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German Pages 352 Year 1985
Der Kirchenkampf
Im Gedenken an die treue Gefahrtin jener Jahre, an die wackeren Pfarrfrauen, die Last und Verantwortung auf sich nahmen, an alle tapferen Frauen, die dazu halfen, daß es nicht bei der „Gemeinde von Brüdern" blieb.
KARL HERBERT
Der Kirchenkampf Historie oder bleibendes Erbe?
EVANGELISCHES VERLAGSWERK FRANKFURT AM MAIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Herbert, Karl: Der Kirchenkampf - Historie oder bleibendes Erbe? / Karl Herbert. - Frankfurt am Main: Evangelisches Verlagswerk, 1985. ISBN 3-7715-0216-0
ISBN 3-7715-0216-0 © 1985 by Evangelisches Verlagswerk GmbH, Frankfurt am Main Printed in the Federal Republic of Germany Umschlaggestaltung: Klaus Dempel, Stuttgart Gesamtherstellung: J. F. Steinkopf Druck+Buch GmbH, Stuttgart Vordere Umschlagseite: Reichsbischof Ludwig Müller und sein „Rechtswalter" August Jäger auf dem Weg zu Müllers Einführung im Berliner Dom im September 1934 (Ev. Zentralarchiv Berlin). Faschistische Mauerinschrift gegen die Bekennende Kirche. Hintere Umschlagseite: Briefausschnitt von Pastor Martin Niemöller an seine Frau Else aus dem KZ Sachsenhausen.
Inhalt Vorwort Der Kirchenkampf Ein Überblick
9 in seinen entscheidenden
Phasen -
1. Zur Vorgeschichte Die evangelische Kirche und die Weimarer Republik Völkischer Nährboden des aufkommenden Nationalsozialismus . Wandlungen und geistige Annäherung? „Nationaler Aufbruch" - Begeisterung und Widerspruch 2. Die Phase der Vernebelung und der ersten Konflikte Eroberung der Kirche von innen: Die Deutschen Christen . . . . „Christliche" Vernebelung: Von der Machtergreifung bis zum Ermächtigungsgesetz Die Reichstagung der DC und das Schweigen zur Judenfrage . . . Hauptziel: Neue Kirchenverfassung Die Jungreformatorische Bewegung und die Wahl Bodelschwinghs
14 19 22 27 32 37 41 46 51
3. Staatlicher Eingriff: Triumph und Niedergang der Deutschen Christen Die Herrschaft des Staatskommissars Kirchenverfassung und Kirchenwahlen Nach dem Wahlsieg der DC: Theologische Besinnung, Rückzug der Partei DC-Herrschaft, Braune Synoden, Reichsbischof Müller Arierparagraph und Pfarrernotbund Notwendiger Klärungsprozeß Die Katastrophe der Sportpalastversammlung und ihre Folgen . . Ludwig Müllers Kampf ums Überleben
58 62 67 72 78 82 85 90
4. Der Aufbruch der Bekennenden Kirche Erste freie Synoden Beginn der Eingliederungspolitik des Reichsbischofs Der Zusammenschluß zur Bekenntnisgemeinschaft Auf dem Weg zur Barmer Synode
97 98 100 102 5
Erste Bekenntnissynode in Barmen 29.-31. Mai 1934 103 Die ersten Auswirkungen von Barmen 108 Vor dem Ende der Reichskirchenpolitik 112 Zweite Bekenntnissynode in Dahlem: Das kirchliche Notrecht . . 116 Nach Dahlem: Jäger am Ende - Aufbau der BK 121 Die Bildung der Vorläufigen Kirchenleitung 125 Bis zur Dritten Bekenntnissynode in Augsburg 129 5. Ein neuer Gegenzug: Minister Kerrl und seine Kirchenausschüsse Das Vorspiel: Finanzabteilungen und Beschlußstelle in Rechtsfragen Ernennung des Reichsministers fiir die kirchlichen Angelegenheiten Die Kirchenausschüsse und ihr gegensätzliches Echo Nürnberger Gesetze und Preußische Bekenntnissynode Berlin-Steglitz Angriff auf Theologische Fakultäten - Kirchliche Hochschule Berlin/Elberfeld Vierte Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen Nach Oeynhausen: Die 2. VKL und der Rat der Lutherischen Kirche Die Denkschrift an Hitler Das Ende der Ausschüsse
137 140 143 154 157 158 161 166 170
6. Die Phase der offenen Gegnerschaft Staatskirchliche Pläne Kerrls und Hitlers Wahlerlaß 173 Das Phantom der Wahl 176 Arbeitsgemeinschaft von VKL und Lutherrat, das Kasseler Gremium 180 Beginn des Frontalangriffs: Kirchenaustrittsfrage und Kollekten . 183 Der Schlag gegen die Ausbildungsstätten der BK 189 Kirchenleitung als Ein-Mann-Bürokratie Geistlich-theologische Arbeit in den Gemeinden 191 Kontakte mit Gruppen der kirchlichen Mitte 194 Um die Vereidigung der Pfarrer 197 „Nur Wiederherstellung der äußeren Ordnung" 202 Sturm um die Gebetsliturgie - Brand der Synagogen 204 Neuer Anlauf Kerrls - Einigungswerk in Nassau-Hessen 211 Letzter Versuch: Die Godesberger Erklärung 215 6
7. Reden und Schweigen der Kirche währenddes Krieges Erleichterungen und neue Erschwernisse Die kirchliche Stellung zum Kriegsgeschehen Staatliche Zukunftspläne mit der Kirche Totgeschwiegen und doch nicht ohne Stimme Worte der Mahnung und Warnung an die Machthaber Bischof Wurms Einigungswerk Die letzte Phase So sahen wir es damals - Texte aus der
222 225 232 237 240 247 250
Kirchenkampfzeit
Wahre oder falsche Kirche. Predigt über 1 Kön 22,1-28 Aufgeben oder im Glauben bestehen? 4 Mose 13,25-14,9 Neue Fragen und doch um die gleiche Entscheidung „Darum kannst du dich nicht entschuldigen". Rom 2,1-11 Predigt am Bußtag 1938
263 270 275 278
Und heute - Was ist geblieben? Kirchenkampf vor 50 Jahren - Haben wir etwas gelernt? 285 Was bedeutet uns Barmen heute? 295 Darangedenken, nicht vergessen! Zum 9. November 1938/1978 . . 299 Judenfeindschaft in der Kirche und unser heutiges Verhältnis zum Judentum 304 Dietrich BonhoefFers Vermächtnis für uns heute 309 Anhang Anmerkungen Abkürzungsverzeichnis Personenregister
317 345 347
7
Vorwort Ist es angebracht, die zumal anläßlich der Gedenkjahre immer mehr angewachsene Literatur zur Kirchenkampfzeit noch zu vermehren? Kann angesichts vielfacher gründlicher Forschungsarbeiten noch Neues erwartet werden? Auch der Verfasser hat sich diese Frage nicht nur einmal gestellt und ist darum nur zögernd an das Vorhaben herangegangen. Gewiß, wer sich mit der Lage der Kirchen in der NS-Zeit befassen will, findet reichlich Material. Nach den ersten Gesamtdarstellungen des Geschichtsschreibers der Bekennenden Kirche, Wilhelm Niemöller, liegen heute umfassende Arbeiten vor, die inzwischen erschlossenes Quellenmaterial auswerten und mit Hilfe darauf beruhender Monographien zu den verschiedenen Zeitabschnitten und Themenbereichen ein Gesamtbild entworfen haben. Zu nennen sind hier neben dem - freilich leider nicht vollendeten - Standardwerk von Klaus Scholder „Die Kirchen und das Dritte Reich" die drei Bände von Kurt Meier, Leipzig, „Der evangelische Kirchenkampf", abgeschlossen 1984. Und wer sich über Einzelfragen wie die Geschichte der Deutschen Christen, die staatliche Kirchenpolitik, die wichtigsten Bekenntnissynoden, die verschiedenen Strömungen innerhalb der Bekennenden Kirche, über die Rolle Karl Barths oder, um etwas ganz anderes zu nennen, über das staatliche „Euthanasie"Programm und die Reaktion der Kirchen orientieren möchte, dem steht eine Fülle fundierter Einzelarbeiten zur Verfügung. Trotz dieses schon kaum mehr zu überblickenden Reichtums hat sich mir aus der laufenden Begegnung mit Studenten oder in den Gegenwartsproblemen engagierten Menschen jungen und mittleren Alters der Eindruck einer Lücke aufgedrängt. Wenn solche Menschen fragen - und sie fragen wohl in steigendem Maße danach - , was damals wirklich geschehen und wie es zu beurteilen ist, wie jene Verführung durch den Nationalsozialismus und das Schwanken zwischen Anpassung und Widerstand eigentlich möglich war und vor allem, was jenes Geschehen für uns Heutige bedeuten könnte, dann verlangen sie meist einen einigermaßen zu verkraftenden Überblick. Die wenigsten sind in der Lage, mehrbändige Werke durchzuarbeiten. Dann aber sieht sich der Gefragte in Verlegenheit. Solcherart fragenden Menschen eine Hilfe zu geben, also eine gedrängte Übersicht über die Kirchenkampfzeit zu bieten, ohne doch die verwirrende Vielschichtigkeit allzusehr zu vergröbern, eine Hilfe auch zum eigenen Urteil und zur Antwort auf die Frage, was davon geblieben 9
ist oder bleiben sollte - diese Aufgabe hat sich der Autor mit der vorliegenden Arbeit gesetzt. Dargeboten wird das Ganze aus der Sicht eines damals jungen Gemeindepfarrers einer hessischen Landgemeinde, der seit 1. Januar 1932 definitiver Stelleninhaber geworden, seit Ende 1933 zum Pfarremotbund und der werdenden Bekennenden Kirche gestoßen und dann auch an der Arbeit des Landesbruderrats fiir Nassau-Hessen in Frankfurt beteiligt war. Situation, Entwicklungen und fallige Entscheidungen sind also häufig aus dem Horizont einer ländlichen Gemeinde und damit aus dem Alltag des Kirchenkampfes gesehen. Das Ganze keine Ruhmesgeschichte, auch nicht ein Bericht über außerordentliche Erfahrungen und Leiden, eher das Eingeständnis von viel Blindheit und beschämendem Hindurchlavieren, und doch dort, wo es zu klaren Entscheidungen kommen mußte, die Erfahrung von ermutigendem Verständnis und spürbarer Durchhilfe. Aber diese Ambivalenz von Zeugnis und Versagen kennzeichnet für den Durchschnitt der Pfarrer und Gemeinden die Wirklichkeit jenes Geschehens, die wir als Kirchenkampf bezeichnen. Um fiir beides ein echtes Bild zu geben, ist der Abschnitt „So sahen wir es damals" mit eigenen Texten jener Jahre angefugt. Die Geschichtsforschung wird also hier keine neuen Entdeckungen erwarten dürfen, es sei denn die eine oder andere Einzelheit aus dem nassau-hessischen Bereich, die ich aus eigenem Miterleben oder auch der Arbeit in zwei Staatsarchiven beisteuern konnte. Daß die Darstellung des Gesamtgeschehens durch die mir näher vertrauten Vorgänge in der eigenen Landeskirche da und dort veranschaulicht wurde, auch wenn darüber andere Gebiete zurücktreten, ergibt sich allein aus der größeren persönlichen Nähe und möge nicht als Auf- oder Abwertung mißverstanden werden. Das Geschehen in der katholischen Kirche insgesamt einzubeziehen, ging über eigene Möglichkeiten wie über den gesetzten Umfang hinaus. Entscheidend bleibt die Frage nach der Bedeutung der damaligen Vorgänge fiir die Gegenwart. Auch wenn der letzte Abschnitt hierüber „Und heute - Was ist geblieben?" im Verhältnis zum Ganzen eher zu knapp erscheint, hoffe ich doch, daß die Linien deutlich werden, in denen von damals her, wie ich meine, weiter zu lernen war. Daß Leser auf diese Frage hingeführt und dabei zur kritischen Selbstprüfung und zur Suche nach der eigenen Antwort angestoßen werden, möchte ich mir als Ziel der Arbeit wünschen. Im Juli 1985 10
Karl Herbert
Der Kirchenkampf in seinen entscheidenden Phasen - ein Uberblick • •
1. Zur Vorgeschichte Die Vorgänge in der Evangelischen Kirche während der Zeit des Dritten Reiches, die wir abgekürzt als „Kirchenkampf" bezeichnen, sind nicht zu verstehen ohne einen Blick auf die Vorgeschichte. Wie erklärt es sich, daß die Entwicklung der zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre auf den Triumph Hitlers hinauslief, und welche Rolle hat die Evangelische Kirche, haben ihre Pfarrer und Gemeinden dabei gespielt? Sahen sie nicht, was hier auf sie zukam? Viele von ihnen waren es im Gegenteil, die Hitler auf seinem Weg zur Macht zumindest mitgeholfen haben. Denn es läßt sich, bei aller Vorsicht gegenüber Pauschalurteilen, nicht bestreiten, daß die evangelische Bevölkerungsmehrheit - sie betrug um 1930 rund zwei Drittel der Bürger des Deutschen Reiches - wesentlich zu den Wahlerfolgen Hitlers beitrug: Die NS-Hochburgen befanden sich schon 1930 durchweg in den überwiegend evangelischen Gebieten 1 , während ein beachtlicher katholischer Wählerblock von 5,5 Millionen noch bei der letzten als solche zu bezeichnenden Wahl im März 1933 ungebrochen zur Zentrumspartei stand. Demgegenüber waren alle anderen Parteien der Mitte, darunter auch der von bewußt evangelischen Kreisen getragene kleine Christlich-soziale Volksdienst (1930: 14 Reichstagsmandate), zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken: von zusammen 6,3 Millionen 1930 auf 800 000 in 1933. Ihre Verluste und die der SPD (von 8,5 auf 7,2 Millionen) waren der NSDAP zugute gekommen, die 17,3 Millionen, damit aber doch nur 43,9% der Stimmen, also nicht die absolute Mehrheit erreichte, zu der ihr dann die 3,1 Millionen = 8,1% der Deutschnationalen - traditionell bevorzugtes Lager der Konservativ-Kirchlichen - verhalfen. Gewiß waren es auch evangelische Wählerstimmen, aus denen sich die SPD vorwiegend speiste, aber bewußt kirchliche Kreise dürften dabei den geringsten Anteil gestellt haben; die herkömmliche Distanz zu dem antikirchlichen Marxismus war allzu stark. Jedenfalls wird man nicht sagen können, daß sich die evangelischen Bevölkerungsteile, auf die sich der Einfluß ihrer Kirche auswirkte, dem Aufkommen des Nationalsozialismus spürbar entgegengestellt haben. Vielmehr waren es nicht selten gerade kirchlich lebendige evangelische Gemeinden, wo man sich rühmte, geschlossen nationalsozialistisch gewählt zu haben. Wie erklärt sich diese weithin unkritische Haltung gegenüber dem heraufziehenden Unheil? 13
Die evangelische Kirche und die Weimarer
Republik
Zum Verständnis muß man bis zum Umbruch von 1918 zurückgehen. Für die evangelische Kirche und den bewußt evangelischen Bevölkerungsteil war der Zusammenbruch des Kaiserreichs ungleich mehr als für die Katholiken ein bis in die tiefsten Wurzeln hineinreichender, fast als vernichtend empfundener Schlag. Klaus Scholder hat in seiner grundlegenden Arbeit „Die Kirchen und das Dritte Reich" dies so charakterisiert: Für den Protestantismus „bedeutete die Revolution nicht nur das Ende seiner traditionellen rechtlichen Ordnung, sie nahm ihm auch seinen politischen Rückhalt, gefährdete seine wirtschaftlichen Grundlagen und war geistig nicht weniger als eine Katastrophe". 2 Zur Konkretisierung sei soviel gesagt: Die traditionelle Rechtsordnung des evangelischen Kirchentums in Deutschland war seit der Reformation das landesherrliche Kirchenregiment: der jeweilige Landesfürst war zugleich „NotbischoP, Inhaber der obersten kirchlichen Autorität, und die Konsistorien waren landesherrliche Behörden; wenn sich auch seit dem 19. Jahrhundert mehr und mehr kirchliche Eigenverantwortung in Synoden und weiteren Körperschaften entwickelt hatte, war die letzte Entscheidung immer an die Entschließung des Landesherrn gebunden. Kein Kirchengesetz galt ohne die Einleitungsformel, wie etwa in Nassau: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen usw., verordnen unter Zustimmung der Bezirkssynode ..."; oder es verfügt das Hessische Oberkonsistorium, „nachdem Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein, als Staatsoberhaupt und vermöge oberst bischöflicher Gewalt, ... zu ermächtigen geruht haben"; „Seine Königliche Hoheit, unser gnädigster Landesherr und Bischof hieß es in Baden. Diese gesamte staatskirchliche Ordnung war mit dem Ende des Landesherrentums von einem Tag zum andern gegenstandslos. Es ist leicht vorzustellen, welche Ratlosigkeit zunächst bestand, was an ihre Stelle treten solle, und daß es ein Prozeß von Jahren war, bis die verschiedenen Landeskirchen zumeist um 1922/23 zu eigenständigen Kirchenverfassungen gekommen waren. Martin Niemöller berichtete: „Heute mutet es wie eine Mär an, daß in Preußen zunächst einmal ein Gremium von drei Ministern die Leitung der Ev. Landeskirche nach der rechtlichen Seite hin übernahm, und daß von diesen drei Männern, wenn ich mich nicht irre, zwei der Kirche überhaupt nicht angehörten." So sei es kein Wunder gewesen, daß dieses 14
„Kriechkind" evangelische Kirche erst „allmählich auf die Beine kam und sich darauf besann, daß es in Zukunft seine Füße selbst voreinander würde setzen müssen, ohne daß jemand da war, der ihm half und die Richtung wies".3 Obwohl manche wachen Geister die Chance dieses Neubeginns erkannten, die Verwirklichung eines erstmals eigenständigen Kirchenlebens, so überwog im ganzen doch der Eindruck des Verlusts, der einen führenden Kirchenmann und dann ersten Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes, D. Reinhard Moeller, im September 1919 beim ersten Kirchentag in Dresden sagen ließ: „Wir können ... nicht anders, als in tiefem Schmerz feierlich bezeugen, wie die Kirchen unseres Vaterlandes ihren fürstlichen Schirmherren, mit ihren Geschlechtern vielfach durch eine vielhundertjährige Geschichte verwachsen, tiefen Dank schulden, und wie dieser tiefempfundene Dank im evangelischen Volke unvergeßlich fortleben wird. Mit dem Umsturz der staatlichen Verfassungen sind in weitem Umfange tiefgreifende Wirkungen für die kirchlichen Verfassungen verbunden gewesen. Mit dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments ist ihnen die Spitze ihrer Vertretung genommen." 4 Schon der feierlich-bewegte Tenor läßt erkennen, daß der Einschnitt weit tiefer ging als nur in das rein Rechtliche hinein. Die aus der engen Verbindung von Thron und Altar erwachsene besondere Verbundenheit von Kirche und Pfarrerschaft mit den jeweiligen Herrscherhäusern, die sich nicht selten als bewußt evangelisch verstanden, bedeutete, trotz aller unverkennbaren Lockerungen vor allem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den selbstverständlichen politischen Rückhalt der evangelischen Kirche, so daß sie, auch ganz abgesehen von theologischen Hemmungen, einer dem katholischen Zentrum vergleichbaren parlamentarischen Vertretung gar nicht bedurfte. Statt dessen stand der Kirche jetzt als entscheidender Machtfaktor die Sozialdemokratie und ihr unabhängiger linker Flügel gegenüber, „von deren Politik viele Kirchenleute im besten Fall eine loyale Trennung von Kirche und Staat, im schlimmsten Fall eine Kirchenverfolgung nach russischem Muster erwarteten".5 Wohl hätten nicht mehr alle so wie einst Wichern die SPD als „Systematisierung der sündlichen Gelüste des Menschen" oder mit Stoecker als antichristlichen Heerbann zum Sturz der gottgesetzten Ordnung angesehen6, aber das Mißtrauen saß bei der großen Mehrheit der Kirchenleute unüberwindbar tief. Noch 1926 konnte der Herausgeber des offiziösen Kirchlichen Jahrbuchs, Johannes Schneider, die SPD als die Partei kennzeichnen, die „überschäumt vom Haß gegen alle Besitzen15
den, die Neid und Mißgunst systematisch züchtet"; dies aber sei Mammonsdienst, denn „Mammonsdiener sind nicht nur die reichen Geldsäcke, sondern genau ebenso die Bettelarmen, die sie blutig beneiden und ihren Mammon ergieren".7 Es wäre wohl allzu billig, sich heute über eine derart unglaubliche Blindheit gegenüber elementaren sozialen Nöten, der eigentlichen Ursache der sozialistischen Bewegung, zu mokieren. Angemessener dürfte sein, sich das schwere geschichtliche Erbe zu vergegenwärtigen, das die Ehe von Thron und Altar in Gestalt einer streng konservativen Grundhaltung für die Landeskirchen bedeutet und sie nahezu unfähig gemacht hat, die politischen Entwicklungen objektiver zu beurteilen und dem Neuen, das auf sie zukam, mit mehr Offenheit zu begegnen. Nicht übersehen werden dürfen auch die nicht immer offen ausgesprochenen wirtschaftlichen Sorgen in den Kirchen. Der Staat trug bis dahin den Großteil der Pfarrgehälter; die Staatszuschüsse in den verschiedenen Ländern zusammengenommen betrugen mehr als die Hälfte der kirchlichen Haushalte. Was sollte bei einer kirchenfeindlichen Staatspolitik werden? Das Ziel einer Trennung von Kirche und Staat mündete häufig in die Forderung der Streichung der staatlichen Zuschüsse, und dies führte in einzelnen Ländern wie Sachsen oder Braunschweig schon sehr bald zu einschneidenden Konsequenzen für die finanzielle Versorgung der Pfarrerschaft. Akute Not und Sorge um die künftige Existenz breitete sich in vielen Pfarrhäusern aus. Dies alles aber ging Hand in Hand mit einer tiefen geistigen Krise. Hatte man doch von seiner Vergangenheit her die deutsche Sache mit dem Willen Gottes identifiziert und war durch die Niederlage in seiner tiefsten Glaubensüberzeugung erschüttert. Zwei von Scholder beigebrachte Belege sind besonders aufschlußreich. Kein Geringerer als Thomas Mann hatte bei Kriegsausbruch 1914 „umfassendste Einhelligkeit" darin feststellen können, „daß die geistigen Wurzeln dieses Krieges, welcher mit allem möglichen Recht ,der deutsche Krieg' heißt, in dem eingeborenen und historischen ,Protestantentum' Deutschlands liegen; daß dieser Krieg im wesentlichen einen neuen Ausbruch, den großartigsten vielleicht, den letzten, wie einige glauben, des uralten deutschen Kampfes gegen den Geist des Westens, sowie des Kampfes der römischen Welt gegen das eigensinnige Deutschland bedeutet".8 Dem entsprachen ungezählte Kriegspredigten: die gerechte Sache ließ auf den Sieg vertrauen. Und dann kam der Zusammenbruch. Die ganze 16
Erschütterung weiter kirchlicher Kreise spiegeln die Worte des erwähnten Johannes Schneider im Kirchlichen Jahrbuch 1919 wider: „ ,Wo bleibt Gottes Gerechtigkeit?' - die Frage quält doch Tausende, auch solche, die den inneren Niedergang unseres Volkes, seinen Mammonismus, seine Genußsucht, längst erkannten und beklagten ... Sind denn die anderen besser? Ist nicht der Mammonismus amerikanischer Import, und der kaltherzige Egoismus Englands Morgengabe, und der moralische Niedergang verbunden mit dem unersättlichen Haß der Gemeinheit Frankreichs Eigenart? Sehen wir nicht einen Triumph der Lüge und einen Erfolg der Gemeinheit, wie er selbst in den dunkelsten Zeiten der Geschichte selten war?" 9 Alles Genannte zusammen ließ gerade evangelisch-kirchliche Kreise dem neuen Abschnitt zumindest mit skeptischer Distanz, häufiger aber wohl mit mehr oder weniger offener Ablehnung begegnen. Die kleineren Gruppen der Religiösen Sozialisten oder des liberalen protestantischen Flügels um Martin Rades „Christliche Welt" konnten sich dieser Gesamtstimmung gegenüber nicht durchsetzen. Und wo sich Kreise in Theologie und Pfarrerschaft bemühten, eine Offenheit für neue Wege und Bereitschaft zur Mitverantwortung zu gewinnen - es gab da und dort ermutigende Anzeichen dafür - , erlitten sie einen schweren Rückschlag durch einen Vorgang, der sich schon in den ersten Wochen des Umbruchs ereignete und sich noch auf Jahre hin auswirken sollte. Die Spaltung in gemäßigte Mehrheits- und radikale Unabhängige Sozialisten führte im November 1918 zur provisorischen Doppelbesetzung aller preußischen Ministerien im „Rat der Volksbeauftragten". Das Kultusministerium wurde neben einem gemäßigten SPD-Vertreter dem in kirchlichen Kreisen durch seine gegenchristliche und antikirchliche Propaganda seit langem bekannten Adolf Hoffmann - nach seiner Kampfschrift „Die 10 Gebote und die besitzende Klasse" 189110 als „Zehn-Gebote-Hoffmann" betitelt - übertragen. Schon diese Tatsache allein und erst recht die alsbald von Hoffmann aus revolutionärem Recht hergeleiteten Schritte einer radikalen Trennung von Staat und Kirche mußten als Kampfansage an die Kirche verstanden werden. Durch Erlaß wurde noch im November der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in allen Schulen Preußens aufgehoben und ihr christlicher Charakter beseitigt, auf dem Wege der Verordnung sollten spätestens zum 1. April 1919 alle Staatszuschüsse gestrichen werden, und schließlich wurde durch Gesetz wiederum ohne jede Fühlung mit den Kirchen der Kirchenaustritt wesentlich erleichtert. All dies und ähnliche, öffentlich propagierte Ziele wirkten wie ein Schock. Es erhob sich ein Entrüstungssturm in beiden Kirchen gegen die 17
Streichung des Religionsunterrichts mit einer organisierten Gegenbewegung unter Massenzulauf, und obwohl der Erlaß noch im Dezember wieder aufgehoben wurde und HofFmann schon im Januar zum Rücktritt gezwungen war, seine Ministertätigkeit also nur eine Episode von gut sechs Wochen blieb, gingen ihre Auswirkungen in nicht zu unterschätzender Weise weiter. Offenbar war der Vorgang für die Breite kirchlicher Kreise nur eine Bestätigung der selbstverständlich angenommenen Kirchenfeindschaft der SPD. So sahen sich die neu entstandenen Kirchenleitungen veranlaßt, zu den für Januar 1919 angesetzten Wahlen zur Nationalversammlung die Entscheidung für nicht-sozialistische Parteien zu empfehlen und sich damit einer längst falligen Verständigung zwischen Kirche und Sozialdemokratie zu verschließen. Auch im Blick auf die katholische Seite mag die Episode Hoffmann „wesentlich dazu beigetragen haben, daß das Zentrum sich alsbald nach der Revolution wieder eng zusammenschloß, und daß die Wahlen zur Nationalversammlung 1919 keine sozialistische Mehrheit ergaben"." Obwohl die Nationalversammlung noch im gleichen Jahr das Verhältnis Staat-Kirche in sehr besonnener Weise regelte - die entsprechenden Artikel der Weimarer Verfassung sind bekanntlich unverändert in das Grundgesetz der Bundesrepublik übernommen worden - und sich auch in Preußen bei elfjähriger Ministerpräsidentschaft des Sozialdemokraten Otto Braun die Befürchtungen nicht bewahrheiteten, wird man dennoch sagen müssen, daß jenes Zwischenspiel Hoffmann die ganze Weimarer Zeit hindurch „das immer wieder angeprangerte Symbol für die Kirchenfeindschaft der SPD"12 gewesen ist und auch das Urteil über die Republik selbst mitbestimmt hat. Es entbehrt nicht der Tragik, daß die Begegnung der Kirche mit den Anfangen der Republik unter diesem Unstern stand. „In den tausend Unzulänglichkeiten des politischen Handelns" damals, so Karl Kupisch, „spiegelte sich etwas von der politischen Unfertigkeit des ganzen Volkes wider... Die Sozialdemokratische Partei war durch nichts auf die weitgespannte Aufgabe vorbereitet, die ihr nun wider Erwarten zugefallen war". Und dies angesichts der „ungeheuren innen- wie außenpolitischen Schwierigkeiten", vor die sie sich gestellt sah. „Praktisch lag die Verantwortung für alles, was zu tun war, bei ihr: Spartakuskampf, Verfassung, Versailler Vertrag. Man hat ihr denn auch alles an Schuld aufgeladen für das, was das deutsche Volk in dieser Zeit an Schwerem auf sich nehmen mußte. Die vorhandenen Plusposten sah niemand." 13 Und je länger die Krisen und Notsituationen andauerten: Reparationsleistungen, Putsche und Aufruhr, Inflation, Ruhrbesetzung, desto mehr war man auch in 18
kirchlichen Kreisen geneigt, den Stimmen der politisch Konservativen zu folgen, die „die Republik und ihre Führer für den Verlust des Krieges wie für das Versailler ,Diktat' verantwortlich machten. Die gehässige Propaganda rechtsstehender Kreise war besonders verhängnisvoll. Mit Schlagworten, wie ,Dolchstoß', ,Novemberverbrecher', ,Erfiillungspolitik' und ,Schuldknechtschaft', suchten nicht nur verantwortungslose Demagogen vom Schlage Hitlers, sondern ernstzunehmende Persönlichkeiten, wie Hindenburg, Helfferich und Hugenberg, die nationalen Leidenschaften gegen die gemäßigte Politik der Mittel- und Linksparteien aufzustacheln."14 Von daher war auch die Haltung der Kirche stark beeinflußt. So konnte Otto Dibelius 1926 wie selbstverständlich feststellen: „Da die Stimmung in der Kirche ganz überwiegend republikfeindlich ist, steht die Kirche dem neuen Staat sehr reserviert gegenüber."15 Symptomatisch war, daß die amtliche evangelische Kirche eine Beileidsbezeigung zum Tode des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert unterließ, daß aber der eben erst genannte Name Hindenburg alsbald als Kandidat des evangelischen Deutschland begrüßt wurde. „Die Schatten des Gestern und Vorgestern behaupteten sich länger, als man erwarten durfte." 16
Völkischer Nährboden des Nationalsozialismus
aufkommenden
Inzwischen war, bereits seit 1920, mit der NSDAP eine neue Erscheinung im politischen Leben aufgetreten. Woher kam sie, was vertrat sie, und wie verhielt sie sich zu Christentum und Kirche? Der Nationalsozialismus erwuchs aus dem Wurzelboden der völkischen Bewegung oder Idee. Der völkische Gedanke, zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu verstehen als Reaktion auf die Unterwerfung durch den großen Eroberer und noch durchaus verbunden mit demokratischen Zielen, wird nach dem Sieg der konservativen Restauration der deutschen Kleinstaaten und dem Aufwachsen der marxistischen Idee Ausdruck und Antrieb der Sehnsucht vieler nach einer einigen deutschen Nation. Später, nach Erfüllung dieses Wunsches - abgekürzt und in groben Strichen gezeichnet - verbindet sich die nationale und völkische Idee mehr und mehr mit rassistischen Strömungen und ihren pseudowissenschaftlichen Begründungen (Graf Gobineau, Paul de Lagarde, Houston Stewart Chamberlain), die weit hinausgehend über Erhaltung des Volkstums und seines Erbes nicht nur grundlegende Rassenverschiedenheiten, sondern vor allem ihre Verschiedenwertigkeit nachweisen wollen. Die deutsche, 19
germanische oder dann arische Rasse, d. h. die einer indogermanischen Elite entstammende Blutsverwandtschaft, deren eigentliche Erben die Deutschen geworden seien, nimmt den höchsten Platz ein. Der rassistisch verstandene völkische Gedanke vereinigt sich Ende des vergangenen Jahrhunderts mit uralten und gerade im 19. Jahrhundert in neuer Form aufgelebten antisemitischen Zielrichtungen. Wie die völkische Ideologie als solche immer von der Abgrenzung, von einem Gegenbild lebt, dem sie sich entgegensetzt, so wird jetzt bei den radikal Völkischen der Jude zur Personifikation des Bösen, zum zerstörerischen Element schlechthin, dessen Einfluß es aus dem Volksleben auszuschalten gelte. So wird die völkische Bewegung zum absoluten Gegenpol des sozialistischen Systems; sie stelle geradezu „nach dem Marxismus die zweite große, umfassende, totalitäre Ideologie dar, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat".' 7 Doch erscheint eine solche Parallelisierung fraglich. Die Völkischen, trotz aller gemeinsamen Grundtendenzen aufgesplittert in verschiedenste Richtungen und Gruppen, tragen gerade in ihrer rassistischen Ausprägung Züge eines irrationalen Sektierertums an sich, mit dem man ohne wirkliche geistige Selbstkontrolle einen Alleinschuldigen bestimmt und unter Ausnutzung vorhandener Feindbilder sich jeder eigenen Verantwortung entzieht. Die verführerische Macht dieser Ideologie zeigte sich besonders in der Notsituation nach 1918, in der völkische Propheten, Gruppen und Grüppchen in unübersehbarer Fülle aus dem Boden schössen und ihre Anhänger fanden. Hier stößt nun auch Hitler, der schon in seinen frühen Jahren in und vor Wien unter dem Einfluß des glühenden Antisemiten und Verfechters der Alldeutschen wie der Los-von-Rom-Bewegung, Georg von Schönerer, gestanden hatte18, 1919 in München auf der Suche nach einem Ziel auf die Völkischen, schließt sich der „Deutschen Arbeiter-Partei" (DAP) an, die sich bald danach in NSDAP umbenennt, wird ihr Parteiredner und damit maßgeblicher Propagandist ihrer und seiner völkisch-rassistischen „Weltanschauung". Die Theoretiker dieses Weltbildes im näheren Umkreis waren insbesondere Theodor Fritsch mit seinem „Handbuch der Judenfrage" (28. Auflage 1919!)19, für den der Grundzug des Judentums Menschenhaß und Sittenfeindlichkeit war und der ein gereinigtes Christentum des Ariers Jesus propagierte, ferner Artur Dinter, späterer Gauleiter Hitlers, der sich selbst als religiösen Erneuerer verstand und ein rein arisches „Geistchristentum" unter Ausscheidung alles Jüdisch-Paulinischen verfocht, und nicht zuletzt Dietrich Eckart, der zum geistigen Mentor und 20
väterlichen Freund Hitlers werden sollte, für den der Jude die Verkörperung der reinen Diesseitigkeit im Gegensatz zu dem auf Transzendenz und Unsterblichkeit angelegten Arier war. Bei allen Unterschieden verbindet diese Völkischen die abstruse, auf die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion" gegründete Überzeugung von der alljüdischen Weltverschwörung, die auf Vernichtung der arischen Rasse und eigene Weltherrschaft zielt, wobei sie sich des Weltkrieges ebenso wie des Kapitalismus oder der russischen Revolution als ihrer Mittel bedient. In diesem geistigen Umfeld bewegt sich Hitler bei seinem Neuanfang 1919. Schon 1920 ist er der maßgebende Mann der neuen Partei und verkündigt ihr Programm, das den kompromißlosen Antisemitismus proklamiert (Juden können nicht deutsche Staatsbürger sein), im übrigen aber anstelle der sonst üblichen völkisch-religiösen Aussagen und Ziele den - obenhin gelesen - harmlos erscheinenden Artikel 24 bringt: „Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefiihl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz." Es ist nicht nachzuweisen, inwieweit Hitler dabei schon die Feder geführt hat. Doch deutet die Formulierung bereits in die später nachdrücklich von ihm verfolgte Richtung, alles zu vermeiden, was zu religiösen Streitigkeiten fuhren und den politischen Kampf schwächen könnte. Dieser aber mußte sich gegen den Verursacher alles Bösen richten, den Juden und die ihm ergebenen oder vor ihm kapitulierenden Helfershelfer. „Seine Wut und sein Haß, die sich leitmotivisch wiederholten..., zielten auf Leute ab, die ihm sehr ähnlich waren, auf die .schrecklichen Vereinfacher', die sich gegenseitig auf harte Fragen leichte Antworten gaben. Seine Zuhörerschaft war politisch, geistig und sozial wenig anspruchsvoll. Die komplizierte Analyse der etablierten Politiker, Wissenschaftler und Politologen oder der wolkig-,intellektuellen' Marxisten war nichts für sie; sie waren völkisch gesinnt, rassistische Germanen, und sie nährten sich von HalbWahrheiten, gelehrten Fetzen und einem unerschütterlichen Glauben an eine gegen sie und gegen das Vaterland nach ihrem Bilde gerichtete Weltverschwörung. " 20 Daß dies sein eigentliches Thema war, zeigen zwei seiner Grundsatzäußerungen, die eine, mit der er den Beginn seines politischen Weges beschreibt: „Mit dem Juden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte 21
Entweder-Oder. Ich aber beschloß, Politiker zu werden"21, und die andere, mit der er diesen Weg beendet, der letzte Satz seines Testaments, in dem er die künftige Führung der Nation und die Gefolgschaft „vor allem" verpflichtet „zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum". 22 Dieser Haß gegen alles Jüdische war ihm Glaubensbekenntnis und oberstes Gebot. Alles andere, auch speziell religiöse Fragen, in denen er auf weite Strecken die Ansichten der Völkisch-Religiösen durchaus teilen konnte - so z. B. Äußerungen in seinen frühen Reden über die Reinigung der Bibel von jüdischen Verfälschungen23, aber auch später in seinen Tischmonologen über Jesus als Arier und den Verderber Paulus oder sein Hohn über die Pfaffen mit ihrem satanischen Aberglauben und organisierter Lüge24 - das alles war ihm zweitrangig gegenüber dem einen Ziel, zum Entscheidungskampf die Massen hinter sich zu bringen und die Macht zu erobern. Doch von einer Erfüllung dieses Traums konnte zunächst keine Rede sein. Nach einem ersten Wahlerfolg 1924 fiel die NSDAP noch im gleichen Jahr auf weniger als die Hälfte unter 3% zurück und kam auch in den Folgejahren nicht darüber hinaus. Die Breite der Bevölkerung war für den schwärmerischen Extremismus, der der völkischen Bewegung als ganzer anhaftete, offensichtlich nicht zu gewinnen. Dies mochte für Hitler in seiner Festungshaft 1924 Anlaß sein, bei der Konzeption von „Mein K a m p f das weitere Vorgehen zu präzisieren. Es ist die gleiche Zeit, in der sich von der Jugend her in der deutschen Geisteshaltung insgesamt gewisse Wandlungen anbahnen.
Wandlungen und geistige
Annäherung?
Nachdem um die Mitte des Jahrzehnts die schwersten außen- und innenpolitischen Probleme der noch ungefestigten Republik durchgestanden schienen, deuteten sich in der jungen Generation, vor allem der Studentenschaft, Veränderungen an. Die Ära derer, die vom Kriegserlebnis oder dann der Jugendbewegung geprägt waren, war zu Ende gegangen. Konnte man die ersteren als „eine studentische Generation von ungeheurer geistiger Bewegtheit" kennzeichnen bzw. dann von einer „köstlichen Spanne deutschen jugendlichen Geisteslebens" sprechen, so registrieren die Beobachter nun übereinstimmend einen „großen Verfestigungs- und Beruhigungsvorgang".25 „Die Wende vollzog sich in Übergängen, aber die Tendenz war unverkennbar. Man wollte wieder Ordnung, Autorität, Ge22
folgschaft" und, so Kupisch weiter mit dem Pädagogen Eduard Spranger: „es war eine Zeit der zunehmenden Politisierung und einsetzenden Militarisierung, eine Annäherung an Parteigruppierungen und Großorganisation mit Radikalisierung der Gegensätze".26 Ich selbst erinnere mich einer großen Studentenversammlung um 1926 in Tübingen mit Gustav Stresemann, bei der es dem Außenminister erst im Lauf seiner zweistündigen mitreißenden Rede gelang, die Opponierenden und Randalierenden zum Hinhören zu bringen. Abwägendes Argumentieren und Diskutieren galt bereits als Zeichen der Schwäche, das politische Schlagwort beherrschte nun die Szene. „Die Richtung, die die politischen Gedankengänge der großen Mehrheit der deutschen Studenten genommen haben, ist die völkische" heißt es 1927 über „Die geistige Gesamtlage der Studentenschaft". 27 Die alles umfassende Rolle, die vor 1918 der Staat gespielt hatte, nahm jetzt - zumal bei Ablehnung der bestehenden Staatsform - das Volkstum ein. Eine völkisch-nationale Ideologie breitet sich aus. Das Volkstum wird als unbedingter Wert gepriesen und jetzt zunehmend auch rassisch begründet. All das hatte mit den radikalen deutschgläubigen Rassenfanatikern vom Schlage Hitlers noch wenig zu tun, aber eine kaum bewußte geistige Annäherung ist doch unverkennbar. Denn dies fiel ja in die gleiche Zeit, in der Hitlers „Mein K a m p f erschien (Band 1 1925, II 1927). Und hier ist unübersehbar, wie er nicht nur selbst religiöse Fragen hinter dem einen Ziel der Bekämpfung des Judentums zurücktreten läßt, sondern nun den Völkisch-Religiösen eine eindeutige Absage erteilt. Hatte er schon kurz nach seiner Haftentlassung im Februar 1925 im Leitartikel des erstmals neu erschienenen „Völkischen Beobachter" mit Nachdruck erklärt: „Ganz besonders protestiere ich gegen den Versuch, religiöse Streitfragen in die Bewegung hineinzutragen oder gar die Bewegung damit zu identifizieren"28, so entsprechen dem eine ganze Reihe programmatischer Aussagen in seinem Buch. Dies beginnt schon mit der ausführlichen Kritik an dem aussichtslosen Kampf des sonst hoch geschätzten alldeutschen Österreichers von Schönerer mit der katholischen Kirche, schließend mit dem gesperrt gedruckten Satz: „Dem politischen Führer haben religiöse Lehren und Einrichtungen seines Volkes immer unantastbar zu sein, sonst darf er nicht Politiker sein, sondern soll Reformator werden, wenn er das Zeug hierzu besitzt!"29 Die gleiche Warnung kehrt an verschiedenen Stellen wieder. „Die Bewegung" sehe „in beiden religiösen Bekenntnissen gleich wertvolle Stützen für den Bestand unseres Volkes". Karikierender Spott aber gilt Jenen deutschvölkischen Wanderscholaren", die „von altgermanischem Hel23
dentum, von grauer Vorzeit, Steinäxten, Ger und Schild schwärmen,... ein präpariertes Bärenfell mit Stierhörnern über dem bärtigen Haupte . . . Führt doch ihre ganze Tätigkeit das Volk vom gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Juden, weg, um es statt dessen seine Kräfte in ebenso unsinnigen wie unseligen inneren Religionsstreitigkeiten verzehren zu lassen". 30 Diese Absage an die Religiös-Völkischen gipfelt in der Erklärung, „daß ich in den Männern, die heute die völkische Bewegung in die Krise religiöser Streitigkeiten hineinziehen, schlimmere Feinde meines Volkes sehe als im nächstbesten international eingestellten Kommunisten". 31 Die mehrfache Wiederkehr und Eindringlichkeit dieser Attacke zeigt, wie wichtig für Hitler dieser Punkt war und wie sehr er sein Ziel durch solche Bestrebungen in der Partei selbst oder in ihrer Bundesgenossenschaft gefährdet sah. Dem entsprach nun auch sein praktisches Vorgehen seit 1925. Er distanzierte sich von seinem einstigen Kampfgefährten Ludendorff und verbot den Parteigenossen die Mitgliedschaft in dessen Tannenbergbund, ohne daß ein Kampf gegen den General selbst als verehrten Heerführer gefuhrt werden durfte. Selbst Artur Dinter aus Hitlers engster Umgebung, der sich weigerte, seine völkisch-religiösen Aktivitäten aufzugeben, verlor 1927 sein Amt als Gauleiter von Thüringen und kurz darauf sogar die Parteimitgliedschaft. Hitler zog im übrigen eine Schrift Dietrich Eckarts, kurz nach dessen Tod 1924 erschienen unter dem Titel: „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin. Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir", mit massiven Äußerungen über die „Satansbibel", in der ja, den lieben Gott eingeschlossen, alles Jude sei, was eine Rolle spiele in der Welt, zurück; er habe diese Worte nie gesprochen, sie seien ihm von Eckart dichterisch in den Mund gelegt.32 Er veranlaßte, daß Rosenbergs 1930 erschienener und in erheblichem Maß Religions- und Weltanschauungsfragen gewidmeter „Mythus des 20. Jahrhunderts" ausdrücklich als Privatarbeit gekennzeichnet werden mußte, und er sorgte schließlich für eine Neufassung des Kommentars zu jenem Artikel 24, durch die das „positive Christentum" in unverdächtigem Sinn interpretiert wurde. Es war deutlich: Die um die Macht ringende Partei sollte von jedem Odium eines völkischen Neuheidentums befreit und so für die Breite des Volkes einschließlich der kirchlich Gebundenen akzeptabel werden. Entsprach dies alles Hitlers wirklicher Überzeugung, oder ging es um eine rein taktische Überlegung? Gewiß, es mochte dabei Hitlers eigenes katholisches Erbe mitgespielt haben und ihn auch der Respekt vor der zweitausendjährigen kirchlichen Tradition und Erfahrung vor einem
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Konflikt zurückschrecken lassen, doch sprechen manche Indizien für einen bloß taktischen Schritt. Bis in seine späten Jahre konnte er vom „Gift des Christentums" sprechen, das „nicht ein aus dem germanischen Charakter geborener Gottglaube, sondern eine aufgezwungene, dem germanischen Wesen widersprechende Religion" sei.33 Auffallend auch, daß Alfred Rosenberg, Künder des neuen Glaubens und darum Hauptanstoß für die Kirchen - für ihn ist das „positive Christentum" mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit gegründet auf „die Kräfte des nordischen Blutes", während „das negative pocht auf seine syrisch-etruskische Überlieferung, auf abstrakte Dogmen und altgeheiligte Gebräuche"; angesichts der gesamten „Verbastardierung, Verorientalisierung und Veijudung des Christentums" dank Paulus gehe es um seine „Reinigung vom syrischen Aberglauben", um Abschaffung des Alten Testaments als Religionsbuch, um den „Wegfall der Predigten über den Knecht und den Sündenbock als Lamm Gottes" und „der die quälende Kreuzigung darstellenden Kruzifixe in Kirchen und auf Dorfstraßen"; denn „der nordischen Rassenseele im Zeichen des Volksmythus ihre Form als Deutsche Kirche zu geben, das ist mit die größte Aufgabe unseres Jahrhunderts" 34 auffallend also, daß dieser Rosenberg trotz gelegentlicher spöttischer Bemerkungen Hitlers über den zu schwer verständlichen „Mythus", dessen Titel schon schief sei und den er selbst nur zum geringen Teil gelesen habe35, nach wie vor Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachter" blieb, ja Anfang 1934 mit der „Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" beauftragt wurde. Der Wahrheit mag eine briefliche Äußerung Hitlers gegenüber LudendorfF am nächsten kommen, der ihm den Programmpunkt vom „positiven Christentum" vorgeworfen hatte, da das Christentum der schärfste Gegner jeder völkischen Bewegung sein müsse. Hitler antwortete: „Ich denke genau so wie Euere Exzellenz, aber Euere Exzellenz können es sich leisten, Ihren Gegnern vorher anzukündigen, daß Sie sie totschlagen wollen. Ich aber brauche zum Aufbau einer großen politischen Bewegung die Katholiken Bayerns ebenso wie die Protestanten Preußens. Das andere kommt später!"36 In der Tat trug Hitlers Entscheidung in der Folge erheblich zur Vernebelung seiner eigentlichen Ziele und zum Ausbruch aus seiner seitherigen Getto-Existenz bei. Traf sie doch mit jener zunehmenden Völkstumswelle zusammen, die auch kirchliche Kreise erreicht hatte. Hier traten in den gleichen Jahren namhafte theologische Stimmen in den Vordergrund, 25
die Volk und Volkstum eine besondere Dignität zuschrieben. So Paul Althaus, Erlangen: Das Volk „soll sich in der ihm anvertrauten Eigenart und besonderen Sendung erfassen und durch Abwehr aller Überfremdung treu behaupten; es muß alles daran setzen, den in seiner Anlage und Geschichte liegenden Schöpferwillen (die ,Volkheit') zu erfüllen".37 Oder noch pointierter der Göttinger Emanuel Hirsch, für den 1918 den „Triumph der Klassenselbstsucht über die Staatstreue" bedeutete und Zukunft nur ein Volk haben konnte, „das sehr stolz auf die ihm von Gott gegebene Art ist... Gerade jetzt also, wo die ganze Welt uns verachtet, müssen wir lernen den Stolz darauf, Deutsche zu sein ... Darum ist nichts wichtiger als die Pflege der großen Erinnerungen unserer Geschichte. Der siebenjährige Krieg, der Befreiungskampf, die Macht und Herrlichkeit des von Bismarck geschaffenen Reiches, ... auch unsere gewaltigen Taten im Weltkriege ... Wir müssen mitten in der Not uns selbst und andern Völkern durch lebendige gegenwärtige Tat beweisen, daß die Menschheit Aufgaben hat, die allein Deutsche lösen können." 38 Hintergründe und Konsequenzen wurden erschreckend deutlich, als Althaus und Hirsch gemeinsam als „Lehrer der Theologie" anläßlich einer Sektionstagung des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen 1931 einen massiven Angriff gegen alle christlichen Bemühungen um Völkerverständigung starteten. Diese könnten angesichts des „schon zwölf Jahre währenden neuen furchtbaren Krieges mitten im Frieden" nur eine Verleugnung des deutschen Schicksals und Verwirrung der Gewissen bedeuten. Es sei „rückhaltlos zu bekennen, daß eine christliche und kirchliche Verständigung und Zusammenarbeit in den Fragen der Annäherung der Völker unmöglich ist, solange die andern eine flir unser Volk mörderische Politik gegen uns treiben."39 Und dies, nachdem sich tapfere Pioniere des ökumenischen Gedankens seit Jahren geduldig und nicht ohne Erfolg um Überwindung von Haß und Unbußfertigkeit auf der eigenen Seite wie auf der der anderen abgemüht hatten. Gewiß, der Erklärung Hirsch/Althaus wurde von anderen auch öffentlich widersprochen. Aber die offizielle Kirche sah keinen Anlaß, vor der Gefahr völkisch-nationaler Strömungen zu warnen. Ihre amtlichen Organe hatten seit Beginn der zwanziger Jahre in politischer Hinsicht ihre vordringliche Aufgabe darin gesehen, immer wieder gegen die in Versailles festgeschriebene Alleinschuld Deutschlands am Weltkrieg zu protestieren und die Beseitigung dieser „Kriegsschuldlüge" zu fordern, in der man eine entscheidende Ursache aller Not des Volkes sah.40 Dies zog sich 26
wie ein roter Faden durch all die Jahre hindurch und hatte - bei aller berechtigten Kritik an den aus Siegermentalität und Verlangen nach Entschädigung geborenen Versailler Formulierungen - auch in der Kirche eine selbstkritische Prüfung der eigenen Verantwortung verdrängt. Ohne Vorbehalt hatte man dann jene Hinkehr zu einer neuen Wertung des Volkstums mit vollzogen und durch den „Vaterländischen Kirchentag" 1927 in Königsberg unterstrichen, bei dem Althaus den Hauptvortrag über „Kirche und Volkstum" gehalten und dabei das Volk als ganzes als Ziel des göttlichen Planes und das Volkstum als die der Kirche anvertraute Aufgabe begründet hatte. Die dort beschlossene „Vaterländische Kundgebung" enthielt am Ende den Satz: „Solcher Vaterlandsdienst ist auch Gottesdienst."41 Bei aller kritischen Distanzierung im einzelnen gegenüber einer Verabsolutierung des Völkischen wurden hier Ansätze deutlich, von denen her „der Siegeszug der NSDAP wie die Erfüllung des Willens Gottes wirken" mußte. 42 Wohlgemerkt, dies alles war nicht etwa bereits Niederschlag des Nationalsozialismus in der Kirche; aber es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß die skizzierten Gedankengänge einer politisierenden Volkstums-Theologie dazu mitgeholfen haben, auch in kirchlichen Kreisen Hitlers Vordringen den Boden zu bereiten.
