Der Konfirmandenunterricht und der Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis [Reprint 2019 ed.] 9783111575186, 9783111203089


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German Pages 83 [88] Year 1907

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Vorwort
Vortrag, gehalten auf der theologischen Konferenz zu Gießen am 6. Juni 1907: „Der Konfirmandenunterricht und der Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis"
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Der Konfirmandenunterricht und der Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis [Reprint 2019 ed.]
 9783111575186, 9783111203089

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Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) in Gießen

Vorträge der theologischen Konferenz zn Giessen Sell, K., Die geschichtliche Entwicklung der Kirche im 19. Jahrh, und die ihr dadurch gestellte Aufgabe.

Erschien zusammen mit:

Heinrici, G., Die Forschungen über die paulinischen Briefe. (Vortr. 2)

M. 1.60

Herrmann, W., Der Begriff der Offenbarung. Erschien zusammen mit: Müller, K., Bericht über den gegenwärtigen Stand der Forschung auf dem Gebiet der vorreformatorischen Zeit. (Vortr. 3) M. 1.—

Sacliße, E., Über d. Möglichkeit, Gott zu erkennen. (Vortr. 4) M. 1.— Eibach, R., Über die wissenschaftliche Behandlung und praktische Benutzung der Heiligen Schrift.

Erschien zusammen mit:

Schürer, E., Über den gegenwärtigen Stand der johanneischen Frage.

(Vortr. 5)

M. 1.—

Ehlers, R., Das Neue Testament und die Taufe. (Vortr. 6) M. 1.— Kattenbusch, F., Von Schleiermacher zu Ritschi. Zur Orien­ tierung über die Dogmatik des 19. Jahrh. 3., veränd. Ausl, mit e. Nachtrag über die neueste Entwicklung. (Vortr. 7) M. 1.75 Reischle, M., Sohms Kirchenrecht und der Streit über das Ver­ hältnis von Recht und Kirche. (Vortr. 8) M. 1.— Flörlng, Fr., Das Alte Testament im evangelischen Religions­ unterricht. (Vortr. 9) M. 1.— Walz, K., Veräußerlichung, eine Hauptgefahr für die Ausübung des geistlichen Berufes in der Gegenwart. (Vortr. 10) M. —.80 Mirbt, C., Der deutsche Protestantismus und die Heidenmission im 19. Jahrhundert. (Vortr. 11) M. 1.20 Deißmann, G. A., Die sprachliche Erforschung der griech. Bibel, ihr gegenwärtiger Stand u. ihre Aufgaben. (Vortr. 12) M. —.80 Rade, M., Religion und Moral. Streitsätze f. Theologen. (Vortr. 13) M. —.60 Krüger, G., Die neuen Funde auf dem Gebiete der ältesten Kirchengeschichte (1889—1898). (Vortr. 14) M.—.60 Foerster, E., Die Rechtslage des deutschen Protestantismus 1800 und 1900. (Vortr. 15) M.—.80 Weiß, J., Die Idee d. Reiches Gottes in d. Theologie. (V. 16) M. 1.50 Holtzmann, 0., Die jüdische Schriftgelehrsamkeit zur Zeit Jesu. (Vortr. 17) M.—.70

Vorträge der theologischen Konferenz zu Giessen ■ ■ ■■ ■■ 26. folge------ ■ .

Der Konfirmandenunterricht und der Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis Von

Professor D. M. Bornemann Sensor zu frankfurt am piatn

Verlag von Hlfred Cöpehnann (vormals I. Ricker) Giessen 1907

Auf mehrfach geäußerten Wunsch übergebe ich den vorlie­ genden Vortrag, den ich auf der Theologischen Konferenz zu

Gießen am 6. Juni d. I. gehalten habe, der Öffentlichkeit.

Ich

habe es nicht für zweckmäßig gehalten, den Wortlaut zu ändern, sondern habe die mannigfachen Nachweisungen und Bemerkungen,

die mir daneben wünschenswert erschienen, nachträglich angefügt. (S. 37—71.)

Aber gerade aus diesen Anmerkungen ersieht man,

wie verwickelt und verflochten das scheinbar so einfache Problem

ist.

Die Beilagen 1—r3 sind für das Verständnis meines eignen

Standpunktes nicht unwichtig.

Die Beilagen 4—8 bieten einige

charakteristische geschichtliche und literarische Zusammenstellungen. Frankfurt a/M., im Juni 1907.

v. W. Bornemann.

Das Inhaltsverzeichnis befindet sich am Schluß auf Seite 84.

Die Frage nach dem Verhältnis des Konfirmandenunter­ richts zum Religionsunterricht in der Schule ist einer der kleinen Ausläufer des großen Gebirges, das uns allen als das Problem „Staat und Kirche" bekannt ist. Wo dieses Problem durch

völlige Trennung von Staat und Kirche beseitigt ist,1) sorgt eine jede religiöse Gemeinschaft nach ihrer Art für den religiösen

Unterricht ihrer Jugend; der Staat hat nichts damit zu tun. Wo die Kirche nach althergebrachter Weise noch auf das engste

mit dem Staatswesen verwachsen erscheint, ist der religiöse Unter­ richt von staatlicher und kirchlicher Seite so geordnet, daß ein Unterschied zwischen den beiden Sphären kaum zum Bewußtsein kommt. Aber wo, wie in den meisten protestantischen und kon­ fessionell gemischten Ländern während des letzten Jahrhunderts

die kirchlichen Gemeinschaften selbständiger, die staatlichen Ord­ nungen in religiöser Hinsicht zurückhaltender geworden sind, tritt leicht eine Spannung ein zwischen dem religiösen Schulunter­ richt und dem pfarramtlichen Unterrichts) zumal das Schul­ wesen in den letzten Jahrzehnten in ganz erstaunlicher Weise zu einem umfassenden, selbständigen und reichgegliederten Organis­ mus sich entwickelt hat?) Lange Zeit hindurch hat man früher jedes der beiden Ge­

biete ganz für sich behandelt, den religiösen Schulunterricht nach eignen, immer aufs neue durchgearbeiteten Lehrplänen, den Kon­

firmandenunterricht nach dem freien Ermessen der einzelnen Pfarrer und nach einer allgemeinen, ziemlich unklaren Überliefe­ rung.

Jedes der beiden Gebiete wurde mit Ernst und Eifer

bebaut, aber ohne jegliche deutliche Auseinandersetzung. und Ab1*

4 Dieselben Lehrbücher wurden oft für beide geschrieben,

grenzung.

bestimmt und gebraucht/) und wiederum konnte der Inhalt des

beiderseitigen Unterrichts doch sehr verschieden sein. Beide gingen, als könnte es gar nicht anders sein, nebeneinander her wie zwei

Geschwister, oft mit wohlwollender Neutralität, zuwellen mit stumpfer Gleichgültigkeit, zuweilen aber auch mit eifersüchtigem Argwohn als störende Konkurrenten, meist, ohne sich gegenseitig

recht zu kennen und zu verständigen. Dieser Zustand ist auf die Dauer unhaltbar und unerträg­

lich?)

Denn Unklarheiten und Schwierigkeiten sind tatsächlich

vorhanden.

Das empfinden seufzend die Direktoren der Schulen,

wenn sie mühsam das kunstvolle Mosaik ihres Stundenplans

legen/)

die Neligionslehrer,

deren

lehrplanmäßig

geregeltes

Arbeitsfeld der Konfirmandenunterricht geheimnisvoll wie eine verschleierte Gestalt durchschreitet; die Klassenlehrer, die dem stö­

renden Eindringling grollen, weil er ost das eine oder andre

Unterrichtsfach beeinträchtigt/) die Eltern, die um das sanfte

Fleisch oder um die Versetzung oder um die religiöse Entwick­ lung ihrer Kinder besorgt sind?) Andrerseits schelten die Pfarrer oft darüber, daß die Schule nicht genug oder nicht in der von

ihnen gewünschten

Weise ihnen vorarbeite,

daß sie auf den

Pfarrunterricht nicht hinreichend Rücksicht nehme, daß sie von einem fremden oder kirchenfeindlichen Geiste getragen sei?) Auch in den Götterhimmel kirchlicher und staatlicher Behörden dringen hie und da Klagelaute, und selbst in den Windungen manches

Knabengehirns löst die bestehende Inkongruenz seltsame Gedanken

au8.10)

Gleichwohl ist das Problem in seiner ganzen Bedeutung

nur langsam erkannt und in praktischer Weise eigentlich erst seit etwa einem Jahrzehnt angepackt worden.

Ich will Sie nicht

aufhalten mit einer Schilderung dieser allmählichen Entwicklung, mit Aufzählung der Schriften, Aufsätze und Verfügungen, die

über unser Thema erschienen sind, der Männer, die dazu öffent-

5 lich das Wort ergriffen, der Versammlungen, die darüber ver­

handelt haben.")

Ich stelle nur fest, daß im Laufe der letzten

fünfzig Jahre immer mehr die Aufmerksamkeit sich unserm Pro­ blem zugewandt hat,

und daß aus zerstreuten Ansätzen und

Anfragen jetzt zusammenhängende Untersuchungen und praktische

Reformprogramme geworden

sind

mit

klaren Gesichtspunkten

und festen Grundsätzen, — freilich noch nicht so, daß man von

einem einheitlichen, sprechen fimnte.12)

allerseits

befriedigenden,

reifen Ergebnis

Auch das hebe ich hervor, daß das Haupt­

verdienst dabei nicht in erster Linie den Pfarrern zuzuerkennen

ist, die meist im Gefühl ihrer Freiheit und ihres sicheren Be­

sitzes die bestehenden Schwierigkeiten nicht genug gesehn und ge­

würdigt habens2) auch nicht den akademischen Theologen, die in ihren Werken über praktische Theologie und Katechetik ihren Er­

örterungen einen zu allgemeinen

und

theoretischen Charakter

gegeben haben;") auch nicht den kirchlichen und staatlichen Be­

hörden, die naturgemäß mehr abwartend und zurückhaltend beob­ achtet und geordnet haben, sondern den Männern der Schule.")

Unter den Pfarrern, die durch gründliche, selbständige Arbeit die

Sache gefördert haben, nenne ich nur Kohlrausch,") unter den akademischen Theologen Achelis, Caspari, Simons und Baumgarten.")

Allein, so Wertvolles sie geschrieben haben,

so gebührt doch, wenn allmählich Wolken und Nebel von unserm

Problem weichen, und die Ziele greifbare uud erreichbare Ge­ stalt annehmen, das eigentliche Verdienst dem Frankfurter Pro­

fessor Marx") und der trefflichen „Zeitschrift für den evan­

gelischen Religionsunterricht".")

Handelt es sich um die Regelung des Verhältnisses zwischen dem Konfirmandenunterricht und dem Religionsunterricht in der

Schule, so sind meines Erachtens nur vier verschiedene Wege möglich: entweder 1. man erkennt bewußt und ausdrücklich die

wesentliche Gleichheit

beider Gebiete

an

und läßt sie aus

Zweckmäßigkeitsgründen nebeneinander bestehen; oder 2. man der-

6 zichtet völlig auf den einen oder

den andern Unterricht; oder

3. man teilt Zeit, Stoff und Aufgabe reinlich zwischen beiden,

sodaß zuerst die Schule in einigen Jahren gewisse Stoffe be­

handelt, nachher aber der Religionsunterricht in der Schule auf­ hört, und der Pfarrer allein die religiöse Unterweisung vollendet; oder 4. man stellt bei einer gewissen Gemeinsamkeit des Stoffes

die tatsächliche Verschiedenheit des Zieles fest und verständigt sich danach über die Aufgaben und Grenzen im einzelnen, ohne

das Nebeneinander der Gebiete einzuschränken und aufzuheben. ?*>) Der erste dieser vier Wege wird in der Wirklichkeit sehr oft eingeschlagen und wenigstens zuweilen auch verteidigt.

Der

Pfarrunterricht erscheint danach als eine Doublette, als ein kräf­ tiger Extrakt, als eine autoritative Wiederholung des religiösen

Schulunterrichts, in seiner Eigenart charakterisiert nur durch Amt und Person des Pfarrers, nicht durch ein sachliches Sonder­ gebiet oder eine besondere Aufgabe; nur daß vielleicht aus dem Kompagnieexerzieren ein Bataillonsexerzieren wird.

Die eigent­

liche Arbeit leistet der Lehrer, der Pfarrer gibt dazu die amtliche Weihe.

Die Fülle der einzelnen Kenntnisse vermittelt der Lehrer;

der Pfarrer fügt nur die sachliche Abrundung und die persön­

liche Wärme hinzu.

Der Konfirmandenunterricht unterscheidet

sich vom Schulunterricht hier nur durch seinen „erbaulichen", „seclsorgerlichen" oder „kirchlichen" Charakter. "*)

Für diese Anordnung kann man als einzigen Grund neben der Überlieferung nur das Wort geltend machen: „Repetitio est mater studiorum“ oder auf deutsch: „Doppelt genäht hält besser".

Alles andere spricht dagegen.

Ich sehe davon ab, daß

für uns Evangelische der Pfarrer weder eine besondere Amts­

gnade noch einen character indelebilis hat, kraft dessen er

allein einen wirklich „kirchlichen" Unterricht erteilen könnte oder

den Schulunterricht erst kirchlich stempeln müßte.

Es kann sogar

der Pfarrunterricht weniger gut und weniger erbaulich, „seel-

sorgerlich" und „kirchlich" sein als der religiöse Unterricht des

7 Lehrers.

Aber es ist klar, daß, wenn Pfarrer

und Lehrer

genau dieselbe Aufgabe haben und sachlich nicht den gleichen

Standpunkt vertreten oder persönlich

nicht

zueinander

recht

stehen, gerade der religiöse Unterricht ein Streitobjekt werden kann, ein Gegenstand des gegenseitigen Kritisierens und Korri­

gierens und der Anlaß zu höchst unerbaulichen Verhältnissen.22) Sind sie aber wirklich sachlich und persönlich einig, so erscheint

der doppelte Unterricht als eine bedauerliche Verschwendung von Zeit und Kraft, zumal unter unsern modernen Lebcnsbedin-

gungen, und zwar um so unverständlicher, je besser der Re­ ligionsunterricht ist.

Damit gefährdet man beide Gebiete und

macht mindestens das Recht des einen oder des andern zweifel­

haft, da man die Notwendigkeit dieses Nebeneinander nicht

nachweisen samt.23) In der Tat wäre der zweite Vorschlag, den einen oder

den andern Unterricht einfach Alle

diejenigen,

deren

Ideal

aufzugeben, eine klare Lösung.

der

religionslose

Staat

oder

wenigstens die möglichste Neutralität des Staates in religiösen Dingen ist, wenden auf den Religionsunterricht in der Schule

das Wort an: „Stoß die Magd hinaus!"") feiten eifernder Pfarrer kann

Aber auch von

man Stimmen aus

den

ver­

schiedensten Lagern hören, die den Religionsunterricht, zumal

auf den höheren Schulen, falls er nicht verändert wird, beseitigt wissen wollen.23)

gefordert,

Auf der andern Seite hat man hinwiederum

daß der Konfirmandenunterricht und vielleicht auch

die Konfirmation den Religionslehrern übertragen werden solle.23)

An sich möglich wäre diese Entwicklung durchaus.

Man

könnte sich einerseits denken, daß der Konfirmandenunterricht ganz in den Schulunterricht eingegliedert würde, und ein grund­ sätzliches Bedenken, ihn den Religionslehrern

zu übertragen,

läge solange nicht vor, als man von der Gleichheit des Zieles

überzeugt ist.

Immerhin wäre bei einer solchen Regelung die

Gefahr vorhanden,

daß der Konfirmandenunterricht in jeder

8 den

Hinsicht

andern Wissensfächern

gleich

würde.

behandelt

Nicht die Schule, aber die Gemeinde und die Familie würde voraussichtlich die Änderung bitter empfinden. Auch würde man vermutlich bald Proteste dagegen hören, daß die Schulen

und die vom Staate angestellten Lehrer unmittelbar sich in den

Dienst der Kirche stellten.

Andrerseits könnte die völlige Auf­

hebung des Religionsunterrichts in der Schule gewiß durchge-

sührt werden, aber nicht ohne eine starke Schädigung des Bil­ dungszieles und des Erziehungscharakters der Schule.2 ?)

Auch

würden, wenn es geschähe, sämtliche Pfarrer einsehn, wie groß bisher die Mühe und Vorarbeit der Schule gewesen ist: sie

würden fortan, ohne den religiösen Unterricht der Schule, kaum

den zehnten Teil dessen erreichen, was sie jetzt erreichen, und

müßten Zeit, Kraft und Arbeit zehnfach aufroenben.28)

Weiter

aber entspricht eine solche radikale Regelung vorläufig nicht dem jetzt noch zu Recht bestehenden Verhältnis

Kirche.

von Staat

und

Endlich aber muß, ehe eine so weittragende Entschei­

dung vollzogen wird, gründlich die Frage untersucht werden:

haben denn die beiden Gebiete wirklich nur denselben Stoff und dasselbe Ziel? — Aber, so fällt nun eine dritte Gruppe ein, so radikal und

böse ist's nicht gemeint!

Schule und Kirche sollen sich nur in

Zeit und Stoff sachlich teilen.22)

Wenn beide dasselbe sollen

und wollen, so beginnt die Schule, die Kirche setzt fort und vollendet.

Dann sind alle Schwierigkeiten gehoben.

In den

ersten Jahren mag die Schule allein, in den letzten Schuljahren

der Pfarrer allein die religiöse Unterweisung erteilen.

Beide

Teile können sich friedlich verständigen, wie weiland Abraham

zu Lot sprach:

„Stehet dir nicht alles Land offen?

scheide dich von mir.

Lieber,

Willst du zur Linken, so will ich zur

Rechten; oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken."

So werden denn auch die mannigfachsten Pläne vorgetragen: „die Schule soll sich auf die

biblische Geschichte beschränken,

9 alles andere aber dem Pfarrunterricht überlassen"; „die Schule soll die drei ersten Hauptstücke nehmen, der Pfarrunterricht die beiden letzten";

„die Schule soll den Katechismus allein

be­

treiben, der Pfarrunterricht allein die heilige Schrift und die

Kirchengeschichte"; „die Schule soll die heilige Schrift und das

Leben Jesu behandeln, der Pfarrunterricht allein den Katechis­ mus und die Konfessionsunterschiede"?") Teilungsvorschläge

Solche und ähnliche

Gesund

werden gemacht.

ist daran

Drängen auf friedliche, sachliche Auseinandersetzung.

das

Für durch­

führbar halte ich das, was auch schon jetzt geschieht, daß näm­

lich die biblische Geschichte

der Schule allein zugewiesen ist.

Alle andre äußerliche Scheidung des Stoffes in diesem Umfang halte ich für zweifelhaft.

Das zeigt schon die Mannigfaltigkeit

der gemachten Vorschläge, die sich meist geradezu widersprechen. Der Streit um die Brunnen ist auf diese Weise eher erregt als

beschwichtigt.

Auch würde voraussichtlich bei einer solchen Schei­

dung die Schule ihren Anteil an der religiösen Unterweisung aus verschiedenen Gründen möglichst herabzudrücken suchen. Und wieder erhebt sich die große Frage: welches ist denn der Zweck

des beiderseitigen Unterrichts?

Hat nicht jedes der beiden Ge­

biete seinen besonderen Zweck und

seine besondere Aufgabe?

Und haben nicht beide darum ihre Eigenart und doch ein ge­

wisses Maß gemeinsamen Besitzes und gegenseitiger Beziehungen? Läßt sich von da aus nicht die Notwendigkeit nachweisen, daß

sie nebeneinander bestehen, sich gegenseitig unterstützen, über das

Gemeinsame sich verständigen, die Sondergebiete klar und fried­ lich abgrenzen?

Ich glaube, daß der durch diese Fragen angedeutete vierte Weg der allein richtige und sichere ist.

Ich glaube auch, daß

allein auf diesem Wege eine gedeihliche Ausgestaltung und Wir­ kung des Konfirmandenunterrichts erreicht, ja daß vielleicht auf

ihm

allein die Fortdauer des Religionsunterrichtes auf

Schulen für die Zukunft gesichert werden tarnt31)

den

10 Wollen wir

in dieser Richtung

eine brauchbare Bahn

bauen, so müssen wir zuerst das Terrain rekognoszieren und die Linie abstecken. Wir bauen unsre Bahn nicht auf den Mond und in die Wolken hinein; wir verzichten also grundsätzlich von vornherein auf alle noch so idealen Möglichkeiten und Kon­ struktionen, die den Tatsachen nicht entsprechen und auf Ver­

wirklichung keine Aussicht haben?-)

Wir wollen solide und

dauerhaft bauen; deshalb enthalten wir uns alles Stürmens und Drängens und hüten uns, den dritten Schritt vor dem ersten zu tun, wie es heutzutage in vielen wohlgemeinten und geistvollen Reformschriften auf allen Gebieten Mode ist und die allgemeine Unzufriedenheit, Not und Verwirrung nur steigert. Gerade die nüchterne, umsichtige und praktische Weise, in der

Professor Marx seine Fragen gestellt und seine Enquete veran­ staltet hat, ist für seine Erfolge bedeutsam gewesen?^ Wir brauchen unsre Bahn auch nicht über den Kamm des Gebirges

zu führen, sondern sie an die uralten Bergeshänge nur anzu­ lehnen und sie um diese nur herumzuführen; d. h. wir brauchen

nicht erst alle die großen Probleme wie Staat und Kirche, Staat und Schule, Kirche und Schule, Lehrbarkeit der Religion, religiöse Entwicklung usw., umfassend zu erörtern und grund­ sätzlich zu lösen, wofern wir nur des Zusammenhangs unsrer Frage mit ihnen bewußt bleiben und bei besonders schwierigen Partien unsre Bahn als Zahnradbahn ausbauen. Wir brauchen endlich, wenn wir auch hie und da einen Tunnel bohren müssen, keine umfangreichen Ausgrabungen; d. h. wir setzen die gelehrten

Untersuchungen über die Geschichte der Konfirmationspraxis und dergleichen voraus.

Freilich dürfen wir andrerseits beim Abstecken nicht zu eng verfahren, damit wir nicht etwa bloß mit einem eingleisigen

Schmalspurbähnchen ein kleines Seitental erschließen, sondern wirklich dem allgemeinen Interesse dienen.

Soll die Ausein­

andersetzung einen Wert haben, so dürfen wir uns also nicht

11 bloß auf Personalgemeinden oder auf Lokalgcmeinden, auch nicht

auf die höheren oder auf die niederen Schulen, auch nicht auf

die eine oder andre Gegend und Provinz, auch nicht bloß auf

die Großstadt oder auf das Land beschränken, sondern müssen das alles im Auge behalten, ebenso die sozialen Zustände, die

konfessionellen Verhältnisse, die religiöse Weiterbildung und alles, was sonst noch in der Wirklichkeit des Lebens von Bedeutung für unser Problem ist.

Vor allem aber müssen wir noch einen Blick werfen auf die äußeren, unterscheidenden Merkmale, die dem Konfirmanden­

unterricht und dem religiösen Schulunterricht anhaften.

Der

Religionsunterricht der Schule ist bei weitem umfassender als

der Konfirmandenunterricht: während dieser nur 1li bis 2 Jahre

erteilt wird, meist wöchentlich mit 2, zuweilen mit 4 Lehr­

stunden, begleitet der Religionsunterricht der Schule die Jugend vom 6. bis zum 14. oder 15. — in höheren Schulen bis zum

18. oder 19. — Lebensjahre.

Der Konfirmandenunterricht zählt

also etwa 40—140 Lehrstunden,") der religiöse Schulunterricht auf den höheren Schulen gegen 800, auf den Mittelschulen

etwa 900, auf den Volksschulen etwa 1100 Stunden, — ein ge­

waltiger Unterschied!

Der Religionsunterricht in der Schule

erfolgt nach einheitlichen zusammenhängenden Lehrplänen, die in

den verschiedenen Gauen unsers Vaterlandes einander immer­ ähnlicher geworden sind.

Er erhält seine Mannigfaltigkeit durch

die Verschiedenheit der Klassen und Stufen, oft auch durch die wechselnde Persönlichkeit der Lehrer.") Der Konfirmanden­ unterricht ist nach alter Überlieferung nicht an einen allgemein­

gültigen kirchlichen Lehrplan gebunden, sondern nach Stoff und

Art frei, beweglich, und lediglich von der Individualität des

Pfarrers und der Sitte der Gemeinde abhängig.

Kann er

dadurch in sich selbst auch einheitlich sein, so ist er doch im allgemeinen

eine ganz unberechenbare Größe, zumal auch die

Zahl der Stunden, die für ihn bestimmt sind, in den ver-

12 schiedenen Landeskirchen verschieden ist.

und Gegenden

ganz außerordentlich

Vor allem aber wirkt hier auch die so große

Meinungsverschiedenheit über Sinn und Zweck der Konfirmation

ein.

Jeder Pfarrer kann es also anders machen als der andere,

zuweilen auch in dem einen Jahre anders als im vorhergehenden;

und „was im Konfirmandenunterricht geschieht, findet auf Erden

keinen Richter"?*)

Dazu kommt, daß in diesem Unterricht die

verschiedensten Stufen der Bildung und Reife und ost auch die

verschiedensten Schulen vereint ftnb.®7)

Das alles sind Schwierig­

keiten nicht bloß für die Erteilung, sondern auch für die Be­ urteilung des Konfirmandenunterrichts, natürlich auch für seine

Vorbereitung und Berücksichtigung durch die Schule.

Danach versteht sich von selbst, daß die Verständigung zwischen beiden Gebieten vorläufig nur eine grundsätzliche und

allgemeine, freie und elastische sein kann.

Sie kann nur die

großen Gesichtspunkte und Grundsätze der Gebietsteilung und

Behandlung aufstellen, ohne eine Regelung bis in alle Einzel­

heiten vorzunehmen.

Die Winke für Stoffverteilung und Lehr­

verfahren müssen dehnbar sein, daß sie sich im einzelnen der jedesmaligen Wirklichkeit anpassen können und möglichst freien

Spielraum lassen für die Freiheit, so weit nicht die Notwendig­ keit und die Zweckmäßigkeit feste Abgrenzung und Bestimmung fordern.

Eine

voreilige Uniformierung

und ein Zwangsver­

fahren würde wahrscheinlich das, was man erhofft, eher ge­ fährden als sichern.

Eine wirkliche Verständigung muß davon

ausgehen, durch Feststellung der Eigenart das Recht der beiden

Gebiete klarzustellen.

Das kann aber nur geschehen, indem man

von dem Zweck des beiderseitigen Unterrichts ausgeht.®®)

Hier

vor allem müssen wir unser Visier richtig einstellen.

Welches

ist das Ziel des Religionsunterrichtes in der Schule?

Welches

dasjenige des Konfirmandenunterrichts? Meines Erachtens wird in der Schule der Unterricht auch in der Religionslehre®®) wie in allen andern Fächern im Auf-

13

trage des Staates erteilt,

und zwar um

der allseitigen,

geistigen Bildung willen. Es handelt sich dabei um ein notwendiges, wesentliches und wertvolles Stück der Bildung und Volkserziehung. Sein Zweck ist ein dem übrigen Schul­ ziel entsprechendes Verständnis der christlichen Reli­

gion. Ich weiß, daß diese Zweckbestimmung nicht in formalem Einklang steht mit dem, was z. B. die offiziellen preußischen Lehrpläne sagen.40)

Da heißt es z. B. in den Allgemeinen Be­

stimmungen vom 15. Oktober 1872:

„Die Aufgabe des evan­

gelischen Religionsunterrichts ist die Einführung der Jugend in

das Verständnis der heiligen Schrift und in das Bekenntnis

der Gemeinde, damit die Kinder befähigt werden, die heilige Schrift selbständig lesen und an dem Leben, sowie an dem Gottesdienst der Gemeinde lebendigen Anteil nehmen zu können."44)

Und in den Lehrplänen für die höheren Schulen von 1900 gilt als Endziel „die Befähigung zu dereinstiger religiös-sittlicher und kirchlicher Lebensbetätigung in Gemeinde und Volk" und als „Notwendigstes" dabei „die lebendige Annahme und wirkliche

Aneignung der Heilstatsachen und Christenpflichten", die „Heran­ bildung charaktervoller christlicher Persönlichkeiten". In dieser Formulierung gehen die Lehrpläne von 1900 weit über die von

1882 und 1892 hinaus.40) Ich gestehe offen, daß ich diese Formulierung nicht für zweckmäßig und haltbar erachten kann.40) Ich halte sie für einen Ausdruck des richtigen Bewußtseins, daß alles wahre Ver­ ständnis des Christentums sich im praktischen Leben, im Volks­

und Gemeindeleben, durch charaktervolle Frömmigkeit und Sitt­ lichkeit bewähren muß.44) Ich halte sie auch für ein weit­

gehendes Entgegenkommen gegenüber den Wünschen und Be­ dürfnissen der kirchlichen Gemeinschaft. Aber so lange Schule Schule bleibt und Unterricht Unterricht, wird zwar der Re­ ligionsunterricht zur Charakterbildung und zu praktischer Sitt­ lichkeit und Frömmigkeit in Gemeinde und Volksleben tatsächlich

14 beitragen und mithelfen, aber sein eigentliches Ziel sich weiter und niedriger stecken müssen.

