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German Pages 327 [328] Year 2015
Zeitgeschichte im Kontext
Band 9
Herausgegeben von Oliver Rathkolb
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
Thomas R. Grischany
Der Ostmark treue Alpensöhne Die Integration der Österreicher in die großdeutsche Wehrmacht, 1938 – 45
V& R unipress Vienna University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0377-6 ISBN 978-3-8470-0377-9 (E-Book) Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Rektorats der Universität Wien und der Stadt Wien (MA 7). Ó 2015, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany.
Übersetzte und überarbeitete Fassung der Dissertation »The Austrians in the German Wehrmacht, 1938 – 45« (University of Chicago, 2007). Titelfotografie: »Skipatrouille der Gebirgsjäger« (1938), Ó Österreichische Nationalbibliothek (Digitale Sammlung: Zeitgeschichte, Bildnummer : #354396, Inventarnummer: S 44/12). Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Meinem Vater, Robert Grischany, der zu spät kam, um in der Wehrmacht dienen zu müssen, aber zu früh ging, um seinen Enkelsohn Rupert sehen zu dürfen.
Sowie in Erinnerung an Anna und Johann Scheiber, und Franziska und Leopold Grischany.
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort von John W. Boyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort von Oliver Rathkolb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . Widersprüche und Fragen Thesen und Antworten . . Methode . . . . . . . . . . Historiografie . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . Aufbau . . . . . . . . . .
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17 17 18 20 22 30 33
Kapitel 1: Von Maria Theresia bis Hitler – Der historische Hintergrund Von den Schlesischen Kriegen bis zum Ersten Weltkrieg . . . . . . . Von St. Germain bis zum Anschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die formale Eingliederung des Bundesheeres . . . . . . . . . . . . . Die Verteilung der Österreicher in der Wehrmacht . . . . . . . . . .
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35 35 46 56 61
Kapitel 2: Von »Ostmarkschweinen« und »Ostmarksöhnen« – Die Friedenszeit (1938 – 39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schikanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integrative Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »unpolitische« Wehrmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Militärischer Traditionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Faktor Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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69 69 77 84 91 97 107
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Inhalt
Kapitel 3: Von den Sudeten bis zum Balkan – Die erste Kriegsphase (1939 bis Sommer 1941) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährung und Lob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der »angenehme« Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besatzungsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Österreicher und Reichsdeutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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115 115 122 130 141 146
Kapitel 4: Von der Maas bis an die Memel – Die bewaffnete Volksgemeinschaft im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutscher Nationalismus und die Idee der Volksgemeinschaft Stammesdenken und Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . Einheit durch Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das »Image« der Österreicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neckereien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die nationalistische Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . .
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155 155 158 167 178 186 192
Kapitel 5: Von »Barbarossa« bis »Bagration« – Die zweite Kriegsphase (Sommer 1941 bis Sommer 1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Russlandkrieg aus der österreichischen Perspektive . . . . . . . Die Fortsetzung bestehender Integrationsmechanismen . . . . . . . . Neue integrative Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ostfrontkämpfergemeinschaft und Heimatentfremdung . . . . . . . . Vertiefte Kameradschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine wahrhaft »großdeutsche« Wehrmacht? . . . . . . . . . . . . . .
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201 201 208 219 224 232 236
Kapitel 6: Von der Normandie bis Berlin – Bis zur Kapitulation und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Österreichische Loyalität bis zum Ende . . . . . . . . . . . . . . . . Nationales Erwachen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriegsgefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachkriegsabrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opportunismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das »Vermächtnis« der Wehrmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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245 245 256 260 264 272 277
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung
Mein Dank gilt zuallererst John W. Boyer, Michael Geyer und Evan B. Bukey für deren meisterhafte, aber nie belehrende, immer hilfsbereite, anregende und einsichtsvolle Betreuung meiner Dissertation während meiner Zeit an der University of Chicago, sowie Oliver Rathkolb für sein laufendes Interesse am Fortgang der Arbeit seit Anbeginn des Projekts. Ohne John W. Boyer und Oliver Rathkolb wäre diese Publikation nicht möglich gewesen. Des Weiteren möchte ich mich bei Johann Christoph Allmayer-Beck, Celia Applegate, Robert D. Billinger Jr., Günter Bischof, Heinz Bundschuh, John Deak, Richard Germann, Peter Gottschling, Jonathan Gumz, Hannes Heer, Lothar Höbelt, Patrick Houlihan, Ke-chin Hsia, Alexander Joskowicz, Daniel Koehler, Wolfgang Maderthaner, Walter Manoschek, Tania Maync, Rüdiger Overmans, Peter Podhajsky, Erwin A. Schmidl, Ronen Steinberg, Heidemarie Uhl und Helmut Wohnout für wertvolle Anregungen, Diskussionen, Feedback, Kritik, Ratschläge und andere Hilfeleistungen bedanken. Spezieller Dank gebührt Peter Gschaider für die Überlassung eines Teils seines Privatarchivs, Peter Malina, dem seinerzeitigen Leiter der Fachbibliothek für Zeitgeschichte in Wien, für die Zurverfügungstellung des Endberichts, Oberst Udo E. Liwa, Generalsekretär des Vereins Alt-Neustadt, für die Adressenlisten der Absolventen der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt sowie Vizeleutnant Josef Krafek, Präsident des Landesverbandes Wien des Österreichischen Kameradschaftsbundes, für die Vermittlung von Kontakten von Kameradschaftsvereinen. Ein Dankeschön ergeht auch an Ruth Vachek und Susanne Köhler vom Verlag V& R unipress für die Betreuung während des Publikationsprozesses, an meine Lektorin Saskia Erdogan sowie an alle Mitarbeiter der benutzten Archive, Bibliotheken und anderer Forschungseinrichtungen. Die Forschungen wären undenkbar gewesen ohne die Bereitschaft der ehemaligen Wehrmachtsoldaten, über ihre Zeit in der Wehrmacht Auskunft zu erteilen. Ein besonderer Dank gilt daher den interviewten Veteranen, den noch lebenden und den bereits verstorbenen, sowie allen anderen Gesprächspart-
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Danksagung
nern; diese Erfahrung war der Höhepunkt meiner Forschungen – und sie wird einzigartig bleiben, denn in wenigen Jahren wird die sogenannte Kriegsgeneration erloschen sein. Der letzte und herzlichste Dank geht freilich an die Familie: Mutter Gerda Grischany und Bruder Peter Grischany für ihre Hilfe und Betreuung während meiner Forschungsaufenthalte und seit unserer Rückkehr nach Österreich sowie meiner lieben Louise für ihre Geduld und Unterstützung in den unzähligen Stunden, welche in die Durchführung dieses Projekts eingeflossen sind. Wien im Oktober 2014
Thomas R. Grischany
Vorwort von John W. Boyer
Thomas R. Grischany has selected a very ambitious project for his book »Der Ostmark treue Alpensöhne. Die Integration der Österreicher in die großdeutsche Wehrmacht, 1938 – 45«, namely, a social and cultural history of the Austrian soldiers who were members of the German Army during World War II. As Grischany explains, not less that 1.3 million Austrians were forced or volunteered to serve in the German Wehrmacht from 1938 to 1945, yet we know very little about the actual circumstances under which they were recruited and trained and about the conditions under which they worked and about their involvement (or lack thereof) in the mass criminal activities that some units of the Wehrmacht perpetrated, especially on the eastern and southeastern fronts. Nor do we know how their experiences as soldiers affected their political attitudes after the War, when they returned home to find a new »small« Austria that, overnight, had ceased to be part of the larger German Reich. Thomas R. Grischany rightly argues that the wartime experiences of these soldiers must have influenced the way they thought about German nationalism and about their willingness to subscribe, after 1945, to the newly emerging sense of a specific Austrian nationalism. In order to survey this problem Grischany structured his research into several distinct chronological domains, assembling a huge array of primary source printed materials as well selected interviews with surviving veterans. His conclusions, especially about the powerful role of regional identity in the political attitudes of these soldiers, provide new insights about the ways in which everyday experiences during the War were so easily converted into a popular acceptance of the Second Republic. Arguing forcefully against the official Austrian postwar claim that Austria was the »first victim« of Hitler’s Germany, Grischany explains and extensively analyses the phenomenon that Austrians were both more eagerly Greater German-minded during the War than their regular German counterparts, and at the same time that they were easily capable of repressing such feelings of German national identity after 1945. This study required that Thomas R. Grischany undertake a massive amount of archival research in German and Austrian archives, plus that he organize a
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Vorwort von John W. Boyer
systematic project in oral history by interviewing as many of the surviving Austrian Wehrmacht veterans as possible (most of whom were quite elderly). It was also crucial that he was able to investigate the wartime records of Austrian servicemen in the German and Austrian military archives in Freiburg, Vienna, and Berlin. The final result is a very important book that is rigorously argued and well documented. It is an outstanding contribution to our knowledge of the domestic history of World War II in Central Europe and, in technical terms, an imaginative example of ambitious scholarly research. John W. Boyer
University of Chicago
Vorwort von Oliver Rathkolb
Dieses Buch von Thomas R. Grischany leistet durch einen gut dokumentierten Perspektivenwechsel einen wichtigen Beitrag zu einer neuen und kritischen Militärgeschichtsschreibung, um Funktion und Rolle von Wehrmachtssoldaten aus dem Gebiet des heutigen Österreichs zu hinterfragen und anhand neuer Quellen und Interviews kritisch zu analysieren. Nicht nur die inzwischen in Erosion geratene Opferdoktrin bezüglich der (Mit)Verantwortung der österreichischen Mehrheitsgesellschaft wird bezüglich der Integrationswilligkeit der Österreicher in der deutschen Wehrmacht weiter in Frage gestellt, sondern es wird auch einem möglichen neuen Mythos vorgebaut, der unbeabsichtigt durch eine kritische Geschichtspolitik um die österreichischen Wehrmachtsdeserteure entstehen könnte. Immerhin steht seit Oktober 2014 ein Denkmal für die Wehrmachtsdeserteure an einem der zentralsten Plätze der Republik zwischen Ballhausplatz und Heldenplatz, obwohl nur eine ganz kleine Gruppe von Soldaten und Offizieren diesen extrem mutigen Schritt in Richtung Desertion unter Lebensgefahr gesetzt hat. Ein historisch nicht versierter Betrachter könnte aufgrund der prominenten Lage des Denkmals meinen, dass die Österreicher die aktiveren Wehrmachtsdeserteure gewesen seien, was sie aber nicht waren. Genau diesen Nachkriegsmythos, die Österreicher seien die im Vergleich mit den »Preußen« unwilligeren Soldaten gewesen, die sich nicht wirklich in die Wehrmacht eingefügt hätten, stellt Grischany in Frage. In seiner umfassenden Studie rekonstruiert er die geschickten Integrationsmechanismen, die aus dem griesgrämigen »Kamerad Schnürschuh« Soldaten machten, die, wie britische Geheimdienstberichte dokumentieren, in Nordafrika »wie die Tiger« kämpften. Wenn überhaupt, gab es nur in Norwegen eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von österreichischen Deserteuren, wie Peter Pirker in seiner Monographie »Subversion deutscher Herrschaft. Der britische Geheimdienst SOE und Österreich« (2012) in dieser Reihe (Band 6) festgehalten hat. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang die Akzeptanz und Förderung regionaler Identitäten der Tiroler, Wiener etc. in der Wehrmacht, eine Linie, die beispielsweise Reichsleiter Baldur von Schirach sehr erfolgreich in Wien exekutierte. Diese
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Vorwort von Oliver Rathkolb
regionalen Identitäten waren scheinbar als Ventil unter der reichsdeutschen Gesamtidentität ausreichend, da auch unter der Dollfuß/Schuschnigg-Diktatur 1933 bis 1938 die Österreicher als die »besseren Deutschen« apostrophiert worden waren und ebenfalls immer wieder auf die regionalen Besonderheiten im Bereich der Volkskultur hingewiesen wurde. Die ins Exil vertriebene sozialdemokratische Opposition verabschiedete sich erst nach der Moskauer Deklaration im November 1943 mehrheitlich von der Idee einer Fortschreibung eines demokratischen gesamtdeutschen Anschlusses. Nur in Schweden hatte Bruno Kreisky bereits Mitte 1943 ein selbstständiges Österreich gefordert. Der Autor ist sich aber bewusst, dass seine Pionierarbeit nach wie vor auf einer fragilen Quellenbasis beruht, doch bereits jetzt stützen weitere Studien, wie die Auswertung von 200 Abhörprotokollen von österreichischen Kriegsgefangenen durch Richard Germann und Gerhard Botz, sowie die eigene Dissertation von Germann mit dem Titel »Österreichische Soldaten in Ost- und Südosteuropa 1941 – 1945. Deutsche Krieger – nationalsozialistische Verbrecher – österreichische Opfer?« (2006) den Befund von Thomas R. Grischany. Zu Recht weist Grischany darauf hin, dass – ähnlich wie dies Evan B. Bukey für die »Heimatfront« in seiner Studie »Hitler’s Austria« (2000) nachgewiesen hat – sich die Stimmung in der »Ostmark« nicht wirklich vom Rest des Deutschen Reiches unterschied und es noch 1943/1944 nur lokalen Widerstand gab, der nicht wirklich von der Mehrheitsgesellschaft unterstützt wurde. Selbst das britische Foreign Office konstatierte, wie Günter Bischof schrieb, »passive grumbling rather than resistance«. Die Gestapo hatte oft Probleme, die zahlreichen Denunziationen zu untersuchen, und entsprechend rasch wurden auch immer wieder britische, amerikanische oder sowjetische Kommandoaktionen verraten. Die Anpassungs- und Integrationsprobleme wurden immer geringer, je länger der Krieg dauerte und die ehemaligen »Österreicher« in der Hierarchie der aus zahlreichen regionalen Identitätskohorten zusammengesetzten Wehrmacht aufstiegen und sie auf andere, wie beispielsweise die »Volksdeutschen«, herabblicken konnten. Auch das gemeinsame »Fronterlebnis« stärkte die Integration der Österreicher. Als Herausgeber der Reihe »Zeitgeschichte im Kontext« freue ich mich, dass diese ursprünglich als Dissertation an der University of Chicago verfasste Studie in dieser Reihe erscheinen kann und danke vor allem dem Autor und für die finanzielle Unterstützung der Universität Wien und dem Verlag V& R unipress für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei der Produktion dieser Monographie. Oliver Rathkolb, November 2014
Einleitung
Widersprüche und Fragen Infolge des sogenannten »Anschlusses« der Republik Österreich an das Deutsche Reich im März 1938 wurde während des Zweiten Weltkrieges mehr als eine Million wehrpflichtiger Männer aus dem Gebiet der »Ostmark«, wie das ehemalige Österreich nun genannt wurde, in die deutschen Streitkräfte eingezogen. Trotz der Fülle an Literatur über die Anschlusszeit, das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg ist unser Wissen über die Kriegserfahrungen dieses substanziellen Anteils der österreichischen Bevölkerung erstaunlich gering. So ist bekannt, an welchen Kriegsschauplätzen die mehrheitlich aus Österreichern zusammengesetzten Divisionen eingesetzt waren, aber wir wissen fast nichts über die innere Haltung dieser Männer, ihre subjektive Erfahrung von Wehrdienst und Krieg, oder wie sie sich – wenn überhaupt – von ihren altreichsdeutschen Kameraden unterschieden. Was ging in diesen Männern innerlich vor, die quasi über Nacht für ein anderes Vaterland kämpfen mussten? Wie war es möglich, ein relativ großes Kontingent mit einer eigenen Militärtradition augenscheinlich erfolgreich in die Wehrmacht zu integrieren? In diesen Bereichen ist unser Wissen bestenfalls punktuell. Gerade aus diesem Grund konnte bis heute immer wieder behauptet werden, dass die Österreicher unwillige Soldaten gewesen seien, die in einem Krieg, mit dem sie sich angeblich nicht identifizierten, geopfert wurden bzw. dass deren angeblich diskriminierende Behandlung seitens der deutschen »Fremdherrscher« auch in den Streitkräften die Entwicklung eines österreichischen Sonderbewusstseins gefördert hätte.1 1 So versicherte schon 1946 das von der österreichischen Regierung herausgegebene Rot-WeißRot-Buch (allerdings ohne jeden Beleg), dass jeder österreichische Soldat die »besonders ungerechte und demütigende« Behandlung von Österreichern in der Wehrmacht bestätigen könne. Zit. nach Heidemarie Uhl: The Politics of Memory. Austria’s Perception of the Second World War and the National Socialist Period, in: Günter Bischof/Anton Pelinka (Hg.): Historical Memory and National Identity, New Brunswick, N. J., 1997, 64 – 94, 68. F¦lix Kreissler
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Einleitung
Solche Aussagen entsprechen der von der Republik Österreich nach 1945 offiziell vertretenen und auf die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943 zurückgehende »Opferthese«, der zufolge Österreich für sämtliche Vorgänge während der Anschlusszeit keinerlei Verantwortung trägt, da der Staat Österreich Hitlers erstes Opfer und die Österreicher – mit ganz wenigen Ausnahmen – zur Mitarbeit im Dritten Reich gezwungen worden seien.2 Diese »Reinwaschung« der Österreicher von den Verbrechen des Dritten Reichs diente dazu, die Wiederherstellung der österreichischen Souveränität zu beschleunigen. Damit eng verbunden waren Behauptungen, dass die negative Anschlusserfahrung die Österreicher nach Jahrhunderten der Unklarheit schließlich ihrer eigenständigen nationalen Identität bewusst werden ließ. All dem steht jedoch in beinahe krassem Gegensatz der Gesamteindruck der äußerlichen Haltung der österreichischen Soldaten gegenüber, welcher sich vom Verhalten der Kameraden aus dem Altreich praktisch nicht abhebt: Wie die anderen Deutschen kämpften Österreicher loyal und entschlossen bis zum Kriegsende, wie diese waren Österreicher in Kriegsverbrechen verwickelt, und wie bei diesen war der Widerstand gering und die Desertionsrate unauffällig.
Thesen und Antworten Die vorliegende Studie versucht, die Lücke in unserem Wissen über die Österreicher in der Wehrmacht zu schließen und dadurch die soeben aufgeworfenen Widersprüche aufzulösen, wobei die zentralen Themen sich thesenartig wie folgt umreißen lassen: • Spannungen und Reibereien aufgrund verschiedener Mentalitäten und Traditionen waren eher ein Phänomen der Vorkriegszeit während und unmittelbar nach der Eingliederung des Bundesheeres, das jedoch schon zu diesem Zeitpunkt durch eine Reihe integrationsfördernder Kräfte mehr als aufgewogen wurde. Individuelle Vorbehalte konnten allerdings weiterhin fortbestehen. (Der Österreicher und seine Nation. Ein Lernprozess mit Hindernissen, Wien 1984) beschreibt die Anschlusszeit als Hölle auf Erden für Zivilisten und Soldaten gleichermaßen. Hermann Hagspiel (Die Ostmark. Österreich im Großdeutschen Reich 1938 bis 1945, Wien 1995, 331 – 332) behauptet, dass das österreichische Kontingent wie ein »Hilfsvolk« behandelt und dadurch in der Wehrmacht die Entwicklung eines neuen Nationalbewusstseins »vorweggenommen« worden sei. 2 Laut Unabhängigkeitserklärung der neuen österreichischen Regierung vom 27. 4. 1945 habe das NS-Regime das »Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt […], den kein Österreicher jemals gewollt hat […] oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat«, online: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen& Gesetzesnummer=10000204 (25. 8. 2014).
Thesen und Antworten
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• Eine der wichtigsten integrativen Kräfte war der Krieg an sich, und zwar sowohl hinsichtlich der Kriegsführung allgemein innewohnender Faktoren als auch mit dem spezifischen Kriegsverlauf zusammenhängender. Daran änderte auch die Verschlechterung der Kriegslage nach dem Angriff auf die Sowjetunion nichts, da die »positiven« durch »negative«, aber um nichts weniger integrative Kräfte ersetzt wurden, während andere (wie z. B. Kameradschaft) sich nach dem Grundsatz, »Je intensiver der Krieg, umso besser die Integration«, verstärkten. • Daraus ergibt sich ein signifikanter Unterschied zur Erfahrung und Haltung der österreichischen Zivilbevölkerung, wo diese Faktoren naturgemäß nicht wirksam sein konnten und die Integration, vor allem nachdem die negativen Auswirkungen der verschlechterten Kriegslage auch im Zivilbereich spürbar wurden, hinterherzuhinken begann. • Überdies förderte das von mir als »bewaffnete Volksgemeinschaft« bezeichnete Konzept (welches auch die Verbundenheit zwischen Front und Heimat, quer über alle Gaue hinweg, zu vertiefen suchte) die fruchtbare Zusammenarbeit der angeblich verschieden begabten Stämme in den Streitkräften und nutzte dabei die in Österreich besonders tief verwurzelten und populären Gefühle von Stammesdenken, Regionalismus und Heimatverbundenheit aus. • Überdies hegten viele Reichsdeutsche ein grundsätzlich positives Klischee von Österreichern, das genau dem Bild entsprach, das die Österreicher von sich selbst hatten und welches von der Monarchie über die Erste Republik und sogar bis in die Zweite Republik in wesentlichen Elementen unverändert blieb, sodass Österreicher auch im Dritten Reich trotz aller Anpassungen gewissermaßen »Österreicher« bleiben durften. Zusätzlich wurde als wichtiger Teilaspekt auch das Bild vom österreichischen Soldaten einer dezidiert positiven Revision unterzogen. • Klischees verdeutlichen auch die generelle Wichtigkeit des Individualismus bei der Beurteilung der österreichischen Integration, da weder Reichsdeutsche noch Österreicher monolithische Blöcke bildeten, sodass Einstellungen, Sicht- und Verhaltensweisen sehr von der Disposition des Einzelnen abhingen und nicht verallgemeinert werden dürfen. • Ähnlich gilt für die Wehrmacht, dass die österreichische Integration besser als Teilprozess der permanenten Vergrößerung der landsmannschaftlichen Zusammensetzung der Wehrmacht verstanden werden kann. Die Österreicher waren nur eines von vielen neuen Kontingenten, das vor 1938 nicht zum kleindeutschen Reich gehört hatte, und die Eingliederung von Soldaten mit einem anderen Hintergrund war daher keine singulär österreichische Erfahrung. • Zeit wirkte sich in mehrfacher Hinsicht integrationsfördernd aus, da die anfänglichen Spannungen hauptsächlich ein Generationenproblem waren,
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Einleitung
und immer mehr leichter begeisterungsfähige und beeinflussbare Jüngere nachrückten, die nicht nur mit dem reichsdeutschen System besser vertraut waren, sondern auch reichsdeutsche Haltungen zu übernehmen begannen. Die zusammenfassende Analyse aller Faktoren ergibt, dass der Wehrmachtsdienst der österreichischen Soldaten von einem anhaltenden und verschiedene Phasen durchlaufenden Integrationsprozess gekennzeichnet war, der von anfänglichen Spannungen zur vollständigen Integration bis hin zur praktischen Ununterscheidbarkeit der Österreicher von den Reichsdeutschen führte und nur von außen – durch die militärische Niederlage des Dritten Reichs – beendet wurde. Diese äußerst erfolgreich verlaufende Integration erklärt neben der hohen Loyalität und Kampfmoral der österreichischen Soldaten auch, warum sich innerhalb der Wehrmacht bis zu deren Kapitulation – besonders im Vergleich zur Zivilbevölkerung – praktisch kein »nationales« österreichisches Sonderbewusstsein entwickelte, weshalb die Opferthese sich auch bezüglich der österreichischen Wehrmachtsoldaten als völlig unhaltbar erweist. Ferner kann der Ist-Zustand des offiziellen großdeutschen Nationalismus jener Zeit dahingehend charakterisiert werden, dass die Wehrmacht sich nur hinsichtlich der Österreicher (und vermutlich auch Sudetendeutschen) zu einer »großdeutschen Kampfgemeinschaft« entwickelte, während alle anderen neuen Kontingente Großdeutschland nicht als ihr neues Vaterland akzeptieren wollten oder konnten.
Methode Methodologisch wurden dieses Schlussfolgerungen durch die Sichtung, Sammlung, Kategorisierung und Interpretation von Äußerungen österreichischer Wehrmachtsoldaten erreicht, die geeignet sind, über deren Erfahrungen, also das, was ihnen passiv widerfuhr, und Haltungen, d. h., wie sie selber Dinge sahen und sich aktiv verhielten, Auskunft zu geben. Dazwischen gibt es keine scharfe Grenze, denn eine Haltung kann schließlich bereits die Reaktion auf eine vorangegangene Erfahrung sein. Obwohl Wehrmacht und Zweiter Weltkrieg den institutionellen bzw. chronologischen Rahmen bilden, ist dies keine klassische Militärgeschichte mit Analysen von Truppenbewegungen oder Schlachtverläufen, sondern vielmehr eine Nacherzählung des Zweiten Weltkrieges »von unten«, aus der Perspektive der österreichischer Soldaten, welche sich bemüht, so weit wie möglich »in die Köpfe der Soldaten hineinzusehen«. Nur so kann überprüft werden, ob die nach außen hin loyale Haltung auch wirklich den innersten Gefühlen der Soldaten
Methode
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entsprach, ob diese Ausdruck einer erfolgreichen Integration und Akzeptanz war, denn das Regime wusste selbst nur zu genau – entsprechend oft wurde dies in den Berichten über die Kampfmoral der Truppe betont –, dass »Stimmung« nicht gleichbedeutend mit »Haltung« ist.3 Die Darstellung weist auch starke kulturgeschichtliche Züge auf, da die Evidenz auch aus so verschiedenen Bereichen wie Ethnologie und Psychologie, Unterhaltung und Musik, Reisen und Tourismus sowie Essen und Trinken gewonnen wurde. Zwar bildeten die Österreicher kein eigenständiges oder abgesondertes Element innerhalb der Wehrmacht, etwa in der Form hundertprozentig österreichischer Einheiten, aber immerhin existierten mit den sogenannten »ostmärkischen Großverbänden« Divisionen, die sich überwiegend aus Österreichern zusammensetzten. Wie viele Historiker schließe auch ich mich den Erkenntnissen von Christoph Rass hinsichtlich der Aufrechterhaltung des regionalen Rekrutierungssystems an, wonach diese Divisionen trotz vorübergehender Engpässe und Durchmischungstendenzen als im Wesentlichen österreichische Einheiten gelten und damit über österreichische Haltungen und Erfahrungen Auskunft geben können. Dennoch sind vor allem in den militärischen Akten Äußerungen, die unzweifelhaft von Österreichern stammen, rar gesät, was eine große Herausforderung für den Anspruch der Repräsentativität darstellt, nachdem Aussagen möglichst über das gesamte Kontingent und nicht nur über einzelne Gruppen oder gar Einzelpersonen gemacht werden sollen, was eine Hauptschwäche vieler existierender Studien ist.4 Um ein ausgewogenes und aussagekräftiges Bild von der österreichischen Wehrmachtserfahrung zeichnen zu können, ist es daher notwendig, sowohl positive als auch negative Stimmungsäußerungen aufzuzeichnen und gegeneinander abzuwägen. Falls dabei eine kritische Masse von Aussagen mit Bezug auf ein bestimmtes Thema in dieselbe Richtung deutet, kann man daraus schließen, dass dies eine vorherrschende Meinung, Haltung etc. unter den Soldaten war. Falls auch nur eine Stimme von der Mehrheit abweicht, wird man so weit wie möglich untersuchen müssen, ob es sich dabei tatsächlich um eine Minderheitenmeinung handelte, oder ob diese aufgrund der Quellenlage möglicherweise verzerrt und in Wirklichkeit von einer signifikant größeren Personenzahl geteilt wurde. Weiter gilt es aufgrund der Provenienz der Äußerungen
3 M. I. Gurfein/Morris Janowitz: Trends in Wehrmacht Morale, in: POQ 10/1 (1946), 78 – 84, 2. 4 So stützt Hagspiel (Ostmark, 328) seine Behauptung von der Entwicklung eines neuen österreichischen Nationalbewusstseins innerhalb der Wehrmacht auf den Beschwerdebrief eines einzigen Soldaten. Kreissler (Lernprozess) scheint nur Hinweise gesammelt zu haben, die seine vorweggenommene Position unterstützen, und Karl R. Stadler (Österreich 1938 – 1945. Im Spiegel der NS-Akten, Wien/München 1966, 407) gibt offen zu, dass seine Studie um eine österreichfreundliche Darstellung bemüht ist.
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zu berücksichtigen, ob eine Stimmung für das gesamte Kontingent repräsentativ sein kann oder nur für eine oder mehrere Untergruppen. Schließlich gab es nicht die eine österreichische Wehrmachtserfahrung, sondern nur die Summe einer Vielzahl von Einzelerfahrungen, welche sowohl von persönlichen (wie etwa Herkunft, Alter, Beruf, Bildung, sozialer und politischer Hintergrund) als auch militärisch-strukturellen Kriterien (wie Waffengattung, Einheit, Rang, Verwendung und Kriegsschauplatz) beeinflusst wurde.5 Daher ist bei der Interpretation österreichischer Stimmen auch der Vergleich mit der Situation der anderen »Neulinge« in der Wehrmacht, also von Kontingenten aus Bevölkerungsgruppen, die vor 1938 nicht zum Deutschen Reich gehört hatten und sich im Dritten Reich und dem reichsdeutschen Militärsystem erst zurechtfinden mussten, aufschlussreich.
Historiografie Die existierende Historiografie zum Thema »Österreicher in der Wehrmacht« ist von einem Mangel an direkt relevanten Werken und einem Überfluss an Werken zu eng verwandten Themen wie Zweiter Weltkrieg, die Wehrmacht im Allgemeinen und die Anschluss-Ära gekennzeichnet. Die aus der Waldheim-Affäre (1986) und den Gedenken zum 50. Jahrestag des Anschlusses (1988) hervorgegangene heftige Kontroverse um die Mitschuld von Österreichern an den Verbrechen des Dritten Reichs zwang die österreichische Geschichtsforschung zu einer kritischeren Untersuchung der Rolle von Österreichern während des Anschlusses.6 Gewiss, der Anschluss bedeutete auch Diktatur sowie die Beseitigung politischer Gegner und anderer unliebsamer Personen. Aber die große Masse der Österreicher hatte nichts zu fürchten; viele 5 Ein Wehrmachtsveteran bemerkte im Anschluss an den Vortrag von Otto Scholik bei der Gesellschaft für Politisch-Strategische Studien in Wien am 19. 10. 2004, dass niemand eine allgemeine »Kriegserfahrung« besitze, sondern dass es nur individuelle »Kriegserlebnisse« gebe. Vgl.: Johann Christoph Allmayer-Beck: Verständnis für die Kriegsgeneration, in: Ders.: Militär, Geschichte und politische Bildung, Wien 2003, 209 – 212, 210. Die Bedeutung des Generationenfaktors als Ursache für unterschiedliche Wahrnehmungen und Erinnerung der Vergangenheit wird betont von Reinhart Koselleck: Der Einfluss der beiden Weltkriege auf das soziale Bewusstsein, in: Wolfram Wette (Hg.): Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1992, 324 – 343, 327; Gabriele Rosenthal: Biographische Verarbeitung von Kriegserlebnissen, in: Dies. (Hg.): »Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun.« Zur Gegenwärtigkeit des »Dritten Reiches« in erzählten Lebensgeschichten, Opladen 1990, 7 – 25, 18 – 21. 6 Der ÖVP-Präsidentschaftskandidat und ehem. UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim wurde beschuldigt, seinen Wehrmachtdienst absichtlich verschwiegen zu haben, was zu der (unbewiesenen) Behauptung führte, dass er in die Deportation der griechischen Juden verwickelt gewesen sei.
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Österreicher waren selber Täter oder in der Hierarchie des Dritten Reichs prominent vertreten, die freiwillige Mitgliedschaft in Partei und SS war hoch und der Widerstand genauso schwach ausgeprägt wie im Altreich. Wien erwarb sich bald einen zweifelhaften Ruf für antisemitische Ausschreitungen und effiziente Arisierungen.7 All dies wurde seither in zahlreichen Studien untersucht, sodass heutzutage die Opferthese von keinem Historiker mehr ernst genommen wird, und auch das offizielle Österreich hat mehrfach die Mitschuld von Österreichern an den Verbrechen des Dritten Reichs eingestanden.8 Ähnliches gilt für die Literatur zur österreichischen Nationswerdung nach 1945, welche von der Annahme, dass die zunehmende Anschluss-Frustration aufgrund altreichsdeutscher Bevormundung und der Einwirkungen des Krieges die Österreicher sich zunehmend ihrer eigenen Identität bewusst werden ließ, dominiert ist. Ursprünglich versuchte eine Reihe österreichischer Historiker und Publizisten, alle historischen Verbindungen zum deutschen Volk zu kappen und zu beweisen, dass die Österreicher schon immer ein eigenständiges Volk und österreichische Geschichte ein einziger Emanzipationsprozess von »Deutschland« gewesen sei.9 Heute ist das Verhältnis entspannter, und jüngst wurden auch differenziertere Studien vorgelegt, die belegen, dass nach 1945 noch etliche Jahrzehnte vergingen, bevor ein gefestigtes Nationalbewusstsein entstehen konnte, und dass viele Strategien in diesem Zusammenhang auf einer künstlichen Abgrenzung von Deutschland beruhten.10 Dennoch sind die allgemeine österreichische Ge7 Außer Hitler umfasste die Führung des Dritten Reiches die Österreicher Ernst Kaltenbrunner und Arthur Seyß-Inquart. Fast alle Gauleiter waren Österreicher. Wichtige Rollen in der Shoah spielten die Österreicher Odilo Globocnik, Franz Stangl und Anton und Alois Brunner. Gerhard Botz: Eine deutsche Geschichte 1938 bis 1945? Österreichische Geschichte zwischen Exil, Widerstand und Verstrickung, in: Zeitgeschichte 14/1 (1986), 19 – 38. Der Anschluss war von besonders abstoßenden antisemitischen Ausschreitungen begleitet, und Adolf Eichmann begann seine »Karriere« in Wien, wo er effizient die Auswanderung der Juden organisierte. Bruce F. Pauley : From Prejudice to Persecution. A History of Austrian Anti-Semitism, Chapel Hill 1992; Hans Safrian: Die Eichmann-Männer, Wien 1993. 8 1991 entschuldigte sich zum ersten Mal ein österreichischer Bundeskanzler, Franz Vranitzky, offiziell für die von Österreichern begangenen Verbrechen, und seit 1995 haben die österreichischen Regierungen wiederholt Programme zur Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus eingerichtet. 9 Alfred Missong: Die österreichische Nation, Wien 1946; Albert Massiczek (Hg.): Die österreichische Nation. Zwischen zwei Nationalismen, Wien 1967; Ernst Joseph Görlich/ Felix Romanik: Geschichte Österreichs, Innsbruck/Wien/München [1970]; Georg Wagner (Hg.): Von der Staatsidee zum Nationalbewusstsein. Studien und Ansprachen, Wien 1982. 10 Ernst Bruckmüller : Nation Österreich. Kulturelles Bewusstsein und gesellschaftlich-politische Prozesse, Wien 1996; Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005, Wien 2005; Peter Thaler : The Ambivalence of Identity. The Austrian Experience of Nation-Building in a Modern Society, West Lafayette, Ind., 2001; Matthias Pape: Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945 – 1965, Köln 2000. Die Spannung zwischen dem
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schichtsschreibung, populäre Darstellungen, Medien und Öffentlichkeit immer noch stark von einer »nationalösterreichischen« Richtung geprägt, welche die österreichische Emanzipation und Eigenständigkeit betont und die deutschen Verbindungen herunterspielt oder ignoriert. Die umfangreiche Literatur über die Ostmark hat etliche Studien zu verschiedenen Aspekten der österreichischen Mitgliedschaft im Dritten Reich produziert, wie etwa die Durchführung des Anschlusses sowie die AnschlussZeit in politisch-administrativer, sozio-ökonomischer und regionaler Hinsicht.11 Der Sammelband »NS-Herrschaft in Österreich«, der Beiträge führender Historiker aus ihrem jeweiligen Fachgebiet beinhaltet, fasst den Forschungsstand von 1988 zusammen und wurde 2000 erneut herausgegeben.12 Obwohl das Ziel dieser Arbeiten darin besteht, die österreichische Rolle und Erfahrung im Dritten Reich möglichst umfassend zu beschreiben, haben sie die österreichischen Wehrmachtsoldaten bisher weitestgehend vernachlässigt und das Thema nur vereinzelt gestreift.13 Dieser Forschungsbereich wirft jedoch die wichtige Frage auf, ob und wie sich die Anschluss- und Kriegserfahrung der Zivilisten von jener der Soldaten unterschied? Die Stimmung unter den Zivilisten in der Ostmark – die vom Altreich kaum abwich – ist bisher am gründlichsten von Evan B. Streben nach einer eigenen österreichischen Identität und den starken deutschen Bindungen kennzeichnet Friedrich Heer : Der Kampf um die österreichische Identität, Wien 1981. Für nichtösterreichische Sichtweisen des jüngeren deutsch-österreichischen Verhältnisses siehe: William T. Bluhm: Building an Austrian Nation. The Political Integration of a Western State, New Haven 1973; John W. Boyer: Some Reflections on the Problem of Austria, Germany, and Mitteleuropa, in: CEH 22 (1989), 301 – 315; Harry Ritter : Austria and the Struggle for German Identity, in: GSR 15 (1992), 111 – 129. 11 Siehe u. a.: Erwin A. Schmidl: März 38. Der deutsche Einmarsch in Österreich, Wien 1987; Gerhard Botz: Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938 – 1940), Wien 1972; Norbert Schausberger: Der Griff nach Österreich. Der Anschluss, München 1978; Radomr Luzˇa: Austro-German Relations in the Anschluss Era, Princeton, N. J., 1975; Rudolf G. Ardelt/Hans Hautmann (Hg.): Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich, Wien 1990; Tim Kirk: Nazism and the Working Class in Austria. Industrial Unrest and Political Dissent in the »National Community«, Cambridge/New York 1996; Gerhard Botz: Wien vom »Anschluss« zum Krieg. Nationalsozialistische Machtübernahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938/39, Wien/München 1978; Ernst Hanisch: Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg 1938 – 1945, Salzburg 1997; Stefan Karner : Die Steiermark im Dritten Reich 1938 – 1945. Aspekte ihrer politischen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Entwicklung, Graz 1986; Gert Kerschbaumer : Faszination Drittes Reich. Kunst und Alltag der Kulturmetropole Salzburg, Salzburg [1988]. 12 Emmerich Tlos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich 1938 – 1945, Wien 1988; ders. u. a. (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000. 13 Walter Manoschek/Hans Safrian: Österreicher in der Wehrmacht, in: Tlos u. a., NS-Herrschaft (2000), 123 – 158; Hans Safrian: Österreicher in der Wehrmacht, in: Wolfgang Neugebauer/Elisabeth Morawek (Hg.): Österreicher und der Zweite Weltkrieg, Wien 1989, 39 – 57.
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Bukey analysiert worden und war von zunehmender Kriegsmüdigkeit und Defätismus gekennzeichnet, vor allem seit die negativen Auswirkungen des Krieges, wie Versorgungsengpässe und Bombenangriffe, auch die Ostmark erreicht hatten.14 Die vorliegende Studie kann daher auch als militärische Ergänzung zu Bukey gelesen werden. Die österreichische Militärgeschichtsschreibung widmet den Österreichern in der Wehrmacht naturgemäß mehr Aufmerksamkeit. Die Ergebnisse der älteren Werke, welche sich hauptsächlich mit strukturellen und rein militärischen Aspekten beschäftigen, sind bis heute nicht durch neuere Studien ersetzt worden und haben daher nichts an ihrer Gültigkeit eingebüßt. Peter Gschaiders unpublizierte Dissertation ist das Standardwerk zur Eingliederung des Bundesheeres in die Wehrmacht und bietet eine detaillierte Darstellung der organisatorischen und rechtlichen Aspekte des Eingliederungsprozesses inklusive der Übernahme und Umschulung der Offiziere. Die Studie von Gschaider erwähnt Spannungen zwischen Österreichern und Reichsdeutschen aufgrund verschiedener Mentalitäten und Traditionen, identifiziert aber auch bereits einige wichtige Integrationsmechanismen, wie die Wiederherstellung des österreichischen Selbstbewusstseins und den Generationenfaktor, die von der vorliegenden Studie bestätigt werden.15 Die organisatorische Geschichte der beiden Wehrkreise und der Luftwaffe auf dem österreichischen Territorium wurde in zwei Publikationen von Othmar Tuider abgehandelt.16 Johann Christoph Allmayer-Beck schließlich verdanken wir die grundlegende Beschreibung des Kampfeinsatzes der in der Ostmark aufgestellten und von dort ergänzten Wehrmachtdivisionen.17 Seit der Waldheim-Affäre von 1986 ist die österreichische Literatur zur Wehrmacht von Angriffen auf die Opferthese als »Lebenslüge« der Zweiten Republik anstelle von dringend benötigter Grundlagenforschung, wie etwa über den österreichischen Wehrmachtsdienst, geprägt.18 Freilich bietet sie wertvolle 14 Evan B. Bukey : Hitler’s Austria. Popular Sentiment in the Nazi Era, 1938 – 1945, Chapel Hill 2000. Für das Gesamtreich siehe: Marlis G. Steinert: Hitlers Krieg und die Deutschen. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg, Düsseldorf/Wien [1970]. 15 Peter Gschaider : Das österreichische Bundesheer 1938 und seine Überführung in die deutsche Wehrmacht, Dissertation (Universität Wien), 1967. 16 Othmar Tuider : Die Wehrkreise XVII und XVIII 1938 – 1945, Wien 1975; ders.: Die Luftwaffe in Österreich 1938 – 1945, Wien 1985. 17 Johann Christoph Allmayer-Beck: Die Österreicher im Zweiten Weltkrieg, in: Ludwig Jedlicka (Hg.): Unser Heer. 300 Jahre österreichisches Soldatentum in Krieg und Frieden, Wien 1963, 343 – 375, 365. Allmayer-Beck diente selbst als Wehrmacht-Offizier bei der 21. (ostpreuß.) ID und der 10. Pz.-Gren.-Div. Für eine kurze Zusammenfassung des österreichischen Wehrmachteinsatzes siehe: Lothar Höbelt: Österreicher in der Deutschen Wehrmacht, 1938 – 1945, in: Truppendienst 28 (1989), 417 – 432. 18 Gerhard Botz/Gerald Sprengnagel (Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker,
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Erkenntnisse darüber, wie die österreichische Nachkriegsgesellschaft die Geschichte und das Vermächtnis von Nationalsozialismus und Krieg durch bestimmte Erinnerungsmechanismen und Tabuisierungen derart rekonstruierte, dass sich jeder, einschließlich der Soldaten, als Opfer sehen konnte. Aber methodisch sind diese Studien, obwohl sie bisweilen auf Interviews mit Veteranen zurückgreifen, mehr an Diskursanalysen entschuldigender, verzerrender oder unterdrückender Repräsentationstechniken interessiert, als an dem Versuch, den Kriegsdienst der Veteranen als solchen so authentisch wie möglich zu rekonstruieren.19 Es blieb daher dem Politikwissenschaftler Walter Manoschek, teilweise gemeinsam mit Hans Safrian, vorbehalten, in einer Reihe von Studien zumindest die österreichische Beteiligung an der verbrecherischen Seite des Krieges aus Akten und persönlichen Dokumenten darzustellen.20 Auch in den jüngsten Forschungen zu Spezialthemen wie Militärjustiz und Desertion erfährt man wenig über die große Masse der Soldaten, die nicht von diesen speziellen Themen betroffen waren.21 Gleiches gilt für Marcel Steins auf den Generalsrang beschränkte Studie der Karrieren und Haltungen österreichischer Wehrmachtoffiziere.22 Das Werk »Österreicher in der Deutschen Wehrmacht« von Bertrand Michael Buchmann ist eine großteils auf Sekundärquellen basierende Alltagsgeschichte über Wehrmachtsoldaten im Allgemeinen
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Frankfurt a. M. / New York 1994; Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hg.): Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996; Bischof/Pelinka, Austrian Historical Memory and National Identity. Für eine kurze Zusammenfassung siehe: Heidemarie Uhl: Das »erste Opfer«. Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in der Zweiten Republik, in: ÖZP 30/1 (2001), 19 – 34. Kritik am Vorwurf der »Lebenslüge« üben: Gerald Stourzh: Erschütterung und Konsolidierung des Österreichbewusstseins – vom Zusammenbruch der Monarchie zur Zweiten Republik, in: Richard G. Plaschka/Gerald Stourzh/Jan Paul Niederkorn (Hg.): Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute, Wien 1995, 289 – 311, 307 – 309; Felix Butschek: Österreichs Lebenslügen – oder wie wissenschaftlich ist die Geschichtsschreibung?, in: Europäische Rundschau 24/1 (1996), 17 – 28; Hubert Feichtlbauer: Der Fall Österreich. Nationalsozialismus, Rassismus: Eine notwendige Bilanz, Wien 2000. Alexander Pollak: Die Wehrmachtslegende in Österreich. Das Bild der Wehrmacht im Spiegel der österreichischen Presse nach 1945, Wien 2002; Meinrad Ziegler/Waltraud Kannonier-Finster: Österreichs Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit, Wien/Köln/Weimar 1993; Ela Hornung: Trümmermänner. Zum Schweigen österreichischer Soldaten in der Deutschen Wehrmacht, in: Kos/Rigele, Inventur, 232 – 250; Ruth Beckermann: Jenseits des Krieges. Ehemalige Wehrmachtssoldaten erinnern sich, Wien 1998; Hannes Heer u. a. (Hg.): Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerung an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg, Wien 2003. Walter Manoschek: »Serbien ist judenfrei.« Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, München 1993; ders./Safrian, Österreicher. Walter Manoschek (Hg.): Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis, Strafvollzug, Entschädigungspolitik in Österreich, Wien 2003; Maria Fritsche: Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht, Wien 2004. Marcel Stein: Österreichs Generale im deutschen Heer, 1938 – 1945. Schwarz/Gelb, Rot/ Weiss/Rot, Hakenkreuz, Bissendorf 2002.
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und bietet neben einigen bekannten und dringend revisionsbedürftigen Beobachtungen keine neuen Einsichten über die spezifisch österreichische Wehrmachtserfahrung.23 Hingegen gewährt die auf Primärquellen beruhende Dissertation von Richard Germann auch wertvolle Einblicke in die Gefühls- und Erfahrungswelt der Mannschaften und Unteroffiziere.24 Eine groß angelegte Umfrage unter ehemaligen österreichischen Wehrmachtsoldaten bietet zwar Aufschluss über Meinungen zu einer Vielzahl von Themen in der Form vorgefertigter Antwortmöglichkeiten, kann aber, da die Veteranen nicht selber zu Wort kommen, keine Aussagen über tiefere Beweggründe machen.25 Schließlich wertet derzeit ein von Gerhard Botz geleitetes Projekt am Ludwig BoltzmannInstitut für Historische Sozialwissenschaft in Wien unter tausenden geheimen Abhörprotokollen deutscher Kriegsgefangener in alliierten Lagern die Aussagen österreichischer Soldaten aus, welche die Erkenntnisse der vorliegenden Studie bestätigen.26 Die deutsche Militärgeschichtsschreibung hat eine praktisch unüberschaubare Vielzahl von Studien über die Wehrmacht hervorgebracht.27 Der Fokus der älteren Werke war auf Strukturen und Eliten, wie etwa das deutsche Offizierskorps, gerichtet.28 Mit der zunehmenden Bedeutung von Sozial- und Alltags23 Bertrand Michael Buchmann: Österreicher in der Deutschen Wehrmacht. Soldatenalltag im Zweiten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2009. 24 Richard Germann: Österreichische Soldaten in Ost- und Südosteuropa 1941 – 1945. Deutsche Krieger – nationalsozialistische Verbrecher – österreichische Opfer?, Dissertation (Universität Wien), 2006. Germanns Arbeit geht ebenfalls von einer erfolgeichen Integration der österreichischen Wehrmachtsoldaten aus. 25 Josef Schwarz u. a.: Österreicher im Zweiten Weltkrieg. Bewusstseinsstand von österreichischen Soldaten in der deutschen Wehrmacht 1938 – 1945. Endbericht, Wien 1993 [= Endbericht]. Die Umfrage wurde von Josef Schwarz privat durchgeführt und in Zusammenarbeit mit den Wiener Instituten für Zeitgeschichte bzw. Konfliktforschung analysiert. Von 9.000 angeschriebenen Personen beantworteten etwa 1.400 (15 Prozent) den Fragebogen. Etwa 1.200 Antworten waren verwertbar, wovon schließlich 1.119 Eingang in die Studie fanden, was der sehr hohen Ausschöpfung von 12,43 Prozent (üblich sind Werte um fünf Prozent) entspricht. Die Datenbank erzielt relativ hohe Repräsentativität hinsichtlich des beruflichen Hintergrundes, der Altersstruktur (über 60 Prozent wurden 1920 – 25, also in der Altersgruppe mit den höchsten Verlusten, geboren), der Einziehungsjahre (der Schwerpunkt liegt auf 1939 – 43) sowie der Verteilung auf Waffengattungen und Dienstgrade (8,1 Prozent Offiziere, 31,2 Prozent Unteroffiziere, 61 Prozent Mannschaften). Lediglich der regionale Hintergrund bleibt unbekannt, aber nachdem jedes Bundesland trotz unterschiedlicher Einwohnerzahlen je 1.000 Fragebögen erhielt, sind Bundesländer mit niedrigeren Einwohnerzahlen wahrscheinlich überrepräsentiert. 26 Mitteilung von Projektmitarbeiter Richard Germann an den Verfasser. 27 Anstelle einer langen Liste von Einzeltiteln siehe die Literaturangaben in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg [= DRZW], 10 Bde., Stuttgart/München 1979 – 2008. 28 Grundlegend für die Wehrmacht als Institution sind: Rudolf Absolon: Wehrgesetz und Wehrdienst 1935 – 1945. Das Personalwesen in der Wehrmacht, Boppard a. Rh. 1960; ders.: Die Wehrmacht im Dritten Reich, 6 Bde., Boppard a. Rh., 1969 – 1995. Zu den Einheiten der
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geschichte wurde seit den 1970er-Jahren vermehrt Militärgeschichte »von unten« geschrieben, um herauszufinden, wie die durchschnittlichen Landser mit dem Kriegserlebnis umgingen.29 Dadurch rückten auch bisher vernachlässigte Themen wie Desertion oder die Beteiligung an Kriegsverbrechen zusehends in den Mittelpunkt.30 Wichtige Beiträge zu der Brutalisierung der deutschen Kriegsführung lieferte in den 1980er-Jahren Omer Bartov, der diese mit dem Zerfall der kleinsten Wehrmachteinheiten, der sogenannten Primärgruppen, als Folge der hohen Verluste in Russland, in Kombination mit harschen Disziplinarmaßnahmen, politischer Indoktrination und materieller Unterlegenheit zu erklären versuchte.31 Bis dahin hatte die Studie von Edward A. Shils und Morris Janowitz aus dem Jahre 1948, wonach die allerseits geachtete Kampfmoral der Wehrmacht gerade auf die landsmannschaftliche Kohäsion der Primärgruppen, welche sich aus Soldaten aus der gleichen Region zusammensetzten, zurückführen sei, nahezu als Dogma gegolten.32 Vor zehn Jahren gelang es jedoch dem Politikwissenschaftler Christoph Rass anhand einer groß angelegten Studie über eine Infanterie-Division zu zeigen, dass die Wehrmacht durchaus in der Lage war, die regionale Homogenität ihrer Einheiten im Großen und Ganzen so lange aufrechtzuerhalten, bis das gesamte Rekrutierungssystem Ende 1944 kollabierte.33
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Wehrmacht siehe: Georg Tessin: Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939 – 1945, 16 Bde., Osnabrück 1965. Zum deutschen Offizierskorps siehe: Hans Hubert Hofmann (Hg.): Das deutsche Offizierskorps 1860 – 1960, Boppard a. Rh. 1980; Hansgeorg Model: Der deutsche Generalstabsoffizier. Seine Auswahl und Ausbildung in Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr, Frankfurt a. M. 1968. Wette, Krieg; Hans Joachim Schröder : Die gestohlenen Jahre. Erzählgeschichten und Geschichtserzählung im Interview. Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht ehemaliger Mannschaftssoldaten, Tübingen 1992; Detlef Vogel/Wolfram Wette (Hg.): Andere Helme – andere Menschen? Heimaterfahrung und Frontalltag im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich, Essen 1995; Stephen G. Fritz: Frontsoldaten. The German Soldier in World War II, Lexington, Ky., 1995; Klaus Latzel: Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis, Kriegserfahrung 1939 – 1945, Paderborn 1998; Sönke Neitzel/Harald Welzer : Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt a. M. 2011. Norbert Haase/Gerhard Paul (Hg.): Die anderen Soldaten. Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1995. Christopher R. Browning: Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1992. In der Öffentlichkeit erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt 1995 mit der sogenannten »Wehrmacht-Ausstellung«. Siehe: Hannes Heer/Klaus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944, Hamburg 1995. Omer Bartov : Hitler’s Army. Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich, New York 1991. Edward A. Shils/Morris Janowitz, Cohesion and Disintegration in the Wehrmacht in World War II, in: POQ 12 (1948), 280 – 315. Vgl.: Martin L. van Creveld: Fighting Power : German and US Army Performance 1939 – 1945, Westport, Conn., 1982. Christoph Rass: »Menschenmaterial«. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939 – 1945, Paderborn 2003; ders.: Das Sozialprofil von Kampfverbänden des deutschen Heeres 1939 bis 1945, in: DRZW, Bd. 9/1: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Politisierung, Vernichtung, Überleben (2004), 641 – 741, 724, 740.
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Generell muss in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass die Literatur über die Streitkräfte des Dritten Reichs dazu tendiert, die Wehrmacht allein im Kontext des deutschen Nationalstaates und mit Fokus auf das preußische Element als dominierenden Faktor zu behandeln. Dabei ignoriert sie mit ganz wenigen Ausnahmen die durch die permanente Vergrößerung des deutschen Machtbereichs hervorgerufenen landsmannschaftlichen Veränderungen in der Zusammensetzung der Wehrmacht sowie das Verhältnis der verschiedenen Gruppen zueinander.34 Die ethnische Zusammensetzung der deutschen Streitkräfte wird fast ausschließlich in Studien zur Waffen-SS thematisiert, welche das österreichische Element jedoch ebenfalls nicht beachten.35 Auch Studien über das Verhältnis zwischen Wehrmacht und nationalsozialistischer Volksgemeinschaft beschränken sich im Wesentlichen auf die Frage nach der Mobilisierung der Bevölkerung. Der Umstand, dass die nationale Basis jener Volksgemeinschaft und damit auch das für die Einziehung zur Wehrmacht zur Verfügung stehende menschliche Reservoir während des Krieges beständig erweitert wurde, und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, werden dabei nicht berücksichtigt.36 Anders ausgedrückt: Das Verhältnis zwischen altreichsdeutschen und anderen Soldaten ist in der deutschen Militärgeschichtsschreibung kein Thema. Die große Ausnahme ist Rüdiger Overmans, der die deutschen Kriegsverluste mittels einer auf der Grundlage von Gefallenenmeldungen erstellten Datenbasis analysierte und die Kriegstoten dabei auch nach regionaler Herkunft kategorisierte. Dabei fällt auf, dass die Todesquote der aus dem österreichischen Staatsgebiet stammenden Soldaten etwas unterhalb des Reichsdurchschnitts liegt.37 Dies ist der einzige Bereich, in dem sich die Österreicher messbar von den 34 Dazu gehört Bernhard R. Kroeners kurze Behandlung diskriminierenden Verhaltens gegenüber Österreichern und anderen Neulingen in: Ders.: »Menschenbewirtschaftung«, Bevölkerungsverteilung und personelle Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (1942 – 1944), in: DRZW, Bd. 5/2: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942 bis 1944/45 (1999), 777 – 1001, 871, 983 – 984; sowie Nikolaus von Preradovich: Die militärische und soziale Herkunft der Generalität des deutschen Heeres: 1. Mai 1944, Osnabrück 1978. 35 Valdis O. Lumans: Himmler’s Auxiliaries. The Volksdeutsche Mittelstelle and the German National Minorities of Europe 1933 – 1945, Chapel Hill 1993; Hans Werner Neulen: An deutscher Seite. Internationale Freiwillige von Wehrmacht und Waffen-SS, München 1985; Franz W. Seidler : Avantgarde für Europa. Ausländische Freiwillige in Wehrmacht und Waffen-SS, Selent 2004; Rolf-Dieter Müller : An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim »Kreuzzug gegen den Bolschewismus« 1941 – 1945, Berlin 2007. 36 Manfred Messerschmidt: Der Reflex der Volksgemeinschaftsidee in der Wehrmacht, in: Ders.: Militärgeschichtliche Aspekte der Entwicklung des deutschen Nationalstaates, Düsseldorf 1988, 197 – 220; Sven Oliver Müller: Nationalismus in der deutschen Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945, in: DRZW, Bd. 9/2: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung (2005), 9 – 92. 37 Rüdiger Overmans: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 1999,
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reichsdeutschen Soldaten unterscheiden lassen. Da sich die österreichische Todesquote allerdings während des gesamten Krieges konstant leicht unterhalb des Durchschnitts befindet, dürfte dies am ehesten auf eine statistische Ungenauigkeit zurückzuführen sein, die mit der Größe der Stichprobe zusammenhängt, als auf irgendwelche anderen Faktoren.38 Umgekehrt jedoch verstärkt die Anzahl der tatsächlich gefallenen Österreicher eher den Eindruck einer »substanziellen Beteiligung« an der deutschen Kriegsanstrengung.39
Quellen Das österreichische Kriegsarchiv in Wien besitzt die Nachlässe rund zweitausend österreichischer Militärs. Von diesen können gemäß Findbüchern etwa zweihundert in irgendeiner Weise mit der Wehrmacht in Verbindung gebracht werden. Davon wurde eine Anzahl nach oberflächlicher Ansicht als ungeeignet ausgeschieden.40 Von den rund 170 verbleibenden und akribisch durchgesehenen Nachlässen enthielten ungefähr 100 brauchbare Informationen. Diese stammen von prominenteren Offizieren bis hinunter zu einfachen Soldaten oder Personen, die bloß in einem Naheverhältnis zur Wehrmacht standen, und sind sehr unterschiedlich in Bezug auf Quantität und Qualität. Sie umfassen sowohl detaillierte Tagebücher, Briefe und zeitgenössische Unterlagen wie auch Erin228, 230 – 231, 246 – 248. Der österreichische Anteil an Wehrmachtsoldaten betrug (übereinstimmend mit dem Anteil der Österreicher an der Reichsbevölkerung) acht Prozent, aber nur fünf Prozent bei den Gefallenen. Die Todesquote für Soldaten aus dem gesamten Reich betrug 12,7 Prozent, aber nur acht Prozent bei den österreichischen Soldaten. Die niedrigere österreichische Gefallenenrate betonte bereits Peter J. Katzenstein: Disjoined Partners. Austria and Germany since 1815, Berkeley 1976, 172 – 173. 38 Keinesfalls eine zunehmende Distanzierung aufgrund eines erwachenden Österreichbewusstseins, wie von Hanisch (Gau, 92) und Rathkolb (Republik, 382) in Betracht gezogen. Andere mögliche, aber äußerst unwahrscheinliche Gründe wären besseres Kampfvermögen (aufgrund der Einstellung oder besserer Ausbildung im Bundesheer), größere Zurückhaltung im Kampf (aus mangelnder Identifikation mit dem Krieg oder Feigheit), Verwendung in weniger tödlichen Funktionen oder Kriegsschauplätzen. Overmans selbst (Verluste, 275, 295) schränkt die Aussagekraft seiner Zahlen (von möglichen statistischen Ungenauigkeiten abgesehen) mit dem Hinweis ein, dass zusätzliche Forschung zum österreichischen Kontingent, v. a. die Einsätze von Österreichern betreffend, notwendig wäre. 39 Thaler, Ambivalence, 88. 40 Nicht berücksichtigt wurden die Nachlässe von Franz Böhme, Glaise-Horstenau, Löhr und Rendulic, da deren Ansichten hinreichend bekannt sind. Siehe: Manoschek/Safrian, Österreicher (über Böhme); Lothar Rendulic: Gekämpft, gesiegt, geschlagen, Wels/Heidelberg 1952; Edmund Glaise von Horstenau: Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, 3 Bde., hg. von Peter Broucek, Wien/Köln/Graz 1980 – 1988; sowie die eher hagiografische Löhr-Biografie von Jaromir Diakow : Generaloberst Alexander Löhr. Ein Lebensbild, Freiburg i. Br. 1964. Wissenschaftliche Biografien der vier Männer sind nach wie vor Desiderata.
Quellen
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nerungen und gleich nach Kriegsende verfasste Pamphlete bis hin zu eher fragmentarischen Evidenzen wie Zeitungsausschnitte oder Kritzeleien. Die Nachlässe, welche das Rückgrat dieser Studie bilden, wurden durch drei Gruppen von Quellen komplementiert. Zunächst durch eine Reihe von Interviews mit Zeitzeugen, von denen beinahe alle selbst in der Wehrmacht gedient haben. Dieser Quellentyp besitzt den Vorteil, dass gezielt Fragen aufgeworfen werden können, die in den archivarischen Quellen nicht oder nicht genügend thematisiert sind. Die Rekrutierung der Gesprächspartner erfolgte durch eine Adressenliste von Absolventen der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, den Bundesverband des »Österreichischen Kameradschaftsbundes« in Wien, den Besuch einzelner Kameradschaftstreffen in Wien, Umfragen im Familien- und Freundeskreis sowie durch Zeitungsannoncen und Flugblätter. Die zweite Kategorie umfasst die militärischen Akten des deutschen Bundesarchiv-Militärarchivs in Freiburg, vor allem jene Akten über die »ostmärkischen Divisionen« und die beiden Wehrkreise in der Ostmark, aber auch über die Wehrkreise, in denen Österreicher ausgebildet wurden oder welche Ersatz aus der Ostmark erhielten. Darüber hinaus gibt diese Quellengruppe Auskunft über Angelegenheiten, welche über den engen österreichischen Kontext hinausgehen, wie z. B. die Behandlung anderer Neulinge, Fragen von Führung und Ausbildung, Beurteilungen der Moral und der Kampfkraft von Truppen oder das Selbstverständnis der Wehrmacht. Die letzte Gruppe besteht aus diversen Quellen unterschiedlicher Provenienz. Da wäre zunächst einmal das Archiv der Republik in Wien mit seinen Akten betreffend das Büro des »Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« (»Bürckel«/Materie und »Bürckel«/Nachträge), also der zentralen Autorität der Ostmark von 1938 bis 1940, sowie das Büro des Reichsstatthalters in Wien (RStH), der Regierungsgewalt in Wien von 1940 bis 1945.41 Trotz ihrer zivilen Natur enthalten diese Quellen auch zahlreiche Bezüge zur Wehrmacht. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien enthält eine große Zahl von aufschlussreichen wehrmachtbezogenen Akten. Weitere wertvolle Informationen konnten im Industrieviertelmuseum in Wiener Neustadt, in der »Sammlung 1938« im Wiener Allgemeinen Verwaltungsarchiv und unter den Dokumenten in der Sammlung »Manuskripte – Allgemeine Reihe« des Kriegsarchivs gesichtet werden. Quellenkritisch sind mit Bezug auf die verwendeten Quellen drei wichtige Bemerkungen zu machen. Erstens, Feldpostbriefe und sämtliche Texte, die zur Veröffentlichung gedacht waren (wie Erlebnisberichte oder Zeitungsartikel), unterlagen der Zensur. Briefe wurden allerdings nur stichprobenartig zensu41 Die Funktion des Reichsstatthalters wurde 1940 in Personalunion mit dem (seit 1938 existierenden) Amt des Gauleiters von Wien vereinigt.
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riert, und auch wenn sie nur selten offene Kritik enthalten, so war umgekehrt kein Soldat gezwungen, sich enthusiastisch über den Kriegsverlauf oder seine Kameraden bzw. negativ über den Feind oder Defätisten zu äußern.42 Eine größere Einschränkung ist daher die »innere Zensur«, nämlich ob ein Soldat etwas a priori, ob positiv oder negativ, für mitteilenswert hält, oder es bevorzugt, sich über bestimmte Dinge auszuschweigen. Es galt daher, Soldatenbriefe auch zwischen den Zeilen zu lesen und zu versuchen, den Gesamteindruck von Briefen zu erfassen. In jedem Fall kann Kritik (die man durchaus finden kann) ebenso aussagekräftig sein wie ein Brief voller Belanglosigkeiten oder einer, dessen Autor über ein bestimmtes Thema ins Schwärmen gerät. Auch Zeugnisse von Personen mit eindeutig nationalsozialistischem Hintergrund dürfen nicht von vornherein als wertlos abgetan werden, da der Großteil der integrativen Mechanismen unabhängig von nationalsozialistischer Ideologie wirkte, und es häufig gerade überzeugte Nationalsozialisten waren, die mit Aspekten des Anschlusses unzufrieden waren. Zweitens, bei allen nach 1945 entstandenen Zeugnissen, etwa Interviews, Memoiren oder andere Rückblicke, besteht die Möglichkeit, dass die Vergangenheit verzerrend dargestellt wird.43 Da die typischen Verzerrungen jedoch bekannt sind, können die Aussagen entsprechend bereinigt werden, und auch hier gilt, dass niemand zu bestimmten Aussagen gezwungen war. Die Berücksichtigung von Quellen nichtösterreichischer Provenienz sowie die Situation andere Neulinge betreffend fungierte ebenfalls als Korrektiv zu allfälligen Verzerrungen in den österreichischen Quellen. Die weitaus größere Herausforderung bestand drittens jedoch darin, durch die Quellen einen möglichst hohen Grad an Repräsentativität mit Bezug auf die soziale, politische und regionale Zusammensetzung des österreichischen Kontingents zu erzielen. Allerdings stammt rund die Hälfte der Nachlässe von Offizieren (die nur drei Prozent des Wehrmachtpersonals ausmachten) – und damit aus dem konservativen, bürgerlichen bis aristokratischen Spektrum; der typische »Arbeiter« wurde weder Offizier, noch hinterließ er dem Kriegsarchiv irgendwelche Aufzeichnungen.44 Andererseits können auch Offiziersnachlässe
42 Thilo Stenzel: Russlandbild des »kleinen Mannes«. Gesellschaftliche Prägung und Fremdwahrnehmung in Feldpostbriefen aus dem Ostfeldzug (1941 – 1944/1945), in: Mitteilungen des Osteuropa-Instituts München 27 (1998), online: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/publikationen/mitteilungen/mitt_27.pdf (25. 8. 2014), 14 – 15. 43 Schröder, Gestohlene Jahre, 97 – 126; Koselleck, Einfluss, 331. Zum generellen Problem der Darstellung vergangener Ereignisse unter besonderer Berücksichtigung individueller Erfahrungen siehe: Reinhart Koselleck: Darstellung, Ereignis und Struktur, in: Ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, 144 – 157. 44 Insgesamt dienten ca. 18 Millionen Männer in der Wehrmacht. Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt a. M. 2002, 176.
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die Stimmen von Personen, die keine Offiziere waren oder nicht der konservativen Schichte entstammten, enthalten. Zudem konnte dieses Ungleichgewicht durch die anderen Quellengruppen etwas berichtigt werden. So wurden insgesamt 21 Personen interviewt, wobei eine Person über zwei ehemalige Wehrmachtsmitglieder Auskunft gab, und zwei andere Personen nicht in der Wehrmacht gedient hatten. Unter den 20 direkt auf die Wehrmacht bezogenen Stimmen dominiert eindeutig der Anteil der Nichtoffiziere (80 Prozent).45 Auch die Akten aus Freiburg enthalten eine große Zahl an Erlebnisberichten von einfachen Soldaten. Die regionale Herkunft betreffend sind die Stimmen, die in diese Studie Eingang gefunden haben, halbwegs gleichmäßig verteilt, wobei jene, deren Herkunft nicht eindeutig feststellbar war, die stärkste Gruppe ausmachen (rund 25 Prozent), gefolgt von Wienern (rund 20 Prozent), Steirern (rund 15 Prozent) und in Böhmen und Mähren Geborenen als drittstärkste Gruppe (rund acht Prozent).
Aufbau Um den anhaltenden Charakter des Integrationsprozesses zu unterstreichen, bot sich ein chronologischer Aufbau der einzelnen Kapitel an. Das erste Kapitel erzählt die Vorgeschichte (inklusive der formellen Eingliederung des Bundesheeres) zu den eigentlichen Ereignissen zwischen 1938 und 1945, wobei einige relevante Aspekte, die in der Zeit vor 1938 begründet liegen, aufgeworfen und diskutiert werden. In dem Kapitel wird auch der Einsatz der Österreicher im Zweiten Weltkrieg skizziert sowie die Frage der Verteilung der österreichischen Soldaten auf die Einheiten der Wehrmacht erörtert. Kapitel zwei beschäftigt sich mit der Friedensperiode von März 1938 bis September 1939, die sowohl von Spannungen als auch von den ersten integrativen Kräften, welche beide aus der Inkorporation des Bundesheeres hervorgegangen waren, gekennzeichnet war. Das dritte Kapitel schildert, wie sich die Integration während der ersten Kriegsphase von 1939 bis Frühjahr 1941 aufgrund der sich aus dem erfolgreichen Kriegsverlauf ergebenden Mechanismen vertiefte. Kapitel vier hebt sich exkursartig von der Chronologie ab, da es die Wehrmacht als bewaffnete Version der Volksgemeinschaft interpretiert und jene diesem Konzept innewohnenden integrativen Kräfte, die weitgehend im deutschen Nationalismus wurzelten, analysiert. Der dramatisch veränderte Charakter des Krieges seit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 bis Mitte 1944 bildet den Fokus von Kapitel fünf und schildert, wie die bisher als positiv zu definierenden integrativen Kräfte 45 Sozial und politisch konnte ein relativ repräsentatives Spektrum erzielt werden. Siehe die Kurzbiografien der Interviewpartner im Anhang.
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großteils durch negative, aber keinesfalls weniger integrative Faktoren ersetzt wurden. Das sechste und letzte Kapitel analysiert die Kampfmotivation während der letzten Kriegsmonate sowie die wohlwollenden und ablehnenden Rezeptionen des Wehrmachtdienstes unmittelbar nach Kriegsende. *** Abschließend noch zwei Bemerkungen zur Schreibweise. Der Text benutzt deutsche Namen für sämtliche geografische Begriffe, da diese auch in den Quellen verwendet werden. Und obwohl Österreicher seit März 1938 deutsche Staatsangehörige oder »Ostmärker« waren, werden sie im Folgenden in der Regel als »Österreicher« bezeichnet, während für die anderen Deutschen der Begriff »Reichsdeutsche« verwendet wird, obgleich der Begriff »Altreichsdeutsche« akkurater wäre.46
46 Mit den Begriffen »Altreich« und »Altreichsdeutsche« wurden die Deutschen, die schon seit 1871 im Reich lebten, von jenen, die erst nach 1938 »heim ins Reich« gekehrt waren, unterschieden. In Österreich war es jedoch schon vor dem Anschluss (und fallweise noch nach 1945) üblich, von »Reichsdeutschen« oder von jemand »aus dem Reich« zu sprechen.
Kapitel 1: Von Maria Theresia bis Hitler – Der historische Hintergrund
Von den Schlesischen Kriegen bis zum Ersten Weltkrieg Der militärische Gegensatz zwischen Österreichern und Preußen geht auf die Schlesischen Kriege des achtzehnten Jahrhunderts zurück. Nach dem Aussterben der Habsburger im Mannesstamme besetzte Friedrich II. von Preußen das österreichische Schlesien, und Maria Theresia bemühte sich in drei Kriegen (1740 – 42, 1744 – 45, 1756 – 63) vergeblich, ihm diese Beute wieder zu entreißen. Obwohl Preußen schließlich am Rande der Vernichtung stand und nur durch den unerwarteten Tod der Zarin Elisabeth (das sogenannte »Wunder des Hauses Brandenburg«) gerettet wurde, schrieb die Nachwelt das Überleben Preußens hauptsächlich seiner exzellenten Armee und dem Feldherrengenie Friedrichs zu. Jedenfalls war Österreich alleine nicht in der Lage gewesen, das viel kleinere Preußen entscheidend zu besiegen. Preußen war trotz reichhaltiger kultureller Aktivität schon damals der Inbegriff einer militarisierten Gesellschaft geworden. So soll Mirabeau geurteilt haben, dass andere Staaten Armeen besitzen, Preußen jedoch eine Armee sei, die einen Staat besitzt. Österreich hingegen begann nach dem Ende seines »Heldenzeitalters« – der Türkenkriege unter Prinz Eugen – und nicht zuletzt wegen der Wiener Klassik und der Herrschaft der »mütterlich« anmutenden (wenngleich überaus starken Frau) Maria Theresia zunehmend ein »weiches«, künstlerisches Image anzuhaften.47 Der Gegensatz zwischen Österreich und Preußen in der Frage nach der Vorherrschaft über die deutschen Staaten wurde nur kurzfristig durch die gemeinsame Allianz gegen das revolutionäre Frankreich gemildert. Der Sieg über Napoleon schien noch einmal Österreichs Vormachtstellung zu bestätigen, doch
47 Zu Prinz Eugen siehe: Werner Suppanz: Österreichische Geschichtsbilder. Historische Legitimationen in Ständestaat und Zweiter Republik, Köln/Weimar/Wien 1998, 157 – 160. Der Konflikt mit dem Osmanischen Reich begann mit dem Fall Konstantinopels 1453 und endete (nachdem die österreichische Macht mit dem Frieden von Passarowitz 1718 ihren Höhepunkt erreicht hatte) im Jahre 1791.
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auf den Ebenen unterhalb der monarchischen Solidarität gärte es bereits.48 Die Reformen als Reaktion auf die Niederlagen gegen Napoleon waren in Preußen viel tief greifender durchgeführt worden als in Österreich, und die Kräfte, die von der Französischen Revolution entfesselt und von Napoleon nach Europa exportiert worden waren, wie Liberalismus und Nationalismus, schwächten Österreich langfristig wesentlich mehr als Preußen. Dazu zählte vor allem die Geburt des modernen deutschen Nationalismus, welcher bereits bestehende Ideen zu einer neuen und ursprünglich auf eine intellektuelle Minderheit beschränkten Bewegung zusammenfasste.49 Im Mittelpunkt dieser Ideologie stand das »Volk«, welches als organische Einheit verstanden und von radikalen Nationalisten, den »Völkischen«, mit geradezu mystischen, heilbringenden Eigenschaften versehen wurde.50 Deutsche Nationalisten propagierten die abstammungsmäßige Reinheit des deutschen Volkes und seiner Sprache, die sie zu den germanischen Stämmen der Römerzeit und ihrer Beschreibung durch Tacitus zurückverfolgten. Diesem Nationalismus wohnte auch ein starkes protestantisches Element inne, welches Luther als Befreier von der »Fremdherrschaft« der römischen Kirche und Vorkämpfer der deutschen Nation feierte – und daher die katholischen Deutschen, wie etwa die Österreicher, pauschal als Deutsche »zweiter Klasse« diskriminieren konnte.51 Während der national-liberalen Revolutionen von 1848/49 war Österreich nur von seiner multinationalen Armee gerettet worden, die fortan neben Dynastie, Kirche und Beamtentum eine der Hauptstützen des österreichischen Staatsgedankens wurde. Seit der Niederschlagung der Revolution galt das Kaisertum Österreich bei immer mehr deutschen Nationalisten – nicht zuletzt unter jenen, die selber aus Österreich stammten – als »undeutsches«, rückständiges 48 In Form von militärischen Eifersüchteleien sowie Meinungsunterschieden die Behandlung Frankreichs und die zukünftigen Rollen von Preußen und Österreich im Deutschen Bund betreffend. 49 Einen Überblick bietet Hagen Schulze: Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1986. Die Protagonisten der akademischen Nationalbewegung, wie Johann G. Fichte und Ernst M. Arndt, sprachen vor winzigen Zuhörerschaften, Friedrich L. Jahns Turnbewegung war marginal und die primär studentischen Freiwilligenverbände in den Befreiungskriegen militärisch irrelevant. 50 Zum komplexen Begriff »völkisch« siehe: Fritz Stern: The Politics of Cultural Despair. A Study in the Rise of the Germanic Ideology, Berkeley 1961; George L. Mosse: The Crisis of German Ideology. Intellectual Origins of the Third Reich, New York 1964. 51 Dies war bereits zu Luthers Zeiten eine gängige Interpretation. Die antiösterreichische Bewegung des Vormärz sah katholischen Illiberalismus als gemeinsames Feindbild und umfasste Nationalliberale (Anastasius Grün, Eduard Bauernfeld, Nikolaus Lenau) sowie enttäuschte Völkische und/oder Romantiker (Karl W. F. Schlegel, Joseph Hormayr), die oft aus Böhmen stammten (Moritz Hartmann, Franz Schuselka). Dazu siehe: Heer, Identität, 51 – 52, 159 – 210; Helmut Rumpler : Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, 208 – 210, 213 – 214, 270 – 271.
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und despotisches Gebilde, das von einer Dynastie beherrscht wurde, die sich mehr um die Bewahrung seines katholischen und mehrheitlich slawischen Reichs kümmerte als um das Schicksal Deutschlands, während das viel homogenere Preußen zunehmend als der Hoffnungsträger der deutschen Einigungsbestrebungen und als Kern eines zukünftigen Nationalstaates gesehen wurde. Gleichzeitig stilisierten die Nationalisten das mittelalterliche Reich anachronistischerweise zu einem Symbol für deutsche Macht und Einheit hoch, wovon Österreich ein wenig profitierte, da dieses Reich ohne seine traditionelle Vormacht und Beschützerin nicht vorstellbar war. Vor allem katholische Deutsche und viele kleine bis mittlere Staaten fürchteten den Aufstieg Preußens mehr als die Hegemonie Österreichs.52 Das preußisch-österreichische Duell wurde im »Bruderkrieg« von 1866 entschieden, der die meisten deutschen Staaten noch auf der Seite Österreichs sah.53 Die Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 stellte nicht nur die politischen Verhältnisse auf den Kopf, sondern hatte weitere, tief greifende psychologische Konsequenzen, vor allem durch die schwere Demütigung des militärischen Selbstbewusstseins Österreichs. Obwohl die preußischen Altkonservativen am deutschen Einigungsgedanken ebenso wenig interessiert waren wie die österreichische Führung, war es ausgerechnet die Realpolitik des Konservativen Bismarck, die sich aus strategischen Gründen mit der Nationalbewegung verbündete und die Gründung eines deutschen Reichs betrieb, das nach dem Sieg über Frankreich 1870/71 aus der Taufe gehoben werden konnte. Dieses neue deutsche Kaiserreich war nicht ohne innere Spannungen. Der Ausschluss Österreichs versah das Reich mit dem Makel der nationalen Unvollständigkeit. Überzeugte Liberale empfanden es als zu autoritär. Bismarcks Kulturkampf und Sozialistengesetze entfremdete Katholiken und Sozialisten dem offiziellen Reichspatriotismus.54 Viele Konservative konnten Bismarck die preußische Annexion von Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt nicht verzeihen.55 Nationale Minderheiten wie Dänen und Polen 52 Heinz Gollwitzer : Zur Auffassung der mittelalterlichen Kaiserpolitik im 19. Jahrhundert. Eine ideologie- und wissenschaftsgeschichtliche Nachlese, in: Rudolf Vierhaus/Manfred Botzenhart (Hg.): Dauer und Wandel der Geschichte. Aspekte europäischer Vergangenheit. Festschrift für Kurt von Raumer, Münster 1966, 483 – 512. 53 Der Franz Grillparzer zugeschriebene Ausspruch »Ihr glaubt, ihr habt ein Reich geboren, und habt doch nur ein Volk zerstört« drückte pointiert aus, was viele Deutsche nach 1866 fühlten. Zur Schockwirkung von Königgrätz außerhalb Österreichs vgl.: Alon Confino: The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany, and National Memory, 1871 – 1918, Chapel Hill/London 1997, 65 – 66. 54 James J. Sheehan: What is German History? Reflections on the Role of the Nation in German History and Historiography, in: JMH 53/1 (1981), 1 – 23; Theodor Schieder : Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Köln [1961]. 55 Die Deutsch-Hannoversche Partei konnte die Annexion Hannovers niemals vergessen und
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sowie die Einwohner Elsass-Lothringens wurden im neuen Reich nie richtig heimisch, aber auch Einwohner der süddeutschen Staaten beklagten sich immer wieder über preußische Dominanz und Arroganz. Der Reichsdeutsche übernahm, vor allem in österreichischen Augen, immer mehr die harten, »männlichen« Züge des Preußentums.56 Doch auch intern nahm die Prussifizierung zu – Preußen umfasste etwa zwei Drittel der Fläche und Bevölkerung des Reichs –, und infolge der Einigungskriege erreichte die Vergötterung des preußischen Soldatentums bisher ungeahnte Ausmaße. Auch schien es, als ob nunmehr die Überlegenheit des protestantischen Norddeutschen über seine süddeutschen und/oder katholischen Brüder außer- und innerhalb des Kaiserreichs bewiesen worden wäre.57 Borussophile Historiker wie Heinrich von Treitschke begannen, die deutsche Geschichte unter kleindeutschen Vorzeichen neu zu schreiben, so als ob Preußen immer eine deutschnationale Mission verfolgt hätte, die zwangsläufig zur Reichsgründung von 1871 führen musste.58 Doch wie »preußisch« waren die neuen deutschen Streitkräfte wirklich? Die Verfassung des Kaiserreichs stellte im Kriegsfall das gesamte Reichsheer unter den Oberbefehl des Kaisers. Im Frieden jedoch unterhielten die Königreiche Bayern, Württemberg und Sachsen eigenständige Kriegsministerien und Verstrebte die Restauration der Welfen-Dynastie an. Für viele Emigranten (darunter der letzte König von Hannover, Georg V.), wurde Österreich zum logischen Exil. Adam Wandruszka: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, in: Heinrich Benedikt (Hg.): Geschichte der Republik Österreich, Wien 1954, 289 – 485, 375; Oscar A. H. Schmitz: Der österreichische Mensch. Zum Anschauungsunterricht für Europäer, insbesondere für Reichsdeutsche, Wien 1924, 37 – 38. 56 Zudem waren die anderen Deutschen (mit Ausnahme der Bayern) schwerer zu charakterisieren, während jeder zu wissen glaubte, was ein »Preuße« sei. Johann Christoph AllmayerBeck: Potsdam – ein Stein des Anstoßes?, in: Ders., Militär, 196 – 208, 203 – 204. 57 Diese Sichtweise ging aus von der Reformation, entsprach der antiösterreichischen VormärzPropaganda und fand 1866 ihren scheinbar logischen Abschluss. Laut Heer (Identität, 114, 154) ging das Klischee von der Weichheit und Oberflächlichkeit der österreichischen Mentalität auch auf die Leichtigkeit des bayerischen Barock zurück. Umgekehrt konnten Österreicher Katholizismus mit Österreich und Protestantismus mit Deutschland gleichsetzen. Vgl.: Schmitz, Österreichischer Mensch, 8; Thaler, Ambivalence, 60. Ernst Karl Winter sah Österreich als die »in der Soziologie fleischgewordene, blutgewordene Katholizität«. Zit. nach Klaus Breuning: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929 – 1934), München 1969, 29. Für Friedrich Heer ist der Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus das grundlegende Problem österreichischer Identität. 58 Karl Dietrich Erdmann (Die Spur Österreichs in der deutschen Geschichte. Drei Staaten, zwei Nationen, ein Volk?, Zürich 1989, 91 – 92) sieht Treitschke als »kleindeutsche Klimax von Invektiven gegen Österreich«. Victor Klemperer (Curriculum vitae. Erinnerungen 1881 – 1918, Bd. 1, hg. von Walter Nowojski, Berlin 1996, 285 – 287) assoziierte Katholizismus, und daher auch Bayern, mit »Ausland«. Zu den Katholiken im Kaiserreich siehe: Helmut Walser Smith: German Nationalism and Religious Conflict. Culture, Ideology, Politics, 1870 – 1914, Princeton, N. J., 1995.
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waltungsapparate für ihre Armeen, die im Kriegsfall zu Bundeskontingenten umgewandelt wurden. Das Reichsheer setzte sich daher auf Regimentsebene aus Kontingenten aus den äußerst heterogenen Mitgliedstaaten, vom riesigen Preußen bis hinunter zu den kleinen Hansestädten, zusammen, wobei Fahnen, Abzeichen und in den Landesfarben gehaltene Kokarden auf den Kopfbedeckungen die Herkunft der Einheiten signalisierten.59 Die Formierung dieser gemeinsamen Streitkräfte führte zu Spannungen zwischen dem Streben nach der Bewahrung von Eigenständigkeit einerseits und einer preußischen Eroberungsmentalität, welche die Süddeutschen als partikularistisch gesinnte »Hilfsvölker« betrachten konnte, andererseits, und einige dieser Phänomene sollten sich nach 1938 im österreichischen Kontext wiederholen.60 Nur Sachsen übernahm das preußische Militärsystem relativ schnell und gründlich.61 Bayern bemühte sich durch Reservatsrechte um die Bewahrung einer gewissen bayerischen Form, aber die der Generation von 1870/71 nachfolgenden Offiziere waren bereits weniger an bayerischer Autonomie interessiert, da sie an die militärische Effizienz des Nordens anzuknüpfen suchten. Der Gegensatz verstärkte sich jedoch wieder gegen Ende des Ersten Weltkrieges aufgrund des Kriegsverlaufs und der Behandlung bayerischer Offiziere durch die preußischen Befehlsstellen.62 Die Situation in Württemberg war von der Polarisierung zwischen jenen, die völlige Anpassung wünschten, und solchen, die einem ausgesprochenen Partikularismus huldigten, gekennzeichnet. Letzterer basierte nicht nur auf dem traditionellen Misstrauen der Schwaben gegenüber Fremden – und vor allem Norddeutschen, sondern auch auf dem arroganten Benehmen der Preußen, das sich in der Beleidigung württembergischer Soldaten, der Missachtung oder gar Verhöhnung schwäbischer Traditionen und Eigenheiten sowie preußischer Vetternwirtschaft äußerte.63 Auch war das süddeutsche Offizierskorps sozial viel heterogener als die preußische Offizierskaste. In Bayern bedeutete dies einen vertraulicheren Umgang zwischen Offizieren und Mannschaften, sowie ein engeres Verhältnis zwischen Militär und Zivilbevöl-
59 Art. 63 des Gesetzes betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. 4. 1871, online: http://www.documentarchiv.de/ksr/verfksr.html (25. 8. 2014). Vgl.: Jacques BenoistM¦chin: History of the German Army since the Armistice, Bd. 1: From the Imperial Army to the Reichswehr, New York 1988, 161 – 162. 60 Joachim Fischer : Das württembergische Offizierskorps 1866 – 1918, in: Hofmann, Offizierskorps, 99 – 138, 131. 61 Thomas Freiherr von Fritsch-Seerhausen: Das sächsische Offizierskorps 1867 – 1918, in: Hofmann, Offizierskorps, 59 – 73, 65 – 68. 62 Hermann Rumschöttel: Das Bayerische Offizierskorps 1866 – 1918, in: Hofmann, Offizierskorps, 75 – 98, 78, 92 – 93. 63 Fischer, Württembergisches Offizierskorps, 129 – 130.
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kerung. Folgerichtig stieß im Süden 1872 die Einführung des elitären und sozial abgekapselten preußischen Offizierskasinos ursprünglich auf Ablehnung.64 Von österreichischer Seite wurde dem neuen deutschen Nationalstaat hauptsächlich ein Mangel an Legitimität vorgeworfen, und auch hier lebte der großdeutsche Gedanke politisch fort, vor allem bei den Sozialdemokraten, den deutschfreiheitlichen Parteien, und am radikalsten bei Schönerers Alldeutschen, während die Angelegenheit für die meisten konservativen Großdeutschen erledigt war. Mit Ausnahme der Alldeutschen jedoch, für die der »Anschluss« das primäre Ziel war, standen bei allen anderen Gruppierungen innenpolitische Fragen deutlich im Vordergrund.65 Es begann, was die österreichische Mentalität bis heute auszeichnet, nämlich die Konzentration auf die staatsinternen Probleme, während man gleichzeitig immer wieder zum »großen Bruder« hinüberschielte, und zwar in einer seltsamen Mischung aus Selbstbehauptung und Minderwertigkeitskomplex. Gleichzeitig setzte sich die Tendenz fort, dass dem Wesen des Österreichers zunehmend »weibliche«, künstlerische Züge zugeschrieben wurden, wobei vor allem das Bild der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien als Stadt der Künste und Vergnügungszentrum auf das gesamte Habsburgerreich – als »Land der Phäaken« – übertragen wurde.66 1867 verwandelte der Ausgleich mit den Ungarn den österreichischen Einheitsstaat in die sogenannte Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, bestehend aus den »im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern« – inoffiziell auch »Cisleithanien genannt« – und den »Ländern der Heiligen Stephanskrone«, also dem Königreich Ungarn oder »Transleithanien«.67 Die verbindenden Elemente
64 Ebd., 103, 123; Rumschöttel, Bayerisches Offizierskorps, 79, 89 – 90. 65 Zur österreichischen Parteienlandschaft allgemein siehe: Wandruszka, Politische Struktur. Zum deutschfreiheitlichen Lager siehe: Lothar Höbelt: Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882 – 1918, Wien/München 1993; Pieter M. Judson: Exclusive Revolutionaries. Liberal Politics, Social Experience, and National Identity in the Austrian Empire 1848 – 1914, Ann Arbor 1996. Zu radikalen Deutschnationalen siehe: Ders.: Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria, Cambridge, Mass., 2006; Andrew G. Whiteside: The Socialism of Fools. Georg Ritter von Schönerer and Austrian Pan-Germanism, Berkeley 1975. Zu Christlichsozialen und Sozialdemokraten siehe: John W. Boyer: Political Radicalism in Late Imperial Vienna. Origins of the Christian Social Movement 1848 – 1897, Chicago 1981; ders.: Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power 1897 – 1918, Chicago 1995; Norbert Leser : Salz der Gesellschaft. Wesen und Wandel des österreichischen Sozialismus, Wien 1988. 66 Das Seefahrervolk der Phäaken aus der griechischen Mythologie steht sprichwörtlich für Hedonismus und Gastfreundschaft. Arthur Schnitzler nannte Österreich ein »Reich von Künstlern und Kellnern«. Gernot Heiß: »Ein Reich von Künstlern und Kellnern«, in: Oliver Rathkolb/Georg Schmid/Gernot Heiß (Hg.): Österreich und Deutschlands Größe. Ein schlampiges Verhältnis, Salzburg 1990, 118 – 126. 67 Bevor die cisleithanische Reichshälfte 1915 offiziell »Österreich« genannt wurde, existierte der Name in den Herzogtümern Ober- und Niederösterreich, in der Bezeichnung des Ge-
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bestanden in der Personalunion – der Kaiser von Österreich war gleichzeitig König von Ungarn – und der Realunion in den Bereichen Finanz, Außenpolitik und Krieg. Der Begriff »Österreich« war also denkbar ungeeignet, um nationale Identität zu stiften; die Deutschen in den Erblanden waren genauso »Österreicher« wie ein Prager Jude, ein galizischer Bauer oder ein italienischer Fischer in den Küstenlanden. Die sogenannte »österreichische« Reichshälfte trug offiziell nicht einmal diesen Namen. Umgekehrt, als sich die Regierung während der Napoleonischen Kriege um ein neues »österreichisches« Nationalbewusstsein bemühte, trugen diese Versuche fast immer starke deutsche Züge.68 Soweit man es aus der Distanz überhaupt noch beurteilen kann, dürften sich die meisten Deutschösterreicher, auch wenn sie sich nicht in irgendeiner Form als »Großdeutsche« deklarierten oder überhaupt kein politisches Interesse zeigten, weiterhin der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft zugehörig gefühlt haben. Dieses hartnäckige Festhalten an einer deutschen Kulturgemeinschaft wurde 1867 von Franz Grillparzer auf den Punkt gebracht: »Als Deutscher ward ich geboren, bin ich noch einer? Nur was ich Deutsches geschrieben, das nimmt mir keiner.«69 Primär identitätsstiftend wirkten jedoch eher die lokalen – vor allem in den bäuerlichen und gebirgigen Regionen, wo jedes Dorf bzw. Tal seine eigene Kultur und Identität besaß – und regionalen Ebenen, sprich: die Kronländer. Unabhängig von ihrer ethnischen Zusammensetzung – viele waren gemischt – waren die Länder deutlich älter als jedes Konzept von ethnischem Nationalismus oder österreichischem Staatspatriotismus. Darüber hinaus waren die Länder verfassungsmäßig die einzigen konkreten Bausteine innerhalb einer überkompli-
samtstaates (»Österreichisch-Ungarische Monarchie«) und im Titel des Monarchen (»Kaiser von Österreich und König von Ungarn«). 68 1809 versuchte Österreich paradoxerweise einen deutschen »Volkskrieg« gegen Napoleon zu initiieren, und das Kriegsmanifest Erzherzog Karls vom April 1809 illustriert den eigenartigen Doppelcharakter von Österreichs Mission: »Wir kämpfen, um die Selbständigkeit der österreichischen Monarchie zu behaupten – um Deutschland die Unabhängigkeit und die Nationalehre wieder zu verschaffen, die ihm gebühren. […] Unser Widerstand ist seine letzte Stütze zur Rettung. Unsere Sache ist die Sache Deutschlands. Mit Österreich war Deutschland selbständig und glücklich; nur durch Österreichs Beistand kann Deutschland wieder beides werden.« Johann Christoph Allmayer-Beck, Das Heerwesen in Österreich und Deutschland, in: Ders., Militär, 153 – 176, 163 – 164; Rumpler, Mitteleuropa, 75, 91 – 92, 100. 69 Franz Grillparzer : Sämmtliche Werke, Stuttgart 1878, 164. Zur Komplexität und Wandlung des Österreich-Begriffes siehe: Erich Zöllner : Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte, Wien/München 1988; Fritz Fellner : Was heißt »Österreich«? Zu Genesis und Ausprägung des Österreich-Bewusstseins, in: Ders.: Geschichtsschreibung und nationale Identität. Probleme und Leistungen der österreichischen Geschichtswissenschaft, Wien 2002, 210 – 221; und die Beiträge in Plaschka/Stourzh/Niederkorn, Was heißt Österreich?
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zierten und vagen Staatsstruktur, sodass sie gegen Ende der Monarchie bereits den Status der republikanischen Bundesländer vorwegnahmen.70 Dieses traditionelle Landesbewusstsein wurde im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert von einer modernen Erscheinung verstärkt, und zwar durch die im – von »organischen« Auffassungen geprägten – deutschen Nationalismus populäre Betonung der »stammlichen Gliederung« des deutschen Volkes. Zumindest nominell entsprachen die deutschen Kronländer genau den deutschen Stämmen auf österreichischem Territorium, nämlich Ober- und Niederösterreicher, Steirer, Kärntner, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger.71 Wie im Deutschen Reich erfreute sich auch in Österreich das Studium, manchmal auch die Erfindung von regionaler Volkskultur, üblicherweise in einem romantischen oder wissenschaftlichen und nicht unbedingt völkisch-politischen Sinne, wachsender Beliebtheit.72 Akademiker, Schriftsteller und sonstige Denker begannen bei jeder Gelegenheit, die »stammliche Gliederung« der Deutschen zu betonen. Historiker, Ethnologen und Linguisten versuchten, die Entwicklung des deutschen Volkes von den ursprünglichen Stämmen im frühen Mittelalter über die Bildung der Neustämme und neuer Dialekte im Osten während der hochmittelalterlichen Ostsiedlung bis hin zur Gegenwart zu verfolgen.73 Die 70 Wilhelm Brauneder/Friedrich Lachmayer: Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 1992, 154, 173 – 178; Ernst C. Hellbling: Die Landesverwaltung in Cisleithanien, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 2: Verwaltung und Rechtswesen, Wien 1975, 190 – 269, 209 – 218; Hans Peter Hye: Die Länder im Gefüge der Habsburgermonarchie, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 7/2: Verfassung und Parlamentarismus. Die regionalen Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, 2427 – 2464; Bruckmüller, Nation Österreich, 173, 180, 185; Georg Franz: Liberalismus. Die deutschliberale Bewegung in der habsburgischen Monarchie, München 1955, 221 – 223, 227 – 237. 71 Die Einwohner Österreichisch-Schlesiens zählten zum schlesischen Stamm, während die Deutschen in Böhmen und Mähren ihre bayerischen, fränkischen und sächsischen Wurzeln betonten. 72 Bruckmüller, Nation Österreich, 186 – 187. Zu jener Zeit versuchte der Arzt Rudolf Virchow (ein politischer Liberaler) die »rassische« Zusammensetzung des deutschen Volkes durch Schädelmessungen zu ergründen. Solches Denken war auch in anderen Ländern populär ; man denke nur an die Pseudowissenschaft der Phrenologie, die Debatte über die gallische oder germanische Abstammung der Franzosen sowie die Behauptung, dass die angloamerikanischen politischen Systeme auf der Freiheitsliebe der alten Germanen beruhten. Vgl.: Martin Thom: Republics, Nations, and Tribes, London/New York 1995. 73 Zu den sog. »Altstämmen« werden traditionell die Franken, Bayern, Schwaben, Thüringer, Sachsen und Friesen gezählt. Zu den »Neustämmen« gehören die Brandenburger, Mecklenburger, Obersachsen, Schlesier, Pommern und Preußen. Der Status der Österreicher ist unklar, da sie im Wesentlichen als Bayern oder als Neustamm bzw. als ein einziger Stamm (ohne die alemannischen Vorarlberger) oder jede Sprachgruppe als Einzelstamm (Tiroler, Steirer, Kärntner etc.) betrachtet werden konnten. Josef Nadler : Das stammhafte Gefüge des deutschen Volkes, München 1934, 62 – 71; Karl C. von Loesch: Die deutsche Volksgemeinschaft, in: Ders./Ludwig Vogt (Hg.): Das deutsche Volk. Sein Boden und seine Verteidigung, Berlin 1938, 251 – 400, 357.
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anachronistische Bezeichnung »Ostmark« entstammt ebenfalls dieser romantisierenden und volksorientierten Sicht der Entstehungsgeschichte der Deutschösterreicher und erfreute sich in deutschnational gesinnten Kreisen bald einer gewissen Beliebtheit als »organischer« Gegenbegriff zum eher dynastisch bestimmten Verständnis von »Österreich«.74 Demgegenüber wurde die kaiserliche und königliche Armee immer mehr zu Symbol und Klammer des Habsburgerreichs.75 Sie repräsentierte insgesamt elf Nationalitäten und zehn Sprachen; 1914 waren von den 102 Infanterie-Regimentern nur je sieben rein deutsch bzw. ungarisch, je drei tschechisch bzw. serbokroatisch und zwei polnisch.76 In manchen Einheiten wurden bis zu vier Sprachen gesprochen, sodass 90 Prozent der Offiziere in mindestens einer Sprache zusätzlich zu Deutsch kommandieren mussten.77 Hinzu kamen häufige Versetzungen, der vertrauliche Umgang der Offiziere untereinander sowie ihr Selbstverständnis als »Träger des Kaisers Rock«, sodass für Offiziere die Armee tatsächlich »Schmelztiegel« und »Schule« des Reichs war. Mit dieser bunten Armee bestritt Österreich-Ungarn seinen letzten Krieg, und eine faire Beurteilung ihrer militärischen Leistungen ist schwierig. Der Krieg begann desaströs an allen Fronten; die Armee blamierte sich beim Angriff auf das kleine Serbien, das erst 1915 mit deutscher und bulgarischer Unterstützung erobert werden konnte, während sie gleichzeitig nicht vermochte, die russische Invasion von Galizien zu verhindern, um den Deutschen in Frankreich den Rücken freizuhalten. Von den Verlusten in Galizien erholte sich die k. u. k. Armee nie mehr. Doch mithilfe massiver deutscher Verstärkungen gelang es, die Russen wieder aus Galizien zu vertreiben und 1917 sogar zu besiegen. 1915 hatte Italien eine dritte Front in den Alpen eröffnet, und es war der buchstäblich aus 74 »Ostmark« ist eine aus dem späten 19. Jh. datierende unhistorische Übersetzung der lateinischen »Marchia orientalis«. Eine althochdeutsche Bezeichnung der Region war »Ostarrichi«. Der Name »Ostmark« war besonders populär in Schönerer nahestehenden politischen und akademischen Kreisen (z. B. »Burschenschaft der Ostmark«). In einem allgemeineren Sinn wurde der Begriff auch im deutschen Kaiserreich verwendet (z. B. »Deutscher Ostmarkenverein«). 75 Wandruszka, Politische Struktur, 377; Johann Christoph Allmayer-Beck: Die Träger der staatlichen Macht. Adel, Armee und Bürokratie, in: Ders., Militär, 31 – 66, 55 – 59; ders.: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Wandruszka/Urbanitsch, Habsburgermonarchie, Bd. 5: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, 1 – 141, 94 – 95. Andere Träger der Reichseinheit waren Dynastie, Kirche und Bürokratie. 76 Die elf offiziellen Nationalitäten der Monarchie waren Deutsche, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen, Slowenen, Kroaten, Serben, Italiener, Rumänen und Ruthenen (Ukrainer). Serbokroatisch zählte als eine Sprache. 77 Deutsch wurde für achtzig Grundkommandos benutzt; der Rest wurde in den Regimentssprachen kommandiert, d. h. in den Sprachen jener Nationalitäten, die 20 Prozent erreichten. Allmayer-Beck, Bewaffnete Macht, 97, 116; Istvn Dek: Beyond Nationalism. A Social and Political History of the Habsburg Officer Corps 1848 – 1918, New York/Oxford 1990, 99.
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Sechzehn- und Sechzigjährigen bestehende Landsturm, der den ersten Angriff zurückschlug. Trotz des miserablen Zustandes der hauptsächlich im Osten engagierten k. u. k. Armee vermochte Italien in den folgenden zwölf IsonzoSchlachten nicht, die ebenfalls von deutschen Kräften unterstützten österreichisch-ungarischen Linien zu durchbrechen. Vor ihrem eigenen Kollaps gelang es der k. u. k. Armee sogar noch einmal, die Italiener weit auf ihr eigenes Gebiet zurückzuwerfen.78 Freilich, ohne die deutschen Verstärkungen, die sogenannten »Korsettstangen«, an allen Fronten wären die Leistungen der k. u. k. Armee unmöglich gewesen. Viele Deutsche, einschließlich der deutschen militärischen Führung, blickten daher geringschätzig auf den »Kamerad Schnürschuh« – die Bezeichnung bezog sich auf das im Gegensatz zum reichsdeutschen Stiefel weniger militärisch anmutende österreichische Schuhwerk – genannten Bündnispartner herab.79 Deutschlands gewaltige militärische Überlegenheit führte auch zu politischen Rivalitäten hinsichtlich des Machtverhältnisses zwischen den Bündnispartnern und der Verwaltung der eroberten Gebiete. Im Wesentlichen versuchte Österreich-Ungarn, seine Autonomie gegenüber dem übermächtigen Alliierten zu behaupten.80 Schon 1907 hatte ein österreichischer Militärhistoriker, der spätere Generalmajor Hugo Kerchnawe, in einer anonymen Schrift prophezeit, dass der nächste Krieg mit der deutschen Annexion Österreichs enden würde, und vor allem nach der Erregung über Kaiser Karls I. Friedensfühler in der Sixtus-Affäre deutete einiges darauf hin, dass nach dem Krieg die »Samthandschuhe« ausgezogen würden.81 Österreich-Ungarn brach im November 1918 sowohl militärisch als auch innerstaatlich endgültig zusammen. Zu diesem Zeitpunkt jedoch – auch wenn 78 Im Hochgebirge zeichneten sich auch nichtdeutsche Truppen (am prominentesten Bosnier, aber auch Ungarn) durch Tapferkeit und Opfermut aus. 79 Anton Pitreich: Der österreichisch-ungarische Bundesgenosse im Sperrfeuer, Klagenfurt [1930], 15; Wilhelm Czermak: In deinem Lager war Österreich. Die österreichisch-ungarische Armee, wie man sie nicht kennt, Breslau [1938], 8, 11; Karl Freiherr von Werkmann: Deutschland als Verbündeter. Kaiser Karls Kampf um den Frieden, Berlin 1931, 48 – 49. 80 Franz Graf Conrad von Hötzendorf: Private Aufzeichnungen. Erste Veröffentlichungen aus den Papieren des k. u. k. Generalstabs-Chefs, hg. von Kurt Peball, Wien/München 1977, 67, 122 – 123, 196, 218; August von Cramon: Unser Österreichisch-Ungarischer Bundesgenosse im Weltkriege. Erinnerungen aus meiner vierjährigen Tätigkeit als bevollmächtigter deutscher General beim k. u. k. Armeeoberkommando, Berlin 1920, 22 – 23, 28 – 29, 42 – 44, 68 – 69, 78, 106, 131 – 132, 170. Zu Spannungen und unvorteilhaften Sichtweisen von Österreichern auf der höchsten politischen Ebene siehe: Boyer, Political Crisis, 378 – 379, v. a. Fn. 50. 81 [Hugo Kerchnawe]: Unser letzter Kampf. Das Vermächtnis eines alten kaiserlichen Soldaten, Wien 1907, 212 – 213, 225 – 230; Manfried Rauchensteiner : Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, Graz 1993, 381, 557; Werkmann, Verbündeter, 170 – 172; Conrad, Aufzeichnungen, 174; sowie die Zitate aus den unveröffentlichten Memoiren von Cramon in: Stein, Generale, 33, Fn. 125.
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die meisten Deutschen es nicht wahrhaben wollten – war Deutschland ebenfalls besiegt, und angesichts der Schwierigkeiten der Doppelmonarchie im Zeitalter des Nationalismus ist es bemerkenswert, wie lange ihre multinationalen Streitkräfte ausgehalten hatten. Infolgedessen beklagten sich in der Zwischenkriegszeit viele Deutschösterreicher darüber, dass die Reichsdeutschen ihre Leistungen im Krieg unterschätzten, da sie zu wenig über Österreich-Ungarn und seine Probleme gewusst hätten, um zu einer gerechten Beurteilung zu gelangen.82 Nach 1918 entfaltete sich daher eine rege Publikationstätigkeit, welche die Anstrengungen der k. u. k. Armee leidenschaftlich verteidigte und dabei vor allem auf die Erfolge an der italienischen Front, die hohen Gefallenenzahlen unter den deutschösterreichischen Truppen sowie die Tatsache verwies, dass die Armee ihren Auftrag, die Grenzen zu verteidigen, prinzipiell bis zu einem Zeitpunkt erfüllen konnte, an dem sich auch Deutschland hatte beugen müssen.83 Wenn ähnliche deutsche Publikationen das Versagen der Österreicher als einen Hauptgrund für die Niederlage ausmachten, so konterten jene mit dem Hinweis, dass Deutschland bereits 1914 bei seiner eigenen Aufgabe der raschen Niederwerfung Frankreichs versagt habe.84 Bei der Verteidigung ihrer Armee bemühten sich die Österreicher auch redlich, das Bild des Fin-de-SiÀcleÖsterreich als verweichlichtes und genusssüchtiges »Land der Phäaken« zu korrigieren.85 82 Czermak, Lager, 8 – 11; Pitreich, Sperrfeuer, 15; Cramon, Bundesgenosse, 43. 83 FM Kövess verkündete nach dem Waffenstillstand, dass die k. u. k. Armee »mit stolzer Gelassenheit und Ruhe das gerechte Urteil der Weltgeschichte« erwarte, da sie, »ungeschlagen und unbesiegt«, nur »Hungersnot und inneren Umwälzungen« erlegen sei. Zit. nach Stein, Generale, 36 – 37. Ganz ähnlich Generalstabschef GO Arz von Straußenburg im Nov. 1918: »Wenn dieser Damm [der vier Jahre lang das Reich verteidigt hat] durch […] die zersetzenden Einflüsse des Hinterlandes schließlich geborsten ist, so war dies nicht Schuld der Armee. Diese hat ihre Pflicht getan.« Arthur Arz: Zur Geschichte des Großen Krieges, 1914 – 1918. Aufzeichnungen von Generaloberst Arz, Wien 1924, 385. Vgl.: Carl Freiherr von Bardolff: Soldat im alten Österreich. Erinnerungen aus meinem Leben, Jena [1938], 346 – 347; Edmund Glaise von Horstenau: Österreichs Wehrmacht im deutschen Schicksal, in: Josef Nadler/Heinrich v. Srbik (Hg.): Österreich, Erbe und Sendung im deutschen Raum, Salzburg/Leipzig 1936, 207 – 222, 220 – 221; Conrad, Aufzeichnungen, 78 – 79; Czermak, Lager, 117, 119 – 120; Pitreich, Sperrfeuer, 14, 399; Cramon, Bundesgenosse, 54. 84 Bardolff, Soldat, 249; Czermak, Lager, 82. Auch Reichsdeutsche konnten ihr eigenes Scheitern eingestehen: Friedrich Immanuel: Schicksalsgemeinschaft. Zur Geschichte ÖsterreichUngarns und Deutschlands aus der Zeit vor, in und nach dem Weltkriege; zugleich ein Beitrag zum Kampf gegen die Schuldlüge und zum Anschlussgedanken, München 1928, 392 – 393. 85 Dieses Klischee wurde am prominentesten zurückgewiesen von Anton Wildgans: Rede über Österreich, Wien 1947, 29 – 31. Für Czermak (Lager, 10 – 11) war das Klischee hauptsächlich für Touristen erfunden worden. Ähnlich sah Gustav Gugitz (Die Wiener, in: Martin Wähler [Hg.]: Der deutsche Volkscharakter. Eine Wesenskunde der deutschen Volksstämme und Volksschläge, Jena [1937], 403 – 414, 414) die musikalische Authentizität der Wiener für
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Von St. Germain bis zum Anschluss Die Nachkriegsordnung für die geschlagenen Deutschen und Österreicher wurde in den Pariser Vororteverträgen von 1919 festgelegt. Im Vertrag von Versailles verlor das Deutsche Reich etwa zehn Prozent seines Staatsgebietes und seiner Bevölkerung, in der Hauptsache die preußischen Provinzen Posen und Westpreußen, einen Teil Oberschlesiens, Nordschleswig sowie Elsass-Lothringen. Das Rheinland wurde entmilitarisiert und die Stadt Danzig sowie das Saargebiet kamen unter die Verwaltung des Völkerbundes.86 Die deutschen Streitkräfte wurden auf ein 100.000 Mann starkes Berufsheer, die Reichswehr, reduziert und durften weder Luft- oder Panzerwaffe noch schwere Artillerie unterhalten; auch die Reichsmarine unterlag starken Beschränkungen.87 Ein bedeutender Unterschied zwischen den Streitkräften des Kaiserreichs und der Weimarer Republik war, dass das Wehrgesetz vom 6. März 1919 die Reichswehr in eine formal einheitliche Armee umgewandelt hatte.88 Am 23. März 1921 gliederte ein neues Wehrgesetz die Reichswehr in zwei Armeekorps und zehn Divisionen. Die Verwaltung in Friedenszeiten übernahmen sieben Wehrkreise, die mit den sieben Infanterie-Divisionen (die drei übrigen waren Kavallerie-Divisionen) identisch waren und ihre Instruktionen aus Berlin erhielten.89 Diese Vereinheitlichung wurde bei deutschen Nationalisten auch im Rückblick sehr hoch geschätzt, vor allem da die Alliierten weitaus föderalere Strukturen hätten verordnen können, die angesichts der separatistischen Tendenzen jener Zeit in manchen Regionen auf fruchtbaren Boden gefallen wären.90 Die Reichswehr galt als »unpolitisch« in dem Sinne, dass sie gemäß der
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»arrangierte Heurigenstimmung« und »falsches Komödiantentum« missbraucht. Vgl.: Mauritz von Wiktorin: Soldat in 3 Armeen, o. J., Kriegsarchiv [= KA], Nachlässe [= NL], B/ 1191:1, 81. Kleinere Abtretungen betrafen Nord-Schleswig (an Dänemark), das Memelland (an Litauen) und Eupen-Malmedy (an Belgien). Keine U-Boote sowie die Beschränkung auf je sechs Linienschiffe und Kreuzer sowie je zwölf Zerstörer und Torpedoboote. Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr vom 6. 3. 1919, online: http:// www.documentarchiv.de/wr/vorl-reichswehr_ges.html (25. 8. 2014). Dies betraf v. a. Offiziere, da sie nicht mehr regional gebunden waren, eine einheitliche Ausbildung erhielten und der soziale Hintergrund an Bedeutung verlor. Heinz Hürten: Das Offizierskorps des Reichsheeres, in: Hofmann, Offizierskorps, 231 – 245, 232. Wehrgesetz vom 23. 3. 1921, online: http://www.documentarchiv.de/wr/1921/wehrgesetz.html (25. 8. 2014). Die Wehrkreise waren Königsberg (I), Stettin (II), Berlin (III), Dresden (IV), Stuttgart (V), Münster (VI) und München (VII). Edgar Graf von Matuschka: Organisation des Reichsheeres, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt [= MGFA] (Hg.): Deutsche Militärgeschichte 1648 – 1939, Bd. 3/6: Reichswehr und Republik 1918 – 1933, Herrsching 1983, 305 – 343, 308. Dr. [Erich?] Murawski: Das Heer als Förderer des großdeutschen Gedankens, in: Jahrbuch des deutschen Heeres 1940, hg. im Auftrag des OKH von Major Martin, Leipzig 1940, 31 – 36, 32 – 33. Vgl.: Benoist-M¦chin, German Army, 162, 311 – 312.
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Konzeption des ersten Chefs der Heeresleitung von 1920 bis 1926, Generaloberst Hans von Seeckt, von parteipolitischen Aktivitäten freigehalten wurde. Sie handelte mehr wie ein Staat im Staate, und die Offiziere pflegten parteipolitische Neutralität kombiniert mit einer konservativen bis reaktionären Grundhaltung, die, wie im Kaiserreich, »Konservatismus« mit einer reichs- und armeefreundlichen Einstellung gleichsetzte.91 Doch selbst die vereinheitlichte Reichswehr besaß weiterhin föderale Elemente. Die Kontingente der einzelnen deutschen Länder behielten bis 1933 ihre Landesabzeichen auf der Kopfbedeckung.92 Vornehmlich auf Betreiben Bayerns wurde die Funktion des Landeskommandanten geschaffen, welcher, von den Landesregierungen vorgeschlagen und vom Reichspräsidenten ernannt, die Interessen des Landes vor allem hinsichtlich der »landsmannschaftlichen Eigenarten« vertreten sollte. Die Länder sollten auch, sofern sich genügend Freiwillige für die Verwaltung und die Truppen fanden, einheitliche Kontingente bilden, wobei das jeweilige Format der Einheit von der Größe des Landes abhing. Die siebte Division im Wehrkreis VII (München) bestand beispielsweise zur Gänze aus Bayern.93 Der Vertrag von St. Germain zwischen den Alliierten und der Republik Österreich, die als Rechtsnachfolger der österreichischen Reichshälfte der untergegangenen Doppelmonarchie behandelt wurde, legte als österreichisches Staatsgebiet die ehemaligen deutschen Erblande – allerdings ohne Südtirol, die Untersteiermark, Krain und Teile Kärntens – fest. Die kontinuierliche Aufwertung der Kronländer in der Monarchie fand nunmehr ihren Abschluss, indem bei der Gründung der Republik auf formale Beitrittserklärungen jedes einzelnen Landes zum neuen Bundesstaat Wert gelegt wurde.94 Zusätzlich erhielt die Republik den deutsch besiedelten Teil Westungarns als »Burgenland«, was bis 1922 zu militärischen Spannungen mit Ungarn führte.95 Auch im Kärntner Abwehrkampf mussten sich überwiegend Freiwilligenverbände jugoslawischen Versuchen, den stark slowenisch besiedelten Südosten Kärntens zu erobern, wider91 Wiegand Schmidt-Richberg: Die Regierungszeit Wilhelms II., in: MGFA, Militärgeschichte, Bd. 3/5: Von der Entlassung Bismarcks bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1890 – 1918, 9 – 155, 107 – 108; Rainer Wohlfeil: Heer und Republik, in: MGFA, Militärgeschichte, Bd. 3/6, 11 – 303, 140 – 149, 155. 92 Auf der Mütze befand sich die Landeskokarde (oberhalb der Reichskokarde), und die Landesfarben zierten auch den Stahlhelm. Matuschka, Organisation, 310, 322. 93 Regionale Angelegenheiten wurden durch Sektion II (v. a. Art. 12 – 14) des Wehrgesetzes vom 23. 3. 1921 geregelt. Außer in Bayern wurden Landeskommandanten in Baden, Hessen, Sachsen und Württemberg eingerichtet. Absolon, Wehrgesetz, 68; Matuschka, Organisation, 318; Wohlfeil, Heer und Republik, 108, 133 – 134, 269 – 276. 94 Lachmayer/Brauneder, Verfassungsgeschichte, 188. 95 Burgenland, Ober- und Niederösterreich, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Tirol und Vorarlberg. Wien wurde 1922 von Niederösterreich getrennt und ist seitdem ein eigenes Bundesland.