„Nationaler Aufbruch" - Begeisterung und Widerspruch So kam die NS-Parole vom „nationalen Aufbruch" einer verbreiteten und nun auch theologisch legitimierten Stimmung entgegen. Sie wurde begeistert aufgenommen etwa vom Evangelischen Bund mit seinen damals 300 000 Mitgliedern als „ein Empörungsschrei des deutschen Herzens und Gewissens gegen das Verbrechen der Meuterrevolution 1918, gegen das Versailler Knechtdiktat, gegen die Kriegsschuldlüge, gegen das ganze System des rom-marxistischen mammonistischen Internationalismus". „Eine Bewegung von solchem Tiefgang, solcher Breite und solch idealistischer Höhenlage hat die deutsche politische Geschichte noch nie erlebt" - so das Präsidiumsmitglied Kremers 1931. Etwas moderater zwar und doch eindeutig zustimmend war das Echo bei weiten Teilen der vermeintlich unpolitischen kirchlichen Gemeinschaftsbewegung: „Bei aller Sorge muß aber doch das jetzt schon als geschichtliches Verdienst des Nationalsozialismus anerkannt werden, daß er eine neue zündende Idee in die schlappwerdenden Massen hineingeworfen hat, und zwar die nationale Idee. Dadurch hat er wirklich ein Gegengift und Ge27
gengewicht geschaffen gegen die internationale Idee der Sozialdemokratie ... und gegen die furchtbare Idee des Bolschewismus" - so „Licht und Leben" nach der Wahl 1930. Demgegenüber konnten einzelne andere Theologen, vor allem die Religiösen Sozialisten, nur warnen: „Der Nationalsozialismus ist nicht wie der Marxismus ein Versuch wissenschaftlicher Erkenntnis der Ursachen und tieferen Fehlerquellen der Wirtschaftswirrnis, er hat auch kein klares und einheitliches Programm, sondern er ist die Zusammenballung aller Leidenschaften, die aus der Not und Enttäuschung in einem Volk wach werden ... Die Bewegung ist ein Ventil für alles, was an starken Instinkten empordrängt und sich sonst nicht betätigen kann: Haß und Idealismus, Rache und Wut, Zorn und Abenteuerlust, Wunsch nach Uniform und Führer, nach Macht, Glanz und neuer Herrlichkeit. Aber alles unklar und verworren. Viel alte Leidenschaft kommt wieder zum Durchbruch, der Antisemitismus des letzten Jahrhunderts, der Bürgerschreck vor dem Sozialismus aus Bismarcks Zeit,... die Suche nach einem Sündenbock, dem man alle Schuld an der Not der Gegenwart aufladen kann" - so Stadtpfarrer Schlenker, Stuttgart, 1932.43 Daneben schlugen sich die Leute vom Christlich-sozialen Volksdienst im tagespolitischen Kampf redlich, wenn auch aussichtslos, mit den Nationalsozialisten herum: „Wir bekennen uns mit heißer Liebe zur Nation. Aber ob daraus die Bejahung der von der äußersten Rechten empfohlenen Politik folgen kann, das eben ist die Frage ... Also wenn Sie wollen, daß wir unsere Hand dazu bieten, diesen großen Wechsel herbeizufuhren, dann müssen Sie zuvor die Güte haben, uns zu sagen, wohin die Reise gehen soll... Denn die Verantwortung dafür können wir nicht übernehmen, den Weg ins Dunkle ungewisser Experimente zu gehen" - so der Erlanger Neutestamentier Hermann Strathmann 1931 im Reichstag.44 Strathmann erkannte, daß „das .Positive Christentum' des nationalsozialistischen Programms durch den aus dem Rassegedanken stammenden völkischen Vorbehalt völlig entwertet und entleert worden ist." Dieser Punkt war es auch, der den neuen Herausgeber des Kirchlichen Jahrbuchs, Hermann Sasse, 1932 zu seiner, in ihrer Schärfe wohl singulären Kritik an Artikel 24 des Parteiprogramms veranlaßte:45 „Denn dieser Artikel macht jede Diskussion mit einer Kirche unmöglich ... Denn die evangelische Kirche müßte ein Gespräch darüber mit dem offenen Geständnis beginnen, daß ihre Lehre eine vorsätzliche und permanente Beleidigung des ,Sittlichkeits- und Moralgefiihls der germanischen Rasse' ist." So groß war die Gegensätzlichkeit und Verwirrung unter evangelischen Theologen Anfang der dreißiger Jahre. Am verbreitetsten mochte noch 28
die Meinung sein, daß man die nationalen Ziele der NSDAP bejahen müsse, ihre Auswüchse aber - Gewalttätigkeiten, rassistische Ideologie und Judenhaß, religiös-weltanschauliche Verirrungen - sich bei Regierungsverantwortung erledigen oder durch aktive Mitbeteiligung von Christen in der Partei überwunden werden würden. Daß in dieser Lage die Kirchenleitungen zu keinem wegweisenden Wort fanden, war kaum zu verwundern. Wenigstens suchten sie da und dort eine offensichtliche politische Überfremdung der Gottesdienste durch immer häufigere Teilnahme uniformierter NS-Formationen mit Fahnen einzudämmen. Im übrigen überwog bei den Leitungen wohl immer noch die Erleichterung darüber, daß das evangelische Kirchentum durch die Bedrohungen von Revolution und Nachkriegszeit hindurchgerettet und die Landeskirchen mit neuen Verfassungen gestärkt aus den Krisen hervorgegangen waren. Dem hatte das Kirchliche Jahrbuch für 1928 (noch Johannes Schneider) beredten Ausdruck gegeben: „Gezeigt hat sich, daß der religiöse Gedanke... doch tiefer in der deutschen Volksseele verwurzelt war, als nach außen hin in die Erscheinung t r a t . . . Das heilige,Dennoch' hat sich durchgesetzt. Bewährt hat sich das, was wir empirische Kirche nennen ... Die Kirchenfuhrung des letzten Jahrzehnts war ein Meisterstück."46 Gegen diese kirchliche Selbstzufriedenheit, die die eigentlichen Probleme und Gefahrdungen gar nicht zu kennen schien, wandte sich Karl Barth Anfang 1930 mit seinem ersten, berühmt gewordenen Kampfartikel „Quousque tandem .. ,?"47 Die wirkliche Lage enthüllte in der gleichen Zeit beispielhaft der Fall des Berliner Pfarrers Günther Dehn, Freund und Mitstreiter Barths, der in einem Vortrag 1928 in Magdeburg „Kirche und Völkerversöhnung" u. a. auch die übliche Deutung des Soldatentodes im Sinne des Opfers Christi („Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde" Joh 15) angesprochen hatte: „Wir wollen ganz gewiß diesem Tod seine Würde und auch seine Größe lassen, aber ebenso gewiß wollen wir auch die Wahrheit sagen. Es wird bei dieser Darstellung eben außer acht gelassen, daß der, der getötet wurde, eben auch selbst hat töten wollen. Damit wird die Parallelisierung mit dem christlichen Opfertod zu einer Unmöglichkeit. "48 Dabei hatte er auch die Frage nach Gefallenendenkmalen in den Kirchen gestellt. Das genügte. Die Aussagen wurden alsbald von Rechtskreisen verbreitet und lösten öffentliche Empörung aus. Dehn habe „unsere gefallenen Helden" öffentlich beschimpft und sie mit Mördern vergli29
chen. Statt ihm beizustehen, vermahnte ihn die Kirchenbehörde und erwartete künftig Mäßigung. Seine Berufung als Praktischer Theologe nach Heidelberg 1930 scheiterte, nachdem die Fakultät aufgrund erneuter Veröffentlichung des Magdeburger Vorfalls vor zu erwartenden Studentenkrawallen zurückgewichen war, so daß Dehn verzichtete. Seine folgende Berufung nach Halle 1931 führte bei Aufnahme seiner Lehrtätigkeit zu Tumulten nationalistischer Studenten und trotz Solidaritätserklärungen von Barth, Bultmann und anderen schließlich zur erbetenen Beurlaubung für ein Jahr und 1933 zur Entlassung. Das Ganze mutet wie ein vorweggenommenes Stück Kirchenkampf an. So auch das Nachwort Dehns 1931 (!): „Vielleicht ist das, was sich in Heidelberg und Halle ereignet hat, nur ein Vorspiel kommender Ereignisse, wo ein rein machtpolitisch orientierter Staat, der von seiner Verantwortung Gott gegenüber nichts mehr weiß, von der Kirche entweder völligen Gehorsam verlangen oder sie für staatsgefahrlich erklären wird."49 Der Vorgang zeigt, wie weit um 1930 die NS-Propaganda bereits in die Universitäten vorgedrungen war. Als Baidur von Schirach seinem Führer 1931 melden konnte, daß zwei Mitglieder des von ihm geleiteten Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) zum Vorsitzenden der Deutschen Studentenschaft und seinem Stellvertreter gewählt seien, soll Hitler geantwortet haben: „Wenn eines mich an den Sieg der Bewegung glauben läßt, so ist es der Vormarsch des Nationalsozialismus in der Studentenschaft." 50 Mit der Reichstagswahl 1930 war der Stimmenanteil der Partei von 2,5 auf 18,3% hochgeschnellt, aber das Ziel war noch lange nicht erreicht. So war in der Tat die Situation an den Universitäten, wo die NS-Studenten, weit voraus dem allgemeinen Stand, zunehmend die Mehrheit in den Studentenvertretungen erreichten, ein Gradmesser für die wahre Lage. Für die Studentenschaft spielte jene zum Extrem gesteigerte völkisch-nationale Welle sicher die entscheidende Rolle. Dazu schrieb Dehn hellsichtig: „Man pflegt der Jugend in ihren gegenwärtigen Kämpfen ja meist einen, wenn auch irregeführten Idealismus lobend zuzugestehen. Ich möchte dagegen doch ernste Bedenken äußern. Verzerrter Idealismus ist Dämonie. Es ist ja einfach nicht wahr, daß diese fanatische, meinetwegen religiös gefärbte, tatsächlich aber von Gott gelöste Vaterlandsliebe dem Vaterland wirklich hilft. Im Gegenteil, sie wird das Vaterland ins Verderben führen." 51 Für die Wählerschaft im ganzen, auch in evangelisch-kirchlichen Kreisen, trug neben dem nationalen Gedanken vor allem, wie mir aus Ge30
sprächen mit Gemeindegliedern 1932 deutlich in Erinnerung ist, die 1929 einsetzende Wirtschaftskrise mit dem Anschwellen der Arbeitslosenzahl auf über sechs Millionen zur Hinwendung zum Nationalsozialismus bei. Insgesamt wirkte mehreres zusammen: „Die neuere Forschung stimmt darin überein, daß der Einbruch der Weltwirtschaftskrise nur deshalb solche katastrophalen Auswirkungen hatte, weil die ökonomische Krise mit einer geistigen und politischen Krise zusammentraf... In der Tat hatte sich die demokratische Revisionsbewegung gegen Versailles nie vom Agitationsdruck der radikalen Rechten frei zu machen und auch für eine sachliche, konstruktive Verhandlungspolitik nicht die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit zu sichern vermocht." 52 Dies galt in besonderem Maße für die Einstellung in der evangelischen Kirche. Die nicht verkraftete Niederlage von 1918 und die nicht wirklich angenommene neue Aufgabe haben der unheilvollen Entwicklung mit den Boden bereitet. Von einer spürbaren Gegenwehr gegen das Vordringen des Nationalsozialismus seitens der Kirchen wird man nur auf katholischer Seite sprechen können. Nach einer offiziellen Feststellung der Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und kirchlicher Lehre, wurde sogar von einzelnen Diözesen, voran dem Mainzer Generalvikar, die Mitgliedschaft in der Partei bei Androhung der Exkommunikation verboten.53 So erschien der Katholizismus, unterstützt von seiner politischen Vertretung in der Zentrumspartei, jedenfalls bis zur Machtergreifung als mehr oder weniger geschlossene Abwehrfront. Dagegen war die evangelische Kirche, trotz der scharfen Ablehnung in einzelnen Kreisen, durch die Last der eigenen, nicht aufgearbeiteten Tradition wie durch ihre Anfälligkeit für Nationalismus und auch unterschwelligen Antisemitismus zerrissen und gelähmt. Erst der Kirchenkampf selbst brachte ihr Klärung und Neubeginn.54
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2. Die Phase der Vernebelung und der ersten Konflikte Eroberung der Kirche von innen: Die Deutschen Christen Mit dem Stichwort „Deutsche Christen" (DC) verbindet sich zumeist die Vorstellung einer von der Partei in die Kirche entsandten und von außen gesteuerten Kampftruppe. So gewiß dies für bestimmte Stadien und Erscheinungen zutrifft, reicht es zur Beschreibung des ganzen, recht komplexen Gebildes nicht aus. Zuerst waren es nationalsozialistisch begeisterte Pfarrer, die schon geraume Zeit vor der Machtergreifung und nicht immer mit voller Zustimmung der Partei eine Bewegung in Gang brachten, um die Kirche mit neuem Geist zu erfüllen und sie aus erstarrter Bürgerlichkeit zu einem lebendigen und, wie sie meinten, reformatorischen Aufbruch zu führen. Dabei waren die Zielrichtungen im einzelnen durchaus verschieden. Gemeinsam war ihnen allen die Verbindung von nationalsozialistischem Engagement, wie sie es verstanden, und kirchlicher Arbeit. Nach einigen Vorstufen sogenannter deutschkirchlicher Bestrebungen, die vom frühen nordisch-völkischen Rassedenken herkamen und eine Synthese von deutscher Frömmigkeit und christlichem Glauben schaffen wollten, entstand 1927/28 in Thüringen auf Betreiben der Pfarrer Leffler und Leutheuser nun schon aus NS-Gedankengut die „Kirchenbewegung Deutsche Christen", später nationalkirchliche Bewegung oder landläufig Thüringer DC genannt, die als der radikale Flügel der DC einen Sonderweg ging und sich bis zum Ende des Dritten Reiches durchhielt. Hier erschienen NS und christlicher Glaube als völlige Einheit. Hitler und seiner Sache wird geradezu Offenbarungscharakter zugeschrieben: Durch ihn habe man Christus als den Heiland neu sehen gelernt, „das Erlebnis des NS wurde zum Ausgangspunkt einer neuen Gemeinde um Christus". Ziel ist die Überwindung der Konfessionen in einer deutschen Nationalkirche, die neben der Bibel die neuen Taten Gottes in ihre Verkündigung einbezieht.1 Die häretischen Züge dieses völkischen Enthusiasmus, bei dem auch Taufe und Abendmahl umgedeutet wurden, lagen auf der Hand. Zentrum war und blieb Thüringen, doch fanden sich Anhänger in den verschiedensten Landeskirchen. In ihrer radikalen Zielsetzung von unbeirrter Konsequenz, vermochten sie aber keine breite Gefolgschaft zu gewinnen. Wir werden ihnen jedoch später noch begegnen. 32
Ganz anderer Art und viel weniger klar definierbar war die 1932 offiziell gegründete „Glaubensbewegung Deutsche Christen", die in der Öffentlichkeit am bekanntesten wurde und zeitweise auch den größten Zustrom verzeichnete. Hier konnte man zunächst am ehesten von einer Steuerung von außen sprechen. Ihre Entstehung ging zurück auf die Initiative des märkischen Gauleiters und Führers der NS-Fraktion im preußischen Landtag, Wilhelm Kube. Dieser kannte sich im kirchlichen Bereich etwas aus, war zeitweilig selbst Mitglied eines Berliner Gemeindekirchenrats und einer Stadtsynode und wußte von daher um Einflußmöglichkeiten auf das „Kirchenvolk" und um die Bedeutung von Kirchenwahlen, die für die altpreußische Kirche für Herbst 1932 bevorstanden. Schon Anfang 1931 wandte er sich an den damaligen Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser mit dem Vorschlag, zu diesen Wahlen „eigene nationalsozialistische Listen aufzustellen, um die Kirche in unsere Hände zu bekommen". 2 Doch dies widersprach Hitlers Grundsatzentscheidung, die Partei aus allen religiösen und kirchlichen Fragen herauszuhalten. Nach einigem Hin und Her und dem am Einspruch der Partei gescheiterten Versuch Kubes, mit der „Christlich-deutschen Bewegung", im wesentlichen rekrutiert aus national-konservativ bestimmten vaterländischen Verbänden, zum gemeinsamen Vorgehen zu kommen, genehmigte die Parteiführung Ende 1931 die Aufstellung eigener Wahlvorschläge unter der Bezeichnung „Evangelische Nationalsozialisten". Aufgebracht durch einen Erlaß des preußischen Evangelischen Oberkirchenrats (EOK), der, wie schon erwähnt, die propagandistischen Gottesdienstbesuche geschlossener Parteiformationen erschweren sollte, rief Kube nun schon Anfang 1932 die evangelischen Parteigenossen zur Wahlbeteiligung auf: „Nationalsozialisten! Duldet es nicht, daß man euch die Türen eurer Kirchen vor der Nase zuschlägt... Erobert euch eure Kirche und erfüllt sie mit dem lebendigen christlichen Geist der erwachten deutschen Nation! Laßt euch schon jetzt in Stadt und Land zu Hunderttausenden und Millionen in die Wählerlisten eintragen."3 Kube gewann einen jungen Berliner Pfarrer, Joachim Hossenfelder, für seine Pläne, brachte im Februar 1932 eine Versammlung nationalsozialistischer Pfarrer in Berlin zusammen, bei der die neue Kirchenpartei Gestalt annahm, sich aber auf Anweisung der Parteiführung, da „Adolf Hitler... keinen Ansatz zur konfessionellen Aufteilung innerhalb der Partei" wünsche, vielleicht nach Thüringer Vorbild „Deutsche Christen" nannte. Hossenfelder übernahm mit parteiamtlicher Billigung die Organisation 33
und trat im Juni mit ersten „Richtlinien der Glaubensbewegung DC" 4 , die er sich von Strasser hatte genehmigen lassen, an die Öffentlichkeit. Die DC wurden zwar, dem Neutralitätsgrundsatz entsprechend, keine Untergliederung der Partei, Hossenfelder war aber dem Reichsorganisationsleiter zugeordnet und gründete darauf auch seine Autorität. Die Richtlinien unterschieden sich von den Zielen der Thüringer in bemerkenswerter Weise. Sie wollen Wege „zu einer Neuordnung der Kirche" zeigen, aber „weder ein Glaubensbekenntnis sein oder ersetzen, noch an den Bekenntnisgrundlagen der evangelischen Kirche rütteln. Sie sind ein Lebensbekenntnis." Dem entsprach auch die spätere Anweisung, wonach Diskussionen über dogmatische Fragen unbedingt zu vermeiden seien.5 Offenbar wollte man hier theologische Fragen bewußt ausklammern: sie konnten als cura posterior bezeichnet werden, und auch der spätere DC-Bischof Peter äußerte: „Wir haben uns niemals Gedanken darüber gemacht, ob wir theologisch übereinstimmten." 6 Man steht „auf dem Boden des positiven Christentums", bekennt sich „zu einem bejahenden artgemäßen Christusglauben, wie er deutschem Luthergeist und heldischer Frömmigkeit entspricht", und will von daher „das wiedererwachte deutsche Lebensgefiihl in unserer Kirche zur Geltung bringen". An praktischen Zielen taucht hier der Zusammenschluß der 29 Landeskirchen „zu einer evangelischen Reichskirche" auf, wofür im Kirchenvolk durchaus Verständnis zu erwarten war. Man sei „keine kirchenpolitische Partei im bisher üblichen Sinne", sondern wolle „eine lebendige Volkskirche, die Ausdruck aller Glaubenskräfte unseres Volkes ist"; auch dies eine populäre Devise, denn das System der Kirchenparteien hatte mancherorts dazu geführt, daß etwa die drei Pfarrstellen einer Gemeinde mit je einem Vertreter der Positiven, der Liberalen und der Mitte zu besetzen waren. Man verlangt den „Kampf gegen den religionsund volksfeindlichen Marxismus und seine christlich-sozialen Schleppenträger aller Schattierungen". Am deutlichsten werden die Richtlinien in der Ablehnung der Rassenvermischung und der Judenmission als „Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper", „solange die Juden das Staatsbürgerrecht besitzen"; „insbesondere ist die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten". Schließlich lehnt man „den Geist eines christlichen Weltbürgertums ab" und will „die aus diesem Geiste entspringenden verderblichen Erscheinungen wie Pazifismus, Internationale, Freimaurertum usw. durch den Glauben an unsere von Gott befohlene völkische Sendung überwinden". 34
Bezeichnend fiir die damalige Lage war, daß diese Richtlinien als Wahlprogramm vom EOK nicht beanstandet wurden. Vermutlich wollte man einen Konflikt mit der gerade im Sommer 1932 machtvoll auf 37,2% der Stimmen angewachsenen NSDAP möglichst vermeiden. Außerdem aber waren auch die Programme der meisten anderen Kirchenparteien, dem Trend der Zeit folgend, stark national bestimmt, sprachen vom Kampf „gegen Bolschewismus, Internationalismus und Ultramontanismus", forderten eine „zielbewußte und starke Führung" und Verständnis für den „Lebenswillen der Jugend", wollten eine Kirche, „die unserem vom Schicksal gerüttelten, von schwerer wirtschaftlicher Not heimgesuchten und von mannigfachem Hader zerwühlten Volk wieder starke sittliche Grundsätze vom Evangelium aus gibt".7 Gewiß war hier nirgends von Reichskirche oder Rassenprinzip die Rede, aber in der nationalen Grundrichtung ergaben sich spürbare Anklänge, die von einfachen Kirchengliedern kaum als Warnung vor den DC verstanden wurden. Eine deutliche Gegenposition war jedenfalls nicht zu erkennen. So gelang es den DC im November 1932, acht Tage nach der zweiten Reichstagswahl dieses Jahres, auf Anhieb schätzungsweise ein Drittel der Sitze in den kirchlichen Körperschaften Altpreußens zu erobern. Die Erfolge waren freilich in den einzelnen Provinzen - die altpreußische Union (APU) reichte ja vom Rheinland bis nach Ostpreußen und war kirchlich ganz verschieden geprägt - recht unterschiedlich, im Westen geringer, im Osten meist höher, teils bis zu 50%. Dazu ist ferner zu bedenken, daß die Ziele durchaus nicht überall gleichgerichtet waren. In vielen Kreisen, die sich als DC zu sammeln begannen, hatte man weniger oder gar keine weltanschaulichen oder kirchenpolitischen Ziele, als vielmehr volksmissionarische Anliegen. Die Stunde des nationalen Erwachens müsse zugleich zur Erneuerung der Kirche und zum erhöhten Einsatz für ihre wichtigsten Aufgaben fuhren. So konnte damals das Wort aufkommen von den DC als der „SA Christi, in der wir als seine Soldaten schlicht und treu unseren kirchlichen und evangelischen Dienst tun". 8 Auch waren die Hossenfelderschen Richtlinien keineswegs überall bestimmend. So nahmen die Dinge beispielsweise in Ostpreußen unter dem Einfluß des dortigen Gauleiters Erich Koch - Kube hatte auf Vorschlag Strassers die Gauleiter um Unterstützung gebeten, um einen unmittelbar parteiamtlichen Charakter zu vermeiden - ihren eigenständigen Verlauf. Koch war vom CVJM her gekommen und von daher an kirchlichen Fragen interessiert. Offenbar auf seine Veranlassung wurden hier eigene Richtlinien verfaßt, die weitaus kirchlicher und weniger polemisch waren 35
und in den lebendigen Gemeinden Ostpreußens keinen Anstoß erregen konnten. 9 Hier wurde erklärt: „Den deutschen Kirchen eine Gestalt zu geben, die sie fähig macht, dem deutschen Volke den Dienst zu tun, der ihnen durch das Evangelium von Jesus Christus gerade für ihr Volk aufgetragen ist, das ist das Ziel der Glaubensbewegung .Deutsche Christen'. Zur Erreichung dieses Zieles fordern wir 1. eine neue Kirchenverfassung, welche die Organe des kirchlichen Lebens nicht nach dem demokratischen Wahlsystem bestellt, sondern nach der Eignung, die sie im Dienst an der Gemeinde bewiesen haben; 2. eine geistliche Spitze, die die maßgebenden Entscheidungen persönlich zu treffen und zu verantworten hat; 3. Vereinigung der evangelischen Landeskirchen zu einer Deutschen evangelischen Kirche bei pietätvoller Wahrung geschichtlich begründeter Sonderrechte. Wir treten ein 1. für die völlige Wahrung des Bekenntnisstandes der Reformation, verlangen aber eine Weiterbildung des Bekenntnisses im Sinne scharfer Abwehr aller modernen Irrlehren, des Mammonismus, Bolschewismus und" - hier leuchtet für heutige Leser der wahre Geist auf, der freilich damals weithin herrschender Überzeugung entsprach - „des unchristlichen Pazifismus". Die Rassenfrage kam überhaupt nur vor in Gestalt des Satzes: „Wir treten ein ... für das Werk der deutschen evangelischen Heidenmission" unter „Anerkennung der Verschiedenheit der Völker und Rassen als einer von Gott gewollten Ordnung für diese Welt". Dann trat man u. a. ein „für kräftigen Ausbau der christlichen Liebestätigkeit innerhalb der Kirche", „für christliche Schulen", „überhaupt für kirchliche deutsche Sitte und Zucht". Und zum Schluß hieß es: „Dienen wollen wir: durch unermüdliche Werbung für unsere Gottesdienste; durch ritterliches Eintreten für die Armen und Hilfsbedürftigen; durch Verteidigung unseres Glaubens, wo er angegriffen oder in Frage gestellt wird; durch treues evangelisches Bekenntnis auch in aller Öffentlichkeit. Dienen wollen wir: durch unsere Kirche unserem Gott und eben deswegen unserem Vaterland." Auch so konnten also Deutsche Christen sprechen, manche sicher ehrlichen Glaubens, andere auch, um keinen Widerspruch zu provozieren. Gerade diese neuen, ausgesprochen kirchlichen Richtlinien wurden im Frühjahr 1933 sogar an die Stelle der Hossenfelderschen gesetzt. Wer konnte darin schon die Gefahr erkennen? Die Vernebelung über die wahren Ziele war groß, zumal jener DC-Erfolg in Preußen keine alarmierenden Folgen zu haben schien. Zudem war die Aufmerksamkeit der nächsten Wochen durch die politischen Ereignisse um die „Machtergreifung" voll in Anspruch genommen. 36
„Christliche" Vernebelung: Von der Machtergreifung bis zum
Ermächtigungsgesetz
Wie es zur Machtübernahme Hitlers kommen konnte, ist nicht unser Thema. Geistige Voraussetzungen dazu sind im Vorausgegangenen wohl zum Teil deutlich geworden. Zum Verständnis der Zusammenhänge sei hier nur das Resümee des Historikers Karl Dietrich Bracher wiedergegeben: „Wie immer man die Bedeutung der Weltwirtschaftskrise für jene ,deutsche Katastrophe' ... bemessen mag: der Ablauf der Ereignisse war nicht unvermeidlich. Die Strukturkrise der Weimarer Republik, gesteigert durch die Folgen eines verlorenen Weltkrieges und der folgenden Versäumnisse der europäischen Politik, ist erst durch eine sehr genau nachweisbare Folge von ehrgeizigen Intrigen, in deren Mittelpunkt Papen, die nationalistischen Kräfte der Harzburger Front und eine Kamarilla um den greisen Hindenburg stand, in die Alleinherrschaft Hitlers und seiner Partei eingemündet.. ." I0 In politischer wie religiöser Hinsicht standen die Monate nach dem 30. Januar 1933 im Zeichen einer umfassenden Vernebelung. Dies charakterisierte den schon rasch einsetzenden Wahlkampf für die auf den 5. März angesetzte Reichstagswahl. „In diesem Vertrauensfeldzug spielten Christentum und Kirchen eine wichtige Rolle. Niemals wieder während seiner Laufbahn hat Hitler so häufig und so inbrünstig Gott beschworen..., sich so in christlichen Wendungen bewegt und sich christlicher Stätten und Attribute versichert wie in dieser Zeit."11 Schon im ersten Aufruf der „Nationalen Regierung" an das deutsche Volk vom 1. Februar versicherte Hitler: „Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten M o r a l . . . in ihren festen Schutz nehmen" und schloß: „Möge der allmächtige Gott unsere Absicht in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere Einsicht segnen und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken. Denn wir wollen nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland!" Wenige Tage später endete er seine erste Wahlkampfrede im Berliner Sportpalast mit einem an das Vaterunser anklingenden Hymnus, „daß eben doch einmal die Stunde kommt, in der die Millionen, die uns heute hassen, hinter uns stehen und mit uns dann begrüßen werden das gemeinsam geschaffene, mühsam erkämpfte, bitter erworbene neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen." Höhepunkt dieses psychologisch gezielten, pseudoreligiösen Werbefeldzugs war die Abschlußkundgebung am Vorabend der Wahl in Königs37
berg, angekündigt von dem inzwischen Propagandaminister gewordenen Dr. Goebbels mit den Worten: „Von der blutenden Ostgrenze aus wird das Evangelium des erwachenden Deutschlands verkündigt, und das ganze deutsche Volk wird Ohrenzeuge dieses einzigartigen, in der gesamten Geschichte noch nie dagewesenen Massenereignisses sein." Nach dem ins Gebet übergehenden Ende der Rede Hitlers: „Herrgott, laß uns niemals wankend werden und feige sein, laß uns niemals die Pflicht vergessen, die wir übernommen haben!" folgte der feierliche Dankchoral „Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten", und dann setzte das machtvolle Geläut des Königsberger Doms ein. Von der Ergriffenheit kirchlicher Hörer zeugte die angesehene Evangelisch-lutherische Kirchenzeitung: „Millionen deutscher Christen hörten mit und sangen das Lied ,Wir treten zum Beten' mit, und als die Königsberger Glocken läuteten, stiegen in gleicher Stunde weithin Gebete zum Himmel auf, wie wohl nie in der Geschichte Deutschlands geschah." Wer konnte auch wissen, daß es sich nur um eine Schallplatte handelte, da das Königsberger Konsistorium das Geläut in Verbindung mit der politischen Kundgebung verweigert hatte! Wenige Tage zuvor war der Reichstagsbrand vom 27. Februar nicht nur willkommener Anlaß zum Vernichtungsschlag gegen die K P D geworden mit Hilfe der verhängnisvollen „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat", mit der all die Jahre hindurch das Vorgehen gegen Kirche und Pfarrerschaft begründet werden sollte; der Brand diente auch und vor allem als propagandistisches Mittel, um der Öffentlichkeit die reale Gefahr eines kommunistischen Umsturzversuchs und die Machtübernahme als die Rettung von Christentum und Kirche vor der Ausrottung einzuhämmern, eine These, die für das Verhältnis von NS und Kirche geradezu bestimmend wurde. Sowohl in den Reden führender Nationalsozialisten wie auch in zahllosen kirchlichen Erklärungen kehrte diese zu bleibender Dankbarkeit verpflichtende Version wieder. Von daher war es nicht zuletzt zu erklären, daß auch später noch, nach eingetretener Ernüchterung, für eine große Zahl von Christen kein eindeutiges Nein zu dem Neuen, sondern höchstens ein „Ja, aber" möglich schien. Nach dem eingangs erwähnten Ergebnis der Reichstagswahl folgte dann der wieder in höchster Feierlichkeit gestaltete „Tag von Potsdam" am 21. März mit festlichen Gottesdiensten und dem anschließenden Staatsakt in der Garnisonkirche, das Ganze unter Teilnahme bekanntester Namen auch des kaiserlichen Deutschland 12 , und schließlich Hitlers 38
Regierungserklärung bei Zusammentritt des Reichstags am 23. März mit ihrer eindeutig positiven Würdigung der Kirchen: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zu Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren. Ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. Sie erwartet aber und hofft, daß die Arbeit an der nationalen und sittlichen Erneuerung unseres Volkes, die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, umgekehrt die gleiche Würdigung erfahrt ... Die nationale Regierung wird in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluß einräumen und sicherstellen. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben von Staat und Kirche."13 Mit diesen maßvollen und allgemein als staatsmännisch weise empfundenen Worten schienen die Skeptiker authentisch widerlegt. So vollzog sich jetzt auch bei den Kirchenleitungen, bei denen trotz aller nationalen Grundhaltung seither doch weithin mindestens Zurückhaltung gegenüber dem NS überwog, eine spürbare Wandlung. Noch in den ersten Tagen des März hatte der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß, das Leitungsorgan des Kirchenbundes, die geistige Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der Kirche betont, denn sie habe „unabhängig vom Wechsel der politischen Lage nicht einzelnen Volksgruppen, sondern dem ganzen Volk zu dienen", und hatte gemahnt: „Je mehr des Hasses, desto mehr Liebe ..., je mehr der Lüge, desto strengere Wahrhaftigkeit..., je mehr des selbstischen Wesens, desto mehr selbstlose Hingebung..." Und Generalsuperintendent Dibelius hatte am 8. März in einem Rundschreiben an seine Pfarrer gesagt, daß sich jetzt zeigen müsse, „ob jene Losung von der Überparteilichkeit und Unabhängigkeit der Kirche wirklich aus innersten Gründen entsprungen ist" und „ob unsere Kirche gelernt hat, Kirche zu sein"; und weiter hieß es: „Darin müssen und werden wir einig sein, daß das Evangelium ... nicht den Haß, sondern die Liebe predigt, daß nicht das Volkstum, sondern das Gottesreich Gegenstand evangelischer Verkündigung ist..., daß das Evangelium im Gegensatz zu jeder menschlichen Ideologie steht, sie mag nationalsozialistisch oder sozialistisch, liberal oder konservativ sein."14 Solche unüberhörbar kritischen Worte - sie sollten wenig später noch zu scharfen Reaktionen fuhren - traten nach der Regierungserklärung merklich zurück. Jetzt brachten die Kirchenleitungen ihr „freudiges, starkes Ja" zu der „großen Wende", den Dank für die Bewahrung in letzter Stunde und die Bereitschaft zur Mitarbeit zum Ausdruck, so z. B. in der 39
Osterbotschaft des EOK, die von den Kanzeln Altpreußens verlesen wurde: „Mit allen evangelischen Glaubensgenossen wissen wir uns eins in der Freude über den Aufbruch der tiefsten Kräfte unserer Nation zu vaterländischem Bewußtsein, echter Volksgemeinschaft und religiöser Erneuerung. Schon im Jahre 1927 hat die evangelische Kirche in ihrer Königsberger Botschaft ... zum Kampf und zum Einsatz aller Kräfte für die Durchdringung des Volkslebens mit den Kräften des Evangeliums aufgerufen. In der Überzeugung, daß die Erneuerung von Volk und Reich nur von diesen Kräften getragen und gesichert werden kann, weiß sich die Kirche mit der Führung des neuen Deutschlands dankbar verbunden. Sie ist freudig bereit zur Mitarbeit an der nationalen und sittlichen Erneuerung unseres Volkes."'5 Auf den gleichen Ton waren die offiziellen kirchlichen Äußerungen dieser Tage durchweg gestimmt. Jetzt schien eine, in den allgemeinen Rausch der Begeisterung einstimmende Freude auch in der Kirche möglich. Auch auf katholischer Seite hatte die Regierungserklärung zur Folge, daß man die seitherige Unvereinbarkeitserklärung revidieren mußte. Ende März umschrieb die Bischofskonferenz die Wendung in gewiß diplomatischer Formulierung: „Ohne die in unseren früheren Maßnahmen liegende Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer aufzuheben, glaubt daher der Episkopat das Vertrauen hegen zu können, daß die vorbezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen." 16 Dabei spielte zweifellos erheblich mit, daß es in der Erklärung der Regierung auch geheißen hatte, sie lege „den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhl weiter zu pflegen und auszugestalten". Die neuere Forschung hat wahrscheinlich gemacht, daß bei ersten Fühlungnahmen zwischen Regierung und katholischer Kirche wie auch dem Zentrum Vizekanzler von Papen - bis zum Austritt 1932 selbst zwölf Jahre preußischer Zentrumsabgeordneter gewesen - die Möglichkeit eines Reichskonkordats, jenes alten und bisher unerreichbaren Zieles des Vatikans, ins Spiel gebracht hat und wohl durch bestimmte Zusagen die versöhnliche Haltung der Kirche wie auch die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz erreicht werden konnte17, jenem Gesetz, das der Regierung die Gesetzgebungsvollmacht ohne Parlament übertrug und damit legal die Diktatur ermöglichte. Übrigens schrieb das in Westdeutschland weit verbreitete evangelische Wochenblatt „Licht und Leben" zu dem Reichstagsbeschluß: 40
„Dies eben ist ja das Eigentümliche an unserer Lage, daß selbst die Mittelparteien ... das verfassungsändernde Ermächtigungsgesetz der Reichsregierung bejaht haben. Diesmal ging es nach dem Wort: Ich kenne die Absichten der Regierung nicht, aber ich billige sie"!18
Die Reichstagung der DC und das Schweigen zur Judenfrage Mochten Optimisten annehmen, jetzt werde eine Zeit kooperativer Entwicklung einsetzen, wurden sie bereits wenige Tage später - die Dinge ereigneten sich in diesen Monaten in einer sich überstürzenden und kaum mitzuvollziehenden Rasanz - erneut aufgeschreckt. Vom 3. bis 5. April hielt die „Glaubensbewegung DC" in Berlin ihre erste Reichstagung ab. Aus ihrem Verlauf wurde alsbald deutlich, daß man zum Generalangriff zur Eroberung der Macht in der Kirche entschlossen war. Erneut trat der einstige Initiator, der inzwischen zum Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg aufgerückte Wilhelm Kube, in den Vordergrund. Er holte zu einem Schlag gegen die ihm verhaßten „reaktionären" Kirchenleitungen aus, indem er am Vorabend der Tagung jenen zitierten Rundbrief von Dibelius in seinem Parteiblatt „Der märkische Adler" abdrucken ließ und dann den Versammelten erklärte, „daß die preußische Landtagsfraktion der NSDAP rücksichtslos mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln des Etatrechts und der durch den Kirchenvertrag uns gegebenen Personalpolitik der Umstellung in unserem Volke auch auf dem Gebiet der Kirchenpolitik Rechnung tragen wird. Darum weise ich an dieser Stelle den unerhörten Angriff des D. Dibelius gegen unsere Bewegung zurück. Sie, meine Freunde, werden die 211 Mann der Preußenfraktion als Ihren Schutz und Ihre Vorkämpfer sehen bei dem Bestreben, die deutsche Revolution im Sinne Martin Luthers auch im 20. Jahrhundert voranzutragen." 19 In den Referaten und Entschließungen wurde die Umgestaltung der kirchlichen Verfassungen im Sinne des Führerprinzips, die Gleichschaltung von Staat und Kirche, unter Umständen mit Hilfe von Staatskommissaren, gefordert und in der von DC-Reichsleiter Hossenfelder eingebrachten Schlußresolution das Recht der Gläubigen zur Revolution proklamiert „auch einer Kirchenbehörde gegenüber, die die nationale Erhebung nicht vorbehaltlos anerkennt". Für die kirchliche Öffentlichkeit aber war insbesondere das Auftreten Kubes alarmierend, das als unmittelbarer Angriff von Staat und Partei auf die Kirche verstanden werden mußte und damit die Zusicherungen Hitlers Lügen strafte. 41
Dieses Alarmsignal traf die Verantwortlichen der evangelischen Kirche in eigenen schwerwiegenden Erwägungen. Es war j a nicht zu verkennen, daß das stürmische Verlangen nach Konzentration aller Kräfte auch für die künftige Gestalt der evangelischen Kirche Auswirkungen haben mußte, zumal in den gleichen Tagen das erste Gesetz über die Gleichschaltung der deutschen Länder erschienen war. Auch war der Leitung des Kirchenbundes nicht unbekannt geblieben, daß mit der katholischen Kirche bereits Kontakte bestanden und der Gedanke eines Konkordats erwogen werde. All dies veranlaßte den Präsidenten des Kirchenbundes und zugleich des altpreußischen E O K , Dr. Hermann Kapler, den maßgebenden Repräsentanten des deutschen Protestantismus, mit der neuen politischen Führung Kontakt aufzunehmen, woraufhin für den 1. April ein erstes Gespräch mit Innenminister Frick und für den 8. April mit Hitler selbst vereinbart wurde. In die Beratungen der Leitungsgremien über die Standortbestimmung gegenüber der politischen Wende wie auch über notwendige kirchliche Reformen, wobei es sowohl um einen engeren Zusammenschluß als auch um Wahrung der unterschiedlichen Bekenntnisgrundlagen der Landeskirchen gehen mußte, traf unerwartet der offene Angriff Kubes und der DC mit der Parole vom Recht auf Revolution auch in der Kirche. Der E O K sah sich, da j a Preußen unmittelbar betroffen war, zu sofortigem Protest genötigt. Der Oberpräsident habe den „Eindruck eines beabsichtigten staatlichen Eingriffs in die kirchliche Sphäre" erweckt, der mit der Regierungserklärung des Reichskanzlers unvereinbar sei. Den „völlig ungewöhnlichen öffentlichen Angriff eines hohen preußischen Staatsbeamten auf einen hohen Würdenträger unserer Kirche" vermöge der Inhalt jenes Rundbriefs von Dibelius „in keiner Hinsicht zu entschuldigen". 20 Dieser Vorgang gerade in der Woche zwischen den vereinbarten Gesprächen hatte zur Folge, daß Hitler sich der Begegnung mit dem Präsidenten verweigerte und ihn durch Staatssekretär Lammers empfangen ließ, was einer Brüskierung gleichkam. Die Öffentlichkeit erfuhr davon naturgemäß nichts. Gleichzeitig aber machte den Verantwortlichen in der Kirche noch ein anderes Problem zu schaffen: die mit einem Mal brennend gewordene Judenfrage. SA-Schlägertrupps hatten in den ersten Wochen nach der Wahl nicht nur Jagd auf noch freie Kommunisten gemacht oder Sozialdemokraten und Gewerkschaftler zusammengeschlagen und in die neuen K Z verschleppt. Jetzt kam es auch zu ersten, wenn auch sporadischen Übergriffen gegen Juden, so einem Überfall auf das Landgericht in Breslau, wo mit „Juden raus" Anwälte und Richter vertrieben wurden, was sich auch 42
andernorts wiederholte. Hausverbote gegen jüdische Juristen folgten. Aber, wie Scholder berichtet 203 , „auch Professoren und Künstler, Journalisten und Ärzte sahen sich fast über Nacht in einen Zustand der Rechtlosigkeit versetzt, der sie zum wehrlosen Opfer ungezählter Beleidigungen, Drohungen, Kränkungen und Verfolgungen werden ließ", Vorgänge, die sich jedoch meist innerhalb der verschiedensten Institutionen oder Dienststellen vollzogen und von der breiten Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurden. „Das stille Pogrom", schrieb Jochen Klepper am 27. März in seinem Tagebuch, „hat heut einen Höhepunkt erreicht." So erfuhren es Betroffene. Doch gelangten Nachrichten darüber in die ausländische Presse, überall erschienen schockierende Berichte, und mit einem Mal wurden die leitenden Kirchenbehörden in Berlin durch eine ganze Reihe nachdrücklicher Proteste aus ökumenischen Kreisen in England, Amerika, Skandinavien überrascht, die eine klare kirchliche Stellungnahme gegen die beginnende Judenverfolgung forderten. Aber auch die Regierungsstellen wurden durch die Protestwelle in der Auslandspresse alarmiert und laut Tagebuchaufzeichnungen Goebbels stark beunruhigt. Nun geschahen erstaunliche Dinge: Kirchenbundesamt, preußischer EOK, aber auch eine ganze Reihe ökumenisch engagierter Einzelpersonen erklärten um den 25. bis 27. März, die Berichte seien teils aufgebauscht, teils erfunden und von Judenpogromen könne keine Rede sein. Das Telegramm des EOK an die zentralen kirchlichen Stellen in den USA lautete: „Warne dringend, übertriebenen und erdichteten Berichten über Terror in Deutschland Glauben zu schenken", und Präsident Kapier selbst fügte seinen Warnungen hinzu: „Unparteiische Augenscheinnahme hiesiger Verhältnisse jederzeit möglich und erwünscht."21 Man hat oft gefragt, wie dies möglich war, ob man von den Ausschreitungen nicht wußte oder sie für vorübergehende Einzelerscheinungen ansah, oder ob etwa ein entsprechender Wink von Regierungsseite dahintergestanden habe, zumal auch verschiedene Regierungsstellen vom Kirchenbundesamt über das Veranlaßte unterrichtet wurden. Das Wahrscheinlichste dürfte noch sein, daß die positive Beurteilung der Gesamtsituation seit der Regierungserklärung es geradezu gebot, „die großen Zusammenhänge" zu sehen und etwa gegenteilige Erscheinungen als Übergriffe untergeordneter Stellen, als revolutionäre und von der Regierung selbst abgelehnte Auswüchse zu bewerten. Dies dürfte bei der Mehrheit wohl ehrliche Überzeugung gewesen sein.
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Aber die Telegramme waren kaum abgesandt, als ein oder zwei Tage später die Öffentlichkeit durch die Ankündigung des Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April überrascht wurde und wiederum wenige Tage später mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" die Entfernung von Juden aus der Beamtenschaft folgte. Die beschwichtigenden Telegramme erwiesen sich als Täuschung und die kirchlichen Repräsentanten selbst als die Getäuschten, wiewohl jetzt Ausschreitungen in der Tat verboten waren und der Boykott darum auch, trotz mancher Übergriffe im einzelnen, noch ohne größere Exzesse verlief. Jetzt häuften sich aber die Stimmen aus den Landeskirchen, die von den Leitungsorganen in Berlin einen deutlichen Protestschritt bei der Regierung verlangten. Der alte Freiherr von Pechmann, lange Jahre Präsident des Evangelischen Kirchentages - damals der Synode des Kirchenbundes - war hier am klarsten und unerbittlichsten. Aber auch der württembergische Kirchenpräsident Wurm forderte schriftlich und telefonisch noch am 30. März ein Wort der Kirche zum Judenboykott und mußte sich die Gegenfrage stellen lassen, ob denn wirklich „gerade dieser Protest das erste Zusammentreffen zwischen Kirchenausschuß und Reichsregierung darstellen" solle; das erste Gespräch fand ja eben am 1. April statt. Wurm mußte das akzeptieren und antwortete mit dem für die damalige Situation treffenden Seufzer, man könne mit dem Tempo der Entwicklung einfach nicht mehr mitkommen. 22 So unterblieb schmerzlicherweise - gerade in den Anfangen ein Wort zur Judenfrage. Als am 25. April der Kirchenausschuß, das Leitungsorgan des Kirchenbundes, zusammentrat - ich folge hier dem Bericht eines Teilnehmers, des Vertreters der Frankfurter Landeskirche, Kirchenrat D. Johannes Kübel, dessen Aufzeichnungen sich mit anderen Zeugnissen und Aktenunterlagen in allem Wesentlichen decken23 ergab sich aus dem Bericht Kaplers, daß er sowohl Frick wie Lammers gegenüber erklärt hatte, „daß die Kirche das Reich selbstverständlich im Kampf gegen Greuelpropaganda unterstütze" - ein verräterischer Ausdruck aus der Weimarer Zeit! - , „auch die jüdische Gefahr durchaus kenne, aber sich in ihrem christlichen Gewissen mit der Art der Bekämpfung der Juden nicht abfinden könne" und „daß die geplanten Gesetze gegen nichtarische Beamte, Rechtsanwälte und Ärzte das christliche Gewissen schwer belasten". „Am 26. April wurde die Judenfrage besprochen. Wohl jedes Mitglied des Kirchenausschusses war nach Berlin mit der festen Überzeugung gekommen, daß der Ausschuß irgendwie das Wort zur Judenfrage nehmen müsse. Der Münchener Pechmann eröffnete die Aussprache. Er bat um 44
Schutz der Kirchenglieder, die aus dem Judentum stammen, und um Abweisung der Lieblosigkeit und des Unrechts im Kampf gegen die Juden..." Aber: „Der Ausschuß ging gleichwohl ohne dieses Wort auseinander. Einzelne Mitglieder lehnten die staatliche Judenpolitik weniger scharf ab, andere erklärten, die Entrüstung des Auslands sei künstlich gemacht, andere glaubten, aus religiösen Gründen der Obrigkeit nicht in den Arm fallen zu dürfen, andere erhofften sich von einer Arbeit hinter den Kulissen mehr Erfolg . . . Aber trotz aller Ablehnung der staatlichen Judenpolitik setzte sich schließlich der Gedanke durch, daß eine öffentliche Kundgebung, auch wenn sie noch so vorsichtig gefaßt sei, den Juden keinerlei Nutzen und der Kirche nur Schaden bringen und ihr ohnehin schon gespanntes Verhältnis zum Staat und zur Partei untragbar belasten würde. . . . Erschütternd war das Wort des Juristen Kapler: ,Darin sehe ich das Gesetz der Sünde, daß ich in dieser Frage nicht so handeln kann, wie mir mein Gewissen bezeugt, daß ich handeln müßte.'" Zum Hintergrund dieses Versagens ist noch ein Doppeltes hinzuzufügen: Es war einmal die mehr oder weniger offene antisemitische Grundstimmung, bestärkt durch den Eindruck eines allzu großen jüdischen Einflusses im öffentlichen Leben, die auch in kirchlichen Kreisen im Schwange war. Mindestens ebenso wirksam war die uralte antijudaistische Tradition, die jahrhundertelang wie selbstverständlich die Kirchen beherrschte. Auf eine kurze Formel gebracht: Israel steht unter dem Fluch und wird darum zum Fluch für die Völker; was sich an ihm vollzieht, ist Gottes Zorngericht. Aus dieser Tradition kamen nicht nur die Älteren her, in ihr sind auch wir, die wir Mitte bis Ende der zwanziger Jahre studierten, noch ganz unreflektiert aufgewachsen. Als Beleg zitiere ich den damaligen Vorsitzenden des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, einen geachteten Kirchen- wie Gemeinschaftsmann, D. Walter Michaelis, der eben im Frühjahr 1933 schrieb 24 , es sei schon längst seine Überzeugung gewesen, „daß die Völker den Willen Gottes über das Volk Israel falsch verstanden haben, als sie ihnen in ihren Ländern volles bürgerliches Heimatrecht gaben. Die Zerstreuung Israels unter die Völker ist Gottes Fluch über die Juden." Bis zu ihrer neuen Sammlung „sollen sie zerstreute, heimatlose Kinder ihres Volkes in der Fremde unter allen Völkern sein . . . Nun will die neue Regierung den Einfluß der Juden zurückdämmen. Wenn es dabei zu Mißhandlungen oder geistigen Roheiten gekommen ist, so verurteilen wir das wie jede Roheit gegen einen Menschen; auch die Regierung hat es streng untersagt. Aber wenn ein Volk den Israeliten als Israeliten in seinen Rechten vom Deutschen unterscheidet, so haben wir von der Bibel aus keinen Einwand dagegen zu erheben." 45
Und dann folgt, mit dem theologischen Urteil das politische unmittelbar verbunden: „Der jüdische Einfluß in unserem Volk war ungeheuer... Drei Viertel der deutschen Presse war oder ist in jüdischen Händen. Wie groß der jüdische Einfluß in der Hochfinanz war, ist weltbekannt... Was ihnen nicht gefiel in Theater, Presse, Finanz, sehr oft auch auf den Lehrstühlen der Professoren, kam nicht hoch. Juden und Judengenossen mußten es sein. Von diesem Judentum mit seinem gewaltigen Einfluß hat einer der berühmtesten deutschen Geschichtsforscher, Theodor Mommsen, ... einmal gesagt: ,Das Judentum hat sich in allen Völkern erwiesen als ein Ferment der Dekomposition'...", hat also „im Volkskörper der anderen Völker wie ein zersetzendes Gärungsmittel gewirkt". Immerhin wird auch gesagt: „Das dürfte nicht gelten von den orthodoxen, dem Gesetz und den Propheten glaubenden frommen Juden, ... deren aufrichtige Frömmigkeit Hochachtung abnötigt... Das Gesagte gilt vielmehr von dem glaubenslosen und grundsatzlosen Judentum ... Daß hier entschlossen Dämme aufgerichtet werden, muß uns nicht nur um unseres Volkes willen, sondern auch um des Evangeliums willen mit Dank erfüllen." Dieses Ineinander von Theologischem und Politischem kennzeichnete weithin die Haltung christlicher Kreise zur Judenfrage und hat zweifellos zu dem Schweigen mit beigetragen. Auch Christen sprachen also von den Juden als „Ferment der Dekomposition", wie es vielen aus den haßerfüllten Reden Hitlers noch deutlich in Erinnerung ist. Dabei wurde Mommsen übrigens mißbräuchlich zitiert. Denn sein Urteil „Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition" war eher im positiven Sinne - als ein bei all seinen Eigentümlichkeiten die verschiedenen Völkerschaften übergreifendes und einem sich abkapselnden Nationalismus wehrendes Element - zu verstehen.25
Hauptziel: Neue
Kirchenverfassung
Im Ergebnis dominierten also die Fragen und Sorgen um den weiteren Weg der Kirche selbst. Doch sollte man den Verantwortlichen nicht unterstellen, es sei ihnen primär um Wahrung des Bestandes und wirtschaftliche Sicherung gegangen. Wer etwas zu sehen vermochte, wußte, daß die geistliche Existenz der Kirche, die Erfüllung ihres Verkündigungsauftrages auf dem Spiel stand. Die Reichstagung der DC hatte die Gefahr deutlich genug gemacht, daß sie zum Instrument der politischen Kräfte werden sollte. Zugleich aber traf die von den DC geschickt an die erste Stelle 46
gerückte Forderung nach Zusammenfassung der aus kleinstaatlicher Vergangenheit stammenden 28 Landeskirchen zu einer geschlossenen, starken „Reichskirche" mit einem verbreiteten Verlangen in der Kirche selbst zusammen. Präsident Kapler hatte schon seit einiger Zeit vorbereitende Beratungen zu solchem Ziel veranlaßt und entschloß sich jetzt, die Aufgabe der Kirchenreform ohne Verzögerung in Angriff zu nehmen. Er berief am 22. April, ohne die Sitzung des Kirchenausschusses am 25. abzuwarten, den lutherischen Landesbischof Marahrens, Hannover, und den reformierten Studiendirektor Hesse, Elberfeld, um zusammen mit ihnen die Arbeit an der neuen Verfassung aufzunehmen. Offenbar war höchste Eile geboten, um dem drängenden Ansturm der DC zuvorzukommen, die die Initiative an sich reißen wollten und bereits die Zuziehung zu sämtlichen Leitungssitzungen der altpreußischen Kirche gefordert hatten. So beanstandete denn auch der Kirchenausschuß den Schritt seines Präsidenten nicht, sondern erteilte „mit überwältigender Mehrheit Kapler die Vollmacht, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen"; Hauptziel sei „die schnellste Herbeiführung einer neuen Kirchenverfassung".26 Daß der Dreierausschuß entsprechend den in den Kirchen geltenden Bekenntnissen zusammengesetzt war - Kapier selbst vertrat darin die Union - , korrigierte bereits die allein auf Geschlossenheit gerichteten, unitarischen Vorstellungen der DC. Dagegen war erst wenige Tage zuvor die Bekenntnisfrage durch einen stark beachteten Aufruf des früheren Generalsuperintendenten Zoellner von Westfalen als entscheidend herausgestellt worden: „Die Bekenntnisgrundlage der verschiedenen evangelischen Kirchen ist unantastbar ... Auch in Führung und Lehre, in Verkündigung und Unterricht hat die Gestaltung kirchlichen Lebens vom Bekenntnisse her zu geschehen ... Darum ersehnen wir die Bildung einer evangelischen Kirche deutscher Nation auf klarer Bekenntnisgrundlage."27 Der Aufruf war als Gegenposition zu den DC gedacht, wurde aber stärker als lutherisch-konfessioneller Vorstoß verstanden und ließ damit eine weitere Frontstellung erkennen, die später noch weitreichende Wirkungen haben sollte. Unmittelbarer Anlaß für den raschen Entschluß Kaplers war, daß am Morgen des gleichen 22. April die Einsetzung eines Staatskommissars in Mecklenburg-Schwerin bekannt geworden war, der im Auftrag des Ministerpräsidenten Granzow „zum Zwecke der Gleichschaltung des Kirchenregiments mit dem Regiment in Staat und Reich" am selben Morgen 8 Uhr, „die gesetzgebende, richterliche und ausfuhrende Gewalt in 47
der Landeskirche, insbesondere alle Befugnisse des Oberkirchenrats" zu übernehmen hatte.28 Dies war ein Alarmzeichen ersten Ranges und schien eine erste konkrete Folge der DC-Reichstagung zu sein. Als Kapler drei Tage später endlich von Hitler empfangen wurde - am Mittag des 25. April, unmittelbar vor der Sitzung des Kirchenausschusses - trug er, wiederum nach den Aufzeichnungen Kübels, nach allgemeiner Darlegung der evangelischen Sicht des gegenseitigen Verhältnisses dies als gravierenden Tatbestand vor: „Das Vorgehen gegen die Kirche in Mecklenburg habe in allen Landeskirchen Empörung hervorgerufen. Auch dem geringsten katholischen Kaplan wage man nicht derart brutal zu kommen wie jetzt dem Bischof von Mecklenburg. Dabei stehe doch die evangelische Kirche dem Nationalsozialismus günstiger gegenüber als die katholische. Hier unterbrach Hitler den Präsidenten: Von dem Vorgehen der Mecklenburger Regierung habe er nichts gewußt, auch werde die Sache jetzt abgebogen. Der katholischen Kirche habe man übrigens ganz andere Dinge zugemutet; sie habe sein Wort hören müssen, daß er nicht in die Kirche gehe", - gemeint war der Tag von Potsdam - „und habe sich danach umgestellt. In Sachen der evangelischen Kirche sei er in einer schwierigen Lage, weil er selbst Glied der katholischen Kirche sei. Wie immer er Stellung nehme, werde es ihm verdacht werden ... Hätten sich die Kirchen früher an die Seite des Nationalsozialismus gestellt, dann wäre das Verhältnis viel besser. An einen Staatskommissar für die Kirchen denke er nicht von ferne ... Als Staatsmann habe er das größte Interesse an einem einheitlichen protestantischen Block, schon als Gegengewicht gegen den Katholizismus." Und dann teilte Hitler mit, „sein amtlicher Mittelsmann in den evangelisch-kirchlichen Dingen sei Minister Frick, zu seinem persönlichen Berater in diesen Fragen habe er heute den Wehrkreispfarrer Müller ernannt". 283 Der Mecklenburger Eingriff stellte sich also als lokale Eigenmächtigkeit heraus, von der selbst die DC nichts wußten und abrückten; der Kommissar verschwand und nach einigen Monaten auch sein Auftraggeber. Von ungleich größerer Bedeutung aber war die letzte Mitteilung Hitlers, denn damit kam der Name ins Spiel, der das Geschehen nicht nur der nächsten Monate bestimmen sollte: Ludwig Müller. Als Wehrkreispfarrer in Königsberg war er seit 1927 mit Hitler bekannt, dem er auch Kontakte zur Reichswehr und General von Blomberg, Hitlers späterem Reichswehrminister, vermittelt haben soll.. Müller war seit 1932 Landesleiter der DC in Ostpreußen. „Er war in seinem Amt der Typ des frommen Routiniers, der sich allen Situationen anzupassen verstand und 48
die Sprache der pietistischen Kreise Westfalens ebenso beherrschte wie den forschen Ton der Reichswehrkasinos."29 Aufgrund ihrer alten Verbindung sah Hitler, der sich offensichtlich in Fragen der evangelischen Kirche unsicher fühlte, in ihm einen geeigneten und willfahrigen Gewährsmann, der dafür sorgen sollte, die NS-Ziele in der evangelischen Kirche zu verwirklichen. Er erkannte wohl zu spät, daß seine Wahl ein Mißgriff war. Müller entfaltete rasch Aktivitäten nach verschiedenen Seiten hin. Zunächst schaltete er sich in die Beratungen des Drei-Männer-Kollegiums ein, das ihn dann zu Sitzungen zuzog, wobei sich laut gemeinsamer Erklärung „eine hoch erfreuliche Übereinstimmung" in der Aufgabe ergeben habe. Bei aller Reserve, mit der man Müller begegnete, schien er durch seine Anpassungsfähigkeit Vertrauen gewinnen zu können. Zugleich aber richtete er sein Augenmerk auf die DC, denen er zwar selbst angehörte, die sich aber mit ihrem Reichsleiter Hossenfelder, obwohl dieser im April zum Hilfsreferenten in die Kirchenabteilung des preußischen Kultusministeriums berufen worden war, jetzt aus dem entscheidenden Geschehen ausgeklammert sahen. Um auf den Gang der Dinge wieder Einfluß zu gewinnen, reichten sie am 5. Mai dem Drei-MännerKollegium zehn Grundsätze über die künftige Reichskirche ein: eine „Ev. Reichskirche lutherischer Prägung unter Eingliederung der reformierten Gemeinden", „die die Hoheit des nationalsozialistischen Staates aus Glauben anerkennt" und Kirche „der Christen arischer Rasse" ist; die Verkündigung unter den Fremdstämmigen ist Sache der Äußeren Mission. Die „Reichskirche gliedert sich in nicht mehr als zehn Kirchenländer, an deren Spitze je ein Landesbischof steht", sie wird geführt vom lutherischen Reichsbischof mit Sitz in Wittenberg, dem ein reformierter Reichsvikar zur Seite steht. Über die Reichskirche in diesem Sinne und über die Person des Reichsbischofs entscheidet das gesamte evangelische Kirchenvolk unter Ausschluß von Nichtariern am 31. Oktober 1933 durch Urwahl. 30 Müller war klar, daß dieses Konzept für seine Partner im Kirchenbund unannehmbar sein mußte. So bemühte er sich, unter Ausschaltung dieser störenden radikalen Konkurrenz eine kirchlich eher tragbare Gegenposition aufzubauen. Er hatte nach seiner Ernennung einige Universitätstheologen als Berater gewonnen, so Emanuel Hirsch, Göttingen, Friedrich Karl Schumann, Halle, Hermann Wolfgang Beyer, Greifswald, und Karl Fezer, Tübingen, der als „Vertrauensmann des Theologischen Fakultätentages in den zu lösenden Kirchenfragen" nun in enge Arbeits49
gemeinschaft mit Müller eintrat. Dieser griff auf jene ostpreußischen Richtlinien der DC von 193231 zurück, an denen er selbst beteiligt gewesen war, ließ sie von Fezer überarbeiten und erwirkte Hitlers Zustimmung dazu. Zur Illustration dazu, wie die Dinge sich vollzogen, seien einige Sätze aus Fezers emphatischem Bericht wiedergegeben: „Es war für uns einfach ergreifend, als der Wehrkreispfarrer Müller anfragte in der Reichskanzlei, am Montagabend (14. Mai). Da hat dieser vielbeschäftigte Mann den Empfang zugesagt und hat diese Richtlinien mit dem Wehrkreispfarrer Müller durchgesprochen und hat sein Ja dazu gesprochen ... Ich sage, der Herr Reichskanzler hat diese Sätze gelesen, hat sie anerkannt und hat, um eine klare Marschrichtung zu gewinnen, dem Wehrkreispfarrer Müller die Oberleitung über die Glaubensbewegung ,Deutsche Christen' übertragen. Das war am Dienstag zwischen 11 und 12 Uhr." Und zu der für Müller typischen Haltung, als man noch ein „gemeinsames Glaubensbekenntnis" besprach, „als Signal der Sammlung des evangelischen Kirchenvolkes in Deutschland": „Am Morgen des Mittwoch sagte der Wehrkreispfarrer Müller - ich erzähle das, daß Sie ein Bild von diesem Mann bekommen - : ,Jeder von uns geht jetzt auf sein Zimmer in die Stille, und da soll er horchen, was ihm geschenkt wird.' Es mochte noch nicht eine Stunde vergangen sein, da bat der Wehrkreispfarrer mich zu sich. Er legte mir etwas vor und sagte: ,Können Sie das unterschreiben?' Ich antwortete: ,Vom ersten bis zum letzten Wort.'" 32 Müller hatte ein Doppeltes erreicht: Er hatte Thesen vorgelegt, jetzt mit seinem Namen als „Müllersche Richtlinien" verbunden, die in ihren gemäßigten Formulierungen und Zielsetzungen - dem deutschen Volk den durch das Evangelium aufgetragenen Dienst tun, „Deutsche Evangelische Kirche" statt „Reichskirche", „völlige Wahrung des Bekenntnisstandes der Reformation", Bejahung der Heidenmission als „Bekenntnishandlung der Kirche", nichts von Rassenpolemik, Selbstverpflichtung zum Dienst in den Gemeinden 33 - auch den Kirchenleuten akzeptabel sein konnten und einen positiven Abschluß der Verfassungsarbeit ermöglichten, ohne daß auch eine Füllung mit NS-Zielen verhindert war; über die kritischen Fragen schwiegen sich diese Richtlinien einfach aus und konnten so oder so gehandhabt werden. Auf der anderen Seite hatte Müller durch Hitlers Machtwort die „Oberleitung" der DC in die Hand bekommen, ein eigenmächtiges Vorgehen des Kreises um Hossenfelder ausgeschaltet und auf diese Weise die DC statt eines revolutionären Haufens zu einem für die Kirche ernstzunehmenden Partner gemacht. Hossenfel50
der selbst fügte sich, unterschrieb die Müllerschen Richtlinien neben diesem selbst und Fezer und veröffentlichte sie in seinem Wochenblatt „Evangelium im Dritten Reich". Müller sah sich selbst, auch wenn nicht nachzuweisen ist, ob ihm das von Hitler bereits zugesagt war, als den künftigen Reichsbischof an. So stimmte er den vom Kapler-Ausschuß erarbeiteten Grundzügen der neuen Verfassung („Loccumer Manifest") und sogar dem vorgesehenen modus procedendi zu, wonach der Reichsbischof durch die Repräsentanten der Landeskirchen und das DreiMänner-Kollegium bestimmt und erst dann der Regierung mitgeteilt werden sollte; also weder Urwahlen noch vorherige Mitwirkung des Staates. Nur weil Müller an seiner Berufung nicht zweifelte, konnte er dies Zugeständnis machen. Inzwischen aber hatten jene zehn Grundsätze des Hossenfelderkreises zur künftigen Reichskirche eine Reaktion hervorgerufen, die nicht vorauszusehen war und die Situation von Grund auf veränderte.
Die Jungreformatorische Bewegung (JB) und die Wahl Bodelschwinghs Schon seit einiger Zeit hatte sich eine Reihe jüngerer Pfarrer in Berlin in Sorge um die Entwicklung zusammengefunden. Jetzt aber konkret herausgefordert durch den unverhüllten Führungsanspruch der DC und die radikalen Forderungen ihrer zehn Grundsätze vom 4. Mai entschlossen sie sich zum offenen Widerspruch und traten am 9. Mai mit einem Aufruf in die Öffentlichkeit. Ihre Sprecher waren Otto Riethmüller, Leiter des Burckhardthauses, der Zentrale der evangelischen Mädchenarbeit in Berlin-Dahlem, Walter Künneth, Leiter der Apologetischen Zentrale in Spandau, und Hanns Lilje, der Generalsekretär der DCSV. In dem Aufruf gab es auf den ersten Blick eine Reihe Berührungspunkte zu den Müllerschen Richtlinien. Von dem „freudigen Ja zum neuen deutschen Staat" war ebenso die Rede wie davon, daß die Kirche „sich zugleich in unlöslichem Dienst an das deutsche Volk bindet". Ferner wurde gefordert, „daß der Neubau der evangelischen Kirche deutscher Nation so schnell wie möglich durchgeführt" und daß „die Vergreisung in Ämtern und Körperschaften durch stärkere Heranziehung jüngerer Kräfte, besonders aus der Frontgeneration, beseitigt wird". Aber einige entscheidende Punkte machten den Gegensatz deutlich. So schon der erste Satz: „Wir fordern, daß bei den kommenden Entscheidungen einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus gehandelt wird" und daß sie „den ihr von Gott ge51
gebenen Auftrag in voller Freiheit von aller politischen Beeinflussung erfüllt." Die Verfasser lehnen im Glauben an den Heiligen Geist „grundsätzlich die Ausschließung von Nichtariern aus der Kirche ab". „Die Ernennung eines Reichsbischofs hat umgehend, und zwar durch das bestehende Direktorium, zu erfolgen." Urwahlen werden abgelehnt.34 Damit waren gerade die kritischen Punkte der DC-Grundsätze, zu denen die Müllerschen Richtlinien nur geschwiegen hatten, eindeutig zurückgewiesen. Das positive Echo aus dem ganzen Reich war erstaunlich. Auch Martin Niemöller, Dahlem, stieß nach wenigen Tagen dazu. Gewiß waren die Unterzeichner der unterschiedlichsten theologischen Herkunft, und es war auch mehr das Nein, das sie verband. Doch eben diese Erkenntnis einer tödlichen Gefahr für die Kirche führte sie zusammen. Und nun war mit ihrer Forderung der umgehenden Ernennung des Reichsbischofs die Personalfrage in den Vordergrund getreten. Während Müller noch glauben mochte, man werde nicht wagen, an ihm als dem Vertrauensmann Hitlers vorbeizugehen, und während die DC in Gesprächen oder auch durch ein Telegramm ihrer ostpreußischen Mitglieder deutlich werden ließen, daß für sie nur Müller in Frage kam, taten die Jungreformatoren einen entscheidenden Schritt: Künneth und Niemöller entwarfen 16 Thesen, die den Aufruf noch konkreter ausführten, in Abgrenzung von den Müllerschen Richtlinien die entschlossene Abwehr auch der völkischen Irrlehren verlangten, „eine schematische Übertragung politischer Gleichschaltung auf die Kirche" zurückwiesen und der erneuten „Forderung nach sofortiger Ernennung des Reichsbischofs" hinzufügten, dafür komme „nur ein Geistlicher in Frage, der das Vertrauen der betenden und arbeitenden Gemeinden besitzt. Wir denken an einen Mann wie Friedrich von Bodelschwingh."35 Diese am 19. Mai veröffentlichten Thesen lösten eine Lawine aus. Natürlich kann man fragen, ob diese Bekanntgabe eines Namens nicht ein anfechtbarer und voreiliger Schritt gewesen sei und damit letztlich das Scheitern Bodelschwinghs verursacht habe. Jedoch ergibt sich aus einer im Auftrag der Jungreformatorischen vorgelegten Denkschrift von Künneth mit allen Einzeldaten, daß sich bei einer Reihe von Kontakten mit den gemäßigten DC herausgestellt hatte, daß schon seit Mitte April eine Festlegung auf Müller als Reichsbischof erfolgt war - also bereits vor dessen offizieller Ernennung zum Beauftragten Hitlers; es war nämlich bekannt geworden, daß er schon vorher als sein Vertrauensmann und Berater fungierte, nachdem er am 6. April in dieser Eigenschaft sogar Kapier aufgesucht hatte. Als in einem offiziellen Gespräch am 18. Mai auch Fe52
zer bestätigt hatte, daß nur Müller in Frage komme, sah man sich zum sofortigen Handeln genötigt. „Die Jungreformatorische Bewegung hat nicht voreilig den Namen ,Bodelschwingh' genannt und dadurch vorzeitig die Personalfrage in den Vordergrund gerückt, sondern nur in letzter Stunde die Antwort auf die schon feststehende Kandidatur,Müller' gegeben . . . Der Plan der DC bestand darin, offiziell die Personalfrage hinauszuschieben, um Zeit fiir eine intensive Propaganda zugunsten Müllers zu gewinnen."36 Diese politische Gleichschaltung der Kirche in der Person des leitenden Mannes versuchte man mit dem Namen Bodelschwingh, der in Kirche und Öffentlichkeit hohes Ansehen genoß, zu verhindern. Es folgten tumultuarische Wochen, die hier nur kurz skizziert werden können. Bereits in der folgenden, der Himmelfahrtswoche, fiel die Entscheidung. Nach einer stürmischen Sitzung der DC, bei der sich die Radikalen um Hossenfelder übrigens wieder durchsetzen konnten, meldeten sie am 24. Mai die Nominierung Müllers offiziell bei Kapler an und gaben sie bekannt. Angesichts sich häufender Meldungen seiner bereits erfolgten Ernennung entschlossen sich die drei Bevollmächtigten noch am gleichen Tag zur Bekanntgabe, daß Bodelschwingh zum Reichsbischof „ausersehen" sei, und schlugen ihn, der sich zunächst heftig sträubte, dann aber dem Drängen von allen Seiten nachgab, am 26. Mai dem Kirchenbundesrat, also den Vertretern aller Landeskirchen, zur Berufung vor. Nachdem zunächst Müller auf seine Bitte hin eine Wahlrede für sich gehalten hatte - die Kirchenbehörden müßten den Mut finden, mit den DC zusammenzugehen, sonst werde es Kampf geben; die DC würden ihr Ziel bestimmt erreichen37 - , zeigte sich, daß mit dem erhofften einmütigen Votum für Bodelschwingh nicht zu rechnen war. Vielmehr „vertraten eine Reihe von lutherischen Landeskirchen die Überzeugung, daß das Gebot der Stunde ein bedingungsloses Ja zur nationalsozialistischen Bewegung, zum neuen Reich und damit zu Ludwig Müller sei".38 Zwar wurde ein erster Antrag des Landesbischofs Rendtorff von Mecklenburg für Müller mit Mehrheit abgelehnt, aber auch gegen Bodelschwingh votierte zunächst eine Minderheit von immerhin 8 Kirchen. Erst bei der Schlußabstimmung am folgenden Tag erfolgte Bodelschwinghs Wahl gegen die Stimmen von nur drei Kirchen: Württemberg (Wurm), MecklenburgSchwerin (Rendtorff) und Hamburg (Schöffel). Ungeachtet seiner vorausgegangenen Zurückhaltung, trat er das Amt sofort entschlossen an. Ich erinnere mich, wie bei uns im hessischen Land, die wir die Dinge ja nur von ferne zur Kenntnis nehmen konnten, die Nachricht mit großer Er53
leichterung und Freude aufgenommen wurde. Und so war das Echo weithin in den Gemeinden. Nun jedoch setzte ein erbitterter Kampf der DC gegen Bodelschwingh und die ihn tragenden Kräfte ein. Zum Auftakt erklärte Müller selbst noch am gleichen Abend über den Rundfunk: „Die Kirchenregierungen haben den Ruf der Stunde nicht gehört. Sie haben nicht die Stimme Gottes vernommen, die durch die Bewegung in unserem Volke uns ruft zu wagender T a t . . . Aus dem gewaltigen Recht der geschichtlichen Stunde heraus weigern wir uns, die Entscheidung mit den Kirchenregierungen anzunehmen." 39 Hitler sagte Müller zu, den DC für vier Wochen den gesamten Parteiapparat zur Verfügung zu stellen. In der später bekannt gewordenen Anordnung des Stabsleiters Dr. Ley heißt es: „Die DC werden einen vierwöchentlichen Kampf aufnehmen. Die NSDAP hat diesen Kampf mit allen Mitteln zu unterstützen, ohne jedoch selbst den Kampf zu fuhren." 40 Es folgte eine schon rasch in die Öffentlichkeit gelangte Anweisung der Reichsleitung der DC vom 1. Juni, in der ein Propagandafeldzug angeordnet und allen Amtswaltern zur strengsten Pflicht gemacht wurde: Mit allen Parteidienststellen sei so schnell wie möglich eine Vereinbarung zu treffen, „daß der Organisationsapparat der politischen Bewegung unseren Kampf fordert und unterstützt. Es ist durchzusetzen, daß alle SA-, SS-, NSBO- und sonstige Formationen ..., soweit ihre evangelischen Mitglieder in Frage kommen, sofort Protesttelegramme absenden", und zwar an Kapler wie Müller, an den Reichspräsidenten und den Reichskanzler. Recht aufschlußreich auch der angeordnete Inhalt der Proteste gegen die Benennung Bodelschwinghs, weil dieser nämlich „1. nicht der persönliche Vertrauensmann des Kanzlers ist; 2. weil er nicht aus den Reihen der DC stammt; 3. weil das evangelische Kirchenvolk bei seiner Benennung völlig übergangen worden ist." Zugleich ist die Wahl Müllers zu fordern. Die gleiche Protestaktion wird angeordnet für kirchliche Körperschaften und Vereine, in denen die DC maßgeblichen Einfluß haben. Darüber hinaus „ist eine Versammlungswelle stärkster Art bis ins kleinste Kirchspiel hinein zu organisieren". Dafür und für entsprechende Pressepropaganda folgen ins einzelne gehende Anweisungen. Und dies alles „darf nicht um einen Tag verschoben werden", denn es „verbleiben insgesamt aus Gründen, die hier nicht näher erörtert werden können, nur drei Wochen Zeit".41 54
So lief mit massiver Unterstützung der Partei und der weithin bereits gleichgeschalteten Presse eine Propagandawelle großen Stils an - allerdings im wesentlichen in den großen Städten und wichtigeren Zentren, während in weiten Landstrichen, abgesehen von der Pressekampagne, davon gar nichts zu bemerken war, da es noch keine DC gab. Aber die Frage Bodelschwingh oder Müller erregte jetzt die gesamte Pfarrerschaft und Kirche, wobei die bewußt kirchlichen Gemeinden klar auf seiten Bodelschwinghs standen. Die Zustimmung ging bis in die Reihen der DC selbst hinein, die etwa in Westfalen, der Heimat Bethels, sich dem Verlangen der Reichsleitung überhaupt entzogen. Es waren tief bewegende Wochen. Zu den schmerzlichsten Erfahrungen gehörte freilich, daß in sechs Landeskirchen, die auch zuvor gegen Bodelschwingh votiert hatten, sein Pfingstwort an die Gemeinden nicht zur Verlesung kam. Dazu wurde auch seine Stellung in der Öffentlichkeit planmäßig untergraben. Presse und Rundfunk blieben ihm verschlossen. Müller, der erneut Rückendeckung bei Hitler suchte, konnte am 15. Juni öffentlich mitteilen, daß der Reichskanzler die „schwierige und durchaus unliebsame Entwicklung" außerordentlich bedaure, einen erbetenen Empfang sowohl der Bevollmächtigten als auch „des Herrn Pastors D. von Bodelschwingh" ablehne und auch ein Empfang beim Reichspräsidenten „zur Zeit ebenfalls nicht möglich" sei. Im übrigen bestehe ja ein anerkanntes Reichsbischofsamt noch nicht, solange nicht die Verfassung in Kraft sei, und diese bedürfe der Zustimmung des Kirchenvolkes wie des Reiches.42 Trotzdem ist wohl anzunehmen, daß auch auf Regierungsseite eine gewisse Ratlosigkeit bestand, zumal der Propagandafeldzug der DC jedenfalls nicht den Erfolg hatte, daß Bodelschwingh zum Verschwinden gebracht wurde. Dieser stand trotz aller bedrängenden Schwierigkeiten zu dem ihm gewordenen Auftrag. So suchte man wohl von staatlicher Seite einen Anlaß zum Eingreifen. Dieser ergab sich aus einem unerwarteten und fast tragisch zu nennenden Vorgang: Der 66jährige Präsident Kapler hatte am 6. Juni mit Rücksicht auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand seine Zurruhesetzung erbeten und einen Erholungsurlaub angetreten. Die gerade ihn in seiner verantwortungsvollen Position bis zum Äußersten beanspruchenden letzten Wochen und Monate mochten seine Kraft erschöpft haben. Sein Stellvertreter im Kirchenbund, Konsistorialpräsident Seetzen, Dresden, nahm hier seine Stelle ein. Für die Präsidentschaft im EOK sah der altpreußische Kirchensenat von einer formellen Neubesetzung ab, die nach dem preußischen Kirchenvertrag eine vorherige Anfrage beim Staat erfordert hätte, und beauftragte den rheinischen 55
Generalsuperintendenten Stoltenhoff mit der kommissarischen Versehung des Amtes, nachdem die Unanfechtbarkeit dieser Regelung aus dem Kultusministerium selbst bestätigt war. Jetzt sah Kultusminister Rust die Möglichkeit zum Eingreifen gekommen. Er beurlaubte den Leiter der Kirchenabteilung, der die Auskunft erteilt hatte, beauftragte den erst im Mai ins Ministerium berufenen Landgerichtsrat August Jäger aus Wiesbaden mit der Leitung und ernannte ihn am folgenden Tag, dem 24. Juni, unter der Begründung: „Die Lage von Volk, Staat und Kirche verlangt Beseitigung der vorhandenen Verwirrung", „für den Bereich sämtlicher evangelischer Landeskirchen Preußens zum Kommissar mit der Vollmacht, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen".43 Rust erklärte kurz darauf bei einer vom Rundfunk übertragenen DC-Kundgebung: „Ich habe feierlich zu erklären: die verantwortliche Leitung der Altpreußischen Kirche hat das Konkordat gebrochen und den Vertrag zwischen uns und ihr zerstört."44 Daß dies jedoch nur Vorwand sein konnte, ergab sich schon daraus, daß von der Maßnahme alle Kirchen in Preußen betroffen waren, also auch Hannover und Schleswig-Holstein ebenso wie die kleineren Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt, die mit der Beauftragung Stoltenhoffs nicht das geringste zu tun hatten. In denselben Tagen, 23. und 24. Juni, tagten in Eisenach Kirchenausschuß und Kirchenbundesrat, um nach Möglichkeit den Konflikt um die Wahl Bodelschwinghs zu klären und die Fertigstellung der Verfassung zu ermöglichen. Im Verlauf der schwierigen und durch Zwischengespräche mit den im Auftrag Müllers angereisten Professoren Fezer und Schumann weiter komplizierten Verhandlungen und der Suche nach einem Kompromiß - daß Bodelschwingh sich etwa einer Bestätigung seiner Wahl durch die künftige Synode stellen werde - zeigte sich erneut, daß aus den Reihen der lutherischen Kirchen - voran die erwähnten sechs: Bayern (dessen noch im Mai legal ins Amt gekommener Landesbischof Meiser den Konflikt mit dem Staat vermeiden wollte), Württemberg, Mecklenburg-Schwerin, Hamburg, Schleswig-Holstein und Thüringen sowohl rechtliche als vor allem auch politische Bedenken gegen die Entscheidung für Bodelschwingh erhoben wurden und man dort am liebsten seinen Rücktritt gesehen hätte. Bodelschwingh war dazu nicht bereit: „Ich fühle mich für die Fahne verantwortlich, die ich übernommen habe. Sie habe ich zu halten ... Gehe ich im Angriff nur einen Schritt zurück, dann ist die Schlacht verloren. Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen." 45
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In diese Situation hinein traf nun die schockierende Nachricht von der Ernennung des Staatskommissars für Preußen und seinen ersten Maßnahmen. Da besonders die lutherischen Bischöfe keine Neigung zeigten, diesem rechtswidrigen Eingriff gemeinsam zu widerstehen, erklärte Bodelschwingh am Abend des 24. Juni: „Durch die Einsetzung eines Staatskommissars für den Bereich sämtlicher evangelischen Landeskirchen Preußens ist mir die Möglichkeit genommen, die mir übertragene Aufgabe durchzuführen. Dies nötigt mich, den mir vom Deutschen Evangelischen Kirchenbund erteilten Auftrag zurückzugeben."46 Es war wohl kaum der alleinige und eigentliche Grund. Der mitbeteiligte Augenzeuge Kübel resümiert: „Nach meiner Überzeugung hätte Bodelschwingh den Kampf aufgenommen, wenn er die Kirchenbehörden geschlossen hinter sich gewußt hätte. So aber - ein durch die Deutschen Christen geteiltes Kirchenvolk und eine Anzahl uneiniger Kirchenbehörden - wie sollte er mit ihnen den Kampf führen?" 47 Der Versuch, mit seiner Wahl der auf dem Weg über die DC staatlich betriebenen Gleichschaltung der Kirche zuvorzukommen und ihre Eigenständigkeit zu wahren, war am Zurückweichen ihrer eigenen Repräsentanten gescheitert.