Dies Ziel ist das Verständnis

der Religion, insonderheit der christlichen Religion in den durch

die Schule im allgemeinen bestimmten Grenzen, — genau so,

wie wir auch für den Geschichtsunterricht als

das eigentliche

Ziel nur das Verständnis der Geschichte bezeichnen

werden,

wenn wir auch als einen zu erhoffenden, wesentlichen Erfolg und

Ertrag des Geschichtsunterrichts die Stärkung der Vaterlands­

liebe und des nationalen Sinnes erhoffen.

Ich meine, daß die

Aufstellung eines bescheidenen, erreichbaren, der nüchternen Wirk­ lichkeit

und

dem tatsächlichen Zusammenhänge entsprechenden

Zieles richtiger und wertvoller ist als die vollklingende Prokla­

mierung eines Zieles, das sachlich in vielen Fällen nicht erreicht wird, ja vielleicht nicht einmal erreicht werden kann und das dabei den Unterricht unter Gesichtspunkte stellt, die unmittelbar

nicht im Wesen der Schule gegeben ftnb.45)

Wir können er­

warten und verlangen, daß auch diejenigen Schüler, die durch häusliche Einflüsse oder von sich selbst

aus der eigentlichen

christlichen Frömmigkeit und dem kirchlichen Leben verständnislos, fremd oder gar feindlich gegenüber stehen, um der allseitigen

Bildung willen auf der Schule einen zusammenhängenden Ein­ blick in das Wesen des Christentums und in seine Geschichte ge-

toinnen.46)

Wir können hoffen, daß dabei auch manche An­

regungen und Kräfte der Charakterbildung bewußt oder unbe­ wußt mit ausgenommen werden.

Aber wir müssen völlig zu­

frieden sein, wenn die Schule allen ihren evangelischen Gliedern

ein dem übrigen Schulziel entsprechendes Verständnis der christ­ lichen Religion vermittelt. Erkennen wir aber die von den preu­ ßischen Lehrplänen gegebenen Formulierungen

als notwendig

und unanfechtbar an, so scheint mir jeder besondere kirchliche

Konfirmandenunterricht überflüssig: die staatliche Schule erledigt ja die Aufgabe, die eigentlich der kirchlichen Gemeinde gestellt

ist.4')

Und sie hat nicht einmal Dank dafür: den einen ist der

15 religiöse Schulunterricht doch nicht „kirchlich", den andern nicht

„religiös", den dritten nicht „wissenschaftlich" genug, und da­

neben mehren sich die Stimmen, die einen solchen Religions­

unterricht, der sich nicht in erster Linie aus dem allgemeinen Schulziel ableiten läßt, als unberechtigt verwerfen.

Kehren wir

darum zurück zu einem Lehrziel, das einfach und unanfechtbar ist, dabei fest und frei zugleich, nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig, das dem eigentlichen Wesen alles Schulunterrichts

entspricht und doch dabei die praktische Seite der Sache nicht vernachlässigt: der Zweck des Religionsunterrichts in der Schule

ist ein dem übrigen Schulziel entsprechendes Verständnis der

christlichen Religion?")

Wie steht es nun aber bei dem Konfirmandenunterricht? Man antwortet: „Ziel des Konfirmandenunterrichts ist die Kon­ firmation"?^

Diese Antwort ist genau so richtig und so tief­

sinnig wie der Satz: „Ziel meines Heimwegs ist die Tür meines Hauses" oder wie der andre:

„Ziel der Rekrutenübungen ist

die Rekrutenvorstellung". Konfirmandenprüfung und Konfirma­

tion sind insofern das Ziel des Unterrichts, als dieser in den

beiden Akten seinen sachlichen

und feierlichen Abschluß findet.

Die Konfirmation selbst aber ist in Wirklichkeit mehr Durch­ gangspunkt und Ausgangspunkt als Ziel; sie ist der feierliche

Jnitiationsakt für die mündige Gliedschaft innerhalb der Ge­ meinde.

Wie sich die Art der Erziehung sachlich nicht nach

den Formen der Mündigkeitserklärung zu richten hat, sondern nach den Erfordernissen der Mündigkeit und Selbständigkeit, so auch die Art des Konfirmandenunterrichts nach den Erforder­ nissen des Standes, in den man durch die Konfirmation aus­

genommen wird.

Es wäre auch schlimm, wenn die Konfirmationshandlung selbst den Inhalt und Gang des Konfirmationsunterrichts zu

besümmen hätte; denn sie ist die reine kirchliche Sphinx?") Eine kirchliche Unterweisung hat es seit der Reformation in allen

16 evangelischen Ländern gegeben, einen Konfirmationsakt in den

wenigsten.

Erst nach und nach, gegen mancherlei Protest und

unter den wesentlichsten Wandlungen, hat sich die Konfirmation

durchgesetzt.

Sie ist auch schlechterdings nicht notwendig, so

feierlich, zweckmäßig und beliebt sie sein mag, während der re­ ligiöse Jugendunterricht eine Notwendigkeit ist, solange die Sitte

der Kindertaufe aufrecht erhalten wird.

Die Konfirmation ist

ein jetzt wohl ziemlich allgemein rezipierter Akt, aber in ihrem Sinn und in ihrer Form vielgestaltig, vieldeutig und von den verschiedensten Strömungen zusammengetragen, in der Gegen­

wart viel umstritten und hin und her gezerrt in der Diskussion wie die Leiche des Patroklus?Weit entfernt davon, daß sie uns als Leuchtturm dienen könnte für die Fahrt des Konfir­

mandenunterrichts, wird sie vielmehr selbst erst dann sachgemäß und sicher geordnet werden können, wenn man erst einmal weiß, was der Konfirmandenunterricht eigentlich soll. Ja, was soll er eigentlich? — Man antwortet: diesen

Unterricht erteilt „die Kirche", und nicht „die Schule"??) Das klingt großartig und soll offenbar einen Wertunterschied an­ deuten. Es klingt so, als sei die Schule eine profane, die Kirche aber eine heilige Lehranstalt. Allein man sollte sich hüten, zwei so disparate Begriffe wie „Kirche" und „Schule" in einen logischen oder tatsächlichen Gegensatz zu bringen. Sind

die Lehrer, die in der Schule den Religionsunterricht erteilen, und die Schüler, die ihn genießen, nicht ebensogut Glieder der Kirche wie die Pfarrer, die den Konfirmandenunterricht erteilen, und die Mitglieder der kirchlichen Behörden, die ihn anordnen? Und ist der Religionsunterricht in der Schule, im evangelischen Sinne erteilt, selbst ohne die tatsächlich vorhandene Aufficht

kirchlicher Organe nicht ebensogut kirchlicher Unterricht wie der Pfarrunterricht? Oder sind wir unbewußt wieder katholisch ge­ worden, daß die Kirche nicht mehr aus dem christlichen Volk, der Gemeinde, sondern aus den kirchlichen Amtsträgern besteht

17 und in ihnen allein zur Wirksamkeit kommt? — Will man den

Gegensatz nüchtern und klar formulieren, so kann es nur heißen: der religiöse Schulunterricht wird im Auftrage des Staates von

evangelischen, dazu ausgebildeten Lehrern, der Konfirmanden­

unterricht im Auftrage der Gemeinde von den Pfarrern erteilt. Damit stehen wir aber aufs neue vor derselben Frage, die wir nun so formulieren können: welches Interesse hat die Gemeinde daran, neben dem religiösen Schulunterricht noch einen besonderen Pfarrunterricht zu veranstalten? —

Da

ist es zunächst eine recht unbefriedigende Antwort,

wenn man sagt, der Konfirmandenunterricht unterscheide sich von dem religiösen Schulunterricht nicht durch Ziel und Stoff, sondern allein durch- den Ton; er sei lediglich eine abschließende Zusammenfassung des religiösen Schulunterrichts reitung auf die Kommunion.55)

als Vorbe­

Man sieht doch schlechterdings

nicht ein, weshalb die Schule nicht auch den rechten Ton treffen und ihren Unterricht selbst zusammenfassen kann. Es ist auch kein

zwingender Grund anzugeben, weshalb die Lehre von den Sakra­

menten der Schule versagt und dem Pfarrer Vorbehalten werden soll; evangelische Pfarrer sind doch keine Mystagogen. Handelt es sich aber wirklich nur um einen Sakramentsunterricht, um eine Vorbereitung auf die Kommunion, so dürften doch wohl vier Unterrichtsstunden völlig genügen.54) Ebenso unbefriedigend und unhaltbar sind meines Er­

achtens andre Unterscheidungen, die von einem richtigen Eindruck ausgehen, ihn aber ganz verkehrt wiedergeben, z. B.: die Schule solle ein allgemeines Christentum, der Pfarrer das kirchlich-kon­

fessionelle55) lehren; die Schule die allgemeine Humanitätsreli­ gion, die Kirche die christliche und kirchliche Wahrheit zur Dar­ stellung bringen.

Für ein ebenso ungenügendes wie unerreich­

bares Ziel halte ich es, wenn man meint, den Konfirmanden müsse eine systematische Glaubens- und Sittenlehre vorgetragen,

„eine soviel wie möglich abgerundete Weltanschauung" beigebracht Bornemann, Der Konfirmandenunterricht.

2

18 werden, — runden Sie einmal vierzehnjährigen Kindern eine Weltanschauung

ab!80)

Ebenso verkehrt ist es freilich, wenn

man meint, im Konfirmandenunterricht in irgend einem beson­

deren Sinne den Glauben vermitteln zu können?')

Ganz ab­

gesehen davon, daß dabei Familie und Schule und andre Ein­ flüsse

ebensogut

mitwirken

Glauben wirkt Gott allein.

wie

der Pfarrunterricht, — den

Salbungsvolle Reden und metho­

distisches Erschüttern und Kneten können wohl ungesunde, un­ natürliche, fanatische, skrupulöse oder selbstgerechte Frömmigkeit

Hervorrufen oder eine theologisch-kirchliche Dressur vermitteln, aber nicht den echten Glauben und wirkliche religiöse Erfahrung.

Künstlich reif gemachte Gurken sind widerwärtig und verderben am schnellsten.

Die echte Frömmigkeit der Jugend ist weder

wortreich noch ostentativ, sondern still und keusch und äußert sich

eher in stiller Nachdenklichkeit,

in verborgenem Suchen,

halbverlcgenem kritischem Interesse oder in frohem, siegesgewissem> unbefangenem Idealismus als in Bekenntnissen, Gelübden und

zeremoniellen Formen.

Da heißt es: „in Gott verborgen,

wachse, blühe, mein Edelreis!""")

Man hat dem Konfirmandenuntcrricht andre konkrete Ziele stecken wollen: er solle die Jugend einführen in den Katechismus

und eine populär-praktische Symbolik,"") er solle sie einführen in ein pragmatisches Verständnis der heiligen Schrift und üben in ihrem praktischen Gebrauche?") er solle der Jugend ein Leben

Jesu anschaulich vor die Seele stellen?')

Allein abgesehen da­

von, daß diese Ziele entweder zu hoch oder zu eng sind, bleibt

man

die Antwort schuldig, weshalb gerade diese Stücke dem

Konfirmandenunterricht Vorbehalten

entzogen werden sollen.

und

dem Schulunterricht

Man redet eigentlich sofort von dem

Inhalt, nicht aber von dem Ziele des Konfirmandenunterrichts;

und die Entscheidungen, die dabei gegeben werden, widersprechen sich, weil sie des klaren Ziels ermangeln.

Diejenigen, die der Wahrheit am nächsten kommen,

be-

19 zeichnen als Ziel „die gliedliche Teilnahme an dem Leben und

Feiern der Volkskirche",

„die selbständige oder vielmehr frei­

willige Teilnahme an dem ganzen gottesdienstlichen Leben Gemeinde mit Einschluß der Sakramente".33)

der

Wenn Baum­

garten dabei ausdrücklich es ablehnt, daß damit „die Reifeer­

klärung

zur kirchlichen Mündigkeit"

zweifellos richtig.

gegeben sei,

so

ist das

Aber man sieht nicht ein, weshalb der Kon­

firmierte nur an dem gottesdienstlichen Leben der Gemeinde,

nicht aber an dem Leben der Gemeinde überhaupt teilnehmen foH.63)

Man muß ihm doch auch nunmehr eine relativ mün­

dige Stellung einräumen: er ist reif nicht im kirchlichen Christen­ tum, aber doch reif zur Teilnahme am Gemeindeleben.

So

gewiß wir nun heutzutage überzeugt sind, daß wirklich kirchliches

Leben nur dort ist, wo lebendiges Gemeindeleben ist; so gewiß

das gesunde individuelle Christenleben und das rechte christliche Gemeindeleben sich gegenseitig fordern und bedingen; so gewiß wir im Zeitalter Sulzes gelernt haben, die Einzelgemeinde als

einen lebendigen, tätigen Organismus anzusehen; und so gewiß endlich jede Einzelgemeinde um ihrer Selbsterhaltung willen ihre

Heranwachsende Jugend zur Teilnahme an ihrem eignen Leben

zu erziehen hat, so gewiß hat der im Auftrage der Gemeinde

erteilte Pfarrunterricht das praktische Ziel, die Jugend in das

evangelische Gemeindeleben einzuführen.

Das ist Aufgabe der

Gemeinde, nicht der staatlichen Schule.

Eigentlich liegt auch dieser einfache Gedanke allen andern

Zweckbestimmungen unbewußt zugrunde.

Man hat ihn nur für

zu allgemein oder für zu trivial gehalten, oder unter dem Ein­ fluß der Überlieferung und der bestehenden Ordnungen oder be­

stimmter Lieblingswünsche und Desiderien ihn nicht ausreifen lassen.

Wenn die einen von den Konfirmierten den rechten Ge­

brauch der heiligen Schrift, die andern eine sichere Kenntnis der

Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens nach der kirch­ lichen Form des Katechismus, die dritten einen klaren, zusammen2*

20 hängenden Eindruck von dem Leben und Wirken Jesu, die vierten

ein Verständnis von den unterscheidenden Merkmalen des evan­

gelischen Christentums, die fünften eine würdige und verständnis­ volle Teilnahme an den Sakramenten, die sechsten eine wirkliche

christliche Lebens- und Weltanschauung, die siebenten den leben­ digen christlichen Glauben, die achten eine Kenntnis auch der

äußeren kirchlichen Ordnungen, Sitten und Einrichtungen er­ warten, so ist jedes dieser einzelnen Stücke ein Merkmal oder

Erfordernis

eines rechten

Gemeindegliedes, —

evangelischen

jedes in seiner Weise berechtigt und notwendig, jedes aber im

Konfirmandenunterricht nur in einer gewissen Verkürzung und

Einschränkung zu bieten.64)

Wir fassen alle diese zerstreuten

Strahlen zusammen und ordnen die disiecta membra zu einer

organischen praktischen Einheit, indem wir als das Ziel des Kon­

firmandenunterrichts

die Einführung der Jugend

einer evan­

gelischen Einzelgemeinde in die selbständige Teilnahme am Ge­ meindeleben bezeichnen.66)

Bei

der allgemeinen Dienstpflicht

des evangelischen Christentums werden in der Konfirmation die

Rekruten in die Kompagnie eingestellt,

— nicht

als fertige

Christen, als religiös und sittlich mündige Glieder, sondern als reif zum Lernen und Üben des vollen, selbständigen Christen­

lebens innerhalb und mit der Gemeinde.

Die zarten Pflanzen

werden aus den Blumentöpfen der Familien, aus den Gewächs­

häusern der Schulen hineingepflanzt in den Garten des weiten, praktischen Lebens.

Die jungen Bäume werden aus den um­

friedeten Baumschulen in den freien Wald der Gemeinde versetzt. Für diesen neuen Stand müssen sie zu Freiheit und Weite,

Sicherheit und Freudigkeit, Verständnis und Tätigkeit, Selb­

ständigkeit und Gemeinsinn angeleitet werden.

Das ist das Ziel

des Konfirmandenunterrichts.66) Daraus ergibt sich, daß, während in der Schule der Re­ ligionsunterricht

einen allgemeineren

und

mehr

theoretischen

Charakter behalten muß, für den Konfirmandenunterricht die

21 praktische Gewöhnung eine unerläßliche Hauptsache ist. Je mehr

es dem Pfarrer gelingt, das Leben einer evangelischen Gemeinde der Jugend mit allen berechtigten Mitteln nicht bloß verständlich,

sondern auch vertraut, wertvoll und lieb zu machen, um so mehr erfüllt der Konfirmandenunterricht seinen Zweck.

Freilich, der

beste Pfarrunterricht vermag wenig, wenn nicht die Familien

und die Gemeinde selbst ihn als ihre eigne Sache betrachten und

unterstützen/')

Andrerseits ist

klar, daß der Konfirmanden­

unterricht, wenn er dankbar überall an den religiösen Schul­ unterricht anknüpfen, manches aus ihm voraussetzen, anderes in

geeigneter Weise wiederholen, wieder anderes ergänzen und weiter­

führen oder unter neuem Gesichtspunkt konzentrieren muß, durch­ aus seine Eigenart, sein selbständiges Recht, sein praktisches Ziel und seinen besonderen Inhalt hat.

Die Art jener Verbindung

und Anknüpfung an den Schulunterricht wird je nach den kon­

kreten Verhältnissen sehr verschieden sein können und müssen;

das Ziel des Konfirmandenunterrichts selbst ist fest und be­

stimmt.

Nachdem wir über Ziel und Zweck des beiderseitigen Unter­

richts eine Verständigung herbeizuführen versucht haben, mag es nunmehr gestattet sein, im Anschluß daran eine Anzahl prak­

tischer, zum Teil strittiger Fragen in aller Kürze zu erörtern. Zunächst einige Bemerkungen über die Zeit des Konfir­

mandenunterrichts !a8)

Ich verstehe völlig, wenn vielfach der

Wunsch geäußert wird, der Konfirmandenunterricht möge

in

ein höheres Lebensalter, etwa in das 16. oder 18. Lebensjahr

hinaufgerückt werden.

Zweifellos wäre es dann möglich, für

das reifere Alter den Unterricht ganz anders tief und praktisch zu gestalten, auch viel mehr Rücksicht zu nehmen auf die Be­

dürfnisse, Fragen, Versuchungen und Interessen der bereits in das Leben hinausgetretenen Jugend/8) Für die höheren Schulen wäre eine derarttge Änderung auch durchführbar, aber gerade sie bedürfen sie, da der Religionsunterricht bis in die obersten

22 Klassen fortdauert, am allerwenigsten.

Bei den Mittelschulen

und Volksschulen halte ich dagegen eine solche Verschiebung, wie die Verhältnisse des wirklichen Lebens nun einmal liegen, für

ausgeschlossen; die Konfirmation findet doch am besten bei dem Übertritt aus der Schule in das praktische Leben statt.70) Ich glaube auch, daß eher die Praxis in der Schweiz und in Ost­ friesland, auf die man sich beruft, aufgegeben, als daß sie auf

die andern Landschaften übertragen toirb.71)

Stehn die Dinge

aber so, dann wird man, wenn auch schweren Herzens, auf diese

Wünsche verzichten müssen.

Denn eine Scheidung der höheren

Schüler von den Volksschülern derart, daß jene mit 16 oder

18 Jahren, diese aber mit 14 Jahren konfirmiert würden, halte ich vom Standpunkt der Gemeinde aus für äußerst bedenklich.70)

Unter diesen Umständen würde ich wünschen, daß die Konfir­ mation für die höheren Schüler auf eine der beiden Tertien festgelegt würde.

Außerdem aber wäre folgendes zu beachten.

Es ist widersinnig, daß der bis ins einzelne zusammenhängende, einheitliche Lehrgang der Schule durch den Konfirmandenunter­

richt auf ein oder ein halbes Jahr unterbrochen wird.70) Wenn es also nicht möglich sein sollte, den Konfirmandenunterricht in die schulfreie Zeit zu verlegen und um seinetwillen keinen Schüler

von dem Religionsunterricht zu dispensieren,

so sollte man

grundsätzlich im Religionslehrplan der höheren Schule, der in bezug auf die Tertia-Pensen sowieso allerlei Bedenken unterliegt,

darauf Rücksicht nehmen.

Man sollte diejenigen, die am Kon­

firmandenunterricht teilnehmen,

vom Religionsunterricht

dis­

pensieren, die andern aber kombinieren und ihnen einen or­

dentlichen Abriß der Kirchengeschichte, insbesondere der Refor­ mationsgeschichte, geben.74) In bezug auf die Tageszeit des Konfirmandenunterrichts,

sollte eine beiderseitige Vereinbarung stattfinden.

Man sollte

grundsätzlich, wie dies ja auch in verschiedenen Landeskirchen ein­ heitlich geregelt ist,70) den Pfarrunterricht in die schulfreie Zeit

23 verlegen, oder, falls das wirklich nicht möglich sein sollte, den Wünschen der Schule möglichst entgegenkommen.

Das kleine

Schifflein des Pfarrunterrichts kann dem großen Dampfer der

Schule eher ausweichen als dieser jenem.

Andrerseits sollte für

den Pfarrunterricht eine Zeit offen gehalten werden, in der die Kinder nicht stumpf oder abgehastet und überbürdet sind; und eine einmal getroffene Vereinbarung müßte auch von feiten der

Schule peinlich eingehalten werden, so daß sie nicht etwa doch Unterrichtsstunden, Schulakte, Ausflüge und dergleichen in die dem Pfarrunterricht zugestandene Zeit verlegt.

Bei beiderseitigem

gutem Willen sollte es nicht schwer sein, hier

zu einem ver­

nünftigen Einvernehmen zu kommen.78)

Sodann je ein kurzes Wort für alle beteiligten Gruppen. Wie die Religionslehrer nie vergessen dürfen, daß ihre Auf­

gabe durch die von ihnen behandelte Sache einen ganz beson­

deren Charakter erhält und neben der intellektuellen Stoffbe­ herrschung von ihnen auch Selbstbeherrschung, eigne religiöse

Wärme und eine richtige Stellung zu ihren Schülern verlangt,77) so sollen die Pfarrer den Konfirmandenunterricht als eines

der wichtigsten Stücke ihres Berufs, als einen wesentlichen Zweig der allgemeinen Seelsorge ansehn und darin allen dienen, ohne böse Unterschiede zu machen zwischen reich und arm, vornehm

und gering.78)

Sie sollen aber auch wissen, daß sie im Kon­

firmandenunterricht zu unterrichten, nicht zu predigen haben.

Auch ergibt sich aus unseren Voraussetzungen, daß der Konfir­

mandenunterricht

nicht

von beliebigen Geistlichen,

etwa von

Geistlichen der Inneren Mission, zu erteilen ist, sondern von den Gemeindepfarrern,

stalten handelt,

pfarrer.78)

oder, wo es sich um geschlossene An­

für die Anstaltszöglinge

von dem Anstalts­

Die Gemeinden selbst sollten deutlicher als bisher

einsehn, daß es sich bei dem Konfirmandenunterricht um einen wichtigen Akt der Selbsterhaltung und Lebenskräftigung der Ge­ meinden handelt, und demgemäß mit ihrer vollen Teilnahme

24 den Unterricht tragen und begleiten. Die Eltern dürfen den Konfirmandenunterricht nicht als etwas Überflüssiges oder gar als eine Last betrachten, sondern müssen mit Verständnis und

eignem entsprechenden Verhalten den Unterricht unterstützen, sich

ihren

und

selbst

Kindern

Segen?")

zum

Die Behörden

sollten nicht reglementieren bis ins einzelne, sondern anregen,

sichern, beaufsichtigen, schützen; nur die großen Züge und Ge­ sichtspunkte bedürfen durch allgemeinere Direktiven einer Rege­

lung; eine gewisse Freiheit und Mannigfaltigkeit kann, darf und

muß hier herrschen, je nach den sachlichen und persönlichen Ver­ hältnissen der Gemeinden.")

Die Kinder sollen durch

den

Konfirmandenunterricht lernen, sich als unfertige und werdende,

aber doch als notwendige und berechtigte Glieder der Gemeinde zu betrachten und mehr und mehr selbst „für ihre Seele zu

sorgen".

Dabei ist das soziale Element von höchster Bedeutung. In

der

Regel

Ständen,

werden

die

Kinder

Schichten und Schulen

aus

den verschiedensten

im Konfirmandenunterricht

vereint sein und in dieser Vereinigung ein Bild der Gemeinde

selbst bieten.

In kleinen Gemeinden werden Knaben und Mäd­

chen zusammen, in großen werden sie getrennt unterrichtet werden.

Daß man im Unterricht

die Schüler derselben Schulen, die

Freunde und Bekannten zusammensetzt, daß man, wo mehrere Cöten notwendig sind, dieselben nach dem Maße der Schulbil­

dung vereinigt,") läßt sich durch didaktische und pädagogische

Gesichtspunkte vollauf rechtfertigen und wird durch soziale For­

derungen nicht ausgeschlossen.

Selbstverständlich aber ist es,

daß stets und überall die vollste soziale Gerechtigkeit und Sach­ lichkeit waltet, ohne Parteilichkeit, ohne Bevorzugung und Zu­

rücksetzung.

Wenn im Konfirmandenunterricht wirllich Gemein­

sinn gelernt wird durch die Gerechtigkeit religiös-sittlicher Ge­ sinnung, so ist das auch ein Beitrag zur Lösung der sozialen Frage.

25 Damit kommen wir zu

dem rechten Geiste des Unter­

Es sollte von jedem Religionsunterricht gelten, daß

richts?^

er nicht langweilig, nicht unnatürlich und forciert, nicht gesetzlich

und rechthaberisch sei.

Mit dem Ernst muß sich

die Unbe­

fangenheit und Freudigkeit, mit der Entschiedenheit die Wahr­ haftigkeit und Freiheit verbinden. Der ganze Unterricht soll von persönlicher Überzeugung, sittlicher Selbständigkeit und Tätig­

keit, Achtung vor fremder Überzeugung getragen sein und dazu anregen.

Nicht Unterwerfung unter theologische und rechtliche

Satzung ist sein Ziel, sondern Verständnis für religiöses und sittliches Leben und Streben, d. h. für geistiges, innerstes, ver­ borgenes Leben.")

Gilt das vom Religionsunterricht überhaupt,

so muß sich der Konfirmandenunterricht noch durch ein beson­

deres Maß rechten Gemeinsinns auszeichnen; er muß vor allem in jeder Weise, auch durch praktische Übung, möglichst

das religiöse Heimatsgefühl, Vertrauen und Treue, pflegen und ausbilden.

Er muß sich gerade der Schwachen besonders

annehmen, und bei den Starken an das Ehrgefühl und an die Opferwilligkeit und Selbstverleugnung appellieren.")

Er darf

nie vergessen, daß die meisten Kinder vor dem Abschied aus dem Vaterhause und vor dem Eintritt in das buntbewegte, fremde

Leben stehn.

In Geduld und Hoffnung muß er aussäen und

die stillwachsende Saat pflegen, deren Frucht sich vielleicht erst

in Jahren oder Jahrzehnten zeigen toirb?6)

Was die äußere Ordnung anlangt, so brauche ich von der Schule und ihrem Religionsunterricht nicht zu reden.

Dort

ist alles im allgemeinen geregelt und meist auch im einzelnen

bestimmt.

Dagegen läßt sich für den Konfirmandenunterricht,

gerade um seines besonderen Zweckes willen, manches besonders

hervorheben.

Vor allem dies, daß hier nicht weniger, sondern

womöglich noch mehr Zucht und Ordnung herrschen muß als

in der

Schule.

