicht. Gleichwohl hat Opitz dem zweiten und vierten Buch seines Werkes diese Thematik bevorzugt zugewiesen. Auch in ihnen findet sich Aktuelles, sprich Politisches. Eine Analyse, die den Text auf eine lupenreine Gliederung fixieren würde, dürfte ihm schwerlich gerecht werden. Er lebt vom Atemholen, vom Vor- und Zurücklenken, von dem immer erneuten und variierten Einsatz. Der Dichter ist auf eine Nachhaltigkeit des Eindrucks aus, will wachrütteln, mahnen, ja zum Kampf aufrufen. Und das geschieht am roten Faden immer wiederkehrender Bilder und Argumente überzeugender als über Deduktion oder schematische Organisation. Der Interpret wäre daher falsch beraten, wollte er nur systematisch zusammenziehen, was bewußt an verschiedenen Orten plaziert ist. Eine behutsame, lockere Nachzeichnung der Linien scheint das Mittel der Wahl. ›Trawrigkeit‹ müsse angesichts der ›Verfolgung des Vaterlandes‹ sich einstellen. Sie zu bekämpfen, obgleich sie doch wahrlich nicht unehrenhaft ist, setzt sich das zweite Buch vor. Nicht mehr »Krieg/ vnd auch vmb wessen wegen | Er vnser Land betrifft« sei das Thema, sondern auf einer zweiten und ›newen Bahn‹, wie man gleichwohl »sich hinwieder trösten kan.« Das ist ureigenstes Geschäft der Poesie, ei––––––––– 41 42 43
Ebenda, Verse 511 f. Ebenda, Vers 513. Ebenda, Vers 565.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
382
ner richtig verstandenen, also einer solchen, die mit ›Weißheit‹ im Bund ist. So wie im Eingang des ersten Buches über den Dichter und sein neues Werk gehandelt worden war, so nun über die wahre Bestimmung der Poesie. Der Dichter bleibt in allen von ihm ergriffenen Formen Kulturpolitiker, Arbeiter im Helicon. Das Homerische Epos mit seinen allzu göttlich-menschlichen Seiten kann als Vorbild nicht dienen. Der Dichter, der sich zum Pionier der deutschen Poesie aufwirft, will von ›Deutscher Tugend‹ künden, und das heißt: ›Von Mannheit welche steht‹.44 Diese hat einen heroischen politischen Zug und einen nicht minder heroischen, aber anders gewendeten geistlichen. Wiederum gehört es zur bezeichnenden Eigenart, daß beide unentwegt ineinander übergehen.
Schöpfer-Allmacht Die Argumentation, der der Dichter sich in seinem zweiten Buch befleißigt, nimmt ihren Ausgang von der Allmacht des Schöpfers, ist also konfessionsneutral. Sie bezeugt sich im Ordo des Kosmos. Dieser ist wie seit eh und je Erweis für einen grandiosen Urheber des Wunderwerks. Und so nicht anders auf Erden. Die anorganische Natur, die Pflanzen, die Tiere, schließlich der Mensch verweisen auf »GOttes Macht wie gleichsam mit der Hand.« Das ist eine Botschaft für alle, auch und gerade für die ›armen blinden Heyden‹, die auf die Lektüre dieses ›grossen Buches‹ verwiesen sind.45 Die natürliche Theologie zumal des Renaissance-Platonismus ist dem Dichter verfügbar. Sie bildet über die Zeiten hinweg eine stabile Brücke bis in die Aufklärung hinein. Im geistlichen Gedicht wird sie überboten durch das Zeugnis der Schrift. Das aber ist gattungskonform, darf nicht schlicht geistesgeschichtlich gebucht und vereinnahmt werden. De facto kehrt der Dichter alsbald zu Gott als dem ›höchsten Gut‹, dem ›ersten Quell‹ zurück. Es geht um Erweise seiner Allmacht, nicht solche aus der Schrift. Das gehört zur Strategie des das Allgemeine für die eigene Sache in Anspruch nehmenden Dichters. Die Allgegenwart Gottes macht vor den menschlichen und damit den politischen Ordnungen nicht halt. Opitz setzt überall auf eine Regentschaft, die sich des Rats der Erfahrenen bedient, handelt es sich dabei doch um eine der Existenzbedingungen der gelehrten Humanisten. Sie agiert im Bunde mit einer »Obrigkeit von Art der alten Rechte«.46 Da kehrt die Formel der ›alten teutschen Tugend und Redlichkeit‹ aus den Sprachgesellschaften einmal öffentlich und politisch statt moralisch gewendet wieder. Soweit der weltliche Rahmen. Er wird überwölbt durch eine göttliche Macht, die ihrerseits aktiv eingreift, Fürsten absetzt, der Welt ihren Lauf weist. Dabei ist bemerkenswert, daß Opitz seiner politischen Topographie im Rahmen seines Schöpfer-Diskurses den spätzeitlichen Topos vom Altwerden und Vergreisen der Welt integriert.47 Er ist verschlungen mit dem vom notwendigen Auf- und Nieder––––––––– 44 45 46 47
Ebenda, Buch II, Verse 1–4, 13, 34 f. Ebenda, Verse 88 f. Ebenda, Verse 96, 114, 112. Ebenda, vgl. Verse 121 ff.
Widerstand
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gang der Reiche und ihrer Insignien in Religion, Kunst, Architektur, dem durchgängigen Wechsel in Geschichte und Natur und in einem jeden menschlichen Leben. Der Grund ist der offenkundige und auf der Hand liegende Erweis der Eitelkeit und Nichtigkeit alles Geschöpflichen; folglich wird der argumentative Gegenpol zum schöpfungstheologischen Optimismus umkreist. Die Linienführung im großen zielt auf anderes, eher verdecktes. So wie sich der Dichter über die Erhabenheit der Schöpfung der Allmacht des Schöpfers versichert, der die eigene Sache zu einem guten Ende führen wird, so über den Wechsel der Ohnmacht der nur momentan die Oberhand gewinnenden Gegner. Das weltanschauliche Gedicht ist eben durch und durch glaubenspolitisch imprägniert. Es vermag seinen aktuellen Anlaß und Anstoß nicht zu verleugnen. Das sichert ihm seine Wucht über die Zeiten hinweg. Bleibend im Wechsel ist die Tugend – auch das ein wohlbekanntes Argument. Der Dichter weiß es für seine Zwecke zu wenden. Sie liegt nicht ›in einem zarten Bette‹. Sie bewährt sich im Kampf, im Widerstand gegen alles, was der Freiheit Eintrag tut.48 So also läuft das ontologische wie das moralphilosophische Argument, das um des Trostes willen eingeführt war, aus in die ›Ermanung zur Tapferkeit‹, um einen Freund und Geistesverwandten mit dem Titel eines berühmten Textes einen Moment lang zu Wort kommen zu lassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben und beides von gleichem Gewicht.
Widerstand Tugend ist eines der Remedia, die sich im ›Unglück der Zeiten‹ – um einen Ronsardschen Titel aufzunehmen – allemal empfiehlt. Interessant ist die Façon, die sie im Zeitalter der konfessionellen Bürgerkriege annimmt. Sie wächst über den persönlichen Bereich in der Regulierung der Affekte hinaus und gewinnt öffentlichen Charakter. Es bleibt bewundernswert, wie es Opitz im zweiten Buch des ›Trost-Gedichtes‹ gelingt, diese Transposition zu bewerkstelligen. Der Brückenschlag erfolgt über die Behauptung von Freiheit. Ein ›hoher Muth‹ ist durch keine Einwirkung von außen aus der raum-zeitlichen Welt zu beeindrucken oder gar zu bezwingen. Er behauptet sich autark. Das ist gute stoische Lehre, wie sie soeben ihre Renaissance erfährt. Er bleibt, sollte auch alles ringsum ins Wanken geraten und dem Untergang geweiht sein, ›auff freyem Fusse stehn.‹ Es ist keine Situation denkbar, in der Tugend nicht kämpfend behauptet sein wollte. Damit gewinnt sie einen militanten Anstrich. Zu den consolatio-Argumenten gehört eben keinesfalls nur das geistlich-moralphilosophische Inventar. Das politisch-heroische hat gleichen Anteil an ihnen. Erst beides zusammengenommen erschöpft den Radius des von Opitz Intendierten.49 Politisch inspirierte Tugend ist nicht defensiv, sondern aktiv. Sie antwortet auf zugefügte Gewalt. Gewalt zielt auf Unterdrückung, damit auf Einschränkung von Freiheit. Dem setzt der in den öffentlichen Raum Heraustretende und in ihm zum Wirken Gelangende Widerstand entgegen. Freiheit und Widerstand werden von Opitz in der ––––––––– 48 49
Ebenda, vgl. Verse 325 ff., 377, 365 ff. Ebenda, Verse 353, 356.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
384
Tradition der französischen Monarchomachen in eine direkte Relation gerückt. Freiheit wird nur in Gefahr erfahren. Dann erwacht sie und wappnet sich. Die Freyheit wil gedruckt/ gepreßt/ bestritten werden/ Wil werden auffgeweckt; (wie auch die Schoß der Erden Nicht vngepflüget trägt:) sie fodert Widerstand/ Ihr Schutz/ jhr Leben ist der Degen in der Hand.50
Die hier obwaltende Beziehung ist von hoher Komplexität. Freiheit ist eine in Gott gründende. Sie befreit von irdischen Affekten und Bindungen. Der zur Freiheit sich Wappnende ist im Bündnis mit Gott. Darum ist es so wichtig, daß eine Differenzierung unter den Glaubenden getroffen wird. Derjenige, der auszieht, um einem anderen seinen Glauben zu nehmen und ihm eine ihm fremde Gestalt des Glaubens aufzuzwingen, ist als Tyrann identifiziert worden. Seine Berufung auf einen zur Seite stehenden Gott ist also hohl und leer, weil sie sich an dem obersten Gebot der freien Ausübung der Religion versündigt hat. Nur derjenige, der allen Glaubensbildungen die Möglichkeit zur Praktizierung einräumt, ist mit dem fundamentalen Wert der Freiheit in Einklang. Nur er darf sich zu ihrer Verteidigung rüsten. Widerstand also zur Wahrung von Freiheit hat in dieser Konstellation defensiven Charakter. »GOtt steht demselben bey | Der erstlich jhn ersucht/ vnd wehrt sich dann auch frey.«51 Mühelos kann Opitz von hier herübergleiten zum Lob des Weisen, der sich durch die nämliche Tapferkeit auszeichnet. Die Kontamination christlicher und antiker Werte ist durchgängige Praxis im ›Trost-Gedichte‹, die Harmonisierung beider Wurzeln des neueren Humanismus inzwischen nicht mehr explikationsbedürftig. Das große Lob des zur Behauptung von Freiheit und Widerstand bereiten Weisen nebst entsprechender Hintansetzung weltlicher Güter bildet einen der Höhepunkte des zweiten Buches. Der Weise ist ein gläubiger, was überhaupt nicht hindert, daß Odysseus in die Exempelreihe aufgenommen werden kann. »Diß was sein eigen ist kan niemand jhm entziehn.« Auch weiß er alles von Gott gesendet, was ihm widerfährt, ist folglich ein christianisierter antiker Heros. Sein Leit- und Fixstern bleibt ›sein liebes Vaterland‹. So modelliert, kann auch er zum Vorbild des miles christianus der Gegenwart aufrücken. Über einen anderen Großen der Antike, über Cato, fällt des gestrengen Richters Urteil in der Gegenwart ungeachtet aller Bewunderung negativ aus. Er hätte Selbstmord nicht verüben dürfen. Ein ›heroisch gemüte‹ hält in jeder Situation aus und sucht sie zur Selbstbehauptung zu wenden. »Ein Kriegsmann darff nicht fort/ es sey dann zugegeben | Durch seinen Capitäin«. Trost realisiert sich also auch im Preis des unerschrockenen Helden.52
›Vnschuld vnd gutes Gewissen‹ / ›gute Sach und heiliges Gewissen‹ Das dritte Buch des ›Trost-Gedichtes‹ schreitet von ›der Tugend Trost‹ fort zur Darlegung desjenigen hohen Gutes, auf das das heroische tugendhafte ›männliche Ge––––––––– 50 51 52
Ebenda, Verse 365–368. Ebenda, Verse 371 f. Ebenda, Verse 424, 464, 525 f.
Pax; Mars; Bellum iustum
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müth‹ gerichtet ist. Wieder erfolgt die Denomination des Themas denkbar unverfänglich. Sie bleibt verhüllt. Niemand könnte nach Lektüre des Vorspanns zum dritten Buch ahnen, was tatsächlich der Dichter sich für dieses in seinen zentralen Passagen vorgenommen hat. »Vmb GOttes/ der Religion/ vnd der Freyheit willen Gewalt leiden«, ist Bestimmung des wahren Frommen, ausgestattet mit ›Vnschuld vnd gutem Gewissen‹. Dieses ganz offensichtliche Dulden und Erleiden geht einher mit der ›Anzeige‹ »Was unverzagte Ritterliche Helden/ welche gute Sache mit grossem Muthe vnd Beständigkeit schützen/ für vnsterbliches Lob vnd Ruhm bey den Nachkommen zu gewarten haben.«53 Dulden und Kämpfen stehen vermittlungslos nebeneinander. Gelitten und ausgeharrt wird »in dieser letzten Zeit | Da nichts als Elend ist/ als Krieg vnd schwerer Streit« für die gute Sache. Das Vorbild für solches Erdulden bleibt Christus selbst. Die gute Sache wird geadelt durch die Qualen, die sie ihren Anhängern zuzieht. Es liegt im herausragenden Interesse des Dichters, die Makellosigkeit und Unbeflecktheit des hohen Gutes zu unterstreichen, die Menschen zu Märtyrern werden läßt – und zugleich Menschen heroisch über sich selbst erhebt. Denn das ist die andere im dritten Buch entfaltete Seite des nämlichen Gedankens. ›Ritterliche Helden‹ erwachsen der guten Sache.54 Ihnen gilt es ein Denkmal zu setzen. Und das so, daß von ihrer Vergegenwärtigung in der Schrift Impulse ausgehen für die jetzt in Bedrohung, Angst und Not Lebenden. Im Leiden wie im Kampf wird gleichermaßen das summum bonum bewährt, das so viel über die Menschen vermag. Welche Gestalt hat es?
Pax; Mars; Bellum iustum Das höchste Gut, so lakonisch der Dichter, ist der ›edle Friede‹. Wo er sein Lager hat wird Gottesfurcht geübet/ Gerechtigkeit erbawt/ Scham/ Erbarkeit geliebet/ Die Künste fort gepflantzt/ die Güter nehmen zu/ Land/ Stadt/ Mensch/ Vieh vnd Feld geneust der süssen Ruh.55
Er bleibt das Ziel jedweder menschlichen Aktion, ist letztlich jedoch ein Geschenk, welches sich göttlicher Gnade verdankt. Auf ihn als höchstes Gut auf Erden wird das Werk in guter Erasmischer Tradition zulaufen und sein Finale finden. Krieg ist wie seit eh und je in der Wirklichkeit und in den Künsten sein Widerpart. Er verkehrt alle Ordnungen, macht alle Bemühungen um Zivilisierung zunichte und ist insbesondere den Künsten und Wissenschaften ein Feind. Tisiphone ist seine Schutzgöttin. Der Krieg zieht diejenigen an, die nichts zu verlieren haben, die noch an ›des Landes Fall‹ sich zu ergötzen vermögen, keinerlei Werte in sich tragen – außer denen söldnerischen Sichfeilbietens.56 ––––––––– 53 54 55 56
Ebenda, Buch III, Vers 1 f., ›Inhalt‹, S. 230. Ebenda, Verse 3 f. Ebenda, Verse 13–16. Ebenda, Vers 42.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
386
Es ist ersichtlich, daß das nur für die Gegenseite gelten kann. Ein gottesfürchtiger Herrscher trägt Sorge dafür, daß unter seiner Regentschaft kein Krieg vom Zaun gebrochen wird. »Er schaffet was er kan die Zwietracht zu vermeiden«. Derart ist dem Werk unversehens ein kleiner Fürstenspiegel integriert. Die himmlische Stadt Zion ist dieses Fürsten Vorbild, »Da nichts als stete Ruh/ als Huld vnd Freundschafft brennt.« Wie das weltliche so ist das kirchliche Regiment auf Eintracht verpflichtet. Frieden ist das Telos hier wie dort. Nicht zufällig schimmert in den Charakteristiken des summum bonum immer wieder der Erasmische Text durch. Der Wille den der Fürst der Fürsten vns verschrieben/ Sein letztes Testament das heißt: Einander lieben/ Heist Fried’ vnd Einigkeit: Diß ist der letzte Zoll/ Das Loß durch welches man die Kirche kennen sol.57
Um dieses hohen Gutes willen erleidet der gute Fürst Unrecht so wie der Fromme. Werden Schranken des Zumutbaren aber überschritten, so tritt die andere Seite des rex iustus et clementissimus zutage. »Erfordert es die Noth«, ist er zur Stelle, um der gerechten Sache sein Schwert zu leihen. Damit stellt der Dichter neuerlich sicher, daß nur für diese gestritten werden darf. Ist eine derartige Stunde allerdings gekommen, dann darf kein Ausweichen mehr Platz greifen. »Ein hohes Hertze lest den Krieg sich nicht erschrecken/ | Erfordert es die Noth«. Eindeutig wird hier die Abgrenzung von dem leichtfertigen Kriegsfürsten vollzogen. ›Obristen‹, die Kriege anzetteln, um ihre Kriegkunst und Tapferkeit unter Beweis zu stellen, handeln sträflich und verwerflich. ›Ein schändlicher Gebrauch‹ lautet Opitzens lakonisches Diktum. Umgekehrt indes gilt ebenso unverrückbar: Wil aber sonsten ja kein Raht vnd Weg erspriessen/ Wil vnsrer Nachbar gar von keinem Frieden wissen/ Wird vns das harte Joch vnd Dienstbarkeit zu schwer/ So sucht man billich dann das Schwerdt vnd FaustRecht her.58
Auch dieser Sachverhalt wird konkretisiert. Es gibt kein höheres Pfand, für das legitim zu streiten sich verlohnt, als die Religion und die Behauptung ihrer Freiheit. Die geknebelte Freiheit, von der da im zweiten Buch die Rede war, spezifiziert sich nun näher als die geknebelte Praktizierung des je eigenen Glaubens. Der Religionskrieg, um dem anderen den eigenen Glauben aufzuzwingen, ist schändlich, Frevel vor Gott und Mensch. Die Waffen zu ergreifen, um den Übergriff auf den eigenen Glauben abzuwehren, ist geboten, ja geradezu der Erweis, wie ernst es mit seiner Verwurzelung in den Herzen bestellt ist. Das eine Mal ist der Krieg um die Religion aggressiv, weil auf Glaubensexport abgestellt; das andere Mal defensiv, weil auf Bewahrung einer unantastbaren Glaubensgestalt gerichtet. Opitzens Text ist hier in der Deduktion sauber und kristallklar. Um noch einmal seine Worte an einer zentralen Stelle seines Werkes im dritten Buch zu vernehmen, das in allen vergleichbaren Lehrgedichten zwischen Vergil und Heinsius eine Achsenstellung innehat: ––––––––– 57 58
Ebenda, Verse 61, 68, 69–72. Ebenda, Verse 74, 73 f., 77, 81, 89–92.
Verfolgung der Hugenotten: Das Exemplum Frankreich
387
Was kan nun besser seyn dann für die Freyheit streiten Vnd die Religion/ wann die von allen Seiten Gepreßt wird vnd verdruckt/ wann die kömpt in Gefahr? Wer sol nicht willig stehn für Herdt und für Altar?59
Die Rechtmäßigkeit dieser Argumentationskette zu erweisen, stehen die historischen Exempel des dritten Buchs – poetisches Urgestein, gegründet auf die große calvinistische Kampfdichtung der Franzosen und Niederländer.
Verfolgung der Hugenotten: Das Exemplum Frankreich In Frankreich setzt der Dichter mit der Bluthochzeit ein. Sie läßt sich metaphorisch argut ausbeuten. Neue ›Hochzeit-Brunnen‹ seien da in Paris emporgesprungen, zur Abwechslung gefüllt mit ›Christen-Blut‹. Nicht viel hätte gefehlt und der ›Bräutigam‹ selbst wäre dabei auf der Strecke geblieben – niemand anders als der Führer der Hugenotten und spätere König Heinrich IV. An Coligny, dem militärischen Führer aus dem hugenottischen Lager, wird ein Exempel statuiert. Der streitbare Colin ward erstlich auffgerieben/ Auff Erden fortgeschleppt/ ins Wasser eingesenckt/ Mit Fewer halb verbrandt/ in Lüfften auffgehenckt.60
Das sind Nachrichten, wie sie Flugblatt und Lied zu kolportieren pflegen. In der aufgewühlten politischen Situation erobern sie sich Eingang in die hohe Dichtung. Aus der Antike waren Greuel bestialischer Natur vereinzelt bekannt, und der Dichter macht sie namhaft. Jetzt aber vollzieht sich das Unfaßliche in der Hauptstadt eines christlichen Landes. Auf diese Paradoxie kommt der Dichter wiederholt zurück. Bekundet sich in ihr doch weniger ein Rückfall in die nackte Barbarei als vielmehr der Erweis, daß der christliche Glaube beim Glaubensgegner keinerlei Wurzel gefaßt hat. Er ist machtpolitisch restlos instrumentalisiert. O Schande dieser Zeit! Wer hat vor Zeit vnd Jahren Auch in der Heydenschafft dergleichen doch erfahren?61
Die Sonderung in Täter und Opfer ist eindeutig. Ganz Frankreich wird von einer Welle der Gewalt überschwemmt. Die Rhone ist verstopft von Leichen. An Tours fließt das getötete Heer der Krieger vorbei und treibt die Bewohner der Stadt in die Flucht. In Arles ist kein Trinkwasser mehr vorhanden, es ist verseucht mit Blut. [...] Kein Bitten/ Seufftzen/ Flehen/ Kein Klagen ward erhört: Man vbte solche Pein Daß auch der Hencker sol darvor erschrocken seyn. Kein Hugenoten-Haus/ kein Winckel ward vergessen/ [...].62
––––––––– 59 60 61 62
Ebenda, Verse 97–100. Ebenda, Verse 110, 111, 112, 114–116. Ebenda, Verse 141 f. Ebenda, Verse 126–129.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
388
Bei der Blasphemie verharrt der Dichter, der über ein schier unerschöpfliches Repertoire an Nachrichten verfügt. Goldmünzen würden da geprägt, auf denen zu lesen steht: »Die wahre Gottesfurcht hat Billigkeit erregt.« Der sarkastische Kommentar: O schöne Gottesfurcht durch Menschen-Blut besprenget! O schöne Billigkeit/ da alles wird vermenget/ Da nichts nicht als Betrug/ als Falschheit wird gehört/ Da der Natur Gesetz’ auch selber wird versehrt!63
Die Gegenseite besudelt den christlichen Namen mit Blut und Betrug. Das zu konstatieren, mag im Glaubenskampf recht und billig sein. Auf lange Sicht verliert die Christenheit als ganze, ist doch die Antwort in Publizistik und Dichtung auch auf seiten der Katholiken die nämliche. Im Jahrhundert zwischen 1550 und 1650 sind die Grundlagen des christlichen Glaubens nicht anders als die der christlichen Lehre zerfallen. Inmitten des Jammers und Elends bereitet sich aufgeklärtes postkonfessionelles Denken vor. Und schon das ›Trost-Gedichte‹ verrät Spuren davon. Der Dichter, stets seinem Vorhaben entsprechend auf Trost bedacht, fühlt sich ermächtigt zu bekräftigen, daß die Kirche, und zwar die der Gepeinigten und Unterdrückten, wie wir hinzufügen dürfen, nicht untergegangen ist. Und so auch die Menschen nicht, die für die gerechte Sache ihr Leben ließen. Sie haben sich eingereiht in die Schar der Märtyrer, die die Geschichte der Kirche seit ihren Anfängen begleitet. [...] sie sind auffgeschrieben In GOttes Rechte Hand/ der wird auff jenen Tag/ Da niemand aussen bleibt/ da nichts sich bergen mag/ Sie zieren allesampt mit einer Ehren-Kronen/ Die nicht verlohren wird/ wird reichlich sie belohnen/ Die thewren Märtyrer; Sie werden nach der Zeit Für allen herrlich seyn dort in der Ewigkeit.64
Der Tyrann hingegen, der Christen zu Märtyrern werden ließ, hat einen Namen und er zahlt einen Preis, wie wir hörten. Das Schicksal Karls IX. setzt Opitz als bekannt voraus. Ihn verfolgen die Furien der bösen Tat bis in die nächtlichen Träume. Fortan ist ihm keine ruhige Stunde mehr beschert. Er mochte im Irdischen obsiegen; die Ewigkeit verspielt er darüber. Genügend Beispiele stehen aus der Antike bereit. Jetzt aber ist es Gott selber, der den tödlichen Pfeil auf die Seele des Tyrannen richtet. Von seinem Schicksal hebt sich das des Gerechten ab. Opitzens Text ist durchzogen von großen Lobgesängen auf den Reinen und Gerechtfertigten, der eben nur auf der Seite der Verfolgten zu suchen ist. Ihm vermag die Zeit nichts anzuhaben und sei das Wüten noch so fürchterlich. Es ist das Ideal des Weisen, das da unversehens in immer neuen Wendungen sich einstellt, wie es auf eindrucksvolle Weise sich mit dem des Frommen verbindet. Er ist ›allezeit derselbe‹, weil er mit sich in Übereinstimmung lebt, nichts ›wider sein Gewissen‹ getan hat und daher, wie die Stoa es lehrte und das Christentum bekräftigt, ›der Ruh geniessen‹ kann.65 ––––––––– 63 64 65
Ebenda, Verse 144, 145–148. Ebenda, Verse 150–156. Ebenda, Verse 197, 185 f.
Heroische Behauptung der Nation: Das Exemplum Niederlande
389
Zu gewahren aber gilt es zu wiederholtem Male, wie der Dichter das moralphilosophisch-religiöse Ideal unversehens überführt in das heroische, um Freiheit und Vaterland gruppierte. So auch in dem Hugenotten-Abschnitt. Abstand nehmend von dem konkreten Fall, keltert er den allgemeinen, den für die Seinen in der Gegenwart bestimmten Gehalt ab. Jetzt steht die Freyheit selbst wie gleichsam auff der Spitzen/ Die schreyt vns sehnlich zu/ die müssen wir beschützen: Es mag das Ende nun verlauffen wie es kan/ So bleibt die Sache gut vmb die es ist gethan.66
Dieser adhortative Zug des Gedichts gehört prägend zu ihm. Es stellt sich herein in die rege Publizistik der Tage und leistet seinen Beitrag zur Unterstützung der protestantischen Seite in Deutschland. Denn aufs engste ist das Freiheits- mit dem Vaterlandsthema verknüpft. Hält der Beherzte an der ›güldnen Freyheit‹ fest, bis die Seele aus dem Körper entweicht, so der Kämpfer für das Vaterland nicht minder. Wer kan sein Vaterland auch wüste sehen stehen/ Daß er nicht tausend mal muß einen Tag vergehen?67
Wie die libertas- durchzieht die patria-Panegyrik das Werk in immer neuen zündenden Wendungen. Am Beispiel der Niederlande zeigt der Dichter, zu welch grandiosen Taten die Liebe zum Vaterland beflügelt.
Heroische Behauptung der Nation: Das Exemplum Niederlande Im dritten Buch löst Opitz das geschichtliche Paradigma ein, das er im ersten Buch bemüht hatte. Wie Rom im Altertum umspannt Madrid den Weltkreis. Philipp II. ist Herr dort, wo die Sonne auf- und unterzugehen pflegt. Ein Leser – ob Zeitgenosse oder heutiger –, der die Analogie nicht gewahrte, wäre dem Text nicht gewachsen. Selbstverständlich verzichtet der Dichter auf den Verweis. Holland wagt es, trotzdem aufzubegehren. »Die Marter/ Pein vnd Plagen | Der grimmen Tyranney war länger nicht zu tragen«. Der Tyrann ist damit so deutlich wie an keiner Stelle des Werkes sonst identifiziert. Alba wütet in dem Land derart, daß keine Parallele namhaft zu machen ist. Das ist Geschehen von gestern – aber eben auch für Deutschland von morgen, wenn das Land nicht erwacht. Diese futurische Perspektive will gleichfalls immer mit bedacht sein. ›Freyheit‹ ist neuerlich das Losungswort, das dem Aufstand die Dynamik verleiht.68 Opitz ist einer der ersten, der dem listen- und fintenreichen Kampf der heldischen Niederländer in der deutschen Sprache ausführlich ein dichterisches Wort leiht. Die geraffte Vergegenwärtigung steht den großen Schlachtenberichten des europäischen Epos in nichts nach. Das heroische Ausharren der eingekesselten Stadt Leiden wird ––––––––– 66 67 68
Ebenda, Verse 213–216. Ebenda, Verse 229, 233 f. Ebenda, Verse 265 f., 276.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
390
schwerlich vergessen können, wer den heraufbeschworenen Bildern entsetzlichen Leidens und stählernen Willens lesend begegnet ist. Der Umschlag von der belagerten zu einer den Wissenschaften und Künsten gewidmeten Stadt könnte nicht schlagender jenes geschichtsphilosophische Theorem illustrieren, welches das Denken im Bilde Fortunas unermüdlich umkreiste. Sodann Ostende. Die Stadt wurde erobert, in der Tat. Allerdings um den Preis, daß ein Totenfeld zurückblieb, auf dem Verteidiger und Eroberer liegen. »So thun sie Widerstand/ das Volck zu Stahl vnd Eisen | Von Wiegen an gewehnt«. Heemskerck wird herausgegriffen und in den Worten des Heinsius als Verkörperung unbezwingbarer Tapferkeit gepriesen. Auch die Moderne kennt ihre Helden. »So pflegt das edle Volck die Freyheit zu beschützen«.69 Es gibt damit ein Beispiel für das benachbarte Deutschland.
Lehren für Deutschland: Held und Poet in Aktion Ach/ Deutschland/ folge nach! Laß doch nicht weiter kommen Die so durch falschen Wahn so viel schon eingenommen/ Zu Schmach der Nation; Erlöse deinen Rhein/ Der jetzund Waffen trägt/ vor seinen guten Wein.70
So war das Gedicht konzipiert. Es sollte ein Aufruf in einer bestimmten geschichtlichen Stunde werden, als die Spanier den Rhein hinaufzogen gen Heidelberg, der politischen Hochburg der Calvinisten in Deutschland. Die Chance der Wirkung, des unmittelbaren Eingriffs blieb ihm versagt. Seine geschichtliche Signatur aber war ihm ein für alle Mal eingeschrieben. Die Parteinahme ist eindeutig. Eben deshalb ja die Vorsichtsmaßnahmen im Blick auf die Publikation. »GOtt/ die Religion/ die Freyheit/ Kind vnd Weiber« gelte es zu verteidigen.71 Dafür das Leben aufs Spiel zu setzen zähle mehr, als ängstlich an ihm zu haften und darüber die unvergänglichen Werte zu verspielen. Große Interpreten des europäischen und zumal des italienischen Humanismus von Konrad Burdach über Delio Cantimori bis hin zu Eugenio Garin und Ernesto Grassi haben uns die erhabene nationale Mitgift des Humanismus sehen gelehrt, die nichts gemein hat mit dem dumpfen Nationalismus späterer Jahrhunderte. Opitzens Text gehört dieser illustren Reihe bleibender Zeugnisse zu. Schon einmal hatte sich die Nation im Bündnis mit dem Glauben befunden als Luther aufstand. Die Botschaft hatte gezündet und war doch zugleich theologisch wie politisch ins Zwielicht geraten. Am Ende stand Europa in Brand. Jetzt beginnen die Fronten sich zu klären. Freiheit für die Religion, Freiheit für das Vaterland steigen als Leitsterne der späthumanistischen Generation um 1600 am Himmel auf. Wie das vorgelegte Beispiel zeigt, ist die Artikulation nicht den Theologen oder politischen Theoretikern allein überlassen. In guter humanistischer Tradition schwingen sich die Dichter, die allemal mehr sind als dies, ––––––––– 69 70 71
Ebenda, Verse 321 f., 341. Ebenda, Verse 353–356. Ebenda, Vers 357.
Lehren für Deutschland: Held und Poet in Aktion
391
zu richtungsweisenden Wortführern auf. Auch diese Besonderheit hält der Text nicht nur rückblickend, sondern zugleich programmatisch fest. [...] Die Freyheit zu erwerben/ Für GOttes Wort zu stehn/ vnd ob man müste sterben/ Zu kriegen solches Lob das nimmer vntergeht/ Das hier mit dieser Welt wie in die Wette steht.72
Daß die heldische Tat für die gute Sache nicht untergeht, ist wesentlich den Poeten geschuldet. Das ›Trost-Gedichte‹ beweist es erneut. Über Schrift sind die Heldentaten unter den Alten auf uns gekommen. Die Neueren wiederholen dieses Memorialwerk großen Stils, das sich immer zuerst an diejenige Überlieferung heften wird, die es wert ist, zukünftigen Geschlechtern zur Kenntnis gebracht zu werden. Es ist dies keine registrierende und kodifizierende Tat alleine, sondern immer auch eine, die auf Beherzigung und Nachfolge drängt. Damit ist zugleich gesagt, daß die nichtige (oder eben auch unterlassene) Handlung dem Vergessen anheimfällt, weil keine Feder sie festhält. Dieses Monopol im Blick auf Stiftung von Gedächtnis herauszuarbeiten, ist Opitz wie allen großen Humanisten, angefangen bei Petrarca, ein zentrales, lebensbegleitendes Anliegen gewesen. So ist es kein Zufall, daß er einen entsprechenden Passus an die Vergegenwärtigung der Leiden der Hugenotten und der heldenhaften Taten der Niederländer anschließt. Das Bild, das von beidem in die Geschichte eingeht, ist kein neutrales. Es ist besetzt von Wertung und Parteinahme, formt den unendlichen Strom der Geschichte, reguliert ihn nach Maßgabe aktueller Einschätzungen und Bedürfnisse. Um es nochmals in Opitzens schönen bildhaften Worten zu sagen, denen ein so vielfältiges Echo im 17. Jahrhundert beschieden war: Was der Poeten Volck vnd sonst gelehrten Sinnen In jhre Fäuste kömpt/ da wircken keine Spinnen Ein Webe drüber her: Ihr grünes Lorbeer-Laub Kehrt alles sauber ab/ vnd leidet keinen Staub. Durch sie bleibt nichts hindan/ durch sie wird angezündet Das Liecht mit welchem man sich aus dem Tunckeln findet: Durch sie wird sonderlich das Kleinod auffgelegt Das manchen Rittersmann zu Wettelauff’ erregt.73
Die Geschichte ist eine Instanz der Wahrheit. Sukzessive wird die Wahrheit ans Tageslicht treten und der Dichter arbeitet mit an diesem erhabenen Projekt. Ihm ist das Medium anvertraut, das Dauer verheißt wie kein anderes, Schrift. Was er kodifiziert, geht nicht verloren. Auch darum ist es so wichtig, daß er sich beteiligt an der Identifizierung des Guten und Gerechten nicht anders als an der des Lebensfeindlichen und Verderblichen. Sein poetisches Sondieren gleicht dem göttlichen Richteramt. Am Ende der Tage wird bekräftigt und ratifiziert, was parteiergreifend der Dichter einem Seher gleich bereits artikuliert hatte. ––––––––– 72 73
Ebenda, Verse 361–364. Ebenda, Verse 401–408.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
392
Da wird der gantzen Welt ohn alle schew verkündet Was sonst vertuschet wird/ die Fackel angezündet Die klärlich offenbart was beydes schlimm vnd gut Gehandelt worden sey/ die keinem Vnrecht thut. Dann wird die Tyranney durch stete Schmach bezahlet/ Mit jhrer rechten Farb’ auffs Leben abgemahlet[.]74
Höchstes Lob gilt dem, der den Unterdrückten die Hand des Beistands reicht. Das aber tut auf seine Weise auch der Dichter, der sich nicht scheut, den Mächtigen, die verantwortlich sind für die Mehrung des Übels, in die Parade zu fahren, und die Unterdrückten zum Ausharren und zur Wehr zu ermuntern. Der Lobpreis auf das unverbrüchliche Paar Held/Dichter steht zwischen den großen Exempeln der jüngsten Vergangenheit Frankreichs sowie der Niederlande und der Aufrüttelung Deutschlands im Blick auf das, was dem Vaterland in der allernächsten Zukunft abgefordert werden wird. Neuerlich wechselt der Dichter dabei die Ebene. So wie die Niederlande hat sich das Reich eines ›blutigen Tyrannen‹ zu erwehren. Dieser aber wird nun mit den Türken identifiziert. Ihm kommt die Zerrissenheit und Uneinigkeit des Landes nur allzusehr zupaß. In dieser Verfassung weiß er sich seines Opfers sicher. Begegnet werden könnte ihm nur ›mit höchster Einigkeit‹. Man wird nicht zu viel sagen, wenn man feststellt, daß in diesem glühenden Appell zur Einigkeit die politische Mission des Textes gipfelt. Der Dichter macht sich zum Sprecher des armen Volkes der Christen allüberall, das da ruft: Zerreiß/ O werthes Volck/ doch nicht dein eignes Land/ Greiff dieses lieber an/ beut lieber vns die Hand: Nimb dieses schöne Reich doch aus des Feindes Rachen/ [...].75
Wieder hält der Dichter seine Leser zum Entdecken von Analogien an. Einer der Tyrannen steht bereit zum Einmarsch, während der andere das konfessionell zerrissene Deutschland bereits betreten hat. So kann es nur eine Frage der Zeit sein, wann der Dichter die eine Weile getrennten Stränge zusammenzieht und die Einheit des Landes gerade auch angesichts des spanischen Aggressors einfordert. Verteilung der politischen Schwergewichte auf die vier Bücher des Werkes und geschickte Austarierung mit den geistlich-paränetischen Passagen gehört zu den professionellen Obliegenheiten des Dichters, der sich so weit vorgewagt hat. Am Schluß des dritten Buches öffnet er das Visier neuerlich. Laßt doch den frembden Stoltz vns nicht mit Füssen treten/ Der auch der Sonnen Bahn gedenckt mit einer Ketten Zu schliessen in sein Reich: Befreyet vnser Recht Von solcher Hoffart doch der eine Welt zu schlecht.76
Kann es einen Zweifel geben, wer da gemeint ist? Deutschland steht die Bewährungsprobe noch bevor, die die Niederlande bereits so glänzend bestanden haben. Über seine Vergangenheit ist es gerüstet, von der Tacitus so Ermutigendes zu berichten wußte. ––––––––– 74 75 76
Ebenda, Verse 497–502. Ebenda, Verse 441, 446, 451–453. Ebenda, Verse 541–544.
Finale
393
Bewahrheiten wir, »Daß wir von Deutscher Art vnd Alle-Männer seyn.«77 Das ist der Sinn der topischen Formel der ›alten teutschen Tugenden‹, wie sie allenthalben seit der Gründergeneration um Opitz nun auch in den Verlautbarungen der Sprachgesellschaften wiederkehren wird. Es sind Initiationsformeln, um Deutschland zu sammeln vor dem Ansturm der Gegenreformation, der allen wachen Köpfen als Menetekel vor Augen stand. Die deutsche Sprache, die deutsche Literatur, die den Deutschen sich zuwendenden Dichter nehmen an diesem Kampf um ein einiges und freies Deutschland in bester humanistischer Tradition teil.
Finale Das vierte Buch kehrt zurück zur allgemeinen Betrachtung der weltlichen und göttlichen Dinge und hält mancherlei Trostspendungen bereit. Die Klimax senkt sich, um am Schluß noch einmal eine Aufgipfelung zu nehmen, wenn es um den ›letzten Troste‹ geht. In ›gantz Europa‹, im ›Revier der gantzen Christenheit‹ herrschen Krieg und Streit.78 Der Dichter hat also nur die drei grausamsten Exempel herausgegriffen, den böhmisch-pfälzischen Krieg, die Bartholomäusnacht sowie ihre Folgen und den Aufstand der Niederländer. Im Blick ist die zerrissene Christenheit allüberall – die nie wieder heilende Wunde – oder (etwas anspruchsvoller): die Wegscheide in die Moderne, wie sie dies Achsen-Jahrhundert markiert. Der Remedia sind viele und sehr verschiedene. Wir dürfen sie abschließend nur noch kurz streifen. Des Trostes, den die gelehrten Studien, den der weite Kreis der Wissenschaften einschließlich der Philosophie zu spenden vermögen, wird gedacht. Setzen dürfen die Leidgeprüften sodann auf die Hoffnung. Noch sind die, denen der Dichter seine Stimme leiht, noch sind ›Wir‹ – derart begreift er sich ein in die Hoffenden – kein ›Für gantz-geschlagen Volck‹. Und solange das so ist, existiert nicht nur Hoffnung, sondern auch Kampfeswille, wie er denen, die ›teutsch gebohren‹ sind, zukommt. Das hat schon Karl V. erfahren müssen. Wenn er Erfolg hatte, so nur, weil die Nation ›durch Zanck vnd Neyd gesplittert‹ wurde.79 Mehr erreicht als ein Patt hat auch dieser so wohlgerüstete Krieger nicht auf deutschem Boden. Daher lautet der Aufruf: Einigkeit, Einigkeit, Einigkeit. Dann ist Deutschland unbesiegbar. Das war das Fazit der Publizistik, der politischen Kleinepik und Friedrichs-Panegyrik. Und dieses kehrt hier wort- und argumentationsgleich wieder. Brüderlichkeit, Liebe, wechselseitiger Beistand sind die geforderten Tugenden. Vor allem letzteren sollen die Soldaten bewähren. Der Tod ist nichts, wenn er für ›Vaterland vnd Freyheit‹ erfolgt.80 Auch dieses so verfängliche Diktum hat nichts gemein mit späterer Verklärung des Soldatentodes. Es ist auf christlich-humanistische Werte gegründet, entspringt einer Theologie und Philosophie des Widerstands gegen die Tyrannis und weiß sich aufgehoben im Bekenntnis, daß der Gerechte und für die gerechte Sache ––––––––– 77 78 79 80
Ebenda, Vers 556. Ebenda, Buch IV, Verse 3, 26–28. Ebenda, Verse 158 f., 169, 182. Ebenda, Vers 242.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
394
Streitende ewigen Lohn zu gewärtigen hat. So steht das Ende des Werkes im Zeichen eschatologischer Erwartungen. Der Prätext des Heinsius, seinerseits geprägt von Todesmystik und jenseitiger Hoffnung, leiht vielfach die Farben.
Eschatologie »Was ist doch nur der Todt?« Opitz hat mit seiner Zeit viele durch eine lange Tradition beglaubigte Antworten bereit. Im vorliegenden Zusammenhang ist von Interesse, daß zu den Argumenten eines Todes in Würde noch einmal der todesmutige Einsatz »vor Gott vnd gute Sache«, sprich für den Glauben und das Vaterland gehört. Die Mutter, die ihrem Sohn »gebot’ auff Troja hin zu reysen/ | Sein werthes GriechenLand zu schützen mit dem Eysen«, sie handelt vorbildlich, weiß sie doch, daß ihm nicht ein ›Gastgebot‹, sondern vielmehr ›Kampff vnd KriegesNoth‹ bevorsteht. Das irdische »Wirthshauß ist vns nur auff kurtze Zeit geliehen«. Die eigentliche Gabe Gottes an den Menschen ist nicht eine zeitliche, sondern eine ewige; »das Liecht der steten Wonne« statt einer auf- und wieder untergehenden Sonne erwartet den Frommen im Jenseits. Deshalb kann ganz wie bei Heinsius leitmotivisch auch in den Todespreis die Gewißheit eingeschrieben werden: [...] O wol! O wol doch denen Die vor jhr Land vnd GOtt sich auffzuopffern sehnen/ Vnd schewen nicht das Schwerdt!
Die geistliche consolatio-Thematik bleibt solcherart in allen einschlägigen Passagen durchwirkt von der politischen.81 Am letzten Tag wird der Christ mit dem ›Krantz der Ewigkeit‹ geschmückt werden. Und so steht für den Leser und Hörer außer Frage, wem zuallererst dieser zugehört. Den ›Berühmten Helden‹ begegnet dort wieder, wer ›hier sich wol gehalten‹. Wer hingegen den Lastern sich hingegeben, seinem Leben keinen dauerhaften Wert zu vermählen wußte und überdies ›wider Recht gekriegt‹ hat, der verharrt in der Finsternis bis zum Erschallen der ›himlischen Trompette‹, da die endgültige Scheidung der Gerechten und Ungerechten erfolgt. Wieder fungiert das Jüngste Gericht auch und zuerst als ein politisches Tribunal und neuerlich kann nach dem im dritten Buch Vorgetragenen keine Frage sein, wen der Dichter ganz konkret im Auge hat, wenn es nun ein letztes Mal heißt: [...] Ein König wird verbleichen Der Grawsamkeit geliebt: Wird nackend/ arm vnd bloß Ohn alles Zepter gehn in Acherontens Schoß/ Von gar viel andern zwar als wol bey vns vmbringet. Der Bluthund der sich hier zu Krieg vnd Streiten dringet/ Der Hertze/ Geist/ vnd Sinn an Meutterey ergetzt/ Wird einen ärgern Feind sehn auff sich angehetzt/ Als er gewesen ist/ der stündlich jhn wird jagen/
––––––––– 81
Ebenda, Verse 243, 273, 293 f., 295 f., 305, 334, 341–343.
Schlußgebet
395
Der Augenblicklich jhn wird ängsten/ martern/ plagen Mit vnerhörter Pein.82
Die ›HimmelsFrewden‹ hingegen, die den ›Seligen‹ bevorstehen, gehen ›vber Englische Gedancken vnd Verstand.‹ Was vmb vnd vmb wird seyn wird alles Frieden heissen; Da wird sich keiner nicht vmb Land vnd Leute reissen/ Da wird kein Ketzer seyn/ kein Kampff/ kein Zanck vnd Streitt/ Kein Mord/ kein Städte-brand/ kein Weh vnd Hertzeleid. Dahin/ dahin gedenckt in diesen schweren Kriegen/ In dieser bösen Zeit/ in diesen letzten Zügen Der nunmehr-krancken Welt; Dahin/ dahin gedenckt So läßt die Todesfurcht euch frey vnd vngekränckt.83
Noch in die Vergegenwärtigung des verheißenen Landes geht die Erinnerung an die Schrecken ein, die das Leben hienieden zu einer Hölle machten. Endzeitstimmung waltet. Die kranke Welt liegt in ihren letzten Zügen. Es ist das Bild, das aus der gleichzeitigen Publizistik und insonderheit dem grassierenden Flugblatt vertraut ist. So wie der nahende Krieg sich in Vorzeichen des Schreckens am Himmel ankündigte, denen auch Opitz in sein Werk Eingang gewährt hatte, so fungierte er selbst als ein Emblem des Endes. Geschichte, menschliches Tun und Trachten drohte in einem Meer von Blut zu versinken. Das Kainsmal auf der Stirn der Zeit aber blieb die Verurteilung des Andersgläubigen als eines ›Ketzers‹. In der Inquisition und den nicht endenden Antichrist-Attributionen verdichtete sich das Unheil, das in der Christenheit selbst Wurzel gefaßt hatte wie nie zuvor in ihrer Geschichte und den Topos der an ihr Ende gelangenden Welt – eingeschrieben in die eschatologische Linienführung – zu einer lebendigen Erfahrung hatte werden lassen.
Schlußgebet Ganz am Schluß seines Werkes hat Opitz sein Bekenntnis niedergelegt, das sein Werk untergründig durchzog. Es ist einer Jenseits-Vision anvertraut. Wer wünschte nicht an den Ort zu gelangen, der da bevölkert ist von den himmlischen Heerscharen, den Heiligen, den Gott zu Diensten bereiten schönen ›Geistern‹, und daselbst Gott zu schauen, Der vnbegreifflich ist/ in keinen Orth zu bringen/ An allen Orten doch/ der war für allen Dingen/ Vnendtlich/ vnbekand/ von keinem je erkiest/ In dem/ auß dem/ durch den ist alles was da ist: Keusch/ ewig/ gut/ gerecht/ frey/ loß/ in nichts beschlossen/ Der Vater von sich selbst/ der Sohn aus jhm entsprossen/ Der heilige Geist auch von allen beyden her/ Die drey allein ein Gott: Mehr ist vor mich zu schwer.84
––––––––– 82 83 84
Ebenda, Verse 348, 367, 365, 371, 377, 394–403. Ebenda, Verse 410, 411, 412, 413–420. Ebenda, Verse 433–440.
X. Das ›Trost-Gedichte‹
396
Im Bekenntnis zur Trinität resümiert sich der christliche Glaube. Opitz, wohlvertraut mit antitrinitarischem Gedankengut, hat sich an dieser Stelle unzweideutig geäußert. Ein Mehr an dogmatischer Fixierung lehnte er jedoch ab. Er wußte, daß eine jede weitere Bestimmung den Keim des Zwistes in sich barg und damit jenes Krebsgeschwür nährte, das er mit der humanistischen Intelligenz um 1600 fürchtete und geißelte wie nichts sonst. Bescheidung galt es zu üben. Und Vertrauen darauf, daß in der Schrift alles Glaubensnotwendige unzweideutig und der Nachahmung anheimgestellt niedergelegt war. Denn auf Praxis lief letztlich eine jede authentische Begegnung mit der biblischen Botschaft hinaus. Und so steht vor dem Gebet die eindringliche Mahnung, in Nichtergründbares sich nicht zu verlieren, sondern im Zutageliegenden und Gewissen über die Grenzen der Konfession hinweg sich glaubend geborgen zu wissen: Was niemand suchen sol/ begehret nicht zu finden/ Vnd steiget nicht zu hoch/ es möchte sonst verschwinden Diß was jhr suchen sollt: Wer Gottes Heimligkeit Vermessentlich erforscht/ der segelt gar zu weit/ Vnd schifft in einer See durch die er nicht kan kommen/ Muß wieder auff den Weg den er zuvor genommen/ Kömpt vnverrichtet heim: Diß was vns selig macht Wird durch die Schrifft genug in Augenschein gebracht/ Vnd deutlich außgelegt.85
An dieses so bestimmte und zugleich das Geheimnis wahrende ›höchste Gut‹ ergeht das abschließende Gebet. In grandioser Manier vereint es den Gehalt des Werkes einer Apotheose gleich. Es ist ein Kollektiv, das da anbetend ›Mit eyfrigem Gemüth vnd fewrigen Gebeten‹ zu Gott sich wendet und der Dichter leiht ihm, dem ›armen Volck‹ Gottes, sein Wort. Es ist der Gott des Alten Testaments, der nun angerufen und um Beistand ersucht wird. An den Kindern Israel hat er seine Macht und seine die Geschicke des auserwählten Volkes lenkende Güte bewiesen. Der ›grosse Vberwinder‹, die ›Zuflucht Israels‹ möge sich auch des ›kleinen Hauffens‹ annehmen und die Feinde daran hindern, daß sie weiterhin ihr ›scharffes Schwerdt‹ wetzen, das ›wilde Metzen‹ endlich ein Ende hat. Sündig, wie alle ausnahmslos vor Gott treten, dürfen sie doch seines ›Väterlich erbarmens‹ gewiß sein.86 Doch bei dieser einen Gemeinsamkeit bleibt es. Es ist der ›Kirchen schwaches Schiff‹ der Unterdrückten, [...] das jetzund knackt vnd bricht In dieser wilden See/ in diesen wüsten Wellen/ Bestritten von der Macht vnd Grausamkeit der Höllen!87
Sie, die Leidenden und Unterdrückten, müssen sich spöttisch fragen lassen, wo denn ›der Ketzer Gott‹ wohl bleibe. Der ›grosse FriedeFürst‹ aber, so die Gewißheit, die der Text als Zuspruch vermitteln möchte, ist bei seinen ›Schafen‹, sofern diese nur bußfertig sind und das »reine Kleidt | Der Vnschuldt/ Gottesfurcht vnd newen Fröm––––––––– 85 86 87
Ebenda, Verse 441–449. Ebenda, Verse 451, 453 f., 477, 482, 479, 480, 482, 494. Ebenda, Verse 496–498.
Schlußgebet
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migkeit« angelegt haben. Bis zum Schluß ist diesem frommen Gelübde das Versprechen beigesellt, daß der »Sinn der allzeit wache | Für dich/ für vnser Land vnd für gerechte Sache« bleiben möge. Gott, Einsatz für das Vaterland und rechter Glaube gehören zusammen. Wahre Hingabe für die patria ist an die rechte Gestalt des Glaubens gebunden.88 So erhält sich noch ein Jahrhundert nach dem reformatorischen Geschehen im Herzen Deutschlands eine Erinnerung an die nationalen Hoffnungen, die das Auftreten Luthers bereits für eine Weile im Gefolge hatte. Das Vaterland sieht sich der ›Tyranney‹ konfrontiert; es selbst ist als tyrannisches grundsätzlich nicht zu denken. Politische Theologie ist keine Errungenschaft jüngsten Datums. Unverhohlen wird in dem Gebet die Bitte laut, ›den Sinn‹ der »andern Potentaten | Die vnsers Glaubens sind« so auszurichten, »daß sie auch helffen rahten | Vnd trewlich Beystand thun«.89 Bündnisse zu suchen, war das ständige Anliegen der Pfälzer Politiker. Opitz hat teilgenommen an diesen Bemühungen; in seiner Schöpfung kehrt der Gedanke an prominenter Stelle wieder. Und neuerlich spielt auch hier der nationale Gedanke hinein. ›Ritterlich‹ zusammenzustehen ist recht eigentlich Sache der ›Teutschen‹.90 Der Dichter spricht damit aus, was vielfältig widertönt in den Dichterkreisen, die – fußend auf seinem Werk – sich alsbald im protestantischen Deutschland formieren werden. Über Opitz nicht allein, aber gewiß auch nicht zuletzt, wurde der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts eine Mitgift zuteil, die wirksam blieb in den finsteren Zeitläufen, die er so beredt bedichtet hatte. Aus der Mitte eines mutigen Glaubens heraus war zugleich ein Zeugnis beherzten politischen Wollens entsprungen. Die deutsche Literatur ist nicht so reich an Werken von derartiger Statur, als daß nicht Sorge zu tragen wäre für ihr Fortleben in stetig währender Lektüre und Auslegung.
––––––––– 88 89 90
Ebenda, Verse 500, 503, 502, 523 f., 533 f. Ebenda, Verse 533, 553 ff. Ebenda, Verse 562, 564.
XI. In Siebenbürgen Bewahrung der antiken Welt in der Schrift Auftakt Im Frühjahr 1622 erschien am Brieger Hof Johann Christians ein Emissär des Fürsten in Siebenbürgen Bethlen Gábor namens Magdeburger. Was ihn im Auftrag seines Herrn in die Piasten-Residenz führte, ist aus dem Entwurf eines Antwortschreibens zu ersehen, der in extenso von dem um die schlesische Geschichte dieser Jahre so verdienten Historiker Hermann Palm mitgeteilt wurde. Bethlen hatte nämlich begehrt, der herzog möge ihm für ein in Alba Julia (Weißenburg), seiner residenz, zu gründendes, allmählich in eine akademie zu erweiterndes gymnasium elegantioris literaturae drei oder vier gelehrte und rechtschaffene männer orthodoxen, d.h. hier reformireten glaubens, zu dem sich ja die herzoglichen brüder auch bekannten, als lehrer gewinnen.1
Da bewährte sich noch einmal ein im Glauben wurzelnder Brückenschlag, der einst in den Südwesten hin erfolgt war, in einem Desaster geendet hatte und nun auf einem unverfänglicheren Parkett in Richtung Südosten sich wiederholen sollte. Anlaß genug, den Blick in diese Region zu richten, die für Opitz eine knapp bemessene Weile lang ––––––––– 1
Hermann Palm: Martin Opitz im verkehr mit Janus Gruterus und in Siebenbürgen.- In: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik Leipzig 1977, S. 157–189, S. 166. Zu Opitz in Siebenbürgen vgl. etwa: Karl Kurt Klein: Beziehungen Martin Opitzens zum Rumänentum.- In: Korrespondenzblatt des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde 50 (1927), S. 89–116. Separatdruck Hermannstadt 1927; ders.: Germanissimi Germani.- In: Korrespondenzblatt des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde 50 (1927), S. 41–43; ders.: Zur Frage des ›Germanissimi Germani‹ des Dichters Martin Opitz.- In: Südostdeutsches Archiv 4 (1961), S. 19–29. Wiederabgedruckt in ders.: Saxonica Septemcastrensia. Forschungen, Reden und Aufsätze aus vier Jahrzehnten zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen.- Marburg: Elwert 1971, S. 290–301; Rolf Marmont: Martin Opitz in Weißenburg (1622–1623).- In: Neue Literatur 22 (1971), S. 98–105; Peter Ötvös: Martin Opitzens kleine Welt in Siebenbürgen.- In: Die oberschlesische Literaturlandschaft im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Gerhard Kosellek.- Bielefeld: Aisthesis 2001 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Schlesien; 11), S. 205–220; Hans-Christian Maner: Martin Opitz in Siebenbürgen (1622–1623) – Traum und Wirklichkeit fürstlicher Machtpolitik unter Gabriel Bethlen. Darstellung und Rezeption.- In: Martin Opitz (1597–1939). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (Frühe Neuzeit; 63), S. 154–168; János Heltai: Martin Opitz und sein intellektuelles Umfeld in Siebenbürgen.- In: Martin Opitz 1597–1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner, Wolfgang Kessler.- Herne: Stiftung MartinOpitz-Bibliothek 2006 (Martin Opitz-Bibliothek. Schriften; 3), S. 79–103.
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Ort seines Wirkens und Dichtens werden sollte und als Frucht eine der schönsten Schöpfungen des Boberschwans zeitigte, welche sich als eine Perle der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts behauptete und seither immer wieder Lobredner auf den Plan rief. Sie ist einer einmaligen Konstellation geschuldet, die Opitz als Chance für einen poetischen Vorwurf begriff, den er in der üblichen ihm eigenen Sicherheit des Zugriffs für sich entschied und die schließlich eben noch so rechtzeitig zum Druck gelangte, daß die Freunde im fernen Heidelberg und Straßburg ihre Edition der gesammelten Gedichte des Schlesiers mit seiner jüngsten Arbeit schmücken konnten.2
Umrisse eines Siebenbürgen-Porträts in konfessioneller Perspektive Die Geschichte der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit erstreckt sich über weite Räume. Der alte deutsche Sprach- und Kulturraum ragt tief hinein nach Mittelost- und Südosteuropa. Opitz betrat ein Land, über das seinerzeit genaue Kenntnisse in Umlauf waren. Und die knüpften sich um 1600, wie immer wieder zu konstatieren, an konfessionelle Vorgaben und mit ihnen korrespondierende Machtkonstellationen und politische Verbindungen.3 ––––––––– 2
3
Der Verfasser hat dem Landgedicht ›Zlatna‹ – wie den beiden anderen Gedichten Opitzens aus der Gattung ›Lob des Landlebens‹ – im zweiten Band seines Arkadienbuches eine eingehende Interpretation gewidmet, so daß an dieser Stelle eine Beschränkung statthaben durfte. Wir nutzen den gewonnenen Platz, um einen Blick in die ferne Landschaft Siebenbürgen zu werfen. Parallel zu dem Siebenbürgen-Kapitel in diesem Buch erscheint ein Aufsatz des Verfassers mit dem Titel: Kulturelle Räume und literarischer Transfer im alten deutschen Sprachraum. Ein Brückenschlag zwischen Schlesien, der Pfalz und Ungarn anlässlich Martin Opitzens Besuch in Siebenbürgen.In: Siebenbürgen. Eine frühneuzeitliche Kulturlandschaft in Mittelosteuropa im Spiegel ihrer Literatur. Hrsg. von Klaus Garber, Axel. E. Walter.- Berlin: Duncker & Humblot 2017 (Literarische Landschaften; 16), S. 43–72. Der Beitrag ist reich ausgestattet mit Literatur, so daß sich Wiederholungen an dieser Stelle erübrigen. Hinweisen würden wir gern auf die daselbst nicht aufgeführte Arbeit von István Bitskey: Konfessionen und literarische Gattungen der frühen Neuzeit in Ungarn. Beiträge zur mitteleuropäischen vergleichenden Kulturgeschichte.- Frankfurt a.M etc.: Lang 1999 (Debrecener Studien zur Literatur; 4) sowie auf das eingeführte Werk: Die deutsche Literatur Siebenbürgens. Von den Anfängen bis 1848. Halbband I: Mittelalter, Humanismus und Barock. Hrsg. von Joachim Wittstock, Stefan Sienerth.- München: Verlag Südostdeutsches Kulturwerk 1997 (Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B: Wissenschaftliche Arbeiten; 81). Vgl. von Sienerth auch: Studien und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Literatur und Sprachwissenschaft in Südosteuropa. Band I: Theoretische Reflexionen und Überblicksarbeiten. Beiträge zur deutschen Literatur in Siebenbürgen im 17. und 18. Jahrhundert und zur Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Germanistik.- München: IKGS Verlag 2008 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. Wissenschaftliche Reihe (Literatur- und Sprachgeschichte); 112). Wir orientieren uns im folgenden in erster Linie an der eindrucksvollen Arbeit von Márta Fata: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Hrsg. von Franz Brendle, Anton Schindling.- Münster: Aschendorff 2000 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung; 60). Es enthält abschließend (S. 285–292) einen Forschungsbericht, in dem vor allem auch die zahlreichen ungarischen Arbeiten aufgeführt und knapp charakterisiert sind, aus denen Fatas Darstellung vielfach schöpft.
Sonderfall Siebenbürgen
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Die Reformation nahm in Ungarn und in Siebenbürgen einen anderen Verlauf als in den meisten Territorien des Reiches, aber auch im nordost- und nordeuropäischen Raum insgesamt. Rund 80 Prozent römisch-katholische Gläubige und rund 20 Prozent Anhänger der griechisch-orthodoxen Kirche bevölkerten 1525 das Land. Fünfzig Jahre später waren 75 Prozent der Bevölkerung protestantisch, davon 50 Prozent Calvinisten und nur 25 Prozent Lutheraner, inbegriffen ein prozentual nicht zu fixierender, wirkungsgeschichtlich jedoch außerordentlich bedeutender Teil Antitrinitarier. Das war eine Situation, die eben nicht in der deutschen, wohl aber der europäischen Perspektive Ungarn von vornherein einen erheblichen Anteil an der international sich formierenden Konfessionalisierung und insonderheit im Rahmen der internationalen Bewegung des Calvinismus sicherte. Anders als das protestantische, das lutherische Deutschland hatte das vom Calvinismus dominierte Ungarn Zugang zu den Bündnisbildungen und Debatten der calvinistisch inspirierten Intelligenz im Westen des Reiches und zumal in Westeuropa. Diese Konstellation entschied für weit mehr als ein Jahrhundert bis an die Schwelle der Aufklärung stets auch über literarische Optionen und ist deshalb gleich eingangs prononciert zu profilieren. Während das Luthertum in Ungarn bezeichnenderweise vor allem unter den zehn Prozent Deutschen Eingang fand, setzte sich bei den Magyaren, die mit fast siebzig Prozent die große Mehrheit der Bevölkerung neben Slowaken, Deutschen, Rumänen und Serben stellten, der Calvinismus durch. Räumlich war die Gewichtung eine andere. Im Königlichen Ungarn blieb das Luthertum stärker verwurzelt. Es war für die Habsburger insgesamt eher tolerabel als der Calvinismus, der dann auch bei den Magyaren in Siebenbürgen und den türkisch besetzten Gebieten dominierte. Wie überall markierte der Calvinismus zudem eine Position ständischer Selbständigkeit gegenüber der Krongewalt, wie sie gerade auch in Siebenbürgen bestimmend in den Religionskonflikt hineinspielte. Die Zipser und Siebenbürger Sachsen waren von dieser ständischen Frontbildung nicht in gleichem Maße betroffen. Das Luthertum blieb unter ihnen folgerichtig stärker verankert. Es war vielfach ein von Melanchthon geprägtes und korrespondierte daher jenen Bildungen, die allenthalben im ostmitteleuropäischen Raum von Danzig im hohen Nordosten bis in das Siebenbürgische hinein zu beobachten sind. Dabei kann so wenig wie im Blick auf die Pfalz die böhmisch-schlesische Brückenfunktion in diesem bemerkenswerten Vorgang unterschätzt werden.
Sonderfall Siebenbürgen Hier kann es weder um die Reformation im Königlichen noch um die im mittleren, türkisch besetzten Ungarn gehen; der Fokus der Betrachtung ist auf Siebenbürgen zu richten.4 Es soll dies nicht erfolgen, ohne Dreierlei zu notieren, das auch im Blick auf ––––––––– 4
Zur Geschichte Siebenbürgens liegen eine Reihe von einführenden Darstellungen vor. Hervorzuheben ist die Gemeinschaftsarbeit zahlreicher ungarischer Historikerinnen und Historiker der Ungarischen Akademie der Wissenschaften: Kurze Geschichte Siebenbürgens. Hrsg. von Béla Köpeczi unter Mitarbeit von Gábor Barta, István Bóna, László Makkai, Zoltán Szász. Redaktion der
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Ungarn als ganzes neuerlich ins Auge fällt. Der schärfste Kampf hat hier gleichfalls langfristig nicht zwischen Katholiken und Protestanten getobt. Dieser wurde vielmehr seit den siebziger Jahren und insonderheit nach der Verabschiedung der ›Formula Concordiae‹ im Jahre 1578 überlagert von dem zwischen Lutheranern, Zwinglianern und Calvinisten, wobei die Lutheraner die treibende Kraft stellten. Das war das vertraute Bild.5 Bemerkenswert blieb, wie vielfältig und den wechselnden Lagen rasch sich anpassend der Kaiser und mehr noch der ungarische König agierten. Drastischen Maßnahmen, um die Wende zum 17. Jahrhundert massiv sich verschärfend, standen insbesondere politischen Rücksichten geschuldete attentistische Verhaltensweisen gegenüber, und in mehr als einem Fall mußten sich Landesherr oder Bischof und gelegentlich beide gegen blindwütige Lutheraner zum Schutz Andersgläubiger verwenden. Am meisten aber besticht die allenthalben und auf den verschiedensten Ebenen immer wieder zutagetretende Neigung auf seiten der Magyaren selbst, der Zuspitzung von Gegensätzen zu wehren, Gewährenlassen zu praktizieren, Lebensrecht und Lebensraum unterschiedlicher Gesinnungen zu respektieren. Vor allem dieser letztere Zug verdiente, wenn denn der Raum es gestattete, der näheren Erkundung, Beschreibung und Würdigung.6
Fürstliche Residenz Weißenburg Schon Bischof Ladislaus Geréb hatte auch Weißenburg zu einer strahlenden Residenz ausgebaut. Er war ein leidenschaftlicher Sammler römischer Inschriften – eine Obsession, der noch Opitz zwei Jahrhunderte später am Ort huldigen sollte. 1541 mußte der königliche Hof auf Befehl Sultans Süleyman I. aus Ofen nach Siebenbürgen umzie–––––––––
5
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deutschen Ausgabe: Zoltán Szász.- Budapest: Akadémiai Kiadó 1990. Die Darstellung Siebenbürgens zwischen 1526 und 1606 stammt von Gábor Barta, diejenige zwischen 1606 und 1660 von Katalin Péter, diejenige der Jahre 1660 bis 1711 von Ágnes R. Várkonyi. Das Werk genügt dem Anspruch einer Standard-Darstellung. Es ist reichhaltig mit Literatur ausgestattet. Vgl. auch Meinolf Arens: Habsburg und Siebenbürgen 1600–1605. Gewaltsame Eingliederungsversuche eines ostmitteleuropäischen Fürstentums in einen frühabsolutistischen Reichsverband.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2001 (Studia Transsylvanica; 27). Vgl. zum Folgenden neben der Arbeit von Fata auch: Erich Roth: Die Reformation in Siebenbürgen. Ihr Verhältnis zu Wittenberg und der Schweiz. I. Teil: Der Durchbruch. II. Teil: Von Honterus zur Augustana.- Köln, Graz: Böhlau 1962–1964 (Siebenbürgisches Archiv; 2,4). Des weiteren: Luther und Siebenbürgen. Ausstrahlungen von Reformation und Humanismus nach Südosteuropa. Hrsg. von Georg Weber, Renate Weber.- Köln, Wien: Böhlau 1985 (Siebenbürgisches Archiv; 19); Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Volker Leppin, Ulrich A. Wien.- Stuttgart: Steiner 2005 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa; 66). Schließlich ist der wichtige Sammelband heranzuziehen: Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918. Hrsg. von Márta Fata, Anton Schindling. Unter Mitarbeit von Katharina Drobac, Andreas Kappelmayer, Dennis Schmidt.- Münster: Aschendorff 2010 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; 155). Gerade er ist mustergültig herausgearbeitet worden in der oben Anm. 3 zitierten Arbeit von Márta Fata.
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hen. Ofen war von den Türken erobert worden. Der Wechsel der Oberhoheit im Land wollte auch im Wechsel der Hauptstadt bekräftigt sein. Die Siebenbürger Stände bestimmten Weißenburg als neue königliche Residenz. So war es wie ein Vorschein der künftigen Bestimmung der neuen Hauptstadt, daß die erste in ihr wirkende Regentin erfüllt war vom Geist des Humanismus, der sich schon in Ofen so kraftvoll entfaltet hatte.7 Die Witwe König Szapolyis Isabella ergriff das Zepter in Weißenburg. Sie war die Tochter des polnischen Königs Sigismund I. und einer Italienerin aus dem illustren Geschlecht der Sforza namens Bona. Sigismund war bekannt für die Toleranz, die er in religiösen Dingen beobachtete. Die Tochter ihrerseits hatte über ihre polnische Herkunft Berührung mit dem Humanismus zumal in seiner besonderen Krakauer Gestalt gehabt. Dieses Erbe verlor sich nicht wieder. Sie gestaltete in Weißenburg eine Residenz im Stil der Spätrenaissance, in der die italienische Sprache gepflegt und das italienische Zeremoniell beobachtet wurden. Das war kunst- und etikettefeindlichen Eiferern ein Dorn im Auge. Und in der Historiographie, angefangen bei Ferenc Forgáchs ›De statu rei publicae Hungaricae commentarii ‹ aus den Jahren 1572–1576, erfreute sich der höfische Pomp keines guten Rufs. Für Weißenburg war der furiose Auftakt gerade im Blick auf künftige kulturelle Ambitionen ein Glücksfall.
Religiöse Toleranz Er traf sich auf eine denkwürdige – und, wie wir nicht anstehen auszusprechen: sympathische und wenn man denn so will ›ungarnkonforme‹ – Weise mit der religiösen Orientierung der Königin. Diese stand im Zeichen des italienischen Hofarztes Giorgio Biandrata.8 Er war in der Mitte der fünfziger Jahre nach Italien zurückgekehrt, dort in die Fänge der Inquisition geraten, nach Genf ausgewichen, dort in Konflikt mit der calvinistischen Obrigkeit geraten und ins Asyl so vieler ›Abweichler‹, nach Polen, geflohen. Isabella nun hatte auf ein friedliches Zusammenleben von Katholiken und Protestanten hingewirkt, wie es 1558 auch offiziell kodifiziert wurde. Ihr Sohn setzte diese Politik fort. Er wurde, im Gegensatz zu seiner Mutter, selbst zum Lutheraner. Unter dem Einfluß humanistisch gestimmter Berater verstand er sich zur Einberufung von Religionsgesprächen, wie sie vor allem in Frankreich so lebhaft gepflegt wurden. Jetzt schlug die Stunde des aus Polen nach Siebenbürgen zurückgekehrten Biandrata. Er hatte sich vom Calvinismus getrennt und war zum Sozinianismus übergegangen. Ihm gelang es, den König für die Sache dieses allenthalben verpönten religiösen Bekenntnisses zu gewinnen. 1564 wurde zunächst der Calvinismus als dritte ›rezipierte‹ Konfession bestätigt. Dann erfolgte mit dem Übertritt zum Unitarismus die für ––––––––– 7
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Vgl. zum Folgenden das einschlägige Kapitel bei Fata: Ungarn (Anm. 3), betitelt: Zwei Formen der höfischen Reformation: Ofen und Weißenburg, S. 168–174. Zum Kontext vgl.: Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert. Hrsg. von Ulrich A. Wien, Krista Zach.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2004 (Siebenbürgisches Archiv; 37). Vgl. zu Biandrata den Artikel von Antonio Rotondò in: Theologische Realenzyklopädie V (1980), S. 777–781. Hier die Literatur. Vgl. auch die Angaben im zweiten Kapitel dieses Buches.
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Siebenbürgen so überaus folgenreiche Fortschreibung des reformatorischen Prinzips, wie sie nur als Radikalisierung verstanden werden kann. Zwar gelang es dem Fürsten und seinem humanistischen Beraterstab in Weißenburg nicht auf Anhieb, auch dem Unitarismus zur offiziell sanktionierten Geltung zu verhelfen. Versucht wurde der Weg über die staatliche Garantie einer individuellen Glaubensfreiheit. Doch scheiterte er am Einspruch der Stände, welche ihr territorial verbürgtes Recht auf Selbstbestimmung in religiösen Dingen verletzt sahen. Stephan Báthory setzte dann jedoch die Gleichberechtigung der vier Konfessionen durch – ein Akt, der durchaus auch den in die Minorität geratenen Katholiken zugute kam. Das Fazit, stets gerne zu wiederholen: »In Siebenbürgen, einmalig im Europa des 16. Jahrhunderts, konnte religiöse Toleranz auf der Grundlage der spezifischen ethnischständischen Verfassung des Fürstentums entstehen.«9 Dieses Vermächtnis will tradierend bewahrt sein.
Im Zeichen Bethlen Gábors Ein neues Zeitalter wurde mit der 1613 erfolgten Wahl Bethlen Gábors zum Fürsten von Siebenbürgen eingeleitet.10 Nun erfolgte der Schritt in die Ära des Absolutismus. Wenn noch einmal nach Matthias Corvinus eine Regentschaft in Ungarn mit dem Namen eines Einzelnen sich verband, so ist es diejenige Bethlen Gábors. Und das aus mehr und anderen Beweggründen als nur dem auf die deutsche Literatur und ihren Mentor gerichteten Blickwinkel. Für deren Historiker wird freilich der Name des Fürsten stets einen besonderen Klang bewahren. Bethlen Gábor verstand seine Herrschaft in guter calvinistischer Tradition als eine in göttlichem Auftrag erfolgende. Das implizierte den uneingeschränkten Schutz der protestantischen Sache, die für ihn eben in erster Linie eine des Reformiertentums war. Die Führungsschicht, die er um sich in Verwaltung, Bildungs- und Kirchwesen versammelte, rekrutierte sich in Ermangelung von Alternativen vor allem aus der calvinistischen Predigerschaft. Die hatte ihre Studien zumeist in der Hochburg des Calvinismus in Heidelberg unter Stabführung von David Pareus absolviert. Die Brücke nach Heidelberg blieb auch für die Intelligenz Siebenbürgens in den ersten Dezennien des neuen Jahrhunderts die wichtigste für den Fürsten und seine Stäbe.11 ––––––––– 9 10
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Fata: Ungarn (Anm. 3), S. 174. Zu Bethlen Gábor vgl. neben den allgemeinen Darstellungen zur Geschichte Ungarns z.B. Dávid Angyal: Gabriel Bethlen.- In: Revue historique 158 (1928), S. 19–80; Lászlo Makkai: Gábor Bethlen et la culture européenne.- In: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 28 (1982), S. 37–71. Zuletzt: Dénes Harai: Gabriel Bethlen. Prince de Transylvanie et Roi élu de Hongrie (1580–1629).- Paris: L’Harmattan 2013 (Histoire hongroise). Zum Kontext grundlegend: Maja Depner: Das Fürstentum Siebenbürgen im Kampf gegen Habsburg. Untersuchungen über die Politik Siebenbürgens während des Dreißigjährigen Krieges.- Stuttgart: Kohlhammer 1938 (Schriftenreihe der Stadt der Auslandsdeutschen; 4). Vgl. Robert Seidel: Der ungarische Späthumanismus und die calvinistische Pfalz.- In: Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Anton Schindling unter Mitarbeit von Wolfram Hauer.- Stuttgart: Steiner 2004 (Contubernium; 62), S. 227–251 (mit reicher Literatur).
Das ›Academicum Collegium‹
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Das ›Academicum Collegium‹ Bildung hieß das Zauberwort, dem sich Bethlen Gábor verschrieb. Und das nicht um hehrer Ideale wegen. Nur über Ausbildung vermochte das weiträumige Land dem Willen des Herrschers entsprechend unifiziert zu werden. Da machte sich das Fehlen einer eigenen Hochschule im Land hemmend geltend. So wurde die Lateinschule in seiner Residenz Weißenburg zunächst zu einem Gymnasium und sodann zu einem ›Academicum Collegium‹ weiterentwickelt.12 Große Gelehrte aus der ›Academia Nassauensis‹, der reformierten Hohen Schule in Herborn, wie Johann Heinrich Alsted oder Johann Heinrich Bisterfeld, fanden im fernen Siebenbürgen eine neue Wirkungsstätte. Der Hochschule trat eine 1613 gegründete fürstliche Bibliothek zur Seite. Zehn Jahre später war auch eine fürstliche Druckerei am Werk. Der bildungspolitisch weit vorausschauende Fürst hatte eine gelehrte institutionelle Trias gefügt, die sich auf Dauer mit seinem Namen verbinden sollte. Zu den Katastrophen im Osten gehört nicht zuletzt die Zerstörung Weißenburgs durch osmanisch-tatarische Truppen im Jahr 1658. Vierzig Jahre früher war Heidelberg geplündert worden. Nun ereilte auch die Heidelberger Pflanzstätte im Osten ein grausames Schicksal. Das Aufbauwerk war begleitet von einem reichhaltigen Schrifttum, das schon titularisch den obwaltenden Elan verrät, inspiriert von den Impulsen des Fürsten. Da erschienen in den zwanziger Jahren sogleich nach Errichtung der Druckerei eine ›Höfische Schule‹ oder ein ›Königspiegel‹ oder eine ›Stunde der Fürsten‹. Um die Gattung des Fürstenspiegels war die intellektuelle Arbeit gruppiert. Auch in der Religionspolitik kam der darin artikulierte Anspruch auf weises, um Ausgleich bedachtes Regententum zum Ausdruck. Der Calvinismus hatte gewiß de facto die Rolle eines Staatskirchentums inne. Den drei anderen Bekenntnissen wurde jedoch ausdrücklich Gleichberechtigung attestiert. In den ›Approbatae Constitutiones Regni Transsilvaniae et Partium Hungariae eidem annexarum‹ des Jahres 1653 wurde dieser Zustand gesetzlich fixiert. Siebenbürgen wies mit dieser Regelung weit in die Zukunft. Der konfessionellen Unifizierung zugunsten des einen staatstragenden Glaubensbekenntnisses, wie es machtpolitisch möglich gewesen wäre, war widerstanden worden. Unter seinem Nachfolger Georg I. Rákóczi nahm diese Entwicklung ihren glücklichen Fortgang. Georg gehört zu jenen Fürstengestalten im Zeitalter der Konfessionalisierung, die lebhaft an den theologischen Debatten teilnahmen, ja solche durch Einberufung von Kolloquien und Disputationen förderte. An seinem Hof in Sárospatak nahm er gemeinsam mit seiner Frau an langen Religionsgesprächen teil. Auch er pflegte eine bedeutende Bibliothek, die er als Leihbibliothek auch für breitere Schich––––––––– 12
Vgl. Matthias Asche: Bildungsbeziehungen zwischen Ungarn, Siebenbürgen und den deutschen Universitäten im 16. und frühen 17. Jahrhundert.- In: Deutschland und Ungarn (Anm. 11), S. 27– 52 (mit reicher Literatur). Zum Kontext: Horst H. Fassel: Der Fürstenhof von Weißenburg (Alba Iulia) und seine Bedeutung für Wissenschaft und Kunst in Siebenbürgen zur Zeit Gabriel Bethlens.- In: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Band I–III. Hrsg. von August Buck, Georg Kauffmann, Blake Lee Spahr, Conrad Wiedemann.- Hamburg: Hauswedell 1981 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 10), Band III, S. 637–645.
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ten der Bevölkerung öffnete. Die Weißenburger Akademie wurde durch ihn zur Universität ausgebaut. In Sárospatak wurde in der Tradition der Ritterakademien eine ›Schola Aulica‹ geschaffen. Dieses imponierende Werk territorialer Akkulturation war mit einem Schlag hinweggefegt, als der Nachfolger Georg II. Rákóczi 1660 Thron und Leben verlor und die mühsam behauptete Stellung Siebenbürgens zwischen Wien und Konstantinopel verspielt wurde. Die kulturelle und religiöse Innovation erlosch. Ein großes Jahrhundert Siebenbürgens war beendet.13
Poetische Reisegedanken auf dem Wege nach Siebenbürgen So viel in wenigen Strichen zu Land, Herrschaft und Religion, das Opitz nun als einer der Pioniere aus Schlesien betrat. Seine freilich nur kurze Siebenbürgener Episode bezeichnet eine wichtige, auch werkgeschichtlich einschlägige Station in seiner Karriere als Dichter und Diplomat. Der Kontakt war über Johann Christian von Liegnitz und Brieg hergestellt worden, der seinerseits eine Empfehlung Opitzens vom Nestor der schlesischen Späthumanisten Caspar Cunrad erhalten hatte.14 Und das keineswegs zufällig. Johann Christian als Oberlandeshauptmann Schlesiens und der Siebenbürgener Fürst Bethlen Gábor zählten zu den prominenten Mitgliedern der gegen Ferdinand II. gebildeten Konföderation vornehmlich calvinistischer Fürstentümer, die den Pfälzer Kurfürsten 1619 auf den Böhmischen Königsthron hoben – das folgenschwere, schon ein Jahr später mit der verlorenen Schlacht am Weißen Berge tragisch endende Unternehmen. Das Siebenbürgen Bethlen Gábors war eines jener Länder, in denen der fortan bedrängte Calvinismus auch nach 1620 ein Refugium fand. Entsprechend kamen nun Personen aus dem Umkreis der Herzöge zum Zuge, die in dem konfessionellen Milieu hier wie dort zu Hause waren. Dazu gehörte der Professor am illustren Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder Balthasar Exner, der Opitz-Freund Caspar Kirchner und eben Opitz selbst. Während Exner und Kirchner jedoch abwinkten, nahm Opitz ganz offenkundig in Ermangelung von Alternativen das Angebot an. Noch auf dem Wege zu seinem neuen Wirkungsort blieb er dichtend tätig. Ein alter Freund aus Frankfurter Studientagen (fraternâ fide sibi junctum), empfing unmittelbar vor der Abreise noch aus Breslau und sodann von unterwegs aus Kaschau zwei poetische Episteln.15 Ein zweites Mal, nach der mit so viel Hoffnungen angetretenen ––––––––– 13
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Das Voranstehende nach Fata: Ungarn (Anm. 3), S. 233–253: Calvinismus und Multikonfessionalität im Fürstentum Siebenbürgen im 17. Jahrhundert, darin S. 233–236: Zwischen Religionsfreiheit und Primat der ›confessio reformata‹. Vgl. neben der oben Anm. 1 zitierten Abhandlung von Hermann Palm auch: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Band I–III. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck.- Berlin, New York: de Gruyter 2009. Hier Band I, S. 287–297, ein Brief von Opitz aus Weißenburg an Caspar Cunrad vom 20. Januar 1623 nebst dem Empfehlungsschreiben Herzog Johann Christians von Brieg an Bethlen Gábor mit Übersetzung und reichem Kommentar. Abdruck in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben
Poetische Reisegedanken auf dem Wege nach Siebenbürgen
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Reise nach Heidelberg, wird das heimatliche Schlesien verlassen. Eine Reise ins Ungewisse steht bevor. Während der Freund sich zur Hochzeit rüstet, bricht der Dichter in ferne Lande auf. At nos extremum procul hinc migramus ad Istrum, Visuri an Musas Dacia fortis amet.16
Noch deutlicher wird Opitz wenige Tage später. Nun stellt sich die Erinnerung an das Exil Ovids im fernen Pannonien ein. Wird dem Dichter ein ähnliches Schicksal zuteil werden? Wie jeder Humanist verstand Opitz es, die eigene Lebensgeschichte mit antiken Weihen zu versehen. Einer Inspektion sollte die Reise dienen, ob denn auch im fernen Dacien die Musen ihre Stätten hätten. Noch bevor er am Ziel seiner Reise eintraf, hatte er dafür Sorge getragen, daß seine Exkursion unter dem Stern eines illustren Vorgängers den Freunden nicht anders als der Nachwelt sich einprägte: BARTSCHI (namque tui modò recordor, AEstus cui libet explicare nostros.) Qvid charam, superos rogo per omnes, Me rellinqvere patriam coëgit, Cum nuper, qvasi conscius malorum, Aut prorsus capitis reus, citato Usque ad Dacica tenderem arva cursu? Qvamvis Musa meos venusta sensûs Nasonis rapiat, tamen profectò Nil dignum exilio illius patravi, Si rectè memini.17
Gewiß, die Freuden des Hochzeiters wollten im Kontrast zu dem eigenen Schicksal poetisch umspielt sein. Und doch ist unverkennbar, daß die antike Reminiszenz, wie sie in der Gegenwart nur allzuhäufig bitter erfahrene eigene Wirklichkeit geworden war, auch im Falle Opitzens womöglich einen Schlüssel zur Deutung eines bevorstehenden unbekannten Lebensabschnitts bereithält. –––––––––
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Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 238–243, Kommentar S. 440–446. Die Übersetzung stammt von Widu-Wolfgang Ehlers, der Kommentar von Veronika Marschall. Der Text auch in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George SchulzBehrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 1. [und] 2. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1978 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300, 301), 1. Teil, S. 44–47. In beiden Editionen auch die einschlägigen Informationen zu dem Adressaten Michael Bartsch. Wir zitieren nach der zweisprachigen Ausgabe. Ebenda, Verse 9 f. Die deutsche Übersetzung: Ich aber ziehe von hier in die Ferne an das äußerste Ende der Donau, um zu sehen, ob das tapfere Dakien die Musen liebt. (S. 239). Ebenda, Verse 1–11. Die deutsche Übersetzung: Lieber Bartsch (denn ich denke gerade an dich, der du meine Unruhe deuten magst), was hat mich – bei allen Göttern! – gezwungen, meine teure Heimat zu verlassen, da ich mich jüngst in schleunigem Lauf bis zu den Fluren Dakiens aufmachte, als hätte ich ein schlechtes Gewissen, ja geradezu als drohte mir die Todesstrafe? Obwohl mir Nasos reizende Muse die Sinne raubt, habe ich doch wirklich nichts verbrochen, was eine Verbannung wie die seine verdient hätte, wenn ich mich richtig erinnere. (S. 241) Zum Kontext die beiden wichtigen neueren Arbeiten von Achim Aurnhammer: Tristia ex Transilvania. Martin Opitz’ Ovid-Imitatio und poetische Selbstfindung in Siebenbürgen (1622/23).- In: Deutschland und Ungarn (Anm. 11), S. 253–272, sowie von János Heltai: Martin Opitz und sein intellektuelles Umfeld in Siebenbürgen (zitiert in Anm. 1).
XI. In Siebenbürgen
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Eine poetische Epistel an einen Weggefährten Zusammen mit Opitz ging schließlich ein gewisser Jakob Kopisch nach Weißenburg, er verließ den Ort freilich früher als der Dichter. Dieser Umstand hatte die glückliche Folge, daß der nun Zurückgebliebene eine poetische Epistel an den in seinen Augen glücklicheren Gefährten auf den Weg brachte. Sie hat in Opitz-Kreisen Nimbus gewonnen, schien sie doch ein authentisches Bild des Aufenthalts in Siebenbürgen zu vermitteln, das für manch einen Opitz-Forscher wichtiger blieb als sein Werk. Doch wie eine jede Äußerung Opitzens ist sie zuallererst dazu angetan, ein Bild des Dichters zu entwerfen, das sich nicht nur dem Freund und den Zeitgenossen, sondern auch der Nachwelt einprägen sollte. Die pittoreske Szenerie war zu verführerisch, als daß sie nicht gereizt hätte, literarisch vollkommen durchgestaltet in einer poetischen Miniatur eingefangen zu werden, die sich der Reihe poetischer Selbstzeugnisse aus der Ferne würdig einfügte. Neben den beiden Hochzeitsgedichten an Bartsch will sie als ein Juwel poetischer Selbstinszenierung aus der Siebenbürgener Zeit knapp vergegenwärtigt und der Erinnerung bewahrt sein.18 Den Rahmen für literarisch fixierte Stationen des Lebens bildet in ungezählten Fällen das undurchsichtige Wirken Fortunas. Dem Freund, der in die Heimat zurückkehren darf, ist es glücklicher angeschlagen als dem Zurückgebliebenen. Leichtsinnigen Herzens (infreno pectore), hat er die Heimat verlassen. Und nun rächt sich das ihm mißgünstige Schicksal an dem Treulosen. So die düstere Exposition, ganz dazu angetan, den Freund als den von Glück und Schicksal Begünstigten erscheinen zu lassen, über dem eigenen Leben jedoch einen Unstern walten zu sehen. Als ein der Zuwendung Bedürftiger, in der Fremde Zurückbleibender vermag so der Freund aufgerufen zu werden, den Namen des Dichters (vatis nomen), mit dem er eine Weile Gesellschaft pflegte, im Gedächtnis zu bewahren. Auf Stiftung von memoria im eigenen Namen und in eigener Sache sind die Zeilen neuerlich abgestellt. Diesem Ziel ist auch die Vergegenwärtigung des Tageslaufes zugeordnet, die der Dichter in den Mittelpunkt seiner poetischen Zuschrift rückt. Sie hat neben einem sogleich heranzuziehenden Brief als Quelle zum Gewinn einer Anschauung von dem Leben des Dichters gedient und nur allzu selten wurde bedacht, daß mit einer jeden Zeile am Entwurf eines Bildes des rechten Humanisten und seines Wirkungsraums im Umkreis des Fürsten gearbeitet wird. Unterricht, Vermittlung der antiken Autoritäten, der Reden Ciceros, der Carmina Horazens, ist das allmorgendlich betriebene Geschäft. Das hätte ein jeder wohlbestallte Lehrer der Beredsamkeit und Poesie gleichfalls verrichten können. Opitz war wegen anderer Fähigkeiten von dem Piasten empfohlen und von dem Fürsten auserkoren worden.
––––––––– 18
Zweisprachiger Abdruck in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 188–191, Kommentar S. 500–505. Die Übersetzung stammt von Georg Burkard, der Kommentar von Veronika Marschall. Hier auch zum Adressaten.
Präsenz Roms
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Postulat haud totam sibi Princeps optimus horam: Hunc quoque qua par est sedulitate docet.19
Zu Bethlen Gábor wird der Dichter täglich bestellt. Der aber erwartet nicht Unterrichtung in den schönen Künsten. Mit ihm wird, ohne daß das gesagt würde, die in mächtiger Bewegung befindliche politische Situation besprochen und Rat gehalten über die zu ergreifenden Schritte. Als versierter Politicus stand Opitz seit seinem Eintreten für die schlesisch-böhmisch-pfälzische Sache bei den Piastenherzögen hoch im Kurs, sein Urteil war gefragt, sein diplomatisches Talent unschätzbar. Ausgestattet mit diesen Fähigkeiten war Opitz nach Siebenbürgen entsandt worden und die Tatsache, daß er freien Zugang zu dem Fürsten hatte, belegt zur Genüge, welchen Rang er in der Residenz und bei Hof einnahm. Das wechselseitige Angewiesensein von Fürst und Dichter, Kernthema im Humanismus, bestimmte Leben und Werk Opitzens gleichermaßen. In Siebenbürgen mochte es für eine knapp bemessene Frist geradezu vorbildlich Wirklichkeit werden.
Präsenz Roms Das Werk selbst blieb den Nebenstunden vorbehalten, so in Siebenbürgen und so ein Leben lang – und dies gleichfalls in Koinzidenz mit allen großen in die Politik involvierten Humanisten. Es ist gestützt auf die Schriften der Alten, und die prägen lesend und sinnend die Stunden der Muße. Leben und Dichten in Rom bleiben das Vorbild. Zu einer derartigen Reminiszenz gehört die Anspielung an die Freuden der Liebe, nun lautend auf den sprechenden Namen Vandalas, der wie alle anderen durch das Opitzsche Werk geisternden seine Biographen wiederum so angelegentlich zu beschäftigen pflegte. Für den Dichter verbindet sich mit Rom das Fortwirken seiner Kultur über die Zeiten hinweg, wie es sich im reichen Aufkommen von Inschriften auch im Umkreis Weißenburgs dokumentiert. Quod si forte placet laribus prodire relictis, Tunc quoque mens animi queis recreetur habet. Inter stramineis extructa mapalia tectis, Et desolatas quas habet Alba casas, Plurima Romanae pellustrat marmora gentis, Tot quae post annos nunc quoque salua manent.20
Hier ist auf altem, von den Römern besiedeltem Boden römische Kultur sinnlich erfahrbar – perennierender Schrift zu verdanken, zu der ein jeder Humanist mit einem jedem Schriftzug seinen wie auch immer minimalen Beitrag leistet. Opitz wußte vor ––––––––– 19
20
Ebenda, Verse 13 f. Die deutsche Übersetzung: Sein vorzüglicher Fürst verlangt für sich kaum eine Stunde; | Den unterrichtet er auch, mit dem gebotenen Fleiß. (S. 189). Ebenda, Verse 25–30. Die deutsche Übersetzung: Außerdem find’t er, sobald er das Haus verläßt und hinausgeht, | Manches, was seinen Kopf anregt, Erholung gewährt. | Streifend zwischen Hütten, die nur ein Strohdach bedeckt, und | Weißenburgs Häusern dahin, Häusern, verlassen und öd, | Mustert er Platten aus Marmor, sehr viele, die Rom hinterlassen, | Selbst nach so langer Zeit haben sie heut noch Bestand. (S. 189).
XI. In Siebenbürgen
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allem über den niederländischen Philologen Janus Gruter von den Projekten zur Erfassung dieser römischen Zimelien. So bildete sich in Siebenbürgen der Plan heraus, den eigenen Namen mit der Einsammlung der skripturalen Überreste vor Ort zu verbinden. Das Gedicht an Kopisch mochte da als eine Art Vorankündigung fungieren. Eingebettet aber blieb das Vorhaben in ein lebhaftes Interesse an den fremden Sitten und Bräuchen, die sich von ganz verschiedenen Völkerschaften herschrieben und nicht selten in deutlichem Kontrast zu den ehrwürdigen römischen Dokumenten standen. Die Vielfalt der kulturellen Charaktere aus der Optik des überlegenen Humanisten zu registrieren – auch diesen mit der Wiedererweckung der Antike in die Welt tretenden modernen Zug flektiert das nur auf den ersten Blick anspruchslos sich gebende Opitzsche Gedicht. Zur imitatio im Zeichen Roms gehört nicht zuletzt die körperliche Ertüchtigung. Und so überrascht der Dichter den Freund wie auch seine Leser mit dem Bild des ungestüm dahergaloppierenden Reiters, der im aufrechten Sitz, die Zügel fest in der Hand, die Kräfte spielen läßt und den Leib stählt. Es dürfte allein stehen im Opitzschen Werk und bereichert die Vorstellung von einem Leben in der Fremde unter dem strengen Diktat des antiken Fatums, wie es zu diesem antikisierenden Lebensentwurf sich fügt. Die letzten Worte aber gelten dem Freund. Ihm wird jenes Gottvertrauen anempfohlen, das in dem dahinwandelnden neuen Römer abgeblendet war, natürlich aber zum Ganzen der Komposition hinzugehört. Von dem hohen Gut lebensförderlicher Weisheit vermag dieser junge Dichter bereits beredt zu künden. Und so gilt, was er dem Freund am Schluß zuspricht, in gleichem Maße für ihn selbst. Nec te poeniteat Dacos lustrasse remotos; His etiam rebus non leuis vsus inest: Nam qui alias vidit non absque laboribus oras, Post multò melius discit amare suas.21
Ein Brief an den Nestor der schlesischen Späthumanisten Ganz anders nimmt das Bild sich in einem Brief aus, den Opitz zu Anfang des Jahres 1623 von Weißenburg aus an seinen väterlichen Freund und Schirmherrn Caspar Cunrad richtete, den uneigennützigen Förderer so vieler vielversprechender junger Talente. Opitz hat soeben einen – nicht erhaltenen – Brief von Cunrad empfangen. Es handelt sich um einen der wenigen Grüße, so der Dichter, die ihn aus seiner Heimat bislang erreicht hätten.22 ––––––––– 21
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Ebenda, Verse 43–46. Die deutsche Übersetzung: Hoffentlich reut sie dich nicht, deine Zeit bei den Dakern, den fernen! | Solches Verhalten bringt auch eine beträchtliche Frucht: | Wer nämlich fremdes Gebiet unter großen Mühen besucht hat, | Lernt es, sein eigenes Land tiefer zu lieben, danach. (S. 191). Es geht um den schon erwähnten Brief Opitzens vom 20. Januar 1623, abgedruckt mit Übersetzung in: Opitz: Briefe und Lebenszeugnisse (Anm. 14), Band I, S. 287–290.
Ein Brief an den Nestor der schlesischen Späthumanisten
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Cunrad, dem Vertrauten, darf der Dichter anvertrauen, was niemals in einem Gedicht seinen Platz gefunden hätte. »Ille, de quo scribis, quod queratur non habet.«23 So das Urteil über den Fürsten. Doch Schweigen, weiß der politisch versierte Kopf, sei geboten, und das gewiß nicht nur, wie Opitz vorgibt, um die Autorität des Fürsten nicht zu gefährden. »Inde enim contemptum, qui certissimus ad ruinam publicam gradus est, sequi nemo ignorat.«24 Die ›magnitudo herois‹ duldet keine Lädierung ihrer ›maiestas‹. Dabei hätte der Dichter allen Grund zur Beschwerde vor dem fürstlichen Thron. Zu Bittschriften sei er gezwungen, die seiner unwürdig seien. Und dann folgen die berühmten Sätze, die zur Veranschaulichung der Siebenbürgener Misere immer wieder herangezogen wurden. Taceo habitationem; quam semestri spatio octies mutavi, urgente necessitate. Ne putes enim domos, instar nostrarum hîc aedificari: casis stramineis, et ferarum potius speluncis, quam habitaculis hominum includimur: ita ut hunc squalorem delicatae Musae prorsus fugiant: neque quicquam ferè amplius mecum habeant commercii. Sed didici tamen id, quod aetati huic alias rarissimum est: ferre, quod mutare non possum.25
Bevor Zeilen wie diese, auch wenn sie einem Brief entstammen, wörtlich genommen werden, ist dreierlei zu beachten. Opitz stilisiert seinen Aufenthalt in Siebenbürgen weiterhin als einen solchen, der einen von der Heimat Verbannten betrifft, in der er einen ganz anderen Komfort genießen durfte als nun in der Fremde. Und er nutzt die prekäre Situation zugleich mit seinen illustren Vorgängern in vergleichbarer Situation zur Klage über das Versiegen der Musen. Dabei weiß er sich in einer wiederum durch eine ehrwürdige Tradition beglaubigten Weise zu behaupten, indem er dem stoischen Weisen gleich Entbehrung als Wetzstein zur Schärfung der Tugend des Duldens begreift. Auch der Brief unterliegt verbürgten Regularien, wenn es um die Explikation von Befindlichkeiten und die Fixierung von Stationen im eigenen Leben geht, die allemal präformiert sind durch literarische Muster, welche hinter dem individuellen Porträt erkennbar werden. Entscheidend bleibt das in die Dichtung eingehende Bild, das alleine dazu angetan und bestimmt ist, der Zeit zu trotzen und sich auf Dauer mit jener Person zu verbinden, die unaufhörlich verwandlungs- und anspielungsreich sich neu zu entwerfen versteht.
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Ebenda, S. 288. Die deutsche Übersetzung: Der, von dem Ihr schreibt, hält nicht das, was man erwarten sollte. (S. 289). Ebenda. Die deutsche Übersetzung: Daraus folgt nämlich, wie jeder weiß, Verachtung, die der sicherste Weg zum öffentlichen Untergang ist. (Ebenda). Ebenda Die deutsche Übersetzung: Ich schweige über die Wohnung, die ich aus dringender Not in einem halben Jahr achtmal gewechselt habe. Ihr dürft nämlich nicht glauben, daß hier den unseren vergleichbare Häuser gebaut werden, denn wir werden in Strohhütten und eher in Tierhöhlen als in menschliche Behausungen gesperrt, sodaß die feinen Musen diesem Schmutz geradewegs entfliehen und kaum noch weiter Umgang mit mir haben. Ich habe dennoch etwas gelernt, welches in dieser Zeit sonst äußerst selten ist: das zu ertragen, was ich nicht ändern kann. (Ebenda).
XI. In Siebenbürgen
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Allegorischer Abschied von Siebenbürgen Wir beschließen darum unsere Vorbereitung auf ein großes poetisches Zeugnis aus der Siebenbürgener Zeit Opitzens mit einem Blick in ein poetisches Vermächtnis des Dichters, in dem er den Alltag mit seinen Mühen hinter sich läßt und die Zukunft in verschlüsselten Wendungen ins Visier nimmt. ›Als er aus Siebenbürgen sich zurücke anheim begab‹ ist das in Alexandrinern aufgemachte Poem betitelt, das der Dichter eben noch in seine erste Gedichtsammlung aus dem Jahr 1625 einrücken konnte, wo es als Nachtrag an vorletzter Stelle seinen Platz fand.26 Noch einmal wird das Land in die Farben des alten Rom getaucht. Auf dem Boden der römischen Kultur hat der Dichter geweilt. Dieser Umstand vor allem wollte festgehalten sein von dem Humanisten, dem es im Leben nicht vergönnt war, italienischen Boden zu betreten oder gar in der Ewigen Stadt zu weilen. Ein knapp bemessener Aufenthalt war es. Und dies nach eigenem Willen. Denn Größeres wartete auf den Dichter daheim. So wie der Aufbruch zu neuen Ufern seinen Widerhall in den zitierten Gedichten an den Freund fand, so wie das Treiben in Siebenbürgen in einer poetischen Epistel an den in die Heimat zurückgekehrten Gefährten memoriert sein wollte, so nun auch der Aufbruch aus Siebenbürgen. In dieser kleinen Trilogie, die das große Siebenbürgener Poem ›Zlatna‹ umgreift, nimmt das letzte Gedicht eine Sonderstellung ein. Nicht als Gelegenheitsgedicht gibt es sich, sondern als deutschsprachiges Programmgedicht. Der aus der Fremde Heimkehrende weiß um seine Aufgabe, ja seine Bestimmung, und das nicht länger adressatengebundene Gedicht ist der geziemende Ort, davon vor einem zeit- und namenlosen Publikum zu künden. Die erste selbstgeschaffene Gedichtsammlung war der Ort, da es zur Wirkung gelangen sollte. Und seither wanderte es mit durch alle Ausgaben der Opitzschen Gedichte, die noch vom Dichter selbst verantworteten nicht anders als die posthumen. Es geriet zu einem weiteren Baustein seiner inneren, seiner poetischen wie seiner intellektuellen Biographie. DV schöner Apulus/ an dessen grünem Rande Trajanus vor der Zeit mit einem festen Bande Ihm dieses Land verknüpfft/ da mancher Römer liegt/ Der ritterlich vnd steiff den Völckern angesiegt; Gehabe dich nun wol/ sampt deinen frischen Quellen Die reich von Golde sind/ ich werde keine stellen Bey dir/ du helle Bach/ mir suchen nach der Zeit/ Daß ich da ruhen mag; mein Sinn steht anderweit.27
Von diesen goldreichen Quellen wird sogleich noch die Rede sein. Auch sie vermögen den Sprechenden nicht zu halten. In schneidendem Kontrast zu der römischen Zeit, dem ›Dacia antiqua‹, auf das er so erhebliche forscherliche Anstrengungen richtete, entrollt er nun im Blick auf das Land in der Gegenwart ein Bild der Trostlosigkeit, in das noch einmal die Züge des antiken Verbannungsortes eines anderen Großen eingehen. ––––––––– 26 27
Neudruck in: Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 15), Band II/2, S. 746–748. Ebenda, Verse 1–8.
Allegorischer Abschied von Siebenbürgen
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Der rawen Menschen Art die jetzund bey dir wohnen/ Die aller Tugend Feind/ vnd jhr mit Hasse lohnen/ Die zwingt mich daß ich dir muß geben gute Nacht/ Vnd auff mein Vaterland bin wiederumb bedacht.28
Ein Abschied ist zu inszenieren. Und da geht es nur vordergründig um die Trennung von einem ungeliebten Land. In Wahrheit verabschiedet sich der Sprechende von einem gewaltigen Projekt, das nur hier auf altem römischen Boden zu realisieren war. In einem Abschiedsgedicht ist wiederum nicht der Ort, ein solches direkt anzusprechen. Es wird zeitlich und räumlich versetzt. Nach Griechenland aufzubrechen, so die überraschende Wendung, war Vorsatz und Wunsch des lyrischen Ich. Eine Initiation im Geiste des Humanismus sollte statthaben. Noch über Rom und den römischen Limes hinaus drängte es den Sprecher zu den Quellen des Glaubens, des Wissens und des Dichtens. ›Grecien‹, die ›werthe Nachbarinn‹ der Siebenbürgener Lande wollte erkundet sein.29 Doch da wurde nicht eine Reise in ein für einen Moment dem Dichter in Siebenbürgen nahegerücktes Land ins Auge gefaßt. Auf den ›Hemus‹ hätte es ihn gezogen, nach Thrakien in das Land des Orpheus, hin zu Helikon und Parnaß und dem Fluß Castalis als den den Musen geweihten Stätten. Athen und Korinth wären ersehnte Ziele der gelehrten Exkursion gewesen, und das um des Redners Demosthenes nicht anders als um des Komödiendichters Aristophanes, um der philosophischen Trinität Sokrates, Platon, Aristoteles nicht anders als um des Begründers der attischen Tragödie Aischylos willen. Siebenbürgen, so die Suggestion, wäre nur ein Durchgangsland gewesen auf dem Wege zu Anderem und Höheren. Ein letzter großer geistiger Ausgriff vor dem Aufbruch wird da umrissen, die Ergänzung der römischen Studien durch die hellenischen ins Visier genommen. Der kulturelle Fundus der Antike als ganzer, welcher Voraussetzung blieb für ein Dichten in der eigenen Zunge, das sich als Eindeutschung des antiken Erbes begriff und nicht zuletzt übersetzend poetische Wirklichkeit wurde, wollte produktiv angeeignet und dem Schaffen assimiliert sein. Eine Krankheit, so der Sprecher, hätte den edlen Plan vereitelt und zur Heimkehr genötigt. Die Kranckheit lest mich nicht/ des Febers kält’ vnd Hitze: Drumb ist es nur an dem daß ich zu Rosse sitze/ Auff Deutschland wieder zu. jhr Freunde/ gute Nacht/ Vnd du/ O Vandala/ mit der ich auch verbracht Ein Theil der langen Zeit. wolan/ du klarer Brunnen/ Bey welches Bächen ich das Liecht der roten Sonnen Zum ersten angeschawt/ du schneller Bober auch/ Nimb mich an deinen Strandt wie vormals dein Gebrauch. Bey dir verhoff ich nun den Rest von meinem Leben/ Das Reisen beygelegt/ in Frieden auffzugeben: Der Jugend Wanckelmuth/ viel Sorgen/ Müh’ vnd Pein Ist biß anher genung; hier soll das Ende seyn.30
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Ebenda, Verse 9–12. Ebenda, Verse 14 f. Ebenda, Verse 37–48.
XI. In Siebenbürgen
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Heimkehr um des Werkes willen Heim aber kehrte ein Dichter, dessen Notizhefte angefüllt waren mit den lebendigen Zeugen der ersehnten alten Welt, wie sie sinnlich erfahrbare Wirklichkeit in Dacien wurde. Als Dolmetscher der Alten wie als ihr Nachfahre schickte sich der Sprecher an, seine Rückkehr nach Deutschland zu imaginieren. Der da zu Rosse saß, wußte sich getragen von den Pferden des Pegasus. Vorbei war die Zeit, da das Liebesgedicht als Fingerübung diente. Wie ungezählte andere fingierte Geliebte ließ er nun auch Vandala zurück. Ein großes Werk erwartete ihn in der Heimat, genährt aus dem Wissensschatz der Fremde wie der Ferne. Die Sonne Apollos hatte über den Tagen seiner Kindheit gestrahlt. Ein Lebensabschnitt war beendet. Wo andere eine große Bildungsreise absolvieren durften, da vollzog sich die Rückkehr an die heimatlichen Gestade nur allzu rasch. Doch war sie begleitet von Tatendrang. Fingierte der Sprecher fortan Genügsamkeit und Seßhaftigkeit, so war klar, daß ein metaphorisch auf die Heimat bezogenes Werk auf der Tagesordnung stand. Die Musen sollten definitiv auf deutschem Boden angesiedelt werden, die Mühen des Alltags abgestreift, ein ewiger Auftrag angenommen sein. Die ›große liebe zue meinem Vaterlande‹ habe ihn aus Siebenbürgen zurückgeführt, so hieß es in der Widmungsadresse an die Bürgermeister und »Rathsverwandten« seiner Heimatstadt Bunzlau in seiner Programmschrift ›Von der Deutschen Poeterey‹. Nun gelte es, »wie nicht alleine ich durch das Vaterland/ sondern auch das Vaterland durch mich bekandter werde.« Die verewigende vaterländische Tat im unverächtlichen humanistischen Sinn bezeichnete den höheren Sinn und Zweck der Rückkehr in die heimatlichen Gefilde.31 Und so will es dem Betrachter mehr als ein Zufall dünken, daß auf das vorletzte Gedicht in den ›Acht Büchern Deutscher Poematum‹, als welches eben dieses Abschiedsgedicht aus Siebenbürgen figuriert, kaum abgesetzt ein letztes folgt, Horazens berühmtes ›Exegi monumentum‹ ins Deutsche transponierend. In die Kindheit zurück an den Bober sollte die Heimkehr nach Schlesien führen. In Wahrheit war ein erster Kursus des Opitzschen Schaffens mit den Gedichten von 1625 abgeschlossen. Der Dichter wußte, daß man ihn nicht anders als Horaz in Zukunft würde rühmen hören. Es reichte, den griechisch-römischen Transfer in die Gegenwart zu verlängern und ihm in Deutschland eine neue Gestalt zu verleihen. Ein Projekt nahm Gestalt an, das ein Leben auszufüllen imstande war – und mehr als das. Auch ›Zlatna‹ hatte Anteil an dem Ruhm, der da winkte.
Der Widmungsempfänger ›Zlatnas‹ Heinrich von Stange und Stonsdorf Die Rückkehr aus Siebenbürgen gestaltete sich allerdings schwierig für Opitz. Der angestrebte Weg zu den schlesischen Piasten war aufgrund der politischen Lage kein leichter. In dieser Zeit war dem Dichter das Glück beschieden, wiederholt auf adligen Gütern ein Unterkommen zu finden und sich der Förderung großherziger und potenter ––––––––– 31
Vgl. die Ausführungen nebst den Zitaten im übernächsten Kapitel.
Der Widmungsempfänger ›Zlatnas‹ Heinrich von Stange und Stonsdorf
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Gönner erfreuen zu dürfen. Ein Abraham von Bibran gehört dazu, ein David von Rohr, ein Hans Ulrich von Schaffgotsch. Und eben auch ein Heinrich von Stange und Stonsdorf. DEr Nahme dieses uralten Hoch=Adel. Geschlechtes ist Deutsch, und das Wappen unserer Edlen von Stange in Schlesien zeiget nicht nur eine auf den Nahmen zielende Stange, sondern bekräfftiget auch, daß nachdem sie aus Deutschland in Schlesien kommen und in der blutigen Tartarischen Schlacht Anno 1241. sich Heldenmüthig erwiesen, ihnen zu solchem Andencken die rothe Tartarische Mütze auf den Helm sey gesetzt worden.32
So der Historiker in seinem unschätzbaren Werk des schlesischen Adels zu den von Stanges. Das Geschlecht florierte auch in Thüringen und Meißen. In Schlesien ist die Reihe der in fürstlichen Diensten stehenden Mitglieder lang. Insbesondere die Herzöge von Liegnitz und Brieg, aber auch von Münsterberg-Oels bestallten gerne Angehörige des Geschlechts. Zur Zeit Opitzens hatte Adam von Stange und Stonsdorf auf Kunitz eine herausragende Stellung inne. Er war zeitweilig Hofmeister Johann Christians von Liegnitz und Brieg, begleitete ihn auf seinen Reisen und stieg zum Hofmarschall des Herzogs auf, bevor er als Liegnitzscher Rat in den Dienst Herzog Georg Rudolfs herüberwechselte, in dieser Funktion im Jahr 1625 in Liegnitz starb und zu Kunitz begraben wurde.33 Gleich bedeutend gibt sich die Vita von Heinrich von Stange und Stonsdorf auf Sasterhausen und Schwenckfeld. Auch er war Liegnitzscher Rat.34 Und so nimmt es ––––––––– 32
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Johannes Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung, Darinnen die ansehnlichen Geschlechter Des Schlesischen Adels [...] beschrieben [...] werden.- Leipzig: Fleischer 1720, S. 924. Vgl. die folgende Anmerkung 34. Zu Heinrich von Stange und Stonsdorf vgl. vor allem das Porträt, das Nicolaus Henel von Hennenfeld, der neben Caspar Cunrad beste Kenner der schlesischen Gelehrtenschaft und ihrer Gönner, in seiner ›Silesia Renovata, Pars Altera‹ (1704), S. 743–746 entwirft. Hier auch zu Adam von Stange und Stonsdorf: S. 741–743. Fibiger, der Bearbeiter des Henelschen Werkes, bezeichnet die beiden Porträts von Adam und Heinrich von Stange und Stonsdorf ausdrücklich als ›elogia‹. Sie sind unseres Wissens nach die ausführlichsten Äußerungen zu dem Widmungsempfänger geblieben. Fibiger konnte die entsprechenden Passagen aus der ungedruckt gebliebenen ›Silesia Togata‹ von Henel übernehmen. Ein Vergleich mit der originären Henelschen Version muß hier unterbleiben. In allen drei handschriftlich überlieferten Exemplaren der ›Silesia Togata‹, die in der BU Wrocław verwahrt werden, findet sich das Porträt Heinrichs von Stange und Stonsdorf jeweils im dritten Buch (R 570 (Abschrift Hanke), S. 351 f.; IV F 127 (unbekannte Hand), Eintrag XLIV, S. 208 f.; B 1716 (Abschrift Ezechiel), S. 540–545.) Auch Martin Hanke hat mit Verweis auf Henel in seinen gleichfalls ungedruckten ›Vitae Silesiorum‹ einen Eintrag zu Heinrich von Stange und Stonsdorf (R 2664, S. 284, Nr. 321). Vgl. auch Johann Heinrich Cunrad: Silesia Togata (1706), S. 294. Hier wie immer der Eintrag verbunden mit dem Distichon Caspar Cunrads: »Eugenie, Themis, Evepie, Musaeque, Saisque, | Patronum ex merito me voluere meo.« Hier auch der Hinweis auf eine ›Oratio de Germaniae perlustratione‹ von Heinrich von Stange. Vgl. zu dem Geschlecht auch Lucae: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten [...].- Frankfurt: Knoch 1689, S. 1852 (ohne speziellen Hinweis zu Heinrich von Stange); Sinapius: Schlesische Curiositäten (Anm. 32), S. 924–929; ders.: Des Schlesischen Adels Anderer Theil/ Oder Fortsetzung Schlesischer Curiositäten [...].- Leipzig, Breslau: Rohrlach 1728, S. 1027 f.; Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon XXXIX (1744), Sp. 1141–1149 mit dem knappen Hinweis zu Heinrich von Stange, Sp. 1146. Vgl. auch Ernst Heinrich Kneschke: Neues allgemeines Deutsches AdelsLexicon, Bd. 8 (1868), S. 600 f.
XI. In Siebenbürgen
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nicht Wunder, daß sich Henel in seiner ›Silesia Togata‹ eben Adam und Heinrich besonders angelegentlich unter dem Lemma der von Stanges zuwendet.35 Ein Jahr nach Adam starb Heinrich von Stange und Stonsdorf am 8. November 1626. Opitz hat es sich nicht nehmen lassen, ihn in einem großen Alexandrinergedicht zu ehren.36 Der Krieg ist allgegenwärtig. Bürgerkrieg überzieht das Land. Es fällt sich »in sein eigen Haar/ | Vnd macht den Feinden sich zu einer reichen Beute«, erscheint in ein Jammertal verwandelt; man vermag es nicht mehr zu »lieben«; wohl dem, der es verlassen darf. Ein düsterer Blick fällt auf die Einwohnerschaft und mit ihr die Menschheit selbst, erfüllt von Wahn, Eitelkeit, Nichtigkeit. Nicht zuletzt die ›deutsche‹ Sache wird derart verraten; die »Deutsche[...] Redligkeit | So jetzt verrecken wil«, steht auf dem Spiel.37 Dagegen der Dahingegangene! Er war der Inbegriff des von den Humanisten ersehnten Standesherrn. Du hast vom wiegen an der Bücher lust geliebet/ Die vnsre Sinnen wetzt/ hast munter dich geübet Zu ziehren deinen Standt mit etwas das kein ahn/ Kein Schild noch offner Helm den Menschen geben kan. [...] bald in der ersten Blüte Schwang sich/ du weiser Heldt/ dein brennendes Gemüte Tieff in die Wissenschafft/ vnd gieng den Gaben nach Die so mit milter Hand deß reichen Himmels Dach In dich hatt’ eingepflantzt[.]38
Als solcher ist Heinrich von Stange und Stonsdorf qualifiziert, daß Kaiser Matthias, das ›Haupt der Christenheit‹, ihn zu seinem Rat bestellt, und so nicht anders Ferdinand II. und dessen Bruder, der Erzherzog Karl, der sein Leben in Spanien ließ. Gleich danach stellt sich die Erinnerung an das Wirken von Stanges im Dienste der »werthen Brüder« der Piasten ein.39 All das ist dahin, der Sprecher verwaist. Ein besonders inniges Verhältnis will bezeugt sein, und der Dichter findet eindringliche, um nicht zu sagen ergreifende Worte des Schmerzes. Wer nimpt mich nun mit sich zu Bette/ Tisch’ vnd Wagen? Wem darff ich vngeschewt mein gantzes Hertze sagen/ Entdecken meine sach’? ich werd’ jetzt nicht mit dir Nach Sasterhausen ziehn/ vnd deiner Worte Zier Erheben wie zuvor/ im Fall du liessest schawen Was einer schaffen kan der jhm darff selber trawen/ Vnd dessen Klugheit nicht gantz in den Büchern steckt Die seine Seele sind.40
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Es sei nochmals verwiesen auf das Nähere in Anmerkung 34. Neudruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz Behrend. Band IV: Die Werke von Ende 1626 bis 1630. 1. [und] 2. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1990 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 312, 313), 2. Teil, S. 483–486. Ebenda, Verse 6 f., 5, 26 f. Ebenda, Verse 31–34, 39–43. Ebenda, Verse 54 und 60. Ebenda, Verse 75–82.
Widmung und Rückblick auf Siebenbürgen in gattungspoetologischer Perspektive
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Gott hat ihn zu sich genommen und die Musen weinen um den, »der es so gutt gemeinet | Mit euch und ewrer Schar«. Weit entfernt von Zank und List und Krieg in einem ›krancke[n] Landt‹, genießt der verehrte Gönner und Patron die Freuden der ewigen Seeligkeit. So soll dein stets Lob durch vnser Feder Zier/ Wie du selbst vber vns/ hier leben für vnd für.41
Widmung und Rückblick auf Siebenbürgen in gattungspoetologischer Perspektive Reichlich Platz hat Opitz sich in seiner Zuschrift an Heinrich von Stange und Stonsdorf genommen, galt es doch, den Aufenthalt in Siebenbürgen auf eine überzeugende Weise mit dem Empfänger dieser Widmung zu verknüpfen. Erneut bestätigt sich die herausragende Stellung der Vorrede und speziell der Widmung im schriftstellerischen Haushalt des Humanismus. In ihr darf ein ›Ich‹ sich artikulieren, und das geht in seiner Funktion als Rollenträger nicht auf. Allgemeine Erfahrungen finden sich durch ein Individuum bestätigt, erscheinen dem Lebenslauf eines Einzelnen anverwandelt.42 Von der sentenziösen Maxime, daß »keines Menschen zustand so wiederwertig vnd böse sey/ das er nicht bißweilen sich vmb etwas erholen vnd ergetzen könne«, nimmt der Dichter seinen Ausgang, um im gleichen Atemzug zu bestätigen, daß eben diese Erfahrung auch ihm in Siebenbürgen zuteil geworden sei. Noch einmal wiederholt sich die Klage über die Unwirtlichkeit des Landes und seiner Bewohner, die ihm den Aufenthalt verleideten. Dann ob mir wol verwiechenes Jahr als Ich in Siebenbürgen wohnete Lufft/ Wasser vnd alles wessen vnsere Dürfftigkeit nicht entberen kan schienen zuwieder sein/ ja auch deß Volckes daselbsten sitten/ Sprachen/ reden vnd gedancken meiner Natur gantz entgegen waren; habe Ich doch auch in jenen örtern gefunden/ was wir zu zeiten in diesen vergebens suchen.43
Auf einen Gegensatz arbeitet der Dichter hin und deshalb verbietet sich ein wortwörtliches Verständnis der kritischen Passage. Sie wird eingeführt, um ein Anderes, Gegenteiliges um so heller erstrahlen zu lassen. Daß Opitz den gedruckten Text später auch nach Siebenbürgen auf den Weg zu bringen vermochte, belegt zur Genüge, daß geschulte zeitgenössische Leser seinen Duktus verstanden. Eine Erfahrung hat Siebenbürgen bereit gehalten, welche die Heimat nicht zu bieten imstande war. Eine Episode im Leben des Dichters nimmt literarische Gestalt an, von der mit Sicherheit gelten durfte, daß sie sich dem Gedächtnis einprägen würde, hatte sie doch den Vorzug des Seltenen, wo nicht des Exotischen auf ihrer Seite. ––––––––– 41 42
43
Ebenda, Verse 84 f., 91, 93 f. Vgl.: Martini Opitii Zlatna, Oder von Rhue des Gemütes. [Kolophon:] Jn der Fürstlichen Liegnitschen Druckerey/ durch Sebastian Koch. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/11 und 4 E 515/11a), und von ihr in die BU Wrocław (355072 und 355073). Neudruck des Werkes in: Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 15), Band II/1, S. 60–106. Hiernach zitiert. Ebenda, S. 65.
XI. In Siebenbürgen
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Dem an Büchern sich erbauenden und aufrichtenden Humanisten wurde ein Erlebnis ganz eigener Art zuteil. Dann das ich der Bücher die mächtig genung sind einem jeglichen der sie anfleucht auffzurichten/ geschweige: So hat mir sonderlich das berühmbte Bergwerck Zlatna/ welches ich dem verdruß der zeit zu entgehen etlich mal besuchte/ so wolgefallen/ das ich mir auch/ diese lust gleichfalls andern so dahin nicht gelangen mitzutheilen/ anlaß genommen.44
Eine literarische Exkursion in ein seltener betretenes Gefilde steht zu gewärtigen. Der Dichter erprobt sich an einem in dieser Form nicht vorgegebenen Sujet. Ein einziges Mal verdichtet sich der Aufenthalt in Siebenbürgen zu einem geschlossenen literarischen Porträt. Das hat poetologisch erhebliche Konsequenzen, die zurückführen zur Gattung des Landgedichts. Deren Anlage wird bereitstehen und mit ihr die weltanschaulichen und insbesondere die moralphilosophischen Versatzstücke, die dem laus ruris zugehören. Nun aber sind sie eingebettet in eine kunstvoll angelegte Schilderung, in der der Erzähler als am Orte Weilender anwesend bleibt. Das Gattungskonstrukt nebst all seinen obligatorischen Accessoires erfährt eine situativ und personell beglaubigte Adaptation, die das Allgemeine als subjektiv verbindlich zur Erscheinung gelangen läßt. Ein dichtendes Ich schreibt sich in eine Gattungstradition ein und gibt dieser eine Wendung, mittels derer der Gattungsgehalt als selbsterfahrener wiederholt und rekapituliert wird. Eine Symbiose zeichnet sich ab, die nichts gemein hat mit einem erlebnisästhetischen Ausdrucksmodell, wohl aber den professionellen und eben deshalb souveränen Umgang des in Gattungsbahnen agierenden Humanisten demonstriert, der eine überkommene literarische Form aufnimmt, um sie hic et nunc auf den Punkt zu bringen und derart mit individuellem Kolorit versehen produktiv fortzuschreiben.45
Lokales Refugium Von deß Ortes bequemen gelegenheit/ da der schöne Apulus Fische/ die Berge Gold/ die Büsche Wild/ die Bäwme mit jhrem schatten vnd anmuttigem rauschen der Bletter anlaß zum studieren vollauff geben/ Werden E. Gestr. hier nach der länge lesen: Aber das behagen welches ich auß deß Verwalters (auff den diß Getichte gerichtet ist) trewen liebe gegen mir/ vnd der andern Leute/ so
––––––––– 44 45
Ebenda, S. 65 f. Vgl. zu dem im folgenden zur Rede stehenden Gedicht etwa: Joachim G. Boeckh: Poemul ›Zlatna‹ de Martin Opitz.- In: Revista de filologie romanica si germanica 3 (1959), S. 39–56 (mit deutscher Zusammenfassung); Horst Nahler: Das Lehrgedicht bei Martin Opitz.- Diss. phil. Jena 1961, (masch.), S. 98–101; George Schulz-Behrend: Opitz’ Zlatna.- In: Modern Language Notes 77 (1962), S. 398–410; Anke-Marie Lohmeier: Beatus ille. Studien zum ›Lob des Landlebens‹ in der Literatur des absolutistischen Zeitalters.- Tübingen: Niemeyer 1981 (Hermaea; 44), S. 220–248; Alexandru Ronai: Probleme des Barock und der Romantik in der Dichtung ›Zlatna‹ von Martin Opitz.- In: Zeitschrift für Germanisten Rumäniens 4 (1995), S. 59–62. Zuletzt eindrucksvoll die Anm. 17 zitierte Arbeit Aurnhammers, sowie Franz Schüppen: Bürgerliche Moralistik und adliges Landleben. Zum historischen Ort von Martin Opitz’ Gedicht ›Zlatna oder von Ruhe des Gemütes‹ (1623) - Ausblick in eine humane Friedenswelt.- In: Martin Opitz 1597–1639 (Anm. 1), S. 149– 191.
Intimität
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mehrentheils Deutsche/ Freundschafft schöpffte war grösser/ als das Ich es in meine reimen zu bringen vermöchte.46
Seiner Unzufriedenheit mit der Lokalität, an die es ihn verschlagen hatte, und den Menschen und ihren Sitten daselbst, hatte der Dichter als Briefschreiber und in der Gestalt des Widmenden hinlänglich deutlich Ausdruck verliehen. Eine Örtlichkeit ist ausgenommen, die den Vorwurf des Gedichts bildet. Inmitten Siebenbürgens behauptet sie gattungskonform den Status einer Enklave. Sie ist mit ortstypischen Merkmalen ausgestattet; der Fluß trägt einen Namen, im Gebirge findet sich Gold. Zugleich aber passen sie sich umstandslos dem Schema des locus amoenus ein, bilden eine ›bequeme gelegenheit‹ mit Wasser, schattenspendendem Wald nebst anmutigem Rauschen der Blätter und wildreichem Revier. Die Örtlichkeit bietet sich in den Zügen des literarischen Topos dar und wird derart literaturwürdig, was umgekehrt bedeutet, daß an ihr herausgestellt wird, was den Kenner zur genußvollen Wahrnehmung einer innigen literarischen Symbiose aus topischer Überlieferung und individueller Konturierung einlädt. Eine traditionsgeschichtlich unterlegte und zugleich doch auktorial beglaubigte ländliche Exkursion steht zu gewärtigen.
Intimität Diese empfängt ein sie auszeichnendes Ingredienz durch die Anwesenheit eines Menschen daselbst, dem der Dichter nach den Worten der Widmung nicht nur in Freundschaft, sondern in Liebe verbunden ist. Inmitten der Widmung wird die Gestalt eines zweiten und eigentlichen Widmungsempfängers erkennbar. Opitz eignet einem Vertreter des Adels ein Werk zu, das explizit gemäß der Widmung und implizit im Blick auf den nachfolgenden Text im eigentlichen Sinn einer Person zugehört, von der im folgenden noch die Rede sein wird. Eine Ankündigung verlautet, wie sie nur im anlaßbezogenen und also im weitesten Sinne personen- und adressatenbezogenen poetischen Sprechen möglich ist, hingegen in den Großformen des Romans und des Dramas undenkbar wäre. Es gehört zu den Merkmalen der Schäfer- wie der Landlebendichtung, daß sie eine Mittelstellung zwischen dem schlichten Gelegenheitsgedicht und den Formen des genus grande behauptet. Beide Gattungen sind sehr wohl geeignet, umfassend in Raum und Zeit, Geschichte und Gegenwart auszugreifen. Zugleich aber wahren sie gattungskonform und poetologisch bekräftigt einen intimen Charakter, der die amikale und amouröse Huldigung an einen vertrauten Menschen bzw. eine Gruppe von Menschen einschließt. Opitz wird mit seinem Gedicht ›Zlatna‹ nicht allein einem Widmungsempfänger, sondern auch einer im Text porträtierten und namentlich eingeführten Gestalt ein Denkmal setzen.
––––––––– 46
Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 42), Band II/1, S. 66.
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Präsenz Roms II In vertrauter Manier koppelt Opitz das Motiv des Lobpreises ländlichen Lebens mit dem neostoischen Ideal der ›Ruhe des Gemüts‹. Doch schon in der Vorrede hatte er dezent angedeutet, daß er sich vorgesetzt habe, »von dem lauff gemeinen wesens etlicher massen deutlich« zu schreiben.47 Das kann nur Neugier erwecken. Was dem Dichter mit der ›Dacia antiqua‹ nicht vergönnt war, das gelingt ihm mit ›Zlatna‹. Das Gedicht ist gespickt mit historischen und landeskundlichen Daten.48 Opitz, der verkappte wie verhinderte Epiker, verschmilzt – wie sein maßgeblich bleibendes Vorbild Vergil – das Lehrgedicht mit dem epischen, vaterländischen Sujet. So im ›TrostGetichte‹ und so nun, gattungsbedingt anders gewendet, in ›Zlatna‹. Spuren der Römer sind allenthalben zu gewahren. Sie belegen die Distinguiertheit der Örtlichkeit und tragen bei zu seiner Aufwertung. Am meisten gilt dies für Zlatna selbst[,] Da dem Decebalo Trajanus angesieget/ Wie Ich vermutten kan/ weil jetzt noch allermeist Ein grünes Feld alda Trajanus wiesen heist.49.
Der Dichter führt sich als Ortskundiger und geschichtlich Ausgewiesener ein. Aus der Fremde kommend, leistet er gleichwohl Dolmetscherdienste für die Einheimischen. Insofern bleibt Bethlen Gábor geheimer Adressat auch dieses Gedichts. Mythologisches, Volkskundliches, Sagenhaftes, umlaufendes Erzählgut – alles hat seinen Platz in diesem Werk. Der Dichter waltet als Stifter von Gedächtnis seines Amtes. Das schriftkundige Volk der Römer, das sich überall in der Region verewigt hat, wartet auf den Übersetzer, der ausgrabend, deutend, tradierend die Brücke zur Vergangenheit schlägt, das ihr eignende Verpflichtende geradezu herausmeißelt. ––––––––– 47 48
49
Ebenda, S. 67. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Martini Opitii Variarvm Lectionum Liber. In quo praecipue Sarmatica. Dantisci Ex officina Andreae Hünefeldii; M.DC. XXXVII. Vgl. dazu Mirosław Grudzień: Zum Kontext des ›Variarum lectionum liber, in quo praecipue Sarmatica‹ von Martin Opitz.In: Germanica Wratislavensia 88 (1989), S. 47–61. Zum Kontext vgl. die wichtig gebliebene Arbeit von Walter Gose: Dacia Antiqua. Ein verschollenes Hauptwerk von Martin Opitz.- In: Südostdeutsches Archiv 2 (1959), S. 127–144. Vgl. weiterführend auch Harald Bollbuck: Imitation, Allegorie, Kritik – Antikenfunde bei Martin Opitz.- In: Vorwelten und Vorzeiten. Archäologie als Spiegel historischen Bewußtseins in der Frühen Neuzeit.- Wiesbaden: Harrassowitz 2010 (Wolfenbütteler Forschungen; 124), S. 311–341; ders.: ›Quem imiter?‹ Antiquarische Forschung und Philologie bei Martin Opitz.- In: Welche Antike? Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock. Hrsg. von Ulrich Heinen. Band I–II.- Wiesbaden: Harrassowitz 2011 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 47), Band I, S. 231–245. Es bleibt ein denkwürdiger Vorgang, daß sich ein Gelehrter vom Rang Theodor Mommsens in seinem monumentalen Werk lateinischer Inschriften der verstreuten Opitzschen Notizen zu bedienen vermochte. Vgl. Corpus Inscriptionum Latinarum. Band III, S. 157. Zusammenstellung der Opitzschen Beiträge im Mommsenschen Werk bei Robert Graggert: Martin Opitz und Siebenbürgen.- In: Ungarische Jahrbücher 6 (1926), S. 313–320, S. 317 ff. Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 42), Band II/1, Verse 30–32.
Poetisch-memorialer Transfer
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Nun liegt jhr grossen helden/ Vnd laßt/ seid jhr gleich stumm/ die steine von euch melden. Aus ewern Gräbern wächst jetzt manche Blume für/ Wie jhr euch dann gewüntscht vnd steht in voller zier.50
Poetisch-memorialer Transfer Das tun sie nicht von selbst. Die Blume, die da über ihren Gräbern blüht – sie birgt auch die poetische Auferweckung, wie sie Opitz in ›Zlatna‹ in großem Stil praktiziert. Immer wird darin der Gegenwart und ihrem fürstlichen Repräsentanten ein erinnerungswürdiges, die große Vergangenheit bezeugendes Gut zugeführt, dem adhortative Momente beigesellt sind. Geht der Dichter dann zu einer Paraphrase der Eitelkeit alles Irdischen über, so hat er vorab doch Sorge dafür getragen, wie ihr aus humanistischem Geist zu widerstreiten sei. Die Namen so anjetzt Auff blossen Steinen stehn/ vnd sind fast abgenützt Durch Rost der stillen zeit/ die wil ich dahin schreiben/ Da sie kein Schnee/ kein Plitz/ kein Regen wird vertreiben/ Da euch der Gothen schar/ wie sie vorweilen pflag/ Mit jhrer grimmigkeit zu schaden nicht vermag.51
So zeichnet sich für einen Moment ein triadisches Schema ab. Die römische Zeit ist ein Opfer der Eroberer geworden. Diese haben nichts unternommen, um Zeugnis von der gloriosen Vergangenheit zu geben, haben sich als Barbaren verhalten. Der Dichter der Moderne in Gestalt des Humanisten holt das Versäumte nach Maßgabe des Möglichen nach. Eine Anknüpfung an die Zeit der Völkerwanderung ist nicht möglich und soll nicht statthaben. Massiv wertend und eingreifend, weist der Dichter dem Volk um Zlatna und Weißenburg seine rechtmäßigen Überlieferungsbestände an. Es steckt manch edles Blutt in kleinen Bawrenhütten/ Das noch den alten brauch vnd der Vorfahren sitten Nicht gäntzlich abgelegt.52
Der Freund und Emigrant Der Freund Heinrich Lisabon aber ist mit den Seinigen aus der niederländischen Heimat geflohen.53 Und auch der Grund dafür wird genannt: Ob Gleich die ewrigen jhr Vaterland verlassen/ Aus zwang der Tyranney/ wie Alba alle Gassen
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Ebenda, Verse 69–72. Ebenda, Verse 87–92. Ebenda, Verse 105–107. Vgl. Leonard Forster, Gustav Gündisch, Paul Binder: Henricus Lisbona und Martin Opitz.- In: Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen 215 (1978), S. 21–32.
XI. In Siebenbürgen
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Mit Blutte volgefüllt/ vnd Antorff ewre Stadt/ Die sonst so Volckreich war/ gantz ausgeleeret hat; Ob gleich ihr nicht bey jhr/ vnd jhren hohen spitzen/ Noch an der tieffen Scheld’ im schatten möget sitzen/ Vnd sehn den Schiffen zu: Ob gleich das edle Land Das billich euch gehört nun ist in frembder hand: So hat der Blutthund doch euch diß nicht nehmen können Waß mehr ist als das Gutt: den Mutt/ die freyen sinnen/ Vnd Liebe zu der Kunst/ die euch noch angeerbt Von ewrem Vater her/ vnd nicht stirbt wann jhr sterbt.54
Das schändliche Tun der Spanier, vier Jahre vorher im ›Trost-Getichte‹ drastisch gebrandmarkt, ist keineswegs vergessen. Der ›Blutthund‹ hat dem Flüchtling nicht nehmen können, was eigentlich zählt im Leben, wozu nicht zuletzt der erfahrene Umgang mit den Wissenschaften gehört, wie ihn Lisabon praktiziert. Findet er mit den Seinen unter Bethlen Gábor eine neue Heimat, so ist damit auch Triftiges über das Land und seinen Herrscher gesagt. Hier waltet Freiheit, seit eh und je in der Landlebendichtung besungen. Und Lisabon, eingehend in dem Gedicht porträtiert, bezeugt dies durch seine Existenz. Ein großes Freundschaftsgedicht ist Opitz gelungen. Hier im fernen Siebenbürgen darf er es wagen, was in seiner Heimat nicht mehr möglich wäre, einem von den Spaniern Verfolgten poetisch zu huldigen.
Hofkritik und Lob des Landlebens Am Schluß ruft Opitz die Vorzüge des ländlichen Lebens unter dem Schirm christlich-stoisch-gelehrter Werte auf, wie in der Gattung üblich und auch an Lisabon exemplifiziert. Noch diesem Passus aber ist eine an Deutlichkeit schwerlich zu überbietende Kritik an Hof und Adel eingeschrieben. Gewiß, auch sie gehört zur Gattung. Aber sie birgt durchaus Zündstoff. Das beweist u.a. der Umstand, daß diese Passage in späteren Drucken fortgelassen wurde. Der Dichter hatte sich wieder einmal zu weit vorgewagt. Er, der Humanist, pocht mit seinem Stand auf Anerkennung der gelehrten Meriten, die den Hofschranzen doch nur allzu häufig abgehen. Da pralet einer her mit grossen weitten schritten/ Der/ wann ein gutter mann jhn hat vmb was zu bitten/ Der besser ist als er/ vnd vielmehr weiß vnd kan/ So sieht er jhn doch kaum halb über Achsel an/ Vnd fertigt jhn kahl ab. Bald trifft sich eine Stunde/ Wann der Fürst mucken hat/ so geht der Held zu grunde Der hoch am Brete war/ vnd kriegt ein newer gunst/ So bloß vom Glücke kömpt/ nicht von verdienst vnd kunst/ Die hier dahinten steht.55
Der Kenner vernimmt den Diskurs ›de vera nobilitate‹ hinter den Worten, den Opitz unaufhörlich und so einprägsam wie sonst nur später noch Sigmund von Birken in ––––––––– 54 55
Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 42), Band II/1, Verse 245–256. Ebenda, Verse 341–349.
Entwurf der Zukunft
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seinen Dichtungen umspielte. Die Auseinandersetzung mit dem unberechtigt privilegierten Adel unter Mißachtung gelehrter Kompetenz durchzieht sein gesamtes Werk.
Entwurf der Zukunft ›Zlatna‹ endet mit einem großen Selbstentwurf zukünftiger dichterischer Bestimmung. Im ›Trost-Getichte‹ war er verlautet, die Erfahrungen der schlesisch-pfälzischen Lehrund Wanderjahre grandios zusammenführend. Nun setzt der Dichter neuerdings an. Als Epiker wie als Lehrdichter umspannt er den Kosmos des Wissens wie des Wissenswerten. Die Zeit als Liebesdichter liegt hinter ihm – er hat sein diesbezügliches Werk in Heidelberg unpubliziert zurückgelassen. Nun ist Fürsten-Panegyrik angesagt. Mit der Zusage, Johann Christian von Liegnitz und Brieg und das Geschlecht der Piasten besingen zu wollen, verabschiedet sich der Dichter von einem Land, das ihm Gastrecht und Muße zu gelehrter und dichterischer Betätigung geboten hat. Von Heinrich II. bis zu Johann Christian und Georg Rudolf spannt sich der Bogen der aufgerufenen großen Piasten. Der Dichter bereitet seine Heimkehr in das geknebelte Land vor und empfiehlt sich als berufener Sachwalter der schlesischen Sache an der Seite der Fürsten. Wendet er sich am Schluß also zurück, spricht er die Piasten an in der Hoffnung, daß Freiheit wie in Siebenbürgen so auch in Schlesien inskünftig walten möge. Auf diese Weise rundet er den Kreis ebenfalls textuell, den er widmungsstrategisch gleich einleitend gezogen hatte. Opitz war ein Meister des Eingangs und des Ausgangs in seinen Texten. Liebe zum Vaterland, Verbeugung vor den Daciern und Bezeugung unwandelbarer Freundschaft – mit dieser Trias brachte Opitz die poetische Ernte seines Siebenbürgischen Jahres in die Scheuer. Der Dichter verstand es wie so oft, Vergangenes und Gegenwärtiges, Zeitkritisches und Ewiges in ein wohlkalkuliertes Gleichgewicht zu setzen. Die nicht verstummende Rede, es ermangle ihm der eigentlich dichterische Impetus, ist absurd und besagt Aufschlußreiches in erster Linie über ihre Urheber. O liebstes Vaterland/ wann werd’ ich in dir leben? Wann wirst du meine freund’ vnd mich mir wieder geben? Ich schwinge mich schon fort; gehab dich künfftig wol/ Du altes Dacia/ ich wil wohin ich sol. Vnd jhr/ Herr Lisabon/ bleibt der jhr seidt gewesen/ Mein Herr/ mein werther freund: das was hier wird gelesen/ Wie schlecht er jmmer ist/ wird künfftig doch allein Bezeugen meine trew wann ich vnd jhr nicht sein.56
––––––––– 56
Ebenda, Verse 561–568.
XII. Erste poetische Ernte Die ›Poemata‹ von 1624 und 1625 Fliegende Blätter Der dedikatorische Wink war deutlich genug gewesen. Nur von den Piastenherzögen konnte Opitz sich eine berufliche Perspektive erhoffen. Und die Piasten taten alles, um den geschätzten Dichter zu protegieren. Zu einer festen Anstellung reichte es jedoch nicht. Drei Jahre lang, von seiner Rückkehr aus Siebenbürgen zu Anfang des Jahres 1623 bis zu seiner überraschenden Annahme einer Stelle bei Karl Hannibal von Dohna im Jahr 1626, blieb Opitz ohne feste Position. Gewiß, Aufsehenerregendes geschah. Der Dichter trat vor die Augen des Kaisers. Er wurde zum Dichter gekrönt. Und er erfreute sich der einen oder anderen Unterstützung, die besondere Wertschätzung bezeugte. Von einer öffentlichen Charge bei Hofe, der einzigen, die für ihn in Frage kam, blieb er weit entfernt. Um so eindrucksvoller, daß sich in dieser knappen Zeitspanne ein Werk herausformte, das mit einem Schlag öffentliches Ansehen errang. Binnen kurzem stand der Dichter mit einer Werk-Trias da, die nunmehr einlöste, wovon er womöglich allzu frühzeitig gekündet hatte. Danach konnte ihm niemand mehr die Spitzenstellung streitig machen. Wir stehen also inmitten der äußerlich eher unscheinbaren drei Jahre zugleich in einer Phase des Aufschwungs zum maßgeblichen Theoretiker und Praktiker der neuen Dichtung. Das ist ein tief in die Geschichte der deutschen Literatur hineinführendes Ereignis. Das vorliegende und das sogleich nachfolgende Kapitel suchen der besonderen Bedeutung durch eine einläßlichere Inspektion der drei einschlägigen Texte gerecht zu werden. Viel ist inzwischen auch in der Forschung geschehen. Es sollte möglich sein, einen verbindlichen Aufriß dieses wichtigen Abschnitts zu präsentieren. Zu Ende des zweiten Jahrzehnts hatte Opitz seine Heimat verlassen. 1623 kehrte er – abgesehen von einem kurzen Zwischenaufenthalt – in sie zurück. Reisejahre, verbunden mit intensivsten neuen Eindrücken lagen hinter ihm. Wo immer er weilte und brieflich oder anderweitig sich vernehmen ließ, hatte er davon gesprochen, daß er eine jede freie Stunde nutzen würde, um gelehrten Studien und verbunden mit ihnen dichterischen Exerzitien sich hinzugeben. Es besteht keinerlei Veranlassung, an diesen Bekundungen in eigener Sache zu zweifeln. In der Stille, in den so häufig beschworenen Nebenstunden, wuchs das Werk weiter. Doch eben, weil dies so war, ist es im nachhinein nicht mehr möglich, die einzelnen fertig gewordenen Stücke am Leitfaden der Chronologie aufzureihen, wie selbstverständlich stets der Wunsch der wissen-
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XII. Erste poetische Ernte
schaftlich ambitionierten Nachwelt. Nur in Einzelfällen lassen sich exakte Datierungen ausmachen; für die Mehrzahl der Gedichte ist dies nicht möglich. Festen Boden betreten wir erst wieder im Jahr 1624 – und zugleich doch auch nicht. Wir wissen nicht, was Opitz an poetischem Gepäck bei sich führte, als er von Schlesien aus in die Pfalz aufbrach. Und wir haben ebenfalls keine Kenntnis davon, was er wann womöglich seinem neuen Freund in Heidelberg übergab bzw. ihm überließ, als er fluchtartig die Stadt am Neckar verließ. Und wie vollzog sich der poetische Verkehr zwischen dem Dichter und dem Heidelberger Kreis und eben an der Spitze Zincgrefs während der Jahre der Trennung? Gewiß, die großen selbständigen Texte erreichten die Freunde, die aber ja nicht mehr zusammen lebten und oftmals eine ähnlich unbehauste Existenz führten wie ihr vormaliger schlesischer Gefährte. Ob Opitz zwischenzeitlich auch einzelne kleinere Gedichte auf den Weg brachte? Ob Zincgref über Quellen verfügte, wie gewiß anzunehmen, an Opitzsche ungedruckte Texte zu gelangen? Wir wissen es nicht. Zincgref wird, wie ja von Opitz selbst bezeugt, über eine umfänglichere Sammelschrift mit Gedichten aus der Hand des Dichters verfügt haben, als er sich daran machte, deren Herausgabe vorzubereiten. Gewiß aber verblieb ihm genügend Spielraum. Und das nicht nur hinsichtlich der Anhänge, die fraglos seiner Initiative zu verdanken sind, sondern auch hinsichtlich der neu hinzugekommenen Gedichte selbst innerhalb der Sammlung. Wir müssen uns damit bescheiden, die genaueren Umstände der Anlage der ersten Gedichtsammlung Opitzens nicht mehr rekonstruieren zu können. Um so mehr Veranlassung zur Dankbarkeit, daß sie überhaupt zustande kam und zu einem beredten Zeugnis der Verehrung geriet. Ein schlesisch-pfälzischer Brückenschlag, von dem so viel die Rede war und auch weiterhin die Rede sein wird, hatte eine sinnfällige und in dieser Form dann eben doch eine einmalige öffentliche Bekundung erfahren.
Eine erste Präsentation der ›Poemata‹ von 1624 Die Ausgabe gibt sich wohlkomponiert. Gleich eingangs kommen Herausgeber und Autor zu Wort. Der erstere eröffnet mit einer großen Widmungsadresse. Und der letztere hatte offensichtlich seinerseits rechtzeitig eine Anrede an seine Leser formuliert, die dem Herausgeber nun zur Verfügung stand. Doch damit nicht genug. Darüber hinaus hatte der Herausgeber keine Mühe gescheut, dem Opitzschen Erstling gleich eine ganze Palette von poetischen Zuschriften beigeben zu können und dafür in mehr als einem Fall renommierte Beiträger rekrutiert. Diese Eingangs-Trias konnte es nur einmal geben im Schaffen Opitzens. Nie wieder sollte der gemeinsamen schlesisch-pfälzischen Sache ein derartiges Dokument erwachsen. Zincgref hatte sich schon mit dem Vorspann ein für alle Mal ein herausgeberisches Denkmal gesetzt, dem bleibende Dankbarkeit gewiß war. Und dann folgt das poetische Gut aus der Feder Opitzens, soweit es Zincgref vorlag. Insgesamt 146 Stücke kann er präsentieren. Aber damit hatte es ja gleich in zweierlei Hinsicht noch nicht sein Bewenden. Drei selbständige große Texte Opitzens fügte der Herausgeber den ›Poemata‹ hinzu, und zwar den ›Aristarchus‹ sowie die beiden
Eine erste Präsentation der ›Poemata‹ von 1624
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Heinsius-Übertragungen in Gestalt des ›Lobgesangs Jesu Christi‹ und des ›Hymnus oder Lobgesangs Bacchi‹. Einen Sonderfall bezeichnete die Frucht der Siebenbürgener Tage. Opitzens ›Zlatna‹ erschien zu einem Zeitpunkt, da der Druck bereits eingesetzt hatte. Und so sind Exemplare der ›Poemata‹ in Umlauf, denen das Gedicht noch hinzugefügt werden konnte, während es anderen ermangelt. Ersichtlich ist allemal, daß der rührige Herausgeber alles tat, um aktuell zu bleiben. Mit alledem aber ist seine kühnste Leistung noch gar nicht berührt. Dieser ganz anders als Opitz geartete und auf seine Weise geniale Literaturstratege ergriff nämlich die Chance, zusammen mit der Darbietung der Opitzschen Texte eine Blütenlese vornehmlich deutschsprachiger Gedichte aus dem südwestdeutsch-oberrheinischen Kulturkreis in Gestalt eines ›Anhangs‹ zu versammeln. Erst damit wurde die Ausgabe zu jenem nun singulär dastehenden Zeugnis der Gründerphase der neueren deutschen Literatur, mittels dessen der landschaftlichen Prägung ihres Ursprungs historische Gerechtigkeit widerfuhr. Die Dichter der Pfalz und des Oberrheins sowie der östlichen Regionen mit Schlesien an der Spitze hatten gleichen Anteil an dem Reformprojekt. Die Zincgrefsche Edition ist das schönste Denkmal dieses gemeinsamen west-östlichen Aufbruchs geblieben.1 ––––––––– 1
Der Titel des im folgenden zur Rede stehenden Werkes: MARTINI OPICII. Teutsche Poëmata vnd ARISTARCHVS Wieder die verachtung Teutscher Sprach, Item Verteutschung Danielis Heinsij Lobgesangs Iesu Christi, vnd Hymni in Bachum Sampt einem anhang Mehr auserleßener geticht anderer Teutscher Poëten. Der gleichen in dieser Sprach Hiebeuor nicht auß kommen. Straßburg In verlegung Eberhard Zetzners. Anno 1624. So das Titelkupfer. Von diesem Werk liegt ein Reprint aus dem Jahre 1975 vor, doch der verdienstvolle Olms-Verlag hat Pech gehabt. Er legte dem Nachdruck ein Exemplar der Stadtbibliothek Augsburg zugrunde, dem das Schlußstück, Opitzens ›Zlatna‹, fehlt. Vgl. auch die eingehende Beschreibung von Georg Witkowski im Vorspann zu seiner Edition des Textes im Rahmen der von Wilhelm Braune begründeten Reihe ›Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts‹. Braune hatte eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Er trennte die Zincgrefsche Anthologie ab von den Opitzschen ›Poemata‹, denen sie, wie auf dem Titel ausgewiesen, als Anhang beigegeben war, und publizierte sie separat. Vgl.: Auserlesene Gedichte Deutscher Poeten gesammelt von Julius Wilhelm Zincgref. 1624. [Hrsg. von Wilhelm Braune].- Halle/Saale: Niemeyer 1879 (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 15). Braune, der als Herausgeber auf dem Titelblatt nicht in Erscheinung tritt, bietet eine knappe Einleitung nebst einer Beschreibung der Zincgrefschen Opitz-Ausgabe und ein Verzeichnis der Autoren mit ihren Gedichten im Anhang. Die Existenz dieser Edition hatte zur Folge, daß die Ausgabe der Opitzschen Poemata ohne die Zincgrefsche Beigabe herauskam. Vgl. Martin Opitz: Teutsche Poemata. Abdruck der Ausgabe von 1624 mit den Varianten der Einzeldrucke und der späteren Ausgaben. Hrsg. von Georg Witkowski.- Halle/Saale: Niemeyer 1902 (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 189–192), Nachdruck: Halle/Saale: Niemeyer 1967 (Neudrucke deutscher Literaturwerke; 29). Die Witkowskische Ausgabe ist vorbildlich gearbeitet. Sie enthält eine Einleitung zu der Entstehungsgeschichte sowie zu den zeitgenössischen Ausgaben nebst einem Druckfehlerverzeichnis und einer Zusammenstellung der Quellen zu den einzelnen Gedichten, soweit zu ermitteln. In einem Apparat zu jedem Gedicht sind sodann die Seitenangaben in den Nachdrucken und vor allem die Varianten aufgeführt. Die Ausgabe behält also weiterhin ihren Wert. Im übrigen ist für die Beschreibung der Ausgabe von 1624 und ihrer Nachdrucke zu verweisen auf den Vorspann zum Wiederabdruck in der verdienstvollen Opitz-Ausgabe von George Schulz-Behrend: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 1. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1978 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300), S. 161–167. Es bleibt freilich sehr zu beklagen, daß die bereits
XII. Erste poetische Ernte
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Ein Titelkupfer In enger Zusammenarbeit zwischen dem renommierten Verleger Eberhard Zetzner in Straßburg und der akademischem Autorität daselbst Matthias Bernegger sowie dem Exulanten Zincgref ist eine auch äußerlich ansprechende Ausgabe zustandegekommen. Zetzner verfügte über reiche Erfahrungen im Druck deutschsprachiger Bücher. Und er hatte offenkundig tüchtige Stecher zur Hand, die sich auf die professionelle Erstellung von Titelkupfern verstanden. Derjenige, der nun die erste Ausgabe der Gedichte Opitzens ziert, blieb als Unikat zugleich eine bibliophile Kostbarkeit. Wir zitieren die eingehende Beschreibung, die der verdienstvolle Herausgeber George SchulzBehrend von ihm gab, der selbst zwei Exemplare der ›Poemata‹ von 1624 besaß. Der Stichtitel stellt einen von links angeleuchteten, altarähnlichen Bau dar. Auf einem Unterbau mit geometrischen Verzierungen [...] erheben sich zwei toskanische Säulen, zwischen denen das Hauptfeld [...] den oben aufgenommenen Titel trägt. Im reich verzierten Giebelfeld über den Säulen fällt eine in der Mitte, in einer Kartusche befindliche Darstellung ins Auge: ein Hermelin eilt in gestrecktem Lauf nach rechts einem lodernden Feuer zu. Das Tier ist von einer Masse umgeben, die sich nach der über dem Bildhorizont befindlichen Devise IGNI NON COENO als Schmutz ausweist. (Es war allgemein bekannt, ›daß der Hermelin sein weisses Fell so hoch halte, daß er lieber durch ein Feuer, als durch Koth lauffen solle, dahero er auch ein Sinnbild der Reinigkeit abgiebet‹ [Zedler XII, Sp. 1728]). Oberhalb dieser Darstellung reitet Amor (mit verbundenen Augen, Lorbeerkranz in der ausgestreckten Rechten, Bogen in der Linken, den vollen Köcher auf dem Rücken) auf einem flugbereiten Adler, der sich mit den Krallen am oberen Rand der Kartusche hält. Die Darstellung im Unterbau zeigt einen lorbeergekrönten Poeten, der sitzend den ebenfalls sitzenden Musen vor einer hügeligen Landschaft zur Harfe vorträgt. Pegasus erhebt sich von einer der Erhöhungen in die Luft. Das Motto links oben lautet MIHI ET MUSIS.2
Bekannte Bilder, Motive und Requisiten figurieren da. Und doch nötigt das Kupfer für einen Moment zum Innehalten. Am Giebelfeld bleibt das Auge haften, begleitet von Nachsinnen, ja, herüberblickend zu Opitz. Wie rasch mögen die Gedanken in die Irre führen? Sei’s drum. Da ist das Feuer wieder, von Opitz wie von einem jeden Humanisten unaufhörlich beschworen, war es doch der furor poeticus, von dem nur dieser Stand und er alleine zu künden vermochte als einem heiligen Mirakel. Das dahinjagende Tier – es wird sich im Zweifelsfall nicht scheuen, das Äußerste zu riskieren. Steht es anders um den Poeten? Er setzt aufs Ganze oder er verbleibt in mediokren Gefilden. Alles, das Banale, das Plebejische, ja noch das Persönliche läßt er hinter sich, um Aufschwung zu nehmen zum Höchsten. Opitz kündete davon, wollte er als Poet doch immer zugleich auch mehr sein als ein solcher. Der Archeget ist eine heroische Figur, verpflichtet allein dem Absoluten. Das lebensverzehrende Feuer scheut er nicht. Auf sinnfällige Manier verweist gerade diese ungewöhnliche pictura auf einen Autor, für den sie wie geschaffen erschien.
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früher erschienenen und in der Ausgabe dokumentierten Gedichte in der Fassung von 1624 selbst nicht nochmals zum Abdruck kommen. Man muß also jeweils mühsam zurückblättern. Sehr zu begrüßen ist indes, daß der Zincgrefsche Anhang mit zum Abdruck gelangt. Darüber unten. Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), Band II/1, S. 161 f.
Porträt eines elsässischen Adligen
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Porträt eines elsässischen Adligen Wir bewegen uns in einem gänzlich veränderten Milieu, und das gleichermaßen räumlich wie rhetorisch. Auf das Elsaß richtet sich der Blick. Eine gesegnete Landschaft tritt für einen Moment hervor. Der Humanismus hatte hier glanzvoll Fuß gefaßt, das Schultheater war erblüht, eine reiche Erzählliteratur machte von sich reden und allenthalben war der Einfluß Frankreichs zu spüren. In unmittelbarer Nachbarschaft erhob sich die Herrschaft Mömpelgard, zentraler Umschlagplatz der aus der Romania herübergelangenden Romanliteratur, die von hier aus ihren Weg in die deutschen Lande nahm. Nicht auszumalen, wie die Entwicklung der deutschen Literatur sich vollzogen hätte, wenn nicht der Südwesten gleichfalls in die Pfälzer Katastrophe zumindest am Rande mit hineingezogen worden wäre.3 Zincgref knüpfte die Fäden in jedem Fall weiterhin in die Grenzlandschaft. An Graf Eberhard von Rappoltstein richtete er die von ihm vorbereitete Ausgabe der Opitzschen Gedichte nebst Anhang. Auch er also hatte nicht in erster Linie das gehobene Bürgertum in den florierenden elsässischen Städten im Auge, sondern den Adel. Dort suchten die Humanisten Schutz und Schirm; das Bündnis mit ihm wurde auf eine jede denkbare Weise zu befestigen gesucht. Entsprechend verfuhr auch Zincgref, und das gezielt, wie aus der in Umrissen bekannten Biographie ersichtlich.4 Von Rappoltstein wurde 1570 in Gemar (Guémar) bei Colmar geboren. Nach dem Besuch des illustren Straßburger Gymnasiums und der Tübinger Universität übernahm er die Herrschaft in Rappoltsweiler und Hohenack bei Colmar. Dort öffnete er alsbald wieder die von Erzherzog Ferdinand für den lutherischen bzw. reformierten Gottesdienst geschlossenen Kirchen. Den Verbindungen zum Kaiserhaus tat das keinen Abbruch. Er blieb ein geschätzter Vertrauensmann der Habsburger im Elsaß. Als Kämmerer und Präsident der unterelsässischen Landstände war er tätig, wurde von ––––––––– 3
4
Vgl. die einschlägigen Kapitel im nach wie vor äußerst lesenswert gebliebenen Werk von Ottokar Lorenz und Wilhelm Scherer: Geschichte des Elsaßes. 3. verb. Aufl.- Berlin: Weidmann 1886. Es handelt sich tatsächlich um eine ausgewachsene Kulturgeschichte. Aus der jüngeren Zeit sei hier nur verwiesen auf den gehaltreichen Band von Wilhelm Kühlmann und Walter E. Schäfer: Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien.- Tübingen: Niemeyer 2001. Zu von Rappoltstein vgl. die Einträge in: Fr. Edouard Sitzmann: Dictionnaire de biographie des hommes célèbres d’Alsace, depuis les temps les plus reculés jusqu’à nos jours. Band I–II.- Rixheim (Alsace): Sutter 1910, Band II, S. 561; Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Hrsg. von Jean-Pierre Kintz. Band XXXI, S. 3189 (Benoît Jordan); Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617–1650.- Leipzig: Edition Leipzig 1985, S. 147 f. Zum Geschlecht vgl. auch: Edouard Meaume: Les Seigneurs de Ribaupierre, famille de la chevalerie Lorraine, en Alsace et en Suisse.- Nancy: Wiener 1873. Zur theologischen Orientierung: Louis Süss: Geschichte der Reformation in der Herrschaft Rappoltstein.- Diss. phil. Zabern 1914 (masch.) (Bausteine zur Elsass-Lothringischen Geschichts- und Landeskunde; 14), S. 49–65; Johann Adam: Evangelische Kirchengeschichte der Elsässischen Territorien bis zur französischen Revolution.Straßburg: Heitz 1928, S. 365 ff. Bei Sitzmann wird auf eine 1638 in Straßburg erschienene Leichenpredigt für Rappoltstein verwiesen, deren Existenz zu überprüfen ist. Der Verfasser erhielt im Jahr 1980 von Leonard Forster ein umfängliches Dossier mit in den sechziger Jahren angestellten Recherchen zu Rappoltstein, das im Zuge der Vorbereitung eines Porträts zusammengekommen war. Forster war über die Opitz-Studien des Verfassers informiert. Es wird Sorge dafür getragen werden, daß die wertvollen Papiere an einem geeigneten Ort zur weiteren Verwahrung gelangen.
XII. Erste poetische Ernte
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den Kaisern Rudolf II. und Ferdinand II. wiederholt zu Gesandtschaften bestellt und machte sich um die Beilegung von Unruhen im Oberrheinischen Kreis sowie als Soldat in den Türkenkriegen verdient. 1627 wurde er als ›Der Schärfende‹ in die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ durch Heinrich Graf von Solms aufgenommen. Offensichtlich zählte sein mutiger Einsatz für die Evangelischen. Doch nicht nur das. Von Rappoltstein galt als Förderer der Künste. Im Jahr 1606 gab er als Oberhaupt der Musikbruderschaft derselben neue Statuten. Entsprechend widmete Zincgref sein Werk einem Mann, der sich nicht nur als »sonderbahrer Liebhaber vnd Mecaenas aller freien Künsten vnnd Wissenschafften« erwiesen hatte, sondern sich »bevorab die Teutsche poesie dergestalt belieben lassen/ daß sie sich selbst vnderweilen darinnen mit grossem Ruhm ergetzen/ vben vnd dißfalß vnsern alten Teutschen Helden nicht das geringste nachgeben«. Zu einem Dokument ganz eigener Art ist die Zincgrefsche Widmung geraten. Nicht zuletzt im Vergleich mit Opitz empfängt sie ihren Reiz.5
Poesie und Politik: Zincgrefs Widmung an Eberhard von Rappoltstein Ohne Umschweife und ohne Scheu in der Ich-Rede einsetzend kommt Zincgref zur Sache. Gleich mehrere Beweggründe halte er gerade für diese Widmung parat. Sie sind alle gleich einschlägig. Und sie werden in einer Sprache vorgetragen, die den versierten Publizisten auch in der Muttersprache erkennen läßt. So direkt hat Opitz sich selten vernehmen lassen. Diesem Sprecher folgt man mühelos und mit einem Vergnügen, in das sich die Freude an der bildreichen Sprache mischt. Sogleich befindet sich der Hörer und Leser inmitten zündender Argumente und packender Bilder. HOchgeborner Gnädiger Herr. Daß ich dieses Poetische Wercklin in offenem Truck gemein machen wollen/ dessen hab ich vnderschiedliche Vrsachen. Erstlich/ dardurch die Außländer zu vberweisen/ wie gar vnrecht sie daran seyen/ in dem sie jhnen einbilden/ daß sie die Laiteren/ durch welche sie vff die Parnassische spitze gestiegen/ hernach gezogen/ vnd jhnen also niemandt folgen könne/ welche jhre meinung aber hierdurch zu nicht gemacht an sich selbst verschwindet. Vors ander/ den Inländern vnd Landtsleuten hingegen zu zeigen/ wievil sie in jhrer Muttersprache/ vnd diese hinwiderumb in jhnen vermöchten/ wann sie nur wolten: vnd nicht lieber wolten deroselben, als eines geheimen Schatzes oder verschlossenen Krames/ den man nicht angreiffen oder außlegen darff/ sich gebrauchen. Vors dritte/ die gewelschte Teutschen dardurch zu vberzeugen/ wie vndanckbarlich sie sich an der Muttersprach nit allein/ sondern auch an sich selbst vergreiffen: Vnd zwar an der Muttersprach in dem/ daß sie lieber in frembden Sprachen stamlen/ als in deren/ welche jhnen angeboren/ zu vollkommener Wohlredenheit gelangen/ viel lieber bey den frembden hinden nach/ als bey jhren Landtsleuten voran gehen/ bey jenen die Thür zu/ als bey diesen vffschliessen wollen/ vnd also darvor halten/ daß in frembder Sprach den geringsten fehler reissen/ ein Todsünde/ hingegen in jhrer Sprach einen Soloecismum vnd Bachanterey vber die ander begehen/ keine Schandt seye: An jhnen selbst; in dem sie sich muthwillig zu Sclaven frembder Dienstbarkeit machen/ sintemahl es nicht ein geringeres Joch ist/ von einer außländischen Sprach/ als von einer außländischen Nation beherrschet vnd Tyrannisiret werden. Gerahten also/ durch diesen jhren Alberen Wohn/ endlich dahin/ daß sie daheim billich verhast vnd veracht werden.6
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Sie wird im folgenden zitiert nach der Ausgabe von Schulz-Behrend: Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), Band II/1, S. 168–171. Ebenda, S. 168 f.
Europäischer Stafettenlauf der Musen
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Da war in einem Absatz gesagt, was zu sagen war. Und die Pointe, die Engführung des poetischen mit dem politischen Diskurs am Schluß, geriet wenn nicht zu einem geflügelten Wort, so doch zu einer vielzitierten Maxime. Sie war traditionsgeschichtlich fundiert, in dieser bündigen Formulierung im Deutschen jedoch erstmals zu vernehmen. Stets ging es um mehr als um die deutsche Poesie. Im kulturellen Wettstreit der Nationen war Deutschland ins Hintertreffen geraten. Die politisch so wachsame humanistische Intelligenz wußte um das Wechselspiel von Poesie und Politik. Im linguistischen Votieren waren immer auch nationale Konnotationen präsent. Von einer gefestigten Nation war Deutschland nach mehr als einem halben Jahrhundert konfessioneller Auseinandersetzungen weit entfernt. Die eine Sprache und die eine Poesie blieben ein Unterpfand für das heiß ersehnte politische Projekt. Zincgref brachte es treffsicher auf den Punkt. Opitz aber hätte sich keinen kompetenteren Partner wünschen können. Was aber mag er empfunden haben, als er sein Werk mit eben dieser Widmung in den Händen hielt? Diese Frage, über die Jahrhunderte hinweg führend, ist keine unberechtigte oder gar unziemliche. Da erhob ein Freund eine Stimme, die keinen Ton und schon gar nicht den seinen geborgt hatte. Ein weiteres Mal bestätigte sich, daß in der Pfalz völlig souverän agiert wurde. Daselbst benötigte man keinen Lehrmeister. Als Lernender und Empfangender war Opitz einst gekommen. Der war er nicht mehr; nicht ausgeschlossen indes, daß eine Ahnung sich regte im Blick auf die Berechtigung der stets so gezielt reklamierten Erstlingsrechte. Er hatte Kenner und Könner neben sich, und eben dies erfuhr Opitz nicht zum ersten Mal.
Europäischer Stafettenlauf der Musen Zincgref aber fuhr fort und wechselte herüber in die unerschöpflichen Gefilde der Geschichte. Da lagen die Paradigmata für das zuvor für Deutschland Konstatierte in beliebig großer Anzahl bereit. Die griechisch-römische Konstellation ist die erste einschlägige. Wie durften die Römer hoffen oder gar sich erkühnen, den Begründern der Bildung nachzufolgen oder ihnen gar den Rang streitig zu machen? Diese Frage war nur allzu berechtigt angesichts des den Griechen auch von Zincgref attestierten Weltruhms. Und doch. Die Römer ließen sich nicht abschrecken, wie es ausdrücklich heißt – im Gegenteil. Nur um so mehr wurden sie angespornt, ihre Sprache, Literatur und Philosophie auszubauen. Ein Cicero beweise zur Genüge, so Zincgref, was ein in der griechischen Sprache und im griechischen Denken wohlbewanderter Römer schließlich als Redner in der eigenen Sprache zu verrichten vermochte. Und galt selbst für die Griechen nicht Analoges? Die Hebräer waren ihnen zeitlich voraus. Homer, der Stammvater jedweder humanistisch-klassizistischen Literatur, hätte womöglich im hebräischen Idiom beginnen sollen? Eine Absurdität. Aber das Problem kehrte ja allenthalben wieder. War Homer das Vorbild für Vergil, so hätte dieser doch im Griechischen sich artikulieren müssen. Und wenn in der neueren Zeit Petrarca auf Vergil wie auf niemanden sonst blickte, so wäre es doch an ihm gewesen, beim Latein zu bleiben.
XII. Erste poetische Ernte
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Alle großen Geister haben den entscheidenden Schritt getan, haben sich von den Vorgängern gelöst und den Weg zum heimischen Idiom gefunden. Die europäische Literatur ist von ihren Anfängen an ein Stafettenlauf geblieben und am Ende ging es stets darum, die Muttersprache zum Gefäß auch der größten Werke zu erheben. Die Namen der Heroen, mit denen sich diese schöpferische Tat verbindet, sind gezählt und ein jeder kundig Zurückblickende hat sie präsent. Die Konstruktion der europäischen Literatur in ihrer Ganzheit ist keine Errungenschaft der jüngsten Vergangenheit. Und vollzieht man sie über das Bindeglied des Mittelalters statt der Renaissance, dann gelangt sie automatisch auf eine schiefe Bahn ...
›Vnser Opitius‹ Nun also sind die Deutschen am Zuge. Also daß es ein grober vnverstandt von vns Teutschen were/ die Musas, demnach sie andere nunmehr Barbarisirte Länder verlassen vnd zu vns eingekehret/ wiederumb zuruck weisen/ oder doch sonst in ein andere vnd zwar entlehnete Wohnung einlosiren wollen/ da wir doch bey uns selbst Platz vnd eigene Losamenter gnug vor sie haben.7
Die Musen wandern. Sie verlassen einen Ort, um sich am nächsten niederzulassen. Aber sie lassen ja keine ›barbarischen‹, sondern akkulturierte Landstriche zurück, wie im Sinne humanistischer musischer Philosophie klarzustellen, um Mißverständnissen vorzubeugen. Zincgref, der Edelmütige, bringt nun jedoch einen neuen, von Opitz so nicht bekannten Zungenschlag ins Spiel. Die Musen haben ihren Ritt nach Deutschland nicht noch vor sich, sie sind vielmehr in dem bis dato ›barbarischen‹ Land bereits eingekehrt. Und zwar ausgestattet mit einer deutschen Zunge. Damit gerät der Leser an eine Stelle, da es ihm für einen Moment den Atem verschlägt. Wer ist verantwortlich für diesen Umschwung, sind Namen, Werke, Regionen namhaft zu machen? Zincgref hat einen Namen bereit, das ehrt ihn für alle Zeit. Bescheiden zurücktretend ins zweite Glied hebt er denjenigen des Einen auf den Schild, wo er fortan seinen Platz haben sollte. Und das in diesen Worten als erster. Alle Veranlassung besteht, diese noble Tat ihm nicht zu vergessen. Vnser Opitius, welcher vns recht gewiesen/ was vor ein grosser vnderschied zwischen einem Poeten vnd einem Reimenmacher oder Versificatoren sey/ hat es gewagt/ das Eiß gebrochen/ vnd den new ankommenden Göttinen die Furth mitten durch den vngestümmen Strom Menschlicher Vrtheil vorgebahnet/ also daß sie jetzo nicht minder mit vnserer/ als vor diesem mit anderer Völcker Zungen der werthen Nachkommenheit zusprechen/ dieselbe durch dieses Mittel von Lastern ab- vnnd hingegen zur Tugent vnd Geschicklichkeit anfüren mögen.8
Da steht der Heros also auf dem Postament. Von ihm und keinem anderen nimmt das Neue, nimmt die deutsche Poesie in der Façon der Alten und deren Erneuerer in der Moderne ihren Ausgang. Opitz hätte sich seinem Fürsprecher nach dem an dieser ––––––––– 7 8
Ebenda, S. 169 f. Ebenda, S. 170.
Auftauchen eines ›altdeutschen‹ literarischen Kontinents
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Stelle Gesagten ein Leben lang verpflichtet fühlen müssen, wenn das denn eine Rolle gewesen wäre, die auf ihn zugeschnitten gewesen wäre. Hat er im Gegenzug in seinen eigenen Verlautbarungen den Pfälzern den ihnen gebührenden Platz eingeräumt? Wir wüßten keine einschlägigen Passagen aufzuführen. Und entsprechend bedurfte es stets wieder kundiger Stimmen, die die Dinge zurechtrückten. Nicht zuletzt einer Opitz gewidmeten Monographie ist es aufgetragen, daran mitzuwirken.
Auftauchen eines ›altdeutschen‹ literarischen Kontinents Mit dem zitierten Passus hatte es dann aber auch sein Bewenden, was Opitz anging. Zincgref wechselte das Thema. Ein Bewunderer der Künste und Wissenschaften ist der Widmungsempfänger. Wir haben die Zincgrefschen Worte bereits vernommen. Nun aber erfolgt der weit ausholende geschichtliche Rückblick. Denn wie steht es um die ›alten Teutschen Helden‹, von denen da die Rede war? Einen Gewährsmann weiß Zincgref aufzurufen, auch damit Opitz vorangehend. Das Werk Melchior Goldasts ist soeben bekannt geworden. Und dessen Worten kann der Redner sich nur überzeugten Herzens anschließen. Denn Goldast – »der bekante eyferer Teutscher Nation vnd Sprachen Ehr vnd Hochheit« – bezeugt, daß das, was in der Gegenwart sich allenthalben regt und auch im Widmungsempfänger einen aktiven Mitstreiter besitzt, tatsächlich uralte deutsche Praxis ist, haben die Deutschen doch nit wenigern fleiß vff diese vnsere Sprach als etwan andere Völcker vff die jhrige/ gelegt [...]/ solche zu poliren/ zuerheben/ berümbt vnnd perfect zumachen/ vnd also vns jhren Nachkömlingen vmb ein gutes vorzuarbeiten: vnd dieses schon von Caroli Magni zeiten hero/ sonderlich in den letzten 500. Jahren/ in welchen sie/ nach weise der Römer vnd der Grichen diese dreyfache Exercitia oder Vbungen zu Hoff im schwang geführet/ Ritterspiel/ Fechtkunst vnd die Music. Dann gleich wie sie durch Jene zwo, beydes zur fertigkeit vnd Stärck deß Leibs/ vnd zur Geschicklichkeit in der Waffenhandlung/ also wurden sie vnder dieser der dritten zu schärffung der Sinnen/ erhöhung deß Verstandts/ vnd also zu den Tugenden deß Gemüths/ durch mittel der Poeterey vnnd der Wohlredenheit ins gemein/ abgerichtet: also daß so wohl Adels/ als höheren standts Personen/ ja manchmahl Fürsten/ König vnd Keiser selbst/ offene Poetische Kämpff zuhalten gepflegt/ bey welchen nit weniger/ als bey den Thurnieren auch das Adeliche Frawenzimmer den Danck oder Preiß vnder den obsiegern außgetheilet.9
Neuerlich ist eines denkwürdigen Vorgangs zu erinnern. Eben werden die ersten Schritte getan, vom Latein sich zu lösen und eine gleich anspruchsvolle deutsche Poesie zu schaffen, da taucht dank eines vorzüglichen Gewährsmannes auch schon eine weit zurückreichende Phase deutschen Dichtens auf im Horizont, über die sich unversehens ganz neue Anschlüsse herstellen lassen. Die in der Gegenwart um das Projekt einer deutschsprachigen Poesie Bemühten sind nicht die ersten. Sie haben Vorgänger, wissen sich legitimiert durch große Namen und Förderer in der ›altdeutschen‹ Vergangenheit. In eins mit der definitiven Verabschiedung stadtbürgerlicher ›volkstümlicher‹ Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts durch die ›Neuerer‹ an der Wende zum 17. Jahrhundert erscheint erstmals eine ganze Phalanx mittelalterlicher Autoren, die nun als Ahnherren der eigenen Bemühungen figurieren. ––––––––– 9
Ebenda, S. 170 f.
XII. Erste poetische Ernte
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Das ist ein atemberaubendes kulturgeschichtliches Ereignis. Eine erste Beschäftigung mit Quellen aus dem viel später von Herder auf den Namen ›altdeutsch‹ getauften Zeitalter erfolgt aus dem Geist eines national inspirierten Humanismus. Schon einmal hatte der Funke gezündet, als die ›Germania‹ des Tacitus bekannt wurde. Nun war ein Zeitgenosse zur Stelle. Der hatte Muße gehabt, sich vor allem in der Klosterbibliothek zu St. Gallen in die reiche handschriftliche Überlieferung aus dem Mittelalter zu versenken. Auch die Spruch- und Minnedichter traten hervor. Unversehens sahen sich die wachen Geister um 1600 mit Dokumenten ausgestattet, die sich trefflich eigneten, den Wettstreit mit den Nachbarvölkern auf historisch gediegenem Grund auszufechten. Keine Rede konnte davon sein, daß diese Texte die eigene poetische Produktion hätten beflügeln können. Die maßgeblichen Vorgaben lagen in der Antike. Daß aber überhaupt auf deutsch gedichtet wurde und hochgestellte Förderer unterstützend zur Seite standen, ja womöglich selbst zu singen und dichten anhoben, zählte alleine. Die Begegnung der Humanisten, eben im Begriffe, zum Deutschen herüberzuwechseln, mit ihren mittelalterlichen Vorfahren deutscher Zunge, bleibt ein zuweilen Züge des Phantastischen streifendes spannendes Kapitel. Opitz hatte schon in seinem ›Aristarchus‹ die Entdeckungen Goldasts kurz berührt und sogar eine poetische Kostprobe geboten. Zincgref jedoch ist offensichtlich der erste, der eben die hier sich auftuenden Linien auszieht. Und darin wird Opitz ihm wiederum sogleich folgen. Mehr als ein Dutzend Personen weiß Zincgref mit Goldast namhaft zu machen, die sich dichtend hervortaten und dabei mehr als einmal der Fürsprache und der Förderung der Mächtigen sich erfreuen durften. Eine Kontinuität auf dem Felde der deutschen Literatur wird statuiert, die de facto eine simulierte ist, hat inzwischen doch eine Umpolung stattgehabt. Doch nicht um diese materiale Differenz geht es, sondern um den Erweis, daß auch die Deutschen über eine anderer Völker in nichts nachstehende Geschichte auf dem Felde von Wissenschaft und Kultur verfügen. Die Koinzidenz zwischen den Entdeckungen eines Goldast und deren alsbaldiger produktiver Verarbeitung zu Beginn des 17. Jahrhunderts bleibt ein literatur- und kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges, das sich wissenschaftsgeschichtlich stets auch mit Zincgrefs Namen verbinden sollte.
Opitz auf Pfälzer Parkett Und dann folgt Opitz. Ein einziges Mal stimmt eine – gefühlte – Rangordnung. Nun ist der Leser der Adressat. Der Dichter gönnt sich sehr viel Platz, holt weit aus, hat einen erheblichen Schatz trefflicher Exempla ganz anderer Provenienz zur Hand. Insofern könnte diese Vorrede mit gleichem Recht auch im nächsten Kapitel zur Sprache kommen. Wir möchten den Opitzschen Erstling jedoch beieinander halten und präludieren dem Nachfolgenden an dieser Stelle bereits. Die Materie ist allemal beredt genug. Wann mag Opitz die Zeilen geschrieben haben? Nur eines ist gewiß: er hatte seinen Heinsius und vor allem seinen Scriver gelesen, bevor er zur Feder griff.10 ––––––––– 10
Die Vorrede ›An den Leser‹ steht in der benutzten und Anm. 1 zitierten Ausgabe von SchulzBehrend auf den Seiten 172–177.
Europa, Deutschland und der Pionier Martin Opitz
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WAnn ich mir/ günstiger Leser/ gegenwertiger Zeit gelegenheit/ waß die freyen Künst belanget/ für Augen stelle/ muß ich mich hefftig verwundern/ daß/ da sonst wir Teutschen keiner Nation an Kunst vnd Geschickligkeit bevor geben/ doch biß jetzund niemandt vnder vns gefunden worden/ so der Poesie in vnserer Muttersprach sich mit einem rechten fleiß vnd eifer angemasset.11
Diese Worte lesen sich anders als in einem jeden anderen von Opitz herrührenden Werk. Gut möglich, daß Opitz, als er sie aufsetzte, nicht ahnen konnte, daß sie in einem von Zincgref verantworteten Werk das Licht der Welt erblicken würden. Nun aber war genau dieser Fall eingetreten. Was mochte der Freund denken, als er diese einleitenden Bemerkungen zum Druck brachte? Es stimmte ja nicht, daß man sich in jüngster Zeit nicht der deutschen Sprache und Poesie mit Eifer angenommen hätte. Der von Zincgref veranstaltete Anhang bewies das Gegenteil zur Genüge. Und daß man in der Pfalz nicht auch Kenntnis gehabt haben sollte von den Versuchen im Osten, angefangen in Böhmen, ist gleichfalls wenig wahrscheinlich. Wieder geht es um die Akzentuierung des Einsatzes und wir können nicht hindern, den Finger erneut in die Wunde zu legen. Man wird dem Dichter zugute halten, daß er sich eng an Scriver anlehnt. Doch die erste Ausgabe seiner ›Poemeta‹ hat ihren genuinen Platz in der Pfalz. Und da nehmen die proklamatorischen Verlautbarungen einen anderen Klang an als im fernen Schlesien. Ob der Dichter es über sich bringt, den Anfängen rings um ihn herum im Osten und Westen Erwähnung zu tun? Der Leser wird sich gedulden müssen. Denn zunächst ist eine Vergegenwärtigung der initiatorischen Leistungen in Europa auf dem Felde der schönen Wissenschaften und Künste an der Reihe. Wir dürfen uns kurz fassen.
Europa, Deutschland und der Pionier Martin Opitz Mit Petrarca setzt Opitz ein. Neben ihm aber hat Sannazaro seinen Platz, dessen ›Arcadia‹ für den Dichter so wichtig werden sollte, wie alsbald auszuführen. In Frankreich sind es Ronsard und du Bartas, die Erwähnung finden. Unter den Engländern wird nur einer der Namhaftmachung gewürdigt, Philip Sidney. Am längsten verweilt der Dichter bezeichnenderweise bei den Niederländern. Heinsius führt die Riege an. Die Titel aber von den kurrenten Dramen, die da erwähnt werden, führen tief hinein in das literarische Leben des Nachbarlandes. Woher sollte Opitz Kenntnis haben von einem Hooft, einem Bredero, einem Coster, wenn nicht via Scriver? So kommt eine Ungleichgewichtigkeit zustande, die eben der extensiv ausgebeuteten Quelle geschuldet ist. Vor diesem Hintergrund richtet sich der Blick auf Deutschland. Was da aber verlautet, ist keineswegs geeignet, das angesprochene grundsätzliche Problem aus der Welt zu schaffen. Wir Teutschen allein vndanckbar gegen vnserm Lande/ vndanckbar gegen vnserer alten Sprache/ haben jhr noch zur Zeit die Ehr nicht angethan/ daß die angenehme Poesie auch durch sie hette reden mögen. Vnd weren nicht etliche wenig Bücher vor vilen hundert Jahren in Teutschen reimen geschrieben/ mir zu handen kommen/ dörffte ich zweiffeln/ ob jemahls dergleichen bey vns vblich
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Ebenda, S. 172.
XII. Erste poetische Ernte
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gewesen. Dan was ins gemein von jetzigen Versen herumb getragen wirdt/ weiß ich warlich nicht/ ob es mehr vnserer Sprache zu Ehren, als schanden angezogen werden könne. Wiewohl ich keines wegs in abred bin/ daß vil stattliche Ingenia sein mögen/ die vnserer Muttersprache auch dißfalls wohl mächtig/ vnd sie nach würden zu tractiren wüsten. Warumb aber solches biß anhero zuruck gestellet/ kan ich eigentlich bey mir nicht ermessen.12
Derart aktiviert also auch Opitz seine Kunde von den Entdeckungen Goldasts auf dem Felde der älteren deutschen Poesie. Mehr aber eben auch nicht. Zincgref ist hier entschieden konkreter. Opitz wird die Lektion rasch nachholen, gewiß. Auch an dieser Stelle aber gebietet historische Gerechtigkeit die Feststellung, daß er gegenüber dem Pfälzer der Nachzügler ist, keinesfalls umgekehrt. Und was die Poesie der Deutschen in der Gegenwart angeht, herrscht weiterhin Schweigen in bezug auf konkurrierende Leistungen. ›Ingenia‹ mögen vorhanden sein. Doch bislang ist nichts Ehrenwertes da, auf das verwiesen werden könnte. ›Tabula rasa‹ obwaltet. Der ingeniöse Dichter muß erst noch auftreten. Und was andererseits im ›altdeutschen‹ Fach an Entdeckungen auch immer noch beigebracht werden mag – Fragen der Erstlingschaft in der neueren Zeit bleiben davon völlig unberührt. Von dieser Seite aus droht keinerlei Gefahr. Doch zurück mit Opitz nach Europa. Schon Sokrates und Platon haben um den Wert der Poesie gewußt. Homer wurde als Quelle jedweder Weisheit gelesen und geschätzt. Alexander der Große wird aufgerufen. Selbst Orpheus ist zur Stelle. Und so geht die Reihe fort. Für die Römer steht Vergil ein, für die Hebräer Moses und der Psalmist sowie der Dichter des Hohen Liedes. Bis in die griechische und lateinische Bibel hinein hat sich heidnisches Wortgut vielfach erhalten. Die Heiden mögen glaubend irren. Ihr linguistischer Schatz, so weiß der Dichter mit Ambrosius, ist ein unvergänglicher. Und im Blick auf die Mythologie bleibt die Allegorie das Mittel der Wahl des geziemenden, will sagen theologisch unverfänglichen Umgangs mit ihr. Was immer aber den Heiden in ihrer ›Blindheit‹ angelastet werden mag, wo immer sie in ihrer Fabulierlust gefehlt haben mögen – dem Bemühen um eine reine Poesie tut das keinen Abbruch. Und damit ist der Dichter wieder bei den Deutschen. Von einem ›Heldenbuche‹ hat er gehört. Daselbst und anderwärts sei doch nur allzu offenkundig, daß eine deutsche Sprache verlaute, sehr wohl dazu angetan, andere Sprachen zu ›beschemen‹. Das alles bleibt mehr als nebulös und Opitz bekennt dies unumwunden ein. »Ihm sey aber doch wie jhm wolle«. Nicht zählt, was war, es zählt alleine, was jetzt sein soll. Und da ist nur Einer zur Stelle. An ihm sei es gewesen, »die Bahn zu brechen/ vnd durch diesen anfang vnserer Sprache Glückseeligkeit zu erweisen«.
Der eigene Blick auf den Erstling Damit ist der Übergang zur Präsentation des vorliegenden Werkes gefunden. Es gibt sich nicht zuletzt als eines der Übersetzung aus ›frembden Sprachen‹. Das sei übliche Praxis schon bei den Römern gewesen. Und so nicht anders am Anfang jedweder poetischen Laufbahn der Einsatz mit der Liebesdichtung. Auch sie unterliegt wie die Mythologie der Maxime des uneigentlichen Sprechens. Wir haben zur Genüge davon ge––––––––– 12
Ebenda, S. 173. Die folgenden Zitate S. 174 f.
Ein pfälzisch-oberrheinisches Gratulations-Bouquet
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hört und dem Dichter bei dieser seiner Praxis über die Schultern geschaut. Wie viele Autoritäten weiß er, angefangen bei Platon, an seiner Seite. Der ›keuschen Venus‹ wird mit den ›gelerten Musis‹ Tribut gezollt, und das von frühester Jugend an. Die Zukunft wird erweisen, daß auch er noch zu ganz anderem fähig ist als zu amourösen Versen.13 Ein Mischwald wird dargeboten, ohne daß der Begriff explizit fiele. Die Zeit aber wird das ihrige dazu beitragen, für Varietät, und zugleich für Gewahrung von Unterschieden hinsichtlich der Qualität der dargebotenen Verse zu sorgen. Hoffe aber/ sie sollen doch nicht von allen verworffen werden. Es seind viel Früchte/ von denen man zwar nicht leben kan/ dennoch aber werden sie ohne lust vnd sonderen ergetzlichkeit nicht angesehen. Daß ich der vngleichheit der meinungen nit gedencke/ daß diesem jenes/ jenem dieses gefellt/ vnd einer Rosen/ der ander Dörner lieset. Ist mein fürnehmen gerathen/ hoffe ich nicht/ daß mich jemandt tadeln werde: wo nicht/ so bin ich dennoch zu entschuldigen/ weil ich vnserer Sprachen Würde vnd Lob wider auffzubawen mich vnderfangen.14
Darum alleine geht es. Nein, diese Adresse an den Leser blieb eine improvisierte. Ihr mangelte Stringenz des Gedankens wie des Vortrags. Zu offenkundig war, daß eine Adaptation der niederländischen Vorlage an die deutschen Verhältnisse nur unzureichend gelang. Zincgref wird die Mängel bemerkt und gleichwohl auf Eingriffe verzichtet haben. Dieses Buch mußte sich als ein Erstling selbst behaupten. Nicht Opitz, sondern Zincgref hatte ihm die zündenden Worte vorausgeschickt, und der Dichter beeilte sich, schon bei der nächsten Gelegenheit seinerseits mit einer schlagkräftigen Kundgebung zur Stelle zu sein.
Ein pfälzisch-oberrheinisches Gratulations-Bouquet Nicht schmucklos gingen die ›Poemata‹ heraus. Im Gegenteil. Kaum jemals wieder trat ein Werk aus der Feder Opitzens an die Öffentlichkeit, das so reich mit poetischen Beigaben versehen gewesen wäre. Auch dafür war mit Gewißheit Zincgref verantwortlich. Und der sorgte für ein imponierendes Aufgebot. Das war nicht einfach, denn der Heidelberger Kreis war ja nicht mehr beisammen. Doch wenn es um Zincgref und um Opitz ging, ließ sich niemand lange bitten. Zu erregend war die Konstellation. Sie muß in den schlesisch-pfälzischen Gesprächen eine Rolle gespielt haben. Nun kam es unvermittelt zum Schwur. Die Angesprochenen fühlten sich herausgefordert. Und gerade die seit langem mit berühmten Namen Versehenen machten aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Der historischen Wahrheit wurde mehr als einmal die Ehre gegeben. Das gute halbe Dutzend Geleitgedichte bildet eine hochkarätige poetische Einheit für sich.15 ––––––––– 13 14 15
Die vorgelegten Zitate ebenda S. 175 f. Ebenda, S. 176 f. Eine – höchst wünschenswerte – nähere Analyse der Beiträge scheint nicht zu existieren.Die Texte – alle in lateinischer Sprache– stehen in der in Anm. 1 zitierten Ausgabe von Schulz-Behrend auf den Seiten 177–181, sind also mühelos zu konsultieren. In der gleichfalls in Anm. 1 zitierten Ausgabe der Gedichte von 1624, die Georg Witkowski 1902 vorlegte, stehen sie auf den Seiten 10–13. Es darf entsprechend im folgenden bei einer jeweils knappen Paraphrase bleiben.
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XII. Erste poetische Ernte
Schon im April des Jahres 1623 hatte sich Zincgref mit der Bitte um ein Geleitgedicht an Janus Gruter gewandt. Der war offensichtlich alsbald zur Stelle. Ein großes, schlicht ›Trochaeus‹ betiteltes Poem in katalektischen trochäischen Tetrametern macht den Anfang. Und das läßt den Atem stocken. Gruter war mit der Heidelberger Szene und der Rolle Opitzens in ihr wie kein zweiter vertraut. Sein Wort hatte entsprechendes Gewicht. Deutschland, so läßt er sich gleich eingangs vernehmen, zeichne sich durch seine Begabung und Kunstfertigkeit aus. Doch kenne es keinerlei Eile, bewege sich nicht mit galoppierendem Viergespann auf ein Ziel zu, sondern im gemächlichen Schritt einer Kuh, die eine jede Pause üppig ausdehne. Als eine der letzten Nationen wende es sich den Künsten und Wissenschaften zu, bringe dann aber hervor, was in aller Zukunft Anerkennung finden wird. Es lag, so Gruter, bislang kein Gedicht in deutscher Sprache, lag kein vaterländisches Gedicht von der Art vor, wie es Italiener und Franzosen inzwischen pflegten. Nun aber bringt das Land gleich zwei Blüten der gebildeten Jugend auf die Weltbühne: Zincgref und Opitz, die auf dem Gebiet der Musen dem Sirenengesang Konkurrenz machen. Noch befinden sie sich am Anfang. Doch die Zeit wird kommen, da sie im Schwanenflug die höchsten Gestirne streifen und derart bestätigen, daß die, welche Alter und Zeit an die letzte Stelle gesetzt haben, an Berühmtheit allen voraus oder zumindest doch gleich sein können. Da also war es heraus. Zwei Jünglinge haben das Wunder vollbracht, den Anschluß der Deutschen an das weiter fortgeschrittene Ausland auf dem Felde der neuen, nach dem Muster der Alten gebildeten Poesie herzustellen. Am Eingang der von Zincgref veranstalteten Ausgabe der Gedichte Opitzens nebst Pfälzer Anhang prangen in dem Ehrengedicht aus der Feder von Janus Gruter fortan in Majuskeln die Namen von Zincgref und Opitz. Sie beide dürfen verbunden werden mit dem Beitrag, den Pfälzer und Schlesier simultan zur Ausbildung einer neuen Poesie in der deutschen Sprache geleistet haben. Einer historischen Leistung waren damit die allein angemessenen kulturpolitischen Koordinaten verliehen worden. Opitz wird darüber wenig erbaut gewesen sein, und dafür existiert ein alsbald zu präsentierender Beleg. Der nachfolgende Beiträger ist nicht weniger berühmt. Matthias Bernegger, der so lebhaften Anteil am Zustandekommen der Ausgabe genommen hatte, steuert ›Epigramma‹ in Gestalt acht elegischer Distichen bei. Der Herausgeber mag wohl erwogen haben, wem von beiden er den Vortritt einräumen solle. Ein beliebtes, von Opitz soeben noch traktiertes Motiv greift er auf, um diesem dann eine neuerlich aufsehenerregende Wendung zu geben. Die Deutschen sind bekannt dafür, die griechischen und römischen Dichter zu preisen und die eigenen zu verachten, gleich so, als würde sich die deutsche Sprache dem Gebrauch von Versfüßen nicht fügen. Warum aber, so die Frage, folgst du Deutscher den Fremden? Was du dort suchst, gibt es hier. Die deutsche Sprache leistet das Nämliche, das bei den Fremden gepriesen wird. Auf die Pflege der deutschen Musen kommt es an, dann werden sich Förderer wie Maecenas und Dichter wie Homer und Vergil auch bei den Deutschen einstellen. Doch nein, was da für die Zukunft erhofft wird, ist schon Gegenwart. Ein beredter Dreierbund großer Männer hat sich daran gemacht, eine neue Dichtung ins Werk zu setzen. Die Namen derer, die diese Trias zieren? Neuerlich stockt der Atem. Es sind wiederum Opitz und Zincgref, und zu ihnen tritt nun Opitzens Freund Kirchner. Alle
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drei dichten in ihrer Muttersprache, und darüber wundert sich die Muse. »Weicht ihr römischen Dichter, weicht ihr griechischen, Apollo freut sich, in deutschen Versen gelesen zu werden.« Ein zweiter Schlesier war zu Opitz und Zincgref hinzugekommen. Machte das die Sache in den Augen Opitzens besser? Gewiß nicht. Die Konkurrenz war größer geworden, die Zahl der Anwärter auf die Ehre, am Beginn einer neuen Phase der deutschen Dichtung zu stehen, hatte sich erhöht. Opitz hat diese unerwartete Wendung der Dinge sehr genau registriert und alsbald seine Folgerungen gezogen. Der schlesischpfälzische Auftakt, wie ihn Zincgref inszenierte, hatte widmungsstrategisch eine Konsequenz gezeitigt, die unmöglich in Opitzens Interesse liegen konnte. Er traf die entsprechenden Vorkehrungen, um das Übel so rasch als möglich auszumerzen. Das war eine durchaus schmerzliche Operation. Eine dritte Zuschrift, ›Aliud‹ überschrieben, ist nicht mit dem Namen eines Verfassers versehen. Sehr wahrscheinlich, daß es von Opitzens dänischem Freund aus Leidener Tagen Heinrich Albert Hamilton herrührt, der als Nächster – und nun also schon in vierter Position – zwei elegische Distichen zeichnet, denen im dritten Beitrag fünf elegische Distichen vorausgehen. Mangelnden Einfallsreichtum kann man dem Autor nicht absprechen. Venus möge es nicht übel nehmen, daß Amor, der kleine Dieb, den Melkeimer der Grazien entwendet und der Göttin im Schlaf die Brüste gemolken hat. Mit eben ihrer Milch hat er Opitz benetzt und dann mit leichtem Flügelschlag abgetrocknet. Da wundert es nicht, daß das, was ihm so reich aus Herz und Mund fließt, eine solche Süße verströmt. Nach dem Blütenduft von Ganymeds Trank riechen seine Gedichte; mit tausend Küssen wird der Sprecher sie liebkosen. Warum aber machte es Amor Spaß, seine Mutter hinter das Licht zu führen? »Ich glaube, du wolltest einen neuen Lehrer oder Bruder.« Die zwei folgenden und nun eben von Hamilton gezeichneten elegischen Distichen spinnen das Motiv fort. Dem Gaumen des Sprechenden möge der köstliche Honigwein willkommen sein, den Opitz einem Apollo gleich kredenzt. »Du verströmst einen Hauch von Nektar, und nie tropft Zucker süßer von der Brust der Venus.« So waren die rechten Verhältnisse also rasch wiederhergestellt. Dem Poeten Opitz und ihm allein wird gehuldigt. Freilich fehlen alle Verweise auf Erstlings-Meriten, an denen dem Dichter so viel gelegen war. Dann kommt eine weitere Persönlichkeit mit klangvollem Namen zum Zuge, Caspar Barth. Er bietet zur Abwechslung sechzehn Hendekasyllaben. Als ›junger Trompeter deutscher Wortgewalt‹ (GErmanae tubicen novelle Peithus) erscheint da der Dichter gleich in der ersten Zeile. Er läßt nicht zu, daß die Deutschen mit künstlichem Kriegsgesang im metaphorischen Wettkampf hinter den Griechen zurückstehen. Mit seinem Auftreten hat dieser gelehrte Dichter durch die Würde wie die Anmut seiner Poesie die Griechen wie die Römer in ihre Schranken gewiesen. Ihm ist es zu danken, daß die Deutschen, die einst nur gut zu kämpfen vermochten, nunmehr nicht minder gut zu sprechen wissen. Das waren Verse für das imaginäre Stammbuch. Opitz vergaß sie nicht wieder. Mitten drin und ohne ein irgend geartetes Bestreben, eine herausgehobene Stellung einzunehmen, schaltet sich der Herausgeber ein. Auch er wählt das elegische Distichon und faßt sich kurz. Bisher zog man die ausländischen Klänge dem eigenen Gold
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vor. Damit ist es seit Opitz’ Auftreten vorbei. Er, ›der erste Stolz unserer Dichtung‹, verteidigt die Heimat über die Ehre der Sprache. Weichen mögen die Griechen und die Römer, denn jetzt ist ein Deutscher da, der sie noch übertreffen wird. Das war ein geziemendes Geleit, kaum mehr. Das Entscheidende war von anderer Seite gesagt worden und der Herausgeber durfte sich zurücknehmen. Auch Balthasar Venator hat Zincgref gewinnen können, ihm wie auch Opitz gleichermaßen verbunden, welch letzterer ihm später ein bleibendes literarisches Denkmal setzen sollte. Nochmals ein elfsilbig gearbeitetes und mit 31 Versen umfängliches Poem hält Venator für den Schlesier bereit, an dessen Seite er später durch die poetischen Gefilde des Riesengebirges spazieren sollte. Keine Frage, daß das Lob Opitzens ein überschwengliches sein wird. Denn wie stünde es um die deutsche Sprache und Poesie, wenn jetzt nicht ein scharfsinniger Mann vom schlesischen Oderstrand gekommen wäre? Rettung, so der Sprecher, kam uns nur durch die Leier des Opitz, getaucht von Apollo in die kastalischen Quellen, welche ihn zu jenem Zauberkünstler machten, als welcher er zu gelten hat. So in Abbreviatur der Skopus eines Gedichts, das sich am entschiedensten zugleich in der Kritik des herrschenden unprofessionellen Umgangs mit der Poesie hervortut. Eine Delikatesse hat sich der Herausgeber für den Schluß aufgespart. ›Ad linguam Germanicam‹ lautet der sprechende Titel des daselbst plazierten Elfzeilers. Die Verse tragen keinen Namen eines Verfassers. Man würde also vermuten, daß sie von Zincgref herrühren. Das aber ist nicht der Fall. Die Verse sind einem Gedicht von Hugo Grotius entnommen und passen sich hervorragend in das vom Herausgeber in seiner Vorrede aufgemachte kulturpolitische Tableau ein. Wir werden sie bei späterer Gelegenheit kennenlernen, denn sie haben gleich mehrfach von seiten Opitzens Verwendung gefunden. »O patria salve lingua, et aeviter flore.« Nicht stilvoller hätte dem reichen Bouquet ein bündiges Motto verliehen werden können als durch diese letzte, dem Gedicht des Grotius frei hinzugefügte Zeile.
Übersetzerisches Patchwork Frei einbekannt hatte Opitz, daß er sich immer wieder übersetzend in seiner Gedichtsammlung betätigt hatte. Diese Aussage hat die Forschung frühzeitig bestätigt. Die erste größere Veröffentlichung unter seinem Namen mit verschiedenartigem poetischem Gut lud geradezu dazu ein, die Suche nach Quellen und deren Identifizierung aufzunehmen. Unentwegt wurde man fündig. Ein überaus ergiebiges Feld bot sich der positivistisch inspirierten Literaturwissenschaft dar. Und als dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wissenschaftlich verbindlich gebliebene Edition herauskam, da konnte bereits Ernte gehalten und ein profunder Apparat mit den quellenkritischen Annotationen gefüllt werden. Keinesfalls Neues ist also vorzutragen, nur einige wenige Akzentuierungen sind vorzunehmen.16 Eine Vielzahl von Nationen gibt sich in Opitzens ›Poemata‹ von 1624 ein Stelldichein. An der Spitze stehen – wie nicht anders zu erwarten – die Niederländer. ––––––––– 16
Wir verweisen auf die Einleitung zur Ausgabe der ›Poemata‹ durch Witkowski in Anm. 1.
Übersetzerisches Patchwork
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Schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts war in Amsterdam eine Sammlung mit Liedern erschienen, ›Den Bloem-Hof Van de Nederlantsche Jeught‹ betitelt, die sich alsbald großer Beliebtheit erfreute, immer wieder aufgelegt wurde und rasch auch in Deutschland bekannt wurde.17 Diese Sammlung entstammt dem Kreis der ›Rederijker‹, der in Amsterdam eines seiner Zentren besaß und auf eine glückliche Art und Weise Lieder der älteren Sangart mit solchen der neuen Renaissance-Kunst verband. Opitz bediente sich dieser Quelle wiederholt, griff aber auch auf eine zweite, fast gleichzeitige Kollektion mit dem Titel ›Den Nievwen Lust-hof‹ zurück.18 Und natürlich wurde Heinsius mit einzelnen seiner Gedichte aus den ›Nederduytschen Poemata‹ nach Deutschland importiert. Zur gleichen Zeit hinterließen auch Scriver, Vondel und Bredero ihre Spuren. Neben den Niederlanden behaupten – wie gleichfalls kaum anders zu erwarten – die Italiener eine weitere Spitzenposition. Veronica Gambara wird immer wieder ausgeschrieben und selbstverständlich ist Petrarca dabei. Ihnen folgen die Franzosen, an der Spitze Ronsard und du Bellay. Muret ist mit seinen ›Epigrammen‹ aktenkundig. Die spanischen Dichter sind nicht im Blickfeld Opitzens und auch die Engländer fehlen noch. Beides wird sich alsbald ändern. Für all diese Autorinnen und Autoren bildet selbstverständlich die antike Lyrik das Fundament. Und so sind Übertragungen aus dem Lateinischen, nebst vielerlei griechischen Anklängen und Reminiszenzen, natürlich auch in Opitzens Gedichtsammlung anzutreffen. Die berühmte ›Anthologia graeca‹ mit ihrem reichen Epigramm-Angebot ist ebenso ausgeschöpft wie die gleich illustre ›Anthologia Palatina‹. Wollte man unter den Lateinern gewichten, so würde Ovid womöglich die erste Position behaupten. Gleich prominent aber gibt sich Horaz zu erkennen. Properz, Petronius und Ausonius werden benutzt. Und natürlich ist die unerschöpfliche Reihe der Neulateiner präsent, ein Julius Caesar und ein Joseph Justus Scaliger, ein Hugo Grotius, ein John Owen, ein Janus Dousa, ein Daniel Heinsius, ein Friedrich Taubmann, und wie sie heißen. Weit davon entfernt, Opitz wegen dieser Anleihen der Unselbständigkeit oder gar der mangelnden poetischen Inspiration zu zeihen, wie üblich in der älteren Literatur bis hin zu seinem verdienstvollen Herausgeber Georg Witkowski, bekundet sich in dieser Blütenlese gerade umgekehrt die wie selbstverständlich gehandhabte freie Be––––––––– 17
18
Vgl.: Den Bloem-Hof Van De Nederlantsche Ieught. Naar de drukken van 1608 en 1610 uitgegeven, ingeleid en geannoteerd door Dr. L.M. van Dis, Rector van het Coornhert Lyceum te Haarlem, met medewerking van Dr. Jac. Smit, Senior Lecturer in de Univ. van Melbourne, Vict.- Amsterdam, Antwerpen: Wereld-Bibliotheek 1955 (Stichting ›Onze oude letteren‹). Opitz benutzte die vierte Auflage des Werkes, die nach Witkowski (Anm. 1) vermutlich 1608, tatsächlich aber erst 1610 erschien. Vgl: Den Nievwen Verbeterden Lust-hof, Gheplant vol uytghelesene, eerlijcke, Amoreuse ende vrolijcke ghesanghen [...] Den vierden druck ghebetert. t’Amstelredam, by Dirck Pietersz. In die Witte persse by die oude Brugghe aent VVater.- Amsterdam: Pietersz [1610]. Hinzuweisen ist auf eine dritte einschlägige, jedoch ein wenig spätere Liedersammlung, für die – wie für den ›Bloem-hof‹ – eine ausgezeichnete Ausgabe existiert: J.[an] J.[anszoon] Starter: Friesche Lust-Hof. Deel I: Teksten. Uitgegeven naar de eerste druk (1621) en van inleiding en aantekeningen voorzien door Dr. J.H. Brouwer. Deel II: De Melodieën bij Starters Friesche Lust-Hof. Uitgegeven, ingeleid en van aantekeningen voorzien door Drs. Marie Veldhuyzen.- Zwolle: Willink 1966–1967 (Zwolse drukken en herdrukken voor de maatschappij der Nederlandse letterkunde te Leiden; 49A, 49B).
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wegung im Kosmos der europäischen Literatur. Daß sie mit einem Schlag nun auch in deutscher Zunge verlautete, blieb das große Verdienst des Autors, der systematisch an der Implantation europäischer Geistigkeit im Medium des poetischen Wortes arbeitete und davon sein Leben lang nicht wieder abließ. Intertextuelle Arbeit bleibt folglich eine unerläßliche Voraussetzung auch mit einem Autor wie Opitz.
Thematisch buntes Allerlei Nur in diesem ersten Buch mit Gedichten von Opitz sind Prinzipien der Binnengliederung, von Ausnahmen abgesehen, kaum zu erkennen. Einen so sehr auf Ordnung und innere Stimmigkeit bedachten Autor wie Opitz muß diese Mißlichkeit besonders beschäftigt haben, so daß er sofort auf Abhilfe sann, als er die Zügel selbst in die Hand nahm. Die Vermutung liegt nahe, daß er in einer von ihm geführten Handschrift einfach fortschrieb. Doch auch Zincgref beteiligte sich mit Einschüben dessen, was ihm zwischenzeitlich bekannt wurde. Wie auch immer im einzelnen es sich verhalten haben mag, feststeht, daß weder motivisch noch formal eine irgend geartete innere Logik erkennbar wird – die Ausnahmen noch für einen Moment zurückgestellt. Gelegenheitsgedichte, in aller Regel auf Personen und zu den bevorzugten Anlässen einer Hochzeit oder eines Trauerfalls, sind in ein paar Dutzend Exemplaren vertreten. Es existiert keinerlei ständisch strukturierte Abfolge. Beiträge an das herzogliche Haus der Piasten stehen neben solchen auf Freunde und Kollegen sowie deren Angehörige. Auch der auf einzelne Personen gemünzte ›Letternwechsel‹ findet sich, den der Dichter im ›Aristarchus‹ schon vorgeführt hatte. In die Kollektion ist ersichtlich eingegangen, was bis dato vorhanden war. Und genau wie angekündigt, nimmt die Liebespoesie breiten Raum ein. Es ist das petrarkistische Repertoire, das da der deutschen Lyrik gewonnen wird, und erkennbar bemüht sich der Dichter, durch Auswahl seiner Quellen in verschiedenen Tönen sich zu üben. Bemerkenswert ist, daß an mehr als einer Stelle ein Übergang ins lyrischpastorale Genre statthat. Tritt man den Stücken näher – und wir haben die Probe gemacht –, so überrascht die breite Palette der motivischen Muster. Opitz gehört wiederum an erster Stelle zu jenen Autoren, die die unerhört vielfältig blühende Schäferlyrik in Deutschland auf den Weg gebracht haben.19 Und wenn dann zudem gleich eingangs sein soeben selbständig erschienenes ›Lob des Feldlebens‹ nun auch einen ––––––––– 19
Vgl. inskünftig das Kapitel ›Martin Opitzens Beitrag zur Geschichte der Schäferlyrik in Deutschland. Ein exegetischer Versuch‹ im Rahmen des Arkadienwerkes des Verfassers. Die einzelnen Abschnitte darin betitelt: Der Vorspann zu den ›Teutschen Poemata‹ von 1624 und Opitzens Vorrede zu ihnen – ›An die Teutsche Nation‹: Amouröses ›genus humile‹ und epischer Faltenwurf – Sylviana oder Hirten=Klage: Trauerlandschaft und Stätte der Erinnerung an bewährte Treue – Hirtengesang I: Hirt und Cupido – oder Pastorale Dichter-Gemeinschaft und aufgekündigter ›Liebes-Orden‹ – Hirten-Lied II: Ständischer Antagonismus im schäferlichen Werbelied – Hirten-Lied III: Schäferliche Leidens- und Liebensverlorenheit – Asterie: Die schöne Schäferin und die zum Himmel erhobene Poesie – Eros spiritualiter – Beschluß Elegie: Preisgabe und Rettung der Liebespoesie – Die Opitz-Ausgaben im Blick auf die Liebesdichtung: Eine strukturelle Betrachtung – Galathee: Die erstarrte Poesie und der ›fremde Gast‹. Oder: Verlorenes Glück und HeidelbergGedenken.
Rahmung der Sammlung
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Platz in der Anthologie findet, so hat dies den Brückenschlag von der schäferlichen hin zur ländlichen Muse eminent befördert. Das Nebeneinander beider Zweige bleibt typisch für die vielen Liederbücher, die das 17. Jahrhundert kennt und die alle ihre jeweils eigene Physiognomie besitzen. Deutlich ist auch, daß Opitz formal experimentiert und die kurrenten Spielarten der deutschen Lyrik zuzuführen sich anschickt. Eine Reihe von Sonetten sind der Sammlung einverleibt, desgleichen eine Reihe von Epigrammen, darunter eine eigene kleine Folge mit ›Grabschriften‹. Ein besonders ansprechender Ton gelingt ihm in dem schlichten Lied, von dem mehrere rasch Berühmtheit erlangten und Schule machten. Auch hier tat sich eine glückliche Verbindung zur pastoralen Muse auf, wie übrigens auch über das Echogedicht. Das Lehrgedicht erfährt mit einzelnen Beispielen Eingang in die Kollektion. Und hier ist dann auch der Alexandriner am Platz. Schließlich findet man Einlagen mit kleinen Verserzählungen eingestreut. Auffällig aber bleibt, daß die geistliche Lyrik noch keinen Platz in ihr besitzt. Die ›Teutschen Poemata‹ sind de facto ›Teutsche Weltliche Poemata‹, wie es explizit auch in einer Kopfzeile vor Einsatz der Gedichte selbst heißt. Auch das sollte sich rasch ändern.
Rahmung der Sammlung Wir belassen es bei diesen wenigen Strichen. In einem jeden Liederbuch behaupten Eingang und Schluß eine herausgehobene Position. Auch Opitz wußte darum und verfuhr entsprechend. Heinsius hatte sich in seinen ›Nederduytschen Poemata‹ an die Helden im niederländischen Freiheitskampf gewandt und der Orte der Schlachten gedacht. Analog zu verfahren, verbietet sich für Opitz nach Lage der Dinge. Aber mit einem zugkräftigen Titel ist auch er zur Stelle: ›An die Teutsche Nation‹. Wenn dann aber bereits in der ersten Zeile die Liebesgöttin erscheint, dann weiß der Leser, daß es statt um Politik um Poetologie gehen wird. Der Liebesdichter präsentiert sich und leistet Leseanweisung. Die ›teutsche Nation‹ nimmt er in den Blick. Und das beileibe nicht wegen des Sujets, sondern wegen der deutschen Sprache, die er als Dichter seinem Publikum als poetische Novität offeriert. Ihr ist jene nationale Mitgift eigen, die es dem Dichter erlaubt, vor ein nationales Forum zu treten. Auf diesem Podest findet er – wie seine großen Vorgänger im Ausland – den ihm gebührenden Platz.20 Ovid und der Eingang zu dem zweiten Buch der ›Amores‹ stehen hinter diesen Zeilen, mit denen Opitz ein glanzvoller Auftakt gelingt. Der größte Liebesdichter des alten Europa ist sein Kronzeuge. Größeres, Höheres, Heroischeres hätte er singen, von Helden und Taten dem ›werthen Vatterlandt‹ künden mögen. Nun muß er sich mit dem eitlen Vorwurf begnügen, das bitter-süße Gift der Liebe seiner Poesie einzuträufeln. Taucht dann aber der Name ›Asteriens‹ auf, so weiß der Leser sich gewappnet. Diese Dame figurierte bereits in dem Jugendstück ›Hipponax ad Asterien‹, in das wir ––––––––– 20
Das Eingangsgedicht steht in der Ausgabe von 1624, die in Anm. 1 zitiert wurde, auf Blatt B. Wir zitierten nach dieser Ausgabe, da der Herausgeber Schulz-Behrend diesen Text, wie die meisten, nur in der Façon von 1625 bietet und Witkowski grundsätzlich die Virgeln durch Kommata ersetzt hat.
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Einblick nahmen. Wird sie besungen, dann gilt der Preis ihrer Schönheit der unsterblichen Poesie. Und die wird fortan in der ›teutschen Nation‹ in deutscher Zunge nach Maßgabe des Dichters erklingen. Wird sie von der Liebe hören, so soll sie wissen, daß sie es mit der zu den Sternen erhobenen Poesie zu tun hat. Zum Aufbruch in die Ewigkeit rüstet sich da ein Dichter, fest verwurzelt auf immer in seinem Vaterland, dem er die poetische Zunge löste. Größer kann man von der Poesie und vom dichterischen Beruf nicht denken. Und wird dann das erhabene nationale Sujet dem Dichter inskünftig zufallen, dann steht er da als Heros neben den poetischen Archetypen Europas, einem Homer, einem Vergil, einem Petrarca. Die ›teutsche Nation‹ weiß fortan, wer da zum Sprechen sich anschickt. Sie hat ihren weltlichen Messias unter sich. Du Teutsche Nation voll Freyheit Ehr vnd Tugendt/ Nimb an diß kleine Buch/ die früchte meiner Jugendt/ Biß daß ich höher steig vnd deiner Thaten zahl Werd vnablässiglich verkünden vberal. Diß Buch ist mein beginn in Lieb vnd auch das ende: Ein ander besser Werck zu dem ich jetzt mich wende/ Das soll vor diesem Buch so vielmahl besser sein/ Je besser Weißheit ist als Venus süsse Pein.21
Entsprechend gibt sich das Schlußgedicht als Antwort auf das eingangs verlautete. ›Beschluß Elegie‹ ist es schlicht betitelt.22 Züge aus Ovid und Heinsius trägt es. Nun aber sind sie erstmals auch der deutschen Sprache eigen. Die Verabschiedung von dem ›blinden liebes werck‹ der Venus wird inszeniert. Mit derartigem ›Liebeswerk‹ hat es nach diesem Erstling sein Bewenden. Eine ›schwache Hand‹ hat dem Dichter die Feder geführt. Wir wissen, wie es darum steht. Eine jede Selbsterniedrigung ist eine geheime Selbsterhöhung. Dieser Dichter hat es mit seinen humanistischen Zunftgenossen nicht nötig, sich von seinen Gedichten zu distanzieren, war dem Liebesgift doch stets poetischer Scharfsinn beigegeben. Die bittere Süße der Liebe implizierte zugleich die hybride Faktur der Poesie. Sie lebt nicht nur von Venus, sondern von dem mythischen Pantheon insgesamt. Verwirft der Dichter auch ihn, von dem so gut wie jedes seiner Gedichte kündete, dann ist ein Signal für den Leser aufgerichtet. An ihm ist es, den zweiten, den sensus allegoricus zu ergründen. Die Schönheit der Liebesgöttin, der Reigen der Götterwelt – sie vergehen. Bewahrt und aufgehoben aber sind sie in der Poesie, und die pflegt einen freien Umgang mit dem mythischen Schatz der Alten. Ihn der nachantiken, der modernen Welt anzuverwandeln, ist der vornehmste Auftrag des Dichters in der Gegenwart. Auch ein Opitz hat sich dafür gerüstet. Noch einmal sieht er sich an der Schwelle. Die Zukunft wird Höheres bringen. Doch dieses war in das Niedere immer schon eingewirkt. Pracht/ Hoffart/ Gut vnd Gelt/ warumb wir vns bemühen/ Wird Wind vnd flügel noch bekommen mit der Zeit. Jch laß es alles stehen: das ende meiner Jugent/
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Ebenda, S. 2, Bl. B1v. Ebenda, S. 103 f., Bl. O4.
