Der oligarchische Umsturz des Jahres 411 v. Chr. und die Herrschaft der Vierhundert in Athen: Quellenkritische und historische Untersuchungen 9783631379707, 3631379706

Die Sizilienkatastrophe von 413 v. Chr. zog eine tiefgehende Erschütterung der Demokratie in Athen nach sich, in deren F

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German Pages 406 [403] Year 2001

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Der oligarchische Umsturz des Jahres 411 v. Chr. und die Herrschaft der Vierhundert in Athen: Quellenkritische und historische Untersuchungen
 9783631379707, 3631379706

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Herbert Heftner

Der oligarchische Umsturz des Jahres 411 v. Chr. und die Herrschaft der Vierhundert in Athen Quellenkritische und historische

Untersuchungen

FS PETER LANG Frankfurt am Main - Berlin - Bern - Bruxelles - New York - Oxford - Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heftner, Herbert:

Der oligarchische Umsturz des Jahres 411 v. Chr. und die Herrschaft der Vierhundert in Athen : Quellenkritische und historische Untersuchungen / Herbert Heftner. - Frankfurt am Main ; Berlin ; Bern ; Bruxelles ; New York ; Oxford ; Wien: Lang, 2001

ISBN 3-631-37970-6

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien.

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier.

ISBN 3-63 1-37970-6 © Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften

Frankfurt am Main 2001 Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für

Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

12

www.peterlang.de

4567

-ν. Vorwort Die Monographie über ein Kapitel der athenischen Ereignisgeschichte, die hiermit vorgelegt wird, geht in ihren Ursprüngen auf die Beschüftigung mit einem Problemkomplex zurück, der eher im Bereich der politischen Ideengeschichte angesiedelt ist, námlich der Entwicklung des Verfassungsdenkens und der politischen Strómungen im Athen des spüten 5. Jh. v. Chr. Als ich im Zuge dieser Beschüftigung mein Augenmerk dem Umsturz von 411 zuwendete, ging ich zunächst von der Annahme aus, daß die damit verbundenen ereignisgeschichtlichen Fragen bereits so weit ausdiskutiert seien,

daB es eigentlich nur darum gehen kónne, zwischen bereits formulierten Auffassungen zu entscheiden. Bei nüherer Betrachtung der Forschungslage ergab sich jedoch ein anderer

Eindruck: Zwar existiert tatsächlich eine sehr reichhaltige Literatur zu den Vorgängen

von 411, doch läßt sich feststellen, daB die damit verbundenen

Fragen recht selektiv behandelt wurden: das Interesse der Forschung konzentrierte sich auf die eigentlich verfassungsándernden Akte des Frühjahrs 411, für die uns neben Thukydides der Bericht der Athenaion Politeia zur Verfü-

gung steht, sowie auf die beiden Verfassungsentwürfe in Ath. Pol. 30 und 31. Die und den; nur

Vorgeschichte des Umsturzes, die Zeit der Herrschaft der Vierhundert ihr Sturz haben im Vergleich dazu bei weitem weniger Beachtung gefunvor allem aber sind diese Aspekte des Geschehens von 412 und 411 stets im Hinblick auf Einzelprobleme herangezogen, nicht aber in ihrem

gegenseitigen Zusammenhang behandelt worden. Angesichts dieser Sachlage schien es mir gerechtfertigt, den vielbehandelten Stoff erneut aufzugreifen und den Versuch einer monographischen Untersu-

chung der Oligarchie von 411 zu wagen. Die dabei verfolgte Zielsetzung war es, die relevante Quellenevidenz zu den Umsturzereignissen von 411 und die wesentlichen Interpretationsmóglichkeiten referierend vorzulegen, kritisch zu diskutieren und abzuwägen, welchen der möglichen Lösungen jeweils die

größte Glaubwürdigkeit zuerkannt werden kann. Die sich auf dieser Basis ergebende Rekonstruktion des Ereignisablaufes ist im Anschluß an den Untersuchungsteil abrißartig zusammengefaßt, generelle und übergreifende Aspekte werden in der Schlußbetrachtung zur Sprache gebracht. In ihrem Aufbau orientiert sich die Untersuchung grundsätzlich an der chro-

nologischen Ereignisfolge, doch schien es geraten, die beiden zentralen Problemkomplexe der Abfolge verfassungsändernder Staatsakte im Frühjahr 411 sowie der Authentizität der beiden Verfassungsentwürfe von Ath. Pol. 30 und 31 im Rahmen zweier gesonderter Exkurse zu behandeln, von denen der erste

zwischen den Anfängen der Oligarchenverschwörung auf Samos und den Vorgängen des Frühjahres 411 in Athen, der zweite zwischen die Machter-

- VI -

greifung der Vierhundert und die Behandlung der sich während ihrer Herrschaft vollziehenden Ereignisse plaziert ist. Von der an sich verlockenden Möglichkeit, den Untersuchungen einen Über-

blick über die verfügbaren Quellen voranzustellen, wurde abgesehen, da ei-

nerseits eine vortreffliche Übersicht dieser Art bereits im Rahmen Gomme/Andrewes/Dover'schen

Thukydideskommentars

vorliegt,

des

anderer-

seits bei der im vorliegenden Werk behandelten Thematik quellenkritische und ereignisgeschichtliche Fragen untrennbar miteinander verbunden sind. Auf der anderen Seite schien es angebracht, die Frage nach dem Charakter

der im Herbst 411 eingerichteten Verfassungsordnung in einer gewissen Breite zu behandeln, da die durch die Hypothese von de Ste.Croix und Gallucci aufgeworfene Problematik jeden, der sich mit der Geschichte des Jahres 411 beschäftigt, geradezu zwingend zur Stellungnahme auffordert, eine solche aber nur auf der Basis einer eingehenden Prüfung des Für und Wider móglich ist.

Übersetzungen zu den Quellenzitaten stammen, soweit nicht anders angegeben, vom Autor, Jahresangaben sind, wo nicht anders vermerkt, v. Chr. zu

verstehen. Für die unter Aristoteles’ Namen überlieferte Schrift vom Staate der Athener wird stets die Bezeichnung „Athenaion Politeia" bzw. die Ab-

kürzung ,,Ath. Pol.“ verwendet. Es ist mir eine freudige Pflicht, allen, die mir beim Verfassen des Werkes auf verschiedene Art beigestanden sind, meinen herzlichen Dank auszusprechen.

An erster Stelle seien hier meine akademischen Lehrer Gerhard Dobesch und Peter Siewert genannt, die meinen Forschungen ein stetes reges und ermutigendes Interesse entgegengebracht haben.

Für Auskünfte, Anregungen und Hilfestellungen mannigfacher Art bin ich Paul Lorenz, Walter Scheidel, Edith Specht und Hans Taeuber zu Dank verpflichtet. Wie schon bei meinen früheren Publikationen hat Gerd Allesch amicitiae gratia die Mühe auf sich genommen, das Werk in seiner Gesamtheit einer kritischen Prüfung zu unterziehen, und mir dabei unschätzbare Anregungen und Hinweise für Inhalt und Gestaltung der Arbeit vermittelt. Last, but not least gebührt an dieser Stelle meiner lieben Geführtin Monika L.

Jungwirth Dank für die Geduld und die Ausdauer, mit der sie mich wührend der drei Jahre der Entstehung des Werkes durch die gewundenen Pfade mei-

ner Gedankengebüude begleitet hat und dabei meinen Ausführungen und

Überlegungen mit Interesse, steter Diskussionsbereitschaft und konstruktiver Kritik gefolgt ist. Wien, im März 2001

Herbert Heftner

- VII Inhalt L Die Vorgeschichte des Umsturzes Die Sizilienkatastrophe und die athenische Innenpolitik... ................. Die Einsetzung der Probuloi ........::: 222 comme Die Strategenwahlen für 42/11... .....:: 22 c Coon Die Stasis auf Samos im Herbst 412. .........«Ὁὐὐν νιν νειν νιν νειν νυν ννννν Die Konzentration athenischer Streitkräfte auf Samos. ................2.2.222.. Die Anfänge der Oligarchenverschwörung auf Samos und Phrynichos’ Opposition gegen Alkibiades' Rückberufung.................. 222.2... Das Intrigenspiel des Phrynichos und Alkibiades ............... 22. 222220..

40 50

Die Mission des Peisandros in Athen

...........::2 cu νιν νειν εν νιν ννννις

58

Die Verhandlungen der Athener mit Alkibiades und Tissaphernes ............. Die Verschwörer auf Samos nach dem Scheitern der Tissaphernes-Verhandlungen..

75 87

Exkurs I: Ablauf und Chronologie des Verfassungsumsturzes

93

......

1 6 16 32 36

IL Der Verfassungsumsturz und die Machtergreifung der Vierhundert Die Lage in Athen vor der Rückkehr des Peisandros........... 22222 ννννων

109

Spuren der Umsturzfurcht in den Thesmophoriazusen des Aristophanes? ........ Die Reaktion der Verschwórer in Athen auf das Scheitern der Perserhoffnungen ... Der Beschluß zur Einsetzung der dreißig συγγραφεῖς und der Antrag des Kleitophon .. ee sss sss... Der Beschluß ZUr ; ur Einsetzung der Fünftausend . ΝΕ Die Katalogisierung der Fünftausend .............Ὁ«Ὁτννννννν νιν νιν νννννν Die Versammlung auf dem Kolonos und der BeschluB zur Einsetzung der

117 123

Die Machtergreifung der Vierhundert .DNE

164

Exkurs II: Die „Verfassungsurkunden“ in Kap. 30 und 31 der Athenaion Politeia im Kontext der Ereignisse von 411 .............

177

130 142 148

III Die Herrschaft der Vierhundert und der demokratische

*Gegenstaat? auf Samos Der oligarchische Umsturzversuch und die demokratische Reaktion auf Samos . .

rennen.All

Die demokratische Konterrevolution iimn Athenerlager auf Samos . DEED

217

Die Herrschaft der Vierhundert in Αἰδδη..............Ὁον νον νιν νιν νιν νννων Die Friedensinitiativen der νιοσῃυπάσεί..... ........{ννν νιν νι νιν νιν νιν νγννων Das Auftreten des Alkibiades auf ϑαπιοβ..............«οὐν νιν νιν νννων

231 241 251

- VIII Die Wirkung der Alkibiadesbotschaft in Αἴπθπ.............«Ὁνν νον νιν νννι Das Attentat auf Phrynichos.........:.: 222 22cm ls essen.

260 265

Der Sturz des Regimes der Vierhundert..........:.: 22 oc oo o en

270

IV. Athen nach dem Sturz der Vierhundert Die “Verfassung der Εὐηπῆβευδβοηα᾽............«τννν νιν νυν εν ν νιν ν νιν νων

279

Flucht und gerichtliche Verfolgung der Oligarchen..............

312

222222...

V. Zusammenfassung Abriß der Ereignisgeschichte |...

Schlußbetrachtung ..........sses

cc canon

sess

sess.

Abkürzungsverzeichnis......... 2:22 come Literaturverzeichnis er Index I: Stellenregister ... .....: 22:22 looo een Index II: Orts-, Personen- und Sachregister .........:.. oc νιν νννννννων

323

343 353 >Y| 371 381

-1-

I. DIE VORGESCHICHTE DES UMSTURZES

Die Sizilienkatastrophe und die athenische Innenpolitik Die demokratiefeindlichen Strömungen innerhalb der athenischen Bürgerschaft, die im Jahre 411 zum erstenmal die Chance erhielten, die ihnen ver-

haßte Volksherrschaft perikleischer Prägung durch eine Vorherrschaft der

„Leistungsfähigsten“' zu ersetzen, konnten zu diesem Zeitpunkt auf eine Vor-

geschichte zurückblicken, die mindestens bis in die perikleische Epoche hinaufreichte. Strenggenommen wird uns bereits im Zusammenhang mit dem spartanischen Einfall der frühen fünfziger Jahre? von Verschwörern berichtet, die die Spartaner iins Land gerufen hätten, um mit ihrer Hilfe die Volksherrschaft zu stürzen,” doch liegt die Überlieferung über diese Episode so sehr im

Unsicheren, daß sich nicht sagen läßt, ob sich dahinter mehr als ein aus der Erregung des Augenblicks geborenes Gerücht verbirgt.* In jedem Fall dürfte die Teilhabe an diesen Aktivitäten auf eine kleine Gruppe politischer Außenseiter beschränkt gewesen sein.” Mit Sicherheit faßbar wird uns antidemokratisches Denken in der pseudoxenophontischen Athenaion Politeia, einer Schrift, die hinsichtlich ihrer Ent-

stehungszeit und politischen Tendenz in der Forschung umstritten ist? mit größter Wahrscheinlichkeit aber doch in die Zeit vor der Sizilienkatastrophe

zu datieren ist.’ Dort finden wir bekanntlich die Vorstellung eines fundamen! So die in Thuk 8,65,3 und in Ath. Pol. 29,5 verwendete Formulierung (zit. u., S. 98 Anm. 14). ! Die chronologische Einordnung dieses Spartanereinfalls, derin der Schlacht von Tanagra seinen Höhepunkt fand, ist nicht völlig gesichert, s. Parker, Chronology 141f. (mit weiterführenden Literaturangaben), der die von Diod. 11,79,1.80,1-6 gebotene Datierung in das

Jahr 458/7 in Zweifel zieht und ein Datum im Jahre 456 annehmen móchte. Diese Frage kann jedoch in dem für uns relevanten Zusammenhang außer Betracht bleiben. ? Thuk. 1,107,4; vgl. die in diesem Zusammenhang gegen Kimon und seine Anhänger erhobenen Vorwürfe bei Plut. Kim.

17,5f. Per. 10,1-3.

* Skeptisch z. B. Badian, Chronology 213 Anm. 51 und Schreiner, Hellanikos 79; für die grundsätzliche

Glaubwürdigkeit der Nachricht hingegen

Lapini, Commento

216 und

Hermann-Otto, Das andere Athen 141. ; Wolff, Opposition 297 und Welwei, Zwischen Affirmation und Kritik 35.

ὁ Für die traditionelle Annahme eines ferminus ante quem der Schrift im Jahre 424 s. Kalınka, ᾿Αθηναίων πολιτεία 5-17; Frisch, Constitution 47-62 und Hermann-Otto, Das

andere Athen 134 (dort auch weitere Literaturangaben); für die kerkyräische Stasis von 427 als terminus ante s. Gabba, Argomenti economici

11; für eine Datierung in die Zeit

nach 424, aber vor 413 s. Leduc, Constitution 157-201 bes. 201 und Mattingly, Date and Purpose passim; für die Möglichkeit einer Datierung in das 4. Jh. s. Roscalla, Περὶ ... πολιτείας passim (dazu die folgende Anm.). 7 s. das vorsichtige Resümee von Lapini, Filologia critica 325f.: „Una datazione dell’ opera a prima della catastrofe siciliana e una sua relazione con gli ambienti 'sovversivi' della

-2. talen Interessengegensatzes zwischen der Oberschicht und der breiten Masse gleichsam als naturgegeben vorausgesetzt, und die Móglichkeit einer Erhebung unzufriedener Gruppen gegen den Demos direkt angesprochen; aller-

dings scheint der Verfasser einer solchen Erhebung wenig Erfolgschancen zu-

zutrauen."?

Als ein Versuch einer oligarchisch motivierten Stasis-Aktion ist des ófteren der Hermenfrevel von 415 angesehen worden; aber wenn man die Annahme

einer oligarchischen Ausrichtung der Hermokopiden auch bejahen kann, bleibt doch die Frage offen, ob sie in der konkreten Situation des Frühjahrs 415 nur „den Schulterschluß zwischen Alkibiades und dem Volk ... mutwillig stören“, oder tatsächlich „die durch den Religionsfrevel ausgelóste Verunsi-

cherung zum Verfassungsumsturz nutzen“ wollten.!! Wie schon im Falle der Verschwórung von 457 scheint der Kreis der Beteiligten eher klein, dafür al-

lerdings sozial recht exklusiv gewesen zu sein." seconda generazione sofistica mi sembrano gli unici dati certi: ogni altro tentativo di sapere di pià correrà il rischio di presentarsi come il puro e semplice prodotto di impressioni

personali." Die Möglichkeit einer Deutung der Schrift als eines Produkts des Rhetorikbetriebs des 4. Jh. (als eines negativen Gegenstücks zu den damals gängigen ἕπαινοι der athenischen Verfassung), die Roscalla, Περὶ ... πολιτείας passim, bes. 115-130 in Erwägung zieht, wird wohl schon im Hinblick auf die Vermeidung jeder Anspielung auf die

nach 413 gewandelte Situation Athens in der pseudoxenophontischen Schrift als hóchst unwahrscheinlich gewertet werden müssen (skeptisch gegen Roscallas These äußert sich auch Lapini im Vorwort zu seinem Ps.-Xenophon-Kommentar [Commento 11], wo er eine eingehendere Auseinandersetzung an anderer Stelle ankündigt).

* s. besonders [Xen.] Ath. Pol. 1,4-9, daneben 2,19f. und 3,10f.

? (Xen.] Ath. Pol. 2,15. Ob, wie Hermann-Otto, Das andere Athen

138 meint, mit den

Schichten, von denen solches erwartet werden könnte, die kurz zuvor (2,14) im Gegensatz

zum Demos genannten γεωργοῦντες καί .. πλούσιοι gemeint sind, geht aus dem Text des Pseudo-Xenophon nicht mit letzter Sicherheit hervor, ist aber doch wohl wahrscheinlich.

! Dies zeigt vor allem sein resignatives Schlußresümee in 3,13 ταῦτα χρὴ λογιζόμενον μὴ νομίζειν εἶναί τι δεινὸν ἀπὸ τῶν ἀτίμων ᾿Αθήνησιν; dazu Hermann-Otto, Das andere Athen 139. !! Diese beiden Alternativen skizziert Hermann-Otto, Das andere Athen 146, die - im Hinblick auf den dürftigen Stand der Evidenz wohl zu Recht (vgl. Furley, Andokides 4) -

in dieser Frage keine Entscheidung treffen móchte; für die erstgenannte Alternative s. Kagan, Peace 206-209 (mit weiterführenden Literaturangaben) und Furley, Andokides 30,

für die zweitgenannte Lehmann, Überlegungen 52-55; vgl. Aurenche, Groupes 172-176, der die Erschütterung der Position des Alkibiades für den Hauptzweck der Aktion hält, daneben aber die Möglichkeit weitergehender Intentionen der Hermenfrevler nicht ausschließen möchte. . 7 Die geringe Zahl der Beteiligten betonen Wolff, Opposition 297 und Lehmann, Überlegungen 55f.; vgl. dagegen Ostwald, Sovereignity 322.329f., der geneigt ist, der bei Andokides (1,37.51.58) gebotenen Behauptung einer Zahl von dreihundert Beteiligten Glauben zu schenken. Für eine umfassende prosopographische Studie zu den identifizierbaren Teilnehmern der Vorgänge von 415 s. Aurenche, Groupes passim.

-3.-

Es ist offensichtlich, daß sich aus diesen wenigen Belegen kein auch nur einigermaBen sicherer Anhaltspunkt über die Stärke und Verbreitung antidemokratischer Einstellungen innerhalb der athenischen Bürgerschaft des 5. Jh. gewinnen läßt; auch die unbestreitbare Tatsache, daß innerhalb der demokrati-

schen Massen die Furcht vor einem móglichen Verfassungsumsturz wenigstens zur Zeit des Peloponnesischen Krieges weitverbreitet gewesen sein

muB, sagt an sich noch nichts über den Grad der Berechtigung solcher Ängste aus. Klarheit ist hier schon deshalb nicht zu gewinnen, weil sich aus der spárlichen und meist indirekten Evidenz nicht erkennen läßt, wieweit es sich bei den Äußerungen oppositioneller Einstellung seitens athenischer OberSchichtangehóriger in den VierhundertdreiBiger und -zwanzigerjahren um bloBe Vorbehalte gegen den seit Perikles vorherrschenden politischen Kurs

bzw. gegen die ihn tragenden Persónlichkeiten!^ oder um eine Infragestellung der Grundlagen des demokratischen Systems selbst handelte.'? Letzteres ist, wie bereits erwähnt, in der Abhandlung des Pseudo-Xenophon als selbstver-

stándlich vorausgesetzt,'° doch bleibt es zweifelhaft, ob man die dort nieder-

gelegten Ansichten als reprüsentativ für die Gesinnung breiterer Kreise neh-

men kann, zumal der Verfasser offenkundig einer recht doktrinären und schematischen Sichtweise der in Athen gegebenen sozialen Verhältnisse huldigt.“7 Angesichts dieser Unsicherheitsfaktoren muß jeder Versuch, die Stärke und Intensität der antidemokratischen Strömungen in Athen zu bewerten, eine D Thuk. 6,53,3 ὁ δῆμος

ἀκοῇ τὴν Πεισιστράτου καὶ τῶν

παίδων

τυραννίδα

χα-

λεπὴν τελευτῶσαν γενομένην .... ἐφοβεῖτο αἰεὶ καὶ πάντα ὑπόπτως ἐλάμβανεν (vgl. 6,27,3.28,2.60,1); Aristoph. vesp. 463-507, bes. 488-490 ὡς ἅπανθ᾽ ὑμῖν τυραννίς ἐστι

καὶ ξυνωμόται, / ἦν TE μεῖζον ἦν τ᾿ ἔλαττον πρᾶγμά τις κατηγορῇ, / ἧς ἐγὼ οὐκ ἥκουσα τοὔνομ᾽ οὐδὲ πεντήκοντ᾽ ἐτῶν, vgl. ebd. vv. 417.953, av. 1074f., Lys.

616-634.

vgl. weiters de Oliveira, Typologie 484.488f. ! Für den Haß der traditionellen Oberschichten gegen den in den 420er Jahren aufkommenden Typus des demokratischen Politikers neuen Stils s. die grundlegenden Ausführungen von Connor, New

Politicians 168-198 und Ostwald, Sovereignity

199-229, für den

Niederschlag dieser Gefühle in der Komódie vgl. de Ste. Croix, Origins 359-362 und Lind, Gerber Kleon 235-252.

5 Aus diesem Grund ist es nicht möglich, die zahlreichen Äußerungen und Aktivitäten

oppositioneller Natur, die Hackl, Oligarchische Bewegung 7-9 und Ostwald, Sovereignity 175-333 aufzählen, mit oligarchischer Gesinnung im strengen Sinne des Wortes in Verbindung zu bringen, wenngleich eine solche Verbindung in Binzelfüllen durchaus gegeben ewesen sein mag. Neben den oben, S. 2 Anm. 8 angeführten Stellen s. auch die scharfe Verurteilung derjenigen, „die nicht zum Demos gehören, und dennoch lieber in einer Demokratie als in einer Oligarchie leben wollen" in [Xen.] Ath. Pol. 2,20. 17 Diesen Aspekt betont zu Recht Wolff, Opposition 286. Zur Diskrepanz zwischen der Mehrheit der athenischen Oberschicht, die trotz allfälliger Vorbehalte das demokratische System als die gegebene Bühne jeder politischen Betütigung akzeptierte, und jener Minderheit, die aus prinzipiellen Gründen eine Haltung der „inneren Opposition" vorzog, vgl. Bringmann, Alkibiades 22f.

-4-

Gleichung mit allzuvielen Unbekannten darstellen; nimmt man den Gang der Ereignisse zur Richtschnur, so läßt sich immerhin feststellen, daß die antide-

mokratische Opposition bis 415 niemals soviel politisches Gewicht erlangte, daB sie als eine ernstzunehmende Bedrohung des herrschenden Demos hätte gelten kónnen.'* Dies ánderte sich schlagartig, als die Macht Athens im Sommer 413 durch den Untergang der Sizilienexpedition auf das nachhaltigste erschüttert wurde. Die Nachricht von der Katastrophe, die den Athenern als ein völlig unerwarteter Schock kam,'” hatte neben den naturgemäßen Ausbrüchen der Trauer, Verzweiflung und Erschütterung auch im Bereich der politischen Stimmungslage heftige Reaktionen zur Folge. Thukydides hebt in seiner Beschreibung der athenischen Reaktion zwei politische Aspekte hervor: den allgemeinen Zorn auf die seinerzeitigen Kriegstreiber unter den Politikern und den ungebrochenen Durchhaltewillen der Athener.?? Angesichts der Begrenztheit unserer prosopographischen Informationen fällt es schwer, abzuschátzen, ob und wieweit der von Thukydides bezeugte Stimmungsumschwung Konsequenzen für die personelle Zusammensetzung der athenischen Führungsschicht nach sich gezogen hat. Von den Befürwortern

der Sizilischen Expedition im Jahre 415 kennen wir neben Alkibiades lediglich einen mit Namen, Demostratos, einen rednerisch begabten Demagogen, der in der Tat nach 413 keine bedeutende Rolle mehr gespielt zu haben

scheint.?! Mit der in diesem Zusammenhang in der Forschung des ófteren ge-

äußerten Ansicht, daB sich aus der Zusammensetzung des für 412/11

neuge-

wählten Strategenkollegiums ein Indiz für eine politische Wende

ablesen

lasse, werden wir uns im folgenden Abschnitt auseinanderzusetzen haben. Auf der anderen Seite wissen wir, daB Politiker, die zur Zeit der Sizilienex-

pedition im radikaldemokratischen Sinne aktiv waren, auch nach der Katastrophe noch Ansehen und Einfluß besessen haben: In diese Kategorie gehören Peisandros,"

Kleophon,”

wohl

auch Androkles;'4

freilich können

wir

nicht sagen, wieweit sich diese Männer 415 als Kriegstreiber exponiert hatten. !* In diesem Sinne wohl zu Recht auch Ruschenbusch, Innenpolitik 34-36.

? Thuk. 8,1,1; Plut. Lys. 30,1-3; vgl. Athen. 9, 407ab. ? Thuk. 8,1,1.3. 2! Zu Demostratos

s. PA Nr. 3611

u. Swoboda,

Demostratos

191.

Seine zweimalige

Erwähnung in den Demoi des Eupolis (fr. 103 und 113 K.-A.) kann nicht als ein sicherer Beleg für seine Prominenz im Jahre 412 gewertet werden, da diese Komódie nach Storey, Dating Eupolis 24-27 nicht in diesem Jahr, sondern wahrscheinlich um 416 aufgeführt

wurde. Aber auch, wenn sich die in der älteren Forschung bevorzugte Datierung der Demo: in das Jahr 412 als richtig erweisen würde, könnten die beiden allgemein gehaltenen Erwähnungen des Demostratos nicht als Belege für eine aktuelle politische Aktivität

dieses Demagogen gewertet werden. Seine Erwähnung bei Aristoph. Lys. 391 und 397 ist ein Rückblick in das Jahr 415.

12 Zu Peisandros s. u., S. 61-63.

.5.

Es wäre psychologisch durchaus nachvollziehbar, wenn sich die Wut und Verzweiflung der Athener im Jahre 413 in einer Jagd nach 'Sündenbócken' entladen hátte. Dennoch blieb die Tatsache unbestreitbar, daB die überseei-

sche Expansionspolitik, die vor Syrakus so katastrophal gescheitert war, seinerzeit nicht nur die Idee einiger Demagogen, sondern das Anliegen der überwiegenden Mehrheit des Demos gewesen war: die Entsendung der Sizilienexpedition und späterhin die Verstärkung der vor Syrakus liegenden Streitmacht waren von der Ekklesie beschlossen worden; die Verantwortung für diese nunmehr als desastrós erkannten Fehlentscheidungen mußte daher,

was kritischen Zeitgenossen wie Thukydides nicht entging,” in letzter Instanz beim abstimmenden Demos selbst liegen.

Mochte sich die breite Masse dieser Erkenntnis auch weitgehend versperren, ἢ so wird dies nicht in gleichem Maße für die Kreise der Oberschicht und der Landbewohner gegolten haben, die zusützlich zu den Verlusten der Sizi-

lienexpedition auch unter den Verwüstungen des in ihrem Gefolge neu entbrannten Spartanerkrieges schwerer zu leiden hatten denn je zuvor?’ und deren jüngere Jahrgänge im Kriegsdienst als Kavalleristen sowohl auf Sizilien als auch bei der Verteidigung Attikas einen überproportional hohen Blutzoll

zu entrichten hatten."

P Daß Kleophon bereits vor der Sizilischen Expedition eine nicht unbedeutende Figur der

politischen Szene gewesen sein muß, wird durch die anläßlich der Ostrakisierung des Hyperbolos gegen ihn abgegebenen Ostraka bezeugt (Lang, Agora XXV

Nr. 600-607),

seine Erwähnung bei Aristoph. Thesm. 805 impliziert jedenfalls eine gewisse Prominenz auch im Jahre 411, welche, vom Kontext der Stelle her zu schließen, auf politische Aktıvi-

täten des Mannes zurückzuführen zu sein scheint. Für die spätere Karriere Kleophons s. Swoboda, Kleophon 1) 792-796. ^ Daß Androkles im Jahre 411 eine einflußreiche Figur darstellte, ergibt sich wohl aus der

Tatsache seiner Ermordung durch die oligarchischen Hetairien im Zuge ihrer Terrorkampagne im Frühjahr dieses Jahres (Thuk. 8,65,2; man beachte besonders seine Charakterisierung als τοῦ δήμου μάλιστα προεστῶς).

= Thuk. 8,1,1 ὥσπερ οὐκ αὐτοὶ ψηφισάμενοι; dazu zustimmend Ostwald, Sovereignity, 337. 7$ Als Zeugnis für eine wahrscheinlich weitverbreitete Tendenz, die Verantwortung an der

Sizilischen Expedition in toto den befürwortenden Rednern zuzuschieben, können wir eine Passage aus der achtzehnten Rede des Corpus Lysiacum nehmen, wo der Sprecher in Bezug auf die sizilische Katastrophe feststellt τὴν δ᾽ αἰτίαν τῆς συμφορᾶς ol πείσαντες

Wäs δικαίως ἂν ἔχοιεν (Lys. 18,2); vgl. zu dieser Haltung allgemein [Xen.] Ath. Pol. 2.17. 7 Thuk. 7,27,3-28,2; vgl. zur Kriegsgegnerschaft der Reichen und Bauern allgemein [Xen.] Ath. Pol. 2,14; zu jener der Minenunternehmer speziell Rankin, Mining Lobby 195-

197. Für die Belastung der wohlhabenderen Athener durch Kriegskosten und Kriegsfolgen s. die von Ruschenbusch, Innenpolitik 109-116.126-128 und Kagan, Fall 110f. gebotenen Beispiele, dazu noch Aristot. pol. 1303 a 8-10. S. jedoch bezüglich der Kriegsverwüstun-

gen die relativierenden Bemerkungen von Hanson, Warfare 153-173. Für die Verluste der Ritterschaft in den frühen Jahren des Dekeleischen Krieges s. Spence, Athenian Cavalry Numbers 169-175 und Worley, Hippeis 119f.

-6-

Bedenkt man weiters, daf die in Sizilien gescheiterte Expansionspolitik von der prononciert demokratischen Richtung der athenischen Politik getragen worden war, so wird man der Auffassung, daß unter dem Eindruck der sizi-

lischen Katastrophe die im Athen der nachperikleischen Ära herrschende Ausprägung demokratischer Politik in wichtigen Sektoren der athenischen Bürgerschaft in Mißkredit geraten ist,” trotz der unsicheren Quellenlage ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit zuerkennen dürfen. Ob dieser Stimmungswandel mit einer Diskreditierung des demokratischen

Prinzips an sich einher ging, ist freilich eine andere Frage, aber es ist kaum zu leugnen, daß zumindest in der Oberschicht der Leiturgieträger die Vorstellung eines radikalen Systemwechsels beträchtlichen Anklang genossen haben dürfte: Die Bereitwilligkeit, mit der die Trierarchen und die anderen höheren Offiziere der athenischen Flotte im Winter 412/11 in ihrer großen Mehrheit

die von Alkibiades ventilierten Verfassungsumsturzpläne als Mittel zur Be-

wältigung der Kriegsnot akzeptierten,” wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die in diesen Kreisen vorherrschende Stimmungslage.’" Vor dem Hintergrund dieser Stimmungslage haben wir nun zwei Episoden aus

der inneren Geschichte Athens zu betrachten, die in der Forschung oftmals als

Symptome des politischen Paradigmenwechsels nach der Sizilienkatastrophe und somit auch als Vorboten der zum Umsturz von 411 führenden Entwicklung gewertet worden sind: Die Einsetzung der Probuloi 413 und die Wahl der Strategen für 412/11.

Die Einsetzung der Probuloi Nicht lange nach dem Eintreffen der Katastrophennachricht aus Sizilien, je-

denfalls noch im Herbst 413” faBten die Athener den Beschluß, ein Amtskollegium neuen Typs ins Leben zu rufen, dessen Aufgabe in der Probuleusis über die angesichts der katastrophalen Kriegsnotlage zu treffenden Maßnahmen bestehen sollte. Thukydides, der für diesen Beschluß unsere einzige Quelle darstellt, erwähnt die Einsetzung dieser Probuloi im Rahmen einer Ge-

? Für diese Auffassung s. z. B. Beloch, Politik 65; Nippel, Mischverfassungstheorie 74f.; Ostwald, Sovereignity 337f.; Raaflaub, Politisches Denken 22. 90 g. dazu u., S. 40-45.

*! Man beachte in diesem Zusammenhang, daß Thukydides im Rückblick den Zustand der Stasis in Athen gleich nach der Sizilienkatastrophe einsetzen zu lassen scheint (2,65,12): σφαλέντες δὲ ἐν Σικελίᾳ ἄλλῃ TE παρασκενῇ καὶ τοῦ ναυτικοῦ τῷ πλέονι μορίῳ Kal κατὰ τὴν πόλιν ἤδη ἐν στάσει ὄντες .... Allerdings ist es im Hinblick auf das darauffolgende, in der Forschung meist als korrupt gewertete Ττρίαγ᾽ μὲν ἔτη nicht ganz klar, auf welchen Zeitraum die Notiz konkret zu beziehen ist, s. Gomme, HCT II 196f. und Hornblower, Commentary I 348.

32 Thuk. 8,1,4 .... kal ὡς ἔδοξεν αὐτοῖς .... kal τὸ θέρος ἐτελεύτα.

-7samtübersicht der unter dem Eindruck der Kriegsnot getroffenen Maßnahmen

zur Beschaffung

der nötigsten

Kriegsmaterialien

und

Geldmittel

(Thuk.

8,1,3): ὅμως δὲ ὡς ἐκ τῶν ὑπαρχόντων ἐδόκει χρῆναι μὴ ἐνδιδόναι, ἀλλὰ Trapaσκευάζεσθαι καὶ ναντικόν, ὅθεν ἂν δύνωνται ξύλα ξυμπορισαμένους καὶ χρήματα,

καὶ τὰ τῶν

ξυμμάχων

ἐς ἀσφάλειαν

ποεῖσθαι, καὶ μάλιστα

τὴν

Εἄάβοιαν, τῶν τε κατὰ τὴν πόλιν τι ἐς εὐτέλειαν σωφρονίσαι, καὶ ἀρχήν τινα πρεσβυτέρων ἀνδρῶν ἑλέσθαι, οἵτινες περὶ τῶν παρόντων ὡς ἂν καιρὸς TI προβουλεύσουσιν. „es schien ihnen angemessen, soweit in der gegebenen Situation möglich, nicht aufzugeben, sondern Seestreitkräfte zu rüsten, dazu woher immer man es kriegen könnte

Holz zu beschaffen und Geldmittel, Maßnahmen zur Sicherung der Bundesgenossen und vornehmlich Euböas zu treffen, ın den Angelegenheiten der Stadt selbst aber sich größter Zurückhaltung und Sparsamkeit zu befleißigen und ein Amtskollegium aus älteren Männern zu bestellen, die über alle anstehenden Fragen vorberaten sollten, gemäß den Erfordernissen der Lage ....“

Der Kontext der Passage läßt deutlich erkennen, daß Thukydides die Einführung des neuen probuleutischen Kollegiums als eine Maßnahme zur wirkungsvolleren Kriegführung, vor allem eines effizienteren Einsatzes der knappen Ressourcen verstanden haben will; über die Mitgliederzahl des neuen

Kollegiums, über seine konkreten Kompetenzen und über die politischen Aspekte seiner Einstellung jedoch läßt er uns weitgehend im unklaren.

Was die erste dieser Fragen betrifft, so erfahren wir aus den Angaben anderer Quellen, daß die Zahl der Probuloi zehn betrug;” daß man sich bei der Bestel-

lung am System der zehn Phylen orientierte und somit aus jeder Phyle je ein Probulos bestellt wurde, muß angesichts dieser Zahl als sehr wahrscheinlich

gelten, auch wenn der einzige ausdrückliche Beleg dafür einer offensichtlich

verwirrten Überlieferung entstammt.” Ob der Begriff der Probuloi die offi® Ath. Pol. 29,2 .. μετὰ τῶν προυπάρχόντων δέκα προβούλων; vgl. Androt. und Philoch. bei Harpokr. s. v. συγγραφεῖς, wo der Ausdruck συγγραφεῖς wohl auf die Probuloi zu beziehen ist (= FGrHist 324 F 43 und FGrHist 328 F 136), Schol. Aristoph. Lys. 421; Suda s. v. πρόβουλοι, s. dazu Andrewes, HCT V 213 und Alessandri, Probuli 132;

der Bezug von Diod. 12,75,4 auf die Probuloi von 413 ist fraglich, s. Rhodes, Commentary

372f. Zu den Problemen der Überlieferung vgl. Pesely, Non-source passim.

? Bekker Anecdot. gr. I, p. 298 Πρόβουλοι: ἄρχοντες ἐννέα (sic), ἐξ ἑκάστης φυλῆς els, οἵτινες συνῆγον τὴν βουλὴν kal τὸν δῆμον. Die irrige Neunzahl könnte auf eine Konfusion der πρόβουλοι von 413 mit den πρόεδροι der Bule des 4. Jh. (s. Ath. Pol. 44,2) zurückgehen, s. De Laix, Probouleusis 32, 103, der darauf aufmerksam macht, daß in

diesem Fall die Bekker'sche Lexikonstelle nicht als Zeugnis für die thukydideischen Probuloi herangezogen werden kann (ebenso Pesely, Non-source 51; s. jedoch Alessandri, Probuli 133). Die beiden einzigen namentlich bekannten Probuloi, Hagnon Nikiou Steirieus und Sophokles Sophillou Kolonothen, haben jedenfalls verschiedenen Phylen angehórt, da Steiria zur Pandionis, Kolonos zur Aigeis gehórte, s. Traill, Political Organization 40.43; ders., Demos and Trittys, 126.129 (allerdings ist die hier vorausgesetzte Identifikation des Probulos Sophokles mit dem Tragódiendichter nicht unumstritten, s. Avery, Sophocles'

-8zielle Amtsbezeichnung des Gremiums darstellte, ist mangels epigraphischer Belege

nicht

mit

Sicherheit

erweisbar,

aber

doch

sehr

wahrscheinlich:”

jedenfalls sind sie schon von den Zeitgenossen mit diesem Namen bezeichnet worden." In der Forschung umstritten sind vor allem die Kompetenzen der Probuloi

gegenüber Bule und Ekklesie. Nach Auffassung eines Teils der Forschung haben die Probuloi von 413 gleichsam als eine Art *Notstandsregierung' agiert und demgemäß sehr umfassende Kompetenzen besessen, so vor allem das Recht, unter Umgehung der

Bule nach eigenem Gutdünken die Ekklesie einzuberufen und dort zur Spra-

che zu bringen, was ihnen wichtig dünkte."" Darüberhinaus hat man den Pro-

buloi im Hinblick auf das Auftreten des Probulos in Aristophanes' Lysistrate (s. u., S. 9-12) weitreichende Vollmachten im Bereich der Finanzverwaltung und sogar die Kompetenz zur Verhandlung mit auswärtigen Gesandten zuer-

kannt.”

Auf der anderen Seite hat man die Auffassung vertreten, daß die Einsetzung der Probuloi keine Entmachtung der amtierenden Bule nach sich gezogen habe; das neue Kollegium habe vielmehr mit der amtierenden Bule zusam-

mengearbeitet und sie in der Erfüllung ihrer Funktionen ergänzt.”

Die quellenmäßige Basis, auf der all diese Auffassungen beruhen, liegt, da uns Thukydides nur die vorberatende Funktion der Probuloi bezeugt, in einigen Stellen jener beiden Komödien des Aristophanes, deren Aufführung

Political Career 513f., dag. Karavites, Sophocles’ Political Career 363-365 und Alessandri, Probuli 146). Die von Avezzü, Contributi 164 aufgrund von Lys. 12,66 vermutete Zugehörigkeit auch des Kallaischros Kritiou [Phegousios?] zum Probuloi-Kollegium ist m. E.

als fragwürdig zu bewerten, da Kallaischros in der besagten Lysiasstelle nicht mit dem vorher genannten Probulos Hagnon, sondern mit dem sicher nicht zu den Probuloi gehörigen Peisandros verbunden wird. Ruzé, Fonction 448 zieht aufgrund der bei Thuk.

8,67,1

belegten Bezeichnung

als

Ovyypaqtis αὐτοκράτορες und des Fehlens von Probuloi-Nennungen in den Inschriften der Zeit von 413-411 die Möglichkeit in Erwägung, daB es sich bei der Verwendung des

Probuloi-Begriffes für das 413 eingesetzte Kollegium nicht um die offizielle Bezeichnung, sondern um eine von der Funktion abgeleitete untechnische Umschreibung gehandelt haben könnte. Dem läßt sich jedoch zum einen die Tatsache entgegenhalten, daß in Thuk. 8,67,1 nicht von den Probuloi von 8,1,3, sondern von einem neu zu wählenden Gremium die Rede ist (daB die amtierenden Probuloi, wie wir nach Ath. Pol. 29,2 annehmen müssen,

in dieses Gremium integriert werden sollten [s. u., S. 130f. mit Anm. 98], tut nichts zur

Sache). Was das Schweigen der epigraphischen Evidenz betrifft, so ist diese für die Jahre 413-411 so spärlich, daß daraus gezogene Schlüsse e silentio von vornherein als fraglich erscheinen müssen.

36 Aristoph. Lys. 421.467.609; Lys. 12,65; vgl. Aristot. rhet. 1419a 27f. (zit. u., S. 316). 37 Beloch, Politik 65; Busolt, GG III 2, 1409f. m. Anm. 2; Hignett, HAC 269.

?* Smith, Commissions 36f. ? De Laix, Probouleusis 32f ;

-9wahrscheinlich in die Amtszeit der 413 installierten Probuloi zu setzen ist, also der Lysistrate und der Thesmophoriazusen.*? Hier ist zunächst vv. 808f. der Thesmophoriazusen zu nennen, wo in dunklen

Andeutungen davon die Rede ist, daB die Buleuten des Vorjahres bzw. einer von ihnen die βουλεία an andere abgetreten hätten: ᾿Αλλ' Εὐβούλης τῶν πέρυσίν τις βουλευτής ἐστιν ἀμείνων / παραδοὺς ἑτέρῳ τὴν βουλείαν; ..... Ist denn einer von den vorjáhrigen Buleuten, der einem anderen seine Funktion übergab, besser als Eubule?

Die Stelle ist in der Forschung des ófteren als Anspielung auf die Einsetzung

der Probuloi im Jahre 413 und die damit einhergehende relative Entmachtung der Bule verstanden worden." Diese Deutung erscheint nicht unproblematisch, da in der Stelle strenggenommen nur von einem einzelnen Buleuten die

Rede ist," aber selbst wenn der Dichter bei der Abfassung der Passage tatsächlich das Verhältnis von Bule und Probuloi im Sinne gehaben haben sollte, wird man mit der Möglichkeit einer bewußt übertreibenden Darstellung der Verhältnisse zu rechnen haben. Es wäre daher in jedem Falle zu gewagt, aus dem παραδιδόναι τὴν Boukelav der obenzitierten Stelle irgendwelche

Schlüsse auf das Ausmaß und die Art der den Probuloi übertragenen Kompetenzen oder auch auf ihre Einschätzung durch das athenische Publikum abzuleiten.*

AufschluBreicher für unsere Fragestellung ist eine längere Partie der Lysistrate, in der ein Probulos in Ausübung seines Amtes auf die Bühne gebracht wird (vv. 387-610). Dieser Komödien-Probulos tritt in Begleitung

einer Abteilung skythischer Toxotai vor der Akropolis auf, von wo er Geld für weitere Kriegsrüstung zu holen beabsichtigt. Zu seiner Überraschung findet er die Burg von den Frauen besetzt und wird beim

Versuch,

sich mit Gewalt

Zutritt zu verschaffen, schmählich abgewiesen. In der Folge entspinnt sich ein ? Die von Jensen, Demen 338f.341 vertretene Möglichkeit, daß auch in den Demoi des Eupolis, die Jensen in das Jahr 412 datierte, ein Probulos als Protagonist auftrat, beruht auf

einer höchst unsicheren Lesung des einzigen Überlieferungsträgers (Pap. Cair. 43227, s. den kritischen Apparat zu Eup. fr. 99, Z. 37 in PCG V, p. 346) und kann daher keineswegs als sicher oder auch nur als wahrscheinlich angesehen werden, s. dazu Storey, Dating Eupolis 25.

44, Wilamowitz, AuA II 344; Andrewes, HCT V 188; Casevitz, Politique 99.

“2 Dies betont zu Recht Sommerstein (Events 177, Thesmophoriazusae 207), der darauf verweist, daß der auf unsere Stelle folgende Halbvers (οὐδ᾽ αὐτὸς τοῦτό γε φήσει [em. Küster, φήσεις nach der hsl. Überlieferung]) ganz klar auf eine einzelne Person bezogen ist.

9 So jedoch Andrewes, HCT V 188, der aus dieser Passage ein unter dem athenischen

Publikum verbreitetes Gefühl der Enttäuschung über die Probuloi herauslesen möchte: „this passage suggests a feeling that their appointment had been a mistake, inhibiting vigorous conduct of the war".

-10-

Dialog zwischen ihm und der Frauenanführerin Lysistrate, in welchem der als

autoritär auftretender ‘Militärbürokrat’ dargestellte“ Probulos seine Mission mit der Notwendigkeit der σωτηρία begründet, natürlich ohne seine Widersacherin damit beeindrucken zu kónnen. Von den Frauen auf derbe Weise verspottet zieht er von der Akropolis ab, um seine Kollegen von der Sachlage

zu informieren (die Probuloi sind hier also als ein häufig oder permanent amtierendes Kollegium gedacht).

Neben dieser Partie, in welcher der Probulos durch den Komódientext selbst als Protagonist bezeugt ist, hat man in der älteren Forschung noch einen zweiten Auftritt desselben Magistraten im Stück angenommen, da man ihn, gestützt auf das Zeugnis einiger Manuskripte und Scholia, mit dem atheni-

schen Gesprächspartner des spartanischen Friedensherolds in vv. 980-1013 identifizieren wollte. Diese Identifikation ist jedoch von Henderson und Sommerstein, denen wir

die neuesten Kommentare zur Lysistrate verdanken, mit guten Gründen zurückgewiesen worden, womit natürlich unsere Chance, die in Lys. 1011f.

getätigte Äußerung des athenischen Sprechers, er werde die Bule auffordern, sogleich Bevollmächtigte (πρέσβεις) für die Verhandlungen mit den Spartanern zu ernennen, als Evidenz für die Kompetenzen der Probuloi gegenüber

der Bule zu werten,” entscheidend reduziert wird.

Bezüglich des somit einzig verbleibenden Probulos-Auftritts in Lys. 387-610 ist festzustellen, daß sich die Funktion des Geldbeschaffers für Kriegsrüstungen, in der Aristophanes den Probulos auf die Bühne bringt, gut zu den bereits zitierten Angaben von Thuk. 8,1,3 fügt, wo die Einsetzung der Probuloi mit

den MaBnahmen zur Finanzierung der Kriegsrüstung in Verbindung gebracht

wird." Ebenso berührt sich die im Streitgespräch mit Lysistrate vom Probulos

vorgebrachte Berufung auf die σωτηρία mit dem von Thukydides für die

Einsetzung des Probuloi-Kollegiums

insinuierten Zweck."

Aristophanes

* Vgl. Henderson, Lysistrata 117f., der auf Übereinstimmungen zwischen dem aristophaneischen Probulos und dem Klischeebild des Bühnentyrannen hinweist. Henderson, Lysistrata 185 und Sommerstein, Lysistrata 205 weisen darauf hin, daB der

Athener von Aristoph. Lys. 980-1013 die sich nach Wiedervereinigung mit ihren Gattinnen sehnenden athenischen Ehemänner repräsentiert; er wird, wie sich aus vv. 992 und 1012

ergibt, mit erigiertem Phallos dargestellt, also eher als jüngerer Mann gekennzeichnet. Beides passe besser zu der - auch in einem Scholion zu v. 1014 vorausgesetzten - Identifikation mit dem in der vorhergehenden Szene auftretenden Kinesias als zu dem Probulos, der, wie sich aus vv. 599-607 ergibt, als hinfälliger Greis gedacht ist (gegen die Identifikation mit dem Probulos s. bereits Wilamowitz, Lysistrate 177£.,, der jedoch in dem athenischen Sprecher von vv. 982ff. nicht den Kinesias, sondern vielmehr den Prytanen der Schlufiszenen erkennen móchte).

“ὁ So Busolt, GG III 2 1409 Anm. 2. *' Zu Recht bemerkt von Alessandri, Probuli 143.

* So bereits Wilamowitz AuA II 345.

-11-

scheint also die politische Charakteristik des Kollegiums treffend skizziert zu haben. Für die staatsrechtlichen Kompetenzen der Probuloi hingegen gibt die zitierte Komödienstelle wenig her. Es muß sogar als zweifelhaft gelten, ob wir das Auftreten des Probulos als geldbeschaffender Funktionär in Lys. 421f. als Zeugnis für die tatsächlichen Aktivitäten des Kollegiums ansehen dürfen: Wir haben im Hinblick auf die Funktion des aristophaneischen Probulos im Rahmen der Komödienhandlung durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß

Aristophanes den Gegenspieler der Frauen in Lys. 387-610 nicht etwa deshalb zum Probulos macht, weil diese Amtsträger für gewöhnlich mit der Admini-

stration von Geldmitteln befaßt waren, sondern weil sie von der allgemeinpolitischen Charakteristik ihres Amtes her am besten dafür geeignet waren, die

militante,

starr

kriegsbefürwortende

Gesinnung

des

athenischen

"Establishments' zu charakterisieren.

In diesem Zusammenhang ist besonders die Tatsache zu beachten, daB die Kommission der Probuloi ihre Entstehung einer ganz außerordentlichen Notsituation verdankt und ihre eigentliche Aufgabe darin bestand, Mittel zur Bewältigung dieser Notlage ausfindig zu machen, mit anderen Worten: für die ocotnpía der Polis Sorge zu tragen. Von daher gesehen mußte ein Probulos unter allen athenischen Amtsträgern den geeignetsten Protagonisten für eine

Szenenfolge darstellen, in deren Zentrum der Dichter einen halb witzigen, halb ernstgemeinten Rede-Agon über den rechten Weg zur σωτηρία gestellt hatte. Freilich scheint die Darstellung des Probulos in dieser Funktion vorauszusetzen, daB die Vorstellung eines mit der aktiven Administration staatlicher Gelder bescháftigten

Probulos

dem

Komódienpublikum

nicht

ganz

und

gar

absurd vorkommen würde; dies kann aber bereits dann der Fall gewesen sein,

wenn die Probuloi in der Realität auf rein beratende Funktionen im Zusammenhang mit der Geldmittelbeschaffung beschránkt waren. In letzterem Fall

konnte es sogar durchaus witzig wirken, wenn ein in Wirklichkeit nur als Ratgeber tátiger Probulos in der Komódie in hóchsteigener Person anrückt, um seine Ratschläge zur Geldbeschaffung auch selber in die Tat umzusetzen. In Anbetracht dessen scheint es zu gewagt, aus dem Auftreten des Probulos in v. 387-610 der aristophaneischen Lysistrate irgendwelche Schlüsse auf die realen staatsrechtlichen Kompetenzen des Amtes zu ziehen.” Hinsichtlich der zweiten mit den Probuloi in Verbindung gebrachten Partie des Stückes, v. 980-1013,

Protagonist der Szene

haben wir schon festgestellt, daB der athenische

aller Wahrscheinlichkeit

nach

nicht als Probulos

® Aristoph. Lys. 485-534.555-613; s. besonders die Folge von ocoGew-Wortspielen in 497501; zur σωτηρία als Thema in der Lysistrate vgl. allgem. Faraone, Salvation passim, bes. 54-58. Ὁ In diesem Sinne zu Recht auch Alessandri, Probuli 143f.

-12-

gedacht ist. Dennoch kann man das in v. 1011f. geschilderte Prozedere der Gesandtenbestellung als indirekte Evidenz e negativo für die Stellung der

Probuloi nehmen, nämlich insofern als hier nicht dieses Zehnerkollegium, sondern ganz wie in ‘normalen’ Zeiten die Bule und ihre Prytanen als zuständig für die Einleitung des Beschlusses über die Wahl der πρέσβεις für die Friedensverhandlungen erscheinen. Wenngleich auch hier die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß dieses Arrangement durch die Erfordernisse der dramatischen Situation bedingt ist! so wird man darin doch bis zu einem gewissen Grad auch eine Widerspiegelung der tatsächlichen staatsrechtlichen Verhältnisse erkennen dürfen: Der Dichter hätte die Initiative zur Wahl einer athenischen Friedensdelegation wohl kaum der Bule zuweisen können, wenn von 413 an die

Probuloi die eigentliche leitende Behörde der athenischen Staatsgeschäfte dargestellt hätten. Daß dem nicht so war, daß sich vielmehr das Verfahren der politischen Entscheidungsfindung zumindest teilweise in den gewohnten Formen abspielte, bestätigen uns zwei in inschriftlicher Form überlieferte Dekrete aus der Zeit von 4 1341 1, deren Einleitungsformeln ganz dem üblichen Schema entsprechen.

Wir müssen angesichts dieser Evidenz davon ausgehen, daß im Regelfall die Leitung der Volksversammlung und die Vorberatung der zu behandelnden Themen weiterhin in der Hand der Bule und der jeweils amtierenden Prytanen

lag.”° Ob daneben die Probuloi das Recht hatten, sich aus eigener Initiative an die Ekklesie zu wenden oder diese gar unter Umgehung der Bule einzuberu-

fen, läßt sich aus der spärlichen Evidenz weder bestätigen noch widerlegen. Aus Gründen der allgemeinen Wahrscheinlichkeit könnte man an sich vermuten, daß sie in Angelegenheiten, die den Bereich der σωτηρία betrafen, das Recht hatten, sich direkt an das Volk zu wenden, aber auch diese Annahme

scheint nicht über jeden Zweifel erhaben, wenn wir bedenken, daß im Jahre 411 die erweiterte Probuloi-Kommission von Ath. Pol. 29,2ff. ihre Vorschläge nicht direkt, sondern anscheinend über Vermittlung der Prytanen vor das Volk

”! In diese Richtung geht Alessandri, Probuli 144, der das Nichtauftreten des Probulos in den Schlußszenen der Lysistrate auf die Anderung der dargestellten Situation zurückführen móchte: mit der Einleitung der Friedensverhandlungen sei die Kriegsnot beendet und mit ihr zugleich auch die Funktionen der Probuloi.

’2 IG P 96 und 97. Relevant ist in unserem Zusammenhang vor allem die gut erhaltene Einleitungsformel

der letztgenannten

Inschrift,

in der die amtsführende

Prytanie,

der

Grammateus, der Epistates, der Archon eponymos und der Antragsteller genannt sind, die Probuloi jedoch mit keinem Wort erwühnt werden. 53 Damit erweist sich auch die Vermutung Avery's (Studies 301), daß die Probuloi „might

have had a hand in the election ofthe hellenotamiae ... just as they seem to have had a hand in the election of generals in 412" als zweifelhaft.

- 13-

brachte.?^ Angesichts dieser Evidenz wird man mit der Möglichkeit rechnen müssen daß die Probuloi, selbst wenn es in ihrer Kompetenz lag, die Einberu-

fung einer Ekklesie zu initiieren, die tatsächliche Leitung dieser Versammlung den regulüren Prytanen zu überlassen pflegten. Auf einem

anderen

Blatt steht die Frage, ob ihre Vorschláge dann auch der Probuleusis durch die Bule unterlagen. Hier ist es gut denkbar, daß der Volksbeschluf über die Ein-

setzung der Probuloi eine Anweisung an die Bule enthielt, die von dem neuen

Kollegium

vorgebrachten

Vorschläge

unverzüglich

und

ungeprüft

der

Ekklesie vorzulegen.

Es ergibt sich aus diesen

Indizien

und

Überlegungen

das Bild eines

Gremiums, das zwar im Gegensatz zu früheren ouyypageis-Kollegien auf unbestimmte Zeit bestellt und mit einem umfassenderen Auftrag versehen ist, dessen Tätigkeit sich nichtsdestoweniger im wesentlichen auf eine beratende Funktion gegenüber den weiterhin mit voller Kompetenz amtierenden Organen der Bule und Volksversammlung beschränkt. Dieses Bild läßt sich aus der

spärlichen Evidenz nicht mit Sicherheit belegen, kann aber doch wohl größere Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen als die Auffassung, die den Probuloi die Funktion einer mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Notstandsexekutive zuerkennen móchte.

Wie haben wir nun vor dem Hintergrund dieser Überlegungen die politische Bedeutung der zehn Probuloi zu bewerten? In der Forschung ist die Einset-

zung dieser Kommission des öfteren als ein erster Schritt in Richtung auf eine Oligarchisierung oder wenigstens auf eine wesentliche Einschränkung der Demokratie aufgefaBt worden." Zur Begründung dieser Auffassung hat man

zum einen auf die Rolle des Kollegiums wie auch zweier seiner Mitglieder des Sophokles und des Hagnon - bei der Installierung der Vierhundert,”® zum ^ Ath. Pol. 29,4 οἱ δ᾽ αἱρεθέντες πρῶτον μὲν ἔγραψαν ἐπάναγκες εἶναι τοὺς πρυτάνεις ἅπαντα τὰ λεγόμενα περὶ τῆς σωτηρίας ἐπιψηφίζειν ... Aus dieser Angabe ergibt sich in aller Deutlichkeit, daß die Versammlung, in der die Ath. Pol. 29,47. wiedergegebenen Verfassungsentwürfe dem Demos präsentiert wurden, nicht von den dreißig συγγραφεῖς, sondern von den Prytanen geleitet wurde. Wenn im Parallelbericht bei Thuk. 8,67,2 diese Funktion der Prytanen nicht erwühnt wird, so wird dies auf eine

verkürzende Darstellung seitens des Historikers zurückzuführen sein (vgl. u., S. 143f.). Alessandri, Probuli 142

?! Dies wird durch das Zeugnis des bei Bekker Anecdot. gr. I, p. 298 edierten Lexikographen (zit. o., S. 7 Anm. 34) nahegelegt, s. Alessandri, Probuli 141f. Anders Alessandri, Probuli 142, der die Einschaltung der Prytanen in Ath. Pol. 29,4 (s.

o., Anm. 54) damit erklärt, daß es sich bei den Urhebern des dort referierten Antrages eben nicht mehr um die Probuloi, sondern um die dreißig συγγραφεῖς gehandelt habe, die, obwohl sie die ursprünglichen zehn Probuloi in ihren Reihen integrierten, keine Kompetenz zum Versammeln von Bule und Ekklesie besessen hätten.

3" So z. B. Busolt, GG III 2, 1410f.; Hignett, HAC 269 und Sartori, Eterie 104f., Bockisch, Kreis 44.

’ zu Sophokles s. Aristot. rhet. 1419 a 26-30 (zit. u., S. 316), zu Hagnon Lys. 12,65.

- 14 anderen auf die in Aristoteles’ Politik gegebene Charakteristik probuleutischer Gremien als typisch oligarchischer Einrichtungen verwiesen.

Dem ersten dieser Argumente läßt sich entgegenhalten, daB man die ursprüngliche Bedeutung der Probuloi nicht nach der ihnen durch dieS weitere Entwicklung der Ereignisse aufgezwungenen Rolle beurteilen dürfe.“ Der in Aristoteles’ Rhetorik wiedergegebene Wortwechsel zwischen Sophokles und

Peisandros®! setzt voraus, daß die Probuloi im Zuge des Umsturzes von 411 óffentlich ihre Zustimmung zu der Machtübernahme der Vierhundert bekundet haben, aber das muß nicht bedeuten, daß sie dabei von Anfang an eine

treibende Kraft darstellten. Die Haltung des Sophokles zumindest, so wie sie sich in der erwähnten Aristoteles-Passage darstellt, scheint eher durch ein

resignierendes Akzeptieren des Unvermeidlichen als durch Begeisterung für den Verfassungswechsel geprägt gewesen zu sein.

Was Aristoteles’ Einstufung des Probuloi-Amtes als typisch oligarchische Institution betrifft, ist zunächst zu betonen, daß Aristoteles dabei jene Staaten im Sinne hatte, in denen Probuloi-artige Kollegien einen regulären Bestandteil der Verfassungsordnung bildeten und wo diese allein die Vorberatung aller Agenden wie auch Leitung der beschließenden Versammlung in ihrer Hand

hatten. Bei den athenischen Probuloi hingegen handelte es sich um eine außerordentliche

Kommission,

neben der die demokratische

Institution der

Bule weiterhin fortbestand und ihre Funktion als Leitungsorgan der Volksversammlung ausübte. Im Hinblick auf diesen fundamentalen Unterschied ist es nicht gerechtfertigt, die aristotelische Charakteristik der Probuloi-Institution im vollen Maße auch auf die athenische Kommission zu beziehen; aus demselben Grund wird man auch die aus außerathenischen Poleis vor 413 bezeugten Probuloi-Kollegien*?

kaum als Vorbild für das athenische Zehnmännerkollegium ansehen können. Aber wenn wir demnach die Auffassung vom oligarchischen Charakter der athenischen Probuloi in wesentlichen Punkten zu relativieren haben, so darf andererseits die von Aristoteles bezeugte oligarchische Konnotation des Probuloi-Begriffes ebensowenig ganz auBer Acht gelassen werden wie die Tatsache, daß das Probuloi-Kollegium, für sich selbst betrachtet, gewisse Charak-

teristika aufwies, die nach dem Verstündnis der Zeitgenossen als undemokratisch empfunden werden konnten, so die Bestellung durch Wahl (anstelle der Erlosung) und die unbestimmte Dauer ihrer Amtszeit. ? Aristot. pol. 1298 b 26-38; 1299 b30-37; 1323 a 6-9; vgl. 1322 b 12-17. Für die Wertung dieser Passagen als Idizien für den oligarchischen Charakter der athenischen Probuloi von 413 s. z. B. Ostwald, Oligarchia 27. „So zu Recht Alessandri, Probuli 145. ,, Aristot. rhet. 1419 a 26-30 (zit. u., S. 316). 4 Vgl. Alessandri, Probuli 145.

$9 Über diese s. Schaefer, πρόβουλοι 1222-1224 und Ruzé, Fonction 451-455.

- ]5-

Sucht man, aus dem Widerspruch zwischen diesen undemokratischen Zügen einerseits, der Einbindung in das Gefüge der traditionellen demokratischen Institutionen andererseits die politische Charakteristik des Probuloi-Kolle-

giums zu gewinnen, so ergibt sich ein seltsam zwiespältiges Bild, das sich der eindeutigen verfassungspolitischen Klassifizierung im Sinne des Aristoteles entzieht, das aber gerade deshalb gut mit der von Angst und Orientierungslosigkeit geprágten Stimmungslage im Athen des Herbstes 413 zu korrespondieren scheint.

Das politisch-institutionelle Gefüge der Demokratie hatte ja, wie wir gesehen haben, im Gefolge der Sizilienkatastrophe eine gewaltige Erschütterung erfahren, die Athens Fähigkeit, die Krise mit den bisherigen politischen Mechanismen zu lósen, in den Augen vieler Zeitgenossen in Zweifel stellten muBte. Es war nur natürlich, daf) sich in dieser Situation der von Thukydides in der

oben (S. 7) zitierten Stelle bezeugte politische Paradigmenwechsel, der der σωτηρία höchste Priorität gegenüber allen anderen Staatszielen einräumte, und in seinem Gefolge die Bereitschaft, bislang noch unbegangene Pfade zu

beschreiten, auch im Bereich der institutionellen Staatsgestaltung geltend machten: Die Schlagworte, mit denen Thukydides den neuen Kurs charakterisiert, σωφρονίζεινδ᾽ und EUTAKTEIV, an sich zwei Begriffe mit leicht oligarchisch-konservativem Beiklang,°” erschienen nun als zwingende Gebote der Stunde, ya deren Notwendigkeit der Demos die Augen nicht verschließen

konnte,°° auch wenn für die Mehrheit der Athener eine Abkehr vom Prinzip der Demokratie an sich nicht in Frage gekommen sein sollte. So gesehen, wird man die Schaffung des Probuloi-Kollegiums wohl nicht als einen Schritt zur Abschaffung der Demokratie, sondern als einen Versuch zu

ihrer Ergänzung verstehen dürfen: Die Einrichtung eines permanenten Beratungskollegiums angesehener Männer bereicherte das bestehende Institutionengefüge um ein Element der Stabilität und Autorität, dessen die athenische

Politik bislang offensichtlich ermangelt hatte.°’ Unter dem Druck der Kriegsnot konnte dieser Versuch, die Staatsmaschinerie durch einen Tropfen autori-

τ Thuk. 8,1,3, zit. o., S. 7. $ vgl. etwa die Verwendung von σωφροσύνη in Thuk. 8,64,5 dazu Andrewes, HCT V 159f.; zur politischen Bedeutung der Wortfelder εὐτακτεῖν εὐταξία und σωφρονίζειν 7 σωφροσύνη s. allgemein Großmann, Schlagwörter 71-73.78-83, zu σωφροσύνη North, Sophrosyne 98f. u. 111-117, wo 113-115 festgestellt wird, daß das Wort für Thukydides im Bereich der Innenpolitik mit einer mittleren, gemäßigten Position verbunden ist: „for Thucydides the word sophrosyne generally designates ‘moderation or stability in government’, vgl. Wilson, Sophrosyne passim, bes. 56f. Zur Bedeutung von σωφροσύνη als eines zentralen Wertbegriffs in den Kreisen der athenischen Hetairien s. McGlew, Politics 13-17. $ Thuk. 8,1,4. πάντα τε πρὸς τό παραχρῆμα περιδεές, ὅπερ φιλεῖ δῆμος ποιεῖν, ἑτοῖμοι ἦσαν εὐτακτεῖν.

€ In diesem Sinne bereits Avery, Studies 300.

- 16 -

tären Óls zu schmieren, für den Demos als eine akzeptable Notlösung gelten; unter den konservativer Gesinnten und den Oppositionellen der Oberschicht konnten all diejenigen, die nicht bereits auf radikaloligarchische Ziele eingeschworen waren, die Einsetzung der Probuloi als ein Zeichen der Hoffnung

betrachten, daß sich ein Kurswechsel in Richtung auf eine Politik des σωφρονίζειν und εὐτακτεῖν ohne Stasis und Verfassungsumsturz ins Werk setzen lassen würde. Die Zukunft sollte die Vergeblichkeit solcher Hoffnun-

gen erweisen; im Herbst 413 jedoch konnten alle politisch gemäßigten Gemüter die Einsetzung der Probuloi, von den damit verknüpften Hoffnungen auf eine effizientere Kriegführung ganz abgesehen, als eine Maßnahme zur Stär-

kung der Eintracht und der politischen Vernunft im Staate, und damit zugleich als ein Bollwerk gegen die Stasisgefahr, ansehen.

Die Strategenwahlen für 412/11 Die Ergebnisse der im Frühjahr 412 durchgeführten Wahlen für das Strategenkollegium von 412/11 sind in der Forschung des öfteren als ein Indikator für einen politischen Umschwung weg von der radikalen Demokratie hin zu

einer gemäßigten°®

oder gar antidemokratischen

worden, wobei

auf die Tatsache verwies, daß sich in den Reihen der

man

Orientierung

gewertet

neugewählten Strategen Persönlichkeiten finden, die ein Jahr später zu den eifrigsten Betreibern des oligarchischen Umsturzes gehört haben: Charminos, Onomakles und Phrynichos.Ó Zieht man jedoch demgegenüber in Betracht, daß neben diesen späteren Oligarchen auch Männer standen, die in der Stunde des Umsturzes für die demokratische Seite Partei ergriffen, wie Leon, Diomedon und Strombichides,” so wird klar, daß sich ein Versuch zur politischen

Einordnung des Strategenkollegiums von 412/11 wenn überhaupt, so nur auf der Basis der individuellen Betrachtung der politischen Position und Haltung eines jeden einzelnen seiner Mitglieder unternehmen läßt. Eine solche Betrachtung soll im folgenden, soweit es die Evidenz erlaubt, versucht werden (die Anordnung der einzelnen Namen folgt dem lateinischen Alphabet): Charminos: Über diesen Politiker bietet uns die Überlieferung aus der Zeit vor 412

keinerlei

Nachrichten;

ins Licht

der Geschichte

tritt er erstmals

im

Zusammenhang mit seinem Auftreten als Stratege auf dem ionischen Kriegs-

$ So besonders entschieden Avery, Studies 302f., der alle Strategen von 412/11 mit Ausnahme des Phrynichos zu den ‘Gemäßigten’ zählen möchte.

$? Busolt, GG III 2 1412 und Meyer, GdA "VII 525 verweisen in diesem Zusammenhang auf Phrynichos, Onomakles und Charminos; Beloch, Politik 66 macht neben diesen dreien

auch Skironides und Euktemon als Betreiber bzw. Begünstiger des oligarchischen Staatsstreiches geltend.

?? s. Busolt, GG III 2 1412 und Bearzot, Gruppi 275f.

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schauplatz, wo er im Spätherbst 412 anlangte.’' Im darauffolgenden Winter befehligte er eine athenische Flottenabteilung vor Syme in einem Seegefecht gegen überlegene peloponnesische Streitkräfte, in dem die Athener sich tapfer

schlugen, aber schließlich vor der Übermacht das Feld räumen mußten.”

Wohl im Hinblick auf diese Schlappe wird Charminos in den im Frühjahr 411 aufgeführten Thesmophoriazusen des Aristophanes als unfähiger Stratege geschmáht." In der Folge dürfte er sich in Ausübung seines Kommandos weiterhin auf Samos aufgehalten haben, wo er sich an der von athenischen und samischen Oligarchen geführten Terrorkampagne beteiligte, in deren Verlauf der athenische Demagoge Hyperbolos ermordet wurde. Angesichts dieser Parteinahme ist anzunehmen, daß er zu den Strategen gehörte, die nach dem gescheiterten Putschversuch gegen das demokratische Regime auf der Insel ihres Amtes enthoben wurden,’* doch ist uns darüber ebensowenig

Definitives überliefert wie über Charminos’ weitere Schicksale. Diomedon: Gehörte wohl trotz der von Jordan geäußerten Zweifel dem regulären Strategenkollegium von 412/11 an. In Thukydides’ Darstellung der militärischen Operationen des Sommers und Herbstes 412 wird er mehrmals

als Kommandant von Flottenabteilungen genannt, meist zusammen mit Leon." Zu Beginn des Jahres 411 wurden er und Leon zur Ablöse der Strategen Phrynichos und Skironides bestimmt, die auf Betreiben des Peisandros

von ihrem Kommando abberufen wurden." Während der oligarchischen Umtriebe auf Samos scheinen Diomedon und Leon mehr oder weniger gegen ihren Willen in die Kreise der Verschwórer involviert gewesen zu sein, nützten

aber ihre Kommandostellung, um den Demokraten in einer Weise Vorschub zu leisten, die wesentlich zum Scheitern des samischen Oligarchenputsches beitrug. Nichtsdestoweniger wurden sie im Zuge der demokratischen Säuberung ihres Strategenamtes enthoben." Während der Periode der Dominanz

des Alkibiades, Theramenes und Thrasybulos scheint Diomedon weder als Politiker noch als Feldherr hervorgetreten zu sein, erst nach der Schlacht von Notion und dem zweiten Sturz des Alkibiades bekleidete er wiederum das

7! Thuk. 8,30,1.

7? Thuk. 8,41,3-42,4; s. dazu Falkner, Battle passim. ? Aristoph. Thesm. 804.

7 s. zu alledem u., S. 221-224. 55 So Develin AO

157 gegen B. Jordan, Note 236f., nach dessen Auffassung Diomedon

und Leon erst anläßlich der Absetzung des Phrynichos und Skironides zu Strategen ernannt wurden, nachdem sie zuvor ihre Kommanden als ἄρχοντες τοῦ ναυτικοῦ (für diesen Titel s. SEG XXI 131 Z 12f. und 15f.) geführt hatten.

76 Thuk. 8,19,2, 8,20,2, 8,23,1; 8,24,2. T s. u., S. 72-74. 75 s. u., S. 220f.

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Strategenamt und zwar möglicherweise sowohl 407/6 wie auch 406/5.? Im

Arginusenprozeß wurde er zusammen mit vier seiner Amtskollegen angeklagt, verurteilt und hingerichtet, wobei er nach Diodor durch seine hochgemute

Haltung die Sympathien der ἀγαθοὶ τῶν πολιτῶν gewonnen haben soll.” In dieser diodorischen Notiz dürfen wir vielleicht einen Hinweis auf Diomedons Position in der athenischen Politik erkennen: Da die von Diodor für die athenische Geschichte jener Zeit zugrunde gelegte Quelle durch die Tendenz

geprägt ist, die Oberschicht der ἀγαθοὶ von den πολλοί abzuheben und als das moralisch gesunde Element des Staates herauszustreichen, zugleich aber die grundsätzlich demokratische Gesinnung dieser Gruppe betont! könnte

die positive Zeichnung gerade des Diomedon? darauf hindeuten, daß es sich bei diesem Strategen tatsächlich um einen typischen Vertreter der von Diodors Quelle hochgehaltenen Ideale gehandelt hat: einen distinguierten Vertre-

ter der Oberschicht,®° der, vom Treiben der Demagogen und den Ex-zessen

der Masse gleichermaßen unberührt, doch im Grunde loyal zur demokratischen Ordnung steht Diese Charakteristik laßt sich aus unseren Quellen naturgemäß nicht beweisen, würde aber einerseits gut zu dem für Diomedons Kollegen Leon zu ermittelnden Profil, andererseits zu der Haltung des Diomedon und Leon im Jahre 411 passen. Eukrates: in Aristophanes' Lysistrate v. 103 als Truppenkommandeur in Thrakien genannt. Ob er in dieser Funktion tatsáchlich, wie im dem zugehörigen Scholion angegeben, den Rang eines Strategen bekleidet hat, ist ” Für eine zweimalige Strategenwahl des Diomedon 407/6 und 406/5 s. Bleckmann, Athens Weg 310-312; anders Fornara, Generals 69f. und Develin AO 174f. und 178f.

9? Diod. 13,102,1-3; zu den Schicksalen des Diomedon nach 411 s. allgemein Swoboda,

Diomedon 829f. mit Belegen. ei Uberzeugend herausgearbeitet von Bleckmann, Athens Weg 348-353 mit weiterführenden Literaturangaben; vgl. Bearzot, Teramene 197-199.202-206, die diese Tendenz auf den Einfluß der Isokratesschule zurückführen möchte.

δ Die sich neben der oben (Anm. 80) zitierten Diodorstelle auch in Xen. hell. 1,7,17

findet. 9 Rankin, Mining Lobby 201 erwägt eine Identifikation mit einem auf einer Pachtliste der

Laureion-Minen genannten Homonymen (IG II? 1582, Z 13; vgl. Cosby, Leases Nr. 16, Z 61), was nach Rankin eine Zugehörigkeit des Diomedon zur Gruppe der von diesem Autor als demokratiefeindlich gewerteten „mining lobby" implizieren könnte. Aber selbst wenn sich diese höchst unsichere Identifikation erhärten ließe, könnte m. E. die bloße Beteiligung Diomedons an den Bergwerksunternehmungen im Laureion, für sich genommen,

nicht als hinreichende Basıs für ırgendwelche Schlüsse über seine politische Position dienen, da es in jedem Fall offenbleibt, welche Bedeutung der Stratege seinen allfälligen ynining interests" tatsächlich zugemessen hat. Die von Bockisch, Kreis 47 für ıhn aufgrund seines Eintretens für Theramenes und Thrasybulos nach der Arginusenschlacht (Xen. hell. 1,7,17£.) vermutete Zugehörigkeit zum Therameneskreis beruht allerdings m. E. auf unsicheren Indizien (s. u., S. 221 Anm. 36).

*! Dazu u., S. 73, 215f. und 220f.

- ]9-

ebenso ungewiß” wie seine in der Forschung gängige Identifikation mit Eukrates Nikeratou, dem Bruder des Nikias. Sollte diese Identifikation zutreffen, so hätten wir bei der Erörterung von Eukrates’ politischer Haltung

die in der zugunsten der Söhne des Nikiasbruders verfaßten Rede im Corpus Lysiacum gebotenen Angaben heranzuziehen. Dieser Quelle zufolge ist Eukrates Nikeratou, nachdem er im Gefolge der Katastrophe von Aigospota-

moi zum Strategen gewählt worden war, als Märtyrer seiner demokratischen Gesinnung von den Oligarchen ums Leben gebracht worden, weil er das Anerbieten, sich an ihren Umtrieben zu beteiligen, ausgeschlagen und standhaft gegen den Friedensschluß und den Sturz der Volksherrschaft opponiert hatte Nun kann aber die Gleichsetzung des Eukrates von 411 mit dem Nikiasbruder schon in Anbetracht der Häufigkeit des Namens? nicht als gesichert gelten. Immerhin würde diese Identifikation voraussetzen, daß die Athener im Früh-

jahr 412 den Bruder jenes Mannes zum Feldherrn gewählt hätten, unter dessen Führung sie kaum ein Jahr zuvor die schwerste und in ihren Folgen katastrophalste Niederlage ihrer bisherigen Geschichte erlitten hatten” - eine Voraussetzung, die man wohl als problematisch anzusehen hat"! (auf der anderen Seite kónnte sie allerdings auch als ein Votum für die Wiederaufnahme der

seinerzeit von Nikias verfolgten

Politik einer Verstándigung

mit

Sparta

verstanden werden). Aber selbst wenn wir den Eukrates von 411 unbedenklich mit dem Strategen von 405/4 gleichsetzen dürften, müßte es fraglich bleiben, ob wir ihn wegen

seiner nach Aigospotamoi bewiesenen Haltung auch im Jahre 412 und 411

als

zuverlässigen Bannerträger der Demokratie ansehen müßten: Da in der Lysias-Rede davon die Rede ist, daß er 405/4 von den Oligarchen als Mitstreiter und Teilhaber der Herrschaft akzeptiert worden wäre, wird er sich zuvor 411

55 s. z. B. Andrewes, HCT V 33 und 127 „not necessarily a general“. 57 Für diese Gleichsetzung z. B. Gilbert, Beiträge 299; Kirchner, PA 5757; Meyer, GdA

ὝΠ 525; Davies, Lysistrata 79. Lys. 18,4f.

APF

404,

Sommerstein,

Lysistrata

160;

vorsichtiger

Henderson,

P «. PA 5742-5766 und Osborne/Byrne, Lexicon 175f. s. v. Εὐκράτης.

9? Als bezeichnendes Indiz für die Erbitterung der Athener gegen Nikias sei die Auslassung seines Namens auf der Stele der Siziliengefallenen erwähnt, die allerdings nach Paus. 1,29,12 nicht mit seinem Versagen als Feldherr, sondern mit seiner angeblichen Kapitulation vor dem Feind begründet wurde. ?! Im Jahre 405/4 hingegen, als Bukrates Nikeratou ohne jeden Zweifel Stratege war, war die Sizilienkatastrophe im Bewußtsein der Athener von näherliegenden Unglücksfällen überschattet. Nur en passant sei die Tatsache erwähnt, daß ın Lys. 18 mit keinem Wort

eine vor der von 405/4 liegende Strategie des Eukrates Nikeratou erwähnt wird (vgl. dagegen Lys. 10,27, wo die mehrfache Bekleidung des Strategenamtes durch den Vater des

Sprechers betont wird).

-20 -

kaum als Vorkämpfer des Demos profiliert haben.” Die Tatsache, daß er der Feindschaft der Oligarchen zum Opfer fiel, kann somit nicht unbesehens als Zeichen einer unwandelbar demokratischen Gesinnung genommen werden, nngleich die lysianische Rede natürlich eben diesen Eindruck zu erwecken sucht ? Es scheint daher geraten, vom Versuch einer politischen Einordnung

des Eukrates Abstand zu nehmen. Euktemon: Kam im Spätherbst 412 zugleich mit Charminos und Strombichides

aus Athen

nach

Ionien,

wohin

er gemeinsam

mit

Strombichides

und

Onomakles zur Bekämpfung der abgefallenen Chier beordert wurde.” In der

Folge wird er bei Thukydides nicht mehr erwähnt. Die öfters geäußerte Vermutung, daß er im Zuge der Umwälzungen des Sommers 411 zusammen mit seinem Mitfeldherrn Onomakles nach Athen zurückkehrte, läßt sich nicht be-

legen. Eine Bestätigung dafür könnte allenfalls in einer Passage der aristotelischen Rhetorik gesucht werden, wo von einer Anklage des Sophokles (des Tragikers?) gegen einen Mann die Rede ist, der einen (nicht náher bestimm-

ten) Euktemon durch MiBhandlungen zum Selbstmord getrieben habe." Wenn dieser Prozeß, wie Jameson annimmt, in den Kontext des Sturzes Vierhundert gehört,” so läge es nahe, den zugrunde liegenden Fall mit Gewaltmaßnahmen dieses Regimes in Verbindung zu bringen. In diesem könnte die Identität des ὑβρισθείς Euktemon von Aristot. rhet. 1374 b36

der den Fall mit

? Betont auch von Rankin, Mining Lobby 199, der den Nikiasbruder Eukrates einer Gruppe von Minenunternehmern zurechnen möchte, die während des Dekeleischen Krieges der oligarchischen Seite zugeneigt habe. 5? Man vergleiche den Fall von Eukrates’ Neffen, des von den Dreißig getöteten Nikiassohnes Nikeratos, den der Sprecher in Lys. 18,6 als Volksfreund und Opfer seiner demokratischen Gesinnung hinstellt, während er in der Verteidigungsrede des Theramenes bei Xenophon als οὐδὲν πώποτε δημοτικὸν bezeichnet wird (Xen. hell. 2,3,39). Für Zweifel an der angeblichen demokratischen Gesinnung des Eukrates Nikeratou s. neben der oben

S Thu 92) zitierten Auffassung von Rankin auch Davies, APF 404. , Thuk. 8,30, 1f. „, Dazu eingehender u., S. 222. ?6 Aristot. rhet. 1374b 36 - 1375a 1. ... olov Σοφοκλῆς ὑπὲρ Εὐκτήμονος συνηγορῶν.

ἐπεὶ ἀπέσφαξεν ἑαυτὸν ὑβρισθείς, οὐ τιμήσειν ἔφη ἐλάττονος fj ὁ παθὼν ἑαυτῷ ἐτίμησεν. 97 Jameson, Sophocles 555f., der geltend macht, daß die diesem Gerichtsfall zugrunde

liegende Situation in eine Zeit weise, in der die für gewóhnlich geltenden Garantien für die Sicherheit der Person außer Kraft gesetzt gewesen seien, was entweder 415 während der ,Hexenjagd" gegen die Hermenfrevier oder 411 während der Herrschaft der Vierhundert der Fall gewesen sei. Im Hinblick auf den Aristot. rhet. 1419 a 26-30 überlieferten Wortwechsel des Peisandros und Sophokles (zit. u., S. 316) móchte Jameson den bei Aristoteles nicht namentlich genannten Peiniger des Euktemon mit Peisandros, dem Führer der Vierhundert

identifizieren:

Beide

Aristotelesstellen

seien

auf

einen

im

Zuge

des

Überganges von den Vierhundert zu den Fünftausend abgehaltenen Prozeß gegen Peisandros zu beziehen, bei dem Sophokles als συνήγορος aufgetreten sei (zu dieser Hypothese vg]. u., S. 21, Anm.98).

.21-

dem Strategen in Erwägung gezogen werden,” den Wir dann wohl als einen Opponenten der radikalen Oligarchie anzuschen hátten.??

Angesichts der weiten Verbreitung des Namens Euktemon'” muß freilich diese Möglichkeit wie überhaupt jeder Versuch, den Strategen von Thuk. 8,30 mit einem der in den Quellen erwähnten Homonymen zu identifizieren, von

vornherein als äußerst unsicher gewertet werden.!”' Der Versuch, aus derartigen Hypothesengebäuden Schlüsse auf politische Position des Strategen zu ziehen, verbietet sich daher gewissermaßen von selbst. Leon: Für die Frage, ob er zu den regulären Strategen von 412/11

gehörte,

siehe das oben zu Diomedon Gesagte. In jedem Falle bekleidete er im Herbst 412, als er an der Spitze einer kleinen Flottenabteilung auf dem Ionischen Kriegsschauplatz eintraf, eine militärische Kommandostelle.? Von da an scheint er stets mit Diomedon zusammen agiert zu haben, bis hin zur gemeinsamen Amtsenthebung nach dem prodemokratischen Umschwung auf Samos.'? Der Leon von 412/11 ist aller Wahrscheinlichkeit mit dem gleichnamigen

Strategen des nach der Schlacht von Notion gewählten Kollegiums identisch, darüberhinaus ist er in der Forschung sowohl mit jenem Leon, der 421 den

Nikiasfrieden mitbeschwor,'?* als auch mit Leon Salaminios, dem prominenten Opfer der DreiBig' und mit dem namentlich nicht genannten Vater des

’® In diesem Sinne bereits Bergk, Griech. Literaturgeschichte III 363f., Anm. 25. Demgegenüber möchte Jameson, Sophocles 556 den ὑβρισθείς von Aristot. rhet. 1374 b 36 mit dem

And.

1,35 als Teilhaber des Hermenfrevels

genannten

Namenstrüger

(PA

5781)

identifizieren. Dieser kónnte aufgrund seiner damaligen Verwicklung ins Exil gegangen sein (vgl. And. 1,34) und 411 ebenso wie Andokides selbst versucht haben, nach Athen zurückzukehren, wo er gleich diesem der Gegnerschaft des Peisandros zum Opfer fiel.

Diese mit vielen Unbekannten operierende Jameson'sche Hypothese beruht auf der problematischen Voraussetzung, daB Peisandros (wenn er tatsáchlich der Verfolger des Euktemon war) seine im Jahre 415 bewiesene Feindschaft gegen die Hermenfrevier auch 411 aufrechterhielt (Andokides bildete in dieser Hinsicht einen Sonderfall, s. u., S. 231f.),

und daf er darin von den übrigen Führern der Vierhundert unterstützt wurde. Keine dieser Annahmen kann a priori als wahrscheinlich gelten. Angesichts dieser Unsicherheiten scheint, wenn man überhaupt den Versuch einer Identifizierung des bei Aristoteles genannten Euktemon wagen móchte, die von Bergk verfochtene Alternative gegenüber der Jameson'schen gróBere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen zu kónnen. ur u., S. 235. 100E PA 5779-5805 und Osborne/Byrne, Lexicon 176 s. v. Εὐκτήμων. 9! So zu Recht Andrewes, HCT V 72.

102ὦ Thuk. 8,23,1.

93 $. o. zu Diomedon (S. 17f.).

1^ Thuk. 5,19,2; 5,24,1; für die Identifikation Swoboda, Leon 13) 2006. 105 And. 1,94; Plat. apol. 32 cd; Xen. hell. 2,3,39; vgl. mem. 4,4,3. Der von Swoboda Leon 5, gegen diese Identifikation erhobene Einwand, daß Leon Salaminios kein athenischer Bürger gewesen sein kónne, ist von Andrewes/Lewis, Nikias 179 Anm. 10 überzeugend widerlegt worden.

-22Sprechers von Lys. 10 identifiziert worden, der im Alter von siebenundsechzig Jahren von den Dreißig getötet worden war, nachdem er ,,mehrmals" das

Strategenamt

bekleidet

hatte.

All

diese

Identifikationsmóglichkeiten

schlieBen einander nicht aus; zusammengenommen würden sie das Bild eines

bereits lange vor 412/11 geehrten und hochangesehenen Mannes!” ergeben, der im Hinblick auf die unter der Demokratie empfangenen Ehren den Umsturzplänen der radikalen Oligarchen entgegenwirkt, aber auf der anderen Seite distinguiert genug ist, um vom xenophontischen Theramenes unter die zu Unrecht getöteten ἄνδρες καλοὶ καὶ ἀγαθοί gezählt zu werden'® - ein

Bild, das in sich durchaus schlüssig und überzeugend wirkt, aber leider allzu sehr von ungesicherten Identifikationen abhängt. Wir tun besser daran, uns auf die Feststellung zu beschränken, daß man

sich im Hinblick auf ihrer

beider Haltung im Angesicht der samischen Umsturzbewegung weder Leon noch seinen zeitweiligen Schicksalsgefáhrten Diomedon als Krypto-Oligarchen vorzustellen haben wird. Auf der anderen Seite kann man ihre Opposition gegen die Umstürzler zwar mit Fug und Recht als eine Stellungnahme gegen die radikalen Oligarchen und für das demokratische Prinzip, aber nicht als Beleg für eine tiefergehende Affinitát zu der vor 413 dominierenden politischen Richtung bewerten. Onomakles: Im Zusammenhang mit den Ereignissen von 412/11 erscheint er in unserer Überlieferung erstmals Seite an Seite mit Phrynichos und Skironi-

des als Befehlshaber einer Ende des Sommers 412 auf dem ionischen Kriegs-

schauplatz eintreffenden Flottenabteilung.? Im Winter 412/11 wurde er zusammen mit Strombichides und Euktemon nach Chios beordert.!' Wie lange er dort im Einsatz war und unter welchen Umständen er sein Kommando auf16 Lys. 10,4.26f. Für diese Identifikation Sauppe in Baiter/Sauppe, Or. att. II 202 und Andrewes/Lewis, Nikias 179, Anm. 10. 107 Vgl. Thuk. 8,73,4 über Leon und Diomedon οὐχ ἑκόντες διὰ τὸ τιμᾶσθαι ὑπὸ ToU

δήμου ἔφερον τὴν ὀλιγαρχίαν, was Andrewes/Lewis, Nikias 179 als Indiz für eine erfolgreiche Karriere unter der Demokratie werten möchten. Anders Bleckmann, Athens Weg 378f. Anm. 71, der das διὰ τὸ τιμᾶσθαι ὑπὸ τοῦ δήμου nicht als Hinweis auf

frühere Ehren, sondern als im Gegensatz zu den unter dem Einfluß der Oligarchen gewählten Strategen gesagt verstehen möchte. Für die alternative Deutung der Phrase durch McCoy s. u., S. 215 Anm. 19. 108 Xen. hell. 2,3,39. Man könnte versucht sein, ein Argument gegen diese Identifikation

darın zu sehen, daß Theramenes dieser Stelle zufolge gegenüber der oligarchischen Bule einen Mann, der seinerzeit seinen Teil zum Scheitern des ersten Oligarchenregimes beigetragen hatte, als ἀδικῶν οὐδὲ ἕν bezeichnet haben soll. Aber hier haben wir es eben nicht mit der originalen Theramenesrede, sondern mit ihrer Umformung durch Xenophon zu tun (für den Eigenanteil des Historikers an der Gestaltung der Theramenesrede in hell. 2,35-49

s. die Überlegungen bei Usher, Xenophon 133-135 und Krentz, Xenophon II 132).

1? Thuk. 8,25,1. "9 Thuk. 8,30,2.

-23 -

gegeben hat, ist uns nicht überliefert;!!! fest steht jedoch, daB er spätestens zur Zeit des Umsturzes nach Athen zurückgekehrt sein muß, da er im Sommer

411 neben Antiphon und Archeptolemos als Mitglied einer Gesandtschaft er-

scheint, die im Auftrag der Vierhundert nach Sparta ging.! Nach dem Sturz des Regimes deswegen als Landesverrüter angeklagt, scheint es Onomakles im Gegensatz zu seinen Mitgesandten gelungen zu sein, sich der Verurteilung

durch Flucht zu entziehen.!! Nach der communis opinio der Forschung ist er mit jenem Onomakles iden-

tisch, der 404/3 als Mitglied der DreiBig bezeugt ist,'!* eine Identifikation, die angesichts der Verwicklung des Strategen Onomakles in die Umtriebe des radikalen Oligarchenflügels und der relativen Seltenheit des Namens als wahrscheinlich gelten kann. Als weniger wahrscheinlich, aber nicht ganz

unmóglich wird man seine Identifizierung mit dem 421/20 als Schatzmeister

der anderen Götter genannten Onomakles Perithoides ansehen dürfen.!? Im Hinblick

auf seine Teilnahme

darauffolgende Anklage wird man radikalen Flügel der Vierhundert

an der Sparta-Gesandtschaft

und

die

Onomakles wohl selbst dann dem zurechnen dürfen, wenn sich die

Identifikation mit dem Mitglied der Dreißig als irrig erweisen sollte. Ob er aber schon zur Zeit der Strategenwahlen

412

ein profilierter Gegner der

Demokratie war oder ob ihn eher der Wunsch nach einer Verständigung mit Sparta als irgendwelche innenpolitischen Gesichtspunkte auf die Seite der

Radikalen trieb,'' muß offen bleiben. Phrynichos: Zweifellos die herausragende politische Figur unter den Strategen

des Jahres 412/11.! Da ihn seine prominente Rolle im weiteren Verlauf des Umsturzes immer wieder ins Blickfeld unserer Untersuchungen rücken !!! vg]. dazu u., S. 222. "12 [Plut.] vit. dec. or. ? mor. 833 ef

13 s. Heftner, τρία κακά 42 m. Anm. 54. !^ Xen. hell. 1,3,3. Für die Identifikation z. B. Gilbert, Beiträge 313.332; Kirchner PA 11476, Reincke, Onomakles; Avery, Studies 229; Andrewes, HCT V 60.

!5 IG P 472 Z 10. Bei dieser Identifizierung könnte sich insoferne ein Problem ergeben, als das ebenfalls mit dem Strategen Onomakles identifizierte gleichnamige Mitglied der Dreißig nach dem früheren Verständnis der Liste in Xen. hell. 1,3,3 zur Phyle Kekropis

gehört haben müßte (so noch Thompson, Tot Atheniensibus 148). Die dieser Auffassung zugrunde liegende Vorstellung von der phylenmäßigen Einteilung der Dreißig ist jedoch durch neuere Forschungen ins Wanken geraten (s. Whitehead, Tribes passim; Krentz, Thirty 51-54; Németh, Dreißig Tyrannen passim), so daß der Gleichsetzung des Schatzmeisters mit dem Mitglied der Dreißig kein zwingendes Argument mehr entgegensteht (in diesem Sinne schon Krentz, a. O. 53f).

116 Vgl. die Ausführungen zu Phrynichos, u. S. 26-28. 7 Rür die Frage, ob Phrynichos neben dieser persönlichen Autorität auch ex officio eine besondere Machtposition innerhalb des Strategenkollegiums von 412/11 innegehabt hat, s. u., S. 48 Anm. 231.

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wird,!!? sei hier auf einen Gesamt-Abriß seiner Aktivitäten verzichtet und nur

einige Überlegungen zu seiner Position im Frühjahr 412 angeführt. Hier ist zunächst die Tatsache der Strategenwahl selbst zu vermerken, die wir sicherlich als einen Beweis dafür nehmen dürfen, daß Phrynichos im Jahre

412 ein Mann von Vermögen und politischem Prestige gewesen ist.!? Für seine Karriere bis zu diesem Zeitpunkt und für seine Positionierung im politischen Spektrum Athens bietet uns die Überlieferung nur spärliche und teilweise widersprüchliche Informationen: In der pseudo-lysianischen Rede für Polystratos wird Phrynichos, der 412 tief in seinem siebenten Lebensjahrzehnt gestanden haben dürfte,"? als ein Mann

niedriger und rustikaler Herkunft bezeichnet, der sich späterhin in der Stadt

als „Sykophant“ betätigt habe,"! in einer anderen Rede des Corpus Lysiacum

erscheint er neben Peisandros als typisches Beispiel für einen politischen

*Wendehals', der sich vom Demagogen zum Oligarchen gewandelt habe.!?

Nach diesen Zeugnissen müBten wir davon ausgehen, daf sich Phrynichos bis 412 als eifriger Verfechter der Demokratie betátigt hat, und als weiteres Indiz dafür hat man auch seine Gegnerschaft zu Alkibiades, die im Winter 412/11 deutlich zum

Vorschein kam,'*” deuten wollen:

diese lasse sich am besten

durch die Annahme erklären, daß Phrynichos 415 an führender Stelle an der gegen Alkibiades gerichteten Kampagne der radikalen Demokraten beteiligt

gewesen sei. *

Auf der anderen Seite hat man eine Stelle in den 422 aufgeführten Wespen des Aristophanes ins Treffen geführt, wo v. 1302 oi περὶ Φρυνίχου unter den Teilnehmern eines Gastmahls genannt sind, das nach Ansicht mancher Forscher als Versammlung oligarchisch belasteter Persónlichkeiten gewertet werden kann. Bei unvoreingenommener Betrachtung kann keines dieser Indizien und

Argumente als wirklich stichhaltig angesehen werden: IE «. insbesondere u., S. 44-58. 1? 7u Recht betont von Grossi, Frinico 100. 120 Er wird (Lys.] 20,11 als Altersgenosse des Angeklagten Polystratos bezeichnet, dessen Alter im davorstehenden Paragraphen mit siebzig Jahren angegeben wird. 12! (Lys.] 20,11f. Man beachte, daß sich der Sprecher hier auf die Jugendzeit und die frühen Mannesjahre des Polystratos und Phrynichos bezieht, also einen Zeitraum, der für

die Mehrheit der Redezuhörer unüberprüfbar weit zurücklag. 122 Lys, 25,9 οὐ Φρύνιχος μὲν Kal Πείσανδρος kal ol μετ᾿ ἐκείνων δημαγωγοί. ἐπειδὴ πολλὰ εἰς ὑμᾶς ἐξήμαρτον, τὰς περὶ τούτων δείσαντες τιμωρίας τὴν προτέραν ὀλιγαρχίαν κατέστησαν. ....

12 s. u., S. 44.46.50-58.

124 So mit besonderer Bestimmtheit Avery, Studies 241: „It seems that only his participation in Alcibiades' exile can explain Phrynichus’ hatred for Alcibiades." S. jedoch u., S. 46 und 48f. 12° Lenschau, Phrynichos 3) 907.

-25-

Die Stellen aus dem Corpus Lysiacum kónnen als Belege dafür genommen werden, daß Phrynichos sich in der Demokratie als Politiker betätigt hat, was eine zumindest äußerliche Akzeptanz des demokratischen Systems voraus-

setzte." Die dort behauptete bzw. implizierte Affinität zu ‘Demagogentum’ und radikaler Demokratie

wird man

hingegen

angesichts der im Kontext

solcher Rednerstellen stets in Rechnung zu stellenden Möglichkeit der Über-

treibung und Tatsachenverzerrung mit Vorsicht zu betrachten haben.'?” Die in der Forschung postulierte Beteiligung des Phrynichos an der Kampagne gegen Alkibiades im Jahre 415 könnte, auch wenn sie sich quellenmäßig erhärten

ließe,125 nicht als Argument für seine Zugehörigkeit zur radikalen Demokratie genommen werden, da die damalige Opposition gegen Alkibiades weit über den Kreis der Demokraten hinausreichte; man denke etwa an die Rolle von

Kimons Sohn Thessalos bei der Anklage gegen Alkibiades.'?? Ein Versuch, das Vorkommen des Namens Phrynichos im sogenannten „Oligarchenkatalog‘“'” der aristophaneischen Wespen (v. 1301f.) als Evidenz für die politischen Affinitäten

des späteren Oligarchenführers

zu werten,

bleibt selbst dann problematisch, wenn man die Gleichsetzung des Phrynichos von Aristoph. vesp. 1302 mit dem Strategen von 412/11 für die wahrschein-

lichste unter den sich bietenden Identifikationsmóglichkeiten halt,?! denn es geht Aristophanes an der betreffenden Stelle nicht um die politische Position

der Symposionsteilnehmer, sondern um ihre soziale Charakteristik als typische Vertreter der καλοὶ κἀγαθοί152 Immerhin ist es aufschlußreich, Phry-

126 Zu der für jeden athenischen Politiker gegebenen Notwendigkeit, sich als φιλόδημος zu gerieren, vgl. Hölkeskamp, Parteiungen 22f. So in Bezug auf [Lys.] 20,11 bereits Lenschau, Phrynichos 3) 907, der zu Recht darauf hinwies, daß der Begriff des συκοφαντεῖν „in dem Advokatenjargon der damaligen Zeit nur bedeutet, daB er sich als Parteimann im politischen Leben betätigte“.

128 Dies ist jedoch keineswegs der Fall: s. u., S. 27 Anm. 139. 72 Plut. Alk. 19,3 und 22,4. Vgl. u., S. 46 Anm 224.

130 Zu der Bezeichnung s. Keil, System 339. 3! Diese in der Forschung weit verbreitete Identifikation (s. z. B MacDowell, Wasps 302 und Sommerstein, Wasps 235f.) ist von Storey, Wasps 350 in Zweifel gezogen, jedoch von Bourriot, Kalos Kagathos 155f. mit guten Argumenten verteidigt worden.

Zu den verschiedenen Trägern des Namens Phrynichos im Athen des späten 5. Jh. und zur Problematik ihrer Identifizierung allgemein s. Avery, Studies 242, Anm. 4. und den

Überblick von Aurenche, Groupes 74-76. 32 Vgl. Aristoph. vesp. 1256; für die im Text gegebene Deutung des aristophaneischen Banketts s. MacDowell, Wasps 302f. „It 1s not clear that any oligarchic revolution was

being planned as early as 422, nor that the members of the group held oligarchic views at this time ...^; vgl. Storey, Wasps 330 ,,... the behaviour of these men, not their identities or their politics, is in question.“ Eine differenziertere Einschätzung vertritt Ostwald Sovereignity 348.362, der zwar auch annimmt, daß „there is no reason to attribute a political purpose to this group", in den Aristoph. vesp. 1301-1303 beschriebenen Bankett-Teilnehmern aber dennoch mehr als eine zufällige Syposiumsgesellschaft reicher Athener erkennen möchte: sie seien vielmehr

- 26 -

nichos hier als akzeptiertes Mitglied dieser als elitär charakterisierten Gesell-

schaft? und als Namengeber eines Kreises von Hetairoi!” gezeichnet zu sehen: Dies würde jedenfalls (die Identität vorausgesetzt) bezeugen, daß er im Jahre 422 den Kreisen der wohlhabenden Oberschicht angehórte, es kónnte darüberhinaus,

wenn

wir die oi περὶ Φρυνίχου

als „die Gefolgsleute

des

Phrynichos" im Sinne einer politischen Hetairie verstehen dürften, als Indiz für eine prominente politische Aktivität des Mannes genommen werden. Beides kónnte im Hinblick auf seine Wahl zum Strategen, die ja jedenfalls ein hohes

politisches

Prestige

voraussetzt,

nicht überraschen,

würde

uns

aber

keinen wirklichen Anhaltspunkt zur Einschátzung von Phrynichos' politischem Standpunkt bieten. Läßt sich somit den Aussagen unserer Quellen über Phrynichos' politische Aktivitäten vor 412 kein eindeutiges Bild entnehmen, so bleibt uns als Alter-

native nur der Versuch, aus seinem Verhalten in den Jahren 412/11 die zugrunde liegende politische Position zu erschließen. Dieser Weg scheint zunächst ebenfalls

Opposition

gegen

mit gravierenden

die

Pläne

der

Unsicherheiten

behaftet,

da Phrynichos’

oligarchischen

Verschwörer

im

Winter

412/11, wie wir noch sehen werden (u., S. 46-48), nicht als ein Zeichen ge-

nuin demokratischer Gesinnung gewertet werden kann, andererseits aber auch sein schließlicher Anschluß an die Umsturzbewegung a priori keinen Beweis

für eine schon länger bestehende Affinität zu oligarchischem Gedankengut

darstellt.??

Bei näherer Betrachtung der von Thukydides bezeugten Äußerungen und Handlungen des Phrynichos vor seinem Anschluß an die oligarchischen Verschwörer scheint sich jedoch gerade aus dem scheinbaren Widerspruch zwischen der früheren Opposition gegen die Verschwörung und seinem schließlichen Anschluf an die Oligarchen eine Konstante zu ergeben, die uns vielleicht einen Anhaltspunkt zum Verständnis der politischen Grundhaltung dieses rätselhaften Mannes an die Hand gibt: Wenn Phrynichos im Herbst 412 vor Milet seine Mitstrategen von der Annahme einer nicht aussichtslosen Seeschlacht abhält, wenn er späterhin den Alkibiades- und Perserhoffnungen der oligarchischen Verschwörer im Athenerheer beißende Kritik entgegenbält durch ein gemeinsames Interesse an Rhetorik, daher wohl auch durch Beziehungen zu sophistischen Kreisen verbunden gewesen, was leicht mit einer kritischen Haltung gegenüber der bestehenden Demokratie einhergegangen sein könnte.

5? Für die soziale Stellung der in Aristoph. vesp. 1301 beschriebenen Sympotai s. Storey,

Wasps 327.331.

134 Zum Verständnis von ol περὶ Φρυνίχου in Aristoph. vesp. 1302 s. Storey, Wasps 328 und Bourriot, Kalos Kagathos 155f.

135 vgl. Thukydides’ Feststellung, daß im Frühjahr 411 viele Persönlichkeiten an der

Umsturzbewegung teilnahmen, „von denen man nie gedacht hätte, daß sie sich der Oligar-

chie zuwenden würden“ (Thuk. 8,66,5 ἐνῆσαν γὰρ καὶ οὖς oux ἄν ποτέ τις cero ἐς ὀλιγαρχίαν Tpantadaı).

-27-

und schließlich unter eigener höchster Gefahr zum Mittel der Intrige greift, um Alkibiades’ Rückholung zu verhindern, so scheint sich in all diesen Aktionen vor allem eine Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer militärisch

siegreichen Beendigung des Krieges zu offenbaren!” - eine Skepsis, die ihn naturgemäß in Opposition zu denjenigen bringen mußte, die in der Hoffnung auf einen immer noch möglichen Sieg für eine energische Kriegführung eintraten. In diesem außenpolitischen Grundsatz findet die erbitterte, von Thukydides stark betonte? Gegnerschaft des Phrynichos gegen Alkibiades

eine einleuchtende Erklärung, ohne daß wir auf die unbelegte Annahme einer vorausgegangenen Beteiligung des Phrynichos an der Kampagne gegen Alkibiades zurückgreifen müßten.”

So gesehen, wird auch das scheinbar widersprüchliche Verhältnis des Phrynichos zur oligarchischen Umsturzbewegung verständlich: es erscheint nur konsequent, daß er zu dieser Bewegung in Opposition stand, solange sie ihre Verfassungspläne

mit der Hoffnung

auf Perserhilfe und Rückführung

des

Alkibiades verband, daß er sich ihr anschloß, als sie mit Alkibiades gebrochen

hatte und unter dem Druck der Notlage auf die Linie eines Kompromißfriedens mit Sparta einzuschwenken begann, ein Kurs, der von der Sache her den

Intentionen des Phrynichos entsprochen haben dürfte.'*

Angesichts dieser Beobachtungen und Überlegungen drängt sich die Frage auf, ob Phrynichos die skizzierte Position bereits im Frühjahr 412 vertreten

hat und ob seine Wahl zum Strategen für 412/11 damit im Zusammenhang steht. Die letztgenannte Möglichkeit scheint nicht von der Hand zu weisen,

wenn wir bedenken, daß sich nach dem Schockerlebnis der von expansionistischen

Demagogen

verschuldeten

Sizilienkatastrophe

ein vorsichtiger,

auf

Schonung der knappen Ressourcen und Behauptung des imperialen Besitzstandes ausgerichteter Kurs, wie wir ihn für Phrynichos als wahrscheinlich erkannt haben, dem athenischen Demos gewissermaßen von selbst empfohlen haben muß.

136 s. zu diesen Episoden ausführlich u., S. 44-58. 5" Daß die von Phrynichos im Herbst 412 während seines Kommandos in Ionien verfolgte Strategie der Risikovermeidung auf einen Kompromißfrieden hinausgelaufen zu sein scheint, erkannte bereits Ferrabino, imperio Ateniese 347, vgl. u., S. 48-50.

38 Für eine konzise Zusammenfassung der einschlägigen Thukydidesstellen s. Rhodes,

Personal Enmity 23.

139 Man beachte die Angabe des Thukydides (8,50,1), daß Phrynichos' Furcht vor der

Feindschaft des Alkibiades erst von seiner Opposition gegen dessen Rückführung im Herbst 412 herrührte (zu Recht betont von Bloedow, Phrynichus 91f. gegen Kagan, Fall 123 und 126). Die damalige Opposition des Phrynichos aber wird bei Thuk. 8,48,4-7 ausdrücklich durch Sachgründe motiviert.

!4 Zu den Friedensinitiativen der Vierhundert s. u., S. 241-250.

- 28 Die Entscheidung der Athener, einen sozial distinguierten und für seine σύνεσις bekannten,'*! aber bereits recht bejahrten und militärisch offenbar noch nicht besonders hervorgetretenen Politiker in das Strategenamt zu

wählen, fände jedenfalls in dieser Annahme eine Erklärung, die sich zwanglos zu dem für die Zeit der Strategenwahlen 412 vorauszusetzenden politischen Klima in Athen fügen würde. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, erscheint die Frage, wieweit Phrynichos zur Zeit der Strategenwahl demokratisch bzw. oligarchisch gesinnt war, bei weitem weniger relevant als die Frage nach seiner außenpolitischen Orientierung: Nicht die Anhänglichkeit an irgendeine innenpolitische Richtung hat demnach die Entscheidung seiner Wähler bestimmt, sondern der Wunsch nach einer Abkehr von der Kriegspolitik der vergangenen Jahre und die Hoffnung, durch eine Politik der Beson-

nenheit und der Mäßigung von der drückenden Kriegsnot frei zu werden. Skironides: Erscheint im Bericht des Thukydides zuerst gemeinsam mit Onomakles und Phrynichos als Befehlshaber einer Verstärkungsflotte, die im Herbst 412 auf dem ionischen Kriegsschauplatz eintraf;'* Anfang 411 wird er dann, ebenfalls gemeinsam mit Phrynichos, auf Betreiben des Peisandros von diesem Kommando abberufen.' Die außerthukydideische Überlieferung bietet keine weiteren Erwähnungen des Skironides. Im Hinblick auf die Tatsache, daß Skironides in den beiden ihn erwähnenden

Thukydidesstellen gemeinsam mit Phrynichos auftritt, hat man angenommen, daß er mit diesem Strategen durch ein besonderes Nahverhältnis, als politischer Weggefährte oder Protegé verbunden gewesen sei, eine an sich nicht unwahrscheinliche Vermutung, die jedoch im Bereich der Hypothese bleiben muß. Die von Lewis in Erwägung gezogene Möglichkeit, daß er zur selben Phyle gehört habe wie Phrynichos,"? ist in ihren Voraussetzungen zu wenig gesichert, als daf) wir daraus Schlüsse auf das Verháltnis der beiden Strategen oder gar auf eine staatsrechtliche Anomalie bei der Strategenwahl von 412 ziehen dürften.

M! Thuk. 8,27,5 ἔδοξεν ..... ἐς ὅσα ἄλλα Φρύνιχος κατέστη, οὐκ ἀξύνετος εἶναι. Dieses lobende Urteil wird zweifellos die persónliche Meinung des Historikers wiedergeben, kann aber als fundiert gewertet werden. Daß die σύνεσις des Phrynichos nicht nur von Thukydides hochgeschátzt wurde, ergibt sich wohl aus der Tatsache, daB es ihm vor Milet

gelang, seine Mitstrategen von ihrer ursprünglichen Kampfeslust abzubringen und von der Sinnhaftigkeit der Zurückhaltung zu überzeugen (Thuk. Phrynichos im Strategenkollegium s. u., S. 48 Anm. 231).

8,27,1-5;

zur

Position

des

!4 Thuk. 8,25,1.

14 Thuk. 8,54,3; dazu u., S. 72f. 1m Avery, Studies 277, vgl. Grossi, Frinico 40f., s. auch Roberts, Accountability 39, die vermutet, daß die Gemeinsamkeit zwischen Skironides und Phrynichos ın der Gegner-

schaft zu Alkibiades bestand. 15 s. Lewis, Double Representation 121f.

-29.

Strombichides: Sohn des im Jahre 433/2 als Stratege vor Korkyra operierenden Diotimos. Sein erstes bezeugtes Auftreten als Stratege, die Blockade eines peloponnesischen Geschwaders im Saronischen Golf, fällt in den Frühsommer

412, also ganz an den Beginn des Amtsjahres 412/11," 5 dennoch wird man Fornaras Annahme,

daB er bereits 413/12 das Strategenamt bekleidet habe

und für 412/11 wiedergewählt worden sei, nicht als zwingend oder auch nur

als wahrscheinlich betrachten können.'*’ Nach diesem ersten Einsatz operierte

Strombichides auf dem ionischen Kriegsschauplatz,' wo er vom Winter 412/11 an gemeinsam mit Onomakles und Euktemon das Kommando über die auf Chios tätigen Streitkräfte führte. Von dort aus im Mai 411 zum Kampf

gegen eine peloponnesische Abteilung an den Hellespont entsandt,'? nahm er nach dem Umsturz für die demokratische Sache Partei und führte sein Ge-

schwader den Demokraten auf Samos zu. ^?

In der Folge verschwindet er aus dem Gesichtskreis unserer Quellen; erst 404 nach der Katastrophe von Aigospotamoi finden wir ihn unter jenen Strategen und Taxiarchen erwähnt, die gegen die Friedensvorschláge des Theramenes und die aufkommende Oligarchie opponierten, deswegen inhaftiert und unter

der Herrschaft der DreiBig aufgrund eines fragwürdigen Prozeßverfahrens hingerichtet wurden.'”' Im Hinblick darauf wie auch schon auf seine Haltung im Jahre 411 hat Strombichides wohl von allen Strategen des Kollegiums von 412/11 am ehesten Anspruch, als gesinnungstreuer Demokrat angesehen zu werden, zumal sich diese Zuordnung gut zu den Traditionen seiner Familie fügen würde, deren Mitglieder, soweit feststellbar, im 5. und 4. Jh. stets auf

seiten der Demokratie und in Opposition zu Sparta gestanden haben.'??

Thrasykles: In der Forschung wohl zu Recht mit jenem Homonymen identifiziert, der 42] den Nikiasfrieden und den bald darauf abgeschlossenen Bünd-

M5 Thuk. 8,15,1. Die Datierung ergibt sich aus der Erwähnung der Isthmien in Thuk. 8,10,1f, s. dazu Andrewes, HCT V 23f.

!

Fornara, Generals 65f., als Möglichkeit akzeptiert von Develin AO 156. Fornaras

Hauptargument, der Synchronismos von Strombichides’ Aktion im Saronischen Golf mit der Aktion eines Strategen von 413/12, Hippokles Menippou, vor Leukas in Thuk. 8,13 läßt die geographische Distanz zwischen den beiden Kriegsschauplätzen außer Acht. Es ist gut vorstellbar, daB zu einem Zeitpunkt, da in den athenischen Heimatgewässern bereits die Strategen von 412/11 das Kommando übernommen hatten, im Ionischen Meer die Ablóse der vorjährigen Strategen noch nicht erfolgt war. Vgl. jetzt Mitchell, New Look 359.

^* Thuk. 8,16,1-17,1.3. Strombichides scheint nach diesem ersten Ionien-Einsatz nach

Athen heimgekehrt zu sein, da er bei Thuk. 8,30,1 als Kommandant von aus Athen gesandten Verstürkungen erscheint, s. Andrewes, HCT V 27.63.72.

"9 Thuk. 8,62,2-63,2. 30 Thuk. 8,79,5.

15! ys. T 13,13-42 (vgl. 30,14); s. dazu Krentz, Thirty 42f.60 und Bearzot, Lisia 262-295.

152. Davies, APF 161.

-30-

nisvertrag zwischen Athen und Sparta mitbeschwor.?

Wahrscheinlich im

Zusammenhang mit diesen diplomatischen Aktivitüten steht sein Auftreten als Antragsteller des Proxeniebeschlusses für einen gewissen Asteas von Alea im

Jahre 421/20.'°* Als Stratege im Jahre 412/11 ? wird er nur im Zusammen-

hang mit Flottenoperationen des Sommers 412 im Saronischen Golf und in Ionien erwáhnt, seine weiteren Schicksale bleiben in unserer Überlieferung völlig im Ungewissen. Der notwendigerweise knappe Überblick über die zu den Strategen von 412/11 überlieferten Daten hat uns zunächst die Dürftigkeit unserer Überlieferung deutlich vor Augen geführt: Abgesehen von dem vergleichsweise gut dokumentierten Phrynichos haben wir für kaum einen der 412/11 amtierenden Strategen eine über das Jahr 412 hinaufreichende Aktivität ausdrücklich überliefert.

Etwas reichlicher flieBen die Quellen für die nach 411 liegenden Aktivitüten einiger unserer Strategen, aber auch hier hängt unsere Kenntnis nur allzu oft

von der Zuverlássigkeit der in der Forschung erarbeiteten Identifikationen ab, wie etwa im Falle des Eukrates, des Leon und des Onomakles. Wir sind daher beim Versuch einer politischen Einordnung dieser Männer in erster Linie auf Rückschlüsse aus deren Verhalten während des Umsturzes von 411 angewiesen. Aber auch die auf diesem Weg allenfalls zu gewinnenden Ergebnisse sind

insofern mit einem gravierenden Unsicherheitsfaktor belastet, als die Haltung eines Strategen zur Zeit der Umsturzereignisse im Frühjahr und Sommer 411 strenggenommen noch nichts über seine Gesinnung zur Zeit seiner Wahl ein Jahr zuvor und erst recht nichts über die Motive seiner damaligen Wähler aussagen kann. So gesehen kann die Zugehórigkeit von spáter als Oligarchen auftretenden Personen (Charminos, Onomakles, Phrynichos) zu den Strategen von 412/11

ebensowenig als Indiz für die zur Zeit ihrer Wahl vorherrschende politische Tendenz gelten wie die Tatsache, daß andere Mitglieder des Kollegiums 411 für die Demokratie Partei ergriffen (Diomedon, Leon, Strombichides). Gegen

eine Überbewertung des Auftretens späterhin oligarchisch kompromittierter

Persönlichkeiten in unserem Strategenkollegium spricht darüberhinaus auch die Tatsache, daß sich in den Reihen der zweifellos noch unter demokratischen Vorzeichen gewählten Strategenkollegien der vorangegangenen zwei Jahre ebenfalls Persönlichkeiten finden, die 411 an der Oligarchie teilhatten:

53 Thuk. 5,19,2, 5,24,1; für die Identifikation mit dem Strategen von 412/11 s. z. B. Kirchner, Thrasykles 578; Andrewes/Lewis, Nikias 178 und Andrewes, HCT V 37.

* IG P 80,

7, s. dazu den Komm. z. St.

155 Die von Andrewes, HCT V 37 geäußerten Zweifel an Thrasykles’ Zugehörigkeit zum Strategenkollegium von 412/11 sind von Develin, AO 157 zurückgewiesen worden.

156 Thuk. 8,15,1.17,3.19,2.

-31-

Charikles,

Dieitrephes

und

Laispodias

Aristokrates Skelliou in jenem von 413/12."*

im

Kollegium

von

414/13,"'

Sind schon diese Fakten geeignet, uns als Warnung gegenüber dem Versuch einer 'partei'-politischen Interpretation der Strategenwahlen von 412 zu dienen, so haben wir weiters zu berücksichtigen, daB in der damaligen Krisensituation die Entscheidung, einen bestimmten Kandidaten zum Strategen zu wählen, mehr denn je zuvor von den Erfordernissen der Außenpolitik und des Krieges bestimmt gewesen sein muß. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wird man die Tatsache, daß wir bei

keinem der Strategen von 412/11 eine frühere Bekleidung des Strategenamtes

nachweisen kónnen,"? nicht a priori als Indiz für eine innenpolitische Trendwende verstehen können; ebensogut ließe sich die Wahl ‘neuer Männer’

zum Strategenamt durch den Mangel an erfahrenen Militárs nach den in Sizi-

lien erlittenen Verlusten erklären.'° Bedeutsamer als der rein ‘partei’-politische oder der militärische könnte für das Ergebnis der Wahlen der außenpoli-

tische Aspekt gewesen sein: In diese Richtung deutet, wie wir gesehen haben, die für Phrynichos erschlossene politische Position, und es verdient in diesem Zusammenhang Beachtung, daß wir mit Thrasykles und Leon zwei Männer in unserem Strategenkollegium finden, die wahrscheinlich zu den Schwurzeugen des Nikiasfriedens gehórt haben; móglicherweise ist auch die Wahl des Eukrates (wenn er tatsáchlich mit dem Bruder des Nikias identisch ist) unter diesem Aspekt zu verstehen.'?' Die Vorstellung, daß sich hinter der Wahl dieser Münner ein Votum zugunsten einer auf einen Verstándigungsfrieden ausgerichteten Politik verbirgt, erscheint verlockend, hängt aber zu sehr von derzeit ungesicherten Identifikationen ab, als daß wir daraus weitgehende

Schlüsse über die politische Situation zur Zeit der Strategenwahlen von 412 ziehen dürften. Es bleibt somit nur die Hoffnung, daf uns vielleicht einmal

5? s. Fornara, Generals 65 und Develin AO 153; Über Charikles' Teilhabe an der Oligarchie der Vierhundert s. Isokr. 16,42 (dazu Avery, Studies 110f. und MacDowell, Andoki-

des 87), zu Dieitrephes’ Rolle in der oligarchischen Verschwörung des Frühjahrs 411 s. Thuk. 8,64,2, vgl. u., S. 222.

Zu Laispodias' Auftreten als Gesandter der Vierhundert s. u.

S. 245.248f.

5! s. Fornara, Generals 65 und Develin, AO 155; für die Identifikation des Thuk. 8,9,2 als

Stratege von 413/12 genannten Aristokrates mit Aristokrates Skelliou, dem Taxiarchen der Vierhundert von Thuk. 8,89,2 und 8,92,4 s. Andrewes, HCT V 22.

199 Die von Fornara, Generals 66 vermutete Strategie des Strombichides im Jahre 413/12

beruht auf unsicheren Kombinationen, s. o, S. 29 mit Anm. 147. 160 Kagan, Fall 4 verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß bereits die für 413/12

bekannten Strategen - von den Sizilienkommandanten Nikias, Demosthenes und Eurymedon abgesehen -, ‘neue Männer’ gewesen zu sein scheinen, die vor diesem Jahr kein selbständiges Kommando geführt hatten. 5.0., 5. 19.

-32.

der Zuwachs des inschriftlich erhaltenen prosopographischen Materials in diesen Fragen klarer zu sehen erlauben wird. Die Stasis auf Samos im Herbst 412 Im Herbst 412 kam es auf Samos, wo die Athener ihre Flottenbasis einzurichten im Begriff waren, zu einer Stasis, deren Ausgang für das weitere Verhältnis der Insel zu Athen und in weiterer Folge für die Geschichte der athenischen Oligarchenbewegung bestimmend werden sollte.

Thukydides schildert diese Episode als einen innersamischen Bürgerkrieg, in den die Athener nur mit geringer Macht eingegriffen hätten: Seinem Bericht zufolge war es der Demos von Samos, der sich, von den Besatzungen dreier gerade anwesender athenischer Schiffe unterstützt, gegen die „Mächtigen“ (δυνατοί) erhob, zweihundert von ihnen tötete, vierhundert in die Verban-

nung trieb und deren Besitztümer unter sich aufteilte. Die Athener reagierten positiv auf diese Entwicklung der Dinge in Samos: durch einen Volksbeschluß gestanden sie den Samiern, die sie nunmehr als zuverlässige Verbündete ansahen, die Autonomie zu. Der siegreiche Demos von Samos errichtete

daraufhin eine Staatsordnung, in der die alteingesessene Oberschicht der Geomoroi nicht nur von jeglicher Teilhabe an der politischen Macht ausgeschlossen war, sondern auch sozial marginalisiert wurde: selbst Heiratsverbindungen zwischen dem Demos und den Geomoroi wurden untersagt. €? Die samische Stasis von 412 ist in der Forschung intensiv diskutiert worden, wobei die Bewertung der Vorgánge von der jeweiligen Ansicht über den Cha-

rakter der bis 412 geltenden samischen Verfassung abhängt: Die Vertreter jener verbreiteten Auffassung, die das samische Regime vor 412 als Oligarchie ansehen móchte, deuten die Stasis jenes Jahres entweder als Erhebung der bislang benachteiligten Volksmassen ?* oder als eine Auseinandersetzung

oligarchischer Fraktionen;'** wer hingegen mit der Existenz einer Demokratie

auf Samos schon vor 412 rechnet, móchte die Ereignisse als Sauberungsaktion der bereits herrschenden Demokraten gegen die politisch unzuverlässige

Oberschicht der Insel verstehen. 162 Thuk. 8,21. Von dem zugunsten der Samier erlassenen Volksbeschluß der Athener haben wir in IG 1" 96 ein epigraphisches Zeugnis erhalten.

!9 Will, Notes 312f.

164 So z. B. Quinn, Athens 20f.; ähnlich Shipley, Samos 126-128, der sich in der Frage

nach dem demokratischen bzw. oligarchischen Charakter der samischen Verfassung nicht festlegen móchte, aber aus Thukydides' Bericht den Schlu zieht, daB die politische Macht de facto jedenfalls in den Händen der Oberschicht lag.

!8* egon, T Samos 155; Schuller, Samos 285f. und Gehrke, Abfall 37f.; ders., Stasis 142f ;

Smarczyk, Bündnerautonomie 18; Cuniberti, Presenza ateniese 72; Welwei, Athen 221.

-33-

Es ist hier nicht der rechte Ort, auf die Diskussion dieser Alternativen, von

denen m. E. die letztgenannte am meisten Wahrscheinlichkeit für sich hat,'*

näher einzugehen. Von größerem Interesse ist in unserem Zusammenhang die Frage nach einem möglichen Athenbezug der samischen Vorgänge. Hier ist zunächst festzuhalten, daß man die Athener selbst schwerlich als Initiatoren der samischen Stasis ansehen wird können; sie wären dann wohl im entschei-

denden Augenblick mit stärkerer Macht präsent gewesen als mit lediglich drei Schiffen.'° Aber wenn auch demnach die Erhebung auf eine samische Initiative zurückging, bleibt die Möglichkeit zu erwägen, daß die Träger der Aktion aus

cigenem

Antrieb

durch das Motiv

der Loyalität zu Athen

motiviert

waren. 9! Das stärkste Indiz für eine solche außen- bzw. bündnispolitische Deutung der samischen Stasis liegt in der Haltung der siegreichen Vorkämpfer des samischen Demos wührend der athenischen Wirren des Jahres 411. Wie Thukydides ausdrücklich betont, lieBen sich damals gerade jene dreihundert Aktivisten, die ein Jahr zuvor die Erhebung gegen die Oligarchie getragen hatten, von den athenischen Demokratiegegnern bereden, einen oligarchischen

Umsturz ins Werk zu setzen.'^^ Thukydides macht deutlich, daB die Initiative

zu diesem Frontenwechsel von den Führern der athenischen Streitkräfte auf Samos ausging, die damals, im Frühjahr 411, mehrheitlich der Oligarchie zuneigten und im AnschluB an den samischen Umschwung auch das atheni-

Sche Heer im gleichen Sinne zu revolutionieren gedachten, wáhrend zu gleicher Zeit auch in Athen selbst die Demokratie gestürzt werden sollte." Auffallend ist dabei, daß der Kreis der samischen Verschwörer von 411 Thukydides zufolge auf die dreihundert 'gewendeten' Demos-Vorkämpfer 16 Das wesentliche Argument liegt, worauf Legon, Samos 155 und Gehrke, Abfall 37 hinweisen, im Wortlaut von Thuk. 8,63,3, wo im Rückblick auf die Ereignisse von 412 von den damaligen Vorkämpfern des Demos gesagt wird, sie hätten sich „erhoben, um nicht oligarchisch regiert zu werden", zit. u., S. 35.

1€? Vgl. Quinn, Athens 20. Man beachte das ἔτυχον von Thuk. 8,21.

McCoy,

Thrasybulus, 309-311

vermutet, daB die drei Schiffe, deren Besatzungen

dem

Demos von Samos beistanden, zum Geschwader des Diomedon gehórten, und daB eines von ihnen von Thrasybulos befehligt wurde. Die Erinnerung an die seinerzeitige Hilfe habe die samischen Demokraten während der oligarchischen Umtriebe des Jahres 411 veranlaßt, sich, wie Thuk. 8,73,4 bezeugt, (unter anderem) an Diomedon und Thrasybulos um Hilfe zu wenden. S. jedoch u., S. 215 Anm. 19. 168 In diese Richtung argumentiert auch Shipley, Samos 126f. 16 'huk.

8,63,3

[die oligarchischen

Verschwórer

im Athenerlager]

.. τῶν

Σαμίων

Tpourpéyavro τοὺς δυνατώτατους ὥστε πειρᾶσθαι μετὰ σφῶν ὀλιγαρχηθῆναι, καίπερ ἐπαναστάντας αὐτοὺς ἀλλήλοις ἵνα μὴ ὀλιγαρχῶνται; vgl. 73,2 οἱ γὰρ τότε τῶν

Σαμίων ἐπαναστάντες

τοῖς δυνάτοϊς καὶ ὄντες δῆμος

μεταβάλλομενοι

αὖθις καί ........... ἐγένοντό τε ἐς τριακοσίους ξυνωμόται καὶ ἔμελλον τοῖς ἄλλοις ὡς δήμῳ ὄντι ἐπιθήσεσθαι; dazu u., S. 88f. und 2117.

1? s. dazu u., S. 211f. 214f.

-34 -

von 411 beschränkt blieb, also offensichtlich kein Versuch gemacht wurde,

die im Vorjahr verbannten δυνατοί in die Bewegung einzubeziehen. Dazu fügt sich die Tatsache, daB die überlebenden Putschisten nach dem Scheitern ihres Anschlages vom siegreichen Demos vergleichsweise glimpflich behandelt

wurden:

lediglich

drei

„Hauptschuldige“

wurden

mit

Verbannung

bestraft, die übrigen durften in Samos bleiben und sogar ihre bürgerlichen

Rechte in der Demokratie behalten.ἢ

Diese Mäßigung, die sich deutlich von der Härte abhebt, mit der die samische Demokratie ein Jahr zuvor gegen die alten Eliten ihrer Polis vorgegangen war, spricht dafür, daB man die Dreihundert als eine Gruppe einschátzte, die sich

grundsätzlich in ein demokratisch verfaßtes Staatswesen integrieren lassen würde. All diese auffälligen Züge der samischen Vorgänge von 411 ergeben ein in sich schlüssiges Bild, wenn wir die Annahme zugrunde legen, daß die besagten dreihundert Samier weniger durch genuin oligarchische Gesinnungen, als durch den Wunsch motiviert waren, die Bindung ihrer Polis an Athen

aufrechtzuerhalten.? Angesichts der vermeintlich bevorstehenden oligarchi-

1 Thuk. 8,73,6 ... περιεγένοντο ol τῶν Σαμίων πλέονες, kal τριάκοντα μέν τινας ἀπέκτειναν τῶν τριακοσίων, τρεῖς δὲ τοὺς αἰτιωτάτους φυγῇ ἐζημίωσαν: τοῖς δ᾽ ἄλλοις οὐ μνησικακοῦντες δημοκρατούμενοι τὸ λοιπὸν EuveroAlteuov. Da die drei Verbannten als die αἰτιώτατοι unter den Putschisten bezeichnet werden, kann es sich bei

den dreißig Getóteten nicht um strafweise Hingerichtete, sondern nur um jene handeln, die im Zuge der Kämpfe den Tod gefunden hatten.

I? Dieses Motiv der Athentreue bringt Gehrke, Abfall 39 zu Recht ins Spiel; er scheint es aber in seiner Bedeutung zu gering einzuschätzen, wenn er feststellt, daß es den Dreihundert „nicht primär (im Sinne eines letzten Ziels) um das Bündnis mit Athen [zu tun war]",

sondern „um die Erhaltung bzw. Stärkung einer politischen Machtposition". Das Machterhaltungsstreben wird sicher eine Rolle gespielt haben, aber die milde Behandlung

der

Überiebenden der Dreihundert im nach dem Scheitern des Putsches von den Demokraten

des Athenerheeres dominierten Samos spricht doch dafür, daß die Betreffenden den demokratischen Athenern grundsätzlich ebensosehr als vertrauenswürdig galten wie vorher den oligarchischen. Dies läßt sich am ehesten durch die Annahme einer konstanten proathenischen Orientierung dieser Gruppe erkláren.

Gegen diese Annahme kónnte vielleicht Thuk 8,73,4 ins Treffen geführt werden, wo die demokratischen Athener von den Umsturzaktivitäten ebenjener dreihundert Samier die Entfremdung der Polis Samos von Athen befürchteten (... kal οὐκ ἠξίουν περιιδεῖν αὐτοὺς σφᾶς τε διαφθαρέντας kal Σάμον ᾿Αθηναίοις ἀλλοτριωθεῖσαν). Einer darauf

abstellenden Argumentation ließe sich jedoch der subjektive Charakter der dort wiedergegebenen Befürchtungen entgegenhalten: Es war in der Situation des Frühjahrs 411 nichts weiter als natürlich, daß athenische Demokraten von einem oligarchischen Umsturz auf Samos eine Entfremdung zwischen den beiden Poleis befürchteten und daD sie jenen samischen Aktivisten, die sich offensichtlich von der ein Jahr zuvor verfochtenen Sache der

Demokratie losgesagt hatten, auch außenpolitisch den Seitenwechsel zutrauten. Darüberhinaus haben wir zu berücksichtigen, daß die besorgten athenischen Demokraten zu dem in der zitierten Thukydidesstelle angesprochenen Zeitpunkt keine genaue Kenntnis über die

Personen und Motive der Umstürzler haben konnten. Eine solche konnte sich erst im Zuge der Gerichtsverhandlungen nach Niederschlagung des Putsches ergeben.

-35schen Umwälzung in Athen erschien es ihnen zu diesem Zwecke angebracht,

auch in ihrer Heimatpolis die staatliche Ordnung in diesem Sinne umzugestalten. Wenn aber 411 die Athentreue den eigentlichen Beweggrund für die Aktionen der samischen Putschisten darstellte, dürfen wir wohl davon ausge-

hen, daß das gleiche Motiv schon bei der Erhebung des Jahres 412 maßgebend gewesen war.

Der unmittelbare Anlaß der Stasis von 412 läßt sich nicht mehr mit Sicherheit ermitteln; immerhin spricht einiges dafür, daß die Träger der Erhebung ihren Handstreich als Präventivschlag gegen einen von den δυνατοί betriebenen prospartanisch-oligarchischen Umsturz verstanden haben: In dem inschriftlich erhaltenen Fragment des athenischen Volksbeschlusses über die Samier von 412 ist von „diejenigen unter den Samiern, die die Pelo-

ponnesier nach Samos führten“ die Rede, ? worunter im Kontext des Dekrets

aller Wahrscheinlichkeit nach die im Zuge der Stasis beseitigten δυνατοί

gemeint sind."

In die gleiche Richtung deutet Thukydides, der an einer späteren Stelle im Rückblick auf die samischen Ereignisse von 412 feststellt, die Samier hätten

sich „erhoben, um nicht oligarchisch regiert zu werden“ (érravaorávrag

αὐτοὺς ἀλλήλοις ἵνα μὴ ὀλιγαρχῶνται).17) Die finale Konstruktion des ἵνα μὴ ὀλιγαρχῶνται läßt sich wohl am ehesten in dem Sinn verstehen, daß

die samischen Aufstündischen die Gefahr einer drohenden oligarchischen Herrschaft abwenden wollten." Die Stasis in Samos ist demnach als eine von den athentreuen Elementen der

Bürgerschaft betriebene ‘Säuberung’ zu verstehen, der ein großer Teil der traditionellen Oberschicht der Insel zum Opfer fiel. Ihre Bedeutung für die Athener lag zunächst einmal im Bereich des Strategisch-Militärischen: Die Eliminierung der potentiell spartafreundlichen δυνατοί band die Polis Samos

- der von Seiten Athens nun sogar die αὐτονομία zugestanden wurde!" -

13 IG P 96, Z. 3f. Σ]Ἰαμίον τὸς ἐπάγοντας Πελοποννεσίος ἐπὶ Σάμον ... 7* Anders Quinn, Athens 20f, der die Phrase auf eine Gruppe schon während des Archidamischen Krieges exilierter samischer Spartanerfreunde beziehen móchte, die sich in Anaia einen Stützpunkt errichtet hatten. Diese Deutung scheint jedoch zum Kontext der Stelle in Widerspruch zu stehen: Die am Beginn der voranstehenden Zeile des Beschlusses (Z. 3) erhaltene Phrase δέμοι τοι Zayíov ἐπαινέσαι ὅτι σφᾶς αὐτὸς [ .... zeigt, daß im folgenden jedenfalls von einer im Sinne der Athener lobenswerten Leistung des samischen Demos die Rede ist; eine solche hatten die Samier 412 durch die Vernichtung ihrer δυνατοί erbracht, nicht aber gegen die Exilierten von Anaia; daher müssen unter den ἐπάγοντας Πελοποννεσίος ἐπὶ Σάμον von IG I? 96 Z 4 die ersteren zu verstehen sein. 175 Thuk. 8,63,3; für den Bezug der Stelle auf die Ereignisse von 412 s. Cuniberti, Presenza

ateniese 7 1f.

176 So Legon, Samos 155 und Cuniberti, Presenza ateniese 72.

I7? Thuk. 8,21, s. dazu Cuniberti, Presenza ateniese 58 m. Anm. 20.

- 36 -

unwiderruflich an die Sache Athens und machte die Insel zu einer sicheren Basis für die Operationen der athenischen Flotte. Im eigentlich politischen Bereich sollte sich, wie erwähnt, in nicht allzu ferner Zukunft zeigen, daß die unbedingte Athentreue, die man nunmehr von seiten

des neuen Regimes der Samier voraussetzen durfte, nicht zwangsläufig mit einer gleich bedingungslosen Anhänglichkeit an das demokratische Prinzip korrespondierte.

Es war eine Konstellation, die das neue samische Regime

zwar gegen die Verlockung zum Übertritt auf die peloponnesische Seite immunisierte, die aber in Athen selbst auftretenden antidemokratischen Kräften durchaus eine Chance bieten konnte, die samischen Machthaber in ihre

Pláne einzubeziehen. Die Formierung einer solchen innerathenischen Oppositionsbewegung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Ehe wir uns dieser

Entwicklung zuwenden wollen, ist es angebracht, kurz auf die Stürke und Zusammensetzung der auf Samos befindlichen athenischen Streitkräfte einzugehen.

Die Konzentration athenischer Streitkräfte auf Samos Es wäre ein von vornherein wenig aussichtsreiches Unterfangen, die Stärke der sich in den Jahren 412 und 411 auf Samos versammelten athenischen Streitkráfte verschiedener Waffengattungen in absoluten Zahlen zu ermitteln, doch geben uns die bei Thukydides überlieferten Schiffszahlen zumindest einen Anhaltspunkt für die Dimensionen, mit denen wir zu rechnen haben. Versucht man, die verstreuten Angaben des Thukydides über athenische Schiffsbewegungen bis zum Beginn des Winters 412/11 zu einem Bild zusammenzufügen, so ergibt sich eine Zahl von insgesamt 129 Schiffen, die im

Laufe der zweiten Jahreshälfte 412 nach Ionien abgegangen waren.ὃ

Allerdings kónnen wir dieses totum nicht unbesehens mit der Gesamtzahl der

Ende des Jahres 412 in Ionien prásenten athenischen Kriegsschiffe gleichsetzen, denn einerseits gehórten zu der Ende des Sommers ausgesandten Flotte des Phrynichos, Onomakles und Skironides auch einige Truppentransporter,'” andererseits haben

wir damit zu rechnen, daf eine Zahl von

Schiffen von

175 Thukydides erwähnt die folgenden Kontingente: 8 bzw. 12 Schiffe unter Strombichides

und Thrasykles (8,15,1.17,3), 16 unter Diomedon (8,19,2), 10 unter Leon (Thuk. 8,23,1); 48 (mit EinschluB der Truppentransporter) unter Phrynichos, Onomakles und Skironides (Thuk. 8,25,1), zuletzt, „während des Winters“ 35 weitere unter Charminos, Strombichides und Euktemon (Thuk. 8,30,1). Das ergibt insgesamt 129 Schiffe (Andrewes, HCT V 28 hat

128, wohl aufgrund der Abrechnung eines Schiffes, mit dem Strombichides nach Athen zurückfuhr; vgl. ebd. 27). Für eine genaue tabellarische Übersicht der belegten Zu- und Abgänge in der athenischen Ionienflotte von 412/11 s. auch Cuniberti, Presenza ateniese 60f

19 Thuk. 825,1.

-37-

Ionien nach Athen zurückkehrte oder auf andere Missionen abging.'®” Es braucht uns daher nicht zu überraschen, daß Thukydides, wenn er von der

Vereinigung aller athenischen Seestreitkräfte im November 412"?! auf Samos berichtet, eine Zahl von insgesamt nur 104 Kriegsschiffen zugrunde legt,

von

denen 30 nach Chios detachiert wurden, 74 auf Samos zurückblieben.'” Die

letztgenannte Abteilung muß im Laufe des darauffolgenden Halbjahres Zuwachs bekommen haben, denn für den Sommer 411 gibt Thukydides die Stärke der samischen Flotte der Athener mit 82 Schiffen an.!*

Ausgehend von der überlieferten Durchschnitts-Besatzungsstárke einer athenischen Triere von 200 Mann'* hätten wir die Gesamtzahl der Schiffsmannschaften auf Samos 412/11 auf etwa 16000 Mann anzusetzen. Zwar haben wir gerade in der damaligen Notsituation mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die

Schiffe nicht vollzählig bemannt waren,'® aber angesichts der im Laufe der

Operationen

in Ionien

mehrmals

bezeugten

hohen

Kampftüchtigkeit

der

athenischen Flotte" dürfen wir diesen Faktor nicht allzu hoch veranschlagen. Dazu kamen Landstreitkräfte in Stärke von mindestens tausend Hopliten.! Um die Frage, wie hoch sich an dieser Masse von Seeleuten und Soldaten der

Anteil athenischer Bürger belief, auch nur annáhernd zu beantworten, haben

"Ὁ Dazu Busolt, GG III 2, 1440, Anm. 4; Andrewes, HCT V 27f.; zu der von Cuniberti angenommenen Rückkehr der Geschwader des Leon und Diomedon nach Athen s. u., Anm. 182. 1# Zur Datierung s. Busolt, GG III 2, 1440 m. Anm. 4 12 Thuk. 8,30,2. Cuniberti, Presenza ateniese 65f. geht hingegen davon aus, daß es sich bei

der Differenz zwischen diesen 104 Schiffen und der errechneten Gesamtzahl von 129 um genau jene 25 Schiffe gehandelt habe, die nach Thuk. 8,23,1 mit Leon und Diomedon nach

Lesbos abgegangen waren und die nach Cunibertis Auffassung in der Zwischenzeit nach Athen

heimgekehrt

waren.

Diese

Rekonstruktion

muß

jedoch

im

Hinblick

auf den

Wortlaut von Thuk. 8,30,1 (... τὰς ἀπὸ Χίου kal τὰς ἄλλας πάσας ξυναγαγόντες ...) wie auch aufgrund der im Herbst 412 gegebenen Kriegslage, die eine größtmögliche Konzentration athenischer Seekräfte in Ionien erforderlich machte, als zweifelhaft gelten. M. E. wird man daher eher damit rechnen, daß Leon und Diomedon

bei ihrer Rückkehr

nach Athen nur einen kleinen Teil ihrer Schiffe mit sich nahmen, während der Rest ihrer Streitmacht bei der in Thuk 8,30,1f. erwühnten Gelegenheit mit dem Gros der Flotte verei-

igt

wurde (so auch Andrewes,

1 Thuk. 8,79,2. "^

Morrison/Williams

Oared

HCT V 28.72).

Ships

900-322

B.

C.

Cambridge

1968,

254f;

Morrison/Coates, Triere 124-128; Ge.

185 vgl. Wallinga, Ships 170-174, demzufolge die Unterbemannung in den griechischen

Trierenflotten ein weitverbreitetes Phänomen darstellte.

186 Zur Überlegenheit der athenischen Flotte s. Busolt, GG III 2, 1445 m. Anm. 4 und 5.

157 Das Heer von 3500 Hopliten, das Ende des Sommers 412 in Ionien eintraf, bestand aus

1000 Athenern, 1500 Argivern und 1000 Bundesgenossen aus den Seebundstädten (Thuk. 8,25,1); von diesen kehrten die 1500 Argiver bald nach Hause zurück (Thuk. 8,27,6); die 1000 bundesgenóssischen Hopliten werden von Thukydides nach dem Bericht über ihre Ankunft 8,25,1 nicht mehr erwühnt, weshalb Andrewes, HCT V 28 und 58f. ebenfalls mit ihrer Heimkehr rechnet.

-38-

wir nicht genügend feste Anhaltspunkte.'®® Nur für die Zahl der Hopliten haben wir bestimmtere Angaben: nach Thukydides waren die 26 Trieren der

bald nach Beginn des Aufstandes in Ionien entsandten Flottenabteilungen des Leon und Diomedon mit regulären, „nach der Liste ausgehobenen“ Hopliten

besetzt. Unter Zugrundelegung der üblichen 10 Seesoldaten pro Triere haben wir dieses Hoplitenkontingent auf 260 Mann zu veranschlagen. Weiters erfahren wir, daß sich unter den Ende des Sommers 412 in Ionien eingetroffe-

nen 3500 Hopliten 1000 Athener (d. ἢ. athenische Bürgerhopliten'”) befanden, von denen am Ende des Jahres ein Teil die gegen Chios operierende Flottenabteilung begleitete, wührend die Mehrzahl bei der Hauptflotte auf Samos verblieb.?!

Gehen wir von den proportionalen Stärkeverhältnissen der Seestreitkrüfte aus, so kónnen wir die Zahl der nach Chios abgehenden Hopliten des Landheeres auf 300, jene der auf Samos überwinternden auf 700 veranschlagen. Da zu der in Samos stationierten Flottenabteilung auch der größte Teil der früher von

Leon und Diomedon befehligten Geschwader gehörte,'”? haben wir mit etwa neunhundert athenischen Bürgerhopliten auf Samos zumindest hundert Trierarchen und andere höhere Ta Toi von Thuk. 8,47,2.?* Insgesamt können wir von den auf Samos befindlichen Athenern etwa

zu rechnen,'?? dazu wohl Offiziere - die Suva rc5also davon ausgehen, daß tausend den oberen drei

Zensusklassen angehórt haben. Die Frage nach der zahlenmäßigen Stärke der Athener aus der Thetenklasse muß mangels Angaben gänzlich im Bereich der Spekulation bleiben. I# Zur Frage nach dem Anteil der Nichtbürger an den athenischen Schiffsmannschaften s. die grundlegenden Besatzung passim.

Ausführungen

von

Busolt, GG

III 2, 871-876

und

Ruschenbusch,

1? Thuk. 8,24,2.

7? Für den Dienst außerhalb der Grenzen Attikas wurden gewöhnlich keine MetókenHopliten aufgeboten, s. Gomme, HCT II, 93.

51 Thuk. 8,30,2.

132 Nach Thuk. 8,30,1 wurden bei der Vereinigung der athenischen Streitkráfte in Samos im Frühwinter 412/11 auch „die Schiffe von Chios", d. h. die Abteilungen des Diomedon

und Leon herangezogen. Die beiden Strategen selbst kehrten damals oder bereits zuvor nach Athen heim, wo sie zu Jahresbeginn 411 bezeugt sind (Thuk. 8,53,3; vgl. Andrewes,

HCT V 126). 133 Anders Ferrabino, imperio 357 m. Anm. 2, der die Zahl der Angehörigen der Hoplitenklasse auf dem ionischen Kriegsschauplatz auf 2000 veranschlagt, da er davon auszugehen scheint, daß auf allen athenischen Kriegsschiffen reguläre Hopliten als Epibaten eingesetzt waren. Diese Annahme muß jedoch im Hinblick auf die Tatsache, daß Thukydides diesen Umstand nur für die Abteilungen des Leon und Diomedon vermerkt (also offenbar als Ausnahmefall betrachtet) als unwahrscheinlich gelten. Daß zur Zeit des Peloponnesischen Krieges im Normalfall Angehörige der Thetenklasse als Epibaten eingesetzt wurden, bestätigt uns Thuk. 6,43, dazu Andrewes, HCT V 310 und Ruschenbusch, Besatzung 107f. 14 Zur sozialen Charakteristik dieser δυνατώτατοι s. Mossé, L' armée 2f. und

Andrewes, HCT V 106.

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Ruschenbusch geht aufgrund von aus der Zeit vor der Sizilienkatastrophe stammenden Zeugnissen davon aus, daB sich unter den zweihundert Besatzungsmitgliedern einer Triere im Normalfall rund achtzig athenische Bürger befanden,? die fast ausschließlich zur Thetenklasse gehórt haben müssen,

was bei ca. achtzig auf Samos stationierten Kriegsschiffen (s. o.) eine Zahl von mehr als 6000 Theten ergeben würde.

Auf der anderen Seite haben wir die Angaben über die Schlacht von Aigospotamoi, wo unter den Mannschaften von etwa 170 Trieren"$ nach Plutarch 3000, nach Pausanias 4000 Athener gefangengenommen wurden," was für

das Krisenjahr 405 einen im Vergleich zu dem auf die ‘Normalverhältnisse’ ausgerichteten Ansatz Ruschenbuschs wesentlich geringeren Anteil an athe-

nischstämmigen Besatzungsmitgliedern zu implizieren scheint. Da wir jedoch einerseits keine wirklich zuverlássigen Angaben

über die Anzahl

der bei

Aigospotamoi entkommenen Athener haben, andererseits die Verháltnisse von 405 nicht einfach auf jene von 412/11 übertragen werden dürfen, kann uns auch diese Angabe keinen festen Anhaltspunkt für absolute Schätzungen, sondern nur einen sehr vagen Hinweis auf die Dimensionen bieten, mit denen wir bei unserer Fragestellung jedenfalls zu rechnen haben. Unter dieser Prämisse wird man wohl soviel sagen können, daß aller Wahrscheinlichkeit nach in der Ionien-Flotte von 412 die Schiffsbemannungen nur zum kleineren Teil aus athenischen Bürgern bestanden haben, ohne daß sich dieser Anteil näher quantifizieren ließe. Aber selbst bei Zugrundelegung eines eher niedrigen Ansatzes haben wir die Zahl der athenischen Seeleute zumin-

dest auf dreitausend, wahrscheinlich aber beträchtlich mehr,'” zu veranschlagen, in jedem Falle auf ein Mehrfaches der Zahl der Hopliten und Offiziere.

195 Ruschenbusch, Besatzung 110. 136 Zur Stärke der athenischen Flotte bei Aigospotamoi s. Xen. hell. 2,1,20; Diod. 13,105, 1 und Plut. Lys. 9,6, dazu Krentz, Xenophon I 174, zur Frage nach der Zahl der entkomme-

nen Schiffe Busolt, GG III 2 1621 Anm. 1.

197 Plut. Lys. 11,10; Paus. 9,32,9.

198 Man beachte in diesem Zusammenhang, daß sich die demokratisch gesinnten Flottenmannschaften nach der Sezession von der oligarchisch gewordenen Mutterstadt als die Mehrheit der Athener fühlten (Thuk. 8,76,3 τοὺς yàp ἐλάσσους ἀπὸ σφῶν τῶν πλεόνων Kal ἐς πάντα ποριμωτέρων μεθεστάναι; vgl. Bearzot, Esili 143), was selbst

dann, wenn hier eine gewisse Übertreibung vorliegen sollte, die Präsenz einer nach vielen

Tausenden zählenden Masse von athenischen Bürgern auf Samos vorauszusetzen scheint.

- 40 -

Die Anfänge der Oligarchenverschwürung

Phrynichos’ Opposition gegen Alkibiades’

auf Samos und

Rückberufung

Nach dem Bericht des Thukydides begannen sich im Herbst 412 unter den athenischen Anführern auf Samos erstmals antidemokratische Strömungen zu regen.!”” Daß sich aus diesen Ansätzen rasch eine weitverbreitete, machtvolle Verschwörung entwickelte, war zu einem wesentlichen Teil auf die Persön-

lichkeit des Alkibiades zurückzuführen, der etwa Mitte November 41279 von seinem Zufluchtsort am Hofe des Satrapen Tissaphernes aus mit den führenden Männern des Athenerheeres Kontakt aufnahm und ihnen seine Bereitschaft signalisierte, im Falle eines Verfassungswandels nach Athen zurückzu-

kehren und der Stadt ein Bündnis mit dem Satrapen zu vermitteln. Die in diesen Botschaften enthaltenen Aussichten bestärkten die athenischen δυνατώτατοι in ihrer bestehenden Abneigung gegen die Demokratie und veranlaßten sie, ihre Pläne für einen Verfassungswechsel im oligarchischen Sinne mit Eifer zu betreiben. Einige führende Männer gingen zu Verhandlungen mit Alkibiades auf das Festland und erhielten die Bekräftigung der früheren Zusage, wobei Alkibiades betonte, daß der Sturz der Demokratie in Athen die Voraussetzung für ein Bündnis mit Persien sei. In Reaktion auf diese Bot-

schaft verbanden sich die athenischen Oligarchen auf Samos zu einer festen ξυνωμοσία und riskierten es, Alkibiades' Vorschläge der Masse der Soldaten

und Seeleute nung auf mit pen schwerer Verschwörer Vorgehen zu

bekanntzugeben. Als dieser Test befriedigend ausfiel - die Hoffpersischem Geld finanzierte Soldzahlungen schien bei den Trupzu wiegen als die demokratische Gesinnung - organisierten die eine Versammlung im engeren Kreis, um über das weitere beraten. In dieser Versammlung übte der Stratege Phrynichos

fundamentale Kritik an den Plänen der Verschwörer, fand aber bei den Ver-

schworenen kein Gehör, die Mehrheit beschloß, den von Alkibiades gewiesenen Weg weiterzugehen. Unter der Leitung des Peisandros wurde eine Gesandtschaft nach Athen entsandt, um dort die Volksversammlung im Sinne

des Alkibiades zu bearbeiten .?"!

An dem hier knapp paraphrasierten Bericht des Thukydides über die Anfangsphase der oligarchischen Verschwörung im Athenerlager ist zunächst die Frage nach der Zusammensetzung und den politischen Zielsetzungen der

ξυνωμόται von Interesse. Thukydides zeichnet sie als Oligarchen, die eine Herrschaft der δυνατοί

τῶν

πολιτῶν

anstrebten,?”

wobei

der sonstige

19 Thuk. 8,47,2f. Die Bedeutung dieser Tatsache betont zu Recht Kagan, Fall 113f. 200 Zur Datierung s. Avery, Chronology 127f.

?'! Thuk. 8,47,1-49,2. 202 Thuk.

8,48,1

πολιτῶν

τὰ πράγματα,

ποιήσειν .....

πολλὰς

ἐλπίδας

εἶχον

αὐτοὶ

θ᾽ tauroig

οἵπερ καὶ ταλαιποροῦνται

ol δυνατώτατοι

μάλιστα,

ἐς ἑαυτοὺς

τῶν

περι-

-4l-

Gebrauch des Suvaro(-Begriffes bei Thukydides”” wie auch die Qualifika-

tion οἴπερ kal ταλαιποροῦνται

μάλιστα die Auffassung nahe legt, daB

damit die Oberschicht der Leiturgientráger gemeint sein soll. Thukydides

betont, daß die ξυνωμόται schon vorher in diese Richtung zielende Gedanken gehegt hätten und die Botschaft des Alkibiades ihnen nur den Anstoß gab,

diese politischen Sehnsüchte in die Tat umzusetzen."

Trifft dieses Bild zu, so hätten wir die Verschwörer oder zumindest die tonangebende Mehrheit unter ihnen als Oligarchen im strengen Sinn anzusehen, die aus Überzeugung auf einen Sturz der Demokratie und die Einsetzung eines auf die besitzende Oberschicht gestützten Regimes hinarbeiteten.

Kagan und andere haben demgegenüber die Auffassung vertreten, daß der Kreis der samischen Verschwórer in jenem Stadium der Ereignisse auch gemäßigte Oligarchen, ja sogar gemäßigte Demokraten umfaßt habe, die nach einem Ausweg aus dem militärischen Dilemma suchten und um dieses Ziels

willen zu einer Korrektur der demokratischen Verfassung, nicht jedoch zur Einführung einer echten Oligarchie, bereit gewesen seien. Als Hauptargument

für diese Deutung führt Kagan den Fall des Thrasybulos an, der sich ja spä-

terhin bezeugtermaßen sehr für die Rückberufung des Alkibiades einsetzte“

35 Vgl. bes. 2,65,2 ol δυνατοὶ καλὰ κτήματα κατὰ τὴν χώραν (tv) οἰκοδομίαις τε καὶ πολυτελέσι κατασκευαῖς ἀπολωλεκότες. 204 "Thuk. 8,47,2 ... οἱ ἐν τῇ Σάμῳ τριήραρχοί τε τῶν ᾿Αθηναίων καὶ δυνατώτατοι

ὡς Vgl. 8,48,1 (zit. o., S. 40 Anm.

202). Anders Lapıni, Note 163f., der in den δυ-

νατώτατοι von Thuk. 8,48,1 nicht die Gesamtheit der athenischen Leiturgienträger, son-

dern nur die Gruppe der Verschworenen selbst erkennen will: diese hátten sich Hoffnungen gemacht, die Macht zu übernehmen, da sie ja selbst am meisten [zum Umsturz] beitrü-

gen. Als Hauptargumente zugunsten dieser Deutung führt L. einerseits die Verwendung von δυνατώτατοι in Thuk. 8,47,2 an, wo klürlich eine spezielle Gruppe von athenischen Anführern auf Samos gemeint ist, zum anderen 8,63,5, wo das οἵπερ kal ταλαιποροῦνται μάλιστα in den nach L. auf die Verschwórer bezogenen Phrasen ὡς ἤδη kal Kıvdu-

νεύοντας und ὡς οὐκέτι ἄλλοις f) σφίσιν αὐτοῖς ταλαιποροῦντας seine Entsprechung finde. Lapinis Deutung stellt eine beachtenswerte Móglichkeit dar, auf der anderen Seite ist jedoch festzustellen, daß Thukydides in 8,48,1 von δυνατώτατοι τῶν πολιτῶν (im

Gegensatz zu den δυνατώτατοι αὐτῶν [sc. τῶν ἐν τῇ Σάμῳ ᾿Αθηναίων στρατιωτῶν] von 8,47,2) spricht, und daß Thukydides im unmittelbar voranstehenden Satz die

höheren Ränge der Athener auf Samos in ihrer Gesamtheit mit den an der Oligarchie Beteiligten gleichzusetzen scheint (8,47,2 ol ἐν τῇ Σάμῳ τριήραρχοί τε τῶν ᾿Αθηναίων καὶ δυνατώτατοι ὥρμηντο ἐς τὸ καταλῦσαι τὴν δημοκρατίαν). Von daher gesehen ist es m. E. wahrscheinlicher, daB auch in 8,48,1 die athenische Oberschicht in ihrer Ge-

samtheit als in die Hoffnungen der Verschwörer einbezogen gedacht ist, und daß dies auch für 8,63,5 gilt, wo sich die Verschwórer, wenn sie sich als ταλαιποροῦντες der Kriegs-

anstrengungen bezeichnen, damit gewissermaßen als stellvertretend für die Gesamtheit der Leiturgientráger ansehen.

205 Gegen die Auffassung McGregors (Genius, 42), daB Alkibiades der eigentliche Anstifter der oligarchischen Bewegung gewesen sei, s. Bloedow, Alcibiades 34, Anm. 213.

206 7u Thrasybulos’ Bemühungen um die Rückführung des Alkibiades 411 s. Thuk. 8,81,1, dazu u., S. 228f.251.254-256.

-42und

für

den

daher,

so

Kagan,

eine

Beteiligung

auch

schon

an

den

diesbezüglichen Aktivitäten des Jahres 412 anzunehmen sei." Allerdings laßt sich eine solche Beteiligung aus dem Wortlaut der von Kagan in diesem Zusammenhang

angeführten Thukydidesstelle (Thuk.

8,81,1) nicht definitiv

erschließen; streng genommen ist dort lediglich Thrasybulos’ seit längerem bestehende Überzeugung von der Notwendigkeit einer Rückberufung des Alkibiades, nicht aber seine konkrete Beteiligung an den seinerzeitigen

Aktivitäten der £uvcouórat erwähnt.?°® Weiters haben wir die Tatsache in Rechnung zu stellen, daß Thrasybulos im Jahre 411, zur Zeit des gescheiterten Oligarchenputsches auf Samos unbestreitbar das Vertrauen der demokratischen Masse genossen hat. Das schließt eine Einbeziehung in die pro-Alkibiades-Aktivitäten des Winters 412/11 nicht zwangsläufig aus, setzt aber jedenfalls voraus, daß der Name des Thrasybulos im Bewußtsein der Truppen nicht mit den oligarchischen Umtrieben der ξυνωμόται verbunden gewesen

ist.? Die von McCoy ins Spiel gebrachte Möglichkeit, daß sich Thrasybulos wührend des Winters 412/11 gar nicht auf Samos aufgehalten habe und sich daher nicht durch Teilnahme an der Verschwörung kompromittiert habe,?'?

bóte eine einfache Lösung des Problems,?!! muß aber mangels positiver Evidenz im Bereich der Hypothese bleiben. Angesichts dieser Unwägbarkeiten wird man die vermutete Rolle des Thrasybulos wohl nicht als Argument für die Frage nach dem von der samischen &uvcouórai-Bewegung. umfaßten politischen Spektrum heranziehen kónnen.

Aufschlußreicher als die hypothetische Haltung des Thrasybulos

sind in

diesem Zusammenhang die durch Thukydides bezeugten Aktivitäten der beiden großen Antagonisten des samischen Intrigenspieles vom Winter 412/11: Alkibiades und Phrynichos. Wir wollen zunächst die Botschaft des Alkibiades an die δυνατώτατοι des Athenerlagers ins Auge fassen (Thuk. 8,47,2): ... ὅτι ἐπ᾽ ὀλιγαρχίᾳ βούλεται καὶ οὐ πονηρίᾳ οὐδὲ δημοκρατίᾳ τῇ αὐτὸν ἐκβαλούσῃ κατελθὼν καὶ παρασχὼν Τισσαφέρνην φίλον αὐτοῖς ξυμπολιτεύειν.

207 agan, K Fall 114-116. $9 '. Θρασύβουλος,

αἰεί ye τῆς αὐτῆς γνώμης

ἐχόμενος, ἐπειδὴ μετέστησε τὰ

πράγματα, ὥστε κατάγειν ᾿Αλκιβιάδην, ..... vgl. u., S. 219.

Man vergleiche demgegenüber das Mißtrauen, das die Soldaten den Strategen Leon und Diomedon entgegenbrachten, s. u., S. 220f..

210 McCoy, Thrasybulus 311f. ?!! vgl. Buck, Thrasybulus 28, der es für unwahrscheinlich hält, daß der überzeugte Demokrat Thrasybulos im Jahre 412 an den Plänen der ξυνωμόται Anteil gehabt habe: Thrasybulos sei entweder, wie McCoy will, nicht in Samos gewesen oder in Opposition zu den Verschwórern gestanden.

-43».... er sei gewillt, wenn die Oligarchie herrsche und nicht das Schandsystem, die Demokratie, die ihn verbannt habe, zurückzukehren, ihnen den Tissaphernes zum Freund zu machen und als Mitbürger unter ihnen zu leben".

Die Verwendung des Begriffes ὀλιγαρχία in Antithese zur πονηρία-δημο-

kparía?? deutet darauf hin, daß Alkibiades hier die Abschaffung der demokratischen Verfassung und die Errichtung einer engen Oligarchie forderte. Dennoch hat Lévy, der Alkibiades als einen konsequenten Vertreter der ‘gemäßigten’, mittleren Linie betrachtet, diese Stelle dahingehend deuten wollen, daf) Alkibiades nicht der Demokratie an sich, sondern nur ihrer entarteten Form (πονηρία) feindlich gesonnen gewesen sei; er habe bereits zur Zeit seiner ersten Kontakte mit den &uvcouóTa: jenes Programm vertreten, das er spáter als Feldherr der demokratischen Sezessionisten auf Samos verfocht, nämlich einen ‘gemäßigten’ Mittelweg zwischen den Extremen von Oligarchie und Demokratie.??

Dieser Versuch Lévys, Alkibiades' Ziele im Winter 412/11 aus seiner Haltung im darauffolgenden Sommer zu erschließen, beruht offensichtlich auf der Voraussetzung, daß Alkibiades feste politische Werthaltungen gehabt und

diese unter allen Umständen konsequent vertreten habe.?'* Zumindest letzteres muß angesichts von Alkibiades' unbezweifelbarem Hang zum politischen

Opportunismus und zur Anpassung an die gegebenen Verháltnisse? als äußerst unwahrscheinlich angesehen werden. Viel eher haben wir davon

auszugehen, daß sich Alkibiades im Winter 412/11, wie es ihm ja auch in der

?? Mit πονηρία ist in jedem Fall die zur Zeit von Alkibiades’ Verbannung herrschende Demokratie bezeichnet, zu der Möglichkeit, daß es sich bei den Worten οὐδὲ δημοκρατίᾳ um eine nachtrüglich in den Thukydidestext eingedrungene Glosse handeln kónnte, s. Classen/Steup, Thukydides 114 und Andrewes, HCT V 107.

23 évy, p Athenes 281f.

? Bin von Lévy nicht berücksichtigter Berührungspunkt zwischen Alkibiades' politischem Agieren und dem Gedankengut der Gemäßigten ließe sich möglicherweise in einem Passus der bei Thukydides wiedergegebenen Alkibiadesrede aus der Siziliendebatte finden (Thuk. 6,18,6: ὁμοῦ δὲ τό τε φαῦλον kal τὸ μέσον Kal τὸ πάνυ ἀκριβὲς ἂν ξυγκραθὲν μάλιστ᾽ ἂν ἰσχύειν), den Nippel, Mischverfassungstheorie 48f. mit guten Gründen als einen Appell zur Eintracht zwischen den sozialen Gruppen betrachtet. Der Passus steht jedoch in seinem Wortlaut Thukydides' bekanntem Urteil über die μέτρια ξύγκρασις der Theramenesverfassung von 411 (8,97,2) zu nahe, um unbesehen als ein Echo der tatsächlich gehaltenen Alkibiadesrede genommen werden zu kónnen. Aber selbst wenn letzteres der Fall sein sollte, wäre es nicht angebracht, hier einen festen programmatischen Grundsatz erkennen zu wollen; eher wird man mit Nippel a. O. 49 davon ausgehen, daf sich Alkibiades zur Stützung seiner Argumentation eines verbreiteten und bei seinem Publikum weithin akzeptierten Gedankens bediente. 75 Man vergleiche etwa die ausdrückliche Rechtfertigung dieser opportunistischen Haltung in der Alkibiadesrede in Sparta bei Thuk. 6,89,4 (hier in Bezug auf die Haltung seiner Familie gegenüber der Demokratie gesagt) ... ἅμα δὲ kal τῆς πόλεως δημοκρατουμένης τὰ πολλὰ ἀνάγκη ἦν τοῖς παροῦσιν ἕπεσθαι.

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thukydideischen Phrynichos-Rede ausdrücklich unterstellt wird?! einzig und allein von dem

Wunsch

leiten lieB, nach Athen

heimzukehren

und wieder

einen führenden Platz in der Politik seiner Vaterstadt einzunehmen,?" und daf er zu diesem Zweck bereit war, seinen athenischen Ansprechpartnern alles zu versprechen, was ihren eigenen Wünschen entgegenkam. So gesehen kann man den Wortlaut der Alkibiadesbotschaft in Thuk. 8,47,2 zwar nicht als

Zeugnis für Alkibiades' eigene politische Wertvorstellungen, wohl aber als Indiz dafür nehmen, daß die Verschwörer in ihrer Mehrheit eine enge Oligarchie, eine „Herrschaft der Wenigen" anstrebten.