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3. Staatlicher Eingriff: Triumph und Niedergang der Deutschen Christen War schon in den vorangegangenen Wochen Hitlers proklamierte Neutralität in Kirchenfragen durchbrochen worden, angekündigt bei der Reichstagung der DC und schon praktiziert mit der Unterstützung ihres Kampfes gegen die Wahl Bodelschwinghs, so war mit Ernennung des Staatskommissars nun ein offener staatlicher Eingriff erfolgt, der die wahren Ziele der NS-Kirchenpolitik offenbarte. Neutralität galt nur solange, als man hoffen konnte, daß die evangelische Kirche sich mit Hilfe der DC würde gleichschalten lassen. Die mit der Wahl Bodelschwinghs dokumentierte Eigenständigkeit durchkreuzte Hitlers Programm. Sie zu zerbrechen, nahm man den offenen Eingriff in Kauf. Daß Hitler die Dinge so sah, ergab sich auch bei einem ganz unerwarteten Zusammentreffen eines Berliner Pfarrers mit ihm in der Vorhalle eines Gebäudes seines Gemeindebezirks wenige Tage nach der Ernennung Jägers, wo der Pfarrer ihn spontan auf die Vergewaltigung der Kirche ansprach. Hitler erwiderte u. a., die Kirche habe ihn „sehr vor den Kopf gestoßen durch die Ernennung Bodelschwinghs zum Reichsbischof'; gleichzeitig zog er sich - wie häufig in solchen Fragen - darauf zurück, von einer geplanten Proklamierung Müllers durch die DC sei ihm nichts bekannt, er hätte dazu auch nicht sein Jawort gegeben, denn erst sollte die Verfassung erstellt und von den Gemeinden gebilligt werden. Dies war die nachträgliche Lesart, entsprach aber nicht dem mit Müller vereinbarten modus procedendi. Entscheidend war nicht das Verfahren, sondern die Tatsache der eigenständigen kirchlichen Entscheidung: „Die Kirche hätte mich nicht vor den Kopf stoßen sollen. Die Kirche darf nicht unserer Zeit und Bewegung feindlich gegenüberstehen."1
Die Herrschaft des
Staatskommissars
Die Hintergründe der Beauftragung des bisher nur in Wiesbaden als Parteigenosse und DC bekannten August Jäger sind nur zu vermuten. Denkbar ist, daß der junge Staatssekretär im Kultusministerium, Dr. Stuckart, der Referendar in Wiesbaden gewesen war, ihn bei Rust als Hilfsreferenten in Vorschlag brachte und Jäger dann mit Stuckart und Hossenfelder in einer engen Arbeits- und Gesinnungsgemeinschaft stand. 58
Walter Conrad, als Ministerialrat im Reichsinnenministerium bis zum Entzug seines Referats im Februar 1934 für Kirchenfragen zuständig und darum mit den Verhältnissen näher vertraut, spricht im Blick auf die Personalpolitik im preußischen Kultusministerium sehr drastisch von einem „Sammelsurium von Dilettanten, Narren und Schuften" und über Jäger selbst von einem „Kombinat von Dummheit, Aufgeblasenheit, Frechheit und Niedertracht". 2 Mag dabei die Bitterkeit über eigene Ausschaltung mitsprechen, die künftigen Erfahrungen sollten zeigen, daß das vernichtende Urteil nicht grundlos war. Die drei Wochen des Staatskommissariats Jäger waren an Turbulenz und Verwirrung kaum zu überbieten. In seinen Tag um Tag aufeinander folgenden Anordnungen übernahm er, schon am Tag der Beauftragung, die Geschäfte aller Landeskirchen in Preußen, löste „mit sofortiger Wirkung sämtliche gewählten kirchlichen Vertretungen in den evangelischen Landeskirchen Preußens a u f , ernannte am nächsten Tag „zur freien Entfaltung der evangelischen Kirche nach ihrem ureigenen inneren Wesen" zum kommissarischen Präsidenten des EOK den Rechtsanwalt Dr. Werner (DC), unter Übertragung sämtlicher Befugnisse des Kirchensenats auf ihn, und zum geistlichen Vizepräsidenten Pfarrer Hossenfelder, ferner jeweils einen Bevollmächtigten für jede Provinzial- oder Landeskirche (für Nassau und Frankfurt seinen eigenen Schwager Pfarrer Walther), beauftragte sie mit der Neubildung der kirchlichen Körperschaften und übertrug ihnen gleichzeitig „sämtliche Befugnisse aller aus den gewählten kirchlichen Vertretungen hervorgegangenen Ausschüsse". Die Neubildung der Körperschaften hatte durch Ernennung zu geschehen, wobei den Bevollmächtigten Vorschlagslisten durch von ihnen bestimmte Stellen einzureichen waren; alle entgegenstehenden Bestimmungen der Verfassungen waren „bis auf weiteres außer Kraft gesetzt".3 Nach einer, allerdings dann wieder zurückgezogenen Anordnung waren mindestens 80% der Sitze mit DC zu besetzen.4 Der Bevollmächtigte für Nassau und Frankfurt, Walther, bestimmte: „Von den Neuvorzuschlagenden müssen nach Möglichkeit mindestens 75% zuverlässige Mitglieder der NSDAP oder der DC sein, die zugleich von bewährter evangelischer Gesinnung sind." Seine Anordnung, die seitherigen Kirchenvorstände führten bis zur neuen Ernennung ihre Amtsgeschäfte weiter - mit der Auflösung war ja ein völliges Vakuum eingetreten - , wurde von Jäger bei einem Auftreten in Wiesbaden als unzulässig erklärt.5 Die tiefgreifenden Vorgänge schufen im ganzen Land größte Erregung und Verwirrung. Der amtsenthobene alte EOK reichte Klage beim 59
Staatsgerichtshof ein; Jäger bezeichnete dies über den Rundfunk als „Widerstände solch niederer Art, die als Volks- und Staatsverrat betrachtet werden müßten" und die der Staat „als Revolte und Auflehnung gegen die Staatsautorität niederschlagen" müsse. 6 Die altpreußischen Generalsuperintendenten, durch Jäger zum Teil beurlaubt, riefen die Gemeinden zu einem Büß- und Bettag am 2. Juli auf. Daraufhin ordnete Hossenfelder für den gleichen Tag einen Dankgottesdienst mit Verlesung eines Aufrufs von ihm an, unter Androhung disziplinarischer Bestrafung bei Befolgen des Aufrufs der Generalsuperintendenten. Inzwischen ließ Müller, die Verwirrung der Stunde nutzend und nach Vergewisserung des Stillhaltens der nichtpreußischen Bischöfe, zu nächtlicher Stunde durch SA das Kirchenbundesamt besetzen und übernahm - der eingetretene „Notstand erfordert außerordentliche Maßnahmen" - „im Einvernehmen mit dem Herrn Staatskommissar... um der Kirche und ihres Evangeliums willen als Bevollmächtigter des Reichskanzlers die Leitung des Evangelischen Kirchenbundes", „insbesondere den Vorsitz im Kirchenbundesrat, die Befugnisse des Kirchentages, des Kirchenausschusses und seiner Unterausschüsse". Die frommen Worte fehlten nicht: „Mit Gottvertrauen und dem Bewußtsein meiner Verantwortung vor Gott und unserem Volk gehe ich ans Werk, gehorsam der Wahrheit des reinen und lauteren Evangeliums Jesu Christi." Zuguterletzt übertrug Jäger ihm noch „das Recht der obersten Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche der Altpreußischen Union". 6 " Unterdessen aber waren Unruhe und Empörung im In- und Ausland gewachsen, eine Welle von Protesten und Hilferufen an Reichskanzler und Reichspräsidenten setzte ein. Dies veranlaßte den letzteren zu einem ungewöhnlichen Schritt: Am 1. Juli erscheint in der gesamten Presse ein Brief Hindenburgs vom 30. Juni an Hitler, in dem er seine ernste Sorge über die entstandene Lage zum Ausdruck bringt, aus deren Fortdauer oder gar Verschärfung „schwerster Schaden für Volk und Vaterland erwachsen und die nationale Einheit leiden" muß. Aus der Besprechung mit dem Kanzler am Vortage wisse er, „daß Sie diesen Sorgen volles Verständnis entgegenbringen und bereit sind, auch Ihrerseits zur Überbrückung der Gegensätze mitzuhelfen. Deshalb habe ich die Zuversicht, daß es Ihrer staatsmännischen Weitsicht gelingen wird, durch Verhandlungen sowohl mit den Vertretern der beiden im Widerstreit befindlichen Richtungen der evangelischen Kirche als auch mit den Vertretern der preußischen Landeskirchen und den Organen der preußischen Regierung den Frieden in der evangelischen Kirche wiederherzustellen und
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auf dieser Grundlage die angestrebte Einigung der verschiedenen Landeskirchen herbeizuführen." 7 Jetzt ist Hitler genötigt einzugreifen. In einer Besprechung mit den Ministern Frick und Rust bereits am 30. Juni wird der Innenminister beauftragt, in Verhandlungen mit allen Beteiligten eine Klärung und, was insbesondere die Aufgabe Müllers sein sollte, eine raschestmögliche Einigung über die neue Kirchenverfassung herbeizuführen. Nur so lange sollten die Kommissare noch im Amt bleiben. Die Entscheidung wurde mit großer Erleichterung aufgenommen, stellte freilich auch für alle Seiten einen Zwang zu rascher Verständigung dar, wobei man auch Kompromisse in Kauf nehmen mußte. Nur so erklärt es sich, daß in diesen Tagen Müller auch Verbindung mit der JB und mit Niemöller persönlich aufnahm, daß auch das Drei-Männer-Kollegium des Kirchenbundes, das Müller zunächst durch andere ersetzt hatte, wieder in Aktion trat und unter Beteiligung so unterschiedlicher Leute wie Müller und Jäger, Meiser, München, und Fezer, Tübingen, schon am 10. Juli die Verfassungsarbeit zum Abschluß gebracht wurde, wobei zuletzt sogar Frick den Vorsitz führte. Als der Text am 11. Juli die Zustimmung aller Landeskirchenleiter und auf Verlangen Fricks die Unterschriften der neuen wie der abgesetzten alten Repräsentanten der APU diese hatte der Minister noch gesondert angehört - erhalten hatte, konnte Hitler am 12. dem Reichspräsidenten „die Beilegung des preußischen Kirchenkonflikts in einer für Staat und Kirche gleichermaßen befriedigenden Weise" melden und zugleich die Zurückziehung der Kommissare und baldige „freie Wahl des evangelischen Kirchenvolkes" ankündigen. In der Sitzung des Reichskabinetts vom 14. Juli wurde die neue Verfassung durch Reichsgesetz anerkannt und gleichzeitig dem Abschluß des Reichskonkordats zugestimmt. Jetzt mußte Rust am gleichen Tag seinem Ministerialdirektor Jäger die Beendigung seines Kommissariats mitteilen, mit „ganz besonderem Dank für die hervorragenden Dienste" und dem Ersuchen, seine Unterkommissare mit demselben Tag zurückzuziehen.8 Hitler sah sein doppeltes kirchenpolitisches Ziel, auf das er seit der Machtübernahme hingearbeitet hatte, erreicht: die vertragliche Regelung mit der katholischen Kirche, die ihn vom politischen Katholizismus befreite und dem NS internationale Aufwertung versprach, und den Zusammenschluß zur Deutschen Evangelischen Kirche (DEK), die wohl eher auf eine politisch gleichgerichtete Linie zu bringen war als ein Gegenüber von 28 Landeskirchen; diese Hoffnung erfüllte sich freilich nicht. Denn weder war das Eigengewicht der Landeskirchen beseitigt, noch gelang die erwünschte Gleichschaltung der DEK. 61
Kirchen verfassung und Kirchen wahlen Die binnen weniger Wochen fertiggestellte Verfassung der DEK - unter normalen Umständen eine Sache von Jahren - „war zweifellos in vieler Hinsicht ein höchst problematischer Kompromiß. Namentlich in ihrer Neigung zum Führerprinzip trug sie nur allzu deutlich die Merkmale ihrer Zeit und ihrer Entstehungsgeschichte an sich".9 Entscheidend für die Folgezeit aber wurde Artikel 1: „Die unantastbare Grundlage der DEK ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist. Hierdurch werden die Vollmachten bestimmt und begrenzt, deren die Kirche für ihre Sendung bedarf." Es war ein Glücksfall, daß niemand auch auf DC-Seite gewagt hatte, gegen diesen Grundartikel anzugehen. Man hatte dort ja auch immer wieder versichert, daß das Bekenntnis „unangetastet" bleibe. So aber bot dieser die schon bald notwendige Handhabe, sich zur Abwehr von Irrwegen und falschen Lehren auf die in der Verfassung verankerte biblischreformatorische Grundlage zu berufen und damit dem Widerspruch auch rechtliches Gewicht zu geben. Die Verfassungsbestimmungen im einzelnen lassen sowohl den Kompromißcharakter als auch den Trend der Zeit erkennen: Die Selbständigkeit der Landeskirchen „in Bekenntnis und Kultus" bleibt gewahrt, doch kann die DEK ihnen „für ihre Verfassung, soweit diese nicht bekenntnismäßig gebunden ist, durch Gesetz einheitliche Richtlinien geben". „An der Spitze der Kirche steht der lutherische Reichsbischof." Ihm „tritt ein Geistliches Ministerium zur Seite", das aus drei Theologen und einem rechtskundigen Mitglied besteht und berufen ist, „unter Führung des Reichsbischofs die DEK zu leiten und Gesetze zu erlassen". Seine Mitglieder werden vom Reichsbischof ernannt, die Theologen werden ihm „durch die im leitenden Amt stehenden Führer der Landeskirchen vorgeschlagen", wobei „das in der DEK lebendige Bekenntnisgepräge zu berücksichtigen" ist. Der Reichsbischof selbst wird der Nationalsynode gleichfalls von den Landeskirchenfuhrern „in Gemeinschaft mit dem Geistlichen Ministerium vorgeschlagen und von der Nationalsynode in das Bischofsamt berufen". Dies ist ihre einzige eigene Aufgabe, denn bei der Gesetzgebung wirkt sie lediglich mit: die Kirchengesetze werden von ihr „im Zusammenwirken mit dem Geistlichen Ministerium oder von diesem allein beschlossen", bereits im Ansatz eine Quelle zu ihrer Ent62
mündigung. Das Verdikt über den „überholten Parlamentarismus" schlug sich hier deutlich nieder. Die 60 Mitglieder werden zu zwei Dritteln von den Landeskirchen entsandt, zu einem Drittel von der D E K berufen. Obwohl die Nationalsynode „durch den Reichsbischof mindestens einmal im Jahr" zu berufen war, tagte sie nur zweimal, 1933 und 1934, und wurde von niemandem mehr vermißt. Auch das Geistliche Ministerium wurde nur einmal, im September 1933, verfassungsgemäß gebildet und seit Ende 1933 trotz aller Versuche nicht mehr rechtsgültig zustande gebracht. Doch bei Abschluß der Verfassungsarbeit herrschte die Erleichterung vor, daß der offene Konflikt beendet und ein Text unter Dach war, mit dem die Grundlage der Kirche nicht preisgegeben war und wenigstens kein schwerwiegendes Unheil angerichtet schien. 10 Jetzt konzentrierte sich die ganze Aufmerksamkeit auf die unmittelbar bevorstehende Kirchenwahl, die durch das Reichsgesetz über die Verfassung - also wiederum durch staatlichen Eingriff in die kirchliche Eigenständigkeit! - überraschend rasch angesetzt wurde: „Die in der D E K zusammengeschlossenen Landeskirchen fuhren am 23. Juli 1933 Neuwahlen für diejenigen kirchlichen Organe durch, die nach geltendem Landeskirchenrecht durch unmittelbare Wahl der kirchlichen Gemeindeglieder gebildet werden." Der Plan war offenbar auf Hitlers Wunsch in dem Gespräch mit den beiden Ministern am 30. Juni festgelegt worden." Mit dem kurzfristigen Termin sollte zweifellos die Erleichterung über den beendeten Konflikt für die DC genutzt und die Sammlung einer Gegenbewegung möglichst erschwert werden. So war auch von der früheren Forderung der DC, mit der Wahl solle die neue Verfassung ausdrücklich anerkannt und der Reichsbischof bestimmt werden, was Diskussionen bedeutet hätte, jetzt keine Rede mehr. Es ging allein um die Wahl der Gemeindekirchenräte oder Kirchenvorstände und der Landessynoden, soweit diese durch unmittelbare Wahlen zu bestimmen waren, und dies in einem Zeitraum von neun Tagen! Das war nur durch die Bestimmung möglich, daß von den im kirchlichen Recht vorgeschriebenen Fristen abgewichen werden könne. Aber auch unabhängig davon war eine ordnungsgemäße Vorbereitung trotz größter Mühe nicht zu schaffen. Ungeachtet der im Gesetz festgelegten Überwachung der unparteiischen Durchfuhrung durch einen Beauftragten des Innenministers setzte wiederum eine offene Propaganda der Parteipresse für die DC ein, bei der mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck kam, den Parteimitgliedern sei keineswegs die Wahlentscheidung freigestellt: „Nein, die Reichsleitung der N S D A P hat gesprochen und befohlen, die Liste der DC zu wählen und 63
keine Liste der Reaktionäre." 12 Heute weiß man, daß die Reichsorganisationsleitung bereits am 14. Juli die Gauleiter ersucht hatte, „den ,DC' jede Unterstützung angedeihen zu lassen": „Aus Prestigegründen muß der Wahlkampf von den ,DC' siegreich durchgeführt werden .. ."' 3 Angesichts aller Erschwernisse war es schon erstaunlich, daß von der JB unter ihrer Liste „Evangelische Kirche" alle Nicht-DC-Gruppen „nahezu vollständig vereinigt" werden konnten. Der erwähnte Beauftragte des Innenministeriums, Staatssekretär Pfundtner, mußte aber schon am 19. Juli der Reichskanzlei zahlreiche Beschwerden dieser Gruppe über Benachteiligungen unterbreiten, insbesondere darüber, „daß die Parteiorganisation der NSDAP sich offiziell in den Dienst der Gruppe DC gestellt habe ..., daß eine Reihe von Gauleitern allen Parteiangehörigen ... den Befehl erteilt habe, ausschließlich die Gruppe DC zu wählen. Bei Nichtbefolgung... seien der Ausschluß aus der Partei und wirtschaftliche Nachteile angedroht worden". Außerdem bezog sich Pfundtner auf „ein erneutes Eingreifen des preußischen Kultusministeriums in Form der Beschlagnahme eines Flugblattes" - über 600000 Stück - und bat, „der Erwägung des Herrn Reichskanzlers anheimzustellen, inwieweit er der Bitte der Gruppe .Evangelische Kirche' nach Erlaß einer die Wahlfreiheit festlegenden Erklärung Rechnung tragen will, nachdem die freie Wahl von der Reichsregierung grundsätzlich zugesagt ... ist". Hitler ließ daraufhin durch Staatssekretär Lammers von der Reichskanzlei mitteilen, die Zusicherung der freien Wahl bedeute, Jede gewaltsame Störung der Vorbereitung der Wahl und des Wahlaktes zu verhindern", keineswegs aber „ein Versprechen, daß der NSDAP und ihren Gliederungen eine Auflage gemacht wird, sich jeder Wahlagitation zu enthalten. Zu einer dahingehenden Anweisung an die Parteistellen der NSDAP ist der Herr Reichskanzler nicht in der Lage." Der einzige Fall eines unzulässigen Eingriffs - eben jene Beschlagnahme von Flugblättern durch die Geheime Staatspolizei - , „der auf Mißverständnissen beruhe, sei sofort rückgängig gemacht worden".14 In der Tat waren nach Änderung der auf Veranlassung der DC durch einstweilige Verfügung verbotenen Bezeichnung „Evangelische Kirche" in „Evangelium und Kirche" die Flugblätter wieder freigegeben worden - ganze fünf Tage vor der Wahl. Über die internen Vorgänge wußten Pfarrer und Gemeinden, zumal im südlicheren Deutschland und auf dem Lande nichts. Von den Bemühungen des Innenministeriums um Unparteilichkeit und Freigabe der Flugblätter erfuhren höchstens Bezieher der JK und dies auch nur unmittel64
bar vor dem Wahltag (Ausgabedatum der Nr. 5 war 20. Juli). In der Tagespresse kam nur die offizielle Linie zu Wort, sei es in völliger Eindeutigkeit für Parteileute: „Jeder evangelische Parteigenosse genügt am Sonntag . . . seiner Wahlpflicht . . . Ebenso selbstverständlich ist es, daß er seine Stimme der ,Glaubensbewegung D C ' gibt"; oder für Nicht-Parteigenossen etwas zurückhaltender, aber deutlich genug: „Deutscher evangelischer Christ! . . . Du hast zwei Wege vor dir. Du kannst auch weiterhin Evangelium und Volkstum ohne Zusammenhang neben- und gegeneinander stehen lassen. Du wirst diesen selbstmörderischen Weg aber nicht wählen . . . Der Versuch, den Parteihader aufleben zu lassen, ist ein Verbrechen vor der Geschichte. Du wirst diesen Versuch rücksichtslos niederschlagen"; oder: „Der Führer selbst hat dich zur Wahl aufgerufen . . . Anspruch auf deine Stimme haben nur Volksgenossen, die sich vorbehaltlos zum Dritten Reich bekennen."' 5 Zuguterletzt sprach Hitler selbst am Vorabend des Wahltags kurz vor Mitternacht 16 von Bayreuth aus über alle deutschen Sender zu der Wahl „ausschließlich vom Standpunkt des politischen Führers aus". Da hieß es u. a.: „Der starke Staat kann nur wünschen, daß er seinen Schutz solchen religiösen Gebilden angedeihen läßt, die ihm auch ihrerseits wieder nützlich zu werden vermögen . . . Im Interesse des Wiederaufstiegs der deutschen Nation . . . wünsche ich daher verständlicherweise, daß die neuen Kirchenwahlen in ihrem Ergebnis unsere neue Volks- und Staatspolitik unterstützen werden . . . Dies wird aber nicht gewährleistet durch weitabgewandte und den Erscheinungen und Ereignissen der Zeit keine Bedeutung beimessende Kräfte einer religiösen Versteinerung, sondern durch die Kräfte einer lebendigen Bewegung. Diese Kräfte sehe ich in jenem Teil des evangelischen Kirchenvolkes in erster Linie versammelt, die als ,DC' bewußt auf den Boden des NS-Staates getreten sind." 17 Diesem massierten Aufgebot gegenüber war „Evangelium und Kirche" in aussichtsloser Position. Man kann es, was schon damals da und dort geschah, als Kapitulation bezeichnen, wenn sich bei dieser Lage in den verschiedensten Landeskirchen und ungezählten Gemeinden der Gedanke von Einheitslisten durchsetzte und die Wahl überflüssig machte. Freilich mußte dabei der Forderung der DC auf die Mehrheit der Sitze dies galt vor allem für Landessynoden oder Gemeindekörperschaften in Großstädten, wobei die Ansprüche zwischen 51 und 80% schwankten Rechnung getragen werden. Auf solche Weise fanden in Württemberg, Baden, Pfalz, Nassau, Frankfurt, Hessen-Kassel, Anhalt, Bremen und Schleswig-Holstein überhaupt keine Wahlen statt, in anderen Landesoder Provinzialkirchen nur zum Teil oder in Ausnahmefällen, wie in der 65
Provinz Sachsen und Lübeck.' 8 Aber auch wo gewählt wurde, ergaben sich durchweg Mehrheiten für die DC von meist 60% und darüber. Es war schon ein erschütterndes Ergebnis, das aber auch da nicht durch echte Entscheidung der Gemeindeglieder zustande kam, sondern durch die Mobilisierung meist kirchenfremder Parteikreise. Unter den seltenen Gemeinden, in denen trotz Wahl die DC die Mehrheit nicht gewinnen konnten, sind zwei besonders bekannt geworden: Berlin-Dahlem, das zum Mittelpunkt des künftigen Kampfes werden sollte, und das reformierte Barmen-Gemarke, von wo mit der 1. Bekenntnissynode 1934 die BK ihren Ausgang nahm. 18a Dennoch ergab sich in einer großen Zahl von Gemeinden, insbesondere auf dem Lande, auch noch ein ganz anderes Bild. In dem Bereich, in dem ich die Zeit miterlebt habe, ergriff man selbst die Initiative: Die Pfarrer suchten zusammen mit vertrauten Gemeindegliedern die für den künftigen Kirchenvorstand geeignetsten Leute zu finden, wobei die Parteimitgliedschaft eines aktiven Gemeindeglieds naturgemäß gern benutzt wurde, aber die kirchliche Eignung entscheidend blieb; DC gab es nur in den seltensten Fällen. Dann wandte man sich an die Ortsgruppenleitung mit der Frage, ob gegen einen der Vorgesehenen Bedenken bestünden. Dort war man meist froh, der prekären Aufgabe enthoben zu sein. Die Liste wurde sodann der Gemeinde bekanntgegeben, und eine Wahl entfiel. Auf diese Weise sind in einer ganzen Reihe mir bekannter Gemeinden sehr gute Gemeindekörperschaften entstanden, die später - in der eigenen Gemeinde einstimmig - den Anschluß an die BK vollzogen. In überschaubaren örtlichen Verhältnissen war, ungeachtet aller Parteiunterstützung und -disziplin, die geistliche Substanz der Gemeinde maßgebend dafür, ob kirchenfremde Elemente in ihr Fuß fassen konnten. Etwas völlig anderes war es bei der Zusammensetzung einer gemeindefernen Synode. Nur in Westfalen - die Synode war hier nicht unmittelbar, sondern auf dem Wege über die von den Gemeindekörperschaften gebildeten Kreissynoden zu wählen - ergab sich zur allgemeinen Überraschung, daß die DC mit 60 zu 80 Sitzen in der Minderheit blieben. Mochten hier auch noch Besonderheiten mitsprechen, insgesamt kündigte sich an, was für die gesamte Zeit des Kirchenkampfes entscheidend werden sollte: die konkrete, „unter dem Wort" versammelte Gemeinde entschied letztlich, bei allen Irrtümern und Gebrechen im einzelnen, über Leben und Widerstandskraft der Kirche. In diesem Zusammenhang soll auch ein unrühmlicher Vorgang nicht verschwiegen werden. Scholder spricht von „Verwirrung, Furcht, Illusio66
nen und Opportunismus, die in diesen Tagen die Herrschaft in der evangelischen Kirche übernahmen. Tausende von evangelischen Pfarrern traten - nicht wenige davon mit schlechtem Gewissen - zu den DC über."19 Der Tatbestand ist unbestreitbar, und es mag von heute her gesehen erst recht schockierend wirken, daß dieser Schritt - jedenfalls in unserem hessen-nassauischen Umfeld - schon vorher, nämlich ausgerechnet während der Zwangsherrschaft des Staatskommissars geschah. Zur Verdeutlichung, nicht zur Beschönigung nur soviel: Als der erwähnte Bevollmächtigte des Staatskommissars für Nassau und Frankfurt Anfang Juli an die Ernennung der Kirchenvorstände ging und die Entscheidung durch politische Stellen drohte, entschloß sich die Pfarrerschaft weithin - im eigenen Dekanat wohl geschlossen - zum Eintritt bei den DC, um eine Möglichkeit der Einwirkung zu behalten. Dabei spielte freilich wesentlich mit, daß der Landesleiter der DC, der Frankfurter Pfarrer Probst, einstiger Indienmissionar und von der Aufgabe der Volksmission durchdrungen, die Pfarrerschaft schon seit Monaten inständig gebeten hatte, ihm zur Durchsetzung eines biblischen Kurses gegen Hossenfelder20 zur Seite zu stehen. Das alles wirkte zusammen: die Furcht, jeden Anschluß zu verlieren und aus allen Entscheidungen ausgeklammert zu werden, die Hoffnung, das Konglomerat der DC auf einen besseren Weg bringen zu helfen, der Wille, sich gegenüber Parteiforderungen mehr Rückhalt zu verschaffen. Zu entschuldigen war das Ganze nicht. Im Herbst war den allermeisten deutlich, daß der Schritt falsch und schleunigst rückgängig zu machen war.
Nach dem Wahlsieg der DC: Theologische Besinnung, Rückzug der Partei Eine erste Folge des Wahlausgangs war der Abschied der JB von der Kirchenpolitik. Die Leitung gab noch am Wahltag die Erklärung ab, daß die Bewegung „ihre kirchenpolitische Betätigung als beendet ansieht und auf die innerkirchliche Arbeit in Theologie und Gemeinde hinfort ihre Kräfte wenden will."21 Dieser überraschende und zunächst auch umstrittene Beschluß, der, wie gleichzeitig betont wurde, nicht etwa den Verzicht der gewählten Körperschaftsmitglieder auf ihr Mandat bedeutete, hatte zweifellos mehrere Gründe. In 16 Thesen vom 30. Juli22 stellte Martin Niemöller als dominierenden Gesichtspunkt heraus, daß die Gruppe gegen ihren Willen in eine vorwiegend kirchenpolitische und schließlich sogar staatspolitische Frontstellung hineingedrängt worden sei, wobei 67
„alles, was gegen die DC stand, als politisch unzuverlässig, ja als staatsfeindlich hingestellt wurde. Diese Wendung vom Kirchenpolitischen zum Staatspolitischen wurde unmißverständlich klar in der Kanzlerrede am Spätabend des 22. Juli." Jetzt den Kampf, der durch die D C zum Machtkampf geworden und mit der Wahl entschieden war, fortsetzen zu wollen, würde die eigenen Leute „mit dem Makel der minderen staatspolitischen Zuverlässigkeit belasten" und manche „unter Umständen schwere persönliche Schädigungen auf sich nehmen" lassen. Dies könne „eine notwendige, ja für einen Christen selbstverständliche Forderung sein", wenn es um eine Frage ginge, „bei der es nur ein Bekennen oder ein Verleugnen geben kann. Status confessionis! Dieser Fall ist heute aber nicht gegeben." Diese auffallende Feststellung war darin begründet, daß keine echte Frontstellung zu erkennen und das Gegenüber „eine bekenntnismäßig noch gar nicht in sich geklärte Gruppe" sei. Darum gehe es jetzt entscheidend um die „gemeindlich-praktische" und die „kirchlich-theologische" Aufgabe, also darum, die Gemeindeglieder durch die Verkündigung zu sammeln, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der unauigebbaren Bekenntnisgrundlage der Kirche, und die neuen Leitungen und die sie tragenden DC „vor die Bekenntnisfrage zu stellen". Es müßten klare Fronten geschaffen werden „durch ein zeitgemäßes Bekenntnis". Dann erst können wir „mit guten Gewissen ein Bekennen von denen fordern, die auf die biblische Botschaft zu hören bereit sind". Bei dieser neuen Zielsetzung dürfte nicht nur die nüchterne Erkenntnis der Konsequenzen aus der Wahlentscheidung, auch nicht nur die Abwehr der drohenden Gefahr eines Zerfalls der JB überhaupt - in der J K wurde im August (S. 107) bereits die Frage verhandelt, „ob nicht die Stunde gekommen sei, sich den DC anzuschließen" - , sondern unausgesprochen noch ein anderes mitgespielt haben. Am 1. Juli war die Schrift des Bonner Theologen Karl Barth „Theologische Existenz heute!" 23 erschienen, nicht ein von vielen erwartetes „Wort zur Lage", sondern bewußt und betont ein „Wort zur Sache", der Ruf, gerade jetzt über noch so wichtigen Entscheidungen des Tages nicht „unsere theologische Existenz, d. h. unsere Bindung an das Wort Gottes und die Geltung unserer besonderen Berufung zum Dienst am Wort Gottes" zu verlieren. In schonungsloser Offenheit und Konsequenz stellte Barth die gesamte Kirchenreformarbeit der letzten Monate und die einhellige Bejahung des Reichsbischofs-Amtes einschließlich der Eile seiner Besetzung als nicht vom Auftrag der Kirche her geboten, sondern aus einem politischen Urteil 68
und der Bindung der Kirche an das politische Geschehen resultierend heraus. Darin ist letztlich auch sein vorbehaltloses Nein gegenüber den DC begründet: „Ihnen ist die Anerkennung der ,Hoheit des nationalsozialistischen Staates' nicht nur Sache der Bürgerpflicht, nicht nur Sache der politischen Überzeugung, sondern Sache des Glaubens und sie fordern eine Kirche, die darin mit ihnen einig sei." Aber fast noch schlimmer erscheint für Barth die Reaktion der Kirche darauf, einmal „das Ereignis einer geradezu verblüffenden Widerstandslosigkeit, in der Pfarrer und Gemeindeglieder und Kirchenfiihrer, Theologieprofessoren und Theologiestudenten, Gebildete und Ungebildete, Alte und Junge, Liberale, Positive und Pietisten, Lutheraner und Reformierte in Scharen dem Ansturm dieser Bewegung erlegen sind, erlegen, wie man eben einer echten, rechten Psychose erliegt"; zum andern aber auch der Widerstand der JB, ihre mangelnde theologische Klarheit, die unkirchliche Gedankenlosigkeit mit dem „freudigen Ja zum neuen deutschen Staat", die Bereitschaft zum Zusammengehen mit den DC, „wenn sie von ihrem Radikalismus etwas ablassen sollten". Die Jungreformatorischen seien mit den DC „doch nur über die formale Selbständigkeit oder Unselbständigkeit, aber gerade nicht über das Wesen der Kirche uneinig", ihr Widerstand sei rein kirchenpolitischer Art und nicht „ein geistliches Widerstandszentrum, das einem kirchenpolitischen erst Sinn und Substanz geben würde". Dieses Urteil über die JB war hart und zum guten Teil auch ungerecht. Man konnte den Initiatoren wohl doch nicht zum Vorwurf machen, daß sie elaubten. in einer akuten Notlage etwas Konkretes tun zu müssen. Auch das für Barth unzureichende Bestehen auf der formalen Selbständigkeit der Kirche meinte alles andere als eine bloße Formalität: es war ein Festhalten am Auftrag der Kirche. Auch Dietrich Bonhoeffer, dem es nicht an Hellsichtigkeit fehlte, arbeitete dabei mit. Auf der anderen Seite aber traf Barths unerbittliche Kritik in der Tat die schwachen Punkte, und obwohl manche der verantwortlichen Leute dadurch verletzt waren und beispielsweise Niemöller und Barth bei ihrer ersten Begegnung im Juli in Berlin mehr gegenseitige Distanz als Übereinstimmung empfanden, wird die Annahme wohl nicht fehlgehen, daß Barths Schrift zur Abkehr der JB vom bisherigen Kurs wesentlich mitgeholfen hat.24 Das Heft durchlief Deutschland überraschend schnell, bereits nach 14 Tagen hatte es 12 000 Exemplare erreicht25, es wurde von den Jungreformatorischen ebenso wie von mehr oder weniger überzeugten DC-Leuten gelesen und tat seine Wirkung. Die Bezeichnung der entscheidenden Aufgabe in der 69
theologischen Fundierung und Bekenntnisentscheidung in Niemöllers 16 Thesen lag jedenfalls ganz auf der Linie des Barthschen Vorstoßes. Jetzt entstanden erste theologische Arbeitskreise von Pfarrern - ein Novum gegenüber den vorher üblichen „amtlichen Konferenzen" - , es begann ein Prozeß theologischer Besinnung und Klärung, der auch zur Voraussetzung der Barmer Theologischen Erklärung werden sollte. Als konkreter Schritt zu einem „zeitgemäßen Bekenntnis" wurde im August unter Leitung Bodelschwinghs von Dietrich Bonhoeff'er, Hermann Sasse u. a. die Arbeit an einem „Betheler Bekenntnis" aufgenommen, das zwar dann nicht die ursprünglichen Erwartungen erfüllte, aber bei seiner Herausgabe durch Niemöller im Dezember wenigstens eine erste Hilfe und Station auf dem Wege war.26 Aber nicht nur eine theologische Neubesinnung ergab sich nach dem Wahlsieg der DC, sondern noch eine andere, überraschende und für die Sieger geradezu erschreckende Wendung: die Partei, die eben noch alles getan hatte, den Sieg zu sichern, zog sich unverkennbar wieder auf ihr so oft beteuertes Neutralitätsprinzip zurück. Schon im Juli mußten Äußerungen von Hitler oder Frick zum Aufmerken nötigen, die von einem neuen Stadium der NS-Revolution sprachen, von der Überleitung zur „Evolution, d. h. normaler gesetzmäßiger Aufbauarbeit", so daß es „glatte Sabotage" sei, „wenn weiterhin noch von einer Fortsetzung der Revolution oder von einer zweiten Revolution geredet wird".27 Zur Kirchenfrage erfuhr man erst später, daß Hitler Anfang August vor den Gauleitern klargestellt hatte, nach Erreichen des kirchenpolitischen Zieles kehre die Partei zur Neutralität zurück.28 Für die Öffentlichkeit aber mußte es sensationell wirken, als Alfred Rosenberg im Leitartikel des „Völkischen Beobachter" vom 16. August erklärte, man sei „in das Stadium getreten, wo der NS sich nicht zur politischen Stütze der einen oder anderen kirchlichen Gruppierung hergeben kann ... Den Konfessionen stehen also zur Austragung der seelischen und geistigen Kämpfe nicht mehr die Machtmittel des Staates, aber auch nicht mehr die Wirkungsmöglichkeiten der Partei zur Verfügung".29 In den gleichen Tagen meldeten sich auch weitere Stimmen von weltanschaulichen Gesinnungsfreunden Rosenbergs in der Partei und ebenso aus den verschiedenen völkisch-religiösen Kreisen zu Wort, die sich eben erst - vermutlich gerade unter dem Eindruck des starken kirchenpolitischen Parteieinsatzes - zu einer „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung" zusammengeschlossen hatten. Da las man von „Empörung und steigender Bitterkeit" über die von den DC praktizierten 70
Zwangsmethoden. Des Jugendfiihrers Baidur von Schirachs Kampfblatt „Sturmtrupp" schrieb „Gegen Religionsheuchelei! Das Heilige im Menschen kann nicht gleichgeschaltet werden". Ebenso protestierten die Kreise um den deutschgläubigen Professor Hauer und Graf Reventlow in seinem „Reichswart" gegen jeden Gewissenszwang und ein „Christentum auf Kommando". 30 Gemeint waren die zahlreichen Abkommandierungen von Parteiformationen zu Feldgottesdiensten oder DC-Veranstaltungen, ultimative Aufforderungen zum Wiedereintritt in die Kirche, Propaganda für Massentrauungen in Uniform und ähnliches mehr. Die Deutschgläubigen forderten die offizielle Anerkennung als dritte Konfession. Wenn Hitler dazu auch nicht bereit war, ist doch kaum zu bezweifeln, daß solche offenen Proteste innerhalb und außerhalb der Partei die Rückkehr zur Neutralität nur bestärkt haben. Das Ergebnis war die parteiamtliche Feststellung durch den „Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß vom 13. Oktober: „Kein Nationalsozialist darf irgendwie benachteiligt werden, weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession, oder weil er sich überhaupt zu keiner Konfession bekennt. Der Glaube ist eines jeden eigenste Angelegenheit, die er nur vor seinem Gewissen zu verantworten hat. Gewissenszwang darf nicht ausgeübt werden."31 Verständlich, daß die DC durch diese, gleich nach der Wahl erkennbare Kehrtwendung der Partei stark beunruhigt wurden. Entglitt ihnen ja nicht nur der seitherige Rückhalt im Parteiapparat, sondern es war ihnen in der „Deutschen Glaubensbewegung" noch eine zusätzliche Konkurrenz entstanden. Äußerungen in DC-Blättern spiegeln diese Irritation deutlich wider. Zur Erklärung des gegensätzlichen Verhaltens der Partei vor und nach der Wahl deutet alles daraufhin, daß es Hitler wohl darauf ankam, eine einheitlich ausgerichtete und von den DC dirigierte evangelische Kirche zu erreichen, auf die man Einfluß behalten und die die nationalsozialistischen Ziele im Kirchenvolk verankern würde. Nachdem aber der DC-Sieg gesichert war, dachte er Müller und den Seinen das Weitere überlassen und zu seiner Linie scheinbarer Neutralität zurückkehren zu können. Je mehr sich herausstellte, daß weder Müller noch die DC im ganzen in der Lage waren, die Gleichschaltung zu vollenden, desto mehr verlor er das Interesse an ihnen. Doch dies sollte erst die Zukunft zeigen. Zunächst waren die DC an der Macht und bauten ihre Positionen aus.
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DC- Herrschaft. Braune Synoden. Reichsbischof Müller Nach dem Wahlsieg beherrschte zunächst das unentwirrbare Ineinander von gemäßigten und radikalen DC, zwischen denen Müller hin und her lavierte, die Szene. Auf der einen Seite hatten die Beauftragten der Landeskirchen, da die Wahl des Reichsbischofs und damit die Bestellung seines Geistlichen Ministeriums laut Verfassung erst mit der Nationalsynode möglich war, für die Übergangszeit eine „Einstweilige Leitung der DEK" bestimmt, der außer Müller und seinen Beratern, den Professoren Fezer und Schumann, der lutherische Hamburger Bischof Schöffel und der reformierte Kirchenpräsident Koopmann, in der Mehrheit also gemäßigte DC angehörten. Auf der anderen Seite wirkten vom preußischen Kultusministerium her August Jäger als Leiter der Kirchenabteilung und Hossenfelder, also die Exponenten der radikalen Linie, über die ihrer Größe nach maßgebliche Kirche der APU auf die Entwicklung ein. Hier verlangte die mit den Absetzungen und Ernennungen durch den Staatskommissar eingetretene Rechtlosigkeit und Verwirrung eine rasche Bereinigung. So wählte am 8. August der wieder in Aktion getretene Kirchensenat, inspiriert vom Kultusministerium, einstimmig Müller zum Präsidenten des EOK mit der Bezeichnung Landesbischof und der Ermächtigung, die Befugnisse des EOK selbständig auszuüben. Damit war in Altpreußen eine „legale" Machtergreifung erreicht und Müller die leitende Position gesichert. Die altpreußische Generalsynode brauchte einen Monat später nur noch ein entsprechendes Bischofsgesetz zu beschließen. Zuvor aber mußten erst die Provinzialsynoden ihre Abgeordneten für die Generalsynode bestimmen, die dann ebenso wie die anderen landeskirchlichen Synoden die ihnen insgesamt zustehenden 40 Mitglieder in die Nationalsynode zu entsenden hatten. So traten in den Monaten August und September überall die neu gewählten Synoden zusammen, die nicht nur nach der sie beherrschenden Einstellung, sondern auch nach ihrem optischen Bild als „braune Synoden" in die Geschichte eingingen: bis zur Hälfte der Synodalen oder auch mehr trugen SA- oder Partei-Uniformen! Hier war nach Kräften dafür gesorgt, daß alle führenden und fanatischen DC-Leute zum Zuge kamen. Dem entsprach auch Stil und Geist dieser Versammlungen. So nutzte in den altpreußischen Provinzialsynoden die herrschende Gruppe ihre meist Zweidrittelmehrheit rücksichtslos aus, besetzte alle Schlüsselpositionen und setzte die Abgeordneten für die Generalsynode durch. Auf Sachverhandlungen 72
wurde weisungsgemäß verzichtet. Als Vorreiter tat sich die brandenburgische Synode hervor, in der die gesamte Berliner Führung der DC vertreten war. Hier kam es auch zu Sachanträgen an die Generalsynode. Einer der DC-Vertreter nennt die wichtigsten: „Alle Behörden, Verwaltungen, Verbände und von der Kirche unterstützte Anstalten sollen dem Volkswillen entsprechend auf 75 vom Hundert für die DC geschaltet werden. Endlich sollen alle diese Körperschaften dem von der Regierung erlassenen Gesetze zum Schutze des Berufsbeamtentums unterstellt werden, damit in den Ämtern der Kirche Deutschlands auch nur Persönlichkeiten deutschen Stammes wirken."32 Der Widerspruch der Gruppe „Evangelium und Kirche" gegen die damit gemeinte Einführung des Arier-Paragraphen - sie „widerspricht dem Wesen der Kirche" - wurde niedergestimmt. Nicht überall ging es in dieser Brutalität zu. Als Kuriosum sei erwähnt, daß in Ostpreußen der schon genannte Gauleiter und Oberpräsident Erich Koch, einstiges Mitglied im CVJM und kirchlich interessiert, zum Präses der Provinzialsynode gewählt wurde und auch in den nächsten Jahren noch einen vermittelnden Kurs zu steuern suchte.33 Das einzig eklatante Gegenbeispiel unter den Synoden war Westfalen, wo selbst DCMitglieder „Evangelium und Kirche" gewählt hatten und diese Gruppe mit 80 Sitzen zu 60 der DC die Mehrheit errang. So wurde auch der angesehene seitherige Präses Karl Koch erneut gewählt, der dann 1934 Präses der Bekenntnissynode und Vorsitzender des Reichsbruderrats werden sollte. An der Gesamtentwicklung änderte dieser Sonderfall natürlich nichts. Die altpreußische Generalsynode trat Anfang September zusammen, „geistig durch die Glaubensbewegung und äußerlich durch das braune Ehrenkleid der Hitlerbewegung" bestimmt. 34 Es werden Rechtsanwalt Werner zum Präses und Hossenfelder und Jäger zu seinen Stellvertretern gewählt! Hatte man damit gerechnet, daß Personalentscheidungen dem gegebenen Stärkeverhältnis entsprechend (156 DC, 71 Evangelium und Kirche) getroffen würden, erfuhr die Opposition am Vortag, bei der „Entsendung" zur Nationalsynode sei man nicht an eine Verhältniswahl gebunden; von den insgesamt 19 Sitzen wurden ihr ganze drei zugestanden.35 Im Laufe des ersten Vormittags wurden erst die Anträge verteilt und zur jeweiligen Sache nur ein Redner von jeder Seite zugelassen. „Das alles in rasendem Tempo. Unsere Anträge auf Ausschußberatung wurden ohne Erörterung mit der Begründung abgelehnt, es sei jetzt lange genug verhandelt worden, jetzt müsse gearbeitet werden." Als dann über eine 73
Reihe Anträge zusammen abgestimmt werden sollte, gab Präses Koch als Sprecher der Opposition eine Erklärung ab. Es war der Protest gegen ein Verfahren, mit dem die Struktur der APU von Grund auf verändert oder die Grundsätze des staatlichen Beamtenrechts auf die Kirche übertragen werden sollen „ohne die dringend erforderliche kirchlich-theologische Besinnung und ohne klärende und vorbereitende Aussprache ... Dieses Verfahren, zu dem Sie auf Grund Ihrer Mehrheit Möglichkeit und Macht haben, trägt die Methoden der Welt in den Raum der Kirche und ist mit der christlichen Verpflichtung zu brüderlicher Zusammenarbeit unvereinbar." Als hier Zurufe und Lärmen so gesteigert wurden, daß Koch am Weiterreden verhindert war, verließ die gesamte Gruppe geschlossen den Saal. Die Beschlüsse faßten die DC allein, auch in die Nationalsynode wurden jetzt ausschließlich DC entsandt. Die beiden eben angesprochenen schwerwiegendsten Gesetze waren das Beamten- und das Bischofsgesetz. Das erstere bestimmte: „Geistliche oder Beamte, die nichtarischer Abstammung oder mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet sind, sind in den Ruhestand zu versetzen." Dasselbe kann geschehen mit solchen, „die nach ihrer bisherigen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat und die DEK eintreten". Versetzungen oder Entbindung von Aufsichtsämtern können erfolgen, „wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert". Der Willkür waren damit alle Möglichkeiten eröffnet. Das Bischofsgesetz schuf nun das durch die Benennung Müllers bereits präjudizielle, aber der APU bisher fremde Amt des Landesbischofs, errichtete unter Aufhebung des Amtes der Generalsuperintendenten zehn „Bistümer", die alsdann durch den neu zusammengesetzten Kirchensenat zumeist mit Leuten besetzt wurden, „die zu den ältesten Vorkämpfern der Glaubensbewegung DC gehören",36 darunter Hossenfelder für Brandenburg, Peter (Bundespfarrer des Ostdeutschen Jungmännerbundes) für Magdeburg/Halberstadt, Adler für Westfalen, Oberheid für Köln/ Aachen. Sieben Generalsuperintendenten, darunter Dibelius, werden in den Ruhestand versetzt, ebenso sieben Mitglieder des EOK und dafür acht DC neu berufen. Zum Präsidenten des EOK wird Dr. Werner, zum geistlichen Vizepräsidenten Hossenfelder bestellt. Diese für die weitere Entwicklung wesentlichen Vorgänge in Altpreußen mußten ausführlicher skizziert werden. Aus den übrigen Landeskirchen sei nur einiges Bemerkenswerte herausgehoben. Im lutherischen Sachsen war nach dem Tod des früheren Landesbischofs Ihmels im Juni ein Vakuum entstanden, das der sächsische Innenminister „zur Behebung 74
des Notstandes" mit der Übertragung aller Leitungsvollmachten an den Fachberater für Kirchenfragen bei der Gauleitung, Pfarrer Friedrich Coch, Dresden, beendete. Von der nach Einheitslisten mit ca. 75% DC neu gebildeten „braunen Synode", bei der mit wenigen Ausnahmen alle Mitglieder, auch Coch selbst, Uniform trugen, wurde dieser einstimmig zum Landesbischof gewählt und ihm durch Ermächtigungsgesetz alle Leitungsbefugnisse übertragen. In einigen Kirchen, so in Braunschweig, Schleswig-Holstein und Mecklenburg, traten die seitherigen Bischöfe in den Ruhestand oder wurden dazu gedrängt und durch junge Nachfolger ersetzt. Nur in drei Landeskirchen gelang es den seitherigen Leitern, meist durch Kompromisse mit den erst in den Anfangen stehenden DC, ihr Amt über den Umbruch hinüberzuretten. Es waren Meiser in Bayern, Wurm in Württemberg und Marahrens in Hannover. So unterschieden sich für die Folgezeit diese „intakten Kirchen" von den „zerstörten", deren Leitungen nicht als kirchlich legitim angesehen werden konnten. Als besonderer Fall seien noch die Vorgänge um die kleineren Landeskirchen im hessisch-nassauischen Raum (Hessen, Nassau, Frankfurt und Hessen-Kassel) genannt, weil sie in die DEK-Geschehnisse hineinspielten. Dort waren schon seit 1926 Verhandlungen über eine Vereinigung geführt worden, aber nicht zum Abschluß gekommen. Nun griff Jäger diese Sache auf, in wessen Auftrag und Vollmacht, blieb unklar. Da ihn aber eine offizielle Pressemeldung über Verhandlungen unter seinem Vorsitz im Kultusministerium als „hierzu Bevollmächtigten der DEK" 37 und er selbst sich „als Beauftragter des Landesbischofs Müller in dessen Eigenschaft als Führer der Reichskirche" bezeichnete,38 kann als sicher gelten, daß er sich die Zustimmung Müllers als des Vorsitzenden der Einstweiligen Leitung verschafft hatte. Der eigentliche Hintergrund dürfte gewesen sein, daß er seine Ehre darein setzte, in seinem Heimatbereich das Modell einer größeren Landeskirche mit richtungweisender Verfassung zu schaffen und damit auch seine eigene Berufung in das leitende juristische Amt - rechtskundiges Mitglied im Geistlichen Ministerium und laut DEK-Verfassung zugleich Präsident des preußischen EOK - vorzubereiten. Jedenfalls hatte er eine völlig vom Führerprinzip diktierte Verfassung der künftigen „Landeskirche Großhessen-Nassau" entworfen: hier wurde erstmals, in Abweichung von der DEK-Verfassung, der Landesbischof nach Anhören der Landessynode durch den Reichsbischofberufen, der Landesbischof wiederum beruft die Pfarrer, ihm sind Dekane und Pröpste verantwortlich, der Dekan ernennt auf Vorschlag 75
des Pfarrers die Mitglieder des Kirchenvorstandes.39 Dies legte er am 16. August einer von ihm einberufenen Zusammenkunft von Vertretern der genannten Kirchen vor. Dabei war für Kassel kein amtlich Beauftragter und für Nassau überhaupt niemand anwesend, worauf Jäger kurzerhand selbst dessen Vertretung übernahm! Trotz einer Reihe vorgebrachter Bedenken erreichte er die unveränderte Annahme des Entwurfs. Bei den bevorstehenden Landeskirchentagen (= Synoden) gibt es nach Jägers Direktive „keine Debatte nach parlamentarischem Muster. Jeder Landeskirchentag besteht zu zwei Drittel aus DC. Und diese werden vorher informiert ... Wer nicht gehorcht, wird hinausgeworfen." Der Entwurf solle zunächst noch vertraulich bleiben: „Unterrichtet die Kirchenregierungen nicht, um ihnen nicht schon jetzt Gelegenheit zum Wühlen zu geben ... Bei der nötigen revolutionären Rücksichtslosigkeit könne es nicht schwerfallen .. ,"40 Bei der Sitzung waren laut Pressemeldung auch Hossenfelder und Werner und zeitweise Müller selbst anwesend. Der Einstweiligen Leitung, die erst durch die Zeitungen davon erfuhr, erklärte Müller, er habe Jäger nicht beauftragt und wisse nicht, wer zu der Sitzung eingeladen habe!4' Seine ganze Hilflosigkeit zwischen den divergierenden Kräften, seine Ohnmacht Jäger gegenüber und seine Unwahrhaftigkeit lag am Tage. Jäger aber verfolgte sein Ziel mit rücksichtsloser Konsequenz: Er veranlaßte, daß die Landeskirchentage alle auf den 12. September festgesetzt wurden. Als Abgeordneter des nassauischen Landeskirchentags - er hatte noch eine Wohnung in Wiesbaden - ließ er sich selbst von Hossenfelder als Führer der DC-Fraktion dort ernennen und dann zum Präsidenten wählen. Unter seiner Regie wurde bei der Tagung, die noch keine zwei Stunden dauerte, unter Verletzung geltender Rechtsbestimmungen dem Zusammenschluß der Kirchen zugestimmt, die Verfassung unverändert angenommen, Landesbischof Kortheuer ohne Begründung in den Ruhestand versetzt (Jäger hatte ihn am Vortag unter massiven Drohungen gezwungen, sein Urlaubsgesuch einzureichen, da er für die Kirche nicht mehr tragbar sei), ein Pfarrer- und Kirchenbeamtengesetz mit Arierparagraph verabschiedet und neben einigen weiteren Entscheidungen der Pfarrer Lic. Dr. Dietrich, Wiesbaden, zur Wahrnehmung aller Leitungsbefugnisse bevollmächtigt. Jäger begab sich am gleichen Tag noch zur Frankfurter Kirchenversammlung, die die entsprechenden Beschlüsse faßte. In Hessen gab es zunächst Schwierigkeiten, man machte gewisse Vorbehalte geltend, stimmte aber wenige Tage später unter entsprechendem Druck ebenfalls zu. In Kassel jedoch vermochte sich Jäger nicht 76
durchzusetzen, weil neben anderen - der dortige Gauleiter widersprach, da er Konsequenzen für seinen Gaubereich fürchtete! So blieb die Kirche von Hessen-Kassel selbständig, und der Name des neuen Gebildes mußte entgegen der Vorlage im letzten Augenblick in „Landeskirche NassauHessen" abgeändert werden. Jägers Vorgehen gegen Kortheuer hatte noch einen persönlichen Hintergrund, der über sein weiteres Schicksal entscheiden sollte. Der Landesbischof war von Dibelius im Auftrag der Mitte August noch im Amt befindlichen Generalsuperintendenten der APU nach einer gerüchtweise aufgetauchten, belastenden Ehescheidungsafiare Jägers befragt worden, „da dieser auserlesen sei, der Präsident des EOK zu werden".42 Aufgrund der mündlichen Auskunft Kortheuers und seines Berichts vor der Einstweiligen Leitung über die Umstände seiner Zurruhesetzung kam das für Jäger in Aussicht genommene doppelte Leitungsamt nicht mehr in Frage.43 An seiner Stelle fiel die Wahl auf Dr. Werner, dem es durch Anpassungsfähigkeit und Vermeiden einer eigenen klaren Stellungnahme gelingen sollte, seine Position über die wechselvollen Phasen hinweg bis zum Kriegsende durchzuhalten. Die Nationalsynode am 27. September in Wittenberg hatte den vorläufigen Schlußpunkt unter die Machtergreifung der DC zu setzen: Sie wählt - das einzige Ereignis dieser Tagung - Ludwig Müller einstimmig zum Reichsbischof. Er beruft das Geistliche Ministerium, für das er, obwohl nirgends vorgesehen, Hitlers ausdrückliche Zustimmung einholt: als Unierten wiederum Hossenfelder, als Lutheraner Bischof Schöffel, Hamburg, als Reformierten Studiendirektor Otto Weber, Elberfeld. Nur gegen die damit eintretende dreifache Verklammerung führender Ämter von DEK und APU - Müller, Werner und Hossenfelder - erhoben zehn „Kirchenführer", insbesondere lutherische Bischöfe, in letzter Minute Bedenken: „Wir sehen darin eine Gefahrdung des der DEK gewährleisteten Bekenntnisstandes und geben dies zu Protokoll," 44 Einwände, die Müller mit der beschwörenden Bitte zurückwies: „Haben Sie doch Vertrauen zu mir, daß ich mein Amt fuhren werde im starken Bewußtsein meiner Verantwortung vor Gott." Er war nicht gewillt, sich den Tag seines Triumphes und die durch das festliche Gepränge der Uniformen und Ornate, Aufmärsche und Fahnen demonstrierte Geschlossenheit durch kleinliche Bekenntnisquerelen - angesichts der eigentlichen Probleme waren sie das in der Tat! - verderben zu lassen.
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Arierparagraph und Pfarrernotbund In den Wochen bis zur Nationalsynode begann, sicher auch unter dem Eindruck der aussichtslosen Opposition in den braunen Synoden, sich ein Widerstand in der Pfarrerschaft gegen die unheilvolle Entwicklung zu formieren. Auslösendes Moment war der Arierparagraph. Der entsprechende Beschluß der altpreußischen Generalsynode vom 5. September wirkte im In- und Ausland als Alarmsignal. Bereits am Tag danach kam der Berliner Pfarrerkreis zur Beratung zusammen. Hier plädierte vor allem Bonhoeffer für Amtsniederlegung und damit den Weg zur Freikirche, nachdem die andere Seite aufgehört habe, christliche Kirche zu sein. Er konnte sich aber gegenüber der Mehrheit nicht durchsetzen. Zunächst wurden Bonhoeffer und Niemöller mit dem Entwurf eines gemeinsamen Wortes an die bevorstehende Nationalsynode beauftragt. Übrigens riet auch Karl Barth von dem letzten Schritt ab: auch er sei „der Meinung, daß der status confessionis gegeben sei"; aber „das Schisma muß, wenn es kommt, von der anderen Seite kommen". 45 Es sei also statt des Austritts auf den Ausschluß zu warten. Ergebnis der gemeinsamen Arbeit Bonhoeffer/Niemöller war eine Erklärung, die in drei Punkten aussprach, daß mit Einführung des Arierparagraphen Unrecht als Recht proklamiert und das Bekenntnis verletzt wird, daß den betroffenen Ordinierten in vollem Umfang das Recht zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung zusteht, und daß die Zustimmung zu solchem Bruch des Bekenntnisses aus der Gemeinschaft der Kirche ausschließt; darum wird die unverzügliche Aufhebung des Gesetzes gefordert.46 Da Bodelschwingh, der um Weitergabe an die gesamte Pfarrerschaft gebeten war, noch einzelne Bedenken hatte, kam es dazu nicht. Als am 11. September der Berliner Kreis wie immer montags im Pfarrhaus von Gerhard Jacobi zusammen war, brachten auf Vermittlung Niemöllers zwei Landpfarrer aus der Niederlausitz, der spätere Generalsuperintendent Günter Jacob und Eugen Weschke, die dringende Frage und Anregung eines Zusammenschlusses aller bekenntnistreuen Pfarrer aus dem ganzen Reichsgebiet vor. Dieser Gedanke war offensichtlich reif: am gleichen Tag kam es auf Initiative von Joachim Beckmann zur Selbstverpflichtung der rheinischen Pfarrerbruderschaft, auch in Westfalen war ein ähnlicher Zusammenschluß entstanden, und für die Kurmark hatte Kurt Scharf, Sachsenhausen, dasselbe eingeleitet. So wurde der Plan von dem Berliner Kreis aufgenommen, die von Günter Jacob formulierte Verpflichtungserklärung akzeptiert und an Ort und Stelle von den über 78
60 Anwesenden unterzeichnet. Damit war der Pfarrernotbund gegründet.47 Da wegen eines möglichen Einwirkens auf die bevorstehende Nationalsynode (sie sollte zuerst schon am 19. September stattfinden) höchste Eile geboten war, wurden noch in der gleichen Nacht durch das Pfarrbüro Niemöllers rund 2000 Erklärungen an die der JB nahestehenden Pfarrer mit Bitte um Unterzeichnung verschickt. Um die Leitung des Notbundes war der noch immer als Integrationskraft anerkannte Bodelschwingh gebeten. Als dieser aber nur bei Mitbeteiligung von Marahrens zusagte, der sich indes wegen seiner prekären Lage in der eigenen Landeskirche nicht bereit finden konnte, entschloß sich Niemöller auf der Rückreise von Bethel und Hannover spontan, den Vorsitz selbst zu übernehmen. Damit „hatte Martin Niemöller seine Aufgabe und das deutschchristliche Kirchenregiment seinen entschiedensten Gegner gefunden".48 Die endgültige Fassung der Verpflichtung, wie sie Niemöller im Oktober bekanntgab und sie sich durchsetzte, lautete: „ 1. Ich verpflichte mich, mein Amt als Diener des Wortes auszurichten allein in der Bindung an die Heilige Schrift und an die Bekenntnisse der Reformation als die rechte Auslegung der Heiligen Schrift. 2. Ich verpflichte mich, gegen alle Verletzung solchen Bekenntnisstandes mit rückhaltlosem Einsatz zu protestieren. 3. Ich weiß mich nach bestem Vermögen mitverantwortlich für die, die um solchen Bekenntnisstandes willen verfolgt werden. 4. In solcher Verpflichtung bezeuge ich, daß eine Verletzung des Bekenntnisstandes mit der Anwendung des Arierparagraphen im Raum der Kirche Christi geschaffen ist." Also eine Solidaritätsverpflichtung untereinander, insbesondere aber das Nein zum Arierparagraphen als der akuten Entscheidungsfrage war Kennzeichen des Ganzen. Das Echo schon auf die erste Versendung war erstaunlich. Bereits am 21. September waren 1300 Unterschriften eingegangen, bis zur Nationalsynode am 27. schon 2000, so daß die Basis für ein nachdrückliches Wort an die Synode gegeben war. Nach allem war damit zu rechnen, daß dort für die ganze DEK die Übernahme der Arier-Gesetzgebung erfolgen würde. So wurde eine Eingabe formuliert in der Erwartung, „daß nicht alle Synodalen zu den heute umkämpften Fragen mutlos schweigen". Drei Punkte werden konkret angesprochen: Der „Druck der Gewalt" bei Einführung und Anwendung neuer Ordnungen in der Kirche, die landeskirchlichen Gesetze, „die mit der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis der Kirche im Widerspruch stehen, ... insbesondere der Arierparagraph", deren Aufhebung von der Nationalsynode gefordert wird, und die Unterwerfung der „Freiheit der evangelischen Verkündigung und ihrer 79
Träger" unter menschliche Ansprüche. „Wir werden also nicht aufhören, all das zu bekämpfen, was die Kirche in ihrem Wesen zerstört", und „gegen jede Verletzung des Bekenntnisses laut und vernehmlich Einspruch zu erheben."49 Zwar gelang es nicht, diese von 22 meist Berliner Pfarrern unterschriebene Eingabe zur Verlesung bringen zu lassen. Aber sie wurde den Synodalen zugestellt, dem Reichsbischof persönlich ausgehändigt, als Flugblatt verteilt und öffentlich angeschlagen. „Es mag unglaublich scheinen, aber es ist wahr: die Gegner machen sich bemerkbar", hieß es selbst in der DC-Presse.50 Die Synode nahm offiziell davon keine Notiz. Aber es blieben auch die befürchteten neuen Gesetze aus. Es hatte sich nämlich noch weiteres zugetragen. Zunächst hatte am 11. September eine Tagung von kurhessischen Kirchentagsabgeordneten an die Theologischen Fakultäten von Marburg und Erlangen die Bitte um Belehrung gerichtet, ob das für die APU beschlossene und für die ganze DEK in Aussicht genommene Gesetz mit dem Arierparagraphen „dem Evangelium von Jesus Christus, ... den ökumenischen Bekenntnissen und der Lehre der Reformation" und damit „der Verfassung der DEK gemäß ist oder widerspricht". Die Marburger Fakultät antwortete am 20. September mit der Unterschrift des Dekans von Soden mit einem klaren „unvereinbar mit dem Wesen der christlichen Kirche, wie es durch die allein maßgebende Autorität der Heiligen Schrift und das Evangelium von Jesus Christus bestimmt und durch die Bekenntnisse der Reformation bezeugt ist". Die Antwort von Erlangen vom 25. September, auftragsgemäß von Althaus und Eiert verfaßt, war weniger eindeutig: Die äußere Ordnung der christlichen Kirche habe nach reformatorischer Lehre „nicht nur der Universalität des Evangeliums, sondern auch der historisch-völkischen Gliederung der christlichen Menschen zu entsprechen". „Die Kirche muß daher die Zurückhaltung ihrer Judenchristen von den Amtern fordern. Ihre volle Gliedschaft in der DEK wird dadurch nicht bestritten oder eingeschränkt." Vor allem für schon im Amt Stehende seien Ausnahmeregelungen angemessen.51 Darüber hinaus aber hatten am 23. September auf eigene Initiative 21 Neutestamentier von ihrem Lehramt her in einer Eingabe an die Nationalsynode „Neues Testament und Rassenfrage" festgestellt: „Nach dem Neuen Testament sind zu kirchlichen Amtsträgern Juden und Heiden in grundsätzlich gleicher Weise geeignet. Sie werden zu einem kirchlichen Amt allein nach dem Maßstab ihres Glaubens, ihres Wandels und ihrer persönlichen Eignung von der Kirche und nur von ihr berufen... Wir sind daher der Meinung, daß eine christliche Kirche in 80
ihrer Lehre und in ihrem Handeln diesen Standpunkt grundsätzlich nicht aufgeben darf."52 An diese Fachgutachten schloß sich übrigens noch eine literarische Diskussion an, in der besonders Rudolf Bultmann engagiert Stellung bezog. Die altpreußische Generalsynode hatte aber auch in den Kirchen des Auslands Aufsehen und Unruhe ausgelöst. Hatten schon die Teilnehmer des Exekutivausschusses des ökumenischen Rates für praktisches Christentum in Novi Sad vom 9.-12. September der von der Einstweiligen Leitung beauftragten deutschen Vertretung kritische Fragen hinsichtlich der Behandlung der Judenchristen gestellt und „ihre ernsten Besorgnisse" zum Ausdruck gebracht, so faßte die anschließende Tagung des Exekutivkomitees des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen in Sofia, an der BonhoefFer beteiligt war, eine formelle Entschließung: „Wir protestieren gegen den Beschluß der preußischen Generalsynode und anderer Synoden, die den Arierparagraphen des Staates auf die Kirche übertragen...; das aber halten wir für eine Verleugnung der deutlichen Lehre und des Geistes des Evangeliums von Jesus Christus."53 Vollends aber hatte Erzbischof Eidem von Uppsala am 15. September einen unmittelbaren Brief an Müller gerichtet, in dem er vor der definitiven Annahme des Arierparagraphen bei der Nationalsynode warnte: Sie „würde die Gemeinschaft mit den übrigen evangelischen Kirchen aufs allerhöchste bedrohen - oder gar unmöglich machen - und eine Isolierung der DEK bedeuten". Die Nachricht schreckte das Auswärtige Amt auf, das auch seinerseits die Einstweilige Leitung unter Hinweis auf „noch eine andere, sehr bedrohliche Wirkung", nämlich die Ausweitung der „Verhetzung gegen Deutschland wegen der Judenfrage", vor einer weiteren Beschlußfassung warnte.54 Dies vor allem, neben allen anderen protestierenden Stimmen, hatte zur Folge, daß auf der Nationalsynode jede Behandlung der Frage unterblieb! Damit waren freilich die landeskirchlichen Gesetze - dem preußischen Beispiel waren andere wie Sachsen, Schleswig-Holstein, Braunschweig, Lübeck, Nassau-Hessen, Thüringen und Württemberg gefolgt - nicht aufgehoben, aber ihre Durchfuhrung auch nicht forciert. Jedenfalls wird man als entscheidenden Beitrag des Pfarrernotbundes würdigen müssen, daß er als erster an diesem Punkt die Bekenntnisfrage stellte. Vielen seiner Mitglieder fiel dies angesichts der kirchlichen Tradition wie der bürgerlichen antisemitischen Grundstimmung sicher nicht leicht. Darauf deuten auch Niemöllers „Sätze zur Arierfrage in der Kir81
che" hin, eine Antwort „auf Grund ständig wiederkehrender Anfragen", wo es am Schluß heißt, „warum nun ausgerechnet an dieser Stelle die Frage des Bekennens oder Verleugnens gestellt wird": Man habe diesem „ersten Vorstoß gegen die Bekenntnisgrundlage der Kirche", der „an dieser Stelle geschickt war und eine schwache Stelle der Kirche Christi t r a f , nicht ausweichen dürfen. „So kommt es gegen unseren Willen, daß hier eine grundsätzliche Stellungnahme von uns gefordert wird, ob uns das angenehm ist oder nicht!"55 Natürlich ist uns heute die Schwäche deutlich, daß sich das Widerstehen nur auf den Raum der Kirche beschränkte. Dennoch wird man in Erkenntnis dieser begrenzten Sicht dem Urteil Scholders über die Rolle des Notbundes insgesamt zustimmen müssen: „Das System der gegenseitigen Solidarität, das bald ausgebaut wurde, erwies sich als außerordentlich haltbar; und die strikte Beschränkung auf Kirche und Bekenntnis und damit verbunden die bewußte Öffentlichkeit seines Auftretens machte den Bund auch politisch kaum angreifbar. So wurde die Organisation des Pfarrernotbundes zum Kern der BK und blieb dies bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches."56 Wie zögernd sich freilich die konkrete Bekenntnisentscheidung erst durchsetzen mußte, zeigt das nassauische Beispiel: Als ich am 5. Dezember die Aufforderung zum Anschluß an den „Not- und Treubund nassauischer Pfarrer" erhielt und am nächsten Tag beitrat, war in der Verpflichtungserklärung der entscheidende Punkt des Arierparagraphen noch gar nicht enthalten! Wir haben das erst später nachgeholt.