Zucht und Ordnung

ist im Pfarrunterricht

vielleicht deshalb oft schwieriger, weil der Pfarrer mit seinem

26 Unterricht außerhalb

des Schulorganismus

verhältnis­

steht,

mäßig nur in wenigen Stunden mit den Kindern arbeitet und meist auch nicht soviel didaktische Übung und pädagogische Er­

fahrung hat wie der Lehrer.

Aber andrerseits wird Zucht und

Ordnung im Pfarrunterricht meist dadurch erleichtert, daß dieser Unterricht der Jugend als eine Abwechslung und höhere Stufe

erscheint, und daß das Pfarramt als solches geachtet ist?') Immerhin soll der Pfarrer ebensogut wie der Lehrer wissen, daß Zucht und Ordnung am besten nicht durch besondere Maß­

regeln, sondern durch den Inhalt und den Ton und das In­ teresse des Unterrichts gesichert ist.

Der Unterricht sollte Auf­

merksamkeit, Teilnahme und Eifer so wecken und in Gang halten, daß Strafen und Rügen überhaupt nicht einzutreten brauchen.

Schelten oder gar schimpfen sollte man im religiösen Unterricht

nie?8)

Sollten Strafen und Rügen unvermeidlich sein, so tut

man am besten, die Delinquenten nach dem Unterricht eindringlich und freundlich unter vier Augen vorzunehmen. Überhaupt sei man streng und mild zugleich; ernst, aber doch freundlich; und ein gesunder Humor wirkt mehr als gemachte, salbungsvolle Feierlichkeit?8) Auch soll man in bezug auf Äußerlichkeiten

Verständnis

haben für das jugendliche Alter

und

nie

aus

Kleinigkeiten Staatsaktionen machen. In bezug auf Zucht und Ordnung sind in der Regel die

ersten Stunden jedes Unterrichts die entscheidenden; da muß

man mit ruhiger Festigkeit und Umsicht den Grund legen. Dabei soll der Pfarrunterricht einen echt gemeindlichen Charakter haben,

d. h. im besten und edelsten Sinne familiär sein.

Der Pfarrer

muß seine Konfirmanden spätestens nach vier Lehrstunden kennen und nicht bloß mit dem Familiennamen, sondern auch mit Vor­

namen nennen.

Er soll der erste und letzte im Unterrichts­

zimmer fein,90) und dies soll in der Regel nicht in der Schule,

sondern in der Pfarre, im Gemeindehause oder in der Kirche sich

befinden?')

Hier sind die Konfirmanden

zugleich wie Gäste

27 und wie Kinder des Hauses.

Und der Pfarrer steht unter ihnen,

wie ein Hausvater, der aus seinem Schatze Altes und Neues hervorholt, der auch, je nach den Umständen, vor oder nach

dem Unterricht nach dem Ergehn der Angehörigen sich erkundigt, in der Lehrstunde auch auf besondere Interessen der jugend­ lichen Schar eingeht und sie auf Feste, Nöte und edle Bestre­

bungen des Volkslebens aufmerksam macht, gelegentlich auch gute Schriften namhaft macht

oder sie etwa verteilt??)

Natürlich

muß bei alledem das Interesse der evangelischen Gemeinde im Mittelpunkte stehn und der leitende Gesichtspunkt sein.

Im

einzelnen wird man je nach Landschaften, Gemeinden und beson­

deren Verhältnissen sehr verschieden verfahren müssen. Eine Viertelstunde vor Beginn des Unterrichts öffne der

Pfarrer das Unterrichtszimmer und begebe sich an seinen Platz. Jeder einzelne Konfirmand und jede einzelne Konfirmandin hat ihn durch Handschlag zu begrüßen und dabei anzusehn?^) Der Pfarrer wird dabei mit dem einen oder andern einige Worte

sprechen; seine Gegenwart wird dazu dienen, daß die Kinder entweder mit stillem Lesen oder mit ruhiger, ungezwungener Unterhaltung sich beschäftigen, bis der Unterricht selbst pünktlich beginnt.

Der Gesang eines oder zweier gut ausgewählter Lieder­

verse, die Verlesung einer kurzen Schriftstelle und ein kurzes, freies, kindliches Gebet sind die ersten Stücke.

Dann folgen

vielleicht einige Fragen und orientierende Bemerkungen zu der

verlesenen Schriftstelle und einige Fragen über die letzte Predigt, auch das Aufsagen eines Wochenspruches.")

An die Wieder­

holung des letzten Pensums schließt sich die Durchnahme des neuen, möglichst in lebhaftem und ungezwungenem Geistesaus­

tausch mit den Kindern, d. h. in Frage und Antwort ohne steifes

Katechisieren und ohne langweiliges Dozieren,") aber unter mög­ lichster Benutzung

der Bibel und des Gesangbuchs

und

in

möglichst lebendiger Abwechslung und praktischer Anknüpfung. Zum Schluß wiederum kurzes, freies Gebet und vielleicht ein

28 Liedervers, dann Verabschiedung jedes einzelnen durch Hand­

schlag.

Daß der möglichst regelmäßige Besuch der Gemeindegottes­ dienste durch die Konfirmanden als ein notwendiges Stück des

Konfirmandenunterrichts

zu betrachten und

zu verlangen ist,

versteht sich auf unserm Standpunkt von selbst.

Man weise

ihnen feste Plätze an, nicht auf einer Empore, sondern möglichst

vorne angesichts der Gemeinde, nehme in der Predigt oft Rück­ sicht auf sie, lasse sie durch die Sakristei die Kirche verlassen, um persönlich dem Pfarrer die Hand zu reichen, und frage im

Unterricht kurz nach den gehörten Predigten.

Gut eingebürgert

haben sich in manchen Gegenden auch besondere Eröffnungs­ gottesdienste zu Beginn des Unterrichts; und wertvoll wäre es wenn bei der Konfirmandenprüfung oder der Konfirmation auch

die Kirchenältesten ein Wort an die Kinder richten toürben.96)

Einen Bcichtdurchgang der einzelnen Kinder vor dem Abend­ mahl halte ich für ebenso bedenklich wie unnötig; in besonderen

Fällen kann man anders eingreifen.

Auch die Hausbesuche bei

den Angehörigen der Konfirmanden gehören aus äußeren und inneren Gründen mit zu den notwendigen Stücken des Pfarr­

unterrichts; dabei wird man ungezwungen durch die Interessen der Schule und durch die Berufsfrage zu tiefergehenden Ge­ sprächen kommen. Überhaupt ist das Konfirmandenjahr eines

Kindes eine sehr fruchtbare Zeit für die Beziehungen zwischen Familie und Gemeinde?') Während nun in bezug auf die äußere Ordnung und Ein­

gliederung der Konfirmandenunterricht wegen seines praktischen Zweckes wesentlich anders gestellt ist als der religiöse Schul­

unterricht, sind doch

in bezug

auf die Lehrmethode beide

wiederum einander nahe verwandt?9)

Anschaulich machen, ver­

ständlich machen, lieb machen sollen beide die christliche Religion. Da gilt es, die religiösen Unterrichtsstunden nicht zu theolo­

gischen Lehrstunden oder zu deutschen Sprachstunden oder zu

29 archäologischen Kursen zu machen; da gilt es, die Spezialitäten und persönlichen Liebhabereien zu meiden und auch keine brot­ losen Künste zu treiben, wie jener Superintendent in der Lüne­ burger Heide, der jedem seiner Konfirmanden zwei Taler ver­

sprach, der in acht Tagen den ganzen 119. Psalm genau aus­

wendig lernte, und als einer wirklich dieses Kunststück fertig brachte, ihm die zwei Taler — doch nicht gab. Da gilt es auch,

von künstlichen Gemütserschütterungen

ganz

abzusehn;

selbst die Heroen des Methodismus haben mit ihren Kinderer­ weckungen keine dauernden Erfolge gehabt. Schützen wir unsre sttllwachsende Saat!

Der Unterricht sei klar, anschaulich, ruhig

und warm, er greife weder zu hoch noch zu tief. Die Nüchtern­ heit schließt nicht die Wärme, wohl aber die Exaltation, das Stürmische, Ungeduldige, Drängende au8.99)

Daß er ganz und

gar geschichtlichen Charakter trage, daß er wissenschaftlicher Art sei, sind übertriebene Forderungen. Aber er soll weder die Wissenschaft noch die geschichtliche Ader verleugnen, und jedes Zurückgreifen auf wichttge, anschauliche Episoden aus Geschichte

und Menschenleben kann ihn nur praktischer und eindrucksvoller machen. Ein rechter Lehrer muß recht erzählen können. Überhaupt gelten für den Religionsunterricht in der Schule

alle Erfordernisse einer gesunden, besonnenen Religiösität, für

den Konfirmandenunterricht alle vernünftigen Lehren, Regeln

und Grundsätze der Didaktik und Pädagogik?99) Der Religions­ lehrer in der Schule braucht aus lauter wissenschaftlicher Neu­

tralität die eigne Religiösität nicht zu verleugnen.

Der Pfarrer

hinwiederum soll wissen, daß eine in wirklichem Geistesaustausch verlaufende Katechese der Jugend hundertmal interessanter ist als alles Angepredigtwerden. Ebenso soll man nicht, wie einzelne

der Modernsten anscheinend meinen, Formlosigkeit, Einfälle und burschikose Wendungen für Merkmale eines fesselnden Unterrichts halten. Besonders zu meiden ist in jedem religiösen Unterricht alles bloße Pauken und Dressieren, aber auch alles Trompeten und

30

Posaunen, nicht minder aber auch alles süßliche Flöten- und

Harfenspiel.

Das viele Hersagenlassen, das Nachschreiben oder

Diktieren würde ich vermeiden, häusliche Lernaufgaben sehr be­ schränken, Ausarbeitungen durchaus der Freiwilligkeit überlassen,

Strafarbeiten nie aufgeben.

Selbstverständlich ist dagegen in

den Unterrichtsstunden möglichst jeder durch Fragen aktiv zu be­

teiligen.

Eine Maximalzahl für jeden einzelnen Konfirmanden-

cötus — etwa die Zahl 50 — ist unumgänglich und streng

innezuhalten."*)

Ein Konfirmandenunterricht größerer Mengen

— etwa 100 oder mehr zugleich — ist aus didaktischen, päda­

gogischen und religiösen Gründen verwerflich; er zerstört viel mehr, als er bauen kann.

Auch ist es wichtig, daß beim Unter­

richt selbst abgesehn von Bibel und Gesangbuch und den fünf Hauptstücken Luthers

kein Buch gebraucht

Spruchbuch noch ein Leitfaden?"^)

wird,

weder

ein

Dagegen ist gegen die An­

lage eines Merkbuches, in das die Konfirmanden zu Hause die

wichtigsten Notizen eintragen, nichts einzuwenden.

Fragen, die

das Verständnis wecken und das Nachdenken anregen, sind wert­ Auch kann man den Konfirmanden Gelegenheit geben,

voll.

ihrerseits mündlich oder schriftlich dem Pfarrer Fragen vorzu­

tragen.

Wenn die Kinder aus den höheren Schulen meist mehr

Urteil, die aus den Volksschulen mehr Bibelkenntnisse besitzen, so

soll das zur gegenseitigen Anspornung dienen; aber ein Gramm lebendigen Interesses ist mehr wert als ein Kilogramm Kennt­ nisse und Urteile.

Soll nun der Pfarrer in jedem Jahre denselben Lehrplan befolgen oder in jedem Jahre einen

ganz neuen entwerfen?

Vermutlich wird er weder das eine noch das andere tun.

Er

soll ohne Not nicht das Bewährte preisgeben, und ohne Zwang

das Minderwertige nicht beibehalten.

Aber dafür soll er sorgen,

daß mit jedem neuen Unterrichtskursus der Begriffskomplex ver­

schärft und vermindert, der Anschauungskomplex belebt und ver­ bessert, der Wertkomplex verstärkt und nüchterner werde, die

31 praktischen Anwendungen immer einfacher und natürlicher, ela­

stischer und kraftvoller. Es versteht sich von selbst, daß für den Pfarrer didaktische

und pädagogische Ausbildung — und zwar womöglich in noch höherem Maße, als sie bisher gewährleistet ist, eine Notwendig­

keit, und daß gewissenhafte Fortbildung auf didaktischem und

pädagogischem Gebiete eine ernste Pflicht für ihn ist.

Es ver­

steht sich ebenso von selbst, daß der Pfarrer sich selbst einen

klaren Lehrplan entwerfen und dabei den Lehrplan der Schule oder der Schulen nebst dem Plan des Memorierstoffes so gründ­ lich kennen muß, daß er darauf weiterbauen kann.

Hätte der

Pfarrunterricht einen überall anerkannten, einheitlichen Lehrplan,

die Schule, die bis dahin den Konfirmandenunterricht durch ihre Arbeit in dankenswertester Weise vorbereitet und unterstützt hat,

würde ihrerseits zweifellos gern darauf Rücksicht nehmen. ist leider vorläufig nicht zu hoffen.

Das

Immerhin aber sind die

von uns aus dem Zwecke des beiderseitigen Unterrichts abgelei­ teten Richtlinien deutlich und zugleich elastisch genug, um eine

weitere Verständigung anzubahnen.

Es kann nun hier natürlich nicht meine Aufgabe sein, die

Lehrpläne für den Religionsunterricht in den Schulen, die überall das Ergebnis langjähriger Entwicklung und unermüdlicher Arbeit, zugleich

auch andauernd Gegenstand

öffentlicher Beobachtung

und sachverständiger Kritik sind, zu kritisieren, zumal sie in den verschiedenen Landesteilen starke Verschiedenheiten aufweisen und

bis in die letzte Zeit allerlei Veränderungen unterworfen

wesen sind.

ge­

Noch weniger maße ich mir an, hier Normallehr­

pläne für die verschiedenen Schularten vorzulegen.

Im allge­

meinen verweise ich auf das, was ich im ersten Jahrgang der

Zeitschrift „Deutschland" in einem Aufsatz „Der Religionsunter­

richt in den Schulen" ausgeführt habe."^)

Dagegen habe ich mich der Aufgabe nicht entzogen, in den Leitsätzen den Entwurf eines Lehrplans des Konfirmandenunter-

32 richts vorzulegen,

und zwar in so ausgeführten Umrissen,

daß ich mich jetzt auf einige allgemeine Bemerkungen dazu be­ schränken kann.

Ich hebe aber von vornherein hervor, daß es

ein Versuch ist, und daß gerade nach meinen eignen Dar­ legungen ein festes, für alle Verhältnisse gültiges Schema nicht

aufzustellen ist.

Immerhin glaube ich, daß mein Entwurf in sich

einheitlich aus der Zweckbestimmung abgeleitet und dabei doch

umfassend und elastisch genug ist, um sich den Verschiedenheiten der praktischen Verhältnisse leicht anzupassen, und daß er dem

Schulunterricht gegenüber seine Eigenart und Selbständigkeit be­

hauptet.

Ich füge hinzu, daß ich ihn auch nun bereits mehrere

Jahre praktisch erprobt und bei der jugendlichen Schar stets

Aufmerksamkeit, Eifer und Verständnis gefunden habe. Sie ersehen aus meinem Entwurf, daß ich über die Grenzen

eines bloßen Kommunionunterrichts und über die Elemente der Glaubens- und Sittenlehre weit Hinausgreife.

Auch die von

manchen Seiten gemachten Vorschläge, im Konfirmandenunter­ richt im wesentlichen nur den Katechismus oder nur die heilige

Schrift und zwar theoretisch und praktisch, oder nur das Leben Jesu zu behandeln, kann ich mir nicht aneignen.

Gewiß würde

man so einen einheitlichen und eindrucksvollen Religionsunter­

richt erteilen können, aber er bliebe doch gegenüber seinem eigent­ lichen Zweck einseitig und Stückwerk.

Er brächte Dinge nicht,

die meines Erachtens heutzutage notwendig sind, und beschäftigte sich nur mit Dingen, die auch in der Schule vorkommen müssen.

Auf die Person und das Wirken Jesu und auf die heilige

Schrift kann weder die Schule noch zichten.

der Pfarrunterricht ver­

Und selbst vom Katechismus meine ich, daß er auch

fernerhin von der Schule zu betreiben sei, nicht bloß dem Pfarr­ unterricht zur Liebe, sondern auch im eignen Interesse, und daß er andrerseits nicht nur dem Schulunterricht überwiesen werden

darf, sondern in irgend einer Form — in Wiederholung, Er­

gänzung, Zusammenfassung oder neuer Beleuchtung — auch im

33 Konfirmandenunterricht vorkommen ntufc.105) Freilich betone ich, daß ich den Ansturm gegen den überlieferten Katechismus­ unterricht in Seminar, Schule und Konfirmandenunterricht völlig begreife und billige. Aber was man da in der Regel behandelt hat, war seit Jahrhunderten meist nicht mehr der einfache, schlichte, praktische Katechismus Luthers, sondern ein theologischer Wechsel­

balg, den man statt seiner in die Wiege gelegt hat, so daß man nur sagen konnte: „Armer kleiner Katechismus, wie hast du dich

verändert!" Allein ich habe immer noch die feste Hoffnung, daß Luthers Katechismus selbst, richtig verstanden und volkstümlich behandelt, auch diejenigen wiedergewinnt, die jetzt bei dem bloßen Worte „Katechismus" nervös tocrben.106) Das ist freilich richtig, daß, wenn für Luthers Zeit die Kenntnis der 5 Hauptstücke mit der schlichten Anwendung Luthers und der Haustafel für einen einfachen Christen völlig genügte,107) in den völlig veränderten und verwickelten Kulturverhältnissen

der Gegenwart doch noch etwas mehr erforderlich erscheint. Die geschichtliche Entwicklung des religiösen Lehrstoffes in der Schule beweist das. Aber ebenso erklärt sich das Suchen, Tasten und

Experimentieren in bezug auf den Konfirmandenunterricht.

Be­

zweckt nun der letztere wirklich eine Einführung in das evange­ lische Gemeindeleben, so muß zunächst eine Heimatkunde die Konfirmanden mit den Verhältnissen der Gemeinde zusammen­

hängend bekannt machen.

Sodann muß der Charakter dieser

evangelischen Gemeinde klar gemacht werden, einerseits im Ver­

gleich und in den Beziehungen zu den natürlichen und bürger­ lichen, menschlichen Gemeinschaften, andrerseits im Unterschiede von andern religiösen und kirchlichen Gemeinschaften.100)

End­

lich muß eine evangelische Lebenskunde die persönliche Stellung

und Wirksamkeit des Einzelnen innerhalb der Gemeinde charak­ terisieren. Und diese ganze (sit venia verbo) „evangelische Bür­

gerkunde" will nicht bloß theoretisch dargelegt, sondern möglichst auch praktisch geübt und gepflegt werden.100) Bornemann, Der Konfirmandennnterricht.

3

34 Für eine eigentliche Apologetik, also für eine zusammen­

hängende, gründliche Auseinandersetzung mit andern modernen Weltanschauungen "°) halte ich 14 jährige Knaben und Mädchen

noch nicht für reif.

Diese Aufgabe muß man für ein etwas

höheres Lebensalter zurückstellen. wichtigsten Punkte.

Das führt uns aber zu dem

Die Probe für den wirklichen Wert jedes

religiösen Unterrichts, ganz besonders aber des Konfirmanden­ unterrichts liegt nicht in irgend einer Prüfung, sondern in der

Bewährung und Treue der Unterrichteten im späteren Leben. Allein auch hier dürfen wir nicht bloß Forderungen aufstellen,

Es erhebt sich also

sondern müssen auch Gelegenheiten bieten.

für uns alle die ernste Frage: was kann die Gemeinde tun, um die konfirmierte Jugend in freudiger, tätiger Anteilnahme am

evangelischen Gemeindeleben zu erhalten? *") —

Jahrzehntelang haben die Gemeinden“2) dieser Frage viel

zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und noch weniger gehandelt

und am allerwenigsten erreicht.

In den für die meisten Men­

schen entscheidenden Lebensjahren, zwischen dem 15. und 25. Jahre, hat man der herangewachsenen Jugend zu wenig Anregung,

Tätigkeit und Anschluß geboten, und wo man es versuchte, meist in verkehrtem Ton und ungeschickter Form.

So sind die mei­

sten jungen Leute ihre eignen Wege gegangen, haben sich der

Gottesdienste entwöhnt und

von

dem

Gemeindeleben

zurück­

gezogen, oder sie sind in das Lager der Sekten oder der Sozial­ demokraten übergegangen.

Man hört es ja immer aufs neue

wieder, wie namentlich die letzteren systematisch sich der Jugend unsers Volkes bemächtigen und sie für ihre Ideale begeistern, schulen und terrorisieren.

Was können die evangelischen Ge­

meinden tun, damit die Konfirmation nicht das Ausgangstor

aus der Gemeinde, sondern die Eingangspforte in das Gemeinde­ leben bilde?"») Da vernimmt man von den verschiedensten Seiten den Ruf

nach obligatorischem Religionsunterricht in obligatorischen Fort-

35 Der Staat soll mit seiner Autorität die

bildungsschulen."*)

Jugend noch etwa vier Jahre der „Kirche" zu Unterricht und Erziehung übergeben.

Daß ein solcher fortgesetzter Unterricht

möglich und, wie das Beispiel der höheren Schulen zeigt, auch nützlich und wertvoll sein könnte, bezweifle ich nicht.

würde ich abraten.

Trotzdem

Der Staat würde diese Dienste widerwillig

leisten. Eltern und Lehrmeister würden offen oder geheim Oppo­ sition machen.

Die Jugend selbst würde widerwillig sich dem

Zwange fügen und die äußere Ordnung und Disziplin eines solchen Unterrichts auf das äußerste erschweren.

Vor allem

aber würde man einen neuen, verhängnisvollen Schritt tun, um

die Kirche in Wirklichkeit oder scheinbar zur Schule zu stem­ peln."^)

Man sollte doch endlich lernen, daß eine Gemeinde

keine Schule ist, und daß man die Gemeindeglieder nicht fest­

hält, sondern abstößt, indem man sie immer wieder als Schüler

behandelt!

Es kommt alles jetzt darauf an, daß man die Frei­

heit und Größe und praktische Bedeutung echt evangelischen Ge­

meindelebens wirksam werden läßt. "^) Also fordern wir nicht obligatorischen Religionsunterricht

für die Fortbildungsschule, wohl aber Gelegenheit zu wirklicher

religiös-sittlicher Fortbildung."') Gemeindeleben selbst mit

Dem soll doch vor allem das

Gottesdienst,

Predigt, Diskussions­

abenden, Familienabenden dienen und alles, was den Zusam­

menhang des Einzelnen mit der Gemeinde und dem Pfarrer

aufrecht erhält.

Da gilt es besonders, der Heranwachsenden

Jugend Tätigkeitsgebiete zu eröffnen und sie um die Güter der

Gemeinde zu vereinen.

So haben die Helfer und Helferinnen

meines Erachtens von den Kindergottesdiensten selbst mehr Segen als die Kinder.

ist erwünscht.

Auch die Beteiligung an einem Kirchenchor

Bei Festen und Nöten der Gemeinden sollte

man auch, wo es geht, die herangewachsene Jugend anstellen.

Wertvoller als Ausflüge und Unterhaltungsabende erscheinen mir Besichtigungen von gemeinnützigen Anstalten und von Ausstel-

3*

36 lungert jeder Art, auch die Überweisung an gute Vereine, die

dauernde Beeinflussung der Lektüre durch gute Bücher und Zeit­ schriften.

Sehr segensreich haben sich die gedruckten Konfir­

mandenbriefe erwiesen, die Pfarrer Nathanael Hauri in St. Gallen

jedem seiner früheren Konfirmanden

jährlich zusendet.

Auch

Vortragskurse sind sehr zu empfehlen, mehr noch die richtige

Vereinsbildung. In der Organisation liegt eine große Anziehung und Kraft.

Leider sind uns in dieser Hinsicht überlegen.

die Sekten vorläufig weit

Auch der innere Zusammenhang der Brüdergemeinde

beruht auf einer derartigen Organisation jedes Lebensalters. Über die bestehenden Jünglings- und Männervereine will ich

kein Urteil fällen.

Sie sind jedenfalls auch ihrem Geiste und

ihrem Betriebe nach sehr verschieden.

Aber größere Hoffnung

für die Zukunft als auf diese kann man meines Erachtens auf andere, neuere Formen der Jugendvereine setzen, auf die Bestre­ bungen, wie sie in Hamburg durch Clemens Schultze und Walter

Claßen und in Frankfurt — im Wartburgverein — durch den

Jugendpfleger Stenzel erfolgreich gewesen sind.

@ine freie,

große Organisation, ein frischer, freudiger Ton, ein lebendiger

gegliederter Verkehr, eine auf Ehrgefühl und freie Verantwort­

lichkeit gegründete, freie Selbstbestimmung, Anregung zu viel­ seitiger Ausbildung, gemeinsame Arbeit, Freude und Erbauung,

und das alles in freiem, aber festem Anschluß an die

kirchlichen Gemeinden, — das sind die Grundzüge dieser Bestrebungen.

Möge der Religionsunterricht in der Schule wie

der Konfirmandenunterricht für jeden jungen evangelischen Chri­ sten nicht eine vereinzelte Episode bleiben/")

sondern

beide

vereint vorbereitende Stufen sein für ein rechtes Christenleben

innerhalb der evangelischen Gemeinde und segensreiche, kraftvolle Ordnungen für die stete Erneuerung unsers Volkslebens! 1

Anmerkungen. *) z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

a) Natürlich ist diese Spannung dort, wo — wie z. B. vielfach in Bayern — nicht bloß der Konfirmandenunterricht, sondern auch der religi­ öse Schulunterricht in der Hand der Pfarrer liegt, viel weniger fühlbar.

Unter solchen Umständen ist es auch erklärlich, daß gerade in Bayern die Stimmen derer zahlreich sind, die für den Konfirmandenunterricht nur eine

kurze Zeit und geringe Stundenzahl für nötig erklären. — Andrerseits

muß hervorgehoben werden, daß auch die modernen Verkehrsbedingungen und die im letzten Jahrhundert so stark veränderten politischen Verhältnisse durch die politische Vereinigung kirchlich getrennter Landesteile und durch die Freizügigkeit mit dem mannigfachen Wechsel des Wohnsitzes unser Pro­ blem zum Bewußtsein gebracht haben.

a) Wer von den Fortschritten, die unsre Volksschulen im Laufe des letzten Jahrhunderts gemacht haben, eine deutliche Vorstellung haben will,

der vergleiche z. B. die Ordnung und den Betrieb unserer jetzigen Frank­ furter Bürgerschulen mit der Schilderung, die Pfarrer Kirchner in der Einladungsschrift zur ersten öffentlichen Prüfung der Weißfrauenschule 1814

auf Grund seiner Revisionserfahrungen (1809 u. 1812) von den bis zu jener Zeit bestehenden Quartierschulen entworfen hat. (Abgedruckt in der trefflichen Abhandlung von Oberlehrer vr. Sarowy, „Vorbereitung und

Begründung des städtischen Volksschulwesens in Frankfurt a. M., Programm der Adlerflychtschule Ostern 1907", S. 40—44.)

Oder man lese einmal,

unter steter Vergleichung der modernen Verhältnisse, die charakteristische

Darstellung in Jeremias Gotthelfs „Leiden und Freuden eines Schul­ meisters", die ebenfalls in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ver­

setzt.

Da gerade in bezug auf das Verhältnis zu Staat und Kirche die

Geschichte mancher einzelnen Anstalten den ganzen Hintergrund unserer

Frage am anschaulichsten wiederspiegelt, sei hier auch auf die Festschrift zur Hundertjahrfeier der Musterschule in Frankfurt a. M. (1903) hingewiesen

mit den vorzüglichen Arbeiten von R. Neumann und R. Fron in g. 4) Das gilt vor allem von den Arbeiten für den Katechismus­ unterricht, die bis vor kurzem ohne weiteres für Schule und Konfirmanden-

38 unterricht zugleich geschrieben und gebraucht wurden. Aber auch auf andern Gebieten des religiösen Unterrichts machte man zwischen der Schule und dem Pfarrunterricht bezüglich der Lehrbücher und Leitfaden kaum einen Unterschied.