Ein weiteres indirektes Zeugnis für die politische Haltung der £uvcouóra: bietet die Rede, die Thukydides dem Phrynichos in den Mund legt (Thuk. 8,48,4-7): .. 6 TE ᾿Αλκιβιάδης, ὅπερ καὶ ἦν, οὐδὲν μᾶλλον

ὀλιγαρχίας

f) δημοκρατίας

δεῖσθαι ἐδόκει αὐτῷ οὐδ᾽ ἄλλο τι σκοπεῖσθαι ἢ ὅτῳ τρόπῳ ἐκ τοῦ παρόντος κόσμου τὴν πόλιν μεταστήσας ὑπὸ τῶν ἑταίρων παρακληθεὶς κάτεισι, σφίσι δὲ περιοπτέον εἶναι τοῦτο μάλιστα, ὅπως μὴ στασιάσωσιν. [τῷ] βασιλεῖ τε οὐκ εὔπορον εἶναι καὶ Πελοποννησίων ἤδη ὁμοίως ἐν τῇ θαλάσσῃ ὄντων καὶ πόλεις ἐχόντων ἐν τῇ αὐτοῦ ἀρχῇ οὐ τὰς ἐλαχίστας, ᾿Αθηναίοις προσθέμενον,

οἷς οὐ πιστεύει, πράγματα ἔχειν, ἐξὸν Πελοποννησίους, ὑφ᾽ ὧν κακὸν οὐδὲν πῶ πέπονθε, φίλους ποιήσασθαι. τάς τε ξυμμαχίδας πόλεις αἷς ὑπεσχῆσθαι δὴ σφᾶς ὀλιγαρχίαν, ὅτι δὴ καὶ αὐτοὶ οὐ δημοκρατήσονται, εὖ εἰδέναι ἔφη ὅτι

οὐδὲν μᾶλλον σφίσιν οὔθ᾽ αἱ ἀφεστηκυῖαι προσχωρήσονται οὔθ᾽ αἱ ὑπάρχουσαι βεβαιότεραι ἔσονται: oU. γὰρ βουλήσεσθαι αὐτοὺς μετ᾽ ὀλιγαρχίας ἢ δημοκρατίας δουλεύειν μᾶλλον ἢ μεθ’ ὁποτέρου ἂν τύχωσι τούτων ἐλευθέρους

εἶναι

τούς

τε

καλοὺς

αὐτοὺς νομίζειν σφίσι πράγματα

κἀγαθοὺς

ὀνομαζομένους

οὐκ

ἐλάσσω

παρέξειν τοῦ δήμου, ποριστὰς ὄντας καὶ

ἐσηγητὰς τῶν κακῶν τῷ δήμῳ, ἐξ ὧν τὰ πλείω αὐτοὺς ὠφελεῖσθαι: καὶ τὸ

μὲν ἐπ᾽ ἐκείνοις εἶναι καὶ ἄκριτοι ἂν καὶ βιαιότερον ἀποθνῴσκειν, τὸν δὲ δῆμον σφῶν τε καταφυγὴν εἶναι καὶ ἐκείνων σωφρονιστήν. καὶ ταῦτα παρ᾽ αὐτῶν τῶν

ἔργων

ἐπισταμένας

τὰς

πόλεις

σαφῶς

αὐτὸς

εἰδέναι

ὅτι

οὕτω

νομίζουσιν. ... »Alkibiades kümmere sich seiner [des Phrynichos] Meinung nach, was ja auch zutraf,

nicht im geringsten um Oligarchie oder Demokratie; er habe nichts anderes im Auge als auf welche Weise er die bestehende Ordnung in der Stadt umstürzen kónne, um sich von den Hetairoi zurückberufen zu lassen und heimzukehren, ihnen hingegen

75 Thuk. 8,48,4, dazu u., S. 45f.

*17 Die Aufrichtigkeit von Alkibiades' prooligarchischen Verheißungen bezweifeln u. a. auch Van der Ploeg, Theramenes 11 m. Anm. 27 sowie Ellis, Reasons 108 und ders, Alcibiades 72.124 Anm. 13. Am weitesten in diese Richtung geht die Vermutung McGregors (Genius 42), Alkibiades habe die oligarchische Verschwörung initiiert, um sich

danach an die Spitze der demokratischen Opposition stellen zu kónnen. Die Annahme eines derart weitreichenden Plans des Alkibiades liegt freilich weit außerhalb des quellenmäßig Fafbaren; mit einiger Wahrscheinlichkeit wird man nicht mehr sagen können als

daß der Exulant im Falle seiner Rückführung durch eine siegreiche oligarchische Bewegung wohl jederzeit bereit gewesen würe, sich von diesen Bundesgenossen abzuwenden, wenn ihm der Gesichtspunkt des persönlichen Vorteils dies nahegelegt hätte. Vgl. u., S. 253f.

-45-

müsse vor allem eins am Herzen liegen: daß keine Stasis ausbreche. Dem König aber werde es nicht leicht fallen, sich jetzt, da die Peloponnesier gleichermaßen seemách-

tig seien und in seinem Herrschaftsbereich Städte besetzt hielten, die nicht zu den unbedeutendsten gehórten, den Athenern anzuschlieDen, denen er nicht traue und Kriegslasten auf sich zu nehmen, wührend es ihm freistünde, sich die Peloponnesier,

von denen er nichts Übles erfahren habe, zu Freunden zu machen. Die Bundesgenossenstüdte, denen sie, weil sie ja auch selber nicht mehr demokratisch sein wollten, die

Oligarchie gewáhren wollten, würden dadurch, das wisse er genau, soweit sie schon abgefallen seien, nicht zurückgewonnen, soweit sie noch in ihrer Gewalt seien, nicht sicherer werden. Denn sie wollten weder unter einer Oligarchie noch unter einer

Demokratie lieber Knechtschaft leiden als unter welcher der beiden Verfassungen auch immer es sich treffe unabhängig zu sein. Von den sogenannten „Guten und

Trefflichen“ aber würden sie nicht weniger Belastungen erwarten als vom Demos, da diese doch die Urheber und Exekutoren großer Übel für das Volk seien, von denen

den größten Nutzen sie selber hätten. Soweit es bei jenen stehe, würden sie ohne Gerichtsverhandlung und auf gewaltsamere Weise getótet, der Demos aber sei für sie

eine Zuflucht und für jene ein Zwang zur Mäßigung. Daß die Städte, die dies aufgrund praktischer Beispiele erfahren hátten, so düchten, wisse er mit Sicherheit

Der grundsätzliche Charakter dieser Erórterungen ist geprägt durch jene Nüchternheit und Illusionslosigkeit der Analyse, die uns im Werk des Thukydides’ so häufig ins Auge stechen; der Gedanke liegt nahe, daß hier auch

eigenes Gedankengut des Historikers eingeflossen sein dürfte (besonders wohl in die Skizze der Haltung der ξυμμαχίδες πόλεις), 5 dennoch wird man wohl

davon ausgehen dürfen, daB die von Thukydides gebotene Rede in ihrer Grundtendenz den tatsáchlichen Ausführungen des Phrynichos entsprochen

hat. Es ist hier nicht der Ort,

en detail auf die Probleme dieser bemerkenswerten

Rede näher einzugehen? In unserem Zusammenhang sind nur jene Aspekte von Bedeutung, die uns als Anhaltspunkte für die politische Haltung der ξυνωμόται Für die erste rekte, aber ausgeht, daß

einerseits, des Phrynichos andererseits dienen können. dieser beiden Fragen liefert uns die Phrynichos-Rede einige indiwichtige Hinweise. Wenn man, wie wahrscheinlich, davon sich Phrynichos in seiner Kritik auf jene Punkte konzentrierte, an

welche die Verschworenen tatsächlich in erster Linie ihre Hoffnungen knüpften, so erhält man den Eindruck, daß das Streben nach der Errichtung einer

Oligarchie in der Vorstellung der ξυνωμόται untrennbar mit der Hoffnung auf die Stärkung der militärischen Position Athens und die siegreiche Beendi-

gung des Krieges verknüpft war.?”

218 So etwa Welwei, Athen 219; für den Versuch einer Analyse der Passage im Kontext von Thukydides’ eigenen Anschauungen s. Plant, Thuc. VIIL 48.5, passim. 219 „ dazu Andrewes, HCT V 108-116.

20 vgl. den Bericht über die Hoffnungen der Verschwörer in Thuk. 8,48,1 ... kal τῶν πολεμίων ἐπικρατήσειν.

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Auf diese Erwartungen, die er mit Sachgründen zu widerlegen trachtet, konzentrieren sich die Ausführungen des thukydideischen Phrynichos. Auf eine Argumentation in politisch-ideologischen Kategorien über den Wert von Demokratie und Oligarchie läßt sich Phrynichos nicht ein, doch können wir seine

einleitende Bemerkung

über die opportunistischen Motive

des Alkibiades

vielleicht als Indiz dafür nehmen, daß er die Mehrheit seiner Zuhörer als in

der Wolle gefärbte Oligarchen betrachtete, die ihren Umsturzplan nicht nur aus Notwendigkeits- und Nützlichkeitserwágungen, sondern aus genuin ideologischen Motiven heraus betrieben. Die Tatsache, daß Phrynichos hier einem oligarchischen Projekt entgegentrat, sowie seine Kritik an den καλοὶ κἀγαθοὶ ὀνομαζόμενοι haben einige Autoren zu der Annahme veranlaßt, der Stratege sei im Herbst 412 noch aus Über-

zeugung zur Demokratie gestanden,?! die überwiegende Mehrheit der Forschung aber sieht ihn im Hinblick auf die Rolle, die er im Folgejahr während

des Umsturzes und während des Regimes der Vierhundert gespielt hat, schon

damals als einen Oligarchen der radikalen Richtung^?

Die Móglichkeit, daB Phrynichos im Herbst 412 noch nicht zur Oligarchie konvertiert war, erscheint, wenn wir die in Thuk.

8,48,3 beschriebene Ver-

sammlung nicht als ein Treffen der ξυνωμόται im engeren Sinn, sondern um eine Beratung im weiteren Kreis der athenischen Anführer auf Samos verstehen móchten, an sich nicht als undenkbar, doch auf der anderen Seite

läßt sich geltend machen, daß die von Phrynichos bei Thukydides vertretenen Ansichten recht gut auch aus dem Munde eines konservativen Vertreters der athenischen Oberschicht stammen konnten: MiBtrauen und Feindseligkeit gegen die Person des Alkibiades waren in diesen Kreisen wohl nicht weniger verbreitet als unter den Demokraten,"^ und wenn Phrynichos von den „sogenannten“ καλοί κἀγαθοί spricht, distanziert

?'! Hatzfeld, Alcibiade 234; Avery, Studies 245.

??? 5 z.B. Kagan, Fall 123; Woodhead, Peisander 141; Lévy, Athénes 282; weitere Autoren bei Grossi, Frinico 28, Anm. 35. Eine differenzierte Position vertritt Welwei, Athen 219, der annimmt, daß Phrynichos „nachdem er in der Seeschlacht vor Samos die Chance verpaßt hatte“ (vgl. dazu u., S. 48) mit einer Anklage habe rechnen müssen; von daher hátte er schon damals ,persónliches Interesse an einer Verfassungsánderung" gehabt.

Dagegen ist jedoch zu bedenken, daß sich Phrynichos von den ganz auf Kriegskurs eingeschworenen samischen ξυνωμόται keineswegs mehr Verständnis für seine Haltung erhoffen konnte als vom heimatlichen Demos.

#2 So jedoch Kagan, Fall 123.

7^ Man denke an die Opposition traditionell-religióser Kreise gegen Alkibiades' Rückkehr bei Thuk. 8,53,2 sowie an die Thuk. 8,68,3 wiedergegebene Uberlegung des Phrynichos, daß Alkibiades unter einem oligarchischen System nicht zurückkehren werde; vgl. die Charakterisierung des Alkibiades als τῶν ἐν τῇ δημοκρατίᾳ πάντων ἀκρατέστατός τε καὶ ὑβριστότατος in Xen. mem. 1,2,12, die wohl das Alkibiadesbild oligarchisch gesinnter Kreise widerspiegelt. Vgl. o., S. 25.

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er sich damit von der betreffenden Personenkategorie,?” nicht von dem Elite-

gedanken an sich.?°

Was der thukydideische Phrynichos über diese Punkte hinaus äußert, sind keine Parteiparolen, sondern sachlich begründete Beobachtungen, die aus der Analyse der Situation entwachsen sind und keine Rückschlüsse auf die politische Stellung des Sprechers zulassen. Seine Betonung der Notwendigkeit, eine Stasis zu vermeiden, ist in der objektiv gegebenen Situation begründet,” und das gleiche gilt für seine Bemerkungen über die Haltung der σύμμαχοι, wenngleich diese den in oligarchischen Kreisen verbreiteten Vorstellungen

widersprochen haben dürften." Man hat gerade hier zu beachten, daß Phry= Zur allgemeinen Bedeutung von καλοὶ κἀγαθοί am Ende des 5. Jh. v. Chr. s. Gomme, καλοὶ κἀγαθοί passim und Bourriot, Kalos Kagathos I 113-252; zur Bedeutung des Begriffes in Thuk. 8,48,6 s. Andrewes, HCT V 110 und Grossi, Frinico 30, Anm. 41 mit

Überblicken über die ältere Forschung; vgl. jetzt Bournot, a. O. 114f.178-181, II 166f. Anm. 88, der in den καλοὶ κἀγαθοὶ ὀνομαζόμενοι eine Anspielung auf eine durch Alkibiades repräsentierte „groupe de snobs qui se distinguent par des singularités en mätiere de vocabulaire", beziehen möchte, die vom Demos wie von den Oberschichten

gleichermaßen separiert. gewesen sei (Bourriot a. O 1 180). Gegen die Möglichkeit, daß καλοὶ κἀγαθοὶ ὀνομαζόμενοι von Thuk. 8,48,6 auf die Führungsschicht der bundesgenössischen Poleis bezogen sein könnte, spricht sich zu Recht Hammond, Speech

153, Anm. 14 aus. 26 Hammond, Speech 149-152 hat m. E. zu Recht die Möglichkeit zur Diskussion gestellt, daB wir unter den καλοὶ κἀγαθοὶ ὀνομαζόμενοι der Phrynichos-Rede nicht die traditionellen Oberschichten, sondern sophistisch beeinflußte Machtmenschen vom Schlage eines Alkibiades und Kritias zu verstehen haben, die in einem oligarchischen System ebenso als

potentielle Stórfaktoren erscheinen mußten wie in der Demokratie (ähnlich auch Bourriot, s. o., Anm. 225). Vgl. v. Fritz, Conservative Reaction passim 231-235.

Die Möglichkeit, daß Phrynichos selbst von bescheidener Herkunft war und daher persónliche Ressentiments gegen die Aristokraten gehegt haben kónnte (Hammond

ebd.

155),

braucht man in unserem Zusammenhang nicht überzubewerten, da sich diese Behauptung nur in einer Stelle der pseudo-lysianischen Polystratosrede ([Lys.] 20,11) findet, in der vom Kontext her der Verdacht auf Ubertreibung oder gar Verfülschung naheliegt (s. o., S. 24f. mit Anm. 121 und 127). 27 Thuk. 8,48,4 σφίσι δὲ περιόπτεον εἶναι τοῦτο μάλιστα, ὅπως

μὴ στασιάσωσιν.

Die konkrete Bedeutung der hier befürchteten στάσις wird in der Forschung unterschiedlich aufgefaßt: Hammond, Speech 154 sieht in ihr eine Warnung vor einem internen Dissens der Oligarchen, hervorgerufen durch eine Rückkehr des Alkibisdes, Grossi, Frinico 30 faßt die Stelle allgemeiner als Warnung vor der Zwietracht der sozialen Gruppen in Athen: Phrynichos betone die Notwendigkeit, die innere Eintracht zu bewahren. Von diesen Alternativen scheint Grossis Auffassung dem Wortlaut der Stelle eher zu

entsprechen; sie verträgt sich auch besser mit der Gesamttendenz von Phrynichos' Rede, die in 8,48,7 auf eine Bewahrung des innenpolitischen status quo in Athen hinausläuft (s. S. 49). 2 Für die gängige Vorstellung von der Oppression der Bundesgenossen durch den Demos und ihre Unterstützung durch die Aristokraten s. [Xen.] Ath. Pol. 1, 14-18 und 3,10, dazu Lapini, Commento 111-138.275-278 (dort auch die ältere Literatur), für eine historische Bewertung der dagegen gerichteten Äußerungen des Phrynichos s. de Ste. Croix, Character, 37f. und Andrewes, HCT V 111f.

- 48 -

nichos, wie er selbst betont, diese Ansichten nicht im eigenen Namen vorträgt, sondern gleichsam als kundiger Berichterstatter die unter den σύμμαχοι verbreiteten

Ansichten

wiedergibt:

„er

wisse

mit

Sicherheit,

...“

(Thuk.

8,48,7). Können wir demnach davon ausgehen, daß Phrynichos’ Argumentation gegen

die Pläne der ξυνωμόται, so wie sie sich bei Thuk. 8,48,4-7 darstellt, keine Indizien für eine ‘parteipolitische’ Einordnung des Sprechers bietet, so ist es andererseits unleugbar, daß seine Haltung in der Praxis auf eine Bewahrung des innenpolitischen status quo in Athen, also eine Beibehaltung der demo-

kratischen Verfassung, hinauslaufen muBte.?? Das muß nicht heißen, daB

Phrynichos im Winter 412/11 aus Überzeugung zur Demokratie stand, aber es impliziert, daf er damals - aus welchen Gründen auch immer - die Bewahrung des demokratischen Systems der Möglichkeit eines oligarchischen Umsturzes vorgezogen hat. Über die Motive, die hinter dieser Haltung des Phrynichos standen, sind wir

auf Vermutungen angewiesen. Einen móglichen Ansatzpunkt dafür bietet uns Thukydides' Bericht über Phrynichos' Haltung während der Konfrontation der

athenischen und peloponnesischen Flotten vor Milet im Herbst 412.2?

Damals hatte Phrynichos seine Mitstrategen dazu überredet,” lieber die durch die vorangehenden siegreichen Kämpfe vor Milet gewonnenen Vorteile aufzugeben als eine Seeschlacht gegen die überraschend verstärkte peloponnesische Flotte zu riskieren. In diesem Zusammenhang hatte er nach Thukydides unter anderem ausgeführt, daß sich Athen in äußerster Gefahr befinde und es sich nach den erlittenen Schicksalsschlägen selbst mit ausreichender

Rüstung kaum noch erlauben könne, offensiv zu werden, viel weniger dürfe man aus freier Wahl Gefahren auf sich nehmen. Allenfalls unter äußerst günstigen Umständen könne man sich auf einen Kampf einlassen.”

#9 Zutreffend erkannt von Kagan, Fall 122f. Dies kann als zusätzliches Argument gegen die oben (S. 46 Anm. 222) referierte Auffassung Welweis gewertet werden. 230 Zur Datierung s. Busolt, GG III 2, 1432 und Andrewes, HCT V 185.

P! Avery, Studies 244 verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß Phrynichos bei Thuk. 8,27,1 als ὁ τῶν ᾿Αθηναίων στρατηγός erscheint, während die übrigen Strategen dort als ξυνάρχοντες bezeichnet werden, und stellt die Möglichkeit in den Raum, daß

Phrynichos im Rahmen des Strategenkollegiums von 412/11 „a position of some special authority" innegehabt und sich aus diesem Grunde mit seiner Meinung durchgesetzt habe (Eine *Oberbefehlshaberposition' des Phrynichos vermutete bereits Hatzfeld, Alcibiade 233 m. Anm. 6 mit Verweis auf Thuk. 8,51,1, ἐστρατήγει kal κύριος ἦν αὐτὸς

πράσσων ταῦτα). Dagegen wendet sich zu Recht Andrewes, HCT V 63 und 120; zu bezeugten Fällen, wo sich ein einzelner Strategos gegen eine Mehrzahl seiner Kollegen durchsetzte vgl. allgemein Hamel, Generals 97, sowie ebd. 194f. für die Position des Phrynichos und Skironides speziell.

22 Thuk. 8,27,1-5, s. dazu Kagan, Fall 63-68 mit weiterführenden Literaturangaben.

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Phrynichos’ Ratschläge vor Milet lassen über den konkreten Anlaßfall hinaus eine grundsätzliche Abneigung gegen militärisch riskante Offensivaktionen erkennen; als Alternative empfiehlt der Stratege eine Politik der Defensive

und der Sicherung der noch behaupteten Positionen, die in der Praxis auf einen lang hingezogenen Abnützungskrieg hinauslaufen mußte, nicht unähn-

lich dem ursprünglichen Kriegskonzept des Perikles.””° Es ist klar, daß eine

solche Strategie unter den 412 gegebenen Umständen nicht auf eine siegrei-

che Beendigung des Krieges, sondern bloB auf die Vermeidung einer Niederlage gerichtet sein konnte, d. h. auf einen Kompromißfrieden, der soviel wie möglich von der athenischen Machtposition bewahren würde.” Im Gegensatz dazu sahen die samischen Verschwörer, unabhängig von ihren innenpolitischen Präferenzen für eine oligarchische Staatsordnung, ihr Ziel in einem militärischen Sieg (τῶν πολεμίων ἐπικρατεῖν in Thuk. 8,48,1). Aus

diesem Grund betrieben sie die Rückführung des Alkibiades, der sich seinerzeit als Exponent des außenpolitisch-militärischen Abenteurertums profiliert hatte, eines Mannes, von dem sich eine Strategie des Alles-oder-Nichts erwarten ließ, dem man aber zugleich das Potential zutraute, ein solches Hasard-

spiel siegreich zu bestehen. In den Augen des Phrynichos muß der von den ξυνωμόται betriebene Kurs geradezu die höchste Steigerung jenes Risikoprinzips dargestellt haben, dem er vor Milet so vehement widerraten hatte, umso mehr, als er die Vorstellungen, auf die jene ihre Hoffnungen gründeten, für sachlich unzutreffend hielt.

Wie immer Phrynichos dem

Gedanken an einen oligarchischen Umsturz

gegenübergestanden haben mag, - seine Haltung im Sommer 411 zeigt, daß er

einer solchen Umwälzung zumindest nicht grundsätzlich widerstrebte -, in Verbindung mit einer Rückführung des Alkibiades und dem dann unvermeidlichen Kurswechsel hin zu einer Politik des militärischen Abenteurertums erschien ihm dergleichen jedenfalls nicht als wünschenswert. Legen wir diese Annahme zugrunde, so wird verständlich, weshalb Phrynichos den Plänen der ξυνωμόται kein eigenes Konzept entgegensetzte. Ein

solches Konzept wäre unter demokratischen wie unter oligarchischen Vorzeichen gleichermaßen auf den Versuch einer Verständigung mit dem Feind hinausgelaufen und daher für die große Mehrheit der samischen Verschwörer

inakzeptabel

gewesen.

Angesichts

dieser Stimmungslage

hat Phrynichos,

2, 233 Auf diese Analogie verweisen z. B. Andrewes, HCT V 66 und Grossi, Frinico 25.

7^ Daß Phrynichos’ Zurückhaltung vor Milet letztlich durch die Hoffnung auf ein Abkommen mit den Spartanern motiviert war, vermutete bereits Ferrabino, L' imperio ateniese 347. Zu weit geht m. E. die Vermutung Amits (Disintegration 56, Anm. 35), daf

Phrynichos damals bereits in ein hochverräterisches Manöver mit den Spartanern verwikkelt gewesen sei: In diesem Fall hátte Phrynichos als Stratege wohl wirksamere Wege gefunden, der Sache Athens zu schaden (man vgl. sein Angebot an Astyochos in Thuk. 8,50,5, dazu u., S. 50.547)

«50 -

wenn wir dem Referat bei Thukydides trauen kónnen, den Gedanken an eine mögliche Verständigung mit Sparta gar nicht erst zur Sprache gebracht, son-

dern sich auf den Versuch beschränkt, die Hoffnungen der ξυνωμόται mit Sachargumenten zu erschüttern. Daß es ihm damit nicht gelang, die Versammlung zu überzeugen, ist nicht weiter verwunderlich: Gegenüber der Aussicht auf eine Prolongierung der gegenwärtigen Misere mußte noch die fragwürdigste Hoffnung verlockend erscheinen.

Das Intrigenspiel des Phrynichos und Alkibiades Nachdem

er

mit

seinen

Argumenten

in

der

&uvcouórav-Versammlung

gescheitert war, soll Phrynichos sein Heil in der Entfesselung einer gegen Alkibiades gerichteten Intrige gesucht haben. Nach dem Bericht des Thukydides, der auch hierfür unsere Hauptquelle dar-

stellt, sandte er einen Brief an den spartanischen Nauarchen Astyochos, in dem er die Pláne des Alkibiades und seine Verhandlungen mit den athenischen Verschwórern enthüllte. Der Spartaner reagierte jedoch nicht wie er-

wartet mit der Beseitigung des Alkibiades, sondern begab sich nach Magnesia, wo er nicht nur dem Satrapen Tissaphernes, sondern auch dem Alkibiades

selbst von Phrynichos’ Enthüllungen Mitteilung machte. Alkibiades sandte daraufhin sofort nach Samos an die Verschworenen und forderte die Tótung des Phrynichos. Dieser, durch die Enthüllung seiner Intrige in schwerer Bedrángnis, schrieb einen weiteren Brief an Astyochos, in welchem er sich er-

bot, dem Spartaner das athenische Heer preiszugeben und ihm Ratschláge für den Angriff auf das unbefestigte Lager der Athener gab. Astyochos gab auch diesen Brief an Alkibiades weiter, aber Phrynichos, der dies „vorausahnte“, gab nun selbst dem athenischen Heer Warnung vor einem spartanischen Angriff und veranlaßte die Soldaten, das Lager zu befestigen. Als kurz darauf ein Brief des Alkibiades mit der Nachricht vom erneuten Verrat des Phrynichos

eintraf, nahm man es im Heer als eine gegen den Strategen gezielte Intrige, so daß Phrynichos nun auch im Hinblick auf die frühere Botschaft gerechtfertigt dastand. Soweit der Bericht des Thukydides.???

Das kuriose Wechselspiel von Intrige, Geheimnisverrat und Gegenintrige hat in der Forschung zu höchst unterschiedlichen Deutungen Anlaß gegeben. Im

Mittelpunkt der Diskussion stehen dabei naturgemäß die beiden Briefe des Phrynichos an Astyochos.

25 Thuk. 8,50f.; vgl. Plut. Alk. 25,6-13 und Polyain. 3,6, zum Verhältnis dieser Versionen zum Bericht des Thukydides s. Grossi, Frinico 87-93.

-51-

Wahrend die Mehrheit der Forschung die von Thukydides behauptete Autor-

schaft des Phrynichos akzeptiert,"^ haben Hatzfeld und Sealey die Ansicht vertreten, Alkibiades kónnte die Briefe erfunden haben, um den ihm feindlich gesonnenen Strategen bei den Athenern in Mißkredit zu bringen?" bzw. ihn

vor der Nachwelt zu diskreditieren.?" Dieser Gedanke ist neuerdings in modifizierter Form von Lang wiederaufgenommen worden, die allerdings nur den ersten Brief für eine Erfindung des Alkibiades halten móchte; der zweite Brief stamme tatsáchlich von Phrynichos, der auf die Verleumdungen des Alkibiades mit einer Gegenintrige reagiert habe.

Als Argument für diese Deutung macht Lang neben allgemeinen Überlegungen den von Thukydides überlieferten Text des ersten Briefes geltend, in dem sich Phrynichos gegenüber Astyochos selbst ganz offen als Verräter deklariert:

„es müsse ihm verziehen werden, wenn er gegen seinen Feind Übles rate, sei

es auch zum Nachteil der eigenen Stadt.'?? In Wirklichkeit hátte, so Lang, Phrynichos sein Verhalten nicht als Verrat an Athen gewertet, sondern im Gegenteil als einen Versuch, die Athener vor den Machinationen des Alkibiades zu bewahren. Ein weiteres Indiz gegen die Authentizitát des Briefes liege in der Unwahrscheinlichkeit der angeblichen Reaktion des Nauarchen Astyochos, für den es zwar sinnvoll gewesen sei, den Tissaphernes von dem Phrynichosbrief in Kenntnis zu setzen, nicht aber den

Alkibiades.?*

Das erste dieser Argumente hat, so weit es die Frage nach der realen Motiva-

tion des Phrynichos betrifft, einiges für sich,*! aber wir können nicht unbesehens davon ausgehen, daß Phrynichos in seinem Brief dem Spartaner seine tatsächlichen Motive enthüllt hat. Ihm mußte es vor allem darum gehen, den Astyochos davon zu überzeugen, daß er es mit seiner Botschaft ernst meine, und zu diesem Zweck war es wohl besser, sich dem Spartaner als Verräter aus D$ s. z. B. Kagan, Fall 124-130 Rood, Thucydides 269. Nicht näher ausgeführte Zweifel an der Authentizität des zweiten Briefes äußert Welwei, Athen 219 und 403 Anm. 286.

27 So Hatzfeld, Alcibiade 236 ohne nähere Begründung.

28 So Sealey, Revolution, 118, der die Episode ebenfalls für eine Erfindung des Alkibiades hält, aber für eine post festum-Erfindung: ,,... it may be suggested that Alcibiades invented

the story of Phrynichos' treachery, not while Phrynichos was still in Samos, but some time later, when he told it to Thucydides." Dagegen spricht jedoch neben allen anderen Kriterien der Wahrscheinlichkeit schon die schiere Kompliziertheit der bei Thuk 8,50-51 berichteten Vorgänge. Um den Phrynichos im Nachhinein anzuschwárzen, hätte es genügt, ihm eine einzige Verrüterbotschaft anzudichten. Weshalb dann aber die Erfindung zweier aufeinanderfolgender Briefe? "Vgl. Rood, Thucydides 269, der ebenfalls die Unwahrscheinlichkeit des thukydideischen Berichts als Argument gegen eine Erfindung geltend macht. 29 Thuk. 8,50,2 συγγνώμην

εἶναι ἑαυτῷ

πόλεως ἀξυμφόρου κακόν τι βουλεύειν.

200 Lang, Alcibiades vs. Phrynichus 292. MM s. dazu u., S. 52.

περὶ ἀνδρὸς

πολεμίου Kal μετὰ ToU τῆς

-52-

persönlichen Gründen zu präsentieren‘ denn als Patriot, der das Wohl Athens im Auge habe. Aber auch die von Lang als unverständlich gewertete Reaktion des Astyochos läßt sich rational erklären, am einfachsten wohl durch die Annahme, der Nauarch habe gehofft, gleichsam durch Vermittlung

des Alkibiades Zwietracht in die Reihen der Athener hineintragen zu kónnen, ein Ziel, das für die Sache Spartas gróBeren unmittelbaren Nutzen versprach als die ohne Mitwirkung des Tissaphernes faktisch ohnehin unmógliche Beseitigung des Alkibiades. Es ergibt sich demnach weder aus dem Wortlaut von Phrynichos' Botschaft noch aus Astyochos' Reaktion darauf ein zwingendes Indiz gegen die Echtheit des von Thukydides berichteten Ablaufes. Die von Lang vorgeschlagene Rekonstruktion ist hingegen mit der problema-

tischen Annahme belastet, daß Phrynichos sein Schreiben an Astyochos (= der zweite Phrynichosbrief des Thukydides) gewissermaßen auf gut Glück abgesandt habe, ohne die Reaktion des Nauarchen im geringsten absehen zu kónnen.?* Betrachten wir nun den thukydideischen Bericht einerseits, die von Lang vorgeschlagene Rekonstruktion andererseits unter dem Gesichtspunkt der Motivation der jeweiligen Hauptprotagonisten Phrynichos und Alkibiades, so erweist sich die von Thukydides berichtete Handlungsweise des Phrynichos als nachvollziehbar, während sich für Alkibiades kein wirklich überzeugendes

Motiv für die ihm von Lang unterstellte Entfesselung der Intrige finden läßt: Phrynichos befand sich nach seinem mißglückten Auftritt in der Versammlung der &uvcouóTa: in Zugzwang. Ihm ging es - ob nun aus persönlichen

oder aus patriotischen Gründen?^ - darum, die Rückberufung des Alkibiades

zu verhindern, und zu diesem Zweck blieb ihm nur noch das Mittel der Intrige. Für Alkibiades hingegen konnte die Beseitigung des Strategen kaum einen Vorteil darstellen, der das Risiko aufgewogen hätte, sich durch ein 24 So zu Recht Westlake, Phrynichos 100: „If, ...., the stratagem of Phrynichos was partly designed to influence the military and political situations in the interests of Athens, it was

essential for him to conceal this aam from Astyochos, who must be persuaded that the information contained in both messages would lead to injury to Athens and benefit to Sparta.“ Andrewes, HCT V 119 macht zu Recht darauf aufmerksam, daß Thukydides dieses Motiv

als glaubwürdig akzeptiert, „... a striking indication of the lengths to which a Greek might expect personal feuds to be taken in politics, ....“

24 Lang, Alcibiades vs. Phrynichus 293 m. Anm. 10 versucht, dieses Problem durch die Überlegung zu entkrüften, daB Phrynichos davon ausgehen konnte, eine von ihm an Astyochos gesandte Botschaft würde dem Alkibiades in jedem Fall bekanntwerden.

24 Die Möglichkeit einer 'patriotischen' Motivation zieht bereits Westlake, Phrynichos 100 in Betracht: ,,... the strategem of Phrynichos was partly designed to influence the military and political situation in the interests of Athens, ...‘“, zu einer möglichen Deutung von Phrynichos' politischer Position vgl. o., S. 26f.46-50.

.53.

mißglücktes Intrigenspiel selbst zu diskreditieren.* Für ihn kam es vorderhand darauf an, sich die Rückkehr nach Athen zu sichern, zur Befriedigung eines allfälligen persönlichen Hasses gegen Phrynichos hätten sich danach wohl andere und sicherere Gelegenheiten geboten.“ In Anbetracht all dieser Gründe scheint es geraten, hinsichtlich der Frage nach

der realen Existenz und der Verfasserschaft der beiden Phrynichosbriefe an

der durch Thukydides überlieferten Version festzuhalten. Zur Begründung für Phrynichos’ Handlungsweise führt der Historiker dessen Wunsch nach einer Verhinderung von Alkibiades’ Rückkehr an, was zweifellos ein überzeugendes Motiv darstellt; daneben mag der Wunsch mitgespielt haben, das Vertrauen der Spartaner in den formell noch immer mit ihnen verbündeten Satrapen zu erschüttern. Man hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß diese Aktion nach Phrynichos’ eigenen Anschauungen keinen Verrat an Athen bedeuten konnte, da das von Alkibiades verheißene Bündnis mit Persien in

seinen Augen von vornherein ein Ding der Unmöglichkeit darstellte.” Das Manöver scheiterte an der für Phrynichos unvorhersehbaren?” Reaktion des 755 In diese Richtung argumentiert bereits Westlake, Phrynichos 100: »Clearly the plan of Alcibiades was more embarassing to Phrynichos than the opposition of Phrynichos was to Alcibiades. “

^, Ebendies befürchtet Phrynichos bei Thukyd. 8,50,1. M? So bereits Westlake, Phrynichos 100; v. Fritz, Geschichtsschreibung L, Anm.-Bd., 324 Anm. 218; mit sprachlichen Argumenten untermauert von Schindel, Phrynichos 286f.

Aus der Tatsache, daB Thukydides diese “phrynicheische’ Sicht der Dinge zu akzeptieren scheint, zieht Cagnetta, Fonti oligarchiche 218f. den Schluß, Phrynichos selbst sei „in gran

conto" der Gewührsmann des Historikers für diese Episode gewesen. Die bei dieser Hypothese vorausgesetzte Notwendigkeit eines persónlichen Kontakts zwischen dem Historiker und dem Strategen im Jahre 411 stellt für Cagnetta keine unüberwindliche Schwierigkeit dar, da sie im Gefolge einer von Canfora (Tucidide continuato 109-121, bes. 119-121;

vgl.136-139) aufgestellten Hypothese davon ausgeht, Thukydides habe sich 411 in Athen aufgehalten. Macht man sich diese Auffassung Canforas nicht zu eigen (s. dagegen etwa die Rezension von K. Meister, Gnomon 47, 1975, 469), so muB Cagnettas These als pro-

blematisch gewertet werden. ^* Hinsichtlich der von Phrynichos erwarteten Reaktion des Nauarchen stellt sich die Frage, ob sich der Athener bei der Entsendung seines ersten Briefes der Tatsache bewuBt war, daB sich Alkibiades gar nicht mehr im Spartanerlager aufhielt? Westlake, Phrynichos 101 geht davon aus, daB dies nicht der Fall war, Phrynichos habe angenommen, daß Astyochos jederzeit imstande wäre, sich der Person des Alkibiades zu bemächtigen. Diese

Annahme ist jedoch schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil man im Athenerlager spätestens seit dem Austausch der Botschaften zwischen Alkibiades und den ξυνωμόται gewuBt haben wird, daß ersterer seinen Aufenthalt am Hofe des Satrapen genommen habe. Bine alternative Móglichkeit bringt Bloedow, Phrynichus 95f. ins Spiel: Phrynichos habe vorausgesehen und bewußt in Kauf genommen, daß Astyochos seine Botschaft an Tissaphernes weiterleiten würde. Da er, wie seine Äußerungen bei Thuk. 8,48,4 zeigten, den Persern keine wirkliche Bereitschaft zu einem Bündnis mit Athen zutraute, habe er damit

gerechnet, daß die Enthüllung von Alkibiades' diesbezüglichen Versprechungen den Satrapen überraschen und zugleich dessen Vertrauen in Alkibiades erschüttern würde -

- 54-

spartanischen Nauarchen, der den Tissaphernes und den Alkibiades von der aus dem Athenerlager erhaltenen Botschaft in Kenntnis setzte, eine Aktion,

die man wohl zu Recht aus der Hoffnung erklärt hat, die geplante Verständi-

gung zwischen Athen und dem Satrapen zu vereiteln.?^?

Vor dem Hintergrund dieser Vorgeschichte haben wir nun den zweiten Brief

des Phrynichos zu betrachten. Bezüglich der Frage nach dem Verfasser können wir davon ausgehen, daß die oben angeführten Argumente zugunsten von Phrynichos' Urheberschaft am ersten Brief a fortiori auch für den zweiten

Geltung haben;?” wir haben daher davon auszugehen, daß es sich auch beim zweiten Phrynichosbrief um eine authentische Botschaft des Phrynichos an Astyochos gehandelt hat. Nicht unmittelbar einsichtig und in der Forschung umstritten ist jedoch die Frage nach den Absichten, die der athenische Stratege mit seiner zweiten Botschaft verfolgt hat. Der Bericht des Thukydides impliziert, daB Phrynichos seine zweite Botschaft ebenso ernst gemeint hat wie seine erste: Es handelte sich um einen Versuch,

sich durch einen Verrat großen Ausmaßes aus der Bedrängnis zu retten, und erst als Phrynichos ,,vorauserfuhr^,?! daß Astyochos auch diese Botschaft an Alkibiades weitergeleitet habe, habe er ad hoc begonnen, die Athener vor dem

bevorstehenden Angriff zu warnen und das Lager vor Samos befestigen zu

lassen.” Kagan hat die Historizität dieser thukydideischen Version verteidigt:

Es sei dem Phrynichos durchaus zuzutrauen, daß er, um die eigene Haut zu

retten, seine Stadt im Ernst habe verraten wollen,? und sein Angebot an was dann ja auch tatsáchlich der Fall gewesen sei. Diese Deutung erscheint an sich verlockend, aber es stellt sich dabei die Frage, weshalb Phrynichos, wenn er solche Absichten verfolgte, sich nicht direkt an Tissaphernes oder an Astyochos und Tissaphernes zugleich wandte.

Vielleicht liegt die Wahrheit einfach in der Annahme, daß Phrynichos zwar über den Aufenthalt des Alkibiades bei Tissaphernes informiert war, aber darauf vertraute, daß Astyochos in jedem Falle eine Móglichkeit zur Beseitigung des Verrüters finden werde.

?9 Westlake, Phrynichos 101; Kagan, Fall 127.

?9 Betrachtet man das Problem unter dem Gesichtspunkt der Nachvollziehbarkeit der Motivation der beteiligten Personen, so erscheint die Hypothese einer Urheberschaft des

Alkibiades beim zweiten Brief noch weniger wahrscheinlich als beim ersten: Selbst wenn man annehmen möchte, daß Alkibiades den ersten Brief erfunden hatte, so hatte er doch,

nachdem bereits diese Erfindung genügte, den Phrynichos ἐν τῷ

μεγίστῳ

κινδύνῳ

(Thuk. 8,50,5) zu bringen, keinen Grund, einen weiteren Phrynichosbrief extrem hochver-

rüterischen Inhalts nachzuschieben, der móglicherweise gerade durch diese Ubertreibung von den Athenern als Erfindung durchschaut werden konnte. Alkibiades wird sich der Tat-

sache wohl bewußt gewesen sein, daß seine eigene Glaubwürdigkeit den Athenern auf Samos nicht für über jeden Zweifel erhaben galt (s. Thuk. 8,51,3).

251 Thuk. 8,51,1 προήσθετο; zur Bedeutung des Wortes s. Andrewes, HCT V 119f.

292 s. Andrewes, HCTV 119f.

29 Kagan, Fall 128 ,,Alcibiades was not the only Athenian politician with remarkable flexibility and grandiose personal ambitions who was ready to betray his city to secure his safety and his political career."

-55.

Astyochos sei so verlockend gewesen, daß er hoffen durfte, der Spartaner würde diesmal auf seine Vorschläge eingehen. Die große Mehrheit der Forschung neigt demgegenüber der Auffassung zu, Phrynichos habe niemals wirklich vorgehabt, den Spartanern die athenischen Streitkräfte auf Samos

in die Hände zu spielen, sondern von allem Anfang

denjenigen Ausgang im Sinne gehabt, der dann auch tatsächlich eintrat, daß nämlich Astyochos auch diese Botschaft an Alkibiades weiterleiten und dem Phrynichos damit Gelegenheit geben würde, den Vorwurf des Verrats durch

sichtbare Warnungen und Verteidigungsmaßnahmen zu entkräften.” Beim Versuch, zwischen diesen Alternativen eine Entscheidung zu treffen sind wir mangels fester Anhaltspunkte in den Quellen ganz auf das notwendigerweise höchst subjektive Kriterium der inneren Wahrscheinlichkeit ange-

wiesen. Was

die

Version

des

Thukydides

betrifft,

so wird

man

zwar

mit

Kagan

annehmen dürfen, daß dem Phrynichos in seiner Bedrängnis die Bereitschaft zum Vaterlandsverrat grundsätzlich zuzutrauen ist,” auf der anderen Seite

aber fällt es schwer zu glauben, daß er ein zweites Mal in gutem Glauben sein Schicksal in die Hände des Astyochos gelegt haben sollte, nachdem dieser schon seine erste Botschaft an Alkibiades weitergegeben hatte. Möchte man hingegen mit der communis opinio annehmen, Phrynichos habe

den tatsächlichen Ausgang seines Manövers vorausgeplant, so setzt dies, wie v. Fritz treffend feststellt, voraus, „daB Phrynichos sich auf Grund der Aus-

lieferung seines ersten Briefes an Alkibiades davon überzeugt hatte, daß Astyochos ganz in den Händen des Tissaphernes war .... und auch das (scheinbar) offenkundigste spartanische Interesse an diesen und seinen Berater Alkibiades verraten würde'*. Es erscheint sehr fraglich, ob sich die Reaktion des Spartaners für Phrynichos tatsächlich in diesem Maße absehen ließ. Wenn Astyochos die erste Botschaft des Phrynichos dem Tissaphernes und Alkibiades zur Kenntnis gebracht hatte,

so konnte dies allein noch keineswegs als hinreichende Gewähr dafür dienen, daß er die auf zweite, in ihrem Inhalt gänzlich andersgeartete Botschaft in gleicher Weise reagieren würde. Vom Kenntnisstand des athenischen Strategen aus betrachtet mußte es als ebensogut möglich scheinen, daß der Spartaner die Botschaft entweder ganz ignorieren oder die darin enthaltenen Infor-

234 So bereits Grote, History *VII 254; von den neueren Autoren s. z. B. Westlake, Phrynichos 101; Bloedow Phrynichus 97f. und Lang, Alcibiades vs. Phrynichus 293f. * Man vergleiche z. B. die Handlungsweise der Oligarchen, die nach dem Sturz der Vierhundert zu den Landesfeinden überliefen (Thuk. 8,98; vgl. Lys. 18,9, wo es als eine rühmenswerte Ausnahme hingestellt wird, wenn ein athenischer Verbannter nicht auf die Seite des Landesfeindes trat). 256v. Fritz, Geschichtsschreibung I Anm.-Bd., 324, Anm. 218.

- 56 mationen ohne Rücksicht auf Phrynichos zu einem sofortigen Angriff auf das

Athenerlager ausnützen würde."

Es zeigt sich somit in aller Deutlichkeit: Welche Reaktion auch immer Phrynichos von seiten des Astyochos bzw. des Alkibiades erhofft haben mochte, er mufte, wenn er in seinem Handeln überhaupt von planender Überlegung

geleitet war, auch die oben beschriebenen Alternativen als Móglichkeiten ins Auge fassen. Unter diesen Umstünden aber konnte sich Phrynichos, wenn er aus dem Scheitern seines ersten Strategems die Lehre zog, eigentlich nicht verhehlen, daB sich der Ausgang seines neuen Manóvers erst recht jeglicher Vorausberechnung entziehen würde; ließ er sich dennoch darauf ein, so muß sein Handeln in jedem Fall als ein Hasardspiel hóchsten Grades gewertet werden, eine *Flucht nach vorne', die sich nur durch die verzweifelte Situation des atheni-

schen Strategen erklären läßt. Das würde dem von Thukydides gezeichneten Bild insoferne durchaus entsprechen, als der Historiker ausdrücklich feststellt, Phrynichos sei aufgrund der Enthüllung seiner ersten Botschaft θορυβούμεvos gewesen ^* Vielleicht aber kónnen wir dem Bericht des Thukydides einen Hinweis entnehmen, daß sich Phrynichos bei aller Erregung doch über die Unwägbarkeit von Astyochos'

Reaktion

im klaren war und daß er Vorsorge traf, diesem

Risiko nach Máóglichkeit entgegenzuwirken: Thukydides gibt an, daB Phrynichos ,im voraus erfuhr, daB Astyochos mit ihm falsches Spiel treiben werde.“

Die

Verwendung

des

Verbums

ςπροαισθάνεσθαι“

in

diesem

Zusammenhang deutet darauf hin, daB Phrynichos nicht nur aufgrund einer

bloßen *Vorausahnung' gehandelt, sondern konkrete Informationen über das ἀδικεῖν“ des Astyochos erhalten hat.?? Die Forschung nimmt zumeist an, daB ihm diese Information mehr oder weniger zufällig zugekommen sei, etwa

257 So zu Recht Westlake, Phrynichos 101f. und Andrewes, HCT V 119. Westlake bringt die Möglichkeit ins Spiel, Phrynichos habe auch für den Fall, daß Astyochos auf seine Botschaft eingehen werde, Vorsorge getroffen, indem er den Spartaner bewußt falsch infor-

mierte: „The detailed information given to Astyochos showing him how best to attack the Athenian base was doubtless such that if the Peloponnesians tried to make use of it the Athenians would enjoy an initial advantage in the ensuing engagement .... if he [Astyochos] could be tempted to deliver an attack of which the Athenians would be forewarned, the consequences were likely to be disastrous for the Peloponnesians."

258 Thuk. 8,50,5.

255 Für die Verwendung von προαισθάνεσθαι im Sinne ‘im voraus erfahren’, ‘Wind bekommen von etwas’ bei Thukydides s. z. B. 2,93,3 οὔτε προσδοκία [ἦν] οὐδημία μὴ ἄν ποτε ol πολέμιοι ἐξαπιναίως οὕτως ἐπιπλεύσειαν. ἐπεὶ .... el διενοοῦντο, μὴ οὐκ ἂν

προαισθέσθαι und 5,58,1 ᾿Αργεῖοι δὲ προαισθόμενοι τό τε πρῶτον τὴν παρασκευήν ὡς für das Bedeutungsspektrum von προαισθάνεσθαι bei Thukydides allgemein s. Betant, Lexicon 8. v.

-57dergestalt,

daß

der Bote

des Phrynichos

aus Astyochos’

Empfang des Briefes dessen Absichten erschlossen habe.“

Verhalten

beim

Vielleicht aber hat Phrynichos gleich bei der Entsendung seiner Botschaft

dafür Sorge getragen, daß er diesmal von der Reaktion des Nauarchen nicht mehr überrascht werden würde. Wenn der Stratege die Möglichkeit hatte, geheime Botschaften an den spartanischen Nauarchen zu senden, so erscheint

die Annahme nicht zu gewagt, daß er auch die Mittel hatte, die Vorgänge im

Spartanerlager ausspühen zu lassen.?*! Der großangelegte Überfall auf das Athenerlager, den er dem Astyochos vorschlug, ließ sich zweifellos nicht ganz ad hoc ins Werk setzen, sondern setzte ein Maß an Vorbereitungsaktivitäten voraus, das einem eigens zu diesem Zweck entsandten Späher nicht entgehen konnte.” Das Ausbleiben solcher Vorbereitungen hingegen konnte von

Phrynichos’ Agenten als Indikator dafür gewertet werden, daß Astyochos auch diesmal nicht bereit war, auf die Vorschläge des athenischen Strategen einzu-

gehen. Daß der Spartaner in diesem Fall wiederum Alkibiades informieren

würde, ließ sich dann mit großer Wahrscheinlichkeit absehen. Legen wir diese zugegebenermaßen hypothetische Annahme zugrunde," so läßt sich besser nachvollziehen, weshalb sich Phrynichos auf ein derart verwegenes Intrigenspiel überhaupt einlassen konnte, und wir verstehen, wie

er dazu kam, den Astyochos zum Angriff auf das athenische Lager aufzufordern. Seine Handlungsweise erscheint auch so noch als im höchsten Maße

skrupellos und verwegen,

aber sie muß

nicht mehr

als ein Hasardspiel

verstanden werden, bei dem Phrynichos alles auf eine einzige Karte setzte: Er 260 So vermutet von Andrewes, HCT V 120.

2 Für die grundsätzliche Möglichkeit eines solchen Späher- und Informationswesens zwischen den Lagern s. Thuk. 8,79,3 (vgl. u, Anm. 263). Man beachte auch, daß Phrynichos nach Thuk. 8,51,1 den Athenern die angeblichen Angriffspläne der Peloponnesier verkünden konnte, ohne daß sich die Frage erhob, wie er zu dieser Information

gekommen sein konnte - man scheint es also nicht für ungewöhnlich gehalten zu haben, daß der Stratege offensichtlich über private Informationsquellen aus dem Feindeslager verfügte. 262 Astyochos’ Reaktion auf den ersten Phrynichosbrief hingegen hätte sich auch durch den Einsatz von Spähern kaum ermitteln lassen: Wenn der Spartaner nach Magnesia reiste, so konnte dies durch eine im Sinne des Phrynichos harmlose Ursache, etwa die Notwendigkeit, mit dem Satrapen Fühlung zu halten, motiviert sein und mußte daher von Seiten des athenischen Strategen nicht als Alarmzeichen gewertet werden. 263 Die im Text skizzierte Rekonstruktion der Ereignisse setzt voraus, daB Thukydides in

seinem Bericht vom Intrigenspiel des Phrynichos ein wichtiges Faktum bloß andeutet (durch das προήσθετο von 8,51,1), anstatt es in der gebotenen Ausführlichkeit zu erwähnen; aber das ist im Kontext des thukydideischen Geschichtswerkes keineswegs undenkbar: man

vergleiche Thuk.

8,79,3, wo

der Historiker die Tatsache

vermerkt,

daß die

Athener im voraus über die Absichten der Peloponnesier informiert waren (προήσθοντο γὰρ αὐτοὺς ἐκ τῆς Μιλήτου ναυμαχησείοντας), ohne zu erwähnen, auf welche Weise ihnen diese Kenntnis zugekommen war.

- 58war angesichts seiner bedrängten Lage jetzt offensichtlich bereit, sich tatsächlich auf eine hochverräterische Konspiration mit dem Nauarchen

einzulassen, konnte sich aber dank seiner Informationsquellen aus dem Spartanerlager für den Fall, daß Astyochos nicht darauf eingehen sollte, einen Ausweg offenhalten.

Höchst aufschlußreich für die Beurteilung der Episode ist auch die Reaktion der Athener auf die zweite Botschaft des Alkibiades: DaB man im Athenerlager mehrheitlich eher dem Phrynichos zu glauben geneigt war, zeigt die Stärke der unter den Truppen?‘ immer noch bestehenden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Alkibiades.

Die Mission des Peisandros in Athen Während unter den Verschworenen auf Samos im Zuge der Affäre um die Phrynichosbriefe erste Vorbehalte gegen die Person des Alkibiades zutage

traten, betrieben Peisandros und die übrigen Gesandten der ξυνωμόται in Athen die Sache des oligarchischen Umsturzes. Dem Bericht des Thukydides zufolge trat Peisandros nach seiner Ankunft in Athen vor der Volksversammlung auf und verkündete dort im Zuge einer lángeren Rede, die Athener könnten den Großkönig zum Verbündeten haben, wenn sie den Alkibiades zurückführten und „nicht mehr auf die gewohnte Art demokratisch verfaßt“ würen. Daraufhin habe sich von seiten der Demokraten und der Gegner des Alkibiades (unter letzteren auch die Priestergeschlechter der Eumolpiden und Kerykes) lautstarker Protest erhoben, dem Peisandros mit dem Verweis auf die aussichtslose Lage zu begegnen wußte. Er rief die Dagegenredenden einzeln auf die Bühne?” und fragte sie, ob sie in der gegenwärtigen Bedrängnis

einen anderen Ausweg wüßten. Als die Gegenredner darauf nichts erwidern konnten, erklärte Peisandros, das Bündnis mit dem König sei für die Athener nur zu erreichen, wenn sie eine „vernünftigere“, auf eine geringere Zahl als

bisher gestützte Verfassung hätten, damit der König Vertrauen zu ihnen fasse, und den Alkibiades zurückberiefen, den einzigen Mann, der dieses Bündnis

bewerkstelligen könne. Es gehe im Augenblick viel mehr um die Rettung der Stadt als um ihre Verfassung; letztere könne späterhin, wenn sie nicht gefalle, wieder abgeändert werden.

24 Daß sich die Bemerkung bei Thuk. 8,51,3 über den Glaubwürdigkeitsverlust des Alkibiades nicht auf die Kreise der Verschwörer allein, sondern auf das Heer insgesamt bezieht, betont zu Recht Avery, Chronology 141.

755 Dieses Verständnis der thukydideischen Phrase ἠρώτα ἕνα ἕκαστον παράγων τῶν ἀντιλεγόντων (8,54,2) liegt m. E. näher als die von McCoy (*Non-Speeches’ 81) vermutete Deutung „he took the objectors aside one by one“; vgl. Classen/Steup, Thukydides 129

und HCT V 124, wo auf die parallele Verwendung von ἐρωτᾶν kal παράγειν in Thuk. 3,68,1 verwiesen wird.

-59-

Der Widerspruch kam auch daraufhin nicht ganz zum Erliegen, doch bei der

Mehrheit der Versammlungsteilnehmer wogen Peisandros' Argumente schwerer als alle Vorbehalte gegen eine Änderung der Verfassung; man beschloß,

Peisandros an der Spitze einer Zehn-Männer-Delegation zu Tissaphernes zu entsenden; weiters beschloß man die Absetzung der Strategen Phrynichos und Skironides und ihre Ersetzung durch Leon und Diomedon (Thuk. 8,53,1-54,3).

Bei der kritischen Bewertung dieses Berichts ist zunächst die Frage der Chronologie zu klären. Thukydides' Darstellung erweckt, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wird, den Eindruck, Peisandros sei sogleich oder jeden-

falls sehr bald nach seiner Ankunft, die wir etwa um die Jahreswende 412/11

datieren können,“ vor die Ekklesie getreten. Allerdings erweckt der thukydideische Bericht auch die Vorstellung eines insgesamt nur kurzen Aufenthalts des Peisandros in Athen, was sich mit den von dem Historiker selbst für die Tissaphernes-Mission gegebenen chronologischen Implikationen kaum ver-

einbaren laßt.?°” Während Andrewes die Schwierigkeit durch die Annahme zu lösen sucht, Peisandros habe in Athen zunächst eine Zeitlang das Terrain sondiert, ehe er seinen revolutionären Vorschlag vor die Öffentlichkeit brachte,"^* akzeptieren

Lang und Avery die Vorstellung eines nur kurzen Auftritts des Peisandros in Athen, möchten diesen aber in den März 411 datieren, wobei sie sich auf In-

dizien stützen, die sich ihrer Meinung nach aus den beiden in jenem Frühjahr aufgeführten Stücken des Aristophanes gewinnen lassen.?®

Die Überprüfung dieser Indizien zeigt jedoch, daB die von Lang bzw. Avery zugrunde gelegte Deutung in keinem Fall als zwingend angesehen werden 75 Busolt GG III 2 1470 Anm. 2; vgl. Andrewes HCT V 117 über das Datum von Peisandros' Abreise nach Athen. 26 s. Andrewes, HCT V 186f.; das Treffen zwischen Tissaphernes und der von Peisandros geführten Athenergesandtschaft gehört in den März 411, s. u., S. 75 mit Anm. 348. Andrewes 186f. 79 Lang, Revolution II 181-183 und Avery, Chronology passim, bes. 140-145. Während

Lang a. O. 181 ihre Datierung auf dem allgemeinen Kontrast zwischen Lysistrate und Thesmophoriazusen aufbaut (,apparently in February the forces of reaction were still a

joking matter, by March politics were [had to be?] studiously avoided in favor of literary escapism‘‘),

stützt sich Avery

auf eine konkrete

Stelle,

nämlich

die Erwähnung

des

Peisandros in Aristoph. Lys. 490f.: (va γὰρ Πείσανδρος ἔχοι κλέπτειν xol ταῖς ἀρχαῖς ἐπέχοντες, / ἀεί τινα κορκορυγὴν ἐκύκων. Die in dieser Passage gebotene Charakterisierung des Peisandros als eines kriegshetzerischen und kriegsgewinnlerischen Demagogen entsprach dem gewöhnlichen Peisandrosbild der Komödie, konnte aber Avery zufolge dem athenischen Publikum nicht mehr vorgeführt werden, nachdem Peisandros in der bei Thuk.

8,53f. referierten Versammlung öffentlich den Schwenk hin zur Oligarchie vollzogen hatte. Die Versammlung könne daher erst nach der an den Großen Dionysien im Februar 411 anzusetzenden Aufführung des Stückes stattgefunden haben (Avery a. O. 134; ähnlich auch Andrewes, HCT V 189 und Welwei, Athen 219f.; zum Aufführungsdatum der Lysi-

strate vgl. jetzt auch Wenskus, Datierung passim).

- 60 -

kann;?”° nichts hindert uns daher, an der gewöhnlichen und durch den Bericht des Thukydides nahegelegten Datierung von Peisandros’ Ankunft in Athen

auf die Jahreswende 412/11 festzuhalten.”’' In diesem Fall aber wird man

auch Andrewes’ Vorstellung vom Zuwarten des Peisandros nach seiner Ankunft nicht für überzeugend halten können, da sich, wie Avery zu Recht

bemerkt, der Zweck seiner Mission nicht lange hätte geheimhalten lassen?"

Eine überzeugende Lösung für dieses Dilemma bietet Erbse, der davon ausgeht, daß Peisandros zwar die ihm anvertraute Botschaft bald nach seiner

Ankunft vor die Ekklesie brachte, daß es aber einiger Sitzungen bedurfte, ehe es ihm gelang, die Athener zur Annahme

seiner Vorschläge zu überreden.

Thukydides habe diese Vorgänge aus Gründen der darstellerischen Wirkung in eine einzige dramatisch geschilderte Ekklesie zusammengezogen. Ebenfalls aufgrund darstellerischer Gesichtspunkte habe der Historiker die von Peisandros zur Vereinigung der oligarchischen Hetairien betriebenen Aktivitäten an das Ende

Peisandros’

seines Berichts gestellt, während

wiederholten Auftritten vor dem

Volk

sie in Wirklichkeit mit

parallel

gelaufen

sein

müßten.?”” Erbses Hypothese bietet eine Rekonstruktion der Ereignisse, die weniger AnstóBe bietet als die oben referierten Lósungsversuche,^"^ die in

7? Von den beiden o., S. 59 Anm. 269 referierten Rekonstruktionen hängt diejenige Langs an der m. E. unzutreffenden Voraussetzung vom absichtlich unpolitischen Charakter des

letztgenannten

Stückes

(dazu

u., S.

117-123).

Was

hingegen

Averys

Deutung

der

Peisandroserwähnung in Aristoph. Lys. 490f. betrifft, so kann seine Auffassung der Stelle

schon deshalb nicht als die einzig mógliche gelten, da es in der betreffenden Passage nicht um die ‘Parteizugehörigkeit’ des Peisandros geht, sondern um sein Auftreten als Kriegs-

treiber; dieser Aspekt aber wurde von Peisandros’ Hinwendung zur Oligarchie nicht berührt, vielmehr prüsentierte sich die von ihm vorgeschlagene Verfassungsünderung als ein Mittel zur siegreichen Fortführung des Krieges. Die Peisandrosschelte in Lys. 490f. kann daher nicht als ein Zeugnis für ein ungebrochen demokratisches Image dieses Staatsmannes zum Aufführungszeitpunkt gewertet werden, ja man kónnte ganz im Gegenteil mit

Westlake (Lysistrata 49) und Hubbard (Mask 244) die Warnung des Dichters vor der gleichbleibenden Unruhestifternatur des Peisandros als eine Reaktion auf dessen spektaku-

lären Auftritt in der Ekklesie ansehen: „Peisander may appear to be making a political volte face, but in view of his record for conventional demagoguery it would be most unwise to

trust him" (Westlake a. O.). ?' Selbst wenn man sich Averys (Chronology 138f.) Argument zu eigen machen wollte, daß Thukydides in 8,49 nur von den Vorbereitungen zur Abfahrt des Peisandros von Samos, nicht aber von der Abreise selbst berichte, so käme doch die Tatsache zum Tragen, daß Peisandros nach Thuk. 8,54,3 den Phrynichos nur wegen des „Verrats““ an Amorges

anklagte, also von dem in Thuk. 8,50f. erzählten Intrigenspiel noch keine Kenntnis hatte (Busolt GG III 1 1470 Anm. 2). Avery, Chronology 138.

7? Erbse, Thukydides-Interpretationen 12-14.

7^ Auch Andrewes scheint im Grunde in dieselbe Richtung zu inklinieren wie Erbse, da er davon ausgeht, daB Peisandros „must probably have made some public statement on arrival" (HVT V 186). Freilich muB seine Auffassung, Peisandros habe bei diesem ersten

- 61 -

sich schlüssig ist, und die sich schlieBlich auch mit dem, was wir sonst von

Thukydides' Umgang mit seinem Faktenmaterial wissen, durchaus vereinbaren làBt."? Es scheint daher gerechtfertigt, dieser Rekonstruktion gegenüber den oben referierten Alternativen den Vorzug zu geben und anzunehmen, daß

sich die Mission des Peisandros in Athen etwa zwei Monate hingezogen hat, und daß der Beschluß zur Entsendung einer Gesandtschaft an Tissaphernes erst gegen Ende dieses Zeitraumes gefällt worden ist. Ehe wir nun die Aktivitáten des Peisandros, wie sie sich nach dem Bericht des

Thukydides darstellen, im einzelnen zu bewerten versuchen, scheint es angebracht, die Person dieses Hauptprotagonisten der Oligarchenverschwórung náher ins Auge zu fassen. Für Peisandros' Aktivitáten vor 412/11 ist die Quellenlage kaum besser als für diejenigen des Phrynichos. Für sein Geburtsjahr und seine familiären Umstände sind wir mangels fester Anhaltspunkte auf Konjekturen angewie-

sen."* Woodhead's Annahme, daß Peisandros in den Vierhundertfünfziger Jahren geboren sei und aus wohlhabenden Kreisen stammte, beruht auf bloBen Vermutungen, für die sich keine direkte Quellenevidenz geltend machen läßt.?”’ Als Figur des öffentlichen Lebens erscheint er ab 426 in einer Reihe von Komódienstellen, wo er als Fresser und Feigling verspottet^* und

als korrupter Kriegshetzer kritisiert"? wird, Charakterisierungen, die in ihrer Gesamtheit wohl als Indiz für Peisandros' Affinitát zur demokratischen und Auftritt den eigentlichen Zweck seiner Mission verschwiegen, aus den im Text angeführten Gründen als unwahrscheinlich angesehen werden. 75 Bine vergleichbare Zusammenziehung mehrerer Ekklesien in eine einzige kann m. E. hinter der Schilderung der Kolonos-Versammlung in Thuk. 8,67,2f. vermutet werden (s. Heftner, Polystratos 89f. sowie u., S. 102f.). 7$ Zur Identifikation des Oligarchenführers von 411 mit dem 421/20 als Epistates für die Anfertigung von Athene- und Hephaistosstatuen bezeugten Πείσανδρος Γλαυκέτο 'Axapveus (IG P 472 Z 3f) s. Woodhead, Peisander 133 und Develin AO 141. Angesichts der relativen Seltenheit des Namens ist er wohl auch mit jenem Peisandros identisch, der irgendwann zwischen 425 und 411 die Proxenie für den Achäer Lykon beantragte (IG

P 174 Z 4f). 17 Woodhead, Peisander 133. W. begründet seine Schätzung über Peisandros' Geburtsjahr

mit der von ihm im Zuge der Umsturzvorbereitungen an den Tag gelegten „activity and energy“, die eher zu einem Mann um die 45 passen würden als zu einem Greis. Aber dies kann, wenn wir etwa die Aktivitáten des um 480 geborenen (s. o., S. 24 mit Anm. 120) Phrynichos zum Vergleich heranziehen, nicht als zwingendes Argument gewertet werden,

und die nicht unbedeutende außenpolitische Rolle, die Peisandros in den 426 aufgeführten Babyloniern des Aristophanes (fr. 84 K.-A.) zugeschneben wird, scheint zu einem knapp Dreißigjährigen nicht recht zu passen (vgl. Thuk. 5,43,2 über das jugendliche Alter des Alkibiades zur Zeit seiner ersten außenpolitischen Aktivität).

27% Aristoph. av. 1556-64; Eupol. Dem. fr. 99,1f. K.-A.; Plat. com. fr. 110 K.-A.; vgl. Xen.

symp. 2,14 und Suda s. v. Πεισάνδρον δειλότερος. Aristoph. fr. 84 K.-A.; Pax 395; Lys. 490f. (zu letzterer Stelle s. o., S. 59f. Anm. 269 und 270).

-62außenpolitisch aggressiven Richtung der athenischen Politik gewertet werden können, ohne daß wir seine Position im Rahmen dieses Spektrums näher

bestimmen könnten;?® die Vielzahl und zeitliche Streuung der Nennungen

deutet jedenfalls darauf hin, daß er in der athenischen Politik über längere Zeit hindurch eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben dürfte. Ganz allgemein gehalten ist eine Stelle im Corpus Lysiacum, wo Peisandros aus der Rückschau von 403 neben Phrynichos als Beispiel eines ‘gewendeten’, zum Oligarchen gewordenen Demagogen angeführt wird.??!

Den ersten festen Anhaltspunkt bietet uns eine Notiz des Andokides über Peisandros' Aktivität während der Affäre um die Hermenfrevler im Jahre 415. Wir erfahren daraus, daß Peisandros damals als εὐνούστατος τῷ δήμῳ galt, Mitglied der Untersuchungskommission über die Hermenfrevel war und in dieser Funktion eine Kampagne gegen angebliche oligarchische Umtriebe ins

Werk setzte.?®? Peisandros wird hier eindeutig als entschiedener Vorkämpfer der Demokratie charakterisiert. Ob er sich, wie in der Forschung gelegentlich

vermutet, im Jahre 415 auch an der Kampagne gegen Alkibiades beteiligt hat, läßt sich aus den Quellen nicht erweisen; im Hinblick auf sein späteres

Eintreten für dessen Rückkehr wird man die Móglichkeit nicht ausschlieBen können, daß er sich seinerzeit dem Alkibiades gegenüber zurückgehalten oder

ihn sogar unterstützt hat."**

Wie Peisandros von diesem Hintergrund her im Winter 412/11 dazu kam, sich die Sache des oligarchischen Umsturzes zu eigen zu machen, ist in den Quellen nicht einmal andeutungsweise überliefert; ziehen wir die einflußreiche Position in Betracht, die er in der Demokratie innehatte, so kónnen wir viel-

leicht vermuten, daß es nicht nur persónlich-opportunistische Gründe waren,

die ihn 412 zum Fürsprecher des Verfassungswechsels werden liefen, sondern daß er tatsächlich in einem Verfassungswechsel die einzige Chance auf ein siegreiches Ende des Krieges und die Bewahrung des Seereiches erkannte.?^ In jedem Falle mußten ihn sein demokratischer Hintergrund und seine Rednergabe als den geeigneten Mann erscheinen lassen, wenn es darum 79? Es fällt auf, daß Peisandros in den erhaltenen Fragmenten nirgends als arm oder niedriggeboren bezeichnet wird; dies mag freilich auf Zufall beruhen.

Lys. 25,9, zit. o., S. 24 Anm. 122.

2€ And. 1,36; dazu MacDowell, Andokides 87.

?9 Ferguson, Expedition 287; McCoy, Moderates 29; akzeptiert von Roberts, Accountability 39.

24 So Woodhead, Peisander 136f.

225 Dies vermutet jedoch Ostwald, Sovereignity 351f., der darauf verweist, daB Peisandros der Schicht der vom Kriegsdruck besonders hart getroffenen Wohlhabenden angehörte. 75 Die Möglichkeit, daß Peisandros' Übergang ins oligarchische Lager neben allen persónlichen Vorteilen doch auch als Akt der politischen Überzeugung zu verstehen sein könnte, betonen auch Woodhead, Peisander 138f. u. 141f. und McCoy, *Non-Speeches' 80f.

-63-

ging, dem Volk den Gedanken an einen Wechsel der Verfassung nahezubringen. In Thukydides' Bericht über seinen Auftritt vor der Ekklesie erscheint er denn

auch als ein gewiegter Psychagoge, der in seiner Wortwahl auf die Stimmungslage der mehrheitlich immer noch demokratisch gesinnten Volksmasse Rücksicht nimmt. In diesem Sinne verwendet er anstelle des verpónten Wortes „Oligarchie“ die euphemistische Umschreibung σωφρονέστερον πολι-

τεύειν, die natürlich der Propagandasprache der Oligarchen entlehnt ist aber doch ganz allgemein einen besseren, neutraleren Klang hatte. Gleich darauf jedoch läßt Thukydides Peisandros selbst aussprechen, was in der Praxis hinter dem Euphemismus zu verstehen sei: eine Verfassungsänderung ἐς

ὀλίγους uàAAov.?? Die komparativische Phrase ist wenig konkret, gibt aber doch hinreichend deutlich die oligarchische Zielrichtung der von Peisandros und seinen Gesinnungsgenossen angestrebten Verfassungsánderung an; es verwundert nicht, daß der Demos dies nach Thukydides auch sogleich richtig

auffaßte?” und Widerspruch dagegen erhob. Allerdings impliziert Peisandros’

Phraseologie (μᾶλλον) streng genommen nicht die völlige Abschaffung der Demokratie, sondern nur ihre Ergänzung durch oligarchische Elemente. Im Hinblick darauf hat de Ste. Croix die Ansicht vertreten, das von Peisandros in der bei Thuk.

8,53,1-54,3 beschriebenen Ekklesie verkündete Programm

sei

auf eine Art „gemischte Verfassung‘ hinausgelaufen, ein System, in dem die Ekklesia (in ihrer demokratischen Form) weiterhin bestehen und ihre Kompe-

tenz als gesetzgebendes Organ behalten würde, die exekutive Gewalt hingegen den ὀλίγοι zufallen sollte, denen allein der Zugang zu den Staatsämtern offen stünde.??!

Die Vorstellung einer dergestalt modifizierten Demokratie hätte in etwa jenem Programm

entsprochen, das wir späterhin in den Schriften politischer

257 Dies betont zu Recht McCoy, ‘Non-Speeches’ 80f. 7! Vgl etwa die Verwendung des Begriffes σωφροσύνη in Thuk. 8,64,3.5; dazu Andrewes, HCT V 159f. Zur politischen Verwendung des Begriffes allgemein s. o., S. 15 Anm. 65. Die oligarchische Konnotation der von Peisandros verwendeten Termini betont auch Lehmann, Oligarchische Herrschaft 43 Anm. 49. 29? Die in der Abfolge von μὴ τὸν αὐτὸν τρόπον δημοκρατούμενοις - πολιτεύσομέν .. σωφρονέστερον - ἐς ὀλίγους μᾶλλον τὰς ἀρχὰς ποιήσομεν liegende Klimax wird von

Cagnetta, Due „agoni‘“ 253. treffend herausgearbeitet. 7? Thuk. 8,54,1 ὁ δὲ δῆμος .. χαλεπῶς ἔφερε τὸ περὶ τῆς ὀλιγαρχίας. Die von McCoy, Moderates 31f. geäußerten Zweifel an dem von Thukydides berichteten Widerspruch des Demos gegen Peisandros’ Vorschläge scheinen nicht überzeugend. Zieht man das beim athenischen Demos schon seit jeher weitverbreitete MiBtrauen gegen mógliche oligarchische Umtriebe (vgl. o., S. 3 mit Anm. 13) in Betracht, so darf man annehmen, daß Peisandros’ Vorschlag auch in einer zurückhaltend formulierten Form die Empörung überzeugter Demokraten hervorrufen konnte. 73! de Ste. Croix, Constitution 3; akzeptiert von Andrewes, HCT V 125.

-64 -

Propagandisten aus dem Kreis der sogenannten *Gemáfigten'22 namentlich des Isokrates, unter dem Begriff der „altüberkommenen Verfassung“ (πάτρι-

os πολιτεία) skizziert finden,?” und das, wie wir noch sehen werden (u. S. 114f.), in seinen Grundzügen bereits im Jahre 411 seine Verfechter gefunden

hat.?”* Von daher gesehen, könnte die obenzitierte Vermutung von de Ste. Croix über das von Peisandros verkündete Programm als durchaus im Bereich

des Möglichen liegend angesehen werden. Allerdings würde diese Auffassung voraussetzen, daß Peisandros

damals

bereits mit einem konkreten Verfassungsreformprogramm vor die Volksversammlung trat, was m. E. nicht nur im Hinblick auf den Wortlaut des Thukydidesberichts, der von einem solchen Programm nichts weiß, sondern auch auf die Umstände nicht wahrscheinlich ist. Peisandros stand bei seinem Auftritt vor der Ekklesie vor der Aufgabe, seinen Mitbürgern den bislang streng verpönten Gedanken an eine Abkehr von der Demokratie in ihrer gewohnten Form nahezubringen. Dabei mußte es für ihn naheliegen, sich zunächst gar nicht auf Detailvorschläge über konkrete Änderungen einzulassen, sondern nur die allgemeine Richtung anzugeben und die Reaktion der Versammlung gleichsam zu testen. Eine solche Vorgehensweise würde auch der unklaren Ausdrucksweise, die Thukydides dem Peisandros in 8,54,3 in den Mund legt,

bestens entsprechen: eine allgemeine Phrase wie πολιτεύειν σωφρονέστερον καὶ ἐς ὀλίγους μᾶλλον konnte von gemäßigten 'Patrios-politeia'Anhängern ebenso im Sinne ihrer Wunschvorstellungen aufgefaßt werden wie

von radikaler gesinnten Oligarchen. | Wenn es Peisandros’ Absicht war, mit dieser Verschleierungstaktik die Stimmung im Volke zu testen, so dürfte das Ergebnis dieser Prüfung nicht unbedingt den Wünschen der Oligarchen entsprochen haben. Die Reaktion der Volksversammlung läßt erkennen, daß eine Mehrheit der Athener im Grunde immer noch auf dem Boden der Demokratie stand: zwar wurden Peisandros’

Vorschläge nach heftigem Widerspruch schließlich akzeptiert, aber lediglich unter dem Gesichtspunkt ihrer Notwendigkeit für die σωτηρία, d. ἢ. die siegreiche Beendigung des Krieges,” und daß Peisandros nach dem Bericht des

Thukydides selbst die Möglichkeit einer späteren Rückgängigmachung der 291 Zu den ‘Gemäßigten’ und ihrer Programmatik s. u., S. 115f. #3 Zur Position des Isokrates als Vertreter der ‘gemäßigten’ Programmatik s. Heftner, Ps.Andokides 90-92 mit weiterführenden Literaturangaben. ?^ Die Beziehung zwischen den Vorschlägen des Peisandros und dem Programm der “Gemäßigten’ betont auch McCoy, ‘Non-Speeches’ 83. ?5 Der Begniff σωτηρία wird hier in unseren Quellen zum erstenmal im Zusammenhang mit einer Änderung des politischen Systems verwendet, die dahinterstehenden Vorstellungen jedoch dürften in den Kreisen der Demokratiegegner schon geraume Zeit im Umlauf

gewesen sein, s. Bieler, Slogan passim, bes. 182f. Für eine Zusammenstellung der aus dem späten 5. Jh. stammenden Belege für die Verwendung des ocornpía-Begriffes als eines politischen Schlagwortes s. Cecchin, Πάτριος πολιτεία 2 mit Anm. 4.

- 65-

von ihm vorgeschlagenen Maßregeln zur Sprache brachte,” deutet darauf hin, daB selbst in jenem Teil des Volkes, wo man

unter dem

Druck der

Kriegsnot die Notwendigkeit einer Verfassungsánderung zuzugeben bereit war, vielen die spütere Rückkehr zu den gewohnten demokratischen Verhältnissen als wünschenswert erschienen sein dürfte. Diese Beobachtungen sind geeignet, den von Thukydides

suggerierten

Eindruck eines uneingeschränkten Triumphs von Peisandros' Überredungs-

kunst?" zu relativieren. Die Annahme scheint gerechtfertigt, daß zumindest in diesem

Stadium

der Entwicklung

der Gedanke

an eine dauerhafte

und

radikale Abschaffung der Demokratie bei der Mehrheit der Athener keine

Zustimmung

gefunden

hätte, und daß Peisandros

sich darüber nicht im

unklaren befand. Nach dem Bericht des Thukydides hat Peisandros im Anschluß an seinen

Auftritt vor der Versammlung mit allen in der Stadt aktiven politischen Hetairien

(ξυνωμοσίαι)

gemeinsamer

Kontakt

Mitwirkung

am

aufgenommen

„Sturz

der

und

diese

Volksherrschaft"

Gruppen

zu

aufgefordert

(ὅπως ... καταλύσουσι τὸν δήμον), ὃ ein Ausdruck, der zweifellos eine genuin oligarchische, weit über das Reformprogramm der Gemäßigten hin-

ausgehende Zielsetzung impliziert, einen Bruch mit der traditionellen Demokratie und die Zerschlagung der Macht des Demos. Die Episode wirft, so wie sie bei Thukydides erzählt wird, eine Reihe von Fragen auf, für die der Bericht des Historikers keine klaren Antworten bietet.

Die erste und grundlegende dieser Fragen betrifft den Charakter jener Verbindungen, mit denen Peisandros in Kontakt trat Was haben wir unter den ξυνωμοσίαι ... ἐπὶ δίκαις kal ἀρχαῖς zu verstehen?

In der Darstellung des Thukydides erscheinen sie durchgängig als radikaloligarchisch orientierte Gruppen, und da der Historiker betont, daß Peisandros alle bestehenden ξυνωμοσίαι kontaktierte,’” müßten wir, wenn wir den Be-

griff weit auffassen wollen, annehmen, daß sich zu Beginn des Jahres 411 alle organisierten politischen Gruppen in Athen ohne Ausnahme der Oligarchie verschrieben hatten. Eine derartige Annahme scheint unter dem Gesichtspunkt der historischen Wahrscheinlichkeit wenig glaubhaft, wir kónnen wohl kaum 5$ Thuk. 8,53,3. #7 Für die diesbezügliche Stilisierung des thukydideischen Berichts s. die Analyse von Yunis, Taming Democracy 114f.

258 Thuk. 8,54,4 Zur Bedeutung des Begriffes ξυνωμοσίαι an dieser Stelle s. Andrewes, HCT V 128-131.

?? Dies wird besonders daran deutlich, daß Peisandros in Thuk. 8,54,4, die ξυνωμοσίαι von der Sinnhafügkeit des Zusammenwirkens

beim

Verfassungssturz

zu überzeugen

versucht, es aber in diesen Kreisen offenbar nicht notwendig hat, den Gedanken einer

Verfassungsänderung an sich zu begründen. 39 Thuk. 8,54,4 τὰς Te ξυνωμοσίας ... ἁπάσας.

- 66 -

davon ausgehen, daB alle Hetairien in Athen radikaloligarchisch gesinnt waren: auch demokratische und gemäßigte Politiker müssen ihre festen Freun-

deskreise gehabt haben,” deren sie sich im Bedarfsfalle ἐπὶ δίκαις καὶ ἀρχαῖς bedienen konnten." Die Möglichkeit, daß viele dieser Clubs unter dem Eindruck des auf die Sizilienkatastrophe folgenden Gesinnungswan-

dels"? einen Schwenk hin zu wesentlich radikaleren antidemokratischen Positionen vollzogen hätten, wird in vielen Fällen zutreffen,’ kann aber wohl kaum so verallgemeinert werden, wie es Thukydides mit seinem ἁπάσας

suggeriert. Wir werden daher besser davon ausgehen, daß Thukydides mit dem Begriff

der ξυνωμοσίαι nicht etwa alle in Athen aktiven tätigen politischen Cliquen,"* sondern nur die im geheimen wirkenden, von vornherein demokratiefeindlich ausgerichteten „Verschwörer“-Gruppen bezeichnen will.?%

Damit berührt sich die Terminologie des Historikers mit einem durch die Komödie bezeugten und in Athen offenbar weitverbreiteten Sprachgebrauch, demzufolge

den

Begriffen

ἑταιρία ἑταῖροι die

der

Konnotation

ξυνωμοσίαϊξυνωμόται,

des

Verschwörerischen

oftmals

und

auch

Staats-

feindlichen zukam,"" so daB diese Ausdrücke in der Folge ohne nähere 9!

Vgl.

etwa

die Freunde

des Kleon

in Aristoph.

equ.

852f.

und

die ἑταῖροι

des

Alkibiades in [And.] 4,14. DaB aller Wahrscheinlichkeit nach nicht alle der 411 aktiven Hetairien der radikalen Oligarchie zugehört haben werden, betonen Calhoun, Clubs 20-22

und Gehrke, Stasis 332. Es ist hier jedoch, wie Rhodes, Political Activity 139 zu Recht feststellt, zwischen zwei Verwendungen des Hetairien-Begriffs in unseren Quellen zu

unterscheiden: Der Ausdruck bezeichne zum einen „small sets of upper-class men, ....., who met for drink, talk, amusement and political jobbery“, zum anderen „groups of men,

commonly on the fringe of the leisured class, whom a leading politician could employ as his agents." Die in Thuk. 8,54,4 erwühnten Gruppen haben Rhodes zufolge zur ersteren Kategorie gehört.

32 s. Sartori, Eterie 154; Gehrke, Stasis 332, Anm. 12 mit Belegstellen; vgl. jedoch zu dem ganzen Komplex der politischen Einordnung athenischer Associations 226f., der die gängigen Vorstellungen in Zweifel zieht.

Hetairien

Jones,

303 s. O., S. 4-6. 3% Treffend Connor, New

Politicians 26, Anm.

40 „Under exceptional circumstances,

when feelings were especially bitter or when there seemed to be a possibility of bringing in aid from outside, some of them - not necessarily all of them - began to plan ways of

establishing the rule of the oligoi." Vgl. McGlew, Politics 11-17.

35 Vgl. seine Verwendung des Begriffes für die oligarchischen Verschwörer auf Samos (o., S. 40f.) und in 6,27,3 ἐδόκει ... ἐπὶ ξυνωμοσίᾳ ἅμα νεωτέρων πραγμάτων Kal δήμου καταλύσεως γεγενῆσθαι und 6,60,1 ἐδόκει Em ξυνωμοσίᾳ ὀλιγαρχικῇ Kal τυραννικῇ πεπρᾶχθαι.

36 Vgl. die treffenden Ausführungen von Bearzot, Gruppi 271. Anders, aber nicht überzeugend Sealey, Revolution 119. 3? s. etwa Aristoph. equ. 452 u. vesp. 483, 488, 507; vgl. Lys. 12,43. Zu den Ursprüngen

des Terminus Ewv/owvwyuoola und seiner Abgrenzung gegenüber ἑταιρίαϊεταῖροι s. grundsätzlich Sartori, Eterie 30-33; zur Bedeutung des Begriffs der éraipía in der politischen Sprache der Athener vgl. jetzt auch Mitchell, Friendship Networks 15f.

-67-

Qualifikation zur Bezeichnung radikaloligarchischer Vereinigungen dienen konnten.” Wenn wir demnach die ξυνωμοσίαι von Thuk. 8,54,4 in diesem Sinne als radikaloligarchische Verschwörergruppen verstehen können, so scheint es verwunderlich, daß ein Mann vom Schlage des Peisandros, der sich dreieinhalb Jahre zuvor im Zuge der Hermokopidenaffäre als rücksichtsloser Verfol-

ger oligarchischer Umtriebe profiliert hatte,? das Vertrauen dieser Gruppen in hinreichendem Maße erwerben konnte, um nunmehr als Koordinator aller

Verschwörungsaktivitäten zu fungieren? Mit dieser Fragestellung eng verbunden ist die bereits oben angedeutete Problematik der Diskrepanz zwischen den

von Peisandros im Kreise der ξυνωμόται betriebenen radikalen Umsturzplänen und dem gemäßigten Programm, das er zuvor in der Volksversammlung verkündet hatte.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich diese Diskrepanz nicht auf die Frage nach dem Charakter der anzustrebenden Verfassungsänderung beschränkt, sondern auch die drängendere Frage nach der Außenpolitik und der Fortführung des Krieges betroffen: das in der Volksversammlung vorgelegte Pro-

war auf ein Bündnis mit Persien und die siegreiche Fortführung des Krieges"? ausgerichtet; unter den oligarchischen ξυνωμόται hingegen dürfte,

wenn wir von den in diesem Milieu verbreiteten lakonistischen Sympathien?!!

und vom späteren Verhalten der Vierhundert’'? schließen können, die Alternative einer Verständigung mit Sparta nicht wenige Anhänger gehabt haben.

Wie konnte Peisandros in diesen Kreisen mit seinen Vorschlägen reüssieren? Beim Versuch, in dieser Frage einer Antwort näher zu kommen, wollen wir

zunächst den Fall jenes Mannes zu betrachten, der nach dem Urteil des Thukydides

gleichsam

die graue Eminenz

aller radikalen

Strömungen

in der

Bewegung von 411 gebildet hat: Antiphon aus Rhamnus. 368 Fin gutes Bsp. bietet Ath. Pol. 34,3, wo die Angehörigen der Hetairien im Zusammen-

hang mit der Situation des Jahres 404 explizit als radikale Oligarchen bezeichnet werden; vgl. Calhoun, Clubs 21 und Bearzot, Gruppi 271-273. Zu den realen Hintergründen dieser Vorstellung s. jetzt McGlew, Politics 11-17, der bereits für das Jahr 415 eine grundsätzlich demokratiefeindliche Einstellung der meisten Hetairien annimmt: ,, ... the Athenian Aetai-

reiai, in 415 ... if they had not declared their opposition to the democracy, still harbored strong political sentiments that ran counter to the political principles at the heart of the Athenian democracy" (McGlew ebd. 11).

X? s. o., S. 62.

** Thuk. 8,53,1 βασιλέα Te ξύμμαχον ἔχειν kal Πελοποννησίων περιγενέσθαι.

?!! Zum Lakonismos in den Kreisen der athenischen Oberschicht des 5. Jh. s. allgemein Tigerstedt, Legend 155-159.452-455; Rawson, Spartan Tradition 27-32 und Whitehead, Sparta 117-119; zur Verbindung von antidemokratischer Kritik und Lakonismos bes. Hermann-Otto, Das andere Athen 136.141.

?" Bs sei hier nur an die Friedensinitiativen der Vierhundert erinnert, s. dazu u., S. 241250.

- 68 -

Antiphon war im Jahre 411 etwa siebzig Jahre alt, ? mithin ein Altersgenosse des Phrynichos, mit dem ihn móglicherweise schon in den 420er Jahren auch persónliche Kontakte verbunden haben: in den Wespen des Aristophanes wird ein Antiphon gemeinsam mit oi περὶ Φρυνίχου in Kontext eines Gastmahls

erwähnt, dessen Teilnehmer von dem Dichter offenbar als Angehörige eines sozial und bildungsmäßig exklusiven Kreises wohlhabender Athener gezeich-

net werden.’!* Allerdings kann weder im Falle des Antiphon noch bei Phry-

nichos die Identifikation der Teilnehmer an dem aristophaneischen Bankett

mit den Oligarchenführern von 411 eindeutig als gesichert gelten.’'”

Die in der Antiphon-Forschung zentrale Frage nach der móglichen Identifizie-

rung des „Sophisten“ Antiphon mit dem Logographen aus Rhamnus?!6 ist in unserem Zusammenhang nicht von groBem Belang, da sich das dem Sophisten

zugeschriebene Papyrusframent VS 87 fr. 44, dessen Inhalt mit der Annahme

einer oligarchischen Gesinnung des Autors schwer vereinbar scheint," nach den Erkenntnissen von Bilik als in seiner Zuordnung unsicher anzusehen ist’!® und daher in keinem Fall als Zeugnis für die politisch-’weltanschauliche’ Position des Rhamnousiers geltend gemacht werden kann. Die unter dem Namen des Antiphon erhaltenen Reden bzw. RedenbruchStücke hingegen lassen sich, wie zuletzt Ramirez Vidal gezeigt hat, mit dem

Bild eines der herrschenden demokratischen Richtung kritisch gegenüberstehenden Oppositionellen vereinbaren,’'” allerdings muß es offen bleiben, ob sich diese oppositionelle Einstellung bereits lange vor 411 zu einer entschieden oligarchischen Gesinnung verdichtet hatte. Die eigentliche Grundlage für die Bewertung von Antiphons politischer Position bildet die Angabe des Thukydides, daB der Redner, wenn er auch nach außen hin nicht in Erscheinung getreten sei, doch hinter den Kulissen den hauptsáchlichen Anteil an der Errichtung der Oligarchie von 411 gehabt habe." Diese Bewertung von Antiphons Rolle beim Sturz der Volksherr3? Zu Antiphons Leben allgem. s. jetzt Gagarin in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Reden (Antiphon, The Speeches, 3-7; mit weiterführenden Literaturangaben). M Aristoph. vesp. 1301f.; vgl. dazu o., S. 25f.

?5 Gegen die Identifikation zuletzt Storey, Wasps 319-322 und 328-330, dafür Bourriot, Kalos Kagathos 149-158.

316 Dazu zuletzt Hoffman, Recht 176-183 mit weiterführenden Literaturangaben. ?" Diese Diskrepanz nimmt zuletzt Hoffmann, Recht 182f. als ein schlagendes Argument gegen die Identität des Sophisten Antiphon mit dem Oligarchenführer von 411. Bilik, Αλήθεια des Antiphon passim bes. 49. 3? Ramirez Vidal, Trasfondo politico passim, bes. 237-245. Vgl. jedoch Heitsch, Antiphon 110: „Seine Parteinahme für die jeweils eine Seite braucht daher nicht mehr zu sein als das berufliche Engagement des Anwalts.“

32 Thuk. 8,68,1 .. ἦν ... Πείσανδρος .. ἐκ τοῦ προφανοῦς προθυμότατα ξυγκαταλύσας τὸν δῆμον: ὁ μέντοι ἅπαν τὸ πράγμα ξυνθεὶς ὅτῳ τρόπῳ κατέστη ἐς τοῦτο καὶ ἐκ πλείστον ἐπιμεληθεὶς ᾿Αντιφῶν ἦν.

«69 -

schaft mag von Thukydides' allgemeiner Hochschätzung der Persönlichkeit

und Fähigkeiten des Rhamnusiers?! mitbestimmt sein, setzt aber jedenfalls voraus, daß Antiphon in der Tat eine führende Rolle in der Planung und Organisation des Umsturzes gespielt hat. Was die genaue Art seiner Aktivitäten betrifft, gibt uns Thukydides keine expliziten Angaben, deutet aber an,

daß die strategische Planung des Umsturzes Antiphons Werk gewesen sei; von daher kann es als wahrscheinlich gewertet werden, daB der Logograph

auch

an

der

Ausarbeitung

der

verfassungsmáDigen

Zielsetzungen

der

Umstürzler maßgeblichen Anteil genommen hat.?? Thukydides' Angabe, daß sich diese Aktivitäten im Hintergrund abgespielt hätten, findet ihre Bestätigung in dem Papyrusfragment der von Antiphon bei

seinem Prozeß nach dem Sturz der Vierhundert gehaltenen Verteidigungsrede,’ wo der Rhetor den Verdacht oligarchischer Betätigung mit einer cui

bono-Argumentation von sich zu weisen versucht.” Eine solche Verteidigungsstrategie konnte nur dann sinnvoll erscheinen, wenn Antiphons seiner-

zeitige Aktivitáten als spiritus rector des Umsturzes nicht bis an die breite

Óffentlichkeit gedrungen und daher den durchschnittlichen Mitgliedern der

Heliaia im Herbst 411 nicht bekannt waren.’ Kónnen wir demnach Thukydides' Aussage über Antiphons Bedeutung für die

Durchführung des Umsturzes im wesentlichen für glaubwürdig halten, so wird man auch seine Angabe über den zeitlichen Rahmen von Antiphons Engagement ernst zu nehmen haben: Die in diesem Zusammenhang von dem Histori-

ker verwendete, temporal zu verstehende Phrase ἐκ rAe(orov"" spricht ein911 "Thuk. 8,68,1

ἀνὴρ

᾿Αθηναίων

τῶν

καθ᾽ ἑαυτὸν

ἀρετῇ Te οὐδενὸς ὕστερος

Kal

κράτιστος ἐνθυμηθῆναι γενόμενος καὶ ἃ γνοίη εἰπεῖν; vgl. dazu HCT V 1717 323 Thuk. 8,68,1 ... ἅπαν τὸ πράγμα ξυνθεὶς ὅτῳ τρόπῳ κατέστη ἐς τοῦτο. So auch Heitsch, Antiphon 116f.

?? Das soll freilich nicht heißen, daß er allein die Verfassungsentwürfe der Verschwórer

ost to the last detail" ausgearbeitet hat (so Smith, Commissions 43). Die in der älteren Forschung mitunter geäußerten Zweifel an der Authentizität dieser auf einem Genfer Papyrus-Fragment überlieferten Teile von Antiphons Apologie (Pasquali, Antiphonte? passim; Roussel, Prétendue défense passim) haben bei der neueren Forschung wohl zu Recht keinen Anklang gefunden (für eine eingehende Auseinandersetzung mit móglichen Zweifelsmomenten s. Andrewes, HCT V 198-201).

33 Antiph. fr. III 1 Gernet, col. II und III (= fr. 1a Gagarin, Z. 11-17), s. dazu u., S. 284f.

326 Dem Theramenes und den anderen Vertretern der Anklage müssen sie freilich bekannt gewesen sein, aber sie konnten diesen Punkt nicht zu sehr betonen, ohne sich selbst als

Teilhaber an den Umsturzplünen zu deklarieren (vgl. Heitsch, Antiphon 119); sie scheinen sich daher auf den allgemeinen Vorwurf oligarchischer Gesinnung beschränkt zu haben (Antiph. fr. III 1 Gernet). Man beachte, daß die auch die offizielle Anklage den Komplex um die Errichtung der Oligarchie unerwähnt ließ und sich ganz auf den Vorwurf des im Zuge der Spartagesandtschaft begangenen Landesverrats konzentrierte ([Plut.] vit. dec. or. = mor. 833 ef, s. dazu u., S. 314f. und 320).

377 Thuk. 8,68,1; zum temporalen Verständnis von ἐκ πλείστου s. Classen/Steup, Thukydides 162, die auf die parallele Verwendung der Phrase in 8.90,1 verweisen.

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deutig dafür, daß Antiphon nach der Meinung des Historikers schon von einem frühen Stadium an an der Verschwórung teilgenommen hat; in die glei-

che Richtung weist die Tatsache, daß Thukydides, der den Anschluß des Phrynichos an die Bewegung ausdrücklich mit dem Bruch zwischen Alkibiades und den Oligarchen in Verbindung bringt, im Falle des Antiphon mit keinem Wort einen derartigen Zusammenhang erwähnt. Wir haben also davon auszugehen, daß sich Antiphon der Umsturzbewegung schon zu einem Zeitpunkt anschloß, als diese noch die Rückführung des Alkibiades auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Dies muß insofern überraschen als uns Antiphon als Autor einer in gehässigem Ton gehaltenen Schmähschrift

gegen Alkibiades bezeugt ist,” und daher wohl zu dessen persönlichen und politischen Gegnern gezählt werden muß. Darüberhinaus muß es im Hinblick auf seine spätere Haltung während des Vierhunderter-Regimes als wahr-

scheinlich gelten, daß er schon damals

eher einer Einigung mit Sparta

zuneigte als den Perserhoffnungen und dem kompromisslosen Kriegskurs, den

die £uvcouóra: auf Samos verfolgten.””” Wie er und seine Gesinnungsgenos-

sen trotz dieser Einstellung dazu kamen, mit den von Peisandros reprásentierten Kräften zusammenzuarbeiten, ist eine Frage, die sich beim gegenwärtigen Stand unserer Evidenz nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten läßt, über

die man aber immerhin begründete Vermutungen anstellen kann. Die wahrscheinlichste Antwort scheint in der Annahme zu liegen, daß in den Augen des Antiphon und anderer Kryptooligarchen seines Schlages die von Peisandros eröffnete Chance, eine wirkungsvolle Aktion gegen die verhaßte Volksherrschaft zu führen, stärker ins Gewicht fiel als persönliche Animositäten und außenpolitische Divergenzen. Die radikalen Oligarchen Athens hatten durch Jahrzehnte hindurch eine politisch machtlose Randexistenz ohne reelle Chance auf die von ihnen angestrebte Verfassungsänderung und ohne direkten politischen Einfluß geführt. Die auf die Sizilienkatastrophe folgende Desillusionierung breiter Kreise der athenischen Oberschicht und die Bildung der

antidemokratischen Bewegung unter den Truppen auf Samos dürfte in diesen Kreisen als eine unerwartete Chance zum Sturz der verhaßten Demokratie erschienen sein, eine Gelegenheit, die es unter allen Umständen wahrzuneh-

men

galt, ohne

das große Ziel durch

persönliche

Rivalitäten oder durch

Meinungsverschiedenheiten über die rechte Gestaltung des Staates zu gefährden - Dinge, die sich späterhin regeln lassen würden.

??* Fr. 66und 67Blass = fr. IV Gemet; vgl. dazu die Bemerkung bei Plut. Alk. 3,2, Antiphon habe Alkibiades eingestandenermaßen δι᾽ ἔχθραν geschmäht. S. zu dieser Schrift allgemein Blass, Beredsamkeit I, 98; zu ihrer Bedeutung im Kontext von Antiphons politischer Haltung s. die knappen Bemerkungen von Heitsch, Antiphon 113 und Ramirez Vidal, Trasfondo politico 244f.

? Dafür spricht zumindest seine Haltung während der letzten Phase des Regimes der Vierhundert, s. Thuk. 8,90,1f.

-71-

Ziehen wir diese Umstände in Betracht, so liegt die Annahme nahe, daß sich Peisandros den ξυνωμόται weniger durch seine persönliche Vertrauenswürdigkeit als durch seine Position als Repräsentant der samischen Verschwörung

empfahl. Die athenischen Oligarchen müssen sich darüber im klaren gewesen sein, daß die einzige Chance auf die Verwirklichung ihrer Piäne in der Kooperation mit den Verschwörern auf Samos lag; da schien es unumgänglich, eventuelle Vorbehalte gegen die Person des Peisandros und selbst gegen Alkibiades vorderhand zurückzustellen. Aber auch im Hinblick auf das

außenpolitische Programm war die Kluft zwischen der Peisandros-Gruppe und den Oligarchen nicht völlig unüberwindbar, denn auch die letzteren waren, wie sich während der Herrschaft der Vierhundert zeigte, gewillt, das attische Seereich, wenn irgend möglich, zu behaupten; erst als sich dies als

ein Ding der Unmöglichkeit erwies, schien ihnen auch ein Friede um jeden

Preis akzeptabel???

Gehen wir, auf diese Tatsache gestützt, davon aus, daß in der Situation von

412 auch die 'echten' Oligarchen in Athen um der Rettung des Seereiches willen eine Fortführung des Krieges zumindest bis zur Erlangung eines ehrenvollen Kompromißfriedens akzeptierten, so wird verständlich, weshalb die in den ξυνωμοσίαι zusammengeschlossenen Demokratiegegner die Vorschläge des Peisandros billigten. Auf der anderen Seite bietet Peisandros’ Auftreten vor den athenischen Hetairien eine Bestätigung für die bereits geäußerte Vermutung, daB auch die Verschwórer auf Samos im verfassungspolitischen

Bereich entschieden oligarchische Zielsetzungen verfolgt haben.?"!

Wir erhalten damit etwa folgendes Bild von den Verhältnissen in Athen: Dem

Geschick des Peisandros war es gelungen, einerseits den Gedanken einer Reform der Demokratie in Richtung auf eine μᾶλλον ἐς ὀλίγους ausgerichtete Verfassung in einer Weise zu präsentieren, die bei breiten Bevólkerungs-

schichten Akzeptanz fand, andererseits aber auch die bestehenden radikaloligarchischen Cliquen zu aktiver Mitarbeit am Umsturzprojekt der Verschwórer des samischen Heeres zu bewegen. Die zwischen dem von Peisandros verkündeten Programm und genuin oligarchischen Vorstellungen von der Verfassung

und AuDenpolitik bestehenden Diskrepanzen wurden durch die beiderseits mit der Aussicht auf Beseitigung der Demokratie verknüpften Hoffnungen und den gemeinsamen Wunsch, die Kriegsnot unter Wahrung des imperialen Besitzstandes Athens zu beenden, überbrückt, so daß sich die oligarchischen Clubs bereit fanden, ihr Gewicht für die Sache der von Peisandros repräsen-

tierten Verschwórung in die Waagschale zu werfen. 930 s. die Haltung der Oligarchen nach dem Scheitern der Tissaphernesverhandlungen (u.,

S. 88f) und insbesondere die Überlegungen der Radikalen unter den Vierhundert bei Thuk. 8,91,3, dazu u., S. 250. 331 s. o., S. 40f. und 46.

-72-

Ebenfalls nicht ganz unproblematisch ist ein weiterer Aspekt von Peisandros' Auftritt in Athen im Winter 412/11: die Abberufung des Phrynichos und Skironides und ihre Ersetzung durch Leon und Diomedon. Als Grund für die Abberufung der beiden Strategen gibt Thukydides den von

Peisandros gegen Phrynichos erhobenen Vorwurf, er habe den mit Athen ver-

bündeten kleinasiatischen Dynasten Amorges im Stich gelassen.’ Dieser

Potentat war im Herbst 412, nachdem Phrynichos die Athener überredet hatte, ihre Streitkráfte nach Samos zurückzuziehen, einem Angriff der Peloponne-

sier auf seine Basis [4305 zum Opfer gefallen. Zweifellos konnte man es den

athenischen

Befehlshabern

zum

Vorwurf machen,

daß

sie bei

ihrem

Rückzug keine Rücksicht auf ihren Verbündeten Amorges genommen hatten; Peisandros scheint nun vor der Ekklesie versucht zu haben, dieses Verhalten

im Sinne eines bewuBten Verrats des Phrynichos zu interpretieren,” und hatte mit dieser Strategie soweit Erfolg, daß die Ekklesie beschloß, Phrynichos und seinen Mitfeldherrn Skironides, der offenbar als dessen Gesinnungsgenosse bzw. Protegé galt, zurückzuberufen.

Der von Thukydides im Zusammenhang mit der Rückberufung der beiden Feldherrn verwendete Ausdruck παρέλυσεν τῆς ἀρχῆς läßt die Frage offen, ob es sich um eine bloße Abberufung vom Kommando" oder um eine Amtsenthebung handelte. Avery bringt hier eine Bemerkung in der pseudo-lysiani-

schen Rede für Polystratos ins Spiel, in der ohne Hinblick auf die näheren Umstünde

bemerkt wird, Phrynichos

habe einst ,,dem Volk eine GeldbuBe

entrichten müssen." Avery zufolge läßt diese Stelle an die Möglichkeit denken, daB Phrynichos im Zuge eines Epicheirotonie-Verfahrens von der

Art, wie es in Ath. Pol. 61,1f. beschrieben wird, abberufen und dann im Zuge

der folgenden Gerichtsverhandlung zu der erwähnten Geldstrafe verurteilt

33 Thuk. 8,54,3. ‘> Thuk. 8,27f., s. dazu Amit, Disintegration 56-59 und Kagan, Fall 63-68. 94 Zur Taktik des Peisandros vgl. Grossi, Frinico 44. Das Verbum προδιδόναι, das Peisandros bei Thuk 8,54,3 in diesem Zusammenhang verwendet, wird mitunter in der Bedeutung ‘ım Stich lassen’, ‘preisgeben’ verwendet, kann aber auch zur Bezeichnung des Verratens im vollen Sinne gebraucht werden (vgl. LSJ s. v.). In unserem Falle ist die

letztere Bedeutung die wahrscheinlichere, da Thukydides die Vorwürfe des Peisandros als Verleumdung hinstellt (ἅμα τε διαβαλόντος καὶ Φρύνιχον ..... τόν δε Φρύνιχον... διέβαλεν, s. dazu Grossi, Frinico 40), während die Tatsache des Im-Stich-Lassens auch von Thukydides nicht gut bestritten werden konnte (vgl. dessen Bericht über die Vorgänge

in Ionien in 8,27-28).

555 Pür die Vermutung eines Nahverhältnisses zwischen Phrynichos und Skironides s. o. 28 mit Anm. 144. 336 So Grossi, Frinico 41-43, der darauf verweist, daß Thukydides die Phrase 7,16,1 im

Zusammenhang mit der von Nikias aus gesundheitlichen Gründen erbetenen Abberufung von seinem Sizilienkommando verwendet. 337 [Lys.] 20, 12. καὶ ὅτ᾽ ἐξέτινε τῷ δημοσίῳ [sc. ὁ Φρύνιχος! ....

-73-

wurde. Ganz abgesehen von der Frage, ob die Abberufung eines Strategen im Epicheirotonie-Verfahren tatsáchlich zwingend zu einer Gerichtsverhand-

lung führen mute? kann diese Deutung schon wegen der Unbestimmtheit der von Avery angeführten Redenstelle nicht als wahrscheinlich angesehen werden: [Lys.] 20,12 beleuchtet die Beziehungen zwischen Phrynichos und

dem Angeklagten Polystratos von ihrer gemeinsamen Jugend an (die zum

Redezeitpunkt fünfzig Jahre oder mehr zurücklag); die Erwähnung der dem Phrynichos auferlegten Geldstrafe kann sich daher ebensogut auf eine weiter zurückliegende Episode beziehen wie auf eine hypothetische Verurteilung

Anfang 411.74 Die Tatsache, daß mit Leon und Diomedon zwei Strategen als Ersatzleute für Phrynichos und Skironides nach Ionien entsandt wurden, die späterhin gegen

die oligarchische Verschwörung Partei ergriffen haben,”' hat in der Forschung zu der Annahme Anlaß gegeben, daß diese Wahl nicht unter dem Einfluß des Peisandros getroffen worden sei: der athenische Demos habe in freier Entscheidung zur Besetzung der vakanten Positionen zwei zuverlássig demo-

kratisch gesinnte Männer bestimmt." Diese Auffassung scheint auf den ersten Blick in der Tat nahe zu liegen, zumal Thukydides die Parteinahme der

beiden Strategen gegen den Umsturz ausdrücklich mit deren demosfreundlicher Gesinnung motiviert, aber auf der anderen Seite scheint der Historiker in

der fraglichen Passage zugleich auch eine gewisse, wenngleich unwillige Verwicklung des Leon und Diomedon in die Aktivitäten der Verschwörer

anzudeuten.'^ Bedenken wir weiterhin, daß die Umsturzbewegung im Sommer 411 einen anderen Charakter trug als zur Zeit von Peisandros' Athenauf-

enthalt am Beginn des Jahres, so werden wir die Móglichkeit nicht ausschlieBen können, daß Leon und Diomedon zur Zeit ihrer Entsendung nach Ionien an den Plänen des sich ja vorderhand recht gemäßigt gebenden Peisandros

teilhatten und daß ihre Parteinahme gegen die Umstürzler erst von einem Zeitpunkt an datiert, als nach dem Scheitern der Alkibiadeshoffnungen der explizit oligarchische Charakter der Bewegung deutlicher ans Licht trat." Diese Möglichkeit muß angesichts der dürftigen Überlieferung im Bereich der Spekulation bleiben, nur soviel läßt sich sagen, daß sich die in diesem Fall 338 Avery, Studies 249f. 339 Dies bezeifelt z. B. MacDowell, Law 169; anders Hansen, Eisangelia 41-44.

3€ Skeptisch gegenüber der Annahme einer gerichtlichen Verfolgung infolge einer &mxeıporovía über Phrynichos auch Grossi, Frinico 43 und Roberts, Accountability 40.

! s. u,, S. 211.

?^ Bearzot, Gruppi 276.

39 Thuk. 8,73,4; s. dazu u., S. 215.220f. (vgl. o., 22 Anm. 107). ?^ Für oligarchische Verwicklungen des Diomedon s. Rankin, Mining Lobby 200f., der sich hierbei jedoch von einer durchaus unsicheren Annahme der Zugehórigkeit des Strategen zu der von ihm als tendenziell antidemokratisch gewerteten „Mining Lobby" leiten läßt, vgl. o., S. 18 Anm. 83.

-74 -

anzunehmende Haltung des Leon und Diomedon mit dem Bild dieser beiden Strategen als distinguierter Reprásentanten der athenischen xpnoTol- Schicht,

für das sich in der Überlieferung einige Indizien geltend machen lassen, ^ gut vereinbaren lieBe. Eng verbunden mit der Frage nach der politischen Bedeutung der Entsendung des Leon und Diomedon ist das Problem der politischen Zuordnung der zehn Gesandten, die zusammen mit Man hat aus der Phylen gewählt

nach dem in Thuk. 8,54,2 referierten Beschluß der Ekklesie Peisandros an den Hof des Tissaphernes entsendet wurden. Zehnzahl der Gesandten den Schluß gezogen, daß sie von den wurden, je einer aus jeder Phyle.’*

Nun geht aus dem späteren Verhalten dieser Gesandten klar hervor, daß sie oligarchisch gesinnt waren und sich in ihrer Mission als Treuhänder der oli-

garchischen Sache empfanden, und zwar in ihrer Gesamtheit, da sie nach ihrer Rückkehr aus Asien allesamt an den weiteren Aktivitäten der Verschwörer teilhatten und offenbar deren vollstes Vertrauen genossen." Daß die Gesand-

ten somit den nach dem Scheitern der Tissaphernesmission von Peisandros vorexerzierten Schwenk hin von einer auf Alkibiadesrückführung und Perserbündnis ausgerichteten Verschwórung hin zu einer reinen Verfassungsumsturzbewegung mitvollzogen, spricht dafür, daß das Kollegium von vornher-

ein strikt oligarchisch ausgerichtet war und weder Gesinnungsdemokraten noch Alkibiadesfreunde in seinen Reihen zählte. Selbst wenn wir schon für die Zeit der Bestellung der Gesandten mit einer starken oligarchischen Einflußnahme auf die Wahlvorgänge und mit dem diesbezüglichen Einsatz der ξυνωμοσίαι ἐπὶ δίκαις καὶ ἀρχαῖς rechnen wollten, fiele es schwer zu glauben, daB eine derart homogen oligarchisch ausgerichtete Gruppe aus einem demokratischen Wahlverfahren der Phylen

hervorgegangen sein sollte. Näher liegt daher die Annahme, daß es Peisandros gelang, das Volk für einen Bestellungsmodus zu gewinnen, der sicherstellte, daB bei der Mission nur Vertrauensleute der Verschwórer zum Zug kamen. Wie wir uns diesen Modus in concreto vorzustellen haben, muB freilich eine

offene Frage bleiben.

"c die diesbezüglichen Ausführungen o., S. 18 und 22. M5 346 Andrewes, HCT V

126.

M In Thuk. 8,64,1 erscheinen alle Mitgesandten des Peisandros als Teilhaber an den Umtrieben der Oligarchen: Teils begleiten sie Peisandros auf seiner Mission nach Athen, teils werden sie von den Verschwörern in bestimmte einzelne Poleis entsandt, um dort die

bestehenden Verfassungen im oligarchischen Sinne zu ändern (vgl. Andrewes, HCT V 156 »they are evidently oligarchs").

.75-

Die Verhandlungen Tissaphernes

der

Athener

mit

Alkibiades

und

Peisandros und die übrigen von der athenischen Volksversammlung abgeordneten Gesandten befanden sich im März 411** am Hofe des Tissaphernes, WO sie mit dem Satrapen und Alkibiades, der bei dem Perser noch immer eine Vertrauensstellung genoß, über ein Bündnis verhandelten. Nach den im Laufe des vorangegangenen Herbstes von Alkibiades gemachten Verheißungen durften sich die Athener der Hoffnung hingeben, zu einem Abschluß zu gelangen; tatsáchlich aber stieBen sie mit ihrem Bündnisangebot bei Tissa-

phernes auf Ablehnung. Thukydides sieht die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen in der Furcht des Satrapen vor den Folgen eines Bruches mit den Peloponnesiern, ebenso aber auch im Verhalten des Alkibiades (8,56,2-4): ᾿Αλκιβιάδης δέ (οὐ γὰρ αὐτῷ πάνυ τὰ ἀπὸ Τισσαφέρνους

βέβαια Av, po-

βουμένου τοὺς Πελοποννησίους μᾶλλον καὶ ἔτι βουλομένου, καθάπερ καὶ ὑπ᾽

ἐκείνου ἐδιδάσκετο, τρίβειν ἀμφοτέρους) τρέπεται ἐπὶ τοιόνδε εἶδος ὥστε τὸν Τισσαφέρνην ὡς μέγιστα αἰτοῦντα παρὰ τῶν ᾿Αθηναίων μὴ ξυμβῆναι. δοκεῖ δέ μοι καὶ ὁ Τισσαφέρνης τὸ αὐτὸ βουληθῆναι, αὐτὸς μὲν διὰ τὸ δέος, ὁ δὲ ᾿Αλκιβιάδης, ἐπειδὴ ἑώρα ἐκεῖνον καὶ ὡς οὐ ξυμβησείοντα, δοκεῖν τοῖς ᾿Αθηναίοις ἐβούλετο μὴ ἀδύνατος εἶναι πεῖσαι, ἀλλ᾽ ὡς πεπεισμένῳ Τισ-

σαφέρνει καὶ βουλομένῳ προσχωρῆσαι τοὺς {rer γὰρ τοσαῦτα ὑπερβάλλων ὁ ᾿Αλκιβιάδης, τοῦ Τισσαφέρνους, ὥστε τὸ τῶν ᾿Αθηναίων, ξυγχωρούντων, ὅμως αἴτιον γενέσθαι: "Icvíav καὶ αὖθις νήσους τε τὰς ἐπικειμένας

᾿Αθηναίους μὴ ἱκανὰ διδόναι. λέγων αὐτὸς ὑπὲρ παρόντος καίπερ ἐπὶ πολὺ ὅτι αἰτοίη τε γὰρ πᾶσαν ἠξίου δίδοσθαι

καὶ ἄλλα,

οἷς οὐκ ἐναντιουμένων

τῶν

᾿Αθηναίων τέλος ἐν τῇ τρίτῃ ἤδη ξυνόδῳ, δείσας μὴ πάνυ φωραθῇ ἀδύνατος ὧν, ναῦς ἠξίου ἐᾶν βασιλέα ποιεῖσθαι καὶ παραπλεῖν τὴν ἑαυτοῦ γῆν önm ἂν καὶ

ὅσαις

ἂν

᾿Αθηναῖοι

καὶ

βούληται.

ὑπὸ

τοῦ

ἐνταῦθα

δὴ

᾿Αλκιβιάδου

οὐκέτι

.. ἀλλ᾽

ἐξηπατῆσθαι

ἄπορα

δι

ὀργῆς

νομίσαντες

οἱ

ἀπελθόντες

κομίζονται ἐς τὴν Σάμον.

" Alkibiades aber - er war sich nämlich des Tissaphernes keineswegs sicher, da dieser die Peloponnesier mehr fürchtete und immer noch, wie er es von Alkibiades selbst gelernt hatte, beide Seiten aufreiben wollte - bemühte sich, den Anschein zu er-

?* Diese Datierung ergibt sich aus den chronologischen Implikationen von Thuk. 8,57,1, wo Tissaphernes die Reise nach Kaunos εὐθὺς μετὰ ταῦτα (den gescheiterten Verhandlungen mit den Athenem) kal ἐν τῷ αὐτῷ χειμῶνι antritt, s. Andrewes, HCT V 131.147£.154., Lang, Revolution II 179 (vgl. Wenskus, Chronologie 246). Der von Hackl, Oligarchische Bewegung 42f. vertretene abweichende Ansatz der Tissaphernesverhandlungen bereits auf Mitte Februar geht von dem nach Hackls Ansicht in Thuk. 8,56,1 suggerierten Synchronismos zwischen der Hungersnot auf Chios und dem Eintreffen der

Gesandten bei Tissaphernes aus. Diese Annahme erscheint schon deshalb als problematisch, weil hier ein Synchronismos zwischen einem längerdauernden Zustand (der Hungersnot) und einem konkreten Ereignis (der Ankunft der Gesandten) vorausgesetzt wird.

Darüberhinaus sind auch die von Hackl a. O. angestellten Überlegungen über den Zeitpunkt, von welchem an die Hungersnot auf Chios wirksam wurde, m. E. zu unsicher, als

daB sich darauf feste chronologische Schlüsse bauen ließen.

- 76 wecken, daß Tissaphernes wegen extrem hoher Forderungen mit den Athenern zu

keinem Übereinkommen gelange. Und es scheint mir, daß auch Tissaphernes das-

selbe wollte; er aus Furcht, Alkibiades aber, weil er sah daß jener nicht willens sei, abzuschließen, und doch bei den Athenern den Anschein erwecken wollte, er sei nicht außerstande, ihn zu überreden, daß aber die Athener dem an sich überzeugten

und abschlußwilligen Tissaphernes nıcht genügend böten. Daher trieb er die Forderungen so weit hinauf (er führte die Verhandlungen im Beisein des Tissaphernes), daB den Athenern, obwohl sie viel von dem, was er forderte, zugestanden, die Schuld zufiel: Er forderte die Herausgabe ganz Ioniens, dann auch die danebenliegenden Inseln und anderes; als sich die Athener dem nicht widersetzten, forderte er schließlich in der dritten Zusammenkunft aus Furcht, daß seine Ohnmacht offenkundig würde, sie sollten dem Großkönig zugestehen, Schiffe zu bauen und seine Küsten zu befahren wann immer und mit wievielen immer er wolle. Daraufhin sahen sich die Athener nicht mehr [zu willfahren] imstande; unverrichteter Dinge und in der Über-

zeugung, von Alkibiades betrogen worden zu sein, brachen sie auf und begaben sich nach Samos."

Beim Versuch der historischen Auswertung dieses Berichts stellt sich der Forschung eine ganze Reihe von Fragen, die teils in augenscheinlichen Widersprüchen des thukydideischen Berichts, teils in der sachlichen Fragwürdigkeit gewisser Details begründet sind: Wie verträgt sich die Verlegenheit des Alkibiades angesichts der Haltung des Tissaphernes

in Thuk.

8,56,2

mit der Tatsache,

daß

nach

einer

früheren

Thukydidesstelle seinerzeit Alkibiades selbst dem Satrapen den Rat gegeben

hatte, beide Seiten gegeneinander auszuspielen??? Wie konnte Tissaphernes nach Thuk. 8,56,2 im März 411 „die Peloponnesier mehr fürchten [als die Athener]", wenn er es gleich im folgenden Abschnitt für wahrscheinlich hält, die Flotte der Peloponnesier kónnte entweder in einer Seeschlacht unterliegen

oder sich unter dem Druck der athenischen Blockade kampflos auflösen?’” Wie vereinbart man Thukydides’ Behauptung, Tissaphernes sei von allem Anfang an nicht gewillt gewesen, mit den Athenern abzuschlieBen, mit der Angabe, daB sich die Verhandlungen über drei Sitzungen hinzogen, und dann nicht etwa durch Tissaphernes, sondern durch eine Initiative des Alkibiades

beendet worden seien?"

Und wieso schließlich konnte Alkibiades den Lauf dieser Verhandlungen eigenmächtig bestimmen, wenn der Satrap persönlich an den Gesprächen

teilnahm und Alkibiades, wie Thukydides’ Wortlaut impliziert,’ von diesem nicht mehr ins Vertrauen gezogen wurde?

’® Thuk. 8,463; vgl. Andrewes, HCT V 133f. 39 s. Thuk.

8,57,1: „... μὴ [ol Πελοποννήσιοι),

fjv ἀπορῶσι

πολλαῖς

ναυσὶ τῆς

τροφῆς, ἢ τοῖς ᾿Αθηναίοις ..... ἃ βούλονται.

5 : Die Bedeutung der dreitägigen Verhandlungsdauer betont Kagan, Fall 137 m. Anm. 21, der diesen Umstand als Evidenz dafür betrachtet, daB Tissaphernes ernsthaft nach einem positiven Abschluß der Verhandlungen gestrebt habe. ?' Die Annahme Kagans, daß Tissaphernes dem Alkibiades vor den Verhandlungen seine Position klar gemacht habe, hat die historische Wahrscheinlichkeit für sich, findet aber im

-77-

Angesichts dieser Schwierigkeiten kann es nicht überraschen, daß der thukydideische Bericht über die Verhandlungen zwischen Tissaphernes und den athenischen Abgesandten in der Forschung zu recht unterschiedlichen Deutungen Anlaß gegeben hat. Betrachten wir zunächst Thukydides' Behauptung, Alkibiades habe seine Position als Verhandlungsführer benützt, die Forderungen des Satrapen in

übertreibender Weise hochzuschrauben (frei .... ὑπερβάλλων). In der Forschung hat man diese Bemerkung für gewöhnlich dahingehend gedeutet, daB

Alkibiades die Forderungen eigenmächtig hochgeschraubt habe,’” sei es aus dem von Thukydides angegebenen Grund, sei es, weil er in Voraussicht der kommenden Entwicklung der Dinge nicht mehr geneigt gewesen sei, sich mit der Sache der Oligarchie zu verbinden.’ Demgegenüber stellt Andrewes im Kommentar zur betreffenden Thukydidesstelle zu Recht fest, es sei „kaum vorstellbar, daß Alkibiades Forderungen

vorgetragen habe, die in einem nennenswerten Ausmaß eher seine eigenen als die seines Vorgesetzten waren“.”” Bei genauerer Betrachtung des Texts zeigt

sich in der Tat, daß sich diese Ansicht durchaus mit dem Bericht des Thukydides vereinbaren läßt: Auch der antike Historiker geht (eingestandenermaßen auf Grund eigener Vermutungen) davon aus, daß Alkibiades und Tissaphernes, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven, dasselbe wollten, nämlich die

Athener durch überhöhte Forderungen zum Abbruch der Verhandiungen zu provozieren.’ Wortlaut des Thukydides keine Stütze. Die Verwendung des Begriffs dpäv in Thuk. 8,56,3 (ἐπειδὴ écopa ἐκεῖνον καὶ ὡς οὐ Euußnoelovra) deutet vielmehr an, daß Alkibiades die Position des Tissaphernes aus äußeren Anzeichen ernet, also von dem Satrapen keine klare Angabe über dessen Verhandlungsziele erhalten hatte.

?3 Meyer, GdA "VII 545f. 3 So McGregor, Genius 43; als Möglichkeit in Erwägung gezogen von de Romilly,

Alcibiade 170f. 355 Andrewes, HCT V 133 ,,... it is hardly possible to suppose that Alkibiades put forward demands which were to any substantial extent his own rather than his principal's, though he was no doubt responsible for the way in which they were formulated". Daß die erhobenen Forderungen auf Tissaphernes' eigene Wünsche zurückgehen, nimmt auch Welwei, Athen 220 an; vgl. die Feststellung von Aidonis, Tissaphernes’ Dealings 94f. »Tissaphernes ... did not slavishly follow his [sc. Alcibiades'] advice, but commenced on his own policy without any forbearances". 356 In der Sentenz δοκεῖ δέ μοι καὶ ὁ Τισσαφέρνης

τὸ αὐτὸ βουληθῆναι

von Thuk.

8,56,3. muß das Demonstrativpronomen τὸ αὐτὸ m. E. nicht zwangsläufig bloß auf das μὴ ξυμβῆναι der vorangehenden Sentenz zu beziehen sein (so Classen/Steup, Thukydides 135 und Andrewes, HCT V 133), ebensogut kann es auf den gesamten Konditionalsatz ὥστε ..... ξυμβῆναι bezogen werden. Diese letztgenannte Möglichkeit ist insofern die wahrscheinlichere, als es wohl auch im Interesse des Tissaphernes liegen mußte, den Athenern den Eindruck zu vermitteln, daß von seiner Seite her die Möglichkeit einer Verstándigung nicht gánzlich ausgeschlossen sei (dafür spricht ja auch die Lànge der Verhandlungen, vg]. die u., S. 78 referierte Argumentation von Kagan).

- 78 -

Können wir uns daher Andrewes’ Auffassung unbedenklich zu eigen machen, so haben wir davon auszugehen, daß alle von Alkibiades im Zuge der Bespre-

chungen den athenischen Emissären präsentierten Forderungen, somit auch

diejenige nach

freier Fahrt für die Schiffe des Großkönigs,

an der die

Verhandlungen schließlich scheiterten, durchaus im Sinne des Satrapen lagen und mit dessen Zustimmung erhoben wurden, wenngleich Thukydides anzudeuten scheint, daß zumindest im letztgenannten Punkt die unmittelbare

Initiative von Alkibiades ausging.”

Wir haben demnach den eigentlichen Grund für das Scheitern der Verhandlungen nicht in irgendwelchen Machinationen des Alkibiades, sondern in der Haltung des Tissaphernes zu suchen.

Angesichts dieser Erkenntnis stellt sich zunächst die Frage, ob Tissaphernes überhaupt jemals ernsthaft gewillt war, ein Bündnis mit den Athenern einzugehen? Ein großer Teil der Forschung neigt dazu, diese Frage rundheraus zu verneinen, von den wenigen Autoren, die eine Bereitschaft des Satrapen für möglich halten,?? haben Lewis und Kagan ihre Ansicht näher begründet. Lewis verwies darauf, daß Tissaphernes einige Zeit zuvor mit den Pelopon-

nesiern gebrochen hatte,” und somit Gefahr lief, von beiden Streitparteien isoliert zu werden und alle Chancen auf eine Beeinflussung des Kriegsgeschehens zu vergeben. Unter dem Druck der Notwendigkeit, einen griechischen

Verbündeten

zu

sichern,

sei

der

Satrap

bereit

gewesen,

mit

den

Athenern abzuschließen.°°'

Kagan machte als Argument für Tissaphernes’ Bereitschaft die Tatsache geltend, daß sich die Verhandlungen nach dem Zeugnis des Thukydides über drei Sitzungen hingezogen haben: Hätte der Satrap überhaupt nicht abschließen wollen, so hätte er die Konferenz gar nicht erst halten müssen, hätte er die Verhandlungen

durch überhöhte Forderungen

scheitern lassen

wollen, so hätte er all seine Forderungen in der ersten Sitzung präsentieren können. Daß er die Diskussion länger hinzog, spreche für einen ernstgemeinten Versuch, zu einem Abkommen zu gelangen.” Diese Argumente haben einiges für sich, können aber letztlich nicht als zwingend gewertet werden. Tissaphernes’ Bruch mit den Peloponnesiern war, wie

357 Thuk. 8,56,4 δείσας 358 s. etwa Meyer, GdA

μὴ πάνυ φωραθῇ ἀδύνατος cv, ναῦς ἠξίον. ..... 545; Beloch, GG ?II 1, 384.

359 Wilamowitz, Thukydides VIII, 604; Hatzfeld, Alcibiade 238; Lewis, Sparta and Persia 101f., Kagan Fall 137 m. Anm. 21. 36 Auf der Konferenz mit der spartanischen Gesandtschaft unter Lichas (Thuk. 8,43,2-4),

die in den Anfang des Jahres 411 zu datieren ist (Busolt, GG III 2 1470). 36! Lewis, Sparta and Persia 100f.

3€? Kagan, Fall 137 m. Anm. 21.

-79-

der weitere Verlauf der Ereignisse bald zeigte,’ nicht so tiefgreifend, daB dem Satrapen nur die Alternative einer Einigung mit den Athenern geblieben würe, und was Kagans Deutung betrifft, so spricht die von ihm ins Treffen

geführte Länge der Verhandlungen wohl dafür, daß Tissaphernes den Eindruck erwecken wollte, er sei an einem Bündnis mit Athen ehrlich interessiert,^^ beweist aber nicht, daß dies auch tatsächlich der Fall war. Ziehen wir weiters in Betracht, daB Tissaphernes den Abbruch der Verhandlungen hinnahm, und daß er den Alkibiades, der nach Thukydides die Verantwortung

dafür trug, weiterhin in seiner Gunst behielt, so spricht die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daB das Scheitern der Verhandlungen

den Intentionen

des Satrapen zumindest nicht widersprach. Für die Frage, welche Gründe den Tissaphernes zu dieser Haltung bestimmten, haben wir von den bei Thukydides überlieferten Motiven auszugehen. Der Historiker begründet die Ablehnung des Athenerbündnisses durch

Tissaphernes einerseits mit dessen Furcht vor der Macht der Peloponnesier, andererseits mit dem weiterhin bestehenden Wunsch, gemäß dem seinerzeitigen Rat des Alkibiades, Peloponnesier und Athener sich „aneinander aufrei-

ben zu lassen'*."9

Die Berechtigung der ersten dieser beiden Begründungen ist von Kagan in

Zweifel gezogen worden: Das militärische Übergewicht habe sich im Laufe des Winters 412/11 sichtlich den Athenern zugeneigt, die sowohl in den Landkámpfen auf Chios als auch zur See, wo sie die peloponnesische Flotte auf Rhodos

blockierten,

die Oberhand

behalten

hatten.

Tissaphernes

habe

demnach im März 411 weniger von den Peloponnesiern zu fürchten gehabt als zuvor, weshalb der Grund für seine Ablehnung des Athenerbündnisses nicht in

der Furcht vor den Peloponnesiern zu suchen sei.’® Diese Kagan’sche Analyse der militärischen Situation der athenischen und peloponnesischen Flotten in Ionien im Frühjahr 411 bietet zweifellos ein überzeugendes Bild der beiderseitigen Stärkeverhältnisse, ein Bild, das, wie

eine diesbezügliche Aussage des Thukydides zeigt,’ im wesentlichen auch den Ansichten des Tissaphernes entsprochen haben dürfte.* Kagans Schlußfolgerung, Tissaphernes habe die Peloponnesier damals weniger zu fürchten gehabt denn je, muB allerdings insofern relativiert werden, als der Satrap nach

Thukydides gerade für den Fall eines athenischen Seesieges oder einer Selbst36 Εὐθὺς μετὰ ταῦτα“ konnte Tissaphernes einen neuen und für ihn günstigen Vertrag

mit den Spartanern abschlieBen (Thuk. 8,57-59).

3€ Vl. o., S. 77 Anm. 356. 365 Thuk. 8,56,2f. ἔτι βουλομένον .... τρίβειν ἀμφοτέρους. 366 agan, K Fall 136. 367 Thuk. 8,57,1; s. dazu o., S. 76 mit Anm. 350.

39 Daß sich die peloponnesische Flotte ohne die persischen Unterhaltszahlungen nicht erhalten lieB, bemerkt Kagan selbst an anderer Stelie (Fall 97).

- 80 -

auflósung der peloponnesischen Flotte eine Bedrohung des ihm unterstellten

Territoriums durch die peloponnesischen Landstreitkräfte befürchtete.’ Unter diesem Aspekt betrachtet, können wir Thukydides’ Behauptung, Tissaphernes habe im Frühjahr 411 ,,die Peloponnesier mehr gefürchtet als die

Athener“ durchaus ernst nehmen.???

Wenden wir uns nun dem zweiten der von Thukydides für Tissaphernes' Haltung angegebenen Gründe zu, dem Bestreben, die Griechen sich gegensei-

tig aufreiben zu lassen, so scheint es angebracht, zunáchst den Wortlaut der seinerzeitigen diesbezüglichen Ratschläge des Thukydides zufolge hatte der Athener dem gehalten, daß es im Interesse des Großkönigs schen Streitparteien die Übermacht erringen

Alkibiades vor Augen zu rufen. Satrapen zunächst vor Augen liege, keine der beiden griechiund so dem Perserreich gefähr-

lich werden zu lassen, und daß die Athener im Zweifelsfall die geeigneteren Partner für das Perserreich darstellten als die Spartaner, die die Befreiung der Hellenen auf ihre Fahnen geschrieben hätten.’’'

Daher empfehle er, „zunächst

beide Seiten sich aufreiben zu lassen und die Macht der Athener soviel wie móglich zu beschneiden, hierauf aber die Peloponnesier aus dem Lande zu

treiben“ (Thuk. 8,46,4 τρίβειν οὖν ἐκέλευε πρῶτον ἀμφοτέρους, kal ἀποτεμόμενον ὡς μέγιστα ἀπὸ τῶν ᾿Αθηναίων ἔπειτ᾽ ἤδη τοὺς Πελοποννησίους ἀπαλλάξαι ἐκ τῆς χώρας). Es liegt auf der Hand, daß sich dieser Ratschlag des thukydideischen Alkibiades mit dessen voranstehenden Ausführungen nicht ohne weiteres in Einklang bringen läßt: Traf die von Alkibiades statuierte Prämisse zu, daß jede der beiden griechischen Kriegsparteien für das Perserreich eine potentielle Bedrohung darstellte und daher ein vólliger Sieg der einen oder anderen Seite unbedingt verhindert werden mußte, so ließ sich nicht wirklich überzeugend be-

gründen, weshalb Tissaphernes am Ende doch definitiv für die Athener Partei 36

Thuk.

8,57,1]

.. ἐφοβεῖτο

μάλιστα

μὴ

τῆς

τροφῆς

ζητήσει

πορθήσωσι

τὴν

πειρον. s Anders Wilamowitz, Thukydides VIII, 594, der einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Thuk. 8,56,2 und 8,57,1 konstatiert: „Der frühere Tissaphernes hatte vor der

Überzahl der peloponnesischen Flotte solche Furcht, daß er nicht einmal mit den Athenern

gegen sie zu ziehen wagte, dieser hált sie für verloren, wenn er ihnen nicht zu Hilfe kommt;“ ähnlich, aber zurückhaltender Andrewes, HCT V 132f. Dem läßt sich entgegen-

halten, daß es bei den Überlegungen des Tissaphernes in Thuk. 8,56,2 nicht um die Überbzw. Unterlegenheit der Athener und Peloponnesier in ihrem gegenseitigen Verhältnis geht, sondern um die Frage, welche Seite für das von Tissaphernes beherrschte Territorium die größere unmittelbare Bedrohung darstelle, unter diesem Aspekt betrachtet, ist durchaus vorstellbar, daß der Satrap die Peloponnesier mit ihrer Landmacht für potentiell gefährlicher halten konnte (so bereits Brunt, Thucydides and Alcibiades 87f). Seine eigenen Streitkráfte dürften gering gewesen sein (s. Hatzfeld, Alcibiade 240) und die athenischen Landstreitkráfte waren durch den Abzug der Argiver (Thuk. 8,27,6), vielleicht auch der

übrigen Bundesgenossen (s. Andrewes, HCT V 28 und 59) fühlbar geschwächt.

?'! Thuk. 8,46,1-3.

» 8] -

ergreifen und ihnen helfen sollte, der Peloponnesier Herr zu werden. Alkibiades’ Versuch, dem Satrapen einzureden, daß die Athener die geeigneteren Herrschaftspartner für das Perserreich seien, konnte angesichts der bisherigen persischen Erfahrungen mit athenischer Expansionspolitik wohl kaum als

wirklich schlagendes Argument gewertet werden.’’° Unter dem Gesichtspunkt der nüchternen Interessen- und Machtpolitik, wie sie in Alkibiades' Ausführungen zugrunde gelegt ist, lief sich ein definitives Zusammengehen Persiens mit einer der beiden Mächte bis zum Sieg eigentlich erst dann rechtfertigen,

wenn die betreffende Macht sich in solcher Bedrängnis befand, daß sie der persischen Hilfe unbedingt bedurfte und dementsprechend bereit war, als Preis dafür Bedingungen zu akzeptieren, die dem Sicherheitsinteresse des Perserreiches Rechnung trugen. Dieses Interesse erforderte jedenfalls, wie Alkibiades bei Thuk. 8,46,2 feststellt, zu verhindern, daß eine einzige griechi-

sche Macht zu Wasser und zu Lande zugleich die Übermacht habe. Vor diesem Hintergrund betrachtet, wird klar, daB Tissaphernes gerade dann, wenn er sich die Grundsátze der von Alkibiades vorgetragenen Analyse zu eigen machte, bei seinen Verhandlungen mit den athenischen Abgesandten zumindest die Anerkennung persischer Herrschaft über das kleinasiatische Festland fordern mußte, eine conditio sine qua non, die auch seinen Verträgen mit den Spartanern zugrunde liegt. Die Bewertung der von Thukydides im gleichen Atemzug berichteten Forderung nach den νῆσοι ἐπικείμεναι hängt davon ab, was wir konkret unter diesen Inseln zu verstehen haben, eine Frage, die angesichts der unpräzisen Ausdrucksweise des Thukydides unbeantwortbar bleiben muß.?”*

Bei der dritten von Thukydides überlieferten Forderung sehen wir uns zunächst mit einem Problem der Textüberlieferung konfrontiert, dessen Lösung für die historische Bewertung der Forderung entscheidende Bedeutung 371 s die treffenden Bemerkungen von Bloedow, Alcibiades 36f. und Andrewes, HCT V 102f. (zu Thuk. 8,46,3 und 4); v. Fritz, Geschichtsschreibung I 775 versucht, den Wider-

spruch zwischen Alkibiades' Ratschlag und seinem Bestreben, den Satrapen auf Athens Seite zu ziehen, durch die interessante, aber hypothetische Annahme zu lósen, es sei Alki-

biades zunächst nur darum gegangen, einen Keil zwischen Tissaphernes und die Spartaner zu treiben; in der Folge werde sich daraus - so die Hoffnung des Alkibiades nach v. Fritz ein Zerwürfnis zwischen den beiden Mächten entwickeln, das den Satrapen „zwingen müßte auf die athenische Seite überzugehen“. ?? Diese Notwendigkeit war für Tissaphernes umso stärker gegeben, wenn sein Oberherr, der GroBkónig, wie Petit (Alcibiade et Tissapherne 142) und Aidonis (Tissaphernes’ Dealings 95) annehmen, den Athernern ausgesprochen feindlich gesinnt war. In diesem Falle war ein Zusammengehen mit Athen für den Satrapen, wenn überhaupt, nur auf der Basis eines die persischen Wünsche voll befriedigenden Vertrages zu rechtfertigen. ?"* Kagans Vermutung (Fall 137), daß unter den ἐπικείμεναι νῆσοι von Thuk. 8,56,4 alle großen Inseln der Ostägäis, Rhodos, Samos, Chios und Lesbos, inbegriffen seien, läßt sich aus dem Thukydidestext heraus nicht erhürten. Für eine vorsichtigere Position s. Lewis, Sparta and Persia 101, Anm. 73 und Andrewes, HCT V 134.

-82-

hat: Der Text der Passage lautet nach dem Zeugnis der Mehrzahl der Hss. ναῦς ἠξίου ἐᾶν βασιλέα ποιεῖσθαι kal παραπλεῖν τὴν ἑαντοῦ γῆν ὅπῃ ἂν καὶ ὅσαις ἂν βούληται, in einer einzigen Handschrift findet sich jedoch ἑαυτῶν statt ἑαυτοῦ überliefert. Die Bedeutung des Unterschiedes liegt auf der Hand: Ist die Lesart ἑαυτοῦ

die richtige, so ging es darum, daß es dem GroBkónig freistehen solle, Schiffe zu bauen und seine Küsten (d. h. die Küsten der abgetretenen Gebiete) nach Belieben zu befahren,'? im anderen Falle ergäbe sich die Forderung, daß der

Großkönig die Küsten der Athener, d. h. die Gestade des attischen Landes selbst mit Flottenmacht umfahren dürfe. Die erstgenannte dieser beiden Varianten mutet den unbefangenen Betrachter insofern befremdlich an, als man an sich erwarten würde, daß sich das Recht des Perserkónigs, die Küsten der neuerworbenen Gebiete mit Kriegsschiffen

zu befahren, aus der Abtretung dieser Gebiete gleichsam von selbst ergeben müte. 5 Man hat daher in diesem Zusammenhang den sogenannten Kallias-

frieden ins Spiel gebracht, jenes in seiner Historizitàt umstrittene athenischpersische Friedensabkommen der Mitte des 5. Jh., in dem unter anderem auch der Ausschluß persischer Kriegsschiffe aus den ägäischen Gewässern festge-

schrieben worden sei.’ Akzeptiert man die Existenz einer solchen Vertragsklausel, so würde es verständlich, daß man während der Verhandlungen von 411 das Recht des Kriegsschiffeinsatzes an der Küste Ioniens separat von der Abtretung des Territoriums an sich behandelt hat. Aufgrund dieser Überlegungen haben sich vor allem die Befürworter der Historizität des Kalliasfriedens für die Lesart τὴν ἑαυτοῦ γῆν in Thuk. 8,56,4 entschieden und die so verstandene Thukydidespassage als Argument zu ihren Gunsten geltend gemacht.’’® Aber auch die Skeptiker des Kalliasfriedens geben in der überwiegenden Mehrzahl der Lesart ἑαυτοῦ den Vorzug, wobei sie zu Recht darauf verweisen, daß eine Abgrenzung und Beachtung

fester Einflußsphären zwischen Athen und dem Perserreich auch ohne einen formalen Friedensvertrag denkbar sei.*"? Zugunsten der Alternativlesung ἑαυτῶν, die stets nur wenige Verfechter gefunden hat, tritt am entschiedensten Goldstein ein, der darauf verweist, daß

?7 Bzw. darüber hinauszufahren, s. u., S. 837. 376 So Meister, Ungeschichtlichkeit 54.

’7 Für die Quellen zum Kalliasfrieden s. Bengtson, Staatsvertráge II Nr. 152, S. 64-67; für

die Forschungsdiskussion um die Historizitàt des Friedensvertrages s. für die ältere Forschung ebd. S. 68f., dazu neuerdings Meister, Ungeschichtlichkeit passim; Badian, Peace of Callas Literaturangaben

passim

und

Samons,

Kimon

passim,

ale

mit

weiterführenden

ὁτὲ Busolt, GG III 1, 3527; Meyer, Forschungen II 76f.; Beloch, GG ?II 1, 77f., Anm. 2; Gomme HCT 1332f., weitere Autoren bei Meister, Ungeschichtlichkeit 53, Anm. 123. ?? So z.B. Walker, Peace 471.

-83Alkibiades nach dem Bericht des Thukydides gerade eine unerfüllbare Forde-

rung gesucht habe, um die Verhandlungen daran scheitern zu lassen." Dem läßt sich jedoch entgegenhalten, daß Alkibiades in Thukydides' Darstellung

den Athenern gegenüber trotz alldem den Eindruck aufrechterhalten móchte, daß ein Abkommen mit Persien grundsätzlich weiterhin im Bereich des Móglichen liege; zu diesem Zweck konnte ihm eine zwar hoch gegriffene, aber grundsätzlich nicht unbegründete Forderung dienen, während ein persischer Anspruch auf freie Fahrt bis an die Küste Attikas eine sinnlose und unerfüll-

bare Provokation dargestellt hätte, die den Athenern jede Hoffnung auf eine

Verständigung mit Tissaphernes hätte nehmen müssen.?*!

Einen interessanten Versuch, unserer Passage bei Beibehaltung des ἑαυτοῦ einen Sinn abzugewinnen, der jenem der anderen Variante nahekommt, hat Meister unternommen, der die Ansicht vertritt, daß in unserer Passage das

Verbum παραπλεῖν nicht, wie üblich, mit ‘entlang fahren’ übersetzt werden könne

(dafür wäre

περιπλεῖν

zu verwenden),

sondern

in der Bedeutung

‘darüber hinaus, daran vorbeifahren’ zu verstehen sei: „Mit anderen Worten:

Alkibiades verlangt, daß der Großkönig an ..... dem bereits konzedierten

Kleinasien bzw. den vorgelagerten Ägäisinseln vorbeifahren dürfe. Er will damit vertraglich das Recht zugestanden bekommen, jederzeit im gesamten

Ägäisbereich zu intervenieren.'9*?? Versucht man die sprachliche Grundlage von Meisters Hypothese anhand der

sonstigen Verwendung von παραπλεῖν: ΑΚΚυκαίν bei Thukydides zu überprüfen, so zeigt sich ein ambivalentes Ergebnis: Die Fügung findet sich so-

wohl in dem von Meister postulierten Sinn des ‘Darüber-Hinaus-Fahrens’, als auch in der Bedeutung „einen Küstenstrich entlang fahren (und nicht darüber

hinaus) verwendet.?* Aber trotz dieser Unsicherheit der sprachlichen Deutung können wir wohl aus sachlichen Überlegungen heraus davon ausgehen, daß die Forderung des Alkibiades zumindest von den Athenern in einem Sinn, der der von Meister vorgeschlagenen Übersetzung entspricht, aufgefaBt werden konnte, ja aufgefaßt werden mußte: Die Etablierung einer persischen Flotten-

macht an der Küste Ioniens und der vorgelagerten Inseln mußte aus athenischer Sicht stets die Gefahr einer persischen Intervention auch in anderen Regionen des Ägäisraumes und damit einer Bedrohung der athenischen See-

herrschaft in sich tragen; von daher wird die heftige Reaktion der atheni-

?*' Goldstein, Treaties 161f.

?*! Ähnlich bereits Steup bei Classen/Steup, Thukydides 136.

?*! Meister, Ungeschichtlichkeit 55.

3? Für „darüber hinaus fahren“ s. z. B. Thuk. 6,47; 8,94,1; 8,101,3; für „entlang fahren“ z.

B. Thuk. 6,62,2, 6,104,2; 7,56,1. ?!^ Daß mit dem Erscheinen persischer Kriegsschiffe an den Küsten loniens an sich bereits eine elementare Bedrohung der von den Athenern in Anspruch genommenen Seeherrschaft gegeben war, betont zu Recht bereits Steup bei Classen/Steup, Thukydides 136f.: „Durch

-84-

schen Gesandten verständlich, die gewohnt waren, in den Kategorien des See-

reiches zu denken. Auf der anderen Seite ist festzustellen, daB aus persischer Sicht das Recht des Großkönigs, die eigene Seemacht an den Küsten Ioniens zum Einsatz zu bringen, als ein integraler Bestandteil seiner Herrschaftsrechte

in diesen Regionen gewertet werden mußte, dies umso mehr, als es auf der

Hand lag, daß sich eine effektive Herrschaft über diese Küstenlandschaften nur mit Hilfe einer ständig prásenten Flottenmacht durchsetzen lassen würde. Zieht man diese Differenz der Perspektiven in Betracht, so versteht man, wes-

halb die Verhandlungen an der Frage nach dem Zugang der persischen Flotte zu den ägäischen Gewässern scheiterten. Die Forderung nach diesem Zugang machten eine Kluft zwischen den Vorstellungen beider Verhandlungspartner deutlich, die sich schlechterdings nicht überbrücken lieB: Was der athenischen Seite als unter allen Umständen zu vermeiden galt, das stellte für Tissapher-

nes ein gewissermaßen selbstverständlich anzustrebendes Ziel dar.

Wie haben wir in Anbetracht dieser Diskrepanz der beiderseitigen Interessen die Angabe des Thukydides zu bewerten, Alkibiades habe diese Forderung erhoben, um zu verhindern, daB seine Ohnmacht, den Tissaphernes zum Bündnisschluß zu bewegen, offenkundig würde??*? Alkibiades muß sich darüber im klaren gewesen sein, daß in der Frage des

Zugangs

persischer Flotten zur Ägäis eine kaum

zu überbrückende

Kluft

zwischen den beiderseitigen Vorstellungen klaffen würde. Wollte er ein persisch-athenisches Bündnis zustandebringen, so mußte es ihm geraten scheinen, diesen heiklen Punkt aus den Verhandlungen auszuklammern. Dies zu bewerkstelligen war schwierig, muß ihm aber nicht von vornherein als unmóglich erschienen sein: Wenn

sich die Athener Emissáre bereit fanden,

dem Großkönig die Souveränität über die Küsten und Inseln Ioniens zuzugestehen, und wenn sich Tissaphernes überreden ließ, diese Souveränität vorderhand nicht in Form von Flottenoperationen zur Geltung zu bringen, dann konnte Alkibiades hoffen, daß sein bewährtes diplomatisches Geschick

die Verhandlungen zu einem Ergebnis zu führen vermochte. Sein von Thukydides überlieferter Ratschlag an Tissaphernes, die phönizische Flotte

nicht nach Ionien zu bringen, ^ mag daher auch im Hinblick auf die athenischen Empfindlichkeiten gegeben worden sein.?*? ein solches Recht des Königs wäre ja der Rest der athenischen Herrschaft im ägäischen Meere und am Hellespont durchaus in Frage gestellt worden, ganz abgesehen davon, daß ein Eingehen der Athener auf die Sache ein unzweideutiges Fallenlassen ihres Anspruchs auf die Beherrschung aller griechischen Meere .... gewesen wäre.“

345 Thuk. 8,56,4, zit. o., S. 78 Anm. 357. 35 Thuk. 8,46,1

557 Man beachte in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des Alkibiades gegenüber Tissaphernes in Thuk. 8,46,3f., die auf ein Schema hinauslaufen, in welchem Persien die Herrschaft über das Land, Athen die Macht zur See zufallen sollte: ἐπιτηδειοτέρους

-85-

Ein unter Ausklammerung des Kernproblems zustandegekommenes Abkommen würde vielleicht nicht von langer Dauer sein, aber es würde hinreichen, Alkibiades den Weg zur Rückkehr nach Athen zu bahnen; vom Standpunkt

seines persönlichen Vorteils aus gesehen, hatte Alkibiades demnach allen Grund, die Frage nach dem Einsatz der persischen Flotte in der Ägäis aus den Verhandlungen herauszuhalten. Wenn er diese Frage dennoch zur Sprache brachte, so beraubte er sich damit selbst der Möglichkeit, spáterhin ein Abkommen unter Ausklammerung des strittigen Punkts zustandezubringen; unter diesem Gesichtspunkt ist es kaum vorstellbar, daB er einen solchen Schritt

gesetzt haben sollte, wenn ihn nicht Tissaphernes selbst dazu veranlaßte. Die von Thukydides berichtete Version, Alkibiades habe die für Athen unannehmbare Forderung aus eigenem Antrieb zur Sprache gebracht, hat daher

wenig innere Wahrscheinlichkeit für sich. Möglicherweise geht sie auf subjektive Eindrücke aus dem Kreis der athenischen Gesandten zurück, die Thukydides

dann

versucht hat.?**

aufgrund

eigener

Überlegungen

rational

zu

begründen

Nach dem Bericht des Thukydides schieden die Gesandten „im Zorn“ vom

Hofe des Tissaphernes und nahmen den Eindruck mit sich, von Alkibiades

„betrogen“ worden zu sein.’” τε ἔφη τοὺς ᾿Αθηναίους εἶναι κοινωνοὺς

αὐτῷ

τῆς ἀρχῆς" ἧσσον γὰρ τῶν κατὰ

χὴν ἐφίεσθαι. Die Phrase δοκεῖ δέ uoi von Thuk. 8,56,3 zeigt, daß Thukydides nicht über Informationen aus dem Umkreis des Tissaphernes verfügte und daher für dessen Haltung auf Konjekturen angewiesen war. Wie bereits Brunt (Thucydides and Alcibiades 78) bemerkt hat,

scheint sich Thukydides über die Motive des Alkibiades mit größerer Bestimmtheit zu äußern; dennoch wird man es nicht für wahrscheinlich halten, daß der Bericht über Alkibiades' Rolle in Thuk. 8,56 auf diesen selbst zurückgeht. Alkibiades mußte stets darauf

bedacht sein, in den Augen der Athener als ein zuverlässiger Verhandlungspartner zu erscheinen, er wird daher kaum selbst erzählt haben, daß er 411 athenische Gesandte mit

falschen Eindrücken hinters Licht zu führen versuchte (vgl. Erbse, Thukydides-Interpretationen 78 und Westlake,

Influence

100f.). Falls Alkibiades tatsächlich, wie Büdinger,

Poesie 10-15 und Brunt (Thucydides and Alkibiades 95) annehmen, für alle Ereignisse, an denen er selbst beteiligt war, den Gewührsmann des Historikers dargestellt hat, müßten wir davon ausgehen, daß er ihm für die Verhandlungen mit Tissaphernes eine in seinem Sinn geschónte Version gab, die Thukydides zugunsten der in 8,56 gegebenen verworfen hat.

Das Gleiche gilt sinngemäß für den Fall, daß es sich bei Thukydides' Informanten um einen Exilgefährten des Alkibiades gehandelt hat (so die Vermutung von Westlake, Influence 104-108). Es ist demgegenüber m. E. am wahrscheinlichsten, daß der Historiker den Anstoß für die in 8,56 gebotene Sicht der Ereignisse mittelbar oder unmittelbar aus dem Kreis der athenischen Gesandten bezogen hat. Cagnetta, Fonti oligarchiche 216f, vermutet, daß die prominenten Führer der Umstürzler von 411, Phrynichos, Peisandros und Theramenes, zu den Gewährsmännern des Thukydides gehört haben. Trifft dies zu, so läge es nahe, die

antialkibiadeische Färbung des in Thuk. 8,56 gegebenen Berichts auf Peisandros zurückzuführen.

35? Thuk. 8,56,5.

- 86 -

Zieht man den politisch-militärischen Hintergrund, vor dem sich die Verhand-

lungen vollzogen, ins Kalkül, so wird man den Grund für die Erbitterung der Gesandten nicht allein in der Hóhe der von Alkibiades gestellten Forderungen erkennen kónnen. Die Forderung nach dem Flottenzugang zu den ägäischen Gewässern mochte den Athenern als zu hoch gegriffen erscheinen, daß sie aber von persischer

Seite erhoben wurde, kann sie angesichts der bedrángten Lage Athens und der

Notwendigkeit persischer Unterstützung kaum überrascht haben;’” jedenfalls konnte diese Forderung von den athenischen Gesandten kaum als persónliche

Provokation des Alkibiades gewertet werden. Die von Thukydides betonte Enttäuschung und Empörung der athenischen Gesandten dürfte daher auf andere Gründe zurückzuführen sein. Es liegt nahe,

diese Gründe im Bereich der Innenpolitik zu suchen. Wenn Peisandros und seine Mitgesandten sich, wie ihr späteres Verhalten wahrscheinlich macht,?! bei ihrer Mission weniger als Reprüsentanten Athens denn als Vertreter der oligarchischen Umsturzbewegung verstanden, so werden sie sich von dem angestrebten Perserbündnis nicht nur die militärische Rettung der Stadt, son-

dern auch und vor allem den Sturz der Demokratie und deren Ersetzung durch ein oligarchisches Regime versprochen haben. Ebendies hatte ja Alkibiades selbst ausdrücklich als Bedingung für die in Aussicht gestellte persische Hilfe verkündet.

Diese athenisch-innenpolitischen Aspekte wurden aber, wenn wir Thukydides Glauben schenken kónnen, wáhrend der Unterhandlungen gar nicht zur Sprache gebracht: Die Forderungen der persischen Seite richteten sich auf machtpolitische Ziele, denen gegenüber sich der seinerzeit von Alkibiades so sehr betonte Wunsch nach einer Verfassungsänderung in Athen als für die persi-

sche Seite irrelevant erwies. Die athenischen Gesandten sahen sich somit als Athener und als Oligarchen gleichsam mit einer doppelten Enttáuschung konfrontiert und mußten darüberhinaus noch befürchten, mit ihrer fehlgeschlagenen Mission in den Augen des athenischen Demos persónlich kompromittiert zu sein. Von daher lassen sich die Gefühle der Enttäuschung und der Erbitterung gegenüber Alkibiades, die Thukydides berichtet, recht gut nachvollziehen.

Als weiteres Indiz für das hier skizzierte Szenario dürfen wir die Tatsache ansehen, daB das Scheitern der Verhandlungen nicht von allen Athenern als

Beweis für die Unzuverlässigkeit des Alkibiades und die Unmöglichkeit einer 99 vgl. die treffenden Bemerkungen von Ferrabino, L' imperio ateniese 355, der darauf verweist, daß die von Tissaphernes und Alkibiades gestellten Bedingungen selbst in ihrer extremen Ausformung immer noch milder waren als diejenigen, die Athen von einem siegreichen Sparta aufdiktiert worden wären.

99! Thuk. 8,64,1, s. dazu o., S. 74 mit Anm. 347.

-87-

Verständigung mit Persien gewertet worden ist: Die Führer der athenischen

Demokraten auf Samos, vornehmlich Thrasybulos, ließen sich im Sommer 411, also nur wenige Monate nach den gescheiterten Verhandlungen am Hofe

des Tissaphernes, von der Hoffnung auf ein durch Alkibiades vermitteltes Bündnis mit dem Großkönig beflügeln, wobei man jetzt offenbar bereit war,

einer allfälligen persischen Forderung nach dem Zugang zur Ägäis entgegen-

zukommen.’

Demokraten

Natürlich wird man diese Bündnisbereitschaft der athenischen

in erster Linie als Folge

ihrer bedrängten

Lage

nach dem

Umsturz in der Mutterstadt zu verstehen haben, dennoch bleibt der Kontrast zwischen den Bündnishoffnungen der Demokraten auf Samos und der tiefgehenden Desillusionierung der Peisandrosgesandtschaft nach dem Scheitern ihrer Verhandlungen"? bemerkenswert. Es scheint nicht abwegig, die Erbitterung der Gesandten des Frühjahrs 411 auf ein Motiv zurückzuführen, das von

ihren demokratisch gesinnten Mitbürgern nicht geteilt wurde, nämlich die Enttäuschung jener spezifisch oligarchischen Hoffnungen, die durch Alkibiades’ seinerzeitige Botschaften geweckt worden waren.

Die Verschwörer auf Samos nach dem Scheitern der Tissa-

phernes-Verhandlungen

Vom Hofe des Tissaphernes aus begaben sich Peisandros und seine Mitgesandten mit der Nachricht vom Scheitern ihres Verhandlungsauftrages i in das

athenische Heerlager auf Samos,

wo die Verschworenen

" zur Beratung

zusammentraten. Man beschloB, ungeachtet des Wegfalls der in Alkibiades und Tissaphernes gesetzten Hoffnungen die Sache des oligarchischen Umsturzes weiter zu betreiben, und den Krieg mit Energie weiterzuführen. Dem Bericht des Thukydides zufolge traten in dieser Situation Peisandros und

seine Mitgesandten als Führungsgruppe der oligarchischen Aktivisten auf, 992„ Zu diesen Vorgängen s. u., S. 226.228f.254f. 53 Man beachte die nach dem Scheitern der Verhandlungen im Kreise der Verschwörer auf Samos getroffene Feststellung οὐκ ἐπιτήδειον αὐτὸν [sc. ᾿Αλκιβιάδην] εἶναι ἐς ὀλιγαρχίαν ἐλθεῖν (Thuk. 8,63,4) - die diesem Statement zugrunde liegende Erkenntnis wird wohl auf den von den Emissären während der Verhandlungen gewonnenen Eindruck zurückgehen; vgl. u., S. 124f. ?* Einen, freilich propagandistisch verzerrten Nachhall des Bruches zwischen Alkibiades und den Oligarchen dürfen wir vielleicht in Isokr. 16,5 erkennen, wo es heißt, diejenigen, die dem Volk übelwollten und die Vierhundert einsetzten, hátten Alkibiades aufgefordert, bei ihnen mitzumachen, aber er hátte abgelehnt, worauf sie alles dransetzten, ihn aus dem

Wege zu schaffen. Freilich sind in dieser Gerichtsrede die Verhältnisse insofern auf den Kopf gestellt, als hier die ἐπιβουλεύσαντες τῷ δήμῳ an Alkibiades herantreten, nicht umgekehrt. 355 Zum Verständnis von ol tv τῇ Σάμῳ τῶν ᾿Αθηναίων κοινολογούμενοι in Thuk. 8,63,4 s. Steup bei Classen/Steup, Thukydides 149.

„nahmen die Verhältnisse im Athenerheer fester in den Griff“ (vá .. tv αὐτῷ τῷ στρατεύματι ἔτι βεβαιότερον κατέλαβον), und bemühten sich mit

Erfolg, die δυνατώτατοι der Samier, d. ἢ. die Anführer der während der vorjährigen Stasis siegreichen Fraktion, für den Plan eines Umsturzes auch der samischen Verfassung zu gewinnen. Nach diesen Sicherungsmaßnahmen wurde Peisandros mit der Hälfte seiner Mitgesandten nach Athen entsandt,

um dort den Umsturzplan in die Realitát umzusetzen, die übrigen machten sich jeweils einzeln auf den Weg, um auch in den diversen anderen Bundes-

genossenstädten die Oligarchie einzuführen.’ Der knappe und skizzenhafte Bericht des Thukydides läßt, was die Details und die Chronologie der beschriebenen Vorgánge angeht, einige Fragen offen, dennoch sind die Grundzüge des Geschehens soweit zu erkennen, daß wir einige Vermutungen über die Hintergründe wagen dürfen. Angesichts der bisherigen Zielsetzungen der Bewegung mag die Bereitwilligkeit, ja Erleichterung überraschen, mit der die Verschwórer die Nachricht

vom Ausfall des Alkibiades aufgenommen haben. Das spricht dafür, daß die Bewegung auf Samos von entschiedenen Oligarchen dominiert war, die das Zusammengehen mit dem umstrittenen Exulanten stets nur als Zweckbündnis betrachtet hatten. In ihrer Sicht lag das Heil der Stadt in einer oligarchischen

Verfassung, die von Alkibiades versprochene Perserhilfe war dabei als Mittel zur Durchsetzung dieses Ziels zu verstehen, nicht etwa umgekehrt. Von dieser Einstellung her wird es verständlich, daß man nunmehr auch das Scheitern der auf den Großkönig gesetzten Hoffnungen mit Fassung trug und sich der Überzeugung hingab, unter einer oligarchischen Verfassung den Krieg auch ohne Perserhilfe aus eigenen Mitteln energisch fortführen zu kónnen - die scharf oligarchische Tendenz kann also zumindest in diesem Kreis nicht etwa mit einer 'defütistischen', spartafreundlichen Haltung einhergegangen sein:”” die Fortsetzung des Krieges und die Erhaltung der äußeren

Macht Athens bildeten auch weiterhin den Eckpunkt des Programms der Reformer. Als Kónigsweg zu diesem Ziel erschien den Verschwórern jetzt mehr denn je

die Oligarchisierung auch der Bundesgenossen, von der man sich offenbar eine Immunisierung dieser Stádte gegenüber den Verlockungen des Abfalls von Athen erhoffte - ebenjene Vorstellung, gegen die seinerzeit Phrynichos

polemisiert hatte.'?* Das Ergebnis war der Beschluß, so schnell wie möglich in den Bundesgenossenstädten oligarchische Verfassungen einzuführen. Zieht

356 Thuk. 8,63,3-64,1. #7 Anders Cuniberti, Presenza ateniese 78, der trotz Thukydides' Aussage mit einer nach dem Scheitern der Perserverhandlungen sofort einsetzenden Umorientierung innerhalb der Umsturzbewegung rechnen móchte.

5?! Thuk. 8,48,5-7, dazu o., S. 44f. und 47f.

- 89 man die ideologischen Prämissen in Betracht, von denen die ξυνωμόται bei ihren Planungen ausgingen, so wird man ihrer Haltung die Konsequenz nicht absprechen können, freilich sollten sich, wie Thukydides anhand des Beispiel-

falles der Polis Thasos aufzeigt,’ diese Prämissen recht bald als fragwürdig erweisen. Die Abfolge der Ereignisse auf Samos läßt sich aus Thukydides' Bericht nicht eindeutig erkennen. Seine Anordnung erweckt den Eindruck, daB die Bemühungen der Peisandrosgruppe um verstärkte Kontrolle über das Heer und um die Aktivierung der samischen δυνατώτατοι sowie die internen Beratungen der Verschwórer etwa zur gleichen Zeit stattgefunden haben.*?

Wir können jedenfalls davon ausgehen, daß die Verschwörer sogleich nach der Rückkehr der Tissaphernes-Gesandtschaft zur Besprechung zusammenge-

treten sind; ganz abgesehen vom allgemeinen Informationsbedürfnis machte schon der durch das Scheitern der Verhandlungen gegebene Wegfall aller bisherigen Voraussetzungen der Verschwörung eine rasche Abklärung des weiteren Vorgehens der ξυνωμόται dringend erforderlich. Von daher müßten wir die Konferenz der Verschwörer eigentlich früher ansetzen als die übrigen Aktivitäten der Peisandrosgruppe, aber der Wortlaut des Thukydides läßt die Möglichkeit offen, daß es sich bei den Erörterungen in 8,63,4 um den sucus

mehrerer Konferenzen handelte, die zu den in 8,63,3 geschilderten Vorgängen parallel liefen. Die absolute Dauer dieser Verhandlungen auf Samos werden wir aber in jedem Fall nicht sehr hoch ansetzen dürfen," wenn wir berücksichtigen, daß die Verschwörer unter fühlbarem Zeitdruck gestanden haben müssen: Sie mußten ja damit rechnen, daß die Nachricht von der Rückkehr der Gesandten

nach Samos früher oder später nach Athen gelangen würde. Selbst wenn es

gelingen würde, das Scheitern der Mission vor der breiteren Öffentlichkeit

35? Thuk. 8,64,2-5. Zu diesen Vorgängen auf Thasos, die für die Entwicklung der Verhältnisse ın Athen nicht weiter relevant sind und daher außerhalb des Rahmens der gegenwärtigen Untersuchung liegen, s. Pleket, Thasos 73-77, Quinn, Thucydides 264f., Avery, Three Hundred passim; Grossi, Dietrefe passim, Gehrke, Abfall 40f. und Bleckmann, Athens

Weg 216-229 mit weiterführenden Literaturangaben. 49 Thuk. 8,63,3f.; s. bes. ἅμα ..... κοινολογούμενοι in 8,63,4. 4! So Jedoch Andrewes, HCT V 155, der von der Vorstellung ausgeht, Peisandros sei erst

kurz vor der Versammlung auf dem Kolonos in Athen eingetroffen. Andrewes ist sich der in dieser Annahme eines längeren Aufenthaltes auf Samos liegenden Schwierigkeiten bewußt, behilft sich aber mit der Annahme, es seien dafür Erklärungen denkbar, so etwa

daß die Verschworenen auf Samos zunächst die Entwicklung in Athen abwarten wollten. M. E. kann es jedoch nicht als wahrscheinlich gelten, daß Peisandros und seine Verschwörer bewußt darauf verzichtet haben sollten, den Gang der Ereignisse in der Heimatstadt durch eigenes Handeln zu beeinflussen, zumal sie ja nach Thukydides entschlossen waren,

ihre Umsturzpläne unter allen Umständen durchzuziehen.