Notwendiger
Klärungsprozeß
Nach der Nationalsynode schien eine Ruhepause eingetreten, in der nach außen hin „nichts Wesentliches passiert". Doch sollte diese Zeit „der Klärung des Selbstverständnisses dienen".57 Zunächst sah sich Müller veranlaßt, am 11. Oktober gegen „unsinnige Gerüchte..., daß demnächst eine Welle von Absetzungen und Versetzungen über die deutsche Pfarrerschaft hereinbrechen werde", insbesondere über die, die nicht den DC angehören, zu erklären: „Ich würde niemals zulassen, daß irgend jemand einen Nachteil erlitte, nur weil er nicht DC ist." Der kirchenpolitische Kampf sei beendet. Auffallend rasch und unter ausdrücklicher Bezugnahme darauf folgte die schon oben (s. S. 71) wiedergegebene Verfügung von Rudolf Heß über Glaubens- und Gewissensfreiheit für Parteimitglieder, mit der das Abrücken der Partei von der offenen Unterstützung der DC besiegelt wurde. Die bei diesen jetzt einsetzende „lebhafte 82
Beunruhigung" bis zur „größten Enttäuschung" nötigte Müller zu einer persönlichen Rücksprache mit Heß und führte in den DC-BIättern zu gequälten oder abschwächenden Kommentaren: Diese Gewissensfreiheit habe man immer vertreten; doch „alles Individuelle findet seine Schranke an der Norm, die über dem einzelnen steht. Und diese Norm heißt für das Dritte Reich Adolf Hitlers Christentum".58 Durchaus treffend kommentierte der deutschgläubige „Reichswart" des Grafen Reventlow, nach dem Ende der „Kirchengänge auf Kommando" werde „sich bald ergeben, wieviel missionarische Werbekraft dann noch übrigbleibt".59 Ein anderer Vorgang aus den gleichen Tagen ist hier zu registrieren, der damals kaum öffentliches Aufsehen erregte, freilich intern auch Kritik erfuhr und erst recht für spätere Generationen völlig unverständlich war. Gemeint ist das Danktelegramm des Notbundes an Hitler anläßlich des Austritts aus dem Völkerbund: „In dieser für Volk und Vaterland entscheidenden Stunde grüßen wir unseren Führer. Wir danken für die mannhafte Tat und das klare Wort, die Deutschlands Ehre wahren. Im Namen von mehr als 2500 evangelischen Pfarrern, die der Glaubensbewegung DC nicht angehören, geloben wir treue Gefolgschaft und fürbittendes Gedenken." Unter den fünf Unterzeichnern war auch Niemöller.60 Der Vorgang kennzeichnet schlaglichtartig die Situation der Anfangszeit. Von einer politischen Opposition oder gar Widerstandsbewegung konnte keine Rede sein. Von der mehr oder weniger unkritisch gesehenen Untertanenpflicht der Christen ebenso wie von der nationalen Grundhaltung her bestimmt, lebte man in der Fiktion, man könne die weltanschauliche Ideologie des NS klar ablehnen, den von ihm getragenen Staat aber ebenso eindeutig bejahen. Bonhoeffer, der gerade darin klarer sah, resignierte und übernahm ein deutsches Pfarramt in London.61 Noch einige Monate später äußerte er sich brieflich in aller Bitterkeit über die politische Blindheit der Opposition: „Phantasten und Naive wie Niemöller glauben immer noch, die wahren Nationalsozialisten zu sein - und es ist vielleicht eine gütige Vorsehung, die sie in dieser Täuschung bewahrt, und es liegt vielleicht auch im Interesse des Kirchenkampfes." Ihm aber war „ganz klar, daß diese Opposition nur ein ganz vorläufiges Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist".62 Es dauerte indessen noch geraume Zeit, bis sich diese Ernüchterung durchsetzen konnte. Besonders mühte sich Karl Barth um die „Klärung des Selbstverständnisses". Es war kein Zufall, daß sich gerade im Rheinland, wo aus der reformierten Tradition stärker als in anderen Provinzen ein Bewußtsein 83
von biblisch gegründeter und verantwortlicher Gemeinde lebendig war, ein Schwerpunkt kirchlicher Opposition gebildet hatte. In den gleichen Tagen wie der Notbund in Berlin entstand hier der „Coetus reformierter Prediger", dem es vor allem um die biblisch-theologische Fundierung der Pastoren ging und bei dem Karl Barth alsbald einen verständnisvollen Rückhalt fand.63 Die Rundbriefe des Coetus unter Verantwortung von Karl Immer, Barmen/Gemarke, wurden zu einer hervorragenden Quelle der Information wie vor allem der theologischen Zurüstung und Klärung und auch von Pfarrern anderer Landeskirchen, wie etwa von uns in Nassau-Hessen dankbar bezogen. Von Anfang an aber stand hier auch die Sammlung der Gemeinde im Blick, und so entstand aus diesem Kreis noch im Herbst 1933 das biblische Wochenblatt „Unter dem Wort", herausgegeben von H. Klugkist Hesse, Elberfeld, und Karl Immer, Barmen, das uns über das Rheinland hinaus und auch in bewußt lutherischen Gemeinden bis zu seinem Verbot im Sommer 1936 entscheidende Dienste getan hat. Ein wichtiger Schritt zur Klärung war ein mehrtägiger Aufenthalt von Barth in Berlin um den Reformationstag mit einem stark besuchten öffentlichen Vortrag „Reformation als Entscheidung", in dem er deutlich machte, daß Berufung auf die Reformation nicht eine „neuprotestantische Untreue" im Sinne von „Offenbarung und Vernunft, Glaube und Wissen, Evangelium und Volkstum" bedeuten kann, sondern nur das unbedingte Gebundensein an die mit der Reformation gefallene Entscheidung für den einen Grund Jesus Christus. Darum haben die, die heute Kirche der Reformation sein wollen, „Widerstand zu leisten, im Namen der wahren gegen die ... herrschende falsche evangelische Kirche", indem sie sich „rücksichtslos und fröhlich ... hinter die gefallene Entscheidung stellen".64 „Dieses einzige Wort Widerstand!", berichtet Barth selbst, fand damals „ein ganz ungeheures Echo, so daß ich einige Minuten meine Rede unterbrechen mußte." 65 Also nicht kirchenpolitische Taktik, sondern unbedingtes Ja oder Nein. Darauf liefen auch die drei großen Diskussionen mit 150 Pfarrern im Hause Jacobi hinaus, am deutlichsten, als Barth in den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen vier Kontrollfragen stellte: Sind wir bereit, auf eine etwa geforderte Erklärung, sich vorbehaltlos und unbedingt zum NS-Staat zu bekennen, ebenso klar zu reagieren wie auf den Arierparagraphen (wobei übrigens auch das Unrecht der KZ und an den Juden offen ausgesprochen wurde!); sind wir einig in der Bildung eines geistlichen Widerstandszentrums; wollen wir Verlautbarungen der neuen Kirchenregierungen noch den Gemeinden 84
verlesen; dürfen wir uns an ihren Unternehmungen noch irgendwie beteiligen, etwa ein angebotenes Amt übernehmen? „Ich kann nur sagen, man darf das nicht tun." 66 Stehen wir aber einer häretischen Kirchenregierung gegenüber, dann gibt es nur die Möglichkeit, „daß die, die auf dem Boden des Bekenntnisses stehen wollen gegenüber der Häresie, zusammentreten zu einer freien Synode. Daß nicht mehr gesprochen wird von Bruderschaft' und ,Kreis', sondern daß Sie wissen, Sie sind hier als die legitimen Vertreter der wahren deutschen Kirche."67 Damit war die Richtung des künftigen Weges deutlich, auch wenn zu seiner Verwirklichung noch viel geschehen mußte. Jacobi konnte zum Abschluß von einer Wende sprechen, da man in den beiden Tagen etwas erfahren durfte, „wie es sein muß". Wichtig auch, daß Niemöller mit Jacobi der Intention Barths zustimmte.68 Für die Öffentlichkeit geschah in jenen Wochen nichts weiter Bemerkenswertes. Erst sehr viel später offenbarten die Archive, daß das seit Wittenberg existierende Geistliche Ministerium - das sich alsbald als „Reichskirchenkabinett" und seine Mitglieder als „Kirchenminister" bezeichnete - mit großen Plänen umging. Man entwarf einen Haushaltsplan, in dem für Leitung und Verwaltung der Reichskirche, für den Reichsbischof und einen umfangreichen neuen Beamtenstab sowie für die von Hossenfelder zu steuernde „Volksmissionsarbeit großen Stils" ein Finanzbedarf von 5,8 Millionen gegenüber den für den Kirchenbund seither benötigten 830 000 RM veranschlagt war. Man erwartete den Mehrbedarf von 4,75 Millionen aus Zuschußmitteln des Reiches, stieß aber beim Innenministerium auf taube Ohren: Durch die zentrale Zusammenfassung müßten eher Ersparnisse statt Mehrkosten entstehen. So schrumpften die großen Pläne in nichts zusammen, und es blieb am Ende bei einem Jahresaufwand von 728 000 RM, also 100 000 weniger als beim einstigen Kirchenbund. 69 Die Tagebuchaufzeichnungen des Ministerialrats Conrad zeigen, daß man im Ministerium bewußt den „Cäsarenfimmel" Müllers zu dämpfen suchte: „Es ist gut, daß der enge Schmachtriemen zur Vernunft zu bringen scheint."70
Die Katastrophe der und ihre Folgen
Sportpalastversammlung
Während zum 12. November, der „Wahl" und Völksabstimmung zum Austritt aus dem Völkerbund, DC-Bischöfe emphatische Kundgebungen erließen - so Reichardt, Thüringen: „Im politischen Bekenntnis zu sei85
nem ihm von Gott gesandten Führer soll sich triumphierend der Glaube an die Siegkraft des Heilandes der Völker erheben"! wurde am Vortag über die drei Notbundpfarrer Niemöller, von Rabenau, Berlin, und Scharf, Sachsenhausen, wegen der Aufforderung, keinen Ariernachweis vorzulegen, Amtsenthebung verfugt, am selben Abend durch die Reichskanzlei wieder aufgehoben, aber am Tag nach der Wahl durch den EOK erneut in Kraft gesetzt. Doch an diesem 13. November hielten die DC ihre Generalmitgliederversammlung des Gaues Groß-Berlin im Sportpalast mit 20 000 Teilnehmern ab, die jäh die Situation verändern sollte. Nach dem üblichen Zeremoniell von NS-Massenveranstaltungen hielt DC-Reichsleiter, Bischof und Kirchenminister Hossenfelder eine Ansprache, in der er unter Absage an einen „faulen Frieden" die Durchführung des Arierparagraphen „in aller Strenge" ankündigte; er ging unmittelbar danach, um eine Reise nach Nürnberg anzutreten.71 Als Hauptredner folgte der Gauobmann Studienassessor Dr. Krause, der ursprünglich von der völkisch-religiösen „Deutschkirche" herkam und bei den DC die weltanschaulich revolutionäre Linie vertrat. Seine Rede nahm eine bei der Basis der DC damals verbreitete Kritik auf, daß die führenden Männer sich jetzt mit der erreichten Besetzung von Leitungsämtern zufrieden gäben und der kämpferische Elan der Bewegung durch vorsichtiges Taktieren wie den „Friedenserlaß" des Reichsbischofs erstickt werde. Hier wollte man mehr: „Dem evangelischen Volk war es nicht um eine neue Verfassung der Kirche und um neue Kirchenämter zu tun, sondern um die Vollendung der völkischen Sendung Martin Luthers in einer zweiten deutschen Reformation, deren Ergebnis nicht eine autoritäre Pastorenkirche mit bekenntnismäßigen Bindungen, sondern nur eine deutsche Volkskirche sein kann, die für die ganze Weite eines artgemäßen Gotterlebens Raum läßt." Die Ziele dieser zweiten Reformation wurden dann in teilweise wörtlicher Anlehnung an Rosenbergs Mythus so konkretisiert: „Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst und im Bekenntnismäßigen, Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten", ferner die Entfernung aller „offenbar entstellten und abergläubischen Berichte des Neuen Testaments" und „ein grundsätzlicher Verzicht auf die ganze Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus". Es gehe um „Rückkehr zu einem heldischen Jesus" und Abkehr von „der übertriebenen Herausstellung des Gekreuzigten". Die immer wieder durch begeisterten Beifall unterbrochenen Ausfuhrungen wurden dann in einer Entschlie86
ßung zusammengefaßt, in der nicht nur die Versetzung oder Amtsenthebung widerstrebender Pfarrer, die schleunigste Durchfuhrung des Arierparagraphen und die Gründung eigener judenchristlicher Gemeinden, sondern auch die Preisgabe des Alten Testaments und die Reinigung der schlichten Frohbotschaft von aller orientalischen Entstellung gefordert wurde. Die Entschließung wurde - unter Widerspruch eines einzelnen von der Galerie - von den 20 000 einschließlich der anwesenden Kirchenfiihrer - Bischof Peter, Propst Lörzer, Kirchenminister Werner, sechs Oberkonsistorialräten des EOK - einstimmig angenommen! Als am nächsten Morgen die großen Zeitungen ausfuhrlich davon berichteten, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Der Notbund sah sofortiges Handeln geboten. Jacobi und die Brüder Niemöller stellten Müller noch am gleichen Tag drei ultimative Forderungen: die Schirmherrschaft über die DC niederzulegen, Hossenfelder und die anderen bei der Versammlung anwesenden kirchlichen Führer von ihren Ämtern zu suspendieren und die Pfarrer, Kirchenältesten und Kirchenbeamten erneut auf ihr Amtsgelübde zu verpflichten. Zusammen mit Barth und Bodelschwingh, die nach Berlin gerufen waren, mühte man sich um Klärung des jetzt einzuschlagenden Weges. Dabei ergab sich noch einmal ein scharfer Gegensatz zwischen Barth und Niemöller. Barth wollte die ganze Entwicklung des Unrechts von Staatskommissar, aufgenötigter Verfassung und Juli-Wahlen an annulliert und damit einen völligen Neubeginn in Freiheit ermöglicht haben, während Niemöller nur das Ansetzen bei der vorhandenen Rechtslage für realisierbar hielt, Müller von den radikalen DC trennen und ihn zusammen mit den Gutwilligen für einen kirchlichen Weg zurückgewinnen wollte. Die Mehrheit der Notbundvertreter stimmte zuletzt Niemöller zu, und so setzte nun mit Überreichen der schriftlich fixierten Forderungen und einer ersten Kanzelabkündigung der Notbundpfarrer ein starker Druck auf Müller ein, der verzweifelt versuchte, zumindest Zeit zu gewinnen, um aus der immer aussichtsloser werdenden Situation herauszukommen. Als erstes distanzierte er sich schon am 15. November von dem Referat Krause und der Entschließung als einem „unerträglichen Angriff auf das Bekenntnis der Kirche" und veranlaßte Krauses Suspendierung von allen kirchlichen Ämtern, worauf Hossenfelder ihn am nächsten Tag von seinen DC-Funktionen entband. Müller forderte ferner von allen kirchlichen Verbänden und Organisationen die ausdrückliche Verpflichtung ihrer Mitglieder „auf die Heilige Schrift und das Bekenntnis ihrer Kirche", aber auch, „geschlossen hinter ihrem Kirchenfuhrer zu stehen". 87
Die Suspendierung von Niemöller, von Rabenau und Scharf ließ er aufheben, aber von den durch die Sportpalastversammlung belasteten DCProminenten wollte er sich nicht trennen, zumal diese auch am 15. November erklärten, daß sie „bereits an Ort und Stelle durch Bischof Peter schärfsten Protest eingelegt haben und diesen Protest hiermit vor der Öffentlichkeit wiederholen". Nicht leugnen konnten sie indessen, daß sie der Entschließung zugestimmt hatten. Der „Protest" beschränkte sich zudem nach Aussage des Versammlungsleiters darauf, daß Peter unter vier Augen Krause nur darüber Vorwürfe gemacht habe, „daß er den Reichsbischof hier öffentlich angegriffen habe". Krause selbst versicherte, durch Zeugen unter Eid beweisen zu können, daß „mir Präsident Werner im Anschluß an meine Rede die Hand geschüttelt und gesagt hat, daß ich ihm den Rücken gestärkt hätte gegen die Geistlichkeit in den obersten Kirchenbehörden", was ihn freilich nicht gehindert habe, am nächsten Tag sich der Aktion gegen ihn, Krause, anzuschließen. Es war deutlich, daß man Krause und seine engeren Freunde als Alleinschuldige isolieren und damit die eigene Position retten wollte. Zur Beruhigung ließ Müller am 16. November vom Geistlichen Ministerium ein (auf den 24. Oktober datiertes!) Gesetz „zur Regelung des Beamtenrechts der DEK" beschließen, mit dem bis zu einer gesamtkirchlichen Ordnung die landeskirchlichen Gesetze ausgesetzt und damit der Arierparagraph suspendiert wurde! Aber die durch die Sportpalastversammlung ausgelöste Lawine war nicht aufzuhalten. Die allgemeine Empörung sah in Hossenfelder den eigentlich Verantwortlichen („Die Verantwortung für die Glaubensbewegung trage ich!").72 Während er vom „Unterfangen einiger weniger" sprach, „die sich selbst das Wort gaben", und „zum letzten Male mit allem Nachdruck und aller Eindeutigkeit" erklärte, „daß ich als Reichsleiter der GDC als die Grundlagen der Bewegung Bibel und Bekenntnis ansehe", trat auf der einen Seite Alfred Rosenberg aus der Kirche aus, da der Reichsbischof Anschauungen als Irrlehre bezeichnet habe, die „zum größten Teil heute schon im Volk mit (dem) Bewußtsein vertreten (werden), die Fortentwicklung in der deutschen Reformation darzustellen",73 und auf der anderen Seite verließen jetzt Ungezählte die DC. Zwar hatte Hossenfelder noch auf einer Führertagung am 23./24. November in Weimar seine Anhänger zu geschlossener Gefolgschaft zu mobilisieren gesucht, aber schon dort schied die bayerische Gruppe geschlossen aus, und umgekehrt verselbständigten sich die Thüringer „aufs tiefste erschüttert von dem geistig kirchlichen Niveau" zur „Kirchenbewegung DC (Natio88
nalkirchliche Bewegung)". Hier kam die Kritik an Hossenfelder von der völkisch-religiösen Seite: Auf „die Frage: Was ist uns Christus?... hatten Sie bisher nur eine Antwort: eine rein kirchenpolitische! Sie haben alte Kirchenfürsten gestürzt! Gewiß, das mußte sein. Und Sie und Ihre Berliner Freunde haben dafür Bistümer und Bischofsstühle eingenommen. Aber mehr haben Sie wahrlich nicht zuwege gebracht.. ," 74 Die propagierte „Glaubensbewegung" ohne theologisches Fundament und mit derart disparaten Zielsetzungen hatte sich als Illusion erwiesen. Unterdessen fand sich Müller zwischen allen Feuern. Die Opposition, zu der sich jetzt mit dem Notbund die Bischöfe Meiser, Wurm und Marahrens und Präses Koch zusammengefunden hatten75, trat mit Protestversammlungen an die Öffentlichkeit und forderte am 24. November von Müller die Entlassung Hossenfelders. Am gleichen Abend verlangte eine von Weimar kommende große DC-Delegation von ihm die Hinzuberufung eines weiteren lutherischen Kirchenministers in Gestalt des Dresdeners Coch zur Verstärkung der DC-Position. Müller gab nach, erreichte aber damit nur, daß am nächsten Tag Schöffel zurücktrat. Hatte Müller wohl gehofft, jetzt werde ähnlich wie im Sommer der Staat unterstützend eingreifen, gab ihm Hitler am 29. November eine eindeutige Absage, die am nächsten Tag von Frick veröffentlicht wurde: Da es sich um rein kirchliche Angelegenheiten handele, werde von außen her nicht eingegriffen, auch polizeiliche Maßnahmen hätten zu unterbleiben. In den gleichen Tagen sah sich Müller auch von seinen seitherigen Beratern, den Professoren Fezer, Schumann und anderen, auch Gogarten, im Stich gelassen, die ebenso wie zahllose Pfarrer und ganze Gaue oder Bezirke die DC verließen. Auf die erneute Forderung von Notbund und lutherischen Bischöfen vom 30. November auf Neubildung des Geistlichen Ministeriums, Ausschaltung der DC-Nebenregierung und Niederlegung der Schirmherrschaft trat am gleichen Tag der Rest des Ministeriums (Hossenfelder, Weber und Werner) zurück. Der vorläufige Schlußpunkt war, daß Müller am 6. Dezember - unter der Devise der Unabhängigkeit von allen kirchenpolitischen Gruppen! - tatsächlich die DC-Schirmherrschafit niederlegte und am 20. Dezember Hossenfelder für zwei Jahre von seinen Ämtern als Bischof und Vizepräsident des EOK beurlaubte; dieser trat am nächsten Tag auch als Reichsleiter der DC zurück. Ihn ersetzte der farblose Kieler Jurist Dr. Kinder, der den Namen in „Reichsbewegung DC" änderte, aber das Absinken des Ganzen in die Bedeutungslosigkeit nicht aufhalten konnte. Die Sportpalastversammlung war zum Ende der „machtvollen" DC-Bewegung geworden. 89
Ludwig Müllers Kampf ums Überleben Schien mit der Ausschaltung Hossenfelders und dem Zerfall seiner DC zwar der gefahrlichste Krankheitsherd beseitigt, zeigte sich doch bald, daß Müller zu einem echten Neubeginn nicht bereit war. Wohl bot er durch seinen neu erwählten Adjutanten, den rheinischen Bischof Dr. Oberheid, der in der presbyterial-synodal strukturierten Kirchenprovinz sowieso keinen Boden gewinnen konnte, Niemöller das Amt des unierten Kirchenministers an76 und offerierte Präses Koch - noch während Hossenfelder im Amt war! - die Stelle des geistlichen Vizepräsidenten des EOK 77 , was beide nur als Spaltungsversuch verstehen konnten. Unter Nichtbeachtung der Vorschläge der Landeskirchenfiihrerkonferenz, da „ein Reichsbischof ultimative Forderungen irgendwelcher Gruppen nicht annehmen kann und darf' 78 , ernannte Müller am 2. Dezember die aus den DC ausgeschiedenen Rektor Lauerer, Neuendettelsau, Professor Beyer, Greifswald, wiederum Weber, Elberfeld, und kommissarisch Dr. Werner als neues Geistliches Ministerium. Da der erste nicht annahm, der dritte am 22. Dezember zurücktrat und Werner entlassen wurde, war die Neubildung - auch abgesehen von ihrer Rechtsgültigkeit - gescheitert. Der allein verbliebene Beyer trat Anfang Januar ebenfalls zurück. So konzentrierte sich nun die Vertrauenskrise unvermeidlich auf Müller selbst, den man zuvor noch immer zu gewinnen hoffte. Den Rest des Vertrauens aber verscherzte er sich durch den Verrat an der evangelischen Jugend. Der unverhüllte Anspruch der HJ, die einzige Jugendorganisation des Dritten Reiches zu sein, hatte schon im Frühsommer 1933 zu Angriffen und Repressalien geführt, die zwar durch Eingreifen des Innenministeriums eingedämmt wurden, auf unterer Ebene aber weiter gingen. Die evangelischen Jugendverbände waren unter dem wachsenden Druck näher zueinander gerückt und hatten sich unter Leitung eines Führerrats und des bevollmächtigten „Reichsführers" D. Erich Stange, Kassel, zum Evangelischen Jugendwerk Deutschlands (EJWD) zusammengeschlossen. Durch Unterstellung unter den Schutz Müllers als Beauftragten Hitlers im Juli 1933 glaubte man die bedrohte Existenz des Jugendwerks mit seinen über 700 000 Mitgliedern - zusammen mit den sich rasch anschließenden freien Gemeindegruppen sicher mehr als 1 Million - gesichert zu haben. Dies war ein fundamentaler Irrtum. Die Verantwortlichen zusammen mit den Jugendlichen selbst standen damals dem NS noch kaum kritisch gegenüber und erstrebten eine enge Zusammenarbeit 90
oder gar Angliederung an die HJ, wobei ihr die politische und wehrsportliche Erziehung überlassen, aber um der glaubensmäßigen Substanz und besonderen missionarischen Aufgabe willen die Eigenständigkeit gewahrt bleiben sollte. Müller aber unterbreitete am 17. November dem Führerrat einen Vertragsentwurf, nach dem die vorbehaltlose und obligatorische Eingliederung in die HJ vorgesehen war. Der Führerrat lehnte eindeutig den Plan ab, „da er die Existenz des Jugendwerks aufs schwerste gefährde und ,ein Versailles für die Kirche' bedeute", während der Reichsbischof versprach, „die geäußerten Bedenken ,auf sich zu nehmen'". 79 Geradezu unglaublich aber erscheint, daß die Vertreter des EJWD in der gleichen Sitzung Müller „die unmittelbare und persönliche Befehlsgewalt über das Jugendwerk im Rahmen seiner Verfassung" übertrugen. Jedoch muß dies wohl als Beleg dafür gelten, wie ernst man die Lage angesichts des Totalanspruchs des NS auf die gesamte Jugend sah und, wie auch auf katholischer Seite, nur noch durch unmittelbare Verantwortung der amtlichen Kirche ein Schutz denkbar schien. Nur hatte deren Exponent allein sein eigenes Überleben im Sinn und war bereit, dafür alle Erwartungen von Staat und Partei zu erfüllen. So entwickelte sich der Vorgang zur Groteske. 793 Nachdem am 9. Dezember in der Presse ein bevorstehender Vertragsabschluß zwischen Müller und Baidur von Schirach gemeldet wurde und es den Jugendführern bei mehrtägigem Aufenthalt in Berlin nicht gelang, Müller trotz dessen wiederholter Zusage selbst zu sprechen, wurde ihnen am Abend des 12. Dezember ein offizieller, von Kirchenminister Beyer unterzeichneter Beschluß des Geistlichen Ministeriums übergeben, wonach vor einer Entscheidung „der Führerrat des EJW ... unter allen Umständen rechtzeitig gehört" werde.80 Am 15. Dezember 14 Uhr werden die Mitglieder auf nächsten Morgen 11 Uhr zur Besprechung mit Müller geladen. Als sie sich nach Nachtfahrten alle termingemäß einfinden, wird ihnen mitgeteilt, der Reichsbischof sei soeben zur Beerdigung einer Verwandten nach Pommern abgereist und ein Empfang sei auch am nächsten Tag nicht möglich. Als sich bei der am 18./19. Dezember endlich zustande gekommenen Aussprache ergab, daß Müller trotz einhelliger Ablehnung der Jugendführer zum Abschluß des Vertrages entschlossen war, zog der Führerrat unter Hinweis auf die Rechtslage (Verfassung des Werks und der Verbände) und mit Zustimmung der versammelten Führerschaft einschließlich der Landesfuhrer sowie der Landes- und Provinzialjugendpfarrer die Müller übertragene Befehlsgewalt zurück.81 Am gleichen Tag hatten sich die nicht-deutsch-christlichen Landeskirchenführer einge91
schaltet und durch Meiser und Wurm Müller die Forderung vortragen lassen, „den Jugendvertrag ja nicht abzuschließen, ohne den Kirchenfuhrern noch einmal Gelegenheit zur Äußerung gegeben zu haben", was Müller „auf das allerbestimmteste" zugesagt habe.82 Dabei traf er die Abmachung mit Schirach schon am gleichen Abend, ohne den später noch einmal mit ihm zusammengetroffenen Jugendführern ein Wort davon zu sagen. Das Abkommen, das das Datum vom 19. Dezember trägt, enthielt die entscheidende Bestimmung: „Die Jugendlichen des EJW unter 18 Jahren werden in die HJ und ihre Untergliederungen eingegliedert. Wer nicht Mitglied der HJ wird, kann flirderhin innerhalb dieser Altersstufen nicht Mitglied des EJW sein." Der ganze Vorgang hatte eine doppelte Auswirkung: Für Müller bedeutete er den endgültigen Verlust des Vertrauens und zwar nun auch in unzähligen Gemeinden und ihrer Jugend, wo man ungleich stärker von den Dingen betroffen und auch unterrichtet war als von den kircheninternen Auseinandersetzungen. Zum andern gingen viele Gemeinden und dann auch die Verbände dazu über, eine Mitgliedschaft von Jugendlichen unter 18 Jahren überhaupt aufzuheben und mit Hilfe von Fachkräften und Arbeitsmaterial eine freie und jedem zugängliche Jugendarbeit der Gemeinde aufzubauen, die trotz aller Erschwernisse und Unterdrückungsversuche die allein sinnvolle Form werden sollte. So gewiß mancherorts forsch „eingegliedert" wurde, haben sich zahlreiche Gemeinden und Verbände der angeordneten Überfuhrung ihrer Gruppen in die HJ auf diese Weise entzogen. Müller selbst, der geglaubt hatte, damit den Rückhalt Hitlers neu zu gewinnen - er behauptete, Hitler werde den Vertrag als sein schönstes Weihnachtsgeschenk ansehen - , sah sich gründlich getäuscht: zum Jahresende beklagte er bitter, daß ihm kein Wort des Einverständnisses und der Freude zugegangen sei.83 Um die Jahreswende 1933/34 schien Müllers Schicksal besiegelt. Das Desaster der von ihm protegierten DC, der Bankrott seiner Reichskirchenregierung und nicht zuletzt sein „Schurkenstreich" (Bischof Wurm) mit der evangelischen Jugend ließ die Opposition sprunghaft anwachsen. Vom Notbund, der unterdessen über 6000 Mitglieder zählte, über die Nicht-DC-Bischöfe bis hin zu früheren DC-Leuten wie Fezer, Beyer, Weber und Werner setzte sich die Überzeugung durch, daß der „Reibi" untragbar geworden sei. Aber obwohl die Opposition am 30. Dezember ultimativ ein neues Ministerium zur Berufung vorschlug und sich mühte, in persönlichen Gesprächen, u. a. auch durch Bodelschwingh, Müller einen ehrenvollen Abgang zu verschaffen, lehnte dieser ab. Die am 4. Ja92
nuar in Halle erneut versammelten Opponenten werden von Berlin durch sich überstürzende und völlig widersprüchliche Telefonate, Telegramme und Gerüchte - von Diktaturplänen Müllers, seiner Krankenhauseinlieferung bis zu seinem Rücktrittsangebot - in Atem gehalten und gegen Mitternacht um Abwarten gebeten und vor ungesetzlichen Schritten gewarnt; sie bleiben daraufhin bei ihrem Ultimatum und lehnen weitere Verhandlungen ab. Doch am gleichen Tag erläßt Müller seine „Verordnung betr. die Wiederherstellung geordneter Zustände in der D E K " , die den „Mißbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzungen" sowie „Benutzung der Gotteshäuser und sonstigen kirchlichen Räume" hierzu untersagt und „Amtsträger, die das Kirchenregiment oder dessen Maßnahmen öffentlich . . . angreifen", mit Enthebung vom Amt und förmlichem Disziplinarverfahren bedroht. Zugleich werden die Kirchengesetze, mit denen die landeskirchlichen Regelungen über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Beamten suspendiert waren, außer Kraft - und damit der Arierparagraph wieder in Kraft gesetzt! Gegen diesen „Maulkorberlaß" erhebt sich eine Welle von Protesten und eine Reihe von Landeskirchen lehnen seine Durchführung ab. Der Notbund erläßt eine Kanzelabkündigung, in der am 7. und 14. Januar Tausende von Pfarrern „vor Gott und dieser christlichen Gemeinde Klage und Anklage" erheben, daß der Reichsbischof „emstlich denen Gewalt androht, die um ihres Gewissens und um der Gemeinde willen zu der gegenwärtigen Not der Kirche nicht schweigen können, und zum anderen bekenntniswidrige Gesetze von neuem in Kraft setzt, die er selbst um der Befriedung der Kirche willen aufgehoben hatte. Wir erklären, daß sein widerspruchsvolles Verhalten es uns unmöglich macht, ihm das Vertrauen entgegenzubringen, dessen er in seinem Amte bedarf', und daß „wir uns seiner Verordnung widersetzen". 84 Dennoch gelingt es nicht, Müller zu Fall zu bringen. Auf der Suche nach neuem Rückhalt hatte er sich inzwischen eines genugsam bekannten Namens erinnert: August Jäger, dessen Brutalität wohl noch am ehesten mit der wachsenden Opposition fertig werden könnte. Daß es sich dabei nicht um bloße Gerüchte handelte, zeigen die Tagebuchaufzeichnungen des Ministerialrats Conrad, der in drastischer Schärfe notiert: „Der substanzlose Schwächling sucht Halt bei dem ebenso substanzlosen Rohling." 85 Danach sollte Jäger Chef der gesamten Kirchenverwaltung werden. „Wir schössen vom Reichsinnenministerium her mit allen Mitteln quer." Dort fand bei Conrad und Ministerialdirektor Buttmann die Opposition am ehesten Verständnis und Niemöller selbst häufig Bera-
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tung. Conrad berichtet, daß Müller mit Jäger beim Leiter der Gestapo (Diels) deren Eingreifen zu erreichen suchte, während das Innenministerium den strikten, von Hitler ausdrücklich bestätigten Neutralitätskurs durchsetzte. Man erfahrt dort auch von Müllers abenteuerlichen Plänen einer staatskirchlichen Verklammerung (Minister Göring, Staatssekretär Jäger). Inzwischen erließ der preußische Kultusminister Rust, neben Göring eine Stütze für Müller, unter Bezugnahme auf dessen Verordnung vom 4. Januar an die evangelisch-theologischen Fakultäten ein entsprechendes Verbot der öffentlichen Stellungnahme gegen die Reichskirchenregierung und der Zugehörigkeit zu oppositionellen Vereinigungen.86 Angesichts der verworrenen und festgefahrenen Lage, in der ein Auseinanderbrechen der D E K und beim Notbund der Schritt in die Freikirche drohte, gelang es am 13. Januar dem Innenministerium auf Bitte Hindenburgs, die Kirchenführerkonferenz zu einem „Burgfrieden" zu bewegen, bis bei einem Empfang bei Hitler am 17., endgültig dann 25. Januar, eine Klärung erfolgt sei. Auch der heftig reagierende Niemöller ließ sich von Conrad von einem Bruch mit den Bischöfen zurückhalten. 87 Alle Aufmerksamkeit konzentrierte sich jetzt auf die Vorbereitung dieses Empfangs, von dem die Preisgabe Müllers durch Hitler erhofft wurde. Um in möglichst breiter Front auftreten zu können, wurden zu den Beratungen auch die früheren Kirchenminister Beyer, Weber und Werner (dieser nach seiner Entlassung ein erbitterter Gegner Müllers) und einige Professoren wie Fezer und Gogarten zugezogen. Aber auch die rheinischwestfälischen Vertreter Held, Lücking und Barth kamen, um Kompromißlösungen zu wehren. Ein Memorandum sollte erarbeitet und Hitler vorher zugeleitet werden. Doch kam es über der Forderung der Professoren nach theologischer Würdigung der völkischen Erhebung und des neuen Staates zu Barths Verdikt über Fezers unüberwundenen DCAnsatz: „Wir haben einen anderen Geist, wir haben einen anderen Glauben, wir haben einen anderen Gott!" 88 Der dann von Niemöller und anderen in Anlehnung an Barth formulierte Text führt die entstandene Lage darauf zurück, „daß die Kirche ihre eigentliche Aufgabe, das reine Evangelium zu verkündigen, nicht entschieden genug gewahrt hat". Ob die Unterzeichner gegen oder zunächst bei den DC standen, sie seien sich „einig darin, daß jetzt grundlegender Wandel geschaffen und ein echter Neuansatz gefunden werden muß". Sie seien „bereit und entschlossen, unserer deutschen evangelischen Kirche ein Kirchenregiment zu geben, dessen Glieder in persönlichem Vertrauen und im Willen zur echten Kirche verbunden sind". Praktisch sollte die Wiederherstellung geordneter 94
Verhältnisse durch Berufung eines neuen Geistlichen Ministeriums und eines Kirchenverwesers durch den Reichsbischof auf Vorschlag der Kirchenfiihrerkonferenz eingeleitet, dann durch Müllers Rücktritt der Weg freigemacht und das Ganze durch einen Vertrag über die rechtlichen Beziehungen von Staat und DEK abgeschlossen werden. Das Memorandum wurde von 11 der 16 Geladenen - deren Auswahl war dem Innenministerium übertragen - unterzeichnet (Beyer, Fezer, Koopmann, Präses Koch, Lauerer, Marahrens, Meiser, Niemöller, Schöffel, Werner, Wurm) und noch am Morgen des 25. Januar Hitler zugeleitet, ebenso Hindenburg, der ihn noch kurz vor dem Empfang zu sich gebeten hatte.89 Der Empfang - von Staatsseite waren Hitler, Frick, Göring und Buttmann, von Kirchenseite noch Müller, Adler, Coch, Kinder, Oberheid und Weber anwesend - verlief jedoch völlig anders als vorauszusehen. Zu Beginn verlas Göring in dramatisierter und durch Zusätze gesteigerter Form 90 ein am gleichen Morgen abgehörtes Telefongespräch Niemöllers, bei dem dieser einem anfragenden Amtsbruder in lockerer Form geantwortet hatte, alles sei bestens vorbereitet, auch Hindenburg habe das Memorandum in der Hand, Hitler sei auf 12 Uhr zu ihm bestellt und werde dort - wie ein anderer einwarf - die letzte Ölung erhalten. Außerdem wies Göring auf Beziehungen des Notbundes zur feindlichen Auslandspresse hin. Auf den Zornesausbruch Hitlers über diese Hintertreppenpolitik, mit der ein Keil zwischen den Reichspräsidenten und ihn getrieben und die Einheit des Reiches gefährdet werde - bei späterer Gelegenheit hat er behauptet, er habe das Telefongespräch gekannt und Göring angewiesen, es zu verlesen91; war das Ganze ein abgekartetes Spiel? - erklärte Niemöller, der Vorgang habe keinerlei politischen Hintergrund, man habe sich an Hindenburg als vornehmstes Glied der Kirche gewandt, um eine Katastrophe abzuwenden, die auch zum Schaden für Volk und Drittes Reich werden müsse, worauf Hitler erwiderte: „Die Sorge um das Dritte Reich überlassen Sie mir, sorgen Sie für die Kirche." Die Auseinandersetzung mit Niemöller nahm nicht nur den ganzen ersten Teil des Empfangs ein, sie bestimmte auch seinen Ausgang: ungeachtet der von Wurm und Meiser vorgetragenen Unhaltbarkeit des gesamten Müllerschen Weges erklärte Hitler, das Verhalten der Opposition mache es ihm unmöglich, den Reichsbischof fallen zu lassen. Die Kirchenfuhrer sollten die Spannungen überbrücken und mit Müller erneut „in christlich-brüderlicher Gesinnung" zusammenarbeiten. Die mit dem Empfang verbundenen Hoffnungen waren zerronnen. Unausgesprochen erschien Niemöller als der Schuldige. Die verheeren95
den Folgen zeigten sich sofort. Am 26. und 27. Januar verhandelt Müller mit den Kirchenführem, setzt sie mit mündlichen Versprechungen unter Druck, worauf auch die oppositionellen Bischöfe eine Verlautbarung widerspruchslos hinnehmen: „Unter dem Eindruck der großen Stunde, in der die Kirchenflihrer der DEK mit dem Herrn Reichskanzler versammelt waren, bekräftigen sie einmütig ihre unbedingte Treue zum Dritten Reich und seinem Führer. Sie ... stellen sich geschlossen hinter den Reichsbischof und sind gewillt, seine Maßnahmen und Verordnungen in dem von ihm gewünschten Sinne durchzuführen, die kirchenpolitische Opposition gegen sie zu verhindern und mit allen ihnen verfassungsmäßig zustehenden Mitteln die Autorität des Reichsbischofs zu festigen."92 Nach allem Vorausgegangenen ein unbegreiflicher Vorgang93, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Oberheid mit kurzer Verlesung und sofortiger Veröffentlichung die Versammelten überfuhr. Im Lande aber verbreitete sich das Gerücht, die „Auslandsbeziehungen" des Notbundes - in damaliger Sicht mit schwerem Verdacht behaftet! - hätten den Bischöfen ein weiteres Zusammengehen mit ihm unmöglich gemacht. Tatsächlich traten noch Ende Januar von den 7036 Mitgliedern 1200 bayerische, 350 hannoversche und 250 württembergische aus, so daß die Zahl auf 5256 sank.94 Am 7. Februar schrieb Niemöller dem Verfasser auf Anfrage, er habe Göring die behaupteten Beziehungen bestritten, und dieser habe ihm das Material zugesagt. „Das ist bislang nicht erfolgt. Irgendwelche Auslandsbeziehungen des Notbundes bestehen nicht... Die Bischöfe und Kirchenführer haben für ihren Umfall auch mir gegenüber keine Entschuldigung, geschweige denn die, daß ich schuld habe, geltend gemacht. Jedenfalls steht der Notbund völlig sauber da mit seinem Kampf für die Geltung des Bekenntnisses."95 Wenn auch Meiser und Wurm angesichts nicht eingehaltener Versprechungen und sich häufender Gewaltmaßnahmen im März Hitler gegenüber und auch öffentlich ihre Unterwerfungserklärung zurücknahmen, war das Ganze ein schwerer Rückschlag. Aber der Vorgang bedeutete darüber hinaus ein Scheitern des ganzen kirchenpolitischen Versuchs, durch eine möglichst breite Front eine Wende herbeizuführen. Karl Barth hatte recht behalten. Doch deutet seine eigene Beteiligung an der Vorbereitung darauf hin, daß dieser Weg zu Ende gegangen und seine Aussichtslosigkeit erwiesen werden mußte. Jetzt wurde auch über den engeren Kreis um Barth hinaus deutlich, daß die Stunde für ein Neues gekommen war. 96
4. Der Aufbruch der Bekennenden Kirche Erste freie Synoden Der neue Abschnitt der Entwicklung hatte sich bereits Anfang des Jahres angekündigt: Am 3. und 4. Januar 1934 fand in Wuppertal-Barmen, zunächst weit weniger beachtet als der „Maulkorberlaß" Müllers mit seinen dramatischen Folgen, eine erste freie reformierte Synode statt: Die dort „versammelten 320 reformierten Ältesten und Prediger aus 167 evangelischen Gemeinden Deutschlands bekunden, daß die von ihnen gehörte, durch Herrn Professor D. Barth verfaßte .Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der DEK der Gegenwart' die Wahrheit der Heiligen Schrift bezeugt, und nehmen sie dankbar auf ihre Verantwortung."1 Der Text entfaltet in fünf Abschnitten über „Die Kirche in der Gegenwart", „Die Kirche unter der Heiligen Schrift", „Die Kirche in der Welt", „Die Botschaft der Kirche" und „Die Gestalt der Kirche" von der Schrift und den reformatorischen Bekenntnissen her gewonnene Aussagen und weist entgegenstehende Ansichten und Irrtümer zurück. Der Vorgang war in verschiedener Hinsicht bedeutsam und zukunftweisend. Hier waren über Initiativen der Pfarrerschaft hinaus die Gemeinden am Klärungsprozeß beteiligt und damit der Weg zu kirchlicher Verbindlichkeit aufgezeigt. Zum andern bezog sich die Entschließung nicht auf kirchenpolitische Aktionen, sondern führte die aufgebrochenen Auseinandersetzungen auf falsche Ansätze in Lehre und Verkündigung zurück und suchte in bekenntnisartigen Sätzen Wesen und Auftrag der Kirche zu verdeutlichen. So wurde die Tagung zu einer Vorstufe für die bekanntere Bekenntnissynode Ende Mai in Barmen und deren theologische Erklärung, die mancherlei Anklänge an den allerdings viel ausführlicheren Text vom Januar erkennen läßt. Zunächst wird das reformierte Modell zum Anstoß für die Bildung regionaler freier Synoden, so im Februar im Rheinland, im März in BerlinBrandenburg und in Westfalen, wo die Gestapo die nicht DC-beherrschte Provinzialsynode aufgelöst und die Bekenntnistreuen sich unter dem legalen Präses Koch neu konstituiert hatten. Weitere Synoden in Schlesien und Pommern folgen. Angesichts eines noch nicht vorhandenen übergreifenden Zusammenschlusses beschließt der Notbund schon im Februar den Anschluß an die rheinische freie Synode in der Hoffnung, „auf diesem Wege in organischer Weiterentwicklung zu einer Freien evangeli97
sehen Synode für den Gesamtbereich drängt jetzt auf den Zusammenschluß und Kräfte hin. Zugleich werden durch sammlungen die Entscheidungsfragen hineingetragen.
Beginn der Eingliederungspolitik
der DEK zu kommen". 2 Alles der verschiedenen freien Kreise Kirchentage und Bekenntnisverin die Breite der Gemeinden
des Reichsbischofs
Unterdessen sucht Müller scheinbar unbeirrt seinen „Sieg" durch Führerempfang und Unterwerfungserklärung nach Kräften zu nutzen und seine angeschlagene Position zu festigen. Eine Welle von Maßregelungen - Beurlaubung, Disziplinarverfahren, Versetzung im Interesse des Dienstes, Zurruhesetzung, Amtsenthebung und Entbindung von Aufsichtsämtern - ergeht über nicht zur Unterwerfung bereite Notbundpfarrer; Niemöller wird beurlaubt und dann „endgültig" in den Ruhestand versetzt. Zwar ernennt Müller nach fast zwei Monaten der Vakanz ein neues Geistliches Ministerium, dessen Mitglieder nur noch ehrenamtlich tätig sind: ohne Bezüge und Kirchenministertitel, unter Verbleiben in ihren seitherigen Ämtern und Wohnsitzen; sie werden nur von Zeit zu Zeit zu Sitzungen nach Berlin gerufen. Die eigentliche Führung der DEK wird vom Reichsbischof und seinem Büro wahrgenommen. 3 Anfang März leitet er, um die zentralistische Leitung der Reichskirche zu verwirklichen, einen Prozeß der Eingliederung der Landeskirchen in die DEK ein. Zum Auftakt überträgt er selbst als Landesbischof der APU, der inzwischen unter Aufhebung oder Ausschaltung der Beschlußgremien alle Leitungsbefugnisse in seiner Hand vereinigt, diese seine Befugnisse auf die DEK, also auf sich als Reichsbischof.4 Die Fortfuhrung übergibt er dann August Jäger, den er am 12. April als „rechtskundiges Mitglied in das Geistliche Ministerium" beruft und wenige Tage später als „Rechtswalter der DEK" mit seiner Vertretung in kirchenpolitischen Angelegenheiten beauftragt. Es sei „notwendig, unter Vermeidung von Glaubensstreitigkeiten zunächst die äußere Ordnung der DEK zu festigen und auszubauen". 5 Jäger verbleibt zugleich in seiner Dienststellung als Ministerialdirektor und Leiter der Kirchenabteilung des Preußischen Kultusministeriums; gleichzeitig ist er Amtswalter für evangelische Kirchenangelegenheiten in der Reichsleitung der NSDAP, vereinigt also Staats-, Partei- und Kirchenamt in seiner Person! Mit seiner Berufung endet die Amtszeit von Bischof Oberheid als „Chef des Stabes", wozu Müller seinen vorherigen „Adjutanten" erst Anfang März ernannt hatte. Für 98
ihn beruft er den zum Bischof ernannten Vorsteher des Rauhen Hauses, D. Engelke, „als allgemeinen Gehilfen und Vertreter in theologischen Angelegenheiten" mit der Bezeichnung „Vikar der DEK". Die neue Phase wird überraschenderweise mit einer „Friedensaktion" eröffnet. Am 13. April erläßt Müller eine „Botschaft zum kirchlichen Frieden" und verkündet gleichzeitig ein „Kirchengesetz zur Befriedung der kirchlichen Lage", wonach der „Maulkorberlaß" vom 4. Januar außer Kraft gesetzt und Maßnahmen wegen kirchenpolitischen Verhaltens nicht durchgeführt oder, soweit schon erfolgt, nachgeprüft werden; die umstrittenen und am 4. Januar wieder in Kraft gesetzten Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Pfarrer und Kirchenbeamten (Arier-Paragraph!) „bleiben mit Wirkung vom 4. Januar außer Kraft gesetzt"!6 Diese „Friedensaktion" löst bei den DC, die ihre eben wieder konsolidierte Machtposition erneut schwinden sehen, einen Sturm der Entrüstung aus. Auf seiten der Opposition vermochte man an die Echtheit des Friedenswillens nicht zu glauben. Als wenige Tage später ein Urteil des Berliner Landgerichts bekannt wurde - Müller hatte Dr. Werner, einst Jurist im Geistlichen Ministerium und Präsident des altpreußischen EOK, der Müllers Amtsführung bei Hitler scharf kritisiert hatte, aus seinen Ämtern entlassen, und Werner hatte gegen ihn auf Zahlung seines Gehalts als EOK-Präsident geklagt und recht bekommen! - , war der Hintergrund der Friedensaktion deutlich. Das Gericht hatte nämlich die Rechtswidrigkeit verschiedener Verordnungen Müllers festgestellt, da er kein Notverordnungsrecht besitze und kein Recht habe, die Verfassung abzuändern. Auch sei das Geistliche Ministerium nicht ordnungsgemäß besetzt und darum von ihm erlassene Gesetze ebenso wie bestimmte Verordnungen Müllers in bezug auf die APU ungültig.7 Damit erwies sich, daß die Niederschlagung der laufenden Verfahren keinen Friedens- oder Gnadenakt, sondern die unvermeidliche Konsequenz aus dem Gerichtsurteil darstellte. Dessen ungeachtet beginnt Jäger sofort mit seinem Auftrag der Eingliederung, bei der die Selbständigkeit der Landeskirchen in Kultus und Bekenntnis garantiert bleibt, jedoch in Verwaltung und Gesetzgebung „absolute Einheitlichkeit" durch die DEK herbeigeführt wird.8 Ein erster Eingriff in Württemberg - aufgrund einer zum „kirchlichen Notstand" hochgespielten Haushaltsauseinandersetzung zwischen Kirchenleitung und dortigen DC, in Wahrheit zur Ausschaltung des widerspenstigen Landesbischofs Wurm - scheitert jedoch an dessen Widerstand und seinem starken Rückhalt in Pfarrerschaft und Gemeinden. Der Konflikt 99
fuhrt im Gegenteil zum festeren Zusammenrücken und ersten öffentlichen Auftreten der Bekenntnisgemeinschaft aus dem ganzen Reichsgebiet am 22. April in Ulm.
Der Zusammenschluß
zur
Bekenntnisgemeinschaft
Nach dem schweren Rückschlag Ende Januar und der Trennung der süddeutschen Bischöfe vom Pfarrernotbund konnte Niemöller zunächst nur von einem „Albdruck über der gesamten evangelischen Kirche", vom „abgebrochenen Kirchenkampf' und dem allein übriggebliebenen Notbund sprechen. Dennoch sei der drängenden Forderung nach Kirchenaustritt nicht nachzugeben, vielmehr alles zu tun, „um die Kirche der Reformation zu ihrem Auftrag zurückzufuhren, solange dafür irgendeine Möglichkeit besteht". Das ganze Schwergewicht der Arbeit müsse nun auf der Gemeinde liegen, da „Kirche - wenn überhaupt noch einmal - dann nur aus der Gemeinde heraus werden kann". 9 Indessen sehen sich die Bischöfe in ihrer Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse durch ihre „Unterwerfungserklärung" aufs bitterste enttäuscht. Von einer Einlösung der Müllerschen Versprechungen war nichts zu spüren, vielmehr zeigten die sich häufenden Meldungen über Gewaltmaßnahmen im ganzen Reichsgebiet die eindeutige Verschärfung der Lage. Dies alles und nicht zuletzt Müllers Eingliederung der APU in die Reichskirche als Modell für alle Landeskirchen veranlaßt Meiser und Wurm, eine neue Audienz bei Hitler zu erbitten, bei der sie am 13. März laut Meisers Bericht „die Mitverantwortung für den weiteren Gang der Dinge abgelehnt" haben. „Wir mußten einsehen, daß wir falsch gehandelt haben, als wir den uns am 27. Januar 1934 gegebenen Zusagen ohne weiteres Glauben schenkten, und können u n s . . . nicht mehr an unsere damalige Erklärung gebunden erachten." 10 Nun sind es die Bischöfe, die sich - so die Darstellung bei J. Schmidt bemühen, „durch die Aufnahme von Kontakten zu den westdeutschen Bekenntnissynoden eine Widerstandsfront in der DEK aufzubauen. Bei einer Besprechung... am 19. März ersuchten die Vertreter der westdeutschen Bekenntnissynoden ,die Brüder aus dem Süden', dem .Kirchenregiment in Berlin, das beharrlich dem Worte Gottes widerstrebt, den Gehorsam aufzusagen'. Meiser und Wurm versprachen, sich von der Erklärung der Landeskirchenfiihrer vom 27. Januar öffentlich zu distanzieren"", und taten dies auch in einem Rundschreiben an ihre Pfarrer vom 27. März.12 Die von beiden Bischöfen ausgehende Einladung zu einer Zu100
sammenkunft mit führenden Mitgliedern des Notbundes und der westdeutschen Bekenntnissynoden in Nürnberg lehnte Niemöller zunächst ab, da er einen Rückfall in die kirchenpolitische Taktik des Winters befürchtete. Bei dieser Besprechung am 11. April wird aber „zur Zusammenfassung aller um die Reinerhaltung der evangelischen Kirche kämpfenden Kräfte" ein Arbeitsausschuß gebildet, dem unter Vorsitz von Präses Koch die beiden Bischöfe und neben anderen ein Vertreter des Notbundes angehören sollen. „Als Vertreter des Notbundes wurde Niemöller in den ,Nürnberger Ausschuß' berufen, nachdem die Differenzen zwischen ihm und den süddeutschen Bischöfen bei Gesprächen am 17. und 18. April in München beigelegt worden waren." 13 Der mit anwesende Superintendent Hahn, Dresden, berichtet, daß Meiser Niemöller eingeladen hatte und man in Meisers Wohnung eine „bedeutungsvolle Stunde: die Versöhnung mit Niemöller!" erlebte. 13 ' Damit war ein wesentlicher Schritt für den weiteren Weg getan. Nun aber nötigte die dramatische Entwicklung zu einem unerwartet raschen öffentlichen Hervortreten. Am Tag nach Nürnberg war Jäger berufen und bereits am 15. April sein Eingriff in Württemberg gefolgt. Noch bei der erwähnten Münchener Besprechung in Anwesenheit von Meiser, Wurm, Niemöller, Bodelschwingh, Koch und Hahn wird eine gemeinsame Kundgebung der eben zusammengerückten Bekenntnisgruppen für den 22. April in Ulm beschlossen.14 Dieser Ulmer Bekenntnistag dokumentiert für die Öffentlichkeit den „Zusammenschluß der Bekenntnisgemeinschaft der DEK". 15 Nach der Predigt Wurms verliest Meiser vor 5000 Gemeindegliedern die Ulmer Erklärung, in der die „versammelten Vertreter der württembergischen und bayrischen Landeskirchen, der Freien Synoden im Rheinland, in Westfalen und Brandenburg, sowie vieler bekennender Gemeinden und Christen in ganz Deutschland" - die Herkunft der 34 Unterzeichner reichte von München bis Kiel, von Saarbrücken bis Schneidemühl - sich als „rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands" bezeichnen. „Als eine Einheit, die durch die Kraft Gottes treu zum Bekenntnis zu stehen gedenkt, obwohl wir damit rechnen müssen, daß uns dadurch viel Not erwachsen wird", drücken sie angesichts des Gewaltakts in Württemberg ihre „schwere Sorge um die Deutsche evangelische Kirche" aus und „rufen ... alle Gemeinden, Älteste und Kirchengemeinderäte, Kirchenvorsteher und Pfarrer auf, mit uns zusammenzustehen gegen solche Gefährdung der Kirche. Aller Verschleierung zum Trotz bezeugen wir: Das Bekenntnis ist in der DEK in Gefahr!"16
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Ein Doppeltes ist bemerkenswert: Die Zusammengeschlossenen ziehen sich nicht aus der von den DC eroberten Kirche zurück, sondern erheben den Anspruch, als die rechtmäßige DEK zu sprechen. Und in ihrem Willen, Gewalt und Unrecht „das Wort Gottes und das Bekenntnis unserer Kirche in Wort und Tat entgegenzusetzen", lassen sie erkennen, daß es ihnen nicht um bloße Wiederherstellung äußerer Ordnung, sondern um das Zentrum der Kirche und ihres Auftrags geht.
Auf dem Weg zur Barmer Synode Nach dem Ulmer Tag wird als wichtigstes die Vorbereitung der Bekenntnissynode in Angriff genommen. In der nächsten Sitzung des Ausschusses am 2. Mai in Berlin werden Pastor Hans Asmussen, Professor Karl Barth und der Münchener OKR Thomas Breit mit der Ausarbeitung einer theologischen Vorlage beauftragt und am 7. Mai in Kassel Zeitpunkt, Rechtscharakter und bekenntnismäßige Zielsetzung (kein Unionsbekenntnis, gemeinsames Wort zu den heute gestellten Fragen) der Synode vereinbart. Von beiden Sitzungen geht jeweils eine „Erklärung der Bekenntnisgemeinschaft der DEK" aus, wobei die Berliner auch der Reichsregierung gegenüber die notwendigen Schritte „zur Herbeiführung des Friedens" auffuhrt und die Kasseler feststellt, „als die rechtmäßige DEK" werde man „bekenntnis- und verfassungswidrigen Anordnungen nicht Folge leisten"; Christen und Gemeinden werden aufgefordert, „sich zu örtlichen Bekenntnisgemeinschaften, unter Verbleib in ihrer Kirche, zusammenzuschließen". „Wenn uns die Zeit gekommen scheint, werden wir zu einer gemeinsamen Kundgebung des Bekennens aufrufen." 17 An die Erarbeitung des damit offenbar gemeinten theologischen Wortes begab sich der beauftragte Dreierausschuß - der noch hinzugebetene Erlanger Sasse war durch Krankheit verhindert - am 15. und 16. Mai in Frankfurt am Main. Barth erheiterte sich später: „Die lutherische Kirche hat geschlafen, und die reformierte Kirche hat gewacht." Während eines ausgiebigen Mittagsschlafes der beiden Lutheraner - tatsächlich hatte man sich wohl nach ausfuhrlicher Vorbesprechung zu jeweils eigener Arbeit getrennt, zu der die beiden aber aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht kamen 18 - habe er die sechs Sätze entworfen, die dann gemeinsam durchgearbeitet und im wesentlichen akzeptiert wurden. „Das Resultat war, daß am Abend jenes Tages ein Text vorlag - ich will mich nicht rühmen, aber es war wirklich mein Text."19 Auch Asmussen hat 1936 Barths Hauptanteil ausdrücklich bestätigt: „Er hat den Grundriß 102
der sechs Barmer Sätze in wenigen Stunden niedergeschrieben, nachdem wir drei einige Stunden lang uns über die Richtung verständigt hatten, in welcher geredet werden sollte."20 Diese „Frankfurter Konkordie", wie Barth sagen konnte, wurde bewußt nicht als „Bekenntnis", sondern als „Theologische Erklärung" bezeichnet. In den nächsten Tagen verfaßte Asmussen im Auftrag der drei das erläuternde Referat für die Synode, dessen Wortlaut nun Barth wiederum voll anerkannte: „Erklärung und Text stimmen nun wirklich zusammen wie Topf und Deckel."21 Asmussen war es dann auch, der das Frankfurter Ergebnis am 22. Mai in Leipzig dem Arbeitsausschuß vortrug. Hier auftauchende erste Bedenken betrafen neben mangelnder Volkstümlichkeit (Meiser) im wesentlichen22 die konfessionellen Probleme, die mit einer gemeinsamen Entschließung tangiert seien, als auch die ganz unterschiedliche rechtliche Kompetenz von Synodalen, die ganze Landeskirchen oder rechtlich nicht anerkannte freie Synoden, unter Umständen auch nur lose Gemeindegruppen vertraten. Einzelne Textkorrekturen vor allem in der Präambel wurden vereinbart. Als jedoch aus Erlangen (Meiser hatte Sasse und Althaus durch Breit informieren lassen) schwere grundsätzliche Einwände laut wurden - für Sasse war die Synode nicht befugt, eine gemeinsame Lehrerklärung für Lutheraner und Reformierte abzugeben, und Althaus verwarf die sechs Sätze selbst als untragbare Barthsche Theologie und „Verrat an meiner Kirche" - , entschloß sich Asmussen zu einem neuen, dann in Erlangen zusammen mit Sasse bearbeiteten Entwurf, der freilich auf Barths energischen Widerspruch stieß. So war wenige Tage vor Beginn der Synode das Schicksal ihrer entscheidenden Entschließung noch völlig ungewiß. Daß jetzt doch nur von dem Frankfurter Entwurf ausgegangen, er aber nicht formelle Vorlage werden konnte, veranlaßte Asmussen zu dem Vorschlag an Präses Koch, Text und erläuterndes Referat sollten als Votum der drei Theologen verlesen, im übrigen aber der Synode überlassen werden, was sie daraus machen wolle. Dies war der Stand bei Beginn der Synode, die aber dann doch einen anderen Verlauf nahm. 23
Erste Bekenntnissynode
in Barmen 29.-31. Mai 1934
Die Tagung in der reformierten Kirche Barmen-Gemarke umfaßte aufgrund der Nominierungen aus 19 Landeskirchen (nur wenige kleine fehlten) 139 Synodale und etwa 300 Gäste. Die Einladungen waren von Präses Koch, der auch die Verhandlungen leitete, „vertraulich und persönlich" ergangen. Man konnte die Synode naturgemäß nicht öffentlich an103
kündigen; daß es zu keinem staatlichen Verbot kam, resultierte, wie man später erfuhr, nur daraus, daß man auf seiten der Partei hoffte, die Opposition werde sich aufgrund ihrer inneren Spannungen dort vollends zerstreiten und damit bedeutungslos werden. Daß das Gegenteil geschah, bewirkte eben die Theologische Erklärung. So gewichtig auch die anderen Gegenstände waren: die vom Rechtsausschuß erarbeitete „Erklärung zur Rechtslage" und eine richtungweisende „Erklärung zur praktischen Arbeit" (geistliche Erneuerung des Pfarrerstandes, Aufbau und Sendung der bekennenden Gemeinde), ihre entscheidende Bedeutung gewann die Synode durch ihr theologisches Wort, das später allgemein unter „Barmen" verstanden wurde und auf das sich unsere Darstellung konzentrieren soll. Schon vor dem am Abend des 29. Mai von Hahn, Dresden, gehaltenen überfüllten Eröffnungsgottesdienst „gab es den ganzen Tag über Verhandlungen in immer wechselnden Kreisen, die eigentlich nur einem einzigen Thema galten: der Stellung der Lutheraner in der Bekenntnisgemeinschaft. Dabei zeigte sich, daß die Lutheraner selbst durchaus nicht einer Meinung waren."24 Die bis 4 Uhr nachts dauernden leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, bei denen die einen vor einer vermeintlichen Einheit ohne theologische Klärung der zwischen den Konfessionen stehenden Fragen warnten, die anderen es als Ungehorsam ansahen, jetzt ein gemeinsames bekennendes Wort zu verweigern, denn „Gott hat uns zusammengeprügelt", führten schließlich zur Verständigung darüber, daß der Frankfurter Entwurf mit Asmussens Vortrag offiziell eingebracht werden, dann aber die Synode zunächst in Bekenntniskonvente auseinandertreten und erst nach deren Stellungnahme über das Wort entscheiden solle. So trug am 30. vormittags Asmussen als erstes den Text unter starker Zustimmung des Plenums vor, es folgte die Beratung der Konvente, und während dann das Plenum weiter tagte, fand sich ein achtköpfiger lutherisch-reformierter Ausschuß zusammen (Asmussen, Barth, Beckmann, Merz, Niesei, Obendiek, Putz, Sasse), der wieder bis in die Nacht hinein die Schlußredaktion vornahm. Das Ergebnis wird am 31. vormittags wiederum von Asmussen vorgetragen und nach ausdrücklicher Zustimmung von lutherischer und reformierter Seite einstimmig angenommen. Der Erlanger Sasse, der als einziger nicht zuzustimmen vermochte - nicht wegen des Inhalts der sechs Sätze, sondern allein ihrer gemeinsamen Verabschiedung wegen! - , hatte die Synode vorzeitig verlassen. Zur Verdeutlichung, wie die Synode die Erklärung verstanden haben wolle, erkennt sie sie „im Zusammenhang mit dem Vortrag von Pastor Asmussen als christliches, biblisch-reformatorisches Zeugnis an und nimmt sie auf ihre 104
Verantwortung". Ein zweiter Beschluß wollte offenbar Befürchtungen ausräumen, man könnte etwa auf Auslegungen der sechs Sätze festgelegt werden, die dem Verständnis des eigenen Bekenntnisses nicht entsprechen; darum: „Synode übergibt diese Erklärung den Bekenntniskonventen zu Erarbeitung verantwortlicher Auslegung von ihren Bekenntnissen aus." Gerade dieser Beschluß sollte in der Folgezeit noch eine Rolle spielen. Auf lutherischer Seite übernahm Meiser die Verantwortung für diese Konventsarbeit. Zum Verständnis der Theologischen Erklärung seien einige Aspekte herausgehoben. Sie beruft sich auf Art. 1 und 2 der Verfassung der DEK. Die Bekenntnissynode ist also nach Asmussen „nicht gleichbedeutend mit der Gründung einer neuen Kirche", so daß „man ihr nur zu Unrecht ein Verlassen der Bekenntnis-, Verfassungs- und Rechtsgrundlage vorwerfen kann. Wir sind keine Rebellen."25 Art. 1 der DEK-Verfassung26 gibt der Bekenntnisgemeinschaft angesichts des bekenntnis- und verfassungswidrigen Handelns des neuen Kirchenregiments die sachliche und rechtliche Grundlage für ihren Anspruch, „die rechtmäßige DEK" zu sein. Ebenso erklären die in der Synode Vereinigten, daß sie „gemeinsam auf dem Boden der DEK als eines Bundes der deutschen Bekenntniskirchen stehen". Mit dieser Betonung des Bundescharakters der DEK wird implizit auch der zentralistischen Eingliederungspolitik Müller-Jäger - inzwischen waren am 27. April Nassau-Hessen, 4. Mai Sachsen, 8. Mai Schleswig-Holstein, 14. Mai Thüringen, 15. Mai Hannover (Marahrens widerrief seine Zustimmung), 24. Mai Hamburg „freiwillig eingegliedert" worden - die Legitimität abgesprochen. Damit ist aber zugleich der Punkt berührt, der für den weiteren Weg der Bekenntnissynode selbst entscheidend sein mußte: das Verhältnis der Bekenntnisse zueinander. Mit aller wünschenswerten Deutlichkeit stellt Asmussen klar, daß es hier nicht um den Versuch geht, „die alte Union wieder zu erneuern" oder die unbeantworteten Fragen zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten „in irgendeinem Sinne zu verharmlosen". „Uns als Schülern der Reformatoren geht es darum, das Gespräch dort wieder anzuknüpfen, wo es im 16. Jahrhundert abgebrochen worden ist."27 Man war sich also in Barmen bewußt, daß die Klärung der Fragen ausstand, und wollte sie nicht überspringen. Dies durfte aber ein gemeinsames Wort dennoch nicht verhindern: „Gerade weil wir unseren verschiedenen Bekenntnissen treu sein und bleiben wollen, dürfen wir nicht schweigen, da wir glauben, daß uns in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in 105
den Mund gelegt ist. Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag." Die Folgezeit hat erwiesen, daß dies kein frommes Gerede war: In der Tat wurde Barmen letztlich zum Anstoß für die Abendmahlsentschließung der altpreußischen Bekenntnissynode Halle 1937, damit für das lutherisch-reformierte Abendmahlsgespräch und die Arnoldshainer Thesen 1957, und dadurch wieder zur Leuenberger Konkordie 1973. Insgesamt war das Entscheidende an der Erklärung, daß sie nicht mehr nur Protest gegen Unrecht und Gewalt darstellte, nicht kirchenpolitische Aktion, so notwendig auch sie an ihrem Ort war - die Erklärung zur Rechtslage spricht diese Dinge noch einmal konkret an - , sondern daß hier versucht wurde, die theologischen Ansatzpunkte all der deutschchristlichen Irrwege aufzuzeigen und zur Glaubensentscheidung zu rufen. Die Einleitung der Erklärung schließt: „Wir bekennen u n s . . . zu folgenden evangelischen Wahrheiten", und im Schlußabsatz heißt es: „Die Bekenntnissynode der DEK erklärt, daß sie in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die unumgängliche theologische Grundlage der DEK als eines Bundes der Bekenntniskirchen sieht." Der Begriff status confessionis kommt nicht vor, aber die Sache ist gemeint: Die Erklärung wagt es, vielleicht erstmals wieder seit der Reformationszeit, von Häresie, von Irrlehre zu sprechen, bei der es um Bekennen oder Verleugnen Jesu Christi geht, und man könnte darin ihre kirchengeschichtliche Bedeutung sehen. Den mit Barmen bezeichneten Entscheidungscharakter gab auch der damals immer wieder zitierte Ruf wieder: „Her zu uns, wer dem Herrn angehört!" Um welche Entscheidungen ging es konkret? In der grundlegenden These I wird Jesus Christus als das eine Wort Gottes bezeichnet, neben dem keine anderen Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung und Quelle der Verkündigung anerkannt werden können. „Andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten" jedermann wußte, was und wer damit gemeint war. Das war ja gerade die Grundforderung der DC, daß nur eine Verkündigung, die beides sagte: Christus und das Gottesgeschenk des Führers, und Volk und Nation, und Blut und Rasse, der gottgegebenen historischen Stunde entspreche und allein wahrhaft christlich sei. Mochte dieses „Christus und" auch von vielen gedankenlos mit- und nachgesprochen worden sein, mit Barmen wurde deutlich, daß hier - und nicht nur für das damalige „und"! - eine letzte Entscheidung fiel. 106
Nach These II ist Jesus Christus nicht nur Gottes gnädiger Zuspruch, sondern zugleich sein kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben. Kein Glaube ohne Nachfolge, und darum auch keine Bereiche, in denen wir nicht ihm, sondern anderen Herren zu eigen wären. Auch hier verstand jedermann, was gemeint war, und daß dies auch im Verhältnis StaatKirche nicht zu vergessen, also These V mit II zusammen zu hören sei. Die Thesen III und IV definieren die Kirche als Gemeinde von Brüdern, die als Eigentum ihres Herrn mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung ihn zu bezeugen hat und darum kein Führerprinzip in ihrer Mitte propagieren oder dulden darf. Ekklesiologische Aussagen also, wie man sie in den reformatorischen Bekenntnissen manchmal vermißt hat.28 These V beschreibt in aller Nüchternheit die Aufgabe des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen, „im (äußersten) Notfall", wie Barth später gern hinzugefugt hätte,29 unter Androhung und Ausübung von Gewalt. Demgegenüber erinnert die Kirche „an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten". Auch hinsichtlich des letzteren hätte man sich später anders ausgedrückt,30 aber zweifellos sollte der so umschriebene Auftrag der Kirche gegenüber jedem Staat gelten, unabhängig von der jeweiligen Staatsform oder Gesellschaftsstruktur. Die doppelte Verwerfung trifft die aktuellen Irrwege, den Totalitätsanspruch des Staates31 ebenso wie eine Kirche, die selber zu einem Organ des Staates werden möchte. Dies wird in These VI noch einmal zusammenfassend aufgenommen: Die Kirche hat „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk" - also auch ohne Unterschied der Rasse - , darf aber niemals „Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen". Auch dies war die aktuelle Verirrung, aber mutatis mutandis ist es die Versuchung der Kirche zu aller Zeit gewesen. Die knappen Bemerkungen mögen deutlich machen, daß hier ein Wort zur konkreten Stunde gesprochen und zugleich, ob dies allen bewußt war oder nicht, eine gültige Wegweisung für Botschaft und Dienst der Kirche gegeben war. Daß die Erklärung ungeachtet aller tiefgreifenden Probleme einstimmig verabschiedet wurde, „das ist vom Herrn geschehen" und „ist ein Wunder vor unseren Augen!", wie das Gemeindeblatt „Unter dem Wort" damals schrieb. Von den übrigen Beschlüssen sei neben den bereits erwähnten Erklärungen zur Rechtslage und zur praktischen Arbeit sowie einem „Aufruf an die evangelischen Gemeinden und Christen in Deutschland" nur noch 107
einer genannt, mit dem die Synode den seitherigen elfköpfigen Arbeitsausschuß zum Bruderrat bestellte und ihn bevollmächtigte, „die ihr (der Synode) gestellten Aufgaben durchzuführen und überhaupt für sie mit der Maßgabe zu handeln, daß in allen wichtigen Fragen die Entscheidung der Bekenntnissynode selbst eingeholt werden muß". Nach Ergänzung gehörten diesem wichtigsten Organ zwischen den Synodaltagungen, bald allgemein „Reichsbruderrat" genannt, folgende zwölf Personen an: Koch als Vorsitzender, Meiser, Wurm, Beckmann, Düsseldorf, Bosse, Hannover, Dr. Fiedler, Leipzig, Hesse, Elberfeld, und Immer, Barmen, als Reformierte, Jacobi, Berlin, Kaufmann Link, Düsseldorf, Niemöller, Dahlem, und, mit Zustimmung der Synode hinzugewählt, Asmussen.