Ein unzeitgemäßes politisches Schlußgedicht
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Die frucht der liebes lust beschließ ich gantz hierein/ Ein ander höher Werck/ der anfang meiner Tugent Wo dieses vndergeht/ soll nimmer sterblich sein.23
Ein unzeitgemäßes politisches Schlußgedicht Diese Rahmung saß paßgenau. Dann aber wurde sie konterkariert, ohne daß der Leser deshalb ungehalten sein müßte. Zincgref schob ein Gedicht nach. Das zeigte noch einmal den kämpferischen Opitz der Pfälzer Tage. Das Gedicht war dem Herausgeber zu teuer, als daß er Verzicht auf es hätte leisten wollen. Opitz aber muß sich düpiert und gefährdet gefühlt haben. Es paßte nicht mehr in die Zeit nach 1620, da der Dichter alle Mühe hatte, sich neu zu orientieren und danach trachtete, ehemalige Spuren zu verwischen. Ein großes Poem war ihm gelungen. Die Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland wäre ärmer, wäre es ihr nicht gegenwärtig. Ein Gebet/ daß Gott die Spanier wide= rumb vom Rheinstrom wolle treiben. 1620. SChlag doch/ du starcker Heldt/ die Scheußlichen Maranen/ So leyder jhre Zelt vnd Blutgefärbten Fahnen Auch jetzt in Teutschlandt bracht/ an vnsern schönen Rhein/ Der Waffen tragen muß/ vor seinen guten Wein/ Es ist genug gespielt mit eisernen Ballonen/ Du grosser Capitain/ hör’ auff/ fang an zu schonen/ Es ist genug/ genug/ die Götter sein verheert Durch die/ so sie gemacht/ Statt/ Dorff/ vnd Feld verkehrt/ Laß die/ durch deren grimm die Ströme kaum geflossen Von Leichen zugestopfft/ nit außgehn vngenossen/ Vnd mache kundt/ daß der/ der dir zugegen strebt/ Stürtzt/ oder bleibt er ja/ jhm selbst zur straffe lebt.24
Ein eigenständiger Sproß: Der Zincgrefsche Anhang Die Opitzschen ›Poemata‹ von 1624 in der Zincgrefschen Redaktion besitzen einen ›Anhang‹, der in Wahrheit ein zweites Werk eigenen Kalibers darstellt. Zum Ausdruck kommt das auch darin, daß Zincgref ihn wiederum mit einem zwar knappen, aber wie stets gehaltreichem Vorwort ausgestattet hat. ›Vnderschiedlicher außgesuchter Getichten anderer mehr teutschen Poeten‹ ist die Zugabe betitelt. Es sind also weitere Dichter unabhängig von Opitz tätig geworden. Wie mag Zincgref sie einführen, wie wird er den Bezug zu Opitz herstellen und womöglich gar bewerten?25 ––––––––– 23 24 25
Ebenda, S. 104, Bl. O4v. Ebenda. Der Anhang steht auf den Seiten 161–224, hat also beträchtlichen Umfang. Er ist u.a. in der in Anm. 1 zitierten Ausgabe von Schulz-Behrend auf den Seiten 218–290 zu lesen und auch wegen der Annotationen heranzuziehen. Vgl. zu diesem Anhang zuletzt: Achim Aurnhammer: Zincgref, Opitz und die sogenannte Zincgref’sche Gedichtsammlung.- In: Julius Wilhelm Zincgref und der
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Nichts davon. Die eine Seite, die Zincgref sich gönnt, ist neuerlich ein schriftstellerisches Juwel, unprätentiös, einzig um die Sache bemüht und uneigennützig für sie werbend. Freudig gestimmte Sympathie lösen seine Worte aus. Immer noch weiß der Leser, den der Dichter im Auge hat, sich angesprochen. Das Projekt bleibt ein offenes, ein immer neu aufzugreifendes und fortzuführendes. Seine Unabgeschlossenheit begründet seinen Reiz. Folgt der Anhange [...] WElchen ich dir/ lieber Teutscher/ wie die Freygebige Verkeuffer/ gleichsam als ein zugabe/ mitgebe/ zu einem Muster vnnd Fürbilde/ wornach du dich in deiner Teutschen Poeterei hinfüro etlicher massen zu regulieren.26
Die deutsche Poesie steht am Anfang. Sie soll eine Sache der Deutschen werden. Diese benötigen eine Richtschnur. Und die ist keinesfalls nur im Besitz Opitzens. Ein jeder Beiträger des Anhangs leistet seinen Part auf dem Weg zur deutschen Dichtkunst. Regelbücher sind vorhanden, und keinesfalls nur dasjenige ›vnsers Opitij‹ mit seinem ›Aristarchus‹, sondern andere und bereits ältere etwa von Johannes Clajus und Johann Engerd, von Scaliger, dem Lehrmeister der Jüngeren, gar nicht zu reden.27 Auch die Kunde von Ernst Schwabes von der Heide Poemata ist bereits zu Zincgref gedrungen. Er hat ihrer bislang jedoch noch nicht habhaft werden können. So nimmt sich das, was da vorab von Opitz zu lesen war, nebst dem, was nun im Anfang dargeboten wird, als eine einzige Offerte aus, auf dieser Basis und mit Hilfe dieser Vorgaben an der Fortschreibung der deutschen Poesie mitzuwirken. Es existiert kein Wortführer, dem man blindlings zu folgen hätte. Eine jede Stimme ist willkom–––––––––
26
27
Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz. In Verbindung mit Hermann Wiegand hrsg. von Wilhelm Kühlmann.- Ubstadt-Weier etc.: verlag regionalkultur 2011 (Mannheimer historische Schriften; 5), S. 263–283. Vgl. hierzu auch Theodor Verweyen, Wolfgang Srb: Konkurrenz oder Koexistenz? Dichten in lateinischer und deutscher Sprache am Beispiel einiger Texte Julius Wilhelm Zincgrefs und im Kontext der Reform Martin Opitz’.- In: Euphorion 101 (2007), S. 415–450. Vgl. des weiteren: Klaus Garber: Der innovative Beitrag des deutschen Südwestens. Julius Wilhelm Zincgrefs Anthologie ausgewählter deutscher Gedichte im Anhang zu Opitzens ›Teutschen Poemata‹ und das Eklogenwerk Georg Rodolf Weckherlins (Abgeschlossenes Kapitel aus dem in Vorbereitung befindlichen Werk zur deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts. Die entsprechenden Kolumnen: Das OpitzZincgrefsche Gemeinschaftswerk der ›Teutschen Poemata‹ und ihres Anhangs – Das Zincgrefsche Entrée zum ›Anhang‹ – Beiträger der Sammlung und deren poetische Eröffnung durch Habrecht, Zincgref und Schede Melissus – Zincgrefs ›Pastoral‹ – Das pastorale Epithalamium – Der Beitrag Georg Rodolf Weckherlins zum ›Anhang‹ – Weckherlins ›Oden und Gesänge‹ aus dem Jahr 1618 – Einführung der Hirtin Myrta und des Hirten Filodon – Ein Blick in die ›Oden und Gesänge‹ aus dem Jahr 1619 – Die aus England verlautende Stimme des späten Weckherlin – Weckherlins erste Ekloge – ›Die Roß‹ – Die Ausgabe letzter Hand aus dem Jahr 1648 – Der Eklogenkranz in der Ausgabe letzter Hand – Schäfer versus Höfling: Die sechste Ekloge – Weckherlins JahreszeitenEklogen – Frühlings-Ekloge: Preis der schönen Natur – Sommer-Ekloge: Zeit der Ernte und der Liebe – Herbst-Ekloge: Weinlese auf Schwäbisch und Verabschiedung des Petrarkismus – Winter-Ekloge: Die Liebenden, geborgen im Rhythmus der Schöpfung). Die Vorrede von Zincgref steht nebst Titel in der Ausgabe Schulz-Behrends (Anm. 1) auf den Seiten 218 f. Zu Clajus und Engerd vgl. die Einträge von Joachim Telle und Jan-Dirk Müller in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon II (2012), Sp. 1–6, Sp. 207–213. Hier die gesamte einschlägige Literatur.
Ein erster Blick in die Kollektion der ›teutschen Poeten‹
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men, sofern erkennbar bleibt, daß sie sich auf das versteht, was eben jetzt an der Zeit ist. Zincgref ist dieser ›freygebige Verkeuffer‹. Das ist ein Vorhaben, für das einzustehen sich lohnt. Es will befördert, will zu einem ›teutschen‹ fortentwickelt werden. Diese einladende Geste steht nur demjenigen zur Verfügung, der von sich abzusehen versteht, um nach Talenten ringsum Ausschau zu halten. Die Geschichte der deutschen Literatur zehrt von solchen Geistern. Ohne Zincgref kein Porträt der südwestdeutschen Poesie an der Wende der Zeiten. Die deutsche Literatur wäre ärmer. Einen Dichter hätte der rührige Anthologist liebend gern dabei gehabt, Johann Fischart. Auch darin bewährte sich sein untrügliches Gespür. Ein dichterischer Hüne hatte sich im 16. Jahrhundert vernehmen lassen. Aber eben, dieser seiner Zeit blieb er verhaftet. Den Schritt hinüber zur Kunst der Renaissance tat er nicht mehr. Die Poesie der Alten, der Griechen und Römer, adaptierte er systematisch ebenso wenig wie die der Neueren, zumal der Italiener und Franzosen – welchen Mangel ich jedoch mehr der vnachtsamen gewohnheit seiner zeiten/ als jhme selbsten zuschreibe/ vnd möchte er mit gutem fug sagen: Jch hab das mein gethan/ so vil mir Gott beschert: Ein ander thue das sein/ so wirdt die Kunst gemehrt.28
Zwei freie Geister trafen sich und Zincgref hatte das Glück, an der Schwelle zur neuen Zeit zu stehen und sich als Sachwalter der jungen Talente betätigen zu können. Es muß ihm eine Lebenserfüllung geblieben sein und womöglich auch ein Trost nach der Vertreibung aus Heidelberg. Die faktische Kreisbildung dort kehrte auf andere Weise im Chor der ›teutschen Poeten‹ wieder, die er zum gemeinsamen Poetisieren gewonnen und teils gewiß zum Mitwirken überhaupt erst angeregt hatte.
Ein erster Blick in die Kollektion der ›teutschen Poeten‹ Wir stehen inmitten eines Opitz gewidmeten Buches. Entsprechend ist Zurückhaltung geboten. Einige wenige Akzente sind zu setzen. Vberreime/ an die Teutsche Musa. NUn/ Teusche Musa/ tritt herfür/ Laß kecklich deine stimm erklingen/ Warumb woltestu förchten dir/ In deiner Mutter sprach zusingen? Meint man/ Teutschlandt sey ohne sinnen? Soll dann der Grichen pracht/ Oder die Römisch macht Der Poetrei Kleinodt allein gewinnen?29
Diese poetische Miszelle hat Zincgref an den Anfang gestellt. Sie entstammt der Feder des Straßburger Mediziners Isaac Habrecht und verleugnet ihre Herkunft aus dem ––––––––– 28 29
Opitz: Gesammelte Werke (Anm. 1), Band II/1, S. 219. Ebenda.
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stadtbürgerlichen Milieu nicht. Zugleich enthob sie den Herausgeber der Verlegenheit, die Erstlingsrolle zu übernehmen. So tritt er erst als zweiter hervor, und wieder geht es programmatisch um die eigenen Landsleute, die aufgerüttelt sein wollen. Der Alexandriner hat Premiere in der Anthologie. An die Teutschen. IHr klagt/ jhr habt vor euch noch einen schweren Berge Zusteigen/ biß jhr kompt zu deß Lufftpferdts Herberge/ Vnd zu der Ewigen gedechtnus güldnem Thron/ Vff dem bewaret ligt die Edle Lohrberkron; Wohlan/ wie daß jhr dann so still hieniden sitzet/ Vnd vor Teutschlandes Ehr nit auch ein wenig schwitzet. Je weiter ist der weg/ je reicher ist der Lohn: Ist dan der Weg gering/ je grösser ist eur hon.30
Um Deutschland geht es im Medium der deutschen Poesie, und da ist ein jeder Beitrag willkommen, der dazu beiträgt, dem Helikon auf deutschem Boden einen Platz zu verschaffen. Gleich nach dem programmatischen Auftakt kommt das Haupt der Heidelberger Schule, kommt Schede Melissus mit drei schlichten Liedern zu Wort. Im Lied gelingt am ehesten und am frühesten ein ebenso ansprechender wie makelloser Ton. Hier einmal wird eine Erbschaft des 16. Jahrhunderts in die neue Zeit hinübergerettet. Und was wüßten wir über den Dichter und Publizisten Petrus Denaisius, den wir gleichfalls schon kennenlernten, wenn nicht Zincgref ihm ein Forum geboten hätte? Mit drei Gelegenheitsgedichten ist er gleich nach Schede Melissus dabei. Nicht immer hat Zincgref mit den Gedichten auch ihren Verfasser präsentieren können. Eine Reihe von anonymen Texten findet sich. Ein ansonsten unbekannter Johann Kreutz liefert ein geräumigeres Gelegenheitsgedicht in Alexandrinern. Und auch der für Opitz so wichtige dänische Gefährte Heinrich Albert Hamilton hat den Weg zu Zincgref gefunden. Gleich zwei Alexandrinergedichte konnte der Herausgeber einwerben. Balthasar Venator ist mit einem Beitrag vertreten. Und auch zwei Schlesier kommen zu Wort, so der Bunzlauer Pastorensohn Balthasar Wessel, mit dessen Vater Johann Opitz Verbindung gepflegt hatte, und so vor allem Caspar Kirchner. Er hatte in Straßburg eine zweite Heimat gefunden und fügte sich der landschaftlich geprägten Sammlung auch deshalb vorzüglich ein. Gleich mehrere, teils aufwendige Gelegenheitsgedichte, darunter ein fünfteiliger ›Frawen Lob‹ sowie ein mythologisch aufgeputztes amouröses Epigramm, rühren her von ihm. Als paritätisch geartete schlesischpfälzische Anthologie kann der Anhang deshalb aber keineswegs gelten. Er bleibt ein südwestdeutsches Gewächs. Der Hauptpart gehört selbstverständlich dem Herausgeber. Ganze zweiundzwanzig Stücke steuert Zincgref bei. Wer wollte ihm das übel anrechnen?31 Wir sind dankbar, den Lyriker vielseitig agierend wenigstens an dieser Stelle vernehmen zu können. Es stände anders, wenn er sich hätte verleiten lassen, gewisse Talente zu unterdrücken, ––––––––– 30 31
Ebenda, S. 219 f. Eine unglückliche Formulierung von Schulz-Behrend, ebenda S. 219 f., Anm. 3*, weist leider in diese Richtung. Man darf sie getrost sogleich wieder aus dem Gedächtnis verbannen.
Eine unschöne Reaktion
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um selbst um so strahlender dazustehen. Das Gegenteil ist der Fall. Der einzige, der neben Schede Melissus bereits einen Namen besaß, war Georg Rodolf Weckherlin. Er war 1618 und 1619 mit zwei Büchern ›Oden vnd Gesaenge‹ hervorgetreten. Zincgref aber wußte Neues von dem Schwaben beizubringen. Gleich ein knappes Dutzend Stücke präsentiert er. Sie stehen singulär da in seiner Anthologie. Hier war ein Dichter am Werk, dem der Palmenzweig zu Anfang des neuen Jahrhunderts gebührt hätte. Er entzog sich den Blicken, fand eine neue Wirkungsstätte in England und so gelangte die nur allzu begehrte Trophäe an den einen Martin Opitz.
Eine unschöne Reaktion Ein eigenes Kapitel bezeichnet Opitzens Reaktion auf die schöne Tat des Freundes. Wir wollen es nur eben streifen; es nimmt sich wenig erquicklich aus. Und es ist inzwischen viel beredet worden. Im Oktober des Jahres 1624 näherte sich Opitz offensichtlich erstmals dem berühmten Wittenberger Professor August Buchner. Es war kein Zufall, daß er ihn als Adressaten seiner Botschaft erkor. Beerben wollte er ihn in gewisser Hinsicht und da sollte sein poetischer Erstling zur Sprache kommen, den er für verunglückt hielt und nun um seinen Namen bei dem renommierten Haupt in Sachen Poetik und deutsche Literatur fürchten mußte. Ich habe eine ungeheure Freude empfunden, hochberühmter Buchner, als ich aus dem, was Ihr unserem Nüßler, der Zier der Musen, geschrieben hattet, erfuhr, daß Ihr mich mit einzigartigem Wohlwollen und in Liebe umarmt. Ja wenn ich doch solchen Lobes nur würdig wäre, mit dem Ihr mich unverdient rühmt und erhebt! Ich bekenne nämlich sehr gern, daß von mir nichts zu erwarten ist außer dem Versuch und dem Willen, den schönen Künsten aufzuhelfen. Euer herausragendes Urteil über mein Talent und meine wissenschaftlichen Arbeiten wird jedoch meine aufkeimenden Hoffnungen in nicht geringem Maße bestärken und mich gleich Zündstoff entflammen. Weil ich ferner sehe, daß Euch die Ausgabe deutscher Gedichte bekannt geworden ist, so wißt, daß sie von der Hand Zincgrefs ist, der dem Büchlein, das ich vor einigen Jahren in Heidelberg zusammengestellt hatte, vieles unterschiedslos hinzufügte, weil ich darin Gedichte, die des Lichts der Öffentlichkeit unwürdig und voll von Fehlern sind, doch mit Recht preisgegeben hatte, weil sie fast noch von einem Jungen verfaßt worden waren. Also bitte ich inständig, daß Ihr aus diesen Spielereien keine Vermutung über mein restliches Schaffen ableitet, sondern solange, bis die Gedichte in Kürze verbessert und vermehrt erscheinen, alle Schuld auf einen Freund schiebt, der ihr Erscheinen, freilich ohne schlechte Absicht, aber doch voreilig und ohne mein Wissen zugelassen hat.32
Nun, das war ein Brief, und der mochte als solcher gerade eben noch durchgehen. Doch Opitz legte nach und es wurde unschön. In dem nämlichen Brief an Buchner kündigte der Verfasser an, daß er soeben ein kleines Büchlein zum Drucker gegeben habe, in dem Regeln für die Abfassung deutscher Gedichte niedergelegt worden seien. Diese Annonce galt dem Werk, das zu seinem berühmtesten avancieren sollte und das wir sogleich näher in Augenschein nehmen werden. In seiner Programmschrift kam ––––––––– 32
Zitiert nach: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band I, S. 346 f. Der lateinische Text daselbst S. 346.
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Opitz auf die soeben erschienenen ›Poemata‹ aus Zincgrefs Hand zurück. Und da liest man in dem Abschnitt, der der Form des Echo-Gedichts gewidmet ist: Das ich der Echo oder des Wiederruffes zue ende der wörter gedencke/ thue ich erstlich dem Dousa zue ehren/ welcher mit etlichen solchen getichten gemacht hat/ das wir etwas darvon halten; wiewol das so Secundus geschrieben (wie alle andere seine sachen) auch sehr artlich ist: darnach aber/ weil ich sehe/ das sie bey den Frantzosen gleichfalls im gebrauche sein; bey denen man sich ersehen kan. So sind jhrer auch zwey in meinen deutschen Poematis, die vnlengst zue Straßburg auß gegangen/ zue finden. Welchen buches halben/ das zum theil vor etlichen jahren von mir selber/ zum theil in meinem abwesen von andern vngeordnet vnd vnvbersehen zuesammen gelesen ist worden/ ich alle die bitte denen es zue gesichte kommen ist/ sie wollen die vielfältigen mängel vnd irrungen so darinnen sich befinden/ beydes meiner jugend/ (angesehen das viel darunter ist/ welches ich/ da ich noch fast ein knabe gewesen/ geschrieben habe) vnnd dann denen zuerechnen/ die auß keiner bösen meinung meinen gueten namen dadurch zue erweitern bedacht gewesen sein. Jch verheiße hiermitt/ ehestes alle das jenige/ was ich von dergleichen sachen bey handen habe/ in gewiße bücher ab zue theilen/ vnd zue rettung meines gerüchtes/ welches wegen voriger vbereileten edition sich mercklich verletzt befindet/ durch offentlichen druck jederman gemeine zue machen.33
Wenn es um den Namen ging, galt kein Pardon. Zincgref aber war es gar nicht, wie Opitz ihm unterstellt, um die Mehrung des Ruhmes dieses Einen gegangen. Ihm war es um den Fortgang der deutschen Poesie zu tun gewesen. Und diese ganz auf die Sache konzentrierte Bemühung wird gewiß dazu beigetragen haben, daß keine dauerhafte Verletzung auf seiten Zincgrefs eintrat. Er hätte wahrlich alle Veranlassung gehabt, sich düpiert zu fühlen. Opitz aber schritt so rasch wie möglich zur avisierten und revidierten Neuausgabe seiner Gedichte.
Titelblatt-Ikonographie Eine Rückkehr von Straßburg nach Breslau vollzog sich auch publizistisch und genauer: verlegerisch. Bei David Müller erschienen die ›Acht Bücher‹ der Opitzschen Poemata im Jahr 1625. Schon titularisch wurde also Ordnung signalisiert. Und Mül––––––––– 33
Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu herausgegeben von Richard Alewyn. 2. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1966 (Neudrucke deutscher Literaturwerke. N. F.; 8), S. 21 f. Vgl.zum Folgenden auch Ralf Pannowitsch: Vorläufiges, in schlechter Gesellschaft? Zu Opitz’ Kritik der Straßburger Gedichtausgabe von 1624.- In: Le texte et l’idée 10 (1995), S. 27–43. Zum Kontext: Marie-Thérèse Mourey: Le chant du ›Cygne de la Bobra‹. Martin Opitz, ou la difficulté d’être un précurseur.- In: La texte et l’idée 10 (1995), S. 7–26. Vgl. auch Klaus Haberkamm: Georg Rodolf Weckherlin als Advokat von ›reichthumb und schönheit‹ der deutschen Sprache. Zur Kontroverse mit Opitz um die prosodische Suprematie.- In: Simpliciana 35 (2013), S. 263–281. Es soll an dieser Stelle, wo es auch um die Anfänge des lyrischen Sprechens zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Deutschland geht, die Gelegenheit ergriffen werden, auf zwei Abhandlungen zu verweisen, die in diesem Kontext mit Gewinn heranzuziehen sind: Peter Skrine: James VI. and Martin Opitz.- In: Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi 1990 (Chloe; 10), S. 469–488; Wolfram Mauser: Opitz und der Beginn der deutschsprachigen Barockliteratur. Ein Versuch.- In: Filologia e critica. Studi in onore di Vittorio Santoli. Hrsg. von Paolo Chiarini, Carlo Alberto Mastrelli, Piergiuseppe Scardigli, Luciano Zagari. Band I–II.- Rom: Bulzoni 1976 (Studia di filologia tedesca; 6–7), S. 281–314.
Titelblatt-Ikonographie
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ler sorgte dafür, daß auch diese Ausgabe mit einem ansprechenden Titelkupfer geschmückt herausging.34 Erneut verdanken wir dem ersten und einzigen Herausgeber einer wissenschaftlich verantworteten Edition dieses Textes, den Schulz-Behrend als ersten von Opitz herrührenden zum Basistext deklarierte, eine detaillierte Beschreibung:35 Der oben angegebene Wortlaut des Titels steht im rechteckigen Mittelfeld [...] zwischen zwei kantigen Säulen eines reichverzierten Portals. Zuoberst über dem sich oberhalb des Mittelfeldes befindlichen Giebelfelde reitet Amor (Lorbeerkranz in der Rechten, Köcher auf dem Rücken, in der Linken den Bogen) auf einem Adler mit gespreizten Flügeln. Im Giebelfeld selbst, in einem Rahmen [...] erscheint eine Landschaft mit Gebäuden und, links vom Beschauer, einem Röhrenbrunnen. Im Vordergrund ruht ein unbekleideter Jüngling. Unterhalb einer abgeflachten Maske in der Mitte des unteren Bildrahmens und in ihrem eigenen Rechteck liest man die Inschrift: ET SECURA QUIES ET NESCIA FALLERE VITA, ein Zitat aus Verg. Georg. II, 467. Amor und Landschaftsbild befinden sich zwischen zwei architektonischen Voluten mit Blattwerk; vor jeder Wölbung erhebt sich eine steile Pyramide, die mit vier Kugeln auf den Säulen des Portals ruht. Vor jeder Säule steht eine durch Sockelinschrift identifizierte üppige Figur: links Germania, rechts Fama. Beide tragen wallende Gewänder und sind gerüstet. Germanias Haupt ist mit einem Lorbeerkranz geziert; mit der Rechten hält sie einen an ihre rechte Schulter gelehnten Helm. Die geflügelte Fama stützt ihre Linke auf eine Fanfare, deren Trichter links unten hinter ihr sichtbar wird. Mit der Rechten hält sie ein einmal gewundenes, trompetenähnliches Horn an den Mund. Unter dem Titelfeld, zwischen zwei verzierten Sockelvorbauten, [...] stützt sich ein bärtiger, nur mit einem Lendenumwurf bekleideter, laubgekrönter Flußgott mit dem linken Arm auf ein getriebenes Metallgefäß, aus dem sich ein Wasserstrom ergießt. Die Parallele dieser Gestalt mit der des Jünglings im obersten Felde ist unverkennbar. Unter dem Landschaftsbilde im Rahmen erscheint die Inschrift: VIADER (= die Oder).36
Noch einmal wird die Assoziation an die Liebe wachgerufen, bildet sie doch den Inbegriff der Poesie und des den Musen geweihten Dienstes schlechthin. Ihr gibt sich ein Jüngling hin, von Vergil inspiriert und einem ihm zugehörigen Motto entspre––––––––– 34
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Das Titelkupfer des Werkes: Martini Opitii Acht Bücher, Deutscher Poematum durch Jhn selber heraus gegeben/ auch also vermehret vnnd vbersehen/ das die vorigerer darmitte nicht zu uergleichen sindt. Jnn Verlegung Dauid Müllers Buchhändlers jnn Breßlaw. 1625. Martin Opitz: Acht Bücher Deutscher Poematum (Sammlung B).- In: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Georg Schulz-Behrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 2. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1979 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 301), S. 524–748. Auch diese Sammlung wird leider nicht geschlossen präsentiert. Gedichte, die nicht in der Ausgabe von 1624 standen und in der chronologischen Folge schon früher präsentiert wurden, werden nicht noch einmal gedruckt. Bis heute existiert keine komplette kritische Edition der ersten von Opitz veranstalteten Gedichtsammlung! Zu der Ausgabe selbst und einzelnen ihrer Exemplare vgl. neben den Bemerkungen von Witkowski in der Einleitung zu den ›Poemata‹ von 1624, in der eine Beschreibung der einzelnen Opitz-Ausgaben gegeben wird, auch: George SchulzBehrend: Caspar Barth und sein Exemplar von Opitz’ ›Acht Bücher Deutscher Poematum‹.- In: Martin Opitz. Studien zu Werk und Person. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino.- Amsterdam: Rodopi 1982 (Daphnis; 11/3), S. 669–682; Klaus Conermann: Ein Widmungsband der Sammlung Deutscher Drucke in der Herzog August Bibliothek. Opitz’ Druckkorrekturen seiner ›Acht Bücher Deutscher Poematum‹ (1625) als biographisches Zeugnis.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 36 (2009), S. 21–30. Damit sind die beiden wichtigsten Exemplare der ›Poemata‹ von 1625, das letztere herrührend aus der Bibliotheca Rudolphina in Liegnitz und zeitweilig übergegangen in die Heimatstadt Opitzens, der Forschung wieder zugänglich. Ebenda, S. 525 f.
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chend lebend. Kein Wirken in den heiligen Gefilden der Dichtkunst, das nicht dem Vaterland gelten würde, ihm Ehre bezeugend, an seiner Ehre tatkräftig mitwirkend. Von Germaniens Ruhm im Medium der deutschen Sprache zu künden, schickt sich auch dieser musisch inspirierte Jüngling an. Nicht irgendeiner ist er. An der Oder ist sein Platz und von dem daselbst residierenden Flußgott empfängt er die höheren Weihen. Im fernen Schlesien hebt das Wunder der Zeugung einer deutschen Poesie an und einer ist zur Stelle, der dieses herkulische Werk schultern wird.
Poetisches Musterbuch 1625 Dieser visuellen eindrucksvollen Annonce korrespondiert eine Vorrede, die ihrerseits zum Höchsten greift. Ihre Behandlung sparen wir uns für das folgende Kapitel auf. Opitz hat Ernst gemacht mit seinem Vorsatz, klare Kompositionsprinzipien zu markieren, nachdem es der Vorgänger-Edition gerade daran so sehr mangelte. ›Acht Büchern‹ hat er die poetische Materie zugewiesen, genau so, wie auf dem Titelkupfer verheißen. Und diese Rubrizierung ist ihm weitgehend überzeugend gelungen.37 Mit einem Musterbuch wollte er hervortreten, und diese erste eigenhändige Ausgabe seiner Poemata erfüllte den Anspruch. Zu den Beiträgern, die das Werk eröffnen, ist Buchner mit einem ›Scazon‹ hinzugetreten. Merkwürdigerweise steht auch eine französische Zuschrift in Prosa voran, die nur in der folgenden Ausgabe noch einmal wieder abgedruckt wurde, dann aber fortfiel.38 Erst jetzt, 1625, präsentiert Opitz seine geistlichen Texte. Gleich das erste Buch der ›Poetischen Wälder‹ ist ihnen vorbehalten. Mit dem ›Lobgesang‹ auf den Geburtstag Jesu Christi eröffnet Opitz den Reigen. Dem Jugendfreund Bernhard Wilhelm Nüßler war er zugeeignet. Nun kommt die Widmung nebst weiteren Zuschriften von Abraham von Bibran, Janus Gruter und Michael Bartsch gleich am Eingang des Buches zum Abdruck und verschafft ihm damit eine gewisse Sonderstellung. Vier weitere geistliche Gedichte schließen sich an. Und dann wiederholt Opitz das nämliche Manöver. Jetzt gelangt die Übertragung von Heinsius’ ›Lobgesang‹ auf Jesus Christus zum Zuge. Auch hier wird die Widmung an Caspar Kirchner mitgedruckt. Ein veritabler geistlicher Akkord ertönt zu Anfang. Eine erste gravierende Differenz zur Ausgabe der Gedichte von 1624 ist zu verzeichnen. ––––––––– 37
38
Vgl. in diesem Zusammenhang die höchst interessante kleine Untersuchung von Thomas Borgstedt: ›Silvae‹ et ›Poemata‹. Martin Opitz’ doppelte Einteilung seiner Gedichte und ihr Mißverständnis bei Druckern und Forschern.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 31 (2004), S. 41– 48. Des weiteren das wichtige Opitz-Kapitel in: Wolfgang Adam: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens ›bei Gelegenheit‹.- Heidelberg: Winter 1988 (Beihefte zum Euphorion; 22), S. 127–148. Es handelt sich möglicherweise um einen Brief bzw. einen Brief-Auszug eines offensichtlich nach wie vor unbekannten Schreibers und Adressaten. Vgl. Schulz-Behrend: Martin Opitz: Acht Bücher Deutscher Poematum (Anm. 35), S. 547, in der Anmerkung zu der Zuschrift, mit dem Verweis auf die einschlägige Passage bei Jörg-Ulrich Fechner: Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik.- Heidelberg: Winter 1966 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 3. Folge; 2), S. 33 mit der Anmerkung 14.
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Danach folgen in einem zweiten Buch Lehrgedichte, auch das eine überzeugende Handhabung in der Plazierung der vorliegenden Produktion in diesem Zweig, der so gut wie gar nicht im Erstling zu Buche geschlagen war. Der Dichter ist damit befaßt, sein amouröses Gewand abzustreifen. Wiederum ist eine Heinsius-Adaptation dabei, nämlich der Hymnus auf Bacchus. Hinzutreten zwei Landgedichte. ›Zlatna‹ war inzwischen erschienen. Mit diesem einzig dastehenden Werk eröffnet Opitz. Großen Wert hat er offensichtlich auch auf seine Horaz-Parodie gelegt. Sein Gedicht vom ›Ackerleben‹, wie er es hier tituliert, ist in der Mitte plaziert. Später wird ›Vielguet‹ hinzutreten und die ländliche Trias dann komplett sein, mit der Opitz wahrlich Besonderes zu bieten hatte. Daran schließt sich ein drittes Buch an, welches erstaunlicherweise noch nicht recht ausgearbeitet ist. ›Wälder‹ sind stets der Variation vorbehalten. Folgt darauf jedoch der Zusatz ›Darinnen allerhandt Sachen‹, so reagiert der Leser ein wenig ratlos. Hier mußte später jedenfalls nachgearbeitet werden, wenn anders dem Ordnungswillen durchgehend Rechnung getragen werden sollte. Immerhin, mit der gewichtigen Trauerbezeugung zum Tode Erzherzog Karls kann Opitz einsetzen. Und entsprechend folgen zunächst Gedichte auf hohe Standespersonen nach. Diese ständische Anordnung bildet für eine Weile das strukturierende Element, bevor der adressatenbezogene Bogen sich senkt. Trauergedichte sind im Übergewicht. Dann aber treten anderweitige Anlässe hinzu. Versammelt ist im dritten Buch, was Opitz aus seiner Kasualproduktion für bewahrenswert erachtete. Der persönliche Bezug spielt verständlicherweise mit hinein. Das vierte Buch ist dann wieder klar konturiert. Der stoffliche Vorwurf bildet das integrale Element. Hochzeitsgedichte werden präsentiert. Hier sind keine ständischen Gesichtspunkte zu beachten, denn es existieren (noch) keine Stücke auf hochgestellte Persönlichkeiten. Auch das wird sich ändern. Es sind vor allem die bekannten Namen aus Opitzens Freundeskreis, die hier begegnen. Im Hochzeitsgedicht ist der Letternwechsel beliebt. Auch Opitz hat dieser Lust gefrönt und wenigstens ein Beispiel für den Nachdruck freigegeben. Die Achillesferse bildeten die ›Amatoria‹. Ihnen ist das fünfte Buch gewidmet. Hier hat Opitz die Dedikationsadressen der Freunde und Kollegen untergebracht, die auch in den ›Poemata‹ von 1624 standen. Und das nicht zufällig. Als Buch vornehmlich bestückt mit Liebesgedichten hatte er die Sammlung von 1624 eingeführt, um sich sogleich gehörig zu distanzieren. Hier nun kehren sie in Auswahl wieder, angefangen mit dem programmatischen Prospekt ›An die Deutsche Nation‹. Dem Schlußgedicht ›An Nüßlern‹ hat der Dichter ein weiteres Mal seine poetische Liebesphilosophie anvertraut, derart das durchweg petrarkistische Motivgut rahmend und dessen Auslegung steuernd. Ein Juwel ist das sechste Buch – und sein Inhalt wird es bleiben, wo auch immer in späteren Ausgaben plaziert. Die ›Oden oder Gesänge‹ sind hier vereint, in denen Opitz eine so glückliche Hand bewies und der großen Lieddichtung des 17. Jahrhunderts merklich vorarbeitete. Mit der berühmten Heinsius-Adaptation ›Galathee‹, vielfach biographisch getönt, setzt er ein. Niederländer und Franzosen stehen auch sonst vielfach Pate. Siebzehn Perlen hat Opitz aufgereiht. In ihnen beweist er sich als Meister der kleinen Form. Als solcher tritt er auch in den beiden letzten Abteilungen auf,
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der Gattung Sonett und der Gattung Epigramm vorbehalten, auch hier poetisches Gut Europas den Deutschen zuführend. Mit diesen ›acht Büchern‹ ist das dichterische Profil durchgehend erkennbar umrissen.39 Als erstem war es Opitz gelungen, in der Nachfolge der lateinischen und volkssprachigen Muster-Autoren Europas ein Sammelwerk im neuen Stil nun auch in Deutschland einzuführen. Die wesentlichen poetischen Spielarten in gebundener Rede waren damit dem deutschen Idiom gewonnen. Fortan galt es, den Ausbau des Erreichten im Gleichgewicht zu halten mit der Eroberung neuer poetischer Kontinente. Der Dichter stand als geprägte Persönlichkeit vor der Öffentlichkeit. Und doch mochte sich Neugier regen, wie der ›Gekrönte‹ fortschreiten würde. Wir haben eine wichtige Station erreicht. Selbstverständlich aber ist es nur eine Zwischenstation.
––––––––– 39
Vgl. in diesem Zusammenhang das sehr ergiebige Nachwort des Herausgebers Erich Trunz, in: Martin Opitz: Geistliche Poemata 1638. 2., überarb. Auflage.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 1), S. 13*–26*. Vgl. auch die sehr gehaltreichen Beigaben zu: Martin Opitz: Weltliche Poemata 1644. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Christine Eisner hrsg. von Erich Trunz. 2., überarb. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 2), sowie: Martin Opitz: Weltliche Poemata 1644. Zweiter Teil. Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hrsg. von Erich Trunz.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 3).
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹ Der Poetologe als Kulturpolitiker Praefiguratio: der Archeget Opitz hat in der Geschichte der deutschen Literatur und ihrer Historiographie eine prominente Stellung inne. Er selbst reklamierte für sein Werk einen Neubeginn, und die Opitz gewidmete Literaturwissenschaft war zu guten Teilen damit befaßt, die Triftigkeit dieser Selbsteinschätzung zu überprüfen. Der an dieser Stelle sich auftuende Fragenkreis hat sich zu vergleichsweise später Stunde mit Problemen der epochalen Nomenklatur verquickt, also vornehmlich des Geltungsanspruchs von Zuweisungen zur Renaissance, zum Humanismus, zum Barock. Indem Opitz sich zum Archegeten aufwarf, korrelierte er diese im Humanismus so beliebte Rolle mit der von ihm reklamierten Erstlingstat, nämlich die deutschsprachige Poesie auf die Fundamente der kurrenten volkssprachigen Renaissanceliteraturen und vermittelt über sie auf die der Antike gestellt zu haben. Diese von ihm als epochal statuierte Umpolung vollzog sich gleichermaßen auf seiten der Poesie selbst wie in ungezählten sie begleitenden Paratexten und nicht zuletzt in explizit poetologischkulturpolitischen Verlautbarungen. Und eben um einige von ihnen soll es hier gehen. Doch zunächst zu einigen vorgängigen historiographischen Aspekten. Indem Opitz wie angedeutet agierte, stellte er sich in die Tradition illustrer Vorgänger. Überall in Europa, wo die Umrüstung der Poesie auf die antiken Autoritäten vollzogen worden war, waren ihre Repräsentanten mit programmatischen Äußerungen zur Stelle. Ob man zu dem Florentiner Dreigestirn blickt oder den spanischen Wortführern, zu den Dichtern der ›Pléiade‹ oder den Elisabethanern, ob zu den Niederländern, Schweden und Dänen oder – und keinesfalls zu vergessen – zu den poetischen Kapazitäten im östlichen Europa, in Böhmen, Polen, Ungarn und wo immer sonst – überall ist das Bewußtsein ausgeprägt, mit der Zurückführung der Poesie auf ihre vornehmlich lateinischen Wurzeln und deren Verpflanzung in das heimische Idiom an einem Neuanfang zu stehen, der archegetische Attitüden in diesem Licht als berechtigt erscheinen läßt.1 ––––––––– 1
Äußerungen zu diesem literaturpolitisch so wichtigen Vorgang findet man z.B. bei Klaus Garber: Von europäischer poeterey. Sprachen- und Literatur-Politik im Europa der Frühen Neuzeit.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 15 (2007), S. 43–65. Eingegangen in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- Paderborn: Fink, Leiden: Brill 2017, S. 19–42. [Spanische Version unter dem Titel:] De poesía europea: Política, literatura y lengua en Europa
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Historiographische Retrospektive Als Literaturwissenschaftler ist man folglich von vornherein mit einem gesamteuropäischen Phänomen konfrontiert. Das epochale Dach, unter dem dieses sinnvoll geschieht, lautet auf den vergleichsweise jüngeren Terminus ›Frühe Neuzeit‹. Er hat den Vorteil, Unsicherheiten hinsichtlich der epochalen Binnendifferenzierung, wie sie angedeutet wurden, zu umgehen. Zugleich aber ist damit in historiographischer Hinsicht ein Akzent gesetzt. Probleme der Antike-Rezeption und der Moderne-Konstitution sehen sich mit dem Frühneuzeit-Projekt verknüpft. Damit ist zugleich gesagt, wo Ursprünge und frühe historische textuelle Manifestationen zu verorten sind, nämlich im Italien des Trecento. Über die Erstreckung der durch den Terminus ›Frühe Neuzeit‹ eben auch und maßgeblich indizierten literarischen Bewegung soll an dieser Stelle nichts verlauten; sind hier doch seit geraumer Zeit erhebliche Kontroversen aktenkundig. Klar aber ist, daß die Statuierung der Anfänge einen Moment lang historiographisch bedacht sein will, hängt doch eben das Moderne-Problem daran.2 Blicken wir für einen Moment herüber zu Ernst Robert Curtius’ ›Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter‹, und das am Exempel Arkadiens. Er hatte den locus amoenus in sein Topos-Repertoire aufgenommen und daran anknüpfend auch dem Schäferwesen eine Reihe luzider Bemerkungen gewidmet. Sollte seine Konstruktion tragfähig bleiben, mußten für die Ekloge auch aus dem lateinischen Mittelalter sprechende Stücke beigebracht werden. Das geschah und war wie immer quellenkundlich und traditionsgeschichtlich wohlfundiert. Zugleich aber wurde erkennbar, daß dieses mittelalterliche pastorale Interludium eben ein solches blieb. Es erfuhr keine produktive Fortsetzung in der Renaissance, nicht einmal auf dem Terrain der geistlichen Ekloge. Auch die Geschichte der nachantiken Arkadiendichtung hebt in der Renaissance mit Dante und sodann vor allem mit Petrarca und Boccaccio an und die eminente Rolle der Vergilschen Ekloge anläßlich dieser renovatio ist allenthalben zu greifen.3 Auf das Allgemeine des hier zur Rede stehenden Problems projiziert, wird damit nur ein weiteres Mal bekräftigt, was ohnehin auf der Hand liegt. Der Transmissionsriemen für die Überführung der antiken Erbschaften in die Moderne liegt in der Renaissance und eben nicht im Mittelalter. Die im Mittelalter namhaft gemachten soge–––––––––
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durante la historia moderna.- In: Literatura y nación. La emergencia de las literaturas nacionales. Hrsg. von Leonardo Romero Tobar.- Zaragoza: Prensas Universitarias de Zaragoza 2008 (Colección Humanidades; 69) (Serie Clío y Calíope), S. 31–61. Ders.: Die Idee der Nationalsprache und Nationalliteratur in der Frühen Neuzeit Europas.- In: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- München: Fink 2009, S. 107–213 (Originalbeitrag). Auch hier darf aus jüngster Zeit verwiesen werden auf: Klaus Garber: Die Epoche der Frühen Neuzeit. Rückgewinnung einer kulturwissenschaftlichen Kategorie. Hrsg. von Kai Bremer.- Münster: LIT (in Vorbereitung) (Kleine Schriften; 2). Vgl. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter. 2., durchges. Aufl.Bern: Francke 1954, S. 191–209: Die Ideallandschaft. Vgl. zu dem Problemkreis Klaus Garber: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Zum vierzigjährigen Jubiläum von E.R. Curtius’ Hauptwerk.- In: Sprache und Literatur der Romania. Tradition und Wirkung. Festschrift Horst Heintze. Hrsg. von Irmgard Osols-Wehden, Giuliano Staccioli, Babette Hesse.- Berlin: BerlinVerlag Arno Spitz 1993, S. 265–269.
Historiographische Retrospektive
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nannten Renaissancen können darüber keinen Moment hinwegtäuschen. Damit aber wird Anschluß gefunden an die entsprechenden und teils grandiosen historiographischen Unternehmungen, die jenen soeben nur an einem Einzelfall angetippten Sachverhalt in umfassenden Kontexten bestätigen. Dabei wird es stets denkwürdig bleiben, daß die Protagonisten selbst ein ungemein ausgebildetes Sensorium für das Bedeutsame um nicht zu sagen das Revolutionäre ihres Tuns besaßen. Gleich mit den ersten Proben der neuen Kunst und des neuen Denkens wurden auch die ersten programmatischen Manifeste in Umlauf gebracht und der unermüdliche Adaptor Petrarca führt selbstverständlich diesen Reigen an. Es lohnt sich immer noch, diese Bekundungen eines Aufbruchs in eine alte und eben zugleich neue Welt zu lesen, handelt es sich doch um mentalitätsgeschichtliche Zeugnisse ersten Ranges.4 Genauso Anlaß zum Staunen bietend bleibt der Umstand, daß sich bis in die Tage der späten Aufklärung, ja noch bis in den Vormärz hinein eine Erinnerung an diese tiefste Zäsur der nachantiken geistigen Geschichte Europas erhält. Und mehr als das. Die eindringlichsten historiographischen Unternehmungen im alten Europa sind womöglich doch im Hinblick auf diesen Umbruch zustandegekommen. Mir steht vor allem das Göttinger Projekt einer ›Geschichte der Künste und Wissenschaften seit der Wiederherstellung derselben bis an das Ende des achtzehnten Jahrhunderts‹ vor Augen, das für zahllose Disziplinen – und so auch für eine Wissenschaft von der europäischen Literatur – die bis heute gültigen und vorbildlichen Untersuchungen zeitigte (symptomatischerweise findet sich dazu bei Curtius überhaupt nichts). Man befindet sich als Frühneuzeitler also allemal in guter Gesellschaft, sofern man sich zu eben dieser Erbschaft bevorzugt bekennt. In aller Regel ist umgekehrt ein antiaufgeklärter Impetus am Werk, wenn es denn um die Nichtanerkennung dieser geistigen Fundamentierung des modernen Europa in der Renaissance geht. Gerade aus dem Deutschland der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind dafür genügend Beispiele verfügbar. Angeeignet aber wird dieses Erbe nur im konkreten Vollzug und also im Detail. Darum nun also der Übergang zu einer Gestalt wie der des Martin Opitz.5
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Vgl. neben den in Anm. 1 und 2 zitierten Arbeiten das nach wie vor verbindlich gebliebene Werk von Wallace K. Ferguson: The Renaissance in Historical Thought. Five Centuries of Interpretation.- Cambridge/Mass.: The Riverside Press 1948. Vgl zum Kontext die beiden parallel zu lesenden Untersuchungen von Klaus Garber: Die deutsche Nationalliteratur des 17. Jahrhunderts im historischen Kontext der Deutschen.- In: Zwischen Renaissance und Aufklärung. Beiträge der interdisziplinären Arbeitsgruppe Frühe Neuzeit der Universität Osnabrück/Vechta. Hrsg. von Klaus Garber, Wilfried Kürschner, unter Mitwirkung von Sabine Siebert-Nemann.- Amsterdam: Rodopi 1988 (Chloe, Beihefte zum Daphnis; 8), S. 179– 200; ders.: Zur Konstitution der europäischen Nationalliteraturen. Implikationen und Perspektiven.- In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1989 (Frühe Neuzeit; 1), S. 1–55. Der erste Beitrag – mit ergänztem Untertitel ›Ein humanistisches Projekt der Frühen Neuzeit und seine zwiegesichtige Nachgeschichte in der Moderne‹ – eingegangen in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 955–972; der zweite in ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 15–70.
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Deutsche Verspätung Und da ist auszugehen von dem bereits angedeuteten Umstand, daß wir uns im Rückblick auf das Tre- und vor allem auf das Quattrocento in europäischem Maßstab eben auf deutscher Seite in einer vergleichsweise späten Phase befinden. Die entscheidenden Schritte sind links und rechts, in West und Ost bereits getan, bevor Deutschland zum Zuge kommt. Und das, wie stets zu erinnern, an seinen Rändern, im Westen in der Pfalz und am Oberrhein, im Osten vornehmlich in Böhmen und insbesondere in Schlesien, also der Heimat auch Opitzens. Opitz wäre nicht der geworden, zu dem er schließlich heranwuchs, wenn seine Wurzeln nicht in Schlesien zu suchen wären und wenn er seine wichtigsten Impulse nicht im Westen, eben in der Pfalz, empfangen hätte. Was hier in unserem Zusammenhang indes zu apostrophieren ist, gilt der Tatsache, daß ungeachtet der deutschen Verspätung die Probleme, die in der Zeit der literarischen Konstitution der neueren Literatur in Italien virulent waren, immer noch auf der Tagesordnung stehen. Und das nicht als zweitrangige oder ephemere, sondern als eklatante und elementare. Auf keinem Feld tritt dies merklicher hervor als eben auf dem des Umgangs mit den antiken Überlieferungen, und zwar vor allem auf einem solchen, das sich für die Betrachtung dieses Problemkomplexes besonders gut eignet, der Etablierung der klassizistischen Literatur. Es besteht inzwischen Einigkeit unter den in dieser Angelegenheit sachkundigen Germanisten, daß die deutsche Verspätung, wenn abkürzend so gesprochen werden darf, in erster Linie den konfessionellen Verhältnissen geschuldet ist. Die Schatten der Reformation sind allgegenwärtig, und sie vertiefen sich in dem Maße, wie auch das reformierte Bekenntnis in einigen Regionen des alten deutschen Sprachraums Platz greift, darunter eben an der Spitze in der Pfalz, sehr merklich aber auch in Schlesien, dort vielfältig melanchthonisch gemildert. Gerade zwischen den beiden protestantischen Bekenntnissen verlaufen alsbald tiefe Gräben. In Schlesien sind die Querelen allenthalben mit Händen zu greifen. Und sie sind auch dort keinesfalls mit dem beginnenden 17. Jahrhundert beendet, werden freilich seit den späten zwanziger Jahren zumindest von dem katholischen roll-back einschließlich gewaltsamer Zwangskonfessionalisierungen überlagert.6
Ein poetisches Reformprojekt in aufgewühlter Zeit Das heißt in einem Satz, daß die Reform der deutschen Dichtung, wie sie sich mit Opitzens Namen verbindet, immer noch in eine religiös aufgewühlte Zeit fällt. Oder genauer und anders gewendet: Es bleibt ein Vorgang von ganz ungewöhnlicher Tragweite, daß inmitten eines konfessionell aufgeladenen Zeitalters ein Projekt in Angriff genommen wird, das sich den mit der Konfessionalisierung einhergehenden Proble––––––––– 6
Vgl. aus jüngster Zeit: Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Irene Dingel.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte; 106).
Ein poetisches Reformprojekt in aufgewühlter Zeit
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men über weite Strecken entzieht. Es konnte gezeigt werden, daß sich die Anfänge gerade auch eines Opitz durchaus reformierten, nicht aber lutherischen Impulsen verdanken. Doch nicht das ist an dieser Stelle primär in Anschlag zu bringen. Die Revitalisierung der antiken Formen- und Vorstellungswelt in einer linguistisch umgekrempelten Literatur, welche expressis verbis nicht mehr nur lateinisch votiert, sondern die deutsche Sprache als gleichberechtigtes poetisches Medium zu etablieren sich anschickt, ist ein derart provokantes Vorhaben, das notgedrungen Widerstände hervorrufen muß, auf die wiederum zu reagieren ist. Die Ansiedlung der antiken Musen auf deutschem Boden, der religiös immer noch eminent fruchtbar ist, bleibt ein Akt, der mit Umsicht, Takt und Diplomatie vollzogen sein will. Jetzt um 1600 werden die Weichenstellungen für den Gang der deutschen Poesie auf antiken Fundamenten gelegt. Bei dieser Geburtsstunde dabei zu sein, ist ein Vergnügen und Reiz ganz eigener Art.7 ––––––––– 7
Es ist an dieser Stelle Gelegenheit, einige allgemeinere Werke zum Problem der Rhetorik und Poetik aufzuführen. Zur Theorie und Geschichte beider Disziplinen vgl. die grundlegende Untersuchung von Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat. Sozialgeschichtliche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978 (Palaestra; 269). Das Werk wird eröffnet mit einem Teil (von dreien) zu Opitz’ ›Poetik als Mittel der Literaturpolitik‹, S. 12–52, auf das ein für alle Mal verwiesen werden darf. Sinemus behandelt – nach einer Einleitung zum Thema ›Imitatio und Eklektizismus: Opitz’ Umgang mit seinen Vorlagen‹ – das ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ und den ›Aristarchus‹ sowie die Vorrede zu den Gedichten von 1625 und bietet sodann einen Exkurs zu Celtis und Opitz unter dem Titel ›Frühhumanistische und späthumanistische Argumentationen‹. Das Programm ähnelt also dem unsrigen entschieden; wir haben gleichwohl darauf verzichtet, auf mancherlei Übereinstimmungen im einzelnen hinzuweisen. Das Grundsätzliche zur Parallelität der Ansätze wurde bereits frühzeitig kenntlich gemacht unter Verweis auf die gemeinsame Arbeit in den siebziger Jahren in Göttingen. Vgl. Klaus Garber: Martin Opitz.- In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Harald Steinhagen, Benno von Wiese.- Berlin: Schmidt 1984, S. 116– 184, Anm. 69. Jetzt wieder abgedruckt in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 563–639, mit Anm. 70. Schon in der ersten Hälfte der siebziger Jahre wurde ein Kapitel verfaßt, das den Titel trägt: Ständische Kulturpolitik und ländliche Poesie. Ein Auftakt zum Arkadienwerk. Es kam erst vierzig Jahre später zum Druck. Vgl. Klaus Garber: Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg. von Stefan Anders, Axel E. Walter.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 146–182. Noch vorausgegangen war die gleichfalls wichtige und fortan stets wieder herangezogene Studie von Joachim Dyck: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und Rhetorische Tradition.- Bad Homburg vor der Höhe, Berlin, Zürich: Gehlen 1966 (Ars Poetica. Texte und Beiträge zur Dichtungslehre und Dichtkunst; 1). Vgl. von Dyck auch: Apologetic Argumentation in the Literary Theory of the German Baroque.- In: Journal of English and Germanic Philology 68 (1969), S. 197–211. Und schließlich sei auch an dieser Stelle hingewiesen auf das klassische Werk zur parallelen Disziplin der Rhetorik von Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen.- Tübingen: Niemeyer 1970. Wir würden es gerne in wissenschaftsgeschichtlichen Kontakt zu der grundlegenden Studie von Gunter E. Grimm bringen, die vor allem die institutionelle Verankerung der gelehrten Poesie so in das Blickfeld rückt wie Barner dies für die Rhetorik geleistet hat. Vgl.: Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung.- Tübingen: Niemeyer 1983 (Studien zur deutschen Literatur; 75). Das Werk enthält ein großes zweites Kapitel, betitelt ›Gelehrte Poesie im Zeitalter des Barock‹ (S. 115–222), das vor allem auf Opitz rekurriert und also durchgängig heranzuziehen ist. Und selbstverständlich gehört in diesen Zusammenhang die bahnbrechende Untersuchung von Wilhelm Kühlmann: Gelehr-
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Einen besonders ergiebigen Gegenstand der Untersuchung bildet in dieser Hinsicht naturgemäß die Lyrik und zumal die Liebeslyrik. Die Minnelyrik des Mittelalters war ein Ereignis im Umkreis vornehmlich von Adeligen und Fürsten. Sie speiste sich aus den verschiedensten Quellen und blieb versetzt mit genuin religiösen Einschlägen. Nun, mit Petrarca, geht die Liebeslyrik über in die Obhut der Humanisten und weiß sich den Anregungen zumal der römischen Elegiker verpflichtet. Petrarcas Musterbuch, der ›Canzoniere‹, ist das erste große durchkomponierte Werk lyrischer Liebespoesie und als solches das Musterstück die gesamte Frühe Neuzeit über geblieben. Noch ein Heine wußte darum. Liebesdichtung zu verfassen, blieb für einen jeden standesbewußten Humanisten ein Obligatum. Die Begründungen dafür sind Legion und allemal sprechend genug. Man wußte, sich in den Augen der Umwelt einer Frivolität schuldig zu machen und hatte entsprechende Vorkehrungen zu treffen.8 –––––––––
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tenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters.- Tübingen: Niemeyer 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 3). Barner ist im übrigen in einem äußerst lesenswerten Aufsatz auf das Thema seiner Habilitationschrift zurückgekommen: Spielräume. Was Poetik und Rhetorik nicht lehren.In: Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Hartmut Laufhütte. Band I–II.Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 35), S. 33–67. Über diese Arbeit und andere wichtige Untersuchungen darf die Grundlegung des Problemkomplexes nicht vergessen werden, welche herrührt von Karl Borinskis Studie: Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der litterarischen Kritik in Deutschland.- Berlin: Weidmann 1886. Reprint Hildesheim: Olms 1967. Hier das große Kapitel ›Die Einführung der Renaissance-Poetik durch Opitz‹, S. 56–114. Zum Problemkomplex in der neueren Literatur sei an dieser Stelle nur verwiesen auf den mit reichen Beigaben versehenen Grundriß von Jörg Robert: Rhetorische und stilistische Praxis des Lateinischen in den deutschsprachigen Ländern in Humanismus, Renaissance und Reformation.- In: Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. Hrsg. von Ulla Fix, Andreas Gardt, Joachim Knape. 1. Halbband.- Berlin, New York: de Gruyter 2008 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft; 31/1), S. 370–385; ders.: ›Audite simiam Ciceronis‹. Nachahmung und Renaisancepoetik – ein systematischer Aufriß.- In: Maske und Mosaik. Poetik, Sprache, Wissen im 16. Jahrhundert. Hrsg. von JanDirk Müller, Jörg Robert.- Münster: LIT 2007 (Pluralisierung & Autorität; 11), S. 75–128 (mit reicher Literatur). Vgl. auch Andreas Härter: Digressionen. Studien zum Verhältnis von Ordnung und Abweichung in Rhetorik und Poetik. Quintilian – Opitz – Gottsched – Friedrich Schlegel.München: Fink 2000 (Figuren; 8). Vgl. zu diesem Problemkomplex etwa: Klaus W. Hempfer: Probleme der Bestimmung des Petrarkismus. Überlegungen zum Forschungsstand.- In: Die Pluralität der Welten. Aspekte der Renaissance in der Romania. Hrsg. von Wolf-Dieter Stempel, Karlheinz Stierle.- München: Fink 1987 (Romanistisches Kolloquium; 4), S. 253–277, sowie den Artikel ›Petrarkismus‹ von Gerhard Regn in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), Sp. 911–921. Des weiteren: Der petrarkistische Diskurs. Spielräume und Grenzen. Hrsg. von Klaus W. Hempfer, Gerhard Regn.- Stuttgart: Steiner 1993 (Text und Kontext; 11); Ulrich Schulz-Buschhaus: Emphase und Geometrie. Notizen zu Opitz’ Sonettistik im Kontext des europäischen Petrarkismus.- In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (Frühe Neuzeit; 63), S. 73–87; Thomas Borgstedt: Nachahmung und Nützlichkeit. Renaissancediskurse, Nützlichkeit und Monumentsonette.- In: Ebenda, S. 53–72; PetrarcaLektüren. Gedenkschrift für Alfred Noyer-Weidner. Hrsg. von Klaus W. Hempfer, Gerhard Regn.- Stuttgart: Steiner 2003 (Text und Kontext; 17); Questo leggiadrissimo Poeta! Autoritätskonstitution im rinascimentalen Lyrik-Kommentar. Hrsg. von Gerhard Regn.- Münster: LIT 2004 (Pluralisierung & Autorität; 6).
Verdecktes poetisches Sprechen
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Verdecktes poetisches Sprechen Entsprechend wurde das überkommene erotische Repertoire umgeschrieben, mit einem zweiten unterschwelligen Sinn ausgestattet und derart transparent für Lesungen, die in dem erotischen Code einen poetologischen eingeschrieben fanden. Schönheit und Anmut der Geliebten mutierten zu Ingredienzien der Poesie. Auf dem Felde der Liebesdichtung ist wie auf keinem zweiten sonst das Projekt uneigentlichen Schreibens durchdekliniert worden. Es stellte höchste Anforderungen an Verfasser wie an Adressaten und verblieb daher zumeist im Umkreis der Humanisten. Allegorisches poetisches Votieren wurde in actu in der Adaptation einer antiken Erbschaft zu einer lyrisch-allegorischen Fertigkeit erhoben. Dieser ebenso kühne wie gewagte Akt aber war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß man sich inmitten einer prekären Umwelt poetisch zu behaupten hatte. Wollte man es provokant und plakativ formulieren, so ist aus der Konfrontation von heidnischem und christlichem Weltverständnis eine Subtilität und Enigmatik lyrischen Sprechens erwachsen, die in gewisser Hinsicht auch von der zweiten lyrischen Moderne im Symbolismus nicht mehr überboten werden konnte. Mehr als einer der Neuen wußte um diese Zusammenhänge, und in mehr als einer Anthologie wurde sie bündig dargelegt.9 Ein nämlicher Vorgang vollzieht sich in der Schäferdichtung, um noch einmal für einen Moment arkadisches Terrain zu betreten. Sie war als pagane den gleichen Verdächtigungen ausgesetzt wie die Liebespoesie. Von den Schäferdichtern aber, angefangen bei den Florentinern, sind Szenarien der Umdeutung des Schäferwesens vorgenommen worden, die ein jedes vorstellbare Maß überschreiten. Schäferdichtung zu lesen heißt, auf alles gefaßt zu sein. Nur eine durchgängige Schulung in der Praxis der Entschlüsselung allegorisch durchsetzten Motivrepertoires eröffnet einen Zugang zu dieser vorgeblich niederen, in Wahrheit aber anspruchsvollsten Literaturform Europas. Wieder führte die Adaptation einer als heidnisch apostrophierten Gattung gleich mit Einsatz des Frühhumanismus zur Erprobung poetisch-allegorischer Stilmittel, die einer jeden poetischen Avantgarde der Moderne zur Ehre gereichen würden. Mehr hintergründige Raffinesse war nicht denkbar und eben dies begründet im Spannungsfeld von Antike und Moderne die nahezu unerschöpflichen Möglichkeiten des Umgangs mit ihr.10
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Die nunmehr klassische Dokumentation stammt bekanntlich von Gustav René Hocke: Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst. Beiträge zur vergleichenden europäischen Literaturgeschichte.- Reinbek bei Hamburg 1959 (rowohlts deutsche enzyklopädie; 82/83). Vgl. Klaus Garber: Arkadien und Gesellschaft. Skizze zur Sozialgeschichte der Schäferdichtung als utopische Literaturform Europas.- In: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Band I–III. Hrsg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart: Metzler 1982. Band II, S. 37– 81. [Auch als suhrkamp-taschenbuch der wissenschaft. Band 1159. 1985.] Wiederabgedruckt unter dem Titel: Arkadien und Gesellschaft. Skizze zur Sozialgeschichte der Schäfer-, Landlebenund Idyllendichtung als utopischer Literaturform Europas, in: ders. Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 229–274; ders.: Arkadien. Ein Wunschbild der europäischen Literatur.- München: Fink 2009.
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Übergang zur Poetologie Doch es soll von der Metadisziplin, soll von der Poetik die Rede sein, und das am Beispiel von Opitz. Es geht um die Einsetzung der deutschen Sprache als eines würdigen Mediums der Poesie. Und um dieses Thema rankten sich Expektorationen, die neuerlich nur als Antwort auf kurrente Einwände gegen das poetische Geschäft der Humanisten, eben ihre Antike-Hörigkeit, zu begreifen sind. Auch in den poetologischen Verlautbarungen arbeitet eine unterschwellige Auseinandersetzung mit den Kritikern, die allemal in erster Linie im theologischen Lager zu suchen sind.11 Darin gründet zugleich der fundamentale Unterschied zwischen der öffentlichen Stellung eines Opitz und der seines großen Vorgängers ein Jahrhundert früher, Conrad Celtis. Dieser schwingt sich gleichfalls zum Archegeten auf, nun aber im Einsatz für eine lateinische Sprachkultur, und dies in Anlehnung an die Vorgaben der Italiener. Deutschland soll einem Prozeß der Akkulturation unterworfen werden. Alle Mittel der Rede- und Organisationskunst mobilisiert der Franke in seiner Rolle als humanistischer Wanderprediger, um für seine Ziele zu werben. Wenn tatsächlich eine reiche lateinische Sprachkultur auch auf deutschem Boden im 16. Jahrhundert erblüht, ist das nicht zuletzt sein Verdienst. Die Auseinandersetzung aber mit theologischen Widersa––––––––– 11
Vgl. neben den in Anm. 7 zitierten Untersuchungen speziell auch die herausragende Einleitung von Georg Witkowski zu der von ihm besorgten Edition zweier zentraler Texte, die den Charakter einer kleinen Monographie angenommen hat und für zahllose Aspekte des Opitzschen Werkes einschlägig geblieben ist. Vgl: Martin Opitzens Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae und Buch von der Deutschen Poeterey. Hrsg. von Georg Witkowski.- Leipzig: Veit 1888. Aus der neueren Literatur: Rudolf Drux: Martin Opitz und sein poetisches Regelsystem.- Bonn: Bouvier 1976 (Literatur und Wirklichkeit; 18). Hier vor allem das Eingangskapitel ›Theoretische Grundlagen der Regelpoetik‹, S. 17–49. Des weiteren, insbesondere auch im Blick auf die Vorgänger in der neulateinischen und deutschsprachigen poetologischen Literatur des 16. Jahrhunderts: Heinz Entner: Der Weg zum ›Buch von der Deutschen Poeterey‹. Humanistische Tradition und poetologische Voraussetzungen deutscher Dichtung im 17. Jahrhundert.- In: Studien zur deutschen Literatur im 17. Jahrhundert. Hrsg. vom Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR.- Berlin, Weimar: Aufbau 1984, S. 11–144, S. 439–457 (Anmerkungen). Zum Kontext: Rolf Baur: Didaktik der Barockpoetik. Die deutschsprachigen Poetiken von Opitz bis Gottsched als Lehrbücher der ›Poeterey‹.- Heidelberg: Winter 1982 (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft; 2). Neuerdings die grundlegenden Studien von Jörg Robert: Martin Opitz und die Konstitution der Deutschen Poetik. Norm, Tradition und Kontinuität zwischen ›Aristarch‹ und ›Buch von der Deutschen Poeterey‹. In: Euphorion 98 (2004), S. 281–322; ders.: ›Vetus Poesis – nova ratio carminum‹. Martin Opitz und der Beginn der ›Deutschen Poeterey‹.- In: Maske und Mosaik (Anm. 7), S. 397–440. In diesem Zusammenhang sei auch verwiesen auf die einen neuen Prospekt eröffnende Studie von Ralph Häfner: Das Subjekt der Interpretation. Probleme des Dichtungskommentars bei Martin Opitz.- In: Geschichte der Hermeneutik und der Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hrsg. von Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt.Berlin, New York: de Gruyter 2005 (Historia Hermeneutica. Series Studia; 1), S. 97–118. Und schließlich – ausgehend von dem berühmten Topos – auf die in das Opitzsche Werk hineinführende Untersuchung von Volkhard Wels: ›Verborgene Theologie‹. Enthusiasmus und Andacht bei Martin Opitz.- In: Daphnis 36 (2007), S. 223–294. Zum Kontext die wichtige Arbeit von HansGeorg Kemper: Religion und Poetik.- In: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock. Teil I–II. In Verbindung mit Barbara Becker-Cantarino, Heinz Schilling, Walter Sparn hrsg. von Dieter Breuer.- Wiesbaden: Harrassowitz 1995 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 25), Teil I, S. 63–92.
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chern bleibt ihm offenkundig weitgehend erspart. Das mag teilweise an der ausschließlichen Latinität seines Projekts liegen, das derart von vornherein ein exklusives bleibt. Es ist jedoch zugleich ein dem konfessionellen Zeitalter vorangehendes und damit vor Problemen gefeit, die Opitz und seinen Mitstreitern so arg zu schaffen machten.12 Wie Celtis der Propagator des Lateinischen, so gibt sich Opitz ein Jahrhundert später als der des Deutschen. Und das schon sehr frühzeitig. Noch als eben Zwanzigjähriger, nämlich als Mitglied des jungen Gymnasium Schoenaichianum in Beuthen an der Oder, läßt er sich vernehmen, wie geschildert. Das Klima war günstig. Unter der Beuthener Professorenschaft obwaltete ein erhebliches Interesse an dieser Frage, die von Jahr zu Jahr an Aktualität gewonnen hatte, nachdem ringsum in der Nachbarschaft analog vorangeschritten worden war. Speziell Caspar Dornau, der Professor für Politik, hatte das Problem der Muttersprachlichkeit zu seiner Sache gemacht. Opitz bewies also erheblichen Spürsinn, indem er als Sprecher thematisierte und schlüssig zusammenführte, was in den ihn umgebenden Kreisen verhandelt wurde.13 Ob er sich an seinen Vorgänger Conrad Celtis erinnerte? Der war gleichfalls in einem Gymnasium, nun zu Ingolstadt, auf die Rednerbühne getreten und hatte sein flammendes Plädoyer für die Pflege der lateinischen Sprache in deutschen Landen vorgetragen. Es scheint die Bestimmung der Deutschen und ihrer Kulturpolitik zu sein, in der Provinz den Aufbruch zu erproben, und das am liebsten im akademischen Milieu, also dem Gymnasium oder der Universität. Diese Ausgangslage hinderte indes keineswegs, daß sich der öffentliche Auftritt Opitzens nicht rasch herumsprach und der Druck des Textes gehörig zirkulierte. Das Stichwort ›De contemptu linguae Teutonicae‹ war alsbald in aller Munde derjenigen, die auf ein zündendes Stichwort gewartet hatten. Im Jahr 1617 hat Opitzens Ruhm eingesetzt und wie rasch sollte er sich steigern.14 ––––––––– 12
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Die Celtis-Forschung hat sich in letzter Zeit merklich belebt und ausgezeichnete Resultate gezeitigt. Vgl. den Eintrag von Jörg Robert zu Konrad Celtis in: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon. Hrsg. von Franz Josef Worstbrock. Band I.- Berlin, New York: de Gruyter 2006, Sp. 375–427. Vgl. von Robert auch die große Monographie: Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich.- Tübingen: Niemeyer 2003 (Frühe Neuzeit; 76); ders.: Carmina Pieridum Nulli Celebrata Priorum. Zur Inszenierung von Epochenwende im Werk des Conrad Celtis.- In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 124 (2002), S. 92–121. Herausragend gleichfalls die Untersuchung von Gernot Michael Müller: Die ›Germania generalis‹ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar.- Tübingen: Niemeyer 2001 (Frühe Neuzeit; 67). Hinzuzunehmen der mit wichtigen Beiträgen ausgestattete Sammelband: Konrad Celtis und Nürnberg. Akten des interdisziplinären Symposions vom 8. und 9. November 2002 im Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg. Hrsg. von Franz Fuchs.- Wiesbaden: Harrassowitz 2004 (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung; 19). Zurückverwiesen werden darf in diesem Zusammenhang auch auf das Kapitel: Celtis – Opitz – Gottsched: drei literaturpolitische Entwürfe, in: Garber: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 53–70. Wir verweisen zurück auf das vierte Kapitel unseres Buches und die in den Anmerkungen 13 ff. aufgeführte Literatur. Der Originaltitel sei noch einmal wiederholt: Aristarchus sive De Contemptu Linguae Teutonicae. Auctore Martino Opitio. Bethaniae, Excudebat Joannes Dörffer. Zu den vorliegenden Ausgaben vgl. die in Anm. 25 des vierten Kapitels zusammengestellten Informationen.
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›Germania‹ und die Germanen in der Rede ›Wider die Verachtung der deutschen Poesie‹ Als eine nationale, eine Deutschland und den Deutschen zugute kommende Tat apostrophiert der Jüngling seine rednerische Unternehmung, ›Germania‹, der ›heiligen Mutter‹ (sancta parens) in treuester vaterländischer Gesinnung übergeben. Was hier zur Verhandlung steht, ist ein alle Deutschen betreffendes Projekt, es erhebt sich über regionale, ständische und religiöse Unterschiede. Diese relativieren sich angesichts des einen kulturpolitischen Auftrags, für die deutsche Sprache einzustehen. Sie, die ›große Mutter‹ (magna parens), wird fortan in ihrer Sprache sich erhoben und gefeiert sehen.15 Wo immer Humanisten programmatisch auftreten, agieren sie als Fürsprecher der einen Nation, der patria. Dementsprechend ist ihre Botschaft allemal eine patriotische. Ein Rekurs auf eine religiöse oder gar konfessionelle Quelle des kulturpolitisch auf der Tagesordnung Stehenden ist nicht denkbar. Die pietas ist zuallererst mit der patria verschwistert. So gesehen steht das linguistisch-poetische Projekt seinem Ursprung nach quer zu jedweder Dissoziierung, auch und vielleicht gerade der konfessionellen. Das nationale Ferment ist humanistisches Urgestein und vielleicht die wirkungsmächtigste Erbschaft der Antike, hält sie sich doch vom Frühhumanismus bis in die Tage der Aufklärung durch, und nichts hat sie zu schaffen mit den nationalen Parolen späterer Zeiten. Garant einer prätendierten Einheit auf deutschem Boden sind die Germanen. Sie haben seit der Entdeckung des Tacitus eine ungeheure Zeugungskraft bewiesen und auch Opitz steht ganz in diesem Bann. Er aber bemüht sie zugleich in sehr spezieller Absicht. Sangesfreudig seien sie gewesen, so wußte Tacitus zu berichten, und das natürlich in ihrer Sprache. Folglich, so der rednerische Schluß, werde Jahrhunderte später nur wieder reaktiviert, was ältestes Stammesgut ist. Derart fungieren die Germanen als Analogon zu den Latinern und Römern unter den italienischen Humanisten. Statuierung von Neuanfängen ist nur möglich über ursprüngliche Setzungen in legitimatorischer Absicht. Diese Rolle erfüllen für die deutschen Humanisten die Germanen einschließlich ungezählter dabei mitgeführter Rechtstitel. Wieso aber bedarf es eines Redners zu Anfang des 17. Jahrhunderts, um die Meriten gleichermaßen der Germanen wie der deutschen Sprache herauszustreichen? Eine solche gibt es doch seit Jahrhunderten und ausdrücklich auch als Medium von Poesie.16
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Auch für die Literatur zum ›Aristarchus‹ ist zurückzuverweisen auf die in Anm. 27 des vierten Kapitels unseres Buches namhaft gemachten forscherlichen Aktivitäten, mit einem Akzent auf den jüngeren Arbeiten. Hingewiesen sei noch einmal auf: Jacques Ridé: L’image du Germain dans la pensée et la littérature allemandes de la redécouverte de Tacite à la fin du XVIème siècle (Contribution à l’étude de la genèse d’un mythe). Band I–III.- Thèse l’université de Paris IV, Lille: Université de Lille III; Paris: Champion 1977; Ludwig Krapf: Germanenmythus und Reichsideologie. Frühhumanistische Rezeptionsweisen der taciteischen ›Germania‹.- Tübingen: Niemeyer 1979 (Studien zur deutschen Literatur; 59).
Renaissance-Poesie in deutscher Sprache
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Renaissance-Poesie in deutscher Sprache Damit gelangen wir an das Zentrum dieser Rede und auch der alsbald nachfolgenden kulturpolitischen Erklärungen. Eine deutschsprachige Poesie, die diesen Namen als ein ausgezeichnetes Ingredienz für sich in Anspruch nehmen darf, hat bislang in den Augen Opitzens nicht existiert. Ein Ehrentitel gebührt ihr nur als einer auf die Antike gegründeten. Und eben dieser Gründungsakt vollzieht sich mit dem Opitzschen Projekt. Es ist ein linguistisches und es ist ein poetisches und beide kommen überein im Rekurs auf die Antike. Einer Modernisierung wird das Wort geredet, und die ist ausschließlich über die griechischen und römischen Vorbilder und ihre Wiederauferstehung in der Renaissance vorstellbar. Die antiken Autoritäten und ihre Nachfahren in der neueren Zeit, angefangen in Italien und mustergültig ausgeprägt in der Gestalt Petrarcas, sind die einzig verbindlichen Leitfiguren für die volkssprachigen Literaturen des nachmittelalterlichen Europa. Alle sonstigen und vorangehenden volkssprachigen Bildungen verfallen weniger der Kritik als dem schlichten Ignorieren; ein Mantel des Schweigens legt sich über sie. Auch Luther und die auf ihn sich berufende Literatur ist Opitz keines Wortes würdig. Hier wird ein nationales Projekt über die Antike inauguriert, das im Kern von den religiösen Belangen und Optionen gar nicht berührt wird. Es kennt seine eigenen Regularien und Verbindlichkeiten. Wie das aber den Nichteingeweihten und zumal der Geistlichkeit klarmachen? Mit diesem Problem ringt auch ein Opitz zeitlebens. Das beredteste Zeugnis dafür ist sein ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ aus dem Jahr 1624, diese kleine und doch so wirkungsmächtige Schrift, mit der er endgültig zum Wortführer der neuen Bewegung aufrückte.17 ––––––––– 17
Der Originaltitel lautet: Martini Opitii Buch von der Deutschen Poeterey. Jn welchem alle jhre eigenschafft vnd zuegehör gründtlich erzehlet/ vnd mit exempeln außgeführet wird. Gedruckt in der Fürstlichen Stadt Brieg/ bey Augustino Gründern. Jn Verlegung David Müllers Buchhändlers in Breßlaw. 1624. Zahlreiche weitere zeitgenössische Auflagen kamen heraus, die man in den neueren Ausgaben zumeist aufgeführt findet. Im 19. Jahrhundert eröffnete Wilhelm Braune die von ihm begründeten ›Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts‹ mit der Edition von Opitzens ›Buch von der Deutschen Poeterei‹. Er schrieb ein knappes überlieferungsgeschichtliches und textkritisches Vorwort, wies jedoch nicht eigens seine Herausgeberschaft aus. Vgl. Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterei. Abdruck der ersten Ausgabe (1624).- Halle/Saale 1876 (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 1). Diese Ausgabe erlebte eine Reihe von Nachdrucken und wurde noch 1962, versehen mit einem Vorwort von Henrik Becker, in den traditionsreichen ›Neudrucken‹ in Halle im nunmehrigen ›VEB Max Niemeyer Verlag‹ vorgelegt. Sie ist unkommentiert. So war es folgerichtig, daß der renommierte Opitz-Forscher Georg Witkowski schon zwölf Jahre später eine weitere und nun kommentierte Edition vorlegte, die sinnvollerweise mit Opitzens ›Aristarchus‹ zusammen erschien (vgl. oben Anm. 11). Zu ergänzen ist zu den obigen Angaben an dieser Stelle, daß Witkowski einen reichhaltigen Zeilenkommentar bietet. Die Ausgabe bleibt auch deshalb weiterhin verbindlich. Unter den neueren Ausgaben setzten wir ein mit der von Richard Alewyn betreuten. Er war der Wiederbegründer der von Braune eröffneten Reihe, die nun den offeneren Titel ›Neudrucke deutscher Literaturwerke‹ führte. Vgl. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu herausgegeben von Richard Alewyn.- Tübingen: Niemeyer 1963 (Neudrucke deutscher Literaturwerke. N.F.; 8) (2. Auflage 1966). Alewyn bietet in der Einleitung ein Verzeichnis der berichtigten Druckfehler sowie eine aktualisierte Bibliographie der Ausgaben der ›Poeterey‹. Aus den sechziger Jahren ist sodann hinzuweisen auf die Edition der ›Poeterei‹ in dem
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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Das ›Buch von der deutschen Poeterey‹ und seine Widmungsadresse Die Schrift ist ein Puzzlespiel der im Humanismus umlaufenden Themen und Motive. Ihren Wert schmälert das in keiner Weise. Wohl aber resultiert daraus eine Herausforderung für den Leser. Er bleibt aufgefordert, sich einen Reim auf das Mosaikspiel zu machen und also Ausschau zu halten nach den aktuellen Einsatzstellen. Das ist ein niemals endendes Geschäft, und so sind auch wir bemüht, dem berühmten Buch ein paar seltener zum Erleuchten gelangende Lichter aufzusetzen.18 Gewidmet ist das in Brieg gedruckte und in Breslau verlegte Büchlein den Bürgermeistern und Ratsverwandten der Stadt Breslau. Opitz hat stets seine einem weiteren Kreis zugedachten Arbeiten einem angesehenen Kollektiv zugeeignet und eine Adressierung an einzelne Personen vermieden. Zugleich aber war der Rat zuständig für die öffentlichen Belange und so galt es, bei seinen Mitgliedern ein Verständnis für die Rolle der Poeten und ihres Geschäfts zu befördern. Der Rat war aufgerufen, wenn in der Bürgerschaft Stimmen gegen die neue Poesie und ihre Urheber laut wurden, seinerseits ein aufmerksames Ohr für sie zu haben. Er war zugleich die entscheidende Instanz, wenn es um die Schlichtung religiöser Auseinandersetzungen ging. Beide Konfliktfelder überschnitten sich vielfältig. So erwies sich Opitz neuerlich als ein erfahrener Taktiker, wenn er gerade dieses Forum als Empfänger seiner ›Poeterey‹ bestimmte. Die Zueignung selbst ist, wie alle Widmungsadressen, aber auch die Vorreden zu seinen Werken, ein Inbegriff rednerischer Kunst, die sich am ehesten in der allenthal–––––––––
18
sehr instruktiven Sammelband: Poetik des Barock. Hrsg. von Marian Szyrocki.- Reinbek: Rowohlt 1968 (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft; 508–509), S. 7–55. Sodann liegen zwei Reclam-Ausgaben vor: Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Hrsg. von Cornelius Sommer.- Stuttgart 1970 (Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 8397–98). Geboten werden zusätzlich Sacherklärungen sowie eine Bibliograhie und ein Nachwort. Eine bibliographisch nochmals ergänzte Auflage erschien 1995. Des weiteren: Buch von der Deutschen Poeterey. Hrsg. von Herbert Jaumann. Studienausgabe.- Stuttgart: Reclam 2002 (Reclams Universal-Bibliothek; 18214). Die Edition ist mit reichhaltigen Anmerkungen, einer Bibliographie und einem Nachwort ausgestattet. Schließlich ist hinzuweisen auf die kommentierte Wiedergabe des Textes in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 1. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1978 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300), S. 331–416. Diese Ausgabe ist mit einer wichtigen entstehungsgeschichtlichen Einleitung versehen. Aus der reichen Literatur ist – über die oben in Anm. 7 und 11 aufgeführten Werke hinaus – zu verweisen auf: Winfried Freund: Literatur als Lebensformung. Martin Opitz und sein ›Buch von der Deutschen Poeterey‹.- In: Literatur und Kultur im Querschnitt. Hrsg. von Norbert Honsza.Wrocław: Wydawn. Uniwersytetu Wrocławskiego 2003 (Germanica Wratislaviensia; 125), S. 57– 75; Nicola Kaminski: Ex bello ars oder Ursprung der ›Deutschen Poeterey‹.- Heidelberg: Winter 2004 (Beiträge zur Neueren Literaturgeschichte; 205), S. 13–52; Hans-Georg Kemper: Platonismus im Barock. Martin Opitz’ Rede über die Dignität der Dichtkunst im ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ (Kapitel I–IV).- In: »... auf klassischem Boden begeistert«. Antike-Rezeptionen in der deutschen Literatur. Festschrift Jochen Schmidt. Hrsg. von Olaf Hildebrand, Thomas Pittrof.Freiburg/Br.: Rombach 2004 (Rombach Wissenschaften; 1), S. 37–66. Zum Kontext die grundlegende Untersuchung von Ralph Häfner: Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philosophischer Kritik (ca 1590–1736).- Tübingen: Niemeyer 2003 (Frühe Neuzeit; 80).
An die Heimatstadt ergehende Verheißungen
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ben obwaltenden Polyperspektivik erweist. Der Sprecher weiß um die Mißgunst, die seinem Fach entgegenzuschlagen pflegt. Ein ›grewel‹ sei es in den Augen seiner Verächter. Dem gilt es entgegenzutreten.19 Wo aber sind diejenigen zu suchen, die wünschten, daß »auch das gedächtniß der Poeterey vnnd aller gutten Künste vertilget vnd außgerottet würde.«20 Wir sind weit davon entfernt, Genaueres über das im weitesten Sinn literarische Leben der Zeit, gegründet auf beredte Zeugnisse, in Anschlag bringen zu können, und insofern ist allemal Vorsicht angezeigt. Immerhin liegen genügend Belege vor, die darauf verweisen, daß in der Geistlichkeit die Reserven erheblich waren. Opitz nun setzt sich vor, gegen »dergleichen vnbilliche Wiederwertigkeit« anzugehen.21 Seine ›Poeterey‹ ist also weit mehr als ein kleines Lehrbuch im korrekten Dichten nach der neuen Façon. Es ist eine Verteidigungsschrift der Poesie und ihrer Schöpfer, eingerückt in weitläufige kulturelle und politische Kontexte, zu denen eben nicht zuletzt auch die konfessionellen zählen. Nie wieder hat Opitz sich so weit vorgewagt. Insofern war seine Widmung auch eine gezielte Maßnahme, sich des Schutzes der Obrigkeit in Gestalt des Stadtregiments zu versichern.
An die Heimatstadt ergehende Verheißungen Zu entsprechenden Vorkehrungen gehört an erster Stelle der Appell an die Meriten der Heimat, der unversehens hinüberspielt an die des Vaterlandes, der deutschen Nation. Ein gestaffeltes Verfahren wird beobachtet. Opitz gedenkt der Geburtstadt Bunzlau, würdigt die Rolle Breslaus und gelangt gleich mehrfach zu einem Ausblick auf das Vaterland im weiteren Sinn. Diese Trias ist so raffiniert angelegt, daß – wie immer – nur eine Satz-für-Satz-Lektüre dem Vorgehen gerecht zu werden vermag. Wir müssen, wie stets im folgenden, auf Akzentuierung bedacht sein. Von ›große(r) liebe zue meinem Vaterlande‹ sei der Sprecher erfüllt.22 Das ist zunächst gemünzt auf Bunzlau, wo Opitz die Gunst und Freundschaft bedeutender Personen genossen hat, darunter des namentlich erwähnten Senftleben. Den antiken Helden, einem Odysseus, einem Agamemnon gleich, sehnt er sich, wo immer er weilt, zurück in die Heimat. Heimat erfährt als Wiege der gelehrten und also auch der musischen Fertigkeiten eine spezifische Tönung im Humanismus. Für einen außerordentlichen Vertreter dieses Standes knüpft sich daran mehr. Der Wunsch geht dahin, »wie nicht alleine ich durch das Vaterland/ sondern auch das Vaterland durch mich bekandter werde.«23 Das letztere kann es nur, wenn über seinen Sprößling der Name der Heimatstadt in die Welt hinausgetragen wird. Nochmals: Eine vaterländische, eine nationale Mission wird im Medium des poetischen Treibens inauguriert. Der Poet ist der Sachwalter der nationalen Belange und – so darf ergänzt ––––––––– 19
20 21 22 23
Wir zitieren im folgenden nach der leicht greifbaren und in Anm. 17 aufgeführten Edition von Richard Alewyn. Hier der zitierte Begriff S. 3. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 4. Ebenda.
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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werden – wirkt auf seine Weise der konfessionellen Parzellierung entgegen, bleibt Anwalt der einen, über den Glaubenskämpfen sich erhebenden und geeinten Nation. Dieses Projekt wäre nicht denkbar und entsprechend nicht formulierbar, wenn es gestützt auf die römischen Leitbilder nicht allenthalten im Humanismus so oder so bereits umkreist worden wäre.
Rolle Breslaus Und Breslau, um auf das mittlere Glied der Trias zurückzukommen? Opitzens Werk ist erfüllt von Lobpreisungen auf die Stadt. Im gegenwärtigen Zeitpunkt aber war es für den jungen Autor vor allem angezeigt, in einem kulturellen Zentrum zu Wort zu kommen. Und das nicht zuletzt hinsichtlich der Verbreitung seines Textes. Breslau war eine der wenigen großen Städte im alten deutschen Sprachraum.24 Als Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen war die Stadt angeschlossen an den grenzüberschreitenden händlerischen, aber eben auch den intellektuellen Verkehr. Eine in Breslau bei einem namhaften Verleger plazierte Schrift durfte in der Erwartung herausgehen, daß sie die wichtigen Plätze in und außerhalb Schlesiens erreichte. Und ihre Verbreitung gab dem Autor recht. Das ›Buch von der deutschen Poeterey‹ wurde die erfolgreichste Publikation Opitzens, Auflage auf Auflage folgten einander. Wie keine andere hat sie dazu beigetragen, Opitz’ Rolle als die einer Gründerfigur der deutschen Poesie zu befestigen.
Prämierung der Frühe Übergehend zum Text selbst ist sofort erkennbar, daß das Germanen-Paradigma, das in Opitzens Erstling eine so wichtige Rolle gespielt hatte, verabschiedet ist. Und das mit gutem Grund. Es bildete die Folie für den linguistic turn, für welchen Opitz wirken wollte. Nachdem dies geschehen war, rückt nun die Poesie selbst in den Mittelpunkt. Auch da geht es um Prämierungen der Frühe. Aber diese ist nun bei den Griechen und Römern zu suchen, verbunden mit einem gelegentlichen Blick zu den alten Hebräern. Was sich durchhält, ist die Verklärung der Ursprünge der Poesie. Diese hat möglicherweise auf dem einen oder anderen Gebiet einen Progreß in der Moderne erfahren. Ihre maßgeblichen Ingredienzien aber liegen seit eh und je fest und entsprechend gibt es seit Platon und Aristoteles eine frühe theoretische Reflexion auf die Poesie, die gleichfalls verbindlich geblieben ist. Nicht nur die Christen, auch die Humanisten kennen eine in die Urzeit zurückgeleitende und vielfach mythisch umspielte Gründungsgeschichte, und eben dieser Umstand kommt ihrem Treiben ungemein zugute. Entsprechend setzt Opitz mit einer gedanklichen Figur ein, die gleichfalls inzwischen eine lange Tradition hinter sich hat, immer noch aber für gegenwärtige Zwecke ––––––––– 24
Vgl. Klaus Garber: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2014. Wir verweisen zurück auf das dritte Kapitel unseres Buches.
Dichtung als verborgene Theologie
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mobilisiert werden kann, hat sie ihre Bedeutung doch nicht nur nicht eingebüßt, sondern im Gegenteil gerade in jüngster Zeit ungeahnte Aktualität erfahren. Aktualität bemißt sich in topologischen Zusammenhängen niemals auf der Ebene immer schon vorgegebener Formen und verbindlich geprägter Bilder und Denkmuster, sondern alleine nach den ihnen überantworteten Funktionen in umfassenderen Kontexten, in denen sie zirkulieren. Entsprechend birgt auch der vor und nach Opitz vielzitierte Topos gerade um 1600 hinlänglich viel Sprengkraft. Er hat in der Opitzschen Version eine gewisse Berühmtheit erlangt, und es lohnt sich, ihn immer wieder neu in Augenschein zu nehmen.
Dichtung als verborgene Theologie DJe Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene Theologie/ vnd vnterricht von Göttlichen sachen. Dann weil die erste vnd rawe Welt gröber vnd vngeschlachter war/ als das sie hette die lehren von weißheit vnd himmlischen dingen recht fassen vnd verstehen können/ so haben weise Männer/ was sie zue erbawung der Gottesfurcht/ gutter sitten vnd wandels erfunden/ in reime vnd fabeln/ welche sonderlich der gemeine pöfel zue hören geneiget ist/ verstecken vnd verbergen mussen.25
In der Frühzeit, so der Kern des Arguments, ist die Poesie für die Theologie eingesprungen. Die Menschheit war noch nicht reif für die Aufnahme religiöser Sachverhalte. Eingekleidet in Bilder werden sie den Ungeschulten zugänglich. Ist damit aber nicht zugleich auch gesagt, daß die Poesie abdanken kann, wenn die Menschheit denn herangereift und religiöse Lehre als solche zu verstehen und anzunehmen imstande ist? Diese Frage ist falsch gestellt, und das schon deshalb, weil sie im Opitzschen Text so wenig wie in vergleichbaren humanistischen überhaupt auftaucht. Entwicklungsgeschichtliche Argumente dieser Art gehören dem 18. Jahrhundert an. Im Humanismus wird nicht entwicklungsgeschichtlich, sondern funktional gedacht und votiert. Die Poesie führt seit Urzeiten eine theologische Mitgift bei sich. Sie redet von allen Dingen, und also auch von solchen, die in der Theologie traktiert werden, aber eben auf ihre Weise. Sie nimmt den nämlichen erkenntnisstiftenden, religiösen und sittlichen Auftrag wahr wie die Theologie, weiß sich im Gegensatz zu dieser jedoch eines Vorzugs gewürdigt, der ihren Wirkungsradius betrifft. Sie hat seit eh und je überall im Leben ihren Platz und ihre Aufgabe, und das dank ihres sinnlichen, auf Anschauung gegründeten Wesens.
›Prima philosophia‹ Deshalb kann sie von Opitz – unter Berufung auf Strabo – im gleichen Atemzug auch als ›erste Philosophie‹ (prima philosophia) qualifiziert werden, »welche die art der sitten/ der bewegungen des gemütes vnd alles thuns vnd lassens lehre.«26 Und das ––––––––– 25 26
Buch von der deutschen Poeterey (Anm. 17 und 19), S. 7 f. Ebenda, S. 8.
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durchaus neuerlich in einem temporalen Sinn. Sie war lange da, wie Opitz mit seinen antiken Gewährsleuten darlegt, bevor die Philosophen ihr Geschäft aufnahmen. Derart vereinigt sie wie theologische so auch philosophische Sachgehalte und Anliegen in sich. Sie ist in diesem Sinne das universale, zur Erkenntnis geleitende und zur Praxis anleitende Medium, das der Menschheit seit ihren Anfängen verfügbar ist. Alter und thematische Universalität begründen gleichermaßen ihre Dignität. Diese ihr abzusprechen, fällt damit auf diejenigen zurück, die sich zu derartigen Manövern herablassen. Kenner der Geschichte des menschlichen Geistes wissen, wie es sich um die Poesie verhält. Die Humanisten sind die Sachwalter dieses Wissens, das ihnen von niemandem streitig gemacht werden kann.
Poet und Amtsträger Und das, wie sich sogleich zeigen wird, mit Konsequenzen auch für Status und Ansehen ihrer Schöpfer. Gibt es keinen Gegenstand, der außerhalb der Befugnis der Poesie liegt, so ist auch der Dichter notgedrungen immer mehr als ein Dichter, ist Kenner und Sachwalter aller menschlichen Belange. Auch mit dieser Übereinkunft hat Opitz sich auseinanderzusetzen, gibt es doch genügend Unverständige, welche aus der Poeterey nicht weiß ich was für ein geringes wesen machen/ vnd wo nicht gar verwerffen/ doch nicht sonderlich achten; auch wol vorgeben/ man wisse einen Poeten in offentlichen ämptern wenig oder nichts zue gebrauchen; weil er sich in dieser angenemen thorheit vnd ruhigen wollust so verteuffe/ das er die andern künste vnd wissenschafften/ von welchen man rechten nutz vnd ehren schöpffen kan/ gemeiniglich hindan setze.27
Auch hier kann Opitz mit einer stattlichen Zahl von Gewährsmännern aufwarten, welche das Törichte derartiger Reden zur Genüge bezeugen. Gewahrt man aber neuerlich den aktuellen Skopus? Der Poet ist Poet und zugleich mehr als ein solcher. Der frühmoderne Staat, wie er sich vor den Augen der Späthumanisten inmitten der konfessionellen Kriege etabliert, ist zwingend verwiesen auf kompetente Sachverständige. Keiner der großen Späthumanisten, der nicht in politische und diplomatische Aktivitäten involviert wäre. Opitz selbst wird dies zur Genüge unter Beweis stellen. Hier aber, in seiner Poetik, ist die – auf den ersten Blick wahrlich nicht zu erwartende – Gelegenheit, in eins mit der Universalität der Poesie auch dem Poeten umfassende Sachkenntnis und also umfassende Amtsfähigkeit zu attestieren. Emanzipiert sich der Dichter qua Schöpfer seit der Empfindsamkeit von den öffentlichen Angelegenheiten und Ämtern, so ist umgekehrt für Opitz und seinen Stand die öffentliche Beauftragung zumeist von fürstlicher Seite zugleich die Bestätigung und Bekräftigung seines poetisches Ranges, ja seiner poetischen Berufung. Der Kulturpolitiker Opitz bleibt erpicht auf die Herausarbeitung dieser Symbiose. Dichter, Impresario und Diplomat bilden eine Trias, in der sich Opitzsches und mit ihm humanistisches Ethos erfüllt. ––––––––– 27
Ebenda, S. 9.
Universalität der Poesie und des Poeten
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Universalität der Poesie und des Poeten Fundiert aber ist diese Trinität, um auf andere Weise nochmals eine Anknüpfung zu gewinnen, in der schlechterdings unbegrenzten Möglichkeit der Poesie, einen jeden Stoff und ein jedes Thema aufzugreifen und gemäß ihrer Regularien zu traktieren. »Nichts närrischer«, so Opitz im Blick auf die Verächter der Poesie, »als wann sie meinen/ die Poeterey bestehe bloß in jhr selber; die doch alle andere künste vnd wissenschafften in sich helt.«28 Schier unerschöpflich sind die Beispiele, die Opitz aus der Antike bereithält, um diesem einen Grundsatz Überzeugungskraft zu verleihen. Umfassende Gelehrsamkeit und Sachkenntnis von dem, was Gegenstand ihrer Schöpfungen ist, eignen allen Poeten, die diesen Namen verdienen. Der gelehrte Stand der Humanisten sieht sich auch in dieser Hinsicht durch die Großen des Altertums bestätigt und im eigenen Tun legitimiert. Eben damit aber, um an einer Leitlinie unseres Gedankenganges festzuhalten, ist die Poesie auch befugt und berechtigt, überzugreifen auf das Terrain der Theologie. Kommentarlos hatte Opitz im Vorangehenden konstatiert, daß selbstverständlich nur ein Gott sei, aber gerade in der Frühe viele Vorstellungen und Bilder von ihm in Umlauf gewesen seien, Gott eben poetisch angeschaut worden sei. Diese theologische Abkunft gewinnt im Humanismus eine neue Bedeutung. Je länger und intensiver die konfessionelle Diversifizierung anhält, desto nachdrücklicher sieht sich – einem Erbe des Erasmus getreu – eben dieser Stand aufgerufen, das Wort zu ergreifen, und das in jedem verfügbaren Medium, also auch in der Poesie. Für Opitz war insbesondere die Adaptation der Psalmen das Mittel der Wahl, diesem selbstgewählten Auftrag zu genügen. Sie sind ebenso wie seine anderweitigen religiösen Texte mit den wichtigsten Beigaben ausgestattet, in denen sich ein humanistisches Ethos als ein gemeinchristliches, ja als weltumspannendes kundtut. Auch seine Poetik flektiert dieses konfessionsübergreifende religiöse Anliegen, keineswegs aber nach Maßgabe späterer Zeiten. Sie reklamiert nicht, wie ein Jahrhundert später, eine Sondersprache, in der allein theologische Gegenstände würdig behandelt werden können. Das humanistische Sprach- und Formenregister ist umfassend und geschmeidig genug, einem jeden Thema die ihm gebührende Façon zu verleihen. Es existiert – entgegen späterer empfindsamer Doktrin – nichts, das nur dem Poeten zum Ausdruck zu bringen beschieden wäre. Rückblickend läßt sich feststellen: Das poetische Projekt der Humanisten, wie es nun auch Opitz in der speziellen Variante im Hinblick auf seine Deutschsprachigkeit begründet, ist ein in der Antike fundiertes. Sie stellt die maßgeblichen Zeugen und Paradigmen. Kein anderes Zeitalter, kein anderes Volk vermöchte ihr dieses Privileg streitig zu machen. Von der Poesie und ihrer Behandlung auf den diversen Metaebenen zu handeln, heißt zurückzuschauen zu den Gewährsmännern vor allem unter den Griechen. Stellt die lateinische Poesie die poetischen Muster, so die griechische Mythologie und Philosophie die einschlägige und unverändert anknüpfungsfähige Diskursmaterie. ––––––––– 28
Ebenda, S. 10.
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Poetische Praxis in Deutschland vor Opitz Befindet sich aber die Poesie aufgrund ihres universalen Geltungsanspruchs in einer besonderen, nämlich ausgezeichneten Position, so muß sie diesen ihren Vorzug durchgängig bewähren. Einem hohen Anspruch hat sie zu genügen, will sie nicht Verrat üben an ihrem Ursprung wie an ihrem Wesen. Interessanterweise exemplifiziert Opitz diesen Grundsatz sehr detailliert im Blick auf die poetische Praxis in seiner Heimat, obgleich der inkriminierte Sachverhalt doch ein allgemeiner, keinesfalls auf die Deutschen beschränkter ist. Man versteht diese Passage folglich nur richtig, wenn man sie wiederum auf ihre Funktion zurückbezieht. Schon in diesem, den poetischen und poetologischen Generalia gewidmeten Kapitel, schafft Opitz in der Abwertung gängiger Praktiken auf dem Feld der deutschen Poesie das Podest für seinen Auftritt als Begründer einer neuen Dichtkunst, die den ihr von dem Theoretiker zugeschriebenen Meriten erstmals auch in praxi gerecht wird. Das Motto, unter dem die nachfolgende Passage steht, lautet, Poesie ist auf die Antike gegründet oder sie verfällt dem Verdikt, minderwertig zu sein. Gewißlich wenn ich nachdencke/ was von der zeit an/ seit die Griechische und Römische sprachen wieder sind hervor gesucht worden/ vor hauffen Poeten sind herauß kommen/ muß ich mich verwundern/ wie sonderlich wir Deutschen so lange gedult können tragen/ vnd das edele Papir mit jhren vngereimten reimen beflecken. Die worte vnd Syllaben in gewisse gesetze zue bringen/ vnd verse zue schreiben/ ist das allerwenigste was in einem Poeten zue suchen ist. Er muß ἐυφαντασιωτός, von sinnreichen einfällen vnd erfindungen sein/ muß ein grosses vnverzagtes gemüte haben/ muß hohe sachen bey sich erdencken können/ soll anders seine rede eine art kriegen/ vnd von der erden empor steigen. Ferner so schaden auch dem gueten nahmen der Poeten nicht wenig die jenigen/ welche mit jhrem vngestümen ersuchen auff alles was sie thun vnd vorhaben verse fodern. Es wird kein buch/ keine hochzeit/ kein begräbnüß ohn vns gemacht; vnd gleichsam als niemand köndte alleine sterben/ gehen vnsere gedichte zuegleich mit jhnen vnter. Mann wil vns auff allen Schüsseln vnd kannen haben/ wir stehen an wänden vnd steinen/ vnd wann einer ein Hauß ich weiß nicht wie an sich gebracht hat/ so sollen wir es mit vnsern Versen wieder redlich machen. Dieser begehret ein Lied auff eines andern Weib/ jenem hat von des nachbaren Magdt getrewmet/ einen andern hat die vermeinte Bulschafft ein mal freundtlich angelacht/ oder/ wie dieser Leute gebrauch ist/ viel mehr außgelacht; ja deß närrischen ansuchens ist kein ende. Mussen wir also entweder durch abschlagen jhre feindschafft erwarten/ oder durch willfahren den würden der Poesie einen mercklichen abbruch thun.29
Intertextuelles Agieren Ein zentraler Passus, wie ersichtlich, und oftmals zitiert. Drei verschiedene Stoßrichtungen der Argumentation sind auszumachen. Zunächst wird der stadtbürgerlichen Dichtung des vorangegangenen Jahrhunderts der gehörige Bescheid erteilt. Sie befindet sich nicht auf einem den Vorbildern der Antike und der Renaissance würdigen Niveau. Poesie ist als intertextuelle grundsätzlich mit einem internen Verweissystem ausgestattet, dem sie ihr Leben verdankt. Ohne Einarbeitung vielfältiger Referenzen ––––––––– 29
Ebenda, S. 10 f.
Dialektik des Schreibens bei Gelegenheit
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bleibt Poesie ein nichtiges Treiben. Sie wendet sich an Kenner, und diese sind erpicht darauf, ihre Kennerschaft im Aufdecken der Interferenzen bewähren zu können. Attestiert Opitz in großen und durch Tradition verbürgten Worten neuerlich den Poeten herausragende Meriten und Qualitäten, so kommen sie eben vor allem in der kunstfertigen Behandlung der Sujets zum Tragen, als welche an erster Stelle die Ausstattung eines Poems mit bereits geprägter poetischer Münze zu gelten hat. Variatio ist das Geheimnis des gelungenen Poems. Wurde dem Poeten zunächst umfassende Kenntnis der Sachen abverlangt, so tritt nun die der poetischen Praktiken hinzu. Traditionsgeschichtlich fundiertes Schreiben meint, in einem vorgängigen Repertoire sich fach- und sachgerecht bewegen und das in jedem Einzelfall Belangvolle mobilisieren und der eigenen Schöpfung variierend einpassen zu können. In einem jedem humanistischen Poem verdankt sich ein Gutteil der Befähigung zur Montage. Nichts gereichte ihr seit der Empfindsamkeit mehr zur Kritik als eben dieses ihr zitatives Wesen; nichts umgekehrt beförderte mehr ihre Wiederauferstehung und Wertschätzung in der nachempfindsamen, der zweiten Moderne seit dem Symbolismus.
Dialektik des Schreibens bei Gelegenheit Doch nun zu dem Anderen und in gewisser Weise der Kehrseite. Opitz schwingt sich in einer anschließenden und ebenfalls viel zitierten Passage auf zu einer Tirade gegen das grassierende Unwesen des Schreibens bei Gelegenheit. Auch hier aber ist genaues Hinschauen vonnöten. Kein Humanist würde sich dazu verstehen, diese Praxis generell in Zweifel zu ziehen. Sie liegt vielmehr, wenn denn Ordnung waltet, genuin in den Händen der Humanisten und wird allenthalben angelegentlich gepflegt. Aber dies eben mit Kompetenz und poetischem Kalkül. Umgekehrt ist die Produktion von Gelegenheitsgedichten in falscher Hand ein überaus bedenklicher Fall, weil derart das Ansehen der Poesie wie des Standes der Poeten gleichermaßen gefährdet wird. Nochmals also hat eine Erhöhung, um nicht zu sagen eine Liftung einer alltäglichen literarischen Praxis statt. Sie muß so erfolgen, daß sie humanistischen Ansprüchen genügt. Ein jedes zu Gelegenheit verfaßte Gedicht hat mehr zu sein als nur dies. Ihm müssen thematische Vorwürfe eingeschrieben sein, die über den momentanen Anlaß hinausreichen. Auch dieser Sachverhalt ist in der schönen Opitzschen Formulierung gemeint, daß der Poet sich auf die Erfindung von ›hohen sachen‹ verstehen müsse. Wollte man um einer Pointe willen den zur Rede stehenden Sachverhalt auf die Spitze treiben, könnte die Äußerung eine gewisse Plausibilität besitzen, derzufolge sich gerade angesichts vorgegebener Anlässe und Sprechsituationen erweist, ob es dem Dichter gelingt, einem jedem neuen Stück auch eine je eigene Wendung zu verleihen. Dem gesellschaftlichen Zeremoniell soll ein poetisches Agieren antworten, das für den vorgeprägten Rahmen im Blick auf Personen und Umstände ein unverwechselbares und also ein genuines und innovatives poetisches Bouquet bereithält. Keine Rede kann deshalb davon sein, daß Opitz einer Verabschiedung der Gelegenheitspoesie das Wort reden würde. Die Anhebung des Niveaus und damit künstle-
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rische Raffinesse und Delikatesse auch auf diesem Feld hat er im Auge. Im übrigen sagt man nicht zu viel, wenn man feststellt, daß er selbst dieser Anforderung glänzend nachgekommen ist. Insgesamt hält sich seine kasuelle Produktion numerisch in übersehbaren Grenzen und von hoher Qualität ist sie allemal. Es lohnt sich, jedem einzelnen Stück gehörige Aufmerksamkeit zu widmen. Auch in diesem Buch befleißigen wir uns an ausgewählten Beispielen in dieser hohen Kunst der Exegese.
Standes-Ethos des Poeten Und nun zu einem Dritten. Bescheinigt der Poetologe den Poeten, daß sie nicht jederzeit einen jeden poetischen Gegenstand behandeln können, daß die rechte Stunde und die rechte Inspiration hinzukommen müssen, so ist auf diese Bemerkung als solche nicht allzu viel zu geben. Hier wird keinem modernen empfindsamen Schöpfer-Ethos das Wort geredet. Wieder ist die Funktion derartiger Äußerungen einschlägig. Sollen die Poeten vor unbotmäßigen Beanspruchungen geschützt werden, so liegt eben diese Forderung auf der nämlichen Linie ständischer Erhöhung. Ihr Tun wird dem Bereich des Alltags entzogen und der besonderen Stunde vorbehalten. Auch die ›Poeterey‹ Opitzens lehrt, daß erheblicher Bedarf besteht, die Dichter aus der öffentlichen Schußlinie zu nehmen. Sie werden immer wieder ob ihres Lebenswandels angegriffen. Dieser Vorwurf, so berechtigt er im Einzelfall sein mag, verliert seine Glaubwürdigkeit im Lichte der Charakteristik, die Opitz mit seinen Gewährsleuten von dem anspruchsvollen Tun vermittelt, das den Poeten obliegt. Sie kennen eine berufsspezifische Standesehre, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit herausgestrichen sein will – am liebsten in verdeckter Manier. Sind sie Sachwalter und Statthalter der Anliegen der Menschheit, dann verfällt ihre Denunzierung der Lächerlichkeit.
Mimesis Drei grassierende Vorwürfe sind es, mit denen die Dichter sich vor allem konfrontiert sehen. Der eine hat sprichwörtliche Qualität erlangt. Die Dichter, so ist seit ältesten Zeiten zu vernehmen, seien Lügner, ihr Dichtwerk ein Lügengespinst. Opitz bemüht diesen herkömmlichen Topos nicht wörtlich, kleidet ihn vielmehr in die umlaufende Rede, daß »die Poeten mit der warheit nicht allzeit vbereinstimmen« sollen.30 Seine Replik ist denkwürdig und durchaus erklärungsbedürftig. Man sollte wissen, »das die gantze Poetery im nachäffen der Natur bestehe/ vnd die dinge nicht so sehr beschreibe wie sie sein/ als wie sie etwan sein köndten oder solten.«31 ›Nachäffen der Natur‹! Das ist die für moderne Ohren etwas ungewöhnliche Wendung, in die Opitz die Lehre des Aristoteles kleidet, daß Dichtung in der Nachahmung von Natur bestehe, also der Lehrsatz von ihrem mimetischen Charakter: Dichtung als Mimesis. ––––––––– 30 31
Ebenda, S. 11. Ebenda.
Heidnisches Götterwesen und humanistische Poesie
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Als solche umgreift sie, wie Opitz gezeigt hatte und nun an weiteren Beispielen verdeutlicht, nicht nur die außermenschliche Natur, sondern auch den ganzen Radius menschlicher Lebenswirklichkeit. Kein Gegenstand ist ihr fremd, keiner nicht poesiefähig. Zugleich aber kommt ein potentielles Element ins Spiel, wie es gleichfalls bei Aristoteles angelegt ist, und einen zweiten, gleich einschlägigen Bestimmungsgrund der Poesie bezeichnet. Poesie ist nicht nur ein Modus der Repräsentation des Seins, sondern zugleich einer des Sein-Könnens und Sein-Sollens. Sie bildet also nicht nur ab, sondern handelt auch von dem, was sein könnte oder sein sollte. Das ist zugleich eine Antwort auf die Rede vom ›Dichter als Lügner‹. Und es ist zugleich eine solche, welche die Verbindlichkeit des antiken und speziell des Horazischen Grundsatzes bestätigt, daß es Aufgabe der Poesie sei, zu erfreuen und zu belehren. Delektiert sich der Leser an der Überführung des Seienden, der ›Natur‹, in das poetische Wort, so sieht er sich in der Schilderung dessen, was sein könnte oder sollte, mit dem der Poesie inhärenten normativen Anspruch konfrontiert. Das Nichtwirkliche, aber doch Mögliche ist zugleich das zu Erstrebende, in Wort und Tat zu Realisierende. Die Gemeinschaft der Humanisten hat an dieser doppelten Qualifikation der Poesie eisern festgehalten. Ihre gesamte gesellschaftskritische Intervention, eingekleidet zumal in den Topos der vera nobilitas, beruht auf dieser ihrer Doppelnatur ebenso wie ihre stets wieder verlautende fürstenerzieherische Lehre, legitimiert über den eingeführten Titel des Fürstenspiegels. Gab es ein Argument, das geeignet war, ständisches Selbstbewußtsein zu befördern, so eben dieses, das da um den potentiellen Modus der Poesie kreiste.
Heidnisches Götterwesen und humanistische Poesie Der Dichter als Lügner: Diese schmähliche Rede kehrt nun aber ebenfalls wieder auf der Ebene der Theologie. Das Skandalon sind die heidnischen Götter. Ihre durchgängige Verwendung in den der Antike verpflichteten Texten erregt mehr als Argwohn, evoziert vielmehr massive Angriffe und Verdächtigungen. Dazu unser Zeitzeuge und mentalitätshistorischer Chronist in der Rolle des Poetologen: Die nahmen der Heidnischen Götter betreffendt/ derer sich die stattlichsten Christlichen Poeten ohne verletzung jhrer religion jederzeit gebrauchet haben/ angesehen das hierunter gemeiniglich die Allmacht Gottes/ welcher die ersten menschen nach den sonderlichen wirckungen seiner vnbegreifflichen Maiestet vnterschiedene namen gegeben/ als das sie/ wie Maximus Tyrius meldet/ durch Minerven die vorsichtigkeit/ durch den Apollo die Sonne/ durch den Neptunus die Lufft welche die Erde vnnd Meer durchstreichet; zue zeiten aber vorneme Leute/ die wie Cicero im andern buche von den Gesetzen saget/ vmb jhres vordienstes willen in den Himmel beruffen sein/ zue zeiten was anders angedeutet wird/ ist allbereit hin vnd wieder so viel bericht darvon geschehen/ das es weiterer außführung hoffentlich nicht wird von nöthen sein.32
Nein, die ist in der Tat nicht vonnöten. Die Zurückweisung der diesbezüglichen Vorwürfe hat eine lange Tradition. Schon die Kirchenväter stellten die einschlägigen Ar––––––––– 32
Ebenda, S. 12.
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gumente zur Verfügung, mit denen ausgerüstet den Anschuldigungen heidnischer Hörigkeit begegnet werden konnte. Das Gegengift, das man den heidnischen Wesen zu verpassen hatte, lautete auf das Stichwort ›Allegorie‹. Opitz deutet es eher beiläufig an, wenn er bemerkt, daß »zue zeiten was anders angedeutet wird« als das, was wortwörtlich an einer inkriminierten Stelle zu lesen ist. Prominentestes Beispiel blieb der Schäfergott Pan. Als ›to pan‹ verwies sein Name auf den Schöpfer aller Dinge, also auf Gott selbst.
Poesie und Allegorie Im Deutschland des 17. Jahrhunderts und zumal im Nürnberg der Pegnitzschäfer waren derartige Transpositionen aus der heidischen Welt in die christliche lebhaft im Schwange. Die Schäfer überboten sich geradezu in der Erfindung immer neuer Verweisungen und heidnisch-christlicher Überblendungen. Wir aber haben allen Anlaß, darin nur den Gipfel einer poetischen Praxis im Humanismus zu sehen, die, wie ausgeführt, im uneigentlichen Sprechen schlechthin ihr Wesen hat. Nichts des aus der Antike überkommenen motivischen Repertoires – und eben keineswegs nur die heidnischen Götter –, das nicht eine Umwidmung erfahren würde, nicht aus einem literalen in einen illiteralen, einen geheimen und nicht auf der Hand liegenden sensus allegoricus überführt zu werden vermöchte. Dichten im Umkreis des Humanismus ist ein durch und durch allegorisches Unterfangen und auch ein Opitz in seiner ›Poeterey‹ bekennt sich selbstverständlich in verklausulierten Wendungen zu dieser aus der antiken Mitgift herrührenden Praxis im Zeitalter der frühen Moderne.
Liebesdichtung doppelsinnig In der Liebesdichtung, wir sagten es, trieb dieses hintersinnige poetische Treiben vielleicht seine subtilsten Blüten, und das schon allein deshalb, weil den unschuldig sich gebenden Versen in der Regel eine hermetische Kryptik eignet, in der sich allegorisches Agieren auf der Ebene der Poesie erfüllt. Und so ist es erfreulich zu beobachten, daß Opitz auch in seiner Poetik den ›Amatoria‹ einen eigenen Passus im Eingang zu seinem Werk widmet. Von der Ungehörigkeit der Abfassung von Liebesgedichten auf Bestellung hatte er schon unter dem Titel ›Schreiben bei Gelegenheit‹ gehandelt. Nun kommt er explizit auf das gravierende Problem der eingeführten Liebespoesie humanistischer Provenienz zurück. Und das immer noch im Kontext der Exkulpierung und also der Reinigung des Namens und des Rufes der Poeten. Die Pflege von Liebesdichtung befleckt deren Ansehen in den Augen ihrer Verächter. Daß diese Anwürfe nicht verstummt sind, zeigt der Umstand, daß Opitz sich genötigt sieht, ihnen zu begegnen. Es seien, nicht alle Poeten die von Liebessachen schreiben zue meiden; denn viel vnter jhnen so züchtig reden/ das sie ein jegliches ehrbares frawenzimmer vngeschewet lesen möchte. Man kan jhnen auch deßentwegen wol jhre einbildungen lassen/ vnd ein wenig vbersehen/ weil die liebe gleichsam der wetzstein ist an dem sie jhren subtilen Verstand scherffen/ vnd niemals mehr sinnreiche
Blick in die Zukunft
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gedancken vnd einfälle haben/ als wann sie von jhrer Buhlschafften Himlischen schöne/ jugend/ freundligkeit/ haß vnnd gunst reden.33
So erweist Opitz sich auch auf diesem verminten Feld als ein geschickter Stratege. Merkwürdig defensiv hebt er an. Nicht alle Poeten seien zu meiden, die von Liebschaften schreiben, aber eben doch, so möchte man folgern, die meisten. Möge man aber diejenigen doch bei ihren ›einbildungen‹ belassen, die partout nicht von ihm ablassen können. Dann jedoch folgt die Wende, und das über eine berühmte Formulierung. Ein ›wetzstein‹ der Poeten sei die Liebe. Ist jemals Triftigeres über das amatorische Treiben der Poeten in poetologischer Absicht verlautet? Was an liebreicher Materie auch immer ersonnen werden mag unterliegt in der poetischen Umformung weniger einer Läuterung als vielmehr einer Entsinnlichung, wird entkörpert, weil mit Sinn begabt und also vergeistigt. Janusköpfig bietet sich ein jedes anspruchsvolles Liebesgedicht dar, darin der Gestalt der Venus selbst verwandt. In seinem schönen Äußeren verbirgt sich ein Keim des Todes. Vergänglichkeit ist jeder Schönheit beigesellt. Im Gedicht aber und vorzugsweise im Liebesgedicht sind Schönheit und Geist eine neue Einheit eingegangen, wie sie nur Poesie zu stiften imstande ist. Sie transzendiert jedwedes Vergängliche und vorzugsweise jedwedes Schöne, weil sie ihnen einen geheimen Sinn einschreibt. Die Humanisten haben nicht aufgehört, ihr eben um dieses Vermögens willen zu huldigen – und das am liebsten wiederum in verdeckten, von allegorischem Tiefsinn umspielten Wendungen.
Blick in die Zukunft Mit einem Ausdruck der Hoffnung beschließt Opitz den allgemeinen Teil seiner Poetik, dem unser Interesse alleine zu gelten hatte. Die Poeten werden sich von den Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sehen, nicht abhalten lassen, ihrem ehrwürdigen Geschäft nachzugehen. Das aber ist nun bereits im Blick auf Deutschland gesagt. Und eben auf dieses Land richtet sich die ›tröstliche hoffnung‹ des Dichters nun im besonderen, dahingehend, es werde nicht alleine die Lateinische Poesie/ welcher seit der vertriebenen langwierigen barbarey viel große männer auff geholffen/ vngeacht dieser trübseligen zeiten vnd höchster verachtung gelehrter Leute/ bey jhrem werth erhalten werden; sondern auch die Deutsche/ zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt/ von stattlichen gemütern allso außgevbet werden/ das vnser Vaterland Franckreich vnd Jtalien wenig wird bevor dörffen geben.34
Neulateinische Mitgift In einem doppelten, einem gestaffelten Schub erfolgt – wie in anderen Ländern schon vorher – auch in Deutschland die poetische Akkulturation. Nach einer langen Zeit ––––––––– 33 34
Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 14.
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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obwaltender Finsternis, einer Zeit der ›barbarey‹, vollzieht sich die Wiedergeburt des Lateinischen auch auf deutschem Boden. ›Große Männer‹ haben sich diesem Werk angenommen. Es ist die Phalanx der neulateinischen Dichter des späten 15. und des 16. Jahrhunderts, auf die Opitz mit Bewunderung und Dankbarkeit zurückblickt. Ihm ist, wie allen seinen gelehrten Zeitgenossen, bewußt, daß mit dieser Poesie ebenfalls der Grund für das eigene Vorhaben gelegt worden war. Und keine Rede kann auch in seinen Augen davon sein, daß mit dieser Neuerung die Pflege der lateinischen Sprache obsolet werden würde. Daß sie weiterhin gedeihen möge, ist sein ausdrücklicher Wunsch. Die nämliche Poesie in zwei Sprachen – und nicht wie im 16. Jahrhundert eine tiefe Kluft zwischen der einen und der anderen –, das konnte beiden Seiten nur zum Gewinn ausschlagen. Nur schwer wird man sich im nachhinein vorstellen können, wie umfassend und präzise die Kenntnis der Neulateiner bei Opitz und den Seinen war. Und zwar gleichermaßen derjenigen Europas insgesamt wie speziell derjenigen im Heimatland. Ihre Dichtung in beiderlei linguistischer Gestalt lebt von den lateinischen Vorgaben der jüngsten Zeit nicht anders als von den der Alten. Es wird noch eine lange Frist währen, bevor auch die Philologie und speziell die deutsche jenen neulateinischen Fundus so aufgearbeitet und verfügbar haben wird, daß die allseitigen und ständigen Filiationen überschaubar und im einzelnen nachvollziehbar werden. Große forscherliche Stäbe müßten verfügbar sein, um Wörterbücher und anderweitige Hilfsmittel, vor allem aber zweisprachige Editionen zu schaffen. Daß einem Neulateiner des 17. Jahrhunderts wie Opitz in jüngster Zeit dieses Glück widerfahren ist, bleibt bis auf weiteres eben die Ausnahme. Ein ganzer Kontinent von Texten will langfristig gehoben und kenntnisreich bereitgestellt sein.
Germanen und deutschsprachige Poesie Doch nun geht es um die Poesie im deutschen Gewande. Bevor aber darüber im einzelnen von Opitz gehandelt werden kann, ist zunächst klarzustellen, wer der erste ist, der sich dieser überfälligen Tat widmet. Kein anderer als Opitz ist es, der nach seinem »armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt« hat.35 Nun mögen andere folgen und das Angefangene fortführen. Dieses Erstlingsrecht läßt Opitz sich nicht nehmen. Und wenn er frühzeitig daranging, seine ›Poeterey‹ zu verfassen, so nicht zuletzt, um diesen Anspruch zu bekräftigen. Schon in seinem ›Aristarchus‹ hatte er sich veranlaßt gesehen, Vermutungen über Prioritäten von anderer Seite in die Schranken zu weisen. Der Fall Schwabes von der Heide steht dafür ein. Nun aber geht er dazu über, die Geschichte der Literatur im deutschen Idiom genauer zu inspizieren. Und nichts ist aufschlußreicher als den selbsternannten Archegeten in historischer Rückblende am Werk zu sehen. Natürlich ist neuerlich ein Wort über die Germanen zu verlieren. Ihre Präsenz hat jedoch für den konstruktiven Aufriß des Werkes nicht mehr die gleiche Bedeutung, die ihr in dem Vorgänger zukam. Opitz akzentuiert, was anknüpfungsfähig bleibt über ––––––––– 35
Ebenda.
Aufschwung und Niedergang der Poesie
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die Zeiten hinweg. Die Germanen waren wahrlich nicht geschult im Fach der ›freyen künste‹. Gleichwohl »faßeten sie doch alles was sie im gedächtniß behalten wolten in gewisse reimen vnd getichte.«36 Die gedächtnisstiftende Funktion der Dichtung war auch den Germanen auf ihre Weise bereits vertraut. Den ›Barden‹ war das schöne und immer noch vornehmste Geschäft aufgetragen. Ihnen standen die vates und die Druiden zur Seite. »Die Barden sungen Lobgetichte vnnd waren Poeten; Die Vates opfferten vnd betrachteten die Natur aller dinge; Die Druiden pflegten vber die Natürliche Wissenschafft auch von gueten sitten zue vnterrichten.«37 So ist in dieser illustren Trias in Form von fachkundiger Arbeitsteilung zusammen, was der Poet der Moderne in einer einzigen Person vereinigt. Fungierten die Germanen im ›Aristarchus‹ als Geburtshelfer der deutschen Sprache, so tragen sie nun bei zur Bekräftigung der universalen Kompetenz ihrer Nachfahren. Von florierenden ›Lobreden‹ unter den Germanen weiß Opitz mit Tacitus. Doch nicht nur davon. Die Barden haben »berümbter männer ritterliche thaten mit heroischen Versen beschrieben/ vnd mit süßen melodien zue der leyer gesungen.«38 Derart ist bei ihnen die königliche Gattung unter den poetischen Formen, das heroische Epos, bereits vorgebildet. Mit dessen Präsentation wird auch Opitz sein den Gattungen gewidmetes Kapitel eröffnen. Auch bei den Cimbern und Dänen, so weiß Opitz, ist es in Umlauf gewesen. Spuren von Texten hätten sich durchaus noch in späteren Zeiten erhalten. So weilte Opitz, aus den Niederlanden kommend, am rechten Ort, als er in der Einsamkeit Jütlands an die Abfassung seines ›Trost-Gedichtes in Widerwertigkeit des Krieges‹, dieses semiepischen Lehrgedichts, ging.
Aufschwung und Niedergang der Poesie In einem zweiten Schritt ist sodann der Übergang zur Poesie der Deutschen nachzuzeichnen. Was da an Kenntnissen zur mittelhochdeutschen Dichtung soeben über die Humanisten und zumal über Goldast bekannt geworden ist, weiß Opitz seinem Vorhaben dienstbar zu machen. Es gab also durchaus bereits eine respektable Poesie im Mittelalter. Hervorgehoben werden von Opitz bezeichnenderweise diejenigen Poeten, die in königlicher oder gar kaiserlicher Umgebung gewirkt haben, so ein Reinmar von Zweter unter Kaiser Friedrich I. oder ein Walter von der Vogelweide, »Keyser Philipses geheimen rahte«. Daraus, so die Schlußfolgerung, gehe zur Genüge hervor, »wie hoch sich selbige vorneme Männer/ vngeachtet jhrer adelichen ankunfft vnd standes/ der Poeterey angemaßet«.39 Poesie bleibt eine ständische Angelegenheit. Wenn Adelige sich ihrer befleißigen, bestätigt das nur ihren Nimbus. Und wenn sie im Umkreis von Fürsten verlautet, hat sie den ihr zukommenden ersten Adressaten gefunden. In diesem Sinne konzediert ––––––––– 36 37 38 39
Ebenda, S. 15. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 15 f.
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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Opitz der mittelalterlichen Poesie durchaus eine wichtige Funktion innerhalb der Geschichte der deutschen Literatur. In ihr ist literatursoziologisch präfiguriert, was in einem zweiten Anlauf von den Humanisten wieder aufgegriffen und nun über die antiken Vorbilder auf eine neue Grundlage gestellt und zur Vollendung gebracht wird. Wenn diese Anschauung der prätendierten Erstlings-Rolle keinen Abbruch tut, so ist dies dem Verfall der Dichtung im frühbürgerlichen Zeitalter geschuldet. Nun sinkt sie eben in jene trivialen Zonen ab, über die Opitz unter dem Titel der willfährigen Schreiberei bei Gelegenheit schon gehandelt hatte. Poesie verkommt zu einer Sache von Pritschmeistern. Hier eröffnen sich in seinen Augen nirgendwo Möglichkeiten der Anknüpfung – die gleichzeitige lateinische Poesie selbstverständlich stets ausgenommen. Folglich muß neu begonnen werden. Muster sind zur Genüge verfügbar und Opitz benennt die Repräsentanten, einen Petrarca in Italien, einen Ronsard in Frankreich und wie sie heißen.
›Durchtriebenheit‹ und der ›rechte grieff‹ in poeticis Sie alle aber verdanken ihr Können und ihren Ruhm dem fortwährenden Studium der Alten. Wo dieses verabsäumt wird, gedeiht auch keine diesen Namen verdienende Poesie mehr. Vnd muß ich nur bey hiesiger gelegenheit ohne schew dieses errinnern/ das ich es für eine verlorene arbeit halte/ im fall sich jemand an vnsere deutsche Poeterey machen wolte/ der/ nebenst dem das er ein Poete von natur sein muß/ in den griechischen vnd Lateinischen büchern nicht wol durchtrieben ist/ vnd von jhnen den rechten grieff erlernet hat[.]40
Genau darauf läuft es hinaus. Indem Opitz diesen unumgänglichen Schritt wie keiner neben ihm einforderte und theoretisch wie praktisch untermauerte, sicherte er sich jenen Erstlings- und Führungsanspruch, wie er stets zum Vorschein kommt, sobald er in programmatischer Absicht das Wort ergreift. Er selbst hat das Seinige getan, um zum ›Vater der deutschen Dichtung‹ erkoren zu werden. Jetzt aber zeichnet sich hinlänglich deutlich ab, was mit dieser Rede von seiner Seite aus gemeint war. Nicht die deutsche Dichtung per se hat er begründet. Er hat ihr ein neues Profil verliehen, indem er das, was im Lateinischen seit langem Usus war, nun auch im Deutschen auf dem nämlichen artistischen Niveau praktiziert sehen wollte. Auf den ›rechten grieff‹ kam alles an. Eine unerläßliche, weil geschichtlich gebotene und inzwischen überfällige Reform blieb ins Werk zu setzen und Opitz warf sich zu ihrem Propagator auf.
Poesie in fürstlichen Gemächern Im achten Kapitel, dem ›Beschluß dieses buches‹, kommt Opitz auf einige der aufgeworfenen Fragen, Probleme und geschichtlichen Prospekte zurück. Worum es, unge––––––––– 40
Ebenda, S. 16 f.
Poesie in fürstlichen Gemächern
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achtet der vielen Einzelheiten ging, die in den dazwischen liegenden Kapiteln traktiert wurden, hat Opitz noch einmal in einer bündigen Formulierung zusammengefaßt. Daß dies geschieht unter neuerlicher Akzentuierung seiner Pioniertat, versteht sich inzwischen von selbst. Er hat ein Tor geöffnet. Nun mag es an Gleichgesinnten sein, dieses zu durchschreiten und für den Fortgang Sorge zu tragen. Generös wird er das, was noch zu tun bleibt, entweder inkünfftig selbst gründtlicher verführen/ oder denen lassen/ die mir an liebe gegen vnsere sprache gleiche/ vnd an geschickligkeit vberlegen sein. [...] Welche meine geringschätzige arbeit bey statlichen auffgeweckten gemütern/ wo nicht mehr/ doch so viel verfangen wird/ das sie gleichsam als durch einen sporen hiermit auffgemuntert/ vnserer Muttersprache die hand bietten/ vnd jhrer Poesie den glantz/ welchen sie lengest hette kriegen sollen/ geben werden.41
Alles Große und Verheißungsvolle also liegt noch in der Zukunft beschlossen. Positionierung als Archeget und Eröffnung eines weiten zeitlichen Horizonts gehören zusammen. Auch ein Opitz hätte sich nicht träumen lassen, daß seiner Inauguration so rasch eine schlechterdings überwältigende Antwort zuteil werden würde. Es sang und klang noch zu Opitzens Lebzeiten in seinem Ton. Und mehr als das. Ebenbürtige Talente ließen sich vernehmen, ganz so, wie der Meister es sich gewünscht hätte. Ihm blieb es erspart, zu erleben, wie seit der Mitte des Jahrhunderts dann auch Töne laut wurden, die in den Jubel die eine oder andere kritische Note mischten. Er durfte seinen Auftrag zu Ende der dreißiger Jahre als eingelöst betrachten. Und ihm blieb die Freude, persönlich noch zu erleben, was er als Wunsch an den Schluß seiner ›Poeterey‹ gestellt hatte. Welches denn der grösseste lohn ist/ den die Poeten zue gewarten haben; daß sie nemlich inn königlichen vnnd fürstlichen Zimmern platz finden/ von grossen vnd verständigen Männern getragen/ von schönen leuten (denn sie auch das Frawenzimmer zue lesen vnd offte in goldt zue binden pfleget) geliebet/ in die bibliothecken einverleibet/ offentlich verkauffet vnd von jederman gerhümet werden. Hierzue kömpt die hoffnung vieler künfftigen zeiten/ in welchen sie fort für fort grünen/ vnd ein ewiges gedächtniß in den hertzen der nachkommenen verlassen.42
Formal restlos durchgebildet sollte die Poesie sich geben. Diese Forderung hatte Opitz immer wieder eingeschärft. Und dabei ging es um mehr als eine poetische Anweisung. Eleganz, Anmut, Wohlgefälligkeit blieben die Voraussetzung dafür, daß sie in den oberen Kreisen der Gesellschaft Eingang finden und dort Heimatrecht gewinnen würde. In Italien war vorgelebt worden, wie Dichter und Dichtung einen alsbald unverzichtbaren Platz bei Hofe und im Großbürgertum behaupteten. Die Bedingungen dafür waren in Deutschland zu Beginn des 17. Jahrhunderts durchaus andere und aufs ganze gesehen eher ungünstigere. Nicht daher zuletzt die futurische Dimension, die Opitz am Schluß seiner Poetik eröffnet. Niemals kann und soll die neue Dichtung eine breitenwirksame Veranstaltung werden. Dem poetischen Auftrag ist – gelegentlicher gegenteiliger Äußerungen ungeachtet – Genüge getan, wenn die oberen Stände sich zu ihr bekennen und dem festlichen Treiben zuführen, das nur bei ihnen einen gehörigen Rahmen besitzt. Das Augu––––––––– 41 42
Ebenda, S. 53. Ebenda, S. 55.
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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steische Ideal eines Bündnisses von Fürst und Dichter blieb verbindlich und entfaltete immer noch seine werbende Kraft. Und so ist es weit mehr als ein Zufall, daß Opitz dieser Option als einer Krönung seines kulturpolitischen Projekts eigens noch einmal das Wort redete.
Die Vorrede zu den Gedichten von 1625 Eben dies geschah in der Vorrede zu der ersten von ihm selbst verantworteten Ausgabe seiner Gedichte, die er im Jahr 1625 herausbrachte, ein Jahr nach der von seinen Pfälzer Freunden veranstalteten und ein Jahr nach seinem poetologischen Auftritt, von dem soeben zu handeln war.43 Sie ist zu einer Widmungsadresse von herausragender Bedeutung geraten, den unmittelbaren Anlaß, so gewichtig er war, weit überschreitend und zu einem Manifest eigener Art herangewachsen, das keine Überbietung mehr erfahren konnte. Einer fürstlichen Person sollte die erste Gesamtausgabe seiner Gedichte zugeeignet werden. Und wenn Opitz womöglich eine Weile gezögert haben mag, mit welchem erlauchten Namen er sie verknüpfen sollte, so obsiegte sein nie versagender Instinkt. Ein kleines Fürstentum war es, das er erkor, aber ein solches, in dem ein Regent kulturpolitische Ziele verfolgte, die aufs denkwürdigste mit den seinigen koinzidierten. Es war noch kein Jahrzehnt her, daß Fürst Ludwig in seiner Residenz die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ aus der Taufe gehoben hatte. Ihm das gewichtige Erstlingswerk in die Hände zu legen, war zugleich mit der Hoffnung verknüpft, Zugang zu der illustren Vereinigung zu gewinnen. Damit gelangen wir für einen kurzen Moment und noch vor Einsichtnahme in den Text selbst zu einer aufschlußreichen kulturpolitischen Konfiguration, wie sie am Anfang der Etablierung der neueren deutschen Literatur sich unversehens aufgetan hatte.
Blick auf die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ Das 15. wie das 16. Jahrhundert sind in ganz Europa Gründungs-Säkula von Akademien. Italien war vorangegangen, und Italien behauptete eine führende Rolle. Der derzeitige Amtsinhaber Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen hatte sich wiederholt in Italien aufgehalten und war dort in die ›Accademia della Crusca‹ aufgenommen worden. Sie verfolgte wie die meisten Akademien mehrere Ziele. Im Vordergrund aber stand die Pflege der italienischen Sprache und ihre Erschließung in Gestalt von Wörterbüchern, Grammatiken, historischen Darstellungen etc. Auch in Deutschland war es in der Nachfolge des Conrad Celtis vereinzelt zu derartigen Schöpfungen gekommen. Insgesamt jedoch überwog die Bildung von informellen Dichtergesellschaften. Sie al––––––––– 43
Das Titelkupfer des Werkes sei noch einmal aufgeführt: Martini Opitii Acht Bücher, Deutscher Poematum/ durch Jhn selber heraus gegeben/ auch also vermehret vnnd vbersehen/ das die vorigerer darmitte nicht zu uergleichen sindt. Jnn Verlegung Dauid Müllers Buchhändlers jnn Breßlaw. 1625.
Blick auf die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹
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le standen im Zeichen einer Etablierung der antiken Studien und vor allem der lateinischen Poesie, ganz so wie Celtis es sich gewünscht hatte. Die Situation war also prinzipiell vergleichbar hinsichtlich der auf die Literatur gerichteten Bestrebungen. Es stand jedoch die institutionell fundierte Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Poesie aus.44 Eben diesem Desiderat wurde mit der Gründung der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ entsprochen. Es lag auf der Linie zumal der italienischen Vorgänger, daß ein Fürst sich des Projekts annahm. In Deutschland aber kamen sehr spezifische Beweggründe hinzu. Ein Gründungsakt mit Blick auf die deutsche Sprache und Literatur war überfällig, gewiß. Aber diese ehrenwerte Zielsetzung reichte alleine nicht hin, und das aufgrund der politischen Situation. Katholiken wie Protestanten waren dazu übergegangen, sich in konfessionellen Bündnissen zu organisieren, die einen in der katholischen ›Liga‹, die anderen in der protestantischen ›Union‹. Beide waren mit intensiven Kontakten zu ihren Glaubensverwandten ausgestattet. Bei den Protestanten kam hinzu, daß Lutheraner und Calvinisten in der ›Union‹ zusammentrafen. Die Führungsrolle lag eindeutig bei den Reformierten. Und entsprechend verliefen enge Kontakte zu den Reformierten und verwandten Glaubensgemeinschaften in West- wie in Osteuropa. Die Calvinisten waren international organisiert, nicht so die Lutheraner. In diese aufgewühlte Situation – ein Jahr vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges und zwei Jahre vor Aufbruch des calvinistischen Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. zur Übernahme der böhmischen Königskrone, die mit diesem usurpatorischen Akt den Habsburgern entwunden werden sollte – fiel die Gründung der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹. Ludwig war entsprechend seinem Anhaltiner Haus dem reformierten Bekenntnis zugehörig. So sehr er sich aber mühte, seine Sozietät von Glaubensquerelen fernzuhalten, so wenig konnte es geschehen, daß sie sich gänzlich eliminieren ließen. Entsprechend ist ein deutlich erkennbares reformiertes Element in der Gesellschaft auszumachen. Die zu der ›zweiten Reformation‹ sich bekennenden Fürstenhäuser und großen Adelsgeschlechter dominieren das Bild. Es kann keine Frage sein, daß auch Fürst Ludwig und seine Mitstreiter die protestantische und insonderheit die reformierte Sache auf ihre Weise über die Gründung der Gesellschaft unterstützen wollten.45 ––––––––– 44
45
Vgl.: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber, Heinz Wismann.- Tübingen: Niemeyer 1996 (Frühe Neuzeit; 26.27). Angesichts der Bedeutung, die die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ für Opitz besaß, darf an dieser Stelle ein kleiner exkursionsförmiger Forschungsbericht eingeschoben werden, um ggf. erwünschte weitere Informationen leicht zugänglich zu machen. Hier ist zunächst die vorbildliche quellenkundliche Arbeit zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ (dem sog. ›Palmen-Orden‹) kurz zu dokumentieren. Ihre Begründung in der neueren Zeit verbindet sich mit den Namen von Martin Bircher und Friedhelm Kemp, sodann mit dem von Klaus Conermann sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Sabine Ball, Harald Bollbuck und Andreas Herz. Bircher und Kemp hatten eine überaus ansprechende Reihe mit faksimilierten Texten der deutschen Barockliteratur und wissenschaftlichen Beigaben im Kösel-Verlag zu München begründet. In dieser Reihe erschienen auch drei Bände zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹, betreut von Martin Bircher. Es sind diese: Die erste zeitgenössische Darstellung von Carl Gustav von Hille: Der Teutsche Palmbaum: Das ist/ Lobschrift Von der Hochlöblichen/ Fruchtbringenden Gesellschaft Anfang/ Satzungen/ Vorhaben/ Namen/ Sprüchen/ Gemählen/ Schriften und unverwelklichem Tugendruhm. Allen Liebhabern der Teutschen Sprache zu dienlicher Nachrichtung verfasset/ durch den Vnverdrossenen Diener der-
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Es geschah dies programmatisch und satzungsgemäß auf dem Felde der Sprache und Literatur und eben des Einsatzes für die Pflege der deutschen Sprache auf allen ihr zukommenden Gebieten, an der Spitze auf dem der Literatur. Das ist ein eigenes ––––––––– selben. Mit vielen kunstzierlichen Kupfern gedrukkt/ und verlegt durch Wolffgang Endtern. Nürnberg 1647. Reprint München: Kösel 1970 (Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden. Hrsg. von Martin Bircher; 2). Sodann die zweite, gleichfalls noch aus dem 17. Jahrhundert herrührende Darstellung von dem zeitweiligen Ordens-Sekretär Georg Neumark: Der Neu=Sprossende Teutsche Palmbaum. Oder Ausführlicher Bericht/ Von der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft Anfang/ Absehn/ Satzungen/ Eigenschaft/ und deroselben Fortpflantzung/ mit schönen Kupfern ausgeziehret/ samt einem vollkommenen Verzeichnüß/ aller/ dieses Palmen=Ordens Mitglieder Derer Nahmen/ Gewächsen und Worten/ hervorgegeben Von dem Sprossenden [i.e. Georg Neumark]. Zufinden bey Joh. Hoffmann Kunsth. in Nürnb. Drukkts Joachim=Heinrich. Schmid in Weinmar/ F.S. Hof=Buchdr. [1669] Reprint München: Kösel 1970 (Die Fruchtbringende Gesellschaft; 3). Ein Jahr vor Hille war bereits aus dem Kreis der Gesellschaft eine Publikation erschienen: Der Fruchtbringenden Gesellschaft Nahmen/ Vorhaben/ Gemählde und Wörter: Nach jedes Einnahme ordentlich in Kupfer gestochen/ und Jn achtzeilige Reimgesetze verfasset/ Das Erste Hundert. Franckfurt am Mayn/ Bey Mattheo Merian. M.DC.XXXXVI. Dieses Werk wurde 1971 als erster Band der Bircherschen Dokumentation veröffentlicht, ergänzt um Georg Philipp Harsdörffers ›Fortpflantzung der Hochlöblichen Fruchtbringenden Geselschaft‹ aus dem Jahr 1651. Vgl. in diesem Zusammenhang auch von Martin Bircher: Matthäus Merian d.Ä. und die Fruchtbringende Gesellschaft. Der Briefwechsel über Entstehung und Drucklegung des Gesellschaftsbuchs von 1646.- In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 667– 730. Ein geplanter vierter und letzter Band erschien nicht mehr. Dazu unten. Eine zweite und gleichfalls dreibändige Dokumentation zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ wurde von Klaus Conermann erarbeitet, der sich frühzeitig an dem ersten Sitz der Gesellschaft in Köthen umgetan und wichtige Quellen ans Tageslicht gefördert hatte. Sein Werk erschien gleichzeitig im Jahr 1985 parallel im Zentralantiquariat zu Leipzig und in der VCH Verlagsgesellschaft in Weinheim. Das Vorhaben firmierte unter dem Titel: Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen 1617–1650. Als erster Band erschien: Der Fruchtbringenden Gesellschaft Vorhaben, Namen, Gemälde und Wörter. Faksimile des ersten Bandes des im Historischen Museum Köthen aufbewahrten Gesellschaftsbuches Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen. Es rührt her aus den Jahren 1629/1630, geht dem von Bircher dokumentierten aus dem Jahr 1646 also noch voraus. Der Titel: Der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben/ Nahmen/ Gemählde Vnd Wörter. Nach jedweders einnahme ordentlich Jn kupffer gestochen mit Vndergesetzten teutschen Reimen. Es handelt sich um ein wundervolles Exemplar mit den kolorierten Wappen und handschriftlichen Einträgen der ersten zweihundert Mitglieder der Gesellschaft. Den Beschluß macht ›Der Gekrönte‹, also Martin Opitz, eben im Jahr 1629. Ein zweiter Band bringt Abbildungen von 203 Wappen der in den Jahren 1630 bis 1649 aufgenommenen Mitglieder sowie die Abbildungen von neunzig Impresen der zwischen 1645 und 1649 aufgenommenen Mitglieder. Darüber hinaus ist er ebenso wie der dritte Band reichlich ausgestattet mit Forschungsliteratur. Dazu sogleich mehr. Der vierte Band des Bircherschen Werkes war vorgesehen für: Korrespondenzen und Akten der Fruchtbringenden Gesellschaft (1650–1680). Der Erzschrein unter Wilhelm Herzog zu Sachsen-Weimar (dem ›Schmackhaften‹) und August Herzog zu Sachsen (dem ›Wohlgeratenen‹). Der Band sollte also – nach der Köthener Phase unter Fürst Ludwig – die Weimarer und Hallenser Periode der Gesellschaft dokumentieren. Es ist ersichtlich, daß dafür ein einzelner Band nicht ausreichen würde. Das Werk wurde ganz neu konzipiert und nun zunächst gemeinsam von Bircher und Conermann verantwortet. Es ging über in den Max Niemeyer-Verlag. Bircher konnte noch drei Bände aus der letzten, der Hallenser Phase der Gesellschaft, in der neuen Folge des mit Conermann gemeinsam veranstalteten Projekts in den Jahren 1991 und 1997 herausbringen. Dann starb – allzu früh – der verehrungswürdige Gelehrte. Die Bände dokumentieren neben Briefen und Beilagen aus der Zeit unter Herzog August von Sachsen-Weißenfels Zeugnisse der süddeutschen und österreichischen sowie
Blick auf die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹
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Kapitel und vielleicht das reizvollste in der so lebhaften Geschichte der deutschen Literatur im langen 17. Jahrhundert. Und so sind wir dankbar, daß die Sozietät#in jüng––––––––– #
der preußischen Mitglieder. Es steht zu hoffen, daß auch diese Folge – ebenso wie die mittlere Weimarer – längerfristig fortgeführt werden kann. Conermann hatte indes parallel die Bearbeitung der Quellen aus der Köthener Zeit unter Fürst Ludwig (1617–1650) übernommen und das langwierige, weiterhin andauernde Vorhaben in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften verankern können. Vgl: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen: Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650.- Tübingen: Niemeyer 1992 ff. Bislang liegen sieben Bände vor, den Zeitraum von 1617 bis 1646 umfassend. Das Todesjahr Opitzens ist also bereits überschritten. Die Texte sind umfassend kommentiert. Mit dieser Edition findet die Germanistik und Kulturwissenschaft Anschluß an die großen Quellen-Editionen, wie sie eben gerade auch Schlesien kannte. Es bleibt zu hoffen, daß auch die Dokumentation der Weimarer und Hallenser Zeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden kann. Schon jetzt darf festgestellt werden, daß es Jahrzehnte bedürfen wird, den Fundus an neu verfügbaren Quellen forschungsstrategisch zu assimilieren. Es ist an dieser Stelle sodann Gelegenheit, auf einige Arbeiten zur Fruchtbringenden Gesellschaft vornehmlich aus der jüngeren Forschung hinzuweisen. Auch hier ist auszugehen von den Arbeiten Conermanns, die im zweiten und dritten Band seines oben erwähnten Werkes zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ erschienen sind. Vgl.: Klaus Conermann: Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch. Eine Einleitung. Günther Hoppe: Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen.- Leipzig: Edition Leipzig 1985. Lizenzausgabe: Weinheim: VCH Acta humaniora 1985 (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft Geöffneter Erzschrein; 2), S. 21–127. Hier auch das schöne Porträt des Gründers Fürst Ludwig von Günther Hoppe, S. 129–170. Das Werk enthält zudem eine umfassende Bibliographie der wissenschaftlichen Literatur in Gestalt eines Verzeichnisses der häufiger benutzten Literatur auf S. 317–374. Sodann Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden 1617–1650. 527 Biographien. Transkription aller handschriftlichen Eintragungen und Kommentare zu den Abbildungen und Texten im Köthener Gesellschaftsbuch.- Leipzig: Edition Leipzig 1985. Lizenzausgabe: Weinheim: VCH Acta humaniora 1985 (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft Geöffneter Erzschrein; 3). Der besondere Wert dieses fast 700 Seiten umfassenden Werkes liegt in den von Conermann erstellten Biographien, die damit erstmals bis 1650 komplett übersehbar werden. Vorangegangen war als Darstellung: Bruno Zilch: Der Beitrag der Fruchtbringenden Gesellschaft zur Herausbildung der deutschen Nationalliteratur.- Dissertation (A) der Pädagogischen Hochschule ›Karl Liebknecht‹ Potsdam. 1973 (masch.). Des weiteren: Klaus Garber: Die Fruchtbringende Gesellschaft.- In: ders.: Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche ›Barock‹Literatur. Zu den konfessionspolitischen Ursprüngen der deutschen Nationalliteratur.- In: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der ›Zweiten Reformation‹. Hrsg. von Heinz Schilling.- Gütersloh: Mohn 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 195), S. 307–348. Eingegangen in: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 919–954; Die Fruchtbringer – eine Teutschhertzige Gesellschaft. Hrsg. von Klaus Manger.- Heidelberg: Winter 2001 (Jenaer Germanistische Forschungen; 10); Gabriele Ball: ›Alles zu Nutzen‹. The Fruchtbringende Gesellschaft (1617–1680) as a German Renaissance Academy.- In: The Reach of the Republic of Letters. Literary and Learned Societies in Late Medieval and Early Modern Europe. Band II. Hrsg. von Arjan van Dixhoorn, Susie Speakman Sutch.- Leiden, Boston: Brill 2008 (Brill’s Studies in Intellectual History; 168), S. 389–422; Klaus Conermann: Akademie, Kritik und Geschmack. Zur Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft des 17. Jahrhunderts.- In: Unsere Sprache 1 (2008), S. 17–52; Andreas Herz: Die Macht der Gewohnheit. Die Regulierung der deutschen Sprache in der Fruchtbringenden Gesellschaft und ihre Hintergründe.- In: Unsere Sprache 3 (2010), S. 7–30; ders.: Aufrichtigkeit, Vertrauen, Frieden. Eine historische Spurensuche im Umkreis der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹.- In: Euphorion 105 (2011), S. 317–359. Vgl. auch den schönen Katalog einer Ausstellung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Im Garten der Palme. Kleinodien aus dem unbekannten Barock: Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihre Zeit.- Berlin: Akademie Verlag 1992 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; 68). Jetzt einschlägig die Zusammenführung wichtiger Arbeiten
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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ster Zeit quellenkundlich die Aufmerksamkeit gefunden hat, die ihr gebührt. Steckten wir einleitend das räumliche Feld des Ursprungs der neueren deutschen Literatur ab, so ist auch an dieser Stelle zu wiederholen, daß neben Schlesien und der Pfalz eben als dritte kulturpolitische Macht die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ stets an vorderster Stelle in Anschlag zu bringen ist. Ihr Beitrag war der in gewisser Hinsicht bedeutendste, weil fürstlich und institutionell vielfältig abgesichert und befördert. Speziell im Blick auf Opitz ist folglich zu konstatieren, daß sein Anliegen ganz unabhängig von ihm eben auch in dieser Gesellschaft und unter ihren Gründerfiguren bereits Platz gegriffen hatte. So konnte es nicht ausbleiben, daß die eine oder andere prekäre Situation sich einstellen mochte, persönlichem Ehrgeiz und konkurrierendem Bestreben geschuldet. Entscheidend war, daß die Gesellschaft zwingend auf gelehrte und speziell auf poetische Kompetenz angewiesen blieb. Die war nämlich keineswegs automatisch bei den Adligen vorauszusetzen, die das Gros der Mitglieder stellte. Und also war es nur eine Frage der Zeit, wann auch Opitz selbst der Aufnahme gewürdigt wurde. Sie erfolgte, das wird man konstatieren dürfen, verspätet, nämlich erst 1629. Immerhin war für symbolische Auszeichnung gesorgt. Als 200. Mitglied unter dem Gesellschaftsnamen ›Der Gekrönte‹ fand Opitz den lebhaft ersehnten Zugang.46 Da lag seine informelle Bewerbung, die Widmungsadresse an Fürst Ludwig, schon vier Jahre zurück. Und eben ihr haben wir uns nunmehr zuzuwenden.47
Interaktion von Regent und Poet Ein rednerischer Vorwurf tritt beherrschend hervor. An dieser Stelle hat er seinen angemessenen Platz. Es geht um den Zusammenklang von fürstlicher und gelehrter Tätigkeit und spezieller um die Rolle von Poeten und Poesie in der Geschichte von Herrschaft über die Zeiten hinweg. Daß die eine Seite abhängig ist von der anderen und umgekehrt, ist die vorab statuierte Thesis. Über ein reiches Repertoire geschichtlicher Exempla wird ihr Überzeugungskraft verliehen. Opitz wendet sich da einem beliebten Thema im Umkreis des Humanismus zu. Selbstverständlich weiß er ihm in mehrerer –––––––––
46 47
in: Gabriele Ball, Klaus Conermann, Andreas Herz, Helwig Schmidt-Glintzer: Fruchtbringende Gesellschaft. Hundert Jahre nach der Reformation. Forschungen der Arbeitsstelle der Sächsischen Akademie der Wissenschaften an der Herzog August Bibliothek.- Wiesbaden: Harrassowitz 2017 (Wolfenbütteler Forschungen; 150). Vgl. zu allem Näheren das folgende Kapitel. Die Vorrede trägt die Überschrift: Dem Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten vnd Herren/ Herren Ludwigen/ Fürsten zu Anhalt; Grafen zu Ascanien vnd Ballenstedt; Herren zu Zerbst vnd Berenburg; Meinem gnädigen Fürsten vnd Herren.– Sie steht auf den Blättern a2r bis b3r. Die Vorrede ist – mit Kommentar – wiederabgedruckt in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 2. Teil.Stuttgart: Hiersemann 1979 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 301), S. 530–545. Hiernach im folgenden zitiert. Ein weiterer kommentierter Neudruck findet sich in Jaumanns Edition der ›Poeterey‹ (Anm. 17), S. 101–112, Kommentar S. 176–181. Zur Literatur: Knappe weiterführende Hinweise zu dieser besonders wichtigen Vorrede vor allem bei Barner: Barockrhetorik (Anm. 7), S. 227–232, sowie bei Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat (Anm. 7), S. 18–22. Des weiteren: Garber: Martin Opitz (Anm. 7), S. 140–145; ders.: Wege in die Moderne (Anm. 7), S. 159–163.
Historische Paradigmen
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Hinsicht eine eigene Wendung zu verleihen. Und das nicht zuletzt mit Blick auf den Widmungsempfänger. Wie ›Regimenter vnd Policeyen‹ haben ›Geschickligkeit vnnd freye[n] Künste‹ ihre Gezeiten, sprich ihre Höhe- und Tiefpunkte. Wenn es aber einen Grund zu benennen gibt, worauf dieser Wechsel zuallererst beruht, so gilt, »daß gelehrter Leute Zuvnd Abnehmen auff hoher Häupter vnd Potentaten Gnade/ Mildigkeit vnnd Willen sonderlich beruhet.«48 Ihnen also, den Spitzen der Macht, kommt eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Wissenschaften und Künste zu. Das ist mehr als eine Feststellung. Es ist eine Erinnerung an den obersten Stand, sich der Verantwortung für das Gedeihen der in den Händen der Gelehrten liegenden Belange aufmerksam zu widmen und sie zu fördern. Geschichtliche Vergegenwärtigung und Fixierung von Normen fürstlichen Verhaltens gehen wie stets zusammen. Ein Reigen vorbildlicher Manifestationen von Regentenkunst ist zu gewärtigen.
Historische Paradigmen Opitz setzt ein mit den Römern. Was an Wissen in Umlauf ist über die Interaktion von Herrscher und Dichter, montiert er geschickt zusammen. Den Höhepunkt bezeichnet neuerlich die tiefe Verehrung, die Kaiser Augustus dem Größten unter den römischen Dichtern entgegenbringt: Vergil. Eine herausragende Stellung nimmt auch Horaz ein, und selbstverständlich wird Ovid nicht vergessen. Kaiser, die sich in der Folge gleichfalls den Dichtern zugewandt und sie gefördert haben, werden rühmend in die Galerie aufgenommen; diejenigen, die sich dieser Verpflichtung nicht würdig erwiesen, mit Schweigen übergangen oder ausdrücklich getadelt. Die Regenten leben in dem Maße unter der Nachwelt fort, wie sich die Dichter bis in jede erdenkliche Zukunft erinnern werden. Bei ihnen liegt es, was wie tradiert wird. Sie behalten das letzte Wort. Entscheidend bleibt, daß sich die antike Figuration in der Moderne wiederholt. Sie ist aktuell geblieben, und das nicht zuletzt, weil die Humanisten an Hand der zahlreichen antiken Beispiele dartun konnten, daß beide Seiten von einem pfleglichen Umgang miteinander nur profitieren können. Wenn dieser in der Spätantike je abbrach, so wiederholt sich das Wechselverhältnis mit umgekehrten und eben negativen Vorzeichen. Wortkarg nimmt sich das Opitzsche Resümee aus, eingeflochten, um einen Ansatzpunkt für die neuerliche Wende zu gewinnen. Es gibt nichts Erzählens- und also auch nichts Erinnerungswertes. Nach diesem ist auff ein mal die Gewalt vnd Wissenschafft der ewigen Stadt gemach vnd gemach verdorret/ vnd sind aus Römischen Keysern Gottische Tyrannen/ aus Lateinischen Poeten aber barbarische Reimenmacher vnd Bettler worden. Daß man also beydes fast nichts löbliches gethan/ vnnd wenig artliches geschrieben hat.49
Der Aufschwung in der nachantiken Zeit setzt mit Karl dem Großen ein, ohne daß Opitz irgend Näheres verlauten läßt, außer daß der Kaiser eben »auch die Deutsche ––––––––– 48 49
Vorrede in der Edition Schulz-Behrends (Anm. 47), S. 530 f. Ebenda, S. 538.
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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Poeterey herfür gesucht« habe.50 Ihm folgen Kaiser, Könige und Fürsten nach, doch zu mehr als zu Aufzählungen versteht sich der Dichter nicht. Über dem Mittelalter liegen die Schatten der Unbildung und nur einzelne Lichtblicke lassen sich ausmachen, die Opitz bezeichnenderweise unter den Deutschen erblickt. Das humanistische dichotomische bzw. triadische Modell geschichtlicher Entwicklung ist auch bei Opitz voll in Kraft. Der kulturpolitische Rhapsode strebt entschieden der nachmittelalterlichen Zeit zu. Damit ist der Einsatz vorgegeben. Im Italien der Frührenaissance wird inauguriert, was fortan verbindlich bleiben soll. Es bleibt bemerkenswert, daß er mit Dante einsetzt und der ›Divina Commedia‹ einige rühmende Worte widmet. Es ist die Liaison mit der Politik, die Opitz bezeichnenderweise herausstreicht. Der Dichter hat Großes in beiden Welten geleistet. Der eigentliche Archeget aber ist Petrarca. Opitz weiß zu berichten, daß Fürst Ludwig sich angelegentlich mit dessen Dichterkrönung zu beschäftigen pflegt. Sein Blick bleibt nach Italien gerichtet. Festgehalten zu werden aber verdient auch, daß Opitz den Einschlag des griechischen Geistes zu würdigen weiß, vor allem in Florenz. Der Neuplatonismus wird über die einwandernden Griechen zunächst Italien und alsbald dem neueren Europa insgesamt vermittelt. Es blieb dies für die Geschichte der Poesie das vielleicht folgenreichste Ereignis. Entsprechend bezeichnet das Mediceische Zeitalter einen Höhepunkt kultureller Innovation, initiiert von Fürsten und Dichtern bzw. Gelehrten gleichermaßen. Aber auch das Aragonesische Paradigma, vermittelt vor allem über Sannazaro und seine ›Arcadia‹, blieb eine Schlüssel-Episode. Setzt Opitz im folgenden zu einem europäischen Rundgang an, wird rasch deutlich, daß der italienische Auftakt Folgen in Ost und West zeitigte. Matthias Corvinus in Ungarn und Franz I. in Frankreich werden hervorgehoben. Spanien hingegen findet bezeichnenderweise nur ganz am Rande Erwähnung. Frankreich hat mit der ›Pléiade‹ das vielleicht grandioseste Beispiel geliefert, in welchem Maße die muttersprachliche Poesie von dem Bündnis mit einem mächtigen König profitiert. »Wie sich dann auch die sinnreichen Frantzosen/ Marott/ Bellay/ Bartaß/ Ronsard vnnd nunmehr der von Vrfe vmb jhre Sprache so verdienet gemacht haben/ daß sie darumb von den Einheimischen billich geliebet/ vnd von den Frembden beneidet werden.«51 Aber auch auf die späteren Italiener zumal des Quattrocento ist zurückzukommen, an deren Höfen geradezu gewetteifert wird um die kulturellen Trophäen. Und Deutschland?
Übergang nach Deutschland Wir Deutschen/ wie wir zu dem Latein vnnd Griechischen/ nebenst den freyen Künsten/ etwas später kommen sind/ vnnd doch alle andere Nationen an reichem Zuwachs der gelehrtesten Leute vberholet/ vnnd hinter vns gelassen haben/ also wollen wir von vnserer eigenen Poeterey ingleichen hoffen/ die/ vngeachtetet der nunmehr langwirigen krige/ sich allbereit hin vnd wieder so sehr wittert vnd reget/ daß es scheinet/ wir werden auch dißfals frembden Völckern mit der Zeit das Vortheil ablauffen.52
––––––––– 50 51 52
Ebenda. Ebenda, S. 542. Ebenda.
Fürst und Fürsten-Ethos
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Opitz erspart sich bezeichnenderweise zunächst einen Rückblick. Der Beginn soll mit Ludwig gemacht werden und eben dieser wird sogleich direkt angesprochen. Jetzt also ist genauer hinzuschauen. Einen berühmten Passus hat Opitz seiner Hommage vorangestellt. Eine Huldigung und Hochschätzung der Vorgänger in den antiken Studien und Künsten ist ihm aus der Feder geflossen, die zugleich einen Lobpreis auf das Land barg, dem sie angehörten: Italien. Dem Fürsten aber wird gleich eingangs bedeutet, daß er es mit einem patriotischen Kopf zu tun hat, darauf erpicht, die Gleichrangigkeit der Deutschen im europäischen Ensemble zu betonen. Und mehr als das. Opitz wußte um die Meriten der Humanisten auf deutschem Boden. Daß sie größere Verdienste sich erworben hätten als ihre Kollegen in den Nachbarländern, ist dem panegyrischen Impetus geschuldet und im Zusammenhang mit dem sich anschließenden Vortrag zu sehen. Wenn Deutschland so großartig bereits im Lateinischen dastand, ist der Übergang zum Deutschen um so dringlicher. Und der eben verbindet sich nunmehr mit zwei Namen, demjenigen Opitzens und demjenigen Fürst Ludwigs. Eine vnd andere Vmbstände zu erzehlen/ weis ich nicht/ ob Ewre Fürstliche Gnade gnädiges Gefallen daran tragen möchte; das kan ich aber mit Stillschweigen nicht vbergehen/ es habe mich die hohe Gunst/ mit welcher Ewer Fürstl. Gnade vnserer alten/ reinen vnnd ansehnlichen Sprache beygethan ist/ vornehmlich behertzt gemacht/ deroselben hiesige meine Getichte in Vnterthänigkeit zu vbergeben.53
In der Gegenwart bleibt neuerlich eine Leerstelle. Die Ansätze zur Pflege der deutschen Poesie vor und neben Opitz werden geflissentlich ausgespart, denn um so nachdrücklicher prägt sich ein, wer hier an erster Stelle tätig geworden ist. Der Fürst aber ist, wie so viele der politischen Würdenträger im Altertum und in der neueren Zeit, selbst ein Liebhaber der deutschen Sprache, der ihr alle Aufmerksamkeit zukommen läßt. So bahnt sich auch in Deutschland an, was eine so große und der Sache eminent förderliche Tradition besitzt, wie sie Opitz rekapituliert hatte.
Fürst und Fürsten-Ethos Welche Verdienste der Fürst sich erworben hat, ist inzwischen ›in allgemeinem Gerüchte‹. Ein Inbegriff an Gelehrsamkeit, an umfassender Kenntnis der Weisheit der Menschheit ist ›Ewre Fürstliche Gnade‹. Sie hat die Syrer/ Hebreer/ Griechen vnnd Lateiner zu Schuldnern gemacht/ welcher Bücher vnd Künste sie/ aus blosser Liebe der Göttlichen vnnd Weltlichen Wissenschaft/ vnnd wie die Sonne ins gemeine allen Menschen zu frommen/ so vielen Ländern vnd Provintzen mit voller Hand hat ausgetheilet[.]54
Ein weiteres Mal zeichnet sich eine Koinzidenz fürstlicher und poetischer Tugend ab. Akkulturation, Tradierung und Mehrung des Wissens und damit Hingabe an das, was menschliche Bestimmung bleibt, ist beiden eigen. Der Blick reicht weit hinaus über das christliche Abendland und zumal die verschiedenen christlichen Konfessionen. ––––––––– 53 54
Ebenda, S. 542 f. Ebenda, S. 543.
XIII. Poesie als ›verborgene Theologie‹
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Ein höchstes Ideal verbindet Fürst und Dichter. Es ist ein humanistisches, das derart dem fürstlichen Stand zuerkannt wird. Keine Zeile, wenn denn ein Fürst angesprochen wird, die nicht Züge eines Fürstenspiegels mit sich führen würde. Daß nun Ewre Fürstliche Gnade auch der Poesie die hohe Gnade vnd Ehre anthut/ folget sie dem rühmlichen Exempel oben erzehlter Potentaten so verstorben sind/ vnnd giebet selber ein gut Exempel denen die noch leben.55
Was interpretativ erschlossen werden konnte, bestätigt Opitz derart expressis verbis. Lenkt er aber anschließend zur Ruhmsucht als einer Triebfeder fürstlichen Handelns herüber, so belehrt nicht zuletzt die Geschichte, aus der Opitz hinreichend viele Beispiele verfügbar sind, daß die Poesie ihrem Wesen nach diesem Streben in besonderer Weise entgegenkommt. Auch die mächtigsten Bauwerke, Festungen, Städte und was immer noch fürstliche Macht bezeugt, sind vor dem Untergang nicht geschützt.
Finale: Würde der Poesie und des Poeten unter fürstlichem Schirm Anders die Poesie. Sie spendet Ruhm über die Zeiten hinweg. Und darum ist ihre Schmähung ein Frevel. Traumatisch besetzt ist für Opitz ihre Verketzerung. Neuerlich kommt er speziell auf die Liebespoesie zurück, zugleich ihre Präsenz in dem dem Fürsten zugeeigneten Werk weniger rechtfertigend denn erläuternd und ins rechte, ins humanistische Licht rückend. Diejenigen, die sich da vor allem über die Liebespoesie ereifern, wissen nicht und wollen nicht wissen, so wird noch einmal eingeschärft, das in solchen Getichten offte eines geredet/ vnnd ein anderes verstanden wird/ ja das jhm ein Poet die Sprache vnnd sich zu vben wol etwas fürnimpt/ welches er in seinem Gemüte niemals meynet; wie dann Asterie/ Flavia/ Vandala vnnd dergleichen Namen in diesen letzten Büchern [seiner eigenen ›Poemata‹] nichts als Namen sind/ vnnd so wenig für wahr sollen auffgenommen werden/ so wenig als glaublich ist/ daß der Göttliche Julius Scaliger so viel Lesbien/ Crispillen/ Adamantien/ Telesillen/ Pasicompsen/ vnnd wie sie alle heissen/ geliebet als gepriesen habe.56
Der Dichter wird seinem Treiben die Treue bewahren, den gelehrten Studien ebenso wie dem Poetisieren. Nach ›grössern Wercken‹ steht sein Sinn. Er weiß sich am Anfang und zu Höherem berufen. Was aber nun vorliegt, erheischt »das verstendige Vrtheil/ so Ewre Fürstl. Gnade hierüber fellet/ vnnd die Liebe/ welche sie neben vielen grossen vnnd fürnehmen Leuten hierzu treget.«57 Wirkungsvoller konnte der Einzug auf dem poetischen Parnaß nicht inszeniert werden. Dichter und Fürst vereinigten sich zu Eingang des 17. Jahrhunderts auch in Deutschland genauso wie dies ehedem in den Blütezeiten im Altertum und in der neueren Zeit geschehen war. Verwandlung in der Wiederholung vollzieht sich. Darin war ein Geheimnis beschlossen. So lange wie ein Wissen um dieses, erfüllt von humanistischem Geist, lebendig war, durfte auch ein Archeget sich über die Zeiten hinweg geborgen wissen. ––––––––– 55 56 57
Ebenda. Ebenda, S. 544. Ebenda, S. 545.
XIV. Zwischen den Fronten Der Dichter im Schlesien nach der Katastrophe Erwägungen zur Disposition Ein Zeitraum von sieben Jahren liegt zwischen Opitzens Rückkehr aus Siebenbürgen und seinem Aufbruch nach Paris. Ein verändertes berufliches Profil formt sich heraus. Der Dichter bleibt seinem poetischen Auftrag treu. Wir haben von der Einfuhr einer ersten Ernte in Gestalt zweier Gedichtsammlungen gehört. Er setzte seine kulturpolitischen Aktivitäten fort. Auch davon war zu sprechen. Selbstverständlich bleibt er auf beiden Feldern weiterhin tätig; davon sogleich. Neu aber macht sich eine dritte Dimension seines Wirkens zunehmend geltend. Opitz wird als Diplomat und also in politischer Mission in Dienste genommen. Unverkennbar gewinnt diese Rolle von Jahr zu Jahr an Bedeutung. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens schließlich behauptet sie sich dominant. Wir bleiben bei dem einmal eingeschlagenen Weg. Mit Opitz kommunizierende Personen und vor allem seine Werke stehen im Mittelpunkt. Nun aber erfordert ein rascherer Wechsel der Schauplätze und ein merkliches dichterisches Ausgreifen auf sehr verschiedene Gattungen und Formen für eine Weile eine leichte Variation im darstellerischen Duktus. Raffend und summierend muß einerseits vorgegangen waren, während zugleich an gewissen Stationen und im Blick auf ausgewählte Werke ein längerer Halt eingelegt wird. Ein Autor, der zu einem derartigen Wechsel des Schrittempos genötigt ist, kann rückblickend nur hoffen, die angemessenen Akzentuierungen vorgenommen zu haben. Es wird sein Bestreben sein, geordnet und ohne Hast, gelegentlich jedoch mutig und zügig, den jeweils nächsten prominenten Fixpunkt anzusteuern. Indem das ebenso umfängliche wie reizvolle Kapitel ›Opitz und die Piasten‹ vorerst ausgeklammert bleibt, werden Freiräume gewonnen, die wahrgenommen sein wollen. Das Ganze ist stets im Blick zu behalten.
Ein erstes Mal bei Hans Ulrich von Schaffgotsch Die gegebene Anlaufstelle auch nach 1620 blieben die Piastenherzöge für Opitz. Das war schon vor der Siebenbürgen-Exkursion der Fall, und das wiederholte sich nach Rückkehr aus dem Lande Bethlen Gábors. Was aber konnte der Dichter darüber hinaus mobilisieren an Stützpunkten und an Schirmherrschaften für sein berufliches Aus-
XIV. Zwischen den Fronten
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kommen und vor allem für sein Werk? Opitz wäre nicht Opitz – wir müssen diese Formulierung immer wieder bemühen –, wenn er nicht aus dem ihm eigenen Instinkt heraus den jeweils genau richtigen Schritt getan hätte. Er mußte nach einem den Piastenherzögen verbundenen mächtigen Mann Ausschau halten. Und er fand ihn alsbald in Hans Ulrich von Schaffgotsch.1 Diesen Namen zu hören verbindet sich für den Historiker mit gänzlich anderen Vorstellungen als für den Literaturwissenschaftler und zumal den Kenner des Opitzschen Werkes. Für den ersteren ist von Schaffgotsch eine zentrale Figur in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, insbesondere in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre. Für den Opitianer dagegen ist sein Name für immer mit einer Dichtung verknüpft, die manch einer für die schönste aus seiner Feder zumindest im erzählerischen Genre hält. Wir werden sie sogleich im nächsten Kapitel kennenlernen – und damit auch diejenige Figur, die in ihr eine prominente Rolle spielt, eben Hans Ulrich von Schaffgotsch. An dieser Stelle figuriert der große Feldherr in durchaus anderer Funktion. Von Liegnitz bzw. von Wohlau aus, wo er in der Umgebung des Fürsten Georg Rudolf weilte, brach Opitz im Gefolge des Fürsten im Sommer des Jahres 1624 nach Warmbrunn auf. Dort residierte von Schaffgotsch. Er hatte 1620 die Schwester der beiden Herzöge Johann Christian und Georg Rudolf, Barbara Agnes, geheiratet. Das blieb ein spektakuläres Ereignis, umschattet freilich von dem Tod der Herzogin noch zu Lebzeiten Schaffgotschs. Heirat und Tod haben gleichermaßen besonders eindrucksvolle Dichtungen in Opitzens Werk gezeitigt. Wir werden sie kennenlernen. Auch später kehrte Opitz nach Warmbrunn zurück, wovon wiederum sogleich im folgenden Kapitel zu berichten sein wird. Jetzt aber lernen wir von Schaffgotsch zunächst als Widmungsempfänger kennen. Und das im Vorspann zu einem großen lateinischen Text, der in mancherlei Hinsicht singulär im Œuvre Opitzens dasteht. Ihn dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Opitz begibt sich, im Gefolge des Tacitus und anderer, auf das Gebiet der politischen Geschichtsschreibung im Medium der Biographie. Das ist ein so sehr durch Tradition geprägtes Genre, daß Opitz unmöglich darauf verzichten kann, dieser Tatsache eine eingehendere Betrachtung zu widmen. Eben dies geschieht in der Widmung an Schaffgotsch. Auch deshalb verlangt sie eine nähere Inspektion.2
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Wir haben die Literatur über ihn dem nächsten Kapitel vorbehalten und verweisen im Vorgriff darauf an dieser Stelle zunächst nur auf den Eintrag von Willy Klawitter in: Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts. Namens der Historischen Kommission für Schlesien. Hrsg. von Friedrich Andreae, Max Hippe, Paul Knötel, Otfried Schwarzer.- Breslau: Korn 1928 (Schlesische Lebensbilder; 3), S. 27–36. Sowie der Reprint Sigmaringen: Thorbecke 1985, S. 27–36. Vgl. Illvstris Domini Seyfridi Promnicii Baronis Plessensis; Sorauiae, Tribellii & Hoierswerdae Domini, etc. Herois fortissimi, Vita. Scriptore Martino Opitio. Bregae Ex Officinâ Typographicâ Augustini Grunderi. M. DC XXIV. Exemplare aus der von Rhedigerschen Stadtbibliothek Breslau (4 E 513/6 und 4 E 515/14) übergegangen in die BU Wrocław: 355060 und 355076. Die Stadtbibliothek besaß weitere Exemplare, heute – mit solchen anderweitiger Provenienz – aufbewahrt in der BU Wrocław. Neudruck des Textes in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 1. [und] 2. Teil.-
Res gestae, historia und veritas
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Res gestae, historia und veritas Trefflich unterscheidet Opitz gleich im ersten Satz zwischen der inneren und der äußeren Politik (res gestae domi forisque), verlangen beide doch nach verschiedenen Formen der Erinnerung (memoria). Unter dem einzigen Gesetz der Wahrheit steht die Geschichtsschreibung. Wie schwer aber ist es, dem Genüge zu tun, sind doch die überlieferten Nachrichten vielfach nur ein dunkles Gerücht (obscurus rumor). Und was die eigene Zeit angeht, so lauern überall Schmeichelei, Mißgunst und Parteilichkeit. Die triftigen Beweise aus der Antike sind nur allzu leicht zur Hand. Nun aber geht es um die Gegenwart und jüngste Vergangenheit. Der Dichter in der Rolle des Historiographen positioniert sich und dazu gehört – wir kennen dies inzwischen zur Genüge – das Herausstreichen der eigenen Pioniertat. Wer denn hat bislang schon versucht, die Kriege und Wechselfälle unserer Zeit (nostri etiam temporis bella fortunamque) mit freimütiger und edelgesinnter Offenheit (libertate animi ac generositate) anzusprechen? Denn dazu gehört es an erster Stelle, Gier, Habsucht, Ehrgeiz und andere verbrecherische Taten namhaft zu machen, durch welche göttlichen wie menschlichen Bewandtnissen allemal nur Schaden zugefügt wird. Als Moralist betritt der Redner die Bühne und man ahnt, wo die Frevler zu suchen sind. Dieser selbst ernannte Historiker kennt sich aus im politischen Getriebe. Er war und ist Zeuge des Kanzleienstreites, von dem wir hörten. Und so weiß er, wie er betont, von den unbekannten und verborgenen Papieren, denen Worte, Taten und Pläne anvertraut sind, die unter allen Umständen verborgen bleiben sollen. Später dann, wenn die Gefahr überstanden ist und Ruhm sich an ihre Publikation knüpft, mögen sie ans Licht treten. Bis dahin aber sind die den Schönen Wissenschaften Ergebenen gefordert. Ihnen obliegt es, aus der ebenso obskuren wie delikaten Materie Funken zu schlagen. Für ein derartiges Projekt stehen dem Schreiber die zündendsten Formulierungen zur Verfügung. Haben sie an Aktualität eingebüßt? Interea vel tenues earum rerum scintillas spargamus, quae maximo postea bonorum gaudio frementibus nequicquam veritatis pariter et artium liberalium osoribus, radios Sole ipso clariores emittent.3
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Stuttgart: Hiersemann 1978 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300.301), 1. Teil, S. 293–313. Zweisprachige Version in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 4–41, Kommentar S. 255–282. Der außergewöhnlich reichhaltige und mit umfänglicher Einleitung versehene Kommentar rührt her von Walther Ludwig. Er zehrt von der wichtigen Arbeit Ludwigs: Martin Opitz und seine ›Vita Seyfridi Promnicii‹ – eine humanistische Biographie.- In: Neulateinisches Jahrbuch 6 (2004), S. 137–157. Eingegangen in: Walther Ludwig: Miscella Neolatina. Ausgewählte Aufsätze. 1989–2003.- Olms: Hildesheim, Zürich, New York 2005 (Noctes Neolatinae. NeoLatin Texts and Studies; 2.3). Wir zitieren im folgenden nach dieser Edition. Hier auch die einschlägige Literatur. Opitz: Lateinische Werke. Band II (Anm. 2), S. 8. In der Übersetzung: Inzwischen wollen wir selbst schwache Funken von den Dingen verbreiten, die später zur größten Freude der Gutgesinnten Strahlen aussenden werden, die heller sind als die Sonne selbst. Diejenigen, die die Wahrheit
XIV. Zwischen den Fronten
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Bilder der Tugend Da ist der Opitz des ›Trost-Gedichte‹ neuerlich vernehmbar. Den Piasten durften solche Worte womöglich nicht zugesprochen werden, wenn anders nicht Gefahren heraufbeschworen werden sollten. Dem bewährten Feldherrn vermochten sie nicht zu schaden. Das geht nur allzu deutlich aus der Widmungsadresse hervor, die gleich auf die historiographische Exkursion folgt. Auch sie gibt sich wohldisponiert. Zunächst wird der Person gedacht, welcher der Text gewidmet ist, dann schließen sich die dem Adressaten zugedachten Worte an. Es waltet eine sogleich hervorspringende Koinzidenz zwischen dem Belobten und dem Bewidmeten, und man versteht, daß es Opitz reizte, für den einen wie für den anderen sein Wort in die Waagschale zu werfen. So erfolgt noch in der Widmung der Schwenk zu dem Helden der Erzählung, die sich zugleich als Lobpreisung gibt. Siegfried von Promnitz hat sich im Krieg wie im Frieden gleichermaßen bewährt. Sollte aufgrund jüngster Geschehnisse, die Opitz bewußt nicht näher spezifiziert, im Ausland die Meinung sich ausbreiten, daß Tapferkeit und Tugend von den Deutschen gewichen seien, so lehrt das Exempel des Promnitz ein anderes. Ihn vorzustellen sei auch deshalb ein Gebot der Stunde. Inmitten des Krieges, in dem er an vorderster Stelle steht, vereint er doch zugleich die Künste des Friedens (pacis artes) in sich. Auch er widmet sich in Pausen der Erholung mittels der Wissenschaften. Diese Symbiose bildet überhaupt erst die Voraussetzung dafür, daß ein Repräsentant des öffentlichen Lebens, daß ein den Taten Ergebener ein Anrecht darauf erhält, von einem Repräsentanten der Schönen Künste gepriesen zu werden. Ein ›wahrhaftes Bildnis der Tugenden‹ (veram virtutum effigiem), wie es auch der Widmungsempfänger repräsentiert, wird diesem überreicht werden. Der Gepriesene ist verstorben. Nun steht Schaffgotsch alleine ein für eben jene Tugenden, die der Autor im folgenden namhaft machen wird. Er folgt damit nicht nur einer Bitte Schaffgotschs, sondern auch Herzog Georg Rudolfs. Und so ist denn Gelegenheit, eine kleine Episode einzuflechten. Als der Dichter aus Ungarn heimkehrte, grassierte die Pest in seiner Heimatstadt Bunzlau. Er wagte nicht, das väterliche Haus zu betreten. Da sprang Georg Rudolf ein. Er beorderte ihn nach Liegnitz und erwies ihm alle erdenkliche Wohltat. Der Dichter kann ihm dafür weder im Leben noch im Tod den gehörigen Dank abstatten. Wer vermöchte Ähnliches von sich zu behaupten? Ein der höchsten Ehren Gewürdigter meldet sich zu Wort. Augusteische Weihen wiederholen sich zeit- und raumversetzt en miniature im fernen Schlesien. Nicht ein Paratext Opitzens, in dem nicht an der Ruhmessäule gezimmert würde. Noch in Warmbrunn kommen Text und Widmung zustande; auf den ersten Juli des Jahres 1624 ist die Zueignung datiert. Die von Opitz selbst redigierte Sammlung seiner Gedichte liegt also noch gar nicht vor; wir haben es mit einem der frühen Würfe zu tun, wie sie die Mitte der zwanziger Jahre auszeichnen. ––––––––– und ebenso die schönen Wissenschaften hassen, werden dann vergeblich mit den Zähnen knirschen. (S. 9).
Sproß der von Promnitz: Eine illustre vita in nuce
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Sproß der von Promnitz: Eine illustre vita in nuce Wir müssen darauf bedacht sein, in wenigen Strichen ein Bild zu zeichnen. Akzente also sind zu setzen. Erfüllt von Pessimismus bleibt Opitz im Blick auf den Umgang der Zeitgenossen mit einem der ihrigen. Um so wichtiger nimmt sich im Gegenzug die Tugend der Erinnerung aus, wie sie den über Wort und Schrift Gebietenden obliegt. Die Statuierung des unsterblichen Teiles eines Dahingegangenen ist ihr Metier. Und das um so mehr in einem an Taten und Werken armen Jahrhundert. Glänzend informiert zeigt sich Opitz, weiß um die Verbindungen väterlicherseits zu dem illustren Bischof Balthasar von Promnitz und mütterlicherseits zu dem Geschlecht der von Schaffgotsch. 1573 wird Siegfried von Promnitz geboren, ist also fast gleichaltrig mit Scultetus. Das Brieger Gymnasium wird besucht, später der Unterricht auf böhmischem Boden in Königgrätz fortgesetzt. Zunächst in Wittenberg und sodann in Padua wird das Studium der Rechte absolviert. Eine dreijährige Bildungsreise, wie Opitz selbst sie niemals genossen hat, ist dem Sproß aus altem Hause nebst seinem Bruder vergönnt, der sich ein nochmaliger dreijähriger Aufenthalt zu weiterem Studium in Padua anschließt. Bestens qualifiziert wird der Übertritt in das öffentliche Leben vollzogen. Stand und Herkunft entsprechend sind es zunächst militärische Obliegenheiten, und zwar vornehmlich in Ungarn und Siebenbürgen. Opitz vermag hier aus eigener Erfahrung und reichem Wissen zu schöpfen. Was in Siebenbürgen sich ereignet hat, ist nur allzu geeignet, das dunkle Bild, welches die jüngste Geschichte allenthalben bietet, zu bekräftigen. Promnitz befehligt das schlesische Heer daselbst und erweist sich als ein Inbegriff von Tapferkeit und Großherzigkeit. Auch in den Niederlanden kämpft er an der Seite von Moritz von Nassau gegen die Spanier und ist die entscheidende Figur bei der Einnahme Ostendes. Erfüllt von staatsmännischer Klugheit, vermag er sich gleichwohl aus den Streit der Parteien herauszuhalten, wie Opitz betont. Nach einem vierjährigen Aufenthalt in Frankreich und England kehrt er in die schlesische Heimat zurück. Und nun setzt jenes segensreiche Wirken ein, um dessentwillen Opitz zur Feder gegriffen haben wird. Angebote von kaiserlicher oder kurfürstlicher Seite lehnt er ab, wünscht er doch, ein freier, über sich selbst verfügender Herr zu bleiben. Als ein solcher aber widersetzt er sich auch dem Ruf der schlesischen Fürsten und Stände. Das muß überraschen. Opitz aber hält eine Erklärung bereit, die zeigt, was die Stunde geschlagen hat. Das Wüten der Waffen hält an. Wie viele leihen ihre Faust dem unseligen Treiben, nur geleitet von Hoffnung auf Gewinn und falschem Ehrgeiz. excitante inter se parricidiale odium, quasi spectaculum exhibere ceteris nationibus vellet, Germania, fratribusque, apud quos plus interdum metus aliorumque autoritas valebat quam pietas et numinis reuerentia, gladiatorio more concurrentibus.4
––––––––– 4
Ebenda, S. 28. Die deutsche Übersetzung: Deutschland erregte in sich einen brudermörderischen Haß, gleich als ob es den anderen Völkern ein Schauspiel bieten wollte, und die Brüder, bei denen bisweilen Furcht und die Autorität anderer stärker waren als Frömmigkeit und Gottesverehrung, kämpften in der Art von Gladiatoren miteinander. (S. 29).
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Der Bürgerkrieg, überall in Europa schon entfacht, hat die deutschen Lande erreicht. Von Promnitz hat sich ihm entzogen. Die Einheit und das Wohl des Vaterlands, unentwegt von den Humanisten beschworen, steht ihm an oberster Stelle. Nur im Frieden wird dieses höchste Gut Wirklichkeit. Es ist geknüpft an ›deutsche Redlichkeit‹ (candore Germano), wie es in einer an die Sozietätsbewegung gemahnenden Formulierung heißt. Als eine mit dieser Tugend im Bündnis stehende und sie repräsentierende Figur zeichnet Opitz den Freiherrn. Für eine proevangelische oder gar proreformierte Parteinahme gibt die Biographie von Promnitz auf den ersten Blick also nichts her. Es geht um die Nuancen. Nach langwierigen Prozessen, von Opitz eben nur angetippt, wird von Promnitz die Baronie Pleß vom Kaiser zuerkannt. Die erste Maßnahme besteht in der Neuordnung des Gottesdienstes. Denn der Freiherr war der Überzeugung, »daß er das beste Fundament für seinen Besitz legte, wenn er der Frömmigkeit zu Hilfe eilte, die gerade in diesen schlimmen Zeitläuften arge Not litt.«5 So nimmt sich die publizistische Situation nach 1620 bzw. 1623 in Schlesien aus. Der Leser erinnert sich an frühere Äußerungen und weiß sich seinen Reim zu machen. Stets war im Blick auf den Kaiser gerade in den böhmischen Nebenländern Zurückhaltung geboten. Nun hat es mit den beiden Formulierungen sein Bewenden. Die Tat zählt. Von Promnitz verfährt wie seine aufgeklärten Standesgenossen links und rechts, und das heißt zeitgemäß und zugleich der Zeit entschieden voraus. Ein Beispiel einzigartigen Erbarmens (singularis misericordiae) stiftet der Freiherr, indem er zwei Angeklagten die Todesstrafe erläßt. War auch hier die Religion im Spiel? Der Text bietet keine näheren Informationen. Ein den Evangelischen zugetanes Leben soll offenkundig vor jeder Gefährdung bewahrt werden. ›Politisches‹ Verhalten des Panegyren ist angezeigt und Opitz bewährt eben diese Tugend vorbildlich.
Der Dichter vor dem Kaiser Daß gerade sie auch an anderer Stelle gefragt war, sollte sich rasch zeigen. Ende Dezember des Jahres 1624 war der Bruder des Kaisers Ferdinand II., der österreichische Erzherzog Karl, in Madrid gestorben. Er war auf Einladung Philipps IV. nach Spanien gekommen, da der spanische König beabsichtigte, ihn zum Statthalter in Portugal zu ernennen. Die Aussicht auf diese Position hatte er sich in den Augen Philipps durch seine Taten in seinen Stammländern erworben.6 Auch für Schlesien galt es, gegenüber dem Kaiser Beileid zu bezeugen. Und das nicht zuletzt, weil der Erzherzog auch als Bischof von Breslau und Brixen fungiert hatte. Eine Delegation war zusammenzustellen. Der nunmehrige Präsident der Schlesischen Kammer, der die Piastenherzöge nach der Katastrophe abgelöst hatte, führte sie an. Es war kein anderer als Karl Hannibal von Dohna. Mit zu der diplomatischen ––––––––– 5
6
Ebenda. Der lateinische Text: optimum se rei familiaris fundamentum iacere existimans, si pietati, pessimis hisce temporibus ferè laboranti, succurreret. (Ebenda). Vgl. den wichtigen Beitrag von Walther Ludwig: Des Martin Opitz Epicedium auf Erzherzog Karl von Österreich.- In: Daphnis 29 (2000), S. 177–196.
Casa Austriaca
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Kohorte gehörten die fürstlichen Räte Reinhard von Kirckepusch und der uns wohlbekannte Caspar Kirchner. Vermutlich über Kirchner erfolgte nun eine über Opitzens Leben tatsächlich entscheidende Weichenstellung. Er bekam die Chance, sich der Delegation anzuschließen. Und wie stets ergriff der Dichter sie. Auf den 12. März des Jahres 1625 datiert die kaiserliche Audienz bei Ferdinand II. in Wien, eben demjenigen, dem die Pfälzer für eine kurze Frist die böhmische Königskrone entwunden hatten. Welche Empfindungen mögen einen Opitz bewegt haben? Politisches Auftreten war erfordert. Und verband sich dieses mit poetischem Kalkül, dann mochte daraus Zukunftsträchtiges erwachsen. Opitz agierte neuerlich bravourös. Er erhielt Gelegenheit, dem Kaiser ein deutschsprachiges Beileidsgedicht zu überreichen. Dieses hat sich glücklicherweise erhalten. Es existiert allerdings auch eine lateinische Version. Und wie es zu der kam, hat Opitz selbst verraten. Es handele sich um ein improvisiertes Gedicht. Ein bedeutender Herr am Kaiserlichen Hof habe ihn aufgefordert, das Gedicht ins Lateinische zu übertragen, und das sei dann binnen einer Stunde geschehen. Wie immer es damit bestellt sein mag, als Entschuldigung für holprige und unebene Passagen taugte das Diktum allemal, und den späteren Biographen kam es zupaß. Der Dichter aber war wohlvorbereitet auf die Reise gegangen und hatte in Wien Muße zum Abfassen eines großen Alexandrinergedichts gefunden. Diesem haben wir uns nunmehr zuzuwenden.7 Und das zunächst in unserer Rolle als Leser und als Verfasser dieses Buches, das bereits in der Mitte seiner zweiten Hälfte steht. Wie viel war zu berichten über Opitzens publizistische und poetische Teilnahme am geistigen und schreibenden Widerstand gegen die katholische Seite im konfessionellen Ringen. Madrid in erster Linie, durchaus aber auch das Kaiserhaus in Wien, waren mehr als einmal im kritischen Visier. Die Worte sind im Ohr, wenn ein Gedicht wie das folgende in den Mittelpunkt rückt.
Casa Austriaca Wie soll es dem Autor gelingen, glaubwürdig zu bleiben, wenn es nun diejenigen zu ehren gilt, welche eben noch der Unterdrückung des evangelischen Glaubens geziehen worden waren? Das ist keine unstatthafte Frage. Die Meinung, Texte des Humanismus oder des Barock seien ausschließlich rhetorische Artefakte und spezifische ›stimmige‹ Gehalte nicht dingfest zu machen, ist absurd. Es sollte gelungen sein, zu zeigen, wie intensiv auch die Reden und Gedichte Opitzens auf geschichtliche Kon––––––––– 7
Das Voranstehende nach den Angaben in den Einleitungen und Kommentaren der beiden verfügbaren Editionen. Vgl. Opitz: Gesammelte Werke. Band II (Anm. 2), 2. Teil, S. 564–571 (deutscher und lateinischer Text); Opitz: Lateinische Werke (Anm. 2), Band II, S. 56–61, Kommentar S. 308–313. Übersetzung und Kommentar von Walther Ludwig. Zitiert wird nach der Ausgabe von Schulz-Behrend. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Brief Opitzens an Buchner vom 10. Mai 1625, in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition und Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band I, S. 383–386, mit dem Kommentar Anm. 3.
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stellationen reagieren, so daß durchaus wertende und stellungnehmende Passagen auszumachen sind. Noch einmal also: Welche Strategien werden Opitz verfügbar sein, wenn ihm nunmehr eine Huldigung an die so oft auf der Gegenseite agierende Macht abgefordert wird? Opitz hat die Ehrungen des Erzherzogs und des Kaisers in gewohnter Brillanz absolviert. Spezifische Formulierungen sind nicht erkennbar und auch nur der Anflug einer kritischen Note selbstverständlich verpönt. Immerhin, schon in den vier Eingangszeilen wird signalisiert, in welche Richtung der Autor zu schreiten gedenkt. ALlhier in diese Grufft liegt Karolus gesencket/ Der werthe thewre Heldt/ den GOtt der Welt geschencket/ Vnd was jhm ähnlich ist/ das Haus von Oesterreich/ Das hochberühmbte Haus/ dem nichts auff Erden gleich.8
Um den Verstorbenen wird es gehen, des weiteren um den an der Macht befindlichen Kaiser, aber eben – und wie vorausgeschickt werden darf: vor allem – um die ›Casa Austriaca‹. Sie ist Jahrhunderte über nicht involviert gewesen in Geschehnisse, wie sie die jüngste Zeit erschütterten. Die Hände ihrer Repräsentanten sind über lange Zeit unbefleckt geblieben. So bietet es sich an, auszuweichen in eine große Vergangenheit. Das Lob des gegenwärtigen Hauses erhält ein Fundament, geeignet, die Schrecknisse der Gegenwart wenn nicht vergessen zu machen, so doch zu mildern und in einem veränderten, geschichtlich perspektivierten und vertieften Licht erscheinen zu lassen.
Verschränkung der Zeiten Allzu früh ist der Erzherzog dahingegangen. Gott hat ihn zu sich gerufen aus einer »verwirrten Welt/ von welcher stetem Wancken/ | Vnd blinden Eitelkeit« der Verstorbene sich seinerseits stets schon abgewandt hatte, um sich ›Himmlischen Gedancken‹ zu widmen.9 Wir sind Zeugen der Geburt jenes pessimistischen Bildes der Geschichte, wie es das 17., wie es das ›barocke‹ Jahrhundert kennzeichnen sollte. Wird der Blick auf die Gegenwart und jüngste Vergangenheit politisch entschärft, wird Verzicht geleistet auf die Identifizierung von Aggressoren und Opfern, dann mutiert das Bild zu einem statischen. Eine generelle Verfaßtheit der Welt in ihrer Verfallenheit greift Platz in Köpfen und Herzen. Grund genug also, stets wieder an die Wurzeln dieser Sicht zu erinnern. In den Konfessionskriegen, der Spaltung der Christenheit, ist die ontologisch sich gebende Formulierung konkret zu verorten. Tatsächlich muß Opitz den Lichtkegel nun auf Spanien und genauer auf Madrid richten. Der Atem stockt. Zu lebendig sind die Bilder derjenigen Macht, die kein Mittel scheute, um die Niederlande in die Knie zu zwingen. Opitz stand soeben noch an vorderster Stelle, wenn es galt, den Frevel zu brandmarken. Und nun eine Euloge? Dem Dichter fließt eine zweideutige Formulierung zu. Nicht gerne höre man jetzt von Spanien und seiner Hauptstadt. Doch die Wendung, die zu andersgearteten Vermu––––––––– 8 9
Opitz: Gesammelte Werke. Band II (Anm. 2), 2. Teil, S. 564, Verse 1–4. Vgl. die Verse 8 ff. im Eingang.
Ein Haus, ›dem nichts auf Erden gleich‹
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tungen Anlaß geben könnte, wird sogleich aufgefangen. Die Gedanken sträuben sich, herüberzuwandern zur iberischen Halbinsel angesichts des Trauerfalls, der Stadt und Land heimgesucht, ja, auch noch Portugal und seine Hauptstadt ergriffen hat. Und doch; die Vergangenheit bleibt lebendig. Nicht genug bewundern kann man die Kunst des Dichters, an der Verschränkung der Zeiten zu arbeiten. Tajo, Donau und Moldau trauern. Aber wie stand es doch soeben noch um die letztere? Blutgetränkt schossen ihre Fluten dahin und nur allzu bekannt ist der Urheber der Greuel; wir erinnern uns. Und dann das weinende Schlesien! Es weint um den Erzherzog. Aber es war gerade noch und wiederum wegen ganz anderer Vorkommnisse tränenerfüllt. Nun hat es den Verstorbenen selbst nicht zu Gesicht bekommen, doch sein Herz ist in der bischöflichen Metropole Neisse beigesetzt. Und schließlich Deutschland, das Vaterland? Bitterstes hat es erleiden müssen. Die Tränen versiegten ob des Ungeheuerlichen, nun erst lösen sie sich. Die Trauer um den Dahingeschiedenen und die Erinnerung an die Tränensaat in Habsburgs evangelischen Regionen treten übergangslos nebeneinander, und nur der Poesie ist es gegeben, dieses Wunder der Einheit im Verschiedenen zu erwirken, zwischen Gegenwart und jüngster Vergangenheit einen energiegeladenen Kontakt zu stiften, Trauerrede und geschichtlich gesättigte Threnodie engzuführen. Hier wo der Hercules zwo Seulen auffgesetzet/ Vnd wo des Tagus Flut die dürren Felder netzet/ Ist nichts als Klag’ vnd Noth. die Thonaw schwellt sich auff/ Der Wässer Königin/ vnd endert jhren Lauff. Der strengen Multe Strom scheint röter noch zu fliessen Als damals wie man sah’ in solcher Menge schiessen An seinem Vfer her so vieler Menschen Blut. Wie weint doch Schlesien/ das nun sein höchstes Gut/ Vnd seinen Vater selbst/ so schnelle hat verlohren/ Dem er sein Hertze noch zu schicken hat erkohren/ Weil er sich selbst nicht schickt? die Felsen in Tiroll/ Vnd Hügel allesampt/ sind grossen Trawrens voll. Ganz Deutschland/ welches doch bißher die scharffen schmertzen So Mars jhm zugeführt/ mit fast verstocktem Hertzen/ Wie grimme Löwen thun/ in sich gefressen hat/ Seufftzt jetzund bitterlich/ vnd weis jhm keinen Rath.10
Ein Haus, ›dem nichts auf Erden gleich‹ Kein näheres Wort verlautet über den Erzherzog. Der Tenor liegt auf der allgemeinen, den Erdkreis umgreifenden Trauer. Der Dichter erspart sich derart ein Eingehen auf Taten und persönliche Verdienste des Verstorbenen. Um so mehr Raum wird frei für die Vergegenwärtigung des Hauses, dem der Verblichene verbunden war und forthin bleibt. Eine Heldenschau wird eröffnet. Jedem der Großen ist von Gott ein Platz angewiesen. Der Dichter braucht den göttlichen Vorgaben nur zu folgen. Auch so vermag Autorität und Legitimität begründet zu werden. ––––––––– 10
Verse 25–40.
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Mit der Erwähnung Konstantins setzt die Folge ein, und sogleich schließt sich Karl der Große an, dem das Verdienst zukommt, das Reich der Römer nach Deutschland versetzt zu haben. Damit ist die Vorgeschichte bereits beendet. Das eigentliche für die Deutschen einschlägige Ereignis ist der Eintritt des Hauses Habsburg in die Geschichte. Nicht einer der Kaiser, der sich nicht um das Reich und die Mehrung seines Ruhms verdient gemacht hätte. Nicht weniger als ein Viertel der insgesamt 132 Verse wendet der Dichter auf die stolze Galerie, bevor er bei dem Erzherzog anlangt. Doch damit ja nicht genug. Nunmehr liegen die Geschicke des Hauses Österreich und die des Deutschen Reiches bei Kaiser Ferdinand II. Auch der will bedacht sein. Herab vom Himmel blickt der Dahingegangene auf Erden und also zuvörderst auf ihn. vor anderm aber allen Leßt er des göttlichen Gesichtes Stralen fallen Auff dieser Erden Haupt/ den grossen Ferdinandt/ Der nun vnd ewig wird von Thaten seyn bekandt. Er wündschet/ vnd wir auch/ daß Gott das lange Leben/ So jhm genommen ist/ dem Keyser wolle geben/ Der zwar an Stärck’ vnd Krafft der Rhum ist dieser Zeit/ Vnd aller Fürsten Fürst/ doch mehr an Freundligkeit/ Die Gott am nechsten kömpt. [...] Ihr sollt vns wiederumb/ auff diesen langen Streit/ Vernewen wie sie war die alte güldne Zeit.11
Da wird für einen Moment noch einmal die Erinnerung an ›diesen langen Streit‹ wachgerufen, der natürlich als der konfessionelle zu identifizieren ist. Eine nähere Zuschreibung verbietet sich. Doch seines auf fürstliche Normen bedachten Auftrages waltet der Dichter. Frieden herbeizuführen bleibt die vornehmste Pflicht des Regenten. Der Sprecher aber hat mehr und anderes im Sinn. Der Kaiserin Eleonore von Mantua wird gedacht und der beiden männlichen Nachkommen aus der ersten Ehe mit Maria Anna von Bayern, damit eben auch des späteren Kaisers Ferdinand III., unter dem das bittere Schicksal der Evangelischen in Schlesien sich erfüllen sollte. Opitz hingegen: Der zweyen Fürsten Rhum/ die ewre Frewd’ vnd Wonne Vermehren jederzeit/ aus derer Augen schon Anjetzt zu sehen ist der väterliche Thron Die sollen offenbahrn/ daß zwey gefunden werden Die vber alles sind im Himmel vnd auff Erden; Im Himmel vnser Gott/ der nur jhm selber gleich’/ Vnd hier auff dieser Welt das Haus von Oesterreich.12
Man gewahrt den Regiewechsel? Dem Haus Österreich gilt über weite Strecken der Preis und allemal das letzte Wort. Über ihm regiert nur Gott. Der ist ein einiger, so wie der Glaube an ihn ein einiger sein soll, wie unterschwellig mitzuhören. Der Frieden einer neuen ›güldnen Zeit‹ und der religiöse Friede gehören zusammen. Es existieren unverbrüchliche Essentialia, die zu keinem Zeitpunkt zur Disposition stehen. ––––––––– 11 12
Verse 101–109, Verse 119 f. Verse 126–132.
Eine verwickelte Geschichte
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Opitz nutzt die Gelegenheit der Trauerbekundung, um dem Hause Österreich in Vergangenheit und Gegenwart seine Reverenz zu bezeugen. Neben den Piasten und den evangelischen Fürsten und dem hohen ständischen Personal gelangen nunmehr der Kaiser und sein Statthalter in Schlesien Karl Hannibal von Dohna in das sorgfältig geknüpfte Netzwerk. Der Dichter aber schickt sich an, voller Bedacht eine schwierige Balance zu wahren. Die vom Dichter veranstalteten Ausgaben seiner Werke tragen dem alsbald ordnungspolitisch Rechnung. Was in Frankreich unter Franz I. möglich war, soll sich unter anderen Voraussetzungen auf deutschem Boden wiederholen. Celtis hatte zur Zeit Maximilians den Anfang gemacht. Opitz wird das Werk vollenden, ist er doch Statthalter der einen deutschen Sprache als poetischem Unterpfand von Einheit, welche im politischen Raum zu stiften Aufgabe des Kaisers bleibt. Noch einmal kreuzen sich höchster dichterischer und höchster politischer Anspruch. Der Auftritt Opitzens blieb nicht ohne Resonanz. Vom Kaiser selbst wurde ihm die Ehre erwiesen, mit dem Lorbeer gekrönt zu werden. Als poeta laureatus kehrte Opitz aus Wien zurück. Gebrauch aber machte er von dem Titel so gut wie nie. Sein Sinn stand wenn nicht nach Höherem, so doch nach Anderem, für ihn Wichtigerem. Doch damit hatte es erstaunlich lange Weile. Es mußte noch mancherlei geschehen. Das unmittelbarste und greifbarste Ergebnis der Exkursion nach Wien war die nähere Bekanntschaft mit einem Mann, mit dem zu kommunizieren vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Wir haben uns einer Episode zuzuwenden, die wie keine andere die Gemüter der um Opitz bemühten und an seinem Schicksal Anteil nehmenden Geister die Jahrhunderte über entflammt hat.13
Eine verwickelte Geschichte In Wien wird man sich begegnet sein und seither schwerlich wieder aus den Augen verloren haben. Die Konsequenzen waren erheblich. Eine Beschäftigung unter den Fittichen der Piastenherzöge kam nicht mehr zustande. Der Dichter war stellen- und mittellos. In der Tat ist es undenkbar, ihn in einer der Bildung gewidmeten Charge auf Dauer untergebracht zu sehen. Er war erpicht auf die Kooperation mit den Mächtigen seiner Zeit und war es im übrigen gewohnt, sein dichterisches Werk den verbleibenden Mußestunden abzuringen. Für den öffentlichen Raum war seine Dichtung konzipiert und in ihm wollte er nicht nur als ein Poet wirken. Die Rolle des politischen Emissärs war ihm auf den Leib zugeschnitten. Diplomatisch wußte er als Dichter zu agieren und entsprechend nicht anders, sofern betraut mit delikaten Missionen. Die ––––––––– 13
Vgl. neben den bereits zitierten Opitz-Biographien und dem Opitzschen Briefwechsel auch Hermann Palm: Opitz im hause des kammerpräsidenten Karl Hannibal von Dohna. 1626–32. [Mit 3 Beilagen].- In: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1977, S. 189–214. Vgl. auch Christian David Klopsch: Geschichte des Geschlechts von Schönaich. Viertes Heft, das Leben Johannes des Unglückseligen und Sebastians.Glogau: Gottschalk 1856, S. 32 ff. Vgl. auch die Ausführungen im 17. Kapitel.
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Wahrnehmung politischer Aufträge rückte in den Vordergrund und den Auftakt bezeichnet die Verbindung mit von Dohna. Das Bild Karl Hannibal von Dohnas (1588–1633), es ist in der Geschichte ein schwankendes geblieben. So wenig wie eine eigene Biographie existiert gesichertes Wissen über ihn und eine überzeugende Darlegung und Bewertung seines Wirkens. Darin gleicht seine Rezeption derjenigen Opitzens während der Jahre bei Dohna. Die Dohna-Episode im Leben Opitzens hat ihrerseits noch keine größere Darstellung gefunden und ihre Beurteilung ist bis heute kontrovers geblieben. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie nicht Licht in die Aktivitäten Dohnas während der entscheidenden Jahre nach 1620 gebracht ist. Auch verdiente Historiker wie Hermann Palm, die so viel Förderliches zur Vita Opitzens beigetragen haben, können nicht davon absehen, den Dichter mit Vorwürfen und mit Zweifeln an seinem Charakter zu überziehen. Es ist ersichtlich, daß mit derartigen Urteilen gar nichts gewonnen ist. Zu zählen haben zeitgenössische und zumal briefliche Äußerungen sowie das Werk.
Die böhmisch-schlesische Linie der von Dohnas Karl Hannibal gehört einer weitverzweigten Familie an, und schon hier beginnen bis in die Opitz-Biographie hinein die Verwechslungen und Irrtümer angesichts so vieler gleichlautender Vornamen. Man tut entsprechend gut daran, sich zunächst zurückzubegeben zu dem Historiker und Porträtisten des schlesischen Adels, zu Johannes Sinapius.14 Dort findet sich gleich zu Beginn des Werkes ein gehaltreicher Eintrag zu den Burggrafen von Dohna. »DIeses uralte und weltbekante hohe Geschlecht« hat er vorzustellen. Wir werden auf ihn zurückkommen. Inzwischen liegt eine große zweibändige Monographie vor, die über alles Einzelne berichtet.15 Für die Literatur- und Kulturwissenschaft sind zwei Linien einschlägig, die preußische mit Abraham von Dohna, dem Verfasser eines berühmten Gedichts über den Reichstag zu Regensburg, und die böhmisch-schlesisch-lausitzische, der eben auch Karl Hannibal entstammt. ––––––––– 14
15
Vgl. Johannes Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung, Darinnen die ansehnlichen Geschlechter Des Schlesischen Adels, Mit Erzehlung Des Ursprungs, der Wappen, Genealogien, der qualificirtesten Cavaliere, der Stamm=Häuser und Güter beschrieben, Und dabey viele, bißhero ermangelte Nachrichten von Edlen Rittern und löblichen Vor=Eltern, aus alten brieflichen Urkunden und bewährten MSCtis zum Vorschein gebracht werden.- Leipzig: Fleischer 1720, S. 21– 28. Vgl. auch die Einträge in der ›Allgemeinen Deutschen Biographie‹ und der ›Neuen Deutschen Biographie‹. Vgl. Lothar Graf zu Dohna: Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie. Unter Mitwirkung von Alexander Fürst zu Dohna (†) und mit einem Beitrag von Ursula Gräfin zu Dohna. Band I–II.- Göttingen: Wallstein 2013. Das Werk ist Heinrich Graf zu Dohna (Waldburg/Ostpr.) gewidmet, der 1944 in Plötzensee hingerichtet wurde. Vgl. auch Volker Press: Das Haus Dohna in der europäischen Adelsgesellschaft des 16. und 17. Jahrhunderts.- In: Reformatio et reformationis. Festschrift Lothar Graf zu Dohna. Hrsg. von Andreas Mehl, Wolfgang Christian Schneider.- Darmstadt: Technische Hochschule 1989 (THD Schriftenreihe Wissenschaft und Technik; 47), S. 371–402.
Freiherrschaft Wartenberg: Abraham und Karl Hannibal von Dohna
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Die Angehörigen des in Böhmen und den Nebenländern residierenden Geschlechts sind konfessionell in aller Regel zum gemäßigten Hussitismus hin orientiert, sie sind ›Utraquisten‹, wie es im Blick auf das Verständnis des Abendmahls in beiderlei Gestalt zum Ausdruck kommt. Bezeugt ist sodann im 16. Jahrhundert – und wiederum bezeichnend – mehrfach Zugehörigkeit zu den Böhmischen Brüdern, wie sie gerade im höheren böhmischen Adel weit verbreitet ist. Diese aus dem gewaltlosen Flügel der hussitischen Reformbewegung hervorgegangene Gruppierung wird gleichermaßen von der utraquistischen wie der römisch-katholischen Kirche verfolgt – mit all den drastischen Folgen der Emigration und Exilierung, wie sie gerade um 1600 massiv zum Tragen kommen. Im Blick auf die hier zur Rede stehende ›Verortung‹ Karl Hannibals und Opitzens sind diese früheren Entwicklungen einschlägig und sollten inskünftig gerade auch für Opitz gegenwärtig bleiben. Enge Verbindungen verlaufen zur Reformation in Deutschland bis hin zu Hausund Tischgemeinschaften einzelner Vertreter mit Luther. Der alte Glaube hat also ursprünglich keine bemerkenswerte Tradition in dem hier zur Rede stehenden Zeitraum. Im Schmalkaldischen Krieg versagen Mitglieder des Hauses Karl V. die Gefolgschaft. Zehn der Rebellen trifft das Todesurteil und der Einzug der Güter. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzt dann eine zunehmende Tendenz zur Konversion ein, begleitet in aller Regel mit dem Erwerb von Ämtern in kaiserlichem, gelegentlich auch in kirchlichem Umkreis.
Freiherrschaft Wartenberg: Abraham und Karl Hannibal von Dohna Um nun von Böhmen nach Schlesien überzugehen, so sind Mitglieder des Hauses daselbst seit dem Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert bezeugt. Hier geht es allein um die beiden Besitzer der Freiherrschaft Wartenberg. Karl Hannibal war der Sohn Abrahams von Dohna, der nicht zu verwechseln ist mit dem erwähnten gleichnamigen Vertreter aus der preußischen Linie.16 Von diesem Abraham, der von 1561 bis 1613 lebte, heißt es bei Sinapius: Burggraf von Dohna, Freyherr auf Wartenberg und Bralin, ein Herr von unvergleichlicher Klugheit und Erudition, großem Ansehen und Vermögen, ward 1596. den 24. Jul. als Land=Vogt in Ober=Lausitz installiret, und weil er nachmahls 1612. in diesem hohen Amte seinen Hrn. Sohn zum Nachfolger gehabt, leistete er seinem Kayser treue Dienst als Kays. Maj. Geheimer Rath, u. Präsident des Königl. Cammer=Rechts in Böhmen, hatte die Herrschafft Wartenberg von den Freyherren von Malzahn erkaufft.17
Nichts Näheres verlautet zu Abrahams konfessioneller Orientierung. Anders als sein preußischer Namensvetter, der dem reformierten Bekenntnis angehörte, war der Vater ––––––––– 16
17
Zu diesem nach wie vor einschlägig Anton Chroust: Abraham von Dohna. Sein Leben und sein Gedicht auf den Reichstag von 1613.- München: Verlag der K.B. Akademie der Wissenschaften 1896. Vgl. neuerdings auch Hans-Jürgen Bömelburg: Reformierte Eliten im Preußenland. Politik und Loyalitäten in der Familie Dohna (1560–1660).- In: Archiv für Reformationsgeschichte 95 (2004), S. 210–239. Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung (Anm. 14), S. 26.
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Karl Hannibals in jedem Fall seit einem unbekannten Zeitpunkt Katholik und als solcher dem Kaiser zu Diensten. Daß man hinsichtlich der politischen und konfessionellen Aktivitäten der Dohnas von Sinapius nichts Einschlägiges erwarten darf, zeigt auch der nachfolgende Eintrag zu Karl Hannibal, der 1598 geboren wurde: Carl Annibal, letztgedachten Abrahams Sohn, Burggraf von Dohna, Freyherr in Wartenberg [seit 1613], hat sich in Kayserl. hohen Kriegs=Diensten heldenmüthig erwiesen, folgte seinem Herrn Vater in der hohen Charge als Land=Vogt in Ober=Lausitz, hatte aber viel Sorge wegen damahliger Unruhe in Böhmen, als seines Kaysers und Königes treuer Diener, war Kayserl. Schlesischer Cammer=Präsident, starb zu Prag 21. Febr. 1633. nachdem er im Ehestande gelebet mit Anna Elisabet, Sigismundi Freyherrns von Zabsky und Margarethä von Schliebitz, Tochter.18
So weit die verfügbaren Daten. Es ist ersichtlich, daß für alles Nähere und Spezifische entschieden nachgearbeitet werden muß. 1591, so wußte auch Sinapius, hatte Abraham die Standesherrschaft Wartenberg erworben. Sie war die älteste der vier freien Standesherrschaften in Schlesien und entstanden durch Abteilung vom Herzogtum Oels. Die Inhaber waren unmittelbare Vasallen des böhmischen Königs und hatten als Standesherren den ersten Sitz auf den schlesischen Fürstentagen inne. Nicht bekannt ist das genaue Datum, wann Abraham zum katholischen Glauben übergetreten ist. Die Historiker der jüngsten Darstellung des Geschlechts vermuten, daß dies vor 1583 geschah, als Abraham in Jerusalem zum Ritter des heiligen Georg geschlagen wurde – eine Episode, die auch in Opitz’ Gedicht auf den Sohn ein Nachspiel hat.19
Kaisertreue, Katholizismus und religiöse Toleranz Der Religionswechsel war in jedem Fall die Voraussetzung für die Karriere von Vater und Sohn. Abraham avancierte zum geheimen Rat und Vertrauensmann Rudolfs II. Und das nach ausgedehnten Reisen durch Europa, Palästina, Arabien und Afrika, die ebenfalls ihre Spuren bei Opitz hinterlassen haben und schon deshalb Erwähnung finden müssen. 1584 wurde Abraham kaiserlicher Rat bei der böhmischen Kammer und später deren Präsident. 1596 wurde er zum Landvogt der Oberlausitz ernannt. Als kaiserlicher Gesandter wirkte Abraham nicht nur in Madrid, wo er mit dem Orden vom Goldenen Vlies ausgezeichnet wurde, sondern auch in Polen und Moskau, wo er in der Türkenkrise einen Ausgleich zwischen Polen und Rußland erwirkte. Es liegt auf der Hand, daß ein Opitz sich eine derartige Karriere des Vaters nicht entgehen ließ, wenn es um die poetische Ausbeute für den Sohn in Gestalt seines nunmehrigen Dienstherrn ging. Entscheidend aber für Opitz wurden die obwaltenden Verhältnisse in der Standesherrschaft der Dohnas, von denen er selbstredend genaue Kenntnis besaß. Die Insassen in der Standesherrschaft Wartenberg waren größtenteils evangelisch. Und nun ist aktenkundig, daß Abraham im Jahr 1593 sowohl der Ritterschaft und deren Untertanen als auch der Stadt Wartenberg das Privileg freier Religionsausübung gewährte. ––––––––– 18 19
Ebenda, S. 26 f. Vgl. Lothar Graf zu Dohna: Die Dohnas (Anm. 15), Band I, S. 151 f.