-90geheim zu halten,“2 stand für die Verschwórer zu befürchten, daß schon das Ausbleiben definitiver Nachrichten über die erhoffte Hilfe aus Persien die Stimmung in der Stadt ungünstig beeinflussen würde. Aus diesem Grund wird

man davon auszugehen haben, daß sich Peisandros nach seiner Rückkehr vom Hofe des Tissaphernes nicht lange auf Samos aufgehalten, sondern sehr bald seine Reise nach Athen angetreten hat.*? Seine bei Thuk. 8,63,3 geschilderten Tátigkeiten - die Sicherung der Position der Verschwórer im athenischen Heer und die Kontaktaufnahme mit den samischen δυνατώτατοι - haben wir uns daher als nicht sehr zeitaufwendig vorzustellen; vermutlich hat Peisandros hier nur den AnstoB für Aktivitáten gegeben, die dann von den auf Samos

verbliebenen Verschwórern weitergeführt wurden.^^

Auf der Reise nach Athen haben Peisandros und seine Mitgesandten nach Thukydides in den entlang ihrer Route liegenden Stádten die demokratischen Verfassungen gestürzt und Hopliten der lokalen Aufgebote als Verbündete an sich gezogen. Thukydides erwähnt an späterer Stelle Hopliten aus Andros, Tenos und Karystos als Hilfstruppen der athenischen Putschisten, wobei es

sich wohl um im Zuge von Peisandros' Reise aufgebotene Kontingente han-

delt.“ Darüberhinaus hat man auch die Einrichtung einer für das Jahr 410 bezeugten Oligarchie

in Paros auf das damalige

zurückführen wollen.*® Diese Aktivitäten werden genommen

haben,"

zweifellos

eine

aber auf der anderen

Wirken

gewisse

Zeit

des Peisandros in

Seite hatte Peisandros,

Anspruch wie wir

oben gesehen haben, angesichts der unklaren Situation in Athen allen Grund, #2 Daß dies den Verschwörern tatsächlich gelang vermuten z. B. Lang, Revolution II 179; McCoy,

Moderates 68, Kagan, Fall 142, Cuniberti, Presenza ateniese 78 und Welwei,

Athen 222. Diese Annahme scheint jedoch fragwürdig, wenn man davon ausgeht, daß sich die Kunde von dem Vertrag zwischen Tissaphernes und den Lakedaimoniern (Thuk. 8,57,2-59,7) wohl bald nach dem Abschluß bis nach Athen verbreitet haben wird. In diese Richtung weist auch das εὐθὺς τότε von Thuk. 8,64,1. Mit einem frühen Aufbruch des Peisandros rechnet auch Avery, Three Hundred 237 Anm. 12 (,early April"),

der jedoch die Dauer seiner Reise verhältnismäßig hoch veranschlagt und den Peisandros daher erst Ende Mai in Athen eintreffen lassen móchte (für eine abweichende Auffassung S. u., S. 106). Man vergleiche Thuk. 8,73,2, wo es von den samischen δυνατώτατοι heißt, sie seien

von Peisandros und von den auf Samos befindlichen athenischen Verschwórern zum Anschluß an die oligarchische Bewegung überredet worden (... πεισθέντες ὑπό τε τοῦ Πεισάνδρου, ὅτε ἦλθε, kal τῶν ἐν τῇ Σάμῳ ξυνεστώτων ᾿Αθηναίων ...).

“3 Thuk. 8,69,3; s. Andrewes, HCT V 161; Gehrke, Stasis 22.76.159; die Erwähnung der

ξένοι τινὲς Καρύστιοι. ἄνδρες καλοί τε κἀγαθοί in Aristoph. Lys. 1058-1060 wird man wohl nicht als Anspielung auf bereits bestehende oligarchische Verwicklungen der Karystier verstehen dürfen, s. Henderson, Lysistrata 191 und Sommerstein, Lysistrata 209.

*$ Diod. 13,47,8; s. dazu Andrewes, HCT V 161 und Gehrke, Stasis 125.

#7 Vgl. Andrewes, HCT V 161; die von Woodhead, Peisander 144 suggerierte Vorstellung ,Peisander sailed around the Aegean setting up oligarchies and collecting troops“ muß jedenfalls als zu weitgehend zurückgewiesen werden.

-91-

seine Rückkehr nicht allzulange zu verzögern. Es ist anzunehmen, daß er sich mit der Einsetzung oligarchischer Regimes nicht länger als unbedingt nötig

aufgehalten hat. Er wird sich vielmehr damit begnügt haben, die entsprechenden Prozesse in Gang zu setzen, und seine vordringlichste Aufgabe in der Rekrutierung von Hilfstruppen für die Sache der Oligarchen in Athen gesehen haben.“ Es scheint nach alledem angebracht, die zwischen Peisandros' Eintreffen in

Samos und seiner Ankunft in Athen liegende Zeitspanne nicht allzuhoch zu veranschlagen. Die Debatten und Verhandlungen auf Samos werden nicht viel

mehr als eine Woche in Anspruch genommen haben, für die Rückreise von Athen kann wegen der Zwischenaufenthalte ein Ansatz von zwei bis drei Wochen als realistisch gelten.*9? Die auf Samos verbliebenen Verschwórer führten, wie vereinbart, die antide-

mokratische Agitation unter den athenischen Truppen fort, zu der nunmehr gleichsam als Parallelunternehmen die gleichgerichtete Kampagne der von Peisandros für die Sache der Oligarchie gewonnenen samischen δυνατώTa Toi trat.

Darüber und über die weitere Entwicklung der Verhältnisse auf Samos nach

der Abfahrt des Peisandros wird an späterer Stelle zu berichten sein;^? hier sei lediglich angemerkt, daß die Verschwórer auf Samos offenbar keinen festen Termin für den geplanten Umsturz festgelegt hatten: Der Wortlaut der von den Vierhundert nach ihrer Machtergreifung nach Samos gesandten

Botschaft spricht dafür, daß man in Athen mit dem Fortbestehen demokratischer Verhältnisse im samischen Heerlager rechnete.*'! Dies legt den Schluß nahe, daß die Verschwórer auf Samos zwar auf die gewaltsame Machtübernahme der Dreihundert innerhalb der Polis der Samier,

nicht aber auf die gewaltsame Oligarchisierung der auf der Insel stehenden athenischen Streitkräfte abzielten: Ihre Aktivitäten waren darauf gerichtet, der Akzeptierung einer oligarchischen Verfassungsänderung durch die Truppen den Boden zu bereiten, doch die entscheidenden Schritte des Verfassungssumsturzes sollten nicht auf Samos, sondern in der Hauptstadt gesetzt werden. Es

sind daher

die Ereignisse

in Athen

selbst,

denen

wir uns

im

zweiten

Hauptteil unserer Untersuchungen zuzuwenden haben. Hierbei scheint es angebracht, zunächst die in der Forschung umstrittene Frage nach der chrono«» Die Notwendigkeit der Beeilung betont zu Recht auch Pesely, Theramenes 104. 4 *9 Eine derartige Reisedauer ist auch bei Andrewes, HCT V 154 impliziert, wo Peisandros’ Abreise von Samos auf Mitte Mai, die von ihm vorbereitete und initiierte

Kolonosversammlung auf Anfang Juni datiert wird. Für eine längere Dauer Avery, Three Hundred 237 Anm. 12.

0 s. u., S. 211-216.

4 Ζυ dieser bei Thuk. 8,70,2 referierten Botschaft der Vierhundert an die samischen Streitkräfte, s. u., S. 174f.

-92.

logischen Abfolge der zwischen der Abreise des Peisandros nach Ionien und der Machtübernahme der Vierhundert liegenden Etappen der Verfassungsumwälzung einer Klärung zu unterziehen. Aufgrund der Komplexität der mit dieser Frage verbundenen Probleme ist hierfür ein eigener Exkurs vonnóten, den wir im folgenden Abschnitt der detaillierten Betrachtung der eigentlichen Umsturzvorgänge voranstellen wollen.

.93 -

EXKURS I: ABLAUF UND CHRONOLOGIE VERFASSUNGSUMSTURZES

DES

Während für die Anfänge der oligarchischen Verschwörung auf Samos und die Verhandlungen der Oligarchen mit Alkibiades und Tissaphernes das Geschichtswerk des Thukydides die einzige Quelle bildet, steht uns für die gleichzeitige Entwicklung der oligarchischen Bewegung in Athen selbst und die Machtübernahme der Vierhundert neben verstreuten Einzelnachrichten

aus der literarischen und epigraphischen Überlieferung! in der aristotelischen Athenaion Politeia ein weiterer zusammenhängender Bericht zur Verfügung. Unglücklicherweise weichen diese beiden Berichte im Gesamtbild wie auch in den Einzelheiten so deutlich voneinander ab, daß selbst die elementare Frage nach der Gleichsetzung wenigstens der bei Thukydides bzw. in der Ath. Pol. berichteten Hauptetappen des Geschehens keine klaren und sofort einleuchtenden Antworten findet. Die seit der Publikation der Athenaion Politeia kontinuierlichen Bemühungen der Forschung haben denn auch eine ganze

Reihe

divergierender Rekonstruktionsversuche

erbracht, die teils auf der

Zugrundelegung des einen und der Verwerfung des anderen Berichts, teils auf diversen Harmonisierungsversuchen beruhen.

Wir wollen nun die von unseren beiden Hauptquellen gebotenen Schemata vom

Ablauf

des

Geschehens,

sodann

die

darauf

aufbauenden

modernen

Rekonstruktionsversuche näher ins Auge fassen. Thukydides kennt folgende Etappen des Geschehens: 1) Noch vor der Rückkehr des Peisandros führen die oligarchischen Krüfte in Athen

(Thukydides spricht von ol ἑταῖροι) einen Propaganda- und Terrorfeldzug zugunsten

der Umsturzbewegung durch. In der Öffentlichkeit verkünden sie die Parole, die Amter sollten unbesoldet sein und überhaupt sollten nur die 'leistungsfühigsten' Bürger an der Staatsgewalt Anteil haben, nicht mehr als fünftausend an der Zahl (8,65,3 - 8,66,1). 2) Nach der Rückkehr des Peisandros und seiner Mitgesandten beschlieBt das Volk auf deren Betreiben die Einsetzung von 10 συγγραφεῖς zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes, der an einem gegebenen Tag verkündet werden soll (8,67,1). 3) Am vorgesehenen Termin wird eine Ekklesie auf den Kolonos Hippios außerhalb der Stadt einberufen (wtl. ,,zusammengedrángt"); dort beantragen die συγγραφεῖς nichts anderes als die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων: jedermann solle es freistehen, zu beantragen, was ihm gutdünke. Danach werden verschiedene Vorschläge eingebracht, unter ihnen auch der Antrag des Peisandros, der die Bestellung eines Rates von vierhundert Männern vorsieht. Diese sollen ins Buleuterion einziehen, mit

Vollmacht herrschen und die Fünftausend [über deren Konstituierung im vorangegangenen nichts gesagt ist] einberufen, wann immer es ihnen beliebe. Die Versammlung billigt diesen Antrag (8,67,2-3. 8,69,1).

! Für einen ausführlichen Überblick über diese Nebenquellen s. HCT V 184-212.

-94 4) „Später“ ziehen die Vierhundert mit bewaffnetem Anhang vor das Buleuterion, vertreiben die noch amtierende (demokratische) Bule und konstituieren sich selbst mit einem feierlichen Opfer und der Auslosung von Prytanen (Thuk. 8,69,1-70,1).

Die Athenaion Politeia gliedert die zur Einsetzung der Vierhundert führende Entwicklung in folgende Etappen: 1) Auf Antrag des Pythodoros von Anaphlystos beschlieBt das Volk, zu den bestehenden zehn Probuloi zwanzig andere Männer hinzuzuwühlen; diese DreiBig sollten ausarbeiten, was ihnen zur Rettung der Stadt am geeignetsten schiene. Zu diesem

Antrag des Pythodoros stellt Kleitophon den Zusatzantrag, man solle bei der Erstellung der Vorschläge insbesondere die Gesetze berücksichtigen, die Kleisthenes bei der Errichtung der Demokratie gegeben habe (Ath. Pol. 29,1-3).

2) Nach Vollendung ihrer Arbeit heben die dreißig Männer zuerst die γραφὴ παρανόμων auf, sodann legen sie einen Verfassungsentwurf vor, demzufolge die Staatsführung auf Dauer des Krieges in die Hände der ‘leistungsfähigsten’ Bürger, nicht weniger als fünftausend an der Zahl, gelegt werden soll. Aus jeder Phyle sollen zehn Mànner genommen werden, die einen Katalog dieser Fünftausend erstellen sollen. Die Ekklesie bestätigt diese Vorschläge (Ath. Pol. 29,4-30,1). 3) [Die Bestellung der katakoyeis, die Auswahl der Fünftausend und ihre Konstituierung werden in der Ath. Pol. nicht ausdrücklich erwühnt, sind aber vorausgesetzt,

da die Fünftausend im Folgenden als bestehende Kórperschaft auftreten]. 4) Die Fünftausend

wählen

hundert Männer zur Ausarbeitung einer [definitiven]

Verfassung. Diese legen zwei Entwürfe vor: einen 'für die Zukunft', einen 'für die Gegenwart'. In der Zukunftsverfassung ist unter anderem die Leitung der Regierung durch die Fünftausend vorgesehen, die Gegenwartsverfassung legt alle Macht in die Hände eines Rates der Vierhundert. Diese soilen aus Vorgewühlten genommen werden, je vierzig aus jeder der zehn Phylen (Ath. Pol. 30,1-31,3). 5) Nachdem dieser Entwurf vom πλῆθος beschlossen und, so wird impliziert, die Wahl der Vierhundert vollzogen ist, wird am 14. Thargelion die alte Bule aufgelöst,

am 22. desselben Monats treten die Vierhundert ihr Amt an (Ath. Pol. 32,1).

Schon in der verkürzenden Paraphrase werden die Unterschiede unserer beiden Hauptquellen deutlich. Jede von ihnen kennt Episoden, die in der anderen nicht erwühnt sind, aber auch dort, wo beide von denselben Ereignissen zu

berichten scheinen, finden sich Divergenzen in den Details, wie etwa bei der Mitgliederzahl der ouyypageis-Kommission. Dazu kommt der Unterschied der Gesamtcharakteristik: Thukydides schildert die Verfassungsänderung als einen Staatsstreich, die Athenaion Politeia als eine Folge friedlicher und streng legaler Rechtsakte. Wir werden auf diese unterschiedliche Charakteristik der Vorgänge wie auf

die Divergenzen der Details noch ausführlich einzugehen haben; hier interessiert uns zunächst nur die Frage nach der Anzahl und Abfolge der verfassungsändernden Rechtsakte. In Thukydides’ Bericht finden wir im Zusammenhang mit dem Verfassungswechsel von der Demokratie zum Regime der Vierhundert nur zwei Ekklesien

erwähnt, diejenige, auf der die Einsetzung der zehn συγγραφεῖς beschlossen wird (8,67,1), und diejenige auf dem Kolonos (8,67,2-3).

-95.-

In der Athenaion Politeia hingegen werden im gleichen Zusammenhang min-

destens vier, vielleicht aber bis zu sechs

Versammlungen

der politisch

berechtigten Bürgerschaft (der demokratischen Ekklesie bzw. der Versamm-

lung der Fünftausend) erwähnt oder vorausgesetzt? 1) Die Ekklesie, auf der die Einsetzung von 30 συγγραφεῖς beschlossen wird (Ath.

Pol. 29,1-3).

2) Die Ekklesie, auf der die Vorschläge der συγγραφεῖς bestätigt werden (impliziert

in Ath. Pol. 29,4-30,1).

3) Die Versammlung (der Fünftausend?), auf der die Einsetzung von hundert avaypageıs beschlossen wird (impliziert in Ath. Pol. 30,1). 4) Die Versammlung (der Fünftausend?), auf der die Entwürfe der &vaypaqtis bestütigt werden (Ath. Pol. 32,1).

Kann diese Abfolge von verfassunggebenden Versammlungen mit den beiden Ekklesien von Thukydides 8,67 in Bezug gesetzt werden? Die ältere Forschung suchte den Ansatzpunkt zur Lösung dieser Frage in

einem Vergleich von Thukydides 8,67 mit dem neunundzwanzigsten Kapitel der Athenaion Politeia: Thuk. 8,67,1-3 (gekürzt] (1) ἐν τούτῳ οὖν τῷ καιρῷ ol περὶ τὸν Πείσανδρον ἐλθόντες εὐθὺς τῶν λοιπῶν εἴχοντο. καὶ πρῶτον μὲν τὸν

δῆμον ξυλλέξαντες εἶπον γνώμην δέκα ἄνδρας ἑλέσθαι ξυγγραφέας αὐτοκράτορας, τούτους δὲ ξυγγράψαντας γνώμην ἐσενεγκεῖν ἐς τὸν δῆμον ἐς ἡμέραν ῥητὴν καθ᾽ ὅτι ἄριστα ἡ πόλις οἰκήσεται. (2) ἔπειτα ἐπειδὴ ἡ ἡμέρα ἐφῆκε, ξυν-

Ath. Pol. 29,2-5 [gekürzt] (2) ..... ἦν δὲ τὸ ψήφισμα τὸ Πυθοδώρου τοιόνδε:

τὸν

δῆμον

ἑλέσθαι

μετὰ

τῶν προὐπαρχόντων δέκα προβούλων ἄλλους εἴκοσιν ἐκ τῶν ὑπὲρ τετταράκοντα ἔτη γεγονότων, οἵτινες ὀμόσαντες A μὴν συγγράψειν ἃ ἂν ἡγῶνται βέλτιστα εἶναι τῇ πόλει, συγγράψουσι περὶ τῆς σωτηρίας. ....... (4) οἱ δ᾽ αἱρεθέντες .. τὰς τῶν παρανόμων γραφὰς καὶ τὰς εἰσαγγελίας καὶ

ἐκλῃσαν τὴν ἐκκλησίαν ἐς τὸν Κολωνόν “ὋΝ καὶ ἐσήνεγκαν οἱ ξυγγραφῆς ἄλλο

τὰς προσκλήσεις

μὲν οὐδέν, αὐτὸ δὲ τοῦτο, ἐξεῖναι μὲν ᾿Αθηναίων ἀνατεὶ εἰπεῖν γνώμην ἣν ἄν τις βούληται: ἣν δέ τις τὸν εἰπόντα ἢ

περὶ τῶν προκειμένων: ἐὰν δέ τις τούτων χάριν ἢ ζημιοῖ fj προσκαλῆται f) εἰσάγτῃ εἰς δικαστήριον, ἔνδειξιν αὐτοῦ

γράψηται

εἶναι καὶ ἀπαγωγὴν πρὸς τοὺς στρατηγούς, τοὺς δὲ στρατηγοὺς παρα-

παρανόμων



ἄλλῳ

τῳ

τρόπῳ βλάψῃ. μεγάλας ζημίας ἐπέθεcav. (3) ἐνταῦθα δὴ λαμπρῶς ἐλέγετο ἤδη μήτε ἀρχὴν ἄρχειν μηδεμίαν ἔτι ἐκ τοῦ αὐτοῦ κόσμου μήτε μισθοφορεῖν προέδρους τε ἑλέσθαι πέντε ἄνδρας, τούτους δὲ ἑλέσθαι ἑκατὸν ἄνδρας, καὶ τῶν ἑκατὸν ἕκαστον πρὸς ἑαυτὸν τρεῖς: ἐλθόντας δὲ αὐτοὺς τετρακο-

ἐθέλοντες

ἀνεῖλον, ὅπως

᾿Αθηναίων

ἂν οἱ

συμβουλεύωσι

δοῦναι τοῖς ἕνδεκα θανάτῳ

ζημιῶσαι.

(5) μετὰ δὲ ταῦτα τὴν πολιτείαν διέταξαν τόνδε (τὸν) τρόπον τὰ μὲν (χρήματα) προσιόντα μὴ ἐξεῖναι ἄλλοσε δαπανῆσαι f) εἰς τὸν πόλεμον, τὰς δ᾽ ἀρχὰς ἀμίσθους ἄρχειν ἁπάσας ἕως

ἂν ὁ πόλεμος ἧ, πλὴν τῶν ἐννέα ἀρ-

? Vgl. die Auflistung bei Hignett, HAC 357. Wenn man davon ausgehen möchte, daß die hundert xatakoyeis von Ath. Pol. 29,5 und/oder die hundert &vaypaqtis von Ath. Pol. 30,1 nicht sogleich im Zuge der über ihre Einsetzung beschlieBenden Versammlungen, sondern auf separaten Wahlversammlungen gewählt wurden, hätte man mit insgesamt sechs Versammlungen zu rechnen.

- 96 σίους ὄντας ἐς τὸ βουλευτήριον ἄρχειν ὅπῃ ἂν ἄριστα γιγνώσκωσιν αὐτοκράτορας,

καὶ

τοὺς

πεντακισχιλίους

δὲ

ξυλλέγειν ὁπόταν αὐτοῖς δοκῇ.

χόντων

καὶ

τῶν

πρντάνεων

οἱ

ἂν

ὦσιν" τὴν δ᾽ ἄλλην πολιτείαν ἐπιτρέψαι πᾶσαν ᾿Αθηναίων τοῖς δυνατωτάτοις καὶ τοῖς σώμασιν καὶ τοῖς

χρήμασιν

λῃτουργεῖν

μὴ

ἔλαττον



πεντακισχιλίοις, ἕως ἂν ὁ πόλεμος (Qj.

(1) „Bei diesem Stand der Dinge trafen

(2)

Peisandros und seine Leute [in Athen] ein und machten sich gleich daran, durchzuführen, was noch übrıg war. Zunächst versammelten sie das Volk und brachten einen Antrag vor, man solle zehn Männer

Volksbeschluß lautete: Das Volk solle zu den bereits amtierenden zehn Probuloi zwanzig weitere aus den über vierzig Jahre

zu συγγραφεῖς

Meinung nach für den Staat das Beste wäre, und Vorschläge über die σωτηρία ausarbeiten. .........

αὐτοκράτορες

wählen.

Diese sollten Vorschläge ausarbeiten und zu einem bestimmten Termin vor das Volk bringen, wie der Staat am besten geordnet werden solle. (2) Als hierauf der vorbestimmte Tag herankam, drängten sie [die Verschwörer] die Versammlung im Kolonos zusammen, ....

und

dort

beantragten

die

συγγραφεῖς

nichts anderes als dies: daß es jedem Athener freistehen solle, ungestraft zu be-

„Der

von

Pythodoros

beantragte

alten Männern hinzuwählen. Diese sollten schwören,

das aufzuschreiben,

(4) Die Gewählten

was

ihrer

setzten sodann die

Bestimmungen über γραφὴ Tapavóucov-Klagen, Eisangelien und Prokleseis außer

Kraft,

damit

alle Athener,

die es

wollten, sich zur Lage äußern könnten. Wenn aber einer aufgrund eines derartigen Rechtstitels [jemanden] mit einer Buße belege

oder

anklage

oder

vor

schleppe, solle man ihn vorführen und anzeigen,

schädigen sollte, setzten sie schwere Strafen darauf. (3) Da wurde denn ohne Umschweife verkündet, daß kein Amt nach der alten Ordnung verwaltet werden noch besoldet sein solle, daß man fünf Männer als Prohedroi wählen solle, diese wiederum hundert weitere und von den Hun-

tung übergeben.

dert

Prytanen .... Die gesamte übrige Regierungsgewalt solle man, solange der Krieg

ein jeder

drei

hinzuwáhlen

solle.

Diese sollten, vierhundert an der Zahl, ins

Rathaus einziehen, mit Vollmacht regieren, wie es ihnen am besten dünke, und sıe sollten die Fünftausend versammeln, wann

immer es ihnen geraten scheine.“

sollten ihn den Elfmännern

den die

Gericht

antragen, was er wolle. Falls aber jemand einen Antragsteller unter der γραφὴ παρανόμων anklagen oder sonstwie

Strategen Strategen

zur Hinrich-

(5) Danach ordneten sie den Staat folgendermaßen: es solle nıcht erlaubt sein, die

Einnahmen

anders als für den Krieg zu

verwenden, alle Staatsämter soliten unbesoldet sein mit Ausnahme der neun Archonten und der gerade amtierenden

dauere, denjenigen Athenern anvertrauen, die am ehesten imstande seien, mit kör-

perlichem Einsatz und Geldmitteln dem Gemeinwesen zu dienen, nicht weniger als fünftausend an der Zahl.“

Beim Vergleich der beiden Stellen stechen zwei wesentliche Übereinstim-

mungen ins Auge: Zum einen ist in Thuk. 8,67,1 ebenso wie in Ath. Pol. 29,2 von einer Kommission die Rede, die Vorschläge zur Verfassungsreform ausarbeiten soll (allerdings soll Thukydides’ Kommission aus zehn, die der Athenaion Politeia aus dreißig Mitgliedern bestehen)! zum zweiten wird in

Thuk. 8,67,2 ebenso wie in Ath. Pol. 29,4 das Wirken der Verfassungsreform-

? Zu möglichen Lösungen dieser Diskrepanz s. u., S. 130-132.

-97.

kommission mit der Aufhebung der sogenannten γραφὴ παρανόμων eingeleitet.

Im Hinblick auf diese Übereinstimmungen geht die communis opinio der Forschung davon aus, daß die in Thuk. 8,67,1 nur kurz erwähnte Versammlung mit jener gleichzusetzen sei, auf der nach Ath. Pol. 29,2 Pythodoros' Antrag über die Bestellung der dreißig συγγραφεῖς verhandelt und beschlossen wurde, und daß die Versammlung auf dem Kolonos bei Thuk. 8,67,2f. mit der

in Ath. Pol. 29,4f. beschriebenen identisch sei. Es ergeben sich also nach dieser Auffassung folgende Versammlungen: 1) Nach der Rückkehr des Peisandros beschließt die Ekklesie die Einsetzung von dreißig συγγραφεῖς (Thuk. 8,67,1= Ath. Pol. 29,2). 2) Am 14. Thargelion erfolgt die Versammlung auf dem Kolonos. Dort werden folgende Anträge gestellt und bestätigt.”

a) Ein 29,4). b) Ein gemäß c) Ein

Antrag auf Aufhebung der γραφὴ παρανόμων (Thuk. 8,67,2 = Ath. Pol. Antrag über die Einsetzung der Fünftausend und der hundert καταλογεῖς Ath. Pol. 29,5. Antrag des Peisandros über die Bildung des Rates der Vierhundert (Thuk.

8,67,3).

Noch im Zuge der Kolonosversammlung erfolgt der Beschluß über die Auflösung der alten Bule, der entweder sogleich im Anschluß daran oder einige Tage später in

die Tat umgesetzt wird." 3) Die offizielle Inauguration der Vierhundert.?

Die Rekonstruktion des Ereignisablaufes nach Meyer, Busolt und Wilcken ist, wenngleich die absoluten Datierungen divergieren und auch in einzelnen Punkten Modifikationen vorgebracht wurden (z. B. die Annahme, daB die

* Daneben findet sich in beiden Berichten unter den im Anschluß an die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων gefaßten Beschlüssen eine Bestimmung über die Nichtbesoldung der Staatsámter, wobei allerdings in Ath. Pol. 29,5 von einer Ausnahme bezüglich der Archon-

ten und Prytanen berichtet wird, die Thuk. 8,67,2 nicht erwáhnt. * Als repräsentativ für die ältere Forschung s. Meyer, Forschungen II 417-419; Busolt, GG 1476-1478, vgl. Staatskunde 70-78 mit Literaturreferat bis 1909; für die neuere communis

opinio s. Rhodes, Commentary 378-380 und Ruzé, Oligarques 189 (mit weiterführenden Literaturangaben), zuletzt auch Welwei, Athen 222f. , Meyer, Forschungen II 416f.; Busolt, StaatskundeI 70.

? Meyer, Forschungen II 417-420; nach Busolt (Staatskunde 77) und Wilcken (Revolution 43-46) sind darüberhinaus im Zuge der Kolonosversammlung auch die in Ath. Pol. 30 und 31 wiedergegebenen Verfassungsentwürfe vorgelegt worden. ® Meyer, Forschungen II 425.432; Busolt, Staatskunde I 77f. Nach Meyer haben die Vierhundert noch am Tage der Kolonosversammlung den alten Rat aufgelöst und de facto selbst die Macht übernommen, während Busolt, der die Kolonosversammlung auf den 14.

Thargelion datiert, den alten Rat noch bis zum 22. desselben Monats amteren läßt s. dazu u., S. 104f. d Nach Meyet, Forschungen Il 425 waren die Vierhundert zu diesem Zeitpunkt bereits eine

Woche lang de facto im Amt, dagegen läßt Busolt, Staatskunde I 77f. diesen offiziellen Antritt mit dem tatsächlichen zusammenfallen, s. u., S. 104 und 169-171.

-98-

Auflósung der alten Bule nicht am Tage der Kolonosversammlung, sondern erst einige Tage

später stattfand!?) in ihren Grundzügen

von der weitaus

überwiegenden Mehrheit der Forschung akzeptiert worden.!! Der Versuch von Koehler und Ledl, den Beschluß über die Vierhundert einer nach der Kolo-

nosversammlung anzusetzenden Versammlung der oligarchischen Hetairien

zuzuweisen," ist bereits in der zeitgenössischen Forschung weitgehend ignoriert worden, ebenso die Hypothese von Caspari, daB die Auflósung

der de-

mokratischen Bule der Kolonosversammlung vorausgegangen sei," und die Auffassung Ehrenbergs, der den in Ath. Pol. 29,4f. beschriebenen Volksbeschluf nicht mit der thukydideischen Kolonosversammlung, sondern mit der in Thuk. 8,65,3 beschriebenen Propagandakampagne der Oligarchen in Ver-

bindung bringen möchte.'* Ein sich sowohl von diesen frühen Versuchen wie auch von der communis

opinio deutlich absetzendes Modell zur Rekonstruktion der Ereignisfolge von 411 ist von Lang und Hackl zur Debatte gestellt worden. Die beiden Autorinnen gehen davon aus, daß die in Ath. Pol. 29,1-3 beschriebene Ekklesie nicht mit den Ereignissen von Thuk. 8,67,1, sondern mit der von Thukydides im 10 Andrewes, Androtion 22f. und 25 Anm. 22; vgl. dens., HCT V 235 und Rhodes, Commentary 405f.

!! s. etwa die Tabelle bei Rhodes, Commentary 364f.; vgl. Andrewes, HCT V 254f. 12 Koehler, Bericht 810f. und Ledl, Einsetzung 53. 13 Caspari, Revolution 10-13: „in reality the eviction of the old council preceded the con-

vention at Colonus. .... the usurpers first of all made their descent upon the Council House; next, they constituted themselves into an extempore Council and passed a προβούλευμα recommending the creation of a permanent plenipotentiary Council of Four Hundred, next, they instructed their newly installed πρυτάνεις to convene an Ecclesia at Colonus; next, at

Colonus they put up Peisander to move the adoption of the aforesaid προβούλευμα; Jastly, upon confirmation of Peisander's resolution they constituted themselves and their followers to form the permanent Council of Four Hundred. [Hervorhebungen von C.].“ Diese radikale Umstürzung des thukydideischen Berichts kann schon von ihrer Voraussetzung, der Existenz eines „extempore council" der Oligarchen, her, nicht überzeugen: Thukydides gibt uns nicht den geringsten Hinweis auf die Existenz eines solchen Gremiums; er setzt vielmehr jene Gruppe, die mit bewaffneter Begleitung vor das Buleuterion zog und die demokratische Bule ablóste, ganz eindeutig mit den Vierhundert gleich. Vor allem aber steht Caspari's Annahme mit dem Inhalt des Peisandrosantrags in klarem Widerspruch: Wenn es zur Zeit der Kolonosversammlung bereits eine oligarchische Bule gegeben hätte, so hätte Peisandros deren Legitimation, nicht aber die Neubildung einer solchen beantragen müssen. Angesichts dieser Einwände wird man dem Vorschlag Cas's kein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit zuerkennen können. * Ehrenberg, Urkunden 6137; E. verweist zur Begründung dieser Auffassung auf die

Übereinstimmung zwischen Thuk. 8,65,3 λόγος τε ἐκ τοῦ φανεροῦ προείργαστο αὐτοῖς

ὡς

.... οὔτε

μεθεκτέον

τῶν

πραγμάτων

πλέοσιν

fj πεντακισχιλίοις,

καὶ

τούτοις ol ἂν μάλιστα τοῖς τε χρήμασι καὶ τοῖς σώμασιν ὠφελεῖν οἷοί τε ὦσιν und Ath. Pol 29,5 τὴν δ᾽ ἄλλην πολιτείαν ἐπιτρέψαι πᾶσαν ᾿Αθηναίων τοῖς δυνατωτάτοις καὶ τοῖς σώμασιν καὶ τοῖς χρήμασιν λῃτουργεῖν μὴ ἔλαττον ἢ πεν-

τακισχιλίοις. In diesem Sinne auch Sordi, Scritto 7f. S. dazu u., S. 107 Anm. 60.

-99.

Zuge von Peisandros erstem Athenaufenthalt in 8,53f. geschilderten Ver-

sammlung gleichzusetzen sei." Dementsprechend sei die in Ath. Pol. 29,4-5

beschriebene

Volksversammlung

nicht mit Thukydides'

Kolonosversamm-

lung identisch, sondern mit einer vor Peisandros’ Rückkehr nach Athen! zu datierenden Ekklesie, die im Werk des Thukydides nicht zur Darstellung ge-

langt sei." Die scheinbare Übereinstimmung der beiden Berichte bezüglich

der Einsetzung eines Gremiums von συγγραφεῖς und der Aufhebung der ypaoh παρανόμων erkläre sich, wenn man annehme, daß es sich um jeweils zwei in ihren Grundzügen ähnlich geartete, aber chronologisch ganz verschieden anzusetzende Vorgänge handelte: Bei Gelegenheit von Peisandros’ erstem Auftritt vor der Ekklesie sei unter anderem auch die Bestellung von dreißig ouyypageis beschlossen worden, diese hätten dann auf einer bald darauffolgenden Versammlung den Antrag auf Aufhebung der

γραφὴ παρανόμων vorgelegt. Nach der Rückkehr des Peisandros habe sich dieses Schema wiederholt, als eine neue, diesmal aus zehn Mitgliedern bestehende ouyypageis-Kommission eingesetzt wurde, die dann auf der Kolonos-

versammlung als erstes wiederum die Aufhebung der γραφὴ

παρανόμων

beantragte.'* Das sich aus den Rekonstruktionen von Lang und Hackl ergebende Schema der Versammlungen stellt sich demnach folgendermaßen dar (Divergenzen zwischen den beiden Autorinnen hinsichtlich der absoluten Datierung sind in

den Klammern vermerkt).

1) Erster Auftritt des Peisandros in der Volksversammlung; Beschluß zur Ei der 30 συγγραφεῖς (Thuk. 8.531. = Ath. Pol. 29,1-3; „early spring“ 411 nach Lang,

Ende Dez. 412 nach Hackl)."

2) Volksversammlung, in der die 30 συγγραφεῖς zunächst die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων, sodann das Konzept einer ‘Verfassung der Fünftausend' in

Vorschlag bringen (Ath. Pol. 29,4-5; „middle spring“ 411 nach Lang,” Jan/Febr. 411 nach Hackl).”

! Lang, Revolution I, 275-277; Hackl, Oligarchische Bewegung 33. !' Lang, Revolution II 177 datiert diese Versammlung auf „middle spring“ 411, während Hackl, Oligarchische Bewegung 41 einer Datierung in den Januar/Februar den Vorzug ibt. P Lang, Revolution I 277; Hackl, Oligarchische Bewegung 34-43.

!* Lang, Revolution I, 275-282.288f., dies, Revolution II, 176f., Hackl, Oligarchische

Bewegung 19-34, bes. 29-34. ? Die folgende Auflistung der Rekonstruktionen von Lang und Hackl bezieht sich die relative Chronologie der Versammlungen, bezüglich derer beide Autorinnen übereinstimmen. Nicht berücksichtigt sind die im Hinblick auf andere Ereignisse und auf die Details der Versammlungen zwischen den beiden Rekonstruktionen bestehenden Differenzen. P Lang, Revolution IL, 176.

?! Hackl, Oligarchische Bewegung 17; 134 2 Lang, Revolution II, 177. 2 Hackl, Oligarchische Bewegung 41-43; 134.

- 100 3) Unter Peisandros' Ágide beschließt die Ekklesie die Einsetzung von zehn ovyγραφεῖς αὐτοκράτορες (Thuk. 8,67,1; Anfang Juni 411 nach Lang," April 411

nach Hackl)."

4) Versammlung auf dem Kolonos

uk. 8,67,2-3;

14. Thargelion » 9. Juni 411

nach Lang und der communis opinio? » 15. April 411 nach Hackl”). 5) Versammlung, auf der die 'Gegenwarts'- und die 'Zukunfts'-Verfassung von Ath. Pol. 30-31 bestätigt werden (Ath. Pol. 32,1; 22. Thargelion » 17. Juni 411 nach

Lang” » 23. April 411 nach Hackl”).

Diese Umstellung des traditionellen Schemas durch Lang und Hackl hat bei der Mehrheit der Forschung keinen Anklang gefunden.” Die Skeptiker begründeten ihre ablehnende Haltung einerseits mit gewissen Schwierigkeiten der von Lang zugrunde gelegten absoluten Datierung,!! vor allem aber mit der Unwahrscheinlichkeit von Langs und Hackls Annahme einer zweimaligen

Aufhebung der γραφὴ napavöumv.’ Als repräsentativ für die in diesem Punkt erhobene Kritik seien hier die Ausführungen von Flach zitiert: „Aristoteles und Thukydides stimmen darin überein, daß die συγγραφεῖς den Antrag stellten, die γραφὴ παρανόμων fortan zu verbieten. Ihn zweimal einzubringen

fehlte jeglicher

Anlaß.

Schon

deswegen

scheidet

aus,

daß

Thukydides sich auf einen Ausschuß bezog, dessen Mitglieder in einer anderen Versammlung gewählt wurden als die συγγραφεῖς, von denen Aristoteles weiß. Daß Thukydides die Vorlage zehn συγγραφεῖς αὐτοκράτορες, Aristo-

teles dreißig συγγραφεῖς zuschreibt, kann darüber nicht hinwegtüuschen.'??

Dieser Einwand hat sachlich gesehen zweifellos seine Berechtigung: es läßt

? Lang, Revolution II, 177f. 2° Hackl, Oligarchische Bewegung 134f. 26 Lang, Revolution II, 177-179; zur communis opinio vg]. u., S. 106 mit Anm. 56.

? So Hackl, Oligarchische Bewegung, 60f., die die von Thuk. in 8,61,1-63,2 erzählten Kämpfe am Hellespont in den April 411 datieren möchte: „Länger als bis zum 20. April werden die Kämpfe in Lampsakos nicht gedauert haben“. Da nun Thukydides im Anschluß

an diese Kämpfe angıbt, die Demokratie in Athen sei „etwas früher“ (Er πρότερον) abgeschafft worden (8,63,3), müsse man - so Hackl - die Versammlung auf dem Kolonos etwa

auf den 15. April ansetzen. Hackls Ansatz ist schon von seiner Voraussetzung her insofern fragwürdig, als die von Derkylidas geführte peloponnesische Expedition wohl erst im Mai 411 in der hellespontischen Region eintraf (s. Busolt, GG III 2 1455 m. Anm. 1). Darüberhinaus sind auch die chronologischen Angaben in Thuk. 8,63,3 nicht so eindeutig zu interpretieren, wie Hackl annehmen móchte, s. Andrewes, HCT V 148 und 153f.

?! Dieses Datum ergibt sich implizit aus Langs Gleichsetzung des 14. Thargelion mit dem 9. Juni des Julianischen Kalenders. ? Hackl, Oligarchische Bewegung 60f. 9 Die Ausnahmen bilden Cary, Notes 56; McCoy, ‘Non-Speeches’ 87; Koerner, Umsturzbewegungen 408 und Witte, Demosthenes 21; für reprásentative Stellungnahmen im Sinne der Mehrheitsposition s. Hignett, HAC 363f., Andrewes, HCT V 255; Rhodes, Commentary 363-365; Flach, Staatsstreich 12; Ostwald, Sovereignity, 368, Anm. 122.

?! Hignett, HAC

363; dagegen Lang, Revolution II passim.

3? Andrewes, HCT V 255; Rhodes, Commentary 365.

? Flach, Staatsstreich 12 (zur Divergenz der Zahlenangaben vgl. u., S. 130-132).

- 101 sich

tatsächlich

aufgrund

kein

plausibler

Grund

eines früheren Beschlusses

finden,

weshalb

die

Athener

die

bereits außer Kraft gesetzte γραφὴ

παρανόμων noch einmal ausdrücklich aufheben hätten sollen, zumal wenn im Gefolge der ersten Aufhebung bereits eine so einschneidende Verfassungsänderung wie die Einsetzung der Fünftausend beantragt und vom Volk beschlossen worden war.” Wir werden daher von der Annahme auszugehen haben, daß sich die Notizen über die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων bei Thuk. 8,67,2 und Ath. Pol. 29,4 auf ein- und dasselbe Ereignis beziehen und

daB dementsprechend trotz des Unterschiedes der Zahl" auch die zehn συγγραφεῖς αὐτοκράτορες von Thuk. 8,67,1 mit der Dreißigmännerkommission von Ath. Pol. 29,2 identisch sein müssen.

Aber wenn man auch in diesen Punkten die Ansicht der communis opinio mit Fug und Recht für die begründetere halten darf, muß es doch fraglich bleiben, ob man aus der Gleichsetzung von Thuk. 8,67,1f. und Ath. Pol. 29,2.4 folgern

darf, daß auch die im Anschluß an die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων erzählten Staatsakte zwingend ein- und derselben Ekklesie zuzuordnen seien.

Diese, von der communis opinio durchgángig gezogene Folgerung wird vor allem dann in Frage zu stellen sein, wenn sich in einer von Thukydides und der Athenaion Politeia unabhängigen Überlieferung Indizien gegen eine solche Gleichsetzung finden lassen. Nun existiert in der Tat eine den Ereignissen von 411 zeitlich nahestehende

Quelle, deren Angaben man m. E. derartige Indizien abgewinnen kann: die pseudo-lysianische Rede für Polystratos ([Lys.] 20). Da die diesbezüglichen Überlegungen bereits an anderer Stelle näher ausgeführt sind, ^ mag hier eine Zusammenfassung der wesentlichen Argumente

genügen: Der Sprecher dieser wohl in der zweiten Hälfte des Jahres 410 zur Verteidigung eines während des Umsturzes kompromittierten Atheners gehaltenen Rede? ist offenkundig bestrebt, die Mitwirkung des Demos am Verfassungsumsturz herauszustreichen und als Argument zugunsten des Angeklagten geltend zu machen. In diesem Sinne betont er an zwei Stellen ausdrücklich, daß die Einsetzung der Fünftausend seinerzeit von der demokratischen Masse be# Die Vermutung von McCoy, ‘Non-Speeches’ 88, Peisandros habe den Athenern nach seiner Rückkehr eingeredet, „that the constitution which they had prepared was still too democratic to satisfy the Great King" und so die Einsetzung einer neuen, zehnkópfigen

Ovyypaqtetis-Kommission durchgesetzt, ruht auf der m. E. fragwürdigen Voraussetzung, daß sich die wahren Gründe für das Scheitern der Tissaphernes-Verhandlungen vor dem athenischen Publikum hátten verbergen lassen. Darüberhinaus bietet McCoy's Hypothese keine Lösung für das Problem der doppelten Aufhebung der γραφὴ παρανόμων. 35 Zu möglichen Erklärungen für diese Diskrepanz s. Chambers, Aristoteles 276f.

*$ Heftner, Polystratos 73-92.

?7 Zur Datierung von [Lys.] 20 s. de Ste. Croix, Constitution 11.13 sowie Heftner, Polystratos 68 m. Anm. 4.

- 102 schlossen worden sei. Wenn nun, wie die communis opinio annimmt,’ im

Zuge derselben Ekklesie auch der Beschluß zur Bildung des Rates der Vierhundert gefaßt wurde, so bleibt es unverständlich, daß der Verteidiger des

Polystratos nur von dem Volksbeschluß über die Fünftausend spricht. Da die Mitgliedschaft im Vierhunderter-Rat den Hauptvorwurf gegen Polystratos darstellte, hätte sich der Sprecher eine Gelegenheit, die Mitwirkung des Volkes an der Einsetzung gerade dieses Gremiums zur Sprache zu bringen, ei-

gentlich nicht entgehen lassen dürfen. Die Schwierigkeit löst sich, wenn man annimmt, daß der Beschluß über die Vierhundert auf einer andern Versamm-

lung und unter anderen Umständen gefällt worden ist als jener über die Fünftausend.

In die gleiche Richtung weist die Tatsache, daB am Beginn der Polystratosrede hervorgehoben wird, Polystratos sei aufgrund einer demokratisch korrekten Wahl durch die Phyleten in den Rat der Vierhundert gelangt, während derselbe Polystratos an einer späteren Stelle der Rede als ein Mann hingestellt wird, der den Eintritt in den Rat der Vierhundert am liebsten verweigert hätte

und schließlich nur unter Zwang den Antrittseid geleistet habe.^! Auch hier scheint die beste Erklärung des Widerspruches in der Annahme zu

liegen, daß zwischen dem Wahlakt und der tatsächlichen Konstituierung der Vierhundert eine gewisse Zeitspanne verstrichen ist und daß sich während

dieser Zeit das politische Klima in Athen in einer Weise gewandelt hatte, die den Zeitgenossen eine unterschiedliche Bewertung der Vorgänge nahelegte. Man gewinnt den Eindruck, daß nach Auffassung des Sprechers der Polystratosrede und seiner Hörer der Verfassungswechsel von 411 in zwei Phasen

verlief, von denen die erste unter demokratisch-legitimen Vorzeichen stand, während die Verfassungsänderungen der zweiten Phase nicht mehr als legitime Beschlüsse des athenischen Demos gewertet wurden. In die erste Phase

müßte der Beschluß über die Einsetzung der Fünftausend, in die zweite derjenige über die Vierhundert gehören. Betrachten wır unter Zugrundelegung

dieses

Schemas

den

Bericht

des

Thukydides, so ergibt sich die Schwierigkeit, daß die von dem Historiker im Kontext

der

Kolonosversammlung

berichtete

Aufhebung

der

γραφὴ

παρανόμων der ersten, legalistischen Phase anzugehören scheint," während die Umstände, unter denen sich nach Thukydides diese Versammlung vollzog, eher zur zweiten, 'illegitimen' Phase passen würden. ?* (Lys.] 20, 13 ὑμῶν ψηφισαμένων πεντακισχιλίοις παραδοῦναι τὰ πράγματα; 16

ὑμεῖς αὐτοί .... παρέδοτε τοῖς πεντακισχιλίοις. u

ο., 5. 97.

* [Lys.] 20, 2. “ [Lys.] 20, 13f., zur Bedeutung des dort erwähnten ὅρκος

ygl. Heftner, Polystratos 78f. Heftner, Polystratos 88.

s. Wilamowitz AuA II 356f.;

- 103-

Der Grund ist m. E. in einer bewuBten Verknappung der historischen Ereignisfolge durch Thukydides zu suchen: Der Historiker, der die ‘Fünftausend’ als bloBe Propagandalosung der Oligarchen betrachtet, konzentriert sein Interesse auf die Genese der Vierhundert als jenes Gremiums, das tatsächlich zur politischen Wirksamkeit gelangt ist.

Von daher wird verständlich, daß er von den im Zuge des Verfassungsumsturzes gehaltenen Ekklesien nur die Versammlung auf dem Kolonos, auf der die Vierhundert

ins Leben

gerufen

wurden,

eines ausführlicheren

Berichts

für

wert gehalten hat. Indem er nun aber diese Versammlung durch die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων einleiten läßt, jenen Akt, der in der Wirklichkeit den Beginn des Verfassungsánderungsprozesses markiert hatte, gewinnt er die Möglichkeit, diesen mehrstufigen Prozeß in einer einzigen Ekklesie zu

epitomisieren" und zugleich den in seiner Sicht charakteristischen Zug der Umsturzbewegung - das Doppelgesicht von legalistischer Phrase und terroristischer Praxis“ - schlaglichtartig zu erhellen. So findet diese Doppelbódigkeit der Bewegung von 411 eine eindrucksvolle Illustration in Thukydides' Darstellung der Kolonosversammlung, die unter

Skrupulóser Beachtung des demokratischen Verfahrensrechts - die formelle Aufhebung der γραφὴ παρανόμων - beginnt und mit der widerspruchslosen Abschaffung der demokratischen Verfassung endet: „die Versammlung bestätigte dies [den Antrag des Peisandros] und löste sich auf, ohne daß auch nur einer dawider gesprochen hätte“ (ἡ ἐκκλησία οὐδενὸς ἀντειπόντος ἀλλὰ kupcooaoa ταῦτα διελύθη). Es scheint daher gerechtfertigt, anzunehmen, daB Thukydides in seinem Bericht die Ereignisse insofern bewußt umgestaltet hat, als er alle aus seiner

Sicht wichtigen verfassungsändernden Rechtsakte in der einen Kolonosversammlung zusammenfaßt, um so ein eindringlicheres und aus seiner Sicht auch realitätsnäheres Bild des Geschehens zu gestalten, als es durch minutiöse Wiedergabe der reinen Faktizität möglich gewesen wäre.

Von dieser Annahme ausgehend ergeben sich für den Ablauf des Verfassungsumsturzes

die folgenden

fünf quellenmäßig

faßbaren Staatsakte (die

® Eine direkte Parallele bietet das von Erbse (Thukydides-Interpretationen 12-14) für die Erzählung von Peisandros’ Ekklesie-Auftritt im Winter 412/11 (Thuk. 8,53,1-54,3) wahrscheinlich gemachte Verfahren des Historikers (dazu o., S. 60). Zu Thukydides' Tendenz,

bestimmte Episoden des Geschehens gestaltend umzustilisieren, s. Heftner, Polystratos 89f. (mit weiterführenden Literaturangaben) sowie die von Erbse, Reise 63-67 gesammelten

Beispiele für einen freien Umgang mit der Chronologie bei Thukydides. * s. besonders Thuk. 8,66,1, wo der Historiker die Forderung nach einem auf einer breite-

ren Basis beruhenden Regime der Fünftausend als einen „schönen Slogan für die breite Masse" (εὐπρεπὲς πρὸς τοὺς πλείους) abtut und mit den realen Hintergründen des Geschehens kontrastiert: „die den Umsturz betrieben, wollten dann auch die Führung im

Staate innehaben.“ (ἕξειν γε τὴν πόλιν οἵπερ kal μεθιστάναι ἔμελλον).

- 104 -

Möglichkeit ist nicht auszuschließen, daß noch weitere verfassungsrelevante Akte stattgefunden haben): 1) Beschluß zur Einsetzung der 30 συγγραφεῖς (Ath. Pol. 29,1-3 = Thuk. 8,67,1). 2) Volksversammlung, in der unter der Agide der 30 συγγραφεῖς die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων beschlossen wird (Thuk. 8,67,2 mit falscher chronologischer Zuordnung; Ath. Pol. 29,4).

wahrscheinlich ım Anschluß daran: Beschluß über eine “Verfassung der Fünftau-

send’ ([Lys.] 20,13.16; Ath. Pol. 29,5).

3) Wahl der hundert καταλογεῖς durch die Phyleten ([Lys.] 20,2; impliziert in Ath.

Pol. 30,1).

wahrscheinlich im Anschluß daran: Beginn der durch [Lys.]

20,13 bezeugten Bemü-

hungen zur Katalogisierung der Fünftausend. "ἢ 4) Versammlung auf dem Kolonos. Beschluß zur Bildung des Rates der Vierhundert (Thuk. 8,67,2-3).

5) Amtsantritt der Vierhundert ([Lys.] 20,14; Thuk. 8,69,1; Ath. Pol. 32,1).

Es stellt sich die Frage, ob und wieweit sich dieses Schema

zur absoluten

Chronologie in Bezug setzen läßt. Hierfür bietet sich uns ein Ausgangspunkt in der Angabe der Athenaion Politeia über die Datierung des Amtsantrittes der Vierhundert (Ath. Pol. 32,1): . fj μὲν βουλὴ

Gp

ἐπὶ Καλλίου

πρὶν

διαβουλεῦσαι

κατελύθη

μηνὸς

Bap-

γηλιῶνος τετράδι ἐπὶ δέκα, οἱ δὲ τετρακόσιοι εἰσήεσαν ἐνάττῃ φθίνοντος Θαργηλιῶνος. »... Die unter Kallias [gemeint ist der Archon des Jahres 412/11] amtierende Bule wurde, bevor ihre Amtszeit ausgelaufen war, am 14. Thargelion aufgelóst, die Vier-

hundert traten am 22. Thargelion ihr Amt an.“

Will man die Begriffe κατελύθη und eiofjeoav wörtlich auf die tatsächliche Auflósung der alten, demokratischen Bule und den tatsáchlichen Antritt der

Vierhundert beziehen, so müßte man annehmen, daß es acht Tage lang keinen amtierenden Rat in Athen gegeben hátte. Diese Vorstellung mutet schon an sich höchst unwahrscheinlich an“ und steht darüberhinaus im Widerspruch zu Thukydides' Angabe, daß sich die Ablösung der alten Bule und der Antritt der Vierhundert in einem Zug vollzogen hätte.*

* Daß diese Bemühungen in die Zeit zwischen der in Ath. Pol. 29,4f. beschriebenen Ekklesie und der Kolonosversammlung zu setzen sind, wird nicht nur durch die in [Lys.] 20,13 gegebene Datierung ὑμῶν ψηφισαμένων πεντακισχιλίοις παραδοῦναι τὰ

πράγματα, sondern auch durch Überlegungen allgemeiner Natur nahegelegt: Nachdem man die Bildung eines Gremiums der Fünftausend beschlossen hatte, war es nur logisch,

mit der Erstellung des Katalogs so schnell wie móglich zu beginnen. Von den Vierhundert hingegen wissen wir, daß sie während ihrer Herrschaft die Publikation einer definitiven Liste der Fünftausend bewußt zu vereiteln trachteten (s. u., S. 154 mit Belegen in Anm.

183); man wird daher davon auszugehen haben, daß die Katalogisierungsbemühungen schon vor der Machtergreifung dieses Gremiums begonnen wurden. *6 Meyer, Forschungen II 424f. Die von Koehler (Oligarchie 467 m. Anm. 2, vg]. dens,

Umwälzung 815) ins Spiel gebrachte Möglichkeit einer „provisorischen Regierung“ hat wohl zu Recht keinen Anklang gefunden, s. Busolt, Staatskunde I 77 m. Anm. 1.

*' Thuk. 8,69,1-70,1, dazu u., S. 164-173.

- 105 -

Die Forschung ist daher davon ausgegangen, daB von den obenerwähnten beiden Begriffen der eine nicht auf den tatsáchlichen Vorgang, sondern auf einen Formalakt zu beziehen sei. Zwei Móglichkeiten bieten sich dafür an: a) Der 14. Thargelion bezeichnet das Datum des Beschlusses zur Auflósung

der alten Bule, der 22. das Datum

der tatsächlichen Auflösung und der

Machtübernahme der Vierhundert.*

b) Der 14. Thargelion bezeichnet das Datum der tatsáchlichen Machtübernahme der Vierhundert, der 22. das Datum der feierlichen Inauguration. ^?

Von diesen beiden Möglichkeiten hat die zweitgenannte, wie Hignett zu Recht bemerkt, den Vorteil, sich mit dem κατελύθη von Ath. Pol. 32,1 leich-

ter vereinbaren zu lassen,” letztlich muß freilich für die Entscheidung die Bewertung der historischen Umstände des Vorganges maßgeblich sein. An diesem Kriterium gemessen neigt sich die Schale ebenfalls der zweiten Alternative zu. Nachdem in der Kolonosversammlung eine formalrechtliche Grundlage für den Systemwechsel gewonnen war, kam für die oligarchische

Führungsgruppe der Vierhundert alles darauf an, durch eine rasche Übernahme der faktischen Regierungsgewalt die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen zu stellen.’ Vor dem Hintergrund dieser Gesamtlage betrachtet, hat der Gedanke einer schnellen Machtergreifung, die dann mit achttägiger Verzögerung zeremoniell bekräftigt wird, mehr für sich als die Vorstellung, die Oligarchen hätten „ohne Bedenken den ohnmächtigen Rat noch acht Tage im Amte lassen“ können. Wir kónnen daher davon ausgehen, daf die Machtübernahme der Vierhundert sehr bald auf den am Kolonos gefaBten Beschluß zur Bildung dieses Rates folgte. Wenn sie auch wahrscheinlich nicht, wie man vermutet hat,” noch am Tage der Kolonosversammlung selbst vollzogen wurde,” so wird man doch aufgrund der oben angesprochenen Überlegungen nicht annehmen dürfen, daB die Verschwörer nach dem Kolonos mehr als ein oder zwei Tage verstreichen

lieBen, ehe sie ihren offenbar gut vorbereiteten Coup ins Werk setzten." Damit gewinnen wir für die Versammlung auf dem Kolonos einen Zeitrahmen, der sich etwa vom 11. bis zum 14. Thargelion erstreckt, in jedem

* So Judeich, Untersuchungen 305f., Beloch, GG II? 2, 323; Busolt, Staatskunde I 77f.; Flach, Staatsstreich 24; Wilcken, Revolution 47.

® Meyer, Forschungen II, 425; Hignett, HAC 359f.; Rhodes, Commentary 406; Chambers, Aristoteles 293f.

Ὁ Hignett, HAC 359; Andrewes, HCT V 235.

3! Daß sich die Verschwörer dieser Tatsache bewußt waren, ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus der Art ihres Vorgehens bei der Ablósung der alten Bule, s. Thuk. 8,69,2-70,1 (dazu u., S. 164f.166-169). Busolt, Staatskunde I 78.

? Dazu u., S. 166 mit Anm. 224. ** So wohl zu Recht Flach, Staatsstreich 25. 55 Andrewes, HCT V 180.

- 106 Fall einen Termin, den wir mit gróBter Wahrscheinlichkeit im Bereich der

beiden ersten Juniwochen des Julianischen Kalenders ansetzen können.” Auf wesentlich unsichererem Grund stehen wir in der Frage nach dem Datum der Rückkehr des Peisandros und seiner fünf Mitgesandten nach Athen. Die communis opinio pflegt dieses Ereignis auf Ende Mai 411 zu datieren," also

in die Zeit unmittelbar vor der Kolonosversammlung und dem Umsturzakt des 14. Thargelion. Die dieser Datierung zugrunde liegende Vorstellung von einem längeren Aufenthalt des Peisandros auf Samos” oder einer längeren Dauer seiner Reise von Samos nach Athen” sind jedoch, wie wir bereits gesehen haben, im Lichte der Situation als unwahrscheinlich zu bewerten. Legen wir hingegen die oben (S. 90f.) ausgeführten Überlegungen zugrunde, die uns veranlaßt haben, die Gesamtdauer von Peisandros’

Samosaufenthalt

und Athenreise auf insgesamt nicht mehr als vier Wochen zu veranschlagen,

so ergibt sich, je nach Ansatz der Tissaphernesverhandlungen Anfang oder Mitte März, für die Datierung von Peisandros’ Rückkehr nach Athen ein Ansatz in der zweiten Aprilhälfte, spätestens aber Anfang Mai, also schon ein bis eineinhalb Monate vor der Versammlung auf dem Kolonos.

Freilich scheint dieser frühe Ansatz in Widerspruch zu dem von Thukydides in 8,67 suggerierten Bild eines in putschartiger Schnelle und logischer Konsequenz vollzogenen Staatsstreiches zu stehen, aber wir haben schon gesehen (o., S. 102f.), daß dieses Bild wahrscheinlich als die Zusammenziehung eines in Wirklichkeit komplexeren mehrstufigen Geschehens durch Thukydides zu verstehen ist. Akzeptiert man die anhand der von der Polystratosrede gebotenen Indizien gewonnene Prämisse, daß unser Historiker in seinem Bericht über die Kolonosversammlung Ereignisse eingebracht hat, die in Wirklichkeit mehreren Ekklesien zugehörten, so fügt sich ein gegenüber der communis

opinio um einen Monat früherer Ansatz von Peisandros’ Rückkehr nach Athen ohne Schwierigkeiten ins Bild. Die in den Rekonstruktionen von Lang und Hackl zugrunde gelegte alternative Möglichkeit, daß die ersten Schritte *$ So Andrewes HCT V

187; vgl. Meritt, Athenian Year 218; anders Hackl, Oligarchische

Bewegung, 60f. (s. o., S. 100 mit Anm. 27) und Pesely, Theramenes 116 und 504f. Anm. 124, der von dem Zusammenhang zwischen dem Fall der Vierhundert und dem πρὸς τὸ μετόπωρον

in Thuk.

8,108,2 ausgeht: „the Four Hundred probably fell in the second

month of the Attic year 411/0, yet a considerable time elapsed between that event and the last indication of time at Thuc. 8,108,2, which should be assigned to September 411 ....

Accordingly, the year 411/0 must have begun on June Thargelion of the preceding year must begin in late hier zugrunde gelegte Deutung der chronologischen doch keineswegs als zwingend angesehen werden Andrewes, HCT V 341 und 356).

25 (or 26), not July 25, and therefore April, not late May". Die von Pesely Angaben in Thuk. 8,108,2 kann je(für eine alternative Auffassung s.

? Busolt, GG 1476; Lang, Revolution II 179; Andrewes, HCT V 154 und 161. δ So Andrewes, HCT V 154: Peisandros verläßt Samos Mitte Mai.

*?? So Lang, Revolution II 179: Peisandros verläßt Samos in der zweiten Aprilwoche und kommt in der letzten Maiwoche in Athen an.

- 107 -

der Verfassungsänderung, also die Bestellung der ouyypa@geis-Kommission und die in Ath. Pol. 29,4 geschilderte Versammlung über die Einsetzung der Fünftausend, schon vor der Rückkehr des Peisandros nach Athen stattgefun-

den haben,“ läßt sich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, kann aber aus

sachlichen Gründen doch als unwahrscheinlich gelten: Wir müßten in diesem Fall annehmen,

daB

die Oligarchen

in Athen

den

ersten entscheidenden

Schritt in. Richtung auf den Verfassungsumsturz gesetzt hátten, ohne noch genaueres über die Ergebnisse der Verhandlungen mit Tissaphernes zu wissen, was kaum glaublich erscheint, wenn man bedenkt, daß ursprünglich der ganze Plan der Umstürzler auf den Perserbündnishoffnungen aufgebaut war.

Es ist demgegenüber wesentlich wahrscheinlicher, daß sie sich zunächst darauf beschránkten, durch eine intensive Agitation dem Verfassungsumsturz den

Boden zu bereiten, im übrigen aber die Rückkehr des Peisandros und seiner Mitgesandten abgewartet haben, die allein ihnen über diese Frage und über das weitere Vorgehen der &uvcouóra: auf Samos verläßliche Auskunft zu

geben vermochten.°'

9' Akzeptiert von McCoy, Moderates 70. Auf diese Abfolge der Ereignisse würde auch die o., S. 98 Anm. 14 referierte Vermutung Ehrenbergs und Sordis über die Verbindung von Ath. Pol. 29,4f. und Thuk. 8,65,3 hinauslaufen. Gegen die von den beiden Autoren ver-

fochtene Gleichsetzung der in diesen beiden Stellen berichteten Vorgänge spricht allerdings die Tatsache, daß die Einsetzung der Fünftausend in der Ath. Pol.-Stelle als ein definitiver Volksbeschluß bezeichnet wird, bei Thukydides aber nur als Propagandalosung der Umstürzler erscheint (λόγος TE ἐκ τοῦ φανεροῦ προείργαστο

avrois...). Bemer-

kenswert ist darüberhinaus noch ein wichtiger Unterschied im Detail: Während Fünftausend in Ath. Pol. 29,5 als unteres Limit für die Zahl der politisch Berechtigten gedacht ist, erscheint sie bei Thuk. 8,65,3 ganz im Gegenteil als Obergrenze (vgl. u., S. 147f.). Diesen Diskrepanzen gegenüber kann auch die Tatsache, daB Ath. Pol. 29,5 und Thuk. 8,65,3

ansonsten in Inhalt und Wortlaut tatsächlich enge Ubereinstimmungen aufweisen (etwa in der Verwendung der Phrase roig σώμασιν καὶ rois χρήμασιν λῃτουγεῖν ὠφελεῖν) nicht als Beweis für die Identität der Ereignisse gewertet werden. Wir haben vielmehr damit zu rechnen, daB die Phraseologie der während der Agitationsphase verbreiteten Parolen spáterhin in den Text der offiziellen Psephismata eingegangen ist.

δ᾽ Vielleicht können wir dem Wortlaut des in Ath. Pol. 29,5 wiedergegebenen Volksbe-

schlusses ein weiteres Indiz dafür entnehmen: Wenn dort unter anderem festgehalten wird, die einzusetzenden Fünftausend sollten „berechtigt sein, Verträge abzuschließen, mit wem immer sie wollten" (κυρίους εἶναι τούτους καὶ συνθήκας συντίθεσθαι πρὸς οὖς Av ἐθέλωσιν), so wird bei dieser Klausel wohl weniger der Gedanke an den AbschluB des

Perserbündnisses im Hintergrund gestanden haben (dieses war ja auch vom Demos akzeptiert) als die Hoffnung, mittels der Fünftausend einen Vertrag abschließen zu können, der bei der breiten Masse kaum auf Akzeptanz stoßen würde, nämlich einen Kompromißfrieden mit Sparta. Trifft dies zu, so wird man den betreffenden BeschluB wohl eher nach dem Scheitern der Perserhoffnungen anzusetzen haben als in eine Zeit, da auch die Verschwó-

rer am Ziel einer energischen Kriegführung festhielten. Anders McCoy, Moderates 71, dessen Rekonstruktion jedoch von der wenig wahrscheinlichen Annahme abhängt, daß Peisandros den Demos zur Einsetzung der ouyypageis-Kommission bewogen habe, ohne zuvor über das Ende seiner Tissaphernes-Mission Auskunft geben zu müssen.

- 108 -

Es ergibt sich damit folgende Chronologie der Ereignisse:

Die Zeit zwischen der Abfahrt der Gesandtschaft zu Tissaphernes im Winter 411 und der Rückkehr des Peisandros zu Beginn des Mai 411 stellt die Vorbereitungsphase des Verfassungsumsturzes dar, sie war von einer lebhaften Agitations- und Propagandakampagne der antidemokratischen Kräfte geprägt,

beinhaltete jedoch noch keine konkreten verfassungsändernden Schritte. Erst mit der Ankunft des Peisandros trat die Revolution in die aktive Phase, deren

Dauer wir nach dem oben Gesagten auf etwa eineinhalb Monate veranschlagen dürfen. In diese Phase fallen, wie bereits oben (S. 102-104) ausgeführt, die Einberufung der συγγραφεῖς -Kommission, der Beschluß zur Bildung der Fünftausend, die Konstituierung der hundert zur Erstellung einer Liste der

Fünftausend bestellten katakoyeis, der Beginn dieser Katalogisierungstätigkeit, die Versammlung auf dem Kolonos und schließlich der tatsächliche und der formelle Amtsantritt der Vierhundert. Die kritische Bewertung der Überlieferung zu den Details dieser Ereignisse

soll nunmehr den Gegenstand des folgenden zweiten Hauptabschnitts unserer Untersuchungen bilden.

- 109 -

II. DER VERFASSUNGSUMSTURZ UND DIE MACHTERGREIFUNG DER VIERHUNDERT

Die Lage in Athen vor der Rückkehr des Peisandros Für die Ereignisse, die sich in Athen zwischen der Abreise des Peisandros nach seinem Auftritt in der Volksversammlung und seiner Rückkehr aus Samos vollzogen, bietet uns Thukydides den einzigen zusammenfassenden Be-

richt. Ihm zufolge wurde die politische Szene Athens während dieser Phase bereits völlig von der Agitation der antidemokratischen Hetairien beherrscht, die ihre Kampagne mit den Mitteln des Terrors und der Propaganda zugleich führten. Aktivisten aus ihren Reihen hätten Androkles, einen führenden Vertreter der radikalen Demokratie und Gegner des Alkibiades sowie noch andere

politisch miBliebige Personen heimlich ermordet. In der Öffentlichkeit habe man die Forderung verkündet, niemand auBer den Soldaten solle Sold erhalten und überhaupt solle die Teilhabe am Staatswesen auf diejenigen beschrünkt

sein, die dem Staat mit kórperlichem und Vermógenseinsatz am besten zu dienen imstande seien, höchstens fünftausend an der Zahl. Unter dem Eindruck dieser Kampagne habe sich unter der demokratischen Masse ein Klima der Einschüchterung und des Mißtrauens entwickelt. Zwar hätten sich die Ekklesie und die demokratische Bule weiterhin wie gewohnt versammelt,

doch nichts anderes beschlossen als was den Verschworenen gefiel. Niemand habe gewagt, den Umstürzlern zu widersprechen, umso weniger, als man all-

gemein dazu neigte, ihre Zahl und Verbreitung zu überschátzen.!

Im Lichte dieser Schilderung erscheinen die von Peisandros initiierten Verfassungsänderungen nur als de facto-Vollzug eines in der vorangegangenen Entwicklung unumkehrbar angelegten Systemwechsels. Dem von Thukydides

gezeichneten Bild steht jedoch die Athenaion Politeia gegenüber, die zwar auf die Vorgeschichte des Umsturzes nicht im Detail eingeht, aber doch erkennen läßt, daB der von ihr bevorzugten Überlieferung zufolge nicht der Terror oligarchischer Verschwörer, sondern die Hoffnung auf persische Unterstützung die Athener zur Änderung ihrer Verfassung motiviert habe. Die gleiche Begründung findet sich in Aristoteles’ „Politik“, wo aber das Versprechen der Perserhilfe ausdrücklich als Täuschungsmanöver der Umstürzler dargestellt

wird, die auf diese Weise das Volk zur Änderung der Verfassung überredet, dann aber versucht hätten, die auf diese Weise erschlichene Verfassung auf Dauer beizubehalten.’

! Thuk. 8,65,2-66,3. ? Ath. Pol. 29,1 μάλιστα δὲ συμπεισθέντων τῶν πολλῶν διὰ τὸ νομίζειν Baofılla μᾶ[λ]λον ἑαντοῖς συμπολεμήσειν ἐὰν δι᾽ ὀλίγων ποιήσωνται τὴν πολιτείαν. Aristot. pol. 1304b12-15.

- 110-

In eine áhnliche Richtung weist die Rede für Polystratos, wo der Volksbe-

schluß zur Einsetzung der Fünftausend als das Ergebnis der „Überredung“ des Volkes durch eine in der Rede nicht náher bezeichnete Gruppe von Aktivisten dargestellt wird, die nicht nur das Volk, sondern auch ihre eigenen Mitläufer

getäuscht hätten. Wenn dort an anderer Stelle von Zwang und Gewaltakten seitens dieser mysteriösen oligarchischen Führungsclique berichtet wird, scheint der Autor eine spätere Phase der Ereignisse, von der Einsetzung des Rates der Vierhundert an, im Auge zu haben.’ Daß der Sprecher der Polystratosrede seine Behauptungen über die Überredung und Täuschung des Volkes nicht näher ausführt, spricht dafür, daß diese Vorstellung bei seinen Zuhörern

weithin verbreitet und akzeptiert war. Allerdings können wir nicht sagen, ob mit der hier angesprochenen ‘Täuschung’ wie bei Aristoteles das Versprechen auf Perserhilfe, oder wie bei Thukydides das Programm der Machtteilhabe der "Fünftausend' (im Gegensatz zur engeren Oligarchie der Vierhundert) gemeint ist. Ohne jeden Hinweis auf Gewaltanwendung oder Täuschungsmanöver wird die Zustimmung des Volkes zur Verfassungsänderung bei Xenophon, Isokra-

tes und

Diodor

erwähnt.

In der Rede

des

Theramenes

in Xenophons

„Hellenika“ erscheint als Grund für diese Zustimmung nicht die Hoffnung auf die Hilfe des Perserkönigs, sondern die Ansicht, daß Athen unter einer nicht-

demokratischen Verfassung leichter eine Verständigung mit Sparta erzielen könne - eine Motivation, die in der sonstigen Überlieferung keine Parallele findet Isokrates zufolge habe der Demos „wegen der Schlechtigkeit der Volksführer“ die Einsetzung der Vierhundert begrüßt.’ Im knappen Bericht

des Diodor erscheint die Einsetzung der Vierhundert als eine in Reaktion auf den Kriegsnotstand freiwillig getroffene Entscheidung des athenischen De* [Lys.] 20,16 καίτοι ὑμεῖς αὐτοὶ πεισθέντες ὑπὸ τούτων παρέδοτε τοῖς πεντακισχιλίοις, καὶ εἰ αὐτοὶ τοσοῦτοι ὄντες ἐπείσθητε. ἕνα ἕκαστον τῶν τετρακοσίων οὐ ἣν πεισθῆναι.

s. [Lys.] 20,8 τῶν γὰρ λεγόντων ἐναντία ἐκείνοις οἱ μὲν ἔφευγον ol δὲ ἀπέθνῃσκον, ὥστ᾽ εἴ τις καὶ ἐβούλετο ἐναντιοῦσθαι ὑπὲρ ὑμῶν, τὸ δέος καὶ ὁ φόβος τῶν πεπονθότων ἀπέτρεπε πάντας. Der voranstehende Paragraph zeigt, daD hier an die Situation nach der Konstituierung der Vierhundert gedacht ist. Vgl. $ 14 über im Zusammenhang mit Polystratos' Eintritt in den Rat angedrohte Zwangsmaßnahmen οὗτος δὲ οὔτε ὀμόσαι ἤθελεν οὔτε καταλέγειν, ἀλλ᾽ αὐτὸν ἠνάγκαζον, ἐπιβολὰς ἐπιβάλλοντες xal ζημιοῦντες. ἐπεὶ δὲ ἠναγκάσθη καὶ ὥμοσε τὸν ὅρκον ..... Zum Verhältnis von ὀμόσαι

und καταλέγειν in dieser Passage s. Heftner, Polystratos 78f. , Xen. hell. 2,3,45, s. dazu u., S. 128 mit Textzitat. ? Isokr. 8,108 διὰ μὲν τὴν τῶν δημηγορούντων πονηρίαν αὐτὸς ὁ δῆμος ἐπεθύμησε τῆς ὀλιγαρχίας τῆς ἐπὶ τῶν τετρακοσίων καταστάσης: vgl. Lys. 25,27 διὰ δὲ τοὺς

ἐν τῇ δημοκρατίᾳ συκοφαντοῦντας ὀλιγαρχίᾳ δὶς κατέστη. Dagegen Scheint in Isokr. 7,58 angedeutet zu werden, daß seinerzeit die Errichtung der Oligarchie durch Täuschung des Volkes erreicht worden war, wobei freilich auch die Vorgänge von 404 gemeint sein kónnen.

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mos, motiviert durch die Einsicht „daß in solchen Notlagen die Oligarchie der Demokratie vorzuziehen ist'*.'

Die Zeugnisse der drei letztgenannten Autoren müssen, wenn man den Kontext der jeweiligen Stellen in Betracht zieht, als tendenziös gewertet werden. In der Xenophonstelle ist es nicht der Historiker, der im eigenen Namen

spricht, sondern Theramenes, der sich gegen den Vorwurf des politischen Opportunismus verteidigen versucht und dabei natürlich in Versuchung ist, seine Argumente an den Anschauungen seiner Hörerschaft auszurichten.” Ähnliches gilt für Isokrates, der, wie Bearzot gezeigt hat, als spiritus rector der thera-

menesapologetischen Tradition gewirkt hat, und für den in den fraglichen Passagen von dieser Tradition abhängigen Diodor.!' Lassen wir daher diese drei Zeugnisse aufer Acht, so bleibt der Widerspruch zwischen dem thukydideischen Stimmungsbild eines schon vor dem eigentlichen Umsturz von einer terroristischen Verschwórergruppe gelenkten Ge-

meinwesens und dem friedlich-legalen Verfassungsübergang der Athenaion Politeia, wobei die “Täuschungsversion’ der Polystratosrede und der aristoteliSchen Politik gewissermaBen in der Mitte zwischen diesen beiden Extrempositionen steht. In der Forschung hat die Version des Thukydides im allgemeinen mehr Glauben gefunden." Sein Bericht über die Terrorkampagne der Oligarchen

erscheint in der für die communis opinio durchaus repräsentativen Sicht Busolts als „ein lebensvolles dramatisches Bild, dessen Farben und Grund-

züge das Geprüge der Naturwahrheit tragen". Die Athenaion Politeia hingegen bietet Busolt zufolge „ein Gerippe ohne Fleisch und Blut", da in ihr „die Vor-

geschichte und die terroristischen Mittel, welche die Umwälzung ermóglich® Diod. 13,3422 ὁ δῆμος ἀθυμήσας ἐξεχώρησεν ἑκουσίως τῆς δημοκρατίας, ἑλόμενος δὲ ἄνδρας τετρακοσίους ...., ebd. 13,36,2: ἑλόμενοι δὲ τετρακοσίους ἄνδρας,

τούτοις

ἔδωκαν

ὑπελάμβανον

τὴν

γὰρ

ἐξουσίαν

αὐτοκράτορα

τὴν ὀλιγαρχίαν

διοικεῖν

εὐθετωτέραν

τὰ

κατὰ

τὸν

πόλεμον"

εἶναι τῆς δημοκρατίας

ἐν ταῖς

τοιαύταις περιστάσεσιν. ? Man beachte, daß sich Theramenes in der Xen. hell. 2,3,23-49 referierten Situation vor

einer oligarchischen Bule zu rechtfertigen hat, bei der er für seine Behauptung, es sei seinerzeit die Oligarchie auf legalem Wege zur Macht gekommen, auf Akzeptanz rechnen konnte; vgl. o., S. 23 Anm

108 sowie u., S. 129 mit Anm. 94. Daß wir es aber auch dem

Xenophon selbst grundsätzlich zutrauen dürfen, eine unter fragwürdigen Umständen zustandegekommene Verfassungsänderung als freie Entscheidung des Demos hinzustellen, zeigt sein Bericht über die Einsetzung der Dreißig (hell. 2,3,2, dazu Krentz Xenophon I,

190). Vgl. Hackl, Oligarchische Bewegung 43 sowie zur Gestaltung der xenophontischen Theramenesrede und Xenophon 133-135.

ihrem

Verhältnis

zur

tatsächlich

gehaltenen

Apologie

Usher,

10 Bearzot, Teramene 202-206.

'' Zum Theramenesbild bei Diodor s. Bearzot, Teramene, 196f. und Engels, MichiganPapyrus 129-132. 12 3. neben dem in der folgenden Anm. zitierten Urteil Busolts etwa Meyer, Forschungen IL 421-427, Andrewes, HCT V 251; Chambers, Aristoteles 275.

- 112-

ten“ übergangen seien.'? Ihre Angaben böten zwar teilweise wertvolles Material über die im Zuge der Umwälzung stattgehabten Formalakte, für Aufschlüsse über die Hintergründe des Geschehens und die eigentlich wirksamen Kräfte müsse man sich an Thukydides halten.

Diese Präferenz für Thukydides ist angesichts der extremen Knappheit der Parallelüberlieferung und ihrer offenkundigen Tendenz zu monokausalen Erklärungen verständlich. Betrachtet man jedoch Thuk. 8,65,2-66,5 im Kontext

des von dem Historiker gebotenen Gesamtbildes der Umsturzbewegung von 411, so erhält man den Eindruck, daß auch das in dieser Passage gezeichnete Bild vom Verdacht der Verkürzung und Simplifikation nicht frei ist.

Schon bei isolierter Betrachtung der fraglichen Partie fällt auf, daß Thukydides die oligarchischen Verschwörer neben der offenen Gewalt auch das Mittel der Täuschung zur Anwendung bringen läßt: „Als schönes Schlagwort für die Menge“ verkünden sie das relativ gemäßigte Programm eines Regimes der ‘Jeistungsfähigsten’ Fünftausend, während ihre wahren Absichten auf eine enge Oligarchie abzielen.'* Zieht man die folgenden Abschnitte des Werkes hinzu, so finden sich Hinweise darauf, daB die Oligarchen sich bis zuletzt des Erfolges ihres Coups nicht absolut sicher fühlten!” und daB sie noch nach der geglückten Machtübernahme Wert darauf legten, der Menge gegenüber den wahren Charakter ihrer Herrschaft zu verschleiern.'^ All dies fügt sich nicht zu der in Thuk.

8,65,1-66,1 behaupteten durchschlagenden Wirkung der oligarchischen Terrorkampagne schon im Vorfeld des Umsturzes und läßt Zweifel an der ausschließlichen Gültigkeit des von Thukydides gezeichneten Bildes aufkommen. Thukydides’ Sicht des Charakters der oligarchischen Bewegung ist von der Vorstellung einer einheitlichen, entschlossen und zielgerichtet agierenden

Verschwörergruppe geprägt - eine Vorstellung, die, wie wir noch sehen wer-

den, der komplexen Realität nicht gerecht wird." Daß es dieser relativ kleinen!® radikalen Gruppe gelingen konnte, Athens alteingesessene Demokratie zu stürzen, scheint für Thukydides ein nicht leicht zu erklärendes Phänomen

13 Busolt, GG III 2 1476f. Anm. 4. ^ Thuk. 8,65,3-66,1 λόγος τε ἐκ τοῦ φανεροῦ προείργαστο αὐτοῖς ὡς .... ἦν δὲ τοῦτο εὐπρεπὲς πρὸς τοὺς πλείους, ἐπεὶ ἕξειν γε τὴν πόλιν οἵπερ καὶ μεθιστάναι ἔμελλον. il Dies zeigen besonders die von den Verschwórern vor der Ablósung der demokratischen Bule getroffenen Vorsichtsmaßnahmen (Thuk. 8,69,1f.; vgl. u., S. 164-169.173).

!6 s. die Botschaft der Propagandagesandtschaft der Vierhundert nach Samos Thuk. 8,72,1 und 8,86,3 (dazu u., S. 174£) und die Äußerungen der Vierhundert in 8,92,11 (zit. u., S.

148 Anm. 163). ' s. u., S. 114-116.

12 Thuk. 8,66,3 ... kal τὸ ξυνεστηκὸς πολὺ πλέον ἡγούμενοι εἶναι ἢ ὅσον ἐτύγχανεν

ὄν...

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dargestellt zu haben,'? zumal er die breite Masse bis weit in die Hoplitenschicht hinein für eher demokratisch gesinnt hielt. Darüberhinaus haben wir seine Auffassung vom verderblichen Wirken politischer Hetairien im Parteienkampf in Rechnung zu ziehen, die er im Exkurs über die kerkyräische

Stasis so eindrucksvoll ausmalt^! und die recht wohl seine Sicht der von den

Hetairien getragenen” oligarchischen Kampagne des Jahres 411 geprägt haben kann. Von diesen Voraussetzungen ausgehend, wird der Historiker wohl von vorne-

herein geneigt gewesen sein, den terroristischen Aktivitäten der oligarchischen Hetairien eine durchschlagende Wirkung zuzutrauen, und jenen Gewährsmännern Glauben zu schenken, die in ihren Berichten den terroristisch-

gewalttätigen Charakter der oligarchischen Bewegung kraB hervorhoben.? An solchen Gewährsmännern wird es in der Zeit nach dem Ende des Regimes der Vierhundert, als der Verweis auf Terrorismus und Einschüchterung vielen eine bequeme Entschuldigung für seinerzeitige Passivität oder gar für allfällige Verstrickungen in oligarchische Machenschaften bot, nicht gefehlt haben. Umso bemerkenswerter muß es scheinen, daß wir, wie bereits erwähnt (o., S.

101f.), in der zeitnahen Polystratosrede diese Verteidigungslinie nur im Zusammenhang mit der Phase des eigentlichen Regimes der Vierhundert verwendet sehen," während dort für die vorbereitenden Stadien des Umsturzes

die Móglichkeit freier und legitimer Willensakte des Demos impliziert ist und

der Volksentscheid zur Einsetzung der Fünftausend als ein Ergebnis der ÜberI? Thuk. 8,68,4 ... χαλεπὸν yàp ἦν τὸν ᾿Αθηναίων δῆμον ἐπ᾽ ἕτει ἑκατοστῷ μάλιστα

ἐπειδὴ οἱ τύραννοι κατελύθησαν ἐλευθερίας παῦσαι, καὶ οὐ μόνον μὴ ὑπήκοον ὄντα, ἀλλὰ καὶ ὑπὲρ ἥμισυ τοῦ χρόνου τούτου αὐτὸν ἄλλων ἄρχειν εἰωθότα.

P Dies ergibt sich deutlich aus seinen Äußerungen über die Gesinnung der Menge

wührend des Regimes der Vierhundert, s. etwa die Bemerkungen über die Haltung der πολλοί τῶν μετεχόντων in 8,89,1 und seine 8,92,1 geäußerte Ansicht, daß sich hinter

der Forderung nach Einsetzung der Fünftausend der Wunsch nach Wiederherstellung der Demokratie verborgen habe (zur Frage nach der Richtigkeit dieser Anschauung s. u., S. 276-278). 2! Thuk. 3,82-83, s. bes. 82,4-6 über die innerhalb der Hetairien herrschende gemeinschäd-

liche Mentalität. Die Bezüge zwischen dem in diesem Stasisexkurs beschriebenen Ambiente und der Darstellung der Terrokampagne von 411 in 8,65,3-66,1 bemerken auch Razzano Giammarco, Teramene 404 und Sancho Rocher, Στάσις y κράσις 45.

Ὁ Zur Bedeutung der Hetairien für die Umsturzbewegung von 411 s. Thuk. 8,54,4 (dazu o,

S.

65-71)

und

8,65,

καὶ

καταλαμβάνουσι

τὰ

πλεῖστα

τοῖς

ἑταίροις

προειργασμένα. P Daß Thukydides etwa aus eigenem Antrieb den Terror im Vorfeld des Umsturzes besonders kraß ausgemalt hätte, wird man nicht für wahrscheinlich halten, da sich in seinem

Bericht über die Machtausübung der Vierhundert keine Tendenz zur Herausstreichung ihrer Gewaltakte erkennen läßt, im Gegenteil stellt er ausdrücklich fest, daß sich die Zahl der während ihrer Herrschaft Getöteten in Grenzen hielt (8,70,2, dazu u., S. 232f. und 234 mit Anm. 91).

# [Lys.] 20,8.

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redung bzw. Täuschung hingestellt wird.” Bedenkt man, daB der Verweis auf

solche Zwangsmaßnahmen für die Verteidigung des Polystratos durchaus von Vorteil gewesen wäre,2° so wird man in diesem Fall dem argumentum e silentio den Zeugniswert nicht absprechen können. Angesichts dieser Beobachtungen und Überlegungen scheint es angebracht die

von Thukydides so eindrücklich geschilderte Terrorkampagne in ihrer Bedeutung für die Vorbereitung des Umsturzes stark zu relativieren. Das soll nicht heißen, daß wir das thukydideische Bild ganz zu verwerfen hätten: Daß es im Zuge der Umsturzkampagne schon bald nach Peisandros’ Abreise?’ zu Terror-

akten und Mordtaten gekommen ist, und daß sich viele Demokraten durch die entstehende Verunsicherung von einer offenen Stellungnahme gegen die Um-

stürzler abschrecken ließen, brauchen wir nicht zu bezweifeln. Mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch haben im frühen Stadium der Agitation die positi-

ven Argumente der antidemokratischen Agitatoren die stärkere Wirkung auf die Meinungsbildung der Masse gehabt: die Hoffnung auf Hilfe des GroBkónigs, auf die Móglichkeiten einer effizienteren Kriegführung und schlieBlich

auf die Rückkehr des Alkibiades. Es ist nicht verwunderlich, daß die auf diesen Hoffnungen aufgebaute Agitationskampagne von 411 in der Rückschau, nach den ernüchternden Erfahrungen mit der Realität des Regimes der Vierhundert, vielen Athenern als bloßes

Täuschungsmanöver der Ultraoligarchen erschien, daß die Forderung nach einem Regime der Fünftausend als Deckmantel für das Streben nach der Er-

richtung einer engen Oligarchie gewertet wurde - eine Sicht, die sich im Bericht des Thukydides und wohl auch in der Rede für Polystratos widerspiegelt. In der Realität des Frühjahrs 411 dürften die Dinge anders ausgesehen haben: Der Erfolg der Reformbewegung und mehr noch die Tatsache, daß man nach

dem Fall der Vierhundert zunächst das Prinzip der Fünftausend ernsthaft zu realisieren strebte, anstatt sogleich zur Demokratie alten Stils zurückzukehren,” zeigen, daB das Konzept einer ‘Hoplitenpoliteia” bei den Athenern bereits damals relativ breite Unterstützung genossen haben muß.” Die große

»,2 [Lys.] 20,2.13.16; dazu Heftner, Polystratos 80-83. 26 Dazu Hefner, Polystratos 83. 27 Dies beweist die Ermordung des Androkles, die nach der von Thuk. 8,65,2 gegebenen Begründung noch in die Zeit vor dem Bruch zwischen Alkibiades und den Verschwórern

gehört haben muß. Thuk. 8,97,1 Zu dieser Stelle und zu der sich an die ‘Fünftausend’ vom Herbst 411 knüpfenden Forschungsdiskussion s. u., S. 279-312. ? Für die langanhaltende Popularität dieses Konzepts sei nur auf den Antrag des Phormisios vom Jahre 403 (Dion. Hal. De Lys. 32; Lys. or. 34) verwiesen. Vgl. Xenophon (hell.

2,3,48) wo Theramenes in seiner Verteidigungsrede vor den Dreißig behauptet, stets das Ideal einer Hoplitenpoliteia verfochten zu haben: τὸ μέντοι σὺν τοῖς δυναμένοις kal μεθ᾿ ἵππων kal net ἀσπίδων ὠφελεῖν διατάττειν τὴν πολιτείαν πρόσθεν ἄριστον ἡγούμην εἶναι καὶ νῦν οὐ μεταβάλλομαι. Vgl. zu alledem Lintott, Violence 147.

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Anziehungskraft dieses Ideals war bei weitem nicht allein in den von Peisandros erweckten Hoffnungen auf persische Hilfe, sondern vor allem in der Vorstellung begründet, daB die Führung der Staatsgescháfte durch die Hoplitenklasse Gewühr für eine effiziente Verwendung der knappen Mittel

bieten würde.*" Daneben mag auch ein in der Literatur der Zeit faBbarer Hang zur Idealisierung der bäuerlichen Mittelschicht als eines stabilisierenden Elements im Staatswesen eine Rolle gespielt haben." Es ist daher anzunehmen,

daß es unter den athenischen Bürgern eine breite

Schicht gab, die das Heil der Stadt in der Stürkung der politischen Position

der Hopliten-Mittelschicht erkennen wollte. Diese Denkrichtung, die in der Forschung zumeist unter dem Sammelbegriff „Die Gemäßigten“ firmiert, hat sich im Zuge der Folgejahre in recht unterschiedlichen Ausprägungen mani-

festiert;”- wir brauchen sie uns daher auch im Jahre 411 nicht als einheitliche Gruppierung vorzustellen. Neben denjenigen, die einer Beschränkung der politischen Teilhabe auf die Leiturgientráger" bzw. auf alle Hopliten’* das Wort redeten, scheint es eine Strömung gegeben zu haben, die sich mit der Abschaffung der Ämterbesoldung und der Beschränkung des Zuganges zu den Ämtern auf die Angehörigen höherer Schatzungsklassen zu begnügen ρον

war.” In der Reformbewegung des Frühjahrs 411 fanden sich diese in sich schon uneinheitlichen Strömungen der ‘Gemäßigten’ Seite an Seite mit den % Dieses Bestreben manifestiert sich in der Forderung nach Abschaffung der Besoldung aller oder doch fast aller nichtmilitärischen Ämter, die uns in der Überlieferung über die Verfassungsreformbewegungen des Jahres 411 immer wieder begegnet, s. Thuk. 8,65,3, 8,67,3; 8,97,1; Ath. Pol. 29,5; 30,2; 33,1; vgl. die Vermutung von Lintott, Violence 149f.,

demzufolge der typische „upper-class military man“ im Jahre 411 „..... wanted a more authoritarian regime so that the state might come under military discipline". 3! Zur Idealisierung der μέσοι s. Großmann, Schlagwörter, 12-30 (mit reichem Belegmate-

rial); Goossens, Republique passim (Belegstellen aus Tragödie und Komödie), Aalders, Theorie 25f. sowie Fouchard, Aristocratie et Démocratie 351f., der die begriffliche Un-

schärfe des u£coi-Begriffs und die logischen Widersprüche dieser Ideologie überzeugend herausarbeitet.

32 Über die ‘Gemäßigten’ allgemein s. Fuks, Ancestral Constitution 4-32; De Romilly, Modéres, passim; Heftner, Ps.-Andokides 92-94; über ihre Stellung während der Umwälzungen von 411 s. besonders McCoy, Moderates 1-129, der in seiner Auffassung, alle Gemä-

Bigten seien im Grunde demokratisch gesinnt gewesen, für diese Gruppe ein höheres Maß an Homogenitát voraussetzt als gerechtfertigt scheint. Für die Unschärfe des ‘Gemäßigten’-Begriffs in der modernen Forschung s. jetzt die treffenden Bemerkungen von Buck Thrasybulus 91f).

Vgl. die programmatischen Äußerungen bei Thuk. 8,65,3 und Ath. Pol. 29,5 (zit. o., S.

98 Anm. 14).

** Das entsprach dem nach dem Sturz der Vierhundert verwirklichten Prinzip, daß zu den an den πράγματα

beteiligten Fünftausend alle ὅπλα

παρεχόμενοι

gehören sollten

. 8,97,1, dazu u., S. 279 und 301).

* Dafür spricht der Antrag des Kleitophon bei Ath. Pol. 29,3 sowie die in dem unter Thrasymachos’

Namen überlieferten Pamphlet geforderte Rekonstruktion der πάτριος

πολιτεία aus den Verhältnissen des frühen 5. Jh. (VS 85 B 1; dazu u., S. 138f.).

- 116-

harten Oligarchen auf der einen und denjenigen, die an sich der Demokratie anhingen, aber als zeitlich begrenztes Instrument der σωτηρία eine Verfassungsánderung zu akzeptieren bereit waren, auf der anderen Seite. Der ge-

meinsame Nenner dieser Gruppen bestand in der Überzeugung, daB man, wie es Peisandros formuliert hatte, in der gegenwärtigen Notlage „die Demokratie

in ihrer bisherigen Art nicht länger beibehalten könne“; die Frage war, durch

welches System man sie ersetzen sollte.

In dieser Situation scheint die Parole von der Übergabe der Macht an die *Fünftausend' geprägt worden zu sein. Als Richtwert für die zahlenmäßige Stärke der regierenden Körperschaft propagiert, markierte die Zahl ‘Fünftausend’ einen Punkt, an dem sich die Konzepte der Oligarchen und der meisten

Gemäßigten zumindest terminologisch zur Deckung bringen ließen.” Den entschiedenen Oligarchen bot sie die Aussicht auf eine aus einem AusleseprozeB hervorgegangene Regierungskórperschaft, den Gemäßigten die Hoffnung auf die Einbeziehung zumindest eines grofen Teils der Hoplitendienstpflichtigen, den um die finanzielle Notlage des Staates Besorgten die Gewähr für eine Regierung durch ehrenamtliche Funktionäre aus den wohlhabenderen Teilen der Bürgerschaft. Wenn wir die Verwendung der späterhin in der Bot-

schaft der Vierhundert an das Heer auf Samos vorgebrachten Argumente schon für die Vorbereitungsphase des Umsturzes annehmen dürfen, hat man sogar versucht, das Konzept der Fünftausend dem Demos gegenüber als eine auf die Bedingungen des Kriegsnotstandes zugeschnittene Form der Demo-

kratie hinzustellen.”

Aber wenn ‘die Fünftausend’ das Schlagwort darstellten, hinter dem sich der größte Teil der Verfassungsreformbewegung versammelte, wird es aufmerksameren Zeitgenossen dennoch nicht entgangen sein, daß diese Bewegung ein

breites Spektrum divergierender Strömungen umfaßte, und daß nicht jede in

der Öffentlichkeit verkündete Parole den wahren Intentionen ihrer Urheber entsprach. Dieses Bewußtsein war an sich schon geeignet, ein Klima der Verunsicherung und des Mißtrauens zu erzeugen, und die Terrorkampagne der Hetairien wird diese Stimmung noch entscheidend verstärkt haben.

So werden wir wohl mit der Annahme nicht fehlgehen, daß bei vielen Athenern die Bereitschaft zur Abkehr von der radikalen Demokratie schon in "6 Bei Thuk. 8,53,1 μὴ τὸν αὐτὸν τρόπον δημοκρατουμένοις ..., dazu o., S. 64. ’7 Daß seitens der Oligarchen und Gemäßigten mit dem Begriff der Fünftausend unterschiedliche Vorstellungen verknüpft waren, wird schon daran deutlich, daß die Agitatoren aus dem Hetairien-Bereich nach Thukydides die Zahl Fünftausend als oberes Limit für die zu schaffende Regierungskörperschaft betrachteten, während sie in dem Ath. Pol. 29,5

wiedergegebenen ersten Volksbeschluß über die Verfassungsänderung als unteres Limit erscheint, s. Brock, Numbers Game 162f., Ruzé, Deliberation 480f. (vgl. dies. 491) sowie Heftner, Katalogisierung 224.

?* s. dazu u., S. 147-149. ? Thuk. 8,72,1, dazu u., S. 174f.

- 117diesem Stadium der Entwicklung von der Skepsis gegen die Absichten der

hinter der antidemokratischen Kampagne stehenden Gruppen und Personen begleitet war. Vor dem Hintergrund dieser Stimmungslage haben wir nun einige Stellen aus einem Werk der zeitgenóssischen Komódiendichtung zu betrachten, das uns durch sein (wahrscheinliches) Aufführungsdatum unmit-

telbar an die Vorbereitungsphase des Umsturzes heranführt: die Thesmophoriazusen des Aristophanes.

Spuren der Umsturzfurcht in den Thesmophoriazusen des Aristophanes? Obwohl die antike Überlieferung keine eindeutigen Angaben dafür bietet und in der Forschung vereinzelt eine Datierung ins Jahr 410 vertreten wurde,” geht die communis opinio der neueren Forschung mit gutem Grund von einer Aufführung der Thesmophoriazusen an den Großen Dionysien des Jahres 411 aus, also etwa zwei bis drei Monate vor der Machtübernahme

der Vierhun-

dert. In dieser an sich an politischen Anspielungen auffällig armen Komödie finden

sich zwei Partien, die möglicherweise als indirekte Stellungnahmen des Dichters zu der heraufziehenden Umsturzgefahr zu verstehen sind. Die erste dieser Stellen liegt in der Parodos des Stückes, wo der Dichter die zum Thesmophorienfest versammelte Frauenschaft Athens eine „Ekklesie“ abhalten läßt, in deren Einleitungsgebet Elemente des bei der Eröffnung der

realen Bürger-Ekklesien vorgetragenen Gebetes parodistisch verfremdet sind. Dabei

findet sich unter mehreren

auf die Fiktion einer ‚„Frauen-Ekklesie“

bezogenen scherzhaften Verfluchungs- und Wunschformeln auch eine gegen * Die diesem Datierungsansatz zugrunde liegende Deutung von Thesm. 808f. als Anspielung auf die Machtübernahme der Vierhundert findet sich bereits bei Gilbert, Beitráge 307. Dagegen überzeugend Wilamowitz AuA II 344 und Sommerstein, Events 116f. Die Tatsache, daB in vv. 76-80, vor allem aber in 943-944 des Stückes der Bule weiter reichende gerichtliche Kompetenzen zugeschrieben werden als wir unter der Demokratie erwarten

würden, 1st von Rhodes (Boule 185f.190) als mögliches Indiz für eine Datierung des Stükkes ın das Jahr 410, als ın Athen das Regime der Fünftausend an der Macht war, ın Erwägung gezogen worden, was jedoch angesichts der vielen damit verknüpften Unsicherheitsfaktoren nicht als zwingend oder auch nur als wahrscheinlich gewertet werden kann (vgl.

Avery, Chronology 131). ^! Wilamowitz AuA II 343-355; Andrewes, HCT V 184-193; Sommerstein, Events passim

und Thesmophoriazusae 1-3. Für eine alternative Datierung, derzufolge die Thesmophoriazusen an den Lenäen, die Lysistrate an den großen Dionysien des Jahres 411 aufgeführt worden sei, s. Gelzer, Aristophanes 1467-1469 und 1473-1475. Dagegen zu Recht Avery, Chronology 132f. Vgl. Hubbard, Mask 187-199, der aus der Untersuchung möglicher intertextueller Bezüge zwischen den beiden Stücken Argumente für die Priorität der Lysistrate gewinnt.

- 118die Feinde des „Demos der Frauen“ gerichtete Verwünschung (Thesm.

335-

339.349f.; von der als Herold gedachten Chorführerin gesungen): 335 el τις ἐπιβουλεύει m τῷ δήμῳ κακὸν

Wenn

τῷ τῶν γνναικῶν ἢ ᾿πικηρυκεύεται Εὐριπίδῃ Μήδοις (3? ἐπὶ βλάβῃ τινὶ τῇ τῶν γυναικῶν, fj τυραννεῖν ἐπινοεῖ fj τὸν τύραννον συγκατάγειν, ............... P»e*99veoocetoposanéecatótó6v64046000844000860004064000000G080040000088040440G606028090

κακῶς ἀπολέσθαι 350 κὠκίαν ἀρᾶσθε. ......

τοῦτον

αὐτὸν

jemand

Übles

sinnt gegen

den

Demos der Frauen oder konspiriert mit Euripides und den Medern zum Schaden der Frauen oder auf Tyrannis sinnt oder auf Rückholung des Tyrannen ................... —

GG4GAOGEP560886050840GG45005060060464696008€60090496096000090009060906092900090005449

betet, daß er schmählich verderbe und sein ganzes Geschlecht mit ihm! .....

Während die konventionellen Fluchformeln des Heroldsgebets in dieser Passage mit parodistischen, auf die Komódiensituation bezogenen Inhalten verknüpft sind," ist das darauffolgende Gebet des Chores von ernsten Themen erfüllt, die in der Situation des Frühjahrs 411 auch einer realen athenischen Ekklesie durchaus angemessen scheinen (vv. 352-367): ξυνευχόμεσθα τέλεα μὲν

πόλει τέλεα δὲ δήμῳ τάδ᾽ εὔγματα γενέσθαι, 355 τὰ δ᾽ ἄρισθ᾽ ὅσαις προσήκει

360

Gemeinsam beten wir, daß zur Gänze

unserer Stadt und unserem Volk diese Bitten erhórt werden: Daß denen, die das beste raten, der

νικᾶν Acyoucaitsg: ὁπόσαι δ᾽

Sieg zufalle. Jene aber, die

ἐξαπατῶσιν παραβαίνουσί TE τοὺς ὅρκους τοὺς νενομισμένους [κερδῶν οὕνεκ᾽ ἐπὶ BA án]

betrügerisch hinweg sich setzen über beschworene Eide, Gewinnes wegen Schaden stiften,

ἢ ψηφίσματα

die Volksbeschlüsse und den Nomos

kal νόμον

ζητοῦσ᾽ ἀντιμεθιστάναι,

ándem trachten,^

τἀπόρρητά τε τοῖσιν ἐχθροῖς τοῖς ἡμετέροις λέγουσ᾽,

die Geheimnisse an unsere Feinde verraten,

ἢ Μήδους ἐπάγουσι τῶν

die die Perser ins Land holen

365 κερδῶν οὕνεκ᾽ ἐπὶ βλάβῃ."

ἀσεβοῦσιν ἀδικοῦσίν τε τὴν πόλιν."

zu

Gewinnes wegen Schaden stiften

- Frevler sind sie und Übeltüter am Staat!

42 Zu den Bezügen zwischen den realen Fluchformeln der Ekklesie und Aristoph. Thesm. 331-371 s. Wilamowitz, AuA II 348 und Kleinknecht, Gebetsparodie 34-37. Vgl. Isokr.

4,157 ἐν δὲ τοῖς συλλόγοις ἔτι καὶ νῦν ἀρὰς ποιοῦνται [sc. οἱ ᾿Αθηναῖοι). πρὶν ἄλλο τι χρηματίζειν, el τις ἐπικηρυκεύεται Πέρσαις τῶν πολιτῶν.

® Die hier zugrunde gelegte Konjektur des überlieferten τῆς | χώρας οὕνεκ᾽ ἐπὶ βλάβῃ zu τῶν | κερδῶν οὕνεκ᾽ ἐπὶ βλάβῃ ist von Austin, Textual Problems 77f. (s. jedoch dens. Observations critiques 22: τῆς | ἀρχῆς οὕνεκ᾽ ἐπὶ βλάβῃ als Möglichkeit) überzeugend verteidigt worden (akzeptiert von Sommerstein, Thesmophoriazusae 180). Für alternative Konjekturvorschläge s. Zimmermann, Untersuchungen I 118f., für eine Verteidigung des überlieferten Textes Blanc/Taillardat passim. * V. 367, der im Vergleich zum Vorangehenden eine auffällige Antiklimax darstellt (vgl. Sommerstein, Thesmophoriazusae 181) ıst nach Wilamowitz, AuA II 354f. zu athetieren und durch eine Verfluchung im Sinne der geläufigen Formel ἐξώλεις elev αὐτοὶ καὶ yevos τὸ ἐκείνων zu ersetzen (akzeptiert von Horn, Gebet 114).

Die Phrase kann auf zwei verschiedene Arten übersetzt werden: a) „Volksbeschlüsse und Gesetze durch andere umündern" (so die traditionelle Deu-

tung, s. die Wörterbücher von Passow und LSJ s. v. avtıgediotavan).

- 119 -

HAlt man sich bei der Lektüre dieser Zeilen die zur Aufführungszeit gegebene politische Situation und die Entwicklung der Folgezeit im Bewußtsein, so liegt es nahe, eine Verbindung zwischen dem Bittgebet des aristophaneischen „Frauen-Demos“ und den realen Befürchtungen des Volkes von Athen im Frühjahr 411 zu ziehen. In diesem Sinne móchte ein Teil der Forschung in dem Gebet der Frauen-Ek-

klesie Anspielungen auf die politische Situation der Aufführungszeit erkennen. Eine andere Auffassung hingegen versteht die fraglichen Partien nur als

komische

Verzerrung

einer traditionellen,

gegen

Tyrannei

und

Umsturz

gerichteten Formel ohne aktuell-politischen Beigeschmack.*'

Ein Vergleich der in Thesm. 331-371 verwendeten Phrasen mit demjenigen, was uns von den bei der Eróffnung realer Ekklesien gebráuchlichen Formeln überliefert ist, zeigt, daß solche stehenden Formeln nicht nur im Heroldsgebet,

wo die Anlehnung evident ist, verwendet sind, sondern daß auch von den im darauffolgenden Gebet der ,Frauen-Ekklesie" aufgezählten Kategorien von Übeltätern und Staatsfeinden zumindest einige ihre Parallelen in den real gebräuchlichen Staatsgebetsformeln finden: Die Erwähnung der Volksbetrüger (vgl. Thesm. 357) und der mit den Persern Konspirierenden (vgl. Thesm. 365) in den Staatsgebetsformeln ist uns ausdrücklich bezeugt,” die gegen die Eidbrecher und Verräter von Staatsgeheimnissen“” gerichteten Verwünschungen von Thesm. 357f. und 363f. beziehen sich auf Verhaltensweisen, die zu jeder Zeit aktuell gewesen sein dürften, man wird daher auch für diese Passagen die Existenz realer Vorbilder nicht für unwahrscheinlich halten. Eher situationsbezogen wirkt hingegen der Passus über „diejenigen, die Volksbeschlüsse und Gesetze zu ändern trachten" in Thesm. 361f. Es fällt b) „Volksbeschlüsse durch den Nomos ersetzen und umgekehrt‘ (Dover, Aristophanic

Comedy 170f.). Dovers Übersetzung hängt, wie Sommerstein ausführt, an der Frage, ob man für das Athen des Jahres 411 bereits eine begriffliche Scheidung von Nomos und Psephisma voraussetzen kann, was nach unserer Evidenz nicht als sicher angenommen

werden kann (Sommerstein, Events 125 m. Anm. 80; zu der dort zitierten Literatur s. jetzt auch Quaß, Nomos und Psephisma 23-44, bes. 23-26 und Hansen, Nomos and Psephisma

162f.). In unserem Zusammenhang ist die Frage nach der korrekten Deutung von vv. 361f. weniger von Belang, da, wie Sommerstein an anderer Stelle feststellt (Thesmophoriazusae

180), beide Bedeutungen gleichermaßen eine der Verfassungsordnung drohende Gefahr zu suggerieren geeignet sind. 46 Wilamowitz, AuA I 348-351; Dover, Aristophanic Comedy 170f., Andrewes bei Sommerstein, Events 125; Sommerstein, Thesmophoriazusai 2f.; Prato, ‘Versione lirica'

282-285, vorsichtiger, aber im Grunde zustimmend Zimmermann, Untersuchungen I 120f. *'

MacDowell,

Aristophanes and Athens 252, ähnliche Zweifel hat auch Sommerstein

(Events 125f.) geltend gemacht, spáterhin aber revidiert (Thesmophoriazusae 2-4.231f.). Deinarch. 1,47.

® Habash, Thesmophoriazusai 29 möchte die τἀπόρρητα von v. 363 im Hinblick auf die Handlung der Folgeszenen als „secret rites" verstehen. M. E. liegt im unmittelbaren Kontext der Stelle die Auffassung der ἀπόρρητα als ,,Staatsgeheimnisse" näher, zumindest ist anzunehmen, daß sie von den meisten Zuhörern so verstanden worden sein mußten.

- 120 -

schwer zu glauben, daß die Möglichkeit einer Änderung der bestehenden Gesetze im demokratischen Athen des 5. Jh. a priori auf diese Weise verpönt

gewesen sei, die Gefahr einer fundamentalen, auf den Umsturz der bestehenden Verfassung abzielenden Gesetzesänderung hingegen ist, wo wir sie von

410 an in der offiziellen Sprache vorfinden, durch klarere Formulierungen wie καταλύειν τὴν δημοκρατίαν ausgedrückt; sie war überdies in der traditio-

nellen Formel schon durch die Erwähnung der Tyrannenfreunde abgedeckt.”

Es scheint daher gut denkbar, daB der Dichter hier ganz bewuBt um des Kontrasts und der Hervorhebung willen in die Reihe der auf realen Vorbildern

beruhenden Gebetsformeln einen Passus eingefügt hat, der in der staatsoffiziellen Formelsprache kein Gegenstück hatte, sondern auf die zur Zeit der Aufführung aktuellen Verhältnisse bezogen war.” Aber selbst wenn dies nicht zutreffen sollte, wenn alle in Thesm.

356-366

aufgezählten Verwünschungen auf der authentischen Phraseologie der Staatsgebete beruhen sollten, fällt es schwer zu glauben, daß diese ernsthaft klingenden Bitten und Verwünschungen von einem athenischen Publikum des Frühjahrs 411 als belanglose Travestien stehender Formeln verstanden worden

sein können. Die Athener des späten 5. Jh. waren bekanntlich gewohnt, von ihren Komödiendichtern, gerade auch von Aristophanes, nicht nur scherzhafte Anspielungen auf aktuelle Politik, sondern auch durchaus ernstgemeinte Mahnungen und Erklärungen vorgesetzt zu bekommen. Ein beträchtlicher Teil des Publikums der Thesmophoriazusen wird daher von vornherein darauf eingestellt gewesen sein, besonders in den Chorpartien jede Äußerung, die

sich als ernsthafte Stellungnahme zu den drängenden Fragen des Tages verstehen ließ, auch als solche aufzufassen. Die vv. 352-367 der Thesmophoriazusen mit ihrer feierlichen Bitte an die Götter um den Sieg des besten Ratschlusses und der darauffolgenden Verdammung der Volksbetrüger, Eidbre-

cher, Nomos-Umstürzer, Geheimnisverräter und Perserfreunde müssen vielen Zusehern, die die politische Entwicklung ihrer Polis mit Sorge betrachteten, als Echo der eigenen Befürchtungen erschienen sein. Hätte Aristophanes wirklich, wie MacDowell annimmt,” danach gestrebt, seine ThesmophoriazuὉ Dies gegen die von Andrewes, HCT V 192 geäußerte Vermutung, daß die traditionellen Formeln spezielle Flüche „against those who try to subvert the constitution" enthalten hät-

ten. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß die Tyrannis als Chiffre für oligarchische Umsturzversuche noch in der Eidesformel des Demophantos-Dekrets von 410 Verwendung findet (And. 1,97; vgl. 1,75).

! Wenn demgegenüber López Férez, Nómos 389 in dem ψηφίσματα xal νόμον | ζητοῦσ᾽ ἀντιμεθιστάναι von Thesm. 361f. nur eine für Aristophanes typische Warnung vor neuen Gesetzen erkennen möchte, so wird er m. E. dem Aktualitätsbezug der Passage nicht gerecht.

23 Val Hubbard, Mask 244 Anm. 7.

? MacDowell, Aristophanes and Athens 252; vgl. ebd. 273 „This play has a stronger claim than any of the others to be regarded as pure entertainment".

- 121 -

sen von politischen Anspielungen möglichst frei zu halten, so hätte er diese Partie ganz weglassen müssen, was von den Bedürfnissen der Dramenhandlung her keinerlei Schwierigkeiten bereitet hätte.” DaB der Dichter es nicht

tut, daB er seinem Publikum eine Partie vorführt, die unter den gegebenen Umständen zur aktuellen Interpretation geradezu einladen mußte, läßt sich wohl nur aus dem Bestreben erklären, auch in einem an sich 'unpolitischen'

Stück zur drängendsten politischen Frage der Zeit Stellung zu beziehen.”

Aristophanes’ Stellungnahme ist in der Audrucksweise teilweise verklausuliert, aber in der StoBrichtung eindeutig: Die auf Verfassungsänderung drängenden Kräfte werden als Volksbetrüger (v. 357), als eigennützige Schädlinge

(v. 366) und als frevelnde Übeltäter entlarvt (v. 367). Indem er seinen Beterinnenchor in klimaxartiger Steigerung die einzelnen

Arten des perhorreszierten Fehlverhaltens vom Volksbetrug über den Verfassungsumsturz hin zum Landesverrat aufzählen läßt, gelingt es dem Dichter, die für die Agitationsbewegung charakteristische Verbindung von Verfas-

sungsänderungsstreben und Perserfreundschaftshoffnungen in ihren fatalen Konsequenzen deutlich zu machen: Die von den Agitatoren propagierte Politik werde, so lautet die unterschwellige Botschaft, schließlich die Meder ins

Land führen - eine Wertung, die uns angesichts von Aristophanes" grundsätzlicher Einstellung und einiger diesbezüglicher Äußerungen in der zwei Monate zuvor aufgeführten , Lysistrate'^? nicht überraschen kann.

Wenn der Chor im Anschluß an diese Verdammungsformeln und die darauffolgende Anrufung der Götter in der Schlußzeile καίπερ γυναιξὶν οὔσαις

(ν.

371) ganz ausdrücklich herausstreicht, daB sich hier nicht der reale Demos von

Athen,

sondern

ein im

Reiche

dichterischer

Phantasie

angesiedelter

*Frauen-Demos' versammelt hat, so wird man darin m. E. nicht ein Argument für unpolitisch-komische Absichten erkennen können, sondern einen bewußt gesetzten Kontrast, der die Brisanz des Gebetes für die reale Situation Athens ** Aristophanes wäre, wenn er sein Stück in letzter Minute politisch ‘entschärfen’ hätte wollen, keineswegs gezwungen gewesen, die Volksversammlungsparodie in foto zu streichen, wie Andrewes,

HCT

V

192 anzunehmen

scheint, da sich die politisch brisanten

Stellen auf vv. 331-371 und 1143f. beschränkten. Die Entfernung dieser Passagen hätte keine fühlbare Lücke hinterlassen, s. Sommerstein, Thesmophoriazusae 2 mit Anm.

12 „If

the prayer and curse of 331-371 had been lost, we would not know that anything was missing: indeed the immediatly preceding words (329-330) ..... seem designed to lead up directly to the commencement of the actual assembly proceedings in 372ff.“

*5 Vgl. Prato, ' Versione lirica' 282f , der die vv. 352-371 der Thesmophoriazusen geradezu als Produkt einer Umarbeitung wertet, mittels derer der Dichter auf die Weiterentwicklung

der politischen Situation zu reagieren versucht habe. 36 «. besonders die Verdammung des Peisandros in Aristoph. Lys. 489-492 und die Warnung vor der Barbaren(=Perser)gefahr in vv. 1132f.; zur politischen Bewertung dieser Passagen s. Westlake, Lysistrata 45-49 (mit weiterführenden Literaturangaben);, darüberhinaus ließe sich vielleicht auch die Erinnerung an die Perserkriege im Hymnos der spartanischen Gesandten vv. 1247-1261 unter diesem Gesichtspunkt betrachten.

- 122-

noch unterstreicht: „Obschon wir nur Frauen sind, flehen wir um den Götterbeistand‘“ (der, so dürfen wir ergänzen, der ganzen Polis dringend Not διε).

Die zweite mógliche Anspielung auf die Umsturzgefahr findet sich in vv. 1143f., wo im Rahmen eines an Athene gerichteten Gebets des Frauenchors

die Göttin in einem durch das Metrum herausgehobenen” Doppelvers ausdrücklich als „Tyrannenhasserin‘“ angerufen wird: φάνηθ᾽, ὦ τυράννους στυγοῦσ᾽, ὥσπερ εἰκός"

Zeige Dich, wie es sich ziemt, Du Hasserin der Tyrannen!

δῆμός rol σε καλεῖ yuvaıκῶν ann

Der Demos der Frauen ruft Dich an .....

Wie Dover wohl zu Recht ausführt, kation - das sonst ungebräuchliche wöhnliche Anrufung der Göttin als vierte Wiederauftauchen des δῆμος

sprechen mehrere Elemente dieser InvoMetrum, die in diesem Kontext ungeτυράννους otuyoüca und das unmoti.... γυναικῶν, auf eine aktuell-politische

Bedeutung dieser Verse, als Warnung vor einer drohenden Gefährdung der Demokratie.” Worin genau der Dichter diese Gefährdung gesehen hat, läßt sich aus dem

Wortlaut der Stelle nicht mit Sicherheit erkennen. Man hat die τυράννους στυγοῦσα

als einen Hinweis auf eine befürchtete Tyrannis des Alkibiades

verstehen wollen," was im Kontext der vor Peisandros’ Rückkehr gegebenen Situation nicht unvorstellbar wäre; andererseits kann man die Möglichkeit nicht ausschließen, daß ,, Tyrannis" hier als Chiffre für jede Art von undemo-

kratischer Herrschaft zu verstehen sein kónnte.?! Vielleicht kommen wir der Realität am nächsten, wenn wir davon ausgehen, daß im Publikum des Ari-

stophanes beide Vorstellungen nebeneinander verbreitet waren. In jedem Falle

’7 Vgl. Horn, Gebet 114, der hier wie auch in vv. 1145-1147 (Horn ebd. 120) die Absicht des

Dichters

erkennen

möchte,

den

Zuhörer

von

einem

emsten,

politisch

aktuellen

Gebetsinhalt zum witzig-parodistischen Kontext der ‘Frauen-Volksversammlung’ zurückzuführen. Ὁ Zu dem in Thesm. 1143f. verwendeten Metrum (bacchischer Tetrameter im Gegensatz zu den im Gebet sonst verwendeten Ibykeen bzw. Glykoneen) s. Zimmermann, Untersu-

chungen II 201f., Sommerstein, Thesmophoriazusae 224f.231f. und jüngst Parker, Songs 449f., die die Bedeutung dieser metrischen Besonderheit entschieden betont: „Only the

most dedicated exponent of the view that Aristophanes' plays are wholly devoid of serious content could avoid the conclusion that the audience of Thesm. were meant to leave the

theatre with this invocation resounding in their minds." ? Dover, Aristophanic Comedy 171f.; akzeptiert von Andrewes, HCT V 192f ; vgl. Som-

merstein, Events 122 und Thesmophoriazusae 231f.; vgl. die in der vorigen Anmerkung

zitierte Äußerung von Parker. “Ὁ Gelzer, Aristophanes 1468; akzeptiert von Sommerstein , Thesmophoriazusae 232.

$! So Dover, Aristophanic Comedy 172; vgl. dens., HCT IV 337 und Andrewes, HCT V 193 „Once more it is hinted that democracy is in danger and comedy rallies as usual to conventional defence of the existing order‘, man beachte die Verwendung von τυραννεῖν und τὸν τύραννον auyxaßıcravan im Demophantos-Dekret (o., S. 120 Anm. 50).

- 123 -

aber kónnen wir die behandelten Passagen der Thesmophoriazusen als Wie-

derspiegelung realer und weitverbreiteter Ängste ansehen.9??

Die Reaktion der Verschwörer in Athen auf das Scheitern

der Perserhoffnungen Der anhand der Aristophanes-Passagen gewonnene Befund gewährt uns zwei wesentliche Erkenntnisse über die Situation in Athen im Vorfeld des Umstur-

zes von 411: Zum einen zeigt sich, worauf Andrewes zu Recht hinweist, daß es bei aller Verunsicherung, die ja in den Worten des ThesmophoriazusenChors deutlich zum Ausdruck kommt, immer noch móglich war, die Gegner-

schaft zur antidemokratischen Bewegung und die Furcht vor den verderblichen Konsequenzen des von den Agitatoren verfochtenen Kurses in der

Óffentlichkeit zur Sprache zu bringen. Es fällt schwer zu glauben, daß man eine bei aller Verklausulierung so eindeutige Warnung vor einem Verfassungsumsturz auf die Bühne bringen

konnte, wenn das óffentliche Leben Athens von einer terroristischen Clique von Umstürzlern gelenkt wurde. Das thukydideische Bild einer vom oligarchischen Terror vóllig eingeschüchterten Polis, das wir oben (S. 112-114.) schon in Zweifel gezogen haben, wird also auch von dieser Seite her relativiert. Zugleich erhalten wir in der Verbindung von Umsturzfurcht und Perserfurcht in vv. 356-366 eine Bestätigung dafür, daß die Agitation zugunsten einer Verfassungsánderung in Athen noch zur Zeit der Aufführung der Thesmophoriazusen im April 411 als Ausdruck einer auf ein Perserbündnis und die Rück-

führung des Alkibiades zielenden Bewegung aufgefaßt worden ist. In Wirklichkeit waren die diesbezüglichen Hoffnungen zu diesem Zeitpunkt durch das Scheitern der Verhandlungen am Satrapenhof bereits obsolet geworden. Spätestens mit der Ankunft des Peisandros, vielleicht schon zuvor, muß diese

Tatsache den Verschwörern in Athen kund geworden sein.‘ 62 Für die geradezu leitmotivische Bedeutung der Angst in den Thesmophoriazusen s. Casevitz, Politique 96-98. Derselbe Autor möchte auch in der Berufung auf die παρρησία in Thesm. 540-544 eine Anspielung auf die im Frühjahr 411 gegebene Situation erkennen, als einerseits die freie Rede durch den von Thuk.

8,66,2 beschriebenen Hetairienterror

unterdrückt, andererseits die mappnola-Parole von den Umstürzlern als Schlagwort gegen die in der γραφὴ παρανόμων liegenden Beschränkungen verwendet worden sei (Casevitz a. O. 100f.). Diese Deutung geht jedoch m. E. zu weit, da die Berufung auf die παρρησία vom Kontext der Stelle her nahelag, und wir hier, anders als in vv. 331-371 und wohl auch 1143f. (s. o., S. 121 Anm. 54.55), keinen Grund zu der Annahme haben, daf

die betreffende Partie nicht zum ursprünglichen Bestand des Stückes gehört hat.

9 HCT V 193.

9^ s. 0., S. 75-87.

55 Nämlich mit dem Bekanntwerden des dritten spartanisch-persischen Vertrages, s. o., S. 90 Anm. 402. Für die Móglichkeit eines schnellen Nachrichtenflusses zwischen Samos

- 124-

Die Vorgänge, die sich im Anschluß an diese Enthüllung innerhalb der oligarchischen Bewegung in Athen vollzogen haben, markieren einen der entschei-

denden Wendepunkte der Geschichte des Umsturzes von 411: Die oligarchische Bewegung in der Stadt, der nun mit einem Schlag die Grundlage ihrer Agitation entzogen war, sah sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihre Umsturzpläne entweder ganz aufzugeben oder ihre politischen Konzepte völlig neu zu orientieren. Der weitere Verlauf der Ereignisse zeigt, daß die Verschwórer, jedenfalls die Mehrheit von ihnen, den zweiten Weg gewählt haben. Unglücklicherweise geben uns die Quellen gerade für diese entscheidende Phase der Verschwórung keinerlei konkrete Auskünfte. Thukydides, der wenigstens die Reaktion der Verschwórer auf Samos kurz beschreibt, läßt uns für die wichtigeren Vorgänge in Athen völlig im Stich, ebenso die übrigen Quellen, die ja von den Verhandlungen der Peisandrosgesandtschaft gar keine Notiz nehmen. Wir sind daher ganz auf Vermutungen angewiesen. Einen Anhaltspunkt, aber freilich nicht mehr als das, gibt uns Thukydides' Bericht über die Haltung der Oligarchen auf Samos,°’ deren Bereitwilligkeit, ihr Umsturzprojekt trotz des Scheiterns der in Alkibiades und Tissaphernes gesetzten Hoffnungen weiterzuführen, wohl auch für die Position vieler ihrer Gesinnungsgenossen in Athen reprüsentativ gewesen sein dürfte.

Die allfällige Enttäuschung über den Ausfall des Alkibiades dürfte sich bei vielen oligarchisch Gesinnten in der Stadt mit einer gewissen Erleichterung vermischt haben. Das muß natürlich a fortiori für Phrynichos gegolten haben, der nach seinem Intrigenspiel auf Samos von einer Rückkehr des Alkibiades

das Schlimmste zu befürchten hatte, und für den sich jetzt die Móglichkeit des Anschlusses an die oligarchische Bewegung eróffnete. In seinem Überblick über die Anführer des Umsturzes deutet Thukydides an, daB Phrynichos sich der Bewegung erst zu einem Zeitpunkt anschloß, als er davon ausgehen konnte, daß die Errichtung einer Oligarchie der beste Weg zur Verhinderung

von Alkibiades’ Rückkehr sein würde.°® Im Einklang damit impliziert der Hiund Athen spricht auch der Bericht des Andokides über seine Verhaftung durch die Vierhundert (And. 2,11-15; vgl. u., S. 2317), wo der Eindruck erweckt wird, daß die

Vierhundert bereits vor Andokides' Ankunft in Athen Nachricht von seinen Aktivitüten auf Samos erhalten hatten. Allerdings sind wir hier über die Umstände zuwenig unterrichtet, um aus dieser Episode weitreichende Schlüsse ziehen zu kónnen. $6 Zu der Annahme von Sealey (Revolution 120), daß sich diese Umorientierung bereits vorher im Zuge interner Machtkümpfe vollzogen habe, s. u., S. 125 Anm. 73.

6 Thuk. 8,63,3f., dazu o., S. 87-89.

$5 Thuk. 8,68,3. Vgl. McCoy, Moderates 62, der vermutet, daß die Oligarchen bereits vorher Kontakte zu Phrynichos geknüpft, dieser aber mit dem Anschluß an die Bewegung zugewartet hätte, bis der Bruch zwischen Alkibiades und den Verschwörern definitiv war. Diese Auffassung hat einiges für sich, kann aber aus den Quellen nicht belegt werden. Zu der Hypothese Sealey's über eine mógliche entscheidende Rolle des Phrynichos schon vor dem Scheitern der Perserverhandlungen s. u., S. 125 Anm. 73.

- 125-

storiker an anderer Stelle, daß späterhin unter den Vierhundert die Gegner des Alkibiades dominierten,°” und wir haben schon gesehen, daß innerhalb ihrer Führungsgruppe neben Phrynichos auch Antiphon mit ihm verfeindet war.” Mit seinen Verbindungen zur kriegstreiberischen, antispartanischen Richtung, seinem

Liebäugeln

mit

'demagogischen'

Politikmethoden,

seinen

weitge-

spannten Ambitionen und seiner Unzuverlässigkeit mußte Alkibiades in den Augen der entschiedenen Oligarchen von vornherein als ein fragwürdiger Verbündeter gelten, dessen Anspruch auf eine Führungsrolle in der Umsturzbewegung man hóchstens als ein im Sinne des angestrebten Zieles notwendiges Übel in Kauf nehmen konnte. Die Erkenntnis der samischen Verschwórer,

Alkibiades sei „nicht der geeignete Mann, an einer Oligarchie teilzuhaben","! wird daher in diesen Kreisen auf volle Zustimmung gestoßen sein."

DaB sich diese radikaloligarchische und alkibiadeskritische Richtung der Umstürzler durch das Ende der Tissaphernes-Verhandlungen nicht abhalten

ließ, ihre Pläne weiter zu verfolgen, braucht uns nicht zu verwundern,? umso weniger, als die exponierten Wortführer der Bewegung bei einem Weiterbestehen der Demokratie um ihre Sicherheit oder zumindest um ihre Position fürchten muBten."^ Wir können nicht mit Sicherheit sagen, welche Politik die Exponenten dieser Richtung nach dem Scheitern der Perserhoffnungen im

Hinblick auf das drángende Problem der Kriegsnot zu verfolgen gedachten. $? Dies ergibt sich aus der Bemerkung des Thukydides, die Vierhundert hätten des Alkibiades wegen kein Dekret über den Rückruf der Verbannten erlassen (8,70,1, zit. u., S. 232; dazu auch u., S. 235).

7 s. o., S. 70 mit Anm. 328. 7! Thuk. 8,63,4, zit. o., S. 87 Anm. 393.

7? Für das Verhältnis zwischen Alkibiades und den eigentlichen Oligarchen s. die treffenden Ausführungen von McCoy, Moderates 37: ,,Alcibiades was a flashy individual with

great appeal to certain of his peers; he was wealthy and extravagant and certainly a model of emulation for reckless youths, but it is unlikely that any mature and seasoned oligarch could put complete trust in an unscrupulous and ambitious Alcibiades".

P Sealey, Revolution 120 vermutet, daß diese radikaloligarchischen Alkibiadesgegner

schon vor der zweiten Rückkehr des Peisandros im Zuge interner Machtkámpfe den bestimmenden Einfluß innerhalb der Umsturzbewegung errungen hätten, wobei möglicherweise dem Einsatz des nach Athen zurückberufenen Phrynichos die entscheidende Bedeutung zugekommen sei.

Man wird diese Hypothese insoweit akzeptieren können, als die Existenz von internen Machtkämpfen bei einer spontan entstandenen und aus heterogenen Elementen gebildeten Bewegung schon aus allgemeinen Erwägungen heraus wahrscheinlich ist. Ob die Alkibiadesgegner jedoch tatsächlich schon vor dem definitiven Ausfall des Alkibiades das Übergewicht erlangt haben, muß ungewiß bleiben, vgl. die treffende Feststellung von McCoy, Debut 175 „It is impossible to gauge how Antiphon and his associates planned to accomodate Alcibiades, except to say that when the time came, they seemed perfectly prepared and content to carry on without him". 74 Befürchtungen dieser Art scheinen jedenfalls in den Kreisen der Verschwórer auf Samos angeklungen zu sein, s. Thuk. 8,63,4: ὡς ἤδη kal κινδυνεύοντας; dazu Andrewes, HCT

V 156.

- 126 -

Die Verschwörer auf Samos hatten sich, wie wir gesehen haben (o., S. 87f.), auf die Fortführung des Krieges festgelegt; in Athen hingegen haben die Radikaloligarchen, als sie nach dem erfolgten Umsturz die Zügel in der Hand hielten, eine Verstándigung mit Sparta angestrebt, eine Politik, die wahr-

scheinlich nicht allein auf äußere Zwänge, sondern auch auf die ideologisch geprägten Wunschvorstellungen dieser Oligarchen zurückzuführen ist. Es liegt jedoch auf der Hand, daß es unter den Verfassungsreformern des Frühjahres 411 neben den Radikalen noch viele andere gegeben hat, deren Teilnahme an der Bewegung durch die von Alkibiades erweckten Hoffnungen bestimmt war. Wir dürfen wohl die Vermutung wagen, daB diese Alkibiadesanhänger zum größten Teil der gemäßigten Richtung angehört haben, jener Richtung, die sich von einem Verfassungsumschwung weniger die Verwirklichung oligarchischer Ideale als vielmehr eine zur effizienten Kriegführung geeignetere Staatsordnung erhoffte. Als Vorkämpfer und Sybolfigur jener Richtung erscheint in der späteren Überlieferung Theramenes, der Sohn des amtierenden Probulos Hagnon aus Steiria. Die Karriere des Theramenes vor 411, ja selbst sein genaues Lebensalter, 7

bleibt in unserer Überlieferung völlig im Dunklen, das früheste Zeugnis, eine Erwähnung in den wahrscheinlich 422 aufgeführten’ Poleis des Eupolis, nennt ihn im Zusammenhang mit seinem Vater Hagnon und gibt keinen Hinweis auf sein damaliges Alter oder seine Position im öffentlichen Leben

Athens." Die in der Anklagerede des Kritias bei Xenophon zu findende Bemerkung, Theramenes sei vor 411 „um seines Vaters Hagnon willen vom

Demos geehrt worden,” ist zu allgemein gehalten, um als sicherer Beleg für

eine frühe politische Karriere zu gelten.?!

Als eigenständig agierende Persönlichkeit tritt er erst im Zusammenhang mit den Umwälzungen des Jahres 411 ins Licht der Überlieferung: Thukydides

erwähnt ihn seinem Katalog der Häupter der Umsturzbewegung nur kurz an letzter Stelle, schreibt ihm aber dabei eine gewichtige Rolle zu: „Theramenes,

” Zum politischen Profil dieser auf einen Friedensschluß mit Sparta hin orientierten Strömung unter den Oligarchen vgl. Lintott, Violence 146, der wohl zu Recht feststellt, daß „they do not seem initially to have desired to betray Athens’ interests, but they thought

a little naively that Sparta would tolerate an Athens which was still powerful, provided that it was oligarchically ruled."

76 Vgl. o., S. 115 mit Anm. 30. ” Zur Frage von Theramenes' Geburtsjahr s. Schwahn, Theramenes 2305; Davies, APF, p.

228 und Ostwald, sovereignity 365.

?* So zuletzt Storey, Dating Eupolis 18-20 mit der älteren Literatur, man beachte jedoch die von Luppe, Zahl der Konkurrenten 75 Anm. 91 vorgebrachten Zweifel an der Sicherheit der Datierung.

? Bupol. fr. 251 K.-A.

9) Xen. hell. 2,3,30. ἐξ ἀρχῆς τιμώμενος ὑπὸ ToU δήμου κατὰ τὸν πατέρα "Ayvova.

51 So jedoch Andrewes, HCT V 177 (akzeptiert von Ostwald, Sovereignity 365).

-127-

Hagnons ersten"

Sohn stand in der Bewegung zum Sturze des Demos unter den (Θηραμένης ὁ τοῦ “Αγνωνος ἐν roig ξυγκαταλύουσι τὸν

δῆμον πρῶτος ἦν). Diese Einschätzung

kann jedenfalls

als Zeugnis

für eine herausgehobene

Rolle des Theramenes schon während der Vorbereitungsphase des Umsturzes gelten, und diese Einschätzung findet eine Bestätigung an der Tatsache, daß er unter der Herrschaft der Vierhundert das Strategenamt bekleidete - eine verantwortungs- und ehrenvolle Position, die dem militärisch noch nicht besonders hervorgetretenen und im Vergleich zu den übrigen Verschwörungshäuptern noch jungen Mann wohl nicht ohne besonderen Grund verliehen worden sein wird. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, daß Thukydides im Rahmen seines

Exkurses über die Häupter des Umsturzes dem Theramenes keine konkrete Aktivität

zuzuschreiben

weiß,

sondern

sich

darauf

beschränkt,

seinen

Verstand und seine Rednergabe zu loben. Damit berührt sich die Angabe des Lysias, Theramenes habe das Volk „überredet, die Verfassung der Vierhundert anzunehmen.“ (πείσας ὑμᾶς τὴν ἐπὶ τῶν τετρακοσίων πολιτείαν

ἐλέσθαυ).

Von daher liegt die Annahme nahe, daf Theramenes sich im Vorfeld des Umsturzes als Redner und Propangandist im Sinne der Verschwörer betätigt hat, eine Tátigkeit, für die ihn neben seinen von Thukydides bezeugten rheto-

rischen Fähigkeiten auch sein Ansehen beim Demos als besonders qualifiziert erscheinen lassen mußte.°° Vor diesem Hintergrund wird man die von David aufgrund der zitierten Lysiasstelle entwickelte Hypothese, daB Theramenes während der entscheidenden Versammlung auf dem Kolonos" als Befürwor-

ter des Verfassungswechsels aufgetreten ist,” grundsätzlich für durchaus möglich halten können.

Allerdings verbindet David dieses von ihm vermutete Auftreten des Theramenes mit der Hypothese einer nach der Rückkehr des Peisandros vollzogenen ? Die hier gegebene Übersetzung von πρῶτος ist sowohl im Hinblick auf den thukydideischen Kontext der Passage wie auch auf unsere sonstige Kenntnis der Verhältnisse einem wörtlichen „hatte die erste Stelle inne“ vorzuziehen, s. Andrewes,

HCT

V

178:

„This passage cannot mean that Theramenes was absolutely ‘the first’ of the revolutionaries .... this is a weak superlative, putting him high in the class to which he is assigned, but not at the top of it". Vgl. Xen. hell. 2,3,30 9 Thuk. 8 ,68,4.

*^ Im gleichen Sinne auch die Anklagerede des Kritias bei Xen. hell. 2,3,30 [Θηραμένης] προπετέστατος ἐγένετο τὴν δημοκρατίαν μεταστῆσαι εἰς τοὺς τετρακοσίους, καὶ ἐπρώτενεν ἐν ἐκείνοις. 1 Lys. 12,65 „Ken. hell. 2,3,30 (zit. o, S. 126, Anm. 80). τ᾿ dazu s. u, S. 153-164. 55 David, Theramenes' Speech 17-19.

- 128 -

Umorientierung in der Agitationslinie der Verschwörer. Den Anhaltspunkt dafür liefert ihm eine Behauptung des Theramenes in seiner von Xenophon referierten Verteidigungsrede während seines Prozesses unter den DreiBig:

„Die ... unter den Vierhundert geltende Verfassung hat der Demos selbst beschlossen, nachdem er sich hatte belehren lassen, daB die Lakedaimonier ei-

ner jeden Verfassung eher vertrauen würden als der Demokratie" (Xen. hell. 2,3,45 τὴν ... ἐπὶ τῶν τετρακοσίων πολιτείαν kal αὐτὸς δήπου ὁ δῆμος ἐψηφίσατο, διδασκόμενος ὡς οἱ Λακεδαιμόνιοι πάσῃ πολιτείᾳ μᾶλλον ἂν ἢ δημοκρατίᾳ πιστεύσειαν). Ausgehend von dieser therameneisch-xenophontischen Behauptung nimmt David an, die Verschwórer hätten, nachdem sich die Hoffnungen auf Perser-

hilfe zerschlagen hatten, die Linie ihrer Agitation umorientiert und die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung hin zur Oligarchie nunmehr dem Volk gegenüber mit eben jenen Friedensvertrags-Hoffnungen begründet, deren Nachhall uns in der Xenophonstelle erhalten sei. Theramenes selbst sei es gewesen, der dieses Argument in der Ekklesie auf dem Kolonos vorgetragen und die Versammelten überzeugt habe, daB der einzige Weg zu einem Kompromißfrieden mit Sparta über eine Verfassungsreform führe.”

Versuchen wir, diese Hypothese zu bewerten, so ist zunächst zuzugeben, daß die in der zitierten Xenophonstelle referierte Auffassung von der oligarchischen Verfassung als Friedensvoraussetzung unter den Verfassungsumstürzern

von 411 mit Sicherheit ihre Befürworter gehabt hat. Dies zeigen die von den Vierhundert gleich nach ihrer Machtergreifung angestrengten Friedensinitiati-

ven, bei denen sich das oligarchische Regime einer Argumentation bediente, die der in der obigen Xenophonstelle referierten vollinhaltlich entspricht.”

Wir haben schon gesehen, daB diese Auffassung vor allem im radikal-oligarchischen Flügel der Umsturzbewegung ihre Anhänger gehabt haben dürfte.?! Eine andere fentlichkeit ment für die Hier sind m.

Frage ist freilich, ob sie von den Verschwörern auch in der Öfvertreten oder gar, wie David meint, als hauptsächliches Argugeplante Verfassungsänderung verwendet wurde. E. Zweifel angebracht, wenn man die nicht nur im Volk, sondern

auch in den Kreisen der Hopliten und Ritterschaft verbreitete antispartanische Stimmung in Betracht zieht: Daß die Athener trotz aller Nöte und Lasten im Jahre 411 noch keineswegs so kriegsmüde waren, um für ein Friedensabkommen jeden Preis zu bezahlen, zeigt einerseits ihr entschlossener Widerstand

® David, Theramenes’ Speech 20-22.

9 Thuk.

8,70,2 πρός

τε "Ayıv τὸν

Λακεδαιμονίων

βασιλέα

... ἐπεκηρυκεύοντο,

λέγοντες διαλλαγῆναι βούλεσθαι καὶ εἰκὸς εἶναι αὐτὸν σφίσι καὶ οὐκέτι τῷ ἀπίστῳ

δήμῳ

μᾶλλον

ξνγχωρεῖν; vgl. u., S. 241.

Die Übereinstimmung dieser Stelle mit Xen.

hell. 2,3,45 betont zu Recht David, Theramenes' Speech 22 Anm. 25.

?! S. o. S. 67.70.126.

- 129-

gegen den Vorstoß des Agis im Sommer 411,” andererseits die Bereitwilligkeit, mit der während der Endphase der Vierhundert große Teile der Hoplitenschicht der gegen die angeblichen Landesverratspläne der Machthaber gerichteten Agitation des Theramenes und des Aristokrates Skelliou ihr Ohr liehen.” Angesichts dieser Stimmungslage konnte es für die Verfassungsreformer im Frühjahr jenes Jahres kaum ratsam gewesen sein, mit einer Parole an

die Öffentlichkeit zu gehen, die geeignet war, die Sache der Verfassungsreform mit dem Odium lakonistischer Sympathien, wenn nicht gar des Landesverrates zu belasten.

Wir werden es daher für wahrscheinlicher halten, daß die von Xenophon referierte Behauptung des Theramenes zwar eine in den Verschwörerkreisen

von 411

tatsächlich verbreitete, nicht aber eine im Zuge der offiziellen Agita-

tion vor dem Demos verkündete Auffassung wiedergibt.”

Damit stellt sich uns die Frage, wie Theramenes und seine Anhänger auf die

Veränderung der Lage nach dem Ausfall der Alkibiadeshoffnungen reagiert haben? Die Quellen geben auf diese Frage keine direkte Antwort, aber es steht

fest, daß Theramenes selbst an führender Stelle an den zur Einsetzung der Vierhundert führenden Aktivitäten der Verschwörer Anteil genommen hat, daß er und andere „Gemäßigte“ unter dem Regime der Vierhundert führende

Positionen bekleidet haben, und daß sie schließlich erst dann gegen die Radikalen Stellung bezogen, als Alkibiades durch seine von Samos aus gesandte Botschaft die an seine Person geknüpften Durchhalte- und Siegeshoffnungen

neu belebte.” All dies zeigt in aller Deutlichkeit, daß sich die Verfechter der ‘gemäßigten’ Richtung im Frühjahr 411 in hohem Maße bereit fanden, die von den Radikalen betriebene Politik mitzutragen.” Es scheint naheliegend,

?? Thuk. 8,71,1f., s. dazu u., S. 242 und 250. 33 Dazu s. u., S. 260f. und 270f.

?^ Daß diese Auffassung hingegen den Anschauungen der in der bei Xenophon vorausgesetzen Zuhórerschaft der Theramenesrede entsprochen hat, zeigt die betonte Verbindung von oligarchischer Verfassung und Spartatreue in der voranstehenden Rede des Krıtias

(Xen. hell. 2,3,25 und 28).

Allerdings bleibt zu fragen, ob Xen. hell. 2,3,45 überhaupt auf die authentische Rede des Theramenes und nicht vielmehr auf eine von der spüteren Entwicklung, namentlich der Konstellation des Jahres 404 (vgl. Lys. 12,74 und Ath. Pol. 34,2f.) beeinflusste Vorstellung

des Historikers zurückgeht. Die letztere Möglichkeit wird man trotz der diesbezüglichen Zweifel Davids (Theramenes’ Speech 22 m. Anm. 21f) nicht von der Hand weisen können, zumal sich in der xenophontischen Theramenesrede auch an anderer Stelle Äuße-

rungen finden, die eher zu den Anschauungen des Historikers als zu der Situation des späten 5. Jh. zu passen scheinen (2,3,39, s. dazu o., S. 22 Anm. 108). 9^ s. u., S. 260f.

?6 Daß sich Theramenes tatsächlich, wie McCoy (Moderates 65f.) annimmt, von den Radikalen über die von ihnen verfolgten Absichten täuschen ließ und erst nach der Machtergreifung der Vierhundert erkannt hätte, daß es ihnen nicht um die Schaffung einer ‘gemäßigten’ Verfassung der Mitte, sondern um die Errichtung einer engen Oligarchie ging, erscheint kaum glaublich. Vielmehr wird man annehmen, daß er über die Zielset-

- 130 -

diese Kooperationsbereitschaft zumindest teilweise auf das Scheitern des Per-

serbündnis-Konzepts zurückzuführen, das die Gemäßigten in Konfusion gestürzt haben dürfte und sie gegenüber den Radikalen, die über das Alternativkonzept der Friedensverhandlungen verfügten, in die schwüchere Position ge-

raten ließ. Was sich innerhalb der athenischen Verschwörerkreise in der Folge von Peisandros' Enthüllungen konkret abgespielt hat, muB für uns freilich mangels direkter Evidenz im Dunkeln bleiben; aus dem verfügbaren Quellenmaterial läßt sich nur soviel feststellen, daB es den Verschwörungshäuptern gelungen ist, die Einheit und Aktionsfühigkeit der Umsturzbewegung in einem Maße

zu wahren, das es ihnen erlaubte, den Sturz der Demos-Herr-

schaft rasch und zielbewußt in Angriff zu nehmen.

Der Beschluß zur Einsetzung der dreißig συγγραφεῖς und der Antrag des Kleitophon Mit der Rückkehr des Peisandros und der Klärung der Standpunkte innerhalb der oligarchischen Bewegung war der Weg frei für die formell-staatsrechtliche Umsetzung des Umsturzprogrammes. Sowohl bei Thukydides als auch in der Athenaion Politeia besteht der erste Schritt der Verfassungsänderung in der Einsetzung einer Kommission von

συγγραφεῖς zur Abfassung von Vorschlägen über die Reform der Staatsordnung. Beide Autoren stimmen weitgehend überein, was die den συγγραφεῖς gestellte Aufgabe betrifft, weichen aber im Hinblick auf die Zahl und Zusammensetzung der Kommission voneinander ab: bei Thukydides ist von zehn neu zu wählenden συγγραφεῖς αὐτοκράτορες die Rede,” in der Athenaion Politeia hingegen setzt sich die Kommission aus den zehn bereits amtierenden Probuloi und zwanzig hinzugewählten Männern, also aus insgesamt dreißig Mitgliedern, zusammen,” und von dreißig συγγραφεῖς dürfte zungen der radikalen Oligarchen durchaus im klaren war, sich aber in der Situation des

Frühjahrs 411 dennoch zur Kooperation mit ihnen, vielleicht auch zur zeitweiligen Akzeptanz ihrer Führungsrolle bereitfand. Fest steht jedenfalls, daß er sich von den 411 gemachten Erfahrungen nicht abhalten lieB, sieben Jahre spáter wieder mit den Radikalen zusam-

menzuarbeiten.

;, Thuk. 8,67,1 (zit. o., S. 95). ?* Ath. Pol. 29,2 (zit. o., S. 95). Eine von der im Text zugrunde gelegten abweichende Deutung der Phrase ἑλέσθαι μετὰ τῶν προὐπαρχόντων δέκα προβούλων ἄλλους εἴκοσι schlägt Raubitschek, Bemerkung passim vor, der darauf verweist, daß uerá-Gen. nicht mit „zusätzlich zu“ übersetzt werden könne, sondern im Sinne von „zusammen mit“ zu verstehen sei. Es sei daher in Ath. Pol. 29,2 von zwei unterschiedlichen Kategorien von

Probuloi die Rede, nämlich den zehn vorher bestehenden und den zwanzig neu zu wählenden, von denen nur die letzteren mit der Aufgabe des συγγράψειν ἃ ἂν ἡγῶνται βέλτιστα elvai τῇ πόλει betraut gewesen seien (akzeptiert von Ruzé, Deliberation 478 Anm. 25).

- 131-

auch bei den Atthidographen Androtion und Philochoros die Rede gewesen sein. Die Mehrheit der Forschung geht davon aus, daß die ouyypageis bei Thuk. 8,67,1 und Ath. Pol. 29,2 trotz dieser Abweichung in der Zahl auf ein- und dasselbe Kollegium zu beziehen seien und daB bezüglich der Zahl der Irrtum

bei Thukydides liege, der nur die Probuloi im Auge gehabt habe.'? Ältere Versuche zur Harmonisierung der beiden Berichte!” haben in der Forschung keinen Anklang gefunden, ebensowenig die Auffassung von Lang und Hackl, die, wie bereits ausgeführt (o., S. 98-101), mit der Existenz zweier zu

verschiedenen Zeiten amtierenden ouyypageis-Kollegien rechnen. In der Tat wird man angesichts der Ähnlichkeit der Grundsituationen die Differenz der Zahlenangaben hier nicht als Argument heranziehen können; was sich sonst noch an Divergenzen zwischen den Versionen des Thukydides und der

Athenaion Politeia findet, läßt sich zwanglos aus der unterschiedlichen Orientierung der beiden Autoren

erklären:

Während

der Historiker nur eine

knappe, auf das geschichtlich Wirksame beschränkte Skizze gibt, bietet die Verfassungsschrift eine ausführlichere, an den Wortlaut athenischer Volksbe-

schlüsse angelehnte Wiedergabe, die neben dem eigentlichen Antrag auch die Namen der Fürsprecher und den Zusatzantrag des Kleitophon enthält, dafür aber das nach Thukydides den συγγραφεῖς gesetzte Zeitlimit’ nicht erwähnt, da es ihr weniger darauf ankam, die staatsrechtlich relevanten Akte in das Gerüst eines historischen Geschehensablaufes einzufügen. Dem läßt sich entgegenhalten, daß sich für die Verwendung von αἱρεῖσθαι uerá-Gen. in der Bedeutung „(zusätzlich) dazu wählen“ in Thuk. 8,82,1 ein eindeutiger Beleg findet:

στρατηγόν τε αὐτὸν (sc. ᾿Αλκιβιάδην] εὐθὺς ERovro μετὰ τῶν προτέρων [sc. στρατηγῶν]. Stellen wir darüberhinaus die Tatsache in Rechnung, daß Androtion und Philochoros die Zahl der συγγραφεῖς von 411 mit 30 angegeben haben (s. d. folgende Anm.), was wohl bedeutet, daß sie das Kollegium als eine einheitliche Körperschaft angesehen haben, so scheint es gerechtfertigt, am traditionellen Verstándnis von Ath. Pol. 29,2 festzuhalten (für dieses Textverstándnis auch Rhodes, Commentary 372 und Chambers,

Aristoteles 276). ? Die beiden Atthidographen sind bei Harpokr. s. v. συγγραφεῖς im Anschluß an die im Volltext wiedergegebene Stelle Thukydides (8,67,1) zitiert: ἦσαν δὲ ol μὲν πάντες ovyypageis À' ol τότε αἱρεθέντες καθά φησιν ᾿Ανδροτίων [FGrHist 324 F 43] τε Kal Φιλόχορος [FGrHist 328 F 136], ἑκάτερος ἐν τῇ ᾿Ατθίδι- ὁ δὲ Θουκυδίδης τῶν | ἐμνημόνευσε μόνων τῶν προβούλων. Andrewes, Androtion 17 und Sordi, Scritto 3f. verweisen auf die Móglichkeit, daB sowohl Philochoros als auch die Athenaion Politeia in diesem Punkt von Androtion abhängen könnten. 100 Für die ältere Forschung, s. Busolt, Staatskunde I 70 m. Anm. 2 (mit weiterführenden Literaturangaben), für die neuere Andrewes, HCT V 1647; Rhodes, Commentary 365; Alessandri, Probuli 132 und Chambers, Aristoteles 276. !^! Costanzi, Oligarchia 88-91; Judeich, Untersuchungen 298; dagegen Busolt, Staatskunde

I 70, Anm. 2. 1 Thuk. 8,67,1 τούτους

ἡμέραν ῥητήν.

δὲ ξυγγράψαντας

γνώμην

ἐσενεγκεῖν ἐς τὸν δῆμον ἐς

- 132Wir werden daher davon auszugehen haben, daß es nur eine Kommission von

συγγραφεῖς gegeben hat, die aller Wahrscheinlichkeit nach gemäß dem Be-

richt der Athenaion Politeia dreißig Männer umfaßt hat. Die Frage, wie Thukydides zu seiner irrigen Auffassung über die Zahl der συγγραφεῖς gekommen sein kann, läßt sich aus dem uns zur Verfügung stehenden Quellen-

material nicht mit Sicherheit beantworten.'” In der Version des Thukydides erscheint der Antrag zur Einsetzung der ovyγραφεῖς als ein abgekartetes Manöver der oligarchischen Verschwórergruppe,

die ja nach Ansicht des Historikers von allem Anfang an das Heft in der Hand gehalten hatte. Die Athenaion Politeia gibt keine Angaben zu den Hintergründen, und auch ihrer Nennung des Antragstellers Pythodoros und des Befürworters Melobios läßt sich kein sicherer Hinweis entnehmen. Es besteht zwar

die Möglichkeit, daß diese beiden Männer mit Persönlichkeiten, die 404/3 am

Regime der DreiBig teilhatten, identisch sind,'°* aber selbst wenn sich dies erhärten ließe, könnte darin noch kein Beleg für ihren politischen Standpunkt im Jahre 411 liegen.!” An sich steht zu erwarten, daß man zur Propagierung verfassungsändernder Vorschläge in der Ekklesie eher angesehene und beim

Demos respektierte Männer auftreten ließ als Personen, die ultraoligarchischer Sympathien

verdächtigt werden

konnten.

? In die gleiche Richtung

109 Harpokrations Vermutung, Thukydides habe nur die Probuloi, nicht aber die zwanzig Zugewählten berücksichtigt (zit. o., S. 131 Anm. 99), fügt sich nicht recht zum Wortlaut von Thuk. 8,67,1, wo ausdrücklich von einem neu zu wáhlenden Gremium die Rede ist. Die Frage nach dem Ursprung des thukydideischen Irrtums muß daher offen bleiben.

194 Melobios wird in der Forschung weithin mit einem bei Lys. 12,19; Xen. hell. 2,3,2 und

Harpokr. s. v. MnAóBios (= Hyper. fr. 61Kenyon) genannten gleichnamigen Mitglied der Dreißig identifiziert (so bereits Kenyon, Aristotle 80; akzeptiert u. a. von Kirchner, PA 10102 und Andrewes,

HCT

V 212f.). Rhodes,

Commentary

370 macht jedoch darauf

aufmerksam, daß es im Athen des Jahres 409 einen weiteren Homonymen gegeben haben muß, jenen Melobios, der auf einer Gefallenenliste des Jahres 409 aufscheint (IG P 1191 fr. h, Z. 270). Pythodoros [Anaphlystios?] kónnte mit dem Pythodoros Polyzelou, der nach Diogenes Laertios (9,54) als Ankläger des Protagoras fungiert haben und Mitglied der Vierhundert gewesen sein soll, identisch sein, möglicherweise auch mit dem Archon eponymos der Dreißig 404/3 (s. Avery, Studies 272f., für den Archon von 404/3 Rhodes, Commentary 436 mit Belegen). (Zur Ergänzung ['AvagA]v[o]Tíou im Text der Ath. Pol. und den auf alternativen Ergänzungen beruhenden Versuchen, den Antragsteller von 411 und auch den Protagorasankläger mit dem inschriftlich genannten Pythodoros Epizelou (APF Nr. 12402) zu identifizieren, s. Rhodes, Commentary 370 und Chambers, Aristoteles 276. 105 So zu Recht Ruschenbusch, Innenpolitik 101.

106 Die auffallende Tatsache, daß hier der Hauptbefürworter eines Antrages nicht mit dem formellen Antragsteller identisch ist, erklärt Rhodes, Commentary 370 und 374 mit der

Annahme, Pythodoros sei Mitglied der Bule und als solches zur Antragstellung berechtigt gewesen, Melobios nicht. In diesem Fall hätte man wohl anzunehmen, daß Melobios ein gewisses Prestige genoß, das ihn für die Rolle des Antragsbefürworters besonders geeignet erscheinen ließ oder daß er sich durch besondere rhetorische Fähigkeiten auszeichnete, vgl. Avery, Studies 217.

- 133-

kónnte die vorgesehene Einbeziehung der Probuloi deuten, die wir uns zweifellos als hochrespektierte Bürger fortgeschrittenen Alters vorzustellen haben.'°” Die Bewertung der Bestimmung über die Zuwahl von zwanzig neuen

Mitgliedern in das ouyypageis-Kollegium hängt davon ab, wie wir uns die politische Situation vorzustellen haben. Gegen die Vorstellung eines völlig manipulierten Wahlvorganges steht das schon erwühnte Zeugnis der Polystratosrede, wo der Sprecher die in einem noch spáteren Stadium des Umsturzes erfolgte Wahl des Polystratos durch die Phyleten als einen Beweis für dessen demokratische Zuverlässigkeit anführt, was bei einer 'gelenkten' Wahl

schwer vorstellbar erscheint." Wird man demnach für die Wahl der zwanzig ouyypageis ähnliche Verhältnisse annehmen dürfen, so zeigt die ‘Karriere’ des Polystratos, daß die Verschwörer es verstanden haben, auch ein formal frei gewähltes Kollegium zum Werkzeug ihrer Wünsche zu degradieren. Die Bestimmung, wonach über den Kreis der συγγραφεῖς hinaus auch alle

übrigen Bürger berechtigt sein sollten, Vorschläge bei der Kommission einzubringen, bedeutete einen ersten Schritt in Richtung auf die Aufhebung der bisher zum Schutz der demokratischen Ordnung bestehenden Normen, die dann auf der folgenden Versammlung formell bestätigt werden sollte. Bei welchen Staatsorganen die von den Privatleuten gemachten Vorschläge eingereicht werden sollten, bei den συγγραφεῖς selbst oder der amtierenden Bule, geht aus dem Text des Psephismas, wie ihn die Ath. Pol. überliefert, nicht hervor. In Anbetracht der den συγγραφεῖς übertragenen umfassenden Aufgabenstellung wäre an sich ersteres zu erwarten, doch kann im Hinblick auf einen Parallelfall aus dem Jahr 403/2'? und auf die in der Athenaion Poli-

teia auch für das Verfassungsänderungsverfahren von 411 bezeugte zentrale

Funktion der Bule!'^ auch die letztere Möglichkeit nicht mit Sicherheit ausge-

Unter diesem Gesichtspunkt des persónlichen Ansehens hat man vielleicht doch die von

McCoy (Moderates 95 Anm. 24) vertretene Móglichkeit einer Identifizierung des Antragstellers Pythodoros mit dem bei Thuk. 5,19,2 und 24,1 als Eidesleister beim Nikiasfrieden

genannten

Namensträger

in Erwägung

zu ziehen

(gegen

diese

Möglichkeit

Andre-

wes/Lewis, Nikias 178; s. jedoch ebd. über die Friedenskommission von 421: „The Board as a whole seems to be composed of sound and trustworthy men, not specially committed

to war or peace and not the leading politicians of the time"). Freilich muß angesichts der Häufigkeit des Namens Pythodoros (s. PA 12387-12434 und Osborne/Byrne, Lexicon 386f s. v. Πυθόδωρος; Avery, Studies 270f.) jeder Versuch einer Identifikation von vornherein als äußerst hypothetisch gewertet werden.

1" s. o., S. 7 und 15f.

108 „ Heftner, Polystratos 80f. sowie o., S. 102 und u., S. 159f. !? Bs handelt sich um das sog. Teisamenos-Dekret über die nach der Wiederherstellung der Demokratie eingeleitete Gesetzesreform, wo ebenfalls dem ἰδιώτης ὁ βουλόμενος das

Recht zur Einbringung eigener Vorschläge eingeräumt wird, die bei der Bule (also nicht bei einem der damals eingerichteten Nomotheten-Kollegien) eingereicht werden sollten (And. 1,84).

! Ath. Pol. 29,4 (zit. o., S. 13 Anm. 54).

- 134 -

schlossen werden. Für die von den συγγραφεῖς selbst ausgearbeiteten Vor-

schläge jedenfalls wird man wohl annehmen dürfen, daß sie keiner Probuleu-

sis durch die Bule unterworfen sein sollten.!!'

Im Anschluß an diesen Antrag des Pythodoros referiert die Athenaion Politeia einen von Kleitophon eingebrachten Zusatzantrag, in dem inhaltliche Vorgaben für die Arbeit der συγγραφεῖς festgesetzt werden (Ath. Pol. 29,3): Κλειτοφῶν δὲ τὰ μὲν ἄλλα καθάπερ Πυθόδωρος εἶπεν, προσαναζητῆσαι δὲ τοὺς αἱρεθέντας ἔγραψεν καὶ τοὺς πατρίους νόμους οὖς Κλεισθένης ἔθηκεν ὅτε καθίστη τὴν δημοκρατίαν, ὅπως ἀκούσαντες καὶ τούτων βουλεύσωνται τὸ ἄριστον,

ὡς

οὐ

δημοτικὴν

ἀλλὰ

παραπλησίαν

οὖσαν

τὴν

KAceıadtvous

πολιτείαν τῇ Σόλωνος. „Kleitophon schloß sich in allem übrigen dem Antrag des Pythodoros an, beantragte aber, die Gewühlten (d. ἢ. die συγγραφεῖς) sollten insbesondere auch den altererbten Gesetzen nachspüren, die Kleisthenes gegeben habe, als er die Demokratie errichtete, damit sie auch diese beachteten und so das Beste raten würden, da die Verfassung des Kleisthenes nicht volksfreundlich, sondern der des Solon ähnlich gewesen sei“.

Dieser Zusatzantrag des Kleitophon ist in der Forschung sehr kontrovers

gedeutet worden.

Schon die grundlegende Frage nach der Authentizität des Antrages ist nicht völlig unumstritten: Während die Mehrheit der Forschung das in Ath. Pol. 29,3 referierte Dokument als einen tatsächlich im Zuge der Debatten von 411 von Kleitophon eingebrachten Antrag akzeptiert, möchte Sordi in der Erwäh-

nung des Kleisthenes einen Anachronismus erkennen, da ihrer Meinung nach die Vorstellung von Kleisthenes als einem „gemäßigten“ Verfassungsgeber mit den für das Jahr 411 vorauszusetzenden Anschauungen über Athens Vergangenheit unvereinbar sei, sich aber sehr wohl in den Kontext der πάτριος

TooÀrre(a-Propaganda der „Gemäßigten“ des 4. Jh. füge. Der KleitophonAntrag sei daher als Erfindung einer von dieser Propaganda beeinflußten

historiographischen Richtung zu verstehen.!?

Dieser radikalen Skepsis läßt sich jedoch einerseits entgegenhalten, daß wir über die im Jahre 411 gängigen verfassungsgeschichtlichen Vorstellungen

nicht genug wissen, um eine Berufung auf Kleisthenes a priori für unhistorisch halten zu dürfen. Daß im zeitlichen Umfeld von 411 die im frühen 5. Jh. geltende Verfassung als Vorbild für eine allfällige Neuordnung ernsthaft diskutiert wurde, ist durch ein unter dem Namen des Thrasymachos überliefertes 111

Darauf deutet die Bezeichnung συγγραφεῖς αὐτοκράτορες bei Thuk. 8,67,1, s. Kuberka, Beiträge 344; Andrewes, HCT V 165; Chambers, Aristoteles 277. Der gegentei-

ligen Ansicht von Kahrstedt, Staatsstreich 241 ist von v. Mess, Aristoteles! ᾿Αθηναίων πολιτεία 370 Anm. 3 überzeugend widersprochen worden.

112 Rür einen guten kritischen Überblick über die ältere Forschung s. Bibauw, L' amende-

ment 468-474.

!? Sordi, Scritto 11f.

- 135-

Fragment "' bezeugt, und die Annahme liegt nahe, daß man im öffentlichen Diskurs jene Ordnung mit dem Namen des Demokratiestifters Kleisthenes zu verbinden pflegte.!'?

Darüberhinaus würe zu fragen, welchen Sinn die Erfindung des KleitophonAntrags gehabt haben solle, da dieser ja, wie sich aus dem Bericht der Ath. Pol. selbst ergibt, für den weiteren Fortgang der Ereignisse offensichtlich keinerlei Bedeutung gehabt hat.!'^ Allenfalls könnte man an einen Versuch der Reinwaschung des „gemäßigten“ Flügels der Verschwórer von 411 denken, aber in diesem Fall bliebe es unerklärlich, weshalb ein späterer Fülscher nicht dessen prominenten Vorkämpfer Theramenes, sondern den vergleichsweise

unbekannten Kleitophon zum Antragsteller gemacht haben sollte. Es scheint daher gerechtfertigt, an der Historizitát des in Ath. Pol. 29,3 refe-

rierten Geschehens festzuhalten und somit davon auszugehen, daf im Zuge der Verfassungsdebatte von 411 tatsächlich ein Mann namens Kleitophon den Antrag gestellt hat, bei der Ausarbeitung verfassungsändernder Vorschläge die νόμοι des Kleisthenes zu berücksichtigen. Damit bleibt uns jedoch das Problem, eine Erklärung für die Hintergründe dieses Schrittes und die Intentionen des Antragstellers zu finden. Die intensiven Bemühungen der Forschung sind hinsichtlich dieser Fragen zu

stark divergierenden Ergebnissen gelangt: Während die eine Interpretationsrichtung in Kleitophon einen gemäßigten Demokraten oder einen Anhünger des therameneischen Mittelweges erkennen will, der in der Verfassung des Kleisthenes tatsáchlich das Vorbild für eine

reformierte Demokratie bzw. eine Hoplitenpoliteia gesucht habe,!!” betrachtet die andere seinen Antrag als in der einen oder anderen Form pro-oligarchisch

motiviert, als zynisches Propagandastück zur Besänftigung der im Demos

us VS 85 B 1, s. dazu u., S. 138f. ! Wenn Sordi, Scritto 10 geltend macht, die im Thrasymachos-Fragment ins Auge gefaßte πάτριος πολιτεία sei nicht auf die Zeit des Kleisthenes, sondern auf die Zeit der

Vorherrschaft des Areopags in den Siebziger- und -Sechzigerjahren des 5. Jh. zu beziehen (ähnlich Lehmann, Oligarchische Herrschaft 44 Anm.49), so stellt sich die Frage, ob man sich Ende des 5. Jh. eines Unterschiedes zwischen diesen beiden Epochen überhaupt bewußt war, der Autor von VS 85 B 1 scheint jedenfalls von einem einheitlichen πάτριος ToArrea-Begriff auszugehen. € Die in Ath. Pol. 29,4f. referierten Vorschläge der συγγραφεῖς können nicht als Ergebnis eines Rückgriffes auf kleisthenische νόμοι verstanden worden sein, da sie sich in ihrem

Kernpunkt, der Beschränkung des Stimmrechts auf die δυνατώτατοι Kal τοῖς σώμασιν καὶ rois χρήμασιν λῃτουργεῖν, nicht nur von der tatsächlichen Ordnung des Kleisthenes,

sondern auch von den Vorstellungen, die man sich unter den Gemäßigten des 4. Jh. davon machte, unterscheiden (man vgl. Isokr. 7,26f., wo der gesamte Demos als Träger der Souveränität im Staate anerkannt wird; dazu Hefiner, Ps.-Andokides 92f. m. Anm. 90). 17 Wilamowitz AuA I 102, Anm. 8; Foucart, Sophocle 6; von den neueren Autoren scheint Witte (Demosthenes 23£) in diese Richtung zu tendieren.

- 136-

verbreiteten Ängste,''® oder als einen Versuch, die kleisthenische Verfassung

durch die solonische zu ersetzen.'?