Bis in die neuste Zeit läßt sich diese Verbindung und Ver­ Einer der jüngst erschienenen Leitfaden, der von Maxi­

mischung verfolgen.

milian Gebhardt, Pastor an der Lutherkirche in Berlin (Berlin 1906), trägt den bezeichnenden Titel: „Moderner Religions- und Konfir-

manden-Unterrricht, aus der Praxis für die Praxis mitgeteilt". Dieser Titel zeigt die völlige Indifferenz gegenüber unserm Problem, soll aber

wohl so verstanden werden, daß der Verfasser ein typisches Beispiel geben

will, wie in der Gegenwart religiöser Unterricht überhaupt zu geben sei. Im übrigen ist auch in der bisherigen Volksschulpädagogik von den Auto­ ritäten (z. B. Kehr, Sander, Gräfe) meist der Standpunkt vertreten, daß der Konfirmandenunterricht, abgesehn von der Ausfüllung gewisser Lücken, keinen

eigenartigen Stoff habe, sondern nach Bedürfnis weiterführen, vertiefen, an­ wenden müsse. — Was die Überwindung der Unklarheiten und Mißverhält­ nisse anlangt, so

gelten auch hier die schönen Worte Friedrich Michael

Schieles: „Darum ist es die Vorbedingung zu dem Erfolg, daß die beiden

Arbeiter, Schule und Kirche, zueinander das rechte Verhältnis haben.

Beide

müssen voneinander in der rechten Abhängigkeit sein; und doch wieder muß

jede von ihnen die rechte Selbständigkeit besitzen.

Freilich scheint es den

Männern der Schule oft so, als hätten sie an der Kirche keine Bundesge­ nossin im Kampfe gegen die Ignoranz; und den Männern der Kirche kommt es oft so vor, als hätten sie an der Schule keine Verbündete im Und es scheint beiden nicht ohne Grund

Streite wider die Glaubensarmut. so.

Aber die rechte Kirche weiß,

daß sie gegen die religiöse Dürftigkeit

eines Volkes nichts ausrichtet, wenn sie nicht positiv an der Hebung seiner

Kultur arbeitet; und die rechte Schule weiß, daß sie gegen die kulturelle

Dürftigkeit eines Volkes nichts erreicht, wenn sie nicht die reinste Quelle edlen Menschentums heilig halten lehrt: die Religion.

So haben sie also

doch gemeinsam zu wirken, gemeinsam zu kämpfen. Zwei Armeen — rücken sie zum Kampfe gegen einen gemeinsamen Feind aus. Beide brauchen ein einheitliches Oberkommando, müssen von einem zielbewußten, einheitlichen

Willen geleitet sein.

Aber sind sie zu eng aneinander gebunden, so leidet

ihre Beweglichkeit. Getrennt marschieren, vereint schlagen, das hat vor 25 Jahren zum Siege geführt. Das wird auch dem Kirchen- und dem Schulheere zum Erfolge helfen."

Volksschulunterrichts Schule,

im

neuen

(Vgl. die Rede über „Die Aufgaben des Deutschland"

1896,

in „Religion

und

Aufsätze und Reden von Friedrich Michael Schiele^, Tübingen

1906, S. 190.)

39 6) Darin stimmen die einsichtigsten Beurteiler überein. Vgl. die Aus­ führungen und Nachweisungen von R. A. Kohlrausch, Pastor in Groß­

monra, in seinem gründlichen uüd verdienstvollen Buche: „Der Konfirman-

Ein theoretisch-praktisches Handbuch für Geistliche und Reli­

den-Unterricht. gionslehrer".

Magdeburg 1898, S. 9—118.

Ebenso Professor Marx in

der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 84 ff. und 1899, X, S. 13 ff.

Ferner in derselben Zeitschr. 1898, IX, S. 97 ff. I. Köster, anschließend

an einen Aufsatz von Pastor Rektor Bohn sied t in Nowawes in der

deutschen Lehrerzeitung;

1898, IX, S. 213 ff.

dem Königreich Sachsen."

„Eine Stimme aus

Ferner vgl. Pfarrer I. D. v. d. Heydt,

„Der Religionsunterricht in Schule und Kirche," Gotha, 1896.

D. Simons:

Professor

„Konfirmation und Konfirmanden-Unterricht." Tübingen

1900, S. 45 ff., 52 ff.

Außerdem viele andere.

6) Diese Arbeit wird in der Regel von allen, die nicht genau in den

Schulbetrieb hineinsehen können, und oft genug auch von den Pfarrern, sehr unterschätzt.

Wie unendlich viele verschiedene Gesichtspunkte müssen bei

der Aufstellung eines Stundenplanes berücksichtigt werden aus rechtlichen,

pädagogischen, didaktischen, hygienischen, persönlichen und mehr oder minder unberechenbaren, in den gegebenen Verhältnissen liegenden Gründen!

Zu

unserer Frage vergleiche man z. B. das Votum des Direktors Hintzmann-

Elberfeld auf der 24. rheinischen Religionslehrerversammlung 1899, abge­ druckt in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1900, XI, S. 82. Und da sind vielleicht

noch nicht einmal alle Schwierigkeiten aufgezählt.

7) Für den Standpunkt der Religionslehrer vgl. z. B. Marx, Zeitschr. f. d. ev. R.-U., 1898, IX, S. 84 ff. — Wo der Konfirmandenunterricht nicht in der schulfreien Zeit oder genau in der Zeit des Religionsunterrichts

liegt, werden die Klassenlehrer, denen die gleichmäßigen Gesamtfortschritte

ihrer Schüler am Herzen liegen, und die Fachlehrer der auf diese Weise be­ nachteiligten sog. „Nebenfächer" das stets bitter empfinden.

8) Fallen um des Konfirmandenunterrichts willen Schulstunden aus, so haben die Eltern derjenigen Schüler, deren Versetzung unsicher, oder

deren Begabung gering ist, doppelte Sorge.

Liegen aber die Konfirmanden­

stunden in der schulfreien Zeit, so sind wiederum die Eltern der körperlich schwachen Kinder in Sorge. Viele Eltern begreifen nicht das Nebeneinan­ der des beiderseitigen Unterrichts, da ihnen eine klare Unterscheidung des beiderseitigen Zwecks fehlt.

Andre endlich sind in Sorge, daß etwa die von

ihnen gewünschten und erhofften Eindrücke und Erfolge des Konfirmanden­

unterrichts durch den gleichzeitigen religiösen Schulunterricht zerstört werden. Zu letzterem Punkte vgl. L. Wiese, „Der evangelische Religions-Unterrickt

40 im Lehrplan der höheren Schulen.

Ein pädagogisches Bedenken." 2. Ausl.

Berlin 1891, S. 32.

9) Bei den Klagen über unzureichende Vorarbeit der Schule handelt es sich meist um ungenügende Verständigung zwischen Pfarrer und Lehrer.

Was der Pfarrer für besonders wichtig hält, hat der Lehrer nicht geleistet oder kann es nach seinen Vorschriften nicht leisten; und was der Lehrer ge­

leistet hat, verwertet der Pfarrer zu wenig oder weiß es kaum genau. Die Klagen über den kirchenfeindlichen oder „ungläubigen" Religionsunterricht

der Schule mögen in einzelnen Fällen berechtigt sein.

Oft entspringen sie

nur dem kirchenpolitischen Parteifanatismus oder der falschen Verallgemei­ nerung einzelner Beobachtungen.

Als auf dem Kirchentage zu Elberfeld

derartige Klagen ganz allgemein gegen die Gymnasien erhoben waren, hat

bald hernach 1851 die Philologenversammlung in Erlangen dagegen pro­

testiert.

Vgl. L. Wiese, a. a. O. S. 29 f.

In neuerer Zeit haben solche

Anklagen, die aus den Synoden stehende Artikel wurden, in der Regel zu

glänzenden Rechtfertigungen der Angegriffenen durch die sachkundigen und

kompetenten Vertreter der kirchlichen Behörden und Synoden geführt. —

Oberlehrer Peters berichtet in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1904, XV, (5.49 von einem Pastor, der dem ihn besuchenden Primaner sagte: „Halten Sie sich bei dem Unterricht Ihres Religionslehrers die Ohren Ihres Geistes zu,

nur dann kann der gute Hirte zu Ihnen reden l" — Ganz öffentlich hat P. Dammann in seinem Evang. Wochenblatt „Licht und Leben" 1899,

Nr. 27 ausgeführt: „mit dem Religionsunterricht an höheren Schulen sei es schlecht bestellt; er verdiene den Namen Religionsunterricht gar nicht, er trage die Hauptschuld an der Unkirchlichkeit der Konfirmierten, an der Ent­

fremdung unsrer Gebildeten von Evangelium und Kirche."

Ihm ist in der

Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1901, XII, S. 21 ff. würdig und richtig geant­ wortet. Übrigens nehmen sich solche Anklagen höchst merkwürdig aus im Munde eines Dammann, der auf der Gnadauer Pfingstkonferenz 1880 das

naive Geständnis abgelegt hat: „Ich gestehe, meinen Konfirmandenunterricht tue ich mit Seufzen, aber eine Bibelstunde, an der oft gegen 700 Menschen teilnehmen, halte ich mit Freuden."

Pfingstkonferenz 1880, S. 196.)

(Vgl. Verhandlungen der Gnadauer

Danach scheint geduldiger Unterricht seine

Stärke nicht zu sein. 10) Mit der Frage nach der Notwendigkeit, den Zielen und Grenzen

des Religionsunterrichts haben sich z. B. in Preußen die Staatsbehörden,

das Kultusministerium und die Provinzialschulkollegien seit dem Bestehn der letzteren (1825) immer aufs neue beschäftigen müssen (s. Wiese, der ev. R.-U., 2. Aufl. 1891, S. 25 ff.).

Ebenso sind die Konsistorien betreffs

des Konfirmandenunterrichts und seiner Stellung zur Schule oft in An-

41 spruch genommen worden, zumal im Laufe der letzten Jahre auf vielen

Synoden unsere Frage wenigstens gestreift worden ist. — Was die Konfir­ manden selbst anlangt, so Pflegen sie, wo der Konfirmandenunterricht und

der religiöse Schulunterricht im wesentlichen den gleichen Stoff behandelt,

das Nebeneinander beider als eine sinnlose Doublette zu empfinden, die sie, weil es nun einmal so ist, ziemlich stumpf ertragen oder als Anlaß zu

allerlei kritischen Betrachtungen benutzen.

Oft wird ihnen erst einige Jahre

später der Sinn der Konfirmation klar, gewöhnlich mit dem Bewußtsein, daß das Bekenntnis und das Gelübde bei der Konfirmation ihnen eigentlich

viel zu viel zugemutet habe und deshalb hinfällig sei.

Wo nun der Kon­

firmandenunterricht auf das übliche, viel zu umfassende Bekenntnis und

Gelübde angelegt war, wird er nachträglich als zu hoch für vierzehnjährige

Kinder kritisiert.

Endlich wird dann gar leicht der Religionsunterricht in

den oberen Klassen der höheren Schulen als überflüssig empfunden, da man

doch schon feierlich für reif und mündig erklärt sei.

Die Stellung der Kon­

firmierten zu Konfirmation, Konfirmandenunterricht und religiösem Schul­ unterricht ist sehr verschieden und bei der gegebenen Sachlage meist ebenso unklar wie kritisch. Übrigens weiß ich von zahlreichen Fällen, wo der Ein­ druck des Konfirmandenunterrichts nach kurzer Zeit völlig verwischt war,

und das religiös-sittliche Interesse erst durch den Religionsunterricht in der

Prima lebendig, bewußt und stark wurde.

Umgekehrt ist freilich oft auch

der Konfirmandenunterricht eindrucksvoller und für die religiöse Entwick­ lung bedeutsamer.

Oft vereinigen sich auch die Eindrücke beider Gebiete.

n) Abgesehn von einer Reihe von einzelnen Schriften und Aufsätzen zu unserm Gegenstände, die von mir in den Anmerkungen erwähnt werden, verweise ich auf die diesem Hefte angefügten Beilagen, nämlich: 1. Über­

sicht über wichtige Schriften zur Geschichte unsers Problems (s. Beilage 8); 2. Verfügung des preußischen Kultusministers vom 16. Okt. 1860 nebst Erlaß des Rheinischen Konsistoriums vom 6. Nov. 1860 (s. Beilage 7); 3. Übersicht über die in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. erschienenen Abhand­

lungen zu unserm Gegenstände (s. Beilage 6); 4. Übersicht über diejenigen ev. Religionslehrerversammlungen,

die unser Problem behandelt,

nebst einigen andern Versammlungen, die dazu Stellung genommen haben (s. Beilage 4); 5. Übersicht über die für die Provinzen Rheinland und

Westfalen bedeutsamen Daten und Versammlungen (s. Beilage 5).

Aus

diesen Zusammenstellungen ergibt sich, daß unser Problem in den Provinzen

Rheinland und Westfalen am längsten und am häufigsten Gegenstand von Verhandlungen gewesen ist, — seit etwa 1850 bis in die neuste Zeit.

Sodann zeigt sich deutlich, daß bei den Erörterungen über unsre Frage die Jahre 1890 und 1898 bedeutsame Einschnitte darstellen.

Im Jahre 1890

42 tagte nicht bloß die Preußische Schulkonferenz, sondern es trat auch die treffliche Zeitschr. f. d. ev. R.-U. ins Leben, und es erschienen die wichtigen

Schriften des langjährigen Leiters des Preußischen höheren Schulwesens L. Wiese über „Der ev. Religions-Unterricht im Lehrplan der höheren

Schulen" und des Erlanger Professors W. Caspari „Die ev. Konfirma­ tion". Seit dem Jahre 1898 datiert das tatkräftige Vorgehn des Frank­ furter Professors Marx, wodurch eine Fülle von Äußerungen und Ver­ handlungen hervorgerufen und wesentliche Fortschritte erzielt würden. 12) Über einige Nebenfragen mehr formeller Art, z. B. über die Tageszeit des Konfirmandenunterrichts, sind im ganzen einheitliche Gesichts-

punkte erzielt worden.

Dagegen ist in bezug auf die wesentlichen Streit­

punkte wohl größere Klarheit,

aber nicht größere Einigkeit entstanden.

Auch hat man mit der zunehmenden Aufklärung die Schwierigkeiten deut­

licher erkannt und neue Probleme gefunden. 18) Die völlige Freiheit in der Behandlung des Konfirmandenunter­ richts gab den Pfarrern die Möglichkeit, die vorliegenden Schwierigkeiten

entweder je nach den konkreten Verhältnissen zu überwinden oder sie zu

umgehn oder sie zu ignorieren, vielleicht auch, sie nicht einmal zu empfinden. Wo sie aber ein deutliches Bewußtsein des vorliegenden Problems gehabt haben, ist wohl gerade die Furcht, in ihrer Freiheit beschränkt zu werden,

der

Anlaß geworden,

von

der Sache

nicht

viel

und

nicht

öffentlich

zu reden. 14) Bei Vorlesungen und wissenschaftlichen Lehrbüchern akademischer

Art ist es in der Tat sehr schwierig, auf alle die Verschiedenheiten in be­ zug auf die Ordnungen der Landeskirchen und der Schulen Rücksicht zu

nehmen.

Die Grundsätzlichkeit und theoretische Allgemeingültigkeit der Er­

örterungen und Ergebnisse wird nur zu leicht damit in Frage gestellt. Freilich läßt sich nicht leugnen, daß seit langer Zeit akademische Vertreter

der praktischen Theologie unser Problem oft kaum empfunden, geschweige denn gründlich behandelt haben. 1B) Das ist ganz natürlich.

Denn die auf S. 4 und in den An­

merkungen 6—10 geschilderten Verhältnisse kommen den Lehrern, insonder­

heit den Religionslehrern der höheren Schulen, am deutlichsten und regel­

mäßigsten zu Kenntnis und Bewußtsein.

Sie mußten mit Notwendigkeit

zu Reformversuchen führen, sobald in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. und in den ev. Religionslehrerversammlungen gemeinsame, öffentliche Organe sich

entwickelt hatten.

Es ist in diesem Zusammenhänge doppelt beachtenswert,

daß auch der langjährige Leiter des Preußischen höheren Schulwesens, Lud­

wig Wiese, gerade die Konfirmation und den Konfirmandenunterricht zum Ausgangs- und Angelpunkt seiner Reformvorschläge gemacht hat.

Für dies

43 Vorgehn der Religionslehrer müssen die Pfarrer nur verständnisvolle An­ erkennung und Dankbarkeit haben.

Ebenso urteilt Simons, Konfirmation

und Konfirmandenunterricht, 1900, S. 12. 16) Vgl. R. A. Kohlrausch, Pastor in Großmonra, „Der Konfir-

manden-Unterricht. Religionslehrer."

Ein theoretisch-praktisches Handbuch für Geistliche und Magdeburg 1898.

220 Seiten.

Der Verfasser erörtert

Zunächst Aufgabe und Ziel des Konfirmandenunterrichts

(S. 9—36), und

die vorhandenen Schäden (S. 37—56), sodann schildert er die verschiedenen

Zweige der Reformbewegung (S. 56—80), untersucht die tatsächlichen Ver­

hältnisse der Konfirmanden (S. 80—118) und gibt dann eine zusammen­ hängende Darstellung des von ihm gewünschten Konfirmandenunterrichts.

Er ist einer der wenigen, die das Problem in seiner ganzen Bedeutung

und Verzweigung erfaßt haben, und gibt eine Fülle treffender Winke und

Urteile.

Für alle diejenigen, die wie Kohlrausch die eigentliche Aufgabe des

Konfirmandenunterrichts in einem möglichst praktischen, zusammenhängenden

Vertrautmachen mit der heiligen Schrift sehen, gibt er auch ein sehr be­ achtenswertes Muster.

Aber auch diejenigen, die wie ich in diesem Punkte

ihm nicht zustimmen, können viel aus btefem Buche lernen. — Ein andrer,

der in seinen verschiedenen Schriften Wertvolles für unser Problem geleistet hat, Adolf Eckert, ist nicht nur Pfarrer, sondern zugleich Schulmann.

17) Vgl. Achelis, „Prakt. Theologie", Bd. I, Teil II, 1898.

Der­

selbe: „Die Konfirmation und die Erziehung der konfirmierten Jugend". Katechet. Zeitschr. III, Heft 7, 1900.

(Kritik der Schriften von Simons

und Lechler.) — W. Caspari, „Die ev. Konfirmation, vornehmlich in

der luth. Kirche", 1890. Derselbe, „Konfirmation und Kommunionrecht".

Neue kirchl. Zeitschr. 1902. — Ed. Simons, „Konfirmation und Konfirmanden-Unterricht", Tübingen, 1900. — O. Baumgarten, „Neue Bahnen". 1903, besonders S. 60—95. 18) Vgl. die bedeutsamen und praktisch erfolgreichen, umsichtigen und

reichhaltigen Aufsätze von Prof. Marx in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898.

1899.

1901.

1902.

1905.

(Die genauen Angaben siehe in der Beilage

6, S. 80 f.)

19) Je mehr man sich in unsern Gegenstand vertieft, um so mehr er­ kennt man den segensreichen Einfluß dieser Zeitschrift.

Ich habe die in ihr

zu unserm Problem erschienenen Aufsätze in der Beilage 6 (S. 80 f.) zu­

sammengestellt, außerdem aber auch in den andern Beilagen, z. B. bei den Übersichten über die Religionsversammlungen, aus ihre Berichte verwiesen. (Vgl. z. B. Beilage 4, S. 78.)

20) Dies sind die logischen Möglichkeiten. Also 1. entweder wesentliche

Jdendität beider Gebiete; dann kann man a) beide unvermittelt neben-

44 einander bestehen lassen, oder b) eines von beiden streichen; oder 2. Eigen­

art und Selbständigkeit beider Gebiete; dann können sie sich ver­ halten c) wie selbständige, sich ergänzende Teile eines einheitlichen Ganzen

oder d) wie selbständige Gebilde mit eignen Zwecken, die sich zum Teil be­ rühren und decken.

21) Diese Unklarheit beklagen viele, z. B. Kohlrausch, a. a. O., Baumgarten, „Neue Bahnen", S. 13 f. u. a. m.

Vertreten ist dieser

Standpunkt der wesentlichen Identität beider Gebiete z. B. von Claus Harms,

„Pastoraltheologie

in

Reden

an Theologiestudierende",

3. Ausl. 1878, S. 86; Palmer, „Ev. Katechetik", 1844. S. 629—639; L. Kraußold,

1830.

6. Ausl. 1875,

„Die Katechetik für Schule und Kirche",

Erlangen 1880, S. 198 ff.; Remus, „Welches ist die Aufgabe des Konfir­

mandenunterrichts im Unterschiede von dem gesamten Religionsunterricht der Schule usw. in ,Halte, was du hast*, XIV, S. 123—131; Malo, „Über Aufgabe und Verhältnis des Katechismus-Unterrichts in Schule und Kirche i. Zeitschr. f. prakt. Theologie", XVIII, 1896, S.

193—230. —

Eigentlich ist dies auch der Standpunkt der seit 12. Okt. 1872 gültigen Allgemeinen Bestimmungen für die Preußische Volksschule.

das dort dem religiösen

Denn

Schulunterricht zugesprochene Ziel könnte ohne

weiteres auch auf den Konfirmandenunterricht angewandt werden; die Exemp­

tion des 4. u. 5. Hauptstückes ist dabei eigentlich recht unwesentlich.

Denn

die Allgemeinen Bestimmungen setzen schwerlich voraus, daß der Konfir­

mandenunterricht sich nur mit dem 4. u. 5. Hauptstück beschäftigt. — Es ist nun ebenso amüsant wie charakteristisch, wie verschieden man vom ver­ schiedenen Standpunkt aus das von diesen Männern vertretene, in der Praxis

weitverbreitete Verhältnis von Pfarrunterricht und Schulunterricht bezeichnen kann.

Kohlrausch, rein sachlich urteilend, nennt es ein „Abhängigsein"

der Kirche von der Schule, ein „Hinterherlausen" der Kirche hinter der

Schule (a. a. O. S. 40—48). Amtsbewußtsein aus,

Claus Harms dagegen, vom kirchlichen

charakterisiert dieselbe Sachlage mit den Worten:

„Wir (d. h. die Pfarrer) sollen lehren, ja, doch nicht sowohl lehren, unter­ richten, das soll

die Schule tun und ohne Ausschluß, ohne Ausschuß ge­

wisser Lehren, sondern wir sollen erbauen, im Unterschied von unterrichten,

sollen vorbereiten, reinigen (im christlichen Altertum war oft der Katechet

zugleich der Exorzist (!), sollen weihen, die vorhandene Gabe des Geistes wecken, zum königlichen Priestertum ordinieren, den Sonnenstrahl auf die Säule fallen lassen, daß sie davon klinge, in das vielleicht noch tote Holz der Religionskenntnisse den Saft des Lebens bringen, den Kopf zum Herzen bringen, mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen, zur

Wiedergeb urtver helfen usw

Die Vorbereitung der Konfirmanden

45 ist diejenige Leitung uüd Bearbeitung ihrer Seelen, durch welche sie unter

Gottes Segen teilhaftig und teilhaftiger werden des Lebens, das mit Christo

verborgen in Gott ist."

(a. a. O. S. 86.) — Ich bezweifle, daß Luther

solchen Wendungen in bezug auf den Pfarrunterricht und im Gegensatz zum Schulunterricht zustimmen würde.

22) Vgl. hierzu Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 213 f.

1899,

Ich betone aber hierbei ausdrücklich, daß sachliche Schwierig­

X, 308 f., 315.

keiten an sich nur entstehen, wo zugleich derselbe Stoff von zwei ver­ schiedenen Personen behandelt wird.

Das Vorhandensein verschiedener Rich­

tungen bei den Lehrenden wird man nie ausrotten können.

Macht man

die Richtungsverschiedenheit entscheidend, so müßte man in vielen Fällen entweder

auf den

ganz

Pfarrunterricht verzichten.

religiösen

Schulunterricht

oder

ganz

auf

den

Allein gerade die Möglichkeit der verschiedenen

Auffassung und Aneignung des Evangeliums ist ein wesentliches Stück

des evangelischen Christentums.

Es schadet unserer heranreifenden Jugend

nicht, wenn sie von dieser Tatsache Kenntnis erhält,

wofern das nnr

in würdiger Weise geschieht; es erzieht sie vielmehr zur Selbständigkeit

und beschützt sie vor gesetzlichem Wesen.

Freilich eine Polemik, wie die

in Anm. 9 durch Beispiele illustrierte, ist unter allen Umständen schädlich. Es sollten hier alle das beherzigen, was der Apostel Paulus Röm. 14 u. 15 geschrieben hat.

28) Es ist, zumal für einen Fernerstehenden, doch schlechterdings nicht einzusehn, weshalb man den doppelten Unterricht nebeneinander bestehen

läßt, wenn in beiden Fällen dasselbe Ziel und derselbe Stoff in Betracht kommt.

Darum wird unter diesen Umständen leicht beides zugleich ange­

griffen und in seinem Rechte und Bestände zweifelhaft und unsicher.

Denn

eine grundsätzliche Ableitung der Notwendigkeit dieses Nebeneinander ist

dann unmöglich.

Es würde sich vielmehr nur um eine mangelhafte und

unklare, aus der geschichtlichen Entwicklung hervorgegangene Ordnung handeln

die, je eher, je besser, abgestellt werden müßte. 24) Die

bezeichnendste

Kundgebung

dieser

Art

ist

bekanntlich

die

Denkschrift der Bremischen Lehrerschaft vom September 1905; ab­

gedruckt in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1906, XVII, 286—296. dazu ebendort G. Freybe, 284 f., 296 f.

Vgl.

Vgl. dazu die Broschüre von

Oberlehrer Schuster: „Religionsunterricht in der Schule oder nicht?" 1906. Ferner Friedrich Michael Schiele, Bremer Phantasien.

Christliche Welt.

19. Oktober 1905, abgedruckt in Schiele, „Religion und Schule" 1906, S. 79—95.

26) L. Wiese (a. a. O. S. 23 f.) berichtet, daß man bereits im An­ fang des vorigen Jahrhunderts in der Preußischen Schulverwaltung er-

46 wogen habe, ob man nicht wenigstens in den oberen Klassen der höheren

Schulen den Religionsunterricht ganz fallen lassen solle.

Auch in der 1848

vom Minister von Ladenberg berufenen Landes-Schulkonfereuz wurde ein dahin gehender Antrag gestellt, blieb aber in der Minderheit. — Als Wortführer derer, die eigentlich jeden Religionsunterricht in der Schule

verwerfen, sind ausgetreten: Arthur Bonus, Christl. Welt 1900, Nr. 32. Derselbe, „Vom Kulturwert der deutschen Schule", Jena 1904; ferner Johannes Müller (Blätter für die Pflege persönlichen Lebens), LHotzky. Über Dammanns Kritik s. oben Anm. 9. — Ein recht abfälliges Urteil

über den Religionsunterricht auf den höheren Schulen findet sich auch in A. Hardelands, „Pastoraltheologie" 1907, S. 102f.

26) Diesen Vorschlag hat in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1897, VIII, S. 36—45 Hochhuth gemacht. — Daß sein Vorschlag an sich durchaus nichts Unerhörtes enthält, beweist das Beispiel von Hamburg. In Ham­ burg, wo die Konfirmation als öffentlicher kirchlicher Akt erst am 23. März

1832 eingeführt wurde (und zwar nicht von den Hauptpastoren zu vollziehn),

war bis dahin wohl die Prüfung und private Einsegnung von den Geist­

lichen vollzogen, der Konfirmandenunterricht aber von öffentlich angestellten Schullehrern oder Kandidaten des Predigtamts erteilt.

(Vgl. Mahling

in der Zeitschr. f. d. ev.-luth. Kirche in Hamburg 1900, S. 17.

haltbarkeit der gegenwärtigen Konfirmationspraxis.")

„Die Un­

Es liegt gar kein

Grund vor, den Religionslehrern den Konfirmandenunterricht, die Konfir­ mandenprüfung und die Konfirmation nicht zuzugestehn, wenn wirklich Ziel

und Stoff des Pfarrunterrichts keine Eigenart besitzen.

Wohl aber lassen

sich von anderm Standpunkt aus dagegen Gründe geltend machen.

Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, 216.

Vgl.

1899, X, 13.

27) Vgl. Baumgarten, „Neue Bahnen", S. 48 f., 60.

Wenn dieser

es als einen — freilich vorläufig nicht durchzuführenden — Fortschritt be­ trachtet, wenn der Religionsunterricht der Schule entnommen und Privat­ stunden zugewiesen würde, so kann ich dem nicht zustimmen.