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setzen, bis die Angelegenheit auf alliierte Anordnung im Oktober 1920 in einer Volksabstimmung zugunsten Österreichs geregelt wurde.96 Einen speziellen Fall stellten die Deutschen in den Grenzgebieten der ehemaligen Kronländer Böhmen und Mähren – nunmehr Bestandteil der neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik – dar. Die Republik hatte diese Gebiete ursprünglich in einem politisch und geografisch äußerst unrealistischen Szenario für sich reklamiert, konnte der tschechischen Besetzung aber letztlich nichts entgegensetzen. Die Deutschen Böhmens und Mährens, obwohl sie sich zumeist als Altösterreicher verstanden, wendeten sich daher immer mehr Deutschland als Hoffnungsträger zu und wurden zunehmend mit dem unhistorischen Begriff »Sudetendeutsche« identifiziert.97 Die österreichische Armee, das Bundesheer, wurde auf 30.000 Berufssoldaten limitiert und unterlag im Übrigen denselben Beschränkungen wie die Reichswehr. Trotz der vielen Parallelen gab es auch einige große Unterschiede. Der Untergang der Monarchie 1918 war der »radikalste, der tief greifendste« Bruch in der ohnehin bewegten österreichischen Geschichte, der sich nicht nur auf das kleine Deutschösterreich auswirkte, denn das Ende der fast sechshundertjährigen Herrschaft der Habsburger hinterließ ein gewaltiges Vakuum in Mitteleuropa.98 Als vormalige Herren eines großen Reichs mussten die Deutschösterreicher zudem lernen, in einem demokratischen Kleinstaat, der wirtschaftlich als nicht lebensfähig galt, zu leben. Auch war die militärische Niederlage viel gründlicher und klarer gewesen als in Deutschland. Nicht nur war das Reich implodiert, sondern auch das Militär aufgrund grober Führungsfehler und krassester Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung gegen Kriegsende bei allen politischen Lagern – sogar die Christlichsozialen übten scharfe Kritik – mehr oder weniger verhasst. Die Stimmung in der Frühzeit der Republik war von aggressivem Antimilitarismus gekennzeichnet, der von öffentlichen Demütigungen heimkehrender Offiziere durch wütende Mobs bis hin zu einer parlamentarischen Untersuchungskommission militärischer Pflichtverletzungen während des Krieges reichte. 1918 war daher für die österreichischen Militärs eine weitaus katastrophalere Erfahrung als für die deutschen.99 96 Da die Kärntner Slowenen mehrheitlich für die Einheit votierten, blieb Kärnten mit Ausnahme des Mießtals intakt. 97 Nach der Annexion der sog. sudetendeutschen Gebiete wurde der Süden den Gauen Bayreuth, Ober- und Niederdonau angegliedert, während der Norden den neuen »Sudetengau« bildete. 98 Stourzh, Erschütterung, 289. Vgl.: John W. Boyer: Silent War and Bitter Peace. The Austrian Revolution of 1918, in: AHY 34 (2003), 1 – 56. 99 Die »Kommission zur Erhebung militärischer Pflichtverletzungen im Krieg« wurde im Dezember 1918 eingerichtet und 1922 aufgelöst. Wolfgang Doppelbauer: Zum Elend noch die
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Dennoch sahen sich Deutsche und Österreicher in einer »Gemeinschaft der Besiegten«.100 Und noch ein wichtiger Umstand brachte sie näher zusammen: 1918 markierte auch das Ende der klassischen Vielvölkerreiche und den Triumph des französisch geprägten Nationalstaatsprinzips in Europa. Zumindest auf dem Papier, denn die neuen Staatsgründungen umschlossen allesamt beachtliche nationale Minderheiten. In deutschsprachigen Landen bedeutete der Durchbruch des nationalen Prinzips, dass der im deutschen Nationalismus bisher dominierende staats- und dynastieorientierte Patriotismus von der völkischen Variante verdrängt wurde. Alles, was als »künstlich« angesehen wurde oder in der Vergangenheit ideale Lösungen verhindert zu haben schien, wurde nun den untergegangenen Dynastien von Habsburg und Hohenzollern angelastet. Hingegen würde die neue, auf den Ruinen der gefallenen Monarchie zu errichtende nationale Ordnung der Deutschen nun endlich alle Deutschen in einem Reich vereinigen, ganz nach der Maxime »Das deutsche Volk musste den Krieg verlieren, um sein Volkstum zu gewinnen.«101 Somit konnten den Ereignissen von 1918 trotz Niederlage sogar in militärischen Kreisen positive Züge abgewonnen werden.102 Hitler selbst erklärte, dass die Wiederherstellung der weder »vollständigen« noch »vernünftigen« deutschen Grenzen von 1914 für ihn kein Ziel sei, da diese nur »Augenblicksgrenzen« im nationalen Einigungsprozess darstellten, und er lobte die Revolution von 1918 ausdrücklich dafür, dass sie die Dynastien beseitigt hatte.103 Ähnliche Haltungen finden sich in Österreich und auch noch in der Wehrmacht. So habe dem Gründungsprotokoll einer oberösterreichischen Soldatengewerkschaft von 1933 zufolge der Weltkrieg »den Standpunkt des Kleindeutschtums vollkommen zerschlagen«, und 1943 urteilte ein gewisser Generalmajor Bruno Giehrach, dass 1918 trotz der bitteren Niederlage für das »Deutschtum« entscheidend zum Aufstieg des Reichs beigetragen habe, da die Revolution mit den deutschen Fürsten »die größten Feinde einer starken zentralen Reichsgewalt« entfernt hatte.104
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Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik, Wien 1988; 40, 48 – 50; Boyer, Silent War, 2 – 3, 6 – 7; Allmayer-Beck, Träger, 60 – 62; Stein, Generale, 32. Diese überaus treffende Formulierung stammt von Peter Gschaider, Bundesheer, 146. Zit. nach Otto Boelitz: Das Grenz- und Auslanddeutschtum, seine Geschichte und seine Bedeutung, München 1926, 4. Boelitz war preußischer Wissenschaftsminister 1921 – 25. Vgl.: Ernst Ritter : Das Deutsche Ausland-Institut in Stuttgart 1917 – 1945. Ein Beispiel deutscher Volkstumsarbeit zwischen den Weltkriegen, Wiesbaden 1976; Stourzh, Erschütterung, 297 – 298. Vgl. die Hoffnungen auf die Vereinigung von Deutschland und Österreich in: Conrad, Aufzeichnungen, 175; Cramon, Bundesgenosse, 199. Adolf Hitler : Mein Kampf, München [1925 – 1927], 736 – 740. Vgl.: Rainer Zitelmann: Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Berg/Hamburg 1987, 22 – 26. Bericht über die Gründungsversammlung der Ortsgruppe Wels des »Deutschen Soldatenbundes«, 1. 2. 1933, Archiv der Republik [= AdR], »Bürckel«/Materie, Karton 185, Mappe
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Für viele deutsche Soldaten hatte das Fronterlebnis zunehmend das politische System und die soziale Ordnung des Kaiserreichs diskreditiert, und sie konnten ihrem scheinbar sinnlosen Sterben nur einen Sinn geben, indem sie es als Opfer für die Geburt eines »neuen« und besseren Deutschland, bereinigt von überlebten Herrschaftsstrukturen und sozialer Ungerechtigkeit, interpretierten.105 Solche Ansichten, in Verbindung mit dem Aufstieg des völkischen Prinzips, bereiteten den idealen Nährboden für das maßgeblich von den Nationalsozialisten propagierte Konzept der »Volksgemeinschaft«, das vor allem die aus den Schützengräben heimkehrenden Soldaten ansprach, die sich in der zivilen Friedensordnung bedeutungs- und orientierungslos fühlten.106 Der Krieg brachte aber auch Kräfte hervor, die der Idee von nationaler Einheit entgegenwirkten, wobei es sich im Wesentlichen um aufgewärmte Probleme hinsichtlich der schwierigen Identität des Kaiserreichs handelte. Spannungen sind vor allem zwischen Bayern und Preußen überliefert, und bayerische Vorwürfe, dass sie immer an den gefährlichsten Frontabschnitten eingesetzt würden, aber die Preußen alle Erfolge für sich reklamierten, konnten sogar zu Schlägereien führen. Zu Kriegsende begannen auch Rheinländer, Hessen, Hannoveraner und sogar Schlesier zu murren, was den preußischen Kriegsminister Reinhardt (ironischerweise ein Schwabe) so frustrierte, dass er es erwog, auf die Reichseinheit zu verzichten und den Kampf vom Osten Preußens aus fortzusetzen.107 Langfristig jedoch erwiesen sich diese Kräfte – inklusive der separatistischen Tendenzen in Bayern und im Rheinland unmittelbar nach Kriegsende – als irrelevant. Insgesamt stärkten Kriegserlebnis und Niederlage den Zusammenhalt des kleindeutschen Reichs, und die Erweiterung des Reichs um Deutschösterreich war das vorrangige revisionistische Ziel in beiden Staaten, welches als die Erfüllung der großdeutschen Sehnsucht von 1848 angesehen wurde. Diese Aufbruchstimmung und der Glaube an eine leuchtende gesamtdeutsche Zukunft kamen auch in den Namensvorschlägen für den neuen österreichischen Staat 2856; GM Giehrach, Vortrag, 4. 6. 1943, KA, NL, B/315:5, 2. Giehrach wurde 1882 in Berlin geboren. 105 Philipp Witkop (Hg.): Kriegsbriefe gefallener Studenten, München 1929. 106 Volker Ullrich: Kriegsalltag. Zur inneren Revolutionierung der wilhelminischen Gesellschaft, in: Wolfgang Michalka (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994, 603 – 621; Gunther Mai: »Verteidigungskrieg« und »Volksgemeinschaft«. Staatliche Selbstbehauptung, nationale Solidarität und soziale Befreiung in Deutschland in der Zeit des Ersten Weltkrieges (1900 – 1925), in: Michalka, Der Erste Weltkrieg, 583 – 602. 107 Benjamin Ziemann: Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914 – 1923, Essen 1997, 265 – 266, 272 – 274; Michael Geyer : Insurrectionary Warfare. The German Debate about a Lev¦e en Masse in October 1918, in: JMH 73/3 (2001), 459 – 527; Wohlfeil, Heer und Republik, 89; Klemperer, Curriculum, Bd. 2, 365 – 366.
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zum Ausdruck, wobei die Renner-Regierung »Ostalpenlande« und »Deutsche Alpenlande« favorisierte.108 Großdeutsches Denken – in dem Sinne, dass man sich prinzipiell dem deutschen Volk und deutscher Kultur zugehörig fühlte – war unter den Deutschen Österreichs allgemein weitverbreitet. Die österreichische Historiografie des neunzehnten Jahrhunderts hielt immer an der großdeutschen Sichtweise der Geschichte Deutschlands und des Reichs fest, eine Tradition, die nach dem Krieg durch Heinrich Ritter von Srbiks »gesamtdeutsche Geschichtsauffassung« nachdrücklich erneuert wurde.109 Nach 1918 war die Anschluss-Sehnsucht in Österreich sogar größer als im Deutschen Reich, und ein grundsätzliches Bekenntnis zum Deutschtum fand sich bei allen maßgeblichen politischen Kräften.110 Am stärksten ausgeprägt war es naturgemäß bei der nationalliberalen Großdeutschen Volkspartei, der Nachfolgerin der deutschfreiheitlichen Parteien der Monarchie, während sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs vom Anschluss die Vereinigung mit dem fortschrittlichen deutschen Proletariat erhoffte. Als katholisch-konservative und mit der ehemaligen Monarchie sympathisierende Kraft stand die Christlichsoziale Partei dem Gedanken eines staatsorientierten österreichischen Patriotismus am nächsten. Doch seit dem Fall der Dynastie konnten sich auch immer mehr in der Tradition des konservativen großdeutschen Gedankens stehende Österreicher mit der völkischen Variante des zwanzigsten Jahrhunderts identifizieren, da diese nun keine Gefahr mehr für die österreichische Monarchie darstellte. Volksabstimmungen in den bäuerlich geprägten westlichen Bundesländern bezeugten auch hier eine immens hohe Popularität des Anschluss-Gedankens. Das nationalliberale Lager war aufgrund des allgemeinen Wahlrechts und des Verlustes von Böhmen und Mähren zur schwächsten Fraktion im neuen Parlament reduziert worden. Daher war die österreichische politische Landschaft von dem Gegensatz zwischen den »schwarzen« Ländern und dem »roten« Wien geprägt und die Gesellschaft entlang der sozialen und politischen rot-schwarzen Trennlinie in Parallelgesellschaften und dazugehörige Parallelorganisationen zerfallen.111 Diese tief greifende Politisierung machte auch vor dem Bundesheer nicht Halt. Im Gegensatz zur Reichswehr durften sich Mitglieder des Bundesheeres 108 Renners eigener Vorschlag war »Südostdeutschland«. Stourzh, Erschütterung, 290 – 291. 109 Wien diente auch reichsdeutschen »Dissidenten« (wie z. B. dem großdeutsch gesinnten Historiker Onno Klopp) als Zuflucht. Zu Srbik siehe: Fritz Fellner : Heinrich von Srbik – »Urenkelschüler Rankes«, in: Ders., Geschichtsschreibung, 330 – 345. 110 Luzˇa, Relations, 3 – 17; Fritz Fellner : Die Historiographie zur österreichisch-deutschen Problematik als Spiegel der nationalpolitischen Diskussion, in: Ders., Geschichtsschreibung, 145 – 172. 111 Boyer, Silent War; Höbelt, Kornblume, 357 – 359; Judson, Revolutionaries, 267.
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parteipolitisch und in Soldatengewerkschaften organisieren. Ursprünglich dominiert von den Sozialdemokraten, welche gleich nach dem Krieg die Volkswehr, die Vorläuferin des Bundesheeres, aufgebaut hatten, war die sogenannte Entpolitisierung unter Carl Vaugoin, Verteidigungsminister von 1922 bis 1933, de facto eine Re-Politisierung von Rot zu Schwarz, was auch eine Abkehr vom Idealbild des apolitischen Offiziers der Monarchie bedeutete. Die größte und mächtigste Gewerkschaft war der christlichsoziale Wehrbund. Daneben existierten die national gesinnte Deutsche Soldatengewerkschaft und der ebenso anschlussfreundliche sozialdemokratische Militärverband.112 Mit der Errichtung eines autoritären Regimes (dem sogenannten »Ständestaat«) unter dem christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß verwandelte sich das Bundesheer vollends in ein Instrument der Regierung, welches gemeinsam mit der Polizei in den »Februarkämpfen« von 1934 den paramilitärischen sozialdemokratischen Schutzbund überwältigte und im »Juliputsch« desselben Jahres einen nationalsozialistischen Aufstand niederschlug. Damit hatten sich Regierung und Bundesheer etwa zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung zum Feind gemacht. Dieser Riss verlief allerdings auch quer durch das Bundesheer. Während man davon ausgehen kann, dass die ältere Generation und hohen Offiziere dem Regime nahestanden, war dies bei den jüngeren Offizieren und Mannschaften nicht unbedingt der Fall. Darüber hinaus spielten auch regionale Gegensätze eine große Rolle. Alles zusammen konnte zu teils tragischen, teils beinahe komischen Situation führen, welche die heikle innerösterreichischen Spannungen offenbarten. Als beispielsweise der legitimistisch gesinnte Oberst Gerzabek eine Messe anlässlich des Geburtstages von Ex-Kaiserin Zita besuchte, war der ihn begleitende junge Leutnant ein national eingestellter Republikaner.113 Herbert Staudigl diente kurz vor dem Anschluss als Offiziersanwärter im Kärntner Infanterie-Regiment 7 in Wolfsberg und erinnerte sich, dass die Soldaten bei der ausgesprochen national eingestellten Bevölkerung verhasst waren, was zu regelmäßigen Schlägereien mit den einheimischen Jugendlichen führte. Umgekehrt ermahnte ein Bataillonskommandeur, Oberstleutnant Josef Marx, seine Soldaten: »Wenn ihr einen Lausbuben mit Hakenkreuzabzeichen seht, so 112 Peter Broucek: Heerwesen, in: Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Hg.): Österreich 1918 – 1938. Geschichte der Ersten Republik, Bd. 1, Graz 1983, 209 – 224, 214, 216; Stein, Generale, 11 – 13; Hanisch, Männlichkeiten, 51, 54; Alfred Bauer : Gesprächsprotokoll von Peter Gschaider, 14. 6. 1966, Besitz des Verfassers; Wilhelm Liebisch: Gesprächsprotokoll von Erwin A. Schmidl, März 1989, KA, NL, B/1576:24. Zum Bundesheer allgemein siehe: Ludwig Jedlicka: Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärpolitische Lage Österreichs 1918 – 1938, Graz 1955; Erwin Steinböck: Österreichs militärisches Potential im März 1938, Wien 1988. 113 Laut Wilhelm Liebisch (Gesprächsprotokoll) war die »Vaterländische Front« ständig über Gerüchte besorgt, wonach die Mehrheit der jüngeren Offiziere mit dem Nationalsozialismus sympathisierte. Liebisch war 1934 Leutnant.
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habt ihr ihm eine Ohrfeige zu geben!«114 Ein weiteres Beispiel ist das Wiener Kraftfahrzeug-Jäger-Bataillon 2, das sich hauptsächlich aus Wienern aus dem Arbeiterbezirk Favoriten, aber auch aus Oberösterreichern aus der Gegend von Aigen-Schlägl, die wegen nationalsozialistischer Sympathien strafversetzt worden waren, zusammensetzte. Infolge seiner Versetzung nach Graz hatte das Bataillon mit häufigen nationalsozialistischen Demonstrationen zu tun. Leutnant Heinrich Hofmann erinnerte sich an einen Zwischenfall, als eine ältere Frau ausgerechnet die oberösterreichischen Soldaten, die vermutlich selbst zu den Demonstranten hielten, als »Arbeitermörder« beschimpfte. Während eines gemeinsamen Manövers mit dem steirischen Gebirgsjäger-Regiment 10 löste sich ein Schuss, der einen Wiener Soldaten verletzte, und Hofmann befürchtete eine ernsthafte Eskalation zwischen den Wienern und Steirern wegen des traditionellen landsmannschaftlichen Gegensatzes, der sich durch die Unfreundlichkeit der christlichsozialen Regierung in Wien gegenüber den Steirern noch verschärft hätte, obwohl man davon ausgehen kann, dass die Soldaten aus dem Wiener Arbeiterbezirk auch keine Freunde der Regierung gewesen sein dürften.115 Die Zahl der bekennenden Nationalsozialisten innerhalb der Armee war klein; dem »Nationalsozialistischen Soldatenring« (NSR) traten nur Radikale bei, die wahrscheinlich nicht mehr als fünf Prozent der Offiziere ausmachten. Die Anzahl der Sympathisanten war jedoch weitaus größer, obwohl sie sich während der Kämpfe im Jahre 1934 loyal verhielten.116 Der illegale Nationalsozialist Major Johann Charvt trug angeblich das Braunhemd unter der Uniform, als er während des Juliputsches am Pyhrnpass getötet wurde.117 Das Regime schwächte seine Position zusätzlich durch die Aufwertung der Bundesländer, deren ländliche Bevölkerung als Hauptstütze der Regierung galt, was von Wienern aller politischen Lager als »Provinzialisierung« abgelehnt wurde, aber umgekehrt nichts Entscheidendes zur Abschwächung des Anschluss-Gedankens in den Ländern beitrug. Vielmehr konnte das gesteigerte Selbstbewusstsein der Länder später von den Nationalsozialisten zur Untergrabung der Erinnerung an den österreichischen Staatsgedanken ausgenutzt werden.118 114 Herbert Staudigl: Gesprächsprotokoll von Erwin A. Schmidl, 19. 11. 1985, KA, NL, B/ 1576:24, 1, 3. 115 Heinrich Hofmann: Gesprächsprotokoll von Erwin A. Schmidl, 16. 11. 1986, KA, NL, B/ 1576:24, 1 – 2, 6, 8. 116 Schmidl, März 38, 47 – 49, 52 – 57; Allmayer-Beck, Träger, 64; Maximilian de Angelis: Gesprächsprotokoll von Peter Gschaider, 30. 4. 1966, Besitz des Verfassers. 117 Herbert Müller-Elblein: Gesprächsprotokoll von Peter Gschaider, 18. 4. 1966, Besitz des Verfassers. Erwin Steinböck (Kommentare zu Gschaider, Bundesheer, KA, NL, B, C/ 1480:16, 22) bezweifelt den Wahrheitsgehalt der Braunhemd-Geschichte. 118 Bruckmüller, Nation Österreich, 189 – 191. Der nationalsozialistisch gesinnte Wiener
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Schließlich bemühte sich das Regime, die österreichische Unabhängigkeit sowie seinen eigenen Bestand gegenüber einem immer aggressiver werdenden nationalsozialistischen Deutschland durch verschiedene Strategien zu bewahren. Zunächst versuchte es, österreichischen Traditionalismus in einem patriotischen Sinne zu kultivieren. So erhielten z. B. die Regimenter des Bundesheeres im September 1933 und April 1936 Namen von Einheiten und Persönlichkeiten aus der Geschichte der kaiserlich-österreichischen Armee, die an die Säulenfunktion der Streitkräfte für den österreichischen Staatsgedanken erinnern sollten.119 Gleichzeitig jedoch pflegte es auch ein Bekenntnis zum Deutschtum in dem Sinne, dass die Österreicher im »zweiten deutschen Staat« eigentlich die »besseren Deutschen« seien. Diese Sichtweise betonte Österreichs Katholizismus sowie seine traditionelle Funktion als Verteidiger des Abendlandes und Bannerträger der universalen Reichsidee, welche als ideale Lebensform für das deutsche Volk gepriesen wurde.120 Demgegenüber wurde Preußen als Verkörperung eines »protestantischen«, provinziellen und aggressiven Nationalismus dargestellt, was natürlich auf den Nationalsozialismus gemünzt war. Die Preußen wurden als oberflächlich germanisierte Slawen verspottet, die noch kein Wort Deutsch sprechen konnten und in Sümpfen lebten, als in Österreich bereits das Nibelungenlied verfasst worden war.121 Die Führung des Reichs dürfte daher nicht den nationalistischen Preußen überlassen werden, während ein österreichisch geführtes Reich als ausgleichende und friedensstiftende europäische Institution angeblich auch nichtdeutschen Völkern zum Vorteil gereichen würde.122 Es muss nicht ausdrücklich betont werden, dass dies eine äußerst ungeeignete Strategie war, um einen eindeutigen und überzeugten österreichischen Patrio-
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Dichter Josef Weinheber (Sämtliche Werke, Bd. 2, hg. von Josef Nadler/Hedwig Weinheber, Salzburg [1954], 129 – 130) verhöhnte die Dantes und Horaze aus dem Burgenland und Tirol in seinem Gedicht »Sieg der Provinz«. Für Joseph Roth standen die in der Wiener Politik immer wichtiger werdenden ländlichen Politiker nationalsozialistischen »Blut und Boden«-Ideologien viel näher als der alten Monarchie. Heer, Identität, 439 – 440. Rolf M. Urrisk: Die Traditionspflege des österreichischen Bundesheeres 1918 – 1998, Gnas [1997], 11 – 14, 17; Allmayer-Beck, Heerwesen, 175. Anton Staudinger: Austrofaschistische »Österreich«-Ideologie, in: Emmerich Tlos/ Wolfgang Neugebauer (Hg.): Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 2005, 28 – 52; Walter Wiltschegg: Österreich – der »Zweite deutsche Staat«? Der nationale Gedanke in der Ersten Republik, Graz/Stuttgart 1992. Schmitz (Österreichischer Mensch, 38) spottete, dass sein aus Hessen-Homburg stammender Großvater (der nie akzeptiert hatte, dass der Kaiser nicht mehr in Wien residierte) Kaiser Wilhelm II. als »Hetman der Obotriten und Kaschuben« bezeichnet haben würde. Das Flugblatt »Österreicher, lernt eure Geschichte!« war eine der populärsten Sammlungen derartiger Invektiven. Suppanz, Geschichtsbilder, 27 – 30, 67 – 70, 77 – 80. Ignaz Seipel: Nation und Staat, Wien 1916, 1 – 18, 70 – 74, 99; Paul R. Sweet: Seipel’s Views on Anschluss in 1928. An Unpublished Exchange of Letters, in: JMH 19/4 (1947), 320 – 323.
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tismus zu fördern, der gegenüber dem Anschluss-Gedanken immunisieren sollte. Auch andere, beherztere Versuche der Abgrenzung von den übrigen Deutschen litten darunter, dass letztlich keine klare Trennlinie gezogen wurde. Der prominenteste Fall ist Anton Wildgans’ »Rede über Österreich« von 1930, welche von einem »österreichischen Menschen« spricht, dessen Züge sich aufgrund der Brückenfunktion der ehemaligen Monarchie zwischen Ost und West vom Reichsdeutschen unterscheiden würden; aber schließlich sah auch Wildgans den Österreicher bloß als eine Variante des Deutschen.123 Bezeichnenderweise wurde Wildgans’ Rede unter Weglassung der »deutschen« Passagen nach 1945 repopularisiert. Ähnliche österreichisch-nationale Verdrehungen wurden auch an Hugo von Hofmannsthals »Schema« von 1917, welches die österreichischen und preußischen Charaktere kontrastierte, durchgeführt; dabei wurde jedoch übersehen, dass Hofmannsthal damit die Kriegsgemeinschaft festigen wollte, indem er die ironisch und selbstkritisch übertriebenen österreichischen Eigenschaften als sich mit den ebenso überzogenen preußischen ideal ergänzend darstellte.124 Somit waren Preußen kritisch bis feindlich gegenüberstehende Gefühle in der Ersten Republik durchaus präsent, welche jedoch das prinzipielle Deutschtum der Österreicher nicht infrage stellten. Der klare Standpunkt einer originären »österreichischen Nation« hingegen wurde vor 1945 nur von den kommunistischen und legitimistischen Minderheiten vertreten, womit sämtliche Zwischenvarianten weitestgehend substanzlos und unrealistisch waren.125 Überhaupt scheint das Bild vom »österreichischen Menschen« im Wesentlichen ein vereinfachtes und idealisiertes Bild von Wien gewesen zu sein, das auf ganz Österreich übertragen wurde. Dieses Bild fokussierte auf den Wiener Kosmopolitismus und war mit Bezug auf Aristokratie und Einwanderung teil123 Wildgans, Rede über Österreich, 12 – 13, 26. Vgl.: Pape, Ungleiche Brüder, 67 – 68. 124 Hugo von Hofmannsthal: Preuße und Österreicher. Ein Schema, in: Ders.: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Reden und Aufsätze II (1914 – 1924), hg. von Bernd Schoeller, Frankfurt a. M. 1979, 459 – 461. Vgl.: Pape, Ungleiche Brüder, 410 – 412. 125 Das Konzept des »österreichischen Menschen« wurde am vehementesten von Legitimisten (wie z. B. 1927 in der Anthologie »Die österreichische Aktion« von Alfred Missong, Ernst Karl Winter und Hans Karl Zeßner-Spitzenberg) vertreten, wie dessen heftige Ablehnung durch Otto Bauer (Der Sozialismus und die deutsche Frage, in: Werkausgabe, Bd. 9, hg. von der Arbeitsgemeinschaft für die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung, Wien 1980, 683 – 692, 691) zeigt: »Wir österreichischen Sozialisten haben nichts zu schaffen mit dem Spuk des aus Katholizismus, Habsburgertradition und feudaler Barockkultur zusammengebrauten ›österreichischen‹ Menschen und haben dem klerikal-schwarzgelben Separatismus die nationale Gemeinschaft des deutschen Volkes entgegengestellt«. Vgl.: Alfred F. Reiterer : Vom Scheitern eines politischen Entwurfes. »Der österreichische Mensch« – ein konservatives Nationalprojekt der Zwischenkriegszeit, in: ÖGL 30 (1986), 19 – 36; Fellner, Historiographie, 160 – 161; Stourzh, Erschütterung, 301; Suppanz, Geschichtsbilder, 26, 30 – 32.
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weise sicherlich zutreffend, während es andere Züge, wie die Arbeiterkultur, oder eindeutig negative Tendenzen, wie Antisemitismus, ignorierte. Und wenn Wien auch als Reichshauptstadt wie ein Prisma die Multinationalität der Monarchie reflektierte, so war dies nicht ohne Weiteres auf Selbstverständnis und Realität der einzelnen Kronländer rückübertragbar. Wenig überraschend konnten Vertreter des »österreichischen Menschen« sich daher auch geringschätzig über die Länder äußern, wie etwa der Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz, der voller Wiener Arroganz behauptete, das Musik das Einzige sei, »was die österreichische Provinz überhaupt an Kultur besitzt.«126 Dennoch berührte Schmitz hier einen interessanten Punkt. Denn wenn etwas Wien und die Länder verband, so war es, dass sich beide in ihren Selbstverständnissen ein hauptsächlich auf Musizieren und Singen basierendes Talent für Unterhaltung zugute hielten. Dieses scheinbar pan-österreichische Talent war auch zentral für die Selbstvermarktung der Ersten Republik als Touristendestination: die »hohe Kultur« von klassischer Musik, Oper und Festspielen und die etwas volkstümlichere Ebene von Operetten, Walzertanz, Heurigem und Bierkellern in Städten wie Wien und Salzburg sowie die bodenständig-gemütliche Atmosphäre auf dem Land mit traditioneller Musik, Chören und Tänzen.127 Ansonsten hatten Wien und die Länder nicht allzu viel gemeinsam. Bereits in der Monarchie konnten sich in den Augen der Landbewohner die klischeehaften Wiener Züge von Charme und Leichtblütigkeit in Rückgratlosigkeit und Unaufrichtigkeit verwandeln, was sich nicht mit dem Selbstbild der ländlichen Bevölkerung als einfache, aber ernsthafte, ehrliche und schwer arbeitende Bauern vertrug.128 Umgekehrt insistierten auch die Wiener Gegner des PhäakenKlischees gerne, dass Wiens Bevölkerung in Wirklichkeit ebenfalls ernsthaft und hart arbeitend sei.129
Die formale Eingliederung des Bundesheeres Vor dem deutschen Einmarsch war der Chef des Generalstabes, FeldmarschallLeutnant Alfred Jansa, einer der wenigen, der bewaffnete Gegenwehr befürwortete. Mit ganz wenigen Ausnahmen von (unblutigem) Widerstand gehorchte das Bundesheer jedoch dem Befehl von Bundeskanzler Schuschnigg, dass kein 126 Schmitz, Österreichischer Mensch, 56. 127 Es darf nicht übersehen werden, dass ein Großteil der österreichischen Kultur v. a. in Wien jüdisch war. Steven Beller : Vienna and the Jews, 1867 – 1938. A Cultural History, Cambridge/New York 1989. 128 Arthur Haberlandt: Die Österreicher in Salzburg, Ober- und Niederösterreich und dem Burgenland. Bluterbe und Stammesart, in: Wähler, Volkscharakter, 376 – 388, 388. 129 Czermak, Lager, 10; Wiktorin, Soldat, 81.
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»deutsches Blut« vergossen werden solle.130 Hitler hatte ursprünglich nicht an eine völlige Eingliederung Österreichs gedacht, wurde aber vom begeisterten Empfang in seiner Heimat umgestimmt.131 Am 13. März 1938 wurde das »Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« erlassen, und das »Ostmarkgesetz« vom 14. April 1938 löste die österreichische Bundesregierung auf und verwandelte die Länder in »Reichsgaue«. Dabei war aufgrund der geringen Größe mancher österreichischer Länder eine Reduzierung auf zwei bis vier Reichsgaue erwogen worden, aber Hitler entschied sich für die Variante mit sieben Ländern, um das Selbstgefühl der Länder nicht zu verletzen – vielleicht auch wegen seiner eigenen Affinität für Oberösterreich.132 Ein »Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« sollte den Eingliederungsprozess leiten. Dieses Amt hatte bis zur seiner Auflösung 1940 Josef Bürckel, der auch Gauleiter von Wien war und in dieser Funktion von Baldur von Schirach abgelöst wurde, inne. Der Begriff »Reichsgau« bedeutete, dass die höchsten parteipolitischen und staatlichen Funktionen in der Personalunion von Gauleiter und Reichsstatthalter vereinigt waren. Außerhalb der Ostmark wurden Reichsgaue nur in wenigen anderen und ebenfalls neu erworbenen Gebieten implementiert. Im Altreich existierten die alten Länder – als rein administrative Einheiten unter einem Reichsstatthalter – parallel zu den von Gauleitern geführten Parteigauen weiter, wobei die Territorien oder Personen identisch sein konnten, aber nicht immer waren. Die beabsichtigte Reorganisation des gesamten Reichsgebietes in Reichsgaue blieb bis zum Ende des Dritten Reichs eine Baustelle.133 Gemäß der vollständigen Eingliederung Österreichs wurde auch das Bundesheer komplett in die Wehrmacht integriert. Dies beendete alle von manchen österreichischen Militärs gehegten Hoffnungen auf eine autonome Stellung des Bundesheeres, die bis zu der Vorstellung von einer alliierten Armee an der Seite der Wehrmacht reichten.134 Auch die deutschen Streitkräfte waren seit der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 einer Reihe von Veränderungen 130 Hptm. Edwin Liwa beispielsweise blockierte am 12. 3. 1938 den Tiroler Fernpass. Schmidl, März 38, 57, 124 – 126. 131 Botz, Eingliederung, 32 – 39, 61 – 72. 132 Die Reichsgaue waren Wien, Niederdonau, Oberdonau, Salzburg, Steiermark, Kärnten und Tirol-Vorarlberg. Das Burgenland wurde zwischen Niederdonau und Steiermark aufgeteilt. Osttirol kam zu Kärnten. Botz, Eingliederung, 74 – 75, 77 – 80, 82 – 83, 86 – 89, 102, 112; Luzˇa, Relations, 235, 241. Die amtliche Bezeichnung »Großdeutsches Reich« wurde erst 1943 eingeführt. 133 Botz, Eingliederung, 123. Die anderen »Reichsgaue« waren Wartheland, Sudetenland, Danzig-Westpreußen und Saar-Pfalz (1940 mit Lothringen zur »Westmark« zusammengelegt). Jürgen John/Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hg.): Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen »Führerstaat«?, München 2007. 134 Allmayer-Beck, Österreicher , 344 – 345; Gschaider, Bundesheer, 174, 183 – 184, 186 – 188.
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unterworfen worden. Die Aufhebung der Souveränität der Länder beendete sämtliche Prärogativen der Länder gegenüber dem Militär. Die Reichswehr selbst galt immer noch als relativ »unpolitischer« Bereich, was angesichts der Einparteienherrschaft der NSDAP am besten so verstanden werden sollte, dass man nicht unbedingt eine glühender Nationalsozialist sein musste, um erfolgreich eine militärische Karriere verfolgen zu können. Freilich sympathisierten viele Offiziere mit dem Regime, was nicht so verschieden von der Situation in der Weimarer Republik und im Kaiserreich war : Man war für diejenige Regierung, die sich für die Armee einsetzte. Das »Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht« vom 16. März 1935 brach nicht nur offen mit den Auflagen des Versailler Vertrages, sondern führte auch die Bezeichnung »Wehrmacht« anstelle von »Reichswehr« für die deutschen Streitkräfte ein.135 Neben der massiven Aufrüstung von Heer und Kriegsmarine begann das Regime auch mit dem Aufbau der Luftwaffe. Diese quantitative Vergrößerung der Streitkräfte war von einer geografischen Erweiterung begleitet, welche mit den neuen Rekruten aus dem Saarland, das 1935 nach einer Volksabstimmung ins Reich zurückkehrte, und dem Rheinland, das 1936 wieder militarisiert wurde, begann und sich während des Krieges fortsetzen sollte. Im Februar 1938 wurde das Reichskriegsministerium (wie das Reichswehrministerium seit 1935 genannt wurde) vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) ersetzt; die alte Heeresleitung war schon 1935 durch das Oberkommando des Heeres (OKH) substituiert worden.136 Zwar schätzten die Offiziere in diesen Stellen das Aufrüstungsprogramm, aber wegen der unter ihnen stark verbreiteten ultra-konservativen bis legitimistischen Haltungen tauschte Hitler die Schlüsselpersonen mit ideologisch verlässlichen Figuren aus und machte sich selbst zum Obersten Befehlshaber der Wehrmacht.137 Die Eingliederung Österreichs bedeutete zunächst, dass im April 1938 das mit dem österreichischen Territorium identische Heeresgruppenkommando 5 unter dem Kommando von General Wilhelm List geschaffen wurde. Dieses wurde zusätzlich in zwei Wehrkreise und Armeekorps unterteilt, womit sich die Gesamtzahl der Wehrkreise von sechzehn auf achtzehn erhöhte: Wehrkreis und Armeekorps XVII (Wien sowie Ober- und Niederdonau) unter General Werner Kienitz in Wien und Wehrkreis und Armeekorps XVIII (Salzburg, Tirol-Vor-
135 Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. 3. 1935, online: http://www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrmacht_ges.html (25. 8. 2014). 136 Absolon, Wehrmacht, Bd. 3, 137 – 163; Bd. 4, 156 – 186. 137 Als Chef des OKW übernahm Wilhelm Keitel die Funktion des Kriegsministers von Werner von Blomberg, und Walther von Brauchitsch ersetzte Werner von Fritsch als Oberbefehlshaber des Heers und Chef des OKH. Freilich gab es unter den hohen Offizieren auch große Bewunderer von Hitler, wie Walther von Reichenau und Walther von Model.
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arlberg, Steiermark und Kärnten) unter dem Österreicher General Eugen Beyer in Salzburg.138 Die Großverbände des Bundesheeres – sieben Divisionen, eine Brigade und eine schnelle Division – wurden aufgelöst. Alle Einheiten unterhalb der Divisionsebene erhielten neue Namen und Nummern und wurden entweder zu neuen Großverbänden zusammengefasst oder bestehenden Divisionen unterstellt. Die neuen, hauptsächlich aus österreichischen Beständen errichteten Divisionen waren die 2. und 3. Gebirgs-Division, die 44. und 45. Infanterie-Division sowie die 4. leichte Division (später 9. Panzer-Division). Die 2. Panzer-Division wurde in Wehrkreis XVII verlegt und erhielt ihren Ersatz daher fortan aus Österreich. Auf diese rasche Umstrukturierung folgten die zeitaufwendigeren Prozesse der Anpassung des Rekrutierungssystems, der kriegswirtschaftlichen Organisation und der Unterkünfte sowie die Angleichung der neuen Einheiten an den deutschen Standard bezüglich Ausrüstung und Mannschaftsstärke. Aufgrund der Popularität des Anschluss-Gedankens waren seit Beginn der Ersten Republik bereits eine Reihe von Anpassungen an das deutsche System in den Bereichen Verwaltung, Ausbildung, Rechtssystem und Uniformierung durchgeführt worden, aber der Abschluss dieser Projekte verzögerte sich bis November 1938.139 Der Grund für die Verzögerung war die Besetzung des Sudetenlandes im Oktober 1938, die erste Wehrmacht-Operation, an der österreichische Soldaten beteiligt waren. Die Mobilisierung der teilnehmenden österreichischen Einheiten, also sämtlicher bis dahin aufgestellter Divisionen, erfolgte noch nach dem Muster des Bundesheeres. Die Divisionen benutzten teilweise BundesheerAusrüstungen und Teile der Mannschaften waren noch im österreichischen System ausgebildet worden.140 Durch die Angliederung des Sudetenlandes wurde Wehrkreis XVII um die südlichen Grenzregionen von Böhmen und Mähren erweitert. Die größte Herausforderung bestand in dem Mangel an Offizieren, da beide Wehrkreise die Besetzung von 2.000 Stellen erforderlich machten. Nur vier Offiziere (von etwas über 2.000) sowie 123 Unteroffiziere und Soldaten (von jeweils ca. 3.800 bzw. 50.000) verweigerten den Eid auf Hitler.141 Aber nachdem eine 138 Tuider, Wehrkreise, 5 – 7. Jedes Wehrkreiskommando war identisch mit dem Generalkommando eines Armeekorps derselben Nummer. Im Krieg zog der Kommandierende General mit dem Armeekorps ins Feld, während der Stellvertretende Kommandierende General als Kommandeur der Ersatztruppenteile des Wehrkreises zurückblieb. 139 Josef Bednar: Gesprächsprotokoll von Peter Gschaider, 31. 3. 1966, Besitz des Verfassers; Tuider, Wehrkreise, 2 – 3, 9 – 10, 13 – 17, 54 – 55; Wiktorin, Soldat, 108; Allmayer-Beck, Österreicher, 366 – 369. 140 Tuider, Wehrkreise, 17 – 18. Die Reservisten des Aufkl.-Rgt. 9 umfassten teilweise Veteranen des Ersten Weltkrieges. Carl Hans Hermann: Die Panzeraufklärungsabteilung 9 und ihre Stammformationen, [ca. 1985], KA, NL, B/986:3, 6. 141 Beide Wehrkreise benötigten zusammen 2.067 Offiziere. Tuider, Wehrkreise, 11. Nur fünf
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Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Militärattach¦s, General Wolfgang Muff, den »rassischen« und politischen Hintergrund des österreichischen Offizierskorps überprüft hatte, wurden 1.607 von 2.128 Offiziere in die Wehrmacht übernommen, wovon die höheren Ränge überproportional betroffen waren. Peter Gschaider charakterisierte diesen Prozess angesichts der hohen Zahl von Denunziationen unter den Österreichern als »Selbstausschaltung«.142 Rund 25 Prozent der Offiziere und Mannschaften wurden sogleich der noch in der Aufbauphase und daher in besonders starker Personalnot befindlichen Luftwaffe zugeteilt. Aufgrund der Überalterung des österreichischen Offizierskorps wurden 50 Prozent der dem Heer verbleibenden 1.276 Offiziere nur als Ergänzungsoffiziere (»E-Offiziere«) übernommen und zumeist im Generalstab und in Sonderdiensten verwendet. Die anderen wurden oft zu reichsdeutschen Einheiten ins Altreich versetzt.143 Dafür stellte das Altreich die zusätzlich benötigten Offiziere und Mannschaften zur Verfügung, wobei Letztere gewöhnlich aus Bayern, Württemberg und Schlesien kamen. Durch diese Aufstockungen umfassten die auf österreichischem Boden aufgestellten Divisionen von Anfang an einen signifikanten – bei Offizieren und Unteroffizieren bis zu 50 Prozent – Anteil von Reichsdeutschen. Reichsdeutsche Kommandeure von überwiegend österreichischen Einheiten hatten oftmals einen »ostmärkischen« Stabschef und vice versa. Die höheren Kommandos in der Ostmark wurden penibel zwischen Österreichern und Reichsdeutschen aufgeteilt.144 Schließlich wurden die österreichischen Soldaten Umschulungen im Sinne der deutschen Ausbildungsprinzipien und Exerzierreglements unterzogen. Die ersten Ausbildungskompanien für Unteroffiziere und Mannschaften trafen im Eidesverweigerer sind namentlich bekannt: GM Rudolf Towarek (Kommandeur der Wr. Neustädter Militärakademie), Olt. Karl Serschen, Olt. Karl Burian, Olt. Wokounig und Wm. Massimo. Steinböck, Potential, 107. 142 Gschaider, Bundesheer, 250 – 254. Betroffen waren v. a. die sog. »Vaugoin-Leute« und Personen, die der Monarchie oder dem Marxismus nahestanden oder den Juliputsch 1934 niedergeschlagen hatten. Laut Emil Liebitzky wurden 55 Prozent der Generale, 40 Prozent der Obersten und 14 Prozent der Dienstgrade zwischen Lt. und Obstlt. entfernt. Emil Liebitzky : Zur Geschichte der Behandlung des Offizierskorps des ehem. Bundesheeres nach der deutschen Besetzung 1938, 21. 4. 1949, KA, NL, B/1030:74, 4; Tuider, Wehrkreise, 10; Erwin Steinböck, Potential, 110; ders.: Kommentare zu Schmidl, März 1938, o. J., KA, NL, B, C/1480:16, 20. 143 Gschaider, Bundesheer, 270 – 271; Steinböck, Potential, 108; Tuider, Luftwaffe, 15 – 16; Wehrkreise, 11. Stabsoffiziere konnten auch wieder bei den Truppen Dienst versehen. Von den 42 Artilleristen in Peter Podhajskys Jahrgang an der Wr. Neustädter Militärakademie verblieben außer ihm nur drei weitere in Österreich. Interview mit Peter Podhajsky, 21. 7. 2004. 144 Tuider, Wehrkreise, 11 – 12; Gschaider, Bundesheer, 277; Steinböck, Potential, 112. Der strikte Proporz wurde später verwässert. Stein, Generale, 6, Fn. 34.
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Juni 1938 ein. Diese kamen hauptsächlich aus Norddeutschland (für Wehrkreis XVII) und Bayern (für Wehrkreis XVIII). Österreichische Offiziere und bisweilen auch Mannschaften wurden außerdem zu Kursen ins Altreich geschickt. Im November 1938 wurde der erste Jahrgang, der ausschließlich im deutschen System ausgebildet worden war, eingezogen. Diese Rekruten nahmen bereits im März 1939 mit allen ostmärkischen Divisionen (ausgenommen die beiden Gebirgs-Divisionen) an der Besetzung der »Rest-Tschechei« teil. Weit bis in das Jahr 1939 hinein unternahm die Wehrmacht bis auf Regimentsebene hinauf ausgedehnte Feldübungen und Manöver, damit die Österreicher sich mit den deutschen Waffen und dem taktischen System vertraut machen konnten. Im Sommer 1939 galt die Eingliederung und Umschulung offiziell als abgeschlossen.145
Die Verteilung der Österreicher in der Wehrmacht Während des gesamten Krieges wurden die Jahrgänge von 1897/98 bis 1927 – jeweils etwa 40.000 Mann – eingezogen. Die Gesamtzahl der Österreicher, die in der Wehrmacht dienten, betrug daher rund 1,3 Millionen, was etwa 40 Prozent der männlichen Bevölkerung ausmachte. 83,2 Prozent dienten im Heer, 13,3 Prozent in der Luftwaffe und 3,5 Prozent in der Kriegsmarine. 201 Personen erreichten den Generalsrang (174 im Heer und 27 in der Luftwaffe), und einer (Paul Meixner) wurde Konteradmiral. 326 Österreicher wurden mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Österreicher dienten an allen Fronten, und die Zahl der gefallenen österreichischen Soldaten beträgt etwa 260.000.146 Insgesamt wurden in der Ostmark rund 20 Divisionen aufgestellt.147 Zusätzlich zu den sechs im März 1938 aus dem Bundesheer gebildeten Einheiten zählten dazu die im August 1939 ausgehobene 262. Infanterie-Division sowie die allesamt im Laufe des Jahres 1940 aufgestellten Einheiten der 137. und 297. Infanterie-Division, der 5. und 6. Gebirgs-Division und der 100. leichten In145 Tuider, Wehrkreise, 12 – 13, 20. 146 Die Zahlen beziehen sich auf Personen, die im März 1938 österreichische Staatsangehörige waren. 320 Ritterkreuzträger wurden auf dem Staatsgebiet der Republik Österreich geboren; sechs in anderen Teilen Österreich-Ungarns. Österreicher stellten ferner sechs WaffenSS- und dreizehn Polizei-Generale. Overmans, Verluste, 212, 217, 219, 224, 228, 294; Allmayer-Beck, Österreicher, 358 – 359; Florian Berger: Ritterkreuzträger im österreichischen Bundesheer 1955 – 1985, Wien 2003, 7, Fn. 1. Für mehr Details siehe: Tuider, Wehrkreise; Höbelt, Österreicher. 147 Für eine vollständige Liste aller größeren auf österreichischem Territorium aufgestellten Einheiten siehe: Tuider, Wehrkreise, 29 – 33, 54 – 55, 60 – 64; Allmayer-Beck, Österreicher, 366 – 369, 372 – 375.
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fanterie-Division (100. Jäger-Division seit Juli 1942).148 Darüber hinaus stellte Wehrkreis XVII mehr als 50 und Wehrkreis XVIII mehr als 43 LandesschützenBataillone, also lokale Defensivkräfte, die zumeist im Besatzungsdienst verwendet wurden.149 Österreicher dienten allerdings nicht nur in den »ostmärkischen Großverbänden«, sondern waren in sämtlichen Waffengattungen vertreten, von der Luftwaffe über die verschiedenen Truppenteile des Landheeres bis hin zur Kriegsmarine und sogar in Unterseebooten. Wahrscheinlich befand sich in allen mittleren bis großen Einheiten zumindest eine Handvoll von Österreichern. Deren genaue Verteilung auf sämtliche Wehrmachteinheiten ist unbekannt, und für die Feststellung wäre ein eigenes Forschungsprojekt vonnöten, was auch für jede andere landsmannschaftliche Gruppe gilt. Dass es vorübergehend zu einer stärkeren regionalen Vermischung vieler Einheiten kam, lag an den immens hohen Verlusten seit dem Angriff auf die Sowjetunion, weshalb Ersatz genommen wurde, woher man ihn bekommen konnte oder die Überreste verschiedener Einheiten zu neuen Verbänden zusammengelegt wurden.150 Grundsätzlich jedoch begann das traditionelle regionale Rekrutierungssystem im Laufe des Russlandfeldzuges wieder zu greifen, sodass bis zu dessen endgültigem Zusammenbruch kurz vor Kriegsende keine vollständige Durchmischung erfolgte. Im österreichischen Kontext ist die Durchmischungsthese aus einem weiteren Grund »verdächtig«. In Österreich wurde nämlich schon gleich nach dem Krieg behauptet, dass die »Ostmärker« auf Befehl von oben gleichmäßig verteilt worden seien, sodass sich in allen Einheiten nur österreichische Einsprengsel befunden hätten. So behauptete im September 1945 Oberstleutnant Franz Johann Krupich, der während des Krieges in verschiedenen Wehrmeldeämtern in der Ostmark tätig war, in einem Memorandum, dass der Anteil von Österreichern in ihren Einheiten, mit Ausnahme von Spezialeinheiten wie Gebirgsjägern, kontinuierlich gesunken sei, sodass gegen Kriegsende auf Kompanieebene nur noch »einige wenige« Österreicher anzutreffen waren.151 Ein im Februar 1946 in der italienischen Zeitung »Alto Adige« erschienener Artikel behauptete 148 Tuider, Wehrkreise, 22, 24, 30. Die 262. ID wurde in Mistelbach (NÖ) aus Ersatzeinheiten des Wkr. XVII, die 137. ID in Döllersheim (NÖ) aus Teilen der 262. und 44. ID und die 6. GD im Wkr. V (Stuttgart) aus Geb.-Rgt. 141 und 143 (der Ersatz kam aus Wkr. XVIII) gebildet. Die 297. ID wurde in der Gegend Bruck a. d. Leitha (NÖ/Bgld.), die 5. GD in Salzburg-Tirol und die 100. leichte ID in Oberösterreich aufgestellt. 149 Tuider, Wehrkreise, 24, 30, 32. Im Wkr. XVII wurden auch zwei bodenständige Divisionen aufgestellt: 1940 die 327. ID (in Frankreich stationiert und 1943 aufgelöst) und 1943 die 243. ID (1944 in der Normandie vernichtet). 150 Allmayer-Beck, Österreicher, 357; Tuider, Wehrkreise, 31; Bartov, Hitler’s Army. 151 Franz Johann Krupich: System der Einberufung und Einteilung der wehrpflichtigen Männer aus dem Gebiete des ehemaligen Bundesstaates Österreich in die Deutsche Wehrmacht, 21. 9. 1945, KA, NL, B/1004:8, 3 – 4, 6 – 7.
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fälschlich, dass die seit September 1943 in Italien verübten Kriegsverbrechen von zehn Divisionen begangen wurden, die fast nur aus Österreichern und Südtirolern bestanden, worauf Oberstleutnant Ernst Schneider eine Gegendarstellung verfasste (es ist nicht ganz klar für wen, aber möglicherweise für die Landesstelle für Südtirol der Tiroler Landeshauptmannschaft), wonach diese Einheiten nur einen »ganz geringfügigen« Anteil an Österreichern gehabt hätten, da die Wehrmacht ihre Einheiten aus dem ganzen Reich rekrutierte, um die Überwachung der als »unverlässlich« angesehenen Österreicher zu erleichtern.152 Schließlich noch eine Aussage, wahrscheinlich aus dem gleichen Zeitraum, von General Emil Liebitzky, dem Chefarchitekten des zweiten Bundesheeres, der zufolge die jungen österreichischen Männer absichtlich in kleinen Gruppen auf die ganze Wehrmacht verteilt worden seien, um jene Bevölkerungsgruppe auszuschalten, die für die Widerstandsbewegung besonders wichtig war.153 Derartige unbewiesene Feststellungen wurden in weiterer Folge von Historikern, denen die Eigenständigkeit der österreichischen Nation besonders am Herzen lag, unkritisch weitergereicht. Der Militärhistoriker Erwin Steinböck beispielsweise bezog sich bei seiner Darstellung der Behandlung österreichischer Soldaten auf F¦lix Kreissler, der ohne jeden Beleg behauptet hatte, dass die Wehrmacht die Österreicher absichtlich vermischte, und bei keiner Einheit mehr als 25 Prozent Österreicher dienen durften.154 Die ursprünglich dahinterstehende Absicht erscheint klar, denn um nach 1945 schnellstmöglich die Wiedererrichtung eines souveränen österreichischen Staates sicherzustellen, war es zweckdienlich, den österreichischen Wehrmachtdienst so darzustellen, als ob die Österreicher unwillige Opfer gewesen wären, deren Widerstandsgeist nur kontrolliert und gebrochen werden konnte, indem man sie ihrer Identität beraubt und vollkommen in eine »preußische« Armee eingeschmolzen hatte. Ferner wäre es dadurch schon rein strukturell unmöglich gewesen, »österreichische« Einheiten mit Kriegsverbrechen in Verbindung zu bringen. 152 Ernst Schneider : Nach dem 8. September 1943. Das Ausmaß des Beitrages der Österreicher und Südtiroler am Kampf in Italien, [1946], KA, NL, B/195:2. 153 Emil Liebitzky : Schätzungen basiert auf Aushebungszahlen, o. J., KA, NL, B/1030:73. Liebitzky (ein ehem. Vaugoin-Vertrauter und Mitglied der O5-Widerstandsgruppe) wurde nach 1950 mit der Errichtung der B-Gendarmerie (eine provisorische Armee in Form bewaffneter Polizeikräfte) beauftragt und war 1955 – 58 Leiter des Amtes für Landesverteidigung im Bundeskanzleramt. Walter Blasi: General der Artillerie Ing. Dr. Emil Liebitzky – Österreichs »Heusinger«?, Bonn 2002. 154 Kreissler, Lernprozess, 221, 246; Steinböck, Potential, 112. Steinböck diente ab 1939 in der Reserve-Flak-Abt. 384 in Steyr. Vgl.: Walther Heydendorff: Österreich und Preußen im Spiegel österreichischer Geschichtsauffassung, Wien 1947, 404; Friedrich Vogl: Widerstand im Waffenrock. Österreichische Freiheitskämpfer in der Deutschen Wehrmacht 1938 – 1945, Wien 1977, 10 – 11. Diese Behauptung wurde auch in den Medien verbreitet. Pollak, Wehrmachtslegende, 97 – 99.
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Die Motivation der politischen Opportunität tritt bei Liebitzky am deutlichsten hervor. Seine Darstellung entspricht der offiziellen Nachkriegsrhetorik, welche in Anlehnung an die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943 die österreichische Opferrolle und die Bedeutung des Widerstandes betonte. Liebitzkys Wortwahl ist auch praktisch identisch mit den unbelegten Behauptungen von Franz Studeny, einem Unteroffizier und Mitglied der Widerstandsgruppe um Major Carl Szokoll, vom April 1946, wonach die Österreicher »auf Befehl der obersten Führung« und »mit voller Absicht« als Menschen »zweiter Ordnung« diskriminiert und völlig aufgeteilt worden seien.155 Unfreiwillig entlarvend ist Studenys Aussage, dass Österreicher immer als Kanonenfutter an den gefährlichsten Frontabschnitten eingesetzt worden seien, was jedoch unmöglich ist, wenn die Einheiten tatsächlich völlig vermischt gewesen wären.156 Ernst Schneiders Versuch wiederum, die Österreicher als unauffällig und widerspenstig hinzustellen, sollte wahrscheinlich der Tiroler Landesregierung helfen, Südtirol zurückzugewinnen.157 Besaßen Schneider und Liebitzky überhaupt die Kompetenz, um solche Aussagen zu machen? Als Ständestaat-Anhänger kam Ernst Schneider nach dem Anschluss in Gestapo-Schutzhaft. Durch die Intervention seines Bruders Hermann arbeitete er kurzfristig von Herbst 1938 bis Februar 1939 beim Wehrbezirkskommando Linz, bevor er bis Kriegsende wieder unter Aufsicht der Gestapo stand. Liebitzky war als ehemaliger Vaugoin-Vertrauter nicht in die Wehrmacht übernommen worden. Die größte Glaubwürdigkeit kommt daher Krupich zu, der im Grunde nur die hinlänglich bekannte Tatsache bestätigt, dass es keine hundertprozentig reinen Einheiten von Österreichern (oder irgendeiner anderen Landsmannschaft) gab, und die genaue Verteilung der Österreicher gegen Ende des Krieges konnte auch er nicht wissen. Die Gespräche mit Veteranen gaben auch keinen klaren Aufschluss über die 155 Franz Studeny : Tätigkeitsbericht der Widerstandsgruppe, April 1946, KA, NL, B/1647:1, 1. Die Widerstandsgruppe war ursprünglich von Studeny gegründet worden. 156 Studeny, Tätigkeitsbericht, 2. Diese Behauptung findet sich auch in: Ernst Karl Pfleger : Wir und die Anderen XV. Das österreichische »Wunder«, in: Steffel-Nachrichten 34, o. J., KA, NL, B/274:7, 13; Wulf Stratowa: Kein Friede in Stalingrad. Feldpostbriefe 1941/1942, Wien 1994, KA, NL, B/1679:2, 86 [= Stratowa, Kein Friede]; Stadler, Österreich, 145 – 146. Der gleiche Vorwurf wurde auch bayerischerseits im Ersten Weltkrieg erhoben und könnte daher ein typischer Reflex gewesen sein, wenn Teile einer Bevölkerungsgruppe mit ihrer Situation unzufrieden waren. Laut Glaise-Horstenau (General, Bd. 3, 149) war es Hitlers persönlicher Wunsch, den Österreichern die Möglichkeit zu geben, ihre Kampfkraft zu beweisen. Es bedarf einer traditionellen militärgeschichtlichen Studie auf taktisch-operativer Ebene, um die tatsächliche Gefährlichkeit der Einsätze überwiegend österreichischer Einheiten festzustellen. 157 Umgekehrt dürfte es die Absicht des »Alto Adige« gewesen sein, den Verbleib Südtirols bei Italien zu rechtfertigen, indem dieser als gerechte Strafe für das Verhalten österreichischer und Südtiroler Soldaten hingestellt wurde.
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Verteilungsfrage, was naturgemäß davon abhängt, wo ein Mann gedient hatte. Während praktisch alle Interviewpartner, die in »ostmärkischen« Divisionen gekämpft hatten, einen sehr hohen Anteil von Österreichern zumindest für die Anfangszeit bestätigten, bemängelte Offiziersveteran Peter Podhajsky, der in einer der relativ homogen gebliebenen Gebirgs-Divisionen diente, dass die 44. Infanterie-Division beim Kampf um Monte Cassino Anfang 1944 zum Großteil aus Nichtösterreichern bestanden habe.158 Im Gegensatz dazu erhärtete Alfred Hinterberger, selbst ein Mitglied der 44. Infanterie-Division, die Studie von Christoph Rass durch seine Aussage, dass nach Wiederaufstellung der Division das regionale Rekrutierungssystem irgendwann wieder zu greifen begonnen habe, sodass der Anteil der Österreicher erneut kontinuierlich anstieg.159 Dies wird von den Papieren des Divisionskommandeurs von Januar bis Mai 1944, Generalleutnant Friedrich Franek, bekräftigt, wonach die Division sich zu diesem Zeitpunkt wie folgt zusammensetzte: 42 Prozent kamen aus Wien, Oberund Niederdonau und dem Sudetenland, ein Prozent aus Steiermark und Kärnten, und acht Prozent aus Salzburg, Tirol-Vorarlberg, München, Oberbayern und Schwaben.160 Unter dem bunt gemischten Rest waren Elsässer und Volksdeutsche aus Polen stark vertreten.161 Eine genauere Aufschlüsselung der Angaben ist leider nicht verfügbar. Doch man kann wohl von einem substanziellen österreichischen Element von rund 40 Prozent ausgehen, und zwar bei einer Einheit, die in Stalingrad komplett vernichtet worden war, zu einem Zeitpunkt, als die Durchmischung angeblich ihren Höhepunkt erreicht hatte. Andererseits war bei dieser Division auch ein hoher Anteil von fähigen und motivierten Österreichern besonders erwünscht, nachdem ihr 1943 der Ehrentitel »Reichsgrenadier-Division Hoch- und Deutschmeister« verliehen worden war, was eine große Verpflichtung bedeutete. Franek fürchtete, dass die Division sich schlecht schlagen und damit das Gegenteil des gewünschten Effekts einer Demonstration der Verbundenheit von Ostmark und Reich eintreten könne, wenn der Nachschub hauptsächlich aus Volksdeutschen, von daheim »ausgekämmten« wehrunwilligen älteren Männern oder Personen, denen der Titel nichts bedeutete, bestand.162 Letzteres war bereits ein Problem mit Nichtwienern. Auf Franeks Frage nach dem Divisionsnamen antwortete ein ober158 Interviews mit Anton Maurer, 19. 10. 2003; Georg Kornfeld, 29. 10. 2003; P. Podhajsky. Peter Podhasky (Gedanken eines österr. Offiziers und Lebenslauf, [Schweiz 1945], Besitz des Verfassers [= P. Podhajsky, Gedanken]) diente seit Jan. 1944 beim zur 5. GD gehörenden Grazer Geb.-Art.-Rgt. 95, und er schätzte dessen österreichischen Anteil auf 60 Prozent. 159 Interview mit Alfred Hinterberger, 14. 9. 2004. 160 Friedrich Franek: Mit der »Deutschmeisterdivision« bei Montecassino (letzte Fassung), o. J., 35; ders.: Der Stellungskrieg bis zur alliierten Maioffensive, o. J., KA, NL, B/773:8. 161 Friedrich Franek: Manuskript, 26. 2. 1944, KA, NL, B/773:8. 162 Franek, Montecassino, 5, 35; Manuskript, 26. 2. 1944; Stellungskrieg.
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österreichischer Bauernbursche, erst zögernd, aber dann vom Grinsen der Kameraden ermuntert: »Hermann … Meyer«?163 Gauleiter Schirach wünschte ebenfalls, dass die Wiener, die sich freiwillig zum Dienst bei den Hoch- und Deutschmeistern meldeten, auch tatsächlich zu dieser Division eingezogen würden.164 Ein weiteres Beispiel für einen relativ signifikanten österreichischen »Block« – in einer nicht als »ostmärkisch« deklarierten Einheit zu einem noch viel kritischeren Zeitpunkt – ist die 1. (bayerische) Gebirgs-Division, welche noch im Februar 1945 aus 64 Prozent Bayern und Schwaben und 14 Prozent »Ostmärkern« bestand. Die übrige Mannschaft war äußerst heterogen: Keine der genannten Gruppen – und jede Gruppe umfasste mindestens drei Gaue – war größer als sechs Prozent.165 Schließlich befindet sich in den Akten der »ostmärkischen« 297. InfanterieDivision eine Statistik über die Zusammensetzung der Division im September 1943, also nur sieben Monate nach ihrer völligen Zerstörung in Stalingrad. In dieser belegen die »Ostmärker« mit rund 30 Prozent den ersten Platz, gefolgt von den Bayern mit zehn Prozent; der Rest ist völlig durchmischt.166 Die Österreicher sind damit als stärkste Gruppe dreimal so groß wie die zweitgrößte Gruppe. 30 Prozent sind zwar deutlich weniger als die 64 Prozent der stärksten Gruppe in der 1. Gebirgs-Division, aber die Homogenität von Spezialtruppen ließ sich leichter aufrechterhalten. Und sie ist beachtlich, wenn man sie mit den Anteil von »Ostmärkern« in der 44. Infanterie-Division vergleicht, der nicht nur besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sondern die bis zu dem Zeitpunkt, als die Zahlen erhoben wurden, auch mehr Zeit für die Reorganisation ihres Nachschubes hatte. In jedem Fall handelt es sich bei allen Zahlen um durchaus signifikante und bestimmt nicht vernachlässigbare Mengen, welche klar über der behaupteten Obergrenze von 20 bis 25 Prozent oder gar »einigen wenigen« pro Kompanie liegen.
163 Franek, Montecassino, 36. Abgesehen von der Verwechslung mit einer nach Göring benannten Einheit bestand der Witz darin, dass Göring öffentlich angekündigt hatte, er würde »Meyer« heißen, wenn es jemals zu Luftangriffen auf das Reichsgebiet käme. 164 Schirach an Chef der Wehrersatzinspektion Wien, Glt. von Apell, 18. 8. 1944, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 158. 165 1. Gebirgs-Division, IIb, Landsmannschaftliche Zusammensetzung, Anlage 2a zu Gliederung der 1. Geb. Div., 1. 2. 1945, Bundesarchiv-Militärarchiv [= BA-MA], RH 2/1454, Fiche 1, 2, 4. Die anderen Gruppen waren: Schlesien, Sudetenland, Protektorat (6,5 Prozent); Berlin, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg, Braunschweig, Hannover, Hamburg, Bremen (5,5 Prozent) Sachsen, Thüringen, Anhalt, Magdeburg (2,5 Prozent), Elsass, Mosel, Baden, Pfalz (drei Prozent), Ostpreußen, Generalgouvernement, Danzig, Westpreußen, Wartheland (2,5 Prozent), Rheinland, Westfalen, Hessen (zwei Prozent). 166 297. Inf.-Division, Abt. IIa/IIb, Landsmannschaftliche Gliederung der 297. Inf.-Division, Anlage 2 zu Tätigkeitsbericht (1.9.–30.9.43), 30. 9. 1943, BA-MA, RH 26 – 297/110.
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Zusammenfassend können daher die Aussagen, dass die Österreicher in der Wehrmacht praktisch unsichtbar geworden seien, ob nun auf höheren Befehl – was sicher nicht zutrifft – oder aufgrund von Nachschubproblemen, getrost beiseite geschoben werden. Stattdessen erscheint es legitim, die als »ostmärkisch« bezeichneten Divisionen auch hinsichtlich ihrer faktischen Komposition im Wesentlichen als solche anzusprechen.
Kapitel 2: Von »Ostmarkschweinen« und »Ostmarksöhnen« – Die Friedenszeit (1938 – 39)
Reibungen Was spielte sich während der kurzen Friedensperiode von März 1938 bis September 1939 hinter der Fassade der bereits geschilderten organisatorischen Eingliederung des Bundesheeres in die Wehrmacht auf der zwischenmenschlichen Ebene und in den Köpfen der betroffenen Soldaten ab? Obwohl man sich beiderseits der ehemaligen Grenze mit der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft identifizierte und die reichsdeutsche Gesellschaft bezüglich sozialer Unterschiede und regionaler Eigenarten ebenso heterogen war wie die österreichische, darf nicht übersehen werden, dass die Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Staaten die Entwicklung gemeinschaftsbildender, auf das eigene sozio-politische System fixierter Denkweisen sowie einer vereinfachten gegenseitigen Wahrnehmung begünstigt hatte. Hinzu kam die historische militärische Rivalität zwischen Österreich und Preußen. Gerade beim Militär bot die Gründlichkeit der Eingliederung besonders viele Bereiche, wo verschiedene Sichtweisen, Mentalitäten und Traditionen aufeinanderprallen konnten, woran auch die vielen vor dem Anschluss erfolgten Angleichungen wenig änderten.167 So war beispielsweise die Uniform des Bundesheeres in puncto Farbe und Schnitt praktisch mit jener der Wehrmacht identisch, ebenso wie der Stahlhelm, sodass die an den Paraden während der Anschlussfeiern teilnehmenden Truppen lediglich mit improvisierten deutschen Abzeichen versehen werden mussten, um den Eindruck zu erwecken, dass man bereits in gemeinsamen Streitkräften diente.168 Auch das Bonmot, dass Österreicher und Deutsche nichts mehr trennt, als die 167 Man denke an Terminologie (Kommandos, Bezeichnungen, Anleitungen und Kommunikation), Exerzieren (Formationen, Schritte und Griffe), Uniformen und Abzeichen, Dienstgrade, Ausrüstung, Ausbildungsmethoden und -grundsätze, taktische Auffassungen, allgemeine Sitten und Bräuche, Fahnen, Musik sowie andere militärische Traditionen (z. B. Militärgeschichte). 168 Hofmann, Gesprächsprotokoll, 12.
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gemeinsame Sprache, kam zum Tragen. So unterschieden sich die reichsdeutschen Kommandos mehr oder weniger leicht von den österreichischen, wie z. B. »Rührt euch« anstelle von »Ruht« und »Augen rechts« für »Rechts schaut«. Die erste Aufgabe des damaligen Oberst Erhard Raus bestand hauptsächlich darin, bei der Kommunikation der reichsdeutschen mit den aufzulösenden österreichischen Stellen die reichsdeutsche militärische Terminologie in die österreichische Fassung zu »übersetzen«.169 Bei den technischen Truppen existierten besonders viele schriftliche Dienstbehelfe, was Oberst Wilhelm Plas nach seiner Versetzung vom österreichischen Kriegstechnischen Amt zum Heereswaffenamt in Berlin zum einen als mühsam, andererseits aber auch als Erleichterung empfand, da wenigstens die Prinzipien der Naturwissenschaft dieselben blieben.170 Unterschiedliche umgangssprachliche Ausdrücke konnten auch im täglichen Dienstbetrieb für Verwirrung sorgen. So musste etwa Oberst Adolf Kutzelnigg einmal einen Auftrag in drei verschiedenen Formulierungen wiederholen, bevor ein Unteroffizier im westfälischen Infanterie-Regiment 60 begriff, was er von ihm wollte.171 Nun könnte man viele Traditionen als formale Äußerlichkeiten und die sprachlichen Umstellungen als eher kuriose Auswüchse des Bürokratismus abtun, doch derlei Dinge werden oftmals als sicht- und hörbarer Ausdruck einer inneren Einstellung verstanden, sodass sie eng mit Identität verknüpft sind, und der Verzicht auf sie daher schwer fällt. Darüber hinaus können verschiedene Mentalitäten und Selbstverständnisse auch direkt zusammenstoßen. Der österreichische Offizier betrachtete sich allgemein als anderer Typ als sein reichsdeutsches Gegenüber, das er vom preußischen System geprägt sah. In österreichischen Augen bedeutete »preußisch« ein »zackiges« Verhalten, begleitet von einer knappen und lautstarken – manche Österreicher identifizierten das Benehmen reichsdeutscher Offiziere mit andauerndem Brüllen – Ausdrucksweise, die im Kontrast zu dem eigenen, weniger imposant erscheinen wollenden Auftreten und der Betonung auf Höflichkeit standen.172 169 Erhard Raus: Als Truppenführer im Osten. Einleitung, [nach 1945], KA, NL, B/186:4, 5. 170 Beispiele für den technischen Bereich wären »Abnahme« und »Schusstafel« anstelle von »Übernahme« und »Schießtafel«. Wilhelm Plas: Die Jahre 1938 bis 1945: Munitionsentwicklungen im Heereswaffenamt, [1969], KA, NL, B, C/534:2, 4, 6. Vgl.: Erich Rodler : Erinnerungen von Conrad zu Keitel, [nach 1945], KA, NL, B/653:1, 131. 171 »Schauen Sie einmal nach« – »Sie sollen nachsehen« – »Gucken Sie mal«. Adolf Kutzelnigg: Gesprächsprotokoll von Erwin A. Schmidl, Juni 1988, KA, NL, B/1576:24, 31. Vor seiner Versetzung zum IR 60 in Lüdenscheid war Kutzelnigg 1934 – 38 Kommandeur der »AKompanie« an der Wr. Neustädter Militärakademie. 172 Bednar, Gesprächsprotokoll; Gschaider, Bundesheer, 282, 294; Glaise-Horstenau, General, Bd. 2, 294. De Angelis (Gesprächsprotokoll) fand, dass Österreicher allgemein weniger eloquent als Reichsdeutsche gewesen seien. Stiotta wiederum nahm für sich das genaue Gegenteil in Anspruch. Wolfgang J. Graf: Generalmajor Max von Stiotta – eine altösterreichische Militärkarriere, Dissertation (Universität Wien), 2004, 88.
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Auch untereinander pflegten österreichische Offiziere einen vertraulicheren Umgang, wie etwa durch die Verwendung des familiären »Du«.173 Andere Sitten waren ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Hauptmann Erhard Heckel etwa äußerte deutlich sein Missfallen an dem für Österreicher ungebührlichen Verhalten, dass Offiziere sich im Offizierskasino in der Anwesenheit des Personals betranken und entsprechend aufführten.174 Selbst nach der Eingliederungsphase kam es vor, dass österreichische Offiziere sich über reichsdeutsche Eigenheiten irritiert zeigten, und oft hielten sie einfach an ihren eigenen Bräuchen fest, vor allem wenn sie unter sich waren.175 Diese eher stilistischen Unterschiede kamen auch in verschiedenen Ausbildungsprinzipien zum Ausdruck. Das Studium an der Wiener Neustädter Militärakademie begann umfassend, bevor es sich auf die einzelnen Waffengattungen spezialisierte, während das kürzere Programm an den reichsdeutschen Kriegsschulen relativ breit blieb.176 Außerdem legte das österreichische System Wert auf zusätzliche nichtmilitärische Fähigkeiten, und manche Reichsdeutsche bewunderten die oftmals künstlerischen Hobbys ihrer österreichischen Kameraden, wie das Spielen von Instrumenten.177 Zu der allgemein reicheren Ausbildung kam bei den ehemaligen k. u. k. Offizieren noch ein breiter Erfahrungshorizont aus der multinationalen Monarchie hinzu, sodass ein österreichischer Offizier typischerweise mehr über Deutschland wusste als ein reichsdeutscher über Österreich.178 Edmund Glaise-Horstenau bemerkte einmal, dass einige Reichsdeutsche dachten, in Österreich-Ungarn hätten alle Deutsch bzw. die Deutschösterreicher eine nichtdeutsche Sprache gesprochen, und Hitler machte ähnlich geringschätzige Bemerkungen über reichsdeutsche Auffassungen von Österreich.179 Auch österreichische Wehrmachtsoldaten beschwerten sich wiederholt über das »krasse Unwissen« der reichsdeutschen Kameraden.180 173 Krupich, System der Einberufung und Einteilung, 6; Gschaider, Bundesheer, 281 – 282; Stein, Generale, 14; Dek, Beyond Nationalism, 97 – 98. 174 Erhard Heckel: Einige Episoden aus meiner Erinnerung an diese Zeit, KA, NL, B/1096. Exzessiver Alkoholkonsum unter Offizieren wurde auch von anderen beobachtet. Vgl.: Glaise-Horstenau, General, Bd. 2, 294; Johann Christoph Allmayer-Beck: »Herr Oberleitnant, det lohnt doch nicht!« Kriegserinnerungen an die Jahre 1938 bis 1945, hg. von Erwin A. Schmidl, Wien 2013, 64 – 65. 175 Robert Nowak: Manuskript, o. J., KA, NL, B/726:18; Karl von Galler : Versuch einer Schilderung meiner Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg 1939 bis 1945, [nach 1945], KA, NL, B/ 524:6, 16. 176 Gschaider, Bundesheer, 292. Vgl.: Dirk Richhardt: Auswahl und Ausbildung junger Offiziere 1930 – 1945. Zur sozialen Genese des deutschen Offizierskorps, Dissertation (Universität Marburg), 2002. 177 Bauer, Gesprächsprotokoll. 178 Stein, Generale, 7. 179 Glaise-Horstenau, General, Bd. 1, 424; Hitler, Mein Kampf, 9. 180 Helmut B. Rothmayer-Kamnitz: Autobiographische Studie 1830 – 1980, 1982, KA, NL, B/
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In Deutschland hingegen wurde der Charakter eines Offiziers eindeutig über seine Bildung gestellt, wie es der österreichische Generalmajor Franz Xaver Schubert auf den Punkt brachte: In Deutschland sei es nicht so wichtig, »wie lange [jemand] die Schulbank gedrückt hat, sondern was für ein ›Kerl‹ er ist: Charakter und unbeugsamer Wille sind wichtiger!«181 Auch Wehrmacht-Psychologen bemühten sich um die Entwicklung von Verfahren, mit denen sie die Willensstärke der angehenden Offiziere, welche als Ausdruck der männlichen Seele und Voraussetzung für vorbildliche Körperbeherrschung angesehen wurde, zu bemessen suchten.182 Die Wehrmacht war sich dieser stilistischen und mentalitätsbedingten Unterschiede sowie der Probleme, die daraus hervorgehen konnten, durchaus bewusst. Am 12. April 1938 sandte das Heerespersonalamt (HPA) folgendes Memorandum über österreichische Offiziere an Wehrkreis VII, welcher die Hauptlast bei der Umschulung derselben trug: »Der bisherige Eindruck, den die jungen Offiziere […] machen, ist ein sehr guter. Sie sind durchweg wohlerzogen. Es ist erforderlich, ihnen mit aller Kameradschaft entgegen zu kommen. Erst allmählich müssen sie in unsere Auffassungen und Anschauungen hereinwachsen. Dies gelingt nur, wenn Kommandeure und Offiziere ihre neuen Kameraden mit väterlichem Wohlwollen in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Auch auf dienstlichem Gebiet sind verständige Anleitung und Nachsicht geboten.«183
Zudem habe der Zusammenhalt des österreichischen Offizierskorps unter der Politisierung des Bundesheeres gelitten; sein gesellschaftlicher Status gelte als gering und seine wirtschaftliche Situation als bedrückend. Das Memorandum hob auch die Vermischung des Militärischen mit dem Zivilen hervor, wie etwa die Sitte des »Du«, die Praxis des Geldleihens, und dass österreichische Offiziere nicht zwischen Kaffeehaus und Offizierskasino unterschieden. Außerdem zeigten österreichische Offiziere eine deutliche Zurückhaltung gegenüber 1172, 212; Heckel, Episoden; Josef Pregartbauer : Gesprächsprotokoll von Peter Gschaider, 15. 6. 1966, Besitz des Verfassers; Steinböck, Kommentare zu Gschaider, 43. Hitler (Monologe im Führerhauptquartier, 1941 – 1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hg. von Werner Jochmann, München 1980, 227) äußerte privat, dass Reichsdeutsche »umgeben von einer Wolke von Dummheit« aufgewachsen seien, sodass sie keine Ahnung von der Nationalitätenfrage und der Natur Altösterreichs gehabt hätten. 181 Franz Xaver Schubert: Der Weg zum Berufsoffizier, in: Neues Wiener Journal, 21. 12. 1938, KA, NL, B/833:24. Vgl.: Graf, Stiotta, 80. Cramon (Bundesgenosse, 105) fand, dass die österreichische Offiziersausbildung »Wissen« betonte und »Willen« vernachlässigte. Im März 1919 meinte der damalige Erste Generalquartiermeister Wilhelm Groener, dass »Charakter und Gesinnung« wichtiger als »Wissen« seien, um ein Elite-Offizierskorps aufzubauen. Hürten, Offizierskorps, 234. 182 Ulfried Geuter : The Professionalization of Psychology in Nazi Germany, Cambridge/New York 1992, 96 – 97, 105 – 107, 109. 183 Der Chef des Heeres-Personalamts, Nr. 1985 P A 2 Ia, Betr.: Offizierskorps des ehemaligen österreichischen Bundesheeres, 12. 4. 1938, BA-MA, RH 53 – 7/485.
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kirchlichen Fragen, da die katholische Kirche in Österreich eine weitaus dominantere Rolle als irgendeine Kirche in Deutschland spielte. Schließlich beobachtete das Memorandum eine »betonte Zurückhaltung« sowie eine »gewisse Scheu und Ängstlichkeit« gegenüber den reichsdeutschen Kameraden. Die scheinbar typische Reserviertheit der Österreicher mag sich gelegentlich erschwerend auf deren Akzeptanz und Integration ausgewirkt haben, da sie in reichsdeutschen Augen das Klischee von der österreichischen »Weichheit« verstärken konnte. Bis heute gilt Unterwürfigkeit im In- und Ausland als oft kritisierte Charaktereigenschaft des Österreichers, obwohl dies teilweise auch eher einem Zerrbild von Wien als Stadt der Kellner und Charmeure entspricht. Ein konkretes Beispiel für übertriebene Höflichkeit ereignete sich allerdings kurz nach dem Anschluss: Nach einem Treffen von Vertretern des Heereswaffenamtes mit österreichischen Offizieren im Wiener Büro von Oberst Plas wurden die Österreicher gebeten, die Reichsdeutschen kurz alleine zu lassen, worauf Plas mit sämtlichen Österreichern sein eigenes (!) Büro verließ.184 Es ist daher insgesamt wenig überraschend, dass die ersten Begegnungen zwischen Reichsdeutschen und Österreichern nicht immer reibungslos verliefen. Dennoch berichtet die Mehrzahl der einschlägigen Zeugnisse von herzlichen Empfängen und großen Bemühungen auf reichsdeutscher Seite im Altreich sowie exzellenter Zusammenarbeit in der Ostmark.185 Die nicht ausschließlich positiven Berichte beschreiben häufig gemischte Erfahrungen, wie den anfänglichen Zusammenstoß, der jedoch ausgebügelt werden und sich später sogar noch in ein ausgezeichnetes Verhältnis verwandeln konnte.186 Erhard Raus beispielsweise diente als Generalstabschef unter Oberstleutnant Otto von Stülpnagel, dem Kommandeur von Wehrkreis XVII von 1939 bis 1940. Zunächst war das Verhältnis von Missverständnissen und Meinungsverschiedenheiten aufgrund divergierender Ansichten, Temperamente und Idiome belastet. Doch 184 Paul Englert: Der Abteilungschef WaIRü [= Amtsgruppe für Industrielle Rüstung] 3, 13. 3. 1978, KA, NL, B/2008, 2 – 3. 185 Zum Altreich siehe: Wilhelm Plas: Erinnerungen IIIa, o. J., KA, NL, B, C/534:2, 15; Hermann B¦d¦-Kraut: Gesprächsprotokoll von Erwin A. Schmidl, 8. 8. 1986, KA, NL, B/1576:24, 10; Interview mit Karl Brandeis, 21. 10. 2004; Kutzelnigg, Gesprächsprotokoll, 31; Peter Podhajsky : Mein Lebenslauf, April 1989, Besitz des Verfassers, 9 [= P. Podhajsky, Lebenslauf]; Wiktorin, Soldat, 130, 138, 206. Zur Ostmark siehe: Bednar, Gesprächsprotokoll; Bauer, Gesprächsprotokoll; Pregartbauer, Gesprächsprotokoll; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; W. Plas, Munitionsentwicklungen, 1; Erinnerungen IIIa, 10. Auch ein Regime-Kritiker wie Oberst Erich Rodler (Erinnerungen, 130, 140) erinnerte sich nur an positive Zwischenfälle. 186 Englert, Abteilungschef WaIRü 3, 3 – 4; Graf, Stiotta, 79 – 80. Diese Berichte erwähnen Fälle reichsdeutscher Arroganz, aber betonen auch, dass die Reichsdeutschen allgemein freundlich waren. Österreicher, die mit Reichsdeutschen überhaupt nicht zurechtkamen, werden erwähnt in: W. Plas, Erinnerungen IIIa, 15 – 16; Raus, Einleitung, 6 – 7; Brandeis, Interview.
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der beiderseitige gute Wille schuf eine Vertrauensbasis, und vor Raus’ Abschied Anfang 1940 drückte Stülpnagel seine Wertschätzung aus, indem er Raus »den besten preußischen Generalstabsoffizieren gleichstellte«.187 Eine größere Herausforderung für erfolgreiche Integration waren jedoch Beschwerden über die Verwendung und die damit verbundene materielle Situation nach der Übernahme in die Wehrmacht. Viele den Österreichern zugeteilte Ränge waren unvorteilhaft. Jene, die zur Luftwaffe kamen, wurden als aktive Offiziere mit einem ihrem Bundesheer-Dienstrang gleichwertigen Rang eingestellt. Im Heer jedoch wurden viele nur als Ersatzoffiziere übernommen, was zumeist wenig erfüllende Tätigkeiten in untergeordneten Positionen und keine Chance auf reguläre Vorrückung bedeutete, weshalb viele dies als entwürdigend empfanden.188 Es gab ähnliche Probleme in anderen Bereichen, vor allem bei den Spezialtruppen und in Funktionen mit Beamtenstatus. Erwin Steinböck empfand die Kriterien für die Einstufung der Bundesheer-Ränge als willkürlich, da sie auf mangelnder Vertrautheit mit der österreichischen Situation oder absichtlicher Diskriminierung basiert hätten.189 Die angebliche berufliche Benachteiligung konnte durch österreichische Behauptungen von der Überlegenheit ihres militärischen Systems als noch verletzender empfunden werden. So hielt Steinböck beispielsweise das Bundesheer der Wehrmacht in jeder Hinsicht für überlegen: Die Infanterie habe mehr und realistischere Schießübungen abgehalten, die Artillerie bei einem Schießwettbewerb mit 20-mm-Flugabwehrkanonen (Flak) weitaus besser abgeschnitten, und die Ausrüstung sei, vom Maschinengewehr bis zu den Stoffen, als Rohmaterial oder in der Verarbeitung, hochwertiger, robuster und weniger fehleranfällig gewesen, sodass in Österreich ein gerissener Rucksackriemen »unvorstellbar« gewesen sei.190 Abgesehen von solch radikalen Meinungen von Anschluss-Gegnern wie Steinböck konnten selbst anschlussfreudige Offiziere von österreichischer 187 Raus, Einleitung, 17, 20. Vgl.: Pregartbauer, Gesprächsprotokoll. 188 Tuider, Luftwaffe, 16 – 17; Graf, Stiotta, 79. 189 Ein Beispiel: Nachdem der Vertrag von St. Germain die Anzahl der Unteroffiziere drastisch eingeschränkt hatte, deklarierte das Bundesheer nur höherrangige als »echte« Unteroffiziere. Die Wehrmacht klassifizierte daher Korporäle und Zugsführer nicht als Unteroffiziere, obwohl sie eindeutig den niedrigeren reichsdeutschen »Unteroffizieren ohne Portepee« entsprachen. Steinböck, Kommentare zu Gschaider, 20 – 21, 24 – 26; Potential, 108 – 109. Im Gegensatz dazu fand Josef Bednar (handschriftliche Ergänzung zum Gespräch mit Peter Gschaider, undatiert, Besitz des Verfassers), dass die Reichsdeutschen sich sehr um Verständnis der österreichischen Situation bemüht hätten, was auch entsprechend gewürdigt worden sei, aber dass manche Dinge einfach zu kompliziert gewesen seien. 190 Steinböck, Kommentare zu Gschaider, 23, 28, 45. Außerdem machten sich die Österreicher laut Steinböck (Kommentare zu Schmidl, 12 – 13) über Elemente der deutschen Uniform lustig und betrachteten die Verpflegung in der Wehrmacht als ungenießbar. Auch AllmayerBeck (Kriegserinnerungen, 44) missfiel die deutsche Küche.
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Überlegenheit sprechen. Viele waren stolz auf die Güte der technischen Truppen wie Artillerie und Pioniere, welche sich aus der Monarchie in die Republik hinübergerettet hatte und auch unter Nichtösterreichern anerkannt war. So dachte etwa Oberst Plas, dass es niemals etwas Vergleichbares zur k. u. k. Technischen Militärakademie in Mödling gegeben habe, und dass viele Reichsdeutsche von der Qualität der Ausbildung und den Fähigkeiten der österreichischen Techniker angetan gewesen seien.191 Auch in anderen Bereichen fühlten Österreicher sich im Vorteil. Laut Peter Podhajsky habe der neue reichsdeutsche Kommandeur der Militärakademie geurteilt, dass die Absolventen dieser Einrichtung allgemein mehr wüssten als ihre Kameraden an den reichsdeutschen Kriegsschulen.192 Erhard Raus fand, dass die Wehrmacht zwar sicherlich über die größeren Mittel verfügte, aber ihre Fähigkeiten deswegen nicht automatisch besser gewesen seien. So hätten keine großen Unterschiede auf der allgemeinen taktischen Ebene bestanden, aber beim Zusammenwirken verschiedener Waffen seien die Österreicher fortgeschrittener gewesen. Als Raus einmal während des Manövers eines mit Artillerie verstärkten Infanterie-Regiments zusätzlich Panzer und Flugzeuge einbinden wollte, seien die deutschen Panzerfahrer überfordert und für die Piloten eine solche Übung überhaupt eine Premiere gewesen.193 Ganz ähnlich dachte Generalleutnant Mauritz Wiktorin, dass Wehrmachtsübungen mit motorisierten Divisionen immer noch Schwierigkeiten beim Marschieren, vor allem in größeren Formationen, offenbarten. Das Bundesheer hingegen habe bereits 1930 als eine der ersten Armeen solche Manöver durchgeführt, und die dabei gewonnenen Erkenntnisse seien trotz der relativ kleinen Einheiten und geringen Distanzen grundsätzlich richtig gewesen.194 General Ludwig Eimannsberger sah sich so starrsinnig als niemand Geringeren als den geistigen Vater der deutschen Panzertaktik, dass er 1940 ärgerlich um seine
191 W. Plas, Munitionsentwicklungen, 1 – 2, 7, 12. Vgl.: Englert, Abteilungschef WaIRü 3, 4; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; Bauer, Gesprächsprotokoll. Angeblich legten bei einem Wettbewerb die Pioniere in Klosterneuburg eine Brücke schneller über die Donau als ihre reichsdeutschen Kameraden. Ernst Karl Pfleger : Wir und die Anderen XII. Alles neu – macht die Partei, in: Steffel-Nachrichten 30 (Jan. 1973), KA, NL, B/274, 12. Oberst Max Stiotta (Graf, Stiotta, 79, 88, 95), der vor 1938 an der Wiener Kriegsakademie unterrichtet hatte, sah sich als Experte in seinem Feld, empfand die Verwendung als E-Offizier als Erniedrigung und war stets bemüht, die österreichische Expertise in technischen Angelegenheiten zu demonstrieren. Zur Anerkennung der österreichischen technischen Fähigkeiten siehe: Stein, Generale, 25; Gschaider, Bundesheer, 289 – 290. 192 P. Podhajsky, Lebenslauf, 10; Glaise-Horstenau, General, Bd. 3., 578. 193 Raus (Einleitung, 7) während seines Dienstes 1938 beim IR 50 in Landsberg (Brandenburg). 194 Wiktorin (Soldat, 124 – 125) im Juli 1938 nach seiner Versetzung zur 13. ID in Magdeburg (die Division wurde 1937 motorisiert und 1940 in die 13. Pz.-Div. umgewandelt).
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Versetzung in den Ruhestand ersuchte, weil er seine Verdienste nicht ausreichend gewürdigt fand.195 Bezüglich Waffen und Ausrüstung hielten Plas und Raus die deutsche 37-mmPanzerabwehrkanone (PAK) für völlig unzulänglich, und nach deren schwachen Leistungen in Frankreich 1940 seien Raus zufolge sogar Rufe nach der österreichischen 47-mm-PAK laut geworden.196 Österreichische Soldaten vermissten auch ihre Maschinenpistolen, die in der Wehrmacht noch nicht zur Standardausrüstung gehörten, und einige hätten ihre Maschinenpistolen heimlich aus österreichischen Arsenalen nach Polen mitgenommen.197 Der Veteran Anton Maurer erinnerte sich, dass seine Landsleute die traditionelle österreichische Schirmmütze dem deutschen Schiffchen vorgezogen hätten, da Letzteres nicht gegen die Sonne schützte.198 Zu guter Letzt versicherte Wilhelm Plas, dass ihm einige reichsdeutsche Kameraden zugestimmt hätten, dass die österreichischen Kommandos wegen ihrer Struktur praktischer als ihre eigenen seien.199 Während einige dieser Äußerungen sicherlich auf verletzten Stolz zurückgeführt werden können, mochten die Österreicher gelegentlich auch im Recht gewesen sein. Die unter großem Zeitdruck erfolgte schnelle Aufrüstung und Vergrößerung der Wehrmacht hatte naturgemäß zu allen möglichen Engpässen bezüglich Material und Ausbildung geführt.200 Für Maximilian de Angelis, 1938 Generalmajor und Mitglied der Muff-Kommission, war die Wehrmacht sehr schnell »aufgeblasen« worden, was in allen Bereichen zu »viel Luft« geführt habe, während im kleinen kompakten Bundesheer die Ausbildung immer sachlich und solide geblieben sei. De Angelis dachte aber auch, dass die Wehrmacht bis 1939 einiges aufgeholt habe.201 Der Hauptgrund, warum die Wehrmacht keinerlei österreichische Ausbildungsprinzipien oder Ausrüstungen – weder vorteilhaft oder nicht – übernahm (abgesehen davon, dass die meisten Reichsdeutschen ihr System wohl ohnehin für besser hielten), war rein pragmatischer Natur. So ersuchte etwa General Alfred Hubicki darum, dass die motorisierten Einheit nach österreichischem 195 Ludwig Eimannsberger an Oberkommando des Heers (Heerespersonalamt), 17. 7. 1940, KA, NL, B/841:1; ders.: In eigener Sache, 1943, KA, NL, B/841:2. Vgl.: Stein, Generale, 281. 196 W. Plas, Munitionsentwicklungen, 2; Raus, Einleitung, 18. 197 Raus, Einleitung, 18; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll. 198 Maurer, Interview. 199 W. Plas, Munitionsentwicklungen, 4 – 5. Viele österreichische Kommandos wurden in zwei Teilen gegeben, sodass die Soldaten wussten, was zu tun war, sobald sie den ersten Teil gehört hatten, z. B. »Habt – Acht« im Gegensatz zu »Stillgestanden«. 200 Der Bedarf an Leutnants hatte sich 1938 beinahe verfünffacht. Absolon, Wehrmacht, Bd. 4, 283. 201 De Angelis, Gesprächsprotokoll. Vgl.: Wolfgang Petter : Militärische Massengesellschaft und Entprofessionalisierung des des Offiziers, in: Rolf-Dieter Müller/Hans-Erich Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, 359 – 370; Schmidl, März 38, 45.
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Modell ausgestattet und nach österreichischen Prinzipien geführt werden sollten. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sich das »große Reich […] nicht nach dem kleinen Österreich richten« könne.202 Laut dem damaligen Major Josef Pregartbauer habe auch Muff zugegeben, dass die Größenverhältnisse allein die Anpassung des österreichischen Systems, trotz mancher Vorteile, unumgänglich gemacht hatten.203 Einige deutsche Offiziere äußerten in Privatgesprächen ihre Sympathie für die österreichischen Bemühungen, bestimmte Traditionen und Ausrüstungen behalten zu dürfen, und versicherten, dass Berlin nur aus pragmatischen Gründen für eine am eigenen System orientierte Standardisierung entschieden habe.204 Bemühungen um die Erhaltung traditioneller Symbole, wie etwa des österreichischen Offizierssäbels anstelle des reichsdeutschen Degens, waren allerdings auch vergeblich.205
Schikanen Ein weites Feld für Friktionen stellten die Umschulungen dar, da es hier nicht nur um das an sich schon unangenehme Umlernen und Aufgeben eigener Grundsätze ging, sondern auch Vorurteile gegenüber Österreichern als Menschen und Soldaten – was sich oft überschnitt – eine wichtige Rolle spielten. Diese Klischees bezogen sich üblicherweise auf Schlampigkeit, Unzuverlässigkeit und Ineffizienz. Der ehemalige Offizier Karl Brandeis erinnerte sich an vergleichsweise harmlose Bemerkungen wie »Ihr habt noch etwas zu lernen« oder »Ihr werdet euch anstrengen müssen«.206 Da das Klischee von der österreichischen militärischen Ineffizienz hauptsächlich auf preußischer Einbildung hinsichtlich ihres eigenen militärischen Könnens beruhte, konnten entsprechende Äußerungen auch andere Nichtpreußen mit einbeziehen, wie eine von Veteran Johann Wotava überlieferte Bemerkung seines Ausbilders – einem »richtigen Haudegen und Superpreußen« – zeigt: »Alles, was südlich von Berlin ist, taugt nicht als Soldat!«207 202 Alfred Hubicki an GM Waldstätten, 7. 2. 1949, KA, NL, B/866, 3 – 4. Hubicki avancierte dennoch zu einem erfolgreichen Panzerführer und Ritterkreuzträger. 203 Pregartbauer, Gesprächsprotokoll. 204 Der ehem. Chef des Heeresbekleidungsamtes an Peter Gschaider, 26. 3. 1966, Besitz des Verfassers; De Angelis, Gesprächsprotokoll. Laut Bauer (Gesprächsprotokoll) und Müller Elblein (Gesprächsprotokoll) wurden nur wenige Vorschriften für Pioniere und Artilleristen übernommen. 205 De Angelis, Gesprächsprotokoll. 206 Brandeis, Interview. Vgl.: Gschaider, Bundesheer, 287 – 288. 207 Die Bemerkung fiel während Wotavas Marineausbildung 1942 in Gotenhafen (Gdingen). Interview mit Johann Wotava, 22. 10. 2004. Als Rudolf Stadlers Ersatzeinheit im Winter 1943/44 bei der 13. Pz.-Div. in der Ukraine eintraf, begrüßte sie der Ausbilder mit den
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In der Literatur findet man das Schreckbild von älteren und höherrangigen ehemaligen k. u. k. Offizieren, die wie Rekruten in der Grundausbildung von jüngeren reichsdeutschen Unteroffizieren schikaniert wurden, sodass sie schließlich sogar den Dienst quittierten. Derlei mag gelegentlich vorgekommen sein, war aber sicher nicht die Regel.208 Für Oberst Josef Bednar änderten Einzelfälle nichts daran, dass die Unteroffiziere im Allgemeinen »tüchtige Burschen« gewesen seien.209 Hauptmann August Mayer fand, dass er und seine Offizierskameraden während der Umschulung »durchaus standesgemäß behandelt« worden seien.210 Und auch Oberleutnant Karl Galler erinnerte sich an das Umlernen ohne jeden Groll: Die Ausbildung sei genau und intensiv, und der junge, kompetente reichsdeutsche Unteroffizier »stets kameradschaftlich« behilflich gewesen.211 Es ist auch möglich, dass die reichsdeutsche Ausbildung grundsätzlich härter als in Österreich war, weil sie mehr auf physische Erschöpfung abzielte, und die Österreicher die Rauheit des berüchtigten preußischen Drills einfach nicht gewohnt waren.212 Karl Brandeis beobachtete, dass die Reichsdeutschen diese Behandlung nicht übel genommen hätten, während viele Österreicher irgendwann »böse« geworden seien.213 Ein anderer ehemaliger Offizier, Alfred Bauer, erinnerte sich, dass Reichsdeutsche für die österreichische Haltung Verständnis zeigten, aber darauf beharrten, dass vor allem die Preußen diese Art von Behandlung einfach nötig hätten.214 Wie dem auch sei, der scharfe Drill konnte gemäß F¦lix Kreissler zu heftigen Reaktionen – sogar seitens der Zivilbevölkerung – führen.215 Er wurde auch lange nach der Eingliederungsphase noch als äußerst unangenehm empfunden, während andere milder urteilten, da sie ent-
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Worten: »Alles Ostmärker … – Wir werden schon Soldaten aus Euch machen!« Interview mit Rudolf Stadler, 12. 10. 2003. Stadler und Wotava fassten die Bemerkungen nicht als Beleidigung auf, sondern nahmen sie mit Humor. Raus (Einleitung, 6) deutet »vereinzelte Übergriffe« an. Vgl.: Franz Lorenz: Episoden aus dem 2. Kriege, KA, NL, B/430:2, 7; Gschaider, Bundesheer, 171 – 172. Bednar, Gesprächsprotokoll. August Mayer an Kriegsarchiv, 21. 2. 1960, KA, NL, B/1277:1. Mayer war ein Reserveoffizier aus Graz und wurde im August 1938 bei der Kraftfahr-Abt. 118 in Bregenz umgeschult. Galler, Erlebnisse, 2, 15 – 16. Galler wurde im Mai 1939 bei der 13. Komp. des IR 134 in WienStrebersdorf umgeschult, sowie im April/Mai 1940 in Lemgo und Duisburg. Raus, Einleitung, 7; Brandeis, Interview ; Bauer, Gesprächsprotokoll. Brandeis, Interview. Bauer, Gesprächsprotokoll. Bauer hatte 1930 die Wr. Neustädter Militärakademie besucht und war zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Peter Gschaider General des Bundesheeres im Ruhestand. So sei in Linz ein Unteroffizier aus dem Kasernenfenster geworfen und in Tirol ein Offizier verprügelt und ein anderer mit dem Messer verletzt worden, während in Wien Zivilistinnen eine Übung gestürmt hätten, um den Ausbilder zu verprügeln. Kreissler, Lernprozess, 131 – 132. Kreisslers Quelle, »Die Rote Fahne«, war das Organ der Exil-Kommunisten in Paris und muss daher mit Vorsicht betrachtet werden.
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weder bereits vorgewarnt waren oder völlig übertriebene Schreckensmärchen gehört hatten.216 Weitaus heikler als der Drill selbst waren Fälle angeblich diskriminierender Behandlung während der Umschulungen. Steinböck erwähnt ein paar Vorfälle, welche die vermeintliche Inferiorität der Österreicher demonstrieren sollten: Bei einer Parade wurden Truppen verschiedener Einheiten vermengt, sodass ihr Schuhwerk uneinheitlich wirken musste. Im Gau Schwaben wurden österreichische Soldaten entlaust. Und in Berlin sollten Österreicher und Reichsdeutsche gemeinsam zu einer Musik marschieren, für die der österreichische Parademarsch ungeeignet war, weshalb die Österreicher gezwungen waren, einen Schritt zu verwenden, der für den Ruhtmarsch gedacht war, was unweigerlich den Eindruck einer angeblichen Schlappheit der Österreicher erwecken musste.217 Derartige Schikanen waren sicher nicht die allerweisesten Aktionen, um Anschluss-Begeisterung zu entfachen, aber sie gehören letztlich zu jenen derben Initiationsriten, mit denen Armeen bis zum heutigen Tage Neuankömmlinge zu »begrüßen« pflegen. Für Oberst Bednar gehörten solche Dinge zum »lustigen Soldatenleben« dazu, vor allem wenn manche Ausbilder sich doch etwas als »Eroberer« gefühlt haben mochten.218 Darüber hinaus ist auch Gegenteiliges belegt. Leutnant Hofmann erinnerte sich beispielsweise an eine Reise ins Altreich im März 1938: »Die Art und Weise, wie der Empfang durchgeführt wurde; alles, was wir gesehen haben, von der Autobahn bis zu den Kasernen in Rosenheim und Augsburg; wie uns die Bevölkerung in Augsburg empfangen hat: All das hat wahrscheinlich sehr viel dazu beigetragen, dass die Leute relativ schnell in das neue System hineingewachsen sind.«
Laut Hofmann sei dies eine »ganz hervorragende Propagandatätigkeit« gewesen.219 Als größtes Problem galten Klagen über die Verwendung beleidigender Ausdrücke mit Österreich-Bezug, wie der berüchtigte Begriff »Ostmarkschwein«.220 Die österreichische Literatur tendiert dazu, diese Vorfälle so darzustellen, als ob damit der Ton für die Dauer des Anschlusses gesetzt wurde. Wenn andauernde persönliche Beleidigungen tatsächlich die bestimmende Erfahrung der österreichischen Soldaten gewesen wären, so hätte dies eine er216 Josef Bermoser an Paul Cipan-Zsilincsar, 25. 5. 1941, KA, NL, B/532; Heinz Zsilincsar an Paul Cipan-Zsilincsar, 26. 11. 1939, KA, NL, B/532; Interviews mit Franz Perner, 28. 10. 2004; Johann Morawec, 24. 9. 2004; Wotava. 217 Steinböck, Kommentare zu Gschaider, 24. 218 Bednar, Ergänzung. 219 Hofmann, Gesprächsprotokoll, 12 – 13. 220 Krupich, System der Einberufung und Einteilung, 2; Glaise-Horstenau, General, Bd. 2, 294; Kreissler, Lernprozess, 131 – 132.
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folgreiche Integration mit Sicherheit erschwert, und daher soll diesen Vorfällen hier ein breiterer Raum gewidmet werden.221 Die folgenden Beschwerden wurden alle im Februar 1939 an verschiedene Wiener Gaubehörden adressiert. So berichtete der Betriebsobmann einer Wiener Firma, Franz Tröster, über die Ausbildung von fünf Angestellten in verschiedenen norddeutschen Gemeinden, dass sie über Beschimpfungen wie »blödes« oder »dämliches« Volk, »Museumschleicher«, »Arschficker« und »Reiß dir den Schwanz aus« bestürzt gewesen seien, was sie zu Bemerkungen wie »Eher erschieße ich mich, bevor ich wieder zur Waffenübung einrücke« oder »Durch solche Behandlung werden die Leute zwangsläufig zu Kommunisten erzogen« verleitete, und Tröster fürchtete, dass dadurch das Verhältnis zwischen Österreichern und Reichsdeutschen belastet werden könne.222 Ein anderes Schreiben von SA-Truppführer Franz Plasch erwähnte Ausdrücke wie »Ostmarkschweine«, »minderes Volk«, »Schlappschwänze« und »Faulenzer«, sodass die so Beschimpften sich wie »minderwertige Deutsche« gefühlt hätten.223 Darüber hinaus informierte die Kreisleitung Wien IX die Wiener Gauleitung, dass mehrere Blockleiter Fälle von Beleidigungen berichtet hätten, und die Kreisleitung bereits selbst Nachforschungen vor allem bezüglich der Verwendung des Begriffs »Ostmarkschwein« anstellte. Beigelegt war die eidesstattliche Erklärung eines Soldaten, dass er von einem Feldwebel aufgefordert worden sei, eine eingegrabene Patrone mit seiner »Schnauze« auszugraben.224 Schließlich meldete auch die Kreisleitung Wien VII eine Vielzahl an Berichten von Ortsgruppenleitern über »geradezu menschenunwürdige« Behandlung und »nicht wiederzugebende Schimpfwörter«.225 Derartige Vorkommnisse werden von den Berichten der reichsdeutschen Kreisleiter bestätigt, die im Februar 1939 zur Unterstützung beim Aufbau einer nationalsozialistischen Verwaltung in die Ostmark geschickt worden waren. Kreisleiter Hans Dotzler etwa erwähnte einen Parteigenossen in der Kreisleitung Wien VI, dessen Mitarbeiter in »der schlechtesten Stimmung« aus dem Altreich zurückgekommen waren, weil sie als »ostmärkische Schweine« beleidigt worden
221 Hagspiel (Ostmark, 328) zitiert diese Quellen als wichtigen Beweis für die angebliche Diskriminierung österreichischer Soldaten und das daraus resultierende Anwachsen eines österreichischen Patriotismus. 222 Franz Tröster, Betriebsobmann der Hutter & Schrantz A. G., an Petrak, Kreisleiter Wien VI, 14. 2. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 186, Mappe 2862. 223 S. A. Truppf. Franz Plasch an S. A. Brigadeführer Hans Lukesch, 19. 2. 1939, AdR, »Bürckel«/ Materie, Karton 186, Mappe 2862. Lukesch war Stabsleiter der Gauleitung Wien. 224 Waagner, Organisationsleiter der Kreisleitung Wien IX, an Sobolak, Organisationsleiter der Gauleitung Wien, 21. 2. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 186, Mappe 2862. 225 Kohl, Kreisleiter Wien VII, an Lukesch, Stabsleiter der Gauleitung Wien, 23. 2. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 186, Mappe 2862.
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seien.226 Auch der Bericht von Kreisleiter Dr. Willi Fritsch von der Kreisleitung Wien VII führte den Begriff »Ostmarkschwein« im Zusammenhang mit Dutzenden Klagen über die Behandlung in der Wehrmacht an.227 Diese Fälle waren auch nicht auf Wien beschränkt, wie die monatlichen Berichte der Gauleiter an den Reichskommissar in Wien zeigen. So warnte Tirol-Vorarlberg im Januar 1939 vor den »ungünstigen« Auswirkungen »immer wiederkehrender Gerüchte über Schikanen«. Für Februar 1939 berichteten die Gauleitungen von Salzburg und Steiermark von Beschwerden und allerlei Gerüchten über die Behandlung österreichischer Rekruten im Altreich.228 Dieses auf den ersten Blick nicht besonders erfreuliche Bild relativiert sich schnell, wenn man die Sachlage sowie die einschlägigen Quellen eingehender analysiert. Zunächst einmal ist eine militärische Ausbildung grundsätzlich nichts Angenehmes und der Ton in jeder Armee rau. Preußischer Drill und Schikanen waren berüchtigt und weder ausschließlich gegen Neulinge gerichtet noch bei den Reichsdeutschen geschätzt; Letztere waren nur mehr daran gewöhnt. Entsprechend ist bis hin zu physischer Vergeltung reichender Hass auf besonders brutale Ausbilder ein Standardthema in der wissenschaftlichen und belletristischen Literatur über die deutschen Streitkräfte.229 Zudem begannen auch österreichische Unteroffiziere schnell den reichsdeutschen Stil zu kopieren.230 Folgerichtig haben manche Autoren diese Vorfälle für vernachlässigbar erklärt. Laut Marcel Stein gebe es in jeder Armee »Pöbel«, der solche Ausdrucke benutzen würde, und Rüdiger Overmans verweist darauf, dass die Lächerlichmachung stammesbezogener Klischees zum Ton der Ausbildung gehörte und nicht überbewertet werden solle.231 Dies wurde von den Beschwerdeführern auch 226 Hans Dotzler, Kreisleiter Wien VI, an Bürckel, 16. 2. 1939, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 2, Konvolut 20.5. 227 Dr. Fritsch, Kreisleiter Freiburg i. Br., an Bürckel, 1. 3. 1939, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 2, Konvolut 20.5. 228 Gau Tirol-Vorarlberg, Politischer Lagebericht Jan. 1939, Konvolut 31.4; Gau Salzburg, Politischer Lagebericht Feb. 1939, Konvolut 31.6; Gau Steiermark, Politischer Lagebericht Feb. 1939, Konvolut 31.7, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 4. 229 Man denke an die Ausbilder Himmelstoß und Platzeck in Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« bzw. Hans Hellmut Kirsts »08/15«. Vgl.: Hans Joachim Schröder : Kasernenzeit. Arbeiter erzählen von der Militärausbildung im Dritten Reich, Frankfurt a. M./New York 1985. 230 Steinböck, Kommentare zu Schmidl, 23. Rudolf Stadler (Interview) erinnerte sich lebhaft an den wegen seiner Derbheit bereits wieder als amüsant empfundenen Ton eines Ausbilders aus dem Wiener Arbeiterbezirk Ottakring. Leopold Probst fand, dass die Österreicher sich oft schlimmer als die Reichsdeutschen aufgeführt hätten. Interview mit Leopold Probst, 19. 4. 2006. Peter Podhajsky (Lebenslauf, 6) dachte, dass primitive Unteroffiziere sich gerne an Abiturienten ausgelassen hätten und seine Bundesheer-Grundausbildung bei den »Preußen« auch nicht härter hätte ausfallen können. 231 Stein, Generale, 128; Rüdiger Overmans: »Ostmärker« oder Österreicher? Nationale Dif-
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zugestanden. Franz Plasch etwa räumte ein: »Wir wissen ja ganz gut, dass eine militärische Ausbildung das übliche Schimpfwörterlexikon beinhaltet«, doch seien die »ehrverletzenden« Ausdrücke für die Österreicher als ein »Stamm des deutschen Volkes« eindeutig zu weit gegangen.232 Leider fehlt für eine bessere Beurteilung der österreichischen Situation eine Studie, welche sich gezielt mit dem »Ton« innerhalb der Wehrmacht, und wo dabei die Grenzen des Akzeptablen lagen, auseinandersetzt. Einiges spricht jedoch dafür, dass derartige Grobheiten schlichtweg zum Standardton in reichsdeutschen militärischen und paramilitärischen Organisationen gehörten und nicht ausschließlich Österreicher betrafen. So berichtete eine Reihe österreichischer Soldaten, dass der Ton und die Schikanen im Reichsarbeitsdienst (RAD) mindestens so derb waren wie in der Wehrmacht.233 Auch die Ausdrücke, die der Reichsdeutsche Helmut Geys für den RAD und die Flugabwehr überlieferte, entsprachen in puncto Vulgarität und sexueller Anzüglichkeit jenen, über die sich einige Österreicher so entsetzten.234 Der Österreicher Walter H. Arnold erlebte bei einer Frontleitstelle in München, wie ein Offizier zwei Landsleute als »österreichische Schlamper« und im gleichen Atemzug zwei Rheinländer als »versoffene Schweine« titulierte.235 Sogar Reichswehrminister Werner von Blomberg fand es angezeigt, im Erlass über die Wiedereinführung der Wehrpflicht von 1935 zu betonen, dass Überzeugung nachhaltiger als »Grobheit und ein rauer Kasernenhofton« wirke und »Schimpfworte und herabwürdigende Formen der Anrede« mit der Ehre des deutschen Soldaten unvereinbar seien.236 Des Weiteren wurden die Beschwerden von der Führung ernst genommen und entsprechend überprüft und verfolgt. Der Kommandeur von Wehrkreis XVII, General Kienitz, versicherte dem Wiener Bürgermeister Neubacher, dass die Wehrmacht erwiesene Übergriffe immer ahnden würde.237 Die reichsdeut-
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ferenzierung zwischen Deutschen und Österreichern in sowjetischem Gewahrsam während des Zweiten Weltkriegs, in: Zeitgeschichte 29/3 (2002), 133 – 147, 134. Plasch an Lukesch, 19. 2. 1939. Guido Plas: Memoiren, o. J., KA, NL, B/1534:1, 29, 32; Johann Pointner : Erinnerungen 1939 – 1944, [nach 1945], KA, NL, B/968, 1. Rekruten seien mit Bezeichnungen wie »Scheißhaus« und Äußerungen wie »Hätte Ihr Vater ein Astloch gefickt, wäre wenigstens ein anständiger Besenstiel aus Ihnen geworden« bedacht worden. Helmut Geys: Erinnerungen an eine düstere Zeit, in: Brucker Blätter 12 – 14 (2001 – 2003), online: http://historischer.verein.ffb.org/pages/06_bib_bblaetter_17_erinnerung1.html (25. 8. 2014). Walter H. Arnold: Autobiographischer Brief an Kriegsarchiv, 3. 12. 1993, KA, NL, B/1573. Vgl. die Beispiele und Verweise in: Schröder, Kasernenzeit, Fn. 154 und 226. Erlass des Reichswehrministers Generaloberst Werner von Blomberg vom 16. 4. 1935, in: Die Zeit, 24. 2. 2005, online: http://www.zeit.de/2005/09/A-Wehrpflicht_II (25. 8. 2014). Der Kommandierende General des XVII. Armeekorps und Befehlshaber im Wehrkreis XVII an Neubacher (Anlage zu Neubacher an Bürckel, 7. 6. 1939), 23. 5. 1939, AdR, »Bürckel«/ Materie, Karton 186, Mappe 2862.
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schen Kreisleiter Dotzler und Fritsch verlangten schriftliche Berichte über die Vorfälle.238 Laut der Gauleitung Tirol-Vorarlberg sei jedes Gerücht sofort untersucht und gemeinsam mit der Wehrmacht aufgeklärt worden, und auch die Gauleitung Salzburg habe die schwerwiegendsten Fälle an die zuständigen Behörden weitergeleitet. In der Steiermark habe der Gauleiter – so wie die Kreisleiter in ihren Zuständigkeitsbereichen – höchstpersönlich 80 Vernehmungen durchgeführt.239 Der Tenor der Untersuchungen bestand darin, dass die Behandlung der österreichischen Soldaten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gut gewesen sei. Einige Berichte behaupteten, dass diese Ausnahmen von politischen Gegnern, wie Kommunisten und »politisierenden« Priestern, aufgebauscht und bewusst unter der Bevölkerung verbreitet worden seien.240 Letzteres sollte man nicht einfach als nationalsozialistische Propaganda von der Hand weisen, da die beiden genannten Gruppen zu den stärksten Kräften des österreichischen Widerstandes gehörten.241 Schließlich bemühten sich auch die Kommandobehörden der Wehrmacht darum, die korrekte Behandlung der neuen Rekruten durch entsprechende Ermahnungen zu gewährleisten. So befindet sich unter den Akten des Wehrkreises VII, wo besonders viele Österreicher umgeschult wurden, folgender Erlass des OKW vom Januar 1939: »Der Ostmärker weiß, dass er auf dem Gebiete des milit. Könnens viel nachzuholen hat. Er versteht aber nicht, dass er von einem milit. Vorgesetzten des Altreichs als lästiger Schüler empfunden und teilweise mit beleidigenden Schimpfworten bedacht wird. Eine derartige Behandlung muss zwangsläufig zu innerer Ablehnung des deutschen Heeres und des Altreiches schlechthin führen.«
Zusätzlich forderte das Generalkommando des VII. Armeekorps seine Offiziere auf, den Ausbildern die Wichtigkeit des ordentlichen Umgangs mit den Soldaten der früheren österreichischen und tschechoslowakischen Armeen klarzumachen.242 Die Erwähnung des sudetendeutschen Kontingents unterstreicht einmal mehr, dass Fälle ungebührlichen Verhaltens keinesfalls auf Österreicher beschränkt waren. 238 Fritsch an Bürckel, 1. 3. 1939; Dotzler an Bürckel, 16. 2. 1939. 239 Gau Tirol-Vorarlberg, Politischer Lagebericht Jan. 1939; Gau Steiermark, Politischer Lagebericht Feb. 1939; Gau Salzburg, Politischer Lagebericht Feb. 1939. 240 Fritsch an Bürckel, 1. 3. 1939; Gau Steiermark, Politischer Lagebericht Feb. 1939; Gau Salzburg, Politischer Lagebericht Feb. 1939. 241 Kirk, Nazism, 52, 125; Bruckmüller, Nation Österreich, 57. 242 Generalkommando VII. Armeekorps, Az. 4 II b, Nr. 1612/39 geh., Betrifft: Behandlung österr. Reservisten, 27. 1. 1939, BA-MA, RH 53 – 7/709. Vgl. den Erlass des HGKdo. 5 vom Mai 1939 in: Ernst Hanisch: Westösterreich, in: Tlos/Hanisch/Neugebauer, NS-Herrschaft (1988), 437 – 456, 446.
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Die Bestrebungen, außerordentlich beleidigendes Verhalten einzudämmen, waren offensichtlich von Erfolg gekrönt. Im März erklärten die Gaue Steiermark und Salzburg, dass die Zwischenfälle deutlich zurückgegangen und die Bereitschaft zum Militärdienst angestiegen sei, was Salzburg auf die Bestrafung der Verantwortlichen zurückführte. Tirol-Vorarlberg berichtete überhaupt keine Vorfälle mehr.243
Integrative Kräfte Parallel zu den Hürden, die den Integrationsprozess begleiteten, existierten von Anfang an integrative Kräfte, welche eine äußerst effektive Gegenwirkung entfalteten. Am konkretesten kam die integrative Wirkung des Wehrmachtdienstes durch das gegenseitige bessere Kennenlernen der Soldaten über die Grenzen der Gaue hinweg zum Ausdruck, und zwar durch Stationierungen, Schulungen und Übungen sowie die Verteilung von Ersatz und Reserven. Die Wehrmacht war sich dieses Effekts durchaus bewusst, wie aus dem Jahrbuch des Heeres von 1940 hervorgeht. So würden »auf diese Art und Weise deutsche Männer zwangsläufig zu gemeinsamer Arbeit zusammengefasst […], die sonst vielleicht niemals über ihre eigene Heimatlandschaft hinausgekommen wären. Dadurch wird manche künstliche oder ererbte Voreingenommenheit beseitigt und in gegenseitige Achtung umgewandelt. […] Während der großen Übungen kommt dazu noch die enge Verbindung mit immer wieder anderen Teilen der Zivilbevölkerung des Reiches […]. Man kann daher ruhig behaupten: Wer im Heere aktiv gedient hat, der wird durch praktischen Anschauungsunterricht eindrucksvollster Art allem separatistischen Gedankengut endgültig entfremdet und auf den großdeutschen Gedanken ein für allemal eingeschworen.«244
Auch der Kontakt zwischen österreichischen Soldaten und der Zivilbevölkerung im Altreich wurde durch Stationierungen und Dienstzuteilungen außerhalb des eigenen Heimatgaues bereits zu Friedenszeiten intensiviert, was sich auch während des Krieges fortsetzte, wie die folgenden Beispiele zeigen. Rudolf Heissenberger empfand die Zeit mit Artillerie-Regiment 102 im hessischen Erbach als »die schönste vor unserem Einsatz«. Im pfälzischen Jettenbach sei die Bevölkerung zunächst etwas reservierter gewesen, aber Kontakt war dann schnell durch zwei Manöverbälle hergestellt worden, sodass der Marschbefehl »in das schönste Zusammenleben mit unseren Jettenbacher Freunden 243 Gau Salzburg, Politischer Lagebericht März 1939, Konvolut 31.8; Gau Steiermark, Politischer Lagebericht März 1939, Konvolut 31.9; Gau Tirol-Vorarlberg, Politischer Lagebericht März 1939, Konvolut 31.10, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 4. 244 Murawski, Heer als Förderer, 34 – 35.
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und Gastgebern platzte«.245 Die Österreicher der 4. Panzer-Division lagen in der Gegend von Düren/Bergheim, wo die »rheinisch-fröhlichen Quartierwirte […] eine behagliche Atmosphäre [schaffen]. Bald fühlen sich die Soldaten auch hier wie ›daheim‹«. Die bevorzugten Ausflugziele an den Wochenenden waren Köln und die alten Quartiere im Sauerland, wo die Soldaten mit der »vielbesungenen rheinischen Fröhlichkeit und Gastfreundschaft« verwöhnt wurden.246 Peter Podhajsky und seine Kameraden genossen den Wein in der Pfalz und im Moselland, und Hans Nicka (Rang unbekannt, aber wahrscheinlich Soldat oder Gefreiter) fand, dass seine Gastgeber hinter dem Westwall viel entgegenkommender als die meisten Leute in seiner Heimat waren.247 Abschließend der Bericht von Ludwig Ullmann, Oberfeldwebel im Infanterie-Regiment 628 über den Abmarsch Richtung Frankreich, der sich wie eine kitschige Tourismusbroschüre liest: »Nun ›ade‹, Du liebe gastliche Stätte, Du freundliches Dörflein Hügelheim, Du kleines Schmuckkästchen an der Querstraße Karlsruhe-Basel […], welche uns für 16 Tage zu einer zweiten Heimat geworden war.«248 Österreicher fühlten sich auch in Gegenden, die von der eigenen Kultur und Mentalität sehr verschieden waren, wie zu Hause und wurden freundlich empfangen. So schrieb die Gastfamilie von (Soldat oder Gefreiter) Adolf Kaipel im niedersächsischen Bad Gandersheim an dessen Familie in Riedlingsdorf (Burgenland; damals Steiermark), dass man sich bemühte, Adolf »die Heimat zu ersetzen«, und dieser sich auch schon heimisch zu fühlen begann und gerne Wienerlieder sang.249 Karl Galler und sein Landesschützen-Bataillon 854 verstanden sich »prächtig« mit den Bewohnern des ihnen »lieb gewordenen« westfälischen Lemgo, und auch die Einwohner des ostpreußischen Cranz öffneten ihre Fenster und winkten, wenn Gallers Männer laut »typisch österreichische Lieder« singend vorbeimarschierten.250 Nach dem Polen-Feldzug fand sich Hauptmann Erhard Heckel ebenfalls in Ostpreußen (Marienwerder) wieder, und »der Kontakt zwischen ›Ostmärkern‹ und Ostpreußen [war] rasch herge-
245 Rudolf Heissenberger : Kriegstagebuch der 1/AR 102, II. Teil: Der Einsatz im Westen, 19. 8. 1939 – 6.7.1940, KA, NL, B/317:5, 1. 246 Franz Ammerer: Verwendung im Heimatkriegsgebiet (Mitte Okt. 1939 – 9.5.1940), Manuskript zur Geschichte der 4. Pz.-Div. [1938 – 1940], KA, NL, B/1378. 247 Peter Podhajsky : Der Polen-Feldzug, in: Der lange Marsch Graz-Narvik-Kiestinki und zurück 1939 – 1945: Die 1. Batterie Gebirgsartillerie-Regiment 112 – 124 im 2. Weltkrieg, hg. von Alfons Bürckel, [1989/90], KA, NL, B/1447:2, 10; Hans Nicka an Adolf Kaipel, 22. 11. 1939, in: Heinz Bundschuh: Verlorene Jahre. Online-Dokumentation, 1996, online: http:// members.aon.at/mgvriedlingsdorf/verlorenejahre.html (13. 5. 2013). 248 Ludwig Ullmann: Vom Oberrhein nach Belfort, Juli 1940, KA, NL, B/249:2, 1. Derselbe Stil wurde in der Divisionsgeschichte der 44. ID (in Bundschuh, Verlorene Jahre) bei der Beschreibung der Überwinterung der Division in der Harz-Weser-Gegend 1939/40 verwendet. 249 Familie Hirschberg an Familie Kaipel, 17. 12. 1939, in: Bundschuh, Verlorene Jahre. 250 Galler, Erlebnisse, 15 – 16, 34.