Die ersten Auswirkungen von Barmen Die Wirkung der Synode war recht gegensätzlicher Art: Sammlung der bekennenden Gemeinden auf der einen, kritische Distanzierung auf der anderen Seite. Zunächst zum Positiven. Von Barmen angestoßen beginnt jetzt auch in Gebieten, die besonders gegenüber Rheinland und Westfalen im Rückstand waren, ein spürbarer Aufbruch. Wir beschränken uns hier als Beispiel auf Nassau-Hessen. Bereits am 9. Juni berichtet Pfarrer Veidt, Frankfurt/M., an Präses Koch: „Mit großer Freude denken wir hiesigen (5) Vertreter an die Barmer Synode zurück... Schon am Tage nach Beendigung der Synode hatten wir hier eine von etwa 300 geladenen Personen besuchte Versammlung, die... sich geschlossen auf den Boden der Barmer Beschlüsse stellte."32 Wenige Tage später schreiben die Nichttheologen in dem im Mai in Frankfurt entstandenen „Bruderrat der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft Nassau-Hessen" an die Notbundpfarrer im Lande: „Wir dürfen in unserem Kirchengebiet nicht zurückbleiben. Die Barmer Bekenntnissynode muß für unser Handeln den entscheidenden Ausgangspunkt bilden. ... Vor allen Dingen kommt es auf die Gewinnung von Laien an. Bisher haben die Pfarrer in erster Linie im Kampf gestanden, jetzt müssen wir Laien an die Front." In der beigefügten Verpflichtungserklärung für Gemeindeglieder heißt es: „Ich stehe zu den mir bekannten Beschlüssen der Bekenntnissynode der DEK vom 31. Mai 1934."33 Gemeindepfarrer verteilen die Theologische Erklärung und laden zu Ausspracheabenden ein. Ich selbst notiere in meinem Amtskalender, daß wir am 10. Juni eine erste Zusammenkunft für Kirchenvorsteher und Vertrauensleute im Kreis Biedenkopf ge108
halten haben, und kann dann nach Frankfurt berichten, daß wir uns am 8. Juli als Bekenntnisgemeinschaft zusammengeschlossen und 75 fuhrende Männer aus 22 Ortschaften jene Beitrittserklärung unterschrieben haben. Wo sich aktive Pfarrer zusammenfinden, kommt es hin und her in Gemeinden und Kirchenkreisen zu Bekenntniszusammenkünften, die der biblischen Zurüstung wie der aktuellen Information dienen. Von jetzt an ist nicht mehr nur der Notbund das tragende Element, so gewiß er eine Art Kemtruppe blieb, nun ist von bekennender Gemeinde und Kirche zu sprechen, auch wenn sich der Name erst allmählich durchsetzte: Bekenntnisbewegung, Bekenntnisgemeinschaft, Bekenntnisfront, Bekenntniskirche, Bekennende Kirche (BK). Aber auch für die BK-Pfarrerschaft begann mit Barmen eine planmäßige theologische Arbeit. Eigene Pfarrkonvente mit Exegese, Predigtvorbereitung und systematischer Durcharbeit der akuten Entscheidungsfragen traten, wo es die Zusammensetzung der Pfarrerschaft erlaubte, mehr und mehr an die Stelle der herkömmlichen „amtlichen Konferenzen". Hier wurden die Barmer Sätze und die Kritik an ihnen durchgearbeitet. Bald setzte nun auch ein für die weitere Entwicklung entscheidender Vorgang, die Sammlung der jungen Theologen ein. Im September 1934 unterschreiben im hessischen Predigerseminar Friedberg 16 der 25 Kandidaten aus eigener Initiative die Barmer Erklärung „als sie bindend für Predigt und Lehre". Kurz danach rief der damalige Gießener Privatdozent Edmund Schlink die „Bruderschaft der Vikare, Kandidaten und Studenten der Theologie" für Nassau-Hessen ins Leben, deren Beitrittserklärung lautete: „Hiermit melde ich mich zur Bruderschaft an, sehe in den Barmer theologischen Sätzen schrift- und bekenntnismäßige Weisungen, denen ich folgen will, und unterstelle mich der Bekenntnissynode als der rechtmäßigen geistlichen Leitung der DEK." Ob alle die Folgen schon überschauten, jedenfalls war es der Schritt in die völlige Ungesichertheit. So schrieb Schlink an die Jungen: „Fragen Sie bei dieser Entscheidung bitte nicht: Was wird daraus?" Er wolle nichts über etwaige günstige Entwicklungen sagen, „um Ihnen nicht die Not und den Segen eines Entschlusses zu ersparen, der allein im Gehorsam gegen Wort und Bekenntnis erfolgen muß, nicht im Blick auf die Vorteile oder Nachteile für Ihre Person oder Ihre Eltern oder Ihre Braut".34 Dies alles war noch vor der Dahlemer Synode. Man darf es schon erstaunlich nennen, daß eine „Theologische Erklärung" einen solchen Prozeß der Entscheidung und Sammlung auslösen konnte und damit ihre bindende Kraft erwies. Aber dies war nur die eine Seite der Sache. 109
Die andere war die Kritik, die alsbald einsetzte. Sie kam weniger von den DC, die das Ganze als „Versuche, ein neues Bekenntnis aufzustellen", zu bagatellisieren suchten,35 sondern von betont lutherischer Seite, insbesondere aus Erlangen. Es begann bereits am 11. Juni mit dem „Ansbacher Ratschlag" von den Professoren Eiert und Althaus und einigen Pfarrern, mit dem laut Anschreiben „endlich die genuin lutherische Stimme zu Gehör gebracht werden muß". 36 Es folgte eine Reihe kritischer bis schroff ablehnender Stimmen, am schärfsten von Eiert selbst, dann von Althaus, Sasse, dem Tübinger Neutestamentier Gerhard Kittel und anderen. In der Kritik kehren einige Gesichtspunkte mehrfach wieder, von denen ein lutherischer Sprecher vor allem zwei hervorhebt, nämlich völkische und konfessionelle Gründe. 37 So beschuldigt man Barmen „des geradezu krampfhaften Bemühens, jede positive Beziehung der Kirche auf das, was unser Volk heute in politischer Hinsicht erlebt, zu unterbinden" (Eiert), vermißt eine Verkündigung, die „durchgängig mitbestimmt wäre durch die von Gott ihr geordnete Stunde von Welt und Volk und Mensch" (Kittel),38 sieht die Gestalt - wenn auch nicht den Gehalt - der Botschaft und „die Ordnung der Kirche immer auch durch ... politische Wirklichkeiten (zu denen auch politische Überzeugungen gehören können!) mitbestimmt" (Althaus). Barmen aber rede, „als wäre nichts geschehen", verschweige die Aufgabe, daß „die Kirche ihre Glieder zum Gehorsam gegen die Staatsordnung verpflichtet", und wisse nichts über die „Verbindung von Staat und Kirche im Dienst an dem Volke".39 Im „Ansbacher Ratschlag" wurden Einwände dieser Art so begründet: „Das Wort Gottes redet zu uns als Gesetz und Evangelium", das Gesetz aber „begegnet uns in der Gesamtwirklichkeit unseres Lebens.... E s . . . verpflichtet uns auf die natürlichen Ordnungen, denen wir unterworfen sind". Gottes Wille „bindet uns auch an den bestimmten historischen Augenblick der Familie, des Volkes, der Rasse". So kommt man auf dem Wege über das in Barmen vermeintlich mißachtete Gesetz zum verpflichtenden Ja zum NS: Darum „danken wir als glaubende Christen Gott dem Herrn, daß er unserem Volk in seiner Not den Führer als ,frommen und getreuen Oberherm' geschenkt hat und in der NS-Staatsordnung ,gut Regiment', ein Regiment mit ,Zucht und Ehre' bereiten will". Verständlich, daß die DC diese „genuin lutherische Stimme" euphorisch begrüßten. Der andere Hauptgrund der Kritik war der konfessionelle: Mit Barth dominiere in Barmen reformierte Theologie, die Zwei-Reiche-Lehre komme nicht zum Tragen, es werde von Ämtern statt dem einen Amt der 110
Kirche gesprochen u. a. m. Damit verband sich der stärkste Einwand: Als gemeinsames Wort von Lutheranern, Reformierten und Unierten werde die Erklärung zum Unionsbekenntnis. Alle Beteuerungen, daß Barmen selbst den Anspruch, Bekenntnis zu sein, gar nicht erhebt und daß die Absicht einer neuen Unionsgründung schon in Asmussens Referat eindeutig abgewiesen war, halfen nicht. Offensichtlich saß das Trauma von den Unionsschlüssen des 19. Jahrhunderts her noch zu tief. Wenn auch der Ansbacher Ratschlag Episode blieb und die meisten den maßlosen Angriffen Elerts nicht folgen wollten, begannen nun doch in Barmen selbst beteiligt gewesene Lutheraner, sich vorsichtig zu distanzieren und stärker einem lutherischen Zusammenschluß zuzuwenden. Man erhoffte, von Erlangen inspiriert, die baldige Auflösung der Union und sah in der Schaffung einer „umfassenden lutherischen Kirche deutscher Nation" das Gebot der Stunde.40 So kam es schon im August 1934 zur Gründung eines Lutherischen Rates, in dem außer den noch intakten Landeskirchen Bayern, Württemberg, Hannover sich weitere Lutheraner sammelten, auch solche, die Barmen gegenüber neutral oder ablehnend standen. Bischof Meiser war der Meinung, das Anliegen von Barmen beginne weitere Kreise auch von solchen zu erfassen, die nicht zum Anschluß an die Bekenntnissynode bereit seien, und so erklärte er im Reichsbruderrat, dem er ja selbst angehörte: Ich „wehre mich dagegen, daß jemand die Theologische Erklärung unterschreiben muß, wenn er zu uns gehören will, und seine Beteuerung, er stehe zum Bekenntnis, nicht genügt".41 Für ihn und seine Freunde war Barmen gewiß die notwendige Abwehr der DC-Irrlehren gewesen, war aber der Auslegung vom lutherischen Bekenntnis her bedürftig - die übrigens trotz des von ihm übernommenen Auftrags nie erfolgte - und konnte nur von daher Verbindlichkeit haben. Demgegenüber hielten die, die den Weg von Barmen konsequent weitergehen wollten, also vor allem in der APU und den anderen zerstörten Kirchen, aber auch Kreise der Pfarrerbruderschaften in Bayern und Württemberg gegen ihre eigenen Kirchenleitungen, an dem für den Auftrag der Kirche verbindlichen Charakter der Theologischen Erklärung fest, wie es dann die altpreußische Bekenntnissynode in Halle 1937 in die Worte faßte: „Wo die Bindung an die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Kirche, wie sie in der Theologischen Erklärung ... in Barmen zur Abwehr der gegenwärtigen Irrlehren bezeugt worden ist, nicht anerkannt wird, kann auch die Geltung eines reformatorischen Bekenntnisses nicht zu recht behauptet werden."42 111
Diese unterschiedliche Wertung von Barmen: zeitbedingte Abwehr aktueller Irrlehren oder verbindlicher Prüfstein für Geltung und lebendiges Bezeugen der Bekenntnisse der Väter, hat schon von 1934 an die Gemeinschaft der BK belastet und sollte auf Jahre hinaus ihre Widerstandskraft lähmen, so oft man sich auch unter wachsendem äußeren Druck wieder zusammenfand. Gewiß war die Spannung nicht allein in der Barmer Erklärung begründet. Das Verhältnis der intakten Landeskirchen zur Bekenntnissynode und ihrer Entscheidungskompetenz war von Anfang an ungeklärt.43 Auch legte naturgemäß die Sorge um die Erhaltung des geschlossenen Bestandes der eigenen Kirche den Bischöfen größere Zurückhaltung nahe als den vorwärts drängenden Kräften aus den zerstörten Kirchen. Dies alles wirkte sich in einer latenten Spannung zwischen „Intakten" und „Zerstörten" innerhalb der BK aus. Doch bot gerade der Herbst 1934 noch ein Beispiel erfreulicher Gemeinsamkeit und Solidarität.
Vor dem Ende der
Reichskirchenpolitik
Müller und Jäger hatten, ohne erkennbar von Barmen Notiz zu nehmen, die „freiwillige" Eingliederung der Landeskirchen fortgesetzt: am l.Juni Braunschweig, 11. Juni Oldenburg, 28. Juni Pfalz, 16. Juli Hessen-Kassel, 20. Juli Mecklenburg usw. Bei Zusammentritt der „Nationalsynode" am 9. August standen nur noch drei Kirchen aus: Württemberg, Bayern und reformiert Hannover. Jäger versicherte, es werde gegen sie nicht mit Gewalt vorgegangen, sondern Gelegenheit zur Klärung ihrer Bedenken gegeben. Zur überraschenden Einberufung der Nationalsynode (während der Landestrauer um Hindenburg) hatte man sich angesichts der nicht mehr zu unterdrückenden Rechtszweifel entschlossen, um solchen „dem neuen Recht nicht mehr entsprechenden Auffassungen entspringenden Formaleinwendungen endgültig zu begegnen".44 Da man sich aber dieser Versammlung in ihrer Zusammensetzung von 1933 nicht mehr sicher sein konnte, wurden nach Beratung in einem „Verfassungsausschuß" - ein Drittel der Eingeladenen lehnte die Mitarbeit ab; die Abwesenden müssen sich fragen, „ob sie nicht mitschuldig sind an den Ereignissen, die in jüngster Zeit unser Volk erschütterten", nämlich der Röhm-Affare!45 - durch Gesetz die Voraussetzungen zur Mitgliedschaft neu festgelegt. Ging es bisher laut DEK-Verfassung um „Persönlichkeiten, die sich im kirchlichen Dienst hervorragend bewährt haben", hieß die Vorbedingung jetzt: „Wer jederzeit rückhaltlos nicht nur für die DEK, 112
sondern auch für den nationalsozialistischen Staat eintritt", und wurde damit zugleich die Möglichkeit der Entlassung der auf sechs Jahre im Amt Befindlichen geschaffen, „eine Verfassungsverletzung schärfster Art"; darum ist auch die „Versammlung vom 9. August keine Nationalsynode, sondern eine rechtlich bedeutungslose Zusammenkunft", und alle von ihr beschlossenen Gesetze sind nichtig (Reichsgerichtsrat Flor).46 Von den 60 Mitgliedern wurden 27 ausgeschieden, nicht nur BK-Leute wie Präses Koch oder Riethmüller, sondern auch ausgetretene oder in Ungnade gefallene DC (z. B. Fezer, Schumann, Hossenfelder, Oberheid und Werner). Bemerkenswert war, daß dennoch bei nahezu allen Beschlüssen zehn Gegenstimmen abgegeben wurden, davon sieben aus den noch nicht eingegliederten Kirchen!47 Die dreistündige Tagung nahm vor allem drei Gesetze an, die das Vorgehen der Reichskirchenregierung festigen bzw. legalisieren sollten, hier mit ihren Kurzbezeichnungen genannt:48 das „Führungsgesetz", das die Eingliederung vollenden sollte; „Die kirchliche Gesetzgebung wird von der DEK allein ausgeübt", Bekenntnis und Kultus bleiben in der Zuständigkeit der Landeskirchen; für welchen Bereich die Vorschriften in Kraft treten, bestimmt der Rechtswalter; „Der Reichsbischof kann den Landesbischöfen und ... den weiteren leitenden Organen der Landeskirchen Weisungen erteilen." Das zweite war das „Diensteidgesetz", das den Pfarrern - für die Kirchenbeamten mit modifiziertem Wortlaut - einen Diensteid auferlegt, „daß ich als ein berufener Diener im Amt der Verkündigung sowohl in meinem gegenwärtigen wie in jedem anderen geistlichen A m t e . . . dem Führer des deutschen Volkes und Staates Adolf Hitler treu und gehorsam sein...; weiter, daß ich die mir anvertrauten Pflichten des geistlichen Amts gemäß den Ordnungen der DEK und den in diesen Ordnungen an mich ergehenden Weisungen gewissenhaft wahrnehmen werde..." Schließlich das „Rechtfertigungs-" oder „Legalisierungsgesetz": „Die gesetzlichen oder Verwaltungsmaßnahmen, die der Reichsbischof oder das Geistliche Ministerium oder der Reichsbischof als Landesbischof der APU bisher, insbesondere zur Ordnung der DEK oder einzelner Landeskirchen und zur Regelung des Verhältnisses der DEK zu den Landeskirchen getroffen haben, werden in ihrer Rechtmäßigkeit bestätigt"; ferner ist die DEK ermächtigt, bisherige gesetzliche und Verwaltungsmaßnahmen der Landeskirchen „allgemein oder im Einzelfall mit rückwirkender Kraft für rechtsgültig zu erklären". Der Reichsbruderrat bezeichnet in einer Kanzelabkündigung vom 12. August49 diese Gesetze als „nach kirchlichem und nach weltlichem Recht ungültig. Wer sie be113
folgt, bricht selbst Verfassung und Recht der Kirche ... Gehorsam gegen diese Kirchenregierung ist Ungehorsam gegen Gott." Mit dem Rechtfertigungsgesetz wird „bisher geübtes Unrecht für Recht erklärt". Zur Eidesfrage gibt der Bruderrat die konkrete Weisung heraus: Dieser Diensteid, der staatsrechtliche und kirchliche Pflichten miteinander verquickt und den Ernst des Ordinationsgelübdes zerstören würde, „ist nicht zu leisten ... Nur der Staat könnte befugt sein, seinerseits von uns ... einen Eid zu fordern." Da hier entschlossener Widerstand sich ankündigte, wurde zwar die Vereidigung der kirchlichen Beamten nach dem öffentlichen Beamteneid im September angeordnet, die der Geistlichen aber späterer Entschließung vorbehalten, die nicht mehr erfolgte. Damit war das „Gesetz" - an ihm war Müller „persönlich ganz besonders gelegen. Wir sind es dem Führer schuldig"50 - erledigt. Dagegen schienen Müller und Jäger entschlossen, ihr Eingliederungswerk zum Abschluß zu bringen. Am 3. September setzt Jäger ohne vorherige Verständigung aufgrund des „Führungsgesetzes" die Übernahme der Leitung der bayrischen und württembergischen Kirche durch die DEK in Kraft. Offenbar in der Meinung, daß damit das Ziel der einheitlichen Reichskirche erreicht sei, wird für den 23. September im Anschluß an die 2. Reichstagung der DC in Berlin die schon mehrfach verschobene Einführung des Reichsbischofs im Berliner Dom festgesetzt, die in Anwesenheit aller DC-Bischöfe, aber ohne jede ökumenische Beteiligung durch den Vikar der DEK Engelke vollzogen wird. Die Eingliederung der beiden süddeutschen Kirchen war jedoch mitnichten verwirklicht.51 Jäger war am 8. September zwar selbst in Stuttgart erschienen, hatte die Oberkirchenräte beurlaubt, Wurm auf seine geistlichen Rechte beschränkt, ein Verfahren gegen ihn und den Oberkirchenrat wegen angeblicher Verschiebung kirchlicher Mittel veranlaßt und einen Bevollmächtigten der DEK für die gesamte Verwaltung eingesetzt. Müller hatte kurz darauf Wurm beurlaubt und an seiner Stelle einen geistlichen Kommissar ernannt. Aber damit hatte man trotz Unterstützung durch die württembergischen DC und massivem Beistand durch die Partei, auch trotz öffentlichem Auftreten von Müller und Engelke die Leitung der Kirche nicht in der Hand. Vielmehr war eine starke Solidarisierung aus Pfarrerschaft und Gemeinden ausgelöst, die auch durch den staatspolizeilich verfügten Hausarrest Wurms und schließlich seine von einer manipulierten Landessynode beschlossene Zurruhesetzung nicht gebrochen, sondern nur noch verstärkt wurde. Es kam zu überfüllten Bekenntnisgottesdiensten, zu Massenkundgebungen vor Wurms Wohnung, 114
ja man konnte von einer Volksbewegung im ganzen schwäbischen Land sprechen. In Bayern verliefen die Dinge ähnlich, nur daß Jäger selbst hier erst wenige Wochen später auftaucht und zuvor schon der Stein durch einen Schmähartikel in der „Fränkischen Tageszeitung" des Gauleiters Julius Streicher: „Fort mit dem Landesbischof D. Meiser ... Er handelt volksverräterisch" ins Rollen gebracht wird. So kommt es schon Mitte September zu großen Kundgebungen mit Predigten Meisers in München, Augsburg, Ansbach, Würzburg und vor allem Nürnberg; von über 800 Bittgottesdiensten allein in Franken mit jeweils dem gleichen Text Apg 20, 28-32 (die Warnung vor „greulichen Wölfen" und falschen Lehrern) wird berichtet. Dann besetzt Jäger am 11. Oktober mit Helfern das Dienstgebäude des Landeskirchenrats, beurlaubt die Oberkirchenräte unter demütigenden Umständen und gibt die Abberufung Meisers bekannt. Aus der bayrischen Landeskirche werden durch Verordnung vom gleichen Tage zwei „Reichskirchengebiete", Franken und Altbayern, gebildet und die bischöflichen Befugnisse zwei zu „geistlichen Kommissaren" ernannten Pfarrern übertragen. Meiser wird von der Polizei in seinem Haus in Haft gehalten. Dies alles löst nun auch in Bayern landesweite Empörung und Unruhe aus, die im In- und Ausland größtes Aufsehen erregt. Durch die Vorgänge in beiden Kirchen alarmiert, beschloß der Reichsbruderrat, die Bekenntnissynode erneut für den 30.-31. Oktober einzuberufen. Angesichts der dramatischen Zuspitzung in München ergeht am 12. Oktober ein Hilferuf des dortigen Landeskirchenrats an Präses Koch: „Unsere Landeskirche steht unter Gewalt... Wir wehren uns, überall im Land finden Bitt-Gottesdienste statt, die Pfarrer stehen fest, bitte angeregte Entlastung bald und kräftig!"52 Daraufhin lädt Koch am 14. die Synode schon auf den 19.-20. Oktober nach Berlin-Dahlem ein. Zwar waren die süddeutschen Vorgänge nicht eigentlicher Verhandlungsgegenstand. Die Synodalentschließungen waren viel weitgreifender und zielten auf die Scheidung von dem häretischen Kirchenregiment und die Schaffung eigener Leitungsorgane hin. Aber naturgemäß waren die Zustände in Bayern und Württemberg unverkennbarer Hintergrund für die fälligen Entscheidungen. So setzt auch die Dahlemer Botschaft damit ein: „Mit Polizeigewalt hat die Reichskirchenregierung nach der kurhessischen auch die württembergische und die bayrische Kirchenleitung beseitigt. Damit hat die ... Zerrüttung einen Höhepunkt erreicht..."
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Zweite Bekenntnissynode Das kirchliche Notrecht
in Dahlem:
Im Unterschied zu Barmen hatte Dahlem nur ein Thema: die „Botschaft der Bekenntnissynode der DEK", mit der die praktischen und rechtlichen Konsequenzen aus der Barmer Theologischen Erklärung gezogen wurden. Diese ist zwar im Text selbst nicht erwähnt, aber wohl nur darum, weil es jetzt, auch dem Staat gegenüber, um die rechtliche Legitimität der Bekenntnissynode ging und es dabei angebracht schien, sich nur auf Artikel 1 der anerkannten Verfassung der DEK zu berufen. Ohne Barmen wäre jedoch die Entscheidung von Dahlem undenkbar gewesen. So heißt es im Kommentar des Leipziger Rechtsanwalts Eberhard Fiedler, nun juristischer Mitarbeiter im Synodalpräsidium in Bad Oeynhausen: „Die Bekennende Gemeinde, die schon in Barmen für die reine Lehre und gegen die Verfälschung der Verkündigung aufgetreten war, hat in Dahlem ihren Willen bekundet, auch die Ordnung der Kirche vom Wort her zu gestalten."53 Von den 143 Synodalen waren 106 auch in Barmen gewesen, die übrigen als Stellvertreter oder auch bewußt neu entsandt worden - so aus Nassau-Hessen alle f ü n f - , um einen größeren Kreis an den Entscheidungen zu beteiligen. Eine Synodalordnung über Festlegung und Dauer der Mandate gab es noch nicht. Die zur BK stehenden Kirchenleitungen oder Bruderräte waren in der Benennung der auf sie entfallenden Mitglieder frei. So entsandte Bayern diesmal auch Professor Althaus, Erlangen, von dem ein persönliches Wort während der Tagung berichtet wird: „Durch Schicksal und vielleicht auch durch eigene Schuld habe ich bis jetzt abseits gestanden. Ich habe aber stets mit großer Hochachtung der kämpfenden Brüder gedacht. Meine Unterschrift unter den Ansbacher Ratschlag habe ich zurückgezogen. Ich freue mich, auf dieser Synode mit dabei sein zu dürfen." 54 Erstmals nahmen auch Vertreter des „Ökumenischen Rates für praktisches Christentum" teil. Der Präsident des Schweizerischen Kirchenbundes, D. Koechlin, Basel, überbrachte die Grüße des Ratspräsidenten Bell, Lordbischof von Chichester, und des schwedischen Bischofs von Lund, der durch die Vorverlegung der Synode verhindert war. Vorausgegangen war Ende August die Tagung des Rates in Fanö/Dänemark. Dort war auf Initiative von Bischof Bell, der durch Bonhoeffer (von Oktober 1933 bis März 1935 Pfarrer der deutschen Gemeinde in London) über die Ent116
wicklung genau informiert war, eine wichtige Entschließung gefaßt worden. Darin gab der Rat „seiner Überzeugung Ausdruck, daß ein autokratisches Kirchenregiment,... die Anwendung von Gewaltmethoden und die Unterdrückung freier Aussprache mit dem wahren Wesen der Kirche Christi unvereinbar sind", versicherte „seine Brüder in der Bekenntnissynode der DEK des Gebets und der herzlichen Verbundenheit in ihrem Zeugnis für die Grundsätze des Evangeliums"55 und wählte Präses Koch und BonhoefFer demonstrativ zu kooptierten Mitgliedern des Rates. Gegen beides protestierte die reichskirchliche Delegation unter dem Auslandsbischof Heckel vergeblich. Auch wenn die Entschließung von Fanö die einzige so klare ökumenische Solidaritätserklärung mit der BK bleiben sollte, gingen trotz zunehmender Erschwerungen und Abkapselung der BK in der Stille ökumenischer Kontakt und Austausch all die Jahre hindurch weiter. Aktueller Hintergrund der Dahlemer Verhandlungen war die dramatische Zuspitzung in Süddeutschland. Doch wurde zur Kennzeichnung der Gesamtlage im Reich den Synodalen zu Beginn eine Nachweisung der erfaßbaren Rechtsbrüche und Disziplinierungen übergeben, die, ohne vollständig sein zu können, 1043 Fälle umfaßte! Präses Koch zog bei der Eröffnung das Fazit: „Wo man nicht auf den Herrn Jesus Christus allein hört, sondern neben ihm noch anderen Herren dient, entsteht keine Kirche, sondern ein Gebilde, das einer anderen Macht Untertan i s t . . . Es gilt jetzt, aus den Barmer Sätzen die praktischen Folgerungen mit Entschiedenheit zu ziehen, wenn unsere evangelische Kirche in Deutschland Kirche bleiben soll."56 In dem durch fünf Einzelreferate erläuterten Entwurf einer „Botschaft" waren die Zerstörung der DEK und die Preisgabe ihrer christlichen Grundlage „durch die Lehren, Maßnahmen und Gesetze der Reichskirchenregierung" zusammenfassend aufgewiesen, die Trennung der Verantwortlichen von der christlichen Kirche festgestellt, Gemeinden und Pfarrer aufgefordert, „von der bisherigen Reichskirchenregierung und ihren Behörden keine Weisungen entgegenzunehmen", sondern „sich in allen Dingen an die Anordnungen der Bekenntnissynode der DEK und der von ihr bestellten oder bestätigten Organe zu halten". 57 Die zunächst in einem dreißigköpfigen Ausschuß geführte Aussprache zeigte bald, daß man in Intention und Grundlinien weithin übereinstimmte. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich jedoch vor allem in der Frage, wie denn die neue Leitung beschaffen sein könne, der Kirche und Gemeinden jetzt folgen sollten. Der Satz des Entwurfs: „Die Leitung und Vertretung der DEK ist 117
aus den Händen dieser Männer (der Reichskirchenregierung) in die Hände der Bekenntnissynode der DEK und der von ihr bestellten oder bestätigten Organe übergegangen" erfuhr die stärkste Kritik. Die einen beanstandeten, daß diese Feststellung weit über die Wirklichkeit hinausgehe; sie sei etwa für Thüringen oder Norddeutschland angesichts der bisher kleinen BK-Gefolgschaft völlig irreal. Aber der Einspruch ging tiefer: Konnte der Leitungsanspruch überhaupt für die ganze Kirche erhoben, mußte er nicht realerweise auf die sich zur BK Haltenden beschränkt werden? Die gewichtigsten Einwände kamen auch diesmal von lutherischer Seite, besonders aus Bayern: Man habe der Eingliederungspolitik Müller/Jäger vor allem mit dem Argument widerstanden, daß für eine lutherische Kirche nur eine Leitung gleichen Bekenntnisses in Frage kommen könne, da sonst die Bekenntnisgrundlage aufgehoben würde. Also müsse für die lutherischen Kirchen auch ein lutherisches Kirchenregiment eingerichtet werden. Andere argumentierten dagegen, daß dies auf „drei Kirchenregimenter", also eine Aufspaltung der DEK und auf das Ende von Barmen hinauslaufe; doch wollte man zugleich dem Berechtigten des konfessionellen Anliegens entgegenkommen. Die bis tief in die Nacht andauernden Beratungen, zu denen der Marburger Kirchenrechtslehrer Hans von Soden wesentliches beisteuerte, endeten mit einer Einigung, deren Ergebnis noch in der Nacht durch einen kleinen Ausschuß mit Asmussen, Barth, Jacobi, Niemöller, Sasse, von Soden und dem Vorsitzenden Breit ausformuliert und am nächsten Morgen durch von Soden vorgetragen wurde. Jetzt hieß jener bewußte Absatz: „Auf Grund des kirchlichen Notrechts der an Schrift und Bekenntnis gebundenen Kirchen, Gemeinden und Träger des geistlichen Amtes schafft die Bekenntnissynode der DEK neue Organe der Leitung. Sie beruft zur Leitung und Vertretung der DEK als eines Bundes bekenntnisbestimmter Kirchen den Bruderrat der DEK und aus seiner Mitte den Rat der DEK zur Führung der Geschäfte. Beide Organe sind den Bekenntnissen entsprechend zusammengesetzt und gegliedert."58 Das entscheidende Stichwort zur Begründung war schon davor eingefugt: „Damit tritt das kirchliche Notrecht ein, zu dessen Verkündigung wir heute gezwungen sind." Nach Fiedlers Definition bedeute im weltlichen Recht „die Ausübung eines Notrechtes ein Abgehen von dem gesetzten Recht, einen Verstoß gegen Vorschriften und Gesetze, zu dem die Notlage zwingt und den der Notstand rechtfertigt. Auf dem Gebiet des kirchlichen Rechts bedeutet das Notrecht aber etwas anderes: das Zurückgehen auf die unveränderlichen und unabdingbaren Grundlagen allen kirchlichen 118
Wesens, auf die Grandsätze, wie sie den Bekenntnissen unserer Kirche und der Auslegung, die diese der Heiligen Schrift zuteil werden lassen, entnommen werden ... Das ,Notrecht' der Gemeinde ist also das Bekenntnisrecht der Gemeinde." 59 Der amtliche Bericht bezeichnet den darauf gegründeten Schritt von Dahlem als „eine Entscheidung von einem solchen Gewicht, wie sie seit den Tagen der Reformation in unserer Kirche nicht gefallt worden ist".60 Zu den praktischen Fragen und Konsequenzen ergaben sich Diskussionen vor allem noch an zwei Punkten. Die im Entwurf enthaltene Aufforderung, „jede Zusammenarbeit mit allen abzubrechen, die diesem Kirchenregiment gehorsam sind", erschien vielen als zu weitgehend. Durfte man auch persönliche oder seelsorgerliche Beziehungen abbrechen? Es wurde klargestellt, daß nur die amtliche Zusammenarbeit, etwa bei Konferenzen, Einführungen, Ordinationen oder Visitationen gemeint sei, und der Wortlaut gemildert: „sich von der Zusammenarbeit mit denen zurückzuziehen, die diesem Kirchenregiment weiterhin gehorsam sein wollen". Dabei war man sich bewußt, daß damit keine glatte Lösung erreicht und angesichts der sehr unterschiedlichen Situationen - Pfarrer gegensätzlicher Position in der gleichen Gemeinde, DC und BK-Leute noch in demselben Kirchenvorstand - auch kaum erreichbar war. Dennoch setzte sich die Auffassung durch, die Präses Koch in die Worte faßte: „Verlassen Sie sich darauf, hier ist der Casus, bei dem wir nicht ausweichen dürfen."61 Der Passus führte freilich auch zur einzigen Gegenstimme eines württembergischen Synodalen. Auch in der Folgezeit blieb diese Forderung am stärksten umstritten: Hier sei die gebotene Liebe verleugnet, hieß es noch nach Jahren bei Gegnern und Neutralen, und auch in der BK selbst wurde die Entscheidung nicht überall klar befolgt. Zum andern spielte, auch über die Bekenntnisgliederung hinaus, die Gestalt der künftigen Leitungsorgane eine erhebliche Rolle. War in den Vorbereitungen nur an den Bruderrat und das dreiköpfige Präsidium der Synode gedacht worden, zeigte sich, daß man vor allem in den lutherischen Kirchen eine andere Vorstellung hatte: „Der Bruderrat ist kein Ersatz für ein Kirchenregiment, das wir wollen."62 Begriffe wie „Kirchensenat", „Geistlicher Rat" tauchten auf, sogar der Vorschlag, sofort Reichsbischof und Geistliches Ministerium neu zu wählen. Dazu Niemöller: „Soweit sind wir noch nicht, es kann vielleicht in 14 Tagen soweit sein."63 Die dann getroffene Entscheidung, aus den jetzt 22 Mitgliedern des Bruderrats einen sechsköpfigen „Rat der DEK" zu bilden (Koch, Breit, Barth, Fiedler, Niemöller, Asmussen),64 wurde offenbar von man119
chen nur als vorläufige Lösung und nicht als Ersatz für „das Kirchenregiment" angesehen: „Das kann nicht von einem Bruderrat ausgeübt werden. Der Bruderrat ist ein zu großes Gremium. Es kann auch nicht durch den Rat ausgeübt werden; denn er ist seinem Wesen nach ganz deutlich der praktische Arbeitsausschuß."65 Hier deutete sich bereits die Entwicklung an, die zur Bildung der „Vorläufigen Leitung" fuhren sollte. Von erheblichem Gewicht war noch der letzte Absatz der Botschaft, der sich unmittelbar an den Staat richtete: „Wir übergeben diese unsere Erklärung der Reichsregierung, bitten sie, von der damit vollzogenen Entscheidung Kenntnis zu nehmen, und fordern von ihr die Anerkennung, daß in Sachen der Kirche, ihrer Lehre und Ordnung, die Kirche, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts, allein zu urteilen und zu entscheiden berufen ist." So wurde die Botschaft bereits am 21. Oktober durch Präses Koch an das Reichsinnenministerium weitergeleitet. Aus dem Wortlaut läßt sich schließen, daß man eine Anerkennung durch die Reichsregierung, so unwahrscheinlich sie war, nicht als völlig ausgeschlossen ansehen mochte. Die von der Synode selbst aus Zeitmangel nicht mehr zu verabschiedenden Ausführungsbestimmungen erließ auftragsgemäß der Bruderrat schon wenige Tage später. Sie enthielten die Konsequenzen für die einzelnen Landeskirchen, „deren Kirchenregierungen der bisherigen Reichskirchenregierung weiterhin gehorchen und welche nicht die Gewähr dafür bieten, daß die biblischen und bekenntnismäßigen Grundlagen ihrer Verfassung auf allen Gebieten kirchlichen Lebens gewahrt werden". Hier „übernimmt der Bruderrat der Landeskirche die Leitung", dessen Aufgaben im einzelnen präzisiert werden.66 Hier wird der Aufbau der BK, für den ja rechtsgültig nur von den Ordnungen der einzelnen Landeskirchen ausgegangen werden konnte, in seinen entscheidenden Schritten beschrieben, wie: Bildung von Landesbekenntnissynoden und deren Untergliederungen bis in die Kirchenkreise, Aufstellung von Kollektenplänen, Verantwortung für Ausbildung, Prüfung und Ordination der Kandidaten und ihre Weiterbildung, Präsentation und Einführung in Gemeinden. Hier sind alle wesentlichen Leitungsaufgaben vorgezeichnet, wie sie in der APU bereits streckenweise aufgenommen waren und jetzt auch vor den anderen zerstörten Kirchen standen. Die anschließenden „Richtlinien für das Verhalten der bekennenden Gemeinden" gaben präzise Hinweise in den drei auf der Dahlemer Synode als besonders klärungsbedürftig be120
zeichneten Fragen: Was bedeutet, von den unrechtmäßigen Kirchenbehörden „keine Weisungen entgegenzunehmen", „sich von der Zusammenarbeit mit denen zurückzuziehen", die weiterhin gehorsam bleiben, und wie ist in gegensätzlich zusammengesetzten Gemeindekörperschaften zu verfahren? Ohne gesetzliche Kasuistik wurden hier Weisungen und Hilfen gegeben. Danach ist in der Folgezeit in zahllosen Gemeinden und Pfarrerkreisen gehandelt worden. Freilich schreckten manche Gebiete und Kreise auch vor solchen Konsequenzen zurück, so daß die Rede immer wieder einmal neue Nahrung erhielt, man habe sich in Dahlem übernommen und unerfüllbare Forderungen aufgestellt. Aber die Entwicklung in vielen, auch herkömmlich nicht als ausgesprochen kirchlich lebendig anzusprechenden Kirchenkreisen und Gemeinden zeigte, daß es sich nicht um wirklichkeitsfremde Idealvorstellungen handelte, sondern alles von der Bereitschaft abhing, synodal für recht erkannte Entscheidungen und ihre Konsequenzen mitzutragen.
Nach Dahlem: Jäger am Ende - Außau der BK Noch keine Woche seit Ende der Synode war vergangen, als eine sensationelle Veränderung eintrat: Am 26. Oktober legte August Jäger „nach grundsätzlicher Erledigung der mir gestellten Aufgabe" seine kirchenpolitischen Funktionen in die Hände des Reichsbischofs zurück und schied danach auch als Rechtswalter aus. Am nächsten Tag war er gezwungen, auch als Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium seine einstweilige Zurruhesetzung zu beantragen67, und verschwand damit von der Bildfläche. Die Ära Jäger war zu Ende. Am Abend des gleichen 26. Oktober wurden die inhaftierten Bischöfe Meiser und Wurm sowie Marahrens, Hannover, der mit seinem DC-Landeskirchenamt in Konflikt stand, telegraphisch zu einem Empfang bei Hitler am 30. Oktober geladen. Auf den ersten Blick konnte diese überraschende Wende als unmittelbare Auswirkung von Dahlem erscheinen. Doch wurde bald deutlich, daß ganz andere Hintergründe hier im Spiel waren. Erstaunlicherweise hatten nämlich gerade die DC die Abberufung des vorher gefeierten Rechtswalters verlangt. In den Zielen mit ihm völlig einig, waren sie doch durch sein gewalttätiges Vorgehen in Süddeutschland erschreckt, da es allgemein ihnen angelastet wurde, obwohl sie in Wahrheit auf die Dinge gar keinen Einfluß hatten. So waren schon heftige interne Konflikte zwischen Jäger und der DC-Reichsleitung bekannt geworden, und 121
schließlich hatte sich Reichsleiter Kinder unmittelbar an die Reichskanzlei gewandt und Jägers Beseitigung gefordert.68 Damit trafen aber nun Schritte von ganz entgegengesetzter Seite zusammen. In Verfolg der ökumenischen Solidarität mit der Not der BK hatte zunächst Bischof Bell und dann auch der anglikanische Primas, Erzbischof Lang von Canterbury, bei der deutschen Botschaft in London interveniert und einen öffentlichen Aufruf der anglikanischen Bischöfe gegen die deutsche Kirchenpolitik angekündigt, dem sich auch andere Kirchenleiter, wie etwa der schwedische Primas oder der Präsident des Kirchenbundes in Frankreich, anschließen würden, wenn nicht unverzüglich Abhilfe geschaffen, vor allem Wurm und Meiser wieder eingesetzt und Jäger ausgeschaltet werde. Darüber hinaus war das Auswärtige Amt durch entsprechende Berichte aus verschiedenen Ländern alarmiert und warnte nachdrücklich vor einer zunehmenden außenpolitischen Isolation.69 Dies vor allem mag ein rasches Eingreifen veranlaßt haben. Daß die Forderung der DC und zugleich der revolutionäre Schritt der Dahlemer Synode in die gleichen Tage fielen, konnte die Entscheidung nur bestärken, den Weg der erzwungenen Eingliederung zu beenden - so sehr man ihn bis dahin von Staats wegen auch unterstützt hatte. Bezeichnend freilich war, daß Jäger, dessen Angreifbarkeit offen zutage lag, geopfert wurde, der Letztverantwortliche für den ganzen Weg aber blieb. Ludwig Müller verstand es wieder - wie im Vorjahr bei der Preisgabe Hossenfelders! - , seine eigene Position möglichst aus dem Schußfeld zu halten und sich als Mann des Ausgleichs darzustellen. Zwar wurde bei dem zweistündigen Empfang der rehabilitierten Bischöfe bei Hitler (ohne Müller) „eindeutig festgestellt, daß die Gesetze und Verordnungen der Rechtskraft entbehren, die seit längerer Zeit von der Reichskirchenregierung erlassen worden sind"70, auch überreichten die Bischöfe Vorschläge für eine Übergangslösung, wonach ein Verweser an die Stelle des Reichsbischofs treten, eine vorläufige Reichskirchenregierung berufen und die Bestellung eines neuen Reichsbischofs einleiten solle. Auch Hitler selbst habe geäußert, er werde Müller „nicht vom Rücktritt abhalten", soll ihn dann aber haben wissen lassen, er habe seinen Rücktritt nicht verlangt.71 Dem entspricht, daß er am 1. November vor den Reichsstatthaltern erklärte, im Blick auf vorgekommene Unrechtmäßigkeiten müsse der Reichsbischof „eine neue Frist erhalten, die Sache in Ordnung zu bringen".72 Die Wahrung des Prestiges gab offensichtlich den Ausschlag. Nun aber erhob sich in der kirchlichen Öffentlichkeit eine ganze Welle von Rücktrittsforderungen an Müller. Mit einem gemeinsamen Mantel122
schreiben vom 6. November überreichen die genannten Bischöfe, der Bruderrat der DEK, die Arbeitsgemeinschaft der missionarischen und diakonischen Verbände und Werke (Äußere und Innere Mission), Gustav-Adolf-Verein, Lutherischer Rat und Martin-Luther-Bund getrennt formulierte Briefe vom 5. und 6. November, „in denen sie, unabhängig voneinander, jeder aus seinem kirchlichen Wirkungskreise heraus, zu derselben ernsten Bitte an Sie gekommen sind", nämlich durch den Rücktritt einen Neuanfang und eine Befriedung der Kirche zu ermöglichen.73 Dieser Forderung schlössen sich am 6. November nicht weniger als 127 Hochschullehrer von 16 Theologischen Fakultäten (außer Bonn!) und der Verband der evangelischen Pfarrervereine an. Alle genannten Voten wurden in einem eindrucksvollen Flugblatt mit dem Titel „Die Deutsche Evangelische Kirche in geschlossener Einheit!" in den Gemeinden verbreitet. 73 ' Im Vorspann hieß es: „In letzter Stunde wurde unsere Kirche vor einem Abgrund gerettet! Das Gewaltregiment der DC ist zerbrochen. Im Bruderrat der DEK haben sich die Bekenntnisgemeinden unserer Kirche ihre geordnete Leitung gesetzt. Es ist wie ein Geschenk Gottes, daß in dieser Notstunde auch die großen freien Verbände unserer kirchlichen Arbeit - bis auf eine bedeutungslos gewordene Gruppe - und die Lehrer unserer theologischen Jugend in einem Willen sich zusammengefunden haben..." Von dieser geschlossenen Forderung auf sofortigen Rücktritt Müllers erwartete man eine durchgreifende Änderung. Doch der so Angeredete lehnte ab. In einem Wort an Gemeinden und Pfarrer vom 8. November heißt es, in einer solchen Frage entscheide „allein die Verantwortung vor Gott. Aus dieser Verantwortung heraus habe ich mich entschlossen, dem Drängen nicht nachzugeben." Begreiflich, daß „die zum Bischofstag versammelten Landesbischöfe und Bischöfe" es waren die, die selbst den Weg Müllers vertraten und in ihrem Schicksal von dem seinen abhingen - ihn in dieser Entscheidung bestärkt hatten. Zugleich kann er mitteilen, daß Innenminister Frick zur Beendigung des kirchenpolitischen Kampfes am 6. und 7. November alle Veröffentlichungen über die derzeitigen Verhältnisse der evangelischen Kirche in der Tagespresse, in Flugblättern und Flugschriften, wie in Kirchenzeitungen, Gemeindeblättern und Zeitschriften verboten hatte, „ausgenommen amtliche Kundgebungen der Reichskirchenregierung".74 Damit war die BK in der Unterrichtung der Öffentlichkeit stark behindert und mußte sich, wie etwa die rheinischen „Briefe zur Lage", streng auf „Mitglieder der Bekenntnisgemeinden" beschränken, mit dem Vermerk „Nur zur Un123
terrichtung, nicht zur schriftlichen Veröffentlichung". Hier wurde deutlich, was von der Neutralität des Staates zu halten war. In dieser Situation waren Kanzelabkündigungen, Informationsstunden und Aufbau der bekennenden Gemeinden von um so größerer Wichtigkeit. Dieser Aufbau hatte als entscheidende Wirkung der Dahlemer Synode bereits eingesetzt. Auf das Vorbild Altpreußens folgten jetzt auch die anderen zerstörten Kirchen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Als Beispiele seien hier die wesentlichen Fakten aus Nassau-Hessen skizziert, wo man nach Altpreußen wohl noch am konsequentesten den Weg zu gehen suchte: Am 26. Oktober Versammlung der Notbundpfarrer und BK-Vertrauensleute in Frankfurt mit Bericht von Sodens über Dahlem, Klärung über die jetzt falligen Schritte und Bildung des künftigen Landesbruderrats. Am 28. Oktober verlesen die BK-Pfarrer wie Tausende im ganzen Reich die Dahlemer Botschaft - trotz landesbischöflichen Verbots und Androhung der Entfernung aus dem Amt; am Ende bleibt es bei der Geldstrafe eines Monatsgehalts! Am 30. Oktober wird der neu konstituierte Landesbruderrat dem Reichsbruderrat gemeldet und Bestätigung erbeten. Am gleichen Tag erscheinen - ein Beispiel unter anderen - sechs BK-Pfarrer des Dekanats Gladenbach bei der vom Landesbischof angeordneten amtlichen Dekanatskonferenz, teilen ihre Verlesung der Dahlemer Botschaft im Wortlaut mit und erklären das Ende der amtlichen Zusammenarbeit, ohne „ein persönliches Urteil über die Kollegen zu fallen", sondern um „den ganzen Ernst der Entscheidung, vor die wir heute gestellt sind, zu bezeugen". Am 2. November fordert die Gießener Theologische Fakultät vor der nassau-hessischen „Landessynode" den Rücktritt von Landesbischof Dietrich. Beim Bekenntnistag am 7. November in Frankfurt dokumentieren 140 Pfarrer in feierlichem Akt ihre Absage an das bischöfliche Kirchenregiment und ihre Unterstellung unter den Reichsbruderrat. Auch der Landesbruderrat fordert Dietrichs Rücktritt. Ein Bericht vom 11. November sagt: „Die Vorgänge haben in den Gemeinden eine starke Wirkung ausgeübt. Ganze Dekanate, viele Gemeinden sind zur Bekenntnisgemeinschaft übergetreten und haben erklärt, ihre Pfarrer auch im Falle der Absetzung durch den Landesbischof zu behalten und mit allem Nötigsten zu versehen. Die Gemeinden sind erwacht."75 Weithin im Land finden Bekenntnisversammlungen statt, es beginnt die Sammlung der Mitglieder der Bekenntnisgemeinden durch Unterzeichnung der „Roten Karte" mit der persönlichen Erklärung: „Sie wissen sich zu entschlossenem Kampf wider jede Verfälschung des Evange124
liums und wider jede Anwendung von Gewalt und Gewissenszwang in der Kirche verpflichtet." Jetzt beschließen zahlreiche Kirchenvorstände Unterstellung unter den Bruderrat. Dies alles mag deutlich machen, welche tiefgreifenden Wirkungen in die Gemeinden hinein von der Dahlemer Synode ausgingen. Was hätte auch der Kirchenkampf bedeuten können, wäre er nicht von den Gemeinden mitgetragen worden - so gewiß dies je nach der innergemeindlichen Lage und nicht zuletzt der Stellung der Ortspfarrer in sehr unterschiedlichem Maß der Fall gewesen ist. An weiterführenden Auswirkungen in Nassau-Hessen sei noch folgendes genannt: Ab Dezember 1934 und Januar 1935 entstehen die ersten Kreisbekenntnissynoden; am 2. Mai konstituiert sich die Landesbekenntnissynode. Noch im Dezember bildet der Landesbruderrat angesichts zunehmender Meldungen junger Theologen eine Prüfungskommission zunächst für das II. und, nachdem der Weg eines legitimen Fakultätsexamens staatlich unterbunden wurde, auch für das I. theologische Examen, und eröffnet am l . M a i 1935 ein „Freies theologisches Seminar" in Frankfurt unter Leitung von Asmussen und Inspektor Walter Kreck (später waren es Kreck und Karl Gerhard Steck). In jenen Wochen und Monaten herrschte eine Aufbruchsstimmung, die Dahlem ausgelöst hatte. Auch der Versuch des Landesbischofs, durch eine „Versöhnungsaktion" den Gang der Dinge aufzuhalten, mißlang. Die unbereinigten und sich häufenden Zwangsmaßnahmen und schließlich die Einlieferung von fünf hessischen Pfarrern ins KZ Dachau im März 1935, für die Dietrich sich als unzuständig erklärte, sie aber als selbstverschuldete staatliche Abwehrmaßnahme wertete, ließen nicht an Versöhnung glauben. Viele Gemeinden waren in der Tat aufgewacht und hellhörig geworden. 76
Die Bildung der Vorläufigen Kirchenleitung In der geschilderten Situation wurden Pfarrerschaft und Gemeinden nicht allzusehr von der Problematik eines Vorgangs in der großen Kirchenpolitik berührt, der die Leitung der BK stark erschütterte. Zumeist durch Rundschreiben - da ja Presseberichte untersagt waren - erfuhren sie von einem wichtigen neuen Schritt: „Zur Erhaltung d e r . . . Einheit der D E K " seien „der Bruderrat der D E K und die Leiter der Landeskirchen von Hannover (lutherisch), Württemberg und Bayern übereingekommen, als vorläufiges Kirchenregiment der D E K einzusetzen die Herren: Landesbischof D. Marahrens, Hannover; Präses D. Koch, Bad Oeynhausen; Oberkirchenrat Breit, München; Pfarrer D. Humburg, Wuppertal-Bar125
men; Reichsgerichtsrat Flor, Leipzig. Das vorläufige Kirchenregiment hat die Aufgabe, gemäß den Botschaften der Bekenntnissynode der DEK von Barmen und Dahlem auf der Grundlage von Bekenntnis und Verfassung die DEK zu ordnen ... Das Verhältnis des vorläufigen Kirchenregiments zu den Kirchen und Landeskirchen ist durch die Verfassung der DEK ... bestimmt. In den Kirchen, in denen ein bekenntnis- und verfassungswidriges Kirchenregiment besteht, bestätigt das vorläufige Kirchenregiment die von der Bekenntnissynode der DEK bestellten oder anerkannten Organe der Leitung. Bis zur Neubildung der Nationalsynode der DEK werden deren verfassungsmäßige Rechte wahrgenommen durch den Bruderrat der D E K . . . " " Auf gleichem Wege wird eine „Ansprache des vorläufigen Kirchenregiments" vom 23. November bekanntgegeben - die „Junge Kirche" brachte den Text unter Berufung auf ausdrücklich zugelassene „amtliche Kundgebungen der Reichskirchenregierung" und mußte dafür die Beschlagnahme in Kauf nehmen. Darin hieß es nach kurzer Kennzeichnung der Lage: „Wir ergreifen in dieser Stunde höchster Gefahr die Leitung der DEK und wissen uns getragen vom Vertrauen des gesamten im Kampf um Bekenntnis und Verfassung stehenden evangelischen Deutschland. Die Zeit der Mahnungen, der Bitten und Proteste ist vorüber. Es gilt zu handeln, um Kirche und Volk vor schwerster Erschütterung zu bewahren ... Wir fordern die Kirchen und die Gemeinden der DEK, ihre Vertretungskörper und die kirchlichen Amtsträger aller Stufen sowie die Vertreter aller kirchlichen Verbände, Vereine und Arbeitsgemeinschaften auf, das vorläufige Kirchenregiment anzuerkennen und die Beziehungen zu ihm aufzunehmen ... Von allen, die der ... Zerrüttung der Kirche mit uns Einhalt gebieten wollen, erwarten wir, daß sie diesen ihren Entschluß uns ... ausdrücklich mitteilen und gleichzeitig ihre Beziehungen zu der bisherigen Leitung der DEK abbrechen." Als juristisches Mitglied zeichnete, da die Freistellung Flors nicht erreichbar war, von da an „in Vertretung: Dr. Fiedler". Auf die BK-Leute wirkte die Nachricht zumeist in dem Sinne, wie sie der nassau-hessische Bruderrat am 26. November übermittelte: „Der entscheidende Schritt zur Wiederherstellung von Ordnung und Friede in der DEK ist getan."78 Erst durch mündliche Informationen erfuhr man dann, daß jener Beschluß vom 22. November erst nach heftigen Auseinandersetzungen im Reichsbruderrat zustande gekommen war, ja, zum Ausscheiden von vier namhaften Mitgliedern (Barth, Hesse, Immer und Niemöller) geführt hatte. Aufmerksame Beobachter hatten sich zuvor schon über die Führungsrolle von Marahrens gewundert, von dem man bisher 126
in der Kampfgemeinschaft von Notbund und BK noch nicht viel vernommen hatte; manche hatten wohl auch gefragt, in welchem Verhältnis das neue „Kirchenregiment" eigentlich zum Bruderrat und Rat der DEK stünde, die doch erst vor vier Wochen in Dahlem als Organe der Leitung herausgestellt worden waren und von denen noch am 7. November ein Aufruf von Präses Koch, mitunterzeichnet von Breit und Niesei, gesagt hatte: „Die neue Kirchenleitung ist da. Die Bekenntnissynode hat ein Notkirchenregiment bestellt."79 Doch wurde über diese Problematik im Lande nicht allzusehr diskutiert. Denn zum einen zeigte die rasche und erregte Reaktion des Reichsbischofs, „daß diese Herren den Boden der Verfassung verlassen haben", mit dem Verbot der Unterstellung an alle Pfarrer und Kirchenbeamten - ganz entsprechend reagierten die DCLandesbischöfe - , daß man dort Gefahr im Verzuge sah. Zum andern ließ sich das zustimmende Echo auf die „Vorläufige Leitung der DEK" (so nannte sie sich von ihrer zweiten Verlautbarung an, daher VKL oder VL) nicht übersehen: Bis Januar hatten sich über den ursprünglichen Trägerkreis hinaus die Landeskirchen Baden, Hessen-Kassel und die beiden Lippe angeschlossen und die Arbeitsgemeinschaft der 43 missionarischen und diakonischen Verbände, der Gustav-Adolf-Verein, die deutschen Pfarrervereine, Lutherischer Rat und Reformierter Bund für sie erklärt.80 Man glaubte wohl weithin, daß jetzt die in Dahlem geforderte Anerkennung der Eigenständigkeit kirchlicher Entscheidungen zur konkreten Möglichkeit geworden sei. Jedenfalls war weniger von Protesten gegen den neuen Schritt zu hören, als vielmehr von dringenden Bitten vor allem an Niemöller und Barth, in den Reichsbruderrat zurückzukehren. Die verwirrende Fülle von Vorgängen, die zur Herausstellung der VKL gefuhrt hatten, sind hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen. Nur die wichtigsten Gründe seien genannt. Schon bei den Dahlemer Verhandlungen hatte sich gezeigt, daß vor allem die Vertreter der intakten Kirchen sich unter Kirchenregiment etwas anderes vorstellten als einen 22köpfigen Bruderrat oder auch seinen sechsköpfigen Rat, der mehrfach als „geschäftsfuhrender Ausschuß" definiert war. Von ihrem Amtsverständnis her schwebte ihnen ein dem „Geistlichen Ministerium" entsprechendes Gremium als allein verantwortlich vor. Zudem war das Verhältnis von geschlossenen Landeskirchen zum Bruderrat schon von Barmen her (s. oben S. 112) ungeklärt. So waren bei dem Ganzen die intakten Kirchenleitungen, seit dem Führerempfang neu bestätigt, die treibende Kraft. Aber auch über diesen Kreis hinaus hatte sich, nachdem der Staat auf Dahlem in keiner Weise reagierte, offenbar der Eindruck verstärkt, man 127
müsse eine weitere Initiative ergreifen und dem Staat eine akzeptable Übergangslösung anbieten. Schon beim Empfang der drei Bischöfe bei Hitler hatten diese, wie erwähnt, den Vorschlag einer Kirchenverweserschaft überreicht, der der jetzigen Lösung recht nahe kam. Aber auch auf Bruderratsseite suchte man in einer Reihe von Sondierungsgesprächen die Möglichkeiten zu erkunden. So war Präses Koch u. a. bei dem wohlgesonnenen Finanzminister von Schwerin-Krosigk und bei Justizminister Gürtner und mit Niemöller zusammen bei Göring. Was daraus verlautete, tat naturgemäß seine Wirkung: „Reichsjustizminister Gürtner und Ministerialdirektor Buttmann vom Reichsinnenministerium hatten nur für ein Notregiment unter der verantwortlichen Leitung einer einzelnen Persönlichkeit, nicht für ein bruderrätlich verfaßtes Gremium, ein staatliches Plazet in Aussicht gestellt."81 Dabei hatte offenbar Buttmann selbst Marahrens vorgeschlagen, der eine nähere Beziehung zu Frick hatte. So setzte sich dieser Name gegenüber allen anderen Vorschlägen wie Koch selbst, Bodelschwingh oder dem Münchener Breit immer mehr durch. Interessant immerhin, daß Niemöller bereits am 29. Oktober „Kandidatur Marahrens" notierte, und daß am 7. November im Frankfurter Landesbruderrat berichtet werden konnte: „Wichtige Staatskreise zielten auf eine Kompromißlösung Marahrens hin."82 So schloß sich die Mehrheit des Bruderrats der Überzeugung Kochs an, daß diese Lösung „die einzig mögliche" sei.83 Zum raschen Abschluß drängte auch noch die Tatsache, daß die am gleichen 22. November in Leipzig tagenden Lutheraner im Falle des Scheiterns die Ausrufung einer lutherischen Kirche mit eigener Kirchenleitung angekündigt hatten.84 Daß auf dieser Seite auch der Wunsch einer Eindämmung des Einflusses der preußischen Union wie der Barthschen Theologie in der Leitung und die größere Distanz zu Barmen mit dem Ziel einer „Frontverbreiterung" mitspielte, geht aus manchen Äußerungen hervor.85 Daß das Ganze letztlich nur die Ausschaltung Barths zum Ziel gehabt habe,86 dürfte angesichts der vielfachen Motive nicht zu erhärten sein. Für die Dissentierenden bedeutete der Schritt ein Verlassen des Weges von Barmen und Dahlem. So sagte Niemöller in der entscheidenden Bruderratssitzung: „Ist jetzt ein zwingender Grund da, daß der Bruderrat das Regiment abgibt? ... Es geht in den Abgrund, wenn wir von Dahlem abweichen."87 Er sah darin ein taktisches Nachgeben gegenüber staatlichen Wünschen und damit die Preisgabe der alleinigen Entscheidungsvoll128
macht der Kirche. Auch für Barth waren die Motive für die Gründung der VKL „trotz der Mitwirkung von Bodelschwingh nicht geistlicher Art".88 Die Ablehnenden fürchteten insgesamt den Sieg restaurativer Tendenzen. Dennoch sagte Niemöller Präses Koch zu, „die VKL zu tolerieren und sich vorerst jeder öffentlichen Kritik an ihren Unternehmungen zu enthalten". 89
Bis zur Dritten Bekenntnissynode
in Augsburg
Die mit dem Herausstellen der VKL verbundenen Erwartungen erfüllten sich nicht. Von einer staatlichen Anerkennung war entgegen vorherigen, mehr oder weniger offenen Ankündigungen keine Rede mehr, vielmehr ließ Frick solche „Gerüchte" nachdrücklich dementieren: „Wenn gewisse Kreise eine private Kirche aufmachen, so sei es eine private Angelegenheit."90 So trat Müller auch jetzt nicht zurück. Mochte Hitler nach allen Enttäuschungen das Interesse an einer geschlossenen Reichskirche verloren haben, er hatte Müller Frist gegeben, die inzwischen auch durch zahlreiche Gerichtsurteile nachgewiesenen Verfassungsverstöße und Rechtsverletzungen in Ordnung zu bringen.91 So sah dieser sich genötigt, am 20. November seine zum Auftakt der Eingliederungspolitik erlassenen Verordnungen und Gesetze über die Übertragung der Befugnisse der altpreußischen Kirche auf die DEK mit der Maßgabe aufzuheben, „daß das ältere Recht wieder in Kraft tritt".92 Damit war freilich vollends ein Rechtswirrwarr geschaffen, da die Instanzen des älteren Rechts weithin nicht mehr vorhanden und auch legal nicht wiederherzustellen waren. Auf der anderen Seite war die Folge, daß trotz ausdrücklichen Verbots eine Reihe von Landeskirchen wie Schleswig-Holstein, Baden, Thüringen, Hamburg, Hannover ihre Eingliederungsgesetze zurücknahmen.93 Die neuerliche „verfassungsmäßige" Bildung eines „Geistlichen Ministeriums" entbehrte, da die Mitwirkung der Landeskirchen nicht erreichbar war, wiederum der Rechtsgültigkeit, wurde auch vom Innenminister nicht anerkannt und blieb ohne jede Bedeutung. Kurz darauf teilte Frick Müller mit, für die Reichsregierung seien gesetzmäßig: die Verfassung der DEK, die Wahlen vom Juli 1933, die daraus hervorgegangene Nationalsynode und die Wahl des Reichsbischofs. Alles andere also sah auch der Staat jetzt als rechtlich anfechtbar an.94 Die unhaltbaren Zustände führen seitens des Innenministers zur Anregung von Friedensgesprächen zwischen VKL und Reichskirchenregierung, von denen die Pfarrerschaft im Januar nur erfahrt, sie seien ergeb129
nislos geblieben, da die BK-Seite von ihrer Bindung an Barmen und Dahlem nicht habe abgehen können. Daß dies erst mit Mühe gegen die Neigung zu weitgehenden Kompromissen durchzusetzen war, erfuhr man erst später. Eine im Januar der Regierung eingereichte Denkschrift der VKL blieb gleichfalls ohne Wirkung, wie übrigens auch ein Vorstoß des ostpreußischen Oberpräsidenten Koch bei Hitler an seiner Forderung nach Müllers Rücktritt scheiterte.95 Was in der Öffentlichkeit der Gemeinden von der VKL bekannt wurde, konnte ihr eher Vertrauen schaffen. In einer Aufsehen erregenden Rede hatte Frick am 7. Dezember in Wiesbaden an die Adresse der, wenn auch nicht namentlich genannten, BK behauptet, „daß sich unter dem Deckmantel christlicher Belange hier alle möglichen staatsfeindlichen und landesverräterischen Elemente sammeln, um auf angeblich rein kirchlichem Gebiet ihre Politik zu treiben und auf diesem Weg dem dritten Reich Schwierigkeiten zu bereiten". Dies mußte angesichts des - wie man es von heute her auch immer beurteilen mag - strengen Bemühens, den Kirchenkampf von politischen Zielsetzungen freizuhalten, als schwere Verdächtigung wirken. Wenige Tage später erhielten die Pfarrer eine Kanzelabkündigung der VKL, in der es u. a. hieß: „Wir legen vor Gott und Menschen dagegen in feierlicher Form Verwahrung ein. Wir haben in unserem Kampf ein gutes Gewissen und sind bereit zur Rechenschaft ... An zuständiger Stelle haben wir ein offenes Wort der Richtigstellung gesprochen. Wir teilen das zur Beruhigung unserer tief erregten Gemeinden mit." Die Abkündigung wurde am Samstag verboten, blieb aber naturgemäß nicht unbekannt. 96 Nach der Frickschen Rede war es „in zweiter Linie der Fall Barth, der die öffentliche Meinung... lebhaft beschäftigte". Barth hatte, so teilte das Rundschreiben des nassau-hessischen Bruderrats weiter mit, den Beamteneid auf den Führer nur mit dem Zusatz „soweit ich es als evangelischer Christ vor Gott verantworten kann" leisten wollen und war daraufhin sofort beurlaubt und einem Disziplinarverfahren unterworfen worden. Hier habe nun, hieß es weiter, sowohl die VKL als auch der Reformierte Bund in amtlichen Schreiben an Kultusminister Rust zur Eidesfrage Stellung genommen. Die VKL erklärte: „Der unter Anrufung Gottes dem Führer geleistete Eid gibt der Treueund Gehorsamsverpflichtung den Ernst der Verantwortung vor Gott und damit ihre rechte Begründung. Er schließt durch die Berufung auf Gott ein Tun aus, das wider das in der Hl. Schrift bezeugte Gebot Gottes wäre." 130