Die Krisis
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Der Sohn bekannte sich zu dieser Maßnahme und stellte sie, nach allem, was bekannt ist, nicht in Frage. Hier liegen womöglich die tieferen Gründe dafür, daß Opitz eine Annäherung an das Haus Dohna vollziehen konnte, weil die Erinnerung an die religiöse Praxis zumindest im Bereich der Standesherrschaft der Dohnas selbst sich lebendig erhielt. Nicht unerwähnt bleiben aber soll, daß schon Abraham ein splendides repräsentatives Schloß in Wartenberg errichten ließ, in dem der Anspruch des Geschlechts einen sinnfälligen Ausdruck fand; auch dies für Opitz gewiß von Bedeutung.20
Die Krisis Die Stunde der Entscheidung für Gelehrte und Dichter nicht anders als für Fürsten, Standesherren und Adel aller Chargen kam in dem Moment, da das böhmisch-pfälzische Projekt in den Mittelpunkt aller Aktivitäten rückte. Es galt, sich zu positionieren. Wir haben ausführlich davon gehört. Für Opitz und seine Freunde gab es ebensowenig einen Zweifel wie für die Piastenherzöge, wie man zu votieren habe. Opitz bewegte sich in einer politisch propfälzisch und proböhmisch ausgerichteten Elite. Sie war Promotor und Zeuge der Vorbereitung eines politischen Umbruchs, der an die Fundamente der Verfaßtheit des Reichs wie des Hauses Habsburg rührte. Ein reformierter Kurfürst auf dem böhmischen Königsthron hätte die Machtverhältnisse entscheidend verschoben. Daher die Attraktion, aber eben auch die mit dem Vorhaben einhergehende Gefahr. Es bezeichnete daher einen exorbitanten Schritt, daß Karl Hannibal von Dohna sich der Mitwirkung entzog. Er stand damit so gut wie allein, legte also in jedem Fall eine Probe ungewöhnlichen Mutes ab. Wir wähnen, daß nicht zuletzt ein väterliches Erbe sich geltend machte, welches in Gestalt eines ungeschriebenen Auftrages auf den Sohn gekommen war. Kaiserlicher Dienst war für den Freiherrn und seit jüngstem Besitzer einer Standesherrschaft oberstes Gebot und offensichtlich Erfüllung des Lebens. Eben weil verbriefte Rechte galten, darüber hinaus aber ein Gefühl untrüglicher Verbundenheit mit dem Kaiserhaus lebendig war, bewährte sich die Erhaltung und Stärkung kaiserlicher Autorität als die höchste Maxime. Es steht zu vermuten, daß aus diesen Beweggründen heraus auch die Konversion zum alten Glauben erfolgt war. In dieser Welt war Karl Hannibal groß geworden; er stand zu ihr, und keinerlei Veranlassung besteht selbstverständlich dazu, diese Haltung in Frage zu stellen oder gar zu diskreditieren. Doch zeitigte sie ebenso selbstverständlich rasche und kurzfristig herbe Folgen. Zum Schwur kam es anläßlich der Huldigung Friedrichs. Karl Hannibal verweigerte sie mit zwei Gesinnungsgenossen. Der im Mai 1620 zusammengetretene schlesische Fürstentag, der in Breslau tagte, entzog ihm das Amt des Landvogts in der Oberlausitz und seine Güter. Längerfristige Auswirkungen hatten diese ––––––––– 20
Besonders ergiebig – wie so häufig– der Eintrag zur Herrschaft Wartenberg in: Friedrich Lucae: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober= und Nieder= Schlesien.- Frankfurt/Main: Knoch 1689, S. 1611–1624. Hier zu dem von Abraham von Dohna erbauten Schloß, S. 1612. Vgl. auch S. 1618 f. zu Abraham von Dohna selbst.
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Maßnahmen freilich nicht, wurden sie doch rasch auf andere Weise kompensiert. Denn nun, nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berge, stand Karl Hannibal auf der Seite der Sieger. Die Belohnung ließ nicht auf sich warten. Bei den Verhandlungen zum ›Dresdener Akkord‹, die der Sächsische Kurfürst durchgesetzt hatte, war Karl Hannibal dabei. Er widerstritt den Begnadigungen, die der Kurfürst nicht für die böhmischen, wohl aber für die schlesischen Aufständischen beim Kaiser zu erwirken suchte, konnte diese jedoch nicht verhindern. Sie verschafften den Wortführern in Schlesien eine Atempause. Die Revirements erfolgten an der Spitze und trafen eben auch die Piasten.21 Karl Hannibal wurde indes zum Präsidenten der Schlesischen Kammer erhoben und hatte damit die entscheidende Position im Land inne, war er doch oberster Vollstrecker der kaiserlichen Verfügungen. Die kaiserliche Burg in Breslau war ausgestattet mit niemals zuvor gekannter Macht. Die evangelische Bevölkerung der Metropole hatte sie täglich vor Augen. Die Bewahrung des jungen evangelischen Bekenntnisses blieb ein Geschenk auf Zeit, wie es den Gläubigen immer wieder erschienen sein wird. Es sollte nicht lange dauern und auch ein Opitz residierte auf der kaiserlichen Burg. Ein unerhörter Vorgang vollzog sich vor den Augen einer zuweilen gewiß staunenden Öffentlichkeit.
Im Dienste Dohnas Am 17. Februar des Jahres 1626 wandte sich Opitz von seiner Heimatstadt Bunzlau aus brieflich an seinen Freund aus Heidelberger Tagen Balthasar Venator. Auch der war von der Pfälzer Katastrophe betroffen und hatte ein vorläufiges Unterkommen bei dem Repräsentanten des Pfälzer Kreises gefunden, der gleichfalls den bitteren Weg in das Exil hatte antreten müssen, Georg Michael Lingelsheim. Opitz, seit einer Reihe von Jahren aus Siebenbürgen zurück, befand sich seinerseits in einer immer noch ungesicherten Position. Nicht von einem Exil konnte gesprochen werden, aber die Nachwirkungen der Niederlage in Böhmen bekam auch er weiterhin zu spüren. Nun zeichnete sich eine Wende ab. Und die nahm sich mehr als wunderlich aus. De itinere in Gallias tuo Scultetus mihi dixerat; ne me putes somniâsse: idemque ut crederem, persuadebat tua taciturnitas. Nunc rectè tibi est, ut spero, apud communem utriusque nostrûm fautorem Ampliss. Lingelshemium; qui literas nostras tantopere amat et aestimat. Ego quid agam, aut ubi vivam, scribere tibi non possum. Ita mihi libertas haec mea duret, ut per integrum annum et amplius integro mense, uno in loco constanter non fui. Nunc me Vratislaviâ, nunc Lignicium et aula, nunc nobiles amici ita tenent, ut verè possim affirmare, me peregrinari domi. [...] Intra quatriduum etiam Illustrissimus Baro de Dhona, Catholicis additus, sed Vir rectissimi ingenii Lignicium veniet, quò me simul vocavit, acturus mecum, an suo convictu uti velim. Et hîc haereo, cum nulli ansam praebere debeam, male de me suspicandi. Quicquid fiet, faciem ut scias.22
––––––––– 21
22
Vgl. zu dem im folgenden wiederholt hereinspielenden ›Dresdener Akkord‹ aus dem Jahr 1621 die einschlägigen Passagen in den in Kapitel 3, Anm. 5, zitierten Darstellungen zur schlesischen Geschichte. Opitz: Briefwechsel (Anm. 7), Band I, S. 434 f. Der deutsche Text ebenda, S. 435 f.: Von Deiner Reise in gallische Gefilde hatte mir [Johannes] Scultetus berichtet; damit Du nicht meinst, ich hät-
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Zitiert wurde aus einem der frühesten Zeugnisse, vielleicht sogar dem ersten, in dem die Person Dohnas an maßgeblicher Stelle figuriert. Die Opitzsche Situation ist sprechend genug. Wie ein Fremder kommt er sich vor, herumirrend in der Heimat. Das literarische Urbild ist erkennbar, odysseisches Irren und Hoffen ist sein Schicksal. Nun aber bahnt sich die Wende an, und das an einem symbolisch sinnfälligen Ort. Dohna ist auf dem Weg nach Liegnitz und also doch wohl an den Hof Georg Rudolfs. An der Opitz nächsten Stelle und bei der ihm wichtigsten Person soll eine Offerte von der Gegenseite erfolgen. Eine solche Zusammenkunft unter den Augen des Hofes kann und soll nicht geheim bleiben. Georg Rudolf muß von ihr Kenntnis gehabt haben. Gleichwohl bestehen selbstverständlich erhebliche Sorgen und Bedenken. Opitz ist nur allzu bewußt, daß er mit einem Katholiken zusammentreffen wird, der in höchstem Auftrag des Kaisers in Schlesien tätig ist und zu dessen vornehmsten Aufgaben die Rückführung des Landes, Sonderbezirke ausgenommen, zum katholischen Glauben gehörten. Ungeachtet des Glaubens von Dohna und fast so, als schließe das eine das andere aus, gibt Opitz jedoch zu verstehen, daß es sich um einen höchst ehrenwerten Mann handeln würde. Die Aussage wird von anderer Seite mehrfach bestätigt. Selbst ein Christian von Anhalt konstatiert noch im Jahre 1629 Karl Hannibals »großes Ansehen und guten Ruf in ganz Schlesien«.23 Doch es geht um anderes. Wie muß es wirken, wenn ein überzeugter Humanist, über dessen reformierte Ausrichtung unter Freunden und Weggefährten kein Zweifel bestehen kann, hinüberwechselt zur Gegenseite und sich einem katholischen Dienstherrn zur Verfügung stellt? Diese Frage hat Opitz nicht nur Venator gegenüber verlauten lassen. Sie muß ihn umgetrieben haben. Wir müssen davon ausgehen, daß er sie ausführlich mit seinen Vertrauten erörtert hat, hinauf bis in die Spitzen der Piastenherzöge. Das Angebot war denkwürdig genug. Natürlich war Dohna Opitzens religiöse Überzeugung bekannt. Beide Seiten also taten einen ungewöhnlichen Schritt. Und wenn Opitz ihn schließlich vollzog, so ohne Zweifel mit erfolgter Rückendeckung. Dohna war die politisch wichtigste Figur auf schlesischem Boden. Wenn einer der ihren, so gewiß das Kalkül der Opitz Nahestehenden, in der unmittelbaren Umgebung des Feldherrn und Kammerpräsidenten wirkte, konnte dies unter den gegebenen Umständen nur von Vorteil für die eigene Sache sein. Es ist nicht ein Dokument bekannt geworden, in dem einer gegenteiligen Auffassung das Wort geredet worden wäre. Das alles blieb der späteren, moralisch sich gerierenden Literaturhistorie vorbehalten. –––––––––
23
te geträumt. Dein Schweigen überzeugte mich, so daß ich es glaubte. Nun geht es Dir, wie ich hoffe, recht gut bei unser beidem gemeinsamen Gönner, dem hochansehnlichen Lingelsheim, der unsere Schriften so sehr liebt und schätzt. Was ich aber treiben und wo ich leben werde, vermag ich Dir nicht zu schreiben. Wie ich ein ganzes Jahr lang und mehr als einen ganzen Monat beständig nicht an einem Ort gewesen bin, so wird meine jetzige Freiheit auch fortdauern. Einmal hat mich Breslau, dann Liegnitz und der Hof, danach haben mich die adligen Freunde, so daß ich wirklich feststellen muß, daß ich zu Hause wie ein Fremder umherwandere. [...] Innerhalb von vier Tagen wird auch der Durchlauchtigste Herr zu Dohna – der den Katholischen zugetan, aber ein überaus geradsinniger Mann ist – nach Liegnitz kommen, wohin er mich auch gerufen hat, um mit mir zu verhandeln, ob ich in seinem Hause dienen möchte. Und hier stocke ich, weil ich keinem eine Handhabe geben darf, Übles von mir zu vermuten. Was auch geschieht, ich werde es Dich wissen lassen. Lothar Graf zu Dohna: Die Dohnas (Anm. 15), Band I, S. 156.
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Die Stimme des Freundes und Biographen Hören wir einen Zeitzeugen, hören wir die Stimme des Colerus in den Worten Lindners, in öffentlicher Rede zu Breslau im Jahr 1640 verlautend: Denn indem er bey sich selbst hin und her überlegte, was er nun für eine Lebensart sich erwählen wollte; so ereignete sich folgende Gelegenheit. Er war dem Hochgebornen Burggrafen von Dohna seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit wegen durch den Rath Kirchner schon längst angepriesen worden. Und nun verlangte ihn der Burggraf zu seinem Secretar und schlug ihm reichliche Bedingungen vor. Mit Genehmhaltung seines Herzogs willigte auch unser Opitz hierein. Er bath sich aber dabey aus, daß er der Religion wegen keinen Anstoß haben, und daß er neben bey auch seinem Studieren obliegen möchte. Dieses versprach ihm der von Dohna, und hat es auch redlich gehalten. Wie nun dieser höchstmuntre und feurige Herr auch seine Minister von gleicher Art haben wollte; allso fand er dieses wirklich an unserm Opitz. Er lernte ihn auch bald als einen Mann kennen, der seines aufgeweckten Geistes, seiner Gelehrsamkeit, seiner Treu und Verschwiegenheit wegen zu wichtigen Sachen geboren sey, und der nach den Umständen der Zeit wohl zu leben wisse. Daher schickte er ihn öfters an die Höfe der Fürsten und anderer Grossen des Landes, daß er mit seiner nachdrücklichen und angenehmen Beredsamkeit die Gemüther der Wiedriggesinnten oder anderer für seinen Vortheil einnahm. Insonderheit ließ er ihn alle wichtige Briefe an den Papst und Kaiser, an Könige, Fürsten und andre vornehme Herren ausfertigen; welches er denn auch mit solche Geschicklichkeit that, daß so wohl sein Herr, als er selbst viele Ehre davon trugen.24
Das war deutlich genug. Herzog Georg Rudolf wußte nicht nur von dem Coup; er hatte ihn ausdrücklich auch genehmigt. Das wäre nicht geschehen, wenn man sich nicht Vorteile von der Präsenz Opitzens im Umkreis Dohnas versprochen hätte. Opitz wurde ganz offensichtlich aus den religionspolitischen Aktivitäten des Kammerpräsidenten und ersten Bevollmächtigten des Kaisers in Schlesien herausgehalten. Daß er sich andernfalls automatisch kompromittiert hätte, liegt auf der Hand. Sein Aufgabenbereich war ein anderer. Er wurde für den schriftlichen Verkehr bestellt. Er war in diplomatischer Aktion unterwegs. Und ihm war die Versicherung gegeben, daß er seinen gelehrten Studien und dichterischen Arbeiten weiterhin nachgehen könne. Nach allem, was wir wissen, ist es zwischen Opitz und Dohna zu einem lebhaften gelehrten Austausch gekommen. Auch das gehört in das Bild hinein. Dieses mochte zuweilen überformt sein von den archetypischen Zügen eines vorbildlichen Mäzenatentums. In jedem Fall verblieb Opitz genügend Zeit für sein poetisches Werk. Das Fazit, das er zu Ende des Jahrzehnts ziehen konnte, welches wiederum eine gewisse Zäsur in seinem Leben bezeichnet, war imponierend genug.
Diplomatie und Dichten: Ein Lobgedicht auf Dohna Die Nagelprobe blieb allemal die poetische Vergegenwärtigung einer dieses Vorzugs gewürdigten Person dank ihres Schirmherrn. Wir befinden uns in der glücklichen La––––––––– 24
Christoph Coleri verdeutschte Lob= u. Gedächtnißrede auf Martin Opitzen.- In: Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Jhn. Erster [und] Zweiter Theil.- Hirschberg: Krahn 1740–1741, Teil I, S. 122–238, S. 186 f. Der lateinische Text ebenda S. 35–112, S. 78 f.
Diplomatie und Dichten: Ein Lobgedicht auf Dohna
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ge, ein großes Gedicht Opitzens auf Dohna zu besitzen. Jetzt, seit der Mitte der zwanziger Jahre, kann Opitz es sich umstandslos leisten, das Lateinische zu verlassen und die Ehrung im Deutschen vorzunehmen. Daß er nicht Gewöhnliches im Sinn hat, indiziert nicht zuletzt der Gebrauch des Alexandriners. Ein heroisch-panegyrisches Carmen verlautet.25 Vorausgeschickt hat er jedoch sechs elegische Distichen. Sie haben den Charakter einer Leseanweisung und sind zweifellos für die gelehrte lateinische Community bestimmt. Diese war nicht unbedingt primär am Deutschen interessiert und sollte in die Lage versetzt werden, sich rasch ein Bild von der ungewöhnlichen Liaison zu machen. Als ein von den Sorgen um das Gemeinwohl beherrschter Mann tritt Dohna dem Betrachter entgegen, der private Bereich muß zurückstehen. Seine und zugleich des Kaisers würdige Taten gilt es zu verrichten. So der Tenor im Blick auf Dohna. Und auf der anderen Seite der Dichter. Ihm ist es vergönnt, sich den Musen zu widmen, diesen anmutigen Gottheiten. Ein Begrüßungsgedicht verlautet anläßlich der Rückkehr Dohnas und seines Gefolgsmannes aus ›Sarmatien‹, sprich: Preußen. Die beiden Sphären sind geschieden. Der Dienstherr hat sein politisches Geschäft verrichtet; der Dichter bleibt bei seinen Leisten und sorgt für Entspannung mittels der Poesie. Er ist in jedem Fall, so darf zwischen den Zeilen gelesen werden, nicht verantwortlich für das, was auf der Gegenseite sich abspielt. Ein Zeugnis treuer Gesinnung wird abgelegt und die resultiert, so die letzten Worte, nicht zuletzt aus dem gewährten Freiraum. Die bekannte, in der Antike ausgeprägte Figuration kehrt in der Moderne wieder und hat nichts von ihrer Verbindlichkeit verloren. Auf Augenhöhe verkehren zwei Partner in ganz verschiedener Sache miteinander. Ausdrücklich als ›Carmen Panegyricum‹ hat Opitz das Gedicht ausgezeichnet und des näheren schon auf dem Titelblatt als eines einem bestimmten Anlaß gewidmetes ausgewiesen. Im heroischen Ton gilt es einen Helden zu feiern. Das aber muß auf eine Art und Weise geschehen, daß nichts den Lobredner Kompromittierendes verlautet. Vorbildlich, aber eben auch wie selbstverständlich, hat Opitz dieser obersten Maxime des Rhetors Rechnung getragen. ––––––––– 25
Ad Illustriss. Dnm. Dnm. Carolvm Annibalem, Burggravium & Comitem Dohnae, Wartenbergae, Praelini & Goschitii Dnm. Sacr. Caes. Majestatis Consiliarium Intimum ac Camerarium, Praesidem Camerae Silesiacae, Lusatiae Superioris Praefectum, & Belli Ducem, Carmen Panegyricum. Martinus Opitius Moecenati Optimo & Patrono benè merenti post Legationem Borussiacam ex voto Dicat Dedicatque. Wratislaviae, Typis Georgii Bavmanni, 1627. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek und der Bibliothek St. Bernhardin zu Breslau übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/22, 4 V 57/22), heute in der BU Wrocław: 355084, 534657. Neudruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band IV: Die Werke von Ende 1626 bis 1630. 1. [und] 2. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1989 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 312.313), 1. Teil, S. 53–60. Hiernach zitiert. Der lateinische Text in zweisprachiger Version in: Opitz: Lateinische Werke. Band II (Anm. 2), S. 80–83, reichhaltiger Kommentar von Veronika Marschall S. 344–352. Vgl. auch Rudolf Drux: Beschworene Mußestunden. Über ein zentrales Anliegen der Panegyrica des Martin Opitz auf Karl Hannibal von Dohna.- In: Memoriae Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928–1992). Hrsg. von Mirosława Czarnecka, Andreas Solbach, Jolanta Szafarz, Knut Kiesant.- Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2003 (Acta Universitatis Wratislaviensis; 2504), S. 259–269.
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GEnung/ O Heldt/ genung! wie lange wilt du reisen Fast Tag vnd Nacht/ durch hitz’ vnd frost/ durch Eiß vnd Eisen? Wann nimpst du deine rhu? ist dann vom wiegen an/ Vom Lentzen deiner Zeit/ noch nicht genung gethan Seit daß der Himmel dich der Erden hat gegeben Als seiner güte pfandt?26
So steht der Held da. Auch ihm ist eigen, was diese Spezies generell in humanistischer Sicht auszeichnet. Die Involvierung in die politischen Geschicke ist eine restlose und totale. Unterwegs sein in fernen Landen kann nur den Belangen der Heimat dienen. Das darf und kann gesagt werden, ohne daß Anstößiges berührt würde. Ja, in gewisser Weise ist die Wahl des Anlasses bereits selbst ein geschickter Schachzug. Nicht auf Schlesien fällt der Blick. Dem auswärts für sein Land und seinen Dienstherrn, den Kaiser, Agierenden gilt das erste Wort. Und ohne daß irgend Näheres verlautete, wendet sich der Dichter der Herkunft und damit dem Geschlecht zu. Genug ist zu erzählen, bietet schon der Vater doch hinreichend erzählenswerten Stoff. Die Exkursion nach Palästina ist der gegebene und dankbar aufgegriffene Vorwurf. Denn hier nun ist der Vater an den Ursprüngen der Christenheit, geriert sich als neuer Kreuzritter, wird seinerseits in einen Ritterorden aufgenommen und bewegt sich allemal fernab von den Turbulenzen, in die Gläubige und Politiker in der Gegenwart verwickelt sind. Wie auf andere Weise in der Feier des Hauses Österreich gibt der Orient eine Folie ab, auf der ein Gegenbild sich abzeichnet zu den aktuellen Verwerfungen, die aus dem Spiel bleiben sollen. Die Handhabung von Poesie impliziert gerade jetzt immer auch Freiheit zur Akzentuierung des poetischen Handelns. Nicht von ungefähr erstrahlen verführerische Bilder orientalischer Frühzeit des Glaubens an einer Wende der Zeiten um 1600. Nun war Dohna bei den Polen und Russen, und wenn diese sich vor seiner Redekunst verneigen, fällt ungesagt stets auch eine Brosame für den Panegyren selbst ab, der sich auf diesem Gebiet als Begleiter gleichfalls gefragt wußte. Zugleich aber ist eine jede Ehrbezeugung des Gastes in fernen Ländern auch eine dem Kaiser geltende. Ein kaiserfreundlicher Gestus tritt jetzt zunehmend in Opitzens Werk hervor. Tugendhaftigkeit, Freude an den Büchern, Vertrautsein mit den Musen – diese Trias stellt Opitz mit Bedacht heraus. Sie liegt auf einer ganz anderen Ebene als das, was womöglich namhaft zu machen wäre, wenn es denn um das Agieren in Schlesien gehen würde. Davon ist mit keinem Wort die Rede. Für Gelehrsamkeit und Redekunst auf fürstlicher Seite sind allemal genügend Paradigmen aus Mythos und Geschichte bereit, von denen ohne Anstoß erzählt zu werden vermag. Und so nicht anders von den Reisejahren Dohnas, welche stets nur einer Mehrung von Kenntnissen und Befähigungen dienen. Des Französischen ist Dohna vorbildlich mächtig. Und wie steht es mit dem Deutschen? Die dieser Frage inhärente Chance läßt der Dichter sich selbstverständlich nicht entgehen. Erstlingsrechte wollen bei jeder Gelegenheit erinnert werden. was Franckreich guttes hat Der sitten meisterin/ was seine schöne Stadt
––––––––– 26
Ebenda, Verse 1–6.
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Paris der Erden ziehr/ die Mutter aller Tugendt Vnd klugheit weiß vnd kan/ das hast du deiner Jugendt Gemein vnd recht gemacht. Frantzösisch steht dir an Als wie das Deutsche mir/ dem ich die erste bahn Zur Poesie gezeigt so nicht baldt ein wirdt gehen.27
Nun, das Französische zu beherrschen und eine neue deutschsprachige Poesie auf den Weg zu bringen, sind erkennbar sehr verschiedene Dinge. An dieser Stelle erfolgt eine Entgleisung, erklärlich nur aus dem Bestreben, dem Dienstherrn auch die eigenen Meriten immer wieder vor Augen zu führen. Der Einschub an dieser Stelle ist schlicht entbehrlich. Nach ruhmreichen Taten in der Ferne kehrt der Held in die Heimat zurück. Der Dichter nähert sich der schwierigsten Partie seines Gedichts. Wie nicht anders zu erwarten, meistert er sie bravourös. Sollte Dohna womöglich des Müßiggangs frönen? O nein/ dein Heldensinn/ Der keine mühe schewt/ trug dich nach Hofe hin Zum Käyser welchem du nur einig woltest dienen: Hier hat dein glantz/ du liecht der Zeiten/ mehr geschienen Als wann sich Hesperus macht an des Himmels dach/ Vnd zeucht der Sternen heer jhm sämptlich hinten nach.28
Dienst für den Kaiser ist Tradition im Hause Dohna. Indem der Dichter sich zu ihm bekennt, folgt er auch einem Anliegen der Piastenherzöge, die sich – wie der Dichter und seine Freunde – neu zu orientieren haben. Als Getreuer des Kaisers empfiehlt er sich auch den Fürsten in der Heimat und mit ihm der Dichter, der dieses Verdienst in den Mittelpunkt seiner Euloge rückt. Dohna reiht sich ein in die Galerie der Helden, die der gegenwärtige Krieg wie ein jeder vor ihm erzeugt, und er tut dies im Dienst und zum Wohlgefallen des Kaisers. Die religionspolitische Komponente bleibt konsequent ausgeblendet; nicht eine einzige Anspielung erlaubt sich der Dichter. Im Zeichen eines vorbildlichen Mäzenatentums klingt der Text aus. Der Dichter ist befreit von kriegerischem Treiben. Es ist Dohnas Werk, wenn er sich den Büchern, wenn er sich dem Dichten widmen und damit nicht zuletzt wirken kann für das Nachleben des Geehrten, das dank der Gaben der Musen ein unvergängliches sein wird. Als der ewigen Ruhm Spendende weiß der Dichter sich in der ihm geziemenden Rolle. Das Dohna-Gedicht ist auch ein neuerliches Porträt des Poeten in seiner unersetzlichen, seiner mythisch-musischen Rolle als Walter über das verpflichtende Geschenk von Memoria. Ich bin kein Hofemann/ ich kan nicht Rauch verkauffen/ Nicht küssen frembde Knie/ nicht vnterthänig lauffen Nach gunst der gläsern ist; mein wesen/ gutt vnd Ziehr Ist lust zur wissenschafft/ ist Feder vnd Papier: Diß sey dir gantz geschenckt an stat der vielen gnaden Mit welchen du mich hast bißher so sehr beladen Daß ich/ ohn das mein Hertz’ ist trewer dienste voll/
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Ebenda, Verse 75–81. Ebenda, Verse 103–108.
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Vndanckbar leben muß/ vnd auch so sterben soll. Du hebst mich vber mich/ du wilt mich gantz befreyen Von deiner Waffen last/ wilt mich den Musen leihen Die meine freude sind vnd mir in jhrer schoß Entbinden meinen geist/ der nachmals frey vnd loß In tausendt Bücher geht. du lessest mich mir machen Ein Nest der stillen rhue/ aus dem ich kan verlachen/ Kan werffen vnter mich Neidt/ Hochmuth/ Geldt vnd Welt Kan schaffen was nach Gott vnd dir mir selbst gefellt. Nun Clio windet dir für diß den Krantz der Ehren/ Den keines Regens macht noch Hagel kan versehren/ Der auch im Winter grünt; sie schreibt dich dahin an Wo dich ein jeder Mensch von ferren lesen kan/ Vnd jmmer lesen wird. [...] du aber wirst bekleiben Mit vnverleschter Zier so lange man nur schreiben Vnd thaten mercken kan/ wirst stehen jederzeit Geschrieben in das Buch der greisen Ewigkeit. Hier wird man mit begiehr vnd grosser wollust lesen/ O Ritterlicher Heldt/ dich vnd dein gantzes wesen Das nichts vom Tode weiß. diß laß die hoffnung sein Von meiner danckbarkeit/ alß welch ich nur allein Anjetzt versprechen kan an stadt der gnad’ vnd güte Darmit du mich entheltst. ein hertzliches gemüte Wird von den sterblichen vnd auch von Gott geliebt/ Vnd thut weit mehr als der so viel vnd fälschlich giebt.29
Opitz hatte einen Panegyricus vorgetragen, den er einem jeden unter seinen Freunden bedenkenlos zugänglich machen konnte. Wer da auf der poetischen Bühne erschien, durfte sich des Beifalls gewiß sein. Der Dichter hatte sich seinen Dienstherrn überzeugend verpflichtet und sich in keinem der knapp zweihundert Versen eine Blöße gegeben. Im Gegenteil. Auch diesem Text waren hinreichend viele Attribute des wahren Fürsten eingeschrieben, der Fürst als vorbildlicher Mäzen apostrophiert worden. Held und Dichter gingen neuerlich eine Liaison ein und der erstere verstand es, sein Poem mit der Würde wie der Anmut rhetorischer Diplomatie zu umspinnen. Derart agierend, vermochte er sich vor Freund und Feind zu salvieren. Die Religion aber, der Poesie vermählt, war jedweden Zwists enthoben.
Auf diplomatischer Bühne Wie aber stand es um die andere Seite, die geschäftliche, wenn so gesprochen werden darf? Werfen wir also einen kurzen Blick auf Opitzens diplomatisches Pensum, ohne den politischen Einzelheiten näherzutreten. Sie gehören in die Zeitgeschichte. Direkt involviert in das Geschehen und seinerseits selbständig agierend sehen wir Opitz erst im vierten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, und zwar vornehmlich in den letzten Jahren seines Lebens auf polnischem Boden. ––––––––– 29
Ebenda, Verse 141–161 und Verse 165–176.
Auf diplomatischer Bühne
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Noch vor Dienstantritt bei Dohna hatte sich Opitz im Sommer des Jahres 1625 in Sachsen aufgehalten. Die Reise führte ihn auch nach Wittenberg und damit zu August Buchner, der neben Opitz die zweite Autorität in Fragen der Poetologie geblieben ist. Über den Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik an der Wittenberger Universität nutzte er als erster frühzeitig die Möglichkeit, die poetische Reform in den akademischen Betrieb einzuführen. Es geschah in voller Anerkennung des von Opitz Geleisteten, aber auch in der Souveränität des akademischen Gelehrten, der sich die Freiheit nahm, in Anknüpfung daran an eine Weiterentwicklung zu schreiten. Vor allem in der Verslehre und in der Einführung des Daktylus als ein auch im Deutschen probates versifikatorisches Mittel schlug dies zu Buche. Für die jüngere, zumal an der Universität in Leipzig sich sammelnde Jugend mit poetischer Ambition wurde Buchner Schirmherr und Leitfigur.30 Der Briefwechsel mit Opitz gehört zu den ergiebigsten und substantiellsten unter der ja nur partiell überlieferten Korrespondenz des Dichters. Und auch noch in das Jahr 1625 fiel der Besuch bei dem Begründer der Fruchtbringenden Gesellschaft Fürst Ludwig, von der sogleich zu sprechen sein wird. Dann aber im Jahr 1626 setzte der diplomatische Verkehr ein. In einem Brief vom Juli 1626 an Buchner berichtet Opitz, daß ihn dessen Brief bei den Vorbereitungen einer Reise an den kurfürstlich-brandenburgischen Hof in Berlin zusammen mit Dohna erreicht habe.31 Nur ein einziges Mal halten wir um des exemplarischen Falles wegen inne. Aus Opitzens Sicht kann die Situation, in die er da geriet, doch nur als brisant sich ausgenommen haben. Graf Ernst von Mansfeld, Feldherr auf protestantischer Seite, war in der Altmark und in der Priegnitz mit Befestigungsarbeiten zum Schutz vor den kaiserlichen Truppen befaßt. Dohna war bemüht, den Kurfürsten Georg Wilhelm zu bewegen, Einfluß auf diese Aktivitäten zu nehmen. Was mag in Opitz vorgegangen sein, handelte es sich doch explizit um eine gegen die Evangelischen gerichtete Maßnahme? Und die war damit nicht beendet. Opitz weilte wenig später in Dresden und wurde eiligst von Dohna zurückgerufen.32 Ernst von Mansfeld war inzwischen nach Schlesien vorgedrungen. Nun mußte Opitz, womit auch immer im einzelnen beauftragt, zumindest Zeuge werden, wie Dohna rasch Gegenmaßnahmen zu organisieren hatte. Er war mit dabei, als Dohna vor den Toren Oppelns zurückgeschlagen wurde, und mit den geschlagenen Truppen floh. Noch in dem ironischen Versepos ›Laudes Martis‹ aus dem Jahr 1628 spielt diese Episode geradezu köstlich hinein. Der Einfallsreiche rechtfertigt seine Flucht, um als Poet zu überleben und nicht zuletzt in seinem poetischen Metier seinem Dienstherrn zur Seite zu stehen. Kein Zufall, daß gerade dieses Werk Opitzens seinem Dienstherrn gewidmet wurde.33 ––––––––– 30
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Vgl. aus der älteren Literatur die lesenswert gebliebene Arbeit von Georg Witkowski: Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig.- Leipzig, Berlin: Teubner 1909 (Schriften der Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte; 16). Aus der neueren Literatur: Anthony J. Harper: Schriften zur Lyrik Leipzigs 1620–1670.- Stuttgart: Heinz 1985 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 131). Vgl. den Brief Opitzens aus Baruth an Buchner vom 6./16. Juli 1626 nebst Kommentar in: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 7), Band I, S. 481–485. Vgl. den Brief Opitzens aus Dresden an Buchner vom 31. August 1626 nebst Kommentar ebenda, S. 496 f. Vgl. unten S. 527 f. mit Anm. 54.
XIV. Zwischen den Fronten
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Ein Jahr später führten die Wege den Dichter an der Seite Dohnas erstmals in den Osten, der am Schluß für ihn von so großer Bedeutung werden sollte. Dohna war in Warschau in kaiserlichem Auftrag das schwierige Geschäft aufgetragen, den polnischen König Sigismund III. von einem Friedensschluß mit Schweden abzuhalten, der selbstverständlich den kaiserlichen Interessen nur schädlich sein konnte.34 Schon hier und jetzt wurde Opitz mit dem komplexen Gleichgewichtsgefüge im nordöstlichen Ostseeraum bekannt, dem er später seine ganze diplomatische Kunst, vermittelnd zwischen Schweden, Polen und Rußland, widmen sollte. Noch an der Seite Dohnas wurden die Grundlagen gelegt für die spätere so ehrenvolle Berufung von seiten gleich mehrerer Mächte. Der Dichter war zu einer unverzichtbaren Figur auf dem politischen Schachbrett geworden. Seine erste selbständige Mission führte ihn in die französische Hauptstadt. Das war eine so gewichtige Unternehmung, daß wir ihr ein eigenes Kapitel widmen werden.
Erhebung in den Adelsstand Mit Opitzens Reisen an der Seite Dohnas ist auch seine Erhebung in den Adelsstand verknüpft. Schon der Aufenthalt in Wien im Jahr 1625 zeitigte, wie gehört, seine Krönung als Poet. Nun schloß sich eine weitere Ehrung an. Im Juli 1627 weilte Dohna seinerseits im Auftrag Wallensteins in der Hauptstadt der Habsburger. Bei dieser Gelegenheit könnte sich Dohna für die Nobilitierung Opitzens eingesetzt haben. Ob dem so war und wenn ja, ob eine Konsultation des Dichters vorausgegangen war – all dies entzieht sich der näheren Kenntnis.35 Gewiß ist nur, daß der Akt auf die Initiative von Dohna hin erfolgte. ›Nobilitatio des Martin Opiczen auf Intercession des Burggrafen von Dohna. de dato Wien den 14. Sept. 1627.‹ liest man am Kopf des Adelsdiploms, welches als Konzept im Nationalarchiv zu Prag überliefert ist. Und im Eingang des Dokuments heißt es: Wir Ferdinandt der Andere etc. Wan Wir dann gnädigst angesehen, wahrgenomben vnd betrachtet die Ehrbahrkeit, Redlichkeit, adeliche gute Sitten, Tugendt, Vernunfft, Geschiekhlichkeit, vnd Wohlverhaltnüß, darmit vor Vnser Kay: vnd Königl: Persohn der Erbare Vnser lieber getrewrer Martin Opicz vom Boberfeldt, sonderlich von dem (Tittl.) Burggraffen Karl Hannibaln von Dohna sonders berühmet worden, Benebens auch erwogen, die Vnterthänigst: trewist: vnd gehorsambst dienste, derer gegen Vnß vnd Vnsern hochlöbl: Erzhauß Oesterreich Er Opicz sich demütigst anerkennt, auch seinen guten qualiteten nach wol thun kan, sol vnd mag: [...].36
––––––––– 34
35
36
Vgl. etwa den Brief von Caspar Senftleben aus Breslau an Bernegger vom 7. Juni 1627 mit Kommentar in: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 7), Band I, S. 538–541. Vgl. auch zum Folgenden wiederum Hermann Palm: Opitzens erhebung in den adelstand.- In: ders.: Beiträge (Anm. 13), S. 214–222. Vgl. jetzt auch Rudolf Drux: Der geadelte Dichter. Von der sozialen Grenzüberschreitung des Bürgers Opitz auf dem Weg zur deutschen Dichtung.- In: Adel in Schlesien und Mitteleuropa. Literatur und Kultur von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Hrsg. von Walter Schmitz.- München: Oldenbourg 2013 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa; 48), S. 83–94. Hier zitiert nach: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 7), Band I, S. 557–561. Hinzuzunehmen der Kommentar S. 561. Abdruck des Dokuments nach einem Entwurf im ehemaligen K.K.Adelsarchiv auch bei Palm, S. 220–222.
Erhebung in den Adelsstand
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Die Empfehlung kam also von Dohna. Der Kaiser aber bestätigte, daß Opitz auch dem Haus Österreich als ein getreuer Diener bekannt war, dessen Qualitäten man zu schätzen wußte. Das war eine besonders wichtige Auszeichnung. Mit ihr in der Hand konnte Opitz seinen herzoglichen Schutzherren und wem immer auch sonst demonstrieren, daß er in Wien wohlgelitten war. Diese Brückenstellung zählte viel. Die Opitz Nahestehenden bis hin zu den Piastenherzögen wußten, daß sie in Wien und bei dem maßgeblichen kaiserlichen Bevollmächtigten in Schlesien auf die Präsenz einer Person zählen konnten, die umgekehrt ihr volles Vertrauen genoß. Für Dohna aber war der von ihm initiierte Schritt in jedem Fall ein Mittel, den offenkundig an seiner Seite erfolgreich Wirkenden noch enger an sich zu binden. Und Opitz? Seine Reaktion ist denkwürdig genug. Seit Mitte November 1627 hielt Opitz sich zusammen mit Dohna in Prag auf. Dort wurden gerade die Feierlichkeiten aus Anlaß der Inthronisation Ferdinands III. als König von Böhmen begangen. Prag! Welche Erinnerungen mögen den Dichter bewegt haben? Noch kein Jahrzehnt war es her, daß der Pfälzer Kurfürst Friedrich V. zur Entgegennahme der Krone in die böhmische Residenz aufgebrochen war, begleitet von überschwenglichen Hoffnungen, wie sie auch ein Opitz teilte. Und nun die Begegnung mit der Stadt, zu der er seinerzeit nur aus der Ferne, aus Heidelberg, herübergegrüßt hatte. Gegenüber Buchner ließ er sich im Dezember des nämlichen Jahres vernehmen, und das denn doch in einem Ton der Ernüchterung. Ultrà mensem in hac urbe sumus, Frater Desideratissime, inter molestas delicias et solitas aularum artes. Ita perit denuò illud tempus, quod studijs destinaveram. Sequenti mense Uratislaviam meam rursus, ut spero, intuebor, inque ejus sinu cupidis amplexibus fruar.
Nichts geht über das Werk, wo immer der Dichter auch weilt. Wenigstens aber die stattgehabte Ehrung sollte doch Wirkung entfaltet haben. Dazu nun der Dichter zur gewiß nicht geringen Überraschung wenn nicht seines Briefpartners, so doch der aller im 17. Jahrhundert hinlänglich sich auskennenden Nachfahren: Caeterum quid hic actum hactenus fuerit, publicè notum est. Honoribus ut privatim multi, ita ego quoque donatus fui. Ius nobilitatis et insignia D. Caesar mihi tribuit ijs literis, quae non cuivis dari solent. Cum verò decus hoc nulli sit oneri, libuit sanè instar vulgi ineptire.37
Da mag eine gute Portion Untertreibung im Spiel gewesen sein. Doch liegen umgekehrt keine Belege dafür vor, daß Opitz sich mit seinem Adelstitel gebrüstet hätte. Und mehr noch. Er hat so gut wie keinen Gebrauch von ihm gemacht. Wir können ––––––––– 37
Beide Zitate in dem Brief Opitzens aus Prag vom 15./25. Dezember 1627 an Buchner nebst Kommentar, in: Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 7), Band I, S. 584–587. Vgl. auch den Kommentar ebenda, S. 598, Anm. 4. Die deutsche Übersetzung beider Zitate: Mehr als einen Monat sind wir in dieser Stadt, langersehnter Bruder, inmitten lästiger Vergnügungen und der üblichen höfischen Künste. So vergeht wiederum die Zeit, die ich für Studien bestimmt hatte. Nächsten Monat werde ich, wie ich hoffe, mein Breslau wiedersehen und begierig die Liebkosungen an seinem Busen genießen. [...] Was im übrigen hier bislang geschah, ist allgemein bekannt. Viele wie auch ich sind persönlich mit Ehren beschenkt worden. Das Adelsprivileg und ein Wappen hat mir der göttliche Caesar mit dem Brief verliehen, der nicht jedem Erstbesten verliehen wird. Da diese Ehre aber keinem beschwerlich ist, machte es freilich Spaß, darüber wie der Pöbel zu albern. (S. 585).
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nicht hindern, etwa zu Sigmund von Birken herüber zu schauen. Dem bedeutete die Nobilitierung aus kaiserlicher Hand Höchstes. Opitz wahrte merkliche Reserve. Wir haben nur eine einzige Erklärung bereit. Die Krönung zum Dichter und die Verleihung des Adelsprädikats wird der Dichter als Bestätigung seines Ranges wie seines Ruhmes mit Befriedigung entgegengenommen haben. Allzuviel bedeuten aber konnten sie ihm beide schon deshalb nicht, weil er diese Titel und vor allem den des poeta laureatus mit anderen teilte. Er aber beanspruchte Ruhm und Anerkennung für ein Wirken und ein Werk, wie nur er selbst es vollbringen konnte. Für den Titel eines Begründers der neuen deutschen Poesie gab er alles; dieser war der einzige, der zählte und der einzige, welcher nur ihm zukam. Als Archeget wollte er gesehen und gewürdigt werden; das war unwiederholbar, und eben darauf pochte er. Es galt Erlesenheit auf einem Gebiet zu behaupten, da ihm niemand gleichkam.
Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft Damit sind auch schon einschlägige Feststellungen getroffen hinsichtlich einer dritten und letzten Ehrung, die Opitz noch in den zwanziger Jahren zuteil wurde. Und das merkwürdigerweise im Zweijahresrhythmus. In dem erwähnten Brief an Venator vom Februar 1626 hatte er bemerkt: »Superiori etiam aetate Albim, tanquam Rubiconem, transire ausus fui, ad Principes Anhaltinos; â quibus satis benignè habitus sum.«38 Eine erste Begegnung mit den Fürsten und zumal mit Fürst Ludwig von AnhaltKöthen war erfolgt. Im gleichen Jahr 1625 waren Opitzens ›Poemata‹ erschienen, die er dem Gründer der Gesellschaft zugeeignet hatte. Opitz führte womöglich schon ein Widmungsexemplar mit sich. Von seiner Seite war folglich in die Wege geleitet, was ihm möglich war. Gleichwohl zog sich die Aufnahme noch vier Jahre hin. Es ist also vonnöten, weiter auszuholen und die Zusammenhänge herzustellen. Im Jahr 1617 war die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ gegründet worden.39 Eine denkwürdige Koinzidenz obwaltete. Es war das Jahr, da Opitz sein programmatisches Projekt ›Aristarchus sive de Contemptu Linguae Teutonicae‹ in Beuthen möglicherweise vorgetragen, in jedem Fall aber publiziert hatte. Um die Umpolung der gelehrten Poesie vom Lateinischen ins Deutsche ging es mit einem Wort. Die Poesie im deutschsprachigen Idiom sollte als gleichberechtigte neben die anderen inzwischen in den Volkssprachen verlautenden Verse treten. Ein Pensum des Nachholens war zu absolvieren und Opitz machte sich in richtiger Einschätzung des Allfälligen zu dessen Propagator. Über das Nähere wurde an früherer Stelle bereits berichtet. Nun aber war zeitgleich das Nämliche weit entfernt von Schlesien in Angriff genommen worden. Und das mit einem ganz anderen ständischen und politischen Rück––––––––– 38
39
Der Brief in lateinischer Version nebst Übersetzung und Kommentar ebenda, S. 434–439. Letzten Sommer wagte ich es auch, die Elbe gleichsam wie den Rubikon hin zu den Fürsten von Anhalt zu überschreiten, von denen ich auch gütig genug aufgenommen worden bin. (S. 436). Wir verweisen zurück auf den anmerkungsweise erfolgten Exkurs zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ im vorangehenden 13. Kapitel, Anm. 45.
Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft
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halt. Ein Fürst hatte mit Gleichgesinnten die Initiative ergriffen. Und er hatte zugleich dafür Sorge getragen, einen institutionellen Rahmen für das Projekt zu schaffen. Kenner der italienischen Verhältnisse der er war, hatte er in dem Land, in dem alle modernen kulturellen Entwicklungen ihren Ausgang nahmen, ebenfalls das rege sozietäre Treiben verfolgen können. Insbesondere die ›Accademia della Crusca‹, die 1582 ins Leben gerufen war und in Florenz residierte, hatte es ihm angetan. In ihr war die Pflege der italienischen Sprache zum vornehmsten Zweck erhoben worden. Und Analoges sollte nun auch in deutschen Landen auf den Weg gebracht werden. Kulturtransfer im schönsten Sinn vollzog sich, und das wie selbstverständlich.40 Sehr, sehr viel wäre zu sagen. Wir bleiben bei der numerischen Parallelität. 1617! Es ist die Zeit des nationalen, des politischen, des religiösen Aufbruchs. Dieser wird getragen von den reformierten Kräften in Deutschland, und dies in lebhaftem Kontakt mit den verwandten Mächten und personellen Repräsentanten im östlichen wie westlichen Ausland. Eben jener auf allen Gebieten sich kundtuenden kulturellen und religiösen Erneuerung ist das ›nationalliterarische‹ Projekt zugehörig. In deutscher Sprache zu denken und zu dichten ist ein einheitsstiftendes Wirken, angetan dazu, Gräben zuzuschütten, auf ein Gemeinsames hinzuarbeiten, die Menschen deutscher Zunge zusammenzuführen. Eine Morgenröte liegt über den beiden ersten Dezennien des 17. Jahrhunderts, hinter der sich allenthalten ein finsterer Prospekt auftut. Wie allen anderen kulturellen Manifestationen ist auch der Poesie aufgetragen, Bilder und Symbole zu generieren, in denen sich eine Gemeinschaft über die Grenzen von Region und Religion hinweg wiederzuerkennen vermag. Daß es eine aus dem Geist des Humanismus heraus gezeugte Initiative ist, bezeichnet ihre ständische Grenze. Zugleich aber wird prospektiv ein Auftrag wahrgenommen, der auf Fortschreibung und also auf Implementierung in breitere Schichten hin angelegt ist. Zu wiederholten Malen ist zu konstatieren, daß drei Brennpunkte erkennbar sind, an denen sich der Umschwung konzentriert und von denen aus die Impulse ausgehen. Es sind dies im Westen die Pfalz, im Osten Böhmen und Schlesien. Mit der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ treten Anhalt und besonders die angrenzenden mitteldeutschen Territorien hinzu. Nochmals sind es die reformierten Fürstenhäuser, bei denen die Initiative liegt. Der Brückenschlag in die Pfalz auf der einen Seite, nach Böhmen und Schlesien auf der anderen, ist daher vorgezeichnet. Klangvolle Namen sind es, die zur Gründergeneration zählen. Und zugleich wird der Adel erstmals in großem Stil in ein namhaftes kulturpolitisches Projekt mit einbezogen. Keine Frage, daß auch innerhalb der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ das pfälzisch-böhmische Geschehen aufmerksam verfolgt und teilweise aktiv mit betrieben wurde. Wir haben den Blick auf Opitz zu fokussieren. Die Gesellschaft verhielt sich satzungsgemäß resistent gegenüber der Gelehrtenschaft. Zunächst und zuerst sollte neben den Fürsten das Gros des Adels zum Zuge kommen. Zudem galt als Vorausset––––––––– 40
Vgl. die einschlägigen Beiträge in: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Hrsg. von Klaus Garber, Heinz Wismann. Band I–II.- Tübingen: Niemeyer 1996 (Frühe Neuzeit; 26.27).
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zung für eine Aufnahme, daß keinerlei negative konfessionspolitische Vorgeschichte bekannt war. Die Gesellschaft sollte dezidiert aus diesen Konflikten herausgehalten werden. Vor allem Katholiken waren zunächst nicht erwünscht, wie infolge der überwiegend lutherischen und reformierten Orientierung der Gründerfiguren nur zu verständlich. So war es also keineswegs ungewöhnlich oder gar auffällig, daß Opitz nicht schon frühzeitig Zugang erhielt. Er selbst wird seinerseits zunächst keinerlei Ambitionen gehegt haben. Die letzten Jahre auf schlesischem Boden, die Übersiedlung in die Pfalz, das erste niederländisch-jütländische Exil und die anschließende Exkursion nach Siebenbürgen waren nicht dazu angetan, Gedanken an eine Mitgliedschaft in der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ zu befördern. Das änderte sich, als Opitz 1625 mit der eigenen Ausgabe seiner Gedichte hervortrat und diese dem Fürsten widmete. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, die Aufnahme von seiten der Sozietät zu betreiben und rasch erfolgreich zu beenden. Dazu kam es jedoch nicht. Viele Überlegungen und Spekulationen haben sich an diese nun in der Tat auffällige Mißlichkeit geknüpft. Sie können hier allesamt unberücksichtigt bleiben. Zu interessieren und zu bewerten ist das Resultat. Und da ist anzuknüpfen an soeben bereits angestellte Erwägungen im Zuge der Nobilitierungen. Die Aufnahme in die illustre Sozietät kam nämlich womöglich eher für diese selbst als für den Dichter zu spät. Der hatte seinen Weg gemacht, stand allseits gefeiert an der Spitze der von ihm wenn nicht allein initiierten, so doch programmatisch vorangetragenen Reform der deutschen Dichtung. Seine Stellung war eine nicht mehr zu erschütternde und über Ehrungen eigentlich auch nicht mehr aufzuwertende. Es blieb dabei, daß der Dichter seinen Aufstieg sich selbst sowie seinen Freunden und fürstlichen Mäzenen verdankte, nicht aber repräsentativen symbolischen Akten, die ihn überhaupt erst in die Spitzenstellung befördert hätten. Neuerlich gleitet der Blick zu Birken herüber. Der hatte jahrelang die Nobilitierung und sodann die Aufnahme in die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ betrieben. Stolz verwies er auf die entsprechenden Insignien. Von Opitz ist Vergleichbares nicht bekannt. Er wußte, wer er war und hatte genügend Wege gefunden, dies auch öffentlich kundzutun. Wir haben immer wieder davon gehört. Nun geht es darum, einige mit der Aufnahme in die Gesellschaft verbundene Dokumente ein wenig näher in Augenschein zu nehmen.
Ein Gesellschaftsbuch Der Gründer der Gesellschaft, Fürst Ludwig, führte ein Gesellschaftsbuch, welches er den neu aufgenommenen Mitgliedern zwecks Eintragung des Namens, eines Spruches und – sofern vorhanden – des Geschlechterwappens vorzulegen pflegte. Drei derartige Bände kamen unter der Regie des Fürsten zustande. Sie haben sich am Gründungsort der Gesellschaft in Köthen erhalten, sind zu einem großen Teil handschriftlich verfaßt und eine bibliophile Kostbarkeit ersten Ranges. Der erste Band umfaßt die Jahre von 1617 bis 1629 und birgt in der Reihe der Aufnahmen die Namen der ersten zweihundert Mitglieder nebst Beigaben. Das Köthener Exemplar ist komplett faksimiliert worden und bietet sich dank der kolorierten
Ein Gesellschaftsbuch
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Einträge als eine Augenweide dar.41 Auf der linken Seite findet sich – sofern vorhanden – der handschriftliche Eintrag des Aufnahmejahres nebst einem Zusatz in Versen, das Wappen bzw. das Emblem und die Unterschrift des jeweiligen Mitgliedes. Zahlreiche handschriftliche Zeugnisse illustrer Persönlichkeiten haben sich auf diese Weise erhalten. Auf der rechten Seite steht das von Matthäus Merian gestaltete Kupfer nebst Merkspruch und Gesellschaftsnamen sowie das der Imprese zugeordnete sog. ›Reimgesetz‹. Eine programmatische Vorbemerkung, vermutlich herrührend von der Hand des Fürsten selbst, ist dem Band vorangestellt. Aus einer Zusammenkunft fürstlicher und adliger Personen anläßlich einer Trauerfeierlichkeit im Jahr 1617 sei sie hervorgegangen. Darbey aber ferner erwogen worden/ weil unsere weitgeehrte hochdeutsche Muttersprache/ so wol an alter/ schönen und zierlichen reden/ als an überfluß eigentlicher und wolbedeutlicher Wort so jede sachen besser als die frembden recht zu verstehen geben können/ einen nicht geringen vorzug hat; Das ebener gestalt darauff möchte gedacht werden/ wie eine sothane Gesellschaft zu erwecken und anzustellen/ darinnen man in gut rein deutsch reden/ schreiben/ auch anders so bey dergleichen zusammensetzung und erhebung der Muttersprache (darzu jeder von Natur verpflichtet) gebräuchlich und dienlich/ vornehmen möchte.42
Die Zielsetzung ist also eine sehr generelle. Auf alle Bereiche des Lebens soll der Gebrauch der deutschen Sprache gerichtet sein. Man merkt den Zeilen an, daß ein Pädagoge die Hand mit im Spiel hat. Wolfgang Ratke war soeben mit Vorschlägen zur Umstellung des Schulunterrichts auf die deutsche Sprache hervorgetreten. Der Impe––––––––– 41
42
Vgl.: Der Fruchtbringenden Gesellschaft Vorhaben, Namen, Gemälde und Wörter. Faksimile des ersten Bandes des im Historischen Museum Köthen aufbewahrten Gesellschaftsbuches Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen. Hrsg. von Klaus Conermann.- Leipzig: Edition Leipzig 1985. Lizenzausgabe: Weinheim, Deerfield Beach/Fl: VCH Acta humaniora 1985 (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft Geöffneter Erzschrein; 1). Wir verweisen auch an dieser Stelle zurück auf Anm. 45 im vorangehenden Kapitel mit einer ausführlichen Dokumentation zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹. Vgl. im vorliegenden Zusammenhang vor allem auch: Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen: Werke. Erster Band: Die ersten Gesellschaftsbücher der Fruchtbringenden Gesellschaft (1622, 1624 und 1628) [nebst] Johannis Baptistae Gelli Vornehmen Florentinischen Academici Anmutige Gespräch Capricci del Bottaio genandt (1619). Hrsg. von Klaus Conermann.- Tübingen: Niemeyer 1992. Vgl. in Wiederholung des im vorigen Kapitel Ausgeführten: Klaus Conermann: Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch. Eine Einleitung. Günther Hoppe: Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen [nebst] Bilddokumentation.Leipzig: Edition Leipzig 1985. Lizenzausgabe: Weinheim, Deerfield Beach/Fl: VCH Acta humaniora 1985 (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft Geöffneter Erzschrein; 2), S. 21–127. Hier auch das schöne Porträt des Gründers Fürst Ludwig von Günther Hoppe, S. 129–170. Das Werk enthält des weiteren eine umfassende Bibliographie, S. 317–374. Hinzuzunehmen die hervorragende biographische Erschließung der Gesellschafter, gleichfalls von Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617–1650. 527 Biographien. Transkription aller handschriftlichen Eintragungen und Kommentare zu den Abbildungen und Texten im Köthener Gesellschaftsbuch.- Leipzig: Edition Leipzig 1985. Lizenzausgabe: Weinheim; Deerfield Beach, Fl. 1985 (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft Geöffneter Erzschrein; 3). Der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben/ Nahmen/ Gemählde Vnd Wörter. Nach jedweders einnahme ordentlich Jn kupffer gestochen mit Vndergesetzten teutschen Reimen. Reprint in dem oben in Anm. 41 zitierten Werk Conermanns, Bl. A2r f.
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tus wirkt in den Eröffnungsworten nach. Diese Gesellschaft wird dafür einstehen, daß in der Öffentlichkeit, in der Verwaltung, in den Bildungsinstitutionen dem Deutschen das ihm gebührende Recht eingeräumt wird. Politische Akteure lassen sich vernehmen. Sie haben mehr im Sinn als die Poesie. Doch auch die kommt zu ihrem Recht. An einen jeden Gesellschafter ergehen zwei explizite Aufforderungen: Erstlich/ daß sich ein jedweder in dieser Gesellschafft/ erbar/ nütz= und ergetzlich bezeigen/ und also überall handeln solle/ bey Zusammenkunfften gütig/ frölich/ lustig und verträglich in worten und wercken seyn/ auch wie darbey keiner dem andern ein ergetzlich wort für übel auffzunehmen/ also soll man sich aller groben verdrießlichen reden und schertzes enthalten. Fürs ander/ daß man die Hochdeutsche Sprache in jhrem rechten wesen und standt/ ohne einmischung frembder ausländischer wort/ auffs möglichste und thunlichste erhalte/ und sich so wol der besten aussprache im reden/ als der reinesten und deutlichsten art im schreiben und Reimen=dichten befleissige.43
Beide Vorschriften gehören zusammen. In dieser Gesellschaft ist kein Platz für das Austragen von Konflikten. Diese sind durchweg konfessionell konnotiert, die Gesellschaft aber versteht sich als eine auf gemeinsame Werte verpflichtete Gemeinschaft. In der auf Reinheit und Deutlichkeit bedachten Pflege der deutschen Sprache findet dieses Bestreben ihren Ziel- und Fixpunkt. Dem linguistischen Projekt bleibt ein nationaler, ein ›vaterländischer‹ Impetus eingeschrieben. Im Medium der einen Sprache entwirft sich die eine prospektive Nation. Dieses humanistische Ideal überwölbt die konfessionelle Spaltung, relativiert, ja dementiert sie. Wie selbstverständlich ist die Poesie in dieses Reformprojekt inbegriffen. Kein Wort fällt über den Sinn und Zweck eines derartigen Votums. Die Musen singen in der Muttersprache. Das tun sie seit längerem ringsum in Europa und das werden sie unter der Obhut der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ nun auch überall in deutschen Landen tun. Eben deshalb ist die regionale Reichweite der Gesellschaft so wichtig. Gesellschaftliche ›Früchte‹ sind dort am ehesten zu erwarten, wo Mitglieder der Sozietät wirken. Insofern konnte auch ein Opitz sich keinen besseren Partner für sein Projekt wünschen als diese hochrangige reformbereite Gesellschaft. Und die wußte um seine Sonderstellung, wie nun auch über das hier kurz vorgestellte früheste Gesellschaftsbuch ersichtlich.
Der Gekrönte Dieses präsentiert die ersten zweihundert Mitglieder. Den Anfang macht Caspar von Teutleben. Auch der hatte sich viele Jahre in Italien aufgehalten, hatte sich als Prinzenerzieher im Hause Sachsen-Weimar verdient gemacht und dort als Hofmarschall gewirkt. Der Überlieferung zufolge soll von Teutleben im August des Jahres 1617 auf dem Weimarer Schloß Hornstein den Vorschlag zur Gründung der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ gemacht haben. Das verschaffte ihm unter dem Gesellschaftsnamen ›Der Mehlreiche‹ den ersten Platz. Doch wurde er sogleich gefolgt von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, dem ›Nährenden‹, der als der Gründer der Sozietät gilt und in ––––––––– 43
Ebenda, Bl. A3v.
Symbolisches Ritual und Kapital
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dieser Eigenschaft die Geschäfte führte. Es kam der Gesellschaft eben eminent zugute, daß ein Fürst an ihrer Spitze stand. Er verlieh dem kulturellen Projekt die nötige politische Schubkraft. Den Beschluß aber machte kein anderer als Martin Opitz. Das war kein Zufall. Ihm war auch numerisch eine herausragende Position zugedacht. Als 200. Mitglied wurde er geführt. Der Fürst beschloß mit ihm sein Gesellschaftsbuch, und dies ohne nähere Kenntnis, wie es um dessen Fortführung bestellt sein würde, lebte es doch von den getätigten Aufnahmen, die allein in seiner Hand lagen. An ihm war es, Nimbus und Niveau des ›Palmenordens‹, wie er sich in sinnfälliger Anspielung auch nannte, zu gewährleisten. Dann aber stellte sich die Frage des Ordensnamens für Opitz. Nach allem, was wir wissen, gab es im Kreis zumal der wenigen gelehrten Mitglieder Reserven gegenüber Opitz. Ob auch der Fürst womöglich zunächst zur Verzögerung beitrug, ist nicht erwiesen. Am Schluß aber ging er aufs Ganze. Ein Titel wie ›Der Gekrönte‹ konnte nur einmal vergeben werden. Er fiel an Opitz. Mehr Ehre war nicht denkbar. Die Erinnerung an Opitzens Krönung zum Dichter spielte natürlich hinein. Doch sie allein trug nicht. Er war das gekrönte Haupt der Poetenzunft, die da unter seiner Ägide das Projekt der neuen deutschen Dichtung auf den Weg brachte, und dies in Übereinstimmung mit der Art und Weise, wie er selbst seine diesbezügliche Rolle wahrzunehmen pflegte. Doch ist damit schon alles gesagt? Krönte nicht mit dem ›Gekrönten‹ die Gesellschaft auch sich selber? Mit seiner Aufnahme und Mitgliedschaft bekannte sie sich zu seinem Werk und profitierte ihrerseits davon. Eine lange währende Geschichte hatte ihren glücklichen, symbolisch vielfältig bekräftigten Abschluß gefunden.
Symbolisches Ritual und Kapital Die Zeichnung des Namens nebst Aufnahmedatum und beigegebenen Zeilen fehlen auf der Opitz gewidmeten Seite des Köthener Gesellschaftsbuches, nur das kolorierte Wappen findet sich daselbst. Um so imposanter ist die gegenüberliegende Seite gestaltet. Das zwei Drittel der Seite einnehmende Kupfer zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Tisch unter einem Baldachin, an dessen rechter Seite sich ein Lorbeerbaum erhebt, der seine Entsprechung in einem Lorbeerbaum im Wappenschild der von Boberfeld besitzt. Im Hintergrund ist die Residenz mit umgebenden Hügeln zu erkennen – eine Reminiszenz womöglich auch an die Musenhügel. Die Einfassung oben und unten erfolgt durch zwei flatternde bzw. aufgerollte Bänder, das obere mit der Aufschrift ›Mitt Diesem.‹; das untere mit der Aufschrift ›Der Gekrönte.‹ Darunter stehen die mit den Initialen von Opitz ausgezeichneten und auf das Jahr 1629 datierten Verse auf die pictura, wie aus der Emblemkunst bekannt. EJn art deß Lorbeerbaums/ gibt schön vnd breite blätter Sie grünen frölich her/ im heiß vnd kalten wetter/ Die blüte reucht sehr wol/ von jenen wird die Cron/ Vnd grüner Krantz gemacht; So der Poeten lohn. Von jhme billich bin Gekrönet ich genennet/
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Mit diesem ist mein wort/ dann grünend in mir brennet Die heiß vnd heilge Wuth die mir die feder führt Vnd reimend vnsre sprach/ ob andern mehrt vnd ziert.44
Kaum vorstellbar, daß eine raffiniertere poetische subcriptio hätte ersonnen werden können, gleichgültig, ob sie von der Hand des Fürsten oder doch von Opitz selbst herrührt. Die ersten vier Zeilen geben den bildnerischen und durch Tradition beglaubigten Motivbestand. Sie verbleiben im Rahmen des Herkömmlichen. Das aber nur, um in den nachfolgenden vier Zeilen um so radikaler umschwenken zu können. In ihnen ist der Verfasser auf sich gestellt und alleine für die Ausdeutung zuständig. Und die ist natürlich auf Opitz gemünzt. Weil der Lorbeer als stetig grünendes Gewächs zur Poetenkrönung dient, ist dem Dichter der Name des ›Gekrönten‹ zuerkannt worden. Das aber ist zu wenig, denn diese Ehre teilt er mit anderen. Und so wird ein Enjambement zwischen der fünften und der sechsten Zeile gefertigt, das verdeckt einen ungeheuren Anspruch vernehmbar macht. »Mit diesem ist mein wort«. Eben dieses Wort stand als ›Merkspruch‹ auf dem Kupfer. Es verweist auf den Kranz. Doch just an dieser Stelle ist es mehrdeutig. Nicht nur der Dichter ist gekrönt, sondern auch sein Wort. Dieses steht als gekröntes singulär da, hat keine Parallele, ist einmalig und unwiederholbar. Doch nicht nur das. Das Feuer des poetischen Wahnsinns wütet wie in einem jeden Genie so auch in ihm und führt seine Feder. Vor allen anderen mehrt und ziert diese seine Hand dichtend die deutsche Sprache. Der Gekrönte krönt ein der deutschen Sprache und Poesie gewidmetes Werk, hinter dem ein jedes andere zurücktritt. Implizit weist dieses neue Mitglied Nr. 200 alle vorangehenden und alle nachfolgenden Zunftgenossen in die Schranken. Ob die Ahnung davon, wen man da zu sich bat, eine gewisse Reserve begründete? Dieser Gekrönte wußte allemal, was es auf sich hatte mit der ihm zugefallenen Krönung aus den Händen eines Fürsten und wie sie denn zu drehen und zu wenden sei.
Fürstliche Präsente Der Fürst selbst aber verstand sich gleich zu zwei bewegenden Maßnahmen, die auch das Herz des Dichters berühren mußten. Er ließ eigens für den Dichter ein Exemplar des ›Gesellschaftsbuches‹ fertigen und dem Dichter überreichen. Das Buch ist mit einem Einband versehen, auf dessen Vorderdeckel befindet sich wiederum die aus der Imprese bekannte Palme. Darüber steht die Zueignung ›DEM GEKRÖNTEN.‹ und am unteren Ende das Jahr der Aufnahme ›1629‹. Ob Opitz das Exemplar von dem Fürsten überreicht bekam, ob es ihm ein anderes Mitglied überbrachte oder es auf einem dritten Weg zu ihm kam, muß offen bleiben.45 ––––––––– 44
45
Der Abdruck des Gedichts am Schluß des ›Gesellschaftsbuchs‹ von 1629 und – in veränderter Version – in dem von 1646 unter der Nummer 200. Gleichfalls abgedruckt in: Opitz: Briefe und Lebenszeugnisse (Anm. 7), Band II, S. 718 nebst Faksimile des Wappens und des Reimgesetzes S. 720 f. Hinzuzunehmen der reichhaltige Kommentar. Faksimile ebenda, S. 716. Hinzuzunehmen der Kommentar.
Fürstliche Präsente
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Opitz indessen hat es sich eigenhändig zu eigen gemacht. Auf dem gedruckten Titelblatt hat er den Vermerk angebracht: »Ex dono Celsissi Principis Anhaltini Ludouici. M. Opitius.« Also: »Geschenk des erhabensten anhaltischen Fürsten Ludwig. M. Opitz.«46 Nahezu einem Wunder gleich hat sich diese einzigartige Zimelie erhalten. Opitz wird sie als Kostbarkeit bei sich geführt haben. An der letzten Station seines Lebens hat sie ihre dauerhafte Bleibe gefunden, in Danzig. Dort wurde sie in der reichen alten Stadtbibliothek bewahrt und war mit einem Exlibris versehen worden: ›Ex Bibliotheca Senatvs Gedanensis‹. Das Exemplar war also in die Bibliothek des Rats der Stadt Danzig gelangt und von dort aus in die Stadtbibliothek, die sich – wie überall im alten deutschen Sprachraum – aus den verschiedensten Quellen speiste. Der langjährige verdienstvolle Direktor Otto Günther war darauf aufmerksam geworden und hatte zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine Miszelle über die Kostbarkeit verfaßt.47 In der Stadtbibliothek hing ja auch das Bildnis von Martin Opitz im Lesesaal, der sich so wie das Gebäude selbst erhalten hat. Die Bibliothekare wußten um ihre besondere Verpflichtung hinsichtlich des Erbes, das ihnen da zugefallen war. Wie mit seinem Geburtsort Bunzlau blieb der Name Opitzens auf andere Weise vor allem mit seinem Sterbeort Danzig verbunden. Der heutige Besucher der nunmehrigen Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften spürt, das Bild im historischen Lesesaal und die reiche OpitzKollektion betrachtend, immer noch das Fluidum, das Opitzens einstige Präsenz verströmt.48 Opitz aber durfte nicht nur ein Geschenk des Fürsten in Gestalt eines ihm zugedachten Buches in Händen halten. Sieben Jahre später empfing er auch einige persönliche Zeilen des Fürsten. Brieflich stand er ohnehin mit ihm in Kontakt. Nun aber wurde er mit Versen bedacht. Der äußere Anlaß war das Gerücht von einer bevorstehenden Hochzeit Opitzens. Der Fürst mischte sich unter die Gratulanten. Ob er die Verse alle selbst verfaßte, ob er hilfreiche Hände an seiner Seite hatte? Doch wohl eher nicht. Eine denkwürdige ›altdeutsche‹ Aura liegt über dem Gedicht. Der Fürst nämlich, der es mit seinem Namen verantwortete, griff nicht zur lateinischen oder italienischen Sprache, sondern zur deutschen. Er begab sich auf das von Opitz bestellte Feld und wagte es, sein Sonett den Augen des gestrengen Kunstrichters zu unterbreiten. Das geschah im Jahr 1637. Opitz stand im Zenit seines Ruhms und der Fürst ließ ihm die denkbar höchste Ehrung zukommen. Das Bündnis Fürst und Dichter, wie es uns leitmotivisch begleitet, erfüllte sich in exzeptioneller Façon. ––––––––– 46 47
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Faksimile ebenda, S. 717, gleichfalls mit Kommentar. Vgl. O[tto] Günther: Eine Erinnerung an Martin Opitz in der Danziger Stadtbibliothek.- In: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 7 (1908), S. 38 f. Vgl. Klaus Garber: Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen königlich polnischen Anteils. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte.In: Kulturgeschichte Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 103), S. 301–355. In erweiterter Version in: ders.: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 439–489.
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An dem Gekrönten Die Rechte krönungszeit gekrönet hatt ersehen Der lengst gekrönet war mit einem Lorbehrkrantz, Und in der liebe nun ihm’ ist geglückt die schantz’ An die mitt aller lust er freudig an kan gehen. Die krone seines leibs in Tugendt thut bestehen, Die schönheit, freundligkeit, und ihrer augen glantz, Die ziehren insgesampt nun des Gekrönten Tantz. Es wird sein Nahm’ und Ruhm’ auch konnen nit vergehen, Wan diese krone dan ihm bringet pfläntzelein, Die seinem hohen geist in allem ähnlich sein. Jhr woltt Gekrönter drumb den gutten wuntsch annehmen, Den segen Gottes auch erwarten in der zeit, Der wan ihr ihm vertraut von euch nicht wird sein weit, Sich eure kron’ euch kan auffs beste so bequemen.49
Werk-Konspekt I: Trojanerinnen, Argenis, Dafne Wir stehen am Ende der zwanziger Jahre. Viel hatte sich getan, seit Opitz seine Gedichte erstmals 1625 veröffentlicht hatte. Ein ganzes Buch könnte leicht gefüllt werden mit einer einläßlichen Besprechung seiner seither hervorgetretenen Arbeiten. Wir aber setzen weiterhin auf Akzentuierung, verbleiben bei einem exemplarischen Verfahren, um Platz zu gewinnen für eine intensivere Inspektion einzelner Texte. Geht es immer auch um Einüben im Lesen, so ist ein jeder Text gleich willkommen. Die großen unter ihnen aber erfordern einen anderen Zugang als die weniger umfänglichen. So fällt diesen automatisch eine gewisse Priorität zu. Das sind die Bedingungen und Voraussetzungen, unter denen auch dieses Buch seine Lesbarkeit bewahren soll, ist mit summarischen Charakteristiken doch niemandem gedient. Vorausgeschickt aber werden darf, daß manche der hier nur eben erwähnten Texte in den folgenden Kapiteln vor allem im Hinblick auf Widmungen und Kontexte wiederkehren werden. Das Jahr 1625 hatte noch ein weiteres epochales dichtungsgeschichtliches Ereignis gezeitigt. Opitz hatte eine antike Tragödie, nämlich Senecas ›Trojanerinnen‹ ins Deutsche übersetzt.50 Das geschah mit programmatischer Verve. Erstmals wurde die neben dem Epos berühmteste antike Literaturform in der neuen von Opitz vorgeschriebenen poetischen Sprache im Deutschen zugänglich. Und mehr als das. Die von Opitz be––––––––– 49
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Man kann diese Verse inzwischen gleich an drei Stellen nachlesen: Conermann: Die Mitglieder (Anm. 41), S. 205; Opitz: Briefe und Lebenszeugnisse (Anm. 7), Band III, S. 1408 f.; Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen: Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617– 1650. Band IV: 1637–1638. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball und Andreas Herz hrsg. von Klaus Conermann.- Tübingen: Niemeyer 2006, S. 342 f. L. Annaei Senecae Trojanerinnen; Deutsch übersetzet/ vnd mit leichter Außlegung erkleret; Durch Martinum Opitium. Wittenberg/ Jn verlegung Zachariae Schürers Buchführers/ Gedruckt bey Augusto Boreck/ Jm Jahr M.DC.XXV. Zwei Exemplare z.B. aus der Breslauer Stadtbibliothek, ihrerseits herrührend aus der Rhedigerschen Bibliothek und aus der Bernhardiner-Bibliothek, heute in der BU Wrocław: 4 E 707 = 355482; 4 V 57/41 = 534675. Neudruck in: Opitz: Gesammelte Werke. Band II (Anm. 2), 2. Teil, S. 424–522.
Werk-Konspekt I: Trojanerinnen, Argenis, Dafne
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triebene Reform der deutschen Dichtung war zwingend auf die Präsentation von Exempeln aus der hohen Gattung im Stil des genus grande angewiesen. Nur so konnte ihre universale poetische Würde unter Beweis gestellt werden. In seiner ›Poeterey‹ hatte Opitz, wie seine humanistischen Vorgänger, die Tragödie gleich neben das Epos gerückt. Er muß es als eine unabweisliche Verpflichtung empfunden haben, übersetzend ein Muster bereit zu stellen. Mit den ›Trojanerinnen‹ lag ein solches ein Jahr nach der ›Poeterey‹ bereits vor.51 Doch damit wiederum nicht genug. Vom Epos war in der ›Poeterey‹ voller Ehrfurcht die Rede gewesen. Opitz wußte, daß es im Deutschen so schnell nicht kommen würde. Mit seinem ›Trost-Gedichte‹ hatte er einen genialen Umweg beschritten. Und nun legte er nach. Wenn es denn kein Epos sein sollte, das da im Deutschen als Muster präsentiert werden konnte, so doch ein Analogon. Das aber war nur in einer Gattung verfügbar, die in gewisser Weise in der Moderne das Erbe des Epos angetreten hatte, dem Roman. Der lag inzwischen in drei Versionen vor, als heroischer Roman, als schäferlicher Roman und als pikaresker Roman. Alle drei Stilhöhen, die hohe, die mittlere und die niedere, gelangten derart zum Zuge. Als Vertreter der epischen Form aber kam selbstverständlich nur der heroische Roman in Frage. Und genau dem wandte sich Opitz in treffsicherer Erkenntnis dessen, was an der Zeit war und was diese bedurfte, zu. 1626 erschien der erste Teil einer Übersetzung der ›Argenis‹ des Schotten John Barclay.52 Diese war auf lateinisch verfaßt, war inzwischen schon ins Französische ––––––––– 51
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Verwiesen sei auf die jüngste Untersuchung mit weiterer Literatur von Winfried Woesler: Opitz’ Übersetzung von Senecas ›Troades‹.- In: Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur für Bildung und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750). Hrsg. von Alfred Noe, Hans-Gert Roloff.- Bern etc.: Peter Lang 2012 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongreßberichte; 109), S. 225– 242. John Barclayens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Mit schönen Kupffer Figuren Nach dem Frantzösischen Exemplar. Inn Verlegung Dauid Müllers Buchhändlers Inn Breßlaw. 1626. Exemplar aus der Bernhardiner-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (8 V 250) und von dort in die BU Wrocław: 381107. Neudruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Band III: Die Übersetzung von John Barclays Argenis. Teil I und II. Hrsg. von George Schulz-Behrend.- Stuttgart: Hiersemann 1970 (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart; 296. 297). Vgl. Karl Friedrich Schmid: John Barclays Argenis. Eine literarhistorische Untersuchung. I. Ausgaben der Argenis, ihrer Fortsetzungen und Übersetzungen.- Berlin, Leipzig: Felber 1904 (Literarhistorische Forschungen; 31). Hier S. 73–79 zu Opitzens Übersetzung. Des weiteren: Paula Kettelhoit: Formanalyse der Barclay-Opitzschen ›Argenis‹.- Diss. phil. Münster 1934. Vom Herausgeber George Schulz-Behrend selbst stammt die wichtige Untersuchung: Opitz’ Übersetzung von Barclays ›Argenis‹.- In: Publications of the Modern Language Association of America 70 (1955), S. 455–473. Vgl. auch Volker Meid: Absolutismus und Barockroman.In: Der deutsche Roman und seine historischen und politischen Bedingungen. Hrsg. von Wolfgang Paulsen.- Bern, München: Francke 1976, S. 57–72; Helmuth Kiesel: ›Bei Hof, bei Höll‹. Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller.- Tübingen: Niemeyer 1979 (Studien zur deutschen Literatur; 60), S. 271–305; Theodor Verweyen: Epische ›ars narrativa‹ im Kontext der städtischen Kultur des oberrheinischen Humanismus und des landesfürstlichen Absolutismus der Barockepoche: Wickrams ›Goldtfaden‹ und Opitz’ ›Argenis‹.- In: Humanisten am Oberrhein. Neue Gelehrte im Dienst alter Herren. Hrsg. von Sven Lembke, Markus Müller.- Leinfelden-Echterdingen: DRW-Verlag 2004 (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; 37), S. 267–302. Zuletzt die ausgezeichnete Studie von Benedikt Jeßing: Staatstheorie
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übersetzt worden und schickte sich an, zu einem literarischen Erfolg in ganz Europa aufzurücken. Das war kein Zufall. Das Lateinische sicherte die europaweite Verbreitung. Entscheidend aber waren Stoff, Fabel und Ethos. Das Interesse des Lesers wurde über einen Verschnitt aus Szenen des antiken Romans und des neueren Ritterromans geweckt und die fünf Bücher über wach gehalten. Barclay aber ging es um anderes. Er war in Frankreich, wo er sich lange Zeit in Paris aufgehalten hatte, Zeuge des Aufstiegs des frühabsolutistischen Staates. Als ein glühender Royalist – er widmete seine ›Argenis‹ Ludwig XIII. – lieferte er unter vielfältigen Maskierungen und ungezählten Disputen Exempla für Staatsklugheit und Regentenethos, die paßgerecht der modernsten Entwicklung in den fortgeschrittensten Monarchien korrespondierten. Opitz hatte mit sicherem Griff den zukunftsträchtigsten Roman ausfindig gemacht und ihm ein deutsches Gewand verliehen. Erst viel später, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sollten die großen originären Schöpfungen eines Anton Ulrich und Lohenstein nachfolgen. Und auch das nachfolgende Jahr 1627 war wiederum gekennzeichnet durch ein herausragendes literarisches bzw. kulturelles Ereignis. Am Dresdener Hof wurde die Hochzeit Sophia Eleonores von Sachsen mit dem Landgrafen Georg von Hessen gefeiert. Auf Schloß Torgau kam eine Oper zur Aufführung. Der kursächsische Kapellmeister Heinrich Schütz hatte die Musik geschrieben. Als Textvorlage diente ein Libretto mit dem Titel ›Dafne‹ des Italieners Ottavio Rinuccini. Den bearbeitete Opitz und übertrug ihn ins Deutsche, so daß es vor der festlichen Gesellschaft zu einem Zusammenwirken des angesehendsten zeitgenössischen Musikers und Dichters kam.53 –––––––––
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in Martin Opitzens Argenis-Übertragung. Gedankenimport und Aktualisierung.- In: Martin Opitz 1597–1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit. Hrsg. von JörgUlrich Fechner, Wolfgang Kessler.- Herne: Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek 2006 (Martin OpitzBibliothek. Schriften; 3), S. 127–147. Zu Barclays Werk selbst vgl. etwa Dietrich Naumann: Utopie und Absolutismus. John Barclays ›Argenis‹.- In: ders.: Politik und Moral. Studien zur Utopie der deutschen Aufklärung.- Heidelberg: Winter 1977 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik; 15), S. 15–67; Josef Ijsewijn: John Barclay and His ›Argenis‹. A Scotish Neo-Latin Novelist.- In: Humanistica Lovaniensia 32 (1983), S. 1–27; Susanne Siegl-Mocavini: John Barclays ›Argenis‹ und ihr staatstheoretischer Kontext. Untersuchungen zum politischen Denken der Frühen Neuzeit.Tübingen: Niemeyer 1999 (Frühe Neuzeit; 48). DAFNE. Auff deß Durchlauchtigen/ Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Georgen/ Landtgrafen zu Hessen/ [...] Vnd Der Durchlauchtigen/ Hochgebornen Fürstinn vnd Fräwlein Fräwlein Sophien Eleonoren/ Hertzogin zu Sachsen/ [...] Beylager: Durch Heinrich Schützen/ Churfürstl. Sächs. Capellnmeistern Musicalisch in den Schawplatz zu bringen/ Auß mehrentheils eigener erfindung geschrieben von Martin Opitzen. Jn Verlegung David Müllers/ Buchführers in Breßlaw. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/24; 4 F 54/47) und von dort in die BU Wrocław: 355086; 357161. Auch in die Sammlung Faber du Faur ist das Werk gelangt (Nr. 210). Neudruck in: Opitz: Gesammelte Werke. Band IV (Anm. 25), 1. Teil, S. 61–84. Vgl. Jörg-Ulrich Fechner: Zur literaturgeschichtlichen Situation in Dresden 1627. Überlegungen im Hinblick auf die ›Dafne‹-Oper von Schütz und Opitz.- In: SchützJahrbuch 10 (1988), S. 5–29; Elisabeth Rothmund: ›Dafne‹ und kein Ende. Heinrich Schütz, Martin Opitz und die verfehlte deutsche Oper.- In: Schütz-Jahrbuch 20 (1998), S. 123–147; dies.: Opitz’ erster Entwurf einer Oper in deutscher Sprache. Kulturpatriotisches Wagnis oder kunstgeschichtlicher Irrweg.- In: Österreichische Oper oder Oper in Österreich? Die Libretto-Problematik. Hrsg. von Pierre Béhar, Herbert Schneider.- Hildesheim etc.: Olms 2005 (Musikwissenschaftliche Publikationen; 26), S. 15–31. Vgl. mit einem Seitenblick auch die instruktive Miszelle von Roth-
Werk-Konspekt II: Laudes Martis, Jonas
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Opitz aber hatte nicht nur einen durchschlagenden Erfolg bei Hof erzielt. Er hatte wiederum auch noch weit vorausgeschaut. Die Oper blieb das Erfolgsmodell im höfischen Zeitalter mit Ablegern im bürgerlichen Milieu. An der Spitze dieser Entwicklung, wenn es denn um die deutschsprachige Oper ging, stand wiederum kein anderer als Opitz.
Werk-Konspekt II: Laudes Martis, Jonas Blicken wir sodann auf das Jahr 1628, so ist nicht nur an die geistlichen Texte zu erinnern, über die schon gesprochen wurde bzw. auf die im Zusammenhang der Widmungen zurückzukommen sein wird, also ›Vber das Leyden vnd Sterben Vnsers Heylandes‹ und die ›Episteln Der Sontage vnd fürnemsten Feste des gantzen Jahrs‹, sondern auch an das gleichfalls bereits berührte satirische Versepos ›Laudes Martis‹ sowie an das geistliche Versgedicht ›Jonas‹. Ob das Lob auf den Kriegsgott entstanden wäre, wenn Opitz nicht im Dienste Dohnas gewesen und gelegentlich am Rande und eher zufällig in kriegerische Erei––––––––– mund: Neues zu den Texten von Martin Opitz für die dänisch-sächsische Fürstenhochzeit in Kopenhagen 1634.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 22 (1995), S. 107–113. Und schließlich sei die kulturgeschichtlich wertvolle Notiz von Mara R. Wade erwähnt: Zwei unbekannte Seitenstücke zu Opitz’ ›Dafne‹.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 19 (1992), S. 12–22. Vgl. von Wade auch: Geist- und weltliche Dramata. Hecuba, Dafne, Judith, Antigone. The Dramatic Works and Heroines of Martin Opitz.- In: Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi 1990 (Chloe; 10), S. 541–559. Jetzt der Beitrag von Irmgard Scheitler: Opitz und Heinrich Schütz. ›Dafne‹ – ein Schauspiel.- In: Archiv für Musikwissenschaft 68 (2011), S. 205–226, sowie der Eintrag in dem vorbildlichen Handbuch von ders.: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Band I: Materialteil.- Tutzing: Schneider 2013 (Würzburger Beiträge zur Musikforschung; 2.1), S. 557 f.; Band II: Darstellungsteil.- Beeskow: ortus musikverlag 2015 (Ortus-Studien; 19), hier an den jeweiligen systematisch ausgewiesenen Stellen. Zum Kontext die Studie von Gerald Gillespie: Humanist Aspects of the Early Baroque Opera Libretto after the Italian Fashion (Opitz, Harsdörffer, Anton Ulrich).- In: Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Hrsg. von Alberto Martino.- Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi 1990 (Chloe; 9), S. 151–170. Zur späteren geistlich-alttestamentarischen Variante, Opitzens ›Judith‹ aus dem Jahr 1635, vgl. bis auf weiteres den Abdruck in: Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts nebst Luthers Vorrede zum Buch Judith. Hrsg. von Martin Sommerfeld.- Berlin: Junker und Dünnhaupt 1933 (Literarhistorische Bibliothek; 8), S. 114–133, textkritische Anmerkungen S. 190. Außerdem: Bernhard Ulmer: Opitz’ Judith Reviewed.- In: Traditions and Transitions. Studies in Honour of Harold Jantz. Hrsg. von Lieselotte E. Kurth, William H. McClain, Holger Homann.- München: Delp 1972, S. 55–63; Mara R. Wade: The Reception of Opitz’s ›Judith‹ during the Baroque.- In: Daphnis 16 (1987), S. 147–165; Konrad Gajek: Christian Funckes Prosafassung der ›Judith‹ von Martin Opitz. Dokumentation einer Aufführung auf dem Görlitzer Schultheater im Jahre 1677.- In: Daphnis 18 (1989), S. 421–466; Elisabeth Rothmund: La ›Judith‹ (1635) de Martin Opitz ou la genèse croisée de la tragédie et de l’opéra.- In: XVIIe Siècle 47 (1995), S. 603–618; Konrad Gajek: Zur Widmung der ›Judith‹ von Martin Opitz.- In: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1998 (Frühe Neuzeit; 39), Band II, S. 951–960. Vgl jetzt auch zur ›Judith‹ und ihrer Rezeption den Eintrag in Irmgard Scheitlers ›Schauspielführer‹ (s.o.), Band I, S. 561–563.
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gnisse hereingezogen worden wäre? Jedenfalls ist ein von Witz, Ironie und Einfallsreichtum nur so strotzendes großes Gedicht entstanden, das er seinem Dienstherrn, dem er es widmete, stolz in die Hände legen konnte. Immer wieder eröffnen sich Aussichten auf kardinale von Opitz angesprochene Themen. Die Freunde reagierten überschwenglich mit Lob. Eine geistvolle überzeugende Adaptation einer prominenten Figur aus dem mythischen Kosmos war gelungen, und Opitz durfte sich schmeicheln, über weite Strecken eigene Wege erkundet zu haben. Wir müssen uns, wie so häufig, darauf beschränken, einen Blick in die Widmung zu werfen.54 Auf den April des Jahres 1628 ist sie datiert, stellt also neuerlich eine vergleichsweise frühe Ergebenheits-Bekundung dar. Als ein der Aufklärung zugehöriger und ihr ergebener Spätling präsentiert sich der Dichter im Umgang mit den mythischen Überlieferungen. Er weiß um ihr Wesen, ihre Funktion, ihr in der poetischen Phantasie beheimatetes Dasein. Eben das letztere gereicht denen zum Vorwurf, die sich beteiligen an der Produktion jener zwielichtigen Wesen. Derart eröffnet sich eine neue Seite in dem unerschöpflichen Buch des Kampfes um die Würde der Poesie, wie Opitz sie in besonderer Intensität zu seiner Sache gemacht hat. Am Umgang mit den mythischen Urbildern muß sich erweisen, zu was die Poesie taugt und was der versierte Dichter ihr anzuvertrauen und abzugewinnen weiß. Eine schneidende, von Witz wiederum nur so sprühende Abfertigung hat Opitz für die Törichten bereit, die sich nicht zurechtzufinden wissen in den graduellen Gefilden des Geistes. Die Dohna-Widmung gehört hinein in die kulturpolitische Offensive, wie sie Opitz stets wieder zu seiner Sache gemacht hat. Und sie birgt noch einmal eine lebhafte Hommage an Dohna, womöglich die weitestgehende aus Opitzens Feder. Das Versgedicht ›Jonas‹ führt, wie die meisten selbständigen Arbeiten Opitzens, zurück zu den Piasten, ist es doch dem herzoglich-liegnitzischen Rat Georg Köhler von Mohrenfeld gewidmet. Zugleich präludiert es der Begegnung mit Hugo Grotius. Opitz benutzt nämlich eine ›Historia Ionae paraphrastico carmine‹, die bereits 1617 in Grotius’ neulateinischen Gedichten erschienen war, Opitz also seit längerem bekannt sein konnte.55 ––––––––– 54
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Lavdes Martis. Martini Opitii Poëma Germanicum. Ad Illustriß. Dn. Dn. Carolum Annibalem, Burggravium Dohnensem. [Kolophon:] Gedruckt zum Brieg/ Jn verlegung David Müllers Buchhändlers in Breßlaw/ im Jahr 1628. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek und der Bernhardiner-Bibliothek (4 E 515/28; 4 V 34/63, 4 V 648, 4 V 648a) übergegangen in die BU Wrocław: 355090; 533707, 535816, 535817. Neudruck – wie immer mit einem einleitenden wichtigen Kommentar – in: Opitz: Gesammelte Werke. Band IV (Anm. 25), 1. Teil, S. 129–180. Die Widmungsvorrede auch in zweisprachiger Version in: Opitz: Lateinische Werke. Band II (Anm. 2), S. 88–95; Kommentar S. 364–376. Die Übersetzung rührt her von Georg Burkard, der Kommentar von Veronika Marschall. Einschlägig geblieben: Barbara Becker-Cantarino: Satyra in nostri belli levitatem. Opitz’ ›Lob des Krieges Gottes Martis‹.- In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 48 (1974), S. 291–317. Martin Opitzen Jonas. [Kolophon:] Gedruckt zum Brieg/ Jn verlegung David Müllers Buchhändlers in Breßlaw/ im Jhar 1628. Exemplare – wie so häufig – aus der Rhedigerschen Bibliothek und der Bernhardiner-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau – 4 E 515/29 bzw. 4 V 57/3 –, heute verwahrt in der BU Wrocław: 335091 bzw. 534639. Der Text mit Kommentar in: Opitz: Gesammelte Werke. Band IV (Anm. 25), 1. Teil, S. 181–213. Verwiesen sei aus der Literatur hier nur auf den gehaltreichen Sammelband: Der problematische Prophet. Die biblische JonaFigur in Exegese, Theologie, Literatur und Bildender Kunst. Hrsg. von Johann Anselm Steiger,
Werk-Konspekt III: La Capta Rupella, Disticha Catonis, Vielguet
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Was also mochte ihn bewogen haben, gerade jetzt eben diesen Text in die deutsche Sprache zu versetzen? Er steht im Gefolge der Adaptation alttestamentarischer Stoffe, wie Opitz sie kontinuierlich betrieb und schließlich in seinem Psalmenwerk gipfeln ließ. Nicht auszuschließen, daß schon jetzt, da Opitz im Hause Dohnas wirkte, wie auch immer geartete Kontakte nach Paris bestanden. Opitz nahm in jedem Fall die Gelegenheit wahr, dem daselbst im Exil residierenden ›berhümbten Manne‹, wie es in der Widmung heißt, seine Reverenz zu erweisen. Ein großes, 264 Hexameter umfassendes geistliches Gedicht ist entstanden, dem zugleich zahlreiche gelehrte Erläuterungen beigegeben sind. Erkennbar arbeitete Opitz darauf hin, seine geistliche und weltliche Produktion im Gleichgewicht zu halten.
Werk-Konspekt III: La Capta Rupella, Disticha Catonis, Vielguet Das Jahr 1629, in dem wir vorläufig enden, brachte – neben einer Übersetzung aus dem Französischen, betitelt ›Von der Welt Eitelkeit‹ – nochmals eine Übertragung von Grotius. Nun wandte sich Opitz mit Grotius einem zeitgenössischen Stoff zu. Das war delikat genug. Im Oktober 1628 war der Hauptstützpunkt der Hugenotten La Rochelle gefallen. Grotius hatte das Ereignis sogleich aufgegriffen. Ein Druck konnte jedoch bislang nicht ausfindig gemacht werden. Auch über die von Opitz benutzte Vorlage ist nichts Näheres bekannt. 1628 und 1629 waren die Jahre, da die Verfolgung der Evangelischen in Schlesien sich drastisch zuspitzte. Dohna hatte eine Übertragung des Textes von Grotius gewünscht. Autor und Vorwurf waren vermutlich gleichermaßen ausschlaggebend. Opitz konnte sich nicht entziehen. Und er hätte auch keinen Grund für eine Verweigerung gehabt, wie ein Blick in den genau fünfzig Hexameter umfassenden Text lehrt, der im übrigen ohne Widmung blieb.56 ›La Capta Rupella‹! Rupella, La Rochelle, spricht selbst. Voller Stolz weiß die bis eben uneinnehmbare Festung von ihrem Schicksal zu berichten. So gut wie alle europäischen Mächte, angefangen bei den Spaniern, haben sich an ihrer Eroberung versucht, vergeblich. Dann aber erscheint der französische König, dem schließlich der Sieg anheimfällt. Es war ein grauenerregendes Ringen. Nun ist es beendet und nur ein Wunsch bleibt den Bezwungenen. Wer von dem Fall La Rochelles inskünftig kündet, möge den Namen des Bezwingers nicht verschweigen. Als verdeckte Huldigung –––––––––
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Wilhelm Kühlmann in Verbindung mit Ulrich Heinen.- Berlin, Boston: de Gruyter 2011 (Arbeiten zur Kirchengeschichte; 118). Hierin Ralph Häfner: Christliche Apologetik und vergleichende Mythenforschung. Martin Opitz’ Kommentar zu Hugo Grotius’ ›Jonas‹-Gedicht im intellektuellen Umfeld des frühen 17. Jahrhunderts (mit einem Ausblick auf Daniel Wilhelm Trillers Ausgabe von 1746), S. 223–236. Hugonis Grotii De Capta Rupella Carmen Heroicum. Mart. Opitius versibus Germanicis reddidit. Vratislaviae Typis Baumannianis. Anno MDCXXIX. Exemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek zu Breslau (4 E 515/33), heute verwahrt in der Universitätsbibliothek Breslau: 355095. Weitere Exemplare aus der Bernhardiner-Bibliothek – 4 V 64/23, 4 V 67/15 – heute gleichfalls in der Universitätsbibliothek Breslau: 534987, 535151. Das Werk leicht greifbar auch in der Sammlung Faber du Faur Nr. 216. Drei Exemplare auch in der SuUB Göttingen: 8 P GERM II, 5172 (5); 8 P GERM II, 5172 (6); 8 P LAT REC II, 5610. Neudruck mit Kommentar in: Opitz: Gesammelte Werke. Band IV (Anm. 25), 1. Teil, S. 324–328.
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Ludwigs XIII. gibt sich der Text des Grotius, und Opitz hatte keinerlei Grund, Abstriche vorzunehmen. Wohl aber bestand für Dohna sehr wohl Veranlassung, für die Verbreitung des Gedichts sich zu verwenden. Frankreich war als die entscheidende aufsteigende Macht im Blick des Kaisers. Die Vorbereitungen für eine Paris-Mission Opitzens im Auftrag Dohnas zeichneten sich ab. Auf dem diplomatischen Feld liegt der Schlüssel für diesen nur auf den ersten Blick befremdlichen Text Opitzens. Noch mit einem anderen Werk zeigte Opitz sich seinem Dienstherrn angelegentlich erkenntlich. Er widmete nämlich seine poetische Bearbeitung der ›Disticha Catonis‹ den beiden Söhnen Dohnas, Maximilian Ernst und Otto Abraham.57 Der beliebte Stoff war in ganz Europa im Umlauf und kursierte entsprechend schon vor Opitz im Deutschen. Opitz verlieh ihm die verbindliche moderne Façon und versah auch seine Übersetzung mit der reichlich vorhandenen gelehrten Materie in Gestalt von Anmerkungen. Der Reiz des Büchleins lag nicht zuletzt in der Zweisprachigkeit. Ein Schatz an Weisheit und Verhaltenslehre wurde einprägsam in den Zweizeilern aus Hexametern bzw. Alexandrinern komprimiert und zählen tat allein die pointierte treffsichere Formulierung, in der Opitz ein Meister war. In vier knapp gehaltenen ›Büchern‹ treten 144 jeweils zweizeilige Maximen zusammen, denen 56 einzeilige knappe Merksprüche gleichfalls in lateinischer und deutscher Sprache voranstehen. Dem Werk war ein beispielloser Erfolg beschieden, Auflage folgte auf Auflage, und das nicht selten gleich mehrfach binnen eines Jahres. Wie in besten spätmittelalterlichen Zeiten die Spruchdichter mit volkstümlicher Weisheit in die Breite wirkten, so erlebte der gelehrte Humanist ein einziges Mal Vergleichbares. Und der Name Dohnas ging in alle Welt hinaus. In geradezu liebevoller und allemal weiser pädagogischer Manier wußte der Dichter die Zöglinge seines Dienstherrn anzusprechen und zugleich die Verbeugung vor dem Vater und der ehrwürdigen Familie Dohna nicht zu vergessen. Der Dichter verstand sich auf alle denkbaren Töne. Sie müssen Eltern und Kindern beglückt in den Ohren geklungen haben. Mit ›Vielguet‹ schließlich, dem letzten Text, den wir hervorheben wollen, beschließt Opitz seine Trias in der Gattung ›Lob des Landlebens‹.58 Mit einem ›Lob des ––––––––– 57
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Dionysii Catonis Disticha De Moribvs Ad Filium. Ex mente Ios. Scaligeri potissimum & Casp. Barthii Germanicè expressa à Martino Opitio; Cum ejusdem excerptis ac notis brevioribus. Vratislaviae, Typis Baumannianis, Impensis Davidis Mulleri. Exemplar aus der Bernhardiner-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (8 V 483,2), heute in der BU Wrocław: 381397. Vgl. den überlieferungsgeschichtlichen Kommentar in dem Neudruck des Werkes durch Schulz Behrend, Gesammelte Werke, Band IV (Anm. 25), 2. Teil, S. 332–391. Die Widmungsadresse zweisprachig auch in: Opitz: Lateinische Werke, Band II (Anm. 2), S. 102–106, Kommentar S. 387–392. Die Übersetzung rührt her von Georg Burkard, der Kommentar von Veronika Marschall. Auch hier weitere Literatur. MARTJN OPJTZEN VJELGVET[.] [Kolophon:] Gedruckt zum Brieg/ durch Augustinum Gründern. Jn Verlegung David Müllers Buchhändlers in Breßlaw. 1629. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek (4 E 515/36, 4 E 515/37) und der Bernhardiner-Bibliothek (8 V 1123a) heute in der Universitätsbibliothek Breslau: 355098; 355099; 535819. Es existiert eine Titelauflage: Martini Opitzii VielGut. Jn Verlegung David Müllers/ Buchhendlers in Breßlaw. Anno M DC XXIX. Exemplar aus der Bernhardiner-Bibliothek (4 V 67/17) heute in der Universitätsbibliothek Breslau (535152). Beide Versionen sind leicht über die Sammlung Faber du Faur (Nr. 214 und 214a) greifbar. Der Text selbst im Neudruck mit gewohnt reichhaltiger Einleitung in der Ausgabe Schulz-
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Feldlebens‹ hatte er im Jahr 1623 eingesetzt. Dieser gab sich als Adaptation, als ›Parodie‹, wie es in der zeitgenössischen Terminologie heißt, eines berühmten Gedichts von Horaz, seiner zweiten Epode ›beatus ille qui procul negotiis‹. Dann folgte noch im gleichen Jahr Opitzens ›Zlatna‹, in das wir einen Blick taten. Und nun 1629 trat er mit einem dritten Exempel hervor. Soeben war ein einschneidender Wechsel im Amt der Schlesischen Landeshauptmannschaft erfolgt. Georg Rudolf hatte sein Amt abgegeben an Herzog Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels, der in Bernstadt residierte. Opitz hielt sich eben zu dieser Zeit dort gelegentlich auf. Und er nahm die Gelegenheit wahr, dem neuen Landesherrn sogleich poetisch zu huldigen. Aus ›schuldiger pflicht‹ habe der Dichter den nachfolgenden Text geschrieben »vnd beynebenst in gegenhaltung dessen/ was guet heisset vnd offt böses verursacht erweisen sollen/ daß noch ein beßeres guet in diesem leben möge/ vnd in jenem müsse gesucht werden.«59 Um eine moralphilosophisch-erbauliche und mit religiösen Einschlägen durchsetzte poetische Betrachtung ist es dem Dichter hier zu tun, wie sie im Landlebengedicht eine Heimstatt besaß. Im speziellen Fall ist es der Name des Gutes ›Vielgut‹, der die poetische Erfindung beflügelt. Doch keinesfalls geht es in erster Linie um einen Preis der Örtlichkeit selbst. Der Name gibt statt dessen Veranlassung zur metaphorischen Indienstnahme von Vorstellungen, die geläufigen alltagsweltlichen Anschauungen stracks entgegenlaufen. Was auf den ersten Blick ›gut‹ heiße, entpuppe sich im nachhinein nur allzu oft als Quelle von späterem ›Bösen‹. An die Erkundung der wahren Güter macht sich der reizvolle kleine Text. Opitzens ländliche Trilogie steht einzig da nicht nur in seinem Werk, sondern im 17. Jahrhundert insgesamt. In unserem Arkadienwerk, auf das gelegentlich verwiesen werden darf, ist ihnen ein prominenter Platz eingeräumt. Als selbständige Gattung behauptet nämlich die Landlebendichtung ihren genuinen Platz neben der Schäferdichtung, von der sogleich zu sprechen sein wird.
Ernte am Ende des Jahrzehnts: Die Ausgabe von 1629 1625 hatte Opitz eine erste Sammlung seiner Gedichte veranstaltet. So erstaunt es, daß er schon vier Jahre später mit einer neuen und nun wesentlich erweiterten Kollektion hervortrat. Viel war in den Jahren unter Dohna, die ja keineswegs beendet waren, zustandegekommen. Entsprechend war es Opitz nicht mehr möglich, seine poetische Synopsis in einem einzigen Band unterzubringen, wie noch 1625. 1629 lag die neue Ausgabe vor und umspannte nun zwei voluminöse Bände.60 ––––––––– 59 60
Behrends, Band IV (Anm. 25), 2. Teil, S. 394–412. Der Text ist selbstverständlich eingehend behandelt worden in dem in Vorbereitung befindlichen Arkadienwerk des Verfassers. Ebenda, S. 397. Martini Opitii Deütscher Poëmatum Erster Theil. Zum andern mal vermehrt vnd vbersehen herauß gegeben. Jn verlegung Dauid Müllers Buchhändlers in Breßlaw.- MDC XXVIIII. Cum Gr. et Priuileg. Caes: Mai.– Martini Opitii Deütscher Poëmatum Anderer Theil; Zuevor nie beysammen, theils auch noch nie herauß gegeben. Cum Gr. et Priuileg. Caesar Maiest. Jn verlegung David Müllers Buchhendlers in Breßlaw. 1629. Vgl. die Vorbemerkung zu dem Druck der Sammlung von seiten des Herausgebers Schulz-Behrend in: Gesammelte Werke, Band IV (Anm. 25), 2. Teil,
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Treuer Sachwalter des Opitzens Œuvres war weiterhin David Müller in Breslau. Eine einschneidende Neuorientierung kam jedoch an anderer Stelle zum Tragen. Unversehens erwies sich die Zweiteilung auch literaturpolitisch als ein Segen. Die beiden Bände konnten nunmehr nämlich in die Hände verschiedener Widmungsempfänger gelegt werden, und das kam Opitz mehr als zupaß. Nur den ersten Band ziert weiterhin der Name Fürst Ludwigs. Der zweite Band dagegen ist Opitzens nunmehrigem Dienstherrn Karl Hannibal von Dohna zugeeignet. Der Diplomat Martin Opitz hatte sich neuerlich zu bewähren. Und natürlich absolvierte er sein dedikatorisches Programm souverän.61 Was er da vorlege, verdanke sich im wesentlichen der Zeit und der Muße, die er genieße, seitdem er in die Dienste Dohnas getreten sei. Einem solchen Patron könne man nur Untadeliges bieten, ist er selbst doch ein Kenner ersten Ranges. Was sich über die Zeiten hinweg behaupte, gehorche – wie Griechen und Römer zur Genüge beweisen – dem Zusammenspiel der Dichter mit Kaisern, Königen und großen Heerführern. Texte, die eines solchen Schutzes sich nicht erfreuten, gingen zumeist nicht ohne Grund verloren bzw. verloren sich aus dem Gedächtnis der Nachwelt. Welches Schicksal dieser Sammlung beschieden sein würde, weiß der Schreibende selbstverständlich nicht, wohl aber, daß so gut wie alles in ihr sich dem wohltuenden Wirken seines Mäzens verdanke. Und damit ist der Punkt erreicht, da der Dichter übergehen kann zu einer Rekapitulation der Verdienste des ehrwürdigen, achthundert Jahre alten Geschlechts. Wir kennen die Passagen aus der Lobrede auf Dohna. Auch Opitz ist ein Meister der Mehrfachverwertung. Und nun ein knapper Blick in die beiden Bände selbst. Seit 1625 war, wie ausschnittsweise gezeigt, eine Reihe großer Texte geistlichen wie weltlichen Charakters entstanden, die Opitz nun im Kontext des bereits Vorhandenen präsentieren konnte. Das Bild nimmt sich eindrucksvoll genug aus. Gleichwohl ist sogleich erkennbar, daß eine definitive Ordnung noch nicht gelungen ist. In den beiden Bänden wiederholen sich gleichlautende Abteilungen, die nach Zusammenführung verlangen. Das war ein unbefriedigender Zustand, und daß Opitz dies selbst empfunden haben muß, beweist die Anlage seiner Ausgabe letzter Hand, die am Schluß unseres Buches vorzustellen sein wird. Noch einmal werden im ersten Band des Werkes genau wie 1625 nur fünf Bücher explizit numerisch ausgezeichnet. Den Anfang machen wiederum die geistlichen Texte. Sie bleiben Nüßler gewidmet, und der Kreis der Zuschriften ist ebenfalls unverändert.62 Auch ein numerischer Zuwachs ist nicht zu verzeichnen, wiederum treten sie–––––––––
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S. 436–450. Hier S. 451–453 die Widmung an Dohna. Diese auch mit deutscher Übersetzung und Kommentar in: Opitz: Lateinische Werke. Band II (Anm. 2), S. 98–103, Kommentar S. 381–387. Die Übersetzung rührt her von Georg Burkard, der Kommentar von Veronika Marschall. Es kommen auch Exemplare vor, in denen der erste Band Dohna und der zweite Fürst Ludwig gewidmet ist. Vgl. zu den Einzelheiten die subtilen Untersuchungen von Schulz-Behrend. Die Rochaden belegen auf andere Weise die delikate Situation, in der Opitz sich befand. Er steuerte im übrigen auch durch die weiter mitgeführten Binnen-Widmungen gegen. Neu hinzugekommen unter den Beigaben im Vorspann des ersten Bandes des Werkes ist nur eine in Trochäen gehaltene poetische Zuschrift Gruters an Colerus. Sie steht in der Ausgabe SchulzBehrends (Anm. 60), S. 453 f.
Ernte am Ende des Jahrzehnts: Die Ausgabe von 1629
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ben Stücke zusammen, und das wiederum in der wohlüberlegten Anordnung. Den Anfang macht der ›Lobgesang Vber den frewdenreichen Geburtstag vnsers HErrn vnd Heylandes Jesu Christi‹, den Schluß der ›Lobgesang Jesu Christi deß einigen vnd Ewigen Sohnes Gottes‹. Dann folgen die größeren Lehrgedichte. Wiederum sind es die dreie, die schon in der Ausgabe von 1625 standen, also ›Zlatna, Oder von Ruhe deß Gemüths‹, ›Lob deß Feldt=Lebens‹ und ›Danielis Heinsii Hymnus Oder Lobgesang Bacchi‹. ›Vielguet‹, gleichfalls ja 1629 erschienen, fehlt noch. Gewiß hätte auch der Autor den Text gerne bereits in dieser Ausgabe neben den beiden anderen Landgedichten plaziert gesehen. Es sollte auch in der Ausgabe letzter Hand nicht mehr zu dieser Trilogie in einem Zuge kommen. Mit dem dritten Buch beginnen die ›Poetischen Wälder‹ im engeren Sinn, wiederum eindrucksvoll eröffnet mit dem Trauergedicht auf Erzherzog Karl von Österreich. Keinesfalls aber sind hier im dritten Buch nur Trauergedichte vereint. Es bleibt, wie schon 1625, offen für die Behandlung auch anderweitiger Anlässe. Und das – genau wie 1625 – im Gegensatz zum vierten Buch, wo nochmals ausschließlich Hochzeitsgedichte ihren Platz haben. Ein buntes Bild bietet das fünfte Buch. 1625 hatte es noch geheißen: Martini Opitii fünfftes Buch Der Poetischen Wälder: Worinnen Amatoria vnd weltliche Getichte sind. Dieser Zusatz fällt nun bezeichnenderweise fort, wohingegen es bei dem reichen Bouquet an poetischen Zuschriften der Freunde und Kollegen bleibt, wie sie schon die Ausgabe von 1625 kannte. Jetzt sind im ersten Band der Ausgabe von 1629 vor allem die von Opitz übersetzten Gedichte aus Gil Polos Fortsetzung der ›Diana‹ des Montemayor erstmals zu lesen, die sich Harsdörffer später wieder vornahm. ›Sonette‹, ›Deutsche Epigrammata‹ und ›Oden Oder Gesänge‹ beschließen den Band. Die Ähnlichkeit der Anlage mit der Ausgabe von 1625 ist unverkennbar, nur daß die ›Oden‹ nun an den Schluß getreten sind. Auch die internen Widmungen zu einzelnen Büchern bleiben erhalten. Opitz hat sich zu einer durchgehenden Neustrukturierung der nunmehr zwei Bände, wie sie ihm erstmals zur Verfügung standen, noch nicht durchringen können. Auch der zweite Band setzt mit den großen Texten ein, nun aber nicht mehr beschränkt auf die geistlichen. Präsentiert wird, was seit 1625 neu hinzugekommen ist: ›Salomons Des Hebreischen Königes hohes Liedt‹ aus dem Jahr 1627, die ›Klage= Lieder Jeremia‹ aus dem Jahr 1626 – beide nicht in diesem Buch hier, sondern in geistlich-arkadischem Zusammenhang behandelt–, der ›Jonas‹, die ›Trojanerinnen‹, die ›Dafne‹ und das ›Lob Des Krieges Gottes Martis‹. Gleich danach wird ein ›Newes Buch Poetischer Wälder‹ eröffnet, durchaus bunt gemischt im Blick auf die Anlässe, mit erkennbarer Privilegierung ständischer Ordnungskriterien. Dann gibt es eine dritte Abteilung, nochmals bestückt mit ›Oden oder Gesänge[n]‹. Das war gewiß ein auf Dauer nicht haltbarer Zustand, denn wenn schon gesammelt werden sollte, dann mußte das Zusammengehörige auch zusammenstehen. Und eben dieser Anforderung wurde erst mit der dritten Ausgabe der Opitzschen Schriften in eigener Regie Genüge getan, die zu seiner letzten bei Lebzeiten werden sollte.
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XIV. Zwischen den Fronten
Einen eigenen Platz hat Opitz der ›Trostschrifft‹ für David Müller vorbehalten, mit dem der zweite Band beschlossen wird. Die Hommage an seinen Verleger, der seine Frau verloren hatte, erfreute sich über die Jahrhunderte hinweg anhaltender Beliebtheit. Ihre Plazierung an dieser Stelle beförderte die Rezeption. Insgesamt aber blieb der Bau des Werkes erkennbar ein noch vorläufiger.
XV. Der Schöpfer einer neuen Erzählform Die ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ Übergang Ein neues Kapitel ist zu eröffnen. Es führt hinein in die dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts und damit das fünfte und letzte Lebensjahrzehnt Opitzens. Auf denkwürdige Weise paßte neuerlich vieles zusammen. Der Dichter hatte die zwanziger Jahre mit einer eindrucksvollen Ausgabe seiner Schriften abgeschlossen. Und er stand zu Beginn des neuen Jahrzehnts vor einer Aufgabe, die allemal Besonderes versprach. Verknüpft war sie mit Karl Hannibal von Dohna, und eben hier vollzog sich ein gleitender Übergang hinein in die frühen dreißiger Jahre. Immerhin, als Opitz von Dohna auf eine hochbrisante Mission geschickt wurde, war klar, daß nochmals ein folgenreiches Blatt in seinem Leben aufgeschlagen würde. Die Diplomatie rückte in den Mittelpunkt und Opitz muß auch diese Wendung als eine ihm zukommende empfunden haben, konnte er doch wohlgemut Rückblick halten auf das im poetischen Fach Vollbrachte. Die Ausgabe mit der Mehrzahl seiner Schriften lag vor, begleitet von einer Reihe von Einzelveröffentlichungen, die zusammengenommen schon jetzt ein ansehnliches Werkprofil erkennen ließen. Opitz wird mit Befriedigung wahrgenommen haben, daß die Bandbreite seiner Arbeiten ein erhebliches Ausmaß erreicht hatte. Es gab zu Ende der zwanziger Jahre niemanden mehr, der es ihm darin gleichgetan hätte. Die in Umlauf befindlichen Formen sollten in Deutschland heimisch gemacht werden. Und dafür sorgte er wie niemand sonst und begründete auf diese Weise seinen selbsterklärten Anspruch. Er besaß eben auch ein ausgesprochenes werkpolitisches Geschick. Rückblickend bezeichnet es ein kleines Wunder, was auf den Weg zu bringen in kaum mehr als einem guten Jahrzehnt gelang. Die Lyrik war in den verschiedenen Spielarten für die deutsche Sprache gewonnen. Wir wissen angesichts der formalen Diversität um die Probleme dieses Begriffs, doch eignen ihm durchaus Vorzüge, wenn es denn um das Ensemble der Gattungen im humanistischen Werkkosmos geht. In der Lyrik war Opitz schon zu der Zeit, als er anhob, nicht alleine unterwegs. Das Atemberaubende ist jedoch darin zu suchen, daß nach seinem Vorgang fast zeitgleich in den verschiedensten Landschaften die poetische Initiative aufgegriffen und der lyrische Formenkanon durchgespielt wurde. Opitz wurde selbst Zeuge dieses Vorgangs. Keine Aussage darüber ist möglich, ob ohne seine Präsenz die Dinge gleich energisch sich entwickelt hätten. Entscheidend blieb, daß seit den frühen dreißiger Jahren allenthalben zumal in den protestantischen Re-
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XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
gionen und wiederum zumal in den Städten die lyrischen Sänger sich überall vernehmen ließen. Opitz aber hatte von Beginn an auf Größeres gesonnen. Zunächst einmal sollte die weltliche und die geistliche Produktion in ein Gleichgewicht gebracht und in ihm gehalten werden. Daß dieser Vorsatz schon Ende der zwanziger Jahre prinzipiell als eingelöst gelten durfte, wird er selbst sich eingestanden haben. Genauso wichtig aber blieb die andere und womöglich schwierigere Aufgabe, nämlich die großen Formen der deutschen Sprache zu gewinnen. Es waren dies im Sinne der Zeit das Epos und der Roman auf der einen Seite, das Drama bzw. die Tragödie und die Oper auf der anderen. Dazwischen lag eine ganze Bandbreite diverser kleiner Formen und nicht zuletzt eine Palette von Mischformen. Im erzählenden und im dramatischen Fach entschied sich jedoch, ob auch die Deutschen auf dem Weg zum Zenit waren. Das in dieser Hinsicht Einschlägige wurde berührt. Niemand hätte erwartet, da soeben erst die Gehversuche im deutschen Dichten absolviert wurden, daß ein Epos von europäischem Rang aus dem Nichts heraus zu schaffen gewesen wäre. Opitz wußte darum. Und er hatte einen weiteren Grund zur Reserve, denn er sah seinen Kollegen Diederich von dem Werder mit diesem Problem ringen. Der Ausweg, den Opitz fand, stellte sein strategisches Talent erneut unter Beweis. Indem er den führenden europäischen Roman im heroischen Genre der deutschen Sprachwelt anverwandelte, hatte er die vielleicht wegweisendste Tat vollbracht. Die Zukunft sollte ihm in jedem Fall Recht geben. Dem Roman gehörte sie, nicht dem Epos. Homer und Vergil waren in der Moderne nicht umstandslos zu reaktivieren. Was sie dem Epos gehaltlich eingeschrieben hatten, lebte auf andere Weise fort im neuzeitlichen Roman und zumal in seiner höfisch-heroischen Variante. Anders im dramatischen Fach. Die Tragödie blieb an den vorchristlichen Lebensraum gebunden. Hier konnte übersetzend keinesfalls ein nämlicher moderner Impetus zur Geltung gelangen. Es ist das vielleicht größte Verdienst der bahnbrechenden kunstphilosophischen Studie von Walter Benjamin, dieser Differenz auch nomenklatorisch erstmals Rechnung getragen zu haben. Als ›Trauerspiel‹ geht die Tragödie der Antike in das Barock ein. Die Nähe zum geistlichen Theater in seinen die konfessionellen Grenzen überspielenden Formenreichtum belegt diese Fortentwicklung auf seiten des Dramas zur Genüge. Am meisten Staunen erregen dürfte womöglich, daß Opitz auch noch den Siegeszug von Singspiel und Oper auf den Brettern des Theaters vorwegnahm. In der Vereinigung der Künste erfüllte sich der synkretistische Formwille im Zeitalter des Barock und Opitz durfte sich schmeicheln, in Deutschland in dieser Hinsicht gleichfalls als einer der Pioniere dazustehen. Einige wenige Andeutungen. Ob Opitz den Wunsch verspürt haben mag, womöglich auch einmal mit einer Kreation hervorzutreten, die kein direktes Vorbild in der europäischen Literatur besaß und in dieser ihrer Ausprägung ihm alleine gehörte und sich fortan mit seinem Namen verband? Natürlich wissen wir gar nichts von derartigen Erwägungen. Faktum aber ist, daß er sogleich nach der Ausgabe seiner gesammelten Schriften aus dem Jahre 1629 mit einer derartigen Schöpfung hervortrat. Die Schäferdichtung wählte er zum Schauplatz seines Experiments. Diese Form war die wandlungsfähigste der europäischen Literatur. Also griff er beherzt zu und stellte sein formschöpferisches Talent eindrucksvoll unter Beweis. Ein derartiger gewagter Zug
Der Schäferdichter Opitz und die europäische Tradition
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auf dem Felde der klassizistischen Literatur darf allemal gehörige Aufmerksamkeit für sich beanspruchen.
Der Schäferdichter Opitz und die europäische Tradition Opitz hatte frühzeitig ein Auge auf die Schäferdichtung. Seine erste, von Zincgref veranstaltete Gedichtsammlung enthielt eine Reihe von Schäferliedern. Sie waren in der europäischen Literatur in Umlauf und Opitz machte sie in Deutschland heimisch. Er stand damit keineswegs allein, wie ein Blick in den Zincgrefschen Anhang zu seinen Gedichten beweist. Es gab im lyrisch-pastoralen Genre eine erhebliche formale und thematische Bandbreite. Ein kleines, aber reiches antikes Angebot war verfügbar, das zur Adaptation einlud. Schäferdichtung war seit ihren ersten Anfängen im Hellenismus zu einem guten Teil Liebesdichtung, gelegentlich in kleine szenische Darbietungen übergehend und vor allem immer wieder auch zu Anlässen bevorzugt gewählt. Das alles begründete den Reiz dieses genre mineur, das sich als überaus zeugungsfähig in der Renaissance erwies. Eine vergleichende Darstellung der europäischen Schäferlyrik fehlt bislang.1 Das Fortleben der Gattung aber mußte sich längerfristig auf dem Felde der Großformen entscheiden. Sollte die Schäferdichtung lebendig bleiben, mußten gehaltreiche Bildungen auf seiten des Romans und des Dramas vorzuweisen sein. Und hier machte sich eine Ausgangslage geltend, die für beide Zweige im pastoralen Gewand einschneidende Konsequenzen mit sich führte. Die Antike kannte kein Schäferdrama. Und der einzige Schäferroman, der im Hellenismus zustandekam, Longos’ ›Daphnis und Chloe‹, blieb ungeachtet zahlreicher motivischer Anleihen formal in der Renaissance zunächst folgenlos. Seine Zeit kam erst im 18. Jahrhundert. Aus beidem aber resultiert eine literaturgeschichtlich überaus spannende, ja geradezu aufregende Situation. Schäferdrama und Schäferoper müssen in der Neuzeit mit genuinen Mitteln und ohne wesentliche Beihilfe der Antike entworfen werden. Wir haben keine Chance, auch nur in Umrissen zu vergegenwärtigen, was das im einzelnen bedeutet. Im einen Fall bleibt Italien das Musterland für das Schäferdrama; seine beiden großen Autoren Tasso und Guarini stehen dafür ein. Italien aber ist darüber hinaus das Land, da der Übergang zur mythisch drapierten Schäferoper seinen Ausgang nimmt, die alsbald ganz Europa erobern sollte. Die Geschichte der Schäferoper gehört zu einem der glanzvollsten Kapitel höfischer Kultur über die Grenzen hinweg. Kein Hof, der sich die Möglichkeiten, welche dieser Kreation der Moderne ––––––––– 1
Verwiesen werden darf auf ein vor längerer Zeit abgeschlossenes Buch mit dem Titel ›Die europäische Schäfer- und Landlebendichtung. Ein Grundriß‹. Es enthält einen abschließenden Teil: Die Ausdifferenzierung des Gattungs-Systems in der europäischen Renaissance, der eröffnet wird mit drei Kapiteln zur Ekloge, zur lyrischen pastoralen Liebensdichtung und zum Lob des Landlebens. Ansonsten ist ein für alle Mal zu verweisen auf die eingehende Bibliographie zur wissenschaftlichen Literatur der europäischen Schäfer-, Landleben- und Idyllendichtung in: Europäische Bukolik und Georgik. Hrsg. von Klaus Garber.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976 (Wege der Forschung; 355), S. 483–529. Die neuere Literatur wird in dem oben erwähnten Werk dokumentiert werden. An dieser Stelle wird daher auf weitere Verweise verzichtet.
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eigen waren, entgehen ließ. Und die Theorie feierte die Zeugung als die entscheidende Neuerung in der Neuzeit, die eine einschneidende Erweiterung des literarischen Kanons der europäischen Literatur mit sich brachte.2 Ganz anders hingegen auf seiten des Romans. Auch hier erfolgt ein wesentlicher Anstoß von Italien. Doch der ist nicht musterbildend für die Gattung. Vielmehr nimmt der Schäferroman in jedem Land eine eigene Entwicklung. Spanien geht voran und ist gleich mit drei Autoren – Cervantes, Lope de Vega und Montemayor bzw. Gil Polo – vertreten, und das wenigstens in dem einen Fall mit Cervantes’ ›Galatea‹ auf weltliterarischem Niveau. Frankreich und England ziehen nach. Dort bezeichnet Honoré d’Urfés ›Astrée‹ den Höhepunkt, hier Philip Sidneys ›Arcadia‹. In jedem Fall entstehen Werke mit einer stets ganz eigenen Physiognomie. Und damit sind nur die großen Namen erwähnt. Über ganz Europa erstreckt sich die pastorale erzählerische Lust und keine Untersuchung gibt bislang Kenntnis von diesem europäischen Ereignis.3 Es will also etwas besagen, wenn Opitz sich frühzeitig mit Heinrich Schütz zusammentat und einen italienischen mythisch-pastoralen Stoff in Deutschland auf die Bühne brachte. Hier aber galt nicht das Gesetz der Musterbildung. Überall an den Höfen blühte die musikalische Adaptation schäferlicher Stoffe, allerdings zumeist unter Beibehaltung der italienischen Sprache. Das deutschsprachige Schäferdrama oder auch die deutschsprachige Schäferoper nehmen sich wie ein Sonderfall in diesem musikalisch wie linguistisch vom Italienischen dominierten höfischen Betrieb aus. Opitzens Mitwirkung blieb eine bemerkenswerte, aber keineswegs eine in seinem Namen fortzeugende Tat.4 Und auf seiten des Romans? Neuerlich ist nur zu erheblichem Staunen Anlaß, daß Opitz noch einmal ins Schwarze traf. In der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ hatte man sich frühzeitig nach Frankreich hin orientiert. Die d’Urfésche ›Astrée‹ spielte eine zeitlang in das sozietäre Treiben hinein, ja es kam sogar im Zeichen des pastoralen Protagonisten Celadon zu einer ›Académie des vrais amants‹, und auch die Spuren einer Eindeutschung des mächtigen Romanwerks führten wiederholt in den mitteldeutschen Raum. Hier also war vor und neben Opitz das Terrain bestellt.5 Sein Blick wandte sich nach England. Dort war mit der Sidneyschen ›Arcadia‹ ein Roman hervorgetreten, dem auf einzigartige Weise eine Ineinanderführung heroischer und schäferlicher Elemente erzähltechnisch wie motivisch gelungen war. So unwahrscheinlich es klingen mag, so evident bleibt es doch, daß es Sidney gelang, im allego––––––––– 2
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Auch hier darf verwiesen werden auf die drei Kapitel in dem oben zitierten Werk, betitelt: Pastorale und Musik, Schäferdrama und Schäferoper. Ein abschließender Hinweis auch hier auf die drei letzten Kapitel des oben Anm. 1 aufgeführten Werkes unter dem Obertitel: Auf dem Wege zur erzählerischen Großform: Boccaccio und Sannazaro, Der spanische Schäferroman, Europäische Vollendung: Sidney und d’Urfé. Vgl. auch Klaus Garber: Formen pastoralen Erzählens in der europäischen Literatur der Frühen Neuzeit. Von Boccaccio zu Gessner.- In: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- München: Fink 2009, S. 301–322. Dazu die schöne Untersuchung von Christiane Caemmerer: Siegender Cupido oder Triumphierende Keuschheit. Deutsche Schäferspiele des 17. Jahrhunderts.- Stuttgart-Bad Cannstatt: frommannholzboog 1998 (Arbeiten und Editionen zur mittleren Deutschen Literatur. N.F.; 2). Auch hier nur ein Verweis auf die grundlegende Studie von Renate Jürgensen: Die deutschen Übersetzungen der ›Astrée‹ des Honoré d’Urfé.- Tübingen: Niemeyer 1990 (Frühe Neuzeit; 2).
Literarischer Favorit Europas: Die Ekloge
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risch verschlüsselten heroisch-pastoralen Erzählen den Attentismus der britischen Königin zu geißeln und die europäische Bündnispolitik der Reformierten energisch zu beflügeln. Das mußte einen Opitz faszinieren. Zwar war schon vor ihm eine anonyme Übersetzung ins Deutsche erschienen.6 Das hielt ihn nicht ab, sich seinerseits dem Text erneut zuzuwenden und insbesondere die vielen Gedichteinlagen einer Bearbeitung zu unterziehen.7 Mit seinem Namen und nicht dem des Anonymus verband sich fortan das Fortleben des englischen Werkes auf deutschem Boden. Noch Harsdörffer und Klaj im ›Pegnesischen Blumenorden‹ bezogen ihre schäferlichen Namen aus dieser fulminanten erzählerischen Kreuzung, mit der der schäferlich-heroische Roman aller literarischen Wahrscheinlichkeit zum Trotz derart Wirklichkeit wurde wie auf andere Weise in d’Urfés ›Astrée‹. Wenn der deutsche Schäferroman dann ganz andere Wege einschlug, ist das ein anderes und unsere These von der nationalen Sonderentwicklung bestätigendes Kapitel. Auch daran aber hatte Opitz maßgeblichen Anteil.
Literarischer Favorit Europas: Die Ekloge Wir kommen zu einem besonders delikaten und heiklen Punkt. Nicht oder nur indirekt berührt wurde bisher die Ekloge. Das klingt merkwürdig genug, schließlich nahm die Schäferdichtung doch den Ausgang von ihr. Im Rahmen der Ekloge aber vollzog sich eine Weiterentwicklung, die nomenklatorisch nur schwer zu fassen ist. Da wir sie selbst in die Forschung eingebürgert haben, ist also Zurückhaltung und größtmögliche Genauigkeit nur allzu berechtigt einzufordern.8 Die antike Hirtendichtung in der griechischen wie der römischen Ausprägung ist zu einem guten Teil der Liebe gewidmet, und das in den verschiedensten motivischen Konstellationen, die hier alle unberücksichtigt bleiben können. Sie kennt aber auch bereits die Stiftung eines Kontakts zwischen dem bukolischen Repertoire und einem gesellschaftlichen oder politischen Anlaß und auch hier waltet Abwechslung. Der Historiker der europäischen Schäferdichtung hat die Langzeitwirkungen dieser Vorgaben im Blick. Sie betreffen einerseits die Scheidung in einen weltlichen und einen geistlichen Zweig der Bukolik, und das ungeachtet mancherlei Überschneidungen. Sie betreffen aber auch die internen Verzweigungen. Und hier wurde vor langer Zeit der Vorschlag entwickelt, die schäferliche Liebesdichtung von der einem Anlaß gewidmeten zu separieren, und das ungeachtet bestehender Überlappungen. Dieser Vorschlag hat, so weit zu sehen, keinen Widerspruch erfahren. ––––––––– 6
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Vgl.: Friedrich Seck: Wer hat Sidneys ›Arcadia‹ ins Deutsche übersetzt?.- In: Wissenschaftsgeschichte zum Anfassen. Von Frommann bis Holzboog. Hrsg. von Günther Bien, Eckhart Holzboog, Tina Koch.- Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2002, S. 239–244. Vgl. Agnes Wurmb: Die deutsche Übersetzung von Sidneys ›Arcadia‹ (1629 und 1638) und Opitz’ Verhältnis dazu.- Diss. phil. Heidelberg 1911. Vgl. Klaus Garber: Typologie der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts. I.: Die Ekloge. 1. Die Versekloge. 2. Die Prosaekloge.- In: ders.: Der locus amoenus und der locus terribilis. Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts.- Köln, Wien: Böhlau 1974 (Literatur und Leben. N.F.; 16), S. 5–38.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Doch er reicht weiter und erst damit kommt auch Opitz ins Spiel. Die Ekloge nahm seit der Renaissance eine ungeahnte Entwicklung. Insbesondere das Vergilsche Angebot in seinen zehn Eklogen erwies sich als nahezu unbegrenzt ausbaufähig. Die pastorale Zeugungskraft auf seiten der Ekloge war kaum weniger nachhaltig als diejenige auf seiten der Liebesdichtung. Koexistierten dort Lyrik, Drama, Erzählung und Roman nebeneinander, so differenzierte sich die Ekloge intern vielfältig aus, und das gleichermaßen linguistisch wie motivisch. Der Übergang von der lateinischen zur volkssprachigen Ekloge ist in allen Ländern ein spektakuläres Ereignis, und das nicht zuletzt deshalb, weil beide Spielarten über lange Zeit nebeneinander gepflegt werden, von weiteren linguistischen Rochaden, dem Einbezug des Griechischen und der Vorliebe zur Polyglossie gar nicht zu reden. Die Ekloge als anlaß- und adressatenbezogene schäferliche Versdichtung gemäß den Vergilschen Vorgaben bleibt ein kardinales Segment der neulateinischen wie der volkssprachigen Dichtung Europas.9
Deutscher Sonderweg Die weitreichendste Weiterentwicklung indessen, die praktisch einer Neuschöpfung gleichkam, vollzog sich auf deutschem Boden und kein anderer war dafür verantwortlich als Martin Opitz. Die Ekloge verblieb europaweit, wenn nicht alles täuscht, in gebundener Rede in Pflege. Die Einschränkung ist vonnöten. Denn so wenig wie für die verschiedenen Formen der schäferlichen Liebesdichtung besitzen wir eine Gesamtdarstellung der europäischen Ekloge. Fraglich ist indes auch, ob eine solche überhaupt zuwege zu bringen wäre. Zu reich ist die Überlieferung in den einzelnen Ländern, und immerhin für diese nationale Produktion besitzen wir eine Reihe vorzüglicher Darstellungen. Das aber wiederum nicht für Deutschland und, wie sogleich hinzuzufügen ist, kaum zufällig. Nun jedoch aus einem auf den ersten Blick nicht zu erwartenden Grund. Die neulateinische Ekloge bleibt in allen Ländern zumal im 16. und auch noch im 17. Jahrhundert in Pflege, ja selbst aus dem 18. Jahrhundert lassen sich gelegentlich Zeugnisse nachweisen. So ebenfalls in Deutschland, und wiederum gilt, daß wir eine Geschichte der neulateinischen Ekloge auf deutschem Boden, also im alten deutschen Sprachraum, schmerzlich vermissen. Zu meistern sein müßte sie, wenngleich es niemals gelingen wird, aller noch vorhandenen Exemplare habhaft zu werden – das Problem jedweden Kleinschrifttums, zu dem eben auch die Ekloge gehört. Was jedoch die deutschsprachige Ekloge angeht, so steht sie im Vergleich etwa mit den romanischen Ländern, aber auch Englands, allein numerisch entschieden zurück. Sie ist in Pflege, gewiß, doch aufs Ganze gesehen indes in lokaler Beschränkung und Vereinzelung. Der Grund? Von dem Musterbildner Martin Opitz lag kein Beitrag vor, an dem man sich hätte orientieren oder auch abarbeiten können. Das ist so auf––––––––– 9
Auch die einschlägigen Arbeiten zur europäischen Ekloge sind in der oben Anm. 1 zitierten Bibliographie aufgeführt. Für die neuere Literatur ist die Publikation der gleichfalls oben aufgeführten Untersuchung abzuwarten.
Opitz und die Ekloge
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fällig, daß es darüber der Forschung offenkundig die Sprache verschlug. Bis heute ist kein Beitrag verfügbar, der um des Rätsels Lösung sich bemüht hätte. Wir müssen also auf eigene Rechnung tätig werden, und das im Rückgriff auf publizierte wie auf unpublizierte Arbeiten.
Opitz und die Ekloge Opitz beteiligte sich an dem lateinischen Eklogen-Boom, der in Europa grassierte. Und das, wie kaum anders zu erwarten, zumindest mit einem Spitzenstück. Er griff zu dem höchsten Titel, der in der Welt der Ekloge zu vergeben war. Daphnis titulierte er eine seiner beiden lateinischen Eklogen. Der Name des Hirtenheros aus der griechischen Mythologie war eben gut genug, um seinem Anliegen zu genügen. Tobias Scultetus, seinem Patron, erkannte er ihn zu. Wir haben das Stück kennengelernt und näheren Einblick in seine Anlage genommen.10 Ganz anders seine ›Ecloga Nisa‹, welche nur in seinen späten ›Silvae‹ überliefert ist, jedoch mit ziemlicher Gewißheit noch aus seiner frühen Zeit stammt.11 In ihr wird die amouröse Variante der antiken Erbschaft reaktiviert. Ein Werbungs- und Liebeslied kommt zum Vortrag; vor allem Theokrit ist in Tonfall und Motivik vernehmbar. Opitz muß es gereizt haben, neben der adressatenbezogenen aufwendigen Ekloge sich auch in der anspruchsloseren Variante des schäferlichen Liebesgedichts zu versuchen. Das Fehlen eines Einzelstücks, sofern sich ein solches denn nicht doch noch findet, dürfte bereits einen Fingerzeig enthalten, daß ihm keine prominente Stellung zugewiesen war. Die zwei Stücke repräsentieren die beiden einschlägigen Varianten, die wir namhaft machten. Zur Ekloge im engeren Sinn ist nur ›Daphnis‹ zu rechnen. Deutlich ist aber auch, daß der Titel ›Ekloge‹ – wie schon bei Vergil – eben auch für das schäferliche Liebesgedicht weiterhin in Verwendung bleibt. Die Scheidung ist folglich nicht über die gleichlautende Gattungsbezeichnung, sondern nur über die funktionale Bestimmung durchzuführen. In einer auf formale Typologie gegründeten Geschichte der Gattung kommt entsprechend das eine Stück in dem Kapitel zur Ekloge und des näheren zur Versekloge zur Behandlung, das andere in dem Kapitel zur schäferlichen Liebeslyrik. In beiden Fällen handelt es sich selbstverständlich um professionell gearbeitete, aber eben doch an den Vorgaben orientierte Beiträge im lateinischen Idiom. Von dem ›Vater der deutschen Dichtung‹ aber erwartete man deutschsprachige Gegenstücke. Die blieben jedoch aus, und Opitz gibt keinen Hinweis, warum. Sicherlich mußte er seine Gründe haben. Wir wüßten nur einen einzigen einschlägigen zu benennen: Opitz hatte einen Vorgänger. Georg Rodolf Weckherlin hatte bereits frühzeitig in seinen ––––––––– 10 11
Wir verweisen zurück auf das sechste Kapitel unseres Buches. Sie ist jetzt in zweisprachiger Version wieder leicht zugänglich in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 212–215, Kommentar S. 526–529. Die Übersetzung rührt her von Fidel Rädle, der Kommentar von Fidel Rädle und Dennis Messinger.
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›Oden und Liedern‹ auch Eklogen eingestreut. Natürlich kannte Opitz sie. Es war klar, daß er sie nicht überbieten konnte. Und neben Weckherlin aufzutreten, kam für ihn nicht in Frage. Gäbe es eine Geschichte der deutschsprachigen Ekloge, wäre dieser eklatante Auftakt selbstverständlich ausführlich zu erörtern gewesen. Sie existiert nicht, und auch wir müssen es bei diesem Hinweis belassen, weil an anderer Stelle ausführlich über die Gattung auf deutschem Boden und damit auch über Weckherlins einzig dastehende Schöpfungen gehandelt wurde.12 Opitz mußte auf einen Ausweg sinnen. Er hatte mit seinem ›Trost-Gedichte‹ im Fach der Lehrdichtung Neuland beschritten, in dem er ihm eine epische Komponente einarbeitete. Und er wußte um die komplementäre Funktion, die die Schäferdichtung zum Epos einnahm, wußte auch um die Trias, die Vergil, aufsteigend von der Ekloge über das Lehrgedicht mit den ›Georgica‹ hin zum Epos mit der ›Aeneis‹, genommen hatte. Ein deutschsprachiges Schäfergedicht mit eigenem Profil durfte in seinem Gattungs-Repertoire unter keinen Umständen fehlen. Und als er dann tätig wurde, trat er mit einem Werk an die Öffentlichkeit, das wir neben seinem ›Trost-Gedichte‹ als das eigenwilligste innerhalb seines reichen Œuvres bezeichnen möchten. Ein Anlaß war in der Ekloge vorgegeben. Es mußte also ein Adressat gefunden werden. Das war dem berühmten Mann am Eingang der dreißiger Jahre mühelos möglich. Er griff ganz nach oben, wie sollte es anders sein. Aber eben, mit der herkömmlichen Versekloge war es nicht getan. Also vollzog er den gewagten Schritt, neben dem Vers auch die Prosa zu aktivieren. Er blieb im pastoralen Genre, fand einen gediegenen Anlaß und implantierte der traditionsreichen Versekloge ausführliche Passagen in Prosa. Ergebnis war ein formales Mischprodukt, eine prosimetrische Schöpfung. Dieser innovativen Zeugung mußte nomenklatorisch Rechnung getragen werden. Der Bezug zur Ekloge war festzuhalten und zugleich das neue Element ›Prosa‹ auszuweisen: Prosaekloge lautet der Titel, den wir der Opitzschen Kreation verpaßten. Er ist seither kommentarlos und ohne auch nur einen Anflug kritischer Reserve in Umlauf; wird sind dankbar dafür.13 ––––––––– 12
13
Vgl.: [Titelkupfer:] Oden vnd Gesänge Durch Georg-Rodolf Weckherlin. [Gesetzter Titel:] Das Erste Buch Oden vnd Gesäng. [Kolophon:] Stutgardt/ Getruckt bey Johan-Weyrich Rößlin/ Jm Jahr 1618.- Das ander Buch Oden vnd Gesäng. Durch Georg-Rodolf Weckherlin. [Kolophon:] Stutgart/ Gedruckt bey Johan-Weyrich Rößlin. Jm Jahr 1619. Neudruck: Georg Rudolf Weckherlins Gedichte. Band I–III. Hrsg. von Hermann Fischer.- Tübingen: Litterarischer Verein in Stuttgart 1894–1907 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 199. 200. 245). Reprint: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1968. Hier der Text der beiden Oden-Bücher im ersten Band, S. 85–288. Zu den näheren Einzelheiten vgl. das Kapitel: Der innovative Beitrag des deutschen Südwestens. Julius Wilhelm Zincgrefs Anthologie ausgewählter deutscher Gedichte im Anhang zu Opitzens ›Teutschen Poemata‹ und das Eklogenwerk Georg Rodolph Weckherlins, im Rahmen des Werkes: Arkadien. Ein europäisches Wunschbild im Spiegel der Schäfer-, Landleben- und Idyllendichtung. Band II: Translatio und produktive imitatio. Die deutsche Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts. Die Publikation dieses Werkes wird dem des vorliegenden Opitz-Buches folgen. Wir verweisen zurück auf Anm. 8. Vgl. hierzu auch Klaus Garber: Martin Opitz’ ›Schäferei von der Nymphe Hercinie‹. Ursprung der Prosaekloge und des Schäferromans in Deutschland.- In: Martin Opitz. Studien zu Werk und Person. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino.- Amsterdam: Rodopi 1982 (Daphnis; 11/3), S. 547–603. Eingegangen in: ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit.- Paderborn: Fink 2017, S. 341–388.
Die Prosaekloge auf deutschem Boden
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Die Prosaekloge auf deutschem Boden Mit einer ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ trat Opitz im Jahr 1630 hervor. Das neue Jahrzehnt wurde glanzvoll eröffnet. Und als zwei Jahrzehnte ins Land gegangen waren, die Mitte des Jahrhunderts erreicht war, da stand fest, daß er geradezu einen Boom ausgelöst hatte. Seine prosimetrische Schöpfung geriet zu seinem erfolgreichsten Werk. Opitz mag sich verwundert umgeschaut haben. Allenthalben in deutschen Landen sprossen alsbald Texte aus dem Boden, die, so unterschiedlich sie im einzelnen sein mochten, ihre Herkunft doch nicht verleugneten. Die Leipziger Dichter mit Fleming und Finckelthaus, Brehme und Schirmer an der Spitze erblickten als erste das enorme versifikatorische und erzähltechnische Potential der Prosaekloge. Neben dem Lied wurde in der Sächsischen Landschaft ein weiterer stilbildender literarischer Typus heimisch. Fleming exportierte die junge Kreation sogar in den hohen Norden. In Reval gelangte eines der schönsten Stücke zur Ausprägung. Die Hamburger um Rist und Zesen, Schwieger und Greflinger beteiligten sich an dem Experiment. Die ›Fruchtbringer‹ um Georg Neumark fanden in der Ekloge ein ideales Medium zumal für die Fürstenhuldigung. Im Königsberger Dichterkreis faßte sie Wurzel. Schlesien stand selbstverständlich nicht zurück. Der ganze alte deutsche Sprachraum wurde von der Mode erfaßt. Geradezu sensationell schlug die Prosaekloge in Nürnberg ein. Dort stand sie Pate bei der Gründung des ›Pegnesischen Blumenordens‹ im Jahr 1644. Harsdörffer und Klaj verfaßten eben in diesem Jahr ein berühmtes ›Pegnesisches Schäfergedicht‹, Birken lieferte schon ein Jahr später eine Fortsetzung und verknüpfte geschickt den pastoralen Auftakt mit der Gründung des Ordens. Und danach gab es kein Halten mehr. Gut hundert Stücke sind allein in Nürnberg und im Umkreis des Ordens aktenkundig. Ein spezifischer Nürnberger Stil formte sich heraus, wie sich überhaupt allenthalben das Gesetz der landschaftlichen Besonderung auch am Exempel der Prosaekloge wiederholte und damit bestätigte.14 Niemand aber ließ einen Zweifel aufkommen, wer als der Begründer dieser neuen Form zu gelten hatte. Opitzens Schäferei war das Urbild und blieb das Vorbild. Was auf seiten der Versekloge nicht gelingen sollte, weil Weckherlin vorangegangen war, gelang in der Gattung der Prosaekloge, mittels derer sich zugleich ein Akt der Überbietung vollzog. Auf eine denkwürdige Weise trat Weckherlin mit seinen herrlichen Schöpfungen an den Rand. Opitz hatte neuerlich den Wettkampf um den begehrten Titel eines Archegeten, nunmehr im bukolischen Genre, für sich entschieden. Was war es, das seine Schöpfung so attraktiv machte?15 ––––––––– 14
15
Vgl. Klaus Garber: Nuremberg, Arcadia on the Pegnitz: The Self-Stylization of an Urban Sodality.- In: ders.: Imperiled Heritage: Tradition, History, and Utopia in Early Modern German Literature. Selected essays by Klaus Garber. Hrsg. und eingeleitet von Max Reinhart.- Aldershot etc.: Ashgate 2000 (Studies in European Cultural Transition; 5), S. 117–208; ders.: Der Nürnberger Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz. Soziale Mikroformen im schäferlichen Gewand.- In: Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg. von Stefan Anders, Axel E. Walter.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 223–342. Vgl. zur ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ Opitzens neben der in Anm. 13 zitierten Studie des Verfassers die folgenden Arbeiten: Alfred Huebner: Das erste deutsche Schäferidyll und seine
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Umrisse eines Gattungs-Profils Die Schäferdichtung kam einem Humanisten vom Schlage Opitzens entgegen, weil sie sich wie keine andere Gattung für die Eröffnung eines literarischen Spiels auf mehreren Ebenen anbot. Die Schäfer waren Schäfer und zugleich immer mehr als solche, waren ihren Schöpfern verwandt. Daraus zog Opitz eine radikale Konsequenz, in der ihm seine Nachfahren in aller Regel nicht folgten. Das Rätsel, das er gleich eingangs an dieser Stelle aufgibt, wird sich, so steht zu vermuten, nicht gänzlich lösen lasen. Schäferliche Personen tragen so gut wie immer einen schäferlichen oder einen dem schäferlichen Milieu angepaßten, häufig aus der mythischen Überlieferung herrührenden Namen. Dieser trägt zur Stütze der Fiktion bei, signalisiert, daß man sich in einem der bukolischen Spezies zugehörigen Text bewegt. Opitz verzichtet auf diese schäferliche Markierung. Es sind der Dichter und drei seiner Freunde, die einen gemeinsamen Spaziergang unternehmen und in ihren biographischen Bewandtnissen durchaus erkennbar bleiben. Warum er gleichwohl sein ––––––––– Quellen.- Diss. phil. Königsberg 1910; Ulrich Maché: Opitz’ Schäfferey von der Nimfen Hercinie in Seventeenth-Century Literature.- In: Essays on German Literature in Honour of G. Joyce Hallamore. Hrsg. von Michael S. Batts und Marketa Goetz Stankiewicz.- Toronto: University of Toronto Press 1968, S. 34–40; Leonard Forster: Martin Opitzens ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹: Eine nicht nur arkadische Pionierarbeit.- In: Theatrum Europaeum. Festschrift Elida Maria Szarota. Hrsg. von Richard Brinkmann, Karl-Heinz Habersetzer, Paul Raabe, Karl-Ludwig Selig, Blake Lee Spahr.- München: Fink 1982, S. 241–251; Jane O. Newman: Et in Arcadia ego. Pastoral Poetics, or Imitation as Survival in Theocritus, Virgil and Opitz.- In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 59 (1985), S. 525–550; Peter Hess: »Ein Lusthauss der Nimfen und Feldtgötter«. Zur Rolle der Topik in der Erzählprosa des 16. und 17. Jahrhunderts.- In: Daphnis 19 (1990), S. 25–40; Peter Rusterholz: Der ›Schatten der Wahrheit‹ der deutschen Schäferdichtung.- In: Comparaison 2 (1993), S. 239–259; Peter Michelsen: ›Sieh, das Gute liegt so nah‹. Über Martin Opitz’ ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹.- In: Iliaster. Literatur und Naturkunde in der Frühen Neuzeit. Festgabe für Joachim Telle. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Wolf-Dieter Müller-Jahncke.- Heidelberg: Manutius 1999, S. 191-200; Silvia Serena Tschopp: Die Grotte in Martin Opitz’ ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ als Kreuzungspunkt bukolischer Diskurse.- In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (Frühe Neuzeit; 63), S. 236– 249; dies.: Imitatio und renovatio. Martin Opitz’ ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ als Modell der Aneignung literarischer Tradition.- In: Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. Unter Mitwirkung von Barbara Becker-Cantarino, Martin Bircher, Ferdinand van Ingen, Sabine Solf, Carsten-Peter Warncke hrsg. von Hartmut Laufhütte. Teil I–II.- Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 35), S. 673–685; Hans Krah: Autorschaft vor der Geburt des Autors. Martin Opitz’ ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ (1630) als ›Autor-Poiesis‹.- In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 80 (2006), S. 532–552; Jörg-Ulrich Fechner: Schlesische Provinz – Literarischer Kosmopolitismus: Bad Warmbrunn und die ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ von Martin Opitz.- In: Schlesien als literarische Provinz. Literatur zwischen Regionalismus und Universalismus. Hrsg. von Marek Adamski, Wojciech Kunicki.- Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2008 (Beiträge des Städtischen Museums Gerhart-Hauptmann-Haus in Jelenia Góra; 2), S. 11–23; Ewa Pietrzak, Michael Schilling: Der Brieger Rektor Melchior Laubanus (1568–1633) und seine ›Thermocrena Schafgotschia‹ (1630) als Seitenstück zur ›Nimfe Hercinie‹ des Martin Opitz.- In: Śla̜ska republika uczonych 1 (2004), S. 146–174. Eine eingehende Interpretation der ›Hercinie‹ für das Arkadienbuch des Verfassers ist geschrieben; sie eröffnet das besonders reichhaltige Kapitel zur ›Prosaekloge‹ in Deutschland.
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Werk als ›Schäferei‹ einführte, sollte sich plausibel machen lassen. Nicht die Schäfer, sondern eine Nymphe rückt titularisch in den Mittelpunkt und nimmt zugleich eine zentrale Position in der Erzählung ein. Schäfer stehen seit den ersten Anfängen mit den niederen mythologischen Chargen jedweder Provenienz in engem Kontakt. Und Nymphen wiederum aller Art sind die natürlichen Gefährtinnen der sangesfreudigen Schäfer. Das mythische wie das nymphenhafte und damit musische Erbe wird Opitz in seiner Schäferei prominent zur Geltung bringen. Dieser Umstand reichte allemal hin, um dem Gattungsmilieu Genüge zu tun. Und mit dem Verzicht auf die schäferliche Drapierung verschaffte der Dichter sich zugleich Freiräume, um die es ihm vor allem zu tun war. Fest aber hielt er an der eingeführten Gepflogenheit, in der Ekloge einer zumeist illustren Person Ehre zu erweisen. Das hatte man bei Vergil und seinen Nachfolgern gelernt. Die europäische Ekloge lebt geradezu von der personalen Panegyrik bis hin zu Fürsten, Königen und Kaisern. Opitz wußte sich also in bester Gesellschaft, wenn er einem ranghohen Landsmann eine schäferliche Ehrung zuteil werden ließ. Aber er ging weiter, und auch darin kam ein gattungsspezifisches Erbe zum Tragen. Er bezog die Landschaft, bezog den Lebensraum des Geehrten in seine Huldigung ein. Ja, zu erheblichen Teilen lebt diese seine neue Kreation geradezu von der literarischen Eroberung einer berühmten Region seiner Heimat, in der sein Protagonist – nunmehr in der Rolle eines Adressaten seiner Schäferei – residierte. Personen- und Landschaftslob gingen eine enge Symbiose ein, wie sie vorbildlich blieb. Zugleich machte Opitz Ernst mit der von den Poetologen und ihm selbst immer wieder bekräftigten Feststellung, daß die Hirten der Literatur mehr seien als Hirten und von anderem redeten als die Hirten auf dem Felde. Es verliefen keine strengen Grenzen zwischen den Schäfern und den Gelehrten, gleichgültig, ob sie nun schäferliche Namen trugen oder nicht. Deswegen aber degenerierten die literarischen Figuren doch nicht zu erbarmungswürdigen Zwittern, wie ihnen in einer auf ›Naturwahrheit‹ erpichten Literaturwissenschaft immer wieder unterstellt wurde – ganz im Gegenteil. Die Dichter, die gelehrten Humanisten profitierten ungemein von dem literarischen Nimbus, mit dem die Hirten als antike, ja noch als biblische Geschöpfe ausgestattet waren. Ein ursprünglicher, dem Mythos wie den beiden Testamenten entsprungener literarisch geadelter Stand vermählte sich mit einer gelehrten nobilitas litteraria und aus dieser Kreuzung erwuchs ein unerhörtes referentielles Potential, das stetig aktivierbar war. Und diese Chance wußte Opitz zu nutzen. Er erhob die Schäferei in Gestalt der Prosaekloge zu einem diskursiven Medium par excellence. Nichts gab es, das nicht von den Hirten-Dichtern besprochen und kolloquial gewendet zu werden vermochte. Das spätere ›Gesprächspiel‹ der Nürnberger ist in der Opitzschen Schöpfung bereits vorgebildet. Sie tendiert zum eruditär-amikalen Austausch, besitzt seit Pontano und Sannazaro eine natürliche Affinität zur sozietären Bewegung Europas und erfüllt sich im geistreichen, nicht selten übermütigen und gewagten Disput. Diese Seite war Opitz so wichtig, daß er glaubte, um ihrer willen auf die Einführung von schäferlichen Gestalten verzichten zu dürfen. Es war genügend schäferliches Ambiente vorhanden, das die gelehrten Freunde umgab, ohne daß diese einen Stil- bzw. Fiktionsbruch riskierten.
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Der Adressat Opitz stand 1629/30 weiterhin in den Diensten des katholischen Statthalters in Schlesien, Karl Hannibal von Dohna. Das mußte widmungsstrategisch allemal von dem Autor in Betracht gezogen werden. Für von Dohna waren Zueignungen einzelner Werke zu reservieren. Auf der anderen Seite durften die Piasten, denen der Dichter in jeder denkbaren Hinsicht weiterhin nahestand, auch dedikationspolitisch nicht aus dem Blickfeld geraten. Opitz bewerkstelligte den Balanceakt mit gewohnter Meisterschaft. Für seine Schäferei wählte er einen Mittelweg. Eine hochgestellte Persönlichkeit sollte es sein. Die aber sollte sich in den Wirren des vergangenen Jahrzehnts politisch und konfessionell nicht übermäßig exponiert haben. Opitz seinerseits war nicht gewillt, in seiner durchaus prekären Situation als Autor sich zusätzliche Fesseln anzulegen. Die Wahl fiel auf den Freiherrn Hans Ulrich von Schaffgotsch.16 Dieser war nur zwei Jahre älter als Opitz, stand 1630 also im 36. Lebensjahr. Er trat ein mächtiges Erbe rund um das Iser- und Riesengebirge an, zu dem über den Vetter Adam von Schaffgotsch die Herrschaft Trachenberg trat, die zu den vier Standesherrschaften gehörte, welche Schlesien zugehörig waren. Nach dem Besuch der Universität und standesgemäßen weiten Reisen, die ihn nach Italien, Spanien, Frankreich, England und in die Niederlande führten, übernahm er 1614 die Verwaltung seiner Ländereien; die Regierung der Standesherrschaft Trachenberg wurde ihm im Jahr 1617 übertragen. Die politische Bewährungsprobe ließ nicht lange auf sich warten, knüpfte sie sich doch für alle herausragenden Persönlichkeiten in Schlesien an die Vorbereitungen des Pfälzer Kurfürsten zur Übernahme der böhmischen Königskrone. Hans Ulrich stand selbstverständlich an der Seite derjenigen, die die Pfälzer Böhmenpolitik unterstützten, versprachen sie sich doch eine Lockerung der kaiserlich-katholischen Bindungen. So hielten es die Piastenherzöge selbst, mit denen Hans Ulrich seit 1620 auch verwandtschaftlich verbunden war, heiratete er doch deren Schwester Barbara Agnes. ––––––––– 16
Zu Hans Ulrich von Schaffgotsch maßgeblich die aus den Quellen gearbeitete Biographie von Julius Krebs: Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch. Ein Lebensbild aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges.- Breslau: Korn 1890. Von Krebs stammt auch der entsprechende Artikel in der ADB XXX (1890), S. 541–545. Die »ausführliche Lebensbeschreibung«, die Willy Klawitter für die große Familiengeschichte geschrieben hatte, ist leider nicht mehr publiziert worden. Vgl. Willy Klawitter: Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch.- In: Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Max Hippe, Paul Knötel, Otfried Schwarzer.- Breslau: Korn 1928 (Schlesische Lebensbilder; 3). Reprint Sigmaringen: Thorbecke 1985, S. 27–36. Mit der Arbeit von Krebs ist die ältere Literatur überholt. Zahllose bereits 1635 einsetzende Artikel beschäftigen sich mit dem Lebensende Schaffgotschs. Dazu quellenkritisch Krebs: Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch, S. 277–279: Zur Litteratur. Noch Karl Simrock hat diese im Wortlaut meist identischen ›Lebensbeschreibungen‹ in seine Sammlung: Die deutschen Volksbücher. Band XIII.Frankfurt a.M.: Winter 1867, S. 507–524, aufgenommen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wilhelm Wattenbach: Die letzten Lebenstage des Obersten Hans Ulrich Schaffgotsch.- In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte und Alterthum Schlesiens 1 (1856), S. 155–177 (Relation des Dieners von Schaffgotsch Constantin von Wegrer). Vgl. jetzt: Das Haus Schaffgotsch. Konfession, Politik und Gedächtnis eines schlesischen Adelsgeschlechts vom Mittelalter bis zur Moderne. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Ulrich Schmilewski, Thomas Wünsch.- Würzburg: Bergstadtverlag 2010. Vgl. auch unten Anm. 33.
Die Widmungsadresse
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Die Katastrophe nach der verlorenen Schlacht am Weißen Berge im November 1620 folgte auf dem Fuße. Nun kam die Stunde Karl Hannibals von Dohna, der sich als einer der wenigen kaisergetreuen den Separatisten nicht angeschlossen hatte. Auch Hans Ulrich wurde von ihm für das kaiserliche Strafgericht nominiert, wie es in voller Härte über die böhmischen Führer des Aufstands hereinbrach. Eine rasche Umorientierung war vonnöten. Es galt Ergebenheit gegenüber dem Haus Habsburg zu bezeugen, ohne daß einläßlichere Informationen über diese Phase seines Lebens vorlägen. Und diese währte auch für Schaffgotsch nur so lange, wie die Lage der Protestanten aussichtslos erschien. Als der dänische König Christian IV. in die Auseinandersetzungen eingriff, sah man auch Schaffgotsch wieder auf seiten der Evangelischen. Doch neuerlich hatte er auf das falsche Pferd gesetzt. Als Christian IV. dank der Wallensteinschen Kriegskunst zum Frieden von Lübeck gezwungen wurde, stand er schutzlos da. Erst als Gustav Adolf in Pommern gelandet war und er wieder zu den Waffen griff, wechselte er die Seiten und warb ein Regiment für den Kaiser an. Es war die Zeit, da die Opitzsche Schäferei entstand. Die Widmung blieb also unverfänglich. Und der Dichter sorgte dafür, wie sich zeigen wird, daß sich die Erinnerung an den Kämpfer an der Seite der Protestanten nicht verlor. Wir aber haben mit wenigen Strichen den weiteren, von Tragik überschatteten Lebensweg Hans Ulrichs von Schaffgotsch zu verfolgen. Es war einer als Feldherr des Kaisers, und damit automatisch auch einer, der sich kreuzte mit demjenigen Wallensteins, der ihm zum Verhängnis werden sollte. Aufhorchen mußten interessierte Beobachter bereits, als Wallenstein geheime Verhandlungen mit dem Herzog von Mecklenburg anknüpfte, die gegen den Kaiser gerichtet waren, ging es doch um den Erwerb eines eigenen Fürstentums. In den war Schaffgotsch nicht involviert. Als Wallenstein sich jedoch wieder in kaiserliche Dienste begab, sandte er Schaffgotsch als Emissär und Förderer seiner eigenen Pläne in das heimatliche Schlesien. 1633 erschien Wallenstein selbst in Schlesien und bestellte Schaffgotsch – neben Piccolomini und Sparr – zu einem der drei Generalwachtmeister. Wallenstein indes ging weiter seinen persönlichen ehrgeizigen Plänen nach. Wurden sie aufgedeckt, so waren auch seine Mitstreiter betroffen, ob direkt involviert oder nicht. Das war das Schicksal, das auch Schaffgotsch ereilte. Antikaiserlicher Umtriebe bezichtigt, wurde er 1635 auf kaiserlichen Befehl in Regensburg enthauptet. Opitz hat den barbarischen Akt noch miterleben müssen. Seine Schäferei blieb das schönste Denkmal, welches das Andenken des Freiherrn lebendig hielt.
Die Widmungsadresse Aus Glatz meldete sich Opitz Ende des Jahres 1629 zu Wort. Dort hielt er sich in der Nähe von Herzog Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels auf. Der Herzog hatte soeben die Landeshauptmannschaft aus den Händen des Kaisers übertragen bekommen, nachdem Georg Rudolf von Liegnitz und Brieg demissioniert war. Für den OpitzKenner verbindet sich die Episode mit einem gewichtigen literarischen Ereignis. Heinrich Wenzel ist Opitzens Landgedicht ›Vielguet‹ aus dem Jahre 1629 zugeeignet.
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XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
Der Dichter hatte es neuerlich verstanden, sich dem Protestanten, der nachhaltig um einen Ausgleich mit den Habsburgern bemüht blieb, dankbar zu verpflichten. Aus der gelegentlichen Residenz des Oberhauptmanns ging die Widmung an Hans Ulrich von Schaffgotsch auf den Weg. Dem war im Dezember 1627 vom Kaiser der Rang eines Semperfreien mit dem Reichsgrafenprädikat ›Hochwohlgeboren‹ zuerkannt worden. Folgerichtig kehrte die Titulatur in der Anrede Opitzens wieder. Dem Hochwolgebornen Herrn/ Herrn Hansen Vlrichen/ Schaff=Gotsch genant/ des Heiligen Römischen Reiches Semper=Freyen/ von vnd auff Kinast/ Greiffenstein vnd Kemnitz/ FreyHerrn auff Trachenberg/ Herrn zur Praußnitz vnd Schmiedeberg/ auff Gierßdorff/ Hertwigswalde vnd Rauschke; Röm. Kays. auch zue Hungarn vnd Böhaimb Kön. Mäy. Cammerern/ Kriegesrhate/ vnd Obristen/ meinem Gnädigen Herren.17
Opitz hat es vermieden, eine nähere Charakteristik des Feldherrn und seiner Verdienste in der Widmung zu plazieren. Ob ihm ein solches Vorgehen zu verfänglich erschien? Er zog es vor, die Huldigung der nachfolgenden Dichtung vorzubehalten. In ihr konnte andeutungsweise und verdeckt gesprochen werden. Zu Ende der zwanziger Jahre, da die Rekatholisierung in vollem Gange war, mußte ein jedes öffentlich verlautende Wort genauestens erwogen werden. Opitz bewährte die ihm in hohem Maße eigene ›politische‹ Tugend und wich auf ein anderes Thema aus. Und das womöglich auch zum Erstaunen des Angeredeten. Denn was mochte dieser mit der deutschen Poesie und ihren Problemen zu schaffen haben, wie Opitz sie nun entfaltete? Offenkundig wurde eines der Themen des späteren Textes präludiert. Nicht ausgeschlossen aber auch, daß der Dichter sich beunruhigt zeigte von dem er––––––––– 17
Hier ist der Ort, auf die Ausgaben der Schäferei kurz zu sprechen zu kommen. Der Titel des 1630 erschienenen Erstdruckes kommt in zwei Varianten vor: Martin Opitzen Schäfferey Von der Nimfen Hercinie. Gedruckt zum Brieg/ Jn verlegung David Müllers Buchhandlers in Breßlaw. 1630. [Kolophon:] Gedruckt in der Fürstlichen Stadt Brieg/ durch Augustinum Gründern. A.C. 1630. – Und: Martin Opitzen Schäfferey Von der Nimfen Hercinie. [Kolophon:] Gedruckt in der Fürstlichen Stadt Brieg/ durch Augustinum Gründern. A.C. 1630. Es handelt sich um Titelvarianten; die Texte selbst unterscheiden sich nicht. Beide Ausgaben sind selbstverständlich in unserer Leitbibliothek Breslau mehrfach vorhanden. Wie sorgfältig der von uns immer wieder herangezogene Sammelband 4 E 515 aus der Rhedigerschen Bibliothek zusammengestellt ist, geht auch daraus hervor, daß beide Drucke in ihm versammelt sind: 4 E 515/41 und 4 E 515/42. BU Wrocław: 355103 und 355104. Ein weiteres Exemplar – der erstgenannte Druck – stand in der Rhedigerschen Bibliothek unter der Signatur 4 E 329/54; BU Wrocław 354748. Auch die BernhardinerBibliothek besaß selbstverständlich ein Exemplar, und zwar des erstgenannten Drucks: 4 V 67/18; BU Wrocław 535153. Von der ersteren Ausgabe liegt ein Reprint vor, der mit einem sehr gehaltreichen Vorwort von seiten des Herausgebers ausgestattet ist: Martin Opitz: Die Schäfferey Von der Nimfen Hercinie. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1630. Herausgegeben und eingeleitet von Karl F. Otto, Jr.- Bern, Frankfurt/Main: Herbert Lang 1976 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts; 8). Leicht greifbar ist das Werk auch in einer frühzeitig veranstalteten Reclam-Ausgabe, die gleichfalls von einem kenntnisreichen Nachwort des Herausgebers begleitet wird: Martin Opitz: Schäfferey von der Nimfen Hercinie. Hrsg. von Peter Rusterholz.- Stuttgart: Reclam 1969 (Reclams Universalbibliothek; 8594). Im letzten Band der von George Schulz-Behrend veranstalteten Opitz-Ausgabe liegt inzwischen auch ein kommentierter Neudruck vor: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Band IV: Die Werke von Ende 1626 bis 1630. 1. [und] 2. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1989–1990 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 312. 313). 2. Teil, S. 508–578. Wir zitieren nach dem Reprint von Karl F. Otto mit Verweisen auf die Edition Schulz-Behrends. Hier die Zitate S. 3 bzw. S. 512.
Schicksal der jungen deutschen Literatur
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kennbaren Erstarken der jesuitischen Propaganda, wie sie sich auch in der Dichtung und eben durchweg auf Latein vollzog. Zu Ende der zwanziger Jahre blieb das Herzensprojekt immer noch abzuschirmen gegen Angriffe von mehr als einer Seite. Wir müssen uns der beredten Passage kurz zuwenden.
Schicksal der jungen deutschen Literatur HOchwolgeborner Herr/ Gnädiger Herr vndt Obrister; Die Deutsche sprache/ von welcher etzliche jhare der hoffnung gewesen/ daß sie/ sonderlich durch vermittelung Poetischer schrifften/ des eingemengten wesens der außländer ehist möchte befreyet/ vnd in jhre alte ziehr vnd reinigkeit wiederumb eingesetzt werden/ hatt zu jhrem vnglücke gleich eine solche zeit angetroffen/ da nicht die gewalt der waffen/ die auff landt vndt leute vndt nicht auff bestreitung der wißenschafft angesehen/ sondern die menschen aller tugendt dermaßen gehäßig sindt/ daß guete gemüter/ so hierbey das jhrige zue thun sich vnterwunden/ nichts anders als einen theils verachtung/ andern theils mißgunst darvon getragen haben.18
Ein merkwürdiger, sehr ungewöhnlicher Eingang. Der Dichter fällt mit der Tür ins Haus. Was mag ihn dazu bewogen haben? Und wie kommt es zu dieser Diagnose? Welche Informationen führen ihn zu derartigen Bemerkungen? Oder geht es doch um etwas anderes, beschreitet der Sprecher womöglich einen Pfad, der alsbald in eine unvorhersehbare Richtung führt? Bemerkenswert ist, daß über das Vorgetragene eine erste Rückmeldung nach Einsatz der neuen Poesie vorliegt. Diese ist in die Welt getreten und Leser und Hörer wissen, wer für ihn verantwortlich ist. In eine unglückliche Zeit ist die Pflege der neuen Kunst gefallen. Aber mußte ihr das zum Schlechten ausschlagen? Ist ›Sprachmengerei‹ ein akutes, sie bedrohendes Phänomen? Die in dem letzten Jahrzehnt entstandenen poetischen Arbeiten Opitzens und seiner Freunde bieten für diesen Vorwurf keine Handhabe. Opitz muß Weiteres und Gewichtigeres mit seinem Statement zu Beginn seiner Widmungsadresse im Blick haben. Ein wenig konkreter wird da der folgende Absatz. Opitz, so zeigt sich nun, nimmt die Auseinandersetzung mit dem mentalen Syndrom auf, das unter dem Titel ›à-lamode-Kritik‹ läuft. Die Neuerer sehen sich mit einem rückwärtsgewandten Publikum konfrontiert, das in dem auf die Moderne umgestellten Literaturbetrieb einen Verrat an den alten deutschen Grundsätzen und Werten wittert. Diese moderne Poesie führt Stoffe und Themen mit sich, die eine »verletzung der alten einfalt/ vndt deutschen fromen sitten« im Gefolge hätten.19 Eben gerade auf sie berufen sich ja doch die ›Neuerer‹ in den Sprach- und Dichtergesellschaften ausdrücklich. Wir geraten hinein in eine Auseinandersetzung, die auch nach Opitzens Auftreten immer noch aktuell ist und deren Hintergründe sich nicht mehr voll werden aufklären lassen. Gewiß ist nur, daß die Reaktion auch durch Anwärter der Theologie beflügelt wurde, die Gefahren anläßlich der Wiederbelebung antiker Bilder und Vorstellungen drohen sahen. Opitz gesteht diesen Befürchtungen ihr partielles Recht angesichts von poetischen Auswüchsen zu. Deshalb aber das kostbare Gewächs mit den Dornensträuchern ausreißen? Doch wohl nicht. ––––––––– 18 19
Ebenda, S. 3 bzw. S. 512 f. Ebenda, S. 4 bzw. S. 513.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Inkriminierte Schäferdichtung in der Moderne Damit ist der Dichter bei seinem Adressaten und der Schleier lüftet sich. Er legt ein Schäfergedicht vor. Schäferdichtung gehört zu den verdächtigen literarischen Hervorbringungen, ist sie doch ein antikes Produkt, durchsetzt mit heidnisch-amourösen und libidinösen Zügen, vor denen es sich zu hüten gilt. Also ist zur Rettung einer inkriminierten Gattung anzusetzen, und das derart, daß in praxi durchdekliniert wird, wie eine antike Erbschaft in der Moderne derart angeeignet werden kann, daß jedwedes Anstößige von ihr abfällt und sie als purifizierte in der Gegenwart bestehen kann, so daß Kritik an ihr abprallen muß. Aus dieser Perspektive fällt zugleich neues Licht auf Opitzens formale Neuschöpfung. Sie ist einer übergeordneten kulturpolitischen Zielvorstellung geschuldet. Dieses Werk erhebt den impliziten Anspruch, an einem Musterfall den genuinen Umgang mit einer literarischen Form der Antike zu demonstrieren. Das war schon in der Liebesdichtung Opitzens vornehmstes Anliegen. Und nun wiederholt sich das nämliche Experiment auf dem Felde der Schäferdichtung. Zwei zwiegesichtige Formen der europäischen Literatur werden aufgerufen, und der Dichter schickt sich an, einen paradigmatischen poetischen Lehrgang gerade mit ihnen zu eröffnen. Wenn dieses Experiment gelingt, dann braucht für die Poesie insgesamt keine Sorge mehr getragen zu werden. Dementsprechend stellt der Dichter noch in seiner Widmungsadresse den Inhalt der folgenden Erzählung voran. Schon aus diesem Resümee ist ersichtlich, daß er den auf Liebe und unschuldiges Schäfertreiben beschränkten motivischen Kanon weit hinter sich läßt. Auf würdige Gegenstände der Poesie ist der Dichter aus. Und für die benötigt er Raum. Auch das ist ein Grund für die Nutzung der Prosa. Die Schäferdichtung soll fortan als eine der Lehrdichtung verwandte poetische Form innerhalb der jungen deutschen Poesie fungieren. Ihrer antiken Zeugung wird ein neues Gewand übergeworfen, und Opitz ist wiederum derjenige, dem dieser Kunstgriff gelingt, der eben mehr ist und mehr sein will als ein solcher.
Poetischer Vorwurf Hören wir also selbst, was er zu bieten gedenkt: Es befinden sich bey anbrechen der morgenröthe drey gelehrte Poeten/ von denen der eine [Nüßler] dem Hochfürstlichen Hause Lignitz vndt Briegk nicht weniger als ich verbunden/ vndt E. Gn. wol bekandt ist/ nebenst mir/ der ich mehr den namen als das verdienst habe/ vmb die lustigen berge/ wälder vndt wiesen so E. Gn. gehörig sindt/ reden vnter gestalt der hirten (wie vorzeiten Theocritus/ Virgilius/ Nemesianus/ Calpurnius/ heutiges tages Sannazar/ Balthasar Castilion/ Laurentz Gambara/ Ritter Sidney/ Der von Vrfe vndt andere/ gethan haben) von tugendt/ von reisen vndt dergleichen so lange/ biß sie vnter dem Riesengefilde vndt Flintzberge an der lustigen bach des Zackens auff die werthe Nimfe Hercinie treffen/ welche jhnen in den hölen vnd klüfften der erden die vrsprünge der flüße hiesiger gegendt/ jhre vndt jhrer schwestern gemächer vndt lustige grotten höfflich zeiget/ für allen dingen aber E. Gn. vndt derselbten hochrhümlichen Vorfahren thaten vndt gedächtniß entwirfft vnd zeiget. Hierauff sie nach enturlaubung sich selbiger orten weiter vmbsehen/ vndt nechst anderem verlauffe/ auch betrachtung des Warmen Brunnens/ wel-
Poetischer Vorwurf
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chen E. Gn. newlicher zeit durch ihren artlichen baw noch angenemer gemacht hatt/ mitt dem tage vndt abschiede der Sonnen jhre vnterredung beschließen.20
Auf den Adressaten, auf Hans Ulrich von Schaffgotsch und sein Geschlecht ist das Werk ausgerichtet. Es gehört durch und durch zur anlaßbezogenen Poesie, gibt sich als schäferliches Stück aus und rangiert damit in der eingebürgerten Form der Ekloge, das aber in neuer formaler Aufmachung, eben als Prosaekloge. Es gehört nun zu den Aufgaben einer Spezialstudie, die verschiedenen Elemente, die Opitz aus der Tradition entlehnt und seiner Schöpfung einpaßt, zu ermitteln und in ihrer Funktion zu bestimmen. Das soll hier nicht geschehen. Wir sind durchgängig auf Akzentuierung aus, und das gerade an dieser Stelle, wo Rückverweise auf eigene Arbeiten erlaubt und möglich sind.21 Nur so viel: Die erzählenden Schäferdichtungen, angefangen bei Sannazaro, schmücken sich gerne mit dem Titel Arkadien. Arkadien ist die pastorale Ideallandschaft und ein jedes Schäfergedicht zehrt von ihrem Nimbus. Das schließt aber keineswegs aus – und Sannazaro ist neuerlich ein treffliches Beispiel dafür –, daß arkadische Schöpfungen nicht in lokalisierbaren heimatlichen Gefilden spielen könnten, und sei es auch nur für eine Weile. Über die Schäferdichtung werden eine Unmenge literarischer Landschaften erobert. Und ein Opitz hat daran als einer der ersten eben in der deutschen Version der Schäferdichtung seinen Anteil. Der Nexus zwischen Anlaß und Region liegt auf der Hand und wird mehrfach in der zitierten Partie direkt angesprochen. Auch dafür gab es Beispiele bei allen großen Vorgängern in der Renaissance. Opitz inkorporiert diese Verklammerung seiner Prosaekloge. Er nutzt eine seit je bestehende pastorale Offerte der Landschaftsschilderung zur poetischen und zugleich zur mythischen Erhöhung seines Adressaten und dessen Geschlechts. Die Gestalt der Nymphe in diesem Zusammenhang bezog Opitz mit Gewißheit aus Sannazaros ›Arcadia‹. Sie geleitete dort den Hirten Sincero von Neapel nach Arkadien. Ihr der bedrohten Heimat Neapel zugewandtes Wesen machte sie zur idealen Begleiterin des Hirten. Über die Nymphen erfährt die Welt der Hirten eine Erhöhung. Sie besitzen nähere Kenntnisse über die Stätten, an denen sie beheimatet sind, Herrschaftsverhältnisse und deren Repräsentanten eingeschlossen. So auch bei Opitz. Den Schwerpunkt aber legt der Dichter der ›Hercinie‹ auf die Viere, die da nach Art der Hirten ihrer Vorgänger agieren, als aufgeklärte Zeitgenossen jedoch auf das schäferliche Kostüm verzichten – auch das eine raffinierte Maßnahme, um Differenz zu markieren. Aktuelle Probleme jedweder Art dürfen und sollen von diesen gelehrten Protagonisten in der ›Schäferei‹ diskutiert werden. Der schäferliche Rekurs eröffnet den Freiraum, den diese Peripatetiker nicht anders als ihre Verwandten in den antiken und modernen Akademien für sich reklamieren. ––––––––– 20 21
Ebenda, S. 5 bzw. S. 514 f. Für den in Anmerkung 12 zitierten zweiten Band des Arkadienwerkes ist eine eingehende Interpretation des ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ vorbereitet. Mit ihr wird, wie erwähnt, ein vergleichsweise großes Kapitel zur ›Prosaekloge‹ in Gestalt von Interpretationen einzelner ausgewählter Texte eröffnet.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Ihre Rede ist derart geschützt vor unbotmäßigen Fixierungen, ist als literarisierte eine uneigentliche und deshalb nicht beim Wort zu nehmende. Bukolischer, akademischer und unlizensierter Diskurs konstituieren eine spezifische Öffentlichkeit, die in der Aufklärung ihre systemsprengenden Kräfte entfalten wird. Der Titel ›Frühaufklärer‹, Opitz virtuell zuerkannt, ist auch in dieser Hinsicht kein usurpierter. Herrschaftsnähe und Herrschaftsferne gehören in der Schäferei zusammen. Deren kritische Potenz wächst stetig an und entlädt sich als Herrschaftskritik in der Aufklärung.
Pastorale Selbsterkundung Als einsame Figur betritt der Ich-Erzähler die Szene. Auch das gehört seit Sannazaro zum schäferlichen Repertoire. Diese Inszenierung ist vonnöten, damit der schäferlichen Existenz als einer in die Liebe verstrickte erzählerisch Genüge getan werden kann. Der Schäfer ist als Gestalt der Literatur in den Großformen des Romans und des Schauspiels von der Macht Amors umfangen – und dieses Motiv implantiert Opitz gleich eingangs seiner Schäferei, obwohl er auf das Hirten-Accessoire verzichtet. Ein literarisches Schema wird befolgt und zugleich an dessen Überwindung gearbeitet. Zunächst aber ist der Liebende in der Schäferei immer zugleich auch Sänger. Die lyrische Einlage ebenfalls zu Beginn ist wiederum ein klassisches Ausstattungsstück der Schäferei, und im gleichen Atemzug wird damit klargestellt, daß Amor nur präsent ist, um poetisches Kapital aus ihm und seiner Gefolgschaft zu schlagen. Zwei Sonette hat Opitz in die Prosapartien eingeschoben. Die Prosaekloge wird fortan zu einem guten Teil von der in ihr zur Schau gestellten poetischen Fertigkeit zehren. Amouröser Petrarkismus will ausgestellt und also ein literarisches Exerzitium absolviert sein. Wie sollte sich Opitz auch darin nicht als ein Meister erweisen? Weil mein Verhengniß wil/ vndt lest mir nicht das glücke Bey dir/ mein Augen trost/ zue leben nur allein/ So giebet zwar mein sinn sich mitt gedult darein/ Doch sehnt vndt wündtschet er auch stündtlich sich zuerücke. Es ist ja lauter nichts wo diese schöne blicke/ Diß liecht das mich verblendt/ des güldnen haares schein Das mein gemüte bindt/ diß lachen nicht kan sein/ Der mundt/ vndt alles das wormit ich mich erquicke. Die Sonne macht mir kalt/ der tag verfinstert mich; Jch geh’/ vndt weiß nicht wie; ich geh’ vndt suche dich Wohin du nie gedenckst, was macht mein trewes lieben? Jch seh’ vndt finde nichts; der mangel deiner ziehr Hatt alles weg geraubt: zwey dinge sindt noch hier: Das elendt nur/ vndt ich der ich darein vertrieben.22
––––––––– 22
In den beiden Anm. 17 zitierten Ausgaben S. 8 bzw. S. 517 f.
Der Liebesdiskurs in der Prosaekloge
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Ich-Verlorenheit ist eingetreten, das typische Schicksal des petrarkistisch Liebenden, und damit das genaue Gegenteil von Selbstfindung und Selbstbehauptung, zu der die antiken Stoiker und ihre modernen Gewährsleute aufrufen. Also ist ein Mechanismus der Rückgewinnung des Ich in Gang zu setzen. Die Pastorale ist der gegebene Ort für diese Doppelbewegung, oszilliert sie doch ihrerseits stets zwischen zwei Polen. Dieser Erzähler schwankt unfreiwillig zwischen zwei Optionen. Als ein Liebender muß er gemäß petrarkistischer Philosophie unbeugsam an der Liebe festhalten. Zugleich aber ist er doch auch eingebunden in öffentliche Pflichten. Gleich eingangs hatte er seinem gegenwärtigen Dienstherrn verklausulierte Reverenz erwiesen. Nun offenbart der Selbstmonolog, daß Großes und Hohes von ihm erwartet wird. Darf er sich da als ein den Leidenschaften Ergebener präsentieren? Die Frage zu stellen heißt, sie zu verneinen. Dieser Liebeskranke weiß um das sich Geziemende. Pflicht, herrschaftliche Ergebenheit und nicht zuletzt Vaterlandsliebe rangieren vor ungezügelten Leidenschaften. Das Schäfergedicht genügt seiner lehrhaften Mitgift. Der Ich-Erzähler hat sich als petrarkistischer Musterschüler präsentiert. Nun wird ihm ein Zweifaches abgefordert. Er muß seinen fingierten emotionalen Status in der nachfolgenden Prosa deliberativ umkreisen. Und er muß in einer gedanklichen Bewegung den Aufbruch zu einem Gegenpol antreten, gipfelnd nochmals in einer lyrisch-poetischen Verdichtung, mit und in der ein erstes lyrisch-erzählerisches Fazit gezogen wird. Kontrapunktik ist nicht nur in der Obhut der Musik. Auch die Literatur und zumal die schäferliche kennt analoge Verfahren. Es ist gewagt; ich bin doch gantz entschloßen Jetzt noch ein mal zue laßen vnser landt/ Vndt hin zue ziehn wo auch ist mordt vndt brandt/ Wo auch das feldt mitt blute wirdt begoßen. Es ist gewagt: heißt aber diß genoßen Der liebe frucht? ist diß das feste bandt Der waren gunst? schläfft deine trewe handt? Jst deiner lust gedächtniß gantz verfloßen? Wo bleibet dann der mundt/ die augen/ dieses haar/ Vndt was sonst mehr dein trost vndt kummer war? Was thue ich dann? ich bin selbselbst verlohren Verlier ich sie: verbleib’ ich dann allhier So ist doch nichts als wanckelmuth an mir: Jch habe recht den wolff jetzt bey den ohren.23
Der Liebesdiskurs in der Prosaekloge Da verbleibt noch mancherlei im Status des Rätselhaften. Das soll so sein, folgt doch auf das Gedicht ein zweiter Einsatz, dem näherer Aufschluß anvertraut ist. Die Freun––––––––– 23
Ebenda, S. 10 bzw. S. 519.
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XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
de des Dichters treten zu dem einsamen Sänger und Grübler. Pfeifen und wohlklingende Musik kündigen sie an. Die Musen selbst scheinen unterwegs zu sein. Im Hirtenmilieu sich zu bewegen, auch wenn es den Hirten an Hirtennamen mangelt, heißt, dem Helikon nahe zu sein. Ohne Musik und Schalmei keine Hirtenszene. Die drei gelehrten Wanderer, die da unterhalb des Riesengebirges unterwegs sind, machen keine Ausnahme von dieser Regel. Ihnen – Buchner, Nüßler und Venator – hat Opitz ein bleibendes Denkmal in seiner Schäferei gesetzt. Und die lassen sich ihrerseits nicht lumpen. Töne der Liebesgedichte sind zu ihnen herübergedrungen, auch dies eine klassische Situation in der erzählenden Schäferdichtung Europas. Nun gilt es, den Ertappten zu stellen. Auf diese Weise wird der lyrische Versvortrag in der Prosa fortgeführt, und die Prosaekloge empfängt nicht zuletzt aus diesem Wechselspiel ihren Reiz. Die Bukolik, selbstreferentiell strukturiert durch und durch, macht sich auch diese prosimetrische Duplizität zu eigen. Wie aber die Bälle im witzig-ironischen Pingpong-Spiel hin und her gehen, kann nicht eigentlich nacherzählt, sondern will Satz für Satz lesend genossen sein. Eine biographische und eine hochspekulative Materie treffen zusammen und was die Gewieften daraus zu machen wissen, zeigt den schlechterdings verblüffenden Standard, der da auch in der kommunikativen Prosa nach einem guten Jahrzehnt bereits erreicht ist. Wie verträgt es sich wohl, daß da einer an die Bande der Liebe gefesselt ist, seine Freiheit verloren hat und auf der anderen Seite doch zu einer wichtigen Reise zu rüsten sich anschickt. Die Paris-Mission im Auftrage Dohnas wird am Horizont erkennbar, und der Dichter nutzt die biographische Mitgift der Ekloge, um diesem bedeutenden Ereignis einen kolloquialen Reflex in seinem Schäfergedicht zu verschaffen. Lieben und Reisen, Leidenschaft und Freiheit, Vaterland und Fremde – nahezu unerschöpflicher Gesprächstoff birgt dieser fanfarenähnliche Aufruf moralphilosophisch wie anthropologisch gleich prominenter Stichworte. Wer aber gewahren und womöglich sich belehren lassen möchte, wie ein derart trockenes Material im Munde von Humanisten dieses Kalibers zu herzhaft erfrischender gelehrter Kost aufbereitet wird, der nehme sich die kleine Eingangsszene der Viere vor.
Schäferlich-gelehrte Referenz des Neuplatonismus Sie aber hat eine zweite Seite. Liebe ist geknüpft an Schönheit. Wie verhalten beide sich zueinander? Das ist eine eingehende Erörterung sehr wohl wert, und die Viere treten in sie ein. Was mag Opitz bewogen haben, ihr erklecklichen Raum zu widmen? Wie immer ist die literarische Tradition dafür verantwortlich. Im Schäferroman wie im heroischen Roman hat die geistreiche Unterredung, nicht selten unter Einbezug der Frauen, ihren festen Platz. Der Roman versteht sich geradezu über seine offene Form als eine diskursive Plattform kurrenter Themen. Opitz weiß darum und stattet nun auch seine Prosaekloge mit dieser erzählerischen Erbschaft aus. Der von ihm geschaffene schäferliche Typus bleibt das gegebene Medium für die Verhandlung ansprechender Themen, deren Radius naturgemäß unerschöpflich ist. Doch zugleich geht es auch an dieser Stelle um mehr. Nur schwer ist im nachhinein begreiflich zu machen, daß genau wie in der Gegenwart so auch in der Vergan-
Auftritt der Nymphe
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genheit bestimmte Themen Konjunktur besaßen. Und wer sollte dafür nicht ein ausgeprägteres Gespür haben als die unentwegt lesend, hörend, kommunizierend auf dem Wege befindlichen Humanisten? Die Themen Liebe und Schönheit waren schon ihrer philosophischen Herkunft nach geadelt. Noch nicht allzu lange war es her, daß über Entdecken von Texten und Berichten von Migranten Kenntnisse über die Platonische Philosophie und ihre neuplatonische Weiterbildung nach Italien gelangt waren. Das Florenz des Quattro- und Cinquecento war erfüllt von der Aneignung, Kommentierung und Weiterbildung insbesondere der neuplatonischen Gedanken, stießen sie doch an den Höfen auf großes Interesse und gewannen prägenden Einfluß auf eine standesgemäße Kultur. Die Humanisten betätigten sich als vielgefragte Dolmetscher in diesem faszinierenden geistigen Transfer. Auch Opitz stellte unter Beweis, daß seine Stimme in Deutschland nicht fehlen sollte. Doch noch einmal ging es textintern und damit funktional zugleich um mehr. Das Thema Liebe war den Feinden der neuen Poesie ein willkommener Anlaß, ihrer Entrüstung Luft zu verschaffen. Opitz brachte den poetischen Diskurs mit dem philosophischen in Kontakt und entwand so mit seinen Vorgängern den Eiferern ihre ohnehin wenig attraktiven Waffen. Indem er die Schönheit urplatonisch in einem schönen Inneren und damit auf Vernunft und Wahrheit gegründet sah, erfuhr auch die Poesie ein unerschütterliches Fundament. Poesie und Philosophie koinzidierten in einem Gemeinsamen, das als ein Metaphysisches zugleich anschlußfähig blieb an die Theologie. Dem Erstling in der Gattung Prosaekloge, der ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹, war es vorbehalten, davon im heiteren semipastoralen Gespräch zu künden.
Auftritt der Nymphe Über Seiten erstreckt sich das Gespräch. Eine Fülle von Themen und Motiven klingt an. Doch dann ist genug des ohnehin nicht zu Erschöpfenden hin und her gewendet worden. Opitz hat seiner Schöpfung einen mächtigen kolloquialen Eingang verliehen. Dieser diskursive Zug sollte sich aus der Prosaekloge nicht wieder verlieren. Nun aber erscheint an der Quelle eines Bächleins, wohin man spazierend gelangt ist, unversehens eine Nymphe. Die Mitte des Werkes ist erreicht. Das zentrale Blatt der kleinen Erzählung wird aufgeschlagen. Wir waren fast an den wurtzeln des schneegebirges/ als wir einer Nimfe/ die an einer frischen grotte oder höle auff den lincken arm gelehnet lag/ gewahr worden/ welche mitt einem subtilen durch scheinenden schleyer bekleidet war/ die haare/ so mitt einem grünen krantze geziehret/ auff eine frembde art auffgebunden hatte/ vnd vnter der rechten handt ein geschirr von dem weißesten marmor hielte/ darauß das quell des bächleins geronnen kam. Wiewol wir nun über dem plötzlichen anschawen nicht allein erschracken/ sondern auch im zweiffel stunden/ ob wir stehen solten oder lauffen/ fieng doch die schöneste creatur/ oder viel mehr göttinn/ mitt anmutiger stimme also an zue singen[.]24
Wir halten einen Moment inne, bevor wir den Gesang der Nymphe vernehmen. Seit Boccaccio in der neueren Zeit mit seiner ›Ninfale fiesolano‹ und seinem ›Ameto‹ Er––––––––– 24
Ebenda, S. 24 bzw. S. 533.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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zählungen geschaffen hatte, in denen Nymphen in verschiedensten Rollen agieren, hatte insbesondere der Schäferroman – vermittelt über Sannazaros ›Arcadia‹ – immer wieder Gebrauch von diesem motivischen Angebot gemacht, war es doch geeignet, die Welt der Hirten mit der der Nymphen zu verbinden und zugleich eine neue erzählerische Ebene zu eröffnen. Nymphen stehen an Eingängen zu Grotten und Höhlen und geleiten staunende Hirten zu den architektonischen Aufbauten mit den zu preisenden Personen und Geschlechtern. Sie sind die Dolmetscherinnen von Geschichte und die Wahrerinnen von Erinnerung. An ihre Präsenz und ihre Verhaftung an die jeweilige Örtlichkeit knüpft sich die panegyrische wie die memoriale Mission der Bukolik. Das Motiv war angelegt bereits bei Vergil und entfaltete sich geradezu spektakulär in der erzählenden europäischen Schäferdichtung. Opitz blieb es vorbehalten, die Figur der Nymphe der deutschsprachigen humanistischen Schäferdichtung zuzuführen. Und das in einer Manier, die sogleich verstehen läßt, warum sie einen ungeahnten Siegeszug in ihr antrat. Wenn die ›Hirten‹ alsbald erschrecken, ist dies ein Signal, daß Ungewöhnliches sich zutragen wird. So ist auch um diese Nymphe etwas Besonderes. Und das beginnt bei ihrer Erscheinung. An »einer frischen grotte oder höle auff den lincken arm gelehnet« trifft man auf sie. Am Eingang zu einer unterirdischen Region präsentiert sie sich. Ihr Platz ist am Wasser. Und so wie das Bächlein seinen Ursprung im nahen Gebirge hat, so ist die Nymphe vertraut mit Grotten und Höhlen. Den Hirten zeigt sie sich an einem schönen Ort bei hellem Licht. Ihre Bestimmung aber ist es, diese mitzunehmen in einen Bezirk unter Tage. Als Geschöpf zweier Welten agiert sie. Und für den Kundigen verweist ihre Erscheinung darauf bereits. Mit einem ›subtilen durch scheinenden schleyer‹ ist sie angetan. Er umspielt ihre Gestalt, hüllt sie ein und gibt doch zugleich den Blick auf sie frei. Ihre Haare sind mit ›einem grünen krantze geziehret‹. Der aber ist kein gewöhnlicher, vielmehr ist er ›auff eine frembde art auffgebunden‹. Das Bächlein aber, an dem sie weilt, hat keine natürliche Quelle, die zu suchen die Hirten doch aufgebrochen sind. Aus ›dem weißesten marmor‹ kommt es geronnen.25 Dieses Wasser hat so wenig einen gewöhnlichen Ursprung wie eine gewöhnliche Qualität. Es ist etwas Geheimnisvolles um diese Nymphe und um das Wasser, bei dem sie residiert. Doch sie tut den Hirten den Gefallen, sich vorzustellen. Und das in einem Lied. Sie weiß um den schäferlichen Ton und also birgt wie ihre Erscheinung so auch ihr Gesang ein Geheimnis. Jhr hirten/ die jhr kompt zue schawen Die quelle/ diese berg’ vndt awen/ Jhr hirten/ lauffet nicht vor mir/ Jch bin des ortes Nimfe hier. Der Zacken den jhr mich seht gießen/ Der minste von den kleinen flüßen/ Führt oben silber klare flut/ Sein reiner sandt tregt goldt vndt guet. Warumb sich freundt vndt feinde neiden/ Darbey könnt jhr die schaffe weiden. Wer goldt zue waschen erst gelehrt/
––––––––– 25
Die vorgelegten Zitate ebenda.
Poetisches Fluidum
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Hatt ja die menschen hoch versehrt! Die götter lieben solche sinnen/ Die güldinn’ einfalt lieben können; So kompt/ jhr hirten/ schawet an/ Was ich/ vndt kein mensch zeigen kan.26
Poetisches Fluidum Vor dieser Nymphe brauchen die Hirten nicht fortzulaufen, verkörpert sie doch, was jene immer schon praktizieren. Am unscheinbarsten der Gewässer residiert sie. Das Bächlein ist benannt und lokalisiert, es fließt tatsächlich unterhalb des Riesengebirges. Aber es paßt eben auch in die Hirtenlandschaft, in der alles auf den – vorgeblich – niederen Ton gestimmt ist. Mit diesem Wässerlein hat es wiederum sein Besonderes. Eine ›silber klare flut‹ zeichnet es aus sowie ein reiner Sand, welcher ›goldt vndt guet‹ trägt. Wonach alle Welt begehrt, ist hier den Hirten zuhanden, ohne daß sie sich des weiteren darum bekümmern würden. Ihnen reicht es, ihre Schafe daselbst zu weiden. Mit dem Gold sind Neid und Zwietracht in die Welt gekommen. Es hat ›die menschen hoch versehrt‹. Die Hirten wissen nichts von diesen Unbilden, das die Geschicke der Menschen von Beginn an begleitet. Sie sind ihnen enthoben, sind Lieblinge der Götter, und das ob ihrer ›güldinn’ einfalt‹. Ihr Wesen ist sprachlich nur in arguten Oxymora zu fassen. Einfältig sind sie und nicht beherrscht von jenen Trieben und Begierden, die die Menschen umtreiben, seit sie in die Geschichte eintraten. Ihr urzeitliches Wesen, das sie sich bewahrt haben, ist im Bund mit einem Gold anderer Art. Im Angesicht der Nymphe und beschützt von ihr wirken sie jenes Unvergängliche, den Zeiten Enthobene, welches die Nymphe repräsentiert: Poesie.
Grotten-Magie und der Boberschwan Nicht nur der Hirtengott Pan löst bei seinem Erscheinen Erschrecken aus, auch die Nymphe ruft die nämliche Reaktion hervor. Doch währt es hier wie dort nur geraume Frist, bevor die Hirten in dem Halbgott und der göttlichen Nymphe ihr anderes Selbst im Zeichen der Musen entdecken. Dem Ich-Erzähler wird die Ehre zuteil, von der Nymphe ›mit höfflicher demut‹ an die Hand genommen zu werden. In die Rolle der Musagetin schlüpft sie und alsbald stehen die Hirten mit ihrer Führerin – wie so viele Hirten vor ihnen – am Eingang einer Höhle. Seit Theokrit ertönt Schäfer- und Hirtengesang im Schatten von Bäumen und Grotten. In der auf Panegyrik umgepolten Bukolik werden daraus nicht selten stupende architektonische Wunder. Der Nymphe sind magische Vermögen eigen. Ihr Element, das metaphorisch-poetische Wasser, bäumt sich vor ihr wie ein Berg auf, sie gebietet über es, so daß die Hirten trockenen Fußes die ›kühle grotte‹ betreten können. ––––––––– 26
Ebenda, S. 24 f. bzw. S. 533 f.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Sie sind am Quellpunkt, einer ›springkammer der flüße‹ angekommen, die Gefilde und Städte mit dem lebenswichtigen Naß in seiner gedoppelten Natur versorgen. Unter ihnen befindet sich auch der Zacken, an dem entlang sie gewandert sind und der sich alsbald mit anderen Flüssen vereinigen wird. Auch den Ursprung des ›fischreichen klaren Bobers‹ schauen die Hirten – Huldigung Opitzens wie Nüßlers über eine heimatliche und gleichermaßen liquide wie fertile Reminiszenz. Sind es Flüsse und ihre Gottheiten in der antiken Mythologie, die die Wohnstätten der Menschen adeln, so kommen hier andere Gaben ins Spiel. Dieser Fluß führt mehr mit sich als ein reiches Fischaufkommen. Das ›Vaterlandt‹ des Ich-Sprechers ist ausdrücklich auch den Nymphen lieb. Viele Orte hat der Bober berührt auf seinem Weg. An der Grenze Schlesiens ›einantwortet‹ er seinen Strom und seinen Namen der Oder, ›dem haupte vndt regentinn der Schlesischen flüße‹ – und die, so dürfen wir ergänzen, trägt den Namen des ›Boberschwans‹ weit über Schlesien hinaus. Auch in Parchwitz, Nebenresidenz der Piasten, hat Opitz gerne geweilt, und so berichtet denn die Nymphe, daß die ›goldtführende wilde Katzbach‹ unweit des Örtchens gleichfalls in der Oder mündet – Dichter-Huldigung über die Wege der Flüsse als Wiegen der Musen. Durch ein ›weißes thor/ welches vns von marmorstein zue sein bedünckte‹, betritt man einen Raum, der ›für mannes augen zwar sonst verschlossen ist‹, den Hirten aber dank ihrer Begleiterin zugänglich wird. »Jn diesem Erdengemache pflege ich sampt meinen schwestern der Thalien/ Arethusen/ Cydippen/ Opis vndt den andern die zeit zue vertreiben.« Nicht nur mit den Musen im Bunde ist sie, sondern selbst eine von ihnen. So sind die Hirten bei ihr und ihren ›Schwestern‹ in guter, weil wahlverwandter Gesellschaft. »Diese anmutige höle war nach art der alten tempel zirckelrundt/ vndt in zimlicher höhe.« So hatte es auch bei Sannazaro geheißen. Der benötigte antike Requisiten für seine poetische Vergegenwärtigung Arkadiens. Sein Nachfolger hat Höheres im Sinn. Gefrorene Kristallsäulen erheben sich da unten und reichen von der grünen Erde bis hinauf an die Decke. Mit ihrem ›durchsichtigen glantze‹ erleuchten sie ›das gantze zimmer‹. Eine Kunstkammer im wörtlichen Sinne des Wortes haben die Hirten betreten. Das natürliche Sonnenlicht ist fern, nur die durchsichtigen Säulen spenden ›mitt jhrem durchsichtigen glantze‹ Licht.27 Wir verzichten darauf, mit den Hirten uns in der Höhle umzutun. Allzu viel wäre zu beschauen und zu bedenken. Das ist an anderer Stelle geschehen. Mythologie und Geschichte spielen gleich nachhaltig ins Tableau hinein. Am Ende sind es die Helden des Vaterlandes, die da Revue passieren, und als deren letzter erscheint der Adressat. Die innere Mitte der Prosaekloge ist erreicht. Und das über einen Szenenwechsel.
Aus dem Mythos in den Raum der Geschichte Noch ist die unterirdische Wanderung nicht beendet. Nach der von Göttern und Halbgöttern bevölkerten Welt wird die der Menschen betreten. Von der Erschaffung der ––––––––– 27
Die Zitate ebenda, S. 25 f. bzw. S. 534 f.
Aus dem Mythos in den Raum der Geschichte
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Welt bis in die Gegenwart und das Geschehen in der Heimat erstreckt sie sich. Die Präsentation erfolgt wohl abgestuft und derart, daß nichts verloren und preisgegeben wird, was menschlichem Sinnen und Denken bislang entsprungen ist. In dieser unterirdischen Kunstkammer ist alles bewahrt, was zu erinnern dem Menschen geziemt. Wie keinem anderen Medium ist es der Zeiten und Räume verbindenden Poesie vorbehalten, dieser Bestimmung des Menschen zu genügen. Wieder aber sind es die antiken Kronzeugen bis zu dem ›sinnreichesten vnter allen Poeten‹, Ovid, die aufgerufen werden, nicht die jüdischen und christlichen. Diese submontanen Gefilde sind dem heidnischen Altertum vorbehalten.28 Dann jedoch zu Ende der Wanderung erfolgt ein Wechsel der Szenerie, wird der Mythos überführt in Geschichte. Und das – perspektivisch verkürzt – im Brennspiegel des Hauses, dessen gegenwärtigem Repräsentanten das Werk zugeeignet ist. Hercinie waltet weiterhin ihres Amtes. Eine Landtafel ist da unten angebracht, darinnen vnterschiedene berge/ schlößer/ flüße vndt felder zue sehen waren. Dieses/ sagte sie/ ist die gelegenheit hiesiger orte/ deren größestes theil von langer zeit her die edelen Schaffgotschen/ weßen geschlechtes verlauff jhr in folgenden gemelden vndt schrifften biß auff jetzigen werthen helden vernemen sollet/ beherrschen. Jhr vhraltes geblüte/ jhre tugendt/ jhre löbliche thaten/ vndt sonderlich die stille rhue/ welcher wir vnter jhnen als gleichsam schutzgöttern bißanhero genoßen/ hatt verdienet/ jhnen bey vns allhier diß gedächtniß auff zue richten.29
Die Nymphe hat Hirten vor sich, die »zue nachsuchung der alten zeiten sonderliche lust tragen«.30 Das haben sie auf dem weiten Feld der Antike bewiesen. So darf die Nymphe gewiß sein, auch für die heimatliche Geschichte auf ihr geneigtes Ohr zu treffen. Denn in der Tat hebt sie nun an zu einem respektablen historischen Exkurs, wie er eben in der Prosaekloge möglich ist. Erstaunlich bewandert zeigt sie sich in der Frühgeschichte. Jüngstes, von den humanistisch gebildeten Historikern und speziell den Schlesienkundlern erarbeitetes Wissen ist ihr präsent und wird den Hirten dargeboten. Genuin humanistisch ist auch das Bestreben, des deutschen Elements in der historischen Retrospektive sich versichert zu halten und dieses zu akzentuieren. Ursprünglich waren das hiesige ›hohe risengefilde‹, der ›flintzberg‹ und das ›schneegebirge‹ von Deutschen besiedelt. Die Waldungen wurden von ihnen »zueweilen der Hartz oder Hercinische waldt/ darvon ich heiße/ zueweilen das Sudeten oder Sudöden gebirge« genannt. Und das solange, »biß die Sarmatischen Winden (nicht die Wandalischen Völcker) jhre Vistul oder Weixel überschritten/ vndt sich dieser vndt anderer lande bemächtigt haben.« Gleichwohl wurde das deutsche Wesen nicht restlos getilgt. Die Sprache bezeugt dies. Und zu ersehen ist es speziell daran, daß der name Bömen/ welcher allbereit vor anderthalb tausendt jharen vndt viel zeiten vor der Winden einfall berhümbt gewesen/ noch heutiges tages nicht verloschen ist; wie dann auch ein theil dieser berge die Alpe oder Elbe vndt dergleichen/ bey jhren altern wörtern biß anjetzo verblieben sindt.31
––––––––– 28 29 30 31
Ebenda, S. 30 bzw. S. 540. Ebenda, S. 31 bzw. S. 540. Ebenda. Ebenda, S. 31 bzw. S. 540 f.
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Über all das wüßte man entschieden mehr und Genaueres, wenn ewere Deutschen mit solchem fleiße denckwürdige große thaten auffschreiben/ als verrichten können/ oder die blutigen kriege für etzlichen hundert jharen mitt den leuten nicht auch zuegleich das gedächtniß derselbten vndt alle geschickligkeit außgerottet
hätten.32 So wird aus dem Munde Hercinies ein urhumanistisches Anliegen laut. Taten verlangen nach den Schriftkundigen, die sie im Wort festhalten und derart spätere Generationen mit ihnen bekannt machen. Mit allem denkbaren Einsatz ist der vernichtenden Gewalt des Krieges zu widerstreiten, denn nicht nur Menschen reißt er dahin, sondern auch Zeugnisse der Vergangenheit und mit ihnen diejenigen, die zu ihrer Pflege bestellt sind. Es ist bekannt, mit welchem Eifer Opitz selbst sich der Sammlung von Inschriften und vergleichbaren Trägern der Überlieferung gewidmet hat. In seiner Schäferei ist ein Reflex davon gegenwärtig. Das Geschäft der Schäfer wird es bleiben, allem Denkwürdigen, das in ihrer Region sich ereignet hat und wie auch immer zumeist mündlich tradiert wurde, in ihre Obhut zu nehmen und dem dauerhaften, auf Schrift gegründeten Gedenken zuzuführen.
Das edle Geschlecht der Schoffen Und was für Ereignisse gilt, gilt selbstverständlich und vorzugsweise für Personen und deren Stellung in der Folge der Geschlechter. So treten nun die Schaffgotsch hervor.33 Wäre die Überlieferung nicht so fragmentiert, ––––––––– 32 33
Ebenda, S. 31 f. bzw. S. 541. Die beste und informativste Bibliographie des Geschlechts der von Schaffgotsch stammt von Heinrich Nentwig: Schaffgotschiana in der Reichsgräflich Schaffgotsch’schen Majoratsbibliothek zu Warmbrunn.- Leipzig: Harrassowitz 1899. Hier speziell auf S. 23–29 über Hans Ulrich von Schaffgotsch. Des weiteren stets heranzuziehen die (in der Germanistik erstaunlicherweise gar nicht beachteten) Schlesien-Bibliographien von Johann George Thomas: Handbuch der Literaturgeschichte von Schlesien. Eine gekrönte Preisschrift.- Hirschberg: Krahn 1824 (hier über Hans Ulrich von Schaffgotsch S. 118 f.) sowie Heinrich Nentwig: Silesiaca in der Reichsgräflich Schaffgotsch’schen Majoratsbibliothek zu Warmbrunn.- Leipzig: Harrassowitz l900–l902. Weitere Literatur bei Otto Gundlach: Bibliotheca familiarum nobilium. Repertorium gedruckter Familien-Geschichten und Familien-Nachrichten. Ein Handbuch für Sammler, genealogische Forscher und Bibliothekare. Band II. 3., vollst. umgearb., verb. und bedeutend verm. Aufl.- Neustrelitz: Gundlach 1897, S. 915 f. Von einer großangelegten repräsentativen dreibändigen ›Hausgeschichte und Diplomatarium der Reichs-Semperfreien und Grafen Schaffgotsch‹ in siebzehn (!) Teilen und einem Registerband ist offensichtlich nur der 900 Seiten umfassende zweite Teil des Bandes erschienen, der eine ›Besitzgeschichte‹ des Geschlechts bietet: Johannes Kaufmann: Die Erhaltung der Schaffgotschischen (!) Stammgüter durch Fideicommisse.- Bad Warmbrunn: Leipelt 1925. Des weiteren zur Familiengeschichte heranzuziehen neben den einschlägigen adelsgeschichtlichen, genealogischen und silesiographischen Standardwerken von Henel, Cunrad, Lucae, Sinapius etc.: Johannes Tralles: Mausoleum Schaff-Gotschianum.- Leipzig: Schürer 1621 (Ex. NLB Hannover G-A 2155). Wiederabgedruckt in: Theodor Krause: Miscellanea Gentis Schaffgotschianae, Oder Historisch=Genealogischer Bericht/ Von dem Uralten Geschlechte Derer Herren von Schaff= Gotschen.- Striegau: Weber 1715, S. 1–117 (hier auch u.a. S. 147–195 Christian Gryphius’ ›Hoch= Gräffliches Schaff=Gotschisches Ehren=Mahl‹). Der Schaffgotsch-Artikel bei Zedler (XXXIV
Auftritt der Parzen
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so köndte der edelen Schoffe (dann also worden sie vormals genennet) werther name/ vndt die tapfferkeit welche sie zue beschützung des vaterlandes angewendet/ euch mehr vor augen gestellet werden: bey vns haben wir jhren rhum allein von der zeit auffgemercket/ seidt vnsere bäche vnter jhrem schirme ruhig gefloßen/ vndt sie besitzer der orte/ die zum theile hier entworffen stehen/ gewesen sindt.34
Es bedurfte des Endes der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Vorzeit und der definitiven Siedelung vor Ort, damit sich auch die Überlieferung des Geschlechts festigte und Konsistenz in seine Geschicke und damit die Abfolge ihrer Repräsentanten einkehrte. Daß dem Historiographen genügend diesbezügliche Dokumente verfügbar sind, beweist der Vortrag der Nymphe, den wir an dieser Stelle nicht rekapitulieren wollen. Sie entledigt sich ihres Geschäfts souverän, inspiriert nicht zuletzt durch kluge Einwürfe und Fragen ihrer Zuhörer, die sich derart gleichfalls als Experten erweisen. Der gegenwärtige Inhaber der Herrschaft fand sich über die ihm gewidmete Schäferei ausgestattet mit einer ausgezeichneten Würdigung seiner Vorgänger und der an ihren Namen haftenden Taten und bemerkenswerten Begebnisse.
Auftritt der Parzen Dann tritt die Poesie in ihre Rechte ein. In ihr ist gleichfalls geborgen, was in zumeist mündlichem Umlauf war und nun, überführt in Verse, den Zeiten strotzen sollte. So schreiten die Hirten immer noch an der Seite der Nymphe Verse lesend voran, die ihre Existenz eben ihnen selbst verdanken. Die Prosaekloge steht im Begriff, sich zu einem Erinnerungsbuch eigener Art zu entwickeln und die Poesie hat daran ihren fortan unverzichtbaren Anteil. Es sind jeweils vierzeilige Alexandriner, die verlauten. Am Schluß tritt Hans Ulrich hervor. Für seine Huldigung muß Besonderes ersonnen werden. Sie bedarf der Einfassung in ein Medium, das seinerseits Träger eines weiteren wird. Und damit nicht genug, gibt auch die Nymphe ihre Rolle für eine Weile ab. Die Parzen treten als singende Wesen hervor. Derart verschachtelt erfolgt eine Hommage, hinter der die Hirten zurücktreten. Der Autor in seiner Rolle als Ich-Erzähler scheint geneigt, keinerlei Wesens von sich zu machen. Doch dieser Anschein trügt wie immer. Er weiß sich in einer Weise ins Spiel zu bringen, die Autoren wie Fleming oder Dach niemals gewählt hätten. Dieser Habitus gehört zur intendierten Gründerrolle. Genug, wenn wir dem Autor auf die Schliche kommen. Schließlich gehört mehr als Routine auf beiden Seiten zu dem Spiel. Und bei einem solchen soll es bleiben. –––––––––
34
(1742), Sp. 785–800) ist übernommen aus Johann Franz Buddeus und Jakob Christoph Iselin: Allgemeines Historisches Lexicon. Band IV. Leipzig: Fritschens Erben 1732. 3. Aufl., S. 330– 333. Schließlich (meist genealogisch) Rudolph Stillfried: Stammtafel und Beiträge zur älteren Geschichte der Grafen Schaffgotsch.- Berlin: Decker 1860. Wiederabgedruckt in: ders.: Beiträge zur Geschichte des schlesischen Adels.- Berlin: Decker 1864 (mit gesonderter Paginierung); HansJürgen von Witzendorff-Rehdinger: Die Schaffgotsch. Eine genealogische Studie.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich Wilhelm Universität 4 (1959), S. 104–123. Das Zitat in den beiden Anm. 17 zitierten Ausgaben S. 32 bzw. S. 541.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Den Parzen ist es überantwortet, den künftigen Lebensweg des Gepriesenen in Worte zu fassen. Ihre Verse alleine tun es nicht. Sie bedürfen eines kunstvollen Rahmens. Der ist ob der verwendeten Gesteine und deren Verarbeitung überaus erlesen. Von Menschenhand kann so viel Schönheit nicht herrühren. Eine Arbeitsteilung hat statt. Sind die Verse dem Poeten schon entzogen, so soll sich sein Genius doch zumindest im Beiwerk spiegeln. Der ist von dem Poeten auf den Bildner des Gesteins übergegangen. So mag diesem stellvertretend ein überschwengliches Lob entgegengebracht werden, das in Wahrheit einer Person aus der Zunft der Poeten gilt. Das folgende, 208 Alexandriner umfassende Gedicht mit der Weissagung der Parzen ist eines der großen Eingebungen Opitzens. Es durfte nicht ohne einen hintergründigen Zusatz hinausgehen in die Welt.