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stellt.«251 Peter Podhajsky kam sehr gut mit den Bewohnern in und um Berlin aus.252 Ein Brief des Fliegers Max Egger erwähnt den plattdeutschen Ausdruck »lütje Maid« mit Bezug auf holsteinische Damen, und Maschinistenmaat Hans Hiebler versuchte sogar, Plattdeutsch in Wort und Schrift zu erlernen.253 Ein gutes Einvernehmen zwischen zivilen Gastgebern und militärischen Gästen war keinesfalls selbstverständlich, selbst wenn beide aus dem Altreich stammten. Die pfälzische Gemeinde Longkamp beispielsweise konnte im Herbst 1939 wegen des schlechten Benehmens einer Berliner Einheit erst nach zähen Verhandlungen dazu bewogen werden, eine steirische Einheit aufzunehmen.254 Etwa zeitgleich waren die Einwohner im ebenfalls pfälzischen Weyer erleichtert, dass auf eine norddeutsche Einheit Österreicher und Süddeutsche als Gäste folgten.255 Die ehemalige Gastfamilie von Adolf Kaipel war sehr unglücklich mit seinem aus dem Rheinland stammenden Nachfolger.256 Sämtliche Beispiele unterstreichen, dass die Reichsdeutschen alles andere als ein geschlossener Block waren. Ein gutes Verhältnis zwischen Gastgebern und Gästen konnte auch weiter bestehen, nachdem die Soldaten die sie beherbergende Gemeinde oder Familie verlassen hatten. Adolf Kaipels Gastfamilie behandelte ihn wie einen Adoptivsohn und hielt den Kontakt mit ihm und seiner richtigen Familie in Briefform aufrecht.257 Zwischen dem Polen- und dem Westfeldzug war die BäckereiKompanie 82 der 2. Panzer-Division im hessischen Ober-Ramstadt stationiert, was für Bürgermeister Jörgeling nicht nur eine Vertiefung der Beziehung zwischen den Ober-Ramstädtern und der Wehrmacht, sondern auch mit »unserer schönen Ostmark« bedeutete. Auch während des Westfeldzuges korrespondierten der Bürgermeister und der Kommandeur, Oberleutnant Hans Kaes, brieflich miteinander, und die Soldaten schickten Geschenke an ihre ehemaligen Gastgeber.258 251 Erhard Heckel, Episoden; ders.: Von Enns bis zum bitteren Ende, o. J., KA, NL, B/1096, 4. Heckel war von Sommer bis Herbst 1944 erneut in Ostpreußen stationiert und lernte auf Dienstreisen Land und Leute kennen und schätzen. 252 Peter Podhajsky : Norwegen-Feldzug, in: Der lange Marsch, 22. 253 Max Egger an Paul Cipan-Zsilincsar, 27. 4. 1941; Hans Hiebler an Paul Cipan-Zsilincsar, 9. 8. 1942, KA, NL, B/532. 254 August Mayer : Tagebuchaufzeichnungen über Polenfeldzug, 24.8.–23. 10. 1939, KA, NL, B/ 1277:2, Eintrag vom 15. 10. 1939. 255 P. Podhajsky, Polen-Feldzug, 10. Podhajsky diente von Herbst 1939 bis Frühjahr 1940 hinter dem Westwall. 256 »Der gehört überhaupt nicht zu uns, der kann uns alle arbeiten sehen.« Walter Hirschberg an A. Kaipel, 6. 5. 1940, in: Bundschuh, Verlorene Jahre. 257 Familie Hirschberg an Familie Kaipel, 17. 12. 1939 und 14. 5. 1940; Familie Hirschberg an A. Kaipel, 31. 3. 1940, in: Bundschuh, Verlorene Jahre. 258 Bürgermeister Jörgeling an Hans Kaes, 30. 12. 1939, 24.9. und 1. 11. 1940; Kaes an Jörgeling, 31. 12. 1940, KA, NL, B/559:4.
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Naturgemäß hielten die Soldaten auch nach weiblicher Gesellschaft Ausschau, und die Österreicher schienen sehr von den »dortigen Schönheiten« im Altreich angetan zu sein.259 Alfred Novotny beispielsweise verliebte sich in ein Mädchen namens Grete aus Heidelberg, Soldat Josef Glaser unterhielt vor seiner Verlobung mit einer Österreicherin eine Beziehung mit einer Reichsdeutschen, Max Egger schwärmte von den vielen attraktiven Frauen in Holstein, und Gefreiter Karl Zsilincsar erwähnte die schönen Frauen in der Danziger Gegend, bei denen »wir Jäger […] hoch im Kurs« gestanden hätten.260 Und so manches Geplänkel führte schließlich zu einer ostmärkisch-reichsdeutschen Heirat.261 GlaiseHorstenau konnte also ohne Schönfärberei feststellen, dass die Ostmärker »von den Hessen, Rheinländern, Westfalen, bei denen sie einquartiert waren, kennen und lieben gelernt [wurden]. Mitten zwischen harter soldatischer Arbeit, während der Vorschule für den neuen Kampf, wurden viele Freundschaften fürs Leben geschlossen; sogar ohne manchen Ehebund ging es nicht ab.«262
Ein weiterer äußerst wirkungsvoller Faktor war der großdeutsche Gedanke. Dies sollte nicht als Selbstverständlichkeit heruntergespielt werden, denn es erklärt einige der oben abgehandelten und zum Teil überzogen anmutenden Beschwerden: Ob eingebildete oder echte Härten, ob Hoffnungen auf gute Karrieren oder angebliche österreichische Überlegenheit, all dies waren Zeichen, wie sehr die Österreicher sich dazugehörig fühlten und sich – und ihr militärisches System – in den Dienst der Wehrmacht stellen wollten, was bei den neuen Kontingenten aus anderen Regionen keineswegs der Fall war. Andererseits deuteten die österreichischen Beschwerden auch darauf hin, dass der Gedanke mittlerweile schon etwas abgenutzt war, nachdem man mehr als sechzig Jahre lang in zwei verschiedenen Staaten gelebt hatte. Die Beschwörung des großdeutschen Gedankens und seiner in Vergangenheit und Zukunft ungebrochenen Bedeutung war daher ein Standardthema in den feierlichen Ansprachen während der Eingliederungsphase. Ein typisches Bei259 Peter Podhajsky, Geleitwort, 6. 1. 1990, in: Der lange Marsch. 260 Alfred Novotny : The Good Soldier. From Austrian Social Democracy to Communist Captivity with a Soldier of Panzer-Grenadier Division »Grossdeutschland«, Bedford, PA, 2002, 88 – 89; Josef Glaser an Gretl Ullmann, 19. 10. 1940, KA, NL, B/1514; Egger an CipanZsilincsar, 27. 4. 1941; Karl Zsilincsar an Paul Cipan-Zsilincsar, 9. 9. 1942, KA, NL, B/532. Gleiches galt für die Ostmark: Eine Frau, die im Krieg in einem Hotel in Saalfelden (Salzburg) arbeitete, erinnerte sich an das ausgezeichnete Verhältnis zwischen den reichsdeutschen Soldaten und der v. a. weiblichen Zivilbevölkerung, da die lokalen Männer abwesend waren. Vertrauliche Mitteilung von Andrea Buchner. 261 Jörgeling an Kaes, 24. 9. 1940; Franz A. P. Frisch/Wilbur D. Jones, Jr.: Condemned to Live. A Panzer Artilleryman’s Five-Front War, Shippensburg, PA, 2000, 103. 262 Edmund Glaise von Horstenau: Die Ostmärker im Kriege der deutschen Erhebung, in: Jahrbuch des deutschen Heeres 1941, hg. im Auftrag des OKH von Major Judeich, Leipzig 1941, 155 – 164, 158.
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spiel ist die Rede, die Generalmajor Karl Bornemann am 9. April 1938, also einen Tag vor der Volksabstimmung über den Anschluss, vor dem Stab der aufzulösenden 2. Division des Bundesheeres hielt: »Österreich war durch mehr als ein Jahrtausend ein im deutschen Volkstum wurzelndes uraltes Glied des großen Deutschen Reiches. […] Auch von den rund 70 Jahren, die es mit dem übrigen Deutschland nicht in staatsrechtlicher Verbindung stand, war es durch 40 Jahre, von 1879 bis 1918, mit dem Deutschen Reich durch ein enges Bündnis verbunden. Sein Herrscher, Kaiser Franz Josef, antwortete […] König Eduard VII. von England, der […] [ihn] zu einem Zusammengehen gegen das Deutsche Reich gewinnen wollte: ›Nein, Sire, ich bin ein deutscher Fürst!‹ So wie unser alter, edler, greiser Kaiser, so dachten und denken auch wir immerdar : ›Wir sind gute Österreicher, aber vor allem auch gute Deutsche‹!«263
Bornemanns Ansprache berührte auch das Thema der gemeinsamen Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg, welches sowohl zur Solidarität als auch zur Entfremdung zwischen Österreichern und Reichsdeutschen beitragen konnte, je nachdem welche Erinnerung stärker war – jene an die Reibungen oder jene an die Kameradschaft.264 Diese Frage wurde allerdings von einem dritten integrativen Faktor überlagert: Sowohl Reichsdeutsche als auch Österreicher befanden sich seit 1918 in einer »Gemeinschaft der Besiegten«. Einerlei, wie gut oder schlecht die Waffenbrüderschaft nun wirklich gewesen sein mag, teilten beide Seiten das Gefühl, dass sie gemeinsam durch unermesslich hohe Anstrengungen und Opfer gegangen waren, die sich letztlich als umsonst herausstellen sollten. Hinzu kam die demütigende Behandlung durch die Siegermächte bei den Pariser Friedenskonferenzen. Erhard Raus drückte diesen Gedanken während einer Parade anlässlich des Anschlusses folgendermaßen aus: »Die Regimenter, die eben [am Denkmal von] Radetzky vorbeidefilierten, redeten unsere Sprache. Ihre Uniformen waren uns wohl bekannt. Zahlreiche deutsche Kameraden […] kämpften noch vor zwanzig Jahren als treue Waffengefährten vier Jahre lang Schulter an Schulter an unserer Seite und teilten mit uns das gleiche Schicksal: ›Die Niederlage!‹ Durften wir sie hassen? frug ich mich daher vor unserem soldatischen Idol. Nein, glaubte ich die Stimme Radetzkys zu vernehmen.«265
Diese Solidarität konnte freilich durch die in der Zwischenkriegszeit heftig diskutierte Frage, wer mehr Schuld an der Niederlage tragen würde, getrübt werden. Hier erwies sich zweifelsohne die nationalsozialistische Propaganda als hilfreich, da sie die Niederlage ausschließlich mit der Dolchstoßlegende erklärte. Zudem war die Atmosphäre von 1938 von einer Aufbruchsstimmung gekenn263 Karl Bornemann: Redemanuskript, [9. 4. 1938], KA, NL, B/1041:45. 264 Steinböck, Kommentare zu Schmidl, 8. 265 Raus, Einleitung, 4.
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zeichnet, der zufolge sämtliche Missstände bald von Hitler beseitigt werden würden. Noch einmal die Rede von Bornemann: »Nun aber ist Österreich wieder heimgekehrt in das große deutsche Reich unter der Führung seines großen Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler […]. Möge das deutsche Volk in allen seinen Gliedern unter seiner zielbewussten Führung aufsteigen zu verdienter Größe und Weltbedeutung!«266
Diese Passage verweist auf einen vierten integrativen Faktor, und zwar den gemeinsamen Revisionismus auf Basis einer wiedererstarkten »Gemeinschaft der Besiegten«. Die österreichische Republik war selbst viel zu schwach gewesen, um eigene revisionistische Ziele verfolgen zu können. Die Annäherung an einen anderen Verliererstaat, Ungarn, war unerheblich und von der Burgenlandfrage belastet, und schließlich hatte sich Österreich in eine seltsame Allianz mit Italien hineinmanövriert, jenem Land, gegen das patriotische Österreicher wegen des »Verrats« von 1915 und des Verlusts von Südtirol den größten Groll hegten. Auch waren die primären Ziele des österreichischen Revisionismus von jenen des Deutschen Reichs verschieden, da Ersterer an der Habsburgermonarchie orientiert war und sich mehr gegen Jugoslawien, Tschechoslowakei und Italien richtete als gegen Polen, Frankreich und England. Allerdings konnte dieser österreichische Revisionismus leicht in den neuen völkischen Nationalismus, welcher auf die Vereinigung aller Deutschen abzielte, eingebettet werden, und viele Österreicher sympathisierten daher mit der allgemeinen Linie des reichsdeutschen Revisionismus. Wenn man dagegen einwendet, dass es unter Österreichern nicht gerade Euphorie erzeugte, für polnische Volksdeutsche oder das Elsass in den Krieg zu ziehen, so darf man nicht übersehen, dass dies unter Reichsdeutschen auch nicht der Fall war.267 Andererseits werden die realen deutschen Erfolge auf dem Schlachtfeld im Zusammenwirken mit großdeutschem Nationalismus und der Genugtuung über die Wiedergutmachung von 1918 einen Enthusiasmus erzeugen, in dessen Sogwirkung österreichische Soldaten (und wahrscheinlich auch Zivilisten) bereitwillig sämtliche reichsdeutschen Kriegsziele übernahmen, wenn diese sich auch noch so wenig in Einklang mit österreichischen Traditionen befinden mochten. Es war sogar möglich, im Rahmen des umfassenderen, allgemeinen deutschen Revisionismus einen spezifisch österreichischen Revisionismus zu kultivieren, nach dem Motto, dass man gemeinsam mit den Reichsdeutschen wenigstens die alten deutschösterreichischen Gebiete wie das Sudetenland oder die
266 Bornemann, Redemanuskript, [9. 4. 1938]. 267 Hagspiel, Ostmark, 65; Bukey, Hitler’s Austria, 155; Steinert, Hitlers Krieg, 91 – 92; Jörg Echternkamp: Im Kampf an der inneren und äußeren Front. Grundzüge der deutschen Gesellschaft im Zweiten Weltkrieg, in: DRZW, Bd. 9/1, 1 – 92, 11.
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Untersteiermark zurückgewinnen sollte, wenn man schon die alte Monarchie nicht wiederherstellen konnte. Die bereits erwähnte Aufbruchsstimmung wirkte sich in einem weiteren, fünften, Bereich integrierend aus. Seit 1918 laborierten viele Österreicher an dem Trauma, dass ihr Land von einer Großmacht zu einem Kleinstaat reduziert worden war. Das galt vor allem für militärische Personen, die noch dazu an dem antimilitaristischen Klima der frühen Republik gelitten hatten. Nun bot ihnen der Anschluss die Möglichkeit, wieder in der Armee einer Großmacht dienen zu können, was zu einer positiven Stimmung führte und das soldatische Selbstwertgefühl immens steigerte.268 Zudem übertraf die materielle Förderung der Wehrmacht jene des Bundesheeres um ein Vielfaches. Laut Wiktorin wurden österreichische Offiziere im Altreich diesbezüglich oft ausgefragt, da sich die reichsdeutschen Kameraden die finanzielle Vernachlässigung des Bundesheeres nicht vorstellen konnten.269 Zahlreiche Quellen bestätigten die Begeisterung, vor allem unter den jüngeren Offizieren, über die Standards und Möglichkeiten der Wehrmacht.270 Leutnant Hofmann zufolge sei es eine große Motivation gewesen, in einer modernen Armee dienen zu können: »Wir haben Fahrschulen und alles mögliche gemacht.«271 Rote Fähnchen oder Ratschen hatten bei Manövern als Ersatz für scharfe Munition ausgedient, Piloten frohlockten, dass sie nun nicht mehr alle fünf Minuten an der Grenzen eines Nachbarlandes umdrehen mussten, und Adolf Kaipel schrieb aus dem westfälischen Oelde nach Hause, dass sich allein in der Kaserne von Münster mehr Soldaten als im gesamten Bundesheer befänden.272 Auch für Offiziere mit imperialer Vergangenheit war die Wehrmacht ein großer Schritt nach vorne. Karl Galler erinnerte sich, dass 1916 eine k. u. k. Infanterie-Geschütz-Einheit zwei 35-mm-Geschütze besaß und von Hunden gezogen wurde, während das Wehrmacht-Äquivalent mit zwei 150-mm- und 268 Ein österreichischer Offizier dankte Hitler dafür, dass er »uns Österreicher, die im Völkerbund hinter den letzten Tschuschen rangierten, wieder zu vollwertigen Männern gemacht« habe. Gschaider, Bundesheer, 158, Fn. 59. Vgl.: Allmayer-Beck, Träger, 65. 269 Wiktorin, Soldat, 120. 270 P. Podhajsky, Interview ; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; Franz Podhajsky : Ausklang. Gedanken über die letzten Kriegs-Monate, [Mai-Sept.] 1945, KA, NL, B, C/219:24, 4 – 5; Erinnerungen Gen. Blumentritts an den Einmarsch in Österreich, 8. 1. 1955, Allgemeines Verwaltungsarchiv, E/1794 (Sammlung 1938): 15, Nr. 1938/6/11, 13 – 14; Schmidl, März 38, 45 – 46; Otto Scholik: Soldat – Eid – Gewissen, Vortrag bei der Gesellschaft für PolitischStrategische Studien in Wien, 19. 10. 2004. GM Scholik hatte am Putsch vom 20. Juli 1944 teilgenommen und im Bundesheer der Zweiten Republik gedient. 271 Hofmann, Gesprächsprotokoll, 16. 272 Bauer, Gesprächsprotokoll; Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 34; A. Kaipel an Familie Kaipel, 14. 5. 1938, in: Bundschuh, Verlorene Jahre. Vor seiner Einziehung waren Kaipel und drei andere aus dem Kreis Oberwart (Bgld.; damals Stmk.) zur örtlichen NSDAP in Oelde eingeladen worden.
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vier 100-mm-Geschützen sowie zehn Pferden ausgestattet war, sodass Galler es scherzhaft als »reitende Artillerie« bezeichnete.273 Als typisch männlich kann man die Faszination mit dem Wagenpark der Wehrmacht bezeichnen. Ein Veteran entsann sich, wie beeindruckt seine Kameraden von den Fahrzeugen eines deutschen Aufklärungsbataillons gewesen seien, das im März 1938 nach Österreich gekommen war, während ein anderer sich damals ungläubig gefragt habe, was sie denn mit den vielen Autos anfangen sollten.274 Ein Offiziersanwärter berichtete, wie großartig er und seine jungen Offizierskameraden sich fühlten, als sie in den Fahrzeugen der Wehrmacht herumfahren durften, was sie auch bei den Mädchen äußerst populär gemacht habe.275 Die größeren Perspektiven, welche die Wehrmacht hinsichtlich Berufsausbildung und Arbeitsmöglichkeiten bieten konnte, sprachen auch Zivilisten an. Ein Tiroler und ein Burgenland-Kroate meldeten sich freiwillig zur Marine, weil sie immer schon Schiffsingenieur bzw. Seemann werden wollten.276 Wiktorin fasste die Attraktivität des Dienstes in der großen modernen Wehrmacht in psychologischer Hinsicht perfekt zusammen: »Damit schien der Traum meines reifen Lebens erfüllt: Dass meine geliebte Heimat nach fast 20-jährigem Dahinvegetieren als armer, besiegter, von innerpolitischen Kämpfen zerrissener Kleinstaat nunmehr einer schönen, friedlichen Zukunft im Rahmen des maßgeblichen Großstaates Mitteleuropas entgegengehen würde. Und als ich […] in die Wehrmacht […] übernommen wurde, hatte ich überdies noch die Aussicht, an der kommenden Entwicklung in meinem militärischen Rahmen mitarbeiten zu können.«277
Die »unpolitische« Wehrmacht Der sechste, für die erfolgreiche Integration vor Kriegsbeginn entscheidende, Aspekt bestand darin, dass die Wehrmacht im Vergleich zum Bundesheer ein relativ unpolitischer Bereich war. Auch 1938 betrachtete sich die Wehrmacht politisch noch immer als eine im Gegensatz zum Bundesheer weitgehend neutrale Einrichtung.278 Objektiv gesehen war die Wehrmacht von der NSDAP und 273 274 275 276 277 278
Galler, Erlebnisse, 2. Staudigl, Gesprächsprotokoll, 2; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll. Vertrauliche Mitteilung von Peter Gschaider. Interviews mit Stadler ; und Erich Ulber, 17. 6. 2004. Vgl.: Endbericht, 31. Wiktorin, Soldat, 110. Erinnerungen Gen. Blumentritts an den Einmarsch in Österreich, 14; Der Chef des HeeresPersonalamts, Nr. 1985 P A 2 Ia, Betr.: Offizierskorps des ehemaligen österreichischen Bundesheeres, 12. 4. 1938, BA-MA, RH 53 – 7/485. Dies ist der Hauptgrund, warum viele Reichsdeutsche die Aktivitäten des NSR ablehnten. Steinböck, Kommentare zu Schmidl, 20.
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deren Ideologie sicher weniger durchdrungen als viele andere Institutionen. Während des Militärdienstes mussten auch politische Aktivitäten sowie die Parteimitgliedschaft ruhen.279 Der Hauptgrund dafür war Hitlers Entscheidung, die professionelle Reichswehr zum Kern seiner zukünftigen Armee zu machen, wodurch ähnlich wie beim Außenministerium eine konservative Grundstruktur erhalten blieb, im Gegensatz zu neuen Organisation wie SS und RAD.280 Einige Quellen bestätigen, dass in der Wehrmacht allgemein nicht viel über Politik gesprochen wurde.281 Auch Leutnant Hofmanns Behauptung, dass die jungen Offiziere vor lauter Arbeit überhaupt nicht an Politik gedacht hätten, erscheint angesichts der intensiven Aufrüstung und der österreichischen Anpassungsbemühungen durchaus glaubwürdig.282 Gleich nach dem Anschluss dachten selbst jüdische österreichische Soldaten noch, dass die Wehrmacht ein relativ sicherer Ort sei. Hofmann erinnerte sich, dass an der Vereidigung am 14. März 1938 ein jüdischer Leutnant teilgenommen hatte, der die Wehrmacht freilich bald darauf verlassen musste.283 Das illegale SA-Mitglied Fritz Bertnik erfuhr von seiner teilweise jüdischen Abstammung erst, als er sich während des Krieges zu einem Offizierskurs anmeldete, und eine Ausnahmegenehmigung erlaubte ihm, seinen Dienst bis zum Kriegsende, wonach auch endgültig über seinen Status entschieden werden sollte, zu versehen.284 All das bedeutet natürlich nicht, dass die Wehrmacht ein ideologiefreier Raum war, den die Nationalsozialisten nicht zu infiltrieren versuchten, oder dass es nicht auch Soldaten gegeben hätte, die fanatische Anhänger des Regimes waren.285 Es soll daher im Folgenden auf jene sozio-politischen Gruppen unter den österreichischen Soldaten näher eingegangen werden, die am wenigsten in die NS-Ideologie hineinpassten, nämlich die katholisch-konservative Bevölkerung und die marxistisch organisierten Arbeiter, da ihre Erfahrungen als Gradmesser für den Erfolg der Integration betrachtet werden können. Schließ279 Art. 26 des Wehrgesetzes vom 21. 5. 1935, online: http://www.documentarchiv.de/ns/1935/ wehrgesetz.html (25. 8. 2014). 280 SS und RAD kultivierten auch einen egalitäreren Stil, etwa durch die Weglassung des »Herrn« bei der militärischen Anrede (z. B. »Sturmführer« statt »Herr Sturmführer«), und die Waffen-SS war bekannt für ihre lässige Haltung beim Grüßen. 281 Bauer, Gesprächsprotokoll; Interviews mit Wotava und Brandeis. 282 Hofmann, Gesprächsprotokoll, 11. 283 Ebd. 284 Nachlass von Friedrich Bertnik, KA, NL, B/1403. Zu jüdischen Mischlingen in der Wehrmacht siehe: Bryan Mark Rigg: Hitler’s Jewish Soldiers. The Untold Story of Nazi Racial Laws and Men of Jewish Descent in the German Military, Lawrence, Ks., 2002. 285 Zur Anpassung der Wehrmacht an die Ideologie des Regimes siehe: Absolon, Wehrmacht, Bd. 3, 44 – 60; Wette, Wehrmacht, 74, 83 – 84, 90; Richhardt, Auswahl und Ausbildung, 114; Jürgen Förster : Geistige Kriegführung in Deutschland 1919 bis 1945, in: DRZW, Bd. 9/1, 469 – 640.
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lich wäre es möglich, dass sich die Fälle besonders harscher Behandlung vor allem gegen Rekruten aus der Arbeiterklasse oder aus tiefkatholischen Gegenden gerichtet hätten, weil sie verdächtigt wurden, Marxisten oder ergebene Kirchenanhänger zu sein. Bezüglich der Arbeiterschaft war die Schlüsselfrage, ob es den neuen Machthabern gelingen würde, trotz des Kampfes gegen die marxistischen Parteien und Gewerkschaften den Arbeitern die nationalsozialistische Volksgemeinschaft als den einzig »wahren« Sozialismus schmackhaft zu machen und sie dadurch auf ihre Seite zu ziehen. Das war vor allem im militärischen Bereich ein schwieriges Unterfangen, da die Wiener Arbeiterschaft wegen der Erinnerungen an die Monarchie, den Ersten Weltkrieg und den Bürgerkrieg von 1934 besonders antimilitaristisch eingestellt war.286 Deshalb konnte es auch zu Zusammenstößen zwischen (reichsdeutschen) Soldaten und österreichischen Zivilisten mit mehr oder weniger »rotem« Hintergrund kommen.287 Andererseits war es auch für Personen, die von allem Militärischen so weit entfernt waren wie die Arbeiterklasse, immer noch völlig normal, dass man dem Ruf zu den Fahnen Folge leistete oder sich sogar freiwillig meldete, und auch die Sozialdemokraten waren nicht gegen die zunehmende Gewaltbereitschaft während der Ersten Republik immun gewesen.288 Zudem präsentierte sich die Wehrmacht im Gegensatz zur Armee des Kaiserreichs, welche die Konservativen als potenzielles Instrument für die Unterdrückung sozialer Unruhen gesehen hatten, als eine Armee des Volkes, die dabei helfen würde, Klassenunterschiede zu überwinden. Und schließlich stand der – »national« gesinnte – Arbeiter im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Propaganda, wonach Deutschland die österreichische Arbeiterschaft von der Unterdrückung durch den Ständestaat befreit hatte, was 286 Vgl.: Julius Deutsch: Wehrmacht und Sozialdemokratie, Berlin 1927, 5 – 6. Die Arbeiterschaft umfasste 55 Prozent der Wiener Bevölkerung. Bukey, Hitler’s Austria, 75. 287 Im Feb. 1939 kam es beim Ball des lokalen Fußballvereins in einem Schwechater Bierlokal zu einer Schlägerei, nachdem reichsdeutsche Soldaten angeblich die Zivilisten mit Ausdrücken wie »ostmärkische Schweine« provoziert hätten. Laut Untersuchung seitens des Kommandeurs von Wkr. XVII, Kienitz, hätten jedoch die Zivilisten den Streit begonnen, da sie die Soldaten als »deutsche Schweine« und »verfluchte Hunde« beschimpft hätten. Kienitz betonte, dass Schwechat vor 1938 sehr sozialistisch, wenn nicht sogar kommunistisch gewesen sei. Ein ähnlicher Zwischenfall ereignete sich zeitgleich in einem Restaurant in Wien-Bisamberg. Beilagen zu Neubacher an Bürckel, 7. 6. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 186, Mappe 2862. Im Mai 1941 beschwerten sich Arbeiter des Heereszeugamtes in Wien über die Bezeichnung als »Ostmarkschweine«. Gauobmann der Deutschen Arbeitsfront Wien an Schirach, Betr.: Beschwerde von Arbeitern des Heereszeugamtes Wien, 30. 5. 1941, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 159. 288 Schröder, Kasernenzeit, 30 – 31; Hanisch, Männlichkeiten, 55 – 56. Allmayer-Beck (Bewaffnete Macht, 118) bezweifelt bereits den Antimilitarismus der Arbeiterklasse während der Monarchie.
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nicht gänzlich an den Haaren herbeigezogen war. Viele österreichische Arbeiter waren daher seit Februar 1934 tatsächlich »natürliche« Verbündete der Nationalsozialisten, und es kam auch teilweise zu Zusammenarbeit.289 So beschreibt Hofmann die Haltung seiner Männer, nachdem sie vom Heimaturlaub in Wien zurückgekehrt waren, wie folgt: »Da war ein deutlicher Wandel zu sehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat es niemanden gegeben, der gesagt hätte: ›Na fein, jetzt bin ich also Deutscher!‹ Die Leute waren mehr oder weniger sehr diszipliniert und zurückhaltend. Die Masse derer, die da aus Wien zurückgekommen ist, war nun aber ›umgepolt‹. Man hat die Wirkung der Angehörigen gesehen, deren Stimmung sich sofort auf die Leute übertragen hat. Die Mannschaften haben sich sofort auf die Eltern umgestellt. Wenn der Vater ein Schutzbündler gewesen war, so war das jetzt vergessen; der war jetzt Nationalsozialist.«290
Obwohl es Hinweise für Unzufriedenheit in der Wiener Arbeiterklasse während und vor allem gegen Ende des Krieges gab, so existierten auch Anzeichen von partieller Faszination und Anpassung, weshalb die Akzeptanz der Volksgemeinschaft letztlich nur eine Frage der Zeit gewesen sein mag.291 Die Quellen enthalten auch keine Hinweise darauf, dass sich Mitglieder der Arbeiterschaft, ob mit marxistischem oder ohne marxistischen Hintergrund, über irgendeine spezifische Diskriminierung innerhalb der Wehrmacht beschwert hätten. Auch in Bezug auf alle anderen, nichtpolitischen Aspekte des Wehrmachtdienstes unterscheiden sich die Erinnerungen von Arbeitern in keiner Weise von jenen der Veteranen mit bäuerlichem oder bürgerlichem Hintergrund.292 Omer Bartov sieht gleichfalls keinen Unterschied in der Behandlung von Arbeitern in der Wehrmacht, und diese Einschätzung wird von Ernst Hanischs Fallstudie über 289 Helmut Konrad: Das Werben der NSDAP um die Sozialdemokraten 1933 – 1938, in: Ardelt/ Hautmann, Arbeiterschaft, 73 – 89, 77, 85 – 86; Hans Schafranek: NSDAP und Sozialisten nach dem Februar 1934, in: Ardelt/Hautmann, Arbeiterschaft, 91 – 128, 92, 109, 116; Kurt Bauer: Sozialgeschichtliche Aspekte des nationalsozialistischen Juliputsches 1934, Dissertation (Universität Wien), 2001, 34, 344; Schmidl, März 38, 231. 290 Hofmann, Gesprächsprotokoll, 11. 291 Hier wirkten sich v. a. die Abwesenheit der Führung, Propaganda sowie materielle und andere Begünstigungen seitens des Regimes aus. Kirk, Nazism, 121, 123 – 125, 132 – 133, 137; Konrad, Werben der NSDAP, 86; Müller, Nationalismus, 63 – 66; Alf Lüdtke: The Appeal of Exterminating »Others«. German Workers and the Limits of Resistance, in: Michael Geyer/John W. Boyer (Hg.): Resistance against the Third Reich 1933 – 1990, Chicago/London 1994, 53 – 74; David Welch: Nazi Propaganda and the Volksgemeinschaft. Constructing a People’s Community, in: JCH 39/2 (2004), 213 – 238; Bukey, Hitler’s Austria, 84. 292 Laut Liese Meier (Interview am 27. 10. 2004) hätten weder ihr Vater, Edmund Karasek, noch dessen bester Freund, Werner Sonnleitner (beide waren zur Wehrmacht eingezogene ehemalige Schutzbündler), je von negativen Erfahrungen mit Reichsdeutschen berichtet. Letzterer habe sogar sehr oft in rein nostalgischer Weise über den Krieg gesprochen. Auch der kommunistische Widerständler Karl Flanner (Interview am 25. 10. 2004) hatte nie von irgendwelchen diskriminierenden Maßnahmen gegenüber Soldaten mit sozialistischem oder Arbeiterklassenhintergrund gehört.
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zwei österreichische Soldaten mit sozialdemokratischem bzw. christlichsozialem Hintergrund bestätigt.293 Was die katholische bäuerliche Bevölkerung betrifft, so war das Regime durchaus über die Rolle der katholischen Kirche in den österreichischen Ländern besorgt. So betraf eine Rubrik der Gauleiterberichte den Einfluss der Kirche auf das lokale Militär, und die Gauleitungen von Oberdonau, Salzburg und Steiermark meldeten unisono die freiwillige Messteilnahme von Soldaten. Gelegentlich wurden Soldaten sogar zum Besuch der Messe ermahnt, und jene, die sich weigerten, erhielten unangenehmen Kasernendienst. Der Gauleiter von Tirol-Vorarlberg monierte, dass während Angelobungszeremonien Ansprachen von Priestern gehalten wurden. Priester waren auch bei einer Angelobung in Saalfelden (Salzburg) anwesend.294 Selbst im antiklerikalen »roten« Wien ereigneten sich ähnliche Fälle. So klagte der Kreisleiter von Wien IX, dass der Kommandeur des Schützenregiments 2 in der Rennwegkaserne seine Soldaten »immer wieder« zum Besuch der Sonntagsmessen angehalten habe.295 Allerdings stand für die überwältigende Mehrheit der katholischen Soldaten aus den bäuerlichen Gemeinden der Wehrdienst aufgrund der Tradition des Wehrgedankens in den Ländern in keinerlei Widerspruch zu ihrem Glauben oder ihrer Kirchenaffinität.296 Daher wich die anfängliche Besorgnis bald einer unaufgeregteren Handhabung dieser Frage. An der Front wurde beispielsweise die Entscheidung über den Besuch von Messen den Kommandeuren überlassen, vorausgesetzt, die Teilnahme erfolgte freiwillig.297 Die Masse der österreichischen Offiziere gehörte ebenfalls zum katholischkonservativen Bevölkerungssegment. Wegen der Nähe des Bundesheeres zum Ständestaat konnten vor allem höherrangige österreichische Offiziere leicht verdächtig sein, verkappte Anhänger des alten Regimes und daher unzuverlässige Opportunisten zu sein. Als sich etwa Adolf Kutzelnigg zum Dienst in Norwegen meldete, hörte er einige reichsdeutsche Kameraden flüstern: »Da
293 Bartov, Hitler’s Army, 182; Hanisch, Männlichkeiten, 77 – 85. 294 Gau Tirol-Vorarlberg, Politischer Lagebericht Jan. 1939; Gau Salzburg, Politischer Lagebericht Feb. 1939; Gau Oberdonau, Politischer Lagebericht Feb. 1939, Konvolut 31.5; Gau Steiermark, Politischer Lagebericht Jan. 1939, Konvolut 31.3, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 4. 295 Dies wurde vom Regimentskommandeur mit dem Hinweis verneint, dass die Soldaten lediglich über die Möglichkeit zum Kirchgang informiert worden seien. Arnhold, Kreisleiter Wien IX, an Lukesch, 14. 2. 1939; Schützenregiment 2, Kommandeur, an Glt. Ruoff, Chef des Stabes des HGKdo. 5, 3. 3. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 184, Mappe 2850. 296 Bukey, Hitler’s Austria, 124; Hanisch, Männlichkeiten, 18 – 20, 77. 297 Guido Chwistek: Der Walfisch, o. J., KA, NL, A, B/1254:1; Mayer, Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 1. 10. 1939. In beiden Fällen wünschte die Mehrheit der Soldaten zur Messe zu gehen.
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haben sie uns schon wieder einen Schuschnigg-Offizier hergeschickt!«298 Dieser Begriff kann auch ein genereller Spottname ohne politische Spitze gewesen sein, doch in jedem Fall stellt sich die Frage nach der Situation jener österreichischen Offiziere, die tatsächlich eine zutiefst konservative Weltanschauung besaßen. Die beiden prononciert konservativen Offiziersveteranen Karl Brandeis und Peter Podhajsky sahen die Wehrmacht als einen mit Konservativen durchsetzten Schutzhafen für Nichtnationalsozialisten, da Offiziere wenig über Politik zu sprechen und ihr Berufsethos über politische Fragen zu stellen pflegten.299 Der überzeugte Katholik Allmayer-Beck erinnert sich, dass einer seiner (protestantischen) Vorgesetzten es schätzte, wenn seine Untergebenen zur Kirche gingen.300 Dies ist ein Fall, wo weltanschauliche Nähe auch regionale Unterschiede zudecken konnte. Auch viele überzeugte Sozialdemokraten fürchteten und verachteten nur die »hundertprozentigen« Nationalsozialisten, egal welcher Herkunft.301 Einige Waffengattungen waren geradezu Sammelbecken für Konservative. Ein beim Oberkommando der Kriegsmarine in Eberswalde dienender Österreicher betrachtete dessen Mitglieder allesamt als Monarchisten.302 Hermann B¦d¦-Krauts Offizierskollegen im Kavallerie-Regiment 11 in Stockerau, mit denen er glänzend zurechtkam, waren fast alle preußische Aristokraten und Monarchisten, und Kommandeur von Hülsen zeigte seine Verachtung des Nationalsozialismus offen, indem er zwei NSR-Offizieren die 13.–März-Erinnerungsmedaille zuwarf und sie versetzen ließ. B¦d¦-Kraut zufolge waren mit einer Ausnahme auch sämtliche Offiziere des Kavallerie-Regiments 18 in Stuttgart Aristokraten, und einmal habe ein junger Offizier zu vorgerückter Stunde auf ein Hitler-Porträt geschossen.303 Das Regime gab auch jenen, die sich im Ständestaat kompromittiert hatten, wie z. B. Mitgliedern der paramilitärischen Formationen »Frontmiliz« und »Sturmscharen«, die Möglichkeit der Rehabilitierung in den Streitkräften, da, 298 Kutzelnigg, Gesprächsprotokoll, 33. Immerhin war Kutzelnigg Lehrer an der Wr. Neustädter Militärakademie gewesen und hat damit dem Ständestaat vermutlich sehr nahegestanden. 299 Brandeis (Interview) lehnte den Nationalsozialismus ab und akzeptierte den Anschluss lediglich als unabänderliche Tatsache. Peter Podhajsky (Interview) entstammte einer k. u. k. Offiziersfamilie und wollte 1938 seinen Dienst quittieren. Sein Vater, Franz Podhajsky, habe ihm jedoch geraten, sich »das Ganze erst einmal anzusehen«, und Peter Podhajsky beendete den Krieg als hochdekorierter Major. 300 Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 61 – 62. 301 Interviews mit Flanner und Meier. Flanner bezog sich auf Äußerungen von Freunden und Meier auf Edmund Karasek bzw. Werner Sonnleitner. 302 Hans Rosenberger : Erinnerungen eines alten Reservisten aus dem Gedächtnis ohne seinerzeitige Aufzeichnungen, 1953, KA, NL, B/1677, 32. 303 B¦d¦-Kraut, Gesprächsprotokoll, 10. Von Hülsen begründete seine Ablehnung des NSR mit der Unverletzlichkeit des militärischen Treueids; eine Haltung, die sich später mit Bezug auf den militärischen Widerstand gegen Hitler fatal auswirken sollte.
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wie es der Salzburger Gauleiter Friedrich Rainer in einem Brief an Bürckel formulierte, das Vaterland auch diese Männer brauche. Bürckel fügte noch hinzu, dass dies großzügig gehandhabt werden sollte, außer bei besonders aktiv gewesenen Personen.304 Die Attraktivität der Wehrmacht für die infrage kommenden Individuen lässt sich daran ermessen, dass die Kärntner Landesregierung für ein Mitglied der illegalen HJ intervenieren musste, das im Gegensatz zu den Söhnen einiger ehemaliger Ständestaat-Anhänger nicht in die Wehrmacht aufgenommen worden war, was man sich nur mit den Machenschaften eines »verkalkten, vielleicht schwarzen Vogels« im Kriegsministerium erklären konnte.305 Somit standen selbst vom Nationalsozialismus als feindlich empfundene Gesinnungen aufgrund der relativen politischen Neutralität bzw. Heterogenität der Wehrmacht einer erfolgreichen Integration nicht im Wege.
Militärischer Traditionalismus Relativ breiter Raum soll dem siebenten integrativen Faktor, dem militärischen Traditionalismus, gewidmet werden, da es zu den Standardbehauptungen der Literatur gehört, dass österreichische militärische Traditionen nicht gepflegt oder bewusst unterdrückt wurden.306 Freilich dominierte die preußische Tradition, und auch Anschluss-Proponenten wie Glaise-Horstenau empfanden den Kult um die preußische Armee und Friedrich den Großen als lästig.307 Dennoch war dies der einzige Bereich, in dem die ansonsten so gründliche Übernahme Ausnahmen machte: »Mit dem Anschluss Österreichs hat die großdeutsche Wehrmacht auch die Traditionspflege für den deutschen Teil der alten k. und k. 304 Rainer an Bürckel, 16. 9. 1938; Bürckel an Rainer, 21. 9. 1938; Bürckel an HGKdo. 5, 30. 8. 1938, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 184, Mappe 2850. Die »Ostmärkischen Sturmscharen« waren eine Jugendorganisation, und die »Frontmiliz« war der Nachfolger der Heimwehren (seit 1936) und ein Teil der Streitkräfte (seit 1937). Broucek, Heerwesen, 218. 305 Unbekanntes Mitglied des Kärntner Landeshauptmannbüros [an Bürckel?], 9. 6. 1938, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 185, Mappe 2856. 306 Steinböck, Kommentare zu Gschaider, 22 – 23, 39. Laut Hanisch (Westösterreich, 446) sei die österreichische Militärtradition erst spät entdeckt worden. So habe etwa Himmler in einer Geheimrede im Sept. 1944 Prinz Eugen Friedrich II. gleichgestellt. 307 Die Notizen von Alfred Berger (Tagebuch I, 15. 7. 1940 – 15. 4. 1942, KA, NL, B/382:2) zu einem Unteroffizierskurs in Posen 1940 enthalten einen starken Fokus auf preußische Militärgeschichte. Glaise-Horstenau (General, Bd. 2, 312, 618 – 619; Bd. 3, 129 – 131, 578) war ständig bemüht, österreichische Militärtradition einzubringen bzw. zu verteidigen und hielt wenig von Friedrich II. und Preußens dynastischer Politik. Armin Scheiderbauer zeigte sich durch »übertriebenes Preußentum« irritiert; weniger vom Preußengeist selbst, sondern von der Art, wie dieser von einfachen Gemütern präsentiert wurde. Armin Scheiderbauer : Adventures in My Youth. A German Soldier on the Eastern Front, 1941 – 1945, West Midlands 2003, 35.
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Armee übernommen.«308 Umgekehrt zeigt sich hier auch, wie sehr Österreicher ihre Mitgliedschaft im großdeutschen Reich als mit ihren eigenen Traditionen kompatibel betrachten konnten. Die Traditionspflege kann in zwei große Bereiche unterteilt werden. Der erste betrifft offizielle Akte, während der zweite zivile und militärische Publikationen reichsdeutscher und österreichischer Autoren umfasst, wobei einige der folgenden Beispiele bereits aus der Kriegszeit stammen. Zur ersten Kategorie gehörte die Übernahme der Traditionspflege ehemaliger k. u. k. Einheiten durch Wehrmachteinheiten. Gemäß OKH-Erlass von 1939 übernahm, um nur ein paar Beispiele aus der langen Liste zu nennen, das 1. Bataillon des Gebirgs-JägerRegiments 99 in Bludenz die Tradition des 3. Regiments der Tiroler Kaiserjäger, das 1. Bataillon des Gebirgs-Jäger-Regiments 140 in Brannenburg jene der Tiroler Kaiserschützen, und die Gebirgs-Aufklärungs-Abteilung 23 in Leibnitz die des Dragoner-Regiments 5.309 Offizielle Akte beinhalteten auch Namensgebungen mit Bezug auf Österreichs militärische Vergangenheit. Ein prominenter Fall war jener schwere Kreuzer, der im August 1938 von der Gattin des ungarischen Reichsverwesers und letzten Oberbefehlshabers der österreichisch-ungarischen Marine, Admiral Miklûs Horthy, auf den Namen »Prinz Eugen« getauft wurde. Das Schiff sollte ursprünglich den Namen des Siegers der Seeschlacht bei Lissa 1866, Admiral Wilhelm von Tegetthoff, tragen, was jedoch mit Rücksichtnahme auf die Gefühle des italienischen Bündnispartners unterblieb. Dafür sollte die »Prinz Eugen« die 1942 von den Italienern übergebene Schiffsglocke der SMS Tegetthoff, einem Schlachtschiff der k. u. k. Kriegsmarine, mit sich führen.310 Ein anderer prominenter Fall war das 1696 gegründete Infanterie-Regiment »Hoch- und Deutschmeister«. Als eine der bedeutendsten Einheiten der kaiserlichen österreichischen Armee bezog sich der Name auf das militärische Vermächtnis des Deutschritterordens, welcher nach der Säkularisierung des Ordensstaates in Wien Zuflucht gefunden hatte. Im Bundesheer wurde der Name 308 Artikel ohne Titel, in: Die Bücherei (Berlin) Jg. 10 [1941], Heft 1/3, 84, BA-MA, RH 53 – 18/ 373. 309 Überlieferungs- und Erinnerungspflege des Heeres, Anlage zu Oberkommando des Heeres, Az. 15., AHA/Ag/E (IIIa), Nr. 1000/39 geh., [1939], BA-MA, RH 15/86. Die Kaiserjäger waren vier reguläre Tiroler Infanterie-Regimenter und die Kaiserschützen drei Tiroler Gebirgs-Regimenter innerhalb der k. k. Landwehr. 310 Laut Friedrich Heer (Identität, 421 – 422) offenbarten solche Aktionen, wie »österreichisch« Hitler sich im Grunde seines Herzens immer noch fühlte. Weitere Beispiele wären der 1939 gewährte »Veteranensold« an Teilnehmer der österreichisch-ungarischen Kampagnen in Bosnien 1878 und Süddalmatien 1882, und dass Hitler bei der Unterzeichnung des »Stahlpaktes« 1939 einen Waffenrock in Weiß, der traditionellen österreichischen Uniformfarbe, trug, wobei Letzteres wohl eher eine Reverenz vor dem italienischen Bündnispartner, dessen Galauniform ebenfalls weiß war, darstellte.
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vom Infanterie-Regiment 4 – eine Eliteeinheit und zugleich das Wiener Hausregiment – getragen. In der Wehrmacht wurde diese Einheit in Infanterie-Regiment 134 umbenannt, dessen erstes Bataillon den Beinamen »Hoch- und Deutschmeister« übernahm.311 Nachdem das Regiment zur 44. Infanterie-Division gehörte, wurde der gesamten, in Stalingrad vernichteten Division bei ihrer Wiederaufstellung im Juni 1943 der Ehrentitel »Reichsgrenadier-Division Hochund Deutschmeister« verliehen. Solch eine Namensgebung war eine große Auszeichnung, die nur noch zwei anderen Wehrmachteinheiten zuteil wurde, nämlich der Infanterie-Division »Großdeutschland« und der Fallschirm-Panzer-Division 1 »Hermann Göring«. In der Waffen-SS hingegen war dies die übliche Praxis, und eine Reihe von Divisionen trugen Namen mit historischem Österreich-Bezug.312 Die letzte größere Gruppe symbolischer Akte umfasste die Ehrung toter und lebender Soldaten. So wurde etwa der Heldengedenktag vom 15. März 1942 in Wien durch Kranzniederlegungen an den folgenden Orten begangen: Am Grabe Conrad von Hötzendorfs, an den Ehrenmälern für die österreichischen Toten des Ersten Weltkrieges, für die gefallenen k. u. k. Generalstabsoffiziere und, in Anwesenheit ehemaliger Marineoffiziere, für die k. u. k. Kriegsmarine, an den Kriegerdenkmälern in den umliegenden Gemeinden und an den drei Denkmälern für den Sieg über Napoleon 1809 in Aspern.313 Ein anderes Beispiel: An jedem 31. Mai, dem Jahrestag der Seeschlacht vor dem Skagerrak, hissten alle deutschen Kriegsschiffe neben der gegenwärtigen auch die alte kaiserliche Reichskriegsflagge, um die Gefallenen des Ersten Weltkrieges zu ehren. 1940 befahl Hitler, dass die »Prinz Eugen« fortan die alte österreichische Kriegsflagge zu Ehren der österreichischen Kriegstoten aufziehen sollte.314 Lebende Personen betreffend sei hier zunächst aus dem offiziellen Glückwunsch zitiert, den der Kommandant von Wien, Otto von Stülpnagel, im Oktober 1942 an Eduard Hospodarzˇ anlässlich des 60. Jahrestages von dessen Eintritt in die Armee gesandt hatte: »Die deutsche Wehrmacht gedenkt immer wieder gerne jener hochverdienten Offiziere der österreichisch-ungarischen Armee, die sich durch ihre vorbildliche und vielfach 311 Ludwig Jedlicka: Hoch- und Deutschmeister. 700 Jahre deutsches Soldatentum, Wien/ Leipzig, o. J. 312 Dies waren die 7. SS-Freiwilligen-GD »Prinz Eugen«, die 10. SS-Pz.-Div. »Frundsberg«, die 14. SS-Freiwilligen-Div. »Galizien« und die 22. SS-Freiwilligen-Kavallerie-Div. »Maria Theresia«. Vorgeschlagen, aber nicht mehr aufgestellt wurden SS-Divisionen mit den Namen »Andreas Hofer« und »Wallenstein«. 313 Kommandantur Wien, Standortbefehl Nr. 32: Heldengedenktag am 15. März 1942, 6. 3. 1942, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160. 314 Narvik – Symbol großdeutscher Verbundenheit, in: Kärntner Grenzruf, 5. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/184.
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ausgezeichnete Dienstleistung in der alten Armee im Frieden und im Krieg, insbesonders Sie, hochverehrter Herr General, als Ritter des Maria-Theresienordens, unsere Bewunderung erworben haben.«315
Eduard Böhm-Ermolli, der letzte überlebende k. u. k. Feldmarschall, wurde mit dem Ehrenrang eines Generalfeldmarschalls der Wehrmacht ausgezeichnet und erhielt weitere Honneurs an seinem 65. Dienstjubiläum sowie einen Staatsakt zu seinem Begräbnis.316 Freilich darf hinterfragt werden, inwieweit sich hinter solchen Symbolakten eine ernsthafte Achtung vor den Leistungen des österreichischen Militärs verbarg, aber sie verfehlten jedenfalls nicht ihre Wirkung. Während ein Zeitzeuge Zweifel an der Authentizität dieser Bemühungen äußerte, waren zwei andere hocherfreut über diese, wie sie dachten, ehrliche reichsdeutsche Wertschätzung der österreichischen Militärtradition.317 Ganz sicher aufrichtig gemeint waren persönliche Respektsbezeugungen, wie etwa jene vom Kommandeur des Stockerauer Kavallerie-Regiments 11, Oberstleutnant Heinrich-Hermann von Hülsen (ein Monarchist und ehemaliger Page am königlich-preußischen Hof), der für sein Regiment den österreichischen Pelzmantel behalten wollte, welcher kurz nach dem Anschluss abgeschafft worden war. Von Hülsens Gesuch wurde von Hitler persönlich während eines Besuchs abgelehnt.318 Parallel zu den offiziellen Akten entfaltete sich eine rege Publikationstätigkeit in Würdigung der vergangenen Leistungen österreichischer Streitkräfte. Zwar wurde der Großteil dieser Texte von Österreichern verfasst oder in der ostmärkischen Presse veröffentlicht, aber das zeigt eben auch, dass Österreicher durchaus Stolz auf ihre eigene Militärtradition zeigen durften. Dies war vor allem ein Anliegen der älteren Offiziere mit k. u. k. Vergangenheit, wie auch das oben erwähnte HPA-Memorandum vom 12. April 1938 wohlwollend feststellte: »Es ist ein verständlicher Stolz der österreichischen Offiziere auf das ehemalige k. u. k. Heer und seine Überlieferung fühlbar. Dementsprechend beschäftigt sie sehr die Frage der Erhaltung der Tradition.«319 315 Der Kommandant von Wien an Hospodarzˇ, 11. 10. 1942, KA, NL, B/73:6. Die Mappe enthält fünf ähnliche Glückwünsche. 316 Feldmarschall Böhm-Ermolli †, in: Berliner Börsen Zeitung, 11. 12. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/309. 317 Brandeis (Interview) betrachtete diese als »eher oberflächliche Symbolhandlungen«. Hingegen war Peter Podhajsky (Interview) sehr beeindruckt, als reichsdeutsche Besucher der Militärakademie sich lobend über »tausend Jahre« österreichischer soldatischer Leistungen äußerten. Der bei den Deutschmeistern dienende Alfred Hinterberger (Interview) dachte, dass die Reichsdeutschen aufrichtigen Respekt vor der Tradition der Deutschmeister gezeigt hätten. 318 B¦d¦-Kraut, Gesprächsprotokoll, 9. 319 Der Chef des Heeres-Personalamts, Nr. 1985 P A 2 Ia, Betr.: Offizierskorps des ehemaligen österreichischen Bundesheeres, 12. 4. 1938, BA-MA, RH 53 – 7/485.
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Allein die Titel der in verschiedenen Zeitschriften und Magazinen veröffentlichten Aufsätze lesen sich wie ein »Who is Who« der österreichischen Militärgeschichte.320 Auch einzelne, typischerweise populäre und prestigiöse deutsche Einheiten der k. u. k. Armee waren ein beliebtes Aufsatzthema.321 Trotz der Wichtigkeit des Abstammungsgedankens – so wurde der bei Linz geborene brandenburgische Feldmarschall Georg von Derfflinger als »Sohn der Ostmark« gewürdigt – wurden auch Personen nichtdeutscher Abstammung, wie Prinz Eugen, selbstverständlich als Österreicher behandelt.322 Österreichische Militärs wiederum konnten zu gesamtdeutschen Kriegshelden stilisiert werden, wie etwa Erzherzog Karl in dem fünfteiligen Aufsatz des ehemaligen k. u. k. Generalstabsoffiziers Oberst Oskar Wolf-Schneider von Arno. Derartige »Germanisierungen« waren allerdings keine Erfindung des Dritten Reichs, denn bereits Karls Zeitgenossen hatten ihn als »Retter Germaniens« oder »Deutschlands« verehrt, und zum Abschluss seiner Aufsatzreihe zitiert Wolf-Schneider von Arno die Inschrift am 1859 für Karl errichteten Denkmal auf dem Wiener Heldenplatz: »Dem beharrlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre«.323 Daneben verdienen auch Abhandlungen Beachtung, die für den Dienstgebrauch oder eine soldatische Leserschaft bestimmt waren. Die Autoren ehrten darin österreichische Militärleistungen nicht nur zum Selbstzweck, sondern auch, um dem bereits erwähnten Problem des reichsdeutschen Unwissens über Österreich abzuhelfen. Um diese Texte in ihrem ganzen Facettenreichtum erfassen zu können, werden im Folgenden einige längere Passagen daraus zitiert. So stellte ein gewisser Oberstleutnant Rosenmüller in seinem Manuskript »Die deutsche Sendung der ehemaligen österreichischen Wehrmacht« gleich eingangs fest, dass der Durchschnittsdeutsche von diesem Land und seinen Menschen »leider beschämend wenig« wisse und insbesondere die historischen Leistungen der österreichischen Armee für das »Gesamtdeutschtum« nicht genügend anerkannt seien. In weiterer Folge pries Rosenmüller Albrecht von 320 Die Siegesfanfare vom Prinzen Eugenius, in: Litzmannstädter Zeitung, 10. 4. 1941; Kranzniederlegung am Radetzky-Denkmal, in: Völkischer Beobachter (Wien), 3. 11. 1941; Feldmarschall Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg; Feldmarschall G. E. Freiherr von Laudon; Maria Theresia und die k. k. Armee; Vater Radetzky, in: Reichskriegerzeitung (Berlin), 13. 1. 1940, 14. 7. 1940, 20. 10. 1940, 2. 11. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/309; Karl Hans Strobl, Ich kenne nur ein Vaterland. Dem General der Infanterie Alfred Krauss, [26. 4. 1937], [Völkischer Beobachter?], KA, NL, B, C/60:22. 321 BA-MA, RH 53 – 18/312 enthält Artikel über folgende k. u. k. Einheiten: IR 7 Graf von Khevenhüller, IR 59 Rainer, Tiroler Kaiserjäger, Tiroler Landesschützen-Regimenter (seit 1917: Kaiserschützen), Kärntner Feldjäger-Batl. 8, Dragoner-Rgt. 5, und die beiden Grazer Hausregimenter IR 27 und Landwehr-IR 3. 322 Derfflinger, in: Reichskriegerzeitung (Berlin), 12. 1. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/309. 323 Oberst d. R. Oskar Freiherr Wolf-Schneider von Arno: Führergestalten aus Österreichs Heeren, Teile 4 und 5, in: Deutsche Wehr. Die Zeitschrift für Wehrmacht und Wehrpolitik 26 (30. 6. 1939) und 51 (15. 12. 1938), KA, NL, B/833:25.
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Wallenstein als Kämpfer für einen »deutschen Einheitsstaat« und Prinz Eugen als einen der »bedeutendsten großdeutschen Heerführer« und Lehrer Friedrichs des Großen. Er bewunderte die Militärgrenze als Einrichtung, welche die Kontrolle von 95 Prozent nichtdeutschen Truppen ermöglicht habe, Österreichs Ringen gegen Napoleon, die Tapferkeit aller österreichischen Völker in der unglücklichen Schlacht bei Königgrätz sowie die »übermenschliche Leistung« der österreichischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, wobei die Deutschösterreicher den höchsten »Blutzoll« entrichtet hätten. Schließlich, so Rosenmüller, sei Österreich immer ein Bollwerk des Reichs gegen französische und russische Einflüsse gewesen.324 Auch eine Schrift des österreichischen Oberst Maximilian Ehnl wollte die Kenntnisse über die Deutschösterreicher vertiefen, um dadurch die großdeutsche Gemeinschaft zu stärken. So sei der Mensch aus dem »deutschen Südosten« ein Mitglied der »aus so verschieden gearteten Stämmen zusammengesetzten deutschen Volksfamilie«, welches von seinen »Stammesbrüdern im Reich« nicht immer richtig beurteilt worden sei. Ehnl bemühte sich, deutlich zu machen, dass die Österreicher ein Bauernvolk seien und dies trotz guter Leistungen im Kriege auch in erster Linie bleiben wollten. Bereits in der Monarchie sei es nicht einfach gewesen, aus diesen Bauern Soldaten zu machen, da die Vorgesetzten deren Eigensinn berücksichtigen und zudem in der Lage sein müssten, sie durch Können und Leistung zu beeindrucken und ihnen Vorbild zu sein, anstatt sie zu schikanieren. Scheinbar übte Ehnl hier etwas verdeckte Kritik an den Fehlern, die während der Umschulungen gemacht wurden. Auch Ehnl betonte Österreichs Rolle als Verteidiger des mittelalterlichen Reichs – vor allem gegen den Osten – sowie die Leistungen seiner Armee im Ersten Weltkrieg.325 Abschließend und stellvertretend für auch an zivile Leser gerichtete Publikationen noch ein Blick auf den Sammelband »Soldaten« als Teil der Reihe »Die deutsche Leistung Österreichs«. Der Herausgeber des Bandes, Walter Pollak, hatte sämtlichen Mitarbeitern einen Leitfaden über die gewünschte Aussage des Werkes zukommen lassen, wonach es einem breiteren Publikum die Augen für die Leistungen der österreichischen Armee öffnen sollte, »die, alles in allem genommen, ja eine deutsche Leistung ist.« Neben der Unterstreichung individueller Leistungen im Sinne des Führerprinzips sollten die Autoren folgende Themen besonders betonen: Österreichs Verteidigung des Reichs gegen Ost (insbesondere gegen die Türken) und West, die Befreiungskriege gegen Napo324 Obstlt. Rosenmüller : Die deutsche Sendung der ehemaligen österreichischen Wehrmacht, [nach 1938], KA, NL, B, C/219:21, 1, 3 – 8, 10 – 12, 17 – 22. Bei dem Autor handelt es sich höchstwahrscheinlich um Fliegerass Meinhard Rosenmüller aus dem Ersten Weltkrieg. 325 Maximilian Ehnl: Der deutsche Mensch in den Donau- und Alpengauen, [1943?], KA, NL, B/1119:15, I, 1, 7 – 9. Ehnl war während des Krieges wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kriegsarchiv.
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leon, das Zeitalter Radetzkys und den Ersten Weltkrieg. Interessanterweise billigte Pollak die militärische Niederschlagung der Revolution von 1848/49, allerdings mit einem nationalsozialistischen Dreh, denn dies habe bewiesen, dass die Armee mehr Verständnis als die intellektuellen Eliten des Staates für die »Notwendigkeit des Raumes, über den Österreich zu wachen hatte«, gezeigt hatte. Schließlich sollten die Autoren auch die kulturellen Leistungen der österreichischen Militärverwaltung, vor allem in Form der Militärgrenze, würdigen.326 Was sind nun die Strickmuster dieser Darstellungen? Zunächst einmal wurde Österreich als Verteidiger des Heiligen Römischen Reichs, vor allem gegen den Osten, dargestellt. Zweitens betonten sie die Kampfkraft und Opferbereitschaft der deutschösterreichischen Kontingente im Ersten Weltkrieg. Und schließlich priesen sie Österreichs kulturelle Arbeit im Osten. Kurz, Österreichs militärische Leistungen wurden als im Einklang mit den deutschen Interessen – der Begriff »Reich« diente als Synonym für Deutschland – präsentiert. Dieser »gesamtdeutsche« Ansatz mag auf den ersten Blick wenig überraschend erscheinen. Doch man darf nicht übersehen, dass viele Reichsdeutsche, vor allem innerhalb der preußisch dominierten Armee, stark von der im Deutschen Reich populären kleindeutschen und borussophilen Geschichtsschreibung geprägt waren, wonach Österreich immer eine antideutsche Politik verfolgt und sich immer mehr vom Reich entfremdet habe. Die große Herausforderung bestand darin, dieser kleindeutschen Sichtweise entgegenzuwirken, indem man Österreich als Schutzmacht des Reichs zeichnete, ohne jedoch gleichzeitig – was nur logisch gewesen wäre und auch mehr der historischen Wahrheit entsprochen hätte – Preußen als eine zumindest phasenweise reichsfeindliche Macht hinzustellen. Nicht zufällig hatte Hitler höchstpersönlich Darstellungen, welche die Kämpfe der verschiedenen deutschen Stämme untereinander betonen, untersagt.327 Ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Schwierigkeit ist der Aufsatz von Generalmajor Bruno Giehrach, der ebenfalls das Wissen über Österreich erweitern und dabei vor allem preußische Fehlurteile, die er auf die traditionell »partikularistische« Historiografie in den deutschen Staaten zurückführte, korrigieren wollte. Giehrachs Ausführungen, dass Österreich immer im deutschen Sinne gehandelt habe, führten ihn zu der rhetorischen Frage, ob daher Preußens Po326 Walter Pollak: Überblick über Gliederung und Aufbau des Bandes »Soldaten« des Werkes »Die deutsche Leistung Österreichs«, 6. 6. 1942, KA, NL, A, B/68:5. Zur k. u. k. Armee als Kulturbringerin vgl.: Ehnl, Deutscher Mensch, 7. Die Militärgrenze war vom 16. bis 19. Jh. eine Pufferzone zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich, in der die Habsburger nichtdeutschen Bauern als Gegenleistung für deren Kriegsdienst Land zuteilten. 327 [Wehrkreiskommando XVII?], Ic/WPr, an Reichspropagandaamt Wien, Betr.: Beanstandung von Zeitungsartikeln militärischen Inhalts, 4. 11. 1941, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160.
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litik falsch gewesen sei. Die Antwort lautete »Nein«, da es ohne Friedrich II. keinen Bismarck und ohne Bismarck kein kleindeutsches Reich gegeben hätte, auf dem der Führer nunmehr sein großdeutsches Reich habe errichten können.328 Diese Argumentation entspricht Heinrich von Srbiks »gesamtdeutscher Geschichtsauffassung«, welche danach strebte, in der Vergangenheit kollidierende Politiken zu versöhnen, indem man sie alle als letzten Endes auf das Wohl Deutschlands hinauslaufend interpretierte. So habe Österreich dem Reich gedient, solange es konnte; als seine Kraft nachließ, musste sich Preußen kurzfristig gegen das Reich stellen, um es langfristig zu retten.329 Derartige Sichtweisen sollten es auch den Österreichern erleichtern, Preußens Führungsrolle zu akzeptieren, da schlussendlich nicht einzelstaatliche Interessen, sondern nur die deutsche Sache entscheidend wäre. Auch das Lob für die k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg war in die Auffassung eingebettet, dass alle österreichischen Armeen der Vergangenheit trotz ihrer multinationalen Zusammensetzung im Wesentlichen deutsche Armeen gewesen seien. So beschrieb eine Berliner Zeitschrift die k. u. k. Armee als »jenes seltsame[n] Gebilde[s], das zwar alle Wandlungen des habsburgischen Reichs mitmachte, in seinem Kern aber weit mehr als der Staat selbst den deutschen Grundcharakter beibehielt.«330 Beinahe identisch war der Tenor eines Artikels im »Kärntner Grenzruf«, welcher zum Beweis, dass im alten Österreich nichts »so deutsch wie seine Armeen« gewesen sei, aus der Huldigungsadresse zitierte, welche die preußische Garde 1848 an Radetzky nach dessen Siegen über die sardinische Armee gesandt hatte: »Die Tage von Sommacampagna und Custoza gehören nicht Österreich allein. Sie gehören allen Soldaten deutscher Nation. Sie gehören dem deutschen Waffenruhm.«331 Sowohl die zeitgenössischen Aussagen als auch das historische Zitat fügen sich erneut perfekt in Srbiks »gesamtdeutsche Geschichtsauffassung« ein. Die zweite Absicht hinter der Würdigung der Leistungen der deutschösterreichischen Soldaten im Ersten Weltkrieg war, dem Klischee von »Kamerad Schnürschuh« entgegenzuwirken. Giehrach etwa betonte, dass dem durchschnittlichen »Blutzoll« der deutschösterreichischen Soldaten nur die deutschen 328 Giehrach, Vortrag, 1 – 4. 329 Hitler war sich der Problematik der preußischen Geschichte durchaus bewusst, denn er lobte Österreich für dessen Aufrechterhaltung der Reichsidee zu einer Zeit, als alle anderen Länder partikularistische Interessen zu verfolgen begannen. Adolf Hitler: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, hg. von Henry Picker, Stuttgart 1976, 406. 330 Artikel ohne Titel, in: Die Bücherei (Berlin) Jg. 10 [1941], Heft 1/3, 84, BA-MA, RH 53 – 18/ 373. Vgl.: Ludwig Vogt: Die deutsche Wehrmacht, in: Loesch/Vogt, Das deutsche Volk, 401 – 466, 410. 331 [Kriegsberichter Hans Rodatz]: Helden der Ostmark. Zwei Gedenktage des ganzen Volkes, in: Kärntner Grenzruf, 15./16. 3. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/312. Vgl.: Glaise-Horstenau, Österreichs Wehrmacht, 214.
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Opfer bei Verdun ebenbürtig und die österreichische Niederlage Schuld der Führung und nicht der Soldaten gewesen sei.332 In einem Artikel über Gebirgstruppen erwähnte der pensionierte Generalmajor Franz Xaver Schubert die ungeheuren Verluste der österreichischen Gebirgs-Regimenter in Russland sowie das »Blutopfer« der Tiroler Standschützen bei der Abwehr der Italiener im Jahre 1915. Den Respekt, den Letzteres unter Reichsdeutschen hervorrief, illustrierte Schubert mit einem Zitat des Kommandeurs des deutschen Alpenkorps, Konrad Krafft von Delmensingen: »Ich neige mich vor dem Opfermut des Tiroler Volkes, etwas Größeres gibt es nicht auf Erden.«333 Auch General Eugen Beyer pries in einer Rede den Opferwillen seiner engeren Landsleute, der Deutschen aus Südmähren, mit dem Hinweis, dass »der südmährische Ergänzungsbereich zu den Gebieten mit den größten Totenverlusten gehörte, ja auf der sogenannten Blutkarte des Weltkrieges die dunkelste Färbung trug.«334 Zudem interpretierte das Herausstreichen der deutschen Truppen innerhalb der k. u. k. Armee den Ersten Weltkrieg als einen prinzipiell »großdeutschen« Krieg, in dem alle Deutschen, gleich in welcher Armee, für »Volk und Heimat« – also für Deutschland – gekämpft hätten.335 Nachdem umgekehrt folgerichtig das gesamte deutsche Volk den Krieg verloren hatte, bestärkte diese Interpretation das Bild von der »Gemeinschaft der Besiegten«. Die Wertschätzung der österreichischen Großmachtpolitik mit Betonung der kulturellen Arbeit im Osten, besonders in Form der Militärgrenze, diente außerdem dazu, Österreichs historische Expertise mit den gegenwärtigen Vorhaben des Dritten Reichs in Einklang zu bringen. Dies erlaubte es den älteren österreichischen Soldaten, ihre eigene Vergangenheit mit der Gegenwart zu versöhnen, und den jüngeren, ihre Mitwirkung an den aktuellen Aufgaben als Erfüllung ihres österreichischen Erbes zu betrachten. Diese Strategie dürfte der Hauptgrund für die positive Aufnahme des österreichischen militärischen Traditionalismus gewesen sein, und sie wurde auch im zivilen Bereich angewandt, wie ja überhaupt die Synthese von Alt und Neu, von Modernem mit Archaischem einer der Hauptwesenszüge des Nationalsozialismus war.336 Die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart wurde dadurch erleichtert, dass viele Bestandteile des österreichischen militärischen Traditiona332 Giehrach, Vortrag, 2, 5. Vgl.: Vogt, Deutsche Wehrmacht, 410 – 411. 333 Franz Xaver Schubert: Gebirgstruppen, Teil 2, in: Deutsche Wehr. Die Zeitschrift für Wehrmacht und Wehrpolitik 24 (16. 6. 1939), KA, NL, B/833:25. Standschützen sind Freiwillige außerhalb des wehrpflichtigen Alters. 334 [Eugen Beyer]: Redemanuskript, [1938], KA, NL, B/1041:45. 335 Bornemann, Redemanuskript, [9. 4. 1938]. Vgl.: Glaise-Horstenau, Österreichs Wehrmacht, 222; Bardolff, Soldat, 347; Immanuel, Schicksalsgemeinschaft, 392 – 393; AllmayerBeck, Heerwesen, 154; Rauchensteiner, Doppeladler, 297. 336 Zur Verknüpfung von Wiens neuen Aufgaben mit seinen historischen Verbindungen in Europa vgl.: Luzˇa, Relations, 57 – 58, 126 – 150, 157 – 159; Botz, Wien, 369 – 381.
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lismus, die jetzt vom Dritten Reich vereinnahmt wurden, österreichischerseits bereits vor dem Anschluss in einer Weise propagiert worden waren, dass die Unterschiede trotz der verschiedenen Zielsetzungen marginal ausfielen. Das galt für die Namensgebung von Truppenteilen, die den österreichischen Patriotismus stärken sollte, ebenso wie für die um die Ehrenrettung der deutschen k. u. k. Truppen bemühte Publizistik. Auch die Sichtweise von Österreich als Reichsverteidiger, Bollwerk des Abendlandes und Bringer von Kultur in den barbarischen Osten war nicht neu. Sicherlich macht es einen Unterschied, ob diese Ziele unter katholisch-konservativen oder rassisch-nationalistischen Vorzeichen verfolgt werden, aber viele Zeitgenossen ließen sich bereitwillig von der scheinbaren Vereinbarkeit dieser beiden Zugangsweisen blenden. Ein verblüffendes Beispiel für die Deckungsgleichheit beider Ansätze ist die Abhandlung, die Major Ferdinand Stöller für die Feiern im Ständestaat zum 250. Jahrestag der Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 schrieb. Der Aufsatz wurde nach dem Anschluss mit nur wenigen kleinen Änderungen erneut aufgelegt. Das folgende Zitat stammt aus dem Text von 1933, mit den Beifügungen von 1938 in eckigen Klammern: »Diese wachsende Bedrohung aus dem Osten bildete seit der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts einen der hauptsächlichsten Beweggründe für die Kurfürsten, immer wieder einen Habsburger zu wählen, dem um seiner [aus der ehemaligen babenbergischen Ostmark hervorgegangenen] Erblande willen die Gefahr am nächsten lag. […] So war Österreich wieder, wie einst gegen Avaren und Magyaren, jetzt gegen die Türken zum Bollwerk des [Reiches, ja des gesamten] Abendlandes geworden.«337
Beide Textversionen erwähnen, dass sich »zahlreiche Freiwillige aus allen deutschen Gauen […] eingefunden« hätten, um Wien zu befreien. Hieß es 1933 noch, dass sich das »habsburgische Großreich« zu einer europäischen Großmacht entwickelte, so war es 1938 die »Ostmark des Reiches«, die diese Entwicklung genommen hatte. Beide Texte schließen mit dem Hinweis, dass der Sieg von 1683 die Besiedlung der entvölkerten Gebiete Südosteuropas mit Deutschen ermöglichte.338 Der einzige Unterschied besteht somit darin, dass die Fassung von 1938 die in der älteren Version ohnehin schon vorhandenen »deutschen« Aspekte noch stärker betonte. Abschließend muss betont werden, wie sehr die Vereinnahmung bestimmter Elemente von Österreichs Vergangenheit durch das Dritte Reich den persönlichen Ansichten Hitlers über Österreich entsprach. Zwar ist viel über Hitlers 337 Ferdinand Stöller : Ostmarksendung, [nach 1938], KA, NL, B/527:6, 2; ders.: 1683. Ein Erinnerungsblatt zur Regierungsfeier am 12. September 1933, [1933], KA, NL, B/527:15, 4. Stöller war seit 1934 Mitarbeiter des Kriegsarchivs; er wurde 1941 Professor für Militärgeschichte an der Universität Wien und 1946 vom Kriegsarchiv entlassen. 338 Stöller, Ostmarksendung, 29, 39; Erinnerungsblatt, 22, 29.
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Hass auf Österreich geschrieben worden, doch war seine Sichtweise von Österreich komplexer. Hitler verachtete nur, was er für die Folgen einer verfehlten Führung des Vielvölkerreichs hielt, wie etwa die angebliche jüdische oder slawische Dominanz und »Rassenmischung«, welche er in der Hauptstadt Wien verkörpert sah, und wofür er die Habsburgerdynastie verantwortlich machte. Demgegenüber existierten andere, äußerst positive und spezifisch »hitlerische« Bilder von Österreich. So hochachtete er nicht nur die »rein« deutsche Landbevölkerung, sondern stellte auch das von den Deutschösterreichern errichtete Vielvölkerreich bewundernd den Reichen Roms und Großbritanniens gleich. Hitler zufolge waren die Österreicher aufgrund ihres »Rassenstolzes«, ihrer daraus resultierenden Fähigkeiten und ihrer historischen Erfahrung besonders für die Schaffung und Führung eines Großreichs geeignet, und in diesem Sinne sah Hitler sich sehr bewusst und stolz als Österreicher.339 Zu diesem hitlerischen Österreich-Bild gehörte auch eine künstlerische Begabung, welche er ebenfalls auf sich selbst bezog. In voller Übereinstimmung mit Hitlers Selbsteinschätzung schloss Rosenmüllers oben erwähnter Aufsatz damit, dass es kein Zufall sei, dass »gerade der Mann, der das Streben nach dem Großdeutschen Reich zur Wirklichkeit werden ließ – Adolf Hitler – ein Sohn eben dieser Ostmark ist.«340
Der Faktor Zeit Größere Aufmerksamkeit wird auch der achten und letzten integrativen Kraft gewidmet, da es sich dabei wohl um die wirkungsvollste Kraft überhaupt handelt, nämlich den Faktor Zeit. Dieser Faktor wirkte sich zunächst einmal darin aus, dass die Österreicher 1938 im Allgemeinen weniger indoktriniert waren als die Reichsdeutschen, weil der Nationalsozialismus fünf Jahre später zu ihnen gekommen war. Entsprechend mäkelte die steirische Gauleitung im Januar 1939, dass bei den österreichischen Rekruten »die geringste weltanschauliche Schulung« fehle, da »ein Großteil dieser ja nicht vorher in der HJ gewesen« sei.341 Für den einen oder anderen fanatischen reichsdeutschen Unteroffizier könnte dies auch ein Motiv gewesen sein, die Österreicher durch eine überharte Behandlung »auf Vordermann« zu bringen. 339 Laut Hitler habe nur ein »Süddeutscher« Großdeutschland schaffen und es zu Weltgeltung führen können, und er pries sogar wiederholt verschiedene Politiken der Habsburger. Hitler, Mein Kampf, 9, 13 – 14, 73 – 79, 101, 131, 134 – 135; Monologe, 48, 102, 197, 216 – 217, 243 – 244, 265, 373 – 374, 370; Tischgespräche, 196. 340 Rosenmüller, Deutsche Sendung, 22. 341 Gau Steiermark, Politischer Lagebericht Jan. 1939.
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Langfristig jedoch sollte der Zeitfaktor den Integrationsprozess positiv beeinflussen. Betrachten wir einmal näher, wie Zeit sich auf verschiedene Ansichten und Haltungen auswirken konnte. Bereits im Bundesheer bestanden Unterschiede in der Denkweise von älteren und jüngeren Offizieren. So bemerkte Oberst Gerzabek, der Kommandeur des Gebirgsjäger-Bataillons 5 in Villach, zu Leutnant Wilhelm Liebisch einmal, dass die Jungen zwar alles beherrschten – Dienstvorschriften, Waffen, Disziplin, Auftreten –, aber dass sie dennoch anders als die Leutnante in der alten Armee seien. Liebisch bezeichnete dies ganz richtig als ein Generationenproblem.342 Für die Situation in der Wehrmacht bedeutete dies, dass die älteren österreichischen Soldaten mit Bundesheer- oder sogar k. u. k. Vergangenheit mehr dazu neigten, Ressentiments gegenüber den Reichsdeutschen zu pflegen oder zumindest hartnäckiger an österreichischen Sitten und Traditionen festzuhalten. Hinzu mag gekommen sein, dass viele Ältere tatsächlich mit dem Ständestaat sympathisiert hatten. Überdies blickte die ältere Generation pessimistischer in die Zukunft als die jüngere, was sicher an der Erfahrung von 1918 lag, und auch die neuen Ränge waren vor allem für die älteren Offiziere unvorteilhaft, während die jüngeren eher von ihnen profitierten.343 Laut Wiktorin verließen viele ältere Offiziere die Armee, weil sie einfach nicht gewillt waren, etwas Neues dazuzulernen.344 Schließlich wurde auch die bis zur Unterwürfigkeit reichende übertriebene Höflichkeit und Zurückhaltung vor allem von den Älteren kultiviert. Die jüngeren österreichischen Soldaten, die erst nach 1938 zur Wehrmacht eingezogen wurden, waren von der Vergangenheit ganz anders beeinflusst. Sie erinnerten sich weder an die Kaiserzeit, die Niederlage von 1918 oder das Bundesheer, sondern nur an die Tristesse und das Chaos der Ersten Republik. Sie waren zukunftsorientierter und begeistert von den Möglichkeiten, die sich am Horizont abzeichneten; die Faszination von der Wehrmacht als moderne und gut ausgerüstete Armee einer Großmacht betraf vor allem die Jüngeren. Aufgrund ihres Alters waren die Jungen allgemein eher zur Anpassung an die Veränderungen bereit, welche die neue nationalsozialistische Ära mit sich bringen würde, und daher mehr geneigt, sich zu beweisen, Ehrgeiz zu entwickeln und eine Karriere anzustreben.345 Dabei kam ein weiterer Schlüssel zum Erwerb von Anerkennung und damit erfolgreicher Integration zum Tragen, nämlich Leistung. Die Österreicher 342 Liebisch, Gesprächsprotokoll. 343 Rodler, Erinnerungen, 296; Interviews mit Probst und Ulber ; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; Pregartbauer, Gesprächsprotokoll. 344 Wiktorin, Soldat, 119. 345 Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; F. Podhajsky, Ausklang, 4; Schmidl, März 38, 50; Gschaider, Bundesheer, 381 – 382; Allmayer-Beck, Österreicher, 346.
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hielten Reichsdeutsche im Allgemeinen für streng, aber korrekt. Wenn Österreicher daher anfänglich auch unter besonderer Beobachtung gestanden haben mochten, so konnten sie durch Tüchtigkeit uneingeschränkte Anerkennung erwerben, während bloßes Jammern ohne Anstrengung den gegenteiligen Effekt hatte.346 Diese von mehreren Österreichern bezeugte Sichtweise wurde auch von reichsdeutscher Seite bestätigt, denn laut Jahrbuch des deutschen Heeres von 1940 zeige sich bei »Ausbildungslehrgänge[n] militärischer oder sportlicher Art, die auf Leistung abgestellt sind«, sehr bald, dass »gute Leistungen nicht an Menschen bestimmter Landschaften gebunden sind, sondern dass es überall Tüchtige und Nieten gibt.«347 Dazu passt, dass einige Österreicher die während der Umschulungsphase gemachten Fehler damit erklärten bzw. entschuldigten, dass viele der in die Ostmark versetzten Reichsdeutschen zur zweiten Garnitur zu gehören schienen.348 Auch war die Masse der jüngeren österreichischen Soldaten zweifellos großdeutsch gesinnt.349 Laut Ernst Karl Pfleger, einem ehemaligen Offizier der 262. Infanterie-Division, schätzten viele sogar den Namen »Ostmark« aufgrund dessen kriegerischer Konnotation.350 Dies wurde überdeutlich an der Wiener Neustädter Militärakademie, wo man am ehesten eine signifikante Anzahl »überzeugter Österreicher« hätte erwarten können. Zwei Tage nach dem Anschluss jedoch wurde in einer Zeremonie die österreichische Fahne mit der deutschen ersetzt, und alle Lehrer und Schüler kannten sowohl das Deutschlandlied als auch das Horst-Wessel-Lied auswendig. Alle fünf Ausbildungskompanien rissen sich förmlich darum, gleich hinter dem Infanterie-Regiment 4 an der Parade auf der Wiener Ringstraße teilnehmen zu dürfen, da das Kontingent der Akademie auf drei Züge beschränkt worden war, und bei der 346 Bednar, Ergänzung; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; Bauer, Gesprächsprotokoll; Pregartbauer, Gesprächsprotokoll; Interviews mit Brandeis und P. Podhajsky. Vgl.: Schmitz, Österreichischer Mensch, 21; Bukey, Hitler’s Austria, 91. 347 Murawski, Heer als Förderer, 34. 348 Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; Wiktorin, Soldat, 119; W. Plas, Munitionsentwicklungen, 3; Erinnerungen IIIa, 12; Ulber, Interview ; Steinböck, Kommentare zu Gschaider, 24. Laut Bednar (Gesprächsprotokoll und Ergänzung) gab es unter den niedrigeren Rängen auch Versager und hoch Verschuldete, doch sei die Masse der Unteroffiziere sehr fähig gewesen. 349 »Dabei will ich gar nicht leugnen, dass wir jungen Offiziere eine, man kann nicht sagen: großdeutsche Einstellung gehabt haben, aber wir haben uns als Deutsche gefühlt, gleichzeitig aber als Österreicher, die auf die Monarchie und auf die Leistungen des österreichischen Heeres im Ersten Weltkrieg stolz waren.« Hofmann, Gesprächsprotokoll, 15 – 16. Vgl.: De Angelis, Gesprächsprotokoll; Erinnerungen Gen. Blumentritts an den Einmarsch in Österreich, 14. 350 Ernst Karl Pfleger : Ostarrichi – Österreich, 996 – 1966, in: Steffel-Nachrichten 17 (1966), KA, NL, B/274:7, 2. Der Begriff wurde auch in Österreich, allerdings mit eher christlich»abendländischer« Konnotation, gebraucht. Suppanz, Geschichtsbilder, 38 – 40.
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Rückkehr nach Wiener Neustadt wollten die Kadetten ebenfalls durch die Stadt marschieren.351 Alter spielte auch auf reichsdeutscher Seite eine wichtige Rolle. Der Nationalsozialismus verstand sich als (und war de facto) eine Bewegung der Jugend, und die Wehrmacht wurde oft als die dynamische und kraftstrotzende Armee eines verjüngten Deutschland gesehen.352 Entsprechend war das jüngere Offizierskorps fast durchgehend nationalsozialistisch gesinnt, während die älteren Offiziere meist Konservative oder Monarchisten waren.353 Auch Wiktorin dachte, dass die älteren Offiziere trotz ihrer Anerkennung der Wiederaufrüstung den Nationalsozialismus – weniger Hitler als vielmehr die Parteibonzen – sehr kritisch beäugt hätten, während die jüngeren weitaus wohlwollender und voller Hoffnung gewesen seien.354 Man kann somit davon ausgehen, dass viele ältere reichsdeutsche Offiziere eine dem ehemaligen österreichischen Ständestaat, wenn nicht sogar Österreich im Allgemeinen, eher freundlich gesonnene Haltung eingenommen haben. Im Schattenkabinett der Verschwörer des 20. Juli war sogar Kurt Schuschnigg als Kulturminister vorgesehen. Und Wilhelm Höttl überlieferte die folgende Bemerkung von Blomberg während des Nürnberger Prozesses, welche er exemplarisch für die Haltung der höheren, sprich: älteren, Wehrmachtoffiziere hielt: »Wir, die vernünftigen Militärs, hatten eher an einen Zusammenschluss gedacht. Denn ›Anschluss‹, das ist ein Wort, das ihr nicht verdient habt, ihr Österreicher. Dass ihr euch da anhängen müsst, diese Idee wurde 1918 nach dem verlorenen Krieg geboren; viel schöner wäre ein Zusammenschluss gewesen, den man in Ruhe ausgehandelt hätte und wo ihr […] viel mehr zum Zug gekommen wäret!«355
Es ist daher kein Zufall, dass diskriminierendes Verhalten fast ausschließlich von jungen, mehr indoktrinierten und sich in niedrigeren Rängen befindlichen reichsdeutschen Soldaten an den Tag gelegt wurde. Pointiert ausgedrückt, kamen schwerwiegende Probleme beinahe nur zwischen jüngeren Reichsdeutschen und älteren Österreichern vor.356 Derartige Probleme hätten sich im Laufe der Zeit von selbst erledigt. Jene 351 Kutzelnigg, Gesprächsprotokoll, 25 – 27. P. Podhajsky (Interview) schätzte, dass 60 Prozent seines Jahrganges an der Militärakademie großdeutsche Sympathien hegten. 352 Götz Aly : Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt a. M. 2005, 12 – 14. 353 Echternkamp, Grundzüge, 13; Hans-Rudolf Fuhrer : Die Wehrmacht aus Schweizer Sicht, in: Müller/Volkmann, Wehrmacht, 123 – 146, 126. 354 Wiktorin, Soldat, 126. 355 Wilhelm Höttl: Protokoll eines Gesprächs mit Erwin A. Schmidl, 24. 7. 1986, KA, NL, B/ 1576:24. 356 Gschaider, Bundesheer, 170 – 172, 283; Ernst Karl Pfleger : Wir und die Anderen XIII: Verwaltung – Partei – Wehrmacht, in: Steffel-Nachrichten 31, o. J., KA, NL, B/274:7, 10.
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Älteren, für die sich die Anpassung an die neue Zeit generell als schwierig gestaltete, wären irgendwann weggestorben. Die nachfolgenden Generationen von Österreichern wären an einem Punkt in der Zukunft genauso indoktriniert und sozialisiert wie junge Reichsdeutsche gewesen. Im militärischen Bereich hätten österreichische Rekruten irgendwann nur mehr den preußischen Drill und Offiziere nur noch reichsdeutsche Ausbildungsprinzipien gekannt. Die Wichtigkeit des Faktors Zeit war bereits vom HPA erkannt worden: Der Schlüsselsatz in jenem oben erwähnten Memorandum war, dass den Österreichern genügend Zeit gegeben werden müsse, um in das System hineinwachsen zu können. Das Gleiche galt für die Reichsdeutschen. Das Alter hätte die jungen Hitzköpfe eines Tages milde gestimmt, und für die Nachkommenden wäre es irgendwann völlig normal gewesen, dass die Österreicher zur großdeutschen Gemeinschaft gehörten. Auf reichsdeutscher Seite blieb daher als größte Herausforderung für das Integrationsprojekt die Frage, wie schnell es gelingen würde, die kleindeutsche Einstellung vieler Reichsdeutscher, d. h. ihre Sozialisation in einem Deutschland, das sie mit Bismarcks Reich identifizierten, zu überwinden. Auch dieser Frage waren sich die Reichsdeutschen vollkommen bewusst. Ein anonymes Manuskript in den Akten des Wehrkreises VII über die »Lage des Deutschtums« bemängelte, dass man seit 1871 im Reich dazu tendierte, das deutsche Volk mit der Reichsbevölkerung gleichzusetzen und dadurch Millionen von Deutschen außerhalb der Reichsgrenzen zu ignorieren. Allerdings hätten sich auch die Österreicher den anderen Deutschen entfremdet und ein eigenes Staats- und Selbstbewusstsein, basierend auf Österreichs historischer Aufgabe als »Bollwerk […] im wesentlichen deutscher Kultur« im Südosten Europas, entwickelt und ihr Vielvölkerreich »begreiflicherweise« über das Deutschtum innerhalb dieses Staates gestellt.357 Ähnlich hatte bereits Giehrach festgestellt, dass »die Masse des Volkes […] in kleinen Vaterländern aufgewachsen und in seinem Sinnen und Trachten noch ganz in kleinstaatlichem Denken befangen und jeglicher Betätigung außerhalb der Reichsgrenzen abhold« gewesen sei.358 Es war genau diese Einstellung, welche zu dem von den Österreichern so häufig bekrittelten reichsdeutschen Mangel an Wissen über Österreich geführt hatte. Diese Beschränkung auf den kleindeutschen Horizont – eine Fixierung, die von vielen Österreichern, die oft großdeutscher als die Reichsdeutschen gesinnt waren, beobachte wurde – stellte häufig das Haupthindernis für die volle Akzeptanz der Österreicher dar.359 Diese Schwierigkeit wurde durch die intolerante
357 Das alte Österreich (Kurzer Überblick), [nach 1938], BA-MA, RH 53 – 7/689. 358 Giehrach, Vortrag, 1 – 2. 359 Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 212; Ulber, Interview ; Robert Nowak:
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und aggressive Natur des Nationalsozialismus zusätzlich verschärft. Die meisten der schwerwiegenderen Beleidigungen österreichischer Soldaten durch reichsdeutsche Ausbilder waren wohl auf die Kombination beider Faktoren zurückzuführen. Umgekehrt unterstreichen die österreichischen Beschwerden über Diskriminierungen, wie sehr die Österreicher als gleichwertige Mitglieder der großdeutschen Gemeinschaft akzeptiert werden wollten. Hier muss man auch beachten, dass eine beschränkte kleindeutsche Mentalität nicht nur Österreicher, sondern tendenziell alle Deutschen, die vor 1938 noch nicht zum Reich gehört hatten, als Deutsche »zweiter Klasse« oder »Beutedeutsche« geringschätzen konnte. Anders ausgedrückt: Alle deutschen Volksgruppen, welche ab 1938 den Österreichern »heim ins Reich« folgten, standen vor den gleichen Problemen wie die Österreicher. Die Verantwortung für die Reibereien darf aber nicht ausschließlich den Reichsdeutschen angelastet werden. Zunächst einmal besteht die Möglichkeit, dass Österreicher grundsätzlich alle Maßnahmen, selbst die gerechtfertigsten oder geringfügigsten, als spezifisch gegen sie gerichtet interpretieren konnten, bloß weil sie sie nicht mochten. Somit muss auch berücksichtigt werden, ob eine Maßnahme tatsächlich mit einer antiösterreichischen Spitze versehen war oder mit aller Objektivität oder Neutralität durchgeführt wurde, auch wenn Österreicher es nicht so empfanden. Es ist daher zu fragen, ob hier nicht auch eine gewisse Überempfindlichkeit als österreichisches Wesensmerkmal eine Rolle spielte.360 So erinnerte sich Alfred Bauer, dass der reichsdeutsche Kommandeur einer Linzer Kaserne einmal im Rahmen eines Kameradschaftsabends sehr taktvoll über Standesfragen und das deutsche Offiziersethos gesprochen habe, worauf einige Österreicher sehr dünnhäutig, in dem Sinne dass sie keinerlei Belehrungen über ihr Verhalten als Offiziere bräuchten, reagiert hätten.361 Diese Überempfindlichkeit mag auch die psychologische Grundlage für so manche Behauptung von österreichischer militärischer Überlegenheit gewesen sein, da diese zum Großteil wohl verspätete Reaktionen auf frühere Aussagen über österreichische Ineffizienz, z. B. während des Ersten Weltkrieges, darstellten. Gleichzeitig zeigen diese Behauptungen aber Litauisches Fahrtenbuch V. Die erste Tour, [nach 1945], KA, NL, B/726:14, 8; ders., Litauisches Fahrtenbuch VIII. Koennecke, [nach 1945], KA, NL, B/726:14, 4 – 5. 360 Rathkolb (Paradoxe Republik, 24 – 25) betrachtet Solipsismus als österreichischen Charakterzug seit 1918. Für Allmayer-Beck (Heerwesen, 173) geht der auf echte oder vermeintliche Herablassung übersensibel reagierende österreichische Minderwertigkeitskomplex auf 1866 zurück. Laut Hans Joachim Schröder (»Man kam sich da vor wie ein Stück Dreck«, in: Wette, Krieg, 183 – 198, 188) hing es auch von der physischen Leistungsfähigkeit und der geistigen Einstellung des Individuums ab, ob etwas als Schikane empfunden wurde oder nicht. 361 Bauer, Gesprächsprotokoll.
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auch, wie sehr die Österreicher – obwohl einige sich in ihrem Stolz verletzt gefühlt haben mochten – mitmachen und ihre militärischen Qualitäten dem Großdeutschen Reich zur Verfügung stellen wollten. Neben Überempfindlichkeit und übertriebener Zurückhaltung dürfte ein weiterer Charakterzug manchem österreichischen Soldaten das Leben in der Wehrmacht anfänglich schwer gemacht haben, nämlich das »Raunzen«, jene vor allem in Wien äußerst beliebte Tendenz, lieber vor sich hinzujammern, anstatt die Dinge in die Hand zu nehmen, um sie zum Besseren zu wenden. Obwohl das Gerede von der österreichischen militärischen Überlegenheit eigentlich auf ein gesundes Selbstbewusstsein hindeuten sollte, dürften viele derartige Feststellungen, mit Ausnahmen wie Eimannsberger, erst nach dem Krieg gemacht oder nur hinter vorgehaltener Hand »geraunzt« worden sein. In beiden Fällen bewirkte dieses Nichtaussprechen von Meinungen das Gegenteil von dem, was es bezwecken sollte, nämlich sich in reichsdeutschen Augen Anerkennung zu verschaffen. Einige Österreicher kritisierten daher die Neigung ihrer Landsleute zu Jammerei und Nachgiebigkeit auf das Heftigste und erwarben sich Respekt durch eine selbstbewusste äußere Haltung, wie etwa im oben geschilderten Fall von Erhard Heckel.362 Ein anderes Beispiel wäre Oberleutnant Franz Lorenz, der sich während seiner Umschulung beim Gebirgs-Pionier-Bataillon 83 in der Nähe von Graz beim Bataillonskommandeur erfolgreich dafür einsetzte, dass die österreichischen Offiziere ihre alten Ränge einstweilen behalten durften. Sie wurden auch nicht mehr wie Rekruten behandelt, sondern erlernten die reichsdeutsche Kommandosprache, indem sie selber kommandieren durften. Laut Lorenz hatten die anderen Offiziere es nicht gewagt, selber etwas zu unternehmen.363 Und die Memoiren Carl Bardolffs bestätigen, dass man schon während des Ersten Weltkrieges österreichisch zurück»poltern« musste, wenn preußisch »geschnarrt« wurde.364 Dennoch versuchten einige Österreicher während des gesamten Krieges ganz bewusst, ihre Integration sicherzustellen, indem sie sich durch größtmögliche Anpassung bemühten, so wenig wie möglich aufzufallen. Diese Strategie wurde vor allem in Situationen angewandt, wo sich Österreicher als Individuen oder kleine Minderheit in einer besonders fremden Umgebung befanden.365 362 Englert, Abteilungschef WaIRü 3, 2 – 3; Bednar, Ergänzung; Müller-Elblein, Gesprächsprotokoll; Bauer, Gesprächsprotokoll; Pregartbauer, Gesprächsprotokoll; Interviews mit Ulber und Brandeis. Vgl.: Gschaider, Bundesheer, 281. 363 Lorenz, Episoden, 6 – 7. 364 Bardolff, Soldat, 227. Feldmarschall-Leutnant Bardolff diente als Flügeladjutant und Führungsoffizier in der Militärkanzlei von Erzherzog Franz Ferdinand und hatte im Ersten Weltkrieg verschiedene höhere Kommandos inne. 365 In Ostpreußen begegnete Wotava (Interview) einem Marine-Unteroffizier, der seinen Ak-
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In jedem Fall wurde bereits zu Friedenszeiten sehr deutlich, dass nicht alle Reichsdeutschen bezüglich der Österreicher in der gleichen Weise dachten und handelten. Es war nicht der Fall, dass der Reichsdeutsche als solcher ein negatives Bild von den Österreichern hatte. Und bei jenen Individuen, die tatsächlich so dachten, hing diese Einstellung von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie etwa Herkunft, Alter, Religion oder politischer Hintergrund. Das Gleiche galt vice versa für die Einstellung und das Verhalten von Österreichern gegenüber Reichsdeutschen.366 Es war schlichtweg eine Frage der Zeit, bis Österreicher und Reichsdeutsche sich besser kennengelernt haben würden, was zu einem weiteren Abbau von Vorurteilen und dem Absinken der Anzahl von Personen mit negativen Haltungen geführt hätte. Dieser Prozess hatte bereits eingesetzt, sodass die ersten Irritationen im Zusammenhang mit der Eingliederung des Bundesheeres einer Phase der Beruhigung gewichen waren. Zeit gab den Österreichern Gelegenheit, sich anzupassen und einzugewöhnen sowie ihre Qualitäten durch den Dienst in ihren neuen Funktionen und Einheiten unter Beweis zu stellen.367 Somit kann abschließend festgestellt werden, dass die Mehrheit der österreichischen Soldaten, trotz einiger Hürden und Verstimmungen, die Eingliederung des Bundesheeres in die Wehrmacht als positiv empfunden hat. Da jedoch ein Gutteil der negativen Klischees von Österreichern auf deren angeblicher militärischer Ineffizienz beruhte, bedurfte es eines »richtigen« Krieges, um auch die letzten Zweifel zu beseitigen, und ebendieser Krieg, der im September 1939 begann, sollte auch das gegenseitige Kennenlernen durch das verstärkte Aufeinander-angewiesen-Sein unter den Soldaten ungemein beschleunigen.
zent fast vollkommen abgelegt hatte. Nachdem Wotava jedoch die Aussprache des »ei« verdächtig vorgekommen war, entspann sich folgender Dialog: »Woher kommen Sie?« – »Aus Süddeutschland« – »Und woher genau?« – » … St. Pölten.« Vgl.: Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 58. 366 Genauso wurde es für beide Seiten auch mit Bezug auf den Ersten Weltkrieg von Bardolff (Soldat, 228) und Cramon (Bundesgenosse, 43) bestätigt. 367 Raus, Einleitung, 6; Hofmann, Gesprächsprotokoll, 16; Bednar, Ergänzung.
Kapitel 3: Von den Sudeten bis zum Balkan – Die erste Kriegsphase (1939 bis Sommer 1941)
Bewährung und Lob Im März 1940 – also kurz vor dem Beginn der Feldzüge in Skandinavien und im Westen – schrieb Kriegsberichter Franz Pesendorfer, dass die deutsch-österreichischen Soldaten so sehr unter oberflächlichen Beurteilungen ihrer Leistungen innerhalb der k. u. k. Armee gelitten hätten, dass sie sich nichts sehnlicher wünschten, als »einmal […] unter denselben Bedingungen, in demselben großen Deutschen Reich, das wir ersehnt und erkämpft haben, in derselben Wehrmacht, unter derselben politischen und militärischen Führung für Deutschland eingesetzt [zu] werden. Dann sollte es mit dem Teufel zugehen, sollten wir nicht beweisen können, dass der ostmärkische Soldat zu den besten deutschen Soldaten zählt.«368
Der Krieg, den das Dritte Reich seit September 1939 führte, sollte ihnen genau diese Gelegenheit bieten. Die erste militärische Operation des Deutschen Reichs unter Beteiligung österreichischer Truppen war jedoch bereits die Besetzung des Sudetenlandes im Oktober 1938 gewesen.369 Diese Operation war natürlich nicht dasselbe wie eine Attacke unter feindlichem Feuer, noch nicht die integrative Kraft der absoluten gegenseitigen Abhängigkeit in einer akut lebensbedrohlichen Situation, aber dennoch eine Erfahrung, die sehr verschieden von der als kleinlich, langweilig und lästig empfundenen Routine des Kasernenhofdrills oder von Manövern war und sich positiv davon abhob. Der nach dem Krieg völlig desillusionierte Soldat Johann Pointner empfand sein Leben beim Militär als »ganz erträglich«, da er fast nie in Kasernen gedient hatte und somit dem »unnötigen
368 [Franz] Pesendorfer : Ostmärkische Soldaten einst und jetzt, in: Soldat im Donauland (März 1940), BA-MA, RHD 49/113, 38. 369 Hermann, Panzeraufklärungsabteilung 9, 6.
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und schikanösen Drill« entgangen war, während er sich immer »mit Freude« an die »aufrichtige Kameradschaft« erinnerte.370 Die nächste Operation, die Besetzung von Böhmen und Mähren im März 1939, glich noch mehr dem Ernstfall, da die Reaktion der Tschechen und der Westmächte nicht mit absoluter Sicherheit vorhergesagt werden konnte. An ihr nahmen auch die ersten österreichischen Rekruten teil, die bereits vollständig im reichsdeutschen System ausgebildet waren: »Ihre gute Haltung und Bewährung«, so Erhard Raus, »wurde allgemein anerkannt und trug zur Hebung des Ansehens des österreichischen Soldaten wesentlich bei.«371 Oberleutnant Hermann B¦d¦-Kraut, der seine Umschulung beim Stuttgarter Kavallerie-Regiment 18 in freundlicher Erinnerung hatte, fand, dass sich die Integration durch frühe militärische Einsätze allgemein verbesserte. Sein eigenes Kavallerie-Regiment 11 nahm bereits kurz nachdem es fertig aufgestellt war an der Besetzung des Sudetenlandes und der »Rest-Tschechei« teil.372 Man kann also bereits vor dem Beginn des eigentlichen Krieges eine Faustregel für erfolgreiche Integration aufstellen: Je weiter entfernt von alltäglichem, banalem Dienst bzw. je näher zu echten Kampfhandlungen, umso intensiver die Gemeinschaftsbildung unter den Männern. Die erste und erfolgreiche Kriegsphase von September 1939 bis Sommer 1941 sollte eine Reihe weiterer Faktoren produzieren, welche die Integration der Österreicher in die Wehrmacht tief greifend vorantrieben. Diese können in drei Kategorien unterteilt werden. Die erste Kategorie umfasst gemeinschaftsbildende Faktoren, welche die Kriegsführung im Allgemeinen mit sich bringt. Die zweite Gruppe bezieht sich auf jene Faktoren, die mit dem spezifischen Charakter der hier infrage stehenden Kriegsführung, also den schnell und unter relativ wenigen Verlusten erfochtenen Erfolgen der deutschen Waffen, zusammenhängen. Es folgt eine dritte Kategorie von Faktoren, welche nicht mehr direkt mit dem Schlachtfeld in Verbindung standen, sondern eher als Konsequenzen der erfolgreichen deutsche Kriegsführung zu betrachten sind. Doch zunächst zu den integrativen Kräften von Kriegsführung an sich, wie etwa das gemeinsame Vordringen in Feindesland, das Organisieren von Unterkünften und Verpflegung sowie die gegenseitige Abhängigkeit der Soldaten an der Front. Diese gemeinschaftsbildenden Faktoren sind so selbstverständlich, dass hier nur der fundamentalste Aspekt analysiert werden soll, nämlich dass die österreichischen Soldaten sich nunmehr im Kampf beweisen konnten. Die soldatische Prüfung unter echter Todesgefahr erhöhte sowohl das 370 Pointner, Erinnerungen 1939 – 1944, 5. Ganz ähnlich konnte auch Oberfähnrich Heinz Kupka (Rundschreiben an ehemalige Napola-Kameraden, 22. 1. 1944, KA, NL, B/1581) es kaum erwarten, an die Front in Frankreich zu kommen. 371 Raus, Einleitung, 15. 372 B¦d¦-Kraut, Gesprächsprotokoll, 11.
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Selbstbewusstsein der Österreicher als auch deren Anerkennung in den Augen der reichsdeutschen Kameraden in einem Maße, wie es zu Friedenszeiten unmöglich gewesen wäre, denn der Feldzug gegen Polen war trotz des ungemein schnellen und leichten Erfolges ein richtiger Krieg, der auch die ersten Todesopfer forderte.373 Daneben kam es auch zu den ersten Auszeichnungen. So erhielt der Kärntner Leutnant Franz Gerwin Steinberger als einer der tapfersten Soldaten seines Bataillons in Polen das Eiserne Kreuz.374 Zu den beiden ersten Soldaten, die mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurden, gehörte übrigens der Österreicher Josef Stolz.375 Nach dem Polenfeldzug benutzten Österreicher sogleich jede Gelegenheit, um ihren Anteil an den Kampfhandlungen herauszustreichen. Laut Oberstleutnant Josef Vichytil zeigte sein Aufklärungs-Regiment 9 eine »stolze Bewährung vor dem Feinde«, als es an der Spitze der 4. leichten Division in den Nordosten – eine wichtige Operationen innerhalb der 14. Armee – vorgestoßen war.376 Für Franz Ammerer, einem Gefreiten im hauptsächlich österreichischen Schützenregiment 12, dessen Einheit allein die Last des infanteristischen Kampfes in den Gefechten der 4. Panzer-Division um Warschau und an der Bzura – dem »Ruhmesblatt« der Division – getragen hatte, verstärkte diese »Feuerprobe« nicht nur die Kameradschaft, sondern erlaubte den jungen Soldaten auch, sich wie »verdiente Krieger« zu fühlen.377 Laut Wachtmeister Schöpf von der 2. Gebirgs-Division war der Polenfeldzug eine in der Weltgeschichte noch nie dagewesene Leistung, und »wir Soldaten der Ostmark sind stolz, mit dabei gewesen zu sein.«378 Die Presse im Reich und vor allem in der Ostmark war ebenfalls voller Stolz auf »die Unsrigen«, also die ostmärkischen Truppen, die in gehobener Stimmung von der Front zurückkehrten und einen wichtigen Beitrag zu den erfolgreichen Operationen an der Südflanke in Polen geleistet hatten.379
373 Pointner (Erinnerungen 1939 – 1944, 2) verlor seinen ersten Kameraden in Polen. Vgl. den Brief von Maria Halwachs an A. Kaipel vom 2. 10. 1939 (Bundschuh, Verlorene Jahre), in welchem sie ihn über die Verluste in den Nachbargemeinden unterrichtet. 374 Bataillonskommandeur Obstlt. Kräusler an Franz Steinberger [Vater von Franz Gerwin Steinberger], 28. 1. 1942, KA, NL, B/459. 375 Allmayer-Beck, Österreicher, 358; Glaise-Horstenau, Ostmärker im Kriege, 157. Lt. Stolz wurde am 27. 10. 1939 gemeinsam mit Olt. Dietrich Steinhardt ausgezeichnet. 376 Carl Hans Hermann: Kriegstagebuch der 1. Schwadron des Aufklärungsregiments 9, 1939/ 40, KA, NL, B/986:6, 87. 377 Franz Ammerer : Besatzungstruppe in Polen (20. Sept.-Mitte Okt. 1939), Manuskript zur Geschichte der 4. Pz.-Div., [1938 – 1940], KA, NL, B/1378. 378 Wm. Schöpf: Meine Erlebnisse und Erfahrungen während des Polenfeldzuges, BA-MA, RH 53 – 18/17, 4. 379 Der Führer bei den ostmärkischen Soldaten, Innsbrucker Nachrichten, Sept. 1939; Ostmärker siegen bei Zamocz, Vorarlberger Tagblatt, 21. 9. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/153; E. Z., Wiedersehen mit den »Unsrigen«, Salzburger Volksblatt, 23./24. 9. 1939, BA-MA, RH 53 –
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Somit hatte der Sieg über Polen den Österreichern in den Worten von Hansbernhard Lauer, einem österreichischer Fähnrich im sächsischen Infanterie-Regiment 31, eine exzellente Gelegenheit geboten, zu beweisen, dass sie es »wert sind ins Großdeutsche Reich gekommen zu sein«, und das Kriegstagebuch der 45. Infanterie-Division begrüßte den darauffolgenden Westfeldzug mit dem Hinweis, dass die Division »erneut wie in Polen« Gelegenheit haben würde, »unter Beweis zu stellen, dass die Ostmärker in keiner Weise den Soldaten des Altreiches nachstehen.«380 Auch der reichsdeutsche Kommandeur der 44. Infanterie-Division ermahnte seine Soldaten mit den Worten: »Zeigt Euch der alten österreichischen Armee, unter deren ruhmreichen Fahnen Eure Väter gekämpft haben, würdig, und macht das Wort Adolf Hitlers, der Eurem Blute entstammt, wahr, dass auch Franzosen und Engländer seine Ostmärker noch kennenlernen werde.«381
Während des Westfeldzuges brachten die österreichischen Soldaten sowie die ostmärkische Presse abermals ihren Stolz auf alle mögliche Heldentaten und Schlachtenerfolge zum Ausdruck. Oberst Gustav Adolph-Auffenberg-Komarov etwa sandte eine belgische Uniform als Trophäe an das Heeresgeschichtliche Museum in Wien, während eine von »ostmärkischen Truppen« erbeutete französische Fahne zum »Glanzstück« im Klosterneuburger Pioniermuseum wurde.382 Soldat Matthias Kürbisch schrieb an die NS-Frauenschaft im steirischen Eibiswald, dass »unsere Gebirgsjäger« auf ihrem 800-km-Marsch nach Lyon von keinem Hindernis aufzuhalten gewesen seien.383 Und Kriegsberichter vermeldeten über »unsere Ostmärker«, dass ein Leutnant und ein Feldwebel schwimmend, mit ihren Maschinenpistolen auf dem Rücken, fünf auf einer Landzunge in der Aisne festsitzende Franzosen überwältigt hätten, während es einem Grazer Wachtmeister nahe Calais sogar gelungen sei, 22 Engländer vor ihrer Evakuierung gefangen zu nehmen.384 Erneut konnten österreichische Soldaten Lob von reichsdeutscher Seite
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18/154; Werner Schäfer, Kameraden der Ostmark am Westwall, Innsbrucker Nachrichten, 16. 11. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/375. Hansbernhard Lauer an seine Eltern, 15. 9. 1939, KA, NL, B/756:2; Die 45. Division im Feldzug Frankreich vom 10.5.–20. 7. 1940, Feldzugsbericht, [1940], KA, NL, B/238:3, 1. 44. Division, Divisions-Tagesbefehl, 11. 5. 1940, BA-MA, RH 26 – 44/5. In Frankreich wurde die Division von GM Friedrich Siebert kommandiert. Gustav Adolph-Auffenberg-Komarov : Feldzug gegen Frankreich 1940, [1940], KA, NL, B/ 678:7, Eintrag vom 17. 5. 1940; Französische Trikolore – von Ostmärkern erbeutet, Neues Wiener Tagblatt, 13. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/19. Adolph-Auffenberg-Komarov war Kommandeur des IR 41 innerhalb der 10. ID. Soldat Matthias Kürbisch an NS-Frauenschaft Eibiswald, 12. 7. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/ 224. Kriegsberichter R. Kettlein, Wie die Ostmärker an der Aisne kämpften, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/224; Kriegsberichter v. Kayser, Grazer Wachtmeister macht 22 Gefangene, 9. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/224.
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empfangen. Oberst Rudolf von Bünau fand, dass sein Infanterie-Regiment 133 die Prüfung genauso bravourös wie in Polen bestanden und die Männer sich der hohen Tradition der »Hessen« würdig gezeigt hätten. Nachdem Bünau selbst das Regiment im November 1938 aufgestellt und ausgebildet hatte, fühlte er mit jedem einzelnen Mann eine »herzliche« kameradschaftliche Verbindung, die sich nun schon zweimal im feindlichen Feuer vertieft habe.385 Ähnlich respektvoll war die Bemerkung eines anderen von Bünau, einem Oberleutnant in Panzer-Aufklärungs-Abteilung 5, über einen Zwischenfall während der Überquerung der Maas: »Dieser Fliegerangriff, der mit neun Bombern durchgeführt wurde, kostete den Gegner acht Bomber, abgeschossen von unserer ostmärkischen Flak!«386 Die Tatsache, dass sich unter den Truppen, die Paris einnahmen, Österreicher befanden, wurde oft als die Erfüllung von Hitlers Prophezeiung, dass die Westmächte »seine« Ostmärker noch kennenlernen würden, betrachtet.387 Eine Münchner Zeitung höhnte, dass dies die passende »Antwort« für alle Demütigungen sei, die Österreich seit 1919 durch Frankreich erlitten habe, und der Gauleiter von Wien, Bürckel, erhielt von einem gewissen (wahrscheinlich reichsdeutschen) Leutnant Wach einen Brief mit folgenden Zeilen: »Ostmärkische Truppen zogen zuerst in Paris ein und hissten das Hakenkreuzbanner auf dem Elys¦e Palast. Herr Daladier hat die Ostmärker gründlich kennengelernt.«388 Entsprechend stolz war daher die 45. Infanterie-Division auf ihren Beitrag zu diesem »geschichtlichen Sieg«.389 Es soll hier auch noch einmal betont werden, dass die auf militärischer Bewährung beruhende Anerkennung sich mit der Zahl der Todesopfer noch weiter erhöhte, wie das folgende Zitat aus der Totenehrung eines Kompaniechefs verdeutlicht: »Mancher ist gefallen; auch von unserer Kompanie opferten […] zwei Kameraden ihr junges Leben. Zwei ostmärkische Gebirgsjäger […] brachten das größte und schönste Opfer, das ein deutscher Soldat seinem Volke bringen kann.«390 385 Die »Hessen« (nach Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein) war der Spitzname des Linzer Hausregiments IR 14, dessen Tradition das IR 133 übernommen hatte. Rudolf von Bünau: Der 9. u. 10. Juni 1940, o. J., KA, NL, B/890:3. 386 Olt. von Bünau (1./Pz. Aufkl. Abt. 5): Franzmänner, nichts als Franzmänner!, 28. 5. 1940, NL, B/1495:3. 387 Adolf Hitler : Rede am 30. 1. 1940 im Sportpalast Berlin, in: Ders.: Reden und Proklamationen 1932 – 1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Bd. 2/1: Untergang. 1939 – 1940, hg. von Max Domarus, München 1965, 1452 – 1461, 1460. 388 Ostmärkische Antwort, in: Münchener Neueste Nachrichten, 25. 7. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185. Lt. Friedrich Wach an Bürckel, 26. 6. 1940, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 29. Vgl.: Ostmärker zogen als erste ein, in: Dresdner Anzeiger, 19. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/19. 389 Die 45. Division im Feldzug Frankreich, 25. 390 Gefr. Moritsch: Die 13. Kompanie ehrt ihre Toten!, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/227.
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Jene Tat aber, die hinsichtlich der Steigerung des Selbstbewusstseins und des Respekts alles andere in den Schatten stellte und in der Erinnerung beinahe legendären Ruhm unter den Soldaten der Wehrmacht genoss, war die NarvikOperation während des Norwegenfeldzuges. Die Taten der 2. und 3. GebirgsDivision bei der Eroberung und Verteidigung der norwegischen Hafenstadt Narvik im Frühjahr 1940 wurden im gesamten Reich in der Presse und zahlreichen Publikationen enthusiastisch gefeiert, wobei üblicherweise betont wurde, dass diese Einheiten fast ausschließlich aus »Ostmärkern« bestanden.391 Zeitungen berichteten auch über die »stürmischen« Empfänge in Wien und die spezielle Freude in der Ostmark.392 Das erhöhte Selbstgefühl der österreichischen Gebirgsjäger drückte sich perfekt in folgender Strophe des Alpenjägeroder Narvik-Liedes aus: »Von Stavanger bis nach Trondheim weht Deutschlands stolze Flagge windgebläht, Selbst auf Narviks hohem Felsenthron steht der Ostmark treuer Alpensohn. Refrain: Aus dem Steirerland und von Tirol, aus den Kärntner Bergen sind wir wohl, Hoch im Norden kämpft in Schnee und Eis Dietls Alpenkorps vom Edelweiß!«393
Der Narvik-Erfolg besaß höchsten Symbolwert, widerlegte er doch die feindliche Propaganda, dass die Österreicher nur unter Zwang gefochten hätten.394 Nun konnte dieser Erfolg ganz im Gegenteil als weiterer großartiger Beweis für das österreichische Bekenntnis zu Großdeutschland zelebriert werden:
391 Sondermeldung des OKW vom 10. 6. 1940, in: Roland Kaltenegger : Krieg am Eismeer. Gebirgsjäger im Kampf um Narvik, Murmansk und die Murmanbahn, Graz/Stuttgart [1999], 139 – 140; Hermann Schneider : Ein Mann ist alles, 1940, KA, NL, B/195:3; GlaiseHorstenau, Ostmärker im Kriege, 157; Kurt Parbel: Der Verteidiger von Narvik. Generalleutnant Eduard Dietl, Kommandeur einer ostmärkischen Gebirgs-Division, erhielt das Ritterkreuz, in: mind. vierzehn Altreichszeitungen, Juni 1940, BA-MA, RH 53 – 18/177; Tjark Herbert Usen: Ostmärkische Gebirgsjäger, in: vers. Zeitungen, Sommer 1940, BAMA, RH 53 – 18/182; Der Sieg von Narvik, in: General-Anzeiger für Bonn und Umg., 12. 6. 1940; »Ich bin stolz auf meine Gebirgsjäger«, in: Blickfang der Zeit, 1. 11. 1940; Kriegsberichter Karl Sedlatzek: Gebirgsjäger überschritten Polarkreis. Ostmärker in ihrem Element, in: Deutsche Zeitung in Norwegen, 8. 6. 1940, BA-MA., RH 53 – 18/184. 392 Baldur von Schirach begrüßte Fronturlauber : »Willkommen in Wien, ihr Helden von Narvik!« Gebirgsjäger auf dem Ostbahnhof wieder stürmisch empfangen, in: Völkischer Beobachter (Wien), 16. 8. 1940; Willkommen in Deutschlands schönster Stadt! Reichsleiter von Schirach begrüßt Urlauber aus Narvik, in: Volkszeitung (Wien), 16. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/186; Wiens Freude über Narvik. Stolz auf die ostmärkischen Gebirgstruppen, in: Deutsche Allg. Zeitung (Berlin), 11. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/184. 393 Alpenjägerlied, o. J., in: Der Lange Marsch Graz-Narvik-Kiestinki und zurück 1939 – 1945, II. Teil: Aus dem Kriegstagebuch der 1. Batterie des Gebirgsartillerie-Regiments 112 – 124, hg. von Alfons Bürckel, KA, NL, B/1447:5. 394 Das Heldenlied von Norwegen, in: Lübecker Generalanzeiger, 12. 6. 1940, und Arnstädter Anzeiger, 11. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/184. Ähnlich: Über den Polarkreis hinaus, in: vers. Altreichszeitungen, Juni 1940, BA-MA, RH 53 – 18/184.
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»Jeder Tropfen Blut, der von ihnen vergossen wurde, schließt die Glieder des kommenden Reiches enger zusammen. Und es wurden nicht wenige vergossen. Die ersten sanken schwer in die galizische Erde […]. Die anderen […] fielen als rote Punkte in die Schneefelder des Nordens, und wieder andere zwischen Trümmern in den flandrischen Sand.«395
Hitler selber brachte diese Anschauung in einer Reichstagsrede zum Ausdruck: »Das Wort Narvik wird in der Geschichte für immer ein herrliches Zeugnis sein des Geistes der Wehrmacht des nationalsozialistischen Großdeutschen Reiches. Die Herren Churchill, Chamberlain und Daladier waren noch bis vor kurzem über das Wesen der großdeutschen Einigung sehr schlecht unterrichtet. Ich darf wohl annehmen, dass gerade der Einsatz ostmärkischer Gebirgstruppen in dieser nördlichsten Front unseres Freiheitskampfes ihnen die nötige Aufklärung für das Großdeutsche Reich und seine Söhne beigebracht hat.«396
Viele Darstellungen unterstrichen auch, dass die Kooperation aller drei Wehrmachtteile bei der Narvik-Operation zur Vertiefung des Verhältnisses der deutschen Stämme untereinander beigetragen habe, wobei meistens auf die Kriegsmarine als Vertreter der norddeutschen Küstenbewohner und die Gebirgsjäger als Vertreter der alpenländischen Bevölkerung hingewiesen wurde.397 Veteranen des Ersten Weltkrieges empfanden aufgrund der Geringschätzung des österreichischen Soldatentums im vorherigen Weltkrieg eine ganz besondere Genugtuung. Hugo Kerchnawe beispielsweise zeigte sich hocherfreut, dass die Gebirgsjäger den militärischen Taten ihrer Vorfahren, die auch oft auf verlorenem Posten gestanden hätten, ein weiteres »Heldenlied« hinzugefügt und erneut die Leistungsfähigkeit des »Ostmärkers« demonstriert hätten.398 Für 395 Ostmärkische Antwort, in: Münchener Neueste Nachrichten, 25. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185. Vgl.: Die Narvik-Kämpfer kommen!, in: Völkischer Beobachter (Wien), 9. 8. 1940, und Wiener Neueste Zeitung, 8. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/186; Gerd Böttger: Narvik im Bild. Deutschlands Kampf unter der Mitternachtssonne, Oldenburg/Berlin 1941, 133. 396 Adolf Hitler : Reichstagsrede am 19. 7. 1940, in: Ders.: Reden und Proklamationen, Bd. 2/1, 1540 – 1559, 1546. 397 Der Artikel »Edelweiß, Anker und Propeller« (meistens untertitelt »Symbolische Einheit im Abwehrkampf von Narvik«) erschien im Juni 1940 in: mind. neun Altreichszeitungen, BAMA, RH 53 – 18/177. Die Kooperation zwischen Marine und Gebirgsjägern wurde ebenfalls betont in: Narvik – das Heldenlied der deutschen Einheit, in: Volkspresse (Wien), 15. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185; Narvik – Symbol großdeutscher Verbundenheit, in: Kärntner Grenzruf, 5. 8. 1940; Das Heldenlied von Norwegen, in: Lübecker Generalanzeiger, 12. 6. 1940, und Arnstädter Anzeiger, 11. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/184. 398 Hugo Kerchnawe, Narvik. Ein neues Heldenlied der alten Ostmark, in: Reichskriegerzeitung (Berlin), 30. 6. 1940, und Volkszeitung (Wien), 11. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185. Kerchnawe erwähnte u. a. die Angriffe bei Flitsch und Karfreit 1917 sowie die Verteidigung von Przemysl 1914, des Kärntner Kanaltales (der »österreichischen Thermopylen«) 1809 und von Wien 1683. Laut Franz Podhajsky verdankte das Korps Dietl seinen »unvergänglichen Ruhm […] in erster Linie den aus unserer Heimat stammenden Regimentern«. Franz Podhajsky : Russ. Feldzug, I. Teil, 18. 9. 1941, KA, NL, B, C/219:23, 18.