Aus dem Rahmen dieser hauptsáchlichen Interpretationsrichtungen fallen die Deutungen von Wade-Gery, demzufolge die von Kleitophon beantragte προσαναζήτησις nicht auf den Gehalt der kleisthenischen Reformen, sondern nur auf das von dem Verfassungsgeber befolgte Verfahren abgezielt hätte,'?? die Vermutung Munros, Kleitophon habe nicht die endgültige Verfassung des

Kleisthenes,

sondern

einen

hypothetischen

Gesetzgebers im Auge gehabt,'

Vorläuferentwurf

desselben

und die Auffassung von Walters, wonach

Kleitophon die συγγραφεῖς verpflichten wollte, zu untersuchen, „ob die oligarchischen Pláne zur Verfassungsánderung die bestehenden demokratischen

Gesetze verletzen würden.“'?

Naturgemäß kommt dem Antrag des Kleitophon darüberhinaus auch für die

Frage nach der im Jahre 411 gängigen Vorstellung von Kleisthenes’ Verfassungswerk und für die Patrios-Politeia-Problematik überhaupt wesentliche Bedeutung zu!? - eine Fragestellung, auf die wir hier jedoch nur insoweit eingehen kónnen, als sie unser Thema, die politische Zielrichtung des Kleito-

phon-Antrages im Kontext der 411 gegebenen Situation, betrifft. Jeder Versuch zur politischen Bewertung des Kleitophon-Antrages wird sinnvollerweise von der in der Athenaion Politeia selbst gegebenen Begründung „weil die Verfassung des Kleisthenes nicht [radikal]demokratisch war, sondern der des Solon ähnlich gewesen sei" auszugehen haben. Die überwiegende Mehrheit der Forschung nimmt an, daß diese Begründung nicht als Bestandteil des Antrages selbst, sondern als Erklärungsversuch des Autors der

Verfassungsschrift bzw. seines Gewährsmannes zu verstehen ist, als eine Erklärung, die möglicherweise das sachlich Richtige trifft,'** aber nicht auf genuiner Überlieferung, sondern auf einer Kombination des berichtenden Autors beruht.'?

"15 Hignett, HAC 130; Mossé, Le theme 83; Bearzot, Teramene 210; vgl. Andrewes, HCT V, 215f. Zweifel an der Aufrichtigkeit des kleitophontischen Antrages äußerte bereits Ledl, Studien 24. 1? Rohrmoser, Einsetzung 323, Anm. 4. 120 Wade-Gery, Laws of Kleisthenes 141f.

12! Munro, Ancestral Laws 84.96f.

m Walters, Ancestral Constitution 136.

12 s. Ruschenbusch, TIATPIOZ TIOAITEIA; Cecchin, Πάτριος πολιτεία passim (dazu

die Rez. von Ruschenbusch, Gnomon 44, 1972, 312f.); Walters, Ancestral Laws und ders., Ancestral Constitution passim; Finley, Ancestral Constitution; Mossé, Le theme passim; Witte, Demosthenes 19-40.

124 Rhodes, Commentary 377.

5 Wilamowitz AuA I 102 m. Anm. 8; Wade-Gery, Laws of Kleisthenes 140f.; Jacoby, Atthis 384, Anm. 30 (vgl. FGrHist IIIb Suppl. II 91 Anm. 86); Chambers, Aristoteles 278. Die Gegenposition vertreten Fuks, Ancestral Constitution 6f, der in dem ws ... τῇ Σόλωνος die authentische Motivation des kleitophontischen Antrages erkennen möchte,

- 137 -

Der Text des Antrages selbst hingegen weist in seinem Wortlaut Berührungspunkte mit der Formelsprache athenischer Dekrete auf und erweckt daher den

Eindruck der Authentizität.'*°

Die Diskussion um das Verständnis des Antragstextes konzentriert sich auf die Bedeutung des Schlüsselverbums προσαναζητεῖν, das in dieser Form (als

Doppelkompositum) ein hapax legomenon darstellt und teils im Sinne von ‘suchen’, “ausfindig machen’, teils im Sinne von ‘konsultieren’ verstanden wird." Der erstgenannten Deutung zufolge hätte Kleitophon die συγγραφεῖς aufgefordert, die (nicht mehr bekannten) Gesetze des Kleisthenes ausfindig zu

machen, nach der zweitgenannten hätten sie die als bekannt oder zumindest zugänglich vorausgesetzten Gesetze bei der Erstellung ihrer eigenen Vorschläge konsultieren sollen. Von der Sachkritik her läßt sich weder die eine noch die andere Möglichkeit

mit Sicherheit ausschließen. Zwar scheinen die im Zuge der 410/09 begonne-

nen Neukodifikation des athenischen Rechts aufgetretenen Unklarheiten!”

gegen die Vorstellung eines problemlosen Zugangs zu den Originaltexten der

kleisthenischen Gesetzgebung zu sprechen, doch setzt andererseits gerade die Tatsache, daß man diesen Kodifikationsversuch überhaupt initiierte, die Überzeugung von der Möglichkeit einer (Wieder-)Auffindung der alten Gesetzesnormen voraus.

Den entscheidenden Hinweis zum Verstündnis der in der Athenaion Politeia gegebenen Begründung des Kleitophon-Antrages bietet der Vergleich mit den im selben Werk gebotenen Ausführungen über die politische Konstellation und Cecchin, Πάτριος

πολιτεία

30, Anm.

1. Sordi, Scritto 12 nimmt die erklärende

Phrase als Beleg für ihre These, daß es sich bei dem gesamten Kleitophon-Antrag um eine Fälschung des 4. Jh. handle (s. o., S. 134f.).

126 Andrewes, HCT V 215 und Rhodes, Commentary 375.

# Für ‘suchen’ u. a. Fuks, Ancestral Constitution 5f. und Levi, L’ Areopagitico 86; für *konsultieren’ Andrewes, HCT V 214f., Rhodes, Commentary 376 mag mit seiner Vermu-

tung „that in itself the word may bear either meaning‘ das Richtige treffen. Walters, Ancestral Constitution 136f. und 143 Anm. 40 möchte das Doppelkompositum durch die Annahme erklären, es sei in dem vorangegangenen Antrag des Pythodoros ein Verweis auf die Gesetze Drakons und Solons enthalten gewesen; dies habe Kleitophon zu

der Forderung veranlaßt, man möge nicht nur die νόμοι dieser frühen Gesetzgeber, sondern zusätzlich auch jene des Kleisthenes konsultieren (daher προσαναζητεῖν). Walters’ Erklärung wirkt an sich ansprechend, kann aber angesichts der Tatsache, daß die Athenaion Politeia keinerlei Hinweis auf die vermutete Erwähnung der drakontischen/solonischen Gesetze im Antrag des Pythodoros bietet, nicht als wahrscheinlich angesehen werden. Wenn man das erste Glied von προσαναζητεῖν mit Walters im Sinne von „zusätzlich zu" verstehen möchte,

so kann man

dieses ,zusátzlich" ebensogut auf die

Gesamtheit der nach Ath. Pol. 29,2 einzureichenden Vorschláge beziehen.

128 Yys. 30, 2-4; vgl. And. 1,82-87 und IG P? 104 und 105; zu der Sammel- und Revisions-

arbeit der Jahre 410-404 allgemein s. Rhodes, Commentary 441 und dens., Code of Laws 87-93, Clinton, Nature passim und Robertson, Laws 52-60. (H. Hansen, Aspects of the

Athenian Law Code 410-399 B.C., New York 1990 war mir leider nicht zugánglich).

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des Jahres 404: Dort findet sich Kleitophon neben Theramenes und anderen als einer der Anführer derjenigen genannt, die „nach der altüberkommenen Verfassung strebten" (τὴν πάτριον πολιτείαν ἐζήτουν), eine Richtung, die im Kontext der Stelle sowohl von den Demokraten (oi δημοτικοί) als auch von den Oligarchen (οἱ γνώριμοι) unterschieden wird, also offenbar als eine

Art Mittelpartei gedacht ist. schen δῆμος

und γνώριμοι

Nun war aber diese Position in der Mitte zwi-

nach dem Urteil der Athenaion Politeia auch

schon für das Gesetzeswerk des Solon charakteristisch gewesen. Wenn also Verfasser der Athenaion Politeia, wie es hiernach den Anschein hat, Kleito-

phon zu den geistigen Erben Solons zählte, so mußte ihm dessen Eintreten für die Verfassung des Kleisthenes (die in Ath. Pol. 22,1 als δημοτικωτέρα πολὺ τῆς Σόλωνος bezeichnet wird) verwunderlich erscheinen. Seine Anga-

be, Kleitophon habe die Verfassung des Kleisthenes für der solonischen ähnlich gehalten - eine Vorstellung, die dem vierten Jahrhundert geläufig war!?! - ist daher wohl als ein Versuch zu verstehen, den 29,3 berichteten Antrag mit dem 34,3 kolportierten Bild von Kleitophon als einem Vorkämpfer der πάτριος πολιτεία zu vereinen - eine Erklärung, die allerdings voraussetzte, daB Kleitophon sich bei seiner Antragstellung 411 von einer irrigen

Einschätzung der kleisthenischen Verfassung hatte leiten lassen.!? Wir gewinnen damit die Erkenntnis, daß Kleitophon nach Meinung

des

Autors der Athenaion Politeia selbst keine genaue Kenntnis vom Inhalt der kleisthenischen Gesetze hatte. Man wird dieses Zeugnis eines Autors, der

vielleicht selbst noch Zugang zum Originaltext des Antrages hatte, in jedem Falle aber auf einer vom originalen Text ausgehenden Tradition fuBt, wohl als ein gewichtiges, wenn auch nicht absolut zwingendes Indiz für die Deutung

von προσαναζητεῖν im Sinne von ‘suchen’, ‘aufsuchen’ bewerten dürfen. Hier ist nun ein weiteres Zeugnis von Belang: Unter dem Namen des Sophisten Thrasymachos von Chalkedon ist uns ein Fragment aus einer Staatsrede erhalten, in welcher der Sprecher die Wiederherstellung der πάτριος πολιτεία fordert, die „leicht zu erkennen und allen Bürgern gemeinsam“ sei. Die Kenntnis dieser Verfassung könne man teils aus den Erzählungen über die Vergangenheit, teils aus der eigenen Erfahrung der älteren Generation erlan-

12? Ath. Pol. 34,3. 130 Ath. Pol. 11,2 I3! s. etwa Isokr. 7,16. 132 Anders Walters, Ancestral Constitution 136 und Bearzot, Teramene 210, die in dem Widerspruch zwischen der cos .,, 26Awvos-Klausel von Ath. Pol. 29,3 mit dem Urteil

über die kleisthenische Verfassung

in Ath.

Pol. 22,1

einen Beweis

dafür erkennen

möchten, daß die Klausel nicht vom Verfasser der Ath. Pol. stammen könne. Der Widerspruch läßt sich jedoch lösen, wenn man berücksichtigt, daß es sich in Ath. Pol. 22,1 um das eigene Urteil des Autors handelt, in 29,3 um eine von ihm dem Kleitophon unterstellte

Auffassung. Für weitere Forschungsmeinungen zur 136f. Anm. 124 und 125.

ὡς .. 26Awvos-Klausel s. o., S.

- 139 -

gen.'”? Aus der letztgenannten Passage ergibt sich, daB hier unter der πάτριος πολιτεία die im frühen 5. Jh. gültige Verfassung gemeint sein soll.'** Wenn nun im Thrasymachos-Fragment die λόγοι τῶν παλαιοτέρων und die Erzählungen der πρεσβύτεροι als Erkenntnisquelle für die Verfassungszustánde jener Zeit genannt sind, so ist damit vorausgesetzt, daB diejenigen Quellen, von denen sich die klarste und eindeutigste Auskunft darüber erwar-

ten ließe, nämlich die originalen Gesetzestexte, nicht zur Verfügung stehen würden. Zieht man darüberhinaus noch in Betracht, daß Thrasymachos, der

angebliche Verfasser dieses wahrscheinlich aus der Periode von 411-404 stammenden'” Textes, in der Überlieferung mit einem Kleitophon in Verbin-

dung gebracht wird, den wir wohl mit dem Antragsteller von 411 identifizie-

ren dürfen,'” so spricht alles dafür, den in Ath. Pol. 29,3 überlieferten Antrag 133 Diels, VS 85 B 1. 1* So zu Recht Cecchin, Πάτριος πολιτεία

19. Die von White, Thrasymachus 309-318

vorgebrachte Vermutung, daß das Fragment einer Rede entstamme, die Thrasymachos 407 als Gesandter seiner Heimatstadt Chalkedon gehalten habe, und sich daher gar nicht auf athenische Zustände beziehe, ist von Yunis, Thrasymachus B 1, 58-64 überzeugend wider-

legt worden. Zur Deutung von VS 85 B 1 im Kontext der sonstigen Überlieferung über os s. Hoffmann, Recht 93-95 mit der älteren Literatur.

135 Zu dieser Datierung des Thrasymachos-Fragments s. Fuks, Ancestral Constitution 103f., akzeptiert u. a. von Natalicchio, Revisione legislativa 85 Anm. 9. Die alternative Auffassung von Wallace, Areopagus 135-139, der das Fragment nicht in

das Umfeld des Umsturzes von 411, sondern erst in den Kontext der Verfassungsdebatten

von 403 setzen möchte, verträgt sich nicht mit den einleitenden Äußerungen des Sprechers über die gegenwärtige Lage des Staates: ... kal ἀντὶ μὲν εἰρήνης ἐν πολέμῳ γενέσθαι καὶ διὰ κινδύνων (ἐλθεῖν) εἰς τόνδε τὸν χρόνον, ..... ἀντὶ δ᾽ ὁμονοίας εἰς ἔχθραν καὶ ταραχὰς πρὸς ἀλλήλους ἀφικέσθαι. Diese Passage ist in der Forschung wohl zu Recht

als Indiz für die Datierung des Fragments in die Zeit des Dekeleischen Krieges gewertet worden. Wenn Wallace a. O. 137 demgegenüber geltend macht, Thrasymachos sage lediglich, „that Athens has been at war: he does not make clear whether or not Athens was still

at war", so wird man dies im Hinblick auf die Struktur der Passage in Zweifel ziehen dürfen: Thrasymachos parallelisiert die Kriegsnot (ἐν πολέμῳ ... διὰ κινδύνων) mit der innenpolitischen Unruhe (εἰς ἔχθραν kal ταραχὰς πρὸς ἀλλήλους) in einer Weise, die dem unbefangenen Leser den Gedanken an eine Gleichzeitigkeit dieser Umstünde nahe-

legt. Da es keinen Zweifel geben kann, daß für den Sprecher des Fragments die ἔχθρα und die Tapaxaí kein Ding der Vergangenheit sind, wird man gleiches auch für den Kriegszustand annehmen müssen. Es scheint daher geraten, an der traditionellen Datierung des Fragments festzuhalten. P$ Der Antragsteller von 411 ist nach allgemeiner Ansicht (Rhodes, Comm. 375) wohl mit jenem Kleitophon identisch, der sich in dem nach ihm benannten platonischen Dialog mit der Absicht trágt, den Kreis des Sokrates zu verlassen und sich dem Thrasymachos anzuschließen (406a), vgl. auch rep. 340a. (zur Identitütsfrage s. jetzt Slings, Clitophon 56-58

mit der älteren Literatur). Die auffällige Übereinstimmung zwischen dem Programm des Kleitophon von 411 und dem Fragment des Thrasymachos bemerkte schon Stenzel, Kleitophon 661; vgl Moulakis, Homonoia 68f. Diese Übereinstimmung bliebe auch dann signifikant, wenn man das Thrasymachos-Fragment mit Wallace erst in die Krisenjahre 404/3 setzen wollte (s. die vorige Anm.) oder es mit Yunis (Thrasymachus B 1, 64-66) als ein Stück bloBer Rhetorik verstehen wollte, da

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als eine Aufforderung zur Suche bzw. Rekonstruktion der realen kleisthenischen Verfassung im Sinne des Thrasymachos-Fragments zu verstehen.

Im Lichte dieser Erkenntnis muß nun aber die praktische Umsetzung des kleitophontischen Antrages als von vornherein fragwürdig erscheinen: Wenn die kleisthenischen Gesetze nicht in leicht zugänglicher Form verfügbar waren, wie konnte Kleitophon dann allen Ernstes verlangen, daB die ouyypa-

φεῖς, denen für ihre Tätigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach nur eine be-

grenzte Zeitspanne zur Verfügung stand," in ihrem Verfassungsentwurf diese nur nach zeitraubender Sucharbeit zu rekonstruierenden Gesetzesnormen berücksichtigen sollten? Der am ehesten gangbare Weg zur Lósung dieser Schwierigkeit besteht m. E. darin, sich die Auffassung jener Autoren zu eigen zu machen, die in dem An-

trag des Kleitophon in erster Linie ein propagandistisch motiviertes Manóver erkennen wollen. Offen bleibt dann allerdings immer noch die in der Forschung unterschiedlich beantwortete Frage, welchen konkreten Propagandazweck Kleitophon mit diesem Manóver verfolgt hat? Der Annahme von Hignett und Bearzot zufolge ging es Kleitophon darum, der von seinen Gesinnungsgenossen propagierten oligarchischen Verfassungsünderung in den Augen des Volkes einen demokratischen Anstrich zu geben,

indem er sie als Rückkehr zur Verfassung des Kleisthenes präsentierte. Aber ein solches Manöver hätte nur dann Sinn machen können, wenn erstens die

allgemeine Vorstellung von der Staatsordnung des Kleisthenes so vage und unbestimmt war, daß sich das Volk eine oligarchische Verfassung als auf

Kleisthenes zurückgehend hätte einreden lassen, und zweitens Kleitophon annehmen konnte, daß die (zum Zeitpunkt seines Antrages noch gar nicht gewählten!) ouyypageis das Spiel mitspielen und oligarchisch gefärbte

νόμοι wider besseres Wissen vor dem Volk als kleisthenisch präsentieren würden.

Beide Voraussetzungen sind nicht völlig auszuschließen, müssen aber meines Erachtens als höchst unwahrscheinlich gewertet werden. Gegen die erstgenannte von ihnen spricht m. E. das ὅτε καθίστη τὴν δημοκρατίαν im Wortlaut des Antrages, das klar zeigt, daß man sich im Jahre 411 die kleis-

thenische Ordnung bei aller Ungewißheit bezüglich der Einzelheiten als eine Form der Demokratie vorstellte. Es fällt schwer zu glauben, daß sich die Athener hátten überzeugen lassen, eine Ordnung, in der die Volksversamm-

lung durch eine Körperschaft der δυνατώτατοι kal τοῖς σώμασιν καὶ τοῖς

uns nichts daran hindert, das in dem Text zutage tretende Verständnis der πάτριος πολιτεία bereits für den Kleitophon von 411 anzunehmen. 137 Vgl. Thuk. 8,67,1 ἐς ἡμέραν ῥητήν. Diese zeitliche Beschränkung wird im Parallelbericht der Athenaion Politeia nicht erwähnt, ist aber wohl dennoch als historisch zu betrachten, vgl. o., S. 131f.

- 141 -

χρήμασιν λῃτουργεῖν ersetzt werden sollte,'”® als authentisch kleisthenisch zu akzeptieren. Vielleicht kommen wir der Lösung des Rätsels näher, wenn wir uns nochmals

die politische Situation, wie sie sich im Augenblick des kleitophontischen Antrages darstellte, vor Augen halten. Der Antrag des Pythodoros hatte den ersten formellen Schritt in Richtung auf eine Änderung der Verfassung gesetzt, aber noch keine inhaltlichen Vorgaben dafür festgesetzt, sondern im Gegenteil die Berücksichtigung aller Vorschläge vorgesehen. Die Kompetenz zur Ausarbeitung konkreter Entwürfe lag nun bei den zu bestellenden συγγραφεῖς. Aber wenn diese auch formal in ihren Entscheidungen frei waren, unter allen Vorschlägen zu wählen, so mußte es schon im Hinblick auf

die vorangegangene

intensive und wirkungsvolle Agitationskampagne

der

Hetairien"? als wahrscheinlich gelten, daß ihre Entwürfe eine deutlich oligar-

chische Handschrift tragen würden. Wenn nun in dieser Situation Kleitophon einen Zusatzantrag einbrachte, der

den συγγραφεῖς die als demokratisch verstandene Verfassung des Kleisthenes als móglichen Modellfall anempfahl, so konnte dies kaum anders gewertet werden denn als ein Versuch, dem zu erwartenden Verfassungsentwurf der

συγγραφεῖς eine bestimmte Richtung, oder besser gesagt, eine Grenze vorzugeben: Die συγγραφεῖς sollten sich - so die in Kleitophons Antrag unterschwellig enthaltene Botschaft - mit ihren Entwürfen im Rahmen dessen halten, was als demokratisch verstanden werden konnte. Eine solche Bot-

schaft mußte denjenigen, die zwar die Notwendigkeit des μὴ τὸν αὐτὸν

τρόπον δημοκρατεῖσθαι, nicht aber den Gedanken an eine Oligarchie im eigentlichen Sinn akzeptierten, ebenso angenehm in den Ohren klingen wie den Demokraten, die angesichts der herandrángenden oligarchischen Hochflut

Schlimmeres zu befürchten hatten als eine Rückkehr zum Status der kleisthenischen Zeit. Beiden Gruppen bot Kleitophon mit seinem Antrag die Chance, ein demonstratives Votum gegen eine allzu weitgehende Oligarchisierung und für die Bewahrung der demokratischen Grundlagen des Staates abzugeben.

3* Ath. Pol. 29,5, zit. o., S. 95. 5 Thuk. 8,65,2-66,5, dazu o., S. 109-114. 14 Thuk. 8,53,1, dazu o., S. 63f. und 116. Daß die Phrase eine Modifikation der Demokra-

tie, nicht aber ihre Abschaffung impliziert, betont zu Recht Fuks, Ancestral Constitution 4f.

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Der Beschluß zur Einsetzung der Fünftausend Sowohl Thukydides als auch die Athenaion Politeia bestätigen, daß die συγγραφεῖς (d. ἢ. die zwanzig zu den amtierenden Probuloi hinzuzuwählenden) bestellt wurden, daß sie ihre Tätigkeit aufnahmen und in einer Ekklesie vor das Volk traten. Ob ihre Wahl gleich im Anschluß an Pythodoros’ und Kleitophons Antrag noch auf derselben Volksversammlung erfolgte, wird von unseren beiden Autoren nicht berichtet, ebenso wenig die Dauer der Zeitspanne zwischen ihrer Einsetzung und ihrem in Ath. Pol. 29,4f. beschriebenen

Auftritt in der Ekklesie. Wir können nur vermuten, daß diese Zeitspanne trotz des Umfangs der den ouyypageis gestellten Aufgabe nicht allzu groß bemes-

sen war; die Umstände und die allgemeine Erwartung müssen gleichermaßen auf eine rasche Entscheidung der schwebenden Verfassungsproblematik gedrängt haben. Als die συγγραφεῖς wieder vor das Volk traten, setzten sie zunächst nach dem übereinstimmenden Bericht des Thukydides und der Athenaion Politeia alle Gesetzesbestimmungen außer Kraft, die eine Möglichkeit zur Klageerhebung wegen des Einbringens eines mit der geltenden Ordnung unvereinbaren

Antrages in der Volksversammlung boten,"

und belegten alle Versuche, auf-

grund dieser Bestimmungen gegen einen Antragsteller Anklage zu erheben oder ihn sonstwie zu schádigen, mit schweren Strafen: , Wenn aber einer auf-

grund eines derartigen Rechtstitels [jemanden] mit einer Buße belege oder anklage oder ins Gefängnis führe, solle man ihn den Strategen vorführen und

anzeigen; diese sollten ihn den Elfmännern zur Hinrichtung übergeben." In der von dem Wissen um die Folgeereignisse bestimmten Perspektive der

Athener späterer Generationen hat sich die Aufhebung der γραφὴ παρανόμων als der entscheidende Schritt hin zur oligarchischen Gewaltherr-

schaft dargestellt.' Im Kontext der zur Zeit der in Ath. Pol. 29,4f. beschrie-

benen Ekklesie gegebenen Situation betrachtet, scheint jedoch eine andere

Bewertung näher zu liegen: Gerade die Tatsache, daß die συγγραφεῖς eine formelle Aufhebung der bestehenden 'Verfassungsschutznormen' für erforderlich hielten, vor allem aber die drakonischen Strafen, mit denen jeder Ver-

such der Anwendung

dieser Normen

bedroht wurde,

zeigen deutlich, wie

wenig sicher man sich in den Kreisen der Verfassungsreformer im Hinblick auf die Stimmung der Volksmassen fühlte; auf die Mitwirkung der in Athen ^! Zur γραφὴ παρανόμων und verwandten Gesetzesbestimmungen s. allgemein Wolff, „Normenkontrolle“ passim; Nippel, Mischverfassungstheone 77f. Anm. 9; Bleicken, Ver-

fassungsschutz 390f.; Hansen, Athenian Democracy 205-212.

14? Ath. Pol. 29,4; vgl. die Parallelstelle Thuk. 8,67,2; (beide Stellen zit. o., S. 951).

1? Demosth. 24,154 ἀκούω δ᾽ ἔγωγε kal τὸ πρότερον οὕτω καταλυθῆναι τὴν δημοkpatiav, παρανόμων πρῶτον γραφῶν καταλυθεισῶν καὶ τῶν δικαστηρίων ἀκύρων γενομένων; Aischin. 3,191 EvauAov γὰρ ἦν ἔτι τότε πᾶσιν. ὅτι τηνικαῦτα ὁ δῆμος κατελύθη, ἐπειδή τινες τὰς γραφὰς τῶν παρανόμων ἀνεῖλον.

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befindlichen Strategen hingegen glaubte man sich, wie die Anordnung über die Behandlung eventueller Stórer des Reformprozesses zeigt, verlassen zu kónnen.'^ Stimmen die Berichte des Thukydides und der Athenaion Politeia betreffs der Aufhebung der γραφὴ παρανόμων im wesentlichen überein, so werden in

der Darstellung der im AnschluB an diese Regelung getroffenen MaBnahmen die Differenzen zwischen den beiden Quellen offenkundig: Während die Verfassungsschrift Bestimmungen über die Bildung eines Gremiums der Fünftausend bietet, findet sich bei dem Historiker neben knappen Andeutungen über eingebrachte Vorschläge zur Verfassungsreform im allgemeinen und zur Abschaffung der Ämterbesoldung im besonderen nur ein Antrag des Peisandros im Detail wiedergegeben, demzufolge ein Rat aus vierhundert Männern einzusetzen sei. Im thukydideischen Referat dieses Antrages werden die Fünftau-

send en passant in einer Weise erwähnt, die die Existenz dieses Gremiums oder zumindest eines definitiven Beschlusses über seine Schaffung vorauszusetzen scheint.!* Wir haben bereits festgestellt, daß die Position der communis opinio, die trotz

dieser Divergenzen die Versammlung auf dem Kolonos bei Thuk. 8,67,2f. für mit der in Ath. Pol. 29,4f. beschriebenen identisch hält, durchaus zweifelhaft

ist.' Wir werden daher im folgenden gemäß dem oben (S. 103f.) skizzierten Schema davon ausgehen, daß es sich um zwei voneinander zu unterscheidende Ekklesien gehandelt hat, von denen die in der Athenaion Politeia beschriebene als die frühere, die thukydideische Kolonosversammlung als die spätere anzusehen ist. Betrachten wir die Berichte des Thukydides und der Athenaion Politeia unter diesen Vorzeichen, so findet das Problem der divergierenden Angaben über Inhalt und Antragsteller der in Thuk. 8,67,3 und Ath. Pol. 29,5 geschilderten

Volksbeschiüsse von selbst eine Lösung, offen bleibt jedoch noch der Wider-

spruch zwischen Thukydides’ Angabe, die συγγραφεῖς hätten sich darauf beschränkt, die γραφὴ παρανόμων aufzuheben, aber keine eigenen Verfassungsvorschläge

vorgelegt,

und

der

Rolle

desselben

Kollegiums

in

der

Athenaion Politeia, wo ihnen die Urheberschaft an dem Antrag zur Einsetzung

der Fünftausend zugeschrieben wird.'*

!^ Ath. Pol. 29,4 (zit. o., S. 95f.). Nach Rhodes, Commentary 379 ist daneben auch an die Möglichkeit zu denken, daB der Antrag, die Strategen mit dem Vollzug der Maßnahmen gegen die Opponenten des Umsturzes zu betrauen, auch auf die Absicht „to heighten the sense of crisis" zurückzuführen sein kónnte. 3 Thuk. 8,67,3 die Vierhundert sollten nach dem Antrag des Peisandros τοὺς πεντα-

κισχιλίους δὲ ξυλλέγειν ὁπόταν αὐτοῖς δοκῇ (für das Vollzitat s. o., S. 952; vgl. u., S. 173 Anm. 255). 146 s. 0., S. 96-104.

^! Explizit in Ath. Pol. 30,1 ol μὲν οὖν αἱρεθέντες ταῦτα συνέγραψαν. Vgl. 29,5 μετὰ δὲ ταῦτα τὴν πολιτείαν διέταξαν τόνδε (τὸν) τρόπον

..., wo es von der Logik der

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In der Forschung hat man zur Erklürung dieser Divergenz einerseits die Annahme, es seien in der einleitenden Phrase von Ath. Pol. 29,5 als Subjekt nicht oi αἱρεθέντες von 29,4, sondern oi ᾿Αθηναῖοι zu verstehen,^ andererseits die hinter der Version der Athenaion Politeia vermutete Tendenz, den

Verfassungsumsturz als Werk einer legitimierten Körperschaft darzustellen, '* geltend gemacht.

Denkbar ist demgegenüber aber auch die Möglichkeit, daß dem Bericht der Athenaion Politeia eine offizielle Quelle zugrunde liegt,'” in der von einer Mehrzahl tatsächlich vorgelegter Anträge nur derjenige erwähnt wurde, der dann auch tatsächlich die Billigung der Versammlung erhielt. Daß dieser Antrag unter dem Namen der συγγραφεῖς überliefert wurde, könnte natürlich die Folge eines Irrtums oder einer verfälschenden Tendenz der in der

Athenaion Politeia bewahrten Tradition!!! sein, könnte aber ebensogut darauf beruhen, daß der Volksbeschluf von Ath. Pol. 29,5 in seiner endgültigen Form tatsächlich auf die συγγραφεῖς zurückgeht: Da sie seinerzeit ausdrücklich zur Erstellung von Verfassungsvorschlägen eingesetzt worden waren, ist

es gut denkbar, daß sie im Laufe der Beschlußfassung noch einmal herangezogen wurden, um mehrere vom Volk einzeln gebilligte Vorschläge zu einem einheitlichen Dokument zusammenzuredigieren.'” Legt man diese Annahme zugrunde, so kónnten wir die divergierenden Angaben über die Rolle der συγγραφεῖς in Thuk. 8,67,2 und Ath. Pol. 29,5 als unterschiedliche Widerspiegelungen desselben Sachverhaltes in der auf mündlicher Überlieferung beruhenden Darstellung des Historikers einerseits, der auf offizielle Dokumente gestützten Verfassungsschrift andererseits verstehen.

All dies muD freilich mangels fester Indizien im Bereich der Hypothese bleiben; als einigermaßen sicher kann lediglich das Faktum des Beschlusses zur

Übergabe der Macht an die mindestens fünftausend δυνατώτατοι kal τοῖς σώμασιν Kal τοῖς χρήμασιν λῃτουργεῖν (die wir im folgenden einfach als

„die Fünftausend" bezeichnen wollen) und zur Bestellung eines Gremiums syntaktischen Struktur her naheliegt, die συγγραφεῖς als Subjekt aufzufassen, s. Rhodes, Commentary 381 und Chambers, Aristoteles 279. 148 Kriegel, Staatsstreich 50, Andrewes, HCT V 217; Rhodes, Commentary 380 (dort auch

ein Überblick über weitere Lösungsvorschläge; vgl. jetzt auch Andrewes, Spartan Resurgence 475).

? Chambers, Aristoteles 279.

10 Für Spuren offizieller Dekretsprache im Text von Ath. Pol. 29,4f. s. Rhodes, Commen-

tary 378.

5! Für Erklärungsversuche auf Basis dieser Annahme s. Rhodes, Commentary 381 und Chambers, Aristoteles 279.

12 Diese Annahme würde sich jedenfalls gut zum Charakter des in Ath. Pol. 29,5 wiedergegebenen Entwurfes fügen, der neben dem eigentlichen Verfassungsentwurf über die Fünftausend noch die Bestimmungen über die Verwendung aller Einkünfte für den Krieg

und die Besoldung der Ämter enthält, die man sich recht gut als aus unabhängigen Anträgen hervorgegangen denken kann.

- 145 -

von

xatakoyeis

für deren Auswahl

angesehen

werden,

da es durch die

pseudo-lysianische Polystratosrede bestätigt wird. In seiner Gesamtheit betrachtet, trägt der Beschluß über die Einsetzung der Fünftausend in Ath. Pol. überraschend deutlich die Züge einer lediglich auf Dauer des Krieges berechneten Notstandsmaßnahme: nicht nur die Abschaffung der Ämterbesoldung,

sondern auch die Amtsperiode

der Fünftausend

selbst sollte auf Kriegsdauer begrenzt sein (ἕως ἂν ὁ πόλεμος (i). Dementsprechend sind die Befugnisse der Fünftausend im Hinblick auf Kriegführung

und Außenpolitik näher bezeichnet, wo ihnen das Recht, nach Gutdünken Staatsverträge abzuschließen, expressis verbis zugestanden wird. Manchen Athenern mag angesichts dieser Klausel die Hoffnung, doch noch mit den Persern einig zu werden, vorgeschwebt haben, wührend die Antragsteller und ihre

Hintermänner wohl bereits die Möglichkeit einer Verständigung mit Sparta im

Sinne hatten."*

In jedem Falle zeigt diese Bestimmung, daB die Fünftausend in dem Volksbeschluß von Ath. Pol. 29,5 als eine in ihrer Gesamtheit zusammentretende und

beschlieBende Kórperschaft, nicht etwa, wie man es für die nach dem Sturz der Vierhundert eingerichtete Verfassung vermutet hat, als bloßes Rekrutierungsreservoir der zur Ämterbekleidung berechtigten Bürger'?? gedacht sind. Die sonstigen Kompetenzen der Fünftausend sind offensichtlich als weitreichend gedacht, aber in dem Volksbeschluß, wie er sich nach dem Referat in Ath. Pol. 29,5 darstellt, nur vage umschrieben. Unklar bleibt dort vor allem, ob und wieweit die Fünftausend, wenn sie nach dem Wortlaut des Beschlusses nur auf Kriegsdauer bestellt waren, berechtigt sein sollten, weitere Änderun-

gen der staatlichen Ordnung vorzunehmen. Nimmt man die in der ἕως ἂν ὁ πόλεμος f-Klausel enthaltene Beschränkung ernst, so müßte man annehmen,

daß entweder alle diesbezüglichen Regelungen der Fünftausend mit dem Ende des Krieges ohne weiteres als nichtig gelten sollten, oder daß solche Regelun-

gen auch während der Amtsperiode der Fünftausend nur von der Ekklesie des gesamten Demos vorgenommen werden sollten, was deren Weiterbestehen neben den Fünftausend implizieren würde.

Das waren Fragen, die nicht nur aus der Perspektive modernen staatsrechtlichen Denkens, sondern auch aus den Gegebenheiten der Situation heraus einer raschen und definitiven Klärung bedurft hätten: Mit dem Ath. Pol. 29,5 wiedergegebenen Beschluß hatte die Ekklesie eine Rechtsgrundlage für die

Bildung einer Körperschaft von mindestens fünftausend Männern geschaffen 13 (Lys.] 20,13.16, dazu o., S. 102 mit Anm. 38 sowie u., S. 149. 14 s. 0., S. 107 Anm. 61 und 128f. Vgl. Rhodes, Commentary 384. 15? Zu dieser vor allem von de Ste. Croix und Gallucci vertretenen Theorie über die πεντακισχίλιοι von Thuk. 8,97,1 s. u., S. 279-312, bes. 280-288.

US Ath. Pol. 29,5 τὴν δ᾽ ἄλλην πολιτείαν ἐπιτρέψαι πᾶσαν ...; vgl. [Lys.] 20,13 mevraκισχιλίοις παραδοῦναι τὰ πράγματα.

- 146 -

und für diese Körperschaft die Übernahme weitreichender Kompetenzen vorgesehen.

Sobald

die Fünftausend

tatsächlich

zusammentraten,

mußte

sich

zwangsläufig die Notwendigkeit erheben, ihnen eine feste Organisation und eine Gescháftsordnung zu geben; die Schaffung eines permanent amtierenden

Ratsgremiums oder zumindest einer Art geschäftsführenden Ausschusses der Vollversammlung muBte dann, wenn man sich nicht weiterhin der demokratischen Bule bedienen wollte, ein zwingendes Erfordernis darstellen. Aber wie sehr es von der Sache her auch naheliegen muBte, diese Fragen sogleich zu klären, ist es dennoch wahrscheinlich, daß die Detailfragen der Or-

ganisation der Fünftausend und ihres Verhältnisses zu den bestehenden demokratischen Staatsorganen in den Verhandlungen der Ekklesie und in dem daraus resultierenden Beschluß gar nicht berührt worden sind. Aus der Entwick-

lung der Folgezeit geht klar hervor, daB die innerhalb der Reformbewegung dominierenden Kräfte ihr Ziel nicht im Finden einer zeitweiligen Notlösung, sondem in der dauernden Ersetzung der Demokratie durch eine mehr oder weniger oligarchische Ordnung gesehen haben. Wenn man die Abschaffung

der Ámterbesoldung und die Einführung der Fünftausend in der Ekklesie dennoch als eine auf Kriegsdauer begrenzte Maßnahme präsentierte, so wird man darin wohl weniger das Wirken einer grundsátzlich demokratisch orientierten

Strömung innerhalb der συγγραφεῖς ouyy sehen dürfen - obwohl es eine solche durchaus gegeben haben mag!” -, als vielmehr ein Manöver, mittels dessen man der breiten Masse den Gedanken an eine Abkehr von der Demokratie ertráglicher machen wollte. Trifft diese Deutung zu, so kann man annehmen, daß es die Proponenten des Antrages bewußt vermieden haben, über die ἕως ἂν ὁ πόλεμος Tj-Phrase hinaus konkrete Beschränkungen zeitlicher oder inhaltlicher Art für die Fünftausend festzulegen. Worauf es ihnen ankam, war

die Erlangung eines Beschlusses, der die rasche Bildung dieser Kórperschaft erlaubte und ihre unmittelbaren Kompetenzen möglichst weit definierte. Beide Ziele waren verwirklicht.

mit dem

in Ath. Pol. 29,5 wiedergegebenen

Beschluß

Die Kórperschaft der Fünftausend, die damit ins Leben gerufen wurde, war in dem VolksbeschluB, wenn wir dem Wortlaut der Athenaion Politeia trauen

können, weder in ihrer zahlenmäßigen Stärke noch in ihrer Zusammensetzung eindeutig definiert. Die namengebende Zahl fünftausend ist in der Athenaion Politeia nicht als fester Wert, sondern als unteres Limit für die Zahl der in die

neue Körperschaft Aufzunehmenden genannt. Das wirkt insofern befremdlich, als dieselbe Zahl in dem Konzept der oligarchischen Agitatoren bei Thukydides ganz im Gegenteil dazu als oberes Limit propagiert ist." 157 Man denke etwa an die Haltung des Probulos Sophokles, wie sie sich in Aristot. rhet. 1419 a 26-30 (zit. u., S. 316f.) darbietet.

* s. die Stellenzitate o., S. 95f. und 98 Anm. 14. Vgl. Heftner, Katalogisierung 224-226.

- 147-Im Hinblick auf diese Diskrepanz möchten de Ste. Croix und Lehmann die

Angabe des Thukydides als zutreffend, die Version der Athenaion Politeia als Ergebnis einer bewußten Abschwächung des antidemokratischen Gehaltes des Volksbeschlusses durch den Autor der Verfassungsschrift bzw. seinen Ge-

währsmann deuten.'”” Wahrscheinlicher ist m. E. die Annahme, daß die Be-

stimmung μὴ ἔλαττον ἢ πεντακισχιλίοις bereits im tatsächlichen Volksbeschluß enthalten war, und daß es sich dabei wie bei der ἕως ἂν ὁ πόλεμος ἧἦKlausel um eine taktisch motivierte Konzession an die Gefühle des Demos und vor allem der Hopliten handeln sollte: Durch diese, in Wirklichkeit zu

wenig verpflichtende Formulierung konnte vor dem Volk der Eindruck erweckt werden, daß man den Kreis der in Hinkunft politisch Berechtigten ohnehin möglichst weit zu fassen und jedenfalls den größten Teil der Hopliten einzubeziehen gedenke. Daß man in Wirklichkeit seitens der Proponenten des Antrags die fünftausend als eine tunlichst nicht zu überschreitende Richtzahl betrachtete und die Machtteilhabe nur auf einen Teil der Hoplitenschicht be-

schränken wollte, zeigt die Bestimmung, daß die Zugehörigkeit zu den

Fünftausend nicht einfach aufgrund der bestehenden Schatzungsklassen, sondern mittels einer Auswahl durch das zu schaffende Gremium der hundert katakoyeis festgesetzt werden sollte. Damit wurde in den Prozeß der Bildung des neuen Regierungsgremiums ein subjektives Element eingebracht, das einen gewissen Spielraum für eine Auslese nach anderen Kriterien als denen der bloßen materiellen Leistungsfähigkeit bot. Die Annahme liegt nahe, daß aus der Sicht vieler Oligarchen neben dem Vermögen bzw. der sozialen

Exklusivitát! auch die ‘politische Zuverlässigkeit’ das entscheidende Kriterium für die Regimentsfähigkeit der zu katalogisierenden Bürger darstellen sollte. 19 de Ste. Croix, Constitution 1, Anm. 3; Lehmann, Überlegungen 35, Anm. 5. !9 Diesen Umstand verkennt Sealey, Revolution 123-125, der die „Leistungsfähigsten“ von Thuk. 8,65,3 und Ath, Pol. 29,5 unbesehens mit der Hoplitenklasse gleichsetzen und

demgemäß den in Thuk. 8,97,1 referierten Beschluß vom Herbst 411 (dazu u., S. 279f.) für die Realisierung. des im Frühjahr verkündeten Programmes halten móchte (ühnlich Bringmann, Alkibiades 31). I8! s. Lehmann, Überlegungen 35, Anm. 5 und dens., Oligarchische Herrschaft 40, demzufolge das so verstandene Konzept der Fünftausend auf die Regierungsteilhabe einer gegenüber der Gesamtheit der Hoplitenklasse „sozial exklusiveren Schicht besonders wohlha-

bender Athener“ abzielte.

162 In diese Richtung weist jedenfalls das Beispiel der im Jahre 404/3 unter dem Regime

der 'Dreifig! eingesetzten 'Dreitausend', die wir hier wohl als Analogie heranziehen

dürfen, s. bereits Meyer, GdA "VII 20f.: „die Zahl 3000 [entsprach] ..... nach den gewaltigen Verlusten, welche die letzten Jahre an Leben und Eigentum gebracht hatten, den 5000 Vollbürgern des Jahres 411“. Zu den Dreitausend von 404/3 s. allgemein Xen. hell. 2,3,1820; [Aristot.] Ath. Pol. 36,1£.; dazu Lenschau, τριάκοντα 2367f.; Rhodes, Commentary 448; Brock, Numbers Game 163; Krentz, Xenophon II 127f. mit weiteren Belegen und

Literatur. Dieses Kriterium der politischen Zuverlässigkeit wird in der Praxis mit dem von

- 148 -

Wenn nun in dem Volksbeschluß die Zahl fünftausend als Ausgangspunkt und Richtwert der vorzunehmenden Katalogisierung ausdrücklich festgeschrieben

wurde, so bedeutete dies, im Kontext der politischen Strömungen gesehen, eine Grundsatzentscheidung für das Bürgerschaftskonzept der entschieden oligarchischen Richtung, auf der anderen Seite ließ die μὴ ἔλαττον ἢ TrevtarıoxıAloıs-Klausel Raum für allfällige Hoffnungen gemäßigter Kreise auf

eine Einbeziehung zumindest des größten Teils der hoplitendienstpflichtigen Klassen. Die Entscheidung, welches dieser Konzepte in die Realität umgesetzt

werden würde, würde nunmehr in den Händen der καταλογεῖς liegen.

Die Katalogisierung der Fünftausend Die Umsetzung des in Ath. Pol. 29,5 referierten Beschlusses über die Wahl

der katakoyeis und die Erstellung einer definitiven Liste der Fünftausend ist im Fortgang des Berichtes der Athenaion Politeia nicht dargestellt, wohl aber implizit vorausgesetzt, da gleich zu Beginn des folgenden Kapitels die Fünf-

tausend als existierende und beschließende Körperschaft auftreten. Bei Thukydides hingegen wird die reale Existenz der Fünftausend explizit verneint, wenn der Historiker im Zusammenhang mit der letzten Phase des Regimes der Vierhundert feststellt, diese „wollten die Fünftausend weder in

Funktion setzen noch wünschten sie, daß deren Nichtexistenz offenkundig würde“! Nun haben wir eine von den Berichten dieser beiden Autoren unabhängige,

zeitnahe Quelle für die Katalogisierungsbemühungen in einem Passus der schon erwähnten pseudo-lysianischen Polystratosrede, demzufolge Polystratos im Zuge des Umsturzes auch das Amt eines kataAoyeus bekleidet hat und in Lehmann betonten Streben nach „sozialer Exklusivität‘ (s. die vorige Anm.) durchaus in

Einklang gestanden haben: Daß diese in der Vorstellungswelt der Oligarchen mit der

‘politisch korrekten’ Gesinnung Hand in Hand ging, zeigen die bekannten Äußerungen in

der pseudo-xenophontischen Athenaion Politeia (1,4-9) ın aller Deutlichkeit. Vgl. Ruschenbusch, Innenpolitik 107. Daß ein solches Konzept nicht nur in den Kreisen der Reichen, sondern auch unter Männern von lediglich mittelmäßigem Vermögen seine Anhänger

finden

konnte,

scheinen

die von Nemeth,

Immobilien passim

gewonnenen

Erkenntnisse über die Vermögensverhältnisse der *DreiBig' von 404/3 zu beweisen. 1€ 8.92,11: οὐκ ἤθελον τοὺς πεντακισχιλίους οὔτε εἶναι οὔτε μὴ ὄντας δήλους εἶναι; 8,9322 ἀπὸ τῶν τετρακοσίων τινές. λέγοντες τούς τε πεντακισχιλίους ἀποφανεῖν; dazu Andrewes, HCT V 314; im Lichte dieser Stellen sind auch Thuk.

8,89,2 τοὺς πεντακισχιλίους ἔργῳ καὶ μὴ ὀνόματι χρῆναι ἀποδεικνύναι und Ath. Pol. 32,3 οἱ μὲν πεντακισχίλιοι λόγῳ μόνον ἡἠρέθησαν zu verstehen, wo der Wortlaut die Móglichkeit einer realen Existenz der Fünftausend nicht hundertprozentig auszuschlieBen scheint, s. Andrewes,

HCT

V 238.298

sowie Rhodes, Commentary

385f.409 und

Chambers, Aristoteles 282f.296; gegen die Auffassung von Harris, der die Fünftausend vor der Machtübernahme der Vierhundert tatsáchlich zusammentreten lassen móchte, s. u., S. 178f.

- 149 -

dieser Funktion mit der Erstellung der Liste der Fünftausend befaßt war

([Lys.] 20,13): Πῶς

δ᾽ ἄν (ng) γένοιτο δημοτικώτερος, f) ὅστις ὑμῶν ψηφισαμένων

TIEVTA-

κισχιλίοις παραδοῦναι τὰ πράγματα καταλογεὺς ὧν ἐνακισχιλίους κατέλεξεν, ἵνα μηδεὶς αὐτῷ διάφορος εἴη τῶν δημοτῶν, ἀλλ᾽ ἵνα τὸν μὲν βουλόμενον γράφοι, εἰ δέ τῳ μὴ οἷόν τ᾽ εἴη, χαρίζοιτο. καίτοι οὐχ οἱ ἂν πλείους τοὺς πολίτας ποιῶσιν, οὗτοι καταλύουσι τὸν δῆμον, ἀλλ᾽ οἱ ἂν ἐκ πλειόνων ἐλάττους. »Wie kónnte jemand volksfreundlicher sein als ein Mann, der, als ihr beschlossen habt, die Regierung den Fünftausend anzuvertrauen, als καταλογεύς neuntausend

aufgeschrieben hat, damit keiner seiner Demoten ihm gram sei, sondern damit er jeden, der es wollte eintrage, und auch, wenn jemand die Qualifikationen nicht erfüllte,

ihm entgegenkomme.'*"

Und es sind doch gewiß nicht jene, welche die Zahl der

Bürger vergrößern, die Verfassungsumstürzer, sondern diejenigen, die eine größere Bürgerzahl reduzieren.“

Da diese katakoyeus-Tätigkeit des Polystratos angesichts der in der Rede enthaltenen Angaben über seine weiteren Aktivitäten während der Dauer des oligarchischen Regimes nur in die Zeit vor der Machtergreifung der Vierhundert oder allenfalls in die ersten Tage ihrer Herrschaft datiert werden kann, haben wir in dieser pseudo-lysianischen Passage eine Bestätigung dafür, daß man im Zuge des Umsturzes von 411 tatsächlich konkrete Anstal-

ten getroffen hat, eine Liste der Fünftausend zu erstellen." Daneben bietet sie uns - als einzige Quelle überhaupt - einen Einblick in den technischen Ablauf des Katalogisierungsvorgangs.

Allerdings scheint die Polystratosrede gerade in diesem Punkt in einem gravierenden Widerspruch zur Athenaion Politeia zu stehen: Die Behauptung, Polystratos habe statt der vorgesehenen fünftausend Männer neuntausend eingeschrieben, scheint vorauszusetzen, daß er allein für die Erstellung des Katalogs der Fünftausend zuständig gewesen sei, während nach der Athenaion

Politeia zu diesem Zweck ein Gremium von hundert Männern bestellt werden sollte. * Da man die Vorstellung, Polystratos habe in alleiniger Verantwor1° Zur Übersetzung dieser Stelle s. Heftner, Katalogisierung 222 Anm. 9. 165 So wohl zu Recht Hackl, Oligarchische Bewegung 40f.; vgl. o., S. 104 mit Anm. 45. 166 Anders Beloch, GG ?II 2, 323f., der Polystratos' kataAoytus-Tütigkeit in die Zeit des

auf die Vierhundert folgenden Regimes der Fünftausend setzt (vgl. Kuberka, Beiträge 354) sowie Costanzi, Oligarchia 95 und Sordi, Scritto 6, die sie im Hinblick auf die bei Thuk. 8,93,2 von den Vertretern der Vierhundert gegebenen Versprechungen in die letzte Phase des Vierhunderter-Regimes datieren möchten (ähnlich Pesely, Andron 76, Anm. 70). Gegen diese zeitlichen Ansätze s. Heftner, Polystratos 76, Anm. 22 und dens., Katalogisierung 222f. m. Anm. 12. 167 jm Hinblick

darauf ist die Ansicht von Welwei

(Athen

223), es seien „in dieser

kritischen Kriegssituation ... lange Prozeduren zur Neukonstituierung der Bürgerschaft auszuschließen‘ zu relativieren.

I6 Ath. Pol. 29,5 ἑλέσθαι δ᾽ ἐκ τῆς φυλῆς ἑκάστης δέκα ἄνδρας ὑπὲρ τετταράκοντα

ἔτη γεγονότας, οἵτινες καταλέξουσι τοὺς πεντακισχιλίους .....

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tung neuntausend Männer katalogisiert, zu Recht als unwahrscheinlich verwarf, ging man in der älteren Forschung von einer rhetorischen Übertreibung des Sprechers der Polystratosrede aus: Dieser habe dem von ihm verteidigten Polystratos allein eine Tätigkeit zugeschrieben, die in Wirklichkeit von dem

gesamten Gremium ausgeführt worden sei.!” Eine teilweise abweichende Lósung hat neuerdings Hurni vorgeschlagen, der die Auffassung vertritt, daß die Fünftausend, ähnlich den Vierhundert in dem

Thuk. 8,67,3 wiedergegebenen bestellt werden sollten: jeder seinem Demos (vielleicht auch von fünfzig Männern für die Polystratos habe dieses Limit

BeschluB, nach dem Prinzip der Kooptation einzelne der hundert καταλογεῖς hätte aus aus den benachbarten Demen) ein Kontingent zu erstellende Liste vorzuschlagen gehabt. überschritten und statt fünfzig Kandidaten

neunzig namhaft gemacht, was sein Verteidiger dann in Form einer Hochrechnung auf fünftausend bzw. neuntausend ausgedrückt habe: „Polystratos verhielt sich, als sei er dazu bestellt gewesen, neuntausend Personen zu katalogisieren statt fünftausend“.'” Der Grundgedanke dieser Theorie, die Vorstellung, daß bei der Erstellung der Liste der Fünftausend der einzelne kataAoyeus im Bereich seines Demos für die Auswahl der Kandidaten zuständig war, kann als akzeptable Lösung des

obenerwähnten Widerspruches angesehen werden: sie erklärt die Willkür, die sich Polystratos bei seinem Vorgehen erlauben konnte," ebenso wie seine Furcht vor einem Zerwürfnis mit den δημόται (worunter man hier wohl die

Demengenossen zu verstehen hat!72). In einem

wesentlichen Punkt allerdings scheint Hurnis Auffassung einer

Modifikation zu bedürfen: Die von ihm angenommene Vorschrift, wonach die Zahl der von einem einzelnen καταλογεύς zu nennenden Personen mit fünfzig limitiert war, hätte eine höchst unpraktikable Regelung dargestellt, da die Zahl der qualifizierten Persónlichkeiten von Demos zu Demos sehr variiert 19 s. z.B. Dover, AEKATOZ

AYTOZ

73. Die Vermutung von Lintott, Violence 139,

Polystratos’ Aufgabe habe darin gelegen, einen bestehenden Katalog der Reiter und Hopliten auf 5000 Männer zusammenzustreichen, findet in den Quellen keine Bestätigung.

170 Hurni, Cing-Mille 224 m. Anm. 23.

IT! Die Wertung von Polystratos' Vorgehen bei der Katalogisierung als persönlich motivierte Gefälligkeit, die in der Phrase

ἵνα .... χαρίζοιτο zum Ausdruck kommt, setzt vor-

aus, daf es in seiner alleinigen Kompetenz lag, über die Aufnahme oder Ablehnung von Aspiranten auf die Mitgliedschaft bei den Fünftausend zu entscheiden, nicht aber, daß sich

diese Kompetenz auf die Gesamtheit der Fünftausend bezog. 172 Anders Thalheim, Rede 27 und Wilamowitz AuA II 356, Anm. 1, die die δημόται unserer Stelle als „Männer aus dem Volke“ verstehen möchten. S. jedoch die Verwendung

des Begriffs δημότης in $ 2 χρηστὸς ὧν ἀνὴρ Kal περὶ τοὺς δημότας Kal περὶ τὸ πλῆθος τὸ ὑμέτερον und im unserer Stelle unmittelbar vorangehenden $12: εἰ δ᾽ ἦν δημότης [sc. Φρύνιχος), οὐ δίκαιος διὰ τοῦτο βλάπτεσθαί ἐστιν ὁ πατήρ, el μὴ Kal ὑμεῖς ἀδικεῖτε, ὅτι ὑμῶν ἐστι πολίτης. Man beachte die Antithesen δημόται - πλῆθος in $2 und δημότης - πολίτης in $12. Vgl. Andrewes, HCT V 205.

- 15] -

haben muß.!”” Die Analogie der Bestellung der Vierhundert in Thuk. 8,67,3 kann hier deshalb nicht greifen, da es sich bei der Auswahl der Fünftausend nicht um die Besetzung einer Anzahl von Ratsherrnstellen auf Zeit handelte,

sondern um die für die Zukunft verbindliche Neukonstitution des politisch berechtigten Teiles der Bürgerschaft überhaupt. Was wir aus unserer Rede über die Tätigkeit des Polystratos erfahren, läßt

sich eher mit der Vorstellung vereinbaren, daß jeder kataAoyeus aus seinem Demos bzw. aus weiteren ihm zugewiesenen Demen geeignete Personen namhaft machen sollte, ohne dabei innerhalb dieses engeren Kreises an eine fix vorgegebene Zahl gebunden zu sein. So wird es auch eher verständlich, weshalb Polystratos’ Verteidiger bei der Schilderung der kataAoyeus-Aktivitáten des Angeklagten die Gesamtzahl aller Katalogisierten ins Spiel bringt, anstatt einfach von fünfzig und neunzig zu sprechen. Legen wir diese Annahme zugrunde, so brauchen wir uns nicht zu wundern, daB die Richtzahl fünftausend im Zuge des Katalogisierungsverfahrens bei

weitem überschritten wurde und nicht weniger als neuntausend Männer in die von Polystratos und seinen Kollegen erstellte Liste Aufnahme fanden: Was uns in unserer Rede über das großzügige Vorgehen des Polystratos bei der Aufnahme in die Liste der Fünftausend berichtet wird, wird man wohl per analogiam auch für viele der übrigen καταλογεῖς annehmen dürfen: Der Wunsch, sich den lieben Nachbarn und Demengenossen gefällig zu erweisen, bedeutete ein starkes Motiv, bei der Aufnahme in die Liste großzügig vorzugehen.

Es dürften demnach größtenteils personenbezogene Motive gewesen sein, die die katakoyeis bei ihrem Vorgehen leiteten. Unvermeidlicherweise aber mußte das Ergebnis ihrer Tätigkeit, das eine Steigerung der Zahl der politisch Berechtigten auf beinahe das Doppelte des vorgesehenen Richtwertes implizierte, gravierendste Konsequenzen für die Gestalt und die zukünftige Entwicklung des antidemokratischen Reformprojekts nach sich ziehen. Wir haben keine Angaben darüber, ob und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt

das definitive Ergebnis der Katalogisierung in der Offentlichkeit verkündet worden ist; die vergleichsweise beiláufige Art, in der Polystratos' Verteidiger

die Katalogisierung von neuntausend statt fünftausend Personen gleichsam als bekannte Tatsache erwähnt, zeigt, daß das Faktum als solches im Jahre 410 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war, und die Annahme liegt nahe, daß

es zu einem Zeitpunkt bekannt geworden sein muß, als die Frage nach der zahlenmäßigen Zusammensetzung der Fünftausend aktuelle Bedeutung hatte, also entweder im Zusammenhang mit der Einsetzung der Vierhundert oder

175 Zur Verteilung der wohlhabenden Bürger auf die einzelnen Demen s. etwa Davies, APF 602-622 und Osborne, Demos 1985 passim, bes. die tabellarischen Übersichten 196-208.

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nach ihrem Fall, der ja mit einer definitiven Festsetzung des Hoplitenpoliteia-

Prinzips einherging.' ^ Wenn die hundert katakoyeis sogleich oder sehr bald nach dem Beschluß zu ihrer Einsetzung bestellt worden sind und ihre Tátigkeit unverzüglich aufgenommen haben, was von der Logik der Sache her wahrscheinlich erscheint, so können wir wohl davon ausgehen, daß sich die Tendenz der Katalogisie-

rung einer über die Zahl fünftausend hinausgehenden Personenmenge schon im Zuge des Katalogisierungsvorgangs abgezeichnet hat, und daB dies den Häuptern der Verschwörung nicht verborgen geblieben ist. Es liegt auf der Hand, daß diese Kunde von der großzügigen Auslegung des Volksbeschlusses durch die kataXoyeis den entschiedenen Oligarchen unter den Umsturzbetreibern zutiefst widerstrebt haben muß. Die sich abzeichnende

Aufnahme eines Großteils der Hopliten'”° (darüber hinaus vielleicht noch von Männern in zweifelhaften Vermógensverháltnissen!"") war geeignet, alle Vorbehalte, die entschiedene Oligarchen gegen eine Lenkung des Staates durch

eine nach Tausenden zählende Versammlung zu hegen pflegten,!”® massiv zu verstárken und in diesen Kreisen Skepsis gegen das in dem Ath. Pol. 29,5 referierten Volksbeschluß niedergelegte Kompromißmodell wachzurufen. Aus der Sicht der Oligarchen hátte die am náchsten liegende Reaktion wohl in einer Revision des Katalogisierungsvorgangs auf der Basis strengerer zahlenmáBiger Limits bestehen müssen. Eine derartige Revision hátte sich jedoch angesichts der in der gegebenen Situation immer noch gebotenen Rücksichtnahme auf den gemäßigten Flügel der Reformbewegung und auf die Stimmung der Masse in der Volksversammlung nicht leicht durchsetzen lassen, ja mehr noch: solange das Werk der Verfassungsänderung nicht abgeschlossen

7^ Thuk. 8,97,1, dazu u., S. 279-312.

115 Vgl. o., S. 104 mit Anm. 45. lé Die Zahl der als Hopliten qualifizierten athenischen Bürger im Jahre 411 läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, doch kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß neuntausend Männer einen Großteil der Hoplitenklasse umfaßt haben dürften, s. die

diesbezüglichen Überlegungen bei HCT 329 und Strauss, Athens 79 mit weiterführenden Literaturangaben.

17 (Lys.] 20,13 εἰ δέ τῳ μὴ οἷόν τ᾽ εἴη; zum Verständnis der Phrase Thalheim, Rede 27f. Eine indirekte Bestátigung dafür, daB man in den oligarchischen Kreisen die Befürchtung hegte, es seien von den Vermögensverhältnissen her minderqualifizierte Personen in die Liste aufgenommen worden, kann man vielleicht einer Bestimmung der sogenannten provisorischen Verfassung von Ath. Pol. 31,2 entnehmen, derzufolge der Rat der Vierhundert nach seiner Konstituierung eine „Musterung in Waffen" durchführen sollte (τὴν δὲ βουλὴν ἐπειδὰν καταστῇ. ποιήσασαν ἐξέτασιν (wv ὅπλοις .... ). Wilanowitz AuA II 115 móchte in dieser Bestimmung, wohl zu Recht , eine controlle, daB alle Bürger wirklich ὅπλα παρεχόμενοι sind" erkennen. Nach dem Zeugnis des Thukydides (8,92,11) wurde eine Machtbeteiligung der Fünftausend in der Vorstellung der Oligarchen „geradezu als Demokratie" angesehen: τὸ μὲν καταστῆσαι μετόχους τοσούτους ἄντικρυς Av δῆμον ἡγούμενοι (vgl. u., S. 346f.)

- 153 -

und die neue Ordnung nicht fest etabliert war, hätte jede in diese Richtung zielende Initiative den gesamten Reformprozeß in Frage gestellt. Wollten die Oligarchen nicht die Sache des Umsturzes gefährden, so blieb ihnen daher vorderhand nichts übrig, als die Tätigkeit der katakoyeis, so wie sie sich an-

lieB, zu akzeptieren und ihren Vorstellungen von der Herrschaft der ausgesuchten Wenigen auf einem anderen Wege Geltung zu verschaffen.

Die Versammlung

Einsetzung der

auf dem Kolonos und der BeschluB zur

Vierhundert

Der im Hinblick auf die folgende Entwicklung entscheidende Akt des Umsturzes, der Beschluß zur Einsetzung der Vierhundert, ist in der Athenaion

Politeia als ein Vorgang geschildert, der sich im Anschluß an die Konstituierung der Fünftausend auf Antrag eines aus den Fünftausend gewählten Gremiums von ἀναγραφείς vollzogen habe! und von einer Versammlung abge-

segnet wurde, in der wir wahrscheinlich eine Versammlung der Fünftausend zu erkennen haben.!? Bei Thukydides hingegen erfolgt die Einsetzung der Vierhundert, wie schon erwühnt, im Zuge einer Versammlung des athenischen Demos auf dem Kolonos Hippios, die im Rahmen des historischen Ablaufes in etwa jene Position ausfüllt, die in der Athenaion Politeia die 29,4f. berich-

tete Versammlung einnimmt.!*!

Bezüglich der Parallelüberlieferung haben wir schon gesehen, daß bei mehre-

ren Autoren die Einsetzung der Vierhundert als ein Akt des Demos dargestellt wird, wobei allerdings eher der Gesamtablauf des Verfassungswandels als eine einzelne Episode im Blickfeld zu liegen scheint, daß andererseits die

zeitnahe Polystratosrede durch ihr Schweigen den Eindruck erweckt, es habe sich dabei nicht um einen demokratisch korrekten Beschluß gehandelt. Wir haben weiters festgestellt, daß im Gegensatz zur communis opinio die thuky-

dideische Kolonosversammlung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit der in Ath. Pol. 29,4f. berichteten Ekklesie gleichgesetzt werden kann, sondern einem späteren Stadium der Ereignisse angehört haben dürfte (o., S. 98-103). IP Ath. Pol. 30-32; s. das o., S. 94 wiedergegebene Schema des Ath. Pol.-Berichts. 180 Ath. Pol. 32,1

ἐπικυρωθέντων δὲ τούτων ὑπὸ τοῦ πλήθους; das πλῆθος der Stelle

dürfte vom Verfasser der Ath. Pol. als Vollversammlung der Fünftausend verstanden worden sein, s. Andrewes, HCT V 233f.; vgl. Rhodes, Commentary 404; anders Hackl,

Oligarchische Bewegung 35 und Chambers, Aristoteles 293. Einen originellen Lösungsvorschlag bietet Ruzé, Oligarques 188f, Anm. 11, derzufolge πλῆθος nichts anderes bedeuten kónne als die Mehrheit der jeweiligen Versammlung. Die Fünftausend kónnten die Versammlung sein, die gemeint ist, aber sie kónnen nicht mit diesem Ausdruck bezeichnet werden. Vgl. F. Ruzé, Plethos passim.

!*! Thuk. 8,67,2f., s. das Schema o., S. 93f. !£ s. o., S. 1015

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Die letztgenannte Auffassung berührt sich insofern mit dem in der Athenaion Politeia zugrunde liegenden Schema des Ereignisablaufes, als wir ebenfalls davon ausgehen, daß die Beschlüsse zur Einsetzung der Fünftausend und zur Bildung des Rates der Vierhundert auf verschiedenen Versammlungen gefaßt wurden; was jedoch den Charakter und Ablauf der über die Einsetzung der

Vierhundert beschließenden Versammlung betrifft, gibt es gute Gründe, der Version der Athenaion Politeia mit Skepsis zu begegnen. Das wesentliche Argument gegen die dort berichtete Bestellung von hundert ἀναγραφεῖς aus den Reihen der Fünftausend und die Bestätigung zweier von

diesen erstellten Verfassungsentwürfe liegt in der Tatsache, daß nach dem zeitnäheren und an einer späteren Stelle von der Athenaion Politeia selbst aufgegriffenen Zeugnis des Thukydides die Fünftausend während der Herrschaft der Vierhundert bis zu deren Sturz niemals zu realer Existenz gelangt

sind;? es fällt daher sehr schwer, ihre Existenz als festkonstituierte Körper-

schaft für die Zeit vor der Einsetzung der Vierhundert zu akzeptieren.'* In Anbetracht dessen hat man in der Forschung die Möglichkeit vertreten, daß die Versammlung, die den Beschluß zur Einsetzung der Vierhundert abseg-

nete, in der späteren Rückerinnerung aus welchen Gründen auch immer als eine Versammlung der Fünftausend gewertet wurde, auch wenn die Zugehörigkeit zu dieser Körperschaft noch gar nicht definitiv festgelegt war und in der Praxis jeder, der wollte, die Versammlung besuchen konnte. 5?

Diese Auffassung läßt sich aus dem uns zur Verfügung stehenden Material nicht stringent beweisen, verdient aber jedenfalls, ernsthaft in Erwägung

gezogen zu werden: Sie bietet uns eine einfache Lósung für die widersprüchliche Wertung der betreffenden Versammlung in unseren beiden Hauptquellen wie auch für das Schweigen der Polystratosrede, das wir als starkes Indiz dafür nehmen können, daß der Beschluß über die Einsetzung der Vierhundert schon bald nach den Ereignissen von vielen Athenern nicht als Entscheidung

einer regulären demokratischen Ekklesie gewertet worden ist. Suchen wir nach den Gründen für diese Wertung, so liegt es nahe, zunächst nach den Umständen zu fragen, unter denen dieser Beschluß zustandegekommen ist. Hierfür gibt uns Thukydides den wichtigen Hinweis (8,67,2), daß die besagte Volksversammlung außerhalb der Stadt, im Poseidonheiligtum auf dem Kolonos Hippios stattfand. Die Wahl eines Versammlungsortes außerhalb der Mauern kann schon des-

halb als ungewöhnlich angesehen werden, weil Athen von den in Dekeleia !© Thuk. 8,92,11; 93,2; vgl. 8,89,2 und Ath. Pol. 32,3; dazu o., S. 148 mit Anm. 163.

15. In diesem Sinne auch Hackl, Oligarchische Bewegung 35. Anders zuletzt Harris, Constitution 263-265, der mit einer aktiven Rolle der Fünftausend vor dem Zusammentritt der

Vierhundert rechnet, dagegen s. jedoch u., S. 178f. 5 So Kenyon, Aristotle 83, Rhodes, Five Thousand 386f.; Ruzé, Oligarques 189.

117 m. Anm. 21; vgl. Commentary

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stehenden spartanischen Streitkräften permanent bedroht wurde. Seitens der althistorischen Forschung hat man diese ungewöhnliche Ortswahl denn auch

immer wieder als einen Versuch der Verschwörer interpretiert, einen auf der Linie ihrer Intentionen liegenden Beschluß sicherzustellen. Man verwies zum einen auf die Wahrscheinlichkeit, daß eine auf einen

außerhalb der Mauern gelegenen Versammlungsplatz einberufene Versammlung in Kriegszeiten eher von den Angehörigen der waffentragenden Klassen Ritter und Hopliten - besucht worden sein dürfte, bzw. daß der Schutz der Versammlung die Präsenz einer bewaffneten Mannschaft erforderlich

gemacht habe, die dann zugleich zur Einschüchterung der Volksmassen dienen konnte.'® Daneben hat man die psychologische Wirkung der ungewohnten Örtlichkeit auf die Versammelten geltend gemacht," eine Wirkung, die durch die ideelle Bedeutung des Platzes verstärkt worden sein muß - das Poseidonheiligtum auf dem Kolonos war das spezielle Heiligtum der atheni-

schen Ritterschaft und somit zugleich das symbolische Denkmal der älteren,

aristokratisch geprägten Phasen der staatlichen Entwicklung Athens. '®

Diese „Patrios Politeia^- Konnotation wird im Kontext des von Verfassungs-

debatten erfüllten Jahres 411 sicher nicht ohne Bedeutung gewesen sein, doch

dürfte sich in der Praxis bei der Versammlung im Poseidonheiligtum jener Aspekt noch stärker ausgewirkt haben, den Thukydides in der Phrase ξυνέκλῃσαν τὴν ἐκκλησίαν ἐς τὸν KoAwvöv andeutet - „sie drängten die

Versammlung auf dem Kolonos zusammen. “'”

Man wird in dieser Wortwahl wohl einen Hinweis darauf erkennen dürfen, daß das Heiligtum auf dem Kolonoshügel nicht genügend Raum für eine

Ekklesie normalen Ausmaßes geboten hätte.!” In Anbetracht dieser Überlegungen ist ein beträchtlicher Teil der Forschung geneigt, die Kolonos-Ekklesie als eine vom Gesichtspunkt des regulären demokratischen Procederes aus fragwürdige, ja illegitime Veranstaltung zu

bewerten. Am weitesten geht in dieser Hinsicht Kahrstedt, der der Kolonosversammlung

überhaupt die Qualität einer regulären Ekklesie absprechen und das bei Thuk. 186 Grote, History ?VII 276f., Busolt, GG III 2 1478 m. Anm. 2; McCoy, Moderates 58 und

*Non-Speeches' 88. Skeptisch dagegen Andrewes, Spartan Resurgence 475 mit Anm. 17.

157 Welwei, Athen 2227.

1## Kirsten, Ur-Athen 15; Siewert, Poseidon Hippios 286-9; Edmunds, Theatrical Space 91f.; Kolb, Agora und Theater 94 Anm. 43 verweist darauf, daß sich im Kolonos neben

dem Poseidon-Sanktuarium auch die Heiligtümer chthonischer Gottheiten befunden haben.

19 Thuk. 8,67,2. Gegen die alternative Lesart ξυνέλεξαν und Herwerdens Konjektur

ξυνεκάλεσαν s. Andrewes, HCT V 165. Grote, History ?VII 276f., Steup bei Classen/Steup, Thukydides

HCT V

159 und Andrewes,

165. Allgemeiner, aber ebenfalls als Indiz für die Irregularitát der Versammlung

wird die Phrase von Frazier, Réunion 243 gedeutet: „L’ originahté de ce dernier verbe [sc.

EuvékAQoav]

..... dit assez le déreglement des institutions."

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8,67,2f. beschriebene Geschehen in Anlehnung an die secessiones der rómischen Überlieferung vielmehr als „secessio in montem Colonum“ bezeichnen möchte. Ihm zufolge handelte es sich um eine irreguläre „contio“, an der nur

eine von den Oligarchen beeinfluBte Minderheit teilgenommen hátte, die sich dann als das souveráne Volk von Athen konstituiert hátte, um die Formen des

Rechts zu wahren. ?!

Diese Kahrstedt'sche Vorstellung einer Minderheitensezession ist zweifellos eine sehr weitgehende Hypothese, die sich nicht durch direkte Quellenevidenz verifizieren läßt, aber wenn man sich das allgemeine Stimmungsklima des

Frühsommers 411 vorzustellen versucht - die Wirkung der oligarchischen Agitation, die allgemeine Verunsicherung über die Kriegslage und die Zukunft der Polis, dazu zweifellos auch Angst und Mißtrauen gegenüber den Absichten der radikalen Oligarchen -, so erscheint eine in diese Richtung

gehende Deutung der Kolonosversammlung nicht ganz außerhalb des Vorstellbaren zu liegen. Wir haben schon gesehen (o., S. 117-123), daß sich bereits in den Thesmophoriazusen des Aristophanes die Befürchtungen vieler Athener vor den Umsturzgelüsten der Verfassungsreformer widerspiegeln; diese Gefühle werden

sich in der Zwischenzeit mit dem zunehmenden Hervortreten der Oligarchen weiter verstärkt haben. Die Bestellung der συγγραφεῖς, der Beschluß über die Einsetzung der Fünftausend und der Beginn der Katalogisierung - alles

Vorgänge, die sich im Lichte der Öffentlichkeit vollzogen - werden den meisten Athenern deutlich gemacht haben, in welche Richtung die Entwicklung lief und daB die amtierenden Behórden diese Entwicklung entweder aktiv unterstützten oder wenigstens widerstandslos geschehen lieBen. Wenn nun in dieser Situation eine Ekklesie auf einen unüblichen und auBerhalb der Stadt liegenden, obendrein durch seine ideelle Affinität zur Aristokratie emotional belasteten Ort einberufen wurde, und dies móglicherweise ad hoc und für die Öffentlichkeit überraschend, 2 so liegt die Annahme

nahe,

daB dies in radikaldemokratischen Kreisen weithin als eine Machtdemonstration der oligarchischen Verfassungsumstürzer verstanden werden mußte, als eine Veranstaltung, die zu besuchen an sich schon den Charakter einer prooli-

garchischen Demonstration tragen mußte. Es ist gut vorstellbar, daß es im 7?! Kahrstedt, Staatsstreich 243f.; zu den in eine ähnliche Richtung gehenden ÜberlegunRen von Koehler, Ledi und Caspan s. o., S. 98 mit Anm. 12 und 13. In Thukydides’ Phrase ἐπειδὴ ἡ ἡμέρα ἐφῆκε (8,67,2) kann man wohl mit Kahrstedt,

Staatsstreich 244 Anm. 11 einen Hinweis darauf erkennen, daß die Verlegung der Versammlung auf den Kolonos nach Aussage des Historikers erst am Versammlungstag selbst oder zumindest nicht lange vorher bekanntgegeben wurde (akzeptiert von Hackl, Oligarchische Bewegung 19). Die Glaubwürdigkeit der Angabe ist allerdings im Hinblick auf die bereits angesprochene Möglichkeit einer bewußten Umformung der Realität durch Thukydides (s. o., S. 102f.) nicht über jeden Zweifel erhaben.

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Jahre 411 aufrechte Demokraten gegeben hat, die aus diesen Gründen gar nicht erst zum Kolonos hinausgingen,? noch mehr aber, daß im nachhinein, nach dem Sturz der Oligarchie, sehr viele Athener zu jenen gehóren wollten,

die damals nicht mitgegangen waren, so daB sich noch unter den Zeitgenossen eine Interpretation der Ereignisse ergab, die gewissermaßen Kahrstedts Vorstellung vorwegnahm: Die Rede für Polystratos deutet darauf hin, daB man bereits im Jahre 410 die Versammlung auf dem Kolonos nicht als reguläre Ekklesie des athenischen Demos angesehen hat.* Thukydides, der keine Neigung zeigt, die Unaufrichtigkeit und Gewaltbereitschaft der Verschwörer

zu beschönigen, geht nicht soweit, die Versammlung expressis verbis als Minderheitenveranstaltung

zu charakterisieren; er hebt jedoch das Außeror-

dentliche der Ortswahl'”” und die fehlende Opposition zu Peisandros’ Antrag!” in einer Weise hervor, die dem Leser das Bild einer von den ξυνεστῶτες gelenkten und manipulierten Versammlung suggeriert. Wieweit nun dieses Bild der Realität des Jahres 411 entsprochen hat, wieweit es seine Entstehung den Selbstrechtfertigungs-Bestrebungen des Demos von 410 verdankt, läßt sich anhand unserer Quellen nicht mit Sicherheit entschei-

den. Immerhin läßt Thukydides in seinem Bericht über die sich an die Kolonosversammlung anschließenden Ereignisse deutlich erkennen, daß die

Betreiber des Umsturzes selbst an der Repräsentativität des unter ihrer Ägide auf dem Kolonos erzielten Abstimmungsergebnisses zweifelten: Das staatsstreichartige Vorgehen der Oligarchen bei der Auflösung des alten Rates wie

auch ihre offenkundige Besorgnis über die Reaktionen nicht nur der demokratischen Masse allgemein, sondern insbesonders auch der Bürgerhopliten'” wäre unverständlich, wenn der vorangegangene Beschluß zur Einsetzung der

Vierhundert aufgrund einer freien, vom Mehrheitskonsens getragenen Entscheidung des athenischen Demos zustandegekommen wäre. Im Hinblick auf die Umstände dieses Handstreiches wie auch auf die gesamte spätere Haltung der Vierhundert gegenüber der Hoplitenschicht wird man

wohl bei der politischen Bewertung der Vorgänge um die Einsetzung der Vierhundert der von Thukydides und der Polystratosrede nahegelegten Auffassung gegenüber dem in der Athenaion Politeia gezeichneten Bild eines streng legitimen Ablaufes in Form einer Folge von verfassungsändernden 1? Vgl. die bei der Einsetzung der Dreißig abgehaltene Ekklesie, bei der nach Lys. 12,74f. die demokratisch Gesinnten teils vorzeitig die Versammlung verließen, teils in Schweigen verharrten, um wenigstens nicht aktiv ihr Votum für den Sturz der Demokratie abgeben zu

müssen.

54 s. Heftner, Polystratos 83-85 sowie o., S. 101f.

55 Man beachte neben der o., S. 155 zitierten Euwverinoav-Bemerkung auch die im Kontext der knappen Schilderung auffallende Beschreibung der Lage des Kolonos in 867,2 ἔστι δὲ ἱερὸν Ποσειδῶνος ἕξω πόλεως ἀπέχον σταδίους μάλιστα δέκα.

156 Thuk. 8,69,1, zit. u., S. 166 Anm. 224. 157 $. u., 5. 173.

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Beschlüssen den Vorzug geben: Der Beschluß zur Bildung eines mit Regie-

rungsvollmacht ausgestatteten Rates der Vierhundert ist daher als Ergebnis oligarchischer Manipulationen zu werten, die sich freilich angesichts der dürftigen Quellenlage im einzelnen nicht mehr nachvollziehen lassen. Mit dieser Feststellung erhebt sich die Frage nach den politischen Hintergründen des Vorganges; zunüchst jedoch haben wir unser Augenmerk auf den Inhalt der auf dem Kolonos gefaßten verfassungsándernden Beschlüsse zu richten.

Thukydides' Bericht über die Versammlung auf dem Kolonos erwühnt in einem Zuge mit dem von Peisandros gestellten Hauptantrag über die Vierhun-

dert die Forderungen nach Abschaffung der Ämterbesoldung,'”® die ihre Parallele in den Bestimmungen der in Ath. Pol. 29,5 berichteten Ekklesie hat

und daher gleich der Aufhebung der γραφὴ παρανόμων möglicherweise nicht in den Kontext der Kolonos-Versammlung gehört.'” Denkbar wäre auch, daß es sich gar nicht um einen formellen Antrag, sondern um eine im

Zuge der auf dem Kolonos gehaltenen Debattenreden erhobene Forderung allgemeiner Art gehandelt hat.’ Daß die in Ath. Pol. 29,5 referierten Beschlüsse nicht auf den Kolonos, sondern in den Kontext einer früheren Ekklesie gehóren, haben wir schon an

anderer Stelle als wahrscheinlich erkannt.??! Denkbar ist hingegen, daß die in

Ath. Pol. 30 und 31 überlieferten Verfassungsentwürfe im Zuge der Kolonos-

versammlung als Anträge präsentiert wurden. Diese Frage soll jedoch im Rahmen eines speziell den beiden Entwürfen gewidmeten Exkurses behandelt

werden??? und mag daher an dieser Stelle außer acht bleiben. Im Mittelpunkt unseres Interesses hat zunüchst der von Thukydides überlieferte Antrag des Peisandros zu stehen, dem allein wir mit Sicherheit eine unmittelbare geschichtliche Wirkung zuerkennen kónnen.

Dieser Peisandrosantrag beinhaltete nach Thukydides die Bildung eines Rates der Vierhundert nach dem Prinzip der Kooptation: zu diesem Zwecke sei zunächst die Bestellung von fünf πρόεδροι vorgesehen gewesen, die dann ihrerseits hundert Männer auszuwählen gehabt hätten, worauf in einem letzten Schritt jeder einzelne dieser Hundert nach dem Kooptationsprinzip drei weitere hinzuwählen und so die Vierhundert vollzählig hätte machen sollen.? Da 19$ "Thuk. 8,67,3 ἐνταῦθα δὴ λαμπρῶς ἐλέγετο ἤδη μήτε ἀρχὴν ἄρχειν μηδεμίαν ἔτι ἐκ τοῦ αὐτοῦ κόσμου μήτε μισθοφορεῖν ....

19 Vgl. o., S. 102f. über die Möglichkeit einer Kontamination von in Wirklichkeit auf

verschiedenen Ekklesien gestellten Antrágen durch Thukydides.

7? Man beachte die Verbindung des Besoldungsverbots mit der Phrase μήτε ἀρχὴν ἄρχειν μηδεμίαν En ἐκ ToU αὐτοῦ κόσμου, bei der es sich, wie Andrewes, HCT V 168f.

zu Recht feststellt, keinesfalls um einen formellen Antrag gehandelt haben kann. 201 s, o., S. 97-104.

29 s u, S. 177-210, bes. 198-206. 203 Thuk. 8,67,3, zit. o., S. 95f.

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Thukydides vermerkt, daß dieser Antrag von der Versammlung bestätigt wurde, und gleich daran seinen Bericht von der „später“ erfolgten Amtsein-

setzung der Vierhundert anschlieBt,"^ ist anzunehmen, daß nach Meinung des

Historikers die Auswahl der Ratsherrn auch tatsächlich Peisandros beantragten Verfahren durchgeführt wurde.

nach

dem

von

Dem steht jedoch das Zeugnis der Polystratosrede gegenüber, wo dezidiert

festgestellt wird, daB Polystratos aufgrund einer Wahl durch die Phylengenossen in den Rat der Vierhundert gelangt sei ([Lys.] 20,1f.): Οὔ uot δοκεῖ χρῆναι ὀργίζεσθαι ὑμᾶς τῷ

ὀνόματι

τῷ

τῶν

τετρακοσίων,

ἀλλὰ τοῖς ἔργοις ἐνίων. οἱ μὲν γὰρ ἐπιβουλεύσαντες ἦσαν αὐτῶν. οἱ δ᾽ ἵνα μήτε τὴν πόλιν μηδὲν κακὸν ἐργάσαιντο μηθ᾽ ὑμῶν μηδένα, ἀλλ᾽ εὖνοι ὄντες

εἰσῆλθον εἰς τὸ βουλεντήριον, ὧν εἷς ὧν οὑτοσὶ τυγχάνει Πολύστρατος. [2] οὗτος γὰρ ἡρέθη μὲν ὑπὸ τῶν φυλετῶν ὡς χρηστὸς ὧν ἀνὴρ καὶ περὶ τοὺς δημότας καὶ περὶ τὸ πλῆθος τὸ ὑμέτερον. κατηγοροῦσι δὲ αὐτοῦ ὡς οὐκ

εὔνους ἦν τῷ πλήθει τῷ ὑμετέρῳ, αἱρεθεὶς ὑπὸ τῶν φυλετῶν. ol ἀριστ' ἂν διαγνοῖεν περὶ σφῶν αὐτῶν ὁποῖοί τινές εἰσιν. „Es erscheint mir nicht angemessen, daß ihr gegen den Namen der Vierhundert einen

Haß tragt, den nur die Taten einiger von ihnen rechtfertigen. Denn es gab zwar übelgesinnte unter ihnen, die anderen aber hatten weder gegen die Stadt noch gegen irgendeinen einzelnen von euch irgendein Unrecht im Sinne, sondern in guter Gesin-

nung zogen sie ins Rathaus ein. Zu diesen nun gehórt auch Polystratos. Denn er wurde von seinen Phylengenossen gewühlt als ein Mann, der sich sowohl seinen

Demengenossen als auch euch, der breiten Masse, nützlich erwiesen hatte. Und doch klagen sie ihn an, daß er euch, der Masse, nicht wohlgesinnt gewesen sei - ihn, der

von den Phyleten gewählt wurde, die am besten beurteilen können, wie einer ihnen gegenüber gesinnt ist!“

Die Wiederholung des Arguments zeigt die Bedeutung, die der Sprecher dem Faktum der Wahl durch die Phyleten zumiBt. Im Kontext der Stelle kann mit dem αἱρεθεὶς ὑπὸ τῶν φυλετῶν nichts anderes gemeint sein, als daß Polystratos nach Aussage des Sprechers von den Phyleten zum Mitglied der

Vierhundert gewählt worden ist - ein klarer Widerspruch zu dem bei Thukydides berichteten Kooptationsverfahren.

Zur Lósung dieses Widerspruchs hat man teils mit der Móglichkeit einer nachträglichen Abänderung der von Peisandros beantragten Bestimmungen rechnen wollen,?” teils die Vermutung ins Spiel gebracht, es sei von den

Phyleten nur eine Vorwahl durchgeführt worden, die eigentliche Wahl aber dann nach dem von Thukydides beschriebenen Kooptationsverfahren erfolgt." Diese Lösung paßt indes weder zu Thukydides' Angabe, daß sich die

?® Thuk. 8,69,1-70,1, s. dazu u., S. 164-166.

205 So Judeich, Untersuchungen 302 (dazu s. u., S. 202 mit Anm. 102).

206 Als Möglichkeit in den Raum gestellt von Sandys, Aristotle's Constitution 132f., übernommen u. a. von Busolt, Staatskunde I 74f.; Sartori, Crisi 54: Harris, Constitution 261.

Detailliert ausgeführt von Sartori, crisi 54f. und Ruzé, Oligarques 191f. (vgl. dies., Délibération 483), denenzufolge sich Thuk. 8,67,3 und Ath. Pol. 31,1 gegenseitig ergänzen: Die fünf πρόεδροι hätten aus den von den Phylen Vorgewählten je 10 Männer pro Phyle

- 160 Ekklesie nach Bestátigung von Peisandros' Antrag über die Bestellung der

Vierhundert sogleich auflóste und der Demos im Laufe der folgenden Ereignisse nicht mehr als handelndes Kollektiv auftrat,?°’ noch zum Charakter des

Auswahlverfahrens selbst, dessen Mehrstufigkeit sich mit der Vorstellung ei-

ner Vorwahl durch die Phyleten schlecht verträgt (wer hätte denn dann aus den Vorgewühlten bestellt werden sollen, die ersten Hundert oder die folgenden Dreihundert?). Vor allem aber hátte sich die Phyletenwahl des Polystratos kaum als Argument für seine demokratische Zuverlässigkeit verwenden lassen, wenn jeder Athener aus eigener Erinnerung wußte, daß es sich dabei nur um eine Vorentscheidung handelte, während die eigentliche Auswahl in den Händen einer von oligarchischen Verschwórern gelenkten Clique lag.?® Eine mit dem Zeugnis der Polystratosrede besser vereinbare Lösung bietet ein bereits von Wilamowitz in Vorschlag gebrachtes Modell, das von der Möglichkeit einer Gleichsetzung der ἑκατὸν ἄνδρες des thukydideischen Verfah-

rens mit den erwähnten καταλογεῖς der Athenaion Politeia ausgeht.?” Diesem Modell zufolge hat man bei der Bildung des Rates der Vierhundert?? auf das bereits bestehende Gremium der xatakoyeis (das wir uns als durch ausgewühlt, von denen dann jeder aus seiner Phyle drei weitere Mitglieder kooptiert habe. Sartori sucht die Erklärung für dieses mehrstufige Verfahren in der Annahme, daß die ersten Hundert zugleich als karaAoytis der Fünftausend vorgesehen waren und daher von vornherein eine herausgehobene Position innerhalb des Rates der Vierhundert einnehmen sollten (ähnlich bereits Kuberka, Beiträge 349f ). Dagegen sprechen jedoch neben der Tatsache, daß bei Thukydides keine Beteiligung der Phylen am Wahlvorgang, in der

Athenaion Politeia keine Proedroi erwähnt sind und daB in (Lys.] 20,2 die Phyletenwahl (nicht Vorwahl) des Polystratos in auffälliger Weise hervorgehoben wird (man beachte die Verwendung von ἠρέθη und αἱρεθείς statt προυκρίθη und προκριθείς) vor allem auch

jene Überlegungen, die es wahrscheinlich machen, daß die Bestellung der καταλογεῖς geraume Zeit vor dem BeschluB zur Ausweitung dieses Kollegiums auf vierhundert Münner anzusetzen ist (dazu u., Anm. 209 und S. 162f.).

27 Thuk. 8,69,1, zit. u., S. 166 Anm. 224.

205 Heftner, Polystratos 74.80f. 7? Diese Gleichsetzung legen auch Kuberka, Beitráge 349f. und Sartori, Crisi 54f.

zugrunde, die jedoch die Bestellung der καταλογεῖς gemäß dem thukydideischen Bericht mit der Kooptation der übrigen Mitglieder der Vierhundert zusammenfallen lassen möchten (s. o., S. 159f. Anm. 206). Im Hinblick auf die Tatsache, daß in [Lys.] 20,13f. die καraAoyeus-Funktion und die Ratsmitgliedschaft des Polystratos unterschiedlich bewertet zu 868. scheinen (dazu Heftner, Polystratos 77.79f.) und die daraus abgeleiteten Argumente

gegen eine Gleichsetzung der in Ath. Pol. 29,4f. und Thuk. 8,67,2f. erwühnten Ekklesien (s. o., S. 97-104) hat es m. E. mehr für sich, mit Wilamowitz anzunehmen, daß man zunächst nur die katakoyeis bestellte, und erst im Zuge einer späteren Versammlung ihre Erweiterung zum Rat der Vierhundert beschlossen wurde (vgl. u., S. 162f.).

110 Wilamowitz AuA II 357f. möchte den Beschluß über die Bildung der Vierhundert nicht

der Kolonosversammlung, sondern einer späteren Ekklesie zurechnen, da er mit der gesamten zeitgenössischen Forschung von einer Identität der Kolonos-Ekklesie mit der Ath. Pol. 29,4f. berichteten Versammlung ausging (vgl. o., S. 95-97). Dagegen s. jedoch o., S. 97-104 und Heftner, Polystratos 87-89.

- 161 -

die Phylen gewählt vorstellen dürfen)?'' zurückgegriffen und bestimmt, daß

sich diese hundert Männer durch Kooptation von je drei weiteren Personen auf Vierhundert ergänzen und in dieser Form als Bule fungieren sollten. Was die Rolle der fünf πρόεδροι betrifft, so müsse man von einem Irrtum des Thukydides ausgehen: sie seien in Wirklichkeit am eigentlichen Wahlvorgang gar nicht beteiligt gewesen, sondern als inoffizielle Führungsjunta der oligarchischen Verschwörer zu betrachten.?'

Das Wilamowitz’sche Modell hat in der älteren Forschung einigen Anklang gefunden,?!” es wird jedoch von den Neueren mit großer Skepsis aufgenommen. Die Gründe dafür liegen zum einen im verbreiteten Mißtrauen gegen den Zeugniswert der Polystratosrede, zum anderen in dem an sich nicht ganz

unverständlichen Unwillen, die expliziten Angaben des Thukydides aufgrund einer durch keine direkte Quellenevidenz gestützten Hypothese zu korrigieren. Dem läßt sich entgegenhalten, daß wir zwar im Falle der Polystratosrede wie

stets bei attischen Gerichtsreden mit durch den Redezweck motivierten Verzerrungen der Wahrheit zu rechnen haben, daß diese aber in der Praxis dort an eine Grenze stoßen mußten, wo der Redner auf Ereignisse zu sprechen kam,

die sich seinerzeit in aller Öffentlichkeit abgespielt hatten und daher dem Publikum zur Zeit des Prozesses noch in frischer Erinnerung gewesen sein müssen. Hier sah sich jeder Gerichtsredner gezwungen, auf den Kenntnisstand seiner Zuhörer Rücksicht zu nehmen und sich der offenkundigen Unwahrheiten zu enthalten, das wird zweifellos auch für die in den ersten beiden Para-

graphen der Rede erwähnte Wahl des Polystratos durch die Phyleten gegolten haben. Die sich aus Wilamowitz’ Rekonstruktion ergebende Notwendigkeit, den Be-

richt des Thukydides zu korrigieren, erscheint weniger schwerwiegend, wenn wir bedenken, daß sie strenggenommen nur ein Detail des Berichts tangiert, das auch aus anderen Gründen nicht über jeden Verdacht erhaben ist, nämlich

die Auswahl der ἑκατὸν ἄνδρες durch die πρόεδροι." Wilamowitz hat, wie oben erwähnt, in diesen πρόεδροι eine inoffizielle Junta

der Umstürzler gesehen. Wir brauchen dem nicht unbedingt zu folgen, da sowohl der Name dieses Fünfmünner-Kollegiums als auch einige Indizien der ?!! Nach Ath. Pol. 29,5 sollten die ka raAoytis „Je zehn aus jeder Phyle" bestellt werden (zit. o., S. 149 Anm. 168). Wir dürfen in dieser Bestimmung wohl (trotz der von Hignett, HAC 366 geäußerten Zweifel) ein Indiz dafür erkennen, daß die Wahl selbst durch die Phylenangehörigen vorgenommen werden sollte, s. Heftner, Polystratos 82f.

? Wilamowitz AuA II 357; ähnlich Koehler, Bericht 811 und Ledl, Einsetzung 53.

219 Meyer, Forschungen II, 428f; Beloch, GG ἽΠ 2, 315f; v. Mess, Aristoteles’ ᾿Αθηναίων πολιτεία 375; Cavaignac, Les Quatre-Cents 319f. !^ Dazu ausführlicher Hefiner, Polystratos 70f.81-83.

215 Nach Meyer, Forschungen II 431 Anm. 1 müßte der thukydideische Ausdruck nicht mehr besagen, als daß die πρόεδροι bei der Wahl der hundert Männer die Oberleitung haben sollten; dagegen jedoch Koehler, Bericht 811 Anm. 1.

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epigraphischen und literarischen Überlieferung eher die Ansicht nahelegen, daß die πρόεδροι ganz offiziell als permanentes Leitungsgremium des zu

schaffenden Vierhunderterrates gedacht waren;?'Ó als solches können sie durchaus schon in Peisandros' Antrag auf dem Kolonos vorgesehen gewesen

sein. Thukydides’ Irrtum würde sich Verbindung der πρόεδροι mit beschrünken - ein Fehler, der Exulanten verstándlich scheint

in diesem Fall auf die von ihm angenommene dem Auswahlverfahren der ἑκατὸν ἄνδρες bei dem auf fremde Berichte angewiesenen und nicht schwerer wiegt als etwa die allge-

mein als Fehler des Historikers akzeptierte?" irrige Angabe συγγραφεῖς in 8,67,1.

der Zahl der

Auf der positiven Seite läßt sich zugunsten des Wilamowitz'schen Rekonstruktionsmodells anführen, daß es eine einleuchtende Erklärung für die an sich schwer verständliche Mehrstufigkeit des bei Thukydides 8,67,3 beschriebenen Auswahlverfahrens bietet: Wenn man davon ausgeht, daß die Vierhundert gewissermaßen aus dem Nichts geschaffen werden

sollten, so stellt sich die Frage, weshalb

nur die

ersten Hundert und nicht die Vierhundert insgesamt von den πρόεδροι ausgewählt werden sollten? Die im Antrag vorgesehene Zwischenschaltung der

ἑκατὸν ἄνδρες erscheint in diesem Fall sowohl unter praktischen wie auch unter politischen Gesichtspunkten überflüssig. Verfügte aber Athen zur Zeit der Kolonosversammlung in den katakoyeis über eine bereits konstituierte Körperschaft angesehener und qualifizierter älterer Männer, deren durch die Wahl ihrer Phylengenossen demokratisch legitimiert war, nahe, der Versammlung diese Männer als Kern des zu bildenden präsentieren und ihnen die Kooptation der restlichen Mitglieder

Autorität so lag es Rates zu anzuver-

7$ So bereits Gilbert, Beiträge 307f., der neben dem Namen auf die Analogie der in Mytilene nach dem Abfall von Athen eingesetzten πρόεδροι (Thuk. 3,25,1) und auf eine Notiz in der Suda s. v. πρόεδρος verweist (πρόεδρος: ὁ τῆς πολιτείας ἀρχηγὸς καὶ ἡγημών); vgl. weiters Koehler, Bericht 811 und Caspari, Revolution 13, Anm. 49. Für die

tatsächliche Existenz eines solchen Fünfmünnergremiums während des oligarchischen Intermezzos in Athen 411/10 kónnte die fragmentansch erhaltene Eingangsformel des Proxeniedekrets für Pythophanes (IG P 98) zu sprechen, wenn sich dieses Dekret der Periode der Vierhundert zurechnen ließe, s. u., S. 188-191 (vgl. 235f.). Einen Versuch, die Bezeichnung πρόεδροι mit dem von Thuk. 8,67,3 beschriebenen Verfahren zu vereinbaren, bietet Costanzi, Oligarchia 92f. demzufolge die πρόεδροι als Leiter der Wahlversammlung für die ἑκατὸν ἄνδρες vorgesehen gewesen seien, sich aber in dieser Funktion unter dem Vorwand der Dringlichkeit darauf beschränkt hätten, den Wählern eine vorgegebene Liste von hundert Namen zu einer en bloc-Abstimmung zu präsentierten; in diesem Sinne seien sie von Thukydides zu Recht als Wähler der ἑκατὸν ἄνδρες bezeichnet worden. Dieser Lósungsvorschlag kann nicht überzeugen, da er keine Erklárung für die Mehrstufigkeit des Verfahrens bietet und darüberhinaus in Widerspruch zu der Phyletenwahl des Polystratos steht (vgl. o., S. 159f.).

" s. o., S. 130-132.

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trauen, eine Aufgabe, für die sie überdies durch ihre besonders qualifiziert waren. Da die katakoyeis gewühlt worden waren, konnte man zugleich darauf eine relativ ausgewogene Reprüsentation der Phylen

Katalogisierungstätigkeit seinerzeit phylenweise hoffen, auf diese Weise in dem zu bildenden Rat

zu erzielen ?'

Ein weiteres Indiz zugunsten der Hypothese läßt sich aus Thukydides' Bericht über die Ablósung der alten Bule durch die Vierhundert gewinnen. Der Historiker betont das Putschartige dieses Vorganges und besonders das Bestreben der Verschwórer,

ihre Vorbereitungen

zum

Handstreich

vor der

Masse des Demos und selbst der Hoplitenschicht geheimzuhalten;?'” das verträgt sich kaum mit der Vorstellung eines in diesem Stadium abgehaltenen Wahlaktes der Phyleten. Die Einberufung einer Versammlung der Phylen zur

Wahl oder Vorwahl der Ratskandidaten hätte die Geheimhaltungsabsichten konterkarieren und die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken müssen, daf) die Bestrebungen zur Realisierung der auf dem Kolonos gefaBten Beschlüsse bereits in vollem Gange waren. Wahrscheinlicher erscheint es, daß die Konstituierung der Vierhundert in aller Stille vollzogen wurde, wozu Je das Kooptationssystem des Peisandrosantrags eine treffliche Handhabe bot.^? Nun ist uns aber ein Wahlakt seitens der Phyleten durch das in dieser Hinsicht

unverdächtige Zeugnis der Polystratosrede bezeugt; wollten wir ihn in die Zeit nach der Kolonosversammlung datieren, so stünde dies im Widerspruch zu

den von Thukydides’ berichteten Geheimhaltungstendenzen; diese Schwierigkeit löst sich, wenn wir gemäß der im voranstehenden vertretenen Rekonstruktion die in [Lys.] 20,2 erwählte Phyletenwahl mit einer schon vor der Kolonosversammlung anzusetzenden Wahl der καταλογεῖς gleichsetzen. Aus all diesen Gründen scheint es gerechtfertigt, bezüglich der Bestellung der Vierhundert der Wilamowitz'schen Rekonstruktion gegenüber dem Wortlaut der thukydideischen Darstellung den Vorrang einzuráumen und davon auszu-

gehen, daß die Vierhundert durch Kooptation aus den Reihen der hundert καταλογεῖς gebildet worden sind. Mit diesem Verfahren konnten die Verschwórer zwei gewichtige Vorteile er-

langen: Zunáchst einmal bot ihnen das Vorschieben einer Gruppe untadelig gewählter Autoritätspersonen als Kerngruppe des neuen Rates eine Gelegenheit, das neue Regierungssystem dem Volke akzeptabler erscheinen zu lassen dabei aber doch die Unwägbarkeiten einer neuerlichen Volkswahl zu vermei?! Man vergleiche die Zukunftsverfassung von Ath. Pol., Kap. 31, wo bestimmt wird, daß die Vierhundert zu gleichmäßigen Teilen aus den zehn Phylen genommen werden sollten (Ath. Pol. 31,1): βουλεύειν μὲν τετρακοσίους κατὰ τὰ πάτρια, τετταράκοντα ἐξ ἑκάστης φυλῆς, ἐκ προκρίτων [olüs ἂν ἑλῶνται οἱ φυλέται τῶν ὑπὲρ τριάκοντα ἔτη γεγονότων. S. dazu u., S. 202.

21? Thuk. 8,69, 1f. dazu u., S. 164f. und 173.

220 Vgl. u., S. 165.

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den, die entweder von vornherein eine offenkundig manipulierte Veranstaltung dargestellt hátte oder zu unabsehbaren Ergebnissen hátte führen kónnen. Die bestehenden hundert katakoyeis hingegen konnten, wenngleich sie wohl kaum in ihrer Gesamtheit radikaloligarchisch gesinnt waren, als durch Überredung und Einschüchterung hinreichend manipulierbar gelten, um ein im Sinne der Verschworenen brauchbares Werkzeug der Machtausübung darzustellen. Die Annahme liegt nahe, daß die ξυνωμόται darüberhinaus im Zuge des zur

Erweiterung des Rates auf vierhundert Kópfe durchgeführten Kooptationsver-

fahrens ihre “*Überredungs’-Künste zum Einsatz brachten, um eine möglichst ihren Wünschen entsprechende Zusammensetzung des neuzuschaffenden Vierhunderter-Rates sicherzustellen. In diesem Rat der Vierhundert hatten sich die Verschwórer ein Instrument ge-

Schaffen, das - im Gegensatz zu der vergleichsweise breit angelegten Versammlung der Fünftausend - zur Machtausübung im Sinne einer genuin oligarchischen Verfassungskonzeption geeignet war. Es zeugt von dem hohen taktischen Geschick der Verschwörungshäupter, daß es ihnen gelang, dieses Konzept einer autokratisch regierenden Bule mit der Weihe eines - wenn auch unter fragwürdigen Umständen zustandegekommenen - Volksbeschlusses versehen zu lassen.

Dieser VolksbeschluB gab den Umstürzlern einen Rechtstitel an die Hand, der ihnen nicht nur die Móglichkeit bot, ohne weitere Einschaltung des Demos eine regierungsfáhige Bule zu bilden, sondern zugleich auch eine Handhabe bot, mittels dieses Rates die Regierungsgewalt autokratisch auszuüben und sich so über das im Zuge der Agitation während des Frühjahrs verkündete Prinzip der Teilhabe breiterer Schichten hinwegzusetzen. Der Fortgang der

Ereignisse zeigte binnen kurzem, daf) die Führer der Bewegung entschlossen waren, diese Móglichkeiten mit aller Konsequenz zu nutzen.

Die Machtergreifung der Vierhundert Die Bildung des Rates der Vierhundert wird sowohl bei Thukydides als auch in der Athenaion Politeia übergangen: in beiden Werken springt die Darstellung von der BeschluBfassung über die Bildung eines vierhunderkópfigen Ratsgremiums unvermittelt zur Machtübernahme dieses Rates und zur Abló-

sung der alten demokratischen Bule über. Bei Thukydides trágt diese Machtübernahme die Züge eines Handstreiches: Die Verschwórer, die sich offenbar trotz der auf dem Kolonos erlangten Rechtstitel

der

athenischen

Volksmehrheit

nicht

sicher

fühlen,

warten

zunächst ab, bis die nicht eingeweihten Bürgerhopliten, wie üblich, auf ihre Posten abgegangen sind. Sowie dies der Fall ist ziehen die Vierhundert (die

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also als eine de facto bereits bestehende Kórperschaft gedacht sind) mit Dolchen bewaffnet und von bewaffneten Hilfstruppen teils auBerathenischer Herkunft begleitet zum Buleuterion, wo sie die Buleuten der amtierenden demo-

kratischen Bule zum Abzug auffordern. Die Buleuten beugen sich dem Druck der Umstände und ziehen ohne Widerstand ab, nachdem sie aus den Händen

der Verschwórer den ausständigen Sold bis zum Ende ihrer regulären Amtszeit in Empfang genommen haben. Als sich nach diesem unblutigen Abgang

der alten Regierungsgewalt auch von seiten der Masse keine Regung des Widerstands zeigt, ziehen die Vierhundert in das Buleuterion ein, losen die

Prytanen (oder Prytanien?) aus und bringen Antrittsopfer dar.” Im Parallelbericht der Athenaion Politeia finden sich die von Thukydides beschriebenen dramatischen Begleitumstände des Machtwechsels mit keinem

Wort erwähnt. Die Verfassungsschrift beschränkt sich auf die Angabe der Tatsache,

daß die alte Bule vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit

aufgelöst

wurde, und daß die Vierhundert in das Buleuterion einzogen, wobei für diese Vorgänge auf den Tag genaue Daten gegeben werden: der 14. Thargelion für die Auflösung der alten Bule, der 22. desselben Monats für den Antritt der

Vierhundert. Darüberhinaus erfahren wir hier auch, daß die reguläre Amtszeit der demokratischen Bule am 13. Skirophorion, etwa einen Monat nach ihrer

tatsächlichen Auflösung, zu Ende gegangen wäre.??

Ehe wir uns mit dem Aussagewert dieser Berichte auseinandersetzen, haben

wir kurz auf die Frage nach dem Datum und dem Modus der in beiden Quellen übergangenen Bildung des Rates der Vierhundert einzugehen. Es ist anzunehmen, daß sich die Vierhundert, nachdem ihnen der Beschluß der auf dem

Kolonos Versammelten die rechtliche Grundlage dazu gegeben hatte, gemäß dem in Peisandros’ Antrag beschriebenen Verfahren selbst konstituierten; ob dies, wie man des Öfteren vermutet hat, noch im Zuge der Versammlung auf dem Kolonos geschah?” oder erst bei einer späteren Gelegenheit, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.

Wenn wir gemäß dem oben (S. 160-163) beschriebenen Wilamowitz’schen Modell davon ausgehen, daß die Vierhundert mittels einer Kooptation aus dem Kollegium der katakoyeis entstanden sind, so muß sich dieser Vorgang nicht zwangsläufig noch auf dem Kolonos vollzogen haben, da bei diesem Verfahren eine Beteiligung der Versammlung an der Auswahl der Ratsmänner

nicht vorgesehen war. Aber auch wenn wir den Wortlaut des Antrages, so wie Thukydides ihn wiedergibt, akzeptieren, muß lediglich die Wahl der fünf πρόεδροι noch in der Versammlung erfolgt sein, nicht aber die darauffolgen21 Thuk. 8,69,2-8,70,1. 73 Ath. Pol. 32,1; zu der Problematik, den 14. und 22. Thargelion mit julianischen Kalenderdaten übereinzustimmen s. o., 106 mit Anm. 56.

25 7 B. Meyer, Forschungen II 430; Busolt, GG III 2, 1481 Anm. 1; Hackl, Oligarchische Bewegung

51f.

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den Schritte der Auswahl der ἑκατὸν ἄνδρες und der Kooptation der weiteren dreihundert Männer durch die ἑκατόν. Die dadurch aufgeworfene Móglichkeit, daf) sich die Konstituierung des Rates der Vierhundert nicht im Rahmen der Kolonosversammlung vollzogen haben könnte, hängt an der Frage nach dem zeitlichen Verhältnis zwischen dieser Versammlung und dem Einzug der Vierhundert in das Buleuterion. Der Wortlaut von Thukydides' Bericht in 8,69,1f. hat des öfteren zu der Annahme

Anlaß gegeben, daß beide Ereignisse auf denselben Tag fallen;"^ trifft dies zu, so muß sich die Bildung des Rates der Vierhundert wohl zwangsläufig noch im Zuge der Kolonosversammlung bzw. in unmittelbarem Anschluß daran vollzogen haben.

Demgegenüber hat man zu Recht eingewendet, daB einerseits der Bezug der Schlüsselpassage τῇ ... ἡμέρᾳ ἐκείνῃ auf den Tag der Kolonosversammlung vom Sprachlichen her nicht als zwingend angesehen werden kann,?? und daß vom sachlichen Zusammenhang her die bei Thukydides im Anschluß an die

strittige Phrase gebotene Angabe, die athenischen ‚Hopliten seien an jenem Tag „wie gewöhnlich“ auf ihre Posten abgegangen,””° mit der Vorstellung einer am gleichen Tag. außerhalb der Stadt abgehaltenen Ekklesie kaum vereinbar zu sein scheint. Hält man es demnach für wahrscheinlicher, daß sich die Machtübernahme der

Vierhundert nicht am Tage der Kolonosversammlung, sondern an einem der

darauffolgenden Tage vollzogen hat,"* so bleibt die Möglichkeit offen, daB sich die endgültige Bildung des Rates der Vierhundert außerhalb des Blickfeldes der Öffentlichkeit vollzogen hat. Wenn die Verschwörer ihre Amtsübernahme tatsächlich, wie Thukydides berichtet, als einen Überraschungs-

und Überrumpelungscoup anlegten, so mußte ihnen eine solche Vorgangs-

weise jedenfalls sehr geraten scheinen^?

Aber kónnen wir dem Bericht des Thukydides in dieser Hinsicht überhaupt Glauben schenken? Wir haben bereits Gelegenheit gehabt, bei diesem Histo224 Thuk. 8,69,1f. Ἐπειδὴ δὲ ἡ ἐκκλησία οὐδενὸς ἀντειπόντος, ἀλλὰ κυρώσασα ταῦτα διελύθη, τοὺς τετρακοσίους ἤδη ὕστερον ... ἐς τὸ βουλεντήριον ἐσήγαγον. ἦσαν

[δ᾽

᾿Αθηναῖοι

πάντες

αἰεὶ οἱ μὲν ἐπὶ τείχει, οἱ 5' ἐν τάξει,

τῶν

Ev Δεκελείᾳ

πολεμίων ἕνεκα ἐφ᾽ ὅπλοις: τῇ οὖν ἡμέρᾳ ἐκείνῃ ....

Die Phrase τῇ οὖν ἡμέρᾳ ἐκείνη, mit der Thukydides (8,69,2) seinen Bericht von der Ablósung der alten Bule einleitet, ist nach Ansicht einiger Autoren im Sinne von ,,Der Tag der Kolonosversammlung" zu verstehen, so etwa Steup bei Classen/Steup, Thukydides 167; Caspari, Revolution 10 Anm. 39; Hignett, HAC 360; Hackl, Oligarchische Bewegung 5]; . McCoy, Moderates 73. 2^ Flach, Staatsstreich 25; Andrewes, HCT V 179. 2, Thuk. 8,69,2 τοὺς μὲν μὴ ξυνειδότας εἴασαν ὥσπερ εἰώθεσαν ἀπελθεῖν.

217 Andrewes, HCT V 179f. (vgl. Judeich, Untersuchungen 304); anders Van der Ploeg, Theramenes 76, der das ἀπελθεῖν auf das Verlassen der Versammlung beziehen möchte. 2

Vol. o., S. 105.

22 Vgl. o., S. 105 und 112 mit Anm. 15.

- 167 riker eine deutliche Tendenz zur Überbetonung der gewaltsamen und illegalen

Aspekte der Umsturzbewegung festzustellen und gute Gründe gefunden, seinen Bericht über die Bedeutung terroristischer Aktivitäten während der Vorbereitungsphase des Umsturzes zu relativieren.””° Es könnte daher der Verdacht naheliegen, daß Thukydides auch im Falle der Ablösung der demokratischen Bule die Momente des Illegalen und Gewaltsamen (das hier allerdings nur als Drohung im Hintergrund stand) stärker herausgestellt haben könnte als

es dem tatsächlichen Geschehen entsprach. Auf der anderen Seite haben wir das durch die Athenaion Politeia auf der Basis einer von Thukydides unabhängigen Quelle bestätigte Faktum, daß die alte Bule vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit abgelöst wurde, was man doch wohl als Hinweis kann.

auf eine zumindest irreguläre Vorgangsweise

verstehen

Von besonderem Interesse für diese Frage ist das Zeugnis der pseudo-lysianischen Polystratosrede, deren Zweck ja in der Verteidigung eines Mitgliedes der Vierhundert liegt. Unglücklicherweise werden dort gerade die Vorgänge

um den Amtsantritt der Vierhundert nur andeutungsweise und ohne Hinweis auf die näheren Umstände erwähnt. Immerhin erfahren wir in $ 1 der Rede, daB die Vierhundert in ihrer groBen Mehrheit „als [dem Demos] Wohlgesonnene ins Buleuterion einzogen'",?! was mit dem thukydideischen Bild der mit

dem Dolch im Gewande vor dem Rathaus aufmarschierenden Verschwörer doch deutlich kontrastiert. Allerdings betont der Verteidiger des Polystratos in derselben Rede die von den Führern der Verschwórer ausgeübte Zwangsgewalt, der auch ‚gie „gewöhnlichen“ Mitglieder der Vierhundert unterworfen gewesen seien;"? dieser Hinweis auf die Zwangslage der ‘Mitläufer’ konnte

im Kontext der Verteidigungsrede zur Erklärung und Entschuldigung für alle Aktivitäten dienen, die zu der eingangs behaupteten guten Gesinnung des

Angeklagten und der anderen eüvoı unter den Vierhundert in Widerspruch standen. Es liegt ganz auf dieser Linie, wenn an einer späteren Stelle der Rede behauuptet wird,

Polystratos

sei anläßlich

seines

Eintritts

in das

Buleuterion

„gezwungen“ worden, einen Eid abzulegen: „Er aber wollte weder schwören noch als katakoyeus tätig sein, doch sie zwangen ihn, indem sie ihm Bußen

und Geldstrafen auferlegten (bzw. aufzuerlegen androhten?).7^ ^s

o., S. 109.111-114.

>! [Lys.] 20,1, zit. o., S. 159. ^», Lys. ] 20,8£.14. 23 Daß es sich bei dem nach [Lys.] 20,14 dem Polystratos abgezwungenen ὅρκος um den Antrittseid als Mitglied des Rates der Vierhundert handeln muß, erkannte bereits Wilamowitz, AuA II 356f ; vgl. Heftner, Polystratos 77. 24 (Lys] 20,14 οὗτος δὲ οὔτε ὀμόσαι ἤθελεν οὔτε καταλέγειν, ἀλλ᾽ αὐτὸν

ἠνάγκαζον. ἐπιβολὰς ἐπιβάλλοντες καὶ ζημιοῦντες.

- 168 -

Die Betonung des angeblich auf Polystratos ausgeübten Zwanges ist natürlich durch den apologetischen Redezweck motiviert. Ob Polystratos sich tatsách-

lich so unwillig zeigte, die ihm übertragene Funktion zu übernehmen, daf die Häupter der Verschwörung ihn persönlich durch Strafandrohungen und Bußgelder unter Druck setzten, muf mehr als zweifelhaft erscheinen, zumal der

Verteidiger über diese Episode, die ja einen trefflichen Beweis für die antioligarchische Haltung des Angeklagten geboten hätte, verdächtig rasch hinweggleitet. Es ist daher durchaus denkbar, daß hinter den ἐπιβολαί und ζημίαι unserer Passage nicht mehr steckt als eine im Zuge der Konstituierung

der Vierhundert pro futuro dekretierte Festsetzung von Bußgeldern für allfällige Pflichtversáumnisse der Buleuten, vergleichbar etwa der in der Zukunftsverfassung, Ath. Pol. 30,6 vorgesehenen Buße für das Nichterscheinen zu den Ratssitzungen. In diesem Fall wird man der Stelle nicht mehr entnehmen kónnen, als daß Polystratos’ Verteidiger es für geraten hielt, für die Teilnahme

seines Mandanten an der Antrittszeremonie der Vierhundert um jeden Preis einen Entschuldigungsgrund zu suchen. Das deutet darauf hin, daB in der Sicht des demokratischen Publikums von 410 bereits die Amtsübernahme der Vierhundert, nicht erst ihre spátere Amtsführung, mit belastenden Erinnerun-

gen verknüpft war. Natürlich kann diese Stelle in ihrer tendenziósen Knappheit nicht als vollgültige Bestätigung der thukydideischen Darstellung von der Machtübernahme der Vierhundert gelten; zusammengenommen mit der durch die Athenaion

Politeia bestätigten Irregularität des Zeitpunktes”” können wir sie jedoch immerhin als weiteres Indiz dafür nehmen,

daß die Ablösung

der demokrati-

schen Bule tatsächlich unter Umständen erfolgte, die weit genug aus dem Rahmen des Gewohnten fielen, um Anlaß zu einer Deutung als putschistische Gewaltaktion zu geben. Ähnlich wie bei der Kolonosversammlung selbst mag auch hier das Bestreben, den widerstandslosen Untergang der Demokratie zu rechtfertigen, schon bei miterlebenden Zeitgenossen zu einer Überbetonung der illegalen Aspekte des Vorganges und der von den Verschwörern ausgehenden Gewalt geführt haben. Thukydides wiederum dürfte aus seiner Auffas-

sung heraus, daß der Sturz der alteingesessenen athenischen Demokratie kaum mit gewöhnlichen Mitteln bewerkstelligt worden sein konnte,”° durchaus willig gewesen sein, sich diese Sicht der Dinge zu eigen zu machen. Wieviel von dem so entstandenen Bild im einzelnen der Realität entsprochen hat, läßt sich beim Stand unserer Überlieferung nicht mehr ausmachen; aber

auch wenn man an allzu pittoresken Einzelheiten, wie etwa den im Gewand verborgenen Dolchen der Vierhundert, Abstriche machen möchte,’ wird

35 s. o., S. 165. 236 Dazu s. o, S. 112f.

9 S. jedoch McCoy, Debut 179f.

- 169-

man die Vorstellung eines überraschend durchgeführten, durch Gewaltandrohung unterstützten Handstreichs der Oligarchen wohl als im Kern historisch akzeptieren kónnen.

Es bleibt noch die Frage des von der Athenaion Politeia behaupteten achttägigen Intervalls zwischen der Ablósung des alten Rates und dem Einzug der Vierhundert zu erörtern.

Der Wortlaut des thukydideischen Berichtes vom Einzug der Vierhundert in das Buleuterion erweckt den Eindruck, die Vierhundert hätten die εἰσιτητήρια, die für den Amtsantritt einer neuen Bule festgesetzten Gebete und Opfer, gleich bei ihrem Einzug durchgeführt,””® was man wohl als die unter der Demokratie reguläre Praxis ansehen kann,””” betreffend den Zeitpunkt dieses Einzuges jedoch laßt der Historiker die Möglichkeit offen, daß er nicht unmittelbar auf den Abgang der alten Bule folgte; zumindest deutet die Notiz „als die [alte] Bule .... ohne Widerspruch abgezogen war und auch die übrigen Bürger in keiner Weise Widerstand leisteten, sondern sich ruhig verhielten,

zogen die Vierhundert ins Buleuterion ein“?* darauf hin, daß die Vierhundert nach der Ablösung der demokratischen Bule einen nicht näher bestimmten Zeitraum

lang die Reaktionen

der Bürgerschaft

abwarteten,

ehe

sie sich

definitiv im Buleuterion etablierten. Für eine derart motivierte Zurückhaltung lassen sich in der Tat gute Gründe anführen, denn in der gegebenen Situation mußte es für die Vierhundert, d. ἢ. die aus den Häuptern der ξυνωμόται gebildete Führungsgruppe dieses Gremiums, nach der Auflósung des alten Rates naheliegen, zunächst abzuwarten, auf die Stimmung im Volke zu achten, und das eigene Vorgehen nach dem Maß des eventuellen Widerstandes abzustimmen: Nahm der Demos die handstreichartige Installation des

neuen Rates ruhig hin, so durften sich die Vierhundert dazu ermutigt fühlen, die neugewonnene Macht allein und unbeschränkt auszuüben, regte sich hingegen ernster Widerstand, so hätten sich die Verschwörungshäupter wohl, wie

es vier Monate später tatsächlich der Fall war,*' genötigt gesehen, die Fünf-

tausend definitiv zu konstituieren und an der Macht zu beteiligen. Von diesen Überlegungen her gesehen können sowohl die Verzögerung an

sich als auch die von Thukydides dafür angeführte Begründung als durchaus wahrscheinlich gelten, und es liegt nahe, diesen Zeitraum des Abwartens mit

dem in Ath. Pol. 32,2 genannten achttägigen Intervall zwischen der Auflösung 2® Thuk. 8,70,1 ὡς ... ἡ τε βουλὴ οὐδὲν ἀντειποῦσα ὑπεξῆλθε kal ol ἄλλοι πολῖται

οὐδὲν ἐνεωτέριζον, ἀλλ' ἡσύχαζον, οἱ δὲ τετρακόσιοι ἐσελθόντες ἐς τὸ βουλευτήριον τότε μὲν πρυτάνεις τε σφῶν αὐτῶν ἀπεκλήρωσαν καὶ ὅσα πρὸς τοὺς θεοὺς εὐχαῖς καὶ θυσίαις καθιστάμενοι ἐς τὴν ἀρχὴν ἐχρήσαντο, ὕστερον δέ ..... 27 Zu den εἰσιτητήρια (bzw. εἰσιτήρια s. LSJ s. v. ) s. Busolt, Staatskunde I 518 m. Anm. 1; Busolt/Swoboda, Staatskunde II 1023 m. Anm. 1; Rhodes, Boule 13.

Thuk. 8,70,1, zit. o., Anm. 238. 74! Ath. Pol. 33,1 μῆνας μὲν οὖν ἴσως τέτταρας ... zu den Ereignissen s. u., S. 271.

- 170 der alten Bule und dem Antritt der Vierhundert gleichzusetzen. Allerdings wird man trotz des von Thukydides und der Athenaion Politeia suggerierten

Eindrucks kaum annehmen können, daß die Vierhundert mit dem Einzug ins Buleuterion als solchem so lange zugewartet hätten. Als wesentlich wahrscheinlicher kann demgegenüber, wie oben (S. 105f.) ausgeführt, die in der Forschung seit Eduard Meyer mehrfach vertretene Rekonstruktion gelten, derzufolge die Vierhundert zwar unmittelbar nach dem

Abzug der alten Bule am 14. Thargelion das Buleuterion besetzt und de facto die Regierungsgewalt übernommen, die formellen Zeremonien des Amtsan-

trittes jedoch erst am 22. Thargelion vollzogen haben.°*

Macht man sich diese Deutung der in Ath. Pol. 32,2 genannten Daten zu eigen, so setzt man sich zu den Darstellungen sowohl des Thukydides als auch der Athenaion Politeia insofern in Widerspruch, als die nach dieser Rekonstruktion anzunehmende zeitliche Diskrepanz zwischen dem Einzug der Vierhundert ins Buleuterion und den formalen Zeremonien des Amtsantrittes in

beiden Quellen ignoriert wird: Thukydides läßt den Einzug der Vierhundert expressis verbis mit den εἰσιτητήρια zusammenfallen,?” die Athenaion Poli-

teia scheint ebendies zu implizieren, wenn sie den Einzug der Vierhundert auf den 22. Thargelion verlegt, in dem wir nach Meyer den Tag der εἰσιτητήρια zu erkennen haben. Man muß also, wenn man sich Meyers Rekonstruktion zu eigen machen móchte, annehmen, daB Thukydides' Darstellung zwei Ereignisse miteinander verknüpft, die in Wirklichkeit acht Tage auseinander lagen und daß die

Athenaion Politeia den Zeitpunkt der nachtráglichen formellen Bestátigung der Vierhundert als denjenigen des tatsächlichen Amtsantrittes hinstellt; beide

Prämissen können jedoch, wenn man einerseits die bereits mehrfach festgestellte Tendenz des Thukydides zur chronologischen Unschärfe und zusam-

menziehenden Darstellung,"^* andererseits die in der Athenaion Politeia offenkundige Fixierung auf staatsrechtliche Formalakte in Betracht zieht, als durchaus möglich und erklärbar gewertet werden. Auch vom Gesichtspunkt der Sachkritik stehen der oben skizzierten Rekonstruktion keine schwerwiegenden Bedenken entgegen: Zwar mag die achttägige Verzögerung der formellen Eintrittszeremonien auf den ersten Blick befremdlich lange erscheinen, doch haben wir neben dem in Thukydides’ Be-

richt implizierten Bestreben, die Reaktion des Demos abzuwarten,?* die Tatsache zu bedenken, daß die Vierhundert nach ihrem Einzug ins Buleuterion nicht einfach dort weitermachen konnten, wo ihre demokratischen Vorgänger aufgehört hatten, sondern sich zunächst mit der Notwendigkeit umfangreicher 24 «. die o., S. 105 Anm. 49 genannten Autoren.

243 Thuk. 8,70,1, zit. o., S. 169 Anm. 238. 244 s. o., S. 60f. und 102f. 25 Thuk. 8,70,1, dazu o., S. 169.

-171-

Neuordnungen konfrontiert sahen: so galt es vor allem, die eigene Gescháfts-

ordnung festzusetzen sowie über die in Hinkunft zu befolgenden Prinzipien der staatlichen Ordnung Klarheit zu gewinnen. Darüberhinaus erhob sich die

Notwendigkeit einer Entscheidung über die allfállige Neubesetzung der wichtigeren Amtsstellen, vor allem im militärischen Bereich. Zwar ist anzunehmen, daß die Häupter der Verschwörung ihre diesbezüglichen Zielvorstellungen schon im voraus im internen Kreis abgeklürt hatten, aber wenn es ihnen, was wir doch für wahrscheinlich halten dürfen, darauf

ankam, den Schein einer freien Beratung und Entscheidungsfindung zu wahren, so konnten die angestrebten Regelungen den Ratsmitgliedern nicht einfach ‘von oben’ dekretiert werden, ohne daß die einzelnen Vorschläge in öffentlicher Rede begründet und den Buleuten Gelegenheit zur Diskussion gegeben wurde. Kann es demnach als wahrscheinlich gelten, daß die ersten Tage der Vierhun-

dert mit Debatten über die vorderhand zu setzenden Maßnahmen ausgefüllt waren,

so

hat

die

Annahme,

daß

man

die

Durchführung

der

formellen

εἰσιτητήρια aufschob, um dann im Zuge dieser Zeremonien zugleich auch die getroffenen Regelungen öffentlich verkünden zu können, nichts Verwunderliches mehr an sich. Wir dürfen daher trotz der anderslautenden Angaben unserer beiden erzählen-

den Quellen davon ausgehen, daß die Vierhundert nach der Ablösung alten Bule am 14. Thargelion gleich in das Buleuterion einzogen und daß acht Tage lang de facto die Funktion eines regierenden Rates erfüllten, bis sich am 22. Thargelion mit der Abhaltung der εἰσιτητήρια auch formell

der sie sie als

amtierende Bule konstituierten. Mit dieser Rekonstruktion lassen sich nun die in der Polystratosrede enthalte-

nen Angaben über die Dauer von Polystratos’ Teilhabe am Regime der Vierhundert in Verbindung bringen. Der Sprecher dieser Rede betont mehrfach, daß der Angeklagte Polystratos nur acht Tage lang tatsächlich Mitglied im Rate der Vierhundert gewesen,

dann aber sogleich nach Eretria abgesegelt sei; ^^ die näheren Umstände dieser Abreise bleiben dabei im Dunkeln, doch läßt sich mit gutem Grund vermuten, daß Polystratos nicht auf eigene Faust, sondern in offiziellem Auf-

trag nach Eretria ging." Da diese Episode aller Wahrscheinlichkeit nach an

246 (Lys.] 20,14 ἐπεὶ δὲ ἠναγκάσθη kal ὥμοσε τὸν ὅρκον, ὀκτὼ ἡμέρας εἰσελθὼν εἰς

τὸ βουλευτήριον ἐξέπλει εἰς 'Ep£rpiav. 147 Dafür spricht der Wortlaut von [Lys.] 20,17, wo die von Polystratos in Eretna ausgeübte Funktion als ἀρχή bezeichnet zu sein scheint, s. Andrewes, HCT V 202. Anders Rhodes,

Boule 13, Anm. 5, der Polystratos' Abreise als Indiz dafür betrachtet, daß die Vierhundert den Unwilligen unter ihren Mitgliedern bereitwillig Dispens von der Teilnahme an den Sitzungen erteilt hätten.

-172-

den Beginn der Amtszeit der Vierhundert gehört,?“ scheint es verlockend, diese acht Ratsherrntage des Polystratos mit dem in der Athenaion Politeia

angegebenen Zeitraum vom 14. zum 22. Thargelion gleichzusetzen.” Wir

erhielten damit eine Bestätigung für die Meyersche Hypothese, die die Vierhundert während dieser Zeit bereits als Ratsversammlung amtieren läßt, dar-

überhinaus könnte man das Zusammenfallen der für den 22. Thargelion anzunehmenden Einzugszeremonien mit Polystratos’ Abreise nach Eretria als Indiz dafür werten, daß während der acht 'Vorbereitungstage' auch über die Besetzung öffentlicher Funktionen Beschluß gefaßt und die getroffenen Dispositionen anläßlich der εἰσιτητήρια öffentlich verkündet wurden.

Der durch die Polystratosrede bezeugte Antrittseid der Vierhundert hingegen müßte, wenn die acht Tage der Polystratosrede mit der zwischen dem 14. und dem 22. Thargelion liegenden Zeitspanne gleichzusetzen sind, bereits im Kontext des tatsächlichen Einzuges in das Buleuterion geleistet worden sein, da er nach dem eindeutigen Zeugnis der Rede an den Beginn der besagten

acht Tage fällt.?”

Diese sich aus den „acht Tagen" der Polystratosrede ergebenden weiterfüh-

renden Möglichkeiten müssen freilich mangels eindeutiger Parallelüberlieferung im Bereich des Ungesicherten bleiben, scheinen aber im Hinblick auf die Übereinstimmung der Zeitspanne doch der Beachtung wert. Wo im Ablauf der Ereignisse von der Kolonosversammlung zum 22. Thargelion wir die von Thukydides bezeugte Auslosung von Prytanen durch die Vierhundert zu setzen haben, bleibt ungewiß, da wir über den Charakter die-

ser Prytanien nichts wissen. Bezieht sich Thukydides' Aussage πρυτάνεις τε σφῶν αὐτῶν ἀπεκλήρωσαν (8,70,1) auf eine Einteilung der Vierhundert in Prytanien analog zum System der demokratischen Bule,?! so scheint es

durchaus denkbar, daß diese erst im Zuge der offiziellen Konstituierung des Rates am 22. Thargelion erfolgte; handelte es sich hingegen um die Wahl eines Leitungsgremiums für die Bule,?” so müßte dieser Akt wohl gleich bei 2# Dafür spricht vor allem die Tatsache, daß Polystratos aufgrund einer Wahl durch die Phyleten in den Rat der Vierhundert gelangt ist, was sich mit der an sich denkbaren Möglichkeit einer nachträglichen Aufnahme in den Rat (so Costanzi, Oligarchia 98f. und Van der Ploeg, Theramenes 34-36; vgl. Pesely, Andron 76, Anm. 70) kaum vereinbaren läßt; s. Andrewes, HCT V 202 und Heftner, Polystratos 76, Anm. 22.

29 So bereits Kuberka, Beiträge 355. Daß der Verteidiger des Polystratos stets von „acht Tagen“ spricht, während die in Ath. Pol. 32,2 genannte Zeitspanne bei der im Griechischen an sich zu erwartenden Einrechnung des Anfangs- und des Enddatums neun Tage ergeben

würde, wird man wohl nicht als Widerspruch zu werten haben, sondern auf das Konto des apologetischen Redezweckes setzen, der den Sprecher veranlaßte, die Dauer von Polystra-

tos’ Ratsmitgliedschaft als möglichst kurz hinzustellen.

250 [Lys.] 20,14 (zit. o., S. 167 Anm. 234).

75! So Classen/Steup, Thukydides 170 und Pesely, Andron 74 Anm. 60. ?? So Ruzé, Délibération 483 Anm. 42.

- 173 -

der Aufnahme der Amtsgeschäfte nach der Ablösung des alten Rates vollzo-

gen worden sein. Der Wortlaut des Thukydides spricht eher für die zweite die-

ser Möglichkeiten?” doch laßt sich eine sichere Entscheidung nicht treffen. Mit ihrer zügig und erfolgreich durchgeführten Machtübernahme war es den Reformern gelungen, ein Regierungsorgan zu installieren, das in seiner autokratischen Konzeption (weniger vielleicht in seiner personellen Zusammensetzung) den Vorstellungen des konsequent oligarchischen Flügels der Re-

formbewegung entgegenkam. Aus der Sicht dieser Ultras konnte allein eine sozial exklusive und von ihrer Größe her kontrollierbare Ratsversammlung ein brauchbares Regierungsorgan darstellen, wührend eine Beteiligung breiterer Schichten, ja auch nur des bessergestellten Teiles der Hoplitenklasse „geradezu als Volksherrschaft'?* und somit als verderblich galt. Es ist bezeichnend für die innerhalb der nunmehr tonangebenden Kreise gegenüber der Hoplitenschicht herrschende Einstellung, daB man sich beim Putsch offenbar besonders aus den Reihen der Hopliten Widerstand erwartete und sich dagegen sichern zu müssen glaubte. Daß ein solcher Widerstand ausblieb, mußte den radikalen Kräften als Bestätigung ihres Vorgehens erscheinen und gab ihnen Anstoß zur Etablierung eines Systems, in dem die Regierungsgewalt ohne Berücksichtigung der Fünftausend allein vom Rat der Vierhundert ausgeübt werden sollte. Im Zuge der εἰσιτητήρια dürfte diese autokratische Regierungsgewalt dann symbolisch abgesegnet worden sein. Die rechtliche Handhabe für die Kaltstellung der Fünftausend bot der Beschluß der Kolonosversammlung, der es in das Belieben der Vierhundert stellte, die Fünftausend einzuberufen, „sobald es ihnen geraten scheine“ (τοὺς

πεντακισχιλίους δὲ ξυλλέγειν ὁπόταν αὐτοῖς δοκῇ). Dank dieser Bestimmung konnte die Fiktion einer Herrschaftsbeteiligung der Fünftausend aufrechterhalten werden, zugleich aber deren tatsächliche Einbe-

rufung und Konstituierung auf unbestimmte Zeit aufgeschoben werden - ein Schwebezustand, der während der gesamten Dauer der Herrschaft der Vierhundert Bestand haben sollte. Wie sehr es den Vierhundert darauf ankam, nach außen hin den Eindruck

einer Beteiligung der Fünftausend aufrechtzuerhalten, zeigt sich deutlich anhand ihres Versuches, die auf Samos stehenden Truppen mit dem neuen Stand der Dinge in der Heimatstadt zu versöhnen: „Gleich nach ihrer Macht-

253 In diesem Sinne auch Andrewes, HCT V 181f.; vgl. u., S. 236f.

7*4 Thuk. 8,92,11, zit. o., S. 152 Anm. 178.

255 Thuk. 8,67,3. Daß man in dieser Passage die Konjunktion ὁπόταν nicht iterativ verstehen kann, sondern vielmehr auf die erstmalige Einberufung der Fünftausend zu beziehen hat, wird durch den Vergleich mit dem sonstigen Gebrauch von ὁπόταν + Konj. bei Thukydides wahrscheinlich gemacht: s. etwa Thuk. 2,84,2 καὶ τὴν ἐπιχείρησιν ἐφ᾽

ἑαντῷ τε ἐνόμιζεν εἶναι, ὁπόταν βούληται ...

- 174 -

übernahme“

(εὐθὺς

μετὰ

τὴν

ἑαυτῶν

Gesandtschaft von zehn Männern

κατάστασιν):

nach Samos

offizielle Version des in der Mutterstadt schwungs verkünden sollten (Thuk. 8,72,1):

abgehen,

vollzogenen

ließen

sie eine

die dem

Heer die

"Verfassungsum-

... οὐκ ἐπὶ βλάβῃ τῆς πόλεως kal τῶν πολιτῶν ἡ ὀλιγαρχία κατέστη, ἀλλ᾽ ἐπὶ

σωτηρίᾳ

τῶν

τετρακόσιοι

ξυμπάντων

μόνον

πραγμάτων.

οἱ πράσσοντες:

καίτοι

πεντακισχίλιοί τε ὅτι εἶεν καὶ οὐ οὐ πώποτε

᾿Αθηναίους

διὰ

τὰς

στρατείας καὶ τὴν ὑπερόριον ἀσχολίαν ἐς οὐδὲν πρᾶγμα οὕτω μέγα ἐλθεῖν βουλεύσοντας ἐν ᾧ πεντακισχιλίους ξυνελθεῖν. » .. die Oligarchie sei nicht zum Nachteil der Stadt und der Bürger errichtet worden,

sondern zur Rettung des gesamten Staatswesens. Es seien Fünftausend, nicht nur Vier-

hundert, an der Staatsführung beteiligt; und doch seien die Athener aufgrund des Kriegsdienstes und der sonstigen Auslandsaufträge zu keinem noch so wichtigen Geschäft in einer Zahl von mehr als fünftausend zur Beratung zusammengekommen.“

Die Beschwórung der σωτηρία τῶν ξυμπάντων πραγμάτων liegt ganz auf der in der antidemokratischen Agitation von Anfang an verfolgten Linie; die darauffolgende Rechtfertigung für die Institution der Fünftausend hinge-

gen läßt sich so, wie Thukydides sie wiedergibt, in ihrer argumentativen Logik nicht leicht nachvollziehen, und es fällt schwer zu glauben, daß die Gesandten mit einer solchen Botschaft bei einem skeptischen Publikum Wir-

kung zu erzielen hofften. Selbst wenn wir die sachliche Fragwürdigkeit der aufgestellten Behauptung über die Zahl der Ekklesienbesucher außer Acht lassen,” muß es für jeden Zuhörer offenkundig gewesen sein, daß sich eine nach timokratischen Gesichtspunkten beschränkte Versammlung der *"Fünftausend' mit den allen Bürgern zugänglichen demokratischen Ekklesien auch dann nicht vergleichen ließ, wenn letztere tatsächlich niemals von mehr

als fünftausend Männern gleichzeitig besucht worden sein sollten. Zur Lösung für dieses Dilemma schlägt Kagan vor, die betreffende Passage nicht auf die zur Rechtfertigung angeführten Verhältnisse der Demokratie, sondern auf die gegenwärtig unter der geänderten Verfassung in Athen herrschenden Verhältnisse zu beziehen: Die Gesandten sollten darlegen, daß die

eigentliche Gewalt im Staate bei den Fünftausend liege, daß es aber aufgrund der militärischen und sonstigen Notwendigkeiten noch nicht möglich gewesen

sei, diese Fünftausend tatsächlich zu versammeln.?* Unglücklicherweise fügt sich diese Deutung weder zum Wortlaut” noch zu dem im Kontext anzu-

256 Thuk. 8,72,2; vgl. dazu u., S. 242f. 257 Zur Frage nach der tatsächlichen Zahl von Teilnehmern an den Sitzungen der Ekklesie s. Thompson/Wycherley, Agora 48-52 und Hansen, How Many Athenians passim, bes. 123f.; ders, Athenian Democracy u., S. 195f. '

130-132; Bleicken, Athenische Demokratie 500f. Vgl.

251 pgan, y Fall 181, Anm. 87.

259 Man beachte, daB in der fraglichen Passage ol ᾿Αθηναῖοι und nicht, wie bei Kagans Deutung zu erwarten, ol πεντακισχίλιοι als Subjekt erscheinen.

- 175 -

nehmenden Zweck der Rede; darüberhinaus ist festzustellen, daß die betreffenden Ausführungen, nach dem Referat in Thuk. 8,86,3 zu schließen, beim späteren tatsächlichen Auftreten der Gesandten auf Samos nicht wieder-

holt wurden, obwohl sie - im Kagan’schen Sinne als Entschuldigung für die Nichteinberufung der Fünftausend verstanden - damals noch eher angebracht gewesen wären als in der Zeit unmittelbar nach dem Umsturz. Wenn wir daher an dem traditionellen Verständnis des Textes festzuhalten haben, müssen wir entweder die Botschaft der Vierhundert an das samische

Heer als ein in seiner Unlogik leicht zu durchschauendes Propagandastück bewerten oder aber die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß die Gesandten ihr Publikum ganz bewußt über die wahre Natur der Fünftausend im unklaren lassen und den Eindruck erwecken sollten, es seien potentiell weiterhin alle Athener zur politischen Teilhabe berechtigt. Es verdient in diesem Zusammenhang Beachtung, daß der Wortlaut der späterhin tatsächlich auf Samos vorgetragenen Botschaft eine in diese Richtung gehende Deutung zuläßt.?°' In der Thuk. 8,72,1 wiedergegebenen Botschaft findet sich diesbezüglich keine

klare Äußerung, jedenfalls aber sticht die Tatsache ins Auge, daß dort die Beschränkung der Berechtigtenzahl durch den Verweis auf die Umstände der Kriegszeit (διὰ τὰς στρατείας kal τὴν ὑπερόριον ἀσχολίαν) gerechtfertigt wird,*^ was klar darauf hindeutet, daß die Gesandten den Truppen gegenüber die Verfassungsánderung als eine bloß temporäre Notstandsmaßnahme

darstellen sollten. Wie immer sich dies verhalten haben mag, die Gesandten erhielten vorderhand keine Gelegenheit, ihre Propagandabotschaft vor das vorgesehene Publikum zu bringen: Während sie sich noch auf der Reise befanden, traf von Samos her die Nachricht ein, daß dort „die Sache der Oligarchie bereits wieder

gestürzt worden sei‘ und sowohl in der Stadt als auch im Athenerheer die Verfechter der Demokratie die Kontrolle übernommen hätten. Die Gesandten

zogen es daher vor, zunächst einmal auf Delos die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Mit

dem

‘Gegenschlag’

der Demokraten

auf Samos

war

eine

politische

Spaltung zwischen der Stadt Athen und den in Ionien stehenden Streitkräften 250 Die Ausführungen der Gesandten sind darauf berechnet, die Beschränkung der politisch Berechtigten auf die Zahl Fünftausend zu relativieren, indem sie auf die unter der Demokratie in Kriegszeiten gegebenen Verhältnisse hinweisen, käme es ihnen, wie Kagan will, darauf an, die Nichteinberufung der Fünftausend zu rechtfertigen, wäre wohl eine diesbezüglich eindeutigere Formulierung zu erwarten, die dann tunlichst auch das Versprechen einer zukünftigen Einberufung der Fünftausend enthalten müßte. 21 s u,, S. 184f.

262 Daß sich die Behauptung, es seien niemals mehr als fünftausend Bürger zur Beratung zusammengekommen, nur auf die unter der gegenwärtigen Kriegssituation gegebenen Verhältnisse beziehen kann, betont zu Recht bereits Busolt, GG III 2, 1499 Anm. 1.

Thuk. 8,73,1.

- 176 eingeleitet worden, die, wie sich binnen kurzem zeigen sollte, für die weiteren

Schicksale des Regimes der Vierhundert bestimmend werden sollte. Ehe wir uns jedoch diesen samischen Ereignissen und ihrer Auswirkung auf das Regime der Vierhundert in Athen zuwenden kónnen, haben wir uns mit zwei

Dokumenten zu befassen, die in der Überlieferung in den Kontext der Machtergreifung der Vierhundert gesetzt sind, deren Inhalt jedoch in der Forschung Anlaß zum Zweifel an der Richtigkeit dieser Zuordnung, ja sogar an der Authentizitüt der Texte selbst gegeben hat: die Verfassungsentwürfe in Kapitel 30 und 31 der Athenaion Politeia.

-177 -

EXKURS II: DIE „VERFASSUNGSURKUNDEN“ IN KAP. 30 UND 31 DER ATHENAION POLITEIA IM KONTEXT DER EREIGNISSE VON 411 Im Anschluß an den Bericht über den Beschluß zur Einsetzung der Fünftausend in 29,4f. findet sich in der Athenaion Politeia die Nachricht, daß aus den Reihen der Fünftausend (die hier also als bestehende Kórperschaft vorausgesetzt sind) ein Gremium von hundert Männern bestellt wurde, Um die Verfassung aufzuschreiben" (avaypäyovras τὴν πολιτείαν). Diese hundert Männer hätten darauf zwei Entwürfe aufgezeichnet, einen „für die Zukunft“

(wiedergegeben in Kap. 30 der Ath. Pol), einen ,für die Gegenwart" (wiedergegeben in Kap. 31)? Beide Entwürfe seien vom Volk abgesegnet worden, worauf die neue Regelung durch die Auflósung der alten demokratischen Bule und den Amtsantritt des im Provisorium vorgesehenen Rates der Vierhundert in Kraft getreten sei.’ Die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieses Berichts angesichts der divergie-

renden Darstellung des Thukydides, vor allem aber das Problem der Bewertung der beiden in Kap. 30 und 31 wiedergegebenen Verfassungsdokumente, haben seit der Wiederauffindung und Publikation der Athenaion Politeia zu einer ebenso intensiven wie kontroversen Forschungsdiskussion Anlaß gege-

ben. Die Fragen nach der Authentizität, nach dem Charakter und der Entstehungszeit dieser Dokumente wie auch nach ihrem Verhältnis zueinander und ihrer Stellung im Rahmen des in der Athenaion Politeia gegebenen Berichts über die Ereignisse von 411 haben in der Forschung kraß divergierende Ant-

worten gefunden. Bezüglich der grundlegenden Frage nach der Authentizität und Entstehungszeit der beiden Texte lassen sich in der Hauptsache drei Möglichkeiten fest-

stellen, deren jede in der Forschung ihre Befürworter gefunden hat: a) Die Texte sind authentisch, d. h. es handelt sich um Verfassungstexte, die im Zuge der ‚Umwälzungen von 411 seitens staatlicher Organe ausgearbeitet worden sind.‘

b) Die Texte sind zwar im Umfeld des Umsturzes von 411 entstanden, aber nicht als offizielle staatliche Dokumente,

sondern als Entwürfe von privater

Hand, die möglicherweise zu Propagandazwecken verbreitet wurden.”

! Ath. Pol. 30,1. ? Ath. Pol. 31,1 ταύτην μὲν οὖν εἰς τὸν μέλλοντα χρόνον ἀνέγραψαν τὴν πολιτείαν, ἐν δὲ τῷ παρόντι καιρῷ τήνδε΄..

, Ath. Pol. 32,1.

* z.B. Wilamowitz AuA II 115 (nur für die „Gegenwartsverfassung‘); Meyer, Forschungen II 434; v. Mess, Aristoteles’ ᾿Αθηναίων πολιτεία 376; Hackl, Oligarchische Bewegung S6f.; für móglich gehalten von Rhodes, Commentary 386f.

- 178 -

c) Es handelt sich um spätere Fabrikationen, die möglicherweise authentisches Material aus dem Jahr 411 aufgenommen haben, im großen und ganzen

aber auf Kombination und Erfindung beruhen.

Versucht man, angesichts dieser Fülle von Móglichkeiten, Beobachtungen und Überlegungen einen eigenen Standpunkt über die Natur der beiden Verfassungstexte zu gewinnen, so láge es an sich nahe, von den in der Athenaion

Politeia gebotenen Angaben über die Entstehung und den Zusammenhang der beiden Dokumente auszugehen. Unglücklicherweise erweisen sich gerade diese Angaben bei näherer Betrachtung als verdächtig, mehr noch als der Text der Entwürfe selbst. Die Behauptung von Ath. Pol. 30,1 und 32,1, daß die ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν von den Fünftausend erwählt worden seien,

steht in Widerspruch zu der schon mehrfach erwühnten, in der Forschung fast einmütig akzeptierten Angabe des Thukydides, daß die Fünftausend bis zum Sturz der Vierhundert niemals zusammengetreten seien- einer ; Angabe, die in der Athenaion Politeia selbst an anderer Stelle ihr Echo findet.’ Einen Versuch, diesen Widerspruch durch eine Neubewertung des thukydideischen

Zeugnisses

zu

lósen,

hat

neuerdings

Harris

unternommen,

der

Thukydides' Bemerkung „sie wollten weder, daß die Fünftausend existierten noch daß ihre Nichtexistenz offenkundig werde“ (οὐκ ἤθελον τοὺς πεντακισχιλίους οὔτε εἶναι οὔτε μὴ ὄντας δήλους εἶναι)" nicht als Beleg für eine faktische Nichtexistenz der Fünftausend verstehen möchte. Der Folgesatz „sie

meinten, daf) so viele Teilhaber einzusetzen geradezu Volksherrschaft bedeuten würde“ (τὸ μὲν καταστῆσαι μετόχους τοσούτους ἄντικρυς ἂν δῆμον

ἡγούμενου zeige vielmehr, daß die Phrase lediglich den Wunsch der Vierhundert ausdrücke,

die Einsetzung

der (bestehenden)

Fünftausend

in ihre

verfassungsmäßigen Rechte zu verhindern: Die Vierhundert hätten aus ideologischen Gründen nicht fünftausend Personen an der Macht beteiligen wollen, hátten aber von der Katalogisierung und der formalen Existenz der Fünf-

tausend an sich nichts zu befürchten gehabt, solange diese Kórperschaft nur nicht tatsächlich an den Entscheidungen beteiligt wurde.” ° In Erwägung gezogen von Andrewes, HCT V 246, mit Entschiedenheit vertreten von Sordi, Scritto 8 und Chambers, Aristoteles 284. 5 z.B. Kahrstedt, Staatsstreich 253-255; Thalheim, Urkunden 335f.; Pesely, Theramenes

124; Mitchell, Tamiai passim.

? Thuk. 8,92,11 und 93,2; vgl. Thuk. 8,89,2 und Ath. Pol. 32,3s. zu all diesen Stellen o., S. 148 mit Anm.

163.

, Thuk. 8,92,11.

? Harris, Constitution 265 „What did the Four Hundred not wish to happen? Was it that the Five Thousand be selected or that the Constitution of the Five Thousand be put into effect? In the participial phrase that follows, Thucydides makes it clear that it was the latter: τὸ .. καταστῆσαι μετόχους τοσούτους ἄντικρυς Av δῆμον ἡγούμενοι. The Four Hundred

did not want a system of government whereby so many would be allowed to have a share in power; in their estimation that would be as bad as democracy. On the other hand, the

-179 Diese Harris'sche Interpretation der οὐκ fj8eAov...-Sentenz kann vom Sprachlichen her wohl kaum als die nächstliegende aller Deutungen angesehen werden, und sie findet bei genauer Betrachtung auch in dem folgenden τὸ μὲν

καταστῆσαι

μετόχους

τοσούτους

ἄντικρυς

ἂν δῆμον ἡγούμενοι keine

Stütze: Letztere Feststellung besagt lediglich, daß die Abneigung der Vierhundert gegenüber dem Gedanken einer Machtbeteiligung der Fünftausend in den verfassungspolitischen Grundsätzen der Oligarchen begründet war, ohne daB dabei etwas Definitives über die tatsächliche Existenz oder Nichtexistenz dieser Kórperschaft ausgesagt würde. Die Kernphrase οὔτε εἶναι οὔτε μὴ ὄντας δήλους εἶναι aber legt vielmehr die Ansicht nahe, daß sich nicht nur die Machtteilhabe, sondern die bloße

Existenz der Fünftausend während der Herrschaft der Vierhundert in einem Schwebezustand der Ungewißheit befand. Die in der Polystratosrede bezeug-

ten Katalogisierungsaktivitáten machen es wahrscheinlich, daß vor dem

Antritt der Vierhundert oder wührend der Anfangsphase ihres Regimes tatsächlich eine provisorische Liste der Fünftausend erstellt worden ist; daß diese Körperschaft jedoch damals, wie Harris will, definitiv konstituiert wurde und zur Durchführung eines für die weitere Entwicklung der Verfassungsreform entscheidenden Wahlaktes zusammengetreten ist, nur um dann

von den späterhin bestellten Vierhundert sang- und klanglos kaltgestellt zu werden, muf) auch aus sachlichen Gründen als hóchst unwahrscheinlich angesehen werden.!! Zur Lósung dieser Schwierigkeit hat man in der Forschung des ófteren die Möglichkeit zur Diskussion gestellt, daB der in Ath. Pol. 30,1 berichtete Gesetzgebungsvorgang nicht, wie die Athenaion Politeia móchte, in die Vorgeschichte der Herrschaft der Vierhundert, sondern in die Zeit nach dem Sturz

dieses Regimes gehóren kónnte, als die Fünftausend nach dem Zeugnis des Thukydides tatsächlich zusammengetreten seien und eine Reihe von verfas-

sunggebenden Versammlungen abgehalten hätten.'” In den Kontext dieser Versammlungen seien die Bestellung und die gesetzgebenden Aktivitäten der ἑκατὸν ἄνδρες ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν der Athenaion Politeia zu setzen. Der dortige Ansatz ihres Wirkens auf den Beginn der Herrschaft der Four Hundred had nothing to fear from the selection of the Five Thousand. As long as that body was deprived from power it could pose no threat to their position."

" [Lys.] 20,13; dazu ausführlich o., S. 148-152. !! So auch Ruzé, Oligarques 186.

7 Thuk. 8,97,2 ἐγίγνοντο ... πυκναὶ ἐκκλησίαι, ἀφ᾽ ἐψηφίσαντο ἐς τὴν πολιτείαν (für das Vollzitat s. u., S. im Text referierten Forschungsmeinung (s. d. folgende sung, daß es sich bei den dort genannten ἐκκλησίαι um

ὧν kal νομοθέτας καὶ τἄλλα 279). Die von den Vertretern der Anm.) zugrunde gelegte AuffasVersammlungen der Fünftausend

bzw. aller Hopliten gehandelt habe, kann jedoch keineswegs als gesichert gelten; beach-

tenswerte Überlegungen

sprechen für die Annahme,

daß die Teilnahme

Versammlungen dem gesamten Demos offen gestanden hat, s. u., S. 281.

an diesen

- 180 Vierhundert in Ath. Pol. 30,1 und 32,1 beruhe auf einem Irrtum des Autors

der Verfassungsschrift, der die Kap. 30 und 31 wiedergegebenen Informationen aus urkundlichen, chronologisch nicht näher bestimmten Quellen bezogen habe. Diese chronologische Umstellung der in Ath. Pol. 30,1-32,1 berichteten Vorgänge bietet ihren Verfechtern die Möglichkeit, die nach Ath. Pol. 30,1 von den ἑκατὸν ἄνδρες Avaypdyovres entworfenen Verfassungen zumindest teilweise für historisch anzusehen, indem sie die Zukunftsverfas-

sung von Ath. Pol. 30 mit der im Herbst 411 in Kraft gesetzten Verfassung der

Fünftausend gleichsetzen.? Dabei ergibt sich jedoch die Schwierigkeit, daB man sich dann strenggenommen auch die Gegenwartsverfassung von Ath. Pol. 3] als erst im Herbst 411 erlassen zu denken hätte - ein Problem, für das sich,

wenn man an der Zusammengehörigkeit der beiden Entwürfe festhält,'* bislang keine befriedigende Lösung gefunden hat.

Neben der durch die Erwühnung der Fünftausend aufgeworfenen chronologischen Problematik erscheinen die Angaben von Ath. Pol. 30,1 und 32,1 auch

im Hinblick auf die Zahl und die Benennung der ἑκατὸν

ἄνδρες

ἀνα-

γράψοντες τὴν πολιτείαν nicht unproblematisch; Das Verbum ἀναγράφειν (das auch in 31,1 für die Tätigkeit dieser Kommission verwendet

wird) bezeichnet in der offiziellen Sprache des attischen Staatsrechts für gewöhnlich nicht die Tätigkeit des Ausarbeitens neuer (dafür wäre ouyγράφειν zu erwarten), sondern das Redigieren schon bestehender Gesetzes-

13 Beloch, GG II 71, Anm. 2 und ?II 2, 311-320; Lenschau, Staatsstreich 214; Caspari, Revolution 15f., Ehrenberg, Urkunden 618-620; weitere Literatur angeführt bei Flach, Staatsstreich 26 Anm. 101. Die bei Zugrundelegung dieses Datierungsansatzes verlockend

scheinende Möglichkeit der Gleichsetzung der ἑκατὸν

ἄνδρες

ἀναγράψοντες

τὴν

πολιτείαν von Ath. Pol. 30,1 und 32,1 mit den νομοθέται von Thuk. 8,97,2 wird von

Beloch a. O.; Wilcken, Revolution 53f. und Sordi, Scritto 6 in Erwägung gezogen, wobei Wilcken dieser Kommission nur die Funktion des ἀναγράφειν einer bereits früher entworfenen Verfassung zuerkennen möchte, während Sordi sie auch mit den dvaypazgeis

von Lys. 30,2 und der in IG P 104 Z 5f. genannten àávaypaqgec-Kommission gleichsetzen móchte (gegen eine solche Gleichsetzung s. Lehmann, Oligarchische Bewegung 48 Anm. 56).

^ Dazu s. u., S. 181-183.

5 Die Ansicht Belochs (GG 1Π 2, 316-319), daß die Bestimmungen von Ath. Pol. 31 als

ergänzende Nachträge zu dem in Ath. Pol. 30 bewahrten ursprünglichen Antrag der ἑκατὸν ἄνδρες zu verstehen seien, beruht auf einer gewaltsamen Harmonisierung der einander widersprechenden Bestimmungen über die Bildung der Bule in 30,1 und 3 einerseits und 31,1 andererseits (gegen Belochs Verstándnis von Ath. Pol. 30,1 s. Hignett,

HAC 368-370 und Chambers, Aristoteles 286f.). Ebenso trägt die Annahme

Carys (Notes 60), daß die Vierhundert des Sommers

411

zunächst von einem weiteren Rat der Vierhundert gemäß Ath. Pol. 31 abgelöst worden seien, sichtlich den Charakter einer Verlegenheitslósung. Sie wird durch keine positive Evidenz gestützt und vertrágt sich, wie Cary selbst zugesteht, nicht mit dem Zeugnis der Polystratosrede, wo unter ol τετρακόσιοι eindeutig nur die Bule der radikalen Oligarchie verstanden ist.

- 181 -

texte. Wenn wir das Verbum nun in der Athenaion Politeia auf eine Kommission angewendet sehen, für die wir nach der gegebenen Tätigkeitsbeschreibung eher die Bezeichnung συγγραφεῖς

erwarten würden, so läßt

dies Zweifel an der Zuverlässigkeit der zugrunde liegenden Überlieferung aufkommen." Verdächtig muß schließlich auch die in der Athenaion Politeia angegebene, für eine mit verfassunggebenden Aufgaben betraute Kommission

ungewöhnlich hohe Zahl von hundert Mitgliedern erscheinen.'* Diese Zweifelsmomente lassen es geraten erscheinen, beim Versuch zur historischen Einordnung der beiden Verfassungsentwürfe die diesbezüglichen

Angaben von Ath. Pol. 30,1 und 32,1 vorderhand beiseite zu lassen und vielmehr vom Inhalt der Texte selbst auszugehen. Dabei stellt sich zunächst die Frage nach dem Verhältnis der beiden Verfas-

sungsentwürfe zueinander: Handelt es sich um 1) zwei voneinander unabhängige Entwürfe, die erst nachträglich miteinander in Verbindung gebracht wurden, um 2) ein einheitliches, in sich geschlossenes Verfassungswerk oder ist 3) einer der beiden Entwürfe als ergänzender und abändernder Nachtrag zu dem anderen zu verstehen? Zwei im Text der Gegenwartsverfassung enthaltene Rückverweise sprechen deutlich zugunsten der zweiten bzw. dritten dieser Möglichkeiten: In Ath. Pol. 31,3 findet sich eine Bestimmung, derzufolge die Wahl der Beamten durch die Bule κατὰ τὰ γεγραμμένα vorgenommen werden sollte. Da Ath. Pol. 31 nichts enthält, worauf sich dieser Verweis beziehen ließe, wührend in Ath. Pol. 30,2 Anordnungen über die Wahl der Beamten gegeben sind, liegt es nahe, τὰ γεγραμμένα als Rückverweis auf diesen Passus der Zukunftsverfassung zu verstehen. Ὁ Ganz eindeutig liegt ein derartiger Rückbezug in der Schlufsentenz der Gegenwartsverfassung vor, wo auf die vier λήξεις von Ath. Pol. 30,3 in einer

Form Bezug genommen wird, die deren zukünftige Einrichtung durch die

1% Andrewes, HCT V 218; Ruzé, Délibération 482. Die Bezeichnung &vaypageis ist uns erstmals im Falle der 409/8 zur Redaktion der drakontischen Tótungsgesetze bestellten Kommission belegt (IG I? 104, Z 5f.; Lys. 30,2), s. dazu Harrison, Law-Making 30-32 und Stroud, Drakon's Law 20-28 mit eingehender Diskussion des Unterschiedes zwischen

ἀναγραφεῖς und συγγραφεῖς. Zu diesen Begriffen und ihrer Bedeutung s. auch Ostwald, Sovereignity 415-418 und Rhodes, Code of Laws 92.

? Die Diskrepanz zwischen den ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν von Ath. Pol. 30,1 und den übrigen aus dem späten 5. Jh. bezeugten ävaypageis-Kollegien betonen Ostwald, Sovereignity 417 und Rhodes, Code of Laws 92 m. Anm. 29. ® So Ruze, Oligarques 189, man vergleiche etwa aus dem unmittelbaren zeitlichen Kontext die dreißig συγγραφεῖς von Ath. Pol. 29,2 (o., S. 130-132). I? Sartori, Crisi 97f. und Rhodes, Commentary 403. Anders Ehrenberg, Urkunden 617, der annimmt, daß die Phrase als Verweis auf eine im ursprünglichen Text der Gegenwartsverfassung enthaltene, aber in der Ath. Pol. 31 nicht wiedergegebene Bestimmung, zu verstehen sei.

- 182-

ἑκατὸν ἄνδρες als eine bekannte und mit Sicherheit zu erwartende Tatsache

voraussetzt:? Ath. Pol. 30,3

βουλὰς δὲ ποιῆσαι τέτταρας .... εἰς τὸν λοιπὸν

χρόνον

...

τοὺς

δ᾽

ἑκατὸν

ἄνδρας διανεῖμαι σφᾶς τε αὐτοὺς καὶ τοὺς ἄλλους τέτταρα μέρη ὡς ἰσαίτατα

καὶ

διακληρῶσαι,

καὶ

εἰς

Ath. Pol. 31,3 els δὲ τὸν ἄλλον χρόνον, (va νεμηθῶσιν

οἱ τετρακόσιοι εἰς τὰς τέτταρας λήξεις, ὅταν (τοῖς) [αἸὐτοῖς“" γίγνηται μετὰ τῶν ἄλλων βουλεύειν, διανειμάντων αὐτοὺς οἱ ἑκατὸν ἄνδρες.

ἐνιαυτὸν βουλεύειν. Man soll .. vier Bulen bilden für die Zukunft, ... Die Hundertmänner sollen

sich selbst und die anderen so gleichmäßig wie móglich in vier Teile teilen und auslosen, und [der erloste Teil] soll auf ein Jahr den Rat bilden.

Für die übnge Zeit sollen, damit die vierhundert Männer, sobald sie soweit sind, zusammen mit den anderen den Rat zu bilden, an den vier Sektionen teilhaben, die Hundertmünner sie [den einzelnen Lexeis] zuteilen.

Wenn man nicht mit der vóllig im Hypothetischen schwebenden Annahme weitreichender spáterer Umstellungen und redigierender Eingriffe in die beide Texte operieren móchte, so wird man angesichts dieser Querverweise davon

ausgehen

müssen,

daß die Gegenwartsverfassung

nicht als unabhängiger

Entwurf konzipiert wurde, sondern schon von allem Anfang an in einen durch die Zukunftsverfassung vorgegebenen Rahmen eingefügt war. Betreffs der Frage, ob beide Entwürfe in einem Zug entstanden sind, oder ob

wir die Gegenwartsverfassung als spátere Ergánzung der Zukunftsverfassung zu verstehen haben," wird man aus allgemeinen Erwägungen heraus die erstere Móglichkeit als die bei weitem wahrscheinlichere ansehen: Da sich die in der Zukunftsverfassung festgeschriebene Ordnung, die eine grundsátzliche Neugliederung des politisch berechtigten Teils der Bürgerschaft erforderlich machte, nicht sogleich in die Tat umsetzen ließ, mußte für die Urheber des Verfassungswerkes, wenn sie nicht das demokratische System noch längere

Zeit weiterlaufen lassen wollten, der Gedanke an die Schaffung einer Übergangsregelung von vornherein auf der Hand liegen. Dazu paßt die Tatsache,

daß die in Ath. Pol. 30,3 festgelegte Organisation der vier βουλαί ausdrücklich als eine Regelung „für die Zukunft“ (eis τὸν λοιπὸν χρόνον) bezeichnet wird.

Es kann daher als sehr wahrscheinlich gelten, daB wir es in Ath. Pol. 30 und 31 mit einem einheitlichen, in einem Zug entworfenen Verfassungswerk zu tun haben. Umso befremdlicher muß dann die Tatsache erscheinen, daß wir in den beiden Texten, so wie sie in der Athenaion Politeia überliefert sind, nir-

2 s. dazu Rhodes, Commentary 389.403f. ?! Für das von Sandys konjizierte αὐτοῖς gegen die vom Papyrus gebotene Lesart ἀστοῖς s. Andrewes, HCT V 233; Rhodes, Commentary 404 und Ruzé, Oligarques 194 Anm. 23 mit überzeugender Argumentation.

22 So Beloch, GG 2II 2, 316-319, vgl. dazu o., S. 180 Anm. 15.

- 183 gends

eine

klare

Aussage

darüber

finden,

wann

bzw.

unter

welchen

Umständen der Wechsel von der Gegenwarts- zur Zukunftsverfassung eintreten sollte. Auch wenn man davon ausgeht, daB die Urheber der beiden Ent-

würfe für diesen Wechsel ganz bewußt keinen festen Termin vorgeben wollten, sondern den Zeitpunkt des Überganges vom Eintreten bestimmter Voraussetzungen

(etwa

des

Kriegsendes,?

der

Versöhnung

mit

den

Demokraten auf Samos?* oder auch nur der vollständigen Durchführung der Einteilung der vier λήξεις) abhängig machen wollten, muß der ursprüngliche Antrag eine diesbezügliche Bestimmung enthalten haben. Diese Bestimmung

hat der Verfasser der Athenaion Politeia oder wer immer die beiden Verfassungstexte zum ersten Mal in ein narratives Gerüst eingefügt hat, durch die kurze Notiz „Diese

Verfassung entwarfen

sie für die Zukunft;

für die

Gegenwart aber die folgende? ersetzt. Den Grund dafür dürfen wir wohl in einer bewußten Schwerpunktsetzung durch den betreffenden Autor erkennen, dem

es offenbar

Konstitutionen,

nur nicht

um

den

verfassungsrechtlichen

aber

um

deren

historischen

Gehalt

Kontext

der beiden zu

tun

war.