Parzenlied Brich an/ du schöner tag/ vndt komm/ du edles kindt/ Dem götter/ vndt das hauß der götter günstig sindt/ Der himmel/ vndt auch wir. wir haben zwar gewunden Ein garn/ ein weißes garn zue seines lebens stunden; Wo ist die farbe hin? die faden werden goldt. Brich an tag/ komm o kindt! die götter sindt dir holdt/ Jhr himmel/ vndt wir auch: sie wollen dich begaben/ Dir schencken diß was viel wol wündtschen/ wenig haben, Mars seinen großen muth/ vndt Jupiter verstandt.35
So weit das Prolegomenon. Die Farben des Lebensfadens sind verblichen. Es bedarf des poetischen Goldes und über das verfügen nicht die Parzen, sondern allein die Poeten. Kein Paratext, kein rahmendes Element, kein poetischer Eingang, dem nach dem Willen eben dieses Autors nicht die Züge des Produzenten eingeschrieben wären. Er wußte, wer er war und was er konnte. Auch sein Parzenlied legt beredtes Zeugnis ab. Poetisch verschlüsselt gewährt es einen Blick in die Vita des Hans Ulrich von Schaffgotsch. Wir überspringen viele Zeilen und blicken herüber zu den Schlußpassagen. Die Krise spitzt sich unaufhaltsam zu. In der Pfalz und in Böhmen werden die weitreichendsten politischen Vorkehrungen getroffen, und die politische Führung in Schlesien einschließlich eines Hans Ulrich von Schaffgotsch ist mannigfach involviert. Was wird davon im Text verlauten, wird überhaupt auf Pläne und Ereignisse angespielt werden, an denen auch ein Opitz nicht unbeteiligt war und die schließlich in einem Desaster endeten? Ein ›newer Hercules‹ muß her und seine Kraft erproben, dies freilich erst, nachdem er in der eigenen Herrschaft nach so langer Abwesenheit Sorgen und Nöte von den Untertanen genommen hat.36 In der Zukunft liegt im Parzenlied, was von Hoffnung erfüllte Gegenwart war und nunmehr von geschichtlicher Last erdrückte Vergangenheit. Der Reflex im Gedicht, die poetische Verarbeitung? Höchste Vorsicht und Umsicht ist angeraten. Und doch: Noch einmal werden Töne laut, die an die Pfälzer Zeit erinnern und die erneut erklin––––––––– 35 36
Verse 1–9, ebenda S. 37 f. bzw. S. 547 f. Vers 165, ebenda S. 42 bzw. S. 553.
Noch einmal: Greuel der Konfessionskrieg
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gen sollen, wenn dann das ›Trost-Gedichte in Widerwertigkeit deß Krieges‹ endlich den Weg zum Drucker und in die Öffentlichkeit findet. Eine Prophetie ruhigen friedvollen Daseins verlautet. Doch ihr voran geht eine Zeit härtester Anspannung. Dem Wechsel von vita activa und vita otiosa wird das Wort geredet. Keine Kunst der Parzen aber hätte hingereicht, das grausame Ende vorauszuahnen, das dem tapferen Helden schließlich beschieden sein sollte. man muß die arbeit mengen Mitt einer freyen lust/ vndt auch der rhue verhengen/ Wie selbst thut die Natur/ die nie stets winter macht/ Stets sommer/ oder lentz; stets regen/ oder nacht. [...] So wirdt der heldt auch thun nach dem er abgelegt Des Vaterlandes last/ für welches er soll streiten Mitt ritterlicher faust/ wann gar in kurtzen zeiten Auch diß ort/ welches jetzt der werthe friede ziehrt/ Auff krieg ohn alle schuldt wirdt werden angeführt. [...] er wirdt dem feinde weisen Wie schlechtes glücke hatt wer hunger/ glut vndt eisen Zue fremden leuten tregt/ vndt bringt ein armes landt Vmb freyheit/ recht vndt heil ohn vrsach vndt verstandt.37
Noch einmal: Greuel der Konfessionskrieg Unschuldig ist das Land, das da mit Krieg überzogen wird. Der Feind kommt von außen herein. Das entscheidende Signal ist unüberhörbar. Nicht nur Hunger, Feuer und Waffengewalt wird zu den ›Frembden‹ getragen. Schlimmer als dies ist es, daß da ein Land um ›freyheit/ recht vndt heil‹ gebracht wird.38 Hinüberspielt der poetische Gedanke in den Raum der Religion. Hier zählt die freie Entscheidung des Gewissens alles und ein jedes Zwangsmittel besitzt diabolischen Charakter. Ungezählte Male verlautet diese Lehre auch in Opitzens Werk. Läßt die aktuell politische Konstellation es zu, mag der Aggressor des Näheren identifiziert zu werden. In Schlesien haben die Katholiken sich unter Führung der Jesuiten an den Evangelischen versündigt. Ihr Treiben ist um 1629/30 auf dem Höhepunkt angelangt. Niemand konnte daher mißverstehen, wer an dieser Stelle gemeint war. Hans Ulrich hielt zu den Geknechteten, auch wenn er lange in kaiserliche Dienste zurückgekehrt war. Auch die ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ rückt für einen Augenblick ein in die große Tradition frühaufgeklärten publizistischen Kampfes gegen die Erzsünde der Zwangsbekehrung im Gefolge der verhängnisvollen Konfessionalisierung. Hier gab es für die Humanisten, hier gab es für den Humanisten Martin Opitz kein Einlenken und zumindest ein verdecktes, niemals aber ein halbherziges Wort. Um so verständlicher, daß zu Ende ein freundlicher Prospekt im Blick auf Familie, Geschlecht und Nachleben von den Parzen aufgemacht wird. ––––––––– 37 38
Verse 167–170, 174–178, 191–194, ebenda S. 43 bzw. S. 553 f. Verse 193 f, ebenda S. 43 bzw. S. 554.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Damitt er rhümlich auch mag nach dem tode leben/ So wirdt der himmel jhm viel edle zweige geben Durch einen werthen stamm/ den du/ o heldt Piast/ Mitt Zepter vndt gewalt so weit erhaben hast; Den eine göttin selbst zum himmel auffgeführet Mitt jhrer frömigkeit; den Henrich hoch geziehret Mitt blute für sein landt; dem seine grüne frucht Kein wetter dieser zeit/ vndt keiner jhare flucht Wirdt legen vnter sich. auch dieser heldt soll schawen Sich selbst in seiner art/ soll schöne pflantzen bawen Von aller tugendt ziehr/ die lust vndt fröligkeit Vndt rhum jhm machen wirdt die gantze lebenszeit. Genung; was sonst allhier ist vnverzeichnet blieben/ Das ist mitt golde doch in vnser buch geschrieben.39
Das goldene Buch der Parzen Unversehens erscheint Hans Ulrich versetzt unter das vornehmste Geschlecht Schlesiens, das der Piasten. Und das dank der Heirat mit der Tochter Joachim Friedrichs von Liegnitz und Brieg und Schwester Johann Christians und Georg Rufolfs namens Barbara Agnes, die auch in dem Opitzschen Werk präsent ist, wie sogleich zu zeigen. Dieser verwandtschaftlich-genealogische Brückenschlag ist vonnöten, um mit mächtigen Akkorden zu schließen. Denn nun kann angeknüpft werden an die ruhmvolle Vergangenheit der Piasten. Sie gründet sich auf die ›frömigkeit‹ der Heiligen Hedwig sowie die Taten Heinrichs II., der in der sagenhaften Schlacht gegen die Mongolen bei Liegnitz im Jahre 1241 fiel. In diese bis in die Gegenwart fortzeugende Vergangenheit eingerückt zu werden, bedeutet höchste Ehre, zugleich aber auch höchste Verpflichtung. Kein Zweifel, daß der Geehrte ihr gerecht werden würde. Auch ihm war ein reicher Kindersegen beschert; vier Kinder gebar ihm Barbara Agnes. Das Fortleben des Geschlechts schien gesichert. Niemand hätte voraussagen können, daß diesem Heros nur noch fünf Lebensjahre vergönnt waren und das Geschlecht der Piasten vierzig Jahre nach seinem Tod mit dem Abscheiden des früh verstorbenen Herzogs Georg Wilhelm von Liegnitz und Brieg an ein definitives Ende gelangen sollte. So blieben schließlich nur die in Gold gewirkten Verse, denen auch in Opitzens Parzenlied das letzte Wort gehört.
Zauberwesen, herrschaftliche Topographie und das Trauma Politik Zu einem überreich mit Stoffen, Themen und Liedern ausgestattetem Werk ist die Prosaekloge unversehens unter Opitzens Händen geraten. Ein großes anschließendes Kapitel ist den Quellen und Berggöttern, darunter Rübezahl, und ist den Hexen und Zauberinnen im Umkreis des Riesengebirges gewidmet. Und das natürlich eingefaßt in lebhafte Erörterungen der ›Hirten‹, die sich als aufgeklärte Humanisten über Vol––––––––– 39
Verse 195–208, ebenda S. 43 f. bzw. S. 554 f.
Abschied im Zeichen der Poesie
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kes Weisheit und abergläubisches Gebaren zu erheben wissen. Ein Theokritsches Erbe, vielfach vermittelt über die europäische Tradition, wird da belebt, und das Schäfergedicht in der Obhut der Gelehrten ist der gegebene Ort, dem bunten Treiben das rechte Licht aufzusetzen. Geziemender Umgang mit den dunklen Zonen des menschlichen Geschlechts wird ein Thema in der Prosaekloge bleiben. Und schaut man herüber zu dem großen Dichter und Mediziner Johann Helwig in Nürnberg und seiner ›Nymphe Noris‹, so ist sogleich deutlich, welche zur Aufklärung geleitenden Potenzen sich auch in diesem Themenkomplex verbargen.40 Wir müssen diese gewichtigen Passagen ebenso außen vor lassen wie den gemeinsamen Spaziergang der Viere durch die Gefilde Warmbrunns mit den heißen Quellen und mancherlei Wunder der Natur. Die Landschaft ist durchsetzt von herrschaftlichen Insignien der Schaffgotschs und die Hirten wissen sich kaum genug zu tun in ihrer Entzifferung und Auslegung – Regenten-Panegyrik ex loco. Die ›Hirten‹ aber bewegen sich hart an der böhmischen Grenze. Von Böhmen nahm das Feuer seinen Ausgang. Wie viel Hoffnung aber verband sich mit dem Aufbruch aus der Pfalz. Wie viel Leid brachte die Katastrophe mit sich. Im Reden und vor allem im Dichten ist das schicksalsschwere Geschehen auch in der ›Hercinie‹ noch einmal gegenwärtig. Kaum eine Prosaekloge von Rang, in der nicht der Politik ihr Tribut gezollt würde.
Abschied im Zeichen der Poesie Wir aber sind gehalten, zum Ende zu kommen. Den Beschluß macht die Betrachtung des neuen Gebäudes, das der Freiherr bei den Quellen zu Warmbrunn hat aufführen lassen. Bewunderung gilt vor allem dem Quell in der Mitte, der »im auffschießen viel kleine blasen empor warff/ an der farbe aber helle/ durchscheinendt vndt auff art eines weißen saffirs etwas bläwlicht an zue schawen war.«41 So ist man wieder angelangt bei dem Thema, das leitmotivisch das Werk durchzieht. Den einheimischen Nymphen und Musen und nebst ihnen dem Besitzer dieser poesiegeschwängerten Region sollen die letzten Verse gelten. Noch einmal ist Poesie Gegenstand der Poesie. Nüßler, Buchner und Venator tragen jeweils ein Sonett vor; Opitz, nun ausnahmsweise namentlich genannt, beläßt es bei einem Lied. Die kleine Sequenz ist wohlabgestimmt. ––––––––– 40
41
Es darf auf das große Helwig-Kapitel in dem in Anm. 12 aufgeführten zweiten Band des Arkadienwerkes des Verfassers verwiesen werden. Vgl. auch Klaus Garber: Stadt und Literatur im alten deutschen Sprachraum. Umrisse der Forschung – Regionale Literaturgeschichte und kommunale Ikonographie – Nürnberg als Paradigma.- In: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1998 (Frühe Neuzeit; 39), Band I, S. 3–89. Eingegangen in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit (Anm. 13), S. 183–261. Hier S. 47–89 bzw. S. 222–261 das Kapitel: Ein Paradigma aus dem Nürnberger Raum: Johan Helwigs ›Nymphe Noris‹. Vgl. auch das Kapitel: Return to the Urban Community: Johan Hellwig’s ›Die Nymphe Noris’‹ in dem oben Anm 14 zitierten englischsprachigen Abhandlung des Verfassers. In beiden auch der Verweis auf die grundlegenden Arbeiten von Max Reinhart in Gestalt einer Helwig gewidmeten Edition, Bibliographie und den begleitenden zahlreichen Arbeiten Reinharts. Das Zitat in den beiden oben Anm. 17 zitierten Ausgaben, S. 63 bzw. S. 575.
XV. ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹
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Nüßler besingt das neue Haus, das da zu Ehren der Najaden errichtet wurde. Natur und Kunst gehen ein einträchtiges Bündnis ein. Und das dank der Initiative des ›Helden‹, dem dieser Ort zugehörig ist. Seinen Namen mehrt er durch große Taten. Doch nicht nur das; die Notdurft des Leibes und die Hege des Lebens der Menschen hat er gleichfalls im Auge. Und dann die schöne Sentenz in Gestalt eines einprägsamen Zweizeilers: Fragt jhr/ warumb er es nach tempelsart gebawet? Er meint gesundtheit sey der siechen leute Gott.42
Buchner folgt nach. Ihm ist eine ganz besondere Geste anvertraut. Die Gemahlin Hans Ulrichs, Barbara Agnes, besingt er. Ein Lob auf das mächtige Haus und Geschlecht der Piasten stände zu erwarten. Der hohe, den Helden angemessene Ton ist jedoch nach eigenem Eingeständnis nicht Buchners Sache; mein schiff bleibt an dem rande/ Vndt leßt sich kühnlich nicht in solche wellen ein.43
Aber auch der Fürstin gegenüber muß er sich bescheiden. Sie ist auf ihre Weise eine ›Heldin‹ und etwas davon teilt sich – der eigenen Skepsis ungeachtet – den Versen sehr wohl mit. Wann einer ferner auch die sitten/ den verstandt/ Die tugendt so du hast/ der edlen gaben pfandt Die dir der himmel schenckt/ der gantzen welt wil zeigen/ Muß höher gehn als ich/ wiewol Apollo mir Mit milden handen reicht die leyer meine ziehr/ Muß/ heldinn/ überauß wol singen oder schweigen.44
Der Anrede an den Fürsten und die Fürstin ist Genüge getan. Im Umkreis von Nymphen und Musen ist man gewandelt. Wie sollten sie nicht nochmals hervortreten? Nun besteht die poetische Herausforderung darin, den Preis der Göttinnen bzw. Halbgöttinnen mit dem des gegenwärtigen Repräsentanten der von Schaffgotsch zu vermitteln. Venator macht den Anfang. Die poetische Operation ist bemerkenswert. Die Musen nämlich, »derer geist auff vns Poeten schwebet«, ruft er ausdrücklich nicht an, sondern die Wassernymphen, die hier – und eben nicht am Helikon – zu Hause und damit dem Adressaten nahe sind. Ihm haben sie zu danken für die Verschönerung der Lokalität. Venus, ihr Sohn und alle Grazien werden sich mit vermehrter Freude nunmehr hier einstellen. Die Terzette gehören dann Hans Ulrich. Das ganze Vaterland ist sein Schuldner. »So muß das waßer auch von dir begabet werden.«45 Diesen Gewässern ist der Geist Hans Ulrichs eingebildet und die Hirten haben singend darauf die Probe gemacht. ––––––––– 42 43 44 45
Ebenda, S. 64 bzw. S. 576. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 64 f. bzw. S. 577.
Abschied im Zeichen der Poesie
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Doch damit ist noch nicht alles gesagt. Das letzte Wort hat Opitz sich vorbehalten. Dessen Sonderstellung wird auch versifikatorisch markiert. Was Venator vorenthalten war, nimmt der Verfasser der ›Hercinie‹ für sich in Anspruch. Nur er darf die ›klugen Pierinnen‹ anreden, und das gleich in der ersten Zeile. »Laßet vns ein liedt beginnen« lautet der Eingang.46 Eine schlichte Form wird gewählt. Was aber da verlautet, ist nicht nur Opitzsche, sondern humanistische poetische Kernsubstanz. ›Rittersachen‹ tragen den Namen des Gepriesenen in die Welt hinaus. Aber der ist klug genug zu wissen, daß es damit nicht getan ist. Die Nacht des Todes und des Vergessens würde auch ihm nicht erspart bleiben, gäbe es da nicht jenen Stand, der ein Remedium in der Hand hielte. Es ist der mit den Musen im Bunde stehende. Und so weiß der Dichter der Schäferei, in der – zumeist versteckt – so viel von den Musen und der Poesie die Rede war, am Schluß ein Loblied zu singen, das zugleich seinen Mithirten und mit ihnen allen der Poesie Zugetanen, nicht zuletzt aber ihm selbst gilt. Nur die Poesie widerstreitet der Zeit. Sie ist das Medium einer Zeiten und Räume umgreifenden Stiftung von Memoria. Daß es ein Hirtengedicht ist, dem diese Botschaft anvertraut wird, adelt es. Der urgeschichtliche poetische Stand ist ein geschöpflicher, und alles aus seinem Munde Verlautende begabt mit dem Versprechen der Zeitlosigkeit. Geschwisterlich künden Musen und Hirten von einem Jenseitigen, einer ›zweiten Welt‹, wie der Theoretiker der Idylle Jean Paul sagen wird, da die Schranken von Raum und Zeit gefallen sind. Deine blüte/ deine wercke/ Diese ritterliche stärcke Fühlet endtlich doch die zeit: Komm/ Heldt/ friste dir das leben/ Komm/ Thalia wirdt dir geben Einen krantz der ewigkeit.
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Das Opitzsche Schlußgedicht S. 65 f. bzw. S. 577 f.
XVI. In der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus Die Paris-Mission im Auftrag Dohnas Frankreich unter Richelieu Opitz betritt den Boden Frankreichs in dem Jahr, das in der politischen Biographie seines leitenden Staatsmanns Kardinal Richelieu die vermutlich entscheidende Wende bezeichnet.1 ––––––––– 1
Der französische Späthumanismus ist der deutschen Barockforschung bisher unzureichend integriert; im folgenden daher in größerem Maße weiterführende Literaturangaben für hier im einzelnen nicht auszuführende Zusammenhänge. Zur folgenden knappen geschichtlichen Einführung in die Zeit Richelieus wurden herangezogen: Das biographische Standardwerk von französischer Seite von Gabriel Hanotaux: Histoire du Cardinal de Richelieu. Band I–II/2.- Paris: Firmin-Didot 1893–1896; Band III–VI unter Mitarbeit von August de La Force.- Paris: Société de l’Histoire Nationale, Librairie Plon [s.a.]. Besonders wichtig hier Band I, S. 159 ff.: ›Le royaume et la royauté en 1614‹, sowie Band II/2, S. 447 ff.: ›La genèse des idées politiques de Richelieu‹; die späteren Bände sind nicht mehr so konzentriert. Dazu von deutscher Seite Carl Jacob Burckhardts berühmte Monographie: Richelieu. [Band I:] Der Aufstieg zur Macht. 17. Auflage.- München: Callwey 1978; [Band II:] Behauptung der Macht und kalter Krieg. 2. Auflage.- München: Callwey 1966; [Band III:] Großmachtpolitik und Tod des Kardinals. 2. korrigierte Auflage.- München: Callwey 1966; [Band IV:] Nachwort, Anmerkungen, Literaturhinweise, Personenregister. 3. Auflage.München: Callwey 1980. Hier vor allem der frühe, bereits 1935 in einer ersten Auflage erschienene erste Band heranzuziehen. Die ersten zwanzig Jahre der Nachkriegs-Richelieu-Forschung sind hervorragend erfaßt durch William F. Church: Publications on Cardinal Richelieu since 1945. A Bibliographical Study.- In: The Journal of Modern History 37 (1965), S. 421–444. Einzelne Spezialbeiträge aus diesem Zeitraum sind weiter unten berücksichtigt. Von Church stammt auch die vielleicht am tiefsten eindringende und im folgenden vor allem berücksichtigte neuere Monographie: Richelieu and Reason of State.- Princeton, NJ: Princeton University Press 1972. Vgl. von Church auch: The Impact of Absolutism in France. National Experience Under Richelieu, Mazarin, and Louis XIV.- New York [etc.]: Wiley 1969 (Major Issues in History). Des weiteren aus dem englischen und amerikanischen Raum heranzuziehen: C[icely]. V. Wedgwood: Richelieu and the French Monarchy. New, revised Edition.- New York: Collier Books 1968 (Erstauflage 1949); D[aniel]. P[atrick]. O’Connell: Richelieu.- London: Weidenfeld & Nicolson 1968; G[eoffrey]. R.R. Treasure: Cardinal Richelieu and the Development of Absolutism.- London: Black 1972. Vgl. mit dem Schwerpunkt auf der Verfassungs- und Theoriegeschichte Richard Bonney: Political Change in France under Richelieu and Mazarin 1624–1661.- Oxford: Oxford University Press 1978. Dazu allgemeiner J[ohn]. H.M. Salmon: Society in Crisis. France in the Sixteenth Century.- London, Tonbridge: Benn 1975. Sehr knapp: Robin Briggs: Early Modern France. 1560–1715.- Oxford, London, New York: Oxford University Press 1977, S. 95–128. Als Sammelband mit einer Reihe einschlägiger marxistischer Arbeiten: France in Crisis 1620–1675.
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From 1624 to 1629, Richelieu’s major problems on the domestic front consisted of checkmating noble conspiracies and reducing the political power of the Huguenots. These two movements were distinct in themselves but were related and in many ways similar. Their major difference, of course, lay in the religious sphere and all that it implied, but beyond that the parallelisms are striking. Both owed their inception to nobles who, for all their mixed motives, were characterized by a common desire to force concessions from the crown. In this sense, the Huguenot rebellion (which was not supported by a large percentage of the French Calvinists) paralleled the aristocratic conspiracies. Furthermore, Richelieu’s reactions to both were remarkably similar. Although he willingly embarked upon hostilities against the Huguenots for the purpose of combating heresy, his major concern both in reducing La Rochelle and restricting the activities of the nobility was generally the same: to eliminate foci of resistance within the realm which hampered the expansion and exercise of state power and to demonstrate that all Frenchmen, Catholic and Huguenot, noble and commoner, must be docile and loyal subjects of the crown.2
Der entscheidende Schlag gegen die Hugenotten wird bekanntlich mit der Belagerung und Eroberung La Rochelles geführt, der sich die Aufrollung und Schleifung der Hugenotten-Sitze in Südfrankreich anschließt. Der Friede von Alais im Juni 1629 markiert die definitive politische Unterwerfung des französischen Protestantismus unter die Krongewalt und zugleich das Ende des über ein halbes Jahrhundert währenden Bürgerkrieges. Indem Richelieu – ungeachtet des erbarmungslosen Kampfes gegen die Truppen Rohans – die politische Paralysierung des Hugenottentums durch die Sicherung der freien konfessionellen Entfaltungsmöglichkeiten flankiert, stellt er sich in die Tradition der Ediktpolitik Heinrichs IV. Die Suprematie des Staates gegenüber den konfessionspolitischen Parteiungen wird weiter gefestigt. Erst Ludwig XIV. führt –––––––––
2
Selected, translated, and introduced by P[eter]. J. Coveney.- London, Basingstoke: Macmillan Press 1977. Von den jüngeren französischen Monographien: Georges Mongrédien: La journée des Dupes. 10 novembre 1630.- Paris: Gallimard 1961 (Trente journées qui ont fait la France; 14); Philippe Erlanger: Richelieu. Band I–III.- Paris: Perrin 1967–1970 (Présence de l’histoire). In deutscher Übersetzung unter dem Titel: Richelieu. Der Ehrgeizige. Der Revolutionär. Der Diktator.- Frankfurt/ Main: Societäts-Verlag 1975. Des weiteren: Richelieu.- Paris: Hachette 1972 (Collection génies et réalités); Louis Auchincloss: Richelieu.- London: Joseph 1972 (reichhaltig illustriert); Marc Pierret: Richelieu ou la déraison d’état. Essai. Préface de Georges Lapassade.- Paris: Fayard 1972 (Le lieu de la personne); Pierre Chevallier: Louis XIII. Roi cornélien.- Paris: Fayard 1979; Roland Mousnier: Paris capitale au temps de Richelieu et de Mazarin.- Paris: Pedone 1978. Von deutscher Seite – nach der wichtigen Arbeit von Dieter Albrecht: Richelieu, Gustav Adolf und das Reich.- München, Wien: Oldenbourg 1959 (Janus-Bücher; 15), und der unverändert wieder vorgelegten Monographie von Willy Andreas: Richelieu. 2., unveränd. Auflage.- Göttingen: Musterschmidt 1967 (Persönlichkeit und Geschichte; 11) (Erstauflage 1941) – Jörg Wollenberg: Richelieu. Staatsräson und Kircheninteresse. Zur Legitimation der Politik des Kardinalpremier.Bielefeld: Pfeffer 1977 (mit dem Akzent auf der Bibliothek des Kardinals); zuletzt: Uwe Schultz: Richelieu – der Kardinal des Königs. Eine Biographie.- München: Beck 2009. Wichtig von marxistischer Seite – neben der bekannten Arbeit von B[oris]. F. Porsnev: Die Volksaufstände in Frankreich vor der Fronde: 1623–1648.- Leipzig: VEB Bibliographisches Institut 1954, bzw. in französischer Fassung: Les soulèvements populaires en France de 1623 à 1648.- Paris 1963 (École pratique des hautes études. VIe section. Centre de recherches historiques. OEuvres étrangères; 4) – A[leksandra]. D. Lublinskaya: French Absolutism. The Crucial Phase 1620–1629. Translated by Brian Pearce. With a foreword by J.H. Elliott.- Cambridge: University Press 1968. Dazu selbstverständlich die hier nicht aufzuführenden internationalen Standardwerke zur französischen Geschichte. Church: Richelieu and Reason of State (Anm. 1), S. 175.
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dann jene verhängnisvolle Revision der bewährten und im damaligen Europa durchaus progressiven Politik relativer konfessioneller Toleranz und Neutralität herbei, die in der Aufhebung des Edikts von Nantes sowie der Vertreibung des französischen Hugenottentums gipfelt und letzten Endes die Legitimationskrise des Ancien régime im 18. Jahrhundert mitbewirkt. Ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluß erreicht die Auseinandersetzung der Krone mit dem opponierenden Hochadel in der spektakulären Vollstreckung des Todesurteils an Montmorency im Oktober des Jahres 1632. Das nochmalige letzte Aufbäumen der Fronde in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren unter Mazarin zeigt, daß Richelieu hier anders als in der Hugenottenfrage keine definitive Entscheidung herbeizuführen vermochte; klar vorgezeichnet ist sie jedoch in seiner Politik. Das Jahr 1630 nun gilt insofern zu Recht als Wende, als sich Richelieu am ›Tag der Düpierten‹ der so gut wie bedingungslosen Unterstützung Ludwig XIII. gegenüber der seit Jahren intrigierenden Königsmutter Maria von Medici, dem Königsbruder und Kronanwärter Gaston d’Orléans sowie deren gesamtem ultramontanem, spanienorientiertem Trabantensystem zu versichern weiß. Erst jetzt wird er frei zur Einleitung einer zielstrebigen Außenpolitik. Sie führt sogleich 1630 zur ersten offenen Konfrontation mit dem weltgeschichtlichen Rivalen Spanien anläßlich der Erbfolge in Mantua, in der Richelieu nicht nur gegen den Widerstand der Partei der Devoten, sondern auch gegen große Teile der kriegsmüden Bevölkerung den Anspruch Frankreichs unter größten Risiken und zeitweilig völlig vereinsamt kompromißlos und schließlich weitgehend erfolgreich behauptet. 1630 ist zugleich das Jahr einer besonders regen und intensiven französischen Diplomatie. Schon der schwedisch-polnische Waffenstillstand im Jahr zuvor kommt unter maßgeblicher französischer Vermittlung zustande. Das französische Interesse an ihm liegt auf der Hand. Erst jetzt werden die schwedischen Kräfte frei zum Einsatz gegen Frankreichs Widersacher Habsburg. Auf dem Regensburger Kurfürstentag beachten Richelieus Emissäre sodann geschickt die oberste Maxime der Deutschlandpolitik des Kardinals in den kommenden Jahren, »je nach Voraussetzung von Stunde und Ort, katholische, evangelische oder ständische Leidenschaft auszunutzen«, wo immer möglich zu vereinigen und gegen den stets neu suggerierten Hegemonieanspruch Habsburgs zu mobilisieren.3 Während sich Richelieu über seinen Mittelsmann Pater Joseph um den Aufbau einer interkonfessionellen Mittelpartei bemüht, an der Lutheraner, Calvinisten und Katholiken gleichermaßen partizipieren, treibt er damit zugleich ein von religiösen Bindungen sich emanzipierendes, ausschließlich an der politischen Konsolidierung Frankreichs orientiertes Moment seines Handelns hervor. Indem Richelieu aus Gründen der Staatsraison den konfessionellen Gedanken überhaupt zurückstellte und den politischen Interessen Frankreichs zuliebe den Katholizismus im Reich seinem Schicksal anheimgab, verlieh er seiner Entscheidung [für Schweden] über alle unmittelbaren Konsequenzen hinaus ein Moment von weltgeschichtlicher Bedeutung.4
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Burckhardt: Richelieu (Anm. 1), Band II, S. 252. Albrecht: Richelieu, Gustav Adolf und das Reich (Anm. 1), S. 85.
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Opitz ›auf diesem politischen Schauplatze‹ So gesehen erfolgt die Reise Opitzens in die französische Hauptstadt in einem Jahr weitreichendster politischer Weichenstellungen. Die näheren Weisungen und Aufträge durch Dohna sind unbekannt. Doch ist es von vornherein wenig wahrscheinlich – wie Palm, Oesterley und andere mutmaßen – daß es sich in erster Linie um eine von Dohna gewährte humanistische Bildungsreise handeln sollte, so sehr eine solche Opitzens eigener Intention auch entgegengekommen sein mochte.5 Es ist Szyrockis Verdienst, dagegen bewußt auf die Äußerung von Colerus zurückgegriffen zu haben.6 Ihr muß als einer zeitgenössischen besonderes Gewicht beigemessen werden, auch wenn sie sich näherer Konkretion aus unbekannten Gründen enthält. Opitz sahe sich auf diesem politischen Schauplatze sehr genau um. Er wurde mit den größten Staatsmännern bekannt. Er erfuhr die wichtigsten Dinge, er lernte sie beurtheilen, und behielt alles in frischem Andenken, damit er seinem Vaterlande völlige Nachricht davon geben könnte. Gemeine Dinge waren ihm hier zu gemein, ob sie schon sonst nicht eben für gar zu gemein zu achten sind. Und um was sich sonst Reisende am gewöhnlichsten bekümmern, das war ihm schon alles aus den Büchern bekannt. Die Gebräuche, die Gesetze, die Lage, die Gerechtsame, die Landschaften, die königliche Regierung, die Beschaffenheit des Parlaments, die Geschichte der Städte und der vergangnen Kriege hatte er schon größtentheils inne. Itzo wollte er eigentlich nur von den Geheimnissen des Staats Nachricht einziehen. Besonders ging sein Absehen dahin, wie es um das Gleichgewicht von Europa beschaffen sey, und welches Land dem andern überwichtig wäre, wenn es in Bewegung kommen sollte?7
Gerade weil Frankreich für alle konfessionspolitischen Parteiungen und über die Konfessionsgrenzen hinweg für die mehr oder weniger gegenüber dem Kaisertum opponierenden Reichsstände ein attraktiver Bündnispartner war, mußten alle Seiten an ––––––––– 5
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Vgl. dazu Hermann Palm: Beitraege zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1977, S. 207; Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung. Hrsg. von Hermann Oesterley.- Berlin, Stuttgart: Spemann [s.a.] (Deutsche National-Litteratur. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Joseph Kürschner; 27), S. XXXI (Einleitung). Vgl. Marian Szyrocki: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4), S. 93 ff. Hier in der Übersetzung durch Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Jhn. Erster [und] Anderer Theil. Hrsg. von D. Kaspar Gottlieb Lindnern.- Hirschberg: Krahn 1740–1741, Teil I, S. 206 f. Der lateinische Text von Christoph Colerus: Laudatio Honori & Memoriae V. CL. Martini Opitii paulò post obitum ejus A. MDC.XXXIX. in Actu apud Uratislavienses publico solenniter dicta.- Leipzig: Fuhrmann 1665. Wieder abgedruckt bei Henning Witte: Memoriae Philosophorum, Oratorum, Poetarum, Historicorum, Et Philologorum Nostri Secvli Clarissimorum Renovatae Decas Prima.- Frankfurt/Main: Hallervord 1677, S. 439–477. Ein weiterer Abdruck bei Lindner, Teil I, S. 35–112. Hier S. 92 f. der lateinische Text: In hoc itaqve theatro qvot & qvanta contemplatus est Noster! qvot & qvanta non tam a libris, qvam ab hominibus politioribus conqvisivit, qvae in coelestis abyssum mentis demitteret, judicio digereret, patriae communicanda reservaret! Vulgata illa, non vulgaria tamen, qvae initiantes peregrinatores vident & audiunt, ac reponunt, de Galliae moribus, legibus, situ, juribus, provinciis, urbibus, regimine regio, curiali, casibus urbanis, bellis, eventis veterum, ex libris & conversatione pridem didicerat: sed via ineunda ipsi erat ad arcana praesentis status, an libra Europae in aeqvilibrio immota constet? an haec vel illa lanx mota praevaleat? arbitrandum sibi putabat.
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einem gut funktionierenden Kontakt zur französischen Zentrale interessiert sein. Und das um so mehr, als die französische Innenpolitik mit der Vernichtung des Hugenottentums und der parallelgehenden Pazifizierungsstrategie die gleichen Rätsel aufgab wie in der Außenpolitik mit der gleichzeitigen Umwerbung der Ligisten wie der Unierten.8 Schwerlich wird man unter diesen Umständen davon sprechen können, daß Opitz nach seiner Rückkehr »Dohna mit den in Paris wahrgenommenen Friedenstendenzen bekannt gemacht« haben soll.9 Wohl aber wird er imstande gewesen sein, die auf den ersten Blick undurchsichtigen – und natürlich auch im Reich kontrovers diskutierten – Motive der französischen Politik zu erläutern. Die entscheidende Frage mußte sein, welchem Lager das Frankreich Richelieus sich längerfristig zuwenden würde, und genau diesen Aspekt hält das geschichtlich ernstzunehmende Zeugnis von Colerus fest, wenn es die Frage des politischen Gleichgewichts in Europa in den Mittelpunkt der diplomatischen Mission Opitzens rückt. Darüber hinaus bringt Colerus zwei Institutionen mit der Paris-Reise seines Freundes in Verbindung: das Parlament und die ›Akademie der Puteanen‹. Als entscheidender Mittelsmann für Opitz in Paris wird Hugo Grotius eingeführt. Es besteht aller Anlaß, diesen Hinweisen von Colerus in gebührender Ausführlichkeit nachzugehen.
Forum der ›Noblesse de robe‹: Das Pariser Parlament Daß Colerus den Kreis der Puteanen erwähnt, ist nicht ungewöhnlich, bildet er doch eines der Zentren des europäischen Späthumanismus. Daß er dagegen zunächst relativ ausführlich auf das Pariser Parlament zu sprechen kommt, darf als Indiz dafür gelten, welch hohes Maß an Reputation diese Institution in Gelehrtenkreisen auch außerhalb Frankreichs gewonnen hatte. Über die Gründe dieser bemerkenswerten Rezeption lassen sich nur Mutmaßungen anstellen, denen jedoch eine gewisse Plausibilität zu verleihen sein dürfte.10 ––––––––– 8 9 10
Vgl. dazu die in Anm. 1 zitierten Arbeiten, vor allem diejenigen von Church und Bonney. Szyrocki: Martin Opitz (Anm. 6), S. 92. Für die französischen Parlamente und insbesondere das Parlament von Paris ist im vorliegenden Zusammenhang mit weniger Nachdruck auf die klassischen großen Standardwerke zur Geschichte dieser Institutionen zu verweisen, denn sie bleiben durchweg in der Rekapitulation der Ereignisse und Organisationsformen stecken, statt dessen ist zu ihrer Sozialgeschichte vorzudringen. Vgl. Ernest-Désiré Glasson: Le Parlement de Paris. Son rôle politique depuis le règne de Charles VII jusqu’à la révolution. Band I–II.- Paris: Hachette 1901. Reprint Genève: Slatkine-Megariotis 1974; Édouard Maugis: Histoire du Parlement de Paris. De l’avènement des rois Valois à la mort d’Henri IV. Band I–III.- Paris: Picard 1913–1916; R[oger]. Doucet: Les institutions de la France au XVIe siècle. Band I–II.- Paris: Picard 1948, Band I, S. 167–188 und S. 210–228; Gaston Zeller: Les institutions de la France au XVIe siècle.- Paris: Presses Universitaires de France 1948, S. 147– 163. Wichtig neuerdings J[oseph]. H. Shennan: The Parlement of Paris.- London: Eyre & Spottiswoode 1968, insbes. S. 188–221: ›The Parlement in the Sixteenth Century‹ und S. 222–254: ›The League, Henry IV and Richelieu‹. Manches auch bei Robert Mandrou: Magistrats et sorciers en France au XVIIe siècle. Une analyse de psychologie historique.- Paris: Plon 1968 (Thèse pour le doctorat des lettres, présentée à la faculté des lettres et sciences humaines de l’Université de Paris), insbes S. 289 ff., bzw. im Neudruck (Paris: Éditions du Seuil 1980) S. 313 ff. Vgl. auch Ro-
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Die französischen Parlamente und insbesondere das Pariser Parlament müssen als diejenige Institution in Europa gelten, in denen das Bürgertum, der dritte Stand (›tiers état‹), am frühesten einen bedeutenden und verfassungsmäßig abgesicherten Einfluß wenn nicht auf die Entscheidungsfindung, so doch auf die Kontrolle politischen Handelns über das Institut der Registratur und der Remonstranz in der Monarchie hat nehmen können. Gewiß war der Zugang zum Parlament auch an finanzielle Konditio––––––––– land Mousnier: Les institutions de la France sous la monarchie absolue 1598–1789. Band I: Société et état. Band II: Les organes de l’état et la société.- Paris: Presses Universitaires de France 1974–1980, Band II, S. 253 ff. und 218 ff.; zum Verhältnis von Parlament und Fronde: Band II, S. 594 ff. Zur Vorgeschichte Françoise Autrand: Naissance d’un grand corps de l’état. Les gens du Parlement de Paris 1345–1454. Band I–VI. Thèse d’état présentée devant l’Université de Paris I 1978. Zum 16. Jahrhundert liegt eine interessante sozialgeschichtliche Arbeit (auch mit instruktiven literatursoziologischen Daten) vor: Bernard Quilliet: La situation sociale des avocats du Parlement de Paris à l’époque de la Renaissance (1480–1560).- In: Espace, idéologie et société au XVIe siècle.Presses Universitaires de Grenoble 1975 (Documents et travaux de l’équipe de recherche culture et société au XVIe siècle. Université de Paris VIII–Vincennes; 2), S. 121–152. Vgl. außerdem für das 16. Jahrhundert Hélène Michaud: La grande chancellerie et les écritures royales au seizième siècle. (1515–1589).- Paris: Presses Universitaires de France 1967; Christopher W. Stocker: The Politics of the Parlement of Paris in 1525.- In: French Historical Studies 8 (1973/74), S. 191–212. Einschlägig zur Nachgeschichte A. Lloyd Moote: The Revolt of the Judges. The Parlement of Paris and the Fronde. 1643–1652.- Princeton, NJ: Princeton University Press 1971; Albert N. Hamscher: The Parlement of Paris after the Fronde. 1653–1673.- Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 1976. Speziell zum Problem der Ämterkäuflichkeit die beiden grundlegenden Arbeiten von Martin Göhring: Die Ämterkäuflichkeit im Ancien régime.- Berlin: Ebering 1938 (Historische Studien; 346). Reprint Vaduz: Kraus 1965, sowie Roland Mousnier: La vénalité des offices sous Henri IV et Louis XIII. Deuxième édition revue et augmentée.- Paris: Presses Universitaires de France 1971 (Collection Hier). Weitere aufschlußreiche Spezialbeiträge zum späten 16. und 17. Jahrhundert: François Billacois: Le Parlement de Paris et les duels au XVIIe siècle.- In: Crimes et criminalité en France sous l’Ancien Régime, 17e–18e siècles.- Paris: Colin 1971 (Cahiers des Annales; 33), S. 33–47; J[ohn]. H.M. Salmon: The Paris Sixteen, 1584–94: The Social Analysis of a Revolutionary Movement.In: The Journal of Modern History 44 (1972), S. 540–576; Pierrette Girault de Coursac: La monarchie et les Parlements.- In: Découverte 8 (1975), S. 21–39; Denis Richet: Élite et noblesse. La formation des grands serviteurs de l’état (fin XVIe siècle – début XVIIe siècle).- In: L’Arc 65 (1976), S. 54–61; Alfred Soman: The Parlement of Paris and the Great Witch Hunt (1565–1640).In: The Sixteenth Century Journal 9 (1978), S. 30–44. In unserem Zusammenhang mit besonderem Gewinn herangezogen: Leo Kofler: Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit. 4. Auflage.Neuwied, Berlin: Luchterhand 1971 (Soziologische Texte; 38), S. 424 ff.; Martin Göhring: Weg und Sieg der modernen Staatsidee in Frankreich (Vom Mittelalter zu 1789). 2. Auflage.- Tübingen: Mohr 1947, S. 5 ff. und S. 62 ff.; Rudolf von Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus.- Marburg: Simons 1951 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; 1), S. 63–74 (zum Parlament im Spiegel der theoretischen Literatur unter Richelieu); Roman Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des modernen Staates.- Berlin: Duncker & Humblot 1962, passim, insbes. S. 26 ff. und S. 42 ff.; Andreas: Richelieu (Anm. 1), S. 65 ff.; Ernst Hinrichs: Fürstenlehre und politisches Handeln im Frankreich Heinrichs IV. Untersuchungen über die politischen Denk- und Handlungsformen im Späthumanismus.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1969 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 21), S. 218 ff. (zur Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit dem Parlament).
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nen geknüpft. Der systematische Einkauf ins Parlament war nur dem Großbürgertum möglich. Doch blieb er stets an ein juristisches Studium und damit an Gelehrsamkeit und Leistung gebunden. Im Parlament hatte das gelehrte Bürgertum Europas eine Institution vor Augen, in der der immer wieder reklamierte Anspruch auf politische und soziale Honorierung gelehrten Studiums durch die Krongewalt bis zu einem gewissen Grade eingelöst war und die den Angehörigen des europäischen Späthumanismus Einflußnahme bot. So ist es denn auch kein Zufall, daß zwischen den Parlamenten und den Humanisten die vielfältigsten Verbindungen bestanden, wie gleich zu zeigen sein wird. Der Aufstieg des Großbürgertums – und hier insbesondere der Fraktion des Handelsbürgertums – ist vom alten Feudaladel beunruhigt und besorgt registriert worden. In einem Land wie Frankreich kam der Antagonismus zwischen Adel und gelehrtem Bürgertum viel entschiedener zum Ausdruck, weil hinter dem Gelehrten-, und das heißt insbesondere dem Juristenstand gerade im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert eine potente Großbourgeoisie stand. Infolge der Normalisierung der Verhältnisse während der Friedensjahre einerseits, der königlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik anderseits, wird nun das zur Noblesse de robe aufsteigende Bürgertum die eigentlich tragende Schicht der französischen Monarchie. Diese vor allem aus dem Handel stammenden Kreise kaufen sich Grundbesitz oder Ämter. Auf die ›Vénalité des Offices‹, die sich auf weitere Ämter ausdehnt, kann die königliche Finanzverwaltung nicht verzichten. Sie wird sogar noch ausgebaut und findet einen gewissen Abschluß in der 1604 eingeführten Paulette. Damit war die Erblichkeit der Ämter fixiert; die Noblesse de robe aber hat eine selbständige und starke Stellung im Staate gewonnen. Amtsadel und Krone sind aufeinander angewiesen. Mit dem Eintritt in die Bildungselite und mit dem Erwerb von Adelstiteln trennt sich der Amtsadel von den übrigen Bevölkerungsschichten, indem er sich faktisch und bewußtseinsmäßig aus dem Erwerbsleben zurückzieht und ein Rentnerdasein fristet. Für das höhere Bürgertum läßt sich in dieser Zeit das Bestreben feststellen, im Moment der geschäftlich-finanziellen Erfolge oder dann in der folgenden Generation von den Geschäften zurückzutreten und damit sozial sich von der Schicht, aus der man stammt, zu distanzieren. Die Amtsaristokratie wird aber auch nicht vom alten Feudaladel assimiliert, da sich dieser hartnäckig gegen die frühkapitalistische Wirtschaftsentwicklung wehrt und auf seiner überlieferten Sonderstellung beharrt; die Noblesse de robe gerät als Käufer von feudalem Grundbesitz und als Inhaber von Ämtern, vor allem der Parlamentssitze, in einen gewissen Gegensatz zur Feudalwelt.11
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Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 10 f. Vgl. auch André Bourde: Frankreich vom Ende des Hundertjährigen Krieges bis zum Beginn der Selbstherrschaft Ludwigs XIV. (1453–1661).- In: Handbuch der europäischen Geschichte. Hrsg. von Theodor Schieder. Band III: Die Entstehung des neuzeitlichen Europa. Hrsg. von Josef Engel.- Stuttgart: Klett-Cotta 1971, S. 714–850. Hier S. 806: »Die Erblichkeit der Ämter läßt eine Art von ›zweitrangigem Adel‹ entstehen, der ursprünglich aus der kaufmännischen Bürgerschicht stammt. Gegen diese fortschreitende Entwertung reagiert der Adel natürlich recht heftig. Der neue Amtsadel (›noblesse de robe‹) fühlt sich dem alten Geblütsadel (›noblesse d’épée‹) ebenbürtig, um so mehr, als er ihm an Reichtum und Bildung oft überlegen ist und sich ihm an Würde, Erblichkeit und Lehensbesitz gleich weiß. Anläßlich der Versammlung der Generalstände von 1614 bringen die Delegierten des alten Adels klar zum Ausdruck, daß sie nicht mit den aus dem Bürgerstande stammenden verwechselt werden wollen und den Gedanken an eine soziale Gleichheit weit von sich weisen. Unter Ludwig XIII., der einer Beibehaltung der herkömmlichen Vorrechte des Adels positiv gegenüberstand, wird die Zahl der Adelsbriefe auch verringert; alle nach 1610 vorgenom-
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Standespolitische Debatten im Umkreis der ›Etats généraux‹ Für die sozialphilosophische, aber auch für die literarische Verarbeitung dieses latenten Konflikts zwischen ›noblesse de robe‹ und ›noblesse d’épée‹ ist die im Verfassungsleben Frankreichs um den Kristallisationspunkt des Parlaments zentrierte Entwicklung von einer kaum zu überschätzender Bedeutung. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, die Krise des Feudaladels ins Bewußtsein zu heben und dem gelehrten Bürgertum einen erheblichen Fundus politischer Argumente zu liefern. Das Parlament muß denn auch als der geheime Bezugspunkt der faszinierenden Debatten angesehen werden, die gleichzeitig in den ›Etats généraux‹ 1614/15 in Blois ablaufen, in denen die ›noblesse de robe‹ gleichfalls das bestimmende Element innerhalb des dritten Standes bildet. Wie niemals zuvor kam es auf dieser letzten Ständeversammlung vor der Revolution zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Adel und dem ›tiers état‹: Der Dritte Stand hatte am meisten Angriffe hinzunehmen, und zwar, ob er wollte oder nicht und wie er sich auch dazu stellte, wegen des Aufstiegs seines Großbürgertums. Am ersten Verhandlungstag erklärte ein Redner der Adelsbänke, der König möge erkennen, welcher Unterschied bestehe zwischen seinem Schwertadel und jenen durch die Geburt untergeordneten Leute, die sich durch Ämter und Ehren herausnähmen, über den alten Rang der wahren Edelleute heraufzusteigen. Die Vertreter des Adels waren der Ansicht, diesem Mißstand des Aufstieges einer ganzen geschlossenen Klasse sei nur zu steuern, wenn die sogenannte ›Paulette‹ abgeschafft werde, das heißt, wenn die Erblichkeit der Ämter aufhöre, indem man das Recht der hohen Beamten durch eine jährliche Abgabe ihr Amt für ihre Nachkommen zu sichern, ein für allemal verschwinden lasse. Der Dritte Stand antwortete sofort auf diesen klassenkämpferischen Antrag hin mit dem Begehren, die dem Adel, vor allem dem Hochadel ausgezahlten unermeßlichen Pensionen möchten abgeschafft werden.12
Albertini hat erstmals ein Zeugnis aus dem Kreis des alten Adels erschlossen, das schlagartig die defensive Position beleuchtet, auf die sich die Oberschichten unversehens zurückgedrängt sahen. Der ›Discours d’un Gentil-Homme François à la Noblesse de France‹ (1614) enthält das unverhohlene Zugeständnis, daß der Adel viel von seiner Bedeutung verloren habe, und zwar vor allem, weil ihm die Ämter und die Gerichtsbarkeit entzogen worden seien. Für den dritten Stand hat der Verfasser des Traktats nur größte Verachtung; die Perspektive, die er dem eigenen Stand zuweist, indiziert jedoch treffend das Maß an Verunsicherung: Er sieht mit Schrecken eine neue Klasse Position um Position gewinnen, eine Klasse, die ihre Stellung dem Reichtum verdankt und der er selbst nichts entgegensetzen kann. Eine Zusammenarbeit ist nicht möglich, da sowohl die geistige wie die wirtschaftlich soziale Kluft allzu groß ge-
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menen ›Nobilitierungen‹ werden 1640 rückgängig gemacht. Doch handelt es sich dabei nur um eine vorübergehende Erscheinung; 1661 hat sich diese Zahl schon wieder erheblich vermehrt.« Burckhardt: Richelieu (Anm. 1), Band I, S. 44 f. Vgl. auch Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 75: »Wie kaum je in der Geschichte der Generalstände, stießen 1614 Adel und Dritter Stand aufeinander. Auf der einen Seite kritisierte man die Ämterkäuflichkeit und die Paulette, die Langsamkeit und die hohen Kosten der Justiz und verlangte Reformen in diesem Sinne. Der Dritte Stand hingegen greift die Adelspensionen an, spricht von Verschleuderung der Gelder und weist auf die bedrückte Lage des ›peuple‹ hin; dieses letztere mit einer Schärfe der Sprache, die bisher ungewohnt war.«
Bündnis mit dem Königtum. Die Rolle der ›politiques‹
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worden ist. Er verzichtet auf den jahrhundertealten Anspruch, gegenüber der Krone Abstand zu halten, ein Gegengewicht gegen das zu starke Königtum zu bilden, und wirft sich diesem in die Arme, um der wirtschaftlichen Vernichtung zu entgehen und seine Pensionen weiter erhalten zu können.13
Umgekehrt, jedoch aus anderen Gründen, sind auch die ›noblesse de robe‹ und die sie tragende Institution, das Parlament, auf das Königtum fixiert. Eben dieses Bündnis zwischen Krone und gelehrtem Bürgertum bedarf im Hinblick auch auf das deutsche 17. Jahrhundert einer näheren Betrachtung.
Bündnis mit dem Königtum. Die Rolle der ›politiques‹ Die ›noblesse de robe‹ ist im Laufe des 16. Jahrhunderts während und nach den Bürgerkriegen zur maßgeblichen staatstragenden Schicht des Ancien régime aufgerückt. Die aus der Ämterkäuflichkeit herrührende Abhängigkeit von der Krone wurde schon gestreift. Hier geht es um die ideologische Affirmation der Staatsgewalt, die in erster Linie ein Werk der Kreise um das Parlament, der ›politiques‹, gewesen ist.14 Sie ha––––––––– 13 14
Ebenda, S. 79. Maßgeblich aus der älteren Literatur die bekannte Dissertation von Georges Weill: Les théories sur le pouvoir royal en France pendant les guerres de religion. Thèse présentée à la Faculté des Lettres de Paris.- Paris: Hachette 1891. Weniger ergiebig ist Francis de Crue: Le parti des politiques au lendemain de la Saint-Barthélemy. La Molle et Coconat.- Paris: Plon 1892. Ein stoff- und gehaltreicher Abschnitt über die ›politiques‹ bei John Neville Figgis: Studies of Political Thought. From Gerson to Grotius 1414–1625.- Cambridge: University Press 1907, S. 108–132. Wichtige Bemerkungen finden sich am Rande sodann bei Friedrich Meinecke: Werke. Band I: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte. Hrsg. und eingeleitet von Walther Hofer. 2. Auflage.- München: Oldenbourg 1960 (Erstauflage 1924), S. 66 f., S. 116 f. und S. 179 ff. Des weiteren J[ohn]. W. Allen: A History of Political Thought in the Sixteenth Century. Third Edition.London: Methuen 1951 (Erstauflage 1928), S. 370–377; Franklin Charles Palm: Calvinism and the Religious Wars.- New York: Fertig 1971 (Erstauflage 1932), S. 51–54 und S. 61–63. Sodann überaus instruktiv im Kontext der calvinistischen und jesuitischen Gegenfraktionen Göhring: Weg und Sieg der modernen Staatsidee in Frankreich (Anm. 10), S. 99 ff.; des weiteren Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 105 ff. Das Frankreich-Kapitel bei Joseph Lecler: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation. Band I–II.Stuttgart: Schwabenverlag 1965 (Erstauflage unter dem Titel ›Histoire de la tolérance au siècle de la Réforme‹.- Paris: Ed. Montaigne 1955) ist durchzogen von Bemerkungen zu den ›politiques‹. Vgl. insbes. Band II, S. 70 f., S. 88 f., S. 91 f., S. 109 ff., S. 125 ff., S. 132 ff., S. 162 ff. und S. 187 ff. Einschlägiges auch bei Auguste Bailly: La réforme en France jusqu’à l’Édit de Nantes.- Paris: Fayard 1960, S. 383 f., S. 390 ff., S. 476 ff. und S. 545 ff.; W[ladyslaw]. J[ozef]. Stankiewicz: Politics & Religion in Seventeenth-Century France. A Study of Political Ideas from the Monarchomachs to Bayle, as reflected in the Toleration Controversy.- Berkeley, Los Angeles: University of California Press 1960, S. 41 ff.; Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (Anm. 10), passim, insbes. S. 14 ff. und S. 65 ff.; Étienne Thuau: Raison d’état et pensée politique à l’époque de Richelieu.- Paris: Colin 1966, S. 359 ff.; Georges Livet: Les guerres de Religion. (1559–1598). 4. édition.- Paris: Presses Universitaires de France 1977 (Que sais-je?; 1016), S. 63–68. Ausführlich wieder Church in seinem schon herangezogenen Werk ›Richelieu and Reason of State‹ (Anm. 1), S. 24 ff. und S. 49 ff.; vom dems. – mit Schwerpunkt auf Bodin und L’Hospital –
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ben am frühesten das politische Fazit aus der Katastrophe der französischen Monarchie gezogen, in die diese mit der fortschreitenden konfessionellen und sozialen Spaltung des Landes hineingerissen wurde. Repräsentativ steht dafür die große Gestalt des Kanzlers Michel de L’Hospital ein. Mit ihm »vollzog sich der Übergang vom ›Humanisten‹ zum ›politique‹.«15 Es ist L’Hospital, welcher dem Regenten rät, sein Schicksal nicht zu eng mit dem der katholischen Religion zu verknüpfen und »als Haupt des Königreiches nicht zwischen seinen religiös getrennten Untertanen Partei zu ergreifen; er könnte Gefahr laufen, sein Reich ins Verderben zu führen.« Diese Empfehlung ist begleitet von der moralphilosophischen Maxime: »Wer sich zwischen beiden Parteien hält und leidenschaftslos auftritt, wird den besten Weg wählen und ihm folgen.«16 Nicht prägnanter könnten der Ursprung des Neustoizismus in den konfessionspolitischen Bürgerkriegen und seine Qualifizierung zur Staatsideologie anstelle der abgewirtschafteten Konfessionen hervortreten. Jenseits der konfligierenden religiösen Parteiungen erblickt die Gruppe der ›politiques‹ um L’Hospital, die sich fortan vor allem aus dem Parlament rekrutieren wird, in der Inthronisation der starken und souveränen Staatsgewalt die einzige Macht, die im allseitigen Umbruch der überkommenen politischen und ideologischen Bewegung einen geschichtlich noch nicht diskreditierten Führungsanspruch erheben darf. Die prinzipielle konfessionspolitische Neutralität des Staates stellt die Voraussetzung für die von ihm zu initiierende und durchzusetzende Politik der Sicherung des Lebensrechtes der heterogenen religiösen Bekenntnisse dar. Derart konkretisiert sich das humanistische Ideal konfessioneller Irenik in Frankreich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts politisch in der Konzeption eines über den Konfessionen stehenden Staates als Garanten religiöser und weltanschaulicher Toleranz. Es ist nicht zuletzt dieser Aspekt, der seine Attraktivität für die humanistisch geschulte Gelehrten- und Beamtenschicht ausmacht. Das noch 1562 nach dem gescheiterten Kolloquium von Poissy zustandegekommene Toleranzedikt für die Hugenotten bildet die erste Station auf dem zum Edikt von Nantes führenden Weg konfessionspolitischer Befriedung im Interesse uneingeschränkter Disposition staatlicher Gewalt. –––––––––
15 16
auch: Constitutional Thought in Sixteenth-Century France. A Study in the Evolution of Ideas.New York: Octagon Books 1969 (Harvard Historical Studies; 47), S. 194 ff., S. 205 ff. und S. 243 ff. Überhaupt ist generell die hier nicht aufgeführte Literatur zu Bodin und L’Hospital zu konsultieren. Zum ganzen vgl. auch Myriam Yardeni: La conscience nationale en France pendant les guerres de religion. (1559–1598).- Louvain, Paris: Nauwelaerts 1971 (Publications de la faculté des lettres et sciences humaines de Paris-Sorbonne. Sér. ›Recherches‹; 59). Zur engen Verflechtung der ›politiques‹ mit dem Gallikanismus vgl. Victor Martin: Le Gallicanisme et la réforme catholique. Essai historique sur l’introduction en France des décrets du Concile de Trente (1563–1615).- Paris: Picard 1919, S. 166 ff. und S. 345 ff., sowie die unten Anm. 17 angeführte Literatur. Von den bei Church (Anm. 1) erwähnten amerikanischen Dissertationen von W[alker]. Givan: The Politiques in the French Religious Wars (1560–1593). Advocates of Religious Toleration and Strong Monarchy.- Diss. phil. New Haven, CT (Yale University) 1950, und Edmond Morton Beame: The Development of Political Thought During the French Religious Wars (1560–1595).- Diss. phi. Urbana, IL (University of Illinois) 1957, war mir nur letztere zugänglich. Lecler: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation (Anm. 14), Band II, S. 92. Ebenda, S. 91.
Gallikanismus und Royalismus
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Gallikanismus und Royalismus Ermöglicht wird diese Entwicklung auch durch den im Parlament vorwaltenden Gallikanismus.17 Gallikanismus und Royalismus gehören zusammen. Gleichweit entfernt von der ultramontanen papst- und spanientreuen Linie des strengen Katholizismus wie des politische und konfessionelle Separatrechte beanspruchenden Hugenottentums treffen sich die Gallikaner mit dem Königtum in der Statuierung der einen Nation als Heimat aller ›Guten Franzosen‹ über die konfessionellen Parteiungen hinweg. Theoretisch fundiert ist der Gallikanismus vor allem durch die Lehre vom ›droit divin‹ der französischen Monarchie, deren politische Stoßrichtung in der Ausschaltung konkurrierender weltlicher und geistlicher Gewalten neben dem Königtum liegt. Ein Widerstandsrecht – vom Calvinismus wie vom Katholizismus aus ganz verschiedenen Gründen in Anspruch genommen – ist damit ebenso ausgeschlossen wie eine geistliche Suprematie des Papstes über die Krone. Somit fand die Politik nationaler Unabhängigkeit gegenüber Habsburg und dem Papsttum, wie sie als beherrschendes Element sowohl der Politik Heinrichs IV. wie Richelieus hervortritt, in der gallikanischen Doktrin ihre beste Stütze. Die Dupuys und andere Historiker und Theoretiker wurden denn auch von Richelieu direkt in die publizistische Pflicht genommen.18 Damit ist jedoch keineswegs gesagt, daß sich das Zusammenwirken zwischen Parlament und Königtum konfliktlos gestaltet hätte. Immer wieder hatte das Parlament sich gegen die Übergriffe der absoluten Staatsgewalt zu behaupten. Daß die Fronde unter Mazarin zunächst unter der ––––––––– 17
18
Grundlegend hier die Arbeiten von Victor Martin. Vgl. neben dem in Anm. 14 aufgeführten Werk außerdem ders.: Le Gallicanisme politique et le clergé de France.- Paris: Picard 1929 (Université de Strasbourg. Bibliothèque de l’Institut de droit canonique; 3). Hervorzuheben der Abschnitt ›La lutte contre les Jésuites jusqu’en 1625‹, S. 87–137, sowie speziell zum Problem Richelieu und der Gallikanismus, S. 245 ff. Zu den Ursprüngen vgl. ders.: Les origines du Gallicanisme. Band I–II.Paris: Bloud et Gay 1939. Sodann – außer dem Kapitel zum Gallikanismus unter Heinrich IV. bei Maugis: Histoire du Parlement de Paris (Anm. 10), Band II, S. 277–304 – Lucien Romier: Le royaume de Catherine de Médicis. La France à la veille des guerres de religion. Band I–II.- Paris: Perrin 1922, Band II, S. 89–150; Henri Sée: Les idées politiques en France au XVIIe siècle.- Paris: Giard 1923, S. 35 ff. und S. 51 ff. Stoffreich und instruktiv sodann Joseph Lecler: Qu’est-ce que les libertés de l’église gallicane?In: Recherches de science religieuse 23 (1933), S. 385–410 und S. 542–568; (1934), S. 47–85. Instruktiv gleichfalls wiederum Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 22 ff. Außerdem Stankiewicz: Politics & Religion in Seventeenth-Century France (Anm. 14), S. 41–51; Léopold Willaert: Après le Concile de Trente. La restauration catholique 1563–1648.- [Paris]: Bloud & Gay 1960 (Histoire de l’église depuis les origines jusqu’à nos jours; 18), S. 367–406; Henri-Jean Martin: Livre, pouvoirs et société à Paris au XVIIe siècle (1598– 1701). Band I–II.- Genève: Droz 1969 (Centre de recherches d’histoire et de philologie de la IVe section de l’école pratique des hautes études. VI: Histoire et civilisation du livre; 3), S. 180 ff.; Church: Richelieu and Reason of State (Anm. 1), S. 401–411. Zuletzt von Aimé-Georges Martimort: Le gallicanisme.- Paris: Presses Universitaires de France 1973 (Que sais-je?; 1537), insbes. S. 58–78: ›L’évolution du gallicanisme entre 1563 et 1642‹. Die Quellenschriften bei Jacques Lelong: Bibliothèque historique de la France. Band I.- Paris: Herissant 1768, S. 468–519. Vgl. Maximin Deloche: Autour de la plume du Cardinal de Richelieu.- Paris: Société française d’imprimerie et de librairie 1920, sowie unten S. 218 ff.
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Ägide des Parlaments stand, ist nur der sichtbarste Ausdruck eines auch unter Heinrich IV. und Richelieu latenten Konflikts. Gleichwohl blieben die Mitglieder des Parlaments selbst die besten Verteidiger der monarchischen Gewalt. [...] Die Geschichte schien die Bedeutung und die Stärke des Parlamentes zu belegen. Parlament und monarchische Gewalt schützen sich gegenseitig, und in Zeiten der Regentschaft hatte das Parlament wesentlich zur Sicherung der staatlichen Kontinuität beigetragen. [...] Es ist oberste Rechtsinstanz des Königreiches und richtet sich sowohl gegen die feudalen Gerichtsbarkeiten als auch gegen die kommissarischen Sondergerichte des ›tyrannischen Ministers‹. Das Parlament ist daher unmittelbar beteiligt an der Herstellung und Sicherung der staatlichen Ordnung, die von der Idee des Rechtes geleitet sein sollen. [...] Einem aktiven Politiker wie Richelieu, der sich mit dem Interesse des Staates identisch glaubt, mußte eine solche Interpretation der Rolle des Parlamentes als überlebt erscheinen. Für den politischen Schriftsteller jedoch blieb das Parlament ein Garant der Dauer und der Stärke der französischen Monarchie. Mit dem Hinweis auf das Recht und die Nützlichkeit, königliche Erlasse zu verifizieren, konnte die absolute Gewalt des Monarchen mit der Idee der legitimen und gerechten Monarchie rational in Einklang gebracht werden.19
Geistiges Kräftefeld des Späthumanismus In Paris konnte Opitz das politische und ideologische Zusammenspiel zwischen dem nobilitierten Bürgertum und der königlichen Gewalt beobachten, das gleichermaßen seine Orientierung am Territorialfürstentum in Deutschland bestärken wie seine Reserve gegenüber dem konfessionellen Rigorismus zugunsten staatsloyalistischer Ideologien bekräftigen mußte. Die personelle Brücke zwischen den beiden Institutionen, mit denen Opitz laut Colerus in Paris vornehmlich in Kontakt trat, dem Parlament und der ›Akademie der Puteanen‹, bildet die Gestalt Jacques-Auguste de Thous. Opitz hat ihn persönlich nicht mehr kennenlernen können; er starb 1617. Bei dem von Colerus erwähnten Mitglied des Kreises der Puteanen handelt es sich um den Sohn de Thous. Gleichwohl ist es in einer Studie zur politischen Biographie Opitzens unerläßlich, die Gestalt JacquesAuguste de Thous d.Ä. in die Betrachtung einzubeziehen. Nicht nur ist sein Leben geprägt von der Erfahrung des Bürgerkriegs, dessen Erinnerung auch im Umkreis der Dupuys lebendig blieb. Vielmehr wird in der Teilnahme de Thous an den konfessionspolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit zugleich das Fundament für seine politische Philosophie gelegt, die sein säkulares Geschichtswerk durchdringt und als sein Vermächtnis im Kreis der Puteanen fortlebt. Es sind die Dupuys und Rigault, die als exzellente Philologen für die Edition des großen unabgeschlossenen Werkes Sorge tragen, es erschließen, mit Beigaben versehen und es nicht zuletzt gegen die Angriffe insbesondere von seiten der Jesuiten verteidigen. Die Pflege des gelehrten Symposions steht durchaus in einer bereits von de Thou begründeten Tradition, zu der dieser wie kaum ein zweiter auf Grund seiner umfassenden politischen und gelehrten Kontakte geradezu prädestiniert war. Auch der organisatorische Kristallisationspunkt ist der nämliche. So wie de Thou eine große, ––––––––– 19
Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 73 f.
Der Vater Jacques-Auguste de Thous: Christofle de Thou
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von den Dupuys später mustergültig erschlossene Bibliothek aufgebaut hatte und zugleich von Heinrich IV. zum Konservator der königlichen Sammlungen bestellt worden war, so gruppierte sich die gelehrte Elite bei den Dupuys um deren famose Privatbibliothek und – nach dem Tod von Rigault – um die Pflege der Königlichen Bibliothek, der sie ihre Schätze teilweise vermachten. Die politischen Überzeugungen der älteren Generation des Bürgerkriegs und der jüngeren, in der Monarchie Richelieus aufsteigenden Generation berühren sich vielfach. Gelehrte Tradition – nicht zuletzt die Erbschaft Pithous – und politische Motivation – nun freilich unter den neuen Bedingungen des Frühabsolutismus – begründen ein dichtes Geflecht von Korrespondenzen. Dieses wird nur sichtbar, wenn man weit genug ins 16. Jahrhundert zurückgeht. Gleichwohl fehlt unbegreiflicherweise für de Thou – genauso wie auch für die Dupuys – die umfassende moderne Biographie. Die imponierende Erschließung der französischen Geschichte der Frühen Neuzeit insbesondere durch die Schule der ›Annales‹ ist der biographischen Erforschung des französischen Späthumanismus bisher nicht zugute gekommen. Die vorliegenden Arbeiten sind durchweg veraltet und keineswegs mehr hinreichend. Die dringend benötigten Biographien de Thous und der Dupuys würden bei richtiger Anlage zugleich das Bild der politischen Physiognomie des europäischen Späthumanismus entscheidend verändern. Die nachstehenden Hinweise können für diese Aufgabe in keinster Weise einen Ersatz bieten, sondern vermögen allenfalls das intellektuelle und politische Kräftefeld zu umreißen, in das Opitz in Paris hineingeriet und das mit seiner eigenen politischen Biographie augenfällig konvergierte.
Der Vater Jacques-Auguste de Thous: Christofle de Thou De Thous Vita ist beruflich wie politisch gleichermaßen durch Familien- wie durch Amtstradition bestimmt. Er entstammte einem Geschlecht, das bereits seit zwei Generationen Parlamentspräsidenten in Paris gestellt hatte und in dieser Funktion über spezifische Bindungen an das Königtum verfügte, wie sie für viele Mitglieder der ›noblesse de robe‹ typisch blieben. Dem Vater Christofle de Thou gelang der entscheidende Aufstieg zum ersten Präsidenten des Pariser Parlaments; er war eine einflußreiche Gestalt der Politik unter Heinrich II., Karl IX. und Heinrich III. Sein Bild in der Forschung schwankt erheblich, ohne daß es jemals zu einer kontroversen Diskussion gekommen wäre, die eine Klärung in den – gerade in bezug auf seinen Sohn – wichtigen Fragen seiner politischen Orientierung herbeigeführt hätte. Düntzer, der sich vor mehr als einem Jahrhundert um eine gewissenhafte, gleichwohl unzureichende Biographie Jacques-Auguste de Thous bemüht hat, macht sich weitgehend die Glorifizierung zu eigen, mit der der Sohn den Vater in seinem Geschichtswerk und in seinen Memoiren umgeben hat. Danach glaubte er, obgleich selbst Katholik, man dürfe die Hugenotten nicht in blindem Hasse, der damals fast ganz Frankreich zerriß, mit Feuer und Schwert vernichten, sondern müsse sich mit ihnen auf gütlichem Wege abfinden, weil an der Erhaltung des Friedens alles gelegen sey, und, da er bei
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dem Könige in hohem Ansehen stand, so vermochte er es, jene gewaltigen Umwälzungen, die das Königreich später erschütterten, von ihm abzuhalten, [...].20
Belege vermag der der protestantischen Sache wohlgesonnene Biograph freilich nicht beizubringen. Die Gegenposition kommt in dem wenig später erschienenen Artikel der ›Nouvelle Biographie Générale‹ zum Ausdruck. Hier figuriert de Thou als Gegner der Toleranzbewegung, als teilweise zynischer Verfechter der Staatsraison, schließlich als freidenkender, jedoch den politischen Einsatz scheuender Taktiker.21 Die Umrisse eines ausgewogeneren Bildes zeichnen sich in der quellenmäßig wohlfundierten, das politische Profil jedoch eher beiläufig streifenden Arbeit von Filhol über de Thou als großen Reformator des Gewohnheitsrechts ab.22 Drei Komponenten hebt Filhol als Konstanten des politischen Wirkens de Thous hervor, die in der Tat bis tief in das 17. Jahrhundert hinein für die de Thous wie für die Dupuys und ihre Freunde verbindlich bleiben werden: seine Katholizität, seinen Gallikanismus und seinen Royalismus. Nachdem Christofle de Thou 1554 zum Präsidenten des Pariser Parlaments avanciert war, kam es 1562 zum ersten gravierenden Konflikt mit dem Königshaus, als sich Teile des Parlaments der Registratur des berühmten Edikts von Katharina von Medici und Karls IX. widersetzten.23 Das Edikt, so lautet der generelle Einwand, »est ouvertement contraire à l’état ancien du royaume, il ›reçoit‹ une nouvelle religion, chose redoutable en une monarchie.«24 Interessant nimmt sich de Thous spezielleres Argument aus. Er bekräftigt, »que le Parlement s’indigne qu’on autorise deux religions dans l’Etat, ›dont la société sera entièrement violée et dissolue, l’unité de religion étant de lieu des Etats‹.«25 Das klingt nicht nach konfessioneller Ereiferung. Für de Thou verlängert sich die konfessionelle Spaltung in der Friktion von Staat und Gesellschaft, die es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Die fortgeschrittenere königliche Position, im Namen der etatistischen Norm den Gedanken konfessioneller Toleranz durchzusetzen und institutionell zu verankern, hat er noch nicht mitvollzogen; für ihn ist die Einheit des Staates und der Gesellschaft nur in Liaison mit der einen Staatsreligion gewährleistet. Konfessionelle Mäßigung und vornehmliche Wahrung des Staatsinteresses scheint er denn auch im Fall Anne du Bourgs beobachtet zu haben: Christofle de Thou avait émis une opinion ›de moindre hardiesse et entremeslée de douceurs‹, demandant que l’on continuât à juger en la matière conformément aux arrêts de la Cour. Après l’interminable procès où du Bourg mit en jeu pour sauver sa tête tous les artifices de procédure, ce
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Heinrich Düntzer: Jacques Auguste de Thou’s Leben, Schriften und historische Kunst verglichen mit der der Alten. Eine Preisschrift.- Darmstadt: Leske 1837, S. 1 f. Nouvelle Biographie Générale [...]. Sous la direction de [Ferdinand] Hoefer. Band I–XLVI.- Paris: Didot 1852–1866, Band XLV (1866), S. 253 f. René Filhol: Le premier Président Christofle de Thou et la réformation des coutumes. Thèse Poitiers. Faculté de droit.- Paris: Recueil Sirey 1937. Vgl. Lucien Romier: Catholiques et huguenots à la cour de Charles IX. Les états généraux d’Orléans, le colloque de Poissy, le ›concordat‹ avec les protestants, le massacre de Vassy (1560– 1562).- Paris: Perrin 1924, S. 285 ff., insbes. S. 303 ff. Ebenda, S. 303. Ebenda, S. 304.
Portrait Jacques-Auguste de Thous
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fut pourtant de Thou qui signa l’arrêt de condamnation. Il s’efforça du moins avec succès de sauver la vie des autres conseillers compromis avec du Bourg et de les faire échapper aux fureurs du président de Saint-André.26
Seinen königstreuen Gallikanismus stellte de Thou mit seiner Zurückweisung der papistischen Ideologie Tanquerels theoretisch und mit seinem Kampf gegen die Einführung der Bestimmungen des Tridentiner Konzils auf französischem Boden praktisch unter Beweis.27 Der von Heinrich III. zeitweilig betriebenen Sammlung der Liga sowie der Restauration des Katholizismus widersetzte er sich folgerichtig im wohlverstandenen Interesse des Staates, das sich bereits bei ihm als Fixpunkt politischen Handelns abzeichnet.28 Schließlich verfügte bereits Christofle de Thou über glänzende Kontakte zu den Humanisten des 16. Jahrhunderts, angefangen bei Ronsard. Er gehörte zum Kreis um Jean Morel, der sich um 1555 in Paris gebildet hatte. Dort verkehrten gleichzeitig oder nacheinander u.a. Ronsard, du Bellay, Turnèbe, die Dichterjuristen Forcadel und Guy du Faur de Pibrac (dem Bodin die ›Six livres de la République‹ widmete), der Erste Präsident des Pariser Parlaments Christofle de Thou, die Kanzler Olivier und Morvillier, und gewissermaßen als Haupt dieser illustren Gesellschaft: Michel de L’Hospital.29
Portrait Jacques-Auguste de Thous So sind wesentliche Elemente der Vita Jacques-Auguste de Thous im Wirken seines Vaters vorgegeben. Wenn sie bei ihm teilweise prägnanter hervortreten, so spiegelt sich darin auch der Fortschritt, den der monarchische Gedanke in Theorie und Praxis unter Heinrich IV. nimmt.30 ––––––––– 26 27 28 29 30
Filhol: Le premier Président Christofle de Thou et la réformation des coutumes (Anm. 22), S. 20. Vgl. ebenda, S. 20 ff. Vgl. ebenda, S. 28 ff. Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 28 f. Solange keine Biographie de Thous existiert, bleibt man verwiesen auf die biographischen Abrisse in Michauds ›Biographie Universelle Ancienne et Moderne‹ (Nouvelle édition. Band I–XLV.- Paris: Desplaces, Leipzig: Brockhaus 1854–1865, Band XLI, S. 436–442) und in Hoefers ›Nouvelle Biographie Générale‹ (Anm. 21), Band XLV, S. 255–262. Lesenswert auch der Artikel von Henri Hauser in: La Grande Encyclopédie [...]. Sous la direction de [André] Berthelot. Band I–XXXI.Paris: Lamirault, Paris: Société Anonyme de la Grande Encyclopédie 1885–1902, Band XXXI, S. 40. Vgl. auch den – vor allem wegen der biographischen Informationen wichtigen – Artikel von Robert Barroux im: Dictionnaire des Lettres Françaises. Le seizième siècle.- Paris: Fayard 1951, S. 664–665. Dazu ergänzend von deutscher Seite: Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste [...]. Band XLIII.- Leipzig: Zedler 1745, Sp. 1716–1720; Christian G. Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexicon [...]. Band IV.- Leipzig: Gleditsch 1751, Sp. 1177–1180. Die hier nicht erneut aufzuführende, unergiebige Preisschriftenliteratur über de Thou verzeichnet in: Catalogue de l’histoire de France. Band X.- Paris: Didot 1870. Reprint Paris: Bibliothèque Nationale 1969, S. 284, sowie bei Alexandre Cioranesco: Bibliographie de la littérature française du seizième siècle.- Paris: Klincksieck 1959, S. 662 f., und bei Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 29, Anm. 14.
XVI. In der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus
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Obwohl der Name de Thous an entscheidenden Punkten der Politik Heinrichs IV. erscheint, müssen wir in ihm weniger einen politischen Techniker sehen als vielmehr den Repräsentanten einer geistig-politischen Atmosphäre, in der die Politik Heinrichs IV. – von diesem stets pragmatisch begründet – ihren theoretischen ›Überbau‹ erhält. So wird der Einsatz solcher Persönlichkeiten in innenpolitischen Verhandlungen stets zu einer ›Demonstration‹ für eine bestimmte politische Linie und Verfahrensweise.31
Im folgenden geht es wiederum nicht um biographische Details, sondern um signifikante Einsatzstellen. Daß das Erlebnis der Bartholomäusnacht ein lebensbestimmendes wurde, findet man überall hervorgehoben; daß und wie de Thou es verarbeitete, ist nicht zuletzt das Resultat seiner vielfältigen humanistischen Kontakte. Er hat nicht nur die Großen der ›Pléiade‹, Ronsard, Baïf, Belleau, noch gekannt. Das Studium der Rechte, zunächst in Orléans und Bourges, dann in Valence, brachte ihn in Verbindung mit Cujas und Joseph Justus Scaliger als zwei überzeugten Vertretern des späthumanistischen Toleranzgedankens. Dessen Praktizierung lernte er in der Figur des Paul de Foix kennen.32 De Foix gehört wie du Bourg zu denjenigen, die 1559 gegenüber Heinrich II. entschieden für religiöse Duldung plädierten. Während du Bourg diesen Einsatz mit seinem Leben bezahlte, kam de Foix heil davon. Doch blieb er mit dem Stigma der Häresie noch behaftet, nachdem er – wie so viele andere Gestalten im Umkreis de Thous – unter Katharina von Medici und Karl IX. eine neuerliche Annäherung an das Könighaus und damit den Katholizismus vollzogen hatte. Während seiner im Auftrag der Krone unternommenen politischen Missionen in Italien sah sich de Foix stets wieder mit dem tiefen Mißtrauen der Kurie konfrontiert. De Thou hat de Foix auf einer dieser Reisen 1573 begleitet. Sie brachte ihm nicht nur die Bekanntschaft weiterer bedeutender Gelehrter vor allem in Venedig und Rom (Muret, Orsini, Manutius, Cardanus u.a.), sondern vermittelte ihm in der unmittelbaren Umgebung von de Foix auch eine Vorstellung von der militanten und völlig unbeugsamen Politik des Katholizismus unter Papst Gregor XIII. Es ist nur schwer vorstellbar, daß diese Erfahrung nicht seine Lösung von konfessionellen Bindungen befördert haben soll, wie sie sich später als entscheidende Triebkraft seines politischen Denkens und Handelns immer wieder manifestierte.
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Immer noch am ausführlichsten (auf der Basis der Memoiren) J[ohn]. Collinson: The Life of Thuanus, with Some Account of his Writings, and a Translation of the Preface to his History.- London: Longman, Hurst, Rees and Orme 1807, S. 1–278. Heranzuziehen auch (ungeachtet vieler nötiger Vorbehalte) die Arbeit von Düntzer: Jacques Auguste de Thou’s Leben, Schriften und historische Kunst (Anm. 20). Genealogisches Material zur Familie findet sich auch bei Henry Harrisse: Le Président de Thou et ses descendants. Leur célèbre bibliothèque, leurs armoiries et les traductions françaises de J.A. Thuani historiarum sui temporis, d’après des documents nouveaux.- Paris: Leclerc 1905, S. 141–216: ›Troisième partie: Les de Thou de Meslay, leurs armoiries‹ (mit einer Stammtafel). Schließlich ist zu verweisen ist auf den Eintrag bei Jean Pierre Niceron: Mémoires pour servir à l’histoire des hommes illustres dans la république des lettres. Avec un catalogue raisonné de leurs ouvrages. Band IX.- Paris: Briasson 1729, S. 309–359: Jaques [!] Auguste de Thou. Exemplar der Staatsbibliothek Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Am 344. Hinrichs: Fürstenlehre und politisches Handeln im Frankreich Heinrichs IV. (Anm. 10), S. 150. Vgl. die einschlägigen Lexikon-Artikel.
Portrait Jacques-Auguste de Thous
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Die sich sodann in Paris anschließenden Beziehungen zu Pithou, zu Claude Dupuy, zu Loisel u.a. waren – vermittelt über die gallikanische Bewegung – geeignet, diese Orientierung zu bekräftigen. Aufschlußreich und bezeichnend ist in diesem Zusammenhang de Thous Agieren unter Heinrich III. angesichts der rapide anwachsenden ligistischen Bewegung. Schon Anfang der achtziger Jahre (1581) hatte de Thou – u.a. wiederum zusammen mit Claude Dupuy – an der Beilegung der Religionsstreitigkeiten zwischen Katholiken und Hugenotten in Guyenne mitzuwirken. Daß Aufgaben dieser Art in streng royalistischer – und das hieß für de Thou jetzt zunehmend in konsequent etatistischer – Gesinnung angepackt wurden, zeigt sich besonders deutlich während der Herrschaft der Guisen in Paris. Es ist de Thou, der von Chartres aus – wo sein Onkel Nicolas de Thou die gleiche königstreue Gesinnung an den Tag legte – in die Normandie gesandt wurde, um dort in allen größeren Ortschaften für Heinrich III. zu werben. »De Thou, bien que sans illusions sur l’habileté politique d’Henri III, était cependant très royaliste« heißt es dazu lakonisch in der ›Nouvelle Biographie Générale‹.33 Auch Düntzer streift – in freilich unangemessener Sprache – den Sinn dieser Mission de Thous, wenn er schreibt, daß es in jener Zeit der Erschütterungen die Sorge jedes wohldenkenden Bürgers seyn mußte, den Staat auf jede Weise außer Gefahr zu setzen. Auch war der Name des Königs damals fast allgemein verhaßt und keine Hoffnung vorhanden, die Würde desselben wieder herzustellen, ehe dem Staate selbst seine Ruhe wieder gegeben war.34
So liegt es ganz auf dieser Linie, wenn sich de Thou auf der Ständeversammlung in Blois dem – erfolgreich durchgesetzten – Anspruch der Liga widersetzte, Heinrich von Navarra von der Thronfolge auszuschließen. Und entsprechend ist de Thou an der überraschenden Wendung der letzten Regierungsjahre Heinrichs III. keinesfalls unbeteiligt. Die Annäherung an den Gegenspieler Heinrich von Navarra wird von ihm – wie von Gaspard de Schomberg – im Interesse einer Stärkung der königlichen Macht vorbehaltlos mitgetragen. Deshalb vollzog sich – ungeachtet der verschiedenen Bekenntnisse – der Übergang de Thous in den Dienst Heinrichs IV. denn auch reibungslos. Und wiederum im Zusammenwirken mit de Schomberg wirkte de Thou auf den französischen König ein, im Staatsinteresse den Übertritt zum Katholizismus zu vollziehen.35 ––––––––– 33 34 35
Nouvelle Biographie Générale (Anm. 21), Band XLV (1866), Sp. 257. Düntzer: Jacques Auguste de Thou’s Leben, Schriften und historische Kunst (Anm. 20), S. 18. Mit Gaspard de Schomberg bzw. Caspar von Schönberg tritt de Thou wieder eine Gestalt entgegen, an der sich die hier verfolgte Ausbildung etatistischer Mentalität im Umkreis Heinrichs IV. besonders signifikant beobachten läßt. Seine Anfänge standen – gefördert vor allem durch das Sturmsche Gymnasium in Straßburg – ganz im Zeichen des Calvinismus, für den er als geborener Sachse an den deutschen Höfen (Zweibrücken, Kassel) warb und für den er 1562 in Frankreich kämpfte, bevor er den Übertritt zum royalistischen katholischen Flügel vollzog. Er erwies sich nach der Konversion Heinrichs IV. – wie so viele andere – als »duldsame[r] Bekenner der römischen Kirche, [die] wie de Thou, in der Uebung katholischer Ceremonien keinen Abfall von ihrer innersten Ueberzeugung erblickten.« (Friedrich Wilhelm Barthold: Kaspar von Schönberg, der Sachse, ein Wohlthäter des französischen Reichs und Volks.- In: Historisches Taschenbuch N.F. 10 (1849), S. 165–362, S. 211).
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Dieses Verhalten ist Ausdruck seiner von Bürgerkrieg und Späthumanismus gleichermaßen geprägten konfessionspolitischen Überzeugung hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Religion. Die Religion sei zwar – so de Thou in einem traktatähnlichen Brief während seiner Zeit als Parlamentsrat in Tours – ›comme la teste en l’Estat‹, womit de Thou wie alle ›Politiker‹ seiner Zeit deutlich macht, daß er Staat und Religion nicht voneinander trennen will. Die Religion könne aber nicht bestehen ohne den übrigen Teil des ›Körpers‹, es habe keinen Sinn, nur die Religion zu retten, den Körper aber verderben zu lassen. ›Je sçay bien que l’on dira que ce sont langages de politiques; mais je l’avoue, car c’est une qualité fort nécessaire aux princes, et à ceux qui sont appellés au gouvernement des Estats pour les bien policer, et les y maintenir en paix et repos; et c’est pourquoy aussi que ceux qui déseignoient il y a si longtemps de planter la désobéissance, et par la rebellion introduire toute confusion et desordre, ont rendu par leurs impostures ce nom, spécieux en soy, si odieux au simple peuple, auqu’el ils ont fait hair leur bien, pour embrasser ce qui devoit estre enfin leur ruine‹. Das ist die Haltung, die Heinrichs Konversion ermöglicht, ein Schritt, der nur deshalb Erfolg haben kann, weil zwischen den sich bekämpfenden Parteien Kräfte entstehen, die sich von dieser Art der Argumentation faszinieren lassen und sie öffentlich in bewußtem Einsatz für Heinrich anzuwenden bereit sind. So sehen wir de Thou [...] als konsequenten Apologeten des ›sault perilleux‹. Anders als die dogmatischen Protestanten sieht er dieses Ereignis nicht als den Verrat an ihrer Sache, anders als viele Katholiken begrüßt er es nicht einfach als Rückkehr des Königs in den Schoß der alten Kirche, als ›abjuration‹, als Erkenntnis eines früheren Irrtums. Er gibt dem Akt der Konversion an sich einen positiven Sinn, der nicht nur vom ›Politischen‹, von der Staatsräson her zu fassen ist, sondern auch in der Tatsache liegt, daß der König mit diesem Schritt eine Ordnung der Dinge in die Wege leitet und damit ein Gott gefälliges Werk unternimmt.36
Daß er aus dieser Überzeugung heraus »in einer ernsthaft betriebenen politischen Toleranz gegenüber dem Protestantismus den einzigen Weg zu einer Lösung der Pro–––––––––
36
Was aber heißt das anderes, als daß die konfessionelle und zumal die dogmatische Fixierung einer Paralysierung unterliegt, die ihrerseits als die wichtigste Voraussetzung für den Aufstieg des ›politischen‹ Flügels begriffen werden muß? Gewiß hat de Schomberg dem Königshaus unschätzbare militärische und diplomatische Dienste geleistet. Seinem Geschick ist es zuzuschreiben, wenn es 1568 gelang, die Vereinigung des holländischen Heeres unter Wilhelm von Oranien und der deutschen Truppen unter Wilhelm von Nassau zu verhindern – eines der folgenschwersten Ereignisse in der politischen Geschichte des Calvinismus. Seine große Stunde kam jedoch erst mit dem Aufstieg Heinrichs von Navarra. Sie eröffnete ihm nicht nur die Möglichkeit, den Makel seines Abfalls vom Hugenottentum zu tilgen, sondern auch »den Segen religiöser Duldung über Frankreich herabzurufen.« (Ebenda, S. 292). Auch de Schomberg hat sich am Ediktenwerk beteiligt. Seine von de Thou überlieferte Ansprache an Heinrich IV., die Versöhnung zwischen den Ligisten und Royalisten durch die Konversion zu befördern, steht ganz unter dem Leitstern der Friedens- und Staatsidee. »Während die Religion uns gegen einander waffnet, erleichtern wir ihnen [den ausländischen Mächten] die Mittel, den Staat und die Religion selbst umzustoßen. Deshalb, Sire, wenden Sie nicht die Gewalt an, weil der Krieg Ihnen vielleicht eben so unheilvoll als Ihren Feinden sein kann. Denken Sie eher Ihre Unterthanen in einem festen Frieden zu einigen. [...] Gibt es endlich etwas Nützlicheres, als die Ordnung überall nach der Verwirrung durch den Krieg wiedereinzuführen? Ihre Unterthanen ihrer Pflicht wiederzugeben, und Ihr Ansehn wiederzubegründen? Sie dürfen, Sire, vom Frieden alle diese Wohlthaten erwarten. [...] Bürgerkrieg macht Fürsten und Völker gleich! aber gleich nach dem Frieden gewinnt der Fürst bald das Uebergewicht, welches der Krieg ihm entzog; [...].« (Ebenda, S. 328 ff.). Es ist dies die gleiche politische Überzeugung, die auch aus de Thous Werk spricht. Hinrichs: Fürstenlehre und politisches Handeln im Frankreich Heinrichs IV. (Anm. 10), S. 154.
Portrait Jacques-Auguste de Thous
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bleme sieht, hinter dem die dogmatischen Auseinandersetzungen zurücktreten müssen«, ist selbstverständlich und bestimmt seine Mitwirkung am Ediktenwerk Heinrich IV. als Präsident des Pariser Parlaments.37 Umgekehrt – und wiederum nur konsequent – widersetzt er sich, wie schon sein Vater, der Rezeption der Tridentiner Beschlüsse in Frankreich und insbesondere der Wiedereinsetzung des 1594 vom Pariser Parlament dispensierten Jesuitenordens.38 Die Überarbeitung der Statuten der Pariser Universität atmet den gleichen Geist.39 So wirkte es wie ein Siegel auf das politische und konfessionelle Vermächtnis de Thous, wenn es seinen Gegnern nach jahrelangem Kampf gelang, das größte Werk zeitgenössischer Geschichtsschreibung, das das 16. Jahrhundert hervorgebracht hat, 1609 auf den Index verbotener Bücher zu setzen.40 ––––––––– 37 38
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Ebenda, S. 151. Vgl. Antoine Arnauld: Relation de ce qui s’est passé en M.DCIV. au rétablissement des Jésuites, tirée de l’Histoire de M. le Président de Thou. Livre 132. M.DCCXVII. [mit gesonderter Paginierung in:] Les plaidoyers de M. Antoine Arnauld [...].- [s.l. s.p.] 1716. Dazu F[rançois].-T[ommy]. Perrens: L’église et l’état en France sous le règne de Henri IV et la régence de Marie de Médicis. Band I–II.- Paris: Durand, Pedone-Lauriel 1872, Band I, S. 172 ff. und S. 228 ff., sowie Martin: Le Gallicanisme et la réforme catholique (Anm. 14), S. 317 ff. Zuletzt Claude Sutto: Le contenu politique des pamphlets anti-jésuites français à la fin du XVIe siècle.- In: XVIIe Colloque international de Tours. Théorie et pratique politiques à la Renaissance.- Paris: Vrin 1977 (De Pétrarque à Descartes; 34), S. 233–246. Vgl. A. Joseph Rance-Bourrey: La réforme de l’Université de Paris sous Henri IV., d’après deux manuscrits de la bibliothèque Méjanes.- Aix: Makaire 1885. Zum Kampf um die Indizierung des berühmten Werkes vgl.: Perrens: L’église et l’état en France (Anm. 38), Band I, S. 341 ff.; A. Joseph Rance-Bourrey: J.-A. de Thou. Son Histoire Universelle et ses démêlés avec Rome.- Thèse théol. Paris 1881, insb. S. 87 ff.; Franz Heinrich Reusch: Der Index der verbotenen Bücher. Band I–II.- Bonn: Cohen 1883–1885. Band II, S. 192–195; Manlio D. Busnelli: Les relations de Fra Paolo Sarpi et du Président J.-A. de Thou d’après leur correspondance inédite Venise – Paris 1604–1617.- In: Annales de l’Université de Grenoble. Section lettresdroit. Nouv. sér. III/2 (1926), S. 1–30. Sodann ausführlich Alfred Soman: De Thou and the Index. Letters from Christophe Dupuy (1603–1607).- Genève: Droz 1972, S. 13–28: ›Introduction‹. Das von Samuel Kinser: The Works of Jacques-Auguste de Thou.- The Hague: Nijhoff 1966 (Archives Internationales d’Histoire des Idées; 18), S. VII f., angekündigte Werk: ›The Condemnation of Jacques-Auguste de Thou’s History of his Time. Genf 1967‹, ist m.W. nicht erschienen. In diesem Zusammenhang ist auch de Thous großes, gegen die Anfeindungen von seiten der Jesuiten geschriebenes polemisch-satirisches Gedicht heranzuziehen: Posteritati. J. Aug. Thuani Poematium, In Quo Argutias quorundam importunorum Criticorum in ipsius Historias propalatas refellit. Opus huc usque fere sepultum, nunc redivivum Notisque perpetuis illustratum Operâ atque Studio I. Melanchthonis.- Amsterdam: Elzivir 1678 (Staatsbibliothek Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Yc 8706). Der Text hier S. 1–12, eine eingehende Exegese Melanchthons S. 13–74. Erstdruck in der von Pierre Dupuy und Nicolas Rigault veranstalteten fünfbändigen, mit einem Vorwort von Lingelsheim versehenen Ausgabe Orléans (i.e. Genève) 1620 im Rahmen der – vermutlich gleichfalls von Dupuy und Rigault stammenden – Biographie de Thous: Viri Illvstris Iac. Aug. Thuani [...] Commentariorvm de vita sva, Libri sex. 1621 [mit gesonderter Paginierung in:] Illustris Viri Jacobi Avgvsti Thvani [...] Historiarvm Svi Temporis Ab anno Domini 1543. usque ad annum 1607. Libri CXXXVIII. Band I.- Orléans (i.e. Genève): [s.p.] 1620, S. 1–102, S. 81–87. Dazu die einschlägigen, über das Register leicht zu erschließenden Briefe in: Briefe G.M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Nach Handschriften hrsg. von Alexander Reifferscheid.- Heilbronn: Henninger 1889 (Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts; 1) [mehr nicht erschienen!]. Die Vorrede des fingierten Herausgebers Lingelsheim hier S. 735 f. In französischer Fassung: Apologie pour l’Histoire de
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Späthumanistisches Vermächtnis de Thous im Spiegel einer deutschen Übertragung von Zacharias Geizkofler Ein Resümee seiner leitenden politischen Vorstellungen hat de Thou in der Einleitung zu seinem großen Geschichtswerk niedergelegt. Sie darf als sein politisches Vermächtnis gelten und stellt zugleich ein gewichtiges Zeugnis politischer Philosophie aus dem Umkreis Heinrichs IV. dar. Dieser Koinzidenz mit der Politik des Königshauses verdankte sie ihre öffentliche Propagierung und ihre rasche, weit über die Grenzen Frankreichs hinausreichende Verbreitung.41 Die erstmals im ersten Teil der lateinischen Fassung von de Thous Geschichtswerk im Jahre 1604 abgedruckte Vorrede an Heinrich IV., die seither alle nachfolgenden Auflagen begleitete, wurde in der Übersetzung von Jean Hotman de Villiers noch im gleichen Jahr separat gedruckt und – teilweise auch in Übersetzungen – wiederholt vorgelegt.42 In Deutschland wurde sie auszugsweise 1620 durch Zacharias Geizkofler eingeführt.43 –––––––––
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Monsieur de Thou. Traduite d’un poème latin dédié à la postérité.- Amsterdam: Desbordes 1705. U.a. wieder abgedruckt in: Mémoires de la vie de Jacques-Auguste de Thou. Première édition. Traduite du latin en françois.- Rotterdam: Leers 1711, S. 210–226: ›A la postérité‹ (Bibliothèque Nationale (BN) Paris: Ln27 19601). Dazu an gleicher Stelle: ›Remarques sur la traduction du poème à la postérité‹, S. 268–276. Englische ›concise translation‹ unter dem Titel ›To posterity. (Written March 15, 1611)‹ bei Collinson: The Life of Thuanus (Anm. 30), S. 76–81. In diesen Zusammenhang gehört schließlich auch Pierre Dupuys Verteidigungsschrift: Apologie pour Monsieur le Président de Thou sur son Histoire. M.DC.XX.- In: Recueil de pièces historiques et curieuses. Band I–II.- Delft: Vorburger 1717 (BN Paris: Lb35 896). Hier im ersten Band mit gesonderter Paginierung die ›Apologie‹ mit der Unterschrift ›Signé P. Dupuy‹. Vgl. zum Folgenden und insbes. zur überaus komplizierten Druckgeschichte des de Thouschen Geschichtswerks Kinser: The Works of Jacques-Auguste de Thou (Anm. 40), passim, sowie Harrrisse: Le Président de Thou (Anm. 30), S. 91 ff.: ›Les traductions françaises de L’Historia sui temporis de J.-A. de Thou‹ (auch in: Bulletin du Bibliophile et du Bibliothécaire (1904), S. 259– 267, S. 327–339, S. 392–400, S. 487–497 und S. 541–550). Stets heranzuziehen zur Geschichte des de Thouschen Werkes – insbes. zur Kontroverse mit Rom und den Jesuiten – auch die reichhaltiges dokumentarisches Material enthaltenden Bände der Ausgabe London 1733. Hier Band VII: Sylloge Scriptorum Varii generis et argumenti: In Qua Plurima de vita, moribus, gestis, fortuna, scriptis, familia, amicis et inimicis Thuani, scitu dignissima continentur; ex quibus partim antehac editis, partim ineditis, nunc vero primum collectis, atque huic editioni Historiae additis, conficitur Tomus Septimus.- London: Buckley 1733 (BN Paris: F La20 10). Vgl. zu dieser berühmten, von Samuel Buckley veranstalteten Ausgabe Alfred Soman: The London Edition of De Thou’s History: A Critique of Some Well-Documented Legends.- In: Renaissance Quaterly 24 (1971), S. 1–12. Vgl. auch den entsprechenden Band XV der ersten französischen Gesamtausgabe London (i.e. Paris): [s.p.] 1734. Zur schwierigen Frage der Memoiren de Thous eingehend die Arbeit von Kinser: The Works of Jacques-Auguste de Thou (Anm. 40), S. 168–201. Préface de Monsieur le Président de Thou, sur la première partie de son Histoire. Mise en François par le S[ieu]r de V[illiers] H[otman].- Paris: Le Bret 1604 (BN Paris: La20 12; hiernach im folgenden zitiert). Die Vorrede ist noch dem großen Werk von Élie Benoist: Histoire de l’Edit de Nantes. Band I.- Delft: Beman 1693, vorangestellt (Bl. h2r–i4v). Vgl. Kinser: The Works of JacquesAuguste de Thou (Anm. 40), S. 297 f. So wie im Deutschen (dazu ebenda, S. 298) liegt auch im Englischen ein Auszug mit symptomatischem Titel vor: An Extract out of Thuanus, his Preface to his History [...] Concerning Toleration of Differences in Religion.- London: Brewster 1660 (vgl. ebenda, S. 298 f.). Eine englische Übersetzung der gesamten Vorrede dann bei Collinson: The Li-
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Geizkofler entstammte einem berühmten Geschlecht von Juristen- und Humanisten in der schwäbischen Reichsstadt Augsburg, das über das Gaststätten-, Münz- und Baugewerbe den Aufstieg im Dienst der Fugger bzw. des Kaiserhauses genommen hatte.44 Gleich seinem jüngeren – und infolge seiner Selbstbiographie vielleicht bekannteren – Bruder Lucas, der als Syndikus für die Fugger tätig war, wählte Zacharias Geizkofler das juristische Studium u.a. bei Cujas in Bourges, stand zunächst gleichfalls im Dienst der Fugger, wechselte dann jedoch in diplomatischer Mission zum Landesfürsten Ferdinand II. von Tirol über, wurde 1589 von Rudolf II. zum Reichspfennigmeister erhoben und avancierte schließlich zum kaiserlichen wirklichen Rat und Reichsritter – ein Paradigma für sozialen Aufstieg via gelehrte Qualifikation. Auf seinem Rittergut Haunsheim führte er die Reformation ein und schaffte die Leibeigenschaft ab. Da der lateinische wie der französische Text der Vorrede de Thous wiederholt analysiert worden ist, mag es angebracht sein, den Reflex des Traktats auf deutschem Boden kurz in seinen zentralen Kategorien zu studieren. Der Protestant gibt sich in seinem politischen Sendschreiben als Verfechter konfessioneller Toleranz zu erkennen. Nur so seien der »gemeine Fride« und des »Vatterlands wolfahrt« als höchste politische Güter zu bewahren.45 Dieses Konzept liegt auch dem de Thouschen Traktat zugrunde. Geizkofler setzt denn auch unvermittelt sogleich bei den religionspolitischen Passagen de Thous ein; die einleitenden und insbesondere die abschließenden, teilweise extensiven Panegyrica auf Heinrich IV. bleiben weitgehend ausgespart. Heinrich figuriert in ihnen als der große Friedensstifter, qui ayant par une faveur singulière de Dieu dompté tous ces monstres de rebellion et esteint le feu de nos partialitez, avez heureusement rendu la paix à la France, et à ceste paix adiousté deux choses que l’on iugeoit incompatibles: la Liberté et la Royauté.46
Die Freiheit, die dem Frankreich Heinrichs IV. aus Sicht de Thous geschenkt wird, ist eine solche, die es jedermann ermöglicht, »de penser ce qu’il veut et de dire librement ce qu’il aura pensé.«47 Doch signalisiert der Begriff in der bezeichnenden Konjunkti––––––––– 43
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fe of Thuanus (Anm. 30), S. 387–443, unter dem Titel: ›The Preface of Thuanus; or, Dedication of his History to Henry IV.‹ (dazu ebenda, S. 299 f.). Zacharias Geizkofler: Drey Politische Discurs Deß Edlen vnd Gestrengen Herrn Zachariae Geitzkofflers von Gailenbach zu Haunßheim Ritters/ etc.- [s.l. s.p.] 1620. Daran angehängt Bl. F4r–H2r: ›Extract vnnd Auszug auß Herrn Jacobi Augusti Thuani/ deß fürtrefflichen Historici Praefation oder Vorred an König Henrich den IV. in Franckreich/ darauff sich Herr Geitzkoffler in vor gehendem Rahtschlag Referirt vnnd zihet.‹ (BN Paris: M 3433 und 3434). Zu den Geizkoflers vgl. – neben dem entsprechenden NDB-Artikel mit weiterer Literatur – Johannes Müller: Zacharias Geizkofler 1560–1617. Des Heiligen Römischen Reiches Pfennigmeister und oberster Proviantmeister im Königreich Ungarn.- Baden bei Wien: Rohrer 1938 (Veröffentlichungen des Wiener Hofkammerarchivs; 3); Friedrich Blendinger: Michael und Dr. Lukas Geizkofler.- In: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 8 (1961), S. 108–138; ders.: Zacharias Geizkofler.- In: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 8 (1961), S. 163–197; Alois Schweizer: Lucas Geizkofler (1550–1620). Bildungsweg, Berufstätigkeit und soziale Umwelt eines Augsburger Juristen und Späthumanisten.- Diss. phil. Tübingen 1976. Geizkofler: Extract vnnd Auszug (Anm. 43), Bl. F2v. Préface de Monsieur le Président de Thou (Anm. 42), S. 3 f. Ebenda, S. 5.
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on mit dem Begriff der ›Royauté‹ auch und gerade die unter Heinrich IV. sich ausbildende etatistische Souveränität, die es ihrem Repräsentanten gestattet, unabhängig von der Einwirkung staatsfremder – und das heißt vor allem konfessioneller – Mächte zu agieren. De Thous Geschichte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – so versichert die Vorrede zu wiederholten Malen – sucht im Medium der Geschichtsschreibung dieses politische Credo zu befördern. Sie ist ganz von dem aktuellen Interesse inspiriert, ihrerseits dem konfessionellen Fanatismus und damit der Spaltung des Staatsvolkes entgegenzuwirken, indem sie Präferenzen nicht zu erkennen gibt und sich um größtmögliche Objektivität und Neutralität bemüht. »J’ay tant qu’il m’a esté possible par mes paroles adoucy l’aigreur des choses, sans précipiter mon iugement, ou m’égarer dans la médisance.«48 Entsprechend wird ihr Autor es vorziehen, »estre accusé de temerité que d’ingratitude« – ein im konfessionellen Zeitalter schwerlich vorstellbares Bekenntnis, welches an eine der Wurzeln des prudentia-Ideals im 17. Jahrhundert heranführt.49 Nicht mehr eingegangen in die deutsche Version ist dann auch de Thous beschwörender Appell an Heinrich IV., das Werk der Pazifizierung unter allen Umständen zum Abschluß zu bringen. Empoignez donc, SIRE, l’occasion de cette nouvelle gloire, et tenez pour chose assurée que ce repos duquel nous iouïssons tous si heureusement aujourdhuy avec V.M. ne peut estre de longue durée, si nous ne l’employons à bon escient à l’avancement de la gloire de Dieu et à pacifier les differens en la religion.50
Es ist de Thous unumstößliche, von zahllosen Späthumanisten geteilte Überzeugung, daß die staatliche Antwort auf die konfessionelle Dissoziierung der europäischen Christenheit unter keinen Umständen eine der Gewalt sein darf. Hier setzt Geizkofler ein: Die erfahrung gnugsam beweiset/ daß die Religions trennungen/ als Kranckheiten deß Gemühts/ durch Schwerd/ Fewr/ Landverweiß vnd Verfolgung/ vil mehr entzündet als geheylet worden: Vnd dannenhero nit durch solche mittel/ so den Leib allein angreiffen/ sondern viel mehr durch die Lehr vnd fleißige vnterrichtung/ die das Gemüt fein sanfft einnehme/ den sachen rath zuschaffen seye. Dann alle andere sachen nach Wohlgefallen der weltlichen Obrigkeit vnd Regenten kahn angeordnet vnnd gebotten werden: Allein die Religion läst sich nicht gebieten (oder durch Gebott aufftringen) sondern wirdt auß vorgeschöpffter meinung oder Wahrheit/ vermittels Göttlicher gnad dem Hertzen eingegossen. Das Martern vnd Peinigen hilfft darzu nichts/ ja sterckt vnd steifft viel mehr das Gemüth/ als daß es dasselbe erweiche oder eins andern bereden solte.51
Die religiöse Sphäre scheint dem Zugriff staatlicher Sanktion entzogen. Doch diese Verinnerlichung der religiösen Gewißheit und der Verzicht auf ihre staatlich-politische Objektivierung, von der Katholizismus und Calvinismus gleichermaßen leben, ist nur ein Indikator für die Einbuße ihrer lebensgestaltenden Kraft. Denn in Wahrheit ist auch für de Thou ungeachtet aller religiösen Beteuerungen die Entscheidung be––––––––– 48 49 50 51
Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 33 f. Geizkofler: Extract vnnd Auszug (Anm. 43), Bl. F4r.
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reits für die sakrosankte, dem konfessionellen Hader entzogene und ihr übergeordnete etatistische Norm gefallen. De Thou bewegt sich damit, wie Ernst Hinrichs gezeigt hat, ganz im Vorstellungskreis des Königs und seiner führenden Köpfe. Der Religionsbegriff läßt »gar keine Möglichkeit zur Ausdehnung religiöser Dinge auf staatliche Belange [zu]. [...] Politik und Religion sind grundsätzlich verschiedene Faktoren.« Daher der Optimismus des Königs, prinzipiell »alle aus der Frage des Religionspluralismus erwachsenden Probleme als lösbar zu betrachten [...].«52 Die Substitution der Religion durch das ›Nationale‹ und das prinzipiell als homogen betrachtete Interesse aller ›cives‹ sind nur der sichtbare Ausdruck dafür, daß die Religion ihre integrierende und konsensstiftende Funktion verloren hat. daher Das ›Religiöse‹ in seiner konfessionellen Form scheidet als einigendes Moment aus; [...]. Nicht mehr die Mitgliedschaft in einer religiösen Gemeinschaft, wohl aber viele andere politisch-soziale Bindungen können als die Untertanen einigendes Element dienen.53
Es ist denn auch ein durchaus pragmatischer Gesichtspunkt, der de Thous Toleranzempfehlung begründet. Der religiöse Eifer würde durch staatliche Intervention nur gesteigert, und eben nicht gedämpft. In den Worten Geizkoflers: Krieg sei kein rechtmeßiges mittel [...]/ den trennungen in der Kirchen abzuhelffen. Dann das die Protestirenden bey vns/ so zu fridens zeiten an der zal vnd autoritet täglich abgenommen/ bey dem Krieg vnd Zwitracht allezeit gewachsen/ vnd das entweder auß vnzeitigem eyfer gegen der Religion/ oder auß Ehrgeitz vnd begierd der newerung von vnsern Catholischen ein hochschädlicher Jrrthumb begangen worden/ in dem sie den wider die Protestirende offt vorgenommenen vnd wider gestilten jnnerlichen Krieg/ mit der Cron Franckreich gröstem vnheil/ vnd der Catholischen Religion selbsten hoher gefahr/ so offt auffs newe vorgenommen/ ist ohnnot/ mit viel worten zu beweisen/ weil die sach an jhr selbst klar vnd am tag.54
Das aber ist auch de Thous Ziel. Die blutige Verfolgung Andersdenkender noch vor der Reformation, sie hat nicht nur der katholischen Religion geschadet und eben damit den Grund gelegt für die reformatorische Bewegung, sondern sie hat vor allem auch den »gemeine[n] fried vnd wolstand« zerstört, die nun als summum bonum politischer Philosophie am Ende der Bürgerkriege sich herauskristallisieren. Beides hatte Ferdinand I. in seiner nicht zum Abschluß gelangten Religionspolitik gegenüber den Protestanten im Auge; beides bestimmt nun die politischen Maximen Heinrichs IV. In der weisen, von der Gewalt Abstand nehmenden Gestalt des Regenten ist das überlegene, jenseits der Parteiungen angesiedelte Prinzip staatlicher Pazifizierung verkörpert. Die Herrscher, »welche die Religions krieg viel lieber auch mit harten conditionen gütlich beylegen/ als mit gewehrter hand außführen wollen«, handeln als Weise in Übereinstimmung mit den Prinzipien der alten Kirche.55 Auch der religionspolitischen Praxis Heinrichs IV. versucht de Thou ein religiöses Motiv zu unterlegen. Die nach der Konversion als Irrtum erscheinende Zuneigung ––––––––– 52 53 54 55
Hinrichs: Fürstenlehre und politisches Handeln im Frankreich Heinrichs IV. (Anm. 10), S. 297. Ebenda, S. 301 f. Geizkofler: Extract vnnd Auszug (Anm. 43), Bl. G3r–G3v. Ebenda, Bl. G2v.
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zum Protestantismus habe sich als Milde gegenüber den Andersdenkenden in sinnvolles staatliches Handeln transformiert. Tatsächlich setzte Heinrich IV. mit seiner Rückkehr in die katholische Kirche ein politisches Zeichen gegenüber den Untertanen, die aufgerufen blieben, auch ihrerseits vom Fanatismus Abstand zu nehmen und sich ins Hergebrachte zu fügen. Sinnfälliger politischer Ausdruck dafür ist das Edikt von Nantes. Es ist in seinen Einzelzügen wie in seinen programmatischen Impulsen ein deutlicher Reflex dessen, was Heinrich IV. in seiner Religionspolitik auf weitere Sicht zu erreichen sucht. Es wird getragen von seinem Willen, in jedem Fall auf friedlichem Wege zur Lösung der Frage zu kommen. Es hat einen durchgehend konservativen Charakter insofern, als es auf die Wiederherstellung eines Zustandes und einer Ordnung drängt, in denen die traditionellen Kräfte, vor allem auch die katholische Religion, ihre Stellung behalten. Es knüpft bewußt an die Ansätze der Vergangenheit zur Überwindung des religiösen Problems an und stellt die Politik Heinrichs damit erneut in die Kontinuität der französischen Monarchie. Es ist traditionell und zukunftsweisend zugleich in dem Bemühen, den religiösen Kräften ihre staatstragende und staatserhaltende Funktion zwar zu sichern, ihren politischen Ambitionen aber den Boden zu entziehen.56
De Thou sieht es ebenso wie die auswärtige Friedenspolitik des Königs von der Hoffnung inspiriert, es würde solcher gestalt die verbitterung allgemach nachlassen/ frid vnd einigkeit gepflantzt/ vnd also mit vnpaßionirten gemüttern desto leichter erkandt werden/ welchs die beste/ das ist/ die elteste Religion seye.57
Diesem Rückgriff auf das Anciennitätsprinzip ist ein Moment der Beliebigkeit unschwer anzumerken. Sie hat ihre Wurzel in der Relativierung der religiösen Wahrheit zugunsten staatlicher Funktionsfähigkeit. Der neustoizistische Appell an die Leidenschaftslosigkeit gibt so ihren säkularen, modernen Aspekt frei. Einen Ausweg aus der Zerrissenheit sieht de Thou in einer Besetzung der kirchlichen wie der weltlichen Ämter mit integren Amtsträgern: Bey dem vnheil aber/ nemblich so wol der Widersacher jrrungen/ als vnserer eignen Leut lastern/ ist meines erachtens besser nicht abzuhelffen vnd zubegegnen/ als das man beides auß der Kirchen vnd Weltlichem Regiment/ das kauffen vnd verkauffen der ämpter auffhebe: die Tugend belohne: Gottselige/ gelehrte/ fromme Männer/ deren verstand vnd bescheidenheit man allbereit erkandt/ der Kirchen vorsetze: nicht newe/ vnlengst eingeschlichene (verstehe die Jesuiten) sondern solche Leut/ deren auffrichtigkeit gnugsam bewust/ die Gottsfürchtig/ vnd dem Geitz feind seyen/ nicht wegen gunst/ oder Geldes/ sondern allein vmb jhrer Tugend willen herfür ziehe. Dann im widrigen fall/ vnd da man ohn vnderscheid gute vnd böse befürdern solte/ leichtlich zuerachten/ das der frid nicht lang würde bestehn mögen/ vnd die jenigen Stätt in vndergang gerahten/ deren Vorsteher zwischen bösen vnd guten keinen vnderscheid machen können/ [...].58
Ist es zufällig, daß der Traktat einmündet in die von den Gelehrten stets proklamierte, von Stand und Konfession, Reichtum und gesellschaftlichem Rang unabhängige Sachkompetenz der Beamten? Es sind die späthumanistischen Gelehrtenkreise, in denen mehr als ein Jahrhundert vor der Aufklärung der Gedanke religiöser Toleranz zu––––––––– 56 57 58
Hinrichs: Fürstenlehre und politisches Handeln im Frankreich Heinrichs IV. (Anm. 10), S. 305. Geizkofler: Extract vnnd Auszug (Anm. 43), Bl. H1v. Ebenda, Bl. H2r.
Die frères Dupuy und ihr ›Cabinet‹
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erst gedacht und dem Staat als oberster Norm die Pazifizierung zuerkannt wird. Eben das begründet die Interaktion von Königtum und Gelehrtenschaft, wie sie sich paradigmatisch im Umkreis Heinrichs IV. und de Thous studieren läßt. Die mehr oder weniger deutliche Reserve der Humanisten gegenüber der christlichen Überlieferung und zumal gegenüber der konfessionellen Polemik konkretisiert sich zu Ende des 16. Jahrhunderts im theoretischen Entwurf wie im praktischen Eingriff gleichermaßen, in denen sich der Aufstieg des frühmodernen absolutistischen Staates ebenso flektiert, wie dieser umgekehrt durch das Wirken der Humanisten flankiert und befördert wird. De Thous immenses Geschichtswerk lebt aus diesem Ethos.
Die frères Dupuy und ihr ›Cabinet‹ »Bien que l’on en ait beaucoup parlé, on ne connaît pas grand-chose sur les frères Dupuy, gardes de la bibliothèque du roi.« Mit diesem Satz beginnt Roman d’Amat im Jahre 1970 seinen einspaltigen Artikel über Jacques und Pierre Dupuy im ›Dictionnaire de Biographie Française‹.59 Man kann ihn nur vorbehaltlos bestätigen. Dabei waren sich schon die Zeitgenossen bewußt, daß der Kreis der Dupuys eine geschichtliche Darstellung verdiente. Saumaise gibt im Widmungsschreiben zu seinen ›Observations sur le Droit Attique & Romain contre Monsieur Airauld‹ seiner Hoffnung Ausdruck, daß ein Portrait all jener »excellens hommes qui frequentoient le Cabinet« von denjenigen geliefert würde, »qui nous en donneront une histoire entiere & complette.«60 Nicaise, der in seiner Widmungsschrift zu ›Les Sirènes, ou Discours sur leur Forme et Figure‹ (1691) »un petit abrégé de l’Histoire du Cabinet« bietet, weil seine ästhetischen Erwägungen dort zunächst vorgetragen worden waren, beruft sich auf Bouillau und Ménage als seine maßgeblichen, weil noch lebenden Gewährsleute: Ces sçavans hommes pourroient nous faire une belle histoire du Cabinet: mais le grand âge du premier, & sa santé ne luy permettent pas, & le second est tellement occupé à illustrer la Langue Françoise, & à nous en chercher les origines les plus cachées dans l’édition qui s’en fait pour une seconde fois, augmentée d’une infinité d’observations curieuses, dignes de sa grande érudition, qu’il ne peut se donner le temps de penser à d’autres choses.61
Damit war die Chance verloren, aus dem Kreis der Mitglieder des Zirkels selbst eine Darstellung zu erhalten, von der man Authentizität wenigstens im Faktischen hätte erwarten dürfen. Das späte 17. und das 18. Jahrhundert haben vereinzelt biographische Annäherungen gebracht. Die gelehrte Gesellschaft der Dupuys, ohnehin bald in den Schatten der ›Académie Française‹ geratend, hat das Interesse der französischen Aufklärung offensichtlich nicht nachhaltig zu wecken vermocht. Und im 19. Jahrhundert geriet auch die ›Académie Putéane‹ in jene – letztlich vom Laizismus der dritten Republik bestimmte – Libertinage-Diskussion, die noch die größeren Darstellungen aus der Mitte ––––––––– 59 60
61
Dictionnaire de Biographie Française XII (1970), Sp. 596 f. Hier zitiert nach Claude Nicaise: Les Sirènes, ou Discours sur leur Forme et Figure.- Paris: Anisson 1691, S. 7. Ebenda, S. 6.
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XVI. In der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus
des 20. Jahrhunderts von Pintard und Adam mehr oder weniger deutlich präformiert und die von vornherein wenig geeignet war, der geschichtlichen Physiognomie des Späthumanismus ansichtig zu werden.62 Religiöser Defätismus, politischer Quietismus und moralische Libertinage der Mitte des 19. Jahrhunderts haben mit dem Späthumanismus des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts nichts gemein. Hier ist ein Zugang nur im Kräftefeld von Konfessionalismus und Absolutismus zu gewinnen. Speziell im Falle der Dupuys bleibt jeder Fortschritt unserer Erkenntnis an eine extensive Erschließung des Nachlasses gebunden. Doch steht zu befürchten, daß gerade seine immensen Dimensionen die Erstellung einer umfassenden Biographie der Dupuys bzw. einer über die bisher so beliebten knappen Einzelporträts hinausgehen––––––––– 62
Vgl. den – freilich vom Ansatz her immer noch zu unkritischen – Forschungsbericht von Gerhard Schneider: Der Libertin. Zur Geistes- und Sozialgeschichte des Bürgertums im 16. und 17. Jahrhundert.- Stuttgart: Metzler 1970 (Studien zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft; 4), S. 9–34, sowie den grundlegenden und – was die Libertinismus-Diskussion angeht – gleichfalls äußerst reservierten Abschnitt über den ›französischen Späthumanismus‹ bei Gerhard Hess: Pierre Gassend. Der französische Späthumanismus und das Problem von Wissen und Glauben.- Jena, Leipzig: Gronau 1939 (Berliner Beiträge zur Romanischen Philologie; IX/3–4), S. 1– 41, insbes. die Abschnitte ›Verweltlichung‹, S. 27–33, und ›Die Libertins‹, S. 33–41. Die hier einschlägigen Werke: Jacques-François Denis: Sceptiques ou libertins de la première moitié du XVIIe siècle. Gassendi, Gabriel Naudé, Gui-Patin, Lamothe-Levayer, Cyrano de Bergerac.- In: Mémoires de l’Académie Nationale des Sciences, Arts et Belles-Lettres de Caen 1884, S. 175–254; F[rançois].-T[ommy]. Perrens: Les libertins en France au XVIIe siècle.- Paris: Chailley 1896; Fortunat Strowski: Pascal et son temps. Première partie: De Montaigne à Pascal.- Paris: Plon 1907 (Histoire du sentiment religieux en France au XVIIe siècle); J.B. Sabrié: De l’humanisme au rationalisme. Pierre Charron (1541–1603). L’homme, l’oeuvre, l’influence.- Thèse Faculté des lettres.Toulouse, Paris: Alcan 1913 (Collection historique des grands philosophes); Henri Busson: La pensée religieuse française de Charron à Pascal.- Paris: Vrin 1933; ders.: La religion des Classiques (1660–1685).- Paris: Presses Universitaires de France 1948 (Bibliothèque de philosophie contemporaine. Histoire de la philosophie et philosophie générale; 13); ders.: Littérature et théologie. Montaigne, Bossuet, La Fontaine, Prévost.- Paris: Presses Universitaires de France 1962 (Publications de la faculté des lettres et sciences humaines d’Alger; 42); ders.: Le rationalisme dans la littérature française de la Renaissance (1533–1601). Nouvelle édition, revue et augmentée.- Paris: Vrin 1957 (De Pétrarque à Descartes; 1); ders.: Les noms des incrédules au XVIe siècle.- In: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 16 (1954), S. 273–283; Antoine Adam: Théophile de Viau et la libre pensée française en 1620.- Genève: Slatkine 1966 (Erstdruck 1935); ders.: Histoire de la littérature française au XVIIe siècle. Band I: L’époque d’Henri IV et de Louis XIII.Paris: Domat 1948, S. 292 ff.; ders.: Les libertins au XVIIe siècle.- Paris: Buchet/Chastel 1964 (Collection Le Vrai Savoir), préface S. 7–31; René Pintard: Le libertinage érudit dans la première moitié du XVIIe siècle. Band I–II.- Paris: Boivin 1943; Lucien Febvre: Le problème de l’incroyance au XVIe siècle. La religion de Rabelais. Édition revue.- Paris: Michel 1947 (Bibliothèque de synthèse historique. L’évolution de l’humanité; 53); Vittorio de Caprariis: Libertinage e libertinismo.- In: Letterature moderne 2 (1951), S. 241–261; Marcel de Grève: François Rabelais et les libertins du XVIIe siècle.- In: Études Rabelaisiennes 1 (1956), S. 120–150; J[ohn]. S. Spink: French Free-Thought from Gassendi to Voltaire.- London: Athlone Press 1960; Alberto Tenenti: Milieu XVIe siècle, début XVIIe siècle. Libertinisme et hérésie.- In: Annales 18 (1963), S. 1–19; Romana Guarnieri: Il movimento del libero spirito. Testi e documenti.- In: Archivio italiano per la storia della pietà 4 (1965), S. 353–708; Anna Maria Battista: Alle origini del pensiero politico libertino. Montaigne e Charron.- Milano: Giuffrè 1966 (Istituto di studi storico-politici, Università di Roma, facoltà di scienze politiche; 11); Salvo Mastellone: Gallicans et libertins.- In: Aspects du libertinisme au XVIe siècle. Actes du Colloque international de Sommières.- Paris: Vrin 1974 (De Pétrarque à Descartes; 30), S. 229–233.
Charakteristik der ›Collection Dupuy‹
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den gruppensoziologischen Studie verhindert haben – von einer historisch-politischen Profilierung dieses Kreises ganz zu schweigen. Roman Schnur äußert in seinem bekannten Werk über die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts die Vermutung, daß die »›Académie Putéane‹ wohl ›das‹ geistige Zentrum in Paris und für ganz Europa« gebildet hat.63 Ein Blick in die ›Collection Dupuy‹ reicht, um diese Vermutung zu bestätigen. Die internationale und insbesondere die französische Humanismus-Forschung bleibt aufgefordert, diesem Sachverhalt durch eine großangelegte Untersuchung Rechnung zu tragen. An dieser Stelle muß eine knappe Skizze zur Biographie der Dupuys – soweit sie sich bisher übersehen läßt – und zum Kreis der Puteanen ausreichen, um in etwa anzudeuten, welchen politischen und gelehrten Einwirkungen Opitz in Paris ausgesetzt war. Zunächst ein Wort zum Nachlaß.
Charakteristik der ›Collection Dupuy‹ Die sogenannte ›Collection Dupuy‹ bildet einen der drei großen Nachlaßbestandteile der Dupuys, die in die Bestände der Pariser Nationalbibliothek eingegangen sind.64 Gemäß testamentarischer Verfügung gelangten ihre reichhaltige, ca. 9000 Bände umfassende Bibliothek sowie ihre gleichfalls äußerst wertvolle, bereits vom Vater angelegte Handschriftensammlung nach dem Tod Pierre Dupuys in die Königliche Bibliothek.65 Die mehr als 800 Bände umfassende Sammlung ihrer handschriftlichen Aufzeichnungen war ursprünglich nicht für die Königliche Bibliothek bestimmt, sondern wurde einer für vertrauenswürdig angesehenen Person zur geschlossenen Ver––––––––– 63 64
65
Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 29. Zum Folgenden grundlegend Suzanne Solente: Les manuscrits des Dupuy à la Bibliothèque Nationale.- In: Bibliothèque de l’École des Chartes 88 (1927), S. 177–250. Hinzuzuziehen desgleichen von ders.: Introduction à la table alphabétique du catalogue de la collection Dupuy par Léon Dorez.- Paris: Leroux 1928, S. I–XXIV. Der maßgebliche Katalog der ›Collection Dupuy‹ ist von Léon Dorez erarbeitet und von Suzanne Solente durch einen alphabetischen Index hervorragend erschlossen worden: Léon Dorez: Catalogue de la Collection Dupuy. Band I–II.- Paris: Leroux 1899. Table alphabétique par S. Solente.- Paris: Leroux 1928. Vgl. zu älteren handschriftlichen Katalogen Solente: Les manuscrits des Dupuy, S. 214 ff. Vgl. zur ›Collection Dupuy‹ auch Léopold Delisle: Le cabinet des manuscrits de la Bibliothèque Impériale. Band I–IV.- Paris: Imprimerie Nationale 1868–1881. Index des manuscrits cités dressé par Emmanuel Poulle.- Paris: Imprimerie Municipale 1977, Band I, S. 422–424. Ein umfänglicher zweibändiger Folio-Katalog der gedruckten Bücher und Handschriften (außer der ›Collection Dupuy‹!) aus der Feder Jacques Dupuys hat sich erhalten (BN Paris: Mss. latins 10372 und 10373); die Handschriften findet man in Band II, S. 668–681, verzeichnet. Ein Inventar der ›Manuscrits de Pierre et Jacques Dupuy (1657)‹ ist veröffentlicht bei Henri Omont: Anciens Inventaires et Catalogues de la Bibliothèque Nationale. Band I–V.- Paris: Leroux 1908–1921, Band IV, S. 187–211. Ein Verzeichnis der aus der Sammlung Claude Dupuys überkommenen Handschriften hat Omont gleichfalls wieder zugänglich gemacht und mit einer wichtigen Einleitung versehen: ders.: Inventaire des manuscrits de Claude Dupuy (1595).- In: Bibliothèque de l’École des Chartes 76 (1915), S. 526–531. Zu den Handschriftensammlungen der Dupuys auch Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 192–199, speziell über weitere Kataloge der Manuskriptsammlung, ebenda, S. 197 f. Der Druck des Katalogs der Büchersammlung der Dupuys bleibt ein dringendes Desiderat.
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wahrung durch Jacques Dupuy vermacht. Jacques-Auguste de Thou d.J., Erbe der großen de Thouschen Bibliothek, in der die Dupuys die längste Zeit ihres Lebens gewirkt hatten, erwies sich des einmaligen Erbes als unwürdig; zusammen mit der de Thouschen Bibliothek und den de Thouschen Handschriften wurde es 1677 nach seinem Tode verkauft. Erst 1754 gelangte die Sammlung nach manchen Umwegen und nicht ganz ohne Verluste, aber auch um einige Stücke bereichert, in den Besitz der Königlichen Bibliothek und macht heute eines der Herzstücke der Manuskriptsammlung der Pariser Nationalbibliothek aus.66 Wo sich in Deutschland – wie im Fall des ›Pegnesischen Blumenordens‹ – ausnahmsweise ein Gesellschaftsarchiv wenigstens in größeren Teilen erhalten hat, entspricht es aufs Ganze gesehen den Erwartungen, mit denen man den humanistischen Gelehrten und ihrer Literatur im 17. Jahrhundert entgegenzutreten pflegt. D.h. es ist zentriert um die literarischen, die wissenschaftlichen, die persönlichen Interessen und Kontakte der nobilitas litteraria, wie sie Erich Trunz eindringlich geschildert hat. Anders bei den Dupuys und ihrer ›Collection‹. Auch in ihr findet man zwar ein immenses, vor allem um die Briefcorpora gruppiertes literarisches und gelehrtes Material, das für die Geschichte des gesamten europäischen Späthumanismus von gar nicht zu überschätzender Bedeutung ist. Sie enthält ebenso handschriftliche Fassungen, Vorstudien, Paralipomena etc. zu gedruckten Werken. Ihrer Anlage und ihrem inneren Schwerpunkt nach ist sie jedoch kein persönliches Archiv der Gebrüder Dupuy, sondern eine systematisch angelegte und über Jahrzehnte aufgebaute Dokumentensammlung von Autographen und Abschriften zur europäischen Geschichte vornehmlich des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Impuls, den de Thou mit seinem monumentalen Werk zur Zeitgeschichte bei niemandem nachhaltiger als bei den Dupuys ausgelöst hatte, setzte sich bei den Brüdern in der rastlosen Erschließung und Archivierung einschlägiger Dokumente zur Geschichte der jüngsten Vergangenheit fort. Nur ein einläßliches Studium der vor allem durch Dorez und Solente erschlossenen fast tausendbändigen Kollektion vermöchte es, einen angemessenen Begriff von der Spannweite des historischen, politischen und schließlich auch literarischen Interesses der Dupuys und ihrer Freunde zu vermitteln. ––––––––– 66
Dazu eingehend Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 199 ff.: ›La collection Dupuy‹, sowie dies.: Introduction (Anm. 64), S. VI–XIII. Zu den Defiziten dies.: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 218 f., sowie dies.: Introduction (Anm. 64), S. XIII–XXI. Vgl. auch Delisle: Le cabinet des manuscrits (Anm. 64), Band I, S. 422–424, sowie Harrisse: Le Président de Thou (Anm. 30), S. 14 ff. Zur de Thouschen Bibliothek vgl. die extensive Untersuchung von Harrisse: Le Président de Thou (Anm. 30), insbes. Teil I: ›Histoire et catalogues originaux de la bibliothèque‹, S. 1–82; unter dem Titel ›Les de Thou et leur célèbre bibliothèque 1573–1680–1789 (D’après des documents nouveaux)‹ auch in: Bulletin du Bibliophile et du Bibliothécaire (1903), S. 465–477, S. 537–548, S. 577–589 und S. 648–662; (1904), S. 10–22, S. 72–90, S. 165–171, S. 259–267, S. 327–339, S. 392–400, S. 487–497 und S. 541–550. Außerdem Delisle: Le cabinet des manuscrits (Anm. 64), Band I, S. 470–472; Ap[ollin]. Briquet: Notes sur la bibliothèque et les armoiries de J.-Aug. de Thou.- In: Bulletin du Bibliophile et du Bibliothécaire (1860), S. 896–903; Comte L. Clément de Ris: Les amateurs d’autrefois XVI: Jacques-Auguste de Thou (1553–1617).- In: Bulletin du Bibliophile et du Bibliothécaire (1875), S. 225–243; Samuel Kinser: An Unknown Manuscript Catalogue of the Library of J.A. de Thou.- In: The Book Collector 17 (1968), S. 168–176.
Der Vater der Gebrüder Dupuy: Claude Dupuy
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Natürlich dominieren die Zeugnisse zur französischen Geschichte vor allem des Könighauses seit Franz I. (mit einem merklichen Schwerpunkt bei Heinrich IV.) und der wichtigen französischen Provinzen. Aber daneben gibt es – teils in thematisch homogener, teils in vermischter Form – Dutzende von Sammelbänden zur Geschichte und Politik aller relevanten europäischen Mächte, von Italien (einschließlich der einzelnen Stadtstaaten und Fürstentümer sowie der Kurie), Spanien, Portugal und Katalonien über das Haus Habsburg, die Schweiz und die Niederlande, das Reich und seine Territorien bis hin zu England, Dänemark und Schweden, Polen, Ungarn und Rußland sowie dem Vorderen Orient in seiner Verflechtung mit der europäischen Politik. Reichhaltig ist das Material auch zur inneren Geschichte Frankreichs und seiner Institutionen, zu den Parlamenten, zu den Generalständen, zum Wirtschafts-, Finanzund Militärwesen, zu den königlichen Domänen etc. Am auffälligsten jedoch dürfte das Gewicht sein, das den kirchengeschichtlichen und konfessionspolitischen Quellen seit Einführung der Reformation in Deutschland innerhalb der Sammlung zukommt. Wohl gibt es auch gehaltreiche Bände zur Geschichte des Katholizismus, vor allem zum Tridentiner Konzil und zum Jesuitenorden. Das Interesse der Dupuys jedoch ist fixiert auf das Schicksal des Protestantismus in Frankreich wie in Europa sowie auf die staatliche Antwort auf die von ihm ausgehende Herausforderung. Das erklärt sich wie im Falle de Thous so auch im Falle der Dupuys zu einem guten Teil bereits aus der Geschichte des Geschlechts und der Biographie ihrer Repräsentanten.
Der Vater der Gebrüder Dupuy: Claude Dupuy Wie Jacques-Auguste de Thou, gehörten auch die Gebrüder Dupuy jenen führenden Juristenkreisen Frankreichs an, die in der Institution des Parlaments sowie in der Advokatur ein Zentrum ihres Wirkens besaßen und auf die französische Geschichte während und nach den Bürgerkriegen maßgeblichen Einfluß nahmen. Sie entstammten in der Regel bereits arrivierten Familien der ›noblesse de robe‹, bekleideten hohe Ämter der Magistratur und waren fast alle miteinander befreundet, oft verwandt und verschwägert. Die Angehörigen der Magistrature waren in der Regel nicht unbegütert. Gleichwohl hatten sie einen Lebensstil entwickelt, der sich von dem prunkvollen und bisweilen recht lockeren höfischen Leben ihrer Zeit durch seine Bescheidenheit deutlich unterschied. Viele Juristen gaben große Summen für Bücher und wertvolle alte Manuskripte aus. Wenn Eschmann sagt, das Ideal der noblesse de robe habe in dem unübersetzbaren Ausdruck ›austérité‹ gelegen, so meint er damit das, was die heutige Soziologie der Eliten unter Askese versteht: Die Ablehnung, den run auf Komfort mitzumachen, um dadurch zu demonstrieren, daß man die herausragende Position primär nicht erstrebt hat, um ›Geld zu machen‹.67
Schon der Großvater Clément Dupuy, war Advokat am Pariser Parlament. Claude Dupuy, der Vater, absolvierte seine juristischen und humanistischen Studien bei den ––––––––– 67
Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 27.
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Größten seiner Zeit, bei Turnèbe und Lambin, Dorat und Cujas.68 Wie Christofle und Jacques-Auguste de Thou unterhielt er lebhafte Kontakte zu den großen Humanisten seiner Zeit, zu Muret, Manuce, Scaliger, Pithou, Montaigne, Lipsius und anderen. Nächst den persönlichen Verbindungen, die sich aus der Ausübung des gleichen Berufes ergaben, verband das Interesse an humanistischen Studien viele der einflußreichen Pariser Juristen sowohl untereinander als auch mit anderen führenden Persönlichkeiten des geistigen Lebens in Frankreich wie im übrigen Europa. Die Vitae, Briefwechsel und Memoiren lassen deutlich erkennen, in welchem Maße sich die Mitglieder der Magistrature mit den humanistischen und aufkommenden naturwissenschaftlichen Wissensgebieten beschäftigten. Jeder von ihnen rechnete sich als Ehre an, mehrere antike Texte zu edieren, zu kommentieren oder zu übersetzen. Angesichts ihrer oft engen Verbindungen zu bekannten Humanisten und Dichtern wird man sogar sagen dürfen, daß sie nicht nur Liebhaber von humanistischer Bildung und Dichtung waren, sondern entscheidend auf sie einwirkten und die kulturelle Entwicklung ihrer Zeit in erheblichem Maße prägten: Schwerlich gibt es einen Abschnitt der Geschichte, in dem Juristen einen derartigen Einfluß auf das geistige Leben ihrer Zeit hatten.69
Wie später der Sohn Christophe Dupuy, der sich von Rom aus so wirkungsvoll für de Thous Geschichtswerk einsetzen sollte, weilte auch der Vater schon in Italien, und es waren offenbar primär humanistische Interessen, die Anlaß zu dieser Reise gaben. In Rom ist er eifriger Benutzer der Bibliothek Fulvio Orsinis.70 Nach seiner Rückkehr begann er seine Karriere am Pariser Parlament als Parlamentsrat (1575). Die für seine Söhne dann so wichtige Beziehung zu den de Thous wird über den Vater durch seine Eheschließung mit Claude de Sanquin auch verwandtschaftlich befestigt; die Mutter der Gattin ist die Schwester Christofle de Thous. Wie de Thou gehörte auch Claude Dupuy zu jenen vierzehn berühmten Richtern des Pariser Parlaments, die gemäß königlichem Edikt vom 26. November 1581 in die ›Chambre de Guyenne‹ nach Bordeaux entsandt wurden, nachdem das aus beiden Konfessionen paritätisch besetzte Parlament zu Bordeaux funktionsunfähig geworden war. Die Kammer von Guyenne war nur mit Katholiken besetzt. Doch darf man darin, wie Schnur zu Recht betont, nicht einen »Triumph der einen Bürgerkriegspartei sehen.«71 Die Deputierten, zu denen außer Dupuy und de Thou drei Séguiers (Pierre II., Antoine, Jean), Hierôme de Montholon, L’Hospital, Loisel und Pithou gehörten, wa––––––––– 68
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Eine Monographie – wie im Fall Christofle de Thous – existiert für Claude Dupuy leider nicht. Man ist – neben den Arbeiten zu Jacques und Pierre Dupuy – verwiesen auf die einschlägigen Artikel in: Zedler (Anm. 30), Band XXIX, Sp. 1743 f.; Jöcher (Anm. 30), Band III, Sp. 1814; Biographie Universelle (Anm. 30), Band XII, S. 55; Nouvelle Biographie Générale (Anm. 21), Band XV, S. 376; Grande Encyclopédie (Anm. 30), Band XV, S. 99; Dictionnaire des Lettres Françaises (Anm. 30), Le seizième siècle, S. 279, und Dictionnaire de Biographie Française XII (1970), Sp. 581 f. Abdruck eines Gedichtes von Schede Melissus auf Claude Dupuy bei Pierre de Nolhac: Un poète rhénan ami de la Pléiade. Paul Melissus.- Paris: Champion 1923 (Bibliothèque littéraire de la Renaissance. Nouvelle série; 9), S. 86–88. Zahllose Briefe Scaligers an Claude Dupuy (wie auch an de Thou, Pithou u.a.) gedruckt in: Lettres françaises inédites de Joseph Scaliger. Publiées et annotées par Philippe Tamizey de Larroque.- Agen: Michel et Médan; Paris: Picard 1879. Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 28. Vgl. Pierre de Nolhac: La bibliothèque de Fulvio Orsini. Contributions à l’histoire des collections d’Italie et à l’étude de la Renaissance.- Paris: Vieweg 1887, S. 65, Anm. 4 (Bibliothèque de l’école des hautes études. Sciences philologiques et historiques; 74). Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 37.
Im Dienst der Krone: Die Gebrüder Dupuy
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ren als royalistische Katholiken gehalten, die konfessionellen Zwistigkeiten zu überwinden und derart das einheitsstiftende Interesse des Staates zur Geltung zu bringen: Die Spaltung des Gerichts in Bordeaux sollte ja gerade durch eine Kammer überwunden werden, auf deren unparteiische Rechtswahrung es ankam. Das war ein großer Beweis für die Wirkungsfähigkeit der Politiques!72
Wie Jacques-Auguste de Thou gehörte Claude Dupuy folglich zur antiligistischen Front des Parlaments und wurde als solcher – wie de Thou – durch die Ligisten in die Bastille verschleppt. Er war Mitglied des in Tours unter de Thou tagenden Parlaments während der Herrschaft der Liga in Paris. Le Parlement séant à Tours le 24 juillet 1592, après lui avoir fait prêter le serment qu’il n’avait pas signé la Ligue, le réintégra dans son office de conseiller et le députa même vers le roi le 12 février 1594.73
Anders jedoch als de Thou – um diese Parallele ein letztes Mal zu ziehen – war es Claude Dupuy nicht mehr möglich, am Hugenotten-Gesetzgebungswerk in seinen verschiedenen Stadien mitzuwirken. Er starb am 1. Dezember 1594 ein Jahr nach der Konversion Heinrichs IV. Unter den Beiträgern seiner Gedenkschrift findet man Joseph Justus Scaliger, Casaubon, Pasquier, Rapin, Rigault, Dousa, Grotius, Heinsius und andere.74
Im Dienst der Krone: Die Gebrüder Dupuy Das Leben Jacques und Pierre Dupuys gehorcht anderen Gesetzen als dasjenige Claude Dupuys oder Jacques-Auguste de Thous.75 Der Übergang von der Bürgerkriegs––––––––– 72 73 74
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Ebenda. Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 180. V[iri]. Amplissimi Clavdii Pvteani Tvmvlvs.- Paris: [s.p.] 1607 (BN Paris: Ln27 6853). Auch handschriftlich in der ›Collection Dupuy‹, Band 638, Bl. 119 ff. Vgl. Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 180, Anm. 4. In veränderter Form wieder abgedruckt und um weitere Zeugnisse vermehrt in Nicolas Rigault: Viri Eximii Petri Pvteani, Regi Christianissimo A Consiliis Et Bibliothecis Vita.- Paris: Ex officina Cramosiana 1652, S. 217–302 (BN Paris: Rés. Ln27 6862α). Eine moderne Biographie fehlt. Die Beschäftigung mit den Dupuys hat auszugehen von der in der vorigen Anmerkung zitierten Biographie von Nicolas Rigault aus dem Jahr 1652. In ihr sind auch enthalten die Gedächtnisreden von Henricus Valesius und Bernardus Medonius sowie eine anonyme (von Rigault stammende?) Eloge auf Pierre Dupuy. Wiederabdruck der Rigaultschen Gedächtnisschrift und der Rede von Valesius – ›Oratio in obitvm Petri Pvteani Viri clarissimi‹ – ohne die weiteren Beigaben des Rigaultschen Werkes bei William Bates: Vitae Selectorum Aliquot Virorum Qui Doctrinâ, Dignitate, aut Pietate Inclaruere.- London: Wells 1681, S. 660–669 bzw. S. 670–677; Titelauflage London: Wells 1704. Aus den Quellen gearbeitet sodann der knappe biographische Beitrag über die Dupuys bei Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 177–190, speziell zu Jacques und Pierre Dupuy S. 182–190. Unergiebig der Beitrag von M. l’abbé Reure: Notes sur la dynastie littéraire des Dupuy.In: Bulletin de la Diana 14 (1904/05), S. 244–262. Speziell zu Pierre Dupuys historiographischen Arbeiten im Périgord Albert Dujarric-Descombes: Recherches sur les historiens du Périgord au XVIIe siècle.- In: Bulletin de la Société Historique et Archéologique du Périgord 9 (1882), S. 67– 76, S. 162–188, S. 257–293, S. 371–412 und S. 464–486; hier S. 257–278. Weitere Spezialarbei-
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zur Nachbürgerkriegsgeneration wird darin sichtbar. Eine bedeutende politische Karriere machte unter den zehn Kindern Claude Dupuys (acht Söhne, davon zwei schon früh verstorben, und zwei Töchter) nur Christophe Dupuy, der seinen Namensvetter Christofle de Thou zum Patenonkel hatte. Er war es, dem, wie oben angedeutet, als Begleiter des Kardinals Joyeuse in Rom die Aufgabe zufiel, die Verurteilung des de Thouschen Geschichtswerkes zu verhindern, bevor er sodann in der geistlichen Hierarchie zum Generalprokurator des Karteuserordens aufstieg, obgleich er Papst Urban VIII. selbst als zu gallikanisch erschien.76 Auch Pierres beruflicher Weg war zunächst in der Tradition des Vaters auf die Parlamentslaufbahn hin angelegt. Nach Studien bei Théodore Marsile und Isaac Casaubon wurde er – wie sein Bruder Jacques – Advokat am Pariser Parlament: Son jeune frère Jacques fut le compagnon assidu de ses études et plus tard de ses travaux. Tous deux collaborèrent à tel point qu’il est parfois fort difficile de distinguer leur œuvre respective, et on a voulu désigner cette collaboration affectueuse en les unissant sous le nom de ›frères Dupuy‹.77
Eine dem Vater ähnliche Karriere wurde von beiden Brüdern – bei Pierre offenbar auch aus gesundheitlichen Gründen – zugunsten einer wissenschaftlichen Existenz aufgegeben; das Gleichgewicht zwischen politischer und gelehrter Aktivität verschob sich zur letzteren. Ganz in der Linie der älteren de Thous und Dupuys liegt jedoch der unverbrüchliche Royalismus, der die gelehrten historischen Arbeiten der Dupuys mehr oder weniger direkt inspiriert. Man wird darin schwerlich einen Akt von Opportunismus erblicken dürfen, eher ein Analogon zur etatistischen Orientierung der älteren Generation, welche allein eine Zukunft zu haben schien. Sie realisierte sich in anderen, vornehmlich schriftstellerischen Mitteln, wie sie de Thou bereits so eindrucksvoll gehandhabt hatte. Die erste große wissenschaftlich-archivarische Leistung Pierre Dupuys ist die zusammen mit Théodore Godefroy unternommene Inventarisierung und Reorganisierung des ›Trésor des Chartes‹ 1615.78 Sie verschaffte die maßgebliche Qualifizierung –––––––––
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ten unten in den Anmerkungen. Dazu die einschlägigen Lexikon-Artikel: Zedler (Anm. 30), Band XXIX, Sp. 1749 f.; Jöcher (Anm. 30), Band III, Sp. 1817; Biographie Universelle (Anm. 30), Band XII, S. 56–57; Nouvelle Biographie Générale (Anm. 21), Band XV, S. 377–378; Grande Encyclopédie (Anm. 30), Band XV, S. 99–100; Dictionnaire des Lettres Françaises (Anm. 30), Le dix-septième siècle, S. 371–372; Dictionnaire de Biographie Française XII (1970), Sp. 596–597. Weitere Literatur zum Kreis der Dupuys unten Anm. 88. Neben den einschlägigen Lexikon-Artikeln vgl. Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 181, sowie den Anm. 40 zitierten, von Soman edierten Band mit Briefen Christophe Dupuys. Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 183. Dazu grundlegend Henri-François Delaborde: Les travaux de Dupuy sur le Trésor des Chartes et les origines du supplément.- In: Bibliothèque de l’École des Chartes 58 (1897), S. 126–154. Vgl. vom gleichen Verfasser auch die große Studie: Étude sur la constitution du Trésor des Chartes et sur les origines de la série des sacs dite aujourd’hui ›supplément‹ du Trésor des Chartes.- In: Archives Nationales. Layettes du Trésor des Chartes. Inventaires et documents. Band V.- Paris: Plon-Nourrit 1909. Reprint Nendeln/Liechtenstein: Kraus 1977, S. I–CCXXIV. Zu Théodore Godefroy vgl. – neben den einschlägigen Lexikon-Artikeln – D[enis].-C[harles]. Godefroy-Ménilglaise: Les savants Godefroy. Mémoires d’une famille pendant les XVIe, XVIIe et XVIIIe siècles.- Paris: Didier 1873. Reprint Genève: Slatkine 1971, S. 109–139. Die leider unge-
Im Dienst der Krone: Die Gebrüder Dupuy
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für die in den zwanziger Jahren in großem Stil einsetzenden Arbeiten im Auftrage der Krone. Die enge familiäre Bindung zwischen den de Thous und den Dupuys wurde für die Gebrüder Dupuy dann zu einer lebensbestimmenden Realität, als JacquesAuguste de Thou sie testamentarisch zu Verwaltern seiner Bibliothek bestimmte. So wurde auch personell die Brücke zwischen diesen beiden großen französischen Buchund Manuskriptsammlungen auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert hergestellt, die die entscheidende institutionelle Voraussetzung für die ›Académie Putéane‹ darstellte. Die Bearbeitung der de Thouschen Bibliothek war neben der editorischen Erschließung und Verteidigung des de Thouschen Geschichtswerkes das zweite Unternehmen, mit dem die Dupuys im Zusammenwirken mit Rigault ihre Solidarität dem großen Vorgänger gegenüber bewährten. Die fast dreißigjährige Installierung der Gebrüder im ›Hôtel de Thou‹ macht diese enge Verbindung sinnfällig.79 Eine Reise Pierre Dupuys als Begleiter Jean de Thumerys, Sieur de Boissise, nach Holland (1618/19) lag auf der Linie der traditionell engen gelehrten Kontakte zwischen den Niederlanden und Frankreich und führte zur persönlichen Bekanntschaft u.a. mit Heinsius und Grotius. Entscheidend wurde für Pierre Dupuy der königliche Auftrag, nach dem Tode François Pithous (1621) in Troyes die Inspektion und Auswertung der – königliche Rechte bestätigenden – Urkunden vorzunehmen.80 Dupuy und Godefroy rückten derart zu den entscheidenden ideologischen Gewährsmännern Richelieus auf. Immer schon waren die ›lois fondamentales‹, zentriert um Dynastie –––––––––
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druckte Arbeit von Nicole Jordan: Théodore Godefroy. Historiographe de France (1580–1649), war mir nicht zugänglich. Vgl. das vielversprechende Inhaltsverzeichnis in: École Nationale des Chartes. Position des thèses (1949), S. 91–95. Die Mehrzahl der Recherchen Dupuys und Godefroys ist ungedruckt und im Nachlaß Dupuy bzw. Théodore Godefroy (Institut de France, Paris) überliefert. Zu letzterem Fritz Dickmann: Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu. Studien an neu entdeckten Quellen.- In: Historische Zeitschrift 196 (1963), S. 265–319, S. 285; ders.: Der Westfälische Frieden, 3. Auflage.- Münster: Aschendorff 1972, S. 505 f. Vgl. auch: Lettres du Cardinal de Richelieu à MM. Du Puy et Godefroy.- In: Bulletin de la Société de l’Histoire de France 1851–1852, S. 304–306. Zur katalogischen Erschließung der Bibliothek de Thous durch die Dupuys vgl. Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 186. Die handschriftlichen Kataloge der Bibliothek de Thous sind als Band 879 und 880 in der ›Collection Dupuy‹ erhalten. Ob und in welchem Umfang die Dupuys an der Vorbereitung des gedruckten Catalogvs Bibliothecae Thvanae. A Petro et Jacobo Puteanis ordine alphabetico primum distributus. Tum secundum scientias et artes a Ismaele Bulialdo digestus. Nunc vero editus a Iosepho Quesnel. Band I–II.- Paris: Directionis 1679, beteiligt waren, läßt sich mit Sicherheit nicht mehr feststellen. Vgl. Solente Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64). Die Manuskripte de Thous sind von Pierre Dupuy bereits 1617 inventarisiert worden. Vgl. ›Collection Dupuy‹, Band 653, sowie Delisle: Le cabinet des manuscrits (Anm. 64), Band I, S. 470, Anm. 6. Zum Ganzen stets auch heranzuziehen Harrisse: Le Président de Thou (Anm. 30), Teil I. Vgl. vor allem Pierre Dupuy: Traitez Tovchant Les Droits Dv Roy.- Paris: Courbé 1655 (BN Paris: Lb37 3257), sowie ders.: Traité De La Maiorité De Nos Rois, Et Des Régences Dv Royavme.Paris: Mathurin Du Puis et Martin 1655 (BN Paris: 4° Rés. Le5 2). Grundlegend zur Analyse und zur Rekonstruktion des historischen Zusammenhangs Dickmann: Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu (Anm. 78), S. 284–308. Gleichfalls wichtig auf der Basis bis dahin ungedruckten Quellenmaterials der entsprechende Abschnitt bei Church: Richelieu and Reason of State (Anm. 1), S. 361–372. Einführung in die Propagandaliteratur bei Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 146–159, speziell zu Dupuy S. 147. Darüber hinaus stets heranzuziehen die zitierten Arbeiten von Solente (Anm. 64) und Delaborde (Anm. 78).
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und Dominium, gegen landschaftliche Sonderrechte und ständische Privilegien gerichtet gewesen. Unter Richelieu aber beginnt etwas Neues. Wir finden jetzt mit einemmal, wie diese bisher im Kampf des Königtums gegen die widerstrebenden Kräfte im Innern gebrauchte Waffe auch nach außen gewendet wird. Das geschieht durch die [...] Erweiterung des Begriffes der Domäne. Bisher hatte man nur solche Gebiete dazu gerechnet, die die Krone den Seigneurs abgewonnen hatte; die Publizisten der Zeit Richelieus zählen mehr und mehr alles dazu, was die Könige von Frankreich oder ihre Vorgänger, die fränkischen Herrscher, oder gar die alten Gallier jemals besessen oder beansprucht hatten! Damit wuchsen die Grenzen der königlichen Domäne weit über die gegenwärtigen, mehr oder weniger zufälligen Grenzen des Königreiches hinaus, und wenn man die für sie gültigen Rechtsgrundsätze gar in Verbindung brachte mit den [...] Geschichtskonstruktionen, mit der karolingischen oder gallischen Legende, wenn man sie auf den ganzen Umkreis der ›historischen‹ Ansprüche Frankreichs bezog, so gewann die französische Außenpolitik eine ganz neue Waffe, wurde die Annexion weiter Gebiete, die bisher noch außerhalb der französischen Grenzen lagen, zur ›Reunion‹ im wörtlichen Sinne!81
Diese Arbeit ist maßgeblich von den Dupuys, vor allem von Pierre, sowie von Théodore Godefroy geleistet worden. Sie ging Hand in Hand mit der für die royalistische Beamtenschaft seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts typischen gallikanischen Orientierung. Die Dupuys sind auch hier zu den großen Erben Pithous herangewachsen und haben den Kampf mit den Jesuiten nicht gescheut.82 Die äußere Anerkennung dieser für den Aufbau der frühabsolutistischen Monarchie unschätzbaren rechtshistorischen Legitimationsakte ließ nicht lange auf sich warten: Le 31 janvier 1623, le roi, informé des services que lui rendait depuis plusieurs années ›le sieur Dupuy à rédiger par ordre et rechercher les tiltres et chartres concernans le domaine de la Couronne de France et droitz de Sa dite Majesté‹, le retint en la charge de conseiller en ses Conseils d’État et privé. C’est à ce titre que Pierre Dupuy fut membre de la commission chargée de faire valoir les droits du roi sur les territoires contestés des frontières de la Meuse et de la Moselle (1624–1625).83
Ihm wurde eine königliche Pension ausgesetzt »pour reconnaître ses services et ›le travail extraordinaire qu’il faict et continue journellement de faire en la recherche des droits de la Couronne, tant dedans que dehors le royaume‹.«84 Auch Richelieu wußte ––––––––– 81 82
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Dickmann: Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu (Anm. 78), S. 291 f. Vgl. Pierre Dupuy: Traitez Des Droits Et Libertez De L’Église Gallicane [Band I]; Preuves Des Libertez De L’Église Gallicane [Band II].- [s.l. s.p.] 1639 (BN Paris: Fol. Rés. Ld10 7), ders.: Commentaire Svr Le Traité Des Libertez De L’Église Gallicane.- Paris: Cramoisy 1652 (BN Paris: 4° Rés. Ld10 52). Das Dupuysche Kommentarwerk erlebte in erweiterter Fassung zahlreiche Neuauflagen. Grundlegend in diesem Zusammenhang und vor allem zur Auseinandersetzung mit den Jesuiten um die Drucklegung des Werkes Gabriel Demante: Histoire de la publication des livres de Pierre Du Puy sur les libertés de l’église gallicane.- In: Bibliothèque de l’École des Chartes 5 (1843/44), S. 585–606. Vgl. weiter Sée: Les idées politiques en France au XVIIe siècle (Anm. 17), S. 18–81; Albertini: Das politische Denken in Frankreich zur Zeit Richelieus (Anm. 10), S. 29; Willaert: Après le Concile de Trente (Anm. 17), S. 401 f.; Church: Richelieu and Reason of State (Anm. 1), S. 404 f., sowie den – freilich nicht mit Literaturangaben ausgestatteten – Artikel ›Gallicanisme et les Lettres‹ im Dictionnaire des Lettres Françaises (Anm. 30), Le dix-septième siècle, S. 446–449. Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 184 f. Ebenda, S. 185.
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sich seiner Dienste zu versichern. Die Auszeichnung mit dem Titel eines ›historiographe de France‹ besiegelte die Symbiose, die die humanistische Geschichtsschreibung zu Anfang des 17. Jahrhunderts bei den Dupuys mit der sich konsolidierenden Krongewalt einging. In mittelbaren königlichen Dienst genommen wurden die Brüder dann am Schluß ihres Lebens, und zwar auf ihrem ureigensten Gebiet der Bücherkonservierung. Seit 1645 waren sie zusammen mit Rigault in der Königlichen Bibliothek in der Rue de la Harpe tätig, wohin sie auch ihre eigene Kollektion überführten und wo sie einen Katalog der Manuskripte und Drucke der Königlichen Bibliothek erstellten.85 Die lebenslange Zusammenarbeit der Brüder bewährte sich über den Tod Pierre Dupuys hinaus (1651). Sein vorwiegend historiographisches Werk ist – bis auf die erste Auflage des ›Traitez Des Droits Et Libertez De L’Église Gallicane‹ (1639) – fast ausschließlich in den dem Bruder Jacques verbleibenden fünf Jahren ediert worden. Die von Rigault veranstaltete Gedenkschrift für Pierre Dupuy vermittelt nochmals einen Eindruck von den weitverzweigten Verbindungen, in denen die Dupuys standen.86 Neben der bis heute nicht ersetzten Biographie von Rigault stehen Elogen von Valesius und Medonius sowie Briefzuschriften und Gedichte u.a. von Antonius Halley, Guez de Balzac, Gabriel Naudé, Petrus Hallé, Nicolaes Heinsius, Jacques-Auguste Perrot, Isaac Sarravius, Jean Chapelain und Guillaume Colletet.87
Opitz im Umkreis der Dupuys Hier ist nicht der Ort, auf den Kreis der um die Gebrüder Dupuy versammelten Humanisten näher einzugehen; eine derartige Arbeit käme einer Soziologie gelehrten Lebens unter Richelieu und Mazarin über weite Strecken gleich.88 Der Kreis umfaßte, ––––––––– 85
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Die Kataloge der Dupuys haben sich erhalten und sind glücklicherweise in gedruckter Form zugänglich. Vgl. Omont: Anciens Inventaires et Catalogues de la Bibliothèque Nationale (Anm. 65), Band III, S. 1–164, Abdruck des 1645 durch die Dupuys bearbeiteten Kataloges von Rigault. Abdruck der Rigaultschen Kataloge aus dem Jahre 1622 ebenda, Band II. Nähere Beschreibung des Rigaultschen und Dupuyschen Katalogwerkes in dem Begleitband Henri Omont: Introduction et Concordances.- Paris: Leroux 1921, S. 26–32 und S. 33–35. Vgl. auch Delisle: Le cabinet des manuscrits (Anm. 64), Band I, S. 261–264, zum Wirken der Dupuys in der königlichen Bibliothek; speziell zu ihrem Katalogwerk S. 261–262, sowie Band III, S. 63. Des weiteren Solente: Les manuscrits des Dupuy (Anm. 64), S. 186–188. Vgl. oben Anm. 74 und 75. Für Jacques Dupuy ist ebenfalls eine Gedenkschrift im Manuskript überliefert: Elegia In Obitvm Illvstrissimi Viri Iacobi Pvteani S. Salvatoris Abbatis, Regiqve Christianissimo A Consiliis Et Bibliothecis Effvsa: Ac Illvstrissimo Excellentissimoqve Viro Iacobo Avgvsto Thvano Iacobi Avgvsti [...] filio [...].- Paris: Martinus 1657 (BN Paris: Mss. Fr. 16793, 380–397). Zum Kreis der Dupuys vgl. Nicaise: Les Sirènes (Anm. 60), S. 4–14; Isaac Uri: Un cercle savant au XVIIe siècle. François Guyet (1575–1655). D’après des documents inédits. Thèse Faculté des lettres Paris.- Paris: Hachette 1886, S. 8–63; Pierre Humbert: Un amateur. Peiresc 1580–1637.Paris: Desclée de Brouwer et Cie 1933 (Temps et visages), S. 97–112, insbes. S. 99 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Georges Cahen-Salvador: Un grand humaniste. Peiresc, 1580–1637.Paris: Michel 1951. Des weiteren Harcourt Brown: Scientific Organizations in Seventeenth Century France (1620–1680).- New York: Russell & Russell 1967 (Erstauflage 1934), S. 6–16; Josephi-
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um hier nur die bekannteren Namen zu nennen, Politiker wie den ›secrétaire d’Etat‹ Henri-Auguste de Loménie, den ›chancelier de France‹ Étienne d’Aligre, den Diplomaten Jean Hotman, Juristen wie Rigault, Kleriker wie die Bischöfe von Chartres, Marseille und Toulouse, Philosophen wie Gabriel Naudé, La Mothe le Vayer, François Luillier als Schüler Montaignes und Charrons, die großen Philologen wie du Vair, Saumaise, Du Cange, Denis Petau, François Guyet, Historiker wie Théodore Godefroy und André Du Chesne, die französischen Schriftsteller wie Guez de Balzac, Silhon, Ménage, später Bossuet und schließlich als besonderes Element dieses Kreises Naturwissenschaftler wie Peiresc,89 Patin und vor allem Gassendi. Dazu kommen die zeitweiligen auswärtigen Mitglieder bzw. Korrespondenten wie Daniel und Nicolaes Heinsius,90 Gronovius, Holstenius,91 Vossius, Gruter, Lambeck, Boeckler, Portner, Wicquefort, Campanella und schließlich Grotius. Daß die Politik – wie aus der ›Collection Dupuy‹ bereits zu erschließen – eine bedeutsame – und vielfach geschickt kaschierte – Rolle in diesem Kreise spielte, ist mehrfach bezeugt, bisher jedoch nicht zum Angelpunkt einer historischen Darstellung gemacht worden.92 Von Interesse ist an dieser Stelle, welche Gestalten Colerus neben Grotius als Kontaktpersonen Opitzens in Paris hervorhebt.93 Es sind dies selbstverständlich die Dupuys selbst und der mit ihnen aufs engste befreundete Rigault, Nach–––––––––
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ne de Boer: Men’s Literary Circles in Paris 1610–1660.- In: Publications of the Modern Language Association 63 (1938), S. 730–780, hier S. 730–736; Hess: Pierre Gassend (Anm. 62), S. 1–14: ›Der französische Späthumanismus‹ (grundlegend zum humanistischen Umfeld des Kreises); Pintard: Le libertinage érudit (Anm. 62), passim, insbes. S. 92 ff. (die Hoffnungen, die vielerseits an dieses Werk geknüpft waren, haben sich nicht erfüllt); Frances A. Yates: The French Academies of the Sixteenth Century.- London: The Warburg Institute 1947 (Studies of the Warburg Institute; 15), S. 284, Anm. 5; Adam: Histoire de la littérature française au XVIIe siècle (Anm. 62), S. 187 ff. und S. 297 ff.; ders.: Les Libertins au XVIIe siècle (Anm. 62), S. 12 ff.; Schnur: Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg (Anm. 10), S. 29 f. (Literaturangaben in Anm. 15); Martin: Livre, pouvoirs et société à Paris au XVIIe siècle (Anm. 17) (die zahllosen einschlägigen Stellen über die Dupuys und ihren Kreis über das Register leicht zu erschließen); Jürgen Voss: Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffes und der Mittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.- München: Fink 1972 (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim; 3), S. 145–155 (mit zahllosen weiteren Literaturangaben). Der Verfasser ist Herrn Dr. Jürgen Voss für eine Reihe weiterführender Hinweise zu großem Dank verpflichtet. Die folgende knappe soziologische Skizze des Kreises in Anlehnung an de Boer, S. 731 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Lettres de Peiresc aux frères Dupuy. Publiées par Philippe Tamizey de Larroque. Band I–III.- Paris: Imprimerie Nationale 1888–1892 (Collections de documents inédits sur l’histoire de France. Deuxième série; 7). Vgl. Correspondance de Jacques Dupuy et de Nicolas Heinsius (1646–1656). Ed. Hans Bots.- La Haye: Nijhoff 1971 (Archives Internationales d’Histoire des Idées; 40). In diesem Zusammenhang heranzuziehen Léon-Gabriel Pélissier: Les amis d’Holstenius. II: Les frères Dupuy.- In: Mélanges d’Archéologie et d’Histoire. École Française de Rome 7 (1887), S. 62–128; ders.: Lettres inédites de Lucas Holstenius aux frères Dupuy et à d’autres correspondants.In: Miscellanea Nuziale Rossi-Teiss.- Bergamo: Istituto italiano d’arti grafiche 1897, S. 511–550, hier S. 518–533. Ansätze für eine solche Betrachtungsweise – unter Bezug auf Wicqueforts ›Mémoires touchant les Ambassadeurs‹ – bisher nur bei Brown: Scientific Organizations in Seventeenth Century France (Anm. 88). Vgl. Colerus: Lobrede (Anm. 7), S. 211.
Opitz im Umkreis der Dupuys
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folger Casaubons in der Königlichen Bibliothek, zugleich großer Editor und als solcher an der Herausgabe des de Thouschen Werkes beteiligt, wiederum selbst aktiver Politiker, der auch in Deutschland mit seinem ›Verandtwortnis Schreiben‹ rezipiert wurde.94 Des weiteren Saumaise, »der Varro unserer Zeit«, wie Colerus sich ausdrückt, bekanntlich Calvinist und als solcher Nachfolger Scaligers in Leiden, schließlich der älteste Sohn Jacques-Auguste de Thous, François-Auguste, der wie sein Vater den Parlamentsweg eingeschlagen hatte, später jedoch am Rande in die Cinq-MarsVerschwörung hineingeriet und mit dem Marquis auf Richelieus Betreiben 1642 in Lyon enthauptet wurde – was wiederum den Getreuen der Familie de Thou mit einer vehementen (und damit Richelieu indirekt belastenden) Verteidigungsschrift auf den Plan rief.95 Zugleich nutzte Colerus die Gelegenheit zu einer knappen, aber wiederum aufschlußreichen Reverenz vor den großen calvinistischen Vertretern seiner eigenen Heimat Schlesien: Johann Hottomannus, ein würdiger Enkel aus einem berühmten Breßlauischen Rathsgeschlechte [...] und der grosse Gottesgelehrte, Daniel Tilenus, von Goldberg aus Schlesien, und viele andre grundgelehrte Männer, welche damals zu Paris in größter Menge anzutreffen waren,
hätten Opitz’ Weg gekreuzt.96 Jean Hotman war der Sohn des bekannten Calvinisten und politischen Schriftstellers François Hotman – die Hotmans waren unter Ludwig XI. in französische Königsdienste getreten –, der sich die konfessionelle, politische und schriftstellerische Leidenschaft seines Vaters bewahrte und als Diplomat unter Heinrich IV. wie Ludwig XIII. gleichermaßen in wichtigen Missionen vor allem in den protestantischen Fürstentümern des Reiches tätig war, obgleich er die Konversion Heinrichs IV. selbst nicht nachvollzogen hatte, wie dieser jedoch für interkonfessionellen Ausgleich wirkte.97 ––––––––– 94
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Nicolas Rigault: Verandtwortnis Schreiben Vor den aller Christlichsten König/ Ludovicum Den XIII. Wieder der Auffrührischen Erinnerung Schmeheschrifft in Sachen der ›Confoederirten‹ Fürsten.- [s.l. s.p.] 1629. Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: GK 2193 (35). Vgl. Pierre Dupuy: ›Mémoires et instructions pour servir à justifier l’innocence de Messire François-Auguste de Thou, Conseiller du Roi en son Conseil d’État.‹ Mit gesonderter Paginierung (S. 6–100) im siebten Band (1733) der Londoner Ausgabe des Geschichtswerks von de Thou bzw. gleichfalls mit gesonderter Paginierung (S. 1–188) im fünfzehnten Band (1734) der Pariser Ausgabe (vgl. Anm. 41). Zum ganzen Church: Richelieu and Reason of State (Anm. 1), S. 332 ff. Colerus: Lobrede (Anm. 7), S. 211. Der entsprechende Passus im Kontext des lateinischen Originals: Porro non tantum illo, qvem dixi, parario & proxeneta, sed etiam propria virtute praevia & fama sibi fores ubiqve aperiente, accessit in Museo Cl. Salmasium, nunc Scaligeri apud Batavos optionem, nostri Seculi Varronem; in regno suo librario Nicolaum Rigaltium, Bibliothecae regium Praefectum; Puteanos magni parentis magnos filios; Hottomannum avo & patri simillimum, patritio apud Vratislavienses genere oriundum; Franciscum Thuanum, Jacobi filium, ac Danielem Tilenum Aurimontii è Silesia oriundum, magni nominis Theologum, ac summum plane Silesiae olim ereptum sidus, aliosqve innumeros doctissimos viros, qvorum Lutetiae, in compendio illo Galliae, tanta copia & tantus delectus, qvantus vix usqvam alibi gentium & terrarum inveniatur. (S. 95). Zur Edition seines ›Syllabus irenicorum autorum‹ durch Bernegger vgl. die Brief-Ausgabe von Reifferscheid (Anm. 40), S. 814 f. Zur Familiengeschichte und zu weiterer Literatur vgl. den Artikel von H. Liermann in der NDB IX (1972), S. 655, sowie den entsprechenden Artikel im Dictionnaire des Lettres Françaises (Anm. 30), Le seizième siècle, S. 380 f.
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Und Tilenus, um 1590 aus Schlesien nach Frankreich gekommen, war als Professor für Theologie an der protestantischen Akademie in Sedan an einer der Hochburgen des Calvinismus tätig. Zunächst ein eifriger Kontraremonstrant, ging er später unter dem Einfluß von Johann Arnold Corvinus zum Arminianismus über, so daß er – seinen Überzeugungen treu – Sedan verlassen mußte und publizistisch seinen Kampf gegen den orthodoxen Calvinismus wie den Papismus Bellarmins als wichtiger Verfechter absolutistischer Staatsgewalt und staatlicher Toleranz in Glaubensfragen fortsetzte.98 So hat Colerus – und unter diesem Aspekt muß seine Biographie stets auch gelesen werden – den Passus ›Opitz in Paris‹ mit einer versteckten Huldigung an die calvinistisch-irenischen Glaubensgenossen ausklingen lassen, derart der Sache seiner Jugend und der seiner Gleichgesinnten lange nach der Rekatholisierung Schlesiens die Treue bewahrend. Für Opitz hingegen wird man in Paris nicht primär die neuerliche Begegnung mit Protagonisten des irenischen Calvinismus in Anschlag bringen dürfen; dieser Aspekt seiner intellektuellen und politischen Biographie war seit langem in ihm befestigt. Was er in Paris erfahren konnte, betraf den Wiederaufstieg, die Restabilisierung und Ausweitung der absolutistischen Staatsgewalt nach dem Chaos der konfessionspolitischen Bürgerkriege. Sie war nicht zuletzt dem geschickten konfessionsneutralen Wirken Heinrichs IV. und auf andere Weise Richelieus zu danken, an dem die führenden Intellektuellen, die ›politischen‹ Gelehrten und Humanisten, einen so bedeutenden Anteil hatten. Mochte sich Opitzens aufgeklärter Irenismus noch während seiner Dohna-Zeit in Paris erneut bekräftigt finden, so dürfte er im Zentrum des europäischen Absolutismus vor allem den von ihm maßgeblich inaugurierten Interaktionismus zwischen Gelehrtentum und fürstlicher Territorialstaatsgewalt bestätigt gesehen haben. Nur dieser verhieß, wie Frankreich in großem Stil zeigte, die Überwindung des konfessionellen und sozialen Schismas, dessen blutige Konsequenzen seine schlesische Heimat soeben in voller Gewalt durchlitt. Ist die politische Biographie Opitzens an ihren markanten Punkten von bedeutsamen kultur- und konfessionspolitischen Manifestationen begleitet, so gilt dies in gewisser Weise auch für seine Paris-Episode. Daß er im Auftrag Dohnas die Becanus-Übersetzung zu absolvieren hatte, besagt hier nichts. Wohl aber vermochte er die Übersetzung von Grotius, die er noch in Paris – zweifellos unter dem Eindruck seiner Begegnung mit diesem – in Angriff nahm und im Wetteifer mit Colerus zum Abschluß brachte, seinen politischen Überzeugungen erneut zu assimilieren.
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Zu Tilenus vgl. Hartmut Kretzer: Calvinismus und französische Monarchie im 17. Jahrhundert. Die politische Lehre der Akademien Sedan und Saumur, mit besonderer Berücksichtigung von Pierre Du Moulin, Moyse Amyraut und Pierre Jurieu.- Berlin: Duncker & Humblot 1975 (Historische Forschungen; 8); ders.: Der Royalismus im französischen Protestantismus des 17. Jahrhunderts.- In: Der Staat 15 (1976), S. 503–520, S. 507.
XVII. ›Von der Wahrheit der Christlichen Religion‹ Opitzens Vorrede zu Hugo Grotius’ opus magnum Nochmals: Opitz und die Niederlande Lebensräume sind bestimmende Faktoren für die geistige Produktion jedweder Art. Auf keinen Stand trifft diese Feststellung nachdrücklicher zu als auf den der Humanisten. Humanistische Kultur ist Gruppenkultur, verdankt sich dem intensiven und stetigen Austausch. Der vollzieht sich vor Ort, genau so lebhaft jedoch auf Reisen und vor allem über den brieflichen Verkehr. Prägend bleibt neben dem ständig verfügbaren Rüstzeug jedweder Provenienz die je spezifische personelle und institutionelle Konstellation in der unmittelbaren Umgebung. Sie entscheidet über Art und Einsatz der schriftstellerischen Mittel vom stofflichen Repertoire über die Gattungen bis hin zur Wahl der Medien. Kulturraumkunde ist folglich die fundierende Königsdisziplin. Und das für keine Epoche mehr als die der Frühen Neuzeit. Soziale, intellektuelle, konfessionelle im Raum sich verdichtende Vorgaben wollen erkundet und namhaft gemacht sein, wenn anders gut ausgerüstet der Schritt zu den Texten getan werden soll.1 Und so selbstverständlich auch im Blick auf Opitz als eine der Schlüsselfiguren des europäischen Späthumanismus. Er hat sein Leben lang betont, daß er nicht der geworden wäre, der er schließlich war, wenn der Name seines Vaterlandes nicht auf Schlesien gelautet hätte. Er wußte, was er diesem Land verdankte. Das begann bei seiner Geburtsstadt Bunzlau, setzte sich fort über das Magdaleneum in Breslau und das Gymnasium Schoenaichianum in Beuthen und vollendete sich noch in der Jugend mit dem Übergang in die Pfalz als der eigentlichen Brückenlandschaft gerade in bezug auf Schlesien. Er selbst, auch aber seine Freunde und insbesondere sein erster Biograph wußten indes gleichfalls, was er den Nachbarländern schuldete, angefangen bei den Niederlanden, über Siebenbürgen bis hin zu Frankreich und Polen. Eine Sonderstellung behauptete sein Leben lang aber Breslau, und der Text, dem wir unser Augenmerk im Anschluß an eine vorgängige tour d’horizon widmen, ist das schönste Zeugnis dafür.2 ––––––––– 1
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Es war unter dem hier nur eben angedeuteten Gesichtspunkt entsprechend eine glückliche Entscheidung des Herausgebers Axel E. Walter, eine dem Verfasser zugeeignete Schrift unter den Titel ›Regionaler Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internet‹ zu stellen. Er traf ein zentrales Anliegen seit seiner Schulung bei Richard Alewyn. Verwiesen sei hier nur auf den auch bildnerisch reich ausgestatteten Band: Martin Opitz (1597– 1639). Orte und Gedichte. Fotografien Volker Kreidler. Auswahl, Konzeption und Kommentare: Walter Schmitz, Anja Häse, Eckard Gruber, Jochen Strobel (Mitarbeit).- Dresden: Thelem 1999.
XVII. Sprachrohr des Hugo Grotius
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Wir haben nach Maßgabe des Möglichen in unseren Opitz-Studien den räumlichen Gegebenheiten stets wieder Rechnung getragen und auf deren Rekonstruktion besondere Mühe gewandt. Nun also rücken die Niederlande noch einmal in das Blickfeld. Und das über eine Figur, die Opitz Höchstes bedeutete. Man sagt nicht zu viel, wenn man feststellt, daß mancher Text und in jedem Fall der hier zur Rede stehende, nicht jene geistige Statur gewonnen hätte, die ihm dann schließlich eignete, wenn der Gelehrte, Denker, Dichter und Politiker Hugo Grotius nicht in sein Leben getreten wäre, Anregung gestiftet, geistigen Einfluß gewonnen hätte.3 Wie über die Räume ist die Physiognomie eines jeden authentischen Humanisten nur über den faktischen wie den geistigen Verkehr mit exponierten Figuren der zeitgenössischen nobilitas litteraria zu profilieren. Grotius gehörte an vorderster Stelle zu ihr. Auch er aber blieb verwoben in die Geschicke seiner Heimat, die schließlich über Leben und Tod entschieden, waren sie doch konflikterfüllt wie kaum je wieder vor oder nachher. Auch Opitzens Dichtung indes zehrt womöglich mehr als bislang wahrgenommen von den dramatischen Geschehnissen im Nachbarland. Sie wollen in aller gebotenen Kürze erinnert sein, sind sie doch als geschichtlicher Gehalt zahlreicher Texte das ganze 17. Jahrhundert über nicht wegzudenken.4
Das niederländische geschichtliche Paradigma Und da ist auszugehen von dem Eingeständnis, daß die Wahrnehmung und Gewichtung der Ereignisse in den Niederlanden in der fraglichen Zeit selbst bereits präjudiziert ist durch die Akzente, die die Humanisten ihrerseits gesetzt hatten. Viele Faktoren kamen zusammen und trugen bei zu dem, was als Aufstand der Niederlande in die Geschichte einging. Für die Humanisten und damit auch für Opitz reduzierte sich die bunte Palette auf einige wenige Essentialia. ––––––––– 3
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Vgl. vorab in diesem Zusammenhang die einschlägigen Beiträge in: Christian Gellinek: Pax optima rerum. Friedensessais zu Grotius und Goethe.- New York etc.: Peter Lang 1984 (Germanic Studies in America; 49). Vgl. auch Ferdinand van Ingen: Niederländische Leitbilder. Opitz – Grotius.- In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (Frühe Neuzeit; 63), S. 169–190. Wir haben aus der reichhaltigen Literatur – neben der im neunten Kapitel zitierten – mit besonderem Gewinn vor allem herangezogen: Horst Lademacher: Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung.- Berlin: Propyläen 1993 (Propyläen Geschichte Europas. Ergänzungsband). Vgl. von Lademacher auch: Geschichte der Niederlande. Politik – Verfassung – Wirtschaft.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983. Eine knappe Zusammenführung der wichtigsten Linien auch bei Jan Juliaan Woltjer: Der niederländische Bürgerkrieg und die Gründung der Republik der Vereinigten Niederlande (1555–1648).- In: Die Entstehung des neuzeitlichen Europa. Hrsg. von Josef Engel.- Stuttgart: Union 1971 (Handbuch der Europäischen Geschichte; 3), S. 663–688. Ein erster Überblick auch bei Michael North: Geschichte der Niederlande.- München: Beck 1997 (Beck’sche Reihe; 2078). Hier überall weitere Literatur. Nachdrücklich bleibt zu verweisen auf den seinerzeitigen Forschungsbericht von Heinz Schilling: Der Aufstand der Niederlande. Bürgerliche Revolution oder Elitenkonflikt?.- In: 200 Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung. Hrsg. von Hans-Ulrich Wehler.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1976 (Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft; 2), S. 177–231.
Die Niederlande im Werk Opitzens
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Hier hatte in ihren Augen ein Volk – und von ihm war durchweg die Rede, nicht von einzelnen Gruppierungen, um die es späterer Forschung vor allem gehen sollte – im Zusammenwirken mit heldenhaften Führern ein Beispiel gegeben für die Selbstbehauptung gegenüber einer Macht, die binnen kurzem das Fratzengesicht der Tyrannis hervorkehrte, mit der eine Verständigung, wie zeitweilig durchaus angestrebt, nicht mehr möglich war. Ein Kampf auf Leben und Tod war spätestens nach dem Auftreten Albas das Gebot der Stunde, und daß er angenommen wurde, einfallsreich – wie nie zuvor in der Geschichte – durch Mobilisierung der natürlichen Gegebenheiten des Landes durchgekämpft und für einen Teil des ehemaligen burgundischen Reiches mit einem Sieg endete, glich einem Fanal, das nicht nur Historiographie und Publizistik, nicht nur politische Theorie und juristisches Lehrbuchwissen beschäftigte, sondern eben auch in den zeitgenössischen Künsten und damit der Poesie nachhaltige Spuren hinterließ. Aus dem Osten des Reichs und zumal aus Schlesien traten die Ereignisse von vornherein in eine so nicht thematisierte, gleichwohl nicht zu eliminierende und untergründig stetig mitschwingende Perspektive. Ganze Landstriche hatten sich in der Heimat der religiösen Übergriffe des Landesherrn zu erwehren. Ohnmächtig mußten in Stadt und Land Magistrate und Landesherrn den Entzug geistlicher Institutionen hinnehmen, ohne daß es in der Regel gelang, Gegenwehr zu mobilisieren. Erfolgreicher Widerstand blieb die Ausnahme. Nun aber, in der Ferne unter einem kleinen Volk, nahm ein Aufstand eine Wende, die nur Verblüffung hervorrufen konnte. Die politische, die soziale, die verfassungsrechtliche Situation war unvergleichbar. Dafür zählte ein Anderes und letztlich Ausschlaggebendes. Der religiösen Pression hatte man sich in dem kleinen Land erwehrt. Der Glaube – an der Spitze der Calvinismus – hatte Kräfte freigesetzt, die jedwedes Maß des Vorstellbaren überflügelte. Mit Gottes Hilfe, so die überall zu vernehmende Rede, war dem jungen Glauben die Abschüttelung einer Macht gelungen, in der absolute Gewalt und konfessionelle Militanz ein Bündnis eingegangen waren, das in Publizistik und Poesie alsbald mit dem Schlagwort ›Tyrannis‹ belegt war. Die junge Republik, die sieben aus dem Kampf siegreich hervorgehenden nördlichen Provinzen, verdankten ihre Existenz dem todesmutigen Einsatz aus der Mitte des Glaubens heraus. Das war es, was prägend in das geschichtliche Bild einging. Abgeblendet wurde vielerlei anderes. Und so auch dasjenige, von dem sogleich zu sprechen sein wird.
Die Niederlande im Werk Opitzens Wir rekapitulieren in aller Kürze. Zu den vielen Stationen im Leben Opitzens, von denen wir andeutend sprachen, gehörten an vorderster Stelle die Niederlande. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zu dem sprachverwandten Nachbarvolk hatte er herübergeblickt als es darum ging, die Vorbereitungen für eine deutschsprachige Poesie in neuem Gewand zu schaffen. Schon auf dem Gymnasium in Beuthen und in dem Hause seines Dienstherrn Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz war er auf das Werk des Heinsius aufmerksam geworden. Dessen ›Nederduytsche Poemata‹, die soeben erschienen waren, hatten trefflich unter Beweis gestellt, daß auch im
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Medium der germanischen Sprachfamilie eine anspruchsvolle Dichtung auf antiker Grundlage gedeihen konnte. Es lag daher schon frühzeitig in seinem Interesse, den niederländischen Dichter, dem diese poetische Innovation gelungen war, persönlich kennenzulernen.5 Dieser Wunsch erfüllte sich, als der Dichter die Pfalz unfreiwillig verlassen mußte und auf seinem Weg ins Exil in Leiden Station machte. Wir besitzen bislang keine Spezialstudie, die allen verfügbaren Informationen nachginge und ein Gesamtbild der niederländischen Monate des Dichters entwerfen würde. Es würde sich neben den anderen einschlägigen Stationen in der Pfalz oder in Siebenbürgen, in Frankreich oder in Polen gewiß in durchaus eigenständiger Physiognomie darbieten. Wir vermuten, daß Opitz in besonderer Weise angetan war von der Verschränkung philologischer Kompetenz und politischer Inspiration, die in Leiden, dieser jüngsten akademischen Hochburg Europas, wie sie aus dem erfolgreichen Widerstand hervorgegangen war, weiterhin lebendig blieb.6 Der Dichter durfte sich bestätigt fühlen in dem wiederholt erfolgten Einbekenntnis, daß die Schaffung einer neuen Poesie in anregendem politischen Milieu am trefflichsten gedieh. Dafür standen die niederländischen Philologen, die sich in Leiden als herausragender intellektueller Bastion zusammenfanden, eindrucksvoll ein. Nicht ausgeschlossen, daß auch der Impuls zur ––––––––– 5
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Verwiesen sei nochmals vor allem auf die Studie von Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts.- Assen, Amsterdam: Van Gorcum 1976 (Respublica Literaria Neerlandica; 1). Hier insbes. das Kapitel ›Die deutschen Übersetzungen aus den ›Nederduytschen Poemata‹ von Daniel Heinsius‹, S. 59–93. Und nochmals hervorgehoben sei auch die wichtige Abhandlung von Leonard Forster: Die Niederlande und die Anfänge der Barocklyrik in Deutschland. Mit Textbeispielen und einer Abbildung.- Groningen: Wolters 1967 (Voordrachten gehouden voor de Gelderse Leergangen te Arnhem; 20). Vgl. von Forster auch: Notes towards a Commentary on Opitz’s ›Vber des Hochgelehrten vnd weitberümbten Danielis Heinsij Niderländische Poemata‹.- In: Daphnis 11 (1982), S. 477–490. Zum Kontext, wie bereits gleichfalls erwähnt, die Arbeit von Bärbel Becker-Cantarino: Daniel Heinsius.- Boston: Twayne 1978 (Twayne’s World Authors Series; 477). Als instruktiver Spezialbeitrag: Christian Gellinek: Hugo Grotius als erster Inspirator der frühen Dichtkunst des Martin Opitz. Chronologische Aufschlüsse aus Martin Opitz’ Vorbesitzexemplar der ›Poemata collecta‹ von Hugo Grotius in der Biblioteca Gdanska, CF 5046. 8.- In: Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend. Hrsg. von Barbara BeckerCantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi 1990 (Chloe; 10), S.185–199, fortgeführt von Edwin Rabbie: Martin Opitz’ Notizen in seinem Exemplar der ›Poemata Collecta‹ (1617) von Hugo Grotius.- In: Daphnis 22 (1993), S. 173–182. Auch hier sei nochmals die einschlägige Literatur zitiert: Leiden University in the Seventeenth Century. An Exchange of Learning. Edited by Th. H. Lunsingh Scheurleer, G.H.M Posthumus Meyjes.- Leiden: University Press, Brill 1975. Dazu der von R.E.O. Ekkart zusammengestellte Sammelband: Athenae Batavae. De Leidse Universiteit / The University of Leiden. 1575–1975.Leiden: University Press 1975. Des weiteren: Paul Dibon: L’Université de Leyde et la République des Lettres au 17e siècle.- In: Quaerendo 5 (1975), S. 4–38, sowie von deutscher Seite Heinz Schneppen: Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jahrhundert.- Münster: Aschendorf 1960 (Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung; 6). Jetzt das tief dringende Kapitel ›Christliche Apologetik und Mythogenese: Martin Opitz und die Leidener Philologie‹, in der bahnbrechenden Monographie von Ralph Häfner: Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philosophischer Kritik (ca. 1590–1736).- Tübingen: Niemeyer 2003 (Frühe Neuzeit; 80), S.175–248.
Verspätete persönliche Begegnung mit Grotius
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Schaffung des großen Lehrgedichts, wie Opitz es in der jütländischen Abgeschiedenheit nach seinem Niederlande-Aufenthalt zu Papier brachte, von dem anregenden geistigen Klima in Leiden inspiriert wurde. Die Verarbeitung der jüngsten Geschichte im Medium der Poesie war schon hier – wie im hugenottischen Frankreich – erfolgreich vonstatten gegangen. Der junge Dichter mochte sich zu Vergleichbarem ermuntert fühlen. Sein ›Trost-Gedichte‹ bleibt das singulär dastehende poetische Vermächtnis dieser Jahre.7
Verspätete persönliche Begegnung mit Grotius Eine persönliche Begegnung mit Grotius blieb ihm zunächst versagt. Vermutlich Anfang Oktober 1620 hatte Opitz Heidelberg verlassen. Noch gar nicht in den Niederlanden angelangt, ging schon auf dem Rhein ein poetischer Gruß an Heinsius auf den Weg.8 Als Opitz in Leiden anlangte, war die Dordrechter Synode bereits beendet, Oldenbarnevelt nicht mehr am Leben und Grotius im Gefängnis, aus dem er 1621 fliehen konnte, doch da hatte Opitz das Land schon wieder verlassen. So kam es erst zwei Jahrzehnte später zu der Begegnung, und das eben in Paris. Neben den Kontakten zu dem Kreis um die Gebrüder Dupuy bezeichnete das wiederholte Zusammentreffen mit Grotius für den Dichter einen Höhepunkt seiner diplomatischen Exkursion in die französische Hauptstadt. Sie zeitigte eine von Bewunderung und Ehrfurcht geprägte poetische Huldigung von Grotius, die in die Hände des Sohnes gelegt wurde.9 Sie bescherte als schönste denkbare Frucht den Zeitgenossen wie der Nachwelt die Adaptation des Religions- und Friedenstraktats von Grotius. Und das gleich in der doppelten Version wie schon bei Grotius selbst, nämlich in gebundener Rede aus der Feder von Opitz und in ungebundener aus der seines Freundes Colerus. Wir aber haben zunächst den geschichtlichen wie den biographischen Rahmen aufzuspannen. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens mehrten sich die diplomatischen Aufträge und Missionen. Der Dichter hatte seinen Ruf als homo politicus definitiv gefestigt. Poetische und staatsmännische Meriten verbanden sich auf denkwürdige Weise. Wann war es vorgekommen, daß ein Humanist sich zwischen den konfessionellen Parteiungen bewegte, hohen Standespersonen verschiedenster religiöser Ausrichtung zu Diensten war und dennoch für sie alle weiterhin vertrauenswürdig blieb? Opitz erlitt keinen ––––––––– 7 8
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Wir verweisen zurück auf das 10. Kapitel dieses Bandes, das dem ›Trost-Gedichte‹ gewidmet ist. Vgl. Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band I, S. 266–271. Vgl. dazu gleichfalls oben Kapitel 9. Und verwiesen sei nochmals auf: Wilhelm Kühlmann: Martin Opitz in Paris (1630). Zu Text, Praetext und Kontext eines lateinischen Gedichtes an Cornelius Grotius.- In: Martin Opitz (Anm. 3), S. 191–221. Vgl. auch die Wiedergabe des Textes mit Übersetzung und Kommentar von Kühlmann in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 150–159, Kommentar S. 460–470.
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Gesichtsverlust, Freunde und Weggefährten hielten ihm die Treue, sein Ansehen blieb ungeschmälert und war im Gegenteil stetig im Wachsen begriffen. Nicht alleine herausragende Fähigkeiten gaben indes den Ausschlag. Die religiöse Positionierung, die der Dichter sein Leben lang beobachtet hatte, bewirkte das ihrige zur Behauptung auf dem ebenso schwierigen wie gefährlichen Terrain. Schwerlich einer der Zeitgenossen hat die Symbiose aus Späthumanismus und aufgeklärter Christlichkeit so überzeugend verkörpert. Sie erlaubte ihm den Auftritt in der Öffentlichkeit im Angesicht verschiedener Parteiungen, ohne daß er sich deswegen kompromittiert hätte. Eine weltanschaulich gefestigte Haltung und eine durchgehend beobachtete Rezeption der in jüngster Zeit um 1600 erstmals denkerisch artikulierten philosophischen und theologischen Konzepte prägt die Statur der an vorderster Stelle im politischen Raum agierenden Personen, deren mentaler Habitus auf denkwürdige Weise mit ihrer öffentlichen Funktion koinzidiert. Opitz stellt ein hervorragendes Beispiel dieser um 1600 sich allenthalben herauskristallisierenden Konfiguration.10 Zu den Glanzstücken seiner Karriere gehört seine Paris-Mission, über die wir sprachen. Sie hat inzwischen Aufmerksamkeit auf sich gezogen und Nimbus gewonnen, nachdem sie lange Zeit im Schatten lag und nicht selten mit despektierlichen Verdikten bedacht worden war. Und wie konnte es anders sein? Richtete sich das forscherliche Interesse erstmals wieder auf das öffentliche Wirken des Dichters, so mußte die Frankreich-Episode in jedem Fall in das Blickfeld rücken. Und das in Hinsicht auf Leben und Wirken des Dichters, mehr aber womöglich noch in Hinsicht auf den Ort, zu dem er auf Geheiß seines Dienstherrn Karl Hannibal von Dohna aufbrach. Noch bevor er dort eintraf, war ihm bewußt, daß ihm eine Begegnung bevorstehen würde, die ihm nirgendwo im weiten Umkreis des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation vergönnt gewesen wäre. In der Hauptstadt des Nachbarlandes liefen die Fäden der Politik und der Diplomatie in einer Intensität zusammen, die keine Parallele im Reich besaß, auch nicht im kaiserlichen Wien. Zugleich aber war die politische Schaltstelle eingefaßt von institutionellen und personellen Brückenköpfen, wie es sie in dieser Dichte ebenfalls nicht in seiner Heimat, womöglich aber auch nirgendwo sonst in Europa gab. ›Paris – die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus‹. Diese – mit Benjaminschen Assoziationen an das 19. Jahrhundert ausgestattete – Formulierung, suchte ihrerseits in den achtziger Jahren dem Singulären des Schauplatzes auch nomenklatorische Prägnanz zu verleihen.11
Schlesische Konstellation Die diplomatische Exkursion von Opitz im Sommer und Herbst des Jahres 1630 fiel in eine entscheidende Phase des Dreißigjährigen Krieges und hing eben selbst mit dieser auf das engste zusammen. Wie so häufig wurden die Ereignisse auf schlesischem ––––––––– 10
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Die Andeutungen führen hinein in Epoche und Problem des Späthumanismus. Es darf für das Nähere verwiesen werden auf einen Sammelband mit entsprechenden Studien des Verfassers, die Axel E. Walter im LIT-Verlag herausgibt. Vgl. zum Näheren das vorangehende Kapitel mit der gesamten einschlägigen Literatur.
Schlesische Konstellation
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Boden eklatant manifest. Die zwanziger Jahre und insbesondere jene in der zweiten Hälfte des Dezenniums hatten im Zeichen des Vormarsches der katholischen Seite gestanden. Erst jetzt, so mochte es scheinen, schlugen die Langzeitwirkungen der Prager Katastrophe des Jahres 1620 voll durch. Die Ablösung Georg Rudolfs von Liegnitz und Brieg durch Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels auf seiten der politischen Spitze war dafür nur ein eher symbolisch besetztes Ereignis.12 Die de facto einschneidenden Entwicklungen fanden im Alltag statt, und der war bestimmt von den religiösen Querelen. Eine Kirche nach der anderen ging den Evangelischen verloren, ein Prediger nach dem anderen verlor sein Amt. Ausweisung, Verlust der Heimat, Aufbruch in eine ungewisse Zukunft und also Exilierung und Emigration waren das Signum der Zeit. Der Verlust evangelischer Haftpunkte im Lande schien unaufhaltsam, und zuweilen schien es fraglich, ob tatsächlich die letzten geschützten Bastionen – mit Breslau an der Spitze – den Evangelischen erhalten bleiben würden.13 ––––––––– 12
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Die reiche historische Literatur zu Schlesien in der Frühen Neuzeit ist in dem zweiten sowie in dem vorletzten Kapitel zusammengeführt, so daß man sich leicht über das Nähere informieren kann. Hier sei deshalb nur an die Arbeiten von Hermann Palm erinnert, die für die historische Situierung wie für die Biographie Opitzens gleich ergiebig sind. Vgl. von Palm im vorliegenden Zusammenhang vor allem: Opitz im hause des kammerpräsidenten Karl Hannibal von Dohna. 1626– 32. [Mit 3 Beilagen].- In: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1977, S. 189–214. Vgl. von Palm auch die grundlegende buchförmige Abhandlung: Die Conjunction der Herzöge von Liegnitz, Brieg und Oels, so wie der Stadt und des Fürstentums Breslau mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg und der Krone Schweden in den Jahren 1633–35.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 3/2 (1861), S. 227–368. Man muß zurückgehen zu den im 18. Jahrhundert entstandenen großen Darstellungen zur Geschichte der evangelischen Kirche auf schlesischem Boden, um das Maß des Leidens voll zu ermessen, das den Gläubigen widerfuhr. In Kenntnis dieser Geschehnisse verrichteten die Späthumanisten vom Schlage eines Opitz ihr Werk. Gewiß ist in Rechnung zu stellen, daß die eine oder andere Überzeichnung statthat. Der prinzipielle Befund ist dadurch nicht berührt. Vgl. etwa: Der Heutigen Schlesischen Kirchenhistorie Dritter Theil, Worinnen alles dasjenige gezeiget wird was sich währendem blutigem dreyßigjährigen Religions=Kriege in Schlesien sonderliches zugetragen hat. Alles dieses von 1611. bis auf den 1648. in Westphalen zu Osnabrück und Münster geschlossenen, publicirten Friedens=Schluß, mit grossem Fleiß zusammengetragen, und mit einem Kupfer vorgestellet durch Benjamin Gottlieb Schmied, Vr. Sil. und auf Kosten eines In guten Andencken Treuen Freunde dem Druck überlassen. Jm Jahr Christi 1754. Vorausgingen als erster Teil war eine Presbyterologie der im Jahr 1748 lebenden Pfarrerschaft und als zweiter Teil eine schlesische Kirchengeschichte, beide aus der Feder von Daniel Gomolcke. Beide Werke kamen in Oels bei George Samuel Welcher zum Druck. Exemplar der dreiteiligen Folge in der BU Wrocław: L 1. 301604, 1–3. Des weiteren gleichfalls im vorliegenden Zusammenhang ergiebig: Johann Adam Hensel: Protestantische Kirchen=Geschichte der Gemeinen in Schlesien Nach allen Fürstenthümern, vornehmsten Städten und Oetern dieses Landes, und zwar vom Anfange der Bekehrung zum christlichen Glauben vor und nach Hußi, Lutheri und Calvini Zeiten bis auf das gegenwärtige 1768ste Jahr, Nebst einem vollständigen Verzeichniß aller itzt lebenden Geistlichen bey den evangelischen Kirchen, in acht Abschnitten abgefasset und mit einer Vorrede versehen von Friedrich Eberhard Rambach, Königlich Preußischem Ober=Consistorialrath und Jnspector der Kirchen und Schulen in Schlesien. Leipzig und Liegnitz, Jm Verlag David Siegerts, 1768. Exemplar in der BU Wrocław 360010. Und selbstverständlich ist die vierbändige, zwischen 1780 und 1790 erschienene und leider nicht zum Abschluß gelangte ›Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens‹
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Dann allerdings setzte ein Umschwung ein. Gleich zwei europäische Großmächte sahen ihre Interessen durch den unaufhörlichen Vormarsch der katholischen Seite in Mitteleuropa gefährdet: Schweden und Frankreich. Die militärische Initiative übernahm Schweden, die diplomatische Frankreich, und schließlich war es nur eine Frage der Zeit, wann beide sich kreuzten. Schweden fand sein militärisches Aufmarschgebiet jenseits des mare balticum wie stets im Pommerschen. Nun aber wurde deutlich, daß Größeres auf dem Spiel stand. Zügig erfolgte der Übertritt nach Schlesien und für eine knapp bemessene Weile mochte es scheinen, als sei das ferne und unversehens nahe gerückte Wien tatsächlich das Ziel der überraschend erfolgreich verlaufenden Operationen. Doch die Wende erfolgte rasch und der Tod des Schwedenkönigs in der Schlacht bei Nördlingen markierte wiederum ein von Vorbedeutung mannigfachster Art umranktes geschichtliches Fanal.14
Die Paris-Mission in Dohnas Kalkül Entscheidend aber blieb die Zeit zwischen dem Erscheinen Gustav II. Adolfs auf mitteleuropäischem Boden und seinem Fall auf dem Schlachtfeld. Es waren insbesondere in der letzten Phase Monate intensivster Spannung, und diese teilte sich auch der katholischen Spitze im Lande mit. Karl Hannibal sah sich unversehens herausgefordert zu reagieren; damit aber schlug zugleich die Stunde Opitzens. Und das wie nie zuvor in seinem Leben und nie wieder hernach. Der Name der französischen Hauptstadt bezeichnet eine singuläre Station in seiner Vita. Daß er den an ihn in einer Stunde höchster Gefahr ergangenen Auftrag meisterte, seinen Dienstherren zufriedenstellen konnte und zugleich auch noch poetisches Kapital aus der brisanten Situation zog, blieb denkwürdig. Seine Freunde wußten um das Riskante wie das schließlich glücklich Bewerkstelligte. Und das in unschönem Gegensatz zur schreibenden Zunft, die sich da vor allem in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts vernehmen ließ. Um so mehr Veranlassung, genau hinzuschauen und insbesondere den poetisch-diskursiven Ertrag zu mustern. –––––––––
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aus der Feder von Siegismund Justus Ehrhardt heranzuziehen, dieses gewaltige Denkmal geistlicher Gelehrsamkeit im 18. Jahrhundert, welches eine Fülle einschlägigen Materials enthält. Aus neuerer Zeit sodann: Joh. Gottlob Worbs: Die Rechte der evangelischen Gemeinden in Schlesien an den ihnen im 17. Jahrhundert gewaltthätig genommenen Kirchen und Kirchengütern.- Sorau: Julius 1825; J. Berg: Die Geschichte der schwersten Prüfungszeit der evangelischen Kirche Schlesiens und der Oberlausitz, d.i. der Zeit von Einführung der Reformation bis zur Besitznahme Schlesiens durch König Friedrich d. Gr. [...] Jm Selbstverlag des Verfassers.- Jauer: Opitzsche Buchdruckerei (H. Vaillant) 1857. Zum Kontext vgl. etwa Norbert Conrads: Die Konfessionalisierung des Landes.- In: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien. Hrsg. von Norbert Conrads.- Berlin: Siedler 1994, S. 258–269. Vgl. zu den Einzelheiten Ludwig Petry: Politische Geschichte unter den Habsburgern.- In: Geschichte Schlesiens. Band II: Die Habsburger Zeit 1526–1740. Hrsg. von Ludwig Petry, Josef Joachim Menzel.- 2., durchges. Aufl.- Sigmaringen: Thorbecke 1988, S. 1–99, S. 220–233 (Literatur). Hier insbes. das Kapitel: ›Politische und kirchliche Umwälzungen im Zeitalter des 30jährigen Krieges (1611-1648)‹, S. 48–71.
Die Paris-Mission in Dohnas Kalkül
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Man stelle sich vor. Ein der katholischen Sache durch und durch ergebener Dienstherr schickt einen ihm Untergebenen auf eine diplomatische Mission, der seinerseits zu keinem Zeitpunkt eine wie auch immer geartete Zugehörigkeit zu den Altgläubigen zu erkennen gegeben hatte. Wo gab es eine Garantie, daß der Emissär in der französischen Hauptstadt nicht eigene Wege ging und eigene Verbindungen knüpfte, um den Seinigen in Schlesien zur Seite zu stehen. Die Stunde dafür schien selten günstig. Seinem Dienstherrn war offensichtlich klar, daß er keinerlei Risiko einging. Und sein Schützling wußte sich allemal auf der richtigen Seite, tat er doch des Guten übergenug, insofern er nicht nur seinen Auftraggeber, sondern auch die ihm Nahestehenden nach Maßgabe des Zulässigen mit Neuigkeiten und Hintergrundwissen versorgte. Die Parisreise, zu der Opitz beordert wurde, ist in erster Linie eine der aktuellen politischen Erkundung im Zentrum des mächtigen Nachbarn im Westen gewesen. Erfolg konnte nur haben, wem sich aufgrund von Ansehen und Empfehlung die Türen öffneten. Opitz ist diese Chance zuteil geworden. Er hat sie ergriffen und kehrte mit reicher diplomatischer und poetischer Fracht in die Heimat zurück, wo er die Früchte selten intensiver Monate ernten durfte. Dazu trugen viele Faktoren bei. Ins Zentrum indes geleitet dasjenige Projekt, dessen originärer Opitzscher Part uns hier zu beschäftigen hat. Zielen die Erkundungen aus jüngerer Zeit in die richtige Richtung, und vieles spricht dafür, so ist vorab auf seiten Dohnas ein überraschendes politisches Kalkül in Anschlag zu bringen. Mußte er eine dauerhafte Präsenz der Schweden auf schlesischem Boden gewärtigen, wurde seine Stellung über kurz oder lang unhaltbar. Er mußte sich als Gesprächspartner der Schweden wie der Franzosen ins Spiel bringen, und das hieß, er mußte die Rolle des Scharfmachers abstreifen. Das schien von vornherein ein Unterfangen mit wenig Aussicht auf Erfolg. Aber existierte in den dramatischen Monaten eine andere Option? Was zählte, waren Informationen und Kontakte, für die eben ein Opitz zuständig blieb.15 Doch das alleine reichte nicht. Es mußten Zeugnisse eines Sinneswandels in Umlauf gebracht werden. Erst jüngst – und in sehr viel komfortablerer Situation – hatte Dohna den Dichter mit einer Auftragsarbeit zugesetzt.16 Dieser hatte sie zur Zufrie––––––––– 15
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Die Dohna-Episode im Leben Opitzens muß aus den Quellen, wie sie inzwischen reichlich vorliegen, neu erarbeitet werden. Briefe und poetische Zeugnisse sind gleichermaßen von Interesse. Vgl. die einschlägigen Zeugnisse aus den Jahren 1626 bis 1632 in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 8). Desgleichen heranzuziehen die jetzt vorliegenden Gedichte und Widmungen Opitzens an Dohna in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 9). Hinzuzunehmen das einschlägige Material in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band IV: Die Werke von Ende 1626 bis 1630. 1. und 2. Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1989 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 312.313). Neben den Opitz-Biographien, die hier nicht aufzuführen sind, ist zurückzuverweisen auf die in Anm. 12 zitierte Abhandlung Palms sowie auf die im 14. Kapitel dieses Buches nachgewiesene Literatur. Vgl. Becanus Redivivvs, Das ist/ Deß Wohl=Ehrwürdigen Hochgelehrten/ Herrn Martini Becani der Societät JEsu Theologen S. Handtbuch: Aller dieser Zeit in der Religion Streitsachen in 5. Bücher abgetheilt: An Die Römische Kayserl. Mayestät FERDINANDVM den Andern/ der Catholischen Religion Beschützern. Jn welchem alle biß dahero zwischen den Catholischen/ vnd deren Wiedersachern: Den: Calvinisten/ Lutheranern/ Wiedertäuffern/ vnd andern/ sonderlich den Welt-
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denheit seines Dienstherrn absolviert. Nun – und eben in ungleich schwierigerer Zeit – bedurfte es eines auf Ausgleich zielenden Schriftsatzes, mit dem in den Händen auch ein Dohna sich als Vermittler empfehlen konnte. Hier liegen – nach allem was bislang bekannt ist – die Wurzeln für das Ansinnen, den Text eines großen Rechtsgelehrten einzudeutschen, der weit über die Niederlande und Frankreich hinaus Furore gemacht hatte. Wenn nicht ein Pamphlet, so doch ein überzeugendes Manifest des Friedens und speziell des interkonfessionellen Übereinkommens war gefragt. Es kam Opitzens religiösem und dichterischem Anliegen in jeder Hinsicht entgegen.
Ein Text in einer Situation der Krisis Die Wahl fiel auf eine jüngst erschienene Arbeit des Hugo Grotius. Sie war das Produkt erzwungener Muße anläßlich eines Aufenthaltes im Gefängnis. Es wäre zu viel gesagt, wollte man behaupten, daß dieser Umstand dem Text auf der Stirn geschrieben stünde. Immerhin, Spuren der ungewöhnlichen Situation lassen sich ausmachen. Und mehr als das. Was Grotius in seiner niederländischen Heimat soeben erlebt hatte und worin er selbst involviert war, nötigte zu einer denkerischen und also zu einer religionsphilosophischen und in eins damit zu einer konfessionspolitischen und juristischen Bewältigung. Daß die Ausgangslage in den Niederlanden indes eine gänzlich verschiedene war von der in Schlesien und dennoch der Autor und sein Übersetzer zusammenfanden und am Schluß die Stimme des einen von der des anderen nicht mehr unterscheidbar war, glich einem Wunder. Die Umstände hier wie dort ließen Gemeinsamkeiten erkennen, die eine intellektuelle Herausforderung bargen. Wohin das Auge auf dem europäischen Schauplatz glitt, traten Geschehnisse in das Blickfeld, die ihren Grund in einer fundamentalen Krise besaßen. Wenn also auch der Text des Grotius in Windeseile sich den Kontinent eroberte, so beweist dies, daß er Antworten enthielt, nach denen ein Verlangen bestand. Auch die Stimme Opitzens in diesem Reigen ist eine von der aktuellen Krise geprägte. Was dichterisch immer schon umkreist worden war fand nun eine umfassende, theoretisch wie geschichtlich abgesicherte Explikation. Daß dies wie bei Grotius zugleich in gebundener Rede auf Niederländisch und wenige Jahre später in Prosa auf Latein geschah, beförderte die Aufnahme zweifelsohne eminent. Speziell im Blick auf Opitz ––––––––– leuten/ oder Politicis vorgefallene Streitsachen/ auß dem Fundament der H. Schrifft/ den H. Vättern/ Conciliis, vnd hergebrachter ordentlicher Observantz/ beständiglich erörtert werden. Jetzo der gantzen Christenheit zum besten/ vornemblich aber zu Bekehrung der: Jrrenten/ in die Teutsche Spraach gebracht/ Mit Kays. May. Privilegio/ auch Bewilligung der Oberen der Societät Jesu/ vnd zweyer Register außgangen. Bey Johan Theobald Schönwettern von Maintz/ Buchhändlern/ zu Franckfurt zu finden: Jm Jahr 1631. Ex. der BU Wrocław: 401157. Das Werk ist von Becanus Kaiser Ferdinand II. gewidmet. Ein Hinweis auf den Übersetzer fehlt. Der Dichter muß es bei seinem Dienstherrn aus naheliegenden Gründen durchgesetzt haben, in diesem Werk nicht eigens zu erscheinen. Vgl. im vorliegenden Zusammenhang auch Christian Gellinek: Hugo de Groots und Martin Opitzens Glaubensverteidigungen von 1622 und 1631.- In: Akten des VI. Internationalen Germanisten-Kongresses Basel 1980. Teil 3. Hrsg. von Heinz Rupp, Hans-Gert Roloff.- Bern etc.: Lang 1980 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongreßberichte; 8), S. 33–39.
Umschwung in den Niederlanden
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indes kam hinzu, daß er eine Widmungsadresse verfaßte, die sich nochmals selbständig neben der übersetzerischen Adaptation behauptete. Ihr soll daher unsere Aufmerksamkeit gelten. Und damit kehren wir zurück zur Ausgangslage in den Niederlanden und in Frankreich.17
Umschwung in den Niederlanden Die Niederlande standen zwischenzeitlich am Scheidewege. In kühnsten Träumen oder auch in dunkelsten Ahnungen hätte sich nicht abzeichnen können, was nur kurze Zeit nach der erlangten Loslösung von Spanien und damit dem Erwerb von Freiheit den jungen Staat in den Grundfesten erschütterte. Der verdankte seine Existenz einer kampfesmutigen religiösen Gemeinschaft, um den Begriff ›Partei‹ geflissentlich zu vermeiden. Der Widerstand und alsbald die Auflehnung gegen einen Staat, der seinerseits in engster Liaison mit dem alten Glauben und seinen kampfesfrohen Agenturen agierte, welche schließlich zur Loslösung der sieben Provinzen führte, blieb das Fundament der Republik. Deren Identität verband sich mit der Erinnerung an die heroische Selbstbehauptung. Sie reichte in jede erdenkliche Gegenwart hinein. War es im Ursprung der Reformation um eine Befreiung von allen weltlichen Fesseln zugunsten der Versenkung in den einen, allein auf den biblischen Text gegründeten Glauben gegangen, so standen wenige Jahrzehnte später Staat und Kirche, Politik und Glauben in einem Wech––––––––– 17
Wir nutzen an dieser Stelle die Gelegenheit für einen knappen Hinweis auf einschlägige GrotiusLiteratur im Blick auf den vorliegenden Zusammenhang. Die Literatur bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts findet man in Auswahl zusammengestellt in: Jacob ter Meulen: Concise Bibliography of Hugo Grotius.- Leyden: Sijthoffs Publishing Company 1925, S. 55–73. Wir kommen auf die Arbeit zurück. Sie wurde für die Bibliothek des Palasts des Friedens in den Haag erarbeitet, die einen reichen Schatz an Werken von und über Grotius beherbergt. Die Bibliographie selbst ist in der Zeitschrift ›Grotiana‹ laufend fortgeschrieben worden. Die zeitgenössischen Äußerungen aus dem 17. Jahrhundert sind verzeichnet und kommentiert in dem ungemein verdienstvollen Werk von: Jacob ter Meulen, P.J.J. Diermanse: Bibliographie des écrits sur Hugo Grotius imprimés au XVIIe siècle.- La Haye: Nijhoff 1961. Wie nicht anders zu erwarten liegen zahlreiche Biographien vor. Eine rasche erste Information bietet W.J.M. van Eysinga: Hugo Grotius. Eine biographische Skizze. Mit einem Vorwort von Werner Kaegi.- Basel: Schwabe 1952. Für eine Einführung in Leben und Werk greift man etwa zu: Christian Gellinek: Hugo Grotius.- Boston: Twayne Publ. [o.J.] (Twayne’s World Author Series; 680). Aus der überaus reichen Literatur wurde mit besonderem Gewinn herangezogen: Christoph Link: Hugo Grotius als Staatsdenker.- Tübingen: Mohr (Siebeck) 1983 (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart; 512). Reich an Perspektiven auch die beiden Sammelbände: The World of Hugo Grotius (1583–1645).- Amsterdam, Maarssen: APA – Holland University Press 1984; Staat bei Hugo Grotius. Hrsg. von Norbert Konegen, Peter Nitschke.- Baden-Baden: Nomos 2005 (Staatsverständnisse; 9). Und schließlich sei erinnert an die Porträts in den bekannten Werken zu den Juristen der Frühen Neuzeit. Vgl. etwa das Kapitel Hugo de Groot, das Orakel von Delft.- In: Jan Romein, Annie Romein-Verschoor: Ahnherren der holländischen Kultur.- Bern: Francke [o.J.], S. 114–148; Erik Wolf: Hugo Grotius.In: ders.: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 4., durchgearb. und erg. Aufl.Tübingen: Mohr (Siebeck) 1963, S. 253–310; Hasso Hofmann: Hugo Grotius.- In: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik – Politik – Naturrecht. Hrsg. von Michael Stolleis.Frankfurt/Main: Metzner 1977, S. 51–77.
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selverhältnis, das nur bei Strafe des Untergangs zugunsten einer der beiden Seiten aufgekündigt werden durfte.18
Nationale Identität aus dem Geist des Humanismus und Calvinismus So wie die deutschen Humanisten in legitimatorischer Absicht auf die Germanen rekurrierten und genauer auf das, was Tacitus über sie zu berichten hatte, so ihre niederländischen Zunftgenossen auf die Bataver und ihren Anführer Julius Civilis, der in römischer Zeit ein Beispiel vehementen und schließlich erfolgreichen Widerstands gegeben hatte. Kein Geringerer als eben Grotius leitete die Berechtigung einer aus der Rebellion hervorgegangenen, staatlich-republikanischen Existenz aus der batavischen Tradition ab, wie sie wiederum über Tacitus verbürgt war und auf holländischem Boden soeben eine gloriose Wiederauferstehung erfahren hatte. In der Namensgebung für die lange belagerte Stadt Leiden, die da auf ›Lugdunum Batavorum‹ getauft wurde, erlangte die Kontamination aus Mythos und Geschichte ebenso eine bleibende Prägung wie in dem bildnerischen Werk eines Otto van Veen oder Rembrandt bzw. in dem dichterischen eines Hooft oder Vondel.19 Prägend indes für diese nationale Mythologie aus dem Geist des Humanismus wurde die Verbindung mit dem Calvinismus, und das implizierte zugleich – wie auf andere Weise wiederum nicht zuletzt bei Opitz – eine Reaktivierung und Indienstnahme alttestamentarischer Bilder und Motive. Da rückten denn Moses und Wilhelm I. von Oranien als Befreier ihrer Völker zusammen; ›haec religionis ergo‹ – ›haec libertatis ergo‹ – auf der einen Münze traten die religiöse und die weltliche Komponente der Befreiung als die zwei Seiten der einen Medaille einprägsam zusammen.20 Was aber, wenn auf seiten der Religion, auf seiten des ›staatstragenden‹ Calvinismus, Risse und Sprünge sichtbar wurden, die zwangsläufig über kurz oder lang staatsgefährdenden Charakter annehmen mußten? Hier setzt Grotius ein. 1610 erschien sein Werk ›Liber de antiquitate reipublicae batavicae‹ zunächst auf Latein und sodann auf Niederländisch.21 Auf Freiheit lautet die Losung. In der Stammesversammlung ist die republikanisch-konstitutionelle Struktur der Niederlande vorgebildet. Die Städte und Regenten bestimmen das politische Leben, nicht ein absoluter Fürst. ›Adversus magnitudinem valum hac tenus europae‹ hieß es in der Widmung an Georg Michael Lin––––––––– 18
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Zurückverwiesen sei auf die Ausführungen bei Lademacher: Die Niederlande (Anm. 4), und hier insbes. auf die Kapitel ›Auf der Suche nach nationalem Selbstverständnis und Selbstbewußtsein‹, S. 215–229, sowie ›Die neue Kirche und die neue Obrigkeit‹, S. 242–246. Vgl. auch Hans W. Blom: Hugo Grotius: Religion und Politik.- In: Staat bei Hugo Grotius (Anm. 17), S. 79–103. Vgl. I. Schöffer: The Batavian Myth during the Sixteenth and Seventeenth Centuries.- In: Britain and the Netherlands. Some political Mythologies. Hrsg. von J.S. Bromley, E.H. Kossamm.- Den Haag: Nijhoff 1975, S. 78–101. Vgl. H. Smitskamp: Calvinistisch nationaal besef in Nederland vóór het midden der 17de eeuw.’s-Gravenhage: Daamen 1947. Vgl. das reichhaltige Kapitel zu der Schrift einschl. der Übersetzungen in: Jacob ter Meulen, P.J.J. Diermanse: Bibliographie des écrits imprimés de Hugo Grotius.- La Haye: Nijhoff 1950, S. 309– 319, Nr. 691–710A. Es handelt sich um eine glänzend gearbeitete analytische Bibliographie, so daß eine rasche Übersicht über den jeweiligen Inhalt der Texte des Grotius zu gewinnen ist.