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Kriegsberichter Harald Schreiner bedeutete Narvik nichts weniger als die endgültige Zerstörung der Legende vom »Kamerad Schnürschuh«.399
Identifikation Was bedeutete nun der immens erfolgreiche Charakter der Feldzüge? Zunächst einmal steigerten sich sowohl das Selbstbewusstsein der österreichischen Soldaten als auch deren Anerkennung proportional mit der Größe des militärischen Erfolges. So war das Lob nach dem Sieg über Frankreich, das bis dahin als die stärkste Militärmacht Europas gegolten hatte, noch höher einzuschätzen als nach dem Polenfeldzug, und seit dem Westfeldzug sahen sich die jungen Wehrmachtsoldaten laut Karl Brandeis, wenn schon nicht als »Helden«, so doch als »tolle Kerle«.400 Narvik konnte bisweilen den Eindruck erwecken, als ob der Erfolg überhaupt nur den Österreichern zu verdanken gewesen wäre, sodass ein Kriegsberichter sich sogar bemüßigt fühlte, darauf hinzuweisen, dass auch Männer aus anderen Gegenden Deutschlands an der Operation teilgenommen hatten.401 Der Stolz auf die eigenen Leistungen spiegelte sich in dem Stolz, den die österreichischen Soldaten für die Wehrmacht als »ihre« Armee empfanden, und diese tief greifende Identifikation mit der Wehrmacht und ihren Leistungen – sowie der deutschen Sache im Allgemeinen – kam auf mehrere Weisen zum Ausdruck.402 Zunächst äußerte sich dies im Sprachgebrauch: Begriffe wie »wir«, »uns« und »unser« werden ständig in den privaten Zeugnissen österreichischer Wehrmachtsoldaten verwendet. Der in einer Flak-Batterie hinter der Westfront eingesetzte Weltkriegsveteran Franz Lass verzeichnete in seinem Tagebuch den Einmarsch »unserer Armee« in Polen sowie dass England »uns« den Krieg erklärte habe.403 Die Offiziere Guido Chwistek und Hans Swogetinsky sprachen von der Offensive »unserer Truppen« in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg, und (Unteroffizier unbekannten Ranges) Rudolf Weixlbaumer be-
399 [Sonderberichterstatter Harald Schreiner]: Kamerad Schnürschuh – starb bei Narvik. Eine Legende, die endgültig zerstört wurde, in: Kärntner Grenzruf, 16. 1. 1941, Mainfränkische Zeitung (Würzburg), 15. 1. 1941, Brüsseler Zeitung, 18. 1. 1941, und Kattowitzer Zeitung, 26. 1. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/182. 400 Brandeis, Interview. 401 [Schreiner]: Kamerad Schnürschuh – starb bei Narvik. 402 Vgl.: Ziegler/Kannonier-Finster, Gedächtnis, 243. Derartiger Stolz sowie die Identifikation mit der eigenen Einheit war auch unter Reichsdeutschen üblich. Fritz, Frontsoldaten, 173. 403 Franz Lass, Fortsetzung meiner Erlebnisse während des Weltkrieges 1918 (Kriegstagebuch), [1918 – 21, 1939 – 41], KA, NL, B/1467:2, Einträge vom 1.9. und 3. 9. 1939.
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nutzte die gleichen Worte bezüglich der Feldzüge gegen Jugoslawien und Griechenland.404 Des Weiteren zeigten sich Österreicher vielfältig von der Stärke der Wehrmacht und der Leichtigkeit der Siege beeindruckt. So empfand Allmayer-Beck den Polenfeldzug als »Manöver im scharfen Schuss«.405 Fritz Bertnik, damals vermutlich ein einfacher Soldat, schrieb heim, dass »die Polen [laufen], was sie können.«406 Ganz ähnlich berichtete Hansbernhard Lauer seinen Eltern, dass die Märsche so anstrengend seien, weil sie »ja den Polen rasch nachlaufen« mussten.407 Soldat Othmar Sekoll zufolge seien die norwegischen Soldaten zwar »große, blonde Burschen«, aber keine Kämpfer, »was ja leicht zu verstehen ist, da Norwegen über hundert Jahre keinen Krieg geführt hat.«408 Das Kriegstagebuch der 45. Infanterie-Division über den Frankreichfeldzug schloss befriedigt mit den eher prosaischer Worten »in 45 Tagen ist es gelungen, die nächst Deutschland stärkste Militärmacht Europas niederzuwerfen«, während die Soldaten in Norwegen laut (unbekannter Unteroffiziersrang) Walter Neugebauer »immer voll Stolz« von den Ereignissen im Westen hörten.409 Unter dem Eindruck verlassener französischer Stellungen und weggeworfener Ausrüstungsteile schrieb Soldat Heinz Zsilincsar seinem Bruder : »Wenn man das alles sieht, dann kommt erst einem die Wucht des deutschen Heeres zum Bewusstsein und auch die Marschleistungen der Infanterie; es ist fast unglaublich, was diese Burschen leisten!«410 Der gewaltige Eindruck, den die Erfolge auf die österreichische Zivilbevölkerung machten, lässt sich daran ermessen, dass zwischen November 1940 und Januar 1941 in Wien 350.000 Besucher die Ausstellung »Sieg im Westen« stürmten, was sie zu einer der populärsten Ausstellungen machte.411 Die österreichischen Soldaten brachten die militärischen Triumphe oft mit einer überlegenen deutschen Einstellung in Verbindung. So befand Oberst Friedrich Ossmann in einem Brief an seinen Freund, Oberst Friedrich Franek, dass der Erfolg in Norwegen trotz materieller Unterlegenheit auf der »deutschen Energie und der Wendigkeit« beruht habe.412 Fritz Bertnik, nunmehr vermutlich 404 Guido Chwistek: Kriegstagebuch, 10. 5. 1940 – 17. 7. 1942, KA, NL, A, B/1254:2, Eintrag vom 10. 5. 1940; Hans von Swogetinsky : 2. Weltkrieg, 10. 9. 1939 – 26. 10. 1946 (Tagebuch), KA, NL, B/218:3, Eintrag vom 11. 5. 1940; Rudolf Weixlbaumer, Tagebuch, 24. 10. 1940 – 30. 10. 1943, KA, NL, B/1418:37, Eintrag vom 7. 4. 1941. 405 Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 101. 406 Friedrich Bertnik an Familie Wächter, 6. 9. 1939, KA, NL, B/1403:4. 407 Lauer an seine Eltern, 5. 9. 1939. 408 Soldat Othmar Sekoll: Erlebnisberichtartiger Brief, 7. 7. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/169. 409 Die 45. Division im Feldzug Frankreich, 25; Walter Neugebauer an Friederike Volkart, 15. 6. 1940, KA, NL, B/485. 410 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 6. 6. 1940. 411 Schirach an Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, 15. 1. 1941, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 159. 412 Oberst Friedrich Ossmann an Friedrich Franek, 5. 12. 1940, KA, NL, B/773:22.
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Gefreiter, verglich die deutsche Einstellung mit der französischen folgendermaßen: »Der Schwung in der Wehrmacht, die frohen Gesichter, […] das ›Zackige‹ in der Kompanie trotz 11 Monaten Krieg, wird kopfschüttelnd bewundert. – Alles das hier ist nur das warnende Beispiel eines Siegerstaates, der die Hände in den Schoß gelegt hatte und mit dem Fall seines Rückgrates, der Maginotlinie, äußerlich und innerlich zusammenbrach. […] Nur so sind unsere unheimlichen Erfolge verständlich.«413
Einige schrieben die Schaffung dieses frischen Geistes der Führung zu. Gemäß dem von Oberleutnant Rudolf Heissenberger geführten Kriegstagebuch der ersten Batterie des Artillerie-Regiments 102 ermöglichte nur die »Aufstellung einer Wehrmacht, die im wahrsten Sinne als Volksheer bezeichnet werden kann«, den Sieg über vermeintlich übermächtige Gegner, während laut Walter Neugebauer »diese weltanschauliche Ausrichtung, die wir haben«, der Wehrmacht ihre Schlagkraft verliehen habe.414 Der Eindruck, den die Stärke und Effizienz der Wehrmacht auf die österreichischen Soldaten hinterließ, ist auch noch im Rückblick greifbar, selbst unter Personen, die dem Regime ablehnend gegenüberstanden. So schwärmte Oberst Erich Rodler – ein ehemaliger Ständestaat-Funktionär aus Tirol – in seinen Erinnerungen, wie »unsere Panzerdivisionen« schon im ersten Ansturm beide Verteidigungslinien durchstießen und die Reserven überrannten, während die »französischen Negertruppen« den Angriffen »unserer Stukas« nicht gewachsen gewesen seien.415 Und Anschluss-Gegner Kutzelnigg beschrieb in der Schilderung seines Norwegen-Einsatzes voller Stolz, wie sein westfälisches Regiment die Stadt Bergen eroberte, nachdem es ohne Lotsen durch verminte und von Küstenbatterien bedrohte Fjorde gefahren sei und jeden angreifenden englischen Flieger abgeschossen habe.416 Es ist daher wenig überraschend, dass die Begeisterung über die Wehrmacht von einem ausgesprochenen Einsatzwillen begleitet war. So berichtete etwa ein Mitglied der 2. Gebirgs-Division, dass die Kameraden in seinem Salzburger Bataillon ähnlich wie beim Kriegsausbruch 1914 Sprüche wie »Polen-SalzburgExpress« auf die Waggons gepinselt hätten.417 Peter Podhajsky erinnerte sich an die Enttäuschung innerhalb seiner Einheit, der 1. Batterie des Gebirgs-Artillerie413 Bertnik an Wächter, 28. 7. 1940. 414 Heissenberger, Kriegstagebuch, 29; Neugebauer an Volkart, 29.7.[1941]. Vgl.: Bertnik an Wächter, 25. 5. 1940; A. Kaipel an Familie Kaipel, 11. 6. 1940. 415 Rodler, Erinnerungen, 164. Rodler (ein Mitglied der Tiroler Heimatwehr, der Bundesführung des Heimatschutzverbandes und der Tiroler Sicherheitsdirektion) wurde nach seiner Verhaftung durch die Gestapo 1938 erlaubt, sich durch Wehrmachtdienst zu rehabilitieren. Vgl. den ganz ähnlichen Fall Paul Lang in: Ziegler/Kannonier-Finster, Gedächtnis, 185. 416 Kutzelnigg, Gesprächsprotokoll, 31 – 32. 417 Heinrich Trauner : Die Träger der Rainertradition in Polen, BA-MA, RH 53 – 18/151, 5.
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Regiments 112, als diese ohne Kampfeinsatz aus Polen abgezogen wurde, während Heinz Zsilincsar nach dem Polenfeldzug an seinen Bruder schrieb, dass er sich zur Front melden würde, sobald seine Grundausbildung abgeschlossen sei.418 Auch unter den Offizieren fand sich eine hohe Kampfbereitschaft.419 Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, inwieweit diese Einstellung von einem gewissen Offiziers-Ethos oder von Sympathien für die deutsche Sache inspiriert war. Karl Brandeis und Peter Podhajsky erklärten die Kampfeslust der Offiziere hauptsächlich mit deren professioneller Einstellung, welche danach strebte, einen militärischen Befehl erfolgreich auszuführen, indem man alle anderen Komponenten, inklusive der Politik, ausblendete und sich ganz auf die verantwortliche und kompetente Führung der anbefohlenen Männer konzentrierte.420 Natürlich sind das Standardformulierungen, die sich in der Autobiografie vieler Offiziere finden lassen, was gelegentlich von deren tatsächlicher Identifikation mit dem Regime ablenken sollte, aber gerade Brandeis und Podhajsky hätten genügend Motive gehabt, sich nicht mit diesem zu identifizieren, sodass ihre Erklärung glaubhaft erscheint. Außerdem war es möglich, zwischen den gerechtfertigt erscheinenden Kriegszielen Deutschlands und dem Regime selbst zu unterscheiden. Hinzu kam, dass einige österreichische Offiziere in Funktionen verwendet wurden, die sie als nicht erfüllend oder ihren Karrieren abträglich betrachteten. Die Offiziere kannten sich häufig aus dem Ersten Weltkrieg und fragten sich daher gegenseitig um Interventionen, um gemeinsam in derselben Einheit dienen zu können.421 Doch auch im gegenwärtigen Krieg hatten sich bereits enge Bande unter Österreichern sowie zwischen Österreichern und Reichsdeutschen auf allen Ebenen entwickelt.422 Zu guter Letzt hatte man bereits 1938 damit begonnen, österreichische Offiziere mit Ständestaat-Hintergrund zu rehabili418 P. Podhajsky, Polen-Feldzug, 8; H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 26. 11. 1939. 419 Oberst Hörl an Friedrich Franek, 20. 5. 1941; Hptm. Max Spurny an Friedrich Franek, 30. 12. 1940, KA, NL, B/773:22. 420 Interviews mit Brandeis und P. Podhajsky. 421 Ostermuth [?] an Krainz, 24.9. und 7. 10. 1939, KA, NL, B/965:9; Spurny an Franek, 30. 12. 1940; Hörl an Franek, 20. 5. 1941. Derartige Ansuchen konnten auch von Nichtoffizieren gestellt werden: Richard Csaller (an Friedrich Franek, 14. 2. 1944, KA, NL, B/773:26) aus Bistritz (wahrscheinlich ein Siebenbürger Sachse), der schon einmal als Unteroffizier unter Franek gedient hatte, meldete sich freiwillig zu Franeks Deutschmeister-Division an die Front. 422 Hptm. Wiedenhorn, Kdr. Ldsschtz. Batl. 981, an Friedrich Franek, 11.5., 14.6. und 11. 7. 1941, KA, NL, B/773:22; Kdr. Aufklärungs-Regiment 9 an Krainz, 18. 10. 1939, KA, NL, B/ 965:9. Rudolf Weixlbaumer (Tagebuch, Eintrag vom 30. 3. 1941) bedauerte die Versetzung zu einer Parallelbatterie innerhalb der 100. Jäg.-Div. aufgrund der Eingespieltheit mit und ˇ SR, der emotionalen Bindung an die Kameraden in der alten Batterie, welche sich in der C Polen und Frankreich entwickelt hatte.
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tieren, und nach Kriegsausbruch verfügte Reichskommissar Bürckel, dass sich die politische Vergangenheit vor allem durch die Freiwilligmeldung zum Fronteinsatz auslöschen lassen könne, was als weitere Motivation gedient haben mag.423 Ein weiterer Gradmesser für die Identifikation mit der deutschen Sache war die Weise, wie österreichische Soldaten ihre Gegner auf dem Schlachtfeld sahen. Es ist nicht weiter bemerkenswert, wenn Österreicher ein militärisches Vorgehen gegen Völker befürworteten, welche entweder vom Zerfall der Monarchie profitiert oder mit denen es schon vor 1918 Spannungen gegeben hatte, wie die Jugoslawen oder Tschechen. Etwas anders verhält es sich mit Polen. Obwohl sicherlich ein Nutznießer der Pariser Friedensordnung, kann das historische Verhältnis zwischen Deutschösterreichern und Polen im Gegensatz zum preußisch-polnischen Verhältnis als gut bezeichnet werden. Dennoch dürfte dieser Waffengang österreichischen Soldaten angesichts der Schilderungen von »laufenden« Polen keinerlei Überwindung gekostet haben. Aufschlussreich erscheint in diesem Zusammenhang, wie viele Parallelen zu den Kämpfen in Galizien 1914 gezogen wurden. Scheinbar bedeutete österreichischen Soldaten ihr Einsatz im südlichen Polen zusätzliche Motivation, weil er ihnen die Gelegenheit gab, an gleicher Stelle jenen Sieg zu erringen, der ihren Vätern trotz deren Tapferkeit versagt geblieben war – wenn auch gegen einen anderen Gegner. In den Reserve- und Sicherungseinheiten dienten auch viele ältere, oft nicht einmal umgeschulte Österreicher, sodass österreichische Landser gelegentlich an polnischen Friedhöfen vorbeimarschierten, auf denen ihre Kameraden oder Verwandten ruhten.424 Laut Hauptmann August Mayer, dem Kommandeur von Gebirgs-Fahrkolonne 3, gehörten die meisten seiner Männer jener Generation an, welche »die Hauptlast des [Ersten] Weltkrieges getragen hat« und »nun wieder die Lasten dieses Krieges tragen soll.«425 Leutnant Franz Pontalti sinnierte, dass viele österreichische Soldaten nun zum zweiten Mal die »blutgetränkte« Erde des »alten österreichischen Kronlandes« Galizien betreten würden, und dass es am San war, wo die »Söhne der Tiroler Berge« immer wieder mit den Kosaken zusammengeprallt seien.426 Diesmal jedoch, so Wachtmeister Schöpf, sei der heiß umkämpfte San in nur drei Stunden überschritten worden, und »wieder
423 Der Erlass wird erwähnt in: Kdr. Aufklärungs-Regiment 9 an Ers. Abt. für Aufkl. Einheit 9, 14. 10. 1939, KA, NL, B/965:9. 424 August Mayer an Kriegsarchiv, 21. 2. 1960; A. Kaipel an M. Halwachs, 9. 10. 1939, in: Bundschuh, Verlorene Jahre; Glaise-Horstenau, Ostmärker im Kriege, 157; Pesendorfer, Ostmärkische Soldaten, 38. 425 Mayer, Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 17. 10. 1939. 426 Franz Pontalti: Erinnerung an Polen, BA-MA, RH 53 – 18/17, 1, 5.
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stürmten unsere Gebirgstruppen, gleich den Kaiserjägern in einem einmaligen Siegeslauf unaufhaltsam vorwärts.«427 Ein Weltkriegsveteran erinnerte sich, dass er vor 21 Jahren an genau derselben Stelle gedient hatte, während zwei andere sich wieder begegneten, die gemeinsam in Galizien gefochten hatten, und auch auf Ukrainer stießen, die wegen der »großen Schule des altösterreichischen Heeres« Deutsch sprechen konnten. Ein vierter traf sogar auf einen Reichsdeutschen, mit dem er 1917 am Isonzo gekämpft hatte.428 Der pensionierte Oberst Franz Podhajsky (Vater von Peter Podhajsky), als ehemaliger k. u. k. Generalstabsoffizier ein Anhänger der alten Monarchie, äußerte auch Verständnis für Kriegsziele, die eindeutig in der Tradition Preußens oder des deutschen Kaiserreichs standen. Für Podhajsky war die Rückkehr von Danzig eine »verständliche Forderung« sowie eine Landverbindung zwischen Ostpreußen und dem Reich »zweckmäßig«. Des Weiteren, so Podhajsky, habe Frankreich seit 1918 Deutschland »mit allen Schikanen« drangsaliert, wodurch jede friedliche Lösung vereitelt und das deutsche Volk »in Verzweiflung« getrieben und zu »geschlossener Einheit« geführt worden sei.429 Podhajsky stand mit seiner Meinung zu Polen wahrscheinlich nicht allein da, und ganz sicher nicht mit seiner antifranzösischen Haltung. Mit Beginn des Westfeldzuges erinnerten Kriegsberichter ihre Leser daran, dass sich die Tradition der altösterreichischen Armee nicht auf Galizien beschränkte, da diese Armee in den Jahrhunderten vor 1914 viele Schlachten an verschiedenen Orten in Westeuropa geschlagen habe, wo nun die »Söhne unserer Heimat« ihre Pflicht in »Großdeutschlands Kampf« erfüllten.430 Und tatsächlich fochten die österreichischen Soldaten gegen die Westmächte ebenso entschlossen wie ihre reichsdeutschen Kameraden, obwohl sie schon lange nicht mehr auf eine direkte Konfrontation mit Frankreich, ganz zu schweigen von England, zurückblicken konnten. Österreicher machten die westlichen Alliierten auch häufig für den Ausbruch des Krieges und die Fortsetzung der Kampfhandlungen verantwortlich, da diese Hitlers Friedensangebote abgelehnt hätten. So wünschte sich Leutnant Franz Gerwin Steinberger nach dem Sieg über Polen im Oktober 1939, dass »hof427 Schöpf, Meine Erlebnisse und Erfahrungen während des Polenfeldzuges. 428 Hannes Schwerdtfeger : Unsere Soldaten erzählen. Wiedersehen mit ostmärkischen Soldaten, in: Neueste Zeitung, 25. 9. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/154, 4; W. Schneefuß: Die Träger alten Ruhms, in: Tagespost (Graz), 23. 9. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/154; Schäfer, Kameraden der Ostmark am Westwall. 429 Franz Podhajsky : Gedanken über den Krieg, 21. 8. 1939; Die Maginotlinie, o. J., KA, NL, B, C/219:24. 430 W. Schneefuß: Die Ostmärker im Westen, in: Neues Wiener Tagblatt, 16. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/19. Vgl.: Pesendorfer, Ostmärkische Soldaten, 38.
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fentlich […] jetzt bei unser[e]n Gegnern die Vernunft und die Friedensliebe [siegen]«, um weiteres Leid zu vermeiden.431 Nachdem das nicht eingetreten war, hoffte Bertnik drei Monate später, dass »die ganze Verbündetenbande den ~ von uns verhauen« bekommt«, was mit dem nach weiteren vier Monaten beginnenden Westfeldzug in die Tat umgesetzt wurde, sodass Josef Glaser, ein von Politik scheinbar völlig unberührter Soldat, seiner Verlobten schreiben konnte, dass seine Einheit sich »ganz vorne in dem vorgetriebenen Keil mit Richtung Paris« befinde, welches nur noch 100 Kilometer als »leuchtendes Ziel« vor ihnen liege, und er gemeinsam mit ihr den Sieg feiern wolle, wenn alles vorbei sei.432 Rudolf Heissenberger betrachtete die Trunkenheit der französischen und englischen Gefangenen als Zeichen der moralischen Verkommenheit »unserer alten Gegner und ihrer Helfershelfer«.433 Worauf beruhten diese starken antifranzösischen Gefühle? Stellvertretend für viele betrachtete Oberst Max Stiotta die Zerstörung der Habsburgermonarchie und die Verweigerung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes der Österreicher als einen Hauptgrund für den gegenwärtigen Krieg. Frankreich, so Stiotta, hätte niemals Milde mit Österreich gezeigt und dürfte daher auch nicht mit österreichischer Gnade rechnen.434 Entsprechend frohlockte eine Münchener Zeitung, dass jene, die 1919 in Paris erniedrigt worden seien, nun als Sieger dorthin zurückkehrten. »Ob die ›Sieger‹ von damals […] einmal davon geträumt haben«, so der Artikel weiter, »dass von den sechs Millionen, die den ungefährlichen Zwergstaat Österreich bevölkerten, noch einmal ein paar tausend in die eroberte Hauptstadt Frankreichs einziehen würden?«435 Andere Österreicher argumentierten noch weiter ausholend, dass Frankreich jahrhundertelang der Erzfeind des Hauses Habsburg und des Heiligen Römischen Reichs gewesen sei, sodass für Kriegsberichter Walter Schneefuß der Gegensatz zu Frankreich bis zu »den Anfängen unserer Heeresgeschichte überhaupt« zurückging.436 Hauptmann Steinacher verwies darauf, dass Frankreich weitaus mehr Kriege gegen Österreich als Vormacht Deutschlands als gegen Preußen geführt habe, und kritisierte auch die vielen französischen Bündnisse mit ehemaligen Reichsfeinden wie Bayern, Brandenburg und den
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Franz G. Steinberger an Liesl Steinberger, 9. 10. 1939, KA, NL Steinberger. Bertnik an Wächter, 28. 1. 1940; zwei undatierte Briefe von Glaser an Ullmann [1940]. Heissenberger, Kriegstagebuch, 2, 15. Mit dieser Begründung enttäuschte Stiotta (Graf, Stiotta, 167) die Hoffnungen einer Abordnung der Pariser Gemeindeverwaltung, dass er als Österreicher mehr Milde und Verständnis gegenüber dem besiegten Frankreich zeigen würde. 435 Ostmärkische Antwort, in: Münchener Neueste Nachrichten, 25. 7. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185. 436 Schneefuß, Die Ostmärker im Westen.
Identifikation
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Protestanten, ohne jedoch die gegenwärtige preußische Hegemonie über Deutschland infrage zu stellen.437 Eine solche Disposition entspricht wieder einmal voll und ganz Heinrich von Srbiks »gesamtdeutscher Geschichtsauffassung«: Zwar habe Preußen Österreichs jahrhundertealte Rolle als »Wacht am Rhein« erst nach 1815 übernommen und vorher oft gegen das Reich opponiert, aber aufgrund der Übernahme der deutschen Sendung könne Preußens früheres reichsfeindliches Verhalten vergeben werden, zumal nur ein vereinigtes Deutschland stark genug sei, um sich effektiv gegen Frankreich verteidigen zu können.438 Der deutsche Sieg von 1940 konnte dadurch als Vergeltung sowohl für die jüngste als auch die länger zurückliegende Vergangenheit interpretiert werden. Während derartige historische Sichtweisen Frankreichs nicht völlig unnachvollziehbar sind, so ist es doch erstaunlich, wie sehr die österreichischen Soldaten das Feindbild von England übernahmen, obwohl England mit Sicherheit am wenigsten in ein traditionelles österreichisches Feindschema passte. So bedauerte Walter Neugebauer in Norwegen im Juni 1940, dass er wahrscheinlich keine Gelegenheit haben würde, an einer »Spritztour von hier nach old England« teilzunehmen, während Heinz Zsilincsar zum selben Zeitpunkt in Frankreich noch hoffte, dass sie bald »gegen England« fahren würden.439 Laut Veteran Erich Ulber, der sich 1941 freiwillig zu den Fallschirmjägern gemeldet hatte, sei der Wunsch, gegen England kämpfen zu können, ein wichtiges Motiv für ihn und seine Kameraden gewesen, und ein Soldat unbekannten Ranges, Wolfgang Bosse, war davon überzeugt, dass Churchill Deutschlands Vernichtung gewollt habe.440 Ein Hauptgrund für die antienglische Haltung könnte Ärger über Englands standhafte Weigerung, sich nach der Verjagung seiner Truppen vom Kontinent als besiegt zu betrachten, gewesen sein. Dementsprechend versprach Gefreiter der Luftwaffe Heinrich Sorger in einem Brief vom Juli 1941 – als keine Hoffnung mehr auf einen schnellen Sieg über England bestand, und Sorger die Rückgewinnung der Lufthoheit über dem Kanal durch den »Tommy« bereits einge-
437 Hptm. Dr. Steinacher (II./Geb. Jäg. Rgt. 141): Ostmärkische Begegnung mit Paris, o. J., BAMA, RH 53 – 18/227. Beim Autor handelt es sich wahrscheinlich um den Bundesleiter des »Verbandes der Auslandsdeutschen« 1933 – 37, Dr. Hans Steinacher. 438 Steinacher (ebd.) empfahl Österreichern, dieses Axiom zu beherzigen, wann immer Franzosen versuchen würden, sie den anderen Deutschen durch preußenfeindliche Äußerungen zu entfremden. Im gleichen Sinne ermahnte Bruno Brehm (Deutsche Haltung vor Fremden. Ein Kameradenwort an unsere Soldaten, Berlin 1941, 6) Soldaten in einer Tornisterschrift, sich Fremden gegenüber immer als nur als Deutsche auszugeben. 439 Neugebauer an Volkart, 15. 6. 1940; H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 29. 6. 1940. 440 Ulber, Interview ; Wolfgang Bosse: Aus meinem Leben. Erinnerungen und Betrachtungen, 1996, KA, NL, B/2065, 248.
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räumt hatte –, dass es nicht mehr lange so weitergehen würde: »Glauben Sie mir, noch heuer wird der Kern allen Unheils seine gerechte Strafe finden.«441
Der »angenehme« Krieg Die Leichtigkeit der Siege über sämtliche deutsche Gegner auf dem europäischen Kontinent bis Frühjahr 1941 generierte einen weiteren integrativen Effekt insofern, als die Soldaten den Krieg als relativ »angenehm« empfinden konnten. Natürlich muss man hier festhalten, dass alle Feldzüge, egal wie leicht der Sieg erzielt wurde, mit Kampfhandlungen einhergingen und Todesopfer forderten. Trotz ihrer gemeinschaftsbildenden Auswirkungen empfanden die Soldaten Kriegsführung an sich als unerfreuliche Angelegenheit. Dies wurde nicht immer so drastisch ausgedrückt wie von Walter Neugebauer, ohnehin ein überzeugter und der offiziellen Ideologie nicht abgeneigter Soldat, der in seinen Briefen mehrmals im Zusammenhang mit dem Krieg den Begriff »Scheiße« verwendete.442 Für die große Mehrheit der Soldaten, die als Wehrpflichtige tun mussten, was ihnen befohlen wurde, kann der alles beherrschende Gedanke nur gewesen sein, so rasch wie möglich wieder heil nach Hause zu kommen. Man muss auch nicht den Krieg lieben, um ein guter Soldat zu sein.443 Dennoch schien eines unbestreitbar zu sein: Dieser Krieg würde nicht auf eine endlose und ungemein opferreiche Belastung wie 1914/18 hinauslaufen. Alle Kampagnen waren kurz und die Opferzahlen – mit wenigen Ausnahmen, wie die Besetzung Kretas – vor allem im Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg erträglich. In Soldatenbriefen fällt auf, dass Hinweise auf die Härten des Krieges, wie im Falle Neugebauers, entweder äußerst selten bis überhaupt nicht vorkommen. Stattdessen schienen manche Soldaten die meiste Zeit mit allen möglichen Dingen, nur nicht mit Kriegsführung, beschäftigt zu sein. In den Briefen von Josef Glaser beispielsweise ist der Feind buchstäblich nicht vorhanden: »Es geht uns allen gut hier in Frankreich, jedes Haus steht leer, und wir brauchen uns nur zu nehmen, was unser Herz begehrt.«444 Glaser musste seiner Langeweile mit der 441 Heinrich Sorger an Paul Cipan-Zsilincsar, 8. 7. 1941, KA, NL, B/532. 442 Neugebauer an Volkart, 15. 6. 1940, 1. 2. 1941 (»Es ist vielleicht ganz gut, wenn man hier die ganze Ratzenscheiße bis zum Ende mitmacht oder mitmachen muss, da sieht man erst, wie schön es zuhaus ist«) und 24. 2. 1941. 443 Vgl.: Detlef Vogel: Der Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen, in: Wette, Krieg, 199 – 212, 201. Laut Endbericht (44) beantworteten 38,3 Prozent der österreichischen Soldaten die Frage, ob sie gerne Soldaten gewesen sind, mit »Ja« und 42,5 Prozent mit »Nein«. 444 Glaser an Ullmann, o. J. [1940]. Ein anderer Soldat verwendete in demselben Kontext eine fast wortgleiche Formulierung: Ortwin Buchbender/Reinhold Sterz (Hg.): Das andere Gesicht des Krieges. Deutsche Feldpostbriefe 1939 – 1945, München 1982, 56, Nr. 60. Auch
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Hilfe von »gutem Wein« und Baden in der Loire beikommen: »Abgebrannt wie ein Neger liege [ich] alle Tage in der Sonne und denke auf nichts anderes als auf das Essen.«445 Die Briefe von Bertnik betreffen hauptsächlich seine Bemühungen, die Feldzüge zu dokumentieren, z. B. welche Art Fotoapparat er das nächste Mal mitbringen solle, oder ob seine Familie eine Schreibmaschine für ihn auftreiben könne.446 Seinen stärksten Ausdruck fand der relativ »angenehme« Charakter des Krieges darin, dass viele Soldaten ihren Wehrmachtdienst mit Reisetätigkeiten verglichen, wobei die Feldzüge den Charakter von Betriebsausflügen oder Ferienreisen annahmen, und die Wehrmacht dabei als Reisebüro oder »Kraft durch Freude«-Organisation fungierte.447 So schrieb Neugebauer nach Hause, dass er eine »Nordlandreise mit K. d. F. oder privat« nicht mehr unternehmen müsse, da er diese bereits »bei Mutter Wehrmacht gratis und franko in reichem Maße genossen« und während der Kämpfe auch immer die Augen für die »Schönheit des Landes« offen gehalten habe.448 Laut Peter Podhajsky bemerkte Eduard Dietl nach der Invasion der Sowjetunion einmal zu ihm: »Polen war ein KdF-Ausflug, Norwegen war ein Skikurs, aber das hier ist Krieg!«449 Der österreichische Journalist Richard Nimmerrichter (»Staberl«) bezeichnete seine Wehrmachtsverwendung rückblickend als Dienst im »Reisebüro Hitler«.450 In seinen Memoiren betrachtete Artilleriesoldat Franz Frisch seine Einsätze in Polen, Frankreich, der Sowjetunion und Italien als »hervorragende Reiseerfahrung« und Gelegenheit, andere Völker, Kulturen und Sprache zu studieren.451 Im Dezember 1941 hielt ein gewisser Leutnant Sack in Liezen eine mit »Von Steiermark bis Athen« betitelte Vorlesung über den Griechenlandfeldzug, welche nicht nur Bilder von den militärischen Operationen, sondern auch von »Land
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Allmayer-Beck (Kriegserinnerungen, 149) beschrieb den Frankreichfeldzug als »Feldzug ohne Gegner«. Zwei undatierte Briefe von Glaser an Ullmann [1940]. Bertnik an Wächter, 17. 2. 1940. Während die Kämpfe noch tobten, sammelte Leutnant Leo Hartmann (Notizen zum Einsatz Frankreich [1940], KA, NL, B/1495:3, Eintrag vom 27. 5. 1940) in Frankreich am Strand Muscheln für seine »Buben«. »Kraft durch Freude« (KdF) war die Freizeitorganisation des Dritten Reiches für die arbeitende Bevölkerung, welche u. a. Arbeiter auf Kreuzfahrten nach Norwegen oder ins Mittelmeer schickte. Zu KdF siehe: Shelley Baranowski: Strength through Joy. Consumerism and Mass Tourism in the Third Reich, Cambridge/New York 2004. Neugebauer an Volkart, 15. 6. 1940. Peter Podhajsky : Einsatz Kiestinki-Abschnitt, in: Der lange Marsch, 44. »Große Koalition ist das schlimmste Übel«, Interview mit Richard Nimmerrichter, in: Profil, 8. 7. 2006, online: http://www.profil.at/articles/0627/560/145234/grosse-koalitionuebel (25. 8. 2014). Vgl.: Stenzel, Russlandbild, 58; Vogel, Kriegsalltag, 200; Latzel, Deutsche Soldaten, 134; Buchbender/Sterz, Das andere Gesicht des Krieges, 41, Nr. 21; Baranowski, Strength through Joy, 224. Frisch und Jones, Condemned to Live, 2. Der Österreicher Frisch diente im AR 109.
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und Leuten« zeigte.452 Kameras gehörten beinahe zur Standardausrüstung der Soldaten, und in Nachlässen gibt es zahllose Aufnahmen von der Akropolis oder dem Eiffelturm, von norwegischen Fjorden oder russischen Dörfern.453 Dabei muss man berücksichtigen, dass Reisen damals noch nicht so alltäglich war wie heute. Die meisten Soldaten hatten noch nie zuvor ihre engere Heimat verlassen, und selbst eine Reise in das Altreich war für viele Soldaten eine Premiere: Als Unteroffizier Herbert Franke mit der Gebirgs-Nachrichten-Ersatz-Abteilung 18 von Salzburg in den Westen verlegt wurde, bemerkte er, dass viele Männer zum ersten Mal die »alte Reichsgrenze« überquerten.454 Auch die Wehrmacht-Propaganda setzte geschickt die Attraktivität von Reisen und die natürliche Wanderlust vieler Menschen ein, wie die Bildunterschriften in einer Illustrierten zu einem Bericht über österreichische Gebirgsjäger in Norwegen beweisen.455 Mit Slogans wie »Jeder einmal nach Paris« tat die Wehrmacht das Ihrige, um Reisen von Soldaten auch außerhalb von Kampfhandlungen zu erleichtern.456 Österreichische Soldaten zeigten in der Tat großes Interesse an unbekannten Gegenden, vor allem des Altreichs, was deutlich ihre erfolgreiche Integration unterstreicht. Als Hauptmann August Mayers steirische Gebirgs-Fahrkolonne durch die Pfalz und das Moselland nach Westen verlegt wurde, beobachtete er, dass seine Männer besonders von der Umgebung fasziniert waren, »die den meisten ja noch unbekannt ist. […] Viele sehen zum ersten Mal den Rhein.«457 Major Franz Vecernik bewunderte die »schöne thüringische Landschaft« und die »schönen Burgen des tief eingeschnittenen Saaletales« auf seiner Fahrt mit dem aus Erfurt stammenden Panzer-Regiment 1 nach Polen.458 Peter Podhajsky zeigte sich sehr von der Insel Helgoland sowie von Berlin und seiner Umgebung 452 Anzeige ohne Titel, in: Oberland, 27. 12. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/371. 453 Baranowski, Strength through Joy, 226. 454 Unteroffizier Herbert Franke (1./G. N. E. A. 18): Von Ost nach West, Jan. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/154, 5. 455 »Was sie sonst nur in Büchern lasen, wird jetzt Erlebnis: Begegnung mit Lappen auf einer Straße in Tromsö.« – »Sonst war eine Reise von Kärnten nach Wien für sie ein seltenes Ereignis – heute stellen sie am Wegweiser fest, dass sie über 4.000 Kilometer von der Heimat entfernt sind.« – »Wer von unseren ostmärkischen Gebirgstruppen hätte es noch vor einem Jahr geglaubt, dass er einmal als Soldat die Stätte kennenlernen würde, von der aus Amundsen seine Expeditionen in die eisige Arktis unternahm?« Edelweiß am Polarkreis, in: Deutsche Illustrierte (Berlin), 29.10.19[unleserlich], BA-MA, RH 53 – 18/182. 456 Kristin Semmens: Seeing Hitler’s Germany. Tourism in the Third Reich, Houndmills, Basingstoke, Hampshire/New York 2005, 172, 181; Stenzel, Russlandbild, 57; Baranowski, Strength through Joy, 212; Alon Confino: Traveling as a Culture of Remembrance. Traces of National Socialism in West Germany 1945 – 1960, in: History & Memory 12/2 (2000), 92 – 121, 108 – 109. 457 Mayer, Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 24. 9. 1939. 458 Major Franz Vecernik: Kriegstagebuch 5./Panzer Regiment 1, 20.8.–10. 10. 1939, KA, NL, B/ 1113:5, 1.
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beeindruckt.459 Das Gleiche galt vice versa für Reichsdeutsche: So erklärte der niedersächsische Gebirgsjäger Willi Schöttner seine Freiwilligmeldung zu einer Tiroler Einheit damit, dass oftmals »naturverbundene Menschen […] von einer unbestimmten Sehnsucht getrieben in weite Fernen ziehen möchten. Es zieht so den Süddeutschen an das Meer und den Norddeutschen in die Berge.«460 Und wirklich zeigten sich auffallend viele Österreicher von der See, und allem was damit zusammenhing, besonders angetan. Gefreiter Siegfried Schider kommentierte die Ankunft des auf dem Weg nach Norwegen befindlichen Gebirgsjäger-Regiments 137 in Hamburg mit den Worten: »Die meisten von uns haben überhaupt noch keinen Hafen gesehen, und nun trägt uns der Zug mitten hinein in den Welthafen Hamburg. Worte fallen nicht mehr viel.«461 Maschinistenmaat Hans Hiebler schrieb von der Nordseeküste heim nach Graz, dass die »schöne« See eine »bezwingende Kraft« ausübe und damit das Sprichwort bestätigte, dass wer einmal Seewasser getrunken habe, der See verloren sei.462 Oberst Friedrich Ossmann freute sich auf seinen Verwendung im schleswigholsteinischen Neumünster, weil es in der Nähe von Hamburg und der See lag und daher mehr Abwechslung als bestimmte einsame Gegenden in Frankreich, Polen und Norwegen versprechen würde.463 Galler konnte es kaum erwarten, die Ostsee zu sehen, und war sehr enttäuscht, sie bei seinem ersten Besuch stürmisch und grau vorzufinden.464 Oberjäger Hermann Stein berichtete über den Norwegenfeldzug, wie beeindruckt die steirischen Gebirgsjäger von Schifffahrten gewesen seien, und wie sehr sich dadurch ihr Respekt vor den Kameraden in der Kriegsmarine, vor allem nach dem Erlebnis eines schweren Seesturms, gesteigert habe.465 Auch in der Oral History gilt »Krieg als Reise« als eine Haupterzählform kriegerischer Erlebnisse.466 Die Mobilität der Soldaten war von einem Anstieg des zivilen Tourismus begleitet, welcher vom Regime als Mittel, den nationalen Zusammenhalt durch die konkrete Erfahrung von anderen Teilen des Reichs zu verstärken, gefördert wurde. Einer Ausgabe des Tourismus-Magazins »Der Fremdenverkehr« von 1938 zufolge lehrten Gruppenreisen die Deutschen, eine Volksgemeinschaft zu sein, indem sie ihnen helfen würden, ihre Stammesbrüder 459 P. Podhajsky, Norwegen-Feldzug, 22; Lebenslauf, 9, 11. 460 Jäger Willi Schöttner : Als Norddeutscher bei den Gebirgsjägern, in: Unser Alpenkorps. Nachrichtenblatt des XVIII. A. K. (Feb. 1940), BA-MA, RH 53 – 18/381, 23. 461 Schider (5./Geb. Jäg. Rgt. 137): Wir fahren nach Norden, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/169, 3. 462 Hiebler an Cipan-Zsilincsar, 9. 8. 1942. 463 Ossmann an Franek, 5. 12. 1940. 464 Galler, Erlebnisse, 34. 465 Oberjäger Hermann Stein: Steirer auf Seefahrt!, BA-MA, RH 53 – 18/169. 466 Konrad Köstlin: Erzählen vom Krieg – Krieg als Reise II, in: BIOS 2 (1989), 173 – 182; Latzel, Deutsche Soldaten, 134 – 135; Stenzel, Russlandbild, 57; Semmens, Seeing Hitler’s Germany, 178, 185.
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in anderen Regionen kennenzulernen.467 Die Ostmark war selber ein äußerst beliebtes Reiseziel unter reichsdeutschen Touristen geworden, und der Touristenstrom wurde für manche österreichische Gegenden zu einer so wichtigen Einkommensquelle, dass sie sich gleich nach 1945, oft unter der Ausnutzung von Kriegskontakten, um die Besuche deutscher Touristen bemühten.468 Der im Dritten Reich ausgelöste Reiseboom setzte sich auch nahtlos in den 1950erJahren fort, wobei viele Nachkriegstouristen ehemalige Soldaten waren, welche, zumeist in Begleitung ihrer Familien, die Stätten früherer Kriegseinsätze besuchten.469 Freilich, der Fokus auf andere, angenehmere Dinge als die eigentliche Kriegsführung, ebenso wie das Kolportieren von »lustigen« Geschichten in Briefen, Kriegstagebüchern und Zeitungsartikeln, war keine akkurate Darstellung des Kriegsgeschehens.470 Solcherlei dient in jedem Krieg primär dazu, von den Schrecken des Krieges und der eigenen Todesfurcht abzulenken bzw. die Angehörigen daheim zu beruhigen.471 Aber es ist deutlich geworden, dass die Masse der österreichischen Soldaten diesen Abschnitt des Krieges im Vergleich zum vorhergehenden Weltkrieg bzw. der kommenden Kriegsphase in der Sowjetunion als Erfahrung empfunden hat, bei welcher die »angenehmen«, positiven Aspekte überwogen, was ihrer Integration zweifellos förderlich war. Doch nun zu jenen integrative Faktoren, die nicht mehr unmittelbar mit den Kampfhandlungen zu tun haben, sondern eher als Folgen derselben einzuordnen sind. Die unmittelbarsten Folgen der deutschen Siege waren Jubelfeiern und Triumphmärsche. Mit jedem Sieg an der Front wuchs die Begeisterung über die Soldaten weiter an, was seinen konkretesten Ausdruck in triumphalen Heimmärschen fand. Jeder Soldat, der an so einem Heimmarsch teilnahm, wurde im ganzen Reich enthusiastisch begrüßt und gefeiert. Ein Paradebeispiel für einen derartigen Triumphmarsch ist der Bericht von Oberfeldwebel Ludwig Ullmann über die Rückkehr von Infanterie-Regiment 628 467 Semmens, Seeing Hitler’s Germany, 125, 173, 178 – 180. 468 Ebd., 170; Karner, Steiermark, 221 – 222; Bukey, Hitler’s Austria, 124 – 125, 180 – 181; Andrea Buchner : Against all Odds. How Austrians stood up for German Tourists despite the Great Depression, National Socialism, and Allied Occupation, Master Thesis (University of Wisconsin), 2007. 469 Köstlin, Erzählen vom Krieg, 179; Semmens, Seeing Hitler’s Germany, 168 – 171, 178; Confino, Traveling. 470 In einem Beispiel wurden in Frankreich stationierte Soldaten als glücklich geschildert, gerade weil sie kein Bier gehabt hätten, da es in der Sommerhitze nur verderben würde – als ob dies ihre größte Sorge gewesen sei. Olt. Dr. Fillies: Kriegs-Tagebuch einer VorausAbteilung. Mit Westwall-Infanterie im Rücken der Maginot-Linie, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, o. J., KA, NL, B/1397:2. 471 Ein gutes Beispiel für die Beschäftigung mit Todesfurcht ist Franz G. Steinbergers Gedicht »Bewährung«, in welchem er sich ermahnt, im Angesicht des Todes Tapferkeit zu zeigen. Steinberger an Liesl Steinberger, 19. 5. 1941.
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aus Frankreich im Juli 1940. Nach dem Passieren des elsässischen Colmar, wo die lokalen Zeitungen den »tadellosen Vorbeimarsche einer ostmärkischen Division« bewunderten, betrat das Regiment die Deutsche Weinstraße durch das Weintor und marschierte dann durch »Deutschlands herrlichsten, wärmsten und schönsten Gau, das Rebenland der Pfalz«. In Maikammer zeigte sich der Bürgermeister besonders erfreut, Ostmärker in der Westmark beherbergen zu können, und jeder Mann erhielt eine Flasche Pfälzer Wein.472 Andere österreichische Einheiten erlebten Ähnliches. Franz Ammerer und seine 4. Panzer-Division wurden auf ihrem Rückweg aus Polen bejubelt: Die Bevölkerung bewarf sie mit Blumen, entrollte Transparente, feierte in den Wirtshäusern und organisierte Willkommenszeremonien; vor den blumengeschmückten Kasernen erhielten die Soldaten alkoholische Getränke und Rauchwaren.473 Als Heissenbergers 1. Batterie des Artillerie-Regiments 102 aus Frankreich zurückkehrte, wurde sie unter allgemeinen »Freudenskundgebungen« mit Geschenken wie Blumen, Tabak, Schokolade, Obst und alkoholischen Getränken überschüttet.474 Und Leutnant Leo Hartmanns Panzer-AufklärungsAbteilung 5 wurde enthusiastisch auf ihrem Weg von Freiburg nach München empfangen. Die Soldaten erhielten Zigaretten, Blumen und Bäckereien, während die Kinder sie um französische Münzen baten. Hartmann empfand die triumphale Prozession als so aufregend, dass er ermüdete, und die Zivilisten machten so viele Fotos, dass er sich wie ein Filmstar zu fühlen begann.475 So sehr die Österreicher sich im Altreich wohlfühlten und dort bejubelt wurden, die siegreiche Heimkehr in die engere Heimat war ein Erlebnis, das besonders intensive Emotionen hervorrief. Laut Heissenbergers Kriegstagebuch beschlich »ein herrliches Glücksgefühl […] jeden Einzelnen der Batterie, soweit sie Ostmärker waren«, sobald der Rückmarsch aus Frankreich auf »heimatlichem Boden« fortgesetzt wurde, und das Kriegstagebuch des aus Polen über das Protektorat Böhmen und Mähren nach Niederösterreich zurückkehrenden 1. Schwadrons des Aufklärungs-Regiments 9 notierte: »Auf der Höhe vor Breitenstein schauen wir über die geliebte Heimat. Von fern grüßt der Wiener Wald herüber. Die Gemüter sind freudig erregt. Am Eingang von Horn erwartet uns eine Spielschar des Jungvolks und kündet mit Fanfarenruf unsere Heimkehr.«476 472 Ludwig Ullmann: Von Belfort nach Mainz, 8. 8. 1940, KA, NL, B/249:2, 5, 7 – 10. Die Deutsche Weinstraße (1935 fertig gestellt) ist ein typisches Beispiel für die Identifikation mit der Nation auf der regionalen Ebene. Vgl.: Celia Applegate: A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990, 214 – 215. 473 Franz Ammerer: Rückmarsch aus Polen (10.–14. 10. 1939), Manuskript zur Geschichte der 4. Pz.-Div. [1938 – 1940], KA, NL, B/1378. 474 Heissenberger, Kriegstagebuch, 25 – 27. 475 Hartmann, Notizen, Einträge vom 5.7. und 6. 7. 1940. 476 Heissenberger, Kriegstagebuch, 27; Hermann, Kriegstagebuch, 93.
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Anderen Berichten zufolge schienen Teile der lokalen Bevölkerung jedoch nicht immer enthusiastisch auf durchmarschierende Truppen reagiert zu haben, was ein früher Hinweis darauf sein könnte, dass es bei der österreichischen Kriegserfahrung Unterschiede zwischen Soldaten und Zivilisten gegeben hat, was sich im Laufe des Krieges noch verstärken sollte.477 Dort wo gejubelt wurde, unterscheiden sich die Szenen jedoch nicht von denen im Altreich. Als der Zug, mit dem August Mayers Gebirgs-Fahrkolonne nach dem Sieg über Polen in den Westen verlegt wurde, in Wien anhielt, reichte die Bevölkerung Blumen, Zigaretten, Tee mit Rum und Verpflegung in die Waggons.478 Auch Herbert Frankes Einheit wurde Anfang Januar 1940 in Wels mit Verpflegung, Süßigkeiten, Kaffee, Tee und Likören überschüttet.479 Heissenberger verzeichnete bei der Rückkehr aus Frankreich Jubel in allen Stationen zwischen Braunau und Wien; in Amstetten wurde seine Einheit von einem Banner mit der Aufschrift »Wir grüßen unsere tapferen Soldaten« empfangen, und der Marsch durch Wien glich einem Triumphzug mit Beifall, Fähnchen und kleinen Geschenken.480 Ebenfalls bemerkenswert sind die Begrüßungen der Soldaten durch die deutsche Bevölkerung in jenen Gebieten, die von der Wehrmacht »heim ins Reich« geholt wurden, wobei die Besetzung des Sudetenlandes sowie der »RestTschechei«, also von Teilen Altösterreichs, für die Österreicher ganz spezielle Ereignisse waren. Der Bericht von Oberst Rudolf von Bünau, dem reichsdeutschen Kommandeur des »ostmärkischen« Infanterie-Regiments 133, erwähnt, dass die mährischen Deutschen »natürlich überglücklich« gewesen seien und enthält eine lebhafte Beschreibung der überschäumenden Feier seiner Männer gemeinsam mit den Einheimischen auf einem vom »Bund der Deutschen« in Brünn veranstalteten Kameradschaftsabend.481 Auf einer Reise ins besetzte Jugoslawien im April 1941 fasste Hauptmann Springenschmied die Ereignisse in den heimgeholten Gebieten rückblickend noch einmal zusammen:
477 Hartmann war sehr enttäuscht über den heimatlichen Empfang seiner Aufklärungseinheit: »In Oberdonau und auch in Niederdonau nehmen die Einheimischen von unserer Kolonne allerdings auffallenderweise kaum Notiz, sie schauen höchstens stur, und ich muss sagen, ich habe mich als Ostmärker über dieses blöde Benehmen der Leute tatsächlich schämen müssen vor unseren Männern.« Hartmann, Notizen, Einträge vom 7.7. und 8. 7. 1940. Ähnlich SS-Junker Rudolf Trohos (Rundschreiben an ehemalige Napola-Kameraden, 12. 6. 1941, KA, NL, B/1581) über Wien auf seinem Weg in den Balkan: »Nach der großen Enttäuschung, die wir in Wien erlebten – (es fehlte gerade noch, dass man uns die Ziegelsteine vom Dach auf den Kopf warf) – wurden wir in Budapest von tausenden jubelnden Menschen empfangen und mit Blumen für unsere weitere Kriegsfahrt geschmückt.« 478 Mayer, Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 23. 9. 1939. 479 Franke, Von Ost nach West, 4 – 5. 480 Heissenberger, Kriegstagebuch, 27. 481 Rudolf von Bünau: Bericht über den Einmarsch des Kdrs. I. R. 133 nach Mähren, o. J., KA, NL, B/890:3.
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»Was damals wir Deutsche der Ostmark als erste erlebten, was dann Eger und Reichenberg, was die Deutschen in Prag, in Brünn, in Danzig, in Posen, in Straßburg erlebten, ist nun auch den Deutschen in Marburg und überall an der Südgrenze des Reiches zu Teil geworden.«482
All das – die siegreichen Feldzüge, Triumphmärsche und Begeisterung innerhalb und außerhalb des Reichs – war weit mehr als die schrittweise Durchführung eines revisionistischen Programms; die Art und Weise, wie dies geschah, glich einem andauernden, aufregenden Ausnahmezustand und muss manchem subjektiv wie eine im realen Leben aufgeführte, nationalistische Oper vorgekommen sein.483 Die Wehrmacht war, wie das Jahrbuch des Heeres von 1940 es ausdrückte, durch ihre Erfolge in den Augen der Deutschen »automatisch zum Förderer des großdeutschen Gedankens« geworden.484 Diese Erfahrungen müssen auch den erst kürzlich ins Reich integrierten österreichischen Soldaten neben Gefühlen von Glück und Unbesiegbarkeit eindringlich die Überzeugung vermittelt haben, ein populärer und bejubelter, integraler Bestandteil Großdeutschlands geworden zu sein. Es ist schwer vorstellbar, dass sich selbst jene Österreicher, die Nationalismus und Revisionismus nicht von vornherein nahestanden, dieser Sogwirkung auf die Dauer komplett entziehen konnten. Mit den siegreichen Feldzügen erfüllte sich eine weitere Vorkriegshoffnung, welche den Österreichern die Eingliederung des Bundesheeres erleichtert hatte, nämlich die österreichische Revision der Pariser Friedensordnung im Rahmen des umfassenderen deutschen Revisionismus. Der spezifisch österreichische Revisionismus war besonders gegen die Tschechoslowakei und Jugoslawien gerichtet, und die folgende Rede von General Eugen Beyer nach der Besetzung des Sudetengebietes vermittelt einen Eindruck, welch emotionale Bedeutung dies für manche Beteiligte haben konnte: Zwar sei Südmähren, welches seine deutsche Eigenart für »Jahrtausende [sic]« rein erhalten und im Ersten Weltkrieg den höchsten Blutzoll für »Volk und Heimat« entrichtet habe, durch tschechische »Ränke und Lügen« verloren gegangen, doch würden nunmehr »die deutschen Truppen aller Stämme des weiten großdeutschen Reiches […] die Freiheit ihrer sudetendeutschen Stammesbrüder […] sichern. […] Da erfüllt es mich, der ich selbst Südmährer bin […], mit besonderer Freude, dass es mir vergönnt ist, an der Spitze Tiroler, Kärntner, Salzburger und Steirischer Truppen […] Euch, meinen engeren Stammesbrüder, die Freiheit zu bringen.«485
482 Hptm. Springenschmied: Fahrt in den Südosten [April 1940], BA-MA, RH 53 – 18/277, 2. 483 Laut Aly (Volksstaat, 357) empfanden viele Deutsche ihr Leben im Dritten Reich wie einen permanent Ausnahmezustand, als ob es sich auf einer Filmleinwand abgespielt hätte. 484 Murawski, Heer als Förderer, 33 – 34. 485 [Beyer], Redemanuskript.
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Die Rede illustriert auch, wie leicht ein konventioneller rückwärtsgewandter und staatsorientierter (hier : österreichischer) Revisionismus mit dem neuartigen und zukunftsorientierten völkischen Nationalismus der Nationalsozialisten verknüpft werden konnte. Für große Genugtuung und hohe emotionale Wellen sorgte auch die Zerschlagung Jugoslawiens im Frühjahr 1941. Viele Österreicher sahen diesen Sieg – gemäß der vielzitierten Aussage von General Franz Böhme über die »Ströme deutschen Blutes«, die 1914 in Serbien vergossen worden waren – als Wiedergutmachung für 1914.486 Zudem konnten sie sich über die Rückgewinnung einstiger österreichischer Gebiete, nämlich des ehemals kärntnerischen Mießtals und der früheren Untersteiermark, freuen. Oberleutnant Karl Rieger musste an ein altes Kampflied aus der Zeit der Nationalitätenkonflikte in der Monarchie denken, als sein Landesschützen-Bataillon 891 im Oktober 1941 in die »Untersteiermark« verlegt wurde.487 Gefreiter Johann Eibel vom Landesschützen-Bataillon 921 feierte in einem Gedicht die Befreiung des »Unterlandes«, wie die Region auch genannt wurde, aus »Plutokratenmacht« und »Partisanenklauen«.488 Und laut Franz Podhajsky sei es »besonders jedem Steirer eine Herzensfreude«, dass »die Südsteiermark mit der alten deutschen Stadt Marburg wieder zu uns zurückfindet.«489 Auch Kärntner durften über die »Krönung des Kärntner Freiheitskampfes« jubilieren. Hauptmann Fritz Valesi von der Ersatz-Batterie eines schweren Artillerie-Regiments sah »beste Weltkriegstradition« mit dem »Sturmgeist des nationalsozialistischen Heeres« vereint, als seine Einheit das Mießtal, »die Wunde des Schanddiktats von St. Germain«, besetzte.490 Schütze Werner Eberle, dessen zwei Brüder im Kärntner Abwehrkampf verwundet worden waren, erwirkte von einem Bataillonskommandeur sogar die Sondererlaubnis, trotz seines fortgeschrittenen Alters als Freiwilliger an der Befreiung seiner »engeren Heimat«, des Mießtals, im Rahmen des Jugoslawienfeldzuges teilnehmen zu dürfen.491 Nicht immer waren die Kommentatoren mit den deutschen Grenzberichtigungen vollkommen einverstanden. Franz Podhajsky etwa monierte, dass »wir« 486 Zit. nach Manoschek/Safrian, Österreicher, 141. Böhmes Aussage ist ein weiteres Beispiel für die »Germanisierung« des Ersten Weltkrieges. 487 Karl Rieger (Lds. Sch. Btl. 891/4): Im wiedergewonnenen Süden, [1943], BA-MA, RH 53 – 18/84. 488 Johann Eibel (3. Ldsch. Batl. 921): Einsatz im Süden, BA-MA, RH 53 – 18/82. 489 Franz Podhajsky : Serbien, 21. 5. 1941, KA, NL, B, C/219:23, 15. 490 [Hptm. Fritz Valesi]: Die »Schwere« in Kärnten, BA-MA, RH 53 – 18/276. 491 Schütze Werner Eberle: Manuskript, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/276. Bei dem Kommandeur handelte es sich um SS-Obersturmbannführer und Maj. Alois Maier-Kaibitsch, der verschiedene Funktionen im »Kärntner Heimatbund« und der Kärntner Gauleitung bekleidete.
Der »angenehme« Krieg
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nur Teile des alten Österreich zurückgewonnen hätten, nämlich »die Südsteiermark mit dem deutschen Marburg und mit Cilli, den Nordteil von Krain […] und den alten Bezirkshauptmannschaften Krainburg, Radmannsdorf, Bischoflack, Stein und Littai, […] aber leider ohne […] Laibach und Gottschee«.492 Die größte Freude für die Österreicher wäre wohl die Rückgewinnung Südtirols gewesen, welche aber aus Rücksicht auf den italienischen Bündnispartner unterbleiben musste. Die von Deutschland besetzten Gebiete im ehemaligen Jugoslawien boten ein reiches Betätigungsfeld im Sinne des »k. u. k. Nationalsozialismus«, der Verbindung altösterreichischer Traditionen mit der nationalsozialistischen Gegenwart.493 Während einer Dienstreise in die Region begegnete Hauptmann Springenschmied Veteranen aus der k. u. k. Armee, die noch Deutsch sprechen konnten und Orden aus dem vergangenen Krieg aufbewahrten, slowenischen Bauern, die versicherten, dass sie im Herzen immer »Steirer« geblieben seien, sowie einen alten Oberstleutnant, der erstmals nach 35 Jahren wieder Marburg, wo er ausgemustert worden war, betreten wollte. Als Springenschmied eine Platzmusik in einem Dorf besuchte, und die Musik »am Schluss den PrinzEugenius-Marsch hinausschmettert, da stehen die Männer, die einmal unter diesen Klängen marschiert sind, stramm und reißen die alten Knochen zusammen.«494 Derartige Erlebnisse wurden, wie in Polen, als lebendiger Beweis für die erfolgreiche Kulturarbeit Altösterreichs und insbesondere seiner Armee betrachtet. Der Prinz-Eugen-Marsch wurde übrigens auch vom deutschen Rundfunk dazu verwendet, Radiomeldungen über den Balkanfeldzug anzukündigen, und seine ersten Takte leiteten das »Balkanlied« ein, ein Soldatenlied, das speziell für diese Kampagne geschrieben wurde.495 Nachdem bereits die mit der größeren militärischen Potenz der Wehrmacht verknüpften Erwartungen ein Hauptgrund für die positive Sicht des Anschlusses gewesen waren, stellten die tatsächlichen Dimensionen der Wehrmachtserfolge selbst die kühnsten Vorstellungen in den Schatten. Vor allem die Soldaten aus dem kleinen Binnenland Österreich zeigten sich tief beeindruckt. Oberst Adolf Kutzelnigg empfand die Eroberung von Bergen als »einmalig« für die Österreicher, da sie ja keinen Meereszugang mehr gehabt hätten, während sein Re-
492 F. Podhajsky, Serbien, 15. 493 Heer, Identität, 423. 494 Springenschmied, Fahrt in den Südosten, 2, 4, 5 – 8. Wenig überraschend war Springenschmied (höchstwahrscheinlich Karl Springenschmied, ein Lehrer, Schriftsteller und Landrat in Salzburg) mit Glaise-Horstenau, dem Inbegriff eines »k. u. k. Nationalsozialisten«, befreundet. 495 Die Siegesfanfare vom Prinzen Eugenius, in: Litzmannstädter Zeitung, 10. 4. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/309.
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gimentsbereich auf der norwegischen Tanner-Halbinsel so groß wie ganz Vorarlberg gewesen sei.496 Entsprechend groß waren für Österreicher auch die Karrieremöglichkeiten in der Armee eines Landes, das nun eindeutig zu einer militärischen Supermacht geworden war, und in Kriegszeiten ließ sich die Karriereleiter naturgemäß noch schneller erklimmen.497 In seinen Tagebüchern sann Konteradmiral Paul Meixner wiederholt über seinen Aufstieg von »einem kleinen, unbeachteten österreichischen (!) Offizier z. V. zum Admiral« und Marinebefehlshaber Nordafrika nach, und zwar in einer Mischung aus Stolz, ja beinahe Eitelkeit, aber auch Ungläubigkeit darüber, dass er sich tatsächlich in solch einer hohen Position befand.498 Meixners Gedanken machen aber auch deutlich, dass es einer gehörigen Portion an Selbstvertrauen, Ehrgeiz und Energie – allesamt typische Eigenschaften von Jugend – bedurfte, um derartige Position anzustreben und sich darin behaupten zu können. Dies unterstreicht noch einmal, dass sich vor allem die Jüngeren für die Herausforderungen und Chancen des Krieges begeisterten und der Wehrmacht im Gegenzug Dankbarkeit und Loyalität entgegenbrachten, während die Älteren zu einer eher zurückhaltenden Haltung neigten. Die Wehrmacht-Propaganda spielte ebenfalls gekonnt auf der Klaviatur der Gefühle junger Leute, indem sie Abenteuerlust und das Ausbrechen aus der Enge von zu Hause mit den sich durch den Krieg eröffnenden Möglichkeiten in Verbindung brachte, wie folgendes Zitat aus einem Buch über die Narvik-Operation demonstriert: »Welcher Kärntner Junge hätte sich gedacht, dass er als Soldat mit einer Ju 52 nach Norwegen fliegen könnte!«499
496 Kutzelnigg, Gesprächsprotokoll, 31 – 32. 497 De Angelis, Gesprächsprotokoll; Probst, Interview ; Gschaider, Bundesheer, 284 – 285; Stein, Generale, 100; Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 157. 498 Paul Meixner : Tagebuch I, 25. 5. 1940 – 12. 2. 1943, KA, NL, B/1544:8, Einträge vom 22.3., 7.4., 11.6., 9.10. und 8. 12. 1942; ders.: Tagebuch II, 11. 5. 1943 – 2.3.1946, KA, NL, B/1544:9, Eintrag vom 7. 12. 1944. 499 Martin Horn/Karl Vogel: Kameradschaft für Narvik. Marsch nach dem Norden, Innsbruck 1942, 51. Brandeis und Probst (Interviews) betonten, wie gerne ihre Generation als Jugendliche romantisierte Weltkriegsdarstellungen und alle Arten von Abenteuergeschichten gelesen habe.
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Besatzungsdienst Wenn ein Aspekt unter den Folgen der deutschen Siege den »angenehmen« Charakter der Feldzüge fortsetzte, dann war es der Dienst in bestimmten von Deutschland besetzten Gebieten. Mit dem Ende der erfolgreichen Kriegsphase nach dem Balkanfeldzug im Frühjahr 1941 gab es im Prinzip vier Möglichkeiten, wohin ein Soldat zum Besatzungsdienst versetzt werden konnte: In den Westen (Frankreich, Belgien und die Niederlande), den Norden (Norwegen und Dänemark), den Osten (Polen) und den Südosten (Jugoslawien und Griechenland). Die Reaktionen zu Polen waren ausnahmslos negativ. Steinberger beschrieb die neue Grenzregion zur Sowjetunion am San als »sehr, sehr nass, dreckig und primitiv«.500 Heinz Zsilincsar fand, dass er noch nie etwas ähnlich Primitives gesehen habe und beschrieb die Polen als arm, faul, zerlumpt und schmutzig, während Hans Nicka sie mit Zigeunern verglich und die große Anzahl Juden beklagte.501 Und Rudolf Weixlbaumer kommentierte die Aussicht auf eine Versetzung nach Polen ebenso kurz wie prägnant mit »nur das nicht«.502 Derartige Ansichten entsprechen vollkommen der reichsdeutschen Einstellung.503 Vor allem Männer, die zuvor in Frankreich durch Revuen und Ausflüge verwöhnt worden waren, so ein Bericht über die »seelisch-soziale Lage« in der Armee vom Mai 1941, empfänden Polen als unerträglich, und es sei schwierig, ähnlich niveauvolle Unterhaltung zu organisieren, was eine Landesschützeneinheit drastisch wie folgt ausdrückte: »Bei uns bestritt neulich ein Mädchen einen ganzen Abend, das konnte einfach alles. Es trug Gedichte vor, sang, machte Witze, tanzte – aber wie! – Einer nach dem anderen unserer Landser verließ heimlich still und leise den Saal, zuletzt blieb nur noch ein dünner Kranz von Vorgesetzten vorn. […] Wer will es dem Landser verdenken, dass er flucht, dazu einen stundenlangen Anmarschweg gemacht zu haben.«504
Überraschend ist, dass die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden Quellen sehr wenig über den Besatzungsdienst auf der Balkanhalbinsel zu berichten haben, vor allem da Österreicher hier angeblich überrepräsentiert waren. Ein Grund könnte sein, dass das ehemalige Jugoslawien das einzige besetzte Gebiet 500 501 502 503
Franz G. Steinberger an Liesl Steinberger, 9. 10. 1939. H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 23. 4. 1941; Nicka an A. Kaipel, 16. 9. 1940. Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 7. 4. 1941. Latzel, Deutsche Soldaten, 145 – 150; Müller, Nationalismus, 74 – 80. Die Sichtweise von »Osteuropa« als generell primitiv und schmutzig wurde auch von Westeuropäern geteilt und lässt sich bis zur Aufklärung zurückverfolgen. Siehe: Larry Wolff: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment, Stanford 1994. 504 Dien. Eig. [= Dienststelle für Eignungsuntersuchungen] XX, Bericht über die seelischsoziale Lage: April/Mai, 30. 5. 1941, BA-MA, RH 15/115. Vgl.: Nicka an A. Kaipel, 16. 9. 1940; Baranowski, Strength through Joy, 205, 208 – 209.
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war, wo sich die Kämpfe in Form eines brutalen Partisanenkrieges fortsetzten, sodass dort stationierte Soldaten es vorgezogen haben mochten, über ihre Eindrücke und Erlebnisse zu schweigen.505 Die Nachteile von Norwegen – über Dänemark schweigen sich die Quellen ebenfalls aus – waren Einsamkeit, Langeweile und ein harter Winter. Dennoch galt es wegen seiner Friedlichkeit als relativ angenehmer Ort, was natürlich nicht für jene galt, die ab Sommer 1941 an die sogenannte »Eismeerfront« in der Region um Murmansk geschickt wurden. Hauptmann Alfred Berger, der sich als Adjutant im Luftgaukommando Norwegen in einer recht beschaulichen Position befand, verbrachte seine Zeit in Oslo von 1941 bis 1944 mit Dienstreisen innerhalb Skandinaviens und ins Baltikum, mit Sauna im Winter und Tennis im Sommer.506 Was vor allem die vielen Österreicher aus dem Alpenraum ansprach, waren die Berge, wo sie Skifahren und Bergsteigen konnten, und die Quellen bieten sehr reichhaltige und lebendige Beschreibungen von der österreichischen Vernarrtheit in diese Sportarten. So berichtete die »Grazer Tagespost« über die »Alpine Gipfelleistung steirischer Gebirgsjäger«, nachdem zwei Steirer im Juli 1940 den Rombakstötta erklommen hatten.507 Im März 1941 veranstalteten die Truppen in Norwegen eine Skimeisterschaft in Harstad, und die Stadt Klagenfurt stiftete einen »Heldengedenkpreis«, um den nach dem Krieg am Kärntner Plöckenpass in Form eines Spähtrupplaufs gelaufen werden sollte. Peter Podhajsky erwähnte Skimeisterschaften innerhalb seines an der Eismeerfront liegenden Korps sogar noch für Januar 1943.508 Auch Neugebauer war über das begeistert, was Norwegen zu bieten hatte – »So eine Gegend, solch ein Schnee, so eine Sonne und so viele Mädchen, der selige Adam im Paradies müsste ja verblassen vor Neid!« –, doch er brachte auch die Langeweile zur Sprache, indem er es als »große Kunst« bezeichnete, sich aus diesem wenig abwechslungsreichen Leben »für die verschiedenen Briefe an die
505 Vgl. die folgende aufschlussreiche Bemerkung über die Partisanenbekämpfung in der UdSSR: »Waren zwei Tage auf Partisanenjagd, dies ist noch heimtückischer als an der vordersten Linie!« K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 10. 12. 1942. 506 Alfred Berger : Tagebuch III, 1. 1. 1943 – 12. 1. 1944, KA, NL, B/382:2. 507 Alpine Gipfelleistung steirischer Gebirgsjäger, in: Tagespost (Graz), 10. 9. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/190. Andere Zeitungen in Altreich und Ostmark bezogen sich nur auf »deutsche Gebirgsjäger«. 508 Ski-Kameraden fachsimpelten in Narvik, in: Reichssportblatt (Berlin), 1. 7. 1940; Soldaten liefen am Polarkreis, in: Brüsseler Zeitung, 10. 3. 1941; Skimeisterschaften am Polarkreis, in: Münchener Neueste Nachrichten, 11. 3. 1941; Die nördlichsten Skimeisterschaften Europas, in: Deutsche Zeitung in Norwegen, 26. 3. 1941; Skimeisterschaften bei Narvik. Steirische Gebirgsjäger in Front, in: Tagespost (Graz), 9. 4. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/189. Vgl.: P. Podhajsky, Kiestinki-Abschnitt, 43.
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Heimat genügend Stoff […] aus den Fingern zu saugen.«509 Das Gefühl der Isolation, dass man im hohen Norden »vergessen« werden könnte, wurde in einem satirischen Flugblatt thematisiert: Lange nach dem Krieg, in einem vereinigten und friedlichen Europa, trifft eine Gruppe von »Norwegenkämpfern« in Berlin ein; sie tragen lange Bärte, haben ihr Deutsch vergessen und werden in die Alpen geschickt, wo sie bald wegen Ölsardinenmangels versterben.510 Nur für die im Westen stationierten Soldaten setzten sich die »angenehmen« Aspekte des Besatzungsdienstes ohne Einschränkungen auch über die Invasion der Sowjetunion hinaus fort. Die westeuropäischen Länder genossen unter Besatzungssoldaten die höchste Popularität aufgrund des überreichen Unterhaltungsangebotes und der friedlichen Zustände bis Sommer 1944.511 Paris wurde zum Inbegriff der Freuden des Besatzungslebens in Westeuropa und musste sogar für Besucher vorübergehend geschlossen werden, denn »sonst wären ja alle Deutschen sofort nach Paris gekommen.«512 Was die Stadt zu bieten hatte, geht aus den umfangreichen Sammlungen von Erinnerungsstücken in den Nachlässen österreichischer Offiziere hervor : Eintrittskarten für Theaterstücke, Opern, Kasinos und andere Etablissements, Restaurant- und Einkaufsrechnungen (z. B. für Chanel) sowie Andenken an Ausflüge in der Umgebung.513 Der Kommandeur von Paris erließ ein Flugblatt mit Instruktionen für den Aufenthalt in Paris, in welchem die Soldaten zu »einwandfreiem Verhalten« aufgefordert wurden, wie etwa das korrekte Tragen der Uniform zu allen Zeiten, das Rauchverbot in der Öffentlichkeit, keine Barbesuche nach 23 Uhr, keine Fraternisierung mit weiblichen Personen sowie die Beschränkung von Einkäufen auf »bescheidenen persönlichen Bedarf«.514 Andere Gegenden Frankreichs versprachen ebenfalls einen sorglosen und abwechslungsreichen Dienst. Im November 1940 wurde (unbekannter Mannschaftsdienstgrad) Bruno Bruckberger der Militärverwaltung im Elsass als Schreiber zugeteilt, und auf der Zugfahrt von Wien nach Straßburg wurde bis spätnachts gefeiert; das Essen in Straßburg war billig und in der Silvesternacht 509 Neugebauer an Volkart, 15. 6. 1940, 14. 1. 1941, 1.2., 8.2. und 24. 2. 1941. Samuel Kaipel (an A. Kaipel, 16. 9. 1940, in: Bundschuh, Verlorene Jahre) fragte sich, was er in der »Eiswüste« 200 km nördlich von Narvik anfangen sollte. Kaipel war als Burgenländer vermutlich kein Skifahrer, doch Nichtskifahrer konnten von Kameraden unterwiesen werden. Josef Grüblinger : Der Nord-Süd-Weg der Aufklärungs-Abteilung 68 (Radfahr-Bataillon 68) und zurück, 1940 – 1945. Eine zeitgeschichtliche Studie, 1992, KA, NL, B/1447:4, 10. 510 Der Einzug der Norwegenkämpfer in Berlin!, o. J., Beilage zu: Berger, Tagebuch I. 511 Vgl.: Latzel, Deutsche Soldaten, 138 – 140. 512 B¦d¦-Kraut, Gesprächsprotokoll, 11. Vgl.: Baranowski, Strength through Joy, 225. 513 Erinnerungsstücke in den Nachlässen von Luftwaffenoffizier Ernst Czerny (KA, NL, B/ 1037:2) und Swogetinsky (KA, NL, B/218:3, Mappe »Paris«). 514 Der Kommandant von Paris, Merkblatt für den Aufenthalt in Paris, [Aug. 1940], KA, NL, B/ 218:3, Mappe »Paris«.
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wurde reichlich »gesoffen und Allotria […] getrieben«.515 Leutnant Guido Chwistek, der Anfang 1941 mit dem Artillerie-Regiment 188 im südfranzösischen Capbreton stationiert wurde, erinnerte sich an Ausflüge mit seinen Männern in die »herrliche« Umgebung: wie die Städte Bordeaux, Biarritz, Bayonne, St. Jean de Lux und Hendaye sowie Teile der Pyrenäen. Einmal durften sie wegen besonderer Leistungen nach Paris reisen. Das Unterhaltungsangebot war so reichhaltig, dass die Männer irgendwann sogar das Interesse verloren und ihnen der Besuch der Veranstaltungen befohlen werden musste. Das Verhältnis zur lokalen Bevölkerung muss ausgezeichnet gewesen sein. Als Chwisteks Einheit nach Russland aufbrach, hielt der Bürgermeister von Capbreton in voller Amtsmontur eine kurze Abschiedsrede, und die Einwohner applaudierten, warfen Blumen und wünschten ihnen Glück: »Dieser Aufenthalt in Südfrankreich wird uns, den Wenigen […] die aus Russland heimkamen, immer unvergessen bleiben!«516 Ähnlich positiv sind die Berichte über die Benelux-Staaten.517 Auf seinem Weg nach Frankreich beschrieb Chwistek Luxemburg und seine Ortschaften als »wunderschön«, von gut gekleideten Menschen bewohnt und mit herrlichem Vieh auf den Weiden.518 Oberleutnant Karl Galler, mit dem LandesschützenBataillon 854 von 1940 bis 1941 in den Niederlanden stationiert, residierte auf seinem Posten in Maastricht beinahe wie ein König, der auf seinem »Hof« Künstler und Köche versammelte. Hier empfing Galler auch »offizielle« Besucher aus dem Reich, die einzig und allein zum Einkaufen und Dinieren vorbeikamen.519 Die Atmosphäre in Belgien wird durch eine Passage in einem Brief von Heinrich Sorger bestens illustriert: »Sorgen hatte ich nur immer wie man den Tag totschlagen soll, schlafen kann man nicht immer und lesen auch nicht gut, obwohl wir eine vorzügliche Bibliothek haben. […] Ausgang gab es leider nur alle zehn Tage, wie man einen solchen in einer Stadt mit allen Vergnügungen verbringt, brauch ich ja wohl nicht zu schreiben, es würde auch zu weit führen und den Soldat nicht in ein besonders rosiges Licht stellen (besonders wenn er verheiratet ist).«520
Genau das war es jedoch, was der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, fürchtete. Die Reputation der im Westen stationierten Soldaten litt 515 Bruno Bruckberger: Tagebuch, 12. 10. 1940 – 10. 4. 1945, KA, NL, B/48, Einträge vom 4.11., 5.11., 6.11. und 14. 11. 1940, 2. 1. 1941. 516 Chwistek, Der Walfisch. 517 Vgl.: Latzel, Deutsche Soldaten, 138 – 140. 518 Chwistek, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10. 5. 1940. Ähnlich: A. Kaipel an Familie Kaipel, 11. 6. 1940. 519 Galler, Erlebnisse, 28. 520 Sorger an Cipan-Zsilincsar, 10. 2. 1941. Es ist unklar, ob Sorger sich auf eine belgische Stadt oder Paris bezog.
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aufgrund so vieler Verletzungen der Verhaltensmaßregeln, dass Brauchitsch sich bemüßigt fühlte, im August 1940 eine Ermahnung an die Truppen in Frankreich zu richten. Die Kommandeure sollten nunmehr für die Bewahrung der »Würde des deutschen Soldaten« sorgen, indem sie Ausschweifungen wie Soldaten, die sich öffentlich mit Frauen, darunter Prostituierten, auf der Straße oder in Fahrzeugen zeigten, Bordellbesuche, »Orgien« in den Unterkünften sowie schlechtes Benehmen nach exzessivem Alkoholkonsum hinkünftig verhinderten. Der Erlass kritisierte insbesondere die deutsche »Kaufwut«: So hatte sich ein Offizier gleich drei Anzüge auf einmal schneidern lassen, und viele Soldaten machten abfällige Bemerkungen über die Qualität deutscher Textilien oder besuchten auch jüdische Geschäfte.521 Seit Kriegsbeginn waren deutsche Soldaten in ganz Europa einkaufen gegangen – eine Praxis, die mit dem Einmarsch in Österreich begonnen hatte.522 Karl Galler erinnerte sich, dass alle niederländischen Geschäfte voll gewesen seien, aber »jeder deutsche Soldat« habe »ein Packerl unter dem Arm« getragen und so viel nach Hause geschickt, dass es nach ein paar Wochen bereits zu Verknappungen gekommen sei. Galler selbst nützte seine Position in den Niederlanden aus, um Lebensmittel und Kleidung an seine Familie zu senden oder jeden Abend ein viergängiges Abendessen im Hotel zu verzehren, und es könnten weitere Beispiele von österreichischen Soldaten angeführt werden.523 Am 14. August 1940 erließ der Wehrmachtbefehlshaber Niederlande angesichts der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation Bestimmungen gegen den unberechtigten und unkontrollierten Erwerb und die Ausfuhr von Gütern.524 Im Sommer 1940 jedoch, so schien es, hatte die Wehrmacht Europa leer gekauft.525 Diese Fallstudie aus der Sicht österreichischer Soldaten bestätigt Götz Alys Argument, dass die Popularität des nationalsozialistischen Regimes zu einem Gutteil auf der Förderung eines durch die ökonomische Ausbeutung der be-
521 Der Oberbefehlshaber des Heeres, Heerwesenabtlg. i. G./PA 2 1. Staffel (Ic), Nr. 179/40 g. Kdos., Geheime Kommandosache, 31. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 7/709. 522 Bukey, Hitler’s Austria, 125; Latzel, Deutsche Soldaten, 135 – 137. 523 Galler, Erlebnisse, 23, 26. Bruckberger (Tagebuch, Eintrag vom 14. 11. 1940) besorgte für seine Familie Obst und freute sich, dass Wein in Straßburg nur zwischen 20 und 30 Pfennige kostete. Probst (Interview) erinnerte sich, dass Luxusgüter wie Parfüm besonders beliebt waren. Vgl.: H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 17. 11. 1940. 524 Befehl des Wehrmachtbefehlshabers in den Niederlanden, 14. 8. 1940, KA, NL, B/218:3, Mappe »Belgien«. 525 Laut Swogetinsky (2. Weltkrieg, Eintrag im Juli 1940) glich Paris einer »toten Stadt«, nichts sei mehr zum Kaufen übrig gewesen, und die Geschäfte hätten leer gestanden. Weniger drastisch, aber ähnlich: Glaise-Horstenau, General, Bd. 2, 578. Ein Jahr später war die Situation unverändert: Bruckberger (Tagebuch, 19. 8. 1941) notierte, dass in Straßburg nichts mehr erhältlich sei, da »die vom Reich gleich herübergekommen sind und alles aufkaufen.«
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setzten Gebiete gespeisten Konsumismus und Wohlfahrtsstaates beruhte.526 Dies wurde durch einen manipulierten Wechselkurs, der die deutsche Währung künstlich hochhielt, und die sogenannten Reichskreditkassenscheine, welche den Soldaten Einkäufe mit unbegrenztem Kredit erlaubten, erleichtert.527 Hinsichtlich der Wehrmachtsoldaten, die natürlich besonders leichten Zugang zu den ausländischen Gütern hatten, reichte die Ausbeutung Europas vom legalen Einkauf von Waren über das spontane unentgeltliche Mitnehmen als »Kriegsbeute« bis hin zur organisierten kriminellen Bereicherung.528 Somit trug auch diese Facette des Krieges zur Integration der österreichischen Soldaten bei, verdankte es ein Soldat doch schließlich der Wehrmacht, wenn er sich – trotz Krieg – beim Essen in Frankreich, beim Einkaufen in den Niederlanden oder beim Skifahren in Norwegen vergnügen konnte.
Österreicher und Reichsdeutsche Es widerspräche der menschlichen Natur, wenn trotz des massiven Integrationsschubs seit Kriegsausbruch nur bestes Einvernehmen zwischen Reichsdeutschen und Österreichern geherrscht hätte. Auch für den Zeitraum von 1939 bis 1941 finden sich in den Akten vereinzelte Anzeichen für atmosphärische Störungen, die im Wesentlichen auf zwei Umstände zurückzuführen sind, die bereits aus der Friedenszeit bekannt sind, und zwar die angebliche Diskriminierung von Österreichern bei der Beförderung sowie weiterhin vereinzelte pejorative Bemerkungen über die militärischen Qualitäten der Österreicher. Zunächst zu den Beschwerden über die Beförderungspraxis. Hier lohnt es sich, einen Briefwechsel zwischen Friedrich Franek und seinen Offiziersfreunden Prochaska, Ossmann und Hörl von März bis August 1940, welcher ganz im Zeichen dieses Themas stand, einer genaueren Analyse zu unterziehen. Viel 526 Dies inkludierte Zwangsarbeiter aus dem Osten sowie die Enteignung (und Ermordung) der Juden. Aly, Volksstaat. Zu Hitler als populärerem Diktator vgl.: Ian Kershaw : The »Hitler Myth«. Image and Reality in the Third Reich, Oxford/New York 1987. Zum Konsumismus im Dritten Reich vgl.: Michael Geyer: Germany, or, The Twentieth Century as History, in: SAQ 96/4 (1997), 663 – 702, 691 – 693; ders.: In Pursuit of Happiness. Consumption, Mass Culture, and Consumerism, in: Ders./Konrad Jarausch: Shattered Past. Reconstructing German Histories, Princeton, N. J., 2003, 269 – 314. 527 Aly, Volksstaat, v. a. 99 – 132. Bertnik (an Wächter, 1. 4. 1939) berichtete aus dem Protektorat, dass sie dort mit der Reichsmark wie »Gott in Frankreich« leben würden. Swogetinsky (2. Weltkrieg, Eintrag vom 30. 5. 1940) notierte, dass in Brüssel alles »verhältnismäßig sehr billig« sei. Vgl.: Latzel, Deutsche Soldaten, 137. 528 Swogetinsky wurde im Feb. 1944 seines Postens als Verwalter von feindlichem Eigentum im Stab des Militärbefehlshabers Belgien und Nordfrankreich enthoben, da er sich angeblich bereits während einer früheren Verwendung in Belgien 1940 persönlich bereichert hatte. Erläuterungen im Nachlass Swogetinsky, KA, NL, B/218.
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aufschlussreicher als die Beschwerden selbst sind nämlich die von den Offizieren vorgebrachten selbstkritischen Einschränkungen und zusätzlichen Informationen.529 So erwähnte Oberst Friedrich Ossmann eine Anzahl von Österreichern, die bei der Vergabe von neuen Posten nach dem Sieg über Frankreich übergangen worden seien. Generell, so Ossmann, sei dies ohne böse Absicht geschehen, doch ein paar habe man bewusst als Österreicher ignoriert, was dauerhaften Schaden für die »große Idee des herrlichen Reiches« bedeutete. Major Rudolph Prochaska fand, dass die reichsdeutschen Vorgesetzten die Umstände, unter denen die österreichischen Offiziere in den letzten dreißig Jahren ihre Karrieren gemacht hatten, nicht ausreichend gekannt und daher nicht gebührend berücksichtigt hätten, doch räumte er auch ein, dass die übrigen Kriterien fair gewesen seien. Ein dritter, Oberst Hörl, lamentierte ebenfalls, dass österreichische Karrierewünsche oft ignoriert worden seien, was seine eigene Versetzung an die Front einschloss, aber Hörl kritisierte die Österreicher auch dafür, nicht genügend für ihre Sache einzutreten. Hörl wiederholte seine Kritik in einem anderen Brief, in dem er sich über die Tendenz zum Jammern vor allem älterer österreichischer Offiziere lustig machte, die sich mehr um ihren zivilen Status nach dem Krieg als um ihre gegenwärtigen militärischen Karrieren sorgen würden. Zwei Aspekte unter den Aussagen der Offiziere stechen hervor : Die allgemeine Fairness der reichsdeutschen Karriere-Entscheidungen, mit der Einschränkung einer gewissen Unkenntnis der österreichischen Situation, sowie mangelndes Bemühen österreichischerseits. Wenn man dazu noch die Bedeutung individueller Haltungen sowie die österreichischen Neigungen zum Jammern und zur Überempfindlichkeit in Betracht zieht, muss die Frage erlaubt sein, bis zu welchem Ausmaß diese Beschwerden eher der Ausdruck von Selbstmitleid anstatt Anzeichen real existierender Diskriminierung waren. Wollten viele Österreicher einfach nicht einsehen, dass ihre Übergehung auf einem objektiv feststellbaren Mangel an Qualifikation und/oder deren Unwilligkeit, sich mehr anzustrengen, beruhte? Dieser Verdacht erhärtet sich durch einen Erlass des Wehrkreiskommandos XVII vom Dezember 1940, in welchem einerseits die Kommandeure ermahnt wurden, auf die Respektierung der österreichischen Eigenarten zu achten, andererseits aber auch »das Misstrauen
529 Major Rudolph Prochaska an Friedrich Franek, 4. 3. 1940, KA, NL, B/773:22; Ossmann an Franek, 24. 8. 1940; Hörl an Franek, 28. 4. 1940 und 20. 5. 1941. Für andere Beispiele siehe: Wolfgang Mitterdorfer, Bürgermeister der Kreisstadt Amstetten, an Gauleitung Niederdonau, 30. 1. 1940, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 184, Mappe 2850; anonymer Brief an Schirach, Betr.: Aufstiegsmöglichkeiten der aus dem österr. Bundesheer hervorgegangenen noch aktiv dienenden Unteroffiziere, 30. 1. 1941, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 159.
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der Ostmärker gegen Vorgesetzte, die ihnen Anstrengungen und Härten auferlegen, wie sie nun mal die soldatische Ausbildung verlangt«, verurteilt wurde.530 Die Frage nach fehlender Qualifikation steht natürlich in krassem Gegensatz zu den Behauptungen von österreichischer Überlegenheit, was abermals die Frage aufwirft, ob die meisten dieser Behauptungen nichts weiter als Wunschdenken waren. Diese Frage kann hier in ihrer gesamten Komplexität nicht beantwortet werden und muss daher an Militärexperten weitergegeben werden. Insgesamt gesehen, waren die Österreicher sicher keine schlechteren Soldaten als die Reichsdeutschen.531 Die höheren Offiziere betreffend habe der deutsche Generalstab laut Marcel Stein sehr hohe Standards angelegt, an denen auch die meisten Offiziere anderer Armeen gescheitert wären.532 Schließlich ist die Eignungsfrage unter den höheren Offizieren auch zentral mit dem Generationenfaktor verbunden. Der Heerespsychologische Bericht vom Juni 1941 stellte fest, dass die Älteren generell »müder und unfroher« als die Jüngeren seien, und dass die Interaktion der Generationen bisher zu keinerlei positiven Ergebnissen geführt habe, weshalb der Bericht sogar eine größere Trennung zwischen Alt und Jung empfahl.533 Diese Einschätzung stimmt exakt mit Oberst Hörls Kritik an der Einstellung der älteren österreichischen Offiziere überein. Somit war es, wie schon während der Eingliederungsphase, auch in der ersten Kriegsphase vor allem die Integration der jüngeren österreichischen Soldaten, die sich unter dem Einfluss der kriegsbedingten integrativen Kräfte weiter vertiefte, während sich diese Kräfte bei den Älteren weitaus geringer auswirkten, und hier wohl großteils altersbedingte Gefühle wie Skepsis, Zurückhaltung und Kriegsmüdigkeit überwogen. Nun zu den Sticheleien. Laut Max Stiotta kritisierte etwa Feldmarschall Günther von Kluge während einer Rekrutenbesichtigung bei der 4. Armee das von Stiotta ausgebildete österreichische Pionierbataillon mit den Worten, es sei »eben bekannt, dass Österreicher militärisch minderwertig sind«.534 Adolf Kutzelnigg bestätigte, dass man als Österreicher gelegentlich »sehr schief angeschaut« worden sei«.535 Alfred Berger verstand sich überhaupt nicht mit seinen Offizierskollegen während seiner Zeit in der Kampfgruppe zur besonderen Verwendung 108 beim norwegischen Luftwaffenstützpunkt Hommelvik von 530 Wehrkreiskommando XVII, Abt.: Ic, Az. 14, Nr. 13082/40 geh., Betr.: Politische Vorfälle, 5. 12. 1940, BA-MA, RH 14/46. 531 Allmayer-Beck, Österreicher, 365. 532 Stein, Generale, 101. 533 Inspektion für Eignungsuntersuchungen/W. L., Nr. 103/41 geh., Heerespsychologischer Bericht Nr. 11 (Juni 1941), 7. 6. 1941, BA-MA, RH 15/115 [= Heerespsychologischer Bericht Nr. 11]. 534 Graf, Stiotta, 188 – 189. 535 Kutzelnigg, Gesprächsprotokoll, 33.
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August 1940 bis Mai 1941. Abgesehen von wiederholten Beschweren über exzessive Saufereien, war Berger besonders über die Verspottung seiner Weltkriegsorden seitens einiger Kameraden entsetzt, und als Berger einmal den scharfen Ton unter den Offizieren bemängelte, wurde ihm mitgeteilt, dass er sich eben noch nicht an den »preußischen Offizierston« gewöhnt habe.536 Selbst Mauritz Wiktorins ansonsten so positive Erinnerungen erwähnen »ganz geringe, unwesentliche Ausnahmen«.537 Nun fallen diese Irritationen deshalb nicht besonders ins Gewicht, weil sie durch die Gegenbeispiele aus dem gleichen Zeitraum in den Schatten gestellt werden, und nicht einmal für die Personen, die sie übermittelten, die bestimmende Erfahrung waren. So beschrieb Stiotta die Atmosphäre im Generalstab der Heeresgruppe Mitte, wo er seit Mai 1941 diente, als freundlich und seine Person betreffend »fast herzlich«.538 Alfred Berger beschwerte sich nur über die Phase in Hommelvik, aber er verlor kein böses Wort über die Zeit davor in Posen und danach in Italien. Für Wiktorin war die Zeit als Kommandeur der 20. Infanterie-Division in Hamburg von November 1938 bis Oktober 1940 die »glücklichste« seines Lebens, und auch sein Dienst als Kommandeur des XXVIII. Armeekorps seit Oktober 1940 verlief nach einer Anpassungsphase ähnlich unproblematisch. Umgekehrt hätten zahlreiche reichsdeutsche Offiziere Wiktorin versichert, dass sie die Zeiten an der Spitze ostmärkischer Truppen zu den schönsten ihrer militärischen Karrieren zählten.539 Bruno Bruckberger bezeichnete seine reichsdeutschen Vorgesetzten in Straßburg als »sehr sympathisch« und »gemütliche Burschen«, und Heinz Zsilincsar verstand sich im belgischen Quartier ausgezeichnet mit seinen Zimmergenossen aus dem Altreich.540 Galler kam immer gut mit seinen reichsdeutschen Kameraden aus und empfand norddeutsche Einheiten als pflegeleichter, weil sie jeden Befehl ohne die geringste Infragestellung befolgten.541 Carl Zedtwitz-Liebenstein, wie Galler ein Offizier mit einem stark ausgeprägten österreichischen Selbstverständnis, schrieb nur vorteilhaft über reichsdeutsche Offiziere und Soldaten.542 Und Oberst Wilhelm Plas bezeichnete seinen Abteilungschef im Heereswaffenamt, Berger, Tagebuch I, Einträge vom 20.4. und 28. 4. 1941, 2.5., 4.5., 5.5., 20.5. und 21. 5. 1941. Wiktorin, Soldat, 138. Graf, Stiotta, 203. »Heeresgruppe Mitte« hieß bis Juni 1941 »Heeresgruppe B«. Wiktorin, Soldat, 120, 138 – 139, 206 – 207, 211. In Hamburg habe Wiktorin von Anfang an »sowohl dienstlich wie privat […] von allen Seiten größtes Entgegenkommen, Kameradschaft und willige Gefolgschaft« erfahren und sei v. a. als Wiener mit »betonter Herzlichkeit« behandelt worden. 540 Bruckberger, Tagebuch, Einträge vom 13.11. und 27. 11. 1940; H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 22. 2. 1941. 541 Galler, Erlebnisse, 52. 542 Vgl. die sympathische Beschreibung einer fast rein sächsischen Einheit auf dem Weg zur Front in: Zedtwitz-Liebenstein: II. Weltkrieg. Anfang, KA, NL, B/530:2, 9 – 10.
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Oberst Geist, als typisch preußischen Offizier, der jedoch keinerlei Missachtung für »Kamerad Schnürschuh«, aber dafür umso größeren Respekt insbesondere gegenüber den technischen Institutionen der alten k. u. k. Armee an den Tag gelegt habe.543 Vor allem der gemeinsame Dienst im Feld ließ die Männer zusammenrücken. Der Österreicher Walter H. Arnold fand während seines Dienstes in einer festen Funkstelle südlich von Tripolis im Sohn eines Wiesbadener Kaufmannes einen seiner beiden »besten Freunde fürs Leben«.544 Hauptmann Wiedenhorn, der reichsdeutsche Kommandeur des Landesschützen-Bataillons 981, bedauerte in Briefen an Franek, dass er von seinen »braven« ostmärkischen Männern, die so tapfer in Frankreich gekämpft hatten, Abschied nehmen müsse. Was bliebe, so Wiedenhorn, sei die »Erinnerung an gemeinsam verlebte harte, aber auch schöne Tage« sowie die Kameradschaft unter ihnen, »ob Ostmärker, Badner oder Sachse«.545 Dem reichsdeutschen Chronisten des Aufklärungs-Regiments 9, Carl Hans Hermann, zufolge hatte sich die ohnehin schon exzellente Kameradschaft innerhalb der Einheit während der Feldzüge noch weiter vertieft, und er führte das auch auf den Führungsstil des reichsdeutschen Kommandeurs, Oberstleutnant Bruno Ritter von Hauenschild, zurück.546 Umgekehrt konnten auch österreichische Kommandeure bei ihren Einheiten sehr beliebt werden, wie aus einem Lied in den Papieren von Oberst AdolphAuffenberg-Komarov, das ihm sein bayerisches Infanterie-Regiment 41 gewidmet hatte, oder aus Wiktorins Schilderung seines bewegenden Abschieds von Hamburg hervorgeht.547 Abschließend muss auch noch festgestellt werden, dass die für die erste Kriegsphase überlieferten Verstimmungen nicht an die schlimmsten Beleidigungen während der Eingliederungsphase heranreichen. Von einer permanenten Verwendung von Ausdrücken wie »Ostmarkschwein« während des gesamten Krieges kann also keine Rede sein.548
543 W. Plas, Munitionsentwicklungen, 16. Plas arbeitete seit Sommer 1940 im Waffenprüfamt 1 (Ballistik und Munition) des Heereswaffenamtes. 544 Arnold, Autobiographischer Brief. 545 Wiedenhorn an Franek, 14.6. und 11. 7. 1941. Der Kern des Landesschützen-Batl. 981 stammte aus Österreich und gehörte zum IR 634, als dieses unter Franek in Frankreich diente. 546 Nachdem einige Soldaten der Einheit während der Besetzung der »Rest-Tschechei« noch Rekruten gewesen waren, belohnte Hauenschild sie für ihre gute Haltung mit der Aufhebung ihres Rekrutenstatus. Hermann, Panzeraufklärungsabteilung 9, 6. 547 [Lt. K. Herbst?]: Heil I. R. 41!, o. J., KA, NL, B/678:7. Als Wiktorin (Soldat, 139, 207) die 20. (Hamburger) ID verließ, habe die Mannschaft gemeint »So einen General kriegen wir nicht mehr!« 548 Hubert Steiner (Interview am 25. 5. 2011) und Morawec (Interview) hatten nie von dem Ausdruck »Ostmarkschwein« gehört. Auch Brandeis und Ulber (Interviews) nicht, doch hörten sie, dass er woanders gefallen sei. Wotava (Interview) erinnerte sich nur an den
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Welche zusätzlichen Erkenntnisse kann man trotzdem aus diesen Fällen von Geringschätzung gewinnen? Zunächst wird deutlich, wie hartnäckig Klischees fortbestehen können, selbst wenn sie von der Wirklichkeit bereits widerlegt wurden. Des Weiteren bestätigt sich, was bereits im Zusammenhang mit der Eingliederung während der Friedenszeit festgestellt wurde, nämlich dass es ganz allein auf das Individuum ankam, ob es derartige scheinbar unabänderliche antiösterreichische Stereotypien pflegte oder nicht, und der gleiche individuelle Faktor wirkte sich darauf aus, wie Österreicher die Reichsdeutschen sahen, bzw. wie sie mit Anfeindungen umgingen. Wiedenhorn und Kluge können als Musterbeispiele für Reichsdeutsche gelten, die völlig gegensätzliche Meinungen über Österreicher hatten. Als Österreicher hingegen nahm Wiktorin eine grundsätzlich positive Haltung ein, während Stiotta eher zum »Raunzen« neigte. Individuelle österreichische Einstellungen bestimmten mehr als nur das Verhältnis zu den Reichsdeutschen. Karl Serschen und Anton Maurer waren beide entschiedene Christlichsoziale, die 1934 gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatten und 1938 die österreichische Unabhängigkeit verteidigen wollten. Während Serschen als einer der sehr wenigen den Eid auf Hitler verweigerte und den Dienst quittierte, entwickelte Maurer sich zu einem überzeugten Soldaten.549 Die Kluft konnte mitten durch Familien verlaufen. Hermann Schneider, ein ehemaliger Generalstabsoffizier des Bundesheeres, arbeitete in der Kriegswissenschaftlichen Abteilung des OKH und fiel im April 1945. Sein Bruder, Ernst Schneider, war Ständestaat-Anhänger und verbrachte den Krieg unter Aufsicht der Gestapo.550 Auch viele der interviewten Veteranen betonten von sich aus die Bedeutung des Individualismus für das österreichisch-reichsdeutsche Verhältnis. Einige hatten selber negative Erfahrungen gemacht, doch auch sie bestanden darauf, dass es sich dabei um die seltene Haltung von Individuen handelte, die eben zufällig gegen Österreicher eingestellt waren.551 Umgekehrt habe es »bei uns […] etliche Blödere als der einzelne Preuße« gegeben, wie es Veteran Christian Ochnitzberger ausdrückte.552 Wie schon in der Friedenszeit beobachtet, hing der Gewinn von Respekt von einer selbstbewussten Haltung ab, und somit auch davon, wie Österreicher auf Anfeindungen reagierten. Bruno Bruckberger etwa fand, dass den Reichsdeutschen ein »etwas keckes Auftreten« am meisten imponierte und verhielt sich
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Begriff »Schlappschwanz«. In Probsts (Interview) Gedächtnis war »Schlamperei« die schlimmste Beleidigung. Maurer, Interview ; Karl Serschen: Der Lebenslauf eines österreichischen Patrioten, o. J., KA, NL, B/1095, 10. Diese Informationen finden sich im Nachlass von Ernst Schneider, KA, NL, B/195. Interviews mit Werner Mirnegg, 11. 11. 2003; Brandeis; Kornfeld; Morawec; Stadler ; Wotava. Interview mit Christian Ochnitzberger, 16. 10. 2003.
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entsprechend.553 Auch Stiotta wusste sich trotz seiner Nörgelei immer sehr gut zu behaupten. Kurz vor dem Norwegenfeldzug korrigierte Stiotta beim Stab der Heeresgruppe A in Koblenz Generaloberst Gerd von Rundstedts spöttische Bemerkung über das »Herumhatschen« österreichischer Gebirgsjäger. Und zu Kluges Kritik an seinem Pionier-Bataillon antwortete er : »Ich darf darauf hinweisen, dass der Führer und oberste Befehlshaber der Wehrmacht […] zu den militärisch minderwertigen Österreichern gehört.«554 Oberst Ossmann lobte den Stil der Ansprache von General Julius Ringel bei einem Empfang in Narvik als »sehr frisch, aber ohne das geringste Merkmal von der im republikanischen Österreich beliebten Ergebenheitsform«.555 Individuelle Beziehungen konnten sich wie schon während der Eingliederungsphase auch nach anfänglichen Spannungen oder gar einem Zusammenstoß drastisch verbessern. Entsprechend beschrieb Galler die Entwicklung des Verhältnisses zu Oberstleutnant Schmalz, seinem neuen Regimentskommandeur in den Niederlanden, so: »Wir waren uns sicher gleich unsympathisch […]. Er kritisierte mich scharf, fand mich und meine Leute zu schlapp, mit einem Wort: ›österreichisch‹. Aber nach näherer gegenseitiger Beschnupperung […] verwandelte sich das Verhalten meines Chefs in das Gegenteil.«556
Die Beharrung auf eine österreichische Eigenart war somit grundsätzlich kein Nachteil, wie auch die Beurteilung des nur aus Österreichern bestehenden Stabes der Feldkommandantur 520 zeigt: »In Berücksichtigung ihrer Eigenart sehr brauchbar und auch bisher bewährt.«557 Man konnte es mit dem österreichischen Eigenbewusstsein allerdings auch übertreiben. In der zweiten Hälfte von 1940 reichte Oberst Norbert Schwarzböck innerhalb der 12. Infanterie-Division Beschwerden gegen all seine Vorgesetzten bis hinauf zum Divisionskommandeur Seydlitz ein. Diese hatten Schwarzböcks Bestrafung einer Wache, die ihren Posten verlassen hatte, als zu harsch widerrufen, während Schwarzböck darauf pochte, dass in Kriegszeiten Disziplinar553 Bruckberger, Tagebuch, Eintrag vom 27. 11. 1940. 554 Graf, Stiotta, 125 – 126, 189. Gegenüber von Rundstedt bemerkte Stiotta, »ein Bauer, der sein ganzes Leben knieweich gegangen ist, weil er sonst gar nicht auf seine dreitausend Meter hohen Berge hinauf kommen würde, der geht auch in Koblenz in seiner Freizeit unwillkürlich nicht anders. Geben sie die Truppe dorthin, wo sie hingehört, nämlich ins Gebirge, dann werden sie schon sehen, dass es Soldaten sind.« Angeblich revidierte von Rundstedt sein Urteil nach Narvik. 555 Ossmann an Franek, 5. 12. 1940. 556 Galler, Erlebnisse, 28. 557 O. F. Kdtur. [= Oberfeldkommandantur] 570, Werturteil über den Stab der Feldkommandantur 520 (Anlage zu Oberfeldkommandantur 570, Abt. Ia, Nr. 20/40 geh., Betr.: Zustand der Truppe), 8. 1. 1940, BA-MA, RH 36/81. Feldkommandanturen waren regimentsstark und dienten Sicherungsmaßnahmen in besetzten Gebieten.
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maßnahmen strikt anzuwenden seien, und behauptete, dass die Einstellung eines seiner Vorgesetzten weder im Bundesheer noch in der k. u. k. Armee möglich gewesen wäre.558 Schwarzböck ist ein weiteres Paradebeispiel dafür, dass es keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen österreichischer Identität und Identifizierung mit dem Wehrmachtsdienst gab, aber es wäre auch möglich, dass Schwarzböcks forsche Vorgehensweise und Argumentation seiner Popularität nicht gerade förderlich waren. Eindeutig für Unmut sorgten Soldaten der größtenteils wienerischen Nachrichten-Kompanie des Infanterie-Ersatz-Regiments 44 in Lundenburg Ende 1940 bei einem Kameradschaftsabend mit einer Anschluss-Parodie, in der sie sich unter Verwendung dialektaler Ausdrücke und allerlei Klischees über die »Befreiung« eines alten germanischen Stammes, der die Österreicher symbolisierte, durch die Römer (= Preußen) lustig machten. Ein reichsdeutscher Zivilist regte sich so sehr darüber auf, dass er von den Offizieren nur durch den Hinweis, dass sämtliche für das Stück verantwortliche Soldaten überzeugte Nationalsozialisten seien, besänftigt und von weiteren Beschwerden abgehalten werden konnte.559 In Summe jedoch kann das Verhältnis zwischen österreichischen und reichsdeutschen Soldaten nach der ersten Kriegshälfte nur als sehr gut bezeichnet werden, und genauso wurde es auch von fünfzehn der achtzehn befragten Wehrmachts-Veteranen beschrieben.560 Es war auch nicht übertrieben, wenn Glaise-Horstenau 1941 mit großer Befriedigung feststellte, dass die früheren Fehlurteile berichtigt worden seien, der Ostmärker sein Minderwertigkeitsgefühl abgelegt habe und »Kamerad Schnürschuh« der Vergangenheit angehöre.561 All dies waren Resultate jenes Integrationsprozesses, welcher auf den durch die erste Kriegsphase hervorgebrachten Kräften – wie Fronterlebnis, Kameradschaft, Stärkegefühl, Siegesrausch, Aufstiegschancen, Reisemöglich558 Norbert Schwarzböck: Beschwerdeschriften des Oberst Schwarzböck gegen den Divisionskommandeur General von Seydlitz, Juli-Okt. 1940, KA, NL, B/400:1. 559 Der Chef des Stabes [Haseloff] an Zellner, 56/41 g, 4. 1. 1941; Der Chef des Generalstabes des Wehrkreiskommandos XVII [Zellner] an Oberst i. G. Haseloff, Nr. 1239/41 geh., 31. 1. 1941, BA-MA, RH 14/46. Die von Zellner durchgeführte Untersuchung stellte fest, dass der in »derbem Soldatenscherz« geschriebene Text nicht für Zivilisten gedacht gewesen und der Autor ein Offizierssohn und langjähriges SA-Mitglied sei. Ferner sei der Text vom Kompaniechef, einem illegalen Nationalsozialisten, genehmigt worden. Außerdem sei in Lundenburg das Verhältnis zwischen Reichsdeutschen und Ostmärkern ausgezeichnet, abgesehen von früheren Spannungen zwischen einer sächsischen Feldeinheit und Zivilisten bzw. Mitgliedern der Ersatzeinheiten wegen sprachlicher Missverständnisse und dem »leidlichen Mädchenneid«. 560 Interviews mit Fritz Horvath, 8. 11. 2003; Josef Huber, 22. 11. 2003; Otto Lederer, 8. 7. 2004; Franz Schmidl, 28. 10. 2004; Brandeis; Hinterberger ; Kornfeld; Mirnegg; Maurer ; Morawec; Ochnitzberger ; Perner ; P. Podhajsky ; Probst; Stadler ; Steiner ; Ulber ; Wotava. 561 Glaise-Horstenau, Ostmärker im Kriege, 163.
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keiten und Einkaufstouren – beruhte und es den österreichischen Soldaten ermöglichte, ihr Können unter Beweis zu stellen, Anerkennung zu ernten und ihr Selbstbewusstsein zu erhöhen. Hitler selbst erkannte und schätzte die integrative Kraft der Kriegsführung nicht nur in Bezug auf die Österreicher, denn dank des Krieges würde »das großdeutsche Reich mit allen seinen Stämmen auf den Schlachtfeldern […] zusammengeschmolzen«. Keiner der deutschen Stämme käme daher zum Reich »als geprügelter Hund«, sondern in dem stolzen Bewusstsein, »mit dem Einsatz des eigenen Blutes am großdeutschen Freiheitskampf […] beteiligt gewesen zu sein«.562
562 Hitler, Tischgespräche, 316. Hitler (ebd., 319) bezeichnete den Krieg auch als »beste[n] Erzieher im großdeutschen Sinn und beste[n] Tiegel für den Einschmelzungsprozess«.
Kapitel 4: Von der Maas bis an die Memel – Die bewaffnete Volksgemeinschaft im Krieg
Deutscher Nationalismus und die Idee der Volksgemeinschaft Ein Element des Nationalsozialismus trug besonders zur Integration der österreichischen Soldaten bei, nämlich das Konzept der Volksgemeinschaft. Diese stellte das »nationale« Gegenstück zur internationalen marxistischen klassenlosen Gesellschaft dar, und zwar eine nationale Gemeinschaft, in der es keine sozialen Unterschiede geben und Aristokratie, Bourgeoisie, Bauerntum und Arbeiterschaft harmonisch zusammenleben sollten. Dieses Konzept konnte auch auf die Streitkräfte des nationalsozialistischen Deutschland übertragen werden, indem die Wehrmacht als die »bewaffnete Version« der zivilen Volksgemeinschaft dargestellt wurde. Das Militär war bestens dafür geeignet, da zunächst einmal alle männlichen Bürger der Wehrpflicht unterlagen. Zudem besitzt jede Armee neben einer ausgeprägten Hierarchie auch starke egalitäre Züge, indem sie das Kollektiv über das Individuum stellt und von jedem Individuum Opfer für die Gemeinschaft verlangt. Anhänger der Konservativen Revolution, wie Oswald Spengler, nahmen dies vorweg, indem sie den preußischen Militarismus als eine Form von Sozialismus interpretierten, und nationalsozialistisch gesinnte Wehrmachtmitglieder konnten auf diese Idee zurückverweisen.563 Auch die theoretischen Wurzeln des Volksgemeinschaftskonzeptes speisten sich aus Kriegserfahrungen, diente doch die »Schützengrabengemeinschaft« des Ersten Weltkrieges als Vorbild für eine nationale Gemeinschaft, während die Einheit der gesamten deutschen Nation über alle Klassen und Parteien hinweg durch die »Ideen von 1914« symbolisiert wurde.564 Gemäß der Dolchstoßlegende 563 Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München 1919; Rudolf Wagner : Soldatische Pflichtenlehre. Eine Lehre vom Kampfwillen. Vortrag an Führer und Unterführer im Ersatzheer, Nov. 1944, KA, NL, B/1110:2, 10; Fritz Schnell: Volk und Wehrmacht, BornaLeipzig 1935, 28 – 29, 50. Vgl.: Fritz, Frontsoldaten, 209; Müller, Nationalismus, 16 – 28. 564 Viele der frühen Nationalsozialisten kamen direkt aus den Gräben des Ersten Weltkrieges, und das Konzept war auch in Österreich populär. Hanisch, Männlichkeiten, 52 – 54.
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waren es nur die revolutionären Umtriebe daheim, welche diese Einheit zerstört hätten und der Armee in den Rücken gefallen seien. Gemäß dieser Logik würde nur eine sehr enge Beziehung zwischen der zivilen und der bewaffneten Version der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft einen weiteren November 1918 verhindern können. In der Theorie war die Volksgemeinschaft daher ein höchst integratives Konzept. Für den zivilen Bereich betrachten die meisten Forscher ihre praktische Umsetzung als gescheitert.565 Bezüglich der Wehrmacht war durch die Entscheidung gegen eine »nationalsozialistische Volksarmee« und für eine professionelle Armee auf Basis der Reichswehr sicherlich ein konservativer Grundcharakter gegeben, vor allem bezüglich des aristokratischen Elements im Offizierskorps, während formaler Egalitarismus eher als Merkmal der Waffen-SS galt. Auf der anderen Seite öffnete sich das Offizierskorps der Wehrmacht zunehmend sozialen Aufsteigern.566 Für unser Thema ist jedoch allein folgende Frage relevant: Inwieweit trug das Selbstverständnis der Wehrmacht, die bewaffnete Version der Volksgemeinschaft zu sein, zur Integration der Österreicher bei? Zur Beantwortung dieser Frage muss man zuerst einen Blick auf ein wichtiges Wesensmerkmal des modernen deutschen Nationalismus werfen. Aufgrund ihres »organischen« Verständnisses von Völkern betonten deutsche Nationalisten gerne den stammlichen Aufbau des deutschen Volkes. Nachdem Stämme, so die Theorie, sich als Bindeglied zwischen Individuen und Völkern ebenso wie diese aus verschiedenen »Rassenbestandteilen« zusammensetzten, würde jeder Stamm eine typische physische Erscheinung und Mentalität sowie gewisse Talente besitzen, welche die Mehrzahl seiner Mitglieder teilte.567 Diese Auffassung 565 David Schoenbaum: Hitler’s Social Revolution. Class and Status in Nazi Germany 1933 – 1939, Garden City, N. Y., 1966; Michael Prinz/Rainer Zitelmann (Hg.): Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1994. 566 Echternkamp, Grundzüge, 13. Vgl.: Petter, Militärische Massengesellschaft; Richhardt, Auswahl und Ausbildung; Bernhard R. Kroener : Auf dem Weg zu einer »nationalsozialistischen Volksarmee«. Soziale Öffnung des Heeresoffizierskorps, in: Martin Broszat/KlausDietmar Henke/Hans Woller (Hg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, 651 – 682; Jürgen Förster : Vom Führerheer zur nationalsozialistischen Volksarmee, in: Jost Dülffer/Bernd Martin/Günter Wollstein (Hg.): Deutschland in Europa. Kontinuität und Bruch. Gedenkschrift für Andreas Hillgruber, Frankfurt a. M. 1990, 311 – 328. 567 »Die Stämme sind […] Ausdruck einer inneren Gliederung und Ordnung des deutschen Volkes; […] durch Verschmelzungen und Neubildungen entstanden und noch keineswegs in der Entwicklung abgeschlossen. … Die Kräfte des Blutes und des Bodens haben aus den deutschen Volksstämmen […] Lebensgemeinschaften mit besonderen körperlichen und geistigen Eigenschaften und Verhaltensweisen werden lassen.« Martin Wähler, Deutsche Volks- und Stammescharakterologie. Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Ders., Volkscharakter, 7 – 24, 17. Hitler (ebd., 23 – 24) sah die Stämme als »gottgewollte Bausteine unseres Volkes«.
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wurde ununterbrochen in akademischen, pseudo-akademischen und populären Publikationen wiedergegeben, und wegen der gesteigerten Popularität des völkischen Gedankens nach 1918 war sie in Deutschland und Österreich bereits vor dem Dritten Reich sehr beliebt gewesen.568 Die Popularität dieses Denkens in stammlichen Kategorien lässt eine chronische Spannung innerhalb des deutschen Nationalismus erkennen, und zwar zwischen dem Bemühen um Einheit einerseits, und Kräften, welche dieser Einheit widerstrebten.569 Die deutschen Nationalisten waren sich dieser Spannung sehr bewusst. Für sie war deutsche Geschichte eine Geschichte von Uneinigkeit, welche häufig als Nord-Süd- oder Stammeskonflikt interpretiert werden konnte.570 Identitäten wie Stamm oder Land waren historisch gesehen viel stärker als Träume von nationaler Einheit, und das von Bismarck gegründete Reich litt unter inneren Spannungen und dem Odium der Unvollständigkeit. Mit dem Dritten Reich jedoch schienen alle Probleme von nationaler Einheit erledigt: Großdeutschland wäre endlich hergestellt und von einem in der Geschichte noch niemals dagewesenen Geiste der Einigkeit beseelt; die Volksgemeinschaft würde alle sozialen Gräben beseitigen und die Partei zum Wohle des gesamten Volkes und nicht einzelner Klassen regieren.571 Hinzu kam jedoch eine weitere Herausforderung, welche von der Forschung, die sich auf die sozialen Aspekte und die versuchte Schaffung eines Burgfriedens während des Krieges konzentriert, ignoriert wird und direkt mit dem Thema der österreichischen Integration zusammenhängt, nämlich das beständige Anwachsen der Volksgemeinschaft an sich.572 Schließlich wurde mit jedem Feldzug die Volksgemeinschaft – und damit die Wehrmacht – um weitere Gruppen von Deutschen erweitert, die bis dato nicht zum Deutschen Reich gehört hatten und ihre eigene regionale Identität besaßen. Zwar war das Rekrutierungssystem und 568 Die Universität Wien war sogar eine Hochburg der deutschen Ethnologie in der Zwischenkriegszeit. Siehe: Wolfgang Jacobeit u. a. (Hg.): Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wien 1994; Willi Oberkrome: Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918 – 1945, Göttingen 1993; Echternkamp, Grundzüge, 7 – 8; Müller, Nationalismus. 569 Die individuelle Haltung basierte oft auf der politischen Einstellung. Progressive Nationalisten tendierten zu einer starken Zentralmacht und konnten Stämme als etwas eher Folkloristisches betrachten, während konservative Nationalisten Föderalismus und die Bewahrung stammlicher Verschiedenheit bevorzugten. 570 Beispiele wären der Konflikt zwischen den schwäbischen Hohenstaufen und den sächsischen Welfen, der Gegensatz zwischen katholischem Süden und protestantischem Norden und die Rivalität zwischen Preußen und Österreich. Vgl.: Brehm, Haltung, 5; Confino, Metaphor, 61 – 62. 571 Laut Hitler (Mein Kampf, 631 – 632) seien Katholiken und Protestanten völlig gleichgestellt, wenn sie sich loyal zum Deutschtum verhielten. 572 Vgl.: Müller, Nationalismus; Messerschmidt, Reflex.