Angesichts dieser Sachlage muß jede Vermutung über die für das Provisorium vorgesehene Geltungsdauer im Bereich der Spekulation bleiben. Kónnen wir nach dem Gesagten mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß die beiden Verfassungstexte gemeinsam als Teile eines einheitlichen Entwurfes konzipiert worden sind, so haben wir uns nunmehr

den Fragen nach ihrer Historizitát und ihrer zeitlichen Einordnung in das Geschehen von 411 zuzuwenden.

Es liegt auf der Hand, daß das beste Mittel zur Klärung dieser miteinander untrennbar verknüpften Fragen in einer von der Athenaion Politeia unabhängigen Bestätigung für die Historizität der in ihnen enthaltenen Bestimmungen

liegen müBte. In der Forschung hat es denn auch nicht an Bemühungen gefehlt, solche Bestätigungen in der literarischen und epigraphischen Überlieferung ausfindig zu machen: 2 So die Annahme von Ruzé, Oligarques 195 (vgl. Délibération 486) und Welwei, Athen 223. ^ Diese Auffassung läge dann nahe, wenn man für Ath. Pol. 31,3 die von dem Papyrus gebotene Lesart ὅταν τοῖς ἀστοῖς γίγνηται μετὰ τῶν ἄλλων βουλεύειν akzeptiert (so Wilamowitz AuA II 121; Hignett HAC 370 und Hackl, Oligarchische Bewegung 547). Dagegen s. jedoch die o., S. 182 Anm. 21 angeführten Autoren.

?* Ath. Pol. 31,1, zit. o., S. 177 Anm. 2.

26 Dies gilt auch für das von Beloch, GG '?II 2, 316 gebotene Argument, daß die in Ath. Pol. 31,3 enthaltene Bestimmung, es dürfe auBer den Strategen und Buleuten niemand dasselbe Amt mehr als einmal bekleiden, beweise, daß die in Ath. Pol. 31 gegebenen Bestimmungen als endgültig gedacht gewesen seien. Die Überlegung ist schon deshalb

nicht zwingend, weil in jedem Fall die Móglichkeit offenbleibt, daB man für die Gegenwartsverfassung zwar eine mehrjährige Geltungsdauer veranschlagte, aber nichtsdestoweniger deren schließliche Ersetzung durch die Zukunftsverfassung vorsah.

- 184-

An

erster

Stelle

sind

hier zwei

Partien

aus

dem

Geschichtswerk

des

Thukydides zu nennen, die des ófteren mit den Bestimmungen der Zukunftsverfassung von Ath. Pol. 30 in Verbindung gebracht und als Belege für die Historizität dieses Verfassungsentwurfes geltend gemacht wurden. In

beiden Fällen handelt es sich nicht um im eigenen Namen getätigte Äußerungen des Historikers, sondern um die Wiedergabe von Deklarationen bzw. Versprechungen, die von Vertretern des Regimes der Vierhundert gegenüber oppositionellen Massen abgegeben werden: In Thuk. 8,86,3 treffen die Gesandten der Vierhundert bei ihrem Versuch, den

demokratisch gesinnten Truppen auf Samos die Position des Regimes in Athen nahezubringen, unter anderem die Feststellung „Von den Fünftausend würden alle der Reihe nach [an der Regierung] teilhaben?" (.... τῶν Te πεντακισχιλίων ὅτι πάντες ἐν τῷ μέρει μεθέξουσιν). In Thuk. 8,93,2 versuchen einige Emissáre der Vierhundert (ἀπὸ τῶν

τετρακοσίων τινές) die gegen das Regime rebellierenden Hopliten mit dem Vorschlag zu besänftigen, „sie würden die ... Fünftausend ernennen, und es

sollten aus diesen, wie es den Fünftausend selber gutdünke, die Vierhundert

genommen

werden"

(..

τούς

.. πεντακισχιλίους

ἀποφανεῖν,

καὶ

ἐκ

τούτων ἐν μέρει ἢ ἂν τοῖς πεντακισχιλίοις δοκῇ τοὺς τετρακοσίους ἔσεσθαι). Das in beiden Passagen verkündete Prinzip des „der-Reihe-nach-Teilhabens“

ist in der Forschung mitunter als Anspielung auf das in Ath. Pol. 30,3 festgelegte System der einander als βουλαί abwechselnden vier λήξεις verstanden und somit als Bestätigung für die Historizität des in Ath. Pol 30 wiedergegebenen Verfassungswerkes gedeutet worden, womit sich zugleich ein Beleg dafür ergeben würde, daß diese Verfassung bereits während der Herrschaft der Vierhundert in Athen bekannt war, also wohl vor deren Antritt

bzw. während der Anfangsphase ihres Regimes publiziert wurde.?*

Der vermeintliche Bezug zwischen den beiden Thukydidesstellen und Ath. Pol. 30,3 ist jedoch keineswegs über jeden Zweifel erhaben. Im Falle von Thuk. 8,86,3 stößt die der Annahme eines solchen Bezuges zugrunde liegende Deutung des τῶν TE πεντακισχιλίων ..πάντες „alle .. von den Fünftausend" auf syntaktische Schwierigkeiten, da πάντες in der klassischen Gräzität nicht mit dem partitiven Genitiv verbunden zu werden pflegt? Da

?" So die von den Verfechtern eines Bezuges zwischen dieser Stelle und dem Vier-BulenSystem von Ath. Pol. 30,3 favorisierte lichkeit „es würden alle [Bürger] der Problematik der Stelle insgesamt s. u., 7? Meyer, Forschungen 415 und 435; ᾿Αθηναίων πολιτεία 377; Lenschau,

Constitution 266 (für Thuk. 8,93,2).

Übersetzung. Für die alternative UbersetzungsmógReihe nach an den Fünftausend teilhaben" und die S. 185 mit Anm. 30-32. Kunle, Untersuchungen 55f.; v. Mess, Aristoteles’ Staatsstreich 214; Flach, Staatsstreich 28: Harris,

? s. Classen/Steup, Thukydides 208; Thalheim, Urkunden 335; Andrewes, HCT V 285.

- 185 -

die alternative Deutung der Passage „alle [Bürger] würden der Reihe nach zu

den Fünftausend gehören‘ im Hinblick auf unsere sonstige Kenntnis über das Konzept der Fünftausend von 411 vom Sachlichen her nicht als wahrscheinlich gelten kann’! und überdies ebenfalls mit einer sprachlichen

Härte behaftet ist," ist mit der Möglichkeit einer textlichen Korruptel zu rechnen. Aber selbst dann, wenn sich die Passage mit Sicherheit im Sinne von „alle

von den Fünftausend würden der Reihe nach an der Macht teilhaben“ verstehen ließe, könnte man aus diesem Wortlaut keine Bestätigung des in Ath. Pol. 30,3 beschriebenen Systems der vier einander abwechselnden βουλαί herauslesen, da sich das Prinzip des ἐν τῷ μέρει μετέχειν [τῶν πραγμάτων]

in ganz unterschiedlichen Formen realisieren ließ. Eine gute

Illustration dafür liefert das in der zweiten unserer Thukydidespassagen 8,93,2 - referierte Versprechen

der oligarchischen Emissäre,

es sollten die

Vierhundert der Reihe nach aus den Fünftausend genommen werden, also

nicht die vier βουλαί von Ath. Pol. 30,3.”

Angesichts dieser Unsicherheitsfaktoren scheint es nicht gerechtfertigt, Thuk. 8,86,3 und 8,93) zur Bestätigung der in Ath. Pol. 30,3 beschriebenen Verfas-

sungsordnung heranzuziehen; ebensowenig wird man die beiden Thukydidesstellen allerdings als Indizien gegen die Annahme geltend machen kónnen, daB das in Ath. Pol. 30 referierte Verfassungswerk schon vor dem Fall der Vierhundert existierte. Es handelt sich in beiden Fällen um propagandistische, aus den Erfordernissen der jeweiligen Situation geborene Äußerungen, die

keinen SchluB auf die Existenz oder Nichtexistenz bestimmter Verfassungsnormen zulassen. 9? So die Auffassung der älteren Interpreten, s. Steup bei Classen/Steup, Thukydides 208; ygl. Andrewes, HCT V 285. So zu Recht Andrewes, HCT V 286 und Chambers, Aristoteles 281; es bleibt allerdings

die Möglichkeit zu erwägen, daß die Gesandten ihre Zuhörer ganz bewußt über die wahre Natur der Fünftausend täuschen wollten, vgl. das o., S. 175 zu Thuk. 8,72,1 Gesagte. ?? Wie erstmals Stahl in: Poppo/Stahl, Thukydides IV 169 ausführte, wäre für diese Bedeutung als Prádikatsverbum ἔσονται anstelle von μεθέξουσιν zu erwarten; zustimmend Steup bei Classen/Steup, Thukydides 208. 33 Die von Meyer, Forschungen Π 435 implizierte Auffassung der τετρακόσιοι von Thuk. 8,93,2 als eines irrigen Ausdruckes für die gerade amtierende Bule im Sinne von Ath. Pol. 30,3 muß schon angesichts der Tatsache, daß eine nach dem Ath. Pol. 30,3 beschriebenen

System gebildete Bule in jedem Fall bei weitem mehr als vierhundert Mitglieder umfassen mußte (vgl. u., S. 194 mit Anm. 72) als zweifelhaft gelten (allerdings hat man nach Thuk. 8,97,1 auch für die Gesamtheit aller Hopliten an dem Namen „die Fünftausend“ festgehalten).

Vor allem aber trägt diese Deutung nicht der Tatsache Rechnung, daß in dem refenerten Versprechen der Modus der reihenweisen Teilhabe ins Belieben send gestellt wird (fj ἂν τοῖς πεντακισχιλίοις δοκῇ) - es kann sich hier zukünftig zu treffende Regelungen, nicht aber um die Inkraftsetzung beschlossenen Verfassungswerks gehandelt haben.

Thuk. 8,93,2 der Fünftaualso nur um eines bereits

- 186 -

Während

die beiden Thukydidesstellen

selbst im besten Fall nicht mehr

beweisen kónnten als die bloBe Existenz des Verfassungsentwurfes zur Zeit der Herrschaft der 411, sind die urkundlichen Zeugnisse, die wir im folgenden

zu besprechen haben, als Indizien dafür geltend gemacht worden, daß die in

Ath. Pol. 30 skizzierte Verfassungsordnung tatsächlich in die Realität umgesetzt worden sei, und zwar sei dies in der auf die Vierhundert folgenden Ära

der Fünftausend der Fall gewesen. M

An erster Stelle ist hier das im Rahmen der pseudoplutarchischen AntiphonVita überlieferte, mit Sicherheit in die Zeit des Regimes der Fünftausend zu datierende”° Dekret über die Anordnung der gerichtlichen Verfolgung des Antiphon, Archeptolemos und Onomakles zu nennen, für das uns die folgende Einleitungsformel überliefert ist ([Plut.] vit. dec. or. = mor. 833de): ἔδοξε τῇ βουλῇ μιᾷ καὶ εἰκοστῇ τῆς πρυτανείας: Δημόνικος ᾿Αλωπεκῆθεν ἐγραμμάτευε: Φιλόστρατος Παλληνεὺς ἐπεστάτει: "AvBpo» εἶπε ........ „Beschluß der Bule am einundzwanzigsten Tag der Prytanie: Demonikos von Alopeke war Grammateus, Philostratos von Pallene war Epistates, Andron stellte den

Antrag.“

Die Tatsache, daß in dieser Einleitungsformel die Bule als das beschließende

Organ erscheint, ohne daß daneben der Demos erwähnt wird, läßt nach Ansicht Fergusons darauf schließen, daß zum Zeitpunkt des Dekrets die Bule

die Funktionen des Rates und der Volksversammlung zugleich erfüllt habeebendies Sei aber bei dem in Ath. Pol. 30 beschriebenen System der Fall gewesen. Dagegen ist jedoch mit de Ste. Croix einzuwenden, daB selbst dann, wenn man mit einer korrekten Überlieferung des Dekrettextes rechnet," die Erwáhnung lediglich der Bule in der Einleitungsformel keinen Beweis * Für diese Gleichsetzung von Ath. Pol. 30 mit der ‘Verfassung des Theramenes' s. neben den o., S. 180 Anm. 13 genannten Autoren noch Ferguson, Constitution passim; Wilcken, Revolution 19-21; Vlastos, Constitution passim.

> s u, S. 3147. mit Anm. 151.

36 Ferguson, Constitution 74, zwei weitere von Ferguson in der Einleitungsformel des Andron-Dekrets notierte Abweichungen von der unter der Demokratie geübten Praxis, 1) die Nennung einer Prytanie ohne Angabe der Phyle und 2) die Tatsache, daß der Grammateus Demonikos und der Epistates Philostratos ein- und derselben Phyle angehórt haben

(vgl. u., S. 308 mit Anm. 118), können in unserem Zusammenhang außer Betracht bleiben, weil sie keine unmittelbaren Vergleichspunkte mit den in Ath. Pol. 30 gegebenen Bestimmungen zu bieten haben. Fergusons Auffassung, derzufolge wir die Phrase κληροῦν δὲ τὴν βουλὴν τοὺς ἐννέα ἄρχοντας in Ath. Pol. 30,5 als Beweis dafür ansehen könnten,

daf in dem Ath. Pol. 30 beschriebenen System eine Einteilung der amtierenden (Viertels-) Bule in Prytanien vorgesehen war (Constitution 74; vgl. Condemnation 356f.) kann selbst dann nicht als gesichert oder auch nur als wahrscheinlich gelten, wenn man den überlieferten Text der Stelle akzeptiert (für die Emendation von κληροῦν zu πληροῦν s. Chambers im krit. Apparat seiner Edition der Ath. Pol. (Stuttgart 21994] ad loc., vgl. dens., Aristoteles 289). ’7 Für diesbezügliche Zweifel s. Hignett, HAC

Pesely, Andron 717.

378; de Ste. Croix, Constitution 16 und

- 187 -

gegen die Existenz einer Volksversammlung zur Zeit des Dekrets darstellen kann. Denkbar ist z. B., daß die Bule aufgrund einer speziellen Ermächtigung durch den Demos (d. h. durch die Gesamtheit der Fünftausend) handelte oder daB sie „wegen der durch die Sachlage gebotenen Eile“ die Einleitung der

Verfolgung gegen Antiphon und Genossen beschloß, ohne erst die Versamm-

lung zu konsultieren.?

Man wird daher das im Andron-Dekret dokumentierte Verfahren nicht als eindeutigen Beleg für die Historizität der Zukunftsverfassung werten können. Es erscheint jedoch immerhin erwähnenswert, daß sich die in der Einleitungsformel des Dekrets enthaltene Zeitbestimmung μιᾷ kal εἰκοστῇ τῆς πρυταvelas mit dem in Ath. Pol. 30,4 festgelegten ἕδρας ποιεῖν ... κατὰ πενθήμε-

pov sehr gut in Übereinstimmung bringen läßt: Da wir davon ausgehen kónnen, daß der erste Tag einer Prytanie ein Sitzungstag der Bule war, müßte bei einem Sitzungsrhythmus κατὰ πενθήμερον der einundzwanzigste jedenfalls

ein regulärer Sitzungstag gewesen sein.” mung

der Termine

Freilich kann diese Übereinstim-

nicht mehr beweisen als die bloße Möglichkeit, das

Andron-Dekret mit der Zukunftsverfassung in Einklang zu bringen," und es verdient jedenfalls Beachtung, daß sich in Ath. Pol. 30 nirgends eine Bestimmung über eine Einteilung des Buleutenjahres in Prytanien findet; zumindest dieses Element der dem Andron-Dekret zugrunde liegenden Ordnung müßte demnach als eine über den Verfassungsentwurf hinausgehende Innovation angesehen werden.“ Man wird daher zusammenfassend feststellen müssen, daß sich die aus dem

Andron-Dekret erschließbaren Informationen über die im Herbst 411 bestehenden Verfassungszustände mit den Bestimmungen der Zukunftsverfassung vereinbaren ließen, daß allerdings keine einzige Stelle des Dekrets als siche?* Lipsius, Recht 183; vgl. allgemein Rhodes, Boule 166 und Hansen, Eisangelia 21-28 und 112-120; daB sich das Vorgehen gegen Antiphon und Genossen durchaus in den Rahmen eines regulären Eisangelie-Verfahrens füge, vermutet auch Bleckmann, Athens Weg 361-363. ? Dies gilt unabhängig davon, ob man das κατὰ πενθήμερον als exklusive oder mit Rhodes (Commentary 396) als inklusive Zählung auffaßt: im ersteren Fall würde es sich bei einer am 21. Tag abgehaltenen Sitzung um das fünfte, im letzteren um das sechste reguläre Zusammentreten der Bule innerhalb der Prytanie handeln.

* Ein regulärer Sitzungstermin am 21. Tag würde sich z. B. auch bei einem zweitägigen

Rhythmus ergeben; darüberhinaus ist natürlich mit der Möglichkeit zu rechnen, daß es sich bei der in der Präambel des Andron-Dekrets dokumentierten Sitzung gar nicht um eine reguläre ἕδρα, sondern um eine außerhalb des Schemas einberufene βουλὴ σύγκλητος

handelte.

* In diesem Sinne nimmt etwa Ferguson, Constitution 74f. die Existenz eines permanenten Ratsausschusses analog zu den Prytanien der Demokratie gleichsam als Seibstverstándlichkeit an: ,,But we can be sure that in the intervals between the sessions of the council,

which were held only once every five days, some sort of a fraction of the Council met to conduct public business".

- 188 -

res positives Zeugnis für die Historizität jenes Verfassungswerkes genommen werden kann. Neben dieser im Rahmen eines literarischen Textes überlieferten Urkunde hat

man auch in einer Reihe von epigraphisch überlieferten Dokumenten Berührungspunkte mit der Zukunftsverfassung von Ath. Pol. 30 erkennen wollen: Auf einer nur noch fragmentarisch erhaltenen, ursprünglich wohl auf der

Akropolis aufgestellten" Stele, findet sich zwischen den Resten zweier weiterer Texte, von denen der am Schluß stehende durch die erhaltene Eingangsformel in das Jahr 399/8 datiert ist, der weitgehend vollstándige Text eines von einem gewissen Hippomenes beantragten Ehrendekrets für einen atheni-

schen Proxenos namens Pythophanes (im folgenden kurz HippomenesDekret), dessen Einleitungsformel von den unter der Demokratie geläufigen

Präambeln beträchtlich abweicht (IG P 98, Z 1-8).

[...... ] ἀτης ᾿Ικαίριεὺς ἐγραμμάτευεν

[βολῆϊ]ς ἐπεστάτε [................. ] 5 ([.... κ]αὶ uer

αὐτὸ

ml................ ]

(. Συϊπεταιών, Awoml................ ] [..] Κεφαλῆθεν, KaAl................ ] [.'I]mrmopévng εἴπε' [................ ]

Das Prädikatsverb ἐπεστάτε in Z. 4, die offenbar dazugehörige Angabe κ]αὶ μετ᾽ αὐτὸ in Z. 5 und die sich anschließenden Namensfragmente legen die Auffassung nahe, daß in Z. 4-7 der Inschrift die Mitglieder eines fünfköpfigen

Kollegiums von Prohedroi bzw. PrytanenÜ namentlich angeführt sind, die wir als

Vorsteher

desjenigen

Gremiums

zu

verstehen

hätten,

das

den

Folgenden wiedergegebenen Antrag des Hippomenes beschlossen hat. ó

im

* Dafür spricht der Fundort am Südhang der Akropolis zwischen dem Dionysos- und dem Herodes-Atticus- Theater, s. Lewis in der Einleitung zu IG T? 98.

® So Wilhelm, Fünf Beschlüsse 151 und Reiter, Athen und die Poleis 140, die die ersten beiden Zeilen der erhaltenen Inschrift als Reste eines voranstehenden früheren Ehrenbeschlusses für Pythophanes deuten; skeptisch dagegen Lewis (bei de Ste. Croix, Constitution 18, Anm. 85a; vgl. denselben im Komm. zu ML 80 und IG P^ 98), der mit der Móglichkeit rechnet, daB die ersten beiden Zeilen der erhaltenen Inschrift zu dem von

Hippomenes beantragten Dekret gehóren kónnten.

4 Für die ältere Literatur zur Pythophanesinschrift s. Meiggs/Lewis p. 247f. und Lewis in IG P 98; eine Edition und ausführliche Kommentierung der Inschrift bietet neuerdings auch Reiter, Athen und die Poleis 136-141.

*5 Zur Ergänzung in Z. 5 wurden vorgeschlagen: πίρὄδρενον (Larfeld, Epigraphik II 647; akzeptiert von Wilhelm, Fünf Beschlüsse 149, der daneben noch πίρόεδροι für móglich hielt); πίρντάνες (Kahrstedt, Untersuchungen 12).

* Wilhelm, Epigraphischer Bericht 43f.; Fünf Beschlüsse 149.

- 189 -

Von dieser Beobachtung ausgehend hat Wilhelm dieses anzunehmende Fünferkollegium der Inschrift mit den πέντε ... λαχόντες

ἐκ τῆς βουλῆς von

Ath. Pol. 30,5 in Verbindung gebracht; da er von einer Aufzeichnung aller auf dem Stein enthaltenen Beschlüsse nach 399/8 ausging und mit Meyer die Wiederaufzeichnung eines Beschlusses der Vierhundert unter der wiederhergestellten Demokratie für unwahrscheinlich hielt," datierte er den Beschluß in der Zeit der Fünftausend. Weitere Indizien zugunsten dieser Datierung will neuerdings Reiter in den Z. 15-26 der Inschrift festgeschriebenen Garantien

über die Sicherheit von Pythophanes' Person und Vermógen erkennen: diese seien ein Beweis dafür, daB der Abfall von Karystos (der von Wilhelm und

Reiter angenommen

Heimatpolis

des Pythophanes)

zur Zeit des Dekrets

bereits erfolgt war und der attische Demos deshalb seinem Honoranden dessen Vermögen garantieren mußte, wo immer es sich im attischen Bereich be-

fand.“ Da der Abfall Eubóas von Athen zeitlich in etwa mit dem Regimewechsel von den Vierhundert zu den Fünftausend zusammenfällt, ergäbe sich aus dieser Überlegung ein sicheres Indiz für die Zuordnung des HippomenesDekrets erst in die Zeit des letztgenannten Regimes. Unter Berufung auf die Datierung Wilhelms ist das Hippomenes-Dekret in der

Forschung seit Ferguson des öfteren als urkundlicher Beleg für die Gleichsetzung der Zukunftsverfassung von Ath. Pol. 30 mit der unter dem Regime der Fünftausend

herrschenden

Verfassungsordnung

geltend gemacht

worden.”

Die Wilhelm'sche Datierung des Hippomenes-Dekrets in die Zeit der Fünftausend von 411/10 ist jedoch in der Forschung nicht unwidersprochen geblieben.

Man verwies darauf, daß aufgrund der Notiz über die fünf πρόεδροι bei Thuk. 8,67,3 bereits für das Regime der Vierhundert ein fünfkópfiges Leitungsgremium angenommen werden müsse,” und daß die gemäß der Wilhelm'schen Ergänzung von Z. 11f. des Dekrets anzunehmende positive Erwähnung der Polis Karystos Seite an Seite mit Athen nicht in die Zeit der Fünftausend gehóren kónne, als sich diese Stadt im Aufstand gegen Athen

befand.! Was schließlich die Unwahrscheinlichkeit der Niederschrift eines oligarchischen Dekrets um 399/8 betreffe, so habe eine von Lewis vorgenommene erneute Autopsie des Steins ergeben, daß die auf das Dekret von 399/8 bezüglichen letzten vier Zeilen der Inschrift IG I? 98 von einer anderen Hand stammten als das voranstehende Hippomenes-Dekret; da man daher mit einer Aufzeichnung dieses Dekrets unmittelbar nach ErlaB rechnen kónne, stehe der

*7 Meyer, Forschungen II 430f. Anm. 2. 4! Reiter, Athen und die Poleis 141.

® Ferguson, Constitution 73-75; Harris, Constitution 257f.; vgl. o., S. 180 mit Anm. 13.

Ὁ enschau, I Vorgänge 26-28; vgl. o., S. 161f. sowie u., S. 235f. *! de Ste. Croix, Constitution 18.

- 190-

Annahme einer „Datierung des Dokuments in die Zeit der Vierhundert nichts mehr entgegen.” Bei kritischer Prüfung der strittigen Punkte zeigt sich, daß sowohl die pro- als auch die contra-Argumente teils auf ungesicherten epigraphischen Voraussetzungen aufbauen, teils aus anderen Gründen keine zwingende Beweiskraft für sich in Anspruch nehmen können.

Die aus dem Verhältnis von Karystos zu Athen abgeleiteten Datierungskriterien hängen an der Richtigkeit von Wilhelms Ergänzungen Καρυϊστίωι in Z. 8f. und Καρυϊστίων in Z. 11f., die zwar an sich durchaus denkbar und naheliegend erscheinen, aber eben nicht die einzig denkbaren Ergánzungsmóglichkeiten darstellen.” Solange sich in diesem entscheidenden Punkt keine Klärung ergibt, entbehren alle mit dem Synchronismos zwischen dem Sturz

der Vierhundert und dem Abfall von Eubóa operierenden Argumentationen der festen Grundlage. Der Verweis auf die fünf πρόεδροι von Thuk. 8,67,3 wiederum belegt nicht mehr als eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß das aus Z. 4-7 unserer Inschrift erschließbare Prinzip der Leitung der Bule durch einen fünfköpfigen Ausschuß bereits zur Zeit der Vierhundert in Geltung gewesen sein könnte,” was natürlich nicht ausschlieBt, daB dieses Organisationsprinzip auch unter den Fünftausend in Geltung war. Lewis' Beobachtung über das Vorliegen zweier verschiedener BearbeiterHände in IG P 98 schließlich ist zwar geeignet, den von Meyer und Wilhelm vorgebrachten Einwand gegen eine Datierung des Hippomenes-Dekrets unter die Vierhundert zu entkräften, kann aber nicht als positiver Beweis für diesen Datierungsansatz gewertet werden. Angesichts dieser Fülle von Ungewißheiten wird man sich bezüglich der Datierung des in IG P? 98 bewahrten Hippomenes-Dekrets mit der Feststellung begnügen müssen, daß das Dokument mit großer Wahrscheinlichkeit einem der beiden nichtdemokratischen Regimes von 411/10 zuzurechnen sein dürfte, daß sich aber innerhalb dieses Rahmens die Entscheidung zwischen der Zeit

τ5 Meiggs/Lewis, p. 250 zu Nr. 80; akzeptiert von Lintott, Violence 140 und 181 Anm. 22. ? Nimmt man mit den älteren Herausgebern im Anschluß an das εἶπε in Z. 8 der Inschrift ein Ny ephelkystikon an, so läßt sich Καρυϊστίωι nicht in das Stoichedon-Schema der Inschrift einfügen. Aus diesem Grund haben Meiggs und Lewis ad loc. als Alternative die Möglichkeit einer Ergänzung zu Φαιϊστίωι in in Z. 8f. bzw. kal τὴν Φαι]στίων in 11]f. in

Vorschlag gebracht, wogegen Reiter, Athen und die Poleis 138f. aufgrund der Tatsache, daß Phaistos im Gegensatz zu Karystos nicht Mitglied der Delisch-Attischen Symmachie gewesen sei, wieder zu Wilhelms Ergänzung zurückkehren möchte. Harris, Constitution 258 Anm. 37 macht geltend, daß Phaistos für einen seefahrenden Kaufmann wie Pythophanes als Heimatstadt nicht recht zu passen scheine, weshalb man Sestos als wahrscheinlichere Alternative in Erwägung zu ziehen habe. Diese Alternative läßt sich jedoch mit dem Stoichedon-Schema der Inschrift erst recht nicht vereinbaren.

** Vgl. o., S. 161f. sowie u., S. 235f.

- 191 -

der Vierhundert und dem darauffolgenden System der Fünftausend nicht mit Sicherheit treffen läßt.

Weitere mógliche Berührungspunkte mit den Bestimmungen von Ath. Pol. 30 hat man in der epigraphischen Evidenz über die Organisation der athenischen Finanzverwaltung in den Jahren um 411 erkennen wollen: Als relevant erscheint in diesem Bereich zunächst die Tatsache, daß das

Kollegium der Kolakretai, die für die Verwaltung der profanen Ausgaben des athenischen Staates zuständig waren, um 411 aus unserer Evidenz verschwin-

det (der letzte sichere Beleg stammt vom Jahr 418/7),? und daß nach dem Jahre 411

die Hellenotamiai

für Aufgaben,

die früher von

den Kolakretai

wahrgenommen wurden, als zuständig erscheinen.” Weiters ist uns für das letztere Kollegium, das ursprünglich zehn Köpfe umfaßte, aus dem Jahr 410/9

eine Zahl von zumindest elf Mitgliedern belegt.” Da sich nun in der im Rahmen der Zukunftsverfassung Ath. Pol. 30,2 enthaltenen Liste der Amtsträger keine Kolakretai, wohl aber „die zwanzig Hellenotamiai, die auch als Schatzmeister der übrigen heiligen Güter fungieren“ (ἑλληνοταμίαι καὶ τῶν ἄλλων ὁσίων χρημάτων ἁπάντων εἴκοσιν οἱ διαχειριοῦσιν) δ erwähnt finden, lag es für einen Teil der Forschung nahe,

diese Angabe mit der epigraphischen Evidenz in Verbindung zu bringen und in diesem

Sinne den Schluß zu ziehen, daß die Kolakretai

im Zuge

des

Umsturzes von 411 abgeschafft und ihre Aufgaben dem Kollegium der Hellenotamiai übertragen worden seien,” für das wir nach der zitierten Ath. Pol. „Passage mit einer Erweiterung auf zwanzig Mitglieder zu rechnen hätten. Von dieser Voraussetzung ausgehend, scheint es den Verfechtern dieser Auffassung gerechtfertigt, die erwähnte epigraphische Evidenz als Bestäti-

gung für die Historizität der Verfassungsdokumente in Ath. Pol. 30 und 31 zu werten.

Eine weiteres, in dieselbe Richtung weisendes Indiz wollte Ferguson in der Tatsache erblicken, daß die beiden Kollegien der Tamiai der Athene und der

Tamiai der anderen Götter nach Ausweis der epigraphischen Evidenz seit ?* IG P 84, Z. 28; für IG P 78, wo sich die Kolakretai in Z. 51f. erwähnt finden, ist in der Forschung gelegentlich eine Datierung in das Jahr 416/5 vorgeschlagen worden, kann aber

keineswegs als sicher gelten, ebensowenig kann die Erwähnung der Kolakretai in Aristoph. av. 1541 als sicherer Beleg für die Existenz des Kollegiums im Jahre 414 gewertet werden, s. zu alledem Rhodes, Boule 99, Anm. 4.

* IG P 102, Z. 342: IG P? 104, Z. 9; IG P 375 passim; IG I? 377 passim; IG I? 127, 39f.

,, IG P 375, s. dazu Meritt AFD 98f. und Pritchett, Choiseul Marble 112.

τ Zum Verständnis der Passage s. Rhodes, Commentary 391f. ? So zuerst Meyer, Forschungen II 137 und Keil, Anonymus Argentinensis 167f.; vgl. Ferguson, Treasurers 3f.

9 Meritt AFD 99-101; Ferguson, Treasurers 3f.; Rhodes, Boule 99 m. Anm. 4; akzeptiert yon Henry, Provisions 250.

* Meyer, Forschungen II 137; Ferguson, Constitution 73f.; Harris, Constitution 257.

- 192-

406/5 zu einem gemeinsamen Kollegium zusammengefaßt waren;” ein solches Kollegium sei nun auch in Ath. Pol. 30,2 vorgesehen gewesen, weshalb man in der Zusammenlegung einen Beweis für die aktuelle Relevanz des in Ath. Pol. 30 präsentierten Programmes erkennen dürfe.‘

Gegen diese Versuche, die Historizität der Verfassungsentwürfe mit Hilfe der epigraphischen Zeugnisse über die Finanzverwaltung zu stützen, sind in der Forschung verschiedentlich Zweifel angemeldet worden. So hält Pritchett der weithin angenommenen Verbindung zwischen der

Abschaffung der Kolakretai und dem Umsturz von 411 die Möglichkeit entgegen, daß diese Maßnahme recht gut bereits vor 411 vorgenommen worden sein könnte.“ Bezüglich der Zusammenlegung der Tamiai der Athene und der Tamiai der anderen Götter verweist de Ste. Croix darauf, daß dieser Akt eben

erst 406/5 erfolgt sei, weshalb den Bestimmungen der Zukunftsverfassung von Ath. Pol. 30 zumindest in diesem Punkt bloß programmatische Bedeutung zukommen könne. Dann aber verbiete sich jeder Schluß von diesem Verfassungstext auf die tatsächlichen Verhältnisse unter dem Regime der Fünftausend, da sich nicht sagen lasse, wieviel von den in Ath. Pol. 30 aufgelisteten

Bestimmungen auch tatsächlich umgesetzt worden sei.9

Noch weiter in dieselbe Richtung geht Mitchell, der in der Erwähnung der ταμίαι τῶν ἱερῶν χρημάτων τῇ θεῷ kal τοῖς ἄλλοις θεοῖς in Ath. Pol. 30,2 gerade ein Indiz gegen die Historizität der Verfassungsentwürfe erkennen möchte, da diese demgemäß erst nach der tatsächlichen Zusammenlegun gung der beiden Schatzmeister-Kollegien im Jahre 406/5 entstanden sein könnten. Dieser letztgenannten Auffassung gegenüber wird man wohl mit Rhodes an der

Möglichkeit

festhalten

können,

daß

eine

in

erster

Linie

vom

Gesichtspunkt der administrativen Zweckmäßigkeit bestimmte Maßnahme wie die Zusammenlegung der Schatzmeister-Kollegien durchaus in einem 2 Einen eindeutigen terminus ante quem für die Zusammenlegung der Kollegien bietet die Erwähnung

der ταμίαι

τῆς

θεοῦ

kal

τῶν

ἄλλων

θεῶν

im

Patrokleides-Dekret

von

405/4 (And. 1,77), epigraphische Erwähnungen der ταμίαι τῆς θεὸ (ohne Zusatz) finden sich in den Erechtheion-Abrechnungen für 4098 (IG I? 475 Z. 94 [ergänzt]), 408/77 (IGI

476, Z. aus ist Stelen [teilw.

67f., 185f, 282f.) und wahrscheinlich auch für der aus den 330er Jahren stammende Katalog in IG II? 1498 zu erwähnen, wo ταμίαι τῶν ergänzt]) und 409/8 (Z. 8f.), sowie ταμίαι τῆς

407/6 (IG P 477, Z. 5). Darüberhinvon auf der Akropolis aufgestellten ἄλλων für die Jahre 410/9 (Z. 9f. θεοῦ für das Jahr 409/8 (Z. 10-19),

vielleicht auch für 407/6 (Z. Sf.) verzeichnet sind. Zur Bewertung dieser Evidenz für die Datierung der Zusammenlegung der beiden Kollegien s. Ferguson, Treasurers 3-7.104-109 und Thompson, Notes 61-63, der die Beweiskraft der von Ferguson herangezogenen Be-

lege zum Teil relativiert, aber dennoch aus allgemeinen Gründen den 28. Hekatombaion 406/5 für das wahrscheinlichste Datum der Zusammenlegung hält. 4, Ferguson, Constitution 75.

„, Pritchett, Expenditures 474-477; vgl. dens., Choiseul Marble 111. „de Ste. Croix, Constitution 19f.

56 Mitchell, Tamiai passim.

- 193 -

authentischen Verfassungsentwurf von 411/10 als Programmpunkt enthalten gewesen sein kann, auch wenn sie de facto erst im Jahr der Arginusenschlacht

in die Tat umgesetzt wurde.°’ Im Hinblick darauf, daß die Krise der

athenischen

Finanzen,

die man

wohl

als das anlaBgebende

Moment

der

Zusammenlegung erstehen darf, bereits im Jahre 411 ein drängendes Problem darstellte,® hat diese Möglichkeit wohl mehr für sich als Mitchells Hypothese eines zwischen 406/5 und 385 tätigen Fälschers, der sich zwar soweit um historische Authentizität bemüht hätte, daß er für die Zahl der (nach 404 wahrscheinlich nicht mehr existierenden‘) Hellenotamiai im Jahre 411 die korrekte Angabe geboten, andererseits aber für die Tamiai der Athena und der anderen Götter den Zustand seiner eigenen Gegenwart in das Umsturzjahr zurückprojiziert haben sollte.

Wenn wir demzufolge Mitchells Argumente für eine Entstehung der beiden Verfassungsentwürfe nach 406/5 nicht als zwingend ansehen kónnen, so ist andererseits zuzugeben, daB die Berührungen zwischen der epigraphischen Evidenz über die Finanzbehórden und Ath. Pol. 30,2 angesichts der von Pritchett und de Ste. Croix geltend gemachten Deutungsalternativen ebensowenig als sichere Indizien für die Historizität der Texte gewertet werden kónnen. Zusammengenommen betrachtet kónnen die Versuche, die praktische Umsetzung der in Ath. Pol. 30 beschriebenen Verfassung durch den Verweis auf mógliche literarische oder inschriftliche Parallelen wahrscheinlich zu machen, letztlich nicht als zwingend angesehen werden. Ganz abgesehen von der Problematik der Textüberlieferung und Deutung ist festzustellen, daB die Berührungen zwischen Ath. Pol. 30 und der urkundlichen Evidenz selbst im besten Falle keinen eindeutigen Beleg für die Realisierung der dort skizzierten Verfassung ergeben kónnen.

Die Überprüfung der Evidenz hat gezeigt, daB sich für den Kernpunkt der in Ath. Pol. 30 skizzierten Verfassungsordnung, die Verschmelzung von Bule

und Ekklesie in Form der vier abwechselnd als Bule fungierenden Bürgerschafts-Fraktionen von Ath. Pol. 30,3 außerhalb dieser Quelle kein eindeuti-

ger positiver Beleg geltend machen làBt'? und daB auch die Leitung der Bule durch ein fünfkópfiges Gremium, die wir aufgrund der Pythophanes-Inschrift ,,$7 Rhodes, Commentary 775 (= Addendum zu S. 391 des Kommentars).

6 Dies betont zu Recht Thompson, Notes 63, gegen Ferguson, Treasurers 92-95, der die wirklich drängenden Finanznöte erst mit der ım Jahre 406/5 begonnenen „expropriation of sacred objects‘ einsetzen läßt. ® Swoboda,

Hellenotamiai

180; Busolt/Swoboda,

Staatskunde II 1135 m. Anm.

3; die

Erwähnung der Hellenotamiai in dem 403/2 zu datierenden Theozotides-Dekret (SEG XXVIII 46, Z. 18) kann wahrscheinlich nicht als Beleg für eine Weiterexistenz des Kollegiums nach 404 genommen werden, s. Stroud, Theozotides 293f.

” s. o., S. 184-186.

- 194 für wahrscheinlich halten dürfen, nicht auf die in Ath. Pol. 30 beschriebene

Verfassungsordnung zurückgeführt werden muB." Letztere Feststellung gilt ebenso für die Regelungen zur Finanzadministration, die sehr wohl schon vor 411 unter der Demokratie in Geltung gesetzt worden sein kónnen, bzw. - im Falle des Kollegiums der Tamiai der Athene und der anderen Götter - erst

geraume Zeit nach 411 verwirklicht wurden. Wir haben somit festzustellen, daB sich die Gleichsetzung zwischen Ath. Pol. 30 und der im Herbst 411 Theramenes' Ágide eingerichteten Verfassung der Fünftausend aus Befund der Quellen weder eindeutig beweisen noch eindeutig widerlegen Allerdings haben wir bei der Beurteilung dieser Frage neben der Suche

unter dem läßt. nach

móglicher positiver Quellenevidenz auch das Kriterium der praktischen Durchführbarkeit in Rechnung zu stellen, das seit Wilamowitz immer wieder als Argument gegen die Historizitát der in Ath. Pol. 30 skizzierten Verfassungsordnung geltend gemacht wird: So hat man zum einen auf die Tatsache verwiesen, daf) eine nach Ath. Pol.

30,3 gebildete Ratsversammlung eine recht unhandliche Größe erreichen hätte müssen." Als ein weiteres Argument gegen die Praktikabilität hat Wilamo-

witz die in der Strafbestimmung von Ath. Pol. 30,6 implizierte Anwesenheitspflicht der Buleuten geltend gemacht: Diese Regelung, die alle über dreißig Jahre alten Vollbürger dazu verpflichtete, jedes vierte Jahr unter Zurücksetzung des eigenen Erwerbes als unbesoldete Buleuten zu dienen und dafür „jeden vierten Tag" den Staatsgeschäften zu opfern“, hätte für die Mehrheit

der Betroffenen, die in ihrer Wirtschaft auf die eigene Arbeitskraft angewiesen waren, eine untragbare Belastung bedeuten müssen.

Schon aus diesem

Grund sei die Zukunftsverfassung als ein unpraktikabler Theoretikerentwurf zu betrachten, der „so wenig zu leben verdiente wie er ins Leben zu treten vermocht hat“.’ ns o., S. 1%.

7 Wir werden den Anteil der nach Ath. Pol 30,2 nicht teilnahmeberechtigten unter Dreißigjährigen an der Gesamtheit der Fünftausend wohl auf nicht viel höher als 30% veranschlagen dürfen (s. die Tabellen bei Jones, AD 82 und Sekunda, Athenian Demogra-

phy 342 sowie die Überlegungen von Rhodes, Ephebi 194f. Anm. 13; vgl. die ägyptischen Daten bei Bagnall/Frier, Demography, bes. die Tabellen auf S. 104 und 175, denenzufolge der Anteil der 20-30 jährigen an der Gesamtzahl der erwachsenen Männer im römerzeitli-

chen Ägypten im Bereich von + 30% lag). Damit kämen wir bei 5000 Berechtigten auf eine Mitgliederzahl von 850-900 in jeder Viertelsbule, bei der nach dem Sturz der Vierhundert dekretierten Teilhabe aller ὅπλα παρεχόμενοι (Thuk. 8,97,1) auf mindestens 1500 (zur Zahl der Hopliten in Athen s. die o., S. 152 Anm. 176 angeführten Autoren). 7 Zum Verständnis des κατὰ

πενθήμερον von Ath. Pol. 30,4 s. Rhodes, Commentary

396.

^ Wilamowitz, AuA II 123f., im gleichen Sinne z. B. Meyer, GdA VII, 551f., Hignett, HAC 377, vgl. Sordi, Scritto 9, die davon ausgeht, daß der oder die Verfasser der Entwürfe

selbst nicht mit der praktischen Anwendung ihrer Konstruktion gerechnet, sondem mit ihrem Projekt rein propagandistische Absichten verfolgt hátten.

- 195 -

Man hat dieser Kritik die Tatsache entgegengehalten, daB ein dem Prinzip der vier Bulen von Ath. Pol. 30 áhnliches System im 5. und 4. Jh. in den Stádten

Bóotiens tatsächlich praktiziert worden ist. Diese Tatsache kann jedoch, auch wenn sie für die Frage nach móglichen Vorbildern des Zukunftsverfassungs-Entwurfs von Bedeutung ist, ^ zur Lösung des Praktikabilitátsproblems

wenig beitragen, da wir nicht genug über die soziale Zusammensetzung und die Geschäftsordnung der böotischen Bulen wissen, um die dortigen Verhältnisse als Stütze für die in Ath. Pol. 30,3 vorgesehene Ordnung heranzuziehen.

Wirksamer als der Verweis auf die bóotischen Poleis láBt sich zugunsten der

Praktikabilität der Zukunftsverfassung eine andere Überlegung ins Treffen führen, die von den zur Zeit des Umsturzes 411 in Athen selbst herrschenden Verhältnissen ausgeht. Thukydides berichtet, daß die athenischen Reiter und Hopliten von dem Augenblick an, da sich die Peloponnesier in Dekeleia festsetzten, einem überaus drückenden Kriegsdienst unterworfen waren, da sie

75 Zum böotischen Vier-Bulen-System s. Thuk. 5,38,2 und Hell. Oxy. 16,2 Bartoletti (= 11,2 Grenfell/Hunt), s. dazu Bruce, Commentary 103f. 157-164; McKechnie/Kern, Hellenica Oxyrhynchica 154-160 sowie allgemein Beck, Polis und Koinon 90-94 (mit weiter-

führenden Literaturangaben). Seit der Publikation des betreffenden Teils der Hellenica Oxyrhynchica im Jahre 1908 sind die böotischen Verhältnisse des öfteren als Argument für die Praktikabilität der in Ath. Pol. 30 beschriebenen Regelungen angeführt worden, so z. B. von Ehrenberg, Urkunden 619.

* Die Möglichkeit einer Beeinflussung von Ath. Pol. 30 durch das bóotische System vertrat bereits Koehler, Oligarchie 455-457; für neuere Autoren s. Larsen, Boeotian Confeder-

acy 46f., Sordi, Scritto 9f. (die mit engen persönlichen Kontakten zwischen den athenischen Verschwórern und der bóotischen Führungsschicht rechnet), Bearzot, Costituzione

beotica 220-222 und Ostwald, Oligarchia 27. Ein System, bei welchem die Bürger κατὰ

μέρος, ἀλλὰ

μὴ πάντας

ἀθρόους

an der

Entscheidungsfindung beteiligt sind, das demnach dem in Ath. Pol. 30 skizzierten Grundprinzip eher entsprochen hat als das bóotische, wird in Arıstoteles’ Politik (1298a 11-13) der Politeia eines gewissen Telekles von Milet zugeschrieben, bei der es sich wahrschein-

lich um einen Idealverfassungsentwurf gehandelt hat (s. Schütrumpf/Gehrke, Aristoteles, Politik B. IV-VI, 389f. mit weiterführenden Literaturangaben). Da wir keinerlei Anhaltspunkte zur Datierung dieses Telekles haben, muß die Frage nach möglichen Bezügen zwischen diesem Konzept und der Zukunftsverfassung von Ath. Pol. 30 offen bleiben. Es

sei jedoch vermerkt, daß Aristoteles die Ordnung des Telekles ausdrücklich als eine Form der Demokratie klassifiziert, was zumindest zeigt, daß eine κατὰ utpos-Beteiligung nicht a priori als undemokratisch gegolten haben muß. Zumindest in einer Hinsicht läßt sich jedenfalls ein gravierender Unterschied zwischen den beiden Systemen feststellen: In Bóotien kamen der jeweils amtierenden „ViertelsBule“ nur probuleutische Funktionen zu, die endgültige Entscheidung stand allen Berechtigten zu (Hell. Oxy. 16,2 Bartoletti τούτων .. τῶν βουλῶί(ν κατὰ) μέρος éxáo[tn προκ]αθημένη καὶ mpoBouAsu[ouvca] περὶ τῶν πίραγμάϊτων εἰσέφερεν εἰς τὰς Tpelis, ὅτι] δὲ δόξε(ῥείν]

ἁ πάσα[ι]ς τοῦτο κύριον ἐγίγνετο), in Ath. Pol. 30,3-6 hinge-

gen liegt das hervorstechendste Charakteristikum des dort beschriebenen Systems gerade in der konsequenten Vermeidung einer Versammlung aller politisch Berechtigten, s. Stevenson, Constitution 56; Moore, Aristotle and Xenophon 262 und Ruzé, Délibération 489.

- 196 -

Tag und Nacht in stetem Turnus Wachdienst auf den Mauern versehen oder sich auf den Sammelplátzen in Bereitschaft halten mußten.”® Geht man davon aus, daB die in Ath. Pol. 30 skizzierte Verfassungsordnung auf die Bedürfnisse dieser Kriegsnotstandszeit berechnet war (vgl. Ath. Pol. 29,5 ἕως àv ὁ πόλεμος ἢ), so verliert Wilamowitzens Kritik an der Überbelastung der Buleuten stark an Gewicht: Im Vergleich zu den Lasten des per-

manenten Waffendienstes dürften die Anforderungen der regelmäßigen Bulenversammlungen nicht allzu schwer gewogen haben, zumal wir annehmen dürfen, daß das Buleutenamt, wie es unter der Demokratie der Fall war,” seinen Tráger vom Kriegsdienst befreien sollte.

Unter diesem Aspekt betrachtet, kann der „Zukunftsverfassungs“-Entwurf als überzeugendes Konzept zwar nicht für ein auf Dauer gedachtes Verfassungs-

werk, wohl aber für ein auf die Kriegsnotlage berechnetes Provisorium gelten. Gerade sein auffälligstes Merkmal, das System der rotierenden Bulen,

erscheint unter diesen Vorzeichen nicht mehr als lebensfernes Theoretikerkonzept sondern als eine in sich logische Reaktion auf die Schwierigkeiten, die ın der 411 gegebenen Situation der Abhaltung von Vollversammlungen

aller Hopliten entgegenstanden.*!

Diese Überlegung ist geeignet, die auf die mangelnde Praktikabilität der Zukunftsverfassung abstellenden Einwände gegen die Historizität zu entkrüften und uns somit zu einer Revision unserer Bewertung des Verfassungsentwurfes zu veranlassen; sie kann aber natürlich keinen positiven Beweis für die tat-

sächliche Realisierung des Entwurfs unter den ‘Fünftausend’ darstellen. Aber wenn wir nach alledem beim gegenwärtigen Stand der Evidenz die Frage nach der realen Verwirklichung des Verfassungsentwurfs in der Schwebe lassen müssen, so werden wir doch für die Frage nach seiner Entstehungszeit den Übereinstimmungen zwischen Ath. Pol. 30 und den für die Zeit um 411 urkundlich bezeugten Institutionen einen gewissen Zeugniswert zuer-

kennen dürfen: Die Nichterwáhnung der Kolakretai und die Angabe der Zahl der Hellenotamiai mit zwanzig weisen jedenfalls in die zeitliche Nähe des Jahres 411 (s. o., S. 191-193), die Nennung eines gemeinsamen Tamiai-Kollegiums für die Schätze der Athene und der anderen Götter weist - im Gegensatz zu der oben (S. 192f.) referierten Auffassung Mitchells - in dieselbe Rich-

78 Thuk. 7,28,2; vgl. 8,69,1.

? Busolt/Swoboda, Staatskunde II 1023 und Rhodes, Boule 13. 9 Einen Bezug

zwischen

dem

Vier-Bulen-System

von Ath.

Pol. 30,3 und den

„Bedingungen eines ständigen Belagerungszustandes und allgemeiner militärischer Mobilisierung‘ vermutet auch Lehmann, Oligarchische Herrschaft 42, Anm. 47.

*! Man beachte die in diese Richtung zielende Argumentation in der von den Vierhundert an das Heer auf Samos gerichteten Botschaft bei Thuk. 8,72,1, wo ausdrücklich auf den

spärlichen Besuch der Ekklesie während der Kriegszeit hingewiesen wird, s. o. S. 174f. Was dort für alle Athener gesagt wird, muß für die vom Waffendienst besonders belasteten Hopliten umso mehr gegolten haben.

- 197tung, wenn wir davon ausgehen, daß die Vorstellung von der Notwendigkeit

der Zusammenlegung der Kollegien schon im Jahre 411

in der Luft lag.

Die Alternative zu dieser Auffassung läge in der Annahme einer späteren Fälschung

der beiden

Verfassungsentwürfe,

eine Vorstellung,

die in der For-

schung gelegentlich vertreten worden ist,” die jedoch gerade aufgrund der in den Entwürfen enthaltenen Anomalien fragwürdig erscheinen muB: Das hervorstechendste Charakteristikum der Verfassungstexte liegt zweifellos in der Tatsache, daB hier in einem Zug zwei Verfassungen, eine provisorische und eine definitive, erlassen worden sein sollen. Diese ‘Zweigleisigkeit’ wirkt

an sich schon seltsam, und wir finden in der Überlieferung außerhalb von Ath. Pol. 30-31 nicht den geringsten Hinweis für eine solche Regelung. Gerade deshalb aber ist es schwer vorstellbar, daß ein Fälscher, welche Absicht auch immer er verfolgt haben mag, ohne Grund zu einer derart unge-

wóhnlichen und daher von vornherein verdáchtigen Fiktion gegriffen haben sollte. Geht man davon aus, daß ein anzunehmender Fälscher einem von ihm

favorisierten Verfassungskonzept durch die angebliche Sanktionierung der Ekklesie hóhere Weihen verleihen wollte, so fragt es sich, weshalb er diesen mit einem divergierenden zweiten Entwurf zusammengekoppelt haben sollte.

Möchte man hingegen annehmen, daß der Fälscher die Rechtmäßigkeit des Regimes

der Vierhundert

betonen

wollte,

so hätte gerade

die durch

die

Verbindung mit der Zukunftsverfassung gegebene Hervorstreichung des provisorischen Charakters der Vierhunderter-Verfassung dieser Absicht entgegenstehen müssen, da die Weigerung der Vierhundert, die Fünftausend ins Leben zu rufen, im Lichte der diesbezüglichen Anweisung in Ath. Pol. 31,2 umso stärker als Rechtsbruch erscheinen mußte. Wenn der Antrag des Peisandros bei Thuk. 8,67,3 historisch ist, so bedurfte es keiner weiteren Fäl-

schung zur Legitimierung des Regimes der Vierhundert.*

€ s. dieo.,S. 178 Anm. 6 zitierten Autoren. © So bereits Caspari, Revolution 15: „It may be ... surmised that a forger would have made

his documents wear a more plausible air than Aristotle’s acts possess: these latter, by reason of their curious details, and by the fact of their being double-barrelled, were better calculated to rouse than to allay suspicion". # So Kahrstedt, Staatsstreich 253-255 und Nippel, Mischverfassungstheorie 78f. Anm. 13. Man vergleiche die sogenannte „drakontische Verfassung" in Ath. Pol. 4 (dazu Fuks, Ancestral Constitution 84-101; Rhodes, Commentary 84-86.109-118 und Chambers, Aristoteles 154-158 mit der álteren Literatur; für eine alternative Interpretation s. Wallace,

Aristotelian Politeiai passim, bes. 269-279).

55 So Thalheim, Urkunden 335; Ehrenberg, Urkunden 616f.; Pesely, Theramenes 124. *5 In der thukydideischen Version erscheinen die Vierhundert als in ihrem Vorgehen rechtlich wenigstens insoweit gedeckt, als gemäß dem auf der Kolonosversammlung beschlossenen Antrag des Peisandros die Einberufung der Fünftausend in ihr Belieben gestellt war (Thuk. 8,67,3; dazu o., S. 173 mit Anm. 255). In der Athenaion Politeia hingegen wird die

Opposition des Aristokrates und Theramenes gegen die Vierhundert damit begründet, daß diese autokratisch regiert hätten, ohne die Fünftausend an den Entscheidungen zu beteili-

- 198 -

Sucht man schlieBlich mit Mitchell den Ursprung der Fálschung in der ge-

richtlichen oder publizistischen Apologetik der Wende des 5. zum 4. Jh. so kommt darüberhinaus noch die Tatsache zum Tragen, daß ein zu dieser frühen Zeit tátiger Fálscher auf die Rückerinnerung der Zeitgenossen des Umsturzes von 411 Rücksicht nehmen mufte, denen zwar nicht die Einzelheiten, wohl aber die Grundzüge der seinerzeit beschlossenen bzw. verkündeten Entwürfe

noch gut in Erinnerung gewesen sein müssen. Einem solchen Publikum hätte man die Doppelverfassung von Ath. Pol. 30-31 wohl kaum als authentischen Entwurf glaubhaft machen kónnen, wenn nicht im Zuge des Umsturzes tat-

sächlich ein Verfassungswerk verkündet worden wäre, das zugleich eine Ordnung ἐν τῷ παρόντι καιρῷ und eine eis τὸν μέλλοντα χρόνον beinhaltete.

Im Lichte dieser Überlegungen haben wir die Auffassung, die in den beiden Verfassungsentwürfen Erfindungen aus der Zeit nach 411 erkennen móchte,

als unwahrscheinlich anzusehen. Allerdings muf es nach dem oben (S. 193196) Gesagten zweifelhaft erscheinen, ob diese Entwürfe in der von der Athenaion Politeia wiedergegebenen Form jemals in die Praxis umgesetzt wurden,

ja es muB sogar als fraglich gelten, ob sie jemals offiziell beschlossen und verkündet worden sind. Nur soviel läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, daß die Entwürfe im Zuge der Umwälzungen von 411 entstanden sind und daß sie nach dem Willen ihres bzw. ihrer Urheber dazu bestimmt waren, der Öffentlichkeit

als normative Basis für die Neugestaltung der athenischen Staatsordnung präsentiert zu werden. Mit dieser Erkenntnis erhebt sich sogleich die Frage, wo genau im Ablauf der damaligen Ereignisse wir ihre Entstehung anzusetzen haben?

Einen konkreten Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage bietet uns zunächst die Tatsache, daß sowohl in der Zukunfts- als auch in der Gegenwartsverfassung ein offenbar als bereits bestehend gedachtes Kollegium von ἑκατὸν ἄνδρες erwähnt ist, dem gemäß den in diesen Stellen niedergelegten Bestimmungen die Einteilung der Bürger in die zu bildenden vier λήξεις obliegen sollte (Ath. Pol. 30,3 und 31,3; beide zit. o., S. 182). Wer soll nun mit diesen ἑκατὸν

ἄνδρες

gemeint sein? Wir haben gesehen,

daB die Athenaion Politeia im Zusammenhang des Umsturzes von 411 zwei gen: ἅπαντα yàp δι᾽ αὑτῶν ἔπραττον, οὐδὲν ἐπαναφέροντες rois πεντακισχιλίοις (Ath. Pol. 33,2). Nimmt man diese Aussage wörtlich, so muß man annehmen, daß in der diesem Abschnitt der Ath. Pol. zugrunde liegenden Überlieferung schon bei der Bestellung des Rates der Vierhundert ein Nebeneinanderwirken dieses Gremiums und der Fünftausend verbindlich vorgesehen gewesen war, wofür sich bei Thukydides kein Hinweis findet. Freilich scheint es nicht ratsam, aus dem Wortlaut dieser Passage definitive Aussagen herauslesen zu wollen, s. Rhodes, Commentary 414.

"' Mitchell, Tamiai 38f.; s. o., S. 192f.

- 199 hundertköpfige Kollegien kennt, die 29,5 genannten

καταλογεῖς

und die

ἑκατὸν ἄνδρες ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν von 30,1 und 32,1. Obwohl vom Kontext der Athenaion Politeia her gesehen der Bezug der in den Verfassungstexten genannten ἑκατὸν ἄνδρες auf die ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν am nächsten zu liegen scheint, hat die Mehrheit der Forschung im Hinblick auf die Natur der den ἑκατὸν ἄνδρες von Ath. Pol. 30,3 und 31,3

übertragenen Aufgabe angenommen, daß an diesen beiden Stellen von den 29,5 genannten katakoyeis die Rede sei, die ja schon aufgrund ihrer Katalo-

gisierungstätigkeit für die Aufgabe der Einteilung der Fünftausend in die vier βουλαί am besten qualifiziert gewesen seien.” Möchte man diese Identifizierung akzeptieren und zugleich die Angaben von Ath. Pol. 30,1 und 32,1

ernstnehmen, denenzufolge unsere Verfassungsent-

würfe von ἑκατὸν ἄνδρες ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν entworfen wurden, so müßte man annehmen, daß diese Verfassunggeber, selber hundert an

der Zahl, in ihren Entwürfen den Ausdruck ἑκατὸν ἄνδρες zur Bezeichnung des anderen hundertköpfigen Kollegiums verwendet hätten, ohne diesen Bezug durch einen erklárenden Zusatz eindeutig kenntlich zu machen. Daf es sich so verhielt, ist naturgemäß nicht völlig auszuschließen, es mutet aber schon deshalb als äußerst unwahrscheinlich an, weil in einer Situation, in der zwei Körperschaften von je hundert Männern nebeneinander amtierten, die Verwendung des unspezifizierten ἑκατὸν ἄνδρες in einem Verfassungstext zu Unklarheiten und Mißverständnissen führen mußte, die sich durch eine

eindeutigere Bezeichnung leicht hätten vermeiden lassen. Vielmehr wird man in der Verwendung des Ausdruckes in Ath. Pol. 30,3 und 31,3 einen Beleg dafür erblicken dürfen, daß zur Zeit der beiden Verfassungsentwürfe nur eine Körperschaft existiert hat, die man mit dem Begriff „exatov ἄνδρες“ bezeichnen konnte. Es bleiben somit nur zwei Möglichkeiten offen: Sind 1) die ἑκατὸν ἄνδρες in Ath. Pol. 30,3 und 31,3 nicht auf die katakoyeis von 29,5 zu beziehen, so können die Entwürfe nur zu einer Zeit entstanden sein, in der die καταλογεῖς noch nicht oder nicht mehr existierten, sind hingegen 2) diese ἑκατὸν ἄνδρες

mit den katakoyeis identisch, so müssen wir die Angaben über die hundert Verfassunggeber von Ath. Pol. 30,1 und 32,1 als irrig ansehen. Der ersten dieser Móglichkeiten entspricht die erstmals von Meyer vertretene,

in der Forschung bis heute beliebte Theorie, derzufolge wir in den ἀναγράψοντες von Ath. Pol. 30,1 ein im Zuge der Kolonosversammlung”

oder bald danach” geschaffenes Gremium zu erkennen hätten, das seine Ent5 s. Wilamowitz AuA II 116; Andrewes, HCT V 224; Rhodes, Commentary 394; Chambers, Aristoteles 288f.

® So Rhodes, Commentary 386f. mit weiterführenden Literaturangaben.

9 So Harris, Constitution 267, der die Angaben von Ath. Pol. 30,1 akzeptiert und demgemäß eine Katalogisierung der Fünftausend im Anschluß an die Kolonosversammlung und

- 200 -

würfe in etwa zeitgleich mit der Machtübernahme der Vierhundert ausgearbeitet und wahrscheinlich anláBlich der feierlichen Inauguration der neuen

Bule?' der Öffentlichkeit vorgelegt habe.? Die in diesem Fall anzunehmende

Bezeichnung der ἀναγράψοντες als ἑκατὸν ἄνδρες in Ath. Pol. 30,3 und 31,3 bereitet keine Schwierigkeiten, wenn wir für die Bildung des Rates der Vierhundert das oben (S. 160-164) ausgeführte Schema zugrunde legen, demzufolge die katakoyeis schon geraume Zeit vor der Kolonosversammlung

bestellt wurden und sich dann nach dem BeschluB dieser Versammlung durch Kooptation zum Rat der Vierhundert erweitert haben: Da die katakoyeis

nach diesem Rekonstruktionsmodell im AnschluB an die Kolonosversammlung ihre eigenstándige Existenz beendeten und in der Gesamtheit der Vierhundert aufgingen, hätten die neugeschaffenen dvaypdyovtes zum Zeit-

punkt der Verkündung der Entwürfe das einzige hundertkópfige Gremium dargestellt, so daß die Verwendung des unspezifizierten ἑκατὸν ἄνδρες in den Verfassungsentwürfen keinen Anlaß zu Mißverständnissen mehr geben konnte. Die Alternative zu diesem Datierungsansatz liegt in der seitens der älteren Forschung gelegentlich vertretenen Auffassung, daß es sich bei den Verfas-

sungstexten in Ath. Pol. c. 30 und 31 um Anträge handle, die auf der Kolonosversammlung vorgelegt und beschlossen wurden, wobei nach Ehrenberg die Gegenwartsverfassung überhaupt mit dem bei Thuk. 8,67,3 referierten Antrag des Peisandros identisch sei,” nach Busolt, Wilcken und Sartori aber die bei-

eine in der Folge durchgeführte Bestellung der ἀναγραφεῖς aus den Reihen der Fünftausend annimmt. ?! Lang, Revolution I 285; vgl. Revolution II 177.

?? So Meyer, Forschungen II 433; Hignett, HAC 373; Hackl, Oligarchische Bewegung 5661; Rhodes, Commentary 386f.; Andrewes, Spartan Resurgence 476; nach dem von Harris, Constitution 267 im Anschluß an Ath. Pol. 30,1 vertretenen Schema haben sich die Aufló-

sung der alten Bule und der Antritt der Vierhundert erst im AnschluB an die Verkündigung der beiden Verfassungsentwürfe vollzogen.

” Die an sich recht gut vorstellbare Möglichkeit, daß die hundert καταλογεῖς ihrer anzunehmenden Eingliederung in die Vierhundert innerhalb des Rates als Gruppe wahrgenommen wurden und somit weiterhin als ἑκατὸν ἄνδρες werden konnten (so Meyer, Forschungen II 433; akzeptiert von Busolt, GG III Anm.

auch nach gesonderte bezeichnet 2 1486 m.

2), verbietet sich angesichts des Wortlautes von Ath. Pol. 31,3, wo den ἑκατὸν

ἄνδρες der Auftrag erteilt wird, die Vierhundert auf die in der Zukunftsverfassung vorgesehenen

vier

λήξεις

aufzuteilen

(εἰς

δὲ

τὸν

ἄλλον

χρόνον,

(va

νεμηθῶσιν

ol

τετρακόσιοι εἰς τὰς τέτταρας λήξεις, ὅταν (τοῖς) [a]urois [zum textkritischen Problem dieser Stelle s. ο., S. 182 Anm. 21] γίγνηται μετὰ τῶν ἄλλων βουλεύειν, διανειμάντων αὐτοὺς ol ἑκατὸν ἄνδρες). Da bereits in der Bestimmung über die Bildung der vier λήξεις Ath. Pol. 30,3 festgelegt ist, daß die ἑκατὸν ἄνδρες zugleich mit den übrigen Bürgern auch sich selbst einteilen sollen, schließt diese Stelle eine Identität der ἑκατὸν ἄνδρες mit den Vierhundert oder einem Teil derselben aus.

δ᾽ Ehrenberg, Urkunden 616-618; in ähnlichem Sinne auch Ruzé, Oligarques 191-195.

- 201 -

den Verfassungsentwürfe noch vor dem Peisandrosan santrag |beschlossen worden und durch diesen in Einzelpunkten ergänzt worden seien. Machen wir uns diese Datierung der Entwürfe zu eigen, so hätten wir die

ἑκατὸν ἄνδρες von Ath. Pol. 30,3 und 31,3 mit den katakoyeis gleichzusetzen, was bei Zugrundelegung des von uns favorisierten Rekonstruktionsmo-

dells” keine Schwierigkeiten bereiten würde: Da unserem Modell zufolge die xatakoyeis schon vor der Kolonosversammlung existierten, konnten sie in

einem für diese Versammlung vorbereiteten Entwurf ohne weiteres erwähnt werden. Die in Ath. Pol. 30,1 und 32,1 gebotenen Angaben über die ἑκατὸν

. ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν wären dann allerdings als unhistorisch zu verwerfen, da ja nach unserer Auffassung zur Zeit der Verfassungsentwürfe nicht zwei hundertköpfige Kollegien nebeneinander existiert haben können.” Versuchen wir, die beiden skizzierten Alternativen in ihrem Für und Wider abzuwägen, so ist zunächst festzustellen, daß die erstgenannte von ihnen auf-

grund von sachlichen Überlegungen als zweifelhaft gelten muß. Daß die Angaben der Athenaion Politeia bezüglich der Bezeichnung, der Zahl und der Entstehungsgeschichte der hundert ἀναγραφεῖς zu schweren Zweifeln Anlaß geben, haben wir schon gesehen (o., S. 180f.), darüberhinaus muß eine Rekonstruktion, die das Wirken

dieser Kommission

in die Zeit zwischen der

Kolonosversammlung und der formellen Inauguration der Vierhundert setzen möchte, auch von den chronologischen und politischen Implikationen her problematisch erscheinen: Diesee Zeitspanne, die wir wohl auf nicht viel mehr als zehn Tage ansetzen dürfen, scheint für die Bestellung der ävaypageis

und ihre gesetzgebende Tätigkeit, die bei einem hundertköpfigen Gremium wohl zwangsläufig mit ausgedehnten Diskussionen verbunden war, doch sehr

knapp bemessen zu sein. Was schließlich die politischen Gesichtspunkte betrifft, so ist nicht recht einzusehen, weshalb die auf dem Kolonos dominierenden Oligarchen neben den Vierhundert ein weiteres Gremium ins Leben geru-

fen und mit weitreichender verfassunggebender Kompetenz ausgestattet haben sollten. Der Tendenz von Peisandros' Antrag wie auch der inneren Logik

des Geschehens überhaupt hätte es viel eher entsprochen, die Kompetenz zu künftigen verfassunggebenden Initiativen in die Hände der Vierhundert selbst

zu legen. All dies spricht jedenfalls gegen die Móglichkeit einer Entstehung

?* Busolt, Staatskunde I 77; Wilcken, Revolution 40-45; Sartori, Crisi 55.89.122-125. Für das Provisorium von Ath. Pol. 31 akzeptiert von Ruzé, Oligarques 200f. Wir müßten in diesem Fall annehmen, daß Thukydides in seinem Bericht über die Kolonosversammlung (8,67,3) diese Anträge mit den Worten ἐνταῦθα δὴ λαμπρῶς ἐλέγετο ἤδη μήτε ἀρχὴν ἄρχειν μηδεμίαν ἔτι ἐκ τοῦ αὐτοῦ κόσμου μήτε μισθοφορεῖν knapp abgetan hat, weil in seiner Sicht lediglich dem Antrag des Peisandros politische Relevanz zukam. uL o., S. 104f. ns. o., S. 199. * s. o., S. 104-106.166.169-173.

- 202 -

der Verfassungsentwürfe zur Zeit des schon bestehenden Regimes der Vierhundert.

Für die oben angesprochene Alternative, die Abfassung der beiden Entwürfe vor die Kolonosversammlung und die Bildung des Rates der Vierhundert zu

datieren, läßt sich hingegen der Wortlaut einiger Bestimmungen der Verfassungstexte selbst ins Treffen führen, so vor allem von 31,1, wo der Gedanke

eines Rates von vierhundert Mitgliedern gleichsam als eine neue Idee prásentiert und durch den Verweis auf τὰ πάτρια gerechtfertigt wird. In die gleiche Richtung weist die Phrase τὴν δὲ βουλὴν ἐπειδὰν καταστῇ, ποιήσασαν ἐξέτασιν ... in 31,2, die voraussetzt, daB der Rat der Vierhundert zum Zeitpunkt der Abfassung des Entwurfes noch nicht im Amt war.

Vor allem im Hinblick auf diese beiden Stellen wird man wohl Ehrenbergs Feststellung beipflichten können, „der inhaltliche Kern“ der Gegenwartsver-

fassung sei ein Beweis dafür, daß die Verkündigung dieses Entwurfes „zu keinem anderen Zeitpunkt móglich war als eben im Anfang der Herrschaft der Vierhundert.“” Weniger für sich hat allerdings die von Ehrenberg aufgrund dieser Erkenntnis vertretene Gleichsetzung der Gegenwartsverfassung von Ath. Pol. 31 mit dem Antrag des Peisandros bei Thuk. 8,67,3. Ein unvoreingenommener Vergleich der beiden Texte spricht vielmehr dafür, daß es sich hier nicht, wie Ehrenberg

will, um verschiedene Überlieferungen ein- und desselben Psephismas handelt, sondern um einen ursprünglichen Antrag und ein darauf bezogenes Amendement: Der Antrag des Peisandros über die Bestellung der Vierhundert erscheint gegenüber der korrespondierenden Partie Ath. Pol. 31,1 als Ergän-

zung, die den im früheren Antrag weitgehend offengelassenen Modus der Bestellung der Vierhundert präzisiert.”

Legen wir für die Bestellung der Vierhundert das oben (S. 160-164) ausgeführte Rekonstruktionsmodell zugrunde, so finden wir die Bestimmung des Entwurfs von Ath. Pol. 31,1 über die Vorwahl der Vierhundert aus den Phylen insofern erfüllt, als die καταλογεῖς, die nach diesem Modell den Kern der Vierhundert bilden sollten, seinerzeit von den Phyleten gewählt worden wa-

ren.?! Bei Zugrundelegung dieses Modells wird auch die These Judeichs hinfällig, der in dem Peisandros-Antrag diee ursprüngliche Fassung, in Ath. Pol. 31,1 die Abänderung erkennen möchte.!%

ıEhrenberg, Urkunden 617. 9 Busolt, Staatskunde I 76f., zu der gegenteiligen Auffassung Judeichs s. u., mit Anm. 102.

τοιὉ 8. 0., S. 163 mit Anm. 218 (dort auch das Textzitat von Ath. Pol. 31,1). ? Judeich, Untersuchungen 302. Judeich vermutete auf Grund der in [Lys.] 20,2 bezeugten Wahl des Polystratos durch die Phyleten, daß der im Peisandrosantrag vorgesehene „stark oligarchisch gefärbte Wahlmodus für die Vierhundert auf Widerspruch gestoßen“

- 203 -

Auch die Diskrepanz zwischen der obenzitierten Bestimmung Ath. Pol. 31,2 über die von der Bule (sc. der Vierhundert) nach ihrem Amtsantritt vorzunehmende ἐξέτασις ἐν ὅπλοις und dem Antrag des Peisandros bei Thuk. 8,67,3, der die Einberufung der Fünftausend ganz in das Belieben der Vierhundert

stellt, ohne diese auf einen bestimmten Zeitpunkt festzulegen,? läßt sich wohl

im Hinblick auf die bei Thukydides

und in der Athenaion

Politeia

bezeugte tatsächliche Nichteinberufung der Fünftausend'” am besten erklären, wenn wir Ath. Pol. 31,2 als die ursprüngliche Regelung, den PeisandrosAntrag als eine darauf bezügliche Abänderung verstehen, die den Vierhundert cine Rechtsgrundlage für das Aufschieben der Einberufung der Fünftausend gab. Der Vergleich zwischen den Bestimmungen der Gegenwartsverfassung in Ath. Pol. 31,1f. und dem Peisandrosantrag bei Thuk. 8,67,3 legt uns also die Priorität der ersteren und damit eine Datierung des Verfassungsentwurfes in die Zeit vor der Kolonosversammlung nahe.

In die gleiche Richtung weisen nun aber auch die in der Gegenwartsverfassung vorgesehenen Bestimmungen über die Wahl 31,2):

der Strategen (Ath. Pol.

τῶν δὲ στρατηγῶν τὸ νῦν εἶναι τὴν αἵρεσιν ἐξ ἁπάντων

τακισχιλίων, ὅπλοις

τὴν

ἐλέσθαι

δὲ

βουλὴν

ἐπειδὰν

καταστῇ,

δέκα

ἄνδρας

καὶ γραμματέα

ποιεῖσθαι τὼν Trev-

ποιήσασαν

τούτοις,

τοὺς

ἐξέτασιν δὲ

(ἐν

αἱρεθέντας

ἄρχειν τὸν εἰσιόντα ἐνιαυτὸν αὐτοκράτορας .... „Die Strategen sollen für den Augenblick aus der Gesamtheit der Fünftausend gewühlt werden; sobald die Bule konstituiert ist, soll sie eine Musterung in Waffen durchführen und zehn Männer wählen, dazu einen Grammateus. sollen im kommenden Jahr mit Vollmacht amtieren ....“

Die Gewühlten

Das Verständnis der Passage hängt an der Deutung der Phrase τὴν δὲ βουλὴν ἐπειδὰν καταστῇ. Die Forschung ist sich darüber einig, daß mit der dort genannten βουλή die in 31,1 vorgesehene Vierhunderter-Bule und mit dem

εἰσιὼν ἐνιαυτός das Jahr 411/10 gemeint ist; umstritten ist jedoch die

Frage ob wir den durch die zitierte Phrase eingeleiteten Satz als Anordnung der Wahl eines weiteren Strategenkollegiums nach dem ἐξ ἁπάντων gewählten oder nicht vielmehr als Erläuterung zu der vorangehenden Anord-

nung über die Wahl der Strategen ἐξ ἁπάντων ... τὼν πεντακισχιλίων"7 und „in einem Zusatzantrag'" im Sinne der von Ath. Pol. 31,1 vorgesehenen Vorwahl durch

die Phyleten abgeándert worden sei. 1€? Thuk. 8,67, 3, dazu o., S. 173 mit Anm. 255. 104 s. die o., S. 148 Anm. 163 zitierten Stellen. 105 Sartori, Crisi 124. 166 Für die βουλή s. Andrewes 231; Rhodes, Commentary 402 und Chambers, Aristoteles 290, für den εἰσιὼν ἐνιαυτός Dover, HCT IV 276 (akzeptiert von Andrewes a. O. 230 und

Rhodes a. O. 402). 1? So Andrewes, HCT V 230f.

- 204 zu verstehen haben. Nach der erstgenannten dieser Deutungen hätten wir uns

die ἐξ ἁπάντων zu wählenden Strategen als ein Interims-Kollegium zu denken, das nur für den verbleibenden Rest des Amtsjahres 412/11 bestellt und mit Beginn des Jahres 411/10 durch ein neues, unter der Ägide der Vierhunderter-Bule auf ein Jahr gewähltes Strategenkollegium abgelöst werden

sollte. Da bei diesem Modell die Wahl des ersten der beiden Kollegien noch ohne Mitwirkung der Bule, die Wahl der für 411/10 vorgesehenen Strategen aber bereits unter der Leitung der Vierhundert stattfinden sollte, müBten wir, wenn wir uns diese Deutung zu eigen machen wollten, annehmen, daß der Entwurf zu einem Zeitpunkt abgefaBt wurde, zu dem sich der Amtsantritt

der Vierhundert noch nicht absehen ließ, also sicherlich nicht erst während des Intervalls zwischen der Ablósung der demokratischen Bule und der

formellen Inauguration der Vierhundert. 9?

Aber auch wenn man die zweite der oben angeführten Möglichkeiten zugrunde legt und davon ausgeht, daB in Ath. Pol. 31,2 nur eine, nach dem Antritt der Vierhundert abzuhaltende Strategenwahl vorgesehen ist, muß

eine Datierung des Entwurfs in die Zeit unmittelbar vor der Inauguration der neuen Bule als unwahrscheinlich gelten, da zu diesem Zeitpunkt die Vierhundert de facto bereits die Macht in der Hand hielten. Es kann im Lichte der späteren Haltung dieses Regimes!!! kaum als wahrscheinlich gelten, daß die

innerhalb der Vierhundert dominierende Oligarchengruppe ohne zwingende Notwendigkeit

einen

Verfassungsentwurf propagiert haben

sollte, der ihr

gleich nach ihrem Amtsantritt die Einberufung der Fünftausend zur Pflicht und deren Mitwirkung zur Bedingung einer gültigen Strategenwahl machte.

Auch in diesem Falle wird man also den Entwurf der Gegenwartsverfassung

in die Zeit vor der Übernahme des Buleuterions durch die Vierhundert und daher aller Wahrscheinlichkeit nach sogar noch vor die Kolonosversammlung zu datieren haben.

168 So Sartori, Crisi 95f.; Rhodes, Commentary 401f.. !? Bbendies vermutet Rhodes, der die Entstehung der beiden Verfassungsentwürfe in die Zeit zwischen der Auflósung der demokratischen Bule am 14. Thargelion und die formelle Inauguration der Vierhundert am 22. desselben Monats datiert (Rhodes, Commentary 386f.405f.), aber dennoch das futurische τὴν δὲ βουλὴν ἐπειδὰν καταστῇ von Ath. Pol. 31,2 auf diese formelle Inauguration beziehen möchte: ,... probably the &vaypazgeis drafted thetr constitutions between the Colonus Assembly and 22 Thargelion and so could refer to the 'establishment' of the boule of Four Hundred as an event still in the future" (Rhodes ebd. 402). Aber wenn die Inauguration der Vierhundert zum Zeitpunkt der Abfassung von Ath. Pol. 31,2 bereits absehbar war, welchen Sinn hätte dann die Bestimmung gehabt, daB die interimistischen Strategen ohne Beteiligung der Bule gewühlt werden sollten? Es hätte in diesem Fall wohl näher liegen müssen, die Strategen sogleich für ein Jahr zu bestellen. 110 So Andrewes, HCT V 230; akzeptiert von Chambers, Aristoteles 290f.

!!! vgl. o., S. 173.

- 205 -

Aufgrund der im voranstehenden ausgebreiteten Überlegungen gewinnen wir für die Entstehung unserer Verfassungsentwürfe die Kolonosversammlung als terminus ante quem. Den terminus post quem dürfen wir in der in Ath. Pol. 29,4f. beschriebenen Versammlung erkennen, auf der die Bestellung des Gremiums der hundert καταλογεῖς beschlossen wurde, das wir in unseren

Verfassungsentwürfen als bestehende Institution erwähnt finden.''? Machen wir uns diese Auffassung zu eigen, so haben wir allerdings die Angaben der Athenaion Politeia über die von den Fünftausend gewählten ἑκατὸν ἄνδρες ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν ins Reich der Fabel zu verweisen, was angesichts der an diesem Kollegium haftenden Zweifelsmomente!? keine

unüberwindliche Schwierigkeit darstellen kann. Ob wir die in der Forschung mehrfach geäußerte Vermutung, daß sich der Verfasser der Athenaion Politeia

durch die Erwähnung von ἑκατὸν ἄνδρες in den Verfassungsentwürfen zu

einer irrigen Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte inspirieren ließ,''*

akzeptieren oder ob wir den Ursprung des Irrtums bereits in einem früheren Stadium der Überlieferung suchen móchten, ? ist für die Bewertung der hi-

storischen Glaubwürdigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der Angabe nur von geringem Belang: in jedem Fall haben wir die angeblich von den Fünftausend bestellten ἑκατὸν ἄνδρες ἀναγράψοντες τὴν πολιτείαν als unhistorisch zu verwerfen. In Anbetracht

der

anzunehmenden

Entstehungszeit

der

beiden

Entwürfe

erscheint es fraglich, ob wir ihre Urheber überhaupt in einem offiziell bestellten Gremium zu suchen haben; vielmehr wird es sich um Konzepte handeln, die im Vorfeld der Versammlung auf dem Kolonos in den Reihen der antide-

mokratischen Verschwörer entwickelt wurden. Ob sie auf dieser Versammlung vorgelegt und beschlossen wurden, und ob wir in ihnen das offizielle Programm jener Kreise erkennen dürfen, aus denen hernach die Führungsgruppe der Vierhundert gebildet wurde, läßt sich nicht mit Sicherheit

entscheiden. Wenn ja, so hätten wir den Abänderungsantrag des Peisandros wohl als taktisches Manóver dieser Oligarchen zu verstehen, die der Ver-

sammlung zunächst den vergleichsweise gemäßigt wirkenden'!!° Doppelent-

112 Ath. Pol. 30,3 und 31,3 (zit. o., S. 182); dazu o., S. 198-203. 1? s. dazu o., S. 180f. 114 Busolt, Stastskunde I 75 m. Anm. 4; vgl. Kunle, Untersuchungen 51f.59. 113 Vgl. Chambers, Aristoteles 286, der darauf verweist, daB wohl auch der Ath. Pol.Verfasser in den ἑκατὸν ἄνδρες der Verfassungsentwürfe die hundert katakoyeis

erkannt hátte, wenn er nicht in den Urkunden selbst oder der damit verknüpften Uberlieferung anderslautende Angaben gefunden hätte. Daß diese Angaben nicht der Wahrheit entsprochen haben, nimmt auch Ch. an. 116 Der Entwurf ging formal von einer Teilnahme der Fünftausend aus, worunter man angesichts des großzügigen Vorgehens der ka raAoyeis (s. o., S. 149-153) den größten Teil

der Hoplitenklasse verstehen konnte. Die Tatsache, daß die in der Zukunftsverfassung vorgesehene Pflicht zur Teilnahme an den Versammlungen der Viertelsbulen eine Beschrün-

- 206 -

wurf präsentierten und hernach einen Abänderungsantrag aufs Tapet brachten,

der ihnen die Möglichkeit gab, ohne Beteiligung breiterer Kreise eine Ratsversammlung zu bilden und die Einberufung der Fünftausend auf unbe-

stimmte Zeit zu verschieben." Daß es sich so verhielt, ist in sich nicht unwahrscheinlich, muB aber mangels positiver Evidenz im Bereich der Hypothese bleiben; Indizien, auf denen sich bauen läßt, haben wir nur hinsichtlich der Datierungsfrage. Nachdem wir somit die zeitliche Einordnung der Entwürfe zu klären versucht

haben, bleibt noch die Frage nach ihrer historischen Bedeutung zu besprechen; da wir es für sehr wahrscheinlich halten müssen, daß die Entwürfe in

der von der Athenaion Politeia wiedergegebenen Form niemals in Geltung gesetzt wurden, kann diese Bedeutung nur eine indirekte sein: ihr hauptsächlicher Wert liegt für uns in ihrer Funktion als Zeugnisse für die politischen Konzepte, die zur Zeit des Umsturzes von 411 in den Reformerkreisen im Umlauf waren. Unter diesem Gesichtspunkt hat sich das Interesse der Forschung auf die Zukunftsverfassung konzentriert, die ja vom staatstheoretischen und verfas-

sungsgeschichtlichen Gesichtspunkt aus zweifellos das interessantere Konzept darstellt. In der älteren Forschung als ein eigentümliches Mischgebilde demokratischer

und oligarchischer Elemente betrachtet, wurde sie in der Folge unter dem

Einfluß jener Richtung, die in ihr die von Thukydides als μετρία ξύγκρασις gelobte!'? ‘Verfassung des Theramenes’ erkennen wollte, als ein vom Geist der ‘Gemäßigten’ inspiriertes Dokument angesehen.!”° Demgegenüber betont neuerdings Ruzé den überwiegend oligarchischen Charakter des Zukunftsverfassungs-Entwurfes. Die Autorin verweist dabei zum

einen auf die Tatsache, daß Aristoteles in der Politik die Anordnung von Bußgeldern für den Nichtbesuch der Volksversammlungen (vgl. Ath. Pol. 30,6)

unter die für oligarchische Systeme typischen Maßnahmen rechnet,'?" zum kung des Kreises der politisch Berechtigten auf die überdurchschnittlich Wohlhabenden unter den Hopliten implizierte (s. u., S. 147 mit Anm. 160), wird für die Teilnehmer einer Versammlung, denen dieser Entwurf als Neuheit präsentiert wurde, nicht sofort offenkun-

1? Ähnlich Sartori, Crisi, 124, der annimmt, daß es sich bei diesem Manöver um einen Alleingang des radikalen Flügels handelte, durch den die Gemäßigten innerhalb der Reformbewegung ebenso düpiert worden seien wie die breite Masse der Versammlungsteilnehmer. !!* Wilamowitz AuA II 123f., Wilcken, Revolution 59f.

15 Thuk. 8,97,2 (zit. u., S. 279). 79 Neben den o., S. 180 Anm. 13 angeführten Autoren s. Rhodes, Commentary 389, der

in der Zukunftsverfassung das Produkt des gemäßigten Flügels der ävaypageis erkennen móchte.

121 Aristot. pol. 4, 1297 a24-30; vgl. o., S. 168.

- 207 anderen auf die starke, von keiner Kontrolle beschrünkte Position, die nach

den Bestimmungen von Ath. Pol. 30,5 dem für die Leitung der Ratsversammlungen vorgesehenen Fünfmännerkollegium zukommen sollte. Im Hinblick auf diese Bestimmungen müsse man, so Ruzé, den Entwurf der

Zukunftsverfassung als ein eher oligarchisch denn demokratisch inspiriertes Dokument werten.” Von diesen beiden von Ruzé vorgebrachten Argumenten können wir der Be-

wertung der Bußgeldfestsetzung für den Nichtbesuch der Versammlungen in Ath. Pol. 30,6 jedenfalls zustimmen: Im Hinblick nicht nur auf die diesbezüg-

liche Äußerung des Aristoteles, sondern auch auf die durch Thukydides bezeugte Abneigung der unter den Vierhundert dominierenden Oligarchen gegen eine Teilhabe breiterer Schichten!? wird man die hinter dieser Bestimmung stehende Intention wohl in der erhofften Abschreckungswirkung auf finanziell weniger begüterte Aspiranten erkennen dürfen. Vor dem Hintergrund der wührend des wahrscheinlichen Abfassungszeitraums der beiden Entwürfe ge-

gebenen politischen Situation gesehen erscheint diese Bestimmung - ebenso wie die Anordnung einer ,,Musterung in Waffen" in der Gegenwartsverfassung - als ein Versuch, der von den hundert καταλογεῖς bei der Zusammenstellung der Fünftausend geübten GroBzügigkeit entgegenzuwirken. Hier scheinen also tatsächlich stark oligarchisch gefärbte Gesinnungen im Hintergrund gestanden zu haben.

Weniger klar ist der Befund im Falle der zweiten nach Ruzé oligarchisch inspirierten Partie der Zukunftsverfassung, der Bestimmung über das zur Leitung der Bule zu bestellende Fünfmännerkollegium in Ath. Pol. 30,5.

Hier ist der oligarchische Gehalt insofern zu relativieren als zwar ein probuleutisches Kollegium nach Aristoteles per definitionem als oligarchische Insti-

tution gelten kann," andererseits aber im konkreten Fall der Bestimmung von Ath. Pol. 30,5 die Fünfmänner ebenso wie der aus ihren Reihen zu bestellende Tagesvorsitzende durch das Los bestellt werden sollten, was man als

einen eher demokratischen Modus werten kann. Berücksichtigt man darüberhinaus die Tatsache, daB etwa nach Ath. Pol. 30,5 die Auswahl derjenigen, die vor der Bule sprechen dürfen, nicht in das Belieben der Fünfmänner

gestellt, sondern teils durch die Verfassung selbst geregelt, teils dem Losent7 Ruzé, Oligarques 197f.; vgl. dies., Délibération 488 „un tout petit groupe de probouloi et un quart d' un corps civique restreint pour délibérer et prendre toutes les décisions, c’ est là une organisation typiquement oligarchique".

12 s. die Betonung der Richtzahl Fünftausend als Obergrenze im Programm der Umstürzler bei Thuk. 8,65,3 (zit. o., S. 98 Anm. 14) sowie die Auffassung der Vierhundert bei Thuk. 8,92,11 (zit. o., S. 152 Anm. 178).

124 Ath. Pol. 31,2 τὴν δὲ βουλὴν ἐπειδὰν καταστῇ, ποιήσασαν ἐξέτασιν (tv) ὅπλοις;

zum Zweck dieser Anordnung s. o., S. 152 Anm. 177 (vgl. S. 2037).

13 [Lys.] 20,13; dazu o., S. 149-152.

?5 s. die o., S. 14 Anm. 59 zitierten Stellen.

- 208 -

scheid anheimgegeben war," so erscheint es fraglich, ob wir die Position dieses Kollegiums wirklich als eine explizit autokratische zu bewerten haben. Näher liegt es, hier einen Reflex der althergebrachten demokratischen Bule-

Organisation mit ihren wechselnden, durch das Los bestimmten Vorständen zu erkennen. "* Schon an dem Gegensatz der beiden erwühnten Stellen zeigt sich, daB sich die

Zukunftsverfassung dem Versuch einer eindeutigen politisch-' ideologischen' Einordnung verschlieBt. Zieht man dazu weitere Bestimmungen, etwa das

Nebeneinander von Wahl- und Losverfahren für die Beamtenbestellung,'” in Betracht, so drángt sich der Gesamteindruck eines politischen Paradoxons auf, ein Eindruck, den bereits Wilamowitz treffend charakterisiert hat, wenn er den Zukunftsverfassungs-Entwurf als ,,Mischung aus Reaction und Radikalismus“ bezeichnet.^

Aufs Ganze gesehen haben wir es hier mit einer Staatsordnung zu tun, die den Kreis der politisch Berechtigten einschneidend beschränkt, die aber innerhalb dieses beschränkten Kreises wie einst die Demokratie auf dem Prinzip der möglichst gleichberechtigten Teilhabe aller Berechtigten aufbaut und diesen

egalitären Grundsatz durch den Einsatz des Losverfahrens in der Wahl der unteren Beamten wie auch in der Geschäftsordnung zur Geltung zu bringen strebt, und in dieser Hinsicht sogar noch über die alte Demokratie hinausgeht,

wenn wir die Bestimmung über die Besetzung der wichtigeren Ämter in Ath. Pol. 30,2 im Sinne eines Verbots der Ämter-Iteration interpretieren dürfen."?! 127 Ath. Pol. 30,5 xAnpoüv δὲ τοὺς λαχόντας πέντε τοὺς ἐθέλοντας προσελθεῖν ἐναντίον τῆς βουλῆς, πρῶτον μὲν ἱερῶν, δεύτερον δὲ κήρυξιν, τρίτον πρεσβείαις, τέταρτον τῶν ἄλλων.

128 Zum überwiegend demokratischen Charakter des Losverfahrens s. Busolt, Staatskunde I

468-470 sowie Ehrenberg, Losung 1479f. mit Belegen. 12° Ath. Pol. 30,2 αἱρεῖσθαι δὲ πάντας τούτους ἐκ προκρίτων, ἐκ τῶν ἀεὶ Bouλευόντων πλείους προκρίνοντας, τὰς δ᾽ ἄλλας ἀρχὰς ἁπάσας κληρωτὰς εἶναι.

130 Wilamowitz AuA II 123; vgl. ebd. 124 ,,.... andererseits aber entfernt sich diese Verfas-

sung soweit von der wirklich alten, daß sie, so entrüstet ihre urheber auch über diese kritik sein würden, der demokratie in wahrheit immer noch näher steht". In diesem Sinne auch Wilcken, Revolution 59-61.

P! Ath. Pol. 30,2; βουλεύειν μὲν Kat’ ἐνιαυτὸν τοὺς ὑπὲρ τριά κοντα ἔτη γεγονότας

ἄνευ μισθοφορᾶς, τούτων δ᾽ εἶναι τοὺς στρατηγοὺς

... ; zur

Diskussion um das Verstándnis des Demonstrativpronomens τούτων s. Rhodes, Commentary 390 und Chambers, Aristoteles 287, die beide darauf verweisen, daß in einer späteren Passage des Entwurfes von Beamten die Rede ist, die nicht aus der Bule bestellt werden sollen (τὰς δ᾽ ἄλλας ἀρχὰς ἁπάσας κληρωτὰς elvai καὶ μὴ ἐκ τῆς βουλῆς), daher sei das τούτων in der vorangehenden Passage wahrscheinlich auf die Mitglieder der gegenwärtig amtierenden (Viertels-)Bule zu beziehen. Die in diesem Falle gegebene Einschränkung des Kandidatenkreises mußte zwangsläufig dazu führen, daß der gewesene Amtsinhaber erst nach drei Jahren wieder für die Bekleidung eines der Wahlämter in Frage kommen konnte, vgl. Wilamowitz AuA II 119. Dieser Deutung des Relativpronomens hält jedoch Harris, Constitution 249 die Möglichkeit entgegen, daß τούτων hier auf alle über

- 209 -

Diese Betonung der Gleichheit innerhalb der regimentsfähigen Kreise und die damit einhergehende Tendenz gegen die Bildung von dauerhaften persónlichen Machtpositionen unterscheiden den Entwurf der Zukunftsverfassung klar von jenen radikaloligarchischen Konzepten, die auf der Herrschaft einer kleinen Clique basierten. Auf der anderen Seite geht diese Verfassungsordnung, was die Beschránkung des Kreises der Berechtigten betrifft, deutlich weiter in die oligarchische Richtung als das späterhin von Theramenes vertretene Kon-

zept der Hoplitenpoliteia: Die Bestimmungen über die Bestrafung der Nichtteilnahme

an

den

Sitzungen

der

Bule

wie

auch

das

System

der

auf

Zwangsteilnahme aufgebauten Viertels-Bulen überhaupt, zeigen deutlich, daß der oder die Urheber des Entwurfes unter den Fünftausend nur jene Athener verstehen wollte, die vermógend genug waren, um sich jedes vierte Jahr unter Zurückstellung ihrer Privatangelegenheiten vornehmlich den Staatsgeschäften widmen zu können - ein Kriterium, das sicher nicht auf alle ὅπλα παρεχόμενοι zugetroffen haben kann, mit dem aber durchaus eine nach meh-

reren Tausend zählende Menge erfaßt worden sein dürfte. Hält man sich diesen wesentlichen Punkt vor Augen, so fühlt man sich unwillkürlich an Thukydides’

Beschreibung des von den antidemokratischen

Agitatoren im Vorfeld des Umsturzes

vertretenen Programms

erinnert: „Es

sollten nicht mehr als fünftausend an der Macht teilhaben, und zwar jene, die

mit ihrem Gut und ihrem Leib am meisten zu nützen imstande seien.“ ?? Mit ihrer Verbindung von hohen Anforderungen an die Herrschaftsteilhaber und strenger Egalität innerhalb dieses bevorrechteten Kreises war die in der Zukunftsverfassung niedergelegte Ordnung aufs Beste geeignet, das in Thuk. 8,65,3 verkündete Programm in die Realität umzusetzen. Wenn Thukydides

dieses Programm als „ein schönes Schlagwort für die Menge“ charakterisieren kann, so zeigt dies, daß derartige Grundsätze in der Situation des Frühjahrs 411 auf vergleichsweise breite Zustimmung in der athenischen Bürgerschaft

hoffen durften. Wie Thukydides im Folgesatz ausführt, hatten die Hintermänner der Agitation aber gar nicht die Absicht, dieses eunpe1tts-Programm in die Tat umzusetzen; ihre wahren Absichten zielten auf die Erlangung einer dauerhaften Machtstellung für sich selbst: „Die den Umsturz betrieben, woll-

ten dann auch die Führung im Staate innehaben.“'”” Als Handhabe für die Bedreißig Jahre alten Mitglieder der Fünftausend zu beziehen sei. Eine Entscheidung dieser Frage wird sich aufgrund des sprachlichen Befundes allein wohl nicht fällen lassen, aber auch die sachlichen Kriterien ergeben kein eindeutiges Bild: Wenn die Vorstellung eines Iterationsverbotes für das Strategenamt gerade in Kriegszeiten höchst unpraktikabel anmutet, so zeigt doch der von Rhodes (Commentary 390.696) geltend gemachte Analogiefall der spartanischen Nauarchen, daß eine solche Regelung in einer realen Staatsverfassung des späten 5. Jh. nicht undenkbar ist.

132 Thuk. 8,65,3 (zit. o., S. 98 Anm. 14). 5 Thuk. 8,66,1, dazu o., S. 103 Anm. 44.

- 210 -

gründung einer solchen Machtstellung war das Rotationssystem der Zukunftsverfassung nicht geeignet, wohl aber die autokratische Bule der Vierhundert,

wie sie nicht nur im Antrag des Peisandros, sondern auch in der Gegenwarts-

verfassung vorgesehen war. Ob man die Tatsache, daß dieses Konzept offensichtlich schon von Anfang an mit dem eher egalitären Zukunftsentwurf verbunden war, im Sinne der obigen Äußerung des Thukydides nur als ein Täuschungsmanóver gegenüber der Masse der Hopliten oder nicht vielmehr als

einen Kompromiß zwischen radikalen und gemäßigten Kräften innerhalb der

Reformbewegung selbst'”* anzusehen hat, muß beim Stand unserer Quellen ebenso offen bleiben wie die damit verbundene Frage, ob und wieweit man innerhalb der Umsturzbewegung ernsthaft gewillt war, das vorderhand instal-

lierte autokratische Vierhunderter-Regime nach Überwindung des Staatsnotstandes durch eine auf der Beteiligung breiterer Schichten basierende gemäBigte Ordnung zu ersetzen. Was wir hingegen wenigstens in Umrissen erkennen können, ist die Realität der von den Vierhundert während der Zeit ihrer

Machtausübung in Athen gesetzten Handlungen, in denen sich zumindest teilweise die Intentionen der innerhalb des Regimes dominierenden Gruppe widerspiegeln werden, die freilich auf der anderen Seite zu einem guten Teil

auch vom Zwang zur Reaktion auf äußeren Druck bestimmt gewesen sein können. Dementsprechend sollen nunmehr die Herrschaftspraxis der Vierhun-

dert und die wichtigsten der von außen auf sie einwirkenden Umstände - die sich im Athenerheer auf Samos formierende demokratische Gegenbewegung

und die Haltung der Spartaner - das Thema des folgenden Abschnittes unserer Untersuchungen bilden.

134 So Sartori, Crisi 123-126.

- 211-

III. DIE HERRSCHAFT DER VIERHUNDERT UND DER DEMOKRATISCHE *GEGENSTAAT AUF SAMOS

Der oligarchische Umsturzversuch und die demokratische Reaktion auf Samos Im athenischen Lager auf Samos hatten die Verschwörer nach dem Abgang des Peisandros und seiner Mit-Emissäre ihre Agitation unter den athenischen

Truppen wie auch unter den politischen Führern der Samier eifrig fortgesetzt. Wir haben schon gesehen (o., S. 33-35.89), daB sich etwa dreihundert von jenen Samiern, die im Jahre zuvor die Erhebung gegen die δυνατώτατοι der Insel durchgeführt hatten, nun von Peisandros für die Sache der Oligarchie

gewinnen lieBen und mit den athenischen Verschwórern zu gemeinsamer Aktion zusammenschlossen. „Als Unterpfand ihrer Zuverlässigkeit‘ (πίστιν δι-

δόντες αὐτοῖς) ermordeten sie unter Beteiligung des Strategen Charminos und einiger anderer Athener den athenischen Demagogen Hyperbolos, der seinerzeit durch eine Ostrakismosabstimmung aus seiner Heimatstadt entfernt worden war! und sich nunmehr auf Samos aufhielt. In einer knappen Sentenz

fügt Thukydides an, daß die Verschwórer „noch weitere Taten dieser Art vollbrachten" (ἄλλα ... τοιαῦτα ξυνέπραξαν), was man wohl als Indiz für längerdauernde und wiederholte terroristische Aktivitäten werten kann? Die Umtriebe der Oligarchen alarmierten die Anhänger der Demokratie. Diese informierten die Strategen Leon und Diomedon, die nach Thukydides »der Oligarchie nur widerwillig anhingen, da sie ihre Ehren vom Volk erhal-

ten hatten“ (οὐχ ἑκόντες διὰ τὸ τιμᾶσθαι ὑπὸ τοῦ δήμου ἔφερον τὴν

ὀλιγαρχίαν), den Trierarchen Thrasybulos und den Hopliten Thrasylios’

sowie andere, die als entschiedene Gegner der Oligarchie galten. Diese ent-

schlossen sich, den Absichten der Verschwórer entgegenzuarbeiten und begannen nun ihrerseits mit einer Gegenkampagne unter den Soldaten, besonders unter den Paraliern, den Besatzungsmitgliedern der Staatstriere Paralos, die den Ruf besonders zuverlássiger Demokraten genossen. Um sich gegen einen eventuellen Handstreich abzusichern, sorgten Leon und Diomedon dafür, daß bei jeder Ausfahrt der athenischen Flotte einige Schiffe im Hafen zurückblieben. Als die Putschisten dann tatsächlich losschlugen, erwiesen sich

diese VorsichtsmaBnahmen als wirksam: Mit Hilfe der athenischen Flotten-

mannschaften wurden die samischen Demokraten der Bedrohung Herr, tóteten ! Zur Ostrakisierung des Hyperbolos s. Heftner, Ostrakismos des Hyperbolos passim mit weiterführenden Literaturangaben.

? Thuk. 8,73,1-3.

? Für diesen Bezug von τῷ μὲν τριηραρχοῦντι, τῷ δὲ ὁπλιτεύοντι von Thuk. 8,73,4 s. Andrewes, HCT V 264.

- 212-

etwa dreißig der Verschwörer* und überwältigten die anderen. Die besiegten Umstürzler fanden im samischen Demos einen milden Richter: Nur drei Haupträdelsführer wurden in die Verbannung geschickt, die übrigen in Gnaden wieder in die Reihen der Bürgerschaft aufgenommen. Die Demokraten des Athenerheeres entsandten nun einen ihrer Anführer namens Chaireas mit der Paralos nach Athen, um über das Geschehene Bericht zu erstatten.’

Dieser thukydideische Bericht über die Vorgänge um die Terrorkampagne und den mißglückten Putschversuch der samischen Dreihundert wirft eine Reihe von Fragen auf.

Thukydides betont den Umstand, daß es sich bei den samischen Verschwörern um dieselben Männer handelte, die weniger als ein Jahr zuvor gegen die δυνατοί ihrer Polis zu den Waffen gegriffen hatten, „um nicht unter oligar-

chische Herrschaft zu fallen'*. Die beste Erklärung für diesen überraschenden Frontwechsel dürfte, wie wir bereits festgestellt haben (o., S. 33-35), in der Annahme liegen, daß sich die dreihundert Verschwörer in ihrem Handeln nicht von oligarchischen Überzeugungen, sondern vom Wunsch nach einer

Aufrechterhaltung der Bindungen

zu Athen leiten ließen und zu diesem

Zweck bereit waren, den für Athen erwarteten Umschwung zur Oligarchie in der eigenen Polis mitzuvollziehen. Umso wertvollere Bundesgenossen müssen sie für die athenischen Verschwörer dargestellt haben, deren Streben ja ganz

allgemein danach ging, die Bundesgenossenstädte zu oligarchisieren, dabei aber doch im Bündnis mit Athen zu halten.’ Was die Ermordung des Hyperbolos betrifft, so wäre es relevant zu wissen, aus welchem Grund sich der ostrakisierte Demagoge im Frühjahr 411 in Samos aufhielt. Hatte er die Polis der Samier von vornherein zu seinem Exilsort erwählt® oder war es erst die Etablierung der athenischen Flottenmacht auf Samos während des Jahres 412, die ihn veranlaßt hatte, sich auf die Insel zu begeben, um die Kontakte mit seinen Landsleuten wieder anzuknüp-

fen?? Im letzteren Fall kónnte er durch diesen Versuch der Kontaktaufnahme

* Die in Thuk. 8,73,6 verwendete Phrase τριάκοντα μέν τινας ἀπέκτειναν läßt die Mög-

lichkeit offen, daß diese dreißig Männer nicht im Zuge der Auseinandersetzungen umkamen, sondern nachher zum Tode verurteilt wurden (so McCoy, Moderates 61). Dagegen

spricht jedoch die Tatsache, daß Thukydides nicht die dreißig Getóteten, sondern die drei mit Verbannung Bestraften als αἰτιώτατοι bezeichnet.

’ Thuk. 8,73,1-74,1.

ὁ Thuk. 8,63,3., zit. o., S. 35.

s. Thuk. 8,48,5-7;64,1;65,1.

* Dafür scheint jedenfalls die Angabe ['YmtpßoAos] καταπλεύσας εἰς Σάμον kal τὴν οἴκησιν αὐτοῦ ποιησάμενος bei Theopomp. FGrHist 115 F 96b zu sprechen, s. Cuniberti, Presenza ateniese 76. ? Die Frage nach den Umständen von Hyperbolos’ Aufenthalt in Samos berührt das umstrittene Problem der in Ath. Pol. 22,8 und Philochoros FGrHist 328 F 30 erwähnten Aufenthaltsbeschränkungen, das an dieser Stelle nicht in extenso behandelt werden kann. Für einen Überblick über die Quellenlage und die divergierenden Positionen der Forschung s.

- 213 -

und der prodemokratischen Agitation selbst den Anlaß für seine Ermordung geboten haben. Gegen diese Móglichkeit spricht jedoch die Tatsache, daB Thukydides in keiner Weise eine derartige Aktivität des Hyperbolos andeutet, obwohl er in seiner Charakteristik keinen Zweifel an seiner negativen Bewertung des Mannes läßt und damit dem Leser suggeriert, daß Hyperbolos sein Ende durchaus verdient habe. Angesichts dieser Einstellung ist anzunehmen, daß dem Historiker jede Handlung des Hyperbolos, die dessen Ermordung recht-

fertigen hätte können, zumindest eine knappe Erwähnung

wert gewesen

wäre.'’ Wenn nun bei Thukydides nichts von politischen Aktivitäten des Hyperbolos verlautet, sondern die Mordtat lediglich mit dem Streben der samischen Umstürzler nach einem Vertrauensbeweis gegenüber ihren athenischen Mitverschwörern begründet wird, so können wir dies als ein Indiz dafür werten, daß Hyperbolos' Ermordung in der Tat nicht durch irgendwelche

aktuelle Aktivitäten des Demagogen veranlaßt war.!! Zieht man die kontroversielle Rolle, die Hyperbolos als radikaldemokratischer

Politiker in Athen gespielt hatte und den auf seine Person vereinigten Haß nicht nur der aristokratischen Kreise" in Betracht, so wird man es nicht für unwahrscheinlich halten, daB sich die oligarchischen Verschwórer den promiJacoby FGrHist IIIb Suppl. I 317f. und IIIb Suppl. II 228, Anm. 18, Rhodes, Commentary 282f. und Chambers, Aristoteles 247 sowie neben der dort angeführten Literatur Figueira, Residential Restrictions passim. Der Kern des Problems liegt in der Frage, ob den Ostrakisierten ein Aufenthalt innerhalb oder außerhalb einer zwischen den Markierungspunkten Geraistos und Skyllaion gezogenen

Linie vorgeschrieben war. Hier wird

man bezüglich des für uns relevanten Aspekts von Hyperbolos’ Aufenthalt auf Samos 411 in jedem Fall die Tatsache berücksichtigen müssen, daß das Aufenthaltsbeschränkungsgesetz unmittelbar vor dem Zug des Xerxes gegen Hellas erlassen wurde (Ath. Pol. 22,8) und

aller Wahrscheinlichkeit nach durch die damalige politisch-militärische Konstellation motiviert ist. Zur Zeit von Hyperbolos' Ostrakisierung hatten sich die Verhältnisse im Ägäisraum so sehr gewandelt, daB die mehr als sechzig Jahre alte Bestimmung damals recht gut als obsolet betrachtet worden sein kann. Man tut daher gut daran, den Samosaufenthalt des Hyperbolos nicht als Evidenz für die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes von 481/80 zu betrachten (so jedoch Figueira, Residential Restrictions 296). V? So wie er ja auch in 8,65,2 für die Ermordung des Androkles eine konkrete, aus den

Handlungen des Ermordeten abgeleitete Motivation angibt. !! Anders Kagan, Fall 168: „Hyperbolos .... must have had some prominent place in the

democratic movement on Samos". Dies findet jedoch im Text des Thukydides ebensowenig eine Bestätigung wie die Annahme Cunibertis, Hyperbolos habe von seinem Exilsort Samos aus weiterhin bedeutenden Einfluß auf die athenische Politik genommen und daneben auch als spiritus rector der samischen ἐπανάστασις von 412 gewirkt, was ihn in den Augen der Verschwórer als einen potentiell gefáhrlichen Gegner habe erscheinen lassen (Cuniberti Presenza ateniese 79).

Zum Bild des Hyperbolos in der athenischen Öffentlichkeit s. zuletzt Brun, Hyperbolos, 183-186 und Casanova, Iperbolo passim mit der älteren Literatur, zur möglichen Wirkung dieses Feindbildes auf die Oligarchen von 411 s. Sommerstein, Komodoumenos, 333 (vgl. Casanovaa. O. 110).

-214nenten Exulanten

auch ohne

aktuellen Anlaß

zum

Ziel ihres Anschlages

erwühlten: Die Tótung des Mannes, der in den Augen vieler als leibhaftige Verkórperung aller Auswüchse der radikalen Demokratie und des Demagogentums galt, sollte als Fanal für die Sache des antidemokratischen Umsturzes dienen.

Über den konkreten Ablauf der Mordtat bieten uns weder Thukydides noch die Parallelquellen nähere Angaben, lediglich in einem Fragment des Theopomp erfahren wir, daß Hyperbolos' Leiche in einen Sack genäht und im Meer versenkt wurde'* - eine Mißhandlung über den Tod hinaus, die möglichweise durch Gründe der Geheimhaltung motiviert war,'” aber wohl doch

auch den Abscheu der Oligarchen gegenüber dem verhaBten Demagogen widerspiegelt. Wenn wir die knappen Andeutungen des Thukydides wórtlich nehmen dürfen, stellte die Tötung des Hyperbolos nur den Höhepunkt einer Terrorkampagne

dar, die wir wohl mit den etwa gleichzeitigen Aktivitäten antidemokratischer ἑταῖροι in Athen, die Thukydides im Rahmen der Vorgeschichte des dortigen

Umsturzes beschreibt,' in Parallele stellen können: Hier wie dort sollten die

Mordtaten bei den politischen Gegnern und bei der Mehrheit des Demos Verunsicherung hervorrufen und den Boden für einen antidemokratischen Umsturz bereiten. Allerdings waren die samischen Aktivitáten, wenn wir Thukydides folgen, zunächst nicht auf eine Oligarchisierung der athenischen Truppen vor Ort, sondern nur auf einen Umsturz innerhalb der Polis der Samier gerichtet. Was die auf Samos befindlichen athenischen Seeleute und Soldaten betraf, scheinen die Verschwórer davon ausgegangen zu sein, daß sich diese wie auch die übrigen auf auswärtigen Kriegsschauplätzen stationierten Truppen dazu überreden lassen würden, einen in der Mutterstadt vollzogenen Verfassungswech-

sel nachträglich als vollendete Tatsache zu akzeptieren und die aus dem Umsturz hervorgegangene

Regierung

als rechtmäßig

anzuerkennen.

In diese

Richtung deutet jedenfalls der Wortlaut der den zehn Gesandten aufgetragenen Botschaft, der keinerlei Hinweise darauf enthält, daß die Vierhundert mit

einer inzwischen vollzogenen Oligarchisierung auf Samos rechneten.

? Wenn Baldwin, Notes 155 demgegenüber persónliche Motive seitens des Charminos in Erwägung zieht, so nimmt er m. E. zuwenig Rücksicht auf die Tatsache, daß Thukydides die Mordtat ganz eindeutig in den Kontext der oligarchischen Kampagne stellt. Daher wird man auch die in ihrem Wortlaut recht allgemein gehaltene und nur fragmentarisch überlie-

ferte Angabe bei Theopomp. FGrHist 115 F 96a ἐπιβουλευθέντα ὑπὸ τῶν ᾿Αθήνηθεν ἐχθρῶν ἀναιρεθῆναι (sc. τὸν "Y TépBoAov) wohl nicht als Beleg für Baldwins Auffassung anführen kónnen.

^ Theopomp. FGrHist 115 F 96ab. 3 So die Vermutung von Cuniberti, Presenza ateniese 76.

€ Thuk. 8,65,2, dazu o., S. 109-114.

-215-

Vor diesem Hintergrund haben wir die auffallenden Phánomene im Bericht

des Thukydides zu betrachten. Die knappe Schilderung, die der Historiker von den Reaktionen

der athenischen Demokraten

gibt, erweckt den Eindruck,

diese hátten zwar den Umsturz unter den Samiern als eine Gefahr für die Athentreue dieser Polis gefürchtet und bekämpft, von der innerathenischen Seite der oligarchischen Bewegung aber gar keine Notiz genommen. Diese

Fixierung auf den innersamischen Konflikt wird von Thukydides expressis verbis konstatiert,'" sie zeigt sich auch deutlich an der Tatsache, daß die sieg-

reiche

Abwehr

des

samischen

Putsches

nicht

mit

einer

vergleichbaren

Auseinandersetzung im Athenerlager einherging; erst als aus Athen die Nach-

richt von der Machtergreifung der Vierhundert eintraf, gingen die Demokraten

im Heer entschieden gegen die Oligarchen in den eigenen Reihen vor. Auf der anderen Seite erscheinen bei Thukydides die beiden Strategen Leon und Diomedon

als Konfidenten

auch als - wenngleich

der samischen

unwillige

Demokraten,

- Teilhaber

zugleich

aber

an der oligarchischen

Verschwörung,? was voraussetzt, daß zumindest diese beiden Strategen über die auf einen Umsturz auch des athenischen Staates und Heeres abzielenden

17 Thuk. 8,73,4, zit. o., S. 34 Anm. 172. 18 Thuk. 8,74,3-75,3, dazu u., S. 217-225. 15 Thuk. 8,73,4, οὗτοι γὰρ οὐχ ἑκόντες διὰ τὸ τιμᾶσθαι ὑπὸ τοῦ δήμου ἔφερον τὴν ὀλιγαρχίαν;

McCoy,

Leon

199 móchte die Phrase διὰ τὸ τιμᾶσθαι ὑπὸ τοῦ δήμου

dahingehend verstehen, daß mit dem

hier genannten Demos

der Demos

der Samier

gemeint sei. Leon und Diomedon hätten sich (vielleicht im Zuge der Unruhen von 412) Verdienste um die samische Demokratie erworben und seien aus diesem Grunde 411 von

den besorgten samischen Demokraten angesprochen worden. Demgemäß sei ihre Parteinahme gegen die Putschisten weniger durch ihre Position in der athenischen Politik als

vielmehr durch das Vertrauensverhültnis zu den samischen Demokraten bestimmt gewesen. Diese Deutung erweist sich als fragwürdig, wenn wir vom Wortlaut der thukydideischen Phrase οὐχ ἑκόντες .... ἔφερον τὴν ὀλιγαρχίαν ausgehen. Legen wir McCoy's Auffassung zugrunde, so müßten wir die ὀλιγαρχία in jener Stelle auf die oligarchischen Umtriebe innerhalb der Polis der Samier beziehen. Nun findet sich aber φέρειν im Sinne von ‘ertragen’, ‘erdulden’ bei Thukydides meist in einer Weise verwendet, die eine persönliche Betroffenheit des Subjekts impliziert (s. die Belegstellen bei Bétant, Lexicon 487f.), was im Falle des Leon und Diomedon nicht gegeben wáre, wenn es sich bei der Thuk. 8,73,4

angesprochenen ὀλιγαρχία um ein innersamisches Phänomen gehandelt hätte. Es hat daher mehr für sich, das thukydideische οὐχ ἑκόντες .... ἔφερον τὴν ὀλιγαρχίαν als einen Hinweis darauf zu verstehen, daß Leon und Diomedon persönlich von den oligarchischen Umtrieben betroffen waren - dann aber kann es sich nur um die Umtriebe der athenischen Verschwörer gehandelt haben. Für weitere Forschungsmeinungen zum τιμᾶσθαι ὑπὸ τοῦ δήμου s. o., S. 22 Anm. 107.

? Vgl. die Überlegungen Kagans über die Stellung des Leon und Diomedon innerhalb der Verschwörerzirkel: „Because of their ranks they could not have been excluded from the

private deliberations once it was publicly announced what was afoot. Thus that inner circle must have included true oligarchs like Peisander, but also thoroughgoing democrats like Leon and Diomedon, who reluctantly tolerated the course of events" (Kagan, Fall 169).

- 216 -

Pläne informiert waren. Bedenken wir weiters, daB die Verschwórer in der Anfangsphase ihrer Kampagne ziemlich offen auftraten und damals nach Thukydides alle Trierarchen und Anführer des Athenerheeres in ihre Kreise einbezogen waren,?' so können wir fest damit rechnen, daß den Demokraten

des Athenerheeres die aus den eigenen Reihen drohende Gefahr von Anfang

an voll bewußt war. Man wird daher die von den Demokraten im Athenerheer gegenüber ihren oligarchisch gesinnten Kameraden anfänglich geübte Zurückhaltung keinesfalls auf eine falsche Einschätzung der Situation zurückführen können. Eher

schon könnte man annehmen,

daß die Führer der Demokraten

im Lager

zunächst die Entwicklung der Verhältnisse in der Heimatstadt abwarten wollten. Freilich wird man dieses Abwarten nicht als vorsichtige Zurückhaltung oder gar als Anpassungsbereitschaft mißverstehen dürfen; die Ereignisse der Folgezeit zeigen zur Genüge, daß die athenischen Demokraten auf Samos keinesfalls gewillt waren, sich einem unverhüllt oligarchischen Regime zu unterwerfen, und daß sie auch den offenen Bruch mit den Machthabern in der

Heimatstadt nicht scheuten. Wenn wir demnach das Vorgehen der Demokratenführer im athenischen Heer weder auf Furcht noch auf Unwissenheit zurückführen kónnen, so bleibt uns

nur die Möglichkeit, ihre abwartende Haltung nach dem samischen Putschversuch als einen Ausdruck der Hoffnung auf einen Ausgleich der Gegensätze zu verstehen: Solange die Debatte in Athen in der Schwebe war, lieB sich immer noch hoffen, daf aus den dortigen Verfassungswirren eine auch für Demokra-

ten akzeptable

Lósung

hervorgehen

Ausgleich

zwischen

σωτηρία

enthalten und den Weg

werde,

den Ansprüchen

eine Staatsordnung,

des Demos

und den

die einen

Geboten

der

zu einer späteren Rückkehr zur vollen

Demokratie offenlassen würde. Wenngleich das Wirken radikaloligarchischer Kräfte innerhalb der Reformbewegung den Demokratenführern nicht verborgen geblieben sein konnte, war doch zumindest im frühen Stadium der Reformdebatte die Möglichkeit gegeben, daß sich in Athen die gemäßigtere

Richtung durchsetzen würde. Die von den Demokraten des Athenerheeres späterhin, nach dem Fall der Vierhundert, gegenüber der Mutterstadt verfolgte Politik? làBt es als wahrscheinlich erscheinen, daß viele unter ihnen schon im

Sommer 411 eine Einigung mit den Gemäßigten in Athen zu akzeptieren bereit gewesen wáren.

2 s. o., S. 40f.

?! Man beachte die diesbezüglichen Versicherungen in der Rede des Peisandros vor dem Volk (Thuk. 8,53,3 ὕστερον γὰρ ἐξέσται ἡμῖν καὶ μεταθέσθαι, ἣν μή τι ἀρέσκῃ) sowie das zweimalige Vorkommen der ἕως ἂν ὁ πόλεμος ᾧ -Formel in dem Beschluß über die Einsetzung der Fünftausend in Ath. Pol. 29,5 (zit. o., S. 95f.).

P s. dazu u., S. 282f. und 295f.

-217Im Hinblick auf diese Hoffnungen ließen die Führer der athenischen Demo-

kraten auf Samos gegenüber den Verschwórern in ihren Reihen Zurückhaltung walten; binnen kurzem jedoch zeigte es sich, daß die nisse in Athen eine Wendung genommen hatten, die eine friedliche illusorisch erscheinen lieB und die nun auch auf Samos den Anstof) Radikalisierung in die andere Richtung geben mußte.

zunächst VerhältEinigung zu einer

Die demokratische Konterrevolution im Athenerlager auf Samos Die Staatstriere Paralos, die den von den Demokraten als Bote in die Heimat entsandten Chaireas trug, traf in Athen ein, als dort die Vierhundert bereits die

Kontrolle übernommen hatten. Die neuen Machthaber behandelten die Ankómmlinge als revolutionäre Elemente, ließen einige von den Besatzungsmitgliedern der Paralos gefangensetzen, die übrigen versetzten sie auf ein anderes Schiff, das zum Wachdienst vor Eubóa bestimmt war. Chaireas jedoch, der offenbar die Situation in Athen rascher erfaßt hatte, gelang es,

sich auf eigene Faust nach Samos durchzuschlagen, wo er vor der Versammlung der Truppen Bericht erstattete und dabei die Zustánde in Athen, wenn wir Thukydides Glauben schenken wollen, in schwärzesten Farben schilderte. Die drastischen Schilderungen des Chaireas versetzten die Zuhórer so sehr in Wut, daß die Menge in der ersten Erregung Anstalten machte, sogleich mit Waffengewalt auf die Verfechter der Oligarchie loszugehen; nur durch den persönlichen

Einsatz

besonnener

„Männer

der

Mitte"

ließen

sich

die

aufgeregten Gemüter beruhigen. Daraufhin veranlaßten die Führer der Demokraten, unter denen Thrasybulos und Thrasyllos namentlich genannt werden,

die Angehórigen der athenischen Streitkráfte auf Samos einen Eid zu schwóren, daß sie der Demokratie treu bleiben, untereinander Einigkeit wahren, den

Krieg gegen die Peloponnesier eifrig fortsetzen und den Vierhundert Feind sein würden. Der gleiche Eid wurde auch von den Samiern geleistet, soweit sie im wehrfähigen Alter standen. In der Folge hielten die athenischen Truppen auf Samos eine Versammlung ab, auf der sie die Strategen sowie die Verdáchtigen unter den Trierarchen ihrer Ámter enthoben und zuverlássige Demokraten an deren Stelle setzten.

Thukydides referiert die im Zuge dieser Versammlung von den Wortführern der demokratischen Sache gehaltenen Reden, in denen sie ihre Entschlossenheit bekráftigten, den Krieg gegen die Peloponnesier notfalls auf eigene Faust weiterzuführen.?

Bei der Betrachtung dieser Episode, deren thukydideische Schilderung wir im voranstehenden paraphrasiert haben, sticht auf der einen Seite das gewaltsame ^^ Thuk. 8,74,1-75,3.

- 218 -

Vorgehen der Vierhundert gegenüber den Männern der Paralos ins Auge, auf der anderen die entschiedene prodemokratische Militanz der athenischen Soldaten und Seeleute auf Samos, die sich auf die Nachricht von der oligarchischen Umwälzung in der Heimat ohne Zögern von der Mutterstadt lossagten und sich nur mit Mühe abhalten lieBen, über die bis dahin geschonten Oli-

garchen in den eigenen Reihen herzufallen. Das Vorgehen der Vierhundert gegen die Besatzung der Paralos laßt sich in seiner Motivation leicht verstehen, wenn man das Bestreben der neuen Herrn

in Athen, die Truppen auf Samos unter Vorspiegelung falscher bzw. geschónter Nachrichten mit dem Stand der Dinge in der Heimat zu versóhnen, in

Rechnung stellt. Zu diesem Zweck mußte natürlich unter allen Umständen verhindert

werden,

daß

eine

unabhängige

Nachricht

über

die

politische

Entwicklung in Athen nach Samos gelangte. Ob dieses Kalkül aufgehen hätte können, wenn es Chaireas nicht gelungen

wäre, vor der Zehnergesandtschaft nach Samos zu gelangen, bleibt der Spekulation überlassen. Die vehemente Reaktion der Massen auf die Nachricht von der Umwälzung in Athen und der MiBerfolg der oligarchischen Gesandten bei ihrem schließlichen Auftreten auf Samos spricht dagegen; auf der anderen Seite steht die Tatsache, daß ebendiese Masse seinerzeit die Pläne der Um-

stürzler bei deren erstem öffentlichen Auftreten passiv hingenommen hatte? und daß die Demokraten im Athenerheer auch nach dem abgewehrten samischen Putschversuch von einer sofortigen Abrechnung an den Oligarchen in den eigenen Reihen Abstand genommen hatten, um zunächst die Entwicklung

der Dinge in Athen abzuwarten.?° Die Möglichkeit, daß sich ohne den Bericht des Chaireas die Truppen auf Samos von den Gesandten der Vierhundert hätten beschwichtigen lassen, kann daher nicht völlig ausgeschlossen werden,

aber es ist doch zu bezweifeln, daß eine solche Einigung von Dauer hätte sein können, da sich der Nachrichtenfluß zwischen der Stadt und dem Lager nicht ganz unterbinden ließ.

So, wie die Dinge lagen, gaben die Schilderungen des Chaireas den Anstoß für eine sofortige Klärung der Fronten auf Samos, eine Entwicklung, die wohl

unvermeidlich war, solange es den Truppen auf Samos nicht an Waffen und demokratisch gesinnten Führungspersönlichkeiten gebrach. Das Vorgehen dieser Demokratenführer um Thrasybulos und Thrasyllos ist in Thukydides’

Bericht durch eine eindrucksvolle Verbindung von Milde charakterisiert: Zwar verpflichten sie das Heer nerschaft gegen die Vierhundert und sorgen dafür, daß promittierten aus allen Führungspositionen entfernt treten sie der Lynchstimmung der Masse entgegen und Ὁ Thuk. 8,48), s. dazu o., S. 40. 25 « dazuo., S. 215.

Entschlossenheit und zu unerbittlicher Gegdie oligarchisch Komwurden, zugleich aber geben den kompromit-

- 219 -

tierten Landsleuten durch die Teilhabe an der Eidesleistung die Chance, sich in die neugebildete Gemeinschaft des demokratischen Athenerheeres zu integrieren. Diese Haltung läßt sich wohl am besten erklären, wenn wir davon ausgehen, daß auch im Heerlager auf Samos die Grenzen zwischen „Oligarchen“ und „Demokraten“ in Wirklichkeit nicht so scharf gezogen waren, wie es nach

dem Bericht des Thukydides den Anschein hat. Die Analogie der Vorgänge in Athen läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß die oligarchischen Verschwörer auch im samischen Heerlager ihre radikalen Ziele in der Öffentlichkeit hinter gemäßigt klingenden Parolen versteckten, daß sie nicht den geplanten Verfassungsumsturz, sondern die Notwendigkeit einer Rückführung

des Alkibiades

und einer effizienten Versorgung

der Streitkräfte in den

Vordergrund stellten und durch die so erweckten Hoffnungen die an sich demokratisch gesinnte Masse der Soldaten und Seeleute zeitweise zur Billi-

gung ihrer Pläne bewegen konnten. Die gleichen Hoffnungen werden wohl auch nicht wenige Männer aus den Reihen der Strategen und Trierarchen in die Kreise der Verschwörer geführt haben, Männer,

die nicht aus innerster

Überzeugung für ein oligarchisches System eintraten, aber im Sinne der Kriegsnotwendigkeiten eine Modifikation der Demokratie hinzunehmen bereit waren.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Erwähnung einer Gruppe der „in der Mitte Stehenden“ (oi διὰ μέσου) bei Thukydides,?'

die dafür spricht,

daß es eine beträchtliche Anzahl von Männern gab, die in ihrer politischen Haltung bis dahin nicht eindeutig festgelegt waren. Diese Tatsache bietet uns

einen Anhaltspunkt für die Bewertung der von Thrasybulos und Thrasyllos initiierten Eidesleistung: sie wird wohl eher auf diese Männer der Mitte berechnet gewesen sein als auf die eingeschworenen Oligarchen, von denen sich keine wirkliche Loyalität zu einem demokratischen Gemeinwesen erhoffen ließ.?® Vielleicht erhalten wir mit der Annahme einer solchen Zwischen-

gruppe auch den Schlüssel zum Verständnis der zwiespältigen Haltung der Strategen Leon und Diomedon, die bei Thukydides als Männer von demokra-

tischer Gesinnung, zugleich aber als (wenn auch innerlich unwillige) Mitwisser an der Verschwörung erscheinen.’

Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob der demokratische Vorkämpfer und Trierarch Thrasybulos ebenfalls in diese Kategorie athenischer Truppen-

führer, die sich anfänglich in die Machenschaften der Verschwörer verstrikken ließen, gehört hat. Kagan hat, wie bereits oben (S. 41f.) ausgeführt, diese Frage bejaht, während Buck im Hinblick auf Thrasybulos’ Haltung während 17 Thuk. 8,75,1, zur Bedeutung der Phrase s. Reverdin, Remarques 209 und Andrewes, HCT V 267.

2% Siehe den Fall des Eratosthenes und latrokles, u. S. 223f. P Thuk. 8,73,4, dazu o., S. 215 mit Anm. 19.

- 220 -

der samischen Umwälzungen in dem Trierarchen eher einen von Anfang an

konsequenten Anhänger der Demokratie erkennen möchte.” Zweifellos kónnen wir die Wahl des Thrasybulos zum Strategen und seine Führungsrolle unter den demokratisch gesinnten Truppen auf Samos als Beleg

dafür werten, daß der spätere Wiederhersteller der Demokratie während der Umwälzungen des Frühjahrs und Sommers 411 das Vertrauen der demokratisch gesinnten Masse genossen hat, und im Hinblick auf seine Haltung im Jahre 411 ist es kaum wahrscheinlich, daß er sich jemals mit den Kreisen eingelassen hat, die unverhohlen oligarchische Zielsetzungen verfolgten. Auf der anderen Seite kann man, wenn unsere oben geäußerten Vermutungen über die ursprüngliche Einbeziehung demokratisch oder gemäßigt gesinnter Persön-

lichkeiten in die Verschwörung zutreffen, auch für Thrasybulos die Möglichkeit einer solchen Verstrickung nicht kategorisch ausschließen. Wesentlicher als diese Möglichkeit ist jedoch die Tatsache, daß sich Thrasybulos während der kritischen Phase der Entwicklung auf Samos im Frühjahr 411 als ent-

schiedener Verfechter der Demokratie und Gegner der Umstürzler profiliert hatte. Wir dürfen annehmen, daß er damals zusammen mit Thrasyllos und vielleicht auch Chaireas!! an der von Thukydides beschriebenen Agitation der

Demokraten unter den athenischen Truppen führenden Anteil gehabt und sich durch dieses Engagement das Vertrauen der Massen erworben hatte.”

Wenn den Strategen Leon und Diomedon dieses Vertrauen offenbar nicht in gleichem Maß zuteil wurde, so stellt sich die Frage, ob sich das von Thukydides angesprochene prodemokratische Wirken dieser beiden Anführer nicht im Vergleich zum Einsatz des Thrasybulos und Thrasyllos mehr im Hintergrund abgespielt hat. Der Bericht bei Thuk. 8,73,4f. láBt offen, wieweit sich die von den samischen Demokraten kontaktierten athenischen Persónlichkeiten im einzelnen an der Agitation unter den Truppen beteiligt haben, der Historiker erwähnt jedoch ausdrücklich, daß Leon und Diomedon ihre Kommandogewalt nutzten, um stets zuverlássige Flotteneinheiten für den Fall eines móglichen

Handstreiches im Hafen zurückzuhalten. Eine solche Vorgehensweise läßt sich eher mit der Vorstellung vereinbaren, daß die beiden Strategen ihre Unterstützung für die demokratische Sache nur im geheimen zur Geltung brachten, da sie durch eine offene Stellungnahme selbst die Aufmerksamkeit auf ihre Vorsichtsmaßregeln gelenkt hätten. Es ist gut vorstellbar, daß dieses im Sinne einer erfolgreichen Verhinderung

des Putsches notwendige Doppelspiel dem Leon und Diomedon zum Nachteil Buck, Thrasybulus 28.

*! Vgl. die Charakteristik des Chaireas als ἀνὴρ ᾿Αθηναῖος, γενόμενος ἐς τὴν μετάστασιν πρόθυμος bei Thuk. 8,74,1.

92 Thuk. 8,73,4f. Vgl. Kagan, Fall 170, der vermutet, Thrasybulos habe nach dem Fehlschlag der mit Tissaphernes geführten Verhandlungen seine Teilnahme an der Verschwórung óffentlich aufgekündigt.

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gereichte, als sich die Truppen in der durch Chaireas' Bericht aufgehitzten Stimmung daranmachten, die Reihen ihrer kommandierenden Offiziere von

‘politisch unzuverlássigen' Elementen zu säubern, und Leon und Diomedon nicht auf offenkundige Verdienste verweisen konnten.” Allerdings bleibt es bemerkenswert, daß sich Thrasybulos und die anderen Demokratenführer, die

bei Thukydides zugleich mit Leon und Diomedon als Gegner der samischen Putschisten genannt werden'^ und daher wohl über deren Haltung Bescheid wußten, sich in der Versammlung nicht oder jedenfalls nicht eindringlich genug für ihre beiden Kampfgenossen einsetzten. Dies kónnte dafür sprechen, daB bei der Zurücksetzung der beiden Strategen eben doch politische

Motive, vielleicht auch persönliche Animositüten, ^ eine Rolle gespielt haben.

Wie immer es um diese für uns schwer faBbaren Hintergründe auch bestellt sein mag, es kann jedenfalls als gesichertes Diomedon im Zuge des von Thrasybulos und demokratischen Umschwunges im samischen enthoben wurden: der Bericht des Thukydides

Faktum gelten, daß Leon und seinen Mitkámpfern initiierten Heerlager ihres Strategenamtes impliziert eindeutig die Abset-

zung aller auf Samos anwesenden Strategen.? Es steht wohl außer Zweifel, daß damals zugleich auch der tief in die oligarchischen Umtriebe verstrickte”® 33 Vgl. Andrewes, HCT V 268 und Kagan, Fall 169.

M Thuk. 8,73,4, s. o., S. 211.

?5 Es sei daran erinnert, daß Leon und Diomedon seinerzeit von ebenjener Volksversammlung nach Samos entsandt worden waren, die unter dem Einfluß des Peisandros die

*Modifikation' der Demokratie und die Entsendung einer Gesandtschaft nach Persien beschlossen hatte (Thuk. 8,54,3, dazu o., S. 73f.).

?5 Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ohne Belang, daß Leon und Diomedon erst wieder im Jahre 407/6 zur Strategie gelangten (s. McCoy, Leon 189-192), als die nach Notion abgehaltenen Strategenwahlen der von 411 an ununterbrochenen Folge von Strategien des Thrasybulos, Alkibiades und Theramenes ein Ende machten (Xen. hell. 1,5,16, dazu Krentz, Xenophon I 141-143 und Bleckmann, Athens Weg 310-312). Eine Bewertung dieser Tatsache würde jedoch eine neue Untersuchung des Problemkomplexes

um die politische Einordnung des Strategenkollegiums von 406/5 erfordern, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann (für diesbezügliche Versuche s. z. B. Beloch, Politik 84£; Németh, Argınusen-Prozeß 53-55; Kagan, Fall 325f., skeptisch Krentz a. O. 142 und Bleckmann, Athens Weg 338). Es ist hier jedenfalls bemerkenswert,

daB nach Xen. hell 1,7,16f. gerade Diomedon dagegen aufgetreten sein soll, die Verantwortung für die unterbliebene Rettung der Schiffbrüchigen nach der Arginusenschlacht dem Theramenes und Thrasybulos aufzulasten; ob aber diese Haltung tatsächlich auf eine politische oder persönliche Affinität zu Theramenes zurückgeführt werden kann (so Bockisch, Kreis 47) oder einfach den Ausfluß sachlich begründeter Überlegungen darstellt,

bleibt zweifelhaft. ? Thuk. 8,76,2 τοὺς

uiv προτέρους dazu

στρατηγούς,

bereits Busolt,

ἔπαυσαν,

Bemerkungen

zu der Frage, wieviele und welche Strategen sich zum Zeitpunkt der

Umwälzungen auf Samos befanden.

III 2,

1493

Anm.

τριηράρχων

ὑπώπτευον.

’® Thuk. 8,73,3, dazu o., S. 17 und 211.

GG

kal el τινα τῶν

1 mit wichtigen

- 222 -

Charminos abgesetzt wurde; welche Personen außerdem noch betroffen waren, und wieweit sich diese Säuberung auch auf die außerhalb von Samos im Einsatz befindlichen Abteilungen der athenischen Streitkráfte erstreckte,

bleibt im Einzelfall der Konjektur überlassen. Von den im Frühjahr 411 auf dem ionisch-hellespontischen Kriegsschauplatz belegten athenischen Strategen finden wir Onomakles spáter als Teilhaber der Herrschaft der Vierhundert in Athen, was darauf schließen läßt, daB er ebenfalls seines Kommandos ent-

hoben wurde.“ Das gleiche hat man auch für den zeitweise gemeinsam mit

Onomakles operierenden Euktemon vermutet," ohne daB sich dafür eine direkte Evidenz anführen lieBe.*" Im Ungewissen bleibt auch das Schicksal des Dieitrephes, der noch unter der Demokratie für ein Kommando im thrakischen Bereich bestimmt worden war und diese Position nützte, um im Einver-

nehmen mit den Verschwórern die Demokratie auf Thasos zu stürzen." Da wir nicht mit Sicherheit wissen, ob diese Aktion, die ihn in den Augen einer demokratischen Ekklesie wohl als absetzungswürdig erscheinen lassen muBte, zur Zeit des Umschwunges auf Samos schon bekannt war, läßt sich hier keine sichere Aussage treffen.“ Fest steht hingegen, daB der zur Zeit des Umsturzes im Hellespont kommandierende Stratege Strombichides im Amt blieb und von den Demokraten auf

Samos anerkannt wurde. Auch wenn wir davon ausgehen, daß Strombichides, wie wir aufgrund seiner Haltung 405/4 bereits als wahrscheinlich erkannt haben, ein überzeugter Demokrat war, steht diese Entscheidung in auffälligem Kontrast zu der Absetzung des Leon und Diomedon. Wir haben jedoch zu be-

denken, daß Strombichides sich zum Zeitpunkt der entscheidenden Ekklesie ? Vgl. Andrewes, HCT V 72. 9 So bereits Gilbert, Beiträge 297; Busolt, GG III 2 1493 Anm. 1. * Gilbert, Beiträge 297; Busolt, GG III 2 1493 Anm. 1; vgl. Avery, Studies 174. #2 s. Andrewes, HCT V 72. Für eine Vermutung über das Schicksal des Euktemon s. o., S. 20f. (vgl. u., S. 235).

© Thuk. 8,64,2f., dazu Andrewes, HCT V 157 und Fornara, Generals 66. Zu den Vorgän-

gen auf Thasos s. die o., S. 89 Anm. 399 angeführte Literatur. Andrewes, Generals 6 datiert das Auftreten des Dieitrephes auf Thasos in den Mai 411, Avery, Three Hundred 237 m. Anm. 12 bereits in den April, was ein Bekanntwerden der Nachricht auf Samos noch vor dem Zeitpunkt der Ekklesie möglich erscheinen läßt, aller-

dings stellen beide Datierungen bloße Schátzwerte dar, die mit vielen Unwägbarkeiten behaftet sind (vgl. Andrewes' zurückhaltendere Position in HCT V 157).

45 Es besteht die Möglichkeit, daß der 411 in Thrakien kommandierende Dieitrephes mit dem Antragsteller eines 408/7 beschlossenen Ehrendekrets (IG P 110, Z 6) identisch ist; in diesem Fall müßten wir annehmen, daß es dem Strategen Dieitrephes nach 410 gelungen ist, mit der wiederhergestellten Demokratie seinen Frieden zu machen (so Ruschenbusch, Innenpolitik 103). Die Identifikation ist jedoch trotz der relativen Seltenheit des Namens keineswegs als gesichert oder auch nur als wahrscheinlich anzusehen, s. Andrewes, HCT

V

157. Für die Möglichkeit, daß Dieitrephes während

seines Kommandos

yerwundet wurde s. Paus. 1,23,3f., dazu jedoch Hamel, Generals 207 Anm. 1. 8.0., 5. 29.

(tödlich?)

- 223 -

nicht auf Samos befand, sondern im Hellespont - also einer strategischen Schlüsselposition höchster Wichtigkeit - ein unabhängiges Kommando führte und daß er in dieser Funktion bereits gewisse Erfolge für sich verbuchen hatte

können” - Gründe genug für die Demokraten auf Samos, sich den bewährten Feldherrn nicht ohne Not zu entfremden. Was die übrigen Strategen des Jahres 412/11 betrifft, so befanden sich Phrynichos und vermutlich auch Skironides in Athen," der nach dem Zeugnis des Aristophanes im thrakischen Bereich kommandierende Eukrates wird im Zusammenhang mit den Umstur-

zereignissen nicht erwähnt; es ist nicht auszuschließen, daß er zur fraglichen Zeit in seinem thrakischen Kommando bereits abgelöst war. Völlig im Dunkeln bleibt auch das Schicksal des Thrasykles, der im Sommer 412 als Kom-

mandant einer Flottenabteilung in ionischen Gewässern tätig war.” Da er in

unseren Quellen nirgendwo im Zusammenhang mit nach diesem Datum liegenden Ereignissen erwähnt wird, muß es als höchst zweifelhaft gelten, ob er

zur Zeit des Umsturzes überhaupt noch aktiv war. Über die Schicksale der abgesetzten Offiziere niedrigeren Ranges haben wir nur eine, noch dazu in ihrer Zuordnung ungesicherte, Nachricht: Lysias erwähnt in seiner Anklagerede gegen den späterhin unter den Dreißig erneut als Oligarchen hervorgetretenen Eratosthenes, daß dieser 411 als Trierarch im Hellespont tätig war, in welcher Funktion er, so Lysias „im Heer die Oligarchie einführte (richtiger wohl: einführen wollte) und daraufhin unter Zurücklassung seines Schiffes entfloh, zusammen

mit latrokles und anderen, deren

Namen ich nicht zu nennen brauche.'?! Es liegt nahe, diese Episode in die Zeit nach dem Umschwung auf Samos zu datieren.? Wir hätten dann einer-

*' Thuk. 8,62,2-63,1. 4 s. o. S. 72f.

* Zu Eukrates s. o., S. 18-20. Die Móglichkeit, daB er zur Zeit des Umsturzes bereits von Dieitrephes in seinem Kommando abgelöst war, erwägt Henderson, Lysistrata 79. ?? Zu Thrasykles s. o., S. 29f. ?' Lys. 12,42 ἐπὶ τῶν τετρακοσίων ἐν τῷ στρατοπέδῳ ὀλιγαρχίαν καθιστὰς ἔφευγεν ἐξ 'Ελλεσπόντου τριήραρχος καταλιπὼν τὴν ναῦν, μετὰ ᾿Ιατροκλέους καὶ ἑτέρων, ὧν τὰ ὀνόματα οὐδὲν δέομαι λέγειν.

? So bereits Gilbert, Beiträge 318; anders Avezzü, Lisia 129, der die bei Lys. 12,42 (zit. in der vorigen Anm.) genannten ἕτεροι, ὧν τὰ ὀνόματα οὐδὲν δέομαι λέγειν auf Peisandros und die samischen Verschwórer von Thuk. 8,63,4 beziehen móchte und an-

nimmt, Eratosthenes wie auch der bei Lysias mit diesem zusammen genannte latrokles seien an der Thasos-Mission des Dieitrephes beteiligt gewesen. Diese Rekonstruktion erscheint schon deshalb als fragwürdig, weil sie ohne zwingenden

Grund von der Annahme ausgeht, daß sich Lysias sowohl im Hinblick auf den Ort wie auch auf die Umstünde der Reise des Eratosthenes geirrt habe: Was in Wirklichkeit eine mehr oder weniger offizielle Mission nach Thasos gewesen sei, werde von dem Redner

fälschlich als eine Flucht aus dem Hellespont dargestellt. Ein solcher Irrtum wäre umso schwerer zu erklären, als wir es dem Lysias zutrauen dürfen, die Vergangenheit gerade dieses Prozeßgegners gründlich ausrecherchiert zu haben, und der (wie Avezzü ihn sieht) tatsáchliche Sachverhalt, die aktive Teilhabe des Eratosthenes an der Oligarchisierung von

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seits den Beleg, daß die von Thrasybulos und Thrasyllos initiierte ‘Säuberung’ auch das im Hellespont operierende Flottengeschwader erfaBte, zum anderen dürfen wir wohl die von Lysias für Eratosthenes und seine Gesinnungsgenos-

sen bezeugte Flucht aus dem Flottendienst als ein auch für die auf Samos befindlichen Oligarchen reprásentatives Verhalten ansehen: Wer der Demokratie feindlich gegenüberstand oder sich rettungslos kompromittiert hatte, wird sich wohl in den meisten Fällen durch die unter Druck abgelegten Eide nicht ge-

hindert gefühlt haben, Ebenso unvollständig Wissen auch in Bezug Strategen. Thukydides

sich auf schnellstem Wege nach Athen abzusetzen. wie im Falle der abgesetzten Kommandanten ist unser auf die unter der Ägide der Demokraten neu bestellten erwühnt namentlich nur Thrasybulos und Thrasyllos

als neugewühlte Strategen, macht aber deutlich, daB daneben noch weitere

Strategen bestellt worden sind. Zu diesen gehörte aller Wahrscheinlichkeit nach Chaireas, der die Nachricht von der Machtergreifung der Vierhundert nach Samos gebracht hatte, und der uns für das Frühjahr 410 als Befehlshaber vor Kyzikos belegt ist.” Zugehörigkeit zum Kreis der 411 auf Samos neu bestellten Strategen hat man daneben noch für den im Frühjahr 410 als Flottenführer vor Chrysopolis bezeugten Eumachos,” sowie - weniger wahrscheinlich- für die 408/7 im Hellespont kommandierenden Strategen Diodo-

ros und Mantitheos” vermutet, ohne daB sich dafür beim gegenwärtigen Stand der Evidenz feste Anhaltspunkte gewinnen lieBen.

Angesichts dieser Unsicherheit in der Frage der personellen Zusammensetzung kann es nicht verwundern, daB sich auch über die Frage nach móglichen Divergenzen der politischen Ausrichtung innerhalb des neuen Strategenkollegiums nicht viel Sicheres sagen läßt. Fest steht, daß die beiden einzigen von Thukydides namentlich genannten Angehörigen des Kollegiums, Thrasybulos und Thrasyllos, in späteren Jahren politisch deutlich getrennte Wege geganThasos, ein ebenso gutes Belastungsmaterial dargestellt hátte wie die von Lysias erhobenen Vorwürfe. Die Gilbert'sche Annahme, Eratosthenes habe sich anläßlich des demokratischen Umschwunges von der Flotte abgesetzt, fügt sich demgegenüber ohne Schwierigkeiten sowohl

zum Wortlaut des Lysias wie auch zu dem in den Parallelquellen gebotenen Bild der Vorgänge in der athenischen Flotte nach dem Umsturz von 411 und wird daher den Vorzug verdienen.

? Thuk. 8,76,2 ἄλλους δὲ ἀνθείλοντο καὶ τριηράρχους Kal στρατηγούς, ὧν Θρασύβουλός τε καὶ Θράσυλος ὑπῆρχον. ^ Diod. 13,49,6; die Identität des an dieser Stelle genannten στρατεγῶν mit dem Chaireas von Thuk. 8,74,1-3 wird in der Forschung allgemein akzeptiert, s. Kirchner, PA

15093 und Davies, APF 346f.; für seine Zugehónigkeit zum Kreis der auf Samos bestellten Strategen s. Gilbert, Beitrüge 318, Busolt, GG 1493, Anm. 1 und Andrewes, HCT V 268. Xen. hell. 1,1,22; s. Gilbert, Beiträge 318, Andrewes, HCT V 268 und Krentz, Xenophon I 100.

*$ Diod. 13,68,2; die Möglichkeit, daß diese beiden Strategen ursprünglich auf Samos bestellt wurden, wird von Andrewes, HCT V 268 in den Raum gestellt.

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gen sind. Ob man deshalb annehmen darf, daß diese beiden Strategen, wie es Andrewes für möglich hält, schon im Sommer 411 auf Samos unterschiedli-

che politische Tendenzen - eine alkibiadesfreundliche und eine radikaldemo-

kratische - vertreten haben," laßt sich nicht mit Sicherheit sagen, doch es fällt auf, daß Thukydides, der in seinem Bericht über die Abwehr des Oligarchen-

putsches Thrasybulos und Thrasyllos dreimal im gleichen Atemzug nennt,” spüterhin im Zusammenhang mit der Rückführung des Alkibiades allein den

Thrasybulos als Anhänger dieser Maßnahme namhaft macht.”

Von großem Interesse für die Bewertung der samischen Vorgänge sind neben

dem Ereignisbericht des Thukydides auch die von dem Historiker gebotenen Paraphrasen der Reden, die nach dem Zeugnis des Historikers auf der zur Absetzung der Strategen einberufenen Ekklesie von den Wortführern der demokratischen Sache gehalten worden sind.

In unserem Zusammenhang sind davon weniger die Überlegungen zur strategischen Lage als zwei politische Aussagen bemerkenswert, die auf den ersten Blick mit der allgemeinen Tendenz des Umschwunges nicht recht in Einklang zu stehen scheinen:

Die erste davon liegt in dem Thuk. 8,76,6 referierten Vorwurf gegen die Athener in der Stadt, sie hätten die ‘Gesetze der Väter’ (πάτριοι νόμοι) ? So Andrewes, Generals 3-5. Es ist bei der Bewertung von Thrasyllos' Position jedenfalls die Tatsache zu beachten, daß er im Frühjahr 411/10 nach Athen zurückkehrte und dort bei der Abwehr eines spartanischen Angriffes das Kommando führte (Xen. hell. 1,1,8.33f.), also zu einer Zeit, als dort noch die Gemäßigten das Heft in der Hand hielten. Wenn wir auch mit Bleckmann (Athens Weg 393) davon ausgehen dürfen, daß Thrasyllos sich bei

diesem Athenaufenthalt für die Wiederherstellung der Demokratie engagiert hat, ist es doch wahrscheinlich, daß er die Athenmission im Einvernehmen mit Alkibiades und den

anderen Strategen der Hellespontflotte angetreten hat (impliziert auch von McCoy, Thrasyllus 269). Er muß also damals im Hinblick auf seine Fähigkeit zur Regelung der heiklen Beziehungen zwischen der Stadt und der Flotte das Vertrauen seiner Kollegen genossen haben. Daß er späterhin, etwa von 409 an, als militärischer Vertrauensmann der radıkaldemokratischen, alkibiadesfeindlichen Kräfte in Athen agiert zu haben scheint (s. McCoy, a. O. 280f.), kann auf Arrangements zurückgehen, die während seines Athenaufenthalts 410 getroffen wurden und erlaubt daher keine sicheren Schlüsse auf seine Haltung im Sommer 411.

?* Thuk. 8,73,4.75,2.76,2.

9 Thuk. 8,81,1 Οἱ δὲ προεστῶτες ἐν τῇ Σάμῳ kal μάλιστα Θρασύβουλος, αἰεί γε τῆς αὐτῆς γνώμης ἐχόμενος, ἐπειδὴ μετέστησε τὰ πράγματα, ὥστε κατάγειν ᾿Αλ-

κιβιάδην. DaB die alleinige Nennung des Thrasybulos und besonders die Phrase μετέστησε τὰ πράγματα auf eine Führungsrolle des Steiriers innerhalb der demokratischen Gegenrevolution hindeutet, betont wohl zu Recht Sordi, Trasibulo 104f. Was seine Rolle bei der Rückberufung des Alkibiades betrifft, bezeugt Thukydides' obige Äußerung

strenggenommen

nicht mehr, als daB von allen προεστῶτες

ἐν τῇ

Σάμῳ

Thrasybulos sich am stárksten dafür engagiert hat (vgl. u., S. 251.254-256). Man darf annehmen, daß Thrasyllos sich nicht in gleichem Maße eingesetzt hat. Ob er aber ausdrücklich dagegen opponiert hat, muf mangels genauerer Informationen eine offene Frage blei-

ben (so zu Recht McCoy, Thrasybulus 266).

- 226 -

abgeschafft. Diese Berufung auf die πάτριοι νόμοι könnte aus dem Munde eines demokratischen Anklägers der athenischen Umsturzbewegung insofern verwunderlich erscheinen als das Schlagwort der πάτριος πολιτεία nach der konventionellen Auffassung im Jahre 411 gerade von den Proponenten des

Umsturzes gebraucht worden war.” Die zweite auffällige Aussage

liegt in der im Anschluß

daran getätigten

Versicherung, Alkibiades werde den Demokraten, wenn sie ihm die Möglich-

keit zur Rückkehr gäben, gerne ein Bündnis mit dem Perserkönig verschaffen.°! Die hier zutage tretende Bereitwilligkeit, den Exulanten, der weniger

als ein Jahr zuvor den Sturz der Volksherrschaft zur Vorbedingung seiner Rückkehr erklárt hatte, wieder in Gnaden aufzunehmen, mutet auf den ersten

Blick ebenso verwunderlich an wie die zuversichtliche Hoffnung auf das Zustandekommen des Perserbündnisses, wenn man bedenkt, daß beide Initiativen im ersten Versuch so eklatant gescheitert waren.9? In beiden Fällen lassen sich die scheinbar paradoxen Aussagen verstehen,

wenn wir davon ausgehen, daB die aus dem Umschwung auf Samos hervorgegangene neue Führung der athenischen Streitkráfte auf Samos

ihrer politi-

schen Haltung nach nicht einheitlich radikaldemokratisch ausgerichtet war, sondern vielmehr auch einen starken Einschlag 'gemáBigter' Elemente enthielt. Bezüglich des Schlagwortes der πάτριοι νόμοι in Thuk. 8,76,6 haben wir zu

berücksichtigen, daB die Berufung auf die πάτριος πολιτεία nicht nur von den auf eine mehr timokratisch ausgerichtete Ordnung orientierten Gemäßigten, sondern ebensogut von den Anhängern der Demokratie in ihrer bestehen-

© s. etwa Andrewes, HCT V 215f.227, der als Belege den Antrag des Kleitophon Ath. Pol. 29,3 (dazu o., S. 134-141), sowie die Phrase κατὰ τὰ πάτρια im provisorischen Verfassungsentwurf Ath. Pol. 31,1 geltend macht. Die demgegenüber von Walters (Ancestral Constitution passim; vgl. Wallace, Areopagus 137) geübte grundsätzliche Kritik an der Vorstellung von der πάτριος TroAıteia-Parole als eines Schlagwortes der Oligarchen und

Gemäßigten geht m. E. nicht als Belege dafür Fragment (VS 85 B 1) πάτριος πολιτεία am

zu weit. Selbst wenn gelten lassen móchte, bezeugte Faktum, daB Ende des 5. Jh. einen

man die beiden oben angeführten Stellen bleibt doch das durch das Thrasymachosdie Frage nach der konkreten Gestalt der Streitpunkt in. der politischen Diskussion

darstellte (dazu Fuks, Ancestral Constitution 103-106). Die bioße Tatsache eines solchen Streites setzt voraus, daß damals verschiedene Parteirichtungen, nicht nur die Demokraten,

den πάτριος πολιτεία-Βερ ΠΗ͂Σ für ihre Zwecke instrumentalisiert haben. Diese Uberlegung würde selbst dann ihre Gültigkeit haben, wenn man das Thrasymachos-Fragment mit Wallace (a. O. 136f.139) erst in die Zeit nach 403 datieren wollte (dazu o., S. 139 Anm. 135); man müßte andemfalls annehmen, daß die πάτριος TroArre(a-Parole im Jahre 411 ein rein demokratisches Schlagwort, acht Jahre später hingegen einen sowohl von

Demokraten als auch von Gemäßigten in Anspruch genommenen Begriff dargestellt haben sollte. “1 Thuk. 8,76,7 ᾿Αλκιβιάδην τε, ἣν αὐτῷ ἄδειάν τε kal κάθοδον ποιήσωσιν, &oyusvov τὴν παρὰ βασιλέως ξυμμαχίαν παρέξειν.

9 s. o., S. 75-87.

- 227 den Form als Schlagwort verwendet werden konnte, ja daß sie im Grunde

7genommen einen höchst wirkungsvollen Appell an die Gemeinsamkeiten dieser Gruppen darstellte, die sich allesamt als Erben der πάτριος πολιτεία der solonischen und kleisthenischen Zeit verstanden. Außerhalb des durch den πάτριος troAırela-Begriff gezogenen Bogens standen jedoch die Verfechter einer Oligarchie im eigentlichen Sinn, einer Staats-

form, für die sich in der Vergangenheit Athens, wie man sie aus der Überlieferung kannte, kein Beispiel finden lieB. Wenn daher die Vierhundert, deren Regime man nach den Schilderungen des Chaireas nur als oligarchische

Gewaltherrschaft verstehen konnte, in der Ekklesie der athenischen Truppen auf Samos als Brecher der πάτριοι νόμοι bezeichnet wurden, so war dies aus der Sicht der prodemokratischen Sprecher nicht nur sachlich gerechtfertigt, es bedeutete zugleich ein propagandistisch hóchst geschicktes Abstecken der

politischen Frontlinien: hier all diejenigen, die auf dem Boden des traditionellen athenischen Gesetzesstaates stehen (wenn auch nicht unbedingt auf dem

der Demokratie nachperikleischen Stils8) dort die Anhánger einer unathenischen oligarchischen Gewaltherrschaft!? Die Betonung der Eintracht auf der Basis gemeinsamer Traditionen, die sich hinter dieser Phrase erkennen läßt, gemahnt mutatis mutandis an jene politische Geisteshaltung, aus der 403 nach dem Ende der ‘Dreißig’ die Amnestie und die Versóhnung der politischen Gruppen (auch damals mit. Ausnahme der am schwersten kompromittierten Oligarchen!) entwuchsen.‘ Im Hinblick

@ Für den Begriff der πάτριος πολιτεία als Parole der Demokraten s. die überzeugenden Ausführungen von Fuks, Ancestral Constitution 33-51 sowie Cecchin, Πάτριος πολιτεία 85-92 und Walters, Ancestral Constitution passim.

** Als eine Aufforderung dieser Art haben wir wohl das Thrasymachos-Fragment VS 85 B l zu verstehen, s. Fuks, Ancestral Constitution 102-105. * Anders Cecchin, Πάτριος πολιτεία 85f, der die Berufung auf die πάτριοι

νόμοι

durch die demokratischen Redner in Thuk. 8, 76,6 als einen Versuch der Demokraten verstehen móchte, die von ihnen favorisierte radikale’ Demokratie als die einzig echte πάτριος πολιτεία hinzustellen. Man wird C. zugestehen, daß es derartige Auffassungen

beı den Demokraten des späten 5. Jh. tatsächlich gegeben haben dürfte; dennoch wird sich im Kontext der in unserer Thukydidesstelle beschriebenen Situation die Bedeutung der

πάτριοι vópor-Phrase nicht in einer solchen Manifestation erschöpft haben. Der späterhin von den Truppen auf Samos eingeschlagene Kurs (Rückberufung des Alkibiades, Versóhnung mit den Fünftausend in Athen) läßt eine Linie erkennen, die eher auf einen politischen Ausgleich zwischen Demokraten und 'Gemáfligten' als auf die Durchsetzung eines radikaldemokratischen Programms hinauslief (s. u., S. 251-259). Vor diesem Hintergrund

erhält die Tatsache, daß ein demokratischer Wortführer auf Samos 411 ein Schlagwort verwendete, das auch bei den ‘Gemäßigten’ eine starke Appellwirkung entfalten mußte, besondere Relevanz. $6 Für das Versóhnungsabkommen von 403/2 s. Loening, Reconciliation Agreement passim, bes. 30-58 mit gründlicher Diskussion der Überlieferung; für die politischen Aspekte Funke, Homónoia und Arché 1-16; Ostwald, Sovereignity 497-509; für die

- 228 -

darauf muß es ins Auge stechen, daB einer der geistigen Väter der Versóhnungspolitik von 403, Thrasybulos von Steiria, auch auf Samos im Jahre 411

auf Samos zu den politischen Wortführern der siegreichen Demokratie gehörte.°’ Das knappe Referat des Thukydides gibt uns keine Möglichkeit, den Sprecher der in 8,76,6 paraphrasierten Rede zu identifizieren; es liegt jedoch nahe, die hier zutage tretende politische Linie mit der von Thrasybulos repräsentierten Richtung in Verbindung zu bringen. Den gleichen politischen Hintergrund wird man a fortiori für die bei Thukydides im Anschluß daran referierte Versicherung annehmen können, Alkibiades werde den Demokraten, wenn sie ihm nur die Möglichkeit zur Rückkehr eröffneten, gerne ein Bündnis mit dem Perserkönig verschaffen.‘ Thukydides

berichtet in späterem Zusammenhang ausdrücklich, daß sich von den Führern auf Samos Thrasybulos stets am meisten für die Rückkehr des Alkibiades

eingesetzt hatte." Die politische Verbindung zwischen den beiden Staatsmän-

nern hat denn auch über die Umsturzperiode 411/10 hinaus eine Konstante im

politischen Leben Athens dargestellt.'!

Daß

Thrasybulos

und

seine Gesinnungsgenossen

trotz des Scheiterns der

seinerzeitigen Verhandlungen mit Tissaphernes zuversichtlich hofften, durch Alkibiades' Vermittlung ein Bündnis mit den Persern erreichen zu kónnen, ist

weniger befremdlich als es uns aus der Rückschau erscheinen mag, wenn man in

Betracht

zieht,

von

welchem

Informationsstand

die

athenischen

Demokratenführer auf Samos in ihren Planungen ausgehen mußten. Da sie von Tissaphernes’ grundsätzlichen Vorbehalten gegen ein Athenerbündnis und von den Ratschlägen, die Alkibiades seinerzeit dem Satrapen

gegeben hatte," nichts wissen konnten, durften sie annehmen, daß das

Zustandekommen eines Bündnisses nur eine Frage der gebotenen Bedingunideologischen Hintergründe s. Lévy, Athenes passim, bes. 209-222, über die Homonoia-

Parole allgemein Thraede, Homonoia 179-187 mit weiterführenden Literaturangaben. 57 Für die Parallelen zwischen Thrasybulos' politischer Haltung von 411 von 403 s. Ciarfera, Lealtà democratica 52-54, Buck, Thrasybulos 28 und jetzt vor allem Sordi,

Trasibulo 105-107.

** So zu Recht Sordi, Trasibulo 105-107.

:

® Thuk. 8,76,7 (zit. o., S. 226 Anm. 61). Die Vermutung, daß diese Zeile eine Äußerung des Thrasybulos reflektiere, äußert bereits Kagan, Fall 173 Anm. 58.

70 Thuk. 8,81,1, dazu o., S. 225 Anm. 59 (mit Textzitat).

7! s. Strauss, Thrasybulus 42 und Athens 92f. und 115 mit Belegen und der álteren Litera-

tur, die als Beleg für eine abweichende Ansicht von Buck, Thrasybulus 30f. angeführte

Äußerung bei Nep. vir. ill. 8,1,3f. multa hic [sc. Thrasybulus] sine Alcibiade gessit, ille nullam rem sine hoc; quae ille universa naturali quodam bono fecit lucri gibt keine Fakten, sondern eine Wertung aus der Sicht eines spüteren Historikers. Aber selbst wenn die darin ausgedrückte Bewertung, der respektiven Verdienste des Thrasybulos und Allabiades zutreffen sollte, wäre damit nichts gegen die Möglichkeit eines politischen Bündnisses zwischen den beiden Staatsmánnern bewiesen. Thuk. 8,46,4, dazu o., S. 80.

- 229 -

gen sein werde. Die diesbezüglichen Verhandlungen waren seinerzeit scheinbar nur an der Forderung der Perser, ihre Flotte in den ionischen Gewässern

einsetzen zu dürfen, gescheitert; würde man ihnen in dieser Frage entgegenkommen, so lief sich für eine Neuauflage der Verhandlungen ein glücklicherer Ausgang erhoffen.” Schienen demnach die sachlichen Differenzen kein unüberbrückbares Hindernis mehr darzustellen, so hatten die Demokraten

auch keinen Grund, an

Alkibiades' Fähigkeit, den Satrapen für ihre Bündnispläne zu gewinnen, zu

zweifeln. Wie immer die Gesandten um Peisandros seinerzeit das Scheitern ihrer Mission bei Tissaphernes erklärt haben mochten, die Vorstellung von

dem überragenden Einfluß des Alkibiades auf die Entschlüsse des Satrapen dürfte davon nicht erschüttert worden sein, eher im Gegenteil: Wenn die aus

Asien zurückkehrenden Gesandten den Alkibiades für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich machten," so implizierten sie damit zugleich, daß

es durchaus in seiner Macht gelegen hätte, einen Abschluß zu akzeptablen Bedingungen zustandezubringen. Die unter den Athenern auf Samos verbreitete

Vorstellung von Alkibiades' Fáhigkeit, die Politik des Tissaphernes nach seinem Belieben zu beeinflussen, blieb somit von dieser Seite her unerschüttert. Was die von den Gesandten damals gegen Alkibiades erhobenen Vorwürfe betraf, so kónnen wir im Hinblick auf die spátere Entwicklung nur annehmen,

daB man unter den Demokraten die Auffassung von der persónlichen Schuld des Alkibiades nicht teilte, ja daB ihm im Gegenteil seine Haltung wáhrend der Verhandlungen, so wie sie von den Mitgliedern der Peisandros-Gesandtschaft dargestellt wurde, in ihren Augen zum Vorteil gereichen konnte: Wir

haben bereits die Vermutung ausgesprochen (o., S. 86f.), daß die Erbitterung dieser oligarchischen Emissáre zu einem guten Teil auf die Erkenntnis zurückzuführen gewesen sein kónnte, daf) dem Alkibiades im Grunde nichts an der Oligarchisierung der athenischen Verfassung lag. Trifft dies zu, so müssen die Berichte der zurückgekehrten Gesandten, die den Oligarchen jeden Gedanken an eine weitere Zusammenarbeit mit Alkibiades verleideten," bei den

demokratisch gesinnten Führern auf Samos eher einen für Alkibiades positiven Eindruck hinterlassen haben. In Anbetracht dessen läßt es sich nachvollziehen, weshalb den athenischen

Demokraten auf Samos ein Bündnis mit Persien grundsätzlich als ein erreichbares Ziel erscheinen konnte; verwunderlicher könnte

es scheinen, daß sie

75 Daß die athenischen Demokraten auf Samos den Zugang der Perserflotte zur Ägäis zu akzeptieren bereit waren, ist in dem bei Thuk. 8,81,3 referierten Versprechen des Alkibia-

des gegenüber der athenischen Ekklesie auf Samos impliziert, er „werde die phónizischen Schiffe, die bei Aspendos lägen, den Athenern zuführen“ (τάς τε ἐν ᾿Ασπένδῳ ἦδη οὔσας Φοινίκων ναῦς κομιεῖν ᾿Αθηναίοις).