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gelsheim. Analoges statuierte der Denker nun auch auf seiten der Religion. Und indem er so verfuhr, war der Konflikt hier wie dort unausweichlich.
Dialektik der Staats-Religion Als ›Öffentlichkeitskirche‹, als ›Publieke Kerk‹, hatte sich der Calvinismus etabliert. Schon 1575/76 wurde dieser als das verbindliche Glaubensbekenntnis deklariert. Entsprechende Verordnungen wurden turnusmäßig bis in das Jahr 1649 wiederholt. Die Einzelheiten dürfen hier außen vor bleiben und damit auch all jene in der Praxis zu beobachtenden Ausnahmen, die den Katholiken nicht anders als den vielen anderen Religionsgemeinschaften in den Niederlanden zugute kamen. Entscheidend war, daß beherzte Personen vom Schlage eines Cornelis Pieterszoon Hooft auftraten, die ihr Wort erhoben für jene, die sich nicht zum Calvinismus bekannten und deshalb nicht als Ketzer oder Atheisten abgestempelt werden dürften. Der Ratspensionär Johan van Oldenbarnevelt fand die einschlägige Formulierung, die bereits hingeleitete zu jenen Gedanken, denen Grotius dann denkerische Gestalt verleihen sollte. Es ist nie die Ansicht der Herren Generalstände gewesen, Krieg für die Wahrung dieser oder jener Religion zu führen; vielmehr sollte es jeder Provinz, ja selbst jeder Stadt freistehen, die Religion anzunehmen oder zu wahren, die man für richtig und ratsam hält.22
Maßgebliche Kräfte in Kirche und Politik bevorzugten einen anderen, einen auf Zentralismus hier wie dort hinauslaufenden Weg. Der Zwist entzündete sich an einem kardinalen Dogma des Calvinismus, der rechten Auslegung der Lehre von der Prädestination. Damit war ein Theologumenon aufgerufen, das zugleich ein Politikum barg. Die theologische Kontroverse verband sich mit den Namen der beiden Leidener Professoren Jacobus Arminius und Franciscus Gomarus. Arminius vertrat eine gemäßigte Lehre der Prädestination, räumte – ganz im Sinne des Erasmus – dem freien Willen ein unverzichtbares Mitwirkungsrecht beim Erwerb des Heils ein und bestand entsprechend auf der Freiheit des Gewissens in Glaubensdingen. Als Arminius frühzeitig im Jahr 1609 starb, reichten seine Anhänger bei den Provinzialständen Hollands ein ›Memorandum‹ ein, ›Remonstranie‹ genannt, in dem sie um den Schutz ihres Bekenntnisses nachsuchten. Damit waren sie auf einen Namen getauft und zugleich war die Politik in den Streit involviert. Die Anhänger des Gomarus ließen mit ihrer Entgegnung nicht auf sich warten, brachten bei den Ständen eine Gegendarstellung, eine ›Kontraremonstrarie‹, ein und forderten eine nationale Synode, auf der eine Entscheidung in der strittigen Angelegenheit für alle Provinzen herbeigeführt werden solle.23 ––––––––– 22
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Zitiert bei Lademacher: Die Niederlande (Anm. 4), S. 237, in dem einschlägigen Kapitel ›Das calvinistische Bekenntnis im religiösen Umfeld‹, S. 229–239. Es schließt sich an die Kapitel: ›Der innere Ausbau der Öffentlichkeitskirche‹, S. 239–242, sowie: ›Die neue Kirche und die neue Obrigkeit‹, S. 242–246. Vgl. zum Vorgetragenen die in Anm. 4 zitierte Literatur. Zu den beiden Kontrahenten vgl. die Einträge zu Arminius und zum Arminianismus von Gerrit Jan Hoenderdaal in der Studienausgabe der Theologischen Realenzyklopädie IV (1993), S. 63–69, sowie zu Gomarus ebenda in dem Arti-
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Der Theoretiker in praktischer Mission Diese nur eben mit wenigen Sätzen erinnerte Ausgangslage rief zwangsläufig die Juristen auf den Plan. Die Figuration war zu reizvoll, aber eben auch zu fragil, als daß sie nicht nach rechtlicher Bearbeitung verlangt hätte. Ein Akt der Balance, der Austarierung der Kräfte, war nötig, und dies durfte nicht der Politik überlassen bleiben, sondern mußte eine Stütze in rechtlich überzeugenden Grundsätzen erhalten. Ein Kopf von der Statur eines Hugo Grotius, ausgestattet mit einer eminenten Prädisposition für juristische Fragen, sah sich alsbald herausgefordert, die auf diesem Felde harrenden Probleme zu diagnostizieren und sie zu lösen. Es dürfte angängig sein, in der komplizierten verfassungsrechtlichen Struktur seiner Heimat auch einen Schlüssel für sein singulär dastehendes juristisches Werk in der Hand zu halten, das im übrigen selbstverständlich alsbald in Zonen vorstieß, die fernab lagen von den speziell auf die Niederlande zugeschnittenen.24 Entscheidend blieb, daß der Theoretiker, der er war, sich nicht jenen praktischen Fragen entziehen konnte, die sich staats- wie kirchenpolitisch stellten und zur Stellungnahme herausforderten. Sie mündeten für den Denker in religionspolitische und religionsphilosophische Erwägungen, das aber nur, weil auf dem Boden der jungen Republik Entwicklungen eingetreten waren, die letztlich zwangsläufig zu ihnen geleiteten. Grotius nämlich erarbeitete eine holländisch-provinzialständische Resolution, in der dem ersten Anliegen der ›Remonstranten‹ Genüge getan wurde, indem das Prinzip der Toleranz als oberste Maxime in religiösen Dingen eine Bekräftigung fand. Zugleich erblickte Grotius in einzelnen Artikeln des Arminius Elemente, die geeignet waren, die Einheit der calvinistischen Kirche in den Niederlanden wiederher–––––––––
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kel ›Niederlande‹ von Cornelis Augustijn, Band XXIV (2000), S. 474–502, S. 481. Hier jeweils reiche weitere Literatur, in dem zweiten Artikel selbstverständlich zur Kirchen- und Theologiegeschichte in den Niederlanden insgesamt. Einschlägig sodann der Eintrag zur Dordrechter Synode von Johannes Pieter van Dooren im neunten Band der Studienausgabe (1993), S. 140–147, gleichfalls mit reicher Literatur. Vgl. zum Folgenden zunächst im Blick auf die Quellen und zumal die Publizistik aus der Feder von Grotius in den Jahren zwischen 1613 und 1618 die Dokumentation in der oben in Anm. 21 aufgeführten Grotius-Bibliographie von ter Meulen und Diermanse, Abschnitt VII: ›Ecrits politico-religieux‹, S. 390–449. Auch diese Texte sind hervorragend analytisch erschlossen. In allen oben Anm. 17 aufgeführten Arbeiten zu Grotius werden seine publizistischen Interventionen unter besonderer Beobachtung seines Einsatzes für die Idee der Toleranz behandelt. Vgl. des weiteren auch: Dieter Wolf: Die Irenik des Hugo Grotius nach ihren Prinzipien und biographisch-geistesgeschichtlichen Perspektiven. 2. Aufl.- Hildesheim: Gerstenberg 1972 (Studia Irenica; 9). Vgl. zum Kontext dieses kardinalen Problems etwa: Gerhard Güldner: Das Toleranz-Problem in den Niederlanden im Ausgang des 16. Jahrhunderts.- Lübeck, Hamburg: Matthiesen 1968; Richard Saage: Die politiktheoretischen Grundlagen des Aufstandes der Niederlande.- In: ders.: Herrschaft, Toleranz, Widerstand. Studien zur politischen Theorie der Niederländischen und der Englischen Revolution. Mit einem Vorwort von Walter Euchner.- Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981, S. 21–112, S. 320–324, S. 329–332 (Quellen und Literatur). Und schließlich sei verwiesen auf das große Kapitel von Joseph Lecler: Die Revolution der Niederlande und die Kämpfe um die Religionsfreiheit.- In: ders.: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation. Band I–II.Stuttgart: Schwabenverlag 1965, Band II, S. 233–397. Es handelt sich um die – von Elisabeth Schneider herrührende – Übersetzung des unter dem Titel ›Histoire de la tolérance au siècle de la Réforme‹ im Jahr 1955 in Paris bei Aubier in den ›Editions Montaigne‹ erschienenen Werkes.
Intellektuelle Vorgeschichte
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zustellen. Die Resolution wurde im Jahr 1614 angenommen, stieß jedoch sogleich auf den Widerstand der Gegenseite. Plötzlich schien der Bestand der jungen Kirche nicht anders als der der jungen Republik bedroht. Der Funke sprang auf breitere Volksschichten über. Es kam zu Ausweisungen von Predigern und zu Ausschreitungen unter der Menge. Schließlich verdichtete sich die Auseinandersetzung im Gegenüber von Statthalter in der Gestalt von Moritz von Oranien und Ratspensionär in der Gestalt Johan van Oldenbarnevelts, der eine auf der Seite der Kontraremonstranten, der andere auf der der Remonstranten. Der Ausgang ist bekannt. Oldenbarnevelt wurde der Prozeß wegen Staatsverrats gemacht und der Greis zum Schafott geführt, Grotius aber zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Ein tiefer, ein unauslöschlicher Schatten fiel auf die Republik und auf das Bekenntnis, das im Bündnis mit ihr stand. Ein Bekenntnis sollte das Wahre sein und der eine staatliche Arm seinen Bestand garantieren. Das war die Konterkarierung des Geistes, welchem die republikanischen Republiken ihre Existenz verdankten. Das Gift konfessioneller Unierung war in sie eingedrungen und hatte einen antidemokratischen Schub bewirkt. Es konnte nicht ausbleiben, daß Gegenwehr sich regte. Grotius erwuchs zu einem der Wortführer des Widerstands und Opitz partizipierte daran, war er doch immer schon auf nämlichen Pfaden unterwegs gewesen. Als wohlvorbereiteter Co-Autor der allfälligen Replik trat er auf, und das in einem inneren Sinn, konnte sie doch nur eine metaphysisch inspirierte sein.
Intellektuelle Vorgeschichte Schon im Jahre 1611 hatte Grotius eine kleine, nach zwei Schismatikern aus dem vierten Jahrhundert benannte Schrift ›Meletius‹ abgefaßt, die jedoch nicht zum Druck gelangte, lange Zeit als verschollen galt und erst in jüngster Zeit wieder aufgefunden wurde.25 Schon der Titel deutet an, daß auch sie einen Beitrag zu dem kardinalen Problem der Zeit zu leisten sucht, der Kontroverstheologie. Zwei Jahre später wandte sich ––––––––– 25
Dem glücklichen Finder wurde eine eigene, höchst gehaltreiche, um die Rolle der Theologie im Werk von Grotius gruppierte Festschrift gewidmet, eingeleitet eben mit einer Abhandlung des Jubilars zu dem von ihm wiederentdeckten Text. Vgl. Hugo Grotius Theologian. Essays in Honour of G.H.M. Posthumus Meyjes. Hrsg. von Henk J.M. Nellen, Edwin Rabbie.- Leiden, New York, Köln: Brill 1994. Hierin: Guillaume H.M. Posthumus Meyjes: Some Remarks on Grotius’ ›Excerpta Theologica‹, Especially Concerning His ›Meletius‹, S. 1–17. Der Text wurde gleichfalls von Posthumus Meyjus ediert: Hugo Grotius: Meletius sive de iis quae inter christianos conveniunt Epistola. Critical Edition With Translation, Commentary and Introduction by G.H.M. Posthumus Meyjus.- Leiden etc.: Brill 1988 (Studies in the History of Christian Thought; 40). Es liegt auch bereits eine französische Übersetzung vor: Jacqueline Lagrée: La raison ardente. Religion naturelle et raison au XVIIe siècle. Traduction en Appendice du Meletius de Hugo Grotius.- Paris: Vrin 1991 (Philologie et Mercure).- Der Festschrift ist von den Herausgebern eine – wiederum glänzend gearbeitete und detailliert gegliederte – Bibliographie zur Literatur über Grotius als Theologe beigegeben, auf die nachdrücklich verwiesen sei: Hugo Grotius as a Theologian: A Bibliography (ca. 1840–1993). Compiled by Henk J.M. Nellen and Edwin Rabbie (The Hague), S. 219–257.
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Grotius explizit eben diesem Thema zu: ›Conciliatio dissidentium de re praedestinaria et gratia opinionum‹. Parallel dazu liefen die Versuche, den theologischen Berater Jakobs I. Casaubon zu bewegen, dem englischen König die Einberufung einer internationalen protestantischen Kirchensynode nahezulegen.26 Man weiß, welch große Hoffnungen überall im Umkreis des Späthumanismus auf derartige Projekte gesetzt wurden. Sie blieben bekanntlich durchweg unerfüllt. Grotius machte sich zum Anwalt der Stände, die die Frage der Prädestination nicht zu einer fundamentalen erhoben wissen wollten und sich entsprechend zu einem liberalen Umgang in den Provinzen verstanden. Zu den vielen denkwürdigen Momenten im Rahmen der Paris-Mission Opitzens gehört auch, daß der greise Jacques-Auguste de Thou den inzwischen an vorderster Stelle in die Auseinandersetzung verwickelten Grotius warnte, zwischen den Fronten zerrieben zu werden. Der langjährige Präsident des Pariser Parlaments wußte, wovon er sprach.27 Im Mai des Jahres 1619 erfüllte sich das Schicksal von Grotius, nachdem er am Ende eines zermürbenden Prozesses zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Die Frucht des knapp zweijährigen Aufenthalts im Gefängnis auf dem Wasserschloß zu Loevestein ist sein Lehrgedicht ›Bewys van de waere Godsdienst‹, das womöglich zu dem bedeutendsten Manifest einer humanistisch inspirierten Theologie des Zeitalters geriet.28 Als ein Glücksfall seltenen Ausmaßes muß es gelten, daß es Opitz vorbehalten blieb, einen Text dieses Kalibers in den deutschen Sprachraum zu überführen. Wie der gefangene Autor exponierte sich auch der dolmetschende Dichter. Denn nun wurde mit dem Gegenentwurf zu Dordrecht zugleich über einer jeden dogmatischen Absolutsetzung in Glaubensdingen der Stab gebrochen. Nur das, was Katholiken, Griechisch-Orthodoxe und Protestanten gemeinsam anerkennen können, findet Aufnahme in dem Lehrgebäude. Es gibt von daher zu denken, daß insbesondere aus Kreisen der Altgläubigen der Wunsch verlautete, neben der niederländischen möge eine lateinische Version in Umlauf gebracht werden, um einen größeren Leserkreis zu gewinnen. Indem Grotius diesem Wunsch fünf Jahre später entsprach, war zugleich die Basis für eine denkwürdige Kooperation auf seiten der Deutschen geschaffen, die wiederum singulär in der publizistischen Szene des frühen 17. Jahrhunderts dasteht.29
Opitz und Colerus als Dolmetscher Unverkennbar belebt sich der briefliche Austausch zwischen Colerus und Opitz im Jahr 1630 merklich. Ein glücklicher Umstand hat es gefügt, daß sich gerade dieser ––––––––– 26
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Vgl. van Eysinga: Hugo Grotius (Anm. 17), S. 53 f. Hier zu beiden Schriften und zur Einschaltung des englischen Königs. Vgl. zur ›Conciliatio‹ auch ter Meulen, Diermanse: Bibliographie (Anm. 21), S. 603, Nr. 1206–1209. Vgl. van Eysinga, S. 59. Vgl. die eingehende bibliographische Dokumentation des Textes einschl. der Übersetzung von Opitz bei ter Meulen und Diermanse: Bibliographie (Anm. 21), S. 57–64, Nr. 143–154. Die lateinische Version, einschließlich der Übersetzungen in zehn Sprachen, wiederum in der bibliographischen Dokumentation bei ter Meulen und Diermanse S. 467–536, Nr. 944–1090. Hier die Übersetzung des Colerus unter der Nummer 1008, S. 495.
Opitz und Colerus als Dolmetscher
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Teil der Korrespondenz fern von Breslau in der ehemaligen Herzoglichen Bibliothek zu Gotha erhalten hat und heute in der Nachfolgeinstitution, der Forschungsbibliothek Gotha, verwahrt wird. Der reiche Fundus ist soeben in zweisprachiger Version und vorbildlich kommentiert wieder zugänglich gemacht worden.30 Der erste aus Paris bezeugte bzw. erhaltene Brief Opitzens ging freilich nicht an Colerus, sondern an Lingelsheim. Er ist auch im vorliegenden Zusammenhang einschlägig. Vom 2. Mai rührt der Brief her. Einen Tag vorher ist der Dichter erstmals von Grotius begrüßt worden. Dann mehren sich in den folgenden Wochen Bemerkungen über Zusammenkünfte mit Grotius, der seinerseits über seine Begegnungen mit dem Dichter berichtet. Zentrale Bezugsperson für beide bleibt Lingelsheim, der den Kontakt ja hergestellt hatte. Erst aus dem November des Jahres 1630 liegt der erste Brief von Colerus vor. Opitz ist aus Paris soeben zurückgekehrt und weilt wieder in Breslau. Colerus aber meldet sich aus Brieg. Das ist festzuhalten, denn somit ist er in der Lage, den von dem Drucker Gründer daselbst gefertigten Grotius-Text an Ort und Stelle zu überwachen. Erst im Februar des folgenden Jahres ist erstmals von der Grotius-Übersetzung die Rede.31 Opitz hat die Übersetzung des ersten Buches an den Brieger Drucker auf den Weg gebracht. Und nun reiht sich in den kommenden Wochen Mitteilung an Mitteilung, nicht zuletzt dem zögerlichen Fortgang des Druckes geschuldet, der Opitz je länger desto mehr in Verlegenheit bringt im Blick auf seinen Dienstherrn. Grotius schaltet sich selbst ein und ermuntert den ihm in Paris nahegekommenen Dichter zu einem freien Umgang mit seiner Vorlage. Inzwischen aber hatte Opitz seinem Freund auch die lateinische Version des Textes von Grotius zugänglich gemacht, so daß die Übersetzung und alsbald der Druck beider Versionen nebeneinander herliefen. Im April ging die Widmung der Opitzschen Übersetzung an Gründer. Colerus hegte seinerseits den Plan, seine Übersetzung Karl Hannibal von Dohna zu widmen, doch kam es dazu nicht mehr.32 Es ist nicht ohne Interesse wahrzunehmen, welche Sorgen Opitz hinsichtlich seiner Stellung und seines Ansehens bei seinem Dienstherrn hatte, der sichtlich verärgert war über den geplatzten Deal.33 Endlich im August 1631 kann Opitz dem Freunde den Empfang von dessen Übersetzung bestätigen. Doch da war die Gelegenheit, nun auch die deutsche Prosafassung dem ungeduldigen Burggrafen zu überreichen, verstrichen. Die Nachwelt aber bleibt dankbar, daß die beiden Versionen des Textes von Grotius in Deutschland gleichfalls ihr formales Äquivalent in Vers und Prosa haben.34 ––––––––– 30
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Wir verweisen auf das oben Anm. 8 zitierte dreibändige Werk von Bollbuck und Conermann mit der Dokumentation der Briefe von und an Opitz und diversen einschlägigen Lebenszeugnissen, die den Lebensraum des Dichters optimal erschließen. Vgl. Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 8), Band II, S. 924–926, Nr. 310211 ep. Vgl. etwa ebenda, Band II, S. 987–989, Nr. 310404 ep. Vgl. vor allem ebenda, Band II, S. 1027–1029, Nr. 310527 ep. Vgl. [Kupfertitel:] Hugo Grotius[:] Von der Warheit der Christlichen Religion Auß holländischer Sprache hochdeutsch gegeben. Durch Martin Opitzen. Jn Verlegung Dauid Müllers 1631. [Kolophon:] Gedruckt in der Fürstlichen Stadt Brieg/ durch Augustinum Gründern. 1631. Jn verlegung David Müllers Buchhändlers in Breßlaw. Zwei Exemplare aus der Rhedigerschen und der Magdalenen-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/48; 4 K 441), heute in der BU Wrocław: 355110; 390092. Sodann: [Kupfertitel:] Die Meinung der Bücher Hugonis
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Die Antwort des Grotius Grotius hat sich seinerseits überaus dankbar gegenüber Opitz gezeigt und in diesem Zusammenhang Worte verlauten lassen, die einen Einblick hinsichtlich seiner Einschätzung auch des eigenen Textes vermitteln. War er womöglich, wie aus einer früheren brieflichen Bemerkung ersichtlich, mit der eigenen Leistung nicht restlos zufrieden, gäbe es inzwischen doch keinerlei Zweifel mehr, daß dem Gegenstand selbst, den er gewählt hatte, höchste Bedeutung zukäme. Und daß der Tenor der Schrift auch in Deutschland seine Wirkung nicht verfehlen möge, blieb die Hoffnung des Denkers und Dichters. Das Krebsgeschwür des Religionszwists war ihm nur allzu gegenwärtig. Die Worte des Grotius sollen am Eingang unserer knappen Vorstellung seines Werkes stehen. Sie dürften in dem reichhaltigen Briefcorpus des Grotius womöglich ihrerseits eine besondere Stellung einnehmen. Zehn Jahre sind vergangen seit der Abfassung. Nun aus der zeitlichen Distanz gelangt Grotius zu einem Urteil, das aufhorchen läßt: Nunc demum, clarissime OPITI, me vitae in carcere actae non poenitet, cùm video illius aerumnae meae fructus te tàm fideli interprete, quàm felici poëtá ad populum populorum principem pervenire. Minime mihi blandiri solitus illud tamen opus meum semper minimè comtemsi ideò, quod cùm in materia versetur omnium optimâ, ad eam tractandam rationes dilegi, quas optimas existimavi. Nunc autem etiam qua parte meum est illud opus, multò plus, quàm antea placere mihi incipit, ex quo Germanicae gravitatis more cultum procedit. Non tantum tibi Germanos tuos debere arbitror, qui quae à me collecta sunt, alibi saltem sparsa legere poterant, quantum ego debeo, qui tuo munere Germaniae antiquae parenti nostrae innotescam. Elegantiam & nitorem ubique miror, nec ex alio libro Germanicè loqui aut facilius discam, aut lubentius. Pro hoc beneficio quid tibi optem melius, quàm ut brevi Patriam tuam videas, si non florentem, ut olim, certe ab illis saevis belli fluctibus liberam, & positis quae prava religio gignit odiis magis magisque se componentem ad illam veram, cujus fructus sunt pax & dilectio.35
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Grotii Von der Warheit der Christlichen Religion. Von jhm selbst Auß dem Holländischen inn Latein, vnd Auß diesem inn das Deutsche gezogen. Durch Chrjstoph Colervm. Jn Vorlegung David Müllers. 1631. Exemplar aus der Magdalenen-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (8 K 1572/3), heute in der BU Wrocław: 330610. Vor Einsatz des Textes der Übersetzung durch Colerus steht als Kopfblock: Hugo Grotius Von der Warheit Der Christlichen Religion. An H. Hieronymus Bignon Königlichen Advocaten im Parlament zu Pariß. (Bl. A1r). Vgl. Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 8), Band II, S. 1050. Die deutsche Übersetzung und Kommentar ebenda auf S. 1051 f.: Jetzt erst, hochberühmter Opitz, reut mich nicht mehr das Leben im Kerker, da ich sehe, daß die Früchte meiner Trübsal durch Dich, einen ebenso treuen Übersetzer wie glücklichen Dichter, an das erste Volk unter den Völkern gelangt sind. Obgleich ich mir am wenigsten zu schmeicheln pflege, habe ich dennoch dieses Werk von mir deshalb immer am wenigsten verachtet, weil es sich mit dem besten Gegenstand von allen befaßt und ich für dessen Behandlung Mittel gewählt habe, die ich für die besten hielt. Nun hat aber dieses Werk auch, sofern es meines ist, mir viel mehr als zuvor begonnen zu gefallen, seitdem es wie mit deutscher Würde geschmückt hervortritt. Ich meine, daß nicht so sehr Deine Deutschen in Deiner Schuld stehen, weil sie das von mir Zusammengetragene auch anderswo, wenn auch verstreut, lesen konnten, als daß ich Dir sehr viel schulde, da ich durch Deine Arbeit Bekanntschaft mit unserer alten Mutter Germania mache. Ich bewundere Eleganz und Glanz an jeder Stelle, und aus keinem anderen Buch lerne ich leichter und lieber, Deutsch zu sprechen. Was sollte ich Dir Besseres für diese Wohltat wünschen, als daß Du binnen kurzem siehst, daß Dein Vaterland – wenn es schon nicht wie einst blüht – ganz sicher befreit ist von den grausamen Fluten des Krieges und nach Beilegung des Hasses, den eine verdrehte Religiosität gebar, sich mehr und mehr zur wahren Gottesverehrung vereine, deren Früchte Frieden und Liebe sind.
Ein Blick in das opus magnum
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Ein Blick in das opus magnum In sechs Bücher hat Grotius sein Werk eingeteilt.36 Opitz folgt ihm darin. Mit einem Lob seiner Heimat wird Opitz in seiner Vorrede schließen. Mit einem Lob ›Hollands‹ und seiner Bewohner hebt Grotius an. Und der Leser kann nicht hindern, daß er sich zurückversetzt fühlt in die Zeit, da Opitz sein ›Trost-Gedichte‹ in der Einsamkeit Jütlands verfaßte, das den jungen Niederlanden einen so gewichtigen Platz einräumt. Es ist ein Volk von Seefahrern, das da noch in fernsten Landen siedelt und zu ihnen seinen Glauben trägt. Ein missionarisches Werk verrichtet es unter Völkerschaften, die Abgötterei und heidnischem Zauber aller Art verfallen sind und denen der Name Gottes unbekannt ist. Was darf ihnen als Zeugnis christlichen Lebensverständnisses überbracht werden, wie muß die Botschaft lauten, damit sie auf fruchtbaren Boden fällt und Wurzeln faßt? Große Fürsprecher in jüngster Zeit sind aufgetreten und haben ihr Glaubenszeugnis abgelegt. Ihnen gesellt sich der Sprecher jetzt zu und voller Spannung erwartet man, was er zu sagen haben wird. Werden der Autor und sein Übersetzer die nämliche Sprache finden? Grotius wie Opitz und Colerus haben ihren Lesern eine wesentliche Lesehilfe geboten. Am Rande sind in dichter Folge, Marginalien gleich, Stichpunkte des jeweils zur Verhandlung stehenden Themas ausgeworfen. Das erste einschlägige – es sind noch keine hundert Alexandriner vorgetragen – lautet: ›Beweiß daß ein Gott sey/ auß dem begin der sachen‹.37 Genau diesem Problem wird sich auch Opitz in seiner Vorrede widmen. Es ist ersichtlich, daß Konsonanzen existieren. Der Duktus aber wandelt sich nun. Ein Lehrgedicht kommt zum Vortrag. Versifikatorisches ist gleich in mehrfacher Hinsicht zu beachten. Doch auch das war ja nicht anders bei Grotius. Man versteht jedoch, warum der Denker später parallel dazu einen lateinischen Prosatext ver––––––––– 36
37
Die wissenschaftliche Literatur zum Werk des Grotius, das hier nur knapp berührt werden kann, ist zusammengefaßt in der oben Anm. 25 aufgeführten Bibliographie von Nellen und Rabbie, S. 230–232. Wir verweisen insbesondere zurück auf die oben Anm. 3 zitierten Arbeiten von Gellinek, die auch von Nellen und Rabbie im einzelnen aufgeführt werden. Im vorliegenden Zusammenhang vor allem heranzuziehen: Wettlauf um die Wahrheit der christlichen Religion. Martin Opitz und Christoph Köler als Vermittler zweier Schriften des Hugo Grotius über das Christentum (1631).- In: Simpliciana 2 (1980), S. 71–89. Als schlechterdings grundlegende Studie kann nunmehr vor allem verwiesen werden auf: J. P. Heering: Hugo Grotius as Apologist For the Christian Religion. A Study of His Work ›De Veritate Religionis Christianae‹ (1640). Translated by J.C. Grayson.- Leiden, Boston: Brill 2004 (Studies in the History of Christian Thought; 111). Auch in diesem Werk gibt es einleitend eine detaillierte Auflistung und Beschreibung der verschiedenen Fassungen des Werkes von Grotius, sowohl der niederländischen wie auch der lateinischen. Die Untersuchung von Heering enthält eine ausführliche Inhaltsangabe und desgleichen ein Kapitel zu den Anmerkungen des Grotius als einer paratextuellen Materie von besonderem Rang. In dem Abschnitt ›Sources‹ werden vor allem die einschlägigen Texte von Philippe Duplessis-Mornay, Faustus Socinus und Juan Luis Vives behandelt. Ein abschließendes sechstes Kapitel ist den Übersetzungen vorbehalten. Hier zu denjenigen von Opitz und Colerus, S. 218–223. Am Schluß steht ein ausführliches Verzeichnis der Quellen und der wissenschaftlichen Literatur. Vgl. schließlich auch den Appendix, betitelt ›The Impact of Hugo Grotius’ Works on Martin Opitz’ Religious Thought‹.- In: Richard D. Hacken: The Religious Thought of Martin Opitz as the Determinant of his Poetic Theory and Practice.- Stuttgart: Heinz 1976 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 18), S. 85–105. Grotius-Opitz: Von der Warheit der Christlichen Religion (Anm. 34), S. 3.
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faßte. Der Präzision der Gedankenführung kam diese Maßnahme wiederholt zugute, und das unabhängig von dem gewählten Idiom. So war es eine glückliche Entscheidung, um es auch unter diesem Aspekt zu wiederholen, daß sich die beiden Freunde auf ein arbeitsteiliges Verfahren verständigten. Es bleibt merklich, daß die vielfach theoretische Exposition, die dem Text des Grotius eignet, anläßlich der Überführung in den deutschsprachigen Alexandriner nicht selten zu ungewöhnlicheren Wendungen führt, die, so weit zu sehen, im Werk von Opitz keine Parallele haben. Ein sprachlich gelegentlich forcierter Ton wird vernehmbar, der anspruchsvollen theoretischen Façon der Vorlage geschuldet. Zwanzig Verse benötigen Grotius und Opitz zum Beweis der Existenz Gottes, dann geht es sogleich über zu dem ebenfalls fundamentalen Theorem der ›gemeinen Übereinstimmung der Menschen‹. Sie mögen im bürgerlichen Leben noch so verschieden, einander widerstreitenden ›bürgerlichen rechten‹ unterworfen sein, gemeinsam ist ihnen allen die Gottesfurcht, in diesem einen Punkt kommen sie überein. Und das nicht von Beginn der Welt an, sondern im Gefolge eines langen Lernprozesses. Auch diese zentrale Frage indes wird rasch abgehandelt. Und so nicht anders die folgenden. Es geht um Gott und das, was von ihm verantwortlich gesagt werden kann, wobei die Zurückweisung irriger Ansichten naturgemäß mit zur Erörterung gehört. Der Eingang hat durchaus programmatischen Charakter. Mit Gott als dem allgemeinsten, alle Menschen betreffenden Bestimmungsgrund von Religiosität, wird begonnen. Hier ist denkerische und glaubende Verständigung möglich. Der Zwist droht im Bereich der Christologie. Sie wird an die zweite Stelle gerückt, ist dem zweiten Buch vorbehalten. Und auch hier beobachtet der Autor aus nur allzu naheliegenden Gründen das nämliche Vorgehen. Statuiert wird, was unabdingbar und unstrittig zum christlichen Glauben gehört, nicht mehr und nicht weniger. Nichts verlautet, das nur einer Konfession zugerechnet werden oder einer von ihnen zum Ärgernis gereichen könnte. Das biblische Zeugnis bleibt alleinige Richtschnur. Vermittelst seiner werden auch in der Geschichte laut gewordene Einwände entkräftet. Zu dieser Stiftung unumstößlicher Wahrheiten gehört aber auch das Bekenntnis, daß »die Christliche Lehre alle andere lehren vbertrifft.«38 Und das ungeachtet des explizit thematisierten, weil zu erwartenden Einwandes, »daß die Christliche lehre vnsicher sey wegen der vnterschiedenen strittigkeiten«.39 Das biblische Zeugnis von Jesus ist ein einhelliges und eindeutiges. Es ist so geartet, daß jedwede Verlautbarung, die nicht eben darauf gegründet ist, sich selbst der Nichtigkeit überführt. Das gesamte dritte Buch ist dem Erweis der Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher gewidmet, und zwar ausdrücklich der Bücher des alten wie des neuen Bundes gleichermaßen. Auch ein Denker vom Kaliber eines Grotius verbleibt auf dem Boden fundamentalen christlichen Weltverständnisses. Und das tritt explizit im Umgang mit dem Glauben der Heiden wie dem der beiden verwandten Religionen hervor, wie er in den drei letzten Büchern in den Mittelpunkt rückt. Grotius behandelt zunächst die religiösen Vorstellungen vor allem der Griechen und Römer, geht dann im fünften Buch zur Explikation des Zusammenhangs der Lehre Jesu mit der der Juden insbesondere unter ––––––––– 38 39
Marginalie, ebenda, S. 37 f. Marginalie, ebenda, S. 53.
Widmungsadresse
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dem Aspekt der messianischen Verkündigung über und behält schließlich das gesamte sechste Buch der Auseinandersetzung mit dem von Mohammed gestifteten Glauben und seiner Lehre vor, welche eben in allen zentralen Punkten durch die christliche bereits präjudiziert ist. Alle Einzelheiten müssen hier auf sich beruhen bleiben. Nicht übergangen werden aber dürfen die ergreifenden Schlußworte, die der Gefangene an sein Volk richtet. Eine Botschaft läßt er ihm zukommen, die geeignet ist, Eintracht und Frieden zu stiften. In Opitzens Worten Nim günstig an diß buch zue meiner liebe pfande/ O der erdtbodens marckt/ blum aller Niederlande/ Schön Hollandt/ laß es sein an meine stat bey dir/ O meine Königinn: ich zeig’ auch jetzt allhier Das hertze welches ich allzeit zue dir getragen/ Vndt trag’ vndt tragen wil bey meinen lebenstagen. Findt jemandt was er meint es sey hierinnen guet/ So dancket dem ohn den kein mensch was guetes thut. Fehlt da was oder hier/ erweget mitt erbarmen Was für gewölcke deckt die augen vnsrer armen. Verschont viel mehr das werck als daß jhr es verlacht/ Vndt denckt/ ach Herr es ist zue Lowestein gemacht.40
Widmungsadresse Opitz hat seine Übertragung nicht Dohna gewidmet. Die Gründe dafür wurden berührt. Er hat das Werk in die Hände des Hauptmanns und der Ratsherren von Breslau gelegt. So war er vor langer Zeit schon einmal mit seinem berühmtesten Buch verfahren, seiner ›Poeterey‹. Der nunmehr gewählte Weg blieb in jedem Fall unverfänglich. Immerhin gelangte der Text damit an eine evangelische Adresse. Zugleich eröffnet ihm diese Entscheidung eine Huldigung an die Stadt, die singulär dasteht in seinem Werk. In seltener Ausführlichkeit hat der Dichter sich vernehmen lassen. Es gibt keine Widmungsadresse aus seiner Feder, die nicht Aufschluß über sein Werk, aber eben auch über sein Weltverständnis vermittelte. Zusammengenommen bilden die Zuschriften einen textuellen Kosmos sui generis. In einer jeden gelangt wenigstens ein so bislang von ihm noch nicht geäußerter Gedanke zur Artikulation. Im vorliegenden Fall geht es im Zentrum um das Wesen Gottes und die religiöse Verfaßtheit der Menschheit. So eindringlich und so außergewöhnlich wie an keiner anderen Stelle sonst hat Opitz sich dieses exponierten Themenkreises angenommen, ermutigt dazu zweifellos durch Grotius selbst. Mehr als eine Überraschung hält der Text bereit. Folglich ist Einläßlichkeit der Paraphrase wie der Exegese zu beobachten.41 ––––––––– 40 41
Ebenda, S. 157 f. Der Wortlaut der Widmungsadresse umfaßt zwei Bogen in Quart, Bl. π2r–3π1r. Die Anrede wahrt die üblichen Formen und kennt keine weiteren Zusätze: Denen Edlen/ Gestrengen/ Ehrenvesten/ Hoch vnd Wolbenambten Herren/ Herren Hauptmanne vnd Rhatmannen der Stadt Breßlaw/ Meinen Hochgeehrten Herren.
XVII. Sprachrohr des Hugo Grotius
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Universale theologische Fundierung Der Übersetzer, der da in der Vorrede auf eigene Rechnung zu Wort kommt, ist auf Universalität bedacht, wie es sich für den Humanisten geziemt, läßt er sich in Fragen der Theologie vernehmen. Diese handelt von Gott, und das ohne jedwede vorgängige Einschränkung. Ein jeder Mensch begegnet Gott, und sei es auch nur in einer Stunde, da sein Gewissen schlägt oder Furcht vor dem ›hohen Richter‹ sich regt. Noch in der Abgötterei ist Gott mit entstelltem Antlitz gegenwärtig. Die Menschheit als eine und ganze bleibt mit einem Wesen jenseits ihrer konfrontiert, und das seit Menschengedenken. Dem Kosmos ist es vorbehalten, das religiöse Empfinden zu wecken. Kosmos meint Wohlgeordnetheit, meint sinnfällige, zu Bewunderung und Verehrung geleitende Gewißheit der Existenz eines erhabenen Schöpfers. »Es würde einer/ wann er achtung drauff gebe/ gleichsam diese stimme/ Gott hat mich gemacht/ von der welt selber hören.« So weiß der Dichter mit Plotin, auf den er sich ausdrücklich bezieht.42 Der Heide und der Sänger David kommen in dieser Erfahrung überein. Noch vor aller schriftlichen Überlieferung, aller als Offenbarung sich gebenden religiösen Verlautbarung, verfügt die Menschheit über ein Unterpfand, das sie existentiell eint. Eben hat Opitz in seiner ›Nymphe Hercinie‹ das Wunder der Herrlichkeit der Schöpfung besungen, da kehrt das Philosophem in seiner Religionsschrift wieder. Es kann nur artikuliert werden nach Wiederentdeckung und Aneignung antiker und zumal neuplatonischer Quellen, wie sie sich im Humanismus vor allem auf italienischem Boden frühzeitig vollzieht. Der Dichter ergreift in Übereinstimmung mit seinem Stand einen inzwischen verfügbaren Wissensbestand, der ihm Abstandnahme gegenüber jedwedem von Kontroversen erfüllten Terrain der Theologie verschafft. An keiner Stelle sonst, so weit zu sehen, hat Opitz derart dezidiert und kompetent den philosophischen Wesenskern von Religiosität freigelegt. Die ersten Seiten seiner Grotius-Adaptation wahren Christentums in Gestalt einer Vorrede zu ihr sind zu einem Manifest neuplatonisch grundierten Glaubens humanistischer Observanz geraten.43 Auf der Ebene der Ethik hat diese aufs Allgemeine zielende, alle Menschen gleichermaßen betreffende und insofern anthropologische Reflexion ihre genaue Entsprechung. Scheiden sich das Böse und Tugendhafte seit eh und je, so liegt der Grund für diese Scheidung in einem göttlichen Wesen, das selbst die Inkarnation von Gerechtig––––––––– 42 43
Ebenda, Bl. π2v. Eine eingehende – und dringend benötigte – Untersuchung zum Neuplatonismus im Werk Opitzens fehlt, so weit zu sehen. Wie ergiebig eine solche sein könnte, zeigt etwa der bereits zitierte Beitrag von Hans-Georg Kemper: Platonismus im Barock. Martin Opitz’ Rede über die Dignität der Dichtkunst im ›Buch von der Deutschen Poeterey‹ (Kapitel I–IV).- In: »... auf klassischem Boden begeistert«. Antike Rezeptionen in der deutschen Literatur. Hrsg. von Olaf Hildebrand, Thomas Pittrof.- Freiburg/Br.: Rombach 2004 (Rombach Wissenschaften. Reihe: Paradeigmata; 1), S. 37–66. Auch in die Arbeiten von Ralph Häfner und Jörg Robert spielt das Problem wiederholt hinein. Von Häfner sei speziell im Zusammenhang mit Opitz und Grotius die folgende, neue Aspekte erschließende Studie namhaft gemacht: Das Subjekt der Interpretation. Probleme des Dichtungskommentars bei Martin Opitz.- In: Geschichte der Hermeneutik und der Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hrsg. von Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt.- Berlin, New York: de Gruyter 2005 (Historia Hermeneutica. Series Studia; 1), S. 97–118. Vgl. schließlich auch die in Kapitel 13, Anm. 11, zitierte Arbeit von Kemper.
Der Gott der antiken Philosophie und die Krisis des Glaubens
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keit ist. Wie anders wäre sonst die überall und gleichfalls seit eh und je praktizierte Bestrafung der Frevelnden und die Hochschätzung der Guten zu erklären? Vor dem göttlichen Antlitz scheiden sich Böse und Gute; das Wissen um das eine wie das andere hat eine ontologische Voraussetzung, die den Namen Gottes trägt, welcher in einer jeden guten wie einer jeden bösen Handlung erfahrbar wird. »Welche außführung von Gott dann so klar vndt allgemein ist/ daß sie gleichsam einem jeglichen in die augen läufft/ vndt jhn wieder danck vndt willen zue glauben zwinget.«44 Das Vermögen des Glaubens ist ein mit der Natur des Menschen gegebenes, und dies eben vor jedweder religiösen oder gar konfessionellen Besonderung und Ausdifferenzierung.
Der Gott der antiken Philosophie und die Krisis des Glaubens Wie aber mag der Dichter von hier den Übergang zur christlichen Religion finden? Über einen Syllogismus, der einen Fortgang der Argumentation ermöglicht. Daß Gott sei, konnte unabweislich gezeigt werden, so der Dichter in der Rolle des Philosophen apodiktisch. Was er aber sei, ist damit noch nicht ausgemacht und anläßlich der Beantwortung dieser Frage versagt die Vernunft. Ihr muß von anderwärts Hilfe zuteil werden. Damit kommt das Stichwort ›Offenbarung‹ ins Spiel. Mit Spannung erwartet der Leser, wie der Humanist ein Jahrhundert vor der Aufklärung sich in dieser delikaten Frage zu behaupten weiß. Eine tiefe Skepsis läßt der Dichter vorab erkennen, wenn es denn um das nähere Begreifen Gottes geht. Diese Skepsis aber nährt sich bezeichnenderweise zunächst an den obwaltenden Praktiken unter den Gottesgelehrten selbst. Ein düsteres, durch und durch von Desillusionierung geprägtes Bild zeichnet sich da ab, dem die Abkunft aus dem Zeitalter der Konfessionalisierung nur allzu deutlich auf die Stirn geschrieben steht. Nichts gibt es, das Gott nicht angedichtet worden wäre. Wie viel weiter war da ein Platon, der von Gott sagt/ daß er vnsichbar/ warhafftig/ vnwandelbar/ gerecht vndt guet/ ein Vater vndt stiffter aller dinge/ ein allgemeiner beherrscher/ die höchste vndt erste vrsache der natürlichen vrsachen sey/ der die zeit mitt der welt geordnet/ der die welt werde vntergehen laßen wann es jhm gefallen wirdt/ der alles sehe/ verstehe vndt höre/ von dem das guete vndt nichts böses herrhüre/ der die menschen in sonderbarer liebe halte/ der jhnen gebe was er wil vndt was er weiß das jhnen zueträglich sey/ der jhm nicht so sehr gaben vndt opffer als ein fromes gemüte belieben laße/ vndt was in des großen mannes schrifften sonst zue lesen.45
Und so kaum anders Aristoteles und wie die Namen der vielen anderen antiken Autoritäten sonst lauten, die Opitz aufruft. Der Dichter hätte sicherlich Mühe, den entsprechenden Schriftbeweis zum Beispiel im Blick auf Platon anzutreten. Statt dessen zeichnet sich eine Gedankenfigur ab, die schlechterdings frappiert. Den antiken Philosophen wird ein Wissen von Gott unterlegt, das in den kurrenten Bekenntnissen selbst keinen Ort mehr hat. Auf Universalität muß der philosophische Gedanke wie der reli––––––––– 44 45
Widmungsadresse (Anm. 41), Bl. π3r. Ebenda, Bl. π4r f.
XVII. Sprachrohr des Hugo Grotius
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giöse Glaube gerichtet sein. In die vorchristliche Ära, in die Obhut der erlauchtesten Denker des Altertums, wird zurückprojiziert, was als Fazit aus den Glaubenskriegen als allein verbindliche, weil alle Menschen verbindende religiöse Maxime einer unseligen Gegenwart und einer jeden erdenklichen Zukunft anheimgestellt bleibt.
Glaube und Vernunft Was schriftgemäß, was in der Sprache der Offenbarung verlauten wird, hat ein Komplement qua Vernunft von Gott her, das sich einem Denken verdankt, welches zuvor explizit die Undenkbarkeit Gottes einbekannt hatte. Antike und christliche Botschaft koinzidieren in ihrer Rede über Gott, sofern sie sich darauf beschränken, sein Wesen zu umkreisen und keinen Schritt darüber hinaus zu tun. Neuerlich ist erkennbar, wie aus der Mitte späthumanistischer Geistigkeit ein Pfad zur Religionsphilosophie der Aufklärung führt. Rednerische und poetische Askese, denkende wie glaubende Bescheidung sind angesagt, wenn denn der Mensch sich anheischig macht, des Mysteriums göttlichen Seins und Wirkens sich zu vergewissern. Um 1600 entringt sich der ›theologia conflicta‹ eine ›theologia pacificata‹, der eine neue, eine die Menschheit umspannende Verbindlichkeit eignet. Opitz, so sein denkwürdiges Grotius-Prooemium, gehört zu den Vordenkern eines sich den konfessionellen Konflikten entschlossen versagenden Glaubens. Doch nun zum Christentum und damit zum Gott des Alten wie des Neuen Testaments. Wird Opitz die Höhe der Gedankenführung wahren können? Nichts Unbilliges, der Zeit nicht Zukommendes darf verlangt werden. Nicht im Blick auf Grotius und nicht in dem auf Opitz. Wir sind nicht im Zeitalter der Aufklärung, bewegen uns nicht inmitten der Religionsphilosophie eines Kant oder Herder, geschweige denn der poetischen Glaubenslandschaft von Lessings ›Nathan‹ oder Goethes ›Wanderjahren‹. Stets nur ein Vorschein um 1600 ist zu gewahren. Und der bleibt bemerkenswert, um nicht zu sagen bewundernswert genug. Eine denkerische wie eine glaubensförmige Sukzession wird erfahrbar, die kein Ende kennt, sondern stetig fortgeschrieben sein will. Der Philosophie wie der Poesie sind voraussetzungslose Setzungen fremd. Stets ist ein Boden bereits bereitet, dem geistige und künstlerische Zeugungen entspringen, in denen ein Erbe fort- und umgeschrieben wird. In diesem Sinn ist auch Opitz ein von ihm selbst am wenigsten erwartetes Nachleben auf dem geistlichen Sektor beschieden gewesen, das allzu lange im Dunkel verblieb. Immerhin, an einer Wende mit der Aktivierung der Alten in Glaubensdingen zu stehen, wußte Opitz auf der Wende von den zwanziger zu den dreißiger Jahren sehr wohl. Und auch, daß kühne Gedanken dazu verurteilt sein können, zu früh zu kommen. Doch ist es mitt aller solcher weißheit anders nicht bewandt als mitt der schiffart der jenigen, welche die noch vneröffnete mitternächtische see zue durchdringen entschloßen sindt/ vndt nachmalß mitt gefahr vndt kummer eben diesen weg den sie vorhin genommen zuerück segeln müßen.46
––––––––– 46
Ebenda, Bl. π4v.
Der Gott der Testamente und die frühe Christenheit
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Eben hierzu schickt sich nun auch Opitz an. »Darumb wil hier nur von nöthen sein/ daß die vernunfft dem glauben/ das begreiffliche der hoffnung/ die schule der weltweisen der vnterrichtung vnsers Heylandes weiche.«47 Wie anders hätte der Dichter sein Schiff steuern können? Die Änderung der Richtung bewirkt jedoch nicht, daß sich die Erinnerung an den kühn eingeschlagenen Kurs wieder verlieren würde. Dieser blieb als Richtschnur auf dem Kompaß der inneren Geschichte der Menschheit präsent.
Der Gott der Testamente und die frühe Christenheit Gott hat den Menschen sein Wesen in ihr Herz geschrieben, und das vermittelst seiner Botschaft, wie sie in den beiden Testamenten verlautet. Die ›alten Hebreer‹ hatten die nämliche Veranlassung zum Dank wie die Christen, und letztere womöglich noch mehr, »denen alles was vns zum göttlichen erkändtniß dienet mitt vnwiedersprechlicher gewißheit entdecket ist.«48 So hält sich die urreformatorische Überzeugung, derzufolge der Wortlaut der Schrift die einzig verbindliche Grundlage des Glaubens darstellt, im nachreformatorischen Zeitalter durch. Nun aber bei den Humanisten ist diese Festschreibung nicht mehr in erster Linie gegen altgläubige Praktiken gerichtet, sondern gegen die sekundären Derivate konfessioneller Provenienz und Polemik, die allemal den Grund des Glaubens versehren. Eine überall zu beobachtende Hinwendung zu den frühesten Zeugen der Christenheit ist auch bei Opitz am Werk, stellt sie doch sicher, daß spätere Fortzeugungen ihre gehörige Relativierung erfahren, wo sie sich nicht gar als obsolet erweisen. In Wort und Tat haben die ersten Christen die Lebendigkeit wie die Wahrheit ihres jungen Glaubens unter Beweis gestellt und darin ein unwiderlegliches Zeugnis von dem wahren Wesen Gottes gestiftet. Dann das dieses/ was die Propheten vndt Apostel vns hinterlaßen haben/ von Gott hergerhüret/ erscheinet auß so vielfältigen wunderthaten vndt jhrem eigenen zeugniße/ welches durch jhr vnschuldiges leben/ durch eußerstes armut vndt verachtung der ehren/ durch noth vndt verfolgung/ ja mehrmals durch den todt selbst genungsam bestetigt worden.49
Ist Gott die Wahrheit und hat sich als solcher offenbart, so ist die Aneignung dieser einen Wahrheit in die Zeit verlegt. Auch das finale und genauer das teleologische Argument in Dingen des Glaubens ist dem Humanisten nicht fremd. Die eine schlichte, auf den Namen Gott lautende Botschaft wird sich der Menschheit sukzessive mitteilen und – so wird man ergänzen dürfen – am Ende der Geschichte vollendet sein. Wie stets spielt in das telelogische Denken ein eschatologisches hinein – das virulente jüdische Ferment inmitten des Christentums. Die Zeugen der ›alten Kirche‹, welche Opitz zahlreich namhaft macht, kommen darin mit den neueren Denkern überein, einem Juan Luis Vives, einem Agostino Steuco, einem Philippe Duplessis-Mornay und wie sie heißen.50 ––––––––– 47 48 49 50
Ebenda, Bl. π4v f. Ebenda, Bl. 2π1r. Ebenda. Vgl. den entsprechenden Passus ebenda, Bl. 2π1v.
XVII. Sprachrohr des Hugo Grotius
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Noch einmal: Krise des Glaubens Eine Sonderstellung bewahrt Hugo Grotius. Er hat das in Umlauf befindliche überlieferte und zeitgenössische Wissen zusammengefaßt, geordnet und um neue Argumente bereichert. Seine Apologie des Christentums, die Opitz zu übersetzen sich anschickt, ist ein wahres Kompendium des christlichen Glaubens geworden, und das, weil es alles Wissenswerte und dem Glauben Ersprießliche zusammenführt, alles vom rechten Wege Fortführende jedoch geflissentlich meidet und derart zu einem Hausbuch nicht nur der Christenheit, nein der Menschheit heranwächst. Und wie sehr haben gerade die Christen ein solches nötig, ist es doch mitt uns menschen also beschaffen/ daß auch die frömesten zueweilen der Christlichen lehre wegen wo nicht in zweiffel/ dennoch in dergleichen gedancken fallen/ die einem zweiffel sehr ähnlich sehen. Vndt haben sich nicht auch heutiges tages leute blicken laßen/ von denen die aufferstehung der todten auff ja vndt nein in offentlichen schulen ist gestellt worden? Welches dann eben diß ist/ als wann sie noch vngewiß weren/ Ob ein Gott sey: weil der so keiner aufferstehung gewertig ist/ für Gott sich wenig zue fürchten hatt. Der sitten vndt des wandels in allen ständen/ sonderlich an vielen höfen/ zue geschweigen: da nicht allein das schlechte gewißen in fortstellung der anschläge/ sondern auch die verübung der zauberey vndt vnchristlichen künste/ die sicherheit des lebens/ ja auch die reden selbst offtmals zue erkennen geben/ daß der name Christlich einig vndt allein gebrauches wegen/ vndt das wort religion darumb behalten werde/ weil vnter dieser decke das jenige/ was der zuestandt des gemeinen wesens vermeinentlich erfodert/ leichtlicher verdeckt vndt bemäntelt wirdt.51
Eine tief pessimistische Diagnose hinsichtlich der Verfassung der Christenheit markiert den Hintergrund für die Hinwendung zu dem Text des Grotius und seiner Übertragung in das Deutsche. Es besteht lebhafter Bedarf nach Zeugnissen wie dem seinigen. Als Antwort auf die konfessionelle Dissoziierung darf, ja will der Text gelesen werden. Mit diesem Tenor ausgestattet, hat Opitz ihn der politischen Spitze seiner im weiteren Sinn schlesischen Heimatstadt Breslau überreicht. Ihrer Vergegenwärtigung ist der abschließende Teil seiner Widmungsadresse vorbehalten.
Geistige Heimat Breslau Einen vaterländischen Dienst hat Grotius mit seiner Schrift der jungen Republik erwiesen. Nämliches bezweckt Opitz. Seinem ›andern Vaterlande‹ huldigt er mit seiner Übersetzung, »der kron vndt perle vnserer Provintz/ dem auge der Städte/ der blum Europens«.52 Zu einer Euloge auf die einzig dastehende Stadt und ihre Bewohner sieht sich die Widmungsadresse da unversehens erhoben, nachdem von so viel anderem und gewichtigem die Rede gewesen war. Auch hier aber waltet Kalkül, ohne daß deshalb Abstriche an dem Gesagten vorzunehmen wären. Opitz ist geistiger Bürger dieser Stadt geblieben, und das ganz unabhängig von den verschiedenen Dienstverhältnissen, die er einging und die eben jetzt unter Dohna eine bemerkenswerte Wende genommen hatten. Die politische Lage blieb eine ungewisse, ja eine unübersehbare. ––––––––– 51 52
Ebenda, Bl. 2π2r. Ebenda, Bl. 2π2v.
Lob Breslaus
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Da war es allemal angezeigt, klar und deutlich zu artikulieren, wo man sich mental zu Hause fühle. Das Voranstehende hatte den geistigen Horizont umrissen, in dem auch das religionsphilosophische Werk seinen Ort besaß. Die Freunde nah und fern durften sich der unverbrüchlichen Übereinstimmung in den Grundfragen des Glaubens versichert halten. So war also die ›laus Wratislaviensis‹ mehr als nur eine Verbeugung vor den Lenkern der Geschicke Breslaus. Die Referenz kam zudem einem Bekenntnis gleich, das über jedweden Zweifel erhaben blieb. Mit diesem geistig-geistlichen Rüstzeug ausgestattet, vermochte Opitz dem neuen Jahrzehnt wohlgemut entgegenzusehen. Ein nämliches in seinen Worten zu vernehmen, dürfte wie stets willkommen sein, schält sich doch gerade in den auf die eigene Person bezogenen Äußerungen ein Bild heraus, das unversehens sehr individuelle und derart dem Gedächtnis sich einprägende Züge gewinnt: Dann wie kan ich Breßlaw anders als mein Vaterlandt nennen/ darinnen ich ob wol nicht geboren/ dennoch zue allem gueten erzogen bin? darinnen ich dieses wenige was ich weiß vndt kan erlernet? darinnen mir theils mein glück/ theils mein wolverhalten/ vndt theils gueter wahn vndt einbildung von mir/ so viel freunde vndt bekandten/ vndt zwar auch auß jhrem ansehlichen Mittel selbst/ zuewege gebracht? ja darinnen ich jetzo so viel jhare lang wohne/ vndt wann nechst Gott mein Hochgnädiger Herr vndt die fernere beschaffenheit meines zuestandes wil/ noch zue wohnen gedencke? So war ich hoffe daß mir diese meine stille rhue/ dieses gemüte das nach ehren vndt reichthumb nicht fraget/ diese besitzung des studirens/ ohn welches mir das leben bitter werden mußte/ jederzeit soll verliehen werden; so war wündtsche ich/ auch nach meinem tode bey den Nachkommenen ein zeugniß zue erhalten/ daß ich kein vnrhümliches gliedt dieser meiner löblichen heimat gewesen sey.53
Lob Breslaus Überraschende Freiheit bewahrt sich der Dichter in dem nachfolgenden BreslauDiskurs. Er gedenke sich nicht einzumischen in die vielerörterte Frage nach Ursprung und Lage und Name der Stadt, das möge anderen überlassen bleiben. Was zählt ist, »daß sie vnter die fürnemsten Städte in Deutschlandt gezehlet/ ja fast für die schöneste darinnen von vnparteyischen richtern erkandt vndt gehalten wirdt«. Als ›marckt aller künste vndt tugenden‹ tituliert sie der Dichter.54 Weit holt er in der Manier des humanistischen Städtelobs aus, um ihre Situierung in der Landschaft und ihre innere Beschaffenheit zu vergegenwärtigen. Natur und Kunst haben sich zusammengefunden, um diese extraordinäre Schönheit zu erwirken. Fast mag es scheinen, als suche sich der Dichter nach Rückkehr aus der französischen Hauptstadt ein zweites, ein neues Bürgerrecht zu erwerben. Uns ist keine zweite Äußerung Opitzens bekannt, die so detailliert und zugleich so inspiriert das Wesen der schlesischen Hauptstadt umkreisen würde. Und das bis zur Hervorhebung einzelner Namen, die die Ehre und den Ruhm der Stadt sinnfällig bekräftigen. Da figurieren sie, deren Leben und Werk einem jedem Kenner des geistigen Schlesien leuchtend vor ––––––––– 53 54
Ebenda. Ebenda, Bl. 2π3r.
XVII. Sprachrohr des Hugo Grotius
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Augen stehen, die Rhediger, die Crafftheim, die Monau, die Dudith, die Wacker, die ›Ferß‹, die Ursinus, die Rindfleisch, die Scholtz.55
Die Stadt in Gottes Hand Dieser Gemeinschaft im Geiste zuzugehören, ist das Höchste, das erstrebt werden mag. Und so gilt das letzte Wort dem Wunder, daß die Stadt vor dem Unheil des Krieges, der ringsum seine zerstörerische Macht entfaltet hat, verschont geblieben ist. Dieses Wunders zu gedenken heißt, den Namen dessen ein letztes Mal aufzurufen, der im Mittelpunkt dieser Zuschrift stand, die sich weit erhoben hatte über den unmittelbaren Anlaß. Gott gilt die Bitte, daß er diejenigen, die zum Wohle der Stadt bestellt sind, »daß er dieselbten der Stadt/ die Stadt dem gantzen Vaterlande zum besten/ vndt den künfftigen zeiten zum exempel/ auch ferner segenen/ vndt mit allem gewündtschten zuestande beschencken wolle.«56 Ein Buch legt der Dichter in die Hände der Väter der Stadt, das »allenthalben auff den glauben vndt das Christliche vertrawen zue dem jenigen anweiset/ durch deßen göttliche fürsorge vndt gütigkeit sie bißher so väterlich ist geschützt vndt erhalten worden.«57 Derart schließt sich ein Kreis. Kein Wort ist verlautet, das einer bestimmten Konfession sich zurechnen ließe, niemand ist in seinem je eigenen Glauben lädiert; eine aus antikem wie aus christlichem Geist erwachsene Gottes-Botschaft war zu vernehmen, die als geläuterte allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen durfte und einmündete in den Wunsch für das Wohlergehen von Stadt und Vaterland, in dem sich Glaube und Politik gemäß humanistischem Verständnis versöhnt trafen.
––––––––– 55 56 57
Vgl. ebenda, Bl. 2π4r f. Ebenda, Bl. 2π4v. Ebenda, Bl. 3π1r.
XVIII. Fürst und Dichter Die großen Texte auf die Piasten Präsenz der Piasten Kein herrschaftlicher Stand in Schlesien oder auch außerhalb der schlesischen Heimat hatte eine auch nur annähernd ähnliche Bedeutung für Leben und Wirken Opitzens wie das Haus der Piasten.1 Johann Christian in Brieg und Georg Rudolf in Liegnitz blieben für den Dichter die verehrten Gönner und Beschützer, denen er sich die Jahrzehnte über verpflichtet wußte. Wo immer angängig, richteten sich seine Augen auf die beiden Höfe, ihre herrschaftlichen Repräsentanten, die Fürstinnen und die gelehrten Stäbe. Ihnen zu willen zu sein, blieb ein nie in Frage gestelltes Bedürfnis. Natürlich war er ihnen als Berater, Vermittler, Emissär vielfach zu Diensten. Und das je ––––––––– 1
Zum Geschlecht der Piasten sei an dieser Stelle vornehmlich aus der jüngeren Literatur verwiesen auf: Joachim Bahlcke: Eckpfeiler der schlesischen Libertaskultur. Die Liegnitz-Brieger Piasten in der Frühen Neuzeit.- In: Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim. Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg. Hrsg. von Jan Harasimowicz, Alexandra Lipińska.- Legnica: Muzeum Miedzi w Legnicy 2007 (Źródła i materiały do dziejów Legnicy i księstwa Legnickiego; 4), S. 23–42. Hier auch die einschlägige Literatur. Vgl. von Bahlcke ferner: Deutsche Kultur mit polnischen Traditionen. Die Piastenherzöge in der Frühen Neuzeit.- In: Deutschlands Osten – Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde.Frankfurt a.M. etc.: Peter Lang 2001 (Mitteleuropa – Osteuropa. Oldenburger Beiträge zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas; 2), S. 83–112. Die einzige Gesamtdarstellung stammt von Georg P.A. Hausdorf: Die Piasten Schlesiens.- Breslau: Franke 1933. Sie ist dringend ersetzungsbedürftig. Vgl. des weiteren: Georg Jaeckel: Die schlesischen Piasten (1138–1675). Ein Fürstenhaus zwischen West und Ost.- In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 65 (1986), S. 54– 83. Eingegangen in: Schlesien. Land zwischen West und Ost.- Lorch/Württ: Gerda Weber 1985 (Beiträge zur Liegnitzer Geschichte; 14), S. 13–50; Andreas Rüther: Die schlesischen Fürsten und das spätmittelalterliche Reich.- In: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Hrsg. von Cordula Nolte, Karl-Heinz Spiess, Ralf-Gunnar Werlich.- Stuttgart: Thorbecke 2002 (Residenzforschung; 14), S. 35–65. Vgl. von Rüther auch den Eintrag ›Piasten‹.- In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-typographisches Handbuch. Teilband 1: Dynastien und Höfe. Hrsg. von Werner Paravicini. Bearb. von Jan Hirschbiegel, Jörg Wettläufer.- Ostfildern: Thorbecke 2003 (Residenzforschung; 15.I), S. 172–180.- Zur Rezeption der Piasten vgl. das wichtige Werk von Maximilian Eiden: Das Nachleben der schlesischen Piasten. Dynastische Tradition und moderne Erinnerungskultur vom 17. bis 20. Jahrhundert.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2012 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; 22). – Wir dürfen verweisen auf ein gleichzeitig erscheinendes Werk: Das alte Liegnitz und Brieg. Humanistisches Leben im Umkreis der schlesischen Piastenhöfe.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau. Es ist naturgemäß über weite Strecken den Piasten gewidmet.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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länger er ihnen diese widmen konnte. Am Schluß teilten Fürsten und Dichter das nämliche Schicksal des Exils.2 Dessen Bestimmung aber blieb es, die Fürsten und die nächsten Personen in ihrer Umgebung im Medium der Poesie zu feiern. Das geschah auf vielerlei Weise. Natürlich war das große, an eine Person gerichtete Poem das vorzügliche Mittel der Wahl. Opitz hat sich immer wieder dazu verstanden. Nahezu gleich wichtig blieben die kaum zu erschöpfenden Widmungsadressen, die er verfaßte und klug disponiert zu plazieren verstand. Diese sind eine Quelle ersten Ranges für das enge Band zwischen den Fürsten und Fürstinnen sowie dem Dichter. Und sie geben wie stets willkommenen Einblick in das Verständnis seines dichterischen Berufes und die Maximen, die ihn weltanschaulich wie publizistisch leiteten. Eine Opitz gewidmete Darstellung besitzt in diesem Schrifttum ein poetisches und ein rednerisches Erbe, das im 17. Jahrhundert in dieser Dichte einzigartig dasteht. Wir machen uns diese Chance zunutze, noch einmal fast ausschließlich damit befaßt, Texte zu erschließen, und das geleitet von der nicht versiegenden Neugierde, Passagen zu entdecken, deren Leuchtkraft nicht erloschen ist. Ein erhebliches Pensum steht bevor und der Leser bleibt eingeladen, einem Gespräch zwischen dem Dichter und den Piasten beizuwohnen, das neuerlich hineinführt in die faszinierende Geschichte von Poesie, Religion und Politik.
Princeps litteratus Der Auftakt, den wir zu nehmen gedenken, könnte sich schwerlich symbol- und bedeutungsträchtiger darbieten. Wollte man um der Pointe willen eine Zuspitzung riskieren, so ließe sich die These wagen, daß in dem kleinen Erstling, mit dem wir anheben wollen, in nuce wenn nicht ein Lebenswerk. so doch dessen Kernbestand beschlossen liegt. Und das eben im Kontext der Piasten. Der noch nicht zwanzigjährige Dichter ar––––––––– 2
Vgl. zu Opitz und den Piasten: Hermann Palm: M. Opitz im dienste der herzoge von Brieg und Liegnitz.- In: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Mir einem Bildnisse von M. Opitz.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint: Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1977, S. 222–243. Reiches Material auch in dem seit kurzem der Opitz-Forschung zur Verfügung stehenden Dokumentarwerk: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition und Übersetzung. Band I–III. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck.- Berlin, New York: de Gruyter 2009. Auf die zahlreichen Dokumente zu Opitz und den Piasten sei an dieser Stelle nachdrücklich hingewiesen. Neben den verdienstvollen Opitz-Editionen von George Schulz-Behrend sowie von Monika Marschall und Robert Seidel sind damit wesentliche Voraussetzungen für ein näheres Studium Opitzens zu den Piasten gegeben. Nachdrücklich hingewiesen sei auch nochmals auf die Monographie von Marian Szyrocki: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4), in der der Kontakte zu den Piasten wiederholt gedacht wird. Seiner Opitz-Biographie gingen eine Reihe von Einzelstudien voraus, darunter: Marcin Opitz na służbie u śłąskich książąt piastowskich i u króla Władysława IV [Martin Opitz im Dienste der schlesischen Herzöge und des Königs Władisław IV.].- In: Germanica Wratislaviensia 1 (1957), S. 59– 96 (mit deutscher Zusammenfassung). Es bleibt zu betonen, daß wir im folgenden vor allem die Widmungstexte Opitzens für die Piasten und verwandte Stücke in den Mittelpunkt unserer Betrachtung rücken.
Princeps litteratus
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tikuliert sich hinsichtlich Ton und Thematik in einer Art und Weise, die gewiß entfaltungsfähig bleiben wird, de facto jedoch ein literaturpolitisches Programm birgt. Im Jahr 1616 ließ der ein Jahr jüngere Jugendfreund Opitzens Bernhard Wilhelm Nüßler seinerseits einen poetischen Erstling herausgehen. Er dürfte in Frankfurt/Oder entstanden sein, wo Nüßler sich zum Studium aufhielt. Das Ziel der Studien, der Juristerei gewidmet, schien frühzeitig fixiert. Nüßler gedachte die Laufbahn eines Hofbeamten einzuschlagen, wenn dieser nicht ganz zeitgemäße Begriff erlaubt ist. Dieser Wunsch sollte sich erfüllen. Als Nüßler 1643 als fürstlich-liegnitzischer Rat vier Jahre nach Opitz starb, hatte er die längste Zeit seines Lebens in den Diensten der Piasten gestanden. Die Tätigkeit muß ihm Befriedigung gewährt haben; er hat dem Fürstenhaus stets treu zur Seite gestanden. Immer wieder kam es zu koordinierten Aktivitäten der beiden Freunde im Blick auf die Piasten. Nicht nur diese, sondern zunehmend auch Nüßler selbst profitierte von dem Ruhm, der das Auftreten des ›Vaters der deutschen Dichtung‹ von Jahr zu Jahr nachhaltiger begleitete.3 Der Beginn der den Fürsten zugewandten Kooperation datiert eben auf das Jahr 1616. Nüßler wird Opitz von seinem poetischen Projekt berichtet und vermutlich auch die Bitte um eine Zuschrift geäußert haben. Der blutjunge Feuerkopf hätte sich gewiß nicht lange bitten lassen. Unversehens tat sich ihm eine Chance auf. Nüßler wird dem Freund signalisiert haben, daß er gedächte, sein Werk dem Piastenherzog Georg Rudolf zu widmen, der seit drei Jahren die Regierungsgeschäfte in Liegnitz führte. Und mehr als das. Titel und Thema des Werkes waren auf den Fürsten zugeschnitten. ›Princeps Literatvs‹!4 Ein zentraler humanistischer Vorwurf wurde da reaktiviert. Um das Verhältnis von Fürst und Dichter – von Macht und Geist, um es in moderner Terminologie zu sagen – kreisten ungezählte Verlautbarungen in Vers und Prosa seit den Tagen des italienischen Frühhumanismus; insbesondere Petrarca hatte dem dankbaren Sujet immer wieder seine Feder geliehen. Die beiden Schlesier wußten sich also in einer langen, ehrfurchtgebietenden Tradition. Und Opitz wäre nicht der gewesen, der er war, wenn er nicht aus der sich eröffnenden Konstellation Kapital geschlagen hatte. Er durfte wähnen, sich mit seiner Zuschrift zugleich dem Hause der Piasten als ein Hoffnungsträger der jungen Generation zu empfehlen. Nüßler seinerseits mochte erwartet haben, daß der Freund die Gelegenheit nutzen würde, den Verfasser des Poems mit einigen ehrenden Worten zu schmeicheln. Sollte eine derartige naheliegende Erwartung den üblichen Usancen entsprechend gehegt worden sein, so wurde sie enttäuscht. Opitz nahm die titularische Vorgabe des ›literaten‹, den Wissenschaften und Künsten ergebenen ›Prinzen‹ auf, um sie auf seine Weise zu wenden und eben dem Widmungsempfänger zu offerieren. Die erste den Piasten zugedachte poetische Huldigungsadresse aus der Feder Opitzens liegt, so weit wir sehen, in seinem Begleitgedicht zu Nüßlers ›Princeps Literatvs‹ vor.5 Das ist Grund ge––––––––– 3
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5
Zu Nüßler vgl. den Eintrag von Klaus Garber in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. VIII (2010), S. 663 f. Die dortigen Angaben jetzt vor allem zu ergänzen um die Einträge in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 2). Bernhardi Gvilielmi Nussleri Silesii Princeps Literatvs Ad Jllvstris.um Dvcem Lignic.- Francofurti Marchionum Typis Nicolai Voltzii Exscriptus Anno 1616. Exemplar BU Wrocław: 412198. Suo & Musarum succrescenti Amori cum Principem Literatum ederet Martinus Opitius Sil. Fol. A3v. Das Gedicht ist wiederabgedruckt in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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nug, einen Blick in das kunstvolle und auf Originalität bedachte Poem zu werfen. Die Erfindung neuer Wendungen ist Trumpf, ganz so, wie es sich für einen die öffentliche Bühne betretenden Anwalt poetischer Überbietung aus dem Geist des Humanismus geziemt. Erfindungskunst, poetische inventio, wird ausgestellt. Angeredet wird der an der Spitze der Menschen agierende Fürst. Niemand ist über ihm. Die Gunst des Schicksals und die Macht der Götter haben ihn auf diesen herausragenden Platz gehoben. Ein jeder Zug seines Wesens, eine jede von ihm verantwortete Handlung nimmt den Charakter eines Exemplums an, dies freilich unter der Voraussetzung, daß Dolmetscher zur Stelle sind, die das Exemplarische zu entdecken und in Worte zu kleiden vermögen. Was dem Fürsten da zugesprochen wird, entstammt dem Weisheitsschatz des Humanisten. Er ist es, der über das durch Tradition legitimierte Wissen verfügt, das, appliziert auf den Regenten, derart als das ihm als Repräsentanten des obersten Standes Zugehörige erscheint. Der ideale Fürst ist das Geschöpf des Dichters, der ihn im poetischen Wort auf seine Standesehre verpflichtet, zum rex iustus et eruditus erhebt. Und genau so verfährt Opitz. Der Sache des Vaterlandes (patria) ist der Fürst verpflichtet, gewiß. Doch diese seine vornehmste Bestimmung erleidet keine Einschränkung, wenn er zugleich seine Liebe den Büchern zuwendet. Erst die politische und die ›literate‹ Betätigung zusammen machen den vollkommenen Regenten aus. Was da als ›Verlust‹ von Zeit erscheinen mag, zeitigt umgekehrt doppelte Früchte. Denn wie nehmen sich, verglichen mit der Eloquenz als dem Integral aller humanistischer Vermögen, die hergebrachten adligen Künste aus, der ritterliche Wettkampf und das Turnieren, Reiten und Jagen etc.? Königliche Künste sind es, gewiß. Doch sie alle unterliegen dem einen Gesetz der Zeit, das da auf Vergänglichkeit lautet. Dem Vergänglichen enthoben bleibt allein das auf das Geistige gerichtete Tun. Dies, so Opitz in einer unversehens sich doch noch einstellenden Anrede an den Dichter, hat der Freund in seinem ›Princeps Literatvs‹ bedeutet. Haec tanto reliquas discrimine praevalet artes, Quam celso populum rex praeit ore suum. Vos pila, castra, enses, ales, rete, hasta, caballe, Este: homines istaec ars capit, illa Deos.6
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Hrsg. von George Schulz-Behrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621.- Stuttgart: Hiersemann 1968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295), S. 29–33. Dem Herausgeber war der Originaldruck des Nüßlerschen Werkes und damit des Opitzschen Beitrags nicht verfügbar. Er druckte ihn nach der Sammlung der lateinischen Gedichte Opitzens aus dem Jahr 1631. Hier auch S. 30–32 eine Kurzbiographie Nüßlers und eine Zusammenstellung der wechselseitigen Beiträge, die sich Opitz und Nüßler zukommen ließen. Eine zweisprachige Edition liegt jetzt vor in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 32 f., Kommentar S. 298 f. Inzwischen konnte auf den wiederaufgefundenen Erstdruck zurückgegriffen werden. Hier gleichfalls ein Kurzporträt Nüßlers. Übersetzung und Kommentar stammen von Robert Seidel. Verse 19–22. Die deutsche Übersetzung: [Es] übertrifft die übrigen Künste in solchem Maße, wie ein König sein Volk durch sein erhabenes Antlitz überragt. Ihr, Ball, Lager, Schwert, Vogel, Netz, Lanze, Roß, mögt Euren Wert haben. Diese Kunst schlägt Menschen in ihren Bann, jene Götter.
Der geistliche Opitz im Kontext eines Widmungs-Changements
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So die Schlußzeilen des elf Distichen umfassenden kleinen Beitrags. Ein Thema ist präludiert, ein poetisches Terrain erstmals abgesteckt. Was da dem Regenten im allgemeinen und einem der beiden gegenwärtigen Repräsentanten des Hauses der Piasten zugesprochen wird, ist ureigenstes humanistisches Gedankengut. Die Tugend des Regenten umgreift die geistigen Vermögen des Menschen, die im Fürsten als oberster politischer Instanz vorbildlich in Erscheinung treten sollen. Sie adeln ihn sowie seine poetischen Sachwalter. In jedem den Künsten und Wissenschaften sich zuneigenden Fürsten erfährt zugleich der Stand der Humanisten eine ständische Aufwertung. Spricht der Dichter dem Fürsten zu, was Wesensmerkmal menschlicher Existenz schlechthin ist, so hat eine Anerkenntnis wechselseitiger Verpflichtung statt. Der Regent als homo politicus erfüllt als in den Dienst der patria Gestellter seine herrscherliche Bestimmung. Aber er genügt ihr nur in dem Maße, wie er sich zugleich auch den immateriellen, den geistigen Gütern verschreibt, die ihm dargeboten werden von dem Humanisten. Nur bei dem princeps litteratus weiß der Humanist sich als eine unverzichtbare Figur in einem umfassenderen politisch-literaten Kräftefeld aufgehoben, das bei jeder sich bietenden Gelegenheit erinnert sein will. Opitz hat sich in seinem auf die Piasten bezogenen Erstling dieser humanistischen Gedankenfigur mit Bravour bedient.
Der geistliche Opitz im Kontext eines Widmungs-Changements Wir überschreiten die Schwelle des Jahres 1620, genauer des Herbstes im nämlichen Jahr, und machen Station im Jahr 1622, dem Jahr der Rückkehr Opitzens aus Siebenbürgen nach Schlesien. In diesem trat er mit einer seiner großen Eingebungen hervor. Das Werk gab sich als Übersetzung und war doch in jeder Zeile erfüllt von eigenem Herzblut. In der Frühen Neuzeit verliefen keine strengen Scheidungen zwischen originären und übersetzten Texten. Übersetzungen mochten freie Adaptationen sein und umgekehrt vermeintlich originäre Schöpfungen durchsetzt sein von entlehntem poetischem Gedankengut. Auch Opitzens ›Lobgesang Jesu Christi des einigen vnd ewigen Sohnes Gottes‹ gehört in den Kontext des reichen Zweiges an Übersetzungen, welcher das Opitzsche Werk durchzieht. Aufgetragen war dem Dichter die Anverwandlung der europäischen Literatur im Medium des Deutschen. Nur natürlich, daß der Fundus an Gattungen und Formen, die er bereitstellen wollte, immer wieder auch Übersetzungen waren. Speziell in der geistlichen Dichtung kam hinzu, daß mehr oder weniger große Texteinheiten bereits biblisch vorgegeben waren, nicht selten also ein zweifacher Modus der Übertragung in Gang gesetzt wurde. Der sich allemal anbietende Vergleich zwischen Original und Übersetzung bezeichnet folglich immer nur einen denkbaren Arbeitsschritt. Wichtiger bleibt die Erkundung des Werkgehaltes selbst. Und so auch im Falle des Opitzschen ›Lobgesanges‹, der zurückgeht auf eine Vorlage des Daniel Heinsius, den er in den Niederlanden kennengelernt hatte.7 ––––––––– 7
Wir verweisen zurück auf Kapitel 9 dieses Buches, die dortigen Ausführungen zu Opitz und Heinsius und speziell die Interpretation der Widmungsadresse des Gedichts für Caspar Kirchner.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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Hier ist nicht der Ort für eine Exegese des Textes, und nicht einmal für eine Paraphrase. Er trägt – wie auf andere Weise Opitzens zu gleicher Zeit entstandenes ›TrostGedichte Jn Widerwertigkeit Deß Krieges‹ – die Signaturen seiner Zeit. Auch in diesem Geburtstagsgedicht des Heilandes gibt sich ein humanistisches, und das heißt zugleich ein postkonfessionelles Verständnis der christlichen Botschaft zu erkennen. Der Leidensmann, der da in die Welt gekommen ist, um sie zu erlösen, gehört nicht den Katholiken oder den Protestanten oder den Calvinisten. Er gehört den Menschen, die ihm glaubend, anbetend, Hoffnungen hegend begegnen, erfüllt von dem Wunsch, ihm in Wort und Tat nachzueifern, statt sich in theologisches Gezänk zu verlieren. Der christliche Glaube, wie er um 1600 Gestalt annimmt, ist ein gereinigter, ein auf wenige Elementaria gegründeter. In ihm haben Fragen der Gottesnatur Christi und der Dreifaltigkeitslehre so wenig einen Platz wie Fragen des kultischen Zeremoniells insbesondere im Blick auf das umkämpfte Abendmahl. Das Ergreifen des Lebens im Hinblick auf einen Menschen, der seinerseits ganz aus dem Glauben lebt, wird denkend und dichtend umkreist. Wir sagen es nicht zum ersten Mal und wiederholen es doch gerne aus gegebenem Anlaß erneut: Um 1600 zeichnen sich zumal bei der humanistischen Intelligenz Figuren des Glaubens ab, die hineingeleiten in das Zeitalter der Aufklärung. Opitz widmete seinen geistlichen großen Erstling seinem Vetter Caspar Kirchner, der ihn offensichtlich zu der Übersetzung angeregt hatte.8 In Leiden hatte dieser sich als ›Theologus Silesius‹ im Jahre 1617 in die Matrikel eingeschrieben und die Bekanntschaft von Heinsius gemacht. Der berühmte niederländische Dichter ließ es sich nicht nehmen, dem ein Jahr später von Leiden Scheidenden ein ›Propemptikon‹ mit auf den Weg zu geben; es war also mehr als eine flüchtige Bekanntschaft zustandegekommen. 1622 war Kirchner als Bibliothekar in die Dienste des Herzogs Georg Rudolf getreten. Beinahe wären Kirchner und Opitz gemeinsam nach Weißenburg in Siebenbürgen aufgebrochen, wohin die beiden jungen Menschen von den Piastenfürsten empfohlen worden waren, um am Aufbau der von Bethlen Gábor geplanten Akademie mitzuwirken. Doch Kirchner lehnte ab. Genau wie Nüßler widmete er die Mehrzahl seiner Jahre den Piasten. Den Höhepunkt bildete zweifellos die Gesandtschaftsreise nach Wien, die er gemeinsam mit Opitz im Auftrag der Fürsten und der schlesischen Stände unternahm, von der wir hörten. Kirchner erhielt hier den Titel eines Kaiserlichen Rates und Opitz wurde zum ›Poeta Laureatus Caesareus‹ erhoben. Kirchner freilich konnte sich der amtlichen Würden nicht lange mehr erfreuen. Schon im Juni des Jahres 1627 starb er in Liegnitz. Und eben dieser Umstand führt zurück zu dem vorgegebenen thematischen Zusammenhang. Opitz arbeitete an dem Text, den er schon 1622 und also zwei Jahre vor seiner ersten Veröffentlichung abgeschlossen hatte, weiter; er bedeutete ihm Besonderes. Er nahm ihn nicht nur in die seit 1625 kontinuierlich erscheinenden Sammlungen seiner Gedichte auf, sondern er feilte wiederholt an ihm. Zehn Jahre nach dem Erstdruck legte er ihn neuerlich als Einzeldruck vor, nun versehen mit einem mächtigen Anmer––––––––– 8
Auch zu Caspar Kirchner sei hier nochmals verwiesen auf den Eintrag von Klaus Garber in Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. VI (2009), S. 426 f.
Friedensfürst im Eisernen Zeitalter
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kungsapparat, wie er schon bei Heinsius vorgegeben war.9 Kirchner lebte nicht mehr. Also galt es, einen neuen Widmungsempfänger zu finden. Die Wahl fiel auf keinen Geringeren als Herzog Georg Rudolf.10 Über die Gründe dafür eben zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1632 wird an späterer Stelle zu reden sein. Hier interessiert uns, in welchen Worten und Wendungen Opitz den Fürsten anspricht. Er legt einen geistlichen Text in dessen Hände. Das hat Folgen für die Argumentation. Wir sind mit anderen Worten erneut Zeugen der Artikulation seines religiösen Selbstverständnisses, nun zugespitzt und perspektiviert auf den Fürsten, den es einzubeziehen gilt in den Vortrag, der im übrigen ungewöhnliche Dimensionen annimmt.
Friedensfürst im Eisernen Zeitalter Mit Staunen nimmt der Leser zur Kenntnis, was dem Dichter an geschichtlichen und religiösen Sachgehalten aus der Zeit Jesu gegenwärtig ist. Er entwirft geradezu ein Zeitgemälde. Das aber würde gewiß nicht erfolgen, wenn sich in dem Uralten nicht auch Gegenwärtiges abzeichnen würde. Und nur auf diese Simultaneität der Zeiten kann hier für einen Moment das Augenmerk gerichtet werden. Jesus tritt nicht nur in eine Welt ein, in der ringsum das Heidentum herrscht. Auch unter den Juden hat eine fatale Neigung zur theologischen Haarspalterei Platz gegriffen, und das, wie man hinzufügen darf, in genauer Analogie zur Gegenwart. In vielerlei Sekten sind die Gläubigen gespalten. Die Tüftelei über die Gesetze und ihre rechte Auslegung hat überhandgenommen – mit dem Effekt, daß derjenige, der gekommen war, die Menschen von diesem Joch zu erlösen, seinerseits sein Leben lassen mußte. Und dann das Schicksal der Urgemeinde sowie der frühen Christenheit! Bitteres Leid und »innerliche verfolgung« haben sie durch die römischen Kaiser »vndt andere tyrannen« zu erdulden gehabt. Der Fürst ist darüber bestens informiert, ist er es doch, der »zue den Antiquiteten der ersten vnverfälschten Kirchen vndt den Schrifften der Altväter eine sonderbare liebe tregt«.11 Doch nun die aktuelle Wendung. All das Grauenvolle der alten Zeit vergegenwärtigt, will es doch scheinen, als sei es der Gegenwart vorbehalten geblieben, den Kelch des Leides bis zur bitteren Neige zu leeren. Bewußt verzichtet der Dichter auf Einzelheiten – ganz anders als in dem ›Trost-Gedichte‹. Es werden sich, so seine Überzeugung, der Wahrheit verpflichtete Zeugen finden, die das Geschehene dingfest machen und überliefern, genau so, wie durch Opitz selbst eben im ›Trost-Gedichte‹ geschehen. Nur um eines ist es nach all dem Frevel jetzt zu tun: um den Frieden mit Gott ––––––––– 9
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DAN. HEINSII Lobgesang JESV CHRISTI des einigen vndt ewigen Sohnes Gottes/ Mitt notwendiger außlegung/ Darinnen der grundt des alten Christlichen glaubens verfaßet ist. Hochdeutsch gegeben Durch MART. OPITIVM. [Kolophon:] Gedruckt zum Brieg/ durch Augustinum Gründern/ Jn Verlegung Davidt Müllers Buchhändlers in Breßlaw. 1633. Exemplar aus der Bernhardiner-Bibliothek übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4V 67/8) und von dort in die BU Wrocław (535146). In dem Einzeldruck auf den Blättern π1v–2π1v. Neudruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Band I (Anm. 1), S. 278–286. Hiernach zitiert. Ebenda, S. 279.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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und die ›bestendige eintracht‹ der Menschen untereinander. Sie alle sind ›creaturen‹ des Schöpfers und Glieder des einen Erlösers als »des einigen Hauptes der kirchen«.12 Diese Botschaft reicht hin; sie ist umfassend genug, alle Gläubigen zu vereinen. Jedes weitere Fragen und Spekulieren führt nur auf Abwege. Mehrere Seiten benötigt Opitz, um seine Einrede gegen die vorherrschende, an Wort und Buchstaben sich festbeißende disputative theologische Praxis zu exemplifizieren. Er teilt diese Einrede mit den Aufgeklärten unter seinen Zeitgenossen. Was aber vermag der Fürst zu tun, um der auf Frieden und Versöhnung zielenden Botschaft Geltung zu verschaffen? Es bedarf nicht mehr, als sich in die Reihe der Vorfahren zu stellen, die Exempel von Mut, Glaubensgewißheit und Friedfertigkeit gestiftet haben, welche der Erinnerung zu bewahren sind. So wirkt auch Opitz auf seine Weise mit an der Statuierung von memoria im Blick auf die Piasten. Und deutlich ist, daß es vor allem das Wirken Joachim Friedrichs, des Vaters der gegenwärtig regierenden Brüder ist, das er im Auge hat. Denn offenbar sei es, waßer maßen E. Fürstl. Gn. vnter andern jhren großen tugenden/ nach dem exempel des löblichen Hertzogs Ihres seligen Herren Vaters/ wie auch anderer jhrer Königlichen vndt hochfürstlichen Vorfahren/ welche theils für Gott vndt das landt jhr leben gelaßen/ theils jhren zuenamen von jhrer frömigkeit erlanget haben/ ja theils in dem register der Heiligen mitt vnsterblichem lobe verzeichnet stehen/ jhr nichts mehr angelegen sein laße/ als die trewe fürsorge vndt gedancken/ wie der Kirchen bestes erhalten/ das vnzeitige disputiren vndt verläumbden abgeschafft/ der gewißen freyheit gefödert/ vndt alles auff einen solchen grundt möge gesetzt werden/ ohn welchen der friede ein lauterer krieg/ vndt die rhue gefährlicher ist als offentlicher vmbschlag vndt waffen.13
In fast gleichlautenden Wendungen hatte Opitz im ›Trost-Gedichte‹ sich vernehmen lassen. Gewissenszwang in religiösen Dingen blieb das Erzübel. Ein jeder Leser oder Hörer wußte, wer dieser kardinalen Sünde sich vor allem schuldig gemacht hatte. Als ›Seligmacher‹ waren die Jesuiten durch Schlesien gezogen; Zwangsbekehrung oder Vertreibung hieß ihre Losung. Das brauchte und durfte in einer Widmungsadresse nicht gesagt zu werden. Der Fürst aber, der da angesprochen wurde, vermochte sich bestätigt zu fühlen, wann und wo immer er der Zwangsmissionierung sich widersetzte. Herrschaft blieb religiös sanktioniert. Niemals hätte ein Opitz sich dazu verstanden, an diesem religionspolitischen Axiom zu rühren. Herrschaft war eine verliehene. An ihr hafteten Verpflichtungen, die einklagbar blieben. Georg Rudolf steht in der Reihe jener großen Regenten, die das Friedenswerk als oberste Maxime beobachten. Dem Dichter aber war es vergönnt, unvergeßliche Worte für den Fürsten zu finden, der zum Garanten von Gewissensfreiheit und Freiheit für seine Untertanen aufgerückt war. Als ›imago Dei‹ wird er in die Geschichte eingehen. So setzte Opitz dem Fürsten noch zu Lebzeiten ein Denkmal. Der Hertzog des lebens/ der Fürst des Friedens/ der allezeit gewesen/ weil er im anfange war; der allezeit gewesen/ weil er Gott war vndt noch ist; der allezeit gewesen/ weil er die zeit selbst gemacht hatt/ vnd ohn jhn nichts gemacht ist/ verleihe E. F. Gn. glückliche regierung/ heilsamen rhat/ friedtlichen wolstandt/ gesundtheit/ langes leben/ gedult in wiederwertigkeit/ überwindung aller vnverschuldeten feindtschafft/ vndt solchen segen/ dadurch Dieselbte sampt jhrem Hochfürst-
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Ebenda. Ebenda, S. 283.
›Perle der Heldinnen‹: ›süsse Frömigkeit‹ der verewigten Fürstin
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lichen hause zum auffnemen des Vaterlandes vndt dem allgemeinen besten so sehr wachsen vndt blühen möge/ so sehr es alle die jenigen/ denen das auffnemen des Vaterlandes vndt die allgemeine wolfarth lieb ist/ gerne sehen vndt wüntschen.14
›Perle der Heldinnen‹: ›süsse Frömigkeit‹ der verewigten Fürstin Noch im gleichen Jahr 1622 griff Opitz erneut zur Feder und nun explizit für eine Angehörige des Hauses der Piasten. Im Februar 1622 war Sophie Elisabeth gestorben, Tochter Johann Georgs I. von Anhalt-Dessau und erste Gemahlin Georg Rudolfs. Die Fürstin entstammte dem reformierten Anhaltiner Haus und dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, daß Georg Rudolf gleichfalls für eine freilich bemessene Zeit den Wechsel zum reformierten Glauben vollzog. Nüßler, inzwischen in den Diensten Georg Rudolfs, nahm die Organisation der Trauerschrift in die Hand.15 Der Beitrag Opitzens sticht merklich hervor. Nur er steuert ein weit ausgreifendes Trauergedicht bei. Nichts deutet in dem lateinischen Titel, unter dem die Sammelschrift herausging, darauf hin, daß sie einen großen deutschsprachigen Beitrag birgt. Später wird Opitz dafür Sorge tragen, daß er in der Regel mit einer eigenen Verfasserschrift hervortritt. Im vorliegenden Fall handelt es sich, soweit zu sehen, um das erste bekannte Epicedium von ihm für eine fürstliche Person überhaupt. So will es als eine glückliche Wendung erscheinen, daß der reformierten Prinzessin an der Seite Georg Rudolfs diese posthume Huldigung gilt. 160 Alexandriner hat Opitz auf den funeralen Akt gewandt. Es entstand – in den Worten der Zeit – ein ›Heroisch Getichte‹, von Opitz oder dem Herausgeber Nüßler ––––––––– 14 15
Ebenda, S. 283 f. Vgl. Virtuti Honoriqve, Et Immortali Illustriss. Heroinae Sophiae-Elisabetae Principis Anhaltinae, Comit. Ascaniae: Sereniss. Principis Georgii Rudolphi [...] Conjugis Incomparab. Memoriae Sacr. devotè Parentantium Lacrymae et Solatia. [Kolophon:] LignicI Litteris Viduae & Heredum Nicolai Sartorii. [1622] Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek, eingegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/10), in der BU Wrocław: 355071, sowie aus der Reimannschen Bibliothek (107/1), in der BU Wrocław: 422164. Es ist darauf zu verweisen, daß Nüßler auch eine an Georg Rudolf gerichtete ›Consolatio‹ verfaßte, der Opitzens Beitrag gleichfalls nebst einer lateinischen Zuschrift an Georg Rudolf hinzugefügt ist: Consolatio Ad [...] Dn. Georgium Rudolphum [...] Cum IllustriS. Principis Sophiae-Elisabethae Conjugis DesideratiS. Obitum Lugeret. Scripta A Bernhardo Gvilielmo Nüslero Camerae Ducalis Secretario. Accedunt carmina ejusdem argumenti. Typis Sartorian. LignicI. exscripta. [1622.] Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth), übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau, heute in der BU Wrocław: 4 E 515/9 = 355070, 4 F 1092/1–2 = 361691 und 361692, M 4 F 1443/6–7 = 385819 und 385820. Auch diese Trauerschrift ging in die obige ein, die als definitive Memorialschrift zu bezeichnen ist. Opitz hat dem Trauergedicht für Sophie Elisabeth noch eine kleine alkäische Ode für Georg Rudolf hinzugefügt. Auch in der zwei Jahre späteren großen lateinischen Leichenrede für Zsuzsanna Károlyi fügte Opitz der Rede eine ›Elegia‹ für den Fürsten Bethlen Gábor hinzu. Vgl. im übrigen auch die – keinesfalls vollständigen – Exemplarangaben aus der alten Breslauer Stadtbibliothek bei George Schulz-Behrend.- In: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Band II: Die Werke von 1621 bis 1626. 1. Teil. Hrsg. von George Schulz-Behrend.- Stuttgart: Hiersemann 1978 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 300), S. 3. Hier S. 3–11 der Abdruck der beiden Beiträge Opitzens. Der lateinische Beitrag zweisprachig auch in: Martin Opitz: Lateinische Gedichte. Band I (Anm. 5), S. 236–239, Kommentar S. 438–440. Die Übersetzung stammt von Wolfgang Neuber, der Kommentar von Veronika Marschall.
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jedoch nur schlicht ›Begräbnüßgetichte‹ tituliert. Ton und Thema koinzidieren. Opitz schwingt sich zu einem Poem nach Art eines (geistlichen) Lehrgedichtes auf, und das verlangt den ›heroischen‹ Vers in Gestalt des Alexandriners als Ersatz für den antiken Hexameter. O Wol dem welcher noch weil seine jugend blühet/ Vnd gantz bey kräfften ist/ schon auff das Ende siehet/ Das allen ist bestimmt/ vnd laufft mit lust vnd rhue/ So bald jhm GOtt nur winckt/ auff seine Stunde zue. Er wird von eitelkeit der dinge nicht verblendet Die bloß im wahn bestehn; hat allezeit gewendet Sein Himmlisches gemüt auff das so Ewig wehrt/ Verleßt was aussen ist/ ist in sich selbst gekehrt.16
So die Eingangsverse. Der Tod ist zu bedenken. Der Dichter ist als Trostspender zur Stelle, zugleich aber auch als Weisheitskundiger. Er nimmt auf seine Weise im Medium der Poesie ein geistliches Amt wahr. Herauszustellen ist, was dem Tod widerstreitet, von ihm nicht angegriffen zu werden vermag. Was bleibt im Wechsel, was behauptet sich über den Tod hinaus? Vorsicht ist geboten mit der nur allzu rasch sich einstellenden Rede, hier werde eine typisch ›barocke‹ Erfahrung von Leben und Welt gestaltet. Alles humanistische Denken und Dichten kreist um die Exposition dauerhafter Werte. Im Trauergedicht stellt sich eine spezifische Färbung ein. Und wenn denn von zeittypischen Elementen gesprochen werden darf, so in dem Sinne, daß die unerhörte Erschütterung, wie sie von dem Zerfall der einen Christenheit im 16. Jahrhundert ausging und um 1600 kulminierte, dem auf Vergänglichkeit und Ewigkeit lautenden Sinnen eine besondere Dringlichkeit und Eindringlichkeit verlieh. Poetisches wie philosophisches Gold wie niemals vorher oder nachher ist in den Dezennien um 1600 gesponnen worden – das bleibende Erbe der späthumanistischen, vielfach mit dem gleichzeitigen hermetischen und mystischen Denken sympathisierenden Intelligenz. Wir dürfen uns auch im vorliegenden Fall wieder nicht auf den Text als ganzen einlassen. Gründliche Textinterpretationen verlangen eine Satz-für-Satz-Lektüre. Hier geht es allein um das Bild der Piasten, gespiegelt zumeist in ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten, in dem vorliegenden Fall also einer Prinzessin aus angesehenem Hause, begabt mit dem Vorzug auch in den Augen des Dichters, dem reformierten Glauben angehangen zu haben. Ob sich Spuren dieser geistlichen Option auch in dem Gedicht finden? Das ist selbstverständlich eine erlaubte, aber eine den möglichen Themenkreis einschränkende Frage, dem auf die Piasten gerichteten an dieser Stelle geschuldet. Es wäre zuviel verlangt, dem Text eine in eine spezielle konfessionelle Richtung zielende Anspielung abzufordern. Der Dichter wählt einen anderen, einen unverfänglicheren, gleichwohl mit beredten Signalen ausgestatteten Weg. Die Prinzessin hat ein Muster abgegeben, wie ein Mensch inmitten des Lebens und in jeder wachen Stunde seinen Sinn auf das Ewige gerichtet hielt. Sie verkörpert, was der Text vorab an bleibenden Werten statuiert hatte. ––––––––– 16
Opitz: Gesammelte Werke II/1 (Anm. 15), S. 5, Verse 1–8.
›Perle der Heldinnen‹: ›süsse Frömigkeit‹ der verewigten Fürstin
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Nicht anders hat auch euch/ jhr Perle der Heldinnen/ Das Elend dieser Welt geführet eure sinnen Zu dem was weder Feind noch sturm der zeit zuestört/ Vnd euch hier gutte Nacht zue geben recht gelehrt.17
Dazu zählt im Zentrum ihre ›Frömigkeit‹, als solche ausdrücklich apostrophiert. Was aber zeichnet diese aus? Oder genauer: Wozu steht diese Frömmigkeit im Gegensatz? Genau zu dem, wovon diese späthumanistische Generation sich dezidiert und unwiderruflich abgewandt hat, wobei es mit zum humanistischen Geschäft gehörte, einen Degout über das, was man da miterlebt hatte, zumindest durchblicken zu lassen. Es ist die Frömigkeit euch selbst entgegen kommen/ So jetzt im Himmel wohnt/ vnd hat euch angenommen/ Vnd frölich eingeführt: Die süsse Frömigkeit/ An derer stelle wir jetzt hegen Haß vnd Neid/ Der keinen Selig macht.18
Die Verstorbene war des konfessionellen Haders enthoben. Ihre Frömmigkeit ist von keinerlei Zwist befleckt. Weiß man aber, daß die Humanisten ›Haß vnd Neid‹ vor allem bei den Lutheranern am Werk sahen, und zwar genauer in ihrem nicht ablassenden Kampf gegen die Calvinisten, so rückt auch eine Passage wie die vorgelegte in einen spezifischeren Kontext. Es blieb das Mirakel der konfessionellen Debatte um 1600, durch ungezählte Texte belegt, daß es die zum Reformiertentum neigenden Geister waren, die unaufhörlich zum Ende des Streits aufriefen und ihre Stimme der religiösen Befriedigung liehen. Hierfür gab es vielerlei Gründe. Eine aus der Minderheit heraus agierende Gemeinschaft suchte sich Luft zum Atmen zu verschaffen, indem sie der Gegenseite in immer neuen Wendungen anheimstellte, von Verunglimpfung und Verfolgung abzulassen. Da spielten durchaus auch politische Motive mit hinein. Und das nicht nur in dem Sinne, daß schließlich der gemeinsame Gegner die Katholiken waren. Nein, in den avanciertesten Verlautbarungen der Späthumanisten wurde die Einheit aller Bürger der einen inskünftigen Nation als utopische Vision ins Visier genommen. Über den konfessionellen Querelen erhob sich ein neues, ein säkulares Gut, die geeinte Staatsbürgergemeinschaft. Es war die reformierte Klientel, die diese weit in die Zukunft weisenden Gedanken umkreiste. Ein jedes verantwortliche Wesen, das sich dem konfessionellen Hader entrang, leistete auf seine Weise einen Beitrag zur Befriedung, und das im Blick auf die religiöse Unierung, auch aber auf die ›nationale‹ Zusammengehörigkeit. In diesem Sinne will es etwas besagen, daß der Dichter am Schluß explizit die Zeitläufte bei jenem Namen nennt, der nun inmitten des Wütens erstmals auftaucht und den obwaltenden Sachverhalt auf den Punkt bringt. Nicht goldene, nein, eiserne Zeiten herrschen. Es ist zue wenig noch/ Zu wenig vber vns der Waffen schweres Joch
––––––––– 17 18
Ebenda, Verse 85–88. Ebenda, Verse 97–101.
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Vnd Bürgerliche Krieg/ die hochbeschwerten Zeiten Mit Theurung/ Hungersnoth vnd was zu allen seiten Vns mehr vnd mehr bedrängt. Es ist ein neues schwerdt Mit dem deß HErren Hand vns durch die Hertzen fehrt/ Vnd durch den sinn darzue/ verkürtzet vnser hoffen/ Das gar zue eitel ist.19
Apokalyptische Zeiten sind angebrochen. Und das meint mehr als die Tatsache, daß der später so genannte ›Dreißigjährige Krieg‹ auf deutschem Boden ausgebrochen ist. Der Blick eines jeden Humanisten ist europäisch ausgerichtet. Was in deutschen Landen jetzt seinen Lauf nimmt, haben die Nachbarn und insbesondere die Franzosen zur Genüge gekostet. Bürger standen gegen Bürger im Namen einer zum Fanatismus entstellten Religion. Es herrschten ›Bürgerkriege‹, und sie greifen nun auch auf Deutschland über. Dem setzen die Humanisten ihr auf nationale Einigung abzielendes religionspolitisches Projekt entgegen. Eingerückt in diese Optik dürfen wir auch das Bild der frommen Prinzessin sehen. Sie hat sowohl ihrem Glauben als auch ihrem Hause Ehre erwiesen und ein Exempel statuiert. Die Literatur um 1600 ist bevölkert von Gestalten des Widerstandes und zugleich von solchen eines stillen, nach innen gewandten Glaubens. Es gilt, darin keinen Widerspruch zu erblicken. Wo immer dem Wüten lebend und glaubend Einhalt geboten wird, malen sich die Umrisse einer neuen Welt. Und mehr als das. Auch die Prinzessin nimmt unversehens Züge einer der Humanität verpflichteten Königin an. Am Schlusse gehen religiöse Befriedung und menschliche Bestimmung ein Bündnis ein. Auch in diesem Sinn gewinnt die Epoche um 1600 in ihren besten Gestalten Konturen des aufgeklärten Säkulums. Nun euch/ jhr Königinn der Tugendhafften Frawen/ Sey besser als vns hier/ die wir jetzt nicht mehr schawen Die grosse freundtligkeit/ vnd vieler Gaben Schar Mit der kein Sterblich Mensch euch zuvergleichen war. Es mussen Rosenbäum’ aus eurer Grufft fürschiessen/ Es mussen euren Sarch Violen rings vmbschlissen Vnd Blumen vieler art/ es musse diß Gebein Mit aller Specerey vmbher verschüttet sein.20
›Alit poëtas aula nobiles vestra‹ Drei Jahre vergingen, bevor wiederum ein Trauerfall im fürstlichen Hause der Piasten zu begehen war. Im Jahre 1625 verstarb Dorothea Sibylle, die Gattin Herzog Johann Christians. Der Tod löste ein weithallendes publizistisches Echo aus, und das gleichermaßen im Blick auf ihre Person wie auch auf ihren Stand. Dorothea Sibylle war die Tochter des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg. Seit 1610 war sie mit Johann Christian verheiratet. Und während dem Bruder Georg Rudolf das Glück der Vaterschaft versagt blieb, erfreute sich Johann Christian der Geburt von dreizehn Kin––––––––– 19 20
Ebenda, Verse 139–146. Ebenda, Verse 153–160.
›Alit poëtas aula nobiles vestra‹
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dern, die ihm Dorothea Sibylle schenkte. Der vier überlebenden Söhne gedenkt auch Opitz. Sein Stern als Dichter war aufgestiegen. Mehrere große selbständige Texte lagen vor, eine erste Sammlung seiner Gedichte war erschienen, eine zweite, nun von ihm selbst autorisierte, stand bevor. So durfte er es wagen, mit einer eigenen Trauerschrift hervorzutreten. Neben den verschiedenen Sammelschriften, die ein eigenes Kapitel auch in der Geschichte der deutschsprachigen Dichtung bezeichnen, steht die Opitzsche Funeralschrift als auktoriale Bekundung sui generis. Und das nicht nur formal, sondern auch gehaltlich, ergreift Opitz nun doch die Chance, die Galerie der Piasten zu eröffnen und ihrer ruhmvollen Geschichte zu gedenken. Geht es um das schlesischpolnische Fürstenhaus insgesamt im Werk Opitzens, so wird man seine Elegie auf Dorothea Sibylle vielleicht als die beredteste Äußerung ansprechen dürfen. Das Werk ist zweiteilig angelegt. Zunächst erfolgt wiederum in Latein die Anrede an den Fürsten und nunmehrigen Witwer, dann schließt sich der deutsche, der Fürstin gewidmete Text an; es ist erneut ein großes Alexandrinergedicht.21 Zunächst zu der lateinischen Anrede. Sie gilt Johann Christian, zugleich aber seinen vier Söhnen Georg, Ludwig, Rudolf und Christian. Von ihnen überlebten bis auf Rudolf die drei anderen den Vater und waren nach dem Tod Georg Rudolfs in die Regierungsgeschäfte der Piasten involviert. In diesem Sinn darf davon gesprochen werden, daß Opitz auch noch der vorletzten Generation der Piastenherzöge seine Feder lieh, deren Regentschaft selbst er nicht mehr erlebte. ›Hinkjamben‹ in der Manier des Catull hat er gewählt, um dem Fürsten und seinen Söhnen zu huldigen. Es geschah dies wie immer mit Bedacht.22 Dem Dichter ist es schon hier um die Sukzession zu tun. Sie erlaubt ihm, sich seinerseits angemessen zu positionieren. Seine Tränen bringt er dem Vater und seinen Söhnen dar, und dies als »der ergebene Verehrer eures Hauses«.23 Er ist dem Haus als ganzem und sodann dessen einzelnen Repräsentanten gleichermaßen verpflichtet. Nur ein einziger näherer Hinweis erfolgt an dieser Stelle; alles Weitere ist dem folgenden Gedicht vorbehalten. Die en passant fallende Bemerkung ist sprechend genug. Eine Mutter war Dorothea Sibylle nicht allein ihren Söhnen, sondern zugleich dem Vater––––––––– 21
22 23
Bonae Memoriae Serenissimae Principis Dorotheae Sybyllae, Ex Avgvsta Electorvm Brandenbvrgicorvm Familia; Dvcis Silesiae Lignicensis Et Bregensis; Pientissimae Et Optimae Principis. [Auf der Rückseite des Titelblattes:] Serenissimo Principi, Joanni Christiano Duci Silesiae, Lignicensi Bregensi; Domino suo Clementissimo: Magni item Patris spei maximae Filiis, Georgio, Lvdovico, Rvdolpho, Christiano, Principibvs Jvventvtis; hoc acerbi luctus sui testimonium consecrat Martinus Opitius. [1625] Exemplare z.B. aus der Bernhardiner-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau (4 V 57/43; 4 W 97/5), heute in der BU Wrocław: 534677; 537312. Neudruck der Trauerschrift: Martin Opitz: Gesammelte Werke Band II. Die Werke von 1621 bis 1626. 2. Teil. Hrsg. von George Schulz-Behrend.- Stuttgart: Hiersemann 1979 (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart; 301), S. 417–422. Die lateinische Zuschrift an Johann Christian zweisprachig auch in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band II: 1624–1631. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2011 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 44–47, Kommentar, S. 290– 293. Die Übersetzung stammt von Walter Ludwig, der Kommentar von Walter Ludwig und Veronika Marschall. Vgl. den instruktiven Kommentar ebenda, S. 290 f. Ebenda, Vers 7 f. Der lateinische Text: domus vestrae | Devotus ille cultor. (Ebenda).
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land (patriae, V. 12), und dies in jener spezifischen Bedeutung, die stets mitschwingt, wenn die Humanisten den ehrwürdigen, durch die Alten geadelten Begriff verwenden. Sie war die Regentin an der Seite ihres Mannes, des langjährigen schlesischen Landeshauptmanns; hinter Schlesien aber tat sich der weitere Raum der patria auf, das Reich der Deutschen, das in jeder dem Vaterland geltenden Wendung mit assoziiert werden darf, ist doch die deutsche Sprache im poetischen Gewand stets auch sein Unterpfand. Dem ›Greisenalter der erbärmlichen Welt‹ bleiben die Überlebenden ausgeliefert, wohingegen die Verstorbene in all ihrer unvergänglichen Blüte prangt: »nos in arida mundi | Scabri senecta mortui sumus vivi« (V. 13 f.). Die condemnatio mundi gehört zum Trauergedicht, gewiß. Und doch gewinnt die Rede um 1600, da die Fundamente wanken und das einstmals Wohlbefestigte in Auflösung begriffen ist, eine neue Bedeutung. In vorher unbekannter Weise wächst den Fürsten eine beschützende und beschirmende Rolle zu, und das zumal gegenüber den Dichtern in all ihrer Schwäche (fragilis, V. 19). Nicht mehr hat dieser in die Waagschale zu werfen als das Versprechen, das Gedenken der Verstorbenen alljährlich zu erneuern. Es ist das Äquivalent zu dem, was er von dem Fürsten und seinem Haus erfährt. Als Ernährer der Dichter erscheint da der Hof der Piasten und speziell derjenige Johann Christians. Edle Dichter ernährt ein edler Hof und so auch den Sprecher. Auf schönste und durch Tradition beglaubigte Weise wiederholt sich das Bündnis zwischen Fürst und Poet auf schlesischem Boden unter der Regentschaft der Piasten, und Opitz ist der berufene Künder dieser sinnfälligen Symbiose, in der sich ein humanistischer Lebens- und Weltentwurf glanzvoll manifestiert. Sed illa floret, sique dexterae vatum Fides habenda est et sororibus Phoebi, Inter poëtas aula quos alit vestra (Alit poëtas aula nobiles vestra) Et ipse, fragilis, hoc queo unicum, tumbae Loco, quotannis versibus meis manes Cantabo vestrae conjugisque matrisque, Divine Princeps, vosque Principis Nati; Praemissa quorum sola nunc, domus vestrae Devotus ille cultor, offero vobis.24
Anrufung der Piasten Neuerlich ist Opitz mit dem nachfolgenden deutschsprachigen Poem ein großes Gedicht gelungen. Makellos steht es da. Seine Schönheit und Ausdruckskraft verdankt ––––––––– 24
Ebenda, Verse 15–24. In der deutschen Übersetzung von Walther Ludwig: [D]och sie prangt in ihrer Blüte. Und wenn der rechten Hand der Dichter zu trauen ist und den Schwestern des Apoll, werde zwischen den Dichtern, die euer Hof ernährt, (und es nährt in der Tat euer Hof edle Dichter) auch ich selbst – in meiner Schwäche vermag ich nur das – an des Grabes Ort jährlich mit meinen Versen die Manen eurer Gemahlin und Mutter besingen, göttlicher Fürst, und ihr, des Fürsten Söhne. Deren Erstlinge allein bringe ich, der ergebene Verehrer eures Hauses, euch nun dar. (S. 47).
Anrufung der Piasten
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es der kunstvollen Verschränkung der Motive. An alles ist auf knappstem Raum am rechten Platz gedacht. Der Dichter, der soeben einen gehaltvollen Band seiner Gedichte herauszugeben im Begriffe steht, ist auf der Höhe seiner Kunst angelangt. Die deutsche Sprache ist literaturfähig geworden; nichts entzieht sich länger ihrem prägenden Vermögen. Die Wahl zwischen dem Lateinischen und dem Deutschen ist in dem Sinne entschieden, daß beide Sprachen auf ihre je eigene Weise zu jedem denkbaren Sujet verwandt werden können. Fortan zählt nur noch der Blick auf die Adressaten. Über die poetische Dignität braucht nicht mehr befunden zu werden. ›Kunstvolle Verschränkung der Motive‹. Diese aufzudecken wäre einer eigenen Bemühung wert. Wir aber müssen – wie immer – auf Akzentuierung bedacht sein. Und auch da kommt uns das Gedicht entgegen. Die Prinzessin aus dem illustren Fürstenhaus Brandenburg hat sich einem illustren Repräsentanten des Hauses der Piasten verbunden. Wechselseitiger Glanz fällt über diese Verbindung auf beide Häuser. Im vorliegenden Fall nutzt Opitz den vorgegebenen Anlaß zu einer großen Hommage an die Piasten. Der Name der Verewigten ist es, der den Brückenschlag inauguriert. Geknüpft an das verschwägerte Haus der Brandenburger, erweist er sich unversehens geeignet, den Mythos der legendären Piasten zu reaktivieren. Wäre eine innigere Symbiose denkbar? Der einfallsreiche, der ingeniöse Dichter hat sie in einem stupenden Akt der inventio poetische Wirklichkeit werden lassen. Dorothea Sibylle! Ein Ausbund von Tugend und Frömmigkeit ist diese Fürstin gewesen, die der Piastensohn Johann Christian hat heimführen dürfen. ›Frömigkeit‹: Eine hat ihr vor langer Zeit darin geglichen, deren Namen auch sie nun trägt, die Schutzheilige Preußens Dorothea, die Rekluse, welche von 1347 bis 1394 lebte, also noch vor der Gründung des Herzogtums Preußen und vor der Etablierung des Hauses Brandenburg. Diese ›preußische‹ Mitgift bringt die Fürstin ein anläßlich ihres Herüberwechselns in die Herzogtümer der Piasten. Und auch deren Geschlecht reicht zurück in nahezu vorgeschichtliche Zeit. Mit ›Piast‹ hebt die Reihe an, und Opitz beginnt tatsächlich mit ihm als es nun darum geht, die Linie der Vorfahren zumindest in deren wichtigsten Repräsentanten vorbeidefilieren zu lassen. Piast hat allbereit sehr lange nun geschlaffen; Den starcken Micißlaw halff keine Wehr’ vnd Waffen/ Noch newes Christenthumb; der Kioff vberwandt/ Der kühne Boleßlaw/ kam dennoch in den Sandt; Der Weyse Casimir must’ auß dem stillen Leben Vnd seinem Closter sich ins Königreich begeben/ Auß diesem in das Grab; der bärticht’ Henrich starb/ Vnd seine Hedwig auch/ die solchen Ruhm erwarb Durch jhre Gottesfurcht; jhr fromer Sohn ingleichen Hat müssen/ doch für herdt vnd für altar/ verbleichen; Vnd viel noch die der Stam von Lignitz hat gebohrn/ So mit dem Leben doch den Namen nicht verlohrn/ Der nimmer sterben wird.25
Es ist eine Totengalerie, die da eröffnet wird. Nur am Rande finden Taten Erwähnung. Wir bewegen uns in der Gattung des Trauergedichts. Auch die Größten unterliegen ––––––––– 25
Opitz: Gesammelte Werke II/2 (Anm. 21), S. 420, Verse 25–37.
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der Macht des Todes. Doch diese seine Macht erstreckt sich nur über die Leiber. Unvergessen ist ihrer aller Name und was an ihn sich knüpft. Und das dank der Stifter von Überlieferung, an deren Spitze die Poeten rangieren. Ein jedes Totengedicht ist zugleich eine Wiedererweckung zum Leben. Der geistlichen Auferweckung korrespondiert eine poetische. Dieser Gedanke ist seit den frühesten Tagen der Humanisten in der Welt. Er begründet ihr Selbstvertrauen; ja, mehr noch. Er beflügelt ihren eigenständigen, ihren selbstverantworteten Umgang mit der religiösen Überlieferung. Neben dem Geistlichen steht fortan der poeta doctus als persona sui generis, begabt auch seinerseits mit der Stiftung von lebens- und sterbensertüchtigender geistiger und poetischer Kost, deren Obhut allein in seiner Hand liegt. Gewahrt man aber, welchen Umgang der Dichter gleich allen seinen Standesgenossen mit eben jenem Geschlecht pflegt, das er preisend vergegenwärtigt? Die polnischen Würdenträger werden aufgerufen, ohne daß dies eigens der Erwähnung oder gar der Begründung bedürfte. Fern liegt dem Dichter mit seinen Standesgenossen jedwede nationale Vereinnahmung. Es zählen Alter und Herkunft, Taten und Tugenden, ein nationaler, gar völkischer Zungenschlag ist nicht vernehmbar. Die Humanisten haben an das Zusammenwachsen der Völker in nationalen politischen Einheiten gedacht. Fremd indes war ihnen die nationale Aufputschung. Sie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts, das sich definitiv von dem Vermächtnis der Frühen Neuzeit trennte. Auch ein Opitz erhebt die Piasten zum poetischen Vorwurf, keinen Moment darauf bedacht, nationale Sonderungen vorzunehmen; sie sind schlechterdings irrelevant. Nun sind die jüngsten Glieder in der illustren Folge des Geschlechts in den Blick gerückt: Dorothea Sibylle, Johann Christian und ihrer beider männliche Erbfolger. Für sie alle hat der Dichter unvergeßliche Worte bereit. Der Fürst unterliegt der von Gott verfügten schwersten Prüfung. Wird er sich von dem Leid übermannen lassen? Er ist zum ›Landes Vater‹ erhoben worden, von Gott beschenkt mit der ›Perl’ aus Brandenburg‹. In ihren Kindern erblickt er die geliebte Gattin einen jeden neuen Tag. »Ziehr vnd Schein | Der Häuser Brandenburg vnd Briegk« sind in ihnen »vermenget«. Schon jetzt melden sich »die jungen freien Helden« in ihren Augen.26 Was aber ist es, das zu dieser Ansicht ermächtigt? Nichts anderes als das, was dem Humanisten auch für einen jeden Regenten als das Wichtigste dünkt, das eifrige Studium der Bücher. Kein Fürstenspiegel humanistischer Provenienz, der nicht auf die Parität von Stand und Vernunft hinarbeitete. So auch Opitz: der Weysen Bücher schar Ist allzeit vmb sie her/ sie fangen an zu wissen/ Daß hoher Stand vnd Witz/ vermählet werden müssen/ Vnd in ein Joch gebracht/ im fall das Edle Pfandt Mit dem sie sind begabt/ sol werden angewandt.27
Über diese literaten Güter verfügt allein der Humanist. Sie den ›jungen Helden‹ anzuverwandeln, sie ihnen einzubilden, bezeichnet die Krönung seines dem eigenen Stand geschuldeten Auftrags. Dichter zu sein schließt Prinzenerziehung ein. Auf die Sym––––––––– 26 27
Ebenda, Vers 74 und Vers 76, Verse 79 f. und Vers 81. Ebenda, Verse 84–88.
›O du Quell der Heylsamkeit‹
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biose beider Sphären läuft es hinaus. So läßt auch Opitz den unmittelbaren Anlaß hinter sich. Und doch auch wieder nicht. In den der Tugend und den Künsten nacheifernden Prinzen ist das Vermächtnis der Verewigten als ein Versprechen für die Zukunft über die Zeiten hinweg geborgen. Noch aber liegen die Geschicke des Landes bei Johann Christian. Soeben ist das Haus Münsterberg-Oels mit dem der Piasten über Karl II. von Münsterberg-Oels und seine Gemahlin Elisabeth Magdalene verbunden worden – ein wiederum Hoffnung begründendes ›Geschichtszeichen‹. Möge es dem Fürsten vergönnt sein, den so sehnlich erhofften Frieden, summum bonum in Erasmischer Tradition, heraufzuführen. Laß vnsers Landes Haupt/ das auch zu gutter stunden An das berühmbte Hauß von Oelsse sich verbunden/ Bald sehn die güldne Zeit/ an der man ruffen soll: Der Gott-geliebte Fürst ist doch nur Segens voll/ Vnd aller Himmelßgunst: erhalt die Herren Brüder Frisch/ blüend’ vnd gesundt/ daß sie dies’ jhre Glieder/ Das werthe Schlesien/ wie vormals wol vnd fein Mit Rath vnd That erziehn/ vnd Väter mögen sein. Gieb daß sie/ wie vorhin jhr Anherr todt gesieget/ Vnd vnser Landt beschützt/ das harte wardt bekrieget/ Den Frieden lebend’ jetzt erhalten Tag vor Tag/ Der so gutt daß kein Mensch nichts bessers nennen mag.28
›O du Quell der Heylsamkeit‹ Die zweite Hälfte der zwanziger Jahre stand für Opitz im Zeichen der Dienste für Karl Hannibal von Dohna. Darüber wurde eingehend gehandelt. Ungeachtet diverser Ergebenheitsadressen gegenüber von Dohna und so gar einer fulminanten Lobrede auf ihn riß das Band zu den Piasten nicht ab. Ein schönes Zeugnis dafür stellt ein Gedicht dar, das sich als Druck, eingeklebt in die Handschrift R 2306 aus der Rhedigerschen Bibliothek der alten Breslauer Stadtbibliothek, glücklicherweise erhalten hat.29 Der Sammler Christian Ezechiel, dem wir – genau wie Johann Kaspar Arletius – so viele Rettungen kostbaren poetischen Guts zu verdanken haben, wird sich auch in diesem Fall verdient gemacht haben. Es handelt sich im weitesten Sinn um ein Gelegenheitsgedicht. Adressat des Poems ist Herzog Georg Rudolf. Der hielt sich in Bad Warmbrunn auf dem Herrschaftsgebiet der Herren von Schaffgotsch auf, das Opitz auch seinerseits bald besuchen und in einem Schäfergedicht besingen sollte. Opitz war die durch Tradition beglaubigte Episode des Rückzugs eines Regenten in die erquickende Natur ein willkommener Beweggrund für einen poetischen Gruß. ––––––––– 28 29
Ebenda, Verse 101–112. Vgl.: Serenissimo Duci Lignicensi PRIncipi OPTimo, ad Aquas Silesiacas iturienti; Mart. Opitius, Celsitud. Ejus ab Officiis Aulae, incolumitatem & vigorem corporis precatur. [Am Ende:] Gedruckt im Jahr 1628. Abdruck in: Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Band IV: Die Werke von 1626 bis 1630. Teil I und II. Hrsg. von George Schulz-Behrend.- Stuttgart: Hiersemann 1989–1990 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 312.313), Teil I, S. 217– 220.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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Im Jahr 1628 erschien das kleine Poem. Es war die Zeit, zu der nun auch Georg Rudolf sein Amt als Oberlandeshauptmann niederlegte, das er aus den Händen seines älteren Bruders übernommen und in den schweren Jahren des Krieges und der religiösen Unterdrückung nach besten Kräften ausgeübt hatte. Der Wechsel im Amt, das nun herüberging zu Herzog Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels, dem Opitz auch alsbald seine dichterische Aufwartung machte, signalisierte auf andere Weise, daß die Piasten ihre einstige Machtstellung nicht hatten behaupten können. Die kaiserliche und mit ihr die katholische Seite war seit 1620 in stetigem Vormarsch begriffen. Auch das muß man wissen, wenn es denn um eine verständnisvolle Lesung des reizenden Miniaturgebildes geht. O du Quell der Heylsamkeit/ Du berümbter Arzt der glieder Wir vertrawen dir nun wieder Trost vnd Hoffnung dieser Zeit: Schaw es giebet vnser Landt Dir sein Haupt in deine Handt.30
Einen schlichten liedhaften Vierheber wählt Opitz. Er ist selten im Kontext der Ehrung eines Regenten. Hier ist er am Platz, denn der Fürst hat den Regierungsgeschäften für eine bemessene Weile Adieu gesagt und weilt in der schönen Natur. Ein pastorales Ambiente wird erfahrbar, figuriert die schäferliche Welt doch seit Vergil auf der Gegenseite der politischen, und dies als ihr Komplement wie als ihr Korrektiv. Heilende Kräfte sind dem schönen Flecken eigen. Hier in der heiteren Natur findet der Regent zurück zu der nur ihm eigenen Bestimmung. Der abgelegene amöne Schauplatz ist als Örtlichkeit der Rekreation immer zugleich einer der Anamnesis. Die Umrisse einer Utopie rechten und gerechten Herrschens zeichnen sich in dezenten Konturen ab. In diesem Sinn ist die Pastorale seit Vergil in ihren großen Zeugnissen gerne von Motiven aus dem Fürstenspiegel umspielt. Zur pastoralen Szenerie gehören die Nymphen. Diese sind auch bei Opitz sogleich zur Stelle. Ihnen ist aufgetragen, der ›Göttlichkeit‹ des Fürsten singend und tanzend zu huldigen. Sie sind dazu berufen, weil sie selber ›göttlich‹ sind. Wohin man schaut, immer herrscht ein wohlaustariertes Gleichgewicht zwischen der politischen und der schäferlichen Sphäre, hier repräsentiert in den Nymphen; beide sind einander ebenbürtig. Der Dichter wacht über die Einhaltung der rechten Maße zwischen beiden Sphären, die er selbst doch mit jedem neuen pastoral kostümierten Poem bekräftigt und reformuliert: Kunst des Poetisierens im öffentlichen Raum, auf die die Humanisten sich wie niemals vorher und spätere Dichtergenerationen sich eben auch niemals wieder gleich nachhaltig verstanden. Opitz ist ein Meister in der Erfindung von Wendungen, die den fürstlichen Regenten als Helden im Bunde mit den Musen als Repräsentantinnen des Dichters zeigen. In der schönen Natur erfüllt sich ihr Wesen, ist ihr Treiben doch abgestellt auf einen Akt des Dolmetschens, nämlich der Transposition der Laute der Natur in die Sprache des Menschen – dichterisches Kerngeschäft seit jeher. In der Regentenhuldigung kommt ––––––––– 30
Ebenda, S. 218, Strophe 1.
›O du Quell der Heylsamkeit‹
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Spezifisches hinzu. Der Regent, als ›Heldt‹ apostrophiert, liebt die Musen. Und die danken für die Wertschätzung, indem sie ihm, wie es tiefgründig heißt, einen ›Namen‹ geben. Er lautet eben auf ›Heldt‹. Aber das ist doch nur ein Begriff für einen Kosmos, den er umschließt. Indem die Musen heldisches Dasein im Gedicht besingen und sukzessive entfalten, sind sie es, die die Regularien rechten Regententums artikulieren. Und so ist es indirekt auch noch ihrem Wirken zuzusprechen, wenn der Regent am Ort der Musen zu sich selbst findet. Was aber meint dies im eisernen Zeitalter, als welches die gegenwärtigen Zeiten allemal zu gelten haben? Der Herrscher behauptet sich in ihnen, indem er sich selbst und seinem Auftrag die Treue wahrt. Regentische Tugend umgreift mehr als Bändigung der Leidenschaften (ataraxia). Im Atemholen und in der Sammlung der Kräfte stählt sich der Regent für sein schweres Geschäft. Sein Rückzug in die Einsamkeit kommt dementsprechend seinem öffentlichen Wirken zugute. Die Dichotomie von Natur und Gesellschaft, privater und öffentlicher Sphäre ist dem Humanismus fremd. Der Regent, der diese vermeintlich ›idyllische‹ Opitzsche Adresse empfängt, weiß sich bestätigt und bestärkt in seinem herrscherlichen Amt, und das gerade deshalb, weil sie im ländlichen, im pastoralen Raum verlautet. Aber du/ du werther Heldt/ Den die Schar der Musen liebet/ Dem sie einen Namen giebet Den noch zeit noch sterben fellt/ Denke was du jetzvndt thust; Nim zwar Wasser/ doch mehr Lust. Hier soll gar kein Kummer seyn; Hier verscheubt man grosse Sachen; Rhue/ genügen/ reden/ lachen Steige frölich mit dir ein: Fürsten ist auch Sorg’ vnd Wahn/ Nicht nur Menschen Vnterthan. Ihr Gemüte schwüllet nicht/ Wann das Glücke sie bescheinet: Thut nie kläglich/ seufftzt vnd weinet/ Wann der sturm den Mast zerbricht/ Bleibet allzeit vnbewegt/ Wird nicht anders als er pflegt. Fleuch zu suchen gar zu weit Was sich Morgen zu wird tragen; Nim das beste von den Tagen Die der Himmel dir verleyht. Unser wesen hat sein Ziehl/ Sorge wenig oder viel.31
––––––––– 31
Ebenda, S. 219 f., Strophen 5–8.
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›O vnbeflecktes Liecht | Des edlen Schlesien‹ Es wird denkwürdig bleiben, daß gerade die späteren Jahre im Dichten Opitzens nochmals einen Schub großer geistlicher Schöpfungen hervorbrachten. Das geistliche Werk dieses ›Erzhumanisten‹ am Eingang des 17. Jahrhunderts behauptet sich gleichberechtigt neben den vielen Spielarten weltlichen und insbesondere anlaßbezogenen Dichtens. Das Jahr 1628 zeitigte zwei umfängliche geistliche Gedichte, eines ›Vber das Leiden vnd Sterben Vnseres Heilandes‹ und ein weiteres über ›Die Episteln Der Sontage vnd fürnemsten Feste des gantzen Jahrs‹. In dem letzteren treten die alttestamentarischen Psalmen in Erscheinung, die eine so beherrschende Rolle im Werk Opitzens spielen. Hier in den ›Episteln‹ wählt Opitz einen originellen Weg.32 Er bedichtet einzelne Passagen aus dem Neuen Testament sowie vornehmlich aus dem Briefwerk und unterlegt ihnen die Melodien der französischen Psalmenfassungen, auf die er bei jedem einzelnen Stück verweist, ohne daß die Melodien selbst zum Abdruck kämen. Altes und Neues Testament werden derart über Wort und Musik zusammengeführt. Die jüdisch-christliche Überlieferung ist eine einzige und unteilbare, und der Humanist ihr den gegenwärtigen Zeitläuften verpflichteter Anverwandler, ihr Dolmetscher. Nicht anders als die Heraufführung und Weiterbildung der griechisch-hellenistischrömischen Welt ist auch die der geistlich-orientalischen sein Werk. Und gesellt sich schließlich im gleichen Zeitraum die Aneignung der arabischen Kultur hinzu, so mag eine Ahnung sich einstellen, was das neuere Europa diesen geistigen Pionieren der Frühen Neuzeit verdankt. Für uns ist einschlägig, daß Opitz sein großes Epistel-Werk wiederum einem Piasten gewidmet hat, und zwar Herzog Georg Rudolf. Ihm mußte daran gelegen sein, die Piasten nachhaltig dedikatorisch zu bedenken, während er in den Diensten Dohnas stand. Das Werk wurde ein Erfolg, stetig erschienen neue Auflagen bis in das 18. Jahrhundert hinein. So wurde auch über diese geistliche Arbeit der Name der Piasten tradiert, und das solange, wie es eine lebendige Opitz-Rezeption gab, die wir das ganze 18. Jahrhundert über beobachten können. ––––––––– 32
Die Episteln Der Sontage vnd fürnemsten Feste des gantzen Jahrs/ Auff die Weisen der Frantzösischen Psalmen in Lieder gefasset/ Von Martin Opitzen. Jn verlegung David Müllers/ Buchhendlers in Breßlaw. Leipzig/ Gedruckt durch Johan-Albrecht Mintzeln/ 1628. Neudruck des Werkes in: Opitz: Gesammelte Werke. Band IV/1 (Anm. 29), S. 241–317. Der Herausgeber legt ein Exemplar aus der Herzogin Amalia-Bibliothek in Weimar zugrunde; die Stadtbibliothek Breslau hat nach Ausweis des alten Band-Katalogs offenbar kein Exemplar besessen zu haben. Vgl. zu den ›Epistelliedern‹ von Opitz: Hugo Max: Martin Opitz als geistlicher Dichter.- Heidelberg: Winter 1931 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; 17), S. 125–136; Renate Gerling: Die Umsetzung biblischer Texte in der Lyrik des 17. Jahrhunderts.- Diss. phil. Bonn 1967. Druck unter dem Titel: Schriftwort und lyrisches Wort. Die Umsetzung biblischer Texte in der Lyrik des 17. Jahrhunderts.- Meisenheim am Glan: Hain 1969 (Deutsche Studien; 8). Hier zu Opitz ›Epistelliedern‹, S. 7–46. Des weiteren die wichtige Studie von Irmgard Scheitler: Das Geistliche Lied im deutschen Barock.- Berlin: Duncker & Humblot 1982 (Schriften zur Literaturwissenschaft; 3), S. 172–175. Dazu die (herrliche) bibliographische Miszelle von Erich Trunz: Ein Opitz-Gespenst.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 3 (1976), S. 202 f.
›O vnbeflecktes Liecht | Des edlen Schlesien‹
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Opitz hat eine in Versen gehaltene Widmung gewählt und sich für diese neuerlich des Alexandriners bedient. Die versifikatorische Fassung erlaubte ihm, seine Verbundenheit mit dem Hause der Piasten in poetische Worte zu kleiden, die er in alleiniger Regie behielt. Die Transformation begünstigte eine geradezu persönliche Züge annehmende Huldigung. Ein derartiger Gestus wäre in der Prosa nicht möglich, aber auch nicht eigentlich statthaft gewesen. Opitz qualifiziert seine Arbeit als eine ihm vom Fürsten anempfohlene. Was mag den Fürsten zu dieser doch eher ungewöhnlichen Attitüde veranlaßt haben? Er durfte sich von dem Dichter eine Behandlung des Themas erhoffen, die auf religiösen Ausgleich zielte und derart auch der Führung seiner politischen Geschäfte entgegenkam. Opitz nahm den Ball sogleich in den ersten Zeilen auf. In diesem Buch, so sagt er, werde nur von der Liebe des Heilandes zu den Menschen gesprochen. Sie geht einher mit einem Haß auf der ›Menschen Brunst‹. Diese Wendung meint im vorgegebenen Zusammenhang mehr als nur ›Leidenschaft‹ im allgemeinen. Abscheu vor dem konfessionellen Fanatismus schwingt mit. Wort und Stimme Christi und der biblischen Zeugen sind ihm entzogen. Wieder hat eine Separierung der reinen biblischen Botschaft von der Adaptation in späteren Zeiten und zumal in der Gegenwart statt. In des Dichters Hand ist der Brückenschlag gelegt, und dieser ist expressis verbis fürstlich legitimiert. Das poetische Agieren zeitigt ein bemerkenswertes poetologisches Äquivalent. Der ›Zierligkeit‹ der Worte, dem ›schönen klang‹ wird eine Absage erteilt. Sie gehören dem weltlichen Wesen an, das »schnöd’ vnd jrrdisch ist.«33 Die geistliche Rede bedarf keines poetischen Aufputzes. Sie ist alleine auf die Vernehmbarkeit der göttlichen Stimme des Heilandes gerichtet. Das ist eine in der geistlichen Dichtung häufig verlautende Wendung. So wie keine theologischen Lesarten nachträglich dem biblischen Wort hinzugefügt werden, so keine besonderen poetisch-stilistischen Schmuckformen. Ist die letztere Redeweise nur indirekt und verschlüsselt zu verstehen, so ist der intendierte Sinn doch eindeutig. In jedem Fall wird im geistlichen Sprechmodus Abstand genommen von menschlicher Mentalität und Attitüde. Die geistliche Botschaft soll als ungemodelte, als ursprüngliche in die Gegenwart hineinwirken. Das klargestellt, erfolgt der Übergang zu dem fürstlichen Adressaten. So leset/ wenn jhr legt die grossen Sorgen nieder Für vnser Vaterland/ O Held/ die newen Lieder/ Die ich zu Gottes Ehr’ vnd Ewrer Lust gemacht/ Ohn allen Erdenschein/ ohn alle Redner Pracht. Der Höchst’ hat Warheit lieb/ vnd Ewrer Tugend Gaben. Die wollen wie sie sind/ auch jhre Leute haben/ Gerecht vnd ohne falsch. Doch wil ich sonsten nicht Verbergen ewren Ruhm/ O vnbeflecktes Liecht Des edlen Schlesien/ ich wil mich höher schwingen/ Als wo der Pöfel kreucht/ wil von den Sorgen singen/ Von väterlicher Trew/ die Ewer Hertze tregt/ Vom Wetter/ welches jr mit ewerm glimpffe legt/
––––––––– 33
Vgl. die Verse zwei bis vier; im Neudruck Schulz-Behrends (Anm. 29), S. 246. Dort auch (Vers 6) der Begriff ›Menschen Brunst‹.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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Vnd Sturme dieser Zeit/ der mit des Krieges Wellen In diesem trüben See vns armes Volck wil fellen/ Vnd reissen vnterhin.34
Wohin man auch blickt im Umkreis der den öffentlichen Angelegenheiten gewidmeten Dichtungen, erstaunen die Souveränität und der Tiefsinn, mit denen sie von Opitz traktiert werden. Ganze Generationen seit dem 19. Jahrhundert haben den Lobredner fürstlichen Wesens als platten und servilen Poeten geschmäht. Ein genauerer Blick vermittelt ein anderes Bild. Opitz weiß um das, was er vermag. Auf ›Erdenschein‹ und rednerische ›Pracht‹ will er Verzicht leisten. Aber damit wird die Aufgabe doch nicht leichter. Zu den höchsten Gegenständen greift der Dichter. Von der Wahrheit, die vor dem ›Höchsten‹ Bestand hat, ist zu künden, und von der ›Tugend‹ des Regenten, an der Gott Gefallen hat. Das ist etwas nur für ›Leute‹, die sich auf ihr Metier verstehen. ›Gerecht vnd ohne falsch‹ soll es zugehen. So ist das Dekorum bezeichnet, das beobachtet sein will und das den Maßstab abgibt. Wer wagte zu bestreiten, daß Opitz seinem Anspruch gerecht wird? Ein jeder Kenner kann nur Beifall spenden. Denn was vollzieht sich vor Augen und Ohren seiner Leser und Hörer? Nichts weniger als eine riskante, ja todesmutige rhetorische Gratwanderung. Wir halten in Erinnerung. Opitz operiert auf der Gegenseite der Piasten, ist dem schlesischen Statthalter Karl Hannibal von Dohna als seinem Dienstherrn verpflichtet. Kein Wort verlautet über ihn und das, was seine Person womöglich für das evangelische Schlesien bedeutet. Schlesien, das ›Vaterland‹, ist weiterhin einem Einzigen überantwortet, auf dem die schwerste Verantwortung lastet. ›Das edle Schlesien‹ – in ›väterlicher Trew‹ ist der Herzog ihm zugewandt. Wer sollte da neben ihm bestehen? Eine derart fürsorgliche Rolle kann nur eine dafür prädestinierte Persönlichkeit wahrnehmen. Und die ist Georg Rudolf. Ihm eignet ›glimpffe‹, eignet Ehre, Ansehen und ein guter Ruf. Als treusorgender Landesherr ist er ausnahmslos für alle Untertanen da, kennt keine Unterschiede des Standes und der Konfession. An eine derartige Person heftet sich die Hoffnung im ›Sturme dieser Zeit‹. Es herrscht Krieg, und sein Opfer ist das ›arme Volck‹, dem der Dichter sich zurechnet. Den Piasten in dieser apokalyptischen Endzeit als Schutz und Schirm anzureden, kommt einer Provokation gleich. Wie konnte Opitz es wagen, sich derart zu exponieren? Die Antwort kann nur lauten, daß sein innerer Kompaß all die Dohna-Jahre über auf die Piasten gerichtet blieb. Sein politischer wie sein poetischer Instinkt sollten ihm auf lange Sicht Recht geben. Und dann wendet sich der Dichter, schon dem Abschluß entgegenstrebend, dem Fürsten als seinem Fürsten zu, und da fließen Wendungen ein, die nur im Schutz des nachfolgenden geistlichen Textes verlauten durften. Der Dichter hatte die Rangfolge fixiert. Dem höchsten geistlichen Vorwurf sollte der oberste ›weltliche‹ folgen, wiederum Regent und Dichter geltend. Das Atemberaubende aber ist in der persönlichen Wendung zu suchen, die der Dichter dem Vorwurf verleiht. Er weiß sich geliebt und erhoben von dem Fürsten, so wie es in dem an den Dichter ergehenden Auftrag zum Ausdruck gelangt, eine poetische Mission für den Fürsten zu erfüllen. Ihm verdankt er die Muße zum Dichten und damit den Grund seiner Existenz. Wenn in den bittersten Zeiten ein uraltes Bündnis zwischen Regent und Dichter erneuert wird und darüber ––––––––– 34
Ebenda, S. 246 f., Verse 7–21.
›ich bin nicht unbekandt | Dem hause‹
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hinaus auch noch freundschaftliche Züge annimmt, dann ist Grund zum Feiern. Nur weil der Fürst die Bücher liest, weiß er um die Bedeutung, die sie für den ihn Besingenden haben; im dichterischen Haushalt eines Lesenden wie eines Schreibenden ist das eine wie das andere ohne die Bücher schlechterdings nicht denkbar. Ist das Bild derart fixiert, darf der Sprechende, darf der Poet sich als ein dem Fürsten Gehöriger ansprechen und empfehlen. Es sol der späten zeit Bewust vnd kundbar seyn die hohe Gütigkeit/ Darmit so gnädig Ihr mich liebet vnd erhebet/ Vnd meinen Musen fug Euch auffzuwarten gebet/ Wie schlecht sie jmmer sind. Helfft ferner auch darzu/ Daß ich geniessen mag der angenehmen Ruh/ Die vnser Phebus liebt/ mag vnbeschwert vertreiben Den Nachrest meiner Zeit mit lesen vnd mit schreiben/ Das für den Tod vns dient/ vnd last mir nachmals frey Zu sagen/ wie Ihr thut/ daß ich der Ewre sey.35
›ich bin nicht unbekandt | Dem hause‹ Ein weiteres Jahr verging, und schon wieder lag eine geistliche Dichtung vor, nun zur Abwechslung eine Übersetzung aus dem Französischen: ›Von der Welt Eitelkeit‹.36 Wir erwähnen sie an dieser Stelle en passant, weil sie neuerlich einem Mitglied aus dem Hause der Piasten zugeeignet ist. Geistliche Dichtungen gehören nach humanistischem Verständnis bevorzugt in die Hände von Frauen. Opitz wählte als Adressatin eine Schwester Johann Christians und Georg Rudolfs namens Barbara Agnes, auch Barbara Agnete genannt. Sie war die Gemahlin des Freiherrn Hans Ulrich von Schaffgotsch, dem Opitz ein Jahr später seine ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ widmen sollte. So war dafür Sorge getragen, daß zu den führenden Repräsentanten des evangelischen Schlesiens auch während der Dohna-Episode ein ständiger und enger Kontakt gewahrt blieb. Nicht gesagt wurde, daß der Autor des übersetzten Werkes ein entschiedener Parteigänger der Hugenotten war. Die Kenner waren darüber natürlich orientiert und wußten sich ihren Reim auf die obwaltende Sachlage zu machen. Ein Sonett hat Opitz für die Prinzessin gedichtet, wieder also eine poetische Version für die Widmung bevorzugt. ––––––––– 35 36
Ebenda, S. 247, Verse 25–34. Von der Welt Eitelkeit. Auß dem Frantzösischen. [Kolophon:] Gedruckt zum Briegk/ durch Augustin Gründern. Jn Verlegung David Müllers Buchhändlers in Breßlaw. 1629.- Titelauflage: Martini Opitii Von der Welt Eitelkeit. Aus dem Frantzösischen. Jn Verlegung David Müllers/ Buchhendlers in Breßlaw. Anno M DC XXIX. Vgl. die Vorbemerkung zu dem Neudruck des Werkes von Schulz-Behrend: Opitz: Gesammelte Werke. Band IV/2 (Anm. 28), S. 419–430, S. 419–422. Der Herausgeber macht für den erstgenannten Titel auch ein Exemplar aus der BU Wrocław namhaft (355100). Es rührt her aus der von Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth) und trug nach Übergang in der Stadtbibliothek die Signatur 4 E 515/38. Es liegen drei weitere Exemplare aus der Bernhardiner-Bibliothek vor, eingegangen in die Stadtbibliothek Breslau: 4 V 38/76 = 533918, 4 V 650 = 533818, 4V 67/13 = 535150. Zu dem Werk selbst grundlegend Anne Gülich: Opitz’ Übersetzungen aus dem Französischen.- Diss. phil. Kiel 1972.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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PRinceßinn/ die du auch die schar der Pierinnen Jn huldt vndt gnade nimpst/ und neigest deinen standt/ Das Königliche blut/ zue einer solchen handt Die geist vndt Himmel fühlt/ bemühe deine sinnen/ Dein antlitz biß hieher/ schaw’ an der welt beginnen/ Der menschen eitelkeit/ den eiteln erdentandt/ Mitt männlicher vernunfft: ich bin nicht vnbekandt/ Dem hause/ welches dich/ o ziehr der Princeßinnen/ Der welt gegeben hatt/ dem Helden/ welchem du Dich selbst gegeben hast. trifft meine faust nicht zue Mitt dem was deiner werth/ vndt schmecket nach der erden/ So dencke/ Barbara/ dein weiser sinn daran/ Daß niemandt eitelkeit so wol beschreiben kan/ Daß nichts von eitelkeit soll’ vntermenget werden.37
Wie die Brüder, wie eine jede Person von Stand, der die Humanisten diesen Titel als einen beglaubigten zusprechen, ist auch Barbara Agnes den Musen zugetan und wendet sich denen zu, die ihr Leben dem Musendienst weihen, welchem stets ein Moment des Ewigen beigesellt ist. Mit den ›Pierinnen‹ auf vertrautem Fuß zu stehen heißt in jedem Fall, der Welt betrachtend zu begegnen und ihr im gleichen Atemzug auch schon entronnen zu sein. Mit ›männlicher vernunfft‹ geschieht dies von seiten der Prinzessin. Die womöglich befremdliche Formulierung verliert ihr Sprödes, wenn sie in den Kontext eingerückt wird. Die Prinzessin steht den Brüdern nicht nach, ist wie sie eine Zierde des Hauses der Piasten. Der Dichter ist diesem nicht unbekannt. Sie aber, die ihm entsproß, hat nun aus freien Stücken den Weg an der Seite eines weiteren ›Helden‹ gewählt, eben Hans Ulrichs von Schaffgotsch. In diesen Kreis einbezogen zu sein und davon dichtend Kenntnis zu geben, ist eine hohe Auszeichnung. Damit diese Zugehörigkeit nicht ihrerseits unter die Eitelkeiten der Welt fällt, ist sogleich die Unvermögensformel zur Stelle. Ein makelloser Lobpreis ist hienieden nicht zu dichten. In einer scharfsinnigen Schlußwendung weiß der Dichter sich zu salvieren und beweist derart auch mit diesem Poem, daß er in poeticis der Eitelkeit enthoben ist.
›O Königlicher Fürst/ [...] Du meiner Musen schutz‹ Im Jahr 1629, diesem für unsere Betrachtung besonders wichtigen Zeitraum, erschien eine neue und erweiterte Auflage der Opitzschen Gedichte, nun in zwei Bände gegliedert.38 Das Werk ist Karl Hannibal von Dohna gewidmet. Es ist die einzige Sammlung ––––––––– 37 38
Ebenda, S. 422 f. Sie sei hier noch einmal zitiert: Martini Opitii Deütscher Poëmatum Erster Theil. Zum andern mal vermehrt vnd vbersehen herauß gegeben. Jn verlegung Dauid Müllers Buchhändlers in Breßlaw.MDC XXVIIII. Cum Gr. et Priuileg. Caes: Mai.– Martini Opitii Deütscher Poëmatum Anderer Theil; Zuevor nie beysammen, theils auch noch nie herauß gegeben. Cum Gr. et Priuileg. Caesar Maiest. Jn verlegung David Müllers Buchhendlers in Breßlaw. 1629. Zur Widmung an Dohna vgl. oben Kapitel 14, S. 531 f.
›O Königlicher Fürst/ [...] Du meiner Musen schutz‹
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von Opitzens Gedichten, die Dohna zugeeignet ist. Schon in der nächsten Folge der Sequenz, Dohna war gestorben und Opitz noch vorher aus seinen Diensten geschieden, ist die Widmung wieder getilgt. Das besagt zur Genüge, wie die Dinge lagen. Opitz konnte seinen Dienstherrn nicht übergehen. Doch die Widmung blieb ein temporärer, den Zeitverhältnissen geschuldeter Akt. Und wie es um diese stand, davon gibt nun ein Gedicht nähere Kunde, das erstmals in der Ausgabe von 1629 steht und einer uns wohlbekannten Persönlichkeit gewidmet ist, Herzog Georg Rudolf. Vielleicht würde es zu weit gehen, wenn man erwöge, ob Opitz mit diesem Gedicht womöglich eine Kompensation für die Dohna-Widmung im Auge gehabt hätte. Genug, wenn konstatiert werden kann, daß auch die neue Folge der Opitzschen Gedichte eine weitere Huldigungsadresse an den Piasten enthält.39 Sechs vierzeilige Strophen wiederum in Alexandrinern hat Opitz auf die Anrede gewandt. Sie nimmt in einigen Versen den Charakter einer Trostschrift an, nun aber nicht wegen des Verlusts eines teuren Angehörigen, sondern im Blick auf die ungeheuerlichen Verwerfungen im geknebelten Schlesien, die zu Ende der zwanziger Jahre kulminierten. Unverhohlen und inzwischen durch keinerlei Rücksichten mehr gehemmt, gingen die kaiserlichen Truppen und die Söldner der Jesuiten dazu über, die katholische Religion flächendeckend zu restituieren. Kirchenschließung, Vertreibung der Pfarrer und Ausweisung der Evangelischen gehörten zum täglichen Geschäft. Die Maßnahmen geschahen mit ausdrücklicher Billigung Kaiser Ferdinands II., der einer aggressiven Rekatholisierung das Wort redete. Die Piastenherzöge waren nicht länger in der Lage, der dramatisch sich zuspitzenden Entwicklung durchgreifend zu wehren. 1628/29 hatte Georg Rudolf die Oberlandeshauptmannschaft verloren. Und noch war nicht absehbar, daß alsbald Entsatz durch eine militante protestantische Macht erfolgen sollte. In dieser für die Evangelischen verzweifelten Situation ergreift Opitz das Wort und spricht seinen Fürsten an. Denn daß dieser es ist, der im eigentlichen Sinn sein Herr geblieben ist, daran lassen auch die folgenden Zeilen keinen Zweifel. An Ihr. Fürst. Durchl. Georg Rudolffen/ Hertzog in Schlesien zur Lignitz/ Briegk vnd Goldtberg. WEr das was für jhm ist auß dem was ist geschehen Mit klugen sinnen kennt/ der leßt den Nortwindt wehen So lang’ er rasen wil/ vnd schawet trotzig an Des Glückes wanckelmuth den niemandt hemmen kan. Er thut als wiß’ er nicht das wechsel seiner zeiten Das nur von jhm nicht kömpt/ vnd steht auff allen seiten Gewissensfest’ vnd steiff: er weiß das dieses spiel Doch also fallen muß wie Gott es haben wil.
––––––––– 39
Das Gedicht steht im zweiten Teil der Sammlung von 1629, und zwar in ›Martin Opitzen Newes Buch Poetischer Wälder‹, eröffnet wie stets mit den Gedichten an hochgestellte Persönlichkeiten. Auf einen schon früher gedruckten Beitrag für Anna Sophia Herzogin zu Braunschweig aus dem Jahr 1626 folgt das Gedicht für Georg Rudolf, das offensichtlich einen Erstdruck darstellt. Opitz wollte im Jahre 1629 unbedingt auch den Piastenherzog angesprochen wissen.
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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Was möglich ist zu sein das meint er stets zu werden/ Ihm kömpt nichts frembdes für auff dieser gantzen Erden/ Dann alles Glück vnd Leidt/ worüber der hier lacht Vnd jener trawrig ist/ hatt er vorhin bedacht. O Königlicher Fürst/ was kan ein Herr beginnen Zuegegen einer macht die nur von menschensinnen Sich nicht beherschen lest! schaw’ auff die Wolcken zue Von da du kommen bist/ daselbst ist trost vnd rhue. Der grosse Himmelvogt/ der diesem armen leben Euch Fürsten zum behülff’ vnd rettung hatt gegeben/ Der giebt euch auch die krafft/ im fall jhr sie begehrt/ Durch die jhr gutes heißt/ vnd bösen sachen wehrt. Er leit’ vnd führe dich auff allen deinen wegen/ Du meiner Musen schutz/ er schütte reichen Segen Der gnaden vber dich/ vnd wende seine Handt Auff dich/ vnd vnter dir auff vnser Vaterlandt.40
Eisiger Nordwind herrscht, und ein Ende ist nicht abzusehen. Fortuna waltet ihres Amtes. In Zeiten der Umwälzung, ja des Chaos offenbart sich ihr Wesen. Den Menschen entgleitet die Macht des eingreifenden Lenkens. Auch die Göttin trägt ein durch die Zeit geprägtes Antlitz. Zuweilen, so will es dünken, gehorchen die Geschehnisse allein ihrer launischen Natur. Zehn Jahre ist es her, daß freudige Aufbruchstimmung herrschte und auch die Texte eines Opitz durchwirkte. Diese Zeiten sind vorbei. Nun ist geboten, dem Unglück mannhaft standzuhalten. Der Dichter ist zur Stelle, wenn es darum geht, das Lob der Unerschütterlichkeit anzustimmen und zu ihr zu ermutigen, handelt es sich doch um die einzige langfristig Rettung versprechende Tugend. ›Gewissensfest‹ erweist sich der große Geist in den Stürmen auch dieser Zeit. Die Philologie ist immer noch weit entfernt davon, über zureichende, den Wortschatz aller einschlägigen Texte tatsächlich ausschöpfende Hilfsmittel zu verfügen. Hat Opitz eine durch ihn erstmals in die poetische Sprache eingeführte Wendung geprägt? Auszuschließen wäre es nicht. Auf eine denkwürdige Weise verschlingen sich in ihr moralphilosophische und theologische Konnotationen; eine antike Erbschaft wird christlich unterlegt. Mitgehört werden darf, daß der Regent an seiner Überzeugung, an seinem Glauben festhält. Er wird an vorderster Stelle ein Exempel bieten, von dem Ermutigung ausgeht. Und eben an dieser Stelle erfolgt bezeichnenderweise die Depotenzierung der antiken Fortuna-Vorstellung. Ist Beständigkeit immer auch antik geprägt, so erweitert sie sich im nachantiken Humanismus um den Glauben, daß Ausharren in den Stürmen der Zeit eine Antwort zuteil wird, Gott am Ende in die Geschichte eingreift. Auch ein Georg Rudolf, zurückgestutzt in seiner Macht, darf Hoffnung hegen für eine Wende auf der politischen Bühne und zumal längerfristig für eine Behauptung der ihn und seine Glaubensbrüder einenden Überzeugungen. Das ist es, was der Dichter an Zuspruch inmitten der Wirren zu formulieren vermag. ––––––––– 40
Zitiert nach dem Neudruck des Gedichtes in: Opitz: Gesammelte Werke IV/2 (Anm. 29), S. 481 f.
›O Königlicher Fürst/ [...] Du meiner Musen schutz‹
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Zu den fürstlichen Tugenden gehört die providentia. Ist die Fürstenerziehung zu einem wesentlichen Maß Schulung in der Erkenntnis des politischen Betriebs, so impliziert dies die Verfügbarkeit über geschichtliche Exempel. Ihnen sind nicht allein mögliche Handlungsstrategien zu entnehmen. Noch wichtiger, das zeigt auch der vorliegende Passus, ist die Wappnung vor der Überraschung. Ein weitsichtiger Regent vermag vorauszusehen, weil ihm das Arsenal der Geschichte zuhanden ist. Eben deshalb die herausragende Rolle, die die humanistischen Hofmeister innehaben. Sie verfügen über das in den antiken Texten gespeicherte historische Reservoir. Es dem Regenten einzubilden bedeutet, ihn zum Widerstand gegen die Anwürfe zu ertüchtigen, die die Zeitläufte bereithalten. Und dies zu keiner Zeit mehr als während der Krisis um 1600. In diesem Sinn ist der Regent bis zu einem gewissen Grad ein Geschöpf seiner humanistischen Erzieher. Und auch ein Opitz beteiligt sich mit diesem Gedicht an der mentalen Profilierung des Fürsten. Dieses gibt sich am deutlichsten in der vierten Strophe als Aufruf zum Ausharren im Glauben und genauer zum Festhalten am einmal ergriffenen Glauben zu erkennen. Ihm eignet eine politische Kraft. Die weltlichen Instrumente politischen Agierens reichen nicht länger hin, um der anbrandenden Gegenreformation zu wehren. Nur dem Mut zum Bekenntnis und – wie hinzugefügt werden darf– zur evangelischen Sache wird die Hoffnung auf das Eintreten einer Wende zuerkannt. Die religionspolitische Motivierung bleibt als Fazit des postkonfessionellen humanistischen Votierens durchaus in Geltung und gehört gerade jetzt zum Rüstzeug monarchischer Identität, deren Statuierung Opitz sein Gedicht widmet. Es ist also nicht angängig, das Versprechen von ›trost vnd rhue‹ quietistisch zu modeln. Die inneren, weiterhin religiös tingierten Güter sind eine Quelle, welche hineinwirkt in den geschichtlichen, den politischen Raum. Es erfolgt keinerlei Revokation jener Positionen, die bis 1620 Gültigkeit besaßen. Sie sind den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die fünfte Strophe stellt dies in wünschenswerter Deutlichkeit klar, ohne daß der poetischen Sprache Schaden zugefügt würde. Dieser Fürst ist eingesetzt vom Höchsten, um den Armen und Geknechteten zur Seite zu stehen. Er hat sein Amt, um es im Sinne dessen auszuüben, was von dem Herrn über ihm in Wort und Schrift verlautet. Gäbe es eine bis in die Tage des Humanismus zurückführende Geschichte des politischen Widerstandes aus christlichem Geist, auch ein Opitz würde als Kronzeuge erscheinen. Auf eine schwer greifbare Weise heftet sich an den religiösen Impetus ein politischer. Ein solcher kennzeichnete gewiß am markantesten das ›Trost-Gedichte‹. Aber auch ein Poem wie das vorliegende bekräftigt den nicht erschütterten Glauben. Der von Gott eingesetzte Fürst, seinem Gott mehr und anderes schuldig als dem Kaiser, erfährt die metaphysische Fundierung seines Regententums als ein Vermögen, das Gute zu wirken und dem Bösen zu wehren. Er bleibt eine Figur, die zeitweilig in ihrer Macht beschnitten sein mag, an deren religiöse Wurzeln jedoch keine weltliche Macht zu rühren imstande ist. An diesen haftet ein Potential auch politischer Erneuerung. Psalmistisch gewendet gibt sich der Eingang der letzten Strophe. Neuerlich erfolgt die Apostrophierung der mäzenatischen Qualitäten des Fürsten. Unter ihm gedeihen die Musen auch des Dichters. Der Segenswunsch indes, mit dem der Dichter endet, ist ein umfassender. Die Hand des Höchsten, die da auf dem Fürsten ruhen möge, komme dem Vaterland zugute. Der Fürst ist die einzige Gestalt, bei der das Wohlergehen
XVIII. Fürst und Dichter: die Piasten
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des Vaterlandes aufgehoben ist; ›vnter dir‹ möge das Wunder statthaben. Georg Rudolf bleibt der pater patriae. Das spricht der Dichter andeutend aus, der zu gleicher Zeit einem anderen Herrn zu Diensten ist. So gesehen eignet auch ihm jener Mut, zu dem er den Fürsten ermutigt. Er hat seine Quelle jenseits der Zeit, von deren Beschwernissen das Gedicht kündet.
Ein Blick nach Oels Enge verwandtschaftliche, politische und religiöse Verbindungen verliefen zum Herzogtum Münsterberg-Oels, zeitweilig in Personalunion mit dem Haus der Piasten verbunden. Es würde sich lohnen, den Hof in Oels einmal zum Gegenstand einer weiter ausgreifenden kulturgeschichtlichen Studie zu machen. Selbstverständlich hatte auch ein Opitz Zugang zu ihm. Das schönste Zeugnis stellt in unseren Augen sein Landgedicht ›Vielguet‹ aus dem Jahr 1629 dar, dem Herzog Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels und Bernstadt gewidmet.41 Aber auch in unsere kleine Piasten-Anthologie, gruppiert um Opitzsche Texte, spielt der Hof in Oels hinein. Und das über eine Tochter Herzog Georgs II. von Brieg aus der Ehe mit seiner Gemahlin Barbara, der Tochter Joachims II. von Brandenburg. 1562 wurde ihnen Elisabeth Magdalene geboren. Sie war eine Schwester des älteren Bruders Joachim Friedrich (1550–1602). 1585 wurde sie mit Karl II. von Münsterberg-Oels vermählt, der gleichfalls einen festen Platz im Werk Opitzens hat. Nach dem Tod von Joachim Friedrich im Jahre 1602 und dessen Gemahlin Anna Maria im Jahre 1605 hatte Karl II. die Vormundschaft für die verwaisten Brüder Johann Christian und Georg Rudolf übernommen. Eine Tochter aus der Ehe Karls mit der Tochter Georgs II. war die gleichnamige Elisabeth Magdalene, die ihrerseits im Jahr 1624 die zweite Gemahlin von Georg Rudolf wurde.42 1630 starb Elisabeth Magdalene die Ältere, schon ein Jahr später ihre gleichnamige Tochter. Opitz hat seinem deutschsprachigen Trauergedicht für die Gattin Karls II. von Münsterberg-Oels einen lateinischen Beitrag in fünf elegischen Distichen für Herzog Georg Rudolf vorangestellt.43 ›Pietas‹ gebietet dem Fürsten, den Dichter zum Abfassen von Trauerzeilen aufzufordern. Opitz bleibt die erste Adresse, wenn herausragende Ereignisse im Umkreis des Hauses der Piasten poetisch zu begehen sind. Die Aufforderung ergeht an einen, der sich auf der Durchreise in Leipzig befindet und folglich eine Entschuldigung für das nachfolgende Poem geltend machen darf, die selbstver––––––––– 41
42 43
Vgl. das Kapitel ›Hommage an den neuen Landeshauptmann: Vielguet‹ in dem in Vorbereitung befindlichen Arkadienwerk des Verfassers, in dem die einschlägige Literatur, auch zu Herzog Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels, zusammengefaßt ist. Ein Beitrag Opitzens zu dem Ereignis scheint nicht vorzuliegen. Super Illustrissimae Dvcis Olsnensis, Matris Patriae, Et Pientissimae Principis, Obitu Martini Opitii Carmen. Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth) und der Bernhardiner-Bibliothek übergegangen in die von Rhedigersche Stadtbibliothek Breslau (4 E 515/45; 4 V 65/2), heute in der BU Wrocław: 355107; 535032. Das Gedicht für Georg Rudolf hier auf Blatt A2r. Vgl. Opitz: Gesammelte Werke IV/2 (Anm. 20), S, 580–583, S. 581 f.; Opitz: Lateinische Werke Band II (Anm. 20), S. 114–117; Kommentar S. 408–412. Die Übersetzung stammt von Wolfgang Neuber, der Kommentar von Veronika Marschall.
Ein Blick nach Oels
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ständlich nur uneigentlich zu nehmen ist. Zur ›Ehre‹ (honor) der Fürstin beizutragen sei das Anliegen des Fürsten gewesen. Wie sollte der Dichter sich dem versagen. Eingegangen zu den großen Vorfahren (magnis avis) ist die Verewigte. Als ›mater patriae‹ war sie auf dem Titelblatt bezeichnet worden, und eben diese Wendung nimmt Opitz im fünften Distichon wieder auf. Ein Licht der Häuser Oels und Liegnitz war sie (Olsnensis lux Lygiaeque domus), verkörperte die enge Beziehung der beiden Fürstentümer in ihrer Person. Nun gelten die Segenswünsche dem Fürsten und dem Gemahl der Tochter. Sechzig Alexandriner hat Opitz zu Ehren Elisabeth Magdalenes der Älteren verfaßt.44 Immer wieder ist es das Schicksal Schlesiens, das der Dichter vergegenwärtigt, und das mit besonderem Nachdruck, so will es scheinen, im Kontext der Piasten, die eben die eigentlichen Hüter des Landes sind, an deren Namen sich die Hoffnung auch in vermeintlich aussichtsloser Lage knüpft. Als Opfer erscheint das Land, von finsteren Mächten, die natürlich nicht benannt werden dürfen, an den Rand des Abgrunds gebracht. Als Fürsprecher des ganzen Landes gibt sich der Dichter in all seinen Äußerungen – genauso, wie die Sorge der ›Helden‹ und ›Heldinnen‹ aus dem Hause der Piasten dem Land stets als einem ganzen gilt. NUr diese straffe hatt vns einig noch zur zeit Jn Schlesien gefehlt/ dein todt; diß hertzenleidt/ O heldinn/ muß nun auch dem lande wiederfahren/ Dem lande welches schon von vier mal dreyen jharen Mitt seinem tode ringt/ seit daß es in verdacht Vndt straucheln wieder danck vndt willen wardt gebracht.45
Es sind die gleichen Töne, wie sie zu Beginn des Krieges, der inzwischen zwölf Jahre währt, angeschlagen wurden. Die Erde wankt, die Verheerungen sind unausdenkbar, nichts wird wieder so sein, wie es einst gewesen ist. Ist von göttlichem Zorn die Rede, der sich in dem Wüten äußert, so besteht gehörige Veranlassung, dem allfälligen Topos die spezifischen aktuellen Konnotationen zu entlocken. Mit den ›elementen‹ und mit dem ›himmel‹ sind ›wir armes volck‹ zugleich ›feinde‹. Das einfache Volk ist Opfer, wie immer. Ist aber der Himmel rächend gegenwärtig, so deshalb, weil er selbst verletzt wurde. Unausgesprochen sind es stets wieder die Verwerfungen innerhalb der Christenheit, die das Unglück attrahieren. Wenn die Welt von Greueln wie jenen, die seit drei Menschenaltern die Menschen in Atem halten, heimgesucht wird, so deshalb, weil die Entzweiung, die eben während jener Dezennien statthat, eine die Fundamente erschütternde ist. Mit den Religionskriegen kommt ein neuer Duktus in die Schilderungen des Krieges und seine Deutung. Wie schwerlich ein anderer hat sich Opitz seit den Tagen der Pfälzer Publizistik zu einem Zeugen des Ungeheuerlichen in Rede und Gedicht erhoben. Große, im weitesten Sinn politische Dichtung ist ihm zu verdanken. Auch die Trauerschrift für Elisabeth Magdalene gehört in zentralen Passagen dazu. ––––––––– 44
45
Das deutschsprachige Gedicht steht in der Ausgabe von Schulz-Behrend auf S. 582 f. Einige wenige Änderungen rühren her aus dem Abgleich mit dem Exemplar 4 E 515/45. Ebenda, S. 582, Verse 1–6.
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Die Fürstin war Trägerin von Hoffnung, die nun mit ihr ins Grab gesunken ist. Sie hat mit ihrer Frömmigkeit das Land beschützt, und dieser Schutz war wirkungsvoller als der von einer starken Hand, sprich von Waffen herrührende. Die Wurzel des Zwistes liegt in der Religion, entsprechend kann nur aus ihrer Mitte heraus Befriedung erfolgen. Die Fürstin ist eingegangen zu der Schar der Seeligen. Der Stammesmutter Hedwig wird sie dort begegnen, des »stammes heilge ziehr«. Dort herrschen jene Sicherheit und jene Ruhe, die Schlesien nicht mehr kennt, das »nicht mehr Schlesien« ist.46 Ihr Gemahl Karl II. von Münsterberg-Oels, 1617 verstorben und gleichfalls ein Frommer, ist ihr vorangegangen. Nun schauen sie beide auf das geknebelte Land, von tiefer Betrübnis erfüllt darüber, daß deine lust in pein/ Dein fried’ in krieg/ dein guet in armut vmbgekehret/ Daß mitt dem gelde trew vndt glauben ist verzehret/ Vndt was man beßer denckt.47
An der Verewigten selbst hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Allzu früh hat sie »den winter jhrer jhare« erreicht. »Vndt frisch an from-sein zwar/ doch gleichwol greiß an haare/ | Des leibes baw verleßt.«48 Fromm, wie sie war, blieb ihr Herz erfüllt von Sorgen um ihr Land, eine wahre Landesmutter. Wer soll an ihre Stelle treten, wer wird – wie sie – aus reinem, frommem Herzen für Land und Leute vor Gott treten und für sie beten können? Immer wieder kehrt der poetische Gedanke zur Verfassung der Welt zurück. Hat sie die Strafe nicht verdient, die hincket mitt gedancken/ Vndt glaubet mitt der faust/ vndt täglich pflegt zue wancken Wohin das glücke fellt?49
Dem Glück hat man sich überantwortet, den Glauben dem Degen anheimgegeben. Eben dies sind die Signaturen der neuen Zeit, der um 1600 inmitten der Konfessionskriege in die Welt tretenden frühen Moderne. Anders die Fürstin. Sie hat hienieden in Tugend und Frömmigkeit so gelebt, wie sie jetzt zum Himmel auffahren wird. Inmitten der Krise gibt sie ein Beispiel einer dem Unheil enthobenen Existenz. Eine nicht endende Schar geläuterter frommer Gestalten durchzieht die späthumanistische Literatur. Bei ihr ist jene Religion aufgehoben, die in den Konfessionskriegen zuschanden wurde. Auch das Opitzsche Werk ist bevölkert von ihr. Es gibt zu denken, daß es in seinen Dichtungen ebenfalls bevorzugt immer wieder weibliche Gestalten sind, denen diese inmitten der Fährnisse der Zeit bewahrende Kraft zuerkannt wird. Und so auch Elisabeth Magdalene aus dem Hause der Piasten. es tragen dich/ o spiegel Des lebens das Gott liebt/ der ewigkeiten flügel Auff deine sternen zue/ bey deiner engel schar/ Der noch allhier dein sinn an tugendt ähnlich war.
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Ebenda, Verse 24 und 27. Ebenda, Verse 30–33. Ebenda, Verse 35–37. Ebenda. Verse 47–49.
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Nun/ heldinn/ guete nacht/ dieweil ja muß geschehen Wie dein verhengniß wil/ vndt wir dir nach zue sehen Bereit gezwungen sindt; wir mußen deine grufft/ Vndt dich/ nach welcher nur das landt vergeblich rufft/ So offte wir von angst vndt vnheil werden hören Mitt steter trawrigkeit vndt heißen threnen ehren.50
Die verewigte Schwester der herzoglichen Brüder und der europäische Krieg Erstaunlicherweise ist bisher kein Beitrag Opitzens zum Tod der gleichnamigen Tochter aufgetaucht, die schon ein Jahr nach ihrer Mutter die Welt verlassen mußte. Auch unter der von eigener Hand zusammengestellten Sammlung der Trauergedichte findet sich kein Elisabeth Magdalene gewidmetes. Ob überhaupt ein Strauß mit Epicedien zusammengekommen ist? Wir sind bei unseren Recherchen in Breslau nur auf vereinzelte Stücke gestoßen. Und ist eine Leichenpredigt gehalten worden? Diese Fragen verdienten eine einläßlichere Erforschung, handelt es sich doch um die Gemahlin Georg Rudolfs. Wir haben hingegen Veranlassung, im Jahr 1631 zu verharren. Ein Jahr vorher war Opitzens ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ erschienen. Ganz am Schluß der Erzählung wird, wie erwähnt, auch die ›Gn. Gemahlinn‹ des Freiherrn Hans Ulrich von Schaffgotsch in den poetischen Lobpreis einbezogen. Nichts anderes als tiefe Verehrung kann der Grund sein – und doch auch wieder mehr und anderes. Die poetische Reverenz gilt der Angehörigen des Hauses der Piasten, ist Barbara Agnes doch die Schwester Johann Christians und Georg Rudolfs. Wie hätte ein Opitz sich die Chance zur Huldigung entgehen lassen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf bedacht, die obwaltende Verbindung zu bekräftigen. Ein Jahr später schon verstarb sie. Und nun ist ihr eine eigene große ›Oratio Funebris‹ aus der Feder Opitzens zugedacht.51 Gewidmet ist sie selbstverständlich wiederum Hans Ulrich von Schaffgotsch, und dieser bleibt auch ihr Adressat. Neuerlich halten die großen Gestalten aus dem Hause der Piasten, angefangen beim mythischen Stammvater Piast selbst, Einzug in die Rede. Hedwig, ihr Sohn Heinrich der Fromme ––––––––– 50 51
Ebenda, Verse 51–60. Vgl.: Oratio Funebris, Honori & Memoriae Celsissimae Principis Barbarae Agnetis Ducis Silesiae Lignicensis ac Bregensis, Conjugis Schaff-Gotschianae, &c. Ad Illustrissimum Ejus Maritum. Auctore Martino Opitio. Vratislaviae, ex Officina Georgij Baumanni. Ann. M.DC.XXXI. Die Breslauer Stadtbibliothek war im Besitz von vier Exemplaren (2 E 80/33, 2 E 80/33a, 2 F 918/22, 2 N 274/7), die übergegangen sind in die BU Wrocław: 365586, 363587, 367551, 553010; ein weiteres Exemplar liegt in der Silesiaca-Abteilung vor: 435595. Von dem 1693 in Lauban erschienenen Nachdruck liegen aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth), übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau, drei Exemplare vor: 2 E 80/34 = 363588, 2 F 780/52 = 367308, 2 F 959/ 21 = 367643; hinzu tritt ein Exemplar in der Silesiaca-Abteilung der BU Wrocław: 435286. Neudruck des Exemplars der BU Wrocław 363587 nebst deutscher Übersetzung in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band III: 1631–1639. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2015 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 4–27, Kommentar S. 330–339. Die Übersetzung stammt von Beate Hintzen, der Kommentar von Beate Hintzen und Dennis Messinger.
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und insbesondere der Vater von Barbara Agnes, Joachim Friedrich, finden Erwähnung, letzterer ausdrücklich gerühmt, »quod inanes de religione disceptationes, quibus religio haud rarò amittitur, aut dissuasit suis, aut inhibuit veriùs ac sustulit.«52 Genau informiert also gibt sich Opitz, und die Kunst der Akzentuierung beherrscht er wie stets. Näheres über die beiden Brüder verlauten zu lassen, verbietet der Takt, immerhin doch erfährt der Hörer, daß »quod alter gratiae me suae, alter aulae etiam ac convictus sui participem diu est cum fecerunt.«53 So differenziert sich das Bild im Blick auf Johann Christian dort, Georg Rudolf hier. Bis in die dreißiger Jahre hinein bestand das engere Verhältnis zu Georg Rudolf, und erst in den Tagen der Emigration sollte sich dies zeitweilig ändern. Frömmigkeit ist auch die hervorragendste Ingredienz der Fürstin gewesen. Zu den vielen liebenswerten Eigenschaften gehört die Liebe zu den Büchern. Insbesondere die Werke in französischer Sprache, wie sie gerade in diesen Jahren in großer Anzahl nach Deutschland herüberkamen, haben es ihr angetan. Und dazu paßt, daß sie den Wissenschaften zugetan ist. Der Dichter läßt es offen, ob es der Familie ihrer Herkunft zuzuschreiben ist oder der Liebe zu ihrem Mann, daß sie zu einer herausragenden Figur unter den Fürstinnen heranwuchs. Hans Ulrich wurde vielfach vom Kaiser gefordert. Sie ertrug ihre Einsamkeit standhaft, geschwächt durch ihre offensichtlich frühzeitig sich abzeichnende Krankheit. Vorbildlich geht sie in den Tod. Fünf Kinder hinterläßt sie. Und wie viele ihrem Schutz Befohlene! Inbegriff einer guten Landesmutter gewesen zu sein, attestiert ihr der Redner. Auch den Gelehrten war sie zugetan. »Quo in numero« – so der unvermeidliche Einschub – [...] quod et mei ingenioli hallucinationes atque conatus iuveniles habere ac loco quidem non postremo volueris, Domina, hanc ego partem felicitati, si qua est meae aliquam esse jure semperque duxi.54
Es gehört zu den Gepflogenheiten der öffentlichen Rede und nicht zuletzt der aus traurigem Anlaß verlautenden, daß diese durchzogen ist von allgemeinen Betrachtungen und Reflexionen. Am überzeugendsten agiert der Redner, wenn er am Schluß auf die Zeitläufte zurückkommt. Einst war es eine Selbstverständlichkeit, den Nahestehenden ein langes Leben zu wünschen. Diese Regel ist außer Kraft gesetzt. Zu viel des Grausamen erleben die gegenwärtigen Geschlechter, als daß der Tod nicht auch als Erlösung nicht nur von dem eigenen Leiden, sondern auch von den Gebrechen der Zeit empfunden werden könnte. Ein neuerliches Beispiel stellt auch diese Rede für die Feststellung, daß das Unterste nach oben gekehrt ist. ––––––––– 52
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Ebenda, S. 8. Die deutsche Übersetzung: ... weil er seinen Untertanen von den nutzlosen Erörterungen über die Religion abriet, durch welche die Religion nicht selten verloren geht, oder sie vielmehr verhinderte und verbot. (S. 9). Ebenda. Die deutsche Übersetzung: ... weil der eine mich an seiner Gunst, der andere an seinem Hof und seiner Tischgesellschaft bereits lange teilhaben ließ. (Ebenda). Ebenda, S. 14. Die deutsche Übersetzung: Daß du zu dieser Zahl [...] auch die Phantastereien und jugendlichen Versuche meines geringen Talents zählen wolltest, Herrin, dies habe ich zu Recht und immer für einen bedeutenden Teil meines Glückes gehalten, wenn es denn eines gibt. (S. 15).
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[...] quis vitae vel amor vel usus esse nunc amplius potest, postquam hic furor armorum non improbis solum et de malo publico viventibus, sed et quos studiosos ac bonos viros judices, odiis internecivis invasit? postquam aliis bellum inferentibus, aliis illatum defendentibus, humana atque divina, publica et privata miscentur, convelluntur? postquam totus orbis terrarum una arena est? Et quid anima innocentissima per proximos duodecim annos, grande vitae suae spatium, non vidit? quis tot clades, tot studia pacem miserè nolentium, tot artes malas (quas Politici rationem status praesentis, Christiani neglectum salutis aeternae vocant) cautè satis ac ex vero descripserit?55
Ein illusionsloser, den Betrieb durchschauender Beobachter und über die theoretischen Debatten im Umkreis der jungen Disziplin der ›Politik‹ bestens informierter Zeitgenosse nimmt das Wort. Opitz hat soeben seinem Dienstherrn Karl Hannibal von Dohna im Anschluß an seine Paris-Reise umfängliche Informationen zur politischen Lage in Europa übermittelt und seine Einschätzung dazu gegeben. Noch in der Trauerrede kehrt ein Reflex davon wieder. Ein Tableau der europäischen Kriegsschauplätze wird eröffnet. Sie verlassen zu dürfen, gehört zu dem Arsenal der Argumente des Trostes. Eingebaut ist eine Verneigung vor dem ruhmreichen Feldherrn. So kommen beide Adressaten zu ihrem Recht. Der Redner aber empfiehlt sich erneut als erster Sachkenner in politischen Dingen. Er ist nicht nur als Dichter und Redner eine inzwischen unverzichtbare Persönlichkeit. Die kommenden Jahre in polnischen und schwedischen Diensten werden das zur Genüge beweisen.56 ––––––––– 55
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Ebenda, S. 22. Die deutsche Übersetzung: [W]ie kann es weiterhin Liebe zum Leben oder seine Fortführung geben, nachdem dieser Waffenwahn nicht nur die Bösen und die, welche vom allgemeinen Unglück leben, sondern auch die, welche man für eifrige und anständige Männer hält, mit tödlichem Haß erfaßte? Nachdem den einen, weil sie den Krieg beginnen, den anderen, weil sie sich gegen einen Angriff verteidigen, alles Menschliche und Göttliche, alles Öffentliche und Private in eins gemengt und wieder auseinandergerissen wird? Nachdem die ganze Welt ein einziger Kampfplatz ist? Und was hat die unschuldigste Seele die letzten zwölf Jahre hindurch, einen großen Abschnitt ihres Lebens, nicht gesehen? Wer könnte so viele Verluste, so viel Eifer von Leuten, die den Frieden nicht wollen, so viele üble Künste (welche die Staatstheoretiker als eine Angelegenheit des bestehenden Zustands, Christen aber als eine Mißachtung des ewigen Heils bezeichnen) vorsichtig genug und wahrheitsgemäß beschreiben? (S. 23). Der entsprechende Passus, aus dem Munde eines Patrioten in guter humanistischer Manier, lautet in der deutschen Übersetzung: Besetzt sind unsere beiden bedeutendsten Flüsse Rhein und Donau, und zu beiden Seiten der Donau sind viele tausend freie Menschen als Gefangene dem Machtbereich jenes Tyrannen zugeführt worden. Daß er noch nicht zur Kriegspartei gemacht wurde, verdanken wir dem Perser, besonders aber dem Schicksal, das dies bisher verhindert. Alles Übrige ist voll von feindlichen und verbündeten Truppen. Früh hat sich der Siebenbürger erhoben und seinetwegen Ungarn. Von den Polen wurde Beistand akzeptiert und zu ihnen geschickt. Hier die Tapferkeit des Spaniers, dort die Rüstung des Engländers. Beim Franzosen gibt es im Land Unruhen, außerhalb Konflikte, auf beiden Seiten vorsichtiges Taktieren. Diese bedeutenden Könige führten Blutsbande oder andere bedeutende und gewichtige Gründe hierher. Damit nicht über die Kroaten und Ungarn gesprochen wird, setzen wir den Norden in Bewegung und, als ob die Scharen unserer Völker nicht für Tod und Verwundung ausreichten, atmet selbst das Eismeer Krieg aus. Auch verbleiben wir nicht bei den lebenswichtigen Teilen Deutschlands. Angegriffen wurden die Niederländer, und das Volk, das Gefahren verachtet, wurde in die größte getrieben. Entrissen wurde die Halbinsel Jütland. Die Schlucht des Veltlintals und die Pässe und Berge der Rhäter wurden besetzt. Nach Italien wurden Legionen geführt, von denen man sagen kann, sie seien geflogen, nicht marschiert. Auch anderes gibt es noch, an das zu glauben der Nachwelt, der man vor allem die Erfolge des überaus ruhmreichen Feldherrn in Zukunft anvertrauen wird, sehr schwer fallen wird. (Ebenda, S. 23, 25).
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Die Ausdifferenzierung des Bereichs der Politik von dem des Glaubens, von Machiavelli frühzeitig antizipiert, ist definitiv erfolgt, und der Redner bestätigt sie als ein nicht rückgängig zu machendes Faktum. Die Fatalität des gegenwärtigen Geschehens ist aus politischer Perspektive eine hinzunehmende Gegebenheit. Die in den Religionskriegen offenbar gewordene Bestialität zeitigt eine Ernüchterung, die auf der Metaebene der politischen Theorie ihre Ratifizierung erfährt. Wohin man blickt, erweisen sich die Jahre um 1600 als solche des Umschlags. Nach ihnen ist nichts mehr wie davor. Und das in jedweder Hinsicht. Denn auch die unverbrüchlichen Maximen einer geläuterten Religion gelangen eben jetzt erstmals zur Artikulation und werden in den Werken eines Leibniz, eines Arnold, eines Bayle am Ende des Jahrhunderts ihre bleibende Kodifizierung finden.
Prodigien und fürstliche Souveränität: Johann Christian tritt hervor Das Jahr 1632 brachte die langerhoffte Wende. Die Schweden rückten vor. Karl Hannibal von Dohna mußte aus Breslau fliehen und starb im darauffolgenden Jahr. Der Rückkehr zu den Piasten stand nichts mehr im Wege, und Opitz ergriff die Chance zügig. Jetzt waren die Dinge wieder im Lot. Die publizistische Begleitung ließ nicht auf sich warten. 1633 legte Opitz sein Lehrgedicht ›Vesuvius‹ vor. Ihm ist eine große Widmung an Johann Christian vorangestellt. Diese nimmt bereits vom Umfang her einen besonderen Rang ein. Opitz hat in sie hineingelegt, was erst jetzt unverhohlen und unkaschiert Ausdruck finden konnte.57 Der Vesuv ist soeben ausgebrochen. Opitz greift also einen aktuellen Vorwurf auf. Und das gleichermaßen in der Widmung wie in dem Gedicht selbst. Das Ereignis fordert zur reflexiven und zur poetischen Bearbeitung heraus. Die Kunst in der Widmung aber besteht darin, die eher allgemeinen Eingangspassagen mit den auf die Person gemünzten zu verzahnen, die den zweiten Teil der Widmung bilden. Auch sie will beherrscht sein, wenn anders ein Auseinanderklaffen vermieden werden soll. Noch einmal greift Opitz zum Lateinischen, um den Fürsten anzureden, während das folgende Lehrgedicht in deutschsprachigen Versen abgefaßt ist, und das selbstverständlich in Alexandrinern. Ein spektakuläres Naturereignis hat stattgehabt. Was läßt sich darüber unter Beiziehung vor allem der antiken Autoritäten ausmachen? Das Gedicht selbst wird dieser Frage nachgehen. Und das auf ungewöhnliche Weise, sind doch die Verweise auf die ––––––––– 57
Martini Opitii Vesvvivs. Poëma Germanicum. [Kolophon:] Gedruckt zum Brieg/ durch Augustinum Gründern. Jn Verlegung David Müllers Buchhendlers in Breßlaw/ 1633. Die Stadtbibliothek Breslau besaß zwei Exemplare aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth): 4 E 515/60 = 355122, 4 E 515/61 = 355123, sowie zwei weitere aus der Bernhardiner-Bibliothek: 4 V 67/23 = 535157, 4 V 52/26; letzteres ist verschollen. Der Titel der Widmung lautet: ›Illustrissimo Celsissimoque Principi Ac Domino, Domino Ioanni Christiano Dvci Silesiae Lignicensi Et Bregensi.‹ Neudruck der Widmung in: Lateinische Werke. Band III (Anm. 51), S. 40–50, Kommentar S. 369–384. Hier S. 370 f. die einschlägige Literatur. Die Übersetzung stammt von Georg Burkard, der Kommentar – mit reichen Literaturangaben bis in die jüngste Zeit – von Veronika Marschall und Wilhelm Kühlmann.
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beigezogenen Autoren nicht am Schluß versammelt, sondern unmittelbar in den fortlaufenden Text eingeschaltet. Die poetische und die wissenshistorische Behandlung verlaufen parallel. Die Widmung indes kommt ohne Anmerkungen aus, aber natürlich finden Kapazitäten im fortlaufenden Text eine gelegentliche Erwähnung. Die Betrachtungsweise ist eine andersgeartete. Nicht das natürliche Geschehen, sondern das Problem der providentia rückt in den Mittelpunkt. Opitz hat es wie so viele Humanisten immer wieder umkreist. Es stellte eine Herausforderung für die Sachwalter gleichermaßen antiken wie christlichen Gedankenguts dar. Und es verschränkte sich, wie nun auch dieser Text zur Genüge erweist, mit dem Problem der politischen Prognostik. Seit kurzem war diese aktuell wie schwerlich jemals zuvor. Um die ›mahnenden Weisungen Gottes‹ (›monita divini Numinis‹) wird es im Kommenden gehen, wie sogleich eingangs klargestellt, und genauer um die Kunst des rechten Verhaltens ihnen gegenüber, die weit hinausreicht über eine bloße Technik, hineinführt in das Innerste der Religion und zugleich in eine verantwortliche Lebensführung sowie eine souveräne fürstliche Herrschaft. Nicht weniger als der Umgang des Menschen mit Gott steht zur Diskussion; Gläubige und Ungläubige, Tugendhafte und Lasterhafte scheiden sich in der Achtung, die sie den Winken Gottes entgegenbringen. Denn um solche, aber eben auch nur um solche geht es. Wie geben sie sich zu erkennen, wie werden sie manifest? Den Charakter einer Lehre, einer Propädeutik nimmt die Widmung über weite Strecken im ersten Teil an und wäre als solche nicht falsch verstanden. Breit ist das Spektrum der Erscheinungen, in denen sich Gott den Menschen zu erkennen gibt, ist nicht eingeschränkt auf die Natur und auch nicht auf den Kosmos in seiner grandiosen, von Gott gewirkten Gesetzlichkeit. Die Schöpfung ist ein einziges, ein einzigartiges Wunder und allemal dazu angetan, den Menschen zu Gott zu führen. Dieser vor allem neuplatonische Gedanke hält sich im 17. Jahrhundert ungeachtet aller pessimistischen Einschläge durch und bildet eine der Brücken hinüber in das 18. Jahrhundert. Opitz ist gerade in diesen Jahren lebhaft mit dem Gedanken befaßt, wie nicht zuletzt seine ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹ zeigt, in der die Diskussion eingangs um eben dieses Theorem kreist, wie überhaupt die Schäferdichtung aus naheliegenden Gründen ein bevorzugter Ort für die entsprechende Thematik ist, leben die Schäfer doch im Angesicht von Natur und Kosmos und wissen sich dieses Vorzugs gewürdigt. Nun aber geht es um die Integration der Geschichte – ein Thema von eminenter Dringlichkeit zumal jetzt, da der Krieg auch auf deutschem Boden seit einem halben Menschenalter tobt. Die Gestirne, das gilt es zu begreifen, sind bevorzugte Wesen, wenn denn am Himmel die Signaturen des göttlichen Willens in Erscheinung treten. Nicht nur die Stadt Magdeburg weiß in jüngster Zeit davon zu künden. Die Hochzeit der warnenden Zeichen fällt unmittelbar in die Jahre, nein die Monate vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Unheilschwangere Konstellationen in der Welt der Sterne und vor allem das Auftauchen von Kometen hätten genug Veranlassung geboten, die Menschen zu warnen, wenn sie denn bereit gewesen wären, den Vorboten des Unheils die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Des rechten Glaubens bedarf es, um die in die Geschichte und die Politik geleitenden göttlichen Botschaften entschlüsseln zu können. Wer wollte verkennen, daß derart auch bereits der Figur des rex iustus
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vorgearbeitet wird. Er, die oberste weltliche Instanz, muß sich auf die Kunst des Zeichen-Lesens und -Entzifferns verstehen, ohne daß auch nur eine Spur von Aberglauben sein herrschaftliches Amt streifen würde. Damit aber rücken die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit in den Blickpunkt. Der Redner spricht aus, was alle historische Forschung seither bestätigt hat. Quod si ex tot malorum sensu corpore nondum obriguimus toti, neque ipsam quoque cum libertate libertatis memoriam amisimus, quantum rerum omnium facies post ferale eiusmodi ante annos hos decem ac quatuor sidus mutaverit, quis nostrum est qui non sentiat ac ingemiscat? Praelia certe haec post homines natos atrocißima, odium intestinum ac conspirationes, Respublica quaestui habita, cultus divini aut acerba defensio, aut simulatus utcunque defensionis color, actae in exilium artes, exciti ad euertendum opes ac robur Germaniae tot populi, afflictae cladibus ac praesidiorum insolentia tot provinciae, tot vrbes solo aequatae, interempti ferro tot Principes magnique viri quot aliis bellis vix milites, alios mores, aliud tempus expectant quam hoc nostrum, quo fateri vera non dicendo praestat, quam disertis verbis eloqui quae sentias.58
Was also hätte rechte Aufmerksamkeit auf die unübersehbaren Zeichen am Himmel vermocht? Die eindeutige Antwort auf die Frage bleibt aus, weil ihre Beantwortung im Kontext des Fürstenlobes erfolgen wird, auf den die große Prodigienpassage insgeheim hin angelegt ist und sodann auch zuläuft. Diesen Nexus zu gewahren, dürfte für ein rechtes Verständnis der Widmung Voraussetzung sein. Johann Christian hat als der vorbildliche Regent, als welcher er in die Geschichte eingehen wird, die Zeichen der Zeit erkannt und unerschütterlich sein Handeln darauf ausgerichtet. Es blieb sein Schicksal, über weite Strecken wenn nicht allein, so doch von zu vielen wankenden Gestalten umgeben gewesen zu sein. Denn dies zeichnet sich in den kryptischen Worten gleichwohl als ein Fazit ab, daß eine Wendung der Dinge möglich gewesen wäre, wenn dem Krebsgeschwür der Zeit, dem religiösen Zwist, bei Zeiten gewehrt und auf jenen Ausgleich hingearbeitet worden wäre, den die Besten und nicht zuletzt die Humanisten gewiesen hatten, als sie sich anschickten, das Fazit aus den vorangegangenen Kriegen im westlichen Nachbarland zu ziehen. Die ›politische‹ Fraktion hatte es artikuliert, und die Humanisten waren maßgeblich daran beteiligt. Gespenstisch und gottverlassen nimmt sich die Szenerie aus. Nochmals, der Vorzeichen und damit der Warnungen waren genug. ––––––––– 58
Ebenda, S. 42, 44. Die deutsche Übersetzung: Wenn wir nach dem Wahrnehmen so vieler Übel körperlich noch nicht völlig starr geworden sind und mit der Freiheit nicht auch die Erinnerung selbst an die Freiheit verloren haben, wer von uns kann dann daran denken, ohne tief zu seufzen, wie sehr sich das Aussehen der Welt nach einem solchen unheilvollen Himmelszeichen vor 14 Jahren verändert hat? Diese Schlachten, bestimmt die schlimmsten, seit es Menschen gibt, im Innern Haß und Verschwörungen, Schacher um das Gemeinwesen, entweder erbitterte Verteidigung des Gottesdienstes oder ein wie auch immer vorgetäuschter Anstrich dieser Verteidigung, Kunst und Wissenschaft in die Verbannung vertrieben, so viele Völker aufgehetzt zur Vernichtung des Vermögens und der Kraft Deutschlands, so viele Provinzen verwüstet durch die Niederlagen und die Unverschämtheit der Besatzer, so viele Städte dem Erdboden gleichgemacht, so viele Fürsten und hohe Herren durch das Schwert aus dem Weg geschafft, wie in anderen Kriegen kaum einfache Soldaten – all diese Umstände hoffen auf andere Sitten, eine andere Zeit als diese unsere, in der es besser ist, die Wahrheit nicht durch Reden kundzutun als mit beredten Worten auszudrücken, was man meint. (S. 43, 45).
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Adeo ut religionibus eiusmodi moneamur, Sol et Luna deliquium patiuntur, nubes, id quod attoniti diebus superioribus vidimus, fulmina tormentorum caelo sereno ac fremitus imitantur, aer miracula parturit, ripas suas aquae relinquunt, tellus concutitur, plana vallium extuberant, montes fumum ac flammas vomunt, ipsaque rerum Natura vim inferre sibi videtur ac iniuriam.59
Jüngstes Beispiel: der Vesuv. Damit ist der Übergang hergestellt, denn eben das dem Naturschauspiel gewidmete Gedicht ist ja dem Fürsten zugeeignet. Wie mag seine erhabene Gestalt dem um die göttlichen Vorzeichen kreisenden Diskurs zugeführt werden? Um es mit einem Satz zu sagen: Es bedarf ihrer nicht, um den Fürsten, dessen Gaben, wie es sinnfällig heißt, an die Sterne heranreichen, das in jedem Augenblick Richtige tun zu lassen. Gäbe es mehr von seiner Statur – es stände anders um das geliebte Vaterland. Der Fürst ist ein würdiger Repräsentant seines uralten glorreichen Hauses. Soll das anderes sein als eine Floskel, muß die Rede spezifiziert werden. Und dazu geht Opitz sogleich mit dem nächsten Satz über. Was da verlautet, kann erst zu dieser Stunde verlauten. Der Fürst war und ist der rechten Religion zugetan. Das hat der Dynastie das Überleben gerettet und kam dem Land, nein, kam Deutschland insgesamt zugute. Hätte es weitere derartige Persönlichkeiten an der Spitze gegeben, der gewaltige Umbruch, wie er 1619/20 initiiert wurde, wäre keine Episode geblieben, sondern hätte weitreichende Folgen gezeitigt. Johann Christian, so darf man den einschlägigen Passus auch lesen, war das Herz des Aufstandes. Einige Mutige an seiner Seite – und die Gegenwart sähe anders aus. In Opitzens Worten, gesprochen in dem Jahr, da auch seine größte religionspolitische Dichtung erschien, das ›Trost-Gedichte‹, dazu bestimmt, die Gattung des Lehrgedichts mit epischer Dignität zu versehen: Hanc certe circa cultum divinum piam ingenuitatem tuam, hoc consiliorum tempore tam difficili robur ac in utraque sorte constantiam, hunc amorem ac patrocinium eruditionis, has moderationis atque justitiae artes, si plerique tuae conditionis alii secuti fuissent, non res Christiana, non Germaniae libertas, non studia doctrinae, non fortunae cuiusvis denique et vita, non arae, inquam, ac foci tantis tamdiu in naufragiis summoque hactenus periculo fluctuassent.60
Überzeugt vom reformierten Glauben, hatte sich Johann Christian an die Seite des Pfälzer Kurfürsten gestellt und dem König Beistand geleistet bis in die Tage seines allzu raschen Unterganges. Kein Wort verlautet über den Verlust der Landeshaupt––––––––– 59
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Ebenda, S. 44. Die deutsche Übersetzung: Damit wir uns also durch solche Zeichen des Göttlichen warnen lassen, nehmen Sonne und Mond eine Verfinsterung hin, ahmen Wolken – das haben wir in früheren Tagen wie vom Donner gerührt erlebt – bei heiterem Himmel das Blitzen von Geschützen und deren Dröhnen nach, gebiert die Luft wunderliche Zeichen, verlassen Gewässer ihre Ufer, wird die Erde erschüttert, schwellen die ebenen Flächen in Tälern auf, speien Berge Rauch und Feuer und scheint sich die Natur selbst Gewalt und Mißhandlung anzutun. (S. 45). Ebenda, S. 46. Die deutsche Übersetzung: Es ist sicher: Wenn die meisten anderen Eures Standes diesem Eurem gottgefälligem Edelmut in religiösen Fragen, dieser Entschlußkraft in so schwieriger Zeit und dieser Unerschütterlichkeit im Glück und im Unglück, dieser schutzgewährenden Liebe zur Bildung, diesen geschickten Bemühungen, Maß zu halten und Gerechtigkeit zu üben, gefolgt wären, dann hätte nicht die christliche Sache, nicht die Freiheit Deutschlands, hätten nicht die gelehrten Studien, nicht die Güter und überhaupt das Leben jedes Menschen, hätten auch nicht, behaupte ich, Altäre und Familiensitze so lange solchen Schiffbruch erlitten und bis heute in der höchsten Gefahr geschwebt. (S. 47).
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mannschaft, die der ältere der Brüder als Preis in der Niederlage zu entrichten hatte. Statt dessen geht der Redner sogleich zu den Söhnen über, die sich »dereinst als stützende Säulen des Vaterlandes und Zierden ihrer Zeit« (columina Patriae ac ornamenta seculi) erheben werden, das Ethos des Vaters in die Zukunft weitertragend. Johann Christian aber hat es vermocht, einen ganzen Hofstaat mit seinem Geist zu erfüllen. Und das zu Nutz und Frommen gerade auch der Dichter und Gelehrten. Was die Philosophen über den rechten Staat ersonnen haben – am Hof des Piasten scheint es Wirklichkeit. Mores vero universos tuos, mansuetudinem, integritatem, modestiam, candorem, et quicquid animo concipere facilius, quam ratione complecti possumus, ita aulae tuae infudisti, ut exemplar quoddam eius Reipublicae, quam Philosophi saniores finxerunt, tempus nullum formavit, quoties oculos hic circum fero, intueri mihi semper videar. Tam honesta, tam concors et delationum expers qua stipatus es familia, tot Equestris pariter ac alterius Ordinis decora, adeo eruditi, adeo ciuiles praeclarisque rebus ornati viri, argumento satis illustri sunt, quis sit ille cui fidem praestant et obsequium.61
Auch der Redner zählt zu den Auserwählten, die sich der Auszeichnung erfreuen dürfen, an diesem Hof – und dem des Bruders – ihren festen Platz zu haben. Sehr fein weiß er zu differenzieren und damit der Wahrheit die Ehre zu geben. Als »einen alten Schützling des hocherhabenen Fürsten, Eures Bruders,« tituliert er sich, und sodann als »Euren neuen Schützling«.62 Es war Opitz vergönnt, beiden Piastenherzögen nahezutreten. Der ›Vesuvius‹ ist das einschlägige poetische Zeugnis für den Zugewinn an herrscherlicher Gunst, die dem Dichter im letzten Jahrzehnt seines Wirkens widerfuhr. In kaum faßbarer Weise hat er es vermocht, den Piasten in alsbald wieder überaus schwieriger Situation stets zu Diensten zu bleiben und doch zugleich den neuen Sternen am politischen Himmel zuzustreben. In den Norden Europas verlagerte sich das Geschehen zusehends. Und wieder war Opitz zur Stelle. Zu dem Kapitel ›Opitz und die Piasten‹ fügte sich ein weiteres und letztes, ›Opitz in polnischen und schwedischen Diensten‹ lautend. Es ist dem folgenden Kapitel vorbehalten. Wir haben das den Piasten gewidmete zum Abschluß zu führen. Und das wohlgemerkt im Spiegel von Dichtung und um sie sich rankende Paratexte in Gestalt von Widmungsadressen.
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Ebenda, S. 46, 48. Die deutsche Übersetzung: Eure Charakterzüge insgesamt aber, Eure Milde, Euer Anstand, Besonnenheit, Redlichkeit und überhaupt alles, was wir eher im Gemüt spüren als mit Verstandeskräften erfassen können, habt Ihr in solchem Maße Eurem Hof ›eingegossen‹, daß es mir, wenn ich hier Umschau halte, immer so vorkommt, als sähe ich ein Muster jenes Gemeinwesens, das die verständigeren unter den Philosophen ersonnen haben, das aber noch keine Zeit verwirklicht hat. So ehrenvoll, so einträchtig und frei von übler Nachrede ist die Hausgenossenschaft, von der du umringt bist, so viele Zierden des Ritter- wie des Herrenstandes, so viele Gelehrte, so viele gewinnende und durch herrliche Taten ausgezeichnete Männer sind ein genügend deutliches Zeichen dafür, wer das sei, dem sie Treue und Gehorsam erweisen. (S. 47, 49). Ebenda, S. 49. Der lateinische Satzzusammenhang: Ceterum, quo studio literas prosequi soles, qua facilitate ac clementia me Celsissimi Principis Fratris Tui veterem, novumque Tuum clientem, tractare cepisti [...]. (S. 48).
Der Psalmist und die Piasten
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Der Psalmist und die Piasten Ein Leben lang hat Opitz die Psalmendichtung gepflegt. Auch sie war seinem Programm der Eindeutschung großer Texte der antiken und jüdisch-christlichen Welt zu integrieren und fügte sich dem Reigen geistlicher Texte eindrucksvoll hinzu, die Opitz schuf. Und natürlich wußte er, was er gerade damit tat. Im Nachbarland Frankreich hatte die Gattung eine lebhafte Pflege erfahren. Sie lag dort bevorzugt in den Händen von Hugenotten. Ja, die Lieder der Psalmen im französischen Idiom fungierten nicht selten als aufmunternde Gesänge im erbitterten konfessionellen Krieg. Sie bargen ein Potential an Ermutigung und Ertüchtigung, das aus der Zeit Davids in die Gegenwart herüberwirkte. Dem reformierten Glauben sich zugehörig zu wissen und die Psalmen in die heimische Version zu versetzen war vielfach eins. Der Psalm blieb die reformierte Gattung par excellence.63 Opitz bekannte sich damit zu einer Tradition, die seiner eigenen religiösen Orientierung entgegenkam. Die Vorreden zu seinen diversen Psalmendichtungen sind eine Quelle ersten Ranges für sein konfessionelles Engagement, das in seinen besten Tagen von seinem politischen nicht zu trennen blieb. Und dies im übrigen nicht nur im Blick auf die Prolegomena zu den Psalmenverdeutschungen. Auch seine weiteren religiösen Dichtungen enthalten überaus sprechende Eingangspassagen zumeist in Gestalt von Vorreden. Sie vergleichend einmal zu interpretieren, bezeichnet eine wichtige Ergebnisse versprechende Aufgabe. Wir haben den einen und den anderen Text kennengelernt, freilich stets in strikter Perspektivierung, und so soll es auch im folgenden gehalten werden. Das Desiderat bleibt folglich bestehen.64 Im Jahr 1637 kam die letzte große Synopse der Opitzschen Psalmendichtungen heraus. Opitz hatte seine Heimat verlassen und sollte sie nicht wiedersehen. Er residierte in Danzig. Auf ›Dantzig/ den 16. des Wintermonats/ im 1637. Jahre‹, also auf den 16. November 1637, ist die Widmung datiert.65 Das Werk erschien bei dem Ver––––––––– 63
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Inzwischen liegt eine reiche Literatur vor. Wir beschränken uns daher zunächst auf einen gezielten Hinweis: Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Hrsg. von Eckhard Grunewald, Henning P. Jürgens, Jan R. Luth.- Tübingen: Niemeyer 2004 (Frühe Neuzeit; 97). Vgl auch das folgende Kapitel, S. 721 ff. Verweisen möchten wir an dieser Stelle nur auf die letzten Studien: Jörg-Ulrich Fechner: Martin Opitz und der Genfer Psalter.- In: Der Genfer Psalter (Anm. 63), S. 295–315; Eckhard Grunewald: ›Keiner unser Spraach’ ist mächtiger gewesen‹. Martin Opitz als Übersetzer des Genfer Psalter.In: Śląska republika uczonych / Schlesische Gelehrtenrepublik / Slezská vědecká obec. Band III. Hrsg. von Marek Hałub, Anna Mańko-Matysiak.- Wrocław: Oficyna Wydawnicza ATUT / Wrocławskie Wydawnictwo Oswiatowe 2008, S. 96–114. Zu vergleichen ist sodann das Kapitel ›Die Psalmen‹ bei Scheitler: Das geistliche Lied (Anm. 32), S. 175–179. Auch hier S. 179, Anm. 32, eine Zurückweisung der törichten Bemerkungen von Max (siehe oben Anm. 32). Vgl. auch den Beitrag von Irmgard Scheitler: Der Genfer Psalter im protestantischen Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts.- In: Der Genfer Psalter (Anm. 63), S. 263–281. Hier zu Opitz S. 266. Zum Kontext: Klaus Garber: Erwägungen zur Kontextualisierung des nationalliterarischen Projekts in Deutschland um 1600.- In: Der Genfer Psalter (Anm. 63), S. 185–194. Vgl. den Kupfertitel des Werkes: Die Psalmen Davids. Nach den Frantzösischen Weisen gesetzt, durch Martin Opitzen, Dantzigk Gedruckt vnd verlegt durch Andream Hünefeldt. Das Impressum des gesetzten Titels: Dantzigk/ Gedruckt vnd verlegt durch Andream Hünefeldt/ Buchhändler/ 1637. Das Werk ist inzwischen wieder leicht greifbar. Vgl. :Martin Opitz: Die Psalmen Davids.
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leger, der nun das Opitzsche Werk der späten Jahre betreute, Andreas Hünefeld. Opitz nutzte die Gelegenheit, da er sich anschickte, die Ernte auch im Zweig der Psalmendichtung einzubringen, nochmals gezielt widmend tätig zu werden. Nicht weniger als 150 Psalmen konnte er in Text und Melodie vorlegen. Das Werk wurde ein Erfolg. Gleich im nächsten Jahr war eine weitere Auflage, wiederum bei Hünefeld, auf dem Buchmarkt. Noch im selben Jahr legte der rührige Verleger eine weitere Version vor. Nun präsentierte er eine zweiteilige Folge, zunächst die Psalmen und sodann die ›Episteln Der Sonntage‹, die wir kennenlernten. Auch dieser geistlichen Kombination war großer Erfolg beschieden. Im nächsten Jahr kam sie noch einmal heraus. Und dabei blieb es nicht. Auch anderwärts, so in Basel und in Lüneburg, erschien das Werk. Auswahl-Editionen wurden veranstaltet, und das bis über den Westfälischen Frieden hinaus.66 Das geistlich-psalmistische Kompendium ist in allen Versionen den beiden Brüdern Johann Christian und Georg Rudolf zugeeignet, wohingegen die ›Episteln‹, wie gezeigt, Georg Rudolf allein gewidmet waren. Nachdem eine ganze Reihe von Titeln und eben auch die ›Episteln‹ mit einer Widmung nur an einen der Herzöge herausgegangen waren, muß es die Widmungsempfänger mit Befriedigung und Freude erfüllt haben, nun gemeinsam einen auch ihren Glaubensüberzeugungen korrespondierenden großen Text aus der Feder des inzwischen berühmten Autors entgegennehmen zu können. Sie durften versichert sein, daß auf andere Weise derart ihrer Verewigung zugearbeitet wurde. Das Bündnis zwischen Fürst und Dichter blieb somit ein wechselseitiges, und der Dichter hatte mit fortschreitenden Jahren zunehmend Gewichtiges in die Waagschale zu werfen. Ein durchaus ungewöhnlicher Duktus zeichnet die Widmung aus. Vergleichsweise knapp gehalten, läßt sie nicht jenen eher persönlichen Ton spüren, den man erwarten würde. Zu Ende des Jahres 1637 weilte Johann Christian in Osterode und Georg Rudolf in Parchwitz. Kein Wort davon in der Widmung. Der Dichter imaginiert, was er verlauten lassen würde, wenn er den üblichen Huldigungsszenarien zu folgen gedächte. Er ist ihrer offensichtlich überdrüssig. DVrchlauchtige/ Hochgeborne/ Gnädige Fürsten vnd Herren/ Die jenigen welche in gemein jhre schrifften andern/ sie seyen wes standes oder würden sie wollen/ zuschreiben/ pflegen mehrentheils die vrsachen zu melden/ was sie darzu bewogen habe. Bey E.E.F.F.G.G. würden sie anregen diesen werthen Stamm vnd Geschlechte/ auß dem von achthundert jahren her so viel Könige/ Fürsten vnd Helden entsprungen sind/ daß wenig hohe Häuser jhm darmit gleich gehen/ keines überlegen ist. Sie würden sagen/ wie Dero Vorfahren/ nebenst den vnsterblichen kriegesthaten vnd löblichen regierung/ auch die leutselige zuneigung gegen der wissenschafft vnd geschickligkeit gleichsam durch erbschafft vnd von hand zu hand auff einander fortgepflantzt hetten. Wann sie
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Nach den Frantzösischen Weisen gesetzt. Hrsg. von Eckhard Grunewald, Henning P. Jürgens.Hildesheim, Zürich, New York: Olms 2004. Der Band erscheint im Rahmen des Forschungsprogramms ›Kulturwirkungen des reformierten Protestantismus‹ der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Er ist – im Gegensatz zu so vielen anderen Reprints – mit einem Nachwort und Literatur ausgestattet. Vgl. die entsprechenden Nachweise bei Gerhard Dünnhaupt im Eintrag Martin Opitz.- In: ders.: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verb. und wesentlich verm. Aufl. des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur. Vierter Teil: Klaj–Postel.- Stuttgart: Hiersemann 1991, S. 3005–3074, Nr. 176.1–176.10, S. 3064–3066.
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auff E.E.F.F.G.G. kämen/ würden sie/ vnd zwar mit warheit erzehlen/ wie Dieselben jhren hocherhabenen Stand mit Fürstlichen tugenden übersteigen/ beydes glück durch vnüberwindlichen muth ertragen/ das studiren auch jetzo nicht vnterlassen zu lieben/ da es sonst fast allenthalben verachtet ist/ vnd was dergleichen dinge mehr sind/ die ich/ wie ich dieselbigen vielleicht vor andern einführen köndte/ weil ich sie von vielen jahren vor andern gegenwertig erkandt habe/ darumb her zu rechnen vnterlasse/ daß mir bewußt/ E.E.F.F.G.G. demut sey zu groß solches lob an zu nemen/ vnd meine worte zu geringe dasselbe nach verdienst herauß zu streichen.67
Was aber wird der Poet vorzutragen haben, wenn alles dedikatorisch Einschlägige schon gesagt ist, und zwar von ihm selbst? Der Dichter hat Neugierde geweckt. Wird er sie befriedigen können oder vielleicht auch nur wollen? Opitz ist darauf eingestellt, Rede und Antwort stehen zu müssen. Und das explizit im Blick auf die naheliegende Frage, warumb ich nicht/ als warumb ich die zuschreibung an E.E.F.F.G.G. gerichtet hette; angesehen daß Dieselbten beyderseits eine geraume zeit her mir hiesige arbeit anbefohlen/ vnd die gnädige meynung von mir geschöpfft haben/ daß ich mein weniges vermögen besser vnd rühmlicher nicht anlegen köndte.68
Die Anregung zu der poetischen Bearbeitung der Psalmen kam also von den Fürsten selbst. Informierte Leser wußten sich einen Reim darauf zu machen. Ein Clément Marot war von keinem Geringeren als Franz I. zu seinem Psalmenwerk ermutigt worden. Unter den spezifischen deutschen Bedingungen wiederholte sich also eine illustre Konstellation. Und das alleine wäre gewiß Grund genug gewesen, eine eindrucksvolle Widmung dem Werk vorauszuschicken. Nie hätte der Dichter es gewagt, denjenigen, »welche Gott in den Stand gesetzt darinnen sie gebieten können«, den Auftrag zu versagen.69 Lange schon hätte er ihn erfüllen sollen, die Umstände verwehrten dies jedoch. Nun ist der Zeitpunkt zu später Stunde gekommen und also auch eine Widmung fällig. Opitz aber verhält sich just an dieser Stelle merkwürdig einsilbig. Der Grund liegt auf der Hand. Nur wenige Tage vorher hatte er nochmals eine große Widmungsadresse an die Piasten verfaßt, die wir sogleich kennenlernen werden. Er wollte sich ganz offensichtlich nicht wiederholen. Erst jetzt, so deutet er an, sei ihm die für sein Schaffen unerläßliche Muße vergönnt. Die aber, so dürfen wir ergänzen, verdankt er seinem neuen Dienstherrn, dem polnischen König, dem er bereits überschwenglich in einem großen Lobgedicht gehuldigt hat. Die Zeit der Piasten im Leben Opitzens ist abgelaufen, und auf eine denkwürdige Weise gibt auch die allfällige Widmungsadresse davon Kunde. Es handelt sich um eine des Rückblicks und – ungesagt – eine des Abschieds. Nunmehr ich aber bey der allgemeinen ruhe dieser orte (welche des Höchsten schutz ferner gnädiglich erhalten wolle) auch vor mich der bücher ab zu warten fug vnd anlaß gefunden/ als habe ich vor allen dingen meine wiewol geringe kräfften an die heiligen Psalmen mit beystande dessen dem sie zu ehren gemacht sind wenden/ vnd E.E.F.F.G.G. gnädigem belieben vnterthänig an die hand geben wollen. Lebe ich derowegen der tröstlichen hoffnung/ Dieselbten werden solchen meinen dienst nicht weniger mit geneigten augen anschawen als andere/ die zwar offt gut gemey-
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Opitz: Die Psalmen Davids (Anm. 65), Bl. π2r f. Ebenda, Bl. π2v f. Ebenda, Bl. π3r.