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die Zusammensetzung der Truppen von regionalen Gesichtspunkten geleitet, aber angesichts der Signifikanz regionaler Spannungen in der Vergangenheit, vor allem während des Ersten Weltkrieges, muss die Bewältigung der wegen der Neulinge kontinuierlich zunehmenden regionalen Diversifikation ebenso wichtig wie die Herstellung sozialer Gleichheit gewesen sein. Die Leitfrage sollte daher weiter differenziert werden: In welchem Ausmaß gelang es der Wehrmacht als »bewaffneter Volksgemeinschaft« das potenziell entzweiende Element des historisch so bedeutsamen Regionalismus zu entkräften und dadurch auch die Integration der Österreicher zu fördern? Anstatt der sozialen soll also die nationale Frage im Mittelpunkt stehen – und anstelle einer Volksgemeinschaft der Klassen eine der Volksstämme. Zuallererst muss jedoch die Frage geklärt werden, welche Rolle Stammesdenken und Regionalismus im Selbstverständnis der Österreicher spielten. Erst danach können wir in größerem Detail das Funktionieren der »bewaffneten Volksgemeinschaft« betrachten, wobei ein besonderes Augenmerk auf die spezifische Rolle der Österreicher innerhalb dieser Gemeinschaft gelegt werden soll. Diese Rolle war stark von dem Bild – dem »Image« – bestimmt, das andere von den Österreichern und diese von sich selbst hatten. Abschließend wird ein weiterer wichtiger innerer Mechanismus der »bewaffneten Volksgemeinschaft« beleuchtet, nämlich eine wachsende »nationalistische Hierarchie«, welche sich sogar in einem größeren europäischen Rahmen integrationsfördernd auswirkte.
Stammesdenken und Regionalismus Doch zunächst zur Vielschichtigkeit der österreichischen Identität. Wie bereits im Zusammenhang mit der Bedeutung des Stammesdenkens für den deutschen Nationalismus angedeutet, konnte ethnische Identität in mehrere Ebenen aufgegliedert werden. Für Österreicher bedeutete dies, dass sie sich in erster Linie als Deutsche, Süddeutsche, Alpenländer oder Österreicher/Ostmärker bzw. mit ihrem Stamm, ihrem Bundesland/Gau, ihrer Region oder Gemeinde identifizieren konnten, um nur die populärsten Möglichkeiten zu nennen. Entsprechend variabel waren Begriffe wie »Heimat« oder »Landsleute« besetzt. Für Heissenberger bedeutete die engere Heimat die »Ostmark«; für Raus und Beyer Südmähren.573 Die Offiziere Spurny und Hörl hofften, dass wenn sie schon nicht an der Front eingesetzt wurden, sie daheim in »unserer geliebten Ostmark« bzw. in der »schönen Wienerstadt« dienen konnten.574 Als Oberschütze Fuchsbichler zum Landesschützen-Bataillon 873 nach Vorarlberg versetzt wurde, 573 Heissenberger, Kriegstagebuch, 27; Raus, Einleitung, 8; [Beyer], Redemanuskript. 574 Spurny an Franek, 30. 12. 1940; Hörl an Franek, 20. 5. 1941.
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fühlte er sich durch die Anwesenheit von »Landsleuten« aus Wien »wie zuhause«, während Soldat Heinz Zsilincsars Kompanie gespannt ihren neuen Kommandeur erwartete, denn »unser alter Chef war ein Steirer, also gemütlich wie wir Alpenländer eben sind!«575 Soldat Josef Bermoser wünschte sich, dass statt 40 Kärntnern wenigstens ein Grazer in seiner Flak-Einheit in Berlin diente, und Soldat Matthias Kürbisch war der einzige Steirer in seiner Einheit und daher immer froh, andere Steirer zu treffen.576 Diese Aussagen zeigen, dass regionale Identitäten unterhalb der österreichischen Ebene am beliebtesten waren. Auch im Vergleich zum Altreich war in Österreich das Denken in stammlichen oder regionalen Kategorien besonders stark ausgeprägt. Die mit den Stämmen auf österreichischem Gebiet praktisch identischen Bundesländer zählten zu den ältesten im deutschen Raum, und alle Länder/Stämme teilten mehr oder weniger stark ausgeprägte Aversionen gegenüber dem alten Wiener Zentralismus.577 Gleich ob sich deren Heimat-Begriff eher auf die Herkunftsregion oder die gesamte Ostmark bezog, legten österreichische Soldaten eine ausgesprochen starke Verbundenheit zu ihrer Heimat an den Tag, wie es Oberst Claus Boie, der Kommandeur des Infanterie-ErsatzRegiments 44, auf den Punkt brachte: »Wir haben viele Wiener in unserer Truppe, und auch die übrigen Ostmärker lieben alles, was mit ihrer Heimat zusammenhängt, der sie vielleicht enger verbunden sind als andere deutsche Stämme.«578 Die stärkste Form der Heimatbindung waren sicherlich die persönlichen Bande zu Familie, Freunden und anderen Nahestehenden, wobei es sich um menschliche Grundbedürfnisse, die alle Soldaten unabhängig von ihrer Herkunft teilten, handelte.579 Die Briefe des Soldaten Josef Glaser an seine Verlobte sind ausgezeichnete Beispiele. Trotz der Trennung akzeptierte und bisweilen sogar romantisierte Glaser den Krieg im Prinzip ohne größere Beschwerden.580 Das Hauptthema in Glasers Briefen jedoch war der Gedanke an die Zeit nach
575 Fuchsbichler [?]: Erlebnisse eines Landesschützen, [Juli 1942], BA-MA, RH 53 – 18/84, 2; H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 25. 2. 1940. 576 Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 25. 5. 1941; Kürbisch an NS-Frauenschaft Eibiswald. 577 Bruckmüller, Nation Österreich, 194 – 195. 578 Oberst Boie, Kdeur. d. I. E. Rgt. 44, Hinweis für die Abhaltung von Komp.-Festen, Kameradschaftsabenden, WHW-Veranstaltungen u. Ä., 19.12.[1940], BA-MA, RH 14/46. Vgl.: Luzˇa, Relations, 319, 240 – 241. Laut Klemperer (Curriculum, Bd. 2, 366 – 367) sei allen Süddeutschen eine stärkere Heimatbindung eigen. 579 Latzel, Deutsche Soldaten, 329. 580 »Das Soldatenleben ist schön, wenn man es einmal gewohnt ist« und »Es ist auch schön, so einsam irgendwo auf Posten zu stehen und mit seinen Gedanken weit weg bei seinen Lieben zu sein.« Glaser an Ullmann, 20.7. und 25. 12. 1940. Auch Adolf Kaipel (an M. Halwachs, 26. 9. 1939) tröstete sich damit, dass »ich so viele Menschen zu Hause habe, die mir so lieb sind wie mein eigenes Leben, für die ich gerne kämpfe.«
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dem Krieg, um wieder ein normales Leben gemeinsam mit seiner zukünftigen Frau beginnen zu können.581 Die Soldaten zeigten auch eine besonders ausgeprägte Liebe zur österreichischen Landschaft. In einem Rundbrief an ehemalige Napola-Klassenkameraden schwärmte Luftwaffenpilot Erich Winterberger, wie schön ihre Heimat, die »Ostmark«, vor allem von oben besehen sei.582 Einem Zeitungsartikel über Kärntner in Frankreich zufolge assoziierten diese in ihren Liedern die Heimat mit hohen Bergen, klaren blauen Seen und weiten grünen Hängen.583 Und laut Heissenberger habe »schon allein der Anblick der hohen Berge, die schnee- und eisbedeckten Gipfel sowie die herrliche Ostmarklandschaft« die Soldaten seiner Einheit beim Rückmarsch aus Frankreich zutiefst beeindruckt und begeistert.584 Die österreichische Landschaft wurde in erste Linie, auch von Wienern, mit den Bergen gleichgesetzt.585 Für Glaser ging nichts über die Berge, mit denen er sich »so eng verbunden« fühlte.586 Die Begegnung mit Bergregionen rief daher typischerweise Erinnerungen an die Heimat wach. Oberjäger Gerald Leinweber von der 2. Gebirgs-Division bewunderte die Schluchten und dunkelgrünen Wasser des polnisch-slowakischen Dunajec-Tales mit den Worten: »Bergschönheit – ! Da lachte das Herz des Gebirgsjägers, das erinnerte an die ferne, ferne Heimat.«587 Ein Magazin legte einem Kärntner Gebirgsjäger beim Anblick der norwegischen Fjorde den Ausruf »Jessas, ganz wie daheim!« in den Mund, doch Maschinistenmaat Hans Hiebler zog die österreichischen Berge den norwegischen vor, denn »was sind diese gegen die unseren, ihnen fehlt das Leben, das Atmen des Berges.«588 An der Front pflegten österreichische Soldaten ihre Heimatverbundenheit auf verschiede Weisen, wie etwa durch Geschenke von ihrem Heimatgau und von Verwandten. Beliebt waren auch gedruckte Erinnerungsstücke, wie etwa Zeitungen aus der Heimatstadt oder einzelne Zeitungsartikel über die Heimat.589 581 Glaser an Ullmann, o. J. [1940], 19.10. u. 26. 11. 1940 [Poststempel]. 582 Flg. Erich Winterberger : Rundschreiben an ehemalige Napola-Kameraden, o. J., KA, NL, B/ 1581. Napolas (Nationalpolitische Erziehungsanstalten) waren Internatsoberschulen zur Heranbildung nationalsozialistischen Führernachwuchses. 583 Das Lied der Heimat am Westwall, in: Kärntner Grenzruf, 28. 10. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/ 221. 584 Heissenberger, Kriegstagebuch, 27. 585 Laut dem Wiener Ulber (Interview) waren österreichische Soldaten stolz auf die »Ostmark«, v. a. Wien und die Berge. 586 Glaser an Ullmann, 20. 7. 1940. 587 Obj. Gerald Leinweber (11./137): Unsere Feuertaufe, BA-MA, RH 53 – 18/151, 1. 588 Edelweiß am Polarkreis, in: Deutsche Illustrierte (Berlin), 29.10.19[unleserlich], BA-MA, RH 53 – 18/182; Hiebler an Cipan-Zsilincsar, 9. 8. 1942. 589 Matthias Kürbisch (an NS-Frauenschaft Eibiswald) bat eine lokale NS-Frauenorganisation, ihm gelegentlich eine Zeitung aus der Heimat zu schicken. Die Papiere des Rittmeisters Helmut von Geldern aus Wels (OÖ) aus seiner Zeit in Frankreich enthalten Artikel über
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Und Soldaten waren immer glücklich, Landsleute aus der engeren Heimat anzutreffen.590 Die mit großem Abstand populärste und wichtigste Sache, die österreichische Soldaten mit Heimat identifizierten, war Musik. An der Front benutzten Österreicher praktisch jede Gelegenheit, um vertraute Klänge zu spielen und zu singen. Einige Berichte klingen beinahe so, als ob die erfolgreiche erste Kriegsphase nichts weiter als der Ausflug einer fröhlichen und singenden Volksgemeinschaft in Waffen über Deutschlands Grenzen gewesen sei. Wie bereits in der Analyse des »angenehmen« Charakters der ersten Kriegsphase festgestellt, diente akzentuierte Fröhlichkeit in Frontberichten und im Verhalten der Soldaten vor allem der Zerstreuung von Ängsten bzw. hier auch der Bekämpfung von Heimweh.591 Doch selbst unter Berücksichtigung propagandistischer Übertreibungen und anderer Aspekte machen die beiden folgenden Absätze überdeutlich, welch gewichtige Rolle Musik für das Wohlbefinden österreichischer Soldaten spielte. Während einer Marschpause des Musikkorps der 2. Gebirgs-Division in einem polnischen Straßengraben zog ein Musiker plötzlich eine Klarinette hervor, um einen Tiroler Landler zu blasen. Andere stimmten ein, sodass bald das gesamte Musikkorps spielte: »Die Heimat wird lebendig im Herz der Kameraden […] mit all ihrer Schönheit, mit Berg und Gletscher, Feld und Wald. Mit Stadt und Land und all den lieben Menschen, – die Heimat, für die man weitermarschiert und weiterkämpft.«592 Auf seinem Weg nach Frankreich gab Ullmanns Regiment anlässlich der Siegesmeldungen aus Belgien ein Konzert bei Rüdesheim, welches von einem Zither spielenden Unteroffizier samt Sängern getragen wurde: »Leider sind beim späteren Rheinübergange Zither und Gitarre […] in Verlust geraten. Diese Instrumente haben uns seit Wöllersdorf […] in guten und bösen Tagen begleitet.«593 Leutnant Guido Chwistek überraschte sein Artillerie-Regiment 188 in Südfrankreich einmal mit der Kapelle eines be-
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Oberösterreich und Rapid Wiens Gewinn der deutschen Fußballmeisterschaft im Juni 1941: Der Gau, der uns den Führer schenkte, in: Unbekannte Zeitung, o. J., KA, NL, B/270:4; Rapids Viertelstunde zerbrach Schalke, in: Pariser Zeitung, o. J., KA, NL, B/270:6. Laut Galler (Erlebnisse, 15 – 16) steckten die Österreicher während seiner Zeit in Westfalen 1940 noch mehr zusammen als in der Heimat. Als Adjutant beim Luftgaukommando Norwegen in Oslo freute Berger (Tagebuch I, Einträge vom 8.8., 30.8., 30.9. und 29. 10. 1941) sich immer, Österreicher zu treffen. Bruckberger (Tagebuch, Eintrag vom 16. 12. 1940) war beglückt, als beim ersten Heimaturlaub sein Zugabteil voller Kameraden war, mit denen er bereits in der Wiener Kaserne ein Zimmer geteilt hatte. Brandeis, Perner, Probst und Wotava (Interviews) bestätigten, dass Österreicher im Allgemeinen gerne unter sich waren oder Landsleuten begegneten. So wurde es von Otto Waldemar Posch (Sanitätssoldat und Priester. Trilogie eines Tagebuches 1941 – 1946, [1986], KA, NL, B/1305, 25) beschrieben. Uffz. Fritz Fischer (Musikkorps [2. GD]): Ein Tiroler Ländler in einem polnischen Strassengraben, BA-MA, RH 53 – 18/145. Ullmann, Vom Oberrhein nach Belfort, 5.
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nachbarten Regiments, und als die Regimentsmusik ankam, »ging ein Aufleuchten durch die Gesichter der Soldaten und wurde mit dem Radetzkymarsch in tadelloser Ordnung zur Kirche marschiert.«594 Wann immer sich Kärntner zusammenfänden, so der »Kärntner Grenzruf«, stimmte auch in der traurigsten Stimmung irgendwann jemand ein Heimatlied an, sodass der Raum bald mit »unseren unsterblichen Melodien« erfüllt sei, wodurch »das Land, aus dem wir kommen, Gestalt angenommen [hat], […] mitten unter uns [ist] und wir in ihm.«595 Wiener Soldaten in Polen ergriff das Heimweh, als ein Fronttheater im Oktober 1939 Wienerlieder zum Besten gab, und die Weihnachtsfeier einer Tiroler Gebirgsjäger-Kompanie in Nordnorwegen geriet zu einer »Familienfeier wie daheim«, nachdem ein Soldat ein Akkordeon gefunden hatte.596 Heinz Zsilincsar sang mit zwei Steirern und zwei Kärntnern auf Bitte des Adjutanten, der sie vorher jodeln gehört hatte, österreichische Lieder bei der Geburtstagsfeier des Kommandeurs.597 Unter den Künstlern, die Galler in Maastricht versammelte, befanden sich viele Sänger »wienerischer und älplerischer Art«, und seine Kameraden genossen es, auf dem Weg zum Schießstand lauthals österreichische Lieder zu singen.598 Die österreichische Heimatverbundenheit mag besonders ausgeprägt gewesen sein, aber im Wesentlichen galt dasselbe auch für reichsdeutsche Soldaten, was eine Grundvoraussetzung für die integrative Wirkung der bewaffneten Volksgemeinschaft insgesamt darstellte, die im Folgenden näher betrachtet werden soll. So attestierte eine anonyme Abhandlung über das Problem separatistischer Tendenzen aus den Akten des Wehrkreises VII (München) allen deutschen Stämmen einen »besonders eigenen Hang zur Eigenbrödelei und Absonderung«.599 Auch die anderen Deutschen liebten ihre zumeist stammlich definierte regionale Heimat und deren Kultur, ihre Landsleute und Familien.600 Dem Heerespsychologischen Bericht von Juni 1941 zufolge wollten alle Soldaten entweder in der Heimat oder an der Front Dienst verrichten, und niemand länger
594 Chwistek, Der Walfisch. 595 Das Lied der Heimat am Westwall, in: Kärntner Grenzruf, 28. 10. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/ 221. 596 Hermann, Kriegstagebuch, 83; Münchner Bier für unsere Soldaten am Nordkap. Ein Bericht von unseren Tiroler Truppen in der nördlichsten Batteriestellung der Welt, in: Innsbrucker Nachrichten, 17. 1. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/189. 597 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 17. 11. 1940. 598 Galler, Erlebnisse, 21. 599 Das alte Österreich (Kurzer Überblick), [nach 1938], BA-MA, RH 53 – 7/689. Hitler (Tischgespräche, 166) sah dies genauso. 600 Der Niedersachse Willi Schöttner (Als Norddeutscher bei den Gebirgsjägern), der sich so zu den Tirolern hingezogen fühlte, verehrte auch die »schlichten, bescheidenen Schönheiten der niederdeutschen Tiefebene, der Lüneburger Heide oder des Niedersachsenlandes«.
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im Ersatzheer verweilen.601 Und ein Artikel in der »Fränkischen Feldpost«, einer Soldatenzeitschrift aus dem Gau Franken, beschäftigt sich Ende 1943 eindringlich mit dem starken Heimweh Nürnberger Soldaten.602 In Anerkennung solcher Gefühle publizierte jeder Wehrkreis für seine Soldaten Zeitschriften, deren Inhalt hauptsächlich aus Kampfberichten und Volkskunde- oder Tourismusbroschüren ähnelnden Texten bestand. So enthielt eine typische Zeitschrift jeweils für die zum Wehrkreis gehörigen Gaue Geschichten über deren Landschaft, Sehenswürdigkeiten, historische Ereignisse und Persönlichkeiten sowie rein sentimentale Gegebenheiten. Zusätzlich kultivierten diese Publikationen die regionalen und stammesmäßigen Identitäten durch Fotos von Menschen in Tracht, Beiträge über lokale Sitten und Gebräuche sowie Geschichten und Gedichte, die im Dialekt verfasst wurden.603 Die in mehreren österreichischen Fällen beobachtete Verbindung zwischen der Affinität zur eigenen Heimat und der freundlichen Kooperation mit Deutschen aus anderen Gegenden, bis hin zur gegenseitigen Übernahme von Brauchtum, erfolgte auch in ausschließlich reichsdeutschem Kontext. Der Kommandeur der 10. (bayerischen) Infanterie-Division berichtete über die Vorbereitungen auf den Polenfeldzug in Schlesien, dass seine Männer von den Bewohnern »herzlich« aufgenommen worden seien: »Sogar das schlesische Bier schmeckte unseren Bayern. Nur waren ihnen die Gläser zu klein und der Preis zu hoch.«604 Auch die Mecklenburger und Schwaben in einer gemischten Einheit hinter der Maginot-Linie in Frankreich kamen bestens miteinander aus: Die Schwaben amüsierten die Mecklenburger mit dem Versuch, ein plattdeutsches Lied zu singen, und die einzige Uneinigkeit herrschte über die Frage, ob Doppelkümmel oder Kirsch der bessere Schnaps sei.605 So war jede einzelne engere Heimat nur ein Teil des größeren Vaterlandes, aber gleichzeitig, wie jede andere auch, eine (regionale) Verkörperung dessel601 Heerespsychologischer Bericht Nr. 11. Wiedenhorn (an Franek, 14. 6. 1941) beneidete die Mitglieder des IR 634 dafür, dass sie nach der Auflösung der Einheit in ihre Heimat zurückkehren durften. 602 [Unbekannter Autor]: Und jetzt in Gedanken mit Dir : Durchs heimatliche Nürnberg!, in: Fränkische Feldpost. Soldatenzeitung des Gaues Franken 1 – 2 (Nov./Dez. 1943), BA-MA, RHD 49/137, 12. 603 Soldat im Ordensland. Nachrichten aus Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe im Wehrkreis I, RHD 49/131; Furchtlos und Treu. Der Soldat aus dem Wehrkreis V, RHD 49/24; Soldaten, Kameraden. Nachrichten aus dem VI. A. K. (Wehrkreis VI). Vom Rhein bis zur Weser, RHD 49/40; Soldat im Wehrkreis IX, RHD 49/130; Soldaten zwischen Meer und Heide [Wkr. X], RHD 49/132; Nachrichten aus dem XII. Korps (Wehrkreis XII) [im Dez. 1939 umbenannt in: Soldaten zwischen Rhein und Mosel], BA-MA, RHD 49/132; Soldat im Donauland [Wkr. XVII], RHD 49/113, alle BA-MA. 604 Glt. [Conrad] von Cochenhausen: Die 10. Division im polnischen Feldzuge, Vortrag, gehalten am 31. 10. 1939, KA, NL, B/678:6, 2. 605 Fillies, Kriegs-Tagebuch einer Voraus-Abteilung.
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ben. Das entspricht genau jener schon im deutschen Kaiserreich praktizierten Internalisierung des Nationalstaates durch dessen Umwandlung in eine lokale Erfahrung, wie sie in den Fallstudien von Celia Applegate und Alon Confino zur Pfalz bzw. Württemberg beschrieben wurde.606 Alle Wehrmachtsoldaten durften also für ihre engere regionale Heimat so viel schwärmen, wie sie wollten, solange sie die allumfassende großdeutsche Identität akzeptierten und auch die Heimaten der übrigen Deutschen respektierten. Wenn folglich, und darin liegt die starke integrative Wirkung dieses Konzeptes, jeder deutsche Soldat alle anderen Heimaten achtete oder sogar schätzte und Soldaten von außerhalb in der eigenen Heimat willkommen hieß, so konnte er sich ebenfalls in jedem anderen Gau »zu Hause« fühlen, wenn er seine engere Heimat verlassen musste. Diese auf Stammesstolz und der gegenseitigen Wertschätzung regionaler Verschiedenheit basierende integrative Wirkung war nicht bis ins kleinste Detail von oben geplant worden, aber sie entstand auch nicht ganz zufällig. Sowohl das Dritte Reich als auch seine Streitkräfte besaßen und begünstigten Züge, die mit dem stammlichen Denken verbunden waren, und förderten dadurch das Entstehen der bewaffneten Volksgemeinschaft. Zunächst einmal umhegten die Nationalsozialisten zwei »völkische« Elemente im staatlichen Aufbau des Dritten Reichs. Schon während der Weimarer Republik war über eine Reichsreform diskutiert worden, welche das überdimensionierte Preußen in seine Bestandteile zerlegt hätte, um dadurch den natürlichen, d. h. stammlichen, Aufbau des deutschen Volkes besser widerzuspiegeln.607 Tatsächlich gliederte dann die Parteiorganisation der NSDAP das Reich in »Gaue«, ein altertümlicher Territorialbegriff, der an eine »organischere« Vergangenheit erinnern sollte. Die größeren Gaue entsprachen zumeist den entmachteten Ländern und preußischen Provinzen, und damit vielfach den 606 Applegate, Provincials; Confino, Metaphor. Die ostmärkischen Reichsgaue wandten das gleiche Prinzip in ihrer Kulturpolitik an. So begründete der steirische Landesrat für Kultur, Josef Papesch, die Betonung des lokalen Elements wie folgt: »Der Reichsgedanke wird gepflegt, wenn wir Heimatliches bringen, denn damit verteidigen wir die Heimat und ihre Werte, und wer die Heimat verteidigt, ist für sein Volk und das Reich, innerhalb dessen Grenzen seine Heimat liegt.« Karner, Steiermark, 189 – 205. Zu Salzburg vgl.: Hanisch, Gau der guten Nerven, 140 – 148; Kerschbaumer, Faszination. 607 Art. 11 und 29 des Entwurfs zum allgemeinen Teil der künftigen Reichsverfassung vom Jan. 1919 in: Susanne Miller (Hg.): Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, Bd. 2, Düsseldorf [1969], 251, 257 – 258. Frühere stammesorientierte Verwaltungsreformprojekte wären die von Kaiser Maximilian I. eingerichteten Reichskreise und die von Bismarck überlegte Neugliederung von Teilen des Reiches (Rheinfranken, Thüringen, Westfalen und Niedersachsen). Karl Gottfried Hugelmann: Nationalstaat und Nationalitätenrecht im deutschen Mittelalter, Bd. 1: Stämme, Nation und Nationalstaat im deutschen Mittelalter, [Stuttgart 1955], 209. Vgl.: Thomas Nipperdey : Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: Ders.: Nachdenken über deutsche Geschichte. Essays, München 1986, 60 – 109.
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deutschen Stämmen, während viele kleinere eher künstlich anmuteten. Parallel dazu revitalisierten die Nationalsozialisten den ohnehin schon populären Begriff der »Stämme«. Weder Gaue noch Stämme hatten eine konkrete staatsrechtliche Funktion. Die Beschwörung der Stämme war rein rhetorisch, und die Gaue existierten fast ausschließlich auf Parteiebene, da das projektierte Reichsgausystem nie vollständig umgesetzt wurde. Dennoch war die Popularisierung des Stammesgedankens dazu geeignet, Identität auf einer mittleren regionalen Ebene – welche bisher von den Ländern besetzt war – zwischen den Gauen und dem Großdeutschen Reich mit seinen Zentralorganen zu stiften. Die traditionelle Spannung zwischen Einheit und Föderalismus, zwischen dem Ziel der Erschaffung eines zentralistischen Staates und dem eines geeinten Volkes einerseits, und einer Rhetorik, welche sich am Mittelalter und stammlichen Besonderheiten orientierte, andererseits, blieb somit auch im Dritten Reich bestehen.608 Auch im militärischen Bereich existierte ein »völkisches« Element. Gemäß dem auf preußisch-kleindeutscher Tradition beruhenden regionalen Rekrutierungssystem wurden die Divisionen von den Wehrkreisen, welche mehrere kulturell ähnliche Gaue umfassten, aufgestellt. Die dadurch erreichte regionale Kohäsion in den Einheiten trug nicht nur – aufgrund der Vertrautheit und Solidarität unter Landsleuten – zur Erhöhung der Kampfkraft bei, sondern verlieh diesen auch einen »stammlichen« Charakter. Obwohl das regionale Rekrutierungssystem bis zum Schluss mehr oder weniger aufrechterhalten werden konnte, entsprach die tatsächliche Zusammensetzung einer Einheit nicht immer unbedingt ihrer Herkunft auf dem Papier. Dennoch bezogen sich Soldaten und Wehrmachtspublikationen oft auf die regionale Herkunft von Einheiten und Männern, und es galt als große Ehre, wenn eine Division, zumeist unter Angabe ihrer Herkunft, im Wehrmachtsbericht Erwähnung fand.609 Generalleutnant Conrad von Cochenhausen etwa pries seine 10. Infanterie-Division mit den Worten, »unsere Oberpfälzer und Niederbayern erneuerten den Ruf ihrer Väter als harte, anspruchslose, treue Kämpfer.«610 Das Mitteilungsblatt der 19. (niedersächsischen) Panzer-Division berichtete über die vielen Heldentaten der »Söhne niedersächsischer Erde« und 608 So pries etwa Giehrach (Vortrag, 2) die nationalsozialistische Revolution dafür, dass die Abschaffung der Souveränität der Länder ohne die Verletzung der »landsmännischen« Eigenarten erfolgt sei. In Österreich erreichte die Integration in das Reich ihren Höhepunkt mit dem »Ostmarkgesetz«, aber die dafür notwendige Brechung des Wiener Zentralismus bedeutete auch eine Stärkung der Länder/Gaue. Botz, Eingliederung, 107, 116 – 120. 609 Rass, Sozialprofil, 681; Erich Murawski: Der deutsche Wehrmachtbericht, 1939 – 1945. Ein Beitrag zur Untersuchung der geistigen Kriegführung, [Boppard a. Rh. 1962]. 610 Cochenhausen (10. Division im polnischen Feldzuge, 48 – 50) erwähnte auch »echt bayerischen Schneid«.
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von Männern aus anderen Gauen in ihren Reihen.611 Hauptmann Fritz Valesi betonte, dass seine Einheit von einem Kärntner geführt wurde und ein rheinländischer Leutnant »so nebenbei« zwei Gefangene gemacht habe, während die »Münchener Zeitung« die Taten eines »sudetendeutschen Unteroffiziers« lobte.612 Auch im Rückblick erwähnten Veteranen häufig die regionale Herkunft. Erhard Raus bezog sich in seinen Schriften ständig auf die rheinländischwestfälische Zusammensetzung seiner 6. Panzer-Division; Wiktorin tat dasselbe für die Einheiten, in denen er gedient hatte, und Hauptmann Helmut B. Rothmayer-Kamnitz betonte die Herkunft seiner Kameraden in der 125. InfanterieDivision.613 Auch eindeutig rassische Ideen waren in der Wehrmacht präsent, sei es in internen Dokumenten oder individuellen Äußerungen. So basierten etwa Wehrmachtpsychologen ihre Typologie von Persönlichkeit und praktischer Veranlagungen auf rassischen Typen. Seit den späten 1930ern berücksichtigten sie auch die »rassisch«-physische Erscheinung und das »Stammesbewusstsein« ihrer Studienobjekte, was allerdings mehr einer ideologiekonformen Pflichtübung als einer ernsthaften Anwendung entsprach.614 1943 charakterisierte der Inspekteur des Wehrersatzbezirks Wien die Rekruten des Jahrganges 1926 als mit »überwiegenden Merkmalen der nordischen Rasse« ausgestattet: »In den an das Protektorat […] angrenzenden Gebieten wurde daneben ostischer und sudetischer Typus vorgefunden, in den an Ungarn angrenzenden Gebieten auch magyarischer Einschlag.«615 Der pensionierte österreichische Oberst Gustav Hubka behauptete in einem 1944 gehaltenen Vortrag über die italienischen Soldaten in der k. u. k. Armee, dass die gemeinsame Ausbildung mit Deutschen und Slawen die Italiener aus Tirol, Triest und dem Küstenland »aus der ange-
611 Die Wolfsangel. Nachrichtenblatt einer Panzer-Division, 21. 10. 1944, KA, NL, B/1158:6. 612 Heldentat unserer Gebirgsjäger, in: Münchener Zeitung, 5. 5. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/349; [Valesi], Die »Schwere« in Kärnten. 613 Erhard Raus: So wurden wir entdeckt, [nach 1945], KA, NL, B/186:3, 3; ders.: Als Truppenführer im Osten. An der Bistraja und am Donez (24. 12. 1942 bis 11. 2. 1943), [nach 1945], KA, NL, B/186:4, 136; ders. [»Hardus«]: Der Panzerschreck und seine Bekämpfung, [nach 1945], KA, NL, B/186:3, 4; Wiktorin, Soldat, 220, 234; Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 372, 426. 614 Geuter, Professionalization of Psychology, 121 – 123. 615 Inspekteur des Wehrersatzbezirks Wien an Schirach, 20. 7. 1943, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 161, 6. Auch die Unterlagen für einen Lehrgang in der Moselregion im April 1939, an welcher der österreichische Generalstabsoffizier Karl Epp teilnahm, enthalten eine rassische Beschreibung der lokalen Bevölkerung, welche zu dem Schluss kommt, »dass die hiesige Bevölkerung nichts anderes ist als eine Spielart im Bilde des deutschen Volkes, wie es im Laufe seiner wechselvollen Geschichte entstanden ist.« Hptm. i. G. Gebauer: Land und Leute im Moselgebiet, Vortrag, [gehalten im April 1939], KA, NL, B/44:2, 18 – 19.
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borenen körperlichen Lässigkeit herausgehoben« habe.616 Und noch nach dem Krieg erklärte Raus die unterschiedlichen Neigungen von Soldaten zu Paniken mit deren ethnischem Hintergrund und anderen Faktoren, wie etwa Geografie und Beruf. Raus schlussfolgerte, dass sich ein »gesundes Mischungsverhältnis« zwischen Soldaten verschiedener Stämme und Berufsgruppen immer bezahlt mache, weshalb auch die k. u. k. Armee oft Nutzen aus der nationalen Gemischtheit ihrer Truppen gezogen habe.617
Einheit durch Vielfalt Gerade diese Mischung von Truppen, die Raus als Stärke der k. u . k. Armee betrachtete, wurde auch in der Wehrmacht geschätzt. Dies ergab sich ganz folgerichtig aus dem stammlichen Denken, denn wenn den deutschen Stämmen unterschiedliche Eigenschaften und Eignungen zugeschrieben wurden, dann musste eine gute Zusammenarbeit zwischen ihnen aufgrund der Komplementierung ihrer Qualitäten die Stärke der Gemeinschaft insgesamt erhöhen.618 Dies war ein zentrales Axiom für die Wirkungsweise der bewaffneten Volksgemeinschaft, was der offiziellen Propaganda zufolge auch die Stärke der Wehrmacht erklärte, denn noch nie in der Geschichte hätten alle deutschen Stämme gemeinsam in einem Reich gekämpft. Wir sind diesem Prinzip bereits in der Begeisterung um den Narvik-Erfolg begegnet, den man als das Ergebnis der Kooperation so verschiedener Stämme wie der norddeutschen Küstenbewohner in der Kriegsmarine und der süd616 Gustav Hubka: Die Italiener in Österreich: Eine volkspsychologische Studie, 1944, KA, NL, A, B/61:16, 37 – 38. 617 Erhard Raus [»Hardus«]: Paniken, [nach 1945], KA, NL, B/186:3, 5. »Im allgemeinen waren Soldaten der nordischen Völker gegen Schockwirkung und Angstpsychosen viel widerstandsfähiger als die temperamentvolleren Südländer. Auch Verbände, die sich nur aus Großstädten ergänzten, besaßen nicht jene Unempfindlichkeit gegen seelische Eindrücke, wie etwa solche, die bäuerlicher Bevölkerung entstammten. Gegen Panikerscheinungen geradezu immun zeigten sich oft Hochgebirgsbewohner und nordische Küstenvölker, wie beispielsweise die Friesen. […] Im allgemeinen besaßen Soldaten, die mit ständigen Gefahren verbundenen Berufszweigen angehörten, wie Bergvölker und Seeleute, bessere Nerven wie etwa Angehörige geistiger Berufe, die dagegen andere soldatische Vorzüge aufwiesen.« 618 Dies entspricht vollkommen der damals weitverbreiteten Sichtweise der Stämme und ihrer Eigenschaften: »Ein jeder Volksstamm […] hat seine Bedeutung kraft seiner besonderen Art, aber sie fühlen sich doch als korrelative Glieder des Ganzen, zumal da diese stammlichen Besonderheiten nicht den einzelnen Stämmen ausschließlich eigen sind; es handelt sich vielmehr um mannigfache Stärke- und Intensitätsgrade dieser Eigenschaften.« Wähler, »Deutsche Volks- und Stammescharakterologie«, 23. Angeblich beauftragte auch Hitler (Tischgespräche, 316) absichtlich immer Männer verschiedener Stämme für die Durchführung seiner Projekte.
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deutschen Gebirgsjäger aus den Alpen betrachtete. Ein von Gerd Böttger herausgegebener Bildband über Narvik schließt mit der Fotografie eines Gebirgsjägers und eines Marinesoldaten, die einen Fjord bewachen; gemeinsam hatten sie erfolgreich in einer Landschaft gekämpft, welche zwei Elemente enthält, die dem einen jeweils fremd und vertraut waren und umgekehrt.619 In diesem Sinne sah der Kommandeur von Wehrkreis XVII, General Alfred Streccius, in der Truppenvermengung die beste Garantie für die Integration der österreichischen Soldaten: »Es darf keine landsmannschaftlichen Gegensätze geben. […] In den siegreichen Kämpfen in Polen, im Westen und hohen Norden, zu Lande, zu Wasser und in der Luft, haben Männer aller Stämme Schulter an Schulter für Großdeutschland gekämpft, gesiegt, und mancher hat sein Leben hierfür lassen müssen. […] Ich erwarte, dass diese kurzen Hinweise genügen, und dass jeder Soldat im Bereiche des Wehrkreises XVII mit Stolz das Ehrenkleid des Großdeutschen Reiches trägt und sich bewusst ist, Angehöriger der Wehrmacht zu sein, dessen Söhne aus allen deutschen Stämmen vom Führer zusammengeschweißt wurden zur besten Wehrmacht der Welt.«620
Das Axiom fand seinen populärsten und prägnantesten Ausdruck in der Phrase »aus allen Gauen«, welche man als NS-deutsche Version der Leitsprüche der Europäischen Union (»In Vielfalt geeint«) und der Vereinigten Staaten (»E pluribus unum«) betrachten könnte und die unermüdlich in privaten und offiziellen Aussagen artikuliert wurde. Stellvertretend sei hier aus der Broschüre anlässlich des 245. Jahrestages der Hoch- und Deutschmeister, der im Sommer 1941 im französischen St. Jean d’Ang¦ly von seinem Traditionspfleger, dem Infanterie-Regiment 134, begangen wurde, zitiert, wonach das Wiener Hausregiment heute geschlossen dastünde »wie ein Block und zusammengefügt in der Hauptsache aus Ostmärkern, aber doch vereint als ein Querschnitt aus allen deutschen Gauen«, wie sich ja auch die deutschen Streitkräfte insgesamt aus »der größten, schönsten und besten Armee der Welt, der deutschen Wehrmacht, und […] den ebenfalls tapfersten Truppenteilen der alten österreichisch-ungarischen Monarchie« zusammensetzten.621 Ein anderes beliebtes Mittel, um die Einheit der vielstämmigen Volksgemeinschaft in Waffen zu rühmen, war die Auflistung von Stämmen, wie es Beyer bei seiner Rede im Sudetenland tat: »Schlesier, Pommern und Brandenburger, Sachsen, Thüringer und Rheinländer, Bayern und Württemberger bringen den
619 Böttger, Narvik, 142. 620 Wehrkreiskommando XVII, Abt.: Ic, Az. 14, Nr. 13082/40 geh., Betr.: Politische Vorfälle, 5. 12. 1940, BA-MA, RH 14/46. 621 Deutschmeistertag 1941, Broschüre, 1941, KA, NL, B/773:16, 1.
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Sudetendeutschen die Sicherheit ihrer nationalen Freiheit.«622 Ganz ähnlich ein anderes Beispiel über Narvik: »Da stand der Marinesoldat neben dem Gebirgsjäger, der Flieger neben dem Besatzungsmitglied eines Handelsschiffes, der Pionier neben dem Fallschirmjäger. Da lagen Seite an Seite der Norddeutsche neben dem Kärntner, Steiermärker und Bayern, der Ostpreuße neben dem Rheinländer.«623
Das anschaulichste Symbol für die gemeinsame Anstrengung aller deutschen Stämme innerhalb der Wehrmacht war die Infanterie-Division »Großdeutschland«, eine Eliteeinheit, die bewusst aus Soldaten aus dem ganzen Reich zusammengesetzt war.624 Ein weiteres äußerst populäres Mittel in Publikationen, die Interaktion von Männern aus verschiedenen Regionen auszudrücken, war die Verwendung von Dialekten als prominentes Symbol von Stammesidentität. Dies sollte meist auch eine unterhaltsame Note beisteuern. Böttgers Narvik-Buch etwa wird mit einem Dialog zwischen einem Kärntner und einem Hamburger an Bord eines Zerstörers auf dem Weg nach Norwegen eröffnet, den beide Männer in ihrer jeweiligen Mundart führen; und von den Schwaben, die versuchten, ein plattdeutsches Lied zu singen, war bereits die Rede.625 Die Fälle, in denen österreichische Soldaten dialektsprechend zitiert werden, sind zahllos, daher seien hier nur ein paar Beispiele angeführt.626 In einem Artikel erkennt der Autor aus einem Durcheinander von »allen ostmärkischen Mundarten« sofort einen Tiroler Soldaten bloß an dessen im Dialekt gestellten Frage nach der Herkunft des Autors heraus.627 Ungeachtet aller humorigen Absichten wurde auch die »richtige« Einstellung nicht vernachlässigt. In einem anderen Artikel unterhalten sich zwei 622 [Beyer], Redemanuskript. 623 Böttger, Narvik, 6. 624 Der Vorläufer dieser Einheit war das aus dem »Wachregiment Berlin« hervorgegangene »IR Großdeutschland«: »Hatte sich schon das alte ›Wachregiment Berlin‹ aus wechselnden Abstellungen aller deutschen Armeekorps zusammengesetzt, so wird das ›Infanterie-Regiment Großdeutschland‹ bewusst und ständig Männer aus allen Gauen des Reiches in seinen Reihen zusammenschließen.« Murawski, Heer als Förderer, 35. 625 Böttger, Narvik, 9. 626 Gefr. Adolf Laube (Pi. 82): Erinnerungen an Polen; Gefr. Aichholzer: Gebirgsnachrichtler im Feuer!; Hermann Schönweitz (G. N. A. 67): Trupp 6 baut eine Fernsprechleitung, BAMA, RH 53 – 18/151; E. Z.: Wiedersehen mit den »Unsrigen«, in: Salzburger Volksblatt, 23./ 24. 9. 1939; [Sonderberichterstatter Dr. M.]: Wiedersehen mit den ostmärkischen Truppen in der Ostmark, in: Südostdeutsche Tageszeitung, 23. 9. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/154; Willkommen in Deutschlands schönster Stadt! Reichsleiter von Schirach begrüßt Urlauber aus Narvik, in: Volkszeitung (Wien), 16. 8. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/186; Josef Kreutz: 6 Mann und ein Geschütz, in: Kärntner Grenzruf, 30. 10. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/221; Hermann, Kriegstagebuch, 78. 627 Schwerdtfeger : Unsere Soldaten erzählen. Wiedersehen mit ostmärkischen Soldaten, in: Neueste Zeitung, 25. 9. 1939, BA-MA, RH 53 – 18/154, 3.
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steirische Gebirgsjäger beim Biertrinken in breitestem Dialekt über den bevorstehenden Polenfeldzug und kommen zu dem Schluss, dass die Steirer bestens geeignet seien, um mit der polnischen »Sauwirtschaft« aufzuräumen.628 Propagandistisch schlug die Verwendung und vor allem Kontrastierung von Dialekten zwei Fliegen mit einer Klatsche. Zunächst versinnbildlichten Dialekte die Eigenart und Unterscheidbarkeit der Stämme, was den starken regionalen Identitäten und Heimatbindungen entgegenkam: »In welchen Teil des Westwalles man auch kommen mag, überall hört man die Mundarten fast aller deutschen Stämme. Es sind nicht nur die Rheinländer, die mit dem Reich zugleich auch ihre engere Heimat unmittelbar verteidigen […]. Allerorten, von der Schweizer Grenze bis zur niederländischen Grenze, mischt sich die härtere norddeutsche Mundart mit der weicheren des Südens.«629
Andererseits unterstrich die harmonische Interaktion der Stämme, dass es sich bei deren sprachlichen Unterschieden – analog zum Verhältnis zwischen regionaler Heimat und großdeutschem Vaterland – letztlich nur um einen Ausdruck der kulturellen Heterogenität des deutschen Volkes handelte, welche dem Streben nach Einheit nicht im Wege stand: »Männer von den Ufern der Nord- und der Ostsee neben […] den Söhnen unserer Berge. […] Beide gleich hart und zäh, von Kindheit an erzogen im Kampf mit den erhabenen Mächten der Natur, dem Meer und dem Hochgebirge. Sie kannten einander nicht und ihre Mundarten klangen verschieden. Aber sie standen nebeneinander und kämpften miteinander und füreinander.«
Dadurch sei ihnen bewusst geworden, dass »sie mehr sind, als nur Kärntner und Steirer und Schlesier und Mecklenburger. […] Wir sind Deutschlands Söhne, du wie ich und ich wie du […]. Und da verschwanden alle Unterschiede des Stammes, der Mundart und der heimatlichen Landschaft. […] Ob
628 Olt. Edgar Alker: Steirische Gebirgsjäger – allzeit voran! Das Leoben-Brucker Geb. Jäger Bataillon [des Geb.-Rgt. 138] im polnischen Feldzug, BA-MA, RH 53 – 18/145. Vgl.: Jäger Edmund Mayer: Einsatz einer schweren Gebirgsjägerkompanie, BA-MA, RH 53 – 18/227. 629 Pesendorfer, Ostmärkische Soldaten, 38. Vgl.: Applegate, Provincials, 80; Confino, Metaphor, 117 – 188, 128. Dieses Prinzip war bereits im Mittelalter bekannt, wie folgender Auszug aus Hugo von Trimbergs »Renner« aus dem späten 13. Jh. zeigt (Hugelmann, Nationalstaat, 231): »Swäbe ir wörter spaltent, Die Wetereiber [Hessen] sie würgent, Die Franken ein Teil sie valtend Die Misner [Meißner] sie wol schürgent, Die Beire sie zezerrent, Egerlant si swenket, Die Düringe sie uffsperrent, Osterriche si schrenket, Die Sasen sie bezuckend, Stirlant si baz lenket, Die Rinliute sie verdruckend, Kernte ein teil si senket.«
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alpendeutsch oder plattdeutsch, wie der Mund die Worte formt und die Laute bildet, ob härter oder weicher, das gilt alles nichts, wenn das gleiche Blut das Herz durchpulst.«630
Noch stärker wurde das Prinzip »Einheit durch Vielfalt« in einem Artikel über die enge Kampfgemeinschaft einer Flak-Bedienungsmannschaft ausgedrückt, wo das Streben nach Kooperation bei gleichzeitiger Akzeptanz von Verschiedenheit zur Übernahme dialektaler Ausdrücke geführt hatte. So benutzte ein norddeutscher Soldat die österreichische Wendung »gemma, gemma« – was hier soviel wie »los, macht schneller« – bedeutet, um sich bei den mehrheitlich ostmärkischen Kameraden verständlicher machen zu können: »Wie sich hier die Dialekte nahegekommen sind, so sind sich auch die Männer nahegekommen. […] Die heimatlichen Eigenheiten des einzelnen sind in deren Gemeinschaft überbrückt worden.«631 Es muss betont werden, dass derartige Begebenheiten keine Erfindungen von Presse und Propaganda waren. Die privaten Aufzeichnungen Franz Ammerers berichten davon, dass während der Stationierung der 4. Panzer-Division im Rheinland die Rheinländer Wiener Lieder und die Österreicher rheinische Lieder sangen.632 Die Wehrmacht trug selber auf zahlreiche andere Arten zum Funktionieren der bewaffneten Volksgemeinschaft bei, wobei es primär darauf ankam, die Verbundenheit der Soldaten mit ihrer engeren Heimat zufriedenzustellen. Die seit 1935 von der Wehrmacht mit der Truppenunterhaltung beauftragte KdFOrganisation sorgte dafür, dass die Soldaten auch spezielle Vergnügungen aus ihrer engeren Heimat erhielten, und volkstümliche Unterhaltung war mit großem Abstand die erste Wahl unter den Wehrmachtsoldaten.633 Ein Soldat beispielsweise berichtete seinen Angehörigen verzückt über die von großem Jubel begleitete Aufführung eines Tiroler Bauerntheaters in Narvik.634 Und nachdem ein bayerischer Gebirgsjäger am Nordkap einen Film mit dem Münchener Humoristen Weiß Ferdl gesehen hatte, schrieb er dem Volksschauspieler einen von der Produktionsfirma an den »Völkischen Beobachter« weitergeleiteten Brief, in
630 Narvik – das Heldenlied der deutschen Einheit, in: Volkspresse (Wien), 15. 6. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185. 631 Der Kommandeur kam aus Dortmund, ein Mann war von der Küste und der Rest aus Teilen Österreichs. Kreutz, 6 Mann und ein Geschütz. Scheiderbauer (Adventures, 131) erlernte den schlesischen Dialekt, um besser in der Einheit kommunizieren zu können. Frisch (Condemned to Live, 8 – 10) war ebenfalls sehr um das Verstehen verschiedener Dialekte bemüht, meinte aber auch, dass deren Gebrauch nachzulassen begann. 632 Ammerer, Verwendung im Heimatkriegsgebiet. 633 Baranowski, Strength through Joy, 203 – 209. 634 Soldatengrüße aus Norwegen, in: Wechselschau Hartberg, 25. 8. 1940; Die Gaubühne III nach Narvik abgereist, in: Innsbrucker Nachrichten, 19. 7. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/189.
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dem er die Begeisterung unter seinen Kameraden schilderte und Weiß Ferdl bat, »eine Maß Dünnbier« auf das Wohl der Soldaten zu trinken.635 Selbstgemachte Unterhaltung wurde von der Wehrmacht offiziell gutgeheißen und gefördert. So hatte der reichsdeutsche Kommandeur des Infanterie-Regiments 134, Oberst Arthur Boje, zur Deutschmeister-Kapelle noch ein Regimentstheater hinzugefügt, welches laut der Broschüre anlässlich des 245. Jahrestages des Regiments »Wehrkraft durch Freude« generierte. Überdies ließen sich gemäß Boje dadurch auch anderen Völkern deutsche Kulturwerte vermitteln und, so die Broschüre, der Kommandeur habe »mit dieser Kulturarbeit innerhalb seines Regiments im Sinne des nationalsozialistischen Gedankens einmalige und neue Wege beschritten. Denn wo gebe es in der Wehrmacht irgendeines anderen Volkes etwas Gleichartiges?«636 Auch zivile Behörden und Einrichtungen sorgten für das Wohlbefinden der Soldaten an der Front hinsichtlich der Schaffung von Heimat-Gefühlen. So finanzierten die Gau-Verwaltungen Soldatenheime in den besetzten Gebieten. Fronteinheiten konnten sich an zivile Stellen mit der Bitte um Ersatz für beschädigte oder verlorene Musikinstrumente wenden.637 Soldaten erhielten auch Lebensmittelpakete aus der Heimat, und dies nicht nur aus dem eigenen Gau.638 Im Gegenteil, gauübergreifendes Schenken war sehr beliebt und sollte die großdeutsche Solidarität vertiefen. Entsprechend bedankten sich mehrere Einheiten innerhalb der 36. Infanterie-Division aus dem Reichsgau Westmark im Januar 1939 bei Bürckel für dessen Weihnachtsgeschenk, die Bücher des steirischen Heimatdichters Peter Rosegger : »Durch die lebendige Schilderung der Heimat des Dichters werden die Menschen in der Ostmark auch unseren Soldaten im Westen nahe gebracht. Damit trägt auch Ihre Gabe dazu bei, das Band zwischen Ost und West, zwischen der Ostmark und dem Altreich enger zu gestalten zum Nutzen unseres Großdeutschlands.«639
635 Feldpostbrief vom Nordkap. »Eine Maß auf unser Polarwohl!«, in: Völkischer Beobachter (München), 5. 3. 1941, BA-MA, RH 53 – 18/189. 636 Deutschmeistertag 1941, 6 – 7. 637 Grenadierregiment 248, Kommandeur, an Schirach, 1. 6. 1943, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 161. In dem Brief bat das Regiment um die Spende von einer Posaune, einem Akkordeon und einem kleinen Schlagzeug. Die Musikinstrumente von Ullmanns IR 628 waren von der NSDAP Linz zur Verfügung gestellt worden. 638 Ein Beispiel für ein Geschenk aus der eigenen Heimat wären die 150 Tonnen Äpfel, die der Gauleiter der Steiermark an (vermutlich steirische) Gebirgsjäger in Norwegen schicken ließ. Steirische Äpfel für unsere Narvikkämpfer, in: Grazer Tagespost, 17.10.40, BA-MA, RH 53 – 18/189. 639 AR 36, Kommandeur, an Bürckel, 20. 1. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 184, Mappe 2850. Die Mappe enthält sieben ähnliche Briefe von anderen Einheiten innerhalb der 36. ID.
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Der Divisionskommandeur war überzeugt, dass »diese Bücher bei unseren Soldaten in der Westmark sehr großes Verständnis für die Belange der Ostmark auslösen werden.«640 Josef Grüblinger, der mit der 3. Gebirgs-Division in Norwegen stationiert war, hatte einmal vom Sudetengau ein Taschenmesser als Weihnachtsgeschenk bekommen, und Ostern 1941 schickten die Schülerinnen einer Oberschule in Pfalzburg (Reichsgau Westmark) Pakete an die »ostmärkischen« Gebirgsjäger im nördlichen Norwegen.641 Die zentrale Rolle in der Fürsorge von Wehrmacht und Heimat für die Frontsoldaten spielte jedoch die Musik. Wir sahen bereits die Bedeutung des Musizierens für das Wohlergehen der österreichischen Soldaten. Wie Trachten und Dialekte, so galt auch Volksmusik als bedeutender Bestandteil der Identität der deutschen Volksstämme, und die Popularität derartiger regionaler Symbole ging dem Dritten Reich voraus. Im deutschen Kaiserreich war sie eine Reaktion auf die Einigung und in Österreich eine Folge der Aufwertung der Bundesländer während des Ständestaates gewesen.642 Nach dem Anschluss forcierten die ostmärkischen Reichsgaue die Kultivierung der Volksmusik, vom privaten Rahmen bis hin zu Massenveranstaltungen auf Gemeinde- oder sogar Gau-Ebene.643 Wie Dialekte war Musik besonders geeignet, das Motto »Einheit durch Vielfalt« auszudrücken, da sie eine Kunstform der Nation in ihrer ganzen regionalen Diversität darstellen konnte. In den Worten des Salzburger Musikwissenschaftlers Cesar Bresgen »vereint [das Lied] die durch Blut und Rasse verbundenen Stämme und darüber hinaus das ganz Volk.«644 Und so wie die typische Heimat-Ikonografie eine örtliche Metapher der Nation bedeutete, enthielten auch Lieder häufig regionale geografische Bezüge, die mit der nationalen Ebene in Verbindung gesetzt werden konnten.645 Ein für einen Kameradschaftsabend geschriebenes Lied (oder Gedicht) pries das gesamte Vaterland in seiner regionalen Verschiedenheit; von Wellen, die an die Küste schlagen,
640 36. ID, Kommandeur, an Bürckel, 17. 1. 1939, AdR, »Bürckel«/Materie, Karton 184, Mappe 2850. 641 Grüblinger, Nord-Süd-Weg, 11; Liebesgaben für Gebirgstruppe in Norwegen, in: N. S. Z. Westmark (Saarbrücken), 12.5.19[40 oder 41]), BA-MA, RH 53 – 18/189. 642 Zum Deutschen Reich siehe: Applegate, Provincials, 82 – 83; Confino, Metaphor, 116 – 117, 129 – 130, 134 – 153. Zu Österreich siehe: Kerschbaumer, Faszination, 72 – 73; Stefan Karner : Des Reiches Südmark, in: Tlos/Hanisch/Neugebauer, NS-Herrschaft (1988), 457 – 486, 481; Bruckmüller, Nation Österreich, 190. Laut Hanisch (Gau der guten Nerven, 140) musste in Salzburg die NS-Kulturpolitik lediglich die »christlichen« und »jüdischen« Elemente aus der kulturellen Praxis des Ständestaates entfernen. 643 Karner, Südmark, 481; Kerschbaumer, Faszination, 230 – 232. 644 Ebd., 238. 645 Philip von Bohlman: Landscape – Region – Nation – Reich. German Folk Song in the Nexus of National Identity, in: Celia Applegate/Pamela Potter (Hg.): Music and German National Identity, Chicago 2002, 105 – 127, 109 – 111.
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über die Hauptstadt Berlin und »Vater Rhein« bis dorthin, wo die Sennerin jauchzt.646 Die Gefühle, welche das Hören von Musik, ob aus der engeren oder weiteren Heimat, in den Soldaten erwecken sollte, werden treffend in den beiden folgenden Zitate beschrieben. So berichtete Obergefreiter Franz Fürst über den Besuch eines Mozart-Programms der Salzburger Festspiele, die Zuhörer seien entzückt gewesen »über die einfache Melodieführung der leichten Tanzmelodien und mancher Kamerad aus den Bergen, der aus den Tänzen Mozarts die vertrauten Klänge seiner Heimat heraushörte, mochte erkennen, wie eng sich oft die wahre Größe an das unerschöpflich reiche Musikgut des Volkes hält.«647
Und eine sudetendeutsche Zeitung schilderte die Darbietung von Werken von Franz Schubert in einem Soldatenheim in Nord-Finnland wie folgt: »Mitten im Urwald Lapplands erleben wir Deutschland, die Heimat. […] Gerade an dieser Front, tausende von Kilometern von der Heimat entfernt, wo wir deutschen Soldaten monatelang in tiefster Primitivität und Einsamkeit leben mussten, empfinden wir besonders stark die Notwendigkeit, uns wieder innerlich an den kulturellen Dingen aufzurichten, die uns allein nur die Heimat vermitteln kann.«648
Auch daheim kultivierte die Wehrmacht das Prinzip der musikalischen Integration. Das sechste und letzte Wehrmachts-Großkonzert des Standortes Wien zugunsten des Winterhilfswerks 1940/41 im März 1941 stand ganz im Zeichen von Mozart und Haydn.649 Ein Beispiel aus dem Westen ist das Heimatfest »Bauer und Soldat« in der Jägerkaserne Glasenbach (Salzburg) im August 1941, auf dem neben Schießbuden vor allem Volkstanz und -gesang, Soldatenchöre und Jodeln geboten wurde.650 Die Radiosendung »Wunschkonzert für die Wehrmacht«, welche jeden Sonntagnachmittag die Lieblingsmelodien von Soldaten und deren Familien durch den Äther sandte, wurde zum beliebtesten Inbegriff der integrativen Kraft der bewaffneten Volksgemeinschaft in musikalischer Form.651 Freilich, die von den Nationalsozialisten beschworene Volksgemeinschaft, ob zivil oder militärisch, war immer ein Idealtyp und keine eine vollkommen akkurate Beschreibung der Realität. In der Vorstellung der Soldaten jedoch nahm 646 [Unbekannter Autor]: Text ohne Titel, anlässlich des Besuchs von Lil Dagover in der Stellung nördlich Shisdra, Mai 1943, KA, NL, B/1397:5. 647 Ogefr. Franz Fürst: Die Salzburger Kriegsfestspiele 1942. Ein Erlebnisbericht, BA-MA, RH 53 – 18/380, 6. 648 Kriegsberichter Arthur Stubbenhagen: Heimaterleben im Urwald Lapplands, in: Die Zeit (Reichenberg), 14. 10. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/350. 649 Der Kommandant von Wien an Schirach, 17. 3. 1941, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 159. 650 Kerschbaumer, Faszination, 232. 651 Ebd., 192; Echternkamp, Grundzüge, 12.
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das Konzept sehr konkrete Formen an, und ihre Aussagen bestätigen, wie oft sie ihr subjektives Verständnis von der Volksgemeinschaft in der realen Welt zu erfahren meinten.652 Summa summarum begünstigte die »bewaffnete Volksgemeinschaft« integrative Interaktion unter Wehrmachtsoldaten gemäß den Prinzipien der Verbundenheit mit der eigenen regionalen Heimat – als Abbild des größeren Vaterlandes – bei gleichzeitiger Wertschätzung der anderen Heimaten sowie der Komplementierung der verschiedenen stammlichen Eigenschaften zur Stärkung der Gemeinschaft. Auch der Hauptzweck der engen Verbindung zwischen ziviler und bewaffneter Volksgemeinschaft, zwischen Heimat und Front, nämlich die Verhinderung eines weiteren »November 1918«, schien erreicht.653 So schrieb Klement Pontasch (Rang unbekannt) nach Hause: »Weihnachten 1939, welch ein Unterschied von 1914 – 18. Die starke Heimat denkt an uns Feldgraue, Bücher, Pakete, Briefe und Karten kommen, lassen uns vergessen, dass wir draußen am Feinde stehen.«654 Auch Fritz Bertnik pries die Volksgemeinschaft: »Diesmal wird alles richtig gemacht, was anno 1914 – 18 falsch war.«655 Die Heimat war stolz auf ihre Soldaten, und die Soldaten waren stolz, dass sie erfolgreich die Heimat »beschützten«. Das Programm für die Weihnachtsfeier des Armeeverpflegungsamts 520 in Norwegen 1940 fing diesen Geist mit der Formulierung ein, dass man zwar fern von Familien und deutscher Heimat feierte, aber in dem »stolzem Bewusstsein, als Wächter des Reiches im Norden dabei mitgeholfen zu haben, dass ihre Lieben in der Heimat das Fest in geborgener Sicherheit feiern konnten.«656 Darüber hinaus fanden die Soldaten auch lobende Worte für die Haltung daheim. Fähnrich Hansbernhard Lauer schrieb seinen Eltern aus Polen, dass »wir […] alle unser Opfer bringen« müssten und war sehr erfreut zu hören, dass Wien »tapfer« sei, während Leutnant Franz Gerwin Steinberger einem weiblichen Familienmitglied auseinandersetzte, dass die Frauen in der Heimat wohl »mit am schwersten die Last des Krieges« spürten, sei ihr größtes Opfer doch die Tatsache, dass ihre Männer für sie an der Front stünden.657 Bei den österreichischen Soldaten funktionierten die integrativen Mechanismen der »bewaffneten Volksgemeinschaft« aus einer Reihe von Gründen besonders gut. Zunächst einmal wurde die österreichische Affinität zu Stamm 652 Vgl.: Förster, Führerheer, 316; Müller, Nationalismus, 39, 59. 653 Baranowski, Strength through Joy, 214; Armin Nolzen: Die NSDAP, der Krieg und die deutsche Gesellschaft, in: DRZW, Bd. 9/1, 99 – 193, 128 – 135. 654 Klement Pontasch an Paul Cipan-Zsilincsar, 4. 1. 1940, KA, NL Cipan-Zsilincsar. 655 Bertnik an Wächter, 27. 1. 1940. 656 Weihnachtsfeier des Armeeverpflegungsamts 520, 1940, KA, NL, B/1556:7. 657 Lauer an seine Eltern, 15.9. und 22. 9. 1939; Franz G. Steinberger an Liesl Steinberger, 19. 5. 1941.
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und Land von den Nationalsozialisten geschickt ausgenutzt. Österreich hatte als politische Einheit zu bestehen aufgehört, denn der Begriff »Ostmark« war nur eine inoffizielle Sammelbezeichnung. Die sieben im ehemaligen Österreich errichteten Reichsgaue waren praktisch identisch mit den alten Bundesländern bzw. den österreichischen Stämmen der Nieder- und Oberösterreicher, Steirer, Kärntner, Salzburger und Tiroler als Teile des deutschen Volkes. Die Wiener zählten quasi als eigener Stamm, während die Vorarlberger zu Tirol geschlagen wurden, und das Burgenland überhaupt verschwand. Österreich war auch eines der wenigen Gebiete, wo Reichsgaue – also Territorien, in denen sich Parteigau sowie politische und staatliche Verwaltung deckten – errichtet wurden, die über eine relativ große Autonomie, etwa im kulturellen Bereich, verfügten. Die österreichischen Soldaten konnten sich daher an lange bestehende und tief verwurzelte Identitäten klammern, solange sie sich an die neue übergreifende großdeutsche Identität sowie an Deutsche aus anderen Gegenden gewöhnen mussten. Gleichzeitig profitierte die neue Ordnung von der Abneigung, die viele Menschen in den Bundesländern gegenüber der traditionellen Wiener Vormachtstellung im österreichischen Staat gehegt hatten, und untergrub die Erinnerung an die alte und ohnehin schwach ausgeprägte größere österreichische Identität.658 Der »Deal« bestand sozusagen darin, dass man Steirer, Tiroler etc. sein konnte, so viel man wollte, solange man die Reichszugehörigkeit nicht infrage stellte. Ironischerweise erleichterte dieses starke Landesbewusstsein auch den Aufbau der föderalistischen Zweiten Republik nach 1945.659 Warum aber hätte es den österreichischen Soldaten leichter fallen sollen, anstelle des alten Wiener Paternalismus ein von Berlin dominiertes Reich zu akzeptieren? Nun, das Reich war groß und Berlin war fern. Das Leben in einem Staat wie dem Großdeutschen Reich entsprach sicher mehr der Art, wie die Österreicher in den vergangenen Jahrhunderten – sei es in der HabsburgerMonarchie oder im Heiligen Römischen Reich – gelebt hatten als das Leben in der kleinen österreichischen Republik, die von der Mehrheit ihrer Bewohner ohnehin abgelehnt worden war. Diese »reichische« Tradition ist genau der Grund, warum jemand wie Ignaz Seipel, der ja der Idee von einer österreichischen Nation nicht ganz fern stand, die Aussicht, dass Österreich eine zweite
658 Botz, Eingliederung, 77, 116 – 120; Luzˇa, Relations, 78, 92 – 93, 115 – 116, 242. Die Salzburger Kulturpolitik enthielt ein starkes antiwienerisches Element. Hanisch, Gau der guten Nerven, 140 – 148. All dies wurde genauso von Hitler (Monologe, 57, 403 – 404; Tischgespräche, 196) gesehen, der selber den kulturellen Status von Linz erhöhen wollte. 659 Gerald Stourzh: Vom Reich zur Republik. Studien zum Österreichbewusstsein im 20. Jahrhundert, Wien 1990, 58 – 60; Robert Kriechbaumer (Hg.): Liebe auf den zweiten Blick. Landes- und Österreichbewusstsein nach 1945, Wien 1998; Hagspiel, Ostmark, 330 – 331.
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Schweiz werden könnte, zutiefst verabscheute, obwohl Seipel die preußische Vorherrschaft natürlich ebenso abgelehnt hätte. Außerdem war die Kooperation unter den Männern im Felde aufgrund der existenziellen Lebensumstände grundsätzlich stärker ausgeprägt und wichen Spannungen bedeutenderen Sorgen eher, als es in der zivilen Welt der Fall war. Dazu vermitteln die von den Soldaten überlieferten Aussagen oft ein positives Gefühl des Ausbrechens aus der Enge daheim, in Form von Reisen, siegreichen Feldzügen und neuen, großen Herausforderungen, und all das verdankten sie schließlich der Führung in Berlin.660 Dies bedeutete freilich nicht, dass jegliche Identität auf der »österreichischen« Ebene über Nacht vollkommen verschwunden wäre. So konnten etwa die einzelnen österreichischen Stämme aufgrund der Unschärfe der einschlägigen Begrifflichkeiten immer wieder zu einem Stamm der Österreicher zusammengefasst werden. Auch der inoffizielle Begriff »Ostmark« dürfte vereinzelt noch zu sehr an die einstige österreichische Einheit erinnert haben, sodass seit 1942 der neue Sammelbegriff »Alpen- und Donaureichsgaue« anstelle von »Ostmark« und »Ostmärker« verwendet werden sollte, falls die vollständige Auflistung der einzelnen Reichsgaue bzw. Stämme unmöglich war. Jedenfalls waren sich die interviewten Veteranen mehr oder weniger einig, dass nach dem Anschluss nicht mehr oft an Österreich gedacht oder davon gesprochen wurde. Zwar habe es vor 1938 ein zartes Österreich-Bewusstsein gegeben, aber man habe Österreich nicht unbedingt »nachgeweint«, vor allem weil man als Soldat vorrangig mit anderen Dingen beschäftigt gewesen sei.661 Hingegen unterstrichen viele Veteranen, dass sie sich vor allem mit ihrem Stamm identifiziert hätten.662 Nur zwei bestanden darauf, dass sie weiterhin einen »österreichischen« Standpunkt vertreten hätten. Für Peter Podhajsky war es die supranationale Tradition einer alten österreichischen Offiziersfamilie, welche ihn davon abgehalten habe, sich primär als Deutscher zu fühlen, doch er fügte hinzu, dass die meisten anderen selbst solche Traditionen leicht mit der großdeutschen Idee verknüpfen konnten.663 Alfred Hinterberger bezeichnete sich als »sehr bewussten Österreicher«, der nicht verstanden habe, warum er für
660 Vgl.: Luzˇa, Relations, 242, 317 – 319. 661 Interviews mit Brandeis; Maurer ; Morawec; Perner ; Probst; Wotava. Für Morawec lag dies auch an dem Mangel an Alternativen, während Brandeis den Anschluss nur als Fait accompli akzeptiert hatte. 662 Interviews mit Johann Böhm, 11. 9. 2004; Brandeis; Probst; Schmidl; Ulber ; Wotava. Ulber fügte hinzu, dass die Reichsdeutschen sich in exakt der gleichen Weise identifizierten. 663 P. Podhajsky, Interview.
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Deutschland kämpfen solle; er bestätigte aber auch die Seltenheit einer solchen Einstellung.664
Das »Image« der Österreicher Ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Integration der Österreicher war, dass neben den negativen Vorurteilen viele Reichsdeutsche ein äußerst positives Bild von ihnen hatten, welches die Österreicher sehr wirkungsvoll in die integrativen Mechanismen der »bewaffneten Volksgemeinschaft« einbringen konnten. Dieses Bild soll im Folgenden näher analysiert werden. Das ursprüngliche Bild des Österreichers gleich nach dem Anschluss war von oberflächlichen Begegnungen und Klischees über die k. u. k. Monarchie und deren Leistungen im Ersten Weltkrieg geprägt und porträtierte die Österreicher eher vage als unmilitärisches und lebenslustiges Volk. Trotzdem waren die dienstlichen Evaluierungen aus jener Zeit grundsätzlich freundlich und betonten üblicherweise, dass die Österreicher noch einige Zeit brauchen würden, um sich an die Gepflogenheiten in der Wehrmacht anzupassen. Differenziertere Beschreibungen von österreichischen Eigenarten lassen sich bereits während der Friedenszeit finden, nachdem Österreicher und Reichsdeutsche eine geraume Zeit miteinander gedient hatten. Die drei folgenden Beispiele stammen alle aus dem Zeitraum von Ende 1938 bis kurz vor Kriegsausbruch. Ein gewisser Gefreiter Schrattenecker charakterisierte die steirischen Soldaten im Grazer Gebirgs-Artillerie-Regiment 112 als dem »schweren, schweigsamen, harten Gebirgsbauernschlag« zugehörig, welcher etwas scheu, äußerst heimatverbunden und gefühlsmäßig sehr verhalten sei, außerdem technisch unbedarft und wenig reaktionsschnell.665 Gefreiter Helmuth Walter, der im selben Regiment diente, kam zu einer fast identischen Beurteilung und porträtierte seine Kameraden als introvertiert und schwerfällig, was er auf deren Aufwachsen in einsamen Gebirgsdörfern und ihren bäuerlichen Beruf zurückführte. Ständige harte Arbeit seit frühester Kindheit habe viele verkrampfen lassen, was sie jedoch nicht zu schlechten Soldaten machte, wenn man sie nur mit den richtigen Aufgaben betraute. So seien sie viel besser beim Ertragen der schwersten Be-
664 Dennoch meinte Hinterberger (Interview), dass die meisten Kameraden irgendwie gespürt hätten, dass es sich bei der 44. ID um eine »österreichische« Einheit handelte. 665 Diese Wesensart wäre auch nicht für das bei den Preußen so wichtige zackige Verhalten geeignet gewesen, wie Schrattenecker mit einer Episode illustrierte, in welcher ein Rekrut die barsche Frage des Unteroffiziers, ob er Staub gewischt habe, gleichmütig mit »Na ja, – schaun ma halt nach« beantwortete. Gefr. Schrattenecker : Meine Rekruten, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/76, 1 – 2.
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lastungen im Feld als beim Exerzierdienst in der Kaserne.666 Auch ein gewisser Wachtmeister Lusk befand, dass der alpenländische Soldat »keine ›Leuchte‹ des Kasernenhofs, kein Paradesoldat des wuchtigen Exerzierschritts, der ja im Kriege seine Bedeutung verloren hat«, sei: »Seine Stärke ist die urwüchsige Kraft und der Instinkt eines naturnahen Menschen, der im Gelände, am Berg, seine guten Eigenschaften erst voll zur Entwicklung bringen kann und seine Tüchtigkeit unter Beweis stellt.« Abschließend schilderte Lusk voller Bewunderung, wie ein steirischer Gebirgsartillerist einmal ganz alleine (und gegen alle Vorschriften) eine 100 kg schwere Vorderlafette unter größter Anstrengung, aber mit sicheren Schritten einen Hügel hinauf zum Geschütz schleppte.667 Hier wird deutlich ein Schema erkennbar. Die eher unverbildeten und verschlossenen österreichischen Soldaten werden als vom traditionellen preußischreichsdeutschen Soldatentypus abweichende, aber dennoch wertvolle Soldaten beschrieben, deren Stärke eindeutig in ihrer Härte und Belastbarkeit liegt. Letzteres wurde in den ersten Feldzügen und vor allem durch den Narvik-Erfolg eindrucksvoll bestätigt, was zu einem Wandel in der Wahrnehmung des österreichischen Soldaten seit Kriegsbeginn führte. Dieser wird nun als zäher, hingebungsvoller und tüchtiger Kämpfer, als erdverbundener »ostmärkischer Soldat« und »Alpensohn« porträtiert, und dieses Bild löste die älteren Bilder vom »Kamerad Schnürschuh« und dem typischerweise aus Wien stammenden k. u. k. Offizier als maßgebliches Klischee ab. Dieses neue Image war in einem gewissen Sinne schon in den 1930er-Jahren durch die populären »Bergfilme« von Luis Trenker und Leni Riefenstahl antizipiert worden, in denen der »Bergsteiger« als archetypischer, im ewigen Kampf mit den Elementen befindlicher Mann gezeigt wurde, der immer auch ein guter Soldat ist.668 Der alte Gegensatz zwischen dem zackigen preußischen und dem legeren österreichischen Soldaten lebte allenfalls noch in der wohlmeinenden Ansicht fort, dass sich die Österreicher nicht besonders für zur Schau getragenes militärisches Gehabe eignen würden. Stattdessen zögen sie es vor, ihre Fähigkeiten – welche ihren stammlichen Eigenschaften, wie etwa »urwüchsiger Kraft«, entsprachen – im Felde unter Beweis zu stellen.669 Böttgers Narvik-Buch
666 Gefr. Helmuth Walter : Meine Umstellung vom Flachland- zum Gebirgssoldaten, o. J., BAMA, RH 53 – 18/76. 667 Wm. Lusk: Schweißgetränkte Erde!, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/76, 1 – 2. 668 Hanisch, Männlichkeiten, 62 – 63. 669 »Urwüchsige Kraft«, oft kombiniert mit Streitlustigkeit, wurde gerne der bajuwarischen Stammesgruppe, v. a. den eigentlichen Bayern und den Westösterreichern, zugeschrieben. Heinrich Jungwirth: Die Österreicher in Salzburg, Ober- und Niederösterreich und dem Burgenland. Das bäuerliche Wesen der Oberösterreicher, in: Wähler, Volkscharakter, 389 – 396, 393; Friedrich Lüers, Die Bayern, in: Wähler, Volkscharakter, 310 – 324, 312. Wenig überraschend schätzten Advokaten des »österreichischen Menschen« wie Schmitz
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beispielsweise porträtierte die österreichischen Gebirgsjäger als Draufgänger, die ihre norddeutschen Kameraden dadurch beeindruckten, dass sie fast ohne Training mit dem Fallschirm über der gefährlichen Felsenlandschaft um Narvik abgesprungen waren.670 Es war also gerade die Verwurzelung in ihrer engeren Bergheimat, welche den Österreichern nicht nur ihren unverwechselbaren Charakter als Stamm verlieh, sondern sie auch zu wertvollen Mitgliedern in der »bewaffneten Volksgemeinschaft« machte. Das raue und erdige Image des ostmärkischen Soldaten wurde auch von Österreichern selber propagiert. So beschrieb etwa Oberst Maximilian Ehnl die (männliche) österreichische Landbevölkerung als vielfach verschlossene und starrköpfige Männer, aber auch als »hart, tapfer, charaktervoll, selbstbewusst, innerlich gefestigt durch Vertrauen in Gott und in sich selbst«. Schon im alten Österreich seien »unsere alpenländischen Regimenter« keine »Paradesoldaten im Sinne besonders schöner äußerer Erscheinung und Aussehens« gewesen, denn dazu »fehlt den herben, ernsten, schwerlebigen Gebirglern auch der Sinn für das doch immer etwas spielerisch anmutende, auf äußeren Glanz abgestellte Parademäßige, was anderen Völkern ebenso im Blute liegt wie unseren Älplern das Kampfmäßige.«671 Das neu erworbene kriegerische Image der alpenländischen Soldaten wurde während des ganzen Krieges in und außerhalb der Ostmark zu allen möglichen Anlässen gefeiert. Bei der Gedenkfeier des zwanzigsten Jahrestages des Kärntner Abwehrkampfes einer in Frankreich stationierten Gebirgs-Division überboten sich die Redner gegenseitig mit ihren Lobpreisungen der ostmärkischen Soldaten, wie die folgenden Auszüge aus drei verschiedenen Ansprachen zeigen: »Es hat wohl kaum ein anderer deutscher Volksteil eine so stolze kämpferische Vergangenheit wie der des ostmärkischen Alpenlandes […].« »Nur Kampfnaturen, die vom Blut her Soldaten sind, vermögen solche Erfolge gegen solche Übermacht zu erzwingen. In den Alpen macht die Natur den Menschen schon zum Kämpfer. Der Bergbauer führt den schwersten Lebenskampf auf deutscher Scholle, aber dafür ist dieser ostmärkische Mensch aus den Bergen bester Soldat […].« »Die ostmärkischen Soldaten haben auch in diesem Krieg bewiesen, dass sie zu den Besten der Welt zählen.«672 (Österreichischer Mensch, 62) diese Züge nicht besonders und suchten daher, das Element bajuwarischer Rohheit bei den Österreichern herunterzuspielen. 670 Böttger, Narvik, 72. 671 Ehnl, Deutscher Mensch, 2 – 3, 5, 7, 9. Ähnlich: Heldenlied vom alpenländischen Soldaten, in: Kärntner Grenzruf, 18. 2. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/373: »Soldaten waren, sind und bleiben sie, die Söhne der Alpen und ihres Vorlandes, Soldaten in Geblüt und Gemüt, wenn auch vielleicht weniger in Drill und Form.« Vgl.: Glaise-Horstenau, Ostmärker im Kriege, 163. 672 [Lt.] Tannheimer : Die Zwanzigjahrfeier des Kärntner Freiheitskampfes bei einer GebirgsDivision, BA-MA, RH 53 – 18/227, 1 – 2.
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1941 erschien ein Buch über »300 Jahre alpenländisches Soldatentum«, welches in Graz und Berlin wohlwollend rezensiert wurde.673 Die Ende 1943 vom Stellvertretenden Generalkommando des XVIII. Armeekorps organisierte Ausstellung »Bergvolk – Soldatenvolk« wurde in Salzburg und Graz von der Bevölkerung überrannt, sodass sie in Graz vorübergehend sogar geschlossen werden musste.674 Für die Salzburger und Grazer Presse bot sich damit eine weitere Gelegenheit, von den Gebirgsjägern aus den Alpengauen zu schwärmen.675 Doch wo bleiben bei all dem die Wiener? Der Kult um das alpenländische Soldatentum könnte suggerieren, dass die Soldaten aus Wien nicht so geschätzt wurden wie ihre Kameraden aus den ländlichen Regionen. Das wäre kaum überraschend, denn die Bewohner von Großstädten wurden aufgrund der angeblich negativen Auswirkungen des Stadtlebens – wie laxe Sitten, Verweichlichung, und mangelnde soziale Bindungen – generell und unabhängig von der geografischen Lage für weniger soldatisch als die bäuerliche Bevölkerung gehalten. Hinzu kam noch der vermeintlich schädliche Einfluss des in den Städten beheimateten Marxismus und zugewanderter »fremder« Kulturen. Umgekehrt galt der Bauer wegen seiner schweren Arbeit, des permanenten Kampfes mit der Natur und seiner Verwurzelung in Volk, Familie und Religion als bester Soldat. Das waren bereits vor dem Dritten Reich weitverbreitete Sichtweisen, die auch von Soldaten geteilt wurden.676 Unter Beimengung rassischer Prinzipen ließen sie sich nahtlos in die NS-Ideologie einfügen. So wurden die Mecklenburger und Schwaben in der Einheit hinter der Maginot-Linie als bodenständig-gemütliche Typen beschrieben, deren Gespräche sich um Säen und Ernten, Essen und Trinken sowie Gesang und Scherze drehten, die sich aber wenn notwendig sofort in entschlossene Kämpfer verwandelten.677 Hingegen hätten die Stadtbewohner unter dem »nivellierenden« Einfluss des Lebens in einer größeren Gemeinschaft ihre »völkische Wesensart« und damit auch ihre militärischen Qualitäten verloren. Vor allem das Proletariat würde die »zersetzende« Wirkung der Stadt auf Körper und Seele zeigen, wodurch die guten Eigenschaften der bäuerlichen
673 Alpenländisches Soldatentum, in: Tagespost (Graz), 7. 3. 1942; Artikel ohne Titel, in: Die Bücherei (Berlin) Jg. 10 [1941], Heft 1/3, 84, BA-MA, RH 53 – 18/373. 674 Die Ausstellung lockte in Salzburg (2.10.–11. 11. 1943) 45.000 und in Graz (Feb./März 1944) 80.000 Besucher an. Meldung in Grazer Tagespost, 5. 3. 1944; Dichtung und Musik im Zeichen der Ausstellung »Bergvolk – Soldatenvolk«, in: Innere Front, 12. 2. 1944; Ausschnitt aus unbekannter Zeitung, o. J.; BA-MA, RH 53 – 18/375. 675 Bergvolk – Soldatenvolk, in: Salzburger Zeitung, 28. 9. 1943; Gebirgsjäger-Ausstellung eröffnet, in: Salzburger Zeitung, 3. 10. 1943; Gebirgssoldaten grüßen die Heimat, in: Kleine Zeitung, 30. 1. 1944; Bergvolk – Soldatenvolk, in: Unbekannte Zeitung (Graz), 11. 1. 1944, BA-MA, RH 53 – 18/375. 676 De Angelis, Gesprächsprotokoll; Giehrach, Vortrag, 4. 677 Fillies, Kriegs-Tagebuch einer Voraus-Abteilung.
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Vorfahren verloren gegangen seien, aber sich alle schlechten Eigenschaften verstärkt hätten.678 Eine ganz ähnliche Einschätzung findet sich in einem rein norddeutschen Kontext. Die Beurteilung des aus Wehrkreis X (Schleswig-Holstein, Hamburg und nördliches Niedersachen) stammenden Radfahr-Wach-Bataillons 620 wies auf die Schwierigkeiten bei der Führung der Männer aus Hamburg, Kiel und Lübeck aufgrund des schlechten Einflusses des Großstadtlebens hin.679 Hamburger konnten in Anspielung auf den berühmten Rotlichtbezirk der Stadt auch als »Pufflouis« verspottet werden.680 Nun war Wien aber nicht nur die zweitgrößte Stadt des Reichs, sondern außerordentlich stark von Zuwanderung geprägt, eine Hochburg der Sozialdemokratie und Symbol für die österreichische Eigenstaatlichkeit.681 Dennoch tut man sich schwer, eindeutig negative Aussagen über Wiener Soldaten zu finden, wie etwa in dem Bericht von Oberstleutnant Hans Doerr an das OKW über die Leistungen der 44. Infanterie-Division in Frankreich. Laut Doerr waren die von ihm beobachteten Mängel auf die zu kurze Ausbildung zurückzuführen und nicht auf die »kämpferischen Eigenschaften« der Männer, mit Ausnahme jedoch der Wiener, die »im Gegensatz zu den soldatisch guten anderen Stämmen der Ostmark besonders unkriegerisch« seien.682 Auch der während der Umschulungsphase gefallene Ausdruck »Museumschleicher« dürfte eine speziell gegen Wiener gerichtete Anspielung auf Wiens kulturelle Bedeutung gewesen sein, und als der Veteran Georg Kornfeld an der Ostfront um Sonderurlaub ansuchte, um seine Mutter beerdigen zu können, beschied ihm sein Vorgesetzter : »Ihr Wiener, ihr seid schon mal so weiche Brüder.«683 Des Weiteren wurden Wiener oft wegen der Häufigkeit nichtdeutscher Namen gehänselt. Die Späßchen mit Alfred Novotnys tschechischem Namen endeten erst, nachdem der Österreicher Walter Nowotny einer der er-
678 Ehnl, Deutscher Mensch, 5. 679 Oberfeldkommandantur 570, Zustand der Truppe bezüglich 3.) landsmannschaftliche Einteilung: aa) Radf. Wachbataillon 620 (Anlage 2 zu Oberfeldkommandantur 570, Abt. Ia, Nr. 20/40 geh., Betr.: Zustand der Truppe), 8. 1. 1940, BA-MA, RH 36/81. 680 Schröder, Kasernenzeit, 131. Laut Probst (Interview) hätten auch Wien und Berlin eine Reihe ähnlicher Menschentypen aufgrund des in beiden Großstädten stark entwickelten »Ganoventums« hervorgebracht. 681 Ehnl (Deutscher Mensch, 6) definierte den Wiener als einzigartige Mischung, als »in seinem innersten Kern gewiss urdeutsch[er]«, aber »doch von unzähligen Wesenszügen nichtdeutscher Stämme durchsetzter Menschentyp.« 682 Obstlt. Doerr : Berichte über den Einsatz der 44. ID in Frankreich [Juni 1940], BA-MA, RH 26 – 44/56. Der Wiener Probst (Interview) charakterisierte seine Landsleute als allgemein eher »locker«, nach außen hin »weicher« als andere Österreicher und Reichsdeutsche und manchmal auch etwas »hinterfotzig«. 683 Kornfeld, Interview.
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folgreichsten Kampfpiloten des Dritten Reichs geworden war.684 Insgesamt gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass Wiener Soldaten im Allgemeinen besonders unbeliebt bei ihren reichsdeutschen Kameraden gewesen wären, und schließlich konnten sich individuelle Vorurteile wie gesehen auch gegen Österreicher aus anderen Gegenden richten. Darüber hinaus war das Bild von Wien ja nicht ausschließlich negativ definiert. Im Gegenteil, Reichsdeutsche schätzten Wien vor allem für seinen hohen Unterhaltungswert als Stadt der Kultur und der Heurigen, der Musik und des Walzers. Erich Ulber erinnerte sich, dass viele reichsdeutsche Kameraden Wien und vor allem die Heurigen geliebt hätten, wo sie regelmäßig »untergegangen« seien und all ihre »Zackigkeit« vergessen hätten.685 Dieses Image entsprach sowohl dem Selbstverständnis der Wiener als auch der damals populären völkerkundlichen Charakterisierung der Wiener als Menschenschlag, der sich durch sein Talent für Unterhaltung auszeichnet.686 Das klingt zwar nicht besonders militärisch, und ist auch als Klischee, das den Typus des hart arbeitenden Wieners ignorierte, kritisiert worden, doch angesichts der Bedeutung der guten Atmosphäre während der ersten Kriegsphase war dieses Talent ein ungemein wichtiger Beitrag zur Hebung der Moral und damit zum Funktionieren der »bewaffneten Volksgemeinschaft«. Auch das offizielle Wien förderte das Image der Stadt als Zentrum der Kultur und der Unterhaltung. Dieses Image wurde schon lange vor dem Anschluss gepflegt und brauchte vom Dritten Reich nur übernommen werden, um es für seine eigenen Zwecke einspannen zu können. Zum Beispiel kamen regelmäßig zweitausend Fähnriche von der Front für einen zehnwöchigen Kurs an die Kriegsschule Wischau bei Brünn, nach dessen Absolvierung sie zu Offizieren befördert wurden. Schirach wünschte, dass jeder Fähnrich wenigstens einmal Wien besuchte, um dessen Sehenswürdigkeiten sowie eine Aufführung sehen zu können, weshalb die Wiener Bühnen jedes Wochenende 200 Eintrittskarten bereitstellen mussten.687 Wien wurde auch zu einem bedeutenden Zentrum der blühenden Filmindustrie des Dritten Reichs, das sich auf häufig in Alt-Wien angesiedelte Operetten und Komödien spezialisierte, die ebenfalls vom Krieg ablenken sollten.688 684 Novotny, Good Soldier, 34. Ein anderes Beispiel wäre folgende Unterhaltung zwischen Wotava (Interview) und dem Ersten Offizier seines U-Bootes: »Wie heißen Sie« – »Wotava« – »Sie sind wohl ein Wiener«? – »Jawohl« – »Dachte ich mir ; alle Wiener haben böhmische Namen.« Ironischerweise trug der Offizier selber einen polnischen Namen. 685 Ulber, Interview. 686 Gugitz, Die Wiener, 409 – 410; Nadler, Stammhaftes Gefüge, 63 – 71. 687 AdR, RStH, Karton 30, Mappe 158. 688 Kerschbaumer, Faszination, 189; Sabine Hake: Popular Cinema of the Third Reich, Austin 2001, 149 – 171; Walter Fritz: Hollywood in Wien – oder die »Wien-Film«. Ein Auftrag im Dritten Reich, in: Oliver Rathkolb/Wolfgang Duchkowitsch/Fritz Hausjell (Hg.): Die ver-
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Wien war nicht nur ein beliebtes Reiseziel; die fröhliche Wiener Mentalität konnte auch an die Front und in die besetzten Gebiete exportiert werden. Armin Scheiderbauer zufolge bestand das Unterhaltungsangebot in Metz hauptsächlich aus österreichischen Künstlern.689 Der Durchbruch in der Verbesserung des Verhältnisses zwischen Galler und seinem Vorgesetzten in Maastricht ereignete sich während einer größeren Kameradschaftsfeier unter reichlicher Verwendung von Alkohol und Wiener Musik.690 Ein Text, den ein Frankfurter Soldat für einen Kameradschaftsabend an der Ostfront geschrieben hatte, war gespickt mit Wiener Stereotypen wie »fesche Madl«, Wein und Tanz.691 Der Norddeutsche Arthur Boje kümmerte sich in seinem Wiener Infanterie-Regiment 134 auch in »kultureller Hinsicht um Geist und Stimmung […], wofür ja auch gerade der Wiener besonders empfänglich ist.«692 Reichsdeutsche bezogen sich immer wieder auf positive Elemente in dem Klischee vom Wiener, so wie Charme, Humor und Lebensart.693 Selbst weniger sympathische Züge der Wiener Mentalität, wie Raunzerei und Grantigkeit, also die Neigung zu Jammerei und Übellaunigkeit, konnten in liebenswerter Weise präsentiert werden.694 Österreichische Soldaten priesen auch wiederholt die heimische Küche, welche bei den Reichsdeutschen ebenfalls Anklang fand. Ein Gefreiter der Bäckerei-Kompanie 82, der eine Ober-Ramstädterin geheiratet hatte, musste dem Bürgermeister versprechen, sich nach dem Krieg als Bäcker in Ober-Ramstadt zu betätigen.695 Heinz Zsilincsar dachte, dass seine Kochkünste und sein »Ost-
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untreute Wahrheit. Hitlers Propagandisten in Österreich ’38, Salzburg 1988, 35 – 43. Zur Filmindustrie des Dritten Reiches siehe: Gerhard Stahr : Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum, Berlin 2001; Birthe Kundrus: Totale Unterhaltung? Die kulturelle Kriegführung 1939 bis 1945 in Film, Rundfunk und Theater, in: DRZW, Bd. 9/2, 93 – 157. Scheiderbauer, Adventures, 12. Galler, Erlebnisse, 28. [Unbekannter Autor aus Frankfurt a. M.]: Kieselsteine, [1943], KA, NL, B/1397:5. Steiner (Interview) trug einmal im Rahmen eines Kameradschaftsabends an der Berliner Luftkriegsschule 2 das Wienerlied »A klans Laternderl« vor und fand, dass »wir Süddeutsche« ohnehin etwas besser singen könnten. Infanterie-Regiment 134, Kommandeur, an Schirach, 25. 3. 1942, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160. Seine Kollegen im Berliner Heereswaffenamt versicherten Wilhelm Plas (Erinnerungen IIIa, 18), dass ihm sein »Wiener Charme« während der Eingewöhnung behilflich gewesen sei. Auch der Brief eines Reichsdeutschen an Friedrich Franek (Landrat des Kreises GarmischPartenkirchen an Franek, 7. 12. 1943, KA, NL, B/773:25) war mit Anspielungen auf Wien als Stadt der Lebensfreude (»Wiener Humor«; »Es gibt halt nur a Wien«) gespickt. »Ja der Wiener ist einmal so, er muss raunzen, denn erst dann ist er zufrieden und wir müssen ihn auch so nehmen und verstehen. […] Er ist mal so, aber ein herrlicher Kamerad, wie man ihn selten findet.« [Unbekannter Autor]: Der Kamerad Wiener, o. J., BA-MA, RH 53 – 18/84. Jörgeling an Kaes, 24. 9. 1940.
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mark-Geschmack« ihn für den Dienst in der Feldküche empfehlen würden.696 Ein in Frankreich stationierter Landesschütze befand, »unsere ostmärkische Küche ist gewiss gut und über die Grenzen hinaus berühmt« und müsse daher keinen Vergleich mit der französischen scheuen, eine Einschätzung, die er mit dem Führer selbst teilte.697 Das reichsdeutsche Bild von den Österreichern als ein von Natur aus heiterer Stamm kommt gut in einem norddeutschen Artikel über Gebirgsjäger in Norwegen zum Ausdruck, welche »nun mal lustige Leute« seien, und denen bloß »der Almenrausch, der Enzian, das Zitherschlagen und vor allem die feschen Tiroler Dirndln fehlen« würden, um sich dort wie zu Hause zu fühlen.698 Der ehemalige U-Boot-Fahrer Johann Wotava wiederum fand, dass Reichsdeutsche im Allgemeinen leicht zu unterhalten gewesen seien und österreichischen Humor bzw. Wiener Dialekt geschätzt hätten. Wotava selbst sei – obwohl er sein Nachahmungstalent für nicht besonders großartig hielt – sehr erfolgreich mit Parodien von Hans Moser, dem wahrscheinlich beliebtesten österreichische Volksschauspieler im Dritten Reich, gewesen.699 Musik, Singen, gutes Essen und Trinken sowie eine joviale Lebensart waren somit Schlüsselfaktoren für das Wohlbefinden der österreichischen Soldaten und – gemeinsam mit Kulturbeflissenheit und der Schönheit der österreichischen Gebirgslandschaft – integrale Bestandteile sowohl ihrer Identität als auch ihres Images innerhalb der Wehrmacht, egal aus welcher Gegend sie stammten oder wie sie sich selber definierten. Umgekehrt konnten die Österreicher diese Faktoren in die »Wohlfühl«-Atmosphäre innerhalb der bewaffneten Volksgemeinschaft einbringen, wofür sie wiederum von den anderen Kameraden geschätzt wurden. Außerdem konnten positive Darstellungen der österreichischen Heiterkeit im gleichen Atemzug problemlos auch deren soldatisch-männliche Züge herausstreichen. Die »Innsbrucker Nachrichten« beispielsweise beschrieben ostmärkische Soldaten als »braungebrannte«, »von vornherein Achtung« einflößende Männer, die eine »freudige Stimmung« ausstrahlten und deren Lachen »verdammt ehrlich« sei.700
696 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 23. 3. 1942. 697 [Ogefr. Gustav Kisling?]: Was uns in Frankreich auffiel. Aus Gesprächen mit ostmärkischen Landesschützen, BA-MA, RH 53 – 18/84; Hitler, Monologe, 379 – 380. 698 Das überlistete Fronttheater. »Luftschutz« nördlich des Polarkreises – Wie Tiroler Gebirgsjäger ihre Landsleute »hereinlegten«, in: Bremer Nachrichten, 16. 9. 1940, und Lübecker Generalanzeiger, 6. 9. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/189. 699 Wotava, Interview. Hinsichtlich der Popularität des Wiener Dialekts betonte Wotava, dass man den richtigen Ton treffen musste, also weder zu »proletarisch« noch zu »Schönbrunnerisch«. 700 Schäfer, Kameraden der Ostmark am Westwall.
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Neckereien Wie die Österreicher besaßen auch alle anderen Stämme ein bestimmtes Image hinsichtlich ihrer Erscheinung, ihrer Mentalität und Bräuche, ihrer Vorlieben, Stärken und Schwächen. Wie von fast allen Veteranen bestätigt, war es unter Wehrmachtsoldaten äußerst populär, dass man sich gegenseitig – völlig unabhängig von der Herkunft – unter Anspielung auf Elemente dieses Images hänselte. Trotz der üblichen Derbheit des Soldatenjargons geschahen diese Neckereien auf einer grundsätzlich freundlichen Basis.701 Sie wurden sogar offiziell begrüßt, da eine gesunde Rivalität nur zu höheren Leistungen und damit zu einer Stärkung der Wehrmacht insgesamt führen könnte; nur nach außen wurden die Soldaten ermahnt, Einigkeit zu demonstrieren, um nicht auf die ausländische Taktik, die deutschen Stämme gegeneinander auszuspielen, hereinzufallen.702 Auch die schriftlichen Quellen enthalten Beispiele für Hänseleien und den humorigen Umgang mit stammesbedingten Unterschieden. Immer wenn Heinz Zsilincsar im belgischen Quartier beim Lesen von Peter Rosegger auf Passagen in steirischer Mundart stieß, »gibt’s halt was zum Lachen, denn die anderen verstehen es doch nicht, wenn ich beim Lesen auflache, dann muss ich das Ganze auf ›Hochdeutsch‹ ihnen erklären.«703 In seinem Tagebuch belustigte sich Rudolf Weixlbaumer über dialektale Ausdrücke der schwäbischen Kameraden in seiner Einheit.704 Für Oberst Claus Boie, einen gebürtigen Königsberger, war es völlig in Ordnung, dass Österreicher sich über das »preußische Großmaul« lustig machten.705 De Angelis erinnerte sich, dass norddeutsche Soldaten in der Ostmark nicht auf ihre geliebten Kartoffeln verzichten wollten, während die Österreicher an ihren eigenen Lieblingsspeisen festhielten, sodass zur Erheiterung aller oftmals zwei Feldküchen verwendet werden mussten.706 Stammesorientierte Hänselei kam auch unter Österreichern vor. Veteran Johann Morawec erinnerte sich an die bunte Mischung von Österreichern in 701 Interviews mit Brandeis; Hinterberger ; Lederer ; Mirnegg; Maurer ; Probst; Stadler ; Ulber ; Wotava. Laut Wotava waren dies Dinge wie »Beutedeutsche« bzw. »Wien war schon eine Kaiserstadt, als Berlin noch ein sumpfiges Slawennest war.« Vgl.: Overmans, »Ostmärker«, 134. 702 Brehm, Haltung, 5. 703 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 22. 2. 1941. 704 Dazu gehörten der Ausruf »O du liabs Herrgöttle von Biberach!« und dass anstelle von Frühstück, Mittag- und Abendessen nur noch »jesusmäßig geveschpert« würde. Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 9.9.1941. Hörl (an Franek, 28. 4. 1940) verwendete in einem Brief an Franek eine typisch norddeutsche Ausdrucksweise (»Nee, is nich!!«), um sich über die Ablehnung eines Gesuchs lustig zu machen. 705 Oberst Boie, Kdeur. d. I. E. Rgt. 44, Hinweis für die Abhaltung von Komp.-Festen, Kameradschaftsabenden, WHW-Veranstaltungen u. Ä., 19.12.[1940], BA-MA, RH 14/46. 706 De Angelis, Gesprächsprotokoll. Zur norddeutschen Fixierung auf die Kartoffel vgl.: GlaiseHorstenau, General, Bd. 2, 294.
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seiner 28. (schlesischen) Jäger-Division und die Neckereien untereinander, vor allem gegenüber dem einzigen Tiroler.707 Diese Spottlust machte auch vor dem Führer nicht halt. Die Gattin des letzten österreichischen Militärattach¦s in Berlin, Marianne Pohl, bezeichnete Hitler auf einem Ball vor hohen Luftwaffenoffizieren als »Mostschädel«, also mit dem auf deren Dickschädeligkeit anspielenden Spitznamen für Oberösterreicher.708 Hinter den freundlichen Sticheleien konnten sich aber auch ganz konkrete individuelle Abneigungen verbergen, denn nicht jeder kam mit allen Stämmen gleich gut aus. Während alle Länder mehr oder weniger froh über den Wegfall der Wiener Bevormundung waren, waren Osttiroler und Vorarlberger unglücklich über ihre Vereinigung mit Kärnten bzw. Tirol, während die Burgenländer nicht zwischen Niederösterreich und der Steiermark aufgeteilt sein wollten. Bis heute existieren, vor allem unter Nachbarn, derartige Stammesrivalitäten im österreichischen und bundesdeutschen Kontext, wenn man nur an das Verhältnis zwischen Kärntnern und Steirern, Franken und Bayern oder Badenern und Schwaben denkt. Entsprechend hegten die österreichischen Soldaten individuell unterschiedliche Vorlieben für die reichsdeutschen Stämme, wie es auch umgekehrt bzw. unter den Reichsdeutschen selbst der Fall war. Viele interviewte Veteranen zogen Norddeutsche den Bayern vor, die oft als aggressiv und grob charakterisiert wurden.709 Einige waren nicht nur von der norddeutschen Mentalität im Allgemeinen, sondern sogar von der preußischen im Speziellen angetan.710 Dies konnte auch umgekehrt der Fall sein, wie bei dem Norddeutschen Willi Schöttner, der sich freiwillig zu den Gebirgsjägern gemeldet hatte und fand, dass sich keine anderen Stämme in ihrem Charakter so ähnlich seien wie »die Tiroler eines Andreas Hofer und die Niedersachsen eines Wittekind«.711 Nur zwei der interviewten Veteranen machten kritische Bemerkungen über das, was sie als
707 Morawec, Interview. 708 Marianne Pohl: War es ein Traum? (Erinnerungen an Berlin 1935 – 38), o. J., KA, NL, B/ 1020:4. 709 Bauer, Gesprächsprotokoll; Interviews mit Brandeis; P. Podhajsky ; Schmidl; Stadler ; und Ulber, der die Bayern als »Streithammel« bezeichnete. Der reichsdeutsche Kreisberater Seidel (Kreisleitung Kitzbühel an Bürckel, 1. 7. 1938, AdR, »Bürckel«/Nachträge, Roter Karton 2, Konvolut 19) berichtete über seine Zuteilung zum Kreis Kitzbühel, dass alle Reichsdeutschen willkommen seien, aber Norddeutsche mehr als Bayern. 710 Wotava (Interview) schätzte die Direktheit und Zuverlässigkeit von Norddeutschen. Pregartbauer (Gesprächsprotokoll) dachte, dass Preußen oft die besten Freunde und treuesten Kameraden gewesen seien. Steiner (Interview) beschrieb seinen ersten Kommandeur bei der Luftnachrichtentruppe an der Luftkriegsschule 2 in Berlin-Gatow, Maj. Rhinow, als »Preußen im besten Sinne«, d. h. fürsorglich und v. a. um die Bildung der Offiziersanwärter bemüht. 711 Schöttner, Als Norddeutscher bei den Gebirgsjägern.
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preußische Mentalität betrachteten.712 Andere Veteranen schätzten die Rheinländer, da sie deren Mentalität als der österreichischen ähnlich empfanden.713 Wieder andere fühlten sich aufgrund der engen Verwandtschaft – LuftwaffenGefreiter Wilhelm Schöbl bekam eine Gänsehaut, wenn er nur die Stimmen von »Nordgermanen« hörte – zu den Bayern hingezogen.714 Auch umgekehrt konnten Bayern die Österreicher gewissermaßen als natürliche Verbündete gegen »die Preußen« betrachten, und Overmans denkt, dass antipreußische Aversionen unter Bayern sogar ausgeprägter waren als unter Österreichern.715 Die schriftlichen Quellen enthalten ähnlich uneinheitliche Muster. Paul Meixner etwa betrachtete die Sachsen als »widerlichen Menschenschlag«716 – eine auch unter Reichsdeutsche recht verbreitete Meinung –, aber die Österreicher, die näher mit ihnen zu tun hatten, sprachen nur positiv über die Sachsen.717 Die nächsten drei Beispiele beziehen sich allesamt auf österreichische Sichtweisen von Schwaben und offenbaren die ganze Bandbreite von möglichen individuellen Einstellungen gegenüber einer bestimmten Gruppe. So sei Guido Plas seit seiner Versetzung in eine schwäbische RAD-Einheit im März 1944 bei Schwaben »etwas vorsichtig« geworden.718 Weixlbaumer war nach seiner Versetzung zu einer rein schwäbischen Batterie innerhalb der 100. Jäger712 Horvath (Interview) charakterisierte die Preußen als »sehr schwierig«, und Schmidl (Interview) nannte sie »hochnäsig«, da sie sich für das »auserwählte Volk« gehalten hätten. 713 Interviews mit Stadler und Horvath; Alfred Hubicki an Peter Gschaider, 28.3. und 22. 4. 1966, Besitz des Verfassers. Probst (Interview) hingegen empfand Rheinländer als zu klerikal und »falsch«. 714 Interviews mit Horvath und Huber. Peter Podhajsky (Kiestinki-Abschnitt, 43) hatte keine Probleme mit Norddeutschen, aber fühlte sich den »Süddeutschen« näher. Auch Wilhelm Schöbl (an Ilse Schöbl, 22. 5. 1943 und 9. 1. 1944, KA, NL, B/1676) unterstrich den Gegensatz zwischen den »nördlichen Brüdern« und »uns Süddeutschen«. Laut Ernst Karl Pfleger (Wir und die Anderen XIII, 10) habe es praktisch keine Unterschiede etwa zwischen typisch österreichischen Soldaten und ihrem bayerischen Unteroffizier gegeben. 715 Overmans, »Ostmärker«, 134. An der Heeressportschule in Wünsdorf bei Berlin begrüßten bayerische Kameraden österreichische Leutnante im Jahre 1939 mit »Ihr seid doch Österreicher, gell, wir halten schon z’amm gegen die Preußen!« P. Podhajsky, Lebenslauf, 11. Der Bayer und prominente Professor für Geopolitik Karl Haushofer (an Robert Nowak, 3. 9. 1940, KA, NL, B/726:29) äußerte Verständnis, dass Nowak nicht in einem Berliner Archiv arbeiten wollte. 716 Meixner, Tagebuch I, Eintrag vom 3. 6. 1940. 717 Laut Wotava (Interview) waren Sachsen allgemein nicht sehr beliebt, was Probst (Interview) primär auf den sächsischen Dialekt zurückführte. Für wohlwollende Haltungen gegenüber Sachsen siehe: Josef Schönegger : Stalingrad. Kampf und Gefangenschaft überlebt. Aus den Lebenserinnerungen des Josef Schönegger, hg. von Wolfgang Haidin, Steyr 1995, 48; Zedtwitz-Liebenstein, Anfang, 9 – 10. Schönegger diente in einer rein sächsisch-thüringischen Flak-Kompanie innerhalb der 6. Armee, und Zedtwitz-Liebenstein wurde 1891 im sächsischen Tharandt geboren und arbeitete in Dresden bis zu seiner Einberufung zur fast ausschließlich sächsischen Feldpostbriefstelle des AOK 11 im März 1941. 718 G. Plas, Memoiren, 29.
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Division im März 1941 der einzige Österreicher und fühlte sich zunächst einsam, doch im Mai berichtete er in seinem Tagebuch bereits von einer Intensivierung der Kontakte.719 Rothmayer-Kamnitz hatte vor seiner Versetzung 1941 in die (württembergische) 125. Infanterie-Division keine Schwaben gekannt, doch seither hielt er sie für »zuverlässig und ruhig in der Gefahr, erfinderisch im ›Organisieren‹ und mutig in der Schlacht sowie bei Späh- und Stoßtruppunternehmen«.720 Wenn auch die österreichischen militärischen Leistungen unbestritten waren, so stellt sich doch die Frage, ob sich hinter den ständigen Dialekt-Zitierungen und Anspielungen auf alpinen Kitsch nicht doch hie und da eine gewisse norddeutsche Geringschätzung verbergen mochte. So kritisierte Wilhelm Czermak, dass Norddeutsche dazu neigten, permanente Fröhlichkeit als einen allgemein süddeutschen Charakterzug zu betrachten, als ob in Bayern ein ganzjähriges Oktoberfest und in Österreich »ewiger Fasching« wäre.721 Viele Norddeutsche denken noch heute, dass südlich des Mains kein »richtiges« Deutsch gesprochen werde oder machen sich über alpenländisches Brauchtum und Trachten lustig.722 »Urwüchsige Kraft« und ständige Heiterkeit können auch für Primitivität und Simplizität stehen, und oft besteht nur ein schmaler Grat zwischen jemand zum Lachen zu bringen und von diesem überhaupt als lächerlich empfunden zu werden. Menschen, die sich in einer Minderheit befinden, legen sich bisweilen absichtlich eine komische Aura zu, um dadurch eine zweifelhafte Popularität zu erzielen. Auch bei den Soldaten, die ihr Österreichertum betont zur Schau trugen, ist nicht immer klar, ob ihnen dies aufrichtigen Respekt eintrug oder eher für Verwunderung sorgte.723 Schon in der Zwischenkriegszeit hatte der Dichter Josef Weinheber seine Wiener Landsleute wegen deren touristischer Vermarktung Wiens als Stätte inszenierter Heiterkeit als »Volk von Clownen« kritisiert.724 Als Fallschirmjäger diente Erich Ulber bei einer Elitetruppe, deren Mitglieder, 719 Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 30.3. und 15. 5.1941. Nur ein paar Mal sei Weixlbaumer den Schwaben »über die Schnauze gefahren«, als sie schlecht über die Ostmark sprachen, sodass sie es zumindest in Weixlbaumers Gegenwart nicht mehr taten. 720 Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 372. 721 Czermak (Lager, 10 – 11) betrachtete es als typisch reichsdeutsche und v. a. norddeutsche Neigung, sich anderen überlegen zu fühlen, falls deren Eigenheiten auch nur leicht von den eigenen abwichen, wie etwa im Fall der österreichischen Mundarten. 722 Auch Klemperer (Curriculum, Bd. 2, 287) fand, dass Bayern »nicht ganz so richtige Deutsche« wie Preußen seien, während Hitler (Monologe, 282, 340) sich bemüßigt fühlte, die Würde von Lederhosen und Schuhplattler vor norddeutschem Spott in Schutz zu nehmen. 723 Galler (Erlebnisse, 17) berichtete, wie ein gewisser Oberst Miklas die Gäste eines feinen Aachener Caf¦s erschreckte und amüsierte, indem er in breitestem Wiener Dialekt lautstark Bier bestellte. 724 Josef Weinheber, Wir Wiener, in: Ders., Sämtliche Werke, 127 – 129.
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so Ulber, allesamt überzeugte Großdeutsche gewesen seien. Doch außerhalb der Einheit hegte Ulber den leisen Verdacht, dass die Reichsdeutschen die Österreicher nicht immer »hundertprozentig für voll genommen« hätten.725 Dazu passt, dass Allmayer-Beck während seiner Stationierung im ostpreußischen Mohrungen 1938 auf Kasinoabenden mehrmals gefragt wurde, ob er als »Ostmärker« auch jodeln könne.726 Veteran Franz Schmidl bemühte sich sehr, diesen unbestimmten Eindruck von Geringschätzung zu definieren, wobei es sich eher um ein subtiles Gefühl als um konkrete Diskriminierung handelte: »Nichts Ernsthaftes; im Prinzip bedeutungslos; vielleicht hat man sich manchmal etwas dabei gedacht.« Franz Perner, der gemeinsam mit Schmidl interviewt wurde, pflichtete ihm bei und fügte hinzu, dass dies unabhängig von den soldatischen Qualitäten einer Person gewesen sei. Beide betonten aber auch, dass sie dieses Gefühl nur während der Ausbildung erlebt hätten, niemals jedoch an der Front, und dass solche gelegentlichen Irritationen keineswegs stark genug gewesen seien, um den Anschluss ernsthaft zu hinterfragen.727 Wie schwierig oder leicht es nun für die Masse jener Österreicher war, die sich als Minderheit oder gar alleine unter Reichsdeutschen befanden, kann unter dem Strich nur vermutet werden. Wir sahen eine Reihe integrativer Mechanismen, ein paar negative und eine große Zahl positiver Fallbeispiele, und die Frage hing stark von der genauen Zusammensetzung des Umfeldes sowie individueller Einstellungen auf beiden Seiten ab. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Reichsdeutschen kein monolithischer Block waren, und ein unterschiedliches regionales Umfeld auch für reichsdeutsche Minderheiten problematisch sein konnte.728 Ein Artikel in der »Fränkischen Feldpost« über die Macht des Dialekts beschreibt eindringlich, wie wichtig es auch für Reichsdeutsche war, hin und wieder einen vertrauten Zungenschlag zu hören und welche starken Gefühle von Intimität und Geborgenheit dies auszulösen vermochte.729 Zusammenfassend 725 Ulber, Interview. 726 Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 65. Auch Probst (Interview) bescheinigte den Norddeutschen ein starkes kulturelles Überlegenheitsgefühl. 727 Interviews mit Perner und Schmidl. 728 Laut Klemperer (Curriculum, Bd. 2, 366 – 367) habe im Ersten Weltkrieg in gemischten bayerischen Einheiten eine »Scheidewand zwischen Stamm und Stamm«, also zwischen Bayern und Pfälzern, bestanden. Ein Ostpreuße kommentierte die Situation von rund zehn Ost- und Westpreußen im AR 253 (innerhalb der 253. ID) so: »Kannst Dir vorstellen, wie unten durch wir da waren bei den Rheinländern.« Rass, Sozialprofil, 681. 729 »Plötzlich hörst du Heimatlaute: Es spricht jemand in deiner Mundart. Du lauschest, du spitzest die Ohren und lächelst. […] Du bist vielleicht unter lauter Kameraden, die aus allen deutschen Gauen bunt zusammengewürfelt sind, kaum einer ist in deinem engeren Kreis, der deine Sprache spricht, deine Mundart wenigstens, immer ist es etwas Fremdes, was zwischen euch steht, so gut ihr euch auch sonst versteht und füreinander durch alle Fährnisse, ja in den Tod geht. Aber dieser da, der spricht deine Muttersprache, die Mundart deines Gaues und du fühlst dich zu ihm mit starken Banden hingezogen, ein Etwas ist um
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kann man sagen, dass sich für jede in der Minderheit befindliche Gruppe Schwierigkeiten ergeben konnten, es sich dabei aber nicht um die Regel handelte, und dass alle Gruppen es vorzogen, mit Landsleuten aus der engeren Heimat zu dienen. Bei den Österreichern kann man grundsätzlich davon ausgehen – unabhängig wie gut der Einzelne integriert war –, dass sie, vorsichtig ausgedrückt, von einer »exotischen« Aura umgeben waren. Eine Gebirgs-Division beispielsweise lenkte in der Westmark wegen ihrer ungewöhnlichen Ausrüstung mit Bergmützen, -hosen und -schuhen die »ganze Aufmerksamkeit« auf sich; auch im Rheinland wurden Österreicher an ihren Bergmützen erkannt.730 Bürgermeister Jörgeling zufolge hinterließ die österreichische Bäckerei-Kompanie 82 nicht nur wegen ihrer guten Einstellung einen bleibenden Eindruck bei den Ober-Ramstädtern, sondern auch, weil viele von ihnen zum ersten Mal Österreicher kennengelernt hätten.731 Die Ostpreußen »schauten und staunten« über Gallers Männer, wenn diese laut singend durch Cranz marschierten. Da sich noch nie eine österreichische Einheit in Cranz befunden hatte, so Galler, seien die Österreicher »auf alle Fälle eine Sensation« gewesen.732 Scheiderbauer benutzte ebenfalls den Ausdruck »Sensation«, um die Reaktion an der Dresdner Kriegsschule zu beschreiben, als die österreichischen Studenten das erste Mal ihre Marschlieder zum Besten gaben.733 Stiotta genoss »Seltenheitswert« als einziger Österreicher bei der Konferenz aller Festungspionierkommandeure in Wiesbaden 1938, und Wiktorin erinnerte sich, dass er viele Geschichten erzählen musste, um die Neugier seiner Hamburger Kameraden zu befriedigen.734 Dieser »exotische« Status kam auch in den Interviews zum Ausdruck, wobei der Ausdruck zweimal explizit verwendet wurde.735 »Exotik« war an sich nichts Schlechtes und mit eher positiven Vorzeichen versehen. Im Prinzip unterstrich sie nur, wie wenig Reichsdeutsche noch über Österreicher wussten und wie sehr das Zusammenleben im Großdeutschen Reich trotz aller Fortschritte noch geübt werden musste, was abermals hervorhebt, dass es sich bei der Integration um einen andauernden Prozess handelte. Die Wirkung von Unvertrautheit mit einer fremden Kultur und Mentalität wurde in einem ähnlichen Kontext – dem neu-
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euch, das von vorneherein euch mit starken Klammern umschlingt. […] Die Heimat grüßt dich in ihrer Sprache, sie ersteht vor deinem inneren Auge beim Sprechen mit diesem Kameraden, den du eben erst kennengelernt hast, der dir aber vertrauter ist alle die anderen.« Wilhelm Malter : Die Sprache eures Gaues, in: Fränkische Feldpost. Soldatenzeitung des Gaues Franken 5 (März 1944), BA-MA, RHD 49/137, 6. Franke, Von Ost nach West, 5; Schäfer, Kameraden der Ostmark am Westwall. Jörgeling an Kaes, 24. 9. 1940. Galler, Erlebnisse, 34. Scheiderbauer, Adventures, 37. Graf, Stiotta, 80; Wiktorin, Soldat, 120. Interviews mit Brandeis und Meier.
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gegründeten Deutschen Reich von 1871 – meisterhaft von Thomas Mann in seinen »Buddenbrooks« beschrieben, als der Bayer Alois Permaneder das erste Mal seine zukünftige Schwiegerfamilie in Lübeck besucht.736 Noch in den 1920er-Jahren konnten Süddeutsche einen außergewöhnlichen Stellenwert unter Norddeutschen innehaben, und Hitler selbst rechnete damit, dass die Integration Österreichs in das Großdeutsche Reich länger dauern würde als jene Bayerns in das kleindeutsche Reich.737
Die nationalistische Hierarchie Das österreichische Kontingent war auch weder die erste noch die letzte Gruppe von Neulingen, welche in die Wehrmacht integriert wurde. Bereits 1935 und 1936 waren Rekruten aus dem vormals unter Völkerbundsaufsicht stehenden Saargebiet bzw. dem bis dahin entmilitarisierten Rheinland hinzugekommen. Allerdings hatten beide Territorien schon vor 1918 zum Reich gehört. Auch »nichtdeutsche Sprachgruppen« und »fremdvölkische Minderheiten« auf dem Gebiet des Reichs waren bereits vor 1938 in der Wehrmacht vertreten.738 Obgleich diese Minderheiten der allgemeinen Wehrpflicht unterlagen, wurden sie mit Vorsicht behandelt. 1937 dekretierte der Reichswehrminister, dass diese Bevölkerungsgruppen ihren Wehrdienst immer außerhalb ihrer Heimatregion versehen und auf verschiedene Einheiten aufgeteilt werden sollten, sodass sie immer, auch nach Dienstende, Deutsch sprechen müssten. Den »Fremdvölkischen« war es außerdem verboten, Minderheitenorganisationen anzugehören oder zu gründen sowie Minderheitenveranstaltungen in Uniform zu besuchen. Schließlich mussten sie vor jedem Heimaturlaub über die Geheimhaltungsbestimmungen belehrt werden.739 Zwischen dem Anschluss Österreichs im März 1938 und dem Sommer 1941 wurde das Großdeutsche Reich um die folgenden Gebiete vergrößert: Sudetenland (von der Tschechoslowakei 1938); Wartheland, Danzig-Westpreußen, Ost-Oberschlesien, Süd-Ostpreußen (von Polen 1939); Elsass-Lothringen (von
736 Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Zürich 1958, 336 – 349. 737 Wibke Bruhns: Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie, München 2004, 139; Luzˇa, Relations, 81. 738 Die erste Kategorie umfasste z. B. Deutsche kaschubischer, wendischer oder sorbischer Muttersprache; die zweite Kategorie Angehörige von Ethnien, welche ihren eigenen Staat besaßen, wie Dänen oder Polen. 739 Der Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Nr. 1628/37 geh., J I c/d, Betr.: Behandlung von Angehörigen nichtdeutscher Sprachgruppen u. fremdvölkischer Minderheiten in der Wehrmacht, 20. 7. 1937, BA-MA, RH 15/430.