7^ Thuk. 8,56,5, dazu o., S. 85f. 75 Thuk. 8,63,4, dazu o., S. 87 Anm. 393.

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sich nicht durch die Erinnerung an die seinerzeit von den Verschwórern ver-

breitete Behauptung, die Perser würden die Abschaffung der Demokratie in Athen zur Vorbedingung eines solchen Bündnisses machen, abschrecken ließen. Da wir den Thrasybulos-Anhängern (und erst recht nicht den radikaler

gesinnten Kräften im Athenerlager) wohl kaum die Bereitschaft zur Einschránkung ihrer so mühsam bewahrten Demokratie zutrauen dürfen, werden wir annehmen dürfen, daß diese Auffassung der angeblichen persischen In-

tentionen nicht mehr als gültig angesehen wurde. Dies stützt unsere schon im Zusammenhang mit dem Auftritt der Peisandros-Gesandtschaft am Hofe des Tissaphernes ausgesprochene Vermutung (o., S. 86f.), daß sich im Zuge der damaligen Gespräche das persische Desinteresse an den athenischen Verfassungsfragen enthüllte und daß diese Erkenntnis an dem Bruch zwischen

Alkibiades und den athenischen Oligarchen wesentlichen Anteil hatte. Thrasybulos und seine Gesinnungsfreunde durften sich also mit einem gewis-

sen Recht der Hoffnung hingeben, durch Alkibiades’ Vermittlung persische Unterstützung für ihren demokratischen ‘Gegenstaat’ zu erlangen. Ob sie in dieser Hoffnung durch direkte Botschaften des Alkibiades bestürkt wurden,

läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, kann aber angesichts der späteren Beziehungen zwischen den beiden Staatsmännern einerseits, Alkibiades' Streben nach Heimkehr ins Vaterland andererseits nicht als unwahrscheinlich gelten. Nichts spricht gegen die Annahme, daB dem Alkibiades die Mittel der Kommunikation, deren er sich im Winter 412/1 im Verkehr mit den ξυνωμόται

bedient hatte, auch noch im Sommer 411 zur Verfügung gestanden haben; wollte er sie weiterhin zur Fórderung seines Rückkehrwunsches nutzen, so lag

es nach dem Bruch mit den Oligarchen für ihn nahe, seine Ansprechpartner nunmehr im demokratischen Lager zu suchen.

Mit der Demokratisierung des Heeres und der eidlichen Verpflichtung zur Fortführung des Krieges waren im Lager auf Samos endgültig die Weichen gestellt: Die athenischen Streitkráfte hatten der oligarchisch gewordenen Mutterstadt definitiv die Treue aufgekündigt und sie waren entschlossen, sich auf eigene, Faust als die wahre, d. h. demokratische Polis der Athener zu behaupten" - gegen die Peloponnesier und notfalls auch gegen die Vierhundert in der Heimat. Aber wenn auch, wie Thukydides überliefert,

unter den Truppen die trotzige Parole „Wir brauchen die Heimatstadt nicht, um den Krieg zu gewinnen“, ertönte,’® mußte es den Einsichtigeren unter den Führern auf Samos klar gewesen sein, daß ihre Gegen-Polis kaum eine reale Chance haben würde, wenn sich die Oligarchen in der Stadt mit dem

Landesfeind einigten. Die Konterrevolution auf Samos hatte der Sache der 76Ὁ Thuk. 8,48,2, 8,53,1; Ath. Pol. 29,1; Aristot. pol. 1304b 12-14. τ 5. die treffenden Bemerkungen von Sordi, Trasibulo 105. 7 Dies ist jedenfalls der sucus der in Thuk. 8,76,5f. referierten Äußerungen.

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athenischen Demokratie einen vorläufigen Zufluchtsort eröffnet; Dauer mußte sich ihr Schicksal in Athen selbst entscheiden.

auf die

Die Herrschaft der Vierhundert in Athen Die Nachricht von den Vorgängen auf Samos scheint Athen sehr schnell erreicht zu haben.” Thukydides gibt uns keinen ausdrücklichen Bericht davon, wie man in den Kreisen der dortigen Machthaber auf diese unwillkommene Kunde reagierte, doch aus der Entwicklung der Ereignisse ergibt

sich klar, daß die Vierhundert den vom samischen Heer geworfenen Fehdehandschuh bereitwillig aufnahmen. Eine an sich unbedeutende Episode wirft ein bezeichnendes Licht auf die damalige Stimmungslage der Herrschenden in Athen: Der Redner Andokides, der infolge seiner Verwicklung in den Hermenfrevel seit 415 aus Athen exiliert war" und seine Exilszeit als seefahrender Handelsmann verbrachte, hatte

etwa zur Zeit der Machtübernahme der Vierhundert Ruderstangen und andere Güter zum Selbstkostenpreis an die auf Samos stehenden athenischen Truppen geliefert und sodann Kurs auf Athen genommen, wo er, da er von den Umwälzungen noch keine Kunde hatte, für seine „patriotische Tat" die Wie-

deraufnahme in die Bürgergemeinde zu erlangen hoffte. Zu seiner bósen Überraschung wurde er gleich nach seiner Ankunft in der Stadt von einigen Mitgliedern der Vierhundert festgenommen und vor die Ratsversammlung gebracht, wo ihn Peisandros anklagte, „unseren Feinden

Getreide und Ruderholz geliefert" zu haben. Der unglückliche Heimkehrer, dem nun schlagartig klar wurde, daß „zwischen dem Heer und den Vierhun-

dert Feindschaft herrschte", sah sich mit der allgemeinen Empórung der Ratsversammlung konfrontiert, mit dem Tode bedroht und schliefllich ins Gefángnis geworfen, wo er während der ganzen Dauer des Regimes der Vier-

hundert verblieb.*!

Auch wenn wir die harsche Behandlung des Andokides zum Teil darauf zurückzuführen haben, daß der Exulant aufgrund seines Verhaltens in der

Affäre um den Hermenfrevel gerade in den oligarchischen Kreisen weithin verhaßt war,? so wird doch in der - von Andokides wohl zumindest dem Sinn

nach korrekt wiedergegebenen - Bezeichnung der Truppen auf Samos als „Feinde“ (πολέμιοι) durch Peisandros die Einstellung der Vierhundert gegenP? Dies ergibt sich einerseits aus der Tatsache, daß die Gesandten der Vierhundert die Nachricht noch während ihrer Reise erhalten haben (Thuk. 8,77,7), andererseits aus dem

im folgenden berichteten Fall des Andokides (s. u.). 9 Zu Andokides' Verbannung s. Blass, Beredsamkeit 1 284-289; MacDowell, Andokides 167-180.200-203 und Edwards, Andocides 2f. mit weiterführenden Literaturangaben.

*! And. 2,13-16; vgl. [Lys.] 6,27 und (Plut.] vit. dec. or. = mor. 834f #2 Blass, Beredsamkeit I 288.

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über ihren demokratischen Opponenten deutlich. Offensichtlich war man in Athen zum Zeitpunkt von Andokides' Ankunft bereits davon informiert, daB

Thrasybulos und Thrasyllos die Truppen eidlich zur Feindschaft gegen die Machthaber in der Heimatstadt verpflichtet hatten und erwartete sich von Samos her nichts anderes als unversóhnliche Gegnerschaft. Was die Verfas-

sungsumstürzler bei ihrer Machtübernahme von seiten der Hoplitenbürger in Athen befürchtet hatten? war nun in der Ionienflotte Realität geworden, und

die Machthaber müssen sich bei realistischer Betrachtung der Kräfteverhältnisse wohl eingestanden haben, daf) ihnen die Mittel abgingen, diesen Widerstand mit Gewalt zu brechen, ja daB sie ohne die Mitwirkung der Flotte nicht einmal zur eigenständigen Fortführung des Krieges gegen die Peloponnesier imstande sein würden. Es stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise diese Polarisierung zwischen der Stadt und dem Heer den vom Regime der Vierhundert eingeschlagenen politischen Kurs beeinflußt hat?

An sich liegt der Gedanke an eine derartige Wechselwirkung nicht fern; die Möglichkeit, daß die entschiedene Absage der auf Samos stehenden Streit-

kräfte an das Regime in Athen dort zu einer Verhärtung des oligarchischen Kurses geführt hat, könnte nicht verwundern, zumal mit dem offenen Bruch

für die radikalen Oligarchen alle durch die Rücksichtnahme auf die Stimmung der Streitkräfte eventuell gebotenen Hemmungen wegfallen mußten. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, daß die nach Samos bestimmten Gesandten

ihre Mission trotz der gewandelten Verhältnisse schließlich doch auszuführen versuchten, was auf eine gewisse weiterbestehende Verständigungsbereitschaft seitens der Vierhundert hinzudeuten scheint. Die oben aufgeworfene Frage nach der Auswirkung der samischen Konterrevolution auf die Politik der Vierhundert könnte nur auf der Basis einer eini-

germaßen umfassenden Evidenz über den Gang der inneren Politik unter den Vierhundert entschieden werden.

Unglücklicherweise sind wir über die innere Politik der Vierhundert wie überhaupt über die Zustände in Athen während ihrer Herrschaft sehr ungenügend unterrichtet. Die Athenaion Politeia übergeht diesen Bereich völlig, Thukydides bietet immerhin im Anschluß an seinen Bericht über die Macht-

ergreifung der Vierhundert einen Absatz, in dem er die innere Geschichte des Regimes in knappster Form zusammenfaßt (8,70,1f.): ὕστερον

δὲ

πολὺ

μεταλλάξαντες

τῆς

τοῦ

δήμου

διοικήσεως

(πλὴν

τοὺς

φεύγοντας οὐ κατῆγον τοῦ ᾿Αλκιβιάδου ἕνεκα) τά τε ἄλλα ἔνεμον κατὰ

κράτος τὴν πόλιν. καὶ ἄνδρας τέ τινας ἀπέκτειναν οὐ πολλούς. οἱ ἐδόκουν ἐπιτήδειοι εἶναι ὑπεξαιρεθῆναι, καὶ ἄλλους ἔδησαν. τοὺς δὲ καὶ μετεστήσαντο.

»... später änderten sie viel an den Einrichtungen der Demokratie (doch die Verbannten riefen sie nicht zurück des Alkibiades wegen) und übten die Macht in der Stadt P as. o., S. 173.

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mit willkürlicher Gewalt" aus. Einige Männer, nicht viele, die zu beseitigen ihnen gut schien, ließen sie töten, andere warfen sie ins Gefängnis, wieder andere trieben sie ins Exil.“

Thukydides führt nicht im einzelnen aus, welche konkreten Ánderungen die Vierhundert an den Einrichtungen des Demos vornahmen, doch weisen seine

anschließenden Bemerkungen über die Nichtrückführung der Verbannten und die Hinrichtungen, Verhaftungen und Exilierungen darauf, daß er hier in erster Linie das Justizwesen im Auge hat. In diesem Bereich haben, wie der Fall des Andokides zeigt, die Vierhundert selbst als Gerichtshof agiert,” und wir dürfen annehmen, daß die demokrati-

schen Heliaiai, die den Oligarchen nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch wegen der Kosten des Richtersoldes suspekt waren, mit der Machtergreifung der Vierhundert aufgelöst wurden. Falls, wie man vermutet hat, an ihrer Stelle die Bildung neuer ‘Volksgerichte’ aus den Reihen der Fünftausend oder eine gerichtliche Funktion der Fünftausend in ihrer Gesamtheit vorgesehen waren, 50 wurde dies bis zum Sturz der Vierhundert wohl ebensowenig in die Realität umgesetzt wie die Bestimmungen über die politische Rolle der Fünftausend. Es ist jedoch möglich, daß der Rat vom Areopag seine gerichtlichen Kompetenzen behalten hat." Ob daneben bei privatrechtlichen Streitigkeiten Entscheidungen von Schiedsrichtern eine signifikante Rolle gespielt haben, wie man aufgrund der Analogie der späterhin unter den ‘Dreißig’ herrschenden Verhältnisse vermutet hat," läßt sich mangels positiver Evidenz nicht entscheiden. Angesichts der im Antrag des Peisandros für die Vierhundert vorgesehenen unbeschränkten Vollmacht sowie des thukydideischen Zeugnisses über ihre Herrschaft werden wir jedenfalls die Vierhundert als die letzthin entscheidende bzw. leitende In-

stanz aller während ihrer Herrschaft geführten gerichtlichen Aktivitäten anzusehen haben. Als Ausfluß dieser richterlichen Gewalt der Vierhundert haben wir wohl nicht nur die Verhandlung gegen Andokides, sondern auch die in der bereits zitierZu dieser Übersetzung von κατὰ κράτος s. Classen/Steup, Thukydides 171. 55 Neben den im Zusammenhang mit dem Fall des Andokides angeführten Belegen s. Thuk. 8,92,2, wo die Vierhundert gegen einen Komplizen der Phrynichosmórder vorgehen (vgl. dazu u., S. 265 und 269f.); dazu Bonner, Justice 211, Rhodes, Boule 185 und Brock, Courts 136. *6 So Bonner, Justice 211 und Brock, Courts 137. # Dies scheint der Wortlaut von Demosth. 23,66 zu implizieren, s. dazu Bonner, Justice

211 und Brock, Courts 136. Es ist jedoch zu bedenken, daß im Mordfall des Phrynichos zumindest die Untersuchung von den Vierhundert in eigener Regie durchgeführt wurde (Thuk. 8,92,2, dazu Bonner, a. O.). Zur Funktion des Areopags unter den ‘Dreißig’, die sich vielleicht zum Vergleich heranziehen läßt, s. Wallace, Areopagus 141-143.

δ So Brock, Courts 137; für die Schiedsgerichte unter den ‘Dreißig’ s. Bonner, Justice 217.

-234 ten Thukydidesstelle erwähnten Hinrichtungen, Gefangensetzungen und Exilierungen anzusehen.”

Für die Bewertung dieser Vorgänge ist es von Bedeutung, daß Thukydides ausdrücklich von „nicht vielen“ Hinrichtungen spricht, was wohl als Kritik an einer Auffassung zu verstehen ist, die den Vierhundert ein deutlich höheres

Maß an Gewalttaten zuschreiben wollte. Diese Stellungnahme berührt sich, wie Andrewes zu Recht betont,” mit seiner Kritik an den Schilderungen des

Chaireas auf Samos, wo ebenfalls gegen eine übertriebene Ausschmückung der von den Vierhundert begangenen Untaten Stellung bezogen wird. Dieses thukydideische Urteil verdient schon deshalb ernstgenommen zu wer-

den, weil wir dem Historiker angesichts seiner kritischen Darstellung der Vorgeschichte des Umsturzes und seines Lobes für die ‘Verfassung der Fünftausend’ keine besondere Sympathie für das Regime der Vierhundert zutrauen dürfen.

Wir werden daher davon ausgehen dürfen, daß sich das Ausmaß der von den Vierhundert zu verantwortenden Gewaltakten alles in allem gesehen in Grenzen gehalten hat, vor allem im Vergleich zu den 404/3 unter dem Regime der Dreißig begangenen Untaten. Ob man diese relative ‘*Mäßigung’ des oligar-

chischen Terrors auf den Einfluß gemäßigter Kräfte innerhalb der herrschenden Oligarchenkreise zurückführen darf oder ob man nicht vielmehr damit zu rechnen hat, daß die Vierhundert ihre Gewaltmaßnahmen nur als Mittel der Einschüchterung verstanden und den Terror daher bewußt auf das zur Ruhighaltung der Opposition als ‘notwendig’ erachtete Maß beschränkten, läßt sich

nicht mit Sicherheit entscheiden. Immerhin könnte man zugunsten der letztgenannten Möglichkeit das Zeugnis der Polystratosrede anführen, demzufolge „jene Leute“ (worunter der Sprecher nicht die Vierhundert in ihrer Gesamt-

heit, sondern nur die herrschende Clique unter ihnen versteht) mit Hinrichtung und Verbannung gegen diejenigen, die ihnen widerredeten, vorgegangen seien und so ihre Gegner eingeschüchtert hätten.” Es handelte sich demnach im Gegensatz zu dem auch durch Bereicherungs-

absicht und persönliche Feindschaften motivierten Terror der ‘Dreißig’ um eine gezielt gegen politische Gegner des Regimes gerichtete Terrorkampagne. Daß es sich bei den Opfern dieser Gewaltmaßnahmen hauptsächlich um Anhänger der Demokratie handelte, liegt an sich schon nahe und wird uns durch 9 Thuk. 8,70,2, zit. o., S. 232. 9 Andrewes, HCT V 182.

?! Dies betont zu Recht Bearzot, Esili 142.

?? (Lys.] 20,8f. τῶν γὰρ λεγόντων ἐναντία ἐκείνοις ol μὲν ἔφευγον, ol δὲ ἀπέθνῃσκον ... τοὺς μὲν γὰρ ἐξήλαυνον αὐτῶν, τοὺς δὲ ἀπεκτίννυσαν, dazu Heftner, Polystratos 80. Die gewaltsame Verhinderung jeder oppositionellen Meinungsäußerung erscheint auch

bei Thukydides als das charakteristische Merkmal der oligarchischen Machtausübung, s. Frazier, Reunion 248 mit Belegen.

- 235 -

eine diesbezügliche ÁuBerung in der Anklagerede des Kritias gegen Theramenes bei Xenophon explizit bestätigt.”° Die Namen dieser Opfer sind uns, wenn wir vom Sonderfall des Andokides absehen, in den Quellen nicht direkt

überliefert,” aus dem Bereich der indirekten Überlieferung könnte man vielleicht den in Aristoteles’ Rhetorik erwähnten Fall eines gewissen Euktemon (vielleicht des Strategen von 412/11?), der sich aufgrund von MiBhandlungen selbst den Tod gegeben hatte, mit der Gewaltherrschaft der Vierhundert in

Verbindung bringen.” Rätselhaft bleibt die Bemerkung des Thukydides, die Vierhundert hätten „des Alkibiades wegen die Verbannten nicht zurückgerufen“,” da sich ja durchaus die Möglichkeit geboten hätte, die Person des Alkibiades von einem allge-

meinen Rückrufdekret auszunehmen. Die Vermutung von Andrewes, daß die Machthaber vor dieser Vorgangsweise zurückscheuten, weil sie damit vor der Öffentlichkeit die Nichtigkeit aller weiteren Hoffnungen auf Perserhilfe zuge-

geben hätten,” ruht auf der höchst unsicheren Voraussetzung, daß breitere Kreise der Bürgerschaft dem Oligarchenregime zu jenem Zeitpunkt noch ein ehrliches Bemühen um Alkibiades’ Rückführung und um ein Perserbündnis zugetraut haben. Vielleicht wird man eher annehmen dürfen, daß sich Thukydides bei seiner Angabe zu Unrecht auf die Person des Alkibiades konzentriert, während es in Wirklichkeit unter den exilierten Athenern noch andere Persönlichkeiten gab, deren Rückkehr maßgeblichen Kreisen innerhalb

des Regimes nicht genehm gewesen wäre. Lassen sich für die Politik der Vierhundert im Bereich des Gerichtswesens (wenn man es so nennen will) immerhin noch Hinweise auf die zugrunde liegende politische Tendenz erkennen, so bleiben wir hinsichtlich der übrigen

Aspekte ihrer inneren Politik weitgehend im unklaren. Für die innere Organisation des Rates der Vierhundert bietet sich ein Anhaltspunkt in der Erwähnung von fünf πρόεδροι im Peisandros-Antrag bei Thukydides, sowie möglicherweise in dem schon in anderem Zusammenhang behandelten” Proxeniedekret für Pythophanes (IG P? 98), wo die Reste der

Einleitungsformel auf die Existenz eines fünfkópfigen Leitungsgremiums hindeuten. Dürften wir mit Sicherheit davon ausgehen, daf) die thukydideischen 5$ Xen. hell. 2,3,32 σύ .... πλείστοις μὲν μεταίτιος el ἐξ ὀλιγαρχίας ὑπὸ τοῦ δήμου ἀπολωλέναι, πλείστοις δ᾽ ἐκ δημοκρατίας ὑπὸ τῶν βελτιόνων ist im gegebenen Kontext auf die Vorgánge von 411/10 zu beziehen (vgl. 2,3,30). ?* Den in einem Lysias-Fragment ( 6II Z 185ff. Gemet/Bizos = Pap. Oxy. XIII 1606 fr. 6,

col. ii) als Flüchtling zur Zeit der Vierhundert genannten Hippotherses wird man wohl nicht (mit Seibert, Flüchtlinge 462f. Anm. Vertriebenen rechnen dürfen, s. u., S. 313.

646)

zu

den

Thuk.

8,70,2

?* Aristot. rhet. 1374b 36 - 1375a 1, s. dazu o., S. 20 Anm. 96 mit Textzitat.

96 Thuk. 8,70,1 (zit. o., S. 232).

?" HCT V 182. ?! s. o., S. 188-191.

erwähnten

- 236 -

πρόεδροι als permanentes Leitungsgremium gedacht waren? und daß das Dekret für Pythophanes in die Zeit der Vierhundert gehört, so könnten wir

dieses fünfkópfige mpö6edpor-Kollegium unbedenklich als das permanente leitende Gremium des Rates der Vierhundert ansehen. Angesichts der Ungesichertheit beider Voraussetzungen kónnen wir diese Annahme nicht als feststehende Tatsache, im Hinblick auf das Zusammenspiel der Indizien und die

bekannte Vorliebe athenischer Oligarchen für fünfkópfige Gremien!” aber wohl doch als wahrscheinlich betrachten. Kommen wir somit in der Frage nach der zahlenmäßigen Stärke des Leitungsgremiums der Vierhundert immerhin noch zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit, so sind wir für die Amtsdauer der πρόεδροι und für Geschäftsordnung der Bule fast zur Gánze auf Spekulationen angewiesen. Wir haben bereits gesehen (o., S. 172f.), daB Thukydides als eine der ersten Handlungen der

Vierhundert nach ihrem Einzug ins Buleuterion die Auslosung von Prytanen anführt, wobei es ungewiB bleibt, ob wir darunter nur die Bestellung eines Leitungsgremiums (also wohl der πρόεδροι) oder aber eine Einteilung der Vierhundert in Prytanien analog zum System der demokratischen Bule zu

verstehen haben. Die Datierung des Andron-Dekrets über die Einleitung der Verfolgung des Antiphon und anderer Oligarchen „am 21. Tage der Prytanie?! scheint dafür zu sprechen, daß jedenfalls in der auf den Sturz der Vier-

hundert unmittelbar folgenden Periode eine solche Einteilung der Bule in Prytanien in Kraft war. Aber selbst wenn wir dieses Dokument bis in alle Ein-

zelheiten für authentisch halten dürften, könnte die dort zugrunde gelegte Organisation der Bule keinesfalls unbesehen mit den unter den Vierhundert herrschenden Verháltnissen gleichgesetzt werden; es kann sich bei dem im Antiphondekret bezeugten Prytaniensystem ebensogut um eine erst in der Folge des Umschwunges von den Vierhundert zu den Fünftausend geschaffene Einrichtung!” handeln. In Anbetracht all dieser Unsicherheitsfaktoren ?? Für die zugunsten dieser Annahme sprechenden Argumente s. o., S. 161f. !" Man vergleiche die fünf λαχόντες ἐκ τῆς βουλῆς der Zukunftsverfassung Ath. Pol.

30,5 sowie die während des oligarchischen Umschwunges des Jahres 404 tätigen fünf ἔφοροι (Lys. 12,43.76, dazu Krentz, Thirty 44f. und Bearzot, Lisia 141f.).

10 [Plut.] vit. dec. or. = mor. 833e (zit. o., S. 186).

1? Zur Problematik der Textüberlieferung s. Hignett, HAC 378; de Ste. Croix, Constitution 16 und insbesondere Pesely, Andron 71. !? Vgl. das Zeugnis des Thukydides (8,97,2) über die verfassunggebende Tätigkeit nach dem Sturz der Vierhundert (zit. u., S. 279). Es verdient in diesem Zusammenhang Beach-

tung, daß in einem auf die Zeit der Vierhundert bezüglichen Finanzdokument (IG P 373, Z 15-17) nach den Monatsnamen, nicht nach Prytanien datiert wird (zu Recht betont von

Andrewes, HCT V 181). Eine weitere Móglichkeit bringt Harris, Note passim in Vorschlag, der aufgrund von Thuk. 8,70,1 annimmt, die Vierhundert hätten bis zum Ende von

Kallias’ Archontenjahr das Zehn-Prytanien-System der Demokratie beibehalten, dann aber, wie IG P 373 zeige, mit dem Beginn von Mnasilochos' Amtsjahr ein neues, prytanienloses System eingeführt. Die dieser Rekonstruktion zugrunde liegende Deutung der πρυτάνεις

- 237 -

scheint es angebracht, beim gegenwürtigen Stand der Evidenz die Frage nach einer móglichen Prytanieneinteilung der Vierhundert offen zu lassen. Unter diesen Umständen muß auch die durch keine direkten Quellenzeugnisse gestützte Annahme einiger Autoren, daB die von Thukydides als Führer der

Umsturzbewegung

genannten"

Persönlichkeiten,

Antiphon,

Peisandros,

Phrynichos und Theramenes dem Gremium der πρόεδροι angehört hätten,” als hypothetisch angesehen werden. Diese Annahme gewinnt auch dann nicht an Wahrscheinlichkeit, wenn man die πρόεδροι für ein permanent am-

tierendes offizielles Kollegium halten móchte, da die genannten Oligarchenführer recht gut auch ohne eine formell herausgehobene Stellung zu bekleiden einen bestimmenden Einfluß innerhalb der Vierhunderter-Bule ausgeübt haben können (man vergleiche etwa die Position des προστάτης τοῦ δήμου in der Demokratie).

Bezüglich der Veränderungen im Ämterwesen können wir mit großer Sicherheit davon ausgehen, daß die Vierhundert die bereits in den Beschlüssen der

vor dem Umsturz gehaltenen verfassungsändernden Versammlungen vorgesehene! Abschaffung der Ämterbesoldung in die Tat umgesetzt haben; dafür

spricht neben Erwägungen allgemeiner Natur vor allem die Tatsache, daß das Prinzip der Nichtbesoldung der Amtsstellen auch nach dem Sturz der Vier-

hundert in schärfster Form bestätigt wurde; es ist kaum anzunehmen, daß die Oligarchen in dieser Frage weniger radikal waren als ihre gemäßigten Nachfolger. Was die Besetzung der Ámter betrifft, haben die Vierhundert wohl sogleich nach ihrem Amtsantritt das Kollegium der Strategen neu besetzt, wobei wir über die näheren Umstände weiter nichts aussagen können. Faßbar ist uns diese Neubesetzung des Strategenkollegiums lediglich in der Bemerkung des Lysias, wonach Theramenes von den Vierhundert zum Stratein Thuk.

8,70,1

kann jedoch, wie bereits erwähnt (s. o., S. 172f.), keineswegs als die

einzige Móglichkeit zum Verstündnis der Stelle gelten.

1% Thuk. 8,68,1-4.

109 Gilbert (Beiträge 308) vermutet die Zugehörigkeit zu den πρόεδροι für Antiphon, Peisandros und Phrynichos, Cavaignac, Les Quatre-Cents 320 darüberhinaus für Therame-

nes, Avery (Studies 106f.320), der diese Vorschläge akzeptiert, möchte als fünften πρόεδρος den bei Lys. 12,66 als Teilhaber am Vierhunderter-Regime genannten Kallaischros geltend machen (zu dem Versuch von Avezzü, Kallaischros den Probuloi zuzuzählen, s. o., S. 8 Anm. 34).

106 Man beachte in diesem Zusammenhang, daß sich in den erhaltenen Teilen der Präambel des Hippomenes-Dekrets (IG P 98, Z. 4-7, dazu o., S. 188) kein Namens- oder Demotikon-Bruchstück finde, das sich mit den bei Thuk. 8,68 genannten Persónlichkeiten

verbinden ließe. Allenfalls ließe sich der von Avery vermutete Κάλλαισχρος Φηγούσιος (s. die vorige Anm.) mit dem in Z. 7 des Dekrets genannten Καλί gleichsetzen, wenn wir das Demotikon als sicher annehmen könnten (für diesbezügliche Zweifel s. Davies, APF

328).

107 Ath. Pol. 29,5.; vgl. 30,2; Thuk. 8,67,3. (dazu o., S. 158). 105 Thuk. 8,97,1, zit. u., S. 279 (vgl. S. 304).

- 238 -

gen gemacht wurde,"? und in der Tatsache, daB wir im Zusammenhang mit der letzten Phase des Regimes der Vierhundert neben Theramenes fünf weitere Strategen namentlich genannt finden, von denen nur einer, Thymochares

mit Namen, gleich Theramenes seine Position über den Sturz der Vierhundert hinaus bewahren konnte und daher wohl den Gemäßigten zuzurechnen ist, während wir die vier übrigen - Alexikles,!!! Aristarchos,!" Aristoteles!

und Melanthios!'^ - aufgrund ihrer Haltung während der Endphase des Regi-

mes dem radikalen Flügel der Oligarchie zurechnen kónnen.'' Die politische Zugehörigkeit dieser Männer läßt es nicht als wahrscheinlich erscheinen, daß sie noch unter der Demokratie zu Strategen für 411/10 ge-

wählt worden sind, denn selbst wenn wir einerseits die Wirkung der im Früh-

jahr 411 geführten Einschüchterungskampagne!!^ in Rechnung stellen, und andererseits für die vier übrigen Strategenstellen die Wahl gemäßigter Persönlichkeiten annehmen

wollten, schiene es kaum

glaublich, daß ein derart

zusammengesetztes Kollegium aus einer vor der Machtergreifung der Vierhundert gehaltenen allgemeinen Volkswahl hervorgegangen sein soll. Ziehen wir überdies die obenzitierte Aussage des Lysias sowie die Tatsache, daß in der Gegenwartsverfassung der Athenaion Politeia (31,2, zit. o., S. 203) eine

Neuwahl des Strategenkollegiums vorgesehen ist, in Betracht, so kónnen wir mit größter Wahrscheinlichkeit eine Neubesetzung der Strategenstellen durch die Vierhundert annehmen. Ob der Modus dieser Bestellung den in dem erLys. 12,65 ὃς [sc. Θηραμένης) πρῶτον μὲν τῆς προτέρας ὀλιγαρχίας αἰτιώτατος ἐγένετο, πείσας ὑμᾶς τὴν ἐπὶ τῶν τετρακοσίων πολιτείαν ἑλέσθαι. καὶ

ὁ μὲν πατὴρ αὐτοῦ τῶν προβούλων ὧν ταῦτ' εὐνούστατος εἶναι τοῖς πράγμασι στρατηγὸς ὑπ᾽

ἔπραττεν, αὐτὸς δὲ δοκῶν αὐτῶν (Mss: αὐτοῦ] ἡρέθη.

Aufgrund des handschriftlich überlieferten αὐτοῦ vermutet Avery (Lysias passim) einen

Auftritt des Hagnon zugunsten seines Sohnes bei der Strategenwahl, den er mit einem Fragment einer von Hagnon gehaltenen Rede (Fragmentum Vaticanum De eligendis magistratibus, ed. W. Aly, Vatikan 1943, p. 211) in Verbindung bringen möchte: ...

"Ayvov ποτὲ συνεβούλευεν ᾿Αθηναίοις ἐπίεὶ τῶν στρατηγῶν παραδείγματι χρησάμενος τῷ περὶ τὰ κυνηγέσια: καὶ γὰρ ἐκεῖ σκύλακας ἔφη παρεμβαλεῖν ἀεὶ τοὺς φιλοκυνήγους. Träfe Avery's Vermutung über den Kontext des Fragments zu, so könnte das συνεβούλευεν

᾿Αθηναίοις als Indiz gewertet werden, daß Theramenes und

seine Mitstrategen nıcht vom Rat der Vierhundert, sondern von einer breiteren Versammlung gewählt wurden. Diese Zuordnung ist jedoch m. E. angesichts der sehr allgemein

gehaltenen Aussage des Fragments viel zu unsicher, als daß sich weitergehende Schlüsse darauf bauen ließen.

"Ὁ PA 7406; als Stratege belegt Thuk. 8,95,2; zur Person s. Avery, Studies 289-292. I PA 535, als Stratege belegt Thuk. 8,92,4; zur Person s. Avery, Studies, 13-18.

1? PA 1663; als Stratege belegt Thuk. 8,98,1; zur Person s. Avery, Studies 63-69.

1? PA 2057, als Stratege belegt Xen. hell. 2,3,46; zur Person s. Avery, Studies 95-100. IM PA 9768, als Stratege belegt Xen. hell. 2,3,46; zur Person s. Avery, Studies 212f. 115 Zum Strategenkollegium der Vierhundert allgemein s. Avery, Studies 321f, Fornara,

Generals 66f. und Develin, AO 160f. mit Belegstellen.

!!5 Thuk. 8,65,2-66,5, s. dazu o., S. 109 und 111-114.

- 239 -

wühnten Passus aus der Gegenwartsverfassung überlieferten Bestimmungen

entsprochen hat und ob den bestellten Strategen die dort ins Auge gefaßten Vollmachten zugestanden worden sind, läßt sich aus der vorhandenen Evidenz weder bestätigen noch widerlegen, geht man, wie bereits ausgeführt, davon

aus, daß der Entwurf der Gegenwartsverfassung auf der Kolonosversammlung durch den Antrag

des Peisandros ergänzt und in entscheidenden Punkten ab-

geändert wurde, ' ’ so wird man es für wahrscheinlich halten dürfen, daß die Vierhundert (genauer gesagt, die herrschende Clique unter den Vierhundert) bei der Strategenbestellung nach Gutdünken vorgingen.'!? Betreffs des Zeit-

punktes muß es schon allein im Hinblick auf die Bedeutung des Strategenamtes als wahrscheinlich gelten, daß die Wahl und Amtseinsetzung der oligarchischen Strategen sogleich nach der Machtübernahme der Vierhundert vorgenommen wurde. An sich würde die Vermutung nahe liegen, daß auch die übrigen Amtsstellen

sogleich nach dem Machtwechsel neubesetzt wurden, tatsächlich aber war dies zumindest bei einigen - keineswegs unbedeutenden - Ämtern nicht der

Fall: Aus den Angaben der Athenaion Politeia ergibt sich, daß der von den Vierhundert bestellte Archon Mnasilochos erst nach Ablauf der regulären Amtszeit des 412/11 amtierenden Kallias sein Amt antrat,'!” und die epigra-

phische Evidenz deutet darauf hin, daß auch die Tamiai der Athene von 412/11 erst geraume Zeit nach der Machtübernahme der Vierhundert abgelöst

wurden.'?°

Läßt man sich auf das Wagnis ein, auf der Basis dieser dürftigen und splitterhaften Evidenz ein Urteil über die innere Politik der Vierhundert zu fällen, so

scheint sich, wie bereits oben (S. 234) festgestellt, das Bild einer relativen

1 s o, S. 202-206. !!! Man beachte in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß nach Ath. Pol. 31,2 die Regierungsgewalt den zehn Strategen zukommen sollte (τοὺς δὲ αἱρεθέντας ἄρχειν τὸν εἰσιόντα ἐνιαυτὸν αὐτοκράτορας,), nach dem Peisandros-Antrag hingegen den Vierhundert in ihrer Gesamtheit (Thuk. 8,67,3 ἐλθόντας δὲ αὐτοὺς τετρακοσίους ὄντας

ἐς τὸ βουλεντήριον ἄρχειν ὅπῃ ἂν ἄριστα γιγνώσκωσιν αὐτοκράτορας).

!7 Ath. Pol. 33,1; Andrewes, HCT V 194 verweist auf die Möglichkeit, daB die Vierhun-

dert für die letzten beiden Monate von Kallias' Archontenjahr einen eigenen Archon installiert haben kónnten.

120 IG P 373 verzeichnet die erste Transaktion der von den Vierhundert eingesetzten Tamiai für den 21/22. Tag des Monats Hekatombaion, also gute zwei Monate nach dem am 14. bzw. 22. Thargelion erfolgten Antritt der Vierhundert (s. o., S. 104-106). Angesichts dieses Zeugnisses hat Ferguson wohl zu Recht geltend gemacht, daß die Vierhundert

wohl kaum zwei Monate zugewartet haben werden, ehe sie die erste Entnahme aus dem Schatz der Göttin tátigten. Es sei daher anzunehmen, daß sie nach ihrer Machtergreifung die alten Tamiai zunüchst im Amt belassen und erst nach einiger Zeit, wahrscheinlich am ersten Hekatombaion zugleich mit dem Archontenwechsel, durch ein von ihnen bestelltes

Kollegium ersetzt hátten (Ferguson, Treasurers 145f. Anm. Alternativen; akzeptiert von Andrewes, HCT V 194).

1 mit Diskussion móglicher

- 240 Zurückhaltung im Hinblick auf offene Gewaltakte zu ergeben. Thukydides, dessen Bericht keine Vorliebe für die Vierhundert erkennen läßt, spricht, wie wir gesehen haben, ausdrücklich von „nicht vielen" Hinrichtungen, und dies

korrespondiert mit der bereits oben erwähnten Tatsache, daß uns aus der Herrschaft der Vierhundert - im Gegensatz zur Epoche der DreiBig - kaum konkrete Personen als Opfer von Gewaltmaßnahmen überliefert sind. Gerade im Vergleich mit den Dreißig erschließt sich uns ein Umstand, den wir wohl

mit Fug und Recht für den hauptsächlichen Grund der relativ zurückhaltenden Machtausübung der Oligarchen von 411 halten dürfen: die von allem Anfang

an höchst preküre Position des Regimes. Während die Dreißig über einen durch die militärische Katastrophe in seiner Widerstandskraft gebrochenen Demos herrschten und obendrein auf die Unterstützung der siegreichen Spartaner bauen konnten, sahen sich die Vierhundert bald nach ihrer Machtüber-

nahme mit der entschlossenen bewaffneten Opposition der Flottenstreitkräfte und dem Mißtrauen der Hopliten in der Stadt konfrontiert, waren aber auf der anderen Seite außerstande, das Abkommen

mit den Spartanern zu erlangen,

das ihnen vielleicht die Möglichkeit gegeben hätte, sich gegen die Demokra-

ten auf Samos zu behaupten. Unter diesen Umständen waren die Vierhundert viel zu sehr mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt, als daß sie es riskieren konnten, eine weitgespannte, blutige Säuberungsaktion in die Wege zu leiten.'?' Diese grundlegende Tatsache laßt nicht nur jeden Versuch, die Oligarchie von 411 unter polittheoretisch-ideologischen Gesichtspunkten zu klassifizieren, von vornherein als fragwürdig erscheinen, sie bildet auch eine

stets zu beachtende Richtschnur für die Bewertung des konkreten politischen Handelns der Vierhundert. Hier stellt sich in jedem einzelnen Fall die Frage, ob die Oligarchen aufgrund selbstbestimmter Zielsetzungen agiert oder ob sie

nicht vielmehr, durch unausweichliche Zwänge eingeschnürt und durch das Fehlen eigener Machtmittel gehemmt, auf einen von außen kommenden Druck reagiert haben. Wir werden noch sehen, daß in den meisten Fällen die zweite dieser Alternativen näher an der Wahrheit zu liegen scheint. 12! Diese Differenz der Machtmittel betont zu Recht Fouchard, Aristocratie 482, der aber

davon ausgeht, daß die Vierhundert im Grunde von denselben Prinzipien inspiriert gewesen seien wie spüterhin die Dreißig - eine Einschätzung, die in dieser Schärfe und Verallgemeinerung wohl doch um einiges zu weit geht. Zweifellos lassen sich, besonders in der Schlußphase des Regimes, derartige Tendenzen in der Position des radikalen Flügels der Vierhundert feststellen, doch haben wir zum einen keinen Grund zu bezweifeln, daß die

Kreise, die das Regime trugen, vom Sonderfall des Theramenes ganz abgesehen, auch ehrliche Vertreter einer Hoplitenpoliteia umfaßten, zum anderen bezeugt uns Thukydides, daB auch die Radıkalen zunächst nach einer Erhaltung des Seereiches und der Flottenmacht gestrebt haben (Thuk. 8,91,3; dazu u., S. 250), was jeden Versuch einer Umwandlung Athens in einen Agrarstaat spartanischen Musters ausschließen mußte. Gerade letzteres aber hat, wie Whitehead, Sparta passim, bes. 119-130 und Krentz, Thirty 64-68 gezeigt haben, den Kern des von den Dreißig verfochtenen Programms dargestellt.

- 241 -

Die Friedensinitiativen der Vierhundert Die antidemokratische Bewegung hatte von ihren ersten Anfängen

an ihre

Umsturzziele mit der Hoffnung auf eine energische Weiterführung und siegreiche Beendigung des Krieges verknüpft. Mit diesen Hoffnungen hatten die Verschwörer ihre Verfassungsreformpläne gegenüber der breiten Masse in Samos wie in Athen gerechtfertigt," und als sich die Aussichten auf Perserhilfe zerschlagen hatten, hatten sie im internen Kreis immer noch an der Vorstellung eines unter oligarchischen Vorzeichen siegreich geführten Krieges festgehalten.!?? Angesichts dieser eindeutig bellizistischen Orientierung der Reformbewegung muß es überraschen, daß die Vierhundert nach dem Zeugnis des Thukydides vom Zeitpunkt ihrer Machtergreifung an immer wieder den Versuch gemacht haben, mit den Peloponnesiern zu einem Friedensabkommen zu gelangen. Es

stellt sich die Frage, ob wir es hier mit einer in weiten Kreisen der Oligarchen insgeheim schon länger verfolgten politischen Linie oder einfach mit einem aus den Bedürfnissen der Situation geborenen Versuch der Vierhundert zur

Stabilisierung ihrer prekáren Machtstellung zu tun haben? Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, ist es zunächst vonnóten, über die

Zahl und Abfolge der einzelnen von seiten der Vierhundert gesetzten Friedensinitiativen sowie über deren chronologische Stellung im Verháltnis zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Athen und Samos andererseits Klar-

heit zu gewinnen. Die Grundlage dafür bietet uns der Bericht des Thukydides: Der Historiker weiB bereits im Zusammenhang mit der Machtergreifung der Vierhundert von der Entsendung einer Heroldsbotschaft an den Spartanerkónig Agis in Dekeleia zu berichten, in der die neuen Machthaber den Monarchen ihrer Friedensbereitschaft versicherten und beifügten, Agis „könne nun

wohl, da er es mit ihnen, nicht mehr mit dem unzuverlässigen Volke zu tun habe, eher zu einer Einigung kommen.“ (Thuk. 8,70,2 εἰκὸς εἶναι αὐτὸν σφίσι kal οὐκέτι τῷ ἀπίστῳ δήμῳ μᾶλλον ξυγχωρεῖν). Dieser Appell an die traditionellen prooligarchischen Sympathien der Spartaner stieß jedoch bei deren Kónig auf taube Ohren.

Skeptisch gegenüber der Lebensfähigkeit des neuen Oligarchenregimes, aber voll guter Hoffnung auf eine durch die innere Umwälzungen bewirkte Schwächung der athenischen Widerstandskraft, suchte Agis seine Chance in einem militärischen Handstreich. Er wies das Angebot der Vierhundert ab, berief Truppen aus der Peloponnes herbei und marschierte gegen Athen. Ganz gegen seine Erwartung fand er jedoch die Stadt in verteidigungsbereitem Zustand vor, so daf er nichts ausrichten konnte, vielmehr, nachdem die peloponnesischen Truppen bei einem Ausfall der Athener eine Schlappe erlitten hatten, 122 Thuk. 8,48,2; 8,53,1-3, s. dazu o., S. 40 und 63-65. 123 Thuk. 8,63,4, s. dazu o., S. 87-89.

- 242 -

unverrichteter Dinge nach Dekeleia zurückkehren mußte. Die Vierhundert, die trotz des Scheiterns des ersten Verhandlungsversuches ihre Hoffnungen weiterhin auf eine Verständigung mit Sparta setzten, sandten wiederum eine Friedensbotschaft nach Dekeleia, und diesmal zeigte sich ihnen Agis entge-

genkommender, allerdings mußte er die Gesandten zur Aushandelung defini-

tiver Friedensbedingungen an die Regierung in Sparta weiterverweisen.^

Thukydides bietet im Zusammenhang der oben paraphrasierten Erzählung keine direkte Angabe für den Zeitpunkt der ersten Botschaft der Vierhundert nach Dekeleia, doch gibt er an spáterer Stelle ausdrücklich an, daB die Vier-

hundert gleich nach ihrem Amtsantritt mit den Lakedaimoniern in Kontakt zu treten suchten.'? Ebenfalls „sogleich nach ihrer (sc. der Vierhundert) Machtübernahme“ setzt der Historiker die Entsendung der zehn Gesandten nach Samos an."

Während die ältere Forschung aufgrund dieser thukydideischen Äußerungen davon ausging, daB beide Gesandtschaften etwa gleichzeitig unmittelbar nach der Machtübernahme der Vierhundert ausgesandt worden seien," möchten McCoy und Andrewes der Dekeleiagesandtschaft eindeutig die Prioritüt zuerkennen.'?? Andrewes verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß die zehn Gesandten bei ihrem schließlichen Auftritt auf Samos nach dem Referat des Thukydides die Abwehr der Peloponnesier vor den Mauern Athens erwähnten,

was darauf hindeute, daß sie erst nach diesem Ereignis von Athen abgesegelt

seien. Diese Argumentation beruht sichtlich auf der Voraussetzung, daß die Gesandten nach ihrer Abfahrt von Athen keine aktuellen Informationen aus der Heimatstadt mehr erhalten hätten und daher bei ihrem Auftritt auf Samos nicht mehr berichten konnten, als was zur Zeit ihrer Abreise bereits bekannt gewe-

sen sei. Diese Voraussetzung kann jedoch keineswegs als zwingend, ja nicht einmal als wahrscheinlich gelten. Zum einen kann man es mit Flach als wahrscheinlich ansehen, daß die Gesandten von Delos aus ihre Auftraggeber in Athen

kontaktiert und

um

neue,

2^ Thuk. 8,70,2-71,3.

125 Thuk. 8,90,1, s. dazu u., S. 243f.

den veränderten Umständen

angemessene

]

126 Die Anordnung der Ereignisse bei Thukydides stellt sich im Überblick folgendermaßen dar: Einzug der Vierhundert in das Buleuterion (8,69,1-70,1) - Überblick über die ‘Innenpolitik’ der Vierhundert (8,70,1f.) - Friedensbotschaft an Agis, dessen Vorstoß gegen Athen und die erneute Friedensbotschaft der Vierhundert (8,70,2-71,3) - Entsendung der zehn Gesandten nach Samos (8,72,1f.) - oligarchischer Putschversuch auf Samos und die Reaktion der Demokraten darauf (8,73,1-74,1).

127 So etwa Busolt, GG III 2 1490f.

128 McCoy, Moderates 76; Andrewes, HCT V 184.285; akzeptiert von Kagan, Fall 168 m. Anm. 39.

129 Thuk. 8,86,3 ... ὅτε ἐσέβαλον [sc. ol πολέμιοι] ἤδη σφῶν ἀρχόντων; dazu Andre-

wes, HCT V 184.285.

- 243 -

Instruktionen angesucht haben. ? Aber selbst, wenn man sich diese Vermutung nicht zu eigen machen móchte, wird man doch davon auszugehen haben, daß ihnen während ihres sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden'”' Aufenthaltes auf Delos ein derart wesentliches und offenkundiges Ereignis wie der fehlgeschlagene peloponnesische Angriff auf Athen nicht unbekannt geblieben sein konnte: Wenn sich die Kunde von den samischen Umwälzungen binnen kurzem bis nach Delos verbreiten konnte, so werden aus der ande-

ren Richtung Nachrichten über die Vorgünge in Attika nicht weniger schnell

auf die Kykladeninsel gelangt sein.?? Fällt aber damit die zwingende

Beweiskraft der von Andrewes

geltend

gemachten Aussage bei Thuk. 8,86,3, so kann auch die darauf gestützte Annahme von der Prioritát der Dekeleiagesandtschaft gegenüber der Samos-

gesandtschaft keinerlei Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Wir dürfen vielmehr die Angabe des Thukydides ernstnehmen, daß die letztgenannte Gesandtschaft gleich nach der Machtübernahme der Vierhundert abgesendet wurde, noch ehe die Paralos die Nachricht vom Fehlschlag des Oligarchenputsches auf Samos nach Athen gebracht hatte.'”” Was die zeitlichen Relationen zwischen den Ereignissen auf Samos und den oben referierten

Agis- und Spartagesandtschaften der Vierhundert betrifft, so haben wir von der bei Thuk.

8,90,1

gebotenen Angabe auszugehen, daß die Vierhundert,

130 Flach, Staatsstreich 28. ?! Den Maßstab für die Dauer dieses Delosauftenhaltes bieten uns die sich währenddessen auf Samos und auf dem kleinasiatischen Festland vollziehenden Ereignisse, die insgesamt

eine beträchtliche Zeitspanne in Anspruch genommen haben müssen: Die Flottenoperationen der Áthener und Peloponnesier (Thuk. 8,78), die Verhandlungen auf Samos über Alkibiades' Rückkehr, seine Rückführung durch Thrasybulos, seine Installation als Stratege und seine Fahrt zu Tissaphernes (Thuk. 8,81,1-82,3.85,4; s. dazu u., S. 251-259).

7 In diesem Sinne jetzt auch Rood, Thucydides 273 Anm. 67. 133 Zugunsten dieser Datierung spricht auch eine weitere Überlegung, die auf der zeitlichen Relation zwischen dieser Gesandtschaft und den Reisen des Chaireas zwischen Samos und Athen beruht: Von dem Augenblick an, in dem die Paralos mit der Nachricht von dem fehlgeschlagenen samischen Oligarchenputsch in Athen eintraf, muß den Vierhundert klar geworden sein, daß bei der Flotte eine für ihre Pläne bedrohliche Entwicklung im Gange war, der sie auf das schnellste entgegenzuwirken hatten. Ihr Vorgehen gegenüber der Besatzung der Paralos zeigt, daß sie dies auch tatsächlich sogleich erkannt haben. Wäre nun

die Zehnergesandtschaft erst nach diesem Zeitpunkt entsendet worden, so stünde zu erwarten, daß sich die Gesandten auf ihrer Fahrt größter Eile befleißigt hätten. In diesem Fall wäre es unerklärlich, daß der auf eigene Faust und unter irregulären Umständen reisende Chaireas nach Samos gelangen konnte, ehe die athenischen Gesandten noch über Delos hinaus waren. Die zeitlichen Relationen zwischen diesen Ereignissen lassen sich am besten erklären,

wenn die Abreise der Gesandten auf einen Zeitpunkt fällt, zu dem die Oligarchen in Athen noch glauben konnten, daß sich die Dinge auf Samos in dem von ihnen gewünschten Sinne entwickeln würden, in diesem Falle war keine besondere Eile erforderlich und die Gesand-

ten konnten neben ihrem eigentlichen Auftrag noch Missionen in den an ihrem Wege liegenden Poleis übernehmen.

- 244 -

„sogleich nach ihrer Installation und dann wieder, nachdem sich die in Samos von ihnen ab- und der Demokratie zugewendet hatten, Gesandte nach Lake-

daimon geschickt und eine Übereinkunft angestrebt‘ hätten (ἐπεὶ τάχιστα κατέστησαν καὶ ἐπειδὴ τὰ ἐν τῇ Σάμῳ σφῶν ἐς δημοκρατίαν ἀπέστη, πρέσβεις τε ἀπέστελλον σφῶν ἐς τὴν Λακεδαίμονα καὶ τὴν ὁμολογίαν

προυθυμοῦντο). Thukydides unterscheidet hier also zwei verschiedene!” Initiativen der Vierhundert, von denen er die eine unmittelbar nach ihrer Machtübernahme, die andere nach dem Bruch zwischen den Vierhundert und dem Heer ansetzt. Thukydides spricht dabei von Gesandtschaften „nach Lakedaimon“, was inso-

fern problematisch erscheint als er in 8,71,3 die erste Spartagesandtschaft der

Vierhundert nicht sogleich nach deren Machtergreifung, sondern erst nach ihrer zweiten Kontaktaufnahme mit Agis abgehen läßt." Angesichts dieses Widerspruches stehen wir vor der Wahl, von den in 8,90,1 über die Friedensgesandtschaften der Vierhundert gebotenen Informationen entweder die Zeitangabe ἐπεὶ τάχιστα κατέστησαν oder die Angabe des Bestimmungsortes ἐς τὴν Λακεδαίμονα in Zweifel zu ziehen.

Die Standardkommentare zum Geschichtswerk des Thukydides geben der erstgenannten Lösung den Vorzug und sehen demgemäß keine Schwierigkeit darin, die erste der beiden Thuk. 8,90,1 erwähnten Spartagesandtschaften mit der Thuk. 8,71,3 erwähnten gleichzusetzen; nach dieser Mission, über deren

Verlauf und Ergebnis Thukydides nichts näheres berichte, sei eine weitere Gesandtschaft der Vierhundert nach Sparta (= die in 8,90,1 ἐπειδὴ τὰ ἐν τῇ

Σἀμῳ σφῶν ἐς δημοκρατίαν ἀπέστη datierte) abgegangen, die jedoch ihr Ziel gar nicht erreichte, sondern auf dem Weg durch eine Meuterei ihrer Schiffsbesatzung ein unerwartetes Ende fand (Thuk. 8,86,9, s. dazu u., S. 245-

247). Zieht man demgegenüber die Möglichkeit in Betracht, daß sich Thukydides bei seiner Angabe ἐς τὴν Λακεδαίμονα in 8,90,1 eines ungenauen Ausdruk-

kes bediente und mit dieser Angabe die Friedensinitiativen der Vierhundert in ihrer Gesamtheit

bezeichnen

wollte,

so kónnten

wir die beiden

in 8,90,1

genannten Missionen mit den beiden an Kónig Agis in Dekeleia gerichteten Friedensbotschaften"" gleichsetzen, deren zweite ja dann tatsächlich zur Entsendung einer Gesandtschaft „nach Lakedaimon" geführt hat. Mit dieser 134 Für das hier zugrunde gelegte Verständnis von ἐπεὶ τάχιστα κατέστησαν xal ἐπειδὴ

τὰ tv τῇ Σάμῳ σφῶν ἐς δημοκρατίαν ἀπέστη s. Steup bei Classen/Steup, Thukydides 224 und Andrewes, HCT V 302.

5 s, bes. Thuk. 8,71,3 .... κἀκείνου [sc. "

ἄλλ,

παραινοῦντος ἐκπέμπουσι καὶ ἐς τὴν Λακεδαίμονα περὶ ξυμβάσεως πρέσβεις. ... So Steup bei Classen/Steup, Thukydides 212 und 224; akzeptiert von Andrewes, HCT V 289, ebenso Van der Ploeg, Theramenes 78f., Anm. 201.

2? Thuk. 8,70,2 und 71,3; s. dazu o., S. 241f.

- 245 -

Gleichsetzung gewänne man jedenfalls die Möglichkeit, die Chronologie der Berichte von Thuk 8,70,2-71,3 und 8,90,1 zwanglos miteinander in Einklang

zu bringen. 55

Den Ansatzpunkt zur Entscheidung zwischen den beiden Alternativen liefert uns eine weitere Thukydidesstelle, in der von einer nach Sparta bestimmten Gesandtschaft des Laispodias, Aristophon und Melesias die Rede ist, die sich

auf jenem Truppentransporter einschiffte, dem die mit Chaireas nach Athen

gekommene Mannschaft der Paralos als Besatzung zugeteilt worden war.'”

Diese überzeugten Demokraten hátten aber, so Thukydides, wáhrend der Fahrt an der argivischen Küste gemeutert, die Gesandten gefangengenommen und das Schiff in einen unter der Kontrolle des demokratisch verfaßten Argos

stehenden Hafen geführt. ^?

Thukydides gibt in seinem Bericht keine genaue Zeitbestimmung für diese Episode und auch keinen Hinweis, ob er diese μετὰ τῶν Παράλων eingeschiffte Gesandtschaft für identisch mit einer der 8,71,3 oder 8,90,1 erwähnten Missionen hàlt. Wir kónnen jedoch dem Bericht selbst zwei Indizien ent-

nehmen, die uns für den Ansatz dieser Episode einen frühen Zeitpunkt nahelegen.

Das erste Indiz liegt in der seitens der Forschung bereits des ófteren als ver-

wunderlich vermerkten'*' Tatsache, daß die Vierhundert ihre Emissäre ausgerechnet den ehemaligen Besatzungsmitgliedern der Paralos anvertraut haben.

Zwar mußten diese hoch trainierten Elite-Seeleute unter sachlichen Gesichtspunkten eine treffliche Wahl für diese Aufgabe darstellen, vom politischen Standpunkt aus betrachtet hätte jedoch der allbekannte demokratische Eifer der Paralier'** der oligarchischen Regierung Warnung genug sein müssen. Angesichts dieser Umstände muß der Einsatz der Paralier auf einer Mission,

die für überzeugte Demokraten mit dem Ruch des Landesverrates behaftet war, in jedem Falle als eine riskante Entscheidung gelten, sie ist jedoch eher

verständlich, wenn sie in eine Zeit gehört, als man in Athen den Bruch mit 138 Es ist hier natürlich auch die Möglichkeit zu erwägen, daß schon für die erste, in Thuk. 8,70,3 erwähnte Gesandtschaft nach Dekeleia eine Weiterreise nach Sparta vorgesehen war, in welchem Falle das thukydideische ἐς τὴν Λακεδαίμονα als Angabe des eigentlichen Bestimmungsortes zu verstehen wáre. Wie wir aus dem Andron-Dekret erfahren, hat

noch die zeitlich letzte der von den Vierhundert entsandten Friedensmissionen ihren Weg nach Sparta über Dekeleia genommen ([Plut.] vit. dec. or. = mor. 833 ef).

15? Thuk. 8,74,2, dazu o., S. 217f.

14 Thuk. 8,86,9. ^4! 7. B. Busolt, GG III 2 1500; Andrewes, HCT V 289; besonders Heitsch, Antiphon 117f.

m. Anm. 311, der sogar die Möglichkeit in Erwägung zieht, daß der Bericht des Thukydıdes insofern irrig sein könnte, als „die verhaftete Gesandtschaft gar nicht mit der ehemali-

gen Besatzung der Paralos gefahren war, sondern von ihr unterwegs gekapert wurde". *: Für den sprichwórtlichen demokratischen Eifer der Paralier s. neben Thuk. 8,73,5 das (allerdings wohl erst dem 4. Jh. angehörige) Bonmot des Peitholaos bei Aristot. rhet. 1411a 13f.

- 246 dem Heer noch nicht für endgültig halten mußte, d. h. in die Zeit zwischen

dem Eintreffen des Chaireas und der Paralier in Athen und dem Bekanntwerden der endgültigen Demokratisierung des samischen Heeres. Während dieses Zeitraumes werden sich die Vierhundert wohl schon darüber im klaren gewesen sein, daß sich die Dinge auf Samos nicht in ihrem Sinne entwickelten, sie

konnten sich aber, solange ihnen das Heer nicht definitiv die Treue kündigte,

immer noch als die legitime Regierung aller Athener fühlen und auf die Über-

redungskünste ihrer Zehnergesandtschaft hoffen.'*” Bei diesem Stand der Dinge mußte es ihnen vor allem darauf ankommen, den freien Nachrichtenfluß zwischen Athen und Samos zu unterbinden. Diesem Zweck dürfte, wie bereits vermutet (o., S. 218), der Einsatz der Paralier auf dem Wachschiff vor

Eubóa gedient haben; ihre Verwendung auf der Lakedaimon-Mission, die diese potentiell gefährlichen Zeugen der samischen Vorgänge noch weiter aus dem Bereich Athens entfernte, hat, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet,

durchaus eine gewisse Logik für sich. Die offensichtliche Erwartung der Vierhundert, daß die Paralier den von einem oligarchischen Regime gegebenen Auftrag ausführen würden, erwies sich als trügerisch, läßt sich jedoch im Kontext einer Situation, in der die Vierhun-

dert wie auch die Paralier selbst über die weitere Entwicklung der Dinge auf Samos noch im unklaren waren, einigermaßen nachvollziehen; wollte man die

Entsendung der Lakedaimon-Gesandtschaft hingegen auf einen Zeitpunkt setzen, zu dem die definitive Absage der Samos-Streitkräfte an das Regime in Athen bereits bekannt war, müßte die Verwendung der Paralier als ein Akt

geradezu unverständlich blinder Leichtfertigkeit erscheinen.

Wird uns schon von dieser Überlegung her eine Datierung der Lakedaimon-

Gesandtschaft in die Zeit vor dem Bekanntwerden der Demokratisierung des Heeres auf Samos nahegelegt, so deutet auch das Verhalten der meuternden Paralier selbst in die gleiche Richtung: Wäre ihnen zur Zeit ihrer Fahrt schon bekannt gewesen,

daß sich ihre Kameraden

auf Samos

definitiv von der

Mutterstadt losgesagt hatten, so hätte es für sie naheliegen müssen, sich nach dem Erfolg ihrer Meuterei sogleich nach Samos zu begeben, anstatt bei den Argivern Zuflucht zu suchen, deren Unterstützung sie sich wohl nicht von

vornherein sicher sein konnten und deren Zuverlässigkeit in den Augen athe-

nischer Demokraten nicht über jeden Zweifel erhaben gewesen sein dürfte.'*

!? Wenn das Vorgehen der Vierhundert gegen die Besatzungsmitglieder der Paralos, wie oben (S. 218) vermutet, als ein Versuch zur Unterbindung des Informationsflusses zwischen Athen und Samos zu verstehen ist, so läge eben darin ein Indiz dafür, daß die Vier-

hundert in diesem Stadium noch hofften, die Truppen auf Samos für ihre Sache zu gewinnen.

14 Vgl. die o., S. 245 Anm. 141 referierte Hypothese von Heitsch. I! Man bedenke in diesem Zusammenhang die auf argivischer Seite im Anschluß an die Schlacht von Milet im Herbst 412 auftretenden Ressentiments, die zum Abzug der argivi-

- 247 -

Auch die Furcht vor der peloponnesischen oder athenisch-oligarchischen Seemacht, die man allenfalls als Motiv für diese Entscheidung der Paralier geltend machen kónnte, vermag nicht zu überzeugen, da sie spáterhin mit

ihrem Schiff von Argos nach Samos gefahren sind.ὦ Wir haben daher vom sachlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, gute Gründe,

die Gesandtschaft des Laispodias, Aristophon und Melesias in die Zeitspanne zwischen der Ankunft der Paralier in Athen und dem Bekanntwerden Thuk. 8,75,2-77 berichteten samischen Vorgänge zu datieren.

der

Angesichts dieser Überlegung können wir bei der Rekonstruktion der Friedensinitiativen der Vierhundert von den oben (S. 244f.) skizzierten Alternativen der zweitgenannten den Vorzug geben und in der ersten der Thuk. 8,90,1 erwähnten Gesandtschaften ἐς τὴν Λακεδαίμονα die erste der nach Dekeleia an Agis entsandten Missionen erkennen, für die wir die von dem Historiker

gegebene Datierung „gleich nach der Machtübernahme [der Vierhundert]“ akzeptieren können. Als dann einerseits der Vorstoß des Agis gegen Athen gescheitert war, sich auf der anderen Seite der Bruch zwischen dem oligarchi-

schen Regime in Athen und den demokratisch gesinnten Streitkräften auf Samos abzuzeichnen begann," kam es zu einer zweiten Friedensinitiative der

Vierhundert bei Agis, die zur Entsendung jener nach Sparta bestimmten Mission führte, deren vorzeitiges Ende durch die Meuterei der Paralier Thukydi-

des in 8,86,9 erwähnt.'* Ob die Gesandten dann, wie Ferguson für möglich hält, ihr Ziel Sparta doch noch erreicht haben, muß offen bleiben. Fest steht

jedenfalls, daß alle diese Friedensbemühungen der Vierhundert zu keinem Ergebnis führten.

Bei der politischen Bewertung dieser Vorgänge ist vor allem die aus unseren chronologischen Überlegungen gewonnene Erkenntnis aufschlußreich, daß schen Hilfstruppen aus dem Athenerheer führten (Thuk. 8,27,6). Die Annahme liegt nahe, daß nach jener Episode die Zuverlässigkeit der Argiver in den Reihen der athenischen Ionienstreitkráfte nicht mehr als über jeden Zweifel erhaben gegolten hat. Jedenfalls haben die athenischen Demokraten auf Samos im Sommer 411 auf ein argivisches Hilfsangebot recht zurückhaltend reagiert, s. Thuk. 8,86,8, dazu Andrewes, HCT V 67 und 288).

14 Thuk. 8,86,8f. 14 Trifft die im Text gegebene Datierung der Laispodias/Aristophon/Melesias-Gesandt-

schaft zu, so können wir das ἐπειδὴ τὰ ἐν τῇ Σάμῳ σφῶν ἐς δημοκρατίαν ἀπέστη von

Thuk. 8,90,1 nicht in dem Sinne verstehen, als sei diese Gesandtschaft erst nach dem Bekanntwerden der Thuk. 8,75,2-77 berichteten Vorgünge entsandt worden. Wir werden vielmehr annehmen, daß Thukydides bei der oben zitierten Zeitbestimmung die Vorgänge auf Samos von der Abwehr des Oligarchenputsches an bis zur endgültigen Demokratisierung in ihrer Gesamtheit im Auge hatte, einen Ereigniskomplex, dessen frühere Stadien ja tatsáchlich noch vor die Entsendung der Laispodias-Gesandtschaft zu datieren sind.

14 Für die Identifizierung der in Thuk. 8,71,3 genannten Gesandten mit den nach Thuk.

8,86,9 von den Paraliern entführten Emissären s. jetzt auch Welwei, Athen 224. !? Ferguson, Oligarchical Movement 335f., der ebenfalls annimmt, daB die auf der Paralos reisende Gesandtschaft die erste von den Vierhundert nach Sparta entsandte war.

- 248 -

die Vierhundert nicht erst nach der Gegenrevolution in Samos, sondern tat-

sächlich bereits unmittelbar nach ihrem Amtsantritt eine Verständigung mit Sparta in die Wege zu leiten versucht haben, und daß sie trotz der schroffen

Zurückweisung dieses ersten Versuches die nächstbeste Gelegenheit zur Wiederaufnahme ihrer Friedensinitiativen ergriffen haben - immer noch vor der Kenntnisnahme des endgültigen Abfalles der samischen Streitkräfte von der Mutterstadt.

Es kann also nicht erst die Nachricht von der Entwicklung der Verhältnisse auf Samos

gewesen sein, was die Vierhundert dazu brachte, sich mit einer

Friedensbotschaft an den Landesfeind zu wenden. Wir müssen vielmehr annehmen, daß die innerhalb der Vierhundert dominierenden Kräfte nunmehr

den Friedensschluß mit Sparta aus prinzipiellen Gründen anstrebten, und daß

in ihren Augen diese Lósung allen eventuellen Móglichkeiten zur Fortführung des Krieges gegenüber den Vorzug verdiente. Es scheint verlockend, diesen Gesinnungswandel neben den in Athens Oligarchenkreisen traditionellen prospartanischen Sympathien vor allem auch dem Einfluf) des Phrynichos zu-

zuschreiben, der ja bereits während der ersten Anfänge der Verschwörung die Hoffnungen seiner Mitverschwórer auf eine siegreiche Kriegsbeendigung als illusionär entlarvt und damit eine Position vertreten hatte, die letztlich auf ei-

nen Verzichtfrieden hinauslaufen mußte.'” In der Tat finden wir gerade Phrynichos in der späteren Phase der Vierhundert als Führer einer erneuten Friedensgesandtschaft nach Sparta. Es wäre interessant zu wissen, welchen politischen Positionen wir die drei Gesandten Laispodias, Aristophon und Melesias zuzuordnen haben. Der von den Paraliern für die Festnahme der drei Männer angeführte Grund, sie seien „nicht zum wenigsten am

als subjektive Meinung

Sturz der Volksmacht beteiligt gewesen"?!

muß

dieser radikaldemokratisch gesinnten Seeleute mit

Skepsis betrachtet werden,'” und auch die spärlichen biographischen Quellenzeugnisse bieten keinen festen Anhaltspunkt: Von Laispodias wissen wir, daB er während seiner Strategie 414 an provokativen Aggressionsakten in der Peloponnes teilhatte, die den Spartanern Grund zur Eröffnung des Krieges ge-

gen Athen gaben,'”” aber das schließt nicht aus, daß er unter den gewandelten Umständen von 411 aus ehrlicher Überzeugung für den Friedensschluß eintrat;^^ sein Mitgesandter Aristophon ließe sich politisch auch dann nicht einordnen, wenn er, wie man vermutet hat, mit dem gleichnamigen Staatsmann

des 4. Jh. identisch sein sollte, da wir nicht a priori eine Konsequenz der po-

50 Thuk. 8,48,4-7; s. dazu o., S. 48f. 51 Thuk. 8,86,9 ... ὡς τῶν οὐχ ἥκιστα καταλυσάντων τὸν δῆμον ὄντας.

152 So zu Recht Avery, Studies 90.205f.215. 13 Thuk. 6,105,2, dazu Kagan, Peace 269. 154 Zu Laispodias’ Karriere s. Kahrstedt, Laispodias und Avery, Studies 199-206, der es

(ebd. 205f.) für möglich hält, ihn dem gemäßigten Flügel der Vierhundert zuzurechnen.

- 249 -

litischen Anschauungen unterstellen kónnen;'55 Melesias schließlich scheint eher seiner propagandistischen Verwertbarkeit als Sohn des großen Periklesgegners Thukydides Melesiou als seiner eigenen Fähigkeiten und Verdienste wegen von den Vierhundert in ihre Kreise einbezogen worden zu sein." Thukydides nennt als Teilhaber der von Phrynichos vertretenen Position von den Führern der Vierhundert nicht nur den später ebenfalls als Spartagesandten auftretenden Rhetor Antiphon und den als radikalen Oligarchen gekennzeichneten

Strategen Aristarchos,

sondern

überraschenderweise

auch

Phry-

nichos’ einstigen Haupt-Opponenten Peisandros.'”’ Der Sinneswandel gerade dieses Mannes, der seinerzeit die Verbindung von Verfassungsumsturz und

Kriegstreiberei gewissermaßen in seiner Person verkörpert hatte,'”® kann als Indiz für einen Meinungsumschwung innerhalb der oligarchischen Kreise gewertet werden: Die Bereitschaft zu einem Frieden mit Sparta - der nach Lage der Dinge nur ein Verzichtfrieden sein konnte - wog nun stärker als alle Hoffnungen auf einen militärischen Sieg. Soweit es die Extremisten unter den Vierhundert betraf, die nach Thukydides’ Ansicht alle Friedensbedingungen in Kauf zu nehmen bereit waren, wenn sie dabei nur ihre Machtposition in Athen bewahren konnten,'” erscheint diese

Haltung durchaus logisch und konsequent, eher mag es überraschen, daß anscheinend auch die gemäßigten Kräfte innerhalb des Regimes, denen die Verfassungsänderung ein Mittel zur effektiveren Kriegführung bedeutete und die späterhin eben diese Friedenspolitik zum Anlaß für den Bruch mit den Radikalen genommen haben, die anfänglichen Friedensinitiativen mitgetra-

gen haben. Wenn wir uns nicht Thukydides’ Behauptung, daß die Wendung dieser Gemäßigten hin zu einer oppositionellen Haltung lediglich durch deren persönlichen Ehrgeiz motiviert gewesen sei,'°' zu eigen machen wollen, so 5! Für diese Identifizierung des thukydideischen Aristophon (PA 2102) mit dem von 403 bis in die frühen 330er Jahre bezeugten Staatsmann Aristophon Azenieus (PA 2108) s. besonders Avery, Studies 90-94 (dort auch die ältere Literatur). M. E. muß diese Identifi-

zierung als fraglich gelten, da Arıstophon Azenieus ım Jahre 411 kaum älter als fünfundzwanzig Jahre gewesen sein kann (s. Davies, APF 65). Im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der Reformbewegung von 411 ófters auftauchende Tendenz, wichtige Funktionen bejahrteren Männern vorzubehalten (s. Ath. Pol. 29,2.5; 30,2; 31,2; vgl. die Probuloi in Thuk 8,1,3 [zit. o., S. 7]), wird man die Betrauung eines so jungen Mannes mit einer wich-

tigen diplomatischen Mission seitens der Vierhundert nicht für wahrscheinlich halten.

15? So die im Hinblick auf Melesias’ Charakterisierung als ἀπράγμων bei Platon (Lach.

179c; Men. 94cd) plausible Vermutung von Avery, Studies 216; s. jedoch Fouchard, Aristocratie et Démocratie 282f. über die Verbindung von ἀπραγμοσύνῃ und oligarchischer Gesinnung.

57 Thuk. 8,90,1.

158 5 ο., S. 61-63.

5? Thuk. 8,90,3. 169 «. u., S. 259-265. 16! Thuk. 8,89,3, dazu u., S. 262f.

- 250 -

wird man die Erklärung wohl im Bereich der anfänglich ins Auge gefaßten Friedensbedingungen zu suchen haben: Eine Friedensinitiative, die auf einen für Athen ehrenvollen KompromiDfrieden unter Bewahrung der noch unter athenischer Kontrolle stehenden Teile des Seereiches abzielte, konnte auch

von der 'patriotischen' Fraktion der Vierhundert mitgetragen werden.!*? Nach dem Bericht des Thukydides ist der Wunsch nach Bewahrung des Seereiches ursprünglich auch für die Friedensvorstellungen der Radikalen bestimmend gewesen; erst im spáteren Verlauf der Ereignisse seien sie dann be-

reit gewesen, mehr und mehr von diesen Bedingungen abzurücken.'® Die ersten Friedensinitiativen der Vierhundert werden demnach auf einen Kompromißfrieden im oben skizzierten Sinne abgezielt haben, was einerseits die

ablehnende Reaktion des Agis, andererseits die Zustimmung der Gemäßigten verständlich macht. Erst als sich im Laufe der Verhandlungen herauskristallisierte, daß ein Frieden mit Sparta nur um höheren Preis zu erlangen war, wa-

ren die Weichen für einen Bruch zwischen den harten Oligarchen und jenen *Patrioten' gestellt, die den Frieden nicht mit der Aufgabe der Machtstellung oder gar der Unabhängigkeit ihrer Polis erkaufen wollten. Erstere konnten sich, wie in der erwähnten Thukydidesstelle angedeutet, im Falle eines Unterwerfungsfriedens mit der Hoffnung auf eine Zementierung

ihrer Herrschaft innerhalb der Polis über die zu erwartenden harten Bedingungen hinwegtrósten; die letzteren durften, wie sich bereits in der einmütigen

Abwehr von Agis’ Vorstoß gezeigt hatte,'° innerhalb der Hopliten-, teils wohl auch der Ritterschicht auf Unterstützung hoffen, doch kónnen sich die Einsichtigeren unter ihnen kaum der Einsicht verschlossen haben, daß die Fortsetzung des Krieges von Attika aus ohne äußeren Rückhalt auf die Dauer zum Scheitern verurteilt wäre. Die Aussicht auf einen solchen Rückhalt schien sich indes zu bieten, als die

Entwicklung im Heerlager auf Samos eine Wendung nahm, die eine Versóhnung zwischen der Mutterstadt und den demokratischen Sezessionisten wieder

in den Bereich des Möglichen rücken ließ: Den Anstoß zu dieser Wendung der Dinge gab das Erscheinen des Alkibiades im Athenerlager auf Samos. 1€ Vgl. Rood, Thukydides 276f., der in diesem Zusammenhang zu Recht die Einmütigkeit der Athener in der Abwehr von Agis' Attacke hervorhebt. Pesely, Theramenes 127 vermutet, daB die ersten Friedensinitiativen der Vierhundert auf die alleinige Initiative der Radikalen zurückgegangen seien, während der gemäßigte Flügel eine „wait and see"-Haltung eingenommen habe. Das ist im Hinblick auf die grundsätzliche Einstellung beider Gruppen nicht auszuschließen, aber auf der anderen Seite ist es doch schwer vorstellbar, daß die

Gemäßigten, wenn sie der Möglichkeit eines Friedensschlusses nicht ganz und gar ablehnend gegenüberstanden, darauf verzichtet haben sollen, sich an einer Friedensgesandtschaft zu beteiligen, von deren Ergebnissen aller Wahrscheinlichkeit nach das zukünftige Schicksal Athens abhängen würde.

16 Thuk. 8,91,3; vgl. Ath. Pol. 32,3.

! s. o., S. 241f.

- 251-

Das Auftreten des Alkibiades auf Samos Im athenischen Heerlager auf Samos hatte sich nach dem demokratischen Umschwung von den neueingesetzten demokratischen Führern vor allem Thrasybulos mit Eifer für eine Rückführung des Alkibiades eingesetzt; es gelang ihm, die Masse der Soldaten von der Notwendigkeit dieses Schrittes zu überzeugen und in der Versammlung einen Beschluß zu erwirken, der dem Alkibiades Heimkehr und Straflosigkeit zugestand. Daraufhin begab er sich

persónlich zu Alkibiades, der sich immer noch beim Satrapen Tissaphernes aufhielt, und führte ihn nach Samos zurück. Dort wurde daraufhin eine Ekklesie abgehalten, in der Alkibiades die Masse

durch weitreichende Versprechungen hinsichtlich der von Tissaphernes zu erwartenden Hilfe in Hochstimmung brachte und dafür zum Strategen neben den bereits amtierenden gewählt wurde.' In dieser Funktion trat er den unter den Truppen aufkeimenden Wünschen nach einer direkten Aktion gegen die Oligarchen in Athen mit Entschiedenheit entgegen: er wolle gegen die Pelo-

ponnesier Krieg führen. Gleich darauf begab er sich an den Hof des Tissaphernes, um einerseits den athenischen Truppen eine Demonstration seines Einflusses bei dem Satrapen zu bieten, andererseits dem Perser gegenüber das

Gewicht seiner neuen Amtsstellung zur Geltung zu bringen. Diese Reise des Alkibiades scheint sich nicht allzu lange hingezogen zu haben, denn er befand sich bereits wieder'66 auf Samos, als dort aus Athen jene Emissáre eintrafen, 165 Thuk. 8,81,2-82,1; daß man Thukydides' Phrase τὰ πράγματα πάντα ἀνετίθεσαν in

82,1 nicht als Beleg für die Übertragung besonderer Vollmachten an Alkibiades nehmen kann, zeigt die Diskussion der Phrase bei Hamel, Generals 93 m. Anm. 23.

16 Dem im Text gegebenen Referat des thukydideischen Berichtes ist die Annahme

zugrunde gelegt, daß es sich bei den in Thuk. 8,81,2-82,2 und 86,1-8 geschilderten Ekkle-

sien um zwei verschiedene Vorgänge gehandelt hat, die durch die Fahrt des Alkibiades zu Tissaphernes voneinander getrennt sind. Die alternative Auffassung von Holzapfel, Doppelte Relationen 462-464, demzufolge es sich bei der zweiten der zitierten Thukydidesstellen um eine Dublette des bereits in der ersten berichteten Vorganges handle, stützt sich vor allem auf die Tatsache, daß Thuk. im Anschluß an den Bericht von Alkibiades’ Auftreten in 8,86,4 vermerkt, Alkibiades habe sich durch seine Verhinderung des Kriegszuges gegen den Piräus „damals zuerst" (πρῶτον τότε) Verdienste um Athen erworben, während be-

reits 8,82,2 von einem diesbezüglichen Auftreten des Alkibiades die Rede gewesen war. Die beiden Stellen seien demnach als zwei unabhängige Berichte zu werten, „von denen

der eine jenen Antrag mit der Wahl des Alkibiades zum Feldherrn, der andere dagegen mit dem Erscheinen der von den Vierhundert abgeordneten Gesandtschaft in Verbindung brachte.“ Thukydides habe beide Berichte in der Absicht notiert, einen davon in die endgültige Fassung seines Werkes aufzunehmen, den anderen zu streichen, sei jedoch nicht mehr dazu gekommen, dies in die Tat umzusetzen (akzeptiert von Lintott, Violence 181, Anm. 25). Dem hat bereits Steup bei Classen/Steup, Thukydides 296f. zu Recht entgegengehalten, daß Thukydides die in 8,82,1f. und 8,86,4 berichteten Wünsche der Soldaten nach einem

Angriff auf den Piräus sehr gut als Teil einer einzigen Bewegung aufgefaßt und demgemäß sein Urteil über das Verhalten des Alkibiades an den Bericht über den Höhepunkt und Ab-

- 252 -

die seinerzeit!" von den Vierhundert entsandt worden waren, um die Truppen für die Sache des Umsturzes zu gewinnen. Die Gesandten, die bei den erbitterten Soldaten nur mit Mühe Gehör fanden, versuchten, sich ihres heiklen Auftrages zu entledigen, soweit es unter den

Umständen möglich war: Sie traten dem auf Chaireas’ seinerzeitigen Bericht zurückgehenden Schreckensbild der in Athen herrschenden Zustände entgegen, begründeten die Verfassungsänderung mit der zwingenden Notwendigkeit der ocornpía und erklärten, es seien nicht vierhundert, sondern fünftau-

send Männer an der Staatslenkung beteiligt, wobei sie für die Zukunft eine

Art Rotationsprinzip innerhalb der politischen Führung in Aussicht stellten.'®

Diese apologetischen Bemühungen der Gesandten fanden bei den Versammel-

ten keine Zustimmung. Der Unwille der Truppen entbrannte in lautstarkem Widerspruch und Tumult; in der erregten Stimmung wurde der Wunsch nach einem Feldzug gegen die oligarchische Mutterstadt von neuem unüberhörbar. Es war, so Thukydides, in dieser brisanten Situation das alleinige Verdienst des Alkibiades,"? die Truppen von diesem fatalen Fehler abgehalten zu

haben. Nachdem er die erhitzten Gemüter der Soldaten beruhigt hatte, gab er den Gesandten die Antwort, die Regierung der Fünftausend kónne er grundsätzlich billigen, die Vierhundert jedoch sollten sie absetzen und wie früher

eine Bule aus fünfhundert Mitgliedern bestellen; daB sie sich größerer Sparsamkeit

befleiBigten,

um

die

Soldaten

besser

versorgen

zu

können,

sei

lobenswert. Im übrigen forderte Alkibiades die Leute in der Stadt auf, auszuhalten

und

den

Feinden

nicht

nachzugeben;

wenn

nur

die

würde, gebe es alle Hoffnung, daB eine Wiederversóhnung untereinander zustandekommen werde. ^?

Stadt bewahrt

der Athener

Von den durch diesen thukydideischen Bericht über Alkibiades' Anschluß an die athenischen Demokraten aufgeworfenen Fragen und Problemen sind in schluf dieser Bewegung in 86,4f. angefügt haben kónne (akzeptiert von Andrewes, HCT V 287 und Rood, Thukydides 282); vgl. zu alledem Meyer, Forschungen II 410, Anm.

1;

Kriegel, Staatstreich 29; Kunle, Untersuchungen 39f., die mit teilweise abweichender Argumentation gegen Holzapfel Stellung beziehen, sowie Erbse, Thukydides-Interpretationen 19f.

167 Thuk. 8,72,1, dazu s. o., S. 174f. und 242f. i6 Zur Problematik der Deutung von τῶν δὲ πεντακισχιλίων ὅτι πάντες ἐν τῷ μέρει

μεθέξουσιν in Thuk. 8,86,3 s. o., S. 1841.

$9 Thuk. 8,86,4 kal δοκεῖ ᾿Αλκιβιάδης πρῶτον τότε kal οὐδενὸς ἔλασσον τὴν πόλιν ὠφελῆσαι. Neuerdings vertritt Ptaszek, Thukydides passim die Auffassung, daß in der fraglichen Sentenz in Thuk. 8,86,4 der von den Hss. gebotenen Lesart ἐδόκει gegenüber der Classen'schen Konjektur δόκει der Vorzug zu geben sei. Die Phrase wäre dann nicht als Urteil des Thukydides, sondern als Wiedergabe der Meinung der auf Samos befindlichen Athener zu verstehen. Letzteres kann jedoch m. E. im Hinblick auf die Tatsache, daß wir in den folgenden Sentenzen zweifellos das eigene Urteil des Historikers wiedergegeben finden, nicht als sicher oder auch nur als wahrscheinlich gewertet werden.

"Ὁ Thuk. 8,81,1-82,3.86,1-7.

- 253 -

unserem Zusammenhang vor allem die innenpolitischen Aspekte relevant. Hier stellt sich zunächst die Frage nach den Motiven, die einerseits den Alki-

biades, andererseits die Demokratenführer um Thrasybulos zu diesem Schritt bewogen haben. Soweit es die Motive des Alkibiades betrifft, ist die Frage mit großer Wahr-

scheinlichkeit zu beantworten: für ihn gab es angesichts der Entwicklung der Dinge in Athen und auf Samos keine Alternative zu einem Zusammengehen mit der demokratischen Strömung im Heer. Nachdem das Scheitern der Tissaphernes-Verhandlungen zum Bruch zwi-

schen ihm und seinen früheren Kontaktmännern unter den ξυνωμόται geführt, nachdem die oligarchische Bewegung entschiedene Alkibiadesgegner wie Phrynichos in ihre Führungsgremien aufgenommen, erst recht, nachdem sich das Athener Regime der Friedenspolitik verschrieben hatte, blieb ihm von seiten der neuen Herten in der Heimatstadt nicht mehr viel zu erhoffen. Die „gemäßigten“ Kreise innerhalb der Vierhundert scheinen, wie ihre Haltung in naher Zukunft zeigen sollte, dem Gedanken an Alkibiades’ Rückführung positiver gegenübergestanden zu haben, sie befanden sich aber zunächst gegenüber den Radikalen eindeutig ın der schwächeren Position; jedenfalls ist von ihnen keine Initiative zugunsten des großen Exulanten ausgegangen. Im Grunde hatten die Oligarchen Alkibiades stets als das betrachtet, was sie

selbst für ihn gewesen waren: ein nützliches Instrument zur Durchsetzung der jeweils eigenen politischen Pläne. Die beste Illustration für die Entwicklung der Dinge bietet Thukydides’ Notiz, Alkibiades habe gleich bei seinem ersten Auftritt vor der Versammlung der athenischen Truppen auf Samos unter anderem zu bewirken gehofft, „daß diejenigen, die zu Hause die Oligarchie auf-

rechterhielten, ihn noch mehr fürchten und die Vereinigungen (ξυνωμοσίαι) sich auflösen würden" (Thuk.

8,81,2 ... (va ol Te οἴκοι τὴν ὀλιγαρχίαν

ἔχοντες φοβοῖντο αὐτὸν kal μᾶλλον αἱ ξυνωμοσίαι διαλυθεῖεν) - eben diejenigen Gruppen also, von deren Einsatz sich Alkibiades im vergangenen

Winter 412/11 die Heimführung erhofft hatte und die noch im Frühjahr zu

ebendiesem Zwecke ihre Terrorkampagne geführt hatten," erschienen ihm

nunmehr als ein seiner Rückkehr entgegenstehendes und daher zu beseitigendes Hindernis.

Unter diesen Umständen muß es Alkibiades als einen Glücksfall angesehen haben, als sich ihm mit dem Bruch zwischen Athen und der Flotte eine neue

Chance zur Rückkehr in den athenischen Bürgerverband bot. Daß dies nunmehr eine óffentliche Stellungnahme für die Demokratie, für jenes System,

17 Thuk. 8,48,4; 8,54,4, 8,65,2, zur Identität der dort erwähnten Gruppen mit den ξυνωμοσίαι von Thuk. 8,81,2 s. Andrewes, HCT V 276; anders, aber wohl kaum zutref-

fend Sartori, Eterie 109, der die ἑταῖροι von 8,48,4 nicht auf organisierte oligarchische Hetairien, sondern auf die Freunde des Alkibiades beziehen möchte. Vgl. das o., S. 65-67 zu den ξυνωμοσίαι von Thuk. 8,54,4 Gesagte.

- 254 -

das er erst im vergangenen Winter als πονηρία verdammt hatte, bedeutete, wird

ihm

angesichts

des Mangels

erschienen sein. Ebenso

konnte

an Alternativen

als notwendiges

er die Gefahr, von neuem

Übel

zur Zielscheibe

radikaldemokratisch-demagogischer Agitation zu werden, in der gegebenen Situation als ein geringes Risiko betrachten: Solange sich die Demokraten durch Krieg und Bürgerzwist in Bedrüngnis befanden, durfte er darauf bauen, daB sich bei der Masse allenfalls vorhandene Vorbehalte gegen seine Person durch den Ruf seines Feldherrngenies und durch Perserkontakte kompensieren lassen würden.

den Verweis

auf seine

Die Überlegungen lassen Alkibiades' Entschluß, sich im Sommer 411 den Demokraten auf Samos anzuschlieBen, als nachvollziehbar erscheinen; ob man aber mit McGregor und anderen annehmen darf, Alkibiades habe von allem Anfang an nur in einem demokratisch verfaßten Gemeinwesen die

Chance zur Entfaltung seiner demagogischen Talente gesehen und daher insgeheim stets auf ein späteres Zusammengehen mit der demokratischen Seite

spekuliert,'”” muß mehr als fraglich bleiben. Gegen die Vorstellung, daß

Alkibiades in der demokratischen Masse sein natürliches politisches Wir-

kungsfeld gesehen habe, spricht jedenfalls sein Verhalten im Jahre 407,'” als er trotz spektakulärer Verdienste lange zögerte, den Boden der nunmehr wieder radikaldemokratisch geführten Heimatstadt zu betreten." Weniger leicht nachvollziehbar als die Absichten des Alkibiades sind die

Beweggründe, von denen sich die demokratischen Führer auf Samos, vor allem Thrasybulos, der hier zweifelsohne die treibende Kraft darstellte, bei ihren Bemühungen leiten ließen.

zur Heimholung

des

berühmt-berüchtigten

Exulanten

Thukydides gibt als Motiv für Thrasybulos’ Handeln die Überzeugung, „es sei ihre einzige Rettung, wenn [Alkibiades] den Tissaphernes von den Pelopon-

nesiern ab- und ihnen zuwende.'*5 Daß diese Hoffnung in der Tat nicht nur 17 McGregor, Genius 42 vgl. o. S. 44 Anm. 217. In eine ähnliche Richtung zielt Ellis mit

der Feststellung, des Alkibiades „natural constituency was among the sailors who favored democracy

and the war policy" (Ellis, Reasons

108; ders., Alcibiades

124 Anm.

13).

Gerade die Entwicklung der Jahre 411 und 410 zeigt jedoch, daß eine kriegsbejahende Stimmung weit über die Thetenklasse hinaus verbreitet war. Wenn daher Alkibiades im Interesse seiner eigenen Stellung die energische Fortsetzung des Krieges zum Angelpunkt seiner Politik machte (in dieser Hinsicht wird man Ellis wohl zustimmen können), so konnte er damit auch innerhalb der Hoplitenschicht bzw. innerhalb eines auf die Hopliten-

schaft gestützten Regimes Ansprechpartner finden. 1? Zur Chronologie s. Robertson, Sequence 287-290; für den alternativen Ansatz in das Jahr 408 s. Busolt, GG II 2, 1532, Anm. [= Anm.

1 v. S. 1529] sowie den Überblick bei

Krentz, Xenophon I 11-14.

! Xen. hell. 1,4,11f.18-21, dazu und zu den Widersprüchen zwischen Xenophon und den

Parallelberichten s. Kagan, Fall 287-289 sowie Krentz, Xenophon I 129f. US Thuk. 8,81,1 .. μόνην σωτηρίαν εἰ Τισσαφέρνην αὐτοῖς μεταστήσειεν Πελοποννησίων.

ἀπὸ

- 255 -

für Thrasybulos, sondern bei den athenischen Truppen in ihrer Gesamtheit eine große Rolle gespielt haben muß, zeigen einerseits die groBsprecherischen Verheißungen, mit denen Alkibiades nach seiner Ankunft auf Samos vor die Ekklesie trat, und die Anstrengungen, die er daraufhin unternahm, um vor den

Athenern

den Eindruck

seines überragenden

Einflusses auf Tissaphernes

aufrechtzuerhalten.!”* Wir hatten bereits Gelegenheit festzustellen, daß sich diese mit Alkibiades’ Rückführung verknüpften Hoffnungen auf ein Perserbündnis auch rational betrachtet durchaus nachvollziehen lassen. Man wird daher die Angabe des Thukydides insofern akzeptieren können, als

die Hoffnung auf eine von Alkibiades vermittelte Perserhilfe jedenfalls einen wesentlichen, wenn nicht den wesentlichen Grund für die Heimholung des

Alkibiades durch die demokratisch gesinnten Truppen auf Samos dargestellt hat. Es bleibt jedoch zu fragen, ob nicht über diese Perserhoffnungen hinaus noch ein weiteres, im persönlichen Profil des Alkibiades begründetes Element im Spiel gewesen ist, nämlich seine Eignung als Integrationsfigur für die in

zwei Lager zerfallene athenische Bürgerschaft. Im oben referierten Bericht des Thukydides wird deutlich hervorgehoben, daß Alkibiades gleich nach seiner Ankunft auf Samos den sich im demokratischen

Heerlager regenden Bestrebungen nach einem Angriff auf den Piräus entgegentrat und daß er späterhin eine auf Versöhnung gerichtete Botschaft nach Athen sandte.'”’ Es ist anzunehmen, daß die sich in diesen Aktionen manifestierende politische Linie nicht dem politischen Kalkül des Alkibiades allein entsprungen ist, sondern daß sie durchaus den Erwartungen derjenigen Demo-

kratenführer entsprochen hat, die ihm den Weg ins samische Athenerlager geebnet hatten, namentlich des Thrasybulos. Wir haben bereits im Zusammenhang der unmittelbar nach dem Bruch mit der Mutterstadt im Lager der Demokraten geführten Debatte Hinweise auf eine politische Strategie gefunden, die an die im Schlagwort der πάτριοι νόμοι umfaßten gemeinsamen Werte der Demokraten und Gemäßigten appellierte

und damit wohl auf eine Versöhnung mit den gemäßigten Kräften in der Heimat abzielte;'’”® wir haben weiters die Möglichkeit erwogen, diese auf einen Zusammenschluß aller nichtoligarchischen Kräfte ausgerichtete Strategie mit

der Person des Strategen Thrasybulos in Verbindung zu bringen.'”? Nun mußte es für alle politisch denkenden Zeitgenossen auf der Hand liegen,

daß sich Alkibiades besser zur Galionsfigur einer derartigen Politik eignete als irgendeiner der Demokratenführer auf Samos. Alkibiades hatte sich während

der Zeit seiner politischen Aktivität in Athen zwar durch seine persönlichen

176 Nämlich die in Thuk. 8,82,2f. beschriebene Fahrt zu Tissaphernes und die Thuk. 8,88 berichtete Fahrt nach Aspendos.

17 Thuk. 8,82,2.86,4-7. 17 s. o., S. 226f. 1? s. 0., S. 227f.

- 256 -

Extravaganzen bei einem Teil seiner Mitbürger den Vorwurf eines undemokratisch-elitären Lebensstils zugezogen,' es aber dabei stets verstanden, sich

mit dem Nimbus eines charismatischen Volksführers zu umgeben und einen überragenden Einfluf auf die breite Masse des athenischen Demos auszuüben.'*! Bei all seinen unbestreitbaren Verbindungen mit der radikaldemokratischen Richtung scheint es ihm doch zugleich gelungen zu sein, sich in

der Sicht seiner Mitbürger vom Bild des ‘Demagogen’ üblichen Schlages abzuheben.!? Die Tatsache, daß sich die athenischen Führer auf Samos im Winter 412/11 so rasch bereit fanden, Alkibiades als Zentralfigur ihres Umsturzplans zu akzeptieren, hing natürlich in erster Linie mit den an seine Person geknüpften Hoffnungen auf Perserhilfe zusammen, sie zeigt aber auch, daB Alkibiades' Person

in den Kreisen der Oberschicht immer noch betrüchtlichen Kredit genossen haben muß. Daß nach Thukydides mit der Enttäuschung über die gescheiterte

Perserhoffnung in diesen Kreisen zugleich auch die Erkenntnis dämmerte „Alkibiades ist nicht der rechte Mann, bei einem oligarchischen Umsturz mit-

zumachen, “'® wird insofern eine Verallgemeinerung des Historikers darstellen als der beschriebene Stimmungswandel in erster Linie die radikalen Oligarchen betroffen haben dürfte. Unter den ‘gemäßigten’ Anhängern der Be-

wegung hingegen scheint Alkibiades, wie oben angedeutet, ^ weiterhin Akzeptanz genossen zu haben; in diesen Kreisen, wo man weiterhin auf eine energische Kriegführung setzte, wird wohl auch sein Nimbus als überragender Diplomat und Stratege wirksam gewesen sein. Dank der in seiner Person verkórperten einzigartigen Verbindung von Massenpopularität, aristokratischer Distinguiertheit, staatsmánnischem und mili-

tárischem Glanz konnte Alkibiades als der geeignetste Führer für eine Politik gelten, die den Zusammenschluß aller 'patriotischen Kräfte’ gegen die *defütistischen' Oligarchen propagierte. Diesen Mann für die Sache der demokratischen Gegenrevolution einzuspannen, mußte also für Thrasybulos und

seine Gesinnungsgenossen auch aus innenpolitischen Gründen einen entscheidenden Gewinn darstellen, und von daher ließ sich die Rückberufung des seinerzeit vom Demos geächteten Landesverráters auch den eifrig demokratischen Truppen gegenüber rechtfertigen.

1€ «. z. B. Thuk. 6,15,3f.; vgl. die dagegengerichtete Verteidigung des Alkibiades ebd. 16,1-6. !! Für Alkibiades’ Selbstdarstellung als Mann des Demos s. etwa [And.] 4,13. Als treffende Illustration dazu sei darauf hingewiesen, daß Thukydides (6,28,2) seine Gegner unter den athenischen Politikern als Rivalen um die Gunst des Demos bezeichnet.

12 vg]. Hatzfeld, Alcibiade 77-81. IB Thuk. 8,63,4, zit. o., S. 67 Anm. 393; vgl. dazu auch S. 124f. IM s. o., S. 86f. und 228f.

- 257 -

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben wir nun das Auftreten des Alkibiades vor den Soldaten auf Samos zu betrachten. Seine von Thukydides in hohen Tönen gepriesene!? Leistung, die Truppen

von ihren Plänen zur bewaffneten Aktion abzuhalten, stellt zweifellos einen Beweis für Alkibiades' oft bewiesene Fähigkeit der lenkenden Manipulation demokratischer Massenversammlungen dar, des Historikers Feststellung „kein

anderer hätte damals die Masse im Zaum halten können“ (8,86,5 ἐν τῷ τότε ἄλλος μὲν οὐδ᾽ ἂν εἷς ἱκανὸς ἐγένετο κατασχεῖν τὸν ὄχλον), scheint aber

doch sehr der Relativierung zu bedürfen:' immerhin hatten besonnene Demokratenführer auf Samos schon bei früheren Gelegenheiten den Zom der tumultuarisch erregten Soldatenmasse zu beschwichtigen verstanden.ὃ Die wahrhaft einzigartige Leistung des Alkibiades während seiner samischen

Auftritte wird man vielmehr in dem politischen Gehalt seiner an die Gesandten der Vierhundert gerichteten Botschaft erblicken dürfen. Diese Botschaft, in welcher Alkibiades zwar die Auflósung des Rates der Vierhundert und ihre Ersetzung durch eine fünfhundertkópfige Bule forderte, im übrigen aber die Fünftausend ausdrücklich als Regierungsinstrument akzeptierte und auch die

von der Reformbewegung geforderten finanziellen Einschränkungen guthieß, bedeutete, wie immer

man

sie verstehen wollte, eine zumindest teilweise

Anerkennung der im Zuge des Umsturzes getroffenen Verfassungsánderungen, die im Grunde auf die Akzeptierung des seinerzeit von Peisandros in Athen pro'opagierten Prinzips des πολιτεύειν σωφρονέστερον καὶ ἐς ὀλίγους μᾶλλον δ" hinauslief.

Daß die Masse der auf Samos versammelten Truppen, die gleich zu Beginn der Versammlung den Tod für die τὸν δῆμον καταλύοντες gefordert und spáterhin auf die von den Gesandten aus Athen vorgetragene Apologie mit offenkundigem Unwillen reagiert hatten,' sich nunmehr bereitfand, aus dem Munde ihres leitenden Strategen ein (allerdings sehr gemäßigtes) nichtdemokratisches Programm zu akzeptierten, muB in jedem Fall als ein verwunderliches Phänomen gewertet werden.

Für die Hintergründe dieses auf den ersten Blick erstaunlichen Meinungsumschwunges sind wir angesichts der Knappheit des thukydideischen Berichts

und des Mangels zuverlássiger Parallelquellen auf Vermutungen angewiesen. "m„zu Thukydides’ Einschätzung von Alkıbiades’ Leistung s. Bloedow, Alexander 210.

55 Gegen eine Überbewertung von Alkibiades’ Leistung s. auch Bloedow, Alcibiades 38-

40, der dabei allerdings von der m. E. fragwürdigen Annahme ausgeht, daß sich die von Alkibiades verhinderte Attacke auf den Piráus für Athens Interessen letztendlich vorteilhaft

ausgewirkt hätte, da gerade das dadurch entstehende Übergewicht der Spartaner in Ionien

den Tissaphernes auf die Seite der Athener gezwungen hätte (vgl. Kagan, Fall 183). 7 Thuk. 8,75,1, s. o., S. 217-219.

128 Thuk. 8.53.3, dazuo., S. 63-65.

19 Thuk. 8,862 4.

-258-

Man hat in diesem Zusammenhang die Möglichkeit erwogen, daß es sich bei der in Thuk. 8,86,6 wiedergegebenen Botschaft um Alkibiades' im eigenen

Namen ausgesprochene Meinung, nicht um die offizielle Stellungnahme der Versammlung handelte. Aber selbst wenn dies zutreffen sollte, könnte es doch im Hinblick auf die von Thukydides beschriebene Situation keinem

Zweifel unterliegen, daß diese Botschaft von Alkibiades in aller Öffentlichkeit gegeben wurde; er wird sich daher gehütet haben, eine für die Mehrheit

der Versammelten vóllig inakzeptable Position zu vertreten. Eher

könnte

man

erwägen,

ob

nicht

Thukydides

in dem

Bestreben,

die

Leistung des Alkibiades herauszustreichen, das Ausmaß des Tumultes übertrieben und den lautstarken Protest einer radikalen Gruppe als Ausdruck eines einzig von Alkibiades zu bándigenden Mehrheitswillens hingestellt hat. Diese

Möglichkeit ist, wenn man einerseits Thukydides’ hohe Einschätzung von Alkibiades’ Fähigkeiten, andererseits seine Neigung zu bewußter Ausgestaltung des historischen Geschehens

ins Kalkül zieht, nicht von der Hand

zu

weisen;?! wir müssen daher nicht davon ausgehen, daß die anläßlich des Auftrittes der oligarchischen Gesandten in tumultuarischer Form zum Ausdruck gebrachten radikalen Stimmungen tatsáchlich für die Einstellung der Versammlungsmehrheit repräsentativ waren. ?? Das bedeutet nicht, daf man die Bedeutung von Alkibiades' Einsatz und die

Wirkung seiner Überredungskünste gering veranschlagen müßte, aber man darf annehmen, daß die gemäßigten unter den Demokratenführern der von ihm verkündeten Politik vorgebaut hatten und daB zumindest ein betráchtli-

cher Teil der auf Samos stehenden Truppen von vornherein dem Gedanken an eine Versóhnung mit der Mutterstadt zugeneigt war. Fassen wir den Wortlaut der an die athenischen Gesandten gerichteten Bot-

schaft des Alkibiades, wie Thukydides ihn wiedergibt, ins Auge, so finden wir darin mit keinem Wort eine Bereitschaft der Truppen, sich in die Verfassungsordnung der athenischen Fünftausend einzufügen, impliziert.'”” Die For19 So Andrewes, HCT V 288 mit Verweis auf die von Thuk. 8,86,6 verwendete Phrase αὐτὸς δὲ ἀποκρινάμενος sowie auf 8,89,1f., „where the Samos fleet and Alcibiades are treated almost as separate powers".

?! Val. o., S. 65.111-114. 172 Wenn Thukydides 8,86,4 berichtet, γνώμας ἄλλοι ἄλλας ἔλεγον, μάλιστα δὲ ἐπὶ

τὸν Πειραιᾶ πλεῖν, so bedeutet das nicht mehr als daß die Mehrheit der sich in der Versammlungzu Wort Meldenden für einen Vorstoß gegen den Piräus eintrat, nicht aber eine Aussage über die Einstellung der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer überhaupt. 1?! Die Phrase τοὺς ... πεντακισχιλίους οὐ κωλύοι

ἄρχειν in Thuk. 8,86,6 beinhaltet

nicht mehr als eine Stellungnahme des Alkibiades zu den gegenwärtigen Verhältnissen in der Stadt (zur Bedeutung des οὐ κωλύοι s. Classen-Steup, Thukydides 199.210). Eine Anerkennung des Regiments der Fünftausend auch über die Flotte in Samos wird man aus dem Wortlaut dieser Ankündigung kaum herauslesen dürfen. Vgl. Sealey, Revolution 128 „This reply falls short of a positive declaration in favor of the Five Thousand".

- 259 -

derung nach einer Ersetzung der Vierhundert durch eine Herrschaft der Fünftausend und einen fünfhundertkópfigen Rat erscheint lediglich als eine Vor-

bedingung der Versöhnung; worauf es Alkibiades ankommt, ist die Weiterführung des Krieges durch die Mutterstadt ebenso wie durch die Flotte: sei diese gewährleistet, so bestünde alle Hoffnung, daB man zu einer Einigung

gelangen kónne. ^ Die erstrebte Einigung wird somit als eine bloBe Zukunftshoffnung gekennzeichnet, und da die Frage, unter welchen verfassungsrechtlichen Vorzeichen sie zustandekommen kónnte, im thukydideischen Referat der Alkibiadesrede nicht erwähnt wird, liegt die Annahme nahe, daß dieser heikle Punkt von Al-

kibiades bewußt offengelassen wurde. Ein ausdrückliches Lob spendet Alkibiades hingegen der von den Oligarchen

verfolgten Finanzpolitik, wobei er diese ganz bewußt unter einen Gesichtspunkt stellt, für den er des Beifalls der Versammlung

gewiß sein konnte,

nàmlich die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung des Heeres. Vermutlich war ihm bekannt, daB die Verschwórer schon seinerzeit mit der Verheißung reichlicher Soldgelder die Truppen zur zeitweiligen Akzeptierung ihrer Umsturzpläne hatten bewegen kónnen.??

Wenn Alkibiades damit in seiner Botschaft die aus der Sicht der Truppen wünschenswerten Aspekte der angestrebten Versóhnungspolitik, die gemeinsame Fortführung des Krieges und die finanzielle Unterstützung aus der Heimat, deutlich zur Sprache brachte, so wird dies wohl auf die Wirkung bei der unmittelbaren Zuhórerschaft in der samischen Versammlung berechnet gewe-

sen sein. Der Kern der Botschaft hingegen war eindeutig nach Athen gerichtet, freilich nicht an die Vierhundert als Auftraggeber der Zehnergesandtschaft, sondern an das allgemeine Publikum in der Stadt, an jene Kreise vor allem, die unter dem Banner der σωτηρία τῆς πόλεως die ersten Schritte der Verfassungsreform akzeptiert hatten, die aber dem Gedanken an eine enge Oligarchie ebenso ablehnend gegenüberstanden wie der Aussicht auf einen Kapitulati-

onsfrieden. Mit ihrer Verbindung der Anerkennung der Fünftausend mit der Aufforderung zur Absetzung der Vierhundert und zur kräftigen Weiterführung des Krieges stellte Alkibiades’ Botschaft einen geschickt auf die Stimmungs-

lage dieser Gruppe ausgerichteten Aufruf zur Überwindung des oligarchischen Extremismus und zur Rückbesinnung auf die ursprünglichen Zielsetzungen der Reformbewegung dar. Die Ereignisse sollten binnen kurzem zeigen, daß dieser Appell seine Wirkung nicht verfehlen konnte.

194 Thuk. 8,86,7 ... ἐκέλευεν ἀντέχειν καὶ μηδὲν ἐνδιδόναι τοῖς πολεμίοις" πρὸς

gos σφᾶς αὐτοὺς σῳζομένης τῆς πόλεως πολλὴν ἐλπίδα εἶναι καὶ ξυμβῆναι.

μὲν

- 260 -

Die Wirkung der Alkibiadesbotschaft in Athen Thukydides

berichtet nichts näheres

darüber,

Emissäre nach ihrer Heimkehr von Samos

auf welche

Weise

die zehn

die Botschaft des Alkibiades

übermittelten,'” er läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß sich der Inhalt der Botschaft in Athen rasch verbreitete und dort innerhalb wie außerhalb des Kreises der Vierhundert eine Wirkung tat, die für den Fortbestand des Oligarchenregimes fatal werden sollte. Die „Masse“, die dem Regime schon vorher

ablehnend gegenüberstand, schöpfte neuen Mut in der Hoffnung auf einen Umschwung der Verhältnisse. Unter Führung von Männern, die selbst dem

engsten Kreis des Regimes angehörten - Thukydides nennt namentlich den

Strategen Theramenes und den Taxiarchen Aristokrates Skelliou!?" -, bildeten sich oppositionelle Gruppen,

in deren Reihen unverhohlene Kritik an den

herrschenden Verhältnissen geübt und die Forderung nach der tatsächlichen Einsetzung der Fünftausend in ihre Rechte sowie generell nach einer stärker

am Gleichheitsprinzip ausgerichteten Ordnung erhoben wurde. Thukydides betont, daß neben den Zweifeln an der Dauerhaftigkeit des oligarchischen

Systems vor allem die starke Stellung des Alkibiades auf Samos die Oppositionellen in ihrer Haltung bestärkte.' 5$ McCoy, Moderates 81 verweist darauf, daß die Alkibiadesbotschaft in der von den Gesandten referierten Form bei Thukydides 8,89,1 nicht dem in 8,86,6f. gegebenen vollen Wortlaut entspricht, sondern gerade die politisch wesentlichsten Punkte der Entfernung der

Vierhundert und Beibehaltung der Fünftausend (... πεντακισχιλίους oU κωλύοι ἄρχειν, TOUS μέντοι τετρακοσίους ἀπαλλάσσειν ἐκέλενεν αὐτοὺς ...) nicht enthält. McCoy zieht daraus den Schluß, die Gesandten hätten die Alkibiadesbotschaft zuerst „dem Antiphon und seinen Genossen“ vorgelegt, die sogleich den potentiell gefährlichen Gehalt erkannt und veranlaßt hätten, die Botschaft nur in zensurierter Form unters Volk zu bringen (McCoy a. O. 82; akzeptiert von Kagan, Fall 187). Die Diskrepanz zwischen Thuk. 8,86,6f. und 8,89,1 ist in der Tat auffallend, aber McCoy's Erklárung kann angesichts der

Tatsache, daß Thukydides mit keinem Wort auf eine derartige Zensur hinweist, nicht als über jeden Zweifel erhaben betrachtet werden. Fest steht jedenfalls, daß die Botschaft nach Thukydides' Auffassung bei den Massen sehr wohl als ein Signal der Hoffnung auf den Sturz des Regimes verstanden wurde (Thuk. 8,89,1 .... ἀχϑομένους καὶ πρότερον τοὺς

πολλοὺς τῶν μετεχόντων τῆς ὀλιγαρχίας kal ἡδέως Av ἀπαλλαγέντας m ἀσφαλῶς τοῦ πράγματος πολλῷ δὴ μᾶλλον ἐπέρρωσαν). Diese Wirkung erschiene schwer erklärlich, wenn man annehmen wollte, daß gerade die diesbezügliche Aufforderung des Alkibiades den Athenern vorenthalten wurde. Wir müßten daher, selbst wenn wir uns McCoy’s Vorstellung einer Zensur der Alkibiadesbotschaft durch die Vierhundert zu eigen machen wollten, annehmen, daß der volle Wortlaut der Botschaft durchsickerte und

in der athenischen Öffentlichkeit bekannt wurde.

197 Avery, Studies 76-78 verweist darauf, daß Theramenes bei Lys. 12,67 als „Teilhaber an

den Aktivitäten

des Aristokrates"

bezeichnet wird und vermutet,

daß Aristokrates der

ursprüngliche Führer der gemäßigten Opposition gewesen sei, während Theramenes sich ihr erst etwas später angeschlossen habe. Dies ist an sich nicht unmöglich, kann aber trotz der Aussage des Lysias nicht als sicher gelten, da wir hier mit einer tendenziös anti-therameneischen Darstellung der Verhältnisse zu rechnen haben.

198 Thuk. 8,89,1-3.

- 261 -

Die Führer des radikaloligarchischen Flügels der Vierhundert, Phrynichos, Peisandros und Antiphon hatten das Unsichere ihrer Stellung bereits vorher gefühlt und vergeblich versucht, einen raschen FriedensschluB mit Sparta zustande zu bringen; daneben hatten sie Anstalten getroffen, sich einen militäri-

schen Rückhalt zu verschaffen, indem sie auf der Eetioneia genannten Landzunge im Pirüus eine neue Befestigungsmauer sowie ein Getreidemagazin errichten ließen. Diese letztere Maßnahme, die offensichtlich auf die Errichtung eines auch gegen die Stadtseite hin befestigten Sperrforts an der Einfahrt zu

Athens wichtigstem Hafen abzielte, wurde von den Herrschenden als eine Schutzmaßnahme gegen die Möglichkeit eines Angriffs der Demokratenflotte von Samos her hingestellt, erweckte jedoch bei den oppositionell Gesinnten den Verdacht, man wolle die Stadt den Lakedaimoniern in die Hände spielen.

Als sich nun unter dem Eindruck der Alkibiadesbotschaft die oppositionellen Stimmungen deutlicher manifestierten und den Vierhundert ihre bedrängte Lage offenkundig wurde, sandten die Radikalen, offensichtlich gegen den Willen ihrer gemäßigten Kollegen, ? Antiphon und Phrynichos sowie zehn weitere Männer nach Sparta, um einen Frieden um jeden Preis zu schließen und forcierten zugleich die Arbeiten an der Eetioneia, was natürlich dem Argwohn der Opposition neue Nahrung geben mußte.

Als dann die Gesandten aus Sparta zurückkehrten, „ohne ein für alle gültiges Friedensabkommen zustandegebracht zu haben“ (οὐδὲν πράξαντες ... τοῖς ξύμπασι ξυμβατικόν), erhob Theramenes offen den Vorwurf, die Eetioneia-

Festung werde von den Machthabern zum Verderben der Stadt errichtet, es sei geplant, von diesem Stützpunkt aus eine peloponnesische Flotte, die sich eben an der lakonischen Küste sammle, in den Piräus einzulassen - ein Vorwurf,

der nach Ansicht des Thukydides durchaus der Wahrheit entsprochen haben kónnte: Die harten Oligarchen seien, so der Historiker, tatsáchlich gesonnen

gewesen, lieber die Stadt dem Landesfeind auszuliefern, als wieder unter die

Herrschaft des Demos zu geraten."9?

Thukydides prásentiert uns die sich unter dem Eindruck der Alkibiadesbotschaft formierende Opposition gegen das Regime der Vierhundert als eine gleichsam auf zwei Ebenen agierende Bewegung: Die Basis des Widerstandes bilden bei ihm „die Massen“ (oi πολλοί), die, dem Regime von vornherein

feindlich gesinnt, sich nun durch die Alkibiadesbotschaft in ihren schon zuvor gehegten Hoffnungen auf eine ,risikolose" Gelegenheit zum Sturz des Sy-

stems bestärkt sehen.?! Daneben (besser gesagt: darüber) stehen die Führer aus dem engsten Kreis der Vierhundert, Männer vom Schlage des Theramenes

15? Daß die Gesandtschaft von den Radikalen gegen den Willen der Mehrheit entsandt wurde, ist in Thuk. 8,89,2 impliziert, s. Pesely, Theramenes 127.

29 Thuk. 8,90,1-91,1; zu den Gründen für das Scheitern dieser Friedensinitiative s. Andrewes, Spartan Resurgence 475 mit Anm. 17.

20! Thuk. 8,89,1 (zit. o., S. 260 Anm. 196).

- 262 -

und Aristokrates, die den Widerstandsgeist der Massen für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren und sich dabei, so Thukydides, größtenteils von rein opportunistischen Gesichtspunkten leiten lassen.9? Im Hinblick auf diese

Bewertung kann es nicht überraschen, daß die von der Oppositionsbewegung verkündete Parole, man solle die Fünftausend tatsáchlich in ihre Rechte einsetzen und in der Staatsordnung dem Prinzip der Gleichberechtigung größeren Raum gewähren, dem Historiker nur als Deckmantel gilt, hinter dem sich bei der Masse der Wunsch nach einer Wiederherstellung der Volksherrschaft,?®

bei den Anführern das Streben nach einer führenden Rolle im Staate?”* verborgen hätte.

Dieses Urteil des Historikers ist in der Forschung mit gutem Grund in Zweifel

gezogen worden: 205 Zum einen hat man für die Opposition des Theramenes

und seiner Anhänger ehrlich patriotische Motive geltend gemacht?” (die natürlich im Einzelfall stets auch mit dem Gesichtspunkt der persönlichen Op2? Thuk. 8,89,3

ἦν δὲ τοῦτο μὲν σχῆμα πολιτικὸν τοῦ λόγου αὐτοῖς, κατ᾽ ἰδίας δὲ

φιλοτιμίας οἱ πολλοὶ αὐτῶν τῷ τοιούτῳ προσέκειντο. DaB dem Theramenes auch in den Invektiven des Kntias (bei Xen. hell. 2,3,30f.) und Lysias (12,66f.) rein opportunistiSche und egoistische Motive unterstellt werden, kann kaum überraschen.

203 Deutlich ausgesprochen Thuk. 8,92,11 ἐπεκρύπτοντο γὰρ ὅμως ἔτι τῶν πεντακισχιλίων τῷ ὀνόματι, μὴ ἄντικρυς δῆμον ὅστις βούλεται ἄρχειν ὀνομάζειν. 204 Thuk.

8,89 4. Gegen die Ansicht von Andrewes, HCT V 372f., daß dieses Urteil im

Widerspruch zu dem 8,97,2 der Verfassung der Fünftausend gespendeten Lob stehe, s. Erbse, Thukydides-Interpretationen 47-49.

75 Andrewes, HCT V 298-301 zieht sogar die Möglichkeit in Erwägung, daß sich in den in Thuk. 8,89,3f. getroffenen Aussagen nicht das wohlüberlegte Urteil des Historikers selbst, sondern die Vorurteile oligarchischer Gewährsmänner widerspiegeln könnten, die Thukydides in der Endfassung seines Werkes wahrscheinlich modifiziert hätte. Letzteres muB

jedoch im Hinblick auf die Tatsache, daß die Äußerungen über den Opportunismus des Theramenes und Aristokrates in 8,89,3 mit einer wohl von Thukydides selbst stammenden

theoretisch-reflektierenden Passage verbunden sind (ἐν ὥπερ kal μάλιστα ... τις φέρει), als fraglich gelten. Für die Glaubwürdigkeit der von Thukydides gegebenen Motive treten

hingegen Sealey, Revolution 129f. und Lintott (Violence 151f.) ein. Ähnlich, aber diffe-

renzierter urteilt Razzano Giammarco, Teramene 405, die annimmt, daf die Theramenes-

gruppe mit ihrer Forderung nach Einsetzung der Fünftausend einerseits der von Samos her betriebenen Agitation des Alkibiades den Wind aus den Segeln nehmen, andererseits die Radikaloligarchen besser im Zaum halten wollte; in jedem Falle aber sei bei ihnen der

Wunsch nach der Behauptung der Macht im Vordergrund gestanden. 208s. besonders McCoy, Moderates 65f., der in Theramenes einen überzeugten gemäßigten Demokraten sehen móchte: er habe sich von den anfänglich moderaten Parolen der Umstürzler táuschen lassen und erst nach der Einsetzung der Vierhundert die radikaloligarchische Natur der Bewegung erkannt (vgl. McCoy ebd. 84f.). Diese Auffassung erscheint jedenfalls als zu weitgehend, aber es ist denkbar, daß zumindest Theramenes’ Opposition

gegen die Friedenspläne der radikalen Oligarchen einer ehrlichen “patriotischen’ Überzeugung entsprang, und die Machtbeteiligung der Fünftausend mag, ihm aus sachlich-utilitaristischen Gründen als zwingende Notwendigkeit erschienen sein (vgl. die ihm in Xen. hell. 2,3,19 und Ath. Pol. 36,2 zur Zeit der Dreißig zugeschriebene Position, derzufolge die im Staate Herrschenden an Zahl nicht schwücher sein dürften als die Beherrschten).

- 263 portunität

verbunden

gewesen

sein

können),

zum

anderen

haben

wir

Thukydides’ Behauptung, die Oppositionellen hätten die Fünftausend nur als Vorwand

für die Wiederherstellung der vollen Demokratie

verwendet,

im

Lichte der folgenden Ereignisse zumindest in hohem Maße zu relativieren."?? Vielleicht kommt man der Wahrheit am nächsten, wenn man davon ausgeht,

daß sich in der Oppositionsbewegung durchaus heterogene Elemente zusammengefunden haben, deren gemeinsamer Nenner weniger in programmatischen Verfassungsgrundsätzen lag als vielmehr in der Ablehnung des von der

Phrynichos-Antiphon-Peisandros-Gruppe verfolgten Kurses, der in diesem Stadium offensichtlich auf einen Versuch hinauslief, das oligarchische System selbst um den Preis der Unterwerfung unter ein spartanisches Friedensdiktat zu retten. Die mit einer solchen Kapitulation verbundene Aussicht auf den Verlust nicht nur des Seereiches, sondern auch der eigenstaatlichen Souve-

ränität Athens war geeignet, selbst an sich oligarchisch gesinnte Angehörige der Oberschicht in die Arme einer Opposition zu treiben, deren Reihen neben genuin demokratisch gesinnten Gegnern der Vierhundert auch die Verfechter einer Hoplitenpoliteia umfaßten, die sich durch die Nichteinberufung der Fünftausend um die Erfüllung ihrer Hoffnungen betrogen sahen. Wie schon seinerzeit im Vorfeld des Umsturzes bildete das Konzept der *Fünftausend' auch jetzt wieder den verfassungspolitisch-propagandistischen Schnittpunkt zwischen in sich unterschiedlichen politischen Orientierungen, Programmen und Interessen.” Insofern muß das von Thukydides gebotene

Schema von der im Grunde demokratisch gesinnten Masse als eine unzulässige Vereinfachung gewertet werden, die der komplexen Realität nicht gerecht wird. Thukydides selbst deutet an, daß man in weiten Kreisen die Mög-

lichkeit eines Angriffes der demokratisch gesinnten Flotte auf den Piräus als

Bedrohung empfunden hat? nicht etwa als eine hoffnungsvolle Verheißung 27 Für ein wohlabgewogenes Urteil s. Kagan, Fall 189£., der als Motive der Theramenesgruppe einerseits die Furcht vor der bei einem Sieg der samischen Demokraten zu erwartenden ‘Abrechnung’, andererseits eine genuine Ablehnung der von den oligarchischen Extremisten verfolgten Friedenspolitik geltend macht (Áhnlich bereits Adeleye, Therame-

nes 80). 208 « dazu auch u., S. 276-278.

79? Diese Vielgestaltigkeit der Parole von den Fünftausend im Bericht des Thukydides ist bei Demont, Tranquillité 249f. gut herausgearbeitet.

210 Dies ergibt sich implizit aus der in Thuk. 8,90,3 referierten Polemik gegen den Bau der Eetioneia-Befestigung: ἦν δὲ τοῦ τείχους

ἡ γνώμη αὕτη. ὡς ἔφη Θηραμένης kal ol

μετ᾽ αὐτοῦ, οὐχ (va τοὺς ἐν Σάμῳ, ἣν βίᾳ ἐπιπλέωσι. μὴ δέξωονται ἐς τὸν Πειραιᾶ,

αλλ᾽ ἵνα τοὺς πολεμίους μᾶλλον, ὅταν βούλωνται, καὶ ναυσὶ καὶ πεζῷ δέξωνται. Wenn also die Vierhundert, wie aus dieser Passage hervorgeht, die Eetioneia-Befestigung in der Öffentlichkeit als Sicherungsmaßnahme gegen „die in Samos“ (nicht etwa gegen die Peloponnesier) zu rechtfertigen versuchten, so drängt sich der Schluß auf, daß die Bekämpfung der demokratischen Sezessionisten von vielen Athenern als ein legitimes Anliegen empfunden wurde (so zu Recht Garland, Piraeus 31).

- 264 -

der Befreiung von der Gewaltherrschaft, wie man erwarten müßte, wenn die Oppositionellen tatsächlich die Wiederherstellung der Demokratie erstrebt hátten. Auch die positive Aufnahme, die die Alkibiadesbotschaft in diesen Kreisen fand, kann kein Argument dagegen darstellen, eher im Gegenteil: In

dieser Botschaft war ja ausdrücklich festgehalten, daß in Athen zumindest vorläufig die Fünftausend herrschen sollten - eine Zusicherung, die kaum dem Programm der demokratisch gesinnten Flotte entsprochen haben wird,?!! und die daher wohl als Konzession an die athenische Zielgruppe der Botschaft zu verstehen ist.

Angesichts dieser Indizien geht man wohl nicht fehl in der Annahme, daß jene maßgeblichen Kräfte in Athen, als deren Sprachrohr die Oppositionellen um Theramenes fungierten, zwar die radikalen Oligarchen loswerden, nicht aber

die volle Demokratie wiederherstellen wollten. Allerdings konnte sich Thukydides bei seiner Auffassung vom demokratischen Charakter der Oppositionsbewegung auf die Tatsache stützen, daß die Entwicklung der Ereignisse späterhin ja tatsächlich binnen kurzer Zeit zur Wiedereinführung der vollen Demokratie führte; und schon vor dem Fall der Vierhundert muß es den weiterblickenden unter den Athenern klar gewesen sein, daß der Erfolg der Oppositionsbewegung eine Staatsordnung nach sich ziehen würde, die schon um der notwendigen Aussöhnung mit den Truppen auf Samos willen eher im Bereich der Demokratie als der Oligarchie angesie-

delt sein würde. Dennoch scheint man sich der Hoffnung hingegeben zu haben, daß sich im Rahmen einer solchen Ordnung die Kernpunkte der ‘gemäDigten' Reformprogrammatik des Frühjahrs 411 würden bewahren lassen. Die Beteiligung breiterer Schichten an der Regierungsgewalt, die energische

Weiterführung des Krieges und schließlich auch die Rückkehr des Alkibiades waren also die Punkte, an denen sich in der letzten Phase des VierhunderterRegimes die Geister schieden. Wer für die Volksherrschaft eintrat, aber auch,

wer diese blof) um der Kriegführung willen notfalls zu akzeptieren bereit war, stellte sich gegen die herrschende Clique.

All diejenigen, die dem Gedanken an eine Versöhnung mit den Demokraten auf Samos, an die Rückkehr des Alkibiades und die Weiterführung des Krieges grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden, mußten sich nun umso fester um Phrynichos, Antiphon und Peisandros scharen.?" Zu der zwischen Stadt

und Flotte bestehenden Stasis trat nun die Polarisierung innerhalb der in der Stadt herrschenden Gruppe und ihres Umfelds in den Kreisen der Ritter- und Hoplitenschaft. ?!! Wohl aber dem in der Flotte verbreiteten Wunsch nach einer Verständigung mit den nicht radikal-oligarchischen Elementen in der Heimatstadt, vgl. dazu o., S. 226-228 und 255-258.

212 Zu den Motiven der radikalen Oligarchen gegen Ende des Regimes der Vierhundert und zu ihrer Darstellung bei Thukydides vgl. Losada, Fifth Column 59f.

- 265 -

In dieser angespannten Stimmungslage ereignete sich eine Gewalttat, die den Oppositionellen als ein Fanal des Widerstandes, den Oligarchen als Warnzeichen ihres bevorstehenden Unterganges erscheinen muBte: die Ermordung des Phrynichos.

Das Attentat auf Phrynichos Nach dem Bericht des Thukydides wurde Phrynichos, soeben von seiner vergeblichen Friedensmission aus Sparta heimgekehrt, auf der Agora in der Nähe des Buleuterions von einem der Peripoloi niedergestochen; er verschied kurz darauf in einem nahegelegenen Haus. Der Mörder selbst konnte entrinnen, einer seiner Mittáter, ein Argiver, wurde festgenommen und unter der Folter

verhört, nannte allerdings keine Namen von Auftraggebern, sondern wußte nur von

„Zusammenkünften

vieler Leute

im Hause

des Peripolarchen

wie

auch anderswo" zu berichten. Da keine konkreteren Angaben zu gewinnen waren, verliefen die Untersuchungen im Sande, was wiederum bei Theramenes und seinen Anhängern den Mut zum oppositionellen Handeln wachsen lieB.

Eine abweichende Schilderung des Vorfalles bietet Lysias in der Rede gegen Agoratos, wo er als Haupttäter des Anschlages einen gewissen Thrasybulos

von Kalydon sowie einen Megarer namens Apollodoros geltend macht, von diesen habe Thrasybulos die Mordtat ausgeführt, während Apollodoros zwar

dabeigewesen sei, aber nicht selbst Hand angelegt habe. Beide Männer seien in dem entstehenden Tumult entkommen.?!* Der bei Thukydides genannte

argivische £uvepyós findet bei Lysias keine Erwühnung,? doch bestätigt der Redner, daB spáterhin neben Thrasybulos und Apollodoros noch weitere Per-

sonen den Anspruch erhoben, an diesem Attentat beteiligt gewesen zu sein, welcher Anspruch jedoch nicht in allen Fällen gerechtfertigt gewesen sei.?'° Eine dritte Version von Phrynichos' Ende bietet Lykurgos in der Rede gegen Leokrates. Ihm zufolge wurde der Oligarchenführer zur Nachtzeit „bei dem Brunnen in den Weiden" (παρὰ τὴν κρήνην τὴν ἐν τοῖς οἰσυίοις) von

Apoliodoros und Thrasybulos niedergestoßen. Die beiden Täter seien von den

215 Thuk. 8,92,2. 214 Lys. 13,71, s. dazu Bearzot, Lisia 315f.

75 Die Vermutung Gilberts, Beiträge 322, daß dieser thukydideische Tatkomplize mit dem bei Lysias, Lykurgos und in IG I? 102 genannten Apollodoros von Megara identisch sei, wird durch keinerlei positive Indizien gestützt, sie impliziert darüberhinaus die Annahme, daß Apollodoros gleich ım Anschluß an dıe vollzogene Tat festgenommen worden sei, was sich mit der bei Lykurg. 1,112 berichteten Episode von der gemeinsamen Festnahme des Thrasybulos und Apollodoros kaum vereinbaren ließe. 216 yys. 13,72 τὰ μέντοι ὀνόματα διαπράττονται σφῶν αὐτῶν, δόντες ἀργύριον τῷ ῥήτορι, προσγραφῆναι εἰς τὴν στήλην ὡς εὐεργέτας ὄντας.

- 266 -

Freunden des Phrynichos ergriffen und ins Gefángnis geworfen, jedoch vom Demos befreit worden, worauf man eine Untersuchung durchgeführt habe, die

dann zum posthumen Prozeß gegen Phrynichos führte."

Plutarch erwähnt die Tötung des Phrynichos in seiner Alkibiadesvita ohne zum Hergang der Tat nähere Details zu bringen; als Täter macht er einen Peripolos namens Hermon geltend, der spáterhin von den Athenern geehrt worden sei. Zu diesen Zeugnissen der literarischen Überlieferung tritt ein teilweise inschriftlich erhaltenes Ehrendekret, das im Frühjahr 409 zugunsten der Phrynichosmórder erlassen wurde (IG P 102). In diesem Dokument erscheint

Thrasybulos als der in erster Linie zu Ehrende und erhält die größten Belohnungen zuerkannt, dazu aber sind mindestens sechs weitere Männer genannt, „die damals zum Vorteil des Demos gehandelt haben“ (Z 25f. [πόσοι τότε εὖ ἐϊποίεσαν τὸν δείμον τὸν 'A8&[va(ov) und geringere Ehren zuerkannt bekommen.?? Die Rolle des Apollodoros hingegen scheint zur Entstehungszeit dieses Dekrets zweifelhaft gewesen zu sein, da dort eine Untersuchung gegen

den Antragsteller eines früher zu seinen Gunsten eingebrachten Beschlusses angeordnet wird???

Vergleicht man die Berichte dieser Quellen im Hinblick auf den Tathergang, so ergeben sich sowohl im Hinblick auf den Ort und Zeitpunkt der Tat wie auch auf die Zahl und Person der Táter mehr oder weniger gravierende Ab-

weichungen: Was die Ortlichkeit betrifft, so wird man es nicht als Widerspruch werten müssen, daß Thukydides und Plutarch als Schauplatz des Anschlages die Agora, Lykurgos hingegen den „Brunnen in den Weiden" angibt, da die letztgenannte Ortlichkeit recht gut im Bereich der Agora gelegen haben

kann.??' Auch die Diskrepanz zwischen Thukydides Angabe, daß die Tat „auf der belebten Agora" (£v τῇ ἀγορᾷ πληθούσῃ) geschehen sei, und dem νύκτωρ des Lykurg ließe sich unter Umständen ausgleichen, da in der Som217 | ykurg. 1,112-115. Zum posthumen Phrynichosprozeß s. u., S. 313f.

?'* Plut. Alk. 26,14.

219 IG P 102 mit Nennung des Thrasybulos in Z. 6.15f.18f.23f.; Nennung der 'zweitrangi-

gen Figuren’ in Z. 25-34. ᾿ IG P 102 Z 39-44; man vergleiche die oben (S. 265 Anm. 216) zitierte Außerung des Lysias (13,72), die ebenfalls darauf hindeutet, daB im Zuge der BeschluBfassung zugunsten der Phrynichosmorder unlautere Machenschaften vorkamen.

22! von dieser Möglichkeit gehen Judeich, Topographie 201 und Thompson/Wycherley Agora 201 Anm. 48 aus. Allerdings hat sich die genaue Lage dieses Brunnens, der, wie der

Vergleich der Angaben von Thuk. 8,92,2 (ou πολὺ ἀπὸ τοῦ βουλεντηρίου) und Lykurg. 1,112 zeigt, in der Nähe des Buleuterions gelegen haben muß, in der Forschung nicht mit

Sicherheit bestimmen lassen. Thompson/Wycherley a. O. erwägen die Möglichkeit einer Identifikation mit einem neben der Heliaia an der Südwestecke der Agora befindlichen Brunnenhaus, verwerfen sie aber, da dieses Gebáude aufgrund des archáologischen Befun-

des erst ins 4. Jh. zu datieren sei. Vielleicht aber hat sich Lykurg zur Bezeichnung der

Örtlichkeit einfach eines erst zu seiner Zeit gebräuchlichen Namens bedient?

-267merzeit auf der Agora bis in die Nachtstunden hinein reges Leben geherrscht

haben dürfte.?? Im Hinblick auf Thukydides’ Angabe, Phrynichos sei aus dem

Buleuterion gekommen, wird man aber doch eher annehmen, daß die Tat am

Vormittag stattfand ^? Nach Thukydides und Lysias hat bei der Ausführung der Mordtat nur ein Mann tatsächlich Hand angelegt, bei Lykurgos hingegen werden zwei Männer als gleichermaßen an der Tat beteiligt geltend gemacht. Die im Hinblick auf den Namen des Haupttäters abweichende Version des Plutarch wird man wohl

nicht als eigenständige Überlieferungsvariante ansehen dürfen, sondern als einen mißglückten Versuch, den Kern des thukydideischen Berichts mit einer

Mutmaßung über den (bei Thukydides nicht erwähnten) Namen des Täters zu

verbinden."

Die Evidenz des inschriftlich erhaltenen Ehrendekrets IG I? 102 scheint die Ein-Táter-Version zu bestátigen, da dort Thrasybulos als der Empfünger der größten und umfassendsten Ehrungen ganz klar von der Masse der übrigen „Wohltäter des Demos" abgehoben erscheint, während die Beteiligung des

Apollodoros, wie bereits erwähnt, zur Zeit des Dekrets überhaupt in Zweifel gezogen worden zu sein scheint." Allerdings dürfte die in IG P 102 wiedergegebene Situation nicht den endgültigen Stand der athenisch-offiziellen Auffassung in Sachen des Phrynichosattentats repräsentieren: Die Forschung hat wahrscheinlich gemacht, daß Lysias in seiner Rede gegen Agoratos ein Dekret heranzog, das nach dem in IG P 102

bewahrten Psephisma zu datieren ist und das wahrscheinlich aufgrund der Ergebnisse der in diesem Psephisma (Z. 38ff.) angeordneten Untersuchung über die Ansprüche des Apollodoros zustandegekommen ist."?* Die Ergebnisse dieser Untersuchung, wie sie sich in der überzeugenden Rekonstruktion von Bearzot darstellen, führten zweifellos nicht zu einer vollstándigen Rehabilitation des Apollodoros und zur Gleichsetzung der ihm zuerkannten Ehren mit denen des Thrasybulos, scheinen aber doch seinen Anspruch auf gewisse beloh-

nungswürdige Verdienste bestätigt zu haben." 72 So Curtius, GG *II 876, Anm. 179.

22 So Classen/Steup, Thukydides 231, akzeptiert von Van der Ploeg, Theramenes 88 Anm. 231.

24 So bereits Rehdantz, Lykurgos’ Rede 182f.; Gilbert, Beiträge 321 Anm. 27; Busolt, GG IIl 2, 1503 Anm. 5 und Meyer, GdA "VII 558 Anm. 1; vgl. Avery, Studies 255; vorsichtiger Lenschau, Phrynichos 3) 909 und Grossi, Frinico 91f., die es für möglich halten, daß Plutarch die Version, die den Hermon zum Täter macht, aus seiner Quelle übernommen

habe.

225 s. o., S. 266 mit Anm. 220. 226 Andrewes, HCT V 310; Bearzot, A proposito 296; dies., Lisia 319f. 27? Bearzot, A proposito 302f.; dies., Lisia 319f., B. stützt sich vor allem auf die Tatsache,

daB Apollodoros bis „kurz vor der Zeit der DreiBig" unangefochten im Besitz des ihm als Belohnung für seine Verdienste zuerkannten Grundstückes blieb (Lys. 7,5).

- 268 -

Die Angabe des Lysias, daß Thrasybulos allein Hand an Phrynichos gelegt habe, während Apollodoros bei der Tat präsent war, aber den Phrynichos

nicht berührte, mag daher recht wohl das Ergebnis der in IG P? 102 Z 38ff. angeordneten Untersuchungen reprüsentieren; ob sie der Wahrheit entsprach,

wird sich wohl nicht mit Sicherheit feststellen lassen.” Außer Zweifel steht aber, daß es sich bei den Mórdern um gedungene Söldner handelte, Männer also, die wohl kaum aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag athenischer

Hintermänner gehandelt haben werden.?? Wer aber waren diese Hintermänner und welche politische Richtung repräsentierten sie? Für die Beantwortung dieser Fragen läßt uns unser Quellenmaterial im Stich. Die Tatsache, daß die Phrynichosmórder im Jahre 409 unter der Demokratie geehrt wurden, kann, für sich genommen, nicht als hinrei-

chender Beweis für eine explizit demokratische politische Ausrichtung der Auftraggeber genommen

werden,

zumal bei Lysias ein zeitlich früheres

Ehrendekret erwähnt wird, das man wohl in die Zeit des nach dem Sturz der

Vierhundert installierten Übergangsregimes datieren kann?! Im Hinblick auf die von Thukydides berichteten Spannungen zwischen dem

von Phrynichos geführten radikalen Flügel der Vierhundert und der von Theramenes repräsentierten ‘gemäßigten’ Strömung liegt es nahe, die Urheber des Anschlages

im Umfeld

der letzteren zu suchen.^?? In diese Richtung

deutet auch der einzige Hinweis, den wir dem thukydideischen Bericht entnehmen können: die von dem argivischen Komplizen des Attentäters unter der Folter getätigte Aussage über die Zusammenkünfte „im Hause des Peripo-

larchen“. Dieses Zeugnis legt den Schluß nahe, daB der genannte Offizier bei der Vorbereitung des Attentats seine Hand im Spiel hatte; dazu würde es passen, daß nach Thukydides bei der entscheidenden Konfrontation zwischen

den Vierhundert und den theramenesfreundlichen Hopliten ein Offizier der Peripoloi namens Hermon für letztere Partei ergriff der vielleicht mit dem 228 Für die Möglichkeit einer Harmonisierung der Berichte des Thukydides und Lysias 3. Van der Ploeg, Theramenes 89, Anm. 232.

?? Dies dürften wir im Hinblick auf das Zeugnis des Lysias und des Ehrendekrets IG P 102

auch

dann

annehmen,

wenn

Thukydides

tatsächlich

den

Mörder

des Phrynichos

aufgrund unvollständiger Information für einen Athener gehalten haben sollte (so Andrewes, HCT V 310f., der davon ausgeht, daß die Peripoloi aus athenischen Landeskindern

rekrutiert worden seien. Thukydides gebe in 8,92,2 den Informationsstand eines beim Sturz der Vierhundert aus Athen geflüchteten Gewührsmannes wieder, der von der Person des Thrasybulos von Kalydon noch keine Kenntnis gehabt habe; ähnlich schon Gilbert, Beiträge 322). Gegen diese Vorstellung von der Uninformiertheit des Thukydides s. jedoch Erbse, Thukydides-Interpretationen 22-24. 20 Eine solche vermutet Calhoun, Clubs 110; s. dazu Sartori, Bterie 123f..

B! Lys. 13,71; zur Datierung dieses Dekrets s. Bearzot, A proposito 297f. und dies., Lisia 318f.

P? So Sartori, Eterie 123f.

733 Thuk. 8,92,5; vgl. u., S. 270.276.

- 269 -

Peripolarchen von 8,92,2 identisch ist.?* Da wir kaum annehmen dürfen, daß unter dem Regime der Vierhundert Mànner von demokratischer Gesinnung

Kommandostellen bei den Peripoloi innegehabt haben,?? liegt es nahe, eine Verschwórung, die den Befehlshaber dieser Truppe involvierte, im Umfeld

der Regierungskreise, also doch wohl ihres ‘gemäßigten’, phrynichosfeindlichen Flügels, anzusiedeln. Im Hinblick darauf wie auch auf die politische Konstellation in der Endphase des Vierhunderter-Regimes allgemein ist es wohl am wahrscheinlichsten, in dem Mordanschlag auf Phrynichos einen von

der ‘gemäßigten’ Opposition ausgehenden Versuch zur Einschüchterung ihrer radikaloligarchischen Gegenspieler zu erblicken.

nach Thukydides'

In jedem

Falle waren es

ausdrücklicher Angabe die Kreise um Theramenes, die

insofern den unmittelbaren Nutzen aus der Tótung des Phrynichos zogen, als sie aufgrund der Folgenlosigkeit der Tat den Mut zu weiterem Handeln

gewannen.” Ob Theramenes und Aristokrates selbst in die Pläne der Attentäter eingeweiht waren oder ob hier eine Hetairie aus dem Umfeld der Oppositionsbewegung auf eigene Faust gehandelt hat, wird sich beim jetzigen Stand der Evidenz wohl kaum entscheiden lassen.

Wichtiger aber und aufschlußreicher als alle Spekulationen über die möglichen Hintermänner des Anschlages ist die Reaktion der Vierhundert darauf. Thukydides berichtet, daß die von den Vierhundert angestellten Untersuchun-

gen über die Hintergründe der Tat im Sande verliefen, nachdem der festgenommene argivische Euvepyös selbst unter der Folter nicht dazu zu bringen

war, die Namen der Auftraggeber preiszugeben.?? Dieses ergebnislose Versanden des Verfahrens wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Situation in der Endphase des Regimes der Vierhundert, vor allem zeigt es uns deutlich, wie sehr damals

innerhalb der herrschenden

Gruppe bereits das Gefühl der Unsicherheit und Schwäche um sich gegriffen hatte. Man darf wohl mit Fug und Recht behaupten, daß ein Gewaltregime,

das auf die eigenen Kräfte vertraut und im Interesse seiner Machtbehauptung zu allem entschlossen ist, auf die Tótung eines seiner führenden Exponenten anders zu reagieren pflegt als mit jener Zurückhaltung und Unentschlossen24 In Erwägung gezogen von Hommel,

Peripoloi 852; Sartori, eterie 124 und Avery,

Studies 192.323; dagegen wohl zu Recht Andrewes, HCT V 311, der unter dem Peripolarchen von Thuk. 8,92,2 den Kommandanten aller Peripoloi verstehen möchte, während

Hermon nur die in Munychia stationierte Abteilung derselben befehligt habe. 235 Vgl. Avery, Studies 193, der davon ausgeht, daß der Peripolarch Hermon von Thuk. 8,92,5 in jedem Fall ein Vertrauensmann der Oligarchen gewesen sein muß: Falls er nicht überhaupt erst von ihnen eingesetzt worden sei, müsse man annehmen, daf er sich den Verschwórern rechtzeitig angeschlossen habe (dazu jedoch u., S. 276). 236 "Thuk. 8,92,2 τότε δὴ οὐδενὸς γεγενημένου

ἀπ᾿ αὐτοῦ νεωτέρου καὶ ὁ Θηραμένης

ἤδη θρασύτερον καὶ ᾿Αριστοκράτης καὶ ὅσοι ἄλλοι τῶν τετρακοσίων αὐτῶν καὶ τῶν ἔξωθεν ἦσαν ὁμογνώμονες ἧσαν ἐπὶ τὰ πράγματα.

2 Thuk. 8,92,2.

- 270 -

heit, die das Verhalten der Vierhundert nach dem Attentat auf Phrynichos kennzeichnet. Hätten die Radikalen unter den Regimehäuptern sich ihrer Machtposition sicher gefühlt, so hátte die Ergebnislosigkeit der Untersuchung sie wohl kaum gehindert, Phrynichos’ Ermordung zum Anlaß für eine brutale ‘Säuberung’ unter den bekannten Oppositionellen zu nehmen. Daß sie nichts

dergleichen taten, sondern sogar in Kauf nahmen, durch ihre Untätigkeit der Gegenseite den Rücken zu stürken, war ein deutliches Eingestándnis von Schwäche und Ratlosigkeit, das von der Opposition nicht anders denn als Ermutigung aufgefaßt werden konnte.

Der Sturz des Regimes der Vierhundert Bald nach der Ermordung des Phrynichos entzündete sich die entscheidende

Konfrontation zwischen den Vierhundert und der Opposition an der Frage des Festungsbaues auf Eetioneia. Der Bau der Befestigungsmauer auf dieser Halbinsel im Piráus war, wie bereits oben (S. 261) erwühnt, von Theramenes schon zuvor mit dem Argument kritisiert worden, die geplante Befestigung sei

nicht zum Schutz des Hafens gedacht, die ‘Defätisten’ innerhalb der Regierung wollten hier vielmehr ein auch gegen die Stadt geschütztes Bollwerk errichten, von dem aus sie gegebenenfalls den Peloponnesiern Zutritt zum Piräus verschaffen kónnten."* Die nach Ansicht des Thukydides durchaus nicht unbegründeten Vorwürfe des Theramenes stärkten bei der Menge das

ohnehin gärende Gefühl des Mißtrauens gegen die Absichten der Herrschenden, und als eine an sich nach Eubóa bestimmte peloponnesische Flottenabtei-

lung zunächst bei Epidauros anlegte und dann einen Überfall auf Ägina unternahm, nahmen Theramenes und seine Gesinnungsgenossen dies als Bestäti-

gung ihrer schlimmsten Befürchtungen und sahen die Zeit zum Handeln für gekommen.

Die Hopliten einer im Piráus zum Bau an der Eetioneia-Befestigung eingesetzten Abteilung, bei der auch Aristokrates Skelliou stand, setzten das erste Zeichen zum Abfall von den Vierhundert, indem sie die Weiterarbeit verwei-

gerten und den Strategen Alexikles, der als Vertreter des extremistischen Oligarchenflügels galt, festsetzten. Ihre Aktion fand Unterstützung in der Bevólkerung, auch Hermon, der Befehlshaber der auf Munychia stationierten

Peripoloi-Truppen, schlof sich den Meuterern an. Die Vierhundert, die im Augenblick des Eintreffens der Nachricht von diesen Vorgängen gerade zu einer Ratssitzung versammelt waren, wollten zunächst gegen Theramenes losfahren, ließen sich aber besänftigen und entsandten ihn zusammen mit einem anderen der Strategen, Aristarchos, und einer Abteilung junger Ritter in den Piráus, um dort die Wogen zu glátten. Theramenes hielt D! Thuk. 8,90,3 (zit. o., S. 263 Anm. 210); vgl. Xen. hell. 2,3,46.

-271 -

den Hopliten - nach Thukydides' Urteil nur zum Schein - eine Strafpredigt, worauf ihn die Menge mit der Frage konfrontierte, ob die Eetioneia-Mauer zu Recht erbaut werde oder ob man sie niederreißen solle. Theramenes antwortete, falls es ihnen gut scheine, sie niederzureißen, so sei auch er dafür, und

gab damit das Signal zu einem leidenschaftlichen Ausbruch der Massenstimmung: Unter der Parole „es sollten die Fünftausend herrschen anstelle der Vierhundert", machten sich die Hopliten, durch zahlreiche freiwillige Helfer aus der Bewohnerschaft des Piräus verstärkt, gleichsam um die Wette an die Zerstörung des Mauerwerkes. Während am folgenden Tag die Vierhundert „in ihrer Konfusion" im Buleu-

terion zusammentraten, Munychia

eine

hielten die Hopliten

Versammlung

ab,

zogen

im Dionysostheater bei der

daraufhin

zur

Stadt

bis

zum

Anakeion, wo ihnen einige von den Vierhundert entgegentraten und im persönlichen Gespräch die „respektablen‘“ Elemente der Masse zu überreden versuchten, „sie möchten die anderen im Zaume halten; man werde die Fünftausend einsetzen und aus diesen sollten der Reihe nach die Vierhundert bestellt werden; sie sollten bloß bis dahin nicht die Stadt verderben oder den

Feinden preisgeben“. Man einigte sich schließlich

darauf,

zu einem

gegebenen

Termin

eine

„Ekklesie über die Eintracht“ im städtischen Dionysostheater abzuhalten. Als dann der festgesetzte Termin herankam, wurde die eben im Zusammentre-

ten begriffene Versammlung durch die Meldung aufgeschreckt, das peloponnesische Geschwader von Epidauros sei bei Salamis gesichtet worden. Unter dem Eindruck dieser Nachricht löste sich die Versammlung auf, und das gesamte athenische Aufgebot eilte nach dem Piräus, um die befürchtete Inva-

sion abzuwehren. Als dann klar wurde, daß die Peloponnesier Kurs auf Euböa nahmen, entsandten die Athener eine eilig bemannte Flottenabteilung zum Schutze der Insel, erlitten aber bei Eretria eine schwere Niederlage, die zum

Verlust fast ganz Euböas führte. Auf die Nachricht von dieser Katastrophe beriefen die Athener eine Ekklesie auf der Pnyx ein, auf der beschlossen wurde, die Vierhundert abzusetzen und die Regierungsgewalt den Fünftau-

send (zu denen nunmehr alle Hopliten gehören sollten) zu übergeben. Auf diese entscheidende Versammlung seien nach Thukydides noch weitere Ekklesien gefolgt, in denen Nomotheten bestellt und weitere Beschlüsse über die Verfassung gefaßt worden seien, deren konkreten Inhalt uns der Historiker nicht mitteilt. Unternimmt man den Versuch, die im oben referierten Bericht des Thukydi-

des (8,92,3-97,3) geschilderten Vorgänge um die Eetioneia-Meuterei einer kritischen Analyse und Bewertung zu unterziehen, so muß dabei jedenfalls von drei Hauptfragen ausgegangen werden: - Sollte der Bau der Eetioneia-Mauer wirklich den von Theramenes unterstellten landesverräterischen Zwecken dienen?

- 272 - War die Meuterei, die sich an diesem Bauvorhaben

entzündete, eine

spontane Aktion oder ein von den oppositionellen Kreisen vorgeplantes und inszeniertes Unternehmen?

- Und schließlich: Welche politischen Ziele haben die Oppositionellen eigentlich verfolgt? Was die erste dieser Fragen betrifft, so dürfte die Eetioneia-Mauer zu dem

Zeitpunkt, da die Hopliten ihren Weiterbau verweigerten, von den Gegnern der Vierhundert lángst schon über alle konkreten Befürchtungen hinaus als ein Symbol des Oligarchenregimes, als „athenische Bastille“,?”” wahrgenommen worden sein. Dennoch ist die Frage zu stellen, ob und wieweit die besagten konkreten Befürchtungen eines mit Hilfe der Eetioneia-Festung zu

bewerkstelligenden

Landesverrates

ihre Berechtigung

hatten.

Thukydides

scheint diese Frage zu bejahen, wenn er 8,91,3 feststellt „es war auf seiten derer, denen der Vorwurf galt, tatsächlich etwas dieser Art [im Gange], und

an den Reden [des Theramenes] war nicht alles nur Agitation.“ (Av δέ τι kal τοιοῦτον ἀπὸ τῶν τὴν κατηγορίαν ἐχόντων. kal ou Távu διαβολὴ μόνον τοῦ λόγου). Noch deutlicher in diese Richtung weist eine weitere Bemerkung des Historikers (8,92,1): „Deshalb bauten sie diese Mauer [auf Eetioneia] mit Türchen, Einlassen und Zugängen für die Feinde mit allem Eifer und wollten unbedingt rechtzeitig fertig werden.“ (διόπερ kal τὸ τεῖχος τοῦτο kal πυλίδας ἔχον

καὶ ἐσόδους καὶ ἐπεσαγωγὰς τῶν πολεμίων ἐτείχιζόν τε προθύμως καὶ φθῆναι ἐβούλοντο ἐξεργασάμενοι). Auf der anderen Seite sticht es ins Auge, daß Thukydides späterhin (8,94,2) im Zusammenhang mit dem Erscheinen der peloponnesischen Flottenabteilung vor Salamis die Vorstellung eines geheimen Einverständnisses zwischen

dem spartanischen Nauarchen und athenischen Persónlichkeiten in Zweifel zieht: „Vielleicht hatte sich Agesandridas aufgrund einer Absprache bei Epidauros aufgehalten, wahrscheinlich aber ist er [vielmehr] wegen des gegenwärtigen inneren Zwists der Athener, in der Hoffnung, daß er ihm zum Vorteil ausschlagen würde, dort verblieben“ (ὁ δὲ ᾿Αγησανδρίδας τάχα μέν τι Kal ἀπὸ ξυγκειμένου λόγον περί τε τὴν ᾿Επίδαυρον καὶ ταύτῃ ἀνεστρέφετο, εἰκὸς δ᾽ αὐτὸν καὶ πρὸς τὸν παρόντα στασιασμὸν τῶν ᾿Αθηναίων. δι᾽ ἐλπίδος ὡς κἂν ἐς δέον παραγένοιτο, ταύτῃ ἀωξέχειν).5

Versuchen wir diese scheinbar widersprüchlichen Äußerungen miteinander in Einklang zu bringen, so haben wir zu berücksichtigen, daß sich Thukydides in der ersten Passage auf eine vergleichsweise kryptische Feststellung beschränkt, die für sich genommen nicht mehr besagt, als daB man in den Kreisen der Oligarchen willens gewesen sei, im Falle der äußersten Bedrängnis die 29 So die pointierte Formulierung bei Junius, Oligarques 88. 20 Zu dieser Stelle s. Erbse, Thukydides-Interpretationen 24f.

-273Souveränität Athens preiszugeben. Die obenzitierte Bemerkung über den forcierten Bau der Eetioneia-Mauer in Thuk. 8,92,1 spricht zwar dafür, daß die Betreiber dieser Pläne - zumindest nach Thukydides' Auffassung - den

Zeitpunkt dieser äußersten Bedrängnis bereits als unmittelbar bevorstehend erachteten (φθῆναι ἐβούλοντο), aber auch das impliziert nicht zwangsläufig die Existenz einer konkreten Absprache zwischen ihnen und den Spartanern. Gegen ein solches geheimes Einverständnis mit dem Landesfeind scheint

jedenfalls der von der spartanischen Flottenabteilung unternommene Überfall auf Àgina^" zu sprechen: Hätte Agesandridas konkrete Aussichten gehabt, Athen durch die Hilfe von Verrätern in seine Hände zu bekommen, so hätte er

die Stadtbewohner nach Möglichkeit in Sicherheit wiegen und daher diese Aktion, die den Athenern die von dieser Seite her drohende Gefahr erst recht

deutlich vor Augen führte, unterlassen müssen. Wie immer wir die Glaubwürdigkeit des angeblichen Einverständnisses zwischen den Extremisten der Vierhundert und den Spartanern auch einschätzen mögen, ein Punkt geht aus Thukydides’ Bericht jedenfalls klar hervor: daß die oligarchischen Ultras, ehe sie eine allfällige landesverräterische Aktion ins Werk zu setzen gedachten, die Eetioneia-Befestigung vollendet haben wollten. Dieses Junktim zwischen Landesverrat und Eetioneia-Festung ist insofern auffällig, als ein solcher Zusammenhang von der Sache her nicht zwingend gegeben gewesen sein kann: Wenn es den Extremisten nur darum gegangen wäre, den Spartanern Einlaß in die Stadt zu gewähren,

so hätte sich dafür

wohl auch außerhalb der Eetioneia ein passender Ort gefunden. Es ist daher eher wahrscheinlich, daß die oligarchischen Ultras die Eetioneia als eine *Fluchtburg' betrachteten, einen festen Platz, wo sie mitsamt ihrem Anhang im Falle eines politischen Umschwunges Zuflucht finden und sich

nötigenfalls auch gegen eine Übermacht verteidigen konnten." Daß die Fe-

stung in diesem Falle zugleich auch als Brückenkopf für eine allenfalls herbeizurufende peloponnesische Streitmacht dienen konnte, war dabei wohl ein erwünschter Effekt, aber eben nicht der Hauptzweck des Befestigungsbaues. Diesen haben wir vielmehr in dem erwähnten Fluchtburgcharakter der Anlage zu erblicken.

Aus der Sicht der Oppositionellen freilich konnte dies keinen großen Unterschied bedeuten: für sie war die Befestigung in Eetioneia in jedem Fall ein

klarer Beweis für die landesverräterischen Umtriebe der Machthaber. Es war nur logisch und konsequent, daß sich der offene Widerstand der Hopliten an diesem Bauwerk entzündete.

?*! Thuk. 8,92,3. 241 Die Fluchtburgfunktion der Eetioneia-Festung betont auch Welwei, Athen 225. Daneben ist, wie McCoy, Debut 181 Anm. 28 zu Recht bemerkt, auch zu bedenken, daß der

Besitz eines eigenen festen Platzes den Radikalen auch gegenüber den Spartanern eine bessere Verhandlungsposition verschaffen mußte.

-274Dies führt uns zu der Frage, ob die Verweigerung der Hopliten ein spontaner Akt des Widerstandes war oder ob es sich nicht vielmehr um eine von den Führern der Oppositionsbewegung

geschickt vorinszenierte Erhebung

han-

delte. Thukydides scheint letzteres anzunehmen, da er in seiner Darstellung ganz

klar eine Verbindung zwischen der Agitation des Theramenes und der Meuterei der Hopliten herstellt.?? Auch die Tatsache, daß Theramenes' Gesinnungsgenosse Aristokrates bei den Vorgángen auf Eetioneia zugegen war und an der Meuterei der Hopliten teilnahm, scheint zunächst auf eine vorausge-

plante Aktion des gemäßigten Flügels der Vierhundert hinzudeuten.^^ Nicht recht in dieses Bild paBt jedoch das Verhalten des Theramenes, wie es uns bei Thukydides geschildert wird. MuB es bei Annahme einer vorgeplanten Erhebung schon überraschen, daB der Führer der Opposition am Tage des Losschlagens an der Ratssitzung der Vierhundert teilnahm, wo er sich beim Eintreffen der Nachricht aus dem Pi-

räus an Leib und Leben bedroht sah und zu fragwürdigen Ausflüchten seine

Zuflucht nehmen ten erst recht den provisation: Die Hopliten, gefolgt

mufite, so macht sein Auftritt vor den meuternden HopliEindruck einer aus der Not des Augenblicks geborenen Imzum Schein? gezeigte Empörung über die Meuterei der von der im Verháltnis zu der klaren Frage der Hopliten aus-

weichenden Antwort „wenn es ihnen geraten scheine, [die Mauer] niederzureißen, so schließe er sich ihrer Meinung an“ (εἴπερ καὶ ἐκείνοις δοκεῖ Kaθαιρεῖν kal ἑαυτῷ ἔφη Euvdoreiv)” lassen ein Lavieren zwischen den

?9 Dies ist bereits in der oben, S. 269 Anm. 236 zitierten Äußerung bei Thuk. 8,92,2 impliziert, derzufolge Theramenes, Aristokrates und ihre Gesinnungsgenossen aufgrund der Folgenlosigkeit des Phrynichosmordes den Mut zum Handeln gefunden hätten. Noch deutlicher ist dann in 8,92,3f. die Verbindung zwischen Theramenes’

Aufruf zum Handeln

(οὐκέτι οὖν οἷόν τε εἶναι ἡσυχάζειν) und dem schließlichen Losschlagen der Hopliten herausgearbeitet (τέλος δὲ πολλῶν kal στασιωτικῶν λόγων καὶ ὑποψιῶν προσγενομένων καὶ ἔργῳ ἤδη ἥπτοντο τῶν πραγμάτων).

24 Thuk. 8,92,4; [Demosth.] 58,67; vgl. Avery, Studies 325 „... it happened that the right man, Aristocrates, was on the spot at that time, that the nght man, Hermon, was there to aid, and that the night man, Theramenes, came down from Athens as a representative of the

Four Hundred to see what it was all about." Für eine Planer- bzw. Anstifterrolle des Theramenes s. auch McCoy, Moderates 87 und Welwei, Athen 225. 24 Thuk. 8,92,6 ὁ δὲ ἀπολογούμενος ἑτοῖμος ἔφη elvat ξυναφαιρησόμενος ἰέναι ἤδη;

Theramenes' Anwesenheit in der Sitzung wird von Pesely, Theramenes 138 als ein Indiz dafür gewertet, „that he had no prior knowledge of the plan to arrest Alexikles - unless he boldly calculated that he could face down the inevitable accusations". Von den beiden von Pesely umrissenen Möglichkeiten wird man wohl der ersteren größere Wahrscheinlichkeit zuerkennen, wenn man, wie im Text angenommen, Theramenes' unklare Haltung gegen-

über den Hopliten als Zeichen der Unsicherheit wertet.

246 Zur Bedeutung von ὅσον καὶ ἀπὸ Boris in Thuk. 8,92,9 s. Classen/Steup, Thukydides 236.

"^" Thuk. 8,92,10.

- 275 -

Fronten erkennen,* das gut zu dem späterhin auf Theramenes gemünzten Bild des wendigen ,,Kothurns" paßt, aber nicht gerade von jener souveränen Beherrschung der Lage zeugt, die man von einem Verschwórungshaupt im Augenblick der Ausführung eines vorgefaBten Putschplanes eigentlich erwarten könnte. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß Theramenes'

ausweichende Reaktion auf die klare Frage der Hopliten in den Augen man-

cher Augenzeugen geeignet war, einen Schatten des Zweifels, wenn schon nicht auf die Aufrichtigkeit seiner politischen Haltung, so doch auf seine Führungsqualitáten zu werfen. Zwar könnte man zur Not für diese Auffälligkeiten in Theramenes’ Verhalten Erklärungen beibringen, die sich mit der Annahme eines von ihm im voraus arrangierten Plans vereinbaren ließen - etwa die Annahme, er habe sich, ehe

er selbst Stellung bezog, erst über die Stimmung der Hopliten Gewißheit verschaffen wollen“ -, aber alles in allem wirkt Theramenes’ Handlungsweise doch eher wie diejenige eines Mannes, der von der Entwicklung der Dinge überrascht ist und danach strebt, sich in einer unklaren Situation gegen alle möglichen Wechselfälle abzusichern.

Als ein derartiger Versuch ließe sich dann auch seine Antwort auf die Frage der Hopliten verstehen: Indem Theramenes seine Entscheidung ausdrücklich vom Votum der Menge abhängig machte, schuf er sich die Chance, an der Revolte auf eine Weise teilzuhaben, die ihm gegebenenfalls immer noch die Möglichkeit offenließ, sich als vom Druck einer unwiderstehlichen Massen-

stimmung Getriebenen hinzustellen.

Wenn wir demnach gute Gründe für die Möglichkeit anzuerkennen haben, daß der Ausbruch der Meuterei dem Theramenes selbst überraschend kam, so

muB auch die Präsenz des Aristokrates Skelliou unter den Hopliten nicht zwingend als Ergebnis eines vorgefaßten Aktionsplans gewertet werden. Wenn zum Mauerbau auf Eetioneia verschiedene Hoplitenabteilungen im Wechsel zum Einsatz kamen, so war es nur natürlich, daß die Reihe auch an

die von Aristokrates befehligte Abteilung kam. Daß er diese Funktion mit Vorbedacht nützte, um den ‘Proteststreik’ gegen die Eetioneia-Befestigung zu initiieren, ist damit nicht gesagt; es ist ebensogut vorstellbar, daß die bloße

Gegenwart des als oppositionell gesinnt bekannten Taxiarchen den Hopliten Mut machte, auf eigene Initiative gegen das verhaßte Mauerbauprojekt der 7 Diese Überlegung gilt umso stärker, wenn die Hopliten von vornherein davon ausgingen, daß Theramenes im Grunde auf ihrer Seite stand (vgl. Pesely, Theramenes 140). In diesem Falle mußte ihnen die Verweigerung einer eindeutigen Stellungnahme seitens des Strategen, der ja nach Thukydides' Angabe (8,91,1) schon seit langem vor den mit dem

Betioneia-Bau verknüpften bösen Absichten der Oligarchen gewarnt hatte, erst recht befremdlich erscheinen. Zum Taktieren des Theramenes im Angesicht des Hoplitenaufstandes vgl. auch Bleckmann, Athens Weg 371.

24 So z. B. Busolt, GG III 2, 1505; vgl. McCoy, Debut 183f.

- 276 -

Oligarchen zu opponieren, und Aristokrates somit von der allgemeinen Stimmung in die Rolle des Widerstandsführers hineingetrieben wurde, als der er

im Gedächtnis späterer Generationen weiterlebte.?

Noch weniger als die Rolle des Aristokrates wird man die Präsenz des Peripoloi-Kommandanten Hermon am Orte des Geschehens als Indiz für ein vorin-

szeniertes Komplott werten kónnen:?' Thukydides bezeichnet diesen Offizier ausdrücklich als Befehlshaber der auf Munychia, der Hauptfestung des Piräusbereichs, stationierten Abteilung der Peripoloi; es ist daher verwunderlich, daß er beim Ausbruch des Tumultes zur Stelle war.

nicht

Im Hinblick auf diese Fakten und Überlegungen wird man die Móglichkeit nicht von der Hand weisen können, daß sich die den Sturz der Vierhundert

einleitende Meuterei aus einem spontanen Protest der Hopliten heraus entwickelt hat, einer Aktion, die zwar durchaus den Wünschen der Oppositionel-

len um Theramenes und Aristokrates entsprach, aber von diesen nicht vorsätzlich geplant war. Daß Thukydides demgegenüber die Vorstellung einer

vorgeplanten Aktion suggeriert, ließe sich wohl durch den Einfluß eines Gewährsmannes aus dem Kreise der Oligarchen erklären. Anhänger eines ge-

stürzten Systems pflegen mit Verschwörungs- und Verratstheorien rasch bei der Hand zu sein, und daß man in diesen Kreisen den Theramenes, der ja tatsächlich durch seine oppositionelle Haltung das Regime der Vierhundert un-

terminiert und später am stärksten vom Sturz der Oligarchie profitiert hatte, als Urheber des den Oligarchen widerfahrenen Übels betrachtete, war unter den gegebenen Umständen nur natürlich.” Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse haben wir nun die dritte der oben aufgeworfenen Fragen zu behandeln, diejenige nach den eigentlichen politischen Zielen der Oppositionsbewegung. Hier haben wir zunächst das ausdrückliche Zeugnis des Thukydides zu beachten, daß die Meuterer zwar nach außen hin die Parole von der Einsetzung der Fünftausend verkündet, in Wirk-

lichkeit aber nach der Wiederherstellung der Macht des Demos gestrebt hätten.?? Dieser thukydideischen Aussage wird naturgemäß vor allem von jenen Autoren Gewicht zugemessen, die die Vorstellung einer „Verfassung der Fünftausend“ in das Reich der Fabel verweisen und das auf die Vierhundert 20 [Demosth.] 58,67. Zu diesem in der mündlichen Überlieferung tradierten Bild des Aristokrates als demokratischen Helden s. Zunino, Arıstocrate passim, die herausarbeitet, daß

das von Pseudo-Demosthenes gezeichnete Bild hinsichtlich der zugrunde gelegten Fakten mit der thukydideischen Darstellung korrespondiert. Die der Pseudo-Demosthenesstelle zugrunde liegende Familientradition habe also die Fakten nicht verfälscht, sondern lediglich in einer Weise präsentiert, die geeignet war, den Rolle des Aristokrates herauszustreichen.