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net/ aber den außgang nicht leisten können/ vnd vergänglicher sind weder wir menschen/ die wir vns keine lange frist des lebens versprechen dürffen.70
So tritt am Schluß ein memorialer Beweggrund besonderer Art hervor. Das Verhältnis zwischen Opitz und seinen Fürsten war kein gewöhnliches. Es war ein lebensbestimmendes. Der Nachwelt davon Kenntnis zu geben, ist ein Antrieb, der nicht verkennen läßt, daß hier ein Autor im Begriff steht, sein Haus zu bestellen. So sey dann dieses Buch ein stetes zeugniß/ nicht zwar meiner trew/ daran E.E.F.F.G.G. niemals zu zweiffeln haben/ sondern des demütigen willens dardurch ich/ wie Deroselbten grosse wolthaten/ welche ich allzeit spüre vnd empfinde/ von mir mit danckbarem hertzen erkandt worden/ den Nachkommenen habe andeuten vnd zu verstehen geben wollen. Doferren aber das jenige was ich allhier geschrieben je nicht immer zu verbleiben solte: so habe ich es dennoch geschrieben/ als ob es verbleiben würde.71
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Ebenda (mit stillschweigender Korrektur zweier Druckfehler). Ebenda, Bl. π3v f.
XIX. Letzte Lebensjahre in Großpolen und im Königlich Polnischen Preußen Panegyrik und politische Fürstenlehre Rückkehr zu den Piasten Die letzte Station im bewegten Leben Opitzens war Polen. Er wechselte nicht freiwillig herüber in das Nachbarland seiner schlesischen Heimat. Dienstliche Obliegenheiten behaupteten wie so häufig in seinem Leben das Primat. Zurückgekehrt von seiner Pariser Mission neigten sich die Tage im Dienste Karl Hannibal von Dohnas ihrem Ende zu. Als die schwedischen Regimenter zusammen mit den sächsischen und brandenburgischen auf Breslau vorrückten und Dohna die Neutralität und mit ihr die Sicherheit der Stadt durch eine unbedachte Aktion gefährdete, war seines Bleibens in der schlesischen Landeshauptstadt nicht länger. Er mußte fliehen und starb im Februar 1633 in Prag. Opitz wandte sich neuerlich den Piastenherzögen zu. Den Kontakt zu ihnen hatte er stets gewahrt. Nun trat er ein letztes Mal in ihre Dienste. Eine prekäre Doppelexistenz hatte ihr Ende gefunden. Nicht aber die sich rasch abermals auftürmenden Schwierigkeiten. Das Kriegsglück wechselte unaufhörlich. Am Ende mußten die Piastenherzöge dem zunehmenden Druck des Kaisers weichen. Ihr Weg ins Exil war vorgezeichnet. Er führte sie nach Polen und zeitweilig nach Brandenburg. Opitz blieb über weite Strecken an ihrer Seite. Endlich und letztlich indes fand er sich in den Diensten des polnischen Königs. Niemand hätte diese Wendung der Dinge zu prognostizieren vermocht. Im nachhinein mochten aufmerksame Betrachter Spuren einer inneren Logik gewahren. Ein allzu kurzes Leben hatte sich erfüllt.1 ––––––––– 1
Auch das große Kapitel ›Opitz in Polen‹ harrt einer detaillierten Bearbeitung. Man sagt nicht zu viel, wenn man feststellt, daß Szyrockis Opitz-Monographie auf den abschließenden Seiten, eben den Jahren Opitzens in Polen gewidmet, ihren Höhepunkt erreicht. Vgl. das entsprechende Kapitel auf den Seiten 109–133 mit den ergiebigen Anmerkungen S. 155–160. Vgl. auch Robert Ligacz: Martin Opitz, der Hofhistoriograph Wladislaus IV. und sein Verhältnis zu Polen.- In: Annali. Istituto universario orientale di Napoli. Sezione Germanica 8 (1965), S. 77–103; Gerhard Kosellek: Martin Opitz im Dienst des polnischen Königs Władysław IV. Wahrheit und Legende.- In: Germanoslavica 19 (2008), S. 17–33. Jetzt weiterführend: Robert Seidel: Von Atheisten und nüchternen Prinzessinnen. Martin Opitzens Schriften auf Angehörige des polnischen Königshauses.- In: Realität als Herausforderung. Literatur in ihren konkreten historischen Kontexten. Festschrift Wilhelm Kühlmann. Hrsg. von Ralf Bogner, Ralf Georg Czapla, Robert Seidel, Christian von Zimmermann.- Berlin, New York: de Gruyter 2011, S. 211–232. Hier auch weitere Literatur. Mit Gewinn stets wieder heranzuziehen das von Elida Maria Szarota herausgegebene monumentale Werk: Die gelehrte Welt des 17. Jahrhunderts über Polen. Zeitgenössische Texte. Historische Ein-
XIX. In Großpolen und im Königl. Poln. Preußen
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Raumkunde: Großpolen und Königlich Polnisches Preußen Der Raum, den der Dichter betrat, war geschichtsträchtig und in gewisser Hinsicht wie geschaffen für einen Humanisten von der Statur Opitzens. Das Land war der geistigen Elite Schlesiens kein unbekanntes. Im Gegenteil. Es waren genügend Berichte jedweder Art darüber im Umlauf. Vor allem aber wurden gewisse Regionen gerade aus den Kreisen der Intelligenz immer wieder aufgesucht. Und das mit gutem Grund. Wo seit der Mitte des 16. Jahrhunderts so gut wie alle Lebensäußerungen beherrscht wurden von den religiösen Belangen, da kam nicht nur Personen sondern auch Räumen eine entscheidende Bedeutung für die Orientierung zu. Sie waren ausgestattet mit Signalen, ja, waren geradezu erfüllt von Kraftströmen, die Schritte lenkten und ein Verbleiben ermöglichten oder verhinderten. Die Topographie blieb – wie niemals wieder in der Geschichte – durch und durch konfessionell, aber eben auch akonfessionell markiert.2 –––––––––
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führung, Einleitungen und Anmerkungen von Adam Kersten.- Wien, München, Zürich: Europaverlag 1972. Reiches Material findet sich jetzt auch in den Schlußbänden der beiden großen, die Opitz-Philologie ungemein fördernden Werken mit den Briefen und verwandten Zeugnissen aus dem Umkreis Opitzens sowie in den Kommentaren zu den lateinischen Werken aus seiner polnischen Zeit. Sie werden im folgenden immer wieder heranzuziehen sein. Die überaus verdienstvolle kritische Ausgabe der Werke Opitzens von George Schulz-Behrend ist bekanntlich nur bis zum Jahr 1630 gelangt, vermag also für das letzte Jahrzehnt im Schaffen Opitzens nicht herangezogen zu werden. Es steht zu hoffen, daß auch diese Lücke unter der Federführung von Jörg Robert in absehbarer Zeit geschlossen werden kann. Spezialliteratur – vor allem aus der Feder Hermann Palms – im folgenden jeweils am Ort. Generell darf verwiesen werden auf eine Reihe einschlägiger Beiträge in: Kulturgeschichte Preußen Königlich Polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 103). Wichtig für das Folgende sind daher insbesondere jene Arbeiten, die sich mit der Geschichte der Reformation auf polnischem Boden befassen. Es seien erwähnt: Gotthold Rhode: Die Reformation in Osteuropa. Ihre Stellung in der Weltgeschichte und ihre Darstellung in den ›Weltgeschichten‹.In: Gestalten und Wege der Kirche im Osten. Festschrift Arthur Rhode. Hrsg. von Harald Kruska.Ulm: Verlag ›Unser Weg‹ 1958, S. 133–162; Bernhard Stasiewski: Reformation und Gegenreformation in Polen. Neue Forschungsergebnisse.- Münster: Aschendorff 1960 (Katholisches Leben und Kämpfen im Zeitalter der Glaubensspaltung; 18); Kazimierz Lepszy: Die Ergebnisse der Reformation in Polen und ihre Rolle in der europäischen Renaissance.- In: Renaissance und Humanismus in Mittel- und Osteuropa. Eine Sammlung von Materialien. Hrsg. von Johannes Irmscher. Band I–II.- Berlin: Akademie-Verlag 1962 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft; 32), Band II, S. 210–219; La Renaissance et la Réformation en Pologne et en Hongrie. Renaissance und Reformation in Polen und in Ungarn (1450–1650). Hrsg. von G. Székely, E. Fügedi.- Budapest: Akadémiai Kiadó 1963 (Studia Historica Academiae Scientiarum Hungaricae; 53); Gottfried Schramm: Der polnische Adel und die Reformation 1548–1607.- Wiesbaden: Steiner 1965 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 36. Abt. Universalgeschichte); ders.: Die polnische Nachkriegsforschung zur Reformation und Gegenreformation.- In: Kirche im Osten 13 (1970), S. 53–66; Reformation und Frühaufklärung in Polen. Studien über den Sozinianismus und seinen Einfluß auf das westeuropäische Denken im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Paul Wrzecionko.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1977 (Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde. Monographienreihe; 14); Adam Schwarzenberg: Besonderheiten der Reformation in Polen.- In: Wirkungen der deutschen Reformation bis 1555. Hrsg. von Walter Hubatsch.- Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1967 (Wege der Forschung; 203), S. 396–410. Des weiteren ergiebig die bekannte Arbeit von Janusz Tazbir: Geschichte der polnischen Toleranz.- Warszawa:
Aufgelockerte religiöse Landschaft
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So auch Großpolen und auf andere Weise das Preußen Königlich Polnischen Anteils – im Unterschied vom herzoglichen Preußen. Wenn es Aufgabe und Bestimmung einer kulturwissenschaftlichen Morphologie des alten deutschen Sprachraums ist, präzise umrissene räumliche Profile zu entwickeln, so darf dabei – wider aller bisherige Gepflogenheit – gerade Großpolen nicht fehlen. Es bildete nicht nur eine Brückenlandschaft zwischen der schlesisch-böhmisch-mährischen Herzlandschaft Mitteleuropas und den Regionen im Nordosten um das mare balticum, sondern assimilierte das geistig und religiös Zukunftsträchtige in einzigartiger lokaler und personeller Verdichtung.3
Aufgelockerte religiöse Landschaft Das Land war überzogen von herrschaftlichen Sitzen der Magnaten. Sie besitzen alle ein individuelles Profil und zugleich sind Gemeinsamkeiten zwischen den herausragenden Gestalten erkennbar. Und das gleichermaßen im Blick auf Bildungswege wie auf religiöse Optionen. Natürlich verharrten manche von ihnen beim alten Glauben, andere bekannten sich als getreue Lutheraner. Diejenigen aber, deren Name in die Geschichte einging, hielten Abstand von diesen beiden Bekenntnissen. Sie tendierten zum Reformiertentum und sie öffneten sich wiederholt den Glaubensüberzeugungen der böhmischen bzw. polnischen Brüder sowie der Antitrinitarier bzw. Sozinianer.4 –––––––––
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Verlag Interpress 1977. Dazu der Sammelband: Probleme der Reformation in Deutschland und Polen.- Rostock: Wilhelm-Pieck-Universität. Sektion Geschichte 1983 (Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen; 8). Eine große Monographie zu Großpolen mit Schwerpunkt um 1600 fehlt, so weit zu sehen, von deutscher Seite. In dem jüngsten Sammelband – Slawen, Deutsche und Dänen in zwei historischen Grenzregionen (Schleswig-Holstein und Großpolen). Hrsg. von Jerzy Strzelczyk.- Poznań: Instytut Historii UAM 2001 (Publikacje Instytutu Historii UAM; 38) – fehlt bezeichnenderweise ein eigener Beitrag zu Großpolen auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, obwohl doch der lebhafteste Austausch zwischen den Grenzregionen herrschte. Vgl. von polnischer Seite: Jan Rybiński: Wiersze Polskie. Opracowali Zbigniew Nowak, Anna Świderska- Gdańsk, Poznań: Państwowe Wydawnictwo Naukowe 1968 (Biblioteka Gdańska. Polskiej Akademii Nauk. Seria Źródeł Historycznych; 4). Die Geschichte Großpolens und zumal Lissas im einschlägigen Zeitraum ist neben Johann Amos Comenius vor allem verknüpft mit den Geschlechtern der Leszczyńskis und der Ostrorógs, die beide für die Schlesier eine große Bedeutung besaßen. Vgl. dazu unten Anm. 69. Für Opitz und seine Zeitgenossen waren die Blicke in Großpolen vor allem nach Lissa und Fraustadt gerichtet. Die ältere Forschung um Gillet (s.u.) wußte darum noch. Es ist das Verdienst der polnischen Literaturwissenschaft, die Erinnerung daran wieder in das Bewußtsein gerufen zu haben. Die genaue Kenntnis der Literatur zu den beiden Städten ist für die Erkenntnis der schlesischen Literatur in den Dezennien um 1600 unerläßlich. Im folgenden werden daher eine Reihe wichtiger Untersuchungen namhaft gemacht. Zum Adel und seiner konfessionellen Orientierung grundlegend geblieben die oben Anm. 2 zitierte Studie von Gottfried Schramm. Vgl. hier zur territorialen Differenzierung der Glaubensbildungen des Adels das Kapitel ›Adel und Landschaft‹ (S. 27–181) mit Abschnitten zu Kleinpolen, Kronpreussen, Großpolen, Masowien, Preußen königlichen Anteils und Litauen. Sehr anregend insbesondere für die Verhältnisse in Großpolen auch Theodor Wotschke: Geschichte der Reformation in Polen.- Leipzig: Haupt 1911 (Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation; 1). Reprint Leipzig 1972. Vgl. von Wotschke auch: Zur Geschichte des Antitrinitarismus.- In: Archiv
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Die Gründe dafür sind mannigfaltig. In erster Linie ist die angedeutete lokale Situierung in Anschlag zu bringen, die das Einströmen religiösen Ideenguts aus den Nachbarländern, aber auch etwa aus Siebenbürgen und den Glaubenszentren zumal in der Schweiz und in Norditalien begünstigte. Die Angehörigen dieser großen Geschlechter waren mobil. Eine Bildungsreise gehörte zum ständischen Selbstverständnis. In den reformierten Hochburgen, mehr als einmal mit diversen heterodoxen Einschlägen, trifft man sie bevorzugt. Derart avancieren sie als Rückkehrende in ihre Heimat geradezu zu Botschaftern verschiedenartigsten Glaubensguts. Und eben dies macht sie anziehend für die Humanisten. Das Wechselgespräch zwischen den beiden Ständen gehört zu den faszinierendsten Erscheinungen der Bewußtseinsgeschichte im Umkreis der großpolnischen Herrschaftselite. Auch die Biographie des späten Martin Opitz ist ohne die Vergegenwärtigung dieses Hintergrunds nicht verständlich.
Ein Blick nach Lissa Als Schlesier waren Opitz nicht nur die Repräsentanten der Geschlechter, sondern auch die lokalen Zentren unmittelbar in der Grenzregion mit Lissa und Fraustadt im Zentrum vertraut, in denen sich das vielgestaltige religiöse Leben konzentrierte. Lissa selbst stellt hierfür das vielleicht eindrucksvollste Beispiel.5 Das Gymnasium erfreute –––––––––
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für Reformationsgeschichte. Texte und Untersuchungen 23 (1923), S. 82–100. Erhellendes auch bei Kai Eduard Jordt Jørgensen: Ökumenische Bestrebungen unter den polnischen Protestanten bis zum Jahre 1645.- Kopenhagen: Busck 1942. Zum Kontext vgl. vor allem die Studien von Joachim Bahlcke: Die böhmische Brüder-Unität und der reformierte Typus der Reformation im östlichen Europa.- In: Comenius-Jahrbuch 16–17 (2008–2009), S. 11–23; ders.: Calvinism and estate liberation movements in Bohemia and Hungary (1570–1620).- In: The Reformation in Eastern und Central Europe. Hrsg. von Karin Maag.- Aldershot: Scolar Press 1997 (St. Andrews Studies in Reformation History), S. 72–91. Vgl. auch den wichtigen Beitrag von Robert R.J.W. Evans: Calvinism in East Central Europe: Hungary and her Neighbours.- In: International Calvinism. 1541–1715. Hrsg. von Menna Prestwich.- Oxford: Clarendon Press 1896, S. 167–196. Schließlich sei verwiesen auf den Sammelband: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Arno Strohmeyer.- Stuttgart: Steiner 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; 7), sowie auf die ergiebige Monographie von Alfons Brüning: ›Unio non est unitas.‹ Polen-Litauens Weg im konfessionellen Zeitalter (1569–1648).- Wiesbaden: Harrassowitz 2008 (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte; 72). Zu Lissa liegt eine reiche polnische Literatur vor, die hier nicht aufgeführt werden kann. Vgl. von deutscher Seite gerade auch unter dem hier akzentuierten konfessionspolitischen Gesichtspunkten etwa: Wilhelm Bickerich: Visitationen der evangelischen Kirche in Lissa durch den Bischof von Posen.- In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, zugleich Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für den Netzedistrikt zu Bromberg 21 (1906), S. 21–41. Eindrucksvoll auch die Beiträge von Wilhelm Bickerich: Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa, sowie von Paul Voigt: Alte Lissaer Grabdenkmäler in der nämlichen Zeitschrift 19 (1903), S. 29–61; 21 (1905), S. 111–148. Aus der neueren Literatur: Bogusław Dybaś: Konfessionelle Vielfalt und kulturelle Blüte. Lissa als Zentrum der Brüder-Unität in der Frühen Neuzeit.- In: Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Bogusław Dybaś, Hartmut Rudolph. [Katalogbuch!].- Dößel: Stekovics 2010, S. 55–69 (mit weiterer Literatur). Zu Fraustadt vgl. die quellenkritisch hervorragend fundamentierte Studie von Hugo Moritz: Geschichte Fraustadts im Mittelalter.- In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft
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sich des Zuspruchs gerade auch der Schlesier, und das sowohl hinsichtlich der Schüler wie auch der Lehrer. Es herrschte ein lebhafter Austausch etwa mit einer so renommierten Bildungsanstalt wie dem Gymnasium Schoenaichianum des Freiherrn Georg von Schoenaich. Unter Graf Andreas Leszczyński war die Schule zum ›Gymnasium illustre‹ erhoben worden. Er war ein Wortführer der Evangelischen und erster Magnat in Großpolen. Er sorgte dafür, daß die zukünftigen Lehrer ein Studium an den akademischen Hochburgen des Westens, in Altdorf und Heidelberg, Straßburg und Basel absolvierten, wo sie automatisch mit reformierten, am Rande womöglich auch mit sozinianischem Gedankengut in Berührung kamen. Im Jahre 1602 war es in der neuen Funktion eröffnet worden, ein gutes Jahrzehnt vor Beuthen. Den Lehrplan ließ Graf Andreas bezeichnenderweise in Liegnitz drucken.6
Silhouette Thorns Opitz aber durchquerte Großpolen und machte Station bei den Piastenherzögen auf preußischem Boden unter polnischer Oberherrschaft. Thorn an der Weichsel, wo er mit den Herzögen eine Weile verharrte, ist aus seiner Biographie so wenig wie aus der Geschichte seines dichterischen Werkes wegzudenken.7 Auch Thorn hat teil an dem –––––––––
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(wie oben) 19 (1904), S. 195–244; ders.: Reformation und Gegenreformation in Fraustadt. Teil I– II.- Progr. Königl. Friedrich Wilhelms-Gymnasium zu Posen 1907–1908. Vgl. des weiteren die beiden reichhaltigen Dokumentationen: Samuel Friedrich Lauterbach: Fraustädtisches Zion. Das ist Historische Erzehlung, desjenigen, was sich von An. 1500. biß 1700. im Kirch=Wesen zu Fraustadt in der Cron Pohlen, zugetragen.- Leipzig: Gleditsch 1711; Gottfried Förster: Analecta Freystadiensia, Oder Freystädtische Chronica.- Lissa: Presser (1751) (hier insbesondere das kirchengeschichtliche Material im zweiten Teil, S. 149–232). Ergiebig auch der von Franz Lüdke und D.W. Bickerich gestaltete Gedenkband: Valerius Herberger und seine Zeit. Zur 300. Wiederkehr seines Todestages.- Fraustadt: Pucher 1927 (Quellen und Forschungen zur Heimatkunde des Fraustädter Ländchens; 1). Zur Schulgeschichte: Moritz Friebe: Geschichte der ehemaligen Lateinschulen Fraustadts.- Progr. Fraustadt 1894. Reiches Material schließlich auch zu Lissa und Fraustadt bei J.[ohann] F.[ranz] A.[lbert] Gillet: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte. Nach handschriftlichen Quellen. Erster [und] Zweyter Teil.- Frankfurt a.M.: Brönner 1860. Vgl. zum Kontext – neben der schon zitierten Arbeit von Theodor Wotschke: Geschichte der Reformation in Polen (Anm. 4) – von dems. auch: Die Reformation im Lande Posen.- Lissa: Eulitz 1913; ders.: Das Evangelium unter dem Kreuz im Lande Posen.- Posen: Evangelische Vereinsbuchhandlung 1917 (Die Reformation im Lande Posen; 2); ders.: Der Aufbau der großpolnischen Kirche nach Erlangung der Religionsfreiheit.- In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift im Wartheland 27 (1933), S. 1–90. Des weiteren: Arthur Rhode: Geschichte der evangelischen Kirche im Posener Lande.- Würzburg: Holzner 1956 (Marburger Ostforschungen; 4). Wichtig geblieben ist die Studie von Theodor Wotschke: Das Lissaer Gymnasium am Anfange des siebzehnten Jahrhunderts.- In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, zugleich Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für den Netzedistrikt zu Bromberg 21 (1906), S. 161–197. Für die Jahre bis zur Zerstörung Lissas vgl. das Kapitel ›Im Schatten des reformierten Gymnasiums‹. 1633–1656.- In: Gottfried Smend: Evangelisches Schulwesen in Lissa. Ein Beitrag zur Entwicklung der Volksschule in der Provinz Posen.- Lissa: Eulitz o. J. (Aus Lissas Vergangenheit; 2), S. 2–5. Eine detailliertere Darstellung ist ein dringendes Desiderat. Das klassische Werk bleibt Julius Emil Wernicke: Geschichte Thorns aus Urkunden, Dokumenten und Handschriften. Band I–II.- Thorn: Lambeck 1842. Sodann Reinhold Heuer: Siebenhundert Jahre Thorn 1231–1931.- Danzig: Burau 1931 (Ostland-Darstellungen; 1) Aus der jüngeren Zeit
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Austausch der Kulturen, wie er die Region durchgängig prägt. Lutherische, reformierte und humanistische Impulse kreuzten sich auch in Thorn, und im Kirch- wie im Schulwesen machte sich diese Symbiosebildung prägend geltend. Insgesamt behauptete jedoch das Luthertum seine führende Stellung in der Stadt. Das Exempel bietet wiederum das Gymnasium vor Ort, das eine originäre Physiognomie in der polnischpreußischen kommunalen Trias innehatte.8 Schon die sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts hatten eine gymnasiale Schulordnung gezeitigt. Die achtziger Jahre standen im Zeichen der Bemühungen von Bürgermeister Heinrich Stroband, die mit der Berufung von Caspar Friese zum Rektor und der Eröffnung eines gymnasialen Lebens unter dem Stern des Straßburgers Johannes Sturm endeten. Eine Bibliothek und eine Druckerei flankierten auch hier die akademische Gründung. Selbst Opitz profitierte später von dem intakten Druckereiwesen vor Ort. Mehrere seiner Arbeiten konnte er der rührigen Offizin Schnellboltz anvertrauen.
Endstation Danzig Von Thorn aber zog er weiter nach Danzig. Die mächtige Bürger- und Handelsstadt an der Ostsee geriet unversehens zur letzten Station seines Lebens. Noch einmal komprimierten sich geistige und religiöse Bewegungen in den Mauern der Stadt, die zu–––––––––
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und gleichfalls einem Jubiläum gewidmet, liegt ein schöner Sammelband vor: Thorn. Königin der Weichsel. 1231–1981. Hrsg. von Bernhart Jähnig, Peter Letkemann.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1981 (Beiträge zur Geschichte Westpreußens. Zeitschrift der Copernicus-Vereinigung zur Pflege der Heimatkunde und Geschichte Westpreußens; 7). Zur theologischen Situation: Stanisław Salmonowicz: Religiöses Leben in Thorn im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 8 (1983), S. 41–55; Hans-Joachim Müller: Irenik als Kommunikationsform im Umfeld des Thorner ›Colloquium Charitativum‹ von 1645.- In: Union – Konversion – Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert. Hrsg. von Heinz Duchhardt, Gerhard May.- Mainz: von Zabern 2000 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 50), S. 61–82. Vgl. Stanisław Salmonowicz: Das protestantische Gymnasium Academicum in Thorn im 17. und 18. Jahrhundert.- In: Kulturgeschichte königlich polnischen Anteils (Anm. 1), S. 395–409. Vgl. von Salmonowicz auch: Die protestantischen akademischen Gymnasien in Thorn, Elbing und Danzig und ihre Bedeutung für die regionale Identität im Königlichen Preußen (16.–18. Jahrhundert).- In: Nordost-Archiv. N.F. 6 (1997), S. 515–540. Von Salmonowicz stammt auch die schöne Studie: Martin Opitz und das Thorner intellektuelle Milieu in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts.- In: Martin Opitz 1597-1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner, Wolfgang Kessler.- Herne: Stiftung Martin-OpitzBibliothek 2006 (Martin Opitz-Bibliothek. Schriften; 3), S. 105–126. Als Spezialstudie: Theodor Wotschke: Schlesier auf dem Thorner Gymnasium im 17. Jahrhundert.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 73 (1939), S. 190–216. Die reichhaltige polnische Literatur verzeichnet bei Sabine Beckmann: Die ehemalige Gymnasialbibliothek zu Thorn. Das ephemere Kleinschrifttum als Knotenpunkt des frühneuzeitlichen kulturellen Lebens der Stadt.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band III: Thorn – Öffentliche Wojewodschaftsbibliothek und Kopernikus-Bücherei. Abteilung 1: Gymnasialbibliothek Thorn. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von Sabine Beckmann, Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2002. Teil I, S. 17–46. Hier die Literatur zum Gymnasium in der Bibliographie, S. 39–41.
Endstation Danzig
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weilen geradezu einem intellektuellen Schmelztiegel glich. Den Einflüssen von außen als Handelsstadt weit geöffnet, war sie geradezu prädestiniert für den intellektuellen Transfer.9 Wie so häufig im alten deutschen Sprachraum des Ostens fehlte eine Universität. Doch dieses Manko wurde mehr als wettgemacht durch ein exzellentes Gymnasium, das eine mächtige Ausstrahlungskraft aufwies und Zöglinge von weither anzog. Es stand – wie auf andere Weise womöglich nur Bremen – in seiner Blütezeit unter reformiertem Einfluß, der sich hier – anders als in Breslau – zumindest für eine Weile wirksam zu behaupten vermochte. Gelehrte wie Johann Mochinger stehen dafür ein.10 ––––––––– 9
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Vgl. Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig. Band II: Von 1517–1626.- Danzig: Kafemann 1918. Reprint Aalen: Scientia 1967; Erich Keyser: Danzigs Geschichte. 2. verb. und verm. Aufl.Danzig: Kafemann 1928. Reprint Hamburg: Danziger Verlagsgesellschaft Rosenberg 1971. Aus der neueren Literatur: Danzig vom 15. bis 20. Jahrhundert. Hrsg. von Bernhart Jähnig.- Marburg: Elwert 2006 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreussische Landesforschung; 19); Peter Oliver Loew: Danzig. Biographie einer Stadt.- München: Beck 2011. Vgl. auch die sechs unter dem Titel ›Städtische Topographie, Historiographie und Mentalität‹ vereinigten Beiträge in: Kulturgeschichte königlich polnischen Anteils (Anm. 1), S. 74–209. Von polnischer Seite zuletzt: Encyklopedia Gdańska. Red. Blazej Sliwinski [u.a.].- Gdańsk: Fundacja Gdańska 2012. Zur literarhistorischen Situation vgl.: Theodor Hirsch: Literarische und künstlerische Bestrebungen in Danzig während der Jahre 1630–1640.- In: Neue Preußische ProvinzialBlätter 7 (1849), S. 29–58, 109–130, 204–225; Bruno Pompecki: Literaturgeschichte der Provinz Westpreußen. Ein Stück Heimatkultur.- Danzig: Kafemann 1915, S. 43–65; Walter Raschke: Der Danziger Dichterkreis des 17. Jahrhunderts.- Diss. phil. Rostock 1922 (masch.); Danziger Barockdichtung. Hrsg. von Heinz Kindermann.- Leipzig: Reclam 1939 (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Ergänzungsband); Helmut Motekat: Ostpreußische Literaturgeschichte mit Danzig und Westpreußen.- München: Schild 1977, S. 80–100; Maximilian Rankl, Axel Sanjosé: Literatur des Barock in Danzig. Ein Überblick.- In: Acta Borussica 5 (1991/95), S. 132–177; Edmund Kotarski: Die Danziger Literatur im 17. Jahrhundert. Eine Übersicht.- In: Studia Germanica Gedanansia 2 (1994), S. 23–43. Eingegangen in: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1998 (Frühe Neuzeit; 39), Band II, S. 769–785, jeweils mit weiterer Literatur. Jetzt die weiterführende exemplarische Fallstudie von Robert Seidel: Eine frühe ›Querelle‹ um Opitz? Metrische Experimente in der Danziger Gelegenheitspoesie um 1640.- In: Norm und Poesie. Zur expliziten und impliziten Poetik in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Beate Hintzen, Roswitha Simons.- Berlin, Boston: de Gruyter 2013 (Frühe Neuzeit; 178), S. 233–253. Zum Kontext vgl. des weiteren: Kultur in Danzig und Gdańsk im Wandel der Zeit. Hrsg. von Andrzej Kątny.Gdańsk: Wydawn. Uniw. Gdańskiego 2007 (Studia Germanica Gedanensia; 15). Vgl. auch die in Kapitel 20, Anm. 42, aufgeführte grundlegende Untersuchung von Dick van Stekelenburg. Vgl. Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums in Danzig in ihren Hauptzügen dargestellt.- Danzig: Wedel 1837; Eduard Schnaase: Die Schule in Danzig und ihr Verhältnis zur Kirche. Ein Beitrag zur Geschichte der Schule.- Danzig: Schroth 1859; ders.: Andreas Aurifaber und seine Schola Dantiscana. Ein Beitrag zur Geschichte der Schule in Danzig.- In: Altpreußische Monatsschrift 11 (1874), S. 304–325, 456–480; speziell zum 18. Jahrhundert vgl. die letzte große deutschsprachige Untersuchung von Bernhard Schulz: Das Danziger Akademische Gymnasium im Zeitalter der Aufklärung.- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 76 (1941), S. 5–102. Aus der polnischen Literatur: Gdańskie Gimnazjum Akademickie. Księga pamiątkowa dla uczczenia czterechsetnej rocznicy założenia Gimnazjum Gdańskiego 1959; vgl. auch die einschlägigen Beiträge in: Gdańskie Gimnazjum Akademickie. Red. Andrzej Ceynowa. Band I–IV.Danzig: Wydaw. Uniw. Gdańskiego 2008. Als Miszelle jüngsten Datums: Dariusz M. Bryćko: The Danzig Academic Gymnasium in Seventeenth-Century Poland.- In: Church and School in Early Modern Protestantism. Studies in Honour of Richard A. Muller on the Maturation of a
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Aber auch im Kirchwesen war hier und dort ein reformierter Einschlag zu gewahren. Wenn Opitz in Danzig seinen Landsmann Bartholomäus Nigrinus wiedertraf und mit ihm ein lebhaftes Gespräch pflegte, so vermochten gemeinsame reformierte Überzeugungen aktiviert zu werden.11 Das geistige Milieu muß auch für Opitz das anregendste gewesen sein. Wir gehen gewiß nicht fehl in der Annahme, daß wir die Spuren davon in seinem späten Werk wahrnehmen werden. Einer einläßlicheren Textbetrachtung sollten sie sich erschließen. Und mit dieser ist nunmehr ohne weitere Umstände zu beginnen. –––––––––
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Theological Tradition. Hrsg. von Jordan J. Ballor, David S. Sytsma, Jason Zuidema.- Leiden etc.: Brill 2013 (Studies in the History of Christian Traditions; 170), S. 339–364. Weitere Literatur wiederum in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttum in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band XXIII: Danzig – Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung 1: Gedanensia. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann, Klaus Garber unter Mitarbeit von Stefania Sychta.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2009, S. 17–60. Hier S. 52 die Literatur zum Gymnasium. Vgl. Eduard Schnaase: Geschichte der evangelischen Kirche Danzigs actenmäßig dargestellt.Danzig: Bertling 1863, S. 359, 581, 605; Walther Faber: Johann Raue. Untersuchungen über den Comeniuskreis und das Danziger Geistesleben im Zeitalter des Barock- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 68 (1928), S. 185–242, vor allem S. 209; Heinz Neumeyer: Kirchengeschichte von Danzig und Westpreußen in evangelischer Sicht. Band I: Von den Anfängen der christlichen Mission bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.- Leer/Ostfriesland: Rautenberg 1971. Vgl. des weiteren den schönen Beitrag von Maria Bogucka: Religiöse Koexistenz – Ausdruck von Toleranz oder von politischer Berechnung? Der Fall Danzig im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift Winfried Eberhard. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Karen Lambrecht, HansChristian Maner.- Leipzig: Universitätsverlag 2006, S. 521–532. Desgleichen Gottfried Schramm: Danzig, Elbing und Thorn als Beispiele städtischer Reformation (1517–1588).- In: Historia Integra. Festschrift Erich Hassinger. Hrsg. von Hans Fenske, Wolfgang Reinhard, Ernst Schulin.- Berlin: Duncker & Humblot 1977, S. 125–154. Als Fallstudien mit reicher Literatur: Hans-Joachim Müller: Streiten und Herrschen. Konfessionelle Konflikte in Danzig zwischen 1630 und 1650.- In: Debatten über die Legitimation von Herrschaft. Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Luise Schorn-Schütte, Sven Tode.- Berlin: Akademie-Verlag 2006 (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel; 19), S. 125–141; ders.: Konfession, Kommunikation und Öffentlichkeiten. Der Streit um die Irenik in Danzig 1645–1647.- In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Hrsg. von Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann, Hartmut Lehmann.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 201), S. 151–178. Zum Kontext vgl. die vier aufeinander abgestimmte Beiträge von Janusz Małłek, Jerzy Axer, Johann Anselm Steiger und Siegfried Wollgast zum übergeordneten Rahmenthema: ›Konfessionelle und religiöse Optionen‹ in dem Sammelband: Kulturgeschichte Königlich Polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 211– 297. Vgl. schließlich auch die bedeutende Monographie von Michael G. Müller: Zweite Reformation und städtische Autonomie im Königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung (1557–1660).- Berlin: Akademie Verlag 1997 (Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin). Aus dem Nachbargebiet vgl. die instruktiven Studien von Katarzyna Cieślak: Die ›Zweite Reformation‹ in Danzig und die Kirchenkunst.- In: Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele. Hrsg. von Brigitte Tolkemitt, Rainer Wohlfeil.- Berlin: Duncker & Humblot 1991 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft; 12), S. 165-173; Sergiusz Michalski: Die lutherisch-katholisch-reformierte Rivalität im Bereich der Bildenden Kunst im Gebiet von Danzig um 1600.- In: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa (Anm. 4), S. 267–286.
1633 als werkpolitisches Schlüsseldatum: Das ›Trost-Gedichte‹ erscheint
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1633 als werkpolitisches Schlüsseldatum: Das ›Trost-Gedichte‹ erscheint Das Jahr 1633 bezeichnet im Leben Opitzens und in der Geschichte seines Werkes einen Meilenstein. Opitz war offiziell in den Dienst der Piastenherzöge getreten.12 Diese waren zusammen mit Karl Friedrich von Münsterberg-Oels und der Stadt Breslau eine ›Conjunction‹ eingegangen und hatten sich formell dem Schutz Brandenburgs, Sachsens und Schwedens unterstellt.13 Ein antikatholisches Bündnis schien noch einmal zustandezukommen. Opitz fungierte als Emissär der Herzöge in den Heerlagern der Protestanten. Er war in das dramatische politische Geschehen an vorderster Stelle involviert. Niemals vorher und vermutlich auch niemals nachher erfuhr er den Puls der Zeit derart direkt. Die Entfernung von seinem dichterischen Auftrag schien unüberbrückbar. Und doch vollzog sich eben in dem nämlichen Jahr ein werkpolitisches Ereignis ersten Ranges, denn von einem solchen muß man sprechen. Noch einmal schien die Stunde den Protestanten günstig zu sein. Und so sah der Dichter den Zeitpunkt endlich gekommen, ein in der Jugend verfaßtes großes Lehrgedicht von epischer Statur der Öffentlichkeit anzuvertrauen. Dieses war – wie gezeigt – ein Gedicht des Widerstands gegen politische Unterdrückung, Gewissenszwang und gewaltsame Bekehrung. Die antikatholischen und antispanischen, und in diese verwoben eben auch die antihabsburgischen Töne waren unüberhörbar. Dem Dichter und Diplomaten zwischen den Fronten erschien eine Publikation lange Zeit allzu riskant. Schließlich stammte das Poem aus den Zeiten des Pfälzer Aufbruchs und war entsprechend erfüllt von weitreichenden Visionen ebensowohl politischer wie religiöser Natur.14 Der Dichter, der soeben sein Manifest für die Pflege der deutschen Sprache veröffentlicht hatte, stellte mit dem ›Trost-Gedichte‹ in Gestalt einer vehementen Kampfund Erbauungsschrift eindrucksvoll unter Beweis, zu welchen Höhenflügen sich die deutsche Sprache in dichterischem Gewand inzwischen zu erheben vermochte. Jetzt, mehr als fünfzehn Jahre später, durfte er schließlich den Ruhm ernten, den er sich von seiner größten dichterischen Schöpfung erhoffte. Sein ›Trost-Gedichte‹ steht singulär dar in der Geschichte der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Der Odem heißer Publizistik prägt das Werk, und Weisheitsgut, vermählt mit Glaubensinnigkeit, erhebt es zu einem Gebilde eigener Art, da epischer und paränetisch-lehrhafter Gestus sich kreuzen. Wir haben es kennengelernt und wenden uns nunmehr der erst jetzt hinzutretenden Widmung zu.
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Wir verweisen zurück auf die angegebene Literatur in dem vorangehenden Kapitel ›Opitz und die Piasten‹. Hier nochmals die grundlegende Abhandlung von Hermann Palm: Die Conjunction der Herzöge von Liegnitz, Brieg und Oels, so wie der Stadt und des Fürstenthums Breslau mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg und der Krone Schweden in den Jahren 1633–35.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 3/2 (1861), S. 227–368. Hier noch einmal der Titel: TrostGedichte Jn Widerwertigkeit Deß Krieges; Jn vier Bücher abgetheilt/ Vnd vor etzlichen Jahren von einem bekandten Poëten anderwerts geschrieben. Jn verlegung David Müllers Buchhendlers in Breßlaw. Leipzig/ Gedruckt bey Henning Kölern/ Anno M DC XXXIII. Wir verweisen zurück auf die näheren Angaben oben in Kapitel 10.
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Nochmals 1633: Die Widmung an den Prinzen Ulrich von Holstein Eines der sächsischen Regimenter, in denen Opitz weisungsgemäß verkehrte, wurde von dem dänischen Prinzen Ulrich von Holstein, dem Sohn Christians IV. von Dänemark, geführt. Ihn erkor Opitz als Widmungsempfänger für seine Schöpfung. Enge Verbindungen müssen zu dem hoffnungsvollen Jüngling bestanden haben. Der aber konnte sich der Ehrung nur eine allzu knapp bemessene Frist erfreuen. Im August des nämlichen Jahres wurde er beim Verlassen des Wallensteinschen Lagers von einem Söldner Piccolominis ermordet. An Opitz war es, des Freundes und Gefährten in einer Trauerschrift zu gedenken. Ihre Abfassung aber fiel bereits in die Zeit, da die Schatten des Exils sich erhoben. Wallenstein hatte die Schweden bei Steinau vernichtend geschlagen. Die Piastenherzöge mußten fliehen und wandten sich nach Thorn. Auf Umwegen und unentwegt diplomatisch tätig folgte Opitz ihnen nach. Wie ein Nachklang an eine nochmals von Hoffnungen erfüllte Zeit nehmen sich seine Widmung an den Prinzen und die ihm zugeeignete Trauerschrift aus. Mit einem Blick in die beiden ergreifenden Schriften setzen wir ein, stehen sie doch an der Wende der Zeiten im Leben des ›späten‹ Opitz. Knapp genug ist die Widmung, welche Opitz ›Ex museo‹ im August des Jahres 1633 herausgehen ließ.15 Er hielt sich zu dieser Zeit vermutlich in Breslau auf, bewegte sich also in vertrautem Milieu. Der Prinz hatte ihm mit Schreiben vom 21. August eine Freundschaftsadresse zukommen lassen, die einzig dastehen dürfte im Leben des Boberschwans. Einen Tag später replizierte er, sicherlich noch ohne Kenntnis der ihm zuteil gewordenen Huldigung. Ein von Hochachtung und Amikalität ausgezeichnetes Vertrauensverhältnis zwischen Dichter und Fürst erfüllte sich neuerdings auf das eindrucksvollste. Es blieb ein bestimmendes im 17. Jahrhundert und prägte den poetischen Gestus nachhaltig. Einem Opitz war es vergönnt, dem Bündnis die schönsten Seiten abzugewinnen. Leben und Werk stehen gleichermaßen unter diesem Stern. Der Dichter bleibt wie eh und je auf Synopsis bedacht, wenn es denn, wie in fast jeder Widmung oder Vorrede, um die Profilierung des eigenen Werkes geht. Dreizehn Jahre ist es her, daß er seine ›Consolationes‹ verfaßte, in jenem jugendlichen Alter, dessen sich der Prinz jetzt erfreut. Seine Jugend birgt die Keime und Versprechungen alles Großen in sich. Sie erschöpfen sich nicht in seiner königlichen Abkunft. Persönliche Vorzüge müssen hinzutreten, Bildung, Urteilskraft, rhetorische Fertigkeit und nicht zuletzt auch Tapferkeit. Keine adels- oder fürstenkritische Einlassung Opitzens, die nicht auf diesem Gleichgewicht bestände. Nobilitas generis und nobilitas litteraria gehören zusammen, und wenn es denn einen Vorzug adliger Abstammung gibt, so den, des Erwerbs einer nobilitas duplex teilhaftig zu werden. Diesem humanistischen Ideal gehorcht der Prinz auf das vorteilhafteste. In seiner Gestalt wird das vermeint––––––––– 15
Die Widmung: Serenissimo Principi Vlderico, Potentißimi Daniae Regis Filio, Haeredi Norvvegiae, Summo Copiarum Equestrium Praefecto ac belli Duci, Optimo ac Fortißimo Principi. Lateinische und deutsche Version in: Martin Opitz: Lateinische Werke. Band III: 1631–1639. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2015 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 50–53, Kommentar S. 384–389. Die Übersetzung stammt von Georg Burkard und Dennis Messinger, der Kommentar von Beate Hintzen. Auch hier ist die Literatur zum ›Trost-Gedichte‹ aufgeführt.
Vollendung eines nationalen Projekts: Ein Held von epischer Statur betritt die Szene
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lich Unvereinbare Wirklichkeit. Als ›Mars togata‹ nicht anders denn als ›Phoebus armatus‹ darf er apostrophiert werden. Sein Genius vollbringt dieses Wunder.
Vollendung eines nationalen Projekts: Ein Held von epischer Statur betritt die Szene Das alles liegt auf der Linie gewandter Kunst des Lobredens. Doch dann folgt unvermittelt eben jene Wendung, in der sich noch einmal die Signatur der Zeit zu erkennen gibt: adeò prorsus et securitatem oppressae aut dominandi libidine, aut aemulationis mutuae studiô fraudibusque domesticis Germaniae polliceris, et Musarum decora omnia sic exprimis, ut, qui D. Julio fortitudine vix futurus es inferior, par ei jam videaris esse doctrinâ.16
Ein neuer Heros betritt die Szene. Ihm obliegt die Wiederaufnahme und Vollendung dessen, was in den Jahren zwischen 1618 und 1620 unter Pfälzer Führung in Angriff genommen wurde und kläglich scheiterte. Die Befriedung Deutschlands und seine Einigung über die konfessionellen Barrieren hinweg bleiben das große Ziel auf der politischen Tagesordnung. Es war und ist ein humanistisches Projekt. In Italien waren die Stichworte ein erstes Mal in Umlauf gekommen. Frankreich hatte unter maßgeblicher Beteiligung der Parlamentsjuristen ein Exempel statuiert. Die politische Theorie der Zeit kulminierte in der Vision der einen über den konfligierenden Parteiungen sich konstituierenden Nation formell gleicher Staatsbürger. Zumal im Westen Deutschlands war die Rezeption dieses Gedankens eine lebhafte. Auch in die frühe Opitzsche Publizistik spielte er hinein. Nun, zeitgleich mit der Publikation des ›Trost-Gedichtes‹ belebte er sich aufs neue. Nur ein mit den Ideen der Humanisten, ein mit den Musen im Bunde stehender Fürst und Heerführer ist dazu auserkoren, das gewaltige Werk zu vollbringen. Wie im Rahmen der Dichtkunst zählt im Raum der Politik das Zusammenwirken der ›musischen‹ mit der ›politischen‹ Spitze. Noch einmal macht sich ein Opitz zum Fürsprecher eines nationalen Gedankens, der dem Widmungsempfänger als kostbares, von Ruhm umspieltes Vermächtnis überantwortet wird. Auch die Widmungsadresse an Ulrich von Holstein, so knapp sie sein mag, gehört hinein in die ungeschriebene Geschichte politischen Denkens im Zeitalter des Späthumanismus auf deutschem und speziell auf schlesischem Boden.
Der Tod des Hoffnungsträgers im Jahr 1633: Die ›Laudatio Funebris‹ für Ulrich von Holstein Nur um ein weniges zeitlich versetzt lag die Trauerschrift für den dahingeschiedenen Prinzen vor. Bei Matthäus Merian in Frankfurt am Main ließ Opitz sie erscheinen. ––––––––– 16
Ebenda, S. 52. In der Übersetzung Georg Burkards und Dennis Messingers: Ihr seid ja geradezu die Verheißung einer sorglosen Zukunft für Deutschland, das entweder unter Willkürherrschaft oder unter wechselseitiger Rivalität und Betrügereien im Inneren leidet, und tragt alle Zierden der Musen in dem Maße an Euch, daß Ihr, der Ihr dem göttlichen Julius an Tapferkeit nicht nachstehen werdet, ihm jetzt schon an Gelehrsamkeit gleichzukommen scheint. (S. 51).
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Auf den ersten Oktober 1633 ist die Widmung an den Vater Christian IV. datiert. ›In Solativm Paterni Doloris Et Testandae Devotioni‹ ist sie bestimmt. Sie geriet zu einem funeralen wie zu einem politischen Manifest eigener Art. Das Interesse war erheblich. Schon ein Jahr später erschien ein Nachdruck. Der Name des Dichters wie der des in der Blüte der Jugend Dahingeschiedenen hatten vermutlich gleichermaßen Anteil daran.17 Wann und wo Opitz die Gelegenheit zu fürstlichem Lob ergreift, nehmen seine Worte den Charakter eines Fürstenspiegels an, und das selbstverständlich in Übereinstimmung mit einer langen und von großartigen Texten geprägten Tradition. Liegen aber die Muster auf der Hand, geht es um die je singulären Spezifika, und die sind zumeist weniger den persönlichen als den konkreten politischen Umständen geschuldet, die der Dichter und Redner in seinem Porträt korreliert. Sie bewirken, daß eine argumentative historische Linie sich abzeichnet, die in dem Gepriesenen ihre Verkörperung erfährt. Derart zeichnen sich in der Physiognomie des Geehrten zugleich die Optionen seines Schöpfers ab. Auf sie hat sich die Aufmerksamkeit zu konzentrieren. So auch im Falle der poetischen Verewigung des Prinzen Ulrich von Dänemark. Die Koinzidenzen mit dem ›Trost-Gedichte‹ sind neuerlich verblüffend. Um sie vor allem wird es gehen, denn wir müssen auf Verknappung und Akzentuierung bedacht sein. Opitz seinerseits verharrt weiterhin auf deutschem Boden, ist als Agent in Frankfurt tätig, von wo er nach Polen zu den Piastenherzögen aufbricht.
Der Held als Bannerträger von Hoffnung Das Unerhörte, ja kaum Faßliche, besteht für den aufgewühlt Rückschauenden darin, daß der Prinz sich auf einer Vermittlungsmission im Dienste des Friedens befand, als er hinterhältig ermordet wurde. Er hatte sich in das Lager der Feinde begeben, um dem Grauen des Krieges ein Ende zu bereiten. Eine Atempause in den Verhandlungen sich gönnend, wurde er das Opfer einer schändlichen Kanaille. Das politische summum bonum, die Stiftung von Frieden, war besudelt von dem Blut eines Wagemuti––––––––– 17
[Kupfertitel:] Lavdatio Fvnebris Memoriae Ac Honori Serenissimi Principis Vlderici Potentiss. Dan. Regis F. Haeredis Norvagiae Svmmi Copiar. Eqvestrivm Saxonicar. Praefecti Dvar. Legion. Dvcis. Dicata A Martino Opitio. Francof. Ad Moen. Apvd Mat. Merianvm. M.DC.XXXIII. Exemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth), übergegangen in die von Stadtbibliothek Breslau: 4 E 515/63, heute verwahrt in der BU Wrocław: 355125. Dieses Exemplar weist kein Kolophon auf. Ein Nachdruck erschien ein Jahr später in Kopenhagen. Er befindet sich gleichfalls in dem oben angeführten Sammelband: 4 E 515/64 = 355126; zwei weitere Exemplare aus der Bibliothek St. Maria Magdalena und der Bernhardiner-Bibliothek haben sich gleichfalls erhalten: 4 O 596/34 = 510081, 4 S 195/71 = 524684. Neudruck mit deutscher Übersetzung in dem oben Anm. 15 zitierten Werk mit den lateinischen Texten Opitzens, S. 54–97. Hiernach zitiert. Die Übersetzung stammt von Beate Hintzen. Hinzuzunehmen der reichhaltige Kommentar von Hintzen S. 389–403. Hier auch S. 389 f. eine Vita des Prinzen Ulrich von Holstein mit Nachweis weiterer Literatur. Auf das große deutschsprachige Lobgedicht, das auf die lateinische Widmung im ›Trost-Gedichte‹ folgt, soll hier nicht eingegangen werden. Es ist auch selbständig erschienen: An den Durchlauchten/ Hochgebornen Fürsten vnd Herren/ Herren ULDRJCHEN/ [...]. Martin Opitzen von Boberfeldt Lobgetichte. [Kolophon:] Gedruckt zum Briegk/ bey Augustino Gründern/ 1633. Exemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth): 4 E 515/58 = 355120.
An der Seite der Unterdrückten in geknebelten Landen
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gen, der es gewohnt war, an der Spitze seiner Kameraden in die Schlacht zu ziehen. Zum Höchsten war er geboren. Dieses zu statuieren, ihm rednerisches Profil zu verleihen, bleibt die Aufgabe des Überlebenden, der sie auf eine unvertretbare Weise auf sich nimmt, einem Wunsch des Sterbenden gehorchend. Gedächtnis zu stiften und zugleich das nicht zur Reife gelangte Werk des Verewigten als Vermächtnis für die Zukunft zu retten – beides zusammen markiert den Horizont seines gewaltigen rednerischen Vorwurfes. Noch einmal ist es die Symbiose aus Herkunft und Tugend, Adel der Abstammung und Adel des Geistes, die in dem dänischen Prinzen vorbildlich zur Erscheinung gelangt ist. Wenn der derart Ausgezeichnete sich dann nicht scheut, sein Leben jederzeit für die gute Sache in die Schanze zu schlagen, so gibt sich darin gleichermaßen sein edler Wesenszug wie das Besondere, ja Ausgezeichnete der Sache zu erkennen, der er sein Leben geweiht hat. Und eben dieses ist es, das Opitz in immer erneut ansetzenden Wendungen umkreist. Am Schluß ist es hinlänglich deutlich dingfest gemacht. Der Prinz hat sich einem Ideal verschrieben, das auch dasjenige des Dichters und das seiner Freunde aus der Zeit des politischen Aufbruchs vor 1620 geblieben ist. Dessen Glanz hatte sich zwischenzeitlich verdunkelt. Doch nun, seit dem Eintritt der Schweden in das Kriegsgeschehen und seit der ›Conjunction‹ der führenden protestantischen Mächte, hat es seinen Glanz zurückgewonnen. Und der Prinz steht dafür wie niemand sonst ein.
An der Seite der Unterdrückten in geknebelten Landen Nach einer über Seiten sich erstreckenden Vergegenwärtigung der Tugenden des Prinzen kommt der Dichter schließlich auf dessen Tapferkeit zu sprechen. Damit erfolgt der Übergang zur Diagnostik der Zeit und somit jenes politisch-religiösen Auftrags, den der Jüngling sich vorbehaltlos zu eigen gemacht hat. Die rednerische Strategie liegt auf der Hand. Eingefaßt in das panegyrische Feuerwerk darf der Sprecher es wagen, auch das politische Ethos seines Helden anzudeuten. Dieser kann nicht ablassen von der Auflehnung gegen ein Unrecht, das er als ein solches erkannt hat. Und dazu zählt, was die Heimat des Dichters, was Schlesien zu erleiden hat. Mite praeterea et clemens illud pectus, quoties dirutum ius sacrorum, euersum Silesiae statum, fulcra libertatis Principes consanguineos, et perturbatas immane quantum res nostras perpendebat, licet discessum saepe meditaretur, facere tamen non poterat, quin et illud sibi proponeret subinde, eos iniuriam ipsos inferre, qui non auertunt cum possunt.18
Niemandem unter den Hörern und Lesern konnte verborgen sein, wer da als Urheber des ›Unrechts‹ ins Visier des Sprechenden geriet. Auch ein Ulrich von Holstein war ––––––––– 18
Ebenda, S. 82. Die deutsche Version: Sooft überdies sein weiches und mildes Herz die gewaltsame Abschaffung des Kirchenrechts, die Umwälzung in den schlesischen Verhältnissen, als Stützen der Freiheit die verwandten Fürsten und unsere über die Maßen in Unordnung befindlichen Angelegenheiten erwog, vielleicht auch oft darüber nachdachte fortzugehen, konnte er doch nicht umhin, sich gleich auch immer wieder vorzuhalten, daß diejenigen, die ein Unrecht nicht abwenden, wenn sie es können, es selbst begehen. (S. 83).
XIX. In Großpolen und im Königl. Poln. Preußen
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an der Seite der Evangelischen auf schlesischem Boden, und nicht zuletzt das adelte ihn in den Augen seines Lobredners. Der Prinz, so sein Panegyre, war Zeuge einer himmelschreienden Vergewaltigung eines Volkes, und dagegen kämpfte er an mit dem ganzen Mut seines Wesens. Als »einen neuen Helfer der Freiheit, Rächer der Anständigen und Rückführer der Verbannten« apostrophiert ihn Opitz und weist ihm damit seinen Platz zu in der Galerie derjenigen, die kompromißlos Widerstand leisten, wo immer es um das höchste Gut der Freiheit geht.19 Es würde sich verlohnen, diese Ahnenreihe heldenhafter Personen, die das Werk des Dichters bevölkern, einmal vergleichend Revue passieren zu lassen.
Eine Rede aus dem Grabe und die Antwort des Dichters Ulrich ist es versagt geblieben, seinem Vater zu berichten, was an Grausamem ihm begegnete, dessen er Zeuge wurde und dem er sich bis zum letzten Atemzug widersetzte. Non narrabit Maiestati Tuae quae vidit, quae audiuit, quae fecit: non commendabit tibi suspiria oppressorum, direptiones prouinciarum et incendia, timorem publicae seruitutis, securam denique Germaniae quietem aut pace dolosa bellum tranquillius.20
Statt eines Triumphzugs muß nun ein Trauerzug abgehalten werden. Doch das, wofür er lebte, stirbt nicht mit ihm. An der Seite der sächsischen und brandenburgischen Kurfürsten, an der Seite Johann Georgs und Georg Wilhelms, stritt er für die Protestanten und damit zugleich für Deutschland. In Schlesien hielt er Einzug bei den Piastenherzögen Johann Christian und Georg Rudolf, niemals ohne zu beklagen, welchen ›öffentlichen Mißhandlungen‹ (publicis iniuriis) ihre Länder ausgesetzt waren.21 Der Schmerz über seinen Tod ergreift alle Fürsten und alle jene von Adel, die »mit demselben Sinn die gemeinsame Sache« verteidigen.22 Welch andere ›causa‹ sollte es sein als die der Wahrung der Glaubensfreiheit im Zuge der rapide um sich greifenden Gegenreformation? Dem Prinzen die Treue zu wahren bedeutet, der gemeinsamen Angelegenheit sich weiterhin verpflichtet zu wissen. So fügt sich auch die Gedenkrede für Ulrich ein in die Reihe der großen politischen Kundgebungen Opitzens, die am Schluß womöglich das geheime Zentrum seines Werkes blieben. Schlesien ist und bleibt das geschichtlich geprüfte Land, da sich eine zum Schutz befohlene Macht an ihren Untertanen knebelnd und vergewaltigend versündigt. ––––––––– 19
20
21 22
Ebenda, S. 83. Die lateinische Version: nouus in illo libertatis assessor, vindex bonorum, restitutor exulum (S. 82). Ebenda, S. 82. Die deutsche Übersetzung: Er wird Eurer Majestät nicht erzählen, was er sah, was er hörte, was er tat. Er wird Euch die Seufzer der Unterdrückten, Plünderungen und Brandschatzungen in den Provinzen, die Furcht vor der allgemeinen Knechtschaft, die endlich sorgenfreie Ruhe Deutschlands und einen Krieg, der ruhiger ist als der trügerische Friede, nicht übermitteln. (S. 83). Ebenda, S. 87 bzw. S. 86. Ebenda, S. 87. Die lateinische Version: Vester est hic dolor, Principes Germaniae ac Proceres Illustrissimi, quotquot eodem animo caussae communi patrocinamini. (S. 86).
Eine fürstliche Freundschafts-Adresse
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Schweidnitz, vor deren Toren der Prinz fiel, hat dank seiner Tapferkeit der Übermacht getrotzt. Quae vero aduersa rerum, quam afflictae fortunae faciem tu non videras hactenus, ô Silesia? Quanto impetu, quo saeuitiae ingenio, quibus artibus leges credendi ea, quae exactores legum ipsi non satis credunt, oppidis impositae sunt plurimis ac vrbibus?23
An keiner Stelle wagt der Redner sich so weit vor wie an dieser, da es um die Schändung des Gewissens wie des Glaubens geht. Soldaten wurde das unsägliche Amt übertragen, Menschen zu malträtieren und zur Aufgabe ihres Glaubens zu zwingen. Des Nachts werden sie überfallen, auf daß im Schutze der Dunkelheit die Peiniger ihre diabolischen Anschläge vollstrecken können. Gräber werden geschändet, Kirchen geplündert und entweiht. Dazu kommen die nicht abreißenden politischen Pressionen. Die Autorität des Adels, die Befugnisse der Stände, die Regulierung der Abgaben – nichts bleibt unangetastet. Gegen Ende seiner Trauerrede stimmt Opitz eine vehemente Zeitklage an und unverkennbar ist, wen er so gut wie durchgängig als den Adressaten des grassierenden Unrechts im Auge hat.
Eine fürstliche Freundschafts-Adresse Am Schluß hält Opitz eine ebenso schöne wie ergreifende Überraschung bereit. Einen Brief hat er von der Hand des Prinzen erhalten. Es ist der letzte an ihn gerichtete, wie der Dichter sich zu erinnern meint. In gefälligem elegantem Latein ist er verfaßt. Einen Tag vor dem Tod des Prinzen gelangt er an seinen Adressaten. Wer außer Opitz durfte sich derartiger Verlautbarungen rühmen, erfüllt von Freundschaft und Hochachtung? Die Kunde hat sich verbreitet, daß der Dichter das Lager des Prinzen aufsuchen wird. Größte Freude und Erwartung, so der Prinz, herrsche unter den Soldaten, denjenigen kennenzulernen, dessen Ruhm allgegenwärtig ist. Nun scheint sich sein Kommen zu verzögern. Also macht Ulrich sich auch zu ihrem Sprecher, sind alle doch von der Hoffnung erfüllt, das Erscheinen des begnadeten Dichters zu erleben. Quapropter promissum tuum in memoriam tibi reuocare volens, paucula haec exaraui, simul et amoris in te mei testandi caussa calamum admoui, rogans ne diutius tua nos priuari praesentia sinas, quin potius prima ad nos occasione aduoles.24
Selten nur sind Zeugnisse fürstlicher Zuneigung gegenüber Gelehrten und Dichtern verfügbar. Der umgekehrte Weg ist der normale. Die hochgestellten Häupter sehen ––––––––– 23
24
Ebenda, S. 88. Die deutsche Übersetzung: Aber welchen Umsturz der Verhältnisse, welches Antlitz eines elenden Schicksals hattest du bis dahin nicht gesehen, Schlesien! Mit welcher Gewalt, mit welchem Geschick zur Grausamkeit, mit welchen Kunstgriffen sind sehr vielen Orten und Städten Bestimmungen auferlegt worden, das zu glauben, woran selbst die nicht hinreichend glauben, welche die Bestimmungen vollstrecken. (S. 89). Ebenda, S. 92. In der deutschen Version: Weil ich Dir daher Dein Versprechen ins Gedächtnis zurückrufen wollte, habe ich rasch diese wenigen Zeilen niedergeschrieben und zugleich meine Feder dazu benutzt, meine Liebe zu Dir zu bezeugen, indem ich Dich bitte, daß Du nicht zuläßt, daß wir noch länger Deine Anwesenheit entbehren müssen, und vielmehr bei der ersten Gelegenheit zu uns eilst. (S. 93).
XIX. In Großpolen und im Königl. Poln. Preußen
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sich wie selbstverständlich mit Huldigungsadressen beehrt, die zum elementaren dichterischen Geschäft gehören. Opitz aber war der Aufstieg an die Spitze der Gesellschaft vergönnt. Zu den vielen Gaben, die ihn auszeichneten, muß die der Überbrückung des sozialen Gefälles gehört haben. Worte der Zuneigung, wie die aus dem Munde Ulrichs zu vernehmenden, sprengen die ständische Übereinkunft. Sie mögen – wie später allemal seit der Empfindsamkeit – ihren Platz in der Poesie haben, im Leben sind sie als schriftlich fixierte die schlechthinnige Ausnahme. Nicht ausgeschlossen, daß sie im besonderen Fall dazu beitrugen, Opitz zu einer Traueradresse zu bewegen, die auch in seinem diesbezüglichen Œuvre eine Sonderstellung behauptet. Solange es Opitz-Leser gibt, wird ihnen das Bildnis des dänischen Prinzen begegnen. Und mit ihm eine Momentaufnahme der Zeit, die den Dichter als Ankläger der Schuldigen wie als Anwalt der gerechten Sache zeigt. Er fand im Schicksalsjahr 1633 zu seiner alten Sprache zurück. Dafür liegt seit kurzem ein Beweis vor, wie er sprechender sich schwerlich ausnehmen könnte.
Ein anonymes Werk wird identifiziert Auch die Opitz-Philologie kennt ihre Sensationen. Die jüngste ist möglicherweise die spektakulärste der vergangenen Jahrzehnte. Unter den phantastischen, nach Territorien gegliederten regionalen Beständen mit Altdrucken der einstigen Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden figurierte in der Sektion Schwaben ein lateinisches Versgedicht von einem – nach Ausweis des Titelblatts – ›ungenannten‹ Verfasser. Von Opitz konnte es wohl schwerlich herrühren. Was mochte der berühmte Dichter Anfang der dreißiger Jahre für ein Interesse daran haben, seinen Namen zu verschweigen? Gleichwohl waren entsprechende Vermutungen gelegentlich laut geworden. Zu keinem Zeitpunkt vermochten sie konkretisiert und stabilisiert zu werden. Und so wird auch in der letzten Bibliographie der Drucke Opitzens das zur Rede stehende Stück in der Rubrik ›Falsche bzw. unsichere Attributionen‹ geführt.25 Erst in jüngster Zeit gelang die zweifelsfreie Zuweisung. Opitz hatte sich gegenüber seinem Freund, dem berühmten Professor am Danziger Gymnasium Johann Mochinger, zur Autorschaft des autorenlosen Stückes bekannt, und der bestätigte in einem Brief vom 18. März des Jahres 1634, den Text inzwischen gelesen zu haben. Bei Mochinger, einem Geistesverwandten, durfte er gewiß sein, daß er Stillschweigen bewahren würde. Und dazu war alle Veranlassung. In seltener Deutlichkeit hatte der Verfasser Invektiven gegen das Haus Habsburg und vor allem an die Adresse Spaniens formuliert, die im Falle eines politischen Umschlags ihren Urheber um Kopf und Kragen gebracht hätten.26 ––––––––– 25
26
Vgl. Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verb. und wesentl. verm. Aufl. des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur. Vierter Teil: Klaj-Postel.- Stuttgart: Hiersemann 1991 (Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 9, IV), S. 3074 (F 3). Vgl. Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de
Die ›Conjunction‹: Bernhard von Sachsen-Weimar übernimmt die Stafette
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Die ›Conjunction‹: Bernhard von Sachsen-Weimar übernimmt die Stafette Wir hörten von der ›Conjunction‹, die die Herzöge von Liegnitz und Brieg und Karl Friedrich von Münsterberg-Oels sowie die Stadt Breslau auf Betreiben des sächsischen Feldherrn Hans Georg von Arnim mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg sowie dem schwedischem König seit August des Jahres 1633 abzuschließen im Begriff standen. Die Bestätigung dieses Zusammenschlusses sollte nachträglich von den beiden Kurfürsten und dem schwedischen Reichskanzler Oxenstierna eingeholt werden. Opitz begab sich mit einer Delegation der Schlesier nach Frankfurt am Main, wo die Ratifizierung erfolgen sollte. Er agierte an vorderster Stelle im Kontext dieses folgenreichen Bündnisses. Frankfurt blieb für zwei Monate der Ort, da die Informationen zusammenliefen und von wo aus die näheren Aktivitäten ihren Ausgang nahmen. Auch der Briefwechsel Opitzens ist dicht besetzt mit entsprechenden Botschaften, Mitteilungen, Anspielungen etc. Doch daneben lief – und das nur schwer begreiflich – die schriftstellerische Produktion voll weiter. Von der Trauerrede auf den Prinzen Ulrich haben wir gehört. Nun fügt sich ein wenigstens gleich anspruchsvolles Werk dem Reigen an. Es soll – soeben wieder zugänglich – sogleich unser Augenmerk beanspruchen. Wiederum haben wir unseren Ausgang von einer fürstlichen Person zu nehmen. Auf seiten der Protestanten kam Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar eine führende Rolle zu. Nach dem Tod des schwedischen Königs Gustav II. Adolfs übernahm er den Oberbefehl und rückte damit an die vorderste Stelle auch im Kampfgeschehen. Sein ehrgeiziges Ziel war es, über Bayern bis in die habsburgischen Kernlande vorzudringen, um den Gegner im Herzen des eigenen Reichs zu stellen und zu überwinden. Auf dem Zug dahin belagerte er die weitgehend protestantische Stadt Regensburg, in der sich eine katholische Besatzung eingenistet hatte. Im November des Jahres 1633 hatte er die Übergabe der Stadt erwirkt. Sie wurde als ein Akt der Befreiung unter den Protestanten gefeiert. Und der Dichter, der die Kriegshandlungen aufmerksam verfolgte, war unversehens an einen Vorwurf von epischer Statur gelangt.27
Ratispona In Libertatem Vindicata: Das befreite Regensburg Im Jahr 1633 erschien ein historisch-politisches Versgedicht. Es ließ gleich in mehrfacher Hinsicht aufhorchen. ›Ratispona in libertatem vindicata‹.28 Die Befreiung Re––––––––– 27
28
Gruyter 2009, Band III, S. 1176. Der Brief Mochingers an Opitz nebst Übersetzung und Kommentar ebenda S. 1214–1216. Zu Bernhard von Sachsen-Weimar vgl. die Einträge in der ADB II (1875), S. 439–450, sowie XXII (1885), S. 793; in der NDB II (1955), S. 113–115. Vgl. auch Conermann-Bollbuck II, S. 1173 f. Als jüngere Monographie: Ariane Jendre: Diplomatie und Feldherrnkunst im Dreißigjährigen Krieg. Herzog Bernhard von Weimar im Spannungsfeld der französischen Reichspolitik 1633–1639.- Diss. Berlin 1998. Ratispona In Libertatem Vindicata. Auctoris Incerti Carmen. [Rückseite:] Francofurti Ad Moenum Prid. Kal. Decembr. Ann. M DC XXXIII. Die Signatur des Dresdener Exemplars: Hist. Suec. 278, misc. 6. Neudruck mit deutscher Übersetzung von Martin Fruhstorfer in dem oben in Anm. 15 zitierten Werk mit den lateinischen Texten Opitzens, S. 100–115. Der reichhaltige Kommentar
XIX. In Großpolen und im Königl. Poln. Preußen
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gensburgs also sollte gefeiert werden. Diese Ankündigung verwies auf einen dem protestantischen Lager wohlgesonnenen Autor. Der aber hatte offensichtlich ein denkbar großes Interesse daran, unerkannt zu bleiben. Wie anders ließ sich die explizite Angabe direkt im Anschluß an den Titel verstehen, die da lautete, daß es sich um das Gedicht eines unbekannten Autors handeln würde. Der Autor, so steht zu vermuten, hatte seinerseits interveniert und den vergleichsweise ungewöhnlicheren Vermerk anbringen lassen. Dafür mußte es Gründe geben. Und die treten nur allzu rasch schon am Eingang des ›Carmen heroicum‹ zutage. Mehr als 250 Hexameter wendet der Dichter auf ein Geschehen, dem er in der Nachfolge der großen antiken Vorbilder episches Relief verleiht.
Nochmals eine fürstliche Widmungsadresse Gewidmet ist das Gedicht dem Herzog von Sachsen-Weimar, Bernhard.29 Eine ›Dedicatio‹ in zwölf elegischen Distichen steht dem Werk voran. Als Höchster der Fürsten, als ›SVmme Ducum‹, wird da der Herzog eingangs apostrophiert. Und das nicht zuerst aus persönlicher Vollmacht, sondern weil ihn »in bedrängten Zeiten gute Gestirne und die Vorsehung unseres Gottes schickten«.30 Der antike Sprachgestus wird gewahrt, und zugleich die christliche Vorstellungswelt aufgerufen. Dieser Fürst und Feldherr steht im Bunde mit ›unserem Gott‹. Was er vollbringt, ist gottgewollt und Gott wohlgefällig. Einer gerechten, einer religiös beglaubigten Sache wird der Held zum Sieg verhelfen. Solcherart ist der konfessionspolitische Horizont sogleich aufgespannt. Was zu berichten ist, gewinnt seine Würde und Autorität als Zeugnis und Erweis göttlichen Wirkens. Nur eine Seite verfügt über dieses Privileg. Der Dichter reklamiert sie für diejenige, an deren Spitze sich für eine knapp bemessene Frist der fürstliche Jüngling aus Sachsen-Weimar stellt. Beide, der Fürst wie der Dichter, sind involviert in die Last der Zeit. Der Dichter hat ›fruchtlose Stunden‹ (steriles horas) genutzt, um die nachfolgenden Verse zu Papier zu bringen, ist doch auch er unaufhörlich diplomatisch tätig. Der Fürst aber steht ein für die Sache der Freiheit (pro libertate), der er seine Hand leiht, welche das Pfand der Unsterblichkeit birgt. Seine Tatkraft und sein Einsatz für das höchste Gut, Freiheit und Frieden, erfordern die ihnen korrespondierende Antwort im Poem. Wie sollte der Dichter diesem Anspruch gerecht werden? Er gibt sich angesichts der geschichtlichen Katastrophen als ein Daniederliegender und Verzweifelter zu erkennen. Die ›elende Zerstörung des Vaterlands‹ raubt demjenigen das poetische Vermögen, der doch weiß, daß dasjenige, was vor seinen Augen sich abspielt, allemal der Ver––––––––– 29
30
von Veronika Marschall und Robert Seidel hier S. 406–427. Das Werk ist damit gleich nach seiner Einführung in die Opitz-Forschung hervorragend erschlossen. Vgl. die Rückseite des Titelblattes: Serenissimo Principi Bernhardo Saxoniae Ac Franconiae Duci Vindici Publicae Libertatis Bono Germaniae Nato Optimo Et Fortissimo Heroi D〈at〉 D〈onat〉 D〈dedicat〉 Q〈ue〉 Devotus Summis Virtutibus Eius Auctor. Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 101. Der lateinische Satzzusammenhang: SVmme Ducum, quem temporibus bona sidera preßis | Misere, et nostri provida cura Dei[.] (S. 100, Verse 1 f.).
Schirmherr des ›Vaterlands‹ und des ›heiligen Glaubens‹
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ewigung bedarf. Die ›patriae miseras‹ verlangen das ›grande opus‹. Was die Natur dem Dichter versagt haben mag, erzwingt das Unglück des Vaterlandes; es löst dem Dichter die Zunge. Ein politisches Lehrstück ist zu gewärtigen und die Selbsterniedrigung des Dichters ist allemal dazu angetan, die Erwartung auf dasjenige zu lenken, was er vorzutragen hat. Adressat ist der Fürst. Was immer er verrichtet, kommt der Sache zugute, die ihn und den Dichter verbindet.
Schirmherr des ›Vaterlands‹ und des ›heiligen Glaubens‹ Die politische Szene ist verdüstert. Das Kriegsglück ist auf seiten des Feindes. Schlesien, das sogleich wieder in das Blickfeld rückt, muß das Schlimmste befürchten. Als Sieger zieht der Gegner triumphal durch das Land. Da aber erfolgt der Eingriff des ›pater omnipotens‹, der Einhalt gebietet. Ihm ist der gute Rat zu danken, das Kriegsgeschehen an die Donau zu verlagern und daselbst Entsatz zu suchen. Fürst Bernhard von Sachsen-Weimar ist zur Stelle, um das Blatt zu wenden. Seine vornehmste Sorge ist, darin seinen Vorfahren gleich, ›das Vaterland und den heiligen Glauben‹ zu schützen.31 Von Liebe zur Freiheit ist er erfüllt, welche seit eh und je den Tyrannen verhaßt ist. Freiheit impliziert Freiheit des Glaubens. So sind gleich eingangs alle aus dem ›Trost-Gedichte‹ wie auch der ›Laudatio funebris‹ bekannten Töne neuerlich vernehmbar. Ein Weckruf wird erfolgen, sich heftend an den Namen und die Taten des Weimarers. Regensburg ist der Ort, an dem die Entscheidung fallen wird. Standhaft hält die Stadt am alten Glauben, dem evangelischen, fest (vetustam Incorrupta fidem, V. 34 f.), während sie die ›unfreundlichen Gesetze eines feindlichen Fürsten‹ zu ertragen hat (Principis aversi leges sufferre, V. 32). Die Stadt lechzt danach, das Joch abzuschütteln, und das womöglich ohne Blutvergießen. Tatsächlich gelingt es dem Fürsten, mit göttlicher Hilfe, die Stadt einzunehmen. Eine Schlacht ist siegreich geschlagen, weil Gott das ›fromme Wagnis‹ des Fürsten unterstützt. Und die besiegte Stadt – verkehrte Welt – freut sich besiegt zu werden, knüpft sich an die Niederlage doch die Aussicht, wiederum dem eigenen Glauben leben zu dürfen.32 Die Schlacht bei Lützen hat dem schwedischen König das Leben gekostet. Ein derart herber Verlust bleibt den Truppen Bernhards erspart. Sie werden sich des Königs würdig erweisen, indem sie um so entschiedener für ihren Glauben streiten. Keinen Moment herrscht ein Zweifel, wie die konfessionspolitischen Gewichte verteilt sind, wo der Feind steht und wo der Freund und Verbündete. Dieser Sieger tritt nicht über die Mauern ein, die er niederlegte; die Tore der Stadt sind ihm freudig geöffnet. Illum Mars positis quo ritu agit otia bellis, Et pia Relligio, et semper nova pondera questam
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Ebenda, S. 103. Der lateinische Satzzusammenhang: Majorum summa tuorum | Cura fuit fines patrios et sacra tueri (S. 102, Verse 20 f). Vgl. ebenda, S. 104, Verse 50–52: Deus tibi certior instat, | Quo firmante pios invicti Principis ausus | Vinceris et vinci gaudes.
XIX. In Großpolen und im Königl. Poln. Preußen
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Libertas patriam reddens sibi, Paxque decora, Ac tutus comitatur Honos.33
Als ein Retter betritt er die Stadt, weil die Herzen für ihn schlagen, sie alle der rechten Sache sich zugehörig wissen. Wohin, so die rhetorische Frage, ist die ›deutsche Redlichkeit‹ (Simplicitas Germana, V. 111) ausgewandert, sie, wie zu ergänzen, die da von den Humanisten und den ›Sodalitates‹ unermüdlich beschworen wird. Hier unter den Befreiten ist sie gegenwärtig. Diesem Retter ergibt man sich gerne. At tu, praesidium nostrae et spes optima vitae, Tu, Princeps, es noster amor, tibi laeta triumpho In lachrimas urbs omnis eat: non illa venire In tua jussa timet, quonam arma?34
Triumphgeschrei erfüllt die Luft. Die ›verlorene Freiheit des heiligen Glaubens‹ (libertatem sanctae pietatis ademptam, V. 153) regt sich wieder. In aller farbenreichen rhetorischen Drapierung bleibt die unversehrte Frömmigkeit das geheime Kraftzentrum, das der Sprecher im Auge behält. Ist Tyrannei durch Glaubenszwang definiert, so wahres fürstliches Ethos durch Befreiung von jedwedem Glaubensbann. Macte, experta tuas satis ante est Rhetia vires, Deplorat Bojus, timet Austria, Pannones optant.35
So zeichnen sich die Umrisse der konfessionspolitisch strukturierten Landschaft ab. Die katholischen Lande sind geschieden von jenen, da der Fürst als Befreier Einzug gehalten hat bzw. sein Erscheinen erhofft wird. Noch einmal, wie zu Zeiten des Aufbruchs in der Pfalz, vertraut der Dichter sich und sein Poem einem Fürsten an, der die rechte Sache zu seiner eigenen gemacht hat.
Geschichtlicher Kairos: Ein Echo aus vorrevolutionärer Pfälzer Zeit Die Gefahr aber ist die nämliche wie in den Jahren vor 1620. Wieder sammelt sich der Feind, erneut droht Gefahr in höchstem Maße. Verpuppt in die hergebrachten mythischen Bilder schimmert – wie schon einmal in Opitzens Heidelberger Zeit – das von Blut entstellte Antlitz des spanischen Herrscherhauses hindurch und des Dichters Stimme nimmt die eines Wächters und Mahners an, der aufrüttelt und zur Gegenwehr aufruft. ––––––––– 33
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Ebenda, S. 106, Verse 90–93. Der deutsche Text: Ihn nun geleitet Mars in der Art, in der er nach Kriegsende ruht, auch frommer Glaube, die Freiheit, die das Vaterland, das stets über neue Last klagte, sich selbst zurückgibt, der schöne Friede und sichere Ehre. (S. 107). Ebenda, S. 108, Verse 118–121. In der deutschen Übersetzung: Dich aber, Schutz unsres Lebens und seine herrlichste Hoffnung, Fürst, dich lieben wir, für dich vergießt, froh über den Triumph, die ganze Stadt Tränen: sie fürchtet es nicht, unter deinen Befehl zu kommen. Wozu die Waffen? (S. 109). Ebenda, S. 110, Verse 155 f. Der deutsche Text: Heil dir!- deine Kraft hat Rätien zuvor genug erfahren; der Bayer beklagt, Österreich fürchtet und die Ungarn ersehnen sie. (S. 111).
Geschichtlicher Kairos: Ein Echo aus vorrevolutionärer Pfälzer Zeit
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Quare agite, hanc patriamque laresque et sacra tueri Queis studium est, vigiles in facta attollite mentes, Iusque sub ense latens vestros servate per enses.36
Ja, der Dichter scheut sich nicht, zum Ausdruck zu bringen, daß es Aufgabe gerade der brüderlich geeinten Deutschen ist, für die eigene Freiheit und diejenige der Nachbarvölker einzustehen. Wie im ›Trost-Gedichte‹, ja wie schon im ›Aristarchus‹, sind es germanische Reminiszenzen, die anklingen, um den Kampfeseifer für das eine Gut, ›libertas‹, zu beflügeln. Dazu bedurfte es – wie in jenen nun schon so lange zurückliegenden Pfälzer Jahren – des geschichtlichen Kairos. Er zeichnet sich für einen Moment in den frühen dreißiger Jahren erneut ab und der Dichter ist wie ehemals zur Stelle, ihm die zündende Botschaft zu entlocken. Nunc equidem totis animis ausuque coire Tempus erat, si quid Germani sanguinis usquam est, O generosa cohors, armisque repellere fraudem, Ac libertati cognatas reddere gentes.37
Genau wie im ›Trost-Gedichte‹ stellt Holland das Beispiel einer im Widerstand gegen den Aggressor sich behauptenden, ja sich selbst findenden Nation. Die Wiederkehr einer bekannten Konstellation ist unverkennbar. Bei dem Nachbarland hat Deutschland in die Schule zu gehen. Und so endet das politische Pamphlet, als das es schließlich doch angesprochen werden darf, mit einem Appell, einem Fanfarenstoß gleich. Mit Gott und der guten Sache im Bunde kann dem Mutigen nichts Unbotmäßiges widerfahren. Id petite, ut causa quos dudum junxit eadem Iungat mente Deus, gratisque arrideat astris Imposito miseris per fanda nefandaque bello, Donec, vel gladio quaesita ultore quiete, Reddantur Cereri sua jugera, pascua Pani, Horti Pomonae, castis vaga flumina Nymphis, Tutaque pax agros, libertas ambiat aras, Et nunquam dominum timeat Germanus Iberum.38
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Der lateinische Text ebenda, S. 112, Verse 207–209. Die deutsche Übersetzung: Deshalb auf, ihr, denen es am Herzen liegt, dieses Vaterland, die Heimstätten und die geweihten Orte zu schützen: Richtet den wachen Sinn auf die Taten und bewahrt mit euren Schwertern das unter dem Schwert verborgene Recht! (S. 113). Ebenda, S. 112, Verse 219–222. In der deutschen Übersetzung: Jetzt, du edle Schar, wäre es in der Tat Zeit, von ganzem Herzen und mutig sich zu vereinen, wenn irgendwo etwas brüderlichdeutsches Blut noch vorhanden ist, mit Waffen die Hinterlist zu vertreiben und die verwandten Völker wieder in die Freiheit zu führen. (S. 113). Ebenda, S. 114, Verse 248–255. Die deutsche Übersetzung: Darum betet, daß Gott die, die er längst in der einen gemeinsamen Sache verbunden hat, auch in ihrem Herzen verbinde und mit günstigen Sternen den Unglücklichen zulächle im Krieg, der ihnen, zu Recht oder zu Unrecht, auferlegt ist, bis, und sei es, daß die Ruhe mit rächendem Schwerte errungen wurde, Ceres ihre Äcker zurückerhält, Pan die Weiden, Pomona die Gärten, die keuschen Nymphen die schwellenden Flüsse und bis sicherer Frieden das Feld, Freiheit die Altäre umgibt und der Deutsche nimmermehr die Herrschaft des Spaniers fürchtet! (S. 115).
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Mit diesen Worten verabschiedete sich der Dichter aus seiner Heimat. Schlesien, die schlesische Sache, war für einen Moment zurückgetreten. Das Schicksal einer ganzen Nation steht auf dem Spiel, und nur als wagemutige und geeinte vermag sie die Bedrohung zu parieren. Auf denkwürdige Weise gehen politische und religiöse Selbstbestimmung zusammen. Der Humanist ist es, der diesen Zusammenhang gewahrt und statuiert. Es ist ein aus antikem Geist gezeugter und inspirierter, jedweder Form der Tyrannis vehement widerstreitender. Wohin man blickt – um 1600 finden jene Gedanken und Ideen ihre erste Formulierung, die sich nicht wieder verlieren sollten, weil sie Elementaria, weil sie die Fundamente einer politischen Philosophie der Moderne im weitesten Sinn bezeichnen.
Auf dem Weg nach Polen Auf den 30. November des Jahres 1633 war die Widmung an Bernhard von SachsenWeimar datiert. Einen guten Monat vorher waren die Protestanten bei Steinau an der Oder von den Kaiserlichen vernichtend geschlagen worden. Die ›Conjunction‹ war wenige Monate nach ihrer Gründung desaströs gescheitert. Die Piastenherzöge zogen es vor, ihre Heimat zu verlassen, um den drohenden Strafmaßnahmen des Kaisers zu entgehen und herüberzuwechseln nach Polen.39 Der Weg führte bezeichnenderweise über Lissa. Am 12. Oktober 1633 traf Herzog Johann Christian daselbst ein, sein Bruder folgte noch am späten Abend desselben Tages. Dort trafen die Herzöge zusammen mit einem Wahlverwandten, von dem wir ausführlich hören werden, wußte sich doch auch Opitz eben diesem Großen aus dem Geschlecht nachhaltig verbunden.40 Ein Aufenthalt nahe der schwedischen Grenze schien auf die Dauer zu gefährlich. Man entschied sich für Thorn und vollzog damit den Übertritt von Großpolen in das Preußen Königlich Polnischen Anteils. Neuerlich bewährte sich der enge, nicht zuletzt konfessionell vielfältig geprägte Zusammenhang zwischen den beiden Regionen. Nach einer Woche in Lissa brachen beide Herzöge nach Thorn auf. Der polnische König war informiert und ließ es an einer Willkommensadresse nicht fehlen. Thorn ––––––––– 39
40
Vgl. Georg Jaeckel: Geschichte der Liegnitz-Brieger Piasten. Band II.- Lorch/Württ.: Weber 1982, S. 68 f. Wir verweisen auf den wichtigen Beitrag von Norbert Conrads: Das preußische Exil des Herzogs Johann Christian von Brieg 1633–1639.- In: Preußische Landesgeschichte. Festschrift Bernhart Jähnig. Hrsg. von Udo Arnold, Mario Glauert, Jürgen Sarnowsky.- Marburg: Elwert 2001 (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung; 22), S. 39–49. In erweiterter Fassung (vor allem hinsichtlich der Anmerkungen) wieder abgedruckt in: Norbert Conrads: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2009 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; 16), S. 39–52. Zu verweisen ist auch nochmals auf Hermann Palm: M. Opitz im dienste der herzoge von Brieg und Liegnitz.- In: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Mit einem Bildnisse von M. Opitz.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1977, S. 222–243. Und schließlich sei an die wichtige Miszelle von Richard Alewyn erinnert: Opitz in Thorn (1635/1636).- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 66 (1926), S. 169–179.
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war eine prosperierende Handelsstadt und geprägt durch ein vorwiegend deutsches Milieu.41 Wie in Danzig und Elbing bestand auch in Thorn, wie erwähnt, ein bedeutendes Gymnasium, das vor allem von Schlesiern besucht wurde.42 In der Oberschicht selbst, auch aber in den Zünften dominierte das deutsche Element. Man etablierte sich, auch wenn es unverkennbar war, daß es an finanziellen Ressourcen für einen standesgemäßen Lebensstil durchaus mangelte. Wir haben bei Opitz zu verharren. Der war unentwegt für seine alten wie neuen Herren tätig, verblieb also für geraume Zeit in räumlicher Distanz zu den Piastenherzögen. Opitz weilte zunächst, wie wir hörten, in Frankfurt am Main, mit den Problemen befaßt, die aus der ›Conjunction‹ resultierten. Er gehörte der schlesischen Delegation an. Und er nahm eine jede sich bietende Gelegenheit wahr, sich den Herzögen als Berichterstatter nützlich zu machen. So findet sich auf der Rhedigerschen Bibliothek in der Sammlung von Arletius ein eigenhändiger Bericht von Opitz an die Herzoge über die Zustände und Ereignisse im Reiche und den Eindruck der schlesischen Zustände auf Oxenstierna aus Frankfurt a.M. und vom Monat November [des Jahres 1633], d.i. eben der Zeit und dem Orte, wo jene Gesandtschaft beim Reichskanzler verweilte. Außerdem hat dieselbe Sammlung einen Brief von Opitz an Dan. Neumann [i.e.: Daniel Hermann] in Breslau, im December jenes Jahres [1633] von Halle aus geschrieben, in welcher Zeit sich die Gesandten dort auf der Rückreise befanden. Endlich berichtet der Herzog Johann Christian von Brieg selbst in den erwähnten Acten am 13. Februar 1634 von Thorn aus, wohin er sich nach Wallensteins Siege bei Steinau geflüchtet hatte, an seine Gesandten, die in Berlin verweilten, Opitz sei in Thorn angekommen und habe ein Schreiben eines von ihnen und mündlichen Bericht überbracht.43
So war die Ankunft Opitzens in Thorn im Februar des Jahres 1634 zweifelsfrei sichergestellt. Schweden war in den vergangenen Monaten in den Gesichtskreis Opitzens getreten, und das vor allem über die Gestalt Oxenstiernas – ein Kontakt, der alsbald gravierende Konsequenzen für den Dichter zeitigen sollte. Es ist das Verdienst von Palm, die hier obwaltenden Zusammenhänge aus archivarischen und brieflichen Dokumenten nach Maßgabe des Möglichen aufgeklärt zu haben. Manches Rätsel blieb ungelöst, gewiß. Doch in eine bis dato so gut wie unbekannte Phase im Leben Opitzens fiel neues Licht und Palm durfte sich rühmen, dazu wesentlich beigetragen zu haben. Denn kein anderer als Opitz war von den Herzögen nun dazu ausersehen, fortan den engsten Kontakt zu dem schwedischen Feldherrn Banér zu halten, der im Auftrage des schwedischen Reichskanzlers den Kampf auf protestantischer Seite in ––––––––– 41
42
43
Vgl. Michael North: Englische Reiseberichte des 17. Jahrhunderts als Quelle zur Geschichte der königlich-preußischen Städte Danzig, Elbing und Thorn.- In: Thorn. Königin der Weichsel 1231– 1981 (Anm. 7), S. 197–208, hier S. 204 f. Vgl. den Beitrag von Theodor Wotschke: Schlesier auf dem Thorner Gymnasium im 17. Jahrhundert (Anm. 8). Hermann Palm: Beiträge zur Lebensgeschichte und Charakteristik des Dichters Martin Opitz von Boberfeld.- In: Abhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Philosophisch-historische Abteilung. 1861, Heft 1, Seite 24–31. Hier das Zitat S. 28. Der Aufsatz eingegangen unter dem Titel: Martin Opitz als agent schlesischer herzoge bei den Schweden.- In: Hermann Palm: Martin Opitz von Boberfeld. Zwei beiträge zur lebensgeschichte des dichters. Eine gabe fürs Opitzdenkmal in Bunzlau.- Breslau: Morgenstern 1862, S. 1–14. Der Beitrag ist gleichfalls verarbeitet in der oben Abhandlung 40 zitierten Abhandlung Palms.
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Deutschland fortsetzte – und das nicht zuletzt auf inständige Intervention der Piastenherzöge hin.44 Seines Bleibens in Thorn war also zunächst nur kurze Zeit. Im Mai des Jahres war er wieder in Breslau, um die Ansprüche der schwedischen Armee gegenüber der sächsischen zu wahren. Banér begegnete dem Dichter und Diplomaten alsbald mit größter Hochachtung. Er begleitete das schwedische Heer über Zittau nach Böhmen. In Leitmeritz nahm dieses im November Quartier, und von hierher wurde Opitz an den kurfürstlichen Hof in Dresden gesandt. Im darauf folgenden Monat weilte er wieder in Schlesien, und zwar in Johann Christians Residenz in Brieg. Von dort führte der Weg zurück nach Breslau, wo er sich bis zum Mai des Jahres 1635 aufhielt, unermüdlich mit neuen Missionen befaßt. Erst danach erfolgte dann im Sommer die Rückkehr nach Thorn.
Ein prominenter Widmungsempfänger: Gerhard von Dönhoff Eine Phase der Ruhe durfte der Unstete nunmehr für eine Weile genießen. Und alsbald setzte die lebhafte dichterische Produktion wieder ein, der wir uns nach diesem kleinen Exkurs nunmehr zuzuwenden haben. Große Texte warten auf uns und mehr als einmal soll ausführlicher von ihnen die Rede sein, ist ihnen doch genügend Wissenswertes über einläßliche Interpretation zu entlocken. Wir setzen ein mit einer der prominentesten Schöpfungen aus der Feder Opitzens. Das aber nicht mit Blick auf diese selbst, sondern den Widmungsempfänger, kam diesem doch im Leben der Herzöge wie des Dichters erhebliche Bedeutung zu. Sein Name verband sich mit dem der Stadt, in der die Exulanten für geraume Zeit eine Bleibe fanden. Er war es, der den Kontakt zum polnischen König stiftete. Und er selbst durfte über seinen Lebensgang, seine verwandtschaftlichen Beziehungen und nicht zuletzt seine geistige Welt Interesse beanspruchen. Dieses wurde ihm von Opitz deutlich sichtbar entgegengebracht. Sein Name haftete fortan an einer berühmten Dichtung Opitzens und die wiederum war ausgestattet mit einer Widmung, der wir uns als erster der Verlautbarungen Opitzens auf polnischem Boden zuwenden. Die Widmung ist an den Grafen Gerhard von Dönhoff gerichtet, der die entscheidende Instanz in Thorn für die aus Schlesien Geflüchteten geblieben war.45 Opitz hät––––––––– 44
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Einschlägig daher für das Folgende vor allem die in Anm. 43 zitierte Arbeit Palms aus dem Jahre 1861, die im Hinblick auf die schwedischen Belange nur partiell in die nachfolgende aus dem Jahr 1862 eingegangen ist. Grundlegend geblieben: die aus reichen archivalischen Quellen geschöpfte Studie des in Königsberg promovierten und zeitweilig wirkenden Gelehrten Gustav Sommerfeldt: Zur Geschichte des Pommerellischen Woiwoden Grafen Gerhard von Dönhoff († 23. Dezember 1648).- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 43 (1901), S. 219–265. Der Beitrag wurde von Sommerfeldt in der Erwartung erarbeitet, daß er die Vorstufe zu einer Biographie Dönhoffs bilden würde; eine solche ist indes niemals erschienen. Opitz spielt in der Arbeit Sommerfeldts keine Rolle. Vgl. auch die 1649 in Elbing erschienene Leichenpredigt von Michael Mylius. Sie befand sich laut Auskunft von Sommerfeldt in einem Sammelband der Königlichen Bibliothek zu Königsberg (S. 156, 4o, Nr. 10). Erhalten ist das Exemplar in der Nationalbibliothek zu St. Petersburg, das schon Winkelmann in seiner ›Bibliotheca Livoniae historica‹ (Berlin 1878, S. 435) erwähnt. Im übrigen
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te keine einflußreichere, mit weitreichenden Kontakten ausgestattete Persönlichkeit für diesen dedikatorischen Akt namhaft machen können. Ihre Präsenz als Widmungsempfänger kam seinem Text mit Gewißheit gerade in jenen Kreisen zugute, die ansonsten schwerlich Zugang zu Opitz gefunden hätten. Für den polnischen König war er sehr rasch eine überhaupt nicht mehr entbehrliche Figur der Vermittlung in den nicht endenden Auseinandersetzungen mit den Schweden, auch aber den Konflikten, wie sie die mächtige Handelsstadt Danzig erschütterten. Daß ein Dichter wie Simon Dach aus dem fernen Königsberg den hochangesehenen Grafen und Mitglieder seiner Familie gleich mehrfach bedichtete, zeigt, daß man um seine herausragende Position wußte und der Brückenschlag zu den Poeten keinesfalls nur über Opitz erfolgte. In wenigen Strichen mag sein Porträt gezeichnet sein, blieb er für Opitz doch in dem neuen Lebensraum seiner letzten Jahre ein willkommener Ansprechpartner. Es steht zu vermuten, daß die beiden berühmten Männer durchaus freundschaftlich miteinander verkehrten. Gerhard von Dönhoff wurde 1590 in Marienburg geboren. Der gleichnamige Vater war Statthalter von Livland und Woiwode von Dorpat und Oberpalen. Der Sohn entstammte also einem angesehenen und politisch eingeführten Geschlecht. So war es ihm möglich, frühzeitig in Beziehung zu dem jugendlichen Sohn des polnischen Königs Sigismund III. zu treten. Die Beziehung zu Władysław IV. blieb eine lebensbestimmende, und das offensichtlich auch für den nachmaligen König selbst. Frühzeitig erwarb Dönhoff Erfahrung in Kriegen, welche ihn nach Frankreich, an den Rhein und nach Belgien führten. Anschließend war er an kriegerischen Auseinandersetzungen mit Rußland beteiligt. Er fungierte in den letzteren als kurbrandenburgischer Rittmeister. An der Spitze eines eigenen Regiments trat er Gustav Adolf entgegen, als dieser das Preußen Königlich Polnischen Anteils im schwedisch-polnischen Krieg zwischen 1626 und 1629 mit seinen Truppen überzog. Danzig auf der einen Seite, aber auch Thorn auf der anderen kam das Wirken Dönhoffs offenkundig in besonderer Weise zugute. An den Waffenstillstandsverhandlungen in Elbing nahm er an vorderster Stelle teil. In jedem Fall festigten sich in diesen Jahren die Bande zum polnischen Königshaus, von denen auch Opitz dann eminent profitieren sollte. Seit Anfang der dreißiger Jahre ist er als Starost von Berent in Westpreußen und von Fellin in Livland bezeugt. Am 30. April 1632 starb Sigismund III. und Władisław folgte seinem Vater nach. »Um das Zustandekommen der Wahl desselben erwarb sich Dönhoff Verdienste, indem er Thorn, Danzig und andere wichtige Orte als Gesandter im Auftrage Władisławs besuchte.«46 In den nicht endenden Auseinandersetzungen zwischen Polen und zumal der Stadt war er immer wieder als Vermittler gefragt. Als die Türkengefahr auch für den Norden bedrohliche Züge annahm, stellte er einen Antrag auf Überlassung einiger hundert in Danzig liegender Soldaten, um gegen die Türken zu ziehen. Genau in jene Zeit, da die Piastenherzöge und Opitz in Thorn weilten, fiel im Jahre 1635 die Erhebung Gerhard von Dönhoffs und seiner beiden Brüder in den Grafenstand. Ein Jahr später, im Februar 1636, empfing Dönhoff den polni––––––––– 46
ist heranzuziehen der Eintrag von Schwarz zu Dönhoff in der ›Altpreußischen Biographie‹. Band I (1941), S. 111. Sommerfeldt: Zur Geschichte (Anm. 45), S. 228.
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schen König prunkvoll auf seinem Schloß in Marienburg. So spricht vieles dafür, daß es der nunmehrige Graf war, der den Kontakt Opitzens zum polnischen König herstellte, von dem sogleich ausführlicher zu sprechen sein wird. In dieses Bild paßt, daß sich Dönhoff nachhaltig für die Belange der Reformierten zumal in Danzig einsetzte, die auch dort wie überall unter permanentem Druck weniger der Katholiken als der Lutheraner standen. Der polnische König wurde eingeschaltet und mußte hier wie anderwärts vermittelnd tätig werden. Ein Opitz wird auch dies aufmerksam und mit Sympathie wahrgenommen haben. Als Dönhoff seine Pflichten als Marienburger Ökonomist und Landschaftsmeister an die Stadt banden, schlug er daselbst schließlich seine Residenz auf. So blieb er Opitz in dessen letzten Lebensjahr auch räumlich nicht nur über Danzig nahe. Die Übertragung der Kastellanschaft der Stadt Danzig durch den polnischen König und sein nachfolgender Aufstieg zum Woiwoden von Pomerellen erfolgten freilich erst nach Opitzens Tod. Gerade aus der Danziger Zeit liegen Dokumente vor, die ein grelles Licht auf die nicht endenden Konflikte zwischen Lutheranern und Reformierten werfen, welche Dönhoff wiederholt beschäftigten. Die Art und Weise seines Handelns und die Worte, die er fand, waren geprägt von einem Geist, wie er unter den Humanisten inzwischen eine Heimstatt gefunden hatte und dem Opitzschen Habitus allemal entsprach. Wesenverwandtschaft wurde erkennbar. Und die nun spiegelt sich auch in der Widmungsadresse zu einem Werk, mit dem Opitz sein Exil in Polen eindrucksvoll eröffnete.
Ein Drama aus dem Exil Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße/ ohne das sie selten leidet/ das man geringen standes personen vnd schlechte sachen einführe: weil sie nur von Königlichem willen/ Todtschlägen/ verzweiffelungen/ Kinder= vnd Vätermörden/ brande/ blutschanden/ kriege vnd auffruhr/ klagen/ heulen/ seuffzen vnd dergleichen handelt. Von derer zugehör schreibet vornemlich Aristoteles/ vnd etwas weitleufftiger Daniel Heinsius; die man lesen kan.
So Opitz in einem berühmten Passus seines ›Buches von der Deutschen Poeterey‹ aus dem Jahr 1624.47 Gleich im Anschluß an die Ausführungen zum ›heroisch getichte‹, die entschieden mehr Raum beanspruchen, wechselt er herüber zur Tragödie. Epos und Tragödie galten im Humanismus als die Königsdisziplinen im Fach der Dichtkunst. Wer auf sich hielt, mußte sich in ihnen versucht haben. Das wußte selbstverständlich auch Opitz. Er wußte aber auch, daß die Zeit für ein Epos in deutscher Sprache noch nicht gekommen sei. Diese gewaltige dichterische Herausforderung bedurfte des geschichtlichen kairos, um gedeihen zu können. Also wich er frühzeitig aus auf eine Kreuzung aus lehrhaftem und epischem Stoff, dem er in den vier Büchern seines ›Trost-Gedichtes in Widerwertigkeit des Krieges‹ eine eindrucksvolle Statur verlieh. Ansonsten wandte er sich mit Erfolg derjenigen Gattung zu, die die Nachfolge des Epos in der Moderne angetreten hatte, dem Roman. Mit sicherer Hand griff er zum ––––––––– 47
Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu herausgegeben von Richard Alewyn. 2. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1966 (Neudrucke deutscher Literaturwerke. N.F.; 8), S. 20.
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politischen und zum schäferlichen Roman, der letztere seinerseits versetzt mit heroischen Zügen. Musterstücke waren soeben in Schottland und England durch John Barclay und Philip Sidney mit Bravour geschaffen worden, und Opitz übertrug sie ins Deutsche. Damit war auf dieser Ebene den Anforderungen im Blick auf die alteuropäische Gattungshierarchie fürs erste Genüge getan. Analog verfuhr Opitz auf seiten der Tragödie. Auch hier fühlte er sich nicht berufen, Schöpfungen aus eigener Einbildungskraft zu verfassen. Wiederum schlug er den Umweg über die Übersetzung ein. Übersetzen erfreute sich hohen Ansehens im Humanismus, wurde doch allenthalben die Kenntnis von Mustern befördert und zudem der eigenen Sprache ein Dienst erwiesen. Anders als auf seiten des Romans bot sich auf seiten der Tragödie der Rückweg in die Antike an. Wie im Epos – aber eben nicht im Roman – waren in der Tragödie die weltliterarischen Kreationen unter dem Stern von Hellas und Rom hervorgetreten. Den Humanisten standen die lateinischen Schöpfungen näher. Also griff auch Opitz zunächst zu einem Drama von Seneca und übertrug dessen ›Trojanerinnen‹ 1625 ins Deutsche. Von noch größerem Nimbus umgeben waren indes die griechischen Tragiker. So lockten sie seinen Ehrgeiz gleichfalls. Zu Sophokles blickte er ehrfurchtsvoll herüber und näherte sich einem Text von bleibendem Rang, seiner ›Antigone‹.48 Hier ist nicht der Ort einer näheren Einsichtnahme, geht es uns doch um anderes. Das Werk kam nämlich in Danzig heraus und eröffnete zusammen mit einem weiteren, dem wir uns sogleich zuwenden werden, die Reihe der Publikationen großer Texte auf polnischem Boden, die zu vollenden und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen ihm in seinen letzten Lebensjahren in so eindrucksvoller Weise vergönnt war. Und zugleich wählte er einen Adressaten, der in diesem Raum lebte und wirkte, eben den Grafen Gerhard von Dönhoff. Wir nähern uns also einer der großen Schöpfungen aus Opitzens späten Jahren, indem wir einen Blick in die Dönhoff zugedachte Widmung werfen.49 ––––––––– 48
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Des Griechischen Tragoedienschreibers Sophoclis Antigone. Deutsch gegeben Durch Martinum Opitium. Dantzig/ Gedruckt durch Andream Hünefeldt Buchhändler/ Jm Jahr 1636. Die klassische Untersuchung zu der Opitzschen Übersetzung stammt von Richard Alewyn, der mit ihr seinen rasch sich verbreitenden Ruf als führender ›Barockforscher‹ begründete. Vgl. Richard Alewyn: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der ›Antigone‹-Übersetzung des Martin Opitz.- Heidelberg: Köster 1926 (Neue Heidelberger Jahrbücher. N.F.; 1926), S. 3–63. Das Werk erschien auch 1926 separat am nämlichen Ort bei Köster. Einen Reprint legte die Wissenschaftliche Buchgesellschaft in Darmstadt im Jahr 1962 in der Reihe ›Libelli‹ vor. Der 79. Band der schönen Reihe ist der Alewynschen Dissertation gewidmet, die bei Max von Waldberg in Heidelberg entstand. Die vielen inzwischen vorliegenden Stellungnahmen sollen hier nicht aufgeführt werden; sie sind zunehmend kritischer geworden. Vgl. zuletzt Anastasia Daskarolis: Die Wiedergeburt des Sophokles aus dem Geist des Humanismus. Studien zur Sophocles-Rezeption in Deutschland vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.- Tübingen: Niemeyer 2000 (Frühe Neuzeit; 55). Hier der Abschnitt ›Richard Alewyns Bewertungskriterien‹, S. 314–319. Die Arbeit Alewyns wurde seinerzeit von den führenden Fachvertretern enthusiastisch begrüßt, galt sie doch als ein Muster einer mikrologischen, stilkritischen Betrachtung, die die zwischenzeitlich offenbar gewordenen Grenzen der geisteswissenschaftlichen Methode zu korrigieren imstande war. Exemplar mit Widmung an die Eltern im Besitz des Verfassers. Der Titel der Widmung lautet: Perillustri & Generosissimo Domino, Gerhardo Doenhofio Praefecto Berntae ac Velini, Curatori Regio territorij Mariaeburgensis, Martinus Opitius. Der Text in der
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Porträt eines Wahlverwandten Als ›Praefecto Berntae ac Velini, Curatori Regio territorij Mariaeburgensis‹ spricht Opitz Gerhard von Dönhoff an, zeigt sich also bestens informiert, denn anderweitige Ehren lagen ja noch in der Zukunft. Eine Zeit des ›Otiums‹ ist eingekehrt und geleitet den Dichter zu seinem rednerischen Eingang, liegt es doch nahe, die mit diesem Zustand alsbald sich einstellenden humanistischen Assoziationen und Gedankenfiguren aufzurufen. Dem Laster der Trägheit, jedwedem auf die ›vita activa‹ gerichteten Streben feind, wird der Dichter gewiß keinen Tribut zollen. Und das schon deshalb nicht, weil die politischen Verhältnisse dazu nicht angetan sind, auch und vor allem aber, weil er freveln würde an den Wohltaten, die ihm da unversehens in dem gastfreundlichen Land nicht zuletzt dank seines Gönners zugefallen sind. Opitz erweist sich auf der Höhe seiner dedikatorischen Kunst. In wenigen Sätzen ist eine neue Welt gegenwärtig. Ego, exactor dierum non ignavus, qui calamitate patriae adductus, regni hujus tranquillitate, auspicijs divinis, felicitate regia, consilio Procerum parta, invitatus, pedem apud vos ponere coepi, ita saltem hoc vitae meae silentium absque insigni pigritiae nota transacturum me confido, si, quod solum fermè mihi nunc iam relictum esse video, partem temporis maximam in literis ac doctrinae studijs consumam.50
Als Erweis, daß er nicht in Untätigkeit versunken ist, hat der Dichter seine Übersetzung der ›Antigone‹ zur Hand. Als beste der von Sophokles überlieferten Tragödien qualifiziert er sie. Doch daran hat nicht nur der Text Anteil. Ihr Dichter selbst hat als Krieger seinen Mann gestanden; Dichtung und öffentliches Wirken gingen Hand in Hand. Der Beifall, den das Werk bei den Athenern fand, ist Grund genug für Opitz, es den Deutschen in einem neuen gereinigten Sprachgewand zuzuführen. Wird Dönhoff als Adressat auserkoren, so auch, weil er gleichfalls in öffentlichen Angelegenheiten unermüdlich unterwegs ist. Vobis in hoc inclito regno constitutis imprimis, Doenhofi Generosissime; qui cum tristissimum belli Civilis exitum, sublatos caede mutua fratres, falsa simulationum Creontis et latentem sub imagine pietatis tyrannidem pestiferam, adulationes etiam bonorum, casusque varios hic intuebimini: beatitudinem vestram, ob exoptatam hanc pacem, concordiam civium ac amorem, inculpatam invicti Regis Vestri, Optimi rerum humanarum Principis, justitiam, libertatem rectè sentiendi, adeoque res undiquaque secundas, quibus diuturnitatem annorum adijciat supremum Numen, facilè deprehendetis.51
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Anmerkung 15 zitierten Ausgabe der lateinischen Werke Opitzens, zusammen mit der deutschen Übersetzung von Martin Fruhstorfer, S. 140–147. Der Kommentar von Martin Fruhstorfer und Robert Seidel auf den Seiten 462–467. Ebenda, S. 140. Der deutsche Text: Ich, der ich meine Tage nicht untätig verbringe, sondern durch das Unheil meines Vaterlandes veranlaßt und von der Ruhe in diesem Königreich angezogen, die durch göttliche Fügung, durch königliches Glück und durch den Rat der Stände hergestellt worden ist – der ich also begonnen habe, bei euch heimisch zu werden, bin überzeugt, daß ich so zumindest mein Leben hier in Stille, aber ohne den deutlich erkennbaren Makel der Trägheit führen werde, wenn, was mir offenkundig so ziemlich als einziges übrig bleibt, ich den größten Teil meiner Zeit mit Wissenschaft und gelehrten Studien verbringe. (S. 141). Ebenda, S. 142. In der deutschen Version: Und euch besonders, edler Dönhoff, der ihr in diesem bedeutenden Reich im Einsatz seid: Wenn ihr den unglückseligen Ausgang des Bürgerkrieges, der
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So erklingt das Lob des nachbarlichen Reiches auch in der Vorrede zur AntigoneÜbersetzung. Es stellt ein Gegenbild zum Reich des Kreon, wie es Sophokles für alle Zeit im Wort festgehalten hat. Von einem dem Drama aufgetragenen Zweck, das Leben der Menschen zu bessern, erfährt der Topos derart seine überraschende, im weitesten Sinn politische Wendung. Den Bürgern im polnischen Königreich unter Władysław IV. werden die Augen geöffnet für deren Segnungen. Das Schauspiel, recht gedeutet, verdient also keineswegs Verachtung, wie sie in der Gegenwart nicht verstummen will. Die Griechen ebenso wie die Römer haben gezeigt, wie viel ihnen die Schaustücke wert sind, sahen sie in ihnen doch ein Medium, in dem ihre eigenen Angelegenheiten öffentlich verhandelt wurden. Nicht in der ›Poeterey‹, sondern in den okkasionell erfolgenden Verlautbarungen gelingen Opitz die trefflichsten poeto-politischen Formulierungen. Hier besitzt er ein Forum, das er meisterhaft zu nutzen weiß. Warum aber all dies vor den Augen und Ohren eines Dönhoff? Weil dieser als der Inbegriff eines vorbildlichen Fürsten gelten darf, der alle seine Vorzüge nicht in erster Linie seinem Geschlecht, sondern der eigenen Bemühung auf allen denkbaren Gebieten verdankt. [...] hanc verò prudentiam tuam, longo peregrinationum pariter ac negotiorum maximorum usu comparatam, hos in pacandis circa sacra profanaque dissentientium animis salutares conatus, fidem et industriam, hanc admirandam naturae tuae bonitatem, tam exactam lingvarum aliquot notitiam, tantam morum innocentiam, tot virtutum tuarum, abstinentiae, pietatis et constantiae, decora qui perpendet, ornamento te majoribus, posteris exemplo esse vel invitus fatebitur.52
Wieder gehen moralische, intellektuelle und politische Vorzüge jene Symbiose ein, die aus dem Vertreter eines angesehenen Geschlechts erst den von den Humanisten immer wieder beschworenen vorbildlichen Staatsmann machen. Thorn ist die Stadt, die das Glück hat, von dem eindrucksvollen Wirken Dönhoffs zu profitieren. Als ein ›Augapfel und Kleinod‹ des Königlichen Preußen (oculum Borussiae vestrae ac delicias meritissimò) bezeichnet er den Ort, da Dönhoff seinen Wirkungskreis hat. Seiner Tapferkeit verdankt die Stadt einen ›zweiten Geburtstag‹ (dies quidem illa, loco huic tanquam alter natalis), hat sie die Feinde doch in der entscheidenden Stunde von ihr fernhalten können. An eben dieser Stelle führt der Dichter sich nun seinerseits dankbar ein, ohne daß ein einziges Wort über seine eigenen Meri–––––––––
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in gegenseitigem Schlachten hingerafften Brüder, die Falschheit von Kreons Verstellungen und seine unter dem Mantel der Staatsräson verborgene todbringende Tyrannei, die Schmeicheleien auch der Guten und die vielfältigen Unglücksfälle dort betrachtet, werdet ihr leicht – aufgrund dieses ersehnten Friedens hier, der Eintracht und Liebe der Bürger, der untadeligen Gerechtigkeit eures unbesiegbaren Königs, des besten Fürsten des Menschengeschlechts, und der Freiheit, offen für das Richtige zu stimmen – euer Glück erkennen und schließlich auch das allgemeine Wohlergehen, dem die höchste Gottheit eine langjährige Dauer verleihen möge. (S. 143). Ebenda, S. 144. Der deutsche Text: Wer aber deine Klugheit, erworben durch die über lange Zeit unternommenen Reisen und bedeutenden Geschäfte, deine heilsamen Versuche einer Befriedung der über heilige und weltliche Dinge streitenden Gemüter, Treue und Fleiß, die bewunderungswürdige Güte deines Wesens, deine genaue Kenntnis mancher Sprachen, deine große Rechtschaffenheit, den Glanz deiner zahlreichen Tugenden – Zurückhaltung, Frömmigkeit und Beständigkeit – abwägt, der wird sogar gegen seinen Willen gestehen müssen, daß du den Vorfahren eine Zierde, den Nachkommen ein Vorbild bist. (S. 145).
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ten verlautete. Im Gegenteil. Die öffentliche Ehrung, die er einem Großen des Landes zuteil werden läßt, spricht für sich, birgt sie doch das Angebot, in die Dienste einer verehrten Persönlichkeit auf einem geweihten Boden dank königlicher, von Weisheit geleiteter Autorität zu treten. Dem Dichter ist über das öffentliche, das panegyrische Wort ein von Verheißung umspielter Übergang in die neue Stätte seines Wirkens gelungen. Die erhoffte Anerkennung wurde ihm rasch zuteil. Und das im engen Zusammenwirken mit dem Widmungsempfänger, der den entscheidenden Kontakt gestiftet haben dürfte, welcher ein lebensbestimmender in Opitzens letzten Jahren werden sollte.
Eine königliche Begegnung mit Folgen Im Januar 1636 hielt sich der polnische König auf seiner Reise nach Danzig für einige Tage auch in Thorn auf, wie aus dem Tagebuch des Fürsten Albrecht Stanislaus Radziwiłł bekannt.53 Nicht ausgeschlossen, daß der in Thorn weilende Opitz schon jetzt – vermittelt über Dönhoff – die Bekanntschaft mit dem König machte. Möglich aber auch, daß die erste Begegnung in Danzig erfolgte. Glücklicherweise hat sich ein Brief von Opitzens Jugendfreund Bernhard Wilhelm Nüßler an August Buchner vom Juni des Jahres 1636 erhalten, der im vorliegenden Zusammenhang einschlägig ist. Nüßler nämlich weiß zu berichten, daß am polnischen Hof und in den hochgestellten polnischen Kreisen ein Werk von Opitz Interesse und Zuspruch erfahren habe. Es dürfte sich um eben jenes handeln, dem wir uns sogleich zuzuwenden haben. Diese Mitteilung aber verbindet Nüßler nun mit der weiteren, daß der polnische König selbst sodann die Initiative ergriffen habe, und das unter bemerkenswerten Begleitumständen und mit ebenso bemerkenswertem Effekt. In diesem für die Opitz-Biographie wichtigen Brief lesen wir: Panegyricum Opitii Uratislaviâ petitum (nam quae penes me erant exempla, inter amicos distribueram) ad te mitto, ne ejus desiderio diutius torquearis. Placuit inprimis Serenissimo Regi, uti & aulae praecipuis, quorum plerique ad Regis exemplum & sermonem & cultum Germanicum adfectant. Jussit etiam Rex, ut Dantiscum se sequeretur: ubi intimâ admissione dignatum secreto colloquio in alteram horam detinuit. Donario quoque regio prosecutus est, neque jam nunc desistit per amicos postulare, ut munus Historiographi suscipiat, oblato quasi in antecessum M Imperialium congiario. [...] Inter primarios aulae Patronos merito ipsius Gerhardum Denhofium numerat, Virum & nostrae religioni addictissimum, & ob pietatem, prudentiam, eruditionem, resque pace ac bello praeclarissimè gestas Regi ac Regni Proceribus acceptissimum [.]54
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Vgl. Marian Szyrocki: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4), S. 110 mit Anm. 4. Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 1), Band II, S. 1316. Der deutsche Text: Aus Breslau habe ich den Panegyricus des Opitz angefordert, denn die Exemplare, die bei mir waren, hatte ich unter Freunden verteilt. Ich schicke ihn Dir, damit Du nicht länger von Sehnsucht danach gequält wirst. Er gefiel besonders dem erhabensten König wie auch den Vornehmen am Hof, von denen die meisten sich nach dem Beispiel des Königs die deutsche Sprache ebenso wie deutsche Sitten anzueignen streben. Der König befahl auch, daß Opitz ihm nach Danzig folge, wo er ihn einer Privataudienz würdigte und bis nach ein Uhr nachts zu geheimer Unterredung zurückhielt. Er entließ ihn auch mit einem königlichen Widmungsgeschenk und läßt jetzt schon nicht da-
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Der König und sein Hof hätten also die Władysław IV. zugeeignete Schrift beifällig zur Kenntnis genommen. Wäre dem so gewesen, wie wahrscheinlich, so hätte sie die intendierte Wirkung gezeitigt. Der König selbst hätte sich daraufhin bemüht, den Dichter als Historiographen zu gewinnen – ein Amt, das nicht zu trennen war von aktuellen politischen Aufträgen und Missionen, um die es dem König vor allem gehen mußte. Der Literaturwissenschaftler aber horcht an anderer Stelle womöglich nicht weniger überrascht auf. Am polnischen Hof wäre ein Interesse an der deutschen Sprache lebendig gewesen? Dann löste sich auch ein an Opitzens ›Lobschrift‹ auf den polnischen König geknüpftes Rätsel. De facto gibt sie sich zweisprachig. Einer langen und anspruchsvollen lateinischen Zueignungsschrift von eigenem Gewicht folgt das Lobgedicht auf den polnischen König in deutscher Sprache, und zwar – wie dem hohen Anlaß geziemend – in Alexandrinern. Beide Sprachen erwiesen sich als gleich geeignet, am polnischen Hof rezipiert zu werden. Auch das wäre sodann als Erfolg der Opitzschen Sprach- und Literaturreform zu würdigen. Sie sollte einem anspruchsvollen und in diesem Sinn einem höfischen Erwartungshorizont Genüge tun. Die aus Opitzens Feder herrührende bilinguale Hommage würde den Beweis erbracht haben, daß dieser literatur- wie kulturpolitisch gleich wichtige Akt der Aufwertung an prominenter Stelle bereits von Erfolg gekrönt war.
Rex Serenissimus Potentissimusque In seiner Widmung kommt der Dichter auf das an den Sprachen haftende Problem sogleich zurück.55 Eine Selbstverständlichkeit sei es für ihn gewesen, sich des Lateinischen zu bedienen. Die Sprache der Römer ist im Umkreis des Königs allgegenwärtig. Dieser hat mittels ihrer gleichsam eine zweite Gründung der Ewigen Stadt auf polnischem Boden vollzogen. Und mehr als das. Florierende Redekunst und herrliche Taten sind unter dem Regiment Władysławs nur zwei Seiten des einen vom königlichen Geist und Willen durchwirkten Staatswesens. Das Deutsche, dem der Dichter so angelegentlich zugetan sich bekennt, würde angesichts dieser Splendidität von vornherein in den Verdacht geraten, daß in ihm wahrheitswidrige Eulogen in Umlauf gebracht würden. Für die unter dem Verdikt der Lügnerei stehenden Dichter gilt das allemal. Aber selbst die Geschichtsschreibung liefe Gefahr, dieses Makels sich schuldig zu machen, oder besser: ihm einen Vorwand zu liefern. –––––––––
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von ab, ihn durch Freunde aufzufordern, das Amt eines Historiographen zu übernehmen, nachdem ihm sozusagen im voraus 1000 Reichsthaler zum Geschenk angeboten worden sind. [...] Unter seine wichtigsten Patrone bei Hofe zählt er verdientermaßen Gerhard Dönhoff, einen Mann, der unserer Religion völlig zugetan und zugleich ob seiner Frömmigkeit, Klugheit, Bildung und wegen seiner hochberühmten Taten im Frieden und Krieg beim König und den Magnaten des Königreichs sehr angesehen ist. (S. 1317). Der Titel der Widmung: Serenissimo Potentissimoque Poloniae Et Svecorum Regi Vladislao Sigismvndo Domitori Gentium Barbararvm Secvritatis Pvblicae Avctori; Optimo Ac Felicissimo Principi D.D.D. Majestati Ejus Ac Clementiae Devotissimus Mart. Opitius. Der Text mit deutscher Übersetzung in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 130–139; ein wiederum reichhaltiger Kommentar von Robert Seidel S. 453–459.
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Das Latein also ist das der königlichen Bestimmung gemäße panegyrische Medium. In ihm ist vorgeprägt, was im konkreten Fall herauszustellen bleibt. Kein Wort des Dichters über sein nachfolgendes deutschsprachiges großes Carmen. Es widerlegt durch seine pure Existenz die allfällige Rede vom Dichter als Lügner. Als Redner und als Poet umkreist der berühmte Autor das Rätsel von Władysławs Größe. Gleichberechtigt wie die Sprachen sind die Modi des Sprechens. Der Dichter ist auf der Höhe seines Ansehens und seiner Eloquenz. Rühmenswert sind die Taten des Königs. Und staunenswert ist sein hochherziges Verhalten gegenüber den besiegten Feinden. Er weiß sich selbst zu bezwingen, indem er den Geistern der Rache nicht willfährig ist. Auf Waffenstillstand und auf Frieden arbeitet er wo immer möglich hin. Das alles ist vorbildlich und wird in immer neuen Wendungen vergegenwärtigt. Und doch ist die Klimax an anderer Stelle zu suchen. Am Leitfaden der Religion entscheidet sich seit jüngster Zeit wahres Regententum. Unter dem Titel ›Gerechtigkeit‹ leitet Opitz herüber zu dem entscheidenden Passus seiner Widmung. Sie will im Inneren wie nach außen hin geübt sein. Alle Untertanen im Königreich finden das Ihre dank seines gerechten Sinnes garantiert, gerade und vornehmlich auch die Schwächeren. Freiheit ist das Losungswort dieses Regenten. Sie soll allen zuteil werden. Und eben dieser Grundsatz bewährt sich nun aufs schönste in der Religion und gegenüber den Fremden. Denn [...] conversusque ad bonum exterorum etiam, quorum malis ingemiscis, perfugium sibi apud te quaerentibus adeo hospitales recessus, adeo beatum exilium concedis, ut patriam laresque suos sese non reliquisse, sed in ditiones tuas transtulisse sibi videantur. Eosdem quantopere solatio tuo allevare, auctoritate tueri, praesidio fovere gestis?56
Aus der unmittelbaren Nachbarschaft, aus der Heimat des Dichters, strömen die Verfolgten herüber in das Königreich, ohne daß dies explizit gesagt würde. Hörer und Leser wissen sich einen Reim auf das Verlautende zu machen. Dieser König stellt das Gegenbild zu dem habsburgischen Kaiser. Er nötigt niemandem einen Glauben auf und empfängt umgekehrt einen jeden um seines Glaubens willen Vertriebenen; gelebte Toleranz ist ihm ein herrscherliches wie ein persönliches Gebot. Quo vero scelere illud de justitia tua, divinae aemula, omiserim, quod, subditorum tuorum fide erga te ac rempublicam contentus, liberam cuivis circa divina sententiam relinquis, neque manum inijcis animabus, quae nec dominis adscriptae sunt, nec ut corpora legibus contineri, aut supplicio poenisque subijci possunt? Gratum hac moderatione mentis tuae officium Numini supremo exhibes, Princeps optime, in cujus jura nullum tibi arrogas: proximè sic coelo accedis, dum permittis, ut populi tui manus suas impunè ad coelum tendant, eumque ritu suo invocent, qui cum liberrimus ipse sit, invocari rite non potest nisi à volentibus. Is te in regnum olim suum recipiet, postquam hoc tuum non minori, ut soles, justitia rexeris, quam pace illud et tranquillitate publica felix reddidisti. Debebunt tibi quippe, debebunt deinceps templa celebritatem, scholae doctrinam, bibliothe-
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Ebenda, S. 136. In der deutschen Übersetzung von Georg Burkard: Aber Ihr wendet Euch auch dem Wohl der Ausländer zu, über deren Leiden Ihr seufzt, und bietet ihnen, die ihre Zuflucht zu euch nehmen, so gastfreundliche Rückzugsmöglichkeiten, ein so erfreuliches Exil, daß es ihnen so vorkommt, als hätten sie ihre Heimat und ihr Haus nicht verlassen, sondern in Euer Herrschaftsgebiet verlagert. Wie sehr seid Ihr bestrebt, diese Menschen durch Euren Trost aufzurichten, mit Eurem Einfluß zu schützen und in Eure Obhut zu nehmen! (S. 137).
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cae nitorem, conciliabula et curiae judiciorum sanctitatem, ac restaurationem suam et cultum quaecunque negligentia superiorum temporum corruperat.57
Ob dem König jemals vergleichbare Worte zu Ohren gekommen waren? Indem Opitz sie formuliert, ist er ganz bei sich. Ein Leben lang verfolgter Einsatz für die Freiheit des religiösen Bekenntnisses findet er verwirklicht in einem Land, das ihm, den Piasten und ungezählten Landsleuten zu einem Refugium geriet. Das höchste Ideal, das summum bonum, hat eine Heimstatt auf Erden gefunden. Polen nimmt für den Emigranten die Züge eines Gemeinwesens an, in dem dank königlicher Verfügung praktiziert wird, was als Quintessenz humanistischen Denkens, Glaubens und Votierens nach einem Jahrhundert der konfessionspolitischen Bürgerkriege sich als etatistisches Fundament herauskristallisiert hat. Diese Werte standen nicht länger zur Disposition, sie hatten den Charakter in Stein gemeißelter Grundsätze, einen jeden Regenten verpflichtend. Seit der Zeit um 1600 gehören sie zu den Essentialia eines jeden Fürstenspiegels. Freiheit des Glaubens ist ein Bürgerrecht auf Erden, mit und in dem ein Vorschein himmlischen Wesens hienieden erfahrbar wird. Über die Statuierung des Rechts auf Glaubensfreiheit hat sich die Charta der Menschenrechte herausgeformt und Opitz hat ihr ein Leben lang an vorderster Stelle seine Stimme geliehen.
Vollendung des Genus ›Lob-rede‹ Ob aber auch seine Dichtung davon künden wird?58 Es ist ersichtlich, daß Opitz seiner Pflicht als Historiograph auch im poetischen Metier gewissenhaft nachkommt. Auf dem Schlachtfeld entscheidet sich, welches Bild eines Herrschers in die Geschich––––––––– 57
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Ebenda, S. 136, S. 138. In der deutschen Version: Wie verfehlt aber wäre es von mir, über Eure Gerechtigkeit, die mit der göttlichen wetteifert, nicht auch zu sagen, daß Ihr Euch mit der Treue der Untertanen gegenüber Euch und dem Gemeinwesen begnügt, jedem seine religiöse Überzeugung freistellt und nicht die Hand an die Seelen legt; die sind ja nicht ihrem weltlichen Herrn unterworfen und können nicht, wie die Leiber, von Gesetzen eingeschränkt oder einem Urteil und Strafen unterworfen werden. Durch dieses maßvolle Denken leistet Ihr Gott, dem Höchsten, einen erwünschten Dienst, Ihr vortrefflicher Fürst, Ihr maßt Euch ja kein eigenes Recht gegen seine Rechte an. Auf diese Weise kommt Ihr dem Himmel ganz nahe, indem Ihr erlaubt, daß Eure Völker ihre Hände straflos zum Himmel erheben und Gott auf ihre eigene Weise anrufen, der, weil er selbst ganz frei ist, nur von denen, die es auch wollen, gehörig angerufen werden kann. Er wird Euch einst in sein Reich aufnehmen, nachdem Ihr dieses Euer Reich, wie Ihr zu tun pflegt, ebenso gerecht regiert habt, wie Ihr es durch Frieden und Ruhe im Innern glücklich gemacht habt. Denn Euch werden nach und nach die Kirchen ihre Ansehnlichkeit verdanken, die Schulen ihre Gelehrsamkeit, die Bibliotheken ihren Glanz, die geistlichen und weltlichen Gerichte ihre Integrität; und alles, was die Nachlässigkeit früherer Zeiten hatte verkommen lassen, wird Euch seine Wiederherstellung und Wertschätzung verdanken. (S. 137). Es liegen gleich an verschiedenen Druckorten erschienene Titel aus Lissa, Thorn und Danzig vor. Opitz war auf optimale Visibilität dieses ihn in Polen einführenden und an die königliche Spitze adressierten Textes bedacht. Vgl: Lob=Getichte An die Königliche Majestät zu Polen vnd Schweden; Geschrieben von Martino Opitio. Gedruckt zur Polnischen Lissaw/ durch Wigandum Funck. Jm Jahr 1636. (Exemplare aus der Stadtbibliothek Breslau, heute in der BU Wrocław: 4 E 515/76, 4 E 516/23, 4 V 67/26 = 355139, 355172, 535159) Lobgedicht An die Königliche Majestät zu Po-
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te eingeht. Der polnisch-russische Krieg und die Abwehrschlacht gegen Türken und Osmanen bestimmen das Bild zunächst über weite Strecken. Und natürlich ergreift der Dichter die Chance, den Feldherrn und Krieger, genau so aber den auf Waffenstillstand und Frieden hinwirkenden König in bunten Facetten zu preisen. Wie Ulrich von Holstein ist auch er ein Ausbund fürstlicher Tugend. Tapferkeit, Todesmut und Siegeswillen stehen in einem denkwürdigen Gleichgewicht mit Mäßigung, Selbstbeherrschung und Feindesschonung. Opitz hat nicht zuletzt mitgewirkt am Bild, das die Nachwelt von dem König im Gedächtnis bewahrte. Der König wußte sich bei diesem Autor, der über alle Register memorialer Kunst verfügte, gut aufgehoben. Nach diesem ›Lob-Gedichte‹ war Kooperation, versetzt mit freundschaftlichen Gesten, eine besiegelte Sache. Für uns von Interesse ist das Bild des nach innen gewandten, zu seinem Volk sich bekennenden und in den weltanschaulichen Konflikten agierenden Herrschers. Auch der deutsche Text gibt Kenntnis davon. Gleich die ersten Zeilen liefern mottoartig die Stichworte: DEr Höchste lebet ja/ es wallet sein Gemüte Noch für Barmhertzigkeit vnd Väterlicher Güte/ Er lencket deinen Sinn/ dem seiner günstig ist/ Daß er/ O Vladislaw/ für Krieg die Ruh erkiest/ Vnd Langmut für Gedult: Die falschen Hertzen klagen/ Die guten frewen sich/ daß du nicht ausgeschlagen Der Waffen Stillestandt/ vnnd daß dein Sinn/ O Heldt/ Den Frieden höher schätzt als etwas in der Welt Das mit der Welt vergeht.59
Gleichermaßen von der Natur wie von Gott rühren die Gaben her, die der König mobilisiert, wo immer ein Feld für sein Wirken sich auftut. Als »der Völcker Trost vnd Zier« kann er dann apostrophiert werden (V. 15). Der König streitet für sein Land, gewiß. Doch er verrichtet mehr. Die »gantze Christenheit« zehrt von seinem heldenhaften Mut (V. 128). Nicht zu trennen sind von den patriotischen Beweggründen die religiösen. So hast du fortgesetzt/ vnnd alle Welt gelehret/ Das ein behertzter Sinn/ der seinen Höchsten ehret/ Vnd liebt sein Vaterlandt/ vnnd auff kein ander ziel/ Als Schutz vnnd Rettung geht/ zu thun hat was er wil/ Vnd selbst die Hölle trutzt.60
Nicht müde wird Opitz, die kardinale fürstliche Tugend der ›clementia‹ herauszustreichen. Eben sind die Russen in einer mörderischen Schlacht besiegt, da kehrt der Sieger die andere Seite seines königlichen Wesens hervor. Die Überwindung des Feindes –––––––––
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len vnnd Schweden; Geschrieben Von Martino Opitio. Dantzigk/ Gedruckt durch Andream Hünefeldt/ Jm Jahr/ 1636. (4 R 515/77 = 355140) Lobgeticht An die Königliche Majestät zu Polen vnd Schweden; Geschrieben von Martino Opitio. Thorn/ Gedruckt durch Franciscum Schnellboltz/ Jm Jahr 1636. (2 N 274/5 = 553008) Wir zitieren im folgenden nach dem Lissaer Druck. Ebenda, Bl. A4v, Verse 1–9. Ebenda, Bl. B2v, Verse 129–133.
Vollendung des Genus ›Lob-rede‹
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und die Zügelung eines auf Rache sinnenden Gemüts gehören zusammen. Erst das Bündnis von Tapferkeit und Selbstbeherrschung macht den vorbildlichen Herrscher aus. Erst zwingest du den Feindt/ vnnd jtzundt dein Gemüte/ Führst selbst dich im Triumph/ jhr Leben steht bey dir/ Das gibst du jhnen hin/ vnd nimbst allein darfür Das Lob der Gütigkeit.61
Ein Regent, mit dieser Tugend ausgestattet, braucht sein Volk nicht zu fürchten. Ehrerbietung und mehr als sie, Liebe, empfängt er überreichlich. Hier ist die Quelle zu suchen für den Umgang mit den Untergebenen nicht anders als mit den Fremden, die in sein Land strömen. In den Schlußpassagen tritt der Held der Schlachten zurück und der Friedensfürst gewinnt neuerlich Konturen. Der aber bewährt sich zuallererst als Helfer der Bedrängten und Verfolgten, wie sie das konfessionelle Zeitalter unentwegt hervorbringt. Auf diese Klimax ist Opitz – genau wie in der Widmung, so auch in der ›Lobrede‹ selbst – bedacht. Du bist ein grosser Trost/ ein Schirm vnd Zuversicht/ Für einen jeglichen/ der dich vmb Schutz bespricht/ Vnd sonst bedränget ist. Die Frembden zu dir kommen/ Gehn frembde nicht hinweg/ sie werden auffgenommen/ Gesetzt in Sicherheit/ in Ruh/ vnd solchen Standt/ Das sie bedünckt dein Reich das sey jhr Vaterlandt. Hier mag ein jederman im GOttesdienste leben/ Wie sein Gewissen weiß/ mag seine Hände heben Zu dem/ der euch nicht mehr vertrawet als die Welt/ Vnd seiner Ehre Recht für sich allein behelt; Zu dem der lieber vns wil sonder Glauben wissen/ Als das man seine Furcht aus Furchten ein sol schliessen/ Vnd nach dem Winde gehn[.]62
Wer da zum Schirmherrn der Christen heranwächst, vollendet sein religionspolitisches Werk, wie in der Widmung bereits exemplifiziert, in der Befriedung der Gläubigen und in der Gewährleistung von Glaubensfreiheit für jedermann. Das ist der genaue Gegenentwurf zu der von den Habsburgern proklamierten Idee des einen Bekenntnisses in dem einen Staat. Dieser Fürst verkörpert das Bild eines wahren Fürsten, wie es die Humanisten unablässig umkreisten. Nach einem Jahrhundert der Glaubenskriege kann es keinen Zweifel mehr geben, wie der Staat im Inneren aufzurichten sei, wenn anders den elementaren Menschenrechten Raum zur Entfaltung zugestanden sein will. Daß dem Dichter beim Betreten des polnischen Bodens ein Fürst entgegentrat, mit dem er sich – genau so wie sein Stand – identifizieren konnte, hat den Texten seiner letzten Lebensjahre jene Reife verliehen, die ihn im 18. Jahrhundert, bei Gottsched angefangen, zu einem Kronzeugen im Zeitalter der Aufklärung aufrücken ließ.
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Ebenda, Bl. B3r, Verse 158–161. Ebenda, Bl. B3v, Verse 198–210.
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Der Dichter als Stifter von Memoria auf polnischem Boden: Anna Wasa Nie zuvor war die Erinnerung stiftende Feder Opitzens so gefragt, wie alsbald nach seiner Ankunft in Polen. Den Totenhymnus auf Ulrich von Holstein haben wir kennengelernt. Nüßler bezeugte in dem vorgelegten Brief aber auch die Kenntnis von einer bevorstehenden Hommage an die verstorbene Schwester König Sigismunds III. Anna Wasa. Dem polnischen König, dem Opitz soeben gehuldigt hatte, ist sie zugeeignet. Der erste Teil ist zu einer eindrucksvollen Respektbezeugung gegenüber dem polnischen Königshaus bis an die Schwelle der Gegenwart geraten. Den fürstlichen Personen wie dem tapferen, stets auf Freiheit gesonnenen Volk bezeugt der Dichter seine Hochachtung. Er stand im Begriff, sich zu einer ersten historiographisch-panegyrischen Instanz in Polen emporzuschwingen – eine Position, an der das Kalkül des Exulanten selbstverständlich seinen Anteil hatte und die ihm vielfältig gedankt wurde. Ein ergreifendes Porträt der Verschiedenen ist dem Dichter gelungen.63 Belassen wir es bei dem Hinweis auf einen einzigen Zug. Opitz weiß auch von ihren theologischen Interessen und Aktivitäten zu berichten. Anna ist bei ihrem evangelischen Glauben geblieben in einer Zeit, da ihr Bruder Sigismund III. die Protestanten systematisch zurückzudrängen suchte. Die Fürstin ist von besonnenem Wesen, das sich auch in theologischen Fragen geltend macht und allemal unverträglich ist mit Zank und Haß unter der theologischen Klientel. Diese Fürstin fügt sich ein in die Reihe der auf Ausgleich und friedliches Gewährenlassen Bedachten, die Opitz in allen seinen Porträts stets wieder mit besonderer Sympathie zeichnet. Sie blieben ihm die Gewähr für die Wahrung religiöser Integrität und damit die Zukunft des Glaubens selbst inmitten einer diesem hohen Gut feindlichen Umwelt. Kolloquialer Geist wird vernehmbar, wie er bezeichnenderweise in Polen besonders intensiv sich regte. Sed quia et Principis et Christianae esse iudicabat, nouis tum demum insistere, cum mens alia in quibus conquiescat non habet; illa et literarum sacrarum diligentissima erat, et acerrimo quaecunque legerat iudicio expendebat, et viros eruditos ac scientiae sanctioris veteres, vtut pleraque secum dissentientes, ad alloquium et disceptationes placidas non admittebat modò, sed et euocabat saepenumero ac literis inuitabat humanissimè scriptis: detestata subinde mores illorum ac vehementiam, qui cum doctrinam à Conseruatore generis humani vnico relictam iactitent maximè, professo tamen in fratres suos, qui vt credere idem cum illis non possunt, ita credere illos quod volunt non vetant, odio charitatem ac amorem, quem ipse suis, morti etiam proximus, tanta solicitudine curaque commendauit, abiectè habent ac negligenter, et tribunali nouissimo, quod nec fallet nec falletur, iudicandi potestatem, in hac caussa soli illi debitam, non pro pietate quam ostentant, aemulatione discordiosa praeripiunt.64
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Panegyricvs Serenissimae Suecorum, Gothorum ac Vandalorum Principis Annae Heroinae Praestantissimae, Honori Piaeque Memoriae consecratus A Martino Opitio. Thorvnii, Ex Officina Schnellboltziana, Iterum editus, Ann. M. DC. XXXVI. (Exemplare aus der Stadtbibliothek Breslau: 2 E 80/36, 2 N 274/6 = BU Wrocław: 363590, 553009; ein weiteres Exemplar aus der Silesiaca-Abteilung liegt vor unter der Signatur: 435366; die Exemplare aus der Bibliothek zu St. Bernhardin: 4 V 67/25 und aus der Handschriftenabteilung: Hs R 2306/3 sind verschollen). Neudruck des Textes mit deutscher Übersetzung von Rüdiger Niehl in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 150–175. Der Kommentar in gewohnter Einläßlichkeit von dem Übersetzer, S. 474–490. Hier auch ausführlich mit Literatur zur Adressatin der Lobrede. Ebenda, S. 164. Der deutsche Text: Weil sie es vielmehr für die Pflicht einer Fürstin und Christin hielt, sich erst dann auf Neues einzulassen, wenn die Seele nichts anderes mehr hat, woran sie Ru-
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Fabian von Czema Noch im gleichen Jahr gelangte Opitzens Leichenrede auf den Freiherrn Fabian von Czema zum Druck.65 Von Czema gehörte zum Gefolge des Königs, als dieser 1623 feierlich in Danzig einzog und wurde drei Jahre später zum Kastellan von Kulm ernannt. Wie Prinzessin Anna war auch Fabian von Czema den Protestanten zugetan. So lag es gleichermaßen im Interesse des Königs wie des Dichters, daß des Barons nach seinem Tod im Jahr 1636 öffentlich gedacht wurde. Binnen kurzem sah sich Opitz also neuerlich herausgefordert, die sich mit dem Verstorbenen wie mit seinem eigenen Namen verbindenden Erwartungen zu erfüllen. Wiederum stimmen der Tenor der Gedächtnisschrift und ihre Widmung zusammen. Diese gilt einem hochgestellten schwedischen Adeligen namens Sigismund Gyllenstierna, der sich zum Luthertum bekannte, zum Kastellan von Danzig aufstieg und später als Anführer der Protestanten bei dem berühmten Thorner ›Colloquium Charitativum‹ fungierte, das Katholiken, Lutheraner, Calvinisten und Böhmische Brüder zusammenbrachte, von vielerlei Hoffnungen begleitet war und schließlich doch scheiterte. Wir akzentuieren erneut gezielt. Das Thema des wahren Adels bleibt für Opitz ein kardinales. Wo und wann immer sich ihm Gelegenheit bietet, auf dieses humanistische Paradestück zurückzukommen, nutzt er die Gelegenheit. Ein Sigmund von Birken, wie Opitz fasziniert von den Möglichkeiten, eruditären Qualitäten des Adels das Wort zu reden und derart Standespolitik zu betreiben, hätte bei Opitz ein breites Arsenal einschlägiger Argumente vorgefunden. Der große einleitende Passus darf an dieser Stelle übergangen werden, geht es uns doch um die zeitspezifischen Anliegen und situativen Besonderheiten im engeren Sinn. Daß die Czemas wahren Adel glanzvoll repräsentiert haben, versteht sich von selbst. Eine ganze Weile vermag der Dichter und Redner sich über diese argumentative Figur fortzubewegen, die Vertreter der beiden Vorgänger-Generationen ins hellste Licht setzend. Wie aber, so unsere Leitfrage –––––––––
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he fände, studierte sie mit größter Sorgfalt die Heilige Schrift, wog mit schärfster Urteilskraft, was sie gelesen hatte, und gewährte gebildeten und in der Theologie erfahrenen Männern, wie sie auch immer in den meisten Punkten anderer Meinung sein mochten, zu Gesprächen und friedlichen Diskussionen nicht nur Zugang, sondern rief sie zu solchen Gesprächen oft zu sich und lud sie mit freundlichen Briefen ein. Zuweilen verwünschte sie das Benehmen und die Heftigkeit derer, die, obwohl sie stets lauthals predigen, daß ihre Lehre vom einzigen Retter des Menschengeschlechts stamme, nichtsdestotrotz durch ihren erklärten Haß gegen ihre Brüder, die, wenn sie auch nicht das gleiche glauben können wie sie, ihnen doch nicht verbieten zu glauben, was sie wollen, Achtung und Nächstenliebe, die er selbst, noch unmittelbar vor seinem Tod, den Seinen mit solcher Sorge und solchem Nachdruck aufgetragen hat, mit Füßen treten und mißachten und dem Jüngsten Gericht, das weder irren wird noch betrogen werden kann, das Recht zu urteilen, das in dieser Sache ihm allein zusteht, ganz gegen die Frömmigkeit, die sie zur Schau tragen, in zwieträchtiger Mißgunst vorwegnehmen. (S. 165). Laudatio Fvnebris Illvstrissimi Domini Fabiani Lib. Baronis a Cema Castellani Culmensis ac Praefecti Stumensis: Auctore Martino Opitio Thorvnii, Ex Officina Schnellboltziana, Ann. M.DC. XXXVI. (Exemplar aus der Stadtbibliothek Breslau: 2 E 80/37 = BU Wrocław: 363591). Neudruck in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 174–193. Alle Wünsche erfüllender Kommentar aus der Feder von Jost Eickmeyer, S. 490–499. Hier wiederum auch zum Verewigten wie zum Widmungsempfänger der Trauerschrift Sigismund Gyllenstierna.
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in diesem letzten auf Opitz bezogenen Kapitel unseres Buches, hielten sie es ihrerseits mit der Religion und ihren Pflichten im Blick auf die ihnen auf ihren Besitzungen Untergebenen? Das Bildungserlebnis für den wißbegierigen Baron bezeichnet Breslau mit seinen einzig im Reich dastehenden Gymnasien. Hier wird der Grund gelegt für die Studien in Frankfurt an der Oder, vor allem aber für die peregrinatio academica nach Italien. Als eine Auszeichnung besonderer Art ist die Berufung an den Hof Rudolfs II. anzusehen. Sie beschert die Erfahrung eines reichen kulturellen Lebens am Prager Hof, die zugleich der religiösen Orientierung entgegenkommt. Die Dienste, die von Czema hernach dem polnischen König leistet, werden reichlich belohnt, zunächst mit der Präfektur von Stuhm, sodann derjenigen von Kulm. Über die Heirat mit der Tochter des Grafen Andreas Leszczyński und der Schwester Raphael Leszczyńskis kommt der Gefeierte in Kontakt mit der religiösen Vorstellungswelt dieses großen Magnatengeschlechts, von dem sogleich des näheren zu handeln ist. Wir möchten der Vermutung Ausdruck verleihen, daß diese Verbindung wesentlich dazu beitrug, Opitz erneut zu einer groß angelegten Bekundung von posthumer Ruhmspendung zu bewegen. Denn tatsächlich hebt Opitz nun innerhalb der Gedenkrede auf Czema ein zweites Mal zur Rekapitulation der glanzvollen Geschichte eines illustren Geschlechts an. Insofern präludiert der vorliegende Text dem nachfolgend zur Behandlung gelangenden. An den Leszczyńskis vorbeizugehen, so der Dichter, wäre nicht nur ein rednerischer Fauxpas gewesen, sondern hätte auch bedeutet, eine religionspolitische Akzentuierung zu verabsäumen, wie sie sich allemal anbot. Und so ertönt neuerlich das ehrfürchtige Lob einer Familie, in der der Schutz der Glaubensflüchtlinge Tradition hat. Im Blick auf Raphael heißt es da: Quid illo ad diuersa volentes animos conciliandos gratiosius? quid ad patriam iuuandam felicius? quid ad auertendos siue armorum siue quietis consilio hostes expeditius, fortius, efficacius? De humanitate verò, qua proscriptos ob religionem aut voluntario exilio patriam fugientes suscepit, fouit, tutatus est, si nos taceamus, ipsi agelli ac tecta illa loquentur, quae secessum hucusque extorribus tranquillum sedesque tutissimas hospitalitate mirifica praebuerunt.66
Der Gefeierte selbst lebt und wirkt im nämlichen Geist. Der Dichter also braucht keine näheren Betrachtungen hinsichtlich der Art und Weise dieses Glaubens anzustellen. Der Name der Leszczyńskis reicht hin, um zu wissen, welchen Weg der Gemahl einer Tochter aus diesem Haus einschlug. Eine splendide Kirche auf seinem Grund und Boden läßt er errichten. »Das taten zu seiner Zeit nur ganz wenige«, so der lakonische Kommentar. Es bedurfte keiner weiteren Bekräftigung, daß die Errichtung ei––––––––– 66
Ebenda, S. 184. In der Übersetzung von Georg Burkard und Dennis Messinger: Wer führte anmutiger als er Menschen, die Gegensätzliches wollten, dazu, daß sie sich einander zuwandten? Wer brachte erfolgreicher als er seiner Heimat Hilfe? Wer war entschlossener, tatkräftiger und wirkungsvoller als er, wenn es darum ging, Feinde fernzuhalten, ob durch den Beschluß, Krieg zu führen, ob durch den Rat, den Frieden zu wahren? Schweigen wir aber etwa von der Menschenliebe, mit der er diejenigen, die aus konfessionellen Gründen geächtet worden waren oder, von sich aus ins Exil gehend, ihre Heimat verließen, aufnahm, hegte und pflegte und beschützte, dann werden die Grundstücke, die Häuser das Wort ergreifen, die in wunderbarer Gastlichkeit bis dahin Heimatlosen eine ungestörte Zurückgezogenheit, einen ganz ungefährdeten Wohnsitz boten. (S. 185).
Die Stimme des Johann Amos Comenius
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nes Gotteshauses in eigener Regie und auf eigene Kosten, wie eben gängige Praxis unter den Magnaten, der minoritären Schicht, den Protestanten, den Reformierten und den Böhmischen Brüdern, zugute kam. Die Engführung zwischen den Leszczyńskis und den Czemas ist also eine in jeder Hinsicht geschickt arrangierte. Von delikaten Dingen, wie sie Angelegenheiten des Glaubens allemal bezeichneten, vermochte in verdeckter und indirekter Weise für jedermann erkenntlich gesprochen zu werden. Den letzten seelsorgerischen Dienst erwies der Gefeierten Albert Niclas. Damit tut sich ein weiteres Mal eine vielsagende Perspektive auf. Niclas war Prediger in Lissa und an der von Czema gestifteten Kirche in Jordanken bei Stuhm.67 Sein Wirken beschloß er nach dem Tod Czemas in Danzig. Im Text ist von der evangelisch-polnischen Gemeinde daselbst die Rede. Tatsächlich war Niclas in der reformierten Gemeinde bei St. Peter und Paul in der Metropole tätig und kam daselbst Opitz nahe. In den letzten Stunden stand er dem Dichter zur Seite. Wiederum Nüßler ist es zu verdanken, daß wir davon nähere Kenntnis besitzen, denn Niclas berichtete dem Freund Opitzens gewissenhaft und einläßlich. Es existiert kein ergreifenderes Dokument als die Begegnung der beiden Männer am Todeslager des Dichters. Die gemeinsame Feier des Abendmahls wurde am Vortage des Todes von Opitz begangen. In der Marienkirche zu Danzig wurde der Tote bestattet und Niclas nahm die Totenfeier vor. Von einem ungeheuren Menschenauflauf berichtet der Prediger. Der Tod Opitzens hatte sich rasch herumgesprochen. Die Feier zu seinen Ehren geriet zu einem spektakulären Ereignis in der Stadt. Man wußte, daß ein berühmter Dichter, der auf preußischpolnischem Boden noch einmal Wurzeln geschlagen hatte, davongegangen war.68
Die Stimme des Johann Amos Comenius Wir hätten nicht besser eingestimmt werden können auf die Begegnung mit einem Großen aus dem Haus Leszczyński, die uns nunmehr bevorsteht. Denn noch ein weiteres Mal in dem schicksalsschweren Jahr 1636 sollte Opitz zur Feder greifen. Am 29. März 1636 war Raphael Leszczyński gestorben. Die feierliche Bestattung fand erst am 1. Oktober in Włodawa statt. Opitz war nicht der einzige, der aus diesem Anlaß das Wort ergriff. Andreas Węgierski, Superintendent in Lissa und berühmter Historiker der Reformation in Polen, hielt die Begräbnisrede, Comenius trug am Tag der Bestattung die Leichenpredigt in Lissa vor und Opitz entwarf seinen Panegyricus, der wie kaum ein anderes Dokument sonst zu einem öffentlichen Zeugnis seiner ein Leben lang beobachteten Überzeugungen heranwuchs. Doch zunächst zur Person, einer der Schlüsselgestalten im Umkreis der reformierten nobilitas litteraria um 1600, welche nicht aufhört, uns zu beschäftigen, da von ––––––––– 67 68
Vgl. den Kommentar zur Stelle, S. 498. Vgl. den Bericht von Niclas an Nüßler, der jetzt – nebst deutscher Übersetzung – wieder leicht zugänglich ist in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 26), S. 1916–1920. Vgl. dazu Harald Bollbuck: Tod in Danzig – die letzten Tage des Martin Opitz.- In: Gotts verhengnis und seine straffe. Zur Geschichte der Seuchen in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Petra Feuerstein-Herz.- Wiesbaden: Harrassowitz 2005 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; 84), S. 59–68.
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faszinierender Statur.69 Die vornehmste Quelle könnte nicht prominenteren Ursprungs sein. Sie stammt aus der Feder von Johann Amos Comenius, dem wir uns besonders gerne anvertrauen. Es ließe sich kein würdigerer, dem Verstorbenen näherstehender Sprecher denken. Der Hoch= und Wolgebohrne Herr Raphael Graff zu Lissa, Wojewoda zu Bels, Hauptman zu Hrubieszowa und Dubin, Erbherr auff Lissa, Baranowa, Wlodawa, Romanowa, Beresteczko etc. ist auff diese Welt gebohren in Littauen, Anno 1579, im Monat Oktobri.70
So setzt Comenius im Anschluß an seine Predigt in seinem ›Testimonium‹ ein. Und er tut das professionell, indem er zunächst das Geschlecht präsentiert, das »ebenso alt ist als die Christliche Religion in diesen Landen.«71 Unter dem Großvater erfolgt der Übergang zum evangelischen Glauben. Kirchen und Schulen werden gegründet, in denen der junge Glaube zum Leben erwacht. Von dem berühmten Vater Andreas heißt es: Die Ehre Gottes zu befördern hat er nie keine Mühe gesparet, die gemeine Libertet allezeit propagiret und geschützet und durch solche heroische Thaten zu einer solchen Authoritet kommen, daß fast das gantze Königreich Polen, zumal in vorfallenden Strittigkeiten, auff ihn ein Absehen gehabt.72
In diese mächtigen Fußstapfen also setzt Raphael seine Schritte. Die Ehre des Geschlechts befördert er stetig, ja, vielleicht erreicht es in seiner Gestalt den Zenit. Er war so ein verständiger, weiser, ansehnlicher Herr, als dergleichen wenig in der Welt zu finden. Darumb Er auch von seinem Könige und Herren Sigismundo III. wegen seines hohen Verstandes und Weißheit lieb und werth gehalten und zeitlich genug zu sondern Ehrenämptern erhoben worden, indem Er erstlich Castellanus zu Wischlitz und Hauptmann zur Fraustadt, bald darauf Castellanus zu Kalisch und daneben Hauptmann zu Horodlo, endlich auch Palatinus oder Wojewoda zu
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70 71 72
Vgl. den Eintrag zu Raphael Leszczyński in: Polski Słownik Biograficzny XVII (1972), S. 135– 139, mit weiterer, zumeist polnischsprachiger Literatur. Vgl. jetzt die hervorragend in die Zeit hereinführende jüngere Studie mit reicher Literatur von Kate Wilson: The Politics of Toleration Among the Szlachta of Great Poland: Rafał Leszczyński (1579–1636) and Krzysztof Opaliński (1609–1655).- In: Slovo. An Interdisciplinary Journal of Russian, Eurasian, Central and East European Affairs 14 (2002), S. 134–156. Dazu Zedler XVII (1738), Sp. 501: »Raphael Leszinski, Graf von und auf Lissa oder Lesno, Woywode zu Bels, nahm die aus Schlesien verjagten Lutheraner auf, verstattete ihnen die freye Uebung ihres Gottesdienstes, nebst Kirchen= und Schulen=Bau, massen unter seinem Schutz die erste Lutherische Kirche in Lissa im Jahre 1635. inauguriret worden.« Vgl. auch W[ilhelm]. Bickerich: Raphael V. Leszczynski.- Lissa: Eulitz [o.J.] (Aus Lissas Vergangenheit. Quellen und Forschungen zur Geschichte Lissas; 1). Bickerich bietet keine eigene Biographie, sondern druckt Opitzens Panegyricus auf Leszczyński in Auszügen in deutscher Übersetzung sowie die Leichenpredigt des Comenius, aus der wir im folgenden zitieren. Zu den Ostrorógs vgl. die große Studie von Theodor Wotschke: Stanislaus Ostrorog. Ein Schutzherr der grosspolnischen evangelischen Kirche.- In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, zugleich Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für den Netzedistrikt zu Bromberg 22 (1907), S. 59–132. Zum Sozinianismus vor Ort sei aus der reichen Literatur gezielt verwiesen auf Ernst Luckfiel: Der Socinianismus und seine Entwicklung in Großpolen.- In: Ebenda 7 (1892), S. 115–187. Bickerich: Raphael V. Leszczynski (Anm. 69), S. 19. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 22.
Die Stimme des Johann Amos Comenius
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Bels erwählet worden. Bey dem hohen Reichs=Tribunal ist Er achtmal deputatus judex gewesen, ansehnliche Königl. Commissiones und Legationes verrichtet, unter welchen die letzte gewesen ist, da Er im verwiechenen 1635. Jahre zwischen der Krone Polen und Schweden Frieden tractiren und glücklich auff 25 Jahr beschließen helffen mit großer Königs Wladislai und der Kron, ja auch seiner eigenen Reputation.73
Wie immer geht es um die religiöse Positionierung und die könnte nicht eindrucksvoller als von Comenius in Worte gekleidet werden. Wahlverwandtschaft tut sich kund. So viel das Christenthumb belanget, war der H. Graff ein frommer und gottesfürchtiger Herr, der reinen, in Gottes Wort wolgegründeten Evang. Religion nach laut der Böhmischen Confession (wie auch seine Vorfahren) zugethaner Herr und mächtiger Patron gewesen, welcher ihme Gottes Ehr treulich hat angelegen sein lassen und seine Kirchen und Schulen fleißig befördern, schützen und stützen helfen. Den Gottesdienst, viel weniger den Gebrauch des Hochwürd. Abendmahls hat Er niemals liederlich verseumt, die Diener Christi gerne gehört, geliebet und geehrt. In summa was Er zu fortpflanzung Gottes Ehr, zu erweiterung der reinen Evang. Religion zu sein vermercket, hat er gern und willig dargereicht, welches Ihm auch Gott schon reichlich belohnet. Daß ich aber nicht viel Wort davon mache, mit Wahrheit kann man dem lieben Herren dieses nachrhümen, daß er ein rechtschaffner Eliakim, das ist Gottes getreuer Knecht, der Unterthanen frommer Vater und seines Hauses, wie auch des Vaterlandes und der Kirchen Gottes feste Säule gewesen.74
So weit die allgemeine Exposition. Dann aber wird Comenius konkret. An dieser Stelle erfolgt die der Zeit geschuldete Spezifizierung, die alles, zumal über die Gegenseite, besagt. Auch der Graf sah sich einer Bewährungsprobe ausgesetzt und bestand sie. Es bedurfte nicht der Herauskehrung der reformierten Orientierung, die Raphael mit seinem Geschlecht teilte. Die Tat spricht für sich selbst. Ein zweifacher Herzog, so Comenius, sei der Graf gewesen. Einmahl leiblich durch Begnadung der Kgl. Maj. von Polen in der Belsischen Landschafft. Zum andernmahl auß Begnadung Gottes des Himmlischen Königs in der wahren Evang. Kirchen, derer Er ein vornehmer Patron in dieser Cron gewesen. Und alß sich in angräntzenden Ländern die leidige Verfolgung wider die Evang. Christen erhoben, hat Er durch sein christl. Mitleyden und Leutseligkeit viel derselben heraußgezogen, welche sonst entweder dem Feindt im Rachen hetten stecken bleiben oder sonst hie und dort zerstreuet werden müssen. Aber durch seine Heroische resolution haben auch andere Patronen einen Muth gefaßet, die Verjagten zu beherbergen und für dem Verstörer ihr Schirm zu werden, dadurch dann ihrer viel erhalten worden. Ist also der seel. H. Graff der vornemste in dieser Cron, welcher des Heeres Gottes, so itziger Zeit unter dem Creutzfänlin Christi auff hieher den Zug gethan, Hertzog gewesen. Und ob Er gleich selbst von den löbl. Vorfahren her der Böhmischen Confession zugethan gewesen, so hat Er doch alle andern wegen der Evang. Warheit nottleydende Christen auffs treulichste Ihm befohlen sein lassen und denen von der Augsburgischen Confession alß Mitgenossen am Evangelio ein frey exercitium zugelassen, dieses allein nach seiner hohen Weißheit fleißig verwahrende, daß nicht Zwytracht entstehen möchte, sondern einer den andern vertrage in der Liebe und fleißig sey zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens, wie der Apostel vermahnet hat Ephes. 4,2.3. Hat also der frome Herr auch in diesem Stück seinem Englischen Namen, den Er getragen, Raphael, das ist Gottes Artzt, nachkommen wollen, und wie sich mancher verjagter, beraubter, verarmter unter seiner Cur allhie seines Schadens erholen können, also hat Er dem Schaden des Gewissens vorkommen und es zu keinem Mißverstandt und Zwytracht, dadurch Christl. Liebe in den Hertzen verletzet wird, nicht gelangen lassen wollen.75
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Ebenda, S. 23. Ebenda, S. 24. Ebenda, S. 24 f.
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Ein schöneres Denkmal hätte Raphael Leszczyński nicht errichtet werden können. Wenn wir es wieder erstehen ließen, so auch deshalb, um zu verdeutlichen, was gerade diese Gestalt in den schwersten Jahren nach 1620 den Nachbarn Großpolens und zumal Lissas bedeutete. Ungezählt sind die Stimmen, die das beherzte und tatkräftige Wirken Leszczyńskis rühmen. Er war wie auf andere Weise nur die Repräsentanten des Hauses Radziwiłł Zeuge und Garant evangelischer Frömmigkeit in reformiertem Gewand, die sich in dem Einsatz für alle vom Zwang Bedrohten bekundete. Reformierte Ausrichtung und evangelische Union waren auch in seiner Person ein Bündnis eingegangen, wie es in der Literatur variationsreich immer wieder beschworen wurde. Opitz bietet das beste Beispiel für jene mentale Koinzidenz, wie sie als typisches Charakteristikum der humanistischen Intelligenz mit reformiertem Einschlag um 1600 gelten darf. Es ist ein Glücksfall, daß die Stimme des Dichters neben der des Comenius anläßlich des Todes von Raphael Leszczyński zu vernehmen ist.
Panegyricus Raphaelis Comitis Lesnensis Den fünf Söhnen Raphaels hat Opitz seinen ›Panegyricus‹ gewidmet.76 Sie tragen den Namen und die Eigenschaften ihres Vaters weiter. Auch Opitz sieht sich veranlaßt, der glänzenden Ahnengalerie der Leszczyńskis seinen rednerischen Tribut zu zollen. Wir dürfen das, nur ganz gelegentlich kurz Station machend, übergehen. Opitz weiß ebenfalls von dem glücklichen Umstand, daß das Hervortreten des Geschlechts mit dem Eintritt des Christentums auf polnischem Boden zusammenfiel. Es ist ersichtlich, daß Opitz den Text des Comenius kennt und ihm passagenweise gelegentlich folgt. Neu ins Bild tritt die Mutter Raphaels, eine geborene Firlej und damit aus einem Geschlecht stammend, das für die späthumanistische Generation fördernd und beschirmend große Bedeutung besaß, nicht zuletzt im Blick auf die Hofmeisterdienste, die sich ihr immer wieder auftaten.77 Als Stationen der Ausbildung Raphaels kann Opitz u.a. Glogau und sodann Straßburg und Basel namhaft machen, jene Orte also, an denen die Begegnungen mit den gelehrten Adepten zumal aus Schlesien inzwischen Tradition hatten. In Basel ist es die Gestalt des Grynaeus, die den Eleven fasziniert. Der kaiserliche Hof Rudolfs II. ––––––––– 76
77
Panegyricvs Inscriptus Honori Et Memoriae Illustrissimi Domini Raphaelis Comitis Lesnensis, Palatini Belsensis, Herois praestantissmi. In quo vita eius praecipuè ad fidem historicam summatìm refertur. Auctore Martino Opitio. Thorvnii, Ex Officina Schnellboltziana, Ann. M.DC.XXXVI. (Exemplar aus der Stadtbibliothek Breslau 2 E 80/35 = BU Wrocław: 363589). Die Widmung: Illvstrissimis Generosissimis Dominis Andreae, Raphaeli, Bogvslao, Vladislao, Comitibvs Lesnensibvs, Palatinidis Belsensibvs, Paternarum virtutum maximique nominis eius haeredibus verissimis Mart. Opitivs testandae misericordiae & dolori suo Dicat Dedicatqve. Ein weiteres Exemplar unter der Signatur: 2 N 274/8 = 553011. Die Exemplare aus der Bibliothek zu St. Bernhardin: 4 V 67/29 sowie aus der Handschriftenabteilung: Hs R 2306/4 sind verschollen. Der Text des Panegyricus nebst deutscher Übersetzung von Georg Burkard und Dennis Messinger in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 192–223. Der wiederum nichts zu wünschen übrig lassende Kommentar von Veronika Marschall S. 499–517. Vgl. zum Adelsgeschlecht der Firlej die Artikel in: Polski Słownik Biograficzny VI (1946–1948), S. 474–478, und VII (1948–1958), S. 1–17.
Panegyricus Raphaelis Comitis Lesnensis
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und sodann Paris bezeichnen weitere Stationen. Wenn dann der Name Jacques-Auguste de Thous fällt, so weiß der Kundige, daß der Reisende Kontakt zur ersten Adresse des illustren Pariser Parlaments aufgenommen hat. Raphael wurde das Glück zuteil, Heinrich IV., Heinrich dem Großen, wie Opitz ihn tituliert, noch zu begegnen. Die calvinistische Fundamentierung seines Daseins, in der Schweiz einsetzend, vertieft sich in Frankreich. Die Gestalt des Justus Lipsius tritt in seinen Gesichtskreis und in England ist ihm ein Empfang bei Elisabeth I. vergönnt. Schließlich tritt Moritz von Oranien dem Reisenden entgegen, in dessen Nähe er sechs Monate weilt. Daß in derartigem, von kämpferischem calvinistischen Geist geprägten Milieu lebensbestimmende Erfahrungen gemacht wurden, versteht sich und ein Opitz wußte darum. Die bloße Nennung eines Namens genügte, um eine ganze Welt erstehen zu lassen, der auch er sich zugehörig fühlte. Seitenlang weiß der Dichter von den diplomatischen Meriten seines Helden zu berichten, und ebenso lang von seinen charakterlichen Tugenden. Den Höhepunkt erreicht er, wenn er – wie vor ihm Comenius – den Beschützer der Verfolgten ins Bild treten läßt. Indulgentiam verò hanc suam et caritatem vt in omnes bonos promiscuè partiebatur: ita exulibus eam ac in sinu eius perfugium quaerentibus affectione prorsus paterna effusoque pectore exhibebat. Potuisset sane absterreri ab hospitalitate tanta et domesticis eisque caussis, quas timidè officiosi callidè magis et custodiose quam pie attendunt: suscipere tamen profugos, proscriptos, sed innocentes, iuuare, ditiones illis suas aperire et animum inter ea ponebat, quibus mortales ad superorum benignitatem proximè accedimus.78
Als Fels in der Brandung erweist sich Raphael wie schwerlich ein Zweiter und Opitz trug wesentlich dazu bei, daß sich dieses sein Bild aus dem Gedächtnis nicht wieder verlor. Nun aber tritt noch ein zweiter dem Großmütigen zur Seite. Johannes Schlichting findet Erwähnung, auch er eifrig darauf bedacht, Verfolgten Asyl zu gewähren. Opitz muß ihm freundschaftlich verbunden gewesen sein. Als ein Sohn im Jahr 1639 starb, war es dem Dichter vergönnt, dem Vater kurz vor seinem eigenen Tod Trauer zu bezeugen. Als Präfekt von Lissa und Richter zu Fraustadt blieb dieser Anlaufstelle und erste Adresse für die aus Schlesien nach Großpolen Gelangenden.79 In der Umgebung Leszczyńskis herrschte ein praktisch gelebtes Christentum, das die konfessionellen Barrieren abgeschüttelt und jene Gestalt angenommen hatte, die dem Glauben im Ursprung eignete und dem allein die Zukunft gehören sollte. Daher der nicht versie––––––––– 78
79
Opitz: Lateinische Werke (Anm. 76), S. 212. In der deutschen Version: Wie er aber diese seine Menschenfreundlichkeit und Menschenliebe ohne Unterschiede allen guten Menschen zukommen ließ, so erwies er sie Vertriebenen und allen, die in seinen Armen Zuflucht suchten, mit geradezu väterlicher Liebe und weit geöffnetem Herzen. Gewiß hätten ihn von dieser großen Gastfreundlichkeit häusliche Gründe abbringen können, also die Gründe, die die nur aus Angst Hilfsbereiten mehr aus Schlauheit und übergroßer Besorgnis als aus frommer Rücksicht beachten; er aber rechnete die Aufnahme von Flüchtlingen, die Hilfe für ohne Schuld des Landes Verwiesene, die Öffnung seines Besitzes und seines Herzens für sie zu den Wegen, auf denen wir Sterblichen ganz nah an die Güte der Himmlischen herankommen. (S. 213). Vgl. den Abdruck des Epicediums mit deutscher Übersetzung in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 292–295. Dazu der Kommentar zu dem erstmals der Opitz-Philologie zugeführten Textes nebst einem Porträt Schlichtings aus der Feder von Robert Seidel S. 595–597.
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gende Zuspruch auf seiten der Humanisten, die auf den nämlichen Wegen wandelten. Die späten Texte Opitzens bezeugen dies allemal, ja, die Adressaten sind von dem Dichter ausgewählt und treten zusammen nach Maßgabe dieses einen sie verbindenden Ideals.
Ein königliches Epithalamium Noch einmal ergab sich für den Dichter die Gelegenheit, dem König zu huldigen. Und das anläßlich der Hochzeit mit der habsburgischen Prinzessin Caecilia Renata im September des Jahres 1637. Ein Gattungswechsel war geboten. Opitz aber vollzog ihn nur partiell. Er blieb bei der Ansprache in Prosa und die galt – angefangen beim Widmungsgedicht und dem Titel des nachfolgenden Textes – ›Ad S. Regiam Maiestatem‹ – dem König. Überschneidungen waren unvermeidlich, aber selbstverständlich auch Absicht. Die neuerliche majestätische Adresse indessen schien dem Freund Opitzens Christoph Colerus so wichtig, daß er sich an eine deutsche Übersetzung machte – ein gänzlich ungewöhnlicher Fall und neuerlicher Erweis, welche Stellung und welchen Rang der Dichter inzwischen einnahm. Auf lateinisch und auf deutsch war sie fortan sogleich nach Erscheinen zu lesen. Wir legen den Colerschen Text unserer kleinen Betrachtung zugrunde, stellt er eben doch einen Ausnahmefall dar. Überraschungen sind neuerlich zu gewärtigen.80 Als ›libellus‹ tituliert Opitz in der Widmung seine Gabe, auch das ungewöhnlich genug. Alles in den letzten Jahren ist zugleich auf Verewigung im Blick auf Widmungsempfänger wie auf Dauer im Blick auf das Werk des Dichters abgestellt. Die Schrift, das gedruckte Buch bieten die Gewähr für das Erhoffte. Colerus hat diesen Anspruch ernst genommen, hat seinerseits eingangs das Wort ergriffen und der Hommage Opitzens an den polnischen König eine eigene eingeschrieben. Opitz, so weiß sein Übersetzer, ist ein Meister im panegyrischen Genre und hat darin gerade in jüngster Zeit in Polen eindrucksvolle Exempel abgeliefert, nicht zuletzt mit der vorliegenden Arbeit. ›Politische Leute‹ haben Colerus zu der Übersetzung geraten, will sagen, daß in der gegenwärtigen schwierigen Situation die Huldigung zugleich ihre Wirkun––––––––– 80
Der Opitzsche Text liegt in zwei Drucken vor. Zum einen: Felicitati Augustae Honoriqve Nvptiar. Serenissimor. Principvm Vladislai IV. Pol. Svec. Que Regis Et Caeciliae Renatae Archidvcis Avstriae. D.D. Mart. Opitivs Maiest. Eor. Devotiss. Exemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth), übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau: 4 E 515/79, heute in der BU Wrocław: 355142; zum anderen: [Kupfertitel:] Felicitati · Avgvstae Honoriqve · Nvptiar Serenissimor. Principvm Vladislai · IV · Pol · Svec · Qve · Regis. Et Caeciliae Renatae Archidvcis Avstriae. D.D. Mart · Opitius Maiest · Eor · Devotiss. Gedani. Apud · A · Hvnefeldium. Zwei Exemplare liegen vor aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth) und der Bernhardiner-Bibliothek, übergegangen in die Stadtbibliothek Breslau: 4 E 515/80 = 551436, 4 V 67/2 = 535141. Der dem König gewidmete Text nebst deutscher Übersetzung von Georg Burkard in: Opitz: Lateinische Werke (Anm. 15), S. 250–271. Der nochmals einläßliche Kommentar von Robert Seidel und Dennis Messinger hier S. 549–558. Der Titel der Colerschen Übersetzung: Martini Opitii Königl. Historiographi vnd Fürstl: Brieg: Rathes Glückwünschung Auff der Königl: Majestät zu Polen vnd Sweden Vladislai IV. Beijlager[.] Auß dem Latein übersetzt Durch Christoph. Colerum. Gedani. Apvd A. Hünefeldivm. Exemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek (St. Elisabeth): 4 E 515/81 = 355143; ein weiteres Exemplar entstammt wiederum der Bernhardiner-Bibliothek: 4 V 67/3 = 535142.
Geistliches Vermächtnis: Das Psalmen-Werk
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gen zeitigen sollte. Die gute böhmisch-schlesisch-polnische Nachbarschaft solle mittels ihrer befördert werden, »daß also eine Cron der andern zustehendes Glück oder Vnglück auß nachbarlicher Vertrewligkeit zu betrachten hat.«81 So erscheint Herzog Heinrich Wenzel von Münsterberg-Oels auch unter diesem Gesichtspunkt als der beste Widmungsempfänger der Colerschen Übersetzung, ist er doch von väterlicher Seite her dem Königreich Böhmen und von mütterlicher dem Königreich Polen zugehörig. Ins Spiel aber kommt selbstverständlich die Herkunft der Braut aus dem Haus der Habsburger. Ein »Andenckbuch/ Das von der zeiten lauff kriegt keinen stoß noch bruch«, hat der Freund den Opitzschen ›libellus‹ in seiner Übersetzung getauft.82 Schöner und treffender war und ist nicht zum Ausdruck zu bringen, welch einem Anliegen rhetorisch auch im vorliegenden Fall Genüge getan wird. Allein das Lesen von seiten Ihrer Majestät adelt den Text, so betont Opitz, und insofern hat der König einen entscheidenden Anteil an dessen Gestalt – auch dies eine Variante der rhetorischen Zurücknahme des Verfassers. Noch einmal stehen die eruditären Meriten voran, die in keinem Bild eines Regenten fehlen dürfen. Ausführlich ist nunmehr ein Itinerarium des nachmaligen Königs in den Text eingearbeitet, das die herrscherlichen wie gelehrten Qualitäten um so sinnfälliger erscheinen läßt. Und selbstverständlich wird der ruhmreichen Taten und dem königlichen Agieren auf dem Schlachtfeld über Seiten hinweg gedacht. Wir aber sind inzwischen darauf geeicht, nach einer weiteren und bislang nirgendwo im Bilde fehlenden Tugend Ausschau zu halten. Vergeblich. Der Text enthält keine eigenen Passagen, in denen das königliche Wirken für die Verfolgten und Vertriebenen, um ihres Glaubens willen Leidenden zur Darstellung gelangen würde. Das ist sprechend genug. In einem Epithalamium auf einer Prinzessin aus jenem Hause, das mit für das Unheil verantwortlich war, wäre eine jede diesbezügliche Bemerkung ebenso deplaziert wie gefährlich gewesen. Beide, der Dichter wie der Übersetzer, wußten selbstverständlich darum. Unter den nicht endenden Seligpreisungen des Königs fehlt in diesem Text ein einziges Mal sein segensreiches religionspolitisches Wirken. Ex contrario aber ist damit methodisch zugleich sichergestellt, daß es mit der Identifizierung des Aggressors in dem leitmotivisch auf Polen und seine Repräsentanten abgestellten Diskurs seine Richtigkeit hatte. Er war und ist auf der katholischen Seite zu suchen.
Geistliches Vermächtnis: Das Psalmen-Werk Wir kommen zu einem letzten Aspekt des dichterischen Wirkens Opitzens auf polnischem Boden. Denn nicht die Vollständigkeit in der Registratur ist unser Anliegen, sondern eine Akzentuierung hinsichtlich der geschichtlich herausragenden poetischen Interventionen. Schon in das vorangehende Kapitel über Opitz und die Piasten spielte abschließend das Psalmenwerk entschieden hinein, und das im Blick auf die Widmungsempfänger. Nun, tatsächlich am Schluß angelangt, ist der geistlichen Blüte sui ––––––––– 81 82
Ebenda, Bl. A4v. Ebenda, Bl. B3r.
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generis zu gedenken. Aufs schönste nämlich stimmt der wiederholt verlautende Lobpreis des wohltätigen Wirkens hochgestellter Personen in Angelegenheiten des Glaubens zusammen mit der von dem Dichter selbst beobachteten Irenik im geistlich-poetischen Metier. Wenn Opitz auf polnischem Boden sich anschickte, Ernte zu halten, dann betraf das auch seine so lebhaft gepflegte Psalmendichtung. Sie behauptete sich schließlich als ein besonders kostbares Vermächtnis seines Werkes, das sich am Ende auf wundervolle Weise rundete. Im letzten Lebensjahrzehnt hatte die Beschäftigung mit diesem Zweig der geistlichen Poesie eingesetzt. Im Jahr 1630 war der 104. Psalm Gegenstand einer poetischen Adaptation gewesen. Die Widmung galt Georg Rudolf. Vier Jahre später lag die erste Folge von zehn Psalmen vor. Sie erschien bei David Müller in Breslau, gedruckt von Henning Köhler in Leipzig und war Diederich von dem Werder zugeeignet. Ein erster Schritt zur Bildung von sequenzförmigen Einheiten war getan. Nun galt es, kontinuierlich auf einen weiteren Ausbau hinzuwirken. Ein Jahr später, 1635, kamen fünf bzw. sechs Psalmen hinzu. Opitz adressierte und datierte immer noch von Breslau aus. Erstaunlicherweise fehlten Druckort und Drucker bzw. Verleger. Ein weiteres Jahr später konnte Opitz mit zwölf Psalmen hervortreten. Breslau blieb Druckort. Die Widmung aber an Gottfried Baudis erfolgte bereits aus Danzig. Dann wurde die Zählung im Titel aufgegeben. Die erste auf polnischem Boden in Danzig bei Andreas Hünefeld gedruckte und verlegte Sammlung trug den schlichten Titel ›Die Psalmen Davids‹.83 Den Herzögen Johann Christian und Georg Rudolf ist sie gewidmet. Wir haben die Widmungsadresse kennengelernt. Alle 150 Psalmen vermochte Opitz in dem über vierhundert Seiten umfassenden Oktavdruck vorzulegen. Bereits ein Jahr später wurde eine neue Auflage fällig. Drucker, Verleger und Widmungsempfänger blieben identisch. Die Krönung erfolgte im Todesjahr. Nun erschienen die Psalmen und die Episteln, bislang getrennt geführt, in einem mächtigen Werk. Druckort für die Psalmen war weiterhin Danzig, die ›Episteln‹, schon vorher in Leipzig erschienen, kamen in dieser Version neuerlich daselbst zum Abdruck. Das Jahr 1639 zeitigte überdies Opitzens berühmten geistlichen Sermon ›Vber das Leiden vnd Sterben Vnsres Heylandes‹. Das Psalmenwerk trat sodann seinen erfolgreichen Weg nach dem Tod des Dichters an. 1640 lag die erste posthume Ausgabe im Verlag von Ludwig König und gedruckt von Martin Wagner in Basel vor, 1641 eine weitere bei den Sternen in Lüneburg. Gelegentlich – so 1644 – gelangte nochmals ein einzelner Psalm zum Druck. Auch in den Gesamtausgaben hatten die Psalmen ihren festen Platz. In der berühmten Ausgabe von Fellgiebel aus den Jahren 1689 und 1690 sind sie ein letztes Mal im 17. ––––––––– 83
Vgl. den Kupfertitel des Werkes: Die Psalmen Davids. Nach den Frantzösischen Weisen gesetzt, durch Martin Opitzen, Dantzigk Gedruckt vnd verlegt durch Andream Hünefeldt. Das Werk ist inzwischen, wie bereits erwähnt, wieder leicht greifbar. Vgl.: Martin Opitz: Die Psalmen Davids. Nach den Frantzösischen Weisen gesetzt. Hrsg. von Eckhard Grunewald, Henning P. Jürgens.Hildesheim, Zürich, New York: Olms 2004. Dem Reprint liegt das Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 P Germ II, 5080) zugrunde. Der Band erscheint im Rahmen des Forschungsprogramms ›Kulturwirkungen des reformierten Protestantismus‹ der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Im Gegensatz zu so vielen anderen Reprints ist er mit einem Nachwort und Literatur ausgestattet.
Geistliches Vermächtnis: Das Psalmen-Werk
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Jahrhundert gedruckt worden. Aber auch die Ausgaben von Bodmer und Breitinger sowie von Triller gewährten ihnen im 18. Jahrhundert noch Eingang. Bleiben wir bei der letzten unter Opitzens Augen erschienenen Ausgabe und werfen einen Blick in die Vorrede, welche der Widmung an Johann Christian und Georg Rudolf unmittelbar folgt. Eindringliche Worte findet Opitz, wenn es darum geht, die einzig im Kosmos der biblischen Schriften dastehenden Psalmen zu charakterisieren. Sie sind dasjenige Genus des so vielstimmigen heiligen Corpus des Alten und Neuen Testaments, auf das alle Völker und alle Bekenntnisse sich vorbehaltlos zurückbeziehen können. VOn der fürtreffligkeit vnd würde der heiligen Psalmen haben zwar Gottfürchtige vnd geschickte Männer jederzeit viel/ niemals aber genung geschrieben/ angesehen daß solche zeugnisse von allen GlaubensArtickeln/ von der eigenschafft vnd kräfften Gottes/ von seinen wercken der Schöpffung/ Erlösung vnd Heiligung/ von seinem willen vnd geboten/ darinnen begrieffen sind/ vnd sie vns zu allen tugenden dermassen anmahnen vnd reitzen/ daß sie mit warheit ein weg zur gemeinschafft der Engel/ ein Paradeiß der seelen/ eine vergleichung der vneinigkeit/ eine bestetigung der freundschafft/ eine ruh bey der arbeit des tages/ eine rüstung bey dem schrecken der nacht/ der jungen ziehr/ der alten trost/ der vngelehrten wissenschafft/ der weisen vollkommenheit vnd diß alles können genennet werden/ was vor namen ein buch das gleichsam vom himmel selbst gefallen ist verdienet.84
Lang ist die Reihe der Adaptationen. Keine Nation hat sich die Chance entgehen lassen, die Psalmen in das eigene sprachliche Gewand zu kleiden. Und Hand in Hand mit dieser Einbildung in das heimische Idiom geht eine nicht abreißende Folge von Auslegungen und Kommentaren, wie sie gleichfalls bereits in der Antike einsetzt. Ist die Bibel das Buch der Bücher, so das Psalmenwerk seine Krönung. Diese königlichen Lieder besitzen Qualitäten, die sie zu einer Summe biblisch fundierten Glaubens erheben, ihnen den Rang einer Gründungsurkunde eigener Art verschaffen. Diese singuläre Beschaffenheit des Psalmenwerkes tritt in ihrer Einzigartigkeit überhaupt erst in der neueren Zeit zutage. Denn nun ereignet sich das Wunder, daß die gespaltene Christenheit sich in allen Zungen und Konfessionen zu diesem einen Text wie zu keinem anderen sonst bekennt. Ihm eignet eine einigende versöhnende Kraft und kein Zweifel kann bestehen, daß Opitz eben diese seine Eigenart angezogen und ihn beflügelt hat, sein Bestes zur poetischen Gewinnung gerade dieses geistlichen Liederwerks für die deutsche Sprache zu geben. Die unendliche Geschichte des Lebens der Psalmen beginnt mit der rechten Adaptation des hebräischen Textes selbst. Und das sowohl im Blick auf den Wortsinn wie auf die allgemeine Würdigung, handelt es sich doch um einen den Hebräern zugehörigen Text, bei dem gerade unter den Christen die rechte Form des Umgangs beobachtet sein will. Nicht genug sei dem Allmächtigen zu danken, »der zu vnserer Voreltern vnd noch dieser zeit die Hebreische sprache mit solcher klarheit wiederumb hat herfür kommen lassen/ daß auß jhrem quell die heiligen bäche reiner vnd vngetrübter als zuvor geschöpfft vnd getruncken worden.«85 Das ist durchaus nicht das einhellige Verständnis. Opitz ist der antijüdische Affekt unter den Christen sehr wohl vertraut, ––––––––– 84 85
Ebenda, Bl. π4r. Ebenda, Bl. π4v.
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der sich nicht zuletzt in der infamen Unterstellung artikuliert, die Juden hätten sich an diesem besonders sensiblen Text versündigt, indem sie seinen Sinn verfälschten. Zwar sind leute welche der alten vnd gemeinen Dolmetschung so gar anhangen/ daß sie vorgeben dürffen/ die Juden hetten mit zusetzung/ wegnemung/ vertauschung der buchstaben vnd vmbkehrung der worte/ wie auch mit erfindung der puncte die heilige Schrifft auß haß der Christen dermassen verterbet/ daß jhnen gefährlich zu trawen sey.86
Opitz widerstreitet dieser Sicht der Dinge vehement. Nicht die Spur eines antijüdischen Ressentiments ist seinem Werk eigen. Wie allüberall in Europa, hat Opitz auch in Deutschland Vorgänger. Imponierend ist die Revue der mit den Psalmen in Theorie und dichterisch-musikalischer Praxis Befaßten. An einer Stelle macht der Dichter aus naheliegenden Gründen länger Station. Lobwassers Psalmenwerk, mehr als siebzig Jahre vor dem Opitzschen entstanden, ist in aller Mund und Hand. Der Dichter weiß dies. Er kennt die Einwände, die insbesondere Schede Melissus gegen Lobwasser vorgebracht hat, der sich seinerseits an einer Eindeutschung des Marotschen Psalmenwerkes versuchte. Doch nun in den späten Jahren ist ein anderer Opitz zu vernehmen. Er hat es nicht nötig, wie er andeutet, sein eigenes Werk durch Verkleinerung seiner Vorgänger aufzuwerten und zu empfehlen. Schließlich hat man in anmerckung des fromen Mannes guten willens vnd hierbey angewendeten fleisses/ vnd daß Gottesfürchtige hertzen auch also noch mehr zur andacht köndten geleitet werden/ solchen Psalter in die Kirchen der Evangelischen eines theils (mit denen doch Lobwasser der Religion halben in allem nicht gestimmet) eingeführt/ vnd sich ein vnd anderes vrtheil nicht abhalten lassen.87
Lobwasser ist es mit seinen Psalmen gelungen, über die Grenzen der Konfessionen hinweg zu wirken. Er hat als Reformierter das Wort ergriffen, ist also ein Glaubensverwandter des Dichters. Und so ist es noch einmal dem Angehörigen eines minoritären Bekenntnisses auf deutschen Boden vergönnt, ein zur Versöhnung geleitendes Werk auf den Weg zu bringen. Das alleine zählt am Ende auch für Opitz. Und so mag denn, angeregt durch Opitz selbst, eine letzte Erwägung zur Sprache kommen. Der Dichter nämlich hat sich zu seinem Vorhaben in einigen wenigen Worten am Schluß geäußert. 1637, im vierzigsten Lebensjahr, verlauteten sie. Unbekannt lag die Zukunft vor ihm. Und doch sah er sein Lebenswerk durch seine Psalmendichtung in gewisser Hinsicht an einen Abschluß gelangt. Es bezeichnete den Gegenpol zu seinen Anfängen. Eine Rundung wurde erkennbar, die sich in seltener Gelassenheit auch seinen Worten mitteilte: ich habe bloß von mir zu sagen/ daß mich die ehre des Höchsten vnd der vorsatz dem Nechsten zu dienen/ ingleichen vorige mehrentheils Weltliche Poëtische schrifften meiner jugend mit dieser Geistlichen zu beschliessen [...] einig vnd allein bewogen/ diß schwere/ aber auch schöne vnd nützliche Werck an zu greiffen/ vnd nach dem mir von GOTT verliehenen schlechten vermögen zu vollziehen.88
––––––––– 86 87 88
Ebenda. Ebenda, Bl. π6r. Ebenda, Bl. π6v.
Geistliches Vermächtnis: Das Psalmen-Werk
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Dieser Vorsatz implizierte, Abstand zu wahren von den konfessionellen Streitigkeiten. Keinem Bekenntnis wollte er das Wort reden, keinem ein Widerwort erteilen. Die Lieder des Königs David bargen eine verbindende Botschaft und zu deren Dolmetscher machte sich der Dichter. Vnd weil ich also von den worten des heiligen Königs nirgend abgewichen bin/ so wird auch hoffentlich mit warheit mich niemand beschuldigen können/ als ob ich diß vnd in ansehung einer oder der andern Religion so vnd so gegeben/ vnd einiger zuneigung stat gelassen hette. Wie es auch wider meinem stande gemeß/ noch meinem gemüte jemals einkommen ist/ mich in der Geistlichen bey jetzigem mißlichen zustande sehr vnzeitige streitigkeiten ein zu mengen. also wird man mich nicht verdencken/ daß ich lieber in den fußstapffen des Textes geblieben/ als auff diese oder jene seite außgeschritten bin.89
Der dichterische Auftrag mündete ein in einen religiösen. Poesie und Glaube koinzidierten. Das aber war nur möglich, weil der in Wort und Ton dargebotene Text mit der Weihe ursprünglicher Heiligkeit begabt war. Er vereinte die zerstrittene Christenheit und er vereinte Juden und Christen gleichermaßen. Als Dichter, als Humanist, als Christ wußte Opitz sich im polyglotten und multikulturellen Danzig berufen, mitzuwirken an einer in die Aufklärung geleitenden menschheitlichen Mission. Diese blieb eine immerwährende und Opitzens Stimme gehört ihr zu. Sie will auch deshalb stets aufs neue zu Gehör gebracht sein.
––––––––– 89
Ebenda, Bl. π7r.
XX: Der Dichter und seine Verehrer als Sachwalter des Werkes Die Sammelausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts Eingang Auf polnischem Boden sollte es sein, daß eine Ausgabe letzter Hand der Werke Opitzens zustandekam. Niemand hätte das voraussagen können, am wenigsten der Dichter selbst. Der hatte gewiß stets ein Auge auf das geregelte Wachstum seiner Arbeiten gehabt und rechtzeitig auch damit begonnen, die Ernte in die Scheuer zu fahren. Als er schließlich in Danzig einen weiteren und nunmehr den dritten Anlauf unternahm, war er mit Gewißheit weit entfernt davon, ein endgültiges und nunmehr abschließendes Werk-Corpus formen zu wollen. Dann aber wurde die Zeit plötzlich knapp und am Ende reichte sie tatsächlich nicht mehr hin, letzte Hand an den abschließenden dritten Band zu legen. Sein Erscheinen hat Opitz nicht mehr erlebt. Doch durfte er in der Gewißheit Abschied nehmen, daß jedwede denkbare Vorsorge getroffen war. Und was er, eben vierzigjährig, schließlich in die Waagschale zu werfen hatte, wog schwer. Bis heute und gewiß auf lange Zeit hinaus ist eine kundige Zunft damit befaßt, das Erbe zu sichten, zu läutern und den der Zeit enthobenen Gehalt dingfest zu machen. Das Vergnügen des tätigen Umgangs mit dem Dichter, seiner Zeit, seinem Werk und nicht zuletzt seinem Nachleben gewidmet, bleibt ein stetiges, wie auch von dem Schreiber dieser Zeilen, mehr als fünfzig Jahre mit Opitz befaßt, gerne bezeugt.1 ––––––––– 1
Vgl. für das Folgende insbesondere die Nachworte von Erich Trunz in dem von ihm besorgten Reprint des Opitzschen Werkes letzter Hand: 1. Martin Opitz: Geistliche Poemata. 1638. 2., überarb. Aufl. Hrsg. von Erich Trunz.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 1). Eine erste Auflage erschien bereits 1965. Der Herausgeber hat im Nachwort zu diesem Band eine Skizze der Opitz-Ausgaben von 1624, 1625 und 1629 sowie der Ausgabe letzter Hand der Jahre 1638–1644 und der ohne Mitwirkung Opitzens zustande gekommenen Ausgaben gegeben, auf die nachdrücklich zu verweisen ist. Außerdem ist dem Reprint eine systematisch gegliederte Bibliographie der wissenschaftlichen Literatur hinzugefügt.- 2. Martin Opitz: Weltliche Poemata. 1644. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Christine Eisner hrsg. von Erich Trunz. 2., überarb. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 2). Eine erste Auflage erschien 1967. Das Nachwort enthält wiederum eine Editionsgeschichte, nunmehr akzentuiert im Blick auf die in dem Band zum Abdruck gelangenden und zumeist ehemals selbständigen Drucke. Des weiteren ist eine annotierte ›Zeittafel zu Martin Opitz’ Leben und Werk‹ und ein textkritischer Apparat beigefügt.- 3. Martin Opitz: Weltliche Poemata. 1644. Zweiter Teil. Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hrsg.von Erich Trunz.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 3). Dieser dritte und letzte Band ist besonders reichhaltig ausgestattet mit Beigaben. Er
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Rückblende Der Anfang war dramatisch genug gewesen. Und peinlich genug darüber hinaus. Wir erinnern neuerlich daran.2 Auf Pfälzer Boden war Opitz zu sich selbst gekommen. Der Umgang mit den Freunden gab seinem frühzeitig erwachten Schaffensdrang nochmals einen mächtigen Schub. Hier im Kreis der Heidelberger Weggefährten durfte er erleben, wie das Verlangen und der Einsatz für eine deutsche Kunstdichtung eine lebendige war. Der aus Schlesien kommende Dichter wurde empathisch begrüßt. Man wußte sich einer gemeinsamen Sache verbunden. Und das poetisch wie politisch gleichermaßen. Der Aufbruch aus der strahlenden kurpfälzisch-reformierten Kapitale nach Böhmen zum Erwerb der Königskrone war ein Spektakel eigener Art. Man ahnte, an einer Wegscheide zu stehen. Der Einsatz war immens und wurde nicht gefürchtet. Die Allianz war eine bruchlose, auch wenn sich vereinzelte warnende und zur Vorsicht mahnende Worte frühzeitig vernehmen ließen. Opitz wie auch andere seiner schlesischen Weggefährten bekümmerte das nicht. Publizistisch setzten sie alles auf eine Karte. Ein Zentrum der Macht rückte nahe an die eigene Heimat. Auf Prag waren alle Blicke gerichtet. So schon einmal unter Karl IV. Und so nun fast dreihundert Jahre später erneut und unter gänzlich anderen geschichtlichen Vorzeichen. Als dann das Scheitern rascher als je gewähnt Wirklichkeit geworden war, setzte das Erwachen ein. Der Heidelberger Kreis, lebendiger Mittelpunkt der eben auf den Weg gebrachten deutschen Dichtung, löste sich auf. Heimatlosigkeit, Aufbruch in die Fremde, Exilierung wurde für viele zum bitteren Schicksal. So auch für Opitz. Er wich aus in die Niederlande, gelangte für eine Weile in das abgelegene Jütland und kehrte als Verwandelter in eine umgekrempelte Heimat zurück, wo seines Bleibens nicht länger war, so daß er weiterzog in das ferne Siebenbürgen. Noch einmal erlebte er ein Milieu, das von Ferne an die Pfälzer Tage erinnerte, bestimmt von politischem Elan und inspiriert nicht zuletzt von reformiertem Denken, das sich allemal auch politisch und poetisch artikulierte. Erst nach dieser nur halb freiwilligen Exkursion war die Zeit seiner Jugend in einem inneren, auf sein Wachstum als Dichter gerichteten Sinn, abgeschlossen. In seiner Heimat hatte er sich gänzlich neuen Bedingungen anzubequemen. –––––––––
2
enthält eine Beschreibung dieses posthum erschienenen Werkes sowie der Epigramm-Sammlung, eine Gesamtcharakteristik der dreibändigen Werkausgabe im Kontext des Opitzschen Schaffens sowie eine eingehende literaturgeschichtliche Situierung des Opitzschen Werkes. Materialien zur Textkritik aus der Feder Irmgard Böttchers schließen sich an. Den Beschluß macht eine äußerst hilfreiche kommentierte Neufassung der Szyrockischen Bibliographie der Opitz-Drucke aus dem Jahr 1956, bearbeitet von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki. Mit dieser dreibändigen Edition legte Erich Trunz das Fundament für die Barock-Reihe, die eine Reihe hervorragender Ausgaben zeitigte, da den Faksimiles grundsätzlich ausführliche Beigaben hinzugefügt wurden. Es bleibt zu bedauern, daß die lange Zeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Reihe nicht fortgesetzt wird. Digitalisate können in keinem Fall einen zureichenden Ersatz stellen. Zurückzuverweisen ist auf das zwölfte Kapitel dieses Buches: Erste poetische Ernte. Die ›Poëmata‹ von 1624 und 1625, sowie auf die abschließenden Passagen in dem vierzehnten Kapitel ›Zwischen den Fronten‹ mit einer Charakteristik der zweibändigen Ausgabe der Werke Opitzens aus dem Jahr 1629.
Die erste Werkausgabe in eigener Regie
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Die Freunde im Westen waren nicht untätig geblieben. Und das aller widrigen Umstände zum Trotz. Vor allem ihr Wortführer Julius Wilhelm Zincgref ließ nicht ab von dem Bemühen, die poetische Ernte dieser überaus bewegten und produktiven Jahre in die Scheuer einzufahren. Ernte zu halten aber hieß nicht zuletzt, die inzwischen vorliegenden zahlreichen Poëmata Opitzens angemessen zu dokumentieren, darüber hinaus aber auch des einen und anderen Beitrags der schlesischen Gäste im Westen zu gedenken und schließlich die Talente aus dem Südwesten mit Heidelberg, Stuttgart und Straßburg an der Spitze zu Wort kommen zu lassen. Praktisch bedeutete das für den rührigen Organisator, der da Nachlese hielt und zugleich auf Kommendes setzte, dem produktivsten Mitglied einen eigenen Band vorzubehalten und den Freunden aus Ost und West zumindest einen gewichtigen Anhang zu reservieren. Das war generös genug gedacht, sollte Opitz zu jeder erdenklichen Ehre gereichen und endete doch in einem Desaster. Denn der in der Ferne Weilende sah sich mißverstanden, hätte mehr als eines seiner Liebesgedichte nur allzugerne unterdrückt und vor allem nach Maßgabe des ihm eigenen Ordnungssinnes für eine Binnengliederung der vorhandenen poetischen Materie gesorgt. Er war sich nicht zu schade, seinem Mißfallen öffentlich Ausdruck zu verleihen und düpierte damit jene, die nur das Beste gewollt hatten. Konnte nach einer derartigen Malaise noch einmal ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis heranwachsen? Es blieb schwer vorstellbar und tatsächlich traten fortan neue Personen und Mächte in das Leben des Dichters.
Die erste Werkausgabe in eigener Regie Was hier in denkbarer Knappheit nochmals rekapituliert wurde, ist die Rahmenhandlung für die erste Ausgabe der Werke Opitzens, wie sie fern der Heimat in Straßburg unter der Ägide Zincgrefs zustandekam. Mit ihr beginnt die Geschichte der Werkausgaben des Dichters, wenngleich eben auf einem schiefen Fuß. Als Opitz nach Schlesien zurückgekehrt war, machte er sich selbst ans Werk. Schon ein Jahr nach dem Pfälzer Erstling erschienen seine ›Acht Bücher Deutscher Poematum‹ bei David Müller in Breslau. ›Acht Bücher‹! Das verwies auf eine Abfolge und eine interne Strukturierung, deren Fehlen in der Ausgabe von 1624 Opitz so bitter beklagt hatte. Wieder aber hatte der Dichter mit einem Mißgeschick zu kämpfen, denn die letzten drei Bücher wurden als solche nicht mehr ausgezeichnet. Und auch sonst waren manche Mängel zu monieren. Opitz informierte den Leser sogleich eingangs darüber. Die Anlage als solche blieb klar erkennbar, und der Dichter durfte sich mit einem ›Seidt Gott befohlen‹ wohlgemut verabschieden. Das nunmehr Vorliegende sprach für sich selbst. Wir rekapitulieren ganz knapp. Opitz eröffnet mit einer Vorrede an den Begründer der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ Ludwig von Anhalt-Köthen. Sie geriet zu einem großen kulturpolitischen Manifest und trug dazu bei, dem Dichter den Weg in die illustre Sozietät zu öffnen. Sie ist ein Kabinettstück eigener Art geblieben. Mit den bislang vorliegenden geistlichen Texten setzt Opitz ein. Sein geistliches Œuvre wird in allen folgenden Ausgaben weiterhin voran stehen. Dafür gab es Vorbilder, und auch Opitz hielt sich an die Gepflogenheit. Dann folgen seine bis dato erschienenen beiden Lehrgedichte, die im ländlichen Milieu angesiedelt sind, sowie seine Übersetzung von
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Heinsius’ ironischem Lobgesang auf den Gott des Weines Bacchus. Mit dem dritten Buch wird die bereits respektable Produktion vor allem auf hohe Standespersonen eröffnet, in der Opitz schon jetzt brillieren kann, aber auch bürgerliche Gelehrte werden bedacht. Die Gelegenheitsdichtung im weitesten Sinn also tritt zusammen. Das vierte Buch ist der Gattung des Epithalamiums vorbehalten, auch hier selbstverständlich die Beiträge auf hohe Standespersonen vorangestellt. Und dann folgt in einem eigenen fünften Buch die Liebeslyrik des Dichters, von der er sich doch eben noch so vehement distanziert hatte. Nun aber war sie eingebettet in ein unverfängliches Umfeld und zudem mit Kautelen versehen. Der Dichter durfte den Schritt wagen und sah sich schließlich durch eine große Tradition dazu ermächtigt. Das Liebesgedicht blieb die argute Redeform schlechthin, unterlegt mit mehrfachem Sinn, wie inzwischen hinlänglich deutlich. Die folgenden Gruppen, denen ebenfalls eigene ›Bücher‹ vorbehalten wurden, sind als solche in den Kolumnentiteln nicht mehr ausgewiesen. Sie dürfen jedoch substituiert werden. Entsprechend folgen den ›Amatoria‹ in einem sechsten Buch ›Oden oder Gesänge‹, von denen Opitz ebenfalls schon frühzeitig kostbare Proben vorgelegt hatte. Nun im Verbund kommt das sichere Formgefühl doppelt zur Geltung. Den Abschluß im siebten und achten Buch bilden Sonette und Epigramme, auch diese beiden Abteilungen jeweils bereits respektabel ausgestattet. Ein durch und durch wohlkomponiertes Buch war entstanden. Niemand konnte mehr an dem Dichter vorbeigehen. Opitz war der erste, dem diese Rundung seiner Produktion zu einem geschlossenen Ganzen gelungen war. Fortan vermochte es stetigen Anbau zu geben; die Anlage des Gebäudes selbst stand im wesentlichen fest.
Die Ausgabe von 1629 und ein bemerkenswertes Widmungsgespann Schon die nächste Synopsis war nicht mehr in einem Band unterzubringen. 1629 lag sie vor und umspannte nun zwei Bände. Treuer Sachwalter des Œuvres war weiterhin David Müller in Breslau. Eine einschneidende Neuorientierung kam jedoch an anderer Stelle zum Tragen. Die beiden Bände gelangten nämlich in die Hände verschiedener Widmungsempfänger. Nur den ersten Band ziert weiterhin der Name Fürst Ludwigs. Der zweite Band ist Opitzens nunmehrigem Dienstherrn, dem Burggrafen Karl Hannibal von Dohna, zugeeignet. Der Diplomat hatte sich folglich zu bewähren. Der Burggraf war einem zweiten Maecenas gleich in das Leben Opitzens getreten, indem er ihm als dem vielbeschäftigten Bediensteten doch allemal noch Muße zum Dichten und zum Studieren beließ. Die vielen neuen Beiträge, mit denen der Dichter jetzt vier Jahre später aufwarten konnte, waren der schönste Beleg dafür, verdankten sie sich doch – so Opitz ausdrücklich – diesem ihm vorbehaltenen Freiraum. Und natürlich ist der Angesprochene in ehrwürdiger Tradition selbst ein Freund und Kenner der Künste und Wissenschaften, werden diese und ihre Schöpfer eben dadurch immer auch geadelt. Es konnte gezeigt werden, daß der Ton insgesamt ein zurückhaltender blieb. Wie anders hätte der Dichter auch sonst vor die Augen der Freunde treten können. Einer Ehrenbezeugung war Genüge getan.
Im Schatten des Todes
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Inzwischen waren eine Reihe großer Texte geistlichen wie weltlichen Charakters entstanden, die Opitz nun im Kontext des Vorhandenen gleichfalls präsentieren konnte. Aber auch auf seiten der kleineren Gattungen war viel geschehen. Und so wurde nun eine neue Folge ›Poetischer Wälder‹ und eine weitere mit ›Oden und Gesängen‹ eröffnet. Das war gewiß ein auf Dauer nicht haltbarer Zustand, wenn schon gesammelt werden sollte, dann mußte das Zusammengehörige auch zusammenstehen. Eben dieser Anforderung wurde mit der dritten Ausgabe der Opitzschen Schriften Genüge getan, die zu seiner letzten bei Lebzeiten werden sollte.
Im Schatten des Todes Das Jahr 1637 blieb – wie schon einmal das Jahr 1629 – im Blick auf das Schaffen wie das Zusammenführen von Texten und nicht zuletzt das Lancieren von Widmungen ein richtungsweisendes. Opitz lebte im Exil in Danzig. Niemand hätte vorhersagen können, ob eine Zeit kommen würde, da er in die Heimat zurückzukehren vermöchte. Es lag nahe und war mehr als verständlich, daß die Pflege des Werkes einen prominenten Platz behauptete – und das womöglich auch im mitschwingenden Gedanken, daß eine verbindliche, um nicht zu sagen endgültige Version erarbeitet werden müsse. Die Zeit sollte rasch lehren, daß die von Opitz getroffenen Vorkehrungen die angemessenen und richtigen waren. Er war, wie sich alsbald herausstellte, zum letztmöglichen Zeitpunkt vorsorgend tätig geworden. Vier Jahre lagen zwischen der ersten und der zweiten Auflage seiner Gedichte. Es währte weitere acht Jahre, bevor Opitz an die Schaffung einer erneuerten Werkausgabe ging. Dazu bedurfte es offenbar der gelegentlich einkehrenden Muße auf Danziger Boden, um diesem so eminent wichtigen Geschäft sich zuwenden zu können. Die lange Pause zeitigte auch werkpolitisch Folgen. Denn nun tat Opitz den folgenreichen Schritt, seine geistliche Produktion von der weltlichen zu separieren und in je eigenen Bänden zusammenzuführen. Ab hier ist deshalb ein auch überlieferungsgeschichtlich und damit philologisch spannendes Kapitel zu eröffnen. Viele Fragen konnten geklärt werden; andere in die jüngste Vergangenheit hineinführend, sind bis auf weiteres offen. Geduld ist allemal zu beobachten.
Publizistische Hoffnungen ›Dantzig/ den 6. Tag deß Wintermonats/ im 1637. Jahr.‹ ist die Widmung der ›Geistlichen Poemata‹ Opitzens an Sibylle Margarethe von Dönhoff datiert. Das Werk selbst erschien erst 1638. Keine drei Wochen später, am 26. November, wandte der Dichter sich brieflich nach längerer Pause wieder einmal an Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Das große Psalterwerk war soeben erschienen und ging nun mit gleicher Post an den Fürsten. Zugleich aber richtete sich der Blick entschieden nach vorne. Meine weltliche getichte erwarte ich verfertigt auff Ostern: deren erster theil mitt E.F.Gn. hochlöblichen Namen, als vor auch geschehen, außgeziehret; der andere dem edlen Viergekörnten zuegeschrieben ist. Auch habe ich des Herrn von Sidney, Arcadie vbersehen, vndt alle getichte vndt
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lieder darinnen nach der gehörigen Reimkunst gesetzet: wirdt meinentlich vom Merian schon mitt seinen schönen kupferstücken heraußgegeben sein. Nunmehr bin ich vber dem Lateinischen wercke Dacia Antiqua, hoffe es vor dem frülinge auß zue arbeiten, doferren nicht der leidige krieg sich auch dieser orten einsezt, wie es wol ein sehr gefehrliches anßsehen hatt.3
Welch ein werkpolitischer Prospekt! Eben ist das Buch der Psalmen erschienen und eben ist – erstmals – eine Sammlung mit geistlichen Gedichten an den Drucker und Verleger auf den Weg gegangen, da zeichnen sich bereits neue fulminante Vorhaben ab. Schon für das Frühjahr des neuen Jahres erwartet der Dichter das Erscheinen seiner weltlichen Gedichte. Und das nicht in einem Band, sondern in zwei Teilen und Bänden. Der erste bleibt wie seit 1625 die Regel dem Fürsten gewidmet; der zweite, so ist nun zu hören, ist dem ›Vielgekörnten‹, also Diederich von dem Werder zugedacht, auch er der fürstlichen Gesellschaft eng verbunden. Doch damit immer noch nicht genug. Der Dichter hat die ›Arcadia‹ Philip Sidneys und vor allem die Gedichte darin überarbeiten und das Werk bei der ersten Adresse plazieren können, nämlich bei Matthäus Merian in Frankfurt. Und schließlich hat er das Projekt aus der Siebenbürgener Zeit wieder vorgenommen. Auch im Blick auf die ›Dacia antiqua‹ schaut er wohlgemut nach vorne. Gleichfalls im Frühling des nämlichen Jahres sollte zumindest die Arbeit an ihnen abgeschlossen sein. Dem Fürsten müssen die Ohren geklungen und Stolz dürfte sich geregt haben angesichts der Produktivität des inzwischen zweifellos berühmtesten Mitgliedes seiner Gesellschaft. Wie viel aber kam alsbald sehr anders.
Geistlicher Auftakt in Breslau und Frankfurt am Main Wann genau die geistlichen Gedichte in dem publizistisch so wichtigen Jahr 1638 vorgelegen haben, ist nicht bekannt. Sie eröffnen die nunmehr dreibändig konzipierte Sequenz und stehen fortan am Eingang des Werkes von Opitz. Dem akademischen Ordo-Verständnis mit der Theologie an der Spitze war damit auch von humanistischer Seite hinsichtlich der Aufmachung des Werkes Genüge getan. Und rasch sollte sich zeigen, daß Opitz mit dieser Maßnahme Nachfolge fand. Ein Weckherlin, ein Scherffer von Scherffenstein, ein Fleming orientierten sich an ihm. Noch einmal war er an die Spitze einer Bewegung getreten.4 Opitz wahrte seinem alten Verleger und seinem Haus in Breslau die Treue. David Müller war 1636 gestorben und Opitz hatte ihm eine ergreifende Trauerschrift gewidmet. Mitglieder der Familie setzten das Unternehmen fort und so blieb der Name Müllers mit dem Werk Opitzens verbunden. Gedruckt wurde freilich nicht in Breslau, sondern im fernen Frankfurt am Main. Opitz hatte also keine Chance, von Danzig aus den Druck zu überwachen. Gleichwohl kam ihm die Wahl des Druckortes zustatten. ––––––––– 3
4
Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band III, S. 1404. Martini Opitii Geistliche Poëmata, Von jhm selbst anjetzo zusammen gelesen, verbessert vnd absonderlich herauß gegeben. Jn Verlegung David Müllers Buchhändlers S. Erben. M.DC.XXXVIII. Exemplar aus der Stadtbibliothek Breslau 8 E 2865/2 übergegangen in die BU Wroclaw: 320336.
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Schon andere seiner Werke waren daselbst – vermittelt über Müller – zum Druck gelangt. Das Verlagshaus, das jetzt ›David Müllers Erben‹ hieß, hatte schon oft Drucker in anderen Städten beschäftigt. Viele Verlagswerke waren in Brieg gedruckt, einige in Leipzig, so 1632 Opitz’ Übersetzung ›Die süßen Todesgedanken ... des von Serre‹ und 1633 das ›Trost Gedichte in Widerwertigkeit deß Krieges‹. Müller hatte sogar in dem entfernten Frankfurt am Main drucken lassen: 1631 wurden dort die lateinischen Gedichte des Martin Opitz, ›Silvarum Libri tres‹, hergestellt und 1634 eine neue Ausgabe der ›Poeterey‹. Der Grund dafür liegt darin, daß Frankfurt der wichtigste Ort des deutschen Buchhandels war. Die Stadt hatte sich mit Geschick durch die widrigen Zeitverhältnisse hindurchgebracht und war unzerstört geblieben. Trotz des Krieges arbeiteten Buchdruck und Buchhandel verhältnismäßig stetig. Infolge der Kriegsereignisse war es aber zeitweilig unmöglich, Bücher von Schlesien nach Frankfurt zur dortigen Messe zu befördern. Müller ließ deswegen in Frankfurt drucken und hatte dort eine Auslieferungsstelle. Opitz hat die Druckvorlage für seine dreibändigen ›Poemata‹ vermutlich im Winter 1637/1638 nach Frankfurt geschickt.5
Erstmals wurden Umfang und Gehalt der geistlichen Dichtung Opitzens erfahrbar. Mit der deutschsprachigen poetischen Fassung des ›Hohen Liedes‹ hebt er an. Die ›KlageLieder Jeremia‹ und der besonders reich kommentierte ›Jonas‹ schließen sich an. Dann folgt – ausgestattet mit einer besonders wichtigen Widmung für Margarethe von Kolowrath – das geistliche Schauspiel ›Judith‹. Und dann setzt die reiche Folge der poetischen Bearbeitungen der ›Episteln‹ zu den Sonn- und Festtagen des Jahres ein, unterlegt mit den Vertonungen der Psalmen. Die ›Geistlichen Oden/ oder Gesänge‹ sind zu lesen. Opitzens früher ›Lobgesang‹ auf den Geburtstag Jesu Christi findet in Kombination mit der Übersetzung des entsprechenden Textes aus der Feder von Heinsius seinen Platz. Und nun vermochte Opitz mit mächtigen Akkorden zu schließen. Sein ›Trostgedicht Jn Widerwertigkeit Deß Kriegs: Jn vier Bücher abgetheilt/ Vnd vor etlichen Jahren anderwerts geschrieben‹, so nun die Titelfassung, rückte er an den Schluß. Eindrucksvoll war Ernte gehalten worden, aber keinesfalls alles aus dem reichen geistlichen Repertoire war dokumentiert. Ein Jahr vor der Sammelausgabe der geistlichen Schriften war das mächtige Psalterwerk Opitzens erschienen. Es blieb mehr als verständlich, daß Opitz keine Veranlassung sah, es nach Verstreichen einer so kurzen Frist seinen früheren geistlichen Texten hinzuzugesellen. Und das um so weniger, als es ein eigenständiges Leben führte und bereits ein Jahr später, also gleichfalls 1638, eine weitere Auflage erlebte. Schmerzlicher blieb der Verzicht auf einen Schlüsseltext der späthumanistischen Gelehrtenwelt. Opitz und sein Freund Colerus hatten beide eine Übertragung von Grotius weit in die Zukunft weisendem Text ›Bewijs van der waren Godsdienst‹ vorgelegt. Unter dem Titel ›Von der Wahrheit der Christlichen Religion‹ hatte Opitz nach Rückkehr von seiner Parisreise die Übersetzung publiziert, nachdem er dem großen politischen Theoretiker in der Stadt wieder begegnet war. Davon wurde eingehend gehandelt. Der Text aber, dem es beschieden war, seine Aktualität ungeschmälert zu behaupten, führte weiterhin ein Sonderdasein als Einzeldruck und blieb eine Zimelie mit ei––––––––– 5
Trunz (Hrsg.): Weltliche Poemata Band I (Anm. 1), S. 5* f.
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nem Nimbus ganz eigener Art. Daß schließlich die Becanus-Übersetzung außen vor blieb, mochte ohne weiteres verständlich sein. Was hätte Opitz bewegen sollen, die Schrift eines Jesuiten seinem auf Dauer angelegten Gesamtwerk zuzuführen? Der reformierte Ton behauptete auf eine denkwürdige Weise in seinem geistlichen Werk eine besonders vernehmbare Note, und das nicht zuletzt über die Vorreden. Dieser religiöse Gestus vertrug keine Konterkarierung.