Meine eigne

Anschauung über die Notwendigkeit des Religionsunterrichts in den Schulen

habe ich in der Zeitschrift Deutschland des Grafen von Hoensbroech, 1902, I, 405—420, 610-626 dargelegt. 28) Alle sog. Kindergottesdienste könnten nie die Leistungen der Schule ersetzen; sie würden auch selbst, ebenso wie der Konfirmandenunterricht, durch den Fortfall des religiösen Schulunterrichts außerordentlich an Fruchtbarkeit verlieren und viel schwieriger werden.

Bonus, Lhotzky usw. würden, falls

ihre Vorschläge verwirklicht würden, nach 40 Jahren merkwürdige Folgen sehn.

29) So ist es z. B. bisher in Bremen, wo die Schule nur wenige

47 Jahre den Religionsunterricht erteilt, und zwar nur biblische Geschichte, um

später allen religiösen Unterricht den Pfarrern zu überlassen.

ist im allgemeinen nicht sehr erfreulich.

(Der Erfolg

Aus meiner Privatdozentenzeit

erinnere ich mich eines nicht unbegabten und nicht uninteressierten Bremer Theologie-Studierenden, der in seinem ersten Semester von Abraham nichts

wußte!) — Der Gedanke einer derartigen reinlichen Scheidung, wenn nicht hinsichtlich der Zeit, so doch hinsichtlich des Stoffes liegt auch denjenigen Borträgen von Pädagogen und denjenigen Verfügungen der Behörden zu­

grunde, die von der Einheitlichkeit des beiderseitigen Unterrichts reden, z. B. G. Schulze, „Zur Einheitlichkeit der Christenlehre im Schul- und Pfarr­

unterricht", Bielefeld u. Leipzig 1889.

Spies, „Einheitliche Gestaltung

des Religionsunterrichts in Schule und Kirche", Bielefeld 1894 (?); Arm-

stroff, „Einheitliche Gestaltung Kirche", Bielefeld 1894 (?).

des Religionsunterrichts in Schule

und

Diese drei Arbeiten sind in der Sammlung

pädagogischer Borträge von Wilhelm Meyer-Markau als Hefte II, 5. VÜI, 2 und VIII, 3 erschienen. Ähnlich stehn L. Wiese, a. a. O. 100 Marx, Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, EK, 85. 1899, X, 14. Schiele, „Re­

ligion und Schule", 1906, S. 14 ff., und die „Stimme aus dem König­

reich Sachsen."

Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, 213. — Interessant

ist es, wie die Dinge in der Schweiz stehen.

Carl Stuckert im 55.Heft

zur Christl. Welt „Was ist den Reichsdeutschen an den kirchlichen Zuständen der Schweiz interessant?" Tübingen 1906, S. 18 f. berichtet über den Re­

ligionsunterricht (abgesehn vom Konfirmandenunterricht) folgendes: „Darin

Hallen es die Kantone verschieden.

In Kt. Basel-Stadt erteilen die Pfarrer

3V- Jahre lang vor dem Konfirmandenunterricht außerhalb der Schule ihren Vorbereitungsunterricht (NB. aber nicht nach Jahrgängen getrennt!).

Kl. Aargau und Schaffhausen erteilen einen 1—2jährigen Religionsunterricht vor der Konfirmation außerhalb der Schule, also vom 14. Lebensjahre an.

Kt. Basel-Land, Thurgau und Zürich läßt den kirchlichen Religionsunterricht durch die Pfarrer im Rahmen der Schule erteilen; Kt. Basel-Land vom

10., Zürich vom 12., Thurgau vom 13. Allersjahr an.

Hier ist stellenweise

die Belastung der Pfarrer sehr groß, besonders wenn mehrere Schulen zur Gemeinde gehören, aber trotzdem wünschte kein Pfarrer eine Änderung. Im Kt. Bern

dagegen

erteilen

die Pfarrer

nur

den

Konfirmanden­

unterricht, während aller vorangehende Religionsunterricht dem Lehrer zu­

fällt. Kt. Thurgau hat für den Präparanden- und Konfirmandenunterricht ein obligatorisches Lehrmittel ....

Die kirchliche Verfassung des Kt. Grau­

bünden bestimmt in § 35 kurz und bündig: „Der Geistliche ist verpflichtet,

dafür zu sorgen, daß in der Schule genügender Religionsunterricht erteilt

werde.

Wenn möglich, erteilt er ihn selbst, wenigstens in den oberen

48 Klassen, und verständigt sich wegen Erteilung in den unteren Klassen mit Die Stundenzahl, der Stufengang usw. werden nach Orts­

dem Lehrer.

verhältnissen bestimmt."

(NB. Diese Anordnungen sind aus den Schwierig­

keiten der Hochgebirgsverhältnisse erklärlich.) — Damit ist zum Teil auch schon die Frage beantwortet, wie der Religionsunterricht in der Volksschule

Auf den untern Stufen vom 1. bis 3., oder 3. bis 6. Schul­

sich gestaltet.

jahr wird er immer vom Lehrer erteilt. Die meisten Schulen sind Simultan­

schulen ....

In den mehr protestantischen Kantonen ist der Religions­

unterricht meist biblische Geschichte oder Moralunterricht.

Es kann

jedoch niemand zum Besuch irgend eines Religionsunterrichts, auch nicht in der Simultanschule, gezwungen werden ....

Es kommt auch vor, daß

streng gerichtete Eltern sich zusammentun und an Stelle der vom Lehrer oder von einem Reformpfarrer erteilten Religionsstunde ihre Kinder einem

Lehrer nach ihrem Herzen übergeben, und so ein paralleler Religionsunterricht in einer Schulanstalt stattfindet" ....

80) Wie bereits gesagt, ist in Bremen und in der Schweiz die Teilung

so durchgeführt, daß die Schule nur biblische Geschichte (nebst Moral) treibt und alles andre den Pfarrern überläßt. — Daß die drei ersten Hauptstücke

der Schule, die beiden letzten dem Pfarrunterricht zu überweisen sind, ist die Meinung der Allgemeinen Bestimmungen vom 12. Oktober 1872 und

ihres Urhebers, Karl Schneider (vgl. Schiele, „Religion und Schule",

1906, S. 113).

Ebenso stehen Gräfe, Kehr, Sander; auch Caspari

(a. a. O. 148), der freilich am liebsten den ganzen Katechismus dem Pfarr­

unterricht überwiese, und Sachsse, „Die Lehre von der kirchlichen Er­ ziehung", Berlin 1897 (S. 387).

Ebenso will es die Konfirmationsordnung

für das Königreich Sachsen, die das 4. u. 5. Hauptstück, die Lehre von der Beichte und die Unterscheidungslehren dem Konfirmandenunterricht zu­

teilt.

(Vgl. Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 10).

Eckert will das

4. u. 5. Hauptstück, die Perikopen, das Kirchenjahr und die Kirchengeschichte

dem Konfirmandenunterricht reservieren.

(Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X,

5. 305, 311). — Den Katechismus ganz aus dem Schulunterricht nehmen und eventuell dem Konfirmandenunterricht allein überweisen möchten (neben

Caspari) Potz, von der Heidt (der für die Schule die Bibel, das Kirchenlied, Innere und Äußere Mission und Kirchengeschichte bestimmt),

Simons u. a. m.

Auch Hülsmann, Dörpfeld, Schiele protestieren

gegen den Katechismusunterricht Unterricht.

in der Schule und

fordern biblischen

Baumgarten verlangt, daß der Katechismusunterricht der

Schule fernbleibe, und daß der Konfirmandenunterricht eine übersichtliche, zusammenhängende Unterweisung in der christlichen Religion und eine Ein­

führung in die selbständige Teilnahme am kirchlichen und gottesdienstlichen

49 Leben gebe (a. a. O. 80 f.).

Ganz anders wieder Kohlrausch, der den

Katechismus der Schule zumeist und als Inhalt des Konfirmandenunterrichts eine Einführung in die heilige Schrift und eine Übung in ihrem Gebrauch fordert (a. a. O. S. 48 f.).

Und während Bang („Das Leben Jesu, seine

unterrichtliche Behandlung in der Volksschul-Oberklasse und in der Fort­

bildungsschule", 2. Aufl. 1895) das Leben Jesu als Hauptgegenstand für die Volksschule in Anspruch nimmt, fordert umgekehrt Mahling („Die

Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Konfirmationspraxis", a. a. O. S. 29), daß

das Leben Jesu gerade dem Konfirmandenunterrichte zugrunde gelegt werden müßte. — Diese Teilungsvorschläge sind also sehr mannigfach und unter

sich widerspruchsvoll.

Mir scheint, daß daraus ihre Unsicherheit und Mangel­

haftigkeit herausblickt. Eine innere Notwendigkeit wohnt den meisten dieser Vorschläge nicht inne; und ob sie reinlich durchführbar wären, ist mindestens

zweifelhaft. 81) Ich meine, daß bei den mannigfachen Angriffen gegen alle öffent­ liche religiöse Unterweisung und Betätigung in unserm Zeitalter der reli­

giöse Schulunterricht neben dem Konfirmandenunterricht nur erhalten und

verteidigt werden kann, wenn man bei jedem von beiden einen selbständigen, innerlich berechtigten Zweck und eine wirkliche Eigenart feststellen kann. Die folgenden Ausführungen sind deshalb meines Erachtens nicht nur von

theoretischem, sondern auch von eminent praktischem Interesse.

Wenn beide

Unterrichtsgebiete ihrem Zwecke nach etwas allgemeiner bestimmt werden,

als es in der Regel der Fall ist, so beruht das darauf, daß bei dem einen die Zweckbestimmung aus dem allgemeinen Wesen der Schule, bei dem an­

dern aus dem Wesen der Gemeinde abgeleitet ist.

Daraus folgt also in

beiden Zusammenhängen ihre Notwendigkeit. *2) Es hat meines Erachtens keinen Sinn, z. B. die Frage zu erörtern, ob aus dem Wesen des Christentums an sich ein doppelter religiöser Unter­

richt abzuleiten sei, und keinen Zweck, Unterscheidungen zu konstruieren für Verhältnisse, die wir in Wirklichkeit nicht haben und voraussichtlich nicht haben

werden, oder Ziele zu stecken, die von vornherein unerreichbar sind, oder die religiöse Unterweisung in mystischen oder phantastischen Ausdrücken zu um­

schreiben oder Lehrpläne zu entwerfen, die zur Voraussetzung die Trennung von Kirche und Staat oder ein absolut neues Schulwesen haben. ”) Vgl. Zeüschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, 84 ff., besonders 93—95.

1899, X, 5 ff. 84) Die Dauer des Konfirmandenunterrichts ist bekanntlich, zumal wenn man den mancherorts vorhergehenden Katechumenenunterricht

mitrechnet,

in den einzelnen Landeskirchen und Landschaften, zuweilen selbst in derselben

Stadt, verschieden.

Im allgemeinen schwankt die Ordnung zwischen zwei

Bornemann, Der Konfirmandenunterricht.

4

50 Jahren, einem Jahre, einem halben Jahre, vier Monaten, je mit wöchentlich

zwei Stunden (zuweilen auch zuerst eine, dann zwei, kurz vor der Konfirmation gar drei bis vier Stunden).

In den westlichen altpreußischen Provinzen

dauert der Konfirmandenunterricht in der Regel zwei Jahre; und daran hat man z. B. in der Rheinprovinz trotz dringender Wünsche auf Abkürzung bis jetzt festgehalten. Ebenso in Mecklenburg. In den östlichen preußischen Pro­

vinzen ist die Dauer ein Jahr, zuweilen weniger; in Hannover, SchleswigHolstein, Großherzogtum Hessen ein halbes Jahr. Auch die Theoretiker fordern verschiedene Zeiträume: Nitzsch 2—3^2 Jahre; Achelis, Sülze, Sachsse, Kübel

2 Jahre; Kohlrausch 3 Wintersemester mit je 4 wöchentlichen Stunden; Palmer

10 Wochen mit je drei Stunden; Klaus Harms 8 Wochen mit je 2—3

Stunden; Caspari im ganzen 24—30 Stunden.

Vgl. auch Kohlrausch,

a. a. O. S. 9. f. u. Marx, in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 9;

ebendort 1900, XI, S. 79.

86) Anschaulich legt Ehlers in der Zeitschr. f. d. R.-U. 1899, X, S. 125 die tatsächlichen Verhältnisse dar. 86) So von der Heydt, „Der Rel.-Unterricht in Schule und Kirche."

Gotha 1896. S. 17.

Vgl. auch Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 97 f.

Diese Klagen sind auf feiten der Schule, insonderheit der Religionslehrer, überaus häufig; sie sind auch berechtigt.

S7) Ich z. B. habe zurzeit einen Cötus von 50 Konfirmanden und einen von 50 Konfirmandinnen.

In jedem dieser beiden Cöten sind 14

verschiedene Schulen vertreten! Unter den 100 Kindern kommen 22 auf die

höheren Schulen, 26 auf die Mittelschulen, 52 auf die Volksschulen.

Wie

ganz anders ist die Konfirmandenschar in einem Dorf oder einer kleinen Stadt!

88) Das hat auch Marx sehr betont; vgl. Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 10.

89) Schon bei dem Namen beginnt die Unklarheit. Eigentlich sollte man doch nicht von Unterricht in der Religion, sondern von Unterricht in der Religionslehre oder besser noch von Unterricht in der Religionskunde reden. Ein Unterricht in der Religion kann (vorausgesetzt, daß diese Bezeichnung

aus anderen Gründen überhaupt zulässig ist) ebenso wie ein Unterricht in der Kunst zunächst nur ein praktischer Unterricht, eine wirkliche Übung der Religion sein. Allein der Unterricht in der Religion, wie er nun einmal im Zusammenhang unsers Schulwesens erteilt wird und allein erteilt werden kann, ist trotz mancherlei praktischer Einschläge im wesentlichen ein theore­

tischer Unterricht, ein Unterricht über die Religion, insbesondere über die christliche Religion, eine Religionslehre, eine Religionskunde, eine mehr oder

minder zusammenhängende theoretische Darstellung dessen, was die christliche

51 Religion ihrem Wesen nach ist, gewesen und geworden ist. Der Religions­ unterricht hat seine Parallele also nicht an der Übung einer Kunst, z. B. an dem praktischen Erlernen und Üben der Musik, sondern an der Theorie

der Musik, der Harmonielehre u. dgl., einschließlich der Geschichte der Musik. Dabei ist zweierlei zu beachten: 1. daß ein solcher Unterricht nicht eine Masse

zusammenhangloser Kenntnisse vermitteln soll, sondern ein zusammenhängen ­

des, wirkliches Verständnis; und 2. daß dieser Unterricht wie er aus der Wirklichkeit, aus der Praxis heraus geboren ist, auch die Wirklichkeit dar­

stellen und im letzten Grunde natürlich auch der Praxis dienen soll.

Aber

ebenso, wie man als Zweck eines Unterrichts in der Harmonielehre nur das geistige Verständnis für die Kunst der Musik und die theoretische Beherrschung

des dazu gehörigen Stoffes bezeichnen kann, nicht aber die musikalische Künstler­

schaft selbst, so wird man auch als Zweck des Religionsunterrichts das geistige Verständnis für das Wesen des Christentums und die theoretische Beherr­ schung des dahin gehörigen Stoffes betrachten müssen, nicht aber die praktische

Ausbildung der Religiosität, die Ausbildung christlicher, sittlicher und reli­

giöser Charaktere.

Gewiß wird man einwenden können, daß das tiefste,

eigenste Verständnis der christlichen Religion in der Praxis sich bewähren muß; aber ebenso richtig ist auch der Satz, daß es erst in der Praxis gewonnen

wird. Die Ausbildung oder Erziehung von Charakteren ist, soweit sie überhaupt durch Unterricht und Schulen geschehen kann, Zweck der ganzen Schule und

wird durch ihre äußeren Ordnungen und ihren gesamten Geist angestrebt. Zweck des Religionsunterrichts kann zunächst nur die Erweckung und Pflege des theoretischen Verständniffes sein.

Charaktere werden nie durch bloßen

Unterricht, sondern nur durch das Leben selbst gewonnen, durch Willens­ übung und Kraftentfaltung. Man mutet dem Religionsunterricht etwas Un­ mögliches zu, wenn man mehr von ihm fordert, als die Vermittlung eines wachsenden Verständnisses für Wesen und Wert des Christentums, die theo­

retische Einführung in die vorhandenen Güter, Werte und Kräfte. Der Re­ ligionsunterricht kann anregen und beitragen zur Charakterbildung und zur praktischen Religiosität, er kann sie aber nicht so vermitteln, daß man darin

sein eigentliches Ziel sehen dürste. — Wie verschieden das Urteil über diese Frage selbst unter sonst gleichgesinnten ist, zeigten die Verhandlungen der

Freunde der Christlichen Welt in Eisenach am 2. Oktober 1900 über das Thema

„Die Religion in der Schule." Die damals von verschiedenen Rednern auf­

gestellten Leitsätze sind in dankenswerter Weise wieder abgedruckt in Fr. M.

Schiele, Religion und Schule, Tübingen, 1906, S. 51—62.

Unter den

dort ausgesprochenen Sätzen kann ich weder dem von Bonus zustimmen, daß das Christentum, soweit es Religion ist, keinerlei Platz in der Schule

habe (S. 61), noch dem von Beyhl, daß es „Aufgabe des ReligionSunter-

4*

52 richts in der Volksschule sei, beim Kinde religiöse Erlebnisse herbeizuführen und zu einem Stück persönlichen Lebens zu verarbeiten" (S. 58). Ich treffe

vielmehr im wesentlichen mit Baumgarten, Vollmer und Schiele zu­ sammen. Nur würde ich nicht bloß, wie Vollmer, vom „Wissen" (S. 53), oder,

wie Schiele, von „Kenntnissen" (S. 57, 77), sondern von „Verständnis" Ich bekenne mich auch ausdrücklich zu dem Satze, den Caspari,

reden.

a. a. O. 151 über den Religionsunterricht in der Schule schreibt: „Dieser Unterricht ist keine innerkirchliche Sache, sondern hängt unlös­

bar mit dem öffentlichen Leben zusammen."

In diesem Sinne habe

ich meine Anschauung entwickelt in der Zeitschrift „Deutschland" des

Grafen von Hoensbroech, 1902, I, 405—420, 610—626. 40) Ich betone gleich hier, daß ich, wenn ich auch mit dem Wortlaut

der Formulierung in den offiziellen preußischen Lehrplänen nicht einver­

standen bin, doch dem praktischen Inhalt dieser Lehrpläne im wesent­ lichen zustimme. Vgl. auch dazu meinen Auffatz in der Zeitschr. „Deuffchland", 1902,1, besonders S. 616—626. Ich halte es für sachlicher und vorsichtiger, das Lehrziel selbst so zu beschreiben, daß es dem Zweck und der Ordnung der Schule selbst entspricht und aus ihm völlig abgeleitet werden kann.

41) Ich würde also diesen Satz folgendermaßen umgestalten: „Die Auf­

gabe des evangelischen Religionsunterrichts ist es, den Kindern ein dem übrigen Schulziel entsprechendes Verständnis der christlichen Religion zu ver­

mitteln.

Dies geschieht durch die Einführung der Jugend in die heilige

Schrift und das Bekenntnis der Gemeinde, so daß die Kinder befähigt werden, die heilige Schrift selbständig lesen und an dem Leben, sowie an dem Gottes­

dienste der Gemeinde lebendigen Anteil nehmen zu können."

4a) Der Lehrplan von 1882 bezeichnet als allgemeine Aufgabe des Religionsunterrichtes, „dem Schüler ein solches Maß des Wissetls zu ver­

mitteln, daß er nicht allein mit den Lehren, den Vorschriften und der ge­

schichtlichen Entwicklung seiner Konfession bekannt ist, sondern auch zu der Festigkeit eines begründeten Urteils über das Verhältnis desselben zu andern

Bekenntnissen oder zu besonderen Zeitrichtungen befähigt wird —, und daß

er zur Sammlung und Vertiefung des Gemüts zu dienen hat".

(Vgl. auch

L. Wiese, a. a. SD. 24 ff.). Abgesehen von einzelnen Kleinigkeiten, die wohl

geschickter zu fassen wären, halte ich diese Zweckbestimmung für durchaus sachlich und richtig.

Denn das auf Wissen gegründete, aus einem gesam­

melten, tiefen Gemüt entspringende Urteil ist eben „Verständnis".

Ich be-

daure eß, daß man von dieser richtigen, nüchternen Formulierung abgegangen und zu der voller klingenden, aber weniger sachlichen Formulierung von 1900 übergegangen ist.

Konferenz

Und wenn in demselben Jahre 1900 die Eisenacher

deutscher

evangelischer

Kirchenregierungen

unter

53 andenn, was die Schüler anlangt,

den Wunsch ausgesprochen hat, „daß

sie noch mehr als bisher in das Leben der Kirche eingeführt, soweit möglich

zur Teilnahme an den Gottesdiensten der Gemeinde angehalten und auch

zur Beteiligung an der Feier des heiligen Abendmahles angeregt werden

möchten", so kann ich diesen Beschluß nicht für glücklich halten.

Denn 1.

wird dadurch der Schule auferlegt, was Sache der Gemeinde ist und bleiben muß; 2. hat die Schule — abgesehn etwa von Alumnaten — gar nicht das

Recht und die Möglichkeit, die Schüler zur Teilnahme an den Gottesdiensten

„anzuhalten"; und 3. lehrt die Erfahrung wie das Nachdenken, daß die auf irgendwelchem Schulzwang beruhende Teilnahme am Gemeindegottesdienste in der Regel mit dem Verlassen der Schule aufhört. In dieser Hinsicht muß

man an das Haus, nicht an die Schule appellieren.

Dagegen sind Schul­

andachten dem Wesen der Schule nicht widersprechend und sind, wo sie in rechtem Sinne abgehalten werden, segensreich und dankenswert. 48) Auch der selige M. Evers hat bei der Besprechung der neuen Lehrpläne von 1900 in der Zettschr. f. d. ev. R.-U. 1904, XV, S. 64, fol­ gende kritische Fragen aufgeworfen: 1. Das praktische Endziel schließt doch

wohl noch immer die 1882 betonte Vorbedingung in sich: Vermittlung eines Maßes von geschichtlichem Wissen und eines Urteils, wie es dem

wissenschaftlichen Charakter eines „höheren" Schulfachs und dem sonstigen

Bildungsstande der betr. Jugend zukommt? — 2. War die bescheidenere

Abzweckung von 1882, die doch auch betonte: „nicht Theologie, sondern Reli­

gion", nicht sachgemäßer als die neue pastoral-rhetorischere? — 3. Sind die

obigen Ziele überhaupt der Schule möglich? Kann der so beschränkte und beengte Religionsunterricht dafür die Verantwortung tragen? — Ähnlich urteilen Oberlehrer Dr. Fey (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1904, XV, S. 326) und — im Anschluß an Baumgarten

(a. a. O. 89f.) — Oberlehrer

Dr. Rothstein in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U, 1905, XVI, S. 99. 44) Vgl. meinen Aufsatz in der Zeitschr. „Deutschland", 1,405ff., 610ff., besonders 410—420. — In der vom Hofprediger Th er em in verfaßten, vom Minister von Alten st ein 1826 erlassenen Verordnung über den Re­ ligionsunterricht wird mit Recht als eine Direktive für den Lehrer, (nicht als Ziel des Unterrichts) folgendes hervorgehoben: „Bor allem muß

der Lehrer bei dem Religionsunterricht nickt aus den Augen verlieren, daß es dem Staate darum zu tun ist, in den Mitgliedern seiner Schulen Christen zu erziehn, daß also auch nicht auf eine bloß in der Luft schwebende, alles

tteferen Grundes beraubte sogenannte Moralität, sondern auf eine gottes­ fürchtige Gesinnung, welche auf dem Glauben an Christum und der wohl­

begründeten Erkenntnis der christlichen Heilswahrheiten beruht, hingearbeitet werden muß." — Interessant ist die Formulierung, die der langjährige Leiter

54 -es preußischen höheren Schulwesens, L. Wiese, in der zweiten Auflage seiner schon oft zitierten Schrift in der Auseinandersetzung mit seinen Kritikern (a.

a. O. S. 97) anwendet: „So soll ich auch von der Schule gefordert haben,

,christliche Charaktere zu bildens aber nirgends ist der Ausdruck von mir gebraucht oder der Schule dies speziell zur Aufgabe gemacht, wenn ich auch der Meinung bin, daß sie dazu mitzuhelfen hat." Die Lehrpläne von 1900

gehn hier über Wiese hinaus, — nicht zum Vorteil der Sache.

Auch die

inhaltreichen und in vielen Punkten vortrefflichen Ausführungen von Ober­ lehrer Peters in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1904, XV, S. 38—53) haben

mich nicht überzeugt, daß als Ziel des evangelischen Religionsunterrichts die „Heranbildung der sittlich-religiösen Persönlichkeit" bezeichnet werden müsse. 46) Vgl. z. B. die Äußerung von E. du Bois-Reymond (Kultur­ geschichte und Naturwissenschaft, Deutsche Rundschau Bd. XIU, S. 246):

„Wie aber Zeit gewinnen für diese Neuerung?

In der Prima wären durch

Aufhebung des Religionsunterrichts zwei Stunden einzubringen.

Man be­

greift nicht, was dieser solle in einer Klasse, deren protestantische Schüler alle schon eingesegnet sind" usw. — Solchen Angriffen setzt sich doppelt aus, wer das Lehrziel des Religionsunterrichts nicht dem allgemeinen Schulziel ein­

gliedert.

46) Man kann heutzutage nicht genug betonen, daß Unwissenheit und Urteilslosigkeit in religiösen Dingen ein Zeichen von durchaus mangelhafter Bildung ist. Wie kann man z. B. die Politik und die Kultur der Gegenwart

verstehn, wenn man nicht auch auf dem Gebiete der Religionskunde wirklich orientiert ist? — Aber fast gilt es heute als Zeichen rechter Bildung, von

einem der allerwichtigsten Gebiete des Lebens und der Geschichte, von der

Religion, nichts zu wissen und nichts zu verstehn!

47) Auf wie sonderbare Gedanken man kommt, wenn man gar zu sehr den religiösen Schulunterricht in den Dienst der Kirche stellen will, zeigt der

Vorschlag von Pastor Bohnstedt, daß „dem Volksschullehrer die Möglichkeit

gegeben werden solle, schon in seiner Perikopenbesprechung am Sonnabend gerade das Thema herauszuarbeiten, von dem die Predigt am Sonntag reden

will". (!) Vgl. Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 99. 48) Ähnlich O. Baumgarten, a. a. O. S. 86. — Bösche hat in seinen (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1890, I, S. 61. milgeteilten) Thesen zwar als ersten

Satz aufgestellt: „Die religiöse Jugenderziehung hat in der Gegenwart mehr

als je die Aufgab

der Heranbildung von selbständigen und in der Liebe zur

evangelischen Kirche verbundenen Charakteren."

Aber er schränkt diese Auf­

gabe in bezug auf den religiösen Schulunterricht in der dritten These richtig ein: „Der Schul-Religionsunterricht nimmt teil an der Aufgabe der höheren Lehranstalten, durch Unterricht zu selbständiger, geistiger Arbeit zu erziehn.

55 Er trägt zur Lösung dieser Aufgabe wesentlich bei durch Förderung und Ausbau

religiös-sittlicher Welt- und Lebensanschauung auf dem Boden des Evan­ geliums." 49) Diese Antwort gibt zunächt z. B. Baumgarten, a. a. O. S. 81.

Doch bleibt er, wie S. 82 f. zeigen, dabei nicht stehen. B0) Vgl. z. B. Caspari, a. a. O. 42, 48, 59 oder Mahling, a. a.

O. S. 18, oder Simons, a. a. O. S. 12 ff. B1) Vgl. dazu alle Schriften über die Reform der Konfirmation; ins­

besondere auch die von Lic. Mumm gesammelten und unter dem Titel

„Reform der Konfirmationspraxis" herausgegebenen Gutachten zu den Er­ furter Thesen Stöckers. (Berlin 1901.) Hier findet sich auch am Schluß ein

Verzeichnis der Literatur über Konfirmationsreform bis 1900.