25! So jedoch Avery, Studies 325 (zit. o., S. 274 Anm. 244). 252 vgl. die Kritik des Kritias in der Anklagerede bei Xenophon (hell. 2,3,30 und 32 [zit 01 S. 235 Anm. 93]).

2° Thuk. 8,92,11 (zit. o., S. 262 Anm. 203).

-271folgende System als Demokratie ansehen móchten. Wir werden uns mit dieser Auffassung im folgenden Abschnitt auseinanderzusetzen haben. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, daB sich die Meuterer auf Eetioneia trotz ihrer angeblich demokratischen Gesinnung mit einer gemäßigten Forderung begnügten: Ihre ‘offizielle’ Parole war die Einsetzung der Fünftausend, und die Verwunderung darüber, die im Bericht des Thukydides durchschimmert und den Historiker veranlaßte, für dieses mit seinen Vorstellungen vom demokratischen Charakter der Oppositionsbewegung schwer vereinbare Faktum eine Erklärung zu suchen,” kann das Gewicht dieser Tatsache nur un-

terstreichen. Gerade wenn Thukydides' Erklárungsversuch das Richtige trifft, wenn die demokratisch Gesinnten tatsächlich aus Furcht und Mißtrauen nicht wagten, mit ihren eigentlichen Absichten an die Öffentlichkeit zu treten, müßte dies als Indiz für die Stärke derjenigen Kräfte gewertet werden, die einer Hoplitenpoliteia den Vorzug vor der vollen Demokratie gaben.?” In die gleiche Richtung weist der Inhalt der von Alkibiades an die Athener gerichteten Botschaft, die, wie wir schon gesehen haben, auf die Stimmungs-

lage ebenjener Kreise berechnet war.?” Die von Thukydides bestätigte durchschlagende Wirkung der Alkibiadesbotschaft deutet darauf hin, daß diese Position in Athen zahlreiche Anhänger hatte. Angesichts dieser Indizien scheint es gerechtfertigt, die thukydideische Behauptung von der im Grunde demokratischen Gesinnung der Oppositionellen zumindest zu modifizieren. Es handelt sich hier um eine bloße Meinungsäußerung des Historikers, die vielleicht von seinem Wissen um den Fortgang der Ereignisse beeinflußt

ist?" und die man jedenfalls nicht unbesehens als für die Oppositionsbewegung in ihrer Gesamtheit gültig ansehen darf:”” Zweifellos werden unter den 234 Thuk. 8,92,11 φοβούμενοι μὴ τῷ ὄντι co [sc. ol πεντακισχίλιοι] kal πρός τινα εἰπών τίς m ἀγνοίᾳ σφαλῇ.

155 Thukydides' Wortlaut erweckt freilich den Eindruck, die Kryptodemokraten hätten sich ohne Grund von dem

nur dem Namen

nach existierenden

‘Phantom’

der Fünftausend

schrecken lassen. Aber dies könnte, selbst wenn es für den einzelnen Hopliten oder Piräusbewohner zugetroffen haben mag, keinesfalls für Theramenes und die übrigen Anführer der Oppositionsbewegung gegolten haben, bei denen wir einen besseren Kenntnisstand der Stimmungslage voraussetzen dürfen.

236 Thuk. 8,86,6f., s. dazu o., S. 257-259, bes. 259.

237 Rhodes, Five Thousand 121 „In the summer of 410 the full democracy was restored: in

the light of that, Thucydides may have read a desire for full democracy into all opposition to the extremists - and he may have been wrong". 28 Skepsis gegen Thukydides' Behauptung äußert auch McCoy, Moderates 87 und 103 Anm. 81. Die Vermutung von Razzano Giammarco, Teramene 408, die Hopliten hätten im Sinne der

Alkbiadesbotschaft die Einsetzung der Fünftausend und die Wiederherstellung eines Rates der Fünfhundert verlangt, während Theramenes und seine Anhänger zwar die Installation der Fünftausend akzeptiert hätten, aber daneben die Vierhundert hätten erhalten wollen, läßt sich aus den Quellen nicht erhärten. Die von der Autorin in diesem Zusammenhang angeführten Parolen bei Thuk. 8,89,2 und 8,92,11 können ebensowenig als beweiskräftig

- 278 meuternden Hopliten auf der Eetioneia und erst recht unter den bei der Niederreißung der Mauer Hand anlegenden πολλοὶ τῶν ἐκ τοῦ Πειραιῶς

ἀνθρώπων" viele die Wiederherstellung der vollen Demokratie erstrebt

haben, aber Seite an Seite mit ihnen standen diejenigen, die bei aller Ableh-

nung der Vierhundert auch der radikalen Demokratie ein gehóriges MaB an

Skepsis entgegenbrachten.

angesehen werden wie der Vorschlag der Emissáre der Vierhundert in Thuk. 8,93,2, da es

sich in jedem dieser Fälle um propagandistisch motivierte Äußerungen handelt, die nicht einfach mit den tatsächlichen Zielsetzungen irgendeiner Gruppe gleichgesetzt werden kónnen.

75 Thuk. 8,92,10; zur Ambiguität dieses Ausdrucks, der sowohl athenische Theten als Metóken bezeichnen kann, s. Ruzé, Délibération 492.

-279IV. ATHEN NACH DEM STURZ DER VIERHUNDERT

Die ‘Verfassung der Fünftausend’ Nach dem Bericht des Thukydides beriefen „die Athener“ nach der Niederlage vor Euböa in Athen eine Versammlung auf die Pnyx ein, im Zuge derer die grundlegenden Bestimmungen über die weitere Gestaltung der Staatsordnung getroffen wurden. Im Anschluß daran seien noch weitere verfassunggebende Versammlungen abgehalten worden (Thuk. 8,97, 1f.): (1) (ol ᾿Αθηναῖοι] ... τοὺς τετρακοσίους καταπαύσαντες

τοῖς πεντακισχιλίοις

ἐψηφίσαντο τὰ πράγματα παραδοῦναι (εἶναι δὲ αὐτῶν ὁπόσοι καὶ ὅπλα παρέχονται) καὶ μισθὸν μηδένα φέρειν μηδεμιᾷ ἀρχῇ εἰ δὲ μή, ἐπάρατον ἐποιήσαντο.

(2) ἐγίγνοντο δὲ καὶ ἄλλαι ὕστερον πυκναὶ ἐκκλησίαι, ἀφ᾽ ὧν καὶ νομοθέτας καὶ τἄλλα ἐψηφίσαντο ἐς τὴν πολιτείαν. καὶ οὐχ ἥκιστα δὴ τὸν πρῶτον χρόνον ἐπί γε ἐμοῦ ᾿Αθηναῖοι φαίνονται εὖ πολιτεύσαντες" μετρία γὰρ ἥ τε ἐς τοὺς ὀλίγους καὶ τοὺς πολλοὺς ξύγκρασις ἐγένετο καὶ ἐκ πονήρων τῶν πραγμάτων γενομένων τοῦτο πρῶτον ἀνήνεγκε τὴν πόλιν. »[Die Athener] ... setzten die Vierhundert ab und beschlossen, den Fünftausend die Gescháfte zu übergeben (zu denen aber sollten alle gehóren, die volle Waffenrüstung bereitstellten') und daß kein Amt in irgendeiner Weise besoldet sein solle. Wenn man sich aber nicht daran halten würde, so sollte das mit einem Fluch belegt sein. Es fanden später noch zahlreiche weitere Versammlungen statt, auf denen sie [die Einsetzung von] Nomotheten und anderes betreffend die Staatsordnung beschlossen.

Und nicht zum wenigsten scheinen die Athener damals zum erstenmal in meiner Lebenszeit unter einer guten Verfassung gelebt zu haben. Es war nümlich eine Mischung in der Mitte zwischen den wenigen und den vielen und hat zuerst die Stadt aus ihrer schlimmen Lage wieder herausgebracht.“

' Eine alternative Möglichkeit des Verstándnisses dieser Phrase erwägt V. Ramon bei Sancho Rocher, Zraot y κράσις 51: ... elvai δὲ [τοὺς πεντακισχιλίους] αὐτῶν ὁπόσοι

καὶ ὅπλα παρέχονται “Die Fünftausend sollten aus den Reihen derjenigen genommen werden, die volle Waffenrüstung bereitstellten". Sancho Rocher, die sich diese Interpretation zu eigen macht, sieht darin eine Móglichkeit zur Lósung des Widerspruches zwischen dem οὔτε μεθεκτέον τῶν πραγμάτων πλέοσιν ἢ πεντακισχιλίοις von Thuk. 8,65,3

und dem traditionellen Verstándnis unserer Stelle, demzufolge alle Hopliten zu den Fünftausend gehören sollten. Das von Ramon und Sancho Rocher angenommene Verständnis der Stelle würde einerseits einen Eingriff in die überlieferte Textgestalt voraussetzen, ande-

rerseits stellt sich dabei die Frage, welchen Zweck die in diesem Sinn verstandene Notiz im Rahmen der Thukydidesstelle haben sollte: Da es schon nach Thuk. 8,65,3 klar war, daß die Fünftausend aus den Reihen der Oberschicht rekrutiert werden, aber nicht die Gesamtheit der ὅπλα παρεχόμενοι umfassen sollten, läßt sich kein Grund erkennen,

weshalb der Historiker in dem knappen

Referat 8,97,1

diesen Umstand ausdrücklich

wiederholt haben sollte. Legen wir hingegen das traditionelle Verständnis zu Grunde, so

stellt die Angabe „es sollten alle ὅπλα παρεχόμενοι zu den Fünftausend gehören“ gegenüber den in 8,65,3 und 8,72,1 gebotenen Informationen eine wichtige Ánderung dar, die aus der Sicht des Historikers jedenfalls der Ewähnung wert sein mußte.

- 280 -

Im Hinblick auf das thukydideische τοῖς πεντακισχιλίοις ἐψηφίσαντο rà πράγματα παραδοῦναι ging die communis opinio der älteren Forschung davon aus, daB auf den in Thuk. 8,97,1f. beschriebenen Versammlungen eine Verfassungsordnung beschlossen wurde, in der die souveräne Staatsgewalt bei

einer Versammlung lag, an der teilzunehmen nur die zum Hoplitendienst oder höher qualifizierten Athener berechtigt gewesen seien, eine Verfassung also,

die dem Prinzip der 'Hoplitenpoliteia', das Theramenes in seiner Verteidigungsrede bei Xenophon als sein stetes politisches Ideal bezeichnet,’ entsprochen hátte.

Gegen diese in der álteren Forschung unbestrittene Gleichsetzung der auf das Regime der Vierhundert folgenden Verfassung mit einer Hoplitenpoliteia haben sich in jüngerer Zeit einige Gelehrte ausgesprochen und die Ansicht vertreten, daß in dem System, dessen Einrichtung in Thuk. 8,97,1f. beschrieben ist, alle Bürger, also auch die Theten Zutritt zu den Primárversammlungen

gehabt hätten; die herausgehobene Rolle der ‘Fünftausend’ (= der Hopliten und Aristokraten) habe lediglich darin bestanden, daB ihnen die Mitglied-

schaft im Rat und die Bekleidung der Ämter vorbehalten gewesen sei. Diese erstmals

1956 von de Ste.Croix aufgebrachte, dann von Gallucci

in gründ-

lichster Argumentation weiter ausgeführte These‘ hat bei einer Anzahl von Autoren

Akzeptanz

gefunden,”

ist aber bei

anderen

auf Ablehnung

und

entschiedenen Widerspruch gestoßen. Es scheint daher gerechtfertigt, die

Frage einer erneuten kritischen Prüfung zu unterziehen. Zu diesem Zweck sollen nun zunächst die von de Ste.Croix und Gallucci vorgebrachten Argumente und die von den Verfechtern der traditionellen

Auffassung dagegen erhobenen Einwände referiert, im Anschluß daran von diesen pro- und contra-Argumenten ausgehend der Versuch einer Bewertung

der einzelnen Streitpunkte gewagt werden. Die von de Ste. Croix und Gallucci gegen die communis opinio erhobenen

Einwände stützen sich auf folgende Indizien und Überlegungen: 1) Das Zeugnis des Thukydides über die im Grunde demokratische Orientierung der Oppositionsbewegung (s. o., S. 261f.276f.) könne als glaubwürdig

? So z. B. Busolt GG III 2 1509; Meyer, GdA "VII 561; Hignett HAC 375-378; für weitere Vertreter dieser Auffassung s. de Ste. Croix, Constitution 1 Anm. 2.

? Xen. hell. 2,3,48 (zit. o., S. 114 Anm. 29); zum Konzept der Hoplitenpoliteia vgl. auch die diesbezüglichen Ausführungen in Aristoteles’ Politik (3, 1294b 2-6).

* de Ste. Croix, Constitution passim, Gallucci, Myth, passim, s. bes. 10-12.126-128.131f.

* Hackl, Oligarchische Bewegung 62f.; Sealey, Revolution, 123-125 (vgl. dens, Constitu-

tional Changes passim, bes. 291f.), McCoy, Moderates 105-129; Razzano Giammarco, Teramene 406; Nippel, Mischverfassungstheorie 79; Ruzé, Délibération 508.

$ Ausführliche Gegenargumentationen bieten Rhodes, Five Thousand passim; Andrewes, HCT V 323-328 und Bleckmann, Athens Weg 358-370.

- 281 -

angesehen werden, zumal sich an der Niederreißung der Eetioneia-Mauer auBer den Hopliten auch zahlreiche Bewohner des Piráus - in ihrer Mehrheit wohl Angehórige der Thetenklasse - beteiligt hatten (8,92,10). Es sei nur lo-

gisch, wenn diese demokratische Orientierung in der darauffolgenden Regelung der Verfassungsverhältnisse ihren Niederschlag gefunden habe: „It is very difficult to believe that a hoplite oligarchy would have been set up, when

there was a strong movement in favour of democracy even within the hoplite class.‘ 2) Die Ausdrucksweise des Thukydides mache es äußerst wahrscheinlich, daß die in 8,97,1 erwähnte Versammlung nicht auf die Hopliten beschränkt war, sondern allen Athenern offenstand.” Es wäre höchst unwahrscheinlich, daß die athenischen Massen, nachdem sie so de facto wieder zur Teilhabe an der politischen Entscheidungsfindung gelangt waren, diese Position freiwillig aufgegeben und einer Ordnung zugestimmt haben sollten, die einen großen

Teil der Bürgerschaft des Stimmrechts beraubte. Darüberhinaus lege die grammatische Struktur der thukydideischen Passage die Auffassung nahe, daß auch die in 8,97,2 erwähnten πυκναὶ ἐκκλησίαι allen Athenern offengestanden hätten,!! was die Existenz einer auf die Hopliten und Reiter beschränkten

? Gallucci, Myth 56f. und 68f. führt neben dieser Stelle auch Thuk. 8,89,2-4 an, wo die Charakterisierung der Forderung nach Einsetzung der Fünftausend als σχῆμα πολιτικόν und die Angabe über das Streben der Oppositionsführer nach der Position des προστάτης

TOU δήμου von 8,89,4 den Schluß nahelege, daß die Führer der Opposition schon damals auf eine wiederhergestellte Demokratie hin orientiert gewesen seien. Eine. Bestätigung dafür böten auch die Angaben in 8,90,1f., die Extremisten unter den Vierhundert hätten einen Umsturz von seiten der πολλοί (nicht der Fünftausend) befürchtet und 8,91,3, sie

hátten am meisten gefürchtet, wieder unter die Gewalt des Demos zu kommen (Gallucci 711). S. jedoch für ein alternatives Verständnis der Phrase προστάτης τοῦ δήμου in Thuk. 8,89,4 Fouchard, Aristocratie et Démocratie 298, Anm. 2.

* de Ste. Croix, Constitution 9; Class Struggle 605f. Anm. 30.

? Dies ergebe

sich zum

einen

schon

aus der aus der Phrase

τοῖς

πεντακισχιλίοις

ἐψηφίσαντο τὰ πράγματα παραδοῦναι, aus der implizit hervorgehe, daß nicht die Fünftausend bzw. die Hopliten selbst als Subjekt des Vorganges gedacht sein kónnen (Gallucci, Myth 59), es ergebe sich weiters aus der Bemerkung ἐκκλησίαν .... ἐς τὴν Πύκνα καλουμένην.

οὗπερ

kal ἄλλοτε εἰώθεσαν

in Thuk. 8,97,1, die darauf hindeutet,

daß hier derselbe Personenkreis als Subjekt der Handlung gedacht ist wie in den traditionellen Ekklesien der Demokratie, nämlich οἱ ᾿Αθηναῖοι ohne irgendwelche Einschränkungen (Wilcken, Revolution 52f.; ebenso Gallucci, Myth 73-79, der wohl zu Recht auch die Verwendung von ol ᾿Αθηναῖοι in Thuk. 8,94,3-.96,5 als Beleg dafür geltend macht, daß man auch in 8,97,1 unter diesem Begriff die Gesamtheit der Athener zu verstehen habe).

Daß der Wortlaut des Thukydides die Möglichkeit einer Beteiligung auch der Theten an den Thuk. 8,97,1f. genannten Ekklesien offenlasse, bemerken auch Mossé, L' armée 9;

Flach, Staatsstreich 21 Anm. 71 und McCoy, Moderates 107. Für die entgegengesetzte traditionelle Ansicht s. Ferguson, Condemnation 365.

I? de Ste. Croix, Constitution 9f.

!! Dies vermuteten bereits Mossé, L' armée 9 und Flach, Staatsstreich 21 Anm. 71; auch Bleckmann, Athens Weg 373 geht davon aus, daß man in diesen Versammlungen „wohl

- 282 -

Versammlung lasse.

der

'Fünftausend'

erst

recht

unwahrscheinlich

erscheinen

3) Thukydides bezeichnet in 8,97,2 die aus den verfassunggebenden Versammlungen hervorgegangene Verfassungsordnung als eine μετρία ... ἐς τοὺς ὀλίγους kal τοὺς πολλοὺς ξύγκρασις. Nach Auffassung von de Ste. Croix wäre dieser Ausdruck einer Verfassung, die den πολλοί par excellence,

den Theten, keinerlei politische Rechte zugestand, nicht angemessen. Der Wortlaut des Thukydides impliziere vielmehr, daß auch die πολλοί, ebenso wie die ὀλίγοι ihren Anteil an der politischen Macht erhielten. Wollten wir angesichts dieses Wortlautes die gängige Ansicht aufrechterhalten, so müßten wir annehmen, daß Thukydides entweder eine Verfassung als gelungene Mi-

schung preist, die in Wirklichkeit den Vielen (d. h. den Theten) keinerlei Rechte gab, oder daB er die Existenz der Thetenklasse ignoriert und den Ausdruck οἱ πολλοί in einem einzigartig engen Sinn, nämlich nur auf die Hopli-

ten beschránkt, verwendet. Aber selbst wenn wir die letztere Auffassung zugrunde legen wollten, müßten wir annehmen, daß in der Ordnung von Thuk. 8,97,2 bestimmte politische Privilegien einer kleinen elitären Gruppe den ὀλίγοι (im Gegensatz zu den ToAAol-Hopliten verstanden) vorbehalten waren, sonst kónnte Thukydides nicht von einer Mischung sprechen. Diese Annahme wäre im Hinblick auf das, was Thuk. sonst von der politischen

Situation des Herbstes 411

berichtet, nur schwer zu akzeptieren."

4) Der Antrag des Kleitophon in Ath. Pol. 29,3'* zeigt nach Ansicht von de Ste. Croix, daß die ‘Gemäßigten’ im Frühjahr 411, als sie mit den Extremisten

kooperierten, nicht mehr wollten als ein Zurück zu den Verfassungszustánden der kleisthenischen Zeit. Weshalb hätten sie dann im Herbst 411, als sie die Extremisten überwunden hatten und selber das Heft in der Hand hielten, eine

Verfassung installieren sollen, die oligarchischer war als diejenige des Kleis-

thenes oder selbst des Solon?" 5) Ein weiteres Argument gegen die Einführung einer Hoplitenpoliteia im Herbst 411 liege in der Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Stadt und der Flotte auf Samos. Es sei a priori anzunehmen, daß die Einführung einer auf der Beschránkung des Stimmrechts beruhenden Staatsordnung die mehrheitlich demokratisch gesinnte Flotte hätte verárgern und die Trennung zwischen ihr und der Heimatstadt prolongieren müssen; schon im Hinblick

kaum den Zugang sehr streng nach Zensuskriterien geregelt" haben kann (ähnlich Welwei, Athen 227).

12 So Gallucci, Myth 81f. 13 de Ste. Croix, Constitution 7f.

14 Für ein Textzitat s. o., S. 134; vgl. 134-141 zur Interpretationsproblematik. 15 de Ste. Croix, Constitution 10.

- 283 -

auf die angestrebte Versöhnung mit der Flotte! sei es daher wahrscheinlich, daB die im Herbst 411 auf der Pnyx tagende Versammlung von einer derartigen Bestimmung abgesehen habe."' Wenn aber Thukydides explizit feststelle, daß mit dem Sturz der Vierhundert Oligarchie und Stasis in Athen ihr Ende gefunden hätten (8,98,4), so spreche

alles dafür, daß sich die in dieser Passage angesprochene ,,Stasis" nicht nur auf die inneren Zustände Athens, sondern auch auf das Verhältnis zwischen

Stadt und Flotte beziehe. Eine klare Bestätigung dafür biete Thukydides’ Bericht über die Reaktion der Athener auf die Siegesnachricht von Abydos (8,106,5), wo ebenfalls ein Ende der Stasis zwischen Stadt und Flotte impli-

ziert sei."

Auch in der außerthukydideischen Überlieferung über die Ereignisse von 411410 finde sich kein Hinweis darauf, daß die politische Trennung von Stadt und Flotte über das Datum des Sturzes der Vierhundert hinaus fortgedauert

hätte, vielmehr sei in den Quellen eine politische Vereinigung dieser beiden

Teile des athenischen Volkskörpers impliziert.'” Den klarsten Hinweis darauf biete die in das Frühjahr 410 zu datierende Mission des von der Flotte bestellten Strategen Thrasyllos in Athen, der nach der Schlacht von Abydos die Sie-

gesnachricht nach Athen überbracht und während seines darauffolgenden Aufenthalts

in Athen

bei der Abwehr

eines

spartanischen

Angriffes

das

Kommando über das städtische Truppenaufgebot geführt habe.?? Die letztere Tatsache zeige zur Genüge, daB die von der Flotte gewühlten Strategen auch

in der Stadt anerkannt waren.?!

Aufgrund dieser Zeugnisse, die für den Zeitraum des Herbstes 411 und des Frühjahrs 410 eine politische Einigung zwischen Stadt und Flotte zwingend vorauszusetzen scheinen, müsse die Annahme naheliegen, daß vom Sturz der -

Vierhundert an in Athen eine Verfassungsordnung in Kraft gewesen sei, die

auch für die demokratisch gesinnte Flotte akzeptabel war, also wohl eine im wesentlichen demokratische Ordnung: ,.. as the men in the fleet had sworn

oaths to the democracy, it is unlikely that they would have reconciled them-

selves to a hoplite oligarchy“.?

16 Thuk. 8,97,3. 17 de Ste. Croix, Constitution 10; vgl. Gallucci, Myth 89-92.

18 Gallucci, Myth 87-90.

19 Gallucci, Myth. 106-110.120 verweist in diesem Zusammenhang auf Xen. hell. 1,1,1-34, wo Xenophon nicht zwischen den in der Stadt und den in der Flotte bestellten Strategen unterscheide, sowie auf Isokr. 16,16-21 und Aristeid., Panath. 264D., wo jeweils durch die

Reihenfolge der berichteten Ereignisse impliziert sei, daf) die Stasis zwischen der Stadt und Flotte endete, ehe Alkibiades seine ersten Siege errang.

20 Xen. hell. 1,1,8.33f.;2,1. ?! So bereits Barbieri, Alcibiade 57f.; akzeptiert und als Argument für die Existenz einer demokratischen Ordnung in Athen geltend gemacht von Gallucci, Myth 32.107f.

2 Gallucci, Myth 107f.

. 284 -

6) Abgesehen von den obenzitierten Partien des Thukydides, einer weitgehend

von Thukydides abhängigen Passage der Athenaion Politeia (33,1-34,1)? und der auf Konjektur beruhenden Lesart einer Diodorstelle^ biete keiner unserer Quellenautoren einen Hinweis darauf, daß die nach dem Sturz der Vierhun-

dert in Athen geltende Verfassung sich von der Demokratie unterschieden hátte; dementsprechend findet sich - mit der móglichen Ausnahme einer obskuren Passage in der Athenaion Politeia? - nirgends ein expliziter Hinweis auf die Wiederherstellung der vollen Demokratie im Sommer 410, die doch,

wenn man von der traditionellen Vorstellung ausgeht, eine markante verfas-

sungspolitische Zäsur dargestellt haben müßte.” Dieses Schweigen müsse in jedem Falle auffällig erscheinen, besonderes Gewicht aber komme ihm im Falle einiger zeitgenóssischer Redner zu, bei denen vom Kontext ihrer Ausführungen her eine Erwähnung der Verfassungs-

verhältnisse fast zwingend zu erwarten wäre: a) Antiphon versucht in seiner fragmentarisch erhaltenen Verteidigungsrede seine Loyalitát zur Demokratie mit dem Argument zu begründen, daf er als Redner und Logograph seine Talente in einer Demokratie zur Geltung bringen kónne, nicht aber in einer Oligarchie; daher sei es in seinem eigenen Interesse, P Zur Abhängigkeit dieser Partie von Thukydides s. de Ste. Croix, Constitution 4; Rhodes, Commentary 14f., Chambers, Aristoteles 86.297-299. 24 Diod. 13,38,1 (nach der Lesart der Hss.) ᾿Αθηναῖοι τὴν ἐκ τῶν τετρακοσίων ὀλιγαρχίαν κατέλυσαν καὶ τὸ σύστημα τῆς πολιτείας ἐκ τῶν πολιτῶν συνεστήσαντο.

Nach Krüger ist in dieser Passage ἐκ τῶν πολιτῶν zu ἐκ τῶν ὁπλιτῶν zu emendieren; tráfe dies zu, so hätten wir hier einen weiteren Beleg für die vermutete Hoplitenpoliteia. Die Krüger'sche Konjektur ist vom Paläographischen her naheliegend, kann aber keineswegs als gesichert angesehen werden (so jedoch Andrewes, HCT V 209: „... an almost inevitable correction"), da einerseits die übrigen von den athenischen Verhältnissen der

fraglichen Periode handelnden Diodorstellen den Eindruck erwecken, der Autor habe die damals in Athen geltende Verfassung als demokratisch angesehen (Gallucci 116f.), andererseits in 13,38,2 die Einführung der Politeia ἐκ τῶν Κπολιτῶν als ein Werk des Theramenes bezeichnet wird, der bei Diodor ansonsten als Vorkämpfer des Demos und der Demokratie gezeichnet wird (s. z. B. 13,47,8; 14,3,6 vgl. 14,3,3 wo die von Theramenes ver-

teidigte τῶν πατέρων πολιτεία explizit mit der Demokratie gleichgesetzt ist). Daß gegenüber den in Diod. 13,38,1f. gegebenen Angaben in jedem Falle Vorsicht geboten ist, zeigt die dortige Behauptung, Theramenes sei als einziger für die Rückkehr des Alkibiades eingetreten, die man wohl kaum für zutreffend halten kann. 25 Es ist in der Forschung umstritten, ob die Phrase τούτους μὲν οὖν ἀφείλετο τὴν πολιτείαν ὁ δῆμος διὰ τάχους in Ath. Pol. 34,1 auf den Übergang von der im Herbst 411

eingeführten Ordnung zur vollen Demokratie oder auf den Sturz der Vierhundert zu beziehen sei. Für die erstgenannte, in der älteren Forschung allgemein vertretene Möglichkeit s. Rhodes, Commentary 414f., für einen Bezug der Stelle auf den Sturz der Vierhundert s.

von Fritz/Kapp, Aristotle's Constitution 180f.; Hackl, Oligarchische Bewegung 63 und Chambers, Aristoteles 300; unentschieden de Ste. Croix, Constitution 22f.

% Dieses auffällige Schweigen der Quellen wurde bereits von Ferguson, Condemnation 364 Anm. 1 registriert, allerdings nicht als Argument gegen die Existenz einer Hoplitenpoliteia gewertet; so jedoch de Ste. Croix 10f.; Gallucci 29f.

- 285 -

der Demokratie

gegenüber loyal zu sein." Diese Argumentationslinie wie

auch besonders die Tatsache, daß Antiphon von der Demokratie explizit im

Präsens, von der Oligarchie im Irrealis spreche? erwecke den Eindruck, daB zur Zeit des Prozesses die Demokratie in Athen an der Macht gewesen sei.” In diesem Zusammenhang verdiene auch die Tatsache Erwühnung, daß Thukydides ebenfalls den Antiphon vom Demos verurteilt werden läßt. b) In der nach der Wiederherstellung der vollen Demokratie anzusetzenden'! pseudo-lysianischen Verteidigungsrede für Polystratos wird an mehreren Stellen auf einen früheren ProzeB gegen denselben Angeklagten angespielt, der nach den Angaben der Rede in der unmittelbar auf den Fall der Vierhun-

dert folgenden Periode geführt worden sein mu." Nun fehle in dieser Rede

jeglicher Hinweis auf das Bestehen einer Hoplitenoligarchie in Athen zur Zeit jenes ersten Prozesses, was umso verwunderlicher sei, als die Móglichkeit des

Verweises auf den undemokratischen Charakter des früheren Gerichtshofes an sich der Verteidigung ein willkommenes Argument zur Entwertung des sei-

nerzeitigen Verdikts hätte bieten müssen.” c) Eine Reihe von Indizien für den grundsätzlich demokratischen Charakter des auf die Vierhundert folgenden Regimes böten drei weitere Reden des Corpus Lysiacum:”* Lysias erklärt in seiner Rede gegen Eratosthenes (or. 12), Theramenes habe sich erst dann dem Widerstand gegen die Vierhundert angeschlossen, als er sah, „daß ihr, die Volksmasse nicht mehr auf jene (die Vierhundert) hören

wolltet"; nach deren Sturz habe er die gerichtliche Verfolgung des Antiphon und Archeptolemos betrieben, „weil er bei euch, der Volksmasse, für zuver-

lässig gelten wollte'??. An etwas späterer Stelle behauptet Lysias, Theramenes habe zweimal das Volk versklavt,”° worunter angesichts des Kontexts nur

27 Antiph. fr. III 1 Gernet, col. II und IH (= fr. 1a Gagarin, Z. 11-17). ?* Antiph. fr. III 1 Gernet, col. III οὐκοῦν ἐν μὲν τῇ ὀλιγαρχίᾳ οὐκ Av ἦν yolı τ]οῦτο. | 05 a ὁ kp[arc ἐγώ ... ToU λέγειν, ...: Gallucci, Myth 103f.; vgl. de Ste. Croix, Constitution 12.

30 Thuk. 8,68,2 ὑπὸ τοῦ δήμου ἑκακοῦτο; als Argument gegen Fünftausend' geltend gemacht von de Ste. Croix, Constitution 12 und s. jedoch Andrewes, HCT V 174-176 zu den textkritischen Problemen ?! de Ste. Croix, Constitution 11.13; vgl. Heftner, Polystratos 68, Anm. 32 [Lys.] 20,22 οὗτος

δὲ ὑμῖν δίκην δέδωκεν,

οὐδὲν ὑμᾶς

die "Verfassung der Gallucci, Myth 90f.; der Stelle. 4.

ἀδικῶν,

εὐθὺς

μετὰ

τὰ

πράγματα, ὅτε ὑμεῖς τε μάλιστα ἐμέμνησθε; vgl. ebd. 11.14. de Ste. Croix, Constitution 117

? Die folgenden Beispiele nach Gallucci, Myth 93-99. 35 Lys. 12,66f. ἐπειδή ... ἑώρα ... τὸ δὲ ὑμέτερον πλῆθος οὐκέτι βουλόμενον τούτων

ἀκροᾶσθαι ... πρὸς ὑμᾶς

[sc.

βουλόμενος δὲ τῷ ὑμετέρῳ

πλήθει δόκειν πιστὸς εἶναι ... διὰ τὴν

πίστιν] τοὺς φίλους ἀπώλεσε, für eine Wertung dieser Passagen als

Indiz gegen die Existenz einer „Verfassung der Fünftausend" nach dem Sturz der Vierhundert s. Sealey, Constitutional Changes 291f. und Gallucci, Myth 60f.94-96. 96 tys. 12, 78 δὶς γὰρ ὑμᾶς κατεδουλώσατο.

- 286 -

seine Rolle bei der Einführung der Vierhundert und der DreiBig verstanden sein kann. Es sei schwer vorstellbar, daB Lysias nicht auch Theramenes' Rolle bei der Errichtung der Hoplitenoligarchie erwähnt hätte, wenn eine solche im Herbst 411 tatsächlich installiert worden wäre.’”

In der fünfundzwanzigsten Rede des Corpus kenne der Sprecher nur Demokratie und Oligarchie als Gegensátze, aber kein Mittelding zwischen ihnen. Seine Ausführungen über die Verfolgung kompromittierter Oligarchen nach dem Sturz der Vierhundert beruhten offensichtlich auf der Vorstellung, daB

das auf die Vierhundert folgende System ein demokratisches gewesen sei.?*

In der fragmentarisch erhaltenen vierunddreiBigsten Rede des Corpus nimmt

der Sprecher gegen den im Zuge der auf den Sturz der DreiBig folgenden Verfassungsdiskussion gestellten Antrag des Phormisios Stellung, das Bürgerrecht auf jene Athener zu beschrünken, die über eigenen Grundbesitz verfügten. Dieser Vorschlag entspreche, so Lysias, jenen Volksbeschlüssen, mit denen man das Volk bereits zweimal betrogen habe; ihn anzunehmen würde bedeuten, sich selbst zu versklaven; die einzige Rettung für Athen liege darin, alle

Athener an der Bürgerschaft teilhaben zu lassen.

Wenn also der Sprecher,

wie es nach diesen Ausführungen den Anschein hat, den Vorschlag des Phormisios als oligarchisch qualifiziere, dann müsse es auffallen, daß er nur zwei vorhergegangene oligarchische Systeme in Athen nennt, nämlich die Vierhundert und die Dreißig, aber mit keinem Wort auf die Existenz einer Hoplitenoligarchie nach dem Sturz der erstgenannten hindeutet. Dies sei umso verwunderlicher, als gerade eine Ordnung dieser Art noch stürkere Berüh-

rungspunkte zu dem Projekt des Phormisios aufweisen mußte als die beiden eigentlichen Oligarchien. Hätte ein solches System tatsächlich existiert, so hátte Lysias es erwáhnen und von drei statt zwei vorangegangenen Oligarchien sprechen müssen; daß er es nicht tut, müsse als Indiz ‚gegen die Existenz

dieser vermeintlichen Hoplitenoligarchie gewertet werden.

d) Isokrates behauptet in seiner 397/6 gehaltenen Verteidigungsrede für den Sohn des Alkibiades (or. 16), daß Alkibiades den Staat wieder in die Hände des Demos legte, ehe er seine Siege über die Peloponnesier errang.*' Da die

?' Gallucci, Myth 95.

?! Dies ergibt sich nach Gallucci Myth 96f. einerseits aus der Tatsache, daß der Sprecher

von Lys. 25 die in $$ 25f. berichteten Anklagen gegen kompromittierte Oligarchen in $ 27 als Werk der ἐν τῇ δημοκρατίᾳ συκοφαντοῦντες bezeichnet, zum anderen aus der im selben Kontext getroffenen Feststellung, es sei wegen des Sykophantentreibens in der Demokratie zweimal eine Oligarchie an die Macht gekommen (διὰ δὲ τοὺς tv τῇῷ δημοκρατίᾳ συκοφαντοῦντας ὀλιγαρχία δὶς κατέστη) - eine Feststellung, die nach Gallucci, Myth 97 impliziere, „that there was no hoplite oligarchy since he cites only two

oligarchies".

9? Lys. 34,2f., dazu Gallucci, Myth 97-99. ® Gallucci, Myth 98f.

*! Isokr. 16,20f.

- 287 -

ersten dieser Siege bereits in den Herbst 411 fallen, setze die isokrateische Chronologie voraus, daB in Athen etwa vom Zeitpunkt des Sturzes der Vier-

hundert an wieder eine demokratische Verfassung in Geltung war.”

Neben diesen Aussagen zeitgenóssischer Redner verweist Gallucci auch auf die Darstellung des posthumen Phrynichosprozesses bei Lykurgos und auf die Erwähnung der Eetioneia-Meuterei in einer Rede des Corpus Demosthenicum: In der erstgenannten dieser Stellen werde die Verurteilung des Phry-

nichos als ein Akt des Demos dargestellt, in der zweiten die Hoplitenmeuterei als Auftakt zur Wiederherstellung der Demokratie gewertet.^ Im Bereich der historiographischen Literatur (soweit erhalten) steht nach Thukydides Xenophon den Ereignissen von 411 am nächsten. Aus dem Werk dieses Zeitgenossen sei neben dem oben (S. 283) Beziehungen zwischen Stadt und Flotte nach dem ein Passus aus der Anklagerede des Kritias gegen in welchem dem Theramenes vorgeworfen wird,

erwähnten Zeugnis über die Sturz der Vierhundert auch Theramenes von Interesse, er habe, nachdem er Mit-

glied der Vierhundert gewesen sei, die Seiten gewechselt, sich zum Vorkämpfer des Demos aufgeschwungen, und sei so zu einem großen Teil für den Tod

der durch den Demos hingerichteten Oligarchen verantwortlich.*” Zu diesen zeitnahen Zeugnissen trete eine Reihe späterer Autoren wie Diodor, Nepos,

Strabon, Plutarch, Aelius Aristides und Iustin, die in längeren oder

kürzeren Passagen auf die Ereignisse der Jahre 411 und 410 zu sprechen kommen.“ Keine dieser Passagen biete irgendeinen Hinweis auf einen politi-

schen Dissens zwischen Stadt und Flotte und auf die Existenz einer Hoplitenpoliteia im Athen von 411/10; sie erweckten vielmehr meistenteils den Eindruck, daß mit dem Sturz der Vierhundert die Macht des Demos wiederhergestellt worden sei.

in Athen

Das Schweigen dieser verschiedenen, teilweise auf zeitnahe und gutinformierte Quellen zurückzuführenden Berichte sei als ein gewichtiges Indiz gegen die Existenz einer ' Verfassung der Fünftausend' im Herbst 411 zu werten:

,It 1s reasonable to expect that in such an enormous body of literature some mention of a hoplite oligarchy, strife between the fleet and city, and then reconciliation and restoration of the democracy would appear, had these events

in fact occurred. The silence is condemning *." 42 Gallucci, Myth. 110f. ® Lykurg. 1,112-115; dazu Gallucci, Myth 99-102, der betont, daß Lykurgos in diesem Zusammenhang auf ein offizielles Dokument über den Phrynichosprozeß zurückgreift. *^* [Demosth.] 58,67.

45 Xen. hell. 2,3,30.32; dazu Gallucci, Myth. 108f.

*6 Diod. 13,38-47.49-53; Nep. vir. ill. 7,5,4f; Strab. 9,1,20; Plut. De glor. Athen. 1 (= mor. 345ce); Alk. 27,1; Aristeid Panath., 264-265D.;

lust. 5,3,7-9; zur möglichen

Relevanz

dieser Passagen für die Existenz bzw. Nichtexistenz der “Verfassung der Fünftausend’ s. Gallucci, Myth 113-122.

* Gallucci, Myth 122.

- 288 -

Aufgrund dieser Indizien erachten de Ste. Croix und Gallucci den Schluß als unabweislich, daß im Zuge der bei Thuk. 8,97,1f. referierten Versammlungen

eine im wesentlichen demokratische Verfassungsordnung installiert worden sei. In diesem System habe die souveräne Gewalt im Staate bei einer Volks-

versammlung gelegen, an der teilzunehmen nach traditioneller demokratischer Manier alle Bürger, also die Theten ebensogut wie die Hopliten und Reiter, berechtigt gewesen seien. Auch an den Dikasterien habe den Theten die Teil-

nahme offengestanden, allerdings mußte dort die durch Thukydides bezeugte Abschaffung aller Besoldungen in der Realität ein gravierendes Hemmnis für die Mitwirkung finanziell unterbemittelter Bürger darstellen. Der Zutritt zur Bule und den übrigen Ämtern hingegen sei auch formell den Angehörigen der "Fünftausend' (d. ἢ. allen als Hopliten und höher Klassifizierten) vorbehalten

gewesen." De Ste. Croix zieht auch die Möglichkeit in Erwägung, daß in dieser Verfassung der Bule besondere Machtvollkommnisse zuerkannt worden

seien. Diese Ordnung sei geeignet gewesen, eine Basis für die Versóhnung mit der

Flotte zu bieten, aber im Hinblick auf die Beschránkung des Zugangs zur Bule

und zu den Ämtern habe man dennoch sagen können, daß ta pragmata (zu verstehen als „die Leitung der Staatsgescháfte") in der Hand der Fünftausend liege. Letzteres sei vermutlich als Argument von Bedeutung gewesen, das man den Persern gegenüber verwenden konnte, um das erhoffte Perserbündnis doch noch zustandezubringen.”

Gegen diese von de Ste. Croix begründete Vorstellung des grundsátzlich demokratischen Charakters der im Herbst 411 installierten Ordnung ist in der Forschung, namentlich von Rhodes, Andrewes und Bleckmann eine ganze Reihe von Gegenargumenten geltend gemacht worden: 1) Der erste Einwand gegen de Ste. Croix’ These betreffe seine Einschätzung

des politischen Charakters der gegen die Vierhundert gerichteten Oppositionsbewegung. Auch wenn Thukydides ihren Protagonisten die geheime Absicht der Wiedereinführung der Demokratie unterstellt, so sei ihre offizielle Parole doch die Einsetzung der Fünftausend gewesen, und Thukydides lasse keinen Zweifel daran, daß die ersten der im Zuge des Sturzes der Vierhundert

gehaltenen ad hoc-Versammlungen auf die Hopliten beschränkt waren.) Im Hinblick darauf liege die Annahme nahe, daß auch bei der in Aussicht genommenen Ekklesie im Dionysostheater (Thuk. 8,93,3f.) die Teilhabe auf die

Hopliten, d. h. auf die potentiellen Mitglieder der Fünftausend beschränkt sein ** de Ste. Croix, Constitution 13; Gallucci, Myth 10-14. 85f.126-128.

* de Ste. Croix, Constitution 13 und ders. bei Rhodes, Five Thousand 127.

? Gallucci, Myth 12f.85f. 5! Thuk. 8,93,1 und 3.

- 289 -

sollte. Darüberhinaus sei zu beachten, daß diese Versammlung ausdrücklich zum Zwecke einer „Einigung“ (περὶ ὁμονοίας) einberufen wurde, die offensichtlich auch die Vierhundert und ihre Anhänger einbeziehen sollte. Letzteres setze voraus, daß die Hopliten bereit waren, einen Verfassungskompromif

anstelle der vollen Demokratie zu akzeptieren.”

2) Der Antrag des Kleitophon kónne schon deshalb nicht als Beweis dafür dienen, daß die Gemäßigten im Frühjahr 411 am Prinzip einer auch den Theten offenstehenden Ekklesie festhielten, weil es ungewiß sei, welche Vorstel-

lungen man im spáten 5. Jh. mit der Verfassung des Kleisthenes und Solon verband. In jedem Falle sei es signifikant, daB Kleitophon eine Epoche zum Ideal erhebt, in der der ναυτικὸς ὄχλος noch kein politisches Gewicht im athenischen Staatsleben hatte. Möglicherweise habe man 411 im Ausschluß der Theten von der Versammlung ein Mittel gesehen, jene idealen Verhältnisse wiederherzustellen.?* 3) Selbst wenn man annehmen möchte, daß die von Thukydides in 8,97,1 erzühlte Versammlung auf der Pnyx allen teilnahmewilligen Athenern offenstand, sei es dennoch wahrscheinlich, daß in der gegebenen politischen Situation nur wenige Angehórige der Thetenklasse davon Gebrauch machten, so daB sich die Teilnehmer dieser Ekklesie in erster Linie aus der Klasse der Hopliten rekrutierten, die ja auch bei der Erhebung gegen die Vierhundert das leitende Element dargestellt hatten. Unter diesen Umständen sei es trotz der

formellen Offenheit der verfassunggebenden Versammlungen keineswegs ausgeschlossen, daß auf diesen Versammlungen eine Verfassung beschlossen wurde, die für die Zukunft die politische Teilhabe auf die Hoplitenschaft beschrünkte. 4) Thukydides' Beschreibung der nach den Vierhundert eingeführten Verfassung in 8,97,1-2 sei zwar, für sich genommen, ihrem Wortlaut nach nicht ein-

deutig, ^ doch erschließe sich das rechte Verständnis, wenn man das τοῖς 5? Rhodes, Five Thousand 121, der ausdrücklich feststellt, daß diese Annahme auch dann ihre Gültigkeit behalte, wenn man im überlieferten Text von Thuk 8,94,1 die Phrase τῶν

πολλῶν ὁπλιτῶν athetieren möchte. Zu diesem textkritischen Problem s. auch Andrewes, HCT V 316.

?? Andrewes, HCT V 326; vgl. Bleckmann, Athens Weg 371 und Lehmann, Oligarchische Herrschaft 41. % Rhodes, Five Thousand 125.

55 So die Vermutung von Vlastos, Constitution 196 Anm. 20; akzeptiert und als Argument gegen de Ste. Croix geltend gemacht von Andrewes, HCT V 326. Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten des Verständnisses der Kernphrase τὰ πράγματα παραδοῦναι s. einerseits de Ste. Croix, Constitution 3, der anhand einer Reihe von

Parallelstellen belegt, daß τὰ πράγματα bei Thukydides nicht mehr bedeuten muß als „the control of affairs", andererseits Andrewes, HCT

V 325f., der zwar de Ste. Croix

Ausführungen über den thukydideischen Sprachgebrauch akzeptiert, aber zu Recht darauf verweist, daß in der Polystratosrede ([Lys.] 20,13) πεντακισχιλίοις παραδοῦναι τὰ

- 290 πεντακισχιλίοις ἐψηφίσαντο τὰ πράγματα παραδοῦναι vor dem Hinter-

grund des ursprünglichen Programms der Reformbewegung vom Frühjahr 411 betrachte,

wie

wir

es in Thuk.

8,65,3

und

Ath.

Pol.

29,5

finden:

Die

*Fünftausend' seien hier wie dort als eine mit souveräner Gewalt im Staate ausgestattete Versammlung der finanziell Leistungsfähigeren zu verstehen, die

an die Stelle der demokratischen Ekklesie trete.”

Das Argument von de Ste. Croix, die Charakterisierung der neuen Ordnung

als μετρία yàp ἥ τε ἐς τοὺς ὀλίγους kal τοὺς πολλοὺς ξύγκρασις setze

voraus, daß auch die Theten ihren Anteil an der politischen Teilhabe erhalten haben müßten, beruhe auf unrichtigen Voraussetzungen. Man dürfe nicht wie de Ste. Croix davon ausgehen, daB Thukydides die Mittelklasse der Hopliten/Zeugiten in ihrer Gesamtheit den ὀλίγοι zurechne und den Begriff der πολλοί auf die Theten beschrünke: Vielmehr könnten in dem Schema von Thuk.

8,97,2

sehr wohl

die unteren Teile der Mittelschicht als Teil der

πολλοί verstanden worden sein, womit auch in einer auf die Hoplitenklasse beschränkten Versammlung eine Repräsentation der πολλοί gegeben gewesen wäre, während

die Nichtbesoldung dafür sorgte, daß innerhalb des Be-

rechtigtenkreises die eher Wohlhabenderen zu den Ämtern gelangen konnten.

Wahrscheinlicher aber sei es, daß die μετρία ξύγκρασις des Thukydides gar nicht auf die konkrete Einbeziehung bestimmter

sozialer Gruppen,

sondern

auf die Verbindung oligarchischer (Beschränkung der politischen Teilhabe nach einer Vermógensqualifikation) und demokratischer (eine relativ breite Primärversammlung als souveräne Entscheidungsinstanz) Verfassungselemente in der nach dem Fall der Vierhundert eingerichteten Ordnung zu beziehen sei: „With one feature characteristic of constitutions giving power to the

Few and one characteristic of constitutions giving power to the Many, I believe that it could on these grounds have been regarded as a μετρία .... ἐς τοὺς ὀλίγους kal τοὺς πολλοὺς Euykpacıs“.”®

5) Neben der obigen alternativen Verständnismöglichkeit der thukydideischen Phrasen lieBen sich auch Überlegungen allgemeinpolitischer Natur gegen die Interpretation von de Ste.Croix geltend machen: Wenn das ‘oligarchische Element’ der neuen Verfassungsordnung nur darin bestanden hätte, daß den Theten (durch formale Beschränkung und durch Nichtbesoldung) der Zutritt πράγματα zur Charakterisierung der ersten Einsetzung der Fünftausend verwendet wird, also für eine Gelegenheit, bei der über die Beschränkung der politischen Teilhabe kein Zweifel bestehen kann. 7 Rhodes, Five Thousand 118.122.

Ὁ Rhodes, Five Thousand 123; dagegen de Ste. Croix, Class Struggle 606 Anm. 31, der an

der Auffassung festhält, daß Thukydides eine Verfassung, die einem Großteil der πολλοί keinerlei politische Rechte gab, nicht als μετρία .... &Uykpaow bezeichnen hätte können, vgl. zu dieser Problematik Andrewes, HCT V 324, der auf die Verwendung einer ühnlichen Ausdrucksweise in der Politik des Aristoteles (1294 b2-6) hinweist.

- 291 zu den Ämtern verwehrt gewesen wäre, so hätte sich diese Ordnung kaum von der Demokratie herkömmlichen Stils unterschieden,” dies umso mehr als es

keineswegs sicher sei, ob die Theten in der dem Umsturz der Vierhundert vorangehenden Demokratie überhaupt das Recht der Ämterbekleidung besessen hatten.‘

6) Was das Verhältnis zwischen der Stadt und der Flotte betreffe, so gebe es Anzeichen für das Weiterbestehen einer gewissen Distanzierung zwischen der

Führung in der Stadt und den von der Flotte gewählten Strategen nach dem

Herbst 411.°' Die Angabe des Thukydides über das mit dem Sturz der Vierhundert einhergehende Ende der Stasis in Athen in 8,98,4 sei nicht auf das Verhältnis zwischen Stadt und Flotte zu beziehen, sondern auf die in 8,92-96

thematisierte Gefahr eines Bürgerkrieges in Athen selbst. 7) Die Tatsache, daß in der Verteidigungsrede für Polystratos die Legitimität des in dem früheren Verfahren gegen denselben Angeklagten amtierenden Gerichtshofes nicht in Frage gestellt werde, könne nicht a priori als Beweis

dafür genommen werden, daß es sich um eine demokratische Heliaia gehandelt habe. Eine alternative Erklärung dafür könne z. B. in dem Bestreben der Verteidigung gesucht werden, „to suggest that Polystratus has already paid a

sufficient penalty for his involvement in the oligarchy"9 oder in der Tatsache, daB die Betonung der undemokratischen Natur des früheren Gerichtshofes dem Angeklagten nur zum Nachteil ausschlagen konnte: Wenn selbst eine semioligarchische Jury der Fünftausend den Polystratos für einen strafwürdigen Radikaloligarchen befunden hatte, so mußte dies in den Augen der demokratischen Heliaia von 410 nur umso stürker gegen den Angeklagten sprechen.

Was die Fragmente der Verteidigungsrede des Antiphon betreffe, lasse sich die scheinbare Gleichsetzung des Gerichtshofes mit einer traditionellen demokratischen Heliaia durch die Tendenz der attischen Redner erklären, den

jeweiligen Gerichtshof mit dem Staat Athen gleichzusetzen.°°

8) Die Nichterwähnung der ‘Verfassung der Fünftausend’ von 411/10 in der außerhalb des thukydideischen Berichts und der Ath. Pol. bewahrten Überlie-

?? Andrewes, HCT V 323f. Rhodes, Five Thousand 126f.

9 Rhodes, Five Thousand 126f.; dagegen jedoch Sealey, Constitutional Changes 289 und Gallucci, Myth 63f., die eine Zulassung der Theten zur Ämterbekleidung bereits im 5. Jh. für möglich halten. 6 Rhodes, Five Thousand 124 mit Verweis auf Andrewes, Generals 2-9; gegen Andrewes' Auffassung von einer politischen Distanz zwischen den Strategen in der Stadt und in der Flotte s. jedoch Bleckmann, Athens Weg 443-450.

42. Andrewes, HCT V 328.

$$ Rhodes, Five Thousand 125.

€ Andrewes, HCT V 327. $5 Andrewes, HCT V 200; vgl. 327.

. 292 -

ferung könne nicht überraschen, wenn man berücksichtige, daß diese Verfassung in ihrer Grundstruktur der demokratischen glich und sich von ihr lediglich im Hinblick auf die Beschránkung des Kreises der Ekklesieteilnehmer

unterschied. Der grundlegende Kontrast zwischen der harten Oligarchie der Vierhundert und der Demokratie habe das Geschichtsbild in einem solchen Ausmaß dominiert, daß das Zwischenspiel der Fünftausend dagegen verblaßte und in der Rückerinnerung kaum eine Spur hinterlie.9 Ebenso dürfe das Schweigen der Quellen über die Wiederherstellung der vollen Demokratie im Sommer 410 nicht überbewertet werden; es sei zum

einen auf den Mangel

an genuiner Überlieferung, zum

anderen auf den

Umstand zurückzuführen, daß dieser Übergang vergleichsweise glatt und friedlich verlief * Letzteres bedeute jedoch keinesfalls, daB zwischen dem Regime der Fünftausend und der Demokratie keine gravierenden verfassungsrechtlichen Diskrepanzen bestanden hätten. Zumindest im Falle der BuleGeschäftsordnung

lasse

sich eine

solche

Diskrepanz

aufzeigen.

Daß

die

Wiederherstellung der Demokratie von den Zeitgenossen sehr wohl als politische Zäsur und als Bruch mit der unmittelbar vorhergehenden Ordnung empfunden wurde, werde Demophantos-Dekret nochmals vor Gericht sche Kaltstellung des

durch das gegen den Umsturz der Demokratie erlassene bezeugt, ebenso durch die Tatsache, daß Polystratos nun gezogen wurde und durch die bis 405 dauernde politiTheramenes.9?

Versucht man, bei dieser Fülle von Argumenten und Gegenargumenten das Wesentliche vom Zweitrangigen zu scheiden und den widerstreitenden Stand-

punkten ihr respektives Gewicht zuzuerkennen, so liegt es auf der Hand, daß der Wertung der einzelnen Argumente zwangsläufig ein subjektives Element anhaften muß. Um

dieses nicht zu vermeidende subjektive Element wenig-

stens nach Möglichkeit transparent zu machen, sollen hier zunächst zwei Prinzipien dargelegt werden, die dem folgenden Bewertungsversuch gleichsam als Leitlinien zugrunde gelegt sind:

Das erste dieser Prinzipien liegt in der steten Rücksichtnahme auf die Frage, wieweit die von dem jeweiligen Quellenautor verfolgten Darstellungsziele sein Bild von den innenpolitischen Umwälzungen des Jahres 411 beeinflußt

66 Rhodes, Five Thousand 125. 67 Andrewes, HCT V 327.

65 Für die Möglichkeit eines durch ‘Infiltration’ der Ekklesie seitens der Theten erzwungenen, aber friedlichen und graduellen Übergangs von den Fünftausend zur vollen Demokratie s. die Überlegungen von Andrewes, HCT V 328: „This would not be the only time a regime has crumbled gradually rather than collapsed suddenly. We could imagine infiltration of meetings and increasing influence exercised by Kleophon, helped out by the absence on service of Theramenes .... and above all by the fact that the great victory at Kyzikos relieved Athens of the feeling of desperate emergency". $? Rhodes, Five Thousand 126.

- 293 -

haben kónnten. Betrachten wir die zahlreichen von Gallucci als Kronzeugen

für die Existenz einer Demos-Herrschaft im Herbst 411 angeführten unter diesem Gesichtspunkt, so ist es ohne weiteres einsichtig, daB Mehrzahl von ihnen der Schwerpunkt des Interesses keineswegs Erkenntnis der athenischen Verfassungsrealitàt von 411 liegt: Redner

Autoren bei der auf der wie Iso-

krates, Pseudo-Demosthenes und Lykurgos versuchen naturgemäß, die Ereig-

nisse dieses Jahres im Sinne ihres jeweiligen Redezweckes zu sieren, wobei bei den beiden erstgenannten der Wunsch nach eines mit dem Sturz der Vierhundert verbundenen Politikers, Leokratesrede die Verwendung des Phrynichosprozesses als

instrumentaliHeroisierung in Lykurgos' auch für die

Gegenwart gültiges Exempel hinreichend Grund bietet, das auf die Vierhun-

dert folgende Regime als Herrschaft des Demos hinzustellen.” Bei den historisch und biographisch orientierten Autoren steht wiederum fast stets das Kriegsgeschichtliche im Vordergrund, die Ereignisgeschichte des athenischen Existenzkampfes gegen Sparta, für die zwar der Umsturz der Vierhundert und die darauffolgende Stasis zwischen Stadt und Flotte eine markante Zäsur bedeutete, nicht aber das auf die Vierhundert folgende System, das sich im

Hinblick auf seine Kriegspolitik von der wiederhergestellten radikalen Demokratie nicht unterschied. Die den ‘Fünftausend’ wie der radikalen Demokratie gemeinsame Frontstellung gegen die Vierhundert und gegen Sparta, das militárische Zusammenwirken zwischen den Fünftausend und der Flotte, schließlich der glatte Übergang zur vollen Demokratie in Athen - all dies mußte den von dieser historiographischen Tradition beeinflußten späten Autoren," deren

Darstellungen ohnedies durchgehend durch eine Tendenz zur Verkürzung und Simplifikation gekennzeichnet sind, den Gedanken an eine Gleichsetzung der beiden

Systeme

nahelegen.

Wir

werden

daher

die

Nichterwähnung

der

* Verfassung der Fünftausend' bei diesen Autoren nicht a priori als schlagendes Argument gegen die reale Existenz einer solchen Verfassung werten kónnen. Wenden wir uns denjenigen Autoren zu, bei denen die zeitliche Nàhe zu den

Ereignissen und die jeweilige Darstellungsabsicht ein größeres Interesse für die innere Politik der Jahre 411 und 410 erwarten lassen, so kommt das zweite der oben angesprochenen Prinzipien zum Tragen: Die Notwendigkeit, bei der

7 vgl zu Lysias und Lykurgos Lehmann, Oligarchische Herrschaft 43, Anm. 48, zu Lykurgos Grossi, Frinico 75f.; im Falle des letztgenannten Autors ist jedoch die Móglichkeit in Betracht zu ziehen, daß die von ihm referierten Beschlüsse über die Durchführung

eines posthumen Prozesses gegen Phrynichos im Zuge der Übergangsphase unmittelbar nach der Absetzung der Vierhundert tatsáchlich von einer Versammlung des Demos gefüllt worden sind, s. u., S. 318f.

7! Zu dieser Kategorie sind neben den Historikern und Biographen im eigentlichen Sinn wohl auch Strabon, Aelius Aristides und die Aristophanes-Scholiasten zu rechnen (zit. o., S. 287 Anm. 46).

- 294 -

Bewertung der Quellenaussagen streng zwischen der subjektiven Charakterisierung einer Staatsordnung als demokratisch, oligarchisch oder gemäßigt (bzw. als Mischung dieser Elemente) seitens unserer Quellenautoren einerseits und

ihren (ausdrücklichen

oder

impliziten)

Angaben

über

konkrete

verfassungsrechtliche Gestaltungen zu unterscheiden. Macht man sich dieses Prinzip zu eigen, so wird man die bloße Charakterisierung des auf die Vierhundert folgenden Regimes als Herrschaft des Demos nicht ohne weiteres als Beweis für die Existenz bestimmter mit dieser Herrschaftsform verbundener Verfassungsinstitutionen (etwa der Teilhabe der Theten an der souveränen Ekklesie) werten können.

Ausgehend von den im vorhergehenden zugrunde gelegten Prinzipien sollen nun die wichtigsten der in der Diskussion um die ‘Verfassung der Fünftausend’ vorgebrachten Argumente im einzelnen einer kritischen Würdigung unterzogen werden: 1) Was die politische Situation vor dem Sturz der Vierhundert betrifft, so haben wir bereits Gelegenheit gehabt, festzustellen, daß man der thukydi-

deischen Einschätzung der Oppositionsbewegung

als krypto-demokratisch

wohl keine absolute Geltung zuerkennen kann. ^ Aber selbst wenn wir unge-

achtet der dagegenstehenden Indizien annehmen wollten, daB die Oppositionsbewegung in ihrer überwältigenden Mehrheit nach der Wiederherstellung der vollen Demokratie

gestrebt habe, behielte Andrewes’

und Bleckmanns

Feststellung ihre Kraft, daB nach Thuk. 8,92,7 auch die Radikalen unter den Vierhundert über einen betrüchtlichen bewaffneten Anhang verfügten und die

Hopliten daher bereit waren, in Verfassungsfragen

einen KompromiB

zu

schlieBen.? Die ὁμόνοια, um derentwillen man die Ekklesie im Dionysostheater einberufen hatte (Thuk.

8,93,3), muB

nach den Ereignissen auf

Eubóa erst recht das hauptsáchliche Gebot der Stunde dargestellt haben; schon von daher liegt die Annahme

nahe, daß auch die in Thuk.

berichteten verfassunggebenden Versammlungen und des Ausgleichs gestanden haben.

8,97,1f.

im Zeichen der Einigung

Trifft dies zu, so kónnen weder die demokratischen Tendenzen innerhalb der

Oppositionsbewegung noch die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme auch der Theten an diesen Versammlungen als wirklich zwingende Argumente für den grundsátzlich demokratischen Charakter der dort beschlossenen Verfassungsordnung geltend gemacht werden, da um der erstrebten ὁμόνοια willen auch eine mehrheitlich demokratisch gesinnte Versammlung ihren Sanktus zu einem als Kompromiß gedachten verfassungspolitischen Mittelweg gegeben haben mag. Vielleicht läßt sich von dieser Versóhnungsabsicht her auch die Verwendung des unbestimmten τὰ πράγματα παραδοῦναι (im Gegensatz 1 s. 0., S. 276-278. Ps

ο., 289 m. Anm. 53.

- 295 -

etwa zu τὴν πολιτείαν παραδοῦναι) sowie das Festhalten am Begriff der Fünftausend (der durch die Einbeziehung aller ὅπλα

παρεχόμενοι

seinen

Sinn verloren hatte) erklüren.5 2) Betreffs der Charakteristik der neuen Ordnung in Thuk. 8,97,2 hat zuletzt Leppin deutlich herausgearbeitet, daß es dem

Historiker hier nicht um

die

Einordnung der neugeschaffenen Staatsordnung innerhalb der von der Verfassungstypologie vorgegebenen Schemata geht, sondern um die Charakteristik

ihres Wesens und ihrer Wirksamkeit als Mittel zur Herstellung eines politischen Ausgleichs zwischen den (hier wohl als soziale Kategorien zu verstehenden) Gruppen der ὀλίγοι und der rroÀAoí." 6 Wenn man mit Leppin davon ausgeht, daß dem Thukydides „Verfassungsformen .. weniger wichtig [erscheinen] als Interessen“”’ und daB Thukydides das in 8,97,2 geäußerte Lob weniger der Verfassungsordnung an sich als vielmehr „der vom Aus-

gleich bestimmten politischen Praxis“’° gespendet habe, so wird man aus der

Stelle wohl keine Aussage über die konkrete institutionelle Form dieses Ausgleiches herauslesen dürfen.

3) Bezüglich des Verhältnisses zwischen Stadt und Flotte kann man konstatieren, daß mit dem Sturz der Vierhundert nicht nur die Gefahr eines bewaffne-

ten Vorgehens der Flotte gegen die Mutterstadt - die in Athen vielen als eine akute Bedrohung erschienen sein dürfte? - ein Ende fand, sondern daß damit eine Phase der aktiven Kooperation eingeleitet wurde, die nicht nur im Zusammenwirken auf den Kriegsschauplätzen,® sondern auch in der Mission des Thrasyllos in Athen im Frühjahr 410 ihren Niederschlag fand. Vor allem anhand der letzteren Episode läßt sich deutlich erkennen, daß man sich in Stadt und Flotte nunmehr beiderseits als Angehörige ein- und desselben Staatswesens verstand. Im Hinblick auf die demokratischen Präferenzen der Flotte stellt dies an sich zweifellos ein starkes Indiz für das Bestehen einer demokratischen Ordnung in der Stadt dar. Auf der anderen Seite haben wir festgestellt, daß die Aktionen des demokratischen ‘Gegenstaates’ auf Samos schon zur Zeit der Vierhundert bei allem de”* Man beachte die Verwendung dieser Phrase im Referat des Phormisios-Antrags von 403 bei Dion.

Hal.

De

Lys.

32 (p.

526); vgl.

Ath.

Pol.

29,5

τὴν

δ᾽ ἄλλην

πολιτείαν

ἐπιτρέψαι πᾶσαν ᾿Αθηναίων τοῖς δυνατωτάτοις ...

75 Vgl. dazu u., S. 303. 16 Leppin, Thukydides 179-183 mit der älteren Literatur. (vgl. daneben noch Sancho Rocher, Zráow y κράσις passim, bes. 57-69, die ebenfalls Thukydides' Urteil nicht auf das Verfassungsrechtlich-Institutionelle im engen Sinn beziehen möchte, und Lehmann,

Oligarchische Herrschaft 42 Anm. 48).

7' Leppin, Thukydides 181. 75 Leppin, Thukydides 183.

P s. 0., S. 263 mit Anm. 210. 9 Xen. hell. 1,1,1.12; Diod. 13,49,1.3.

- 296 mokratischen Eifer auch die Tendenz erkennen lassen, mit den gemäßigten

Elementen innerhalb des athenischen Oligarchenregimes zu einem Überein-

kommen zu gelangen," eine Tendenz, die dann in der Botschaft des Alkibiades an die Emissáre der Vierhundert ihren klarsten Ausdruck gefunden hat. Im Hinblick auf diese Botschaft kann die Móglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Führer der athenischen Flotte um der ὁμόνοια willen bereit

fanden, vorderhand ein gemäßigt-oligarchisches Regime der *Fünftausend' in der Stadt zu tolerieren. Alkibiades hatte dies ja in seiner Botschaft angedeutet, als er erklärte, die Fünftausend nicht an der Herrschaftsausübung hindern zu

wollen, wenn sie nur die Vierhundert wegschickten." Allerdings war dort die Machtübernahme der Fünftausend nur als Vorbedingung einer Versóhnung

von Stadt und Flotte, nicht etwa als verfassungsrechtliche Basis des wiedervereinigten Staatswesens genannt,” und auch von sachlichen Gesichtspunkten her betrachtet fällt es schwer zu glauben, daß man auf Samos eine ‘Verfassung der Fünftausend’ als Dauerlösung angesehen haben könnte: Alkibiades und die anderen Führer der Flotte mochten bereit sein, die Herrschaft

der Fünftausend in Athen zu tolerieren, doch die Anerkennung ihrer Autorität auch über die Flotte in Samos mußte auf einer anderen Ebene liegen. Es ist

kaum vorstellbar, daß sich die Flottenmannschaften zur Anerkennung einer Verfassung gewinnen hätten lassen, die für die Mehrheit von ihnen den Verlust der politischen Rechte bedeutet hätte. Wenn wir daher spätestens zum Zeitpunkt von Thrasyllos’ Auftreten in Athen

die Strategen der Flotte in der Stadt anerkannt sehen und vice versa, so muß dies doch als ein gewichtiges Indiz wenn schon nicht für die von de Ste. Croix und Gallucci vertretene Rekonstruktion, so doch für die grundsätzlich demokratische Ausrichtung des auf die Vierhundert folgenden Regimes gewertet werden. 4) Von den relevanten Äußerungen zeitgenössischer Autoren haben wir vor

allem die Apologie des Antiphon, die Rede für Polystratos und die Äußerungen des Lysias in Erwägung zu ziehen.

a) Die Art, wie Antiphon in dem auf Papyrus erhaltenen Fragment seiner Apologie seine Loyalität zur Demokratie zu begründen versucht, scheint zunächst darauf hinzudeuten, daß man ihm von seiten der Anklage seine Rolle bei der Abschaffung der Demokratie im Frühjahr 411 zum Vorwurf gemacht

hat. Dies mutet befremdlich an, wenn man davon ausgeht, daß der Gerichtshof in diesem Prozeß von den Fünftausend gestellt wurde, die ja ihre Existenz letztlich ebenjenem Umsturz verdankt haben. Faßt man jedoch den Inhalt der betreffenden Passage ins Auge, so konzentriert sich Antiphons Argumentation 5 s. 0., S. 225-228 und 255-259. & Thuk. 8,86,6. B s. 0., S. 258f.

- 297 -

auf den Kontrast zwischen der Demokratie mit ihrer Redefreiheit und einer Oligarchie, in der diese Redefreiheit nicht gegeben sei und die daher einem

berufsmäßigen Rhetor für die Entfaltung seiner Talente keinen Raum biete." Letztere Charakterisierung konnte zweifellos auf die enge Oligarchie der Vierhundert angewendet werden, für die uns Thukydides ein gewaltsames Vorgehen gegen oppositionell Gesinnte ausdrücklich bezeugt? auf das zur

Zeit des Antiphonprozesses herrschende System hingegen selbst dann nicht, wenn die Teilnahme an den Ekklesien auf die Hoplitenklasse beschrünkt gewesen sein sollte: Wo die Entscheidungsgewalt in Staat und Gericht bei einer

nach Tausenden zühlenden Klasse von Stimmberechtigten lag, konnten die Künste des überlegenen Redners zur Geltung kommen. Da sich also zumindest

in dieser Hinsicht

eine anzunehmende

„Verfassung

der Fünftausend“

nicht von jener Demokratie unterschied, deren Abschaffung erstrebt zu haben Antiphon so entschieden in Abrede stellt, dürfen wir wohl nicht so weit gehen, allein aus der Verbindung des önuoxparia-Begriffes mit prásentischen

Wendungen in dieser Antiphonrede die Existenz einer auch den Theten zugänglichen Ekklesie abzuleiten. Nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache, daß Antiphon diese Gleichsetzung

durch die Verwendung des Wortes Demokratie betont, bedeutungsvoll für die Kenntnis der politischen Atmosphäre im Herbst 411, zeigt sie uns doch, daß man von seiten des Gerichtshofes offensichtlich keinen Anstand nahm, das

bestehende System unter dem Begriff der Demokratie subsumiert zu sehen ein bemerkenswertes Faktum, das man, wie verschieden auch immer man sich

die konkrete Gestalt der damaligen Verfassungsordnung vorstellen mag, je-

denfalls im Hinblick auf ihre politische Charakteristik in den Augen der Zeitgenossen in Rechnung zu stellen haben wird. b) In der Verteidigungsrede für Polystratos wird jener Gerichtshof, vor dem sich Polystratos bald nach dem Sturz der Vierhundert zu verantworten hatte, ebenso wie die im aktuellen Prozeß richtende demokratische Heliaia mit dem

Demos von Athen gleichgesetzt: „Dieser Mann hier (sc. Polystratos), der euch kein Unrecht getan hat, hat sich euch gegenüber vor Gericht verantwortet, gleich nach den Ereignissen, als ihr die Geschehnisse noch am deutlichsten in Erinnerung hattet ......'.56 Diese Gleichsetzung der Gerichtshöfe könnte zugunsten der Annahme sprechen, daß die Dikasterien auch während der Herrschaft der Fünftausend den

Demos in seiner Gesamtheit repräsentiert hätten und es daher keine formelle ^ Antiph. fr. III 1 Gernet, col. Π-ΠΙ.

55 Thuk. 8,70,2; dazu o., S. 232f. 36 [Lys.] 20,22 οὗτος

δὲ ὑμῖν δίκην δέδωκεν.

οὐδὲν ὑμᾶς

ἀδικῶν,

εὐθὺς

μετὰ



πράγματα, ὅτε ὑμεῖς τε μάλιστα ἐμέμνησθε τῶν γενομένων ..... Ebenso wird in ὃ 20 von den während des Regimes der Vierhundert in geringerem Maße schuldig Gewordenen generell gesagt ... τοὺς παρόντας ὑμεῖς ἀπελύσατε.

- 298 -

Beschrünkung der Teilhabe gegeben habe (wenngleich natürlich die Nichtbesoldung de facto als eine Barriere gegen die Teilnahme ärmerer Bürger wir-

ken mufite

'), sie könnte aber ebensogut einfach auf den in attischen Gerichts-

reden verbreiteten Topos der Gleichsetzung des jeweiligen Gerichtshofes mit

der Gesamt-Polis zurückzuführen sein, der auch in der Apologie des Antiphon wirksam geworden ist. Daf der Verteidiger des Polystratos nicht ausdrücklich auf einen allfälligen nichtdemokratischen Charakter jenes früheren Gerichtshofes hinweist, wird man im Hinblick auf die überzeugende Argumentation von Andrewes

(referiert o., S. 291) nicht als einen Beweis

dafür

nehmen können, daß jener erste Prozeß vor einer demokratischen Heliaia geführt wurde. Darüberhinaus ist festzustellen, daB selbst ein klarer Beweis für die Existenz einer demokratisch offenen Heliaia zu jener Zeit nur für das

Gerichtswesen, nicht aber für die Frage nach dem politischen Charakter der eigentlichen Entscheidungsorgane Geltung haben kónnte. Auf diese letztgenannte Frage bietet die Polystratosrede keine direkten Antworten, wohl aber finden sich in ihr einige Andeutungen, die keineswegs geeignet sind, die von de Ste. Croix aufgrund der oben angeführten Stelle

gezogenen Schlüsse zu bestätigen, sondern vielmehr den Eindruck erwecken, daß sich das politische Klima der Zeit des ersten Polystratosprozesses von dem zur Zeit der erhaltenen Rede herrschenden nicht unwesentlich unter-

schieden hat. So kontrastiert der Sprecher in $ 17 die seinerzeitige Einstellung der Ankläger zur Demokratie

mit ihrer jetzigen:

„Damals

zeigten

sich die Ankläger

in

keiner Weise als Freunde des Demos (εὖνοι ... τῷ δήμῳ) noch erwiesen sie ihm Beistand; jetzt aber, da der Demos sich selbst der beste Freund ist, treten

sie in Worten für euch ein, in Wirklichkeit aber für sich selbst“.

In verklausulierter Form, die bei diesem Autor nicht überraschen kann,” deutet der Sprecher hier an, daß es zur Zeit des ersten Prozesses - also gleich

nach dem Sturz der Vierhundert - nicht opportun gewesen sei, sich als εὔνους τῷ δήμῳ zu deklarieren, nunmehr aber sei dies sehr wohl der Fall, da jetzt αὐτὸς ἑαυτῷ εὐνούστατός ἐστιν ὁ δῆμος. Trotz der kryptischen Aus57 Dazu Markle, Jury Pay 271f.; vgl. die treffenden Feststellungen von Nippel, Mischverfassungstheorie 80 über die Wirkung der Nichtbesoldung auf die soziale Zusammensetzung der Bule. ** s. dazu Andrewes, HCT V 200.

® (Lys.] 20,17 ol κατήγοροι τότε μὲν οὐδαμῇ zuvor ὄντες ἐφαίνοντο τῷ δήμῳ οὐδὲ ἐβοήθουν. νῦν δὲ ἡνίκα αὐτὸς ἑαυτῷ εὐνούστατός ἐστιν ὁ δῆμος, βοηθοῦσι τῷ μὲν

ὀνόματι ὑμῖν, τῷ δὲ ἔργῳ σφίσιν αὐτοῖς.

% Man vergleiche die Zurückhaltung, die er gegenüber der Rolle des Demos bei der Einsetzung der Vierhundert übt (dazu Heftner, Polystratos 83-85) und die generelle Exkulpierung des Demos für das Fällen schlechter Beschlüsse in $ 20: ... εἴ τις τῶν ἐνθάδε μὴ τὰ ἄριστα λέγων πείθει ὑμᾶς, οὐχ ὑμεῖς ἐστε αἴτιοι, ἀλλ᾽ ὁ ἐξαπατῶν ὑμᾶς.

- 299 .

drucksweise ist deutlich zu erkennen, daB sich die Wiederherstellung der

vollen Demokratie in den Augen dieses Sprechers doch als eine markante politische Zäsur darstellt. An einer anderen Stelle spricht Polystratos’ Verteidiger davon, daß es in jenem früheren Prozeß den Anklägern gelungen sei, die potentiellen Zeugen dermaßen in Furcht zu versetzen, daß einige von ihnen gar nicht vor Gericht

aufgetreten seien, andere aus Furcht die Unwahrheit bezeugt hátten.?! Wir dürfen auf Grund dieser Aussage annehmen, daß es sich bei den Anklägern

um Männer handelte, die der damals an der Macht befindlichen politischen Gruppe angehórten oder ihr nahestanden. Hátte es sich nun bei dieser Gruppe um Exponenten der entschieden demokratischen Richtung gehandelt, die zur Zeit des gegenwártigen Prozesses wieder eine dominierende Stellung innehatte, so hätte sich der Sprecher,

wie

wir im Hinblick

auf seine sonstige

Zurückhaltung annehmen dürfen, wohl gehütet, diese Irregularitäten zur Sprache zu bringen. Wir dürfen daher auch diese Stelle als Indiz dafür werten, daß

sich zwischen dem ersten und dem zweiten Polystratosprozeß ein merklicher politischer Umschwung vollzogen hatte, und daß die Männer, die unmittelbar nach dem Sturz der Vierhundert an der Macht waren, zur Zeit des zweiten Prozesses beim Demos nicht mehr in hohem Ansehen standen. Allerdings geben uns diese Informationen, wenngleich sie für die politische Geschichte der Jahre 411/10 zweifellos von Relevanz sind, keinen Aufschluß über die Verfassungsverhältnisse im eigentlichen Sinne des Wortes. Wir können feststellen, daB sich der aus den Angaben der Rede erschließbare

politische Paradigmenwechsel gut zum traditionellen Bild der Entwicklung von einer Hoplitenpoliteia der *Fünftausend' hin zur vollen Demokratie fügen würde, aber das reicht nicht hin, um die fraglichen Redestellen als Belege für

die Richtigkeit dieses Bildes in Anspruch nehmen zu kónnen, da es sich bei dem dort angedeuteten Umschwung auch bloß um einen Wechsel der dominierenden Faktion innerhalb eines von Anfang an grundsátzlich demokratisch verfaßten Staatswesens gehandelt haben kann. c) Erweisen sich die Anspielungen der Polystratosrede auf die nach dem Sturz

der Vierhundert herrschenden Verhältnisse bei näherer Betrachtung als in ihrem Zeugniswert durchaus ambivalent, so können wir einigen Stellen der authentisch lysianischen Rede gegen Eratosthenes größeres Gewicht als Belege zugunsten der von de Ste. Croix und Gallucci vertretenen These zubil-

ligen. Die von letzterem Autor betonte Tatsache, daB der Widerstand gegen die Vierhundert dort als Sache des πλῆθος dargestellt ist und Theramenes’ Vorgehen gegen Antiphon und Archeptolemos mit dem Wunsch, sich diesem

πλῆθος als zuverlässig zu erweisen, begründet wird," sagt zwar nichts ?! [Lys.] 20,18. » Lys. 12,66, dazu o., S. 285 mit Anm. 35.

- 300 Definitives über die im Herbst 411

geltenden Verfassungsverhältnisse oder

die Zusammensetzung der über Antiphon und Archeptolemos richtenden Heliaia aus, zeigt aber, daB zumindest zur Zeit der Eratosthenesrede der Widerstand gegen die Vierhundert allgemein als eine Sache der demokratischen Masse, nicht etwa bloB unzufriedener Elemente innerhalb der Oligarchie, begriffen wurde. Diese Einschátzung legt die Auffassung nahe, daB man zumindest in der Rückerinnerung von 403 auch die auf die Vierhundert folgende Verfassungsordnung als Demokratie verstanden hat. Noch stärker ins Gewicht fällt die Tatsache, daß Lysias dem Theramenes zwar die Beteiligung an der Einsetzung der Vierhundert und später der Dreißig

vorwirft, ihn aber mit keinem Wort mit einer ‘Verfassung der Fünftausend' bzw. Hoplitenpoliteia in Verbindung bringt. Da der Rhetor im betreffenden Abschnitt der Eratosthenesrede jede Möglichkeit bemüht, dem Theramenes

opportunistischen Gesinnungswechsel und Gegnerschaft zur Demokratie vorzuwerfen, hätte sich die Erwähnung von Theramenes' Verbindung mit einem weiteren undemokratischen System eigentlich zwingend angeboten, um die politische Prinzipienlosigkeit des Mannes anzuprangern. DaB Lysias Theramenes' Eintreten für eine Hoplitenpoliteia nicht etwa deshalb unerwähnt laßt, weil eine solche Verfassung möglicherweise bei einem beträchtlichen Teil des Publikums Sympathien genoß und nicht als Oligarchie gewertet wurde, zeigt der Vergleich mit der Rede gegen den Antrag des Phormisios, wo ein auf eine vergleichsweise mäßigere Beschränkung der Bürgerzahl abzielender Vorschlag ganz unverhohlen als ‘Versklavung’ des De-

mos bezeichnet und mit der Installation der Vierhundert und der Dreißig gleichgesetzt wird (nicht aber mit den auf den Sturz der Vierhundert folgenden verfassungsändernden Akten - s. o., S. 286).”

Müssen wir demnach davon ausgehen, daß um 403 auch die Nähe zu einem gemäßigt-oligarchischen Regime als Vorwurf dienen konnte, so haben wir das Schweigen des Zeitgenossen Lysias über die 'Verfassung der Fünftausend'

doch als ein gewichtiges Indiz dafür zu werten, daß die nach dem Sturz der Vierhundert eingerichtete Staatsordnung zumindest nach der 403 vorherrschenden Ansicht eher auf einer demokratischen als auf einer hoplitenoligarchischen Basis verfaßt war. Der schon anhand der Verteidigungsrede des Antiphon gewonnene Befund," daß die damalige Ordnung als eine Art Demokratie verstanden wurde, findet hier seine Bestätigung. Die Prüfung ergibt, daß die von de Ste. Croix und Gallucci angeführten Argumente zwar nicht allesamt Stich halten, daß aber einerseits die Zeugnisse über das Verhältnis zwischen Stadt und Flotte im Winter 411/10, andererseits

die im Fragment der Antiphon-Apologie gebotenen Streiflichter auf die zur 95 Lys. 34,2f., dazu o., S. 286. 9 s. o., S. 296f.

- 301 -

Zeit des Prozesses herrschenden Verhältnisse wie auch die aus or. 12 und 34 des Lysias zu erschlieBende Vorstellung eines zeitlich den Ereignissen noch nahestehenden Publikums vom demokratischen Charakter des auf die Vierhundert folgenden Regimes doch in Richtung der von den beiden Autoren

vertretenen Auffassung weisen: Die nach dem Sturz der Vierhundert in Athen eingerichtete Ordnung müßte demnach eine demokratische gewesen sein, was sich mit der gängigen Vorstellung einer ‘Verfassung der Fünftausend’, in der die Teilhabe an der souveränen Versammlung auf die Hopliten- und Ritterschicht beschränkt ist, schwer vereinbaren läßt. Die Schwierigkeit ließe sich lösen, wenn wir uns die von de Ste. Croix und Gallucci vertretene Rekonstruktion der damaligen Verfassungszustände zu

eigen machen könnten, derzufolge sich die Bevorzugung der ‘Fünftausend’ (=

der Hopliten) auf den Zutritt zum Rat und zu den Ämtern beschränkte, im übrigen aber die souveräne Gewalt bei einer Ekklesie gelegen habe. Dem steht jedoch die Aussage des Thukydides dem Sturz der Vierhundert beschlossen habe, σαντο rà πράγματα παραδοῦναι." Zwar

auch für die Theten offenen entgegen, derzufolge man nach τοῖς πεντακισχιλίοις ἐψηφίwird τὰ πράγματα, wie de

Ste. Croix zeigen konnte, bei Thukydides des öfteren nur im Sinne von „Führung der Staatsgescháfte" verwendet, doch kommt gerade im Falle unserer Stelle Rhodes’ bereits oben (S. 289f.) referierter Einwand zum Tragen, daß die Verwendung der Phrase in Thuk. 8,97,1 vor dem Hintergrund der früheren Erwähnungen der Fünftausend im thukydideischen Geschichtswerk be-

trachtet werden müsse. Es kann in der Tat wenig Zweifel geben, daß ein unbefangener Leser des thukydideischen Werkes, der die Darlegung des Programmes der Umstürzler in 8,65,3 und die damit korrespondierenden Partien

in den Botschaften der von den Vierhundert entsandten Emissäre in Erinnerung hatte,” den Beschluß der verfassunggebenden Versammlung in 8,97,1

nur im Sinne einer Beschränkung der politischen Teilhabe auf die Fünftausend verstehen kann. Hätte Thukydides andeuten wollen, daß τοῖς πεντακισχιλίοις ... TA πράγματα παραδοῦναι jetzt nur mehr im Sinne einer Beschränkung des Zuganges zu Rat und Ämtern zu verstehen sei, so hätte er

diese Abweichung vom ursprünglichen Programm wohl eigens erwähnt, so wie er ja auch ausdrücklich vermerkt, daß nunmehr alle ὅπλα παρεχόμενοι zu den Fünftausend gehören sollten. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß Thukydides in 8,97,1 die in dem von ihm referierten Beschluß vorgesehene Ordnung als eine Verfassung

verstanden wissen wollte, in der die Entscheidung über die Staatsgeschäfte 55 Thuk. 8,97,1; für Vollzitat und Übersetzung s. o., S. 279. 96 Thuk. 8,65,3 οὔτε μεθεκτέον τῶν πραγμάτων πλέοσιν ἢ πεντακισχιλίοις; 8,72,1 πεντακισχίλιοί τε ὅτι εἶεν καὶ οὐ τετρακόσιοι μόνον πράσσοντες: οἱ 8,86,3, τῶν δὲ

πεντακισχιλίων ὅτι πάντες ἐν τῷ μέρει μεθέξουσιν.

- 302 -

(rà πράγματα) nicht bei einer Ekklesie alten Stils, sondern bei den Fünf-

tausend liegen sollte." In diesem Sinne hat jedenfalls auch der Verfasser der Athenaion

Politeia die Stelle aufgefaßt,

wie

seine Bemerkung

„da

... die

Staatsordnung auf den Hopliten beruhte“ beweist.” Dem Zeugnis eines Historikers und Zeitgenossen vom Range des Thukydides muß in der Debatte um die ‘Fünftausend’ vom Herbst 411 entscheidendes Gewicht zugestanden werden, das durch Übernahme dieses Zeugnisses durch den Verfasser der Athenaion Politeia noch unterstrichen wird.” Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, daß von all unseren Quellenautoren nur diese

beiden eine konkrete, wenn auch knapp gehaltene Aussage über die nach dem Sturz der Vierhundert herrschenden Verfassungsverhältnisse bieten. 9 Wie aber läßt sich das thukydideische Bild der ‘Verfassung der Fünftausend’ mit den oben zitierten Indizien vereinbaren, die darauf hindeuten, daß das im

Herbst 411 eingerichtete System schon unter informierten Zeitgenossen als demokratisch gewertet wurde? Hier muß man zunächst die Tatsache in Rechnung stellen, daß dieses System

in den meisten der fraglichen Quellenstellen mit dem vorangegangenen Regime der Vierhundert in Kontrast gestellt wird. Im Vergleich zu dieser engen Oligarchie mußte natürlich auch eine auf die Hoplitenklasse beschränkte Re-

gierungsteilhabe als mehr oder weniger demokratisch erscheinen. '?!

Zweitens tut man gut daran, das in Thuk. 8,97,1 referierte Psephisma weniger

unter dem Gesichtspunkt einer anzunehmenden festen Programmatik der ‘Gemäßigten’ um Theramenes, sondern vielmehr im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Beschlußfassung gegebene politische Situation zu betrachten, die von dem Bewußtsein der akuten äußeren Bedrohung einerseits, der Gefahr ?' Da Thukydides die im Zuge der folgenden mxvaí ἐκκλησίαι beschlossenen Verfassungsnormen nur kurz erwähnt, ohne auf ihren Inhalt näher einzugehen (8,97,2), wird man

wohl annehmen dürfen, daß sie sich - zumindest nach Auffassung des Historikers - ebenfalls an dem in 8,97,1 festgelegten τοῖς πεντακισχιλίοις τὰ πράγματα παραδοῦναιPrinzip orientiert haben.

?* Ath. Pol. 33,2 ... ἐκ τῶν ὅπλων τῆς πολιτείας οὔσης.

? Daß der Verfasser der Athenaion Politeia in 33,11. Thukydides' Bericht über die * Verfassung der Fünftausend' übernimmt (s. Rhodes, Commentary 414), ist schon deshalb von Relevanz, weil diesem Autor zweifellos für die Ereignisse von 411/10 neben Thukydides noch andere Quellen zur Verfügung standen, denen er ja auch in der Erzählung der Vorgeschichte des Umsturzes den Vorzug gegeben hat. Wenn er in der zitierten Stelle dem Thukydides folgt, so zeigt dies, daß er entweder in den Parallelquellen keine abweichende Auffassung von der Rolle der 'Fünftausend' gefunden oder daß er dem Bericht des Thukydides die größere Glaubwürdigkeit zuerkannt hat. In jedem Fall scheint die Darstellung der Ath. Pol. geeignet, dem thukydideischen Zeugnis zusätzliches Gewicht zu verleihen.

100 Diod. 13,38,1 kann wegen der Möglichkeit einer Textverderbnis nicht herangezogen werden, s. o., S. 284 Anm. 24.

' Vg]. das o., S. 293 über die Sichtweise der späteren historiographisch und biographisch

orientierten Überlieferung Gesagte.

- 303 -

einer bewaffneten Stasis im Inneren andererseits geprägt war. In dieser Lage dürften die Athener, die sich damals auf der Pnyx zur Beratung (περὶ ὁμονοίας7) zusammenfanden, weniger von dem Bestreben motiviert gewesen

sein, ihr jeweiliges politisches Ideal zu verwirklichen als von der Notwendigkeit, für die Frage der Staatsordnung eine Lösung zu finden, die eine Integra-

tion der bisherigen Anhänger der Vierhundert ebenso zuließ wie die Versöh-

nung mit den Truppen auf Samos. '? Wenn

man sich in dieser Zwangslage dazu entschloß, auf das Prinzip der

*Fünftausend' zurückzugreifen, so bedeutete dies nicht nur die Erfüllung der von der Widerstandsbewegung erhobenen Forderung, sondern zugleich auch

die Festlegung auf eine verfassungspolitische Kompromißformel, der sowohl die Radikalen unter den Vierhundert als auch die Demokraten auf Samos be-

reits ihre Zustimmung gegeben hatten:

Erstere hatten ja das Prinzip der

Fünftausend nach außen hin nie in Frage gestellt, letztere unter Alkibiades’ Einfluß ihre Bereitschaft zur Tolerierung eines Regimes der Fünftausend er-

klärt. Die hier gegebene Deutung des in Thuk. 8,97,1 referierten Verfassungsbeschlusses als Kompromißformel stützt sich in erster Linie auf unsere Ein-

schätzung der zum damaligen Zeitpunkt gegebenen politischen Situation; sie wird aber auch durch ein in der thukydideischen Paraphrase des Psephismas selbst liegendes Indiz gestützt, nämlich die Tatsache, daß man an dem Namen

der ‘Fünftausend’

festhielt anstatt, wie es der Sachlage entsprochen hätte,

ganz offen τοῖς ὅπλα παρεχομένοις τὰ πράγματα

παραδοῦναι zu de-

kretieren. An diesem Detail läßt sich deutlich erkennen, daß man den Begriff der Fünftausend, unabhängig von seinem tatsächlichen Gehalt, als eine propagandistisch wirkungsvolle Parole verstand, die sich am besten zur Etikettierung einer als Kompromiß verstandenen Verfassungsordnung eignete. Da das Konzept der Fünftausend in seiner ursprünglichen Form stärker oligarchisch

ausgerichtet war als das nun tatsáchlich in Geltung gesetzte Prinzip einer Teilhabe aller Hopliten, wird zugleich deutlich, daß man es damals durchaus

noch für angebracht hielt, zumindest in der Terminologie auf die Stimmungslage der oligarchisch Gesinnten Rücksicht zu nehmen.'” Das im Herbst 411 gewissermaßen bereits ‘altbewährte” Schlagwort der Fünftausend stellt sich

also, unter diesem Blickwinkel betrachtet, als eine wirksame verfassungspolitische Kompromißformel dar, die einen friedlichen Übergang vom System der Vierhundert zu einer auf breiterer Basis konstituierten Verfassungsordnung sichern sollte. 102 So zu Recht bereits Lintott, Violence 154. 103 Vgl. Lintott, Violence 153: „the new regime seemed all things to all men".

14 Thuk. 8,86,6, s. dazu o., S. 257-259.

1% Zur Adaptibilität der Parole von den Fünftausend an die Vorstellungen verschiedener Gruppen s. o., S. 116f. und 263f.; vgl. Brock, Numbers Game 162f.

- 304 Angesichts dieses situationsbezogenen Kompromißcharakters erhebt sich die Frage, ob das auf der von Thuk. 8,97,1 referierten Versammlung beschlossene

Programm überhaupt als dauerhafte Basis der athenischen Staatsordnung gedacht war? Hier ist zunächst die schon von Andrewes herausgearbeitete Tatsache relevant, daß man Thukydides zufolge auf der konstituierenden Versammlung

zwar zukünftige Verstöße gegen das Prinzip der Nichtbesoldung der Ämter mit einem feierlichen Fluch belegte, nicht aber ebensogut denkbare Verstöße

gegen das Prinzip des τοῖς πεντακισχιλίοις .. τὰ πράγματα

παραδοῦναι

oder gegen die Bestimmung, daß alle ὅπλα παρεχόμενοι zu den Fünftausend gehören sollten. Dieser Unterschied macht deutlich, daß die Männer, die in jener Versammlung den leitenden Einfluß ausübten, es bewußt vermieden haben, die Bestimmungen über die Fünftausend als unveränderliche und endgültige Grundlage jeder künftigen Verfassungsordnung abzusichern. In die gleiche Richtung weist Thukydides’ Bericht über die in der Folge be-

richteten πυκναὶ ἐκκλησίαι und die Bestellung von νομοθέται. 7 Zwar gibt uns der Historiker keinerlei nähere Angaben über Zusammensetzung und Kompetenzen dieser Nomotheten, doch läßt sich im Hinblick auf den Kontext der Stelle wie auch auf die Bezeichnung des Amtes mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, daß ihre Aufgabe, ähnlich jener der seinerzeitigen ovyγραφεῖς, in der Prüfung und Ausarbeitung weiterer verfassungsändernder Vorschläge bestehen sollte. Gerne wüßten wir, welchem Gremium die Vorschläge vorgelegt werden sollten, den Fünftausend oder einer Versammlung des gesamten Demos. Wenn wir, wie es nach

den Erkenntnissen

von Wilcken

und Gallucci

als wahr-

scheinlich gelten muß,'” davon auszugehen haben, daß die in Thuk. 8,97,1 erwähnte Versammlung dem gesamten Demos offenstand, so liegt es nahe, dies auch für die folgenden πυκναὶ ἐκκλησίαι anzunehmen. Wir hätten es in diesem Fall mit einer Konstellation zu tun, in der die Fünftausend die Ent106 Thuk. 8,97,1 μισθὸν μηδένα φέρειν μηδεμιᾷ ἀρχῇ; εἰ δὲ μή, ἐπάρατον ἐποιήσαντο;

daß sich εἰ δὲ μή, ἐπάρατον ἐποιήσαντο nur auf das Verbot der Ämterbesoldung, nicht auf die Verfassung als Ganzes bezieht, bemerkt zu Recht Andrewes, HCT V 330.

17 Thuk. 8,97,2.

108 Andrewes, HCT V 330 stellt für die Frage nach der Funktion dieser νομοθέται drei mógliche Antworten zur Auswahl:

a) Sie sind auf einer in der Abfolge der πυκναὶ ἐκκλησίαι früh anzusetzenden Versammlung gewählt worden, um die auf den nachfolgenden Versammlungen zu präsentierenden Vorschläge zu prüfen. b) Sie sollten in der neuen Verfassung eine permanente Funktion innehaben. c) Falls die Fünftausend ihre gegenwártigen Einrichtungen als provisorisch betrachteten, könnten die νομοθέται eingesetzt worden sein, um in aller Ruhe definitive Verfassungsbestimmungen auszuarbeiten, die an Stelle der auf den πυκναὶ ἐκκλησίαι beschlossenen treten sollten.

'9 s. 0., S. 281f. mit Anm. 9-11.

- 305 -

scheidungsgewalt

in den Fragen der aktuell anstehenden

Staatsgeschäfte

(wohl vor allem der Kriegsangelegenheiten) innehatten, während die grund-

sätzlichen Fragen der Rechts- und Verfassungsordnung von den νομοθέται behandelt und dann zur endgültigen BeschluBfassung dem gesamten Demos vorgelegt werden sollten. Eine solche Konstellation berührt sich mit dem neuerdings von Fouchard vorgeschlagenen Modell, demzufolge in dem nach dem Sturz der Vierhundert installierten System zwei Typen von Versammlungen existiert hátten, jene der Fünftausend und jene des Gesamt-Demos, wobei die erstgenannten in Ange-

legenheiten der Kriegführung die Entscheidungsgewalt innehgehabt hätten,

letztere in allen übrigen Angelegenheiten.'?

Dieses Fouchard'sche Modell stellt m. E. einen beachtenswerten und im Prinzip akzeptablen Lósungsansatz für die durch de Ste.Croix' Arbeiten aufgeworfene Problematik dar, es scheint allerdings im Hinblick auf die anzu-

nehmende Kompetenzverteilung zwischen den beiden Typen von Versammlungen einer Modifikation zu bedürfen: Anstatt, wie bei Fouchard suggeriert,

die Scheidelinie zwischen der Kriegführung und den übrigen Staatsangelegenheiten zu ziehen und ein permanentes Nebeneinander der jeweils für den

einen Bereich zustándigen Versammlung anzunehmen, wird man eher davon ausgehen, daß sich die Versammlungen des Demos darauf beschränkten, die von den Nomotheten ausgearbeiteten Regelungen ἐς τὴν πολιτείαν zu bestätigen und somit einen verfassungsrechtlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen die Führung aller laufenden Staatsgeschäfte den Fünftausend überlassen blieb. Die von den Fünftausend gestellten Versammlungen hátten wir uns dabei als eine Art Notstandsregiment vorzustellen, das unter den Bedingungen der gegenwürtigen Krisensituation bis auf weiteres die Regierungsgewalt ausüben sollte, während man im Grundsätzlichen am Prinzip der Souveränität des Gesamt-Demos festhielt und diesem vor allem die Bestätigung allfälliger Änderungen der Verfassungsordnung vorbehielt. Ein derartiges System erscheint nicht abwegig, wenn man bedenkt, daß die oligarchischen Verschwörer ja bereits im Frühjahr die Einführung der Fünf-

tausend dem Demos gegenüber als eine auf Zeit bedachte Notstandsmaßnahme darzustellen bestrebt waren. Sollte damals mit diesen Versicherungen die Zustimmung des Demos zu seiner Selbstentmachtung gewonnen werden,'!! so galt es jetzt, nachdem die Reaktion der Flotte und die Haltung von

Teilen der Hoplitenschicht selbst das Ausmaß des antioligarchischen Widerstandes deutlich gemacht hatten, nicht mehr nur zum Schein, sondern tatsäch-

lich auf die Gefühle der demokratisch Gesinnten Rücksicht zu nehmen.

"10 Fouchard, Aristocratie et Démocratie 466, Anm. 80 „Il faut ... admettre 1’ existence de deux types d' Assemblée, celle du démos tout entier, qui admet de se dessaisir pour un temps des affaires de la guerre, et celle des Cinc Mille, qui les gére". s. o., S. 145f.

- 306 Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeit konnte die oben skizzierte Rege-

lung, die die tatsächliche Machtausübung in die Hände der Fünftausend legte, zugleich das Prinzip der Souveränität des Demos der Form und im Hinblick auf Verfassungsgesetzgebung wohl auch der Sache nach wahrte, als eine der Situation durchaus angemessene Lósung des Verfassungsproblems erscheinen. Vor allem hátte sie die Verwirklichung des verfassungspolitischen Hauptziels dieser Gruppe - der Vormachtstellung der Hoplitenschicht im Staate - in einer Form ermóglicht, die eine gute propagandistische Handhabe bot, dem Hoplitenregime sowohl gegenüber der Flotte als auch der Masse des Demos in der Stadt zur Legitimität zu verhelfen. Durch die damit bewerkstelligte Verbin-

dung von Hoplitenregierung, Nichtbesoldung der Ämter und Aussóhnung mit der Flotte wäre zugleich auch das politische Nahziel der 'GemüBigten' - die effiziente und energische Fortführung des Krieges auf der Basis der ὁμόνοια sichergestellt gewesen. Aus der Sicht der Forschung bóte die Annahme einer solchen Regelung zu-

nächst eine in sich plausible Lösungsmöglichkeit für den scheinbaren Widerspruch zwischen Thukydides' Aussage über die Einsetzung der Fünftausend in 8,97,1 und jenen zeitnahen Quellenstellen, in denen dem im Herbst 411 in-

stallierten System ein grundsátzlich demokratischer Charakter zugeschrieben wird. Weiters lieBe sich bei Zugrundelegung des oben skizzierten Modells die enge Kooperation zwischen der Stadt und der Flotte mit der Annahme einer Regierung der Hopliten in der Stadt leichter in Einklang bringen als nach der traditionellen Auffassung.

SchlieBlich erschiene auch die Tatsache, daB der

Übergang vom Regime der Hopliten zur wiederhergestellten vollen Demokratie im Frühjahr 410 in den Quellen kaum Spuren hinterlassen hat, weniger verwunderlich, wenn man davon ausgeht, daß die Souveränität des Gesamt-

Demos im Prinzip bereits während der Phase der Regierungsausübung der Fünftausend

anerkannt

war

und

die , Wiederherstellung

der Demokratie"

somit zwar eine fühlbare politische Zásur,!!? aber keinen Systemwechsel im eigentlichen Sinn darstellte. Aus all diesen Gründen scheint es gerechtfertigt, die Lósung des durch de Ste. Croix und Gallucci aufgeworfenen Problems der nach dem Sturz der Vier-

hundert eingeführten Verfassung in der oben skizzierten Richtung zu suchen und davon auszugehen, daß man nach dem Sturz der Vierhundert eine Regelung fand, die es erlaubte, eine de facto-Regierung der Fünftausend mit dem Prinzip des souveránen Gesamt-Demos zu verbinden.

112 Daß die Vorgänge des Frühjahrs/Sommers 410 als ein politischer Bruch empfunden wurden, wird man schon angesichts der sich im Demophantos-Dekret widerspiegelnden Stimmungslage (And. 1,96-98; dazu Rhodes, Five Thousand 126) für wahrscheinlich halten. Dazu kommen die anhand der Polystratosrede gewonnenen Indizien (s. o., S. 297299) sowie die Tatsache, daB die Debatte um die Tótung des Phrynichos damals neu

aufgerollt worden zu sein scheint (s. o., S. 266).

- 307 -

Wie die auf dieser Basis eingerichtete Regierungsgewalt der Fünftausend im

Detail organisiert war, muß angesichts des Schweigens der Quellen eine Sache der Konjektur darstellen. Dabei lassen sich innerhalb der Forschung zwei grundlegende Alternativen feststellen: Die Mehrheit der Forschung neigt zu der Annahme, daß in der in Herbst 411 eingerichteten Ordnung eine Vollversammlung aller Fünftausend-ö1Aa

παρεχόμενοι und eine permanent amtierende Bule von wahrscheinlich fünfhundert Mitgliedern nebeneinander bestanden hätten, deren Verhältnis zueinander man sich ähnlich dem unter der Demokratie zwischen der Ekklesie und der Bule bestehenden vorzustellen habe.! Diese Rekonstruktion stützt sich vor allem auf die in der Botschaft des Alkibiades an die Athener enthaltene Aufforderung, sie möchten „die Vierhundert absetzen ... und die Bule einrichten wie früher, die Fünfhundert“.''* Da die Athener bei der Neuordnung ihrer Verfassungsverhältnisse nach dem Sturz der Vierhundert sogleich auch die

Versöhnung mit Alkibiades und der Flotte auf Samos anstrebten,'? liegt an

sich die Vermutung nahe, daf sie bei dieser Neuordnung dem Wunsch des Alkibiades Rechnung getragen haben, zumal wenn man mit Bleckmann davon ausgehen möchte, daß „die Rückkehr zum kleisthenischen Rat der Fünfhun-

dert“ für Alkibiades die „unabdingbare Voraussetzung für die Wiederversóhnung der Flotte mit der Stadt“ dargestellt παρε. δ

Dagegen steht die erstmals von Ehrenberg vertretene Auffassung, daf) es sich in Thuk.

8,86,6 um eine „unverbindliche Äußerung des Alkibiades' handle,

die für die tatsächliche Regelung nichts beweisen kónne.''" Die Entscheidung zwischen diesen beiden Positionen hängt offensichtlich davon ab, wieviel Gewicht man einerseits der Aufforderung des Alkibiades nach Einsetzung eines Rates der Fünfhundert, andererseits der Bereitschaft der Athener, dieser Forderung unter allen Umständen nachzukommen, zuerken-

nen möchte. Was den ersten dieser Punkte betrifft, fällt es schwer zu glauben, daß Alkibiades die Versöhnung zwischen Stadt und Flotte von der Organisation der athenischen Bule abhängig machen wollte, aber selbst wenn man dies annehmen möchte, wird man daraus nicht automatisch schließen dürfen, daß

die Athener auf ihren verfassunggebenden Versammlungen dieser Forderung dann auch tatsáchlich nachgekommen sind.

IB So z. B. Busolt, GG I 2, 1509; Meyer, GdA "VII, 5612; Hignett, HAC 378; Bleckmann, Athens Weg 360-370 mit ausführlicher Begründung. 4 Thuk. 8,86,6 τοὺς μέντοι τετρακοσίους ἀπαλλάσσειν

ἐκέλευεν

αὐτοὺς

Kal

καθιστάναι τὴν βουλὴν ὥσπερ καὶ πρότερον. τοὺς πεντακοσίους ... 1? Thuk. 8,97,3 ἐψηφίσαντο δὲ καὶ ᾿Αλκιβιάδην καὶ ἄλλους μετ᾽ αὐτοῦ κατιέναι καὶ παρά τε ἐκεῖνον καὶ παρὰ τὸ ἐν Σάμῳ στρατόπεδον πέμψαντες διεκελεύοντο ἀνθάπτεσθαι τῶν πραγμάτων.

116 Bleckmann, Athens Weg 364.

1 Ehrenberg, Urkunden 619 Anm. 1.

- 308 -

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben wir zwei Indizien zu bewerten, die darauf hindeuten, daß sich die Organisation des Rates während des

Regimes der Fünftausend von der unter der Demokratie gültigen Ordnung unterschied:

Das erste davon findet sich in der Einleitungsformel des Dekrets über die Verfolgung des Antiphon und seiner Genossen, aus der hervorgeht, daB zur Zeit

jenes Beschlusses der Epistates der Bule derselben Phyle angehörte wie der Grammateus, was unter dem zur Zeit der Demokratie gebräuchlichen Verfah-

ren nicht möglich gewesen wäre,!'® das zweite findet sich in der Datierungsformel des zu Beginn des Buleutenjahres 410/09 erlassenen DemophantosDekrets (And. 1,96): ἄρχει χρόνος

τοῦδε τοῦ ψηφίσματος

ἡ βουλὴ

ol πεντακόσιοι

λαχόντες

τῷ

κυάμῳ, οἷς Κλειγένης πρῶτος ἐγραμμάτενεν. „Die Gültigkeit dieses Psephismas beginnt mit der Bule der fünfhundert durch das

Los Bestellten, für die Kleigenes zuerst als Grammateus fungierte.“

Die ausdrückliche Erwähnung der „Bule der fünfhundert durch das Los Bestimmten" ist in der Forschung des ófteren als Indiz dafür gewertet worden, daß diejenige Bule, die der im Amtsjahr 410/9 amtierenden voranging, nicht

durch das Los bestimmt war!" und vielleicht auch nicht aus fünfhundert Mitgliedern bestanden hat.'?? Gegen diese Auffassung tritt vor allem Bleckmann auf, der darauf verweist,

daB die betreffende Formel im gegebenen Kontext nur als Teil der Datie-

rungsformel ohne besondere politische Aussage zu verstehen sei, da es hier nur „auf die Unterscheidung von anderen Amtsjahren ankomme, „in denen andere Amtsschreiber in der ersten Prytanie tätig waren". Daher erlaube die

Formel „keine Rückschlüsse darüber wie der Rat vor diesem neuen Amtsjahr beschaffen war". ?!

Diese Möglichkeit ist selbstverstándlich nicht auszuschließen, dennoch erscheint die ausdrückliche Betonung der Erlosung des Rates und seiner Zun (Plut.] vit. dec. or. = mor. 833 e: Δημόνικος ᾿Αλωπεκῆθεν ἐγραμμάτευε: Φιλόστρατος Παλληνεὺς (Taylor, Ms: Πελληνεὺς) ἐπεστάτει. Da Alopeke und Pallene beide der

Phyle Antiochis zugeordnet waren (s. Traill, Political Organization 53f), müssen der Grammateus Demonikos und der Epistates Philostratos beide dieser Phyle angehórt haben, s. Ferguson, Constitution 74. Rhodes, Boule 29 Anm. 7; man beachte jedoch die von Pesely, Andron 71f. an der Zuverlässigkeit der handschriftlichen Überlieferung des

Dekrets geäußerten Zweifel.

119 So bereits Meyer, GdA "VII, 5617. Anm. 2 und Beloch, GG ?II 2, 314. 120 So Ferguson, Constitution 75, der vermutet, daß die vorangegangene Bule dem Vier-

telsbulen-System von Ath. Pol. 30,3f. entsprochen habe, und Stevenson, Constitution 57,

der mit einer Bule von vierhundert Mitgliedern rechnet (gegen letztere Auffassung s. jedoch das o., S. 180 Anm. 15 zu Cary’s Hypothese Gesagte).

?! Bleckmann, Athens Weg 364 Anm. 19; in ähnlichem Sinne bereits Van der Ploeg,

Theramenes 61.

- 309 -

sammensetzung aus fünfhundert Mitgliedern auffüllig, da für bloBe Datie-

rungszwecke die Nennung des Grammateus Kleigenes genügt hátte, so wie es z. B. in dem auf dasselbe Amtsjahr 410/9 bezogenen Finanzdokument IG P 375 gehalten wird.'? Wenn in der Einleitungsformel zum DemophantosDekret, das von seinem Inhalt her den Charakter eines antioligarchischen Manifests trágt, über die Nennung des Grammateus hinaus ausdrücklich auf

die Erlosung und die Mitgliederzahl des amtierenden Rates verwiesen wird, so drängt sich eben doch die Vorstellung auf, daß damit eine bewußte Ab-

grenzung zu früheren Verhältnissen intendiert ist," wobei die Stoßrichtung der Abgrenzung freilich auch, wie Bleckmann feststellt, gegen die Vierhundert gerichtet sein kann.!**

In jedem Fall zeigt uns die Bezeichnung ol πεντακόσιοι

λαχόντες

τῷ

κυάμῳ in der Einleitungsformel des Demophantos-Dekrets, daß die Existenz einer erlosten Bule von fünfhundert Mitgliedern zur Zeit dieses Psephismas nicht als selbstverständliches Prinzip gegolten hat. In Verbindung mit der im Andron-Dekret bezeugten Anomalie wird man sie m. E. doch als ein Indiz dafür werten dürfen, daB unter dem im Herbst 411 installierten System die Bule

in wesentlichen Punkten anders organisiert war als unter der Demokratie. '?

Damit erhebt sich nochmals die schon im Zusammenhang mit der Authentizität der in Ath. Pol. c. 30 und 31 wiedergegebenen Verfassungsentwürfe auf-

geworfene Frage, ob die in Ath. Pol. 30 beschriebene ‘Zukunftsverfassung’ mit der zwischen dem Sturz der Vierhundert und der Wiederherstellung der vollen Demokratie kónne.

in Athen geltenden Staatsordnung gleichgesetzt werden

Wir haben festgestellt, daB sich diese in der Forschung des ófteren vertretene

Annahme durch kein eindeutiges Quellenzeugnis belegen laBt,"^ daß zumindest in einem Fall eine in dem Entwurf vorgesehene Regelung nicht vor 406/5 (2 7 16:

ἐπὶ τὲς BoAEs Eı Κλεγένες λαλαιεὺς mpórios] | ἐγραμμάτευε. Zu dieser

Sitte, eine Bule nach dem Grammateus ihrer ersten Prytanie zu bezeichnen, s. allgemein Busolt/Swoboda, Staatskunde II 1035; für das reiche Belegmaterial des 5. Jh. s. den Index zu IG P (p. 1074 s. v. γραμματεύω

1 b).

!2 Die von Hatzfeld (Fin 122) und Sealey (Constitutional Changes 281f) ins Spiel

gebrachte Möglichkeit, es handle sich bei der fraglichen Passage ἄρχει χρόνος .. ἐγραμμάτευεν in And. 1,96 um einen Zusatz des Andokides selbst, würde voraussetzen, daß der Redner, der sich während der in Frage stehenden Zeit wieder im Exil befand, aus eigener Kenntnis wußte, daß die Prytanie, während derer Kleigenes als Grammateus wirkte, die erste des Buleutenjahres 410/9 gewesen war, eine Voraussetzung, die m. E.

wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat (anders Sealey a. O.). Ebenso müßte es als unklar gelten, weshalb der Redner, wenn es ihm nur auf die Datierung ankam, die zahlenmäßige Zusammensetzung und die Erlosung der damaligen Bule besonders hervorgehoben haben sollte.

124 Bleckmann, Athens Weg 364.

125 So auch Lehmann, Oligarchische Herrschaft 41 Anm. 46.

5 s. o., S. 186-194, bes. das Resümee aufS. 193f.

- 310 -

in die Realität umgesetzt wurde," während umgekehrt zur Zeit des Antiphonprozesses mindestens eine Regelung in Kraft war, die in der Zukunftsver-

fassung keine ausdrückliche Entsprechung findet," daß schließlich für beide

Entwürfe ein Entsteh vor der Einsetzung der Vierhundert als wahrscheinlich zu gelten hat. ” All dies macht klar, daß wir die Zukunftsverfassung in keinem Falle vollinhaltlich mit der im Herbst des Jahres 411 installierten Staatsordnung gleichsetzen können. Dies wird darüberhinaus schon durch die Erwähnung der Nomotheten und der verfassunggebenden Ekklesien in Thuk. 8,97,1 wahrschein-

lich gemacht, deren bloße Existenz als Indiz für eine damals vorgenommene Neuschaffung verfassungsrechtlicher Normen gelten kann. Aus Gründen der sachlichen Wahrscheinlichkeit und Praktikabilität wird man in jedem Falle bezweifeln dürfen, daB die in der Zukunftsverfassung für die

Nichtteilnahme an den Sitzungen der Bule festgesetzte Geldstrafe!”

und die

Regel, derzufolge die Strategen nur aus der gerade amtierenden Viertelsbule genommen werden durften (wenn die betreffende Passage überhaupt in diesem Sinne zu verstehen ist'”'), unter den im Herbst 411 gegebenen Bedingungen tatsächlich in Geltung gesetzt wurden. Es ließe sich daher allenfalls fragen, ob nicht einzelne

Elemente

der Zu-

kunftsverfassung in die damals getroffenen Regelungen Eingang gefunden haben. Zu denken ist hier in erster Linie an das Prinzip der vier einander abwechselnden Bulen von Ath. Pol. 30,3f. Thukydides bezeugt uns an zwei Stellen, daß das Prinzip einer politischen Teilhabe ἐν τῷ μἔρει von den Vierhundert während ihrer Herrschaft als Pro-

pagandaformel zur Gewinnung des Demos bzw. der Hopliten verwendet wurde. '”? Dies spricht jedenfalls dafür, daß man diesem Konzept eine gewisse Popularität beim Demos und bei den Fünftausend selbst zutraute. Weiters spricht auch die bloße Existenz der Zukunftsverfassung von Ath. Pol. 30, die wir ja doch wohl für ein tatsächlich im Vorfeld des Umsturzes von 411 ent-

standenes Dokument halten dürfen,'”” für die Bekanntheit und Popularität des darin enthaltenen Prinzips der Buleutenrotation. Schließlich ist auch zu bedenken, daß Thukydides in seiner Paraphrase des Psephismas über die Abschaffung der Vierhundert den Eindruck erweckt, die Fünftausend hätten an die Stelle der Vierhundert treten sollen, also die Funktionen der Bule über-

127 Nämlich die Zusammenlegung der Tamiai-Kollegien, s. o., S. 191-193. 128 Nämlich die in der Einleitung des Andron-Dekrets belegte Existenz von Prytanien innerhalb der Bule, dazu o., S. 186f. 19 «. 0., S. 198-206.

130 Ath. Pol. 30,6.

131 Ath. Pol. 30,2, s. dazu o., S. 208 mit Anm. 131.

132 Thuk. 8,86,3 und 93,2, s. dazu o., S. 184f. 133... 0., S. 196-206.

- 311 -

nehmen sollen.'* Das könnte freilich auch auf eine verkürzende Darstellung des Historikers oder auf den provisorischen Charakter jenes ersten Beschlus-

ses zurückgehen, doch man wird die Möglichkeit nicht außer acht lassen dürfen, daß die Athener nach den Erfahrungen mit der autokratischen Bule der

Vierhundert ganz bewußt ein auf breiterer Beteiligung beruhendes Ratsgremium anstrebten. Wenn wir Thuk. 8,97,1 demnach so verstehen dürfen, daß die Fünftausend, d.

h. die Berittenen und die Hopliten, an die Stelle sowohl der Bule als auch zumindest für einen wesentlichen Teil der Staatsgeschäfte - an die Stelle der demokratischen

Volksversammlung

treten

sollten,

dann

hätte

das

in der

Zukunftsverfassung niedergelegte Rotationsprinzip jedenfalls ein Konzept geboten, das geeignet gewesen wäre, trotz der kriegsbedingt hohen Beanspruchung der Hopliten eine effektive Kontrolle der Regierungsgeschäfte durch

die Hoplitenschicht sicherzustellen:?? Das Rotationsprinzip hätte die Repräsentativität der Entscheidungstrüger garantiert, zugleich aber den Anforderungen des Kriegsdienstes Rechnung getragen, da stets nur ein Bruchteil der Hoplitenklasse durch die Regierungsgescháfte in Anspruch genommen worden wäre, der weitaus größere Teil - drei Viertel der Älteren sowie alle Ange-

hórigen der kriegsdiensttauglichsten Jahrgänge - aber für den Waffendienst zur Verfügung gestanden hátte. Im Hinblick auf diese Vorteile erweist sich die Vorstellung, daB man bei der

nach dem Sturz der Vierhundert getroffenen Verfassungsregelung das Rotationsprinzip der Zukunftsverfassung zur Grundlage nahm, als eine durchaus bedenkenswerte Möglichkeit. Mit positiven Quellenzeugnissen läßt sie sich freilich ebensowenig belegen wie die von der communis opinio favorisierte Annahme des Zusammenspiels einer Bule der Fünfhundert und einer Vollver-

sammlung der ὅπλα παρεχόμενοι. Angesichts dieses Mangels an eindeutigen Quellenbelegen scheint es geraten, die Frage, in welcher konkreten Organisationsform die ‘Fünftausend’ die ihnen im Herbst 411 übertragene Leitung der Staatsgescháfte ausgeübt haben, offen zu lassen. Wichtiger als diese Frage ist die oben (S. 302f.) herausgearbeitete generelle Charakteristik der nach dem Sturz der Vierhundert eingerichteten Ordnung als einer Kompro-

miBlósung, bei der den Fünftausend die alleinige Führung der laufenden Staatsgeschäfte

zukam,

während

die Souveränität

des Gesamt-Demos

im

Grundsatz anerkannt wurde und Bestimmungen über die Staatsordnung einer Bestätigung durch die Versammlung bedurften.

Daß die Installation des ersehnten Hoplitenregimes nach dem hier zur Diskussion gestellten Modell nur ein Provisorium darstellte und die Möglichkeit weiterer Verfassungsänderungen durch den Gesamt-Demos offenblieb, moch134 Thuk. 8,97,1, zit. o., S. 279.

135 Val. o., S. 195f.

- 312-

te den Theramenesanhängern als ein vertretbarer Preis für die unentbehrliche Kooperation des städtischen Demos und der Flotte erscheinen. Auch die Beteiligung des Gesamt-Demos an der Nomothesie dürfte ihnen als eine in der Praxis nicht allzu schwer wiegende Einschränkung erschienen sein, wenn die konkrete Ausarbeitung der dem Demos vorzulegenden Verfassungsvorschláge in der Hand des vermutlich aus sozial distinguierten Persónlichkeiten zusammengesetzten Nomotheten-Kollegiums lag. Darüberhinaus dürfen wir bei Zu-

grundelegung des hier skizzierten Modells wohl annehmen, daB die verfassunggebenden Versammlungen des Gesamt-Demos nicht auf eigene Faust zusammentreten konnten, sondern dazu einer Einberufung durch ein von dem Hoplitenregime kontrolliertes Organ (seien es nun die Nomotheten selbst oder die Fünftausend bzw. deren Bule) bedurften.

Man konnte sich daher im Herbst 411 seitens der ‘Gemäßigten’ durchaus der Hoffnung hingeben, daß sich die Dominanz der Hopliten im Staate auf Dauer stabilisieren lassen würde, wenn es dem neuen Regime nur erst gelänge, sich durch militärische Erfolge zusätzlich zu legitimieren. Daß die militärischen Erfolge, als sie sich dann tatsächlich einstellten, der Ionienflotte und damit der Demokratie zugute kamen, ließ sich im Herbst 411 aus stadt-athenischer Perspektive nicht voraussehen. Unter den gegebenen Umständen konnte der damalige Verfassungskompromiß aus der Sicht seiner Betreiber als ein aussichtsreiches Mittel zur Lösung des Widerspruches zwischen den eigenen verfassungspolitischen Wünschen und der kriegsbedingten Notwendigkeit einer

Kooperation auch der breiten Schichten des Demos erscheinen.

Flucht und gerichtliche Verfolgung der Oligarchen Nach dem Bericht des Thukydides seien „die Gefolgsleute des Peisandros und Alexikles und alle, die am meisten der Oligarchie anhingen“ sogleich im Zuge der Verfassungsumwälzung nach Dekeleia geflüchtet, der Stratege Aristarchos hingegen habe seine Kommandostellung benutzt, mit einer Truppe bar-

barischer Bogenschützen nach Oinoe zu ziehen und diese Grenzfestung, deren Besatzung noch nichts von dem in Athen erfolgten Umschwung wußte, den

Böotern in die Hände zu spielen.'* Diese sehr knapp und summarisch gehaltene Erzählung des Thukydides stellt den einzigen im Kontext einer historischen Darstellung gebotenen Bericht über die Flucht der Oligarchenführer nach dem

Sturz der Vierhundert dar;

135 Thuk. 8,98,1-4; zum Verrat von Oinoe durch Aristarchos vgl. Xen. hell. 1,7,28. Einem wahrscheinlich auf diese Episode zu beziehenden Fragment des Aristophanes (fr. 564 K A.) entnehmen wir, daß es sich bei diesen Sóldnern um Iberer handelte: μανθάνοντες τοὺς Ἴβηρας τοὺς 'Apiarápxou und πάλαι τοὺς Ἴβηρας οὖς xopnyeis uox βοηθῆσαι

δρόμῳ, s. dazu Kassel/Austin, PCG III 2, p. 290 [mit corrigendum in PCG VII, p. 811] sowie Bleckmann, Athens Weg 379 m. Anm. 75.

- 313-

dazu kommt eine eher beiláufige und chronologisch ungenaue Bemerkung in

Lysias

Rede

gegen Agoratos,

wo

fälschlicherweise

die Ermordung

des

Phrynichos als Anlaß für die Flucht „der meisten der Vierhundert" hingestellt

wird," und eine ähnliche Bemerkung in der pseudo-lysianischen Rede für Polystratos,

wo

neben

den

Dekeleiaflüchtlingen

auch

von

minder

schwer

Kompromittierten die Rede ist, die es vorgezogen hätten, zu den athenischen Truppen

ins

Feld

zu

gehen,

Verfolgungen ausgesetzt zu sein.'”?

um

nicht

in

der

Heimat

gerichtlichen

In der fragmentarisch erhaltenen Rede des Lysias gegen Hippotherses wird von dem Prozeßgegner des Redners gesagt, daß er „zur Zeit der Vierhundert“

(ἐπὶ τῶν τετρακοσίων) nach Dekeleia geflüchtet sei.? Da Lysias den Hippotherses im folgenden als Oligarchen und Feind des Demos bezeichnet, wird man wohl trotz des lysianischen Wortlautes davon auszugehen haben, daß er

nicht etwa von den Vierhundert ins Exil getrieben wurde, '^ sondern vielmehr

zu den nach deren Sturz geflohenen Oligarchen gehórte.!^! Während uns diese Stellen direkte, wenn auch sehr knappe Nachrichten über die Flucht der kompromittierten Oligarchen aus Athen nach dem Sturz der Vierhundert bieten, findet sich ein indirektes Zeugnis darüber in der Verteidi-

gungsrede für Polystratos, wo von athenischen Verbannten die Rede ist, die von Dekeleia aus Raubzüge gegen die Stadt und ihr Umland unternehmen. Die Annhahme liegt nahe, daß es sich bei diesen Verbannten vornehmlich um

während der Herrschaft der Vierhundert kompromittierte Persönlichkeiten handelte; wir hátten demnach mit einer ganz betrüchtlichen Zahl solcher Flüchtlinge zu rechnen, allerdings läßt sich nicht sagen, ob sie alle bereits im

Zuge der von Thukydides erwähnten Fluchtbewegung oder erst einige Zeit später (aber jedenfalls vor dem in die zweite Hälfte des Jahres 410 zu setzen-

den zweiten Polystratos-Prozeß'*?) nach Dekeleia gingen.

Durch den Redner Lykurgos erfahren wir von einem posthumen ProzeB gegen Phrynichos, dessen Anlaß die beiden Attentäter Thrasybulos und Apollodoros

(s. o., S. 265-268) bildeten, die nach Lykurgos' Angaben von den Freunden des Phrynichos ins Gefängnis geführt, aber vom Demos wider befreit wurden, worauf man eine Untersuchung durchführte, in deren Folge der tote Phry-

nichos als Verräter an der Polis und die Festnahme

seiner Mörder

als

57 Lys. 13,73 ἐπειδὴ δ᾽ ἐκεῖνος [sc. Φρύνιχος) ἀπέθανεν, ol πολλοὶ τῶν τετρακοσίων ἔφυγον.

is [Lys.] 20,21 ἐκεῖνοι δὲ σφῶν αὐτῶν προκαταγνόντες ἀδικεῖν οἴχονται, (va μὴ

δοῖεν δίκην: καὶ εἴ τινες ἄλλοι ἀδικοῦσιν, ἧττον μὲν ἐκείνων. ἀδικοῦσι δέ, τὸ δέος αὐτοὺς

ποιεῖ

τό

τε

ὑμέτερον

καὶ

τὸ

τῶν

κατηγόρων

στρατεύεσθαι, ....

μὴ

ἐπιδημεῖν

139} γ8. fr. 161 Z 185ff. Gernet-Bizos (= Pap. Oxy. XIII 1606 fr. 6, col. ii). !4 Dies vermutet jedoch Seibert, Flüchtlinge 462 Anm. 646. 14 So bereits Grenfell/Hunt in Pap. Oxy XIII p. 70. 14 Für die Datierung der Polystratos-Rede s. o., S. 101 mit Anm 37.

ἀλλὰ

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unrechtmäßig erkannt worden sei. Auf Antrag des Kritias sei dann beschlossen worden, über Phrynichos einen gerichtlichen Prozeß wegen Landesverrates durchzuführen. Falls er für schuldig befunden würde, sollte sein Leichnam ausgegraben und außer Landes geworfen werde; überdies sollte im Falle eines

Schuldspruches auch allfälligen Verteidigern des Phrynichos dieselbe Strafe

zuteil werden.'*” Der pseudoplutarchischen Antiphonbiographie und einem Aristophanesscholion ist zu entnehmen, daß Phrynichos in diesem Prozeß für

schuldig befunden; sein Vermögen konfisziert und sein Haus niedergerissen wurde. Lykurgos überliefert darüberhinaus die Angabe, daß Aristarchos und Alexikles hingerichtet worden seien, weil sie als Verteidiger des Phrynichos aufgetreten sein, eine Angabe, die im Hinblick auf die durch Thukydides

bezeugte Flucht dieser Männer nach Dekeleia nicht dahingehend verstanden werden kann, daß ihre Verurteilung einem allfälligen Auftreten im Phrynichosprozeß auf dem Fuße gefolgt sei; der Redner scheint hier Ereignisse, die sich in Wirklichkeit erst geraume Zeit nach dem Herbst 411 vollzogen

haben, ^ irreführender Weise mit dem

PhrynichosprozeB verknüpft zu

haben.

Möglicherweise mit der posthumen Verfolgung des Phrynichos verknüpft ist der erste Prozeß gegen Polystratos. Letzterer hatte, wie bereits erwähnt (o., 101£.), als καταλογεύς fungiert und für kurze Zeit im Rat der Vierhundert

gesessen; gleich nach dem Sturz der Oligarchie wurde er angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Aus der für einen zweiten, späteren Prozeß verfaBten Verteidigungsrede geht nicht genau hervor, was bei diesem ersten Prozeß den konkreten Anklagepunkt gegen Polystratos darstellte;'*’ nur soviel scheint klar, daß man ihm bereits damals ein angebliches Naheverhältnis zu Phry-

nichos zum Vorwurf machte." * Bemerkenswert ist in unserem Zusammenhang, daß damals nach Angaben der Rede neben Polystratos zugleich auch andere Personen wegen ihrer Verstrickung in die Umtriebe der Vierhundert vor Gericht gezogen worden seien, von denen allerdings viele durch Fürspra-

che oder Bestechung einen Freispruch erlangt hátten.'^ 1 Lykurg. 1,112-115. !^^ [Plut.] vit. dec. or. = mor. 834b (zit. u., S.

316 Anm. 156); Schol. Aristoph. Lys. 313.

!^ Eine Verurteilung und Hinrichtung des Aristarchos vor 406 ist uns in Xen. hell. 1,7,28 bezeugt (dazu Krentz, Xenophon I 167).

14 So zu Recht Bleckmann, Athens Weg, 383, Anm. 87.

14? Für diesbezügliche Vermutungen s. etwa Busolt, GG III 2. 14 [Lys.] 20,11. 149 [Lys.] 20,14f.: καὶ οὗτος μὲν ... ὦφλε χρήματα

τοσαῦτα: τῶν δ᾽ εἰπόντων ὑμῖν

τἀναντία ... πολλοὶ ἀποπεφεύγασι .... οἱ μὲν γὰρ δοκοῦντες ἀδικεῖν ἐξῃτημένοι εἰσὶν ὑπὸ τῶν ὑμῖν προθύμων ἐν τοῖς πράγμασι γενομένων, οἱ 5' ἠδικηκότες ἐκπριάμενοι τοὺς κατηγόρους οὐδ' ἔδοξαν ἀδικεῖν.

-315-

Ebenfalls in die Zeit nach dem Phrynichos-Prozeß, wahrscheinlich noch in den Herbst 411 gehórt die gerichtliche Verfolgung des Antiphon und Archep-

tolemos und Onomakles.'”

Den AnstoB zu diesem Verfahren gab eine von den Strategen bei der Bule eingebrachte Eisangelie, in welcher gegen die drei Oligarchenführer der Vorwurf erhoben wurde, „sie hätten zum Schaden des Staates der Athener eine

Gesandtschaftsmission nach Lakedaimon unternommen, seien dabei vom Feldlager aus in einem feindlichen Schiff gefahren, nachdem sie zu Fuß über

Dekeleia gereist waren". Aufgrund dieser Anzeige beschloB die Bule auf Antrag des Andron, die Strategen sollten unter Mitwirkung von bis zu zehn Mitgliedern der Bule die drei Genannten festnehmen und vor das Dikasterion führen. Am folgenden Tage sollten die Thesmotheten sie vorladen und ihnen wegen Hochverrates den Prozeß machen, wobei die Anklage von den Strategen und gewählten Anklägern aber auch von jedem Bürger, der wolle, vertreten werden solle. Im Falle eines Schuldspruches sollte mit ihnen gemäß den Bestimmungen des Gesetzes über die Verräter verfahren werden.?!

Über den eigentlichen Prozeß haben wir nur die knappe Bemerkung des Thukydides, der der Qualität von Antiphons Verteidigungsrede höchstes Lob spendet!? sowie die Fragmente der Rede selbst; Beide Quellen sprechen dafür, daB über die im Andron-Dekret dokumentierte Beschuldigung des Landesverrates hinaus der Vorwurf oligarchischer Gesinnung an sich zumindest

im Falle des Antiphon einen wesentlichen Anklagepunkt dargestellt hat; eines der Redefragmente gibt uns darüberhinaus den Namen eines der Ankläger, eines gewissen Apolexis, dessen Position und politischer Standort sich leider 10 Daß die Verurteilung des Phrynichos den terminus post für den Prozeß gegen Antiphon und Archeptolemos darstellt, ergibt sich aus der im Urteilsspruch gegen die beiden Letztgenannten enthaltenen Bestimmung, das Urteil solle auf einer bronzenen Stele neben dem

gegen Phrynichos ergangenen Psephisma aufgestellt werden ([Plut.] vit. dec. or. = mor. 834 b), s. dazu Bleckmann, Athens Weg 379f. Den terminus ante bildet die noch in den Herbst 411 zu datierende Abfahrt des Theramenes an der Spitze einer nach Eubóa be-

stimmten Flottenabteilung, die Bleckmann (Athens Weg 390) wohl zu Recht in den Herbst 411 datiert (anders Ferguson, Condemnation 362 m. Anm. 3, der es für möglich halt, daß Theramenes erst mit Frühlingsbeginn 410 ausfuhr).

5! [Plut.] vit. dec. or. = mor. 833 ef obs ἀποφαίνουσιν ol στρατηγοὶ πρεσβενομένους εἰς Λακεδαίμονα ἐπὶ κακῷ τῆς πόλεως τῆς ᾿Αθηναίων kal [Ex] τοῦ στρατοπέδου πλεῖν ἐπὶ πολεμίας νεὼς καὶ πεζεῦσαι διὰ Δεκελείας, ᾿Αρχεπτόλεμον καὶ 'Ovo-

μακλέα καὶ ᾿Αντιφῶντα συλλαβεῖν καὶ ἀποδοῦναι εἰς τὸ δικαστήριον, ὅπως δῶσι δίκην. παρασχόντων δ᾽ αὐτοὺς οἱ στρατηγοί, καὶ ἐκ τῆς βουλῆς οὔστινας ἂν δοκῇ τοῖς στρατηγοῖς προσελομένοις μέχρι δέκα, ὅπως ἂν περὶ παρόντων γένηται ἡ

κρίσις. προσκαλεσάσθωσαν δ᾽ αὐτοὺς οἱ θεσμοθέται ἐν τῇ αὔριον ἡμέρᾳ καὶ εἰσαγόντων, ἐπειδὰν αἱ κλήσεις ἑξήκωσιν εἰς τὸ δικαστήριον, περὶ προδοσίας κατηγορεῖν τοὺς ἠρημένους συνηγόρους καὶ τοὺς στρατηγοὺς

καὶ ἄλλους. ἄν τις

βούληται ὅτου 5' ἂν καταψηφίσηται τὸ δικαστήριον, περὶ αὐτοῦ ποιεῖν κατὰ τὸν νόμον, ὃς κεῖται περὶ τῶν προδόντων.

152 Thuk. 8,68,2.

- 316 -

nicht mit Sicherheit bestimmen lassen. Aus der Antiphon-Apologie wie auch aus der Eratosthenesrede des Lysias erfahren war, daB auch Theramenes, wohl in seiner Eigenschaft als Stratege, als Ankläger gegen Antiphon und Ar-

cheptolemos auftrat.'* Trotz seiner brillanten Verteidigungsrede wurde Antiphon, ebenso wie sein Mitangeklagter Archeptolemos (Onomakles dürfte sich der Verfolgung durch Flucht entzogen haben'”°), für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Im

Urteisspruch war weiters bestimmt, daß beider Besitztümer konfisziert (wobei ein Zehntel dem Schatz der Athene zufiel) ihre Häuser niedergerissen und an deren Stelle Stelen mit der Aufschrift „[Besitztum] der beiden Verräter Anti-

phon und Archeptolemos" aufgestellt werden sollten. Schließlich wurde beiden Männern das Begräbnis auf attischem Boden verwehrt und über ihre Nachkommen die erbliche Atimie verhängt, verschärft durch eine Atimiedro-

hung

gegen jeden,

der einen Nachkommen

der Verurteilten

adoptieren

würde.

Bei dem Versuch, aus diesen Angaben den ungefähren Ablauf der Ereignisse herauszurekonstruieren, haben wir zunächst Thukydides’ Behauptung zu prüfen, daß Peisandros und die anderen Oligarchenführer Athen „sogleich wührend der Umwälzungen“ (ἐν τῇ μεταβολῇ ταύτῃ εὐθύς) verlassen hätten.

Einen Anhaltspunkt zur Bewertung dieser Angabe bietet uns eine Passage aus der Rhetorik des Aristoteles, in der ein Wortwechsel zwischen einem Sopho-

kles, der im Zuge dieser Passage als Probulos kenntlich gemacht wird,'”’ und Peisandros referiert wird: Peisandros habe den Sophokles gefragt, „ob er, wie die anderen Probuloi die Einsetzung der Vierhundert gebilligt habe“, was die-

ser bejahte. Auch die darauffolgende Frage, „ob ihm dies nicht von Übel zu 9 Antiph. fr. 1-6 Blass, dazu fr. III 1 Gernet sowie fr. B 1 Maidment. Für die diversen Identifikationsmöglichkeiten des Antiphon-Anklägers Apolexis mit anderen Namensträgern s. Avery, Studies 30-36 und Bleckmann, Athens Weg 427 Anm. 149. Antıph. fr. B 1,3 Maidment (nicht bei Gernet) ... ἐπ]ειδὴ Onpa(ut]vns, [κατ]ηγόρησεν -...; Lys. 12,67; s. dazu Bearzot, Lisia 186f.

ὃς ἐμοῦ

s. Heftner, τρία κακά 42 mit Anm. 54.

56 [Plut.] vit. dec. or. = mor. 834 ab Προδοσίας ὦφλον ᾿Αρχεπτόλεμος ᾿Ιπποδάμου ᾿Αγρύληθεν παρών, ᾿Αντιφῶν ZoplAou ἹΡαμνούσιος παρών: τούτοιν ἐτιμήθη τοῖς ἕνδεκα παραδοθῆναι

καὶ τὰ χρήματα

δημόσια

εἶναι καὶ τῆς θεοῦ τὸ ἐπιδέκατον,

καὶ τὼ οἰκία κατασκάψαι αὐτῶν καὶ ὅρους θεῖναι τοῖν οἰκοπέδοιν, ἐπιγράψαντας » Ἀρχεπτολέμου καὶ ᾿Αντιφῶντος τοῖν προδόντοιν.“ τὼ δὲ δημάρχω ἀποφῆναι τὴν οὐσίαν αὐτοῖν καὶ μὴ ἐξεῖναι θάψαι ᾿Αρχεπτόλεμον καὶ ᾿Αντιφῶντα ᾿Αθήνησι, μηδ᾽ ὅσης ᾿Αθηναῖοι κρατοῦσι καὶ ἄτιμον εἶναι ᾿Αρχεπτόλεμον καὶ ᾿Αντιφῶντα καὶ γένος τὸ ἐκ τούτοιν, καὶ νόθους καὶ γνησίους: καὶ ἐάν τις ποιήσηταί τινα τῶν ἐξ

᾿Αρχεπτολέμον καὶ ᾿Αντιφῶντος ἄτιμος ἔστω ὁ ποιησάμενος. ταῦτα δὲ γράψαι ἐν στήλῃ χαλκῇ’ καὶ ἧπερ ἀνάκειται τὰ ψηφίσματα τὰ περὶ Φρυνίχου, καὶ τοῦτο θέσθαι.

17 Zur Frage der Identität des in dieser Aristoteles-Stelle genannten Probulos mit dem Tra-

' gódiendichter Sophokles s. o., S. 7f. Anm. 34.

-317-

sein schien", sei von Sophokles bejaht worden. Als Peisandros daraufhin feststellte „Und dennoch hast du dieses Üble getan“, habe Sophokles erwidert „Ja, denn es gab nichts Besseres“ (... Σοφοκλῆς, ἐρωτώμενος ὑπὸ ΠεισάνBpou el ἔδοξεν αὐτῷ, ὥσπερ Kal τοῖς ἄλλοις προβούλοις, καταστῆσαι

τοὺς τετρακοσίους, Epn „Ti δέ; οὐ πονηρά σοι ταῦτα ἐδόκει elvaı;“ ἔφη. ,OUKOUV σὺ ταῦτα ἔπραξας τὰ πονηρά;“ „vVon“, ἔφη „ou γὰρ ἦν ἄλλα

βελτίω.“).P* Aristoteles bietet keine Angaben über die zeitliche Einordnung und die näheren Umstände dieses Wortwechsels;

aber die Tatsache, daß daß die Einset-

zung der Vierhundert im Peisandros-Sophokles-Dialog als ein πονηρόν bezeichnet wird, láBt die Annahme als beinahe zwingend erscheinen, daß dieser

Meinungsaustausch in einen Zeitpunkt zu datieren ist, zu dem das Regime der Vierhundert bereits gefallen war. In der Forschung hat man die Episode daher zumeist in den Kontext der gegen die Oligarchen gerichteten gerichtlichen Prozesse einzuordnen versucht, wobei freilich die Vorschläge zur Rekon-

struktion der genauen Umstünde des Wortwechsels weit divergieren: wührend Jameson und Lintott an einen gegen Peisandros selbst geführten Prozeß denken (dabei allerdings dem Sophokles sehr unterschiedliche Rollen zuweisen

möchten),'” zieht Bleckmann die Möglichkeit eines Auftritts des Peisandros als Verteidiger in dem obenerwühnten posthumen Phrynichos-Prozeß in Er-

wügung. 9?

Wie immer sich das verhalten mag, in jedem Fall haben wir angesichts dieses Zeugnisses die obenzitierte Angabe des Thukydides entweder als Irrtum des Historikers zu werten oder sie jedenfalls dahingehend zu relativieren, daß die dortige μεταβολή nicht auf den Augenblick der Absetzung der Vierhundert zu beziehen, sondern als Bezeichnung für einen längerdauernden Prozeß der Verfassungsumwálzung, in dessen Verlauf die Oligarchenführer die Stadt

verlassen hätten, zu verstehen sei! Versuchen wir, aus diesen Informationsbruchstücken, den Ablauf der Ereig-

nisse wenigstens ungefähr zu rekonstruieren, so ergibt sich ein fester Anhalts-

punkt aus der Tatsache, daß in dem Verurteilungsdekret gegen Antiphon und Archeptolemos bestimmt wird, die Stele mit dem Urteilsspruch solle am selben Ort aufgestellt werden, wie die bezüglich des Phrynichos ergangenen

158. Aristot. rhet. 1419 a 26-30. 19 Jameson, Sophocles 555-557 vermutet, daß in diesem Prozeß Sophokles als Ankläger

gegen Peisandros auftrat (vgl. o., S. 20f. mit Anm. 97 und 98), während Lintott, Violence 154 annimmt, Peisandros habe Sophokles als Entlastungszeugen aufgerufen.

160 Bleckmann, Athens Weg 383.

'*! Allerdings müßte das εὐθύς von Thuk. 8,98,1 in jedem Falle als irreführend gewertet werden, da es eine Flucht der Oligarchen gleich zu Beginn der μεταβολή suggeriert; vgl. Andrewes, HCT V 340, der die in 8,97,1 beschriebene Versammlung als „point of reverence“ des εὐθύς verstehen möchte.

- 318 -

Psephismata.!9? Dies beweist zweifelsfrei, daß die Verurteilung des Antiphon, Archeptolemos und Onomakles erst nach dem posthumen Prozeß des Phry-

nichos erfolgt ist. Ein weiterer Anhaltspunkt läßt sich aus Lykurgos' Angaben über die Um-

stände des Phrynichosprozesses gewinnen: Wenn nach den Angaben des Redners die Festnahme der vermeintlichen Phrynichosattentäter durch die Freunde des Phrynichos und deren Befreiung durch den Demos den Anlaß zu

diesem Prozeß gab, so wird man diese Angaben wohl als Indiz dafür verstehen dürfen, daß diese Ereignisse sich sogleich während der den Sturz der Vierhundert begleitenden Umwälzungen vollzogen haben, als es noch nicht endgültig klar war, welche Stellung das sich eben erst bildenden neue Regi den Exponenten der gestürzten Oligarchie gegenüber einnehmen werde.! Im Kontext dieser wirren und unklaren Situation läßt es sich am ehesten verstehen, daß einerseits Thrasybulos von Kalydon und Apollodoros von Megara sich offen als Mórder des Phrynichos zu bekennen, andererseits die Anhänger des Getóteten überhaupt Hand an sie zu legen wagten. Mit dieser Datierung des Phrynichosprozesses erklärt sich dann auch die Tatsache, daß

der Beschluf über die Einleitung eines posthumen Gerichtsverfahrens gegen Phrynichos in der Überlieferung dem Demos zugeschrieben wird: Der Disput

um die Phrynichosattentäter gehört in jene Phase der πυκναὶ ἐκκλησίαι, bei denen es sich, wie wir sahen, wohl tatsächlich um Versammlungen des Gesamt-Demos handelte (s. o., S. 281f.), während zur Zeit des späteren Pro-

zesses gegen Antiphon und Genossen bereits das im Zuge dieser Ekklesien beschlossene System der Fünftausend in Kraft war. Machen wir uns diese Deutung zu eigen, so kónnen wir die Angabe der Überlieferung, daß der Phrynichos-Prozeß vom Demos beschlossen worden sei, ernstnehmen, ohne sie im Sinne von Gallucci als Beweis gegen die Existenz der Verfassung der Fünftausend werten zu müssen. '°

Angesichts der oben dargelegten chronologischen Indizien liegt es nahe, den posthumen Phrynichosprozeß als eine entscheidende Etappe jenes Entwicklungprozesses zu sehen, der von der unblutigen Absetzung der Vierhundert zur gerichtlichen Verfolgung ihrer prononciertesten Exponenten führte. Die sich an dem Schicksal der Phrynichosmórder entzündende Debatte mußte

zwangsläufig polarisierende Wirkung entfalten, indem sie alle im Lichte der Óffentlichkeit stehenden Persónlichkeiten zur Stellungnahme für oder wider die Legitimität der von Phrynichos und seinen Gesinnungsgenossen verkörperten Politik zwang - damit aber standen dann zwangsläufig auch das gesamte 162ὦ [Plut.] vit. dec. or. = mor. 834b (zit. o., S. 316 Anm. 156).

- Lykurg. 1,112-115, s. dazu o., S. 265f. !^^ Für eine Datierung des Phrynichosprozesses ,unmittelbar nach dem Sturze der Vierhundert" s. auch Bleckmann, Athens Weg 381. 55 Zu dieser Auffassung Galluccis s. o., S. 287 mit Anm. 43 (vgl. S. 293).

- 319 -

System der Vierhundert und die Umstünde ihrer Einsetzung zur Debatte. Das damit für viele mehr oder minder kompromittierte Persónlichkeiten aufgeworfene Dilemma findet in der Position des Sophokles, wie sie sich in dem oben (s. 317) zitierten Wortwechsel mit Peisandros darbietet, eine deutliche Illu-

stration. Zugleich hatte der Tumult um die Festnahme und Befreiung der Phrynichosattentáter der gegen die Oligarchie erbitterten Masse Gelegenheit gegeben, sich in dieser Causa zum Richter aufzuschwingen. Das gegen den toten Oligarchenführer gefällte Urteil des Demos, wie es sich in dem von Lykurgos referierten Dekret widerspiegelt, war zugleich ein Verdikt über das gestürzte

Regime der Vierhundert in seiner Gesamtheit und óffnete einer weiteren Welle gerichtlicher Abrechnungen, diesmal gegen Lebende, Tür und Tor.

Wohl erst in diesem Stadium dürfte dann jene Flucht der bedrohten Oligarchenführer erfolgt sein, die Thukydides

in seiner verkürzenden Darstellung

sogleich mit dem Fall der Vierhundert einsetzen läßt (der Unterschied wird, in Tagen gerechnet, nicht allzu groß gewesen sein). Die Tatsache, daß sich Aristarchos im Zuge dieser Flucht noch seine Position als Stratege zur Überrumpelung von Oinoe benutzen konnte, spricht nicht dagegen, da die Besatzung

der Bergfeste über die Vorgánge in Athen nicht unterrichtet war, und die den Aristarchos begleitenden Truppen aus Sóldnern bestanden, die an dem innen-

politischen Umschwung in Athen keinen Anteil nahmen und daher recht wohl einem bereits abgesetzten Kommandeur Gefolgschaft geleistet haben mógen. Trifft diese Rekonstruktion zu, so haben wir es bei der nach dem

Sturz der

Vierhundert durchgeführten ‘politischen Säuberung’ zumindest im AnfangsStadium mit einer spontanen, durch die Volksstimmung erzwungenen Ent-

wicklung zu tun. Diese Sicht der Dinge steht freilich in Widerspruch zu der in der Forschung verbreiteten Auffassung, die in dem Vorgehen gegen die Oli-

garchenführer eine von Anfang an von Theramenes und seinen Gesinnungsgenossen initiierte Aktion zur Eliminierung ihrer radikalen Rivalen erkennen

will, wird aber einerseits durch das Zeugnis des Lykurgos über die Hintergründe des Phrynichosprozesses, andererseits auch durch Überlegungen all-

gemeiner Natur gestützt: Zwar kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß sich Theramenes spütestens zur Zeit des Antiphonprozesses an führender Stelle an der Verfolgung der gestürzten Oligarchen teilgehabt hat, ob er aber diese Verfolgung von allem Anfang an initiiert hat, ist eine andere und kaum von vorneherein positiv zu beantwortende Frage. Wenn es dem Theramenes auch einerseits durchaus erwünscht gewesen sein

dürfte, die radikalen Oligarchenführer, die ihm wohl spätestens seit den Vor66 s. z.B. Bleckmann, Athens Weg 376-386 mit Lit. 167 Das gegen ihn gerichtete Witzwort von den τρία [κακὰ] Θηραμένους (Aristoph. fr. 563

K.-A.;

Polyzelos,

fr.

3 K.-A)

ist wohl

auf diese

Aktivitäten

Bleckmann, Athens Weg 378 und Heftner, τρία κακά passim mit Lit.

zu

beziehen,

s.

- 320 -

gängen um die Eetioneia-Meuterei mit tiefer Erbitterung gegenüberstanden, aus dem Staate eliminiert zu sehen, so kann er sich auf der anderen Seite nicht

verhehlt haben, daß durch ein gerichtliches Vorgehen gegen diese Männer Emotionen erweckt werden mußten, die sehr leicht auch eine für ihn selbst gefährliche Form annehmen konnten - dann nämlich, wenn im Zuge der Ge-

richtsverhandlung auch die Vorgänge um die Unterminierung der Demokratie

und die Installation der Vierhundert zur Sprache kamen. Daß es in einem solchen Falle für die bedrängten Oligarchen nahelag, auf die seinerzeitige Mit-

wirkung auch der nunmehr als Männer der Mitte auftretenden Führer des gegenwärtigen Regimes hinzuweisen, zeigt in schöner Deutlichkeit die von Peisandros während seines oben (S. 316) referierten Wortwechsels mit Sophokles verfolgte Argumentationslinie. Im Hinblick darauf kann eine wirklich gründliche Abrechnung mit den Vor-

gängen um die Einsetzung der Vierhundert nicht von vorneherein im Interesse des Theramenes und seiner Gesinnungsgenossen gelegen haben. Auf der anderen Seite ist es auch schwer vorstellbar, daß die gestürzten Oligarchenführer

im Herbst 411 noch als ernsthafte Rivalen für Theramenes gelten konnten, nachdem im Zuge des Phrynichosprozesses die Stimmung der Demosmehrheit klar zutage getreten war und die profiliertesten Anführer des Vierhunderter-

Regimes bereits die Flucht ergriffen hatten. Die Oligarchen scheinen bis in die letzten Tage der Vierhundert ihren Anhang unter den Hopliten gehabt

haben,'® aber auch diese Getreuen der letzten Stunde werden kaum bereit gewesen sein, für eine nunmehr allgemein diskreditierte und von den eigenen

Anführern für verloren gegebene Sache zu den Waffen zu greifen. Wenn die neuen Machthaber um Theramenes in dieser Situation dennoch die

Initiative zur Einleitung gerichtlicher Schritte gegen Antiphon, Archeptolemos, Onomakles und wohl auch noch andere kompromittierte Oligarchen ergriffen, so wird man dies daher eher dem Bestreben zuschreiben dürfen, einem im Demos und wohl auch in den Reihen der regierenden Fünftausend

verbreiteten Wunsch nach einer gerichtlichen Abrechnung mit den seit der Eetioneia-Kontroverse allgemein als Landesverrätern angesehenen Oligarchen entgegenzukommen, zugleich aber den Gang der damit eingeleiteten Ge-

richtsverfahren so zu lenken, daß sich die Anklage auf die Frage des Landesverrats beschränken, die Vorgänge um den Sturz der Demokratie aber nach Möglichkeit ausgeklammert bleiben sollten. Die Fragmente von Antiphons

168 Diese Tatsache ergibt sich einerseits aus Thukydides’ Schilderung des ‘sumultus’ in der Stadt in 8,92,6-8 (s. dazu Bleckmann, Athens Weg 371), andererseits aus der Tatsache, daß

späterhin

rechtliche

Diskriminierungen

eigens

gegen jene

Soldaten,

„die unter den

Vierhundert in der Stadt geblieben sind", in Kraft waren (And. 1,75 ol στρατιῶται, οἷς.

ὅτι ἐπέμειναν Em τῶν τετρακοσίων £v τῇ πόλει, .... εἰπεῖν .. ἐν τῷ δήμῳ οὐκ ἐξῆν ... οὐδὲ βουλεῦσαι; für die Móglichkeiten zur Deutung dieser Angabe s. Bleckmann, a. O. 384f. mit Anm. 92).

- 321-

Apologie deuten darauf hin, daB dies auch tatsáchlich der Fall gewesen ist: Wir haben bereits festgestellt, daB Antiphon sich in einer Weise gegen den Vorwurf der oligarchischen Gesinnung verwehrt, die kaum móglich gewesen wäre, wenn seitens der Anklage die Vorgeschichte des im Thargelion 411

vollzogenen Umsturzes in aller Breite aufgerollt worden wäre.!®

Man wird daher den Hintergrund der nach dem Sturz der Vierhundert geführten politischen Prozesse vor allem in dem Bestreben der neuen Führungsgruppe erkennen wollen, in einem in weiten Kreisen verbreiteten Wunsch nach Vergeltung gegenüber den Führern und Profiteuren des gestürzten Oli-

garchenregimes

erkennen

wollen,

ein Verlangen,

dem

die

nunmehrigen

Gewalthaber nicht zuletzt aus dem Bestreben nachgekommen sind, die athenische Öffentlichkeit von der eigenen Verstrickung in die seinerzeitigen Umtriebe der Umsturzbewegung abzulenken. Letzteres dürfte ihnen, dem Zeugnis

der Antiphon-Apologie nach zu urteilen, im wesentlichen gelungen sein, auf der anderen Seite aber scheint das harsche Vorgehen des Theramenes gegen seine ehemaligen Verbündeten der Reputation des Strategen fühlbar Abbruch

getan zu haben. '?

Der Übergang vom Regime der Fünftausend zur vollen Demokratie brachte

neben einer Neuauflage der Ehrungen für die Phrynichosattentáter!"! auch eine neue Welle gerichtlicher Verfolgungen für jene Teilhaber an der Vierhunderter-Oligarchie, die seinerzeit nicht ins Exil gegangen waren, wobei nunmehr, wie der zweite Prozeß gegen Polystratos zeigt, bei den Anklagen nicht mehr die Teilnahme an landesverräterischen Aktivitäten, sondern die

Mitgliedschaft in oligarchischen Gremien bzw. die oligarchische Gesinnung an sich im Vordergrund standen.!? Derartig motivierte Anklagen scheinen, wenn wir einige Andeutungen der fünfundzwanzigsten Rede des Corpus Lysiacum in diesem Sinne verstehen dürfen, während der folgenden Jahre immer

wieder vorgekommen zu sein,!”” darüberhinaus waren bis zur Zeit nach der Katastrophe von Aigospotamoi generelle rechtliche Diskriminierungen gegen

die seinerzeitigen ‘Mitläufer’ der Vierhundert in Kraft." All dies bezeugt die 169 s. 0., S. 69.

'? Darauf scheint jedenfalls das Witzwort von den τρία κακά (s. o., S.

319 Anm. 167) zu

deuten, s. Heftner, τρία κακά 42f.

17! s. o., S. 266f.

17? [Lys.] 20,1.7£.10.16. m Lys. 25,25f. Λξιον δὲ μνησθῆναι τῶν μετὰ τοὺς τετρακοσίους πραγμάτων ... lore γὰρ Ἐπιγένη καὶ Δημοφάνη καὶ Κλεισθένη ἰδίᾳ μὲν καρπωσαμένους τὰς τῆς

πόλεως

συμφοράς,

δημοσίᾳ

δὲ ὄντας

μεγίστων

κακῶν

αἰτίους. ἐνίων

μὲν γὰρ

ἔπεισαν ὑμᾶς ἀκρίτων θάνατον καταψηφίσασθαι, πολλῶν δὲ ἀδίκως δημεῦσαι τὰς

οὐσίας, τοὺς δ᾽ ἐξελάσαι καὶ ἀτιμῶσαι τῶν πολιτῶν’ τοιοῦτοι γὰρ ἦσαν ὥστε τοὺς μὲν ἡμαρτηκότας ἀργύριον λαμβάνοντες εἰς ὑμᾶς εἰσιόντες ἀπολλύναι.

ἀφιέναι, τοὺς δὲ μηδὲν ἠδικηκότας

17* And. 1,75 (vgl. ebd. $78 sowie Lys. 30,7 und Aristoph. ran. 687-699).

-322-

starke Nachwirkung der durch den Verfassungsumsturz und die Oligarchenherrschaft ausgelösten Umwälzungen, gehört jedoch in den Kontext der innenpolitischen Geschichte der wiederhergestellten Demokratie und fällt daher aus dem Rahmen der vorliegenden Untersuchungen, die wir mit den Umwälzungen des Herbstes 411 beschließen wollen.

- 323 -

V. ZUSAMMENFASSUNG

Abriß der Ereignisgeschichte Die Existenz demokratiefeindlicher Kräfte läßt sich in Athen vielleicht schon für die frühen 50er Jahre, mit Sicherheit aber spätestens für die 20er Jahre fünften vorchristlichen Jahrhunderts feststellen; es handelte sich dabei oppositionelle Zirkel, deren Stärke und verfassungspolitische Ausrichtung nicht näher fassen können. Fest steht lediglich, daß diese Gruppen bis

des um wir 415

nicht genügend politisches Gewicht hatten, um eine ernstzunehmende Bedrohung für die herrschende Demokratie darzustellen. Dies änderte sich schlagartig als im Herbst 413 die Nachricht von der Sizili-

enkatastrophe in Athen eintraf und dort neben den unvermeidlichen Ausbrüchen der Trauer und Verzweiflung auch einen Umschwung der politischen Stimmungslage mit sich brachte: Dieser äußerte sich in der breiten Masse der Bevölkerung, wie Thukydides berichtet, in einer Welle der Empörung gegen jene Demagogen, die seinerzeit das Volk zur Entsendung der Sizilienexpedition beredet hatten, in den Kreisen der Oberschicht hingegen, die am schwersten unter den Lasten des Krieges zu leiden hatte, dürfte sich die Erbitterung nicht nur gegen einzelne Politiker, sondern gegen das durch jene reprásen-

tierte System der nachperikleischen Demokratie überhaupt gerichtet haben. Die Bereitwilligkeit, mit der sich die hóheren Offiziere der athenischen Ionien-Streitkräfte im Winter 412/11 die Sache des Verfassungsumsturzes zu eigen machten, zeigt, daß sich in diesen Kreisen eine in der Oberschicht wohl schon länger verbreitete Unzufriedenheit mit der Politik des Mehrheits-

Demos spátestens jetzt bei vielen zum konkreten Wunsch nach einer Verfassungsänderung i im oligarchisch-elitären Sinn verhärtet hatte.? Noch im Herbst 413 entschlossen sich die Athener zur Einsetzung eines

Gremiums von zehn älteren Männern, die nach Thukydides dazu bestimmt waren, „gemäß den Erfordernissen der Lage über alle anstehenden Fragen vor-

zuberaten“.” Welche Kompetenzen diesen Probuloi gegenüber der regulären Bule und der Ekklesie zukommen sollten, ist uns nicht explizit überliefert; eine kritische Prüfung der verfügbaren Indizien erweckt den Eindrück, daß

sie, analog zu den schon früher gelegentlich eingesetzten ouyypageis-Kollegien im wesentlichen auf eine beratende Funktion gegenüber den weiterhin mit voller Kompetenz amtierenden Organen der Bule und Volksversammlung beschränkt waren. Insofern ist ihre Einsetzung als ein Mittel zur Stabilisierung und Vertiefung der politischen Entscheidungsfindung zu betrachten, von dem 9

9s S. 1-4.

18.0, S. 4-6. * Thuk. 8,1,3, s. o., S. 6f.

- 324 man sich wohl mehr Konstanz und eine klarere Linie in der Politik erhoffte, das man aber nur als Ergänzung der bestehenden Institutionen betrachtete; die

reguláren Entscheidungsprozesse

in Bule und Ekklesie blieben weiterhin

intakt.

Die Strategenwahlen für 412/11 ergeben kein im parteipolitischen Sinne sicher ausdeutbares Bild; es sind unter den Neugewählten Männer, die im Frühjahr 411 an der Errichtung der Oligarchie teilhatten (Charminos, Onomakles, Phrynichos), ebenso vertreten wie jene, die im Angesicht des Umsturzes für die Sache der Demokratie Partei nahmen (Leon, Diomedon und Strombichides), wobei zu bedenken ist, daß die Haltung des einzelnen Strategen zur Zeit der Umsturzereignisse für sich genommen nichts über seine Ge-

sinnung zur Zeit seiner Wahl und erst recht nichts über die Motive seiner damaligen Wähler aussagt. Untersucht man die Laufbahnen der Mitglieder des Kollegiums von 412/11

im einzelnen, so ergibt sich der Eindruck, daß die

meisten von ihnen vor ihrer Strategie keine besonders herausgehobene politische Rolle gespielt haben; dieser Umstand

läßt die Strategen von 412/11

gewissermaßen als „neue Männer“ erscheinen, mag aber genauso gut auf die Folgen der in Sizilien erlittenen Verluste wie auf die Annahme einer politischen Umorientierung zurückzuführen sein.

Als auffällig kann es gelten, daB wir im Kollegium von 412/11 zwei Männer finden, die 421 móglicherweise zu den Schwurzeugen des Nikiasfriedens gehört haben; ihre Wahl könnte unter Umständen als Votum zugunsten einer auf

einen Verständigungsfrieden ausgerichteten Politik verstanden werden, was auch jener politischen Position entsprechen würde, die wir für Phrynichos,

den profiliertesten Kopf innerhalb des Strategenkollegiums, erschließen kónnen. Der Gedanke, hierin eine Gegenreaktion der Wähler gegen die bislang in

der athenischen Außenpolitik dominierenden aggressiven, kriegstreiberischen Tendenzen zu erkennen, scheint erwägenswert, muß aber angesichts der Unsi-

cherheiten unserer prosopographischen Evidenz im Bereich des Hypotheti-

schen bleiben.” Im Laufe des Sommers und Frühherbstes 412 verlagerte sich der Hauptkriegsschauplatz nach Ionien, wo das Erscheinen einer peloponnesischen Flottenabteilung den Anstof zu einer sich rasch ausbreitenden Abfallbewegung unter den athenischen Bundesgenossen gab. Im Zuge dieser Ereignisse kam es auf

Samos zu einer Stasis der lokalen Demokraten gegen die δυνατοί ihrer Polis, die teils getötet, teils vertrieben wurden. Die Hintergründe dieser Vorgänge sind aller Wahrscheinlichkeit nach im außenpolitischen Bereich zu suchen: Es scheint sich um einen Präventivschlag gehandelt zu haben, mit dem die Athenfreunde auf Samos einem von seiten der Mächtigen befürchteten

- 325 -

prospartanisch-oligarchischen Umsturz zuvorzukommen

versuchten

Nach

der Beseitigung der δυνατοί zuverlässig athentreu, entwickelte sich Samos zur Hauptbasis der athenischen Streitkräfte in der östlichen Ägäis; als sich im Spätherbst 412 die einzelnen Flottenabteilungen im Hafen von Samos vereinigten, zählte man nach Thukydides nicht weniger als 104 Kriegsschiffe, und auch nach dem Abgang einzelner Abteilungen blieben etwa 70 bis 80 Schiffe

stándig auf der Insel stationiert. Die Zahl der als Soldaten und Seeleute zu dieser Streitmacht gehórenden athenischen Bürger wird man jedenfalls auf mindestens viertausend veranschlagen dürfen, von denen etwa tausend den ersten drei Schatzungsklassen, die überwiegende Mehrheit jedoch der Klasse

der Theten angehórt haben.' Unter

den

höheren

Rängen

dieses

im

Lager

auf

Samos

versammelten

Athenerheeres machte sich im Herbst 412 zusehends eine gegen das in der Heimatstadt herrschende demokratische System gerichtete Mißstimmung bemerkbar, die in ihrem Ausmaß und ihrer Intensität den Nährboden für einen

ernsthaften Versuch zum Umsturz der athenischen Verfassungsverhältnisse bot. Diese Entwicklung versuchte sich der seit 415 aus Athen exilierte Alki-

biades, der zu jener Zeit am Hofe des persischen Satrapen Tissaphernes weilte und offenbar über die Verhältnisse im Athenerlager gut informiert war, für seine politischen Pläne zunutze zu machen, indem er mit führenden Männern des Athenerheeres in Kontakt trat und anbot, den Athenern ein Bündnis mit

dem Großkönig zu verschaffen, wenn sie nur nicht mehr demokratisch verfaßt wären. Mit diesem Anerbieten gab Alkibiades den entscheidenden Anstoß zur Formierung einer Verschwörung, die sich den Sturz der Demokratie in Athen

und ihre Ersetzung durch eine Herrschaft der leiturgietragenden Oberschichten zum Ziel setzte. Die Verschworenen teilten den Truppen die Vorschläge des Alkibiades mit und versuchten sie, scheinbar erfolgreich, mit der Hoff-

nung auf persisches Geld für die Soldzahlungen zu kódern; sodann organisierten sie zur Beratung ihres weiteren Vorgehens eine Versammlung im Kreis

der Anführer, wo der Stratege Phrynichos entschieden gegen die von Alkibiades vorgeschlagenen Umsturzpläne Stellung bezog. Die Argumentation, der er sich dabei bediente, zeigt, daß die angestrebte Oligarchie in den Augen der Verschwörer mit der Hoffnung auf eine Stärkung der militärischen Position Athens verknüpft war, und daß dabei neben der von Alkibiades verhießenen Perserhilfe auch die Hoffnung mitschwang, die bundesgenössischen Poleis würden einem oligarchischen Athen eher die Treue wahren als der bislang

herrschenden Demokratie. In diesem Sinne war die Stimmung ganz auf die Weiterführung des Krieges und die Bewahrung des Seereiches gerichtet.

s. o., S. 32-36. 7 s. o., S. 36-39.