Daraufhin habe Barth am 18. Dezember unter Hinweis auf diese Feststellung sich zur Leistung des Eides ohne Zusatz bereit erklärt, was freilich den Fortgang des Verfahrens nicht hinderte. Unter welchen Umständen die VKL-Erklärung zustande gekommen und auf welchen Wegen sie bekannt geworden war, ahnten die Nicht-Eingeweihten natürlich nicht. Ihnen war entscheidend: Die VKL hatte sich für Barth eingesetzt, und er hatte sich darauf berufen. Darüber hinaus erfuhren sie noch, daß die ausgeschiedenen Bruderratsmitglieder schon Anfang Januar gastweise wieder an einer Sitzung teilgenommen und an der Aufarbeitung der in der BK ungeklärten Fragen mitgewirkt hatten.97 So wuchs in den Gemeinden und auch in Kreisen kritischer BK-Pfarrer trotz aller Vorbehalte der Eindruck, daß die VKL die Sachanliegen vertrete und unter dem gleichen Verdikt wie die gesamte BK stand: Sie wurde staatlich nicht anerkannt, ihre Eingaben blieben unbeantwortet, amtlich war sie für das Regime nicht existent, und auch ein zunächst stark beachtetes Danktelegramm der Reichskanzlei auf die Glückwünsche der VKL zur Saarabstimmung wurde alsbald als „Büroversehen" unwirksam gemacht.98 Jedenfalls war bei Pfarrern und Gemeinden spätestens ab Februar 193 5 die Bildung der VKL kein Problem-Thema mehr. Dafür waren andere Fragen und Aufgaben in den Vordergrund getreten. Im Rahmen des Aufbaus der BK mußte die Sammlung der Mitglieder und, jedenfalls in Nassau-Hessen, die Bildung von Kreissynoden vorangetrieben werden, wobei übrigens Asmussen, den man als „Visitator" erbeten hatte, im Auftrag der VKL mitwirkte. Gleichzeitig beanspruchte ein anderes Phänomen besondere Aufmerksamkeit. Schon bald nach der Saarabstimmung am 13. Januar setzte eine auffallende Propagandawelle der „Deutschen Glaubensbewegung" unter Führung des Tübinger Religionswissenschaftlers Professor Hauer und des Grafen Reventlow ein. Inwieweit hier, neben der vorherigen politischen Rücksicht bis zur Saarentscheidung, auch ein Zusammenhang mit dem kirchlichen Geschehen bestand, war schwer zu durchschauen. Doch ist denkbar, daß das Scheitern der Müllerschen Kirchenpolitik wie aller Befriedungsversuche mit der Opposition den Parteikreisen um Rosenberg, die jede Verständigung mit Kirche und Christentum für zwecklos hielten, neue Nahrung gegeben hatte und damit zugleich die ihnen verwandten deutschgläubigen Gruppen ihre Stunde gekommen sahen.99 Jedenfalls beginnt seit Februar ungehindert und teilweise gefördert eine weite deutschgläubige Versammlungswelle. Allein in einer Märzwoche wird von nahezu 60 großen öffentlichen Versammlungen berichtet, woge131
gen den Kirchen Vortragsveranstaltungen außerhalb der Kirchenräume seit einem Staatspolizeierlaß von Göring vom Dezember untersagt waren.100 Inhalt waren scharfe Angriffe auf Kirche und christlichen Glauben und die immer deutlichere These der Unvereinbarkeit von Christentum und deutschem Wesen. Zugleich häuften sich Äußerungen führender Parteileute, die zwar beteuerten, in das religiöse Leben werde nicht eingegriffen, doch „müsse das Gefühl des Getrenntseins in Konfessionen überwunden werden durch ein alles beherrschendes Bewußtsein, deutscher Volksgenosse zu sein", man baue „in die Herzen der Jugend einen großen Altar, auf dem Deutschland steht", Ziel sei „ein Volk, d a s . . . durch den Glauben an seinen Führer und seine heilige Heimaterde zusammengeschweißt ist".101 „Deutsche Morgenfeiern der HJ" sollen im Rundfunk anstelle von Gottesdienstübertragungen „den gemeinsamen Glauben an Deutschland, an das Volk, an den Führer, an das Reich und unser gemeinsames Gotterleben zum Ausdruck bringen". Auch wenn sich das nicht sofort durchsetzen ließ, das Ziel war deutlich und wurde in zahllosen Schulungen propagiert. Hier taucht nun auch der später programmatische Begriff der „Entkonfessionalisierung" auf.102 Die VKL reagierte schon am 21. Februar mit einem deutlichen Wort: „Dem deutschen Volke wird heute eine neue Religion angeboten. Ihre Verfechter nennen sie einen ,neuen Lebensmythus', der ,einen neuen Menschentypus' schafft... Hier ist kein Platz für den christlichen Glauben ... Man will Christus nur noch, soweit auch sein Bild sich in das Spiegelbild der seelischen Urkräfte des nordischen Menschen umdeuten läßt ... Diese Lehren machen sich heute auf allen Gebieten des Lebens geltend ... Öffentliche Stellen vertreten sie in ihren Kundgebungen (Bauernkalender des Reichsnährstandes). In Schulungskursen tauchen sie immer wieder auf. Auch in die Schule dringen sie ein. In Abwehr dieser neuen Religion wenden wir uns an die Obrigkeit ... ermahnen wir die evangelischen Christen Deutschlands: Laßt euch nicht verführen!" Am 5. März folgte „in Übereinstimmung mit der Kundgebung der VKL" die altpreußische Bekenntnissynode mit einer Abkündigung, die manches noch konkreter beim Namen nannte: „Wer Blut, Rasse und Volkstum an Stelle Gottes zum Schöpfer und Herrn der staatlichen Autorität macht, untergräbt den Staat... Der Staat selbst verliert seine Vollmacht, wenn er sich mit der Würde eines ewigen Reiches bekleiden läßt." Die Kirche „darf sich nicht dem die Gewissen bindenden Totalitätsanspruch beugen, den die neue Religion dem Staate zuschreibt". Sie muß „darüber wachen, daß die ihr durch Gottes Wort befohlene Fürbitte und Danksagung für alle Obrigkeit in der Wahrheit geschehe und nicht zu einer religiösen Verklärung und Weihung irdischer 132
Mächte und Ereignisse werde... Sie warnt davor, sich einer Abgötterei zu überantworten, durch die wir uns Gottes Zorn und Gericht zuziehen."103 Das Wort war für die APU-Gemeinden bestimmt. Minister Frick sah darin „einen heimtückischen Angriff auf Staat und Volk" und veranlaßte am 16. März eine Polizeiaktion im ganzen Reich, um die Verlesung am nächsten Tag zu verhindern. Im Zusammenhang damit kam es zur Verhaftung von über 500 Pfarrern allein in Altpreußen, ohne die aus den anderen Gebieten, die sich weigerten, eine entsprechende Erklärung zu unterschreiben.' 04 Die Erregung in den Gemeinden war groß. Die Verhafteten wurden nach einigen Tagen wieder freigelassen, und nach Verhandlungen mit Frick konnte durch einen abschwächenden Vorspann, „daß dieses Wort sich lediglich gegen die neuheidnische Religion wendet und vor der hier für Volk und Staat drohenden Gefahr warnen will", die Verlesung am 24. März ungehindert geschehen.105 Übrigens fand sich später ein Rundschreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin vom 29. März (Kopie beim Verf.), mit dem der gesamte Text im Auftrag des Innenministers allen Polizeidienststellen „zur gfl. Kenntnisnahme übersandt" wurde! Im Zusammenhang mit dem Ganzen wurde nun auch Marahrens als Vorsitzender der VKL erstmals von Frick empfangen, wohl ein Zeichen dafür, wie peinlich für die Regierung das im In- und Ausland entstandene Aufsehen war.106 In den gleichen Tagen erreichten die Auseinandersetzungen auch in Hessen einen Höhepunkt, wo der Reichsstatthalter und Gauleiter Sprenger der Opposition gegen „seinen" Landesbischof Dietrich ein Ende machen wollte. Eine Reihe von Pfarrern wurde auch hier verhaftet und fünf von ihnen - darunter Peter Brunner wegen jener Abkündigung; er hatte nur die der VKL verlesen! - erstmals im Reich nach Dachau verbracht. Als daraufhin die VKL die anderen Kirchen zur Fürbitte und zum Schweigenlassen der Kirchenglocken aufrief, löste dies auch in Sachsen eine Verhaftungswelle aus: zunächst werden wegen solcher Solidarität drei Pfarrer und in der Folge insgesamt 22 in das Schutzhaftlager Sachsenburg eingeliefert.107 Die betroffenen Landesbruderräte können außer ihren eigenen von Protesten und Eingaben der VKL berichten. Als im April Marahrens und Breit vor Bekenntnisgottesdiensten in Hessen in Gewahrsam genommen und über die „Landesgrenze" nach Preußen abgeschoben werden, stärkt dies naturgemäß die Verbundenheit. Im Mai lehnt Marahrens sogar Frick gegenüber die Beteiligung an irgendwelchen Besprechungen ab, solange die KZ-Haft nicht aufgehoben sei.108 133
Unterdessen wurde angesichts der Verschärfung der allgemeinen Lage die Einberufung der Bekenntnissynode immer dringender gefordert. Im April begannen interne Beratungen zur Klärung der strittigen Frage um die Einsetzung der VKL, und im Mai kam es zu einer Vereinbarung, die das Verhältnis von Synode, Reichsbruderrat und VKL ordnete: Diese band sich an die Entscheidungen der Synode und wurde damit als rechtmäßige Leitung anerkannt. Daraufhin kehrten Niemöller, Hesse und Immer in den Bruderrat zurück; Barth hatte gebeten, von ihm abzusehen. Die Vorbereitungen der Synode waren zunächst durch einige Einwendungen von Meiser namens der gastgebenden Kirche belastet, als er u. a. das Fernbleiben Barths forderte, der eine zu große Belastung darstelle. Dieser hatte nach der Entlassung in Bonn bei seinen Berufungsverhandlungen in Basel auf die Frage, ob er die Landesverteidigung bejahe, mehr humoristisch „Ja, vor allem an der Nordgrenze" geantwortet und dies in aller Harmlosigkeit selbst erzählt. Das wurde sofort als Beweis seiner Staatsfeindlichkeit kolportiert und ausgeschlachtet.109 Nach mehrfachen Verschiebungen wurde die Synode schließlich auf den 4.-6. Juni nach Augsburg einberufen. Da nach der internen Verständigung nun eine öffentliche Solidarisierung mit den besonders bedrängten Kirchen NassauHessen und Sachsen zu erwarten war, lenkte der Staat ein. Frick entsandte einen Regierungsrat, der vor Beginn Marahrens eröffnete, daß die Verhafteten aus den KZ entlassen seien. Die Synode konnte damit in entspannter Atmosphäre tagen. Diese dritte Bekenntnissynode kam in ihrer Bedeutung denen von Barmen und Dahlem nicht gleich. Sie hatte keine Beschlüsse von ähnlicher Tragweite zu fassen. Doch ist die in Augsburg geleistete Arbeit nicht zu verkennen. Zur Überwindung der mit Bildung der VKL aufgetretenen Differenzen diente die Entschließung zur Ordnung der BK: Aufgrund der Vereinbarung vom 16. Mai bestätigt jetzt die Synode den fraglichen Beschluß des Bruderrats vom 22. November und erkennt die VKL als die rechtmäßige Leitung der DEK an, für deren Arbeit die Beschlüsse der Bekenntnissynode richtunggebend sind und die vor wichtigen Entscheidungen den Reichsbruderrat hört. Die Bekenntnissynode stellt die Grundsätze für den kirchlichen Neuaufbau auf. Der Reichsbruderrat wird von ihr aus ihrer Mitte gewählt, sorgt für die Durchführung ihrer Beschlüsse und berät die VKL. Sein Vorsitzender ist der Präses der Bekenntnissynode. Damit war der Schlußstrich unter die Leitungskrise gezogen. Darüber hinaus wurden noch sechs Vorlagen verabschiedet. So ein eingehend vorbereitetes „Wort an die Gemeinden, ihre Pfarrer und Älte134
sten", nach der Einleitung von Joachim Beckmann „ein Sendschreiben, ... das den Gemeinden in der Anfechtung und Bedrohung Trost und Kraft, ein Wort der Mahnung und Aufrichtung sei".110 Abdruck des Wortes und Verbreitung durch Flugblätter wurde, ebenso wie ein Bericht über die Synode, staatspolizeilich nicht verhindert. Bedeutsam war eine Entschließung „zur Vorbildung und Prüfung der Pfarrer der BK", mit der Recht und Pflicht der Kirche zur Durchführung der theologischen Prüfungen festgestellt und das Recht der Universitätsprofessoren auf Zugehörigkeit zur BK und Mitwirkung bei ihren Prüfungen - entgegen einem Verbot des jetzigen Reichskultusministers Rust - nachdrücklich gefordert wird. Auch wird die Anerkennung der bei BK-Prüfungsbehörden abgelegten Examina in den zur BK gehörenden anderen Landeskirchen als selbstverständlich vorausgesetzt. Zu erwähnen ist ferner ein „Wort an die Obrigkeit", in dem Vorwürfe eines politischen Widerstandes zurückgewiesen und Maßnahmen gegen Pfarrer und Gemeindeglieder beklagt werden, „wie sie über Feinde des Staates, Verbrecher gegen sein Recht und Störer seiner Ordnung verhängt werden". „Wir nehmen auf uns, was wir um des Bekennens willen zu leiden haben. Wir müssen aber mit ehrerbietigem Ernst daraufhinweisen, daß Gehorsam im Widerspruch gegen Gottes Gebot nicht geleistet werden d a r f . . . Wir bitten inständig, keine Kluft zwischen Christentum und Volksgemeinschaft aufreißen zu lassen, sondern der evangelischen Kirche freien Raum zu geben für ihren Dienst an unserem Volk." Dem korrespondiert noch ein „Wort an die in ihrer Amtsführung behinderten Diener des Evangeliums", wobei konkret an Predigtverbote und Ausweisungen gedacht war und man doch nicht die Möglichkeit einer allgemein gültigen bindenden Weisung - befolgen oder widerstehen - sah: „Diese Entscheidung ... vermögen wir dem einzelnen Gewissen nicht abzunehmen." Pfarrer Paul Schneider in Dickenschied ging den schwereren Weg. ll0a Insgesamt war man für den Verlauf der Synode dankbar. Auch das konfessionelle Problem, aufgeworfen im Blick auf Bildung und Aufgabe der Bekenntniskonvente, fand eine vorläufige Lösung. Die Beschlüsse wurden einmütig gefaßt, und trotz aller Spannungen war die Gemeinsamkeit erhalten und gestärkt. Sehr kritisch aber äußerte sich von Basel her Karl Barth in einem Brief an Hesse, gewiß auch verschärft durch die Bitterkeit über die Umstände seines Weggangs, und doch hellsichtig: „Besteht wirklich Anlaß zu einem Hallelujah darüber, daß die ,Linie' künftig die Linie Barmen-Dahlem-Augsburg heißen werde? Ich konnte und ich kann mich dieses Augsburger Religionsfriedens unmöglich 135
freuen ... Sie (die Bekenntniskirche) hat für Millionen von Unrecht Leidenden noch kein Herz. Sie hat zu den einfachsten Fragen der öffentlichen Redlichkeit noch kein Wort gefunden. Sie redet - wenn sie redet noch immer nur in ihrer eigenen Sache. Sie hält noch immer die Fiktion aufrecht, als ob sie es im heutigen Staat mit einem Rechtsstaat im Sinne von Rom 13 zu tun habe."111 Auch Bonhoeffer sprach von „vier Unterlassungen": Die Synode habe nach seiner Meinung nichts gesagt „über die Freiheit der Kirche, nichts über den § 24 des Parteiprogramms, nichts über die Judenfrage, nichts über den Wehreid".112 Auch die inneren Probleme waren trotz allem nicht wirklich gelöst, wie sich spätestens in der gegensätzlichen Stellung zu den Kirchenausschüssen zeigen sollte. So sprach schon Ende Juli ein von Niemöller veranlaßter Aufruf von 49 Notbundpfarrern „An unsere Brüder im Amt" vom vergeblichen „Warten auf die Anerkennung der BK durch den Staat" und dem Unglauben, „der uns dazu verfuhrt hat, unsere Hoffnung auf Menschen zu setzen ... Darum liegt es wie ein Bann auf unserer BK ... Geboten ist uns das klare, kompromißlose Nein gegenüber jedem Versuch, die Kirchenfrage im Widerspruch zu den Entscheidungen von Barmen und Dahlem zu lösen ... Wir haben nicht das Recht, den Anfang, der uns geschenkt ist, preiszugeben oder stecken zu lassen."113 Dies konnte nur als Warnung vor falschen Konsequenzen aus Augsburg verstanden werden. Daß man aber auch in kritisch denkenden Kreisen die VKL nicht einfach abgeschrieben hatte und auch der Humor nicht ausgestorben war trotz aller Bedrängnisse und Ratlosigkeiten war es eine oft erstaunlich fröhliche Zeit! - , mögen die Verse Heinrich Vogels zeigen: Das Regiment Marahrens / marschierte auf Berlin. Fünf Kommandeure warens, / vorläufig, wie es schien. Der lutherischen Breite / trat Humburg an die Seite, Pandekten-Fiedler noch, / dazu der Präses Koch. Von Barmen über Dahlem / bewegte sich der Zug, bis er bei Pseudo-Salem / um eine Ecke bog. O lieben quinque viri, / laudabiles et miri, bekenntnistreu und kühn, / cavete vor Berlin. Berlin ist voller Laster / und trügerischem Schein. Betretet dieses Pflaster / auch nicht mit einem Bein. Ihr werten Kommandeure, / beherzigt diese Lehre und führet die Armee / nicht in den Sumpf der Spree!114
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5. Ein neuer Gegenzug: Minister Kerrl und seine Kirchenausschüsse Nachdem es nicht gelungen war, auf den seitherigen Wegen - über die DC mit Unterstützung durch Partei und staatspolizeiliche Maßnahmen die Kirche in die Hand zu bekommen und insbesondere die BK auszuschalten, deren Rückhalt in den Gemeinden offensichtlich war, kündigte sich mit Frühjahr 1935 eine neue Phase der NS-Kirchenpolitik an. Zwar erwiesen sich Gerüchte über eine bevorstehende Wiedereinführung des Summepiskopats, also einer dem Staatskirchentum bis 1918 entsprechenden Lösung - Adolf Hitler als oberster Bischof unter Delegation seiner Vollmachten an Ludwig Müller! - als bloße Gedankenspiele, die im März von Müller in die Öffentlichkeit gebracht, aber offenbar doch so ernsthaft ventiliert wurden, daß sich die VKL im April in einem Schreiben an Hitler zu einer eindeutigen Absage an die Pläne zur „Einfuhrung eines neuen Staatskirchentums" veranlaßt sah.1 Doch dann erfolgten Schritte, die zwar mit solchen Ideen nichts zu tun hatten, sich aber als Stationen zu dem Ziel einer staatlichen Lenkung der Kirche erweisen sollten.
Das Vorspiel: Finanzabteilungen in Rechtsfragen
und Beschlußstelle
Bereits im März erscheint ein Erlaß des Preußischen Staatsministeriums über die Errichtung von Finanzabteilungen bei allen evangelischen Kirchen und Kirchenprovinzen in Preußen. Laut Durchführungsverordnung haben sie „dafür Sorge zu tragen, daß eine den öffentlichen Belangen entsprechende ordnungsgemäße Verwaltung gewährleistet bleibt". Sie setzen „den Haushaltsplan und die Umlage für die Landeskirche bzw. Kirchenprovinz fest" und üben „die kirchliche Aufsicht über die Vermögens- und Kirchensteuerverwaltung der Kirchengemeinden und kirchlichen Verbände aus". Einzelbestimmungen lassen die Tragweite erkennen: „Gehälter dürfen nur an ordnungsmäßig berufene Amtspersonen gezahlt werden ... Die Wiederbesetzung frei gewordener Stellen bedarf der Zustimmung der Finanzabteilung." Dies gilt auch für „Anordnungen der Kirchenleitung, die mit finanzieller Auswirkung verbunden sind". Der für kirchliche Angelegenheiten zuständige Minister - dies war hier 137
der Kultusminister - bildet die jeweiligen Finanzabteilungen und ernennt Vorsitzende und Mitglieder aus Beamten der kirchlichen Verwaltung. Sie sind zum Erlaß rechtsverbindlicher Anordnungen befugt, aber bei Anordnungen allgemeiner Art an die Zustimmung des Ministers gebunden.2 Anlaß für diesen weitgehenden Eingriff dürfte gewesen sein, daß Bekenntnisgemeinden in der APU bereits im Herbst 1934 begonnen hatten, die für die Landes- bzw. Provinzialkirche falligen Umlagebeträge nicht mehr dem DC-Kirchenregiment, sondern an ein Treuhandkonto der BK abzuführen, nachdem Fälle der Verschleuderung kirchlicher Gelder für DC-Zwecke bekannt geworden waren. So gingen nach Mitteilung des Preußischen EOK im November 1934 nur 50 und im Dezember sogar nur 40% der Umlagen ein, so daß man dort gezwungen war, eine Vereinbarung mit der BK zu treffen.3 Dem sollte durch die Finanzabteilungen ein Ende gemacht werden. Aber da dies in die Finanzhoheit der Kirchengemeinden eingriff, war es nicht sofort zu verwirklichen. Aber das Ziel einer vom Staat gelenkten Finanzverwaltung der Kirche war deutlich. So ist es schon erstaunlich, daß Bruderräte außerhalb Altpreußens wie Nassau-Hessen und Sachsen, wo es inzwischen auch Finanzabteilungen gab, diese Konsequenzen nicht erkannten und noch im September 1935 der VKL berichteten, bei ihnen werde „die Wirksamkeit der Finanzabteilungen als Erleichterung gegenüber der Gewaltherrschaft der Landesbischöfe Dietrich und Coch begrüßt". 4 Man hatte dort den Schritt der Treuhandsteilen nicht getan und sah zunächst wohl eher den Landesbischof in seiner Alleinentscheidung beschränkt. Die wirkliche Bedeutung erkannte man erst später. Schon im Juni 1935 folgte ein zweiter Schritt von ebenso einschneidender Wirkung: Durch Reichsgesetz wurde beim Innenministerium eine „Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche" gebildet. Alle Rechtsstreitigkeiten, in denen seit dem 1. Mai 1933 in den Landeskirchen oder der DEK getroffene Maßnahmen in ihrer Gültigkeit angezweifelt werden, sind danach von den Gerichten auszusetzen und an die Beschlußstelle zu übergeben. Diese „beschließt darüber, ob d i e . . . bezeichneten Maßnahmen gültig sind oder nicht. Der Beschluß der Beschlußstelle ist endgültig und allgemein verbindlich." Das nassau-hessische Amtsblatt druckte zugleich eine Begründung des Deutschen Nachrichtenbüros ab, wonach damit „unter Entlastung der Gerichte eine einheitliche Entscheidung über rechtlich zweifelhafte Maßnahmen ... sichergestellt werden" solle. Auswahl der Mitglieder und „engste Zusammenarbeit mit dem für die Kirchenpolitik verantwortlichen RMdl" soll138
ten gewährleisten, daß die Entscheidungen „der tatsächlichen und rechtlichen Lage auf dem Gebiete der evangelischen Kirche entsprechen". 5 BK-Kreise vermuteten sofort, daß der wahre Grund weder Entlastung der Gerichte noch Sorge um einheitliche Entscheidungen, sondern der Wille war, den von einer größeren Anzahl von Pfarrern und Gemeinden erfolgreich beschrittenen Weg der gerichtlichen Klage gegen kirchenregimentliche Anordnungen, wobei durchweg die Rechtsauffassung der BK bestätigt und in zahlreichen Fällen die Maßnahmen des DC-Regiments als ungültig festgestellt worden waren, künftig unmöglich zu machen. Der Verdacht erhärtete sich alsbald, als der Schritt von DC-Seite unverhohlen begrüßt und - nach Übertragung der Vollmacht auf den inzwischen ernannten Minister Kerrl - etwa von Landesbischof Dietrich geäußert wurde: „Kerrl wird entscheiden, was richtig ist. Wie die Bekenntnisfront dabei abschneiden wird, kann man sich ungefähr vorstellen." Dazu berichtet der nassau-hessische Landesbruderrat über „eine neue Welle schwerster Verfolgungen" unter rücksichtsloser Anwendung des nach seitherigen Gerichtsurteilen rechtsungültigen Dienststrafgesetzes sowie des Verbots der Zugehörigkeit zum Pfarrernotbund. 6 So sah sich auch die VKL schon im Juli veranlaßt, der Reichsregierung gegenüber schwerwiegende Bedenken zu erheben; falls es ihr unmöglich sein sollte, das Gesetz überhaupt wieder aufzuheben, könnten die „zu befürchtenden schweren Schäden vielleicht in etwas dann gemindert werden", wenn die Beschlußstelle „als eine von der Justizverwaltung abgezweigte Behörde aus unabhängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Richtern (etwa Mitgliedern des Reichsgerichts) zusammengesetzt" und „ebenso wie die ordentlichen Gerichte an das bestehende objektive Recht gebunden" sei und „nur das geltende Recht auszulegen, nicht neues Recht zu setzen" habe.7 Doch hing es wohl kaum mit diesen sehr deutlichen Einwänden zusammen, sondern eher damit, daß der kurz danach ernannte Minister Kerrl selbst zu rechtsverbindlichen Anordnungen bevollmächtigt war und damit auch ohne Beschlußstelle neues Recht setzen konnte - jedenfalls trat die Beschlußstelle fast eineinhalb Jahre lang überhaupt nicht in Erscheinung. Nur ihre Zusammensetzung war noch Ende Juli bekannt gegeben worden: Vorsitzender Kerrl, Beisitzer zwei Beamte seines Ministeriums und zwei Staatsrechtler, von denen der eine die ganze Einrichtung als beratendes Gremium für die verantwortliche Beschlußfassung des Vorsitzenden bezeichnete; „der Beschluß, der einen Akt der Führung darstellt", bedürfe keiner mündlichen oder schriftlichen Begründung, er 139
könne „durch autoritäre Entscheidung neues Recht setzen, wo das formale Recht sinnlos wirken und Zerstörung anrichten würde".8 Doch auch ohne tätig zu werden, hatte allein das formelle Bestehen der Beschlußstelle ausreichende Wirkung: dort lagen im Sommer 1936 ca. 80, Ende 1937 131 von Gerichten ausgesetzte Verfahren vor.9 Der BK, ihren Gemeinden und Pfarrern war der Zugang zu einer objektiven Rechtsfindung versperrt und damit die wohl ausschließlich beabsichtigte Funktion des Ganzen erfüllt. Am 10. Juni 1937 wird im nassau-hessischen Gesetz- und Verordnungsblatt erstmals eine Entscheidung der Beschlußstelle veröffentlicht, in der erwartungsgemäß allein der vom Konsistorium entsandte Pfarrvikar einer rheinischen Gemeinde als rechtmäßig bezeichnet und dem vom Bruderrat beauftragten jede Legitimation abgesprochen wird. Auf dieser Linie hielten sich auch alle späteren Entscheidungen. Soweit nicht zeitweise Vergleiche angestrebt wurden, erklärte die Beschlußstelle die durch Kirchenbehörden verfugten Versetzungen, Entlassungen oder Ordnungsstrafen als rechtsgültig und vollstreckbar. „Eine Berufung in das Pfarramt durch einen sog. ,Bruderrat' oder anderen ,Rat der BK' gibt es rechtlich nicht."10 Der Zweck des Ganzen war eindeutig.
Ernennung des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten Nach den genannten ersten Schritten erschien am 16. Juli ein Erlaß, der die staatliche Kirchenpolitik und das kirchliche Geschehen der kommenden Jahre wesentlich bestimmen sollte: „Auf den Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Kerrl, gehen die bisher im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern sowie im Reichs- und Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung bearbeiteten kirchlichen Angelegenheiten über." Konnte es auf den ersten Blick erscheinen, es handele sich nur um eine personelle Entscheidung zur Zusammenfassung der bisher auf zwei Ministerien verteilten Zuständigkeiten in einer Hand, zeigte sich bald, daß damit auch eine neue Phase im Verhältnis Staat-Kirche eingeleitet wurde. Am 24. September erschien ein „Gesetz zur Sicherung der DEK". „Mit tiefster Besorgnis" habe die Reichsregierung den durch den Kampf kirchlicher Gruppen hereingebrochenen Zustand beobachten müssen, „der die Einigkeit des Kirchenvolkes zerreißt, die Glaubens- und Gewissensfreiheit des einzelnen beeinträchtigt, die Volksgemeinschaft schädigt und den 140
Bestand der Evangelischen Kirche selbst schwersten Gefahren aussetzt". „Von dem Willen durchdrungen, einer in sich geordneten Kirche möglichst bald die Regelung ihrer Angelegenheiten selbst überlassen zu können, hat die Reichsregierung ihrer Pflicht als Treuhänder gemäß und in der Erkenntnis, daß diese Aufgabe keiner der kämpfenden Gruppen überlassen werden kann", das Gesetz beschlossen, dessen „Einziger Paragraph" lautet: „Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten wird zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der DEK und in den Evangelischen Landeskirchen ermächtigt, Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen .. ."10a Ließ schon das Nebeneinander der zuvor genannten Maßnahmen auf Unsicherheit und unterschiedliche Maßnahmen bei Regierungsinstanzen schließen, hat sich dies durch die spätere Forschung nur bestätigt. So wurde bekannt, daß der ehrgeizige frühere Staatssekretär im Preußischen Kultusministerium, Wilhelm Stuckart, der schon bei der Berufung Jägers nach Berlin (vgl. oben S. 58) eine Rolle gespielt hatte, sich im Januar 1935 in einer ausfuhrlichen Denkschrift an Hitler wenden konnte, in der er angesichts des Scheiterns der Müllerschen Reichskirchenpolitik die verschiedenen Möglichkeiten einer Lösung abwog. Diese reichten von einer völligen Trennung von Staat und Kirche - also eine aus Spenden lebende Freikirche unter Verlust ihrer Privilegien wie Steuerrecht, schulischer Religionsunterricht und theologische Fakultäten, eine Lösung, für die das Volk noch nicht reif sei - bis zu einer konsequenten staatskirchlichen Konzeption. Die Empfehlung Stuckarts ging auf eine „abwartende Neutralität des Staates mit verschärfter Aufsicht über die Kirche". Diese sei „streng auf ihren geistlich-religiösen Bezirk zu beschränken", während der Staat sich Weisungsrecht in allen Finanzfragen und Einwirkung auf kirchliche Gesetzgebung und Ämterverwaltung vorbehalten und durch eine „allein zuständige Zentralstelle für die Staatskirchenfragen im Reichsinnenministerium" sicherstellen solle. Als Gegenüber bei der DEK müsse das Ziel „die Schaffung einer im wesentlichen unabhängigen obersten weltlichen Verwaltungsspitze der Kirche" sein." Auch wenn mit Kerrls Ernennung sich die konkreten Vorstellungen Stuckarts nicht realisierten, läßt der Vorgang doch erkennen, welche Unsicherheit über den weiteren Weg auf Regierungsseite bestand und welche Unwägbarkeiten - differierende Konzeptionen, Konkurrenz verschiedener Ministerien, Spannungen in der Einstellung der verschiedenen Parteiflügel - hier mit im Spiele waren. Selbst wenn mit der wohl schon im Frühjahr gefallenen Entscheidung Hitlers zum Auftrag an Kerrl12 die Dinge ganz anders 141
liefen, als man sich in dem bis dahin vor allem zuständigen Innenministerium denken mochte, in den Grundzügen: Zurückdrängen der Kirche aus dem öffentlichen Leben und verstärkter staatlicher Einfluß auf ihre, von geistlich-religiösen Fragen zu trennende Verwaltung, sollte der Kurs sich tatsächlich mehr und mehr in den von Stuckart vorgezeichneten Bahnen bewegen. Zunächst jedoch schien mit der Beauftragung Kerrls und seiner Bevollmächtigung zu rechtsverbindlichen Schritten ein ganz neues Konzept begonnen. Hanns Kerrl, aus dem Kreis der persönlichen Freunde Hitlers, war mittlerer Justizbeamter gewesen, verstand sich als evangelischer Christ, von dem in der Partei die Rede ging, er sei „der einzige NSFührer, der Bibelsprüche auswendig kannte"; 13 auch hatte er sich, wie übereinstimmend berichtet wird, durch eigene Lektüre einige theologische Kenntnisse angeeignet, auf die er häufig hinwies, die ihn freilich auch anderen Argumenten fast unzugänglich machten. Für ihn war das Bekenntnis des NS zum „Positiven Christentum" - im Unterschied zu den Kreisen um Rosenberg - unumstößliche Überzeugung. Seine Einstellung kennzeichnete er selbst in einer Rede: „Ich kenne die Lehre Jesu und ich bekenne mich zu ihr als evangelischer Christ. Ich bekenne aber gleichzeitig, daß mir die wahre Lehre Jesu erst im nationalsozialistischen Kampf aufgegangen ist, denn da habe ich erlebt, was es heißt: Der Glaube kann Berge versetzen."14 Von daher war er von der Vereinbarkeit von Christentum und NS überzeugt und glaubte, bei übereinstimmender Bejahung des NS-Staates auch eine Befriedung der Kirche herbeiführen zu können. In einem Punkt gab er der Auffassung der BK recht: „daß das Führerprinzip in der Kirche unmöglich sei".14" Dennoch verkannte er das Wesen des Kirchenkampfes zutiefst. Er sah hier nur streitende Gruppen, zwischen denen ein modus vivendi gefunden werden müsse und könne; „Das Wort Irrlehre will ich nicht mehr hören!"15 Auf der anderen Seite war er sich bewußt, daß er innerhalb der Partei mit erheblicher Gegnerschaft rechnen mußte. So hatte er schon in einer ersten Besprechung mit den Vertretern der Länderregierungen und den preußischen Oberpräsidenten offen geäußert, „es sei unhaltbar, daß es innerhalb der Bewegung einen offiziellen Standpunkt (Art. 24 des Parteiprogramms) und einen inoffiziellen Standpunkt (Rosenbergsche Richtung) zum Christentum gäbe. Erforderlich sei seines Erachtens die Ausmerzung des inoffiziellen Standpunktes." 16 Von daher mochte er die Lage durchaus zutreffend sehen, wenn er in Verhandlungen mit Vertretern der BK mehrfach erklärte: „Es ist der letzte Versuch, den 142
der Staat macht. Nach mir kommt nichts mehr auf diesem Gebiet. Das ist sicher."17 Angesichts der inneren Widersprüche konnte das Vorhaben Kerrls kaum gelingen. So mutet denn auch im Rückblick sein groß angelegtes Unternehmen, eine Befriedung durch von ihm „aus Männern der Kirche" ernannte Ausschüsse herbeizuführen, als ein Zwischenspiel an, das den eigentlichen Konflikt zwischen Staat und Kirche überdeckt und die direkte Konfrontation nur hinausgezögert hat. Doch war dies zunächst keineswegs deutlich, im Gegenteil. Nachdem Kerrl im August die Vertreter der BK erstmals ausführlich angehört hatte, vollends als er veranlaßte, daß einer größeren Anzahl bedrängter BK-Gemeinden im hessischen Bereich die ihnen versperrten Kirchen ab Erntedankfest wieder zur Verfügung standen, begannen viele BK-Pfarrer und -Gemeinden auf eine bevorstehende Bereinigung und Befriedung zu hoffen. Schon im September meinte der Landesbruderrat in Frankfurt in einem Rundbrief: „Die kirchliche Lage ist durch das Eingreifen des Herrn Ministers Kerrl entscheidend verändert"; aufgrund der Verhandlungen mit ihm stehe man „vor ganz neuen Aufgaben und Möglichkeiten".18 Wenn Hans Asmussen dazu bemerkte, „daß unsere Pfarrer weithin mit Heißhunger auf solche Beurteilung der kirchlichen Lage warten", traf er damit die verbreitete Stimmung: Angesichts der immer aussichtsloseren Konfliktlage gegenüber den DC-Kirchenleitungen mit ihrem Rückhalt bei Partei und Gestapo, war Kerrl, der doch immerhin Verständnis für kirchliche Anliegen an den Tag legte, für viele die große Hoffnung. Hatte doch die BK selbst den Staat um Rechtshilfe gebeten.19 Konnte und durfte man sich jetzt einer staatlich eingeleiteten Bereinigung, mit der doch das Scheitern des seitherigen Kurses eingestanden wurde, entziehen, selbst wenn diese Lösung den eigenen Vorstellungen nicht voll entsprechen würde? Diese letzte Möglichkeit - „nach mir kommt nichts mehr!" - dürfe doch auf keinen Fall ausgeschlagen und versäumt werden.
Die Kirchenausschüsse und ihr gegensätzliches
Echo
Am 3. Oktober erscheint Kerrls 1. Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz - insgesamt wurden es deren 18! - : Der Minister bildet „aus Männern der Kirche einen Reichskirchenausschuß" und für die APU „einen Landeskirchenausschuß und Provinzialkirchenausschüsse" mit dem Auftrag, die Kirche zu leiten und zu vertreten und Verordnungen in innerkirchlichen Angelegenheiten zu erlassen; für Ernennung und 143
Entlassung der Beamten bedürfen sie des Einvernehmens mit dem Minister, die Befugnisse der Finanzabteilungen bleiben unberührt. Die Verordnung war bis längstens 30. September 1937 befristet. Am 14. Oktober werden nach langwierigen Verhandlungen die Namen veröffentlicht: Vorsitzender des RKA wird der - hoch geachtete - frühere Generalsuperintendent Zoellner aus Westfalen und des LKA der gleiche Amtsträger Eger aus Magdeburg.20 Die Zusammensetzung entsprach der Vorstellung Kerrls von einer möglichst „neutralen" Leitung: Von den acht Mitgliedern des RKA waren vier kirchenpolitisch nicht festgelegt und je zwei vermittlungsbereite Mitglieder der BK und der DC. Schon diese Zusammensetzung machte das ganze Dilemma deutlich, und dem entsprach auch die unterschiedliche Reaktion. Der Auftrag zur Leitung und Vertretung bedeutete, daß damit Reichsbischof und Reichskirchenregierung entmachtet wurden und von da an keine Rolle mehr spielten. Begreiflich, daß Müller und seine DC-Bischöfe - weitere Landeskirchen würden ja folgen - noch möglichst vieles für sich zu retten suchten, während die DC im allgemeinen und vor allem die Kreise der Mitte den neuen Weg begrüßten. Auf der anderen Seite stand die BK vor der Tatsache, daß hier nicht nur staatliche Rechtshilfe geleistet, sondern für staatlich beauftragte Organe ein Leitungsanspruch erhoben und damit der Grundsatz von Dahlem negiert war, „daß in Sachen der Kirche, ihrer Lehre und Ordnung die Kirche, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts, allein zu urteilen und zu entscheiden berufen ist". Konnte dies getragen oder gar mitverantwortet werden, zumal wenn unter Übergehen der theologischen Entscheidung von Barmen über rechte und falsche Lehre jetzt eine Zusammenarbeit mit DC praktiziert wurde? Konnte die BK sich zu dem hier vorausgesetzten Selbstverständnis einer Gruppe neben anderen bereit finden? Oder war der jetzt gebotenen Möglichkeit, der gröbsten Verwüstung zu wehren und die Zerstörer auszuschalten, Vorrang zu geben? So stürzte das Konzept der Ausschüsse die BK-Leute in schwere Probleme, die an den Rand des Zerbrechens führten. Dabei wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß es denen, die nicht ja zu sagen vermochten, nicht um ein doktrinäres Insistieren auf einmal formulierten Grundsätzen ging, sondern letztlich darum, ob nicht auf dem jetzt beschrittenen Weg durch die Abhängigkeit der Ausschüsse von ihrem Auftraggeber die Kirche eben doch in die Hände des NS-Staates geraten müßte. So waren die nächsten Monate, die insgesamt eine unübersehbare Fülle von Äußerungen, Konferenzen und Verhandlungen zutage brachten, innerhalb der BK von bitteren Auseinandersetzungen über diese 144
Grundsatzfragen bestimmt. Der Vorsitzende des nassau-hessischen LBR, Pfarrer Veidt, Frankfurt, konnte am 16. Oktober vor der Landesbekenntnissynode den staatlichen Eingriff durchaus positiv bewerten: „Er ist in einer Form erfolgt, die das Bestreben erkennen läßt, die BK ernst zu nehmen, ihr das Recht zu freier innerkirchlicher Betätigung ... zu gewähren und auf dieser Grundlage zu einem Rechtszustand zu kommen, der der Kirche gibt, was der Kirche ist, und dem Staate, was des Staates ist... Wir haben uns zu fragen: Können wir auch heute noch verantworten, was wir bei Beginn des Kampfes auf unsere Fahne geschrieben haben?"20" In der Tat war dies die entscheidende Frage: War alles Vorausgegangene eine taktische Episode gewesen, damals angebracht, aber inzwischen überholt, oder war uns damals etwas aufgegangen, woran wir gebunden waren auch für den weiteren Weg? Es war nicht selbstverständlich, daß die Synode einem Beschluß des Reichsbruderrats (RBR) vom 8./9. Oktober folgte, wonach „die Leitung und Vertretung der Kirche als eine geistliche Angelegenheit an Schrift und Bekenntnis in Lehre und Handeln gebunden sei und der Berufung durch die Kirche bedürfe", und daß demgemäß „die in der Notzeit aus dem Bekenntnisrecht bestellten Organe der Leitung der DEK und der Landeskirchen in ihrem Amte bleiben und den Kirchenausschüssen gegenüber die Vertretung und Leitung der Evangelischen Kirche darstellen"; so wurde der LBR mit der Weiterfuhrung seiner Leitungsvollmacht beauftragt.21 Die in diesem Sinne votierten, konnten sich nur bestätigt sehen, als wenige Tage später Reichs- und altpreußischer Landeskirchenausschuß in ihrem Aufruf an die Gemeinden erklärten: „Wir bejahen die NS-Volkwerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden."22 Das Problem verschärfte sich, wenn versucht wurde, Mitglieder der BK zur Mitarbeit zu gewinnen. Schon im erwähnten Beschluß des RBR hatte es geheißen: „Wir können den Mitgliedern der BK nicht raten, sich in die vorgesehenen Kirchenausschüsse berufen zu lassen, solange die genannten kirchlichen Anforderungen" - Bestätigung einer von der Kirche selbst vorgeschlagenen Leitung, die an Schrift und Bekenntnis gebunden ist - „nicht erfüllt sind."23 Und der altpreußische Bruderrat präzisierte am 30. Oktober: „Der Bruderrat der APU warnt die Glieder der BK, ein Amt in den Provinzialkirchenausschüssen zu übernehmen. Wenn ein Mitglied eines Organs der BK der Berufung ... trotzdem Folge leistet, ruht sein Amt in den Organen der BK."24 Doch mußte zugleich auffallen, daß die VKL trotz aller Vorbehalte die Leitungen und Bruderräte auffor145
derte, „vor der Bildung weiterer staatlicher Ausschüsse dem Staat Männer unseres Vertrauens zu nennen", 25 und daß aus den intakten Kirchen der württembergische Landesbischof die Lösung im Blick auf ihre Befristung für tragbar ansah und der bayerische Landessynodalausschuß ebenso wie Marahrens für die hannoversche Kirchenleitung sich „gern zur Mitarbeit bereit" erklärte.26 Für Zoellner waren konfessionelle Gründe im Spiel, daß die intakten lutherischen Landeskirchen „von vorneherein ein ganz anderes positives Verhältnis zu uns gewonnen und durchgeführt haben, als das bei den unter durchaus unionistischer Führung stehenden preußischen Bruderräten der BK der Fall ist".27 Besondere Brisanz erhielt die Frage einer Mitarbeit von BK-Leuten in Nassau-Hessen, der zweiten Kirche, die Kerrl nach Altpreußen in Angriff nahm. Hier wurde der geplante Ausschuß unter dem Titel „Landeskirchenrat", d. h. als neu zusammengesetzte Kirchenleitung, unter Beteiligung des Landesbischofs Dietrich gebildet. Die Erhaltung seiner Befugnisse war eine Prestigefrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Sprenger! Nach mehreren Anläufen und trotz schwerer Bedenken erklärten sich Anfang November auf Anraten des Bruderratsvorsitzenden dennoch drei BK-Mitglieder zum Eintritt bereit, neben drei Vertretern der Mitte und drei der Gruppe Dietrich. Der LBR teilte den Gemeinden daraufhin mit, diese gehörten dem Gremium „durch persönlichen Beschluß und auf ihre eigene Verantwortung an. Sie haben keinen Auftrag der BK NassauHessen." Zugleich erklärte sich der Bruderrat bereit, das neue Gremium als Rechtshilfeorgan des Staates anzuerkennen, nicht jedoch als geistliche Führung der Landeskirche. Darum gehe die Arbeit der BK und die Leitungsaufgabe ihrer Organe unverändert weiter.28 Die Mehrheit des Gremiums bemühte sich nach Kräften um Beseitigung der offensichtlichsten Mißstände und Wiederherstellung klarer Rechtsverhältnisse: Ordnungsstrafen wurden erlassen, Disziplinarverfahren eingestellt, Dienstentlassungen und Zwangsversetzungen rückgängig gemacht, die Legalisierung von BK-Jungtheologen durch Anerkennung bruderrätlicher Prüfungen und Ordinationen eingeleitet. Doch erwies sich binnen weniger Wochen nach Überzeugung der sechs Mitglieder von BK und Mitte, daß die Zusammenarbeit an der Haltung der Gruppe um Dietrich blockiert war, so daß dieser ausscheiden mußte, bis schon Mitte Januar Kerrl den gesamten „Landeskirchenrat" auflöste und durch einen drei- (bald nur noch zwei-)köpfigen Landeskirchenausschuß ohne Beteiligung von BK-Mitgliedem oder der Gruppe Dietrich ersetzte. Der Versuch einer paritätischen Lösung war gescheitert. 146
Unterdessen hatte sich schon seit Ende November als entscheidender Konfliktpunkt zwischen Kerrl bzw. dem RKA und der BK die Frage der kirchenleitenden Tätigkeit der Bruderräte herauskristallisiert. Sah die BK in den Ausschüssen nur Rechtshilfeorgane zur Beseitigung von Zerstörung und Unrecht, konnte ihnen aber nicht die Leitungsvollmacht zuerkennen, beharrte Kerrl darauf, daß sie die einzige Leitung darstellten. So erklärte er am 27. November gegenüber der VKL: „Ich will nicht die BK als Gemeinschaft verbieten, aber ich kann mir nicht gefallen lassen, daß die BK und die Bruderräte mir die Ordnung zerstören. Die Bruderräte mischen sich in alles ein. So in Nassau-Hessen . . . Der RKA allein ist die einzig richtig berufene Stelle für die Leitung der Kirche ... Ich kann nicht mehr nach außen den Schein bestehen lassen, daß ich auf der einen Seite die DC erledige, auf der anderen Seite die BK in den Sattel setze... In dieser Woche muß ich die Entscheidung treffen. Schöner wäre es, wenn Sie von sich aus sagen würden: Wir lösen uns auf und sagen unseren Bruderräten: enthaltet euch aller Störung. Die Verordnung ist fertig, durch die ich Ihnen und den Bruderräten verbiete, in das innerkirchliche Leben hineinzupfuschen." Und am gleichen Tage zum altpreußischen Bruderrat: „Ich dulde nicht mehr, daß die Bruderräte sich anmaßen, sich in die inneren Dinge der Kirchen einzumischen... Die Machtbefugnisse habe ich allen weggenommen. Sie haben keinerlei Befugnisse mehr; ich habe alle Befugnisse auf die Ausschüsse gelegt... Ich will diese Woche noch warten. Am Beginn der nächsten Woche erscheint die Verordnung, die hier Klarheit schafft."29 Tatsächlich folgte am 2. Dezember die fünfte Durchführungsverordnung: „Soweit... bei der DEK und den Landeskirchen Organe der Kirchenleitung gebildet sind, ist die Ausübung kirchenregimentlicher und kirchenbehördlicher Befugnisse durch kirchliche Vereinigungen oder Gruppen unzulässig." Genannt werden: die Besetzung von Pfarrstellen, Berufung von geistlichen Hilfskräften, Prüfung, Ordination, Visitation, Anordnung von Kanzelabkündigungen und Kollekten sowie die Berufung von Synoden; zuwiderhandelnde Organe können aufgelöst werden. In einer nachfolgenden Bekanntmachung werden als bisher betroffene Kirchen die DEK, APU, Nassau-Hessen, Sachsen und Kurhessen-Waldeck und als in Frage kommende Organe die „VKL" und die „Bruderräte" bezeichnet.30 So gewiß in manchen Kreisen der BK das Ruhenlassen eigener Kirchenleitung während der Tätigkeit der Ausschüsse erwogen und empfohlen worden war, mußte eine Anordnung, die sogar die Berufung freier 147
Synoden verbot, auf starken Widerstand stoßen und wurde auch von vermittlungsbereiten BK-Leuten weithin mißbilligt. Die Verordnung wird denn auch im nachhinein als „eklatanter kirchenpolitischer Fehlgriff 31 beurteilt, der letztlich Kerrls Werk „kirchlich zum Scheitern verurteilte".32 Ein unterdessen aufgefundener Schnellbrief Kerrls an den Chef des Gestapa Berlin vom 4. Dezember zeigt, daß er selbst jetzt „die entscheidende Krise in der kirchlichen Lage" gekommen sah; da ihm für eine Übergangszeit die Entscheidung auch in allen polizeilichen Angelegenheiten, die die Kirchen betreffen, übertragen sei, ersucht er die Gestapostellen, keine Polizeimaßnahmen oder etwaigen Schritte zur Auflösung von Organen der BK ohne seine ausdrückliche Zustimmung vorzunehmen.33 Solche Maßnahmen erfolgten übrigens trotz Weiterarbeit der BKOrgane und unverändert geltender Auflösungsdrohung nicht. Doch trat auch die erwünschte Klarheit nicht ein. Während die VKL (mit Ausnahme Humburgs) und verhandlungsbereite Bruderräte trotz aller grundsätzlichen Vorbehalte dem RKA unter bestimmten Voraussetzungen „Unterstützung und Förderung" zusagen,34 sieht sich der RBR am 3. Januar zu einem Mehrheitsbeschluß (17:11) veranlaßt, in dem die Arbeitsunfähigkeit der VKL festgestellt wird, da „ihre Mitglieder ihre Bindung an die grundlegenden Beschlüsse der Bekenntnissynode nicht gleichmäßig anerkennen". Wer in dieser Bindung nicht bejahen kann: die Scheidung von der Irrlehre im Sinne von Barmen und das Wort Gottes als alleinige Richtschnur für Recht und Ordnung der Kirche, wer nicht bejahen kann, daß die BK und ihre Organe die rechtmäßige Kirche und deren rechtmäßige Vertretung und Leitung sind und daß die Bindung an Barmen die Anerkennung der Kirchenausschüsse als Kirchenleitung ausschließt, „ist auch nicht imstande, im Auftrag oder im Namen der Bekenntnissynode zu reden oder zu handeln. Bis zur Einberufung der Bekenntnissynode bestimmt der RBR ... die neue Leitung der BK."35 Die VKL bedauerte den Beschluß, den sie nicht anerkennen könne. Sie werde bis zur Entscheidung der Synode ihren Auftrag wahrnehmen und auch die nach der Verordnung vom 2. Dezember eingeleiteten Verhandlungen mit dem RKA weiterfuhren und sich dabei „in der nachdrücklichen Vertretung des unveräußerlichen Anliegens der BK nicht beirren lassen".36 Die nächsten Wochen waren durch zahlreiche Äußerungen über die Rechtsgültigkeit des Bruderratsbeschlusses auf der einen und die Legitimität der Bereitschaft der VKL zur Zusammenarbeit mit dem RKA auf der anderen Seite bestimmt. Die wichtigsten gingen zur eigenen Urteils148
bildung, jedenfalls in Nassau-Hessen, auch den BK-Pfarrern zu. Angesichts der Bedeutung der sich hier vollziehenden Spaltung der BK seien aus zwei besonders aufschlußreichen Dokumenten einige Passagen zitiert. Unter dem Titel „Die beiden Wege" wird in einer Ausarbeitung aus Berlin der Gegensatz auf die Formel „Der diplomatische Weg" oder „Der Weg des Einsatzes" gebracht. Der erstere bedeutet: Der RKA ist zu unterstützen und gegenüber dem Minister zu stärken, damit er in zwei Jahren die Kirche wieder der Selbständigkeit zuführt. Damit werden die intakten Kirchen vor Ausschüssen bewahrt, während andernfalls finanzielle Sicherheit und Volkskirche gefährdet sind. Die Ausschüsse in Preußen und die Zerstörung der BK dort werden in der Hoffnung auf erträgliche Zustände in zwei Jahren in Kauf genommen. Der zweite Weg: Die Synodalbeschlüsse sind bindend, darum hält die BK am Bekenntnisrecht und dem Anspruch, die rechtmäßige Kirche zu vertreten, fest und ihre Leitungsorgane arbeiten weiter. Vom Staat wird als Rechtshilfe die Wiederherstellung von Verfassung und Bekenntnisrecht gefordert; seine Ausschüsse können nicht Kirchenregiment sein. Andernfalls stehen nicht bloß Finanzen oder Volkskirche, sondern die Selbständigkeit der Kirche dem Staat gegenüber und damit ihre Existenz selbst auf dem Spiel.37 Aus der Gegenposition kennzeichnet der bayerische Landeskirchenrat für die dortige Pfarrerschaft - auch in Nassau-Hessen weitergegeben den Gegensatz so: „Die verschiedene Wertung der Bekenntnissynoden von Bannen, Dahlem und Augsburg. Auf der einen Seite" - den preußischen Bruderräten und den Reformierten - „werden diese Synoden geradezu als kirchenbildend angesehen ... aber wir wissen uns nicht so an sie gebunden, daß ihre Entscheidung den Rang von Dogmen annehmen dürften ... Die von den preußischen Brüdern gemeinte Kirche wäre im vollen Sinne eine Kirche der Union ... Eine weitere Differenz trat immer wieder zutage in bezug auf unser Verhältnis und unser Verhalten zu den nicht zur BK gehörenden Kirchenleitungen und Amtsbrüdem. Hier offenbarte sich ein neuer Begriff von Kirche ... Weil nach diesem Kirchenbegriff die Zugehörigkeit zur Kirche wesentlich durch das aktuelle Bekennen des einzelnen begründet wird, wird von den Brüdern auf der anderen Seite ... jedes Zusammenarbeiten mit solchen, die sich keiner Seite angeschlossen haben, vor allem ein Zusammenarbeiten mit DC abgelehnt... Scheidungen und Trennungen fallen uns nicht so leicht wie den Brüdern auf der anderen Seite ... Verschieden ist auch immer die Beantwortung der Frage gewesen, wie weit auch für das Recht und die Ordnung der Kirche klare Weisungen der Hl. Schrift zu entnehmen sind. Wir ... meinen vielmehr der lutherischen Auffassung entsprechend die jeweiligen Entscheidungen aus unserem durch die Hl. Schrift erleuchteten Glauben in Berücksichtigung der jeweiligen Lage treffen zu sollen ..." 149
Diese schon lange vorhandenen Verschiedenheiten und Spannungen seien jetzt in der Stellung zu den Ausschüssen neu zutage getreten. So habe man der Einrichtung der Ausschüsse zugestimmt - unter Billigung des Landeskirchenrats gehörte ein Münchener Oberkirchenrat dem RKA an, ein anderer war Mitglied der VKL - , halte ihre Berechtigung aber nur in zerstörten Gebieten gegeben. „Aber es zeigt sich, daß die Scheidung zwischen bloß rechtlicher Hilfe oder Aufräumungsarbeit und eigentlicher Kirchenleitung" - also die Voraussetzung einer Zustimmung durch die Brüder dort - „nicht so glatt vollzogen werden kann. Wir müssen Verständnis dafür haben,... daß es sich im Augenblick um einen kirchlichen Notstand handelt, um dessenwillen manches getragen werden muß, was unter normalen Verhältnissen abgelehnt werden müßte ... Daher können wir es nicht verantworten, jede Mitarbeit mit den Ausschüssen abzulehnen.. ,"38 Martin Niemöller hatte die zur Entscheidung stehende Frage schon früh deutlich gesehen, als er in ersten Gesprächen mit Kerrl bereits im August vor dem „illusionären Versuch" warnte, eine Verständigung zwischen BK und DC auf der Basis eines neutralen Kirchenregiments herbeizuführen. Die Junge Kirche" werde sich weigern, „von dem, was sie als Recht erkannt hat, etwas preiszugeben". Als Lösung schwebte ihm eine organisatorische Verselbständigung der BK ebenso wie der DCGruppen vor, ein Weg, der dem tatsächlichen Schisma Rechnung getragen hätte, aber für Kerrl bei seinem Ziel der Wiederherstellung einer geschlossenen evangelischen Kirche unannehmbar war. Der Staat werde „sich nie darauf einlassen, daß aus der Evangelischen Kirche zwei Kirchen werden. Da würde er vorher die absolute Trennung von Staat und Kirche vornehmen" unter Wegfall von Staatszuschüssen, Steuerrecht und schulischem Religionsunterricht, ließ Ministerialrat Stahn vom Kirchenministerium verlauten.39 Die dann ernannten Ausschüsse sah Niemöller an einen dreifachen Auftrag des Ministers gebunden: „die deutschchristliche Irrlehre in der Kirche unbekämpft zu lassen", den „von der BK aus erfolgten Kampf gegen die Irrlehre einzudämmen" und dem Staat auch in Zukunft einen maßgeblichen Einfluß bei der Besetzung kirchlicher Leitungsorgane zu garantieren.40 Das klarste und schärfste Urteil über die Bedeutung der Ausschüsse enthielt die Schrift des amtsenthobenen Generalsuperintendenten Otto Dibelius, die wiederum Niemöller im Januar 1936 unter dem Titel „Die Staatskirche ist da" ohne Verfasserangabe herausgab und die alsbald von der Staatspolizei überall gesucht und in den Pfarrhäusern beschlagnahmt
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wurde. Die Arbeit geht aus vom Gesetz zur Sicherung der DEK vom 24. September 1935. Mit der dort dem Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten erteilten und nicht befristeten Ermächtigung, „zur Wiederherstellung geordneter Zustände ... Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen", besitzt er „eine Vollmacht, wie sie kein anderer Minister für seinen Geschäftsbereich hat. Er kann die evangelische Kirche selbständig regieren." Zunächst nahm das Ministerium durch Übernahme und Ausbau der staatlich ernannten und nur dem Staat verantwortlichen Finanzabteilungen „die Finanzen der Kirche auf der ganzen Linie in eigene Hand". Die Auswirkungen werden, wie auch bei allem folgenden, durch Anführung von konkreten Einzelbeispielen belegt. Die dann vom Minister ernannten Ausschüsse haben nicht nur ihren Auftrag von ihm, sondern sind in ihren Personalentscheidungen an seine Zustimmung gebunden, werden in allen wichtigen Fragen vom Ministerium überwacht oder auch zugunsten dessen eigener Entscheidungen beiseite geschoben. „Die in das gesamte kirchliche Leben tief einschneidende Verordnung gegen die BK vom 2. Dezember ist gegen den Einspruch der Ausschüsse und, ohne daß sie im entscheidenden Augenblick davon erfuhren, veröffentlicht worden." „Zuletzt hat der Staat auch die geistliche Leitung der Kirche in seine Hand genommen", so als den altpreußischen staatlichen Provinzialausschüssen ausdrücklich die laut Verfassung den geistlichen Amtsträgern obliegende geistliche Leitung übertragen wurde. Wie soll ein solcher staatlicher Ausschuß Angriffe gegen die Kirche abwehren können, die von offizieller Seite ausgehen? Nun bedient sich der Minister für seine Leitung der Kirche der Geheimen Staatspolizei. Entscheidungen erfolgen unter politischen Gesichtspunkten: eine Beseitigung deutschchristlicher Amtsträger, unabhängig davon, wie sie sich gegen Lehre und Bekenntnis der Kirche versündigt haben, wird aus politischen Gründen für unmöglich erklärt und, „wo kirchliche und ,politische' Interessen aufeinander stoßen, werden die ,politischen' übergeordnet." Aber „eine politisierte Kirche ist nicht mehr frei für den Gehorsam gegen Schrift und Bekenntnis". Denn „bei dem politischen' handelt es sich ... um eine bestimmte Weltanschauung". „Es ist der tragische Irrtum derjenigen, die sich, persönlich dem Bekenntnis ihrer Kirche innerlich zugehörig, zum Organ einer staatlichen Kirchenleitung machen, daß sie ... glauben, daß staatlicher Einfluß sich auf das Äußerlich-Rechtliche beschränken könne. Sie glauben das, weil sie das Wesen des NS-Staates nicht verstanden haben." „Die Staatskirche, wie wir sie jetzt haben, ist äußerlich und innerlich die Verwirklichung des deutsch-christlichen Pro151
gramms." So ist auch „der eigentliche Inhalt der staatskirchlichen Befriedungsaktion der Kampf gegen die BK". Und: „Das neue staatskirchliche System ist keineswegs auf einen Zeitraum von zwei Jahren beschränkt... Es gehört sehr viel Weltfremdheit dazu, sich einzubilden, daß der Staat eine Kirche, deren Leben und Arbeit er fest in seine Hand genommen hat, wieder freigeben wird. Das würde dem elementaren nationalsozialistischen Empfinden widersprechen..." In einem persönlichen Brief an Marahrens fügte Dibelius der gleichen Aussage den Satz hinzu: „Herr Kerrl mag versprechen, was er will - er kann es nicht halten! Die Wucht des totalen Staates ist viel zu groß."41 Naturgemäß sahen die Repräsentanten der Ausschüsse dies alles ganz anders. In einem Vortrag, wohl als Antwort gedacht, unter der Überschrift „Kommt die Staatskirche?" beschrieb D. Zoellner, der Vorsitzende des RKA, die Bekenntnisbewegung als notwendig, sah aber das Problem darin, daß sie „zu früh aufgehört hat, ... Bewegung zu bleiben, daß sie zu früh angefangen hat, an die Gestaltung einer Bekenntniskirche heranzugehen, und von dem noch lange nicht genügend geklärten und gefestigten Fundamente aus schon die Mauern von kirchlichen Ordnungen und Einrichtungen juristisch ausgestaltete ... Dazu kam ein zweites ... Wenn dann der kleine Kreis sich auch erweitert und man ihn Synode o. ä. nennt, ... dann hat man immer noch keine Volkskirche. Denn wenn die Kirche auch niemals aus dem Grund oder Boden eines Volkes erwachsen ist, ... so muß diese Kirche doch als Organ ihres Herrn zum Zweck der Durchsetzung seines Erlösungswerkes im Volke stehen ... Wenn nun aber eine kirchliche Bewegung in einer bestehenden Kirche zwar noch nicht die Kraft und Möglichkeit hat, deren Ordnungen von innen her so zu erneuern und so umzugestalten, daß sie mit Zustimmung des Staates an die Stelle der alten Kirche treten könnte, sondern neue für sie geltende Ordnungen ... als gültig proklamiert und damit in die alte Kirche ... eine neue Kirche als Bekenntniskirche, als die wirkliche Kirche hineinsetzt, dann ist es deutlich, daß auf diese Weise jedenfalls nicht das Ziel dieser neuen Kirche als Volkskirche in diesem Staat erreicht wird, sondern daß sie höchstens ... in einer Freikirche oder Winkelkirche enden muß." „Ohne ein Eingreifen des Staates ging es nicht ... Der Führer griff die Aufgabe in derselben Weise an, wie er die staatliche angefaßt hatte." Hatte er „zwei große Strömungen, die nationale und die sozialistische,... zusammengefaßt und zusammengeschweißt, ... - so wollte er nun das Berechtigte der beiden in der Kirche ringenden Strömungen zusammenfassen und dadurch der Kirche von ihrem eigenen innersten Ansatz aus ihre innere Einheit zurückgeben und ihre richtige Stellung zum Staat erreichen."