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Frankreich 1940), Eupen, Malmedy und Moresnet (von Belgien 1940), Luxemburg (1940) sowie die Untersteiermark und Krain (von Jugoslawien 1941). Bis August 1942 wurde in diesen Gebieten sukzessive die deutsche Staatsangehörigkeit und damit auch die Wehrpflicht auf dort lebende »deutschstämmige« Personen ausgedehnt. In den angegliederten Ostgebieten betraf dies die in Gruppen I bis III der »Deutschen Volksliste« eingetragenen Personen, wobei Kategorie III die deutsche Staatsangehörigkeit nur auf Widerruf erhielt.740 Gemäß Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom Juli 1941 konnten auch volksdeutsche Umsiedler eingezogen werden, sobald sie deutsche Staatsangehörige geworden und an ihrem »endgültigen Einsatzort« eingetroffen waren.741 Schon seit Januar 1940 wurden wehrtaugliche Südtiroler, die optiert hatten und nach Deutschland ausgewandert waren, zum Wehrdienst eingezogen.742 Nach der Invasion der Sowjetunion wurden sogar Einheiten aus nichtdeutschen Freiwilligen unter deutschem Kommando gebildet. Das Gros dieser Formationen bestand aus abtrünnigen nichtrussischen Sowjetvölkern, doch sie umfassten auch Freiwillige aus ganz Europa und sogar arabische und indische Kontingente. Während die meisten Freiwilligenverbände mit der Waffen-SS assoziiert waren, konnten Nichtdeutsche sogar innerhalb der Wehrmacht dienen, denn außer den drei kroatischen Divisionen akzeptierte die Wehrmacht auch einzelne Freiwillige »artverwandter nordischer Völker«, und die Anzahl der Wehrmachtsoldaten aus anderen Nationen erhöhte sich gegen Ende des 740 Die »Deutsche Volksliste« war in den annektierten polnischen Gebieten eingerichtet worden und bot seit März 1941 die Möglichkeit zur Registrierung in folgenden Kategorien: I = Volksdeutsche, die sich vor dem Krieg aktiv zum Deutschtum bekannt hatten; II = Volksdeutsche, die ihr Deutschtum bewahrt hatten, ohne sich aktiv dafür eingesetzt zu haben; III = Deutschstämmige, die Bindungen zum Polentum eingegangen waren, aber zum Deutschtum zurückfinden konnten; IV= Deutschstämmige, die vollständig im Polentum aufgegangen waren. Kroener, »Menschenbewirtschaftung«, 982 – 983; Absolon, Wehrmacht, Bd. 4, 269 – 270, Bd. 5, 129 – 131, 241 – 245, Bd. 6, 333 – 354; Wehrgesetz, 124 – 125; Diemut Majer : »Fremdvölkische« im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard a. Rh. 1981, 414 – 423. 741 Absolon, Wehrmacht, Bd. 6, 338, 354 – 56. 742 Gemäß dem deutsch-italienischen Abkommen vom 21. 10. 1939 mussten jene Südtiroler, die bis Dez. 1939 für Deutschland optiert hatten, bis Dez. 1942 auswandern. Die Wehrpflichtigen unter ihnen wurden vom Wehrbezirkskommando Innsbruck eingezogen. Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. Mob.39/9 c), Ib/E/H, Nr. 1078/40 geh., Betr.: Überführung von Reichsund Volksdeutschen von der italienischen in die deutsche Wehrmacht und Ausbildung der ungedienten Südtiroler, 12. 2. 1940, BA-MA, RH 53 – 7/792. Vgl.: Absolon, Wehrmacht, Bd. 5, 241 – 242. Nach dem italienischen Seitenwechsel im Sept. 1943 wurde mit der Errichtung der »Operationszone Alpenvorlande« die Eingliederung Südtirols in das Deutsche Reich vorbereitet. Bukey, Hitler’s Austria, 202.
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Krieges drastisch.743 Einem reichsdeutschen Offizier zufolge sei die Wehrmacht sogar noch bunter als die k. u. k. Armee gewesen.744 Somit kommt von den Streitkräften des Dritten Reichs immer stärker das Bild einer heterogenen, multi-ethnischen Armee, bei der sich immer neue Schichten um den kleindeutschen Kern legten, zum Vorschein. Die erste Schicht bestand aus Österreichern, die zweite aus Sudetendeutschen, die dritte aus Volksdeutschen aus Polen, die vierte aus Elsässern, und so weiter. Dieser Prozess wurde von der Entstehung einer »nationalistischen Hierarchie« begleitet, die im Prinzip auf alle Völker Europas, zumal jene unter dem deutschen Machtbereich, angewandt werden konnte.745 Diese »nationalistische Hierarchie« begünstigte durch mehrere Umstände den Status der Österreicher als neue Mitglieder der großdeutschen Gemeinschaft. Zunächst einmal durch den rein chronologischen Faktor, dass die Österreicher als erstes Kontingent »heim ins Reich« gekommen waren. Dies gab ihnen mehr Zeit, herauszufinden, wie das Dritte Reich und die deutsche Mentalität funktionierten, aber auch, um sich Respekt zu verschaffen und selber in wichtige Positionen zu gelangen. Die Österreicher blieben, zweitens, immer das mit Abstand größte Kontingent, was automatisch ihre Bedeutung erhöhte. Drittens hatten Österreicher – von den gelegentlichen und hier völlig irrelevanten dialektalen Verständigungsschwierigkeiten abgesehen – kein fundamentales Sprachproblem, was bei Volksdeutschen aus Polen nicht der Fall war.746 Zu guter Letzt kam noch einmal der großdeutsche Gedanke zum Tragen, denn die große Mehrzahl der Österreicher fühlte sich deutsch und wollte zu Deutschland gehören, was auf Luxemburger und Elsass-Lothringer nicht zutraf. Ein anschauliches Beispiel, wie diese Mechanismen funktionierten, ist der Fall des sudetendeutschen Majors Anton Größler, der prinzipiell leicht auf jeden Österreicher übertragbar ist. Österreicher und Sudetendeutsche standen in 743 Kroener (»Menschenbewirtschaftung«, 982 – 983) schätzt, dass die Wehrmacht 1944 zu 13 Prozent aus Nichtdeutschen bestand (763.000 aus den besetzten Gebieten, 370.000 italienische und russische »Hiwis« sowie 122.000 Mann verschiedener Nationalitäten). Vgl.: Absolon, Wehrmacht, Bd. 5, 131, 245 – 249; Bd. 6, 356 – 365; Joachim Hoffmann: Kaukasien 1942 – 43. Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion, Freiburg i. Br. 1991; ders.: Die Ostlegionen 1941 – 1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer, Freiburg i. Br. 1976; Neulen, An deutscher Seite; Seidler, Avantgarde für Europa; Müller, An der Seite der Wehrmacht. 744 Nowak, Koennecke, 4; Vgl.: Ders.: Russians, Turks, and Tatars, [nach 1945], KA, NL, B/ 726:17. 745 Pfleger (Wir und die Anderen XV, 13) fand, dass Reichsdeutsche andere gerne »katalogisierten«. Vgl.: Hans Umbreit: Auf dem Weg zur Kontinentalherrschaft, in: DRZW, Bd. 5/1: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1939 bis 1941 (1988), 3 – 345, 265 – 266. 746 Die ethnischen Minderheiten auf dem Gebiet der Republik Österreich (Kärntner Slowenen und Burgenlandkroaten) sind in der Regel bilingual.
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einem speziellen Verhältnis zueinander und wurden oft in einem Atemzug genannt. In Böhmen und Mähren geborene Wehrmachtangehörige fühlten sich, vor allem wenn sie in der k. u. k. Armee gedient hatten, grundsätzlich als Österreicher und wurden von den Reichsdeutschen und anderen Österreichern auch als solche betrachtet. Auf der Offiziersebene sind beide Gruppen daher kaum zu unterscheiden, und viele »österreichische« Offiziere in dieser Studie waren streng genommen Sudetendeutsche. Bereits im Bundesheer war der Anteil sudetendeutscher Offiziere so groß gewesen, dass es zu kritischen Bemerkungen hinsichtlich ihrer Überproportionalität gekommen war.747 Größler war dem Stab des Wehrmachtbevollmächtigten im Büro des Reichsprotektors von Böhmen und Mähren zugeteilt, wo er für die Beurteilung von Protektoratsangehörigen in Angelegenheiten wie Beschäftigung bei der Wehrmacht, »Arisierungs«-Genehmigungen oder die Einsetzung von Vertrauensmännern der Wehrmacht in der Industrie des Protektorats zuständig war. Für jemand, der selber gerade erst ins Reich »heimgekehrt« war – und mit anfänglichen Zweifeln sein eigenes Deutschtum betreffend konfrontiert gewesen sein mag –, war dies eine äußerst machtvolle Position, in welcher er nicht nur den allgemeinen Eindruck der Kandidaten bewertete, sondern auch deren Deutschkenntnisse sowie deren frühere Haltung gegenüber dem Deutschtum.748 Natürlich hätte ein Österreicher sich bewusst den integrativen Mechanismen der »nationalistischen Hierarchie« verschließen und stattdessen mit den anderen Neulingen – quasi in einer Allianz der »Außenseiter« – gegen die Reichsdeutschen verbünden oder zumindest größeres Verständnis für die Lage der Neulinge aufbringen können. Es gibt auch Beispiele, wonach Österreicher verständnisvoller mit anderen Neulingen in der Wehrmacht oder den Bevölkerungen in den besetzten Gebieten umgegangen seien und daher bei diesen größere Popularität als die Reichsdeutschen genossen hätten. So meinte etwa Hauptmann Robert Nowak im Abwehrdienst von Wehrkreis XVII, dass Österreicher (und Sudetendeutsche) aufgrund ihrer nachsichtigeren Haltung bei den Volksdeutschen in den Umsiedlungslagern, aber auch als Besatzungspolizei beliebt gewesen seien.749 Anton Maurer, selbst Burgenlandkroate, erinnerte sich, dass die reichsdeutschen Offiziere keinerlei Sensibilität 747 Pregartbauer, Gesprächsprotokoll. Zu den in Böhmen und Mähren geborenen Wehrmachtsmitgliedern gehören Eugen Beyer, Erhard Raus, Hans Swogetinsky, Wilhelm Plas, Robert Nowak, Helmut B. Rothmayer-Kamnitz, Franz J. Krupich, Karl Bornemann und Gustav Adolph-Auffenberg-Komarov. 748 Größler an Oberlandrat, Prag, 27. 2. 1940, KA, NL, B/554:20; Größler an Wehrbezirkskommando Prag, Sachgebiet IIa, 19. 11. 1940; Größler an Luftgaukommando VIII Breslau, 16. 8. 1939, KA, NL, B/554:19; Größler an Anton Suda, 3. 8. 1940; Größler an Luftgaukommando VIII Breslau, 21. 7. 1939; Karl Filip an Größler, 28. 7. 1939, KA, NL, B/554:22. 749 Robert Nowak: Litauisches Fahrtenbuch VII. Balten, [nach 1945], KA, NL, B/726:14, 4 – 6.
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für die Sprachprobleme slowenischer Rekruten aus Krain an den Tag gelegt hätten, weshalb die Hälfte von ihnen desertierte.750 Bruckbergers elsässische Gastgeber seien etwas entgegenkommender geworden, nachdem sie von dessen Wiener Herkunft erfahren hatten.751 Laut Franz Lorenz hätten neben Franzosen auch die Einwohner von Belgien, Holland und Dänemark Österreicher freundlicher behandelt, sobald man sie als solche erkannte, und Ähnliches wurde über Norwegen, Italien und sogar Polen berichtet.752 Nowak führte die angeblich lockerere und einfühlsamere österreichische Haltung auf deren historische Erfahrung bei der Behandlung nichtdeutscher Völker aus der Zeit der Monarchie zurück.753 In vielen Fällen ist die wohlwollendere Einstellung gegenüber Österreichern aber wohl eher darauf zurückzuführen, dass man außerhalb Deutschlands dachte, sie seien in das Dritte Reich »gezwungen« worden, was bekanntlich nicht der Fall war. Entsprechend gibt es eine Vielzahl von Gegenbeispielen für eine unfreundliche oder sogar harsche österreichische Haltung gegenüber anderen. Laut Josef Grüblinger hätten Norweger sich manchmal gewundert, dass die Österreicher nicht gegen die Deutschen kämpften, nachdem sich angeblich so viele österreichische Deserteure auf alliierter Seite befinden würden, worauf Soldaten der 3. Gebirgs-Division üblicherweise antworteten, dass dies alles von der englischen Propaganda erfundene Gerüchte seien.754 Und Neugebauer blickte überhaupt auf die Norweger herab: »Den Herrschaften ist es seit Jahrhunderten immer gut gegangen, sie haben keinen Weltkrieg mitgemacht. Arbeiten in unserem Tempo jetzt ist ihnen fremd, haben sie ja ihrer Ansicht nach gar nicht nötig.«755 Wir sahen bereits einige Fälle von politisch und historisch motivierter antifranzösischer Einstellung bei Österreichern, und es gibt auch Beispiele für österreichische Herablassung gegenüber französischer Kultur, ganz in Einklang mit dem deutschnationalen Klischee von »seichter« französischer Zivilisation und »tiefgehender« deutscher Kultur. Laut einem österreichischen Landser beispielsweise habe Frankreich keine »Kunst«, sondern bestenfalls »Unterhaltung« zu bieten, und Johann Strauß’ Kaiserwalzer, von einem
750 Maurer, Interview. 751 Bruckberger, Tagebuch, Eintrag vom 6. 11. 1940. Vgl.: Glaise-Horstenau, General, Bd. 2, 578. 752 Lorenz, Episoden, 8; Pfleger, Wir und die Anderen XV, 12; P. Podhajsky, Gedanken; Ulber, Interview ; Brehm, Haltung, 6. Laut Heckel (Episoden) hätten Polen mit ihm als Österreicher ganz offen über ihre Ansichten den Kriegsausgang betreffend gesprochen. 753 Bauer, Gesprächsprotokoll. 754 Josef Grüblinger : Die A-Staffel erreicht den Norwegenfeldzug nicht mehr, in: Der lange Marsch, 29. 755 Neugebauer an Volkart, 29. 7. 1941.
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»netten Wienermädel« dargeboten, enthalte mehr Kunst als alle Pariser Etablissements zusammen.756 Ebenso konnten Österreicher sich deutlich von den anderen Neulingen, meist unter Berufung auf deren sprachliche Probleme, distanzieren. So notierte Hans Swogetinsky, als Mitglied der Feldkommandantur 548 mit der Registrierung von Volksdeutschen in den polnischen Bezirksstädten beauftragt, dass sich »unter diesen sogenannten Volksdeutschen leider sehr viel Gesindel, das kaum deutsch konnte« befunden habe.757 Soldat Josef Bermoser beschwerte sich über den Umstand, dass die meisten Männer in seiner Flak-Einheit Volksdeutsche aus Polen waren, mit den Worten: »[…] das ist unser Verhängnis, denn da sind solche dabei, die mehr polnisch als deutsch können, dass direkt in der Komp[anie] Deutschunterricht gegeben werden muss u[nd] die erst lernen müssen, in einem Kulturstaat zu leben. Bei der Ausbildung müssen wir natürlich darunter leiden.«758
Erich Ulber erinnerte sich, dass die Deutschkenntnisse von Oberschlesiern »allgemein belächelt« worden seien.759 Und Wiktorin zufolge habe man bereits in der k. u. k. Armee Offizierskollegen mit schlechten Deutschkenntnissen gehänselt, da die Verwendung der eigenen Sprache anstelle des Erlernens von gutem Deutsch als Verletzung der damals geltenden Integrationsregeln betrachtet worden sei.760 Die Quellen geben auch keinen Hinweis darauf, dass eine signifikante Anzahl von Österreichern tatsächlich und deutlich von den allgemeinen Praktiken der Reichsdeutschen abgewichen wäre oder zumindest deren Ansichten kritisiert hätte. Zwar hielten Nowak und Maurer ihre Landsleute für einfühlsamer, und Wiktorin habe während seiner Zuteilung zum Rüstungsinspekteur im Wehrkreis XIII offiziell gegen die dortige Behandlung von Nichtdeutschen protestiert, doch wurden all diese Aussagen erst nach 1945 getätigt.761 In den konsultierten Quellen findet sich nur eine einzige während des Krieges geäußerte Kritik an den deutschen Methoden, und zwar in einem Brief Ossmanns an Franek vom August 1940, also in einer privaten Mitteilung an einen anderen Österreicher : 756 [Kisling?], Was uns in Frankreich auffiel. Der Autor machte sich auch über das »Theater«, das die Franzosen mit ihrer Küche machten, lustig: »Der Franzose aber kann sich vor Tellerchen, Gäbelchen, Messerchen und Schüsselchen gar nicht retten, auch wenn in Wirklichkeit gar nichts zu essen mehr da ist.« 757 Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Eintrag vom 29. 9. 1939. 758 Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 25. 5. 1941. 759 Ulber, Interview. 760 Wiktorin, Soldat, 80. 761 Ebd., 262. Franz Lorenz (Episoden, 9) reichte angeblich keine Beschwerde über die Behandlung der sowjetischen Bevölkerung ein, weil ein Mitglied der Propagandakompanie ihm davon vehement abgeraten habe. Auch Franz Podhajsky (Ausklang, 6, 19) übte scharfe Kritik am Regime erst kurz nach der Kapitulation im Mai 1945.
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»Wenn nach solchen Gebrauchsanweisungen in den […] besetzten Gebieten die Menschenbehandlung aufgezogen wird, so wird das künftige Verhältnis mit einer Grundstimmung untermauert, die nicht sehr tragfest ist.«762
Einer der wenigen, der offene Kritik an der Politik von Deutschland und seinen Verbündeten übte, war Edmund Glaise-Horstenau als »Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien« von 1941 bis 1944. Zudem stammen die Hinweise auf Kritik oder Unbehagen ausschließlich von Offizieren, also einer kleinen Minderheit von relativ gebildeten und kultivierten Personen, von denen die älteren noch die k. u. k. Armee erlebt hatten. Die Masse der österreichischen Wehrmachtsoldaten bestand jedoch aus jüngeren Männern im Mannschaftsstand, die überwiegend nicht nur weniger feinfühlig und weltoffen als die Offiziere, sondern auch stärker indoktriniert, leichter beeinflussbar und mehr von den Siegen und den sich daraus ergebenden Machtpositionen berauscht waren. Es ist daher äußerst fragwürdig, ob die Masse der österreichischen Wehrmachtsoldaten mit Bezug auf andere Völker in irgendeiner Weise anders dachte und handelte als die Masse der reichsdeutschen. Vielmehr dürften die österreichischen Einstellungs- und Verhaltensmuster dem reichsdeutschen »Mainstream« gefolgt sein und dazu tendiert haben, jede Person, welche sich innerhalb der in Europa entstehenden nationalistischen Hierarchie unter ihnen befand, auch als niedriger anzusehen und zu behandeln. Dass sich die österreichische Einstellung eher von den anderen Neulingen wegbewegte und an die Reichsdeutschen anlehnte, kann noch weiter belegt werden. Die Wehrmacht war sich der Probleme bei der Integration neuer Kontingente bewusst, und Ausbilder wurden kontinuierlich ermahnt, die Neulinge anständig und unter Berücksichtigung ihrer Eigenarten zu behandeln sowie ihnen ausreichend Zeit zur Anpassung zu geben.763 Die Österreicher betreffend verschwinden derartige Hinweise jedoch im Laufe der Kriegszeit aus den Quellen. Österreicher wurden noch einmal im Dezember 1940 in den Akten des Wehrkreiskommandos XVII angesprochen, wobei sich das Dokument allerdings auf Probleme mit Zivilisten während eines Fußballspiels in Wien bezieht, und nicht auf österreichische Soldaten, deren militärische Verdienste erneut in Erinnerung gerufen wurden: »In den siegreichen Kämpfen in Polen, im Westen und hohen Norden, zu Lande, zu Wasser und in der Luft […] hat auch gerade der ostmärkische Soldat durch seinen 762 Ossmann an Franek, 24. 8. 1940. 763 Ein typisches Beispiel wäre folgender Erlass vom Feb. 1940 betreffend die Ausbildung von Südtirolern: Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. Mob.39/9 c), Ib/E/H, Nr. 1078/40 geh., Betr.: Überführung von Reichs- und Volksdeutschen von der italienischen in die deutsche Wehrmacht und Ausbildung der ungedienten Südtiroler, 12. 2. 1940, BA-MA, RH 53 – 7/792.
Die nationalistische Hierarchie
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Einsatz seine restlose Verbundenheit und Zugehörigkeit mit dem großdeutschen Schicksal bekundet.«764
Hingegen finden sich ab 1940 wiederholt Warnungen über Unzuverlässigkeit oder gar Feindseligkeit sowie Beschwerden über Integrationsprobleme oder allgemeine Unzufriedenheit ausschließlich im Zusammenhang mit anderen Neulingen, wie Elsässern und Lothringern sowie Volksdeutschen aus Polen und dem Protektorat.765 Die Schwierigkeiten von Reichsdeutschen, ihre Sozialisation im kleindeutschen »Kern« des Reichs zu transzendieren, als es um die Akzeptanz der österreichischen Neulinge nach dem Anschluss ging, wurden bereits behandelt. In extremen Fällen führte dies zu Beschimpfungen wie »Ostmarkschweine«. Im Laufe des Krieges konnten derartige Kraftausdrücke erneut verwendet werden, allerdings nunmehr auf die Nachfolger der Österreicher bezogen, wie etwa »Baltenschwein« für Volksdeutsche aus dem Baltikum.766 Geschichte wiederholte sich also selbst. Diese Wiederholung ereignete sich jedoch im Rahmen eines Erweiterungsprozesses, und die Österreicher waren mittlerweile durch Lernen und Anpassung in höhere Positionen avanciert, wo sie selber Neulinge ausbildeten, das »Deutschtum« anderer beurteilten und negative Klischees über Fremde pflegten. Sie waren nun viel weniger das Ziel von Spott oder Geringschätzung, doch begannen sie ihrerseits, die Reichsdeutschen nachzuahmen, indem sie auf andere Neulinge und Außenseiter in einer Weise herabblickten, die ihnen zum Teil selbst widerfahren war. Die innere Solidarität der rasch wachsenden großdeutschen Gemeinschaft litt somit an ihrer jeweiligen Randzone, wo sich der jüngste Zuwachs zu dieser Gemeinschaft befand, während die Österreicher näher an den kleindeutschen Kern in dieser nationalistischen Hierarchie herangerückt waren. Hier stößt man auf das grundsätzliche Problem der Spannung zwischen der inhärenten Intoleranz der nationalsozialistischen Ideologie und ihren integrativen Kräften. So konnte sich ein »kleiner« Mensch durch den Nationalsozia764 Wehrkreiskommando XVII, Abt.: Ic, Az. 14, Nr. 13082/40 geh., Betr.: Politische Vorfälle, 5. 12. 1940, BA-MA, RH 14/46. 765 Der Heerespsychologische Bericht Nr. 11 erwähnt Beschwerden über Volksdeutsche mit schlechten Deutsch-Kenntnissen, feindlich gesinnte Lothringer, unzuverlässige Elsässer und reichsdeutsche Soldaten, die sich in Elsass-Lothringen unwohl fühlten. Obwohl die Kriegslage den vermehrten Einsatz von volksdeutschen Freiwilligen aus dem Protektorat nahelegte, sollte deren Verwendung bei »besonders gefährdeten Waffen, wie Fallschirmjäger, Luftlandetruppen, Schnelle Truppen, Panzertruppen« auch weiterhin möglichst vermieden werden. Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. Mob.39/4 b), Ib/E/H, Nr. 6544/40 geh., Betr.: Volksdeutsche aus dem Protektorat, die sich freiwillig gemeldet haben, 15. 6. 1940, MA, RH 53 – 7/792. 766 Nowak, Balten, 5.
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lismus »groß« fühlen, weil dieser ihm einredete, dass er einer »Herrenrasse« angehörte.767 Während dies sicherlich die Solidarität und das »Wir«-Gefühl unter denen, die dazu gehörten, verstärkte, war es jedoch nur teilweise auf einen positiven kommunalen Sinn zurückzuführen und basierte maßgeblich auf der negativen Dissoziation von »rassenfremden« Elementen, die nicht dazugehörten, oder von Völkern, die in der Hierarchie weiter unten rangierten. Selbst in der Waffen-SS, der militärischen Elite dieser neuen Ordnung, kam es zu Beschwerden von nichtdeutschen Freiwilligen über deren herablassende Behandlung durch die deutschen Vorgesetzten, was die Idee einer »germanischen Armee« ad absurdum führte und ein bezeichnendes Licht auf die inhumane Untauglichkeit des Nationalsozialismus als integratives Konzept wirft.
767 Aly (Volksstaat, 28) betont, dass die NS-Rassendoktrin nur für eine Minderheit von Deutschen tödlich gewesen sei, aber für die große Mehrheit Gleichheit bedeutet habe.
Kapitel 5: Von »Barbarossa« bis »Bagration« – Die zweite Kriegsphase (Sommer 1941 bis Sommer 1944)
Der Russlandkrieg aus der österreichischen Perspektive Mit »Unternehmen Barbarossa«, dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, begann ein völlig neuer Krieg. Zwar setzte Großbritannien trotz seiner Vertreibung vom europäischen Kontinent den Kampf fort, aber dieser Konflikt verlagerte sich zunächst fast ausschließlich auf die Meere, weshalb relativ wenige österreichische Soldaten davon betroffen waren – die Masse der Österreicher diente nunmehr, ebenso wie die reichsdeutschen Kameraden, in den Weiten Russlands. Der Krieg gegen die Sowjetunion war aus weiteren Gründen sehr verschieden vom Krieg im Westen: Wie von Hitler in »Mein Kampf« dargelegt, war die Eroberung der Sowjetunion das eigentliche Kriegsziel des Nationalsozialismus, würde ein Sieg doch nicht nur die Welt vom »jüdischen« Bolschewismus »befreien«, sondern den Deutschen auch den angeblich dringend benötigten Lebensraum zur Verfügung stellen. Diese ideologische Natur des Konflikts bedingte auch eine unterschiedliche Kriegsführung in Form des sogenannten »Vernichtungskriegs«:768 Die Slawen wurden als »Untermenschen« betrachtet, Millionen von Rotarmisten starben in deutschen Lagern, Partisanen wurden durch grausame Vergeltungsaktionen bekämpft und die Wehrmacht war auch in die systematische Ermordung der Juden verwickelt.769 Schließlich unterschied sich »Barbarossa« auch dadurch von den vorhergehenden Kampagnen, dass der Feldzug nicht mit einem schnellen und leichten 768 Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa vom 13. 5. 1941; Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland vom 19. 5. 1941; Richtlinien für die Behandlung der politischen Kommissare vom 6. 6. 1941. 769 Vgl. allgemein: Wette, Wehrmacht, und die Beiträge in Heer/Naumann, Vernichtungskrieg. Die drei ostmärkische Divisionen umfassende 6. Armee war u. a. in das Massaker von Babi Yar im Sept. 1941, in dem SD-Einsatzgruppen ca. 33.000 Juden töteten, verwickelt. Bernd Boll/Hans Safrian: Auf dem Weg nach Stalingrad. Die 6. Armee 1941/42, in: Heer/ Naumann, Vernichtungskrieg, 260 – 296.
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Triumph endete – die Zeiten, als der Krieg mit Reisetouren oder KdF-Ausflügen verglichen werden konnte, waren seit Sommer 1941 vorbei. Vielmehr zog sich der Feldzug zu einem nie enden wollenden und immer verzweifelteren Existenzkampf hin, der schließlich zur Niederlage der Wehrmacht führen sollte. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in den österreichischen Sichtweisen des Konflikts wider. Dem erfolgreichen Fortgang des Integrationsprozesses tat sie allerdings keinen Abbruch – nur die Vorzeichen änderten sich dramatisch. In den ersten Wochen ähnelte »Barbarossa« durchaus noch den vorhergehenden Feldzügen. Große und nahe der Grenze stationierte sowjetische Verbände sowie die deutsche Taktik, Panzerkeile tief in Feindesland zutreiben, ermöglichten es der Wehrmacht, in riesigen Kesselschlachten ganze sowjetische Armeen zu vernichten und Hunderttausende Rotarmisten gefangen zu nehmen. Franz Schmidl erinnerte sich, wie die Fahrzeuge seiner 17. Panzer-Division beinahe widerstandslos vorstießen.770 Auch Wulf Stratowa vom Infanterie-Regiment 134, ansonsten kein großer Bewunderer von »preußischer Organisation«, fand, dass der Aufmarsch »ganz großartig« organisiert gewesen sei.771 Noch Mitte August 1941, als die deutsche Infanterie ihren eigenen Panzerverbänden durch hastig von den Sowjets aufgegebene Gebiete hinterher marschierte, konnte Obergefreiter Fritz Bertnik sich an den Verlauf des Frankreichfeldzuges erinnert fühlen. Einen Monat später berichtete Bertnik weiterhin von überlaufenden Rotarmisten und äußerte sich siegessicher, obwohl man bereits leichte Ungeduld zwischen den Zeilen lesen kann: »Wenn erst das DonezBecken uns gehört, kann’s nicht mehr lange dauern.«772 Andere, wie Walter Neugebauer, waren bereits weniger zuversichtlich: »Wer weiß, was noch kommen wird, gar so schnell ist der Krieg hier noch nicht aus.«773 Nach einem weiteren Monat, im Oktober, war auch Bertnik von dem scheinbar unerschöpflichen sowjetischen Menschenpotenzial frustriert: »Uns wirft der Russe jetzt ganz neu ausgerüstete und eingekleidete Reserven entgegen. Hoffentlich sind sie die letzten.«774 Bertniks Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Einsatz sibirischer Reserven und ein besonders heftiger Wintereinbruch beendeten den deutschen Vormarsch kurz vor den Toren Moskaus im Dezember 1941. Trotz des anfänglichen Erfolges und im Gegensatz zu den vorhergehenden
770 Schmidl, Interview. 771 Wulf Stratowa: Kein Friede in Stalingrad. Feldpostbriefe 1941/1942, Fotokopie der im Besitz von Frau Christine Matula in Wien X. befindlichen Originale, Bd. 1, KA, NL, B/1679:2, 8 [= Stratowa, Feldpostbriefe]. 772 Bertnik an Wächter, 16.8. und 13. 9. 1941. 773 Neugebauer an Volkart, 20. 9. 1941. 774 Bertnik an Wächter, 9. 10. 1941.
Der Russlandkrieg aus der österreichischen Perspektive
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Feldzügen erwähnten die Soldaten von Beginn an hohe Verluste.775 Ein erster Eindruck vom Krieg in Russland bestand daher aus gigantischen Schlachten mit vielen Toten auf beiden Seiten, die jedoch keinerlei Entscheidung brachten.776 Diese Wahrnehmung sollte sich dann in den kommenden Jahren bestätigen. Ein weiteres Standardthema waren von Anbeginn die extremen klimatischen Bedingungen: lange und äußerst kalte Winter sowie die Regen- und Schlammperioden im Frühjahr und im Herbst. Extrem harsch war der Winter für die im nördlichen Norwegen und Finnland stationierten Truppen, die nun an der Eismeerfront ebenfalls am Krieg gegen die Sowjetunion teilnahmen und besonders hohe Verluste erlitten.777 Bezeichnend für die österreichische Affinität zum Wintersport tauchen entsprechende Bezüge sogar in Bemerkungen über das russische Klima auf: Während LuftwaffenUnteroffizier Heinrich Waldhof Schnee normalerweise mit »Sonne, Pulver oder Firn und staubende[n] Abfahrten« assoziierte, war dieser für ihn nach dem Schlamm das Schlimmste an Russland, bedeutete er hier doch Schneestürme und in die Knochen kriechende »eisige Kälte«.778 Das dritte Standardthema war die Brutalität der Kriegsführung, eine logische Konsequenz aus der ideologischen Natur des Krieges, welche auch eine ambivalente Sichtweise des russischen Gegners erzeugte. Österreichische Soldaten berichteten von enthusiastischen Begrüßungen in den russischen Dörfern während der Invasion und erwähnten freundliche Begegnungen selbst nach 1941.779 Diese Sichtweise entsprach der Interpretation von »Barbarossa« als antikommunistischer »Kreuzzug« gegen die bolschewistische Führung. Dies war jedoch nur eine Seite der Medaille, denn gemäß »Generalplan Ost« sollten bei der Eroberung neuen Lebensraumes auch Millionen von Sowjetbürgern umgesiedelt bzw. getötet und die Überlebenden als Arbeitssklaven verwendet werden. Letzteres führte dazu, dass die Masse der Russen die Deutschen nicht als Befreier empfand, sondern sich im »Großen Vaterländischen Krieg« hinter Stalin zur Verteidigung Russlands versammelte. Sympathische Wahrnehmungen des »Russen« standen daher in scharfem Gegensatz zu dem negativen Bild von den Slawen als »asiatische Horden«, welches oft gleichbedeutend mit »Kommunismus« war. Diese Sichtweise bezog 775 Stratowa, Feldpostbriefe, 50; Helmut Havranek: Tagebuch vom Russlandfeldzug, 11.9.–8.12.1941, KA, NL, B/2057:2, 6; Latzel, Deutsche Soldaten, 233, Fn. 23. 776 K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 8. 10. 1942. Vgl.: Steinert, Hitlers Krieg, 227 – 228. 777 Peter Podhajsky, Narvik – Kirkenes, in: Der lange Marsch, 36; Grüblinger, Nord-Süd-Weg, 58. 778 Uffz. Heinrich Waldhof: Rundschreiben an ehemalige Napola-Kameraden, 30. 11. 1943, KA, NL, B/1581. 779 Lorenz, Episoden, 9; Stratowa, Feldpostbriefe, 27, 67; Bertnik an Wächter, 2. 8. 1941; K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 10. 12. 1942; Interviews mit Maurer und Schmidl.
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Von »Barbarossa« bis »Bagration«
sich häufig auf die Einfachheit und Schmutzigkeit russischer Straßen und Behausungen.780 Vor allem betraf sie jedoch die »barbarische« Kampfweise der Roten Armee, die den Russen angeboren und von den Politkommissaren zusätzlich angeheizt worden sei.781 Derartige Meinungen finden sich auch noch in Nachkriegsschriften, allerdings oft mit einer gehörigen Portion Respekt vor der Zähigkeit des russischen Soldaten gemischt. Erhard Raus etwa befand in einem Aufsatz über durch Sümpfe und Schlamm durchgeführte russische Angriffe, dass derartige Härten den Soldaten »deutscher oder anderer europäischer Armeen« nicht zugemutet werden könnten. In einem anderen Aufsatz beschrieb Raus weitere taktische Maßnahmen als charakteristisch für die »kommunistisch-ostische« Denkweise, welche vor den rücksichtslosesten Methoden nicht zurückschreckte.782 Allgemein äußerte Raus sich jedoch anerkennend über den »tapferen« und »todesmutigen« russischen Widerstand, ebenso wie Bertnik, der fand, dass »der Russe« zwar verhetzt gewesen sei, aber auch »ungemein zäh« und sich »nicht selten erst in seinem Loch erschlagen« ließe.783 Die österreichische Sichtweise des russischen Soldaten schien daher eine Mischung aus Abneigung gegenüber einem fremdartig-minderwertigen und gefährlichen Wesen und Bewunderung für einen äußerst tapfer und fanatisch kämpfenden Gegner gewesen zu sein.784 Entsprechend berichteten österreichische Soldaten über von der Roten Armee begangene Brutalitäten, doch ebenso freimütig über Gräueltaten seitens der Wehrmacht.785 Letztere wurden gewöhnlich mit Abscheu, aber oft auch entschuldigend als einzig adäquate Ant-
780 Darstellungen von Russland enthalten oft eine kanonisch anmutende »Mängelliste«, welche den Beschreibungen Polens ähnelt. Stenzel, Russlandbild, 70 – 72; Thomas Kühne: Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, 183. 781 Peter Podhajsky (Lebenslauf, 14) beschrieb Rotarmisten als »erbarmungslose[r] Gegner, teils Mongolen, von Polit Offz. [sic] verhetzt« und »von hinten angreifend«. Laut Probst (Interview) glaubten viele Kameraden an das Hetzbild vom russischen »Untermenschen«. Vgl.: Andreas Kunz: Wehrmacht und Niederlage. Die bewaffnete Macht in der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis 1945, München 2005, 244; Müller, Nationalismus, 51; Kühne, Kameradschaft, 183 – 184. 782 Erhard Raus: Der Sumpfbrückenkopf (Aug. 1943), [nach 1945], KA, NL, B/186:2, 4; ders.: Seltsame nächtliche Taktik, [nach 1945], KA, NL, B/186:2, 1. 783 Bertnik an Wächter, 2. 8. 1941; Raus, Seltsame nächtliche Taktik; Der Panzerschreck und seine Bekämpfung. 784 Vgl.: Stenzel, Russlandbild, 72 – 75; Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 357. 785 Zu sowjetischen Gräueltaten siehe: Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Einträge vom 26.6., 28.6., 2.7. 1941, 29. 1.1942. Zu deutschen Tötungen von (zumeist jüdischen) Zivilisten siehe: Ebd., Einträge vom 28.7. und 18. 9. 1941 (Berditschew), 21.9. und 22. 9.1941 (Uman), 11.10., 14.10. und 15. 10.1941 (Nowo Alexandria), 25.10. 1941 (Kiew, Dnjepropetrowsk, Poltawa); Franz Brunner, Erlebnisbericht, [nach 1945], KA, NL, B/454, 2; Lorenz, Episoden, 8.
Der Russlandkrieg aus der österreichischen Perspektive
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wort auf eine im Wesentlichen »asiatische« Kampfesweise dargestellt.786 So bezeichnete etwa Carl Zedtwitz-Liebenstein das Hängen von Zivilisten in den Straßen von Simferopol als Sache, welche in fast jedem Krieg vorgekommen sei, und bezog sich dabei auf die »bestialischen« Methoden von Dschingis Khan, serbische Gewalttaten im Ersten Weltkrieg sowie Gräuel im Russisch-Japanischen Krieg von 1905.787 Vor allem im Zusammenhang mit dem als besonders heimtückisch empfundenen Partisanenkrieg wurden harte Vergeltungsmaßnahmen für gerechtfertigt gehalten.788 Hans Swogetinskys genaue Aufzeichnungen über die Massentötungen in der Sowjetunion machen auch keinen Hehl aus seiner eigenen Abneigung gegenüber den Juden.789 Hingegen wollen einige Österreicher erst nach dem Krieg von dem vollen Ausmaß der deutschen Kriegsgräuel erfahren haben.790 Insgesamt betrachtet kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die Brutalität an der Ostfront die Identifikation der Österreicher mit der Wehrmacht festigte, durch den verstärkten Zusammenhalt gegenüber einem als grausam empfundenen Feind einerseits und durch die Komplizenschaft bei selbst begangenen Gräueltaten andererseits. Angesichts des Verlaufs von »Barbarossa«, der klimatischen Bedingungen sowie der Sicht des Feindes überrascht es nicht, dass die Stimmung aller Wehrmachtsoldaten in der Sowjetunion im Wesentlichen schlecht war. So notierte Rudolf Weixlbaumer in seinem Tagebuch, dass die Kommandeure seiner Einheit nicht besonders einfallsreich versucht hätten, den Depressionen durch Geschützübungen entgegenzuwirken.791 Obergefreiter Karl Pohanka fand drastische Worte für seine Einschätzung der Lage – »Es ist zurzeit schwer scheiße« –, betete für Frieden, und gelobte, dass er lieber Tag und Nacht arbeiten würde, als seine Jugend unter »so traurigen Umständen« in Russland zu verbringen.792 Karl Daxböck, Feldwebel in der 101. Jäger-Division, beschrieb das vorherrschende 786 Vgl.: Müller, Nationalismus, 83 – 87; Fritz, Frontsoldaten, 31 – 68; Kühne, Kameradschaft, 151, 183 – 185. Auf dieser Sichtweise basiert die These von Ernst Nolte (Der europäische Bürgerkrieg, 1917 – 1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Berlin 1987), dass der Faschismus im Wesentlichen eine Reaktion auf den Bolschewismus war, welche in den 1980ern zum deutschen Historikerstreit führte. 787 Zedtwitz-Liebenstein: II. Weltkrieg. Simferopol-Rostow, KA, NL, B/530:3, 86. 788 Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 15. 11. 1941; K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 10. 12. 1942; Karl Pohanka an Paul Cipan-Zsilincsar, 18. 5. 1943, KA, NL, B/532. 789 Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Einträge vom 4.7., 8.7. und 17. 10. 1941. 790 Toni Wiesbauer: Und das war das Ende. Ein Erlebnis- und Tatsachenbericht aus dem Zweiten Weltkrieg, [nach 1945], KA, NL, B/450, 37; Galler, Erlebnisse, 38; P. Podhajsky, Lebenslauf, 26. Dazu muss festgestellt werden, dass Wiesbauer, Galler und Podhajsky den Krieg ausschließlich oder zum Großteil in Norwegen verbrachten, wo ihnen viel erspart geblieben sei, wie Wiesbauer und Galler selbst einräumten. 791 Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 10. 6. 1942. 792 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 9.11. und 28. 3. 1943.
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Gefühl an der Front als »furchtbar, wehrlos, ausgeliefert«.793 Zynisch-humorvolle Gedichte und Parodien beliebter Soldatenlieder bezeugen ebenfalls die negative Einstellung an der Ostfront.794 Die Zentralität des Krieges mit der Sowjetunion, welcher schließlich auch über den gesamten Kriegsausgang entscheiden sollte, geht auch aus den Aufzeichnungen von Franz Podhajsky hervor, dessen Sohn Peter in der 3. GebirgsDivision an der Eismeerfront diente. Podhajskys Bemerkungen geben diese Entwicklung so prägnant wieder, dass es sich lohnt, sie chronologisch für sich sprechen zu lassen. Im August 1942 hoffte Podhajsky noch, dass die erneute Sommeroffensive den Misserfolg vor Moskau wettmachen würde: »Militärisch stehen wir zweifellos sehr gut; der Osten verspricht einen vollen Erfolg der Offensive gegen den Kaukasus.« Nach der Einkesselung der 6. Armee in Stalingrad urteilte Podhajsky im Dezember 1942 bereits weniger optimistisch: »Wir müssen den Russen im Jahre 1943 umgebracht haben, bevor der Westen zu einer großen Unternehmung antreten kann; […] sonst fällt [die Entscheidung] vielleicht nicht mehr für uns, und das wäre unausdenkbar.« Im Frühjahr 1944 war Podhajskys Stimmung fast nur noch negativ : »Der äußere Aspekt der Lage ist so unerfreulich, dass man am liebsten gar nichts schreiben möchte; das Fragezeichen im Osten ist lebensbedrohend geworden.« Und schließlich, im August 1944, blieben nur noch Gebete: »Eine hoffnungslose Lage; Herrgott, schick ein Wunder herab! Sonst wiederholt sich zu Allerseelen die Tragödie von 1918!«795 Auf geradezu drastische Weise lässt sich der neue Charakter des Krieges im
793 Gespräch mit Karl Daxböck, 9. 6. 1989, KA, NL, B/1212. 794 »Wo Soldaten halten Wach[t] am Wolgastrand, fern der deutschen Heimat in Ukrainerland, / Wo die Leute kleben nur von Dreck und Speck, hat man dort als Muster Landser hingesteckt. / Wo man Häuser baut aus Lehm und Dreck, wo man bis zu den Knien in schwarzer Erde steckt, / Wo die Läuse Wanzen laufen am Hemd heraus, da ist seine Heimat, da ist er zu Haus. / Wo man Wasser jetzt den größten Luxus nennt, wo man weder Seife, Kamm noch Spiegel kennt, / Wo man weder […] Tisch noch Stühle [sieht?], dort der brave Landser sein Quartier bezieht. / Wo die Sonderführer fahren durch die Welt mit den Panjewagen, so lang der Tag anhält, / über Stalins Straßen, über Stock und Stein, da gibt’s durstige Kehlen, da gibt’s weder Bier noch Wein.« Adolf Scherr, Meine Dienstzeit vom Jahre 1940 bis 1945, [Jan. 1945], KA, NL, B/480, 2 – 3 (Rückseiten). Scherr diente von Frühjahr 1942 bis Dez. 1943 in Russland. »Ganz einsam und verlassen liegt die 3. Division / Wohl in der schönen Tundra, halb eingefroren schon. / Sie wartet auf die Ablös, die lässt sich scheinbar Zeit, / und Murmansk ist so nahe, die Heimat ist so weit. / Hier gibt’s kein Edelweiß, hier gibt’s nur Schnee und Eis.« Unteroffizier Rudolf Blaas: Kriegstagebuch, 1.6.–19. 11. 1941, KA, NL, B/1447:5. Blaas diente an der Eismeerfront. 795 Franz Podhajsky : Gedanken zur Lage Ende August 1942; Gedanken über den Krieg, 2. 12. 1942; Gedanken über den Krieg, 27. 12. 1942; Gedanken über die Lage, 2.4.[1944]; Gedanken über den Krieg, 30. 4. 1944; Gedanken über den Krieg, 25.8.[1944], KA, NL, B, C/ 219:24.
Der Russlandkrieg aus der österreichischen Perspektive
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Osten durch den Vergleich mit der Situation im Westen veranschaulichen.796 Freilich kam es auch dort zu einer schrittweisen Verschlechterung der militärischen Gesamtlage. So notierte etwa Gefreiter der Luftwaffe Heinrich Sorger im Juli 1941, dass »der Tommy […] immer frecher« werde: »Man kann wohl ruhig sagen, dass er in letzter Zeit die Luftherrschaft am Kanal errungen hat, was noch nie vorgekommen ist.« Und ein Jahr später erwähnte Sorger bereits heftige Luftangriffe.797 Dennoch setzte sich die Annehmlichkeit Westeuropas mit Bezug auf Konsumgüter, Unterhaltungsmöglichkeiten und eingeschränkte Kampfhandlungen beinahe unvermindert fort. So versuchte etwa Bruno Bruckberger, nachdem der Rotwein in Frankreich knapp geworden war, seine Langeweile in Straßburg durch Fahrradtouren zu überwinden, und die Aufzeichnungen von Franz Seewann über seinen Dienst in einer Wehrmachtstreifengruppe in Frankreich sind im Wesentlichen Protokolle ausgedehnter Besichtigungstouren.798 Paris blieb weiterhin der Inbegriff von Unterhaltung, und ein Erlass des Militärbefehlshabers Frankreich über den Kauf und die Ausfuhr von Waren zeigt, dass derartige Regulierungen bis ins Jahr 1943 notwendig waren.799 Swogetinskys Sammlung von Erinnerungsstücken aus Belgien wiederum dokumentiert den Unterhaltungswert dieses Landes bis weit in das Jahr 1944.800 Guido Chwistek erinnerte sich, dass Frankreich so mit Fronttheatern überschwemmt war, dass das Interesse nachgelassen habe und den Soldaten der Besuch von Veranstaltungen befohlen werden musste; in Russland hingegen, hätten »wir uns um eine Vorstellung gerissen – leider gab es aber keine!«801 Auch die Unterbringungsmöglichkeiten in Russland fielen im Vergleich zum Westen deutlich ab. Läuse und Wanzen bildeten ein Standardthema in den Beschreibungen der Quartiere im Osten, sodass Chwistek es vorzog, in Ställen anstatt in
796 Der krasse Gegensatz zum »angenehmen« Krieg im Westen wird durch folgende Äußerung eines gewissen Soldaten Sporrenberg (Latzel, Deutsche Soldaten, 136) verdeutlicht: »Der Krieg hier [in Russland] ist einfach armselig und macht keine Freude.« Vgl. Allmayer-Becks (Kriegserinnerungen, 239) Bemerkungen über seinen Kameraden Maj. Fritz Brohm. 797 Sorger an Cipan-Zsilincsar, 8. 7. 1941 und 20. 6. 1942. 798 Bruckberger, Tagebuch, Einträge vom 5.7. und 25. 8. 1941; Franz Seewann: Meine Fahrten bei der Wehrmachtsstreifengruppe z. b. V. 14, IX/1943-IV/1945, 1980, KA, NL, B/952:2. 799 »Es waren zwar nur 3 Tage, trotzdem aber prima amüsiert.« Sorger an Cipan-Zsilincsar, 7. 12. 1941. Anton Winter (Mein Leben 1924 – 1994. Erlebnisse mit Menschen als Soldat, im Weinbau und in der Politik, [1995], Industrieviertelmuseum [= IVM], J 4020, 6) verbrachte nach seiner Grundausbildung 1943 drei Tage in Paris. Der Militärbefehlshaber in Frankreich, Betr.: Unberechtigte Ankäufe von Lebens-, Genuss- und Futtermitteln, 2. 3. 1943, KA, NL, B/218:3, Mappe »Paris«. 800 Nachlass Swogetinsky, KA, NL, B/218:3, Mappe »Belgien«. 801 Chwistek, Der Walfisch. Vgl.: Baranowski, Strength through Joy, 205, 208 – 209.
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Häusern mit Betten voller Ungeziefer zu übernachten.802 Helmut B. RothmayerKamnitz beschrieb den Unterschied folgendermaßen: »Die Behausung eines Bataillonsstabs an der Russlandfront 1941/42 war ein Erdbunker, im Frühling 1942 ein Bahnwärterhaus. Regiments- und Divisionsstäbe hausten in der Regel in Bauernkaten und den Stäben von Generalkommandos und Armeen standen schon feste Häuser in den wenigen Städten zur Verfügung. In Frankreich waren für die dortigen Besatzungsarmeen Schlösser die Regel, wobei es schon bei den Regimentsstäben anfing.«803
Die Fortsetzung bestehender Integrationsmechanismen So wie der Krieg im Westen seinen »angenehmen« Charakter weitgehend beibehielt, setzten sich auch die meisten der Verhaltensmuster und Mechanismen, die sich vor »Barbarossa« herausgebildet hatten, in der Heimat sowie auf allen Kriegsschauplätzen, also inklusive der Sowjetunion, fort. Daher folgt hier zunächst ein Blick auf die negativen Aspekte, d. h. jene Zwischenfälle, in denen sich Österreicher über reichsdeutsche Geringschätzung beschwerten. Als etwa im Sommer 1941 ein paar Fahrzeuge während des Vormarsches in Russland steckenblieben, hörte Wulf Stratowa einige Soldaten witzeln, dass die Österreicher nicht wüssten, wie man Auto fährt (obwohl die Fahrer gar keine Österreicher waren).804 Im gleichen Zeitraum wurde Franz Lorenz zum Eisenbahn-Pionier-Ersatz-Bataillon 1 in Fürstenwalde versetzt, wo ein Hauptmann abfällige Bemerkungen über »Kamerad Schnürschuh« machte, worauf Lorenz so heftig widersprochen habe, dass sich sogar die Reichsdeutschen auf seine Seite schlugen, und sich der Hauptmann entschuldigen musste. Als Lorenz von Landsleuten in seiner Kompanie von weiteren Hänseleien erfuhr, habe er diesen durch eine energische Ansprache vor der Kompanie ein Ende gesetzt.805 Im Frühjahr 1942 wies Major Franz Benisch auf einer Dienstreise durch Niederösterreich seinen Vorgesetzten, Generalleutnant Rudolf Wanger, zurecht, nachdem dieser sich abfällig über Österreich und vor allem den Wiener Charakter geäußert hatte.806 Im Sommer des gleichen Jahres war es abermals Lorenz, 802 Guido Chwistek: Die drei Kommissarinnen, o. J., KA, NL, A, B/1254:1. Vgl.: Stenzel, Russlandbild, 70 – 72. 803 Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 488. 804 Stratowa, Feldpostbriefe, 28. 805 Lorenz, Episoden, 8 – 9. Lorenz begegnete später in Charkow einem Vorarlberger Unteroffizier und Weltkriegsveteranen, der geneckt wurde, weil er nie umgeschult worden war und immer noch österreichische Kommandos benutzte. Lorenz bat die anderen Unteroffiziere um »kameradschaftliche Hilfe«, und nach acht Tagen hatte der Österreicher die reichsdeutschen Kommandos erlernt. 806 Hans Handl an Franz Benisch, 21. 11. 1946, KA, NL, B/50:6. Wanger wurde im Mai 1942
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welcher den die Eisenbahntruppen einer Heeresgruppe (vermutlich »Süd«) befehligenden Oberst, der sich über die angebliche Unverlässlichkeit der Österreicher ausgelassen hatte, rüffelte. Trotz dieses Auftaktes entwickelte sich zwischen den beiden eine lebenslange Freundschaft; ein typischer und oben bereits mehrfach beschriebener Vorgang.807 Ebenfalls im Jahre 1942 ärgerte sich Emil Zellner, Generalstabschef im Wehrkreiskommando XVII, so sehr über Äußerungen des Kommandeurs von Panzergrenadier-Ersatz-Regiment 82, dass er folgende Antwort verfasste: »Die Ansicht […], dass der Ersatz des Regimentes deshalb schlecht war, weil die Soldaten zu 90 % aus der Ostmark stammen, wird auf das Schärfste zurückgewiesen. Es ist einfach unverständlich, dass es noch immer Offiziere gibt, die […] die Anschauung vertreten, dass das Menschenmaterial aus dem Altreich wertvoller und besser sei. Die Ereignisse der letzten drei Kriegsjahre haben es zur Genüge bewiesen, dass der Soldat aus der Ostmark mindestens gleichwertig ist […]. Außerdem könnte man diesen Herren auch vorhalten, dass unser Führer […] ebenfalls ein Ostmärker ist und [solche] Aussprüche […] auch einmal anders ausgelegt werden [könnten].808
Der Verweis auf Hitlers Herkunft dürfte eine beliebte Strategie gewesen sein, mit antiösterreichischen Äußerungen umzugehen, hatte doch bereits Stiotta gegenüber Kluge ähnlich argumentiert. Im letzten Beispiel aus dem Frühjahr 1943 schrieb Karl Pohanka von der Ostfront, dass es zwar natürlich sei, als einziger Österreicher in seinem Regimentsstab geneckt zu werden, aber auf so »arge« Weise, dass er nicht darüber schreiben wolle und seinen Kameraden nie vergeben werde.809 Nun verteilen sich diese Fälle zu gleichmäßig auf den fraglichen Zeitraum und alle möglichen Schauplätze, als dass man sie pauschal als irrelevant abtun könnte. Dennoch müssen sie auf verschiedene Weisen qualifiziert werden. Zunächst einmal können die meisten Zwischenfälle im Vergleich zu den Vorkriegsfällen, in denen Begriffe wie »Ostmarkschwein« (welcher seit Kriegsbeginn aus den Quellen verschwunden zu sein scheint) verwendet wurden, als harmlos betrachtet werden. Zweitens zeigen vor allem die von Lorenz überlieferten Vorfälle, dass man österreichfeindlichen Haltungen leicht entgegenwirken konnte, und zwar am besten durch ein selbstbewusstes Auftreten.810 Der-
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Kommandeur der Div. z. b. V. 417, und Benisch kommandierte das zur Division gehörende Landesschützen-Batl. 897. Lorenz, Episoden, 10. Wehrkreiskommando XVII, Ia, Az. 34 t, Nr. 17914/42 geh., Betr.: Erfahrungsbericht der 2. Pz.-Div. über den Kampfwert des Ersatzheeres, 30. 11. 1942, BA-MA, RH 53 – 17/106. Der fragliche Ersatz schien größtenteils aus älteren Waldviertler Bauern bestanden zu haben. Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 1. 3. 1943. Ein paar Zeilen weiter spezifizierte Pohanka, dass die Österreicher als »Hilfsvolk« angesehen und als »unfreiwillig Heimgekehrte« bezeichnet worden seien. Zedtwitz-Liebenstein (Simferopol-Rostow, 102 – 103) bestand darauf, dass er Respekt und
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artige Episoden führten auch nicht automatisch zu einer Abwendung der betroffenen Österreicher von der Wehrmacht: Lorenz war er ein besonders hoch motivierter Soldat, aber auch Stratowa und selbst der sich so bitter beklagende Pohanka bezeugten ihre Identifikation mit der deutschen Sache bei vielen anderen Gelegenheiten. Zudem enthalten die schriftlichen Quellen zahlreiche Gegenbeispiele für ein ausgezeichnetes Verhältnis zwischen Österreichern und Reichsdeutschen. So kam Schöbl nicht nur mit Süddeutschen, sondern auch mit seinen Zimmergenossen aus Wiesbaden und Breslau – die übrigen waren aus Südtirol, Salzburg, Karlsruhe und Oberfranken – gut aus.811 Als Weixlbaumer sich 1942 in einem Militärhospital in Bad Mergentheim befand, war der Kontakt mit den ausschließlich schwäbischen Mitpatienten »leicht hergestellt«.812 Peter Podhajsky berichtete, dass einzelne Reichsdeutsche immer sehr gut in seine fast rein österreichische Gebirgsjägereinheit integriert worden seien.813 Auch Anton Winter, der im Oktober 1942 zur Panzer-Abteilung 33 in St. Pölten versetzt wurde, erinnerte sich, dass die reichsdeutschen Offiziere und Unteroffiziere bei der hauptsächlich österreichischen Mannschaft populär gewesen seien.814 Stratowa spricht in seinen Aufzeichnungen immer liebevoll über die Kameraden in seiner Lastwagenbesatzung, die mit Ausnahme eines Wieners ausschließlich Reichsdeutsche waren, und er verstand sich besonders gut mit einem Bielefelder.815 Noch nach dem Krieg dankte Walter H. Arnold einem reichsdeutschen Oberstarzt dafür, dass dieser ihm im Oktober 1944 fünf Wochen Urlaub für das Abschlussexamen seines Musikstudiums gewährt hatte.816 Überdies muss noch einmal betont werden, dass sich auch Österreicher untereinander nicht immer verstanden. Offiziersanwärter Robert Fischer-Wellenborn – der seit 1944 in einer schweren Kompanie der 369. (kroatischen) Infanterie-Division diente – erinnerte sich, dass bei allen Männern der preußische Stabsfeldwebel Krüger verhasst gewesen sei, aber dass er selbst ganz besonders unter seinem Zugtruppführer Feldwebel Wernetznig, einem oberösterreichischen Tischlergesellen, zu leiden hatte, welcher in der Armee vermutlich seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Akademikern kompen-
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Wertschätzung seinem Festhalten an österreichischer militärischer Erziehung und Haltung zu verdanken gehabt habe. W. Schöbl an I. Schöbl, 26. 9. 1942 und 16. 9. 1943. Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 1. 11. 1942. Weixlbaumer war seit seiner Versetzung in eine fast rein schwäbische Batterie im März 1941 bereits bestens mit Schwaben vertraut. P. Podhajsky, Kiestinki-Abschnitt, 43; Gedanken. Winter, Mein Leben, 5. Stratowa, Feldpostbriefe, 36 – 37, 89, 189. Arnold, Autobiographischer Brief. Bei dem Oberstarzt handelte es sich um den Chef jener Kaserne, wo der ehem. Musikstudent Arnold nun in einer Studentenkompanie Medizin studierte.
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sieren wollte.817 Der Steirer Hans Rosenberger, ein Reservist bei der Kriegsmarine im Range eines Kapitänleutnants, kam sehr schlecht mit Maat Krumpholz, einem Wiener Schlossermeister und Alkoholiker, aus.818 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Verhältnis zwischen Österreichern und Reichsdeutschen auch während der zweiten Kriegsphase exakt jenen in den vorhergehenden Kapiteln beobachteten Mustern entsprach. So hing die Qualität der Verhältnisse in erster Linie von individuellen Einstellungen gegenüber anderen Mitgliedern der großdeutschen Gemeinschaft ab, und auch die interviewten Veteranen, die allesamt gut mit der Masse der reichsdeutschen Soldaten ausgekommen waren, bestätigten, dass ausgesprochen negative Haltungen gegenüber Österreichern äußerst selten vorkamen.819 Die folgende Anekdote von Veteran Rudolf Stadler unterstreicht die Bedeutung der Individualität überdeutlich. Ende 1944 wurde Stadler zusammen mit einem anderen Österreicher aus Korneuburg zu einer zwischen Metz und Straßburg operierenden Kampfgruppe versetzt. Die militärische Reputation des Korneuburgers war nicht die beste, und nachdem er einmal einen Alarm verschlafen hatte, wollte der Kommandeur es ganz genau wissen: »Warum ist das so? Ihr seid beides Ostmärker – einer ist in Ordnung, und der andere ist ein Arsch.«820 Auch die integrativen Kräfte, welche seit dem Beginn von »Barbarossa« weiterwirkten, basierten im Wesentlichen auf denselben während der ersten Kriegsphase beobachteten Mechanismen. Dies waren in allererster Linie jene Faktoren, welche der Kriegsführung an sich innewohnen, wie das gemeinsame Leben, Kämpfen und Sterben in der sogenannten »Frontkämpfergemeinschaft«. Diese Gemeinschaft wurde zu einer Art Ersatzfamilie, in der sich die Soldaten geborgen und akzeptiert fühlen konnten, wie Bertniks Bedauern über die Vernichtung seiner ehemaligen Einheit, der 100. Jäger-Division, in Stalingrad veranschaulicht:
817 Robert Fischer-Wellenborn: Kroatien 1944/45 (auf Tagebuch basierende Erinnerungen), KA, NL, B, C/2069:2, 19, 51. Die 369. ID (1942 aufgestellt und teilweise in Stalingrad vernichtet) bestand aus kroatischen Mannschaften und deutschem Rahmenpersonal. Fischer-Wellenborn diente im 2. (Inf.-Geschütz-)Zug, und Krüger kommandierte den 4. (Granatwerfer-)Zug innerhalb der schweren Kompanie. 818 Rosenberger, Erinnerungen, 30 – 31. 819 Nur Horvath (Interview) beschrieb die »Preußen« allgemein als »sehr schwierig«, während Brandeis, Perner, Schmidl und Ulber (Interviews) meinten, dass man nicht immer für ganz voll genommen wurde. Laut Wotava (Interview) konnte ihn der Kommandant seines UBootes, ein 24-jähriger »HJ-Pimpf«, nicht leiden und belustigte sich daran, den durch seine Körpergröße benachteiligten Wotava durch das U-Boot zu jagen, doch es ist nicht klar, ob die Abneigung mit Wotavas Herkunft zusammenhing. 820 Stadler, Interview.
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»Für uns bedeutete doch die alte Kompanie, das Regiment, unsere stolze Division eine zweite Heimat, in ihren Reihen hatten wir Gutes und Böses erlebt, waren von Gefecht zu Gefecht marschiert, von einem Sieg zum anderen geeilt.«821
Des Weiteren gehörte zu diesen Faktoren der Stolz auf militärische Erfolge sowie die dafür empfangene Anerkennung. Vor allem im Zusammenhang mit den großen Anfangserfolgen von »Barbarossa« konnten die österreichischen Soldaten ihr Selbstgefühl weiter pflegen. Franz Schmidl und seine Kameraden fühlten sich siegessicher und von der eigenen Stärke berauscht, als ihre Panzer durch die russische Steppe brausten.822 Anton Maurer behauptete, dass die Einnahme des ukrainischen Tscherkassy im August 1941 durch die 262. Infanterie-Division als »österreichischer Erfolg« betrachtet worden sei, und auch der Divisionskommandeur bestätigte in einem Schreiben an das Kommando der 6. Armee, dass die »Ostmärker« sich »ausgezeichnet bewährt und tapfer geschlagen« hätten.823 Stratowa geriet während des Vormarsches regelrecht über seine Landsleute ins Schwärmen. Zunächst beschrieb er, wie der junge österreichische Oberleutnant einer PAK-Batterie – ein bereits für Eichenlaub vorgeschlagener Ritterkreuzträger – in seinem Fahrzeug in aller Ruhe, wie ein »Privatmann«, in einem Buch las. Ein anderer Österreicher kommentierte die Frage nach der Situation an der Front bloß mit einem »herablassenden Lächeln«, und Stratowa beendete seine Beobachtungen mit der Feststellung: »Sie sind eben doch nicht die schlechtesten Soldaten, die Österreicher!«824 Aber auch in den späteren Phasen wurden Österreicher nicht müde, ihre Beiträge zu allem, was irgendwie als Erfolg gewertet werden konnte, herauszustreichen, wie Feldpostbriefe aus dem Zeitraum Juni 1942 bis Juni 1943 beweisen. So berichtete Gefreiter Karl Zsilincsar von der Wolchow-Front südlich des Ladogasees stolz, dass »wir« dabei geholfen hätten, die vom Führer in seiner letzten Rede erwähnte Delle in der Front auszugleichen.825 Heinrich Sorger verwies auf den großen Respekt, den sich seine Staffel durch ihre 32 Abschüsse bei Flak und Zivilbevölkerung verdient habe, während der mittlerweile zum Unteroffizier beförderte Bertnik an den »guten Ruf« erinnerte, welchen seine ehemalige, bei Stalingrad vernichtete Division in Armee und Heimat genossen
821 Bertnik an Wächter, 8. 2. 1943. 822 Schmidl, Interview. Das anfängliche Überlegenheitsgefühl wurde auch von Brandeis (Interview) bestätigt. 823 Oberst von Schuler, Betr.: Meine Rücksprache beim Kommandeur der 262. Div., Gen. Lt. Theißen (Anlage zum Tätigkeitsbericht IIa AOK 6 vom 15.4.–31.12.41), 14. 8. 1941, BA-MA, RH 20 – 6/711, Fiche 4; Maurer, Interview. 824 Stratowa, Feldpostbriefe, 27 – 28. 825 K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 22. 10. 1942.
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habe.826 Und auch der bereits über den Kriegsausgang besorgte Kommandeur einer Artillerie-Batterie, (unbekannter Unteroffiziersrang) Heinz Grün, erwähnte, dass die anderen Batterien ihn um die Erfolge seiner Einheit beneiden würden.827 Reichsdeutsches Lob für österreichische Leistungen blieb ebenfalls nicht aus. Im Frühjahr 1942 schrieb Arthur Boje anlässlich des Erhalts des Ritterkreuzes an Schirach, dass er stolz darauf sei, »als Norddeutscher die unbedingte und freudige Gefolgschaft meiner Wiener Soldaten zu besitzen, die sich […] vorbildlich geschlagen haben«, und Obergefreiter Günther Lorenz versicherte, dass die »Kraxler« genannten Gebirgsjäger bei den anderen Soldaten an der Eismeerfront großes Ansehen genießen würden.828 Peter Podhajsky fand nach der Besichtigung seiner bei Alakurtti stationierten Korpsverfügungsbatterie durch den Artillerie-Kommandeur des Korps im April 1943, dass die »Norddeutschen […] an uns einen Narren gefressen« hätten, während Scheiderbauer zufolge im gleichen Jahr auch der Ausbilder an der Kriegsschule Dresden mit den Ostmärkern »sehr zufrieden« gewesen sei.829 Und Hans Biffar, ein reichsdeutscher Leutnant in einer vorwiegend ostmärkischen Kompanie, schrieb seinem Vater im Mai 1944, dass er sich auf seine Männer – »richtige Bauernburschen, die so leicht nichts erschüttert« – verlassen könne.830 Auch im Russlandkrieg konnten durch Verweise auf den militärischen Traditionalismus österreichische soldatische Leistungen der Vergangenheit im »gesamtdeutschen Interesse« gewürdigt und die Identifikation mit dem gegenwärtigen Kampf verstärkt werden. Franz Podhajsky etwa verglich die Stabilisierung der Ostfront im Winter 1941 mit den Anstrengungen und Leiden der österreichisch-ungarischen Truppen im »Karpatenwinter« von 1914/15, während das Vordringen in Osteuropa Möglichkeiten eröffnete, die kulturellen Leistungen des alten Österreich und seiner Armee in ehemals habsburgischen Gebieten zu rühmen.831 Zedtwitz-Liebenstein und Rothmayer-Kamnitz kriti-
826 Sorger an Cipan-Zsilincsar, 20. 6. 1942; Bertnik an Wächter, 8. 2. 1943. 827 Heinz Grün: Aufzeichnungen, Dez. 1940-Juli 1943, KA, NL, B, C/2049:2, Eintrag vom 1. 6. 1943. 828 Infanterie-Regiment 134, Kommandeur, an Schirach, 25. 3. 1942, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160; Obergefr. Günther O. Lorenz: Von Seehunden, Lappen und der »Dora«, in: Pariser Zeitung, 8. 4. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/348. 829 P. Podhajsky, Kiestinki-Abschnitt, 44; Scheiderbauer, Adventures, 31. 830 Hans Biffar an seinen Vater, 4. 5. 1944, Feldpostbriefe Hans Biffar, KA, NL, B/1418:38. Biffar diente in der 11. Komp. des 227. Jäg.-Rgt. in der 100. Jäg.-Div. 831 Franz Podhajsky : Gedanken über den Krieg, 17. 5. 1942, KA, NL, B, C/219:24. Die beiden folgenden Beispiele beziehen sich auf die Bukowina: »Sehr schön, ein richtiges Stück alt Österreich [sic], alles spricht deutsch, die Häuser, Straßen auch alles drum u. dran genau wie bei uns!« K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 29. 7. 1944. »Man merkt, dass man hier auf altösterreichischem Boden steht.« Alphons Haffner : Erlebnisbericht über Ereignisse in
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sierten einige Fehler, welche ihrer Ansicht nach in der k. u. k. Armee nicht vorgekommen seien, wie etwa eine falsch gewählte Lagerstelle oder dass sich die vielen Fußverletzungen und Erfrierungen hätten vermeiden lassen können, wenn die Wehrmacht anstelle von Socken die in der österreichischen Armee üblichen Fußlappen verwendet hätte.832 Die Bezüge wurden nicht nur von Österreichern hergestellt und waren auch nicht auf die k. u. k. Armee beschränkt. So betrachtete der Reichsdeutsche Bruno Giehrach die österreichischen Kriege gegen Türken und Franzosen als eine mit dem gegenwärtigen Ringen gegen den Bolschewismus vergleichbare »großdeutsche Tat«, weshalb der »Heldengeist der Väter« in der jüngeren Generation und ihrem »Kämpfen und Sterben« fortlebte.833 Das Berliner »Militär-Wochenblatt« pries im März 1942 die Leistungen der österreichischen Armeen der Vergangenheit mit den Worten, dass die »Träger ihres Ruhmes im großdeutschen Heer ihre würdigen Nachfahren« seien: »Das wissen wir, wenn wir nur an den Heldenkampf unserer Gebirgsjäger in Norwegen […] denken.«834 Im März 1943 machte der Kommandeur des Panzer-Regiments 33 als Ansporn für dessen österreichische Mitglieder Prinz Eugen zum Namenspatron der Einheit, was der österreichische Generalmajor Rudolf Theiß als Beweis für die gute Integration der Ostmark ins Reich würdigte: »Die von unseren Gegnern konstruierten Gegensätze bestehen nur in ihrer Phantasie. Von Narvik bis Kreta, von Bordeaux bis zum höchsten Gipfel des Kaukasus haben die Söhne der Donauländer gekämpft und gesiegt. […] Sie haben bewiesen, dass sie ein vollwertiger Teil des deutschen Volkes sind und auch nichts anderes sein wollen.«835
Ein bemerkenswerter Fall ist ein Text von Kriegsberichter Franz Pesendorfer, der nicht nur einmal mehr den Ersten Weltkrieg als einen im Wesentlichen großdeutschen Krieg darstellte, sondern über den großdeutschen Rahmen hinausging, indem er eine Parallele zwischen den Mittelmächten und den Verbündeten des Dritten Reichs zog. So stünde gemäß Pesendorfer das gegenwärtige Ringen in der Tradition des vergangenen, da abermals nicht nur »Deutsche aus allen Gauen neben den Deutschen des Donauraume, neben Alpenländlern und Su-
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Czernowitz, März/April 1945, KA, NL, B, C/2076:1, 5. Der Klagenfurter Haffner diente in der 4. GD. Zedtwitz-Liebenstein: II. Weltkrieg. Kielce u. Flucht; Gefangenschaft, KA, NL, B/530:5, 257, 302; Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 222 – 223. Giehrach, Vortrag, 3, 5. [Hans Möller-Witten]: Artikel ohne Titel, in: Militär-Wochenblatt. Unabhängige Zeitschrift für die deutsche Wehrmacht 39 (27. 3. 1942), BA-MA, RH 53 – 18/373. Der Artikel bezieht sich auf die österreichischen Armeen unter Wallenstein, Prinz Eugen, Laudon, Erzherzog Karl, Radetzky und Conrad von Hötzendorf. [GM Rudolf Theiß]: Panzer Regiment Prinz Eugen. Das Panzerwagenbataillon, [1944], KA, NL, B/1113:3, 12, 15. Das Panzerwagenbataillon des Bundesheeres wurde 1938 Pz.-Abt. 33 und Feb. 1940 zur 2. Abt. des Pz.-Rgt. 33.
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detendeutschen«, sondern auch wieder »Ungarn, Kroaten, Slowaken und Rumänen an der Seite der Deutschen« kämpften. Pesendorfer schloss mit der fast schon routinemäßigen Feststellung, dass die Wehrmacht des deutschen Volkes eine unüberwindliche Einheit und darüber hinaus zum »Träger der soldatischen Überlieferung aller deutschen Gaue« geworden sei.836 Der Rückgriff auf Traditionen sollte auch dazu dienen, die Moral nach der Katastrophe von Stalingrad wieder aufzurichten. Schirach konnte es kaum erwarten, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass das Wiener InfanterieRegiment 134 in Anerkennung seines »heldenhaften Kampfes« in Stalingrad nach seiner Wiederaufstellung den Beinamen »Hoch- und Deutschmeister« tragen würde, vor allem weil die Kirche laufend Gedenkgottesdienste für die Toten von Stalingrad veranstaltete.837 Die Idee war bereits vor dem Untergang in Stalingrad durch den Regimentskommandeur Boje angeregt worden, welcher im März 1942 vorgeschlagen hatte, dass dem Regiment als Träger der Deutschmeister-Tradition nach dem siegreichen Krieg dieser Name zu Ehren Wiens und seiner Soldaten verliehen werden sollte.838 Auch alle im Zusammenhang mit der »bewaffneten Volksgemeinschaft« stehenden integrativen Kräfte setzten deren Wirkung unvermindert fort. Österreichische Soldaten blieben daran interessiert, unbekannte Gegenden des Altreichs kennenzulernen und mit reichsdeutschen Damen zu verkehren.839 Viele hatten mittlerweile typisch reichsdeutsche Kartenspiele erlernt, vor allem Skat, das populärste norddeutsche Kartenspiel.840 Kartenspiele sind bemerkenswerte Symbole regionaler Identität und illustrieren daher nicht nur die Integration der Österreicher in die Wehrmacht, sondern auch die Heterogenität des österreichisches Kontingents selbst: »Was für den Tiroler das Watten, für den Vorarlberger das Jassen, den Wiener das Tarockieren, das ist für den Schwaben das Binokelspiel.«841 Österreichische Soldaten pflegten weiterhin innige Beziehungen zu ihrer engeren Heimat und den engeren Landsleuten innerhalb der großdeutschen Kampfgemeinschaft. Naturgemäß wären sie lieber daheim als an der Front gewesen, so wie Pohanka, der jeden Tag mindestens einmal kurz an die Heimat denken musste, oder Schöbl, der sich im August 1942 vorzustellen versuchte, wie 836 Kriegsberichter Franz Pesendorfer : Ritterkreuz und Maria-Theresien-Orden, in: Unbekannte Zeitung, o. J., KA, NL, B/773:17. 837 Schirach an Reichsleiter Bormann, 12. 2. 1943, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 161. 838 Infanterie-Regiment 134, Kommandeur, an Schirach, 25. 3. 1942, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160. 839 Havranek (Tagebuch, 3) zeigte lebhaftes Interesse an der nordostdeutschen Landschaft. Josef Bermoser (an Cipan-Zsilincsar, 26. 6. 1944) hatte eine Freundin aus Leipzig. 840 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 3. 4. 1942; Stratowa, Feldpostbriefe, 189; RothmayerKamnitz, Autobiographische Studie, 415. 841 Weixlbaumer, Tagebuch, Eintrag vom 15. 10. 1941.
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schön der Wienerwald zu diesem Zeitpunkt sei und sich fragte, ob er ihn jemals wiedersehen würde.842 Selbst durch kurze Besuche in der Heimat ließ sich neue Energie gewinnen. Gleich wie gut das Verhältnis zu Kameraden aus anderen Gegenden an der Front sein mochte, für Oberfähnrich Max Bergmann waren die paar Wochen Heimaturlaub in Wien »direkt notwendig, um wieder einmal mit Leuten, die denselben Dialekt sprechen, zusammen zu sein – kurz, um mich wieder zu reakklimatisieren.«843 Auch an der Front sorgte das Zusammentreffen mit engeren Landsleuten immer wieder für Freude. Ungeachtet des harmonischen Verhältnisses mit den norddeutschen Kameraden in seiner Batterie verspürte Peter Podhajsky gelegentlich den Drang nach Kontakt mit Österreichern oder zumindest Süddeutschen.844 Als Soldat Franz Gollenz im Mai 1942 steirischen Gebirgsjägern auf deren Weg von Finnland nach Russland begegnete, erkannten diese sein Idiom sofort und grüßten mit »Servus Steirer« von ihren Fahrzeugen.845 Selbst an der Ostfront bestand die Möglichkeit, sich durch die Mitnahme oder das Erzeugen eines Stückes Heimat zu erfreuen. Im Dezember 1942 schrieb Schöbl an seine Frau, dass er gerade damit beschäftigt sei, die Kantinenwände für Weihnachten zu schmücken, und eine Heurigen-Szene die Hauptwand zieren würde.846 Das wichtigste Element in diesem Zusammenhang blieb Musik. In einer Umfrage, die Truppenunterhaltung betreffend, wünschten sich die Soldaten der 297. Infanterie-Division hauptsächlich Abende mit Volksliedern und »volkstümlicher« Musik.847 Mitglieder des Wiener Grenadier-Regiments 248 hatten ihr eigenes Schrammel-Ensemble gebildet, das der Regimentskommandeur als die »schönste Tradition meiner Wiener Truppe« bezeichnete und welches auch bei den benachbarten Divisionen spielte und hohes Ansehen genoss.848 Das Programm für den »Tag der Wehrmacht« in Wien im März 1942 zeigt, dass alle größeren Wiener Garnisonen neben militärischen Vorführungen, gemeinsamen Eintopfessen und alkoholischen Getränken ein breites Spektrum musikalischer Unterhaltung mit Militärkapellen und Soldatenchören anboten.849 842 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 15. 12. 1943; W. Schöbl an I. Schöbl, 27. 8. 1942. 843 Oberfähnrich Max Bergmann: Rundschreiben an ehemalige Napola-Kameraden, 16. 6. 1944, KA, NL, B/1581. Bergmann dachte auch, dass sich »der schönste Fleck Deutschlands« südlich des Mains befinden würde. 844 P. Podhajsky, Kiestinki-Abschnitt, 43. Ähnlich: Scheiderbauer, Adventures, 30 – 31. 845 Franz Gollenz an Paul Cipan-Zsilincsar, 31. 5. 1942, KA, NL, B/532. 846 W. Schöbl an I. Schöbl, 15. 12. 1942. 847 297. Inf.-Division, Abt. Ic/B. O., Betr.: Tätigkeitsbericht für den Monat November 1943, 6. 12. 1943, BA-MA, RH 26 – 297/106, 5. 848 Grenadierregiment 248, Kommandeur, an Schirach, 1. 6. 1943, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 161. 849 Kommandantur Wien, Abt. Ib/TdW., an Schirach, Betr.: Tag der Wehrmacht 1942 am 28. u.
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Eine besonders eindrucksvolle Selbstinszenierung der Wehrmacht als bewaffnete Verkörperung der großdeutschen Volksgemeinschaft in musikalischer Form war eine am 24. Oktober 1943 auf dem Domplatz in Salzburg durchgeführte Veranstaltung. Dabei intonierte ein Chor das Gedicht »Des Deutschen Vaterland« von Ernst Moritz Arndt, in dem die ständig wiederkehrende rhetorische Frage, welches der vielen deutschen Länder das Vaterland des Deutschen sei, immer wieder damit beantwortet wird, dass es nur das gesamte Deutschland sein könne. Jedes Mal also, wenn der Chor diese Frage stellte, rief ein Sprecher den Namen des infrage kommenden Landes und erhielt von der auf dem Platz versammelten Menge eine musikalische Antwort: »Ist’s Steirerland? Mit dem Liede ›Hoch vom Dachstein‹ preist nun ein Chor das schöne Steirerland. Aber ›Mein Vaterland muss größer sein‹, so wusste es schon das Lied am Beginne, und immer wieder fragt der Sprecher : Sudetenland? Märkerland? Bayernoder Schwabenland? Alle Länder nennt seine Frage [sic]. Jedes ist einzigartig schön und herrlich. Frisch und schwungvoll und melodienreich erklingt einer der schönsten Märsche, der Egerländer Marsch, wuchtig defiliert bayerische Kraft, im Bewusstsein ernstester Verpflichtung tönt der markige Choral von Preußens Gloria. Es wechseln Märsche, Chöre und Lieder, jede deutsche Heimat gibt sich zu erkennen in ihrer Eigenart.«
Und somit würde das »Herz der Heimat« in Einklang »mit dem Liede des Landes und dem Marsch der Hausregimenter« und eingebettet in der »sieghaften Symphonie des großen deutschen Vaterlandes« schlagen.850 Die Heimat stellte nach wie vor Unterhaltung für die Truppen zur Verfügung, welche hauptsächlich aus von KdF organisierten Fronttheatern, die die Soldaten an daheim erinnern sollten, bestand und angesichts der überdehnten Frontlinien eine große logistische Herausforderung darstellte. Die Geschenke, welche die Gaue ihren Soldaten zukommen ließen, sollten immer noch den engen Zusammenhalt zwischen Front und Heimat innerhalb der Volksgemeinschaft im Krieg symbolisieren und die Soldaten an ihre engere Heimat erinnern. So achtete etwa der Wehrkreis XVII darauf, dass ein von der Stadt Wien produziertes Soldatenmagazin auch wirklich an Wiener Soldaten verteilt wurde.851 Daneben existierte weiterhin das gauübergreifende Schenken, was die Verbundenheit der gesamten Volksgemeinschaft in all ihren regionalen Bestandteilen betonen sollte. Ein Soldatenheim im südlichen Norwegen beispielsweise war ein Geschenk vom Sudetengau, während der Park von der niederrheinischen 29. März 1942, 25. 3. 1942, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160. Weitere Attraktionen waren Tombolas, Pferdereiten, Jahrmarktbuden, Ballspiele und Autogrammstunden von Schauspielern. 850 Heimat, vereint im großen Vaterland, in: Salzburger Zeitung, 25. 10. 1943, BA-MA, RH 53 – 18/375. 851 Wehrkreiskommando XVII, Abteilung Ic/WPr., Betr.: Spende der Gemeinde Wien: 7. Folge »Wien seinen Soldaten«, 30. 1. 1942, BA-MA, RH 26 – 137/77.
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Stadt Rheydt finanziert worden war.852 Und der Inspekteur der Landesbefestigung Nord bedankte sich im Mai 1943 beim Wiener Gauleiter Schirach für die Weihnachtsgeschenke aus der Ostmark, welche die Männer die enge »Verbundenheit zwischen Heimat und Front« hätten fühlen lassen.853 Zeitungen strichen immer noch die Herkunft von Einheiten, die sich im Kampf ausgezeichnet hatten, hervor. Dies konnte Stolz auf die eigene Region, aber auch Respekt für Soldaten aus anderen Gauen bedeuten.854 Die Auflistung von Einheiten aus verschiedenen Regionen oder die Angabe der Zusammensetzung gemischter Verbände wiederum unterstrich den gemeinsamen Einsatz der verschiedenen deutschen Stämme.855 Derartige Verweise in den Medien wurden von den Lesern tatsächlich registriert: Nachdem ein Wehrmachtbericht im Jahre 1942 das Infanterie-Regiment 134 erwähnt hatte, erhielt Kommandeur Boje Glückwunschschreiben von Wienern.856 Die Presse fokussierte auch gerne auf Einzelpersonen als Vertreter eines Stammes oder einer Region, wie etwa der Artikel über einen Wiener Oberst und seinen Göttinger Leutnant: »Ostmärker und Niedersachse – das gibt eine gute Mischung, eine ausgezeichnete Ergänzung der Vorzüge, die jedem dieser beiden deutschen Volksstämme anhaften.«857 Ganz ähnlich präsentierte ein für die norddeutsche Ausgabe des »Völkischen Beobachters« vorgesehener Beitrag das Verhältnis zwischen einem ostmärkischen Weltkriegsveteranen und einem jungen Ostpreußen, die trotz aller Gegensätze zu »einer einander ergänzenden Einheit« geworden seien.858 Schließlich und endlich dienten auch Dialekte weiterhin als beliebtes Symbol stammlicher Eigenheit, sei es in Form des unter Soldaten so populären gegen852 Dr. Pazaurek: Soldatenheim Stavern. Das Patengeschenk des Sudetengaus, in: Die Zeit (Reichenberg), 24. 5. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/349. 853 Der Inspekteur der Landesbefestigung Nord an Schirach, 23. 5. 1943, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 161. 854 Arthur Stubbenhagen: Steirer in den Abwehrkämpfen an der Eismeerfront, in: Weststeirische Rundschau, 7. 3. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/348. Der Artikel »Heldentat unserer Gebirgsjäger« (in: Münchener Zeitung, 5. 5. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/349) pries auch fränkisch-sudetendeutsche Infanterie, und die »Berliner Zeitung« vom 15. 2. 1942 (in: Bundschuh, Verlorene Jahre) titelte: »Wiener Division schlug 142 Angriffe zurück. Der Sowjetplan eines Durchstoßes nach Charkow zunichtegemacht.« 855 Erfolgreicher Angriff zur Frontbegradigung, in: Unbekannte Zeitung, o. J.; Vom großdeutschen Soldatengeist, in: Das Neueste. Nachrichtenblatt unserer Armee 247, 22. 10. 1943; Südlich Shisdra – ein schöner Abwehrerfolg unserer Armee. Wieder zeichneten sich unsere tapferen sächsischen und bayerischen Verbände aus, [in: Das Neueste. Nachrichtenblatt unserer Armee], 28. 8. 1943, KA, NL, B/1397:5. 856 Infanterie-Regiment 134, Kommandeur, an Schirach, 25. 3. 1942, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 160. 857 Kriegsberichter Leonhard Henninger : Der Regimentsadjutant, 12. 8. 1941, KA, NL, B/678:9. 858 Kriegsberichterstatter Franz Pesendorfer : Der Regimentsadjutant, [Feb. 1942?], KA, NL, B/ 773:17.
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seitigen Neckens, durch die Zitierung von Gebirgsjägern in »alpenländischer« Mundart in der Presse oder als Stilmittel, um die erfolgreiche Zusammenarbeit der Stämme auszudrücken.859 Letzteres wurde abermals in einem Artikel von Franz Pesendorfer veranschaulicht, in welchem Friedrich Franek eine Nachtwache vor Leningrad auf Wienerisch ansprach, woraufhin ihm auch andere Wachen, deren Zungenschlag ihre ostpreußische bzw. rheinländische Herkunft verriet, geantwortet hätten. So sei das Regiment »ein Abbild der gesammelten Volkskraft des großdeutschen Heeres« geworden.860
Neue integrative Kräfte Die anhaltende Wirkung des Integrationsprozesses seit dem Beginn von »Barbarossa« beruhte jedoch nicht nur auf den während der vorhergehenden Kriegsphase generierten Mechanismen – »Barbarossa« produzierte selbst eine Reihe neuer integrativer Kräfte, welche auch jene mit dem Russlandkrieg einhergehenden und bis dahin unbekannten negativen Aspekte, die sich nachteilig auf die Stimmung auswirkten, kompensieren konnten. Zu diesen neuen Kräften gehörte zuallererst die zusätzliche und naheliegende Kampfmotivation des Antikommunismus. Dieses ideologisch begründete Motiv konnte neben den nationalsozialistisch Eingestellten auch katholisch-konservative Österreicher und somit die Masse der Soldaten aus den ländlichen Regionen und der Offiziere ansprechen. Entsprechend häufig taucht in Zeugnissen österreichischer Kriegsteilnehmer die abwertend gemeinte Bezeichnung »Bolschewisten« auf.861 859 Wotava (Interview) erinnerte sich an einen Steirer, der trotz mehrerer Versuche und Ermutigung durch seine Kameraden einfach nicht in der Lage gewesen sei, Hochdeutsch zu sprechen (»Sprechen Sie doch deutsch!« – »I kaun net!«). Weitere Beispiele für die Belustigung an anderen Dialekten finden sich in den schriftlichen Quellen. So amüsierte sich Weixlbaumer (Tagebuch, Eintrag vom 22. 5. 1942) über den schwäbischen Ausdruck »Schnake« für »Gelse« und Stratowa (Kein Friede, 89) über die wienerische Aussprache von »Polster« und das sächsische Wort für »Furz«, während Rosenberger (Erinnerungen, 30) versicherte, »Preußisch, das werde ich nie erlernen können.« Für dialektale Zitate siehe: Sturm an der Murman-Front!, in: Deutsche Zeitung (Oslo), 23. 5. 1942; Sieger im eisigen Nordsturm, in: Bayerische Ostmark und Bamberger Tagblatt, 26. 5. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/349. 860 Pesendorfer, Ritterkreuz und Maria-Theresien-Orden. 861 Alfred Berger: Tagebuch V, 1.1.–5.9.1945, KA, NL, B/382:2, Einträge vom 2.5. und 6. 5. 1945; Major Scheffler : Kriegstagebuchnotizen, 1. 9. 1943 – 15. 2. 1945, KA, NL, B/1418:38, 42; Bertnik an Wächter, 6. 12. 1941; F. Podhajsky ; Gedanken über den Krieg, 27. 12. 1942; Gedanken über den Krieg, 30. 4. 1944; Oskar Heimerich: Aufzeichnungen meines Vaters, FMLT Oskar von Heimerich, über die Russen-Invasion und die letzten Tage des Krieges, II. Teil, Herbst 1944–Frühjahr 1945, KA, NL, B/1321, 21, 28.
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Vor allem hinsichtlich der »asiatischen« Züge des Bolschewismus fügte sich diese Motivation auch in die vom Ständestaat propagierte Sichtweise – man denke an die Türkenbefreiungsfeier von 1933 – von Österreich als Bollwerk des christlichen Abendlandes, das Europa seit dem Mittelalter gegen Invasionen aus dem Osten verteidigt hätte, ein, welche gut mit dem österreichischen und vom Dritten Reich übernommenen Kult um Prinz Eugen kombiniert werden konnte. So bedauerte es beispielsweise Walter Neugebauer, dass seine Verwendung ihn davon abhalten würde, »mit aufgepflanztem Seitengewehr gegen die Russen [zu] stürmen«, nachdem ihn die Briefe von zu Hause »immer wieder klar vor Augen« führten, dass es die Heimat vor dem Bolschewismus zu beschützen gälte.862 Alfred Hinterberger – der sich als österreichischer Patriot bezeichnete – sah seinen Dienst für Deutschland ausschließlich durch den Kampf gegen den Bolschewismus gerechtfertigt, welcher für Stratowa wie ein Alptraum über dem russischen Volk lag.863 Der ehemalige Dollfuß-Anhänger Anton Maurer – der 1938 gegen die Deutschen zu kämpfen bereit gewesen sei – erläuterte, wie sich seine Identifikation mit dem Krieg zunehmend verstärkt habe: Während des Polenfeldzuges noch gleichgültiger Zuschauer, sei er als Soldat in Frankreich schon kampfbereiter und vom Krieg gegen die bolschewistische Sowjetunion schließlich vollends überzeugt gewesen, vor allem nach dem freundlichen Empfang durch die russische Bevölkerung.864 Oberst Erich Rodler behauptete noch nach dem Krieg, dass Deutschland mit dem Angriff Stalin nur zuvorgekommen sei, weshalb Erhard Raus’ Meinung, dass eine Hauptmotivation für viele Soldaten die Sicht von »Barbarossa« als Präventivschlag gewesen sei, zutreffend erscheint.865 Die zweite neue Motivation mit integrativer Wirkung waren die Luftangriffe der Westmächte auf das Reich, die zwar nicht direkt mit »Barbarossa« in Verbindung standen, aber sich parallel zum Verlauf des Russlandkrieges intensivierten. Die Sorge der Frontsoldaten um die Verwandten und Freunde zu Hause, verschärft durch den Eindruck von Machtlosigkeit, erzeugte Gefühle von Wut und Hass, die sich angesichts der äußerst beschränkten Möglichkeiten, gegen westliche Soldaten zu kämpfen, in einem erhöhten Kampfgeist an der Ostfront entluden. Rudolf Stadler erzählte, dass ein Soldat aus Hannover sich freiwillig zur 862 Neugebauer an Volkart, 11.8. und 24. 10. 1941. 863 Hinterberger, Interview ; Stratowa, Feldpostbriefe, 27; Ähnlich: Brandeis und Ulber (Interviews). 864 Maurer, Interview. 865 Rodler, Erinnerungen, 212 – 213; Erhard Raus: Vorbereitung und Durchführung des Grenzüberfalls südlich von Tauroggen 1940 bis 1941, KA, NL, B/186:3, 22. Auch Brandeis (Interview) und Franz Podhajsky (Ausklang, 32) dachten, dass viele Soldaten »Barbarossa« als Präventivschlag betrachtet hätten.
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Ostfront meldete, nachdem seine gesamte Familie bei einem Bombenangriff umgekommen war, weil ihm dies als die einzige Möglichkeit erschienen sei, irgendwie Rache zu nehmen.866 Auch in einem Brief von Pohanka findet sich eine ähnliche Verschmelzung der Gegner : Pohankas Hasstiraden gegen die Bombenangriffe der Alliierten richten sich schließlich so völlig übergangslos auf die Rote Armee in seinem Frontabschnitt, dass man meinen könnte, Pohanka schriebe immer noch über die Westmächte oder die Sowjets hätten die Luftangriffe durchgeführt.867 Zwar geriet Österreich erst 1943 als letztes Reichsgebiet in den Aktionsradius der alliierten Bomberflotten, doch waren die österreichischen Soldaten durch ihre reichsdeutschen Kameraden über die Vorgänge im Altreich informiert, und ab Herbst 1943 gehörten Bombenangriffe zu den Standardthemen in österreichischen Aufzeichnungen, wobei diese typischerweise als »Terrorangriffe« oder »Bombenterror« bezeichnet werden.868 Zwei Interviewpartner wurden im Altreich auch Zeugen hasserfüllter Reaktionen der deutschen Zivilbevölkerung.869 Es ist bemerkenswert, dass negative Äußerungen über die westlichen Alliierten weder in ihrer Häufigkeit noch in ihrer Schärfe hinter jenen über die Bolschewiken zurückstehen. Bisweilen scheint es sogar, als ob die Abneigung gegenüber den Westmächten größer als gegenüber der Sowjetunion gewesen sei, was sogar noch gegen Kriegsende in dem Spruch »Besser ein Russe am Bauch als eine Bombe am Kopf« zum Ausdruck kam.870 Freilich, deutsche Soldaten ließen sich lieber von den Westalliierten als von den Sowjets gefangen nehmen, und die
866 Stadler, Interview. 867 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 23. 11. 1944. Pohanka diente in der 101. Jäg.-Div. 868 Bertnik an Wächter, 15. 10. 1943; Bruckberger, Tagebuch, Einträge vom 14.2., 24.2., 10.3., 17.3. und 21.3. 1945; Meixner, Tagebuch I, Eintrag vom 4. 4. 1942; W. Schöbl an I. Schöbl, 16. 9. 1943; Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 14.10. und 10. 11. 1943; Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 14. 11. 1943 und 17. 5. 1944; Alfred Berger : Tagebuch IV, 12.1.–31. 12. 1944, KA, NL, B/382:2, Einträge vom 18.3. und 19. 11. 1944; Karl Wagner an Elisabeth Schreiner, 25. 11. 1944, KA, NL, B/1638:1; Gustav Hubka: Kämpfe und Drangsale in Wien, 10. 4. 1945, KA, NL, A, B/61:31; Franz Haas: Kriegserinnerungen 1944, o. J., IVM, Sign. 110, Eintrag vom 26. 7. 1944. 869 Laut Brandeis (Interview) richtete sich der Hass mehr gegen die Engländer, da diese bei Nacht zivile Ziele attackierten, während die Amerikaner tagsüber militärische Einrichtungen bombardierten. In Norddeutschland hörte Brandeis Bemerkungen wie »Diese Engländer sind Viecher« und dass die Luftangriffe »reiner Terror« seien. Wotava (Interview) erinnerte sich, dass eine Frau angesichts von Leichen »Gott strafe England!« ausgerufen habe, aber auch an Hass auf die Amerikaner, da diese gelegentlich Jagd auf Fußgänger und Radfahrer gemacht hätten. Vgl.: Steinert, Hitlers Krieg, 363 – 367; Echternkamp, Grundzüge, 67. 870 Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Eintrag vom 5. 5. 1945. Dennoch war laut Swogetinsky die Angst vor den Russen groß. Vgl.: Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 449.
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Rote Armee aus Deutschland herauszuhalten, war eine Hauptmotivation für den Kampf bis zum Schluss.871 Der strategische Bombenkrieg trug jedoch den Westalliierten – vor allem den Amerikanern – bei vielen Wehrmachtsoldaten den Ruf der Feigheit ein, da er von Anfang an zivile Ziele mit einbezog, während direkte Konfrontationen mit amerikanischen Soldaten sich relativ selten ereigneten, und auch das nur nach massiver Bombardierung der deutschen Stellungen.872 Noch im August 1944 urteilte die Feldpostprüfstelle der 14. Armee, welche den Amerikanern in Italien gegenüberlag, dass sich »allgemein […] der deutsche Kämpfer der gegnerischen Infanterie […] nach wie vor überlegen [fühle], da diese den Nahkampf scheue.«873 Bei der Sichtweise der Russen wiederum kam das bereits skizzierte ambivalente Bild von einem Gegner, der zwar für seine Grausamkeit gefürchtet, aber für seine opfervolle Zähigkeit im Kampf auch bewundert wurde, zum Tragen. Entsprechend respektvoll kommentierte Paul Meixner im Februar 1944, dass die Russen sich zu Tode bluteten, während Millionen von Amerikanern nur zusehen würden.874 Wenig überraschend hätten daher Allmayer-Becks Offizierskameraden unter ihren Gegnern den Russen aufgrund deren Leistungs- und Leidensfähigkeit den größten Respekt entgegengebracht, während sie die Amerikaner nur wegen ihrer ungeheuren materiellen Überlegenheit, aber nicht wegen ihrer soldatischen Qualitäten fürchteten.875 Es ist auch möglich, dass ein Teil der deutschen Soldaten sich den Russen gegenüber zumindest im Unterbewusstsein als schuldig empfunden hat, da man sehr genau um den schmutzigen Krieg im Osten Bescheid wusste, während man nicht verstehen konnte, warum die Amerikaner Deutschland und vor allem 871 Fritsche, Entziehungen, 48 – 49; Hornung, Trümmermänner, 246. 872 Interviews mit Ochnitzberger und Steiner ; Johann Pointner : Erinnerungen 1944 – 1947, [nach 1945; Ergänzungen von Juni 1977], KA, NL, B/968, 16; Lorenz, Episoden, 11; Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 14. 11. 1943. Ochnitzberger und Bermoser kämpften gegen die Amerikaner in Italien, Steiner, Pointner und Lorenz im Westen. Zwischen Dez. 1941 und Sommer 1944 kam es nur auf den Nebenkriegsschauplätzen in Afrika und Italien zu direkten Zusammenstößen, und selbst nach der Invasion von Frankreich stand die große Masse der Wehrmacht im Osten. 873 Feldpostprüfstelle AOK 14, Tätigkeitsbericht Monat August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 2. Franz Haas (Kriegserinnerungen, Eintrag vom 20. 7. 1944) empfand es als einfacher, in Russland zu überleben, anstatt alliierten Bomben ausgesetzt zu sein. Aus dem gleichen Grund kämpfte ein Vorgesetzter von Ochnitzberger (Interview) lieber gegen die Sowjets als gegen die Anglo-Amerikaner. 874 Meixner, Tagebuch II, Eintrag vom 11. 2. 1944. 875 Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 495. Sehr ähnlich: Ernst Karl Pfleger : Wir und die Anderen XVIII. Soldaten, in: Steffel-Nachrichten 37, o. J., KA, NL, B/274:7, 11. Auch Mirnegg (Interview) meinte, dass man vor amerikanischen Soldaten keinen Respekt gehabt habe.
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deutsche Zivilisten bekämpften, nachdem man den Vereinigten Staaten nie etwas angetan hatte.876 Unter Österreichern spielte sicher auch eine Rolle, dass im Gegensatz zum Altreich, wo die Mehrzahl der Luftangriffe von den Briten durchgeführt wurde, die Ostmark hauptsächlich von den Amerikanern bombardiert wurde. Dass Hass ein äußerst effektiver Motivator sein kann, vor allem in aussichtslosen Situationen, ist bereits von anderen Autoren betont worden, und es hat den Anschein, dass Hass auf die Gegner der Wehrmacht an vielen Fronten als Ansporn diente.877 Er funktionierte im Zusammenhang mit dem Bolschewismus und der »barbarischen« Roten Armee sowie mit amerikanischem Materialeinsatz und »Feigheit«, aber auch gegenüber Partisanen und deren Kampfweise, wie die Gutheißungen einer harschen Behandlung solcher Gruppen am Balkan belegen. So erwähnte Gefreiter Franz Wölkart in seiner Beschreibung der Partisanenbekämpfung in Bosnien auch dreizehnjährige Buben, »verwegene Kerle«, die wie »alte Krieger« mit Gewehren und Handgranaten dahergekommen seien und über ihre Exekution nur gelacht hätten, während Pohanka sich bloß wünschte, die »Banditen« in Serbien solle »der Teufel holen«.878 Die Vergeltungsaktion der mehrheitlich österreichischen 717. Infanterie-Division vom Oktober 1941 in Kragujevac war das größte Massaker der Wehrmacht in Jugoslawien. Besonders aufgebracht waren österreichische Soldaten über den italienischen Seitenwechsel von 1943. Für den Gefreiten Karl Wagner waren die Italiener die größten »Schufte« in der Welt, und Gefreiter Josef Bermoser meinte, dass sie für ihren Verrat eine »gerechte Strafe« erhalten hätten.879 Eine solche Bestrafungsaktion, welche eine signifikante Anzahl österreichischer Soldaten involvierte, war die Erschießung von mehr als 5.000 italienischen Soldaten durch Teile der 1. Gebirgs-Division auf der griechischen Insel Kefalonia im September 1943.880 876 Laut Endbericht (47) sahen die meisten österreichischen Veteranen nach 1945 die Kriegsschuld hauptsächlich bei Deutschland, gefolgt von England und den USA. Die UdSSR rangierte hinter »den Juden« an fünfter Stelle. Vgl.: Stenzel, Russlandbild, 87. 877 Michael Geyer: »Es muss daher mit schnellen und drakonischen Maßnahmen durchgegriffen werden.« Civitella in Val di Chiana am 29. Juni 1944, in: Heer/Naumann, Vernichtungskrieg, 208 – 238; Vogel, Kriegsalltag, 209; Wette, Wehrmacht, 190; Kunz, Niederlage, 341. 878 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 28. 12. 1943; Franz Wölkart an Paul Cipan-Zsilincsar, 2. 6. 1943, KA, NL, B/532. 879 Karl Wagner an Elisabeth Schreiner, 10. 9. 1943; Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 14. 11. 1943. Böhm (Interview) gab den Italienern eine Teilschuld an die Einkesselung von Stalingrad. Die starken, auch von Zivilisten geteilten antiitalienischen Gefühle wurzelten v. a. im italienischen Angriff von 1915 und dem Verlust Südtirols. Vgl.: Bukey, Hitler’s Austria, 199 – 200, 202; Cramon, Bundesgenosse, 54 – 55; Conrad, Aufzeichnungen, 179 – 180, 218. 880 Bundesministerin für Justiz: Anfragebeantwortung betreffend Ermordung von über 4.000 italienischen Soldaten auf Kefalonia durch die deutsche Wehrmacht (Edelweiß-Division),
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Ostfrontkämpfergemeinschaft und Heimatentfremdung Während die Integration der österreichischen Soldaten weiter voranschritt, kam es im Laufe des Krieges mit der Sowjetunion zu einer Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Front und Heimat. Diese Entwicklung war eine direkte Folge des neuen Charakters des Krieges im Osten, mit seiner Brutalität, den hohen Verlusten und schwindenden Siegessaussichten. Sie brachte auch einen neuen Typ des deutschen Soldaten hervor, den sogenannten »Ostfront«- oder »Russlandkämpfer«. Die an der Ostfront stehenden Soldaten hielten sich für diejenigen, welche den größten Beitrag zu dem Ringen beisteuerten, und blickten auf alle herab, die nicht zu ihrer Gemeinschaft gehörten. Im Bericht der »Kärntner Zeitung« über den Vortrag, den ein gewisser Feldwebel Lang im Januar 1942 nach seiner Genesung in Klagenfurt hielt, wird dieses Selbstverständnis wie folgt umschrieben: »Der Landser im Osten setzt die Leistungen an allen anderen Fronten nicht herab, wenn er, der seine Erfahrungen hat, alles, was vor und außer dem Osten war, ›KdF-Kriege‹ nennt im Vergleich zum Kampf gegen die Bolschewisten.«881
Der Kontext, in welchem der Begriff »KdF-Kriege« hier verwendet wird, unterstreicht, dass der relativ »angenehme« Krieg nun endgültig der Vergangenheit angehörte. Das Zitat macht auch deutlich, dass die Entfremdung der Ostfrontkämpfer sich nicht nur auf die Zivilisten daheim bezog, sondern auch auf Soldaten in Bereichen außerhalb der Ostfront. Wie stellte sich nun das Verhältnis zwischen Ostfrontkämpfern und den andern Segmenten der zivilen und bewaffneten Volksgemeinschaft in den Zeugnissen österreichischer Soldaten dar? Zivilisten betreffend dachten Soldaten, dass wehrfähige Männer, die, aus welchen Gründen auch immer, noch nicht eingezogen worden waren, sich vor dem Wehrdienst drückten.882 Zum Beispiel gestand Bertnik im Mai 1942 freimütig, dass er es lieber gesehen hätte, wenn ein Verwandter oder Freund namens Hans, der scheinbar seit 1941 zurückgestellt war, sich ebenfalls an der Front befände, anstatt »von der Zuschauertribüne« zuzusehen.883 Diese Geringschätzung betraf freilich nicht vom Wehrdienst be10. 12. 2004, 2185/AB, XXII. GP, online: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXII/AB/ AB_02185/fnameorig_032206.html (25. 8. 2014). Im Sept./Okt. 1944 erschossen Soldaten der 16. SS-Pz.-Gren.-Div. »Reichsführer-SS« unter dem Befehl des österreichischen Sturmbannführers Walter Reder bei Marzabotto mind. 700 italienische Zivilisten. 881 Ich komme aus dem Osten! Ein Soldat der Ostfront sprach in zehn Betrieben, in: Kärntner Grenzruf, 26. 1. 1942, BA-MA, RH 53 – 18/371. Ganz ähnlich SS-Kriegsberichter Heribert Huber : »Da lernten wir erst kennen, was der Krieg in Wirklichkeit ist.« [Heribert Huber]: Welten berühren sich, in: Mühldorfer Zeitung. Mitteilungsblatt der Kreisleitung der NSDAP 91, 17. 4. 1943, KA, NL, B, C/2070:1. 882 Fritz, Frontsoldaten, 180 – 182; Vogel, Kriegsalltag, 203. 883 Bertnik an Wächter, 13. 5. 1942.
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freite weibliche Personen sowie minderjährige oder im Pensionsalter stehende Männer, also Personengruppen, für die viele Wehrmachtsmitglieder schließlich zu kämpfen glaubten. Dennoch kam es auch bei diesen Personengruppen zu einer auf zwei Faktoren beruhenden Entfremdung. Da war zunächst einmal das Gefühl, dass alle Zivilisten daheim die Leistungen und Leiden der Frontsoldaten nicht nachvollziehen könnten bzw. diese auch nicht vermittelbar wären. Dieses Gefühl wurde von Erich Maria Remarque meisterhaft mit Bezug auf den Ersten Weltkrieg beschrieben, und es gehört zu den Standardproblemen von Veteranen gleich welcher Nation und welchen Krieges, dass sie nicht in der Lage sind, über ihre Kriegserfahrungen mit Menschen zu sprechen, die nicht selbst dabei gewesen sind.884 Folgerichtig hatte Bertnik schon 1941 gehofft, dass Hans am Krieg teilnehmen »dürfe«, denn sie würden sich »nachher noch einmal so gut verstehen«. Es falle den Soldaten nämlich oft schwer, so Bertnik, sich mit »Außenseitern« auszutauschen, da diesen »das Miterleben« fehlte: »Es gibt doch so viel Schönes heraußen, das einem ewig verschlossen bleibt. Das Bewusstsein, Höchstes geleistet zu haben, das Erlebnis engster Kameradschaft, das befreiende Gefühl der Geborgenheit nach Tagen voller Not und Gefahr, alles Dinge, die nur der Infanterist wirklich mitfühlen kann.«885
1943 fragte Bertnik seine Verwandten brieflich, ob sie irgendeine Vorstellung hätten, welche Massen an T-34-Panzern Stalin zu produzieren und an die Front zu schicken in der Lage sei, um dann fortzufahren, dass der Krieg »härter, noch kompromissloser« geworden sei und »Verzicht auf alles Persönliche, auch bei Euch daheim«, forderte. Stalingrad, so Bertnik, habe sie »von den letzten Resten an Lauheit und Leichtfertigkeit befreit. Wenn das jetzt nicht auch dem letzten Spießer daheim klargeworden ist, kann nichts mehr helfen.«886 Bertniks Wortwahl verdeutlicht seine Entfremdung von der bürgerlichen Welt daheim, denn, wie es der Kärntner SS-Kriegsberichter Heribert Huber ausdrückte, »der Krieg, er wurde unsere Welt.«887 Auch der Spruch »Genieße den Krieg, denn der Frieden wird fürchterlich« soll unter den Soldaten populär gewesen sein.888 Hierher passt auch einer der Sätze, mit denen Obergefreiter Heinz Zsilincsar Ende 1942 seinen bisher in Norwegen eingesetzten Bruder Karl in der Ost884 Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues; Der Weg zurück (zwei Romane in einem Band), Wien o. J., 112 – 123. Vgl.: Fritz, Frontsoldaten, 33, 37. 885 Bertnik an Wächter, 12.1. und 6. 12. 1941. 886 Bertnik an Wächter, 8. 8. 1943. 887 [H. Huber], Welten berühren sich. Umgekehrt lässt Remarque (122) seinen Helden Paul Bäumer über die Welt daheim sagen: »Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt.« 888 Bosse, Aus meinem Leben, 249.
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frontkämpfergemeinschaft, wo er die Härte des Kampfes und die Unwirtlichkeit Russlands kennenlernen sollte, willkommen hieß: »Am Anfang treten solche Unannehmlichkeiten viel stärker in Erscheinung, als wie [sic] wenn man sie schon eineinhalb Jahre mitmacht, dann werden sie als eine Selbstverständlichkeit hingenommen, und zum Schluss denkt man sich gar nichts mehr dabei.«889
Ganz folgerichtig, um mit den Worten von Luftwaffen-Unteroffizier Heinrich Waldhof vom November 1943 – laut eigenen Angaben damals bereits ein »alter Ostkämpfer« – zu sprechen, sei es umgekehrt »immer ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn man nach Monaten endlich einmal aus dem Chaos herauskommt und beispielsweise in den Straßen von Wien untertaucht, wenn man sich treiben lässt im Strom gut angezogener Menschen und überall nur seine Muttersprache hört.«890
Der zweite Faktor der Entfremdung von der zivilen Welt war eine vermutlich noch in den früheren militärischen Erfolgen wurzelnde Zuversicht, die sich zu dem »Wir«-Gefühl und Selbstbewusstsein der Ostfrontkämpfer gesellte. Das bedeutet nicht, dass die Einstellung der Frontsoldaten ausschließlich optimistisch war. Die Stalingrad-Katastrophe im Winter 1942/43 dämpfte die Stimmung sowohl daheim als auch an der Front empfindlich, und einige Veteranen meinten, dass sie den Krieg nach Stalingrad als nicht mehr gewinnbar betrachtet hätten.891 Aber es ist erstaunlich, wie viel Optimismus sich trotz aller negativen Ereignisse – wie Stalingrad, Kursk im Sommer 1943 sowie Bagration-Offensive bzw. Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Sommer 1944 – weiterhin unter österreichischen Frontsoldaten bis Ende 1944 ausmachen lässt, der eine irrationale Raison d’Þtre in einer insgesamt aussichtslosen Situation geliefert haben dürfte. So schrieb Schöbl im August 1942 an seine Frau: »Wir hoffen hier alle, dass der Krieg im Osten noch heuer zu Ende gehen wird. […] Die großen Fortschritte im Kaukasus scheinen diese Annahme zu bestätigen und wenn es einmal soweit ist, dann wird uns der Engländer und der Amerikaner nicht mehr so viel schaden können.«892
Pohanka erwartete noch im Mai 1943, dass die Russen nach dem Krieg Deutsch lernen müssten, während er selber damit rechnete, Englisch zu lernen, »wenn 889 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 27. 11. 1942. 890 Waldhof, Rundschreiben. 891 Interviews mit Morawec; Perner ; Probst; Stadler ; Steiner. Zur identischen Auswirkung von Stalingrad im reichsdeutschen Kontext vgl.: Steinert, Hitlers Krieg, 329, 337 – 340. 892 W. Schöbl an I. Schöbl, 13. 8. 1942.
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wir einmal nach England kommen.«893 Im Mai 1944 beschrieb Bertnik die Stimmung an der Front als bedrückend, weil man nicht mehr sagen könne: »Lass sie nur kommen«, sondern: »Hoffentlich kommen sie uns recht lange nicht.« Doch er fügte auch hinzu: »Aber auch wenn sie kommen – und sie werden – irgendwie geht es immer wieder, wenn auch nicht mehr so leicht wie vor 2 Jahren.«894 Und Stratowa begrüßte sogar den US-Kriegseintritt, da er früher oder später ohnehin zu erwarten gewesen sei, und dachte, dass selbst eine Landung in England noch möglich sei.895 Die Moral der Frontsoldaten wurde im Frühjahr 1944 von dem selbst eher niedergeschlagenen Franz Podhajsky in Linz wie folgt bestätigt: »Das einzige Erfreuliche ist, soweit man das aus den Erzählungen der Urlauber beurteilen kann, der ungebrochene Kampfwille der Truppe, die nun mehr als 1.500 km Rückzug in den Beinen hat; eine Großleistung in der Moral der Truppe, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.«896
Das Beispiel Podhajsky illustriert auch, dass sich die Einstellung an der Front wesentlich von der Stimmung in der Heimat abhob, wie sich Soldaten auf Heimaturlauben selbst überzeugen konnten.897 Diese machten auch kein Hehl aus ihrer Geringschätzung des Defätismus und der Jammerei daheim, denn wenn sie selber in der Lage seien, den Krieg an der Front auszuhalten, dann müssten die Zivilisten mit der Situation daheim doch erst recht fertig werden können; bei Männern sei die beste Lösung ohnehin, selbst das Gewehr in die Hand zu nehmen und an die Front zu eilen. So entrüstete sich im Oktober 1942 die mehrheitlich »ostmärkische« 137. Infanterie-Division über die Einstellung der sechs Mitglieder der KdF-Frontunterhaltungstruppe »Kannapinn«, da diese nur einmal am Tag spielen wollten, während alle vorherigen Spieltruppen zweimal am Tag aufgetreten seien: »Hier an der Front, wo jeder Soldat vorne täglich auf das Äußerste in Anspruch genommen ist und höchstens 5 – 6 Stunden Zeit für Schlaf und Ausruhen hat, sich als Künstler mit durchschnittlich 1/4 Stunde Arbeit […] zu begnügen und damit die Unterhaltungsmöglichkeit für Soldaten, die Stunde um Stunde und Monat für Monat ihr Leben einsetzen, […] zu schmälern, wird hier als ein außerordentlich bedauerliches Zeichen in der heutigen Zeit für eine deutsche Künstlerschar gewertet.«898 893 894 895 896 897
Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 18. 5. 1943. Bertnik an Wächter, 6. 5. 1944. Stratowa, Feldpostbriefe, 187. F. Podhajsky, Gedanken über die Lage, 2.4.[1944]. H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 12. 3. 1943; K. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 17. 8. 1943; Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Eintrag vom 19. 2. 1943. 898 137. Inf.-Division, Abt. Ic, Betr.: K. d. F.-Spieltruppen, 7. 10. 1942, BA-MA, RH 26 – 137/77. Zum Problem von »arbeitsscheuen« KdF-Frontunterhaltern vgl.: Baranowski, Strength through Joy, 205, 208 – 209.
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Von »Barbarossa« bis »Bagration«
Gefreiter Rupert Ofner schrieb 1943 aus Afrika heim, dass die Soldaten im Osten »wahrhafte Helden« seien, weil sie bereits zwei Jahre lang dem russischen Winter und den »asiatischen Horden« widerstanden hätten: »Die Front bringt deshalb Opfer, die für uns alle unermesslich sind! Warum sollte es die Heimat nicht auch fertigbringen!?«899 Ebenfalls 1943 schätzte Heinz Zsilincsar, dass die Zahl der Jammerer im Reich um 80 bis 90 Prozent sinken würde, wenn diese nur acht Tage lang unter den gleichen Umständen wie die Frontsoldaten leben müssten.900 Ein österreichischer Soldat warnte im August 1944 seine Frau, nicht zu lange in Wien zu bleiben, da er einen Aufstandsversuch des »Pöbels« wie in Warschau oder Paris befürchtete.901 Ein anderer wiederum verknüpfte seinen Abscheu vor den »Drückebergern« daheim mit dem Selbstbewusstsein des Russlandkämpfers: »Jetzt fängt ja endlich der totale Krieg an […], aber nun wird es so weit, dass alles einrückt, bis auf die, die ja schon seit Anfang des Krieges zu Hause waren, die bleiben natürlich wieder zu Hause, denn das kann man doch von diesen gar nicht verlangen, dass sie sich mit dem bösen Bolschewiki herumraufen sollen. Das machen schon die alten, vergessenen Russlandsoldaten.«902
Die weniger optimistische Haltung der Zivilisten in der Ostmark unterschied sich nicht wesentlich von der Stimmung im Altreich.903 Allerdings war es auch nicht der Fall, dass nach Stalingrad kein österreichischer Zivilist mehr etwas vom Krieg wissen wollte. So berichtete der Inspekteur des Wehrersatzbezirks Wien im Juni 1943, dass die Wehrfreudigkeit der Rekruten des Jahrganges 1926 eher gut, wenn nicht sogar sehr gut sei; Simulanten gebe es keine, und einige der Gemusterten hätten sogar versucht, ihre Krankheiten zu verheimlichen.904 Und im Mai 1944 erhielt Schirach eine anonyme Beschwerde »verschiedener Anwohner« darüber, dass die Reichskriegsflagge nicht auf der Rossauer Kaserne aufgezogen wurde, was die Wehrmacht mit Personalmangel erklärte.905 Im militärischen Bereich verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Frontkämpfern und all jenen Soldaten, die nicht direkt an der Front eingesetzt 899 Rupert Ofner an Paul Cipan-Zsilincsar, 2. 2. 1943, KA, NL, B/532. 900 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 11. 9. 1943. 901 Gren. W. Leitenberger an seine Frau, 26. 8. 1944, Feldpostprüfstelle AOK 2, Tätigkeitsbericht Monat August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 7. 902 Uffz. Sepp Brunhuber an Hermi Brunhuber (Hinterstoder/OÖ), 29. 7. 1944, Feldpostprüfstelle Heeresgruppe Nord, Tätigkeitsbericht Monat August 1944, 5. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 11 (Anlage). 903 »In der Heimat, besonders in Ostpreußen, ist die allgemeine Stimmung weniger zuversichtlich als an der Front.« Dokument ohne Titel, o. J., Beilage zu Feldpostprüfstelle Okdo. H. Gr. E, Tätigkeitsbericht 1.–31. 8. 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 2. Vgl.: Steinert, Hitlers Krieg, 340 – 342, 362, 391. 904 Inspekteur des Wehrersatzbezirks Wien an Schirach, 20.7. 1943, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 161, 6. 905 Weidenmüller an Schirach, 30. 5. 1944, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 158.