Außerdem

vgl. Marx in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 16 ff. B2) Solche Wendungen finden sich z. B. mehrfach bei Mahling, a. a. O. S. 20: „Wenigstens eine kurze Spanne Zeit gönnt die Kirche der kirch­

lichen Unterweisung der Jugend."

S. 26 f: „Viel wichtiger erscheint mir die

Tatsache, daß der Konsirmandenunterricht erteilt wird, ohne daß eine eigentliche kirchliche Jugendanweisung ihm vorangeht, und ohne daß ihm eine solche

folgt." ... „Gemeinsam ist allen diesen Kindern eins, daß sich bisher die Kirche um ihre besondere kirchliche Unterweisung zumeist nicht gekümmert hat. Auch

auf den Religionsunterricht in der Schule hat die Kirche ihrerseits kaum einen Einfluß" usw. S. 34 f.: „Die Kirche ... muß ihrerseits den Standpunkt

einnehmen, daß sie sagt: Ich als Kirche kann mich zur Vollziehung der Tauf­ handlung an dem Kinde nur bereit erklären, wenn ihr Eltern und Paten

euch bereit erklärt,

daß ich als Kirche auch die religiöse Unterweisung der

von mir getauften Kinder übernehme, und zwar von demAugenblicke

an, wo die Kinder das Elternhaus verlassen und die Schule be­

suchen.

Damit soll nicht gesagt sein, daß der ganze Religionsunterricht

der Schule genommen und der Kirche gegeben werden soll

Aber in

friedlicher Arbeitsteilung soll sich die Kirche mit der Schule verständigen und einen Teil des Religionsunterrichts in der Volksschule wie in der höheren

Schule für sich beanspruchen" usw. — Hier wird unter dem Namen „Kirche"

der kirchliche Rechtsorganismus in einen Gegensatz zur „Schule" gebracht, den ich nicht verstehe.

Es handelt sich dabei um etwas andres, als wenn

Schiele, einem landläufigen, freilich unklaren Sprachgebrauch folgend, z. B. sagt: „Die Kirche vermutet irrtümlich bei den Laien dieselbe Abneigung gegen

das Neue, mit der sie sich selbst ihm gefügt hat." (Schiele, Religion und Schule,

S. 163.)

Mahling erhebt im Namen der Kirche, und zwar im deutlichen

Gegensatze zu Schule, Ansprüche und zwar auf einen Teil der Schule. Mit Recht hat Marx gegen den Mahlingschen Vorschlag, weil er unausführbar

56 und verfehlt sei, Verwahrung eingelegt. (Zeitschr. f, d. ev. R.-U. 1901, LH,

Solchen klerikalen Anwandlungen gegenüber hat Karl Schneider,

S. 9.)

der Verfasser der „Allgemeinen Bestimmungen" von 1872, zweifellos die

echte und bessere evangelische Anschauung vertreten, wenn er in seinen Lebens­ erinnerungen (Ein halbes Jahrhundert im Dienste von Schule und Kirche, Berlin, Hertz 1900, S. 258), wo er davon erzählt, daß seine Vorträge über

Schule und Kirche so oft mißverstanden seien, äußert: „Ich hatte einen andern

Kirchenbegriff als meine Hörer.

Mir war die Kirche .... die Gemeinschaft

der vom christlichen Geiste erfüllten Männer und Frauen; und mein Gedanke

war, daß alles Gute, was wir in Staat und Gesellschaft haben, in deren Anregung seinen Ursprung hat. An die verfaßteKirche, episkopale oder

konsistoriale Kirche, dachte ich dabei nicht im mindesten."

Mit Recht

hat auch Ehlers (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, L, 129) geklagt über katho­ lischen Sauerteig in unsern landläufigen Ansichten.

M) So z. B. Palmer, Ev. Katechetik, 1844; 6. Aust. 1875, S. 629 f.:

... „so bleibt für einen besonderen Konfirmandenunterricht eigentlich nichts übrig

als die Einübung dessen, was speziell zu dem Akte notwendig ist, die soweit mehr liturgischer als katechetischer Art wäre."

Er fordert dann aber (eben­

dort S. 639), daß „das Ganze der christlichen Lehre noch einmal durchlaufen

werde, aber mehr nur übersichtlich und innerlich ordnend, sowie immer mit der bestimmten Wendung jeder Lehre aufs Praktische, auf Herz Und Leben" ... Ähnlich Stier, Hilfsbüchlein des Lehrers zu meinem Katechismus für den

Konfirmandenunterricht. 2. Aufl. 1846, S. 4; auch ClausHarms (s. oben Anm.21); T h.M a n d e l, Der Konfirmandenunterricht, Gütersloh 1902 u. a. m.—

Etwas kompliziert vertritt dieselbe Anschauung A. Leberl in seinem auf der Thüringer kirchlichen Konferenz gehaltenen Vortrag (Gotha 1889): Beide,

Konfirmandenunterricht und Religionsunterricht, ruhen auf einem Grunde, beide haben ein gemeinsames Ziel: die Seligkeit der ihnen anvertrauten

Kinder.

Beide haben auch gleiche Verheißung und Arbeit.

Da nun die

Fächer des vorbereitenden Unterrichts der Kirche und Schule sich einteilen lassen in 1. biblischer Unterricht mit Geschichte und Lehre; 2. kirchlicher Unterricht, ebenfalls geschichtlich und lehrhaft; 3. gottesdienstlicher Unterricht,

wesentlich erbaulich (nämlich Bibelandacht, Kirchenlied, kirchliches Gebet, S. 12, 15), so verteilt Leberl folgendermaßen: „Bei normalen Verhältnissen wird

sich die Aufgabe der Schule in ihrem Anteil dahin festsetzen lassen, daß sie die biblische Stufe gründlich,

die kirchliche grundlegend, die gottes­

dienstliche vorbereitend treibt.

Sache des Konfirmandenunterrichts bleibt

es, die erste Stufe wiederholend, die zweite ausbauend, die dritte auf -

bauend zu erledigen."

(S. 12.) — Es mag übrigens sein, daß Leberl da­

mit ungefähr dasjenige trifft, was in der Regel geschieht.

57 M) Wenn mir auf der Theol. Konferenz in Gießen von einem verehrten, bekannten Katecheten entgegengehalten wurde, daß er für das 4. und 5. Haupt­ stück ein volles Halbjahr brauche und dabei vieles von dem auch in meinem

Entwürfe (s. Beilage 2) geforderten Stoff bringe, so bezweifle ich natürlich

die Möglichkeit solches Verfahrens nicht.

Aber ich behaupte, daß zur ein­

fachen, schlichten Verständigung über das 4. und 5. Hauptstück in Luthers

Sinn 4 Stunden völlig genügen.

Ich meine auch, daß durch vieles Reden

über Taufe und Abendmahl nicht viel erreicht wird, zumal wir doch auch in Beichte und Predigt die wesentlichen Gesichtspunkte aussprechen müssen.

Endlich scheint mir, daß ein Unterricht, der alles mögliche andere bei der Besprechung des 4. und 5. Hauptstückes miterledigt, in eigentlichem Sinne ein Sakramentsunterricht nicht mehr ist.

Eckert scheint ebenfalls einen so

erweiterten Sakramentsunterricht zu vertreten (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899,

X, S. 305), etwa so, wie Kaftan im Anhang seiner Katechismusauslegung

(3. Aust. 1901). Die „Stimme aus dem Königreich Sachsen" in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 216 f. lehnt mit Recht eine genaue

Beschränkung des Konfirmandenunterrichts auf die Durchnahme des 4. und 5. Hauptstückes ab.

M) Wenn Eckert (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, 311 f.) aus dem kirchlichen Charakter des Konfirmandenunterrichts folgert, "daß ihm als

Stoff das 4. u. 5. Hauptstück, die Perikopen, das Kirchenjahr, die Kirchen­

geschichte und die Apostelgeschichte, zuzuweisen sei, so halte ich das für eine etwas künstliche Abgrenzung.

Oder sind die drei ersten Hauptstücke weniger

„kirchlich" als die genannten Stoffe? — Mit Recht hat Marx (Zeitschr. f. d.

ev. R.-U. 1901, XII, S. 12) diese Stoffverteilung abgelehnt. — Sülze teilt der Schule das allen Konfessionen Gemeinsame,

nämlich die Bibel, die

10 Gebote und das Vaterunser, dem Konfirmandenunterricht neben einer biblischen Einleitung die Kirchengeschichte, das 2., 4. und 5. Hauptstück nebst der Sittenlehre zu.

(Die ev. Gemeinde, 1891).

66) So Malo in der Zeitschr. f. prakt. Theologie 1896, XVII, S. 193 bis 230: Über Aufgabe und Verhältnis des Katechismusunterrichts in Schule und Kirche, S. 206. — Auch Rütenick gibt in seinem Werke „Die

christliche Lehre für Konfirmanden", 2 Teile 1829, 1832, eine Glaubens­ und Sittenlehre in systematischer Darstellung.

Vgl. Kohlrausch, a. a. O.

S. 27 f. 6T) Auch Eckert in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 303ff.,

315 lehnt das ab.

Seine erste These (S. 315) lautet: „Es ist die Aufgabe

des Religionsunterrichts in Schule und Kirche dem zukünftigen Glaubensentschlusse der Kinder die innere Leichtigkeit im voraus zu bereiten.

Die

herkömmliche Auffassung, daß es sich um Erreichung des lebendigen Heils-

58 glaubens im Unterricht handle, wird abgewiesen."

Der zweite Satz dieser

These ist gewiß zu billigen; aber es ist doch gewiß nicht geschickt, wenn trotzdem im ersten Satze derselbe Gedanke, nur in abgeschwächter Form, aufrechterhalten wird. - Vor Übertreibungen und gar zu hohen Tönen warnt auch Peters in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1904, XV, S. 50f.

Zu hohe

Töne sind es jedenfalls, die Klaus Harms angeschlagen hat (f. obenAnm.21). Und wenn A. Leberl (a. a. O. S. 11) als Ziel des Konfirmandenunterrichts

„die Seligkeit der Kinder" bezeichnet, so ist das eine Zweckbestimmung, die

deshalb unbrauchbar ist, weil sie einerseits zu selbstverständlich, andrerseits zu allgemein ist, um als Charakteristikum zu gellen.

Gegen derartige Ver­

schiebungen, daß man als Ziel des Konfirmandenunterrichts dasjenige hin­ stellt, was Ziel des gesamten Christenlebens ist, — Glaube, Heiligung, Seligkeit, persönliche Gemeinschaft mit Christus u. dgl. — haben auch Simons (a. a. O.

29 ff.), und Achelis (in Halte, was du hast, 1899, Nr. 11 u. 12, S. 548) sich

mit Energie gewandt.

ö8) Sehr gutes sagen über diese Zusammenhänge Marx in der Zeitschr. s. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 92f. und besonders M. Evers ebendort, 1904, XV, S. 74f. — Übrigens würde es nichts schaden, wenn nicht

bloß die Jugend, sondern auch die Erwachsenen mehr des aposto­

lischen Werts eingedenk wären: „Hast du den Glauben, so habe ihn bei dir selber vor Gott!" (Röm. 14, 22). M) So Hüffell, Über das Wesen und den Beruf des ev. Geistlichen.

3. Aufl. 1835. 60) So Kohlrausch a. a. O. S. 24, 48f. mit Berufung auf K. J.Nitzsch

(S. 16f.) und Achelis (S. 18f.).

Ob eine noch so treue und geistvolle Ein­

führung in die Lektüre der heiligen Schrift, wie Kohlrausch sie anstrebt, wirklich den Erfolg hat, daß die Schüler später selbständig regelmäßig in der Bibel

lesen, erscheint mir doch sehr zweifelhaft.

Häusliche Sitte wirkt da tausend­

mal mehr als jede Einführung und Einübung, die im Unterricht geschieht.

Aber darin hat Kohlrausch freilich recht, daß Kenntnis und Gebrauch der Bibel zum lebendigen Christentum gehört, und daß in dieser Hinsicht unser

Volk in der Zerfahrenheit der Gegenwart viel zu wünschen übrig läßt.

61) So Mahling, a. a. O. S. 28f. 6a) So Baumgarten, a. a. O. S. 82.

Ähnlich Simons, a. a. O.

S. 16 („Die Aufnahme in die volle Kultusgemeinschaft der Gemeinde"); die

Stimme aus dem Königreich Sachsen in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 215 („Das Prinzip für die Arbeitsabgrenzung dürfte sich er­

geben dadurch, daß die Schule eine mehr vorbereitende und wesentlich erziehliche Tätigkeit zu entfalten hat, der Konfirmandenunterricht aber vorwiegend durch Belehrung Wesen und Inhalt der evangelischen Kirche veranschaulichen muß,

59 um die rechte mündige Mitgliedschaft der Gemeinde zu ermöglichen"); Teichmann in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 118f.: („Der eigentlich kirchliche Unterricht zur Einführung in das kirchliche Gemeindeleben kommt

dem Pfarramt zu." .... „Der Konfirmand soll Anweisung und Anregung darüber erhallen, wie er ein lebendiges Mitglied der christlichen Gemeinde zu werden berufen ist, und wie er das christliche Leben in der Teilnahme

an der kirchlichen Gemeinschaft betätigen soll." . . . „Der Konfirmanden­ unterricht, der den Schulreligionsunterricht voraussetzt, muß den angehenden

mündigen Christen die Bedeutung des kirchlichen Lebens zum Verständnis bringen.") Schon 1890 hat Bösche (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1890, I, S. 62)

folgende Thesen aufgestellt: „Der Konfirmandenunterricht tritt unter den

Gesichtspunkt des alten Katechumenats.

Danach hätte er mehr die praktische

Aufgabe, unmittelbar in das persönlich religiöse Leben und das kirchliche Gemeinschaftsleben einzuführen."

„Als gebotener Weg erscheint: Zusammen­

fassung der bereits erworbenen Erkenntnis zu einem knappen Ganzen kirchlicher

Lehre zum Zweck unmittelbarer Anregung des religiös-sittlichen Prozesses

im Zögling — und dann Eröffnung weitergehenden Verständnisses des Ge­ meindelebens nach allen seinen verschiedenen religiös-sittlich-sozialen Be­ ziehungen zum Zweck der persönlichen Beteiligung an demselben." Ähnlich

und doch eigenartig sagt von der Heydt: „Das Ziel der christlichen Erzie­ hung ist die Fähigkeit zur Selbsterziehung . . . Der Jugendunterricht muß den Anstoß zu einer Entwicklung geben, die sich durch das ganze Menschen­

leben hindurch fortsetzt.

Das Ziel dieser Entwicklung ist die christliche Per­

sönlichkeit, deren Geburtsstunde die Taufe ist. ... Die Selbsterziehung ist an drei Faktoren gebunden: das Bibellesen, das Gemeindeleben, die eignen

Lebenserfahrungen" (a. a. O.; im Vorwort). 68) Oder ist eine rechte evangelische Gemeinde nur Gemeinschaft des

Kultus und der Lehre?

64) Darum bin ich mit Baumgarten ganz einverstanden, wenn er (a. a. O. S. 82) sagt: „Die Konfirmation ist die Feier der Zulassung zur gliedlichen Teilnahme an dem Leben und Feiern der Volkskirche." — Auch

Rütenick sagt trotz seines systematisch-doktrinären Leitfadens (s. Anm. 56):

„Mündig sind wir, wenn wir selbsttätig vollen Anteil haben an allem, was zum öffentlichen Gottesdienst gehört, und das Gute in der Gemeinde be­

fördern." — Charakteristisch ist auch, daß in dem auf amtliche Anregung entstandenen Heftchen „Achtzig Konfirmandenstunden" von Bronisch, Be-

leites und Lüttke folgende Stücke in den Katechismusunterricht eingelegt oder eingearbeitet sind: Gottesdienstordnung, kirchliche Sitte, Reformations­ und Kirchengeschichte, Union, Konfession, kirchliche Gemeindeverfassung, kirch­

liche Liebeswerke, die sozialen Fragen von arm und reich, Arbeit und Lohn,

60 Obrigkeit und Untertan."

Es fragt sich nur, ob es geschickt ist, alle diese

Dinge zerstreut in den Katechismusunterricht einzuheften, statt sie in sach­

licher Ordnung zusammenhängend unter anderm Gesichtspunkte zu behan­ deln. — Dem Sinne nach gleichbedeutend mit meinen obigen Ausführungen ist doch eigentlich die alte Formel Nutzers (1543), daß sich die Konfirman­ den „in den Gehorsam Christi und seiner Gemeinde begeben".

Charakteristisch

ist auch die von Simons (a. a. O. 6) mitgeteilte Formel der deutsch-refor-

mierten Gemeinde zu Köln von 1645: die Kinder werden bei der Konfir­ mation „völlig zu Gliedmaßen dieser Gemein angenommen und in die Quartier referiert".

Der Sinn der Handlung ist also nicht bloß ein

allgemein kirchlicher, bezw. konfessioneller, sondern zugleich ein praktischer,

gemeindlicher. — Eine eigenartige Zuspitzung

hat von Hofmann der

Sache geben wollen, indem er die Konfirmation zu einem freiwilligen Akt

zu machen vorschlug, der nur an denjenigen vollzogen würde, die ausdrücklich

in der Gemeinde selbsttätig sein wollten, d. h. also fast zu einer Art Laien­ ordination, die naturgemäß dann vom Katechumenenunterricht zu trennen und erst später zu vollziehen wäre.

(Enzyklopädie S. 295.)

6Ö) Der Konfirmandenunterricht ist Sache der Einzelgemeinde, mag sie nun Lokal- oder Personalgemeinde sein.

Diese Einzelgemeinde be­

reitet ihre Jugend für das rechte Gemeindeleben vor.

Daß so viele Kinder

mit der Konfirmation aus dem bisherigen Gemeindebezirk ausscheiden, ist

kein Grund gegen diese Auffassung.

Diese Kinder sollen eben lernen, daß

sie jedenfalls zu einer evangelischen Gemeinde gehören und an dem Leben

derjenigen Gemeinde teilzunehmen haben, der sie ihren Verhältnissen ent­ sprechend angehören. Selbstverständlich ist unter „Gemeindeleben" nicht bloß das Äußerliche zu verstehen, sondern die äußeren Ordnungen und Formen als

Träger echten evangelischen Lebens.

Nun kann man allerdings erwidern,

daß das Gemeindeleben in vielen evangelischen Gemeinden darniederliegt. Aber auch das ist kein Grund gegen unsere Auffassung.

Um so mehr

muß der Konfirmandenunterricht dazu benutzt werden, daß man

versucht, das Gemeindeleben von da aus zu erneuern. Der Konfirmandenunterricht soll das Gemeindeleben stärken und fördern helfen, das Gemeindeleben dem Konfirmandenunterricht Zweck und Rückhalt geben. Treffend sagt also Marx, wo er von der Unkirchlichkeit der konfirmierten

Jugend redet (Zeitschr. f. d.ev.R.-U.1898, IX, S. 92): „Die Frage, wie diesem

Jammer abgeholfen werden könne, findet ihre Beantwortung nur im Zu­

sammenhänge mit der Frage nach dem Wiederaufbau des evangelischen Ge­ meindelebens."

66) Es gibt doch zu denken, daß auf evangelischem Boden die Konfir­ mation, die zuerst in einzelnen Kirchenordnungen, z. B. der Brandenburger,

61 im Anschluß an das katholische Recht der nur vom Bischof zu vollziehenden Firmung, allein dem Superintendenten übertragen und damit nicht als lokalkirchlicher, sondern als landeskirchlicher Akt charakterisiert war, in

der Wirklichkeit seit langem vom Ortspfarrer geübt wird, d. h. durchaus lokalkirchlichen Charakter empfangen hat. In unseren evangelischen Landes­

kirchen ist «kirchliches" Leben eben nur soweit vorhanden, als es in den

Einzelgemeinden geübt wird.

67) Es mag bei dieser Gelegenheit die Aufmerksamkeit gelenkt werden auf eine Bewegung, die genau geprüft werden sollte, ehe man ihr Tür und

Tor öffnet, ich meine die Bibelkränzchen für Schüler, namentlich für Schüler höherer Lehranstalten.

Diese Schüler haben nach unsern öffentlichen

Ordnungen 1. Religionsunterricht und Andachten in der Schule, 2. Kon­ firmandenunterricht.

Außerdem stehen ihnen bis zum Konfirmandenunter­

richt unsere Kindergottesdienste offen und in den Familien die etwa dort abgehaltenen Hausandachten.

Literatur zugänglich.

Endlich ist ihnen leicht eine Fülle religiöser

Nun richten einzelne Personen oder Kreise, ohne mit

den geordneten Gemeindeorganen irgendwie sich in Beziehung zu setzen, sog. „Bibelkränzchen" für Schüler ein, so daß also Quartaner und Tertianer

oder Sekundaner und Primaner wöchentlich je 1—2 Stunden zu einer prak­

tischen Bibelauslegung oder Besprechung versammelt und, da das allein die Jugend nicht fesseln würde, dann auch durch allerlei Spiele, Ausflüge u. dgl. vereint werden.

Man beruft fich darauf, daß der Religionsunterricht durch­

aus ungenügend sei. — Nun hat zweifellos ein jeder Einzelne das formelle Recht, solche Bibelkränzchen zu hatten oder zu arrangieren. Sehr zweifelhaft aber ist, 1. ob er damit auch die Fähigkeit hat, solche Belehrung im richtigen

Sinne durchzuführen (vgl. Jak. 3,1); 2. ob er der Gemeinde mehr nützt oder

schadet, sie mehr sammelt oder zerstreut, wenn er auf eigne Faust, ohne Verständigung mit Schule und Gemeinde, solche Dinge unternimmt; 3. ob nicht unsre Jugend auf diese Weise eher religiös verwirrt nnd überlastet, als

praktisch angeregt und gestärkt wird.

In vielen Fällen stellen sich diese

Bibelkränzchen nur als eine dilettantenhafte und sektenhafte Reaktion gegen Religionsunterricht und Pfarramt dar. Ich wünschte sehr, daß die Gemeinden und Schulen, vor allem aber die Ettern in solchen Sachen äußerste Vorsicht übten.

Oft werden sie, ohne ein Bewußtsein davon zu haben, durch

solche Unternehmungen in einem Sinne beeinflußt, wie sie selbst es nicht

wünschen. Man sollte doch auch meinen, daß wir in unsern Gemeinden, Schulen und Familien genügend erbauliche Anregung für unsre Jugend darböten.

Endlich ist gegen die in jenen Kreisen übliche Beurteilung unsers

religiösen Schulunterrichts auf das Entschiedenste zu protestteren.

Gerade

diese Art Bibelkränzchen können dazu dienen, den Konfirmandenunterricht in

62 seinen Früchten zu schädigen und die Jugend von den Gemeindegottes-

diensten und dem Gemeindeleben fernzuhalten.

Aus diesem Grunde war

in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Bibelkränzchen nicht zu umgehn. 68) Hierzu vgl. besonders Simons, a. a. O. S. 47—56. Über die Dauer des Konfirmandenunterrichts enthalte ich mich hier des Urteils, weil diese davon abhängt, a) welcher und wieviel Stoff im Konfirmandenunterricht

bewältigt werden muß, b) ob der Pfarrer selbst die Kinder auch vorher schon im religiösen Schulunterricht unterwiesen hat, c) wie sonst die Verhältnisse

der Gemeinde und des Pfarramts liegen, d) ob der Pfarrer insonderheit die Kinder schon aus den Kindergottesdiensten genügend kennt. Im allgemeinen kann ich Simons Urteilen nur beistimmen. Etwa ein Jahr müßte auch nach meiner Meinung der Unterricht dauern mit wöchentlich zwei Stunden, —

wenigstens wenn der in meinem Entwurf (f. Beilage 2) angegebene Stoff

behandelt werden soll.

69) Diese Ansicht ist weit verbreitet und z. B. von Professor Marx (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 8), Provinzialschulrat Matthias (eben­ dort 1900, XI, S. 82) und Simons (a. a. O. S. 20—28) mit Beredsamkeit und Energie vertreten.

70) Die Argumentation mit der größeren oder geringeren Empfäng­ lichkeit im Alter von 14 oder 16 Jahren sollte man völlig ausschalten. Gerade dieser Punkt ist bei den einzelnen, je nach Naturell und Umgebung, sehr verschieden. Und wenn es wahr wäre, daß das jüngere, unreifere Alter

eine größere Empfänglichkeit besitzt, — was nützt diese, wenn die Eindrücke

in den folgenden Jahren völlig ausgelöscht oder durch andre Eindrücke über­

boten werden?

Es ist zweifellos, daß man mehr erreicht hat, wenn man

einen 16 oder 17 jährigen Jüngling religiös und sittlich interessiert, als wenn

man einen 14jährigen Knaben begeistert. Was die Disziplin anlangt, so

ist dieselbe unter unsern modernen sozialen Verhältnissen gewiß bei der schul­

entlassenen Jugend schwieriger, als im schulpflichtigen Alter.

Gewiß kann

ein guter Pädagoge durch die Größe der Sache, die wir vertreten, auch wohl

eine Schar unruhiger Lehrlinge in Ordnung hallen; aber wer bürgt uns

dafür, daß auch nur die Mehrzahl der Pfarrer dieser Aufgabe ohne weiteres gewachsen ist? — Endlich mache ich darauf aufmerksam, daß der Zeitpunkt der Konfirmation relativ gleichgültig ist, wenn auch nach der Konfirmation

in geeigneter Weise die Jugend religiös und sittlich fortgebildet werden kann.

Ich vermag mich deshalb dem, was Marx (Zeitschr. f. d. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 7 u. 9) in dieser Hinsicht ausgeführt hat, nicht anzuschließen, glaube

vielmehr, daß Pfarrer Paschmann (ebendort 1900, XI, S. 42 ff.) aus der Wirklichkeit der vorhandenen Sachlage heraus mit Recht dagegen Einspruch

erhoben hat.

Auch Baumgarten (a. a. O. S. 81) glaubt nicht an die

63 Möglichkeit einer solchen Änderung.

Die Verlängerung des Schulzwangs

auch nur um ein Jahr ist schwerlich durchzuführen.

Der Konfirmanden­

unterricht aber ein oder mehrere Jahre nach der Schulentlassung würde, wenn

er obligatorisch wäre, von den größten Schwierigkeiten begleitet sein. 71) Ich will von meinen eigenen Eindrücken in der Schweiz nicht reden.

Aber ich stelle nur fest, daß C. Stuckert in seiner Broschüre: Was ist den Reichsdeutschen an den kirchlichen Zuständen der Schweiz interessant? S. 16 folgendes berichtet: „Das in der Schweiz übliche Alter für die Vornahme

der Konfirmation ist das 16. Altersjahr.

Manche Kantone halten streng

darauf, daß nicht früher konfirmiert werde .... Allerdings bringt es das moderne Erwerbsleben mit sich, daß zahlreiche Gesuche um Erlaubnis

eines früheren Termins einlaufen.

Es ist jedoch nicht der Pfarrer,

sondern der Kirchenrat des Kantons, der diese Gesuche prüft und entscheidet, und zwar nicht immer im bejahenden Sinn. Dem Druck der Verhält­

nisse nachgebend, haben einige Kantone auch das Alter herab­ gesetzt. Neuerdings Basel auf das vollendete 15. Altersjahr. Früher schon

Genf für Knaben das zurückgelegte 15., bei Mädchen das 14. Altersjahr." 7a) So äußert sich auch die Stimme aus dem Königreich Sachsen

in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 218 (vgl. S. 216); und auf der

Rheinischen Religionslehrerversammlung 1899 der Synodalpräses Schür­ mann, der Generalsuperintendent U mb eck und der Pfarrer Jatho (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1900, XI, S. 79, 81, 83. (Anders Marx, ebendort 1899, X,

S. 7, 22.) 78) Was nützt der kunstvolle Aufbau des Lehrplans für den Religions­

unterricht der Schule, wenn er regelmäßig doch ein Jahr hindurch unter­ brochen wird?

Gegen jeden Dispens haben also mit Recht z. B. Marx

(Zeitschr. f. d. R.-U. 1899, X, 117) und Ehlers (ebendort S. 131) protestiert.

Man muß entweder den Religionsunterricht der Schule nach dem einheitlichen

Lehrplan lückenlos — auch neben dem Konfirmandenunterricht — durch­

führen, oder man muß einen neuen Lehrplan machen, der sich von vorn­ herein und grundsätzlich danach richtet, daß während des Konfirmandenun-

terrichts der religiöse Schulunterricht aussällt.