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Nach Feststellungen eines Rechtslehrers könne man das Gesetz vom 24. September und die Erste Durchfuhrungsverordnung nicht gründlicher mißverstehen, als wenn man darin „den ersten Schritt zur Wiederaufrichtung des Staatskirchentums sehen wollte". Vielmehr ergebe sich daraus als erste Aufgabe: „Wir brauchen wieder ein Kirchenregiment, das auf dem Boden der Verfassung von 1933, besonders ihres ersten Paragraphen stehend, die Zustimmung des Staates, also die äußere Einordnung in das Rechtsleben des Staates findet... Wenn dieser erste Akt beendet ist, dann beginnt erst die eigentliche Arbeit der Kirchenausschüsse ... die Tätigkeit eines geistlichen Führeramts für den Weg zu dem uns gesteckten Ziel, daß eines Tages die Kirche aus sich selber ihre inneren Angelegenheiten auf Grund des Bekenntnisses so ordnen kann, daß sie mit dieser Ordnung eingefügt ist in die Rechts- und Lebensordnungen des Volkes." Wenn aber die Bruderräte, vor allem in Preußen, trotz alles Bittens diesen neuen Weg nicht mitgehen wollen - „täuschen Sie sich nicht, dann lassen wir Sie in der Ecke stehen, die Sie selber erwählt haben, und gehen ohne Sie an die Einrichtung dessen, was uns befohlen ist".42 Auch Oberkirchenrat Zentgraf, der Vorsitzende des nassau-hessischen Ausschusses, sah die Not darin, „daß die BK den Rechtsbruch der Ära Müller-Jäger mit einem Rechtsbruch ihrerseits beantwortet hat, der darin besteht, daß man außerhalb der vom Staat rechtlich legitimierten landeskirchlichen Organisation ein eigenes Kirchengebilde schuf, ohne aus der Landeskirche ausgetreten zu sein. Unrecht wird nicht dadurch geheilt, daß man ein anderes Unrecht t u t . . . Hätte die BK sich darauf beschränkt, lediglich die Gemeinschaft derer zu sein, die nicht gehorchen, wo man ihnen zumutete, gegen das Gewissen zu handeln, und sich wegen ihres Gehorsams gegen Gott strafen lassen, so hätte dieses Leiden seine Wirkung ohne Zweifel nicht verfehlt. Aber daß man darüber hinausging und ein, vom Staat aus gesehen, illegales Kirchenregiment aufrichtete, mußte vom Staat nicht mehr nur als ein religiös begründetes Handeln verstanden werden, dem er im Interesse der Ordnung entgegenzutreten sich veranlaßt sah. Wenn wir als Kirchenausschuß einen Frieden zustandebringen sollen, der echt ist, so kann das m. E. nur dadurch geschehen, daß die BK einsieht, daß auch sie über das Ziel hinausgeschossen hat und damit Unrecht tat."43 Wo war die Wahrheit in diesem Gewirr von Stimmen, mit denen sich nicht zuletzt auch die BK-Leute fragend und zweifelnd herumschlugen: War Erhaltung oder Gefahrdung der Völkskirche entscheidender Maßstab, und wie waren die Ziele des Staates zu beurteilen? War die Zusammenarbeit mit den Ausschüssen eine letzte Möglichkeit, die nicht ausgeschlagen werden durfte, oder bedeutete sie die Preisgabe des neu erkann153
ten Wesens der Kirche und ihres als Glaubensgehorsam verstandenen Weges? Manchen war eine Hilfe, was der Gießener Praktische Theologe Leopold Cordier, Mitglied des LBR, zur Jahreswende 1935/36 schrieb: „Das ist die schwere Frage, mit der wir ins neue Jahr eintreten: Ist der Kirche Jesu Christi mit einer einfachen Rechtsordnung gedient, wie sie der Staat ihr geben kann, geleitet vom Grundsatz der Parität, die dem Staate angemessen ist, oder muß die Kirche nicht vielmehr für ihre Neuordnung neben die Forderung des Rechts die Forderung der Bekenntnisgebundenheit stellen? Rechtshilfe mit Paritätsanspruch, durch den die kirchlich erledigten DC von neuem sich in den Sattel schwingen, wird nur zu neuer Verwirrung fuhren, denn sie versucht äußerlich zusammenzufügen, was innerlich bereits geschieden ist. Für die bekennende Kirche baut sich Kirche auf von Bibel und Bekenntnis. Diese ihre Grundlage kann ihr nicht von außen her gegeben werden, die Kirche muß sie selbst wieder finden. Barmen, Dahlem, Augsburg waren Stationen auf dem Wege dieser Selbstbesinnung der Kirche auf ihre biblische und reformatorische Bekenntnisgrundlage. Ich sehe auch für das neue Jahr keine Dispensation von diesem Weg. Gott führe ihn uns in Gnaden!" 44
Nürnberger Gesetze und Preußische Bekenntnissynode
Berlin-Steglitz
Das mit den Kirchenausschüssen ausgelöste Dilemma nahm im Herbst 1935 die Aufmerksamkeit derart in Anspruch, daß darüber anderes in den Hintergrund trat. Am 15. September, wenige Tage vor dem „Gesetz zur Sicherung der DEK", waren beim Reichsparteitag die „Nürnberger Gesetze" verkündet worden, mit denen Deutsche jüdischer Herkunft unter diskriminierende Sonderrechte gestellt wurden. Waren sie schon vorher von ganzen Berufsgruppen wie Beamten, Rechtsanwälten, Kassenärzten, Schriftleitern, Steuerberatern gesetzlich ausgeschlossen, wurde nun das Ganze abgerundet: Mit dem „Reichsbürgergesetz" wurden sie nun bloße „Staatsangehörige", während die „Reichsbürgerschaft" nur Menschen „deutschen oder artverwandten Blutes" vorbehalten blieb; das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" stellte Eheschließungen wie außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Deutschen unter Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe und verbot die Beschäftigung weiblicher „arischer" Hausangestellter unter 45 Jahren in jüdischen Haushaltungen. Wir fragen heute, ob die Kirche dazu nicht etwas sagen mußte. Gewiß, unmittelbar betroffen war sie nur durch die ständige Polemik gegen die Judentaufe als Versuch jüdischer Tarnung, ein beliebtes Thema der Schmähartikel des „Stürmer", und es war sogar da und 154
dort zum Verbot solcher Taufen durch Gemeindekirchenräte gekommen. Eine Woche nach Nürnberg tagte vom 23.-26. September in Berlin-Steglitz die Bekenntnissynode der APU. Konnte sie den ganzen Komplex schweigend übergehen? Aus den „Rheinischen Rundbriefen" 45 erfuhren wir von den Steglitzer Beschlüssen, insbesondere der Botschaft „Die Freiheit der Gebundenen", in der es u. a. hieß: „Alle Menschen, gleichviel, welcher Rasse und Nation, auch die Glieder des deutschen Volkes, stehen unter dem Todesfluch der Erbsünde, die allein in dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Christus vergeben wird ... Darum dürfen wir die Hl. Taufe dem Juden, der sie im Glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes, begehrt, nicht verweigern. Wer der Kirche die Judentaufe als Verrat an Christus anrechnet, lästert das Sakrament der Hl. Taufe." Das waren deutliche und angesichts der herrschenden Propaganda gewiß auch tapfere Worte, aber sie blieben auf die Frage der Judentaufe beschränkt. Nur näher Beteiligte wußten, daß im Entwurf des theologischen Ausschusses die Sätze gestanden hatten: „So wenig die Kirche dem Juden die Taufe verweigern kann, so wenig ist sie dem ungetauften Juden gegenüber von dem Liebesgebot Jesu Christi entbunden. Wir danken unser Heil allein der grundlosen Liebe Gottes, die keine Schranken kennt. Schranken kennt darum auch die Liebe nicht, die wir als die Seinen in der Welt durch Wort und Tat zu bezeugen haben ... Die Schrift sagt uns, daß Gottes Gnade auch über Israel das letzte Wort behalten wird um Jesu Christi willen."46 Aber der Absatz entfiel. Erst später erfuhr man aus dem Munde des Referenten der Vorlage, Pfarrer Heinrich Vogel, Dobbrikow, daß kein Geringerer als Präses Koch ihm gegenüber mit seinem Rücktritt gedroht hatte, falls er die Judenfrage, über die Judentaufe hinaus, ansprechen sollte. So blieb denn nach Vogels Worten vor der Synode, denen sich Niemöller anschloß, „nur jenes Minimum des Notwendigen - ach, vielleicht nicht einmal das Minimum! - , das wir nicht verschweigen dürfen". 4 ' Wie war dies möglich? Es kam verschiedenes zusammen. Einmal waren es taktische Gründe, der Gedanke an das erst kurz begonnene Wirken Kerrls, auf das viele hofften und das doch nicht durch einen Vorstoß in dieser schwierigen Sache belastet werden durfte. Dies war es wohl, was Meiser in einer Informationssitzung der VKL sagen ließ: „Ich sehe mit einiger Sorge auf die kommende preußische Synode, wenn sie solche Dinge anschneiden will, wie z. B. die Judenfrage."48 Auch Marahrens als 155
Vorsitzender der VKL, der ja Koch, der Präses der Synode, angehörte, wollte gerade in dieser Phase Konfrontationen mit dem Staat nach Möglichkeit vermeiden und bat, von Behandlung der Judenfrage abzusehen. Daß die kritische Lage dem Kirchenministerium gegenüber richtig eingeschätzt wurde, zeigte sich schon bei Beginn der Synode, als - ein einmaliger Vorgang während des Kirchenkampfes! - Ministerialrat Stahn das Wort erbat und erklärte, der Minister erblicke in der Tagung, zu der kein Anlaß bestünde, eine „Belastung der kirchlichen Lage"; als er unter Verwendung biblischer Worte („Hüte dich und sei still" Jes 7,4) zur Zurückhaltung aufrief, erfuhr er eine Mißfallenskundgebung der Synode. Der Vorfall trug zweifellos dazu bei, daß man zu den in der APU verhängten 24 Redeverboten und 33 Ausweisungen (von insgesamt 38 bzw. 45 im Reich)49 ebenso wie zu den Eingriffen durch Finanzabteilungen und Beschlußstelle nahezu einstimmig eindeutige Stellung bezog. In der Judenfrage bestand solche Einmütigkeit nicht. Denn hier kam die verbreitete Überzeugung hinzu, die schon bei Einführung des Arierparagraphen im Beamtenrecht im Frühjahr 1933 eine Rolle gespielt hatte, daß die Kirche kein Recht habe, in das Amt der Obrigkeit, den Entscheidungsbereich des Staates einzugreifen. Schon damals war in theologischen Ausarbeitungen dargelegt worden, daß man in dieser Frage den staatlichen und den kirchlichen Aspekt streng auseinanderhalten müsse. So könne der Christ auch eine staatliche Regelung, Juden „den Eingang in das natürliche Volk zu versagen", bejahen, für die Kirche aber sei ein entsprechender Schritt nicht möglich.50 Von dieser Grundeinstellung her mochte die Mehrheit der Steglitzer Synodalen nicht bereit sein, hier ein Wort zu sagen. Wenn auch Bonhoeffer mit seinem Finkenwalder Seminar gekommen war, um den Andersdenkenden den Rücken zu stärken, gelang es doch nur, eine Formulierung, aus der man, so richtig sie war, eine Zustimmung zu den Nürnberger Gesetzen hätte herauslesen können („Die Taufe begründet für niemanden Ansprüche gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Art. Sie gibt kein weltliches Bürgerrecht"51), zu beseitigen. Die Aufgabe, zur Judenfrage selbst für eine „richtungweisende Antwort" zu sorgen, gab die Synode an den RBR weiter. Sah man damals den ganzen Ernst der Entwicklung nicht? Hatten mehrfache Erlasse, die „Einzelaktionen" gegen Juden und jüdische Geschäfte untersagten, beschwichtigend gewirkt? Wie selbst unmittelbar Betroffene sich täuschen konnten, mag aus einem Geheimbericht der Gestapo für den Regierungsbezirk Wiesbaden hervorgehen, worin es vom Januar 1936 heißt, es seien zwei Versammlungen der „Rabbiner Hirsch156
Gesellschaft" verboten worden, da der vorgesehene Vortrag „in unverhohlener Weise gegen die Auswanderung aus Deutschland Propaganda gemacht" hätte bzw. „zum Verbleib in Deutschland aufforderte"; bei einer Kundgebung des jüdischen Pfadfinderbundes „Makabi" in der Synagoge in Limburg/Lahn mit etwa 100 Teilnehmern habe die Ansprache des Redners mit den Worten geendet: „Wir wollen unseren Platz als deutsche Juden behaupten". 52 Waren nicht nur Christen, sondern auch Juden selbst von ihrer deutschen Tradition her blind für das, was auf sie zukam?
Angriff auf Theologische Fakultäten Kirchliche Hochschule Berlin/Elberfeld Aus dem Jahr 1935 ist noch ein Vorgang festzuhalten, der Zukunftsbedeutung haben sollte. Er betrifft die theologische Ausbildung und das Schicksal der Fakultäten. Die erste Aufgabe der BK war naturgemäß die weitere Ausbildung und Prüfung der aus den landeskirchlichen Listen gestrichenen Jungtheologen und führte zur Schaffung von Prüfungsämtern und eigenen Predigerseminaren - fünf in Altpreußen: Elberfeld, Bielefeld, Blöstau-Ostpreußen, Zingst/Finkenwalde, Naumburg-Queis, und eines in Nassau-Hessen. Doch in der Folgezeit trat das Studium selbst mehr in den Blick, nachdem der Preußische und jetzt Reichs-Erziehungsminister nicht nur das Engagement von Theologieprofessoren im Kirchenkampf und ihre Mitarbeit in BK-Organen verbot, sondern auch gezielte Umbesetzungen und Emeritierungen in Fakultäten veranlaßte. So konnte man Bonn, wo nach Ausschaltung Barths die ihm verbundenen Professoren Wilhelm Goeters und Hans-Emil Weber nach Münster und Ernst Wolf nach Halle versetzt worden waren und die Entlassung von Friedrich Horst folgte, nur als zerstörte Fakultät bezeichnen. Die „Junge Kirche" meldete am 4. Mai (S. 433): „Vollkommen unverändert sind gegenüber 1933 bis jetzt nur die Fakultäten von Erlangen, Tübingen und Rostock geblieben!" Bewährte Namen verschwanden, und unbekannte mit gewünschter Einstellung machten rasch Karriere. Zu den in jener Zeit Entlassenen gehörten: Karl-Ludwig Schmidt, Bonn, Günther Dehn, Halle, Martin Rade, Marburg, Paul Tillich, Frankfurt; zu den Zwangsemeritierten Otto Schmitz, Münster, Kurt-Dietrich Schmidt, Kiel; die Lehrbefugnis entzogen wurde u. a. Hermann Schlingensiepen und Ernst Fuchs, Bonn, Hans-Joachim Iwand, Königsberg, Dietrich Bonhoeffer, Berlin. 157
Nach einem Vorstoß der zweiten Freien Reformierten Synode in Siegen Ende März, die „die Errichtung einer Hochschule für reformatorische Theologie" forderte, beschloß der altpreußische Bruderrat am 14. August ihre Gründung zum Winter-Semester 1935/36 in Elberfeld und Berlin. Von den geplanten je fünf Dozenten sollten in Elberfeld drei reformiert und zwei lutherisch, in Berlin das Verhältnis umgekehrt sein. Trotz da und dort laut werdender Bedenken hinsichtlich „ausgesprochener Unionstheologie" und „unliebsamen Verwicklungen" wurden als erste hauptamtliche Dozenten für Elberfeld Heinrich Schlier, für Berlin Hans Asmussen berufen. Die Kosten sollten durch Spenden, Kollekten und Studiengelder aufgebracht werden. Die für den 1. November in Berlin-Dahlem und Barmen-Gemarke angesetzte gottesdienstliche Eröffnung wurde durch die Gestapo verboten. Trotzdem wurden die Vorlesungen aufgenommen, am 6. November jedoch wiederum verboten und die Auflösung der Hochschule verfügt. Man beschloß daraufhin die Umbenennung beider Zweige in „Ausbildungsstätten der BK" und die Umwandlung der Lehraufträge in die Verpflichtung, „sich der Ausbildung des theologischen Nachwuchses und der Fortbildung der Pfarrer in geeigneter Weise anzunehmen". Unter der Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaften" konnte - in oft wechselnden Vorlesungsorten, in Elberfeld anfangs unter dem Dach der seit 1928 bestehenden „Theologischen Schule des Reformierten Bundes" - der Lehrbetrieb unter vielen Schwierigkeiten bis Anfang 1940, in Berlin bis zur Verhaftung der Dozenten 1941 durchgeführt werden. Die Studentenzahl wird z. B. im Sommersemester 1937 mit 160 angegeben. Unter den Dozenten seien genannt: in Berlin Asmussen, Superintendent Albertz, Franz Hildebrandt, Niesei, Osterloh, Vogel; in Elberfeld Schlier, Peter Brunner, Graffmann, H. A. Hesse, Klugkist Hesse, Obendiek, de Quervain. „Für wie entscheidend wichtig die BK Altpreußens diese Einrichtung hielt, ist daran ersichtlich, daß die erste kirchenregimentliche Handlung nach dem Kriege darin bestand, die Kirchliche Hochschule zu neuem Leben zu erwecken."53 Bis heute haben die Kirchlichen Hochschulen Berlin und Wuppertal im Angebot theologischer Ausbildung ihren festen Platz.
Vierte Bekenntnissynode
in Bad
Oeynhausen
Der Riß innerhalb der BK auf der einen und Bemühungen in Altpreußen, insbesondere Rheinland und Westfalen, auf der anderen Seite, mit Reichs- und Landeskirchenausschuß zu einer Verständigung über die 158
Aufgabe der geistlichen Leitung zu kommen, kennzeichnen die ersten Wochen des Jahres 1936. Anlaß für das letzte waren zwei Verordnungen des altpreußischen LKA vom 11. Dezember, mit denen er unter Legalisierung der durch die BK erfolgten Prüfungen und Ordinationen zugleich das Prüfungswesen selbst in die Hand nahm und ferner feststellte, die geistliche Leitung der jeweiligen Kirchenprovinz liege beim Provinzialkirchenausschuß.54 Dies bedeutete zwar die Entmachtung der DC-Bischöfe oder -Pröpste, betraf aber ebenso den sich zur BK haltenden Bischof Zänker, Breslau, der sein Prüfungsamt weiter wahrnahm und daraufhin mit Disziplinarverfahren beurlaubt wurde, bis er sich unterwarf. Da jetzt die Bildung von Ausschüssen in den zunächst noch zurückgestellten Provinzen Rheinland und Westfalen - mit ihrer presbyterialsynodalen Ordnung, besonderer Selbständigkeit der Gemeinden und starkem BK-Anteil - bevorstand, versuchten Beauftragte beider Bruderräte, mit Zoellner und Eger unter Beteiligung Bodelschwinghs einen eben noch denkbaren Kompromiß, ein „Simultaneum" auszuhandeln, wonach die Funktion eigentlicher geistlicher Leitung vom Ausschuß an einen, bzw. für die Widersprechenden einen weiteren Theologen delegiert, also im Effekt zwei geistliche Leitungen für BK und DC installiert werden sollten. Aber der Versuch scheiterte. Weder der preußische Bruderrat noch auch der LKA gab seine Zustimmung, und die für die beiden Provinzialausschüsse vorgesehenen BK-Mitglieder zogen ihre Bereitschaft zurück.542 Alle Hoffnungen richteten sich jetzt auf die Bekenntnissynode, die auf Verlangen der beiden dissentierenden BK-Gruppen vom 17.-22. Februar in Bad Oeynhausen tagte. Aber auch sie konnte, trotz Verlängerung von 3 auf 6 Tage, die brennende Frage einer verbindlichen Entscheidung über Ablehnung oder Möglichkeit einer Mitarbeit von BK-Mitgliedern in den Ausschüssen nicht lösen. Nach Tagen tiefer Spannung und Ratlosigkeit, in denen auch niemand einen Antrag auf Kampfabstimmung stellte, weil allen daran lag, die Gemeinschaft dennoch nicht zerbrechen zu lassen, verzichtete man schließlich bewußt darauf, hier eine konkrete Weisung zu geben: „Diese Entscheidung", hieß es in der Erläuterung der Vorlage ,Von der Kirchenleitung', „kann diese Synode nur in die persönliche Gewissensentscheidung jedes einzelnen Gliedes ... stellen. Dies freilich tun wir mit ganzem Emst auf Grund dieses Wortes, das wir erarbeitet haben. Wir bitten also die Brüder der BK ... persönlich vor Gott zu prüfen, ob sie in diesen staatlichen Ausschüssen mitarbeiten können. Die Entscheidung überlassen wir tatsächlich ihnen." Dieses Ergebnis wurde in einem 159
zweiten Votum aus dem theologischen Ausschuß als „ein Geständnis unserer Armut" bezeichnet. Aber, heißt es dann, „wir durften in diesem Wort mit seinen grundsätzlichen dogmatischen Urteilen über die Leitung der Kirche doch zugleich wichtigste Warnungstafeln in Einmütigkeit aufrichten, an denen nunmehr kein Glied der BK vorübergehen kann. Außerdem werden ja in dieser theologischen Erklärung alle von der BK berufenen Organe der Leitung ausdrücklich verpflichtet, ihr Amt der Leitung weiterhin wahrzunehmen." 55 Darin wird man nun in der Tat trotz allem die Bedeutung der Oeynhauser Synode sehen dürfen, daß einmütig die Aussage von Dahlem wiederholt wurde: „Die an Gottes Wort gebundene Kirche ist berufen, in Sachen ihrer Lehre und Ordnung allein zu urteilen und zu entscheiden", daß unter Berufung auf Barmen als Aufgabe der Kirchenleitung „die heute gebotene Scheidung der Lehre von der Irrlehre" festgestellt wurde und daß über die staatlich eingesetzten Ausschüsse gesagt werden konnte: „Da es unmöglich ist, Kirchenleitung ohne Bindung an die bekenntnisgemäße Wahrheit und ohne Verwerfung des bekenntniswidrigen Irrtums auszuüben, ist es der Kirche verwehrt, solche Ausschüsse - auch für eine Übergangszeit - als ,Leitung und Vertretung der Kirche' anzuerkennen ... Die von der BK berufenen Organe der Leitung sind solange gebunden, ihr Amt wahrzunehmen, bis eine andere Kirchenleitung vorhanden ist, die auf unangefochtener Bekenntnis- und Rechtsgrundlage steht. Es gehört zu dem Amt der von der BK berufenen Organe der Kirchenleitung, daß sie bis dahin die Maßnahmen der Kirchenausschüsse am Bekenntnis prüfen und die Gemeinden und Pfarrer brüderlich beraten, wie sie sich dazu verhalten sollen."56 Daß dies nun doch gegen nur drei Stimmen bei Enthaltung bzw. Nichtbeteiligung von zehn Synodalen angenommen wurde, war mehr, als bei der Tiefe der Gegensätze erwartet werden konnte. Freilich zeigte sich die unterschiedliche Auslegungsmöglichkeit alsbald darin, daß 44 Synodale zu Protokoll erklärten, mit dem Wort werde jedem zur Ausschußarbeit bereiten Bruder ins Gewissen geschoben: „Ihre Mitarbeit in den Ausschüssen ist mit den theologischen Wahrheiten dieser Erklärung nicht in Einklang zu bringen", während andere unter Berufung auf die Voten aus dem theologischen Ausschuß der Synode auf der vollen Gewissensfreiheit des einzelnen beharrten. 57 So ging die ungelöste Frage weiter mit. Die intakten und lutherischen Kirchen schlössen sich im März fester im „Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands" zusammen, der im Unterschied zur bisherigen Form die lutherische Kirchenleitung darstellen sollte und auf Dauer 160
eine eigene Position gegenüber der bruderrätlich geleiteten BK einnahm, so daß man von jetzt an zumindest von einer Zweigleisigkeit in der Vertretung des Bekenntnisanliegens sprechen mußte. Dies erwies sich auch darin, daß nach dem auf der Synode erklärten Rücktritt der ersten VKL ihre Nachfolgerin - die Synode beauftragte noch die Pfarrer Müller, Dahlem, und Dr. Böhm, Berlin, sowie als Reformierten Superintendent Albertz, Spandau, und der RBR ergänzte auftragsgemäß durch die Pfarrer Forck, Hamburg, und Lic. Fricke, Frankfurt/Main - praktisch fast nur noch in bruderrätlich verfaßten Kirchen wie der APU oder NassauHessen u. a. ihren Rückhalt fand. So gewiß die Grenze nicht auf eine einfache Formel zu bringen war, bestand doch die Spaltung zwischen zerstörten Kirchen insbesondere unierter Prägung und den intakten und anderen bewußt lutherischen Kirchen fort, wenn auch in den kommenden Jahren bei Verschärfung des äußeren Drucks beide Seiten immer wieder zu gemeinsamem Handeln zusammengeführt wurden. Unter den Beschlüssen von Oeynhausen ist noch das wichtige Wort über die Schulfrage zu nennen. Hier wurde die - trotz Zurücktretens der deutsch-gläubigen Propagandawelle - unverkennbare Tatsache angesprochen, daß unter dem Stichwort der Entkonfessionalisierung weithin der „Übergang zur völlig entchristlichten Schule" in Gang gesetzt war. Konkret wird vom Staat gefordert, „daß die geheime widerchristliche Propaganda ihr Ende findet" und „Lehrer, die überzeugungsgemäß keine Christen sind,... veranlaßt werden, um der Wahrhaftigkeit willen den Unterricht in der christlichen Religion niederzulegen". Die Gemeinden, Pfarrer, Lehrer und Eltern werden an ihre Verantwortung fiir Schule und christliche Erziehung gemahnt. Bei Fehlschlagen aller Versuche, den Mißbrauch des Religionsunterrichts abzustellen, „müssen die Eltern um des Gewissens willen ihre Kinder einem solchen Religionsunterricht entziehen und einer eigenen kirchlichen Unterweisung zuführen". Das auch für die weitere Entwicklung richtungweisende Wort wurde einschließlich einer deutlichen Kanzelabkündigung einmütig angenommen. 58
Nach Oeynhausen: Die 2. VKL und der Rat der Lutherischen Kirche Die Oeynhauser Synode hatte die Spannungen nicht lösen, insbesondere in der schwierigsten Frage des praktischen Verhaltens zu den Ausschüssen den Dissens nicht überwinden können. Dennoch mochten die eindeutigen Aussagen über die Legitimität einer Kirchenleitung, allein 161
vom kirchlichen Auftrag und der Gebundenheit an Schrift und Bekenntnis her zu begründen, ihre Wirkung haben. Selbst der immer wachsam kritische Begleiter des Weges, Karl Barth, schrieb aus Basel, es seien trotz der „Achillesferse", also wohl eben der offen gebliebenen Frage „die eigentlichen Synodalergebnisse relativ so rund und deutlich (Beseitigung der bisherigen VL, ausdrückliche Bestätigung von Barmen, theologisch saubere Behandlung der Ausschußfrage, die Schulerklärung, die deutliche Zurückdrängung der episkopalen und des integral-lutherischen Elementes), daß man ... wohl auch anerkennen darf, daß einiges erreicht ist, was wir uns wahrlich noch vor einem Jahr so nicht hätten träumen lassen". So sei „der Kerneindruck der Synode auf das Ausland bzw. auf die arglosen Korrespondenten so eindeutig der eines ,Sieges der radikalen Richtung' gewesen".59 Sicher waren es nicht nur Auswirkungen der Synode, sondern auch damit zusammentreffende andere Faktoren, daß sich seit Frühjahr 1936 manches zu wandeln begann. Da war zum einen die neue VKL, mit der eine Veränderung einsetzte. Der RBR war durch die Synode nun auf 31 Mitglieder erweitert und nach der Größe der Landeskirchen zusammengesetzt. Die ihm übertragene endgültige Wahl der zweiten VKL erfolgte am 12. März mit 20 Stimmen bei sieben Enthaltungen aus Bayern, Württemberg, lutherisch Sachsen und Thüringen. Im Unterschied zur ersten VL lag das Schwergewicht jetzt auf der APU bzw. den zerstörten Kirchen. Vorsitzender wurde der Pfarrer Fritz Müller aus Dahlem, den sein Amtsbruder Niemöller später in einem Nachruf als „einen Kirchenmann von Format, der in jenen kritischen Jahren hervorgetreten ist", als „geborenen Juristen", „geduldigen und zähen Verhandlungspartner" und „Meister in der Formulierung" gekennzeichnet hat.60 Er war es auch, der bei jenem denkwürdigen Empfang durch Kerrl am 27. Nov. 1935 (S. 147) als Sprecher des altpreußischen Bruderrats, als der Minister ihn nach wenigen Sätzen mit den Worten unterbrach: „Warum reden Sie so lange? Das ist für mich vollständig wertlos", erwidert hatte: „Ich stelle fest, daß der Herr Reichsminister das, was wir zu sagen haben, für vollständig wertlos erklärt hat. Dann brechen wir die Verhandlung ab"61, ein wohl kaum sonst geschehener Vorgang im Dritten Reich. Von dieser neuen VL waren keine Kompromißverhandlungen über Mitwirkung bei den Ausschüssen zu erwarten. In ihrem ersten Wort vom 18. März anläßlich ihrer Amtsübernahme liegt denn auch der Akzent auf der Notwendigkeit einer Bereinigung des Verhältnisses zum Staat selbst: 162
„Denn die eigentliche Schwierigkeit für die Kirche ist nicht darin zu sehen, daß in ihr eine Bewegung ,DC' aufgetreten ist, oder daß staatliche Kirchenausschüsse die Leitung und Vertretung der Kirche für sich in Anspruch nehmen. Die eigentliche Schwierigkeit liegt vielmehr darin, daß bisher noch keine klare Antwort auf die Frage gegeben ist, wie weit der nationalsozialistische Staat der evangelischen Kirche die Freiheit gewährt, in Sachen ihrer Lehre und Ordnung, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts, allein zu urteilen und zu entscheiden."62 Hier wurde deutlich, in welcher Richtung die künftige Arbeit gehen würde. Die Auseinandersetzung mit den Ausschüssen verlagerte sich jetzt auf die Landeskirchen. Dort wurden noch im Februar durch weitere Durchführungsverordnungen Kerrls entsprechende, wenn auch unterschiedlich strukturierte Organe in Braunschweig, Schleswig-Holstein und „mit Zustimmung des Landesbischofs" in Hannover gebildet. Weitere Ausschüsse kamen nicht mehr zustande, obwohl sie in DC-regierten Kirchen wie Mecklenburg, Thüringen, Lübeck, Bremen und Oldenburg geplant und wegen der Notstände dort auch besonders notwendig waren. Eine längere Erkrankung Kerrls, vielleicht aber auch schon Zweifel an dem eigenen Konzept durch Widerstand der DC auf der einen und Zögern des RKA auf der anderen Seite, zumal es jetzt um die Entmachtung der radikal nationalkirchlichen DC ging, verhinderten die Ausführung. 63 Insgesamt ergab sich eine nur schwer überschaubare Situation. Der RKA mußte in einer Verlautbarung „Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage"64 unterscheiden: in solche Bruderräte, die kirchenregimentliche Befugnisse nie in Anspruch genommen oder sie nach Bildung eines Kirchenausschusses haben ruhen lassen (z. B. Sachsen, Schleswig-Holstein, Kurhessen-Waldeck), und andere in noch nicht geordneten Kirchen wie Thüringen und Mecklenburg, wo man, solange die Notstände andauerten, eine kirchenregimentliche Betätigung nicht verhindern wolle und könne. Daneben aber bestünden drittens Bruderräte besonders im Gebiet der APU - auch Nassau-Hessen war hierher zu rechnen-, „deren Haltung weit über das hinausgeht, was der RKA ihnen zugestehen kann". In der Tat sahen sich die letztgenannten durch die Klarstellung von Oeynhausen bestärkt, die ihnen übertragenen Leitungsaufgaben nicht aus der Hand zu geben. So übernahm die nassau-hessische Bekenntnissynode am 12. März die Oeynhauser Beschlüsse und verpflichtete den Bruderrat, er solle „nach wie vor ordinieren, Prüfungen abhalten, Pfarrstellen vorläufig besetzen und Kollekten ausschreiben". Daraufhin trat der Vorsitzende Veidt, der in Oeynhausen nur unter Vorbehalt zugestimmt hatte, 163
zurück. Die Synode tagte angesichts der entstandenen Krise erneut am 29. April und 7. Mai. Veidt beantragte die Annahme des Angebots des LKA, durch Schaffung eines Beirats aus Beauftragten des Bruderrats eine geordnete Zusammenarbeit mit dem Ausschuß zu ermöglichen. Als jedoch bekannt wurde, daß das gleiche Angebot auch an die DC-Gruppe gegangen war und bei „Befriedungsaktionen" erneute Gewaltmaßnahmen gegen BK-Pfarrer, deren Gemeinden ihr Bleiben forderten, eingeleitet wurden - zuguterletzt sogar durch Ausweisung zweier Pfarrer auf Antrag des LKA! - , zog Veidt seinen Antrag selbst zurück, und die Synode beschloß nun in voller Einmütigkeit, sie könne dem Ausschuß die Leitung nicht anvertrauen und es dürften „die leitenden Organe der BK die ihnen aufgrund kirchlichen Notrechts übertragenen Befugnisse nicht preisgeben".65 Der RBR unterstützte am 13. Mai einhellig diesen Beschluß.653 Während also hier wie in einer Reihe altpreußischer Provinzialkirchen eine Stärkung der Bruderräte erfolgte, gründeten bereits am 11. März die drei intakten Kirchen und BK-Vertreter weiterer lutherischer Landeskirchen (Sachsen, Mecklenburg, Thüringen) den „Rat der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands", der den „Lutherischen Rat" von 1934 ablöste: „Er nimmt die gemeinsame geistliche Leitung für die lutherischen Kirchen und Werke wahr, die sich der BK zugeordnet halten." Er hat „darüber zu wachen, daß das lutherische Bekenntnis entsprechend der unzertrennlichen Verbindung von Bekenntnis und Ordnung in allen Einrichtungen und Maßnahmen der lutherischen Kirchen zur Darstellung kommt". 66 Zur Vertretung des Rates wurden Oberkirchenrat Breit, München, Pastor Dr. Beste, Mecklenburg, und Pastor Dr. Lilje, Berlin, beauftragt und zur Führung der Geschäfte ein Sekretariat in Berlin errichtet. Es war nicht zu verwundern, daß die VKL in der Neugründung, zumal nach den vorausgegangenen und nicht überwundenen Spannungen, eine Gegenaktion gegen ihren eigenen Auftrag sah,67 ein Eindruck, der auch von BK-Kreisen in Württemberg und Bayern selbst geteilt wurde: Von der Kirche heute, hieß es dort, sei mehr gefordert „als die Erfüllung irgendwelcher konfessioneller Lieblingswünsche", die man auch als „exklusive lutherische Konfessionspolitik" bezeichnet;68 hier werde das lutherische Bekenntnis „zur Deckung eines kirchenpolitischen Interesses" mißbraucht und damit „das Schisma in der DEK unvermeidlich" gemacht;69 die Folge könne sein, „daß ein großer Teil der BK sich dem gemeinsam auferlegten Kampf entzieht und zu jener Mittelgruppe abschwenkt, auf die sich die einer bürokratischen Restauration gewidmete 164
Tätigkeit der staatlichen Ausschüsse vor allem stützt"; man furchtet, „es könnte hier das gute Einvernehmen mit den staatlichen Ausschüssen den Vorrang bekommen vor der Zusammenarbeit mit der BK, mit der wir bisher als Brüder in Christo Schulter an Schulter gekämpft haben". 70 Zwar bestritt der Rat selbst den Gedanken an eine Gegenaktion entschieden und wollte auch den lutherischen Mitgliedern der VKL die Gesamtverantwortung für die lutherischen Kirchen der BK nicht bestreiten. Doch hieß es in einem späteren Schreiben an den RKA sehr viel deutlicher: Die „Gründung wäre nicht erfolgt, wenn die im Rate verbundenen Kirchen die gegenwärtige VL der DEK hätten anerkennen können"! Auch die Antwort von Wurm an die VKL war eine indirekte Bestätigung: Die „sog. Dahlemer Richtung" sei durch ihre Opposition gegen die erste VKL und durch ihre zwiespältige Haltung gegenüber den Ausschüssen „mitschuldig geworden an den Ereignissen vom 27. November und 2. Dezember, die nun erst die eigentliche Krise für die BK herbeiführten". Der zitierte Brief von Barth über Oeynhausen sei für ihn der Beweis, daß es um „Machtfragen", nämlich „darum ging, die .episkopale' durch die ,synodale' Führung zu ersetzen". Wenn die lutherischen Kirchenführer „angesichts der schweren und verfahrenen Lage den ... Zusammenschluß erweitert und verstärkt" haben, könnten sie sich das Recht dazu von der jetzigen VKL nicht nehmen lassen: „Wer mehr als ein Jahr hindurch nicht geruht hat, bis er sein Machtziel erreicht hat, hat kein Recht, sich über Spaltungen zu beklagen"!71 So gewiß man fragen kann, ob es richtig war, den persönlichen Brief Barths an Hesse bekannt zu machen, wird man es auf der anderen Seite als Zeichen einer verhärteten Frontenbildung ansehen müssen, daß Barth, dessen ungeschminkte Diktion ebenso wie seine kompromißlose Bindung an Sache und Auftrag der Kirche man längst kennen mußte, im Sinne eines Machtdenkens interpretiert werden konnte. Wollte man schon den Verantwortlichen für die ganze Entwicklung nachspüren, hätte ja wohl auch der nicht unanfechtbaren Herausstellung der 1. VKL gedacht werden müssen. Jedenfalls war mit Gründung des Lutherrates, wie er bald allgemein hieß, die Spaltung der BK besiegelt. Im Mai beschlossen LKA und LBR der Landeskirche Sachsen deren Anschluß an den Lutherischen Rat, der dann auch noch in einer großen gottesdienstlichen Feier in Dresden unter Mitwirkung des Ratsvorsitzenden Breit wie der Vorsitzenden von LKA und RKA vollzogen wurde. Breit bezeichnete als Ziel „eine auch äußerlich geeinte große lutherische Kirche deutscher Nation", und Zoellner dankte den Männern des Rates: 165
sie „haben, soweit sie früher der Vorläufigen Kirchenregierung angehörten, uns (also den RKA) vom ersten Anfang an mit ihrem Verständnis, mit ihrer Treue, mit ihrem guten Rat, ihrer Hilfe, ihrer Mahnung bedacht, getröstet und gestärkt". Doch fehlte in der amtlichen Kundgebung des LKA nicht die ausdrückliche Feststellung: „Die Leitung der Landeskirche, insbesondere die geistliche Leitung, die sich in kirchenregimentlichen Handlungen auswirkt, liegt allein bei dem LKA. Der lutherische Rat übt keine irgendwie gearteten kirchenregimentlichen Funktionen innerhalb oder über der Landeskirche aus". Und der RKA fugte seiner Zustimmungserklärung hinzu, der Rat sei bestrebt, „künftig ohne Bindung an kirchenpolitische Gruppen und ohne Inanspruchnahme kirchenregimentlicher Befugnisse ... die endgültige Überwindung des Landeskirchentums vorzubereiten".72 Die vom Rat selbst betont in Anspruch genommene „einheitliche geistliche Leitung aller lutherischen Kirchen, Gemeinden und Werke innerhalb der BK" wurde denn auch bald nur als Mahnung an das Bekenntnis, als Aufruf zum Bekennen und Stärkung der lutherischen Gemeinschaft interpretiert.73 Die Leitung selbst hatte man, von den intakten Landeskirchen abgesehen, den Ausschüssen überlassen. „Hat man dazu der VL der BK aus Bekenntnisgründen das Kirchenregiment abgesprochen, um es nun dem RKA zu überlassen?" fragte der schwäbische Pfarrer Hermann Diem dazu.74
Die Denkschrift an Hitler Während die innerkirchliche Diskussion über die Gründung des Lutherrates noch weiterging, war die Öffentlichkeit, auch in den Gemeinden, zunehmend von anderen Fragen in Anspruch genommen. Für den 29. März hatte Hitler nach der Wiederbesetzung des bis dahin entmilitarisierten Rheinlandes eine neue „Wahl" und Volksabstimmung über diesen Schritt angesetzt, die 99% Zustimmung erbrachte. Wie sie zustande kamen, mag ein Beispiel zeigen: Der Bürgermeister der Stadt Bad Nauheim berichtet an das Kreisamt, daß die 212 weißen Stimmzettel (ca. 3% der Stimmen) „als Ja-Stimmen bewertet worden sind. Es ist anzunehmen, daß die weißen Stimmzettel in der weitaus größten Zahl von alten und unkundigen Personen abgegeben wurden, die eine besondere Kennzeichnung, nämlich das Kreuz, vergessen haben oder nicht für notwendig hielten, aber mit Ja stimmen wollten".75 Übrigens war von Zoellner am 20. März in einem Aufruf „An die Christen aller Völker" nach Hitlers Rede vom 7. März Deutschland als „festes Bollwerk" gegen den „gott166
und damit christusfeindlichen Bolschewismus" bezeichnet, sein „völkerversöhnender Friedenswille" betont und erklärt worden, „daß unser Volk in seinem schweren und unerbittlichen Kampf - trotz aller Mißdeutung, die dem NS in der Welt widerfuhr - für die gesamte Christenheit Vorkämpfer des Glaubens ist". „Wir hoffen darum, daß die christlichen Kirchen der Erde ... erkennen, um was es geht, und über alle politischen Bedenken hinweg sich mit entschlossenem Nachdruck in dem Kampf einsetzen: Hie Christentum! Hie Bolschewismus!"76 Im Sommer 1936 wurden Maßnahmen gegen die BK mit Rücksicht auf den Auslandszustrom zur Olympiade in Berlin möglichst vermieden. Doch kurz danach wurden die Gemeinden mit einem Ereignis konfrontiert, dem erhebliche Bedeutung zukam. Bereits am 28. Mai hatte die VKL eine Denkschrift an Hitler gerichtet, die am 4. Juni mit den Unterschriften ihrer fünf theologischen Mitglieder (inzwischen war als Jurist noch Landgerichtsdirektor a. D. Dr. Günther gewonnen worden) und weiterer fünf Mitglieder des vom RBR zur Unterstützung der VL beauftragten „Rates der DEK" (Asmussen, Lücking, Middendorf, Niemöller, von Thadden) persönlich in der Reichskanzlei übergeben wurde und sich als eines der beachtlichsten Dokumente jener Zeit erweisen sollte. Die Denkschrift brachte „die Sorgen und Befürchtungen, die viele Christen ... im Blick auf die Zukunft des evangelischen Glaubens und der evangelischen Kirche in Deutschland bewegen", zum Ausdruck, doch sollte „dabei unsere Sorge um das christliche Gewissen und unsere Liebe zum deutschen Volk in gleicher Weise erkennbar werden". Schon die Überschriften der sieben Abschnitte: Gefahr der Entchristlichung, .Positives Christentum', Zerstörung der kirchlichen Ordnung, Entkonfessionalisierung, NS-Weltanschauung, Sittlichkeit und Recht, Der Anspruch Gottes, lassen erkennen, daß hier über die Situation der Kirche hinaus auch Probleme des öffentlichen Lebens angesprochen wurden. Naturgemäß mußten die immer erneuten Eingriffe in das innere Leben der Kirche „seit den aufgezwungenen Wahlen im Juli 1933 bis heute" zur Sprache kommen. Aber weitaus größeren Raum nimmt die mit Angriffen auf den christlichen Glauben und einer willkürlichen Auslegung des Programms vom „positiven Christentum" betriebene „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens" ein, die nicht nur die Verdrängung der Kirche aus Schule und Öffentlichkeit bedeutet, sondern in Wirklichkeit auf die Entchristlichung des gesamten Volkslebens hinausläuft. Daher „die klare Frage an den Führer, ob der Versuch, das deutsche Volk zu entchristlichen, durch weiteres Mitwirken verantwortlicher Staatsmänner oder auch nur durch 167
Zusehen und Gewährenlassen zum offiziellen Kurs der Reichsregierung werden soll." Zur Verpflichtung auf die NS-Weltanschauung heißt es: „Wenn hier Blut, Volkstum, Rasse und Ehre den Rang von Ewigkeitswerten erhalten, wird der evangelische Christ durch das erste Gebot gezwungen, diese Bewertung abzulehnen. Wenn der arische Mensch verherrlicht ..., ein Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Juden haß verpflichtet, so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe." Zu „Sittlichkeit und Recht" wird beklagt, „daß der Eid als Treueschwur und Verpflichtung eine erschreckende Häufung und damit zugleich eine erschreckende Entwertung erfahren hat" und schon „Kindern in jungen Jahren eidesähnliche Verpflichtungen abgenommen werden". Die erwähnte „Bewertung der Stimmzettel bei der letzten Reichstagswahl" wird ebenso genannt wie die schwere Gewissensbelastung „durch die Tatsache, daß es in Deutschland, das sich selbst als Rechtsstaat bezeichnet, immer noch Konzentrationslager gibt und daß die Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei jeder richterlichen Nachprüfung entzogen sind". Schließlich wird die Sorge ausgesprochen, daß dem Führer „vielfach Verehrung in einer Form entgegengebracht wird, wie sie allein Gott zukommt". Alle Aussagen waren in 28 Anlagen im einzelnen belegt.77 Man wird von diesem Dokument sagen müssen, daß die Kirche hier nicht bei sich selber blieb, sondern in legitimer Weise ein Stück öffentlicher, auch politischer Verantwortung wahrgenommen hat. Um so bedrückender waren die weiteren Vorgänge um die Denkschrift. Da zur Vermeidung etwaigen Mißbrauchs strengstes Stillschweigen vereinbart war - es existierten auch vermutlich nur drei Durchschriften, von denen die eine vorsorglich bei dem schwedischen Gesandtschaftspfarrer Birger Forell hinterlegt, die andere Generalsekretär Henriod vom Ökumenischen Rat für praktisches Christentum in Genf ausgehändigt wurde78 - , war es für die Unterzeichner schockierend, daß am 17. Juli eine ausführliche Meldung über die Denkschrift in der Londoner „Morning Post" und am 23. der volle Wortlaut in den „Basler Nachrichten" erschien. Die VKL vermutete eine gezielte Indiskretion von Seiten staatlicher Stellen, um der BK konspirative Auslandsbeziehungen unterstellen zu können, und bat ihrerseits die Gestapo „um Ermittlung des Schuldigen"! Erst nach einer Weile stellte sich heraus, daß zwei junge Vikare, Schüler Bonhoeffers mit Erfahrungen in der Vermittlung von Presseinformationen, die Verantwortlichen waren. Der eine hatte die Denkschrift von dem Bürochef der VKL, Landgerichtsdirektor i.R. Dr. Weißler, für eine Nacht 168
entleihen können, sie heimlich abgeschrieben und in der Absicht, ein Totschweigen zu verhindern, weitergegeben. Es kennzeichnet die Irritation der VL, daß sie sich daraufhin von Weißler, einem getauften Volljuden, meinte trennen zu sollen. Alle drei wurden verhaftet, im Februar 1937 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo Weißler, als „Jude" von den beiden anderen getrennt, nach wenigen Tagen an den erlittenen Mißhandlungen starb. Er war der erste Märtyrer der BK. Bedrückend aber bleibt das eigenmächtige Handeln der Vikare ebenso wie das Abrücken der VL von ihrem bewährten Mitarbeiter, weil sie die BK nicht noch zusätzlich belastet sehen wollte. Nach der Veröffentlichung war die VL nun gezwungen, zu ihrer Sache zu stehen. So wurde schon Ende Juli eine entsprechende Kanzelabkündigung vorbereitet (wie sie übrigens auch für den Fall der Nichtbeantwortung geplant war). Zu den damit befaßten RBR-Sitzungen erschienen die Mitglieder aus Bayern, Hannover, Thüringen und Mecklenburg nicht, und die Kirchen des Lutherischen Rates lehnten die Verlesung ab. Den Schlußpunkt setzte der Rat mit seinem Beschluß vom 6. November, wonach „bis zur restlosen Klärung" der Frage, wie die Denkschrift ins Ausland gelangte, die ihm angeschlossenen Kirchen und Bruderräte ihr Verhältnis zur VKL „als ruhend betrachten". 79 Daß die formalen Vorgänge um diesen so wichtigen Text Anlaß sein mußten, daß auch der RBR seitdem nicht mehr funktionsfähig war, gehört zu den schmerzlichsten Kapiteln des Kirchenkampfes. Die Kanzelabkündigung selbst, die am 23. August von den meisten BK-Pfarrern der zerstörten Kirchen verlesen und auch durch Flugblätter in großer Zahl verbreitet wurde, konnte naturgemäß nicht die Denkschrift in vollem Umfang enthalten. Man kann bedauern, daß gerade die ins Politische hineingehenden Passagen der Kürzung zum Opfer fielen. So fehlten die Hinweise auf Reichstagswahl und KZ, und das Wort konzentrierte sich im wesentlichen auf den Totalitätsanspruch der Weltanschauung, der Ungezählte „in die ständige Versuchung zu Heuchelei und Lüge" führe, auf die unter der Losung der Entkonfessionalisierung betriebene Bekämpfung des christlichen Glaubens und auf das Brandmarken jedes Widerspruchs als Staatsfeindschaft, wie etwa gegenüber „der massenhaften Vereidigung von Kindern am 20. April 1936". Dies betraf nicht nur den Bereich der Kirche selbst, ebenso wie der Satz: „Aus solcher Bedrückung der Gewissen, verstärkt durch dauernde Bespitzelung, erwachsen Heuchelei und knechtische Gesinnung, und schließlich lösen sich die echten sittlichen Bindungen überhaupt." 80 169
Kerrl selbst hatte zuletzt noch versucht, die Verlesung zu verhindern. Der Lutherische Rat hatte gebeten, davon Abstand zu nehmen, da Zoellner zugesichert habe, die auch von ihm geteilten Klagen in persönlicher Unterredung mit Hitler - zu der es aber nie kam - vorzubringen. Die dem Rat angeschlossenen Leitungen sahen sich zu eigenen Worten an ihre Gemeinden veranlaßt, die sich neben der Abwehr einer „deutschen Religiosität" besonders gegen die innerkirchlichen Bestrebungen einer „konfessionslosen Nationalkirche" wandten und die Bedeutung der Freiheit des Bekenntnisses für den gemeinsamen Kampf gegen den antichristlichen Bolschewismus hervorhoben.81 Obwohl die Abkündigung von RBR und VKL hinter der Denkschrift selbst zurückblieb, wurde sie von den Gemeinden mit tiefer Bewegung und großer Dankbarkeit aufgenommen. Sie wurde als entscheidender Schritt empfunden, mit dem die BK „aus dem Schützengraben herausgesprungen" sei (M. Niemöller). Das Gewicht der Denkschrift selbst wurde übrigens Kerrl gegenüber nicht nur von Wurm, sondern auch vom RKA trotz aller Vorbehalte - so sei mit dem Abschnitt „Sittlichkeit und Recht" die Grenze der Kirche überschritten! - als „ernstes, auch von ihm vertretenes Anliegen" gewertet. Hier hieß es sogar: „Der RKA sieht sich nicht in der Lage, sein Werk weiterzuführen, wenn in den angeschnittenen Fragen", die er in einem eigenen Wort an die Gemeinden erhoben habe, „keine Klärung erfolgt."82
Das Ende der Ausschüsse Die Arbeit des RKA hatte sich in diesen Monaten spürbar auf Auseinandersetzungen mit den DC zugespitzt. Dies ergab sich schon daraus, daß die Bereinigung in den eindeutig DC-regierten Kirchen wie Thüringen, Mecklenburg, Bremen oder Lübeck noch ausstand. Als im Juni sich die „Reichsbewegung DC" eine aus Gesprächen zwischen Wurm und württembergischen DC entstandene und durchaus bekenntnistreu anmutende „theologische Erklärung" zu eigen machte und dem RKA einreichte, lag es nahe, an ein „kirchenpolitisches Einschwenken unter starkem machtpolitischem Druck" zu denken (H. Gollwitzer).83 Jedenfalls veröffentlichte der RKA diese Erklärung, in der eine „wesentlich von der lutherischen Linie in dem Bekenntnis der DEK ... getragene theologische Haltung ihren Ausdruck gefunden" habe. Wer sich bewußt auf den Boden dieser Erklärung stelle, sei vollgültiges Glied der DEK. „Seine Behandlung als Irrlehrer ist deshalb nach unserer Auffassung nicht statthaft." 84 Für den RKA mochte die Erklärung willkommen sein, weil sie helfen 170
konnte, das Verdikt der BK über Irrlehre zu entkräften und die Zusammenarbeit der Ausschüsse mit gemäßigten DC zu legitimieren. Die VKL jedoch vermochte nicht, diesem Urteil zuzustimmen. Trotz aller Anklänge an „Barmen" sei darin kein Abrücken von früher vertretenen Irrlehren und Gewaltmaßnahmen ausgesprochen. Im Gegenteil hatte DCReichsleiter Rehm ausdrücklich versichert, die Erklärung besage nichts Neues, sondern habe nur in einer anderen Sprache, „die in den Kreisen der alten Kirche verstanden werden kann, all das ausgesprochen, was unserer Bewegung selbstverständlich ist".85 Ziel des RKA war es offensichtlich, eine möglichst breite Unterstützung seiner Arbeit unter Isolierung der VKL und Bruderräte Dahlemer Richtung auf der einen und der nationalkirchlichen Thüringer DC auf der anderen Seite zu erreichen. Der Beurteilung der letzteren und der Klärung des Verhältnisses des RKA zu ihnen diente ein theologisches Gutachten, das „eine Anzahl führender Theologieprofessoren" (darunter Althaus, Bultmann, Eiert, Gogarten) in seinem Auftrag erarbeitet hatte und das im gleichen Mitteilungsblatt der DEK wie seine Stellungnahme zu jener „theologischen Erklärung" veröffentlicht wurde. Der RKA betonte auch kurz darauf den inneren Zusammenhang zwischen beiden Äußerungen. 86 Mit dem Gutachten wurde die Unvereinbarkeit der von den Thüringer DC vertretenen Auffassungen mit dem grundlegenden Art. 1 der DEK-Verfassung festgestellt, so etwa: „Hier wird entgegen dem NT und dem Bekenntnis der Kirche in unerträglicher Weise Christi Geschichte und die deutsche Geschichte, Christi Bedeutung als Erlöser und die politische Bedeutung des deutschen Volkes verwirrt." Die Thüringer übersandten allen Pfarrämtern eine Gegenschrift unter dem Titel „Irrlehre? Unsere Antwort an den RKA", mit der sie den Geist Christi einem Festlegen auf Lehrformulierungen entgegenzusetzen suchten und nun ihrerseits dem RKA das Recht bestritten, über seinen staatlichen Ordnungsauftrag hinaus kirchliche Autorität zu solchen Entscheidungen in Anspruch zu nehmen. Dies und die schon erwähnte Verlautbarung, mit der der RKA den Bruderräten in noch nicht geordneten und unter erheblichen Notständen leidenden Kirchen kirchenregimentliche Befugnisse nicht bestreiten wollte87, mußte nun auch das Mißtrauen Kerrls gegen den Kurs seines Organs erregen. Hinzu kam, daß die noch amtierenden radikalen DC-Leitungen, voran Thüringen und Mecklenburg, jetzt ihrerseits heftig gegen den RKA Sturm liefen und gegen drohende Eingriffe bei ihren Reichsstatthaltern oder Gauleitern Rückhalt suchten. 171
Die Folge war, daß eine geplante Neuordnung in den genannten Kirchen unterblieb und Kerrl vielmehr in einem Schnellbrief vom 21. August den Bruderratsvorsitzenden in Thüringen und Mecklenburg ausdrücklich die Ausübung kirchenregimentlicher Befugnisse untersagte, „die allein von der im Amt befindlichen Kirchenregierung ausgeübt werden, die im vertrauensvollen Verhältnis zur Landesregierung steht",88 eine Äußerung, die von diesen DC-Leitungen als ministerielle Anerkennung gewertet werden mußte. Die Bitten des RKA an Kerrl um Klarstellung blieben erfolglos. Der Ausschuß sah sich von seinem Auftraggeber allein gelassen. Zur Entfremdung vom Ministerium trug sicher auch der von Kerrl neu zum Staatssekretär berufene Hermann Muhs, ein scharfer Verfechter eines staatskirchlichen Kurses, bei. Die Unterstützung der Rehmschen DC erwies sich als kaum wirksam, da sie im Unterschied zu den Nationalkirchlem keine bemerkenswerte Potenz mehr darstellten. Zwar gelang es Zoellner, von den nicht deutschchristlichen „Kirchenfuhrern" (Lutherrat und Ausschüsse) eine Art kirchlicher Legitimation zu erreichen.89 Aber der Versuch, im Dezember auch mit der VKL zu einer Verständigung zu kommen, scheiterte an der gegensätzlichen Stellung zu „Barmen".90 Als es zum Jahresende zu einem akuten Konflikt in der Lübecker Kirche gekommen war - der dortige Kirchenrat hatte alle BK-Pfarrer aus dem Kirchendienst entlassen und die Gestapo hatte sie in Haft genommen oder ausgewiesen - und als Zoellner Anfang Februar dort einen Gottesdienst für die verwaisten Gemeinden übernehmen wollte, untersagte ihm Muhs im Auftrag Kerrls die Reise, und die Gestapo erteilte ihm obendrein auf Anweisung von Muhs ein Aufenthaltsverbot. 91 Daraufhin trat der RKA am 12. Februar 1937 zurück. Er war letztlich an der Unlösbarkeit seines Auftrags gescheitert. Am Ende gab den Ausschlag, daß auch sein Auftraggeber ihn fallen gelassen hatte. Die staatlichen Ziele waren mit einem kirchlichen Handeln, wie es Zoellner unter seinen Voraussetzungen versuchte, nicht zur Deckung zu bringen. Das Ende der anderen Ausschüsse folgte in den nächsten Monaten. Allein der von Kurhessen-Waldeck vermochte sich seltsamerweise bis über das Kriegsende im Amt zu halten.
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6. Die Phase der offenen Gegnerschaft Hatte Kerrl bei seinem Konzept mit den Ausschüssen immer wieder betont, daß er Zwangsmaßnahmen vermeiden wolle und es „Männer der Kirche" seien, denen er die Aufgabe der Befriedung übertragen habe, bahnte sich mit deren Scheitern ein neuer Abschnitt an, in dem es mehr und mehr zur unmittelbaren Konfrontation mit der Gestapo kam und die BK zunehmend in die bisher leidenschaftlich bestrittene Rolle einer staatsfeindlichen Organisation hineingedrängt wurde. Doch wie immer in der Auseinandersetzung mit dem NS waren die wirklichen Ziele von Staat und Partei nicht klar erkennbar, vielmehr bot sich oft ein durchaus gegensätzliches Bild und brachte Verwirrung auf Seiten der Kirche.