- 326 -

Diese Erwartungen

erklärte Phrynichos

gleichermaßen

für haltlos, da der

Großkönig sich kaum zu einem Bündnis mit Athen bereit finden werde, die Bundesgenossenstädte aber unter einer Oligarchie ebensosehr nach Unabhängigkeit streben würden wie unter einer Demokratie." Die Opposition des Phrynichos gegen die Pläne der Verschwörer hat in der Forschung Anlaß zu Mutmaßungen über die Motive des Strategen gegeben. Einige Autoren nehmen an, daß Phrynichos im Herbst 412 noch nicht zur Oli-

garchie konvertiert sei, die Mehrheit sieht ihn als einen überzeugten Oligar-

chen, der sich den Umsturzplánen der Verschwórer nur aus persónlicher Abneigung gegen Alkibiades widersetzt habe. Diesen Alternativen gegenüber läßt sich eine jedoch dritte Möglichkeit geltend machen: Im Hinblick auf Phrynichos’ Haltung während des überraschenden Zusammentreffens der

athenischen und peloponnesischen Flotten vor Milet im Herbst 412 liegt es nahe, den Strategen als einen Mann

einzuschätzen, der das Heil Athens

in

einer Strategie der Risikovermeidung und der Schonung der Kräfte erblickte, einer Strategie, die letztlich auf einen Kompromißfrieden hinauslaufen mußte

und damit in krassem Gegensatz zu den ganz auf energische Kriegführung und einen militärischen Sieg ausgerichteten Plänen der Verschwörer stand. Von

daher wird es verständlich, weshalb er - unabhängig von seinen grundsätzlichen verfassungspolitischen Präferenzen - gegen die Pläne der Verschwörer opponierte und in der Beratung die F ragwürdigkeit der von ihnen angenom-

menen Voraussetzungen aufzuzeigen versuchte. Phrynichos fand jedoch mit seinen Warnungen bei der Mehrheit der Versam-

melten

kein

Gehör.

Man

beschloß,

unter

der Führung

des

bislang

als

Vorkämpfer der Demokratie aufgetretenen'? Peisandros eine Gesandtschaft

nach Athen zu entsenden, um die Vorschläge des Alkibiades der Volksversammlung vorzulegen. Phrynichos, der die Rückführung des Alkibiades unter allen Umständen verhindern wollte, nahm daraufhin zum Mittel

der Intrige seine Zuflucht. Er sandte einen Brief an den spartanischen Nauarchen Astyochos, in dem er die Pläne des Alkibiades und seine Verhandlungen mit den athenischen Verschwörern enthüllte. Man hat zu Recht darauf hin-

gewiesen, daß diese Aktion nach Phrynichos’ Auffassung keinen Landesverrat darstellte, da ihm das Bündnis mit den Persern, das er auf diese Weise zu

hintertreiben versuchte, von vornherein als unmóglich galt. Astyochos reagierte jedoch nicht wie erwartet: anstatt den Alkibiades festzunehmen oder auf andere Weise zu beseitigen, begab er sich nach Magnesia,

wo er die Enthüllungen des Phrynichos sowohl dem Tissaphernes als auch dem Alkibiades selbst mitteilte. Letzterer sandte daraufhin sofort eine Bot8 s. 0., S. 40-45. ? s. 0., S. 46-50. 00 s. 0., S. 61-63.

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schaft an die Verschworenen nach Samos, in der er die Tötung des Phrynichos forderte. Phrynichos, nunmehr in schwerer Bedrängnis, versuchte sich durch

ein weiteres gewagtes Manóver zu retten: er sandte dem Nauarchen einen zweiten Brief, in welchem er sich erbot, dem Spartaner das athenische Heer in die Hände zu liefern und ihm Ratschläge für den Angriff auf das unbefestigte Lager der Athener gab. Im Hinblick auf die Folgeereignisse wird man es für möglich halten, daß Phrynichos bei der Absendung dieser Botschaft gleich Sorge trug, die Reaktion des Spartaners auskundschaften zu lassen. Als Astyochos auch diesmal nicht auf die Vorschläge einging, sondern auch die-

sen Brief an Alkibiades weitergab, bekam Phrynichos zeitig genug davon Kunde, um nun seinerseits die Athener vor einem spartanischen Angriff zu warnen und zur Befestigung des Lagers aufzufordern. Auf diese Weise gelang es ihm, als kurz darauf ein Brief von Alkibiades mit der Nachricht von seinem neuerlichen Verratsversuch eintraf, sich dem Heer gegenüber als einen von

Anfang an unschuldig Verleumdeten darzustellen." Inzwischen - es war etwa um die Jahreswende 412/11'? - war Peisandros mit seinen Mitgesandten in Athen eingetroffen. Dort trat er wohl bald nach seiner Ankunft!” vor die Ekklesie und verkündete dem versammelten Demos die Vorschläge des Alkibiades in einer gegenüber den tatsächlichen Intentionen der Verschwörer auf Samos deutlich gemilderten Form: Die Athener könnten

den Perserkönig zum Verbündeten haben, wenn sie den Alkibiades zurückriefen und „nicht mehr auf die gewohnte Art demokratisch verfaßt“ wären. Dem

sich erhebenden Protest begegnete er mit dem Verweis auf die drängende Notlage, die keinen anderen Ausweg mehr offen lasse als die Einrichtung einer „vernünftigeren“ und „auf eine geringere Zahl gestützten“ Verfassung, um

so das Vertrauen des Großkönigs zu gewinnen. Überdies könne diese Verfassung, wenn sie nicht gefalle, ja späterhin wieder geändert werden."

Diese Versicherung wie auch die vorsichtige Wortwahl des Peisandros, die hinsichtlich der konkreten Form der vorgeschlagenen Änderungen Raum für

vielfältige Interpretationen ließ, läßt erkennen, daß es Peisandros mit einem in der Mehrheit immer noch auf dem Boden der demokratischen Ordnung stehenden Publikum zu tun hatte, das eine Verfassungsändenung in die mehr oligarchische Richtung nicht als per se wünschenswertes Ziel anzusehen, sondern allenfalls als Notlösung zu akzeptieren geneigt war. Man wird daher den von Thukydides’ Darstellung erweckten Eindruck eines durchschlagenden und umfassenden Erfolges von Peisandros’ Überredungskünsten einigerma-

Ben zu modifizieren haben: Nicht die Überzeugungskraft des Redners oder die genuine Attraktivität seines Verfassungskonzepts bewogen die Ekklesie dazu, 10.5. 50-58. 12 s. 0., S. 59 mit Anm. 266 D s. ο., S. 59-61.

Thuk. 8,53,1-54,1, s. dazu o., S. 58f.63.

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auf seine Vorschläge einzugehen, sondern das Bewußtsein der drängenden

Staatsnotlage, die eine zeitweilige Einschránkung der Demokratie als notwendigen Preis für die Rettung aus der Kriegsnot erscheinen lief. Unter dieser Prämisse konnte der nach heftiger Debatte gefaßte Beschluß, Peisandros an der Spitze einer Zehn-Männer-Delegation zu Verhandlungen mit Tissaphernes zu entsenden, kaum als ein Mandat für eine grundlegende

Verfassungsánderung im Sinne der oligarchischen Verschwórer auf Samos verstanden werden. Es ist angesichts dieser Sachlage nicht verwunderlich, daB sich Peisandros bei der Verfolgung seines Auftrages nicht auf das offene Vor-

gehen in der Ekklesie beschránkte, sondern im geheimen mit den in Athen bestehenden politischen Hetairien (ξυνωμοσία!ι) Kontakt aufnahm und diese Gruppen zu gemeinsamer Mitwirkung am „Sturz der Volksherrschaft" auffor-

derte. Thukydides läßt erkennen, daB es sich bei diesen Gruppen um ausgesprochen oligarchisch orientierte Zirkel handelte, die der Demokratie von Grund auf ablehnend gegenüberstanden, und die jetzt bereitwillig die Chance

ergriffen, am Sturz des verhaßten Systems mitzuwirken.'

Peisandros und die übrigen von der athenischen Volksversammlung abgeordneten Gesandten trafen im Laufe des Februar oder März 411" bei Tissaphernes ein und traten mit dem Satrapen in Verhandlungen über ein Bündnis.

Diese Verhandlungen, bei denen Tissaphernes zwar persönlich anwesend war, aber die eigentliche Führung der Verhandlungen dem Alkibiades überließ, zogen sich über drei Sitzungen hin, scheiterten dann aber an der von persischer Seite erhobenen Forderung nach dem Zugang zu den kleinasiatischen

Ägäisküsten.'® Thukydides macht den Alkibiades zum Urheber dieser Forderung, doch läßt seine eigene Darstellung erkennen, daß auch Tissaphernes

nicht wirklich an einem Abschluß mit den Athenern interessiert war. Da es überdies trotz der diesbezüglichen Implikationen des thukydideischen Berichts nicht als wahrscheinlich gelten kann, daß Alkibiades bei den Verhandlungen die den Athenern zu stellenden Forderungen eigenmächtig über das von seinem Gastfreund vorgegebene Maß hochschrauben konnte, müssen wir

davon ausgehen, daß das Scheitern der Verhandlungen auch den Intentionen des Satrapen entsprach. Was die Gründe für diese Haltung des Persers betrifft, können wir die Angabe des Thukydides, er habe einerseits die Vergeltung der

Peloponnesier gefürchtet, andererseits ganz prinzipiell lieber beide Streitparteien aneinander aufreiben als einer von ihnen zum Sieg verhelfen wollen,

durchaus für glaubwürdig halten." 5s. 0., S. 58f.63-65. I6 s. 0., S. 65-71.

U s. 0., S. 75 mit Anm. 348. I5 s. 0., S. 75f. ᾿ς, o., S. 76-85.

- 329 -

Die athenischen Gesandten jedoch machten den Alkibiades für das Scheitern ihrer Mission verantwortlich, wobei wohl auch die Erkenntnis mitspielte, daf)

sich der seinerzeit von dem Exulanten so sehr betonte Wunsch nach einer oligarchischen Verfassungsánderung in Athen als in Wirklichkeit für die persische Seite irrelevant erwies. Die Gesandten sahen sich daher als Athener und

als Oligarchen gewissermaßen doppelt getäuscht; sie schieden voll Erbitterung gegen Alkibiades vom Hofe des Satrapen.?? Nach Samos zurückgekehrt, traten die Gesandten mit den dortigen Verschwó-

rungshäuptern zur Berichterstattung und Beratung zusammen. Die Ergebnisse dieser Konferenz lassen erkennen, daB die Umsturzbewegung auf Samos zumindest in dieser Phase durch eine Verbindung scharf oligarchischer Tendenzen mit kriegerischer Entschlossenheit nach außen hin gekennzeichnet war: man beschloß trotz des Scheiterns der Perserhoffnungen die Sache des oligarchischen Umsturzes nunmehr ohne Einbeziehung des Alkibiades weiter zu betreiben, und den Krieg mit Energie weiterzuführen. Zu diesem Zweck

trafen die Oligarchen Maßnahmen,

um

ihre Position im Athenerheer zu

sichern und knüpften Kontakte zu den δυνατώτατοι der Samier, d. ἢ. den Führern der aus der Stasis des Vorjahres als Sieger hervorgegangenen Athenfreunde, die sich jetzt trotz ihrer damaligen prodemokratischen Position für die Teilnahme an dem Umsturzprojekt gewinnen lieBen.?! Die Gesandten um Peisandros werden nicht allzuviel Zeit mit diesen Aktivitä-

ten verbracht haben; wohl schon im Laufe des April 411” begab sich Peisandros selbst mit der Hälfte seiner Mitgesandten nach Athen, während die übrigen einzeln nach verschiedenen wichtigen Bundesgenossenstädten abgingen, um auch dort die bestehenden Verfassungen im oligarchischen Sinne umzuändern. Im Hinblick auf die Erfordernisse der Lage ist anzunehmen, daß Peisandros sich während der Fahrt durch die Ägäis nicht lange aufhalten ließ, wenngleich er Zeit genug fand, in den entlang seiner Route liegenden Städten die demokratischen Verfassungen zu stürzen und aus den Reihen der lokalen Sym-

pathisanten Hilfstruppen für den Umsturz zu rekrutieren.? Vielleicht noch im April, spätestens aber Anfang Mai" traf er mit seinen Begleitern in Athen ein, wo die oligarchischen Hetairien inzwischen mittels einer intensiven Kampagne dem Verfassungsumsturz den Weg bereitet hatten. Das von Thukydides gezeichnete Bild einer mit den Mitteln der Gewalt und der Einschüchterung geführten wirksamen Terrorkampagne enthält ohne

Zweifel Elemente, die im Frühjahr 411 in Athen tatsächlich präsent waren, es

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betont jedoch allzu einseitig die gewaltsamen Aspekte der damaligen Verfas-

sungsreformbewegung und suggeriert eine durchschlagende Wirkung des von den Hetairien ausgeübten Terrors, die bei kritischer Betrachtung relativiert

werden muB:? Aristophanes jedenfalls ließ sich von den Umtrieben der Hetairien nicht hindern, in seinen an den groBen Dionysien 411 aufgeführten? Thesmophoriazusen ziemlich unverhüllte und in ihrer gegen die Verschwórer gerichteten Tendenz eindeutige Warnungen vor den im Gange befindlichen

Umsturzaktivitäten auf die Bühne zu bringen. ?’ Mit der spätestens nach Peisandros’ Ankunft nicht mehr zu verhehlenden Erkenntnis, daß die Alkibiades- und Perserhoffnungen, die bisher als Triebkraft ihrer Tätigkeit gewirkt hatten, sich als unrealisierbar erwiesen hatten, sah sich die Umsturzbewegung zu einer grundlegenden Umorientierung ihrer politischen Konzepte gezwungen. Leider bieten uns die Quellen über diese Vor-

gänge innerhalb des Verschwörerkreises keine direkte Auskunft, doch laßt der Fortgang der Ereignisse klar erkennen, daß es gelang, die Einheit und Aktionsfähigkeit der Bewegung zu bewahren. Hatten sich die Verschwörer auf

Samos auf eine energische Fortsetzung des Krieges festgelegt, so scheinen sich in Athen nunmehr auch Kräfte bemerkbar gemacht zu haben, die eine Verständigung mit den Spartanern ins Auge faßten. Diejenigen Kreise, die späterhin während des Regimes der Vierhundert gegen diese Friedenspolitik und gegen die autokratische Herrschaft der Vierhundert opponierten, scheinen damals bereit gewesen zu sein, die von den Radikalen verfolgte Politik zu-

mindest teilweise mitzutragen, wobei vermutlich die Hoffnung auf die Errichtung einer zur effizienten Kriegführung besser Staatswesens die entscheidende Rolle spielte.

geeigneten

Ordnung

des

Daß es innerhalb der gemäßigten Strömung aber auch damals schon Bedenken gegen eine zu weitgehende Oligarchisierung des Staatswesens gab, zeigte sich bereits anláBlich des ersten von seiten der Verschwórer gesetzten konkreten Schrittes zur Verfassungsänderung. Wohl bald nach der Rückkehr des Peisandros lieBen die Verschwórer in der Volksversammlung den Antrag zur Einsetzung eines Gremiums von dreiDig συγγραφεῖς einbringen, die Vorschläge zu einer der bestehenden Notlage entsprechenden Reform der Staatsordnung ausarbeiten sollten.” Zu diesem

Antrag stellte Kleitophon einen Zusatzantrag des Inhalts, die συγγραφεῖς sollten bei ihrer Tätigkeit auch die Gesetze heranziehen, die Kleisthenes seinerzeit bei der Begründung der Demokratie gegeben hatte. Den Zweck dieses

in der Forschung höchst kontroversiell gedeuteten Antrages wird man bei Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten wohl am ehesten in seinem Wert s

o., S. 109-117.

ns o., S. 117 mit Anm. 40 und 41. 13. o., S. 117-123. 85 o. S. 130-134.

- 331 -

als politische Demonstration zu suchen haben: Indem er die Verfassung des Kleisthenes zum Modell für die anstehenden Reformen erhob, gab Kleitophon den Versammlungsteilnehmern die Chance, ein Votum für eine im Rahmen der demokratischen Grundlagen gehaltene Reform und gegen die Errichtung einer engen Oligarchie abzugeben. Die συγγραφεῖς sollten sich - so die in

Kleitophons Antrag unterschwellig enthaltene Botschaft - mit ihren Entwürfen

im Rahmen dessen halten, was als demokratisch verstanden werden konnte.” Als die Volksversammlung zu gegebener Zeit wieder zusammentrat, um die Vorschläge der συγγραφεῖς zu hören, beantragten diese zunächst, die γραφὴ παρανόμων und andere „Verfassungsschutzbestimmungen“ aufzuheben und alle Versuche, diese Normen dennoch anzuwenden, mit schweren

Strafen zu belegen. Nachdem dies geschehen war, wurden folgende Bestimmungen beantragt und beschlossen: 1) Alle Staatseinkünfte sollten für die Dauer des Krieges nur zur Kriegszwecken verwendet werden, demgemäß

auch alle Ämter (mit einigen Ausnahmen) unbesoldet sein. 2) Die Regierungsgewalt sollte „solange der Krieg dauere" den Leistungsfähigsten unter

den Bürgern übertragen werden, nicht weniger als fünftausend an der Zahl. Diese sollten berechtigt sein, Verträge abzuschließen, mit wem

immer sie

wollten. 3) Zur Erstellung des Katalogs dieser ‘Fünftausend’ (wie sie von nun an genannt wurden) sollten aus jeder Phyle zehn Männer gewählt werden.

Ob diese Bestimmungen in einem von den συγγραφεῖς offiziell vorgelegten Vorschlag enthalten waren, oder ob sie von anderer Seite als Antrüge vor die

Versammlung gebracht wurden, geht aus der Überlieferung nicht eindeutig hervor; móglicherweise haben wir es mit von verschiedener Seite eingebrachten Anträgen zu tun, die dann nach der Beschlußfassung von den ovy-

γραφεῖς zusammenredigiert wurden.”

In der Folge wurden die hundert katakoyeis von den Phylen gewählt und begannen mit der Erstellung des Katalogs der Fünftausend, wobei man wahrscheinlich so vorging, daß jeder der Hundertmänner aus seinem Demos bzw.

aus weiteren ihm zugewiesenen Demen die für die Aufnahme in den Kreis der Regierenden geeigneten Personen namhaft zu machen hatte! Das war ein Verfahren, bei dem der einzelne καταλογεύς sich versucht fühlen mußte, aus Gefälligkeit gegen die Nachbarn und Demengenossen bei der Aufnahme in die Liste großzügig vorzugehen, und in der Tat scheint die Richtzahl fünftausend dann auch beträchtlich überschritten worden zu sein: Wenn wir der pseudo-lysianischen Polystratosrede Glauben schenken dürfen, sind schlieBlich insgesamt neuntausend Personen in die Liste aufgenommen worden. Diese Großzügigkeit dürfte den harten Oligarchen innerhalb der Reformbe2 s. O., S. 134-141. 30 s. 0., S. 141-148. 315 o., S. 149-151.

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wegung entschieden mißfallen haben und die in diesen Kreisen wahrscheinlich von Anfang

an bestehenden

Vorbehalte

gegen die Vorstellung einer

Lenkung des Staates durch eine nach Tausenden zählende Versammlung entscheidend verstärkt haben.”” Wahrscheinlich hat diese Stimmung des radikalen Flügels entscheidend dazu

beigetragen, daß sich die Häupter der Reformbewegung entschlossen, einen weiteren und radikaleren Schritt der Verfassungsänderung zu setzen: Man berief eine Versammlung in das Poseidonheiligtum auf dem Kolonos Hippios, einen Ort, der sich durch eine enge Verbindung mit den kultischen Traditionen der athenischen Aristokratie auszeichnete, für eine Versammlung von der Größe einer Ekklesie aber vergleichsweise wenig Raum bot und obendrein außerhalb der Stadtmauer gelegen war, was im Hinblick auf die Kriegslage wohl einen bewaffneten Schutz der Versammlung erforderlich machte. Zieht man diese ungewöhnlichen Umstände einerseits, das schon in Aristo-

phanes'

Thesmophoriazusen

Verfassungsreformer

bezeugte Mißtrauen

andererseits

in Betracht,

dürfen, daß viele Athener die Wahl

gegen die Absichten

so wird man

damit

dieses Versammlungsortes

der

rechnen

als eine

Machtdemonstration der Verschwörer auffaßten, und daß dies manchen Bür-

ger dazu bewog, gar nicht erst zum Kolonos hinauszugehen. In der Rückschau aus der Perspektive der wiederhergestellten Demokratie jedenfalls scheint die Versammlung auf dem Kolonos nicht als reguläre Ekklesie des Demos ange-

sehen worden zu sein.”

Im Zuge dieser Kolonosversammlung wurde ein Verfassungsentwurf vorgelegt, der für die unmittelbar bevorstehende Zukunft eine provisorische "Gegenwartsverfassung'

vorsah,

die

in

der

Folge

durch

eine

definitive

‘Zukunftsverfassung’ abgelöst werden sollte. Das Provisorium sah die Bildung einer von den Phylen gewählten Bule von vierhundert Mitgliedern vor,

die zunächst zum Zwecke der Strategenwahl die Fünftausend einberufen, dann jedoch gemeinsam mit den gewählten Strategen mit autokratischer Vollmacht regieren sollte. Zu einem

in der uns überlieferten Fassung des

Entwurfes nicht genannten Zeitpunkt sollte diese Ordnung durch eine definitive Verfassung abgelóst werden, deren Kernstück ein System rotierender Viertelsbulen bildete, bei welchem abwechselnd jeweils ein Viertel der über

dreiBig Jahre alten Mitglieder der Fünftausend verpflichtend als Buleuten amtieren sollte.” Wer diese Antráge ausgearbeitet hatte und von wem sie vor die Versammlung

gebracht wurden, ist uns nicht überliefert, von der inhaltlichen Tendenz her betrachtet können wir die Zukunftsverfassung als einen Kompromiß zwischen 2 s. 0., S. 151-153. 33 s. 0., S. 153-158. M s. o., S. 198-206.

35 s. 0. S. 177-197.

- 333 -

radikal- und gemäßigt-oligarchischen Konzepten betrachten, der sich eng mit dem im Zuge der Kampagne des Frühjahrs 411 vertretenen Programm berührt, während die Gegenwartsverfassung dem Wunsch der entschiedenen Oligarchen nach einem autokratisch regierenden Rat von beschränkter Mitgliederzahl entsprach.’® Zu diesen Anträgen brachte Peisandros noch im Laufe der Versammlung ei-

nen Zusatzantrag ein, der die Änderung bzw. Präzisierung einzelner Bestimmungen der Gegenwartsverfassung vorsah: Die Bule sollte nicht aufgrund einer neuerlichen Phyletenwahl, sondern durch eine Erweiterung des bestehenden xatakoyeis-Kollegiums bestellt werden, wobei jeder einzelne

καταλογεύς

drei weitere Männer kooptieren sollte. Die auf diese Weise

entstandene Körperschaft von vierhundert Männern sollte dann als amtierender Rat ins Buleuterion einziehen und mit Vollmacht die Regierungsgeschäfte führen. Da die katakoyeis seinerzeit von den Phyleten gewählt worden waren, konnte das in der Gegenwartsverfassung vorgesehene Kriterium der phylenmäßigen Wahl der Vierhunderter-Bule auch durch die neue Regelung als dem Sinne nach erfüllt geiten.’’ Weiters wurde im Peisandros-Antrag die Einberufung der Fünftausend nun in das Belieben der Vierhundert gestellt, was man wohl dahingehend verstehen darf, daß die Vierhundert ermächtigt sein sollten, die Bestellung von Strategen ohne die in der Gegenwartsverfassung dafür vorgesehene Versammlung der Fünftausend durchzuführen.” Die-

ser Antrag des Peisandros wurde bestätigt, ohne daß sich aus den Reihen der Versammelten Widerspruch dagegen erhoben hátte. Das im Peisandros-Antrag vorgesehene Kooptationssystem

ermóglichte es,

den Rat der Vierhundert ad hoc zu bilden, ohne daß man zu diesem Zweck

nochmals das Volk zu einer Wahlversammlung hätte einberufen müssen. Die

Verschwórungshüupter nützten diese Chance, um die Ablósung der alten Bule in Form eines staatsstreichartigen Überraschungscoups zu vollziehen. Wohl

schon ersten oder zweiten Tag nach der Kolonosversammlung, dem 14. Thar-

gelion (« 9. Juni) 411, zogen die Vierhundert, nachdem die Hopliten wie gewöhnlich auf ihre Posten abgegangen waren, mit bewaffnetem Anhang zum Buleuterion, wo sie die demokratische Bule, die noch ungeführ einen Monat zu amtieren

gehabt hátte, hinauskomplimentierten und sich selbst als Bule

installierten." Wührend der folgenden acht Tage dürften die Vierhundert einerseits die Reaktion der Bürger abgewartet, andererseits die grundlegenden Dispositionen über die Ämterverteilung, Geschäftsordnung und Regierungsprinzipien getroffen haben. Am 22. Thargelion (= 17. Juni) inaugurierten 36 ?7 35 39 4

s. s. s. s. s.

o., 0., 0., 0., o.,

S. S. S. S. S.

206-210. 158-163. 173 mit Anm. 255. 105f. 164-169.

- 334 -

sie sich mit der Abhaltung. der εἰσιτητήρια formell und öffentlich als die regierende Bule von Athen.“ Zu den ersten Amtshandlungen der neuen Regierung gehórte die Entsendung zweier Gesandtschaften. Die eine ging mit einem Friedensangebot nach Dekeleia, wo der Spartanerkónig Agis sein Hauptquartier errichtet hatte," die andere war nach Samos bestimmt, wo sie den dort stationierten athenischen Truppen den n der Heimat vollzogenen Verfassungswandel akzeptabel machen sollte." Keine der beiden Initiativen erwies sich als erfolgreich. Die Dekeleia-Ge-

sandtschaft fand bei Agis keine günstige Aufnahme," die zur Flotte entsandten Emissáre waren noch nicht über Delos hinausgelangt, als ihre Reise durch die Nachricht unterbrochen

wurde, daß sich auf Samos

ein entscheidender

Umschwung hin zur Demokratie vollzogen hatte. Die Gesandten zogen es daraufhin vor, vorerst auf Delos zu bleiben und die weitere Entwicklung der Ereignisse abzuwarten.” Die Erhebung der Demokraten im Athenerlager auf Samos war das Ergebnis einer Entwicklung, die durch die seinerzeit noch von Peisandros initiierten

gemeinsamen

Umtriebe

δυνατώτατοι

der athenischen

Oligarchen

und

der samischen

hervorgerufen wurde. Nach Peisandros’ Abreise hatte diese

Gruppe zunächst einen oligarchischen Umsturz innerhalb der Polis der Samier ins Auge gefaßt und zu diesem Zweck eine intensive Agitations- und Terrorkampagne geführt, der unter anderem der exilierte athenische Demagoge Hyperbolos zum Opfer fiel" Die Umtriebe der Oligarchen gaben im Athenerlager den Anstoß zur Bildung einer demokratisch orientierten Gegenbewegung, in deren Reihen sich besonders der Trierarch Thrasybulos und der Hoplit Thrasyllos hervortaten, und die auch bei den Strategen Leon und Diomedon Unterstützung fand. Nicht zuletzt dank der Dispositionen der beiden Strategen trafen die samischen Oligarchen, als sie ungefähr gleichzeitig mit der Machtübernahme der Vierhundert in Athen ihre Umsturzpläne in die Tat umsetzen

wollten,

auf den

entschlossenen

Widerstand

der demokratischen

Kräfte. Mit Hilfe athenischer Flottenmannschaften wurde der Putschversuch

niedergeschlagen, die samischen Haupträdelsführer mit Verbannung bestraft. Die Verschwörer im Athenerheer scheinen hingegen zunächst unbehelligt geblieben zu sein, die siegreichen Demokraten begnügten sich damit, einen ihrer Anführer namens Chaireas mit der Staatstriere Paralos nach Athen zu senden, um dort über das Geschehene Bericht zu erstatten. Den Grund für E o., S. 169-173.

js o. S. 241; zur chronologischen Einordnung s. S. 243. "E ο., 5. 173- 175. ^ s. 0., S. 24M.

M o., S. 175.

s. 0., S. 211-214.

- 335 -

diese Zurückhaltung wird man wohl nicht etwa in der Unwissenheit über die Absichten der Verschwórer, sondern in dem Wunsch erkennen dürfen, die Eintracht innerhalb der Polis auch um den Preis verfassungspolitischer Kom-

promisse zu bewahren; in diesem Sinne konnten sich die Demokratenführer, die noch nichts von der Machtergreifung der Vierhundert wußten, der Hoff-

nung hingeben, daß sich die Verfassungsdebatte in Athen einer auch für sie akzeptablen Lösung zuführen ließe.*’

Als die Paralos in Athen eintraf, waren dort bereits die Vierhundert an der Macht.

Die für ihren demokratischen Eifer bekannten Paralier galten den

neuen Machthabern als unzuverlässige Elemente und wurden dementsprechend behandelt: Einige von ihnen wurden sogleich inhaftiert, die übrigen auf ein zum Wachdienst vor Euböa bestimmtes Schiff versetzt. Chaireas selbst gelang es jedoch, sich der Festnahme zu entziehen und nach Samos durchzuschlagen. Dort gab er in der Versammlung eine derart drastische und (nach Meinung des Thukydides) aufgebauschte Schilderung der in Athen herrschenden Verhältnisse, daß die Menge in der ersten Aufwallung beinahe über die

oligarchisch Gesinnten unter den Versammlungsteilnehmern herfallen wollte, und sich nur mit Mühe von den besonnenen Männern beruhigen ließ. Thrasybulos, Thrasyllos und die anderen Demokratenführer ließen nun alle Angehörigen der athenischen Streitkräfte und auch alle wehrfähigen Bürger von Samos einen Eid schwören, daß sie der Demokratie treu bleiben, untereinander Einigkeit wahren, den Krieg gegen die Peloponnesier eifrig fortset-

zen und den Vierhundert feind sein würden. In der Folge hielten die athenischen Truppen auf Samos eine Versammlung ab, auf der sie die Strategen sowie die Verdächtigen unter den Trierarchen ihrer Ämter enthoben und zuverlässige Demokraten, darunter Thrasybulos, Thrasyllos und Chaireas, an deren Stelle setzten.^ Den von Thukydides mitgeteilten Bruchstücken aus den bei dieser Gelegenheit gehaltenen Reden nach zu schließen, machten sich unter den neubestellten Anführern bereits damals zwei Tendenzen bemerkbar,

die mit dem demokratisch-antioligarchischen Grundzug der Bewegung nicht ganz im Einklang zu stehen scheinen, die aber für die weitere Entwicklung der Dinge von entscheidender Bedeutung geworden sind: das Streben nach

einer Verständigung mit den gemäßigten Kräften in Athen und die Hoffnung, die Unterstützung des Alkibiades für die Sache der demokratischen Sezession zu gewinnen. Beide Bestrebungen lassen sich mit der Person des Thrasybulos in Verbindung bringen, was nicht heißen soll, daß die übrigen Anführer der samischen Bewegung dagegen opponiert hätten.”

E

o., S. 215-217.

ns o., S. 217-225 ? 5 o., S. 217.225-230.

- 336 -

Während dieser Vorgänge auf Samos setzten die Vierhundert ihre Bemühun-

gen um eine Verstündigung mit Sparta fort. Agis hatte nach seiner Zurückweisung der ersten aus Athen kommenden Friedensfühler einen Handstreich gegen die Stadt versucht und sich dabei vom ungebrochenen Widerstandswillen der Bürger überzeugen müssen. Als nun eine neue Friedensmission der Vierhundert in Dekeleia eintraf, zeigte er sich entgegenkommender als zuvor und ermunterte sie, sich mit ihrem Verhandlungsangebot direkt nach Sparta zu wenden. Die Vierhundert lieBen also eine Gesandtschaft nach Lakedaimon abgehen, die sich erstaunlicherweise auf eben jenem Fahrzeug einschiffte, auf

dem die ehemaligen Besatzungsmitglieder der Paralos zum Dienst eingeteilt worden waren. Diese überzeugten Demokraten, die die Mission der Gesand-

ten als einen unter allen Umständen zu verhindernden Landesverrat betrachteten, erhoben

sich während

der Fahrt und brachten

ihr Schiff mitsamt den

Gesandten in einen unter der Kontrolle des demokratischen Argos stehenden Hafen. Ob die Gesandten ihren Bestimmungsort dann doch noch erreicht haben, oder ob die Vierhundert auf die Nachricht vom Scheitern dieser Mission eine weitere Gesandtschaft nach Sparta entsandten, bleibt ungewiB; fest

steht, daB ihre Friedensbemühungen zu keinem Ergebnis führten.” Auf Samos war es unterdessen den Bemühungen des Thrasybulos und seiner Gesinnungsgenossen gelungen, die Truppen für einen Beschluß zur Rückfüh-

rung des Alkibiades zu gewinnen, wobei einerseits, wie Thukydides angibt, die Hoffnung auf ein Bündnis mit den Persern, daneben aber wohl auch die Bedeutung des Alkibiades als einer potentiellen Galionsfigur für eine Politik

des Zusammenschlusses der kompromißbereiten 'patriotischen Kräfte’ im Lager und in der Stadt, maßgeblich war.?! Von diesen Hoffnungen motiviert begab sich Thrasybulos auf das Festland und führte den Verbannten nach Samos, wo Alkibiades, nachdem er den zu

einer Ekklesie versammelten Soldaten Hoffnungen auf persische Unterstützung gemacht hatte, zum Strategen gewählt wurde. In dieser Funktion erteilte er dem unter den Truppen laut werdenden Wunsch nach einer bewaffneten Aktion gegen die Oligarchen in Athen eine Abfuhr, gleich danach ging er zu einem kurzen Besuch an den Hof des Tissaphernes.”: Er war von dieser Reise bereits wieder nach Samos

zurückgekehrt, als dort von Delos her die zehn

Emissäre eintrafen, die seinerzeit von den Vierhundert zur Beschwichtigung der Truppen entsandt worden waren. Diese versuchten, ihrem ursprünglichen Auftrag nach Móglichkeit gerecht zu werden, indem sie den Verfassungsumsturz mit der Notwendigkeit der σωτηρία begründeten, die in Athen herr-

pud

nm UA

5.0

un

9 s. 0., S. 242-250. 3! s. 0,5. 254-256.

-337schenden Verhältnisse beschónigten, und für die Zukunft eine Art Rotation

innerhalb der politischen Führung in Aussicht stellten.” Die versammelten Truppen ließen sich davon nicht beeindrucken, sondern reagierten mit lautstarken Unmutsäußerungen und ließen von neuem die Forderung nach einer Fahrt gegen den Piräus laut werden. Daß es in dieser kritischen Situation gelang, die erregten Truppenmassen zu beruhigen und von ihrem Vorhaben abzuhalten, war in hohem Maße - wenn auch wohl nicht so ausschließlich, wie Thukydides behauptet - das Verdienst des Alkibiades, der

hier das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit in die Waagschale warf.” Als die Ruhe wiederhergestellt war, gab Alkibiades den Gesandten im Namen des

samischen Heeres die Antwort: er könne die Bemühungen um sparsameren Umgang mit den Geldmitteln gutheißen und die Regierungsgewalt der Fünftausend tolerieren, nicht jedoch die Vierhundert; diese sollten entlassen und durch einen Rat der Fünfhundert, wie er zur Zeit der Demokratie gewesen war, ersetzt werden. Im übrigen sei es vordringlich, den Feinden standzuhalten und nicht nachzugeben; wenn nur die Stadt gerettet werde, so werde sich

auch ein Weg zur Versöhnung aller Athener finden lassen.”

Mit dieser Botschaft gelang es Alkibiades, einen propagandistisch höchst wirkungsvollen Schachzug zu setzen: Indem er seinen Willen bekundete,

ein

Regime der Fünftausend in Athen vorderhand zu tolerieren, erweckte er bei jenen gemäßigten Kräften innerhalb der Vierhundert die Hoffnung auf eine Aussöhnung

zwischen

der Stadt und der Flotte, ohne

sich damit auf eine

definitive verfassungspolitische Zielsetzung festzulegen oder gar die Herrschaft der Fünftausend auch über die Truppen auf Samos anzuerkennen. Gerade wegen ihrer Unbestimmtheit im Hinblick auf die endgültige Verfassungsordnung konnte die Botschaft als ein sowohl an die Demokraten auf

Samos als auch an die gemäßigten Kräfte in der Stadt gerichteter Aufruf zum ZusammenschluB und gemeinsamen Kampf gegen die oligarchischen

‘Defätisten’ verstanden werden.”

Der Appell verfehlte seine Wirkung nicht. Als sich Alkibiades’ Botschaft nach der Rückkehr der Zehnergesandtschaft in Athen verbreitete, ließ sie bei den vorher schon regimefeindlich eingestellten Massen die Hoffnung auf einen Umschwung der Verhältnisse aufkeimen, stärkte aber - und dies sollte sich als entscheidend erweisen - zugleich auch den oppositionellen Zirkeln innerhalb des Regimes den Rücken. Es hatte sich damals innerhalb der Kreise der Machthaber bereits eine von Theramenes und Aristokrates Skelliou

geführte oppositionelle Strömung gebildet, die die Forderung nach tatsáchli3$ s. o., S. 252; vgl. 184f. * s. 0. S. 252257. $5 s. 0., S. 256-259. $6 9. 0., S. 258f.

- 338 -

cher Machteinsetzung der Fünftausend und generell nach einer mehr auf Gleichheit ausgerichteten Staatsordnung zu ihrem Programm erhob. Die radikalen Oligarchen fühlten sich unter Druck gesetzt und richteten nun ihre Hoffnungen mehr denn je auf ein Abkommen mit den Spartanern, zu-

gleich lieBen sie die sogenannte Eetioneia, eine an der Einfahrt zum groBen Hafen des Piráus gelegene Landzunge, in einer Weise befestigen, die eine Verteidigung dieses strategisch günstig gelegenen Platzes auch gegen die Stadt hin möglich machen sollte. Dieses offiziell als Bollwerk gegen einen Angriff der Demokraten von Samos

bezeichnete Bauprojekt scheint in den geheimen Plänen der Oligarchen als Zufluchtsort für den Fall der äußersten Bedrängnis gedacht gewesen zu sein;

in der Sicht der Oppositionellen konnte eine solche Befestigung nichts anderes darstellen als ein Mittel, die Stadt dem Landesfeind in die Hände zu lie-

fern. Während der Mauerbau auf der Eetioneia der Opposition neuen Stoff für ihre Agitation bot, schickten die Herrschenden unter der persönlichen Führung des Antiphon und Phrynichos eine weitere Gesandtschaft nach Sparta, die dort

ebensowenig einen Friedensschluß erreichen konnte wie die früheren Initiativen, aber dem verbreiteten Mißtrauen gegen die vermuteten landesverräteri-

schen Absichten der Oligarchen zusätzliche Nahrung bot.” Bald nach der Heimkehr dieser Gesandtschaft wurde Phrynichos auf der Agora ermordet. Der oder die Haupttäter konnten entkommen, lediglich ein Komplize wurde festgenommen und unter der Folter verhört, ohne daß dabei mehr herausgekommen wäre als unbestimmte Nachrichten über geheime Zusammenkünfte oppositioneller Zirkel im Hause des Peripolarchen.

Diese Enthüllungen, die darauf hindeuteten, daß die Verschwörung der Regimegegner bereits bis in die Kreise hochrangiger

militärischer Amtsträger

hineinreichten, setzten die Machthaber so sehr in Unruhe, daß sie die Unter-

suchungen ohne weiteres Ergebnis im Sande verlaufen ließen. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich die oppositionellen Kreise durch dieses Nichtreagieren

des Regimes ermutigt fühlten.”

Als dann bald darauf der Überfall einer peloponnesischen Flottenabteilung auf Ägina dem Argwohn wegen des Baues der Eetioneia-Festung und den Be-

fürchtungen vor einem Verrat der Oligarchen neue Nahrung gab,?' war die

Zeit reif für die entscheidende Konfrontation zwischen der Oppositionsbewegung und den Kräften des Regimes.

3 s. o., S. 260f. δ. 0., S. 272f.

$9 $. 0., S. 261

$6 s. 0., S. 265-270. $! s. o., S. 270.273.

- 339 -

Ob diese Konfrontation aus einer von der Theramenes-Aristokrates-Gruppe

vorgeplanten Aktion hervorging, ist eine weniger leicht zu bejahende Frage als in der Forschung für gewöhnlich angenommen wird. Zwar muß es auffällig erscheinen, daB der erste offene Akt des Widerstandes, die Verweigerung

der Arbeit an der Eetioneia-Mauer, von einer Hoplitenabteilung ausging, die unter dem Kommando

des Oppositionsführers Aristokrates stand, aber dies

allein zwingt uns noch nicht zur Annahme eines vorgefaßten Aktionsplanes.9" Auf der anderen Seite steht die bei Annahme eines solchen Planes überraschende Tatsache, daß sich Theramenes zu dem Zeitpunkt, da die Erhebung der Hopliten gemeldet wurde, im Rat der Vierhundert befand, wo er sich zu-

nächst der Wut der Oligarchen ausgesetzt sah. Als er dann gemeinsam mit einem Kollegen vom radikalen Flügel in den Piráus gesandt wurde, um kraft seines Amtes als Stratege die Meuterer zur Räson zu bringen, machte er zuerst

scheinbar Anstalten, den ihm von den Vierhundert erteilten Auftrag auszuführen, schloß sich dann aber doch der Erhebung an, wobei er Sorge trug, nicht als treibende Kraft, sondern als ein von den Umständen und der Massenstim-

mung Getriebener zu erscheinen.‘ Man hat daher mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Meuterei der Hopliten im Piräus, die schließlich zum Sturz der Vierhundert führte, ihren Ursprung in

einem spontanen Akt der Hopliten hatte.“

Außer Zweifel steht jedenfalls, daß die Bewegung, nachdem sie einmal ausgebrochen war und Theramenes sich ihr angeschlossen hatte, großen Zulauf

seitens der Hopliten wie auch seitens der Piräusbewohner verzeichnen konnte. Gemeinsam machte man sich an die Niederreißung der längst zum Symbol für den Verrat der Oligarchen gewordenen Eetioneia-Mauer. Am folgenden Tag traten die Hopliten im Dionysostheater der Munychia zu einer Versammlung zusammen und zogen daraufhin zur Stadt, wo ihnen Abgesandte der Vierhundert entgegentraten und sie mit Vorhaltungen und Versprechungen zu überreden versuchten, Frieden zu halten.

Man einigte sich schließlich darauf, eine Versammlung „über die Eintracht“ im städtischen Dionysostheater abzuhalten. Am dafür festgesetzten Tage jedoch wurden die Athener, kaum daß die Eintrachts-Ekklesie zusammenzu-

treten begonnen hatte, durch das Erscheinen der peloponnesischen Flotte in Alarmzustand versetzt, worauf sich die Versammlung in aller Eile auflöste

und alle Waffenfähigen zur Abwehr des Feindes in den Piräus eilten. In der Folge rüsteten die Athener aus den verfügbaren Schiffen eine Flotte aus, die

jedoch bei Euböa eine schwere Niederlage erlitt.‘ 62 s. 0., S. 275f. 65 s. 0., S. 274f. &4 s. o., S. 276. 65s. o., S. 270f.

- 340 -

Unter dem Eindruck dieser Katastrophe trat in Athen auf der Pnyx, dem traditionellen

Versammlungsort

der Demokratie,

eine

Ekklesie

zusammen.

Im

Zuge dieser Versammlung, die aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest formell

allen Bürgern

stand.‘

wurde

der

ohne

Unterschied

Beschluß

gefaßt,

der Vermögensqualifikation die

Vierhundert

abzusetzen

offenund

die

Regierungsgewalt den Fünftausend (zu denen nunmehr 4115, ὅπλα Trapexöμενοι“ gehören sollten) zu übergeben. Weiters wurde beschlossen, daß kein

Amt besoldet sein sollte und diese Bestimmung wurde mit einem allgemeinen

Eid besiegelt.’ Der Beschluß über die Übergabe der Macht an die Fünftausend ist wohl als Anordnung, daß die Leitung der anstehenden Staatsgeschäfte in die Hände der

Hopliten und der beiden darüber stehenden Schatzungsklassen gelegt werden sollte, nicht aber als eine dauernde Beschränkung jeglichen aktiven Bürger-

rechts auf diese Klassen zu verstehen; die neu installierte Regierungsgewalt der Fünftausend verstand sich nur als ein auf Zeit bestelltes *Notstandsregiment’, im Grundsätzlichen hielt man an dem Prinzip fest, daß die Souveränität letztlich beim Demos (einschließlich der Theten) liegen solle.°® Diese prinzipielle Souveränität des Demos

scheint, wenn wir recht urteilen,

bereits im weiteren Verlauf des Verfassunggebungsprozesses zur Geltung gekommen zu sein. Thukydides berichtet, daß nach der ersten Ekklesie über die

Absetzung der Vierhundert weitere Versammlungen abgehalten wurden, auf denen Nomotheten gewählt und weitere Bestimmungen über die verfassungsmäßige Ordnung getroffen wurden. Der Kontext des thukydideischen Berichts deutet darauf hin, daß es sich dabei um Versammlungen „der Athener“ (also nicht nur der Fünftausend/Hopliten gehandelt hat). Aus alledem ergibt sich der Eindruck eines Systems, bei welchem

die tat-

sächliche Regierungsgewalt in den Händen der ὅπλα παρεχόμενοι (d. ἢ. der Hopliten und der Ritterklassen) lag, der verfassungsrechtliche Rahmen je-

doch, innerhalb dessen die regierenden Klassen agierten, durch die Nomotheten ausgearbeitet und im Zuge von Versammlungen, die zumindest formal dem gesamten Demos offenstanden, beschlossen wurde.9?

In welcher Form die ὅπλα παρεχόμενοι die ihnen zugestandene Regierungsmacht ausübten, ist uns durch keine ausdrücklichen Zeugnisse überliefert. Aus der verfügbaren Evidenz läßt sich lediglich erschließen, daß es in dem im Herbst 411 installierten System ein Regierungsgremium gegeben hat, das als Bule bezeichnet wurde, und das zumindest in einzelnen Punkten an-

ders organisiert war als die Bule der Fünfhundert unter der Demokratie. Die von der Mehrheit der neueren Forschung vertretene Ansicht, daß in dem S. 5.0, S. . S. M ? $. 0, S.

50

281f. 271.279. 302-304. 304-306.

- 341 Regierungssystem der Fünftausend vom Herbst 411 eine Bule von fünfhundert

Mitgliedern und eine Vollversammlung der Fünftausend/ÓrrÀa παρεχόμενοι (letztere als Ersatz für die demokratische Ekklesie) Seite an Seite existiert ha-

ben, kann daher nicht als gesichert angesehen werden. Als Alternative bleibt die Möglichkeit zu erwägen, daß gemäß den seinerzeit in der Zukunftsverfassung niedergelegten Prinzipien jeweils eine Fraktion der Fünftausend als Bule amtieren sollte. Allerdings wird man kaum annehmen können, daß die Zu-

kunftsverfassung mit ihren teils unpraktikablen Regelungen in toto in die Praxis umgesetzt worden ist. Das Rotationsprinzip an sich aber konnte jetzt

wie schon zuvor zur Zeit seiner Prüsentation im Zukunftsverfassungs-Entwurf als brauchbares Modell für ein Hoplitenregime i in Zeiten kriegsbedingt hoher

Beanspruchung der Hoplitenklasse gelten.' Wie immer aber das Regierungssystem der Fünftausend auch organisiert gewesen sein mag, es kann bei Berücksichtigung der Zeitumstände (Rücksicht auf die demokratisch gesinnte Ionienflotte) als wahrscheinlich gelten, daß dieses System in jedem Falle von vornherein als Provisorium deklariert war. Freilich dürften sich Theramenes und seine Gesinnungsgenossen der Hoff-

nung hingegeben haben, das Provisorium in ein Fixum umzuwandeln und auf der Basis des τοῖς πεντακισχιλίοις τὰ πράγματα TapaSoüUvai-Prinzips der Hoplitenklasse auf die Dauer zur Dominanz im Staate zu verhelfen."! Wohl gleich in die Anfangsphase dieser Umwälzungen gehört ein Ereignis,

das Anlaß zu einer Debatte um die Schuld der gestürzten Oligarchenführer gab. Im Zuge des Umschwunges hatten sich zwei auswärtige Söldner, Thrasybulos von Kalydon und Apollodoros von Megara, wohl in der Hoffnung auf

Belohnung, óffentlich als diejenigen deklariert, die seinerzeit den Oligarchenführer Phrynichos getótet hatten; sie waren daraufhin von den Freunden des

Getóteten ins Gefüngnis abgeführt, aber vom Demos wieder befreit worden. In der Folge wurde eine Untersuchung durchgeführt, die zur Freilassung der bei-

den Attentäter und zur Eröffnung eines posthumen Landesverrats-Prozesses gegen Phrynichos führte; der tote Oligarchenführer wurde für schuldig befunden, sein Leichnam ausgegraben und über die Grenze geworfen.”

Mit den Vorgängen um den Phrynichosprozeß war die Frage nach der Schuld auch der anderen Oligarchenführer aktuell geworden, zugleich hatte sich aufs deutlichste gezeigt, wie die Mehrheit des Demos zu dieser Frage stand. Das Urteil über den toten Phrynichos war zugleich ein Verdikt über das gestürzte Regime der Vierhundert in seiner Gesamtheit und öffnete einer Welle weiterer gerichtlicher Abrechnungen, diesmal gegen Lebende, Tür und Tor.”

S. 0.,S. 307-311. 7! s. o.,S. 3118 74 s. 0., S. 313f.

D s. O., S. 318f.

- 342 -

Die meisten der prominenten Oligarchenführer gaben nunmehr ihre Sache endgültig verloren und setzten sich nach Dekeleia ab,'^ andere, die in Athen blieben, sahen sich mit der Gefahr einer gerichtlichen Verfolgung konfron-

tiert. Die nunmehr an der Macht befindlichen Führer der ‘Gemäßigten’ eröffneten eine Reihe von Gerichtsprozessen gegen ihre ehemaligen Kollegen vom

radikalen Oligarchenflügel, wobei teilweise persónliche Feindschaften und der Wunsch nach Beseitigung politischer Gegner, vor allem aber das Bestreben, einem in weiten Kreisen verbreiteten Wunsch nach Vergeltung gegenüber den Führern und Profiteuren des gestürzten Regimes entgegenzukommen, bestimmend gewesen sein dürfte. Das in der späteren Überlieferung

prominenteste dieser Gerichtsverfahren, der Prozeß gegen Antiphon und Archeptolemos," zeigt, daB die Machthaber offenbar mit Erfolg darum bemüht waren, die Anklage auf den Vorwurf landesverräterischer Aktivitäten zu konzentrieren, die Vorgänge während der Umsturzkampagne des Frühjahrs 411

und der Machtergreifung der Vierhundert hingegen nach Móglichkeit auszuklammern."5

Wenn Theramenes und seine Mitstreiter gehofft hatten, das von ihnen initiierte Regime der ὅπλα παρεχόμενοι auf Dauer etablieren zu können, sahen sie sich binnen kurzem in dieser Erwartung getäuscht: Nachdem

im Herbst

411 und im darauffolgenden Frühjahr eine Reihe spektakulärer Waffenerfolge der Ionienflotte das Prestige der demokratischen Sache gestärkt und den Druck der Kriegsnot gelockert hatte, erzwang der damit einhergehende Stimmungsumschwung die Wiederherstellung der vollen Demokratie, die sogleich alle Versuchungen eines Verzichtfriedens von sich wies und sich die Wieder-

herstellung des Seereiches zum Ziel setzte. Damit waren die Athener, soweit es die institutionelle Gestaltung ihres Staatswesens betraf, nach eineinhalb

Jahren der Erregungen und Umwälzungen wieder zum status quo von 413 zurückgekehrt; im Bereich des politischen Lebens allerdings sind, wie wir noch

sehen werden (u., S. 351f.), die Erfahrungen der Umsturzperiode noch lange nach 410, ja im Grunde genommen selbst über das Ende des Krieges hinaus, als ein wichtiger und bestimmender Faktor wirksam gewesen.

74 s. 0., S. 312f. und 319.

7$ s. 0., 3158 76 4 0., S. 320f.

- 343 -

Schlußbetrachtung In seiner Monographie über die Geschichte der Dreißig hat Peter Krentz die zusammenfassende Schlußbetrachtung unter den Titel „Was failure inevitable?“ gestellt." Stellt man die gleiche Frage hinsichtlich des früheren der beiden Oligarchenregimes im Athen des spáten 5. Jh., so scheint eine bejahende Antwort nahezu unausweichlich. Die Geschichte der Herrschaft der Vierhundert stellt sich im Bereich der AuBenpolitik als eine Kette fehlgeschlagener Friedensinitiativen dar, im Inneren, wo wir die Ereignisse nicht im einzelnen verfolgen kónnen, scheint sich das Bild ihrer Regierung weniger als ein zielbewußter Umbau der überkommenen Strukturen des athenischen Staatswesens nach oligarchischen Prinzipien denn als ein vom Diktat der Umstände bestimmter Kampf der Regierenden um den Machterhalt und bald nur noch um das physische Überleben dargeboten zu haben.”® Der widerstandslose Zusammenbruch des Regimes nach nur viermo-

natiger Dauer ist geeignet, den Eindruck der Schwäche und Hilflosigkeit zu unterstreichen.

Dieser sich aus der Regierungszeit der Vierhundert ergebende Befund steht jedoch in scharfem Kontrast zu der schon von Thukydides als erstaunlich bezeichneten” Tatsache, daß es den Proponenten des Vierhunderter-Regimes im Frühjahr 411 gelang, die alteingesessene Herrschaft des Demos in Athen gewissermaDen im ersten Anlauf umzustürzen. Zeigte sich spüterhin das Oligarchenregime als ein auf allzu unsicherem Grund errichtetes Gebilde, so war es bis zum Thargelion 411 vielmehr die Demokratie, die dem Betrachter das Bild eines abgelebten, gegenüber dem von der Reformbewegung ausgehenden Druck zu keinem ernsthaften Widerstand fähigen und daher zu einem schmählichen Untergang verurteilten Systems darzubieten schien. Wie also, fragt sich der Beobachter, konnte es kommen, daß sich ein unter

solchen Vorzeichen installiertes Regiment fast vom Beginn seiner tatsáchlichen Machtausübung an ständig in der Defensive befand und dann tatsächlich binnen weniger Monate ein schmáhliches Ende fand? Die verfügbare Evidenz legt uns zwei hauptsáchliche Antworten auf diese Frage nahe: Die erste und offensichtlichere liegt in der demokratischen Gegenrevolution auf Samos, die das Vierhunderter-Regime nicht nur von vornherein jener Machtmittel beraubte, deren es zur selbständigen Außenpolitik bedurft hätte, sondern ihm in der Ionienflotte zugleich auch eine neue militärische Bedro-

hung entgegenstellte. Geht man rein von den äußeren Faktoren aus, so konnte das Schicksal des Oligarchenregimes nach der Sezession der Flotte bereits als ΤΊ Krentz, Thirty 125. 75 s. o., S. 239f.

? Thuk. 8,68,4, dazu o., S. 112f.

- 344 -

besiegelt gelten, da auf Samos nach dem demokratischen Umschwung keinerlei Bereitschaft

zur Anerkennung

der Vierhundert

bestand,”

während

in

Athen die Machthaber selbst in den Kreisen der Oberschicht keine ungeteilte

Zustimmung genossen und sich bald auch der Wunsch nach einem Übereinkommen mit den Demokraten der Samos-Streitkräfte regte.?! Letzterer Umstand führt uns zur zweiten der oben angesprochenen Antworten auf die Frage nach dem Scheitern der Vierhundert, die sich in der Diskrepanz

zwischen dem im Frühjahr 411 propagierten Programm der Reformbewegung und der Realität des Regimes der Vierhundert festmachen läßt: Hatte man offiziell verkündet, die Regierungsgewalt in die Hände eines weite Teile der Mittelschicht umfassenden Gremiums der ‘Fünftausend’ legen zu wollen, so ließ die von den Vierhundert befolgte Praxis sogleich erkennen, daß die in dieser Ratsversammlung dominierenden Krüfte eine im engsten Sinne des

Wortes oligarchische Cliquenherrschaft anstrebten, die sich der Fünftausend nur als eines Propagandamittels zu bedienen gedachte. In diesem Kontrast spiegelt sich wohl nicht nur eine Strategie der bewußten

Täuschung des Demos durch die Verschwórer wider (obwohl auch dieses Element in der Vorbereitung des Umsturzes nicht gefehlt hat), sondern die

Existenz unterschiedlicher Strómungen innerhalb der Reformbewegung: Neben einer schon im Zuge der ersten &£uvcouoocía-Bildung auf Samos faßbaren? im eigentlichen Sinne oligarchischen Gruppe, die danach strebte, die

politische Macht in die Hände der besitzenden Oberschicht zu legen, dürfte die Verfassungsreformkampagne des Frühjahrs 411 auch jene Kráfte in Bewegung gebracht haben, die das Heil des Staates in einer Stárkung des Ein-

flusses der Hoplitenschicht erblicken wollten. Die Unterstützung dieser innerhalb der in Athen befindlichen Bürgerschaft stark vertretenen *GemüBigten' (die wir uns durchaus nicht als eine in ihren Zielsetzungen einheitliche Gruppe vorstellen dürfen) gab der Umsturzbewegung erst jene breite

Basis, die für die Gewinnung der Mehrheit in der Ekklesie vonnóten war.” 9 s. den Kontrast zwischen der abwartenden Haltung der Demokratenführer auf Samos nach dem Putschversuch (o. S. 215f.) und ihrem energischen Vorgehen gegen die Oligarchen in den eigenen Reihen, nachdem ihnen die Machtergreifung der Vierhundert bekannt geworden war (o., S. 217-220).

δἰ s. o., S. 263f.

#2 Man beachte das Auftreten des Peisandros vor der Ekklesie in Thuk. 8,53,1-54,1 (dazu s.

o., S. 63-65). P s. o., S. 40-46. * s. o., S. 114-117.

55 Das soll nicht heißen, daß die Anhängerschaft der entschiedenen Oligarchen zahlenmäBig ganz unbedeutend gewesen sei (daß sie bis in die Hoplitenschicht reichte, zeigen der Tumult in Thuk. 8,92,6-8 sowie die Strafbestimmungen gegen oligarchische Soldaten in And. 1,75 (beide Stellen zit. o., S. 320 Anm. 168]; vgl. auch 263 mit Anm. 210), aber diese Anhängerschaft kann im Verhältnis zur Gesamtheit der zur Teilnahme an den demokratischen Ekklesien Berechtigten nur einen Bruchteil dargestellt haben.

- 345 -

Es war daher kein Wunder, daf) der durch das Zusammenwirken dieser Kráfte zustandegekommene Beschluß dem Wunsch der gemäßigten Richtung nach

einer Teilhabe breiter Schichten an der Regierungsgewalt entgegenkam: für die regierende Kórperschaft wurde eine Mindest-Mitgliederzahl von fünftausend festgesetzt, die dann im Zuge des folgenden Katalogisierungsverfahrens

noch beträchtlich überschritten wurde. Diese Regelung, die offenbar auch beim Demos mehrheitsfähig war, konnte für die Gemäßigten als befriedigende Lösung der Verfassungsfrage gelten, nicht jedoch für die Führungsgruppe der Umsturzbewegung, wo man entschlossen war, erheblich weiter in die oligarchische Richtung zu gehen - auch auf die Gefahr hin, damit letztlich den Punkt zu erreichen, an dem sich die

Wege der gemäßigten und der radikalen Oligarchen scheiden muBten."

In diesem Stadium der Ereignisse dürfte der im dreißigsten Kapitel der Athenaion Politeia überlieferte Verfassungsentwurf seine endgültige Form erhalten haben, der in seiner Verbindung von gemäßigten und im eigentlichen Sinne oligarchischen Elementen wie ein Versuch wirkt, das Prinzip einer Regierung der Fünftausend in eine unter den gegebenen

(Kriegs-)Umständen

praktikable und zugleich für beide Flügel der Umsturzbewegung akzeptable Form umzugießen. " Gerade in letzterer Hinsicht aber blieb dem Entwurf die Wirkung versagt: Die maßgeblichen Häupter der Verschwörung gaben einem

alternativen Konzept den Vorzug, das eine starke autoritäre Regierungsgewalt in Form einer Bule von vierhundert Mitgliedern vorsah, und es gelang ihnen im Zuge der unter fragwürdigen Umständen abgehaltenen Versammlung auf

dem Kolonos,®” einen Beschluß zugunsten dieses Modells zu erlangen.

Daf sich die Betreiber des Umsturzes in diesem Stadium der Unterstützung aus dem gemäßigten Lager nicht mehr absolut sicher fühlten, zeigt ihr Vorgehen bei der Installation der Vierhunderter-Bule, als sie ihren Handstreich ge-

gen mógliche Opposition aus den Reihen der Hoplitenschaft (die wir als die politische Basis der Gemäßigten ansehen dürfen) absichern zu müssen glaub-

ten.? Es war aus ihrer Sicht konsequent, daB sie das Ausbleiben jeden Widerstandes gegen die Machtübernahme als Ermutigung betrachteten, um mittels des Vierhunderter-Rates im Stil einer engen Oligarchie zu regieren, ohne die Fünftausend an der Entscheidungsfindung zu beteiligen oder sie auch nur

2$$8575

definitiv zu konstituieren.’' Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürften weite Teile jener Schichten, die an sich eine “gemäßigte’, den Mittelstand einbezie-

s. 0., S. 146f. s. o., S. 152f. S. o., S. 206-210.

8. 0., S. 153-164. s. o., S. 164-169.

s. o., S. 173.

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hende Form der Oligarchie zu akzeptieren bereit gewesen wären, dem Regime der Vierhundert entfremdet gewesen sein. Damit hatte - um zu der eingangs gestellten Frage nach dem Kontrast zwischen der Stärke der Umsturzbewegung des Frühjahrs 411 und der Schwäche

der Umsturzregierung des folgenden Sommers zurückzukehren - die Oligarchie gerade im Augenblick ihres Erfolges die Unterstützung jener Bevólkerungsschichten eingebüßt, die diesen Erfolg überhaupt erst möglich gemacht hatten. Aus einer dynamischen Massenbewegung zur Schaffung einer den

Kriegsnóten angemessenen Verfassungsordnung war eine von der überwiegenden Mehrheit der Athener isolierte eng-oligarchische Cliquenherrschaft hervorgegangen, die ihre Herrschaft mit den Mitteln der Gewalt? und der Täuschung” zu behaupten suchte.

Fragt man nach dem Motiv, das die Vierhundert zu der folgenschweren Entscheidung, die Fünftausend nicht einzuberufen, bewogen hat, so findet sich ein Anhaltspunkt in der von Thukydides überlieferten Aussage, die Fünftausend einzusetzen, „würde geradezu Volksherrschaft bedeuten''.?* Hier zeigt

sich recht deutlich, daß es den Häuptern der Vierhundert um den Modus der Entscheidungsfindung an sich zu tun war: Was ihnen widerstrebte, war die Vorstellung, die Staatsangelegenheiten nicht im kleinen Kreis lenken zu kónnen, sondern sie in einer nach Tausenden zählenden Versammlung diskutieren

lassen und dieser Versammlung in allen Fragen die letzte Entscheidung einráumen zu müssen. Es mag hierbei die Tatsache eine Rolle gespielt haben, daß sich bei der im Zuge des Umsturzes vorgenommenen Katalogisierung der Fünftausend schon

bald eine betrüchtliche Überschreitung der vorgegebenen Richtzahl abzeichnete," letztlich aber scheint doch eine grundsätzliche Abneigung gegen den demokratischen Modus der Entscheidungsfindung bestimmend gewesen zu sein. Wie sehr diese Haltung das Denken der Oligarchenführer noch in der

letzten Phase ihrer Herrschaft prägte, zeigt das Angebot der Vierhundert an die meuternden Hopliten, es sollten „die Vierhundert der Reihe nach aus den Fünftausend genommen werden“, das wir wohl als einen letzten, verzweifel-

ten Versuch verstehen dürfen, das oligarchische Prinzip der Regierung mittels

"2 Thuk. 8,70,1f., s. dazu o., S. 232-235. ? Deutlich faßbar wird die Táuschungsabsicht in der ursprünglichen Fassung der von den Vierhundert nach Samos gerichteten Botschaft (Thuk. 8,72,1, dazu o., S. 173-175).

** Thuk. 8,92,11 (zit. o., S. 152 Anm. 178 und S. 178f.); vgl. o., S. 173.

5 s. 0., S. 148-153.

96 Thuk. 8,93,2 (zit. o., S. 184). Man beachte, daß in dieser Passage zwar versprochen wird, die Fünftausend definitiv zu konstituieren (ἀποφανεῖν), die Übertragung realer Macht an diese Körperschaft aber gerade nur implizit angedeutet wird (ἢ ἂν τοῖς πεντακισχιλίοις δοκῇ).

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einer autokratischen Bule in die sich anbahnende Neuordnung des Staates hinüberzuretten. Schwer nachvollziehen läßt sich hingegen, daß sie an dieser Linie festhielten, als mit der Sezession der Ionienflotte und dem Scheitern der ersten Friedensinitiative ihrem Konzept die Grundlagen entzogen waren. Die Quellen geben

uns keine klaren Angaben über die dahinterstehenden Motive, doch liegt die Vermutung nahe, daf zu dem Zeitpunkt, da der samische Umschwung in Athen bekannt wurde, die Fünftausend dem Oligarchenregime mehrheitlich

bereits so weit entfremdet waren, daß die Machthaber es nicht mehr wagen zu kónnen meinten, ihre Politik dem Votum einer Vollversammlung der Fünftau-

send zu unterwerfen. In diese Richtung deutet zumindest das Vorgehen der Vierhundert gegen die Besatzungsmitglieder der Paralos, das einen klaren Beweis für die zwischen den Machthabern und der Masse der athenischen Bevólkerung (wohl nicht nur der Thetenklasse) eingetretene Entfremdung darstellt, zugleich aber zeigt, daf man sich seitens des Regimes der Hoffnung hingab, durch die Unterdrückung des freien Informationsflusses sowohl der städtischen Bevölkerung wie auch der Flotte auf Samos gegenüber eine Politik der wechselseitigen Täuschung betreiben zu können.”

Sahen sich die Vierhundert innenpolitisch in die Defensive gedrángt, so blieb ihren Initiativen auch auf dem Feld der AuBenpolitik der Erfolg versagt. In diesem Bereich hatten sich auch die dezidiert oligarchisch orientierten Strómungen innerhalb der Umsturzbewegung zunächst auf eine energische Fortführung des Krieges eingeschworen, was angesichts der unter athenischen Oligarchen traditionell verbreiteten lakonistischen Neigungen überraschen mag, aber bei nüherer Betrachtung doch keinen echten Widerspruch darstellt: Lakonistische Sympathien mochten Athens Oligarchen dazu verleiten, die

Einführung einer am ‘Modell Sparta’ orientierten Ordnung in der Heimatpolis zu betreiben und im Sinne der kimonischen Traditionen von einer gleichberechtigten Partnerschaft mit den Lakedaimoniern zu tráumen, nicht aber, sich dem Kriegsgegner Sparta bedingungslos zu unterwerfen.” Gerade die Tatsache, daB die Vierhundert selbst im Zuge ihrer letzten Sparta-

gesandtschaft nicht zu einer Übereinkunft mit den Spartanern gelangen konnten, spricht - auch wenn Thukydides' Darstellung und die Ankláger des Anti-

57 Raßbar wird uns diese Linie in dem Auftritt der Gesandten auf Samos in Thuk. 8,86,1-4, wo eine Machtteilhabe der Fünftausend zumindest „ev τῷ μέρει“ in Aussicht gestellt wird.

98 Vgl. o., S. 67 und 71. Erst im Jahre 404, als die Macht Athens gebrochen und die spartanische Oberhoheit ein unverrückbares Faktum war, bemühte man sich in den Kreisen der athenischen Oligarchen aus der Not eine Tugend zu machen, und orientierte sich an einem Konzept, das die Spartatreue zum Gradmesser gut oligarchischer Gesinnung machte (faßbar in der Kritiasrede bei Xen. hell. 2,3,25 und 28).

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phon einen anderen Eindruck erwecken - dafür, daß sie sich auch noch in diesem Stadium dagegen sträubten, die Souveränität ihrer Polis preiszugeben.?? Freilich darf man annehmen, daß sie, wie Thukydides sagt, im Falle der äu-

Bersten Bedrängnis zu allem bereit gewesen wären, „um nur ja nicht wieder

unter die Gewalt des Demos zu geraten. Als Vorsorge gegen diesen Extremfall war aller Wahrscheinlichkeit nach die Errichtung der Festung auf der Eetioneia gedacht, die den Oligarchen zunächst als Zufluchtsort, hernach als Unterpfand für Verhandlungen mit dem Demos einerseits, den Lakedaimoni-

ern andererseits und gegebenenfalls als Brückenkopf für eine Landung der letzteren dienen konnte. ἢ

Daß es nicht dazu kam, war unmittelbar auf die möglicherweise spontane’ Meuterei der Hopliten, letztlich aber auf das agitatorische Wirken jener oppositionellen Kräfte zurückzuführen, die unter der Führung des Theramenes

und Aristokrates die Forderung nach der „tatsächlichen Einsetzung der Fünftausend“ zu ihrer Parole erhoben,'” und die, wenn wir von der Persönlichkeit der Anführer ausgehen, zu einem guten Teil mit dem ‘gemäßigten’ Flügel der Umsturzbewegung identisch gewesen sein dürften. Freilich wird diese oppositionelle Bewegung jetzt ebensowenig wie die ‘Gemäßigten’ im vergangenen Frühjahr eine in ihrer Struktur und ‘ideologischen Ausrichtung’ einheitliche

Strömung dargestellt haben. Das Schlagwort der ‘Fünftausend’ diente jetzt

wie seinerzeit als gemeinsamer Nenner unterschiedlicher Gruppen, von den

Verfechtern des ursprünglichen Fünftausender-Konzepts bis hin zu jenen, die

sich die Parole nur deshalb zu eigen machten, weil sie sich nicht offen als Anhänger der Demokratie zu deklarieren wagten. Angesichts dieser Heterogenität der Zielsetzungen fällt es schwer, sich die Opposition gegen die Vierhundert als eine geschlossene, einheitlich geführte

Bewegung vorzustellen, und wenn im Bericht des Thukydides die Führungs” Dies dürfen wir vor allem dann voraussetzen, wenn wir uns zur Erklärung des Scheiterns

von Phrynichos’ und Antiphons Friedensinitiative die von Andrewes (Spartan Resurgence 479) vorgetragene Vermutung „the Spartans presumably thought it would be more profitable to wait on events than to grant terms to a Four Hundred no longer in firm control" zu eigen machen. Die hier angenommene skeptisch-zógerliche Haltung der Spartaner erscheint sinnvoll, wenn die ihnen von Phrynichos und Antiphon gebotenen Bedingungen immer noch die Bewahrung der staatlichen Souveränität Athens vorsahen. Hätten die athenischen Oligarchen hingegen im Sinne dessen, was Thukydides als ihre ultima ratio bezeichnet, die bedingungslose Kapitulation angeboten (8,91,3 τοὺς πολεμίους toayaγόμενοι ... ), hätten die Spartaner gerade dann, wenn sie der Stabilität und Überlebensfähigkeit des Vierhunderter-Regimes mißtrauten, schnell handeln müssen, um sich den ihnen bietenden Vorteil zu sichern. 100 Thuk. 8,91,3 μὴ οὖν ὑπὸ τοῦ δήμου γε αὖθις γενομένου.

!! s o., S. 271-273. !? s. o. S. 274-276. 1? s. o., S. 260-264.

4 s. o., S. 2637.

- 349 -

rolle des Theramenes und Aristokrates Skelliou hervorgehoben wird, ? so wird man diese Aussage wohl nicht im vollen Ausmaß akzeptieren können.

Zweifellos konnten diese beiden Politiker aufgrund ihrer persónlichen Profilierung'” und ihrer Amtsstellung ein hohes Maß an persönlicher Autorität geltend machen, das ihnen, als die Stunde des Umbruches gekommen war, gleichsam von selbst zu einer herausgehobenen Position verhalf; ob sie aber zuvor bereits eine effektive Kontrolle über die Oppositionsbewegung und ihre Aktivitäten ausgeübt haben, ist eine andere Frage, die man schon im Hinblick

auf Theramenes’ Verhalten beim Ausbruch der Eetioneia-Meuterei'” nicht

unbesehen bejahen kann. Auch wenn uns die Quellen keine direkten Angaben dafür bieten, wird man es durchaus für möglich halten dürfen, daß innerhalb des von der Oppositionsbewegung und dann vom Regime der Fünftausend gebildeten Spektrums recht unterschiedliche, nur lose miteinander verbundene und vielleicht sogar rivalisierende Fraktionen existierten, so wie es spä-

terhin unter den Gegnern der Dreißig der Fall war.!?*

Zieht man diese heterogene Natur der Oppositionsbewegung in Betracht, so kann es nicht überraschen, daß die konkrete Gestalt der unter dem Schlagwort der Fünftausend propagierten Staatsordnung beim Sturz der Vierhundert noch

keineswegs festgestanden zu haben scheint, und daß die Lösung, die man schließlich im Zuge

der in Thuk.

8,97,1f.

berichteten Ekklesien

beschloß,

deutlich die Züge eines Kompromisses trug, der nach dem Willen seiner Urheber darauf berechnet gewesen zu sein scheint, die Masse des Demos und die demokratisch gesinnten Truppen in Ionien mit einem System zu versöhnen,

das die tatsächliche Lenkung des Staates in die Hände der ὅπλα Tapexóuevoi legte, sich aber der Form nach als Herrschaft des Demos deklarierte. Vor dem Hintergrund des im vorangehenden skizzierten Bildes stellt sich nun

abschlieBend die Frage nach der Aussagekraft der Ereignisse von 412 und 411 für die inneren Verhältnisse Athens und in weiterer Folge nach ihrer Bedeutung im Rahmen der Geschichte Athens am Ende des 5. Jh.

Was die erste dieser beiden Fragen anlangt, so stechen zwei Haupttatsachen ins Auge. An erster Stelle ist - wie in der Notsituation des Dekeleischen Krieges auch

gar nicht anders zu erwarten - die untrennbare Verzahnung zwischen Verfassungsfragen und AuBenpolitik zu nennen. Wir brauchen nicht daran zu zwei-

105 Thuk. 8,89,2; 91,1; 92,3-10; 94,1. 106 Es sei nur daran erinnert, daß Aristokrates 413/12 das Strategenamt bekleidet hatte (s. S. 3] mit Anm. 158), und daß Theramenes, der schon bei seinem ersten Auftreten auf ein von seinem Vater ererbtes hohes Ansehen bauen konnte, sich im Zuge des Umsturzes

durch óffentliche Auftritte profiliert hatte (s. o., S. 126f.).

107 s. 0., S. 274-276.

108 «. Funke, Homónoia und Arche 17-27 und Strauss, Athens 89-120.

19 s. o., S. 302-306.311f.

- 350 -

feln, daß die Errichtung einer Bvvarcoraro-Oligarchie bzw. einer Hoplitenpoliteia für viele der 412/11 an der Umsturzbewegung Beteiligten um ihrer selbst willen anzustrebende Ziele dargestellt haben; aber auch diese ideolo-

gisch Festgelegten kamen in der gegebenen Situation nicht umhin, die ersehnten Verfassungsreformkonzepte an ihren móglichen Auswirkungen auf die Kriegslage zu messen, und für die breite Masse bis tief in die Hoplitenschicht hinein war dieser Gesichtspunkt der bestimmende.

Dementsprechend waren vom Beginn der &uvcouooía im Winter 412/11 an bis zum Sturz des Regimes der Vierhundert jede Umsturzinitiative und jedes Verfassungskonzept mit Kriegs- bzw. Friedensplánen verknüpft: Hofften die Verschwörer zunächst, sich in Form der als Lohn für die Oligarchisierung angesehenen Perserhilfe und Bundesgenossenloyalitát die Mittel zur siegreichen Beendigung des Krieges zu verschaffen, so stand spátestens mit dem Antritt der Vierhundert die Chance, unter oligarchischen Vorzeichen die Spartaner zu

einem akzeptablen Friedensschluß bewegen zu können, im Vordergrund. Von dieser unlösbaren Verknüpfung der Verfassungsfrage mit dem außenpo-

litischen Aspekt her läßt sich dann auch das zweite Zentralphänomen der Umsturzjahre besser begreifen. Dieses liegt im Fehlen einer erkennbaren festen politischen Linie innerhalb der Umsturzbewegung, in jener Wandelbar-

keit der politischen Strategien und Standpunkte, die sich am klarsten in Thukydides' Bericht über die Aktivitäten des Phrynichos und Peisandros erkennen läßt, die wir aber, wenn die Quellen reichlicher flóssen, wohl auch in den Biographien anderer Oligarchenführer feststellen kónnten. Unsicherheit und schwankende Haltung haben dann ja auch, wie wir gesehen haben, die Politik der Vierhundert während der kurzen Zeit ihrer Machtausübung charak-

terisiert, die sich dem Beobachter als ein Hasardspiel mit verfassungspolitischen Táuschungsmanóvern, unverhohlener Gewalt und der auf die immer noch verbreiteten Sieges- und Perserhoffnungen abgestellten ocoTnpía-Propaganda darstellt.

Als die Spartaner den Friedensofferten der Vierhundert die kalte Schulter wiesen und die Truppen in Ionien allen Táuschungsversuchen zum Trotz der Oligarchie eine Absage erteilten, wurde offenbar, daß das ‘Spiel’ der Verschwórer auf einem von vornherein verfehlten Kalkül basiert hatte, da sich

spartanische Bereitschaft zum Kompromif) nicht mit einem Appell an prooligarchische Sympathien erkaufen, sondern allenfalls durch Waffenerfolge erzwingen ließ - solche zu erringen aber hätte es der willigen und überzeugten Kooperation aller Athener, vor allem der Flottenmannschaften, bedurft, was

unter radikal-oligarchischen Vorzeichen ein Ding der Unmóglichkeit darstellen mußte.

Aus dem sich hierin offenbarenden Dilemma haben die Vierhundert nicht mehr herausgefunden, auch wenn

Überlebens

willen,

noch

sie ihr Spiel, nunmehr

eine Zeitlang

fortsetzten.

um

des nackten

Ihr Sturz zog

eine

- 351 -

*Sauberungswelle' nach sich, die alle deklarierten Oligarchen aus dem politischen Leben Athens eliminierte; als dann im Sommer 410 die Demokratie

wieder vollstándig hergestellt wurde, waren auch institutionell die Reste der ‘Bewegung von 411’ beseitigt. Wenn aber die Umsturzbewegung somit in der Staatsgestaltung Athens kaum

bleibende Spuren hinterlieB,!'? so hat doch die Erinnerung an die Herrschaft der Vierhundert eine prägende Wirkung auf die athenische Politik der Folgejahre ausgeübt: Die radikalen Oligarchen waren mattgesetzt und, solange der Krieg dauerte,

auf das nachhaltigste diskreditiert, da ihre Sache in den Augen der Athener unauslöschlich mit dem Odium

des Landesverrates behaftet war. Die ver-

schiedenen Strömungen der ‘patriotischen’ Oligarchen und der Gemäßigten, die sich 412/11 für eine ἐς ὀλίγους lassen,

fanden

sich nunmehr

mit den

näAAov“-Verfassung gewinnen hätten entschiedenen

Demokraten

in einer

Zweckgemeinschaft, die ihre Ursprünge von dem im Sommer 411 auf Samos geschmiedeten Bündnis herleitete und ihre Rechtfertigung in der Entschlos-

senheit zum Kampf gegen den peloponnesischen Landesfeind fand. Dieses aus dem Widerstand gegen die Vierhundert geborene Bündnis hat bis zum Augenblick der militärischen Katastrophe und fast noch darüber hinaus Bestand gehabt: Es ist signifikant, daß nach der Schlacht von Aigospotamoi distinguierte Männer der Oberschicht wie der Nikiasbruder Eukrates, den sich die Oligarchen selbst als potentiellen Teilhaber ihrer Herrschaft vorstellen konn-

ten, '' ebenso entschieden gegen den Friedensschluß opponierten wie der Radikaldemokrat Kleophon.

Aber auch die Oligarchen zogen ihre Lehren aus den Geschehnissen von 411. Als sich ihnen 404 mit der Kapitulation Athens und der Rückführung der Verbannten eine zweite Chance zur Gewinnung der Macht in Athen eröffnete, legten sie, sobald sie sich in Form der ‘Dreißig’ als herrschende Gewalt im Staate etabliert hatten, die anfangs anscheinend noch beachteten Rücksichten

auf die gemäßigten Kräfte beiseite und bemühten sich um die Unterstützung der Spartaner, unter deren Schutz sie einen Plan zum Umbau der athenischen

Staatsordnung nach spartanisch-elitärem Muster ins Werk zu setzen gedachten. All dies mutet wie eine Neuauflage jener Politik an, die sich während der Endphase des Vierhunderter-Regimes abgezeichnet hatte. Auf der anderen Seite haben auch die Gegner der Dreißig unter der Führung des 411 in ähnlicher Rolle bewährten Thrasybulos ihre Hoffnungen in die Wirkung eines an die gemäßigten Kräfte im gegnerischen Lager gerichteten

Appells gesetzt!!? und nach dem Sieg danach gestrebt, die ‘Mitläufer’ des !? Die einzige Ausnahme bildet vielleicht die Umgestaltung der Schatzmeister-Kollegien, 5. Jed. o., S. 191-194. ΠΣ Lys. 18,4f., s. dazu ο., S. ο., S. 19. Xen. hell. 2,4,20-24.40-42 (zu letzterer Stelle s. Sordi, Trasibulo 106f.).

- 352 -

gestürzten Systems in den Staat zu integrieren. Auch hier wird man die Wirkung der unter der früheren Oligarchie gemachten Erfahrungen erkennen dürfen.

So haben die Erfahrungen von 411 in der athenischen Politik der Folgejahre prügend weitergewirkt und sind schließlich für die Politik sowohl der DreiBig als auch der gegen sie gerichteten Widerstandsbewegung gleichermaßen bestimmend geworden. Erst als mit dem Versöhnungsabkommen von 403 und der darauffolgenden Stabilisierungsphase der Teufelskreis von oligarchischer Aktion und demokratisch-gemäßigter Gegenaktion durchbrochen war, gelang es den diversen politischen Strömungen in Athen, sich von den alten Mustern zu lösen und auf

der Basis der ὁμόνοια in neuen politischen Gestaltungen zu formieren, die dann für die Geschichte der folgenden Jahrzehnte bestimmend werden sollten.

Die Erinnerung an die Oligarchie der Vierhundert aber wurde nunmehr im allgemeinen Bewußtsein von den spektakuläreren und gewaltsameren Erfah-

rungen der Dreißig überdeckt; es wird wohl nicht lange gedauert haben, bis sie aus dem Stadium lebendig-aktuellen BewuBtseins in den Bereich der

historischen Überlieferung hinübergeglitten war.

- 353 -

Abkürzungsverzeichnis (Vorbemerkung: die für antike Autoren und ihre Werke verwendeten Abkürzungen orien-

tieren sich, soweit sie nicht im folgenden aufgeführt sind, grundsätzlich an den im Abkürzungsverzeichnis des „Neuen Pauly"

verwendeten, Ausnahmen betreffen die Groß- bzw.

Kleinschreibung antiker Werktitel sowie die Bezeichnung von Reden durch Nummern statt durch Titelabkürzungen; man beachte insbesondere, daß die [pseudo-Jaristotelische Athe-

naion Politeia einfach mit ,,Ath. Pol.“ abgekürzt wird.)

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-371-

Index I: Stellenregister Aelius Aristides Panath. 264-265D.: 283 419, 287 A46.

Antiphon soph. VS 87 - fr. 44: 68.

Aischines - 3,191: 142 4143.

Aristophanes - av. 1074f.: 3 A13. - av. 1541: 191 455. - av. 1556-1564: 61 A278. - equ. 452: 66 A307. - equ. 852f.: 301. - Lys. aligem.: 59 (m. 4269) - Lys. 103: 18. - Lys. 387-609: 8-11. - Lys. 391: 4 421. - Lys. 397: 4 A21. - Lys. 421f.: 8 436, 11. - Lys. 467: 8 A36. - Lys. 485-534: 11 A49. - Lys. 489-492: 121 (m. 456). - Lys. 490f.: 59 (m. A269), 60 A270, 61 A279. - Lys. 497-501: 11 449. - Lys. 555-613: 11 449. - Lys. 599-607: 10 445. - Lys. 609: 8 A36. - Lys. 616-634: 3 A13. - Lys. 980-1013: 10 A445, 12. - Lys. 1011f.: 10, 12. - Lys. 1058-1060: 90 4405. - Lys. 1132f.: 121 (m. 456). - Lys. 1247-1261: 121 (m. 4.56). - Pax 395: 61 A271 - ran. 687-699: 321 A174. - Thesm. allgem.: 59 (m. A 269), 117, 123 156. - Thesm. 76-80: 117 A40. - Thesm. 331-371: 119-121 (m. 454), 123 A62. - Thesm. 335-351: 118. - Thesm. 352-371: 121 A55. - Thesm. 352-367: 118, 120. - Thesm. 356-366: 120, 123. - Thesm. 357: 119, 121.

Andokides

- 1,34f: 21 A98. - 1,36: 62 4282. - 1,37: 2 A12. - 1,51: 2 A12. - 1,58: 2 A412. - 1,75: 120 A50, 320 A168, 321 A174, 344 A85. - 1,77: 192 A62. - 1,78: 321 A174. - 1,82-87: 137 A128. - 1,84: 133 A109. - 1,94: 21 A105. - 1,96-98: 306 A112. - 1,96: 308, 309 A123. - 1,97: 120 A50. - 2,11-15: 123f. A65. - 2,13-16: 231 A81. [Andokides] 4 - 4,13: 256 A181. - 4,14: 66 A301. Androtion FGrHist 324 - F 43: 7 A33, 130f. (m. 498.99).

Lexikon ap. Bekker, Anect. gr L p. 298

- s. v. Πρόβουλοι: 7 434,

13 A55.

Antiphon (v. Rhamnous) - fr. 1-6 Blass: 315 4153. - fr. 1 Blass: 316 4153.

- fr. III 1 Gernet: 69 A325.326, 285 A27. 28, 297 A84, 315 A153. - fr. IV Gernet = fr. 66.67 Blass: 70 A328. - fr. B 1,3 Maidment: 316 4154.

-372-

[Aristophanes] - Thesm. 361f.: 118-120f. (m. 445.51). - Thesm. 363: 119 A49. - Thesm. 366: 118 443, 121. - Thesm. 367: 118 444, 121. - Thesm. 540-544: 123 A62. - Thesm. 804: 17 (m. A73). - Thesm. 805: 5 423. - Thesm. 808f.: 9, 117 A40. - Thesm. 943f.: 117 A40. -

Thesm.

11436:

121

A54,

122f. (m.

A58.62). - 'Thesm. 1145-1147: 122 A57. - vesp. 417: 3 A13. - vesp. 463-507: 3 A13. - vesp. 483: 66 A307. - vesp. 488-490: 3 A13. - vesp. 488: 66 4307. - vesp. 507: 66 4307. - vesp. 953: 3 A13. - vesp. 1256: 25 A132. - vesp. 1301f: 25f. (m. A133.134), 68 (m. A314). - fr. 84 K.-A.: 61 A277.279. - fr. 563 K.-A.: 319 A167. - fr. 564 K.-A.: 312 4136.

Aristoteles

- pol. -

1294b 12972 [298a 1298b 1299b 13032 1304b 1323a rhet. 1374b 1411a 14192

2-6: 280 A3, 290 A58. 24-30: 206 (m. A121). 11-13: 195 476. 26-38: 14f. (m. 459), 207. 30-37: 14f. (m. 459), 207. 8-10: 5 A27. 12-15: 109f. (m. A3), 230 A476. 6-9: 14f. (m. 459), 207. 36-1375a 1: 235 495. 13f.: 245 A142. 20-30: 14 (m. A61), 20 496.97, 21

A98.

- 14192 26-30: 146 A157, 316f. - 14192 27f.: 8 A36.

[Aristoteles] Athenaion Politeia - 4: 197 A84. - 11,2: 138 A730.

- 22,1: 138 (m. 4132). -

22,8: 212f. 49. 29,1-3: 94f., 98£, 104. 29,1: 109 42, 230 A476. 29,2-5: 95f. 29,ff.: 12.

- 29,2: 7 A33, 8 A35, 13, 96£, 101, A98, 131, 133, 137 A127, 181 A18,

130 249

A155. - 29,3: 115 435, 134f., 138f. (m. A132), 226 A60, 282. - 29,4-30,1: 94f. - 29,4: 13 454.56, 96£., 101, 104 (m. A445),

107 (m. A60), 134 A110, 142 A142, 143

A144, 144f. (m. A150). - 29,4f.: 13 A54, 97£, 99, 135 A116, 153, 160 4209.210, 177, 205.

142f.,

- 29,5: 1 A1, 95 (m. A2), 97 (m. A4), 98

A14, 104, 107 460.61, 115 A30.33, 116 A37, 141 4138, 147 A160, 148,

143-146 (m. A152.156), 149 A168, 152, 158, 161

A211, 196, 199, 216 A22, 237 A107, 249 A155, 290, 295 A74. 30-31: 97 A7, 100, 158, 176-210, 309.

- 30: 177, 180 (m A15)

184-189 (m.

434.36), 191-196 (m. A75.76), 309f. - 30,1-32,1: 180. - 30,1-31,3: 94. - 30,1-3: 95 A2.

- 30,1: 95, 104, 143 A147, 177 A1, 178-181 (m. A13.15.17), 199, 200 492, 201. - 30,2: 115 A30, 181, 191-193, 194 A72, 208 (m. 4129.13T), 237 A108, 249 A155, 310 A131. - 30,3-6: 195 477 - 30,3f.: 308 4120, 310. - 30,3: 181-182, 184f. (m. 427.33), 193195, 196 489, 198-201 (m. 493), 205 A112.

- 30,4: 187, 194 473. - 30,5: 186 A36, 189, 207, 208 A127, 236 A100.

- 30,6: 168, 194, 206f., 310 A130.

- 373 -

[Athenaion Politeia] - 31: 163 A218, 180f. (m. A 15.19), 183 A25, 201 495, 202. 31,1f.: 203. 31,1: 159 A206, 163 A218, 177 A2, 180 (m. A15), 183 A25, 202f. (m. 4102), 226 A60. - 31,2: 152 A177, 197, 202-204 (m. A109), 207 A124, 238, 239 A118, 249 A155. - 31,3: 181£, 183 424.26, 198-201 (m. 493), 205 A112. - 32,1: 94f, 100, 104f, 153 A180, 165 A222, 177 A3, 178, 180f. (m. A13). 199, 201. - 32,2: 170, 172 A249. - 32,3: 148 A163, 154 A183, 178 A7, 250 A163. - 33,1-34,1: 284. - 33,1f.: 302 499. - 33,1: 115 A430, 169 A241, 239 A119. - 33,2: 197f. A86, 302 A498. - 34,2f.: 129 494. - 34,3: 67 A308, 138 A129. - 36,1f: 147 A162. - 44,2: 7 A 34.

-

13,38-47: 287 A46. 13,38,1: 284 A24, 302 A100. 13,38.2: 284 A24. 13,38,24: 284 (m. A24). 13,47,8: 90 4406, 284 A24. 13,49-53: 287 A46. 13,49,1.3: 295 A80. 13,49,6: 224 A54. 13,68,2: 224 A56. 13,102,1-3: 18 (m. 480.82) 13,105,1: 39 A196. 14,3,3: 284 A24. 14,3,6: 284 A24.

Dionysios v. Halikarnassos - De Lys. 32 (p. 526): 295 A74. Eupolis Demoi alig.: 9 440. - fr. 99,1f. K.-A.: 61 A278. - fr. 99,37 K.-A.: 9 A40. - fr. 103 K.-A.: 4 A21. - fr. 113 K.-A.: 4 A21. - fr. 251 K.-A.: 126 (m. A479).

- 61,1f.: 721. Athenaios, Deipnosoph. - 9, 407ab: 4 A419.

Fragmentum Vaticanum De eligendis magistratibus, ed. Aly, p. 21f.: 238 4/09. Harpokration

Bekker, Anect. s. u. Anonymus

- s. v. Μηλόβιος: 132 A104. - 8. V. συγγραφεῖς: 7 A33, 131 A99, 132

Demosthenes - 23,66: 233 A87. - 24,154: 142 4143.

4103.

[Demosthenes] - 58,67: 274 A244, 276 A250, 287 A44. Diodorus Siculus

-

aligem.: 111 A11. 11,79,1: 1 A2. 11,80,1-6: 1 42. 12,75,4: 7 A33. 13,34,2: 110f. (m. 48) 13,36,2: 110f. (m. A8)

Hellenika v. Oxyrhynchos

- 16,2: 195 475.77. Hypereides - fr. 61 Kenyon: 132 4104. IGI - 78 Z SIf.: 191 455. - 80: 30 A154. - 84 Z 28: 191 455. - 96: 12 A52, 32 A162. - 96 Z. 3f.: 35 A173.175.

-374 -

[/G 17 - 97: 12 A52. - 98: 162 A216, 188-191, 235. - 98 Z. 1-8: 188. - 98 Z. 1f.: 188 443. - 98 Z. 4-7: 190, 237 A106. - 98 Z. 5: 188 A45. - 98 Z. 7: 237 A106. - 98 Z. 8f.: 190 (m. 453). - 98 Z. 11f.: 189f. - 98 Z. 15-26: 189. - 102: 265 A215, 266-268 (m. A219.229) - 102 Z 25-34: 266 A219. - 102 Z 34f.: 191 A56. - 102 Z 39-44: 266 A220. - 104: 137 A128. - 104 Z 5f.: 180 413, 181 A416. - 104 Z 9: 191 A56. - 105: 137 A128. - 110 Z 6: 222 A45. - 127 Z 391.: 191 A56. - 174 Z 4t.: 61 A276. - 373: 236, 239 A120. - 373 Z 15-17: 236 A103. - 375: 191 456.57, 309. - 377: 191 A56. - 472 Z 3.: 61 A276. - 472,10: 23 A115. - 1191 fr.h, Z. 270: 132 4104. - 475 Z 94: 192 A62. - 476 Z 671.: 192 462. - 476 Z 185f.: 192 A62. - 476 Z 282f.: 192 462. - 411,5: 192 462. IG IP - 1498 - 1498 - 1498 - 1582

2 2 Z Z

Sf.: 192 A62. 8f.: 192 462. 10-19: 192 462. 13: 18 483.

Isokrates - allg.: 64, 111, 293. - 4,157: 118 442. - 7,16: 138 A131.

-

7,26f.: 135 A116. 7,58: 110 47. 8,108: 110f. (m. 47) 16,5: 87 A394. 16,16-21: 283 A419.

- 16,20f.: 286f. (m. 441), 294.

- 16,42: 31 A157. Iustin

- 5,3,7-9: 287 A46. Lykurgos - 1,112-11$: 265f. (m. 4217), 287 (m. A43), 314 A143, 318 A163. - 1,112: 265 A215, 266 A221. Lysias - allgem: 293 (m. A470). - 7,5: 267 A227. - 10 allgem.: 21f. - 10,4: 22 A106. - 12,19: 132 A104. - 10,26f: 22 A106. - 10,27: 19 491. - 12,42: 223f (m. 451.52). - 12,43: 66 A307, 236 A100. - 12,65: 8 A36, 14 458, 127 (m. A85), 237f. (m. 4109). - 12,66f.: 7f. 434, 237 A105, 262 A202, 285 (m. A35), 299. - 12,67: 260f. A197, 316 A155. - 12,74f.: 129 494, 157 A193. - 12,76: 236 A100. - 12,78: 285 A36. - 13,13-42: 29 A151. - 13,13: 222 A46. - 13,7M.: 265-268 (m. A 214.216.231). - 13,72: 265 A216, 266 A220. - 13,73: 313 A137. - 18 allgem.: 19 (m. A91). - 18,2: 5 426. - 18,4f.: 19 488, 351 A111. - 18,6: 20 493. - 18,9: 55 A255. - 25 aligem.: 286.

- 375 -

[Lysias] - 25,25-27: 286 438. - 25,25f.: 321 A173. - 25,27: 110 A7. - 25,9: 24 A122, 62 A281. - 30,2-4: 137 4128. - 30,2: 180 413, 181 416. - 30,7: 321 A174. - 30,14: 29 A151, 222 A46. - 34 allgem.: 114 429, 286, 300. - 34,2f.: 286 A39, 300 493. fr. 1 6ii Gernet-Bizos: 235 494, 313 A139. [Lysias]

- 6,27: 231 A81. - 20 allgem.: 101f. (m. A 37), 106, 114, 153, 157, 163, 291, 298f. - 20,1f.: 102 440, 104, 114 425, 133, 159161 (m. A206), 163, 167 (m. A231), 202 A102, 321 A172. - 20,2: 150 A172. - 20,7f.: 321 A172. - 20,8f.: 167 A232, 234 A92. - 20,8: 110 45, 113 (m. A24), 167f., 234 (m. A92). - 20,10: 321 A172. - 20,11f.: 24 (m. 4120.121), 25 A127, 47 A226, 73, 285 (m. A32). - 20,11: 314 A148. - 20,12: 72f. (m. A337), 150 A172. - 20,13f.: 160 A209. - 20,13: 102 438.41, 104 (m. A45), 114 A25, 145 (m. A153), 148-151, 152 A177, 179 (m. A410), 207 A125, 289 A56. - 20,14f.: 314 4149. - 20,14: 102 A41, 104, 110 A5, 167 (m. A232.234), 1715 (m. A246.250), 285 (m. A32). - 20,16: 104, 110f. (m. A44), 114 A25, 145 (m. 4153.156), 321 A172. - 20,17: 171 (m. A247), 298f. (m. A89). - 20,18: 299 491. - 20,20: 298 A90. - 2021: 313 4138. - 20,22: 285 (m. 4.32), 297 (m. A86).

Nepos - vir. ill. 7,5,4f.: 287 A46. - vir. ill. 8,1,3f.: 228 A71 Pausanias

- 1,23,3f.: 222 A45. - 1,29,12: 19 490. - 9,32,9: 39 (m. A197). Philochoros FGrHist 328 - F 30: 2128. A9. - F 136: 7 A33, 130f (m. 498.99). Platon (d. Komödiendichter) fr. 110 K-A.: 61 A278. Platon

- apol. 32cd: 21 4105. - Kleit. 406a: 139 4436.

- Lach. 179e: 249 A156. - Men. 94cd: 249 A156.

- rep. 340a: 139 A136. Plutarch

Alk. 3,2: 70 A328. - 19,3: 25 A129. - 22,4: 25 A129. » 25,6-13: 50 A235. - 26,14: 266 A218. Kim. 17,5: 1 A3. Lys. 9,6: 39 A196.

- 11,10: 39 4197. - 30,1-3: 4 A19. Per. 10,1-3: 1 A3.

- De glor. Ath. = mor. 345ce: 287 A46.

[Plutarch] vit. dec. or = mor. 833de: 186, 310 A130.

- 833e: 236 A101, 308 A118. - 833ef: 23 4112, 69 A326, 245 A138, 315 A151. - 834ab: 316 A156. - 834b: 314 A143, 315 4150, 318 A162. - 834f: 231 A81.

- 376 -

Polyainos - 3,6: 50 A235.

Polyzelos - fr. 3 K.-A.: 319 4167.

-

5,58,1: 56 4259. 6,15,3f.: 256 A180. 6,18,6: 43 A214. 6,27,3: 3 A13, 66 A305. 6,28,2: 3 A13, 256 A 181.

- 6,43: 38 A193.

Scholien Aristoph. Lys. 313: 314 A144. Aristoph. Lys. 421: 7 433. Aristoph. Lys. 1014: 10 445. SEG - XXI 131 Z 12f.1Sf.: 17 A75. - XXVIII 46 Z 18: 193 A69. Strabon

- 9,1,20: 287 A46. Suda

- &. v. Πεισάνδρου δειλότερος: 61 4278. «δι v. πρόβυλοι: 7 A33. - &. v. πρόεδρος: 162 4216. Theopomp. FGrHist 115

- F 96b: 212 A8. - F 96a: 214 (m. 413.14) Thrasymachos VS 85

- 6,47; 83 A383. - 6,53,3: 3 413.

-

6,60,1: 3 413, 66 A305. 6,62,2: 83 A383. 6,89,4: 43 A215. 6,104,2: 83 A383. 6,105,2: 248 A153. 7,27,3-7,28,2: 5 A27. 7,28,2: 196 A78. 7,36,1: 83 A383. 8,1,1: 4 419.20, 5 A25. 8,1,3: 4 A420, 8 A35,

-

8,15,1: 29 A146, 8,16,1-17,3: 29 8,17,3: 30 4156, 8,19,2: 17 A76, 8,20,2: 17 A76.

A155, 323 A3. - 8,1,4: 6 A32, 15 A66. - 89,2: 31 4158. - 8,10,1f.: 29 A156. - 8,13: 29 A147.

10,

15 A64,

249

30 A156, 36 A178. A148. 36 A178. 30 A156, 36 A178.

(m. 4133.134), 226 A60, 227 A64.

- 8,21: 32 4162, 33 A167, 35 A177. - 823,1: 17 A76, 21 A102, 36 A178, 37

Thukydides - 1,107,4: 3 A13. - 2,4,2: 173 A255. - 2,65,2: 41 A203. - 2,65,12: 6 A31. - 2,93,3: 56 A259. - 3,25,1: 162 A216. - 3,68,1: 58 4265. - 3,82-83: 113 A421. - 3,82,4-6: 113 A21. - 5,19,2: 21 A104, 30 A153, 132f. A106. - 524,1: 21 A104, 31 A153, 132f. A106. - 5,38,2: 195 475. - 5,43,2: 61 A277.

A182. - 8,24,2: 17 A76, 38 A189. - 8,25,1: 22 A109, 28 A142, 36 A178.179, 37 A187. - 8,27-28: 72 A333.334. - 8,27,1-5: 28 A141, 48 A232. - 8,27,1: 48 A231. - 8,27,6: 28 A141, 37 A187, 80 A370, 246 A145. - 8,30: 21. - 8,30,1f.: 20 494, 37 A182. - 8,30,1: 17 A71, 29 A148, 36 A178, 37 A182, 38 A192. - 8,30,2: 22 4110, 38 A191. - 8,41,3-42,4: 17 A72.

B 1: 115 435, 135 (m. 4114.115), 138-140

- 377 -

[Thukydides) - 8,43,2-4: 78 A360. - 8,46,1-3: 80 (m. A371). - 8,46,1: 84 A386. - 8,46,2: 81.

- 8,46,3(.: 81 A372, 84 A387. - 8,46,3: 76 A349, 81 A372. - 8,46,4: 80, 228 A72. - 8,47,1-49,2: 40 A201. - 8,47,2f.: 40 A199. - 8,47,2: 38, 41 A204, 42-44. - 8,48,1: 40 A202, 41 4204, 45 A220, 49. - 8,48,2: 230 476, 241 A122. - 8,48,3: 46, 218 425, 259 A195. - 8,48,4-7: 27 A139, 44£ , 48, 88 A398, 212 A7, 248 A150. - 8,48,4: 44 A216, 47 A227, 253 A171. - 8,48,6: 47 A225, 53 A248. - 8,48,7: 47 A227, 48. - 8,50-51: 50 (m. A235), 51 4238, 60 A271. - 8,50,1: 27 A139, 53 A246. - 8,50,2: 51 A239. - 8,50,4: 56 A258. - 8,50,5: 49 A234, 54, A250. - 8,51,1: 48 A231, 54 A251, 57 A261.263. - 8,51,3: 54 A250, 58 A264. - 8,53-54: 58f. (m A269), 63, 99, 103 443. - 8,53,1-54,1: 327 A14, 344 A82. - 8,53,1-3: 241 A122. - 8,53,1: 67 A310, 116 A36, 141 A140, 230 A76. - 8,33,2: 46 A224. - 8,53,3: 38 A192, 65 A296, 216 A22, 257 4188. - 8,54,1: 63 A290. - 8,54,2: 74.

- 8,54,3: 28 A143, 60 A271, 64, 72 A332.334, 221 A35. - 8,54,4: 65f. 4298-301, 67, 113 A22, 253 A171. - 8,56: 85 A388. - 8,56,1: 75 A348. - 8,56,2-4: 75f. - 8,56,21.: 79 A365. - 8,56,2: 76, 89 A370.

- 8,56,3: 76f. A352.356, 85 A388. - 8,56,4: 78 A357, 81-84 (m. 4374.385), 229 A74. - 8,56,5: 85 4389. - 8,57,1: 75 4348, 76 A350, 79 A367, 80 A369. 370. - 8,57,2-59,7: 90 A402. - 8,61,1-63,2: 100 427. - 8,62,2-63,2: 29 A149, 223 A47. - 8,63,3-64,1: 88 4396. - 8,63,3f.: 89 4400, 124 A67. - 8,63,3: 33 A166.169, 35 A175, 89f. (m. A400), 100 A27, 124 A68, 212 A6. - 8,63,4: 87 4393.395, 89 (m. A400), 125 A71.74, 223 A52, 229 A75, 241 A123, 256 A183. - 8,63,5: 41 4204.205. - 8,64,1: 74 A347, 212 A7, 86 A391, 90 A403. - 8,64,2-5: 89 4399. - 8,64,2: 31 A157, 222 A43. - 8,64,3: 63 A288, 222 A43. - 8,64,5: 15 465, 63 A288. - 8,65,1-66,1: 112. - 865,1: 212 A7. - 8,65,2-66,5: 109 A1, 112, 141 A139, 238 A116, 253 A171. - 8,652: 5 A24, 41 A203, 113 A22, 114 A27, 213 A10, 214 A16, 253 A171. - 8,65,3-66,1: 112 414, 113 A21. - 8,65,3: 1 Al, 93, 98 (m. A14), 107 A60, 112 A14, 115 430.33, 147 A160, 207 A123, 209 (m. 4133), 290, 301 (m. A96). - 8,66,1: 103 A44. - 8,66,2: 123 A462. - 866,3: 112 A18. - 8,66,5: 26 A135. - 8,67: 95f., 106. - 8,67,1: 8 435, 93f., 96-98, 100f., 104, 130 497, 131 (m. 499.102), 132 A103, 134 A111, 140 4137, 162. - 8,67,2f.: 61 A275, 93£, 97, 104, 143, 153 A181, 160 A209.

- 378 -

[7hukydides] - 8,67.2: 13 A454, 96£ (m. A4), 101, 104, 142 A142, 144, 154-156 (m. 4189.192), 157 A195, 158 A198. - 8,67,3: 97, 115 A30, 143 (m. A145), 150f., 158 A203, 159 A206, 162 (m. A216), 173 A255, 189f, 197 (m. 486), 200, 201 A95, 202f. 237 A107, 239 A118. - 8,68,1-4: 237 A104. - 8,68,2: 285 A30, 315 A152. - 8,68,1: 58 A265, 68 A320, 69 A321.322.327. - 8,68,3: 46 A224, 124 A68. - 8,68,4: 113 A419, 127 A83, 343 A79. - 8,69,1-70,1: 94, 104 447, 159 A204, 242 A126. - 8,69,1f.: 112 A16, 163 A219, 166 (m. A224). - 8,69,1: 93, 104, 157 A196, 160 A207, 169 A240, 196 A78. - 8,69,2-8,70,1: 105 451, 165 A221. - 8,69,2: 166 4224.226. - 8,69,3: 90 A405. - 8,70,1f.: 232f., 242 A126, 346 A92. - 8,70,1: 235 496, 236f. A103. - 8,70,2-71,3: 242 A124, 245. - 8,70,2: 91 A411, 113 A23, 125 A69, 128 490, 169 A238, 170 A243.245, 234 A89, 235 A94, 244 A137, 297 A85. - 8,70,3: 245 A138. - 8,71,1f.: 129 A92. - 8,71,3: 244f. (m. 4135.137), 247 A148. - 8,72,1f.: 242 A126, 252 A167, 301 496. - 8,72,1: 112 416, 116 A39, 174£., 185 A31, 196 A81, 279 Al, 346 94. - 8,72,2: 174 A256. - 8,73,1-74,1: 211f. (m. 45), 242 A126. - 8,73,1-3: 211 (m. 42). - 8,73,1: 175 A263. - 8,73,2: 90 A404. - 8,73,3: 221 A38. - 8,73,4f.: 220 (m. A32). - 8,73,4: 22 A106, 33 A167, 34 A172, 73 A343, 211 A3, 215 A17.19, 219 A29, 221 A34, 225 A58.

- 8,73,5: 245 A142. - 8,73,6: 34 A171, 212 A4. - 8,74,1-3: 224 A54. - 8,74,1: 220 A31. - 8,74,3-75,3: 215 A18, 217 A24. - 8,75,1: 219 A27, 257 A187. - 8,75,2-77: 247 (m. A147). - 8,75,2: 225 A58. - 8,76,2: 225 A58, 221 A37. - 8,76,3: 39 A198, 224 A53. - 8,76,5f.: 230 A78. - 8,76,6: 225f., 227 A65, 228. - 8,76,7: 226 A61, 228 A69. - 8,77,7: 231 479. - 8,78: 243 A131. - 8,792: 37 A183. - 8,79,3: 57 A261.263. - 8,79,5: 29 A150. - 8,81,1-82,3: 243 A131, 251 A165. 166, 252 A170. - 8,81,1: 41 A206, 42, 225 A59, 228 A70, 254 A175. - 8,81,2: 253 (m. A171). - 8,81,3: 229 A73. - 8,82,1f.: 255 A176. - 8,82,1: 1306 498, 251 A165. - 8,82,2: 251 4166, 255 A177. - 8,85,4: 243 A131. - 8,86,1-8: 251 A166. - 8,86,1-7: 252 A170. - 8,86,1-4: 347 A97. - 8,86,2: 257 A189. - 8,86,3: 112 A16, 175, 184£, 242 A129, 243, 252 A168, 301 496, 310 4132. - 8,86,4-7: 255 A177. - 8,86,4: 257 A4. - 8,86,4f.: 251f. 4166. - 8,86,4: 251{ A166, 252 A169, 258 A192. - 8,86,5: 257. - 8,86,6f.: 260 4196, 277 A256. - 8,86,6: 258 (m. A190.193), 296 A82, 303 A104, 307 (m. A114). - 8,86,7: 259 A194. - 8,86,8f.: 247 A146. - 8,86,8: 246f. A145.

- 379 -

[Thukydides] - 8,86,9: 244, 245 A140, 247 (m. A148), 248 A151. - 8,89,1-3: 258 A190, 260 4198. - 8,89,1: 113 420, 260 A196, 261 A201. - 8,89,2-4: 281 A7. - 8,89,2: 31 A158, 148 A163, 154 A183, 178 A7, 261 A2, 277€. A258, 349 A105. - 8,89,3f.: 262 4205. - 8,89,3: 249 A161, 262 A202. - 8,89,4: 262 A204, 281 47. - 8,90,1-91,1: 261 A200. - 8,90,1f.: 70 4329, 281 A7. - 8,90,1: 69 A327, 242 A125, 243-245, 247 (m. A147), 249 A157. - 8,90,3: 249 4159, 263 A210, 270 A238. - 8,91,1: 275 4248, 349 A105. - 8,91,3: 71 4330, 240 A121, 250 A163, 272, 281 A7, 348 A99. 100. - 8,92-96: 291. - 8,92,1: 113 A20, 272f. - 8,9242: 233 485.87, 265 A213, 266 A221, 268f (m. A229.234), 269 A236.237, 274 A243. - 8,92,3-97,3: 271. - 8,92,3-10: 349 4105. - 8,92,3f.: 274 A243. - 892,3: 273 A241. - 8,92,4: 31 A158, 238 A111, 274 A244. - 8,92,5: 268 4233, 269 A235. - 8,92,6-8: 320 A168, 344 A85. - 8,92,6: 274 A245. - 8,92,7: 294. - 8,92,9: 274 A246. - 8,92,10: 274 A247, 278 A259, 281. - 892,11: 112 A16, 148 A163, 152 4178, 154 A183, 173 A254, 178 47.8, 207 A123, 262 A203, 276 A253, 277. A254.258. - 8,93,1: 288 A51. - 8,93,2: 148 A163, 149 A166, 154 A183, 178 A7, 184f. (m. 428.33), 277f. A258, 310 A132, 346 A96. - 8,93,3f.: 288. - 8,93,3: 288 A51, 294. - 8,94,1: 83 4383, 289 452, 349 A105.

- 894,2: 272. - 8,94,3-96,5: 281 49. - 8,95,2: 238 4110. - 8,97,1f.: 279-281 (m. 49), 288f., 294, 349. - 897,1: 114 A28, 115 430.34, 145 A155, 147 A160, 152 A174, 185 A33, 194 A72, 237 A108, 279 A1, 281 A9, 289, 301-304 (m. 495.106), 306, 310f. (m. 4133), 317 A161. - 8,97,2: 43 A214, 179 A12, 180 413, 206 A119, 236 A103, 262 A204, 281£., 290, 295, 304 A107. - 8,97,3: 283 A16, 307 A115. - 8,98: 55 4255. - 8,98,1-4: 312 4136. - 8,98,1: 238 4112, 317 161. - 8,98,4: 283, 291. - 8,101,3: 83 A353. - 8,106.5: 283. - 8,1082: 106 A456. Xenophon - hell. aligem.: 287. - bell. 1,1,1-34: 283 A19. - hell. 1,1,1: 295 A480. - hell. 1,1,8: 225 457, 283 A20. - hell. 1,1,12: 295 480. - hell. 1,1,22: 224 A455. - hell. 1,1,33f.: 225 A57, 283 A20. - hell. 1,2,1: 283 A420. - hell. 1,3,3: 23 4114.115. - hell. 1,4,11f.: 254 A174. - hell. 1,4,18-21: 254 A174. - heil. 1,5,16: 221 A36. - hell. 1,7,16f.: 18 482, 221 A436. - hell. 1,7,28: 314 A145. - hell. 2,1,20: 39 4796. - hell. 2,3,2: 111 49, 132 A104. - hell. 2,3,18-20: 147 A162. - heil, 2,3,19: 262 A206. - hell. 2,3,23-49: 111 49. - hell. 2,3,25: 129 494, 347 A98. - hell. 2,3,28: 129 494, 347 A98. - hell. 2,3,30f.: 262 4202.

- 380 -

[Xenophon] - hell. 2,3,30: 126 (m. A480), 127 A82.84, 276 A252, 287 A45. - hell. 2,3,32: 235 (m. 493), 276 A252, 287 A45. - heil. 2,3,35-49: 22 A108. - hell. 2,3,39: 20 493, 21 A105, 22 (m. A108), 129 A94. - heil 2,3,45: 110f. (m. A6), 128f. (m. A90.94). - hell. 2,3,46: 238 4113.114, 270 A238. - heil. 2,3,48: 114 A29, 280 (m. A3). - heil. 2,4,20-24: 351 A112. - hell. 2,4,40-42: 351 A112. - mem. 1,2,12: 46 A224. - mem. 4,4,3: 21 A105.

- symp. 2,14: 61 4278. [Xenophon] Ath. Pol: 1 - 1,4-9: 1f. (m. A8), 147f. A162. - 1,14-18: 47 A228. - 2,14: 5 A27.

- 2,14f.: 1f (m. 49) - 2,17: 5 A26.

-

2,19f.: If. (m. A8). 2,20: 3 (m. A16) 3,10f.: 1f (m. 48), 47 A228. 3,13: 1f. (m. A410).

- 381 -

Index II: Orts-, Personen- und Sachregister (Vorbemerkung: das Vorkommen eines Begriffes in den Fußnoten ist nur dann angezeigt, wenn dieser auf derselben Seite nicht auch im Haupttext vorkommt.)

Abydos (Schlacht bei): 283.

Ägäis: 81 A374, 82-87, 90 A407, 213 A9, 229, 325, 328f. Ägina: 270, 273, 338. Agesandridas (spart. Nauarch): 272f. Agis (Spartanerkónig): 129, 241-244, 247, 250, 334, 336. - seine Unternehmung gegen Athen im Sommer 411: 242f.

Agitation (der Umstürzler 411): s. 2 Propagandakampagne, Terrordes

auf Samos und Wahl zum Strategen: 225f.,

230, 243 A131, 251-257, 335f. - Verhältnis zu den Demokraten

auf

Samos: 228-230, 253f., 303.

kampagne Agora (als Schauplatz Attentats): 265-267.

- Verhältnis zu Skironides: 28 A144. - Verhältnis zu Thrasybulos v. Steiria: 41f., 225, 228, 230, 254f.,335. - Verhältnis zu Antiphon: 70, 125. - Verhältnis zu den Oligarchen bzw. den Vierhundert: 42-44, 70f., 77, 124, 230, 232, 235, 253, 256. - Rückberufung durch die ath. Demokraten

Phrynichos-

- Treffen mit Tissaphernes im Sommer 411: 243 A131, 251, 255, 336. - seine Erklárung gegenüber den Gesand-

Aigospotamoi: 19, 29, 39, 321, 351.

ten der Vierhundert: 252, 257-261, 264, 271, 296, 303, 307, 337. - nach 411: 17, 221 A36, 286.

Akropolis (v. Athen): 9f., 188.

Amnestie (v. 403 in Athen): 227f.

Alexikles (Stratege 411): 238, 270, 274 A245, 314, 316.

Amorges (karischer Dynast): 60 4271, 72.

Aigeis (att. Phyle):

Alkibiades: 286.

24,

8 434.

47 4225.226,

73,

109,

- vor 412/11: If., 4, 6, 24f., 61 A277, 62, 66 A301. - im Winter 412/11: 6, 27, 40-44, 46, 49, 325f. - und die Intrigen des Phrynichos 412: 24, 50-58, 326f.

- und die Verhandlungen der Athener mit Tissaphernes: 75-87, 93, 229, 327f.

- seine Rückberufung als Thema der pol. Debatte 412/11: 26f., 49, 58, 70f., 73f., 88, 109, 114, 122-124, 126, 129, 219, 227f., 253, 264, 279, 284 A24, 327-330, 335f.

- Verhältnis zu den ‘Gemäßigten’: 43, 126, 129, 253, 256. - Verhältnis zu Phrynichos: 25-27.

anagrapheis

- im ath. Staatsrecht allgem.: 180f. - im Jahre 411

kt. Ath.

Pol.

30,1:

94f,

153f., 177-181, 198-201, 205, 206 A120.

Anaia: 35.

Anakeion (in Athen): 271. Andokides (der Redner): A65, 231-233, 235.

21 498,

123f.

Androkles (ermordet 411): 4, 5 A24, 109, 114 A27, 213 A10. Andron (Antragsteller 411): 186, 315. Andros: 90.

Antiphon (der Redner) - vor 411: 68.

- als Führer der Umsturzbewegung 411: 67-70, 125.

von

- 382 -

Besoldung (d. Ämter und Gerichtshófe)

(Antiphon) - während der Herrschaft der Vierhundest: 237, 249, 260 A196, 261, 263f.

- als Teilnehmer der Spartagesandtschaft 411: 23, 69 A326, 338. - sein Prozeß: 23, 69, 186f., 236, 284f., 291, 296-300, 308, 310, 315-321, 342.

Antiphon (der Sophist): 23, 68. Antiphon 1301): 68.

(genannt

in

Debatte in Athen: 93, 96f., 109, 115, 144 A152, 145f., 158, 233, 237, 288, 331, 340. Betrug - des Alkibiades an den Verschwórern: 76, 85f.

- der Oligarchen am Demos: 263, 283.

Aristoph.

vesp.

Böotien, Böoter: 195, 312.

‘Brunnen

Anwesenheitspflicht (d. Buleuten in der Zukunfisverfassung Ath. Pol. 30,6): 194, 205f , 209, 310.

Apocheirotonie (d. Phrynichos und Skiro-

nides 411): 72-74.

Apollodoros

v. Megara

(d.

Phrynichos-

Attentäter): 265-268, 313. Archeptolemos (Mitangeklagter des Antiphon): 23, 342.

Archon,

- ihre Aufhebung als Thema d. polit

186, 285, 299f., 315-318, 320,

Archonten

(allgem.):

12 452,

in

dem

Weiden'

(Ort

des

Phrynichos-Attentats?): 265f.

Bule a) vom Areopag: 135 4115, 233. b) der Fünfhundert in der Demokratie bis 411: 8f., 12f., 109, 133. - deren Auflösung 411: 94, 97f., 104f., 112 A15, 157, 163-170, 177, 204, 333. - in Anstophanes' Thesmophoriazusen: 117 A40. - ihre Wiederherstellung von Alkibiades gefordert: 252, 277 A258, 307.

96, 97 A4, 239.

c) der 'Vierhundert' von 411: 164, 173.

Arginusen (Schlacht bei den): 193, 221.

- Beschluß zu ihrer Einsetzung: 93f., 96-

Arginusenprozeß: 18.

98, 104f., 143, 153£., 157-159, 164, 201f., 206, 298 A90, 332f., 345.

Argos, Argiver: 37 4187, 80 A370, 245247, 265, 268f , 336.

Aristarchos (Stratege 411): 238, 249, 270, 312, 314, 319. Aristokrates Skelliou (Stratege 413/12): 31, 129, 198 486, 260, 262, 269, 270, 274276, 337-339, 348f. Aristophon

(Gesandter

der

Vierhundert

nach Lakedaimon): 245, 247-249.

Aristoteles (Stratege 411): 238. Asien s. 2 Kleinasien

Aspendos: 229 473, 255 A176. Asteas v. Alea: 30.

Astyochos (spart. Nauarch): 49 A234, 5058, 326f. Attika: 5, 38 A190, 82f., 189, 243, 250.

102f., 110,

- Modus ihrer Bestellung: 150f., 158-165, 172, 202. - ihr Amtsantritt: 94, 97f., 104f., 108, 159, 164-172, 177, 201, 204, 247, 333f., 345. - ihre Funktionen nach der Machtübernahme: 231-240. - ihre Auflósung von Alkibiades gefordert: 252, 251-259. - im Kompromißvorschlag der oligarchischen Emissäre in Thuk. 8,93,2: 184, 271, 277f. A258. - Beschluß zu ihrer Absetzung: 279, 310f., 340. d) die nach dem Sturz der Vierhundert amtierende Bule: 186f., 280, 288, 292, 301, 307-312, 315, 340f.

e) die Bule von 4109: 308f. - in der ‘Gegenwartsverfassung’ von Ath. Pol. 31: 152 A178, 183 A26, 202-204.

- 383 -

f) die 'Viertelsbulen' der 'Zukunftsverfassung’ von Ath. Pol. 30: 181f., 184f., 193f., 198f., 208 A131, 209, 308 A120, 310f., 332. g) die ‘Viertelsbulen’ in den bóotischen Poleis: 195.

- in den ath. Truppen auf Samos: 23, 34 A172, 39 A198, 427, 87, 175, 211-213, 215 A36, 221, 225-227, 229f., 253-256, 258, 261, 263.

Buleuterion (v. Athen): 93f., 96, 165-167, 169-172, 204, 242 A126, 265-267.

- Verhültnis zu Alkibiades: 46, 253-256.

Bundesgenossen (del.-att. Seebund): A187, 441. 47f., 88f., 212, 325£., 350.

37

s. auch > Seebund, Seereich

- in der Polis der Samier: 32-34, 175, 211,

215 A19. - in der Opposition gegen die Vierhundert?: 113 A20, 263-265, 269, 280f., 288f., 294. - beim Attentat auf Phrynichos?: 268f. - beim Sturz der Vierhundert und in der

Bußgelder s. > Geldbußen

unmittelbaren

Chaireas (Führer der Demokraten in der

305, 312. - nach 411: 168, 351.

ath. Flotte 411): 212, 217f., 220f., 224, 227, 234, 243 A133, 245f., 252, 334f.

Folgezeit:

276-278,

280f,

Chalkedon: 139 A1, 34.

Demokratie (als politisches Prinzip bzw. Verfassungsordnung): - zur Zeit des Kleisthenes bzw. im frühen

Charikles (Stratege 414/13): 31.

5. Jh: 134-136, 140f., 330.

Charminos (Stratege 412/11): 16f., 20, 30, 211, 214 A13, 222, 324.

Chios, Chier: 20, 22, 29, 37f., 75 A348, 79, 81 A374.

Chronologie

- der Umsturzereignisse von 411: 59-61, 75 A 348, 89-109. - der von Vierhundert entsandten Missionen nach Samos und Sparta: 241-250.

- bis 411: 3, 13, 15, 18f., 22f., 62, 120, 169, 174, 188, 194, 196, 208, 237. - ihre Herausforderung durch die Umsturzbewegung und ihr Fall 412/11: 33, 40-44, 46, 48, 58, 60, 63-65, 71, 86, 94, 111, 113 420, 116, 122, 125, 128, 133, 135, 146, 152, 168, 175 A260, 182, 219, 230, 232f , 328.

- von den Truppen auf Samos verteidigt: 211f,

216-231, 244, 246, 251-259.

Chrysopolis: 224.

- Forderung nach ihrer Wiederherstellung

‘Defätismus’: 88, 256, 347f. s. auch > Lakonismos

Sturz der Vierhundert?: 280-293, 299-302.

unter den Vierhundert?: 261, 263f, 277.

Dekeleia: 154, 196, 315, 334, 336, 342.

241-244,

- wührend der Übergangszeit nach dem 247,

312-

Demen, Demoten ge): 150f., 331.

269, 284£ , 292f., 298f., 306, 342, 351. - außerhalb Athens: 90f., 222.

Delos: 175, 242f., 334, 336. Demagogen, Demagogentum: 18, 25, 27, 125, 214, 254, 323.

- ihre vollständige Wiederherstellung 410:

3 A14,

5,

(im athen. Staatsgefü-

Demokraten (als politische Strömung) - in Athen: 6, 19, 46, 66, 116, 138, 140, 146, 156f., 227, 245.

Demonikos Alopekethen (Grammateus d. Bule im Herbst 411): 186, 308 4118. Demophantos - sein Dekret von 410: 120 A450, 122 A61, 292, 306 A112, 308f. Demos - von Athen 4f., 16, 27, 59, 64f., 73, 86, 101£., 110f., 113, 116, 121, 126-129, 135, 144, 147, 152-157, 160, 163f., 169f., 216,

- 384 -

[Demos] 232f., 240, 256, 261, 266, 276, 300, 306, 310-313, 318f., 323, 327, 340f., 345, 348. - von Samos: 32f., 215 A19.

- der Frauen in Aristophanes’ Thesmophoriazusen: 118f., 121f. - nach dem Sturz der Vierhundert: 186, 285-287, 297, 304f. Demosthenes (Stratege 427/26 u. à): 31 A160. Demostratos: 4.

Derkylidas: 100 A 27.

Dieitrephes (Stratege 414/13

u. ö.): 31,

222.

Dieitrephes A45.

(Antragsteller

408/7)

222

Diomedon (Stratege 412/11 u. ö.): 16-18, 21f., 30, 33 A167, 37 A182, 38, 42 A209, 59, 72-74, 211, 215, 219-221, 223, 324, 334. Dionysostheater

- bei Munychia: 271, 339.

Diotimos (Stratege 433/32): 29. Drakon (Gesetzgeber): 137 4127. (polit. Gruppe auf Samos

412-411): 33f., 91, 211} s. auch > dynatoi

(Körperschaft von 404/3): für

- der Demokratie vor 411: 5, 8, 12f., 174,

290, 341. - in den Jahren 412/11: 58-60, 63-65, 74, 93-104, 105, 109, 142, 145f.,153-158, 197, 327f. - der Frauen in Aristophanes! Thesmophoriazusen: 117-119. - auf dem Kolonos s. > Kolonos Hippios - der athenischen Truppen auf Samos: 217, - nach dem Sturz der Dreißig s. > Versammlung - bei der Einsetzung der ‘Dreißig’: 157 A193. Eifmänner 142.

(ath

Amtsbezeichnung):

96,

Epicheirotonie (über Phrynichos und Slaronides 412/117): 72-74, 221 A35.

Epistates (der Bule nach dem Sturz der Vierhundert): 186, 308.

Eratosthenes (Mitglied d. DreiBig): A27, 223f.

219

Eretria: 1711. 271.

339. Eubule (allegor. Figur Thesmophoriazusen): 9.

91, 211f., 329. 40, 219.

Ekklesie:

Eubéóa: 7, 189f., 217, 246, 270f., 279, 294,

- in der Polis der Samier 412: 32, 34f., 88- im Athenerheer auf Samos 412/11:

eisiteteria (beim Antritt der Vierhundert): 165, 169-173.

Epidauros: 270-272.

‘Dreißig’? (Regierungsgremium von 404/3): 21-23, 29, 111 A9, 128, 132, 147 A162, 157 A193, 223, 227, 233f., 240, 286, 300, 343, 349, 3517.

dynatoi bzw. dynatotatoi (als Bez. polit./militär. Führungsschicht) - allgem. : 40f.

Eisangelie (ath. Rechtsinstitut): 96.

Epibaten (in der ath. Flotte): 38 4193. epibolai (als Zwangsmittel beim Amtsantritt der Vierhundert): 167f.

- in der Stadt: 271, 288, 294, 339.

‘Dreitausend’ 147 A162.

Eintracht s. 2 homonoia

221-223, 225-228, 251f., 255.

Diodoros (Stratege 408/7): 224.

*Dreihundert!

Eetioneia (Ort im Pıräus): 261, 63 A210, 270-215, 277, 281, 287, 320, 338f., 348f.

38,

in Aristophanes'

Eukrates (Stratege 412/11 30f., 223, 351.

u. ö.): 18-20,

Euktemon (Stratege 412/11): 16 A69, 2022, 29, 36 A178, 222, 235.

- 385 -

Euktemon (der Hermokopide): 21 498. Euktemon (Opfer von Gewaltakten): 20f., 235. Eumachos (ath. Befehlahaber 410): 224. Eumolpiden (ath. Priestergeschlecht): 58. Eurymedon

(Stratege

427/26

u.ö.):

31

A160. eutaktein (als polit. Schlagwort): 15f. Exilierte - Samier in Anaia vor 412: 35 A174. - Samier nach der Stasis von 412: 34. - samische 'Hauptrádelsführer' des Putschversuches 411: 34, 212. - der athenischen Demokratie bis 411: 235. - unter den Vierhundert: 233-235.

- Oligarchen nach dem Sturz der Vierhundert: 312f., 316, 319, 342, 351. - Athener nach 411: 55 4255.

Finanzkrise, 193.

Finanznot (von 413ff.):

7,

Finanzwesen, Finanzverwaltung: 8, 10f.,

96, 144 A152, 252, 259.

191-194, 230 A103, 239,

Flüchtlinge s. > Exilierte Friede; Friedensschluß (als Thema in der polit. Debatte in Athen bzw. den Verschwörerkreisen 412/11): 49, 67, 70, 110,

126, 128, 145, 248-250, 263, 330, 350. - Friedensinitiativen der ath. Oligarchen s. > ‘Vierhundert’: Fünfmännerkollegien: 236.

- ım Antrag des Peisandros bei Thuk. 8,67,3. s. > Proedroi - in der 'Zukunfsverfassung' von Ath. Pol. 30,5: 189, 207, 236 A100. - beim Verfassungsumsturz von 404: 236 A100. *Fünftausend' - als polit. Konzept bzw. Schlagwort 411: 93, 102f., 104, 107 A61, 109£, 112, 113 A20, 114, 116, 174f., 252, 257-260, 262f., 276f., 302f., 305, 344, 348f.

- Beschluß

zu ihrer Einsetzung:

93-97,

101£., 107£., 110, 113£., 116 437, 143-148,

154, 156, 177, 216 422, 305, 331, 344f. - ihre Katalogisierung: 104, 108, 147-153, 156, 179, 331, 345f. - als politische Körperschaft 411: 95, 153f. - Aufteilung in vier Bulen It. Ath. Pol. 30,3: 199. - erwähnt in der ‘Gegenwartsverfassung’ Ath. Pol. 31,2: 203f., 332. - wührend der Herrschaft der Vierhundert: 169, 173-175, 178f., 184f., 198 A86, 203, 206, 333, 337£., 344-347.

- ihre tatsächliche Einsetzung von der Opposition gefordert: 260, 262, 271, 276f., 281 A7, 338, 348.

- von Alkibiades als regierende Gewalt in Athen anerkannt: 252, 257-259, 264, 337.

- im KompromiBvorschlag der oligarchen Emissäre in Thuk. 8,93,2: 271. - Beschluß zu ihrer Einsetzung nach Absetzung der Vierhundert:

271,

279f,, 310f.,

340. - nach

dem

Sturz der Vierhundert:

114,

117 A41, 149, 179[,, 186f., 227 A65, 271, 279-282, 288-290, 303f., 307, 311f., 320, 340f., 349.

- ‘Verfassung der Fünftausend’ (als Bezeichnung für die Verfassung von 411/10): 43 A214, 180, 186, 194, 206, 234, 262 A204, 279-312, 318, 321, 340f., 349.

*Gegenwartsverfassung" (in Ath. Pol. 31): 94, 97 A7, 100, 152 A178, 154, 158, 176210, 226 A60, 238f., 332f. - Verhältnis zur Zukunfisverfassung (= Ath. Pol. 30): 181-183. - Möglichkeit einer späteren Fälschung: 197f.

- Entstehungszeit: 198-205. - politische Bewertung: 210. Geldbußen

(für Nichterscheinen

in der

Bule):

- unter den Vierhundert? 167f. - in den Viertelsbulen der ‘Zukunftsverfas-

sung’ (Ath. Pol. 30,6): 194, 206, 209, 310.

- 386 -

Geomoroi (auf Samos): 32. ‘Gemäßigte‘ (als pol. Strömung): 64, 66, 302. - im Athenerheer auf Samos 412/11: 41f.,

218f., 226f., 230. - Verhältnis zu Alkibiades 43,

129, 253,

256. - in Athen 412/11: 115f, 126-130, 135, 140, 148, 152, 206 A4117.120, 210, 216, 289, 330, 344-346, 348f. - unter der Herrschaft der Vierhundert: 249f., 259, 263, 296, 337-339, 345-349. - und das Attentat auf Phrynichos: 268f. - beim Sturz der Vierhundert und in der Folgezeit: 274, 277f., 311f., 319-321, 340342, 347-349, 351. - ihre Verfassungsplüne . s. > 'Hoplitenpoliteia' und *Mischverfassung' Geraistos: 213 A9. Gerichte, Gerichtshöfe: 69, 72f., 161. - unter der Herrschaft der Vierhundert: 231, 233-235. - nach dem Sturz der Vierhundert: 288, 291, 296-298, 314-321. s. auch > Schiedsgerichte Gesandte, Gesandtschaft

- der Verschwörer in Athen 412/1 : 58. - der Athener/Oligarchen an Tissaphernes: 59, 74, 77, 81, 84-87, 89, 107£., 229f., 328f. - der Verschwörer

nach

Athen

411:

88,

Gewakakte der Vierhundert: 232-235, 240f., 297, 346.

113 423,

Grammateus: - d. Bule vor 411: 12 452.

- d. Bule in der ‘Gegenwartsverfassung’ von Ath. Pol. 31: 203. - d. Bule nach dem Sturz der Vierhundert): 186, 308f. graphe paranomon (AuBerkraftsetzung der): 93f., 96f., 99-103f., 123 462, 142f., 158, 331. Großkönig: 76, 78, 80-84, 87, 114. s. auch > Perser und Perserbündnis Hagnon: 7f. A34, 14, 126f., 238 A109. Heliaia s. > Gerichtshof

Hellenotamiai: 191, 193, 196, 310 A127, 351 A110. Hellespont: 29, 84 4384, 100 A27, 222224. Hermenfrevel s. > Hermokopiden Hermokopiden 62, 67, 231. Hermon

(v. 415):

(Mórder

des

2; 20f. 497.98, Phrynichos

bei

Plutarch): 266, 267 A224. Hermon (Offizier der Peripoloi): 268-270, 274 A244, 2776. Hetairien: 5 424, 15 A65, 26, 60, 65-67, 71, 93, 109, 113, 116, 123 A62, 141, 214,

90f. - der Verschwörer in den Bundesgenossenstádten: 88f.

253, 269, 328.

- der Vierhundert

- als soziale Klasse: 128, 150, 264, 281, 288, 301.

nach

Samos:

91,

112

A16, 116, 173-175, 184, 196 A81, 214, 218, 231 479, 232, 242f., 246, 251f., 257260, 334, 336f., 346 A93. - der Vierhundert an Agis nach Dekeleia: 241f., 247, 334. - der Vierhundert nach Sparta: 244-247. - der Vierhundert zur Beruhigung der Hopliten in Thuk. 8,93,2: 184f., 271, 277f. A258, 339, 346. - der Spartaner bei Tissaphernes: 78 A360.

Hippeis - als Reitersoldaten: 5, 195f., 270.

Hippoldes (Stratege 413/12): 29 A147. Hippomenes (Antragsteller 411 oder 410): 188. Hippotherses (im Zusammenhang mit den Vierhundert verbannt): 235 494, 313. homonoia: - als Thema der polit. Debatte in Athen und auf Samos 413-11: 16, 43f., 47, 216, 227£.,

- 387 294, 296, 303, 306. - Alkibiades als ihr Verfechter: 43 4214, 255f., 337. - Ekklesia peri homonoias in Thuk. 8,93,3: 271, 288f., 294. - nach 403: 352. s. auch > Versöhnung

‘hopla parechomenoi’: 115 A434, 152 A177, 194 A72, 209, 279, 295, 301, 304, 306, 311, 340-342, 349. s. auch > Hippeis und Hopliten Hopliten - als Waffengattung: 37f., 155, 164,

166,

196, 270f., 273-277, 277f A258, 333, 339. - als soziale Klasse:

113-116,

128,

147,

152, 155, 157, 163, 173, 179 412, 194 A72, 232, 240, 250, 254 A172, 264, 271, 280-282, 288-290, 297, 301-303, 305f., 310-312, 320, 339f , 344-346, 350. - aus den Bundesgenossenstädten als Hilfs-

truppen der Umstürzler 411: 90. *Hoplitenpoliteia' (als polit. Konzept bzw.

Thema der Debatten 411): 114£., 152, 240 A121, 263, 277, 280f, 285f, 299-301, 341, 345f., 350.

Kallaischros: 8 434, 237 A105f.

Kallias (Archon 412/11): 104, 236 4103, 239. 'Kalliasfriede': 82. ‘kaloi kai agathoi’ (als Schlagwort bzw. Gruppenbezeichnung): 22, 25, 44, 46f. Karystos, Karystier: 90, 188.

katalogeis (zur Bestellung der Fünftausend): 94, 95 A2, 97, 104, 108, 145, 147153, 160-165, 167, 198-202, 205, 207, 331, 333. Kavallerie; Kavalleristen s. > Hippeis Kekropis (ath. Phyle): 23. Kerkyra - Stasis 427: 1 46, 113. Kerykes (sth. Priestergeschlecht): 58. Kimon: 1 A43, 25, 347.

Kinesias (Fig. in Aristophanes' Lysistrate): 10 445.

Kleigenes (Grammateus der Bule im Jahre 410): 308f. Kleinasien: 74, 81, 83, 243 A131.

‘hundert Männer’

Kleisthenes

- bei der Bildung der Vierhundert in Thuk.

134-138, 140f., 227, 282, 289, 307, 330.

8,67,3: 96, 158-162, 166.

Kleitophon (Antragsteller 411): 94, 115 A35, 130f., 134-142, 226 A60, 283, 289, 330f.

- ın den Verfassungsentwürfen

von

Ath.

Pol. 30 und 31: 198-201, 205 4115. - s. 2 anagrapheis und katalogeis Hyperbolos (ath. Demagoge 1411): 5 423, 17, 211-214.

Verfassunggeber):

Kleitophon (Titelfigur Dialogs): 139 A136.

des

94,

platonischen

Kleon (Stratege 425/24 u. ὅ.): 66 A301. Kleophon: 4, 5 423, 292 A68, 351.

Iasos: 72.

Iatrokles (Oligarch von 411): 223.

219 428,

Iberer (Sóldner im ath. Dienst 411): 312 A136. Ionien, ionische Gewässer: 27 A137, 29f., 36-39, 73, 76, 79, 82-84, 87, 92, 223, 232,

325, 350. Iteration

(d.

bzw.

Iterationsverbot

Ämtern): 208f., 310.

(von

Kolakretai: A110.

191f,

196,

310

A127,

351

Kolonos (att. Demos): 8 434. Kolonos Hippios: 154f., 157 4195. - Versammlung in: 89 4401, 91 A409, 93-

100, 102f., 105f., 108, 127f., 143, 153-158, 162-166, 168, 172f., 197 486, 199-205, 332, 345.

- 388 -

Komódie (als Spiegelbild der polit. Situation): 8-11, 66, 115 431. - und Peisandros: 61.

- als Anklage gegen Phrynichos, Antiphon und andere Oligarchen nach dem Sturz der

- und Demagogen: 3 414.

die *Leistungsfühigstea' (polit Schlagwort 411): 1, 93f., 109, 112, 135 A116, 141, 144, 290, 331.

- und die Umsturzfurcht von 411: 117-123. f. einzelne Autoren und Stücke s. > den Quellenstellenindex Kooptation

- bei der Katalogisierung der Fünftausend:

150f., 331.

- bei der Bildung der Bule der Vierhundert:

Vierhundert: 69 A326, 315f., 320, 341.

Leiturgietrüger: 6, 41, 115. Leon (Stratege 412/11 u. ö.): 16-18, 21f.,

30f., 36 A178, 37 A182, 38, 42 A209, 59, 72-74, 211, 215, 219-221, 223, 324, 334. Leon

150, 158-166, 200, 333. 'kreme en tois oisyois’ s. >

‘Brunnenin

(Eidesleister

beim

den Weiden'

Leon Salaminios: 21f.

Krieg, Kriegführung, Kriegspolitik (als Themen in der polit. Debatte 412/11: 7, 26-

Lesbos: 37 A182, 81 A374.

28, 45, 67, 70f., 87£, 94, 96,

114,

126,

145, 196, 217, 219, 241, 252, 259, 264.

Nikiasfrieden):

21f., 31, 324.

lexeis (der Fünftausend in der “Zukunftsverfassung' Ath. Pol. 30) s. u. > Bule Lichas: 78 A360.

Kriegführung: 7.

Losverfahren (bei der Bestellung von Be-

Kriegslasten, Kriegsnot: 5-7, 28, 71, 116,

amten und Buleuten):

128, 174, 196, 328, 349.

236, 308f.

Kritias (Führer der '"DreiBig' 404/3): 126,

Lysistrate (Titelfigur Aristoph.): 10f.

235. Kritias (Antragsteller bei der posthumen Verfolgung des Phrynichios 411): 314. Kyzikos (Schlacht bei): 224, 292 A68.

Magnesia 326.

15, 94, 172, 207f.,

der Komödie

(am Mäander):

des

50, 57 A262,

Mantitheos (Stratege 408/7): 224. Laispodias 247f.

(Stratege

414/13):

31,

245,

Lakedaimonier s. 2 Spartaner Lakonismos/Lakonisten - in der Polis Samos: 33-35. - in Athen: 67, 88, 129, 248, 347, 351. s. auch > Defätismus Lampsakos: 100 427. Landesverrat

- des Phrynichos: 50-58, 72f., 326f. - in Anstophanes' Lysistrate befürchtet: 118, 121f.

- der Oligarchen 411 (von ihren Gegnern befürchtet): 129, 245, 261, 270-273, 336, 338f., 351.

Melanthios (Stratege 411): 238. Melesias (Gesandter der Vierhundert nach Sparta): 245, 247-249. Melobios (Redner in Ath. Pol. 29,1): 132. Melobios (Mitglied 132 A104.

der

Dreißig

404/3):

Melobios (gefallen 409): 132 4104. Metöken: 38 4190, 278 A259.

Meuterei - d. Paralier: 245-248. - d. Hopliten gegen die Vierhundert: 270277, 287, 289.

Miet: 26, 28 4141, 48f., 246 A145, 326. Minenunternehmer: A92, 73 A344.

5 A427,

18 A83,

20

- 389 -

Verfas-

- in der Polis der Samier 412/11: 32-35, 66

sung? (als polit. Konzept der Gemäßigten): 63f., 135, 138, 206, 279, 282, 290, 294f , 302. s. auch > “Verfassung der Fünftausend’

4305, 88-91, 211-214. - innerhalb der Vierhundert: 204, 207, 227, 232, 237, 240f., 249f, 261, 263f., 268, 270, 272f., 275 A248, 276, 281 47. - nach dem Sturz der Vierhundert: 286f , 303. - Verhältnis zu Alkibiades: 42-44, 70f., 77. - als Gewährsmänner des Thukydides: 85, 262 A205, 276. (s. auch > Umsturzbewegung, Verschwö-

*Mischverfassung!,

Mittlere

‘Mittelschicht’ (in Athen): 115, 290. Mnasilochos (Archon d. Vierhundert): 236

A103, 239. Mnesilochos s. > Mnasilochos Munychia: 269 4234, 270f., 276.

rung)

*New Politicians* s. 2 Demagogen

Oligarchie (als polit. Konzept bzw. Verfassungsordnung):

Nikeratos: 20 493.

- und das Amt der Probuloi 413: 14-16.

Nikias: 19, 31, 72 A336. Nomotheten (nach dem Sturz der Vierhundert): 180 413, 271, 279, 304f., 310, 312. Notion: 18, 21, 221 A36. ‘Oberschicht’ a) ın Athen: 16, 18, 26, 323.

- vor 413: 2f.

- nach der Sizilienkatastrophe: 5f. - und die Umsturzbewegung

412/11:

41,

46f., 70, 74, 114, 147, 148 A162, 279 A1.

- wührend der Herrschaft der Vierhundert: 263.

- Feindschaft gegen Hyperbolos: 213. - Verhältnis zu Alkibiades: 256. b) in der Polis der Samier: 32, 35, 324.

s. auch > dynatoi, dynatotatoi, ' Leistungs-

- als Konzept während der Umsturzbewe-

'gung von 412/11: 41, 44, 49, 63, 71, 86, 88, 111f., 114, 129 496, 140f., 146, 157, 212. - in den Verfassungsentwürfen von Ath. Pol. 30 und 31: 206-209. - ihr Ende nach dem Sturz der Vierhundert: 283, 285f., 290, 292, 312-322. Onomakles

(Stratege

412/11):

16, 20,

22f., 28-30, 36, 186, 222, 315, 318, 320, 324.

Onomakles (Mitglied der Dreißig): 23. Opportunismus - des Alkibiades: 43, 46. - des Peisandros?: 62. - des Theramenes und seiner Anhànger:

fähigste’ und Leiturgieträger

111, 262f , 300,

Oinoe (att. Grenzfestung): 312, 319.

Opposition - gegen Demokratie vor 412: 1-4, 16, 68, 323. - gegen Alkibiades: 25.

Oligarchen - als polit. Strömung allgem.: 19f., 22, 63, 138, 227. - vor 413: 1-4. - innerhalb der

- gegen die Demokratie 412/11 Umsturzbewegung

von

412/11: 64-71, 74, 86f, 93, 114, 116, 125£.,, 128, 129 A496, 130, 152£., 173, 201,

206, 210, 330-332, 344-347.

- in den ath. Truppen auf Samos 412/11: 33, 41, 44, 46, 87-91, 125, 211-219, 224.

s. > Oligarchen, Umsturzbewegung, Verhwórung - gegen die Vierhundert unter den Athenern auf Samoss. > Demokraten und > Gemäßigte

- 390 -

[Opposition] - gegen die Vierhundert in Athen: 234, 260-265, 269f, 272-274, 276f., 281 A47, 288, 294f., 337£., 347-349. Pandionis (ath. Phyle): 8 434.

230, 232, 241-243, 247, 251, 270, 272f., 286, 324, 335, 338. 8. auch > Sparta, Spartaner Perikles: 3, 49, 249. Peripolarch: 265, 268f , 338.

Paralos, Paralier: 211, 217f., 243, 245247, 334-336, 347. Paros: 90.

Peripoloi - beim Attentat auf Phrynichos: 265f, 268f. - beim Sturz der Vierhundert: 270, 276.

*Patrios Politeia’ bzw. ‘Patrioi ποιοὶ" (als polit. Schlagwort): 64, 115 435, 135 A115, 136, 138£, 140 A136, 155, 226f., 255, 284 A24.

Perser, Perserreich: 40, 53 A248, 80-83, 84 4387, 87, 118-120. s. auch > Perserbündnis

Peisandros (Oligarchenführer v. 411): 4, 8

Perserbümndmis

A34, 14, 20f 497.98, 28, 109, 114£., 123, 127, 350.

Debatte 412/11) - im Áthenerheer auf Samos 412/11: 40, 44f., 89, 325f., 350. - in Athen 412/11: 26f., 58, 67, 74, 86-89, 107, 109£., 114f., 121, 123, 125, 128, 130, 145, 327£., 350. - unter den athenischen Demokraten auf Samos 411: 226, 228-230, 254-256, 336. - nach dem Sturz der Vierhundert? 288.

- Leben vor 412: 61f. - Mission in Athen 412/11: 40, 58-61, 63-

67, 69-74, 104 A43, 115, 216 A22, 221 A35, 257, 326-328, 334, 344 A82. - als Gesandter bei Tissaphernes: 75, 86f.,

229, 328f. - und die Verschwórer auf Samos Frühjahr 411: 87-90, 211, 215 A20, 229, 329. - auf der Fahrt nach Athen Frühjahr 411:

90-92, 106, 329. - beim Verfassungsumsturz 411: 93, 95, 98, 101 434, 106-109, 123, 127, 130, 330. - Antragsteller auf dem Kolonos:

93, 97,

98 A13, 99, 143, 157-160, 162f., 165, 197, 200-203, 205, 210, 233, 333, - während der Herrschaft der Vierhundert: 231, 237, 249, 261, 263f. - Wortwechsel mit Sophokles nach dem Sturz der Vierhundert: 316f., 319f. - Flucht nach Dekeleia: 312, 316 - Gewührsmann des Thukydides? 85 4388. Peisandros Glauketou Acharneus

(epistates agalmatoin 421/20): 61 A276. Peitholaos (ath. Staatsmann d. 4. Jh.): 245 A142. Peloponnes (geograph. Begriff): 241, 248. Peloponnesier (als Sammelbezeichnung für Athens Kriegsgegner): 35, 48, 56 4257, 57 A261.263, 72, 75f., 78-81, 196, 217,

(als

Thema

der

polit.

Perserkönig: s. > Großkönig Phaistos: 190 453. Philostratos Palleneus (Epistates der Bule im Herbst 411): 186, 308 4118. ‘phönizische Flotte! 412/11): 84, 229 A73.

(in

den

Jahren

Phormisios: 114 429, 286, 300.

Phrynichos (Stratege 412/11): 16, 22-28, 30f., 36, 42, 61f., 223. - Leben bis 412: 24-28, 47 A222, 61f., 68, 73, 324-326.

- beim Zusammentreffen der Flotten vor Milet im Herbst 412: 26f., 46 A222, 488, 326.

- Opposition gegen Alkibiades' Pläne 412: 40, 44-50, 88, 326f. - Intrige gegen Alkibiades 50-58. - Ablósung vom Kommando: 17, 59, 60 A271, 72-14.

- in der Umsturzbewegung von 411: 70, 124f., 253, 350.

- 391 -

- wührend der Herrschaft der Vierhundert: 237, 248f., 261, 263f. - als Gesandter der Vierhundert in Sparta: 248, 338. - seine Ermordung: 233 A85.87, 263-270, 274 A243, 306 A112 313, 338. - posthumer Prozeß gegen ihn: 266, 287, 293, 313-315, 317-321f., 341. - Gewührsmann des Thukydides?: 53 A247, 85 A388.

Phrynichos

(genannt in Aristoph.

1301): 24-26, 68.

vesp.

*Phrynichos-Attentüter': 233 A485, 265270. - ihre Rolle beim posthumen Verfahren gegen Phrynichos: 265f , 313, 318, 341. - als Empfünger von Ehrungen durch den Demos: 266, 268, 306 A112, 321.

Phylen, Phyleten (in Athen): 7, 23 A115, 28, 74, 94, 102, 104, 133, 159-163, A248, 186 A36, 202, 308, 331.

172

Piräus: 251 A166, 255, 257 A186, 258 A192, 261, 263, 270f., 274, 276, 281, 337339. plethos: 94, 153 A180, 159, 285, 299.

Pnyx (Versammlungen auf der): 271, 279, 283, 289, 303, 340f., 349. Polystratos (Mitgl. der Vierhundert 411): 24 A120f., 73, 102, 114, 133, 148-151, 159-161, 167£, 171f., 202 A102, 291f., 297-299, 313f., 321. Probuleusis - in Athen: 6f., 13f., 134, 207.

- in Bóotien: 195 A477.

Probuloi (v. 413): 6-16, 94, 96, 130f., 133, 142, 249 A155, 323. Probulos (Figur in Aristophanes' Lysistrate): 8-11.

Probulos (in Eupolis' Demoi?): 10 440. Prohedroi (in Athen 411): 96, 158, 159f. A206, 161f., 165, 235-237. - im Ehrendekret für Pythophanes? 162 A216, 188-190.

- in Mytilene 428/27: 162 A216. Proklesis (ath. Rechtsinstitut): 96. Propaganda, Propagandakampagne

- der Umstürzler in Athen 411: 63, 93, 98, 107-109, 114, 116 A37, 124, 127£., 141, 156, 164, 209, 329f. - der Vierhundert nach ihrer Machtübernahme: 174-176, 185, 308.

Prytame A45.

(Figur bei Aristoph.

Lys):

10

- im Beschluß über die Einsetzung Vierhundert: 96, 97 44.

der

Prytanen - in der Demokratie: 12f., 96.

- in der Bule der Vierhundert?:

94,

165,

172, 236. - im Ehrendekret für Pythophanes? 188. Prytanien - in der Bule der Vierhundert?: 172, 236f.

- in dem Viertelsbulensystem von Ath. Pol. 30,3?: 186-188. - in der ‘Verfassung der Fünftausend’: 186-188, 236, 308, 310. Pythodoros v. Anaphlystos: 94, 96f., 132,

134, 137 A127, 141f. Pythodoros (Polyzelou): 132 4104. Pythodoros (Archon 404/3): 132 4104. Pythodoros (Epizelou): 132 4104.

Pythodoros (Eidesleister beim Nikiasfrieden): 133 A106. Pythophanes (ath. Proxenos 411): 190 A53.

188f.,

Radikale (innerhalb der Umsturzbewegung bzw. der Vierhundert) s. > Oligarchen

Rat s. 2 Bule Rathaus s. 2 Buleuterion Redner (als Politikerkategorie): 5 426. Rhetorik: 26 A132. Rhodos: 79, 81 A374.

- 392 -

Ritters. > Hippeis 'Rotatioasprinzip' (d. politischen Teilhabe): 182, 184f., 210, 252, 271, 310f., 341.

Sokrates: 139 A136. Soldaten (athenische auf Samos): 37-41, 214, 218f., 251f., 257, 325. s. auch > Samos - Athener auf Samos

Salamis: 271f.

Solon (Verfassunggeber): A127, 138, 227, 282, 289.

Samos, Samier: 17, 21, 29, 32-38, 54, 81 A374, 87, 106, 123 A65, 231, 241. - Athener auf Samos 412-11: 32-34, 36-49, 55, 87-91, 124, 173-175, 211-231, 240, 251-259, 261, 325-327. - Stasis auf 412: 32-36, 88, 324f. - Putschversuch der Oligarchen 411: 42, 175, 211-216, 242 A126, 247 A147, 334, 344 A80. - demokratischer Umschwung 411: 175, 217-232, 242 A126, 246-248, 334£., 343f , 347. - Auftritt des Alkibiades 411: 251f., 257259. - Verhältnis zu Athen nach dem Sturz der Vierhundert: 282f., 287f., 291, 293, 295, 300, 303, 305-307. Saronischer Golf: 29f.

Sopboldes (Ankläger in der Sache des Euktemon): 20. sophronizeim, sophrosyne (als polit. Schlagwort): 7, 15f., 63f., 257. soteria (als polit. Schlagwort 413-411): 1012, 15, 64f., 95f., 116, 174, 216, 252, 254,

259, 336f., 350. Sparta (als Ort): 23, 43 A215, 242, 244247, 261, 265, 315. Sparta, Spartamer (als Staatswesen):

Stasis

- aligem.: 44f., 47, 303. - auf Samos 412: 32-36, 88.

Seebund, Seereich (del.-att.): 62, 71, 83f , 190 453, 240 A121, 250, 263.

(s. auch > Bundesgenossen) s.

1,

19, 23, 27, 29£, 49f, 52, 55, 67, 70, 78 A360, 80f., 86 A390, 110, 126, 128, 145, 155, 210, 240-244, 248-250, 261, 263,

233.

auf Samos)

137

Sopholdes (Probulos 411): 8 434, 14, 20, 146 A157, 316f., 3198

Schiedsgerichte (unter den Vierhundert?):

(athenische

136,

273, 283, 293, 347f., 350f. s. auch > Peloponnesier

Schatzmeister s. 2 Hellenotamiai, Kolakretai, Tamiai

Seeleute Soldaten

134,

>

Sektionen (d. politisch Berechtigten nach der 'Zukunftsverfassung' Ath. Pol. 30) s. > Bule - Viertelsbule Sestos: 190 452. Sizilien - Expedition 415: 4f., 72 A336. - Katastrophe: 1, 4-6, 11, 15, 19, 27, 31, 39, 66, 70, 323.

- zwischen der Stadt Athen und ihren Truppen auf Samos: 175, 183, 217-32, 240, 246f., 252, 293. - deren Ende nach dem Sturz der Vierhundert: 282f., 287f., 291, 293, 295, 303, 305307.

Steiria (att. Demos): 8 A34. Strategen (ath. Amt) - Kollegium von 414/13: 31. - Kollegium von 413/12: 31. - Kollegium von 412/11: 4, 6, 16-32, 48

A231, 142f., 217, 219, 324. - Kollegium unter den Vierhundert:

127,

237-239.

Skironides (Stratege 412/11): 17, 28f , 36,

- in den Verfassungsentwürfen von Ath.

59. 72-74, 223.

Pol. 30-31: 183 426, 203f., 332.

Skyllaion: 213 49.

- 393 -

- der athenischen Demokraten in Samos 411: 217f., 220, 224f., 283.

- des Übergangsregimes nach dem Sturz der Vierhundert: 291 461. - Kollegium von 407/6: 221 436.

321f.

Strombichides (Stratege 412/11): 16, 20, 22, 29f., 31 A159, 36 A178, 222f., 324. Syme: 17.

syngrapheis (allgem.) 13, 181, 323. syngrapheis

(im Frühjahr 411):

13 456,

93-97, 99-101, 104, 107£., 130-134, 136f., 140, 142-144, 146, 156, 162, 181 A18, 304, 330f. synomotai, synomosia s. > rung, Verschwörer, Hetairien

277 A255, 277f A258, 284 A24, 285, 287, 299, 311f., 338f., 341f., 348f. - nach 411: 17, 22 A108, 221 A36, 284 424, 285-287, 292, 315 A150, 316, 319-

Verschwó-

- seine polit. Zielsetzungen: 114 429, 240 A121, 280, 300, 302.

- als Gewährsmann

des Thukydides? 85

A388. - ‘Verfassung

Theramenes’,

des

s.

>

*Fünftausend' Thesmotheten: 315. Thessalos (Sohn d. Kimon): 25. Theten: 38f., 254 A172, 278 A259, 280282, 288-291, 292 A68, 294, 297, 301, 340, 347.

Tenos: 90.

Thrasybulos von Steiria (Stratege 411/10) - Aktivitüten auf Samos vor dem Frühjahr 412?: 33 A167, 41f., 219f. - als Führer der athenischen Demokraten auf Samos im Sommer 411: 211, 217-221, 224f., 228, 230, 232, 334-336.

Terror

- Politik der homonoia

- der Umstürzler/Hetairien in. Athen vor ihrer Machtergreifung 411: 93, 103, 109, 111-114, 116, 123, 140, 156, 167, 238, 253, 329f. - der Umstürzler auf Samos 411: 17, 211214. - der Vierhundert an der Macht: 2342, 239.

227f., 255, 3517. - Verhältnis zu Alkibiades: 228, 254-256. - Einsatz für die Rückberufung des Alkibiades: 87, 251, 253-256, 336. - nach 411: 17, 351f.

Tamiai (d. Athena und d. anderen Götter):

den): 29-31, 324.

Täuschung (d. Demos durch die Umstürzler 411): 109-114, 210, 344, 346.

Teleldes v. Milet (Verfassunggeber): A76.

195

191-193, 196f., 239, 310 A127, 351 A110.

(411

und

403):

Thrasybulos v. Kalydon (der PhrynichosAttentäter): 265-268, 313. Thrasykles (Eidesleister beim Nikiasfrie-

Thasos: 89, 222, 223f. A52.

Thrasyldes (Stratege 412/11): 29-31, 36 A178, 223.

Theramenes (Stratege 411/10 u. ö.): 110f.,

Thrasyllos (Stratege 411/10):

135, 138, 194.

- als Anführer der Demokraten auf Samos

- bis 411: 126, 348 A106. - beim Umsturz von 411: 126-129, 300.

- wührend der Herrschaft der Vierhundert: 198 A486, 260-262, 264f., 270, 285, 337f., 348f.

- und das Attentat auf Phrynichos: 269. - beim Sturz der Vierhundert und in der unmittelbaren Folgezeit: 270f, 274-276,

410: 211, 217-220, 224f., 232, 334f. - Mission in Athen 411/410: 225 A57, 283, 293, 296. - nach 410: 225 A57. Thrasymachos 138.

(von

Chalkedon):

Thukydides Melesiou: 249.

134,

- 394 -

Thymochares (Stratege 411): 238. Tissaphernes (persischer Satrap): - als potentieller Bündnispartner der Athener in der politischen Debatte: 40, 43, 228,

254f., 257 A186, 325. - und das Intrigenspiel des Phrynichos: 5055, 59, 326f. - Verhandlungen mit den Athenern 411: 71, 74 A330, 75-87, 89, 93, 101 A34, 106f., 124f., 220, 229, 328f. - Vertrag mit den Spartanern Frühjahr 411: 78 A360, 79 A363, 90 A402, 123 A65. Tyranmis (als Chiffre für Umsturz und Oligarchie in Aristophanes’ Thesmophoriazusen und anderswo): 119-122. Überredung (des Demos durch die Verschwörer bzw. ihre Emissäre 411): 5860, 65, 109£., 113f., 127, 327£. Umsturzbewegung - auf Samos 412/11: 6, 33, 36, 40-50, 325329.

- in 86f., 161, - in

Athen 412/11: 26, 61, 64, 67-71, 73, 93, 98, 103, 110-113, 123, 146, 155f., 164, 262 A206, 343f. der Sicht des Aristophanes: 121-123,

330.

- Umorientierung nach dem Ausfall des Alkibiades: 124-130, 330. - auf Samos 411: 211-216, 219f. s. auch > Oligarchen; Verschwörung Verbannte s. > Exilierte

Verfassungsumsturz s. > Umsturzbewe-

gung Verrat - des Phrynichos an Amorges: 60 A271, 72. - des Alkibiades an den athenischen Oligarchen?: 76, 85-87, 229. s. auch > Landesverrat

Versammlungen - im Zuge des Umsturzes 411 allgemein: 94-104.

- auf dem Kolonos s. > Kolonos Hippios

- der Fünftausend in der Ath. Pol.: 153f., 177-179. - der athenischen Truppen aus Samos s. > Ekklesien - der Hopliten im Dionysostheater bei der Munychia: 271, 339. - peri homonoias im städt. Dionysostheater: 271, 288f., 294, 339. - auf der Pnyx nach dem Sturz der Vierhundert. 271, 279-283, 289, 294, 303f,

310, 318, 340, 349.

s. auch > Ekklesien Verschwörung, Verschwörer: - in Athen ca. 458/7: 1. - ın Athen 412/11: 66-71, 91, 98, 103, 110113, 128, 132, 155-157, 161, 164, 167, 169, 205, 308.

- in den ath. Truppen auf Samos 412/11: 33, 40-50, 53 A248, 71, 73, 74 A347, 8791, 124f., 211-220, 230, 262 A206, 325329, 334. - in der Polis der Samier 412/11: 33f., 66 A305, 211-213, 334. (s. auch > Oligarchen; Umsturzbewe-

gung). Versöhnung - der Stadt mit der Flotte als Thema der polit. Debatte während der Herrschaft der Vierhundert: 183, 227 A65, 250, 252, 255, 258f., 264. - der Stadt mit der Flotte nach dem Sturz der Vierhundert: 282f., 287f., 291, 296, 306f., 312. - nach dem Sturz der Dreißig 403/2: 227f. s. auch 2 Homonoia ‘Vierhundert’

- als Bezeichnung für das Regierungsgremium vom Sommer 411 und für die Zeit seiner Herrschaft allgemein: 23, 46, 67, 70 A329,

125,

71, 87 A394,

127,

129 A96,

110,

148f.,

113f.,

124 A65,

176,

189-191,

197, 202, 205, 207, 210, 222, 224, 227, 230, 259f., 269, 280, 285, 293, 302, 343. - ihre Machtübernahme bzw. Einsetzung: 14, 92-94, 117, 149, 151, 153-173, 200f., 215, 224, 333f., 342, 345.

- 395.

- ihr Sturz: 20, 69, 114, 129, 145, 178, 190,

‘Zukunftsverfassung’ (in Ath. Pol. 30): 94, 97 A7, 100, 154, 158, 163 A218, 176210, 332f. - Verhältnis zur '"Gegenwartsverfassung' (= Ath. Pol. 31): 181-183. - Belege für ihre Historizität außerhalb der Ath. Pol.?: 183-194. - Problem ihrer praktischen Anwendbarkeit: 194-196. - Möglichkeit einer späteren Fälschung: 197£.

216,

- Entstehungszeit: 198-205.

- Verfassung der: 110, 127f., 197, 206.

- ihre Propagandabotschaften an die Truppen auf Samos: 91, 116, 174f., 184f., 214,

252, 334, 336f., 346 A93. - ihre Herrschaft in Athen 411: 148, 178£ , 217f., 232-240, 261-265, 343, 345-351f.

- ihre Friedensinitiativen: 23, 67, 241-251, 334, 336, 338, 347f. - ihre Reaktion auf das Phrynichos-Attentat: 269f. 233,

236-238,

268,

270-278,

283,

287, 289, 293, 298-301, 306. - Verfolgungen nach ihrer Absetzung: 312322. s. auch > Bule c)

‘Viertelsbulen’ (in der ‘Zukunftsverfassung' Ath. Pol. 30) s. 2 Bule Wabi - der Probuloi 413: 15. - der Strategen von 412/11: 6, 16, 19, 23f.,

26-28, 30-32. - der Friedensunterhündler

ın Aristopha-

nes' Lysistrate: 12. - der zu den Tissaphernes-Verhandlungen bestimmten Gesandten: 74.

- der

zwanzig

zusätzlichen

syngrapheis

von 411: 94, 100, 133, 140, 142.

- der - des 133, - der

katalogeis: 95 A2, 148. Polystratos durch die Phyleten: 102, 159-163. anagrapheis durch die Fünftausend

nach Ath. Pol. 30,1: 177-180.

- der Beamten nach den Verfassungsentwürfen in Ath. Pol. 30,2 und 31,3: 181. - der Strategen nach Ath. Pol. 31,2: 203f. - der Strategen durch die athenischen Demokraten auf Samos 411: 217, 224f., 251. - der Strategen der Vierhundert: 238f. Xerxes: 213 A9.

zemiai (als Zwangsmittel beim Amtsantritt der Vierhundert): 167f.

- politische Bewertung: 206-209, 345. - nach dem Sturz der Vierhundert in Kraft gesetzt? 186-193, 309f.,