Das Letztere ginge meines

Erachtens am besten, indem man den Konfirmandenunterricht auf die Stufe

der Tertia festlegt und diejenigen Tertianer, die ihn noch nicht oder nicht

mehr besuchen, kombiniert und in der Kirchengeschichte, besonders der Reformationsgeschichte

unterrichtet.

Von den Mängeln, die der zurzeit

gültige Preußische Lehrplan gerade bezüglich der beiden Tertien zeigt, will ich nicht im einzelnen reden; (vgl. z. B. Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1904, XV, S. 324) aber sie erleichtern den Plan einer Änderung gerade an diesem Punkte. — Gegen die Gleichzeitigkeit, d. h. das Nebeneinander von Konfir-

64 mandenunterricht und religiösem Schulunterricht kann ich mich nicht so un­ bedingt erklären wie L. Wiese (a. a. O. S. 99 f.) und Simons (a. a. £).),

wofern nur beide Gebiete wirklich ihre Eigenart haben und wahren. 74) Die Frage nach der Jahreszeit der Konfirmation lasse ich als

nebensächlich beiseite; man kann auch für jeden Termin Gründe und Gegen­ gründe anführen.

Ebenso steht es mit der Frage, ob man in einem Jahre

einmal oder mehrmals konfirmieren solle.

Das kommt nicht bloß auf die

Zahl der Kinder, sondern auch auf die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte

und auf die Struktur der Gemeinde an. 76) So im Königreich Sachsen, im Großherzogtum Hessen, in der Pfalz,

in Frankfurt a/M.; in den deutsch-russischen Ostseeprovinzen, Finnland und

Schweden. — Die Verlegung auf den Nachmittag hat zweifellos allerlei gegen sich, bedeutet aber unter Umständen doch das geringere Übel und ist

jedenfalls nicht von vornherein so abzulehnen, wie es auf der Rheinischen Religionslehrerversammlung 1899 Generalsuperintendent Umbeck getan hat.

(Zeitfchr. f. d. ev. R.-U. 1900, XI, S. 80.) 76) Bedürfnis, Möglichkeit und Wunsch einer gegenseitigen Verstän­

digung zwischen Schule und Pfarrstand, Lehrer und Pfarrer, liegen doch

wohl überall vor.

Weshalb sollte da eine Verständigung im einzelnen, zu­

nächst über die äußeren Ordnungen und Beziehungen, aussichtslos fein? — Vielerorts ist man in den letzten Jahren in dieser Hinsicht schon vorwärts­

gekommen.

(Vgl. Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 98, 217.

XI, 3 ff.) 77) Gutes sagt

hierüber Peters

(Zeitschr. f. d. ev. R.-U.

1901, 1904,

XV, S. 47 ff. 52.)

78) Es ist z. B. für das Gemeindeleben überaus bedenklich, wenn der

Pfarrer die Kinder wohlhabender, einflußreicher oder gebildeter Eltern ganz anders behandelt als die übrigen, jene z. B. mit Vornamen anredet, diese nicht usw. 79) Auf diesem Gebiete liegen noch allerlei kirchenrechtliche Schwierig­

keiten und offene Fragen vor, die z. T. darauf beruhen, daß die Konfir­ mation selbst in den verschiedenen Landesteilen so verschieden eingeführt,

beurteilt und behandelt worden ist.

Z. B. ist die Frage, inwieweit andre

ordinierte Geistliche als der Gemeindepfarrer, z. B. Militärpfarrer oder Geistliche für Innere Mission, überhaupt berechtigt sind, Kinder aus andern Gemeinden in den Unterricht zu nehmen und zu konfirmieren; ferner die

Frage, ob der Konfirmandenunterricht lediglich als Vorbereitung zu der

wichtigen Amtshandlung der Konfirmation, oder letztere lediglich als Ab­

schluß des Konfirmandenunterrichts zu behandeln ist, kirchenrechtlich noch durchaus im Unklaren und praktisch deshalb verschieden behandelt.

Es ist

65 dringend zu wünschen, daß man bei der über kurz oder lang notwendig

werdenden Regelung dieser Fragen den Gemeindegedanken zum entschei­ denden macht. so) Dahin gehört, daß sie die Gottesdienste mit ihren Kindern besuchen,

soweit sie können.

Wo es ohne Störung möglich ist, sollte man ihnen auch

Gelegenheit geben, in den Konfirmandenstunden zu hospitieren.

81) Eine Regelung durch die kirchlichen Behörden wünschen z. B. Kohlrausch (a. a. O. S. 103f.

Festsetzung eines Stoffminimums), die

Stimme aus dem Königreich Sachsen (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 217 „Den Geistlichen müßte allgemein und genauer der Stoff für den Konfirmandenunterricht vorgeschrieben werden"), Teichmann (ebendort

1899, X, S. 118), Pasch mann (ebendort 1900, XI, S. 47 „Die Provinzial­ kirche . . . müßte einen bewährten Lehrgang aufstellen").

Wenn nun z. B.

in dem allgemeinen Konferenzbescheide der Regierung von Merseburg an die Lehrerkonserenzen von 1896 als Mittel zur Herbeiführung einer einheitlichen

Gestaltung vorgeschlagen werden: Sichere Aneignung dessen, was beiderseits

als Pensum zu fordern ist, Vereinbarung des Lehrers und Pfarrers wegen des von jedem innezuhaltenden Lehrplans einschließlich der Methode, ge­

meinsame Festsetzungen der kirchlichen und Schulbehörde mit normativem Charakter, der Gebrauch desselben Lernbuchs in Schule und Kirche, möglichst

dieselben Einleitungen, Erklärungen, Erläuterungsmittel usw. (vgl. Kohl­ rausch a. a. O. S. 46), — so wird man dem im allgemeinen mit einigen Vorbehalten zustimmen können. Aber Zwingen und Reglementieren auf

diesem Gebiete ist ebenso schlimm wie Willkür und Unordnung.

Freilich,

es erweckt wenig Hoffnung, wenn z. B. der Generalsuperintendent U mb eck auf der Rheinischen Religionslehrerversammlung 1899 erklärte: „Was die

Verständigung von Kirche und Schule angeht, so wünschte ich, daß der Kirchenrat uns diese Sache zur weiteren Verfolgung vorlegen möchte. 1893 ist diese Verbindung geschaffen. Praktisch aber nehmen von 20 Faktoren 19 keine Rücksicht auf die Verständigung zwischen den Volksschulen

und der Kirche." 82) In gleichem Sinne äußert sich Ehlers in der Zeitschr. f. d. ev.

R.-U. 1899, X, S. 130 — „Das Zusammensitzen der Kinder der ver­ schiedenen Stände tut's noch nicht."

Trennt man nun die Kinder nach ihrer

Schulbildung, so gilt es, den getrennten Gruppen je in einer für sie ver­ ständlichen Weise die sozialen Pflichten des Gemeinsinns, der Demut, Selbst­ verleugnung, Gerechtigkeit usw. ans Herz zu legen. 8S) Sehr Gutes darüber sagt Kohlrausch (a. a. O. S. 114—117);

auch Maximilian Gebhardt (s. oben Anm. 4, S. 1—10). Bornemann, Der Konsirmandenunterricht.

5

66 84) Je fester man selbst ist, um so innerlich freier ist man auch; um so mehr kann man auch Geduld und Hoffnung bewähren.

86) Man erlebt es oft im Religions- und Konfirmandenunterricht, daß

die intellektuell Begabten und Giftigen, bei denen der Ehrgeiz mit im Spiele

ist, wohl gute Schüler sind, aber im späteren Leben doch nicht Treue halten, während umgekehrt schwache und schwerfällige Schüler, wenn man sich ihrer

wirklich annimmt, gute Fortschritte machen und beständig sind. „Das Wissen

bläset auf." 86) Das sollte man sich bei jeder Arbeit des Unterrichts und der Er­ ziehung sagen und sich hüten, Effekte berechnen und hervorrufen zu wollen.

Davor warnt auch Baumgarten a. a. O. S. 50. 87) Genaueres darüber führt Marx aus (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 15).

88) Höchst beachtenswert und lebenswahr ist das, was in seinen von Paul Göhre herausgegebenen „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen eines

Arbeiters" (2. Ausl. 1900) Fischer aus seiner Konfirmandenzeit in dieser Beziehung erzählt (S. 46 ff., 87 ff.).

89) Wenn Baumgarten (a. a. O. S. 65) bezüglich des religiösen Schul­

unterrichts gelegentlich sagt: „Man muß mit gedämpftem Ton, mystisch über diese Dinge sprechen können, im Stile des Geheimnisses," so gebe ich gern zu, daß diese Fähigkeit, wo sie von selbst, unbefangen, an richtiger Stelle Gleichwohl darf man

zur Geltung kommt, sehr wirkungsvoll sein kann.

solche Dinge nicht anraten; denn dadurch verlieren sie meist ihre Natürlich­

keit und werden dann ebenso unerträglich wie das bekannte Kanzelpathos, ermüdend oder erheiternd.

90) Das ist sehr wichtig. Auch Maximilian Gebhardt (vgl. Anm. 4 oben, S. 9) erwähnt, daß er selbst das so halte.

Dann aber ist es mir

unverständlich, wenn er einige Zeilen daraus sagt:

„Das Gebet als Dis­

ziplinarmittel ist eine traurige Unsitte.

Denn ein Gebet aus dem etwa vor

der Stunde vorhandenen Lärm heraus ist keine Sitte, sondern eine Un­

sitte." — Gewiß ist es das.

Aber fast klingt es so, als ob Gebhardt das

Gebet zu Anfang vermiede; denn er fährt fort:

„Außerdem verliert das

Gebet, je öfter es öffentlich geübt wird, seinen eigentlichen Charakter als stilles, heimliches Ringen um Gotteskräste für die Seele oder als Erhebung der Seele in das Reich der göttlichen Kräfte."

Ich meine, daß der Pfarrer

doch gut tut, die Stunde regelmäßig mit Gebet zu eröffnen und zu schließen, und daß seine Anwesenheit vor der Stunde ohne weiteres jeden „Lärm"

ausschließen muß.

91) Dem Vorschlag von Mahling, a. a. O. S. 32, den Konfir-

67 inandenunLerricht in den Volksschulen abzuhatten , könnte ich nur in wirk­

lichen Notfällen zustimmen.

Normal ist das nicht.

92) Man kann die Schüler schriftlich oder mündlich Fragen stellen lassen, eventuell einen Fragekasten einrichten (vgl. Gebhardt, a. a. O. S. 7 und 26 f.).

Ich verteile jährlich im Herbst — je nachdem, gegen Bezahlung

oder unentgeltlich — unsern Frankfurter Kirchenkalender für das nächste Jahr als ein gutes Mittel zur Einführung in unsere kirchlichen Ordnungen und Interessen.

Auch pflege ich, wenn es sich vor Ostern um die Einklei­

dung bedürftiger Konfirmanden handelt, die Kinder wohlhabender Eltern zu Beiträgen anzuregen. 9S) Das Ansehn beim Gruße und im Unterricht halte ich für sehr

wesentlich. 94) Der Wochenspruch erscheint mir nicht notwendig, aber immerhin

praktisch. 9B) Ich verstehe Baumgartens Polemik gegen den „Schulteufel" und billige sie.

Nur fürchte ich, daß seine Antithesen (a. a. O. S. 85):

„Seelsorge-, nicht Schulunterricht; Zeugnis, nicht Katechese; Vorleben des Christentums, nicht Andemonstrieren!" keine klaren Antithesen sind.

Ich

würde dem entgegen sagen: ein guter schulmäßiger Unterricht kann durchaus

frei, intim, ungezwungen und seelsorgerlich sein.

Ein bloßes „Zeugnis"

kann den Inhalt der Konfirmandenstunden auch nicht ausfüllen: sondern man soll wirklich „katechesieren", fteilich gut und natürlich und nicht in der

landläufigen, begriffsspaltenden, ledernen Art.

Endlich soll und kann man

zwar das Christentum nicht „andemonstrieren", aber eine ebenso unmögliche Aufgabe erscheint es mir, in den Konfirmandenstunden „das Christentum vorzuleben".

Diese Formulierung vermag ich bei meiner nüchternen Art

mir nicht anzueignen. ") Ähnlich Caspari, a. a. O. 153; Eckert, in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 310.

Marx (ebendort 1898, IX, S. 89) erinnert an

die entsprechende Bestimmung der alten hessischen Kirchenordnung. 97) Vermeiden würde ich fteilich eine Wendung wie die von Kohl-

r au sch (a. a. O. S. 105 f.) gebrauchte: „Der Geistliche wird gut tun, wenn

er versucht, die Kinder zu Seelsorgern ihrer Familie zu machen." 98) Auch hierzu vgl. Kohlrausch, a. a. O. S. 114ff., 119ff.

99) Vgl. auch hierzu Kohlrausch, a. a. O. S. 114.

10°) Ich würde es sehr bedauern, wenn berechtigte Reformbewegungen sich dadurch ins Unrecht setzten, daß sie die Besonnenheit der rechten Päda­

gogik vermissen ließen.

Bei allem Guten, was z. B. das Buch von Maxi­

milian Gebhardt, „Moderner Religions- und Konfirmandenunterricht",

Berlin 1906 bietet, habe ich doch den Eindruck, daß es in mancher Bezie5*

68 hung nicht abgeklärt ist.

Von einzelnen sehr anfechtbaren Definitionen und

Schlagworten abgesehen (z. B. „Ein Katholik ist ein Mensch, der auf Kom­

mando glaubt" S. 20, 24), ist die Darstellung oft sprunghaft und im ein­ zelnen zuweilen karrikiert. (Z. B. „Wo der Islam ein Volk erobert hat, da hört die Kultur und der Gewerbefleiß auf.

Die Trägheit schlägt die Men­

schen in Bande. Darum Paßt zum Islam auch das langsam durch

die Wüste schreitende Kamel." — Ich fürchte, damit geschieht sowohl dem Islam wie dem Kamel Unrecht; aber lachen werden freilich die Kinder.)

Endlich sieht man bei diesem modernen Lehrgang durch das moderne Fleisch

deutlich die Rippen der alten orthodoxen Dogmatik durchschimmern. — Immerhin ist es ein frisches Buch, das zum Nachdenken und Vergleichen anregt. 101) In der allzugroßen Masse der Konfirmanden, die in einem Cötus

unterrichtet wurden, lag (und liegt noch zuweilen) in den Städten ein Krebs­

schaden des Konfirmandenunterrichts. Wenn z. B. Mahling (a. a. O. S. 30)

von den einzelnen Pfarrern in Hamburg berichtet, daß sie 479, 499, 451, 463, 420, 448, 335 und 626 Konfirmanden in einem Jahre gehabt haben,

so ist das ein unbegreiflicher Mißstand, der schleunigst abgestellt werden sollte. Aber da soll man vor allem an Vermehrung der geistlichen Kräfte oder Teilung der Gemeinden und Cöten denken, nicht aber aus solchen Ausnahme­ fällen andere allgemeine Konsequenzen ziehn.

In alten Zeiten machte man

freilich andre Ansprüche in bezug auf die Größe der Gemeinden. So schrieb Theophilus Großgebauer 1661 in seiner „Wächterstimme" (S. 472):

„Darum taugen die großen Pfarrsprengel nichts, ein Kirchendiener sollte etwa 100 Seelen zu weiden und wiederzugebären haben." 102) Ebenso urteilt Schiele, a. a. O. S. 22—28.

108) 1902, I, 405-420, 610—626. 104) Dem Entwurf von Eckert, Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 311 ff.

kann ich nicht zustimmen. — Vgl. meinen Entwurf in der Beilage. 106) Ähnlich urteilen: die Stimme aus dem Königreich Sachsen (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1898, IX, S. 215 f.); Ehlers (ebendort 1899, X,

S. 125); Eckert (ebendort 1899, X, S. 312 f.). — Schiele will in der Volksschule nur biblischen Unterricht, nicht den Katechismus haben.

Ob er

letzteren im Konfirmandenunterricht dulden würde, ist mir nicht ganz klar; eigentlich dürfte er es nach seinen Darlegungen (a. a. O. 14—21) auch nicht (vgl. auch S. 146). Ähnlich steht es mit Baumgarten (vgl. a. a. O. 17, 69 ff. 82 ff.). Auch Vollmer (bei Schiele, a. a. O. S. 54) will den Kate-

chismusunterricht nur in den Konfirmandenstunden haben.

Caspari (a. a.

0.145 f., 149) fordert ihn für den Konfirmandenunterricht, lehnt ihn aber

für die Schule ab.

Es ist bekannt, daß früher schon Hülsmann und

69 Dörpfeld ihn aus der Schule verwiesen haben.

Aus dem Konfirmanden­

unterricht verweist ihn auch Gerbert, Die Bedeutung des Katechismus im Stufengang des rel. Unterrichts 1898.

106) Vgl. für den 1. Glaubensartikel meine Abhandlung „Zur kate-

chetischen Behandlung des 1. Artikels im Lutherschen Katechismus" im Jahr­ buch des Pädagogiums zum Kloster U. L. Fr. in Magdeburg 1893.

Ferner

meine Broschüre: Der 2. Artikel im Lutherschen Katechismus. 1893. —

Ich denke demnächst auf diese Frage zurückzukommen, gehe deshalb hier nicht weiter darauf ein. 107) Luther sagt sogar in den Vorrede zur deutschen Messe: „In diesen

dreyen stucken (die 10 Gebote, der Glaube, das Vaterunser) steht schlecht

und kurtz fast alles, was eym Christen zu wissen not ist. 108) Caspari lehnt die Konfessionskunde für den Konfirmandenunterricht,

der ja freilich nach ihm bloß Sakramentsunterricht sein soll, ab.

Dagegen verweist er die Einführung in die Bibel,

ausdrücklich

in das Gemeinde­

leben, in die Beziehungen der christlichen Gemeinde zur Welt in die oberen

Klassen der höheren Schulen (a. a. O. S. 141, 152). — Die „80 Konfir­

mandenstunden" von Bronisch, Beleites und Lüttke 1896 übernehmen diesen ganzen Stoff, verteilt auf den Katechismus, in den Konfirmanden­

unterricht. 109) Ich hoffe, daß der von mir in der Beilage 2 aufgestellte Ent­ wurf in seiner inneren Gliederung und Einheitlichkeit, sowie in seinen

Ich widerstehe

Grundgedanken ohne weiteres deutlich und verständlich ist.

der Versuchung, ihn hier weiter auszuführen.

Jeder Einsichtige wird aber

bemerken, daß eine ganze Reihe der von mir aufgezählten Stücke in jedem

praktischen Konfirmandenunterricht, vielleicht in anderer Anordnung und unter anderm Gesichtspunkt, bereits wird vorgekommen sein.

Mir kann es

sich hier nur darum handeln, zu zeigen, wie sich dieser ganze Stoff einheit­ lich und eigenartig von den Lehrplänen der Schulen abhebt.

110) Diesen Gedanken scheint Battenberg (bei Schiele, a. a. O.

S. 60)

zu

vertreten, wenn er sagt:

„Dagegen hat der Konfirmanden­

unterricht die Aufgabe, die zukünftigen Arbeiter, die Jugend der bürgerlichen

Stände, die zukünftigen Gelehrten ausrüstend vorzubereiten auf all die

großen Fragen, welche das Leben der religiösen Persönlichkeit, teils fördernd, teils noch hindernd in Monismus,

Grundideen

den Weg

stellt

(Materialismus,

des Sozialismus,

Bibelkritik,

Darwinismus,

Reichsgottesidee

u. dgl.)." H1) Diese Frage wird immer ernster aufgeworfen, z. B. vom General­ superintendenten W. Baur in Schmidts „Enzyklopädie des gesamten Unter­

richtswesens", Artikel Konfirmation; von Marx (Zeitschr. f. d. ev. R.-U.

70 1898, IX, S. 95); von Mahling, a. a. O. S. 36 ff.; von Weber, Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1900, XI, S. 222 f., und besonders, wenn auch

in einem mir z. T. nicht sympathischem Sinne von K. Lechter, „Die Er­ ziehung der konfirmierten Jugend zur Kirchengemeinschast, eine Pflicht der

deutsch-evangelischen Kirche", Gütersloh 1900.

lia) Ich rede von den Gemeinden,

Mission".

nicht von der

Letztere ist vielfach in ihrer Art tätig gewesen.

„Inneren

Allein ich

glaube nicht bloß, daß ihr Name in vielen Fällen ein Hindernis für ihre rechte Wirksamkeit und Würdigung im Volksleben ist, sondern auch, daß sie auf die Dauer segensreich nur wirkt, wo sie im engsten Zusammen­

hang mit den Einzelgemeinden steht und möglichst auch allmählich

alles das, was die Einzelgemeinden leisten könnten und sollten, an diese ab gibt.

Sonst haben wir eine „Kirche",

Inneren Mission in ihrer Entwicklung

die

durch das Dasein

der

gehemmt wird, und eine Innere

„Mission", die als solche nie identisch mit der „Kirche" sein und in unserm

Volke immer weniger verstanden werden wird.

Es kann die „Innere

Mission" geradezu selbst zur Auflösung unserer Volkskirche und zur Ertötung

lebendiger Einzelgemeinden beitragen.

lia) Mit Recht

hat

auch Baumgarten

in seinem Buch

„Neue

Bahnen" dieser Frage längere und beachtenswerte Ausführungen gewidmet

(S. 90-95). 114) So Baumgarten (Zeitschr. f. prakt. Theologie XIII, S. 30 ff.; vgl. dagegen die größere Zurückhaltung in seinen „Neuen Bahnen" S. 93); Marx (Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1899, X, S. 8 f. und 1901, XII, S. 15);

Eckert ebendort,

S. 309; Mahling, a. a. O. 38. — Auf die weiteren

Reformvorschläge Stöckers und andrer, mit der Konfirmation den eigent­

lichen kirchlichen Katechumenat abzuschließen, die Teilnahme am heiligen Abendmahl davon loszulösen und sie von einem späteren, besonderen, frei­

willigen Bekenntnisakt abhängig zu machen, gehe ich hier nicht ein.

Meine

Meinung darüber habe ich bei der von Lic. Mumm 1901 veranstalteten Enquete in Heft 15 u. 16 der freien kirchlichen Konferenz, S. 20 f. ge­ äußert. 116) Hier berühre ich mich mit Artur Bonus (bei Schiele, a. a. O.

S. 61 f.). 116) Ähnliches

sagt

Marx,

Zeitschr. f. d. ev. R.-U.

1898,

IX,

S. 93. 117) Für undurchführbar halte ich die von N. Brückner, „Erziehung und Unterricht", Berlin 1895 geforderte Verlängerung der Schulpflicht um

2 Jahre (bis zum 16. Lebensjahre). Wäre sie möglich, so wäre damit manchen

Bedürfnissen und Schäden der Boden genommen.

71 118) Es handelt sich bei allen diesen Dingen um eine nicht künstlich zu erzielende,

auch nicht nachzuahmende,

aber,

wo sie vorhanden

ist,

zu pflegende Verbindung von Organisation und Charisma.

119) Ganz kurz mag hier erwähnt werden, daß dasselbe Problem, das in dem Verhältnis des Konfirmandenunterrichts und des religiösen Schul­

unterrichts gegeben ist, eigentlich doch auch schon in den während der letzten Jahrzehnte fast überall eingeführten Kindergottesdiensten vorhanden ist.

Das wird leider in der Regel übersehn. So kann es kommen, daß 1. oft genug in den Kindergottesdiensten bei dem sog. Gruppensystem ganz junge,

pädagogisch völlig unerfahrene und didaktisch ungeübte Leute „unterrichten", und 2. daß in der Regel ganz planlos neben dem Lehrplan der Schule in den Kindergottesdiensten die biblische Geschichte behandelt wird.

Der Erfolg

ist dann ost genug, daß die Disziplin in den Kindergottesdiensten mangel­

haft und der Unterricht selbst überaus dilettantenhaft ist, daß der biblische

Geschichtsunterricht in der Schule den Reiz der Neuheit und Unbefangenheit

für die Kinder verliert und oft mit allerlei sonderbaren Gedanken zu kämpfen hat, die aus dem Kindergottesdienst stammen, — wenn nicht gar die Leiter und Mitarbeiter der Kindergottesdienste in mehr oder minder bewußtem

Gegensatze zur Schule arbeiten.

Es ist aber nicht alles, was wohlgemeint

ist, auch deshalb schon berechtigt und gut.

Auch hier gilt Jak. 3,1.

Ich

bin ein Freund rechter Kindergottesdienste und leite selbst einen solchen in meiner Gemeinde.

Aber aus den angegebenen Gründen lasse ich meine

Helfer und Helferinnen nicht selbst unterrichten, sondern habe mir das

eigentlich Katechetische Vorbehalten, und ich behandle in der Regel nicht die biblische Geschichte, sondern erzähle den Kindern im Anschluß an einen enu fachen Bibelspruch eine andre gute Geschichte. Endlich enthalte ich mich aller kunstvollen liturgischen Ausgestaltung, beschränke mich vielmehr auf

einige kurze kindliche Gebete.

Dagegen werden mehrere Lieder gesungen.

Auch auf diesem Gebiete liegen für die Gegenwart noch mehr Probleme, als man in der Regel ahnt und weiß.

Hüten wir uns vor allem davor, das

Evangelium zur bloßen Kindersache zu machen!