Mißgeschick über Mißgeschick bei den ›Weltlichen Gedichten‹ Doch nun zu der anderen Seite des so zielstrebig von Opitz geplanten Unternehmens. Ein neuer Ort, der auch in den Augen Opitzens kein vorläufiger war, verlangte nach einer publizistischen Offensive, und stets wird es das Nachdenken beschäftigen, wie Krieg und geschichtliches Unheil ihren gedeihlichen Fortgang durchkreuzten. Und das keinesfalls nur im aufgewühlten 17. Jahrhundert, sondern auf andere Weise auch dreihundert Jahre später im Katastrophen-Jahrhundert des 20. Säkulums. Ein überlieferungsgeschichtliches Lehrstück ist zu besichtigen, und das ist in gewisser Weise ein bis auf den heutigen Tag unabgeschlossenes. Wenn es schließlich für Opitz mehr als glimpflich ausging, er im Entscheidenden nochmals das Glück auf seiner Seite hatte, so steht das auf einem anderen Blatt. Beide Seiten des nämlichen Vorgangs wollen erinnert sein. Zwei weitere Bände, bestückt mit den ›Weltlichen Poemata‹, sollten noch im gleichen Jahr 1638 zu den ›Geistlichen Poemata‹ treten. Tatsächlich lag 1638 der erste der beiden Bände auch vor. Doch sein Erscheinungsbild wie sein Weg durch die Geschichte sind gleichermaßen aufsehenerregend genug. Die verlegerische Konstellation blieb die gleiche. David Müllers Erben in Breslau betreuten das Werk weiterhin und gaben seine Drucklegung nach Frankfurt am Main. Wer aber war dafür verantwortlich, daß es ihm an einem zentralen Bestandteil ermangelte? Alle Ausgaben der Gedichte Opitzens waren seit 1625 mit der Widmung an Fürst Ludwig von AnhaltKöthen eröffnet worden. Dieser Ausgabe fehlte sie. Sie setzte unvermittelt sogleich ein mit dem Lobgedicht auf den polnischen König. Das kann unmöglich in Opitzens Interesse gelegen haben. Wer aber war dann so unprofessionell vorgegangen? Oder handelte es sich schlicht um ein Vorausexemplar für den Drucker, dem die ja schon oft gesetzte Widmung nachgereicht werden sollte? Wir wissen es nicht und können nur Vermutungen anstellen, was geschehen soll. Doch – neuerlich – mehr noch. Wir können den ersten Band der ›Weltlichen Poemata‹ aus dem Jahr 1638, der zu einem solchen letzter Hand werden sollte, auch nicht mehr in die Hand und in Augenschein nehmen. Er ist seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Diese Feststellung ist seit langem bekannt. Im Fach der Bibliographie und Bibliophilie kann man sich mit ihrer schlichten Konstatierung jedoch nicht zufrieden geben. Sie fordert zu Erwägungen verschiedener Art heraus. Und das keinesfalls nur, weil es schließlich um keinen Geringeren als Martin Opitz geht. Über den speziellen Fall hinaus erfolgt ein Schlaglicht auf die prekäre Lage der Überlieferung großer Texte der deutschen Literatur überhaupt.
Schicksal eines Berliner Unikats
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Schicksal eines Berliner Unikats 1858 hatte Hoffmann von Fallersleben seinen Versuch einer Bücherkunde zum 17. Jahrhundert am Beispiel Opitzens demonstriert. Dort liest man als ersten Eintrag zum Jahr 1638: Martini Opitii Weltliche Poemata das Erste Theil. Zum Vierdten mal vermehret vnd vbersehen herausgegeben. Cum Gratia et Privil: Jn Verlegung David Müllers Buchhandlers seel Erben. Jn Breßlaw. 1638. Und dann der Zusatz in petit: 8° TKpf mit Titel. 573 bez. SS. Berlin.6 Das ist unseres Wissens die erste formelle bibliographische Information über den zur Rede stehenden ersten Band der ›Weltlichen Poemata‹, dessen Erscheinen der Dichter dem Fürsten für das Frühjahr 1638 avisiert hatte. Im dritten Band der zweiten Auflage von Goedekes ›Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung‹ kehrt der Eintrag wieder, ebenfalls versehen mit dem Nachweis eines Exemplars für Berlin. Die erste etwas ausführlichere Information rührt her aus der Einleitung zu einer Edition der griechischen Epigramme in deutscher Übersetzung unter der Obhut von Max Rubensohn. Der rekapitulierte den Schriftverkehr zwischen Opitz und dem Fürsten in der Angelegenheit, aus der des Näheren hervorgeht, daß das Erscheinen der beiden Bände der ›Weltlichen Gedichte‹ in Frankfurt für die Buchmesse zu Michaelis in Aussicht gestellt sei. Das war eine doppelt wichtige Information, weil soeben ein zweibändiger Raubdruck, im wesentlichen basierend auf der rechtmäßigen Ausgabe von 1629, erschienen war, der zügiges Handeln um so dringlicher machte. Tatsächlich aber konnte dann zur Messe nur der eine erste Band vorgelegt werden. Dieser wird von Rubensohn zitiert, und das benutzte Exemplar sodann in einer Anmerkung näher charakterisiert. Der Titel ist zum Teil wahrhaft künstlerisch ausgeschmückt. An ihn schließt sich in dem Berliner Exemplar sofort auf Bl. A beginnend, das Lobgedicht an die Königliche Majestät zu Polen an; es fehlt somit die bekannte Vorrede an Ludwig nebst den Zuschriften der Freunde. Sicherlich liegt ein Mißverständnis vor, entstanden wohl durch die Abwesenheit des Dichters zur Zeit des Drukkes. [...] So erklärt es sich, daß er dieser Ausgabe nicht gegen Ludwig gedenkt und so wohl auch, daß er auf die Fortsetzung zunächst verzichtet. – Guttmann (Ratiborer Programm 1850) beschreibt das Breslauer Exemplar, dessen Titel zeigt aber das Jahr 1639, auch enthält es die Vorrede.7
Speziell in die Opitz-Philologie eingeführt und zugleich abschließend behandelt wurde das hier offensichtlich obwaltende Problem von Georg Witkowski in der meisterhaften Einleitung zur Edition der Opitzschen Poemata von 1624, in der eine nähere Charakteristik der Opitz-Ausgaben geboten wird. Dort ist zu lesen: Für die Textgeschichte des Opitzschen Werkes könne nach den drei Ausgaben von 1624, 1625 und 1629 »nur noch die letzte von Opitz selbst besorgte rechtmäßige Ausgabe [...] einen textkritischen Wert beanspruchen.« Während die ›Geistlichen Poemata‹ sehr häufig ––––––––– 6
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Hoffmann von Fallersleben: Martin Opitz von Boberfeld. Vorläufer und Probe der Bücherkunde der deutschen Dichtung bis zum Jahre 1700.- Leipzig: Engelmann 1858, S. 20. Griechische Epigramme und andere kleinere Dichtungen in deutschen Übersetzungen des XVI. und XVII, Jahrhunderts. Mit Anmerkungen und ausführlicher Einleitung herausgegeben von Max Rubensohn.- Weimar: Felber 1897 (Bibliothek älterer deutscher Übersetzungen; 2–5), S. CCIX, Anm. 4.
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vorkämen, zähle der erste Band der ›Weltlichen Poemata‹ »zu den größten Seltenheiten.« Von den mehr als hundert Bibliotheken, die mir auf meine Anfrage ihre Opitiana freundlichst mitteilten, besitzt allein die königliche Bibliothek in Berlin [...] ein Exemplar mit der Jahreszahl 1638 (Signatur Yh 9421). Der gestochene Titel zeigt einen König mit dem polnischen Wappen zu seinen Füßen und einen Kurfürsten mit dem sächsischen Wappen. Sie halten gemeinsam ein Herz, aus dem Lorbeerreiser sprießen. Darüber steht in einem Strahlenkrantz das Wort ›Pax‹. Zwischen den beiden Gestalten zeigt ein Oval die Aufschrift: Martini Opitii Weltliche Poemata. Das Erste Theil. Zum vierdten mal vermehret und ubersehen herausgegeben. Cum Gratia et Privil: Jn Verlegung David Müllers Buchhandlers seel. Erben. Jn Breßlaw. 1638. Am Sockel eine Landschaft mit Mühle, die von einem Bache getrieben wird, an dem ein Schäfer auf der Flöte blasend liegt; umschrieben: ›Mens immota manet.‹ Widmung und Gedichte der Freunde fehlen. Unmittelbar auf den Titel folgt S. 1 ›Lobgedicht an die Königliche Majestät zu Polen und Schweden‹.8
Da also war nahezu Ungeheuerliches geschehen. Eine von Opitz gewiß sorgfältig vorbereitete Ausgabe, die unversehens zu einer solchen letzter Hand werden sollte, war von unbekannter Hand in einem kühnen Akt umgewidmet worden. In die Hände des polnischen Königs wurde sie nunmehr gelegt. Es waltete also kein Versehen anläßlich der Eliminierung der Widmung an Fürst Ludwig. Sie erfolgte vorsätzlich, denn sie paßte natürlich nicht zur Umwidmung. Der Auftakt sollte dem polnischen König vorbehalten bleiben. Nicht auszuschließen, daß man vermeinte, in Opitzens Sinn zu handeln. Dem aber konnte das, was da geschah, im Blick auf den Fürsten nur peinlich sein. In ganz anderer Weise als vierzehn Jahre früher anläßlich der Zincgrefschen Edition seiner Gedichte mußte er sich düpiert fühlen. Und wieder kam ihm ein merkwürdiger Umstand zupaß. Dem entfremdeten Druck blieb offenkundig jedwede Verbreitung versagt. Auch in dieser Hinsicht ist das Zeugnis Witkowskis sprechend. Keine deutsche Bibliothek war in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten in den Besitz eines Exemplars gelangt, ausgenommen die Königliche Bibliothek zu Berlin. Die wußte, was sie gerade an diesem Stück hatte. Als Rarum war es ausgezeichnet worden. Und als solches wurde es frühzeitig in die Auslagerung einbezogen, als es auch für die Berliner Bibliothek daran ging, ihre Schätze angesichts des Bombenkriegs in Sicherheit zu bringen. Nach Gröditzburg in Schlesien wurde es mit Tausenden anderer Rara auf den Weg gebracht. Dort ist es vermutlich – wie auch alle weiteren Rara – verbrannt und in jedem Fall nicht nach Berlin zurückgekehrt. Nicht völlig auszuschließen ist es selbstverständlich, daß es sich doch noch an irgend einer Stelle verborgen hält. In jedem Fall hat es bis zum Erweis des Gegenteils als verschollen zu gelten.9 ––––––––– 8
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Martin Opitz: Teutsche Poemata. Abdruck der Ausgabe von 1624 mit den Varianten der Einzeldrucke und der späteren Ausgaben. Hrsg. von Georg Witkowski.- Halle: Niemeyer 1902 (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 189–192), S. XXI f. Vgl. zu diesem nur eben angetippten Komplex mit der gesamten einschlägigen Literatur Klaus Garber: Der Zweite Weltkrieg und seine bibliothekarischen Spätfolgen. Noch immer geteilte Sammlungen deutscher Literatur in großen historischen Bibliotheken Europas und ihre Restitution als europäische Aufgabe.- In: ders.: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 611–663. Hier speziell zu Gröditzburg S. 618 mit Anmerkung 13.
Einkehr in Breslau
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Ermißt man, was das bedeutet? Da wird das abschließende Werk des ›Vaters der deutschen Dichtung‹ womöglich an seinem neuen Lebensraum in Danzig, womöglich im fernen Frankfurt, womöglich an dritter Stelle ohne sein Wissen mit einem Titelkupfer ausgestattet, das den polnischen König und den Sächsischen Kurfürsten zu den Schirmherren dieses Gründungstextes der deutschen Literatur erhebt und die kulturelle Öffentlichkeit, ob in Deutschland, ob in Polen, ob an dritter Stelle, hat seit bald einem Jahrhundert keine Möglichkeit mehr, sich mit der Materialität des entsprechenden Dokuments näher zu beschäftigen. Alle in dieser Hinsicht einschlägigen Fragen entfallen damit. Besaß das Exemplar Benutzerspuren? Gab es irgendwelche Hinweise auf seine Provenienz? Bot es womöglich – unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen – einen wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen seiner Umfunktionierung und seiner Herkunft? Trug es – wie gerade so viele Berliner Exemplare – Vorgänger-Signaturen? Auf dem Katalogblatt liest man u.a. die Notiz ›Z 444‹. Dieser Spur wäre also ebenfalls nachzugehen.10
Einkehr in Breslau Nun weisen aber schon Rubensohn und Witkowski auf eine weitere Auflage des ersten Bandes der vierten Auflage der ›Weltlichen Poemata‹ hin, die ein Jahr später erschien. Guttmann hatte in dem von Rubensohn erwähnten Programm aus Ratibor aus dem Jahr 1850 auf sie aufmerksam gemacht, und das anläßlich eines Besuchs der Rhedigerschen Bibliothek in Breslau. Sowohl Hoffmann von Fallersleben als auch Goedeke hatten von dieser Information erstaunlicherweise keinen Gebrauch gemacht. Über sie aber rückte zugleich der Ort von Opitzens Verleger in das Blickfeld. Und das in doppelter Hinsicht.11 Wie war es möglich, daß sich in der Stadt kein Exemplar der Ausgabe der ›Weltlichen Poemata‹ aus dem Jahr 1638 erhalten hatte. Guttmann hatte sie in der Rhedigerschen Bibliothek nicht zu Gesicht bekommen. Und auch in der späteren Stadtbibliothek, die mit der Rhedigerschen Bibliothek ihren Namen übernommen hatte, sich aber zugleich aus reichen anderen Quellen speiste, war sie nicht anzutreffen, Der erhaltene alphabetische Bandkatalog kennt keine Ausgabe der Weltlichen Gedichte von 1638. Das mag ein Zufall sein. Nicht ausgeschlossen indes, daß die Kenner in der Stadt, ob Sammler, ob Bibliothekare, von der Existenz der Ausgabe wußten, ihre Verwahrung jedoch angesichts der geschilderten Probleme hintanstellten. Die Stadtbibliothek verwahrte ausschließlich die Nachfolge-Ausgabe aus dem Jahr 1639.12 Wie merkwürdig aber auch hier, daß nur ein einziges Exemplar in ihrem Be––––––––– 10
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Hier noch einmal der gestochene Titel des Unikats, zusammengezogen aus den bei bei Rubensohn und Witkowski vorgefundenen Angaben: Martini Opitii Weltliche Poemata. Das Erste Theil. Zum vierdten mal vermehret vnd vbersehen herausgegeben. Cum Gratia et Privil: Jn Verlegung David Müllers Buchhandlers seel. Erben. Jn Breßlaw. 1638. [Johann Julius] Guttmann: Über die Ausgaben der Gesammtwerke des Martin Opitz.- Programm Ratibor 1850, S. 9. Das Breslauer Exemplar mit dem gesetzten Titel: Martini Opitii Weltliche Poëmata. Das Erste Theil. Zum vierdten mal vermehret vnd vbersehen herauß gegeben. Jn Verlegung David Müllers
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sitz war, wo sonst doch Mehrfachbesitz als Regel galt, selbstverständlich auch im Blick auf die Opitz-Ausgaben. Doch wiederum mehr als das. Das Breslauer Exemplar aus dem Jahr 1639 ist neuerlich das einzige weltweit bekannt gewordene. Es hat bis auf den unwahrscheinlichen Fall, daß ein zweites auftauchen sollte, wiederum den Status eines Unikats. Und als ein solches hat es sich über die Jahrhunderte erhalten. Aus der Rhedigerschen Bibliothek war es in die Stadtbibliothek gelangt, dort unter der Signatur 8 E 2865/1 in Verwahrung genommen und nach 1945 übergegangen in die Universitätsbibliothek Wrocław, wo es heute unter der Signatur 320335 eingesehen werden kann. Es ist zusammengebunden mit den ›Geistlichen Poemata‹ von 1638, und schon die Signatur verweist in beiden Fällen darauf, denn die letzteren sind mit 8 E 2865/2 im Bandkatalog der Stadtbibliothek ausgezeichnet; die heutige Signatur lautet entsprechend 320336. Verbunden mit großer Dankbarkeit ist der Erhalt des Unikats zu konstatieren. Doch nun ist ein letzter Schritt zu tun, und auch für ihn hat Witkowski bereits die Wege geebnet. Das Exemplar von 1639 trägt dem ursprünglichen Willen Opitzens Rechnung und ist – wie seit 1625 die Regel – Fürst Ludwig gewidmet. So war es selbstverständlich, daß es für Verleger und Drucker das verbindliche blieb. Denn das Opitzsche Werk war ja auch 1639 noch unvollendet und nahm sodann im nämlichen Jahr den Charakter eines Vermächtnisses an. Fortan ging es einzig darum, Opitzens nunmehr letzten Willen gerecht zu werden. Die Erben Müllers in Breslau und der neue Verleger in Frankfurt erwiesen sich der Aufgabe als gewachsen und würdig. Die Serie der Mißgeschicke hatte ein Ende.
Die Ausgabe letzter Hand Für die geistlichen Poemata Opitzens war mit der Ausgabe von 1638 das Nötige noch unter Opitzens Augen erfolgt. Die Aufmerksamkeit und die weiteren Planungen mußten sich auf die weltlichen Gedichte richten. Zwei Anläufe waren zumindest für den ersten der zwei Bände erfolgt. Sie waren beide gescheitert bzw. zu einem unbekannten Zeitpunkt stecken geblieben. Die Tatsache, daß jeweils nur ein Exemplar überliefert war, verwies bereits darauf, daß die Auslieferung frühzeitig gestoppt wurde, ja möglicherweise überhaupt ordnungsgemäß gar nicht in Gang gesetzt wurde. Die Verleger zunächst in Breslau und sodann in Frankfurt am Main müssen sich einvernehmlich neu orientiert haben. Wiederum verdanken wir Witkowski die überzeugende Rekonstruktion. Nachdem der Druck von E1 [also der Weltlichen Poemata von 1638] bis auf die Vorstoßblätter beendet war, ist er aus irgend einem Grunde unterbrochen worden. Darauf wurde 1639 der Vorstoß hinzugefügt, aber die Bogen blieben bei dem Frankfurter Drucker, den Opitz in dem Briefe an den Fürsten Ludwig vom 25. Juni 1638 erwähnt, liegen. Vielleicht fand die Ausgabe in Folge des Fehlens des zweiten Teils keine Abnehmer. Auf jeden Fall war noch eine so große Anzahl von Exem-
––––––––– Buchhändlers in Breßlaw Seel. Erben. M.DC.XXXIX. Die Signatur in der Stadtbibliothek: 8 E 2865/1. Die heutige Signatur in der BU Wrocław: 320335.
Die Ausgabe letzter Hand
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plaren vorhanden, daß Götze [in Frankfurt] 1644 den Plan, sie zur Grundlage einer neuen Ausgabe zu machen, faßte, die Druckbogen samt dem druckfertigen, von Opitz vor seinem Tode hinterlassenen Manuskript des zweiten Teils der ›weltlichen Poemata‹ erwarb und ein neues Titelblatt stechen und vor den ersten kleben ließ.13
Witkowski konnte zeigen, daß der Satz des nunmehr im Jahre 1644 definitiv zustandegekommenen Drucks des ersten Teils der ›Weltlichen Poemata‹ identisch ist mit jenem für die Ausgaben von 1638 und 1639. Alle drei Auflagen, wenn denn von solchen gesprochen werden darf, waren in derselben Druckanstalt in Franfurt hergestellt worden. Der neue Verleger konnte also auf vor Ort gefertigte Druckstöcke zurückgreifen. Große Sorgfalt wurde auf den gestochenen Titel gewandt. Er ist in ein Medaillon gefaßt. Über dem Titelmedaillon schwebt Merkur aus den Wolken, neben ihm steht zur linken ein wilder Mann, zur rechten Minerva, darunter Fortuna auf dem Erdball mit einem Zepter in der Hand, versehen mit der Inschrift ›Fortuna tentare licebis‹. Am untersten Rand der Platte steht das Monogramm des Stechers: C M 1644.14 Nun konnte auch der Druck des zweiten Bandes der ›Weltlichen Poemata‹ in Angriff genommen werden. Ein schlichter gesetzter Titel reichte hin.15 Götze aber beließ es nicht dabei. Mit selbständiger Paginierung fügte er das erstmals 1639 bei Hünefeld in Danzig erschienene ›Florilegium‹ mit Epigrammen hinzu. Und hier nun wird auch der Drucker genannt, der gleichfalls für den Druck des zweiten Bandes der ›Weltlichen Poemata‹ verantwortlich sein dürfte, Wolfgang Hoffmann.16 Schon Witkowski hat festgestellt, daß der Druck des zweiten Teils der ›Weltlichen Poemata‹ mit wenig Sorgfalt erstellt ist. Am auffälligsten ist der Sprung in der Paginierung zwischen dem dritten und vierten Buch von Seite 192 zu Seite 273. Das war unschön, vermochte dem Unternehmen als einem ganzen jedoch keinen Schaden zuzufügen. Denn nun, fünf Jahre nach Opitz’ Tod, war auch auf seiten der ›Weltlichen Poemata‹ beisammen, was er selbst für die dritte und nunmehr letzte Auflage dieses Zweiges seines Werkes vorgesehen hatte. Es erwies sich als vorteilhaft, daß er frühzeitig auch widmend Vorsorge getroffen hatte, so daß auch der zweite Band mit einer Zueignung an Diederich von dem Werder herausgehen konnte. Zu tun blieb der letzte Schritt, die geistlichen Poemata mit den weltlichen in einer Folge zu vereinen. Sammler und Bibliophile, Buchhändler und Bibliotheken hatten vielfach schon die Initiative ergriffen und für Zusammenfassung unter einem Dach gesorgt. ––––––––– 13
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Witkowski (Hrsg.) (Anm. 8), S. XXII f. Der erwähnte Brief Opitzens an den Fürsten vom 25. Juni 1638 in: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 3), Band III, S. 1452 f. Hier heißt es: Die Arcadie ist auß meiner Durchsehung. Meine getichte aber hat ein Lübecker buchhandler von den vorigen [also der Ausgabe von 1629] hinter meinem wißen nachgedruckt: vndt sollen die neweren, wie ich auß Franckfurt am Main vertröstet werde, auff dem Michaelsmarckt hervorkommen. Der wiederum gestochene Titel des Werkes aus dem Jahr 1644: Martini Opitij Weltliche Poemata Zum Viertenmal vermehret vnd vbersehen heraus geben. Franckfurt am mayn bey Thomas Matthias Götzen.- Die Beschreibung des Titelkupfers in Witkowski Ausgabe (Anm. 8). Martini Opitii Weltliche Poëmata. Der Ander Theil. Zum vierdten mal vermehret vnd vbersehen herauß gegeben. Franckfurt/ Jn Verlegung Thomae Matthiae Götzen/ Jm Jahr M.DC.XXXXIV. Florilegivm Variorvm Epigrammatvm Mart. Opitivs Ex vetustis ac recentioribus Poetis congessit & versibus Germanicis reddidit. Francofvrti, Typis excusum Wolffgangi Hoffmanni, Impendio Thomae Matthiae Götzii, Anno M.DC.XXXXIV.
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Die entscheidende Tat blieb dem namhaften Humanismus-, Barock- und GoetheForscher Erich Trunz vorbehalten. Ihm ist die Idee der Begründung einer BarockReihe mit Reprints zu verdanken; ihm ist die Entscheidung geschuldet, mit dem Werk Opitzens den Anfang zu machen, und ihm gebührt das Verdienst, das geistliche und weltliche Werk Opitzens in einer Folge vereint zu haben. Ein besserer Dienst hätte dem schlesischen Dichter nicht geleistet werden können. Denn nun stellte sich über die fotomechanische Reproduktion eine unmittelbare Anschauung des in Breslau und Frankfurt zustandegekommen letztwilligen Werkes von Opitz her. Und da reiche Beigaben sich zu den Texten gesellten, war für jene Verbindung von originärer Textdarbietung und wissenschaftlicher Erschließung gesorgt, welche stets ein philologisches Optimum darstellt. Zu später Stunde erfüllte sich ein Wunsch des Dichters in der denkbar schönsten Art und Weise. Die dreibändige Präsentation der geist- und weltlichen Gedichte Opitzens letzter Hand bleibt ein Vademecum für einen jeden Freund des Dichters.17
Disposition der ›Weltlichen Gedichte‹ Die ›Weltlichen Gedichte‹ – ausdrücklich von Opitz so tituliert – wurden nun, wie nicht anders zu erwarten, neu geordnet. Ein erster voluminöser Band kann jetzt den selbständigen großen Texten Opitzens vorbehalten werden. Eröffnet wird mit den Huldigungen des polnischen Königs und des dänischen Prinzen, also dem ›Lobgedicht An die Königliche Majestät zu Polen vnd Schweden‹ sowie dem Lobgedicht ›An den Durchleuchten/ Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Vldrichen‹. Die Lehrgedichte, die Übersetzungen der Dramen, die singspielartige Oper finden im Anschluß ihren gehörigen Rahmen, also der ›Vesvvivs‹, ›Vielguet‹ und ›Dafne‹, das ›Lob des Krieges Gottes Martis‹ und ›Zlatna‹, zusammen mit dem ›Lob des Feldtlebens‹. Eine weitere sammlerische Novität neben ›Vielguet‹ stellt die Präsentation der ›Antigone‹-Übersetzung dar. Sie ist der der ›Trojanerinnen‹ vorangestellt. Es folgen die ›Disticha Catonis‹ und die ›Tetrasticha‹ des Pibrac. Den Beschluß machen das Lehrgedicht ›Von der Welt Eytelkeit‹, also die Bearbeitung von Chandieus Vorlage, und der ›Lobgesang Bacchi‹ nach Heinsius.18 Ob Opitz wirklich die nicht immer nachvollziehbare Reihenfolge festgelegt hat, muß offen bleiben. Daß große Texte wie die ›Arcadia‹-Bearbeitung Sidneys und die ›Argenis‹-Übersetzung Barclays in diesem Band keinen Platz finden konnten, liegt ––––––––– 17 18
Wir verweisen zurück auf die näheren Angaben in Anmerkung 1. Das große Lehrgedicht ›Von der Welt Eitelkeit‹, 1629 erschienen, dessen Widmung für die Fürstin Barbara Agnes im 18. Kapitel unseres Buches behandelt wurde, fand damit erstmals Eingang in die Ausgabe der Schriften Opitzens. Das Nämliche gilt für die ›Quatrains‹ von Pibrac. Vgl.: Vidi Fabri Pibracii in supremo senatu Parisiensi praesidis olim Tetrasticha Gallica. Germanibus versibus expressa, auctore Martino Opitio. Dantisci, Typis Hünefeldianis Anno M.DC.XXXIV. Exemplar aus der Bibliotheca Czartorysciana Cracoviae (65590/I) im Muzeum Narodowe w Krakowie. Kopie in der SuUB Göttingen sowie in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Vgl. zu dem Werk Anne Gülich: Opitz’ Übersetzungen aus dem Französischen.- Diss. phil. Kiel 1972, S. 58–82.
Ein erstes Fazit
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auf der Hand. Aber auch ›Die süßen Todes-Gedanken‹ des de la Serre etwa, 1627 in Paris, und fünf Jahre später in der deutschen Version erschienen, blieben außen vor.19 Ludwig von Anhalt-Köthen fungiert wiederum als Adressat. Dem zweiten Band aber wurde eine Widmung an Diederich von dem Werder vorangestellt, die Opitz gleichfalls noch im November des Jahres 1637 verfaßt hatte. Sie ist schlicht und kurz und eben deshalb besonders eindrucksvoll gehalten. Eine knappe Seite gönnt sich der Dichter. Ein von Unstimmigkeiten und viel Gemunkel begleitetes Kapitel aus der Frühgeschichte der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ und dem Umgang mit Opitz fand ein alle Seiten befriedigendes Ende. Wie so oft hatte die Zeit heilend gewirkt. Ein Wechsel des Verlegers wurde nötig. Thomas Matthias Götze in Frankfurt am Main übernahm den bereits 1638 in Danzig gedruckten ersten Band der Weltlichen Poemata und fügte ihm den zweiten hinzu. Glanzvoll wird dieser mit dem ›Carmen‹ des Hugo Grotius auf Opitz eröffnet. Bestimmt wird nun das Bild von der Gelegenheitsdichtung. Mit einem großen Panegyricus auf Kaiser Ferdinand II. eröffnet Opitz. Zahlreiche Huldigungen und Widmungsadressen schließen sich an und dokumentieren eindrucksvoll den Wirkungskreis des Dichters. Das zweite Buch ist nunmehr den Hochzeitsgedichten vorbehalten. Das dritte Buch bringt Trauergedichte, die bislang keine eigene Systemstelle besaßen. Die Liebesgedichte sind in die vierte Position gerückt. Ihnen schließen sich wiederum die Lieder an. Den Beschluß machen die Sonette und die Epigramme. Die achte Position aber war frei geblieben. Ihr vertraute Opitz ein Meisterwerk eigener Art an, seine 1630 erschienene ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹.
Ein erstes Fazit So war also der Produktion bis in die späten dreißiger Jahre ein wohlgefügtes Haus gezimmert. Ein frühzeitig entworfenes Schema hatte sich bewährt, erlaubte es doch, dem vornehmsten Ordnungsinstrument auf dem Gebiet der Literatur, der Gattung, zur Geltung zu verhelfen und zugleich zu dokumentieren, was der Dichter an Gediegenem im einzelnen beizutragen hatte. Und seine Tat machte Schule. Opitz großer Zeitgenosse und in vielem sein Vorgänger Georg Rodolf Weckherlin gliederte seine Werke im Jahr 1641 nun ebenfalls in ›Gaistliche‹ und ›Weltliche Poemata‹. Ein Wenzel Scherffer von Scherffenstein und andere folgten nach. Nur wissenschaftshistorische Gründe sind dafür verantwortlich, daß einige der ›weltlichen‹ Sparte zugehörige Texte das Bild von Opitz lange Zeit fast ausschließlich bestimmten, seine ›Poetik‹ von 1624 und seine Gedichtsammlungen von 1624 und 1625 an vorderster Stelle. ––––––––– 19
Vgl. den Kupfertitel des letztgenannten Werkes: Die Süssen Todes-gedancken. Auss dem frantzösischen des von Serre. Teutsch gegeben Durch B.M.V.O. [!] Jn Verlegung David Müllers 1632. [Kolophon:] Leipzig/ Gedruckt bey Abraham Lambergs seligen nachgelassenen Erben: Jm Jahr M.DC.XXXII. Exemplar des seltenen Werkes aus der Bibliothek St. Maria Magdalena in der Stadtbibliothek Breslau (8 K 1572/2) heute verwahrt in der BU Wrocław: 330609. Vgl. zu dem Werk Gülich: Opitz’ Übersetzungen (Anm. 18), S. 120–174.
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Dem Reichtum des Opitzschen Werkes werden derartige präferentielle Setzungen nicht entfernt gerecht. Heute besteht einhelliger Konsens unter den Kennern, daß die Separierung der weltlichen und geistlichen Redeformen ohnehin eine problematische bleibt, und wenn sie denn in Maßen Geltung behaupten soll, bildet doch die Gleichgewichtigkeit beider Spielarten eine selbstverständliche Voraussetzung für eine angemessene Erkenntnis auch des Opitzschen Werkes.
Ein letztes Mal: Widmungs- und Werkpolitik Noch einmal: Mochte eine Ahnung den Dichter gestreift haben, daß die Ausgabe zu einer solchen letzter Hand geraten würde? In der Trilogie war das Lebenswerk geborgen und trat seinen Gang durch die Zeit an. Wir aber nehmen die Gelegenheit wahr und blicken ein letztes Mal auf die Piasten. Und das sogleich am Eingang zu den ›Geistlichen Poëmata‹ aus dem Jahr 1637 bzw. 1644. Das gesamte Werk ist Sibylle Margarethe, geborener Herzogin von Liegnitz und Brieg und nunmehriger Gemahlin des Reichsgrafen Gerhard von Dönhoff gewidmet, welch letzterer bereits der Widmungsempfänger von Opitzens ein Jahr früher erschienener ›Antigone‹-Übersetzung des Sophokles war. Noch einmal also laufen die Linien zusammen. Wir sind der Herzogin in Schlesien bzw. der Reichsgräfin bereits en passant begegnet, war sie doch die Tochter Herzog Johann Christians. Nun kehren wir über die verehrte Fürstin ein letztes Mal zu den Piasten zurück. Wieder gelingt es Opitz, persönliche anrührende Worte zu finden, wie stets in der Hinwendung zu Frauen, und dies selbstverständlich ein weiteres Mal im geistlichen Kontext. Merklich ist aber auch, daß Opitz den Eingang zur Sammlung seiner Schriften nutzt, um dem Haus der Piasten und seinen gegenwärtigen Repräsentanten seine tiefe Verbundenheit zu bezeugen. Sie blieben ihm auch und gerade in der ›frembde‹ nahe. Auf den ›6. Tag deß Wintermonats im 1637. Jahr‹ ist die Widmung, wie erwähnt, datiert, geht also derjenigen zu der Psalmen-Übersetzung aus dem nämlichen selben Monat November noch voraus. Binnen kürzestem hatte Opitz zweimal zur Feder zu greifen und eben dieser Umstand machte sich im Falle der Psalmen bemerkbar. Keine seiner Schriften, so der Autor, verdiente es, in die Hände der Gräfin zu gelangen. Wenn aber überhaupt, so müßten es solche sein wie die vorliegenden. Denn sinne ich »dem Jnhalt deß Wercks selber nach/ so ist es Geistlich: vnnd E.F.Gn. sind vnter so grossen edelen Tugenden mit der Gottesfurcht so viel mehr begabt/ so viel selbige höher als andere Tugenden/ vnd eine Fürstin höher als andere Menschen ist.«20 Doch das nicht allein. Noch einmal stellt der Autor den Brückenschlag zu dem Haus her, in dem er sein Werk stets bevorzugt beheimatet wissen wollte. Auch in der Fremde bewahren die Brüder dem Autor die Treue. Und der gelobt das Nämliche. Ein Bündnis war geschmiedet worden, und das bewährte sich über Zeit und Raum und die unglücklichen Zeitläufte hinweg. Dem Werk kam es allemal zugute.
––––––––– 20
Opitz: Geistliche Poemata (Anm. 1), S. 4.
An Apollo
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»Es ist Poetisch: welche Art zu schreiben bey verständigen hohen Häuptern vnnd guten Höfen von allen Zeiten her lieb vnnd angenehm gewesen.«21 Doch das ist eine generelle Feststellung. Der Fürstin gegenüber kommt etwas Anderes, Persönliches hinzu. Und das spielt sogleich hinüber in den familiären fürstlichen Umkreis. Dann mit was Gutthätigkeit vnd Zuneygung wollen J.J.F.F.G.G. dero Herr Vater vnnd Herr Vetter von geraumer Zeit her mich vor jhren Diener wissen? Mit was Gnaden erweisen sie an mir/ daß sie auch bey diesem vnglückseligen Zustande nicht ablassen das Studiren zu lieben/ ausser welches nichts ist/ wormit ich vor dißmahl vnnd in der frembde Dienst zu leisten weiß?22
Sodann wechselt der Autor herüber zu Gerhard von Dönhoff. Ihm kam im Leben Opitzens eine entscheidende Mittlerstelle zu und eben sie ruft Opitz nun auch an dieser Stelle auf. Derart weitet sich die Widmung an die Fürstin direkt bzw. indirekt zu einer Hommage an die für ihn bedeutsamen Personen der letzten Lebensjahre. E.F.Gn. hertzliebster Gemahl Jhre Gnaden der Herr Graff Dönhoff aber/ was hat er bißher nicht gethan mir beförderlich zuseyn vnd auffzuhelffen? Daß die Königliche Majestät zu Polen vnnd Schweden mir gnädigst wol will/ daß ich dieser Orte Fug vnnd Ruhe deß meinigen abzuwarten gefunden/ daß ich die Mißligkeit der eusserlichen Fälle/ vnd was vns Menschen sonst in den Weg zu kommen pflegt/ getrost/ ja frölich erdulden vnnd ertragen kan/ solches habe ich/ nechst Gott/ dem Herren Graffen zuvorauß vnnd mehrentheils zu dancken.23
So sind sie gegenwärtig: Die Piasten, der polnische König sowie der Reichsgraf mit seiner Gemahlin. Und wieder ist es der Wunsch, ihrer aller Namen verewigt zu wissen – das Privileg des Poeten, über das allein er gebietet. Gab die geistliche Schrift die Veranlassung, die Fürstin als deren Adressatin zu erwählen, so stehen Graf und Gräfin am Schluß als Paar da, das dem Dichter und Diplomaten Opitz das Tor öffnete für den Raum seines letzten Wirkens. Er der Höchste verleihe Jhrer Gnaden Gesundtheit/ Wolfarth/ Fortgang in Verrichtungen so dieser Cron vnnd Landen zum besten angesehen/ vnnd solchen Segen in der mit E.F.Gn. newlich getroffenen Heyrath/ wie es bester Weise nach mag gehofft vnnd gewüntschet werden: Jch/ bey dem nichts ist als das redliche Gemühe für so grosse Wolthaten danckbar zu seyn/ habe vmb Jhre Gnaden mich besser zuverdienen nicht gewust/ als wann ich hiermit der jenigen Fürstlichen Namen auff die Nachkommenen zu bringen versuchte/ derer Fürstliches Hertz in dem Seinigen mit vnaufflößlicher Liebe verschlossen ist.24
An Apollo Wir aber gehen über zu einer gleich nach seinem Tod in seiner letzten Wirkungsstätte in Danzig erschienenen Sammlung seiner Gedichte, birgt sie doch unter anderem auch kostbares funerales Gut.25 Ein Jahr vorher war ausgerechnet in Danzig ein Raubdruck ––––––––– 21 22 23 24 25
Ebenda. Ebenda, S. 4 f. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 5 f. Martin Opitzen Deutsche Poëmata, Auffs new übersehen vnd vermehret. Dantzig/ Gedruckt vnd Vorlegt durch Andream Hünefeldt/ Buchhändler. Anno M.DC.XLI. Wir benutzen – wie durch-
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erschienen. Das mußte der Verleger, der so eng mit Opitz zusammengearbeitet hatte, als einen mehr als ärgerlichen Eingriff in seine bibliophilen Hoheitsrechte empfinden. Und so kam er rasch mit einer eigenen Ausgabe zum Zuge. Sie stellt in der Tat eine Alternative zu der Ausgabe letzter Hand dar und besitzt daher auch im Blick auf eine kritische Opitz-Ausgabe ihr eigenes Gewicht. Es ist zu vermuten, daß der Buchhändler und Verleger sich kompetenter Hilfe bei seinem Werk versichert halten konnte. Gleich auf der Rückseite des Titelblatts steht ein Vierzeiler von einer prominenten und Opitz befreundeten Persönlichkeit, die gewiß das Ihrige zum Gelingen des Vorhabens beigetragen hatte. Der Verfasser zeichnet mit seinem schlesischen Geburtsort, war aber seit langem in Danzig beheimatet. An den Apollo. Apollo/ sey vergnügt mit deinem göldnen Wagen/ Darauf du Jahr vnd Tag vns pflegest herzutragen. Den weisen Helicon räum’ vnserm Opitz ein/ Vnd laß hinfort nun Jhn der Musen Führer seyn. Johan-Peter Titz von Lignitz
Das sind die Töne, die nun landauf, landab nach dem Tode Opitzens zu vernehmen sein werden. Wird der Titel eines Führers der Musen auf deutschem Boden vergeben, dann gebührt er ihm. Und die Danziger Ausgabe Hünefelds hat maßgeblichen Anteil an der Formation dieses Bildes von Opitz. Sie steht auch deshalb singulär da unter den Opitz-Ausgaben. Geradezu mit einem Paukenschlag wird sie eröffnet. Doch dieser, so will es scheinen, ist bis heute nicht vernommen worden.
Opitz unter den Fittichen eines Sozinianers Gleich das folgende Blatt nämlich ist mit einem von Wolfgang Hartmann gestochenen Porträt des Dichters geschmückt. Es zeigt einen unbekannten Opitz aus der Hand eines Künstlers, der im Ostseeraum mit Zentrum in Riga wirkte und dem auch ein Porträt Henels zu verdanken ist.26 Unter dem Porträt stehen drei elegische Distichen: Corporis effigie quem cernis, OPITIVS hic est: In libris animum pinxit at ipse suis. Junge libris tabulam: & nisi mens tibi livida, dices;
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weg – ein Exemplar der Rhedigerschen Stadtbibliothek (8E 28691), übergegangen in die BU Wrocław: 320345. Auch Erich Trunz erwähnt den Kupferstich erstaunlicherweise nicht. Vgl. seinen schönen Aufsatz: Das Opitz-Porträt des Jacob van der Heyden von 1631.- In: Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta, Ga: Rodopi 1990 (Chloe; 10), S. 527–539. Wieder abgedruckt in: Erich Trunz: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien.- München: Beck 1995, S. 350– 362. Vgl. zu dem an dieser Stelle für einen Moment sich auftuenden Zusammenhang auch die schöne Arbeit von Achim Aurnhammer: Dichterbilder mit Martin Opitz.- In: Literaturgeschichte und Bildmedien. Hrsg. von Achim Hölter, Monika Schmitz-Emans.- Heidelberg: Synchron 2015 (Hermeia. Grenzüberschreitende Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft;14), S. 55–76.
Die Stimme Andreas Hünefelds
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Germanae patrem certe ego cerno lyrae. Plecte tuo laurem civi, qui Romam & Athenas. Impendit laudi tam bene, Teuto, tuae. Dessen Körper Du hier abgebildet siehst, ist Opitz. Aber seinen Geist hat er in seinen Büchern selbst dargestellt. Füge dies Bild zu seinen Büchern! Und wenn Du nicht neidisch gesinnt bist, wirst Du sagen: Wahrlich, hier sehe ich den Vater der deutschen Leier. Flechte, Deutschland, Deinem Bürger einen Lorbeerkranz dafür, daß durch ihn Rom und Athen Deinem Ruhm dienen.
Die Zeilen sind gezeichnet: M.R.H. Ein Zweifel ist so gut wie ausgeschlossen. Die Danziger Opitz-Ausgabe wird eröffnet mit einem Geleitgedicht des Sozinianers Martin Ruarus aus Holstein.27 Das war nur in Danzig möglich, und auch das nur und erst nach dem Tod von Opitz. Niemals hätte er zugelassen, öffentlich in die Nähe dieser inkriminierten und verfolgten Glaubensgemeinschaft gerückt zu werden. Im Tode wurde ein wohlgehütetes Geheimnis offenbar. Wie ungezählte freie Geister um 1600 liebäugelte auch Opitz mit diesen aufgeklärten Denken so sehr entgegenkommenden Vorstellungen. Nun war der Nexus über Porträt, Subscriptio und Poëmata hergestellt. Die Danziger Opitz-Ausgabe ist ein einzigartiges Gedenkwerk in der dichten Folge der Opitzschen Werke. Das beginnt mit dem Kupfer zu Beginn und wird damit keineswegs sein Bewenden haben.
Die Stimme Andreas Hünefelds Der Verleger, erfahren im Umgang mit Opitzschen Texten, hat sich eingangs selbst dem ›günstigen Leser‹ zugewandt. Ob es geschehen wäre, wenn die dubiose Nachdruck-Affäre ihn nicht erzürnt hätte? Von zwei Raubdrucken hat er Kenntnis. Den ei––––––––– 27
Zu Ruarus vgl. die Einträge in der zweiten, dritten und vierten Auflage von ›Die Religion in Geschichte und Gegenwart‹. Des weiteren vgl. die Einträge von Janusz Tazbir in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck IX (1991), S. 319–325, sowie von Martin Schmeisser in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. X (2011), S. 70 f. Hinzuzunehmen der schon eingangs erwähnte hervorragende Eintrag zu Socin und zum Sozinianismus in: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3. Aufl. XVIII (1906), S. 459–480 (Herzog und Zöckler), der durchaus nicht ersetzt ist durch denjenigen zu ›Sozzini/Sozinianer‹ in: Theologische Realenzyklopädie XXXI (2000), S. 598–604. Grundlegend die frühe Abhandlung von Erich Trunz: Heinrich Hudemann und Martin Ruarus, zwei holsteinische Dichter der Opitz-Zeit.- In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 63 (1935), S. 162–213. Eingegangen in: Trunz: Deutsche Literatur (Anm. 26), S. 287–349 (mit reicher Literatur). Vgl. auch die wichtige Abhandlung von Ernst Luckfiel: Der Socinianismus und seine Entwicklung in Großpolen.- In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, zugleich Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für den Netzedistrikt zu Bromberg 7 (1892), S. 115-187. Hier zu Ruarus S. 143–146. Des weiteren Siegfried Wollgast: Zum Sozinianismus in Danzig.- In: Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber.Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 103), S. 267–297. Wiederabgedruckt (ohne Verweis auf die Danziger Tagung im Jahr 1995 und die Erstpublikation) in: ders.: Oppositionelle Philosophie in Deutschland. Aufsätze zur deutschen Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.Berlin: Weidler 2005 (Studium Litterarum; 10), S. 243–270. Vgl. von Wollgast auch das Kapitel: Der Sozinianismus in Deutschland.- In: ders.: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550–1650.- Berlin: Akademie-Verlag 1988, S. 346–422.
XX. Sachwalter des Werkes
746
nen vermag er nicht zu lokalisieren, da ein Drucker sich nicht zu erkennen gegeben hat. Sie braucht ihn nicht zu beunruhigen.28 Anders steht es um den zweiten, denn der verbindet sich mit dem Namen Hünefelds.29 ›Primum Dantisci apud Andream Hünefeldium‹ ist auf dem Titelblatt des ersten zum Abdruck gelangenden Textes hinzugefügt. Es ist nicht das erste Mal, daß dies geschieht. Auch der Raubdruck der Psalmen aus dem Jahr ist mit diesem Zusatz versehen. Dieser Dreistigkeit hat der Verleger sich zu erwehren, muß doch angenommen werden, daß wie im einen, so im anderen Fall seine Offizin mit den unrechtmäßigen Machwerken etwas zu schaffen hätte. Nun, die zahllosen Fehler sprechen nach Ansicht des Verlegers für sich selbst. Ein jeder halbwegs Verständige muß bemerken, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Ein jeder unter ihnen hätte zu Recht erwartet, daß alles Einschlägige von Opitz nach seinem Tod präsentiert würde und zugleich die bis dato vorliegenden Traueradressen mit zum Abdruck gekommen wären. Und das, wie der Verleger hinzufügen darf, »da doch der seelige Herr/ als er noch gelebet/ jederzeit mein so grosser Gönner vnd Freund gewesen sey/ vnd sie wol wüßten/ daß ich dergleichen noch etwas vnter meinen Händen habe.«30 Beschwert habe man sich mündlich und schriftlich bei ihm, und das verständlicherweise zu seinem tiefen Schmerz, habe er doch »an dieser vnsaubern vnnd jrrigen Edition nicht die minste Schuld«.31 Nicht nur um seinen Namen aber gehe es. Eine derartig frevelhafte Tat gereiche auch wolgedachten Herrn Opitz selbst zu nicht geringem Nachtheil vnnd Vnglimpff [...]/ wenn mit seinen stattlichen Schrifften/ die Jhn schon längst in aller Welt bekandt vnd höchstberühmt gemacht haben/ so nachlässig vnd vnbedachtsam verfahren werden solte.32
Damit ist der Verleger bei seinem eigenen Werk. Opitz hatte das große Glück, wie zumal in Breslau, auch aber in Liegnitz und Brieg, nun an seiner letzten Wirkungsstätte gleichfalls einen ihm treu ergebenen Sachwalter seines Werkes an der Seite zu wissen. ––––––––– 28
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Es wird sich um die 1637 erschienene Ausgabe handeln. Vgl. Marian Szyrocki [unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher]: Bibliographie.- In: Opitz: Weltliche Poemata. 2. Teil (Anm. 1), S. 164*– 225*, Nr. 196; Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verb. und wesentl. verm. Aufl. des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur. Vierter Teil: Klaj-Postel.- Stuttgart: Hiersemann 1991 (Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 9, IV), S. 2010 f., Nr. 4. Das Titelkupfer dieses Raubdruckes: Martini Opitii Deutsche Poemata Auffs Newe übersehen, vermehret und herauß gegeben. Exemplar aus der Stadtbibliothek Breslau (8E 2864b/1) heute in der BU Wrocław: 320331. Druckort, Drucker bzw. Verleger und Erscheinungsjahr fehlen ebenso wie ein Kolophon. Die Ausgabe wird eröffnet mit der Widmungsschrift Opitzens an Fürst Ludwig. Danach erscheint der gesonderte Titel der Epigramm-Sammlung Opitzens, der den Zorn Hünefelds erregte. Tatschlich war das ›Florilegium‹ erstmals bei ihm erschienen. Hier aber handelte es sich um einen unrechtmäßigen Nachdruck und die Namhaftmachung Hünefelds kaschierte diesen Sachverhalt geschickt: Florilegivm Variorvm Epigrammatvm. Mart. Opitius ex vetustis ac recentioribus Poetis congessit & versibus Germanicis reddidit. Primum Gedani, Typis ac sumptibus Andreae Hunefeldij, Anno M. DC XXXX. Deutsche Poemata 1641 (Anm. 8), Bl. 2π1v. Ebenda, Bl. 2π1v f. Ebenda, Bl. 2π2r.
Physiognomie der posthumen Danziger Ausgabe
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Wie ich nun diesem seeligen Herren bey seinem Leben vnnd sterben/ (dessen mir hier viel ehrliche Leute Zeugniß geben werden/) alle mügliche Ehre/ Dienste vnnd Freundschafft jeder Zeit erzeiget: Also hab ich auch nochmals allen besten Fleiß angewendet/ seine Bücher von dergleichen Vbelstand vnnd Mängeln zubefreyen/ vnd beynebenst meinen gutten Nahmen wiederumb zu retten. Habe demnach so wol vmb dieser Vrsach willen/ als auch auff inständiges begehren vnd anhalten vieler vornehmen Leute/ nicht allein obengemeldte seine Deutsche POEMATA auffs newe wieder auffgeleget/ sondern auch die andern/ so vorhin noch niemals zusammen herauß gegeben sind/ so viel ich derselben habhaft werden können/ darzu gethan/ vnd alle mügliche Vorsorge vnd Fleiß drauff geleget/ damit nicht etwas sonderliches versehen werden/ vnd merckliche Jrrthümer mit einschleichen möchten.33
Ein aller Bewunderung wertes Werk war da verrichtet worden. Der Ausgabe aber wuchs unversehens zugleich auch editionsgeschichtlich eine wichtige Rolle zu. Der späte Opitz, der Opitz der Danziger Jahre, ist nur in ihr nach Maßgabe des Möglichen präsent. Blieb Opitz auch damit befaßt, seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen als Dichter bei Gelegenheit nachzukommen, so erstreckte sich dieses Geschäft nunmehr wie von selbst vornehmlich auf Personen aus dem Danziger Einzugsbereich und des weiteren auf den Preußen Königlich Polnischen Anteils. In der ausstehenden Edition der Schriften aus den letzten zehn Lebensjahren Opitzens wird die Hünefeldsche Ausgabe der ›Deutschen Poëmata‹ Opitzens eine gewichtige Stellung behaupten.
Physiognomie der posthumen Danziger Ausgabe Ein Paukenschlag, so hieß es, war eingangs zu vernehmen. Es blieb nicht bei ihm alleine. Im Anschluß an die Vorrede Hünefelds für die Leser seiner Opitz-Edition geht es sogleich herüber in den Text. Die Widmungsadresse Opitzens an Fürst Ludwig aus dem Jahr 1625 war ganz zu Anfang plaziert worden. Ehrengedichte fehlen. Und das nicht zufällig. Ihnen ist ein eigener und wiederum einzig dastehender Platz am Schluß der Ausgabe vorbehalten. Wer mag den Verleger im Blick auf die Eröffnung seiner Ausgabe beraten haben? Die Entscheidung hätte nicht sinnfälliger sich ausnehmen können. Mit Opitzens programmatischem Erstling, dem ›Aristarchus‹, wird die Danziger Edition eröffnet. Es scheint das einzige Mal zu sein, daß derart verfahren wurde. Vom Ende her gesehen gleitet der Blick zu den Anfängen. Hier war zündend niedergelegt, was Aufgabe und Programm eines Lebens werden sollte. Nicht in einem Anhang, wie notgedrungen in der Zincgrefschen Edition von 1624, sondern am Eingang hatte der Aufruf zum Gebrauch der deutschen Sprache in der deutschen Dichtkunst seinen ihm zukommenden Platz. Alles Folgende bezeugte, daß es nicht bei dem Aufruf geblieben war. Ein Autor hatte eingelöst, was er sich und seinem ›Vaterland‹ versprochen hatte. Sodann folgen die acht Bücher der deutschen Poemata im wesentlichen in der Art und Weise, wie Opitz sie 1629 angeordnet hatte, also auch weiterhin mit der inzwischen hinlänglich bekannten Besonderheit, daß nur die ersten fünf ›Bücher‹ als solche gezählt sind, die anschließenden mit den kleinen Formen aber nicht mehr eigens fortgezählt werden. Da der Titel ›Acht Bücher‹ nicht mehr in Kraft ist, hat sich der einsti––––––––– 33
Ebenda, Bl. 2π2r f.
XX. Sachwalter des Werkes
748
ge Opitzsche Hinweis auf die numerische Schieflage ohnehin erledigt. Die Reihenfolge ist gewahrt worden. Den geistlichen Arbeiten folgen die Lehrgedichte, die Gelegenheitsgedichte schließen sich an, wiederum gefolgt von der eigenen Abteilung der Hochzeitsgedichte. Die ›Amatoria‹ im fünften Buch sind genau wie schon 1629 nicht eigens als solche ausgewiesen und durch einen Strauß lateinischer Zuschriften ohnehin wiederum abgeschirmt. So wenig wie Opitz wollte selbstverständlich der Danziger Verleger auf sie verzichten. Sonette, Epigramme und ›Oden oder Gesänge‹ bilden den Schluß des ersten Teils, wobei – am Rande vermerkt – leichte Unstimmigkeiten in der Fassung der Kolumnen sich eingeschlichen haben. Der innovative Part, den die Danziger Ausgabe ohne Frage für sich beanspruchen darf, verbirgt sich im zweiten Teil, wie bereits aus dem Titelblatt ersichtlich. Denn nun läßt sich der Verleger die Chance nicht entgehen, eigens auf die erstmals zur Publikation gelangenden Stücke hinzuweisen. Sogleich ist deutlich, daß er mit diesem Band eigene Wege beschreitet.34 Die Widmung an Dohna ist fortgefallen. Statt dessen wird eine private familiäre Assoziation wachgerufen. Unvermittelt eröffnet Hünefeld den neuen Band mit Opitzens Epithalamium ›Auff Herrn Sebastian Opitzen/ deß Rahtes zum Buntzlow/ seines liebsten Vatern Hochzeitlichen Ehren=Tag.‹ Wie ergreifend nehmen die letzten Zeilen nunmehr im Jahr 1641 sich aus, da der Dichter nicht mehr unter seinen Lieben weilt. Mir wolte GOTT verleyhen Mein werthes Vaterlandt/ Die schönen Wüsteneyen/ Den klaren Boberstrandt/ Euch vnd die lieben meinen/ Wann Rettung wird geschehn Vnd newe Zeit erscheinen/ Mit Frewden anzusehn.35
Zwei Trauergedichte schließen sich an, darunter das berühmte Abschiedslied für seinen Verleger David Müller. Und erst danach gelangt die Übersetzung des ›Hohen Liedes‹ wieder zum Abdruck, mit der der zweite Teil der Ausgabe von 1629 eröffnet worden war. Es würde sich also lohnen, einen ins Einzelne gehenden Vergleich vorzunehmen. Dafür ist hier nicht der Ort. Erst am Ende ist die eingreifende Hand des offenkundig wohlberatenen Verlegers wieder erkennbar. Mit der großen Trostschrift in Prosa für David Müller war die Ausgabe von 1629 beschlossen worden. Nun folgen in der Danziger das soeben erschienene ›Florilegium Variorum Epigrammatum‹ sowie die Übertragung der 1634 vorgelegten ›Tetrastica‹, der Vier-Verse des Guy Du Faur de Pibrac. Und dann setzt eine neue Folge mit Gelegenheitsgedichten ein, die seit 1629 erschienen waren, und derer Hünefeld habhaft werden konnte, darunter das Freundschaftsgedicht für Zincgref, das Opitz 1630 aus Paris übersandte. Auch die 1635 erschienene ›Judith‹ hat Hünefeld ––––––––– 34
35
Martini Opitii Deutscher Poematum Ander Theil; Darinnen noch viel des Seel: Autoris Gedichten hinzu gesetzt/ welche in vorher außgegangenen Editionen nicht zu finden. Dantzigk. Gedruckt vnd Verlegt durch Andream Hünefeldt Buchhändler Anno 1641. Ebenda, S. 275.
Poetische Danziger Toten-Ehrung
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hier wieder untergebracht. Es ist also ein buntes Gemisch zustandegekommen, und so bietet sich naturgemäß vor allem der Vergleich mit der Opitzschen Ausgabe letzter Hand an. Reiche Ernte konnte im Blick auf das letzte Jahrzehnt gehalten werden. Sie wird in absehbarer Zeit in den ausstehenden Bänden der Opitz-Ausgabe zu kosten sein.
Poetische Danziger Toten-Ehrung Opitz wurde am 22. August 1639, zwei Tage nach seinem Tod, in der Danziger Kirche zu St. Marien beigesetzt. Die Trauerrede hielt der reformierte Prediger Bartholomäus Nigrinus, bei dem Opitz am Anfang seines Aufenthaltes in Danzig gewohnt hatte. Sie ist nicht erhalten. Nämliches gilt auch für den Lebenslauf, den Opitz auf dem Sterbebett seinem Seelsorger Niclas mitteilte. Auch eine gedruckte Leichenpredigt existiert nicht. So kommt einer in Danzig unter der Stabführung von Johann Mochinger initiierten poetischen Ehrung besondere Bedeutung zu, welche einging in die Hünefeldsche Ausgabe aus dem Jahr 1641 und dieser ein weiteres Mal ihr einzigartiges Gepräge verleiht.36 Die Überleitung zu diesem unschätzbaren poetischen Trauer-Bouquet wird in ihr durch Dachs berühmtes Gedicht auf den Besuch Opitzens im September des Jahres 1638 gebildet, den der Arrangeur der Ausgabe – und möglicherweise eben sogar der Verleger selbst – hier eingeschoben hat.37 Man erinnert sich der – wie so häufig bei Dach – ergreifenden Schlußzeilen: Wol euch/ Herr! was für ein Lohn Hat sich hie mit eingedinget? Daß von hie=ab ewer Thon Biß in jenes Leben dringet/ Dessen Nach=klangk aller Zeit Von Vergängnüß sich befreyt. Hie kundt ewre Jugendt zwar Schon den Lorber=Krantz erjagen/ Aber dort wird ewer Haar Erst der Ehren Krohne tragen/ Die euch David gern gesteht/ Weil Jhr seinen Fuß=pfad geht. Doch wird auch deß Pregels Randt/ Weil er ist/ von Euch nicht schweigen/ Was von vns hie wird bekandt/ Was wir singen oder geigen/ Vnser Nahme Lust vnd Ruh Stehet Euch/ Herr Opitz/ zu.
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Vgl. für das Voranstehende die entsprechenden Angaben in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 3), Band III, S. 1620, S. 1645 f. Opitz: Deutscher Poematum Ander Theil (Anm. 34), S. 733–735. Die zitierten Verszeilen auf S. 734 f.
XX. Sachwalter des Werkes
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Einen schöneren Übergang von dem Lebenden zu dem Toten hätte der Redaktor der Danziger Ausgabe nicht auftun können. Sogleich im Anschluß folgt der poetische Strauß mit den Gedenkzeilen für Opitz.38 Ein Nehanio Reginchomo macht den Anfang mit einem ›Exequiarum, Martini Opitii Silesii, Honori Debito Meritissimoqve, Absit Enim‹.39 Es ist niemand anders als der Herausgeber der Trauerschrift Johann Mochinger. Als Professor für Rhetorik am Danziger Gymnasium war er ebenso prädestiniert dafür wie als Pastor bei St. Katharinen, ein Amt, das er zusätzlich seit 1638 wahrnahm. Vor allem aber stand auch er in Kontakt gleichermaßen mit Reformierten und Sozinianern, durfte sich also, wie so manch einer in Danzig, als Wahlverwandter des Dahingegangenen fühlen. Der Briefwechsel zwischen den beiden nimmt einen wichtigen Platz in der erhaltenen Opitzschen Korrespondenz ein.40 Mochinger ist es auch, der die poetische Gedenkschrift mit einer Überschrift versieht, die in der selbständigen Publikation das Titelblatt bildet: ›Famae Martini Opitii, Secretarii Et Historiographi Regii Qui Anno M DC XXXIX Die XX. Aug. Hic Gedani Mortalitatem explevit Mori nesciae[.] Ipso exequiali die tertio ab obitv Christiano acclamandi caussa publicatum à N.R.‹ Drei lateinische Beiträge, nur mit Initialen ausgewiesen, folgen einander, der letzte neuerlich herrührend von Martin Ruarus.41 ––––––––– 38
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41
Diese ist inzwischen an drei Stellen nachzulesen. Klaus Conermann gelang es, einen selbständigen Druck im Heimatmuseum zu Köthen aufzutun. Vgl. Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse (Anm. 3), Band III, S. 1620–1641. Es handelt sich um ein Widmungsexemplar aus der Hand von Robert Roberthin: Famae Martini Opitii Secretarii Et Historiographi Regii Qui Anno M DC XXXIX Die XX Aug. Hic Gedani Mortalitatem Explevit Mori Nesciae Ipso Exequiali Die Tertio Ab Obitv Christiano Acclamandi Cavssa Publicatvm. á N.R. Typis Hvnefeldianis, Anno M.DC. XXXIX. Schon ein Jahr später erschien – von einer Ausnahme abgesehen – eine inhaltsgleiche Neuauflage, nun mit dem deutschen Titel: Klag=Schrifft Vber den frühzeitigen/ jedoch säligen Hintrit Des Weyland EdlenEhrenvesten/ Gros=Achtbarn vnd Hochgelarten Herrn Martini Opitii Der Deutschen Poeten/ jtziger zeit Meister vnd Führer/ Wie auch Secretarii & Historiographi Regii, Welcher Anno 1639. den 20. Augusti Zu Dantzig/ Dieses jetzt lauffendes Jahrs/ in Christo Jesu seinem Erlöser vnd Heyland/ sanfft vnd Seelig eingeschlaffen/ vnd folgendes den 23. dieses in Volckericher [!] versamblung mit gebührlichen Ceremonien in S. Marien Kirchen/ zu seiner Ruhestette gesetzet worden. Auß billiger vnd Christlicher Condolentz auffgesetzet Von N.R. Jm Jahr Christi/ 1640. Exemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek, eingegangen in die Stadtbibliothek Breslau (8 E 2867), heute verwahrt in der BU Wrocław: 320341.- Der dritte Abdruck liegt vor in der hier präsentierten Ausgabe Hünefelds aus dem Jahr 1641, zweiter Teil S. 736–749. Hinzuzunehmen die Ehrung Opitzens im Rahmen einer funeralen Trilogie von dem Danziger Patrizier Georg Preutten: Elegia In Memoriam Trivm Praeclarissimorvm Virorvm de Publico optimè meritorum; Dn. Johannis Ernesti Schröeri, Praeconsulis Civitatis Dantiscanae Eminentissimi, Dn. M. Petri Crvgeri, Mathematici ibidem Celeberrimi, Et Dn. Martini Opitii, S.R.Mtis Polon. & Svec. Secret. & Historiographi, Consiliarii Lignicens. & Bregens. Polyhistoris & Poetae eximii, Post Solis Eclipsin Calendis Juniis hoc anno visam Intra Quadrimestre defunctorum. Honoris & affectûs ergò conscripta à Georgio Preutten. Dantisci, Typis Rhetianis, Anno M.DC.XXXIX. (Exemplar Bibl. Gdanska PAN Oe 7 2o adl. 297). Eben diese Zeilen stehen in der selbständigen Schrift aus dem Jahr 1639 am Ende. Vgl. die entsprechenden Zeugnisse im zweiten und dritten Band des Opitzschen Briefwechsels nebst Lebenszeugnissen (Anm. 3). Vgl. darüber hinaus zu Mochinger auch die in Anm. 27 aufgeführte Literatur. Zu den Verfassern, soweit identifizierbar, vgl. den Kommentar in: Opitz: Briefwechsel (Anm. 3), Band III, S. 1620 f.
Im sprachverwandten Nachbarland
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Dann kommt Michael Albinus in seiner Eigenschaft als Prediger zu St. Katharinen mit einem Alexandrinergedicht zu Wort.42 Daniel Koschwitz aus Liegnitz, nunmehr Prediger in Weichselmünde, steuert ein Chronogramm bei. Und dann folgt ein weiteres großes Alexandrinergedicht, an das sich zwei lateinische Anagramme und Chronogramme anschließen. Diese aufwendigere deutsch-lateinische Gabe rührt her von Johann Georg Moeresius, der zunächst als Konrektor und sodann als Rektor an der reformierten Schule Peter und Paul in Danzig wirkte. Ein kleines ›Ehrensträußlein‹ in Gestalt eines alexandrinischen Zweizeilers nebst einem Logion aus dem ersten Jakobusbrief hält der Konrektor der Marienschule Jakob Zetzke bereit. Ein wiederum nur mit den Initialen gezeichnetes ›Epitaphium‹ sowie ein lateinischer und deutscher Beitrag von Heinrich Cierenberg aus der gleichnamigen reformierten Danziger Patrizierfamilie beenden einen ersten poetischen Zyklus. Denn nun gehört das Feld keinem anderen als Johann Peter Titz. Er war der einzige schlesische Landsmann in Danzig, der als getreuer Opitianer poetisierend immer wieder hervorgetreten war. So mochte es verständlich sein, daß ihm diese Sonderstellung eingeräumt wurde. Gleich mit sieben Beiträgen ist er vertreten, darunter eingangs mit einer ›Lobschrifft‹, welche alleine weit über hundert Alexandriner umfaßt. Er verbleibt konsequent beim Deutschen, auch darin seine treue Gefolgschaft bezeugend. Zwei aus Warschau nach Danzig gelangte Ehrenbezeugungen, die erste eine große ›Relation Von des Herrn Opitij ankunfft in Parnassum‹, beschließen die ›Famae Martini Opitii‹.43 Eine poetische Feier zu Ehren Opitzens mit merklich reformiert-sozinianischem Einschlag konnte dem Dichter zu Ende der dreißiger Jahre unter den Metropolen im alten deutschen Sprachraum nur in Danzig ausgerichtet werden. Ein gelehrtes gläubiges Leben erfüllte sich in der Kapitale des Königlich Polnischen Preußens. Die Danziger Ausgabe der Schriften Opitzens unter der Obhut Hünefelds und Mochingers wird eine Ehrenstellung im posthumen Œuvre des Dichters behaupten.
Im sprachverwandten Nachbarland Der Fortgang, und also die Ausbreitung des Opitzschen Werkes, blieb ein spannendes und das Nachdenken allemal stimulierendes Ereignis. In Deutschland trat eine Pause ein. Vom Zentrum aus in Frankfurt und vom Osten und Nordosten aus via Breslau und Danzig war für eine gute Weile die Präsenz der poetischen Hinterlassenschaft des ––––––––– 42
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Es ist auch an dieser Stelle Gelegenheit, hinzuweisen auf die herausragende Untersuchung von Dick van Stekelenburg: Michael Albinus ›Dantiscus‹ (1610–1653). Eine Fallstudie zum Danziger Literaturbarock.- Amsterdam: Rodopi 1988 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur; 74). Hier auch S. 296–298 ein wichtiger Kommentar zu dem Beitrag von Albinus im Kontext der zur Rede stehenden Schrift. Vgl. auch Edmund Kotarski: Die Danziger Literatur im 17. Jahrhundert. Eine Übersicht.- In: Studia Germanica Gedanensia 2 (1994), S. 23–43. Eingegangen in: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 1998 (Frühe Neuzeit; 39), Band II, S. 769–785. Man findet sie abgedruckt mit Kommentar in: Opitz: Briefwechsel (Anm. 3), Band III, S. 1643– 1647. Hier auch S. 1642 f. Andreas Hünefelds Bericht über Opitz’ Tod in einem Brief von Roberthin an Christian von Hardesheim (Herdesianus).
XX. Sachwalter des Werkes
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Bober- bzw. Oderschwans gesichert. Der Prozeß der Adaptation konnte auf einem neuen Fundament voranschreiten. Er tat dies, aber er erlitt doch zugleich eine Abbiegung und Abschwächung. Und das aus nachvollziehbaren Gründen, über die sogleich ein Wort verlauten wird. Aufgenommen wurde die Stafette im Nachbarland. Es hatte den deutschen Dichter inspiriert und auf seinem Weg begleitet wie kein anderes und es behauptete diese seine Sonderstellung nun auch nach seinem Tod. Eben war die Ausgabe letzter Hand dreibändig erschienen, da waren die Niederländer auch schon zur Stelle und sorgten für einen Import. Bei dem rührigen Amsterdamer Drucker und Verleger Jan Janszoon erschien in den Jahren 1645 und 1646 eine Ausgabe in drei Teilen, der erste datiert auf das Jahr 1646, die beiden folgenden auf das Jahr 1645. In einem kompakten Sammelband von rund tausend Seiten im Duodezformat trat Opitz damit seinen Weg in jenem Land an, das nicht nur für ihn, sondern für die deutsche Literatur, Theologie und Philosophie in den entscheidenden Jahren um 1600 eine so eminente Bedeutung gewonnen hatte. Noch einmal wurde das opus magnum eröffnet mit der Vorrede an Fürst Ludwig.44 Sie hatte sich als maßgebliche Verlautbarung und Inbegriff des Opitzschen Projekts neben seinen selbständigen poetologischen Schriften, die gleichfalls immer wieder aufgelegt wurden, durchgesetzt. Nun aber kamen zunächst die großen und selbständigen Gedichte zum Zuge, also dasjenige, das im ersten Teil der Ausgabe von 1644 zu lesen war. Hier wie dort erfuhren das Lobgedicht auf den polnischen König und das Trauergedicht auf Ulrich von Holstein damit eine herausragende Stellung, waren sie doch noch vor all den gewichtigen Arbeiten plaziert, die gerade diesem Band in der Breslauer bzw. der Frankfurter Ausgabe sein Gepräge gaben. Ein zweiter Teil mit der achtbändigen Folge der ›Silvae‹, wie sie Opitz für den zweiten Band seiner ›Weltlichen Gedichte‹ vorgesehen hatte, schloß sich an.45 Damit traten hier wie dort nochmals zwei herausragende Personen am Anfang prominent hervor, nämlich Hugo Grotius noch vor dem Inhaltsverzeichnis mit seinem ›Carmen Heroicum‹ für Opitz, und sodann der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, mit dem das ›Erste Buch der poetischen Wälder‹ ja eröffnet wurde. Mit der ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ und dem ›Florilegium Varium Epigrammatum‹ klingt die Amsterdamer Ausgabe in genauer Analogie zu der Frankfurter aus dem Jahr 1644 aus. Der dritte und letzte Teil ist den Geistlichen Gedichten Opitzens gewidmet und hier macht sich entsprechend der gravierendste Unterschied geltend.46 Seit der Ausgabe von 1629 hatte Opitz dafür Sorge getragen, daß mit seinen Geistlichen Gedichten eröffnet wurde. Schon 1638 standen sie als selbständiger Band einer geplanten Folge ––––––––– 44
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Mart. Opitii Opera Poetica. Das ist Geistliche vnd Weltliche Poemata Vom Autore selbst zum letzten vbersehen vnd verbessert. Amsterdam Bey Iohan Ianßon. 1646. Martini Opitii Weltliche Poëmata. Der Ander Theil. Letzte [!] Truck auffs fleissigst vbersehen vnd verbessert. Getruckt zu Amsterdam, im Jahr onses [!] Herrn 1645. Martini Opitii Geistliche Poëmata. Von jhm selbst anjetzo zusammen gelesen/ verbessert vnd absonderlich herauß gegeben. Getrückt zu Amsterdam, im Jahr vnsers Herrn 1645. Einbändiges Exemplar aller drei Teile im Besitz der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück.
Im sprachverwandten Nachbarland
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seiner Schriften am Anfang. Und diese Position behielten sie, als zunächst 1639 der erste und dann 1644 der zweite Band seiner ›Weltlichen Poëmata‹ hinzutraten. Diese Anlage kommt in der Amsterdamer Ausgabe nicht zum Tragen. Es ist nicht auszuschließen, daß womöglich verlagsinterne bzw. drucktechnische Gründe dafür in Anschlag zu bringen sind. Möglicherweise aber wurde der innere Zusammenhang der Trilogie nicht erkannt. Eine programmatisch motivierte Neugruppierung dürfte auszuschließen sein. So kursierte also im Nachbarland in handlichem Taschenformat das Lebenswerk Opitzens. Ein erfahrener Verleger hatte ihm eine durchschlagskräftige Façon verliehen. Über die Auflagenhöhe ist – wie stets – nichts bekannt; weitere Auflagen hingegen wären bekannt geworden, sie existieren nicht. Doch einer denkwürdigen Konstellation auf niederländischem Boden ist Aufmerksamkeit zu widmen. Schon 1641 waren ebenfalls bei Janszoon in Amsterdam Weckherlins Geistliche und Weltliche Gedichte erschienen, und die erlebten 1648 eben daselbst eine zweite erweiterte Auflage.47 So kam es also in den vierziger Jahren auf niederländischem Boden zu einer publizistischen Begegnung der beiden wichtigsten Figuren anläßlich der Einführung einer neuen deutschsprachigen Dichtung. In Deutschland war dieser Gleichklang zu keiner Zeit zu vernehmen gewesen. Weckherlin durfte ihn noch erleben. Ihm widerfuhr zu später Stunde jene historische Gerechtigkeit, die ihm in seiner Heimat versagt geblieben war. Aus der Rückschau kann diese Koinzidenz nur Freude und Genugtuung auslösen. Wie aber stand es im weiteren Ausland? Nun, genauso, wie immer wieder konstatiert und keinesfalls eben auf Opitz beschränkt. Seine Dichtung wie die seiner Freunde war ein spätes Gewächs auf europäischem Boden. Dieser war der Nährboden für das so erfolgreiche Projekt der Deutschen. Aber er wurde seinerseits, von Ausnahmen abgesehen, nicht bereichert durch Früchte aus der verspäteten Nation, wenn es denn um deutschsprachige Dichtungen ging. Das Reformprojekt der volkssprachigen Einpflanzung der Renaissancekultur auf den Fundamenten der Antike hatte sich im 17. Jahrhundert erschöpft. Selbst bei den Nachbarn im Nordosten, wo man nun tatsächlich nach Deutschland blickte, war es unmittelbar nach dem Auftreten Opitzens rezipiert und erfolgreich in die Tat umgesetzt worden. Ringsum aber und seit der Mitte ––––––––– 47
Georg Rodolf Weckherlins Gaistliche und Weltliche Gedichte. Amsterdam Bey Iohan Iansson Ao. 1641. Vgl. zu dieser Ausgabe und ihrer Entstehungsgeschichte auch Leonard Forster: Aus der Korrespondenz G.R. Weckherlins.- In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 4 (1960), S. 182–197. Wiederabgedruckt in: Forster: Kleine Schriften zur deutschen Literatur im 17. Jahrhundert.- Amsterdam: Rodopi 1977 (Daphnis; 6/4), S. 193–209. Vgl. auch das Kapitel ›Die Geistlichen und weltlichen Gedichte von 1641‹ in: Leonard Wilson Forster: Georg Rudolf Weckherlin. Zur Kenntnis seines Lebens in England. Mit zwei Tafeln.- Basel: Schwabe 1944 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur; 2), S. 86–97. Der Titel der zweiten Auflage: Georg-Rodolf Weckherlins Gaistliche vnd Weltliche Gedichte. Amsterdam/ Bey Jan Jansson. 1648. Diese Ausgabe steht im Mittelpunkt der verdienstvollen, historisch angemessenen weit ausholenden Untersuchung von Ingrid Laurien: ›Höfische‹ und ›bürgerliche‹ Elemente in den »Gaistlichen und Weltlichen Gedichten« Georg Rodolf Weckherlins (1648).- Stuttgart: Heinz 1981 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 89). Hier S. 112 ff. eine ausführliche Beschreibung der Sammlung. Hinzuzuziehen auch das Kapitel ›Die Geistlichen und weltlichen Gedichte von 1648‹ bei Forster: Georg Rudolf Weckherlin, S. 108–119.
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des Jahrhunderts eben auch in Deutschland waren neue Entwicklungen eingetreten. Die Zeit für eine Aufnahme der deutschen Literatur in der Opitzschen Version war abgelaufen. Deutschland war ein nehmendes Land geblieben. Um so bemerkenswerter die niederländische Initiative!
Das nachopitzsche Schlesien In Deutschland trat auf dem editorischen Sektor im Blick auf Opitz eine Pause ein. Noch in den vierziger Jahren erschienen regelmäßig einzelne Texte. In den fünfziger und sechziger Jahre verebbte die Produktion merklich und in den siebziger und achtziger Jahren kamen nur noch ein Titel bzw. zwei Titel hinzu. Eine neuerliche große Gesamtausgabe war nicht mehr zu verbuchen. Gewiß, die dreibändige Ausgabe der Schriften zwischen 1638 und 1644 durfte als Ausgabe letzter Hand und damit als verbindlich gelten. Aber reicht diese Feststellung? In Schlesien hatte sich die rege literarische Tätigkeit um die Mitte des Jahrhunderts ja keinesfalls erschöpft. Im Gegenteil. Schlesien war die einzige Landschaft im deutschen Sprachraum, in der sich die poetische Produktion auch in der zweiten Jahrhunderthälfte ungebrochen fortsetzte. Ja, man wird nicht zu viel sagen, stellt man fest, daß sie sich noch steigerte und vor allem merklich räumliche und formale Konsistenz gewann. Im Begriff der ›Zweiten Schlesischen Schule‹ wurde dieser Zusammenhang und zugleich der unverkennbare Neuanfang forschungsgeschichtlich signalisiert. Aber es ging ja nicht um Schulbildung und inzwischen auch nicht mehr um poetologische Normierung. Anderes und Weiterreichendes war im Spiel. Nicht, daß die konfessionelle Krise aufgehört hätte. Sie forderte weiterhin ihre Opfer. Und doch war unverkennbar, daß sie im Abklingen war, oder anders und genauer: Der kaiserliche Arm, Wien war allgegenwärtig in Schlesien. Jahrzehnte über hatten die Habsburger nach 1620 Terrain zurückerobern können. Auf der anderen Seite blieb die duale Verfaßtheit in Kraft. Insbesondere die Piastenhöfe waren weiterhin präsent, auch wenn ihre politische Macht geschwächt war. Und auch Breslau behauptete seine Sonderstellung ungeachtet der massiven Anwesenheit kaiserlicher Bastionen inmitten der Stadt. Entscheidend blieb die politisch-verfassungsmäßige Gemengelage, denn sie alleine eröffnete jene unerläßlichen Spielräume, die lebenswichtig blieben für das Gedeihen der Literatur.48 Und so war es der zweiten Jahrhunderthälfte vorbehalten, jene Schöpfungen auf schlesischem Boden zu zeitigen, mit denen Deutschland noch einmal Anschluß an die Entwicklungen in Europa gefunden hat, nun jedoch merklich eigenständiger und von vornherein auf europäischem Niveau. Die schlesische Hauptstadt, die diversen Höfe, die Bischofssitze und nicht zuletzt der kaiserliche Hof in Wien boten der gelehrten schreibenden Zunft einen institutionellen und desgleichen vielfach einen beruflichen Rückhalt, der sich wiederholt verband mit einer unmittelbaren Involvierung in den po––––––––– 48
Vgl. mit der einschlägigen Literatur das Kapitel ›Zwischen Barock und Aufklärung (1618–1740)‹ von Norbert Conrads, in: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien. Hrsg. von Norbert Conrads.- Berlin: Siedler 1994, S.258–344, S. 719–731 (Anmerkungen).
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litisch-diplomatischen Betrieb, der nun auch einen Niederschlag in der literarischen Praxis fand.49 Schlesien verfügte via Wien über gute Beziehungen in den katholischen Süden Europas. Dort waren in Italien wie in Spanien die literarischen Grundfesten der klassizistischen Renaissance lange erschüttert. Ein neuer Stilwille hatte sich dort Durchbruch verschafft. Unter den Schlagwörtern des ›Marinismus‹ bzw. ›Gongorismus‹ firmierten diese innovativen Praktiken, die sich insbesondere in der Lyrik Bahn gebrochen hatten. Es blieb Schlesiens literarische Mission im Anschluß an das an den Namen Opitzens sich knüpfende Projekt nun ein weiteres Mal Schauplatz einer aufsehenerregenden Bewegung zu werden. Sollten Namen für sie stehen, so wären es diejenigen von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und Daniel Casper von Lohenstein. Tatsächlich aber wurde eine ganze Generation von der Woge ergriffen. Und die eroberte sich auch die Großformen des Schauspiels bzw. der Oper und vor allem des Romans. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist auf schlesischem Boden noch einmal eine Literatur erblüht, die keinen Vergleich mit den europäischen Nachbarn zu scheuen braucht. Wenn ihr im dramatischen Fach der langfristige Zugang zu den europäischen Bühnen versagt blieb, so besagt dies wenig im Hinblick auf den enormen dramatischen Tiefgang. Und wenn der Roman unter seiner gelehrten Last zu ersticken drohte, so war auch dies nur die Kehrseite der statthabenden Verarbeitung eines literarischen wie politischen Kosmos, der nur in der neuen Prosaschöpfung zu bewerkstelligen war. Warum aber diese Notizen in kaum noch zu verantwortender Abbreviatur? Weil in ihnen der Schlüssel zu suchen ist für das denkwürdige Zurücktreten Opitzens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Was da auf schlesischem Boden – wie auf andere Weise im Umkreis der Pegnitzschäfer – sich abspielte, war durch die Opitzschen Vorgaben nicht mehr gedeckt und die gelegentliche Reserve hier wie dort indizierte, daß man um den unversehens eingetretenen Abstand wußte. Die Erinnerung an den Meister hatte sich keinesfalls verloren. Sein Name blieb präsent. Aber der produktive Impetus ging nicht mehr von seinem Werk aus. Es stand im Begriff, musealen Charakter zu gewinnen. Und die editorische Situation blieb das Siegel auf diesem Umschwung. Um so respektabler, daß auf schlesischem Boden noch einmal ein Großprojekt auf den Weg gebracht wurde.
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Eine gegenwärtigen Ansprüchen genügende Geschichte der schlesischen Literatur in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fehlt. Vgl. die einschlägigen Kapitel und insbesondere das zur (lyrischen) ›Spätzeit‹ in: Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570–1740.- München: Beck 2009, S. 290–312. Das Werk ist mit einer umfassenden Bibliographie ausgestattet. Vorausgegangen war in der Erstauflage des gleichnamigen Werkes (3. Aufl., München: Beck 1960) von Richard Newald das Kapitel ›Marinismus‹, S. 319–353, das so gut wie ausschließlich Schlesien gewidmet ist. Vgl. auch das Kapitel: ›Führende literarische Landschaft des 17. Jahrhunderts‹ in: Klaus Garber: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2014, S. 281–338, S. 533–543 (Anmerkungen).
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Zeit der Ernte Doch zunächst ist noch für einen weiteren Moment knapp innezuhalten. Schlesien ist in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wie gesagt, literarisch fruchtbar wie keine andere Landschaft des alten deutschen Sprachraums sonst. Diese überaus bemerkenswerte Fertilität zeitigt jedoch Seitensprosse, die zu einem untrennbaren Bestandteil des regen literarischen Lebens geraten. Das reiche Erbe will in die Scheuern gefahren werden. Zu Ende des Jahrhunderts mehren sich allenthalben die Anzeichen, daß dies erkannt ist. Entsprechende Aktivitäten lassen nicht lange auf sich warten. Und das auf mehreren Gebieten. Auch das Nachleben Opitzens profitiert davon entschieden und mit ihm die Opitz-Philologie. Das freilich ist – wie im Falle Dachs, wie im Falle Flemings – ein bislang kaum bestelltes Feld und daran ist auch an dieser Stelle keine Änderung herbeizuführen. Zunächst ein knapper Blick auf die Literaturgeschichte. Tatsächlich erscheint noch im 17. Jahrhundert selbst eine erste Kompilation, und das gleich mit einem gehörigen titularischen Zusatz.50 Auf dem Sektor der deutschen Poesie gehört Schlesien der Vorrang. Eine solche Behauptung wäre ungeachtet der blühenden lateinischen Literatur um 1600 absurd gewesen. Ein Jahrhundert später geht sie kritiklos durch, und das zu Recht. Allein mit der deutschsprachigen Dichtung des 17. Jahrhunderts läßt sich, noch während der aufregende Prozeß fortgeht, leicht ein gewichtiges Buch füllen. Davon ist dieser Autor weit entfernt. Es handelt sich um eine akademische Abhandlung. Immerhin, ein Vorklang des 18. Jahrhunderts ist vernehmbar. Ganz anders auf dem Gebiet der Lexikographie und Biographie.51 Hier hatte Schlesien frühzeitig mit dem mächtigen Viten-Werk Melchior Adams einen Akzent gesetzt. Die gelehrte Biographie blühte das 17. Jahrhundert über wiederum wie in keiner Landschaft sonst. Das war eine durch und durch gelehrte lateinische Übung. Der Weg zur Poesie im engeren Sinn und zum handlichen Kompendium in deutscher Sprache mußte gefunden werden. Bezeichnenderweise blieb es dem weiblichen Geschlecht Schlesiens vorbehalten, ein derartiges Werk zu Anfang des 18. Jahrhunderts aus der Feder von Johann Caspar Eberti entgegennehmen zu können.52 Das gleichzeitige, den schlesischen Schriftstellern insgesamt gewidmete Werk von Johann Siegmund John blieb beim Lateinischen.53 ––––––––– 50
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Vgl.: Johann Christian Kunckel, Georg Neicke: Silesiorum In Poesi Germanica Praestantiam.Leipzig: Tietze 1698. Vgl. auch hier das Kapitel ›Aufklärung als Bewahrung einer großen Tradition. Heimstatt von Landeskundlern, Litterärhistorikern und Laudatoren‹ bei Garber: Das alte Breslau (Anm. 31), S. 339–375, S. 544–553 (Anmerkungen). Johann Caspar Eberti: Schlesiens Hoch= und Wohlgelehrtes Frauenzimmer, Nebst unterschiedenen Poetinnen/ So sich durch schöne und artige Poesien bey der curieusen Welt bekandt gemacht.Breslau: Rohrlach 1727. Johann Siegmund John: Parnassi Silesiaci sive Recensionis Poëtarum Silesiacorvm [...] Centuria I–II.- Breslau: Rohrlach 1728–1729. Wir zitieren dieses Werk, um auch an dieser Stelle bereits den Hinweis zu geben, daß sich in der BU Wrocław – herrührend aus der Stadtbibliothek Breslau (8 A 164) – ein durchschossenes Exemplar mit zahlreichen Zusätzen erhalten hat. Kopie in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück.
Zeit der Ernte
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Man muß diese Werke jedoch zugleich in den Kontext der Periodika rücken.54 Auch hier erfreute Schlesien sich frühzeitig eines splendiden Organs, den ›gelehrten Neuigkeiten‹ Schlesiens gewidmet.55 Das ganze Spektrum kultureller Manifestationen wurde ins Auge gefaßt. Der Dichtung aber blieb eine eigene Sparte vorbehalten, nicht zuletzt angesichts des so reich bestellten vorangegangenen Jahrhunderts. Es war genügend poetische, biographische und bibliophile Materie vorhanden, aus der sich immer wieder Stoff für Porträts und Charakteristiken gewinnen ließ, und das nicht selten in Form von fortgesetzten Beiträgen. Auch deren Inspektion würde sich lohnen und stände einer regional votierenden Literaturgeschichtsschreibung sehr wohl an. Das literaturgeschichtlich gewichtigste Ereignis aber blieb natürlich das anthologistische. Und zum wiederholten Male gilt unsere Feststellung, daß Schlesien auch hier den Auftakt machte. Die Anthologie blieb der Gradmesser für den Fortgang der Literatur in den literarischen Landschaften. Und da zeigte sich alsbald, daß nun ein Ablösungsprozeß statthatte. Die Führungsrolle ging über auf den mittel- und norddeutschen Raum und im Süden bezog die Schweiz eine Führungsposition. Wollte man um der Triftigkeit des Angedeuteten zumindest in räumlicher Hinsicht eine Konkretion vornehmen, so bezeichneten die Namen Leipzig, Hamburg und Zürich die einschlägigen Zentren des Aufbruchs in das neue Säkulum und damit die erste Phase der Aufklärung. Schlesien aber kam noch im 17. Jahrhundert zum Zuge. Die von Benjamin Neukirch ins Leben gerufene und schließlich auf sieben mächtige Bände angewachsene Anthologie ›Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene Gedichte‹ blieb nicht allein ein frühes, sondern zugleich ein singulär dastehendes publizistisches Unternehmen, das wie von selbst den Ehrgeiz von Wortführern anderer literarischer Landschaften beflügeln mußte.56 Der Titel war merkwürdig genug. Da erschien ––––––––– 54
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Auch hier nochmals der Hinweis auf das abschließende Kapitel ›Alteuropäisches Erbe und Wege in die Moderne. Gelehrte Organe und Vereine, Akademien, Museen und Galerien‹, in: Garber: Das alte Breslau (Anm. 49), S. 376–443, S. 553–570 (Anmerkungen). Vgl.: Gelehrte Neuigkeiten Schlesiens, In welchen so wohl, Was von Hohen und andern Schulen, von Bibliothequen und Cabineten, von versprochenen und herausgegebenen Schrifften und Gedichten; Als auch Von gelehrten Anmerckungen und Erfindungen, Ingleichen Lebens-und TodesFällen der Gelehrten Darinne Merckwürdiges Im Jahr 1734. [1735, 1736, 1737, 1738, 1739, 1740] zu erforschen gewesen, Zum Vergnügen Allerhand Liebhaber mitgetheilet wird.- Schweidnitz: Böhm [1734–1737]; Müller [1738]; Liegnitz: Siegert [1739–40]. Neue Fortsetzung der gelehrten Neuigkeiten Schlesiens. Auf die Jahre 1741. und 1742.- Liegnitz: Siegert [1741]. Der auf dem Titelblatt der Fortsetzung für 1742 angekündigte Jahrgang erschien nicht mehr. Vgl.: Die Biblioteka Uniwersytecka in Wrocław. Morphologie der Bestände, Umrisse der Provenienzen und Charakteristik der Personalschrifttums-Sammlungen [nebst] Bibliographie zur Universitätsbibliothek Wrocław und ausgewählter in sie eingegangener Vorkriegs-Bibliotheken.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band I: Breslau – Universitätsbibliothek. Abteilung 1: Stadtbibliothek Breslau (Rhedigeriana/ St. Elisabeth). Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann, Martin Klöker.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2001, S. 17–80, S. 57. Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster theil/ nebenst einer vorrede von der deutschen Poesie. Mit Churfl. Sächs. Gn. Privilegio. Leipzig/ Bey Thomas Fritsch 1697. Und der Titel des letzten Bandes: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte siebender theil, nebst
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der Name eines schlesischen Dichters zusammen mit denen anderer deutscher Dichter. Wie sollte das zusammengehen? Nun, in der Praxis löste sich das Problem wie von selbst. Die tatsächlich nicht mehr in Breslau, sondern in Leipzig und sodann in Leipzig und Frankfurt erscheinende Anthologie ist eine durch und von schlesischen Autoren geprägte.57 Keine Rede kann also davon sein, daß mit ihr einem nationalliterarischen Impetus vorgearbeitet würde. Schlesien behauptete die Führungsrolle, gleichermaßen in imponierender Vielseitigkeit und zugleich eben ein letztes Mal. Was aber besagt das knapp Erinnerte im Hinblick auf Opitz? Was undenkbar gewesen wäre in der ersten Jahrhunderthälfte ereignete sich in der zweiten. Nicht sein Name zierte die poetische Kollektion, sondern derjenige Hoffmannswaldaus. Ein Gezeitenwechsel war eingetreten im literarischen Leben, und die titularische Nomenklatur spiegelte ihn ebenso trefflich wie erbarmungslos. Für eine geraume Zeit gehörte einem anderen schlesischen Autor der Lorbeerkranz, welcher Opitz so häufig gewunden worden war. Tatsächlich grenzt das artistische Niveau, das der jüngere Schlesier der deutschen Poesie verleihen sollte, an ein Wunder. Raffinierter ist nie in der Geschichte der deutschen Lyrik agiert worden. Doch eben diese Delikatesse rief alsbald die Kritiker hervor und so währte es nur eine Weile, bis der Stern Opitzens erneut aufstieg. Inmitten der Ehrung des jüngeren Dichters jedoch erlebte der Ältere auf schlesischem Boden noch einmal die Errichtung eines Denkmals, das betrachtet sein will.
Esaias Fellgiebel Nicht ein literaturgeschichtlicher Schnellkurs wollte absolviert, vielmehr ein literarisches Umfeld kenntlich gemacht sein, in das nun in einem letzten Schritt das Werk Opitzens einzupassen ist. Wenn es zu Ende des 17. Jahrhunderts noch einmal zu einer respektablen Kontaktstiftung kam, so ist dies jener rückblickenden und in diesem Sinn restaurativen Gebärde geschuldet, die für das Schlesien am Ausgang einer großen Zeit charakteristisch blieb und in wenigen Strichen zu umreißen war. Opitz, inzwischen in den Hintergrund getreten, profitierte von ihr und erhob sein Haupt noch einmal unübersehbar. Nach der publizistischen Exkursion in die Niederlande kehrte er zurück in seine schlesische Heimat und in deren geistige Hauptstadt. Zu seinen Lebzeiten hatten David Müller und die Baumanns in erster Linie daselbst für das Erscheinen seiner Werke Sorge getragen. Nun war auch hier eine neue Generation tätig geworden, und deren –––––––––
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einer untersuchung der Hanckischen weltl. gedichte. Mit Kön. Pohln. und Churfürstl. Sächs. allergn. Privilegio. Franckfurt und Leipzig, Verlegts Paul Straube, 1727. Buchhändler in Wien. Neudruck: Band I–VII.- Tübingen: Niemeyer 1961–1991 (Neudrucke deutscher Literaturwerke. N.F.; 1, 16, 22, 24, 29, 38, 43). Der erste und zweite Band – jeweils wie auch die folgenden Bände versehen mit einer kritischen Einleitung und Lesarten – sind herausgegeben von Angelo George de Capua und Ernst Alfred Philippson, der dritte und vierte Band von Angelo George de Capua und Erika Alma Metzger, der fünfte, sechste und siebente Band von Erika A, Metzger und Michael M. Metzger. Vgl. Franz Heiduk: Die Dichter der galanten Lyrik. Studien zur Neukirchschen Sammlung.- Bern, München: Francke 1971.
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Namen verband sich verlegerisch nicht zuletzt mit demjenigen Esaias Fellgiebels. Der große und unvergessene Buchkundler Hans-Joachim Koppitz hat gezeigt, wie an Hand der Drucker und Verleger-Dynastien eine so gut wie komplette Literaturgeschichte Schlesiens zu entwickeln ist. In ihr bezeichnet das Auftreten Opitzens nur einen kleinen Ausschnitt, gleichwohl – wie nicht anders zu erwarten – einen gewichtigen. Fellgiebel unterhielt in den beiden buchhändlerischen Zentren, die das alte Reich kannte, Leipzig und Frankfurt am Main, jeweils Buchläden. Ein solcher befand sich auch in Breslau, dort aber betrieb Fellgiebel keine eigene Druckerei. Seine Bücher ließ er von Druckern in Breslau oder Leipzig und gelegentlich auch anderswo herstellen. Es wird sogleich zu zeigen sein, daß auch Opitz von der verlegerischen Duplizität profitierte. Der Verleger besuchte die Messen in Leipzig und besaß dort ein Gewölbe mit einem Buchladen. Gleichwohl blieb der schlesische Bezug stets präsent. »Nicht ohne Grund wurde er ›bibliopolarum Vratislaviensium primarius‹ genannt. Man könnte nach unserem heutigen Wissen hinzufügen: Er war der wichtigste deutsche Verleger für Barockliteratur im engeren und weiteren Sinne.«58 Opitz war bei ihm also wiederum in den besten Händen.
Krönender Abschluß Im Jahre 1689 kam bei Fellgiebel eine mächtige dreibändige Opitz-Ausgabe heraus, und die war so erfolgreich, daß sie gleich im nächsten Jahr eine weitere Auflage erfuhr.59 Mehr als fünfzig Jahre war es her, daß Opitz zuletzt in vergleichsweise großer Geschlossenheit zu lesen gewesen war. Das Interesse war also immer noch beträchtlich, und Fellgiebel muß gespürt haben, daß es an der Zeit war, mit einer repräsentativen neuen Ausgabe auf dem Buchmarkt präsent zu sein. Noch einmal rückten Opitz und mit ihm die schlesische Hauptstadt in den Lichtkegel der Öffentlichkeit. Es wäre gewiß eines ebenso reizvollen wie ergiebigen Versuches wert, die Reaktion auf eben diese verlegerische Großtat hin einmal zu untersuchen. Zum siebten Mal, so nach Ausweis auf dem Titelblatt, erschienen die geistlichen und weltlichen Poëmata Opitzens nunmehr. Es dürfte vergeblich sein, eine präzise Angabe zu machen, welche Ausgaben der Verleger im Auge gehabt haben könnte. Legt man die drei zu Lebzeiten Opitzens erschienenen Ausgaben und die drei posthumen – ––––––––– 58
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Hans-Joachim Koppitz: Die Vermittlerrolle schlesischer Verlage für die Verbreitung der Barockliteratur.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 38/39 (1997/ 1998), S. 405–432, S. 422. Vgl. zu Fellgiebel auch die große Untersuchung von Hans-Joachim Koppitz: Der Verlag Fellgiebel.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Band I– II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 111), Band I, S. 445–512. Des berühmten Schlesiers Martini Opitii von Boberfeld/ Bolesl. Opera Geist= und Weltlicher Gedichte/ Nebst beygefügten vielen andern Tractaten so wohl Deutsch als Lateinisch/ Mit Fleiß zusammen gebracht/ und von vielen Druckfehlern befreyet/ Jetzo zum siebenden mahl gedruckt. Breßlau/ Verlegts JEsaias Fellgibel/ Buchhändler. Die Titelauflage ein Jahr später: Des berühmten Schlesiers Martini Opitii von Boberfeld/ Bolesl. Opera Geist= und Weltlicher Gedichte/ Nebst beygefügten vielen andern Tractaten so wohl Deutsch als Lateinisch/ Mit Fleiß zusammen gebracht/ und von vielen Druckfehlern befreyet/ Die neueste Edition. Breßlau/ Verlegts JEsaias Fellgibel/ Buchhändler. 1690.
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darunter einen der beiden Raubdrucke – zugrunde, so käme man auf eben diese Zahl. Möglich aber auch und vielleicht doch wahrscheinlicher, daß Fellgiebel die Zincgrefsche Ausgabe mit in Betracht zog und den Raubdruck schon aus Gründen der Berufsehre überging. Dann stünden die vier Ausgaben zu Lebzeiten den beiden posthumen aus Danzig und Amsterdam gegenüber und der Breslauer Verleger hätte mit einem dritten posthumen Werk den Schlußpunkt gesetzt. Erstaunlicherweise hat Fellgiebel auf ein eigenes Vorwort verzichtet. Lediglich aus der Titulatur geht das Besondere dieser nunmehr siebten Präsentation des Opitzschen Werkes hervor: »Nebst beygefügten vielen andern Tractaten so wohl Deutsch als Lateinisch/ Mit Fleiß zusammen gebracht/ und von vielen Druckfehlern befreyet«. Nun, daß der Fellgiebelsche Stab korrigierend und textbessernd eingreifen würde, war eine Selbstverständlichkeit. Aber deutsche und lateinische ›Traktate‹. Das machte neugierig. Waren tatsächlich nur Opitzsche Texte gemeint oder war Fellgiebel gewillt, weiteres auf Opitz bezogenes Schriftgut seiner Ausgabe zuzuführen? Das Rätsel löst sich rasch. Der Verleger setzt – wie fast alle seine Vorgänger – mit der Widmungsadresse Opitzens an das Oberhaupt der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ Fürst Ludwig ein. Gleich an zweiter Position steht dann jedoch die Gedenkrede des Christoph Colerus auf Opitz, die erstmals 1665 erschienen war. Fellgiebel hatte ihren singulären Charakter offensichtlich erkannt und übernahm sie in sein dem Dichter gewidmetes Werk. Daran schließen sich Trauergedichte zu Ehren Opitzens an, wie sie in dieser Form noch nicht zusammengestanden hatten, sie alle auf lateinisch abgefaßt. Der routinierte Verleger hatte verschiedene Quellen aufgetan und daraus einen Strauß von neun Beiträgen geformt. Valentin Senftleben, Elias Major, J.G. Maeresius, Caspar Barth, August Buchner, Julius Wilhelm Zincgref und Balthasar Venator zeichnen für die Epicedien. Dreiteilig ist die Ausgabe angelegt. Noch einmal wiederholt sich die schon anläßlich der Amsterdamer Edition konstatierte Umstellung in der Abfolge. Wieder stehen die weltlichen Poëmata voran und die geistlichen Poëmata bilden den Beschluß. Was hier wie dort zu dieser Abweichung führte, ist offensichtlich nicht bekannt. Fellgiebel hat im Anschluß an die Colersche Rede ein Inhaltsverzeichnis eingeschaltet und läßt den Leser mit einem Rätsel allein. Er kündigt an, mit der ›Poeterey‹ Opitzens einzusetzen, und zwar des Näheren mit der Ausgabe Enoch Hanmanns aus dem Jahr 1645, die er offensichtlich wegen der Annotationen bevorzugte. Tatsächlich fehlt sie im ersten Band seiner Ausgabe. Das war ein erheblicher Kunstfehler, und es ist von hohem Interesse zu gewahren, daß das Werk mehr als fünfzig Jahre später immer noch gegenwärtig war und die Fehlstelle sogleich behoben wurde. Fellgiebel lieferte im dritten Band einen Anhang und dort figurierte dann die Hanmannsche Edition tatsächlich. Der programmatische Auftakt, der offensichtlich intendiert war, kam nicht zustande. Und daß mit einem Anhang operiert wurde, signalisiert möglicherweise, daß rasch gearbeitet werden mußte. Siebzehn selbständige Texte hat Fellgiebel im ersten Band der Schriften Opitzens versammelt. Das Lobgedicht auf den polnischen König steht voran. Alle drei Landgedichte und beide Dramen-Übertragungen sowie das musikalische Schauspiel sind dabei. Auf die beiden Roman-Übertragungen bzw. Überarbeitungen ist verzichtet. Sie führten fortan ein Eigenleben. Erstmals tritt nun auch das Annolied in einer Opitz ge-
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widmeten Ausgabe in Erscheinung. Und auch die ›Sarmatica‹ liest man erstmals in einer solchen. Das große Epithalamium zur Hochzeit des polnischen Königs ist in lateinischer und deutscher Version dabei. Schließlich finden der ›Vesuvius‹, der ›Lob des Krieges Gottes‹, die ›Disticha Catonis‹, die Übertragung der ›Tetrasticha‹ des Pibrac und der ›Lobgesang Bacchi‹ ihren Platz. Das geistliche Lehrgedicht ›Von der Welt Eitelkeit‹ ist gleichfalls hier plaziert. Damit war alles Einschlägige zusammen. Der zweite Band ist gleichfalls den weltlichen Gedichten vorbehalten.60 Hier sind die ›Poetischen Wälder‹ mit vier Büchern ausgewiesen, nämlich – gemäß vorgeschalteter Inhaltsangabe – unspezifiziert ›Das Erste Buch der Poetischen Wälder‹, sodann ›Das Ander Buch der Poetischen Wälder‹; von ›Hochzeit=Gedichten‹, des weiteren ›Das Dritte Buch der Poetischen Wälder; über Leichbegängnüssen‹ und schließlich ›Das Vierdte Buch der Poetischen Wälder; darinnen Liebes=Gedichte der ersten Jugend begriffen sind‹, ›Oden oder Gesänge‹, ›Sonnette‹ und ›Epigrammata‹ schließen sich an. Einen eigenen Platz behauptet neuerlich die ›Schäfferey von der Nymfen Hercinia‹ und die ›Trostschrifft an H. David Müllern‹. Und dann sind dankenswerterweise zu Ende des Jahrhunderts auch die lateinischen Gedichte mit aufgenommen. Die ›Martini Opitii Silvarum Libri III. Epigrammatum Liber Unus. E Museio Bernhardi Gvilielmi Nüssleri‹ und das ›Florilegium variorum Epigrammatum‹ beschließen den zweiten Band. Der dritte Teil präsentiert die geistlichen Gedichte.61 Elf Texte hat Fellgiebel parat. Es sind genau diejenigen, welche auch in der Ausgabe letzter Hand von 1638 standen. Die Angabe auf dem Titelblatt ergibt also Sinn. Eröffnet wird hier wie dort mit dem ›Hohen Lied‹, den ›Klageliedern Jeremiae‹, dem ›Jonas‹ und der ›Judith‹. In der Mitte stehen die ›Episteln‹, die erste Folge der Psalmen-Übertragung, der ›Lobgesang über die Geburth Jesu Christi‹, die Übertragung von Heinsius’ ›Lobgesang Jesu Christi‹ sowie ›Über das Leiden Jesu Christi‹. Den Schluß macht das ›Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges‹, das seinen definitiven Platz unter den geistlichen Gedichten gefunden hat. Angebunden an diese Folge mit fortlaufender Paginierung sind die ›Psalmen Davids‹ sowie die Bearbeitung von Grotius’ ›Von der Warheit der christlichen Religion‹. Beide Texte rücken damit in der Schlußposition zum geistlichen Vermächtnis Opitzens auf. Diese verlegerische Entscheidung ist sinnfällig und bleibt zu begrüßen. Eine ›Elogia Supremis honoribus Martini Opitii à Boberfeld, Bolesl. Sacrata ab amicis‹ und ein Inhaltsverzeichnis beschließen den Band. Es handelt sich um die Ehrengedichte auf Opitz aus der Hünefeldschen Ausgabe einschließlich der beiden Warschauer Zuschriften und eröffnet mit dem Bericht von Niclas an Nüßler über die letzten Stunden Opitzens. Separat kommt schließlich die für den ersten Band bereits angekündigte ›Prosodia Germanica‹ in der Hanmannschen Redaktion zum Abdruck. Sie umfaßt nahezu drei––––––––– 60
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Martini Opitii Weltliche Poemata. Der Ander Theil. Letzte Truck auffs fleißigste übersehen und verbessert. Breßlau/ Verlegts JEsaias Fellgibel/ Buchhändler. So die gleichlautende Titulatur in beiden Auflagen. Martini Opitii Geistliche Poemata. Der Dritte Theil. Von ihm selbst zusammen gelesen/ verbessert und absonderlich herauß gegeben. Breßlau/ Verlegts JEsaias Fellgibel/ Buchhändler. So wiederum die gleichlautende Titulatur in beiden Auflagen.
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hundert Seiten. Der ursprüngliche Vorsatz, mit dem Werk zu eröffnen, hätte den ersten Band folglich um seine Proportionen gebracht. So bildet er den Schlußstein und gestattet einen Blick in die Werkstatt eines Opitz-Enthusiasten, der sein Bestes gab, um die Opitzsche Programmschrift in veränderter Zeit konkurrenzfähig zu halten.
Kronzeuge der Aufklärung Die Fellgiebelsche Ausgabe markierte einen Abschluß. Sie war umfänglicher als die Ausgabe letzter Hand und es war nicht zu sehen, was durchgreifend noch hätte geschehen sollen. Tatsächlich trat neuerlich ein Stillstand ein. Noch einmal ging ein halbes Jahrhundert ins Land, ohne daß editorisch Neues und Weiterführendes für Opitz geschehen wäre. Der Anstoß kam von außen. Der hundertste Geburtstag des Dichters war verstrichen, ohne daß ihm eigens gedacht worden wäre. Immerhin mochte die Fellgiebelsche Ausgabe im nachhinein gelegentlich auch als solche des Gedenkens empfunden worden sein, war sie doch weniger als ein Jahrzehnt von dem hundertsten Geburtsjahr entfernt. Anders stand es um den hundertsten Todestag. Die Erinnerung an ihn war lebendig. Die Gedenkrede von Colerus war wiederholt aufgelegt worden, doch bedurfte man ihrer nicht, um tätig zu werden. Ein Literaturkampf war entbrannt und die Stimme Opitzens unversehens wieder aktuell. Die späteren Schlesier waren ins Visier der Kritik geraten. Ihr elaborierter Ästhetizismus paßte so gar nicht zu dem Bild, das man sich von den Aufgaben einer den Maximen der Aufklärung verpflichteten Dichtung machte. Nicht zum ersten Mal und beileibe nicht zum letzten Mal erregte eine allein der Formkultur verpflichtete Muse moralischen und gesellschaftlichen Verdacht. Unversehens rückte eine Gestalt wieder in den Mittelpunkt, die sich selbst herber Vorwürfe zu erwehren gehabt und einen Gutteil des Werkes eben der Ehrenrettung einer derart diskreditierten Poesie gewidmet hatte, Martin Opitz.62 Gottscheds Gedenkrede anläßlich des hundertsten Geburtstages ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Sie verdankte ihre das gesamte 18. Jahrhundert anhaltende Durchschlagskraft dieser Rückgewinnung Opitzens für ein klassizistisches und zugleich der Frühaufklärung merklich angenähertes Stilideal. Im literarischen Gefecht rückte Opitz zu einem prominenten Gewährsmann der Aufklärer im Umkreis Gottscheds auf. Und mehr als das. Fünfzig Jahre lag das Erscheinen einer letzten Ausgabe seiner Werke zurück. Gut vorstellbar, daß sich das Bedürfnis regte, auf eine neue und den modernen Erfordernissen genügende Ausgabe die Kräfte zu richten. Gottsched selbst hatte mit entsprechenden Anregungen nicht gespart. Daß dann aber ausgerechnet seine poetologischen Antipoden sich ans Werk machten, wird er schwerlich vorausgesehen haben. ––––––––– 62
Das Syndrom des Kampfes gegen die späten Schlesier ist bekanntlich meisterhaft entfaltet worden von Alberto Martino: Daniel Casper von Lohenstein. Storia della sua ricezione. Volume Primo (1661–1800).- Pisa: Libreria Editrice Athenaeum 1975 (Athenaeum; 1). [Mehr nicht erschienen]. Deutsche Übersetzung: Daniel Casper von Lohenstein. Geschichte seiner Rezeption. Band I: 1661–1800. Aus dem Italienischen von Heribert Streicher.- Tübingen: Niemeyer 1978. Wir belassen es bewußt bei diesem einen Hinweis.
Opitz in der Schweiz
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Opitz in der Schweiz Im Jahr 1745 traten die Zürcher Literaturhistoriker, Kritiker und Theoretiker mit der ersten und voluminösen Ausgabe der Schriften Martin Opitzens hervor.63 Der Funke war übergesprungen. Die erregte literaturpolitische Debatte zeitigte auf einem Nebenschauplatz ein editorisches Ereignis, das singulär dastand in der bisherigen Geschichte der Opitz-Rezeption und diese seine Stellung auch zukünftig bewahren sollte. Nur am Rande hatte die Schweiz sich an der Formierung der neuen Dichtung in der Opitzschen Façon beteiligt. Nun rückte sie ein Jahrhundert später in den Mittelpunkt über zwei Wortführer auf dem Gebiet der Ästhetik, die ihrerseits bis in die Tage Herders singulär dastanden. Es waren die Impulse, erwachsen aus dem Ringen um das unwiederholbare Wesen der Poesie, die zu dem schwierigen und gewagten editorischen Unternehmen geleitet hatten. Genau diese aktuelle Frontlinie verlieh der historischen Tat ihre Leuchtkraft, und die weitausholende ›Vorrede der Herausgeber‹ der beiden Literatur-Enthusiasten zehrte davon.64 Ein Ruck ist durch das Land gegangen. Einige Kenner – und nicht nur der Eine, nach dem Willen der Herausgeber, an den jedermann denkt – haben Opitz in jüngster Zeit nachdrücklich gelobt. Das hat Konsequenzen auf dem Buchmarkt nach sich gezogen. Ausgaben von Opitz waren plötzlich wieder gefragt. Die Fellgiebelsche Edition habe lange Zeit in den Buchläden gelegen; nun mußte sie im Jahr 1724 mit einem neuen Titelblatt versehen werden, wie die beiden berichten, um dem Bedarf nachzukommen und zugleich Aktualität zu simulieren. Eine neue Ausgabe wird erwartet und wiederholt gefordert. Doch nichts ist geschehen und die Schweizer wissen, warum. Leipzig vertröstete die poetische Welt lange auf eine solche, die von Hrn. Prof. Gottsched besorget werden sollte. Einige machten sich von derselben zum voraus einen so trefflichen Begriff, daß sie recht verdrüßlich wurden, als die Hoffnung dazu auf einmahl verschwand. Der jüngere Hr. Arlet hatte in einem lateinischen Gedichte auf unsern Opitz, vier und zwantzig schöne Verse zum Lobe dieser sehnlicherwarteten Gottschedischen Auflage einfliessen lassen; als dieselbe nun in den Schwamm gefallen, verdroß den Hrn. Doctor Lindner von Hirschberg so übel, daß so herrliche Zeilen auf ein leeres obgleich langes Versprechen geschrieben worden, daß er Bl. 339. des II Th. seiner Opitzschen Nachrichten sich nicht hat überwinden können, sie zu wiederholen. Er hat sie, so viel an ihm lag, zum Stillschweigen und ins Vergessen verurtheilt. Mit nicht geringerer Begierde hat man einer Auflage, dazu Hr. Hofrath Gebauer Hoffnung gemachet, entgegengesehen; doch auch diese wird allem Anscheine nach zurück bleiben, nachdem dieser Gelehrte sich mit Arbeiten von anderer Art beladen hat. Vorm Jahre hat man in dem Leipziger Meß=Verzeichniß eine Auflage angekündiget gesehen, welche sich von Hr. Doctor Triller schrieb; allein seither hat man nichts weiters davon gehöret; und es ist ziemlich vermuthlich, daß es bey dieser Präexistentz derselben sein Verbleiben haben werde.65
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Auch hier nur ein Hinweis aus der reichen Literatur: Bodmer und Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Hrsg. von Anett Lütteken, Barbara Mahlmann-Bauer.- Göttingen: Wallstein 2009 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa; 16). Zur Opitz-Ausgabe der Schweizer vgl. Helmut Henne: Eine frühe kritische Edition neuerer Literatur. Zur Opitz-Ausgabe Bodmers und Breitingers von 1745.- In: Zeitschrift für deutsche Philologie 87 (1968), S. 180–196. Martin Opitzens Von Boberfeld Gedichte. Von J.[ohann] J.[akob] B.[odmer] und J.[ohann] J.[akob] B.[reitinger] besorget. Erster Theil. Zürich, verlegts Conrad Orell und Comp. 1745. Ebenda, Bl. A2r f.
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Diese Schweizer Literaturstrategen verstehen sich auf die Kunst der Nebentöne. Ihr Kontrahent in Leipzig nimmt sich da nicht eben rühmlich aus, ohne daß ein gehässiges Wort fiele. Es war wieder einmal mehr avisiert worden als tatsächlich bewerkstelligt werden konnte. So war es Simon Dach ergangen und so hatte es nun auch Opitz getroffen. Einer wußte darum wie niemand anders sonst. Eben Johann Kaspar Arletius in Breslau. Er hatte die größte Dach- und die größte Opitz-Sammlung zusammengebracht und scheute sich doch, mit einer Edition hervorzutreten. Großmütig erteilte er Auskünfte und rückte mit erbetenen Stücken heraus. In Königsberg zehrte man von ihnen ebenso wie in Leipzig. Um so bitterer, daß es nicht voranging. Der Opitz-Verehrer in Hirschberg wußte darum, und verärgert ließ er die von Hoffnung beflügelten Zeilen seines Breslauer Wahlverwandten fort. Das war ein Akt, den die Zürcher genüßlich aufspießten. Nur in einem sollten sie sich bitter täuschen. Der Trillersche Opitz trat tatsächlich in Leipzig aus der Präexistenz in die Existenz und begrub das Vorhaben der Zürcher unter sich.66
Unter Kennern und ›Liebhabern der Alterthümer‹ Die Schweizer haben sich keinen Vorwurf zu machen. Sie haben sich rege an der Hervorkehrung der Opitzschen Meriten beteiligt und seit langem auf eine neue Ausgabe seiner Schriften gesonnen. Es sollte keine antiquarische Angelegenheit bleiben. Für das ›Aufnehmen des wahren Geschmackes‹ war bei Opitz immer noch viel zu lernen. Darin trafen sich die Schweizer mit den Leipzigern. Es dünckte uns, daß man dem Geschmacke nicht besser aufhelfen könnte, als wenn man die Opizische Poesie, in welcher der Geschmack der Griechen und Römer herrschet, dem Alter und der Jugend mehr bekannt machete, und sie in dem Licht zeigete, welches ihr größtentheils eigen ist.67
Nicht die Fundierung auf die Literaturen der Renaissance zählt für die Schweizer als vornehmster Ausweis des poetischen Wertes, sondern die Schulung bei Griechen und Römern. Je tiefer verankert in der Antike, um so sicherer die Gewähr des Gelingens. Dieser ›urgeschichtliche‹ graecophile Umschwung kündigt sich bei ihnen bereits an und Opitz profitiert davon. Er aber ist zwischenzeitlich in Vergessen geraten bzw. mit Poeten zusammengebracht worden, mit denen er nichts gemein hat. So unversöhnlich wie die Leipziger quittieren die Schweizer die vermeintlichen Irrwege, welche die Poesie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts genommen hat, und das eben vornehmlich in Schlesien. Opitz verbindet mit den späteren Schlesiern nicht mehr als das ›allgemeine Vaterland‹, und das reicht entschieden nicht hin, um Gemeinsamkeit zu begründen. Ein neuer und geschärfter Blick für die poetische Faktur hat sich entwickelt, ein Stilwille vermag diagnostiziert zu werden, und da tun sich für die Schweizer Welten zwischen Opitz ––––––––– 66
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Zum Voranstehenden vgl. Klaus Garber: Martin Opitz, Paul Fleming, Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013 (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 4). Hier die Kapitel über Arletius S. 374 ff. und S. 576 ff. Vgl. auch ders.: Das alte Breslau (Anm. 49), S. 366 ff., S. 550 f. Opitz: Gedichte 1745 (Anm. 64), Bl. A3r.
Auf der ›Spur der Schönheiten‹
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sowie seinen Freunden auf der einen und den späteren Schlesiern auf der anderen Seite auf, denen für eine Weile der alleinige Ruhm gehört. Opitz hat es selbst erfahren; als der, nachdem er in seinem Leben und etwann dreissig Jahre nach seinem Tode der Ruhm und die Lust der Deutschen gewesen war, nachgehends von sehr ausschweifenden Dichtern genöthiget worden, sich in die Bibliothecken seltner Kenner, oder Liebhaber der Alterthümer zu verstecken.68
Auf der ›Spur der Schönheiten‹ Genug des Nichtswürdigen ist in den vergangenen Jahrzehnten über Opitz in die Welt hinausgetragen worden. Die Zürcher halten sprechende Belege bereit. Was da jedoch kritisch zur Verlautbarung gelangt, wäre durchaus auch geeignet gewesen, den Größten der Literatur mit Homer an der Spitze zum Schaden zu gereichen. Nun, ein Homer hatte gerade in jüngster Zeit kundige Kunstrichter an seiner Seite. Auch aber die Ehrenrettung eines Opitz ist inzwischen überfällig. Und hier nun scheiden sich die Wege. Denn was die Zürcher nunmehr argumentativ ins Spiel bringen, ist weit entfernt von dem, was ein Gottsched soeben in Leipzig verkündet hatte. Ein gewandeltes Verständnis der Poesie und ihres Schöpfers geleitet zu einem Bild von Opitz, das die Basis bildet für die editorische Bemühung um sein Werk und allenthalben in ihr zu spüren ist. Von Opitz verwendete ›Kunstmittel‹ sollen ergründet und hinsichtlich ihrer Anwendung überprüft werden.69 Diese Operation ist um so notwendiger, als die bis dato betretenen Irrwege über eine fälschliche, weil ›ausschweifende‹ Handhabung des artifiziellen Handwerkszeugs inauguriert worden waren. Die Historiker und Theoretiker, die sich dem Zentrum der dichterischen Rede über die Ikonologie genähert hatten, waren überzeugt, daß nur die Inspektion der poetischen Machart selbst weiterführt. Und das nicht zuletzt über eine Erkundung der Intentionen des Schöpfers. Kunstkritik und Vertrautheit mit den jeweiligen Spezifika der schöpferischen Einbildungskraft gehören zusammen. Beides wird dementsprechend dem Bilde Opitzens wie der Erkenntnis seines Werkes zugute kommen. Wie »die Worte mit den Bildern, die Bilder mit den Sachen, die Sachen mit der Absicht, die Absicht mit der Vernunft« zusammenhängen, das zu ergründen bleibt – ungeachtet aller Einwände, um die die Schweizer wissen – die Aufgabe der professionellen ›Kunstrichter‹.70 Ein gewaltiges Pensum ist zu absolvieren. Intertextuelle Arbeit alleine zählt nicht. Sie kommt nur in Betracht, wenn sie zur Erkenntnis verhilft, was Besonderes der Dichter aus seiner Vorgabe gemacht hat; der Nachweis um des Nachweises willen bleibt außen vor. Und Nämliches gilt für das antike wie das kurrente Wissen. Immer gilt es zu erkunden, wie der Dichter und also auch ein Opitz »diese Sachen zum Dienste seiner Poesie zu brauchen gewußt habe.«71 So dezidiert wie nie zuvor gelangt bei ––––––––– 68 69 70 71
Ebenda. Ebenda, Bl. A4r. Ebenda. Ebenda, Bl. A4v.
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diesem Geschäft die Person des Dichters zum Zuge. Doch das weniger im Blick auf die psychische Genese – wie alsbald in der empfindsamen Ästhetik –, als vielmehr in Kenntnisnahme der Umstände von Ort und Zeit, denen eine Dichtung ihr spezifisches Kolorit verdankt. Das forscherlich Erkundete steht hier allerdings nicht im Dienste einer Biographie, sondern tatsächlich der Edition. Ist dieses Geschäft absolviert, so die überzeugten Rechercheure, sollte eine gediegene Biographie möglich sein. Schon jetzt aber »wird der Leser das Vergnügen haben, mit einem Blicke zu sehen, was der Poet in der Zeit, da er schrieb, vor Augen gehabt, und was vor Schriften er bey einem solchen Anlasse verfertiget hat.«72 Mehr war von einer Edition der Schriften Opitzens schlechterdings nicht zu erwarten.
Der ›lautere Opitz‹: Anlage des Werkes Zugrundegelegt werden wo immer möglich die von Opitz selbst letztmalig autorisierten Texte. Doch weitere Auflagen werden herangezogen, nicht zuletzt, um den Wachstumsprozeß des Werkes zu verfolgen und zu dokumentieren. Für dieses Unterfangen haben die beiden Editoren in Zürich alle einschlägigen Texte zusammengebracht. Die Ausgabe wird also wohlfundamentiert sein. Selbst die seltene Ausgabe der Gedichte von 1624, die ein Lindner vergeblich gesucht hatte, ist ihnen zuhanden. Und anders werden sie es machen als ein Gottsched. In dem Lobgedichte auf den Hertzog Ulrichen von Holstein haben wir auch die Lesarten der Gottschedischen Ausgabe bemercket, welche Hr G. gleichermassen aus seinem Kopfe gemacht hat; die Freyheit, die er damit genommen hat, ist so unglücklich gewesen, daß wir glauben müssen, ein guter Geist, der es mit Opitzen wohl gemeint hat, habe ihn von seinem Vorhaben, die sämmtlichen Schriften dieses Poeten herauszugeben, abwendig gemachet. Wir hätten nicht den lautern Opitz, sondern Opitz mit Gottscheden vermischet bekommen. Was uns betrifft, wußten wir unsere Pflicht, den Opitz aufrichtig, rein, und vollständig zu liefern.73
Plan und Umfang der Ausgabe sollten sich offensichtlich erst im weiteren Fortgang des Unternehmens genauer konkretisieren. Dem ersten Band war auch die Rolle eines Musters zugedacht. Die Herausgeber behielten sich das Recht vor, das Opitzsche Werkkorpus neu zu strukturieren. Die Scheidung in geistliche und weltliche Dichtungen entfiel. Zumindest für den ersten Band wurde eine Zusammenführung von Texten gleichermaßen nach sachlichen wie formalen Kriterien vorgenommen. »Lobgedichte unsers Poeten in der Ordnung [sollten] geliefert werden, wie vor Augen liegt.«74 Dazu gehörte, wie gleich eingangs betont, daß das ›Annolied‹ mit aufgenommen wurde. Diesem galt naturgemäß ein besonderes Interesse der Schweizer. Speziell im Falle Opitzens gewahren sie erstmals den Einschlag älterer Sprachbestände, und das natürlich zu ihrer Freude. Einen Vorklang Herders mochte man aus ihren Worten heraushören. ––––––––– 72 73 74
Ebenda, Bl. A5v. Ebenda, Bl. A6r f. Ebenda, Bl. A6v.
Der ›lautere Opitz‹: Anlage des Werkes
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Man wird auch würcklich viel kräftige Wörter und Arten zu reden in Opitzens Schriften antreffen, die er aus der alten Sprache gleichsam durch die Hinterthüre zurückgeführet hat. Dieser Weg das Deutsche mit Reichthum und Stärcke zu vermehren, soferne das mit Opitzens Geschicklichkeit und Bescheidenheit vorgenommen wird, schien uns so übel versäumt, und doch so brauchbar zu seyn, daß wir ihm mit Opitzens Ansehen gerne Credit verschaffen wollten. Denn Opitz stuhnd nicht in den schädlichen Gedancken, daß er keine Wörter, und keine Redensarten brauchen dürfte, so deutsch sie an Herkunft, so mahlerisch, so begründet sie wären, woferne sie aber nicht von Vornehmen und Schlechten, von Alten und Jungen in einer besondern Provintz Deutschlandes verstanden und geredet würden.75
Kenner waren da in jeder Hinsicht tätig, die Opitzens Werk ihren produktiven Interessen zuzuführen wußten. Mit seiner ›Poeterey‹ und seinem ›Aristarchus‹ heben sie an, weil man darinnen die ersten und frühesten Gedancken antrift, die Opitz von dem deutschen Verse geheget, vornehmlich was die Mechanick desselben anbelangt, welche er nachgehends aus der Erfahrung beständig verbessert und zu einer weit grössern Richtigkeit gebracht hat. Diejenigen, die nach ihm deutsche Prosodien geschrieben, haben dem Verse keine grössern Schönheiten mitgetheilt, und die wesentlichen Eigenschaften der Poesie, und ihrer verschiedenen Arten, hat man bis nahe zu gegenwärtigen Zeiten gäntzlich versäumt, oder ziemlich unglücklich unternommen.76
Die Schweizer standen als Poetologen an einem Neuanfang. Das verband sie auf ganz andere Weise mit Opitz. Ein Sprung über ein Jahrhundert hinweg erfolgte, und unversehens erwies Opitz sich auch für die soeben sich herausformende neue Theorie der Dichtkunst als ein hilfreicher Gewährsmann, und das gleichermaßen als Sachwalter der deutschen Sprache wie als Verfasser von Programmschriften. Daß sie erstmals nun gemeinsam an den Anfang rückten, und das zusammen mit der Widmung an Fürst Ludwig, verschaffte ihnen zusätzliche Resonanz. Genau diese Trias blieb Richt- und Fixpunkt für das Verständnis des Opitzschen Reform-Projekts. In dem ersten Band haben neben den beiden Eröffnungstexten insgesamt dreizehn ›Lobgedichte‹ ihren Platz gefunden, darunter die ›Schäfferey Von der Nimfen Hercinie‹. In der Mehrzahl kommen naturgemäß geistliche Schriften zum Abdruck. Einem jeden Text ist eine Einleitung vorangestellt, und eine jede von ihnen verlohnte eine eigene Betrachtung. Auch mit dieser Praxis wurde Neuland in der Opitz-Philologie betreten. Und so nicht anders hinsichtlich der Kommentare, die gleichermaßen editorische Entscheidungen wie auch sachliche Erläuterungen betreffen, beide säuberlich getrennt, sofern angängig, nach ›Lesarten‹ und ›Anmerkungen‹. Diese letzteren bilden bis heute eine kaum jemals auszuschöpfende Quelle. Nie wieder ist der deutschsprachige Opitz so aufwendig kommentiert worden. Ein Opitz in neuem Gewand trat hervor. Und wie viel durfte darüber hinaus noch erhofft werden. Ein zweiter Teil sollte folgen. In ihm sollten die Lehrgedichte präsentiert werden. Noch unklar war, ob genug Platz vorhanden bleiben würde, um auch die ›Dramatischen Gedichte‹ mit aufzunehmen. Sollte dies nicht gelingen, so würden sie zusammen mit den ›Wäldern‹ einen dritten Band füllen.
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Ebenda, Bl. A6v f. Ebenda, Bl. A7r.
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Die Ordnung, in welcher diese würcklich stehen, indem jeder Wald Gedichte von einem gewissen eigenen Affecte in sich hat, werden wir ohne Noth nicht auflösen. Nur werden wir sie mit einem neuen Walde vermehren, in welchen wir die Epigrammata werfen werden.77
Nun, da standen sie auch bei Opitz, wenngleich nicht mehr den ›Silvae‹ subsumiert. Das aber galt auch für die Liebesgedichte, die Sonette und die Lieder. Hier blieb in der Ankündigung eine Position offen. In jedem Fall aber wären in einem weiteren und nunmehr vierten Band die ›Biblischen Gedichte‹ noch veröffentlicht werden. Derer gab es viele, wie den Herausgebern bekannt, indes wußten sie sich hier von übermäßiger kommentatorischer Arbeit befreit, handelte es sich doch vielfach um Übersetzungen. So weit das Programm. Mit dieser Annonce hervorzutreten hatten sie – im Gegensatz zu manch einem Vorgänger – alle Berechtigung, war in der Tat doch ein schlechterdings imponierender Anfang gemacht. Indes, es sollte anders kommen. Ein Jahr später lagen tatsächlich vier dicke Bänden mit Gedichten Opitzens vor. Die aber rührten nicht mehr her von den Schweizern. Ein anderer hatte seine Ankündigung wahr gemacht, Und weil er sehr viel weniger anspruchsvoll vorging als die beiden Kenner aus Zürich, kam er rasch ans Ziel. Der Preis war ein unmäßiger. Bodmer und Breitinger zogen sich von dem Projekt zurück. Die Opitz-Philologie wird diesen herben Verlust niemals völlig verwinden.
Rückkehr nach Leipzig Mit Triller betrat ein poetisch aspirierter, editorisch jedoch autodidaktisch operierender Mediziner, Lyriker, Fabeldichter und Übersetzer die Opitz-Bühne. Er war im mitteldeutschen Raum zu Hause, hatte nach dem Besuch des Gymnasiums in Zeitz das Studium der Schönen Wissenschaften in Leipzig aufgenommen, daselbst noch Mencke, das Haupt des Polyhistorismus, kennengelernt und war dann herübergeschwenkt zur Medizin. Zunächst als Landarzt und sodann als Hofmedikus verdingte er sich. An der Seite der seiner Heilkunst Anempfohlenen gelangte er in den Genuß von Reisen, die ihn u.a. in die Schweiz, nach Frankreich und in die Niederlande führten und auf denen er zahlreiche Kontakte knüpfen konnte, die ihm bei seiner ausgebreiteten Schriftstellerei zugute kamen.78 Triller hatte das Pech, voll hineinzugeraten in die spätestens seit Beginn der vierziger Jahre einsetzende Fehde zwischen Gottsched und den Schweizern. Tatsächlich ließ auch er sich hinreißen zu einem polemischen ›Heldengedicht‹ gegen die Schweizer, dem er den sinnigen Titel ›Der Wurmsaamen‹ verpaßte. Damit war er definitiv als Gottschedianer abgestempelt und hatte selbstverständlich die Schweizer als Feinde gegen sich. Nicht zuletzt als Opitz-Editor sollte er deren vor Witz und Ironie nur so sprühende Quittung für sein Opitz-Engagement zu spüren bekommen. Die Abfuhr blieb entschieden lebendiger als das Objekt, dem sie galt. Ein Jahr nach dem Mam––––––––– 77 78
Ebenda, Bl. A7v. Vgl. den Eintrag von Felix Leibrock in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. XI (2011), S. 598 f. Hier weitere Literatur.
Unter der Obhut des Kaisers
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mutwerk erschienen, verurteilte sie dieses sogleich zur Bedeutungslosigkeit – ein singulärer Fall in der Opitz-Philologie.
Unter der Obhut des Kaisers Kaiser Franz I. ist das aufwendige Werk gewidmet. Doch nicht Triller tat diesen Schritt, sondern der Frankfurter Verleger Franz Varrentrapp. Auch das war eine Novität in der Geschichte der Opitz gewidmeten Editionen. Ein immer wieder funktionierender Brückenschlag zwischen der Krönungsstadt am Main und der kaiserlichen Residenz in Wien wurde da aktiviert, und der Widmende scheute sich nicht, ihn über den Vers zu bewerkstelligen. Ein Anknüpfungspunkt war rasch gefunden. Nun in der Mitte des 18. Jahrhunderts durfte der schlesische Aspekt zurück- und der imperiale hervortreten. Sein gnädiges Auge hatte ein Kaiser schon ein Jahrhundert früher auf den Dichter gerichtet. Diese Tradition galt es zu bewahren, und das in der preußischen Ära mit vermehrtem Nachdruck. GRoßmächtigster Monarch, ein würdiger Poet, Dem Fürsten, Könige, nebst Helden günstig waren, Den Kayser Ferdinand, vor mehr als hundert Jahren, Aus sonderbarer Huld, in Adelstand erhöht; Der leget sich durch mich, allhier zu Deinen Füssen, Und will den letzten Saum von Deinem Purpur küssen.79
Eine durch und durch andere Sprache verlautet. Der immer anvisierte ›vaterländische‹ Auftrag schien sich da nach dem Willen des Verlegers dank kaiserlicher Güte zu erfüllen. Auch die Geschichte der Opitz-Rezeption gehört für einen Moment hinein in die Geschichte der nach Wien gerichteten Adressen von seiten der deutschen Intelligenz. Der eine ungeteilte Kulturraum war für einige Dezennien der von so vielen Hoffnungen umspielte Wunschtraum, dem Erfüllung freilich versagt bleiben sollte. Auch ein Opitz bot sich als Identifikations-Figur an, und das durchaus mit guten Gründen. Der Verleger wußte darum. Lebt’ unser Opiz noch; was würd’ er nicht von Euch, Von Euch, Durchläuchtigste und Euren Thaten singen! Wie feurig würden ihm die Reime nicht gelingen! Wie wär er nicht an Witz und an Erfindung reich: Wer auch kein Dichter nicht, muß hier poetisch schreiben, Dieweil Jhr Thaten thut, die künfftig schwer zu gläuben.80
Nicht irgendein Dichter wird da dem kaiserlichen Schutz und Schirm überantwortet. Wie kein anderer Poet wird Opitz von ›gantz Teutschland‹ geschätzt und geliebt. Seine Dichtung ist das eine, hier nur eben in ihrer panegyrischen Meisterschaft angesprochen. Der ›vaterländische‹ Opitz steigt, wie schon bei Gottsched, im 18. Jahrhundert auf, und der Kaiser ist die einzige Instanz, die diesem spezifischen patriotischen Be––––––––– 79 80
Teil I, Blatt π2r in der unten Anmerkung 85 zitierten Edition. Ebenda, Bl. π3v.
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gehren, wie es sich im 18. Jahrhundert formiert, symbolische Evidenz zu verleihen imstande ist. Das ›Teutsche Reich‹ und Opitz gehen nach dem Willen des Frankfurter Verlegers jene Symbiose ein, die als Unterpfand unverbrüchlicher Zusammengehörigkeit gelten darf. So lange, wie das Haus Habsburg blüht, möge auch diese sich bewähren. Wie rasch aber sollten Wünsche und Hoffnungen dieser Art dahinwelken.
Aus der Praeexistenz in die Existenz Nicht weniger als ein Dutzend dicht gefüllte Blätter hat sich der Herausgeber gewährt, um Zeitgenossen und Nachwelt mit seinem Vorhaben bekannt zu machen. Ungenannt sind die Schweizer insgeheim allgegenwärtig. Daß sie sich aufgerufen fühlten, zu replizieren, lag auf der Hand. Weit entfernt ist der Herausgeber von der schlechten Gewohnheit, durch den Namen eines großen Dichters den eigenen aufzumöbeln. Dem Wunsche des Verlegers war zu entsprechen, der eine neue Opitz-Ausgabe wünschte. Obwohl von übermäßigen Geschäften beansprucht, hat der Sprecher sich zur Übernahme der Aufgabe verstanden. Vielerlei hat er in seiner ›Vorrede‹ mitzuteilen. Hier sei das Einschlägige knapp akzentuiert. Nur die deutschsprachigen Werke werden präsentiert, nicht auch die lateinischen. Eine breitere Leserschar soll damit angesprochen werden; das alleine ist der Grund. Und dann ist man schon bei den Schweizern. Sie hatten das ›Annolied‹ einer Neuausgabe gewürdigt. Bei Triller fehlt es. Er hat für dessen Inhalt nur Verachtung übrig. Der altdeutsche Sprachstand und die Tatsache, daß Opitz es mit Annotationen versehen habe, reichten nicht aus für eine Wiederauflage. Der zweite kritische Hieb betrifft die Hanmannsche ›Poeterey‹-Edition. Von Ausnahmen abgesehen herrschen »in dem gantzen Buche nichts als lächerliche Kleinigkeiten und ungesunde Urtheile«.81 Eine Reihe deutschsprachiger Gedichte, die in den älteren Ausgaben schon standen und später wegfielen, sind der nun vorliegenden ebenso zugeführt worden wie einige bislang nicht beachtete einzelne Texte. Der Herausgeber bekennt sich zu der Anordnung, welche in der Ausgabe letzter Hand und in den nachfolgenden von 1646 und 1689/1690 gewählt wurde. Gerne hätte er neue und eigene Wege beschritten, doch das ließen Zeit und Umstände nicht zu. Welche Richtung er gerne eingeschlagen hätte, bleibt im Dunkeln. Die Begierde des Lesers nach Abwechslung wäre die Richtschnur gewesen. Die Opitzschen Gedichte sollen den Lesern »so viel möglich, genau, treulich, rein, sauber, verständlich und von allen Druck= und Schreibe=Fehlern gereiniget« übergeben werden.82 Ein edler Vorsatz. Was dann folgt, spricht ihm Hohn. Daß Ausgaben kollationiert werden und die vermeintlich beste Lesart zum Zuge kommt, mag noch hingehen. Fleißig hat der Herausgeber die Opitzschen Texte gesammelt, manches aber erreichte ihn erst, nachdem der Druck schon begonnen hatte. Auch Triller liefert Annotationen über das von Opitz Dargebotene hinaus; Kürze zu beobachten, war dabei sein Bestreben, so sein kleiner Seitenhieb gegen seine Kontrahenten. ––––––––– 81 82
Ebenda, Bl. π1 3r. Ebenda, Bl. π1 5r.
Aus der Praeexistenz in die Existenz
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Unbedenklich eingegriffen wurde in die Orthographie. Und damit nicht genug. Triller hat die Ungeheuerlichkeit begangen, Textstellen, die ihm mißfielen, nach eigenem Gutdünken zu verbessern, weil unser Opiz, wie groß er auch sonst gewesen, doch nach Beschaffenheit der Zeit, des Triebes und andrer Umstände, nicht allezeit gleich gut und rein geschrieben, welches sonderlich in seiner Jugend geschehen; sintemal er offt die Wortfügung und Construction allzusehr verwirfft, das Sylbenmaß bisweilen überschreitet, und sich dann und wann allzuharter Reime bedienet.83
Was die Schweizer Gottsched im Blick auf einen einzelnen Text angekreidet hatten, wiederholte sich nun in großem Stil. Hier warf sich ein Editor im gleichen Atemzug zum Kritiker Opitzens auf. Damit war sein Unternehmen von vornherein zum Scheitern verurteilt, und die Versicherung, alle Eingriffe dokumentiert zu haben, änderte daran nichts. Vielerlei Unbilden hat der Herausgeber zu erwähnen, die über dem Abschluß des Werkes sich auftaten. Immerhin, dieser ist erreicht. Die Gegenseite in Gestalt der ›hoch unteutschen Sprachhelden‹ hat sich verkalkuliert. Schon vor einem Jahr war die Ausgabe angekündigt. Dieses mag nun etliche hoch unteutsche Sprachhelden, wie ich vernehme, veranlasset haben, ziemlich vermuthlich zu schlüssen, daß diese unsere neue Opizische Ausgabe in einer unwesentlichen Präexistenz verbleiben würde. Alleine große Leute fehlen leicht, und kleine noch leichter; zumahl in solchen Dingen, die man aus einer nicht ungerechten Furcht einer nachtheiligen Vergleichung, nicht gerne wünschet, daß sie wahr werden möchten. Jndessen ist nun doch die Sache nicht zu ändern, und das Opizische Werck ist aus seiner so genannten Präexistenz zur wahren Existenz wieder ihren guten Wunsch und Danck, geworden, daß ich mich ihres schönen teutschlateinischen Ausdrucks, mit deren gnädiger Erlaubniß, bedienen möge.84
Ein ›Lobgedichte, auf den unsterblichen Poeten, Martin Opiz von Boberfeld‹ hat er seiner Edition vorangestellt. Dreißig Strophen mit zehn Zeilen in vierhebigen Trochäen kommen da zum Vortrag. Wir belassen es bei ihrer Erwähnung. Vier Bände bietet Triller sodann, darinnen zwei ›Theile‹ mit weltlichen und zwei weitere mit geistlichen Gedichten.85 Da er im wesentlichen der Fellgiebelschen Edition folgt, erübrigt sich eine nochmalige Aufzählung. Ein gravierendes Mißverständnis ist im zweiten Teil hinzugekommen. Das vierte Buch der ›Wälder‹ wird nunmehr mit dem Untertitel ›Liebes=Gedichte der Ersten Jugend‹ versehen. Wenn dann die ›Oden oder Gesänge, die Sonnete und die Epigramme‹ unter dieser Rubrik firmieren, ist das natürlich absurd. Fast will es scheinen, daß sich der schon 1625 von Opitz beklagte Fehler der Zählung bis zum Ende der editorischen Praxis so oder so immer wieder bemerkbar macht. ––––––––– 83 84 85
Ebenda, Bl. π1 8r f. Ebenda, Bl. π2 2v. Martin Opizen von Boberfeld Teutsche Gedichte, in vier Bände abgetheilet, Von neuem sorgfältig übersehen, allenthalben fleißig ausgebessert, mit nöthigen Anmerckungen erläutert, von Daniel Wilhelm Triller, Phil. & Med. D. Hochfürstlich Sachsen=Weissenfelsischen Hof=Rathe, Ersten Leib=Medico, und Phys. ac Med. Prof. Und mit Kupfern gezieret durch Martin Tyroff. Erster [und] Zweyter Band, enthaltend Weltliche Gedichte. Dritter [und] Vierter Band, enthaltend Geistliche Gedichte. Mit Königlich=Polnisch= und Chur=Sächsischer Freyheit. Franckfurt am Mayn, Bey Franz Varrentrapp. MDCCXXXXVI.
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Das Trostgedichte aber habe deswegen insonderheit, mit reichen Anmerckungen versehen, weil dieses unstreitig das vollkommenste, reineste und gelehrteste Gedichte ist, das jemals Opiz geschrieben; wie ich daselbst gleich im Eingang, angemercket. Doch ausser diesen meinen allgemeinen Anmerckungen, welche auf die übersetzten oder nachgeahmten Stellen der Alten vornehmlich gehen; welches, wie gedacht, die meisten sind; haben auch etliche insbesondere auf die Verbesserung des Textes ihre Absicht [...].86
Wie mag diese sich ausnehmen? Es ist das erste Mal, daß ein Herausgeber sich zu Derartigem erkühnt. Im dritten Teil unter den ›Geistlichen Gedichten‹ ist das TrostGedichte abgedruckt. Jn diesem Buch wird geredt von der Unschuld und gutem Gewissen: Welch eine feste Mauer und Zuflucht es sey, ihm wohl bewust seyn, und um Gottes, der Religion, und der Freyheit willen, Gewalt leiden. Darneben wird auch angezeigt: Was unverzagte Ritterliche Helden, welche gute Sache mit grossem Muth und Beständigkeit schützen, für unsterbliches Lob und Ruhm bey den Nachkommen, zugewarten haben. Ob wohl der Tugend Trost, von dem wir jetzt gehöret, Ein Männliches Gemüth auf alle Fälle lehret Behertzt und freudig seyn, in dieser letzten Zeit, Da nichts, als Elend ist, als Krieg und schwerer Streit, Doch ist diß nicht genug: Wir werden zeigen müssen, Wie eine gute Sach und heiliges Gewissen, Das Leid und Kümmerniß des Hertzens wenden kan, Was Ubel und Gewalt uns auch wird angethan.87
So der berühmte Eingang nebst der voranstehenden Inhaltsangabe, die Triller aus der Erstauflage entnehmen konnte. Ein Kommentar erübrigt sich. Es handelt sich um eine freie Nachdichtung, einzig darauf bedacht, eine leicht verständliche Adaptation in die Welt hinausgehen zu lassen. Als in irgend einer Hinsicht ergiebige Quelle für die Erkenntnis des Opitzschen Werkes kann die Trillersche Edition nicht gelten, wohl aber als Beleg dafür, was mit den Opitzschen Texten bis hin zu seinem größten für Schaden angerichtet wird, wenn denn ein eitler Eiferer glaubt, sich seine Sporen mit einem großen Namen verdienen zu können.
Der gemißhandelte Opitz Die Replik ließ nicht auf sich warten; nicht ausgeschlossen, daß der so wohlgemute Herausgeber sich womöglich nach ihrem Empfang gewünscht hätte, daß es bei der Präexistenz geblieben wäre. Breitinger machte sich ans Werk.88 Genüßlich wurde das Schlachtopfer zubereitet. Der ganze Gottsched-Keis mußte mit vors Messer. Und das nicht über die Theorie, sondern die anschauliche Praxis. Es reichte, die Opitz-Elogen sich vorzunehmen, um den obwaltenden poetischen Geist einzufangen. Das Fazit ist niederschmetternd. Die Kritik trifft die schlesischen Poeten um Lindner genauso wie ––––––––– 86 87 88
Ebenda, Teil I, Bl. π1 8r. Ebenda, Teil III, S. 353. [Johann Jacob Breitinger:] Der Gemißhandelte Opiz in der Trillerischen Ausfertigung seiner Gedichte. MDCCXLVII.
Der gemißhandelte Opitz
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die sächsischen um Gottsched, die sich da zum Lobredner Opitzens aufgeworfen haben. Wir müssen auch das auf sich beruhen lassen. Erst nach zwanzig Seiten – mit Einsatz des ›zweyten Abschnite‹ – kommt Breitinger zur Trillerschen Edition. Entgegen seiner Versicherung, so läßt der Kritiker verlauten, habe der Herausgeber nur die Fellgiebelsche Ausgabe benutzt und deren Fehler dabei gleich mit übernommen. Solche Einlassungen wollen am Detail aufgezeigt werden. An Hand der ›Schäfferey von der Nimfen Hercinie‹ demonstriert der gewissenhafte Schweizer, wie er im folgenden vorzugehen gedenkt, nämlich eine jede Einzelheit, und sei sie noch so unscheinbar, aufspießend. Das ironisch gewürzte erste Fazit, unter Nutzung großsprecherischer Formulierungen Trillers, die wir zitierten: »Also lifert der Hr. Doctor die fellgiebelsche Ausfertigung von 1690. mit ihren Fehlern, und diese giebt er für Opitzens, wenigstens, für die besten, sichersten, vernünftigsten, und wahrscheinlichsten Arten zu lesen.«89 Wären es aber doch nur die Fellgiebelschen. Die Trillerschen Fehler treten hinzu. Ein Durchgang durch prominente Opitzsche Texte liefert die entsprechenden Beweise. Das neuerliche Fazit: »Dieses sind indessen nur kleine Proben, welche mir im flüchtigen durchlauffen dieser Stüke in die Augen gefallen sind.«90 Die Orthographie wird einer nämlichen Prüfung in einem eigenen dritten Kapitel unterzogen. Das Resümee lautet: »Wenn etwas den Nahmen eines müssigen Fleisses, und eines fleissigen Müssigganges verdient, so ist es ohne Zweifel der ungeschickte und unglückliche Fleiß, der statt zu verbessern mit ängstlicher Müh und Sorgfalt verschlimmert.«91 Auf Seiten der Verskunst, die der Herausgeber ja im Blick auf Opitz moniert hatte, sieht es nicht anders aus. Seiten füllt der Metakritiker mit Verschlimmbesserungen und läßt es an sarkastischen Zwischenbemerkungen gleichfalls nicht fehlen. Wie konnte man nach dieser Abfertigung sein Haupt noch erheben? Im fünften Abschnitt ist schon im Titel deutlich, wohin die Reise geht: »Von der kleinen, unzeitigen, und übel angebrachten Belesenheit in den Anmerkungen.«92 Hier kommt es zum Schwur, denn nun geht es um die Fundamente. Ohne eine genaue Vorstellung des Schönen kein treffsicheres Urteil. »Man kan dieses unsern Deutschen, die die Poesie bey G... und N... gelernet haben, nicht genug einschärfen.«93 Der Bruch mit Gottsched, mit der Neuberin und ihren Adlaten war vollzogen und machte sich auf allen Ebenen bemerkbar. Natürlich hat es sich Breitinger nicht nehmen lassen, die poetischen Beigaben des Verlegers und des Herausgebers genüßlich auf der Zunge zergehen zu lassen. Um nur bei dem Letzteren zu bleiben: »Es ist in der That, wie er selber sagt, nur ein geringes Licht, das er Opizen zu danken hat, nicht grösser, als das Licht von den Funken die aus Kieselsteinen fahren; aber Opiz hat keine Schuld, daß er kein Feuer von seinem Feuer gefasset hat.«94 ––––––––– 89 90 91 92 93 94
Ebenda, S. 23. Ebenda, S. 29. Ebenda, S. 34. Ebenda, S. 44. Ebenda, S. 45. Ebenda, S. 75.
XX. Sachwalter des Werkes
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›Ob die Absicht ein verwegenes Unternehmen entschuldige‹, ist der letzte Abschnitt überschrieben. Da wird ein Feuerwerk entzündet, an dem die großen Kritiker des Jahrhunderts ihre Freude gehabt haben müssen. Ein Lehrgang in der Kunst der Kritik en détail war absolviert und im Vollzug der kritische Geist selbst noch einmal zum Glühen gebracht worden. Man lese das kleine Märchen, mit dem Breitinger seine kritische Einlassung beschließt. Fast möchte man wähnen, der Märchenerzähler des Trauerspielbuchs habe auch die Schweizer Meister bei der Abfertigung seiner Kritiker vor Augen gehabt. Ihr in die orientalische Welt führendes Rätsel um das mirakulöse Kamel spricht für sich selbst und zugleich für das Niveau, auf dem hier agiert wird. Aus der Geschichte der Kritik auf deutschem Boden ist die Stimme der Schweizer nicht wegzudenken. Ihre Rettung Opitzens und ihre Vernichtung eines Adepten, der sich an seinem Genie versündigt hatte, gehören allemal hinzu.
Auf dem Weg zur Klassik Der Beschluß sei ein versöhnlicher. Ein letztes Mal ist einer aller Ehren werten Tat zu gedenken, wie sie sich mit Leben und Werk Opitzens verbindet. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts regte sich neuerlich das Begehren, die Dichter aus der altdeutschen Vergangenheit in zuverlässigen Ausgaben mit ausgewählten Texten prominenter Autoren zur Verfügung gestellt zu erhalten. Es sollte bei einbändigen Werken bleiben, die in einer Folge zur Publikation gelangen würden. Und da will es schon etwas heißen, daß ein Sachwalter dieser Idee tatsächlich mit dem 17. Jahrhundert einsetzte und Opitz noch einmal an die Spitze rückte. Das schöne Vorhaben bleibt mit dem Namen von Justus Friedrich Wilhelm Zachariae verbunden.95 Unter den Obertitel ›Auserlesene Stücke der besten deutschen Dichter‹ stellte er sein Unternehmen und gleich der erste Band konkretisierte, was er vorhatte: Auserlesene Stücke der besten deutschen Dichter von Martin Opitz bis auf gegenwärtige Zeiten Mit historischen Nachrichten und kritischen Anmerkungen versehen von Friedrich Wilhelm Zachariä Erster Band[.]96 Das war ungewöhnlich genug. Nicht mit der stadtbürgerlichen Dichtung des 15. und 16. Jahrhunderts wurde der Einsatz genommen, sondern noch einmal mit Opitz. Herder war bereits publizistisch tätig und wirkte für die ›altdeutsche‹ Dichtung. Was mochte Zachariae bewogen haben, dieses Entrée zu wählen? Schon die Widmungsadresse liefert einen ersten Hinweis. Geheimrat von Schliestedt, dem Zachariae sein Werk zueignet, ist ein Kenner vorzugsweise der Alten, kann »einen Homer und Vergil in ihrer eignen harmoniereichen Sprache lesen und bewundern«.97 Zugleich aber ist er auch
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96 97
Vgl. zu Zachariae den Eintrag von Andrea Ehler in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl. XII (2011), S. 606–608. Es gibt freilich zu denken, daß das editorische Unternehmen Zachariaes keinerlei Erwähnung findet. Das Impressum: Braunschweig 1766. Jm Verlage der Fürstl. Waisenhaus Buchhandlung. Ebenda, Bl. π5v.
Auf dem Weg zur Klassik
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ein vorzüglicher Freund von unserm alten Opitz, dem Vater und Stifter der deutschen Poesie, welcher seinem genauen Umgange mit den Dichtern Griechenlandes und Roms einen großen Theil seines männlichen und starken Ausdruckes zu danken hat.98
Noch einmal behauptet Opitz die Stellung einer Gründerfigur. Das ist eine Erbschaft der Aufklärung, welcher die Unternehmung Zachariaes sich damit als zugehörig bekundet. Die Deutschen bewegen sich hin auf den dichterischen Zenit. Eben dies geschieht auf den Fundamenten der Antike, und Opitz steht für deren Überführung in das deutsche Idiom an erster Stelle ein. Eine Entwicklung hin zu einem Gipfel will dokumentiert sein, und das zum Zeichen, daß Deutschland sich inzwischen ebenbürtig neben den Nachbarnationen behauptet, die Kritik zumal aus Frankreich folglich gegenstandslos geworden ist. Ein Haller, ein Gellert, ein Klopstock, ein Gessner – sie und andere sind im Nachbarland inzwischen bekannter als an den meisten deutschen Höfen. Der Sprung über die Landesgrenzen ist endlich geschafft. Deutschland kehrt gebend zurück nach Europa. Mit einer solchen Stimme im Ohr wird ein Opitz gewidmetes Buch gerne beschlossen. Sind es aber nur die Höfe, da Unkenntnis waltet? Auch unter anderen Ständen, der Stand der Gelehrten nicht ausgenommen, sieht es kaum besser aus. Dem sucht der Herausgeber mit einer ›Art von poetischer Chrestomathie‹ zu begegnen.99 Zachariae weiß durchaus von den Schätzen, die sich unter der älteren Literatur verbergen und die vor allem die Schweizer wieder zugänglich gemacht haben. Hier geht es jedoch um die Wiederbegegnung mit einer Literatur, die die Leser vor keine sprachlichen Probleme stellt, daher der Beginn mit Opitz. In zwei Perioden teilt sich diese Geschichte der neueren Dichtung, die eine von Opitz bis Günther sich erstreckend, die anderen mit Haller und Hagedorn anhebend und in die Gegenwart führend. Beide sollen editorisch in Auswahl präsentiert werden, mit Lesehilfen in Gestalt von knappen biographischen Porträts und einer Würdigung der jeweiligen poetischen Verdienste; unparteiisch soll es geschehen. Ist das möglich? Nach Opitz und Fleming setzt ›eine ziemliche Armuth‹ ein und erst mit Lohenstein, Neukirch und anderen belebt sich die Szene wieder.100 Da tat sich denn doch eine Schwachstelle auf. Da es aber – leider – bei Opitz und Fleming blieb, wurde sie nicht mehr manifest. »Die neuere Periode die mit Hallern und Hagedornen anfängt, ist unstreitig für die Deutschen die rühmlichste.«101 Auch sie soll mit ausgewählten Porträts vergegenwärtigt werden. So zeichnet sich in der Stunde des Übergangs der deutschen Literatur zum Sturm und Drang und zur Klassik ein einheitlicher entwicklungsgeschichtlicher Aufriß ab, wie er im 19. Jahrhundert dann im Medium der Literaturgeschichte bekräftigt werden sollte. Das Zepter ging über aus der Hand der Editoren in die der Historiker. Ein Scheitelpunkt war erreicht. Ein historiographischer Wechsel trug ihm Rechnung. Er wurde im Eingangs-Kapitel umrissen. Der Kreis hat sich geschlossen. ––––––––– 98 99 100 101
Ebenda, Bl. π6r f. Ebenda, S. XX. Ebenda, S. XXIII. Ebenda, S. XXIV.
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XX. Sachwalter des Werkes
Ein abschließendes Wort Und ein Ende ist erreicht. Ein Bild Opitzens sollte hervorgetreten sein. Keinerlei Anlaß besteht zu einer wie auch immer gearteten Heroisierung. Werk und Leistung profilieren sich allein im europäischen Kontext. Im Italien Dantes, Petrarcas, Boccaccios und wie sie heißen hatte die Erneuerung der lateinischen und alsbald der volkssprachigen Literatur auf der Basis der antiken und zumal der römischen Fundamente eingesetzt. Die drei Namen zu nennen läßt sogleich deutlich werden, daß von Beginn an Autoren mit jeweils eigener Physiognomie hervortraten. Von ihnen konnte es stets nur wenige geben. Ein jedes Land kannte sie. Zugleich aber formte sich eine klassizistische Formensprache auf hohem Niveau heraus, an der eine große Zahl von Autoren ihren Anteil hatte. Und das gleichfalls europaweit. Es ist eines der Verdienste Opitzens, Deutschland an dieser Bewegung seinen ihm gebührenden Anteil gesichert zu haben. Daß er nicht alleine stand, wurde gezeigt. Ihm aber war es gegeben, die zündenden Worte zu finden und sodann für das große Projekt mit seiner Person ein Leben lang vorbehaltlos einzustehen. Und das mit der Folge, daß sich noch zu seinen Lebzeiten die Neubegründung der Poesie in der deutschsprachigen Version, wie sie auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert statthatte, mit seinem Namen verband. Was er erhofft hatte und wofür er bis an die Grenzen des eben noch Zuträglichen gegangen war, erfüllten ihm seine Zeitgenossen. Sie wußten sich unter seinem Namen vereint und auf seinen Bahnen auf dem rechten Weg. Das war mehr als genug. Denn darin wird man das eigentliche literarhistorische Wunder zu erblicken haben: daß alsbald ein Sprießen einsetzte, das keine Grenzen zu kennen schien. Der gesamte alte deutsche Sprachraum wurde von dem produktiven Elan ergriffen; einige Bezirke lebhafter, andere zurückhaltender, manche erst mit erheblicher Verspätung. Daß vor allem im mittel- und ostdeutschen Sprachraum die Zunge sich so rasch löste, bisher weitgehend stumme Landschaften binnen kürzester Frist Anschluß fanden an die Bewegung und zuweilen sich ermutigt fühlten, weiterzuschreiten und unter dem Schirme Opitzens ihre ›undeutschen‹ Verse erfanden, wie es im Livländischen lautete, grenzte ans Phantastische und kam einer literarischen Revolution gleich. Wann wird die Literaturgeschichte geschrieben werden, die uns von diesem Mirakel Kunde gibt? Die Zeitgenossen und ihre Nachfahren erfreuten sich schon vor der Mitte des Jahrhunderts eines dichterischen Reichtums, den wenige Jahrzehnte früher niemand hätte voraussagen können. Unstatthaft wäre es, Opitz diesen fulminanten Reigen unbesehen zuzuschreiben. Vielleicht wären ein Paul Fleming, ein Simon Dach, ein Johann Rist und wie sie wiederum heißen, auch auf anderen Wegen zu den Dichtern herangereift, als die sie die ihnen gebührende Verehrung über die Zeiten hinweg genießen. So wie es aber kam, knüpfte sich ihr Auftreten an jene Pfade, die Opitz aufgetan hatte. Ungezählte gelehrte Geister fühlten sich ermutigt, sich in dem neuen poetischen Idiom, das ein erlernbares blieb, zu versuchen. Eine literarische Formkultur wurde flächendeckend ausgebildet, von der die deutsche Sprache wie die deutsche Dichtung fortan gleichermaßen profitierten. Denn darüber kann am Ende kein Zweifel herrschen. Was im 17. Jahrhundert auf dem Sektor der Poesie errungen wurde, kam dem nachfolgenden Jahrhundert ungeteilt
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zugute. So zu sprechen bedeutet nicht, in unzulässige evolutionistische Redeweisen zurückzufallen. Die auf den Fundamenten des europäischen Humanismus erwachsene Literatur des ›langen 17. Jahrhunderts‹ ist ein literarisches Ereignis sui generis, zu dem eine jede literarische Landschaft ihren je eigenen Beitrag leistete. Da aber nun einmal ein weiter Raum auf hohem Niveau, wie es mit den verbindlichen Regularien automatisch gegeben war, zu sprachmächtiger poetischer Artikulation gelangte, war zugleich sichergestellt, daß ebenso flächendeckend die Anschlüsse im nachfolgenden Jahrhundert sich herstellten und am Ende eine Nation, erfüllt von literarischem Leben mit allen einschlägigen Ingredienzien, sich formiert hatte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden eben dafür die Grundlagen geschaffen. Wiederum ein anderes ist der Blick auf die Gipfel. Mit dem Auftreten Dantes hob die Reihe der Schöpfer von weltliterarischem Rang an, wie sie eine jede Nation seither kannte. Trat Deutschland mit Opitz und den Seinen spät ein in die Ausformung einer nationalsprachigen Dichtung auf den Fundamenten der Antike und der europäischen Renaissance, so erhob es sich zu seinen größten Schöpfungen gleichfalls erst zu später Stunde. Und nun waren die Historiker vom Schlage der Schlegels zur Stelle, den Kosmos der europäischen Spitzenleistungen zwischen Dante und Goethe zu vermessen. Dabei geschah es nur allzu rasch, daß ein Opitz und die Seinen aus dem Blickfeld gerieten oder mit unzutreffenden Bewertungen bedacht wurden. Die Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft belegt zur Genüge, in welchem Maße Fehlurteile dieser Art nachwirkten. Dagegen ist mit der gebotenen Nüchternheit festzuhalten, daß die neuere deutsche Poesie im Gefolge Opitzens keinen Vergleich im europäischen Maßstab zu scheuen braucht. Die Geschichte der europäischen Literatur der Frühen Neuzeit zwischen der Frührenaissance und der Spätaufklärung ist eine einzige und eine jede Phase hat ihren unverzichtbaren Anteil daran. Auch sie bleibt zu schreiben. Opitz aber und den Seinen ist die Rückkehr der Deutschen nach Europa zu danken. So lange wie ein Bewußtsein für die Lauterkeit und Unverzichtbarkeit formaler Kultur und semantischer Polyphonie in den Gefilden der Poesie lebendig bleibt, wird der Blick stets auch zurückgleiten zu dem Werk Martin Opitzens, in dem dichterischer Rang und kulturpolitische Brillanz ein seltenes Bündnis eingegangen waren. Ein deutsches wie ein europäisches Erbe gilt es zu bewahren und lesend, erkundend, deutend stets neu anzueignen.
Anhang Kommentierte Literaturkunde Im folgenden wird versucht, eine Reihe von Bausteinen zu erarbeiten, die für eine nähere Erschließung des Opitzschen Werkes sich als dienlich erweisen könnten. Es handelt sich in der Regel um Stücke, die in dieser Form noch nicht präsentiert wurden. Sie treten neben eine weitere Literaturkunde, die im Anhang zu einer Opitz gewidmeten Studie im Jahr 2013 erschienen ist. Vgl.: Verzeichnis bio-bibliographischer handschriftlicher und gedruckter Hilfsmittel zur schlesischen Personenkunde der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Späthumanismus.- In: Klaus Garber: Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013 (Aus Bibliotheken, Archiven und Museen Mittel- und Osteuropas; 4), S. 97–157. Wie der Vorgänger sollte auch diese Literaturkunde ihren Wert durch die ausführlicheren Annotationen erhalten, die den jeweiligen Titeln beigegeben sind. Sie beruhen in erster Linie auf Studien, die der Verfasser in den vergangenen Jahrzehnten in der Universitätsbibliothek zu Breslau hat durchführen können. Selbstverständlich sind den folgenden Blättern aber auch die Arbeiten in anderen großen Bibliotheken des In- und Auslandes zugute gekommen, ohne daß weitere Hervorhebungen erfolgen sollten. Das gesamte verzeichnete Schrifttum ist in verschiedenen medialen Formen entweder in der Bibliothek oder in den Archiven des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück verfügbar. Für die diesbezüglichen näheren Einzelheiten sei auf das Vorwort zu diesem Buch zurückverwiesen.
I. Quellenkunde Quellenkunde, recht gehandhabt, ist ein morphologisches Geschäft. Über Jahrhunderte formt sich die Physiognomie eines Werkes, sofern herrührend aus der Frühen Neuzeit, heraus. Generationen von Sammlern und Forschern, Bibliothekaren und Liebhabern haben sich an diesem Geschäft beteiligt. Es zieht immer wieder Personen an, die fasziniert sind von der Mitwirkung an dem Wachstumsprozeß eines Werkes. Nur der auf rasche Schritte Bedachte wendet sich allein dem letzten erreichten Stand der Erkundungen zu. Der Kenner in Gestalt des Bibliophilen, Bibliographen und Bibliothekskundlers richtet sein Augenmerk vorzugsweise auf den Gestaltwandel des WerkProfils. Kein namhaftes Glied in der Kette der Überlieferung soll fehlen; ein jeder
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förderliche Beitrag ist betrachtenswert. Einer Ehrenpflicht ist zu genügen, die zu den selbstverständlichen Obliegenheiten eines jeden dem Buch ein Leben lang Ergebenen gehört.
I.1 Bibliographien und Teil-Bibliographien Kaspar Gottlieb Lindner: Von Opitzes gedruckten Schriften, wie sie erstlich Stückweise und endlich Zusammen, und wenn, wo und wie vielmal sie heraus gekommen sind.- In: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Jhn. Erster [und] Anderer Theil. Herausgegeben von D. Kaspar Gottlieb Lindnern, von Lignitz, der Kaiserl. Academie der Naturae Curiosorum, wie auch der deutschen Gesellschaft in Leipzig Mitgliede, und Gesundheitsgelehrten in Hirschberg.Hirschberg: Krahn 1740–1741. Teil II, S. 1–68. Lindner nimmt in der Geschichte der Opitz-Philologie einen einzig dastehenden Platz ein. Wie niemand vor ihm und niemand nach ihm – die jüngsten Vorstöße ausgenommen –, hat er sich um die Sammlung und Publikation Opitz betreffender Materialien verschiedenster Art verdient gemacht. Er darf geradezu als ein Repräsentant der sich vorzugsweise den ›vaterländischen‹ Studien widmenden Personen gelten. Schlesien und seiner näheren Heimat am Fuße des Riesengebirges galt seine ganze Liebe. Unermüdlich selbst ihre Schönheiten besingend, gelehrten Organen vorstehend und Quellen erschließend, erwies er sich als ›Patriot‹ in jenem unverächtlichen Sinn, den die Aufklärung gerade diesem Begriff verliehen hat. Eine jede Landschaft sollte ihren Beitrag leisten zur historischen und kulturellen Profilierung des ›vaterländischen‹ Erbes, und Schlesien stand ganz vornean. Lindner war gebürtiger Liegnitzer. Er studierte in Jena und Leipzig Medizin und erwarb in Leipzig den Doktortitel. 1732 ließ er sich als Mediziner in Hirschberg nieder. In Hirschberg existierte ein ›Collegium poeticum‹, das sich insbesondere der Pflege der Poesie aus dem Geist der Frühaufklärung widmete. Zu ihm gehörten u.a. der Fabeldichter Daniel Stoppe, der Bibliothekar und Inspektor der Schaffgotschen Herrschaft Giersdorf Johann Carl Neumann sowie der Arzt und nunmehrige Hirschberger Ratsherr Kaspar Gottlieb Lindner. 1740 plante er die Herausgabe einer Monatsschrift ›Beyträge zur schlesischen Geschichte‹, die neben die seit 1734 erscheinenden und rasch Berühmtheit erlangenden ›Gelehrten Neuigkeiten Schlesiens‹ treten sollte. Das Projekt kam nicht zustande. Lindner war zeitgleich mit seiner Opitz gewidmeten großen Memorialschrift befaßt. Sie erschien an seinem Wirkungsort Hirschberg. Ihr sollte er seinen Ruhm verdanken, während seine Dichtungen dem Vergessen anheimfielen. Die Anregung für seine auf Opitz gerichteten Arbeiten kam von Gottsched, den Lindner verehrte und mit dem er in Briefwechsel stand. Immer wieder erweist sich Gottscheds Gedächtnisrede als ein Wendepunkt in der Geschichte der Opitz-Rezeption. Lindner wird sich durch sie ermutigt gefühlt haben, die ein Jahrhundert vorher gehaltene Gedächtnisrede von Colerus wieder vorzulegen und ihr zugleich eine Übersetzung zu widmen. Es ist die einzige geblieben, die von diesem wichtigen Dokument bislang vorliegt. Für eine nähere Beschäftigung mit ihr wäre eine neuerliche kommentierte Übertragung wünschenswert, denn Lindner hatte sich eine Reihe von Eigenwilligkeiten erlaubt. Immerhin, der reichlich kommentierten Darbietung des Textes nebst Übersetzung verdankt sein Opitz-Werk womöglich in erster Linie seine bleibende Bedeutung. Lindner bietet in seiner kompendiösen Sammelschrift darüber hinaus eine Zusammenstellung der mit Opitz befaßten Studien, die durchaus lesenswert geblieben ist. Auch hat er zahlreiche Zeitgenossen dazu bewegen können, sich mit einem Opitz gewidmeten Gedicht hervorzutun. Eine Auswahl aus den reichlich erfolgten Rückmeldungen kommt gleich in zwei Abteilungen zum Abdruck. Ein Analogon dazu stellt die Versammlung der Opitz im 17. Jahrhundert gewidmeten Lobschriften dar. Das eigentliche Zentrum indes bildet die Bibliographie der Opitzschen Schriften im Eingang des zweiten
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Teiles seines Werkes, gefolgt von einer eigenen Abhandlung ›Von Opitzes Dacia Antiqva‹, S. 69–84, nebst einer Dokumentation der Zeugnisse, die sich um seinen Tod gruppieren und eben zumeist aus Danzig und Umkreis herrühren, betitelt ›Von Opitzes Krankseyn und Sterben, und von verschiedenen Gedichten auf seinen Tod und sein Grabmal‹, S. 85–120. Mit Lindners Schriftenverzeichnis erhält die Opitz-Bibliographie erstmals ein solides Fundament. Es handelt sich um eine Pioniertat. Lindner ist die soeben erschienene Arbeit Ezechiels bekannt (s.u.). Er stellt sie im Vorspann zum zweiten Teil seines Werkes vor, setzt sich mit ihr knapp auseinander und weist diejenigen Werke aus, deren Kenntnis er Ezechiel verdankt. Erstmals wird eine Sukzession begründet, was leider nicht die Regel bleibt. Lindner geht chronologisch vor, beobachtet also das für eine Personal-Bibliographie einzig relevante Prinzip. Er setzt ein mit dem ›Strenarum Libellus‹ und gibt gleich anläßlich des ersten Stücks eine Kostprobe seiner Kommentierung. Ihres »Alterthums und ihrer Schönheit wegen« hätte dieses Gedicht »längst einen Nachdruck verdienet, und verdienet ihn noch.« (S. 4). Kein Titel, der nackt und bloß dastände. Ein jeder ist mit Lindnerschen Bemerkungen versehen und die meisten von ihnen sind durchaus lesenswert geblieben. Und das nicht wegen ihrer Wertungen, die sich der Kompilator immer wieder erlaubt, sondern wegen der nebenbei einfließenden sachlichen Informationen, Querverweise, brieflichen und anderweitigen Zeugnisse etc. Zweiundfünfzig Titel macht Lindner namhaft. Die letzte Nummer ist Opitzens ›Poeterey‹ gewidmet. Sie nimmt eine Sonderstellung ein, denn hier hat Lindner sich an eine Erkundung der diversen Auflagen gemacht. Neun Auflagen hat er zutage fördern können. Sodann geht er über zu einer Beschreibung der ihm zugänglichen Gesamtausgaben der Opitzschen Schriften. Die Beschreibungen sind außerordentlich detailliert. Zehn Auflagen weist er bis zum Ende des 17. Jahrhunderts aus, darunter ein Irrläufer, der ihm nur aus der Literatur bekannt ist, und ein als solcher nicht erkannter Raubdruck. Die Sonderung der Einzeltitel von den Gesamtausgaben hat sich bewährt und Lindner dürfte der erste gewesen sein, der sich zu dieser Handhabe verstand. Sehr lesenswert geblieben sind die Informationen, die Lindner über die ›Dacia antiqua‹ beibringen kann, denen schon Ezechiels Interesse gegolten hatte. Und ein ehrfurchtgebietendes posthumes Kompendium sind die vielen Zeugnisse geblieben, die Lindner im Blick auf Opitzens letztes Lebensjahr und seinen Tod zusammengebracht hat. Erst in jüngster Zeit ist ein vergleichbarer Vorstoß unternommen worden. Lindner blieb hier für fast drei Jahrhunderte der maßgebliche Gewährsmann, ohne daß eine in die Tiefe führende Auswertung der Texte bislang stattgefunden hätte.
[Johann Julius] Guttmann: Über die Ausgaben der Gesamtwerke des Martin Opitz.Progr. Ratibor 1850. Der Verfasser des Verzeichnisses, der zunächst in Ratibor, sodann in Schweidnitz und schließlich als Direktor am königlichen Gymnasium in Brieg wirkte, teilt die Ergebnisse eines Besuches in der ›Rhedigerschen Bibliothek in Breslau‹ mit. Er hat also nicht alle drei Schul- und Kirchenbibliotheken und offensichtlich auch nicht die Königliche Universitätsbibliothek gesehen, sondern nur die auf Thomas Rhediger zurückgehende in der Elisabethkirche, die der seit dem 16. Jahrhundert mächtig angewachsenen Bibliothek ihren Namen gab, der später dann auf die Stadtbibliothek überging. Einen ganz ähnlichen Schatz an Opitiana hüteten die Bibliotheken bei St. Magdalena und bei St. Bernhardin. Es ist also leicht zu ermessen, was anläßlich der Gründung der Stadtbibliothek in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts auch an Opitiana in dieser zusammenströmte. Lebhaft hat sich Guttmann für die Schaffung einer neuen Opitz-Ausgabe nach dem Abbruch derjenigen von Bodmer und Breitinger und angesichts der Unzulänglichkeit der Trillerschen eingesetzt. Er versteht seine Studie auch als einen vorbereitenden Beitrag zu dieser allfälligen Aufgabe. Die einzelnen Ausgaben, einsetzend mit derjenigen von 1624, werden detailliert beschrieben, ihr Inhalt, der Binnengliederung folgend, jeweils mitgeteilt, und zudem Vergleiche zwischen den einzelnen Ausgaben angestellt. Auf diese Weise entsteht ein genaues Bild des Vorhandenen. Natürlich aber hatte der Bibliotheksreisende auch mit den Unbilden zu kämpfen, wie sie ein jeder kennt, der ad hoc aufbricht und auf das am Ort momentan Präsente angewiesen bleibt. Ausgerechnet die wichtige Ausgabe von 1629 war während seines Aufenthaltes ausgeliehen! Sie ist jedoch in die
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Numerierung mit einbezogen und trägt ordnungsgemäß die Ziffer drei. Die Rhedigersche Bibliothek besitzt – fast ist man versucht zu sagen: selbstverständlich – die ›Geistlichen Poemata‹ von 1638 und den ersten Teil der ›Weltlichen Poemata‹ von 1639, die als Nummer fünf figurieren. Der Raubdruck von 1637 (Nr. 4) ist ebenso mitgezählt wie derjenige von 1640 (Nr. 6). Die Ziffer sieben ist für die Amsterdamer Ausgabe reserviert, von der es heißt, daß »die sich – gewiß mit Unrecht – für eine vom Autor selbst zum letzten übersehene und verbesserte ausgiebt« (S. 11). Als rechtmäßige wird hingegen die Hünefeldsche aus dem Jahr 1641 qualifiziert, die die Nummer acht trägt; ihr werden freilich gleichfalls eine Reihe von Fehlern nachgewiesen. Die Fellgiebelsche Ausgabe ohne Jahr (1689) stand offensichtlich nicht in der Rhedigerschen Bibliothek. Guttmann macht nur die Ausgabe von 1690 als Nummer neun namhaft. Auch ihr werden freilich Fehler angekreidet. Der Autor hat sich also in den Texten selbst umgetan. Damit sind sämtliche Ausgaben aus dem 17. Jahrhundert bis auf die erste Fellgiebelsche namhaft gemacht. »Nunmehr verging über ein halbes Jahrhundert, bis die beiden letzten Ausgaben von sehr ungleichem Werthe veranstaltet wurden, von denen aber gerade diejenige, welche der Folgezeit vielleicht jede Arbeit erspart hätte, unvollendet geblieben ist.« (S. 13). In höchsten Tönen rühmt Guttmann die Ausgabe Bodmers und Breitingers, wohingegen sein Urteil über die Trillersche vernichtend ist, »obschon die Reinheit, so wie die Schönheit des Druckes alles Lob verdient.« (S. 15). Was mag der Fortsetzung der Ausgabe der Schweizer im Wege gestanden haben? Guttmann vermutet, daß es nicht nur das Erscheinen der Trillerschen Edition war. Vielmehr macht er auch die Integration der lateinischen Texte mit verantwortlich. Das Publikum in der Mitte des 18. Jahrhunderts, so seine These, verlangte nur nach den deutschen Texten. Und hier kommt es überraschend zu einer Annäherung an Triller. Dieser hatte für eine separate Edition der lateinischen Texte Opitzens plädiert. Dem schließt sich Guttmann in der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Ein ›Opitius latinus‹ ist in Sicht, aber gewiß kein zweisprachiger, wie ein weiteres Jahrhundert später unerläßlich. Abschließend bedauert der Verfasser, nicht eingehender vergleichend gearbeitet haben zu können. Am Paradigma der Epigramm-Sammlungen Opitzens demonstriert er, wie ein genauerer textueller Abgleich zwischen den verschiedenen Ausgaben anzustellen wäre. Dieser ebenso unerläßlichen wie entsagungsvollen Aufgabe sollte sich erst der Opitz-Herausgeber, der sich anschickte, die Dinge hinsichtlich der allfälligen Opitz-Edition definitiv zu richten, mehr als ein Jahrhundert später unterziehen. Auch ihm aber blieb der Abschluß verwehrt ...
[August Heinrich] Hoffmann von Fallersleben: Martin Opitz von Boberfeld. Vorläufer und Probe der Bücherkunde der deutschen Dichtung bis zum Jahre 1700.- Leipzig: Engelmann 1858. »Vorliegende Zusammenstellung aller Ausgaben und Einzeldrucke der Opitzschen Gedichte soll zugleich eine Probe eines größern bibliographischen Werkes sein, zu dessen Ausarbeitung ich schon jetzt seit vielen Jahren geforscht und gesammelt habe. Dies Werk soll den ganzen Bücherschatz der deutschen Litteratur umfassen bis zum Jahre 1700 unter dem Titel: Bücherkunde der deutschen Dichtung bis zum Jahre 1700«. (S. 3) So Hoffmann von Fallersleben in der Vorrede zu seiner Opitz-Bibliographie. Das geplante Werk ist allerdings nicht zustandegekommen. Über seine Notwendigkeit hat er die schönsten Worte in der Vorrede gefunden. Der Opitz-Artikel sollte eine ›Probe‹ bilden. Das war gleich in mehrerer Hinsicht nicht ganz zutreffend, wie der Autor in einer Anmerkung selbst bereits andeutet. Die ›Bücherkunde‹ würde nach Gattungen gegliedert werden; in dem Opitz-Artikel beobachtet Hoffmann von Fallersleben jedoch ein chronologisches Verfahren. Unklar blieb der Verweis auf die Behandlung der ›Einzeldrucke‹. »Die Aufzählung der Einzeldrucke von geringerem Umfange würde später [also in der ›Bücherkunde‹] wegfallen.« (S. 3 Anmerkung). Wenig später wurde spezifiziert: »Ausgeschlossen sind alle Schriften von zu geringem Umfange, etwa unter einem Bogen, also die meisten fliegenden Blätter.« (S. 4) Das aber gilt auch bereits für den Opitz-Artikel. Kleinere Arbeiten tauchen so gut wie nicht auf. Entweder kannte Hoffmann von Fallersleben sie nicht – wie kaum anzunehmen – oder er verzichtete auch hier schon auf ihre Verzeichnung. So ist bereits in der ersten expliziten selbständigen Kompilati-
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on Opitzscher Schriften das Problem des Klein- und Gelegenheitsschrifttums virulent, das bis heute nicht befriedigend gelöst ist. Das Werk des großen Sammlers, Anthologisten und Bücherkundlers ist auch deshalb von Bedeutung, weil Hoffmann von Fallersleben vielfach Bibliotheksnachweise bietet, darunter solche aus Berlin, Breslau, Göttingen, Weimar und Wolfenbüttel. Eine besondere Erwähnung hat Breslau zu gelten. Dort stand die Gründung der Stadtbibliothek kurz bevor, war aber noch nicht erfolgt. Entsprechend gelangen wiederholt Informationen auch aus den Breslauer Gymnasialbibliotheken und der Schule zu St. Bernhardin zum Abdruck, darunter zahlreiche zur Sammlung Arletius, die nach der Schaffung der Stadtbibliothek vereint und durchgehend umsigniert wurden. Die knappen Annotationen Hoffmanns von Fallersleben sind gleichfalls beachtenswert. Das schmale, 29 Seiten umfassende Werk darf Anspruch darauf erheben, in der Opitz-Philologie präsent zu bleiben.
Hermann Oesterley: Bibliographie der Einzeldrucke von Martin Opitz’ Gedichten und sonstigen Schriften.- In: Centralblatt für Bibliothekswesen 2 (1885), S. 383–416. Hinzuzunehmen: Georg von Witkowski: Zur Opitz-Bibliographie.- In: Centralblatt für Bibliothekswesen 5 (1888), S. 523–534. Darin: I. Briefe von und an Opitz. II. Berichtigungen und Nachträge zu Oesterley’s Opitz-Bibliographie. Oesterley hatte – vermutlich in zeitlicher Nähe zu seiner Opitz-Bibliographie – eine Opitz-Edition in der renommierten, von Joseph Kürschner herausgegebenen Reihe ›Deutsche National-Litteratur‹ herausgegeben: Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung. Hrsg. von Dr. H. Oesterley.- Berlin, Stuttgart: Speman [o.J.] (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe; 27). Sie blieb die bedeutendste im 19. Jahrhundert zustandegekommene, auch wenn ihre Mängel auf der Hand liegen. Wie in Oesterleys Dach-Ausgabe fehlen alle lateinischen Texte. Der Herausgeber gliedert sein Werk in weltliche und geistliche Gedichte, setzt aber entgegen der Opitzschen Gepflogenheit mit den weltlichen ein. Die Gliederung in den beiden Abteilungen ist eine von Oesterley selbst entworfene. Zudem wird in beiden Fällen nur eine Auswahl geboten. Modernisierung in Schreibung und Zeichensetzung wird in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Reihe durchgängig beobachtet. Die Ausgabe fiel also entschieden zurück hinter die im 17. und 18. Jahrhundert ins Werk gesetzten. Es bleibt ein zu Staunen und Sorge Anlaß gebendes Faktum, daß erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die notwendigen Schritte ergriffen wurden, dem Begründer der neueren deutschen Kunstdichtung eine angemessene Ausgabe seiner Schriften zu widmen. Mit Oesterleys Opitz-Bibliographie wird indes ein neuer Level erreicht. Der Autor kennt die Arbeit Lindners, lobt sie und notiert zugleich das Fehlen vieler Gelegenheitsgedichte. Merklich ins Gericht geht er mit Hoffmann von Fallersleben. Nur die Verzeichnung der Gesamtausgaben Opitzens sei zureichend, die Einzeldrucke hingegen überaus lückenhaft erfaßt, was Oesterley auch auf die Nichtausschöpfung der von Lindner gebotenen Informationen zurückführt. Auch wird das Fehlen der lateinischen Titel heftig kritisiert – ein Mangel, der ja auch im Blick auf Oesterleys Opitz-Edition zu konstatieren war. Oesterley ist sich bewußt, daß auch er keineswegs Vollständkeit auf dem Sektor der Gelegenheitsgedichte bieten kann – das Problem einer jeden Personal- und Gattungsbibliographie des 17. Jahrhunderts bis heute. Überaus vorteilhaft macht sich geltend, daß Oesterley die wichtige Handschrift R 402 aus der Breslauer Stadtbibliothek, die sich heute im Original in der Staatsbibliothek zu Berlin, Depot Breslau, befindet, mit ausgeschöpft hat. Sie enthält eine Reihe von Abschriften Opitzscher Gedichte, von denen bis dato kein Druck nachgewiesen werden konnte. Wie im Falle Dachs kommt Oesterley also auch in demjenigen Opitzens die Kenntnis der Breslauer Bestände zugute. Er bietet einen reichen Fundus an Gelegenheitsgedichten. Die stolze Zahl von 243 Einträgen ist wesentlich diesem Umstand zu verdanken. Oesterley führt seine Bibliographie bis an das Jahr 1876 heran, dem Jahr, da Braune seine Edition der Opitzschen ›Poeterey‹ als ersten Band der ›Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts‹ veröffentlichte.
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Karl Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. 2., ganz neu bearb. Aufl.- Band III: Vom dreißigjährigen bis zum siebenjährigen Kriege.Dresden: Ehlermann 1887. Die Opitz-Darstellung eröffnet das zweite Kapitel des Werkes. Eine vergleichsweise ausführlichere Biographie steht voran. Dann folgt ein kurzer Überblick über die bis dato vorliegende Literatur. Daß hier ein Sachkenner tätig wird, ergibt sich gleich aus dem ersten Eintrag: »Über Opitz letzte Tage berichten eine Epistola Alberti Niclassii ad B.G. Nüsslerum vom 23. Dec. 1639 aus Danzig (Lindner 2, 92 ff.) und ein Schreiben des Buchh. Andreas Hünefeld an Robert Roberthin (Krause, Ertzschrein S. 1389).« (S. 40) Damit ist ein erkenntnisfördernder Einstieg gewährleistet, wie man einen solchen wiederholt nur bei Goedeke geboten bekommt. Die Zitation der Gedächtnisrede von Colerus (Erstdruck 1665), der Briefsammlung von Jasky (Danzig 1670) und der Kompilation von Lindner (1740–1741) schließen sich an. Damit sind die drei wichtigsten Quellentexte aus der Frühzeit der Beschäftigung mit Opitz namhaft gemacht. Erstaunlicherweie fehlt die Erwähnung der Gottschedschen Gedächtnisrede anläßlich des hundertsten Todestages von Opitz. Goedekes Verzeichnis muß mit demjenigen Oesterleys zusammengesehen werden. Er wußte die lateinischen Titel in dessen Obhut, erwähnte sogar noch einige weitere, verzichtete jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf ihre Anführung. Die Gesamtausgaben sind in die chronologische Titelfolge eingereiht. Das gesamte Werk ist in der reichhaltigen Göttinger Bibliothek erarbeitet worden; entsprechend erfolgen wiederholt Hinweise auf Exemplare daselbst mit Signatur. Im Zuge der Namhaftmachung der Titel werden gelegentlich Hinweise auf vorliegende Literatur gegeben, so daß das einleitende Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten jeweils am Ort eine Ergänzung erfährt. Da Goedeke verschiedene Auflagen eines Werkes jeweils unter einem einzigen Eintrag vereinigt, ist die Anzahl der Nummern auch aus diesem Grund erheblich geringer als diejenige bei Oesterley. Genau einhundert Nummern stehen bei ihm. Den Beschluß machen die Hinweise auf die Auswahlausgaben Opitzens von Wilhelm Müller (1822) und Julius Tittmann (1869), sowie auf den zweiten, Opitz gewidmeten Band des ›Deutschen Dichtersaals‹ von August Gebauer aus dem Jahr 1827. Bei diesen Ausgaben sollte es, abgesehen von derjenigen Oesterleys, bis tief in das 20. Jahrhundert hinein bleiben.
Marian Szyrocki: [1.] Bibliographie. [2.] Literatur über Opitz.- In: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4), S. 161–207; S. 211–216. [2. Auflage unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher in:] Martin Opitz: Weltliche Poemata 1644. Zweiter Teil: Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hrsg. von Erich Trunz.- Tübingen: Niemeyer 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 3), S. 164*– 225*. Noch einmal wurde Breslau auch für die Opitz-Bibliographie virulent. Kenner fragten sich tief besorgt, wie es um die Breslauer Schätze im Gefolge des Zweiten Weltkriegs gleichermaßen in Handschrift und Druck bestellt sein mochte. An unerwarteter Stelle erfolgte eine Antwort. Und das frühzeitig. Der Mut, der dazu vonnöten war, über den jedoch kein Wort verloren wurde, liegt auf der Hand. Sich der deutschen Literatur nach den begangenen Verbrechen zuzuwenden, war keine Selbstverständlichkeit. Der polnische Germanist Marian Szyrocki tat diesen Schritt. Sein Opitz- wie sein Gryphius-Buch gaben erstmals Kunde von einer ferngerückten Welt. Im Eingangs-Kapitel wurde auch darüber berichtet. Nicht zuletzt dank des quellenkritischen und bibliographischen Anhangs gewann sein Opitz gewidmetes Buch zusätzlich an Gewicht. Dieser Anhang setzt sich aus vier Bestandteilen zusammen. Die ›Bibliographie‹ umfaßt ein Verzeichnis der Opitz-Drucke, bildet also einen Kernbestand. Ihr schließt sich ein Verzeichnis der Handschriften an, mit dem weitgehend Neuland betreten wurde; erstmals nach dem Krieg wird wieder ein
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Verzeichnis der Briefe von und an Opitz geboten. Unter dem Titel ›Literatur über Opitz‹ kehrt die Scheidung in Drucke und Handschriften wieder. Bei den ›Drucken‹ handelt es sich de facto um eine Auflistung der einschlägigen Literatur über Opitz nebst den ihm gewidmeten neueren Ausgaben sowie den jeweiligen Kontexten. Es folgt ein knapper Hinweis auf Opitz betreffende Manuskripte einschl. einiger maschinenschriftlicher Dissertationen. Im einzelnen ist das Folgende vorzutragen: In der ›Bibliographie‹ schöpft Szyrocki die Opitz-Bestände von achtzehn polnischen Bibliotheken aus. Das war noch nie geschehen und stellte eine Pioniertat da. Nicht nur die reichen Sammlungen in Breslau und Danzig, sondern auch die etwa in Thorn, in Posen und in Kurnik wurden damit erstmals der Opitz-Forschung zugänglich. Zusätzlich bedient sich der Autor der vorliegenden Bibliographien, unter denen Oesterley zugleich das Muster der Verzeichnung bietet. Eine entscheidende Information betraf die Situation in Breslau: »In der Universitätsbibliothek zu Wrocław befinden sich u.a. auch die Sammlungen der ehemaligen Stadtbibliothek, die zum größten Teil den letzten Krieg überdauert haben. Groß dagegen sind die Verluste der alten Universitätsbibliothek. Das Gebäude – während der Belagerung Hauptquartier des Festungskommandanten – ist schwer beschädigt worden und ausgebrannt. Die Bücher wurden zum größten Teil vernichtet. Da der Wiederaufbau des Bibliotheksgebäudes höchstwahrscheinlich im Jahre 1957 beendet sein dürfte, werden auch die Bücher der Universitätsbibliothek, die gerettet wurden, für den Leser demnächst erreichbar sein. In der Bibliographie werden nur die zur Zeit zugänglichen Exemplare mit ›Wr‹ vermerkt.« (S. 163 f.) Das waren in der Tat die allermeisten. Die polnischen Bibliothekare hatten eine Aufteilung der Bestände vorgenommen. Bücher nach 1800 gelangten in das erhaltene Gebäude der ehemaligen Stadtbibliothek, Handschriften und Drucke vor 1800 in das wieder aufgebaute Gebäude der ehemaligen Universitätsbibliothek, die ihr Quartier in dem eindrucksvollen ehemaligen Augustinerstift bezogen hatte. Bis in die jüngste Zeit hinein strömten daselbst Handschriften und Drucke vor 1800 aus den verschiedensten polnischen Regionen und Verwahrungsstätten zusammen, darunter in erster Linie auch solche aus Liegnitz und Brieg. Szyrocki führt die Bibliographie der Drucke bis an das Jahr 1946 heran. 308 Titel kann er nachweisen, darunter zumeist erstmals auch Beiträge Opitzens in anderweitigen Schriften, zumeist Gelegenheitsgedichte. Bis in das Todesjahr 1639 liegen allein 236 Nachweise vor, bis zum Ende des 17. Jahrhunderts 279. Die Opitz-Bibliographie ist damit auf eine neue Grundlage gestellt. Erstmals erfolgt darüberhinaus eine Information über erhaltene und verschollene Opitz betreffende Handschriften. Über die Existenz der aus Breslau nach dem Krieg nach Berlin gelangten Handschriften lagen dem Autor noch keine Informationen vor. Hier vor allem erfolgten später Nachträge. Dies geschah freilich nicht im Rahmen der zweiten Auflage des Anhangs, der auf Drucke beschränkt blieb. Nun wurden erstmals auch eingehendere Annotationen geboten, für die vor allem die Schülerin von Erich Trunz Irmgard Böttcher zuständig blieb, die sich um die von Trunz ins Leben gerufenen ›Neudrucke deutscher Literaurwerke‹ zur Epoche des Barock immer wieder verdient machte. Die Hinweise zum Umfang und zur inneren Gliederung der Texte sind vor allem hervorzuheben. Reich ist der Zuwachs aus Beständen der Universitätsbibliotkek Kiel, die nach dem Krieg beschafft werden konnten. Die Bibliothek selbst war weitgehend ein Opfer des Zweiten Weltkrieges geworden. Die Faksimile-Edition der Opitz-Ausgabe letzter Hand erfuhr neben den vorzüglichen wissenschaftlichen Beigaben aus der Feder von Erich Trunz durch die neu bearbeitete Bibliographie Szyrockis einen erheblichen Zuwachs an Wert.
Gerhard Dünnhaupt: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts. Teil I–III.- Stuttgart: Hiersemann 1980 (Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 2.I; 2.II; 2.III). Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Zweite, verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur. Teil I–VI.- Stuttgart: Hiersemann 1990–1993 (Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 9.I–9.VI).
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Eine Erneuerung des Goedeke erfolgte für das 17. Jahrhundert durch Gerhard Dünnhaupt. Der verdiente Bibliograph würde sich der Herstellung einer derartigen Verbindung gewiß nicht versagen. Der ›Goedeke‹ war die Mammut-Unternehmung eines Einzelnen. Und das ist auf andere Weise auch das Werk Gerhard Dünnhaupts. So wie im 19. Jahrhundert Mut dazu gehörte, die Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis in das Jahr 1830 hinein bibliographisch zu dokumentieren, so im 20. Jahrhundert im Gefolge zweier Weltkriege die Präsentation einer ganzen Epoche, welche bibliographische Probleme ohne Ende barg. Dünnhaupt hat die Mühe und das Risiko nicht gescheut. Am Ende stand ein sechsbändiges Werk mit knapp 5000 Seiten dar, das seine singuläre Stellung allemal behaupten wird. Und das schon deshalb, weil ein letztes Mal mit ihm der Versuch gemacht wurde, eine anspruchsvolle große Bibliographie in Buchform zu publizieren. Wir haben den Wachstumsprozeß die Jahrzehnte über mit Spannung verfolgt, durften im Einzelfall – Simon Dach! – mit herber Kritik um der Sache willen nicht sparen und haben die freundschaftlich-kollegiale und von Respekt getragene Verbindung doch niemals verloren, trafen sich doch zwei leidenschaftliche Bibliographen. Im Gegensatz aber zur Barock-Bibliographie Dünnhaupts gelangte die gleichfalls auf mehrere Bände angewachsene Bibliographie zur deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts bislang nicht zum Druck. Der Opitz-Eintrag befindet sich in der ersten Auflage des Werkes im zweiten Teil auf den Seiten 1322–1385 und in der nunmehr maßgeblichen zweiten Auflage im vierten Teil des Werkes, der die Personalbibliographien von Klaj bis Postel umfaßt und 1991 erschien, auf den Seiten 3005–3074. Der Aufbau der Artikel ist der stets gleiche. Einer Kurzbiographie folgt die Namhaftmachung der vorliegenden Ausgaben. Da Dünnhaupt genauso verfährt wie der Verfasser im vorliegenden Buch und die Porträtierung der Werkausgaben an späterer Stelle mit Zachariaes Auswahl enden läßt, setzt nun die Folge der Titel mit Ramler im Jahr 1780 ein. Es schließt sich ein Hinweis auf die vorliegenden Werkverzeichnisse an, der naturgemäß deutlich knapper ausfällt als im vorliegenden Buch an dieser Stelle. Sehr ausführlich ist das Verzeichnis der vorliegenden Literatur über Opitz. Es setzt ein mit Rists Trauergedicht aus dem Jahr 1640 und endet im Jahr 1990. Ein weiterer Verweis auf vorliegende Verzeichnisse der wissenschaftlichen Literatur beschließt den stets ergiebigen und willkommenen Vorspann. Dann setzt die personalbibliographische Arbeit ein. Voran stehen die ›zeitggenössischen Sammelausgaben‹, von der Straßburger Ausgabe aus dem Jahr 1624 bis zu Zachariaes ›Auserlesenen Stücken‹ aus dem Jahr 1766. Sodann folgen die ›zeitgenössischen Einzelausgaben‹. Hier wird der Grundsatz beobachtet, alle Auflagen eines Werkes in einem Eintrag zusammenzuhalten. 188 Titel mit diversen Untertiteln, resultierend aus weiteren Auflagen, macht Dünnhaupt namhaft. Posthume Veröffentlichungen, undatierte Drucke und falsche bzw. unsichere Attributionen schließen sich an. Grundsätzlich werden Angaben zu den Umfängen gemacht und – wo es sich anbietet – auch solche zu der inneren Gliederung des jeweiligen Werkes. Rückverweise auf eine bereits vorliegende Verzeichnung sind angebracht. In ungezählten Fällen sind Korrekturen und Richtigstellungen mit ihnen verbunden. Gelegentlich fließt eine nähere Charakteristik der jeweiligen Schrift ein. Es werden in der Regel und wo immer möglich Hinweise auf das Vorkommen des jeweiligen Titels in Bibliotheken geboten. Desgleichen finden sich gelegentliche Bemerkungen zu Besonderheiten einzelner Exemplare. Der Bibliograph hat, wie nicht anders denkbar, ausführliche Auskünfte von den einschlägigen Bibliotheken eingeholt und sich immer wieder auch selbst auf Reisen gemacht. Gewidmet ist das dreibändige Werk dem Herausgeber der Ausgabe letzter Hand von Opitz Werken Erich Trunz sowie dem Herausgeber der kritischen Ausgabe der Werke Opitzens George SchulzBehrend. Die beiden verehrten Kollegen haben das Erscheinen des Unternehmens noch erlebt. Es wird als letzte große gedruckte Barock-Bibliographie auf Dauer einem jeden Forscher und Liebhaber zu gerne wahrgenommenen Diensten sein, der sich dieser Epoche und ihren Dichtern zuwendet. Es lebt von lebendiger Aneignung und – selbstverständlich – von kontinuierlicher Fortschreibung.
I.2. Sammler und Sammlungen Neben den Bibliographien bzw. Teil-Bibliographien der Quellen stehen die Sammlungen einzelner Persönlichkeiten. Sie gelten in aller Regel nicht Opitz allein, sondern
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haben einen weiteren Rahmen. Insofern sie jedoch ein ausgewiesenes und nicht selten extraordinäres Profil besitzen, bergen sie zumeist auch eine namhafte Zahl von OpitzTexten. Vor allem lassen es sich die Sammler als oftmals hervorragende Sachkenner aber nicht nehmen, ihre Schätze mit Charakteristiken und Annotationen zu versehen. Das macht sie zu einem wertvollen Instrument hinsichtlich der Erkenntnis des jeweiligen Autors, und so eben auch Opitzens. Die Darbietung einer Auswahl aus diesem sammlerischen Fundus darf in der hier versuchten Literaturkunde nicht fehlen, ist doch gerade im Blick auf diese zumeist eindrucksvollen Figuren immer auch gedächtnisstiftende Bemühung involviert. Christian Ezechiel: Schreiben an einen Gelehrten in Schlesien, das Leben und die Schriften Martin Opitzens von Boberfeld betreffend.- In: Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Band VII (1741), S. 54–74. [Anhang:] Einige Stücke von Martin Opitzen aus seinen Originalen abgeschrieben, S. 74–78. Das 18. Jahrhundert ist das klassische Jahrhundert der Sammler. In keinem Territorium des alten deutschen Sprachraums traten sie lebhafter hervor als in Schlesien. Das herrschaftlich vielgestaltige Land barg unerschöpfliche kulturelle Zeugnisse jedweder Provenienz, die Erschließung und Verarbeitung erheischten. Vor allem das an Humanismus und Reformation haftende, gleichermaßen Texte wie Personen umgreifende Überlieferungsgut bot sich der forscherlichen Erkundung an, war doch einem jeden Kenner bewußt, daß hier die Wurzeln auch noch der zeitgenössischen Kultur lagen. Christian Ezechiel (1678–1758) gehört zu jenen im Unscheinbaren verbleibenden Personen, ohne deren Wirken es um unsere quellenkundliche Kenntnis entschieden schlechter bestellt wäre. Ezechiel hatte seine Ausbildung am Gymnasium zu Brieg und am Magdaleneum zu Breslau erhalten, in welch letzterer Anstalt Christian Gryphius als Rektor wirkte. Genealogie war die Wissenschaft der Zeit und auch Ezechiel widmete sich der Personenkunde in herausragender Weise. Sein Biograph Hermann Markgraf bescheinigt ihm, daß er unter den Thilo, Gryphius, Sinapius und Gfug der bedeutendste Genealoge war. Ohne seine entsagungsvolle Tätigkeit gerade auf diesem Gebiet wären wichtigste Zeugnisse auf immer verloren. Davon wird an späterer Stelle zu berichten sein. Als Sammler wandte er sich auch Opitz zu. Das lag im Trend der Zeit. Möglicherweise wäre davon nichts Näheres bekannt geworden, wenn nicht auch in das ferne Schlesien Kenntnis davon gelangt wäre, daß im Kreis um Gottsched an der Vorbereitung einer Opitz-Ausgabe gearbeitet würde. Ezechiel sah es als eine selbstverständliche Verpflichtung an, einer offensichtlich an ihn ergangenen Bitte zu entsprechen und das ihm Verfügbare mitzuteilen. Das Resultat ist das vorliegende ›Schreiben‹. Es ist auf den März des Jahres 1738 datiert und erschien 1741 in den von Gottsched redigierten ›Beiträgen‹ zusammen mit einer Fußnote von seiten des Herausgebers. Es ist reich an Informationen über Opitz, vor allem über seine letzten Danziger Jahre, seine Pläne für die ›Dacia antiqua‹ und die Beileidsbekundungen nach seinem Tod. Nicht ausgeschlossen, daß sich die eine oder andere Information in dem kleinen Schriftsatz verbirgt, die bis heute noch keine Auswertung erfahren hat. Auch bietet Ezechiel einige in seinem Besitz befindliche Briefe an Opitz im Wortlaut und fügt in einem Anhang einige von ihm abgeschriebene Opitzsche Texte bei. Ezechiels verdienstvoller Biograph Hermann Markgraf, langjähriger Direktor der Stadtbibliothek und des Stadtarchivs zu Breslau, erwähnt die kleine Arbeit überraschenderweise nicht. Hier geht es nur um die ›Opitiana‹. Ezechiel muß eine bedeutende Sammlung an Handschriften und Drucken von Opitz und seinem Umkreis besessen haben. Vieles davon sei bei einem Brand seines Pastorats in Peterwitz vernichtet worden. Näheres teilt er nicht mit. Auch ist nicht ersichtlich, ob er die von ihm aufgeführten OpitzDrucke alle selbst besessen oder manche von ihnen nur ›gesehen‹ hat, wie er sich ausdrückt. Immerhin, mit seinem Verzeichnis (S. 66–68) liegt die erste gedruckte und bekannte Kompilation vor, die es verdient, in Erinnerung gehalten zu werden. Das Verzeichnis ist nicht annotiert oder kom-
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mentiert. Knapp vierzig Titel führt Ezechiel auf. Selbstverständlich fehlen vor allem die kleineren Gelegenheitsarbeiten. So gut wie alles Einschlägige indes ist versammelt. An späterer Stelle wird auf ein weiteres Verzeichnis aus seiner Feder zurückzukommen sein.
Johann Kaspar Arletius; Johann Ephraim Scheibel: Catalogus Librorum et Scriptorum Singularium atque rariorum tam scriptorum, quam typis expressorum ex ultima Voluntate Johannis Casparis Arletii Scholar. A.C. Insp. Gymnasii Elis. Ant. et Prof. atque Biblioth. publ. Rehdig. Praef. d. 25 Jan. 1784 beate defuncti Bibliothecae Rhedigerianae insertorum et in Scrinie novi prope fenestram orientalem partis superioris seriam secundam er tertiam collecatorum ab eius exsorore nepote et in muneribus tam ab a. 1784. itum ab a. 1788 funestoribus M. Johanne Ephraim Scheibel ab a. 1794. BU Wrocław: Akc 1949/659; 320/009. Vorsatzblatt im Handschriften-Katalog der Stadtbibliothek Breslau aus der Feder von Hermann Markgraf: Katalog der von Joh. Casp. Arletius der Rehdigereschen Bibliothek vermachten Bücher und Handschriften. Arletius † 1784 Jan. 25. Hier auf Blatt 134 recto und verso sowie auf Blatt 135 recto und verso ein Verzeichnis der von Arletius zusammengebrachten ›Opitiana‹. Mit Johann Kaspar Arletius tritt neben Ezechiel eine zweite Gestalt hervor, die sich bleibende Verdienste um die Überlieferung der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts erworben hat. Arletius kam aus schulischem Milieu. Der Vater Kaspar Arletius wirkte am Magdaleneum in Breslau. Der Sohn empfing seine Ausbildung am Elisabeth-Gymnasium in unmittelbarer Nähe der Rhedigerschen Bibliothek, die in St. Elisabeth ihren Platz hatte. Nach einem abwechslungsreichen Lebensweg, gesäumt von Begegnungen mit Buchliebhabern, bekleidete er schließlich die angesehenste gelehrte Position in Breslau. Er übernahm neben einer Professur das Amt des Rektors am Elisabeth-Gymnasium und das des zweiten Inspektors der Breslauer Schulen. In die Zeit seines Rektorats fiel die glanzvolle Zweihundertjahrfeier des Gymnasiums, die u.a. mit einem bedeutenden Schulactus begangen wurde, dem eine Abhandlung über die Verdienste der Breslauer Gymnasien um die ›deutsche Schaubühne‹ integriert ist. Schon früher hatte sein Vater anläßlich des hundertsten Todestages von Opitz einen Schulactus zu Ehren des großen Schlesiers inszeniert, zu dem der Sohn ein 9000 Hexameter umfassendes Gedicht beitrug: Memoria Saecularis Martini Opitii a Boberfeld; Poetarum Germanorum Principis et Poëseos Germanicae hodienae auctoris et statoris incomparabilis carmine heroico celebrata a I.C.A. Unter der Nummer R[hediger] 975 war es in der Stadtbibliothek Breslau verwahrt. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist es nicht mehr am Platz. Die OpitzPhilologie ist um ein gewiß aufschlußreiches Zeugnis der Rezeption ärmer. Arletius hatte einen klaren Blick für die Exponenten der schlesischen Literatur in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ihnen wandte er seine ein Leben lang währende sammlerische Leidenschaft zu. Opitz, Daniel Czepko, Andreas Tscherning, Christoph Colerus und Simon Dach kamen vor allem in den Genuß seiner Bemühungen. Stets hatte er das Fernziel im Auge, den verehrten Autoren eine Edition ihrer Schriften zu widmen. Nicht eine einzige kam zustande. Um so mehr zehrten die spätere Breslauer Stadtbibliothek und die von Hochbergsche Majoratsbibliothek in Fürstenstein von seinen Sammlungen. Und das gleichermaßen in Handschrift und Druck. Im Zweiten Weltkrieg traten herbe Verluste ein. Die einzigartige von Hochbergsche Bibliothek wurde weitgehend zerstört; ihre Schicksale im einzelnen sind nach wie vor ungeklärt. Und auch die Breslauer Stadtbibliothek hatte in ihrer wiederum einzig dastehenden Handschriften-Abteilung schwere Verluste zu beklagen. Auch die fabelhafte Opitz-Kollektion des Arletius war zumal in ihrem handschriftlichen Fundus betroffen. Darüber ist von Garber sowie von Conermann und Bollbuck im Einzelnen berichtet worden. Insbesondere unter den Signaturen R[hediger] 2305 und R[hediger] 2006 waren Opitz betreffende handschriftliche Dokumente in Original und Abschrift aus den Kollektionen von Ezechiel und Arletius untergebracht, die bis auf kümmerliche Reste verschollen sind.
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Wie über den Drucken der alten Breslauer Stadtbibliothek insgesamt waltete auch über den Opitzschen ein gnädigeres Schicksal. Wenn die Breslauer Stadtbibliothek ein unerschöpfliches Reservoir an Opitz-Drucken barg, so verdankte sie dies nicht zuletzt den beiden großen Sammlern. Das von Scheibel mitgeteilte Verzeichnis vermittelt eine Ahnung von dem Reichtum an Titeln, den Arletius – wie für die anderen erwähnten Dichter – vor allem auch für Opitz zusammenbringen konnte. Dutzende Titel sind auf den Scheibelschen Blättern versammelt. Ihre Transkription und Publikation würde sich allemal lohnen. Die Arletius-Sammlung war, wie aus dem von Scheibel herrührenden Titelblatt hervorgeht, separat in der Rhedigerschen Bibliothek zu St. Elisabeth aufgestellt und ging von dort in die Stadtbibliothek über, wo sie ihr Eigendasein selbstverständlich verlor. Heute sind diese Schätze mit denen aus anderen, insonderheit aus Schlesien herrührenden Bibliotheken zusammengeführt. Die Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu steht auch hinsichtlich ihrer Opitz-Sammlung einzig da in der Welt. Und das nicht zuletzt dank Mehrfach- und Widmungsexemplaren. Vgl. zum Näheren: Klaus Garber: Ein Sammler im Breslau des 18. Jahrhunderts und seine Verdienste um die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts. Johann Caspar Arletius und seine Sammlung der Dichtungen Simon Dachs.- In: Aufklärung. Stationen – Konflikte – Prozesse. Festschrift Jörn Garber. Hrsg. von Ulrich Kronauer, Wilhelm Kühlmann.- Eutin: Lumpeter & Lasel 2007, S. 63–104. Des weiteren: Martin Opitz. Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition und Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I.- Berlin, New York: de Gruyter 2009: Handschriftenverzeichnis, S. 61–83; Eintrag: BU Wrocław, S. 79–83; Verschollene Handschriften, S. 84–87; Eintrag: Ehemalige Stadtbibliothek Breslau, S. 83–86.
Verzeichnis von Büchern vorzüglich aus der Freihr. v. Meusebach’schen Bibliothek. Erste [und] Zweite Abtheilung.- Berlin: Schade 1855–1856 [Auktionskatalog]. Unter den Sammlern des 19. Jahrhunderts ragt Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach hervor (1781–1847). Und das nicht zuletzt im Blick auf das 17. Jahrhundert. Er galt als die Autorität auf dem Gebiet der Bibliophilie und wurde von allen Großen und mit Büchern Befaßten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, angefangen bei Goethe, unentwegt konsultiert. Bogeng hat ihm in seinem gleichfalls einzig dastehenden Werk ein unvergeßliches Porträt gewidmet. Auf vielen Gebieten entfaltete von Meusebach seinen sammlerischen Ehrgeiz. Für das 17. Jahrhundert strebte er Vollständigkeit an, und das unter Einschluß des Kleinschrifttums. Selbstverständlich waren alle einschlägigen Autoren präsent. Der Sammler aber blickte weiter. Eine jede Region sollte ihre spezifische dichterische Stimme erhalten. Dann aber mußte man sich dem Gelegenheitsschrifttum zuwenden. Von Meusebach hat es in einmaliger Dichte im letzten geschichtlich möglichen Zeitpunkt zusammengebracht. Nach langen und zuweilen zermürbenden Verhandlungen wurde seine unschätzbar wertvolle Bibliothek von der Königlichen Bibliothek zu Berlin angekauft. Die sonderte, wie damals übliche – und nicht unproblematische – bibliothekarische Praxis hinsichtlich von Altdrucken die Dubletten aus, welche in das oben aufgeführte Auktions-Verzeichnis eingingen. Ein eigenständiger Katalog der von Meusebachschen Bibliothek kam nie zustande. In ungezählten Bänden der Berliner Bibliothek ist sein Name jedoch ausgewiesen. Mit einem Schlag stieg sie zur größten Sammlung deutscher Drucke des 17. Jahrhunderts auf. Fortan nannte sie neben Breslau auch die reichste Opitz-Kollektion ihr eigen, von der der Auktionskatalog nur einen schwachen, aber immer noch respekterheischenden Eindruck vermittelt. Keinerlei Vorstellung aber gibt dieser von dem Kleinschrifttum. Es wurde in der Königlichen Bibliothek mit solchem aus anderen Quellen zu einer regional gegliederten und in umfänglicheren Sammelbänden zusammengeführten Kollektion vereinigt. Es war die größte im deutschen Sprachraum, angefüllt mit tausenden von Unikaten. Natürlich waren einzelne Bände auch Schlesien vorbehalten, in denen sich Opitz und seine Freunde ein nur hier zu erlebendes Stelldichein gaben. In der Folge des Zweiten Weltkriegs wurde auch dieses sammlerische Vermächtnis empfindlich getroffen. Manche der unersetzlichen Bände gingen ganz verloren. Was gerettet wurde – und dies ist denn doch die große Mehrheit – wurde auseinandergerissen. Teile stehen heute in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau, andere in der Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
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In der Bibliothek des Osnabrücker Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit ist die Sammlung wieder zusammengeführt. Das Institut bewahrt die Filme aus Berlin und Krakau und hat die Bestände in der Abfolge der Berliner Signaturen in zahlreichen Bänden vereinigt. Vgl. G.[ustav] A.[dolf] E.[rich] Bogeng: Die großen Bibliophilen. Band I–III.- Leipzig: Semann 1922, Band I, S. 323–330, Band III, S. 158 f.
K.[arl] W.[ilhelm] L.[udwig] Heyse: Bücherschatz der deutschen Nationalliteratur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Systematisch geordnetes Verzeichnis einer reichhaltigen Sammlung deutscher Bücher aus dem Zeitraume vom XV. bis um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts. Ein bibliographischer Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte.- Berlin: Stargardt 1854. Reprint Hildesheim: Olms 1967. Ein nur um weniges jüngerer Zeitgenosse von Meusebachs namens Karl Wilhelm Ludwig Heyse (1797–1855) wirkte als Schüler August Böckhs im Fach Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Das nachnapoleonische Berlin war ein Zentrum großer Sammler und zu ihnen durfte sich auch Heyse, der Vater des Dichters Paul Heyse, zählen. In seiner Bibliothek überwiegt das 15. und 16. Jahrhundert merklich. Davon insbesondere profitierte wiederum die Königliche Bibliothek zu Berlin. Über tausend Volkslieder allein nahm sie neben vielem anderen aus Heyses Bibliothek nach deren Auflösung in ihren Besitz. Heyse gliedert seinen Bücherschatz in zwei Abteilungen. Die Zäsur bezeichnet das Jahr 1624. Es ist das Jahr, da Opitzens ›Poeterey‹ erscheint, mit der auch für Heyse eine neue Epoche der deutschen Dichtung eröffnet wird. Die Zahl der Opitz-Drucke selbst ist insgesamt durchaus schmal. Genau zehn Titel weist der gut erschlossene Katalog aus. Zahlen aber sagen einem Sammler und Bibliophilen wenig. Er ist auf Qualität und auf Novitäten aus. In einer jeden Bibliothek von Rang verbergen sich Rara. So auch in derjenigen Heyses. Unter der Nummer 2281 findet sich der Eintrag: ›L. Annaei Senecae Troas adjuncta illius metrica Martini Opitii versione Germanica. Halle. 1685. 8°‹. Der Verfasser dieser Zeilen gesteht, von diesem Werk vorher noch nie gehört zu haben. Dünnhaupt führt es unter der Nummer 75.I. mit Verweis auf Goedeke und eben auf Heyse auf. Beide, Goedeke wie Dünnhaupt, sind möglicherweise nur über Heyse auf diese Spur geraten. Beide geben Berlin als einzigen Standort an. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, daß das Exemplar aus der Bibliothek von Heyse herrührt. Szyrocki kennt den Titel nicht. In Breslau befindet er sich also offensichtlich nicht. Vgl. G.[ustav] A.[dolf] E.[rich] Bogeng: Die großen Bibliophilen. Band I–III.- Leipzig: Semann 1922, Band I, S. 331; Band III, S. 162.