Ostfrontkämpfergemeinschaft und Heimatentfremdung
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waren, sondern im Besatzungsdienst, im rückwärtigen Frontgebiet sowie in der Ersatzarmee dienten. Hier sei zunächst an den Artikel über den Vortrag von Feldwebel Lang erinnert, in welchem alles, was sich außerhalb der Ostfront abspielte, als »Kdf-Kriege« bezeichnet wurde. Es ist nicht klar, ob Russlandkämpfer in der Tat auf sämtliche andere Kriegsschauplätze – wie den Luft- und Seekrieg, das Afrikakorps oder die Partisanenbekämpfung in Jugoslawien – herabblickten. Im Lichte der anderen Zeugnisse ist jedoch mit einiger Bestimmtheit anzunehmen, dass die völlige Geringschätzung der Ostfrontkämpfer nur die Dienste in der Heimat, in der Besatzung und im rückwärtigen Frontgebiet betraf, während allen anderen Fronten ein Mindestmaß an Respekt entgegengebracht wurde. Eindeutig negativ war die Haltung der Frontsoldaten gegenüber den rückwärtigen Frontgebieten oder Stäben. Im Ersten Weltkrieg war die »Etappe«, wie dieser Bereich damals noch genannt wurde, so berüchtigt für ihre Auswüchse gewesen, dass der Begriff selbst abgeschafft wurde, und Konzepte wie »Volksgemeinschaft« und »totaler Krieg« sollten auch dazu dienen, die Entstehung ähnlicher Zustände zu verhindern. Nun misst die militärhistorische Forschung Problemen bei den Stäben im Zweiten Weltkrieg keinerlei Bedeutung bei.906 Dennoch blickten laut Bertnik die Kampftruppen auf die Stäbe herab, vor allem wenn dort für den Kampfeinsatz geeignete Männer eingesetzt waren.907 Diese Sichtweise dürfte nicht allein auf der Haltung gegenüber »Drückebergern« basiert haben, sondern auch auf ganz konkreten Missständen bei der logistischen Verwaltung von Waffen, Ausrüstung, Kleidung, Proviant und anderen Gegenständen. Hitler hätte sonst kaum im Oktober 1942 den »Grundlegenden Befehl Nr. 5« erlassen, demzufolge der Frontkämpfer die Hauptlast des Kampfes sowie die »größten körperlichen und seelischen Anstrengungen und Entbehrungen« trug. »Unentbehrlich« sei daher »nur der Frontkämpfer. Für alle anderen wird sich Ersatz finden.« Entsprechend sollte der Frontkämpfer immer bevorzugt behandeln werden, auch wenn dies zulasten der Stäbe und anderer Soldaten erfolgte, denn es sei inakzeptabel, wenn »die besseren Sachen und die besseren Marken hinten bleiben und nur die 1-Pfennig-Zigarette nach vorn zum Frontkämpfer kommt« oder »nur Alkoholsachen geringen Wertes und in ganz geringen Mengen«.908
906 Bernhard R. Kroener : »Frontochsen« und »Etappenbullen«. Zur Ideologisierung militärischer Organisationsstrukturen im Zweiten Weltkrieg, in: Müller/Volkmann, Wehrmacht, 371 – 384, 371 – 374. Vgl.: Kunz, Niederlage, 262 – 263; Steinert, Hitlers Krieg, 341 – 342; Fritz, Frontsoldaten, 180 – 182. 907 Bertnik an Wächter, 6. 12. 1941. 908 Oberkommando des Heeres, Der Chef des Generalstabes des Heeres, Op. Abt. (I) Nr. 11548/
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Von »Barbarossa« bis »Bagration«
Pohanka – dem Weihnachten 1943 seine Paketmarken vorenthalten wurden, sodass er keine Pakete empfangen konnte – wollte sich zeitlebens daran erinnern, dass es nicht die Zahlmeister, Buchhalter und Spieße waren, die den Krieg gewonnen haben würden.909 Eine besonders anstößiges Bild zeichnete (der wahrscheinlich reichsdeutsche) Oberwachtmeister Kersen von den Stäben, bei denen seine Kompanie auf ihren Fronteinsatz wartete. Die Stimmung war allgemein schlecht, aber am meisten empörten ihn die neuen Kompanie-Kommandeure: »Was hier gehurt und gesoffen wird, ist beachtlich. Diese Leute haben zum Großteil noch nie etwas vom Feind gesehen. Sie haben Angst und suchen für ihre zukünftige Feigheit schon jetzt Entschuldigungsgründe. Sie sehen sich schon als Leichen und wollen die letzten Tage ihres Lebens noch genießen.«910
Aufgrund solcher Zustände zog es ein junger österreichischer Offizier und Napola-Absolvent namens Spachinger vor, in der Hauptkampflinie eingesetzt zu werden.911 Die Zustände im Ersatzheer konnten noch schlimmer sein, wie die Erinnerungen von Franz Lorenz an das Eisenbahn-Pionier-Ersatz-Bataillon 3 in Hanau Anfang 1943 offenbaren. Dass der Kommandeur abgelöst wurde, weil er Äpfel aus dem Kasernengarten zu sich nach Hause nach Hamburg geschickt hatte, passt zwar ins Bild, ist aber harmlos im Vergleich zu Schikanen wie Soldaten mit Wackelkopf-Syndrom Stillstand zu befehlen und solche, die ihre Fersen verloren hatten, Kehrtwendungen üben zu lassen. Des Weiteren, so Lorenz, hätten sich in Hanau aktive Oberfeldwebel mit elf Dienstjahren aufgehalten, die noch nie im Fronteinsatz gewesen waren; einer, der sich beim Exerzieren immer besonders zackig gegeben habe, habe vor Lorenz händeküssend auf den Knien gelegen, um einer Versetzung an die Front zu entgehen.912 Nachdem Lorenz es immer betonte, wenn er auf Österreicher traf, kann man annehmen, dass es sich bei den erwähnten Personen um Reichsdeutsche handelte, was noch einmal ein bezeichnendes Licht auf jenen Menschentyp wirft, der sich in den Kasernen mit Schikanen hervortat. Zudem bestätigt sich, dass Kasernenhofschikanen sowohl Täter als auch Opfer betreffend von der regionalen Herkunft völlig unabhängig waren, was auch aus dem Brief eines Pioniers über
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42 g. Kdos., Grundlegender Befehl Nr. 5 (Frontkämpfer), 29. 10. 1942, BA-MA, RH 53 – 7/ 709. Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 28. 12. 1943. »Spieß« ist die traditionelle Bezeichnung für den mit Verwaltungsangelegenheiten betrauten Unteroffizier (üblicherweise im Range eines Hauptfeldwebels). Obw. Kersen an Unbekannt, 21. 8. 1944, Feldpostprüfstelle AOK 15, Tätigkeitsbericht August 1944, 8. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 10. Spachinger : Rundschreiben an ehemalige Napola-Kameraden, 4. 10. 1942, KA, NL, B/1581. Lorenz, Episoden, 10 – 11.
Ostfrontkämpfergemeinschaft und Heimatentfremdung
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seinen Aufenthalt bei einer unbekannten Pioniereinheit in Minden, also in einem vermutlich rein reichsdeutschen Kontext, hervorgeht: »Meine Kameraden haben sich mit ›blöder Hund‹, ›dämliches Schwein‹ betiteln lassen müssen, dass es [in] mir manchmal kochte. […] Dazu das schlechte Vorbild bezüglich Frauen und Alkohol. Es waren jedenfalls keine erfreulichen Eindrücke, die ich in Minden von unserm deutschen Volk sammeln konnte.«913
Nun gab es allerdings auch den rückwärtigen Bereichen gewogenere Stimmen. Max Bergmann beispielsweise widersprach einem früheren Napola-Klassenkameraden, der »Minderkeitskomplexe« bei den »Heimatkriegern« ausgemacht hatte. Bergmann insistierte, dass nur echte »Drückeberger«, die ihren Defätismus auch auf andere übertrugen, verwerflich seien, während all jene, die ihren Dienst in der Heimat ordentlich versehen würden, sich vor den Frontkämpfern nicht schämen müssten.914 Wieder andere Soldaten in den Stäben wussten ganz genau, in welch glücklicher Position sie sich befanden und bezeugten ihrerseits den größten Respekt für die Frontsoldaten. So gestand etwa Schöbl seiner Frau, dass es ihn weitaus schlimmer hätte treffen können, zum Beispiel bei den Panzer- oder Infanterie-Soldaten, welche die Hauptlast des Krieges tragen würden: »Auf der Fahrt [nach Russland] habe ich Gelegenheit gehabt, mit solchen Soldaten, die eben vom Urlaub wieder zur Front fuhren, zu sprechen. Da hörte ich viel von den Leiden dieser Männer, die oft Übermenschliches zu leisten haben und von denen viele nicht mehr zurückkehren.«915
Abschließend noch zwei Episoden, welche die gewaltige integrative Kraft der Zugehörigkeit zur Ostfrontkämpfergemeinschaft illustrieren. Im Sommer 1943 kommentierte Heinz Zsilincsar die Beschwerden in den Postkarten seines Freundes Pohanka, der scheinbar gerade in Russland angekommen war, wie folgt: »Ja soll es uns zweijährigen Russen-Kämpfern vielleicht besser gefallen? Jeder würde in Frankreich oder in der Heimat lieber sein als da, aber das Schicksal ist hart und erfordert seine Opfer.«916 Im 1943 war Pohanka mit Heinz bereits völlig einer Meinung über die Nörgler in der Heimat.917 Und im Oktober 1942 bedauerte der bereits erwähnte Offizier Spachinger, dass er keine ober- und niederösterreichischen Bauernburschen mehr kommandierte, sondern es stattdessen mit älteren, verheirateten und zurückgestellten Berlinern zu tun hatte, die dachten, dass der Krieg auch ohne sie stattfinden würde. Viele von 913 Pionier Pippert an Unbekannt, 12. 8. 1944, Feldpostprüfstelle AOK 9, Tätigkeitsbericht Monat August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 13. 914 Bergmann, Rundschreiben, 15. 9. 1942. 915 W. Schöbl an I. Schöbl, 25. 3. 1942. 916 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 2. 6. 1943. 917 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 15. 12. 1943.
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ihnen, so Spachinger, benötigten daher eine »feste Hand«, und es sei schwierig, ihnen etwas beizubringen, was jedoch nicht an dialektalen Missverständnissen liege, und die berühmte »Berliner Schnauze« sei ohnehin schon sehr leise geworden.918 Wenn man Spachingers Geschichte genauer analysiert, war damit die Situation von 1938 auf den Kopf gestellt worden, denn nun war es ein ostmärkischer Offizier, der »schlappe« Berliner auf Vordermann brachte. Die Episode unterstreicht erneut die Bedeutung des Faktors Zeit und den prozesshaften Charakter der Integration in dem Sinne, dass die Integration umso fortgeschrittener war, je länger (und intensiver) jemand gedient hatte. Auch der Generationsaspekt kommt wieder zum Vorschein: Der fehlende Enthusiasmus der älteren Berliner entsprach der Haltung vieler älterer österreichischer Soldaten, während der junge Offizier Spachinger mit Eifer bei der Sache war ; so wie Hans Biffar seine jüngeren ostmärkischen Soldaten – Biffar nannte sie »Hitlerjungen« – in ihrem Drang, um jeden Preis »Heldentaten« zu vollbringen, bremsen musste.919
Vertiefte Kameradschaft Und somit schließt sich an dieser Stelle noch ein anderer Kreis. Im Zusammenhang mit der ersten Kriegsphase von 1939 bis 1941 war festgestellt worden, dass sich die Integration der österreichischen Neulinge automatisch verbesserte, sobald die Soldaten ihre Kasernen verließen. Die dabei aufgestellte Faustregel – je näher zu echten Kampfhandlungen, umso intensiver die Gemeinschaftsbildung unter den Männern – wurde im Russlandkrieg, der im Gegensatz zu den vorhergehenden Feldzügen als »richtiger« Krieg empfunden wurde, nicht nur bestätigt, sondern sogar verschärft, und die neue Faustregel lautete: Je heftiger die Kämpfe, umso besser die Integration. Neben der Entstehung der besonders fest zusammengeschweißten Ostfrontkämpfergemeinschaft führte diese Entwicklung zu bis dahin unbekannten Brüchen, vor allem die Heimat betreffend, aber auch innerhalb der Streitkräfte. Dem erfolgreichen Verlauf der österreichischen Integration tat dies insgesamt keinen Abbruch, denn die Masse der Österreicher diente im Heer, und das Gros des Heeres stand im Osten. Wenn überhaupt, so ereigneten sich mehr oder weniger harmlose Reibungen nur in der Ausbildung sowie in Bereichen hinter der Front oder daheim, aber nicht während des Fronteinsatzes.920 918 Spachinger, Rundschreiben. 919 Biffar an seinen Vater, 4. 5. 1944. 920 Novotnys (Good Soldier, 33 – 35, 37) Ausbilder in der ID »Großdeutschland« 1942 machte Österreichern das Leben schwer, aber Novotny und ein Wiener Kamerad wollten beweisen,
Vertiefte Kameradschaft
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Die Ansicht, dass mit der Frustration über den Kriegsverlauf ein neues Österreich-Bewusstsein zunehmend die abnehmende Anschluss-Begeisterung überlagerte, mag daher teilweise auf den zivilen Bereich anwendbar sein, aber sicher nicht für die große Mehrheit der Österreicher in der Wehrmacht, wo weitaus stärkere integrative Kräfte wirkten. Freilich wurde auch die Zivilbevölkerung immer direkter vom Krieg betroffen, wie etwa durch Rationierungen und Bombenangriffe, aber das war nicht vergleichbar mit der Situation an der Front.921 Umgekehrt konnte auch der Frontdienst Langeweile und Nichtstun beinhalten, doch die fundamentalste Erfahrung war der jederzeit mögliche Tod in einer endlos erscheinenden Kette von brutalsten Kämpfen und anderen Härten. Viele interviewte Veteranen beschrieben auch Todesgefahr als eine der wesentlichsten Erfahrungen und das eigene Überleben als das zentrale Anliegen ihres Fronterlebnisses.922 Hinzu kam, dass ein österreichischer Zivilist seine Frustration in der Familie, bei Freunden, in der Arbeit oder im Fußballstadion abreagieren konnte. Diese Möglichkeit hatten Frontsoldaten nicht. Selbst wenn – in den Quellen ließ sich kein entsprechender Fall finden – ein österreichischer Soldat gedacht hätte, dass er »den Deutschen« seine missliche Lage zu verdanken habe, wäre es ihm schwergefallen, sich von ihnen zu distanzieren, etwa in der Form von »innerer Emigration«. Im Gegenteil, der Kodex der Kameradschaft enthielt als Sanktion für Verstöße gegen dieselbe eine Reihe von Zwangsmitteln, die Zusammenhalt und Hingabe gewährleisteten. Eines davon war der Ausschluss aus der Gemeinschaft bzw. von ihren Schutzfunktionen, eine dem sozialen Tod vergleichbare Form des Ostrakismos, welche bei Frontsoldaten bald zum physischen Tod führen konnte.923 Wenig überraschend riefen daher Soldaten die Kameradschaft während des Krieges oder im Rückblick fast immer unter dem Eindruck des tatsächlichen oder potenziellen Todes an. In einem im Februar 1943 verfassten Brief ehrte Bertnik die »alten Kameraden«, mit denen er »manche Kante Brot geteilt« und dass Österreicher den anderen in nichts nachstanden und wurden schließlich voll akzeptiert – an der Front spielte derlei, laut Novotny, ohnehin keine Rolle. Vgl. die Aussagen von Perner, Schmidl, Kornfeld, Wotava, Stadler. Bei über 1 Million österreichischen Soldaten ist die Möglichkeit von Reibereien direkt an der Front nicht auszuschließen, aber die konsultierten Quellen enthalten keinen einzigen Hinweis. 921 Dies ist ein weiterer Kontext, in welchem Soldaten mit sozialistischem oder Arbeiterklassen-Hintergrund sich nicht von den anderen unterschieden, obwohl das folgende Beispiel kurioserweise Lagerinsassen anstelle von Zivilisten betrifft. So erinnerte sich Flanner (Interview) an die Äußerung eines sozialistischen Freundes: »Ihr habt es ja leiwand gehabt im KZ; bei uns an der Front hat es gedonnert und gekracht.« 922 Interviews mit Brandeis; Huber ; Morawec; Ochnitzberger ; Probst; Stadler. Vgl.: Fritz, Frontsoldaten, 31 – 32, 35, 41, 45. 923 Kühne, Kameradschaft, 82 – 85, 88, 122 – 126, 131 – 133, 142 – 145, 193.
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die ihren Fahneneid bis zum bitteren Ende bei Stalingrad befolgt hätten.924 Johann Pointner bemerkte zu einem Luftangriff kurz vor Weihnachten 1943 in Frankreich, der wie durch ein Wunder keine Todesopfer gefordert hatte, dass »nur gute Kameradschaft über solch schlimme Zeiten hinweghelfen kann.«925 Der Reichsdeutsche Siegfried Mühler, der bei der 44. Infanterie-Division in einer mehrheitlich österreichischen Kampfgruppe diente, erinnerte sich unter den »wunderbaren Kameraden«, denen er im Krieg begegnet war, immer der vielen in Russland gefallenen Österreicher und versicherte: »Ich habe nie einen Kameraden liegen gelassen, aber auch mir hat man geholfen, als es mich ›erwischt‹ hatte.«926 Entsprechend befanden sich alle Soldaten, gleich welcher regionaler Herkunft, in derselben existenziellen Situation absoluter gegenseitiger Abhängigkeit. Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit des eigenen Überlebens konnte nur erhöht werden, indem die Soldaten sich bedingungslos aufeinander verließen, d. h. ohne jede Rücksicht auf Rang, Klasse, Religion, Alter oder Herkunft. Und genau dieses Grundprinzip identifizierten viele Soldaten mit dem Prinzip der Kameradschaft, welches sich wiederum mit »Vertrauen« gleichsetzen lässt; Vertrauen in die Fähigkeit des Anführers, dass er einen aus der Gefahr herausbringt, und Vertrauen in den Kameraden, dass er einem beim Überleben hilft.927 Die interviewten Veteranen betrachteten daher Kameradschaft beinahe unisono als die wesentlichste Erfahrung ihres Fronterlebnisses.928 Entsprechend gab es im Zusammenhang mit dem Integrationsprozess keinen anderen Ort, der so wenig bis gar keinen Raum für Sticheleien oder Boshaftigkeiten bot, wie die Front. Wie Alfred Hinterberger es ausdrückte: »Wenn man den Schädel im Dreck hat, denkt man an nichts anderes, kann man sich nur auf den anderen verlassen«, und für Johann Morawec waren die Reichsdeutschen »genau so arme Hunde wie wir«.929 Abschließend noch die Gedanken von Peter Podhajsky anlässlich seines im September 1943 erfolgten Abschieds von der Batterie, bei der er fünf Jahre lang, »wohl die wichtigsten in meinem Leben«, gedient hatte, und welche »für mich die Heimat geworden ist. Wir haben alle an einem Strick gezogen, um die Härte des Krieges und die Trennung von unseren Lieben zu überwinden und aufrecht 924 Bertnik an Wächter, 8. 2. 1943. 925 Pointner, Erinnerungen 1939 – 1944, 5. 926 Siegfried Mühler : Autobiographischer Brief an Hans Rödhammer, 18. 10. 1993, KA, NL, B/ 1582. Mühler diente 1942 – 43 in der zur 6. Armee gehörenden 384. ID. 927 Bertnik an Wächter, 13. 5. 1942; Interviews mit Hinterberger ; Mirnegg; Morawec; Ochnitzberger ; Ulber. 928 Interviews mit Brandeis; Hinterberger ; Huber ; Kornfeld; Mirnegg; Morawec; Ochnitzberger ; Perner ; P. Podhajsky ; Schmidl; Steiner; Ulber ; Wotava. 929 Interviews mit Hinterberger und Morawec.
Vertiefte Kameradschaft
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unsere Pflicht zu tun. Es war eine Gemeinschaft, in der sich jeder auf jeden verlassen konnte. Gibt’s was Schöneres?«930
Nun sind Reflexionen von Kriegsteilnehmern über Kameradschaft oft von Romantisierung und Idealisierung geprägt und können Verzerrungen, Auslassungen und Übertreibungen enthalten. Andererseits kann kein Zweifel bestehen, dass das Erlebnis von Front und Kameradschaft, was immer man darunter verstehen mag, eine äußerst machtvolle Erfahrung gewesen sein muss. Eine der einflussreichsten Kräfte war dabei die Dynamik, einer »Gruppe« anzugehören. Die Gruppe gebiert nicht nur militärisch notwendige Reflexe wie gegenseitige Unterstützung, sondern auch eine Kohäsion, welche das individuelle Denken der einzelnen Mitglieder im Sinne der Massenpsychologie stromlinienförmig bündelt und eine Solidarität erzeugt, die über das gemeinsame Fronterlebnis an sich hinausgeht. Die Daseinsberechtigung der Gruppe gerät dadurch zum Selbstzweck, und alle negativen Aspekte werden, ob während ihrer Manifestation oder in der Erinnerung, verdrängt. Die Gruppe wird von den Mitgliedern daher nicht »verraten«, selbst wenn sie falsch handelt, und man »macht mit«, um nicht als Drückeberger oder Feigling zu gelten. Dieser »Mitmach«-Druck – man könnte ihn auch als eine Art »Komplizenschaft« bezeichnen – wird von der Gruppe wiederum mit Anerkennung und Schutz zurückgezahlt.931 Folgerichtig drehten sich die Gedanken der Frontsoldaten neben Alltäglichem und fundamentalen Themen wie Tod und Überleben hauptsächlich um das Wohlergehen der Gruppe, aber sie fragten sich nicht, warum sie in diese Situation geraten waren, oder ob es Alternativen zum »Mitmachen« gab. Selbst ohne die Wirkung der Gruppendynamik waren derartig kritisch-besonnene Analysen von Frontsoldaten kaum zu erwarten. Laut Militärhistoriker und Kriegsveteran Allmayer-Beck schalteten alle Soldaten im Kampf ihr Gehirn ab, und niemand würde über die Legitimität eines Krieges nachdenken, wenn er kurz davor ist, von einem Panzer überrollt zu werden.932 All das erklärt zum Teil auch den Optimismus an der Front, denn die vorrangige Beschäftigung mit dem eigenen Sektor, der Gruppe und dem individuellen Überleben ließ viele die Gesamtsituation vergessen, wenn sie darüber überhaupt hinreichend informiert waren.933 Einem Kriegsteilnehmer zufolge waren er und seine Kameraden sich während ihres Rückzugs aus Griechenland 930 P. Podhajsky, Kiestinki-Abschnitt, 45. 931 Kühne, Kameradschaft, 88, 107 – 109, 143 – 144, 152 – 153, 184 – 185, 187 – 188, 190, 196 – 197, 204. Vgl.: Fritz, Frontsoldaten, 32. Dieses Axiom ist auch zentral für Browning, Ordinary Men. 932 Allmayer-Beck, Verständnis, 211 – 212. 933 Bertnik an Wächter, 6. 5. 1944; Scheiderbauer, Adventures, 84; Fritz, Frontsoldaten, 32.
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1944 der desaströsen Gesamtlage gar nicht bewusst, und der Veteran Hubert Steiner hatte nach seiner Versetzung aus dem Osten eine gut organisierte Verteidigungslinie am rechten Rheinufer erwartet.934 Informationen wurden den Truppen von der Führung absichtlich vorenthalten, während die Kommunikation mit der Heimat sich als schwierig gestaltete – so schrieb der oberösterreichische Obergefreite Paul Hamel im August 1944 seiner Frau: »Wir leben ja wie auf dem Monde. Keine Zeitung, kein Radio und keine Post« – und gegen Kriegsende überhaupt zum Erliegen kam.935 Heinz Zsilincsar konnte dem auch etwas Positives abgewinnen, denn »es ist gut, dass wir nicht zu viel wissen, sonst würde sich hie und da einer doch Sorgen machen.«936 Demgegenüber war es daheim oder hinter der Front wesentlich einfacher, sich in Ruhe Informationen zu verschaffen und somit einen besseren Überblick über die Lage zu gewinnen, weshalb militärischer Widerstand auch immer nur von der Heimat ausging, und nie von der Front.937
Eine wahrhaft »großdeutsche« Wehrmacht? Von den neuen Kampfmotivationen über die Ostfrontkämpfergemeinschaft bis hin zur intensivierten Kameradschaft spricht alles dafür, dass sich der Integrationsprozess der Österreicher bis kurz vor Kriegsende ungebrochen fortsetzte. Der folgende Abschnitt untersucht abschließend daher, wie es um die nach 1945 erhobenen Behauptungen von der Unzuverlässigkeit österreichischer Soldaten tatsächlich während des Russlandkrieges bestellt war. Vorab muss eingeschoben werden, dass es letztlich doch einen Weg gab, auf dem sich unzufriedene österreichische Soldaten ihrer Situation entziehen konnten, nämlich durch Desertion. Nun wich allerdings die österreichische Desertionsrate nur geringfügig, wenn überhaupt, von der allgemeinen Desertionsrate in der Wehrmacht, die etwa zwei Prozent betrug, ab.938 Es handelt sich also um eine äußerst geringe Desertions934 Vertrauliche Mitteilung an den Verfasser im Anschluss an den Vortrag von Otto Scholik bei der Gesellschaft für Politisch-Strategische Studien in Wien am 19. 10. 2004; Steiner, Interview. 935 Obgefr. Paul Hamel an Luise Hamel (Pram/OÖ), 24. 8. 1944. Ähnlich: F. Ferschitz an Maria Ferschitz (Rust/Bgld.), 25. 8. 1944, Feldpostprüfstelle Pz. AOK. 3, Monatsbericht August 1944, 2. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 11 (Anlage). Wotava (Interview) erhielt während der letzten neun Kriegsmonate überhaupt keine Nachrichten mehr von daheim. 936 H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 11. 9. 1943. 937 Dies ist ein Hauptgrund, warum die militärische Widerstandsbewegung sich im Ersatzheer entwickelte. Vgl.: Allmayer-Beck, Verständnis, 210. 938 Leider existieren hierzu nur Schätzungen. Die Gesamtzahl betreffend schwanken die Schätzungen zwischen 30.000 und 50.000 österreichischen Deserteuren, sodass der Mit-
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rate, vor allem wenn man die Nachkriegsmeinung, dass Österreicher wegen des Anschlusses einen Grund mehr als Reichsdeutsche für Desertion gehabt hätten, in Betracht zieht. Ganz anders sah es hingegen bei jenen Neulingen aus, die sich tatsächlich in einer Situation befanden, wie sie nach dem Krieg für die Österreicher behauptet wurde, nämlich die zwangsrekrutierten und diskriminierten Elsässer, Lothringer und Luxemburger im Westen und die Volksdeutschen im Osten und Südosten.939 So desertierten oder verweigerten auf andere Weise den Wehrdienst rund 20 bzw. 30 Prozent der eingezogenen Elsass-Lothringer und Luxemburger.940 Nach der im August 1942 erfolgten Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in den neuen Westgebieten des Reichs musste in Luxemburg und Lothringen der zivile Ausnahmezustand verhängt werde. In Luxemburg kam es sogar zu Exekutionen, und für besonders rebellische Schüler wurde im Hauptquartier der HJ in der Burg Stahleck ein Straflager eingerichtet.941 Die ablehnende Haltung der Elsässer geht auch aus deren ausschließlich negativen Meinungsäußerungen in einer Sammlung zensierter Feldpostbriefe hervor und wurde auch von einzelnen Österreichern bestätigt.942 Zudem verlautbarte die Wehrmachtführung wiederholt Warnungen vor der defätistischen Haltung besagter Gruppen bzw. Maßnahmen, wie potenziell daraus resultierende Schäden für die Wehrmacht verhindert werden sollten. So dekretierte das OKW im Mai 1943:
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telwert etwa einer Desertionsrate von drei Prozent entspräche. Thomas Geldmacher : »Auf Nimmerwiedersehen!« Fahnenflucht, unerlaubte Entfernung und das Problem, die Tatbestände auseinanderzuhalten, in: Manoschek, Opfer, 133 – 194. Vgl.: Fritsche, Entziehungen, 24 – 25. Bei einer Stichprobe von 484 Deserteuren entsprach der Anteil der Österreicher mit sieben Prozent etwa deren Anteil an der Reichsbevölkerung (acht Prozent), während die Anteile von volksdeutschen Deserteuren aus Ost und West (jeweils ca. 8,5 Prozent) weit über deren Bevölkerungsanteilen (3,4 bzw. 0,8 Prozent) lagen. Kristina Brümmer-Pauly : Desertion im Recht des Nationalsozialismus, Berlin 2006, 46 – 47. Ebd. Zur Unzuverlässigkeit und Diskriminierung dieser Gruppen siehe: Norbert Haase: Von »Ons Jongen«, »Malgr¦-nous« und anderen. Das Schicksal der ausländischen Zwangsrekrutierten im Zweiten Weltkrieg, in: Haase/Paul, Die anderen Soldaten, 157 – 173; Andr¦ Hohengarten: Wie es im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) zur Zwangsrekrutierung Luxemburger Staatsbürger zum Nazi-Heer kam, Luxembourg 1975; Kroener, »Menschenbewirtschaftung«, 982 – 983; Kunz, Niederlage, 267 – 268; John/Möller/Schaarschmidt, Die NS-Gaue, 359 – 360. Thaler, Ambivalence, 86 – 87 und Fn. 134. Stellv. Generalkommando XII. A. K., Az. 4, 1788/42 geh., Ic, Betr.: Entwicklung der politischen Lage in Luxemburg und Lothringen (Abschließende Meldung), 16. 9. 1942, BA-MA, RH 14/47. Die Wehrpflicht wurde im Elsass am 25. 8. 1942, in Lothringen am 19. 8. 1942 und in Luxemburg am 30. 8. 1942 eingeführt. Absolon, Wehrmacht, Bd. 6, 339. Soldat Albert Mathies an Unbekannt, 18. 8. 1944; Karl Goetz an Unbekannt, 20. 8. 1944, Feldpostprüfstelle AOK 4, Monatsbericht August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 5 – 6 (Anlage); zwei Briefe von SS-Grenadier »H.«, 11. 8. 1944 und undatiert, Feldpostprüfstelle Armeegruppe Heinrici, Tätigkeitsbericht August 1944, 6. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 8; Scheiderbauer, Adventures, 68; Brandeis, Interview.
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»Grundsätzlich sind diese Soldaten nicht anders zu behandeln als altreichsdeutsche Soldaten. […] Es ist jedoch falsch, da Nachsicht zu üben, wo schärfstes Durchgreifen geboten ist. Dies trifft in Sonderheit zu, wenn ein Soldat schlechte oder gar verräterische Gesinnung an den Tag legt.«
Das Dekret bestimmte ferner, dass Elsass-Lothringer und Luxemburger in den Streitkräften über das gesamte Reichsgebiet verteilt werden sollten, ihr Einsatz im besetzten Westeuropa verboten sei und ihr Anteil in den Feldeinheiten fünf Prozent und in den Ersatzeinheiten acht (in Ausnahmefällen 15) Prozent nicht übersteigen dürfe.943 Auch der Anteil von Volksdeutschen aus Polen bei Feldeinheiten im Osten wurde im Juni 1943 vom Wehrkreiskommando VII mit höchstens fünf Prozent festgelegt.944 Im August 1943 empfahl das OKH außerdem die Entlassung von solchen Elsass-Lothringern und Luxemburgern, deren Haltung sie für Desertion und Zersetzung anfällig machte.945 Hingegen lassen sich seit dem Anschluss in den relevanten Wehrmachtsdokumenten zu keiner Zeit weder Warnungen vor österreichischer Unzuverlässigkeit oder einem österreichischen Hang zu Verrat und Zersetzung noch Anordnungen über die vorsätzliche Aufteilung oder Obergrenzen der Österreicher in den Einheiten der Wehrmacht finden.946 Seit 1941 wurden auch regelmäßig Dekrete herausgegeben, welche die faire Behandlung der verschiedenen Neulinge gewährleisten sollten. So erließ im Juli 1941 der Befehlshaber des Ersatzheeres ein Memorandum, welches zu größerer Sensibilität beim Umgang mit Volksdeutschen aus Polen aufrief, da deren Mentalität aufgrund ihrer früheren Lebensumstände »oft einen gewissen Grad von Zurückhaltung, Verschlossenheit und scheinbarer Unzugänglichkeit« aufweise und die Einstellung des eingezogenen »Ostdeutschen« gegenüber dem Reich »wesentlich von den Eindrücken beeinflusst sein [wird], die er als Soldat empfängt.«947 943 Oberkommando der Wehrmacht, Nr. 1956/43 geh., WFSt. Org. (II), Betr.: Behandlung und Verwendung von Wehrpflichtigen aus den deutsch verwalteten Westgebieten (Elsässer, Lothringer, Luxemburger), 19. 5. 1943, BA-MA, RH 53 – 7/235. 944 Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. EF, I b/E 2, Nr. 8417/43 geh., Betreff: Verwendung von Angehörigen der Abteilung III der deutschen Volksliste (Deutschpolen), 17. 6. 1943, BAMA, RH 53 – 7/235. Siehe auch den Erlass des Oberbefehlshabers Südwest (Oberkommando H. Gr. C) vom 21. 1. 1944 in: Thaler, Ambivalence, 87. 945 Oberkommando des Heeres, Heerwesen-Abt. b[eim] General z. b. V. beim OHK, Nr. 3599/ 43 (I), Betr.: Allgemeine Bestimmungen über die Behandlung der Wehrpflichtigen aus den nach dem 1. September 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten oder unter Deutsche Verwaltung gestellten Gebiete vom 19.6.43, 20. 8. 1943, BA-MA RH 13/7. 946 Vgl.: Overmans, »Ostmärker«, 134. Der neue Kommandeur der 117. Jäg.-Div. war 1943 nur über fünf Prozent Elsässer besorgt, aber nicht über die österreichische Mehrheit. Manoschek/Safrian, Österreicher, 147. 947 Der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Stab/Ic, Nr. 4376/41, Betr.: Behandlung von Volksdeutschen aus den Ostgebieten im Heere, 4. 7. 1941, BA-MA, RH 14/9.
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Ein Jahr darauf, im September 1942, dekretierte der Befehlshaber des Ersatzheeres, dass Elsass-Lothringer und Luxemburger ohne jede Vorbehalte von ihren reichsdeutschen Kameraden behandelt werden sollten.948 Dasselbe galt – in zwei Dekreten des Wehrkreiskommandos VII vom Sommer und Herbst 1943 – für Südtiroler, Untersteirer und Krainer.949 Der korrekte Umgang mit ElsassLothringern wurde 1943 und jener mit Untersteirern und Krainern 1944 wieder in Erinnerung gerufen.950 Auch ein Artikel über »Beutedeutsche« erinnerte 1944 daran, dass Volksdeutsche immer noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache und ihrer Identität haben könnten, da sie so lange davon abgehalten worden seien, in die »Waffenkameradschaft ihrer Blutsgemeinschaft« zurückzukehren.951 Nicht immer wortwörtlich, aber sicherlich in ihrem Grundtenor klangen diese Appelle genau wie jene, die zwischen 1938 und Kriegsbeginn altreichsdeutsche Soldaten für die Berücksichtigung österreichischer Eigenarten sensibilisieren sollten. Seit dem Beginn von »Barbarossa« waren derartige Aufrufe bezüglich der Österreicher jedoch nicht mehr notwendig.952 Ganz im Gegenteil, nunmehr mussten mehrheitlich »ostmärkische« Einheiten, wie etwa die 137. Infanterie-Division, ermahnt werden, Volksdeutschen aus Polen mit dem notwendigen Verständnis zu begegnen, um »ihnen die Rückkehr zum deutschen Volkstum zu erleichtern«, aber auch gegen deutschfeindliches Verhalten rasch und energisch vorzugehen.953 Diese neue österreichische Situation bestätigte auch die auf der permanenten Erweiterung der Wehrmacht um neue Kontingente basierende Entwicklung 948 »Alle Äußerungen, die auf die frühere Zugehörigkeit dieser Reichsgebiete zu Frankreich anspielen, und die […] – oft nur scherzhaft gemeint – verletzend und kränkend wirken und allgemein viel Schaden anrichten können, haben […] zu unterbleiben.« Der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, 23 b 12/14a Tr. Abt. (IIa), 7479/42 geh., Betr.: Rekruten aus Elsass, Lothringen und Luxemburg, 1. 9. 1942, BA-MA, RH 53 – 7/235. 949 Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. Mob.39/2 c, I b/E 1, Nr. 7443/43 geh. III. Ang., Betreff: Rekruten-Einstellung Juni 1943 für das Heer, 10. 6. 1943, BA-MA, RH 53 – 7/235; Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. 26/Ia, Nr. 15572/43 geh., Besprechungspunkte für die Kommandeurbesprechung am 18. 10. 1943, 2. 10. 1943, BA-MA, RH 53 – 7/271. 950 Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Az. 26/Ia, Nr. 15572/43 geh., Besprechungspunkte für die Kommandeurbesprechung am 18. 10. 1943, 2. 10. 1943, BA-MA., RH 53 – 7/271; Stellv. Gen. Kdo. VII. A. K., Material zur Kommandeurbesprechung am 15. 2. 1944, 7. 2. 1944, BA-MA, RH 53 – 7/185. 951 Ein Schlagwort des Feindes. Gibt es »Beutedeutsche?«, in: Der Kamerad. Bunker- und Graben-Zeitung einer Italienarmee 1 (Mai 1944), BA-MA, RH 20 – 10/265, 11 – 12. 952 Soweit feststellbar, wurde die korrekte Behandlung von Österreichern und Sudetendeutschen letztmals im Jan. 1941 – also vor »Barbarossa« – in Erinnerung gerufen: Der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Stab/I, Nr. 464/41 geh., 21. 1. 1941 BAMA, RH 54/131. 953 137. Inf.-Div., Ia, Abschrift eines Fernschreibens von Generalkommando XXXXIII. A. K., Ia, 13. 5. 1942, BA-MA, RH 26 – 137/31.
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jener im vorigen Kapitel behandelten nationalistischen Hierarchie, in welcher die Österreicher automatisch nach oben rückten, und deren einzelne Kriterien hier noch einmal betrachtet werden sollen. So wollte die große Mehrheit der österreichischen Soldaten zum Reich dazugehören und diente auch entsprechend loyal, während, wie bereits erwähnt, die Soldaten aus den neuen Ost- und Westgebieten in großen Zahlen davonliefen. Während Österreicher von Anfang an in den Genuss der deutschen Staatsangehörigkeit gekommen waren, wurde vielen Untersteirern und Krainern sowie den zur Kategorie III der Deutschen Volksliste gehörenden Volksdeutschen aus Polen die deutsche Staatsangehörigkeit nur auf Widerruf (und bei Bewährung im Felde unbeschränkt) verliehen, und die Stimmung der Soldaten aus der letztgenannten Gruppe litt unter weiteren diskriminierenden Bestimmungen.954 Während Österreicher keine grundlegenden Sprachprobleme hatten, legten Wehrmachtseinheiten immer wieder Vorschläge vor, wie die Deutschkenntnisse von Volksdeutschen verbessert werden könnten. Das Infanterie-Ersatz-Regiment 23 in Potsdam etwa empfahl, dass Polen deutscher Abstammung bis zum Abschluss ihrer Sprachkurse im Ersatzheer verbleiben, ihr Anteil in den Einheiten klein gehalten werden und sie nach Dienst vermehrt Kontakt mit Reichsdeutschen pflegen sollten.955 Auch die Panzerjäger-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 17 im oberösterreichischen Freistadt favorisierte die »völlige Aufsplitterung« der ihr unterstellten untersteirischen Soldaten vor allem außerhalb der Dienstzeiten und empfahl ferner, den Unterrichtsstoff in »leicht verständlichen Sätzen« sowie »kurzweilig« und »fesselnd« vorzutragen.956 Als besonders störend wurde es empfunden, wenn volksdeutsche Rekruten mit
954 Oberkommando des Heeres, Heerwesen-Abt. b[eim] General z. b. V. beim OHK, Nr. 3599/ 43 (I), Betr.: Allgemeine Bestimmungen über die Behandlung der Wehrpflichtigen aus den nach dem 1. September 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten oder unter Deutsche Verwaltung gestellten Gebiete vom 19.6.43, 20. 8. 1943, BA-MA RH 13/7. So wurde z. B. den Familien katholischer Soldaten die deutsche Staatsangehörigkeit verweigert, da ihre Konfession als Anzeichen eines starken Aufgehens im Polentum gewertet wurde, sodass sie unter wirtschaftlicher Benachteiligung litten. Kommandeur Inf.-Ersatz-Regiment 23 an Kommandeur Division Nr. 153, Betr.: 1.) Missstände bei Angehörigen deutschstämmiger, jedoch polnisch sprechender Rekruten […], 9. 9. 1942, BA-MA, RH 14/47; OKH (Ch H Rüst u BdE) Inspekteur der Infanterie, Nr. 256/42 g, 12. 9. 1942, BA-MA, RH 14/47. 955 Ebd. Vgl.: Der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Stab/Ic, Nr. 4376/41, Betr.: Behandlung von Volksdeutschen aus den Ostgebieten im Heere, 4. 7. 1941, BA-MA, RH 14/9. 956 Panzerjäger-Ers.-u.-Ausb. Abt. 17, Abt. Ia, Nr. 244/43 geh., Betr.: Ausbildung von Volksdeutschen, 3. 5. 1943; Panzerjäger-Ers.-u.-Ausb. Abt.17, Abt. Ia, Nr. 7/43 geh. IV. Ang., Betr.: Ausbildung von Volksdeutschen, 8. 4. 1943; Panzerjäger-Ers.-u.-Ausb. Abt.17, Abt. Ia, Nr. 7/ 43 geh. III. Ang., Betr.: Ausbildung von Volksdeutschen, 4. 3. 1943, BA-MA, RH 53 – 17/138a.
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schlechten Deutschkenntnissen Einheiten zugeteilt wurden, die mit Kommunikation zu tun hatten.957 Und schließlich waren die Österreicher mittlerweile lange genug dabei gewesen, um sich in einflussreiche Position hinaufarbeiten zu können, und ihre Art, gewisse Dinge anzusprechen, unterschied sich weder in der Sache noch im Ton von den reichsdeutschen Kollegen, ein »Nachahmungsprozess«, der bereits während der ersten erfolgreichen Kriegsjahre eingesetzt hatte. Wenn Österreicher nunmehr über andere redeten, so geschah dies in dem gleichen, leicht herablassenden Stil, in dem ursprünglich Reichsdeutsche von ihnen selbst gesprochen hatten. Nehmen wir beispielsweise die Beurteilung slowenischer Soldaten durch den Generalstabschef im Wehrkreiskommando XVII vom September 1942: »Bekannt ist, dass die Slowenen ausgezeichnete Soldaten sind und sich während der früheren Kriege bewährt und tapfer geschlagen haben. Voraussetzung ist allerdings, dass sie von Anfang an richtig behandelt und nicht vor den Kopf gestoßen werden. Der Slowene ist nicht sehr rasch in der Auffassung, er braucht längere Zeit, um sich einzuleben. Auf jedes Drängen hin wird er verstockt. Aufgewandte Mühe in der Ausbildung lohnt sich aber reichlich und wird mit absoluter Treue vergolten.«958
Auf den ersten Blick verrät nichts, dass es ein Österreicher war, nämlich Generalstabschef im Wehrkreiskommando XVII Emil Zellner, der hier über die optimale Behandlung von Neulingen dozierte. Das nächste Beispiel stammt aus einem Text vom November 1944 über die richtige ideologische Erziehung des deutschen Soldaten: »Dem heutigen Kampf liegt die Erhaltung der Nation zu Grunde. Wir wollen in diesem Sinn auch die […] Mannschaften aus der Südsteiermark, aus Polen und Westpreußen, aus Elsass und Lothringen durch überzeugendes eigenes Handeln zu gläubigen, von der Notwendigkeit dieses Krieges überzeugten Kämpfern erziehen.«959
Hier war es der österreichische Generalmajor Rudolf Wagner, der sich darüber äußerte, wie man Neulingen die richtige Einstellung nahebringen sollte. Auch die Sprache überwiegend österreichischer Einheiten war nicht von anderen Einheiten unterscheidbar, wie die zwei folgenden Beispiele von der 137. Infanterie-Division zeigen, und selbst wenn der Verfasser Reichsdeutscher gewesen sein sollte, äußerte er sich doch schließlich im Namen seiner mehrheitlich österreichischen Kameraden. Es klingt also wie eine generelle Bestätigung der österreichischen Identifikation mit der deutschen Sache, wenn sich der für das 957 Oberkommando der Wehrmacht, AHA/Ag./E (Id), Nr. 5899/43 geh., 28. 4. 1943, BA-MA, RH 53 – 17/138a. 958 Wehrkreiskommando XVII, WUL/Ia, Az. 34a/12, Nr. 15369/42 geh., Betr.: Slowenen unter den Oktober-Rekruten, 17. 10. 1942, BA-MA, RH 53 – 17/106. 959 Rudolf Wagner, Pflichtenlehre, 11.
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Nachrichtenwesen zuständige Dritte Generalstabsoffizier (Ic) der Division über die schwache Vorstellung der KdF-Gruppe »Kannapinn« mit den Worten beschwerte, dass »nach Ansicht der Division […] eine solche Einstellung sich deutsch nennender Künstler beschämend« sei.960 Dahinter verbarg sich jedoch nach wie vor ein ausgeprägter Stolz auf die engere Heimat. Als nämlich im November 1942 die Frontzeitung »Stoßtrupp« ein Bild von Holzschnitzereien mit dem Emblem der 137. Infanterie-Division, dem Bergmannshammer, veröffentlichte und behauptete, die Division stamme aus dem »Kohlenpott«, betrachteten die Soldaten des zur Division gehörigen Grenadier-Regiments 449 dies als Beleidigung, da die meisten Mitglieder der üblicherweise als »ostmärkisch« bezeichneten Division aus den Alpen- und Donaugauen sowie aus Schlesien stammten. In seiner Beschwerde stellte der Ic des Regiments klar, dass der Bergmannshammer, dieses »Symbol stolzester kriegerischer Taten«, sich auf den im Kampf gefallenen ersten Divisionskommandeur, Generalleutnant Friedrich Bergmann, bezöge und protestierte »im Namen meiner ostmärkischen Kameraden, deren Sprecher ich bin«, gegen die fälschliche Auslegung des Divisionszeichens. Da Bergleute unabkömmlich gestellt waren, enthielt die Beschwerde auch einen Seitenhieb auf die in der Heimat Zurückgebliebenen: »Bei aller Achtung vor den Leistungen der braven Bergknappen ist mir nicht bekannt, dass diese auf irgend einem Schlachtfeld so hervorragende Tapferkeitstaten vollbracht hätten, dass sich eine Tradition daran knüpfen könnte.«961 Die gute österreichische Integration manifestierte sich auch ohne Worte und abseits des Schlachtfeldes, wie etwa in der Tatsache, dass das Generalkommando des XXXV. Armeekorps die »ostmärkische« 262. Infanterie-Division in einem Tagesbefehl dafür lobte, dass diese sowohl den höchsten Pro-Kopf- als auch Gesamtbeitrag innerhalb des Korps für die Sammlung des Winterhilfswerkes 1941/42 beigetragen hatte.962 Zusammenfassend kann in einem Satz gesagt werden, dass die Österreicher in der Wehrmacht während der zweiten Kriegsphase aufgrund ihrer stetig zunehmenden Integration von den anderen Deutschen praktisch ununterscheidbar geworden waren; nicht als Stamm – da genossen sie ein überaus positives Image im Einklang mit dem populären Stammesdenken –, sondern als gleichwertig angesehene, verdiente und loyal gesinnte Soldaten. Es erscheint daher mit Bezug auf die Österreicher als völlig akkurate Beschreibung der Wirklichkeit, 960 137. Inf.-Division, Abt. Ic, an Generalkommando XXXXIII. A. K. Abt. Ic., 7. 10. 1942, BAMA, RH 26 – 137/77. 961 Grenadier-Regiment 449, Ic, Betr.: Bildbericht im »Stoßtrupp«, 3. 12. 1942, BA-MA, RH 26 – 137/77. 962 Generalkommando XXXV A. K., Abt. IIa, Korpstagesbefehl Nr. 6 (Anlage 8 zu Tätigkeitsbericht 262. Inf.-Division, Abt. Ic, vom 1.4.–30. 4. 1942), 21. 4. 1942, BA-MA, RH 26 – 262/52.
Eine wahrhaft »großdeutsche« Wehrmacht?
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wenn Bruno Giehrach im Juni 1943 behauptete, »das Feldheer hat das Trennende der kleindeutschen Geschichtsauffassung überwunden und ist großdeutsch geworden. Die Heimat hat dieses Ziel noch nicht voll erreicht.«963
963 Giehrach, Vortrag, 5.
Kapitel 6: Von der Normandie bis Berlin – Bis zur Kapitulation und darüber hinaus
Österreichische Loyalität bis zum Ende Die Landung der westlichen Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 läutete die dritte und letzte Kriegsphase ein, jene elf Monate bis zur Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945, in denen während des Sturms auf das Reich von Ost und West fast doppelt so viele deutsche Soldaten fielen wie in den fast fünf Jahren Krieg davor. Während die Stimmung unter der österreichischen Zivilbevölkerung rasant abstürzte, kämpften die Österreicher in der Wehrmacht ebenso loyal und entschlossen wie bisher weiter bis zum Ende.964 Zwar ist die genaue Zusammensetzung der in Stalingrad vernichteten und seit 1944 auf dem Balkan eingesetzten 100. Jäger-Division unbekannt, doch dürfte sie immer noch einen signifikanten Österreicher-Anteil besessen haben. So berichtete Major Schefflers Kriegstagebuch des zur Division gehörenden JägerRegiments 54 im September 1944, dass sich »unsere Männer aus den österreichischen Bergen« in den selbstgebauten Berghütten »fast wie ›zuhause‹ fühlen. Abends sitzen sie um ein Lagerfeuer, singen Lieder aus der Heimat.« Das Rückgrat der Division bildeten die »uralten Oberschnapser« – einige Unteroffiziere und sehr wenige Offiziere –, während der zu alte oder zu junge Ersatz aus der Heimat ohne jegliche Kampferfahrung war, aber dennoch bezeugt Schefflers Beschreibung der Kampfhandlungen einen ungebrochenen Kampfgeist bis Ende Februar 1945.965 August Mayers Fahr-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 18 wurde im März 1945 in ein Alarm-Bataillon umgewandelt, indem zwei Fahrschwadrone zu einer Gefechtseinheit zusammengefasst und die Lücken mit vier Genesenden-Kom964 Der Unmut richtete sich nunmehr auch (von kurzen Zwischenhochs nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 und der Ardennen-Offensive im Dez. 1944 abgesehen) gegen den bisher von jeder Kritik ausgenommenen Hitler. Die Widerstandstätigkeit nahm zu, blieb aber weiterhin ein Randphänomen. Bukey, Hitler’s Austria, 211 – 214, 217 – 222. 965 Scheffler, Kriegstagebuchnotizen, 5, 25, 36, 42. Im Okt. 1944 übernahm Scheffler das Kommando von IR 227 innerhalb der 100. Jäg.-Div.
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panien aus den Grazer Militärhospitälern aufgefüllt wurden. Die Einheit focht in der Südsteiermark gegen die Rote Armee bis zu ihrer Auflösung am Tag der Kapitulation, und laut Mayer hätten die Männer sogar dann noch »Genugtuung« darüber empfunden, dass Hauptmann Kleeberger für das Ritterkreuz vorgeschlagen wurde, obwohl es freilich nicht mehr zur Verleihung kam.966 Ebenfalls im März 1945 kämpfte Franz Lorenz an der Westfront, wo sein Pionier-Bataillon nahe dem fränkischen Hammelburg in zwei Stunden 28 amerikanische Panzer unschädlich machte, und noch im Mai bemühte Lorenz sich beim Gebirgsstellungsbaustab 10 um die Einrichtung einer neuen Hauptkampflinie entlang der Kärntner Grenzpässe.967 Als Guido Plas im September 1944 den Treueid auf »Führer, Volk und Vaterland« schwor, war er so bewegt, dass ihm Schauer den Rücken hinunterliefen.968 Und auch Alfred Bergers Tagebücher für die Jahre 1944 und 1945, die er im rückwärtigen Frontgebiet in Italien verbrachte, lassen seine Identifikation mit der deutschen Sache erkennen. Am 23. Dezember 1944 notierte er, dass »unsere Truppen« bei Chlons-sur-Marne stünden. Am 11. April 1945 seien »unsere Kräfte« gegen den Donaukanal in Wien gedrückt worden. Am 20. April trug Berger »Führers Geburtstag« ein und am 2. Mai, dass »der Führer an den Verwundungen am 30.4. gestorben« sei.969 Während diese Beispiele eindeutig den Kampfgeist und die Loyalität österreichischer Wehrmachtsoldaten belegen, so bleibt die Frage nach dem »Warum« offen. Es ist besonders schwierig zu determinieren, was Wehrmachtsoldaten in den letzten Kriegsmonaten, als die Niederlage unabwendbar erscheinen musste, zum Weiterkämpfen bewog. Bis heute hat die Forschung keine vollends befriedigende, die ganz Komplexität der Frage umfassende Erklärung vorlegen können, wobei es sich um ein Bündel an Motivationen handeln muss und die Gewichtung der einzelnen Motive nicht für alle Individuen gleichermaßen gegolten haben kann.970 Aus den Zeugnissen österreichischer Soldaten lassen sich folgende dem Kampfeswillen zugrunde liegende und sich oft überlappende Motivationsstränge herauslesen, von denen einige bereits aus den beiden ersten Kriegsphasen bekannt sind: (1) Kameradschaft; (2) verschiedene Formen von Hoff966 August Mayer: Kriegstagebuch 1945, 28.3.–9.5.1945, KA, NL, B/1277:3. 967 Franz Lorenz: Autobiographischer Brief an Kriegsarchiv, 25. 4. 1967, KA, NL, B/430:1, 3; Episoden, 11. 968 G. Plas, Memoiren, 33. 969 Berger, Tagebuch IV, Eintrag vom 23. 12. 1944; Tagebuch V, Einträge vom 11.4., 20.4. und 2. 5. 1945. 970 Kunz (Niederlage, 343) verweist auf den »unüberschaubaren Facettenreichtum« der Frage. Kürzlich identifizierte Ian Kershaw (The End. Hitler’s Germany 1944 – 45, London 2011) fast genau die gleichen Hauptmotivationen wie die vorliegende, bereits 2007 abgeschlossene Studie.
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nung; (3) Angst bzw. Wut oder Hass im Zusammenhang mit dem Feind; (4) Zwangsmaßnahmen; (5) Sorge um die engere Heimat; (6) ein spezifisches Ethos des »deutschen Soldaten«; und schließlich (7) nationalsozialistische Indoktrination. (1) Kameradschaft spielte während der letzten Kriegsphase weiterhin eine zentrale Rolle, und zwar genau dem in Kapitel fünf aufgestellten Axiom entsprechend, dass die Kameradschaft sich intensivierte, je härter und verzweifelter der Kampf wurde, und österreichische Soldaten priesen das, was sie unter Kameradschaft verstanden, bis zum Ende der Kämpfe und darüber hinaus.971 Zwei Geschichten über zwei Soldaten aus völlig verschiedenen sozialen und politischen Verhältnissen illustrieren die Bedeutung von Kameradschaft für die österreichische Integration und die allgemeine Kohäsion gegen Kriegsende. Als der christlichsozial gesinnte Burgenländer Josef Huber im Juni 1944 in die Normandie versetzt wurde, traf er dort einen Soldaten aus seinem Heimatdorf, der mit einigen anderen zur Desertion bereit war und ihn mit der Begründung, das der Krieg »aus« sei, zum Mitfahren überreden wollte. Huber aber entschied sich zu bleiben, da er die Kameraden doch nicht »im Stich lassen« könne. Exakt die gleiche Haltung nahm ein ehemaliger Schutzbündler in einer beinahe identischen Situation an der Westfront ein, als ihn der Kommunist Richard Wadani zum Desertieren zu bewegen versuchte.972 (2) Seit Stalingrad hatten österreichische Soldaten sich zunehmend an eine permanente Krisensituation gewöhnt, aus der es jedoch immer wieder einen Ausweg zu geben schien: Sie wurden zum Rückzug gezwungen, setzten sich ab, bildeten eine neue Verteidigungslinie, kämpften, wurden zurückgedrängt usw. So bemerkte im Oktober 1944 Obergefreiter Karl Pohanka in einem Brief, dass sie »wieder mal eingeschlossen« gewesen seien; die Russen hätten sich durch den Wald bis auf 100 Meter herangeschlichen, seien dann jedoch von der Artillerie beschossen worden, »dass die Fetzen flogen« und der »Sauhund« in den Wald zurückgedrängt werden konnte.973 Und im August 1944 erwähnte Ober971 Echternkamp, Grundzüge, 52 – 54; Kühne, Kameradschaft, 196 – 197; Kunz, Niederlage, 260. Für Wotava (Interview) wurde die Kameradschaft umso wichtiger, je mehr sich die Kriegslage verschlechterte. Toni Wiesbauer (Ende, 26, 51) meinte, dass er Kameradschaft niemals »inniger und bedeutungsvoller kennen und schätzen gelernt« habe als während seines letzten Kampfeinsatzes Ende April 1945; und als er nach der Auflösung seiner Einheit auf dem Marsch von Prag in Richtung Reichsgrenze zu stolpern begann, stützte ihn ein Kamerad aus Berlin. 972 Huber, Interview. Wadani desertierte kurz nach seiner Ankunft an der Westfront im Okt. 1944, während der Schutzbündler mit den Worten zurückblieb: »Schließlich bin ich doch Deutscher, und ich kann doch nicht … Na schau, der Renner, der Renner war auch dafür! (…) Zum Schluss muss ich noch auf die eigenen Leute schießen.« Fritsche, Entziehungen, 33. 973 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 2. 10. 1944.
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gefreiter Brummeir aus Linz das Gerücht, dass die sowjetischen Reserven erschöpft seien, was sich, so Brummeir, hoffentlich bald an allen Frontabschnitten bemerkbar machen würde.974 Wie viele der folgenden Aussagen auch, drücken die beiden Äußerungen die vage Vorstellung aus, dass alles immer irgendwie gut ausgehen würde, was eine direkte Fortsetzung des in allen früheren Kriegsphasen beobachteten Optimismus der Frontsoldaten darstellte. Einige, vielleicht die meisten, Soldaten wussten im Prinzip, dass der Krieg verloren war. Doch es schien, als ob sie nicht willens oder fähig gewesen wären, zu begreifen, was genau dies bedeutete, solange es faktisch nicht abgeschlossen war. So sinnierte etwa Erhard Heckel: »Als Hitler den USA den Krieg erklärte, war mir klar, dass der Krieg für uns Deutsche verloren war ; dass er aber bis zur totalen Zerstörung fortgesetzt wurde, habe ich trotz allem Pessimismus nicht erwartet.«975 Alfred Bergers Tagebuch offenbarte die eigene Fassungslosigkeit – »die geschlagene deutsche Armee!« – nach der Kapitulation seiner Heeresgruppe Südwest in Italien am 3. Mai 1945, aber auch, dass »die meisten nicht den Ernst der Lage« erkennen würden. Berger selbst hatte erst im April, als »die Breite Großdeutschlands […] auf ca. 180 km geschrumpft« war, die Sinnhaftigkeit eines Weiterkämpfens anzuzweifeln begonnen.976 Johann Wotava bezeugte, dass er sich nie ein Ende des Krieges und schon gar nicht die Niederlage vorstellen konnte, und auch Karl Brandeis befand, dass man eigentlich nie genau wusste, wann der Krieg wirklich verloren war.977 Andere hatten noch ganz konkrete Hoffnungen auf den Sieg. Im August 1944 schrieb Rittmeister Otto Wawra einem Freund in Wien, dass sie »im nächsten Jahr ehrenvoll und unbesiegt daheim« seien, wenn sie, »Zähne zusammen«, unbeirrt weiterkämpften.978 Der inzwischen zum Leutnant beförderte Fritz Bertnik begrüßte die Ardennen-Offensive mit den Worten: »Wir haben alle gestaunt und aufgeatmet. Wenn wir nur auch schon im Osten soweit wären!«979 Ebenfalls im Dezember 1944 schrieb Pohanka, dass es sinnlos sei, sich über die eigene Gesundheit Gedanken zu machen, denn es zähle nur noch, den Krieg zu 974 Obergefr. Brummeir an Margit Brummeir, o. J., Feldpostprüfstelle W. Kdo. Gen. Gouv. [= Wehrkreiskommando Generalgouvernement], Tätigkeitsbericht 1.8.–31. 8. 1944, 7. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 3 (Anlage). 975 Heckel, Episoden. 976 Berger, Tagebuch V, Einträge vom 14.4. und 3. 5. 1945. 977 Interviews mit Brandeis und Wotava. Ähnlich: Probst und Steiner (Interviews). Zur Weigerung, die Niederlage zu akzeptieren, vgl.: Hornung, Trümmermänner, 246; Latzel, Deutsche Soldaten, 211. 978 Rittmstr. Otto Wawra an Alois Duschel, o. J., Feldpostprüfstelle W. Kdo. Gen. Gouv., Tätigkeitsbericht 1.8.–31. 8. 1944, 7. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 5 (Anlage). 979 Bertnik an Wächter, 23. 12. 1944. Ähnlich: Meixner, Tagebuch II, Einträge vom 18.12, 19.12, 20.12 und 22. 12. 1944. Zu den mit der Ardennen-Offensive verknüpften Hoffnungen vgl.: Kunz, Niederlage, 253.
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gewinnen.980 Und Gefreiter Josef Bermoser hoffte, dass das kommende Jahr das Jahr des Sieges und des Friedens sein würde. Im Februar 1945 musste Bermoser zugeben, dass der Krieg die deutschen Grenzen überschritten hatte, doch er blieb zuversichtlich, dass »sich die Sache wieder bald zum Besseren« wendete.981 Während die meisten dieser Hoffnungen eher in einer allgemeinen irrationalen Gemütslage und Verzerrung der Realität begründet lagen, können mindestens drei konkrete Gründe für diesen Optimismus identifiziert werden.982 Eine entscheidende Komponente war der Glaube an den Führer-Mythos, demzufolge Hitler besondere Fähigkeiten besitzen und von der Vorsehung geleitet würde, sodass er als militärischer Anführer keinen Krieg verlieren könnte. Hitler kultivierte diesen Glauben und war selbst sein größter Anhänger, hoffend, dass sich für ihn das »Wunder des Hauses Brandenburg«, das einst den von ihm zutiefst verehrten Friedrich II. gerettet hatte, wiederholte. Viele Soldaten verbanden mit Hitler die Kette großartiger militärischer Erfolge von 1939 bis 1941 und konnten sich daher nicht vorstellen, dass der Führer sich diesmal geirrt haben sollte. Der Führer-Mythos erklärt daher auch, warum die große Mehrheit der Soldaten das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 scharf verurteilte.983 Eine weitere Hoffnung gründete sich auf die Existenz sogenannter »Wunderwaffen«, also von Geheimwaffen, die technologisch so hoch entwickelt waren, dass deren Einsatz das Kriegsglück in letzter Minute noch wenden würde. Zum Beispiel erinnerte sich Johann Wotava, dass er von einer Radiorede – in der Goebbels meinte, dass es ihm beim Anblick der neuen Waffe geradezu den Atem verschlagen habe – so beeindruckt gewesen sei, dass er dachte, Deutschland müsse ganz einfach noch etwas in Reserve haben.984 Das dritte Motiv war die Hoffnung, dass die Westmächte letztlich doch noch die Bedeutung des Kampfes gegen den Bolschewismus einsehen und entweder 980 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 3. 12. 1944. 981 Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 3. 12. 1944 und 15. 2. 1945. 982 Dem Thema »Realitätsverzerrung« widmet Bartov (Hitler’s Army, 106 – 178) ein ganzes Kapitel. Vgl.: Vogel, Kriegsalltag, 202 – 205; Kunz, Niederlage, 254 – 255, 249 – 252; Latzel, Deutsche Soldaten, 210 – 211; Steinert, Hitlers Krieg, 447. 983 Ein Wiener Unteroffizier beschuldigte die Verschwörer zusätzlich, die Rüstung sabotiert und damit die Wehrmacht zum Rückzug an allen Fronten gezwungen zu haben. Uffz. Josef Schimak an Familie Stefan Schimak, o. J., Feldpostprüfstelle W. Kdo. Gen. Gouv., Tätigkeitsbericht 1.8.–31. 8. 1944, 7. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 9 (Anlage). Zur Macht des Glaubens an Hitler im Krieg vgl.: Vogel, Kriegsalltag, 203; Latzel, Deutsche Soldaten, 298 – 299; Stenzel, Russlandbild, 83 – 85; Echternkamp, Grundzüge, 22 – 28; Kühne, Kameradschaft, 195; und allgemein: Kershaw, »Hitler Myth«. 984 Wotava, Interview. Meixner (Tagebuch II, Eintrag vom 18. 12. 1944) vermutete, dass während der Ardennen-Offensive erstmals eine »neue, geheime Waffe« zum Einsatz kommen würde. Otto Wawra (an Duschel) riss sich zusammen, weil er fest daran glaubte, dass die neuen Waffen die Wende bringen würden. Vgl.: Kunz, Niederlage, 76 – 78; Stenzel, Russlandbild, 83 – 85.
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Deutschland dabei helfen oder zumindest nicht mehr daran hindern würden. In Bergers Tagebuch etwa finden sich für die erste Maiwoche 1945 einige Bemerkungen über Gerüchte, wonach die Wehrmacht ihren Kampf nur gegen die »Bolschewiken« fortsetzen und die Alliierten den Rückzug der Roten Armee hinter die Reichsgrenzen verlangen würden.985 (3) Die Hoffnung, dass der Westen die Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion erlauben würde, bezeugt einmal mehr, dass Antikommunismus ein starkes Motiv für den Kampf gegen die Rote Armee war, welches mit der großen Furcht vor der sowjetischen Rache zusammenfiel.986 Eine Niederlage im Osten wurde als totale Katastrophe und Untergang des deutschen Volkes, wenn nicht sogar Europas betrachtet, womit auch das eigene Überleben sinnlos geworden wäre.987 Für viele Soldaten war der Ostkrieg daher eine Situation, in der es keine Alternative zum Weiterkämpfen gab. Rittmeister Wawra etwa sah Europa am Rande eines Vulkans stehen, »das Entweder – Oder vor uns«.988 Fast identisch war Bertniks Einschätzung der Lage: »›Sieg oder Sibirien‹. Und daraus gibt es für jeden nur eine Wahl.«989 Entsprechend, und in scharfem Gegensatz zur Westfront, war es äußerst unüblich für Wehrmachtsoldaten, sich der Roten Armee zu ergeben.990 Trotz der bedrückenden Situation an der Ostfront hegten viele Österreicher weiterhin große Verachtung für die westlichen Alliierten. Diese Einstellung war sicherlich verstärkt von dem Unverständnis, wie die blutsverwandten und »kapitalistischen« Anglo-Amerikaner einen Sieg des »jüdisch-slawischen« Bolschewismus zulassen könnten. Der Hauptgrund war jedoch weiterhin der Luftkrieg.991 Pohanka etwa betrachtete die alliierten Bombenangriffe auf seine Heimat als eine »Gemeinheit, wie es keine größere mehr sein und geben kann«, und steigerte sich wiederholt in Wutausbrüche gegenüber den »Hunden«, »Sauhunden« und »Sauhammeln«, die der »Teufel holen« sollte, hinein und bezeichnete die Alliierten als »verruchte und niederträchtige Bande«, die Flugblätter abwerfen würde, welche »uns« aufforderten, wie der »Verbrecher Tito« bei der Befreiung Österreichs mitzuhelfen, während daheim »Eltern und Geschwister von ihren Bomben erschlagen« würden.992 (4) Nachdem der Kampf an der Ostfront all jenen, die sich noch eine realisBerger, Tagebuch V, Einträge vom 1.5., 2.5. und 6. 5. 1945. Kunz, Niederlage, 253 – 254, 342; Stenzel, Russlandbild, 85 – 87. H. Zsilincsar an Cipan-Zsilincsar, 8. 2. 1943; Bertnik an Wächter, 13. 5. 1942. Wawra an Duschel. Bertnik an Wächter, 27. 11. 1944. Diese Entweder-oder-, Sieg-oder-Niederlage-Einstellung wurde auch durch die Propaganda verstärkt. Wette, Wehrmacht, 181; Kunz, Niederlage, 341. 990 Bosse, Aus meinem Leben, 249. 991 Meixner, Tagebuch II, Eintrag vom 25. 4. 1945; Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 8. 8. 1944. 992 Pohanka an Cipan-Zsilincsar, 23.11. und 3. 12. 1944. 985 986 987 988 989
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tische Sichtweise der Lage bewahrt hatten, vergeblich erscheinen musste – für Johann Morawec sei er vollkommen aussichtslos gewesen und habe mehr einem »Abschlachten« geglichen – stellt sich auch die Frage nach deutschen Zwangsmaßnahmen, um das Weiterkämpfen der Soldaten zu sichern.993 Einige Interviewpartner wiesen darauf hin, dass ihnen das Kämpfen, unabhängig von den Erfolgsaussichten und den individuellen Einstellungen der Soldaten, schließlich auch befohlen worden sei, und bestimmte Einheiten hinter der Front die Einhaltung dieses Befehls gewährleisteten.994 Für diese Veteranen bestand die Wahl daher nicht zwischen Sieg oder Tod, sondern zwischen der Möglichkeit des Todes oder der Kriegsgefangenschaft bei Fortsetzung des Kampfes und dem sicheren Tod durch Erschießung, falls man nach erfolgter Desertion in die Hände der SS oder der »Kettenhunde«, wie die Militärpolizei genannt wurde, gefallen wäre.995 (5) Wie Pohanka, der von seinen Angehörigen laufend über die Zerstörungen daheim unterrichtet werden wollte, sorgten sich auch andere Soldaten zunehmend um das Schicksal ihrer Verwandten und Freunde in der engeren Heimat, je näher der Krieg seinem Ende zusteuerte. So schrieb etwa Gefreiter Kerschbaumer im August 1944 an Olga Schenk in Innsbruck, dass die Frontsoldaten ihre Pflicht selbstverständlich bis zum Ende erfüllen werden, »denn was würde geschehen, wenn diese Teufel in Menschengestalt über Euch hinwegrollen würden. Das wäre einfach undenkbar.«996 Bertnik nahm im Dezember 1944 den Rückgang von Luftangriffen auf Wien mit Freude zur Kenntnis, und Bergers Tagebucheintragungen konzentrierten sich im April 1945 sorgenvoll auf den sowjetischen Vormarsch nach Österreich und vor allem die Kämpfe in Wien, während sich Soldaten aus dem Rheinland im selben Monat bereits erleichtert über das Ende der Luftangriffe auf ihre Heimat zeigen konnten.997 Als der Tiroler Franz Haas nach der Auflösung der Luftwaffen-Ingenieursschulen im November 1944 zwischen der Versetzung zur WaffenSS oder zu den Luftwaffen-Felddivisionen wählen durfte, ersuchte er um Ver-
993 Interviews mit Brandeis und Morawec; Kunz, Niederlage, 260, 339; Echternkamp, Grundzüge, 48 – 51. 994 Interviews mit Brandeis; Morawec; Perner ; Schmidl; Stadler ; Steiner sowie Bosse, Aus meinem Leben, 249. 995 Interviews mit Horvath; Huber ; Morawec; Ochnitzberger. Dies entsprach der von Hitler (Mein Kampf, 587) aufgestellten Maxime »An der Front kann man sterben, als Deserteur muss man sterben.« 996 Gefr. H. Kerschbaumer an Olga Schenk, o. J., Feldpostprüfstelle W. Kdo. Gen. Gouv., Tätigkeitsbericht 1.8.–31. 8. 1944, 7. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 3 (Anlage). 997 Bertnik an Wächter, 23. 12. 1944; Berger, Tagebuch V, Einträge vom 1.4., 5.4., 8.4., 9.4., 14.4. und 15. 4. 1945; Grüblinger, Nord-Süd-Weg, 137.
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wendung bei den Gebirgsjägern, da er dann »wenigstens mit Leidensgenossen aus der ›engeren Heimat‹ zusammen« sei.998 All dies war in Anbetracht des Vormarsches feindlicher Armeen ein sehr natürliches Empfinden, das Soldaten aus allen Regionen teilten, vor allem jene aus Deutschlands Osten, welcher das Rachebedürfnis der Roten Armee mit voller Wucht zu spüren bekam.999 Die Führung bediente sich dessen sogar in Form des Konzepts der »Heimatverteidigung«, wobei Soldaten aus einer bestimmten Region zur Verteidigung derselben herangezogen wurden, was die überproportionalen Verluste von Soldaten aus Nordostdeutschland, wo die Rote Armee erstmals das Reichgebiet betrat, erklärt.1000 Ein Beispiel für die Ausnutzung enger Heimatverbundenheit im österreichischen Kontext ist die Ansprache, die General Albrecht Schubert, der Kommandeur von Wehrkreis XVII, im Oktober 1944 an die Wiener Freiwilligen der SS-Panzer-Division »Hitlerjugend« richtete. Darin forderte Schubert sie auf, der feindlichen Propaganda über angebliche Kriegsmüdigkeit und zunehmende Drückebergerei unter der deutschen Jugend eine passende Antwort zu geben, da sie ja schon aus ihrer HJ-Zeit wüssten, was Kameradschaft bedeutet. Außerdem, so Schubert, »wandert durch die schönen Straßen Eurer herrlichen Heimatstadt, seht Euch all die vielen wundervollen Stätten an, die Wien zur Perle im Kranz der deutschen Städte machen, und denkt: dafür will ich kämpfen […]. Seht Euch um im Kreise Eurer Angehörigen, seht die Mutter, die Schwester, die jüngeren Brüder ; für sie gilt Euer Einsatz […]. Wer seinen Vater ehrt und seine Mutter liebt, und wer in seiner Heimaterde wurzelt, der wird auch ein rechter Soldat werden.«1001
Die Rede demonstriert ferner, dass zu diesem Zeitpunkt eine Generation von »Ostmärkern«, die bereits eine dem Altreich vergleichbare Sozialisierung im Dritten Reich in Form von HJ und RAD durchgemacht hatte, die Reihen der deutschen Streitkräfte auffüllte. Dieser höchst integrative Faktor konnte sich 998 Haas, Kriegserinnerungen, 23. und 29. 11. 1944. 999 In den letzten Kriegsmonaten drehten sich die Gedanken vieler Wehrmachtsoldaten fast ausschließlich um deren Angehörige und die engere Heimat. So schrieb »Uffz. Tr.« am 6. 8. 1944: »Es macht keinen Spaß fremde Länder zu verteidigen, wenn die eigene Heimat vom Satan bedrängt ist. Hoffentlich haben wir das Glück, unsere ostpreußische Heimat in Schutz zu nehmen«, und »Wm. H.« am 8. 8. 1944: »Vielleicht kommen wir bald unsere engere Heimat verteidigen, […] denn das ist aller Wunsch.« Laut Feldpostprüfstelle der Armeegruppe Heinrici war dies der Tenor unter ostpreußischen Soldaten. Tätigkeitsbericht August 1944, 6. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 4. Vgl.: Kunz, Niederlage, 250, 254; Stenzel, Russlandbild, 85 – 87. 1000 Overmans, Verluste, 230 – 231. 1001 Ansprache des Kommandierenden Generals des Stellvertretenden XVII. A. K. und Befehlshabers im Wehrkreis XVII, General der Infanterie Schubert, 8. 10. 1944, AdR, RStH, Karton 30, Mappe 158.
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allerdings logischerweise erst gegen Ende des Krieges auswirken. Dem Dritten Reich gegenüber verhielten sich jedoch vor allem seine Soldaten loyal, und dieser Umstand wird oft mit dem jugendlichen Alter der Soldaten erklärt.1002 Außerdem schwächte die zunehmende individuelle Fokussierung auf die engere Heimatregion einen integrativen Aspekt der »bewaffneten Volksgemeinschaft«, nämlich das Prinzip, dass das großdeutsche Vaterland in jedem gegebenen lokalen Heimatgau erfahren werden konnte, da nunmehr der Gedanke an die abstrakte größere Heimat von der sehr konkreten Sorge über die unmittelbare Bedrohung der eigenen Heimat verdrängt werden konnte.1003 Diese teilweise Erosion der »bewaffneten Volksgemeinschaft« wurde aber durch andere Faktoren mehr als wettgemacht. Zum einen gibt es in den Quellen keinerlei Anzeichen dafür, dass österreichische Soldaten ihre Sorge um die Bewahrung der engeren Heimat mit der Hoffnung auf die Niederlage des Großdeutschen Reichs oder das Ende des Anschlusses verknüpften. Außerdem konnte die eigene Heimat nicht ohne die Hilfe der Kameraden aus den anderen Gauen verteidigt werden. Und schließlich half die gesteigerte Aufmerksamkeit für die engere Heimat, die Entfremdung zwischen Front und Heimat wieder zu korrigieren. Anders ausgedrückt: Front und Heimat wurden jetzt zunehmend identisch. Ob die Soldaten die wahren Schuldigen an der Misere ausmachten, ist irrelevant. Die meisten dachten wahrscheinlich – wie schon in den Jahren davor – nicht einmal darüber nach und sahen sich nun subjektiv als Verteidiger der Heimat.1004 (6) Viele österreichische Soldaten schienen von einem spezifischen militärischen Ethos inspiriert gewesen zu sein, nämlich dem Selbstverständnis, ein »deutscher Soldat« zu sein. Das war nicht dasselbe wie der berüchtigte »preußische Kadavergehorsam«, eine Tradition, die im Altreich stärker ausgeprägt war, obwohl es Überlappungen gegeben haben mochte. Österreicher wurden nicht müde, über »deutsche« soldatische Tugenden und Traditionen zu sprechen und zu schreiben. Gleichzeitig gab es eine lange und phasenweise tatsächlich ruhmreiche österreichische Militärgeschichte, die typischerweise als Teil einer größeren deutschen Militärtradition gesehen wurde. Gemäß dieser Wehrtradition, die von den Menschen damals ernst genommen wurde, entstammte der 1002 Ernst Bruckmüller : Die Entwicklung des Österreichbewusstseins, in: Robert Kriechbaumer (Hg.): Österreichische Nationalgeschichte nach 1945, Bd. 1: Die Spiegel der Erinnerung. Die Sicht von innen, Wien 1998, 380 – 381; Kershaw, »Hitler Myth«, 207 – 210; Fritz, Frontsoldaten, 55, 157, 168. 1003 Zur gleichen Entwicklung kam es auch gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Applegate, Provincials, 118 – 119. 1004 Diese Sichtweise wurde nachdrücklich vertreten von Andreas Hillgruber : Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums, Berlin 1986, 23 – 25, 36 – 39, 64 – 65.
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österreichische Soldat einer grundsätzlich friedfertigen Kultur, doch wenn er einmal zu kämpfen begonnen hatte, so kämpfte er unabhängig vom Ausgang des Krieges zäh und tapfer bis zum Schluss. Die Tugend, welche diese Haltung am besten beschreibt, heißt »Pflichterfüllung«. Eine Reihe von Soldaten benutzte diesen Begriff nach dem Krieg, weil er ihnen am geeignetsten erschien, um einen sonst schwer erklärbaren Aspekt ihres damaligen Handelns begreiflich zu machen.1005 Einige betonten, dass man eher danach handelte, als viel darüber zu sprechen.1006 Doch kann man diesen Begriff bloß als leere Standardphrase und rein äußerliche Haltung ohne tiefere Inspiration betrachten?1007 Freilich enthält er Elemente von blindem Gehorsam, Konformismus und der Abwälzung von Eigenverantwortung, und doch war er auch mit einem Verständnis von Ehre verknüpft, welches dem Individuum gewisse Normen sowohl im Krieg als auch in der zivilen Welt auferlegte. Denn Pflichterfüllung wurde nicht bloß als militärische Gefügigkeit, welche in Generationen von deutschen Soldaten gedrillt worden war, verstanden, sondern eher als moralischer Imperativ, wonach das, was einmal begonnen wurde, auch zu Ende gebracht werden muss, und dieser wurde auch als Merkmal des deutschen Nationalcharakters betrachtet. So befand etwa Toni Wiesbauer, dass wenn der Frontsoldat in einer Situation, wo der Krieg verloren und der Kampf für Heimat und Familie für die meisten vergebens war, da ihre Heimat bereits besetzt war, »dennoch so tapfer und treu seine Pflicht erfüllte, dann war es die hohe Eigenschaft der Disziplin und die unbeugsame Pflichterfüllung, die dem deutschen Soldaten bis auf wenige Ausnahmen angeboren war.«1008 Derartige Vorstellungen spiegelten sich auch in der tiefen Verachtung wider, mit welcher österreichische Soldaten den Seitenwechsel Italiens, der als Ausdruck der italienischen Natur angesehen wurde, quittieren konnten. So fand Josef Bermoser, dass man jetzt beim »Itaker das wahre Gesicht« sähe: »Überhaupt wenn der Tommie näher kommt. Man ist vor keinem sicher, aber man verhält sich ihnen gegenüber dementsprechend. War von ihm auch nicht anders zu erwarten. Vor allen Dingen ist er uns gegenüber ja feige.«1009 1005 Laut Endbericht (42) betrachteten österreichische Soldaten »treueste Pflichterfüllung« und »deutsche Soldatenehre« als die wichtigsten soldatischen Grundsätze. Vgl.: Wiesbauer, Ende, 21; Bosse, Aus meinem Leben, 249; Interviews mit Brandeis; Ulber; P. Podhajsky. 1006 Bosse, Aus meinem Leben, 249; Brandeis, Interview. 1007 Dies ist die Sichtweise von Kühne (Kameradschaft, 197 – 198). 1008 Wiesbauer, Ende, 21. 1009 Bermoser an Cipan-Zsilincsar, 26. 6. 1944. Das Zitat bestätigt Michael Geyers (Civitella in Val di Chiana) These, dass die in Italien begangenen Gräueltaten dem Hass auf alles Italienische, in einer Situation großer Angst und Verzweiflung und bei gleichzeitigem Bemühen, das Selbstwertgefühl zu bewahren, entsprangen. Zur Verachtung Italiens vgl.: Vogel, Kriegsalltag, 203.
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Seine fatalistischen Züge betreffend, kann der Begriff der »Pflichterfüllung« auch auf Michael Geyers Konzept von »Catastrophic Nationalism« angewendet werden. Demgemäß gaben die Deutschen nicht auf obwohl, sondern weil sie wussten, dass der Krieg in einer Katastrophe enden würde, welche letzten Endes als Vollendung des deutschen Schicksals, inklusive des eigenen individuellen Todes, angenommen wurde. Hier ging es nicht mehr um den Sieg, sondern nur noch um einen »ehrenvollen Untergang«, so wie auch das Regime keine ernsthaften Erfolgsstrategien mehr anbieten konnte und stattdessen das Nibelungenlied oder die Schlacht bei den Thermopylen anrief.1010 Und in der Tat habe Wolfgang Bosse (Rang unbekannt) im April 1945, bevor seine Einheit in ihre vermutlich letzte Schlacht ging, zu seinen Kameraden gesagt, dass sie nun bloß noch dem Dritten Reich einen ehrenhaften Abgang bereiten könnten wie seinerzeit die Spartaner bei den Thermopylen. Einige hätten zugestimmt, die meisten geschwiegen, aber niemand widersprochen. Ob authentisch, eine Reflexion der damaligen Rhetorik oder eine reine Nachkriegskonstruktion, Bosses Geschichte illustriert, wie wirkungsvoll derartige Vorstellungen zu diesem Zeitpunkt geworden waren.1011 Auch hatten Jahre des Kampfeinsatzes die Gefühle vieler Soldaten abstumpfen lassen, und sie konnten daher gelegentlich eine brutale Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden und Befürchtungen der Zivilisten, welche sie, vor allem im Westen, nicht mehr bei ihren Abwehrmaßnahmen unterstützen wollten, an den Tag legen.1012 Für viele Landser war ein Leben ohne Krieg unvorstellbar und der eigene Tod damit so etwas wie eine logische Konsequenz geworden.1013 Allerdings war der Gedanke der »Opferung«, allen überspannten irrational-psychologischen Faktoren zum Trotz, nicht bloß Lust am katastrophischen Untergang. So evakuierten deutsche Soldaten unter hohen Opfern Tausende Flüchtlinge aus Deutschlands östlichen Provinzen, vor allem Ostpreußen, in gewagten Rettungsaktionen zu Wasser und zu Lande.1014 1010 Michael Geyer: »There Is a Land Where Everything Is Pure: Its Name is Land of Death.« Some Observations on Catastrophic Nationalism, in: Greg Eghigian/Matthew Berg (Hg.): Sacrifice and National Belonging in 20th-Century Germany, College Station 2002, 118 – 147. Vgl.: Ders., Insurrectionary Warfare; Echternkamp, Grundzüge, 69 – 70; Wette, Wehrmacht, 182, 184 – 191; Kunz, Niederlage, 56, 328, 338. 1011 Bosse, Aus meinem Leben, 277. 1012 Kunz, Niederlage, 236 – 237, 341 – 343. Laut Probst (Interview) hätten sich die Einwohner einer Tiroler Stadt 1945 gegen ihre von der Wehrmacht beabsichtigte Verteidigung gesträubt. 1013 Auch in diesen Kontext passt der von Bosse (Aus meinem Leben, 249) überlieferte Soldatenspruch »Genieße den Krieg, denn der Frieden wird fürchterlich.« 1014 Hillgruber (Zweierlei Untergang, 37) schätzt, dass mehr als 2 Millionen Zivilisten gerettet wurden. Laut jüngeren Schätzungen (Kunz, Niederlage, 82 – 83) wurden von Jan. bis Mai 1945 bis zu 900.000 Flüchtlinge und 350.000 Verwundete evakuiert. Auch Probst (Interview) betonte, dass viele Soldaten durch ein starkes Verpflichtungsgefühl gegenüber der
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(7) Pflichterfüllung, ebenso wie Kameradschaft, Heimat und Soldatenehre, waren auch prominente Schlagworte der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda. Andreas Kunz hat zu Recht betont, dass die Trennlinie zwischen zeitlosen und universalen soldatischen Werten wie Patriotismus, Pflichterfüllung, Gehorsam, Tapferkeit, und Kameradschaft einerseits und Elementen der NS-Ideologie andererseits oftmals verschwommen sei, und dass sowohl Fanatiker als auch Deserteure nur kleine Minderheiten waren. Das genaue Ausmaß der tatsächlichen politischen Indoktrination im Graubereich der großen Masse der Wehrmachtsoldaten ist in der Forschung daher immer noch umstritten.1015 Studien über Kriegsverbrechen mit maßgeblicher österreichischer Beteiligung suggerieren einen recht hohen Grad an Indoktrination, aber sie basieren fast ausschließlich auf der Analyse von Handlungen und nicht auf dem Versuch, die innere Haltung der Soldaten zu ergründen. Demgegenüber hat Ernst Hanisch das loyale österreichische Verhalten weniger auf die neue Ideologie als vielmehr auf die traditionellen, aber durch einen Männlichkeitskult überhöhten militärischen Tugenden zurückgeführt, was auch erklären würde, warum die sozialen und politischen Hintergründe der österreichischen Soldaten hierbei keinen Unterschied machten.1016 Keines dieser Motive setzt die österreichischen Soldaten in irgendeiner Weise von den reichsdeutschen ab. Im Gegenteil, das Bündel potenzieller Motivationen für den hingebungsvollen Kampfgeist unterstreicht nur, wie gut die Österreicher zu diesem Zeitpunkt in die Wehrmacht integriert gewesen sein müssen.
Nationales Erwachen? Nun könnte man einwenden, dass die äußere Haltung der Österreicher nicht unbedingt gleichbedeutend mit perfekter Harmonie auf der zwischenmenschlichen Ebene gewesen sei. Es gibt eine Passage in dem Brief eines Soldaten, welche immer wieder in der Literatur zitiert wird, um die angeblich zunehmende (oder unveränderte) Frustration österreichischer Wehrmachtsmitglieder zu beweisen. Am 24. Juli 1944 schrieb Johann Bachinger nach Hause: »AußerZivilbevölkerung motiviert waren, nach dem Grundsatz: »Wir halten die Front, damit andere fliehen können.« 1015 Während eine Reihe von Historikern (Bartov, Hitler’s Army ; Echternkamp, Grundzüge; Fritz, Frontsoldaten; Wette, Wehrmacht) bereits von einer tief greifenden Ideologisierung ausgehen, betrachten Kunz (Niederlage) und Hans Mommsen (Kriegserfahrungen, in: Ulrich Borsdorf/Mathilde Jamin [Hg.]: Über Leben im Krieg, Reinbek bei Hamburg 1989, 7 – 14) die Indoktrination als bei weitem noch nicht abgeschlossen. Stenzel (Russlandbild) positioniert sich in der Mitte. Laut Mirnegg (Interview) habe die Bedeutung des Nationalsozialismus gegen Kriegsende abgenommen. 1016 Hanisch, Männlichkeiten, 84.
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dem mag uns Ostmärker fast niemand in der Kompanie. Beutedeutsche und alle möglichen Namen gibt man uns. Ich habe nicht davon schreiben wollen, aber einmal muss es doch gesagt sein.«1017 Dieser Auszug findet sich in einer Akte, welche die auf mehr als 500.000 geprüften Briefen basierenden Berichte von siebzehn Feldpostprüfstellen verschiedener Armeegruppen und Armeen für den Zeitraum August 1944, also nach der alliierten Invasion und dem Attentat vom 20. Juli, enthält. Wenn man jedoch die gesamte Akte genauer analysiert, dann verkehrt sich die vermeintliche Bedeutung des Bachinger-Briefs in ihr genaues Gegenteil. Das Zitat selbst ist nichts anderes als ein weiteres Beispiel für jene Art von Zurücksetzungen, über die Österreicher sich im Verlauf des gesamten Krieges immer wieder beschwert hatten, und die sich auf die Meinungen einzelner »Unverbesserlicher« zurückführen ließen. Dass Bachinger in einer Einheit diente, wo die Mehrheit Vorbehalte gegenüber Österreichern hegte, ist daher als individueller Unglücksfall zu werten, und seine Beschwerde war mit Sicherheit nicht der einzige Fall, wie auch der Bericht der Feldpostprüfstelle feststellte.1018 Aber es ist der einzige dokumentierte Fall in dieser so umfangreichen Quellensammlung, weshalb seine Signifikanz im Verhältnis zu den anderen in der Akte enthaltenen Meinungsäußerungen interpretiert werden muss. Achtzehn der Auszüge aus Hunderten von Briefen können zweifelsfrei als von Österreichern stammend identifiziert werden. Davon waren nur drei, inklusive des Bachinger-Zitats, eindeutig negativ. Die beiden anderen Negativäußerungen entsprechen jedoch typischen, auch von Reichsdeutschen vorgebrachten Allgemeinbeschwerden, ohne jeden spezifischen Österreich-Bezug. Von den restlichen fünfzehn waren fünf neutral gehalten und zehn von dezidiert positivem Inhalt, d. h. voller Identifikation mit der deutschen Sache und von ungebrochenem Kampfgeist.1019 Überdies wird Bachingers Beschwerde direkt durch den Brief eines reichsdeutschen Obergefreiten aufgewogen, der die Mannschaft seines Geschützes, bestehend aus zwei weiteren Reichsdeutschen und zwei 1017 Joh. Bachinger an Unbekannt, 24. 7. 1944, Feldpostprüfstelle AOK 16, Prüfbericht für August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 9 (Anlage). Der Brief wird auch von Hanisch (Westösterreich, 448) und Hagspiel (Ostmark, 328, Fn. 401) zitiert. 1018 »Immer wieder beschweren sich Ostmärker, dass sie für nicht voll angesehen und als ›Beutedeutsche‹ mit abfälligem Beigeschmack bezeichnet wurden.« Feldpostprüfstelle AOK 16, Prüfbericht für August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 5. Der Brief von Bachinger erinnert auch an die Beschwerde von Pohanka. 1019 So war ein Niederösterreicher (Obgefr. Franz Zoibl an Anna Zoibl, 13. 8. 1944) über die schlechte Stimmung an der Front, also die Haltung der anderen, besorgt. Dennoch dachte ein Kärntner (Obgefr. Fritz Holz an »Frau Seb. Holz«, 25. 8. 1944), dass die Front stark genug sei, um »den Sieg hundertprozentig sicher zu stellen«, und ein Wiener (Obgefr. Ernst Büchler an Ernst Büchler, 12. 8. 1944) versicherte, »Wir halten auf alle Fälle durch.« Alle Briefe in: Feldpostprüfstelle Pz. AOK. 3, Monatsbericht August 1944, 2. 9. 1944, BAMA, RH 13 – 48, 5, 14 (Anlage).
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Österreichern, als »ganz lustige Bedienung« beschrieb.1020 Somit kann der Bachinger-Brief aufgrund der Quellenlage nicht als die bestimmende Erfahrung der Mehrheit der österreichischen Soldaten betrachtet werden. Wann hörten nun aber – unabhängig von deren nationalem Bewusstseinsstand – all jene Österreicher, deren Überlebenstrieb stärker war als jeder irrationale Opferimpuls, tatsächlich zu kämpfen auf ? Ebenso wie bei den reichsdeutschen Soldaten variierte dieser Zeitpunkt, doch generell dürfte er davon bestimmt gewesen sein, wann ein Individuum die Erfolgsaussichten für weiteren Widerstand als gleichbedeutend mit bewusstem Selbstmord einschätzte.1021 Gelegentlich waren es auch die Kommandeure, die ihre Einheiten vor weiteren Opfern bewahrten und auflösten.1022 In den letzten Wochen nahm auch der interne Druck ab, wiewohl es bis zum Schluss zu Erschießungen durch Militärpolizei und SS kam.1023 Die allerletzte Kriegsphase war von zunehmendem Chaos gekennzeichnet, sodass die Front parallel zu den vor allem im Osten entschlossen weiterkämpfenden Truppen stellenweise auch massive Auflösungserscheinungen zeigte, doch es spricht für die Einstellung der Frontsoldaten, dass die Desertionsrate bis Ende 1944 beim Ersatzheer drei- bis fünfmal höher als an der Front war.1024 Rückblickend hätte spätestens 1945 jedem Soldaten klar sein müssen, was früher oder später geschehen musste: Der Nationalsozialismus würde ver1020 Unbekannter »Obergefr.« an Unbekannt, 18. 8. 1944, Feldpostprüfstelle AOK 9, Tätigkeitsbericht Monat August 1944, 1. 9. 1944, BA-MA, RH 13 – 48, 6. 1021 Bruckberger (Tagebuch, Einträge vom 1.4., 2.4., 5.4. und 10. 4. 1945) sollte sich nach der Auflösung seiner Straßburger Einheit im April 1945 bei einer Frontleitstelle in Wien melden, versteckte sich aber bis zum Einmarsch der Sowjets in einem Keller. Stadler (Interview) kam im Rahmen der Heimatverteidigung nach Niederösterreich, verließ im März 1945 (gemeinsam mit einem Berliner) die Front und wanderte ohne Dokumente in Wien umher, sodass er jederzeit hätte standrechtlich erschossen werden können. Ulber (Interview) verließ die norditalienische Front im Mai 1945, um in das amerikanisch besetzte Tirol zu gelangen. Steiners (Interview) Einheit sollte sich im April 1945 von Niedersachsen zur Regierung Dönitz nach Flensburg durchschlagen, weshalb Steiner sich mit zwei anderen nach Süden absetzte, aber im Rheinland von Zivilisten verraten und den Amerikanern übergeben wurde. 1022 Lorenz (Autobiographischer Brief, 3) entließ seine Männer zu einem Zeitpunkt, als dies laut Lorenz im gesamten Reichsgebiet üblich war. Den Männern von Paul Handel-Mazzettis Einheit wurde im April 1945 nahe Köln befohlen, sich aufzulösen und unterzutauchen; in einem Wald versteckt, wurden sie auf der Suche nach Zivilkleidung von Zivilisten verraten und von den Amerikanern gefangen genommen. Handel-Mazzetti: Kriegstagebuch, 6.1.–10. 11. 1945, KA, NL, B/1454:2, 4 – 5. 1023 Bosse, Aus meinem Leben, 277. 1024 Laut Morawec (Interview) ging es während des Rückzugs »drunter und drüber«, und man war »ständig woanders«. Ähnlich: Probst (Interview); Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Eintrag vom 11. 4. 1945. Laut Wette (Wehrmacht, 159) blieb jedoch – im Gegensatz zu 1918 – die Masse der Soldaten loyal. Vgl.: Kunz, Niederlage, 96, 271, 338, 343; Steinert, Hitlers Krieg, 546 – 550.
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schwinden, das Großdeutsche Reich zerschlagen und die engere Heimat zerstört, besetzt und wirtschaftlich ruiniert sein. Dies wäre nicht zu verhindern gewesen, aus welchen Gründen auch immer ein Soldat weiterkämpfte. Doch scheinbar wurden diese Konsequenzen nicht als unmittelbar bevorstehende Wirklichkeit begriffen, solange man noch Munition übrig und Kameraden an der Seite hatte. Die hypothetische Frage »Warum kämpfst du noch, wenn doch schon alles vorbei ist?« galt für die Mehrheit der Soldaten nicht, solange es eben noch nicht ganz vorbei war ; die Niederlage trat gewissermaßen erst mit der Kapitulation in Kraft. Was auch immer ihre Motivation zum Aushalten bis zur letzten Minute gewesen sein mag, für die österreichischen Soldaten bedeutete es, dass sich auch die (Wieder-)Entdeckung ihrer österreichischen nationalen Identität großteils fünf Minuten vor zwölf ereignete, wenn nicht sogar erst eine Minute nach zwölf. Die meisten interviewten Veteranen bestätigten, dass sie, solange die Kämpfe tobten, keine Gedanken daran verschwendeten, was nach dem Krieg passieren würde oder ihrer Meinung nach geschehen sollte. Die Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreich war daher kein Thema und im Prinzip genauso unvorstellbar wie ein Ende des Krieges oder die Niederlage. Die existenzbedrohende Frontsituation ließ keinen Raum für derartige Gedankenspiele: »Wer denkt«, wie es Veteran Otto Lederer formulierte, in einer derartigen Situation »auf so was?«1025 Erst als das Reich, zum Großteil bereits besetzt und rundherum implodierend, praktisch zu existieren aufgehört hatte, war auch der großdeutsche Gedanke für die österreichischen Soldaten aller realen und der meisten theoretischen Bedeutungen beraubt. Erst jetzt spielte es eine Rolle, dass die Idee eines deutschen Staates nicht so tief in ihnen verwurzelt war wie bei den reichsdeutschen Kameraden, für die das Reich auch in der totalen Niederlage die größere Heimat blieb. Erst jetzt begannen manche, auf das Ende des Anschlusses zu hoffen.1026 Folgerichtig lassen sich Ausdrücke einer erwachenden österreichisch-nationalen Identität gegen Kriegsende nur in zwei Typen von Quellen entdecken: in Zeugnissen von Kriegsgefangenen für die Kriegszeit und ansonsten überhaupt nur in Nachkriegszeugnissen. Die Kriegsgefangenschaft war auch der einzige Bereich, wo es schon vor Kriegsende zu einer substanziellen Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Österreichern und Reichsdeutschen kommen 1025 Lederer, Interview. Bestätigt in den Interviews mit Brandeis; Huber ; Morawec; Ochnitzberger ; Probst; Ulber ; Wotava. 1026 Interviews mit Perner ; P. Podhajsky ; Schmidl. Wie mehrfach gesehen, identifizierten sich auch viele Anschluss-Gegner während des Krieges mit Deutschland und der Wehrmacht, und ihr Österreich-Bewusstsein kam erst nach dem Krieg wieder zum Vorschein. Vgl.: Ziegler/Kannonier-Finster, Gedächtnis, 185 – 186.
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konnte. Dies war Teil eines allgemeinen, im Gegensatz zur Frontsituation stehenden und von allen anderen Faktoren unabhängigen Niedergangs der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Situation der Kriegsgefangenschaft.
Kriegsgefangenschaft Die Atmosphäre in den Kriegsgefangenenlagern wurde als eine Welt, in der ein Hund den anderen frisst, beschrieben, da für einen kriegsgefangenen Soldaten der Krieg de facto vorbei war und mit dem Wegfall der lebensbedrohlichen Kampfsituation die Gesetze der Kameradschaft nachließen und sich individuelle Interessen, die oft rücksichtslos durchgesetzt wurden, in den Vordergrund schoben.1027 So zeigte sich Paul Meixner verwundert über das Verhalten seiner Mitgefangenen in einem Lager in der Nähe von London: »Ich kann es überhaupt nicht fassen, wie man so würdelos sein kann.«1028 Der ebenfalls in einem englischen Lager befindliche Franz Oszwald (Rang unbekannt) war gleichermaßen abgestoßen von den Streitereien und Denunziationen unter den ausschließlich österreichischen Gefangenen.1029 Johann Wotava pries die Kameradschaft auf seinem U-Boot im Gegensatz zu seinem rein österreichischen Gefangenenlager, wo persönliche Interessen, Schacherei und Stehlen dominiert hätten, und zitierte die entsprechend zynisch gemeinte Bemerkung eines burgenländischen Mitgefangenen: »Jetzt samma wieder unter Landsleut’.«1030 All das ähnelte bestimmten im vorigen Kapitel beschriebenen Situationen in der Heimat und den rückwärtigen Frontgebieten, wo die integrativen Mechanismen der Front ja gleichfalls gefehlt hatten. In einem Lager hatten die Soldaten auch mehr Gelegenheit, um sich über die Gesamtsituation zu informieren und über Fragen wie den Sinn des Krieges oder die Zeit nach dem Krieg zu grübeln. Nachdem die Alliierten Österreich offiziell als Hitlers erstes Opfer betrachteten, bot die Kriegsgefangenschaft österreichischen Soldaten zusätzlich die Möglichkeit einer bevorzugten Behandlung, was sich ganz zentral in der Hoffnung auf eine frühere Entlassung manifestierte, wie die zahlreichen entsprechenden Äußerungen und Gerüchte in den Aufzeichnungen von Kriegsgefan1027 Kühne, Kameradschaft, 210 – 211. Zwar betrachteten laut Endbericht (70) immerhin noch 40,1 Prozent der Befragten die Kameradschaft in der Kriegsgefangenschaft als »gut« (28,3 Prozent als »durchschnittlich« und 7,2 Prozent als »schlecht«), aber diese Angaben müssen in Relation zu den Aussagen der interviewten Veteranen gesehen werden, welche die Kameradschaft im Krieg beinahe unisono als ausgezeichnet betrachteten. 1028 Meixner, Tagebuch II, Eintrag vom 17. 11. 1943. 1029 Franz Oszwald: Meine Lebenserinnerungen, [1972], KA, NL, B/1515, 27. 1030 Wotava, Interview.
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genen bezeugen.1031 Einige bekundeten diese Hoffnung bereits während des Akts der Gefangennahme durch ihre Selbstidentifizierung als Österreicher. Als beispielsweise Otto Waldemar Poschs Sanitäts-Kompanie im März 1945 nahe Köln in Gefangenschaft geriet, stand ein Mann auf und näherte sich, Wienerlieder auf dem Akkordeon spielend, den amerikanischen Panzern.1032 Das Verhalten gegenüber den Österreichern variierte nicht nur zwischen den einzelnen alliierten Mächten stark, sondern sogar innerhalb ihrer Machtbereiche. Manchmal wurden sie von den Reichsdeutschen getrennt und möglicherweise sogar besser behandelt, in anderen Fällen nicht.1033 Manche wurden früher entlassen als andere.1034 Guido Plas und Franz Brunner zufolge hing die sowjetische Bereitschaft für eine frühere Entlassung stark davon ab, ob Österreich nach den Wahlen am 25. November 1945 ein kommunistisches Land geworden wäre; als die österreichischen Kommunisten jedoch nur fünf Prozent der Stimmen erhielten, gaben die russischen Wachen Plas zu verstehen, dass alle Österreicher »große Faschisten« seien.1035 Wie kann nun die Haltung der österreichischen Kriegsgefangenen bzw. ihr Verhältnis zu den reichsdeutschen Mitgefangenen im Allgemeinen charakterisiert werden? Der intensive Kontakt unter Österreichern allein ist kein ein1031 Handel-Mazzetti, Kriegstagebuch, 8, 11 – 13; Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 22; Max Plakolb: Der Umweg nach Hause. Aufzeichungen über die letzten Kriegstage 1945 und die russische Gefangenschaft, o. J., KA, NL, B/1540:2, 11 – 12; Berger, Tagebuch V, Eintrag vom 4. 5. 1945; Hubka, Kämpfe und Drangsale, Einträge vom 27.4. und 18. 6. 1945. Auf dem Marsch in russische Kriegsgefangenschaft hörte Franz Brunner (Erlebnisbericht, 10) einen Wiener Mitgefangenen seine Zuversicht ausdrücken, dass er innerhalb eines Monats wieder zu Hause sei. 1032 Posch, Sanitätssoldat, 128 – 129. Poschs Sanitätskompanie 2/60 gehörte zur 9. Pz.-Div. Laut Stadler (Österreich, 299 – 300) berichtete Stalin, dass einige Österreicher bei ihrer Gefangennahme »Ich bin Österreicher« gerufen hätten. 1033 Frankreich wollte eine Separation aller österreichischen Kriegsgefangenen, die aber scheinbar nur in Afrika durchgesetzt wurde. Klaus Eisterer : Die österreichischen Kriegsgefangenen in französischer Hand (1943 – 1947), in: Günter Bischof/Rüdiger Overmans (Hg.): Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg. Eine vergleichende Perspektive, Ternitz 1999, 109 – 132, 111 – 112. Auch in den sowjetischen Lagern gab es laut Overmans (»Ostmärker«, 138 – 139) große Unterschiede. Im Gefangenenlager Auschwitz beispielsweise wurden die Österreicher laut Brunner (Erlebnisbericht, 13) separiert und durften sonntags mit den Wachen Fußball spielen. In britischer Kriegsgefangenschaft wurde Perner mit seinen Landsleuten separiert, aber Morawec nicht. Kornfeld, Probst und Plakolb waren amerikanische Gefangene: In Kornfelds Lager wurden die Österreicher separiert, in Probsts nicht, und Plakolb wurde an die Sowjets ausgeliefert. Plakolb, Umweg, 11 – 12; Interviews mit Kornfeld; Morawec; Perner ; Probst. 1034 Im Westen wurde die Masse der österreichischen Kriegsgefangenen (mit Ausnahme von politisch Belasteten und SS-Mitgliedern) bis 1948, hauptsächlich in den Jahren 1945/46, entlassen. Die Hälfte der Österreicher in sowjetischer Gefangenschaft kam 1946 frei, der Rest zwischen 1947 und 1956. Hornung, Trümmermänner, 237 – 238. 1035 G. Plas, Memoiren, 47; Brunner, Erlebnisbericht, 13.
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deutiges Zeichen, dass sie den Anschluss aufgekündigt hatten, denn dieses Verhalten war schon während des Krieges unter engeren Landsleuten gleich welcher Herkunft praktiziert worden. Es war nur verständlich, dass sich die Österreicher – wie in Paul Handel-Mazzettis Lager – regelmäßig trafen, um Neuigkeiten auszutauschen oder zu ihrer Unterhaltung Schrammelmusik zu spielen, was sie ja auch an der Front getan hatten.1036 Ein wichtiger Indikator für die Haltung von Österreichern ist daher, ob sie selber eine Trennung wünschten oder nicht. Adolf Scherr (unbekannter Mannschaftsdienstgrad) beispielsweise suchte gezielt nach Landsleuten, die wie er selbst mit dem Anschluss gebrochen hatten und sich ganz bewusst von den Reichsdeutschen absondern wollten.1037 Die österreichischen Hoffnungen auf baldige Heimkehr waren wiederum eine sehr natürliche Einstellung, und auch Reichsdeutsche hätten diese Chance ergriffen, wenn sie sich ihnen angeboten hätte.1038 Es ist aber andererseits ebenso nachvollziehbar, dass alleine schon die Aussicht auf eine frühere Entlassung der Österreicher aufgrund ihrer vormaligen Staatsangehörigkeit – vor allem wenn dies mit der Aufkündigung der einstigen großdeutschen Waffenbrüderschaft einherging – die reichsdeutschen Gefangenen frustrierte. Franz Perner, der bereits 1943 gefangen genommen wurde, erinnerte sich, dass es anfänglich keine Spannungen gegeben habe, und diese erst aufgekommen seien, als mit dem Kriegsende auch die Frage nach der Entlassung näher rückte.1039 Scherrs Tagebuch zufolge behandelten die Franzosen jene bevorzugt, die ihre Nationalität als österreichisch deklarierten, was diesen wiederum einen sehr schlechten Ruf bei den Reichsdeutschen eintrug.1040 Manche Österreicher nahmen eine dezidiert deutschfeindliche Haltung ein, um dadurch ihre Chance auf Entlassung zu vergrößern, was die Fortsetzung einer während des Krieges wahrscheinlich eher zurückgehaltenen Gesinnung, aber auch eine erst kürzlich erworbene und maßgeblich vom Kriegsende beeinflusste Einstellung sein konnte.1041 Fraglos herrschte in den Gefangenenlagern aufgrund des nachlassenden Kameradschaftsprinzips und der politischen Gesamtsituation eine Atmosphäre, 1036 Handel-Mazzetti, Kriegstagebuch, 11, 15. Probst (Interview) suchte in der Kriegsgefangenschaft den Kontakt mit Österreichern genauso wie in der Wehrmacht, aber er sei mit den reichsdeutschen Mitgefangenen ebenfalls gut ausgekommen. 1037 Scherr, Dienstzeit, 40 – 41. Scherrs Tagebuch (38, Rückseite) enthält auch ein patriotisches Gedicht unbekannter Autorenschaft. 1038 Ein reichsdeutscher Kriegsgefangener ließ sich von Verwandten in Bregenz einen Heimatschein ausstellen, um als Österreicher durchzugehen und früher entlassen zu werden. Scheiderbauer, Adventures, 176. 1039 Perner, Interview. Ähnlich: Scheiderbauer, Adventures, 180. 1040 Scherr, Dienstzeit, 27, 34 – 35. 1041 Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 25; Walter Annerl: Erlebte Geschichte – Gelebte Überzeugung (1936 bis 1945), [Dez. 1999], KA, NL, B/2009:2, 171; Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 655; Robert Nowaks Aufzeichnungen während seiner Internierung in Bayern 1945, KA, NL, B/726:20.
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die der Entwicklung oder Wiederentdeckung eines österreichischen Sonderbewusstseins, ob aus tiefster innerer Überzeugung oder aus Opportunismus, äußerst förderlich war. Jedoch selbst in einer dem Opportunismus so freundlich gesonnenen Situation schienen österreichisch-nationale Gefühle keine Massenbasis unter den österreichischen Gefangenen zu haben. Die vorhandenen Studien zeigen, dass sich nur eine Minderheit in bewusster Abgrenzung von den Reichsdeutschen als Österreicher betrachtete. Die meisten waren dabei von der Hoffnung auf frühere Heimkehr beseelt, sodass nur eine Quantit¦ n¦gligeable eine überzeugte und völlig eigenständige österreichische Identität kultivierte.1042 Walter Annerls Erinnerungen erwähnen eine Umfrage von 1943/44, wonach sich unter den rund 18.000 Österreichern in französischer Kriegsgefangenen nur drei Prozent die Separation von den Reichsdeutschen gewünscht, aber alle anderen dagegen protestiert hätten. Annerl erinnerte sich auch, dass es während der Ardennen-Offensive unter den österreichischen Gefangenen zu unterdrücktem Jubel und dem Singen nationalsozialistischer Lieder gekommen und dem Wunsch nach Zusammenlegung mit den Reichsdeutschen größerer Ausdruck verliehen worden sei.1043 Entsprechend gab es im Gegensatz zu den oben erwähnten Spannungen auch eine Vielzahl von Belegen für ein gutes österreichisch-reichsdeutsches Verhältnis in der Kriegsgefangenschaft. So wählte ein rein reichsdeutsches Arbeitskommando Franz Oszwald zu seinem Anführer, während Handel-Mazzetti sich besonders gut mit einem Münsteraner verstand, und Carl Zedtwitz-Liebenstein nur von seinen »lieben, treuen Kameraden« schrieb.1044 Wilhelm Plas dankte seinen Mitgefangenen, welche alle, mit ganz wenigen Ausnahmen, Leidensgenossen gewesen seien und sich gegenseitig geholfen hätten. Selbst in kleinen Zimmern mit bis zu fünfzehn Mann unterschiedlichster Stellung, Bildung und Herkunft seien sie gut miteinander ausgekommen, ob »Berliner, Rheinländer, Bayern und Österreicher«. In einem Gefangenenspital in Göppingen waren Plas zwei Berliner besonders ans Herz gewachsen, von denen einer, »eine richtige Berliner Schnauze«, Plas mit seinen Geschichten erfreut habe.1045
1042 Günter Bischof: Kriegsgefangenschaft und Österreichbewusstsein im Zweiten Weltkrieg, 109 – 112; Rafael A. Zagovec: Islands of Faith. National Identity and Ideology in German POW Camps in the United States 1943 – 1946, 113 – 122; Robert D. Billinger, Jr.: »Austrian« POWs in America 1942 – 1946, 123 – 132, alle in: Zeitgeschichte 29/3 (2002); sowie Hornung, Trümmermänner, 244. 1043 Annerl, Erlebte Geschichte, 186 – 188, 201. 1044 Oszwald, Lebenserinnerungen, 29; Handel-Mazzetti, Kriegstagebuch, 10; Zedtwitz-Liebenstein, Kielce u. Flucht; Gefangenschaft, 342. 1045 Wilhelm Plas: Erinnerungen V (Mai 1945 – 15. 11. 1978), 13, KA, NL, B, C/534:2; Munitionsentwicklungen, 74. Guido Plas (Memoiren, 48 – 49) beschrieb das Verhältnis zu den
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Nachkriegsabrechnungen Der zweite Bereich, in dem sich die Entfaltung eines eigenständigen ÖsterreichBewusstseins beobachten lässt, umfasst ein buntes Spektrum von kurz nach dem Krieg entstandenen Texten, die großteils einzig und allein zu dem Zweck verfasst wurden, die Entwicklung der neugefundenen österreichischen Identität zu fördern und rechtfertigen. Teilweise wurde dabei, wie in den Erinnerungen von Nowak und Pointner, mit dem Dritten Reich und seiner angeblich schlechten Behandlung der Österreicher abgerechnet.1046 Andere, wie der pensionierte Major Karl Klammer, knüpften wieder stärker an die Definitionen des »österreichischen Menschen« der Zwischenkriegszeit an, um eine mehr oder weniger scharf vom Deutschtum abgegrenzte österreichische Identität zu formulieren.1047 Manche taten beides, wie etwa Ernst Karl Pfleger in den »Steffel-Nachrichten«, einem Mitteilungsblatt für die Veteranen der 262. Infanterie-Division, das er als ehemaliges Mitglied praktisch im Alleingang publizierte.1048 Klammer bezeichnete den Österreicher als übernational und interkulturell eingestellte »besondere Spezies des Europäers«, welche Einfühlungsvermögen für die Eigenart anderer besäße, während umgekehrt »nur der Österreicher […] den Österreicher verstehen« könne.1049 Pfleger befand ganz ähnlich, dass das Deutschtum der Österreicher »von allem Chauvinismus« bereinigt, »feinsinnig« und »weltoffen« sei.1050 Diese Charakterisierungen suggerieren, dass alleine ihre Mentalität die österreichischen Soldaten davor bewahrt hätte, sich mit der deutschen Sache zu identifizieren oder Gräueltaten zu begehen. Folgerichtig, so Klammer, würde das Habsburgermotto »Bella gerant alii« auch perfekt »unserem friedlichen Wesen« entsprechen.1051 Offenkundig stellten derlei Selbstcharakterisierungen weitestgehend ein Gegenbild zu den angeblichen negativen Eigenschaften der preußischen Wesensart dar, wie sich andere Beiträge auch mehr oder weniger explizit von »den Preußen« distanzierten. Klammer zufolge sei Preußen seit jeher von skrupel-
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reichsdeutschen Offizieren als typisch »preußisch«, d. h. eher reserviert, mit der Ausnahme zweier Gebirgsjägeroffiziere aus Garmisch und dem Allgäu. Robert Nowak: Aufzeichnungen I (»Freising«), Eintrag vom 12. 8. 1945, KA, NL, B/726:20; Otto Wiesinger : Schickalsjahre 1938 – 1945, [1946], KA, NL, B/77:14, 1, 11, 20 – 21. Auch Franz Podhajsky (Ausklang, 3, 6, 16 – 17) hielt nach 1945 dem Regime seine Fehler vor, allerdings ohne scharfe Attacken auf die Reichsdeutschen. Karl Klammer : Österreich – kein armes Land, Herbst 1945, KA, NL, B/362:10, 1. Pfleger, Wir und die Anderen XV, 14. Ähnlich: Ders., Wir und die anderen XII und XIII. Klammer, Kein armes Land, 14, 22. Pfleger, Wir und die Anderen XV, 12. Klammer, Kein armes Land, 22. Der Spruch »Bella gerant alii, tu felix Austria nube« (Kriege mögen andere führen, Du, glückliches Österreich, heirate) bezieht sich auf die frühneuzeitliche Praxis des Hauses Habsburg, seine Macht durch eine geschickte Heiratspolitik auszuweiten.
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losem Egoismus geleitet und der letzte Krieg unter dem vom Preußengeist besessenen Hitler im Wesentlichen ein preußischer Krieg gewesen.1052 Helmut B. Rothmayer-Kamnitz beschrieb in seinen Erinnerungen die Preußen allgemein als charakterlos und korrupt und beschuldigte Friedrich II. dafür, das preußische Prinzip des unprovozierten Angriffs begründet zu haben.1053 Johann Pointner hasste und verachtete nur ein Volk, und zwar »die Preußen mit ihrem friderizianischen Geist, ihrem knechtischen Militarismus und ihrer nationalsozialistischen Weltbeglückungsidee«.1054 Und die Aufzeichnungen, die Robert Nowak als amerikanischer Gefangener in Bayern machte, strotzen ebenfalls vor Anklagen gegenüber dem preußischen »System«.1055 Es ist frappant, wie formelhaft die antipreußischen Äußerungen bisweilen klingen. Einige Autoren benutzten eine Phraseologie, welche darauf hindeutet, dass sie nur wiedergaben, was andere, die vielleicht sogar höheren Orts mit der Erstellung »offizieller« Abrechnungen mit dem Anschluss betraut waren, bereits vorexerziert hatten. Pointner beispielsweise bejubelte die »Befreiung Österreichs von der preußischen Tyrannei«, versicherte dass »der friderizianischpreußische Militarismus und das Nazitum […] ewig als Feinde uns gegenüberstehen« würden, und erklärte, eher den russischen Stacheldraht als das »Joch der Deutschen« erdulden zu wollen.1056 Einige Beiträge waren von Kraftausdrücken gekennzeichnet. So wünschte Nowak sich mehrfach, reichsdeutschen Mitgefangenen »eins aufs Maul« zu hauen, und Pointner zog über das »preußische Sauvolk« her.1057 Wie Preußen gesehen wurde war jedoch nicht immer ausschließlich ablehnend. Bisweilen erinnern die Beteuerungen des preußisch-österreichischen Gegensatzes an Hofmannsthals »Schema«, welches von Klammer auch zitiert wurde, und Klammer gestand den Preußen gewisse positive Eigenschaften zu, welche jedoch von deren negativen Zügen überlagert worden seien.1058 Grundsätzlich wohlwollend geben sich die von Oberst Paul Gottschling, einem eheKarl Klammer : Österreich und Preußen, Dez. 1945, KA, NL, B/362:11, 1 – 3. Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 344, 441 – 442, 519. Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 33. Robert Nowak: Aufzeichnungen II (»Freising«), 12 (23. 8. 1945); ders.: Aufzeichnungen III (»Freising«), 2 (29. 8. 1945); ders.: Aufzeichnungen IV (»Der Käfig«), 7 (9. 9. 1945); ders.: Aufzeichnungen V (»Freising, Gespräch mit Reichelt«) [1945], KA, NL, B/726:20. 1056 Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 25, 45. So schrieb Ernst Fischer (kommunist. Staatssekretär 1945) von den »preußisch-deutschen Nazityrannen« (Suppanz, Geschichtsbilder, 34) und Franz Studeny (Tätigkeitsbericht, 2) vom »deutschen Joch«. Ähnlich antipreußisches Vokabular findet sich auch in: Josef Rothmayer: Bericht über Entstehen, Tätigkeit und Einsatz der von mir geführten österreichischen Widerstandsgruppe in der Wehrmacht, 6. 7. 1945, KA, NL, B/1647:1, 1. 1057 Nowak, Aufzeichnungen II, 11 (21. 8. 1945) und 18 (22. 8. 1945); Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 33. 1058 Klammer, Österreich und Preußen, 4, 6. 1052 1053 1054 1055
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maligen Stabschef in verschiedenen Luftwaffenkommandos, in der Kriegsgefangenschaft verfassten Erinnerungen, aber neben all seinen Tugenden sei Preußens größte Schwäche sein Hang zu Autoritarismus und Intoleranz, sodass es nur aufgrund der preußischen Hegemonie seit 1866 möglich gewesen sei, dass die Deutschen sich 1933 einer Diktatur unterwarfen.1059 Eine kritische Analyse der nach dem Krieg verfassten Quellen verdeutlicht in völligem Gegensatz zu der Absicht ihrer Verfasser, wie gut die Integration der österreichischen Wehrmachtsoldaten in Wirklichkeit gewesen sein muss bzw. wie aufgesetzt und taktisch inspiriert die neue österreichische Identität unter ehemaligen Soldaten war. Wenden wir uns zunächst dem ausgeprägten antipreußischen Element zu. Die meisten Beiträge zeichneten den »Preußen« als »schwarzen Mann«, als abstraktes Feindbild, dessen negative Eigenschaften ebenso überzogen waren wie die positiven seines österreichischen Kontrastbildes, das als von Natur aus friedfertig und tolerant beschrieben wurde. Diese Dichotomie ging im Prinzip auf das konservative Großdeutschtum des neunzehnten Jahrhunderts zurück, welches das altertümliche Österreich mit der katholischen-universalen, friedenserhaltenden Reichsidee identifizierte, während das moderne, protestantische Preußen den »provinziellen« und aggressiven Nationalstaat symbolisierte. Beide Images waren bei österreichischen Patrioten schon im Ständestaat beliebt gewesen und wurden nach 1945 nur repopularisiert.1060 Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Diskussion, ob die preußische Hegemonie Deutschland auf einen verhängnisvollen Kurs gesteuert hätte, auch in Deutschland geführt wurde.1061 Dass damit angesichts der tatsächlichen österreichischen Verwicklungen in Kriegsverbrechen auch bezweckt werden sollte, Verantwortung abzustreifen, liegt auf der Hand. 1059 Paul Gottschling: Erfahrungsbericht über die Tätigkeit in Italien bis 1945, entstanden während der britischen Kriegsgefangenschaft (Reinschrift nach 1945), KA, NL, B/856:5, 204 – 205. 1060 Glaise-Horstenau, General, Bd. 3, 516; Heydendorff, Österreich und Preußen (v. a. Leopold Figl auf S. 406); Kurt Schuschnigg: Ein Requiem in Rot-Weiss-Rot, Wien 1978, 26. Zur österreichischen Presse siehe: Pollak, Wehrmachtslegende, 32 – 35, 48. Vgl.: Rathkolb, Paradoxe Republik, 35 – 39; Suppanz, Geschichtsbilder, 33 – 35. 1061 Pape, Ungleiche Brüder, 87 – 90, 93 – 94, 166; Barbro Eberan: Luther? Friedrich »der Große?« Wagner? Nietzsche? –? –? Wer war an Hitler schuld? Die Debatte um die Schuldfrage 1945 – 1949, München 1983. Preußen wurde verteidigt von Friedrich Meinecke: Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946; und Gerhard Ritter : Das deutsche Problem, München 1952. Außerhalb Österreichs war die Vorstellung, dass der »preußische Geist« die Wurzel allen deutschen Übels sei, vor 1945 nur von Teilen des deutschen Katholizismus und den westlichen Alliierten vertreten worden. Breuning, Vision, 45 – 49, 166, 169 – 173; William Montgomery McGovern: From Luther to Hitler. The History of Fascist-Nazi Political Philosophy, Boston/New York [1941].