Gewiß, „wer die Jugend

hat, der hat die Zukunft". Aber glaubt man wirklich, daß man die Jugend „hat" auch für die Zukunft, wenn es nicht gelingt, die Erwachsenen wieder

zu gewinnen und ihnen etwas zu bieten? —

Beilagen. Beilage 1. Leitsätze. 1. Das Verhältnis des Konfirmandenunterrichts zum Re­ ligionsunterricht in der Schule schließt ein noch immer zu wenig beachtetes Problem in sich, durch dessen richtige Lösung eine ge­ deihliche Gestaltunq und Wirkung des Konfirmandenunterrichts mitbedingt ist. 2. Der Konfirmandenunterricht und der Religionsunterricht . in der Schule sollten nicht planlos und zusammenhangslos neben­ einander hergehn, noch weniger aber durch ein eifersüchtiges, gespanntes Verhältnis einander schädigen; vielmehr sollten sie gegenseitig aufeinander Rücksicht nehmen, friedlich sich gegen­ einander abgrenzen und sich möglichst gegenseitig unterstützen. Dazu ist eine gründliche Verständigung erforderlich. 3. Diese Verständigung ist aber nicht auf Grund rein theo­ retischer Konstruktionen, Ideale und Möglichkeiten, sondern auf Grund der wirklich gegebenen Sachlage anzustreben. 4. Bei der großen Mannigfaltigkeit der in Betracht kom­ menden tatsächlichen Verhältnisse und Gesichtspunkte kann diese Verständigung nur eine grundsätzliche und allgemeine, freie und elastische sein. Sie kann nicht zu einem ohne weiteres überall brauchbaren Schema und zu einem bis ins einzelne gehenden Reglement führen. 5. Eine Verständigung muß das Recht beider Gebiete aner­ kennen und ihre Eigenart feststellen. Das kann nur von dem Zweck des beiderseitigen Unterrichts aus geschehn. Daraus er­ geben sich dann die wesentlichen Folgerungen von selbst. 6. Der Zweck des Religionsunterrichts in der Schule ist ein dem übrigen Schulziel entsprechendes Verständnis der christlichen Religion. Der Zweck des

73

Konfirmandenunterrichts ist die Einführung der Heran­ wachsenden Jugend der Einzelgemeinde in das evan­ gelische Gemeindeleben. Dadurch ist in bezug auf den Lehr­ stoff eine gewisse Gemeinsamkeit mit Notwendigkeit gegeben, zu­ gleich aber doch der Unterschied zwischen beiden festgestellt. 7. In der Schule wird der Religionsunterricht zwar unter Aufsicht kirchlicher Organe, aber im Auftrage des Staates um der allseitigen geistigen Bildung willen erteilt; es handelt sich dabei um allgemeine Volkserziehung. Der Konfirmanden­ unterricht dagegen wird im Auftrage und Dienste der Einzel­ gemeinde erteilt und soll ihre Heranwachsende Jugend zur selbständigen, bewußten und tätigen Gliedschaft in der Gemeinde anleiten. Dabei ist die den Unterricht begleitende praktische Gewöhnung eine unerläßliche Hauptsache; und neben dem geistigen Verständnis ist das religiöse Heimatsgefühl, der Gemeinsinn und die praktische Übung zu pflegen. Auch ist naturgemäß die innere Teilnahme der Gemeinde, insonderheit der Eltern, für den Konfirmandenunterricht mit allen Mitteln zu wecken. Bon Gemeinde und Familie hängt der Er­ folg des Konfirmandenunterrichts mindestens ebenso sehr ab wie vom Pfarrer. 8. Für den Religionsunterricht in der Schule gelten alle Erfordernisse einer gesunden, besonnenen Religiosität, für den Konfirmandenunterricht alle vernünftigen Lehren, Regeln und Grundsätze der Didaktik und Pädagogik. 9. Der Religionsunterricht in der Schule sollte nur tüch­ tigen und selbst religiös interessierten Lehrern übertragen, der Konfirmandenunterricht nur von Gemeindepfarrern (für die Zöglinge von Anstalten, wenn nötig, vom Anstaltspfarrer) er­ teilt werden. Didaktische und pädagogische Vorbildung und Fortbildung ist für den Pfarrer Pflicht. 10. Die Schule hat bisher durch ihren Religionsunterricht den Konfirmandenunterricht ganz wesentlich unterstützt. Auch bei Aufstellung des Lehrplans in der Religion und des Stunden­ planes muß sie den Konfirmandenunterricht berücksichtigen. Der Pfarrer hat seinerseits sich selbst einen klaren Lehrplan zu entwerfen und dabei den Lehrplan der Schule zu kennen und mit Verständnis zu verwerten. 11. Die konkrete persönliche Fühlung und Verständigung zwischen Pfarrer und Lehrern ist unter Umständen noch nötiger

74

als die sachliche Abgrenzung der Gebiete. In jedem Fall ist sie wünschenswert und dankenswert. 12. Der Lehrplan für den Religionsunterricht in der Schule ist das Ergebnis langjähriger Entwicklung und unermüdlicher Arbeit; er ist auch andauernd Gegenstand öffentlicher Beob­ achtung und sachverständiger Kritik. In bezug auf den Lehrplan des Konfirmandenunterrichts herrscht noch allgemeine Unsicher­ heit. Ist die in Leitsatz 7 gegebene Zweckbestimmung richtig, so muß der Lehrplan für den Konfirmandenunterricht ent­ halten: a) eine evangelische Heimatkunde (Darstellung der äußeren Verhältnisse der christlichen Gemeinde, ihrer Ordnungen, Einrichtungen, Organe, Sitten und Erbauungsmittel); b) eine evangelische Gemeinschaftskunde (Orientierung über die ver­ schiedenen menschlichen Gemeinschaften im Lichte des Evangeliums und über das innere Wesen, die Güter und Aufgaben der evan­ gelischen Gemeinde als der Gemeinschaft der Frömmigkeit und Sittlichkeit); c) eine evangelische Unterscheidungskunde (eine vergleichende Belehrung über die evangelische Gemeinde und Kirche im Unterschiede von anderen religiösen Gemeinschaften, Kirchen und Konfessionen; zugleich Überblick über die Epochen der Kirchen­ geschichte); d) eine evangelische Lebenskunde (Belehrung über das rechte Leben eines evangelischen Gemeindegliedes: Glauben, Beten, Wirken, Teilnahme am Gemeindeleben). — Damit ver­ bunden sein muß zugleich eine praktische Einführung in den Gebrauch von Gesangbuch, Bibel und Gebet, in die rechte Teilnahme an den Gottesdiensten, Festen, Sitten und Interessen der evangelischen Gemeinde. 13. Die Probe für den wirklichen Wert jedes religiösen Unterrichts liegt nicht in irgend einer Prüfung, sondern in der Bewährung und Treue der Unterrichteten im späteren Leben, — für den Konfirmandenunterricht also auch in der verständnis­ vollen, tätigen Beteiligung der Konfirmierten am Gemeindeleben. Interesse, Verständnis, Gemeinsinn und Tätigkeit sind wertvoller als bloße Kenntnisse, Stimmungen und Urteile. 14. Somit setzt sich das Problem fort in dem andern, noch schwierigeren Problem: was kann, wenn die Schule und der Konfirmandenunterricht ihre Pflicht getan haben, die Ge­ meinde tun, um die konfirmierte Jugend in freudiger, tätiger Anteilnahme am evangelischen Gemeindeleben zu erhalten?

75

Beilage 2. Entwurf eines Lehrplanes für den evangelischen Konfirmaudenunterricht. A. Über Taufe, Konfirmation, Konfirmandenunterricht. B. Einführung in das evangelische Gemeindeleben. I. Evangelische Heimatkunde: Die religiösen und konfessionellen Gemeinschaften der Heimat und nächsten Umgebung (auch statistisch). Der rechte Gottes­ dienst im Sinne des Evangeliums (nicht besondere „heilige" Orte, Zeiten, Handlungen, Personen, sondern Hingabe von Herz und Leben an Gott immer, überall, von allen). Die sogen. „Gottesdienste", ihr Zweck (gemeinsamer Verkehr mit Gott in Wort Gottes und Gebet), ihre äußere,,Ordnung. Gotteshaus, Sonntag, Feste, kirchliche Handlungen, Übersicht über die grund­ legenden Erbauungsmittel der Gemeinde: über Bibel (bes. N. T.) und Gesangbuch. — Nachschlageübungen.

II. Evangelische Gemeinschaftskunde: Die Familie. — Der Staat und die bürgerliche Gemeinde. — Stand und Beruf. — Verkehr, Geselligkeit, Freundschaft. — Die christliche Gemeinde als die Gemeinde der geistigen Gottesver­ ehrung und der praktischen Nächstenliebe. — Äußere und Innere Mission. Soziales. III. Evangelische Unterscheidungskunde. Die großen Weltreligionen. — Das Judentum. — Das älteste Christentum. — Der Katholizismus. — Der Protestan­ tismus. — Lutheraner und Reformierte. — (Auch über Sekten; über Gustav-Adolfsverein und Evang. Bund.)

IV. Evangelische Lebenskunde: Glauben (2. Hauptstück); dabei ein Lebensbild Jesu. — Wirken (1. Hauptstück). Beten (3. Hauptstück). — Die Sakra­ mente als Aufnahme in die Christenheit und Bekenntnis zur christlichen Gemeinde und als Höhepunkte christlichen Lebens (4. und 5. Hauptstück). — Eventuell über besondere Versuchungen des jugendlichen Alters (Eitelkeit, Alkohol, geschlechtliche Frage, Verkehr). C. Die Konfirmation in ihrem Verlauf und ihre Bedeutung.

76 Beilage 3.

Entwurf eines Formulars für die Konfirmatioushandlung. (Voraus geht der übrige Gottesdienst mit der Konfirmationsrede.) P. Liebe Kinder! Ihr seid einst in zartem Alter durch die heilige Taufe in den Bund der göttlichen Gnade und in die Gemeinschaft der Christenheit ausgenommen. Ihr seid dann unter einem christlichen Volk in christlichen Familien erzogen und seid unterrichtet in dem rechten Verständnis des Evangeliums, wie es in der heiligen Schrift überliefert und in der Reformation uns neu erschlossen ist. Ihr habt die Ordnungen und Aufgaben, Rechte und Merkmale einer rechten christlichen Gemeinde kennen gelernt. Auf Grund der heiligen Schrift seid ihr nach dem kleinen Katechismus Luthers in Schul- und Pfarrunterricht be­ kannt gemacht mit dem Wesen der rechten christlichen Frömmig­ keit und Sittlichkeit, des Wortes Gottes, des Gebets, der Sakra­ mente. Nach Luthers Erklärung seid ihr vor allem eingeführt in die Summa des Evangeliums, wie die alte Kirche sie zusam­ mengefaßt hat in dem sogenannten apostolischen Glaubens­ bekenntnis: (Der Pfarrer spricht dies Bekenntnis.) Liebe Kinder! Im Unterricht und in der Konfirmanden­ prüfung habt ihr bewiesen, daß ihr ein eurem Alter entsprechen­ des Verständnis für die Grundwahrheiten des Evangeliums und die Art des rechten evangelischen Glaubens und Lebens gewonnen habt. Heute steht ihr nach der Ordnung und Sitte unsrer Kirche hier vor der versammelten Gemeinde, die euch als nun­ mehr selbständige Glieder in ihrer Mitte feierlich anerkennen und euch das Recht geben will, an ihrem ganzen Leben tätigen An­ teil zu nehmen und insonderheit auch das Abendmahl unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi mitzufeiern.

Darum frage ich euch in dieser Stunde:

1. Bezeugt ihr, daß nach Gottes Willen die christliche Geineinde an euch ihre Pflicht erfüllt und durch ihre Glieder, Pfarrer und Lehrer euch die Grundwahrheiten des Evangeliums von Jesu Christo und die Rechte und Pflichten eines rechten Christenlebens verständlich gemacht hat? — Wollt ihr das be­ zeugen, so antwortet zusammen: Ja, wir danken Gott dem Herrn. (Konfirmanden: Ja, wir danken Gott dem Herrn.)

77 2. Bittet ihr Gott den Herrn, daß er euch Kraft gebe, fortan euch zu üben in der christlichen Frömmigkeit und Sitt­ lichkeit, an dem Leben der christlichen Gemeinde teilzunehmen, die gottesdienstlichen Versammlungen fleißig zu besuchen und als rechte Glieder des Volkes Gottes zu wachsen an dem, der das Haupt ist, Jesus Christus? — Ist das euer Wunsch und Wille, so antwortet zusammen: Ja, Gott helfe uns!

(Konfirmanden: Ja, Gott helfe uns!) P. Amen. So singet denn nun zusammen als Ausdruck dieses eures Wunsches das Lied:

Jesu, geh voran (V. 1—4) (oder So nimm denn meine Hände oder ein ähnliches Lied).

(Konfirmanden tun dies.) P. So tretet nun gruppenweis herzu, daß ich im Namen der Gemeinde euch als nunmehr selbständige Gemeindeglieder durch Handschlag aufnehme und mit einem Worte der heiligen Schrift euch einsegne. Die ganze Gemeinde aber wolle mit herz­ licher Fürbitte an der Einsegnung der Kinder teilnehmen. (Nun folgt die Einsegnung der einzelnen Gruppen mittels je eines Bibelspruchs, an den sich dann unter Handauflegung das Segenswort anschließt:) P. Der Gott aller Gnade, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, der wolle euch vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen und durch seine Macht bewahren zur ewigen Seligkeit! Amen.

Endlich nach Einsegnung aller Gruppen: P. Herr, unser Gott, der dein gutes Werk, vollende es durch deinen heiligen Geist, hier Schlußvers. Vaterunser.

du in uns allen angefangen hast nach deiner Gnade und Treue zeitlich und dort ewiglich! Amen. Segen.

Anm. Ich bemerke ausdrücklich, 1. daß das Abendmahl nicht un­ mittelbar an die Konfirmationshandlung sich anschließt, und daß die Betei­ ligung daran freiwillig sein muß, 2. daß in dem obigen Entwurf Bekenntnis und Gelübde der Konfirmanden durch andre, der Wahrheit und der Sachlage mehr entsprechende Stücke ersetzt sind, und 3. daß im obigen Formular auch die Rezitation des Apostolikums (von den Worten an: „Nach Luthers Er­ klärung) eventuell fortfallen könnte.

78

Beilage 4.

Übersicht über diejenigen Versammlungen der evangelischen Religionslehrer höherer Schulen und einige andre Ver­ sammlungen, die sich mit dem Gegenstand beschäftigt haben: 1879.

Rheinprovinz.

1889. 1890. 1890.

1890. 1897. 1898.

1899. 1899.

1899. 1899.

1899.

1901. 1904. 1904.

1905.

Z. 1890.

I. S. 54.')

Thüringer kirchliche Konferenz. A. Leberl. Theol. Gesellschaft zu Berlin. Bösche (Thesen). Z. 1890. I. S. 61—67. Erfurt: Deutscher ev. Schulkongreß. ?. Potz und Lehrer Hahn. Z. 1891. II. S. 76—78. Denkschr. d. Kongresses. Berlin 1891.S.176—214.

Provinz Sachsen. Bornemann. Z. 1891. II. S. 285ff. Provinz Sachsen. Rauch. Z. 1897. VIII. S. 305 f. (Thesen). Hessen-Nassau. Hochhuth-Marx. Z. 1899. X. S. 149 bis 160. Schlesien. Von Remesse. 3.1899. X. S.335—339. Eisenach. Vertreter von Rheinland, Westfalen, HessenNassau, Hannover, Sachsen, Großherzogtum Hessen. 3. 1900. XI. S. 86 f. Rheinprovinz. Evers. 3 1900. XL S. 77—84. Westfalen. Fauth. 3. 1900. XI. S. 85. 1899. Wests. Prov.-Synode. 3. 1900. XI. S. 173 f. 1899. Rhein. Prov.-Synode. 3.1901. XII. S. 157. 1899. 8. Wissenschaft!. Ferienkursus für ev. Theologen Rheinlands und Westfalens. Simons. 1899. 4. kirchl. soziale Konferenz zu Berlin. Mahling. Berlin. Noack. 3. 1900. S. 254—259 (Thesen). 1900. 5. kirchl. soziale Konferenz zu Erfurt. Stöcker. Berlin. Bötticher. 3.1902. XIII. 168/171. 137/149. Rheinprovinz. Evers. 3 1904. XV. S. 68f. Hannover. König (Thesen). 3-1904. XV. S. 342—346. 1905. Rheinischer Provinzialverein der positiven Union. 3. 1905. XVI. S. 71 ff. Rheinprovinz. Volkmann. 3- 1906. XVII. S. 147 ff. 1907. Theol. Konferenz zu Gießen. Bornemann.

*) Z. --- Zeitschrift für den evangelischen Religionsunterricht.

79

Beilage 5. Übersicht über die Entwicklung der Frage in Rheinland und Westfalen. 1850. 1853.

1854.

1860.

1860. 1872. 1879. 1886.

1887. 1890. 1890.

1893.

1899. 1899. 1899. 1899. 1899. 1904. 1905. 1905.

Verhandlungen der 7. Rheinischen Synode (S. 269 ff.) auf Veranlassung des ev. Lehrervereins. Verhandlungen der 8. Rheinischen Synode (S. 253 ff.), Kommission für den gesamten Unterricht in Schule und Kirche; ihre Arbeit wird durchbrochen durch die Stiehlschen Regulative, die den religiösen Unterricht der Schule allein regeln. Erlaß des Preußischen Kultusministers an die Provinzialschulkollegien vom 16. Okt. 1860. Dementsprechend Konsistorialverfügung für Rheinland und Westfalen vom 6. Nov. 1860. (Vgl. Beilage 7.) Allgemeine Bestimmungen für das Volksschulwesen. Rheinische Religionslehrerversammlung. Nachforschungen des Rheinischen Konsistoriums über die tatsächlichen Verhältnisse, auf Grund eines Erlasses des Oberkirchenrats, durch 8 Fragen. Ergebnis: geringe Übereinstimmung, beiderseits mancherlei Willkür. Proponendum des Rheinischen Konsistoriums für die 19. Synode bezüglich einer Verständigung. 20. Rheinische Provinzialsynode. Verhandlungen. Konferenz der Rheinischen Schulräte mit einem Kommissar des Konsistoriums über einheitliche Regelung, namentlich auch über den Memorierstoff. Die Beschlüsse werden der 21. Rheinischen Provinzialsynode vorgelegt und dann den Kreisschulinspektoren der Provinz und daraufhin umgearbeitet. (Nicht mehr der Katechismus, sondern die biblische Geschichte im Mittelpunkt.) Allgemeine Religionslehrerzusammenkunst in Eisenach, auch von Rheinland und Westfalen beschickt. Rheinische Religionslehrerversammlung. Westfälische Provinzialsynode fordert Verständigung. Rheinische Provinzialsynode. Verhandlungen. Wissensch. Ferienkursus für Rheinland und Westfalen. Rheinische Religionslehrerversammlung. Rheinischer Provinzialverein der positiven Union. Rheinische Religionslehrerversammlung.

80

Beilage 6. Aufsätze in der Zeitschrift für -en ev. Religionsunterricht über das Problem.

1897.

1898. 1898. 1899. 1899. 1899. 1899. 1900.

1900. 1901. 1901.

1902.

1902. 1902. 1902.

1902.

1904.

1904.

VIII. S. 36—45 Hochhuth: Konfirmation und höhere Schule. IX. S. 97—99. Köster: Konfirmandenunterricht und Volksschule. IX. S. 84—96. Marx: Konfirmation und höhere Schule. I. X. S. 5—22. Marx: Konfirmation und höhere Schule. II. X. S. 115—124. Teichmann: Die Reform der gegenwärtigen Konfirmationspraxis. X. S. 124—134. Ehlers: Die Reform der Konfir­ mationshandlung. X S. 302—316. Eckert: Die Aufgabe des Religions­ unterrichts und die Reform der Konfirmation. XL S. 42—48. Paschmann: Zur Reform der gegen­ wärtigen Konfirmationspraxis. XL S. 161—163. Schultze: Zur Konfirmationsfrage. XII. S. 3—24. Marx: Konfirmation und Schule. XII. S. 89 f. Heine über Eckerts: Der erziehende Religionsunterricht in Schule und Kirche. XIII. S. 16—23. Marx: Zur Verständigung über die Teilung der Arbeit zwischen dem Pfarrer und Reli­ gionslehrer. XIII. S. 300—308. Marx: Neue Stimmen für und wider die Konfirmationsreform. XIII. S. 137—149. Bötticher: Die höhere Schule und der Konfirmandenunterricht. XIII. S. 308. Schultze: Ein Votum über Religions­ unterricht und Katechumenat. XIII. S. 177. Bötticher über Kohlrausch: Der Kon­ firmandenunterricht. XV. S. 38—53. Peters: Die Lehrbarkeit der Reli­ gion und das Endziel des Religionsunterrichts an höheren Lehranstalten. XV. S. 324-326. Fey: Zweck und Ziel des Reli­ gionsunterrichts.

81

1905. 1905.

XVI. S. 98—107. Rothstein: Neue Bahnen? (über Baumgarten.) XVI. S. 236—241. „ Marx: Katechismus- und Kon­ firmandenunterricht. (Über Eckert und Bang.)

Beilage 7.

Erlaß des Preußischen Kultusministeriums vom 16. Ok­ tober 1860 an die Provinzialschulkollegien, ergangen im Ein­ verständnis mit dem et). Oberkirchenrat, bestätigt aufs neue am 26. März 1878, enthalten in dem Konsistorialerlaß für Rhein­ land und Westfalen. (Abgedruckt in der „Kirchenordnung für die ev. Gemeinden der Provinz Westfalen und die Rheinprovinz, herausgegeben von Müller und Schuster, Berlin 1892, S. 439 und in der Zeitschr. für den ev. Religionsunterricht 1900, XI, S. 48—50). Das Konsistorium schreibt folgendermaßen: Nach den in der Ünterrichtsverwaltung gemachten Wahr­

nehmungen hat es sich als wünschenswert herausgestellt, in Be­ ziehung auf die Erteilung des Katechumenen- und KonfirmandenUnterrichts an die Schüler der Gymnasien und Realschulen gewisse gemeinsame Grundsätze zu vereinbaren, welche geeignet seien, einerseits den Geistlichen das nach der Natur der Sache nötige und durch die betreffenden Bestimmungen, besonders der Kirchenordnung, § 103 ff. näher festgesetzte Maß von Zeit auch für diese Klasse von Konfirmanden zu sichern, andrerseits aber auch die beteiligten Lehranstalten in den Stand zu setzen, die Einteilung ihrer Lehrstunden mit jenem Bedürfnisse in Einklang zu bringen und Störungen des Unterrichtsplans und der Schul­ ordnung, wie sie bei dem Mangel einer solchen gegenseitigen Vereinbarung nicht zu vermeiden sein würden, Vorbeugen zu können. Nachdem zunächst des Herrn Ministers der geistlichen usw. Angelegenheiten Exzellenz von den betreffenden Provinzialbehörden hierüber Bericht erfordert, hat der ev. Oberkirchenrat sich mit demselben über die wesentlichen leitenden Gesichtspunkte verstän­ digt, und es ist nunmehr von dem Herrn Minister unterm 16. v. M. eine Verfügung an die Königlichen Provinzialschul­ kollegien ergangen, welche folgende Grundsätze für die betreffen­ den Lehranstalten vorschreibt: „1. Der Religionsunterricht der Schule und der kirchliche Bornemann, Der Konfirmandennnterricht. 6

82 Katechumenen- und Konfirmanden-Unterricht bilden jeder für sich ein selbständiges Ganzes. In den Gymnasien und Realschulen ist der Religionsunterricht ein integrierender Teil des Lehrplans jeder Klasse. Demgemäß dürfen auf diesen An­ stalten die Religionsstunden nicht so gelegt werden, daß die Katechumenen verhindert sind, daran teilzunehmen. Die gegen­ seitige Unabhängigkeit schließt jedoch nicht aus, daß auf dem Wege freier Verständigung ein Verhältnis der Ergänzung und Unterstützung zwischen dem Lehrplan der Schule und dem Gange des Katechumenen - Unterrichts hergestellt werde; es ist vielmehr zu wünschen, daß dies häufiger als bisher geschehe. 2. Der Katechumenen- und Konfirmanden-Unterricht wird in der Regel an zwei entsprechenden Vormittagen in der Stunde von 11—12 Uhr erteilt. Diese Stunden sind deshalb in den mittleren Klassen entweder freizuhalten oder mit solchen Lehr­ gegenständen zu belegen, von denen eine Dispensation für die Zeit des Katechumenen- und Konfirmanden-Unterrichts zulässig erscheint. Wo sich die Direktoren und Pfarrgcistlichen über andere Stunden geeinigt haben, hat es dabei, sofern Unzuträg­ lichkeiten sich bisher nicht ergeben haben, auch ferner sein Be­ wenden. Neue Abweichungen von der obigen Regel können nur unter Zustimmung der beiderseitigen Provinzial-Aufsichtsbehörden eingeführt werden. 3. Wo die Geistlichen in der Zeit vor der Einsegnung den Fleiß ihrer Konfirmanden mehr als zuvor in Anspruch nehmen, sind nötigenfalls in den letzten 4 Wochen die Anforderungen der Schule an den häuslichen Fleiß der betreffenden Schüler in angemessener Weise zu ermäßigen. Es ist zu erwarten, daß die Direktoren und Lehrer gern die Hand dazu bieten werden, die sittliche Einwirkung auf die Katechumenen und Konfirmanden mehr und mehr zu einer ge­ meinsamen Sache der Kirche und Schule machen und demgemäß den Geistlichen nicht nur jede gewünschte Auskunft über das Verhalten der betreffenden Schüler geben, sondern ihnen auch aus freien Stücken solche Mitteilungen über dieselben zukommen lassen, welche dem Geistlichen als Seelsorger von Wichtigkeit sein müssen." (Indem das Rheinische Konsistorium diesen Ministerialerlaß den Geistlichen mitteilt, fügt es noch eine Reihe praktischer Winke über einzelne Fragen hinzu. — Über den Grad der tatsächlich

83

erzielten Verständigung in der Rheinprovinz um das Jahr 1900 vgl. Fauth in der Zeitschr. f. d. ev. R.-U. 1900, XI, S. 51.)

Beilage 8. Literatur zur Geschichte des Religionsunterrichts, des Kon­ firmandenunterrichts und der Konfirmation. E. Chr. Achelis, Lehrbuch der praktischen Theologie. 2. Ausl. Leipzig 1898, I, II, 1. Schumann und Sperber, Geschichte des Religionsunterrichts in der ev. Volksschule. Gotha 1890. L. Wiese, Der ev. Religionsunterricht im Lehrplan der höheren Schulen. 2. Ausl. Berlin 1881, S. 13—33. W. Caspari, Die ev. Konfirmation, vornehmlich in der luth. Kirche. Erlangen und Leipzig 1890. W. Diehl, Zur Geschichte der Konfirmation, Beiträge aus der hessischen Kirchengeschichte. Gießen 1897. R.A. Kohlrausch, Der Konfirmandenunterricht. Magdeburg! 898. Ernst und Adam, Katechetische Geschichte des Elsasses 1897. Spieß, Einheitliche Gestaltung des Religionsunterrichts in Schule und Kirche. (Sammlung pädagogischer Vorträge, heraus­ gegeben von Wilhelm Meyer-Markau. VIII, H. 2.) E. Barck, Die Konfirmation, ihre geschichtliche Entwicklung, Bedeutung und praktische Ausgestaltung. Heidelberg 1900. Ed. Simons, Konfirmation und Konfirmandenunterricht. Tü­ bingen 1900, S. 1—12. 56 ff. Anm.

In bezug auf die sonstige Literatur verweise ich auf die in

den Anmerkungen zum obigen Vortrag und in Beilage 4—7 genannten Schriften und Verhandlungen, ferner auf die von Lic. Mumm veranstaltete

Enquete, deren Ergebnisse in den Heften 11 u. 12, 15 u. 16 der freien kirchlich-sozialen Konferenz niedergelegt sind, und auf die dort in Heft 15/16. S. 91—95 zusammengestellte Literatur bis 1900, Berlin 1901.

Inhalt Seite

I. Vortrag, gehalten auf der theologischen Konferenz zu Gießen am 6. Juni 1907:

„Der Konfirmandenunterricht und der

Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Ver­ hältnis" ................................................................................................

1

Das Problem...............................................................................

3

1.

2. Die Lösung...............................................................................

12

3. Folgerungen................................................................................

21

II.

Anmerkungen....................................................................................

37

III.

Beilagen..........................................................................................

72

1. Leitsätze zum Vortrag...............................................................

72

2. Entwurf eines Lehrplans für den evangelischen Konfirmandenunterricht.......................................................................... 3. Entwurf eines Konfirmationsformulars............................ 4. Übersicht über diejenigen evangelischen Religionslehrerver­

75 76

sammlungen (und einige andre Versammlungen), die sich

mit dem Problem beschäftigt haben. .................................. Übersicht über die Entwicklung der Frage in Rheinland

78

5.

und Westfalen............................................................................... Übersicht über die das Problem betreffenden Aufsätze in der

79

6.

.

80

Zeitschrift für den evangelischen Religionsunterricht

7. Eine Ministerial-

und Konsistorialverfügung

.

aus dem

Jahre 1860 .....................................................................................

81

8. Literatur zur Geschichte des Problems............................

83

Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) in Gießen Budde, K., Das Alte Testament und die Ausgrabungen. Ein Beitrag zum Streit um Babel und Bibel. 2. Ausl, mit vielen Anmerkungen. (Vortr. 18) M.—.90 Drews, P., Die Predigt im 19. Jahrhundert. Kritische Be­ merkungen und praktische Winke. (Vortr. 19) M. 1.— Eibach, 8., Unser Volk und die Bibel. Ein Nachwort zum Bibelund Babelstreit. (Vortr. 20) M.—.60 Wiegand, F., Das apostolische Symbol im Mittelalter. Eine Skizze. (Vortr. 21) M. 1.— Dechent, H., Herder und die ästhetische Betrachtung der Heiligen Schrift. (Vortr. 22) M.—.75 Köhler, w., Katholizismus und Reformation. Kritisches Referat über die wissenschaftlichen Leistungen der neueren katho­ lischen Theologie auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte. (Vortr. 23) M. 1.80 Eger, K., Das Wesen der deutsch-evangelischen Volkskirche der Gegenwart. (Vortr. 24) M. 1.25 Knopf, R., Der Text des Neuen Testaments. Neue Fragen, Funde und Forschungen der Neutestamentlichen Textkritik. (Vortr. 25) M. 1.— Bornemann, W., Der Konfirmandenunterricht und der Religions­ unterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis. (Vortr. 26) M. 1.80 Preuschen, E., Die philologische Arbeit an den älteren Kirchen­ lehrern und ihre Bedeutung für die Theologie. (Vortr. 27) M. 1.20

Vorträge des Hessischen und Nassauischen theologischen Ferienkurses Achelis, E. Chr., Der Dekalog als katechetisches Lehrstück. M. 1.40 Holtzmann, 0., Der christliche Gottesglaube. Seine Vorgeschichte und Urgeschichte. (Vortr. 2) M. 1.60 Jülicher, Ä., Neue Linien in der Kritik der evangelischen Überlieferung. (Vortr. 3) M. 1.60

(Vortr. 1)