Wendelin von Maltzahn: Deutscher Bücherschatz des 16, 17. und 18. bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts.- Jena: Mauke 1875. Register von Georg Völcker.- Frankfurt a.M.: Völcker 1882. Reprint Hildesheim: Olms 1966. Sollte ein dritter Sammler mit ausgesprochenem Blick gerade auch für das 17. Jahrhundert namhaft gemacht werden, so wäre es Wendelin Freiherr von Maltzahn (1815–1889). Sein sammlerisches Interesse galt vorzugsweise Originalausgaben des 17. bis 19. Jahrhunderts. Er legte Wert auf ›schöne Exemplare‹, wie er im Vorwort betont, und weist ausdrücklich darauf hin, daß die meisten der von ihm gesammelten Bücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert mit Originaleinbänden versehen seien. Anders als von Meusebach und ebenso wie Heyse war es ihm vergönnt, eine originäre Vorstellung von seinen Kollektionen zu geben. Der ›Deutsche Bücherschatz‹ ist – wie derjenige Heyses – von ihm selbst verfaßt. Erstmals kommt mit seiner Sammlung in einer dritten Abteilung die Literatur seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mit Goethe im Zentrum zum Zuge. Die Kollektion gelangte 1890 zur Versteigerung. 35 Werke von Opitz und acht zu seiner Rezeption – angefangen mit der Gedächtnisrede des Colerus – weist Maltzahn aus. Darunter befinden sich nochmals erlesene Kostbarkeiten wie die ›Dafne‹ oder das ›Annolied‹. Und wieder hält der Leser gespannt an einer Stelle inne. Unter der Nummer 58 in
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der zweiten Abteilung des Werkes, die dem 17. Jahrhundert gewidmet und verschwenderisch reich ausgestattet ist, findet sich der Eintrag: ›Martini Opitzes ... Epistolische Lieder. ... von Jacob Hintzen, Musico Instrumentali der Stadt Berlin. Altus. 4°. (1661?)‹. Dünnhaupt hat den Katalog Maltzahns sorgfältig eingesehen. Unter der Nr. 99.8 seiner Opitz-Bibliographie führt er den Titel auf und versieht ihn mit dem Zusatz: »Qu. 4°.– Expl. früher bei Maltzahn II,58.– Ohne Standortnachweis bei Goedeke III,43, 141; nicht bei Szyrocki.– Datierung nach Maltzahn; mit Noten.« Ob sich die gesonderte Altstimme erhalten hat? Die Frage ist offen und wäre ohne von Maltzahn nicht in der Welt. Um solcher Informationen wegen ist der Bibliograph unterwegs und eben deshalb die hier im Anhang unserem Werk beigegebenen kleine ›Literaturkunde‹. Wie zu von Meusebach und zu Heyse sind auch zu von Maltzahn die jeweiligen Einträge zu vergleichen in dem dreibändigen Werk von Bogeng (1922), Band I, S. 311; Band III, S. 154.
Karl Biltz: Neuer Deutscher Bücherschatz. Verzeichnis einer an Seltenheiten ersten Ranges reichen Sammlung von Werken der deutschen Literatur des XV. bis XIX. Jahrhunderts. Mit bibliographischen Bemerkungen und einem Anhang: Das wiedergefundene Wittenberger Gesangbüchlein vom Jahre 1526.- Berlin: Imberg und Lesson 1895. Reprint Hildesheim: Olms 1967. Noch einmal konnte ein Sammler im 19. Jahrhundert eine bedeutende Sammlung mit erkennbarem Schwerpunkt auch und gerade im 17. Jahrhundert zusammenbringen. Diejenige von Karl Friedrich Biltz (1830–1901) gelangte 1895 zur Versteigerung. Der Katalog, dem auch der Titel entstammt, ist systematisch gegliedert. Er setzt sich aus vier Abteilungen zusammen. Eine erste umfaßt Wörterbücher, Sprachlehren und Literaturgeschichte, eine zweite und besonders reichhaltige Bibeln und Bibelkunde, Hymnologie, Lutherschriften und Reformationsliteratur, eine dritte ›Altdeutsche Litteratur‹ und eine vierte ›Neudeutsche Litteratur‹, eröffnet mit dem 16., gefolgt vom 17. und endend mit dem 18. und 19. Jahrhundert. An der Spitze des 17. Jahrhunderts figuriert Martin Opitz. Als erster Titel erscheint die Zincgrefsche Ausgabe von 1624, versehen mit dem – vom Auktionator herrührenden – Kommentar: »Von Zincgref besorgte, insbesondere des Anhangs wegen [!] wichtige und sehr seltene erste Ausgabe von Opitzens Gedichten.« (S. 177) Die ›Poeterey‹ von 1624, die ›Poemata‹ von 1625 und von 1629 – merkwürdigerweise von Biltz für die Jahre 1628 und 1629 ausgewiesen –, die Ausgabe letzter Hand von 1644 und die Amsterdamer Ausgabe 1645/46 schließen sich an. Es fehlen die Hünefeldsche und die späte Fellgiebelsche Ausgabe. Dafür aber kann Biltz aufwarten mit dem bei Hünefeld erschienenen ›Annolied‹ aus dem Jahr 1639, versehen mit dem nur allzu berechtigten Zusatz ›Sehr selten!‹. Nicht weniger als 55, teils wiederum äußerst seltene Drucke aus dem 17. Jahrhundert hat Biltz zusammenbringen können. Wie den Einträgen bei Bogeng (Band I, S. 162) und dem ›Lexikon des Gesamten Buchwesens‹, (1I,218 und 2I,444) zu entnehmen, gingen viele der Titel in die Sammlungen des berühmten Berliner Antiquars Martin Breslauer über.
Sammlung Victor Manheimer. Deutsche Barockliteratur von Opitz bis Brockes. Mit Einleitung und Notizen von Karl Wolskehl. Auktionskatalog Karl & Faber München 1927 (Katalog Nr. 27). Reprint Hildesheim: Olms 1966 und 2013. Original-Katalog mit Beilage der ›Schätzungspreise‹ und einzelnen Einträgen der erzielten Preise im Besitz des Verfassers. Eine weitere Versteigerung ›Aus der Bibliothek Victor Manheimer. Von Gottsched bis Hauptmann‹ bei Paul Graupe in Berlin und Emil Hirsch in München war 1924 vorausgegangen. Während der Barock-Katalog mit einer Vorrede von Karl Wolfskehl versehen ist, hat Manheimer selbst eine solche zu dem Katalog des 18. und 19. Jahrhunderts beigesteuert. Victor Manheimer war im Jahr 1904 mit einer einschlägig gebliebenen Dissertation zur ›Lyrik des Andreas Gryphius‹ hervorgetreten, die in Göttingen bei Gustav Roethe entstanden war. Schon in ihr verriet sich der Sammler, der in engstem Kontakt nicht nur mit der reichen Göttinger Universitätsbi-
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bliothek, sondern auch den Stadtbibliotheken in Breslau und Danzig gearbeitet hatte. Ein weit über einhundert Seiten umfassender zweiter Teil brachte ›Materialien zur Biographie des Gryphius‹, einen Neudruck des Lissaer Sonnetbuchs von 1637 sowie Berichtigungen und Nachträge zu der GryphiusAusgabe von Hermann Palm, eben demjenigen Forscher, der uns auch im Zusammenhang mit Opitz stets wieder begegnete. Im gleichen Jahr 1904 erschien von Manheimer im Euphorion (Band 11, S. 406 ff, S. 705 ff.) eine Bibliographie der Gryphius-Drucke mit zahlreichen erstmaligen Nachweisen. Die Versteigerung der Bibliothek Manheimer gute zwanzig Jahre später, dessen Inhaber das Leben eines Privatgelehrten geführt hatte, fiel in eine Hochzeit der Barockforschung. Das heiß begehrte Gut ging in die verschiedensten Richtungen und nicht zuletzt in die Hände desjenigen, in dessen Haus die Auktion erfolgte, wie sogleich zu zeigen. Was da aber statthatte auf dem Gebiet des barocken Buchwesens kam am sinnfälligsten darin zum Ausdruck, daß kein Geringerer als Karl Wolfskehl sich zur Verfügung stellte, um die Einleitung zu Werk und Sammlung zu übernehmen und einen jeden einzelnen Titel kenntnisreich und souverän zu kommentieren. Wie das spätere Werk Faber du Faurs stellt auch der Katalog der Sammlung Manheimer dank des Sammlers und seines bibliophilen Dolmetschers eine singuläre Verlautbarung zum Zeitalter des literarischen Barock dar. Nahezu alle Opitz-Ausgaben hat Manheimer besessen. Hinzutreten gut zwanzig weitere Einzeltitel teilweise seltensten Vorkommens, darunter eigenhändige Widmungsexemplare, wie sie später dann bei Faber du Faur wiederkehren sollten. Eingereiht ist mit Verweis auf Maltzahn die Gedenkrede von Colerus auf Opitz. Dazu Wolfskehl: »Eine ›Laudatio‹ aus tiefster persönlicher Erinnerung und Anteilnahme geschöpft unter Einflechtung aller wichtigen Daten, von dem treuesten und opitzschisten aller Opitzianer, als Schulactus gehalten.« (Ad Nr. 311). Die Folge schließt mit einem undatierten Gelegenheitsstück auf Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau. Und auch dazu Wolfskehl: »Sehr selten! Lobverse Opitzens auf den noch ganz jungen Hoffmannswaldau, den er sehr bewunderte.« (Ad Nr. 313). Die wenigen Zeilen im Vorspann zum Opitz-Kapitel gehören zum Gescheitesten, was über Opitz in Gestalt einer Kurzcharakteristik verfügbar ist. An dieser Stelle sei der Hinweis angebracht, daß Auktionskataloge eine wichtige quellenkundliche Funktion besitzen. Es reicht, an die beiden berühmtem Versteigerungen zur ›Deutsche(n) Literatur der Barockzeit‹ im Erasmushaus zu Basel oder auch im Auktionshaus Hauswedell zu Hamburg zu erinnern. In dem letzteren gelangten auch Opitz-Bestände aus der Bibliothek von George Schulz-Behrend zur Versteigerung,
Curt von Faber du Faur: German Baroque Literature. A Catalogue of the Collection in the Yale University Library. Band I–II.- New Haven/Conn., London: Yale University Press 1958–1969. Bibliography-Index to the Microfilm Edition of the Yale University Library Collection of German Baroque Literature.- Woodbridge/ Ct 1971. Reprint 1988. Der Auktionator Curt von Faber du Faur wurde selbst zum Sammler und schließlich zum Schöpfer der bedeutendsten Kollektion und des gehaltreichsten Katalogs, über den die Barock-Philologie verfügt. Richard Alewyn, mit Faber du Faur befreundet und wie dieser zur Emigration in die Vereinigten Staaten gezwungen, ließ es sich nicht nehmen, in dem aus den Händen von Hans Pyritz übernommenen ›Euphorion‹ das faszinierende Schatzhaus vorzustellen (Band 54, 1969, S. 222 f.) Da hieß es abschließend in der Miszelle im Blick auf die jedem Titel beigegebenen Kommentare: »Sie zeichnen sich aus durch eine selten gewordene Sachtreue und eine schlechthin einzigartige Gegenstandsnähe. Man kann wohl getrost behaupten, daß es keinen lebenden Menschen gibt, der so viele Bücher des deutschen Barock so oft in der Hand gehabt, geschweige einen so langen und intimen Umgang mit ihnen gepflogen hat. Man sollte dieses Werk daher nicht nur zum Nachschlagen benutzen, man sollte mit ihm umgehen, in ihm spazieren gehen, und auch dies nicht nur, um sich durch unerwartete Funde belohnen zu lassen, sondern einfach, um den Geruch einzuatmen, der diesen Speichern entströmt und in dem für jeden, dessen Sinnesorgane nicht heillos verkümmert sind, die Atmosphäre des Zeitalters in einer Verdichtung enthalten ist, an der die meisten der luftigen Spekulationen der modernen Barockwissenschaft zuschanden werden.«
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Der erste Band des Werkes ist Karl Wolfskehl gewidmet, der zweite, nach Faber du Faurs Tod (1966) erschienen, ist von Faber du Faurs langjähriger Mitarbeiterin Hedwig S. Dijon betreut und von Heinrich Henel mit einem Vorwort versehen worden. Die feinmaschige Gliederung des ersten Bandes wurde beibehalten. Das vierte Kapitel des Werkes, betitelt ›The Realm of Martin Opitz‹ ist Opitz und den Opitzianern, den Leipziger Studenten-Lyrikern und dem Königsberger Dichter-Zirkel gewidmet. Im Anschluß an Zincgref wird das Werk Opitzens eingeführt. Es umfaßt im Hauptwerk die Nummern 200–237, im Anschlußwerk sieben weitere Nummern, eingereiht als mit ›a‹ ausgezeichnete Titel in die vorgegebene Folge des ersten Bandes, darunter das ›TrostGedichte‹ (221a.). Die erste Reihe wird beschlossen mit der Danziger ›Klag-Schrift‹ aus dem Jahr 1640 und der ›Lob- und Gedächtnisrede‹ von Gottsched aus dem Jahr 1739; die zweite unter der Nummer 237a mit dem zweibändigen Lindnerschen Opitz-Kompendium aus den Jahren 1740–1741. Die Gedächtnisrede von Colerus war nicht im Besitz von Faber du Faur. Ein einziges Beispiel sei aufgeführt, um den Rang des Werkes zu demonstrieren. Das erste aufgeführte Stück ist eine Rarität erster Ordnung, handelt es sich doch um Opitzens Heidelberger Rede auf den Winterkönig, die eingehend im vorliegenden Werk behandelt wurde. Dazu Faber du Faur: »In this work Opitz shows himself a passionate protagonist of the Winter King (Friedrich I, King of Bohemia and Elector Palatinate, 1596–1632). The concluding sonnet on the occasion of the king’s entrance into Breslau must have especially compromised him with the Catholic party. Afterward he learned caution and never again really took sides – indeed he kept back his next work, the ›Trostgedicht in Widerwertigkeit des Krieges‹ for a long time.« Annotationen dieses Zuschnitts konnten nur verfaßt werden von einem Kenner, der mit jedem Titel intim vertraut war. Die Opitz gewidmeten Blätter aus der Feder von Faber du Faur gehören allemal zu dem virtuellen Begleitwerk unseres Buches, dessen Vergegenwärtigung dieser Anhang gewidmet ist. Die Aufführung eines jeden Titels impliziert ein Wort des Dankes.
Harold Jantz: German Baroque Literature. A Descriptive Catalogue of the Collection of Harold Jantz. And a Guide to the Collection on Microfilm. Band I–II.- New Haven/Conn:: Research Publications, Inc. 1974. Neben die Sammlung von Faber du Faur tritt diejenige von Harold Jantz. Indem beide in die Verfilmung der Bestände einbezogen wurden, stand auf einen Schlag der Barockforschung frühzeitig ein gediegener Fundus an Quellen an jeder denkbaren Stelle zur Verfügung. Die Verfilmung von Duplikaten wurde vermieden. In dem Werk von Jantz sind die auch bei Faber du Faur vorhandenen Titel ausgewiesen, so daß ein bequemer Überblick möglich ist, welche Werke sich nur in der Kollektion Jantz befinden. Es sind dies erheblich mehr als die rund fünfhundert Dubletten. Jantz lehrte Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Johns Hopkins Universität in Baltimore (Maryland). In Kooperation vor allem mit der Yale-University, welche die Sammlung Faber du Faur beherbergt, wurde die Katalogisierung der mächtigen Sammlung vorgenommen. Fachleute auf dem Gebiet des 17. Jahrhunderts wie Richard E. Schade beteiligten sich an ihr; andere wie Martin Bircher standen mit Rat und Tat zur Seite. Zustandegekommen ist ein äußerst zuverlässiges bibliographisches Auskunfts-Instrument, in dem zugleich viele bislang mitgeschleppte Irrtümer ausgemerzt werden konnten. Der Katalog ist alphabetisch angelegt und verweist zugleich auf die Positionierung der Texte auf den Filmen. Der Opitz-Eintrag ist genau auf dem Übergang vom ersten zum zweiten Band plaziert. Er umfaßt 26 teils wiederum äußerst seltene Titel, darunter vier nicht zugleich für Faber du Faur ausgewiesene. Die Kollationierung ist mustergültig und wird von gelegentlichen weiteren Annotationen begleitet. Auch die interne Reihenfolge ist alphabetisch. Der Filmbestand soll möglichst unkompliziert erschlossen und nachgewiesen werden. Das sammlerische Vermächtnis aus den Vereinigten Staaten bleibt eindrucksvoll. Beide Kollektionen haben zahlreichen daselbst entstandenen Dissertationen gute Dienste geleistet. In einer Reihe von Fällen wurden Bibliographien und Editionen über sie initiiert.
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I.3. Bibliotheks-Kataloge Wie Kataloge von Sammlern besitzen auch solche von Bibliotheken eine je eigene Physiognomie. Für einen Bibliotheksreisenden gibt es kein aufregenderes Erlebnis als die erste Begegnung mit ihnen vor Ort. Häufig sind es nur Zettelkataloge, oftmals jedoch auch Bandkataloge. Inzwischen hat die Überführung in computergestützte Verzeichnisse große Fortschritte gemacht. Wir verharren bei den bibliothekarischen Auskunftsmitteln, die uns die Jahrzehnte über entgegentraten. Und das nicht aus Gründen der Pietät oder Nostalgie, sondern weil an ihnen in aller Regel Informationen haften, die nur ihnen, nicht aber ihren elektronischen Nachfahren eignen. Einige wenige herausragende Exempel sollen vorgeführt werden, selbstverständlich stets mit Blick auf Opitz. In unserem Buch behauptet die alte Breslauer Stadtbibliothek die zentrale Stelle. Die folgende kleine Übersicht mag der daraus resultierenden historischen Ungerechtigkeit ein wenig entgegenwirken. Das Buch selbst beruht auf Studien, die gleichermaßen in Ost- und Westeuropa, der ehemaligen Sowjetunion und den Vereinigten Staaten betrieben wurden und stets auch Opitz zugute kamen. Vorausgesetzt und nicht im Einzelnen nachgewiesen werden im folgenden die jeweils einschlägigen Beiträge im nunmehr fünfzig Bände umfassenden und von Bernhard Fabian herausgegebenen ›Handbuch der Historischen Buchbestände‹. Universitätsbibliothek Basel nebst oberdeutschem Kulturraum Die alphabetische Folge, die in dem vorliegenden kleinen Führer beobachtet wird, bringt es mit sich, daß mit Basel einzusetzen ist. Damit gelangt sogleich der oberdeutsche und genauer der oberrheinische Kulturraum in das Blickfeld. Auch unser Buch sollte beigetragen haben zu der Erkenntnis, welch eminente Bedeutung ihm für Opitz und seine Generation aus dem alten deutschen Sprachraum des Ostens zukam. Bibliothekarisch war er über drei Zentren manifest. Heidelberg gehörte zu ihm bis zur Katastrophe in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts und nahm sodann einen eigenen Weg; darüber weiter unten. Straßburg besaß in der alten Stadtbibliothek ein Juwel von seltener Gediegenheit. Mit der Zerstörung durch preußische Truppen bei Einsatz des deutsch-französischen Krieges im Jahr 1870 verlor die Fachwelt eine Memorialstätte ersten Ranges auch und gerade für die Zeit um 1600. Die immensen Verluste konnten selbstverständlich nur partiell behoben werden, und wenn dies in erheblichem Maße geschah, so ist dies vor allem dem Wirken von Rodolphe Reuss zu verdanken. Nur Basel als drittes bibliothekarisches Quartier ist von den Wirren des Krieges verschont geblieben. Die Spuren der Späthumanisten sind allenthalben in der Stadt gegenwärtig; am sichtbarsten womöglich in der Villa der Kollektion Frey-Grynaeus als einem Kleinod späthumanistischer Geistigkeit. Das gegebene Quartier für das Einströmen auch des Kleinschrifttums blieb die Universitätsbibliothek, die ihrerseits insbesondere durch die Kollektionen des Kirchen-Archivs gerade auch auf dem Sektor des Trauerschrifttums erheblichen Zuwachs erfuhr. Die nobilitas litteraria ist in den ungezählten Sammelbänden der Universitätsbibliothek beeindruckend gegenwärtig. Und weil die Intelligenz aus dem Osten ihre Ausbildung im Westen in diesem Mekka der gelehrten Studien am Oberrhein begann, um von dort vielfach weiterzuziehen, sind die Spuren auch der Schlesier allenthalben zumal im akademischen Schrifttum zu greifen. Freunden und Mentoren Opitzens begegnet man hier im Zuge akademischer Ehrungen nicht anders denn als Beiträgern, Widmenden und Widmungsempfängern. Die nähere Erschließung gerade dieses Materials verspricht entscheidende Einblicke in die Formation des gelehrten Lebens um 1600. Ernst Staehelin: Johann Ludwig Frey, Johannes Grynaeus und das Frey-Grynaeische Institut in Basel. Zum zweihundertjährigen Jubiläum des Instituts.- Basel: Reinhardt 1947.
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Im Spannungsfeld von Gott und Welt. Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des Frey-Grynaeischen Instituts in Basel 1747–1997.- Basel: Schwabe 1997. Klaus Garber: Elegie auf die alte Straßburger Stadtbibliothek.- In: Literatur und Kultur im deutschen Südwesten zwischen Renaissance und Aufklärung. Festschrift Walter E. Schäfer. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann.- Amsterdam/Atlanta: Rodopi 1995 (Chloe. Beihefte zum Daphnis; 22), S. 13–73.- Eingegangen in ders.: Das alte Buch im alten Europa, S. 185–236.
Preußische Staatsbibliothek zu Berlin Die Königliche Bibliothek und nachmalige Preußische Staatsbibliothek unternahm seit dem Ende des 19. Jahrhunderts alle erdenklichen Anstrebungen, in Analogie zu den großen Häusern in Paris, London und St. Petersburg zur deutschen Nationalbibliothek aufzurücken. Dazu gehörten exzellente Kataloge und auch auf dem Gebiet der deutschen Literatur Vollständigkeit bis hinein in das Jahr 1913, dem Jahr der Gründung der Deutschen Bücherei in Leipzig. Ein großartiger Realkatalog entstand, der – von einigen schmerzlichen Verlusten abgesehen – sich erhalten hat. Und ein alphabetischer Bandkatalog wurde geschaffen, den wir nur noch vom Hörensagen kennen. Er wurde ein Opfer des Krieges, verbrannte am Auslagerungsort in Pommern. Wir sind auf Ersatz angewiesen. Der besteht in einem Zettelkatalog, der parallel zu dem Bandkatalog entstand und als Hilfsmittel für die ordnungsgemäße Eintragung in diesen fungierte. Zugleich diente er der Vorbereitung des ›Deutschen Gesamtkatalogs‹, dessen Manuskript gleichfalls ein Opfer des Krieges wurde. Kopien von über hundert Zetteln s.v. Martin Opitz sind in unserer Hand. Sie sind – teilweise schwer lesbar – übersät mit zusätzlichen Notizen zu den jeweiligen Exemplaren, wie sie in keine Bibliographie eingehen. Zweit- und Mehrfach-Exemplare sind vermerkt, vielfach herrührend aus der separat aufgestellten Bibliothek Dietz. Mit der Schaffung der Kataloge ging die eines neuen SignaturenSystems einher. Auf den Zetteln finden sich vielfach noch die Vorgänger. So waren die Gesamtausgaben unter einer Signatur ›Z‹ = ›Werke‹ zusammengeführt. Auch die Sammelbände zu Opitz wurden als solche ausgewiesen unter Angabe der Stückzahl. Der Band Yh 9001 enthielt elf Nummern, der Band Yh 9002 sieben. Alle Stücke kehren dann in der alphabetischen Folge als einzelne wieder. Wenn für die äußerst seltenen ›Poëmata‹ von 1624, um nur ein Beispiel zu geben, vier Exemplare ausgewiesen wurden, und für die ›Poeterey‹ des nämlichen Jahres fünfe, genauso wie für die ›Poemata‹ von 1625, so ermißt man den Reichtum, der auf allen Gebieten der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts obwaltete. Kaum ein Titel, von dem nicht wenigstens zwei Exemplare in der Bibliothek standen. Durchgehend wurde der Grundsatz beobachtet, möglichst aller Auflagen habhaft zu werden. Auch die Opitz-Forschung hatte aufgrund dieses Quellen-Fundus über Jahrzehnte ein Zentrum in Berlin. Deutsche Staatsbibliothek 1661–1961. Band I: Geschichte und Gegenwart. Band II: Bibliographie.Leipzig: Verlag für Buch- und Bibliothekswesen 1961. Hierin u.a. Beiträge zur ›Verlagerung der Bestände im zweiten Weltkrieg und ihrer Rückführung‹ (Werner Schmidt), zur ›Aufstellung und Katalogisierung der Bestände‹ (Heinrich Roloff) um zum ›Auskunftsbüro der deutschen Bibliotheken‹ (Heinz Gittig). Werner Schochow: Bücherschicksale. Die Verlagerungsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek. Auslagerung, Zerstörung, Entfremdung, Rückführung. Dargestellt aus den Quellen. Mit einem Geleitwort von Werner Knopp.- Berlin, New York: de Gruyter 2003 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; 102).
Burgerbibliothek Bern Die Versuchung ist groß für einen Bibliotheksreisenden, der sein halbes Leben in den bibliophilen Schatzhäusern Europas und der ehemaligen Sowjetunion sowie der Vereinigten Staaten zugebracht hat, ausführlicher als geziemend zu berichten. Ihr gilt es zu widerstehen, Ausnahmen zugestanden. Zu denen gehört die Burgerbibliothek in Bern. Und das aus einem einzigen Grund: sie ist das Quartier des
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Nachlasses von Jacques Bongars. Es gab kraft Amtes als diplomatischer Emissär Heinrichs von Navarra bzw. Heinrichs IV. keinen informierteren Beobachter und aktiven Diplomaten im konfessionellen Ringen des Europas um 1600. Besonders enge Beziehungen bestanden aus naheliegenden Gründen zur reformierten Kurpfalz und ihren Wortführern. Der handschriftliche und gedruckte Nachlaß, der schon 1632 nach Bern gelangte, ist eine Quelle ersten Ranges für das um die Pfalz sich gruppierende politische, religiöse und geistige Leben. Insofern die Pfalz neben Schlesien und Polen die zentrale Position im Leben und Wirken Opitzens behauptete, ist der Opitz-Forscher allemal gut beraten, seine Blicke auch in die Schweizer Hauptstadt zu wenden. Die Erschließung der Bongars-Materialien daselbst ist vorbildlich. Clavis Bibliothecae Bongarsianae. Anno M D C XXXIIII. cod. A 5 der Bongarsiana, Bern. Wichtig wegen der systematisch gegliederten Aufführung der Bücher in der Bibliothek Bongars (im Anschluß an die der Handschriften). Zentral die Abteilung VI: Classis Poetae. Ars Poetica. Hier ist das ungemein reichhaltige Kleinschrifttum zumeist in Sammelbänden vereint. Die Stadt- und Hochschulbibliothek Bern. Zur Erinnerung an ihr 400jähriges Bestehen und an die Schenkung der Bongarsiana im Jahr 1632. Hrsg. von Hans Bloesch.- Bern: Grunau 1932. Neeracher, Verena: Versuch einer Rekonstruktion der Gelehrtenbibliothek des Jakob Bongars, 1554– 1612. Diplomarbeit [Bern] 1969. Ruth Kohlendorfer-Fries: Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554-1612).- Tübingen: Niemeyer 2009 (Frühe Neuzeit; 137).
Stadtbibliothek Breslau Im erhaltenen Gebäude der Breslauer Stadtbibliothek wird der alte Bandkatalog der Bibliothek verwahrt. Während der Benutzer der Altdrucke im ehemaligen Augustinerstift die dortigen Auskunftsmittel insbesondere in Gestalt der faksimilierten Titelblatt-Kataloge benutzt, drängt es den historischen Buchforscher gelegentlich, herüberzuwechseln an den Roßmarkt, um dort die Aura des Werkes zu erfahren, das die Erinnerung an ein Zentrum historischer Schlesienforschung bewahrt. Die besten Kräfte bis hinauf zu der illustren Reihe der Direktoren haben dem Katalogwerk ihre Kräfte zugewandt. Gespickt mit Zusätzen am Rande birgt er allemal Informationen und Winke, die nur im Umgang mit ihm zu haben sind. Wir blicken in den alphabetischen Bandkatalog, wie er nach der Gründung der Stadtbibliothek sukzessive entstand, in den Band mit dem Eintrag zu Opitz. Der Katalog im – wie üblich – großen Folio-Format ist nur einseitig beschrieben. Das hat den Vorteil, daß auf der linken Verso-Seite die Neuzugänge zumeist jüngeren Datums ihren Platz finden. Gleichwohl hat die Maßnahme nicht ausgereicht. Zu viel war auch auf den Recto-Seiten nachzutragen an zumeist zeitgenössischen Drucken. Das Bild ist überwältigend. Es ist eines – man verzeihe die Verlautbarung – aus dem alten Deutschland, dem Land der Bücher und der Bibliothekare, nicht nur in Fürstentümern und Residenzstädten, sondern ebenso in hunderten von Städten und kleineren Herrschaften. In ›1) Werke, 2) Gelegenheitsgedichte, 3) Schriften, Gedichte etc. über Opitz‹ ist das zwölf Blatt umfassende Verzeichnis gegliedert. Mit dem, was da zusammentrat, konnte keine Bibliothek auf der Welt mithalten. Am linken Rand sind die Jahreszahlen mit den Erscheinungsdaten notiert, am rechten die Signaturen. Mehrfachbesitz eines Werkes ist schlechterdings die Regel. Alle drei Schulbibliotheken beteiligen sich an dem Reigen. Wer sich auskennt in der Anlage des Signaturen-Systems – der Verfasser hatte das Glück, von dem ersten Sachkenner Adam Skura eingeführt zu werden –, weiß sie mühelos zuzuordnen. Die deutschen Bibliothekare hatten eine mustergültige Anordnung geschaffen und die traditionsbewußten polnischen Bibliothekare haben sie dankenswerterweise bei der Neuaufstellung bewahrt. Keine der großen Ausgaben fehlte, von der einen erwähnten Ausnahme abgesehen. Und so gut wie alle Einzeltitel waren vorhanden, und das zueist in allen Auflagen. Die Achillisferse einer jeden Bibliothek bildet das Kleinschrifttum. Die Bibliothekare, ob in Berlin oder London oder St. Petersburg oder wo sonst wußten darum und brachten Großartiges zusammen. Mit Breslau konnte sich auf
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dem Gebiet des schlesischen Kleinschrifttums generell und speziell in bezug auf Opitzens keine Bibliothek messen. Auch dieses rührte zumeist her aus den drei Schulbibliotheken bei den Kirchen. Zusätzlich aber war eine Abteilung ›Genealogica‹ geschaffen worden, in der weitere Exemplare unter den anlaßstiftenden Personen standen. Es grenzt an ein Wunder, daß das einmalige humanistisch-barocke Breslauer Sammelwerk, von Einbußen vor allem bei den Genealogica und in gravierendem Maße bei den Handschriften abgesehen, die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs weitgehend unversehrt überstanden hat. Ein Opitz-Forscher, der auf sich hält, muß vertraut sein mit den Breslauer Beständen. Für Osnabrück wurden sie in großem Umfang verfilmt. Klaus Garber: Die Biblioteka Uniwersytecka in Wrocław. Morphologie der Bestände, Umrisse der Provenienzen und Charakteristik der Personalschrifttums-Sammlungen [nebst:] Kommentierte Bibliographie zur Universitätsbibliothek Wrocław und ausgewählter in sie eingegangener deutscher Vorkriegs-Bibliotheken.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Hrsg. von Klaus Garber. Band I: Breslau – Universitätsbibliothek. Abteilung 1: Stadtbibliothek Breslau (Rhedigeriana/St. Elisabeth). Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann, Martin Klöker. Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2001, S. 17–49, S. 51–80. Klaus Garber: Bücherhochburg des Ostens. Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft, ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und ihre Rekonstruktion im polnischen Wroclaw.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 111), S. 539–653. Eingegangen in: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 313–438.
Stadtbibliothek Danzig Stadtbibliotheken sind nicht zuletzt die Memorialstätten des literarischen Lebens vor Ort. Dichter, die in einer Stadt gewirkt haben, hinterließen in aller Regel auch Spuren in der kommunalen Bibliothek. Einer der Großen der deutschen Literatur wie Opitz macht davon keine Ausnahme. Und die Stätte seiner letzten Jahre bestätigt diesen Grundsatz aufs schönste. Opitz ist bis heute über sein Porträt und sein Spätwerk in der ehemaligen Danziger Stadtbibliothek gegenwärtig, der unter hervorragenden Direktoren und Fachkräften in der polnischen Ära ein respekterheischendes Nachleben vergönnt ist. Die ausstehende Ausgabe des Opitzschen Werkes aus seinem letzten Lebensjahrzehnt wird davon allemal profitieren. Die Träger der großen Namen und die Texte, die Opitz ihnen während seiner Zeit im Preußen königlich polnischen Anteils widmete, sind in Danzig in reichem Umfang vorhanden. So ist es mehr als ein Gebot historischer Gerechtigkeit, neben der Breslauer auch der Danziger Stadtbibliothek in ihrem Beitrag zur Opitz-Philologie zu gedenken. Und das um so mehr, als eben diese Bibliothek die gegebene Verwahrungsstätte für das Trauerschrifttum war, das vielfach vor Ort entstand, von namhaften Persönlichkeiten vor Ort initiiert wurde und in die Hände der großen Sammler fiel, die auch Danzig selbstverständlich sein eigen nannte. Es will etwas besagen, daß nur Danzig im Besitz des kleinen funeralen Zyklus aus den letzten Wochen Opitzens für den berühmten Mathematiker Peter Crüger ist (Oe 38 2° adl. 19). Und so nicht anders im Falle der ergreifenden Elegie, welche der Danziger Patrizier Georg Preutten den drei fast zeitgleich Dahingegangenen, dem Prokonsul Johann Ernst Schröer, dem Mathematiker Peter Crüger und eben Opitz widmete (Oe 7 2° adl. 297). Das große Kapitel Opitz in Danzig bleibt zu schreiben und die Danziger Stadtbibliothek wird dabei über ihre Schätze, zu denen nicht zuletzt ihre erhaltenen alphabetischen Zettel- und ihre glänzenden alten systematischen Bandkataloge gehören, beste Dienste leisten. [Reihentitel:] Katalog der Danziger Stadtbibliothek. I. Gedanensia.- Danzig: Kafemann 1890. [Einzeltitel:] Katalog der Gedansia der Danziger Stadtbibliothek, II. Druckschriften. Danzig 1890. Klaus Garber: Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen königlich polnischen Anteils. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte.- In: Kulturgeschichte Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sabine Beckmann,
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Kommentierte Literaturkunde
Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 103), S. 301–355. In erweiterter Version in: Das alte Buch im alten Europa (2006), S. 439–489. Ders.: Die Danziger Stadtbibliothek. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Umkreis der Stadt [nebst] Bibliographie zur Bibliotheksgeschichte Danzigs im kulturgeschichtlichen Kontext.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band XXIII: Danzig – Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung 1: Gedansensia. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann, Klaus Garber unter Mitarbeit von Stefania Sychta.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2009, S. 15–50, S. 51–60. Ders.: Der alte deutsche Sprach- und Kulturraum des Ostens. Erinnerung an eine versunkene Welt im Spiegel von Achiven und Bibliotheken.- In: Das alte Buch im alten Europa, S. 677–748. [Hierin:] Preußen Königlich Polnischen Anteils S. 703–725. Danzig: S. 704–710 (mit ausführlicher Literatur).
Sächsische Landesbibliothek Dresden Dresden behauptet für den Barock-Forscher und speziell den Schlesienkundler eine Sonderstellung. Im Herbst 1979 konnte die Bibliothek erstmals besucht werden. Die Erwartungen waren groß und wurden katalogisch nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Ein verschwenderischer Reichtum trat auf den großformatigen, in Kapseln verwahrten und sorgfältig die Jahrzehnte über gepflegten Katalogkarten dem Betrachter entgegen. Der richtete sein Augenmerk in erster Linie auf die Leipziger Liederdichter mit Johann Hermann Schein an der Spitze. Keine andere Bibliothek konnte sich rühmen, diese seltenen, zumeist aus Wort und Ton bestehenden Texte so vollständig beisammen zu haben. Glitt dann der Blick zu weiteren Autoren des 17. Jahrhunderts herüber, so wiederholte sich das Staunen. Die Sächsische Landesbibliothek war ein Hauptquartier der schönen Literatur des Zeitalters. Und so auch im Falle Opitzens. Nicht nur die Sammelausgaben seiner Werke seit 1624 waren so gut wie komplett zusammen. Auch zahlreiche und vielfach äußerst seltene Einzeltitel fanden sich. Nicht nur unter der Sigle ›Lit. Germ. rec.‹ standen sie, sondern vielfach auch unter der Sigle ›H. Polon‹. Da machte sich die Nähe und zeitweilig auch die Personalunion des Kurfürstentums Sachsen mit dem Königreich Polen geltend. Und nicht nur das. Zu Ende des 19. Jahrhunderts war die Schloßbibliothek des Hauses Brandenburg-Oels der Dresdener Bibliothek zugefallen. Folglich excellierte sie auch auf dem Sektor der Silesiaca. Die Opitz-Forschung aus der Vorkriegszeit, angefangen bei Hermann Palm, hat davon vielfältig profitiert, waren doch manche Stücke nur hier greifbar. Dieser unsagbar reiche Schatz ist seit dem Zweiten Weltkrieg zerstoben. Das direkt an der Elbe gelegene Japanische Palais, in dem die Bibliothek untergebracht war, wurde ein Opfer des Bombenterrors, der die einzigartige Barockstadt in den letzten Kriegswochen heimsuchte. Und die ausgelagerten Schätze – von rund 200.000 Titeln ist hier die Rede – kehrten vielfach nicht in die sächsische Metropole zurück. 1984 besuchten wir erstmals die Lenin-Bibliothek in Moskau, ausgestattet mit einem erklecklichen Verzeichnis von Stücken aus der Landesbibliothek. Die meisten der gesuchten Werke befanden sich daselbst und wir waren seit 1945 womöglich die ersten, die die Kostbarkeiten wieder in die Hand nahmen. Das wertvollste Dresdener Buchgut ist also vielfach gerettet, doch nicht mehr am angestammten Platz. Keine noch so intensive Bemühung um eine Restitution war bislang von Erfolg. Dresden aber hat seine Saxonica-Abteilung retten können. Und die ist – einschl. der Lusatica – und neben den Silesiaca vornehmlich aus der Oelser Quelle auch eine Fundgrube für die Opitz-Zeit geblieben. Einige Titel von Opitz und aus seinem Umkreis sind nur in Dresden überliefert. In dem bibliothekarischen Netz, das wir über wenige Knotenpunkte knüpfen, hat auch die alte Landesbibliothek, die nun zugleich als Staats- und Universitätsbibliothek fungiert, ungeachtet aller Opfer nach wie vor ihren festen Platz. Klaus Garber: Der Zweite Weltkrieg und seine bibliothekarischen Spätfolgen. Noch immer geteilte Sammlungen deutscher Literatur in großen historischen Bibliotheken Europas und ihre Restitution als europäische Aufgabe.- In: Das alte Buch im alten Europa (2006), S. 611–663. [Hierin:] Dresden/ Moskau, S. 641–654 (mit reicher Literatur).
Kommentierte Literaturkunde
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Stadtbibliothek Elbing Ist es mehr als eine nostalgische Reminiszenz, auch der alten Elbinger Stadtbibliothek in einem OpitzBuch zu gedenken? Raumkundlich orientierte Arbeiten sind auf gediegene Träger der Überlieferung verwiesen. Sie haben es durchweg mit Brückenlandschaften zu tun. Eine solche stellt in akademischgymnasialer wie archivalisch-bibliothekarischer Hinsicht die Trias Danzig – Elbing – Thorn dar. Elbing bildet das unverzichtbare Mittelglied. Nicht, daß die alte Stadtbibliothek ein gediegenes Quartier mit Opitz-Drucken gewesen wäre. Ein knappes Dutzend Titel macht der nicht genug zu rühmende Historiograph und Bibliograph der Elbinger Stadtbibliothek namhaft. Doch auch hier ist das besonders Wertvolle wieder preußen-polnisch bezogen. Die Trauerrede für Fabian von Czema findet sich ebenso wie die Lobreden auf Prinzessin Anna und Raphael Leszczyński, sie alle bezeichnenderweise aus dem Druckort Thorn nach Elbing herübergekommen. Elbings Bedeutung als bibliothekarischer Fixpunkt liegt für den Kulturgeographen und speziell den Opitz-Forscher wie im Falle Danzigs und Thorns vor allem in der reichen zeitgenössischen Literatur im Schnittpunkt von deutsch-polnischen Überlieferungen, wie sie allemal so typisch blieb für das Preußen Königlich Polnischen Anteils. Und tritt dann – wiederum wie im Falle Danzigs und Thorns – eine akademische Zunft hervor, die sich um die Porträtierung der Gelehrtenkultur vor Ort verdient macht, so sind alle Voraussetzungen für eine ersprießliche Erschließung des lokalen literarischen Lebens nebst den weit über die Region hinausreichenden kommunikativen Netzwerken vorhanden. Soeben sind die Schätze der Elbinger Stadtbibliothek zu einem guten Teil aus der Universitätsbibliothek Thorn und anderweitigen Quartieren in die Mauern der Stadt zurückgekehrt. Eine im Krieg schwer getroffene Stadt erlebt ihre Wiederauferstehung auch bibliothekarisch. Es besteht gebührende Veranlassung, der Elbinger Memorialstätte auch im Falle Opitzens lesend und forschend zukünftig die ihr gebührende Ehre zu erweisen. Neubaur, Leonhard: Katalog der Stadtbibliothek zu Elbing. Band I–II.- Elbing: Kühn 1893–1894. Fridrun Freise: Das Elbinger Gelegenheitsschrifttum. Die heutigen Bestände vor dem Hintergrund der Geschichte der historischen Sammlungsinstitutionen [nebst] Bibliographie.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band XXI: Elbing – Elbinger Cyprian-K-Norwid-Bibliothek. Archäologisch-Historisches Museum Elbing. Staatsarchiv Danzig. Universitätsbibliothek Thorn. Elbinger Bestände unter Berücksichtigung der historischen Sammlungen der ehemaligen Elbinger Stadtbibliothek und des ehemaligen Elbinger Stadtarchivs. Hrsg. von Fridrun Freise unter Mitarbeit von Stefan Anders, Sabine Beckmann.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2008, S. 21–71, S. 73–87. Klaus Garber: Der alte deutsche Sprach- und Kulturraum des Ostens. Erinnerung an eine versunkene Welt im Spiegel von Achiven und Bibliotheken.- In: Das alte Buch im alten Europa, S. 677–748. [Hierin:] Preußen Königlich Polnischen Anteils S. 703–725. Elbing S. 710–719 (mit ausführlicher Literatur).
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die traditionsreiche Bibliothek, wie die Stadt selbst weitgehend ohne Einbußen ihrer historischen Substanz durch den Zweiten Weltkrieg gekommen, hat ihren Schwerpunkt bekanntlich im GründungsJahrhundert der Universität selbst, dem achtzehnten. Gleichwohl verfügt sie auch über bedeutende Bestände im 17. Jahrhundert. Das zeigt sich auch im Blick auf Opitz und beginnt mit einem Sammelband kleiner Schriften mit sieben Nummern aus den Jahren 1628 bis 1638, die kein Geringerer als Hoffmann von Fallersleben zusammenbrachte, der zeitweilig in der Bibliothek residierte. So gut wie alle zeitgenössischen Ausgaben sind vorhanden und darüberhinaus ist ein reicher Fundus an Einzelstücken zu finden. Zudem ist Göttingen die maßgebliche Institution für die dichtungs- und wissenschaftsgeschichtlichen Anschlüsse im 18. Jahrhundert geblieben, die auch der Opitz-Rezeption vielfältig zugute gekommen sind. Schließlich darf darauf hingewiesen werden, daß auch im großartigen historischen Real-Katalog gebundene Kopien mit seltenen bzw. unikaten Opitz-Texten ausgewiesen sind, die über Entdeckungen des Verfassers in Bibliotheken Osteuropas und Rußlands hereinkamen.
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Kommentierte Literaturkunde
Wilhelm Fuchs: Zur Theorie und Praxis des Realkatalogs. Untersuchungen über wissenschaftliche Bibliotheksordnung. Zugleich ein Beitrag zur Theorie der Sach- und Fachbibliographie.- Göttingen: Häntzschel 1941–[ca. 1945] (Hainbergschriften; 9); nebst Ergänzungsband: Optimale Klassifikation und Notation. Grundgedanken und geschichtliche Materialien.- Göttingen: Schönhütte & Söhne 1958.
Stadtbibliothek Hamburg Die Erwähnung der alten Hamburger Stadtbibliothek im vorliegenden Zusammenhang dürfte Erstaunen hervorrufen. Daß sie gut bestückt war mit Literatur zum 18. Jahrhundert, da die Stadt – wie auf andere Weise Leipzig und Zürich – zu einer der Hochburgen des literarischen Lebens aufrückte, war in Fachkreisen bekannt. Aber im Blick auf das 17. Jahrhundert? Wiederum kann man sich bis heute dem erhaltenen mächtigen Real-Katalog anvertrauen. Band acht in der Reihe ›Philologie der neueren Völker‹ (SCa VIII) wird eröffnet mit der – von Gervinus entlehnten – Rubrik ›Rücktritt der Dichtung aus dem Volk unter die Gelehrten‹. Eben dies war im Medium der deutschsprachigen Literatur das vornehmste Bestreben von Opitz. Und so barg auch die Hamburger Stadtbibliothek ein erhebliches Aufkommen an Opitz-Titeln, wie überhaupt die Dichtung des 17. Jahrhunderts reichhaltig vertreten war. Ihre Pflege alsbald nach der – glanzvollen – Gründung der Hamburger Universität im Jahre 1919 lag in den Händen einer ausgesprochenen Kennerin der Barockliteratur namens Hildegard Bonde. Ihr oblag das schwere Geschäft, Werke für die Auslagerung zu nominieren, zu der sich auch die Hamburger Bibliothekare nach dem Einsetzen der Luftangriffe auf deutsche Städte verstehen mußten. Nimmt es Wunder, daß ihr Augenmerk vor allem der Literatur des 17. Jahrhunderts galt, die unter dem jungen Ehrentitel ›Barock‹ soeben Nimbus gewonnen hatte? Die Mehrzahl der zeitgenössischen Drucke ist im erwähnten Realkatalog mit dem Vermerk versehen ›Vermißt Revision 1954‹, zumeist mit dem Zusatz in Bleistift ›Lauenstein‹. Anders als die unersetzliche Hamburgensien-Sammlung, die am Platz blieb und im Krieg weitgehend vernichtet wurde, anders auch als die überwiegend gerettete Literatur des 18. Jahrhunderts, blieb die des 17. Jahrhunderts offensichtlich vielfach erhalten, kehrte jedoch nicht nach Hamburg zurück. Sinnigerweise in der Hamburger Partnerstadt St. Petersburg fand sie eine neue Bleibe. Was dieser Aderlaß für Hamburg bis heute bedeutet, zeigt sich auch an dem Schicksal der OpitzKollektion. Erstdrucke waren in reichem Maße vorhanden und wurden so gut wie ausnahmslos – angefangen bei den ›Poemata‹ von 1624 und 1625 – in die Auslagerungs-Aktion einbezogen. An einem Beispiel sei gezeigt, was dies im einzelnen bedeutet. Unter der Ordnungsnummer ›SCa 45. Kath. 2366‹ stand ein Sammelband mit sieben Opitz-Titeln. Er enthielt die ›Poemata‹ von 1625, die ›Poeterey‹ in der Erstauflage, die ›Trojanerinnen‹, den ›Jonas‹, die ›Laudes Martis‹, das ›Hohe Lied‹ und die ›Dafne‹, durchweg also überaus seltene Stücke. Will man den Band zu Gesicht bekommen, muß man sich in die Russische Nationalbibliothek zu St. Petersburg aufmachen. Keine Bibliographie gibt bislang Kenntnis davon. Und so nicht anders im Blick auf die Schwesterstädte Bremen oder Lübeck, gar nicht zu reden von Leipzig oder den Dresdener Schätzen in Moskau. Der quellenkundlichen Arbeit steht noch ein weiter und nicht selten beschwerlicher Weg bevor, wie er auch für Opitz anzutreten bleibt. Klaus Garber: Der Untergang der alten Hamburger Stadtbibliothek im Zweiten Weltkrieg. Auf immer verlorene Barock- und Hamburgensien-Schätze nebst einer Rekonstruktion der Sammlungen Hamburger Gelegenheitsgedichte.- In: Festschrift Horst Gronemeyer. Hrsg. von Harald Weigel.- Herzberg: Bautz 1993 (bibliothemata; 10), S. 801–859. Eingegangen in ders.: Das alte Buch im alten Europa (2006), S. 237–283.
Deutsche Gesellschaft Leipzig Der Buchbestand der noch zu Ende des 17. Jahrhunderts von Johann Burchard Mencke ins Leben gerufenen ›Görlitzischen Gesellschaft‹ und nachmaligen ›Deutschübenden Poetischen Gesellschaft‹ zu Leipzig beruht zu großen Teilen auf den Sammlungen ihres langjährigen Präsidenten Johann Chri-
Kommentierte Literaturkunde
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stoph Gottsched. Angesichts des lebhaften Interesses Gottscheds an der literarischen Entwicklung im 17. Jahrhundert sind namhafte Bestände gerade auch dieses Zeitraums an die Gesellschaft gelangt. Die Bibliothek war in der Stadtbibliothek Leipzig aufgestellt, die weitgehend im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die Gesellschaftsbibliothek konnte, von einzelnen Verlusten abgesehen, gerettet werden. Es ist das Verdienst des langjährigen Direktors der Leipziger Stadtbibliothek Ernst Kroker, die Verzeichnung vorgenommen zu haben. Das Vorwort des gleichfalls langjährigen Leiters der Abteilung Handschriften und Altdrucke in der Leipziger Universitätsbibliothek Dietmar Debes, der auch dem Verfasser stets vorbildlich mit Rat und Tat zur Seite stand, bleibt lesenswert. Man darf gespannt sein, ob auch reichhaltigere Barockbestände aus der Gottschedschen Bibliothek in die Russische Nationalbibliothek St. Petersburg gelangt sind (Vgl. Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 42 (2015)). Der Eintrag zu Opitz umfaßt sechzehn teilweise sehr seltene Titel, nebst zwei unselbständigen Gelegenheitsgedichten. Bibliotheca Societatis Teutonicae Saeculi XVI–XVIII. Katalog der Büchersammlung der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Nach dem von Ernst Kroker bearbeiteten handschriftlichen Bestandsverzeichnis der Universitätsbibliothek Leipzig herausgegeben vom Zentralantiquariat der DDR in Leipzig. Mit Vorwort von Dietmar Debes. Band I–II.- Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1971.
British Library London Außerhalb des deutschen Sprachraums dürfte die British Library in London die reichste Sammlung an Barockdrucken beherbergen. Die Bibliothèque Nationale zu Paris ist entschieden ärmer. Es ist das große Verdienst von David Paisey, diese Schätze frühzeitig in einem gediegenen Katalog zugänglich gemacht zu haben. Der Benutzer selbst konnte sich in London auf unbegrenzte Zeit mit jedem gewünschten Werk versehen und eine kleine Forschungs-Bibliothek am Platz errichten; die Bibliothek in der Great Russell Street am Russell Square stand in ihrer liberalen Praxis einzig da. Wie immer ist auch der Eintrag zu Opitz lehrreich. Alle Opitz-Ausgaben sind vorhanden – mit Ausnahme der Unikate von 1638 und 1639 sowie der undatierten Ausgabe Fellgiebels und der Raubdrucke! Kenner waren vor allem im 19. Jahrhundert auch in London sammelnd und bestandsergänzend am Werk. Das Klein- und Gelegenheitsschrifttum ist eingehend berücksichtigt. Und das keineswegs nur im Falle Opitzens. Es handelt sich neuerlich um eine glanzvolle Kollektion, wiederholt herrührend aus den Schätzen der Maltzahnschen Bibliothek. Gleich in der sechsten Position stößt der Benutzer auf einen Titel, der den wenigsten bekannt sein dürfte, so auch dem Verfasser: ›Opitianischer Orpheus, Daß ist Musicalischer Ergetzlichkeiten, Erster [und] Ander Theil ... Componirt durch Johannem Erasmum Kindermann ... Cantus ... et Bassus Contjnuus. Nürnberg Jn Verlegung Wolffgang Endters A° 1642.‹ Ein Tor zur Musik ist eröffnet, die Neugierde geweckt, man wird sich kümmern. Auch die Altstimme der ›Epistolischen Lieder‹ in der Vertonung Jacob Hintzens ist vorhanden, nunmehr in einem Dresdener Druck aus dem Jahr 1695. Handelt es sich um einen zweiten Druck oder vermochte die oben von von Maltzahn mit einem Fragezeichen versehene Datierung auf das Jahr 1661 konkretisiert zu werden – die alltäglichen, niemals abreißenden, jedoch niemals lästigen Sorgen eines Bibliographen. Catalogue of Books Printed in the German-Speaking Countries and of German Books Printed in Other Countries From 1601 to 1700 in The British Library. Band I–V. [Compiled by David Paisey].- London: The British Library 1994.
Bayerische Staatsbibliothek München Auch die Bayerische Staatsbibliothek machte ihre Schätze frühzeitig zugänglich. Es war bekannt – und der Katalog bestätigt den Sachverhalt –, daß infolge des massiven Zugangs aus Klosterbesitz nach der Säkularisierung der Anteil von Literatur aus dem katholischen Einzugsbereich besonders groß war.
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Kommentierte Literaturkunde
Auf der anderen Seite bestanden enge Beziehungen zum böhmisch-schlesischem Kulturraum, die sich auch auf dem Gebiet der Literatur geltend machten. Die Bibliothek verfügt entsprechend über einen respektablen Opitz-Bestand. Freilich sind nicht mehr alle Titel vorhanden. Auch die Bayerische Staatsbibliothek hat im Zweiten Weltkrieg herbe Verluste vor allem unter ihren Neolatinistica erlitten. Wenn an dieser Stelle bei München Station gemacht wird, so auch aus einem weiteren Grund. In den frühen neunziger Jahren initiierte die Robert-Bosch-Stiftung ein umfängliches Verfilmungsprojekt von Altdrucken in polnischen Bibliotheken. Der Verfasser dieser Literaturkunde war an den vorbereitenden Beratungen beteiligt und konnte aufgrund seiner vorangegangenen Aufenthalte im Land eine Reihe von Hinweisen für schwerpunktmäßiges Altdruck-Aufkommen vor allem zum 17. Jahrhundert geben. Personalschrifttum sollte gemäß Übereinkunft von der Aktion ausgenommen werden, da dieses in dem erwähnten Osnabrücker Projekt ausgehoben, verfilmt und bearbeitet wurde. Das deutsch-polnische Kooperationsprojekt der Bosch-Stiftung hat ein reichhaltiges Ergebnis gezeitigt. Das verfilmte Material wird in der Bayerischen Staatsbibliothek vorgehalten, ist digitalisiert und online zugänglich. Die auf Schlesien bezogenen und vielfach aus Schlesien herrührenden Bestände sind überaus ergiebig. Auch für die Opitz-Philologie ist ein namhafter Fundus an dieser Stelle unmittelbar zugänglich. Bayerische Staatsbibliothek. Alphabetischer Katalog 1501–1840. Voraus-Ausgabe. Band I–LX.München etc.: Saur 1987–1990.
Bibliotheca Palatina: Heidelberg – München – Rom Keine Bibliothek im Alten Reich besaß einen klangvolleren Namen als die ›Bibliotheca Palatina‹ zu Heidelberg. Und das gleichermaßen wegen ihrer Bestände wie der zu ihrer Obhut bestellten Bibliothekare. Im speziellen und also auf Opitz und seine Freunde zielenden Blick verdichtete sich die Überlieferung nach dem Übergang zum Calvinismus in dem um den böhmischen Coup sich gruppierenden Schrifttum. Die Palatina war der gegebene Verwahrungsort und ein Sachwalter wie Janus Gruter der Ansprechpartner der Wahl vor Ort. Die katholische Gegenseite wußte, was da in der Hauptstadt des kampfbereiten Reformiertentums auf deutschem Boden an einschlägiger publizistischer Materie zusammengeströmt war. So war es folgerichtig, nach dem Sieg das Nest mit der Wurzel auszuheben. Die wertvollen Bestände wurden in den Vatikan verschleppt, aber auch nach München und andere Orte gelangten Einzelstücke. Was das bedeutete, wurde auch für die Opitz-Forschung schlagartig klar, als ein handschriftlich durchsetztes Autoren- und Widmungs-Exemplar früher Opitzscher Texte für Janus Gruter in der Bibliothek des Vatikans auftauchte. Wir haben umgekehrt immer wieder Bände der Palatina in der Bayerischen Staatsbibliothek in München in der Hand gehabt. Auch in Heidelberg sind namhafte Titel erhalten geblieben. Weitere kamen inbesondere über die Maysche Flugschriften-Sammlung hinzu. Inzwischen ist das auf die beiden Standorte in Heidelberg und Rom verteilte Gut der Palatina verfilmt und katalogisch erschlossen. Eine für die Zeit um 1600 unersetzliche Quelle ist damit auch der OpitzForschung verfügbar. Was das Werk Opitzens selbst angeht, ist Anlaß zum Staunen gegeben. Der seit 1999 vorliegende Gemeinschaftskatalog belehrt darüber, daß in Heidelberg und Rom aus der Palatina nur sieben Titel vorhanden sind. Sie alle entstammen dem Gruter gewidmeten Exemplar. Nicht ein weiterer Titel ist für die stolze Bibliothek aktenkundig. Die Vermutung liegt nahe, daß weitere Opitz-Texte wie im Falle der Poemata von 1624 schon vor der Katastrophe in die Hände der Freunde gelangten oder aber von Kennern wie Gruter rechtzeitig aus der bedrohten Bibliothek evakuiert wurden. Das Opitzsche Handexemplar barg auch ein handschriftliches Epithalamium für Gottfried Jacobi und Katharina Emmerich aus dem Februar des Jahres 1619. Von ihm hat sich nur ein gedrucktes Exemplar in Görlitz erhalten. Der handschriftlichen Fassung wird weder in dem Katalog der Palatina noch in der Bibliographie von Dünnhaupt gedacht. Die Opitz-Philologie ist immer noch gut für Überraschungen. Bibliotheca Palatina. Druckschriften. Stampati Palatini. Printed Books. Mikrofiche-Ausgabe. Hrsg. von Leonard Boyle und Elmar Mittler. Katalog und Register zur Mikrofiche-Ausgabe. Band I–IV. Hrsg. von Elmar Mittler.- München: Saur 1999.
Kommentierte Literaturkunde
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Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Faksimileausgabe des Janus Gruter gewidmeten Sammelbandes mit den handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen des Verfassers. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner.- Stuttgart: Metzler 1970 (Sammlung Metzler; 88).
Bibliothek des National-Museums Prag Ein günstigeres Schicksal hat über der pfälzisch-böhmischen Publizistik und ihrem Umfeld auf tschechischem Boden gewaltet. In einer Reihe von Adelsbibliotheken und in der Hauptstadt selbst hat eine Massierung von Quellen stattgehabt, die wohl keine Parallele besitzt. Nach dem Krieg wurden die Bestände vielfach in Prag zusammengezogen und fanden vor allem in der Nationalbibliothek und dem Nationalmuseum eine neue Bleibe. Wir haben vor allem das reiche Flugblatt- und Flugschrifttum im Nationalmuseum wiederholt studiert, dessen sich insbesondere Mirjam Bohatcová vorbildlich angenommen hat. Dort ist auch das Wirken etwa von Abraham Scultetus und die vielfältige Reaktion darauf optimal dokumentiert. Ergänzt um die reichen Bestände in Breslau und die der virtuell restituierten Palatina ist über diese bibliothekarische Trias ein unerhört beredtes Material für die ausstehende Rekonstruktion der Epoche um 1600 verfügbar. Wie die Erforschung des mitteleuropäischen Späthumanismus kann davon auch die Opitz-Forschung nur profitieren. Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae. Band I–V. Opus ab Antonio Truhlar et Carolo Hrdina inchoatum. Josef Hejnik et Jan Martinek continuaverunt.- Prag: Academia 1966– 1982. Band VI: Supplementa.- Prag: Academia 2011. Mirjam Bohatcová: Irrgarten der Schicksale. Einblattdrucke vom Anfang des Dreißigjährigen Krieges. Aus dem Tschechischen übersetzt von Peter Aschner.- Prag: Artia 1966. Dies.: Gelegenheitsdrucke aus deutschen Offizinen des 17. Jahrhunderts. Zwei zeitgenössische Sammelbände in der Bibliothek des Prager Nationalmuseums.- In: Bücher und Bibliotheken im 17. Jahrhundert in Deutschland. Hrsg. von Paul Raabe (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; 6), S. 171–183.
Russische Nationalbibliothek St. Petersburg Die Gelegenheit sei genutzt, diesem kleinen Führer auch einen Verweis auf die russische Nationalbibliothek in St. Petersburg zu integrieren. Die Bibliothek verfügt genau wie die Londoner über eindrucksvolle Bestände zur älteren deutschen Literatur. Es handelt sich um originäre Sammlungen, die vor allem in der Glanzzeit der Bibliothek während der Mitte des 19. Jahrhunderts zusammengebracht wurden. Zu ihnen zählen zwei Bestandseinheiten, um derentwillen dieser Einschub erfolgt. Im Zuge des mächtigen Ausbaus der Bibliothek wurde auch reichhaltig Kleinschrifttum eingekauft. Es war, wie schon erwähnt, ein letztes Mal in der Mitte des 19. Jahrhunderts in größerem Stil auf dem Markt. Wie in London griffen in St. Petersburg die Bibliothekare, welche wiederholt deutscher Herkunft waren, unbedenklich zu. In St. Petersburg ist auf dem Sektor des neulateinischen wie des deutschsprachigen Gelegenheitsschrifttums eine in beiden Fällen nach tausenden zählende Kollektion zusammengekommen. Es dürfte sich um die umfänglichste neben derjenigen der einstmaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin handeln, die in Europa verfügbar ist. Wie immer befinden sich zahllose Unikate darunter. Der gesamte Bestand ist im Zuge des Osnabrücker Personalschrifttums-Projekts mit Unterstützung der VolkswagenStiftung verfilmt worden und wird zu gegebener Zeit nach dem bewährten Osnabrücker Modell erschlossen werden. Auch die Forschung zu Opitz und seinem schlesisch-pfälzischen Umkreis wird mit Gewißheit davon profitieren. Klaus Garber: Eine Bibliotheksreise durch die Sowjetunion. Alte deutsche Literatur zwischen Leningrad, dem Baltikum und Lemberg.- In: Neue Rundschau 100 (1989), S. 5–38. Eingegangen in: Das alte Buch im alten Europa (2006), S. 125–149.
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Kommentierte Literaturkunde
Rats- und Gymnasialbibliothek Thorn Thorn hat spätestens seit der Arbeit von Richard Alewyn einen guten Namen in der Opitz-Forschung. Dem sollte auch bibliothekarisch Rechnung getragen werden. Wie an keiner anderen Stelle ist der polnische Aspekt im Schaffen Opitzens auch bibliothekarisch manifest. Und das wiederum nicht im Hinblick auf einzelne Opitz-Drucke. Der Drucker und Verleger Franz Schnellboltz, den man vergeblich bei Benzing und Reske sucht, hat intensiv in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre für Opitz gewirkt. Die diesbezüglichen Texte haben sich, so weit zu sehen, kaum in Thorn, sondern vor allem in Danzig, aber eben auch in Elbing erhalten. Man schaue jedoch in die beiden parallel zu lesenden Kataloge der Rats- und der Gymnasialbibliothek zu Thorn – zwei reiche historische Institutionen, die wie so häufig zu später Stunde und nun im speziellen Fall mit der Bibliothek des Copernikus-Vereins und der Thorner Wissenschaftlichen Gesellschaft zu einer bibliothekarischen Einheit zusammengefaßt wurden. Was dort an Flugschriften und Briefen, Relationen, Chroniken und anderweitigem zeitgenössischem Schrifttum beisammen ist, vermittelt einen glänzenden Einblick in das so virulente Geschehen vor allem auf dem Gebiet der Kirchen- und Konfessions-, nicht anders als auf dem der Bildungsund Bibliotheksgeschichte im westpreußischen Raum um 1600. Für die berühmten Thorner Kolloquien und zumal das ›Colloquium charitativum‹ des Jahres 1645 ist Thorn über seine reichen Flugblatt-Sammlungen bis heute die erste Adresse geblieben. Die Lage der Stadt im deutsch-polnischen Umfeld hat auch die bibliothekarische Physiognomie merklich geprägt. Der Forschung zu dem Opitz auf preußisch-polnischen Boden ist in der vor dem Krieg verschonten Stadt ein besonders reiches historisch-kulturgeschichtliches Material verfügbar. Katalog der Gymnasial-Bibliothek zu Thorn.- Thorn: Buszczynski 1871. Katalog der Rathsbibliothek zu Thorn.- Thorn: Buszczynski 1896 (mit zwei Nachträgen von Maximilian Curtze 1883 und 1892). Sabine Beckmann: Die ehemalige Gymnasialbibliothek zu Thorn. Das ephemere Kleinschrifttum als Knotenpunkt des frühneuzeitlichen kulturellen Lebens der Stadt.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Band III: Thorn. Öffentliche Wojewodschaftsbibliothek und Kopernikus-Bücherei. Abteilung 1: Gymnasialbibliothek Thorn. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Biographie von Sabine Beckmann. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann. Teil I–IV.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2002, S. 17– 46. Klaus Garber: Der alte deutsche Sprach- und Kulturraum des Ostens. Erinnerung an eine versunkene Welt im Spiegel von Archiven und Bibliotheken in: Das alte Buch im alten Europa, S. 677–748. Hier: Preußen Königlich Polnischen Anteils S. 703–725. Thorn S. 717–725 (mit ausführlicher Literatur).
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Das Erscheinen des ersten Bandes des hier zur Rede stehenden Werkes, das schließlich zu einem mächtigen Kompendium anwuchs, stellte eine – der Erinnerung durchaus gegenwärtige – Sensation dar. Im Jahr 1972 waren erstmals Forscher aus der ganzen Welt in Wolfenbüttel zusammengekommen, um Probleme der mit der Epoche des Barock zusammenhängenden wissenschaftlichen Erschließung auf den diversen Gebieten zu beraten. Ein Jahr später wurde der Internationale Arbeitskreis für Barockforschung gegründet. Ein weiteres Jahr später fand der legendäre Barock-Kongreß unter der Ägide von Albrecht Schöne in Wolfenbüttel statt. Zwei Jahre später folgte der erste große Internationale Barock-Kongreß unter der Schirmherrschaft Wolfenbüttels. Und ein weiteres Jahr später, 1977, lag der erste Band des von Martin Bircher ins Leben gerufenen Barock-Katalogs der Herzog August Bibliothek vor. Sein Erscheinen war vor allem deshalb spektakulär, weil der Bibliophile Martin Bircher den sehr detaillierten Titelaufnahmen Faksimiles der Titelblätter hinzugefügt hatte. Sie vermittelten eine unmittelbare Anschauung der Aura des Werkes. In Breslau war das dem 17. Jahrhundert eminent entgegenkommende Verfahren beobachtet worden; nun wurde es auch in Deutschland (erstmals?) praktiziert.
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Der Gewinn war in jeder Hinsicht erheblich. Die Recherchen mußten über die verschiedenen Aufstellungen innerhalb der Bibliothek sich erstrecken. Am Schluß konnte nur noch das sehr eingehende Register den ganzen Reichtum erschließen – ein Werk, das in der Obhut Thomas Bürgers lag, der – gleichfalls für alle Freunde der Bibliothek unvergessen – von Wolfenbüttel in das Direktorat der Sächsischen Universitäts- und Landesbibliothek herüberwechselte. Auch für Opitz bedient man sich folglich der diversen Register-Einträge. Das Ergebnis ist imposant genug. Und das neben der reichen Ausbeute an Einzeltiteln auch deshalb, weil die Registrierung außerordentlich feinmaschig gearbeitet ist. So kommen etwa Beiträge von und über Opitz zum Vorschein, denen man bislang nicht begegnete, weil sie weder unter die Kategorie des Verfassers noch die des Beiträgers fallen. Wenn ein Werk von Friedrich Dedekind von Wenzel Scherffer von Scherffenstein in ›Alexandrinische Reime‹ umgearbeitet wird, und das ›nach anweisung [von] H. Opitii gegebenen reguln‹ geschieht, so erfährt man darüber etwas in dem Bircherschen Katalog, weil das Register auf die entsprechende Fährte führt. Eben diese Seitenpfade sind für den Literarhistoriker von ganz besonderer Bedeutung. Eine ›Relatio Novissima Ex Parnasso‹ enthält eingangs ein achtzeiliges Gedicht in Alexandrinern auf ›Martin Opitz der Deutschen Dichter Adler‹. Das Register führt zu dieser Trouvaille aus der Feder eines Autors, der mit einem Pseudonym zeichnet und von dem kundigen Katalog-Bearbeiter als Johann Justus Winkelmann identifiziert wird. Mehrere im Katalog aufgeführte Titel fehlen bei Dünnhaupt. Das Studium der von den Bibliotheken bereitgestellten Hilfsmittel bleibt ein officium necessarium. Inzwischen ist innerhalb des großangelegten Projekts zur Schaffung einer dezentralen Nationalbibliothek Wolfenbüttel für das 17. Jahrhundert zuständig (so wie in der Frühen Neuzeit München für das 15. und 16. sowie Göttingen für das 18.). Der titularische jährliche Zuwachs ist erheblich, darunter zuweilen seltenste Juwelen. In den ›Wolfenbütteler Barock-Nachrichten‹ wird darüber regelmäßig berichtet. Über den gedruckten Katalog hinaus ist also das zusätzliche titularische Aufkommen für das 17. Jahrhundert und speziell für Opitz im Blick zu behalten. [Korrekturnotiz:] Die soeben erfolgte Einstellung des Organs bleibt zutiefst zu beklagen. Martin Bircher; [ab 1988] Thomas Bürger: Deutsche Drucke des Barock 1600–1720 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Band I–LII.- Nendeln: KTO Press; Millwood, NY: Kraus; München: Saur 1977–2000.
II. Wege zur wissenschaftlichen Literatur Ein knappes Wort soll auch zur Information über die wissenschaftliche Literatur zu Opitz und seinem Umkreis verlauten. Dieselbe ist heute vielfach im Netz titularisch und oftmals auch im Volltext verfügbar. Doch gilt wie im Falle der Quellen-Repertorien und -Sammlungen, daß die originären bibliographischen Hilfsmittel vielfach zusätzliche Informationen bereithalten, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt. Vor allem aber werden die umfassenderen geschichtlichen Kontexte durch sie erschlossen, die über die isolierten Einzelinformationen nicht verfügbar sind. Der stetige professionelle Umgang mit den vorhandenen Bibliographien zur wissenschaftlichen Literatur im Blick auf die Geschichte der deutschen Literatur und speziell der des 17. Jahrhunderts bleibt ein selbstverständliches Gebot solider historischer Arbeit.
II.1 Abgeschlossene Bibliographien Julian Paulus; Robert Seidel: Opitz-Bibliographie 1800–2002.- Heidelberg: Palatina 2003.
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Mit dieser selbständigen Publikation werden die okkasionellen und zumeist in anderen Zusammenhängen beigefügten Verzeichnisse der wissenschaftlichen Literatur für den angegebenen Zeitraum, von Einzelfällen abgesehen, ersetzt. Die Bibliographie ist chronologisch angelegt. Ein Register der Personen, Orte, Sachbegriffe und Werke erlaubt einen gezielten Zugriff. Die Aufnahmen sind makellos gefertigt und gelegentlich annotiert sowie mit Vor- und Rückverweisen versehen. Ein gewiß ganz anders geartetes Projekt wäre für die Zeit vor 1800 außerordentlich wünschenswert.
Heiner Schmidt: Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte. Bibliography of Studies on German Literary History. Personal- und Einzelwerkbibliographien der internationalen Sekundärliteratur 1945–1990 zur deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band I–XXXIV.- Duisburg: Verlag für Pädagogische Dokumentation 1994–2003. Band XXXV–XXXVI (2003): Werktitelindex. Die Bibliographie zeichnet sich durch die Trennung von Einträgen zu Person und Gesamtwerk eines Autors und zu einzelnen Werken aus, erlaubt also eine rasche und gezielte Information zu letzteren. Als ausgesprochene Personalbibliographie ist sie folglich neben den um einzelne Epochen gruppierten Nachschlagewerken zu benutzen. Im 24. Band aus dem Jahr 2000 ist die Opitz-Literatur verzeichnet. Der Eintrag umfaßt die Seiten 131–142. Die Anordnung folgt den alphabetischen Vorgaben der jeweiligen Titel bis hinein zu Überschriften bzw. Versanfängen einzelner Gedichte. Zu beachten ist der Berichtzeitraum: 1945–1990.
Jahresberichte Mit allem Nachdruck ist an ein periodisches Organ zu erinnern, das über Jahrzehnte eine führende Stellung in der germanistischen und speziell der literaturwissenschaftlichen Berichterstattung innehatte. Es sind dies die ›Jahresberichte auf dem Gebiete der germanischen Philologie‹, die seit 1876 erschienen. Zunächst wurden Bericht und Bibliographie getrennt dargeboten, in der Neuen Folge seit 1921 wurden sodann die Titel jeweils mit einem kurzen Kommentar versehen. Eben diese Beigaben machten das Periodikum zu einer Auskunftsquelle ersten Ranges. Seit dem Jahr 1890 traten die ›Jahresberichte für die neuere deutsche Literaturgeschichte‹ hinzu, die eben mit der Opitzschen Reform im Jahre 1624 einsetzen. Zusammen mit der ›Deutschen Literatur-Zeitung‹ (DLZ) als Rezensionsorgan waren dem Fach damit vortreffliche literaturkundliche Hilfsmittel über Jahrzehnte verfügbar. Der Krieg bezeichnete auch hier eine herbe Zäsur. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften in Berlin/DDR versuchte, den Faden wieder aufzunehmen. Es erschienen noch vier gehaltreiche Bände, die in keiner anspruchsvollen Bibliothek fehlen dürfen. 1954 konnte letztmalig ein ›Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiet der Germanischen Philologie‹ für die Jahre 1936 bis 1939 vorgelegt werden, dem zwei Jahre später einer über die ›Wissenschaftlichen Erscheinungen auf dem Gebiete der Neueren Deutschen Literatur‹ für den nämlichen Zeitraum zur Seite trat. Eingeschränkt auf dieses Sachgebiet erschien sodann 1960 noch ein weiterer Band für den Berichtzeitraum zwischen 1940 und 1945, sowie im Jahr 1966 ein letzter für denjenigen zwischen 1946 und 1950. Dann wurde das traditionsreiche Werk eingestellt und fand in seiner gediegenen Form keine Fortsetzung. Es war gerade für die letzten knapp fünfzehn Jahre auch eine hervorragende Quelle für die Arbeiten aus Mittelund Osteuropa geworden. Wir müssen es bei diesen Bemerkungen belassen.
Internationale Bibliographie zur Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Erarbeitet von deutschen, sowjetischen, bulgarischen, jugoslawischen, polnischen, rumänischen, tschechoslowakischen und ungarischen Wissenschaftlern. Leitung und Gesamtredaktion: Günter Albrecht, Günther Dahlke. Band I– III. Teil I: Von den Anfängen bis 1789. Teil II,1 [und] Teil II,2: Von 1789 bis zur Ge-
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genwart.- Berlin: Verlag Volk und Wissen 1969–1971. Lizenzausgabe München-Pullach, Berlin: Verlag Dokumentation. Das Unternehmen erschien in Form von Begleitbänden zu der im gleichen Verlag herausgegebenen und schließlich auf zwölf Bände angewachsenen ›Geschichte der deutschen Literatur‹. Wenn es hier eingeführt wird, so nicht nur wegen seiner exzellenten Berichterstattung über Publikationen aus Mittel- und Osteuropa sowie der Sowjetunion, die zumeist nur hier aktenkundig wurden, sondern vor allem wegen des entschiedenen Ausgriffs auf alle relevanten geschichtlichen Sachgebiete, und dies in überzeugender interner Gliederung. Der Entfaltung der deutschen Literatur im historischen Kontext wird derart bibliographisch exzellent vorgearbeitet. 1977 erschien – wiederum unter der Leitung von Günter Albrecht – ein Supplement mit einem Sachregister nebst einem Personen- und Werk-Register. Zudem wurde in zwei mächtigen Halbbänden im Jahr 1984 ein Zehnjahres-Ergänzungsband für den Berichtzeitraum von 1965 bis 1974 publiziert. Mit der Abwicklung der Akademie kam auch dieses Werk zum Erliegen. Es bleibt das Organ der Wahl für interdisziplinär angelegte literaturwissenschaftliche Arbeit.
Bibliographie zur deutschen Literaturgeschichte des Barockzeitalters. Begründet von Hans Pyritz. Fortgeführt und hrsg. von Ilse Pyritz. Bearb. von Reiner Bölhoff. Band I–III.- Bern: Francke 1985–1994. Band II (1985): Dichter und Schriftsteller. Anonymes. Textsammlungen. Eintrag Opitz, Martin (1597–1639), S. 508–524. Im Jahr 1935 erschien in der Metzlerschen Verlagsbuchhandlung aus der Feder des Königsberger Literaturwissenschaftlers Paul Hankamer im Rahmen der ›Epochen der deutschen Literatur‹ als Band II/2 ein Werk zur deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Es war im Anhang ausgestattet mit einer ›Bibliographie zur deutschen Barockliteratur‹ aus der Feder von Hans Pyritz. Sie gab das Exempel einer Epochen-Bibliographie ab und verriet den souveränen Bibliographen, der Jahrzehnte später eine mustergültige Goethe-Bibliographie schuf. Aus umfänglichen Sammlungen wurde eine strenge Auswahl geboten. Die Bibliographie erlebte eine zweite Auflage im Jahr 1948, wiederum als Anhang der Hankamerschen Literaturgeschichte. Seit der dritten Auflage des Werkes (1964) fiel sie fort. Ilse Pyritz und Reiner Bölhoff – dem letzteren verdankt man eine vorbildliche Günther-Bibliographie – erarbeiteten auf der Basis der Vorarbeiten von Hans Pyritz eine neue Bibliographie, nun in Gestalt eines eigenen Werkes. Während der erste Band (1991) den allgemeinen Themen des Zeitalters gewidmet bleibt, gilt der – vorab erschienene – zweite Band den Autoren. Ein dritter Band bietet ein Gesamtregister. Der Berichtzeitraum des zweiten Bandes umfaßt die Jahre 1800 bis 1977. Die Gliederung der Autoren-Artikel ist feinmaschig, Werkausgaben, Briefwechsel, Bibliographien und wissenschaftliche Literatur werden gleichermaßen erfaßt. Eine gewisse Unsicherheit ist gelegentlich bei der internen Anordnung in der letzten Position zu erkennen, so auch bei dem ansonsten vorbildlichen Eintrag zu Opitz, der mehr als 200 Titel umfaßt.
II.2 Fortlaufende Bibliographien Bibliograhie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Hrsg. von Hanns W. Eppelsheimer. [Ab Band II bearb. von Clemens Köttelwesch u.a.]. Band I ff.- Frankfurt a.M.: Klostermann 1957 ff. Zusammengefaßt und neu gegliedert für den Berichtzeitraum von 1949 bis 1969 unter dem Titel: Bibliographisches Handbuch der Deutschen Literaturwissenschaft 1949– 1969. Hrsg. von Clemens Köttelwesch unter Mitarbeit von H. Hüttermann und C. Maihofer. Band I–III.- Frankfurt a.M.: Klostermann 1973–1979.
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Ab Band IX (1970) unter dem Titel ›Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft‹ für den Berichtzeitraum ab 1969 fortgesetzt. Die Bibliographie ist das maßgebliche periodische Auskunftsinstrument für das Fach geblieben. Der Versuch, ein paralleles Werk neben ihm zu etablieren, begründet von Hans-Albrecht und Uta Koch, ist nach dem Erscheinen von drei Bänden (München: Saur 1981–1984. Berichtzeitraum 1980–1982) wieder eingestellt worden. Das Werk steht im Jahr 2017, dem Berichtjahr 2016 gewidmet, bei Band LVI. Es wird derzeit herausgegeben von Volker Michel und bearbeitet von Michaela Konrad und Susanne Pröger. Neben der Buchausgabe wird die Bibliographie seit 2004 auch online angeboten.
Bibliographie zur Barockliteratur Neben diesem Jahresorgan stehen das Referatenorgan ›Germanistik‹ und speziell für den Barockforscher die ausgezeichnete ›Bibliographie zur Barockliteratur‹ im Anhang der ›Wolfenbütteler BarockNachrichten‹ zur Verfügung. Das Erscheinen der Bibliographie in gedruckter Form ist leider soeben eingestellt worden. Die in einem Band zusammengeführten Hefte eins und zwei des Jahrgangs 41 aus dem Jahr 2014 enthalten letztmalig eine Bibliographie. Diese zeichnete sich die Jahre über durch vorbildliche interdisziplinäre Berichterstattung aus. Auf einen Blick war der Benutzer über die für die Literatur des 17. Jahrhunderts einschlägigen Arbeiten auch in den Nachbardisziplinen informiert. Der Jahresband 2015 geht erstmals ohne die Bibliographie heraus; das Fehlen ist merklich und schmerzlich. [Korrekturnotiz:] Soeben wird bekannt, daß das Erscheinen des Organs selbst gleichfalls eingestellt ist.
III. Bio-bibliographisch-lexikalische Einträge III.1 Handschriftliche Viten-Werke Die handschriftlichen bio-bibliographischen Kompendien sind in der Opitz-Forschung bislang kaum präsent. Dabei handelt es sich um gewichtige Äußerungen von ersten Kapazitäten. Kein Territorium war reicher an diesem Schrifttum als Schlesien. Die gelehrte Kultur um 1600 war voll entfaltet. Es bestand erheblicher Befarf an Informationen über die kommunalen und herrschaftlichen Grenzen hinweg in dem verfassungsförmig vielfälftig gegliederten Land. Es erblickte jedoch kaum eines dieser mit großer Akribie erarbeiteten Schlüsselwerke humanistischen Wirkens das Licht der Öffentlichkeit. Sie verblieben im Status des Manuskripts, und wenn nicht immer wieder Abschreiber sich des kostbaren Guts angenommen hätten, wäre manch eine Arbeit nicht mehr verfügbar. Breslau und Fürstenstein waren die gegebenen Verwahrungsstätten, da die Quellen über kurz oder lang zusammenströmten. Wir haben über alles einzelne in unseren auf Breslau und Opitz sowie seine Kreise gerichteten Arbeiten wiederholt berichtet und dürfen uns nunmehr auf die Opitz speziell gewidmeten Einträge konzentrieren. Nicolaus Henel von Hennenfeld: Silesia Togata. Libri I–XII. BU Wrocław: R 570, R 571: Abschrift Hanke und anderer; IV F 127: Exemplar Matthias-Stift Breslau;
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B 1716: Abschrift Ezechiel der ersten sechs Bücher; Klose 177; Akc 1949/1283. Abschrift Klose der Bücher VII–XII der verschollenen Abschrift Ezechiel. Die Überlieferungsverhältnisse der drei bzw. vier Abschriften des Henelschen Werkes, von dem sich die originale Handschrift nicht erhalten hat, sind in dem oben aufgeführten ›Bio-Bibliographischen Anhang‹ des Verfassers dargelegt worden. Sie brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Mit dem Henelschen Werk ist zu beginnen, obgleich es – wie sogleich des näheren zu erläutern – keinen Opitz-Eintrag enthält. Das Henelsche Vitenwerk ist das größte aus dem Geist des Späthumanismus zustandegekommene biographische Kompendium, über das die auf Schlesien bezogene kulturwissenschaftliche Forschung verfügt. Daß es nicht lange in einer gediegenen Edition vorliegt, grenzt an ein Skandalon. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft war für ein altphilologisch-germanistisches Gemeinschafts-Projekt nicht zu gewinnen. Es gehört langfristig zusammen mit anderen unersetzlichen bio-bibliographischen und im Status einer Handschrift verbliebenen Werken aus dem schlesischen Raum in die Obhut einer Akademie. Die ›Silesia Renovata‹ aus dem Jahr 1704, in die der Herausgeber Teile der ›Silesia Togata‹ einarbeitete, stellt in keiner Weise einen Ersatz für das handschriftlich überlieferte Gut Henels dar. Hier wie im folgenden geht es – erstmals in der Opitz-Philologie – allein um den Boberschwan. Die Hankesche Abschrift, durchsetzt von anderen Händen, ist mit einem Namensindex für alle zwölf Bücher ausgestattet. Wie nicht anders zu erwarten, fehlt der Name Opitzens nicht. Doch es existiert – völlig ungewöhnlich – kein Verweis auf den Ort des Eintrags. Und so nicht anders in der Abschrift von Ezechiel und Klose. Hier wie dort figuriert ›Martinus Opitius‹ im Register ohne eine Ausweisung des Eintrags selbst. Auch in dem Register der ersten zehn Dekaden aus der Hand von Ezechiel erscheint Opitz nicht. Verbleibt der Blick auf das Exemplar aus dem Matthias-Stift. Das Register ist nicht alphabetisch angeordnet, sondern folgt den Einträgen in der Handschrift. Und auch hier ist Opitz nicht dabei. Für diesen ins Auge springenden Sachverhalt muß es Gründe geben, welche die Opitz-Philologie zu beschäftigen haben werden. Die Vermutung liegt nahe, daß Henel den Opitz-Artikel aussparte oder dem Werk entnahm, weil er ihn in anderen Zusammenhängen verwandt hatte bzw. für solche vorsah. Tatsächlich erfuhr Opitz durch Henel eine ganz ungewöhnliche Ehrung, auch in dieser Hinsicht die Souveränität des großen Juristen bezeugend. Im Juli des Jahres 1639 schrieb Henel an Opitz. Er war soeben als Nachfolger von Reinhard Rosa von Rosenigk zum Syndikus von Breslau ernannt worden und Henel berichtete von der vorausgegangenen schwierigen Entscheidung, denn auch die Piastenherzöge bemühten sich um ihn. Opitz replizierte im August des nämlichen Jahres in einem seiner letzten Gedichte, wenn nicht überhaupt seinem letzten. Und nun geschah das Überraschende, daß Henel eben diese poetische Zuschrift mit einer Nachschrift versah. Opitz war wenige Tage nach dem Gruß an den Freund verstorben. Henel nutzte die Gelegenheit für eine posthume Ehrung, die er dem Gedicht Opitzens in der ihm zugedachten Festschrift anläßlich der Wahl zum Syndikus hinzufügte. Das war ein gänzlich ungewöhnlicher Akt. Möglicherweise ist an dieser Stelle der Grund für das Fehlen eines Eintrags in der ›Silesia Togata‹ zu sehen. In jedem Fall bietet die Replik – womöglich nur bis auf weiteres – Ersatz für die Fehlstelle in Henels Viten-Werk. Das unten erwähnte Opitz-Porträt in der ›Silesia Renovata‹ Henels hat textuell nichts gemein mit dem originären Henelschen. Es ist womöglich das Werk des Herausgebers Fibiger. Das alles bedarf der näheren Erforschung.
Martin Hanke: Vitae Eruditorum Silesiacorum. Band I–VII nebst Index. BU Wrocław: R 773–780. Klose 179–181. Wenn einer unter den großen Humanisten Schlesiens zu später Stunde für sich im Anspruch nehmen durfte, ebenbürtig neben den prägenden Figuren um 1600 zu stehen, so war es Martin Hanke, der langjährige Rektor des Elisabeth-Gymnasiums. Vielfältigen Arbeitsfeldern galt seine unermüdliche Schaffenskraft, darunter womöglich in bevorzugter Position der gelehrten Personenkunde Schlesiens.
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Henel und Hanke sind die beiden Gelehrten, denen das auch in dieser Hinsicht so reiche Land das meiste verdankt. Um so bedauerlicher ist es, daß auch das Hankesche Vitenwerk gezeichnet ist von jenen Versehrungen, welche die Handschriften der Breslauer Stadtbibliothek im Gefolge des Zweiten Weltkriegs erlitten. In dem zitierten ›Bio-bibliographischen Anhang‹ im Anschluß an die Opitz-Studie ›Daphnis‹ ist auch darüber im einzelnen berichtet worden, so daß sich Wiederholungen neuerlich erübrigen. Im vorliegenden Fall geht es um die Handschrift R[hediger] 777. Sie enthielt die ›Vitae Silesiorvm ab Anno 1621. ad 1640 a M.H.‹. Sie ist verschollen. Der Titel rührt folglich möglicherweise nicht her von Hanke selbst, sondern von demjenigen, der – wie in so vielen anderen Fällen – in seiner Funktion als ehrfürchtiger Abschreiber zu ihrem Traditor wurde, Samuel Benjamin Klose. Unter der Ordnungsnummer der alten Stadtbibliothek ›Klose 180‹ ist sie bewahrt (BU Wrocław: Akc 1949 KN 600). Hanke ordnet sein Vitenwerk nach Todesdaten an. Entsprechend gelangt Opitz in dem Band zur Darstellung, der den zwischen 1621 und 1640 Verstorbenen gewidmet ist. Wie nicht anders zu erwarten, hat Hanke ihm einen großen lexikalischen Eintrag gewidmet. Auf den Blättern 171v–183v ist er plaziert, umfaßt also 26 eng beschriebene Seiten, und ist damit einer der längsten, wenn nicht der längste überhaupt in seinem Werk. Es handelt sich, wenn wir recht sehen, womöglich um den wichtigsten und detailliertesten lexikalischen Artikel, den wir besitzen. Die Erkundung seiner Wirkungsgeschichte wäre von hoher Bedeutung. Der Eintrag wird mit einer Kopfzeile eröffnet: † 1639. 20. Augusti. MARTJNVS OPITIVS Boleslauiensis. Dazu tritt eine Marginalie mit Referenzen, die zeigt, wie sorgfältig Hanke bereits vorhandene Arbeiten benutzte. Ihm lagen neben dem Werk von Senftleben und Alischer auch Äußerungen Henels zu Opitz vor, wie Marginalie ›Henel, in Exc. p. 1‹ beweist. Titel und Berufsangaben schöpfte Hanke ausdrücklich aus den Opitz gewidmeten Epicedien: Mart. Opitius a Boberfeld, R.M. Poloniae Historiographus et Secretarius, Silesiae Ducum Lign. et Breg. Consiliarius. Auf den Blättern 179r–183v bringt Hanke ein detailliertes Verzeichnis der Schriften von Opitz. Am Schluß folgt eine Aufstellung der in der Elisabeth-Bibliothek, also der Rhedigerschen Bibliothek, befindlichen Werke nebst Angabe der Signatur. Es handelt sich um eine der wenigen Stellen, an der diese einmal erscheinen. Nur fünf Titel und ein Verweis auf Zincgref und Bernegger werden namhaft gemacht. Das umfangreiche Schriftenverzeichnis selbst ist gelegentlich mit Annotationen versehen. Ist es denkbar, daß die Titel womöglich in Hankes Bibliothek standen und mit ihr in das ElisabethGymnasium, seine Wirkungsstätte, gelangten? Dann wäre eine weitere wichtige Quelle des immensen Reichtums an Opitz-Drucken in der alten Breslauer Stadtbibliothek namhaft gmacht.– Der Gehalt des Artikels selbst kann hier nicht ausgeschöpft werden. Das muß einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.
Martin Hanke: Vitae Silesiorum. BU Wrocław: R 2664. Für die nähere Beschreibung dieses komplexen Konvoluts muß auf den ›Bio-bibliographischen Anhang‹, S. 120 f., verwiesen werden. Es enthält neben anderen Zeugnissen im wesentlichen erste Fassungen für Hankes späteres Viten-Werk. Opitz ist in dem mehrteiligen Werk von verschiedener Hand wiederholt vertreten, u.a. mit einer Bibliographie seiner Schriften, gleichfalls nicht von Hankes Hand, mit dem die Handschrift endet. Ein näherer Abgleich mit dem Viten-Werk im allgemeinen und den Opitz-Einträgen hier wie dort bleibt zukünftiger Forschung vorbehalten.
Christian Ezechiel: Silesiae Literatae Volumen I[–]IV. Continens Viros Literatos non tam gente Silesiacos quam etiam illic per aliquod vitae tempus degentes Scriptisque variis in lucem editis clarescentes studiis et curis C.[hristian] E.[zechiel] collectos. Original: Fürstensteinsche Bibliothek. Man Q 31 [verschollen]. BU Wrocław: R 2666: Abschrift Christian Friedrich Paritius.
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Mit dem Werk des Ezechiel gelangt ein neuer Typ des bio-bibliographischen Lexikons auf schlesischem Boden zur Ausprägung. Ezechiel gliedert seine Porträts im Anschluß an einen knappen Vorspann in vier Rubriken: I. Scripta. II. Vita et Mors. III. Epithaphium vel Effigies. IV. Symbolum atque Encomiutm. Es ist ersichtlich, daß dem Porträtisten damit erhebliche weitere Recherchen vor allem im Blick auf die 3. und 4. Abteilung abgefordert werden. Das gilt auch für den Opitz-Beitrag. Dieser steht in dem ersten der vier Bücher auf den Seiten 77–80. Der zweizeilige Kopf-Eintrag ist ungeachtet seiner Kürze wiederum sprechend. Akzentuiert werden die beruflichen Belange sowie die Ehrungen. Ansonsten reicht fürs erste der Verweis auf Wittes ›Diarium Biographicum‹. ›Martinus Opitzius, Bolesl. Sil. von Boberfeld, Poëta et doctus et bonus, Regis Polonorum Secretarius et Historiographus, Principum Ligis= Bregens. Consiliarius[,] in Societate fructifera der Gekrönte.‹ Unter dem Stichwort ›Scripta‹ werden 18 selbständige und offensichtlich nach Wichtigkeit ausgewählte Titel namhaft gemacht. Die ›Vita‹ umfaßt eine gute halbe und sehr eng beschriebene Seite. Am Schluß erfolgt der Verweis auf die Gedenkrede von Colerus und ihren Wiederabdruck in der Fellgiebelschen Ausgabe von 1690. Der Eintrag wird beschlossen mit einem Chronogramm aus der Danziger Ausgabe von 1641 aus der Feder von Moeresius sowie der Angabe des Begräbnisortes in der Danziger Marienkirche und einem nochmaligen Verweis auf Witte. In der dritten Sparte wird zunächst die Opitz-Eloge Caspar Barths in seiner Opitz-Ausgabe von 1625 zitiert, die Berühmtheit erlangte. Zudem finden die Zeugnisse aus der Danziger Ausgabe von 1641 anläßlich des Todes von Opitz Erwähnung. Des weiteren wird neben der Rede von Colerus nun auch der Danziger Briefausgabe Jaskys aus dem Jahr 1670 gedacht. Gesondert hervorgeboben werden drei Texte Opitzens, die ausdrücklich als unvollendet deklarierten ›Dacia antiqua‹, das ›Variorum Lectionum Liber‹ und die drei Bücher der ›Silvae‹. Ein abschließender Verweis betrifft Petrus Titus, dem weiter nachzugehen ist, weil er offensichtlich nur hier bei Ezechiel auftaucht: Petri Titii Noctum Poëticarum Manipulus Ponetarii. Dantisci 1671. in 12. col 3. Die vierte Rubrik steht unter dem Motto: Virgilus Germanicus. Die Reihe wird eröffnet mit dem Hinweis auf ein Zeugnis, das offensichtlich nur von Ezechiel namhaft gemacht worden ist: vid: M. Chr. Funcks Freudenspiel der Engel u. Drachenstreit genannt p.qu. editi Altenb. 1662. in 8. Dem Hinweis wird gleichfalls nachzugehen sein. Ansonsten macht Ezechiel unter den ›Encomia‹ für Opitz Neumeisters Kompendium, Tschernings ›Deutscher Gedichte Frühling‹ sowie dessen ›Poetische Wälder‹ und Rists großes ›Lob- Trauer und Klaggedicht‹ aus dem Jahr 1640 namhaft. Auch dieser Eintrag hält neuerlich Aufträge für die Forschung bereit.
Christian Friedrich Paritius: Collectanea zur Geschichte gelehrter Schlesier. Tomus Tertius. BU Wrocław: R 2689a. Das Werk ist ausweislich eines Eintrags auf dem Titelblatt im Januar des Jahres 1838 begonnen worden; ein Abschlußdatum ist nicht notiert. Es handelt sich um den letzten Band eines dreiteiligen Werkes, von dem der zweite Band verschollen ist. Wir erwähnen es an dieser Stelle, weil der Eintrag unter der Nummer 784 Opitzens Aufnahme in die ›Fruchtbringende Gesellschaft‹ betrifft und versehen ist mit dem Zusatz: m.m.p. 282. 460. Es wäre wünschenswert, in Erfahrung zu bringen, worauf der Verweis sich bezieht, der auch bei anderen Einträgen auftaucht. Womöglich führt wiederum eine unbekannte Fährte zu Opitz und seiner Rezeption.
[Heinrich Grosse: Silesiae & Lusatiae & aliquot in vicinia Sidera i.e. Doctorum & eruditione in his clarissimorum Virorum catalogus & enumeratio, [...].] BU Wrocław: B 1849. Die von uns in der BU Wrocław aufgefundene Handschrift Grosses entstammt der Bernhardiner-Bibliothek. Sie rührt her aus der Sammlung des großen Historikers Christian Runge, wie ein Verweis auf dem Vorsatzblatt zeigt. Wir behalten uns eine nähere Charakteristik vor; vgl. vorläufig: Das Gelehrte Schlesien. Oder: Anzeigen alter und neuer Schlesischer Schrifftsteller (1764), S. 38–40. An dieser
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Stelle wird die Handschrift eingeführt, weil sich auch hier in der alphabetischen Abfolge S. 334 f. ein knapper einseitiger Eintrag zu Opitz befindet, der sich dadurch auszeichnet, daß das Epitaph aus der Danziger Gedenkschrift, wiederum nur versehen mit den Initialen ›M.B.‹, wiedergegeben wird. Das Geburtsdatum wird irrtümlich mit 1595 angegeben.
Elogia Virorum Boleslav: Eruditorum conscripta ab Andrea Senfftlebio et Sebast. Alischero. BU Wrocław: R 2703. Wir beschließen die kleine Handschriften-Inspektion, die selbstverständlich erweiterungsbedürftig ist, mit einem Blick in ein Werk, das in einer Opitz gewidmeten Studie nicht fehlen darf, ist es doch Personen aus seiner Geburtsstadt gewidmet. Nicht ausgeschlossen, daß die Herkunft des berühmtesten Bürgers der Stadt den Anstoß gab, ein auf Gelehrte und anderweitig bedeutende Personen zielendes Gedenkwerk zu schaffen. Und in der Tat ist ein Mikrokosmos der Institutionen – Schule, Kirche, Verwaltung, Rat etc. – und der in ihnen wirkenden Personen zustandegekommen, wie ihn nur wenige und vor allem kleinere Städte ihr eigen nennen können. Für Opitz und seinen Kreis, von dem so häufig in diesem Buch die Rede war, besitzt es den Charakter eines Vademecums. Ihm eignet eine bemerkenswerte Form, nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß sich zwei Verfasser ans Werk begeben. Den Anfang macht stets der Ältere der beiden Andreas Senftleben. Er hatte schon früher ein entsprechendes Verzeichnis gefertigt, das – herausgegeben von Alischer – den Weg zum Druck fand und 1674 in Liegnitz erschien. (BUW: 323200 = 8 F 1, 215a). Senftleben verfaßt zu jeder Person ein Distichon, gezeichnet mit A.S. Dann folgt Alischer mit einem durchweg entschieden längeren Beitrag nach, auch dieser ist in Distichen gehalten und mit den Initialen S.A. ausgewiesen. Vorweg steht jeweils eine knappe Kopfzeile mit Lebens- und Berufsdaten. Gelegentlich sind genealogische Tabellen eingerückt, so etwa im Falle der Senftlebens. Insgesamt gelangen neunzig Porträts zur Darstellung. Unter Nr. 49 erscheint der Eintrag zu Bernhard Wilhelm Nüßler. Und dann folgen die Opitzens. Unter Nr. 50 figuriert Andreas Opitz, u.a. als ›Poëseos cultur‹ tituliert. Nr. 51 ist Christoph Opitz vorbehalten, als Rektor der ›Scholae patriae‹ eingeführt. Dann ist unter Nr. 52 die Reihe an Martin Opitz, ›Poëta atque Historicus celebris.‹ Alischer hat ihm eine große Würdigung zuteil werden lassen, vermutlich die längste des Werkes. Und nur bei Opitz erfolgt eine Anmerkung mit dem Hinweis auf die Gedenkrede von Christoph Colerus (der unter Nr. 13 porträtiert worden war) und deren Druck im Jahr 1665. Eine eingehendere Interpretation würde gewiß lohnend sein. Unser kleines abschließendes Repertorium kann nur Fingerzeige geben und Anregungen vermitteln.
III.2 Gedruckte Lexika und Verwandtes Melchior Adam: Vitae Germanorum Philosophorum: Qvi Seculo Superiori, Et Quod Excurrit, Philosophicis Ac Humanioribus Literis clari floruerunt.- Heidelberg: Rosa 1615. Natürlich ist ein 1615 erschienenes Vitenwerk nicht zuständig für einen Eintrag zu Opitz. Wenn es gleichwohl an den Anfang gesetzt wird, so deshalb, weil es von einem in der Pfalz lebenden Schlesier stammt, der für die entsprechende personelle und konfessionspolitische Achse, wie sie wiederholt in der vorliegenden Untersuchung zur Rede steht, ein besonderes Augenmerk besaß. Und das im Blick auf die ›Philosophen‹ nicht anders als die Theologen, Juristen und Mediziner, denen er gleichfalls große Viten-Werke widmete. Seiner Wahlheimat Heidelberg selbst setzte er ein Denkmal mit seinem ›Apographum monumentorum Haidelbergensium‹ aus dem Jahr 1612. Als großem bio-bibliographischen Kompilator aus dem Geist des Späthumanismus war es ihm anders als Henel oder Hanke, in gewisser Weise aber eben auch Cunrad und Ezechiel, vergönnt, sein Werk noch vor der Katastrophe im Jahr 1620 zum Druck zu befördern.
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Henning Witte: Memoriae Philosophorum, Oratorum, Poetarum, Historicorum, Et Philologorum. Nostri Secvli Clarissimorvm Renovatae Decas IV.- Frankfurt/Main: Martin Hallervord; [Druck: Wendelin Möwald] 1677. Witte bietet keine selbst erarbeitete Biographie Opitzens, sondern druckt die 1665 erstmals erschienene Gedenkrede von Colerus ein weiteres Mal ab. Sie findet sich auf den Seiten 439–477. Angefügt immerhin ist auf Seite 477 ein Werkverzeichnis, das in dem Erstdruck noch fehlte.
Daniel Georg Morhof: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie/ deren Uhrsprung/ Fortgang und Lehrsätzen. Wobey auch von der reimenden Poeterey der Außländer mit mehren gehandelt wird.- Kiel: Reumann 1682. Dies Werk muß in die Folge der gedruckten Lexika mit aufgenommen werden, obgleich es der Form nach nicht zu ihnen gehört, weil eine Reihe von Autoren sich in ihren Opitz-Referenzen auf eben dieses seinerzeit berühmte poetologische und poesiegeschichtliche Kompendium aus der Feder des Kieler Professors für Rhetorik und Poetik beziehen. Es erlebte 1700 eine zweite und noch 1718 eine dritte Auflage. Die zweite Auflage wurde 1969 in einem Neudruck vorgelegt, herausgegeben von Henning Boetius und erschienen in der Reihe ›Ars poetica‹ des Verlages Gehlen, Bad Homburg. Einschlägig für den Rückbezug auf Opitz ist der zweite Teil des Werkes, betitelt ›Von der Teutschen Poeterey Ursprung und Fortgang‹, in dem das neunte Kapitel ›Von der dritten Zeit der Teutschen Poeterey‹ handelt, die eben mit der Opitzschen Reform eröffnet wird. Es handelt sich um den ersten professionellen Rückblick auf die Poesie des 17. Jahrhunderts, die wissenschaftsgeschichtlich von erheblicher Wirkung war, wie nicht zuletzt die wiederholten Erwähnungen in den Opitz-Porträts belegen.
Henning Witte: Diarium Biographicum, In Quo Scriptores Seculi Post Natum Christum XVII. Praecipui, [...] Juxta annum diemque cujusvis emortualem, concisè descripti mognô adducuntur numerô. Libri Itidem Eorum, [...] Latiô Recensentur Idiomate, [Opus].- Königsberg: Martin Hallervord [Druck: David Friedrich Rhete] 1688. Der Eintrag zu Opitz: Bl. Nn4r f. enthält die Aufführung einiger lateinischer Schriften.
Georg Matthias König: Bibliotheca Vetus Et Nova.- Altdorf: Mauritius & Endter 1678. Die Einträge im Werk des Altdorfer Professors für griechische Sprache und Poesie sind bekanntlich denkbar knapp. Immerhin, Opitz ist dabei (S. 589). Es hat sich inzwischen eine Tradition im Blick auf Werk-Akzentuierungen herausgebildet, wie ein Blick auf die Marginalie zeigt. Die ›Libri rerum Sarmaticarum‹ sowie die unvollendeten ›Dacia antiqua‹ finden Einwähnung. Darüber hinaus werden Caspar Barths Opitz-Euloge und Wittes Eintrag in den ›Vitae philosophorum‹ namhaft gemacht. Kürzer gehts schwerlich, doch der Boberschwan hat Eingang gefunden in ein sehr beliebtes Nachschlagewerk, das dem Bedürfnis nach knapper Information entgegenkommt.
Paul Freher: Theatrum Virorum Eruditione Clarorum.- Nürnberg: Hofmann 1688. Das ebenfalls sehr beliebte, Rudolf August und Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg gewidmete Werk ist nach Fakultäten gegliedert. Opitz kommt tatsächlich nicht bei den ›Philosophen‹, sondern bei den Juristen zur Behandlung, und das in einem auffällig eingehenden, zweispaltig gesetzten Eintrag (S. 1087–1090). Es bleibt einer eigenen Untersuchung vorbehalten, den Filiationen im einzelnen
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nachzugehen und insbesondere auch die Präsenz handschriftlich überlieferten Gutes in den Lexika vom Typ Frehers zu überprüfen. Es ist nicht auszuschließen, daß Freher beispielsweise Kenntnis von Hankes Viten-Werk hatte. Die Biographie – unter Rückverweis auf Colerus – ist minutiös, der Eintrag ›Scripta‹ freilich dürftig. Gerade einmal sieben Titel werden aufgeführt, beschlossen mit ›Gedanken bey der Nacht, als er nit schlaffen kunte.‹ [!]
Erdmann Neumeister: De Poëtis Germanicis Hujus seculi praecipuis Dissertatio Compendiaria. Additae et sunt Poëtriae; Haud raro etiam, ut virtutis in utroque sexu gloria eo magis elucescat, comparebunt Poëtastri. De singulis vero H.L.Q.S. ad diem XVI. Januarii exponent publice M. Erdmann Neumeister/ et Friedrich Grohmann. Anno M.DC.XCV. Faksimile nebst Beigaben: Erdmann Neumeister: De Poetis Germanicis. Hrsg. von Franz Heiduk in Zusammenarbeit mit Günter Merwald.- Bern, München: Francke 1978 (Deutsche Barock-Literatur). Die Ausgabe Heiduks ist mit einer deutschen Übersetzung versehen. Sie enthält darüber hinaus einen knapp 300 Seiten umfassenden ›Bio-bibliographischen Abriß‹. In ihm wird eine Kurzvita der von Neumeister behandelten Personen, ein Verzeichnis ihrer Publikationen und ein Vollständigkeit anstrebendes Verzeichnis der ihnen gewidmeten wissenschaftlichen Literatur geboten. Das Werk ist dank Übersetzung und Beigaben zu einem Kompendium ersten Ranges geraten. Der vergleichsweise ausführliche Opitz-Eintrag findet sich auf den Seiten 76–78; deutsche Übersetzung S. 215–217. Der Opitz-Eintrag des Herausgebers: S. 430–437. Die Literaturangaben führen heran bis zum Jahr 1974.
Nicolai Henelii Ab Hennenfeld, Sac. Caes. Maiest. Consiliarii, JCti & Syndici olim Wratislauiensis, Silesiographia Renovata, Necessariis Scholiis, Observationibvs Et Indice Avcta. Pars I–II.- Breslau, Leipzig: Bauch 1704. Aus dem Nachlaß Henels von dem Prälaten Michael Joseph Fibiger herausgegeben. Fibiger bediente sich der ungedruckt gebliebenen zweiten Auflage von Henels ›Silesiographia‹, die als schmaler Band erstmals 1613 erschienen und von Henel zu einer umfassenden Landeskunde umgearbeitet worden war. Der Titel ›Silesiographia Renovata‹ rührte noch von Henel her. Fibiger fügte in dieses Manuskript an jeweils geeigneter Stelle die aus Henels gleichfalls ungedruckter ›Silesia Togata‹ herrührenden Biographien schlesischer Persönlichkeiten ein. Da sie in diesem Zusammenhang bearbeitet wurden, ist der Rückgang zu den Abschriften des Henelschen Werkes stets geboten. Ihre kritische Edition nebst Übersetzung bleibt ein dringendes Desiderat. Der Opitz-Eintrag muß in dem zweiten Hauptteil des ersten Bandes aufgesucht werden, der – mit gesonderter Paginierung – auf hunderten von Seiten ›Urbes, Opida, Arces, Monasteria & Pagi Silesiae‹ gilt. Hier in § 15 s.v. ›Boleslavia‹ vereint Fibiger die berühmten Bunzlauer – angefangen bei Martin von Gerstmann –, zu denen Valentin und Andreas Senftleben, Caspar Kirchner und eben auch Opitz zählen (S. 55). Während die anderen erwähnten Personen ausführlichere Einträge erhalten, muß Opitz sich mit einem viereinhalbzeiligen ›breve elogium‹ begnügen, wie es im Register heißt. Der Redaktor salviert sich mit einem Rückverweis auf Colerus und das Vitenwerk Hankes. Gelegentliche Zitate aus dem Opitzschen Werk, wie sie selbstverständlich aus Henels ›Silesia Renovata‹ und nicht aus der ›Silesia Togata‹ herrühren und über das detaillierte Register des Redaktors zu ermitteln sind, bieten naturgemäß keinen Ersatz für den dürftigen biographischen Eintrag. Die Gründe für den denkwürdigen Sachverhalt wurden oben berührt.
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Jo. Henrici, Casp. Fil. Cunradi Silesia Togata, Sive Silesiorum doctrina & virtutibus clarissimorum Elogia, Singulis distichis comprehensa; quibus Dies omnium natales & emortuales, Officiorumque ab ipsis gestorum Tituli subjunguntur. Ex Avtoris Mscto, Quod in Bibliotheca Paterna viderat, edidit Caspar Theophil. Schindlervs, Lignicensis Silesius.- Liegnitz: Rorlach 1706. BU Wrocław: 4 A 33; 337104. Bis heute einzig maßgebliches gedrucktes Nachschlagewerk für die ältere schlesische Personenkunde bis an die Schwelle des 18. Jahrhunderts. Es enthält rund 1500 auf Schlesier bezogene Distichen von Caspar Cunrad und seinem Sohn Johann Heinrich. Das vorliegende Exemplar aus der alten Rhedigerschen Bibliothek in der Elisabethkirche ist mit zahlreichen Zusätzen im Text und in einem reichhaltigen Anhang versehen, hat also den Status eines Unikats. Die Bearbeitung rührt her von Christian Ezechiel. Zwei Exemplare in Film und Kopie in Osnabrück. Hier auch – gleichfalls in zwei gebundenen Kopien – ein Exemplar aus der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zugänglich, das herrührt aus der Bibliothek des Hamburger Polyhistors Johann Albert Fabricius (Hlb I, 3239). Der Opitz-Eintrag: S. 205: »Musa, Minerva, Crisis sibi te legere ministrum; | Jam cluit inprimis carmine Teuto tuo.« Die Angabe ›Prius Illustriss. Pr. Ligio-Bregens. Consiliarius, deinde Regis Poloniae Historiographus, Germanicae Poeseos Restaurator‹ ist handschriftlich ergänzt um den Zusatz ›Soc. Fructiferie Socio‹.
Adolfus Clarmundus [i.e. Johann Christoph Rüdiger]: Vitae Clarissimorum in re literaria Virorum. Das ist: Lebens=Beschreibung etlicher Hauptgelehrten Männer/ so von der Literatur profess. gemacht. [...] Zehender Theil.- Wittenberg: Ludwig 1712. Opitz-Eintrag: S. 193–214. Das elfteilige große Vitenwerk stammt überwiegend aus der Feder des Historikers Johann Christoph Rüdiger. Mit dem zehnten Teil hat es jedoch seine besondere Bewandtnis, wie aus der Vorrede zu ersehen, die im September 1712 in Wittenberg von dem Verleger Christian Gottlieb Ludwig gezeichnet ist. Er kam verspätet zum Druck, weil Rüdiger erkrankte und durch anderweitige Beschäftigungen an der kontinuierlichen Fortschreibung verhindert war. Einem »andern in re litteraria wohl versirten Manne« sei die Fortsetzung übertragen worden, dessen Name jedoch nicht genannt wird, auch nicht in der Vorrede zum elften und letzten Teil aus dem Jahr 1714. So kommt es zu der bemerkenswerten Situation, daß der Jahrzehnte über ausführlichste lexikalische Eintrag zu Opitz aus der Feder von einem Anonymus stammt. Dieser hat sich, wie er am Schluß mitteilt, der Biographie des Colerus bedient, aus der die Mehrzahl der Informationen stammt. Der Verfasser aber, offensichtlich eher ein Amateur, versetzt sie mit teils vermutlich in Umlauf befindlichem und teils mit selbst erfundenem anekdotischen Gut. Auch eine Reihe von Irrtümern sind ihm unterlaufen, angefangen beim falschen Geburtsjahr und falschen Geburtsort sogleich in den ersten Zeilen. Sein Colerus-Verschnitt kann also das Original mitnichten ersetzen. Immerhin handelt es sich um die erste längere Vita Opitzens in deutscher Sprache, und dieser Umstand trug gewiß zur Kenntnisnahme des Boberschwans in breiteren Kreisen bei, wie sie überhaupt erst seit dem 18. Jahrhundert möglich wurde.
Johann Burkhard Mencke: Compendiöses Gelehrten=Lexicon [...].- Leipzig: Gleditsch 1715. Der Opitz-Eintrag (S. 1507) ist denkbar knapp. Gleichwohl ist er erwähnenswert, stellt er doch, wie das gesamte Werk, die Keimzelle dar für das Werk Jöchers, der es aufnahm und durch drei weitere Auflagen führte, die 1726, 1733 und schließlich 1750–51 erschienen. Der Eintrag dieser letzten von Jöcher verantworteten Auflage wird unten aufgeführt. Daß Adelung und Rotermund sodann zu späterer Zeit mit bedeutenden Überarbeitungen und Supplementen hervortraten, gehört zu der tief in die
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Aufklärung hineinführende Geschichte dieses Werkes, dessen Grundstock im frühen 18. Jahrhundert gelegt wurde, und das bezeichnenderweise in der Hochburg der Frühaufklärung.
Johann Siegmund John: Parnassi Silesiaci Sive Recensionis Poëtarvm Silesiacorvm Qvotqvot Vel In Patria Vel In Alia Etiam Lingva Mvsis Litarvnt Centvria I[–]II.Breslau: Rohrlach 1728–1729. BU Wrocław: 8 A 164/1–2; 307220/1–2. Erstes als ein solches eingeführtes schlesisches Dichter- und Gelehrten-Lexikon der Frühen Neuzeit. Noch einmal in lateinischer Sprache abgefaßt. Zweimalige alphabetische Abfolge. Verdienstvoll wegen der ausführlicheren Einträge einschl. bibliographischer Hinweise, jedoch zu schmal im Einzugsbereich der berücksichtigten Personen. Hier nachgewiesen ein durchschossenes Exemplar aus der alten Rhedigerschen Bibliothek mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen. Gebundene Kopie dieses Exemplars in Osnabrück. Der Opitz-Eintrag: Centuria I, S. 155–160. Mit einzelnen Textproben und zwei handschriftlichen Zusätzen.
Johann Kaspar Wetzel: Hymnopoeographia, oder Historische Lebens=Beschreibung der berühmtesten Lieder=Dichter. Band I–IV.- Herrnstadt: Roth=Scholtz 1721–1728. Opitz-Eintrag Band II (1721), S. 271-275. Kurzbiographie mit Aufführung der bislang vorliegenden Äußerungen über Opitz, einsetzend mit dem Danziger Funeralschrifttum. Hinsichtlich des geistlichen Schrifttums und speziell des geistlichen Liedguts nur am Rande ergiebig.
Johann Franz Budeus: Allgemeines Historisches Lexicon. Dritte um vieles vermehrte und verbesserte Auflage. Dritter Theil.- Leipzig: Thomas Fritsch 1731. Opitz-Eintrag: S. 140 (2. Paginierung). Ausführliche Biographie mit knappem Werk-Verzeichnis. Die erste Auflage des Werkes erschien 1709, die zweite 1722.
Jakob Christoph Iselin: Neu=vermehrtes Historisch= und Geographisches Allgemeines Lexicon. 2. Aufl. Dritter Theil.- Basel: Johann Brandmüller 1729. Der Opitz-Eintrag S. 722 f. Informative Biographie mit knappem Schriften-Verzeichnis nebst Verweis auf Witte, Morhof, Neumeister und Henel. Die 1. Aufl. erschien 1726–27 in vier Bänden in Basel; eine 3. Aufl. 1742–1744 in sechs Bänden gleichfalls in Basel. Das daselbst eingearbeitete Supplement erschien auch separat in zwei Bänden 1742–1744.
Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band XXV.- Leipzig, Halle: Johann Heinrich Zedler 1740. Der Opitz-Eintrag S. 1658 f. Vita mit knappem Schriften-Verzeichnis nebst Verweis auf die OpitzEinträge bei Witte, Morhof, Neumeister, Henel, Clarmund sowie auf Gottscheds soeben gehaltene ›Lob- und Gedächtnisrede‹.
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[Johann] Jakob Brucker: Ehren=tempel der Deutschen Gelehrsamkeit, in welchem die Bildnisse gelehrter, und um die schönen und philologischen Wissenschafften verdienter Männer unter den Deutschen aus dem XV., XVI. und XVII. Jahrhunderte aufgestellet, und ihre Geschichte, Verdienste und Merckwürdigkeiten entworfen sind [...] in Kupfer gebracht von Johann Jacob Haid/ Maler und Kupferstecher.- Augsburg: Haid 1747. Opitz-Eintrag S. 154–159, mit eingehenderen Anmerkungen.
Louis Moreri: Le Grand Dictionnaire Historique Ou Le Mêlange Curieux De L’Histoire Sacrée Et Profane. Tome VI.- Paris 1747. Vendue: Venise chez François Pitteri. Der Opitz-Eintrag S. 499. Kurzbiographie neben knappem Werkverzeichnis und Rückverweisen auf Witte, Morhof, Neumeister, Henel, ›Dict. Allemand‹ [?], König, Colerus, Baillet: Jugemens des Savans, Tome IV, partie 2, p. 86, nr. 1436, Amsterdam 1725. Eine erste Auflage des Werkes erschien 1712 in Paris bei Coignard. Auch hier bereits ein freilich sehr viel knapperer Opitz-Eintrag (S. 452 f.).
Christian Gottlieb Jöcher: Allgemeines Gelehrten=Lexicon. Dritter Theil. [4. Aufl.].Leipzig: Johann Friedrich Gleditsch 1751. Reprint Hildesheim: Olms 1961. Der Opitz-Eintrag: Sp. 1081–1083. Mit ausführlichem Schriften-Verzeichnis sowie Korrektur einer irrtümlichen Attribution durch Lindner.
Christian Heinrich Schmid: Nekrolog oder Nachrichten von dem Leben und den Schriften der vornehmsten verstorbenen teutschen Dichter. Band I–II.- Berlin: Mylius 1785. Band II, S. 51–82. Der Opitz-Eintrag Band I, S. 51-82. Mit diesem Beitrag wird der von einem Anonymus in Rüdigers Werk via Colerus gesponnene Faden wieder aufgenommen, und nun, am Ende des 18. Jahrhunderts, in einem überaus informativen und weiträumig angelegten Artikel eine Art Resümee gezogen. Staunend nimmt der Betrachter wahr, welch ein Maß an lexikalischer Kultur inzwischen erreicht worden ist. Schmid wirkte als Professor für Gräzistik und Poesie an der Universität Gießen und trat durch eine Fülle von Publikationen hervor. Sein Nachleben verdankte er dem vorliegenden Werk, das gerne konsultiert wurde. Drei Beiträge zum 16. Jahrhundert, Sebastian Brand, Hans Sachs und Burkard Waldis gewidmet, eröffnen die ›Nachrichten‹. Dann gelangen – angefangen mit Weckherlin – acht Porträts aus dem 17. Jahrhundert zur Darstellung. Der Schwerpunkt liegt naturgemäß im 18. Jahrhundert. Angefangen mit Canitz und Wernicke und endend mit Lichtwer vereinigt Schmid 32 Beiträge, darunter durchaus auch solche zu weniger bekannten Autoren. Der Opitz-Eintrag gehört mit mehr als 30 Seiten zu den ausführlicheren und läßt die Vorzüge des Werks prägnant erkennen. Die Biographie ist minutiös gearbeitet und allemal lesenswert geblieben. Neuerlich macht sich die Ausschöpfung der Colerschen Biographie förderlich geltend. Alle einschlägigen Stationen werden berührt und zutreffend charakterisiert. Auch die anschließende Charakteristik von Opitzens Werk ist weitgehend zutreffend. Dutzende Texte von Opitz führt Schmid auf, so gut wie ein jeder teils mit knappen, teils aber auch mit ausführlicheren Kommentaren versehen. Auch der Opitz-Ausgaben wird gedacht. Ein selbständiger Kopf ist am Werke. »Es gereicht unserm Jahrhundert zu keiner Ehre, daß man in demselben keine neue Ausgabe von Opitzens Werken veranstaltet hat, die seiner würdig wäre. Gottsched und Gebauer faßten die Idee einer neuen Ausgabe, führten sie aber nicht aus.« (S. 79) Und dann folgt die Aufführung der Bemühungen von Bodmer und Breitinger, Tril-
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ler und Zachariae. Auch Herders Volkslieder-Anthologie kennt der Autor. Ein Blick auf die OpitzBiographie von Colerus und die Brief-Edition Jaskys sowie auf die Miszelle Ezechiels und das Werk Lindners beschließt den gehaltreichen Eintrag.
J[ohann]. G[eorg]. Peuker: Kurze biographische Nachrichten der vornehmsten schlesischen Gelehrten die vor dem achtzehnten Jahrhundert gebohren wurden, nebst einer Anzeige ihrer Schriften.- Grottkau: Evangelische Schulanstalt 1788. Kurzbiographien mit bibliographischen Hinweisen, jetzt auf deutsch. Gleichfalls jedoch mit 200 Einträgen zu schmal im Blick auf den zur Sprache kommenden Personenkreis. Wertvoll wegen zahlreicher Hinweise auf Manuskripte und Nachlässe. Das Werk ist nach wie vor weit verbreitet. Der Opitz-Eintrag: S. 85–92. Es handelt sich um einen der längsten Einträge in dem Werk. Ausführliche Biographie, knappes Werk-Verzeichnis und knappe Charakteristik von Person und Werk.
Karl Heinrich Jördens: Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten. Band IV.- Leipzig: Weidmann 1809. Reprint Hildesheim etc.: Olms 1970. Der Opitz-Eintrag S. 99–145. Es handelt sich um den ausführlichsten und informiertesten verfügbaren lexikalischen Eintrag. Mit eingehender Vita. Kurzbiographien der erwähnten Personen in den Anmerkungen und einem analytisch-kommentierenden Verzeichnis der Werkausgaben sowie Aufführung von Äußerungen über Opitz nebst einem Verzeichnis von Gedichten Opitzens in Anthologien etc. Zahlreiche nur hier verfügbare Informationen.
Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten= Lexiko [...] Angefangen von Johann Christoph Adelung und vom Buchstaben K fortgesetzt von Heinrich Wilhelm Rotermund. Band V.- Bremen: Heyse 1816. Reprint Hildesheim etc.: Olms 1998. Der Opitz-Eintrag Sp. 1134–1137. Mit ausführlichem kommentierten Schriftenverzeichnis. 35 Titel werden namhaft gemacht.
Johann Samuel Ersch; Johann Gottfried Gruber: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearb. Dritte Section: O–Z. Hrsg. von M.H.E. Meier und L.F. Kämtz. Vierter Theil.- Leipzig: Brockhaus 1833. Opitz-Eintrag S. 232–237 aus der Feder von Heinrich Döring. In einer Anmerkung sind die bis dato vorliegenden Äußerungen über Opitz zusammengeführt, einsetzend mit Colerus, Witte und Jasky.
Eduard Emil Koch: Geschichte des Kirchenlieds und Kindergesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche. Band I–VIII. 3., umgearb., durchaus verm. Aufl.- Stuttgart: Belzer 1866–1876. Reprint Hildesheim etc.: Olms 1973. Hier im dritten Band (1867) die Betrachtung des ›schlesischen Dichterkreises‹ zwischen 1618 und 1648, eröffnet mit Opitz (S. 6–16) sowie der Zusammenstellung seiner geistlichen Dichtungen und vornehmlich seiner geistlichen Lieder (S. 14–16).
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A[lbert]. F[riedrich]. W[ilhelm]. Fischer: Kirchenlieder-Lexikon. Hymnologisch-Literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten in alphabetischer Folge nebst einer Übersicht der Liederdichter. Band I–II.- Gotha: Perthes 1878–1879. Reprint Hildesheim: Olms 1967. Nachweis von Kirchenliedern Opitzens jeweils mit Angaben zur Druckgeschichte und zum Vorkommen in Gesangbüchern, Andachtsbüchern etc. nebst gelegentlichen Hinweisen auf bekannte Vertonungen. Desgleichen wiederholt textkritische Anmerkungen und Diskussion von Verfasser-Problemen einschl. von Verweisen auf vorliegende Literatur. Ein wertvoller spezieller Zugang zu dem geistlichen Liederdichter Martin Opitz.
Franz Brümmer: Deutsches Dichter=Lexikon. Biographisch und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten. Band I–II.- Eichstätt & Stuttgart: Krüll 1876–1877. Opitz-Eintrag S. 112–114. Informative Biographie nebst Schriften-Verzeichnis (mit gelegentlichen Fehlstellen).
Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.- Leipzig: Reclam [1884] (Reclams UniversalBibliothek; 1941–1945). Reprint Leipzig 1917. Brümmer legt nunmehr ein zweiteiliges Werk vor. Ein erster – hier zu berücksichtigender Band – erstreckt sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts; eine zweite Folge, die in der letzten Auflage (1913) in sechs Bänden vorgelegt werden konnte, ist dem 19. Jahrhundert gewidmet. Der Opitz-Beitrag im ersteren Werk (S. 367 f.) in überarbeiteter und verknappter Version.
Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Max Hippe, Paul Knötel, Otfried Schwarzer.- Breslau: Korn 1928. (Schlesische Lebensbilder; 3). Reprint Sigmaringen: Thorbecke 1985. Der Opitz-Eintrag (S. 1–10) von Emil Ermatinger, dem bekannten Schweizer Germanisten, eröffnet den dritten Band der ›Schlesischen Lebensbilder‹. Ermatinger – vermutlich beauftragt aufgrund seines soeben erschienenen Werkes ›Barock und Rokoko in der deutschen Dichtung‹ (Leipzig, Berlin: Teubner 1926) – bietet eine eingehende und lesenswert gebliebene Biographie, eingebettet in konfessionspolitische Zusammenhänge, und eine Werk-Charakteristik, die mit den nämlichen Problemen behaftet ist wie sein zitiertes Hauptwerk. Eine Neufassung des Artikels wäre wünschenswert.
Allgemeine Deutsche Biographie. Auf Veranlassung Seiner Majestät des Königs von Bayern hrsg. durch die historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften. Band XXIV.- Leipzig: Duncker & Humblot 1887. Reprint Berlin: Dunkker & Humblot 1970. Opitz-Eintrag aus der Feder von Franz Muncker S. 370–378. Äußerst gehaltreiche Biographie; schwach und vielfach verfehlt in der Charakteristik des Werkes.
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Albert [Friedrich Wilhelm] Fischer: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts. Vollendet und hrsg. von W[ilhelm]. Tümpel. Band I–VI.- Gütersloh: Bertelsmann 1904–1916. Reprint Hildesheim: Olms 1964. Hier im Band I das Kapitel ›Die Periode des Bekenntnisliedes 1570–1648‹ mit einem zweiten Abschnitt ›Die Zeit von 1618–1648‹, einsetzend mit den ›schlesischen Dichtern‹ und eröffnet eben mit Opitz, S. 236–249. Aufführung von 18 Titeln ohne weiteren Kommentar und Wiedergabe von 18 Texten mit gelegentlichen und zumal textkritischen Anmerkungen.
Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 2., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. von Hermann Gunkel, Leopold Zscharnack. Band IV.- Tübingen: Mohr (Siebeck) 1930. Opitz-Eintrag: Sp. 731 (Emil Ermatinger). Zwei Jahre nach Erscheinen des Opitz-Artikels von Ermatinger in ›Große Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts‹ (s.o.) kommt erst- und einmalig in den vier Auflagen der ›RGG‹ ein Opitz-Eintrag zum Druck, nachdem im vierten Band der ersten Auflage (1913) nur ein Verweis auf die Lemmata ›Literaturgeschichte‹ und ›Kirchenlied‹ gestanden hatte. Die Charakteristik Opitzens in theologischer Hinsicht ist zutreffend, diejenige seiner religiösen Dichtung nur eingeschränkt. Die Eliminierung des Opitz-Artikels in der dritten und vierten Auflage des Werkes ist ebenso wenig nachvollziehbar wie das Fehlen eines Eintrags in der ›Theologischen Realenzyklopädie‹. In der so gut wie nie versagenden dritten Auflage der ›Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche‹ fehlt im 14. Band aus dem Jahr 1904 ebenfalls ein Opitz-Eintrag. Die neuere Barockforschung hatte noch nicht eingesetzt. Ermatinger hat sich also um die Präsenz Opitzens wenigstens in einem der maßgeblichen theologisch-lexikalischen Kompendien durchaus Verdienste erworben.
Hans Wolfgang Singer: Allgemeiner Bildniskatalog. Band IX.- Leipzig: Hiersemann 1933. Der Opitz-Eintrag S. 185–186. Bislang umfassendster Nachweis von Opitz-Bildnissen mit Angabe der Quellen und Standorte. Vgl. auch den Nachtrag in: Neuer Bildniskatalog. Band III.- Leipzig: Hiersemann 1938, S. 346.
Hellmuth Rössler; Günther Franz; unter Mitarbeit von Willy Hoppe: Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte.- München: Oldenbourg 1952. Der Opitz-Artikel, von Rössler gezeichnet (S. 641 f.), muß als vorbildlich bezeichnet werden, zum Ausdruck gelangend bereits darin, daß unter den vier Literatur-Angaben Gundolf, Schöffler und Nadler figurieren. Zum ersten Mal in der lexikalischen Geschichte Opitzens wird die Orientierung am calvinistischen Bekenntnis und die auf ihm basierende Idee der Toleranz als Fundament des dichterischen und politischen Handelns Opitzens exponiert. Darüberhinaus wird sein »kühner Versuch der Vereinigung von Antike und Christentum, wie sie bis zu Hölderlin und Nietzsche hin immer wieder den dt. Geist beschäftigte«, erstmals lexikalisch gewürdigt. Stark, so der Autor, war Opitz’ »Einfluß auf das calv. und luth. Deutschland; hier nahmen die Kreise um Harsdörffer, Ludwig von Anhalt, Fleming, Logau seine Ideen auf, bis sie in Gottsched triumphierten, durch Lessing überwunden wurden. Der kulturelle Calv. eröffnete mit O. seinen tiefsten Einbruch in das deutsche Luthertum und bereitete damit der deutschen Aufklärung die Bahn, im gleichen Maße mit dem Versinken der mittelalterlichen Grundlagen Deutschlands.« In der zweiten und nunmehr dreibändigen Auflage des Werkes, betreut von Karl Bosl, Günther Franz und Hanns Hubert Hofmann (München: Francke 1973-1975), ist der
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Artikel aus der Feder Hofmanns verknappt, die Stoßrichtung jedoch zumindest in Teilen bewahrt. Es handelt sich um eine solche aus weitestem kulturpolitischem Horizont.
Wilhelm Kosch: Deutsches Theater-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Band II.- Klagenfurt, Wien: Kleinmayer 1960, S. 1699. Äußerst knapper, jedoch lesenswerter Eintrag. Opitz »erwarb sich auch in der Theatergeschichte einen Ehrenplatz. Er schrieb den Text zur ersten deutschsprachigen Oper ›Daphne‹ von Heinrich Schütz und trat als Bühnenautor hervor.«
Musik in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Friedrich Blume. Band X.- Kassel etc.: Bärenreiter 1962 Opitz-Eintrag S. 118 f. von Marian Szyrocki.
Musik in Geschichte und Gegenwart. 2., neubearb. Ausgabe. Hrsg. von Ludwig Finscher. Personenteil Band XII.- Kassel etc.: Bärenreiter 2004. Der Opitz-Eintrag S. 1380 f von Elisabeth Rothmund. Wichtig vor allem wegen des Abschnitts ›Vertonungen‹ und der Aufführung musikwissenschaftlicher Spezialliteratur, vielfach aus der Feder von Rothmund selbst herrührend.
Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Harald Steinhagen, Benno von Wiese.- Berlin: Erich Schmidt 1984. Der Opitz-Eintrag von Klaus Garber S. 116–184. Geboten wird eine eingehende Biographie, untermauert von einem reichen Anmerkungs-Apparat, eine Interpretation der drei poetologischen Texte (Aristarchus, Poeterey, Vorrede 1625) sowie des ›Trostgedichtes‹ nebst einem Blick auf die Nachgeschichte und einem Verzeichnis der vorliegenden Opitz-Ausgaben. Eingegangen in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit.- Paderborn: Fink 2017, S. 563–639.
Metzler Autoren Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Unter redaktioneller Mitarbeit von Heidi Oßmann, Christel Pflüger und Susanne Wimmer hrsg. von Bernd Lutz.- Stuttgart: Metzler 1986. Opitz-Eintrag S. 491 f. (Volker Meid).
Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Hrsg. von Gunter E. Grimm, Frank Rainer Max. Band II: Reformation, Renaissance und Barock.- Stuttgart: Reclam 1988 (Reclams Universal-Bibliothek; 8612 [6]). Der Opitz-Eintrag von Gunter E. Grimm S. 138–155. Eingehende Biographie nebst exemplarischer Werk-Exegese mit dem Schwerpunkt auf der ›Poeterey‹. Verzeichnis verfügbarer moderner Werkausgaben und Aufführung maßgeblicher wissenschaftlicher Literatur.
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Deutsches Literaturlexikon. Biographisch-Bibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch. 3., völlig neu bearb. Auflage. Band XI. Hrsg. von Heinz Rupp, Carl Ludwig Lang.- Bern, Stuttgart: Francke 1988. Der Opitz-Eintrag Sp. 669–680 von Reinhard Müller. Mit eingehendem Verzeichnis der Quellen und der wissenschaftlichen Literatur in vorbildlicher interner Gliederung.
Gero von Wilpert: Deutsches Dichterlexikon. Biographisch-bibliographisches Handwörterbuch zur deutschen Literaturgeschichte 3., erw. Auflage.- Stuttgart: Kröner 1988 (Kröners Taschenbuchausgabe; 288). Der Opitz-Eintrag (S. 601 f.) in gewohnter von Wilpertscher Façon auf knappstem Raum informativ und reich an Akzentuierungen. Nur hier erscheint der Hinweis: »Vertreter eines ›frühbarocken Klassizismus‹«. Verfehlt bis in die jüngste Zeit hinein auch bei W. die Zwischenbemerkung »ohne bes. Tiefe oder Originalität«.
Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Neubearb. von Kurt Böttcher u.a. 2. Aufl.- Leipzig: Bibliographisches Institut 1989. Opitz-Eintrag S. 442–444.
Nobilitas literaria. Dichter, Künstler und Gelehrte des 16. und 17. Jahrhunderts in zeitgenössischen Kupferstichen. Sammlung Erich Trunz. Hrsg. von Dieter Lohmeyer.- Heide/Holstein: Boyens 1990 (Schriften der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek; 11). Der Opitz-Eintrag S. 69–73. Im Anschluß an eine knappe und gehaltreiche Biographie folgen vier jeweils kommentierte Abbildungen: Der Kupferstich von Jakob van der Heyden, der Nachstich aus dem sechsten Teil der ›Clarorum virorum imagines‹ (Heidelberg 1669), das Ölgemälde von Bartholomäus Strobel aus der Danziger Stadtbibliothek, das auch unser Werk ziert, sowie der Stich von Johann Christoph Sysang nach dem Danziger Gemälde, das sich als Beigabe in Gottscheds ›Lob- und Gedächtnisrede auf Martin Opitzen‹ findet.
Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. von Walther Killy. Band VIII. Gütersloh, München: Bertelsmann Lexikon Verlag 1990. Opitz-Eintrag S. 504–509 (Klaus Garber).
Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Hrsg von Wilhelm Kühlmann. Band VIII. Berlin, New York: de Gruyter 2010. Opitz-Eintrag S. 715–722 (Klaus Garber).
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Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Hrsg. von Friedrich Wilhelm und Traugott Bautz. Band VI.- Hertzberg: Bautz 1993. Opitz-Eintrag Sp. 1223–1225. Kurzbiographie, überraschenderweise ohne spezifisch theologische Akzentuierung. Literaturverzeichnis, einsetzend mit dem Jahr 1940 (Birrer).
Kindlers Neues Literatur Lexikon. Hrsg. von Walter Jens. Band XII.- München: Kindler 1991. Der Opitz-Eintrag S. 738–741. Geboten wird neben einem knappen allgemeinen Literatur-Verzeichnis eine wiederum knappe, jeweils von Autoren gezeichnete Interpretation der ›Poeterey‹, der Zincgrefschen Ausgabe der ›Poemata‹ von 1624 sowie des ›Trostgedichtes‹. Alle drei Einträge sind mit ausgiebigeren Literaturangaben versehen. Diese sind in der dritten Auflage des Werkes im MetzlerVerlag, herausgegeben von Hans Ludwig Arnold (Band XII (2009), S. 352–355) auf ein nicht mehr vertretbares Minimum reduziert. Man zieht also weiterhin die zweite Auflage heran.
Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE). Hrsg. von Walther Killy, Rudolf Vierhaus. Band VII.- München: Saur 1998. Opitz-Eintrag S. 495 f. (Klaus Garber).
Neue Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Band XIX.- Berlin: Duncker & Humblot 1999. Opitz-Eintrag S. 552–554 (Klaus Garber).
The New Grove. Dictionary of Music and Musicians. Second Edition. Ed. by Stanley Sadie. Executive Editor John Tyrrell.- London: Macmillan 2001. Band XVIII, S. 501 s., gehaltreicher knapper Eintrag von der ersten Sachkennerin Mara R. Wade.
Volker Meid: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren.- Stuttgart: Reclam 2001. Opitz-Eintrag S. 682 f.
Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Band I: Bio-bibliographisches Repertorium.- Berlin, New York: de Gruyter 2004. Opitz-Eintrag S. 483 f.
John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook. Band III.- Berlin, New York: de Gruyter 2006.
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Opitz-Eintrag S. 1451–1454. Mit ausführlichem Referenz-Apparat, einem Verzeichnis der Neudrucke und einer Auswahl der wissenschaftlichen Literatur.
Irmgard Scheitler: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit.- Tutzing: Hans Schneider 2013 (Würzburger Beiträge zur Musikforschung; 2.1). Opitz-Eintrag S. 555–570. Grundlegendes, hervorragend gearbeitetes und durchgehend innovatives Kompendium zu Vertonungen dramatischer Texte in der Frühen Neuzeit. Auch der Opitz-Eintrag eröffnet einen grundlegenden Zugang zu den Vertonungen der ›Trojanerinnen‹ und der ›Antigone‹ sowie der ›Dafne‹ und der ›Judith‹ einschl. der lebhaften und bislang vielfach unbekannten musikalischen Adaptation Opitzscher Texte.
IV. Forscherliche Ernte der jüngsten Zeit Wir kehren zurück zu dem Anfang unseres Buches. Mit einem Blick auf die jüngsten grundlegenden Arbeiten hatten wir den einleitenden Essay beschlossen. Und das verbunden mit dem Einbekenntnis, daß ohne sie dieses Buch nicht hätte verfaßt werden können. Es empfahl sich, Geduld die Jahre über zu bewahren. Dann aber war die Zeit reif und ein lange gehegter Plan konnte realisiert werden. Natürlich ist immer noch vielerlei Anderes und Wünschenswertes möglich. Wir aber hatten nicht zuletzt ein vereinbartes Limit des Umfangs einzuhalten, und dieses wurde restlos ausgeschöpft. Zum Schluß aber will es uns als eine Ehrenpflicht erscheinen, diejenigen Veröffentlichungen auch in unserer Literaturkunde noch einmal Revue passieren zu lassen, die als unentbehrliche Hilfsmittel in Zukunft aus der Opitz-Forschung nicht mehr wegzudenken sind. Das soll in wenigen Strichen und in strenger Beschränkung geschehen, genauso, wie auch eingangs bereits beobachtet. Kritische Opitz-Ausgabe Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George SchulzBehrend. Band I: Die Werke von 1614 bis 1621. Band II. Teil 1–2: Die Werke von 1621 bis 1626. Band III. Teil 1–2: Die Übersetzung von John Barclays ›Argenis‹. Band IV. Teil 1–2: Die Werke von Ende 1626 bis 1630.- Stuttgart: Hiersemann 1968– 1989 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart; 295. 300–301. 296–297. 312– 313). Zu Anfang der sechziger Jahre, als die neue Phase der Barockforschung sich soeben anzukündigen begann, trat George Schulz-Behrend mit einer Arbeit hervor, die aufhorchen ließ. ›On Editing Opitz‹ war sie schlicht betitelt. Über eine Reihe von Problemen anläßlich der Vorbereitung einer OpitzAusgabe wurde da berichtet. Ein kleiner Werkstattbericht war zu lesen. Der Autor konstatierte, daß seit Oesterleys bibliographischem Versuch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts kein wesentlicher Fortschritt zu verzeichnen gewesen wäre. Und hinsichtlich existierender Opitz-Ausgaben schwieg er sich fast ganz aus. Nur an Witkowskis Ausgabe der Gedichte von 1624 exemplifizierte er, daß eine falsche – statt eben diejenige von 1625 – zugrundegelegt worden war. Es mußte von Grund auf ein neues Fundament gelegt werden. Und eben dazu schickte der Editor sich an.
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Sechs Jahre später lag der erste Band der neuen Ausgabe vor. Sie feiert damit im Jahr des Erscheinens dieses Werkes ihr fünfzigjähriges Jubiläum. In alleiniger Verantwortung hatte Schulz-Behrend das mächtige Werk geschultert. Es hat uns in unserem Buch begleitet. Schulz-Behrend hatte ein mächtiges Text-Archiv geschaffen. Und das war unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen seines Werkes. Der Editor hatte eine in doppelter Hinsicht richtige Entscheidung getroffen. Er hatte – soweit möglich – ein strikt chronologisches Vorgehen gewählt. Und er hatte – daraus folgend und wiederum wo immer möglich – auf die Erst- und Einzeldrucke zurückgegriffen. Das Problem blieb die Behandlung der Sammelausgaben. Es konnte nicht befriedigend gelöst werden. Schulz-Behrend legte die Ausgabe von 1625 zugrunde, die in einem zeitgenössischen Handexemplar von Caspar Barth in seinem Besitz war und druckte in der Folge nur jene Gedichte, die in dieser Ausgabe noch nicht gestanden hatten. Das Werkgefüge zumindest der Ausgaben zu Lebzeiten Opitzens einschließlich der Ausgabe letzter Hand wurde derart beschädigt. Es steht zu befürchten, daß auch verlegerische Rücksichten und Vorgaben zu beobachten waren. Vgl. George Schulz-Behrend: On Editing Opitz.- In: Modern Language Notes 72 (1962), S. 435–438.
Abschluß der Opitz-Ausgabe und elektronische Version Es war dem Herausgeber nicht vergönnt, sein Werk zum Abschluß zu führen. Bis in das Jahr 1630 gelangte er; die Texte der dreißiger Jahre blieben zu bearbeiten. Dieser Zustand hält nunmehr seit bald dreißig Jahren an. Es gab zwischenzeitlich eine Reihe von Initiativen, um den unbefriedigenden Zustand zu beheben. Darüber soll hier im einzelnen nicht berichtet werden. Seit jüngster Zeit zeichnet sich ein Umschwung ab. In Tübingen wird unter der Leitung von Jörg Robert ein Abschluß der Ausgabe erarbeitet werden. Die Ausgabe wird – dankenswerterweise – im Hiersemann-Verlag und damit in der Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart verbleiben. Und sie wird auf der einen Seite die Schulz-Behrendschen Editions-Prinzipien wahren und auf der anderen Seite dem editionstechnischen Fortschritt Rechnung tragen. Darüber darf an dieser Stelle in aller gebotenen Knappheit im Einvernehmen mit dem Herausgeber das Folgende berichtet werden: Das Projekt wird als Hybrid-Edition konzipiert. Die selbstverständlich beibehaltene Printfassung wird durch eine digitale Komponente flankiert, die in Kooperation mit der Herzog August Bibliothek entsteht. Dieser ›Opitius Electronicus‹ wird das gesamte Werk Opitzens einschließlich der Retro-Digitalisierung der bereits durch SchulzBehrend publizierten Bände umfassen und im Internet frei zugänglich sein. Die Buchausgabe wird Opitzens deutschsprachige Texte der letzten Lebensphase von 1630 bis 1639 lückenlos enthalten und erschließen. Nach dem ›Opitius latinus‹ und dem Opitzschen Briefwechsel (s.u.) werden damit auch alle deutschsprachigen Texte Opitzens in einer verläßlichen Edition vorliegen. Und zugleich wird die Buchausgabe durch die elektronische Version entlastet. Texte wie der ›Becanus redivivus‹ oder die ›Variae lectiones Sarmaticae‹ werden nur in ihr, nicht aber in der Textausgabe erscheinen. Auch für eines der letzten Werke Opitzens, die ›Florilegii Variorum Epigrammatum‹ aus dem Jahr 1639 kann auf diesem Weg eine pragmatische Lösung erfolgen. Der gesamte Opitz wird damit erstmals verfügbar sein.
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Dokumentation der Fruchtbringenden Gesellschaft Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen: Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball, Andreas Herz, Dieter Merzbacher hrsg. von Klaus Conermann. Reihe I. Abteilung A: Köthen. Band I ff.Tübingen: Niemeyer [ab Band V:] Berlin, Boston: de Gruyter 1992 ff. (Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft). Jede Beschäftigung mit Opitz führt zugleich hinein in die Geschichte der 1617 gegründeten ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹. Darüber wird auch im vorliegenden Werk gehandelt. Zu betonen bleibt, daß Leben, Werk und Nachleben Opitzens weit über die unmittelbaren Referenzen hinaus in das literarische und kulturelle Treiben der Gesellschaft hineinspielen. Es bedeutet daher ein schwerlich zu überschätzendes Ereignis auch für die Opitz-Philologie, daß eine – von langer Hand vorbereitete und weit ausgreifende – Dokumentation der wichtigsten Sozietät des 17. Jahrhunderts unter der Stabführung von Klaus Conermann – und mit dem Erscheinen von Band VII (2016) zugleich von Andreas Herz – erarbeitet und quellenkundlich hervorragend fundiert sukzessive zum Abschluß geführt wird. Gegenwärtig liegen sieben Bände – Band VII in zwei Halbbänden – vor; das Jahr 1646 ist erreicht. Es bleiben die Jahre 1647 bis 1650 zu präsentieren. Zugleich geht die Hoffnung dahin, daß auch die Weimarer und die Hallenser Phase der Gesellschaft eine gleich gediegene Erschließung erfahren. Vorarbeiten dafür, dokumentiert in drei 1991 und 1997 erschienenen Bänden unter der Obhut des allzu früh verstorbenen Initiators des verdienstvollen Projekts Martin Bircher, berechtigen nicht zuletzt zu dieser Erwartung. Im übrigen ist für nähere Einzelheiten auf die Ausführungen im vorliegenden Werk jeweils am Ort zu verweisen.
Briefe und Verwandtes Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009. Während der Arbeit an den Dokumenten zur ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ zeigte sich rasch, daß Opitz auf vielerlei Art und Weise unter den Mitgliedern und den ihr nahestehenden Personen präsent war. So legte sich der Gedanke nahe, parallel zu dem großen Sozietäts-Projekt ein weiteres und um Opitz gruppiertes in Angriff zu nehmen. Die Ausbeute war überreich. Immer wieder waren Vorstöße unternommen worden. Unaufhörlich wurden einzelne Briefe entdeckt. Doch es mangelte an einer Zusammenführung der bereits bekannten und einer systematischen Ausschau der noch unbekannten Dokumente nebst verwandter Zeugnisse. Indem ein solches Werk nun neuerlich unter der Ägide von Klaus Conermann und der tatkräftigen und höchst sachkundigen Mitwirkung von Harald Bollbuck geschaffen wurde, erfüllte sich ein langgehegter Wunsch. Wenn eines Tages eine große und als solche eigens ausgewiesene Biographie Opitzens geschaffen werden sollte – dieses Buch ist eine solche expressis verbis nicht! –, dann liegt in dem dreibändigen Werk eine nahezu unerschöpfliche Fundgrube vor. Wiederum gilt, daß die vorzüglich gearbeitete und wo immer erforderlich zweisprachige Edition ein fortan unentbehrliches Vademecum der Beschäftigung mit Martin Opitz darstellt.
Opitius latinus Martin Opitz: Lateinische Werke. Band I: 1614–1624. Band II: 1624–1631. Band III: 1631–1639. In Zusammenarbeit mit Wilhelm Kühlmann, Hans-Gert Roloff und zahlreichen Fachgelehrten hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und
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Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009–2015 (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). Die kritische Opitz-Ausgabe von Schulz-Behrend sollte alle Texte aller Sprachformen umfassen, neben den deutschsprachigen also vor allem auch die lateinischen. Diese wurden im Originaltext abgedruckt, unter Verzicht auf Übersetzungen. So verblieb ein Desiderat. Die unter der Stabführung von Robert Seidel initiierte und gemeinsam mit Veronika Marschall erarbeitete Ausgabe der lateinischen Schriften Opitzens erfüllt also gleich einen dreifachen Zweck. Die Texte werden zweisprachig dargeboten, sie werden sehr viel umfassender, als dies in der ›kritischen Ausgabe‹ möglich war, kommentiert, und sie werden bis in das Jahr 1639 hinein dargeboten. Die Ausgabe ist also vollständig bis auf die oben angedeuteten Ausnahmen. Damit ist eine womöglich auch sprachlich nicht länger behinderte Arbeit möglich. Dem lateinischen Werk Opitzens steht eine neue Phase der Rezeption bevor und auch dieses Werk legt von den dankbar ergriffenen Möglichkeiten Zeugnis ab. Die komplette Präsentation des Opitzschen Werkes ist auch mit dem ›Opitius latinus‹ ein gutes Stück nähergerückt. In absehbarer Zeit wird Opitz, wie es sich für Person und Werk dieses Kalibers geziemt, als einer der philologisch am intensivsten betreuten Autoren des 17. Jahrhunderts dastehen.
Kleinschrifttum Gleichwohl wäre es unangemessen, mit einem Fanfarenstoß zu schließen. Es bleiben hinlänglich viele Aufgaben zu absolvieren. Sie betreffen, wie gleichfalls ausgeführt, das Kleinschrifttum. Dieses bietet sich in einer Reihe von Formen dar. Vornehmlich zu beachten aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ist das Lied- und Flugschrifttum, das akademische sowie das anlaßbezogene Schrifttum, wiederum vornehmlich in seiner personalen Variante unter Einschluß der vor allem an Leichenpredigten haftenden funeralen Beigaben zumal in Gestalt der Epicedien. Auch für Opitz wird mit der – wie zu hoffen – fortschreitenden Erschließung dieser Kleinformen u.a. durch das Osnabrücker Handbuch mit Gewißheit noch reichhaltig Ernte zu halten sein. Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Im Zusammenwirken mit der Forschungsstelle Literatur der Frühen Neuzeit und dem Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück hrsg. von Klaus Garber.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2001 ff. – Band I–II: Breslau. Universitätsbibliothek. Abteilung 1: Stadtbibliothek Breslau (Rhedigeriana/St. Elisabeth). Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Martin Klöker.- 2001. – Band III–VI: Thorn. Öffentliche Wojewodschaftsbibliothek und Kopernikus-Bücherei. Abteilung 1: Gymnasialbibliothek Thorn. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von Sabine Beckmann. Hrsg. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- 2002. – Band VII: Reval. Estnische Akademische Bibliothek, Estnisches Historisches Museum, Estnische Nationalbibliothek, Revaler Stadtarchiv. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Martin Klöker. Hrsg. von Sabine Beckmann und Martin Klöker unter Mitarb. von Stefan Anders.- 2003. – Band VIII: Dorpat. Universitätsbibliothek, Estnisches Literaturmuseum, Estnisches Historisches Archiv. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Martin Klöker. Hrsg. von Sabine Beckmann und Martin Klöker unter Mitarb. von Stefan Anders.- 2003. – Band IX–XI: Breslau. Universitätsbibliothek. Abteilung 2: Stadtbibliothek Breslau (St. Bernhardin). Mit einer einleitenden Skizze zur Geschichte der Bibliothek von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- 2003. – Band XII–XV: Riga. Akademische Bibliothek Lettlands, Historisches Staatsarchiv Lettlands, Spezialbibliothek des Archivwesens, Nationalbibliothek, Baltische Zentrale Bibliothek. Mit einer biblio-
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theksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Martin Klöker. Hrsg. von Sabine Beckmann und Martin Klöker unter Mitarb. von Stefan Anders.- 2004. – Band XVI: Königsberg. Bibliothek der Russischen Staatlichen Immanuel Kant-Universität. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Axel E. Walter. Hrsg. von Sabine Beckmann und Axel E. Walter unter Mitarb. von Stefan Anders.- 2005. – Band XVII–XVIII: Breslau. Universitätsbibliothek. Abteilung 3: Stadtbibliothek Breslau (St. Maria Magdalena). Mit einer einleitenden Skizze zur Geschichte der Bibliothek von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- 2005. – Band XIX–XX: Breslau. Universitätsbibliothek. Abteilung 4: Bestände aus Liegnitz und Brieg. Mit einer bibliotheks- und kulturgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Klaus Garber.- 2007. – Band XX–XXII: Elbing. Elbinger Cyprian-K.-Norwid-Bibliothek, Archäologisch-Historisches Museum Elbing, Staatsarchiv Danzig, Universitätsbibliothek Thorn. Elbinger Bestände unter Berücksichtigung der historischen Sammlungen der ehemaligen Elbinger Stadtbibliothek und des ehemaligen Elbinger Stadtarchivs. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Fridrun Freise. Hrsg. von Fridrun Freise unter Mitarb. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- 2008. – Band XXIII–XVI: Danzig. Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Klaus Garber unter Mitarb. von Stefania Sychta.- 2009. – Band XVII–XXXI: Stettin. Pommersche Stanislaw-Staszic-Bibliothek, Staatsarchiv. Mit einer kultur- und bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Sabine Beckmann. Hrsg. von Sabine Beckmann unter Mitarb. von Stefan Anders.- 2013.
MPI – KFN Die obigen Kürzel existieren bislang nicht. Sie können es nicht, denn sie beziehen sich auf eine Institution, welche es bislang nicht gibt. Eingefordert wurde ihre Schaffung im Jahr nach der Wende nebst Nominierung auch der lokalen Präsenz. Vergeblich. Das eminente Interesse, repräsentiert durch den seinerzeitigen Kanzler der Universität Leipzig, erlosch so rasch wie es entfacht war – und das ohne Angabe von Gründen. Womöglich war die falsche (und politisch verdächtige?) Person auf die Idee gekommen. Das Anliegen ist damit nicht erledigt und die Notwendigkeit offenkundig. Es geht um nicht weniger als die Schaffung eines Max-Planck-Instituts für die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Allein die Markierung der um das Kleinschrifttum sich gruppierenden forscherlichen Desiderate macht deutlich, daß eine Fülle von Aufgaben auf ein derartiges Institut warten würden, die unter dem Dach einer Akademie allein nicht zu bewerkstelligen sind. Wird nur eben angedeutet, daß die meisten der neulateinischen Texte des Zeitraums nicht ediert sind, wertvollste Handschriften, wie erwähnt, in Archiven und Bibliotheken schlummern, mit deren Digitalisierung alleine es beileibe nicht getan ist, ein Wörterbuch der neulateinischen Sprache fehlt, so mag beispielhaft erhellen, mit welch gravierenden Defiziten die Frühneuzeit-Forschung nach wie vor zu kämpfen hat. Wo sind die jüngeren Fachkräfte, die sich der Beförderung der allfälligen Aufgabe annehmen? Vgl. Klaus Garber: Als die Gegenwart entstand. Ein Max-Planck-Institut für die Frühe Neuzeit tut not.- In: Süddeutsche Zeitung 4./5. November 1995.
Ausgewählte Literatur Die kleine Titelfolge hat den Sinn, eine erste Orientierung zu bieten. Ausführliche Literaturangaben finden sich in den Anmerkungen des Werkes. Vgl. im übrigen auch die voranstehende kommentierte Literaturkunde.
Sammelbände Martin Opitz. Studien zu Person und Werk. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino.- Amsterdam: Rodopi 1982 (Daphnis; 11/3). Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi 1990 (Chloe; 10). Zur Literatur und Kultur Schlesiens in der Frühen Neuzeit aus interdisziplinärer Sicht. Hrsg. von Mirosława Czarnecka.- Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 1998 (Acta Universitatis Wratislaviensis; 1968). Martin Opitz (1597–1639). Eine Ausstellung der Landesbibliothek Oldenburg. Redaktion Eckhard Grunewald, Rudolf Foetz.- Oldenburg: Holzberg 1997 (Schriften der Landesbibliothek Oldenburg; 32). Martin Opitz (1597–1639). Orte und Gedichte. Fotographien: Volker Kreidler. Auswahl, Konzeption und Kommentare: Walter Schmitz, Anja Häse, Eckhard Grube, Jochen Strobel (Mitarbeit).- Dresden: Thelem 1999. Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (Frühe Neuzeit; 63). Memoriae Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928–1992). Hrsg. von Mirosława Czarnecka, Andreas Solbach, Jolanta Szafarz, Knut Kiesant.- Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2003. Śląska republika uczonych / Schlesische Gelehrtenrepublik / Slezská vědecká obec. Hrsg. von Marek Hałub, Anna Mańko-Matysiak. Band I ff.- Wrocław: Oficyna Wydawnicza ATUT / Wrocławskie Wydawnictwo Oswiatowe 2004 ff. Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber. Redaktion: Stefan Anders, Holger Luck, Winfried Siebers.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 111).
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Ausgewählte Literatur
Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (Frühe Neuzeit; 103). Martin Opitz 1597–1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner, Wolfgang Kessler.- Herne: Stiftung Martin-OpitzBibliothek 2006 (Martin Opitz-Bibliothek. Schriften; 3). Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz. In Verbindung mit Hermann Wiegand hrsg. von Wilhelm Kühlmann.- Urstadt-Weiher etc.: verlag regionalkultur 2011. Heidelberg als kulturelles Zentrum der Frühen Neuzeit. Grundriß und Bibliographie. Hrsg. von Volker Hartmann, Wilhelm Kühlmann.- Heidelberg: Manutius 2012. Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Albrecht Ernst.- Heidelberg etc.: verlag regionalkultur 2012 (Pforzheimer Gespräche; 5). Die Wittelsbacher und die Kurpfalz in der Neuzeit. Zwischen Reformation und Revolution. Hrsg. von Wilhelm Kreutz, Wilhelm Kühlmann, Hermann Wiegand.- Regensburg: Schnell + Steiner 2013. Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Irene Dingel.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte; 106). Siebenbürgen. Eine frühneuzeitliche Kulturlandschaft in Mitteleuropa im Spiegel ihrer Literatur. Hrsg. von Klaus Garber, Axel E. Walter.- Berlin: Duncker & Humblot 2017 (Literarische Landschaften; 16).
Verfasser-Schriften Berns, Jörg Jochen: Gesammelte Aufsätze. Kopiensammlung. Band I–IV.- Marburg 1984– 1998. Fleischer, Manfred P.: Späthumanismus in Schlesien. Ausgewählte Aufsätze.- München: Delp 1984 (Silesia; 32). Forster, Leonard: Kleine Schriften zur deutschen Literatur im 17. Jahrhundert.- Amsterdam: Rodopi 1977 (Daphnis; 6/4). Garber, Klaus: Martin Opitz – ›Der Vater der deutschen Dichtung‹. Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik.- Stuttgart: Metzler 1976. Garber, Klaus: Martin Opitz.- In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Harald Steinhagen, Benno von Wiese.- Berlin: Erich Schmidt 1984, S. 116–184. Eingegangen in ders.: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- Paderborn: Fink 2017, S. 563–639.
Ausgewählte Literatur
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Garber, Klaus: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.München: Fink 2009. Garber, Klaus: Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013 (Aus Bibliotheken, Archiven und Museen Mittel- und Osteuropas; 4). Garber, Klaus: Der junge Martin Opitz. Umrisse einer kulturpolitischen Biographie.- In: ders.: Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg. von Stefan Anders, Axel E. Walter.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 77–145. Garber, Klaus: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2016. Garber, Klaus: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien.- Paderborn: Fink 2017. Grimm, Gunter E.: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung.- Tübingen: Niemeyer 1983 (Studien zur deutschen Literatur; 75). Gundolf, Friedrich: Martin Opitz.- München, Leipzig: Duncker & Humblot 1923. Eingegangen in ders.: Dem Lebendigen Geist. Aus Reden, Aufsätzen und Büchern ausgewählt von Dorothea Berger und Marga Frank. Mit einem Vorwort von Erich Berger.- Heidelberg, Darmstadt: Lambert Schneider 1962 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt; 27), S. 87–136. Kühlmann, Wilhelm: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters.- Tübingen: Niemeyer 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 3). Kühlmann, Wilhelm: Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation.- Heidelberg: Manutius 2001. Kühlmann, Wilhelm: Gelehrtenkultur und Spiritualismus. Studien zu Texten, Autoren und Diskursen der Frühen Neuzeit in Deutschland. Band I–III. Hrsg. von Jost Eickmeyer, Ladislaus Ludescher in Zusammenarbeit mit Björn Spiekermann.- Heidelberg: Mattes 2016. Palm, Hermann: Martin Opitz von Boberfeld. Zwei beiträge zur lebensgeschichte des dichters. 1. Martin Opitz als agent schlesischer herzöge bei den Schweden. 2. Martin Opitz und Janus Gruter. Eine Gabe fürs Opitzdenkmal in Bunzlau.- Breslau: Morgenstern 1862. Palm, Hermann: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Mit einem Bildnisse von M. Opitz.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1977. Rubensohn, Max: Studien zu Martin Opitz. Mit einem wissenschaftshistorischen Nachwort hrsg. von Robert Seidel.- Heidelberg: Winter 2005 (Beihefte zum Euphorion; 49). Schöffler, Herbert: Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung. Von Martin Opitz zu Christian Wolff. 3. Aufl. mit einem Vorwort von Eckhard Heftrich.Frankfurt a.M.: Klostermann 1974 (erste Aufl. 1940).
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Ausgewählte Literatur
Seidel, Robert: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk.- Tübingen: Niemeyer 1994 (Frühe Neuzeit; 20). Szyrocki, Marian: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4). 2., überarb. [und im wiss. Apparat gekürzte] Aufl.- München: Beck 1974. Trunz, Erich: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien.München: Beck 1995. Ulmer, Bernhard: Martin Opitz.- New York: Twayne Publisher, Inc. 1971 (Twayne’s World Authors Series. A Survey of the World’s Literature; 140). Walter, Axel E.: Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenz Georg Michael Lingelsheims.- Tübingen: Niemeyer 2004 (Frühe Neuzeit; 95).
Personenregister Abaelard, Peter 66 Abschatz, Hans Assmann von 147 Adam, Antoine 594 Adam, Johannes 261 Adam, Melchior 756 Adam, Thomas Ludolf 247, 261 Adami, Tobias 75–76 Adelung, Johann Christoph 815 Aesticampianus (Rhagius), Johannes 192 Airauld, Pierre 593 Aischylos 413 Alba siehe Fernando Àlvarez de Toledo y Pimentel Albert, Heinrich 10 Albertini, Rudolf von 576 Albinus, Michael 751 Albrecht, Günter 807 Alewyn, Richard 27–30, 37, 81, 154, 243, 607, 703, 792, 804 Alexander (der Große), König von Makedonien 311, 436 Aligre, Étienne d’ 604 Alischer, Sebastian 810, 812 Alsted, Johann Heinrich 405 Anhalt (Dynastie) 483, 516, 643 Anna von Bentheim-Tecklenburg, Fürstin von Anhalt-Bernburg 252 Anna Maria von Anhalt, Herzogin von Liegnitz und Brieg 662 Anna Sophia von Brandenburg, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg 659 Anna Wasa, Prinzessin von Schweden 712–713, 799 Anton Ulrich, Herzog von BraunschweigLüneburg 526, 813 Arconatus, Hieronymus 196 Ariosto, Ludovico 46, 160 Aristophanes 413 Aristoteles 105, 193, 354, 413, 468, 474–475, 629, 702 Arletius, Johann Kaspar 14, 36, 651, 699, 763– 764, 788–789 Arletius, Kaspar 788
Arminius, Jacobus 255, 619–620 Arnauld, Antoine 259–260 Arndt, Johann 175 Arnim, Hans Georg von 693 Arnisaeus, Henning 193 Arnold, Gottfried 668 Aschenborn, Michael 219 Assig, Hans von 147 Aubigné, Agrippa d’ 368, 372–373 August, Herzog von Sachsen-Weißenfels 38, 484 Augustinus von Hippo 342 Augustus (Oktavian), röm. Kaiser 153, 310, 313, 368, 376, 487 Aurifaber, Johannes 102, 108 Ausonius 441 Baader, Franz von 85 Bahlcke, Joachim 35 Baïf, Jean-Antoine de 584 Baillet, Adrien 817 Ball, Sabine 483 Balzac, Jean-Louis Guez de 603–604 Banér, Johan 699–700 Barbara von Brandenburg, Herzogin von Brieg 662 Barbara Agnes von Brieg (verh. von Schaffgotsch) 492, 546, 564, 566, 657–658, 665–666, 740 Barclay, John 525–526, 703, 740 Barth, Caspar (von) 439, 760, 811, 813, 825 Barthold, Friedrich Wilhelm 24 Bartsch, Michael 343, 407–408, 452 Bauch, Gustav 103 Baudis, Gottfried 722 Baumann (Familie) 758 Baumann, Georg 106 Bavarus, Conrad 113 Bayle, Pierre 668 Becanus, Martin 606, 616, 734 Becker, Matthäus d.J. 106 Behrnauer, Jakob 200 Bellarmin, Robert 606 Belleau, Remy 584
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Benjamin, Walter 21, 27, 30, 315, 536 Bentheim-Tecklenburg, Anna von (verh. von Anhalt-Bernburg) 252 Berge, Anna von (verh. von Schoenaich) 130 Berge, Joachim vom 87 Bergius, Johann 193 Bergk, Christoph Georg von 114 Bergmann, Caspar 91 Bernegger, Matthias 254, 256, 261–263, 277, 428, 438, 514, 605, 810 Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 693– 695, 698 Besler, Samuel 285 Bethlen Gábor (Gabriel Bethlen), Fürst von Siebenbürgen 48, 399, 404–406, 409, 420, 422, 491, 640, 643 Bèze (Beza), Théodore de 195, 218, 257–258 Biandrata, Giorgio 62–63, 66, 403 Biberstein, von (Freiherr) 89 Bibran, Abraham von 339, 346, 415, 452 Bignon, Hieronymus 624 Biltz, Karl Friedrich 791 Bircher, Martin 38, 483–484, 793, 804, 826 Birken, Sigmund von 10, 164, 422, 516, 518, 543, 713 Birrer, Josef Bernhard 823 Bismarck, Otto von 276 Bisterfeld, Johann Heinrich 405 Boccaccio, Giovanni 456, 555, 776 Bodin, Jean 133, 577–578, 583 Bodmer, Johann Jakob 14, 722, 768, 781–782, 817 Böckh, August 790 Boeckler, Johann Heinrich 604 Böhme, Jakob 26, 31, 72, 175 Bölhoff, Reiner 807 Bössemesser, Johann 106 Boethius 361 Boetius, Henning 813 Böttcher, Irmgard 785 Bogeng, Gustav Adolf Erich 789 Bohatcová, Mirjam 803 Boiardo, Matteo Maria 46 Bolesław I., König von Polen 649 Bollbuck, Harald 39, 483, 788, 826 Bona Sforza, Königin von Polen 66, 403 Bonde, Hildegard 800 Bongars, Jacques 256, 796 Borchardt, Rudolf 81 Boscán Almogáver, Juan 335 Bosl, Karl 820 Bossuet, Jacques-Bénigne 604 Bouillau, Ismael 593 Bouterwek, Friedrich 16–18
Personenregister
Brahe, Tycho 219 Brand, Sebastian 817 Brandenburg-Ansbach (Dynastie) 84 Braune, Wilhelm 36, 427, 783 Bredero, Gerbrand A. 435, 441 Brederode (Geschlecht) 250 Brederode, Heinrich von 255 Brehme, Christian 543 Breitinger, Johann Jakob 14, 722, 768, 772– 774, 781–782, 817 Breslauer, Martin 791 Bruchmann, Karl 284 Brümmer, Franz 819 Bruno, Giordano 75 Brutus, Marcus Junius 376 Bucer, Martin 61, 63 Buchner, August 9, 449, 452, 497, 513, 515, 554, 565–566, 706, 760 Buchwälder, Christoph 89 Buchwälder, Johannes 281 Bucretius, Daniel siehe Rindfleisch Budowecz (Geschlecht) 135 Budowecz, Adam II. 199–200 Budowecz, Wenzel 69, 198–200 Bülow, Dietrich von 192 Bürger, Thomas 805 Bullinger, Heinrich 52 Bundschuh (Cothurnus), Wilhelm 201 Burdach, Konrad 25, 81, 243–245, 390 Burghaus (Geschlecht) 218–219 Burghaus, Franz (Franziskus) von 217–219 Burghaus, Nikolaus II. von 218 Burghaus, Nikolaus III. von 218 Burghaus, Siegismund von d.Ä. 218 Burghaus, Siegismund von d.J. 217–219 Burkard, Georg 116 Caecilia Renata von Österreich, Königin von Polen 720 Caesar, Gaius Julius 375–376, 441 Calagius, Andreas 105 Calaminus, Georg 196 Calpurnius Siculus, Titus 550 Calvin, Jean 49, 51, 61–62, 66, 70, 257 Camerarius, Joachim d.Ä. 229, 302 Camerarius, Joachim d.J. 302–303 Camerarius, Ludwig 251, 269, 273, 279–280, 288, 300–306, 322, 359 Campanella, Tommaso 75–77, 604 Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von 817 Cantimori, Delio 390 Capito, Wolfgang 61 Cardanus, Hieronymus 584 Casaubon, Isaac 599–600, 605, 622 Caselius, Johannes 196
Personenregister
Cassius Longinus, Gaius 376 Castellio, Sebastian 61–64 Castiglione, Baldassare 550 Cato d.Ä. 376, 384 Catull 647 Celtis, Conrad 2–3, 11, 13, 40, 459, 462–463, 482–483, 501 Cervantes Saavedra, Miguel de 16, 47, 538 Chandieu, Antoine de 740 Chapelain, Jean 603 Charron, Pierre 604 Christian, Herzog von Liegnitz und Brieg 647 Christian I., Kurfürst von Sachsen 255, 267 Christian I., Fürst von Anhalt-Bernburg 250– 251, 253, 266, 269, 273, 276, 302–303, 507 Christian IV., König von Dänemark 547, 686, 688 Churchill, Winston 172 Chytraeus, Nathan 196 Cicero 146–147, 153, 354, 376, 408, 431, 475 Cierenberg, Heinrich 751 Cinna, Lucius Cornelius 376 Clajus, Johannes 26, 446 Clarmund, Adolph siehe Rüdiger Claudius, röm. Kaiser 153 Cober, Georg 91 Colerus, Christoph 11, 34, 86–89, 104, 125, 141, 194–195, 210, 215, 326, 508, 532, 572– 573, 580, 604–606, 611, 622–625, 733, 760, 762, 780, 784, 788, 790, 792–793, 811–815, 817–818 Colerus, Jeremias 132 Coligny, Gaspard II de 387 Colletet, Guillaume 603 Colli, Hippolyt von 303 Colonna, Vittoria 63 Comenius, Johann Amos 69, 679, 715–719 Conermann, Klaus 38–39, 483–485, 750, 788, 826 Cordus, Euricius 229 Corvinus, Johann Arnold 606 Coster, Samuel 435 Crafftheim (Familie) 52, 634 Crato von Crafftheim, Johannes 73, 108–109, 130, 195, 220, 303 Crüger, Peter 797 Cüchler, Elias 177–178, 200 Cujas, Jacques 584, 589, 598 Culmann, Ludwig 258 Cunrad, Caspar 106, 108–123, 130, 132, 197, 199–200, 215, 254, 281–282, 285, 406, 410– 411, 415, 812, 815 Cunrad, Johann Heinrich 112–113, 815 Cureus, Adam d.J. 102–103
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Curione, Celio Secondo 64 Curtius, Ernst Robert 361, 456–457 Curtius Rufus, Quintus 153 Cysarz, Herbert 30 Czema (Geschlecht) 713, 715 Czema, Fabian III. von 713–715, 799 Czepko von Reigersfeld, Daniel 31, 59, 72–73, 788 Czigan (Geschlecht) 73 Dach, Simon 10, 15, 24, 36, 39, 164, 344, 561, 701, 749, 756, 764, 776, 783, 786, 788 Danaeus, Lambertus 195 Dante Alighieri 16, 146, 335, 372, 456, 488, 776–777 Davidis, Franz 64–66 Debes, Dietmar 801 Decebalus, König von Dakien 420 Dedekind, Friedrich 805 Dee, John 74 Demosthenes 413 Denaisius, Petrus 256, 258–260, 298–299, 358, 448 Dijck, Jacob van 332, 336, 338, 341, 352 Dijon, Hedwig S. 793 Dilthey, Wilhelm 23–24 Dingel, Irene 35 Dönhoff, Gerhard von 700–707, 742–743 Dönhoff, Sybille Margarethe von (geb. von Liegnitz und Brieg) 731, 742 Dörffer, Johann 144, 170 Döring, Heinrich 818 Does, Johan van der siehe Dousa Dohna (Familie) 504–505, 511, 530 Dohna, Abraham von 303, 502–505 Dohna, Anna Elisabeth von (geb. Zapski von Zap) 504 Dohna, Karl Hannibal von 26, 425, 496, 501– 511, 513–515, 527–532, 535, 546–547, 554, 569, 572–573, 606, 612, 614–616, 623, 627, 632, 651, 654, 656–659, 667–668, 677, 730, 748 Dohna, Maximilian Ernst von 530 Dohna, Otto Abraham von 530 Dohna-Schlobitten, Heinrich von 502 Domitian, röm. Kaiser 153, 316 Donellus, Hugo 255 Dorat, Jean 598 Dorez, Léon 596 Dornau (Dornavius), Caspar 33, 125, 132, 134– 137, 139–144, 146–149, 155–156, 158, 171, 176–177, 195, 197–210, 215, 221, 226, 237, 254, 463 Dorothea von Montau 649
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Dorothea Sibylle von Brandenburg, Herzogin von Liegnitz und Brieg 646–647, 649–650 Dousa, Janus 240, 255, 332, 336, 352–353, 441, 450, 599 Du Bartas, Guillaume de Salluste 160, 334–335, 346, 364, 368, 372, 435, 488 Du Bellay, Joachim 226, 335, 441, 488, 583 Du Bourg, Anne 582–584 Du Cange, Charles du Fresne 604 Du Chesne, André 604 Du Faur de Pibrac, Guy 583, 740, 748, 761 Du Vair, Guillaume 604 Dudith (Familie) 634 Dudith, Andreas 108, 195 Dünnhaupt, Gerhard 37, 786, 790–791, 802, 805 Düntzer, Heinrich 581, 585 Duplessis-Mornay, Philippe 135, 625, 631 Dupuy (Familie) 601 Dupuy, Christophe 598, 600 Dupuy, Claude 585, 595, 597–600 Dupuy, Clément 597 Dupuy, Jacques 579–582, 593–604, 611 Dupuy, Pierre 579–582, 588, 593–604, 611 Dvořák, Max 24 Eberti, Johann Caspar 756 Eccilius, Maternus 102, 280 Ehem, Christoph (von) 250 Ehrhardt, Siegismund Justus 103, 127 Eichendorff, Joseph von 147 Eleonore Gonzaga, röm.-dt. Kaiserin 500 Elisabeth I., Königin von England 257, 269, 369, 719 Elisabeth Magdalene von Brieg, Herzogin von Münsterberg-Oels 651, 662–664 Elisabeth Magdalene von Münsterberg-Oels, Herzogin von Liegnitz und Brieg 662, 665 Elisabeth Stuart, Kurfürstin von der Pfalz 74, 270, 272, 285, 295 Emmerich, Katharina (verh. Jacobi) 802 Empedokles 74 Engerd, Johann 446 Erasmus (Desiderius) von Rotterdam 47, 61, 66, 139, 349, 380, 471, 619 Ermatinger, Emil 819–820 Ernst, Markgraf von Brandenburg 190 Evans, Robert John Weston 73–74 Exner, Balthasar 90, 132, 136, 199–200, 211, 225–226, 406 Ezechiel, Christian 112, 651, 781, 787–788, 809, 811–812, 815, 818 Faber du Faur, Curt von 37, 147, 792–793 Fabius Maximus Verrucosus, Quintus 376 Fabricius, Johann Albert 815
Personenregister
Farel, Guillaume 51 Fellgiebel, Esaias 722, 758–761, 801 Ferdinand I., röm-dt. Kaiser 51, 84, 591 Ferdinand II., Erzherzog von Innerösterreich, röm.-dt. Kaiser 69, 273, 299, 406, 416, 429– 430, 496–497, 500, 514, 616, 659, 741, 769 Ferdinand II., Landesfürst von Tirol 589 Ferdinand III., röm.-dt. Kaiser 500, 515 Ferinarius, Johannes 131 Fernando Àlvarez de Toledo y Pimentel, Herzog von Alba 389, 421, 609 Ferß (Familie) 634 Fibiger, Michael Joseph 415, 809, 814 Filhol, René 582 Finckelthaus, Gottfried 543 Firlej (Geschlecht) 718 Firlej, Anna (verh. Leszczyński) 718 Fischart, Johann 15, 158–159, 298, 358, 370, 447 Flasch, Kurt 75–76 Flasch, Thomas 75 Fleischer, Johannes 102–103 Fleischer, Manfred P. 33 Fleming, Paul 10, 24, 164, 344, 543, 561, 732, 756, 775–776, 820 Foix, Paul de 584 Forcadel, Étienne 583 Forgách, Ferenc 403 Forster, Leonard 37, 255, 352, 429 Franck, Sebastian 70 Franz I., röm.-dt. Kaiser 769 Franz I., König von Frankreich 5, 47, 259, 335, 488, 501, 597, 675 Franz, Günther 820 Freher, Paul 814 Freibisch, David 91 Friedrich I. (Barbarossa), röm.-dt. Kaiser 479 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 83–84 Friedrich II., Kurfürst von der Pfalz 249 Friedrich II., Herzog von Liegnitz und Brieg 71, 129 Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 249–250, 252, 258, 266 Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz 250–251, 255, 259, 266, 269–270 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz (als Friedrich I. König von Böhmen) 5, 74, 139–140, 219, 252–254, 263, 267, 269–270, 273–277, 279–281, 285, 287–293, 296–297, 299–301, 303–304, 306, 309–310, 312, 314, 317, 359, 483, 505, 515, 793 Friedrich Heinrich von Oranien-Nassau, Statthalter der Niederlande 326
Personenregister
Friese, Caspar 682 Frischlin, Nicodemus 196 Froben, Nikolaus 91 Fugger (Familie) 589 Gambara, Lorenzo 550 Gambara, Veronica 226, 441 Garber, Klaus 822–823 Garin, Eugenio 490 Gassendi, Pierre 604 Gaston, Herzog von Orléans 571 Gebauer, August 763, 784, 817 Geisler, Andreas 194, 343–345 Geizkofler, Lucas 589 Geizkofler, Zacharias 588–591 Gellert, Christian Fürchtegott 775 Gentile, Giovanni Valentino 62, 66 Georg I. Rákóczi, Fürst von Siebenbürgen 405 Georg II. Rákóczi, Fürst von Siebenbürgen 406 Georg II., Herzog von Brieg 662 Georg III., Herzog von Liegnitz und Brieg 647 Georg III., Landgraf von Hessen-Darmstadt 526 Georg Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach 272 Georg Rudolf, Herzog von Liegnitz und Brieg 73, 114, 136, 194, 281, 346, 415, 423, 492, 494, 507–508, 531, 547, 564, 613, 635, 637, 640–643, 646–647, 651–652, 654, 656–657, 659–660, 662, 665–666, 674, 690, 722 Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 513, 690 Georg Wilhelm I., Herzog von Liegnitz und Brieg 564 Geréb, Ladislaus 402 Gersdorff (Geschlecht) 147 Gersdorff, Wigand von 147 Gerson, Johannes (Jean) 361 Gerstmann, Martin von 84, 87, 814 Gervinus, Georg Gottfried 18–19, 21–22, 81, 244–245, 800 Gesner, Salomon 89 Gessner, Salomon 775 Gfug, Christoph Heinrich von 787 Gil Polo, Gaspar 533, 538 Gillet, Johann Franz Albert 34, 679 Godefroy, Théodore 600–602, 604 Goedeke, Karl 735, 737, 784, 786, 790 Goethe, Johann Wolfgang von 14, 17, 19, 27, 85, 146, 215, 227, 630, 740, 777, 789–790, 807 Götze, Thomas Matthias 739 Goldast von Haiminsfeld, Melchior 159–160, 256, 433–434, 436, 479 Gomarus, Franciscus 619
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Gottsched, Johann Christoph 11–15, 26, 29, 711, 762–763, 765–766, 768–769, 771–773, 780, 787, 791, 793, 800–801, 816–817, 820, 822 Goudimel, Claude 258 Grasser, Johann Jakob 136 Grassi, Ernesto 74, 390 Graupe, Paul 791 Greflinger, Georg 543 Gregor XIII., Papst 584 Gribaldi, Matteo 66 Grimm, Gunter E. 821 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 26 Gronovius, Johann Friedrich 604 Grosse, Heinrich 811 Grotius, Hugo 133, 256, 326, 329, 370–371, 440–441, 528–530, 573, 599, 601, 604, 606– 608, 611, 616–628, 630, 632, 733, 741, 752, 761 Gründer, Augustin 623 Grünrade, Otto von 251 Grunaeus, Simon 90 Gruter, Janus 90–91, 106, 178, 186, 254–256, 258, 277, 287, 319, 323, 332, 340, 410, 438, 452, 532, 604, 802 Gruytere, Wouter de 255 Grynaeus, Johann Jakob 219, 718 Gryphius, Andreas 24–25, 32, 156, 784, 791– 792 Gryphius, Christian 787 Guarini, Giovanni Battista 537 Günther, Johann Christian 775, 807 Günther, Otto 523 Guise (Geschlecht) 585 Gundolf, Friedrich 25–30, 820 Gustav II. Adolf, König von Schweden 277, 298, 332, 359, 371, 547, 614, 693, 701 Guttmann, Johann Julius 735, 737, 781–782 Guyet, François 604 Gyllenstierna, Sigismund 713 Habrecht, Isaac 447 Habsburger (Dynastie) 6, 84, 129, 136, 142, 268, 273–276, 279, 283, 289, 293, 306, 401, 429, 499, 500, 505, 514, 547–548, 571, 579, 597, 692, 711, 721, 754, 770 Hagedorn, Friedrich von 775 Halbrod, Johannes 102 Hallé, Petrus 603 Haller, Albrecht von 775 Halley, Antonius 603 Hamilton, Heinrich Albert 439, 448 Hankamer, Paul 31, 807 Hanke, Gottfried 112 Hanke, Martin 809–810, 812, 814
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Hanmann, Enoch 760 Hannibal 312 Hardesheim, Christoph von siehe Herdesianus Harnack, Adolf von 23 Harsdörffer, Georg Philipp 10, 263, 533, 539, 543, 820 Hartmann, Wolfgang 744 Haugwitz, August Adolph von 147 Haunold (Familie) 100 Hauptmann, Gerhart 791 Haus(e), Melchior 113 Hedwig von Andechs, Herzogin von Schlesien 564, 649, 664–665 Heemskerck, Jacob van 329, 331, 336, 390 Heere, Lucas de 332 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 19, 28, 85 Heidenreich, Esaias 102 Heidenreich, Johannes 193 Heider, Wolfgang 135 Heiduk, Franz 814 Heine, Heinrich 460 Heinrich I., Herzog von Schlesien 649 Heinrich II., König von Frankreich 259, 581, 584 Heinrich II., Herzog von Schlesien 423, 564, 649, 665 Heinrich III., König von Frankreich 581, 583, 585 Heinrich IV., König von Frankreich (Heinrich von Navarra) 252, 259, 267, 273, 296, 315, 368, 387, 570, 579–581, 583–593, 597, 599, 605–606, 719, 796 Heinrich Wenzel, Herzog von Münsterberg-Oels 531, 547, 613, 652, 662, 720 Heinsius, Daniel 160–161, 178–179, 181, 184– 185, 187, 226, 254, 319–320, 323–325, 327– 333, 335–342, 345–347, 350–356, 370–372, 386, 390, 394, 427, 434–435, 441, 443–444, 452–453, 533, 599, 601, 604, 609, 611, 639– 641, 702, 730, 733, 740, 761 Heinsius, Nicolaes 603–604 Helwig, Johann 565 Helwig, Martin 103–106 Henel von Hennenfeld, Nicolaus 111–112, 130, 218–219, 221, 254, 281, 285, 415–416, 744, 809–810, 812, 814, 816–817 Henel, Heinrich 793 Herder, Johann Gottfried von 5, 15, 26, 81, 335, 376, 434, 630, 763, 766, 774, 818 Herdesianus, Christoph 751 Hering, Daniel Heinrich 127, 132, 136 Hermann, Daniel 699 Hermann, Zacharias d.Ä. 103, 280, 285 Herz, Andreas 484, 826
Personenregister
Heß, Johann 71, 102 Hessus, Helius Eobanus 229 Heyden, Jakob van der 822 Heyse, Karl Wilhelm Ludwig 790–791 Heyse, Paul 790 Hilwig, Matthias 89 Hinrichs, Ernst 591 Hintzen, Jacob 801 Hipponax aus Ephesos 181, 184–186 Hirsch, Arnold 30 Hirsch, Emil 791 Hoberg, Christoph von 114 Höckelshoven, Johannes von 103–106, 285 Hoeck, Theobald 4, 26 Hölderlin, Friedrich 85, 820 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 20–21, 735, 737, 782–783, 799 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian 10, 147, 755, 757–758, 792 Hoffmann, Wolfgang 739 Hofmann, Hanns Hubert 820–821 Hofmannsthal, Hugo von 23, 28, 243 Hohenzollern (Dynastie) 24, 83–84, 253 Holstenius (Holste), Lucas 604 Homer 115, 361, 364, 367, 373, 431, 436, 438, 444, 536, 765, 774 Hooft, Cornelis Pieterszoon 619 Hooft, Pieter Corneliszoon 435, 618 Horaz 5, 200, 332, 408, 414, 441, 453, 487, 531 Hotman (Familie) 605 Hotman, François 605 Hotman, Jean de Villiers 588, 604–605 Hout, Jan van 332 Huckelshafen, Hans 104 Hübner, Tobias 26 Hünefeld, Andreas 674, 722, 739, 744–748, 751, 784, 791 Hus, Jan 315 Hutten, Georg Ludwig von 251 Hutten, Ulrich von 15 Isabella Jagiellonica, Königin von Ungarn 66, 403 Jacobi, Gottfried 802 Jacobi, Katharina (geb. Emmerich) 802 Jakob I., engl. König 5, 74, 259, 267, 285, 315, 622 Janszoon (Blaeu), Willem 331 Janszoon, Jan 752–753 Jantz, Harold 37, 793 Jasky, Andreas 784, 811, 818 Jaspers, Karl 28 Jean Paul 85, 567 Joachim von Fiore 66 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 192
Personenregister
Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 662 Joachim Ernst, Fürst von Anhalt 252 Joachim Friedrich, Kurfürst von Brandenburg 189 Joachim Friedrich, Herzog von Liegnitz und Brieg 564, 642, 662, 666 Jöcher, Christian Gottlieb 815 Johann I. Zápolya, König von Ungarn 66 Johann Casimir, Pfalzgraf von Pfalz-Simmern 250–251, 266, 269 Johann Christian, Herzog von Liegnitz und Brieg 26, 140, 281, 399, 406, 415, 423, 492, 564, 635, 646–651, 657, 662, 665–666, 668, 670–672, 674, 690, 698–700, 722, 742 Johann Friedrich, Herzog zu Württemberg 272 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen 135 Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg 646 Johann Georg von Brandenburg, Herzog von Jägerndorf 281 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 189– 190, 690 Johann Georg I., Fürst von Anhalt-Dessau 643 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 189–190, 193 John, Johann Siegmund 756 Joyeuse, François de 600 Julius Civilis, Gaius 618 Jungnitz, Christoph 139 Kant, Immanuel 630 Karl (der Große), röm.-dt. Kaiser 142, 433, 487, 500 Karl, Erzherzog von Österreich, Fürstbischof von Breslau 416, 453, 496, 498, 533 Karl I., König von England 270 Karl II., Herzog von Münsterberg-Oels 651, 662, 664 Karl IV., röm.-dt. Kaiser 129, 274, 728 Karl V., röm.-dt. Kaiser 47, 49, 51, 393, 503 Karl IX., König von Frankreich 375, 388, 581– 582, 584 Karl Friedrich I., Herzog von Münsterberg-Oels 685, 693 Karlstadt, Andreas 70 Kasimierz I., Herzog von Polen 649 Katharina von Medici, Königin von Frankreich 369, 582, 584 Kemp, Friedhelm 38, 483 Kepler, Johannes 219–220 Kirchner, Caspar 179, 184, 254, 327, 338–341, 406, 438, 448, 452, 497, 508, 639–641, 814 Kirckepusch, Reinhard von 497 Kirstenius, Petrus 103 Klaj (Clajus), Johann 10, 164, 539, 543, 786 Klopsch, Christian David 128, 132
839
Klopstock, Friedrich Gottlieb 14–15, 368, 775 Klose, Heinrich 103–104 Klose, Samuel Benjamin 809–810 Koch, Hans-Albrecht 808 Koch, Uta 808 Kochanowski, Jan 160 Köhler von Mohrenfeld, Georg 528 Köhler, Henning 359, 722 König, Georg Matthias 817 König, Ludwig 722 Koffmane, Gustav 34 Kolowrath-Liebsteinsky, Margarethe von (geb. von Redern) 733 Konrad, Michaela 808 Konstantin I. (der Große), röm. Kaiser 500 Kopisch, Jakob 408, 410 Koppitz, Hans-Joachim 759 Koschwitz, Daniel 751 Krause, Maria 91 Krauss, Werner 32 Kreckwitz (Geschlecht) 147 Kreckwitz und Austen, Friedrich von 147 Kreutz, Johann 448 Kroker, Ernst 801 Kühlmann, Wilhelm 33, 247 Kürschner, Joseph 783 Kurz, Heinrich 21–22 L’Hospital, Michel de 577–578, 583, 598 La Mothe le Vayer, François de 604 La Serre, Jean-Puget de 741 Lambeck, Peter 604 Lambin, Denis 598 Landskron, Johannes von 166 Latomus, Sigmund 106 Lauban, Melchior 90, 285 Laube, Heinrich 21 Leibniz, Gottfried Wilhelm 24, 26, 668 Lessing, Gotthold Ephraim 14–15, 26, 630, 820 Leszczyński (Geschlecht) 679, 715, 718 Leszczyński, Andreas (Andrzej) 681, 714, 716 Leszczyński, Anna (geb. Firlej) 718 Leszczyński, Raphael (Rafał) 218, 714–719, 799 Leszczyński, Wenzel 218 Lichtwer, Magnus Gottfried 817 Liebig, Adam 132, 200 Liebig, Caspar 90 Liegnitz und Brieg (Geschlecht) 359, 415, 550, 693 Lindner, Kaspar Gottlieb 86, 508, 763, 766, 772, 780–781, 783–784, 817–818 Lingelsheim, Claudina (geb. Virot) 260 Lingelsheim, Friedrich 256, 260–261, 286
840
Lingelsheim, Georg Michael 7, 33, 251, 254– 256, 258, 260–262, 277, 323, 328, 506–507, 618–619, 623 Lingelsheim, Salome (verh. de Spina) 260 Lipsius, Justus 133, 149, 255, 258, 263, 327, 354, 370–371, 598, 719 Lisabon, Heinrich 421–423 Lobkowitz (Geschlecht) 84 Lobwasser, Ambrosius 258, 724 Loefdeel 255 Loefen(ius), Michael 251, 260 Logau, Friedrich 820 Logau, Kaspar von 84 Lohenstein, Daniel Casper von 10, 147, 526, 755, 775 Loisel, Antoine 585, 598 Loménie, Henri-Auguste de 604 Longos 537 Lorraine-Guise, Charles de 369 Lotichius Secundus, Petrus 229 Loyola, Ignatius von 49 Lucae, Friedrich 281 Lucius Albinius 314 Ludovicus, Laurentius 177 Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen 8, 38, 333, 482–486, 488–489, 513, 516, 518–520, 523, 532, 729–731, 734–736, 738, 741, 746–747, 752, 760, 767, 820 Ludwig IV., Herzog von Liegnitz und Brieg 647 Ludwig V., Kurfürst von der Pfalz 249 Ludwig VI., Kurfürst von der Pfalz 250 Ludwig XI., König von Frankreich 605 Ludwig XIII., König von Frankreich 526, 530, 571, 575, 605 Ludwig XIV., König von Frankreich 570 Ludwig, Christian Gottlieb 815 Luillier, François 604 Lukian 186 Lukrez 364 Luther, Martin 15, 18, 27, 34, 41, 46, 51, 60, 70, 108, 111, 129, 173, 264, 315, 379, 390, 397, 465, 503 Maecenas, Gaius Cilnius 438, 730 Maeresius, J.G. 760 Magdeburger, Joachim 399 Maier, Michael 74 Major, Elias 103, 760 Maltzahn (Geschlecht) 503 Maltzahn, Wendelin von 790 Manheimer, Victor 791–792 Mansfeld, Ernst II. von 305, 513 Manutius, Aldus d.J. 584, 598 Margarethe von Parma, Statthalterin der Niederlande 255
Personenregister
Maria von Medici, Königin von Frankreich 571 Maria Anna von Bayern, Erzherzogin von Österreich 500 Marius, Gaius 376 Markgraf, Hermann 212, 787 Marner, der 160 Marnix van St. Aldegonde, Philips van 158– 159, 255, 332, 370, 372 Marot, Clément 160, 257–258, 488, 675 Marschall, Veronika 39, 827 Marsile, Théodore 600 Martial 208 Matthias, röm.-dt. Kaiser 87, 136, 221, 224, 273, 416 Matthias Corvinus, König von Ungarn 404, 488 Maximilian I., röm.-dt. Kaiser 501 Maximilian I., Herzog von Bayern 273 Maximilian II., röm.-dt. Kaiser 56, 68, 87 Maximilian III. von Österreich, Hochmeister des Deutschen Ordens 87 Maximos von Tyros 475 Mayer, Hans 32 Mazarin, Jules 571, 579, 603 Medonius, Bernardus 599, 603 Meid, Volker 821 Meister, Joachim 176–177 Melanchthon, Philipp 48–50, 101–102, 105– 106, 128, 174, 176, 189, 192, 220, 302, 401, 587 Melideus, Jonas 90, 144, 200, 286 Ménage, Gilles 593, 604 Mencke, Johann Burkhard 768, 800 Merian, Matthäus 519, 687, 732 Mertens, Dieter 33, 247, 261, 287–288, 298 Metzler (Familie) 100 Meusebach, Karl Hartwig Gregor von 230, 789–791 Mezentius, myth. König von Caere 316 Michel, Volker 808 Mieszko I., Herzog von Polen 649 Milch, Werner 31 Milton, John 346, 368 Minder, Robert 81 Mochinger, Johann(es) 683, 692–693, 749–751 Moeresius, Johann Georg 751, 811 Mohammed 627 Moibanus, Ambrosius 102 Moller, Martin 175, 193 Monau (Familie) 52, 100, 634 Monau, Christian 197 Monau, Friedrich 197 Monau (Monavius), Jakob 73, 108, 110–111, 130, 195–197, 199–200, 218, 220, 303 Monau (Monavius), Peter 73, 108, 195, 197
Personenregister
Montaigne, Michel Eyquem de 598, 604 Montanus, Johannes 73 Montemayor, Jorge de 533, 538 Montholon, Hierôme de 598 Montmorency, Henri de 571 Morel, Jean 583 Moretus, Johannes (Jan) 224 Morhof, Daniel Georg 816–817 Moritz, Kurfürst von Sachsen 302 Moritz von Oranien-Nassau, Statthalter der Niederlande 328, 495, 621, 719 Mornay, Philippe de siehe Duplessis-Mornay Morvillier, Jean de 583 Moscherosch, Johann Michael 10 Müller, David 359, 450–451, 532, 534, 722, 729–730, 732–736, 738, 748, 758, 761 Müller, Günther 30, 34 Müller, Reinhard 822 Müller, Wilhelm 784 Münsterberg-Oels (Geschlecht) 415, 651, 662 Müntzer, Thomas 49, 70 Muncker, Franz 819 Mundt, Theodor 21 Muret, Marc Antoine 441, 584, 598 Musäus, Simon 102 Mylius, Martin 177 Nadler, Josef 30–31, 34, 81, 245, 820 Namsler, Elias 91 Naudé, Gabriel 603–604 Neander, Christoph 193 Nemesian 550 Nero, röm. Kaiser 153, 316 Neuber, Friederike Caroline 773 Neukirch, Benjamin 757, 775 Neumann, Johann Carl 780 Neumark, Georg 543 Neumeister, Erdmann 811, 814, 816–817 Nicaise, Claude 593 Niclas, Albert 715, 749, 761, 784 Nietzsche, Friedrich 820 Nigrinus, Bartholomäus 684, 749 Nolhac, Pierre de 257 Noot, Jan van der 332 Nüßler, Bernhard Wilhelm 90, 179, 194, 201, 319, 346–347, 449, 452–453, 532, 550, 554, 558, 565–566, 637–639, 643, 706, 712, 715, 761, 784, 812 Nüßler, Chrysostomus 200 Nüßler, Martin 91 Ochino, Bernardino 63, 66 Oekolampad, Johannes 61 Oelhafen von Schöllenbach, Christoph 114 Oesterley, Hermann 572, 783–785, 824 Oestreich, Gerhard 247, 327
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Oldenbarnevelt, Johan van 326, 328, 611, 619, 621 Oldendorp, Johann 289 Olevian, Caspar 249, 253 Olivier, Gaston 583 Opitz, Andreas 812 Opitz, Christoph 89, 812 Opitz, Martin 91 Opitz, Sebastian 748 Orminius, Martin 140 Orsini, Fulvio 584, 598 Ortelius, Abraham 225 Ostroróg (Geschlecht) 679, 716 Ottheinrich, Kurfürst von der Pfalz 249 Ovid 153, 209, 407, 441, 443–444, 487, 559 Owen, John 441 Oxenstierna, Axel 693, 699 Paisey, David 37, 801 Palm, Hermann 26, 32, 301, 399, 502, 572, 699, 792, 798 Paracelsus 72–73, 174–175 Pareus, David 139, 218, 404 Paritius, Abraham 219 Parlovius, Martin 217 Parmenides 74 Parsow, Tessen von 217 Pasquier, Étienne 599 Pater (Père) Joseph 571 Patin, Guy 604 Patrizi da Cherso, Francesco 75 Peiresc, Nicolas Claude Fabri de 604 Pelargus, Christoph 139, 189, 193 Perrot, Jacques-Auguste 603 Petau, Denis 604 Petrarca, Francesco 16, 26–27, 98, 160–161, 164–165, 181, 187, 226, 238, 333–335, 353, 355, 367, 372, 376, 391, 431, 435, 441, 444, 456–457, 460, 465, 480, 488, 637, 776 Petronius Arbiter, Titus 153, 441 Peucer, Caspar 174 Peuckert, Will-Erich 30–31, 34, 73 Pflugk, Andreas 217 Pflugk, Christoph 217 Philipp, Herzog von Schwaben, röm.-dt. König 479 Philipp, Kurfürst von der Pfalz 249 Philipp II., König von Spanien 46, 389 Philipp IV., König von Spanien 329, 496 Piast, myth. Fürst der Polanen 564, 649, 665 Piasten (Dynastie) 32, 73, 83, 114, 128–130, 191, 216, 276, 314, 343, 399, 408–409, 414, 416, 423, 425, 442, 491–492, 494, 496, 501, 505–507, 511, 515, 528, 546, 558, 564, 566, 635–637, 639–640, 642–644, 646–652, 654–
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659, 662–665, 668, 672–673, 675, 677, 681, 685–686, 688, 698–701, 709, 721, 742–743, 754, 809 Piccolomini, Ottavio 547, 686 Pindar 28 Pintard, René 594 Piscator, Johannes 132 Pischon, Friedrich August 22 Pithou, François 581, 585, 598, 601–602 Pitiscus, Bartholomäus 139, 253 Plantin (Familie) 224 Platon 186, 413, 436–437, 468, 629 Plessen, Volrad von 251 Plotin 628 Podiebrad (Geschlecht) 83 Pöpler, Melchior 91 Polanus von Polansdorf, Amandus 68 Pole, Reginald 63 Poliziano, Angelo 334 Poll, Michael 103 Pollio, Johannes 103 Pollio, Lucas 102–103 Pontano, Giovanni 545 Portner, Johann Albrecht 604 Postel, Christian Heinrich 786 Posthius, Johannes 196 Praetorius, Michael 193 Press, Volker 247 Preutten, Georg 797 Pridmann, Kaspar 103, 105 Pröger, Susanne 808 Promnitz (Familie) 84 Promnitz, Balthasar von 84, 495 Promnitz, Siegfried von 494–496 Properz 441 Pyritz, Hans 792, 807 Pyritz, Ilse 807 Pythagoras 74 Quintilian 161 Rabelais, François 298, 316 Radziwiłł (Geschlecht) 718 Radziwiłł, Albrecht Stanislaus 706 Radziwiłł, Nikolaus 66 Rambau, Johann 177 Ramler, Karl Wilhelm 786 Ramus, Petrus 105 Rapin, Nicolas 599 Rappoltstein, Eberhard Gerhard Friedrich von 429–430 Ratke, Wolfgang 519 Rebhuhn, Paul 26 Rechenberg, Franz von 130 Redern, Margarethe von (verh. von KolowrathLiebsteinsky) 733
Personenregister
Reichel (Familie) 100 Reifferscheid, Alexander 256 Reinmar von Zweter 479 Rembrandt (Harmensz van Rijn) 618 Rethel, Heinrich 231 Reusner, Nicolaus 196 Reuss, Rodolphe 794 Reuter, Christian 147 Reutter, Georg 285 Rhediger (Familie) 100, 634 Rhediger, Nikolaus II. von 108, 130, 196 Rhediger, Nikolaus III. von 108, 130, 303 Rhediger, Thomas 108, 781 Rhenisch, David 285 Richelieu, Armand-Jean du Plessis de 569–571, 573, 579–581, 601–603, 605–606 Richter, Gregor 175 Rienzo, Cola di 376 Rigault, Nicolas 580–581, 599, 601, 603–605 Rindfleisch (Familie) 634 Rindfleisch (Bucretius), Daniel 106, 109, 166, 199, 215, 254 Rindfleisch, Margarete 166 Rinuccini, Ottavio 526 Rist, Johann 10, 543, 776, 786, 811 Robert, Jörg 40, 678, 825 Roberthin, Robert 751, 784 Roethe, Gustav 791 Rössler, Helmut 820 Rohan, Henri de 570 Rohr, David von 415 Roman d’Amat, Jean-Charles 593 Rompler von Löwenhalt, Jesaias 10 Ronsard, Pierre de 160–161, 187, 226, 334– 335, 342, 355, 367, 435, 441, 480, 488, 583– 584 Rosa von Rosenigk, Reinhard 809 Rosenberg (Geschlecht) 252 Rosenberg, Peter Wok von 4, 68–69, 252 Rotermund, Heinrich Wilhelm 815 Roth, Johann IV. 84 Rothmann (Familie) 99 Rothmann, Martha 88 Rothmann, Martin 99 Rothmund, Elisabeth 821 Ruarus, Martin 745, 750 Rubensohn, Max 26, 177–178, 187, 230, 735, 737 Rudolf, Herzog von Liegnitz und Brieg 647 Rudolf II., röm.-dt. Kaiser 69, 72–73, 107, 119, 131, 135–136, 142, 219, 221, 297, 316, 430, 504, 589, 714, 718 Rudolf August, Herzog von BraunschweigLüneburg 813
Personenregister
Rüdiger, Johann Christoph 815–817 Runge, Christian 811 Rutgers, Johannes 329 Rybisch (Familie) 100 Sabinus, Georg 192 Sachs, Hans 817 Sachsen-Weimar (Dynastie) 520 Sadeler, Aegidius 219 Sagittarius, Thomas 103, 285 Saint-André, Jacques d’Albon de 583 Sallust 153 Salza, Jakob von 84 Sambucus, Johannes 195 Sannazaro, Jacopo 46, 234, 334, 366–367, 435, 488, 545, 550–552, 556, 558 Sanquin, Claude de 598 Sarravius, Isaac 603 Sauer, August 177 Sauer, Georg 89, 91 Saumaise, Claude 593, 604–605 Sayn-Wittgenstein, Ludwig I. von 250–251, 256 Scaliger (Familie) 240, 324 Scaliger, Joseph Justus 324, 328, 353–354, 364, 441, 446, 584, 598–599, 605 Scaliger, Julius Caesar 328, 490 Schade, Richard E. 793 Schaffgotsch (Geschlecht) 495, 559–560, 565– 566, 651 Schaffgotsch, Adam von 546 Schaffgotsch, Barbara Agnes von (geb. von Brieg) 492, 546, 564, 566, 657–658, 665– 666, 740 Schaffgotsch, Hans Ulrich von 415, 491–492, 494, 546–548, 551, 560–564, 566, 657–658, 665–666 Schede Melissus, Paul 5, 26, 196, 218, 222, 254, 256–258, 261, 448–449, 598, 724 Scheibel, Johann Ephraim 789 Schein, Johann Hermann 798 Schelling, Friedrich Wilhelm 85 Scherer, Wilhelm 22–23, 244–245 Scherffer von Scherffenstein, Wenzel 732, 741, 805 Schiller, Friedrich von 19, 376 Schindler, Caspar Theophil 112 Schirmer, David 543 Schlegel, August Wilhelm 16–17, 19, 777 Schlegel, Friedrich 16–17, 19, 777 Schlichting, Johannes 719 Schliebitz, Margarethe von (verh. Zapski von Zap) 504 Schmerlin, Gregor (Publius Vigilantius) 192 Schmid, Christian Heinrich 817 Schmid, Michael 211
843
Schneeweiß, Ambrosius 200 Schnellboltz, Franz d.J. 682, 804 Schnorr von Carolsfeld, Franz 287 Schnur, Roman 595, 598 Schöffler, Herbert 31, 34, 81, 83, 245, 820 Schoenaich, Anna von (geb. von Berge) 130 Schoenaich, Fabian von 130–131 Schoenaich, Georg von 84, 125, 130–134, 136, 138–140, 199, 215, 224, 681 Schoenaich, Johannes von 130, 140 Schönberg, Caspar von siehe Schomberg Schöne, Albrecht 822 Scholtz (Familie) 634 Scholtz, Johann d.Ä. 103 Scholtz, Johann d.J. 103 Scholtz von Rosenau, Lorenz 105 Schomberg, Gaspard de 585–586 Schoppe, Caspar 218 Schosser, Johannes 196 Schrader von Schliestedt, Heinrich Bernhard 774 Schröer, Johann Ernst 797 Schubert, Zacharias 91 Schütz, Heinrich 526, 538, 821 Schulz-Behrend, George 37, 39, 178, 201, 231– 232, 346, 428, 443, 448, 451, 678, 786, 792, 824–825, 827 Schupp, Johann Balthasar 137 Schwabe von der Heide, Ernst 4, 164–166, 194, 446, 478 Schwartzbach, Christoph 219 Schwenckfeld, Kaspar 63, 70–72, 129, 174, 415 Schwieger, Jakob 543 Scipio (Africanus maior), Publius Cornelius 376 Scriver(ius), Peter 328, 330–337, 341–342, 434–435, 441 Scultetus (Familie) 52 Scultetus, Abraham 132, 139, 253, 275, 280, 803 Scultetus, Andreas 14 Scultetus, Bartholomäus 174–176 Scultetus, Catharina (geb. Treutler von Kroschwitz) 219 Scultetus, Hieronymus Kaspar 214 Scultetus, Johannes 506 Scultetus (von Schwanensee und Bregoschitz), Tobias 7, 26, 125, 130, 161–163, 166, 202, 211–212, 214–226, 230, 236, 240, 242, 254, 286, 303, 319, 327, 338–339, 495, 541, 609 Sebisch (Familie) 100 Secundus, Johannes 450 Séguier, Antoine 598 Séguier, Jean 598 Séguier, Pierre II. 598
844
Seidel, Robert 33, 39, 307, 827 Seiler, Johann 91 Seneca d.J. 263, 524, 703, 790 Senftleben (Familie) 87 Senftleben, Andreas 812, 814 Senftleben, Caspar 514 Senftleben, Valentin 89–93, 104–105, 119, 169–170, 184, 194, 467, 760, 810, 814 Servet, Michel 60–64 Shakespeare, William 16, 226 Sidney, Philip 47, 226, 335, 355, 369, 435, 538, 550, 703, 731–732, 740 Sigismund I., König von Polen 403 Sigismund II. August, König von Polen 66 Sigismund III. Wasa, König von Polen 514, 701, 712, 716 Silhon, Jean de 604 Sinapius, Johannes 502–504, 787 Skura, Adam 796 Sleupner, Paul 282 Smend, Oswald 277 Smesmann, Abraham 218, 223 Smirziz (Geschlecht) 135 Smirziz, Jaroslaw von 135 Sokrates 206–207, 354, 413, 436 Solente, Suzanne 596 Solms, Heinrich von 219, 430 Solms, Johann Albert von 139 Solms, Philipp von 219 Sophia Eleonore von Sachsen, Landgräfin von Hessen-Darmstadt 526 Sophie Elisabeth von Anhalt-Dessau, Herzogin von Liegnitz und Brieg 643 Sophokles 703–705, 742 Sorel, Charles 156 Sozzini, Fausto 63–66, 625, 745 Sozzini, Lelio 63–64, 66, 745 Sparr, Ernst Georg von 547 Spenser, Edmund 335, 367, 369 Spina, Petrus (III.) de 260 Spina, Salome de (geb. Lingelsheim) 260 Spinola, Ambrosio 7, 122, 278, 304 Stange und Stonsdorf (Geschlecht) 415–416 Stange und Stonsdorf, Adam von 415–416 Stange und Stonsdorf, Heinrich von 347, 414– 417 Statius 361 Staude, Christophorus 200 Steinberg, Nikolaus 103–104, 106 Stephan Báthory, König von Polen 404 Stern, Heinrich 722 Stern, Johann 722 Stesichoros 228 Steuco, Agostino 631
Personenregister
Stöberkeil, Christoph 91 Stoppe, Daniel 780 Strabon 469 Strich, Fritz 30 Stroband, Heinrich 682 Strobel, Bartholomäus 822 Stuart (Dynastie) 270 Sturm, Johannes 195, 262, 682 Sudhoff, Karl 34 Süleyman I., Sultan des Osmanischen Reiches 402 Sybille Margarethe von Liegnitz und Brieg (verh. von Dönhoff) 731, 742 Symmachus, Quintus Aurelius 153 Sysang, Johann Christoph 822 Szarota, Elida Maria 32 Szyrocki, Marian 32, 36, 201, 572, 677, 784– 785, 790, 821 Tacitus 151, 153, 192, 263, 354, 392, 434, 464, 479, 492, 618 Tanquerel, Jean 583 Tasso, Torquato 46, 160, 537 Taubmann, Friedrich 106, 441 Telesio, Bernardino 75 Teutleben, Caspar von 520 Theokrit 228, 234, 236, 241, 541, 550, 557 Thilo, Valentin 787 Thou, de (Familie) 601, 605 Thou, Christofle de 581–583, 598, 600 Thou, François-Auguste de 605 Thou, Jacques-Auguste de d.Ä. 580–581, 583– 593, 596–601, 605, 622, 719 Thou, Jacques-Auguste de d.J. 596 Thou, Nicolas de 585 Thumery, Jean de, Sieur de Boissise 601 Thurzo, Johann V. 84 Tiberius, röm. Kaiser 316 Tieffenbach, Georg 91 Tilenus, Daniel 605–606 Tilly, Jean T’Serclaes de 304 Timaios 74 Tittmann, Julius 784 Titus, Petrus 132, 139, 811 Titz, Johann Peter 744, 751 Trajan, röm. Kaiser 310, 412, 420 Treutler von Kroschwitz, Catharina (verh. Scultetus) 219 Treutler von Kroschwitz, Hieronymus 219 Triller, Daniel Wilhelm 14, 722, 763, 768–773, 782, 817–818 Troeltsch, Ernst 23, 31 Troger, Johannes 103 Trozendorf, Valentin 130, 177 Trunz, Erich 30, 33, 596, 740, 785–786
Personenregister
Tschernembl, Georg Erasmus von 252, 257, 268, 276, 302 Tschernembl, Hans von 257 Tschernembl, Hans Christoph von 257 Tscherning, Andreas 788, 811 Tscherning, Martin 89, 91 Tudor (Dynastie) 63 Turnèbe, Adrien 583, 598 Ulrich von Holstein, Prinz von Dänemark 686– 693, 710, 712, 740, 752, 766 Urban VIII., Papst 600 Urfé, Honoré d’ 488, 538–539, 550 Ursinus (Familie) 634 Ursinus, Benjamin 132 Ursinus, Zacharias 108, 249, 253, 280 Usbecius, Matthaeus 195 Utenhove, Karel 257 Uthmann, Gottfried 280 Valdés, Juan de 63, 66 Valesius, Henricus 599, 603 Varrentrapp, Franz 769 Varro, Marcus Terentius 605 Vechner, Georg 132, 139–140, 196, 200 Veen, Otto van 618 Vega Carpio, Fèlix Lope de 538 Vega, Garcilaso de la 335 Venator, Balthasar 256, 338, 440, 448, 506– 507, 516, 554, 565–567, 760 Vergil 95, 97–99, 115, 227–229, 233–234, 236– 237, 241–242, 289, 296, 324, 334, 354, 361– 362, 364, 366–368, 370, 374, 386, 420, 431, 436, 438, 444, 451, 487, 536, 541–542, 545, 550, 556, 652, 774 Verlingen, Wilhelm 343 Verweyen, Theodor 33, 247, 287 Viëtor, Karl 30 Vilmar, August Friedrich Christian 22 Vincentius, Petrus 103, 108, 136, 176, 195–196 Virot, Claudina (verh. Lingelsheim) 260 Vives, Juan Luis 625, 631 Vögelin, Gotthard 338 Vondel, Joost van den 441, 618 Voss, Jürgen 604 Vossius, Gerardus Johannes 328–329, 604 Wachler, Ludwig 17–18 Wacholt, Laurentius 217 Wacker (Familie) 634 Wacker von Wackenfels, Johann Matthäus 196, 218 Wade, Mara R. 823 Wagner, Martin 722 Waldberg, Max von 25, 27–28, 703 Waldis, Burkard 817 Waldkirch, Konrad von 218
845
Wallenstein, Albrecht von 84, 514, 547, 686, 699 Walter, Axel E. 33, 607 Walther von der Vogelweide 160, 479 Weber, Max 31 Weckherlin, Georg Rodolf 5, 7, 15, 26, 271– 272, 331, 344, 449, 541–543, 732, 741, 753, 817 Węgierski, Andreas (Andrzej) 715 Weidner, Johann Leonhard 286–287 Weigel, Valentin 72 Weller, Emil 287 Wendt, Heinrich 284 Werder, Dietrich von dem 536, 722, 732, 739, 741 Wernicke, Christian 817 Wessel, Balthasar 448 Wessel, Johann 90, 448 Wicquefort, Abraham de 604 Wieland, Matthäus 91 Wilhelm, Herzog zu Sachsen-Weimar 484 Wilhelm I. von Oranien-Nassau, Statthalter der Niederlande 269, 329, 586, 618 Willich, Jodocus 192 Winkelmann, Johann Justus 805 Winkler, Andreas 103 Winkler, Paul 147 Witkowski, Georg 36, 225, 427, 441, 443, 735– 739, 824 Witte, Henning 811, 813, 816–818 Wittelsbacher (Dynastie) 273–276, 289, 293, 304, 310 Władysław IV. Wasa, König von Polen 48, 701, 705, 707–708, 710, 717 Wölfflin, Heinrich 24, 28 Wok von Rosenberg siehe Rosenberg Wolfskehl, Karl 791–793 Worringer, Wilhelm 24 Yates, Frances Amelia 74 Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm 14, 774– 775, 786, 818 Zamehl, Friedrich 113 Zapski von Zap, Anna Elisabeth (verh. von Dohna) 504 Zapski von Zap, Margarethe von (geb. von Schliebitz) 504 Zapski von Zap, Sigismund 504 Zeeden, Ernst Walter 49 Zeidler, Martin 113 Zesen, Philipp von 543 Zetzke, Jakob 751 Zetzner, Eberhard 428 Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von 147
846
Zierotin (Geschlecht) 135 Zierotin, Johann(es) von 195, 200 Zierotin, Karl von 69 Ziesemer, Walther 39 Zincgref, Julius Wilhelm 5–8, 15, 33, 158, 247, 254, 256, 258, 260–261, 263, 277, 279, 283, 286–292, 296–300, 305, 308, 312–313, 317, 331, 338, 343, 345, 351, 358, 426, 428–440,
Personenregister
442, 445–450, 537, 729, 748, 760, 791, 793, 810 Zincgref, Laurentius 258, 286 Zsuzsanna Károlyi, Fürstin von Siebenbürgen 643 Zwinger, Theodor d.Ä. 195 Zwingli, Ulrich 49, 51–52, 70 Żygulski, Zdzisław 32