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Was das hier offerierte österreichische Selbstbild betrifft, so ist dieses bezeichnenderweise und in Einklang mit den Klischees aus der Monarchie und der Ersten Republik von Wien dominiert. Während die Gau-Struktur sowie die kriegerischen Heldentaten »ostmärkischer« Gebirgsjäger zunehmend das während der Anschlusszeit populäre Bild vom »deutschen« Österreich als von kernigen und kriegerischen Bauernburschen bewohntes Bergland geprägt hatten, wurde das Klischee des Nachkriegsösterreich abermals um das angeblich so feinsinnige und kosmopolitische Wien als Mikrokosmos der verwichenen multinationalen Monarchie herumkonstruiert. Letztere Sichtweise von Österreich war von intellektuellen Abstraktionen und Idealisierungen überfrachtet, und abgesehen davon, dass das Verhalten der großen Masse österreichischer Soldaten sich de facto nicht vom reichsdeutschen »Mainstream« unterschieden hatte, stellt sich die Frage, ob die Autoren der hier diskutierten Texte – zumeist Offiziere, also sozial eher höherstehende Personen – ein realistisches Wissen davon besaßen, was Soldaten aus entlegenen Bergtälern oder Wiener Arbeiterbezirken wirklich über andere Völker dachten. Neben jenen, die nach 1945 »preußisch« und »deutsch« in einen Topf warfen, existierten auch differenziertere Beiträge, welche die Solidarität zwischen Österreichern und Nichtpreußen betonten. Diese bemühten sich um die Unterscheidung zwischen »echten« Altpreußen und in den preußischen Staat hineingezwungene Neupreußen (wie Rheinländer, Hannoveraner, Hessen etc.) und betonten außerdem, dass die nichtpreußischen Deutschen traditionellerweise mit Österreich alliiert gewesen seien und nach 1866 nur widerstrebend Preußens Vorherrschaft akzeptiert hätten. Deren Eingliederung in das preußisch geführte kleindeutsche Reich habe schließlich die traditionelle Freiheitsliebe und Verschiedenartigkeit der deutschen Stämme korrumpiert.1062 Gottschling ging sogar so weit, die zukünftige Organisation Deutschlands betreffend die Zusammenlegung einiger deutscher Länder – beginnend mit Österreich und Bayern – zu empfehlen, damit diese anstelle der preußischen Hegemonie wieder den guten alten deutschen Tugenden unterworfen würden.1063 Zusammengefasst bedeutete all dies, dass die Feindschaft gegenüber einem zum »hässlichen Deutschen« verzerrten Preußenbild ein grundsätzliches Bekenntnis zu einer idealisierten deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft nicht ausschloss. Kurz, man betrachtete den Österreicher im Prinzip weiterhin als Deutschen. Für Klammer etwa waren die Österreicher zu 97 Prozent ethnische 1062 Rothmayer-Kamnitz, Autobiographische Studie, 261, 519; Nowak, Aufzeichnungen V, 27 (5. 12. 1945); Klammer, Österreich und Preußen, 3; Gottschling, Erfahrungsbericht, 205. Zur Bestätigung zitierte Nowak einige bayerische Mitgefangene, die den Preußen die Schuld am Krieg gaben. Robert Nowak: Aufzeichnungen VI (»Straubing«), 5. 12. 1945, KA, NL, B/726:20, 27; Aufzeichnungen III, 2 (29. 8. 1945). 1063 Gottschling, Erfahrungsbericht, 205. Dies entsprach einem Vorschlag von Churchill.
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Deutsche und hatte österreichischer Geist deutsche Kultur immer wieder zu »Glanzhöhen« emporgeführt.1064 Laut Pfleger lieferte die Entscheidung von 1866 Österreichs Deutsche an Slawen und Ungarn aus, und nur ein »Großdeutscher Bund« wäre in der Lage gewesen, »mitteleuropäische Kultur« zu verbreiten und dadurch die »zersetzende Politik« Englands, Frankreichs und Russlands am Balkan, die zum Ersten Weltkrieges geführt habe, zu verhindern. Das »gesamte Deutschtum«, so Pfleger, habe somit für die Preisgabe von Millionen von Deutschösterreichern büßen müssen.1065 Es klang ganz so, als ob diese Veteranen wünschten, dass sie die Uhr auf die Zeit vor 1866 zurückdrehen und – im Sinne des konservativen Großdeutschtum des neunzehnen Jahrhunderts – ein pränationales und stammlich organisiertes deutsches Reich unter österreichischer Führung wiederbeleben könnten.1066 Somit bestand die Hauptschwäche der in den Nachkriegstexten neu definierten österreichischen Identität in dem Widerspruch, dass ausgerechnet eine antipreußische und zugleich großdeutsche Haltung die Trennung Österreichs von Deutschland legitimieren sollte. Das war genauso wenig überzeugend wie die Strategie des Ständestaates, mit der These von den Österreichern als den »besseren Deutschen« die Bewohner der Alpenrepublik gegen Anschlussgelüste zu immunisieren. Die Spannung zwischen den Bemühungen, proösterreichisch, gleichzeitig aber nicht weniger prodeutsch und trotzdem irgendwie antipreußisch zu sein, war so alt wie die Frage nach der österreichischen Identität selbst, welche als Reaktion auf und parallel zur Entwicklung des modernen deutschen Nationalismus seit 1815 erwachsen war. Doch selbst das »prussifizierte« Dritte Reich hatte tiefe Spuren im Gemüt jener Veteranen, die sich nach 1945 so österreichisch gaben, hinterlassen. Besonders bemerkenswert erscheint das grundsätzlich rassistische Gedankengut, das nun gegen Preußen gerichtet werden konnte, um die Verschiedenheit der Österreicher auch in biologischen Begriffen zu unterstreichen. Solches Denken war allerdings schon vor dem Dritten Reich populär gewesen und daher auch nach 1945 noch allgemein weitverbreitet und akzeptiert. Es ist aber fraglos ein Paradoxon, dass ausgerechnet Rassismus ein typischer Zug jener frühen Manifestationen österreichischer Identität war, denen zufolge doch Preußen den ideologischen Nährboden für den Nationalsozialismus bereitet habe und das österreichische dem nationalsozialistischen Wesen so ferngestanden sei.1067 1064 Klammer, Kein armes Land, 2, 17. 1065 Ernst Karl Pfleger, Wir und die Anderen VI. Die deutsche Frage: Aggressor Preußen, in: Steffel-Nachrichten 24, o. J., KA, NL, B/274:7, 9. 1066 Entsprechend verdammte Nowak (Aufzeichnungen II, 2, 12. 8. 1945) die borussophile Historiografie des 19. Jh., die Österreich als Verhinderer der deutschen Einheit darstellte. 1067 Stourzh, Erschütterung, 299; Suppanz, Geschichtsbilder, 60 – 65; Bruckmüller, Nation Österreich, 128; Fritz Fellner : Das Problem der österreichischen Nation nach 1945, in:
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So befand Klammer, dass die Österreicher eine mehrheitlich germanische Volksmischung seien, während die Preußen nicht dem »kerndeutschen« Raum, sondern einer Grenzmark entstammten – ein traditionell beliebter Vorwurf österreichischer Patrioten – und »rassisch« somit eine Mischung aus deutschen Kolonisten und slawischer Urbevölkerung seien; auch Friedrich Nietzsche habe viel »slawisches Blut« gehabt, und sogar wesentliche Reste »mongolischer Durchsetzung« seien bei den Preußen festgestellt worden.1068 Nowak wiederum bemerkte »viel Ostisches, Niedriges« an den »proletenhaften« Zügen eines ostpreußischen Ökonomen, den er verachtete, und hob bei einer weiteren Gelegenheit die »gebuckelte Stirn« und die »Schädelform« einer Person hervor, deren Gesichtszüge ein anderer als einem Verbrecher ähnelnd charakterisiert hatte.1069 Pointer hielt die Schlesier für den »primitivsten, gemeinsten und wegen seiner zahlreichen Fabrikarbeiterschaft den moralisch tiefststehenden und ungebildetsten« aller deutschen Stämme bzw. jene Mitgefangenen, die sich bei den Russen anbiederten, für »nichtswürdige Subjekte aus Oberschlesien« und »Halbpolacken«.1070 Und Pfleger führte die physischen Unterschiede unter Völkern, wie Schädelform und Gesichtszüge, auf den Einfluss der Umwelt oder die »Vermischung mit anderen Blutstämmen« zurück.1071 Einige Beiträge weisen ein Phänomen auf, das ich als »Sympathie-Verlagerung« bezeichne und das die nachhaltige Prägung der Autoren durch das Dritte Reich besonders unterstreichen kann. Betrachten wir etwa den folgenden Bericht von Max Plakolb, der sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Oberösterreich befand. Zunächst beschrieb er die befreiten Häftlinge des KZ Ebensee als »wandelnde Skelette« und Zeugen für die Schandtaten des »sonst so großzügigen« Dritten Reichs. Sodann berichtete er, wie Bauern sich über ExHäftlinge aus dem KZ Mauthausen, welche einfach deren Vieh aus den Ställen nähmen, beschwert hätten. Schließlich wurde Plakolb mit anderen Gefangenen von den Amerikanern an die Sowjets übergeben; als einige deutsche Offiziere von einem der Lastwagen sprangen, um zu fliehen, und daraufhin beschossen wurden, fand Plakolb es bemerkenswert, dass der Befehlshaber des Konvois ein Jude gewesen sei.1072 Derartige Verlagerungen von Sympathie innerhalb einer einzigen Darstellung – im Falle Plakolbs wurde der Jude vom Opfer zum Täter – ereigneten sich
1068 1069 1070 1071 1072
Ders., Geschichtsschreibung, 185 – 209, 198; Ernst Hanisch: Die Präsenz des Dritten Reiches in der Zweiten Republik, in: Kos/Rigele, Inventur, 33 – 50, 35. Klammer, Kein armes Land, 15; Österreich und Preußen, 1, 3. Vgl.: Gottschling, Erfahrungsbericht, 204 – 205. Die Bemerkung über die mongolischen Elemente stammt von Leopold Figl. Suppanz, Geschichtsbilder, 35. Nowak, Aufzeichnungen II, 12 (22. 8. 1945) und 16 (26. 8. 1945). Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 16, 33. Pfleger, Wir und die anderen XV, 12. Plakolb, Umweg, 4, 7 – 8.
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zumeist im Zusammenhang mit dem Krieg: Je näher ein Text chronologisch am Kriegsgeschehen angesiedelt ist, umso größer die Identifikation des Verfassers mit der Wehrmacht, und zwar unabhängig von dessen Haltung nach 1945. Dieses Axiom ist somit eine Nachkriegs-Parallele zu jenem Mechanismus aus der Kriegszeit, demzufolge der Zusammenhalt der Soldaten mit der zunehmenden Heftigkeit der Kämpfe zunahm. Ein gutes Beispiel dafür ist Pointners Beschreibung seines letzten Kampfeinsatzes im April 1945 nahe Troppau: »Die Schuld an diesem tragischen Untergang und dem misslungenen Durchbruchsversuch lag einzig und allein an dem Versagen der militärischen Führung, an der feigen Flucht der meisten Offiziere und der völligen Unwissenheit der Unterführer. Der Mannschaft jedenfalls, die alle Befehle, und mochten sie auch noch so absurd gewesen sein, bis zum Letzten ausführte, kann bestimmt keine Schuld gegeben werden.«1073
Hier, in unmittelbarer Nähe zum Kampfgeschehen, klingt es, als ob Pointner die Niederlage einer Truppeneinheit des Regimes, das er laut seiner anderen Nachkriegsaussagen so verabscheut habe, bedauerte. Sicherlich, da Pointner die Unfähigkeit der Führung und Tapferkeit der einfachen Soldaten hervorhob, wollte er primär Letztere als Opfer eines verbrecherischen Systems darstellen und ihre Soldatenehre retten, aber auch das unterstreicht seine Identifikation mit den Soldaten der Wehrmacht. Ganz ähnlich notierte Adolf Scherr in seinen Aufzeichnungen als Kriegsgefangener – und zwar nachdem er sich bereits gegen seine reichsdeutschen Mitgefangenen gestellt hatte – über den Griechenlandfeldzug, dass »unsere« Truppen bereits am Karsamstag Griechen, Franzosen und Engländer »über die Berge gejagt« hätten.1074 Und auch Plakolb verwendete andauernd »wir« in seinem Nachkriegs-Bericht über die Schlacht von Stalingrad.1075 Derselben Logik folgend konnte umgekehrt die Intensität des ÖsterreichBewusstseins zunehmen, je mehr eine Darstellung sich vom Krieg entfernte. Demgemäß lesen sich Toni Wiesbauers Erinnerungen an das Kriegsende zuerst wie NS-Propaganda mit einem Schuss von Srbiks »gesamtdeutscher Geschichtsauffassung«. So seien mit dem russischen Vordringen im Osten »die Lichter« über »urdeutschem« Land sowie dessen Geist und Kultur gelöscht worden: »Wo einst die Heere Friedrichs des Großen gestritten hatten, kämpften nun abermals deutsche Divisionen um den Bestand deutschen Landes.« Auch Wien sei einmal mehr ein Bollwerk gegen den Osten gewesen, mit dem Unterschied dass »diesmal der Feind auf seinen Fahnen keinen Halbmond, sondern 1073 Pointner, Erinnerungen 1944 – 1947, 19. 1074 Scherr, Dienstzeit, 6. 1075 Max Plakolb: Stalingrad – wie ich es selbst erlebte, o. J., KA, NL, B/1540:1. Plakolb nahm an der Schlacht von Stalingrad als Mitglied der 24. (ostpreuß.) Pz.-Div. teil.
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Hammer und Sichel [trug] und statt einem Rüdiger v. Starhemberg als Verteidiger von Wien stand […] der Gauleiter von Wien, Baldur v. Schirach.« Nach dem Ende der Kämpfe sei Wiesbauer, von Prag kommend, vor Freude »fast übermannt« worden, als er sich nach dem Überschreiten der bayerischen Grenze wieder auf »deutschem Boden« befand. Erst als er bei Schärding den Inn überquerte und die »engere Heimat« betrat, habe sich Wiesbauer der weit zurückliegenden Tage erinnert, als es noch ein »freies unabhängiges Österreich« gab.1076 All diese Spannungen, zwischen Kriegs- und Nachkriegshaltung bzw. zwischen antipreußischer und großdeutscher Einstellung, kennzeichnen auch die Ausrichtung der »Steffel-Nachrichten«. So bemühte sich Pfleger im Sinne seiner Nachkriegsanschauungen, die Entwicklung einer eigenständigen österreichischen Identität zu betonen, aber gleichzeitig auch die Reputation der österreichischen Wehrmachtsoldaten zu verteidigen, weil er dachte, dass die »Preußen« deren Leistungen verschwiegen hätten – ein Vorwurf, der auffallend an österreichische Beschwerden nach dem Ersten Weltkrieg erinnert –, obwohl die Hervorhebung des österreichischen Beitrags zur großdeutschen Kriegsanstrengung dem österreichisch-nationalen Standpunkt nicht gerade zuträglich ist.1077 Die Parallele zu den Beschwerden der Zwischenkriegszeit lässt auch andere von Wehrmachtsoldaten noch während des Krieges geäußerte Reminiszenzen an die k. u. k. Armee bzw. das Bundesheer der Ersten Republik in einem neuen Licht erscheinen. Schließlich könnten die Bemerkungen hinsichtlich der angeblichen Überlegenheit der alten österreichischen Streitkräfte, inklusive der Empfehlung, dass die Reichsdeutschen von der österreichischen Expertise mehr Gebrauch hätten machen sollen, auch dahingehend interpretiert werden, dass Deutschland den Krieg eher gewonnen hätte, wenn er etwas »österreichischer« geführt worden wäre. In anderen Worten: Es wirkt, als verberge sich hinter all der Preußenschelte vor allem der Vorwurf, dass die Preußen nicht gewusst hätten, wie man einen Krieg erfolgreich führt, was wiederum bedeutet, dass jene diesen Vorwurf erhebenden Österreicher sich mit den Zielen – nicht unbedingt den Methoden – dieses Krieges grundsätzlich identifizieren konnten. Passend zu dieser Annahme hatte der große Preußenhasser Nowak die Abhandlung »Kampf ohne Parole« – die englische Version trägt den viel aussagekräftigeren Titel »They Could Have 1076 Wiesbauer, Ende, 4, 25, 61, 64. Wiesbauer diente bis zu seiner Versetzung zu einem neuen Panzerverband im Jan. 1945 in der 2. GD. 1077 Ernst Karl Pfleger : Geschichte der »Steffel-Kameradschaft«, [in: Steffel-Nachrichten?], o. J., KA, NL, B/274:6, 10; Die Schlacht um Orel und die 56. Gr[en].–Div., in: SteffelNachrichten 30 (Jan. 1973), KA, NL, B/274:5, 1; Preußische Geschichtsschreibung, in: Steffel-Nachrichten 10/11 [49/50] (Jan. 1981), KA, NL, B/274:8, 10 – 11; Wir und die Anderen XVIII, 11.
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Overthrown Bolshevism« – verfasst, welche die verfehlte Behandlung der Ostvölker maßgeblich für das Scheitern des an sich legitimen Krieges gegen das kommunistische Russland verantwortlich macht.1078 Freilich waren nicht alle Aussagen der Nachkriegszeit hinsichtlich der Entwicklung einer österreichischen nationalen Identität widersprüchlich oder gekünstelt, um nicht zu sagen unaufrichtig. Gerade weil die großdeutsche Kampfgemeinschaft an der Front so überaus starke integrative Kräfte ausübte, muss sie auch eine Anzahl von Friktionen und Enttäuschungen zugedeckt haben, die sich an anderen Orten, wie rückwärtiges Frontgebiet oder Heimat, möglicherweise entladen hätten und erst nach Kriegsende wieder an die Oberfläche kamen. Es ist auch unzweifelhaft, dass alles, was nach der Kapitulation der Wehrmacht übrig blieb, ein materielles und moralisches Desaster war, und dieses Resultat auch für viele ehemalige Soldaten, was immer der Einzelne zuvor über Großdeutschland und den Krieg gedacht haben mag, das aufrichtige empfundene Ende der Anschlussidee bedeutet haben muss.1079 Unter den Älteren waren ja schon während des Krieges Befürchtungen laut geworden, dass wieder alles wie 1918 enden würde. Im Mai 1945 wurden sie dann erneut an das vor allem für Österreich desaströse Ergebnis des Ersten Weltkrieges erinnert. Galler beispielsweise musste feststellen, dass er wieder einmal vor dem »Nichts« stand, und Zedtwitz-Liebenstein, der als Kriegsgefangener im Übergangslager Piding nahe der bayerisch-österreichischen Grenze vorerst nicht nach Österreich heimkehren durfte, entsann sich, dass er 1918 bereits seine erste Heimat, nämlich Böhmen, verloren hatte.1080 Es entbehrt somit nicht einer gewissen Ironie, dass es teilweise gerade die Erfahrungen von 1918 waren, die den Anschluss ursprünglich begrüßenswert erscheinen ließen, da man sich von ihm die Wiedergutmachung ebendieses Unrechts versprach.
Opportunismus Zusammenfassend belegt die Analyse der Zeugnisse österreichischer Wehrmachtsoldaten aus den Kriegsjahren sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit eindeutig, dass für dieses Bevölkerungssegment eine österreichische Nation bis 1078 »Christian Ravus« [Robert Nowak]: They Could Have Overthrown Bolshevism, KA, NL, B/ 726:16. 1079 Wiesinger, Schickalsjahre, 1, 11; P. Podhajsky, Lebenslauf, 26; Scheiderbauer, Adventures, 180; Morawec, Interview. Ulber (Interview) meinte, dass selbst unter den meisten ehem. Fallschirmjägern eine »innerliche Abkehr« vom Anschluss-Gedanken erfolgt sei, betonte jedoch, dass dies dem grundsätzlichen Deutschtum der Österreicher keinen Abbruch tue. 1080 Galler, Erlebnisse, 68; Zedtwitz-Liebenstein, Kielce u. Flucht; Gefangenschaft, 351. Die Familie Liebenstein stammt aus dem Egerland.
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zum Kriegsende keine Rolle spielte. Erst nach der Kapitulation der Wehrmacht oder während der Kriegsgefangenschaft kam es unter einer Minderheit zu entsprechenden Bekenntnissen, welche immer noch viele Berührungspunkte zum Deutschtum aufweisen konnten. Dies bestätigt die Sichtweise, dass eine von deutschen Elementen komplett bereinigte österreichische Identität vor allem eine taktische Erfindung der Führung der wiederhergestellten österreichischen Republik war. Dazu gehörte neben der Erfindung der »Unterrichtssprache« statt »Deutsch« als Schulfach auch das Umschreiben der Schulbücher »im österreichischen Sinne«.1081 Dadurch wollte man dem neuen Staat, im Gegensatz zur Ersten Republik, von Anfang an eine größere Legitimität und Stabilität verleihen und es den Österreichern gestatten, sich so schnell wie möglich ihrer Verantwortung aus der Zeit des Dritten Reichs zu entziehen. So berechtigt und verständlich diese Strategie vom politischen und menschlichen Standpunkt aus gewesen sein mochte, war sie doch hauptsächlich von Opportunismus gekennzeichnet. Entsprechend äußerten sich viele Wehrmachtsoldaten verächtlich über jene quasi über Nacht zu österreichischen Patrioten mutierten Kameraden sowie ähnliche Fälle von Gesinnungswandel auch unter Reichsdeutschen. Johann Wotava beispielsweise, der als Kriegsgefangener die Bekenntnisse zum Österreichertum für reinen Konformismus gehalten hatte, verabscheute nicht so sehr das Ergreifen einer Chance, sondern die damit einhergehende Verdrehung von Tatsachen, wie die Behauptung, dass die Österreicher nur Opfer gewesen seien.1082 Bei seiner Gefangennahme durch die Amerikaner zeigte Otto Waldemar Posch sich besonders abgestoßen von einem »sogenannten Widerstandskämpfer«, einem ehemaligen Luftwaffensoldaten, der Kekse verteilte und ankündigte, dass sie bald alle in die Vereinigten Staaten geschickt würden, während Zivilisten, inklusive eines »Mörder« schreienden Buben, die gefangenen Soldaten beschimpften. Posch empfand es als »hässlich, wie sich einzelne Leute bei den Amerikanern einschmeicheln wollten auf Kosten derer, die da und dort zu leiden hatten.«1083 Auf seinem Marsch in sowjetische Gefangenschaft schäumte Guido Plas über Mitglieder des »Nationalkommit¦e Freies Deutschland«, die in den besten Uniformen mit all ihren Auszeichnungen in einem Kaffeehaus in Brünn 1081 Gespräch mit Frau Dr. Melitta Nemetz, 27. 2. 1978, KA, NL, B/257:9. 1082 Wotava, Interview. Auch Brandeis und Ulber (Interviews) sahen die Rückkehr des österreichischen Nationalbewusstseins als eher abrupt und primär opportunistisch motiviert. Scheiderbauer (Adventures, 180) bestätigte, dass viele Reichsdeutsche ein solches Verhalten als schäbigen Trick nach der gemeinsamen Niederlage betrachteten, aber äußerte auch Verständnis für die österreichische Haltung. Vgl.: Allmayer-Beck, Kriegserinnerungen, 497. 1083 Posch, Sanitätssoldat, 130, 134.
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saßen: »Sie grinsten alle hämisch heraus – am liebsten wären wir hineingestürmt und hätten sie zumindest stark verprügelt, wenn nicht umgebracht! – Nur zum Anspucken!« Den deutschen Lagervorsteher, der im Krieg gefangen genommen worden oder desertiert war, bezeichnete Plas als »Speichellecker« und »Arschkriecher«, der »natürlich ein großer Antifaschist« gewesen sein wollte.1084 Laut Zedtwitz-Liebenstein sind in seinem Gefangenenlager »zur Schande von uns Österreichern« die beiden Instrukteure für Marxismus-Leninismus – »primitive Leute, charakterlose Verräter« – ein Steirer und ein Niederösterreicher gewesen.1085 Wilhelm Plas war zutiefst beschämt, als er hörte, dass der neue österreichische Kanzler Figl anlässlich der Konferenz von Potsdam finanzielle Reparationen von Deutschland verlangt habe. Er erlebte auch eine Auseinandersetzung unter drei Mitgefangenen, zwischen dem Sachsen Guttmann und den Österreichern Seunig und Burian, nachdem Letztere es bedauert hatten, jemals den deutschen Waffenrock getragen zu haben. Plas schämte sich erneut für diesen Gesinnungswandel, da niemand die beiden gezwungen habe, in die Wehrmacht einzutreten, und bevorzugte seither sogar Guttmanns Gesellschaft. Plas zufolge hätten sich 1938 fast alle österreichischen Offiziere zur Wehrmacht gemeldet, aber jene, die damals abgelehnt wurden, hätten 1945 ihre einstigen Bemühungen »vergessen«, damit sie nun die Ehrungen seitens der Republik empfangen könnten.1086 Für Mauritz Wiktorin war es nach dem Krieg »Mode« geworden, sich von den Deutschen zu distanzieren, um sich dadurch dem Deutschland zugedachten Schicksal zu entziehen: »Diese Sucht führte zu den unglaublichsten und lächerlichsten Geschichtsfälschungen und Verdrehungen von Tatsachen, an denen sich leider auch sehr maßgebende, hohe Personen beteiligten.«1087 Gustav Adolph-Auffenberg-Komarov verfasste nach dem Krieg eine kurze Grundsatzerklärung hinsichtlich des Gesinnungswandels österreichischer Soldaten: So hätten »wir alle« Hitler aufgrund seiner legalen Machtergreifung, der Attraktivität seines Programms und seiner Anfangserfolge bereitwillig gedient. Daher, so Adolph-Auffenberg-Komarov, sei jeder schlicht und einfach »charakterlos«, der seine frühere Gefolgschaft zu Hitler, unabhängig von dessen Gräueltaten und Scheitern, ableugnete.1088 Die Leidenschaftlichkeit vieler Empörungen über 1084 G. Plas, Memoiren, 43, 46. 1085 Zedtwitz-Liebenstein, Kielce u. Flucht; Gefangenschaft, 333 – 334. 1086 W. Plas, Erinnerungen V, 12, 14; Erinnerungen IIIa, 10. Plas war jedoch überzeugt, dass Figl sich bloß bei den Alliierten einschmeicheln wollte und nicht ernsthaft an Reparationen dachte. 1087 Wiktorin, Soldat, 62. 1088 Gustav Adolph-Auffenberg-Komarov : Reflexionen über den 2. Weltkrieg, o. J., KA, NL, B/ 678:12, 19.
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opportunistisches Verhalten erscheint durchaus verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich unter jenen, die in den letzten Kriegstagen mit einer rot-weiß-roten Armbinde herumliefen, auch Swogetinsky befand, welcher in Poltawa »Judenweiber« zur Reinigung des Hauptquartiers der 17. Armee gezwungen und sich höchstwahrscheinlich im besetzten Belgien persönlich bereichert hatte.1089 Der opportunistische Charakter der neuen österreichischen Identität unter Wehrmachtsoldaten wird auch durch eine Analyse des militärischen Widerstandes bestätigt. Selbstverständlich gab es während der gesamten Kriegszeit verschiedene Akte des Widerstandes, die großen Mut erforderten und oftmals mit dem Tod bestraft wurden.1090 Diese sollen hier keinesfalls herabgewürdigt werden. Insgesamt war der österreichische militärische Widerstand jedoch ebenso wie der zivile um nichts starker ausgeprägt als im Altreich, und kann daher als marginal beschrieben werden, zumal patriotisch gesinnte Österreicher mit der Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich ein zusätzliches Motiv für Widerstand gehabt hätten.1091 Die nachgewiesenen Fälle zielten in der Regel auch nicht auf die Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit ab, sondern waren eher von allgemeinen ethisch-moralischen Überzeugungen und Bedenken motiviert.1092 Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, die wichtigste Sammlung entsprechender Aktivitäten während der Anschlusszeit, gibt Aufschluss über die Natur der weniger prominenten Widerstandsakte. Das elektronische Suchsystem des Archivs bringt insgesamt rund 465 Akten in irgendeiner Weise mit der Wehrmacht in Verbindung. Ungefähr 100 Fälle 1089 Swogetinsky, 2. Weltkrieg, Einträge vom 17. 10. 1941 und 30. 4. 1945. 1090 Als Beispiele seien genannt: Franz Jägerstätter (1943 für Wehrdienstverweigerung hingerichtet), Obstlt. Robert Bernardis (1944 für seine Beteiligung am Attentat vom 20. Juli hingerichtet), Hptm. Karl Burian (1944 für den Aufbau einer legitimistischen Widerstandsgruppe hingerichtet), Obstlt. Josef Ritter von Gadolla (1945 für die kampflose Übergabe von Gotha hingerichtet), Maj. Karl Biedermann, Hptm. Alfred Huth und Olt. Rudolf Raschke (1945 für Verhandlungen mit der Roten Armee hingerichtet). 1091 Katzenstein, Disjoined Partners, 170 – 172; Thaler, Ambivalence, 81 – 82; Robert H. Keyserlingk: Austria in World War II. An Anglo-American Dilemma, Kingston 1988, 162 – 163, 166; Manfried Rauchensteiner: Die Unseren. Zum Bild des österreichischen Soldaten während der letzten 100 Jahre, in: Jahrestagung der Wissenschaftskommission 2002, Wien 2002, online: http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/rauchenst.pdf (25. 8. 2014), 10. 1092 Dies gilt auch für den 20. Juli 1944 in Österreich. Manfried Rauchensteiner : Militärischer Widerstand, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Widerstand und Verfolgung in Wien, 1934 – 1945. Eine Dokumentation, Bd. 3, Wien 1975, 394 – 431, 396 – 398, 407 – 409, 413 – 414; Vogl, Widerstand. Die Beurteilung des österreichischen militärischen Widerstandes ist auch durch die Tatsache erschwert, dass die Angeklagten naturgemäß dazu tendierten, vor den Gerichtshöfen nicht die ganze Wahrheit offenzulegen. Vgl.: Wette, Wehrmacht, 166.
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(21,5 Prozent) davon ereigneten sich nicht in der Wehrmacht selbst, da sie Versetzungen zu Strafeinheiten für Vergehen im zivilen Bereich dokumentieren. Weitere 190 Fälle (41 Prozent) sind ebenfalls nur indirekt wehrmachtbezogen (Wehrdienstverweigerer, Hilfe für Deserteure oder die Rote Armee, Partisanentätigkeit und antifaschistische Kollaboration von Kriegsgefangenen in Moskau) oder in allgemeiner Weise geeignet, den verbrecherischen Charakter des Krieges zu beleuchten (neues Strafrecht, organisatorisch-wirtschaftliche Daten über Konzentrationslager und Häftlinge, Gewaltakte der SS und Nachkriegsprozesse). Somit beziehen sich nur rund 175 Fälle (37,5 Prozent) eindeutig auf Akteure innerhalb der Wehrmacht. Von diesen wiederum ereigneten sich 110, also fast zwei Drittel, erst im Jahre 1945, wobei es sich hauptsächlich um Desertion handelte und die Häufigkeit mit dem Näherrücken der Kapitulation dramatisch zunahm.1093 Damit bleiben etwa 65 (also lediglich 14 Prozent der Gesamtzahl) eindeutig wehrmachtbezogene Fälle – in der Regel von Militärgerichten verurteilte Soldaten –, die sich deutlich vor dem Untergang des Dritten Reichs ereigneten. Daraus gezogene Stichproben wiederum offenbaren, dass die Masse dieser Fälle nicht Widerstand im eigentlichen Sinne betraf, sondern Vergehen, die jede andere Armee heutzutage ebenso ahnden würde, wie zumeist von notorischen Taugenichtsen und Kleinkriminellen begangene Disziplinlosigkeiten oder Straftaten unterschiedlicher Schwere.1094 Das Ende des Dritten Reichs im Mai 1945 stand für eine Umwälzung, welche, obgleich weitaus profunder als jene vom März 1938, mit dieser doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufwies, vor allem was die Wandelbarkeit von Gesinnungen und die Niedrigkeit persönlicher Motive betrifft. Ein Paradebeispiel für 1938 wäre Oberstleutnant Josef Marx, der vor dem Anschluss seine Männer aufgefordert hatte, Nazi-»Lausbuben« zu ohrfeigen, aber bei der Vereidigung auf Hitler im März 1938 verkündete, dass wir »20 Jahre […] auf diesen Augenblick gewartet« hätten.1095 Waren rund um die Eingliederung des Bundesheeres Denunzierungen von Ständestaat-Sympathisanten, Legitimisten und anderen unliebsamen Personen so sehr an der Tagesordnung gewesen, dass Reichsdeutsche 1093 So zeigt die Statistik für 1945 insgesamt 32 Fälle im Jan. und Feb. 1945, 18 Fälle im März, 33 Fälle (also fast eine Verdoppelung) im April und 24 Fälle (also eine Verdreifachung) in der ersten Maiwoche. 1094 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 20.000/P8; 21.062/70; 21.062/ 22; 03913; 06079. So wurde beispielsweise Obstlt. Erwin Wratschko (ehem. Leiter der Heeresfilmstelle Berlin) 1943 für finanziellen Amtsmissbrauch bestraft, der Untersteirer Schütze Konrad Tschusch 1943 für »Desertion« (nachdem er in betrunkenem Zustand einen Zug versäumt hatte) und Fahrer Johann Masˇat 1944 für den Verkauf einer gefundenen Uhr sowie die vorsätzliche Missachtung des ärztlichen Rauchverbots zwecks Erreichung von Dienstuntauglichkeit. 1095 Staudigl, Gesprächsprotokoll, 2.
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sich davon abgestoßen zeigen konnten, so waren ab 1945 jene betroffen, die Mitglieder im NSR gewesen waren oder sich anderweitig durch besondere Begeisterung ausgezeichnet hatten. Das Bestreben nach 1945, die eigene Vergangenheit in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen – der berühmte »Persilschein« – konnte ans Lächerliche grenzen. So ließ sich Major Franz Benisch von einem ehemaligen Kameraden ein »einwandfreies Bekenntnis zu Österreich« – Benisch hatte 1942 einen Reichsdeutschen für dessen abfällige Bemerkungen über Österreich zurechtgewiesen – bescheinigen.1096 Dass bei derartigen Säuberungen und Weißwaschungen Kontinuitäten vielfach nur zugedeckt wurden, muss nicht ausdrücklich betont werden. Selbst bei Personen, welche die Umwälzungen unbeschadet überstanden hatten, offenbarten Kleinigkeiten bisweilen, wie sehr die Geisteshaltung des vergangenen Systems noch im Unterbewusstsein steckte, was entweder auf eine ungewollte Abfärbung oder die unzureichend kaschierte wahre Einstellung des Betreffenden hinweisen konnte. So fügte 1938 Generalmajor Karl Bornemann für eine Rede anlässlich des Anschlusses bei dem Satz, dass Österreich ein Teil des Deutschen Reichs geworden sei, nachträglich das Wort »wieder« ein, um zu betonen, dass Österreich nie wirklich von Deutschland getrennt gewesen sei.1097 Im Manuskript von Oberst Erich Rodlers Erinnerungen nach 1945 wiederum enthielt die Passage über den Einmarsch in die Tschechoslowakei ursprünglich den Satzteil »zur Befreiung der Sudetendeutschen«, der jedoch von seinem Korrekturleser später durchgestrichen wurde.1098
Das »Vermächtnis« der Wehrmacht Nach sieben Jahren endete der anhaltende Integrationsprozess der Österreicher in die deutsche Wehrmacht abrupt mit dem totalen Zusammenbruch des Dritten Reichs infolge seiner militärischen Niederlage. Wir haben gesehen, wie Wehrmachts- und Kriegserfahrungen auf verschiedene Weisen über 1945 hinaus in den Köpfen österreichischer Veteranen nachwirkten, ob in der Solidarität mit der untergegangenen Kampfgemeinschaft, in den großdeutschen Elementen österreichischer Identitätsbezeugungen oder in Freud’schen Fehlleistungen. Der folgende Abschnitt wird sich genauer mit der österreichischen Erinnerung an die Wehrmacht, bzw. wie sich diese Erinnerung auf das politische Leben der Zweiten Republik ausgewirkt hat, auseinandersetzen. Aufgrund der Bestrebungen des offiziellen Österreich, als Hitlers »erstes 1096 Handl an Benisch, 21. 11. 1946. 1097 Karl Bornemann: Redemanuskript, 24. 3. 1938, KA, NL, B/1041:45. 1098 Dabei handelte es sich wahrscheinlich um Jaromir Diakow. Rodler, Erinnerungen, 146.
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Opfer« möglichst schnell von jeglicher Mitverantwortung für die Taten des Dritten Reichs freigesprochen zu werden, wurde nach dem Krieg das Thema »Wehrmacht« in der Öffentlichkeit so gut es ging totgeschwiegen.1099 Unabhängig von dieser offiziellen Linie wollten viele Veteranen sich auch nicht mitteilen, und zwar aus dem gleichen Grund, warum sie bereits während des Krieges geschwiegen hatten, nämlich weil sie fürchteten, dass niemand, der es nicht selbst erlebt hatte, ihre Erfahrungen verstehen könnte. Hinzu kam, dass der Krieg für viele Teilnehmer nun auch stark mit der Erinnerung an die Niederlage, an schreckliche Verluste und Zerstörungen sowie an Gräueltaten und Verbrechen verbunden war, was die Sprechbereitschaft ebenfalls blockiert haben muss.1100 Jene Veteranen allerdings, die nicht alle ihre Erfahrungen und Emotionen für sich behalten wollten oder konnten, begannen eine »inoffizielle« Erinnerung an die Wehrmacht innerhalb der österreichischen Gesellschaft zu pflegen, welche parallel und unabhängig von der offiziellen Sichtweise der Republik existierte.1101 Diese inoffizielle Erinnerung konnte auf mehrere Arten weitergegeben werden, wie etwa im Familien- und Freundeskreis, in Kameradschaftsvereinen sowie in verschiedenen Publikationen.1102 Nur in einem Punkt deckten sich die beiden Erinnerungsstränge, und zwar in der Behauptung, dass die österreichischen Wehrmachtsoldaten im Hinblick auf Kriegsverbrechen immer »sauber« geblieben seien. Während die einen betonten, dass ihr Wehrdienst ausschließlich dem Prinzip der »soldatischen Pflichterfüllung« gehorcht habe, propagierte die Regierung die Doktrin von den Soldaten als »unwillige Opfer«. Die meisten Veteranen leugneten die negativen Aspekte des Krieges nicht, aber sie identifizierten mit Krieg und Wehrmacht auch positive Aspekte wie Kameradschaft und militärische Erfolge. Forscher haben die deutsche Erfahrung von Kameradschaft und Zweitem Weltkrieg als lebenslange Mitgliedschaft in einer beinahe mystischen Gemeinschaft beschrieben, welche an der »Schwelle zwischen Jugend und Erwachsensein, Leben und Tod« existiert hatte und deren Status von gefeierten Freiheitskämpfern zu einem »besiegten und oftmals diffamierten Gesellschaftskörper« degradiert worden war.1103 Diese Solidarität ist ein weiterer Grund, warum der Gesinnungswandel einzelner Mitglieder dieser Gemeinschaft nach Kriegsende 1099 Allmayer-Beck, Verständnis, 210; Rauchensteiner, Die Unseren, 10; Ziegler/KannonierFinster, Gedächtnis, 243. 1100 Hornung, Trümmermänner ; Allmayer-Beck, Verständnis, 211. 1101 Uhl, Politics of Memory, 73, 80; Ziegler/Kannonier-Finster, Gedächtnis; Matthew Berg: Challenging Political Culture in Postwar Austria. Veterans’ Associations, Identity, and the Problem of Contemporary History, in: CEH 30/4 (1997), 513 – 544, 516. 1102 Rauchensteiner, Die Unseren, 10. 1103 Berg, Challenging Political Culture, 523.
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von dieser nicht anders bewertete wurde als Desertion während des Krieges, also als »Verrat« an den Kameraden. Sogar noch im 21. Jahrhundert kann die Beurteilung von jenen, die damals nicht ihre »Pflicht« getan hätten, zu hitzigen Kontroversen zwischen Vertretern der inoffiziellen Veteranenkultur und den Gegnern derselben führen.1104 Abgesehen davon, dass Veteranen ihr eigenes Überleben maßgeblich auf die Kameradschaft zurückführten, basierte die Zentralität der Kameradschaft für das Kriegserlebnis auch darauf, dass sie im Rückblick als der vermeintlich einzige unbestreitbar positive Aspekt desselben erschien. Eine weitere Schlüsselerklärung für den tiefen Eindruck, den das Kriegserlebnis im Gemüt der Veteranen hinterließ, ist das junge Alter der Masse der Soldaten. Nowak zufolge wurden ältere Österreicher in der Wehrmacht manchmal für ihre nostalgischen Gefühle gegenüber der k. u. k. Armee kritisiert, worauf sie sich damit rechtfertigten, dass dies eben ihre Jugendzeit gewesen sei.1105 Dasselbe galt nun für den Zweiten Weltkrieg. Was immer deren Erinnerungen waren, und ob sie freiwillig oder unter Zwang gedient hatten, die Wehrmachtsveteranen hatten ihre besten Jahre im Krieg verbracht.1106 Einige dachten, dass die Zukunft und die ganze Welt ihnen gehören würde, andere genossen diese Zeit wenigstens teilweise, während wieder andere nur am eigenen Überleben interessiert waren, doch alles musste im Rückblick als weitgehend sinnlos erscheinen. Nur wenige Veteranen konnten derartige emotionale Einschnitte ohne seelische Narben überstehen. Selbst für jene ehemaligen »Frontschweine«, so die Selbstbezeichnung eines Veteranen, welche des Krieges und aller militärischen Dinge überdrüssig geworden waren, sei der Abstieg von den gefeierten »Helden von einst« zu gesellschaftlich ignorierten Sozialhilfeempfängern und Krüppeln schwer zu verkraften gewesen.1107 Umso verständlicher erscheint es daher, dass viele neben der Kameradschaft die Erinnerung an die eigenen militärischen Leistungen pflegten. Franz Podhajsky, der in typischer Offiziersmanier gehofft hatte, dass Politik und Kriegsführung voneinander getrennt bleiben könnten, bedauerte schon im Juli 1945 zutiefst, dass in Österreich ein öffentliches Gedenken an die rein militärischen Leistungen unmöglich sein würde: 1104 Ein jüngeres Beispiel wäre die Debatte über die Errichtung eines Denkmals für Wehrmachtdeserteure in Wien. 1105 Nowak, Aufzeichnungen IV, 5 (9. 9. 1945). 1106 Anton Knittler (ein SPÖ-Mitglied nach 1945) bezeichnete den Krieg als die »schönste Zeit« seines Lebens. Ziegler/Kannonier-Finster, Gedächtnis, 115. Viele Deutsche betrachteten insbesondere die Zeit von 1936 bis 1942 als die besten Jahre ihres Lebens. Geyer, Twentieth Century, 692. 1107 »Ein ehemaliger Gefreiter«: Leserbrief an das Vorarlberger Volksblatt, 10. 3. 1950, KA, NL, B/1030:199.
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»Es wird immer ein besonderes Ruhmesblatt unserer Gebirgler bleiben, dass sie dort droben sich bewährt haben und man kann nur mit blutendem Herzen – im Hinblick auf die Jetztzeit – sich sagen, wie kann ein solches Heldentum geschmäht und der Vergessenheit überantwortet werden! Ein alter Soldat kann das nicht verstehen, wenn er auch noch so sehr mit den gegebenen Verhältnissen rechnet.«1108
Nun sollte Podhajsky hinsichtlich der offiziellen Erinnerung fraglos Recht behalten, aber »Narvik« wurde nicht einfach vergessen: »Es ist schon heute historisch, ein Heldenepos, das in der Erinnerung der kommenden Generationen nicht mehr verblassen wird. In den steirischen Bauernstuben, wo die Väter halb vergessene Erinnerungen vom Kampf an den Grenzen Montenegros bewahren, werden die Söhne von Narvik erzählen.«1109
Zwar stammt dieses Zitat aus einer Münchener Zeitung von 1940, doch beschreibt es genau, wie sich die Weitergabe der Erinnerung tatsächlich in zahlreichen Familien in den Gegenden, aus denen die Gebirgsjäger sich rekrutierten, zugetragen haben muss. Entsprechend erfreut war ein Veteran der 1. Batterie des Gebirgs-ArtillerieRegiments 112, dass er die ehemaligen Mitglieder der Einheit in einer um 1990 zusammengestellten Regimentsgeschichte über die gute Einstellung der Kärntner Kameraden unterrichten konnte, nachdem er im Urlaub ein gerahmtes Gedicht über die Taten und die »unbefleckte« Ehre der Gebirgsjägertruppe in einer Kärntner Gaststube entdeckt hatte.1110 1974 ersuchte der ehemalige Gebirgsjäger Florian Wildling die Stadt Klagenfurt um finanzielle Unterstützung bei der Publikation seiner Erinnerungen, da die militärischen Leistungen von Klagenfurter Soldaten die Bedeutung der Stadt so erhöht hätten, dass eine bis heute andauernde »Werbewirkung« entstanden sei. In seinem Erinnerungswerk wollte Wildling auch den Beitrag der Gebirgsjäger aus Kärnten und der Steiermark zur Narvik-Operation hervorheben, da er fand, dass einschlägige Beschreibungen meist nur die Tiroler erwähnten.1111 Die Erinnerung an vergangene Leistungen war nicht ausschließlich an Mili1108 F. Podhajsky, Ausklang, 24. Die völlig gegensätzliche Meinung vertrat Emil Liebitzky (Text ohne Titel, o. J., KA, NL, B/1030:113), der zur geplanten Publikation eines Buches über Dietl durch einen Wiener Verlag meinte, dass »eine Glorifizierung dieser Zeit […] völlig deplaziert, ja beklagenswert« sei. 1109 Ostmärkische Antwort, in: Münchener Neueste Nachrichten, 25. 7. 1940, BA-MA, RH 53 – 18/185. 1110 Das 1950 von Oberst Josef Remold (ehem. Kommandeur der 6. GD) verfasste Gedicht »Das Edelweiß« wurde im »Gasthaus zum Tiroler« in Greifenburg entdeckt. Dokument ohne Titel, o .J., in: Der Lange Marsch, II. Teil. Auszug:»Und als dann kam die schwere Stund’, nahm ich es ab vom Mützenbund. Von Schmach und Schande unbefleckt, hab’ ich’s im Waffenrock versteckt.« 1111 Florian Wildling an Magistrat Klagenfurt, 25. 7. 1974; ders., Erinnerungen eines Gebirgsjägers über den 2. Weltkrieg, 2. Teil, 1980, KA, NL, B/1111:3.
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tärisches geknüpft. Galler beispielsweise, der den Großteil des Krieges in Norwegen verbracht hatte, empfand seinen Beitrag während des Krieges als unzweifelhaft positiv, da seine Einheit hauptsächlich mit der Verlängerung der »Nordland«-Eisenbahn bis Bodö – Trassen, Tunnel und Brücken bauend – beschäftigt gewesen sei und dabei mehr mit den Elementen als mit dem Feind zu kämpfen gehabt habe.1112 Ein anderer Veteran mit sozialdemokratischem Hintergrund habe angeblich nie über den Krieg gesprochen. Nur als er einmal während der Jugoslawienkriege in den 1990er-Jahren von der Zerstörung eines Flughafengebäudes hörte, kommentierte er, das nun etwas zerstört worden sei, was »wir« damals gebaut hätten.1113 Da diese Bautätigkeit in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft erfolgt war, kann das Beispiel hier nur äußerst bedingt angeführt werden, aber es unterstreicht in jedem Fall die allgemeine Unwilligkeit vieler Wehrmachtsveteranen, sich über ihre Kriegszeit mitzuteilen. Nach 1948 begannen auch Kameradschaftsvereine eine stärkere Rolle zu spielen, da es nunmehr einer größeren Anzahl von Personen aufgrund ihrer Einstufung als »minderbelastet« erlaubt war, wieder am öffentlichen Leben teilzuhaben. Daraufhin vervielfachte sich in den frühen 1950er-Jahren die Zahl der Vereine, und sie begründeten den Dachverband des »Österreichischen Kameradschaftsbundes«, welcher 2007 ungefähr 250.000 Mitglieder umfasste, von denen 30 Prozent noch in der Wehrmacht gedient hatten.1114 Die Kameradschaftsvereine zelebrierten das Gedenken an die ehemalige Kampfgemeinschaft der Wehrmacht in Zeremonien wie Versammlungen, Paraden und Kranzniederlegungen, bei denen die Veteranen ihre Uniformen und Auszeichnungen aus beiden Weltkriegen trugen.1115 Besonders viele Veranstaltungen ereigneten sich rund um den Abschluss des österreichischen Staatsvertrages im Jahre 1955, gelegentlich gemeinsam mit Waffen-SS-Veteranen oder im Beisein von Vertretern des Bundesheeres.1116 Eine für die 1950er- und 1960er-
1112 Galler, Erlebnisse, 67. 1113 Vertrauliche Mitteilung an den Verfasser. 1114 Die Mitgliedschaft von Nichtveteranen beruht darauf, dass die Vereine auf dem Land auch eine soziale Funktion, ähnlich den freiwilligen Feuerwehren und Schützenvereinen, ausüben, wobei der Begriff »Kamerad« die von echter Kriegserfahrung unabhängige Bedeutung eines allgemeinen Ideals annimmt. Vgl.: Berg, Challenging Political Culture, 526. 1115 Das Abzeichengesetz von 1960 erlaubt das öffentliche Tragen von Wehrmachtauszeichnungen nach Entfernung des Hakenkreuzes. Heidemarie Uhl: Transformationen des österreichischen Gedächtnisses. Geschichtspolitik und Denkmalkultur in der Zweiten Republik, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 29 (2000), 317 – 341, 332. 1116 Uhl, Transformationen, 331; Berg, Challenging Political Culture, 531 – 532, 535 – 536. 1954 nahm FM Albert Kesselring an einem Veteranentreffen in Österreich teil. Im Mai 1955 sprach Innenminister Ferdinand Graf in Bad St. Leonhard (Kärnten) vor Veteranen, die Uniformen der k. u. k. Armee, der Wehrmacht und des ersten und zweiten Bundesheeres trugen. Im Aug. 1958 hielt der regionale Bundesheer-Kommandeur eine Ansprache vor
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Jahre typische Veranstaltung fand im Mai 1963 statt. Organisiert vom Bürgermeister von Waidhofen an der Ybbs, der selber das Ritterkreuz gemeinsam mit dem österreichischen Silbernen Ehrenzeichen trug, versammelten sich ca. 300 Veteranen im niederösterreichischen Purkersdorf, dekoriert mit Eisernen Kreuzen und Ritterkreuzen, Kommandos in reichsdeutscher Terminologie rufend und Trommeln »im Hitlerjugend-Stil« schlagend, wie das regierungsnahe »Neue Österreich« kritisch bemerkte.1117 Für diese Veteranen bedeutete es keinen Widerspruch, dass sie als Österreicher militärische Leistungen ehrten, die sie im Dienst der großdeutschen Wehrmacht vollbracht hatten. Auch die Widmungen auf den aus der Zwischenkriegszeit stammenden und nach 1945 um die Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg erweiterten Kriegerdenkmälern beziehen sich häufig auf die Verteidigung der »Heimat«, was sowohl die engere Heimat Österreichs, des Bundeslandes oder der Heimatgemeinde als auch das (seinerzeitige) größere deutsche Vaterland bedeuten kann.1118 Selbst ohne entsprechende Widmungen stellten die Zeremonien an den Kriegerdenkmälern in den Gemeinden eine außerordentlich wirkungsvolle Rückverbindung mit dem Großdeutschen Reich dar, indem sie die konkreteste und fundamentalste lokale Kriegserfahrung – die Ehrung der gefallenen Söhne der Gemeinde – mit dem Krieg, den das eher abstrakte größere Vaterland in fernen Ländern geführt hatte, verknüpften.1119 Es muss auch betont werden, dass diese Versammlungen von den lokalen Funktionären aller Parteien, inklusive der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), geduldet, wenn nicht sogar gefördert wurden, obwohl die Satzungen der Kameradschaftsvereine eindeutig Wertekataloge enthielten, die eher Anhänger des national-freiheitlichen Verbands der Unabhängigen (VdU) – dem Vorläufer der Freiheitlichen Partei Österreichs – und der christlichsozialen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) ansprachen.1120 Und während all dies für die Veteranen bloß die logische Fortsetzung ihrer Gemeinschaft aus Kriegszeiten war, stellte es
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Waffen-SS-Veteranen in Innsbruck. Im Sept. 1958 stellte das örtliche Bundesheer seine Militärkapelle für ein Treffen in Hainburg (NÖ) zur Verfügung. Plötzlich verschwanden die Hakenkreuze…, in: Neues Österreich, [Mai 1963], KA, NL, B/ 844:51. Uhl, Transformationen, 330, 332; Rauchensteiner, Die Unseren, 9. Kriegerdenkmäler finden sich praktisch in jeder ländlichen Gemeinde, meistens in der Nähe der Kirche; in Wien handelt es sich üblicherweise um Plaketten in oder an den Außenmauern von Kirchen. Reinhold Gärtner/Sieglinde Rosenberger : Kriegerdenkmäler. Vergangenheit in der Gegenwart, Innsbruck 1991; Joachim Giller/Hubert Mader/Christina Seidl: Wo sind sie geblieben …? Kriegerdenkmäler und Gefallenenehrung in Österreich, Wien 1992. Vgl.: Confino (Metaphor, 43) im Zusammenhang mit Württemberg und dem DeutschFranzösischen Krieg 1870/71. Uhl, Transformationen, 332; Berg, Challenging Political Culture, 526, 536 – 539.
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für Österreichs offiziellen »Opferstatus« zweifellos eine große Peinlichkeit dar.1121 Dazu gehörte auch, dass österreichische Veteranen keine Berührungsängste oder gar Feindseligkeit gegenüber den ehemaligen Kameraden in der Bundesrepublik Deutschland an den Tag legten, denn an den Veteranentreffen nahmen oftmals Gäste, etwa bundesdeutsche Kameradschaftsvereine oder prominente Kommandeure, teil. Im Laufe des Jahres 1954 wurde die ehemalige Kampfgemeinschaft bei großen Versammlungen bundesdeutscher und österreichischer Veteranen so demonstrativ beschworen, dass Bonn sich bemüßigt fühlte, Wien offiziell seine Bedenken hinsichtlich der möglichen internationalen Folgen eines solchen Verhaltens mitzuteilen.1122 Abgesehen von den geteilten Erinnerungen und gemeinsamen Feiern pflegten die bundesdeutschen und österreichischen Kameradschaftsvereine ganz konkrete, aus der Kriegszeit stammende, persönliche Verbindungen. Für Peter Podhajsky waren die Veteranen durch die gemeinsamen sechs Jahre Kriegserfahrung gleichsam eine »innig verbundene Familie« geworden, in der weder soziale noch regionale Hintergründe eine Rolle spielten.1123 Auf dem Schiff, das sie im Januar 1946 von den Vereinigten Staaten auf den europäischen Kontinent zurückbrachte, verabschiedete Meixner sich bei seinen ehemaligen Mitgefangenen mit den Worten, dass die Österreicher zwar nun in ihren eigenen Staat zurückkehrten, aber die zahlreichen Bande aus der Kriegszeit, wie Eheschließungen und Freundschaften sowie die gemeinsame Erfahrung von Front und Gefangenschaft, gegenseitige Hilfe und eine brüderliche Verbindung der beiden Staaten garantieren würden.1124 Allerdings gestalteten sich die grenzübergreifenden Beziehungen zwischen den Veteranen nicht immer so freundschaftlich und harmonisch wie etwa bei den ehemaligen Fallschirmjägern. Erich Ulber, ein Mitglied des »Bundes ehemaliger Fallschirmjäger«, sah in der Kameradschaft und den guten Privatkontakten zwischen Bundesdeutschen und Österreichern das einzig Positive, das vom Krieg übrig geblieben war. Gemäß Ulber gab es auch hier stilistische Unterschiede, welche jenen von 1938 entsprachen, so wie die größere Intimität unter den Österreichern, die sich untereinander mit »Du« ansprachen und immer ihre Ehefrauen mitbrachten, während die Bundesdeutschen sich etwas reservierter verhielten und auch den Standesunterschied zwischen Männern und Offizieren mehr beachteten.1125 Im Gegensatz dazu fand jedoch ein in Norddeutschland lebender ehemaliger Unteroffiziersschüler, dass der bundes1121 1122 1123 1124 1125
Ebd., 518. Ebd., 531. P. Podhajsky, Geleitwort. Meixner, Tagebuch II, Eintrag vom 25. 1. 1946. Ulber, Interview.
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deutsche »Bund ehemaliger Unteroffizier-Vorschüler und Unteroffizier-Schüler« viel weniger militärisch organisiert sei als sein österreichisches Pendant.1126 Weitaus gravierendere Differenzen konnten über die Sicht des Krieges entstehen. So kam es innerhalb der Kameradschaft der 262. Infanterie-Division zu Spannungen über die Frage, wie autonom der österreichische Verband unter Ernst Karl Pfleger agieren könne, wobei Pflegers persönliche Anschauungen einer einvernehmlichen Lösung wohl eher nicht förderlich gewesen sein dürften.1127 Und Anton Maurer erinnerte sich, dass die Veteranen der 297. InfanterieDivision in den ersten Nachkriegsjahrzehnten blendend miteinander ausgekommen seien, aber das Verhältnis sich abkühlte, nachdem bundesdeutsche Kameraden das defätistische Verhalten der Wiener während der sowjetischen Eroberung der Stadt scharf verurteilten und die Österreicher daraufhin ihre zivilen Landsleute in Schutz genommen hätten.1128 Es scheint daher, als ob es zu Friedenszeiten, ohne den existenziellen Druck der Frontgemeinschaft, teilweise dazu kommen konnte, dass divergierende Wahrnehmungen der Vergangenheit oder ältere Gegensätze, welche durch die Waffenbrüderschaft nicht vollständig beseitigt worden waren, den in sechs Jahren Krieg aufgebauten Konsens langsam wieder zu beeinträchtigen begannen. Dies war dem deutsch-österreichischen Verhältnis der Zwischenkriegszeit nicht unähnlich. Das viel bedrohlichere Hauptproblem für die Kameradschaftsvereine waren jedoch nicht Meinungsverschiedenheiten – eine solche Entwicklung war nach dem abrupten Ende des Integrationsprozesses und der darauffolgenden politischen Trennung zu erwarten gewesen –, sondern dass die »echten« Kameraden langsam, aber sicher ausstarben. Die zentrale Sinnfrage der Kameradschaftsvereine lautete daher, ob es möglich sein werde, wehrmachtfreundliche bzw. in irgendeiner Weise kriegsbezogene Erinnerungen an zukünftige Generation weiterzugeben, sobald die Kriegsgeneration vollständig abgetreten sei. Genau dies aber schien sich in einem Bereich zuzutragen, der ein anderes, ebenfalls stark mit den Veteranen verknüpftes Problem für die Zweite Republik darstellte, und zwar im Bundesheer. Eine zentrale Herausforderung für den Wiederaufbau der österreichischen Streitkräfte nach 1945 war die Frage, wie man einen Kader von leistungsfähigen Anführern und Ausbildern auf die Beine stellen solle, ohne auf die sogenannten »Deutschgedienten« zurückzugreifen, denen man pauschal Reserviertheit gegenüber österreichischem Patriotismus und Demokratie unterstellte. Emil Liebitzky warnte 1951 den Bundeskanzler 1126 Günter Angerhausen an Heinz Lugmeier, 16. 3. 1987, KA, NL, B, C/1645. 1127 Adolf Richter : Die bundesdeutsche Reaktion, in: Steffel-Nachrichten [10 (Mai 1964)?], KA, NL, B/274:5, 8. 1128 Maurer, Interview.
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wiederholt, dass unter den deutschgedienten Offizieren ehemalige Nationalsozialisten und VdU-Angehörige »recht verbreitet« seien, wodurch sich die Zusammenstellung eines loyalen Offizierskorps äußerst schwierig gestalte.1129 Das Bundesheer hatte jedoch letztlich keine andere Wahl, als seine Ränge mit Wehrmachtsveteranen aufzufüllen. Dies führte zu der ironischen Situation, dass sich sowohl diejenigen, die nicht in der Wehrmacht gedient hatten, als auch jene mit Wehrmachtvergangenheit jeweils von der anderen Gruppe übervorteilt sahen. Erstere dachten, dass ihre Nichtteilnahme am Krieg nicht gebührend anerkannt würde, während die anderen sich darüber beschwerten, dass sie ihre Kriegsdienstränge nicht behalten durften und man ihnen stattdessen Personen ohne jede Kriegserfahrung, aber mit politischer Protektion übergeordnet habe.1130 Wie dem auch gewesen sein mag, die Deutschgedienten waren im entstehenden Offizierskorps des zweiten Bundesheeres deutlich präsent. Unter den etwa 1.600 Offizieren, die 1960 im Bundesheer dienten, waren 250 in der Ersten Republik und 486 nach 1945 ausgebildet worden, während 860, also 53 Prozent, ihre Ausbildung in der Wehrmacht genossen hatten. Der österreichische Staatsvertrag von 1955 verbot die Aufnahme ehemaliger Wehrmachtoffiziere im Range eines Obersten oder höher, sodass die Qualität der höheren Kader des Bundesheeres darunter litt, dass sie auf jene Personen verzichten mussten, die im letzten Krieg große Expertise auf Operationsebene erworben hatten.1131 1961 war die Gründung eines Verbandes der Ritterkreuzträger in Österreich untersagt worden, und das Verfassungsgericht bekräftigte seine Entscheidung im Jahre 1963.1132 Nichtsdestotrotz betrug im Bundesheer der Anteil an ehemaligen Ritterkreuzträgern, die in den Generalsrang aufgestiegen waren, 30 Prozent, während es in der westdeutschen Bundeswehr nur 15 Prozent waren.1133 In Anbetracht einer derartigen Präsenz ehemaliger Wehrmachtsol1129 Emil Liebitzky an Bundeskanzler [Figl], 30.8. und 5. 10. 1951, KA, NL, B/1030:197. 1130 Obst dtD Arnold Hübler an Bundespräsident [Jonas], 29. 11. 1965, KA, NL, B, C/2033:14; W. Plas, Erinnerungen IIIa, 10. Der VdU-Vorsitzende und ehem. Luftwaffenpilot Gordon M. Gollob (Generals-Hofräte …!, in: Die Neue Front. Zeitung der Unabhängigen 8 [23. 2. 1950], KA, NL, B/1030:199) veröffentlichte eine Liste mit den Beförderungen hochrangiger Bundesheer-Offiziere, von denen keiner im Krieg gekämpft hatte, da sie behaupteten, den Dienst in der Wehrmacht verweigert zu haben. Laut Gollob hatten die meisten sich für die Wehrmacht beworben, waren jedoch abgelehnt worden. Zusätzlich würden sie nun zu »Hofräten« ernannt, während die im Krieg erworbenen Ränge aberkannt würden. 1131 Reinhard Stumpf: Die Wiederverwendung von Generalen und die Neubildung militärischer Eliten in Deutschland und Österreich, in: Manfred Messerschmidt u. a. (Hg.): Militärgeschichte. Probleme – Thesen – Wege, Stuttgart 1982, 478 – 497, 483, Fn. 25. Der sogenannte »Obersten-Paragraf« ist in Art. 12 § 3 des Staatsvertrages enthalten. 1132 Österreich braucht keinen »Bund der Ritterkreuzträger«, in: Neues Österreich [12. 4. 1963], KA, NL, B/844:51. 1133 Berger, Ritterkreuzträger, 10 – 11.
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daten überrascht es nicht, dass weder die Beteuerung, dass das Bundesheer nicht in der Rechtsnachfolge der Wehrmacht stünde, noch die Verdammung jeglicher Wehrmachttradition als verfassungsfeindlich verhindern konnten, dass positive Wehrmachts- und Kriegserinnerungen in das Bundesheer eindrangen.1134 So kommt es bis heute in der österreichischen Öffentlichkeit zu Debatten über Fälle der Verherrlichung des Zweiten Weltkrieges oder das Vorhandensein nationalsozialistischen Gedankenguts innerhalb des Bundesheers. Einschlägige Zwischenfälle tauchen immer wieder in den Medien oder den jährlichen Berichten der Parlamentarischen Bundesheerkommission auf.1135 Das Bundesheer wurde auch von fast allen politischen Lagern für seine Tendenz kritisiert, Akte des soldatischen Ungehorsams in der Vergangenheit von einem rein militärischen und politisch strikt neutralen Standpunkt als grundsätzlich inakzeptabel zu betrachten, anstatt seine Tradition stärker mit dem militärischen Dissens während der Anschlusszeit zu verbinden, z. B. durch die vermehrte Benennung von Kasernen nach Widerstandskämpfern.1136 Es ist nicht die Aufgabe dieser Studie, die exakte Durchsetzung des Bundesheeres mit Alt- oder Neonazis zu bestimmen. Aber es ist wichtig, zwischen echt nationalsozialistischen Ideen und rein soldatisch-»heldischen« Vorstel1134 Laut Hanisch (Männlichkeiten, 109) hatten die Ausbilder auch den harschen »preußischen« Drill übernommen. 1135 For jüngere Beispiele siehe: Hitler hat auch nicht aufgegeben, in: ORF News, 4. 4. 2007, online: http://newsv1.orf.at/070402 – 10834/index.html (25. 8. 2014); Nazi-Video beim Bundesheer, in: Wiener Zeitung, 5. 9. 2007, online: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/97693_Nazi-Video-beim-Bundesheer.html (25. 8. 2014). Eine reiche Quelle für derartige Vorfälle ist Josef Baum: Tagwache! Erfahrungen eines Präsenzdieners beim österreichischen Bundesheer, Wien 1988, 4 – 5, 18 – 19, 31, 77 – 79, 95, 102 – 103. Baum leistete seinen Wehrdienst 1981/82 beim Landwehrstammregiment 21 (Nachfolger des Deutschmeister-Regiments) und erwähnt u. a. einen Offizier, der eine Kassette mit einem Chor ehem. Waffen-SS-Soldaten abspielte, Wehrmachtlieder singende Präsenzdiener, verschiedene Sympathiebekundungen für die Wehrmacht sowie in der Neonazi-Szene aktive Soldaten. 1136 Rauchensteiner, Die Unseren, 10 – 11; Hubertus Trauttenberg: Vorwort, in: Karl Glaubauf/Stefanie Lahousen (Hg.): Generalmajor Erwin Lahousen, Edler von Vivremont. Ein Linzer Abwehroffizier im militärischen Widerstand, Münster 2004; Vogl, Widerstand, 1; Der 20. Juli und das Bundesheer, Der Sozialdemokratische Kämpfer 4 – 6 (2004), online: http://www.freiheitskaempfer.at/kaempfer/kaempfer_04_05_06_2004. php (4. 3. 2005). Laut österreichischem Verteidigungsministerium können solche Ehrungen nur Personen mit dezidiert demokratisch-republikanischer Haltung, deren Widerstand auf die Wiedererrichtung eines unabhängigen österreichischen Staates abzielte, zuteil werden, was die Auswahl potenzieller Kandidaten drastisch limitiert. Bundesminister für Landesverteidigung: Anfragebeantwortung betreffend Traditionspflege des österreichischen Bundesheeres im Zusammenhang mit Widerstand und Verweigerung gegen den Nationalsozialismus, 19. 7. 2002, 3906/AB, XXI.GP, online: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXI/AB/AB_03906/fnameorig_000000.html (25. 8. 2014).
Das »Vermächtnis« der Wehrmacht
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lungen, so abwegig diese auch sein mögen, zu unterscheiden. Wenn Rekruten das »Westerwaldlied« singen, dann bedeutet das nicht unbedingt eine nationalsozialistische Einstellung, sondern kann auch ausschließlich als – einfältige und unreflektierte – Bewunderung für die militärische Schlagkraft der Wehrmacht verstanden werden; eine positive Verbindung zu den Verbrechen an der Front muss dadurch nicht hergestellt werden und diese mögen den betreffenden Personen in ihrer vollen Tragweite gar nicht bekannt sein. Ein solcher Mangel an historischem Wissen und Sensibilität ist sicherlich traurig und beklagenswert, aber nicht mit einer bewussten Unterstützung des Nationalsozialismus gleichsetzbar. In jedem Fall suggeriert das hartnäckige Fortbestehen wehrmachtfreundlicher Einstellungen, dass die Weitergabe der positiven österreichischen Erinnerung an Krieg und Wehrmacht irgendwann nicht mehr an die Präsenz echter Wehrmachtsveteranen gebunden war. Dies könnte im Wesentlichen auf drei Ursachen zurückzuführen sein. Zunächst wurde von den Deutschgedienten mit ihrer originären inoffiziellen Wehrmachterinnerung eine Grundlage geschaffen. Zweitens waren die ersten Rekruten in den 1950er- und 1960er-Jahren fast ausnahmslos Söhne, Neffen oder jüngere Brüder von Wehrmachtsveteranen und daher bereits aus der Familie mit deren Erinnerungen vertraut. In einer solchen Atmosphäre mussten der Wehrmacht gewogene Haltungen bald ein von den ursprünglichen Trägern und Verbreitern unabhängiges und dynamisches Eigenleben geführt haben. Das politische Klima des Kalten Krieges, drittens, erleichterte ebenfalls die »Rehabilitation« wehrmachtfreundlichen Gedankenguts. Trotz Österreichs Status der immerwährenden Neutralität positionierte das Land sich sozusagen unter der Hand klar innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft, was besonders auf den militärischen Bereich zutraf. Das einzige Kriegsszenario, auf das sich das Bundesheer ernsthaft vorbereitete, war ein Angriff des Warschauer Paktes. Diese Disposition konnte sehr leicht als Verteidigung Europas vor der »asiatisch-bolschewistischen« Bedrohung interpretiert werden, eine Aufgabe, welche österreichische Soldaten im Zweiten Weltkrieg scheinbar schon einmal vorexerziert hatten – wenn man dabei außer Acht lässt, dass dieser »Verteidigung« ein Angriffskrieg vorausgegangen war.1137 Wie sehr die Sympathie des Bundesheeres für die Sache der Wehrmacht in dieser Hinsicht über nichtöffentliche Zwischenfälle auf den Stuben, im Kasernenhof oder beim Gefechtsdienst hinausging, kann durch Auszüge aus zwei operativen Studien über Defensivschlachten, die für den drittem Generalstabskurs 1961 verfasst wurden, verdeutlicht werden. So befand Major Robert Lang, 1137 Berg, Challenging Political Culture, 534, 542 – 543. Zu antikommunistischen und NATOfreundlichen Haltungen siehe auch: Baum, Tagwache, 43 – 45, 49, 108 – 109, 120 – 122.
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dass die in der verzweifelten Schlacht um Pommern erzielten Erfolge auf der »unergründlichen Stärke jeder religiösen oder ideologischen Überzeugung« basiert hätten: »In Pommern kämpften Deutsche, Skandinavier, Holländer, Belgier, Franzosen, Letten und Ungarn. Sie kämpften letztlich weder für Hitler noch für ihre engere Heimat. Sie setzten ihr Leben ein, weil sie dem Kommunismus, dem Feinde Europas, Widerstand leisten mussten.«1138
Und die letzten Kämpfe in Ostpreußen betreffend schrieb Hauptmann August Segur-Cabanac, dass deren Ausgang in wenigen Monaten »die Arbeit ungezählter Generationen im Laufe von 800 Jahren« vollkommen zerstört habe. Die Soldaten seien entschlossen gewesen, »bis zur letzten Patrone« zu kämpfen, um die Frauen und Kinder in Deutschlands Osten vor dem grauenhaften Wüten der Russen zu schützen und die »Millionen gefallener Kameraden nicht zu verraten«: »Wieder einmal, wie schon so oft im Laufe der Geschichte, war zwischen Germanentum und slawischen Völkern des Ostens eine Entscheidung gefallen, diesmal allerdings mit so furchtbarer Wucht und Grausamkeit, wie noch nie im Laufe der letzten zwei Jahrtausende. […] Solange es aber Männer gibt, die bereit sind, getreu ihrem Eid und den soldatischen Tugenden ihr Leben für das Vaterland zu geben, werden die Kämpfer von Ostpreußen unvergessen bleiben und der wehrhaften Jugend jedes Volkes als Vorbild dienen können.«1139
1138 Major Robert Lang: Die Pommernschlacht 1945, März 1961, KA, Manuskripte – Allgemeine Reihe, Karton 64, Nr. 289, 99. 1139 Hptm. August Segur-Cabanac: Die letzten Kämpfe in Ostpreußen im Jahre 1945 (Kampf im Kessel), 1. 2. 1961, KA, Manuskripte – Allgemeine Reihe, Karton 64, Nr. 290, 7, 71 – 72, 97, 102 – 103.
Resümee
Die folgende Passage aus Fritz Habecks Roman »Der Ritt auf dem Tiger«, in welcher einer der Protagonisten seinem Vater über den Wehrmachtdienst berichtet, liest sich beinahe wie eine schriftstellerisch elegante Zusammenfassung der bisherigen Ausführungen: »Die beste Armee der Welt ist die deutsche, die deutsche Armee ist ein Werk der Preußen. Wenn du das erlebst hast, wie diese Armee funktioniert, wie jedes Rad ins andere greift, wie alles entweder stimmt, oder aber, wenn es nicht stimmen sollte […], sofort der Nächstbeste die Sache wieder ins Lot bringt […] – dann muss dir dieser Apparat imponieren. Du bist stolz, dabei zu sein. Wenn wir uns als Österreicher in der deutschen Wehrmacht bewähren wollen, müssen wir den Preußen immer wieder zeigen, dass wir tüchtig sind. Das fängt beim zackigen Kommando an, das man unmöglich österreichisch geben kann, es setzt sich fort in schneller Reaktion, Prägnanz und Genauigkeit … In der Musik werden sie sich unserem Stil beugen müssen, beim Militär wir uns dem ihren. Großvater und du, ihr habt beide immer wieder von Deutschland gesprochen und dabei von goldenen Türmen geträumt. Das war aus der Ferne ganz nett. Wir erleben das Deutschtum aus der Nähe; wenn wir träumen, sind wir unter den Rädern. Der Dirigent mag aus Wien kommen, der Generaldirektor aber kommt von der Ruhr und der Unteroffizier aus Brandenburg. Wir leben in einer Zeit, die Unteroffiziere nötiger hat als Dirigenten. Dem muss man sich anpassen.«1140
Da diese Analyse auf Erfahrungen aus erster Hand beruht – Habeck selbst diente von 1939 bis 1944 in der Wehrmacht –, kann sie auch als Bestätigung vieler Aspekte der erfolgreichen Integration der Österreicher in die Wehrmacht betrachtet werden, wie etwa die Bewunderung für die Wehrmacht, der Stolz und der Wunsch, dazuzugehören, das romantische Großdeutschtum in Verbindung mit der nüchternen Erkenntnis, dass man sich einordnen und Leistung zeigen müsse, die Rolle der Musik für die österreichische Identität, die Zusammenarbeit und das Sich-aufeinander-verlassen-Können sowie die Zwänge des Krieges.
1140 Fritz Habeck: Der Ritt auf dem Tiger, Wien/Hamburg 1958, 472 – 473.
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Die wichtigsten Punkte der vorliegenden Studie sollen im Folgenden noch einmal rekapituliert werden. Die wehrfähigen österreichischen Männer, die während des Zweiten Weltkrieges als Staatsangehörige des Deutschen Reichs in den verschiedensten Einheiten und Funktionen in der Wehrmacht dienten, waren – entgegen aller, auch von der wissenschaftlichen Literatur aufgegriffener und tradierter Behauptungen des offiziellen Österreich nach 1945 – kein diskriminiertes Hilfsvolk oder unwillige Soldaten, jedenfalls nicht unwilliger als ihre reichsdeutschen Kameraden. Wie diese, so identifizierten sich auch die österreichischen Soldaten sowohl mit ihrer regionalen Heimat als auch mit Deutschland als größerem Vaterland, mit der Wehrmacht und mit dem Krieg. Es war auch nicht der Fall, dass sich unter österreichischen Wehrmachtsoldaten eine Abkehr vom Anschluss-Gedanken vollzogen hätte. Im Gegenteil, der österreichische Wehrmachtdienst zeichnete sich durch Loyalität zu der im Laufe des Krieges entstandenen großdeutschen Kampfgemeinschaft bis zum Ende aus. Auch in der Kriegsgefangenschaft, wo die kriegsbedingten Integrationsmechanismen merklich nachließen, war es nur eine vernachlässigbare Minderheit unter den österreichischen Gefangenen, die einen dezidiert österreichisch-nationalen Standpunkt vertrat, und viele übten scharfe Kritik an jenen Kameraden, die ihre österreichische Identität nur aus naheliegenden opportunistischen Gründen (wieder-)entdeckt hatten. Selbst kurz nach dem Krieg von ehemaligen Soldaten verfasste Anklagen gegen das Dritte Reich verraten die tiefe Prägung der Autoren durch die integrative Kraft von Wehrdienst und Kriegserlebnis. All dies war das Resultat eines andauernden Integrationsprozesses, welcher verschiedene Phasen durchlief und auf einer Reihe integrativer Kräfte basierte. Die meisten dieser Mechanismen wurden direkt durch den Kriegsdienst generiert. Andere speisten sich aus bestimmten Eigenschaften des deutschen Nationalismus. Eine wichtige Rolle spielte auch, dass die österreichische Situation nicht einzigartig war, da die Wehrmacht permanent durch Neulinge – Kontingente aus Bevölkerungen, die seit 1938 sukzessive dem Reich angegliedert wurden – vergrößert wurde, was eine zusätzliche vorteilhafte Dynamik erzeugte. Am wirkungsvollsten war der Faktor Zeit, stellte doch das Hineinwachsen der Österreicher in die Wehrmacht im Wesentlichen einen natürlichen Prozess dar, der eine gewisse Zeit benötigte. Die anderen Deutschen hatten schließlich ebenfalls ihre Zeit gebraucht, um in Kleindeutschland und dessen Streitkräfte hineinzuwachsen. Folglich kam es bis Kriegsende zu Fällen von (vernachlässigbaren) Spannungen zwischen Österreichern und Reichsdeutschen kam; auch Reichsdeutsche aus jeder gegebenen Region konnten unter Druck geraten, wenn sie sich in einer Minderheitensituation befanden. Alles andere als die Existenz von Friktionen und Enttäuschungen während der ersten Phase des Integrationsprozesses rund um die Eingliederung des
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österreichischen Bundesheeres und die Umschulung der Österreicher wäre daher überraschend. Zu sehr waren Österreicher und Reichsdeutsche daran gewöhnt, in verschiedenen Staaten und Gesellschaften zu leben, zu stark waren die eigenen Militärtraditionen und die historischen Gegensätze zwischen Österreich und Preußen, und zu mächtig erschienen die Klischees, die nicht nur positiv waren und sich im Ersten Weltkrieg gerade erst erhärtet hatten. Hinzu kamen Fälle unsensibler Behandlung seitens deutscher Ausbilder, aber auch eine gehörige Portion Überempfindlichkeit seitens der österreichischen Auszubildenden – das »preußische« System war eben doch wesentlich anders, und auf österreichische Sonderwünsche konnte aus pragmatischen Gründen keine Rücksicht genommen werden. Dennoch existierten schon in der kurzen Friedenszeit außer dem großdeutschen Gedanken mehrere eindeutig integrative Kräfte, welche die Übergangsphase erleichterten. Dazu gehörten die Vertiefung persönlicher Beziehungen zu reichsdeutschen Kameraden und Zivilisten, die Solidarität unter Besiegten, der gemeinsame Revisionismus sowie eine Aufbruchstimmung, welche auf der Befriedigung, wieder in der Armee einer Großmacht dienen zu dürfen, und den ausrüstungs- und karrieremäßigen Möglichkeiten, welche diese Armee im Vergleich zum Bundesheer bieten konnte, beruhte. Weitere wichtige Faktoren waren die relativ unpolitische Atmosphäre innerhalb der Wehrmacht sowie das beiderseitige Bemühen, österreichische militärische Traditionen und Leistungen der Vergangenheit mit einer größeren deutschen Militärtradition bzw. den Aufgaben des Dritten Reichs in Einklang zu bringen. Am wichtigsten war jetzt schon der Zeitfaktor, welcher für Eingewöhnung und besseres gegenseitiges Kennenlernen sorgte, und schon während der Eingliederungsphase spielten Unterschiede in der Einstellung der Generationen eine wichtige Rolle. Die erste erfolgreiche Kriegsphase bis zum Sommer 1941 bedeutete einen tief greifenden Integrationsschub. Entsprechend dem Prinzip, je weiter entfernt von der Kasernenhofroutine, desto besser die Integration, ermöglichte sie es den österreichischen Soldaten, sich nun auch im Ernstfall zu bewähren und entsprechendes Lob von reichsdeutscher Seite zu ernten, wobei der Erfolg österreichischer Gebirgsjäger bei Narvik alles andere überstrahlte. Die schnellen und überwältigenden Siege der Wehrmacht erfüllten österreichische Soldaten mit Stolz und erhöhtem Selbstbewusstsein und vertieften ihre Identifikation mit der Wehrmacht und der deutschen Sache. Nachdem nunmehr auch ein spezifisch österreichischer Revisionismus großteils in die Tat umgesetzt werden konnten, wurden viele Österreicher überdies zu Nutznießern der Siege in Form des Besatzungsdienstes, welcher ungekannte Reisemöglichkeiten eröffnete und die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Gebiete in Form eines regelrechten Kaufrausches zur Folge hatte.
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Trotz der jahrzehntelangen staatlichen Trennung hatten die Österreicher ihren festen Platz als ein deutscher Stamm im Kosmos des so sehr auf Stammesdenken fixierten deutschen Nationalismus. Auch die Wehrmacht sah sich als eine Art »bewaffnete Volksgemeinschaft«, welche ihre Kraft nicht nur aus der nationalsozialistischen Ideologie bezog, sondern auch aus der Tatsache, dass in ihr sämtliche deutsche Stämme vereint waren, deren verschiedenen Eigenschaften und Talente sich ideal ergänzen würden. Dieses Prinzip von »Einheit durch (sich ergänzende) Vielfalt« erlaubte allen Mitgliedern der Volksgemeinschaft ein Festhalten an traditionellen und primär identitätsstiftenden regionalen Eigenheiten sowie die Wertschätzung der eigenen engeren Heimat. Österreicher wurden somit keinesfalls zu »Preußen« umerzogen, sondern konnten »Österreicher« bleiben, solange sie sich loyal zu ihrer neuen und umfassenderen Identität als Bürger des Großdeutschen Reichs verhielten. Obwohl Österreicher zwar insgesamt noch als »exotisch« gelten mochten, waren sie innerhalb der bewaffneten Volksgemeinschaft nicht nur als Soldaten geschätzt – wobei der Fokus auf den mit ihrer bergigen Umwelt verwurzelten, unverbildeten Bewohnern der Alpenregionen und ihrer urwüchsigen Kraft lag –, sondern auch als Stamm mit einem Talent für – vor allem musikalische – Unterhaltung; ein Bild, das die Österreicher auch von sich selber hatten. Diese Wertschätzung schloss Wien mit ein, obwohl die Wiener noch am ehesten als unsoldatisch betrachtet werden konnten, was aber keine spezifisch antiösterreichische Spitze bedeutete, sondern sich auf alle Großstädter bezog. Das persönliche Verhältnis zwischen österreichischen und reichsdeutschen Soldaten war insgesamt gesehen ausgezeichnet, typischerweise begleitet von auf Stammesklischees bezogenen, freundschaftlichen Neckereien, wobei sowohl ausgesprochene Vorlieben wie auch negative Haltungen auf beiden Seiten rein individuell bedingt waren. Je besser die Österreicher sich in diese Volksgemeinschaft integrierten, umso mehr begannen sie nun ihrerseits, innerhalb einer sich im Reich und im besetzten Europa entwickelnden nationalistischen Hierarchie auf andere Gruppen hinabzusehen. Die mit dem Angriff auf die Sowjetunion beginnende zweite Kriegsphase unterschied sich – abgesehen von der Brutalität eines rassisch motivierten Vernichtungskrieges – dadurch von der ersten, dass sie nicht mit einem schnellen Erfolg endete, sondern bald in einen äußerst verlustreichen Abnutzungskrieg, der schließlich zur Niederlage der Wehrmacht führen sollte, überging. Damit fielen die »positiven« Kräfte, welche bisher mit den Siegen einhergegangen waren, weg, wurden jedoch durch neue »negative« und ebenso wirkungsvolle Faktoren, wie Antikommunismus und die Empörung über alliierte Bombenangriffe auf das Reich, ersetzt. Aber auch jene fundamentalen integrativen Kräfte, die jeder Krieg unabhängig von Durchführung und Verlauf hervorbringt, intensivierten sich ange-
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sichts der entschlossenen sowjetischen Gegenwehr. Dies führte im Besonderen zu einer Vertiefung der bereits in der ersten Kriegsphase etablierten Kameradschaft, welche ihrerseits der Gruppendynamik innewohnende und den Gruppenzusammenhalt verstärkende Kräfte freisetzte, wozu auch Verwicklungen in den kriminellen Charakter des Krieges, Stichwort »Komplizenschaft«, beigetragen haben mochten. Insgesamt schritt die Integration der Österreicher auf dem Schlachtfeld – wenn auch unter anderen Vorzeichen als während der erfolgreichen Kriegsphase – weiter voran. Charakteristisch dafür war, dass die in Russland entstandene »Ostfrontkämpfergemeinschaft« sich zunehmend von den rückwärtigen Frontgebieten und der Heimatfront entfremdete. Vor allem der an die Zivilisten gerichtete Vorwurf des Defätismus unterstreicht, dass die an der Front so wirksamen Integrationsmechanismen in der zivilen Welt nicht existierten. Die dritte und letzte Kriegsphase bis zur Kapitulation der Wehrmacht ist aufgrund der mangelhaften Quellenlage am schwierigsten zu analysieren, aber es dürfte ein Bündel von Motiven gewesen sein, dass Österreicher (ebenso wie Reichsdeutsche) zum loyalen Kampf bis zum Schluss bewegte, so wie Kameradschaft, irrationale Hoffnungen, Hass auf und Furcht vor den Gegnern, Zwang, Sorge um die (nun zunehmend enger verstandene) Heimat, »Pflichterfüllung« und andere, oft mit der offiziellen Ideologie vermengte, soldatische Tugenden. Weder gab es offizielle Warnungen vor der angeblichen Unzuverlässigkeit der Österreicher, noch wurden diese bewusst aufgesplittert, um die Formierung von Widerstand zu erschweren. All dies stand in krassem Kontrast zu den massenhaften Desertionen der anderen Neulinge aus den annektierten Ost- und Westgebieten. Zu diesem Zeitpunkt waren österreichische von reichsdeutschen Soldaten praktisch nicht mehr unterscheidbar ; der Anteil der nachrückenden jüngeren Jahrgänge, die schon eine Sozialisation in HJ und RAD durchgemacht hatten, wurde immer größer, und irgendwann hätten österreichische Soldaten nur noch das preußisch-reichsdeutsche militärische System gekannt. Auch war die jüngere Generation generell anpassungsbereiter, ehrgeiziger und begeisterungsfähiger. Der Integrationsprozess wurde nur gewaltsam von außen durch die Niederlage der Wehrmacht beendet. Nichts deutet darauf hin, dass die Masse der österreichischen Soldaten sich vom Großdeutschen Reich abgewendet hätte, wenn dieses den Krieg irgendwie überstanden oder sogar gewonnen hätte. Natürlich dachte nach 1945 nicht jeder Veteran von morgens bis abends an sein »Deutschtum« oder die Wiederherstellung des Anschlusses – dafür waren die Ernüchterung über den Krieg und das Dritte Reich zu groß und die Realität, Normalität und vor allem auch Prosperität des neuen österreichischen Nationalstaats zu stark. Zudem wurde die Identifikation mit dem Nachkriegsösterreich ausgerechnet durch zwei Maximen des Dritten Reichs erleichtert, nämlich
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durch die Betonung regionaler Identität sowie das Festhalten an bereits während der Monarchie und der Zwischenkriegszeit gepflegten positiven Klischees vom Wesen der Österreicher, da beide Elemente sich im föderalen Aufbau bzw. im Selbstbild der Zweiten Republik fortsetzten. Viele Nachkriegsabrechnungen von Veteranen sind durch die Abgrenzung des österreichischen Wesens von einem negativen Zerrbild des »Preußen« als »hässlichem Deutschen« gekennzeichnet, was den Österreicher letztlich als »guten Deutschen« erscheinen ließ und auch eine Strategie gewesen sein mag, die schwierige nationale Frage zu bewältigen. Dies erinnert an die Rhetorik des Ständestaates, mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Anschluss aufgrund des desaströsen Kriegsausganges keine ernstzunehmende Alternative mehr war. Andererseits sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis sich ein tief greifendes österreichisches Nationalbewusstsein entwickelte, und mit jedem Jahrzehnt, in dem sich dessen Akzeptanz um ein paar Prozentpunkte erhöhte, lichteten sich auch die Jahrgänge der Wehrmachtsveteranen. Gleichzeitig jedoch pflegten (und pflegen) vor allem die Kameradschaftsvereine eine parallele, dem Standpunkt des offiziellen Österreich zuwiderlaufende, kriegs- und wehrmachtfreundliche Gedächtniskultur, welche sich bis zum heutigen Tage auch im Bundesheer der Zweiten Republik bemerkbar machen kann.
Abkürzungen
Zum besseren Verständnis und somit für ein leichteres Auffinden der in den militärischen Akten oftmals uneinheitlich verwendeten Abkürzungen werden einige hier heterogen angeführt. AdR Abt. A. K. AOK AR Art. Aufkl. BA-MA Batl. Bgld. Div. DRZW Flak FM Geb. GD Gefr. Gen. Gen. Kdo. Glt.; Gen. Lt. GM GO Gren. HGKdo. H. Gr. HJ Hptm. ID Inf.
Archiv der Republik (Wien) Abteilung Armeekorps Armeeoberkommando Artillerie-Regiment ArtillerieAufklärungsBundesarchiv-Militärarchiv (Freiburg) Bataillon Burgenland Division Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg Flugabwehrkanone Feldmarschall GebirgsGebirgsdivision Gefreiter General Generalkommando Generalleutnant Generalmajor Generaloberst GrenadierHeeresgruppenkommando Heeresgruppe Hitler-Jugend Hauptmann Infanteriedivision Infanterie-
296 IR; I. R. IVM Jäg. KA KdF Kdo. Kdr.; Kdeur. Komp. k. u. k. Ldsch.; Lds. Sch.; Ldsschtz. Lt. Maj. MGFA Napola NL NÖ NSDAP NSR Obergefr.; Obgefr.; Ogefr. Obstlt. Olt. ÖVP OÖ OKH OKW PAK Pz. RAD Rgt. RStH SA SPÖ SS Stellv. Stmk. Uffz. VdU Wm. Wkr. z. b. V.
Abkürzungen
Infanterieregiment Industrieviertelmuseum (Wiener Neustadt) JägerKriegsarchiv (Wien) Kraft durch Freude Kommando Kommandeur Kompanie kaiserlich und königlich Landesschützen Leutnant Major Militärgeschichtliches Forschungsamt (Potsdam) Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Nachlass Niederösterreich Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Soldatenring Obergefreiter Oberstleutnant Oberleutnant Österreichische Volkspartei Oberösterreich Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Panzerabwehrkanone PanzerReichsarbeitsdienst Regiment Reichsstatthalter Sturmabteilung Sozialdemokratische Partei Österreichs Schutzstaffel Stellvertretend Steiermark Unteroffizier Verband der Unabhängigen Wachtmeister Wehrkreis zur besonderen Verwendung
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Kurzbiografien der Interviewpartner (* = Angaben aus Datenschutzgründen anonymisiert und teilweise verändert) Johann BÖHM, geb. 1920 in Warndorf bei Ödenburg (Ungarn) Von Beruf Maler, meldete sich Böhm als »Volksdeutscher« 1941/42 freiwillig für den Dienst in der ungarischen Armee, wo er im Transportwesen und als Dolmetscher in Russland und Jugoslawien verwendet wurde. Karl BRANDEIS*, geb. 1919 in Mödling (Niederösterreich) Einer katholisch-konservativen Familie entstammend, schlug Brandeis 1938 eine Karriere als Berufsoffizier ein und diente in weiterer Folge als Offizier bei einer norddeutschen Infanterie-Einheit in Polen, Frankreich und Russland. Während der Abwehrkämpfe im Süden des Reichs 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Karl FLANNER, geb. 1920 in Wiener Neustadt (Niederösterreich) Der Spenglergeselle Flanner trat 1934 der illegalen kommunistischen Jugendbewegung bei, die ab 1937 zunehmend die Nationalsozialisten bekämpfte. 1939 wurde Flanner verhaftet und in Dachau und Buchenwald interniert. Nach dem Krieg war Flanner ein Mitglied des Entnazifizierungskomitees von Wiener Neustadt. Alfred HINTERBERGER*, geb. 1925 in Wien Hinterberger stammte aus einer bürgerlichen Familie und diente ab 1943 in der nach ihrer Vernichtung bei Stalingrad wiederaufgestellten 44. ID in Italien. Fritz HORVATH*, geb. 1917 in Wiener Neustadt (Niederösterreich) Horvath stammte aus einer Arbeiterfamilie und stand den Sozialdemokraten nahe. In der Wiener Neustädter Gemeindeverwaltung tätig, meldete Horvath
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sich 1937 aus Karrieregründen als Einjährig-Freiwilliger. 1941 wurde er zu einem Linzer Grenadier-Regiment eingezogen und diente bis 1945 als Unteroffizier in Russland. Eine Verwundung bewahrte Horvath vor der Gefangennahme an der Front. Josef HUBER*, geb. 1921 in Marz (Burgenland) Huber, ein Schlosser aus einer christlich-sozialen Familie, wurde 1943 zu einer Panzerjäger-Einheit in Freistadt (Oberösterreich) eingezogen. Die Einheit wurde im Juni 1944 in die Normandie und im November 1944 nach Russland versetzt, von wo sie sich nach Schlesien zurückzog. Nach der Auflösung der Einheit gelang es Huber, sich nach Hause durchzuschlagen. Ilse MEIER*, geb. 1942 in Wien, gab Auskunft über folgende Personen: Edmund KARASEK*, geb. 1906 in Wien Das Schutzbund-Mitglied Karasek (und Vater von Ilse Meier) war als ausgebildeter Feinmechaniker die meiste Zeit arbeitslos, bevor er 1939 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Karasek diente den Großteil des Krieges bei den deutschen Besatzungstruppen in Frankreich und kurzfristig auch in Polen. Werner SONNLEITNER*, geb. 1912 in Wien Das Schutzbund-Mitglied (und bester Freund von Edmund Karasek) Sonnleitner arbeitete bis zu seiner Einziehung 1939 als Installateur. Sonnleitner diente ab 1941 mit einer Infanterie-Einheit an der Ostfront, bis er 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. Georg KORNFELD, geb. 1920 in Forchtenstein (Burgenland) Eingezogen im Oktober 1940, diente der nach dem Krieg als Unternehmer tätige Kornfeld bei der 262. ID in Russland. 1944 wurde Kornfeld nach der Genesung von seiner dritten Verwundung im Ersatzheer zu einer anderen Einheit in Italien versetzt, wo er zum vierten Mal verwundet wurde und als Unteroffizier in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Otto LEDERER*, geb. 1928 in Wien Der aus einer sozialdemokratischen Familie stammende Sohn eines Polizisten und Installateursgeselle Lederer wurde 1944 eingezogen und kam nach drei Monaten RAD zum auf dem Weg von Polen nach Ungarn befindlichen Pz.-Gren.Rgt. 3. Lederer geriet nach der Versetzung des Regiments nach Vorarlberg Anfang 1945 in französische Kriegsgefangenschaft.
Kurzbiografien der Interviewpartner
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Anton MAURER*, geb. 1915, Unterpullendorf (Burgenland) Der Sozialwissenschaftsstudent Maurer wurde 1940 zur 297. ID eingezogen, mit der er in Frankreich und Russland bis zu seiner Verwundung (kurz vor der Einschließung der Einheit in Stalingrad) diente. Nach der Genesung kehrte Maurer als Leutnant zur wiederaufgestellten 297. ID zurück, die bis Kriegsende in Jugoslawien stationiert war. 1945 flüchtete Maurer mit Kameraden durch die Wälder nach Hause. Werner MIRNEGG*, geb. 1913 in Klagenfurt (Kärnten) Mirneggs Vater, ein großdeutsch gesinnter ehem. Kaiserjäger-Oberst aus Kärnten, zog nach dem Ersten Weltkrieg nach Königsberg (Mirneggs Mutter war Ostpreußin). 1932 wurde Mirnegg Einjährig-Freiwilliger beim IR 1, und 1933 Berufsoffizier. Mirnegg diente mit der 262. ID in Frankreich und ab 1941 mit der 45. ID in Russland. Viermal verwundet, erlebte Mirnegg das Kriegsende in einem Wiener Lazarett. Johann MORAWEC, geb. 1924 in Karnabrunn (Niederösterreich) Eingezogen im März 1942, wurde der Bäckerlehrling Morawec mit der 28. Jäg.Div. an die Ostfront geschickt und dort zweimal verwundet. Im Januar 1944 zog sich die Division nach Ostpreußen zurück, und Morawec wurde von Danzig nach Kopenhagen verschifft, wo er in britische Kriegsgefangenschaft geriet. Christian OCHNITZBERGER, geb. 1925 in Langenwang (Steiermark) Aus einfachen ländlichen Verhältnissen stammend, wurde Ochnitzberger 1943 zu einem Gebirgsartillerie-Regiment eingezogen und im Sommer 1943 zur 42. Jäg.-Div. nach Italien versetzt. Nach sechs Monaten Partisanenbekämpfung in Jugoslawien kehrte der zweimal verwundete Ochnitzberger 1944 nach Italien zurück und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Franz PERNER, geb. 1920 in Marz (Burgenland) Perner arbeitete auf dem elterlichen Hof und betrachtete sich selbst als unpolitisch (nach 1945 trat Perner der SPÖ bei), bevor er im November 1942 zu den Pionieren in Küstrin eingezogen wurde. Mit Ende der Ausbildung kam Perner zur 90. leichten Division in Afrika, wo er nach vier Wochen in britische Kriegsgefangenschaft geriet und bis 1946 in Kanada interniert wurde. Peter PODHAJSKY, geb. 1917 in Linz (Oberösterreich) Einer konservativen Soldatenfamilie entstammend (Vater Franz war k. u. k. Offizier im Linzer Generalstab), besuchte Podhajsky ab 1937 die Wiener Neustädter Militärakademie (Kriegsschule ab 1938). Podhajsky nahm bei einem Gebirgsartillerie-Regiment der 3. GD am Polen- und Norwegenfeldzug teil und
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Anhang
kämpfte ab 1941 an der Eismeerfront. Januar 1944 wurde Podhajsky zur der 5. GD nach Italien versetzt, von wo er sich 1945 in die Schweiz absetzen konnte. Leopold PROBST*, geb. 1922 in Wien Der aus einer christlich-sozialen Familie kommende Student Probst bezeichnete sich selbst als antiklerikal und progressiv. Nach dem RAD-Dienst im Altreich wurde Probst im Oktober 1941 zur Luftwaffe eingezogen, und 1942 erst nach Frankreich und dann nach Russland versetzt. Im Januar 1945 kam Probst nach Italien, wo er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Franz SCHMIDL, geb. 1921 in Marz (Burgenland) Schmidl arbeitete auf dem elterlichen Hof und hatte gerade eine Spenglerlehre begonnen, als er im Februar 1941 eingezogen wurde. Nach sechs Monaten RAD diente Schmidl bei der 17. Pz.-Div. in Russland bis zu seiner Verwundung 1944. Aufgrund seiner verletzungsbedingten Sehschwäche verblieb Schmidl bis Kriegsende bei der Versorgung in Bayern. Rudolf STADLER*, geb. 1925 in Wien Nach der Internierung seines Vaters (illegaler Nationalsozialist und Mitglied der steirischen Heimwehr) im Ständestaat floh Stadlers Mutter mit ihm nach Deutschland. Stadler kehrte 1938 zurück und wurde 1943 vom Realgymnasium zum RAD bzw. zu einer Panzergrenadier-Einheit eingezogen. 1944 kam Stadler zur 13. Pz.-Div. nach Russland. Von Erfrierungen genesen, belegte er einen Kurs für schwere Waffen und wurde einer Kampfgruppe in Frankreich zugeteilt. 1945 kam Stadler im Rahmen der Heimatverteidigung zu einer Panzer-Einheit nach Ostösterreich, von der er sich im März absetzte. Hubert STEINER*, geb. 1926 in Eisenerz (Steiermark) Der Sohn eines Drehers und überzeugten Sozialdemokraten meldete sich März 1944 freiwillig als Offiziersanwärter der Luftnachrichtentruppe zur Luftkriegsschule 2 in Berlin. Im Sommer erfolgte der erste Fronteinsatz bei der Luftwaffe im Raum Lemberg. Nach Unteroffiziers- und Sprungausbildung nahm Steiner im Dezember 1944 beim Fallschirm-Pionier-Batl. 5 der 5. Fallschirmjäger-Div. an der Ardennen-Offensive teil und geriet April 1945 nach seiner Absetzung von der Front in amerikanische Gefangenschaft. Erich ULBER, geb. 1923 in Wien Ulber, der Sohn eines sozialdemokratischen Vaters und einer deutschnationalen Mutter, war Mitglied des Wandervogels und der illegalen Hitler-Jugend. Im Oktober 1941 meldete er sich freiwillig zu den Fallschirmjägern und kam zum Fallschirmjäger-Rgt. 1, mit dem er in Russland und ab 1943 in Italien diente.
Kurzbiografien der Interviewpartner
301
Im Mai 1945 setzte Ulber sich von der Front in das amerikanisch besetzte Tirol und weiter nach Hamburg ab. Johann WOTAVA, geb. 1925 in Wien Aus einer christlich-sozialen Familie stammend, meldete sich der Ingenieursgeselle Wotava im Sommer 1942 (nach über einem Jahr RAD) freiwillig zur Kriegsmarine und wurde in Gdingen zum Marineinfanteristen und U-BootFahrer sowie an der Torpedoschule in Flensburg-Mürwik ausgebildet. Ab Sommer 1944 diente Wotava auf dem U-1275. Im Schlepptau eines anderen UBootes wurde das U-1275 vom Operationsgebiet Pillau nach Kiel verlegt, wo Wotava in englische Kriegsgefangenschaft geriet.
Quellen- und Literaturverzeichnis
1.
Archivalien und ungedruckte Quellen
Kriegsarchiv, Wien Manuskripte – Allgemeine Reihe Nachlässe B/44 B/50 B, C/60 A, B/61 A, B/68 B/73 B/77 B/186 B/195 B/218 B, C/219 B/238 B/249 B/257 B/270 B/274 B/315 B/317 B/362 B/382 B/400 B/430 B/450 B/454 B/459 B/480 B/485 B/489
Karl Epp Franz Benisch Alfred Krauss Gustav Hubka Paul Höger Eduard Hospodarzˇ Otto Wiesinger Erhard Raus Ernst Schneider Hans Swogetinsky Franz Podhajsky Friedrich Materna Alois Huber Walter Nemetz Helmut von Geldern Ernst Karl Pfleger Franz Spieß Rudolf Heissenberger Karl Klammer Alfred Berger Norbert Schwarzböck Franz Lorenz Toni Wiesbauer Franz Brunner Franz Gerwin Steinberger Adolf Scherr Walter Neugebauer Bruno Bruckberger
2 6 22 16, 31 5 6 14 2, 3, 4 2, 3 3 21, 23, 24 3 2 9 4, 6 5, 6, 7, 8 5 5 10, 11 2 1 1, 2
304 B/524 B/527 B/530 B/532 B, C/534 B/554 B/559 B/653 B/678 B/726 B/756 B/773 B/833 B/841 B/844 B/856 B/866 B/890 B/952 B/965 B/968 B/986 B/1004 B/1020 B/1030 B/1037 B/1041 B/1095 B/1096 B/1110 B/1111 B/1113 B/1119 B/1158 B/1172 B/1191 B/1212 A, B/1254 B/1277 B/1305 B/1321 B/1378 B/1403 B/1418 B/1447 B/1454 B/1467 B, C/1480 B/1495 B/1514 B/1515 B/1534
Quellen- und Literaturverzeichnis
Karl Galler Ferdinand Stöller Carl Zedtwitz-Liebenstein Paul Cipan-Zsilincsar Wilhelm Plas Anton Größler Hans Kaes Erich Rodler Gustav Adolph-Auffenberg-Komarov Robert Nowak Hansbernhard Lauer Friedrich Franek Franz Xaver Schubert Ludwig Eimannsberger Walter Heydendorff Paul Gottschling Alfred Hubicki Rudolf von Bünau Franz Seewann Franz Krainz Johann Pointner Carl Hans Hermann Franz Johann Krupich Anton Pohl Emil Liebitzky Ernst Czerny Karl Bornemann Karl Serschen Erhard Heckel Rudolf Wagner Florian Wildling Franz Vecernik Maximilian Ehnl Fritz Wiener Helmut B. Rothmayer-Kamnitz Mauritz von Wiktorin Karl Daxböck Guido Chwistek August Mayer Otto Waldemar Posch Oskar Heimerich Franz Ammerer Friedrich Bertnik Othmar Tuider Josef Grüblinger Paul Handel-Mazzetti Franz Lass Erwin Steinböck Leo Hartmann Josef Glaser Franz Oszwald Guido Plas
6 6, 15 2, 3, 5 2 19, 20, 22 4 1 6, 7, 9, 12 14, 16, 17, 18, 20, 29 2 8, 16, 17, 22, 25, 26 24, 25 1, 2 51 5 3 2 9 3, 6 8 4 73, 74, 113, 197, 199 2 45 2 3 3, 5 15 6 1 1, 2 1, 2, 3
4 37, 38 2, 4, 5 2 2 16 3 1
305
Archivalien und ungedruckte Quellen
B/1540 B/1544 B/1556 B/1573 B/1576 B/1581 B/1582 B/1638 B, C/1645 B/1647 B/1676 B/1677 B/1679 B/2008 B/2009 B, C/2033 B, C/2049 B/2057 B/2065 B, C/2069 B, C/2070 B, C/2076
Max Plakolb Paul Meixner Otto Witek Walter H. Arnold Erwin A. Schmidl Heinrich Waldhof Siegfried Mühler Elisabeth Schreiner Heinz Lugmeier Carl Szokoll Wilhelm Schöbl Hans Rosenberger Wulf Stratowa Paul Englert Walter Annerl Hans Egon Buttlar-Elberberg Heinz Grün Helmut Havranek Wolfgang Bosse Robert Fischer-Wellenborn Heribert Huber Alphons Haffner
1, 2 8, 9 7 24 1 1 2 2 14 2 2 2 1 1
Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien E/1794 (Sammlung 1938)
Archiv der Republik, Wien Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich »Bürckel«/Materie »Bürckel«/Nachträge Reichsstatthalter in Wien
Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg/Breisgau RH 2
OKH/Generalstab des Heeres
RH 13 General z. b. V. beim OKH RH 14 OKH/Der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres RH 15 OKH/Allgemeines Heeresamt
306
Quellen- und Literaturverzeichnis
RH 20 Armeeoberkommandos RH 20-6 (6. Armee) RH 20-10 (10. Armee) RH 26 Infanteriedivisionen RH 26-44 (44. Infanteriedivision) RH 26-137 (137. Infanteriedivision) RH 26-262 (262. Infanteriedivision) RH 26-297 (297. Infanteriedivision) RH 36 Kommandanturen der Militärverwaltung RH 53 Wehrkreiskommandos RH 53-7 (Wehrkreiskommando VII) RH 53-17 (Wehrkreiskommando XVII) RH 53-18 (Wehrkreiskommando XVIII) RH 54 Verbände und Einheiten des Ersatzheeres RHD 49 Wehrkreiskommandos RHD 6
Merkblätter
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien Widerstandsakten
Industrieviertel-Museum, Wiener Neustadt Nachlässe
Verschiedene Unterlagen im Besitz des Verfassers
Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur
2.
307
Onlineressourcen
http://www.documentarchiv.de http://www.freiheitskaempfer.at http://www.orf.at http://www.parlament.gv.at http://www.profil.at http://www.ris.bka.gv.at http://www.wienerzeitung.at http://www.zeit.de
3.
Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur
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Personenregister
Adolph-Auffenberg-Komarov, Gustav 118, 150, 274 Allmayer-Beck, Johann Christoph 25, 96, 123, 190, 222, 235 Aly, Götz 145 Ammerer, Franz 117, 135, 171 Angelis, Maximilian de 76, 186 Annerl, Walter 263 Applegate, Celia 164 Arndt, Ernst Moritz 217 Arnold, Walter H. 82, 150, 210 Bachinger, Johann 256 – 258 Bardolff, Carl 113 Bartov, Omer 28, 94 Bauer, Alfred 78, 112 B¦d¦-Kraut, Hermann 96, 116 Bednar, Josef 78 – 79 Benisch, Franz 208, 277 Berger, Alfred 142, 148 – 149, 246, 248, 250 – 251 Bergmann, Friedrich 242 Bergmann, Max 216, 231 Bermoser, Josef 159, 197, 223, 249, 254 Bertnik, Fritz 92, 123, 128, 131, 175, 202, 204, 211 – 212, 224 – 225, 227, 229, 233, 248, 250 – 251 Beyer, Eugen 59, 105, 137, 158, 168 Biffar, Hans 213, 232 Bismarck, Otto von 37, 104, 157 Blomberg, Werner von 82, 110 Böhme, Franz 138 Böhm-Ermolli, Eduard 100
Böttger, Gerd 168 – 169, 179 Boie, Claus 159, 186 Boje, Arthur 172, 184, 213, 215, 218 Bonaparte, Napoleon 35 – 36, 99, 102 – 103 Bornemann, Karl 88 – 89, 277 Bosse, Wolfgang 129, 255 Botz, Gerhard 27 Brandeis, Karl 77 – 78, 96, 122, 125, 248 Brauchitsch, Walther von 144 – 145 Bresgen, Cesar 173 Bruckberger, Bruno 143, 149, 151, 196, 207 Brunner, Franz 261 Buchmann, Bertrand Michael 26 Bünau, Rudolf von 119, 136 Bürckel, Joseph 57, 97, 119, 126, 172 Bukey, Evan B. 24 – 25 Chamberlain, Neville 121 Charvt, Johann 53 Churchill, Winston 121, 129 Chwistek, Guido 122, 144, 161, 207 Cochenhausen, Conrad von 165 Confino, Alon 164 Conrad von Hötzendorf, Franz 99 Czermak, Wilhelm 189 Daladier, Êdouard 119, 121 Daxböck, Karl 205 Derfflinger, Georg von 101 Dietl, Eduard 120, 131 Doerr, Hans 182
324 Dollfuß, Engelbert 52, 220 Dotzler, Hans 80, 83 Egger, Max 86 – 87 Ehnl, Maximilian 102, 180 Eimannsberger, Ludwig 75, 113 Eugen, Prinz von Savoyen 35, 98, 101 – 102, 214, 220 Figl, Leopold 274 Fischer-Wellenborn, Robert 210 Franek, Friedrich 65, 123, 146, 150, 197, 219 Franke, Herbert 132, 136 Franz Joseph I. von Österreich 88 Friedrich II. (der Große) von Preußen 35, 97, 102, 104, 249, 265, 270 Frisch, Franz 131 Fritsch, Willi 81, 83 Galler, Karl 78, 85, 90 – 91, 133, 144 – 145, 149, 152, 162, 184, 191, 272, 281 Germann, Richard 27 Gerzabek, [?] 52, 108 Geyer, Michael 255 Geys, Helmut 82 Giehrach, Bruno 49, 103 – 104, 111, 214, 243 Glaise-Horstenau, Edmund 71, 87, 97, 153, 198 Glaser, Josef 87, 128, 130, 159, 160 Goebbels, Joseph 249 Gollenz, Franz 216 Gottschling, Paul 265, 267 Grillparzer, Franz 41 Größler, Anton 194 – 195 Grüblinger, Josef 173, 196 Grün, Heinz 213 Gschaider, Peter 25, 60 Haas, Franz 251 Habeck, Fritz 289 Handel-Mazzetti, Paul 262 – 263 Hanisch, Ernst 94, 256 Hartmann, Leo 135
Personenregister
Hauenschild, Bruno Ritter von 150 Haydn, Joseph 174 Heckel, Erhard 71, 85, 113, 248 Heissenberger, Rudolf 84, 124, 128, 135 – 136, 158, 160 Hermann, Carl Hans 150 Hiebler, Hans 86, 133, 160 Hinterberger, Alfred 65, 177, 220, 234 Hitler, Adolf 18, 49, 57 – 59, 71, 89, 92, 96, 99 – 100, 103 – 104, 106 – 107, 110, 118 – 119, 121, 127, 131, 151, 154, 187, 192, 201, 209, 212, 229, 246, 248 – 249, 260, 265, 274, 276 – 277, 288 Hörl, [Oskar?] 146 – 148, 158 Höttl, Wilhelm 110 Hofer, Andreas 187 Hofmann, Heinrich 53, 79, 90, 92, 94 Hofmannsthal, Hugo von 55, 265 Horthy, Miklûs 98 Hospodarzˇ, Eduard 99 Huber, Heribert 225 Huber, Josef 247 Hubicki, Alfred 76 Hubka, Gustav 166 Hülsen, Heinrich-Hermann von 96, 100 Janowitz, Morris 28 Jansa, Alfred 56 Jörgeling, Anton Ernst 86, 191 Kaes, Hans 86 Kaipel, Adolf 85 – 86, 90 Karl, Erzherzog 101 Karl I. von Österreich 44 Kerchnawe, Hugo 44, 121 Kienitz, Werner 58, 82 Klammer, Karl 264 – 265, 267, 269 Kluge, Günther von 148, 151 – 152, 209 Kornfeld, Georg 182 Krafft von Delmensingen, Konrad 105 Kreissler, F¦lix 63, 78 Krupich, Franz Johann 62, 64 Kürbisch, Matthias 118, 159 Kunz, Andreas 256 Kutzelnigg, Adolf 70, 95, 124, 139, 148
325
Personenregister
Lang, Robert 287 Lass, Franz 122 Lauer, Hansbernhard 118, 123, 175 Lederer, Otto 259 Liebisch, Wilhelm 108 Liebitzky, Emil 63 – 64, 284 List, Wilhelm 58 Lorenz, Franz 113, 196, 208 – 210, 230, 246 Luther, Martin 36 Mann, Thomas 192 Manoschek, Walter 26 Maria Theresia von Österreich 35 Marx, Josef 52, 276 Maurer, Anton 76, 151, 195, 197, 212, 220, 284 Mayer, August 78, 126, 132, 136, 245 – 246 Meixner, Paul 61, 140, 188, 222, 260, 283 Morawec, Johann 186, 234, 251 Moser, Hans 185 Mozart, Wolfgang Amadeus 174 Mühler, Siegfried 234 Muff, Wolfgang 60, 77 Neubacher, Hermann 82 Neugebauer, Walter 123 – 124, 129 – 131, 142, 196, 202, 220 Nicka, Hans 85, 141 Nietzsche, Friedrich 269 Nimmerrichter, Richard 131 Novotny, Alfred 87, 182 Nowak, Robert 195 – 197, 264 – 265, 269, 271, 279 Nowotny, Walter 182 Ochnitzberger, Christian 151 Ofner, Rupert 228 Ossmann, Friedrich 123, 133, 146 – 147, 152, 197 Oszwald, Franz 260, 263 Overmans, Rüdiger 29, 81, 188 Perner, Franz 190, 262 Pesendorfer, Franz 115, 214 – 215, 219
Pfleger, Ernst Karl 109, 264, 268 – 269, 271, 284 Plakolb, Max 269 – 270 Plas, Guido 188, 246, 261, 273 – 274 Plas, Wilhelm 70, 73, 75 – 76, 149, 263, 274 Plasch, Franz 80, 82 Podhajsky, Franz 127, 138, 206, 213, 227, 279 – 280 Podhajsky, Peter 65, 75, 85 – 86, 96, 124 – 125, 127, 131 – 132, 142, 177, 206, 210, 213, 216, 234, 283 Pohanka, Karl 205, 209 – 210, 215, 221, 223, 226, 230 – 231, 247 – 248, 250 – 251 Pohl, Marianne 187 Pointner, Johann 115, 234, 264 – 265, 269 – 270 Pollak, Walter 102 – 103 Pontasch, Klement 175 Posch, Otto Waldemar 261, 273 Pregartbauer, Josef 77 Prochaska, Rudolph 146 – 147 Radetzky von Radetz, Josef Wenzel 88, 103 – 104 Rainer, Friedrich 97 Rass, Christoph 21, 28, 65 Raus, Erhard 70, 73 – 76, 88, 116, 158, 166 – 167, 204, 220 Reinhardt, Walther 50 Remarque, Erich Maria 225 Renner, Karl 51 Riefenstahl, Leni 179 Ringel, Julius 152 Rodler, Erich 124, 220, 277 Rosegger, Peter 172, 186 Rosenberger, Hans 211 Rosenmüller, [Meinhard?] 101 – 102, 107 Rothmayer-Kamnitz, Helmut B. 166, 189, 208, 213, 265 Rundstedt, Gerd von 152 Safrian, Hans 26 Scheffler, [?] 245 Scheiderbauer, Armin
184, 191, 213
326 Scherr, Adolf 262, 270 Schirach, Baldur von 57, 66, 183, 213, 215, 218, 228, 271 Schmidl, Franz 190, 202, 212 Schmitz, Oscar A. H. 56 Schneefuß, Walter 128 Schneider, Ernst 63 – 64, 151 Schneider, Hermann 64, 151 Schöbl, Wilhelm 188, 210, 215 – 216, 226, 231 Schönerer, Georg Ritter von 40 Schöpf, [?] 117, 126 Schöttner, Willi 133, 187 Schreiner, Harald 122 Schubert, Albrecht 252 Schubert, Franz 174 Schubert, Franz Xaver 72, 105 Schuschnigg, Kurt 56, 96, 110 Schwarzböck, Norbert 152 – 153 Seeckt, Hans von 47 Seewann, Franz 207 Segur-Cabanac, August 288 Seipel, Ignaz 176 – 177 Serschen, Karl 151 Seydlitz, Walther von 152 Shils, Edward A. 27 Sorger, Heinrich 129, 144, 207, 212 Spachinger, [?] 230 – 232 Spengler, Oswald 155 Springenschmied, [Karl?] 136, 139 Spurny, Max 158 Srbik, Heinrich Ritter von 51, 104, 129, 270 Stadler, Rudolf 211, 220 Stalin, Josef 203, 220, 225 Starhemberg, Rüdiger von 271 Staudigl, Herbert 52 Stein, Marcel 26, 81, 148 Steinacher, [Hans?] 128 Steinberger, Franz Gerwin 117, 127, 141, 175 Steinböck, Erich 63, 74, 79 Steiner, Hubert 236 Stiotta, Max 128, 148 – 149, 151 – 152, 191, 209 Stöller, Ferdinand 106
Personenregister
Stolz, Josef 117 Stratowa, Wulf 202, 208, 210, 212, 220, 227 Strauß, Johann 196 Streccius, Alfred 168 Studeny, Franz 64 Stülpnagel, Otto von 73 – 74, 99 Swogetinsky, Hans 122, 197, 205, 207, 275 Szokoll, Carl 64 Tegetthoff, Wilhelm von 98 Theiss, Rudolf 214 Tito, Josip Broz 250 Treitschke, Heinrich von 38 Trenker, Luis 179 Tröster, Franz 80 Tuider, Othmar 25 Ulber, Erich 129, 183, 189 – 190, 197, 283 Ullmann, Ludwig 85, 134, 161 Valesi, Fritz 138, 166 Vaugoin, Carl 52, 64 Vecernik, Franz 132 Vichytil, Josef 117 Wadani, Richard 247 Wagner, Karl 223 Wagner, Rudolf 241 Waldheim, Kurt 22, 25 Waldhof, Heinrich 203, 226 Wallenstein, Albrecht von 101 – 102 Wanger, Rudolf 208 Wawra, Otto 248, 250 Weinheber, Josef 189 Weiß, Ferdl 171 – 172 Weixlbaumer, Rudolf 122, 141, 186, 188, 205, 210 Wiedenhorn, [?] 150, 151 Wiesbauer, Toni 254, 270 – 271 Wiktorin, Mauritz 75, 90 – 91, 108, 110, 149 – 151, 166, 191, 197, 274 Wildgans, Anton 55 Wildling, Florian 280 Winter, Anton 210
Personenregister
Winterberger, Erich 160 Wölkart, Franz 223 Wolf-Schneider von Arno, Oskar 101 Wotava, Johann 77, 185, 248 – 249, 260, 273
327 Zedtwitz-Liebenstein, Carl 149, 205, 213, 263, 272, 274 Zellner, Emil 209, 241 Zita von Österreich 52 Zsilincsar, Heinz 123, 125, 129, 141, 149, 159, 162, 184, 186, 225, 228, 231, 236 Zsilincsar, Karl 87, 212, 225