Staatskirchliche Pläne Kerrls und Hitlers
Wahlerlaß
Bereits am 13. Februar 1937, dem Tag nach dem Rücktritt des RKA, hielt Kerrl vor den Vorsitzenden der Landes- und Provinzialkirchenausschüsse eine zweistündige programmatische Rede, die bald bekannt wurde.1 Zunächst gab er seine Sicht des Scheiterns des RKA: dieser „habe sich nicht an die Richtlinien seines Auftrags gehalten", nämlich „die beiden streitenden Gruppen der BK und der DC an einen Tisch zu bringen". Seine ausdrückliche Aufgabe sei gewesen, „den Primat des Staates in der Kirche zur Anerkennung zu bringen". Statt Gewissensfreiheit zu wahren, sei er „in den Bekenntnis- und Lehrfragen nicht neutral geblieben. Er habe ein Ketzergericht gegen die Thüringer DC ... gehalten ... Er habe BK und DC nicht gleich behandelt. In Thüringen, Mecklenburg und Lübeck seien die Kirchen geordnet, während Bayern, Württemberg und Baden keineswegs, wie der RKA es hingestellt habe, als geordnete Landeskirchen gelten könnten"! „Es sei anzuerkennen, daß der RKA sich redlich bemüht habe. Er habe seine eigene Unzulänglichkeit erkannt und daraus die Folgerungen gezogen." Er selbst, der Minister, habe das Scheitern schon seit langen Monaten vorausgesehen und überlegt, was nun geschehen solle. Nach einer Reihe provozierender Einzelausführungen - „D. Zoellner habe ihm, dem Minister, mit ganz ähnlichen Worten wie der Bischof von Münster, Graf Galen, klarzumachen versucht, daß Christentum in dem Glauben an Christus als den Gottessohn bestehe. Darüber müsse er la173
chen. Nein, die Hauptsache sei die Tat." „Es sei untragbar, daß deutschen Kindern gepredigt werde: Jesus sei ein Jude, Paulus sei ein Jude oder ,das Heil kommt von Juden'. Dies sei der Versuch, die Partei lächerlich zu machen ... Das wahre Christentum werde durch die Partei vertreten" - erklärte Kerrl dann, da „die Kirche aus eigener Kraft sich nicht helfen könne, müsse der Staat noch stärker eingreifen ... Der RKA werde nicht ersetzt", damit „werde es nötig, daß die Reichskirchenkanzlei ihm unmittelbar unterstehe." Darunter „stünden dann gewissermaßen zwei Säulen", die eine die Landeskirchen, die zur BK neigten, einschließlich der bisher von Ausschüssen geleiteten, die andere die von den Ausschüssen nicht anerkannten nationalkirchlichen Gemeinden, die sich vereinigen könnten, „mit gewissen Rechten ausgestattet, vom Minister anerkannt und mit Zustimmung der Staatsbehörde verwaltet werden" sollten. „Eine Kirchenwahl komme in absehbarer Zeit nicht in Frage. In einem solchen Zustand, in dem sich die Kirche jetzt befinde, könne man nicht wählen." Nach weiteren Einzelheiten wie: „die Wirtschaftsführung der Kirche müsse noch straffer unter staatliche Kontrolle gestellt werden", er behalte sich vor, „einem Pfarrer das Recht als Amtsträger einer Körperschaft öffentlichen Rechts", ja auch „einzelnen Gemeinden oder ganzen Kirchengebieten das Recht einer Körperschaft öffentlichen Rechts abzuerkennen", kündigte der Minister an, die Gesetze seien schon im Druck und würden am Montag, dem 15. Februar, ausgegeben. An diesem Tag jedoch erschien völlig überraschend ein Erlaß Hitlers selbst mit Ankündigung einer neuen Kirchenwahl. Was war geschehen? Der „Völkische Beobachter" vom 16. Februar meldete aus Berchtesgaden, 15. Februar: „Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, Kerrl, hielt am Montag dem Führer Vortrag über die kirchenpolitische Lage. Der Führer gab im Anschluß an den Vortrag folgenden Erlaß heraus: Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Einberufung einer verfassunggebenden Generalsynode der DEK. Nachdem es dem RKA nicht gelungen ist, eine Einigung der kirchlichen Gruppen der DEK herbeizuführen, soll nunmehr die Kirche in voller Freiheit nach eigener Bestimmung des Kirchenvolkes sich selbst eine neue Verfassung und damit eine neue Ordnung geben. Ich ermächtige daher den RMkA, zu diesem Zwecke die Wahl einer Generalsynode vorzubereiten und die dazu erforderlichen Maßnahmen zu treffen."2 Als bestens informiert erwies sich der Thüringer DC-Landesbischof Martin Sasse, der in den gleichen Tagen vor Kirchenvertretern erklärte: 174
„Das Verordnungswerk, das Minister Kerrl entworfen, war zunächst vom Führer gebilligt und unterschrieben. Aber wie immer, die Auslandspresse zog zu Felde gegen den Staat und schrieb von neuer Knebelung der Kirche in Deutschland. Daraufhin hat der Führer das Ordnungswerk überboten durch den Erlaß zur Wahl."3 Die Vermutung, daß es sich um eine Brüskierung Kerrls gehandelt haben müsse, hat sich später durch eine Tagebuchnotiz Rosenbergs vom 14. Februar bestätigt: „Kerrl hat einen sehr schweren Schlag erlitten. Nach der furchtbaren Abkanzelung beim Führer hat er offenbar einmal den starken Mann spielen wollen. Er ließ seinen so mühsam aufgepäppelten Kirchenausschuß zurücktreten und wollte unter Auflösung der Bekenntnistreuen und der DC eine Staatskirchenregierung bilden. Die Nachricht kam am Sonnabendnachmittag heraus. Für Montag kündigte Kerrl eine große Rede an, alle Landesvertretungen waren geladen. Da läßt der Führer aus Berchtesgaden alles abstoppen und zitiert Kerrl zu sich. Kerrl hat wieder einmal das Gegenteil davon getan, was in unserer Linie liegen muß". 4 Gewiß, das ist die Stimme eines der schärfsten Gegner Kerrls in der Partei. Aber zugleich wird deutlich, daß sein Rückhalt bei Hitler schon geschwunden war. Doch immerhin, die Vorbereitung der plötzlich aufgetauchten Wahl einer „Generalsynode" war wiederum Kerrl übertragen. Im übrigen ließ seine 13. Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz vom 20. März, die die Leitungsbefugnisse seit Ausscheiden des RKA „bis zur Bildung einer verfassungsmäßigen Leitung der DEK" regelte, erkennen, daß die Entwicklung vorerst in Richtung der von ihm entwickelten Pläne gehen würde: Die laufenden Verwaltungsangelegenheiten der DEK werden vom Leiter der Kirchenkanzlei, also Dr. Werner, übernommen, alle vermögensrechtlichen Angelegenheiten der DEK nimmt die dort staatlich errichtete Finanzabteilung allein wahr; die kirchenregimentlichen Befugnisse in den Landeskirchen werden durch die im Amt befindlichen Kirchenregierungen ausgeübt, sind aber auf die Führung der laufenden Geschäfte beschränkt; „Veränderungen kirchenpolitischer Art in der Zusammensetzung der Kirchenbehörden und der kirchlichen Körperschaften können nicht rechtswirksam vorgenommen werden. Disziplinar- und sonstige Personalmaßnahmen in kirchenpolitischen Angelegenheiten ruhen." 5 Die „Landeskirchenfiihrerkonferenz" - auch die noch vorhandenen Landeskirchenausschüsse gehörten dazu - ließ zwar durch Marahrens als den „dienstältesten LandesbischoP Kerrl mitteilen, daß die Verordnung für ihre Landeskirchen unvollziehbar sei: Durch sie sol175
len „einerseits rechtlich unbestrittene Kirchenleitungen entmächtigt werden, andererseits ... kirchenregimentliche Befugnisse auf Kirchenregierungen übertragen werden, die zu Schrift und Bekenntnis in offenem Widerspruch stehen und auch mindestens zum Teil unbestreitbar rechtswidrig ins Amt gelangt sind"; insgesamt bedeute die Verordnung „einen unannehmbaren Eingriff in die Freiheit der Verkündigung und des Handelns". Doch mußten sich die Klageführenden durch Kerrl sagen lassen, „daß diese Verordnung staatliches Recht setzt und deshalb für den Bereich, für den sie gilt, auch bindend ist", und konnten unter Hinweis, „daß der staatlichen Rechtssetzung in kirchlichen Angelegenheiten Grenzen gezogen sind", nur noch einmal bitten, „sich unseren Darlegungen nicht zu verschließen".6 Demgegenüber erklärten VKL und Rat der DEK im April: „Es ist dem Minister gelungen, jedes Kirchenregiment in Deutschland nach und nach als ungesetzlich hinzustellen, soweit es sich nicht um die .laufenden Geschäfte' handelt... Die VL und der Rat der DEK erklären der evangelischen Christenheit Deutschlands, daß sie gewillt sind, ihr kirchlich legitimes Amt trotz der Bestreitung durch die weltliche Macht wahrzunehmen und in der gegenwärtig kritischen und bedrohlichen Lage der Kirche in voller Verantwortung auszuüben. Wir erwarten von allen kirchlich legitimen Leitungen, daß sie dieselbe Haltung einnehmen." 7
Das Phantom der Wahl Was war von der plötzlichen und noch zwei Tage zuvor von Kerrl als unmöglich erklärten Idee der Wahl zu halten? Wollte Hitler damit der Auslandspresse, die aufgrund der durchgesickerten Absichten Kerrls die geplanten Verordnungen waren offenbar intern auch mit DC-Kreisen schon seit Wochen erörtert worden - von verschärftem Druck zur Vernichtung der Kirche sprach, den Wind aus den Segeln nehmen und sich selbst als den weisen Staatsmann darstellen, der der Kirche die Regelung ihrer Dinge „in voller Freiheit nach eigener Bestimmung" zusicherte? Oder hatte er, worauf manches hindeutete, nach allen enttäuschten Erwartungen das Interesse an der evangelischen Kirche verloren und wollte sie im eigenen Saft schmoren lassen? Oder stand doch die Hoffnung dahinter, nach dem Beispiel der Juliwahlen 1933 noch einmal durch Mobilisierung der formellen Kirchenmitglieder, deren Masse an Weiterführung des Streits keinerlei Interesse hatte, eine weitgehende Isolierung und Ausschaltung der Opposition und eine für Staat und Partei erwünschte Lösung zu erreichen? Niemand vermochte das eindeutig zu beantworten. 176
Für das letzte sprach, daß Kerrl am 25. Februar Marahrens gegenüber unter Berufung darauf, daß die evangelische Kirche keine Priester-, sondern Gemeindekirche sei, ausdrücklich hervorhob, der Führer habe nicht der Kirche selbst, sondern dem Kirchenvolk die Entscheidung überlassen. So müßten zur Wahl „grundsätzlich alle Deutschen berechtigt sein, die zu einer evangelischen Kirche Deutschlands gehören und zu ihr steuerpflichtig sind"7". Mit anderen Worten, es dürfe keinerlei Beschränkungen - gedacht ist wohl an damals übliche Anmeldung zur Wählerliste oder an kirchliche Qualifikation für die Wählbarkeit - geben. So sollte offenbar auch eine ungehinderte Wahlpropaganda aus dem politischen Raum gesichert werden. Dagegen hatte die VKL schon am 17. Februar lt. einem Flugblatt „Zur Kirchenwahl. Was jeder wissen muß" erklärt:8 „Die BK muß alle Wahlen ablehnen, die den Massen die Herrschaft über die Kirche einräumen und der gläubigen Gemeinde das Recht in der Kirche nehmen." Aufgrund der Erfahrungen von 1933 sei Voraussetzung, „daß die Einwirkung staatlicher oder parteiamtlicher Stellen nach Art der bisher schon geübten Beeinflussung unterbunden werden muß" und „daß die Wahlbestimmungen eine genügende kirchliche Qualifikation der Wähler und der Wählbaren enthalten". Der Tatsache müsse nüchtern Rechnung getragen werden, daß seit der Entscheidung von Barmen „zwei einander wesensfremde Gemeinschaften nur dem Schein nach in der DEK vereinigt sind". Die zugesicherte Freiheit der Wahl setze voraus, daß alle vorliegenden Freiheitsbeschränkungen der BK und alle Maßregelungen ihrer Glieder - elf ausgewiesen, zwölf in Schutzhaft oder Hausarrest - aufgehoben werden. Besondere Bedenken werden dabei gegen die Beauftragung Kerrls mit der Wahlvorbereitung erhoben: Angesichts seiner Äußerungen am 13. Februar könne ihm die BK „nicht zugestehen, daß er berechtigt sei, das Wahlrecht in der DEK auszuüben", und müsse ihn auch für eine formale Leitung der Wahl „als befangen und parteiisch ablehnen". Diese Feststellungen zur Person Kerrls wie auch die vorausgehenden Erklärungen und Forderungen richtete die VKL zugleich in drei Schreiben vom 18. und 19. Februar an Heß als den Stellvertreter des Führers, 9 mit dem sie künftig „den Schriftwechsel über die kirchlichen Angelegenheiten, soweit sie in das staatliche Gebiet eingreifen", fuhren werde. All dies wurde Pfarrern und Gemeindegliedern der BK durch Rundbriefe bekannt. Begreiflicherweise war die Reaktion auf die Wahlankündigung recht gegensätzlich. Für viele, die den Worten des NS-Staates noch immer Glauben schenken wollten, war sie Anlaß zum Aufatmen und zur Hoff177
nung. Für die DC der verschiedenen Richtungen war es ein Schritt auf ihr Ziel hin: „eine judenfreie, artbewußte evangelische Reichskirche" gegen „eine pharisäerhafte, volksabgewandte Sektenkirche der Bekenntnisbruderräte";10 „mit Hilfe eines einfachen kleinen Wahlaktes ... in einem einzigen Nachmittag ... eine wahrhaft erneuerte, verdeutschte Kirche", doch „Hochziel ist und bleibt nach wie vor die Glaubensgemeinschaft aller Deutschen ... Unser Glaube greift... weit auch über diese Wahl... hinaus. Dorthin, wo die Zukunft uns alle Konfessionen und Sekten verschwunden zeigt und dagegen alle Deutschen einig vor ihrem Gott"." Auf der anderen Seite stellte die „Landeskirchenfuhrerkonferenz" durch ihren Sprecher Marahrens als Voraussetzungen heraus, „daß die ,Generalsynode' in keinem Fall über die Substanz der Kirche und über die ihr anvertraute Botschaft entscheiden kann", daß jeder „Einfluß auf die Willensbildung der Abstimmenden wirksam ausgeschlossen werden", „die bestehenden Beschränkungen der kirchlichen Presse- und Versammlungsfreiheit" sowie Maßnahmen gegen Pfarrer und Kirchenglieder wegen ihrer kirchenpolitischen Haltung aufgehoben werden müßten. 12 Die konsequente Position der BK wird noch einmal aus einer ausführlichen Stellungnahme der rheinischen Bekenntnissynode deutlich, „die in jenen Tagen in weitesten Kreisen verbreitet wurde" und in der die Sätze standen: „Nur wenn eine wirklich kirchliche Wahl käme, könnte die BK sich an der Wahl beteiligen. Es ist ihr unmöglich, sich an einer unkirchlichen Massenwahl zu beteiligen." Es ist „nicht möglich, sich in eine allgemeine Wahl oder in eine gemeinsame Synode mit denen zu begeben, die einen anderen Christus predigen, als die Kirche Christi nach der Schrift allein zu verkündigen hat". 13 Wenn auch niemand wußte, was tatsächlich beabsichtigt war, war man in der BK darin einig, daß in dieser entscheidungsvollen Lage alles darauf ankomme, den Gemeinden bewußt zu machen, was auf dem Spiel stand. So setzte denn alsbald eine rege Aktivität ein. Hauptsächlich im März und April fanden überall in den Zentren BK-Kundgebungen unter erstaunlichem Zustrom statt,14 aber auch auf dem Lande suchten wir in möglichst vielen Gemeinden Vortragsabende unter dem Gesamtthema: „Die evangelische Kirche vor der Entscheidung" durchzufuhren und Informationsmaterial über die letzten Vorgänge zu verbreiten. Natürlich blieb auch die Sonntagspredigt von den Entscheidungsfragen nicht unberührt, so gewiß man sich um die neu zur Pflicht gewordene Textgebundenheit bemühte. DC-Vortragsveranstaltungen standen nach vorliegen178
den Berichten unter Themen wie „Zerrissenheit oder Einheit" oder „Wir wollen die deutsche Christus-Kirche". Auch für die staatliche Seite schien jetzt erhöhte Aufmerksamkeit geboten. Die Gestapostellen für den Regierungsbezirk Wiesbaden und für Hessen verfügen bereits am 19./20. Februar übereinstimmend „auf Anordnung des Gestapa Berlin bis auf weiteres sämtliche Gottesdienste und Veranstaltungen kirchlicher Gruppen zu überwachen und über etwaige Ausfuhrungen über die bevorstehende Wahl zu berichten". Da die Polizeibeamten dafür nicht ausreichen, sind in Hessen „zuverlässige und erprobte Vertrauensleute... insbesondere solche Personen einzusetzen, die erfahrungsgemäß öfters Gottesdienste besuchen und auch in der Lage sind, der Wahrheit entsprechend und sachgemäß zu berichten. Gegebenenfalls gegen Entgelt".15 All das konnten wir damals nur vermuten! Angesichts des Aufsehens und der großen Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen zum Thema der Kirchenwahl verfugt das Gestapa Berlin (Heydrich) am 22. März „bis zur Bekanntgabe des Termins zur Wahl einer evangelischen Generalsynode: Wahlversammlungen dürfen nur in Kirchen und kircheneigenen Gebäuden stattfinden." Und zugleich: „Die Anordnung von Schutzhaft, Ausweisungen, Redeverboten bedarf meiner vorherigen Zustimmung." 16 Wurde auch in weiteren staatlichen Anordnungen und Erlassen noch auf die Wahl Bezug genommen, verlautete doch über eine Wahlordnung oder einen Termin nichts. So wuchs etwa seit Mai die Skepsis, ob es überhaupt dazu kommen werde.17 Hatte man auf staatlicher Seite bereits das Interesse an der Durchführung verloren? Vermutlich hatte man Widerspruch und Vorbehalte der BK, ihre Resonanz in der Öffentlichkeit und auch das bald erkennbare Zusammenrücken der oppositionellen Kräfte unterschätzt. Zeichen dafür könnte sein, daß schon seit Februar Rundbriefe der BK und Informationsmaterial zur Wahl beschlagnahmt werden. Ende März wird die Sicherstellung eines größeren Bestandes von „Bekenntnisschriften" im Kreis Cottbus den Gestapodienststellen bekannt gegeben mit dem Bemerken: „Da bereits in einem relativ kleinen Ort derartig viel Material zur Verteilung zur Verfugung steht, ist damit zu rechnen, daß die Bekenntniskirche in den nächsten Tagen einen groß angelegten Propagandafeldzug plant." 18 Dies aber war - trotz „voller Freiheit" - gänzlich unerwünscht, und so mußte, ob mit oder ohne Rechtsgrund, die Information der Gemeinden unterbunden werden. Nach der Häufigkeit noch vorhandener Anordnun179
gen und Berichte der Polizeidienststellen zu diesem Thema könnte man glauben, daß die Gestapo sich im Frühjahr 1937 vorwiegend mit dem Aufspüren und Einziehen von Informationsschriften der BK befaßt habe! Als Mitte Juni plötzlich das Gerücht auftaucht, die Wahl stehe ohne Vorbereitungszeit am 27. Juni unmittelbar bevor, kommt es zu vorsorglichen und nun in voller Einmütigkeit der gesamten BK gefaßten Bruderratsbeschlüssen, sich nicht an dem Akt zu beteiligen.19 Statt dessen jedoch erscheint am 25. Juni die 16. Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz, mit der Kerrl im Einvernehmen mit dem RMdl anordnet: „Die Benutzung von Kirchen zu Wahlzwecken ist verboten. Bis zur Veröffentlichung des Wahltermins sind öffentliche Veranstaltungen zur Vorbereitung d e r . . . Kirchenwahl sowie die Herstellung und Verbreitung von Flugblättern zu Wahlzwecken verboten. Für die Zeit nach der Veröffentlichung des Wahltermins ergehen besondere Bestimmungen."20 Doch war dies wohl die letzte amtliche Erwähnung der Wahl überhaupt. Nur in einer Rede am 23. November in Fulda kam Kerrl noch einmal darauf zu sprechen: „Der Führer habe ... in einem großzügigen Wahlerlaß die hilfreiche Hand des Staates ausgestreckt. Daß die Wahl bis heute noch nicht habe durchgeführt werden können, sei einzig und allein die Schuld der Kirche. Eine einheitliche Richtung sei in der evangelischen Kirche nicht herzustellen. Der Staat verhalte sich deshalb in Sachen dieser Art abwartend, nachdem die Wahl von Kirchenparteien vorerst selbst abgelehnt worden sei."21 Doch auch dies war nur die halbe Wahrheit. Die Wahl war für das Regime sinnlos geworden, nachdem sich herausgestellt hatte, daß auch damit die seit Anfang vergeblich erstrebte Gleichschaltung nicht zu erreichen war. So hatte man schon seit Monaten andere Schritte unternommen, um den Widerstand der BK zu brechen. Zugleich aber hatte sich unter dem Eindruck der von den staatlichen Plänen her drohenden Gefahr ein neues Zusammenrücken der zur BK haltenden Kreise angebahnt.
Arbeitsgemeinschaft von VKL und Lutherrat, das Kasseler Gremium Auslösendes Moment auch dazu war die angekündigte Wahl. Ob man sich nun daran beteiligen würde oder nicht, auf jeden Fall kam es darauf an, daß die Bekenntnistreuen eine möglichst geschlossene und starke Po180
tenz darstellten. Aus Sondierungen des Lutherischen Rates bei der VKL ergab sich zunächst die Wiederbelebung des RBR, der Anfang März erstmals seit dem Auseinandergehen über der Denkschrift im Sommer 1936 wieder vollzählig - tagte und nun seinerseits eine Arbeitsgemeinschaft zwischen VL und Lutherrat anregte. Diese kam tatsächlich am 11. März zustande, unter Zurückstellen aller „noch zu klärenden grundsätzlichen kirchlichen und theologischen Fragen"22 und begrenzt auf das Ziel eines gemeinsamen Vorgehens in Sachen der Wahl, und doch von der BK im Lande dankbar begrüßt. Sie sollte auch für weitere bekenntnisgebundene Kreise offen sein. Konkret bezog sich dies auf die „Landeskirchenführerkonferenz", in der die Mitglieder des Lutherrates maßgeblich beteiligt waren, freilich aber auch die noch vorhandenen Landeskirchenausschüsse, deren Leitungsfunktion die VKL und ihr verbundene Bruderräte nicht anerkannten. War hier eine Verständigung möglich? Inwieweit waren theologische Einsicht und Konsequenz mit einer durch die Situation aufgedrängten „Frontverbreiterung" zu vereinbaren? Nach einigem Hin und Her, von dem man durch die erwähnte Stellungnahme der Rheinischen Bekenntnissynode23 wenigstens nachträglich auch im Lande erfuhr, zog sich die VL aus der Arbeitsgemeinschaft zunächst wieder zurück. Die Zusammenarbeit scheiterte konkret daran, daß eine zwischen preußischem Bruderrat und LKA erzielte tragbare Vereinbarung im Sinne einer von der BK anerkannten Rechtshilfe nicht zustande kam, weil die Mitglieder des LKA ihre Unterschriften zurückzogen. Dieses Zurückweichen war vermutlich durch das Ministerium selbst veranlaßt. Jedenfalls ließ Kerrl Ende Mai durch Ministerialrat Stahn erklären, der LKA habe mit den Verhandlungen seine Kompetenzen überschritten: Die verbliebenen Ausschüsse hätten nur noch laufende Geschäfte zu führen, nicht aber Initiativen zu entwickeln. Das Schwergewicht der Verwaltung sei von den Ausschüssen weg zu den Finanzabteilungen hin verlagert worden. Der Staat habe nicht das Ziel, die kirchliche Verwaltung in eigene Hand zu nehmen. Er sehe in der Kirche aber in erster Linie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ein umfangreiches Vermögen zu verwalten habe. Daraus müsse er die Folgerung ziehen, daß sich die kirchliche Verwaltung unter allen Umständen bedingungslos positiv zum Staat einzustellen habe. Für das Übergangsstadium müsse die Kirche die starke staatliche Oberhoheit hinnehmen. Die Wiederherstellung der kirchlichen Selbständigkeit könne erst nach den Wahlen zur Generalsynode in Frage kommen. 233 Hier wurden nicht nur die Ziele Kerrls deut181
lieh, auch eine Annäherang der restlichen Ausschüsse an die BK mußte unterbunden werden. Erst nach Eröffnung des frontalen Kampfes gegen die Leitung der BK, vor allem in Preußen, wovon noch zu berichten sein wird, und nach der Verhaftung Martin Niemöllers, die die kirchliche Öffentlichkeit aufs stärkste bewegte, kam es am 6. Juli nach zweitägigen Beratungen in Kassel zu dem sogenannten „Kasseler Gremium". In ihm hatten sich nun VKL, Lutherrat und Kirchenfiihrerkonferenz „in dieser Stunde schwerer Not unserer Kirche ... zu gemeinsamem Wort und gemeinsamem Handeln zusammengeschlossen". In einer ersten Kanzelabkündigung am 11. Juli gaben sie bekannt, daß sie miteinander ein Wort an den Staat gerichtet und daraufhingewiesen hätten, „daß auf den bisher eingeschlagenen Wegen ein geordnetes Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht zustande kommen kann". Zugleich bezeugten sie „einmütig und feierlich, daß wir unseren Dienst in Kirchenregiment und Gemeinde nach der Hl. Schrift und den Bekenntnissen unserer Kirche weiter ausüben werden" und „uns keiner Maßregel unterwerfen, die uns an der Ausübung dieses Dienstes hindert". Verantwortlich zeichneten der dienstälteste Landesbischof der DEK Marahrens, Pastor Müller, Dahlem, als Vorsitzender der VKL und OKR Breit als Vorsitzender des Lutherrates.24 Da eine erbetene Anhörung durch die Regierung ausblieb, folgte am 29. August - die Landeskirchenausschüsse waren unterdessen alle, mit Ausnahme von Kurhessen-Waldeck, zurückgetreten oder abberufen eine große Kanzelabkündigung, um dem dringenden und unabweisbaren „Verlangen der Gemeinden nach Klarheit über das, was vorgeht", zu entsprechen. Diese Botschaft stieß da und dort in BK-Kreisen auf Kritik, da sie nicht die Klarheit der Botschaften der Bekenntnissynoden habe und auch „Töne der Anbiederung an den Staat in seiner völkischen Weltanschauung" enthalte.25 Doch konnte auf der anderen Seite die Tatsache dieses gemeinsamen Wortes als „ungeheurer Fortschritt nach allen Mißverständnissen und Schwierigkeiten untereinander", als „wirkliches Geschenk" bezeichnet werden.26 Darin war nach Darlegen des Ernstes der Entscheidung zwischen „neuer Gläubigkeit" und „Glaube an den lebendigen Gott" auch die verschärfte Situation konkret angesprochen: „Eine Welle von Prozessen, von Verhaftungen - Untersuchungshaft, Schutzhaft, Konzentrationslager - , von Ausweisungen und Redeverboten ist über die Kirche dahingegangen. Wo staatliche Finanzabteilungen eingerichtet sind, besteht die Gefahr, daß sie gezwungen werden, nach kirchenfremden Gesichtspunkten über Mittel der Kirche zu verfugen ... 182
Eine staatliche Beschlußstelle spricht der Kirche abseits von den ordentlichen Gerichten Recht. Wer kann angesichts solcher Tatsachen der Bitterkeit wehren? Je länger desto mehr geht ein unheilvoller Riß durch unser Volk. In dieser Lage ermahnen und bitten wir die Gemeinden, die Ältesten, die Pfarrer: Laßt euch nicht erbittern!... Vergeßt es keine Stunde, daß wir unserem Volke die frohe Botschaft schuldig sind!" Das Kasseler Gremium äußerte sich noch mehrere Male bemerkenswert deutlich, so zu dem noch im folgenden darzustellenden HimmlerErlaß, zu Rosenbergs Kampfschrift „Evangelische Rompilger", zu Kerrls 17. Durchführungsverordnung und seinen öffentlichen Reden. Doch 1938 kam die Gemeinsamkeit an den Auseinandersetzungen um die Gebetsliturgie zum Erliegen. „Das Kasseler Gremium war keine Kampfgemeinschaft auf klarem, festem Grunde. Darum konnte es in jenen stürmischen Zeiten bei kommenden Belastungsproben nicht standhalten und beieinanderbleiben. "27
Beginn des Frontalangriffs: Kirchenaustrittsfrage und Kollekten War es Zorn über das mißglückte Wahlabenteuer oder ganz unabhängig davon der Wille, den schlimmsten Störfaktor in Gestalt der konsequenten BK in Preußen auf die Knie zu zwingen, was den Staat veranlaßte, zur unmittelbaren Konfrontation überzugehen? Vermutlich kam beides zusammen. Denn der erste Angriffspunkt war schon im Februar aufs Korn genommen worden. Am 18. Februar 1937 hatte Innenminister Frick im Einvernehmen mit dem Ministerium Kerrl jede öffentliche Bekanntgabe von aus der Kirche Ausgetretenen, insbesondere ihre Verlesung von der Kanzel, bei Gefängnis nicht unter einem Monat oder Geldstrafen von 150 bis 15 000 RM untersagt.28 Doch durch die Wahlankündigung fand das Thema zunächst keine große Beachtung. Erst Anfang Juni sah sich der altpreußische Bruderrat aufgrund der Anfragen aus Gemeinden, in denen eine solche Abkündigung mit Fürbitte seit langem üblich war, zu einer Stellungnahme veranlaßt. Danach halte es der Bruderrat für recht, daß in allen Gemeinden, in denen diese Übung seit langem besteht, sie auch weiterhin geschieht. „Auch in anderen Gemeinden wird die Bekanntgabe der Kirchenaustritte im Rahmen der sonntäglichen Bekanntmachung je länger je mehr notwendig werden, weil die Möglichkeit, auf andere Weise die Gemeinde von wichtigen kirchlichen Vorgängen zu unterrichten, der christlichen Kirche immer mehr genommen wird."29 183
Darauf wurden am 14. Juni einige an dem Beschluß beteiligte Bruderratsmitglieder verhört und verhaftet. Die übrigen wiederholten am 17. Juni den Beschluß und sahen die Gemeinden „angesichts der die Kirche in steigendem Maße bedrohenden widerchristlichen Mächte ... in besonderer Weise heute gefordert, ihr Wächteramt ernst zu nehmen ... Darum müssen sich heute alle Gemeinden fragen, ob sie nicht die Pflicht haben, die Kirchenaustritte der Gemeinde im Gottesdienst abzukündigen." 30 Die Verhaftungswelle ging daraufhin weiter: Die Gestapo drang am 23. Juni in eine RBR-Sitzung in der Friedrich-Werderschen Kirche in Berlin ein, durchsuchte und beschlagnahmte Aktenstücke und nahm weitere acht preußische Mitglieder fest. Anfang Juli endete ein Schnellgerichtsverfahren gegen vier Beteiligte mit zwei Freisprüchen und zweimal 600,- RM Geldstrafe, woraufhin dann auch die anderen Verhafteten freigelassen wurden.31 Im August trat die altpreußische Bekenntnissynode in Lippstadt den Beschlüssen des Bruderrats bei und bestätigte ihm, daß er „in rechter Wahrnehmung seines Auftrags als Kirchenleitung gehandelt hat". Natürlich kann man - zumal aus heutiger Sicht - fragen und ist auch damals gefragt worden, ob es sich lohne, es in dieser Sache zum offenen Widerstand kommen zu lassen, ja, ob die Aufforderung des Bruderrats überhaupt vertretbar sei. Denn trotz aller Hinweise darauf, daß jede Gemeinde das Recht habe zu erfahren, wer zu ihr gehört, und bei aller Betonung, daß „die bloße Bekanntgabe der Namen ... kirchlich nicht zu verantworten" sei, sondern es um die seelsorgerliche Aufgabe gegenüber der Gemeinde und den von ihr Getrennten und um die Fürbitte gehe, blieb das Gegenargument, eine solche Mitteilung könne die Gemeinde leicht zur Selbstgerechtigkeit fuhren und werde von den Betroffenen als öffentliche Bloßstellung verstanden. Doch muß man sich den Hintergrund vor Augen halten: Während noch 1934 sich ein Polizeibeamter rechtfertigen mußte, da der Kirchenaustritt „sich nicht mit seiner Stellung vereinbaren" lasse - der Austritt war damals noch mit dem Makel der Nähe zur kommunistischen Gottlosenbewegung behaftet! - , hatte inzwischen die gegenchristliche Propaganda längst ihre Früchte getragen. In bestimmten Parteigliederungen oder bei Schulungen wurde auf den Austritt hingearbeitet, dazu waren durch einen Erlaß des RMdl die bisherigen, abwertend klingenden Bezeichnungen wie „Dissident" oder „konfessionslos" durch „gottgläubig" ersetzt worden.31 a So war die Zahl der Austritte aus der evangelischen 184
Kirche von 29 036 im Jahr 1934 auf 93 516 in 1936 und dann auf 318 814 in 1937 hochgeschnellt.32 Waren auch diese Zahlen Mitte 1937 noch nicht veröffentlicht bzw. erreicht, der Trend war unverkennbar und mußte die Leitungsorgane zutiefst beunruhigen. Der Beitrag eines selbst ausgetretenen jungen Menschen in einer deutschgläubigen Zeitschrift kennzeichnete treffend die Situation: „Nun sind aus diesen Heiden - Gottgläubige geworden. Wenn sie nur glaubten und weniger einer Konjunktur folgten. Kirchenaustritt ist heute Konjunktur geworden. Jeder fühlt sich als Held, wenn er seine Austrittsbescheinigung vorzeigt."33 Dies alles war der Hintergrund, der verantwortliche BK-Leute an das Wächteramt der Kirche für Gemeinde und Öffentlichkeit denken ließ und auch an dieser mißdeutbaren Stelle ihren Widerspruch herausforderte. Wir haben uns damals mit der Frage schwer getan. Von wievielen und wielange die konsequente Haltung durchgehalten wurde, läßt sich nicht sagen. Weit eindeutiger, aber auch sehr viel einschneidender lagen die Dinge beim zweiten Angriffsziel, den Kollekten. Am 9. Juni erschien „aus gegebener Veranlassung" ein gemeinsamer Runderlaß von RMdl und RMkA, wonach „nur diejenigen Kirchenkollekten, die nach Maßgabe der von den ordentlichen vorgeordneten Kirchenbehörden aufgestellten Kollektenpläne in den regelmäßigen Gottesdiensten veranstaltet werden, als genehmigungsfreie Sammlungen im Sinne des § 15 Ziffer 4 des Sammlungsgesetzes anzusehen sind". Zugleich wurde daran erinnert, „daß die Aufstellung von Kollektenplänen durch einzelne kirchliche Gruppen und die Durchführung anderer als der in den amtlichen Kollektenplänen vorgesehenen Kirchenkollekten einen Verstoß gegen die Bestimmungen der 5. und 13. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der DEK vom 2. Dezember 1935 und 20. März 1937 darstellen". Das Ziel war deutlich: Die Kollekten der BK, durch die sie außer durch Mitgliederbeiträge und Spenden ihre gesamte Arbeit, insbesondere die Ausbildung und Versorgung der illegalen Jungtheologen finanzierte, sollten unmöglich gemacht werden. So waren denn auch alle Kollekten in „Sondergottesdiensten" in das Verbot eingeschlossen. Derartige, „nicht rechtmäßige" Kollekten wurden ebenso wie die Aufstellung eigener Kollektenpläne mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht und Einzug der Erträge angekündigt.34 Hier war nun ohne viel Grundsatzerörterungen deutlich, daß widerstanden werden mußte. Freilich betraf dieser Widerstand nur die zerstör185
ten Kirchen - Kollektenpläne und -erhebung der intakten Landeskirchen konnten ja nicht als rechtswidrig bezeichnet werden und er betraf nur die, in denen die Bruderräte kirchenregimentliche Befugnisse ausübten. Damit kam der APU die Pionierrolle zu, damit aber auch die schwerste Last staatlicher Zwangsmaßnahmen. Doch auch in einer Kirche wie Nassau-Hessen wurde die Kollektenfrage zum Anlaß jahrelanger Konflikte und strafrechtlicher Verfolgungen. Gerade der Kollektenerlaß führte zur Einberufung der fünften altpreußischen Bekenntnissynode Ende August in Lippstadt. Sie wandte sich in einem umfassenden „Wort an die Gemeinden" gegen die verschiedenen staatlichen Anordnungen und Eingriffe, das in dem Satz gipfelte: „Die Kirche ist durch Gottes Wort gebunden, im Gehorsam des Glaubens hier nicht zu weichen, sondern Widerstand zu leisten", und machte dann im besonderen die Kollektenfrage zum Gegenstand einer ausfuhrlichen Stellungnahme und Weisung an Gemeinden und Pfarrer.35 Aus den kirchlich und rechtlich fundierten Ausfuhrungen hier nur einige entscheidende Aussagen: „Die Kollekte ist ein unaufgebbares Stück des Gottesdienstes", „das Dankopfer der Gemeinde ... während jeder gottesdienstlichen Versammlung". Sie „ist eine eigene Angelegenheit der Gemeinde und der Kirche". „Da die Gemeinde diese Gaben dem Herrn darbringt, kann auch sie allein (oder die von ihr bestellten synodalen Organe) bestimmen, für welchen dem Herrn wohlgefälligen Dienst das christliche Opfer verwendet werden soll. Wer sie daran hindert, vergreift sich am Eigentum des Herrn." „Der Erlaß bedeutet einen Eingriff in die Lehre und die gottesdienstliche Ordnung der Kirche." So wird denn die unaufgebbare Pflicht von Gemeinden, Pfarrerschaft und Kirchenleitung dem Erlaß gegenübergestellt. Die wichtigste Folge dieses Konflikts, zusammen mit den anderen des Jahres 1937, war, daß einer großen Zahl von Pfarrern und Gemeindegliedern entgegen der eigenen Tradition zum Bewußtsein kam, daß sich der Kampf der Kirche nicht, wie jahrelang angenommen, auf innerkirchliche Auseinandersetzungen um rechte Lehre und Verkündigung beschränken ließ, sondern jetzt Widerspruch und Widerstand dem Staat gegenüber unvermeidlich war. So begann besonders in der Kollektenfrage eine Kette von staatlichen Maßnahmen: Beschlagnahmungen, Verhaftungen, Strafverfahren, bis hin zu staatlichen Besoldungssperren in den Jahren 1938/39, Maßnahmen, von denen nun auch bisher kaum besonders hervorgetretene und auf Frieden bedachte Gemeindepfarrer betroffen waren. 186
Die Fürbittenliste vom August 1937 nannte 103 Verhaftete, für die in vielen Gottesdiensten namentliche Fürbitte gehalten wurde, was wiederum Anlaß zum Einschreiten in zahlreichen Fällen wurde.36 Hier hatte der Staat den Gottesdienst selber angegriffen, und jetzt sahen sich doch viele zum Ungehorsam verpflichtet - ein folgenreicher Vorgang für den Charakter des gesamten Kirchenkampfes. Daß man jetzt aufseiten des Staates zur Generalabrechnung entschlossen war, dafür mochte die Verhaftung Niemöllers am 1. Juli sichtbares Zeichen sein. Zwar hatte man ihn beim Vorgehen gegen den preußischen Bruderrat immer noch ausgespart - vielleicht aus Rücksicht auf das zu erwartende Echo des kirchlichen Auslandes, wo er als fuhrende Gestalt der kirchlichen Opposition bekannt war - , aber Ende Juni rechnete er selbst mit dem baldigen Ende seiner Freiheit. Schon in der Wochenendandacht am 19. Juni sagt er: „Ich muß heute noch mal so reden, vielleicht kann ich es nächsten Sonntag nicht mehr."36* Er konnte es noch einmal am 27. Juni, ging dann auf eine letzte Vortragsreise nach Westfalen und Wiesbaden, wo er dreimal in den größten Kirchen „Zur kirchlichen Lage" sprach. Aus seiner ausgedehnten Vortragstätigkeit dieser letzten Wochen und Monate sei als besonders bemerkenswertes Beispiel, das dann auch in seinem Prozeß als Beleg für „hetzerische Äußerungen" und Verstöße gegen das „Heimtückegesetz" gewertet wurde, die Predigt über 2 Chr 32,1-21 genannt. Wer sie gehört hat, vergaß sie nicht: Die Belagerung Jerusalems durch Sanherib, der Gottesstadt durch die Macht der Welt, mit dem Ziel, das Volk Gottes in die Gefangenschaft, unter die Herrschaft des Staates zu bringen. Mit dem für viele wie ein Wunder erschienenen Wahlerlaß sei die Belagerung keineswegs abgebrochen, sondern lediglich „der Befehl zum Sturmangriff... im letzten Moment zurückgezogen worden". Inzwischen schließe der Feind den Belagerungsring um so fester und bringe seine Geschütze in Stellung, zuletzt das schwerste in Gestalt des „Ministeriums für, nein, gegen die kirchlichen Angelegenheiten". Jetzt „müsse die Bevölkerung der Gottesstadt sich wappnen mit dem,Schwert des Geistes', sich um die .Hauptleute' scharen und die zerbrochenen Mauern befestigen. Denn in den letzten Jahren seien die ,Waffen rostig geworden', nachdem sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen von der Sammlung der Gemeinden auf den Kampf um das Kirchenregiment verlagert hatte". Darüber aber stehe die Verheißung: „Mit ihm ist ein fleischlicher Arm; mit uns aber ist der Herr, unser Gott, daß er uns helfe und führe unseren Streit."36b 187
Hier wurde schonungslos ausgesprochen, was in den ersten Jahren auch für Niemöller noch kaum denkbar gewesen wäre, daß der eigentliche Gegner nicht die DC waren - bei der Belagerang sind sie höchstens „Spione" oder „Unterhändler" zum Ziel der Übergabe der Festung an den Feind! - , sondern der NS-Staat selber war dieser Feind, eine erst mühsam und fast widerwillig gewonnene und auch jetzt von vielen noch nicht akzeptierte Einsicht. Niemöller war am 30. Juni noch bei seinem Bruder in Bielefeld und traf mit Bodelschwingh, Meiser und Wurm zusammen. Am nächsten Morgen wurde er in seinem Pfarrhaus in Dahlem verhaftet. Diese Verhaftung sollte wohl ein vernichtender Schlag gegen die BK sein. Sie wurde jedoch, auch nach dem Prozeß und statt Freilassung Verbringung ins KZ, zum Symbol und geistlichen Sammelpunkt vieler, die sich im ganzen Reich und weit darüber hinaus - „die Eskimo und die Batak beten für dich", sagt ihm der Vater kurz vor seinem Tod beim Besuch im KZ Sachsenhausen - zur Fürbitte für ihn und alle Verfolgten verpflichtet sahen. In Dahlem wurde seitdem täglich, später wöchentlich Fürbittegottesdienst gehalten. Kaum 14 Tage nach Niemöllers Verhaftung spielte noch ein Ereignis, das in mancher Hinsicht ein bezeichnendes Licht auf die Situation warf: die Weltkonferenz für Praktisches Christentum in Oxford. Schon seit dem Vorjahr waren Verhandlungen über die Zusammensetzung der deutschen Delegation geführt worden, bei denen der einst von Müller ernannte Bischof Heckel vom Kirchlichen Außenamt, zumal nach Zoellners Rücktritt, die Delegationsleitung und Ausschaltung einer eigenen BKVertretung zu erreichen suchte. Als dies nicht gelang - die Ökumene wußte sich der BK im besonderen verbunden - , vertrat er den Verzicht auf eine deutsche Teilnahme überhaupt, und die beteiligten staatlichen Stellen machten den erwarteten BK-Mitgliedern durch Paßentzug eine Beteiligung unmöglich. Wie sich aus den Akten ergibt, hatte Hitler selbst, vermutlich wegen möglicher ökumenischer Parteinahme für die deutsche Kirche, Anfang Juni eine Teilnahme verboten. So nahmen nur Vertreter der - nach Kerrls Meinung von dem Verbot nicht betroffenen - deutschen Freikirchen unter Führung des Methodistenbischofs Melle und Volksdeutscher Auslandskirchen teil. Die Konferenz entschloß sich angesichts der Verhaftungswelle zu einer Solidaritätsbotschaft, in der die Abwesenheit der Verhinderten beklagt, des Leides vieler Pfarrer und Laien in der BK und der Bedeutung des Kampfes „gegen Verzerrung und Unterdrückung des christlichen Zeugnisses sowie ... für die Erziehung der Ju188
gend" gedacht und die Leidenden des Mitleidens der anderen Kirchen versichert werden. Daraufhin gaben die Vertreter der Freikirchen eine Protesterklärung ab: Sie seien „dankbar für die uneingeschränkte Freiheit der Verkündigung des Evangeliums", hätten sich dem „Kirchenstreit gegenüber ... von Anfang an neutral verhalten", litten aber innerlich mit unter den Folgen und seien überzeugt, daß die „Botschaft an die DEK" die Gegensätze verschärfen werde, und sähen sich nicht in der Lage zuzustimmen. Dies bekräftigte Melle noch mit einer persönlichen Rede.37 Diese völlig der individualistischen, auf reine Innerlichkeit eingestellten Tradition verhaftete Haltung war bedrückend, wenn auch für die, die in den eigenen Gemeinden Berührungen mit freikirchlichen Kreisen hatten, nicht überraschend. Für sie war das Engagement der BK bloße Politik, die vom Eigentlichen ablenkte. Jetzt war zweierlei für die Situation bezeichnend: daß die Freikirchler sich vorher von Heckel über die erwünschte Haltung instruieren lassen mußten; und daß hinterher die BK unter dem Druck der Partei („dreiste Einmischung in deutsche Verhältnisse") auf das geplante Überbringen der Botschaft durch eine ökumenische Delegation verzichtete.
Der Schlag gegen die Ausbildungsstätten
der BK
Nach den vorausgegangenen Maßnahmen, vor allem gegen den preußischen Bruderrat, sah man jetzt wohl die Stunde für den Angriff auf eine zentrale Arbeit der BK, die Ausbildung ihrer jungen Theologen, gekommen, wobei eine neue Instanz in Tätigkeit trat: Am 29. August - veröffentlicht aber erst Ende September - ordnete Himmler als Chef der deutschen Polizei mit der Begründung, daß diese Arbeit eine bewußte Zuwiderhandlung gegen die fünfte Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz vom 2. Dezember 1935 darstelle und geeignet sei, „das Ansehen und Wohl des Staates zu gefährden", im Einvernehmen mit Kultusund Kirchenminister an: „Auf Grund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933" erlassen nach dem Reichstagsbrand „zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte"! Sie diente immer wieder zur Handhabe für Maßnahmen gegen die BK und ihre Glieder - „werden die von den Organen der sogenannten Bekennenden Kirche errichteten Ersatzhochschulen, Arbeitsgemeinschaften und die Lehr-, Studenten- und Prüfungsämter aufgelöst und sämtliche von ihnen veranstalteten theologischen Kurse und Freizeiten verboten."38 189
Hier erhob nun am 26. Oktober das Kasseler Gremium deutlichen Protest und trat den zerstörten Kirchen zur Seite. Es wurde formell nachgewiesen, daß der Bezug auf die fünfte Durchfuhrungsverordnung nach dem Ende der Kirchenausschüsse rechtlich gar nicht mehr möglich war, und inhaltlich festgestellt, daß die BK in dieser Ausbildung des theologischen Nachwuchses „in kirchlicher Verantwortung für die Verkündigung des Evangeliums kirchliche Arbeit" leiste; es sei „sicher zu erwarten, daß zahlreiche Organe der BK, ihre Lehrer und ihr theologischer Nachwuchs aus Gründen des Glaubens den Erlaß ablehnen müssen". Und im November erklärte die Bekenntnissynode im Rheinland: „Es ist offenkundig, daß der Staat mit seiner neuen Verordnung die ihm von Gott gesetzten Befugnisse überschreitet und in ein fremdes Amt eingreift, in das Amt der Kirche. Darum kann die BK in diesem Erlaß nicht eine obrigkeitliche Anordnung erblicken, der sie nach Gottes Gebot Gehorsam zu leisten schuldig ist."39 Ein weiterer Punkt also, in dem die Pflicht zu kirchlichem Widerstand gegenüber staatlicher Anordnung erkannt - und praktiziert werden mußte. Obwohl man jetzt der fast unbeschränkten Macht der Gestapo konfrontiert war und die Leitungsorgane sich durch den Erlaß vor größte Schwierigkeiten gestellt sahen, gelang es dem Staat nicht, die Ausbildungsarbeit zum Erliegen zu bringen. Zwar mußte Peter Brunner, der seit Herbst 1936 von Hessen an die Kirchliche Hochschule in Elberfeld berufen worden war, Anfang November vor dem LBR in Frankfurt berichten, eine Fortführung der Arbeit dort sei nicht möglich, doch werde man in zwei andere Städte (gemeint waren Essen und Düsseldorf) ausweichen. Die Vorlesungen mußten also im Verborgenen weitergeführt werden, was in der Millionenstadt Berlin leichter möglich war. So konnte die Arbeit hier bis Frühjahr 1941, noch ein Jahr länger als im westlichen Zweig, aufrecht erhalten werden, bis ihr die Verhaftung der Dozenten im Zusammenhang einer Anklage wegen verbotener Prüfungen ein Ende setzte.40 Hatte man zunächst gehofft, die im Himmler-Erlaß nicht genannten Predigerseminare seien nicht betroffen, wurde man bald eines Besseren belehrt. Alle fünf Seminare der altpreußischen BK wurden im Laufe des Jahres 1937 oder Anfang 1938 geschlossen.41 Dasselbe widerfuhr dem nassau-hessischen Seminar in Frankfurt. 42 Doch wurde auch hier wie fast überall in Altpreußen die Arbeit auf dem Wege über Sammelvikariate fortgeführt: die Kandidaten wurden verschiedenen Pfarrern in einander benachbarten oder leicht erreichbaren Gemeinden zugewiesen und ka190
men zu regelmäßiger Arbeit mit den Dozenten zusammen. So ging diese Arbeit noch bis in die Kriegszeit hinein weiter, bis sie durch die Einberufung der weitaus meisten Kandidaten eingestellt werden mußte.
Kirchenleitung als Ein-Mann-Bürokratie Geistlich-theologische Arbeit in den Gemeinden Im August 1937 waren die letzten Kirchenausschüsse (mit der einzigen Ausnahme Kurhessen) an ihr Ende gekommen. Damit waren für die betroffenen Kirchen staatlich anerkannte Leitungsorgane entfallen. Nach im einzelnen verfügten Übergangslösungen erschien unter dem 10. Dezember die 17. Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz, die unter Weiterfiihrung der 13. Verordnung, die gleichzeitig aufgehoben wurde, bestimmte: „Die Leitung der DEK liegt bei dem Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei. Dieser ist befugt, nach Anhörung der Kirchenregierungen der Landeskirchen Verordnungen in äußeren Angelegenheiten zu erlassen." In den Landeskirchen liegt die Leitung „bei den im Amt befindlichen Kirchenregierungen", jedoch in der APU, Sachsen, Schleswig-Holstein, Nassau-Hessen - wo also bisher Kirchenausschüsse bestanden hatten - „bei dem im Amt befindlichen Leiter der obersten kirchlichen Verwaltungsbehörde ... Die Kirchenleitung im Sinne dieser Verordnung umfaßt insbesondere die Ausübung kirchenregimentlicher Befugnisse einschließlich des Erlasses von Verordnungen. Die den Finanzabteilungen übertragenen Befugnisse bleiben unberührt." 43 Zu der Verordnung nahm noch im Dezember das Kasseler Gremium in deutlicher Weise Stellung: Kirchlichen Verfassungsgrundsätzen widerspreche u. a. die Einsetzung der Kirchenleitung durch den Staat, die Vorstellung einer Trennung von „äußeren" und „inneren" Angelegenheiten, die Wiedereinführung des vom Minister selbst für die Kirche abgelehnten Führerprinzips durch Beauftragung eines einzelnen Juristen, der zudem als Vorsitzender der Finanzabteilung unmittelbar vom Minister abhängig sei, das Fehlen jeder kirchlichen und bekenntnismäßigen Bindung der beauftragten Verwaltungsjuristen in den Landeskirchen, ferner die mit der Verordnung gleichfalls gegebene Anerkennung der noch im Amt befindlichen, meist nationalkirchlich eingestellten DC-Kirchenregierungen. Zusammenfassend wird das Ganze „auf das eindringlichste als eine erneute Fehlentwicklung" bezeichnet und für alle Landeskirchen beschleunigt die Möglichkeit gefordert, „in voller Freiheit neue Organe nach kirchlichem Recht zu bilden".44 Natürlich blieb der Protest wirkungslos. 191
Die BK stand vor der Situation, daß die intakten Kirchen zwar unbehelligt blieben, gleichzeitig die DC-Regierungen ohne Einschränkung anerkannt waren und in den seither von Ausschüssen verwalteten Kirchen der oberste Jurist alle Befugnisse in Händen hatte: in der DEK und in Personalunion damit in der APU der durch die DC ins Amt gelangte Dr. Werner, in Sachsen der DC OKR Klotsche, in Schleswig-Holstein der Nachfolger Hossenfelders als DC-Reichsleiter Dr. Kinder und in NassauHessen der einst von Dietrich berufene Kirchenamtspräsident Kipper. Es leuchtet ein, daß es BK-Pfarrern und Gemeinden unmöglich war, diese „Ein-Mann-Diktatur" - die trotz mancher Anläufe zur Veränderung bis Kriegsende so bleiben sollte - als Kirchenleitung anzuerkennen. Doch ist ebenso unbestreitbar, daß angesichts der uneingeschränkten staatlichen Stützung dieses Regiments die Versuchung groß war, ganz besonders wenn die Legalisierung der jungen Theologen auf dem Spiel stand, sich mit dieser „Leitung" zu arrangieren. Dabei ging es nach dem Argument, es handele sich ja nur um die unerläßliche äußere Ordnung und man könne, wenn man formell dem Druck nachgebe und sich unterwerfe, darunter doch unbehelligt „das Evangelium verkündigen". Es war dann freilich - trotz des unbestrittenen Bemühens vieler, dem Auftrag gerecht zu werden - oft doch ein Evangelium, das sich auf den individuellen Bereich und das „innere Leben" beschränkte. Welche Hoffnungen sich auf staatlicher Seite mit der Ein-MannLösung verbanden, mag ein vertrauliches Rundschreiben des Regierungspräsidenten in Wiesbaden, von Pfeffer, an die Landräte, Oberbürgermeister und Polizeipräsidenten belegen, wonach Präsident Kipper eine Verbindungsstelle errichtet habe, um „die Verbindung zwischen den Staatsbehörden und der Partei einerseits und der Landeskirche andererseits aufrecht zu erhalten. Es ist anzunehmen, daß jetzt in allen evangelischkirchlichen Fragen ein etwas schärferer und erfreulicher Wind weht."45 Daß aber auch in dem so zu Ende gehenden Jahr 1937 sich der Einsatz von Pfarrerschaft und Gemeinden der BK nicht in der Auseinandersetzung in dem umkämpften Leitungskomplex mit all ihren Anfechtungen, Fragen und Zweifeln erschöpfte, mag durch einen Blick auf die geistlichtheologische Arbeit deutlich werden. Im Mai 1937, als viele noch immer auf das Phantom der Wahl fixiert waren, griff die altpreußische Bekenntnissynode bei ihrer Tagung in Halle die konfessionelle Frage auf, um eine Klärung des Verhältnisses zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten zu suchen. War die in der APU und den anderen Unionskirchen geltende Abendmahlsgemeinschaft theologisch zu rechtfertigen, 192
oder beruhte sie auf einer Gleichgültigkeit den Bekenntnissen gegenüber? Nach gründlicher Vorarbeit auf zwei theologischen Konferenzen, veranstaltet wenige Tage nach den erregenden Ereignissen des Februar vom rheinischen und dem nassau-hessischen Bruderrat in Essen und Frankfurt, fand man in Halle in der alten Kontroversfrage der wahren Gegenwart Christi in seinem Mahl oder einer bloßen Gedächtnishandlung das lösende Wort: „Jesus Christus, unser Herr und Heiland,... ist selber die Gnadengabe des von ihm eingesetzten Abendmahls seiner Gemeinde ... Die unter uns bestehenden Unterschiede in der Lehre vom heiligen Abendmahl betreffen die Art und Weise der Selbstmitteilung des Herrn im Abendmahl. Sie beziehen sich nicht darauf, daß der Herr selbst die Gabe des Abendmahls ist ... Darum stehen gemeinsame Abendmahlsfeiern zwischen uns Lutheranern, Reformierten und Unierten nicht im Widerspruch zu der schriftgemäßen Verwaltung des heiligen Abendmahls." 46 Halle 1937 war von ganz erheblicher Bedeutung. Die Synode nahm den Anstoß von Barmen auf: „Wir befehlen es Gott, was dies (die Tatsache des gemeinsamen Wortes) für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag", und sie wurde ihrerseits, trotz der alsbaldigen Kritik eines kurzschlüssigen Unionismus, später zum Anstoß für das Abendmahlsgespräch der EKD 1947-1957 mit dem Ergebnis der „Arnoldshainer Abendmahlsthesen", die dann wiederum den Durchbruch der „Leuenberger Konkordie" ermöglichten, mit der die reformatorischen Kirchen in Europa Abendmahls- und Kirchengemeinschaft erklären konnten. Da die theologischen Vorarbeiten für Halle schon im Sommer 1937 gedruckt vorlagen,47 wurden sie zum Arbeitsthema vieler Pfarrkonvente des Jahres, so auch dessen, an dem der Verfasser beteiligt war. Die drückende kirchenpolitische Situation verdrängte glücklicherweise die theologische Arbeit nicht, machte sie eher um so dringlicher. Aber auch in den Gemeinden waren nicht etwa Lageberichte und Fürbitte für die Verfolgten das allein beherrschende Thema. Auf dem Boden der BK waren schon seit 1935 „Evangelische Wochen" entstanden, mit oft prominenten Rednern aus anderen Landeskirchen und mit Themen, die die Gemeinden für die Entscheidungsfragen der Gegenwart zurüsten sollten. Da diese „sich in der letzten Zeit stark häufen", erklärte Kerrl im Januar 1937 „zur Aufrechterhaltung des kirchlichen und religiösen Friedens" ihr Verbot und ordnete das Fernhalten anreisender Redner oder Prediger vom Tagungsort durch Aufenthaltsverbote an.48 Danach fanden jetzt häufig nur „Evangelische Tage" statt. Nicht selten wurden auch alteingebürgerte „Missionsfeste" als solche gestaltet, zumal immer weniger 193
unmittelbare Missionsberichte vorlagen. Genannt sei als Beispiel ein solcher Tag im Mai 1937 an vier Orten eines Kirchenkreises in NassauHessen unter dem Gesamtthema: „Ich glaube ... eine heilige christliche Kirche". Die gleichen Redner sprachen unter großer Beteiligung der Gemeinden über das Fundament, die Sendung und das Bekenntnis der Kirche. Eine weitere Frucht des Kirchenkampfes waren kirchliche Rüstwochen, die vielfach neben oder anstelle der üblichen Evangelisation durch einen einzelnen eingeführt wurden. Sie sollten der biblischen Zuriistung und Vertiefung dienen und wurden auch 1937 nach einer vorbereiteten Themenreihe an jedem Abend von einem anderen Pfarrer unseres Kirchenkreises gehalten. Schließlich muß erwähnt werden, daß sich gegen Ende des Kirchenjahres in immer mehr Gemeinden eine „Bibelwoche" einbürgerte, die der Ortspfarrer selber nach einem für ganz Deutschland vorgesehenen Textplan und Vorbereitungsmaterial hielt - eine nicht geringe Belastung. Dies alles mag nur ein wenig den irrigen Eindruck korrigieren, als hätten BK-Leute ihre Zeit vorwiegend mit Kirchenpolitik zugebracht, während andere „nur das Evangelium" verkündigt hätten. Gerade die biblische Verkündigung nahm im Kirchenkampf die zentrale Stelle ein. Man hatte ja auch buchstäblich nichts anderes, woran man sich halten konnte. Übrigens wurde auch im Jahr 1937 in einer allmählich wachsenden Zahl von Gemeinden, oft gegen heftigen Widerstand, die Taufe im Gottesdienst wieder eingeführt, als Zeichen dafür, daß Christsein und Gemeinde zusammengehören. Auch dies war in jener Zeit vielen neu zum Bewußtsein gekommen.
Kontakte mit Gruppen der kirchlichen Mitte Kerrl hatte, nachdem seine Ausschußpolitik gescheitert und er selbst durch Hitlers Wahlerlaß desavouiert war, mit seinen Durchführungsverordnungen versucht, eine notdürftige Lösung zu schaffen, die auf Etablierung der „Ein-Mann-Kirchen" und im übrigen auf Bestätigung des status quo hinauslief. Aber in diesen Ein-Mann-Kirchen: Altpreußen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Nassau-Hessen, war man weithin der Überzeugung, diese zutiefst unkirchliche Regelung könne nicht von Dauer sein. Jedoch versuchten die zumeist schon seit Spätsommer beauftragten Verwaltungsspitzen, sich in ihren Landeskirchen mit Hilfe von Gewaltmaßnahmen durchzusetzen. Zugleich hielt der unverminderte Druck der Ge194
stapo auf die BK in der Ausbildungsarbeit und insbesondere der Kollektenfrage an. Zuletzt verstärkten noch die Reden Kerrls Ende November in Fulda und Hagen den Eindruck, der Staat sei entschlossen, jeden Einfluß der Kirche auf Volk und Öffentlichkeit auszuschalten. Unter der Devise: „Der NS ist eine religiöse Bewegung, die die Bindung an Gott und die göttliche Ordnung nicht nur durchaus anerkennt, sondern durchlebt", bestritt er auf der einen Seite alle staatskirchlichen Absichten, bezeichnete es aber zugleich als das Ziel der NS-Kirchenpolitik, „die politisierenden Kirchen wieder in wahrhaft religiöse Gemeinschaften umzuwandeln". Offenbar war schon die kritische Auseinandersetzung mit der NSWeltanschauung „politischer Mißbrauch der Religion". „Christus habe auch nicht gelehrt, gegen die NS-Rassenlehre zu kämpfen. Er habe vielmehr einen unerhörten Kampf gegen das Judentum geführt, das ihn auch deshalb ans Kreuz geschlagen habe. Nicht im geringsten widerspreche die Lehre Christi selbst dem NS."49 Mochten sich von dieser vermeintlichen Synthese von Christentum und NS die Parteikreise um Rosenberg auch diametral unterscheiden, im Fernziel war nach dem Eindruck der Angegriffenen der Gegensatz doch nicht so tief. Sah Kerrl den Gegner in einer politisierenden Kirche und Rosenberg konsequenter im Christentum selbst, das sich den ewigen germanischen Charakterwerten zu unterwerfen habe - jedenfalls hatten die, die diese Werte zum Sieg führen wollten, nicht nur „das sittliche Recht, das Gegnerische nicht zu schonen", sondern vielmehr „die Pflicht, es geistig zu überwinden, es organisatorisch verkümmern zu lassen und politisch ohnmächtig zu erhalten". So hatte es Rosenbeig schon in seinem Mythus formuliert, und die Rheinischen Briefe riefen es anläßlich seiner jüngsten Kampfschrift „Protestantische Rompilger" in Erinnerung.50 Denn die staatlichen Eingriffe des Jahres 1937 konnten die davon Betroffenen nur als Zeichen eines umfassenden Angriffs auf die Kirche, als Schritte zur Verwirklichung eben jener Ziele verstehen. Kerrl erschien ihnen, ob gewollt oder nicht, als Helfer zu Rosenbergs Endzielen. Jetzt begann auch in Kreisen über die BK hinaus die Einsicht zu wachsen, daß im NS-Staat eine geistig unabhängige und nur ihrem Auftrag verpflichtete Kirche keinen Raum mehr haben werde. Angesichts dieser existentiellen Bedrohung wird verständlich, daß sich um die Jahreswende 1937/38 die Stimmen häuften, die ein Zusammenrücken aller, denen es um Erhaltung der biblischen Botschaft und einer an sie gebundenen Kirche ging, als dringlich ansahen. Dies galt insonderheit für die der BK nicht grundsätzlich konträr gegenüberstehenden 195
Kreise der „Mitte", mit denen man sich in der Ablehnung der nationalkirchlichen DC einig war. Versuche in diesen Kreisen, sich selbst zu gemeinsamer Zielsetzung zusammenzufinden, hatte es schon in der Ausschußzeit gegeben, schon um dem Minister einen Verhandlungspartner stellen zu können. So entstanden von 1935/36 an in verschiedenen Gebieten Arbeitsgemeinschaften unterschiedlicher Bezeichnung wie „Deutsche Ev. Volkskirche", „Für kirchlichen Frieden und Aufbau", „Für Einheit und Freiheit der Kirche" oder „Volkskirchliche Arbeitsgemeinschaft"; 1937 bildete sich im Zusammenhang mit der Wahlankündigung ein „Pfarrerkreis" und ein „Laienausschuß" und schließlich im Juni 1937 als Zusammenschluß „zur Übeibrückung der kirchenpolitischen Gegensätze" der „Wittenberger Bund", dessen Ziele in 4 Sätzen umschrieben waren: „Wir setzen uns ein für eine evangelische Volkskirche,... für eine evangelische Reichskirche,... für eine evangelische Bindung an die Lehre der Väter, ... für die Treue der Kirche zum völkischen Beruf des Christen."51 Im Rahmen dieser Bemühungen der „Mitte" um eigenen Zusammenschluß kam es auch zu Kontakten mit der BK. Rundschreiben des nassau-hessischen Bruderrats vom Frühjahr 1937 bezeichnen es „als Gebot der Stunde, einer solchen freien Vereinbarung mit Amtsbrüdern, die gleich uns den ,Bund für Deutsches Christentum' und die Politisierung von kirchlicher Lehre und Ordnung ablehnen, die gleich uns in der Kirche nur einen Herrn dulden: Jesus Christus, und die für die Notwendigkeit des Wortes der BK ein Verständnis haben, ohne sich ihr direkt anzuschließen, nicht auszuweichen." Doch dürfe unter keinen Umständen eine Lockerung des Gefüges der BK eintreten. Zusammenfassend heißt es zu dem Versuch „sogenannter neutraler oder gemäßigter Kreise, zu einer Zusammenfassung der Kräfte' in der DEK zu kommen": „Die gute Absicht... soll nicht verkannt werden. Man darf aber auch nicht verkennen, daß in Zeiten der Entscheidung nur Entschiedenheit des Bekennens der Kirche helfen kann und nicht der Versuch eines verwaschenen Ausgleichs, am allerwenigsten dann, wenn dieser Ausgleich sogar bis zu den Thüringer DC hin versucht wird."52 Kontakte nach der „Mitte" hin gab es auch 1938. Sie trafen zusammen mit Bemühungen um Überwindung der auch im Kasseler Gremium noch und wieder spürbaren Spannungen zwischen VKL und Kirchen des Lutherrates: Diese bestritten der VL, auch für sie zuständig zu sein, mußten freilich erleben, daß Kerrl auch den von ihnen getragenen Lutherrat als „illegale Organisation" disqualifizierte, und mühten sich vergeblich um staatliche Anerkennung für eine geplante „Deutsche Lutherische Kir196
che". Die Verständigungsbemühungen führten zu den „Essener Verhandlungen" mit einem übereinstimmenden Votum über Barmen (Essen I), in dem der Satz stand: „Die Gemeinschaft des Bekenntnisses zum Herrn Jesus Christus bindet uns an diejenigen Gemeinden und Diener am Wort in der DEK, die sich nicht zur BK gesammelt haben, aber mit Ernst um die Erneuerung der Kirche vom Worte Gottes her ringen."53 Auch die beiden anderen Verhandlungsergebnisse, der „Entwurf einer Übergangsordnung zur Befriedung der DEK" (Essen II) und einer „Ordnung für die Bestellung einer Kirchenleitung" in Altpreußen (Essen III) gingen auf eine Öffnung zur bekenntnistreuen Mitte hin unter gleichzeitiger Ausgliederung der nationalkirchlichen DC. Vor allem dieser letzte Entwurf wurde eingehend mit der die Mitte vertretenden „Landeskirchlichen Konferenz" in der APU, die ihrerseits mit dem preußischen Bruderrat Verbindung gesucht hatte, beraten. Doch zog diese nach erreichter Übereinstimmung ihre Unterschrift wieder zurück. Maßgebend dafür mochte sein, daß eine Scheidung von den radikalen DC für Kerrl wie für seinen Beauftragten Werner, den die Konferenz unterstützte, inakzeptabel war und daß man sich wohl auch nicht durch ein Zusammengehen mit den dahlemitischen BK-Leuten kompromittieren wollte. Ein Einbeziehen der Mitte in künftige Schritte und Planungen war damit gescheitert.54 Insgesamt wird man sagen müssen, daß die Gruppierungen der „Mitte" - obwohl diese zahlenmäßig die große Mehrheit der Pfarrer umfaßte, was sich aber nicht organisatorisch entsprechend darstellte - trotz zeitweiligen Auftriebs keine wesentliche Bedeutung für das Geschehen des Kirchenkampfes gewonnen haben. Nur dadurch, daß Kerrl später glaubte, hier Rückhalt zu finden, worüber noch zu berichten sein wird, spielten „die Mittelgruppen, vornehmlich ihre Führungskräfte, denen in Krisenzeiten freilich vielfach die Geschlossenheit der Gefolgschaft fehlte, ... Herbst 1938 und Frühjahr 1939 noch einmal eine kirchenpolitische Rolle".55 Zunächst jedoch war die kirchliche Aufmerksamkeit von ganz anderen Fragen in Anspruch genommen.
Um die Vereidigung der Pfarrer Wie erinnerlich hatte die 2. Nationalsynode im August 1934 u. a. ein „Diensteidgesetz" beschlossen, durch das neben den Beamten auch den Pfarrern ein Eid auferlegt wurde, nach dem sie in ihrem Amt der Verkün197
digung Hitler treu und gehorsam sein und ihre Amtspflichten gemäß den Ordnungen und Weisungen der DEK wahrnehmen würden. Angesichts des sofort erhobenen Widerspruchs des RBR, daß hier durch die Vermischung von staatlichen und kirchlichen Pflichten der Ernst des Ordinationsgelübdes zerstört werde und darum dieser Eid nicht zu leisten sei, war die Vereidigung zunächst aufgeschoben worden und schließlich ganz unterblieben. Aber vergessen war der Gedanke offenbar nicht. Er tauchte vielmehr im Frühjahr 1938 unvermutet wieder auf, als nach der kampflosen Besetzung Österreichs am 12. März der Jubel der öffentlichen Propaganda keine Grenzen kannte und für die aus diesem Anlaß zum 10. April erneut angesetzte Volksabstimmung alle Trommeln gerührt wurden.56 In diesem psychologisch günstigen Moment erließ die Thüringer DC-Kirche am 15. März ein Kirchengesetz über die Vereidigung der Pfarrer, die bereits Anfang April vollzogen wurde. Landesbischof Sasse konnte Hitler und Kerrl melden, sämtliche Thüringer Pfarrer hätten „einem inneren Befehl gehorchend" - Verweigerung hatte laut Gesetz die Entlassung zur Folge! - „den Treueid auf Führer und Reich freudigen Herzens geleistet". Mit entsprechenden Gesetzen oder Verordnungen folgten dann als erste Mecklenburg am 16. März, Sachsen am 20. März, Nassau-Hessen am 13. April und Werner für Altpreußen am 20. April, dem „Geburtstag des Führers", „aus der Erkenntnis, daß auch im kirchlichen Dienst Amtsträger nur sein kann, wer in unverbrüchlicher Treue zu Führer, Volk und Reich steht". Die meisten anderen Landeskirchen erließen im Laufe des Mai entsprechende Verordnungen, in denen dann nur die Androhung der Entlassung fehlte. Wortlaut war jetzt im Unterschied zu 1934 der normale Beamteneid.57 Mit dem Ganzen wurde die BK in eine außerordentliche und tiefgehende Krise gestürzt. Mochte in Thüringen der ÜberraschungsefFekt zum Ergebnis beigetragen haben, danach wuchsen die Fragen und Bedenken. Da war allein schon die völlig zwiespältige Situation: Mit der „Heimkehr" Österreichs war Hitler auf dem Höhepunkt seiner außenpolitischen Erfolge, bei der großen Mehrheit aller Deutschen herrschte Freude, und es war eher gutmütiger Spott, mit dem sich der Volksmund der „armen Österreicher" annahm: „Solange geschah ihnen Unrecht, jetzt geschieht ihnen Recht!" Mußte nicht ein Beiseitestehen der Pfarrer in diesem Augenblick allein politisch gedeutet werden? Aber für den 13. März, gerade nach dem Tag des Einmarschs, war die Kanzelabkündigung der VKL zum Schicksal Martin Niemöllers ausgegeben, der vom Sondergericht nur zu einer, allein bei „ehrenhaften Beweggründen" zulässigen und 198
durch die Untersuchungshaft verbüßten Festungshaft und 2000 RM Geldstrafe verurteilt, jedoch unmittelbar danach von der Gestapo erneut in Haft genommen und ins KZ Sachsenhausen verbracht worden war. War es möglich, jetzt dem Mann den Treueid zu leisten, als dessen „persönlicher Gefangener" Niemöller widerrechtlich festgehalten wurde? Auf der anderen Seite: Zahllose Menschen auch in den BK-Gemeinden, alle, die irgendwie mit einem öffentlichen Dienst zu tun hatten, waren längst mit dem gleichen Wortlaut vereidigt worden; wie mußten sie es empfinden, wenn sich die BK-Pfarrer jetzt zu entziehen suchten? Doch zu diesem situationsbedingten Hintergrund - der ganz erheblich mitspielte! - kamen die theologischen Grundsatzfragen. Es waren vor allem drei: 1. Nach Schrift und Bekenntnis können Christen einen Eid nur leisten, wenn die staatliche Obrigkeit ihn fordert. Liegt die staatliche Forderung vor? 2. Für seine Amtspflichten ist der Pfarrer durch sein Ordinationsgelübde allein an Gottes Wort gebunden. Läßt der geforderte Treueid die uneingeschränkte Geltung des Ordinationsgelübdes zu? 3. Jeder Eid des Christen steht unter dem Vorbehalt, daß er nicht zum Ungehorsam gegen Gottes Gebot verpflichten kann. Wird dieses Verständnis anerkannt? Es folgten quälende Wochen und Monate, in denen eine Klärung dieser Fragen gesucht wurde. Eine eindeutige Antwort gab es zu keiner. Hinsichtlich der staatlichen Forderung mußte sich Wemer - er war ja auch der für die DEK Verantwortliche und hatte als solcher eine Aufforderung an die Kirchenfuhrerkonferenz ergehen lassen - auf die bestimmte Erwartung des Staates und auf das Reichsbeamtengesetz zurückziehen, das die Körperschaften des öffentlichen Rechts ermächtigte, für ihre „Beamten und Seelsorger diesem Gesetz entsprechende Vorschriften zu erlassen". Doch wurde bedeutsam, daß auch Präses Koch am Ende erklärte, für ihn stehe außer Zweifel, „daß der Staat den Treueid der Pfarrer erwartet" und daß diese Frage „für den Staat zu einer Frage seiner Autorität und die Verweigerung für ihn untragbar geworden ist".57" Zur Frage nach dem Ordinationsgelübde ergab sich noch eine zusätzliche Komplikation dadurch, daß Wemer in einer im Gesetzblatt der DEK veröffentlichten „Ansprache des EOK zum Treueid" feststellte, dieser Eid bedeute mehr als nur eine Bestätigung der Untertanenpflicht der Christen, vielmehr „innerste Verbundenheit mit dem Dritten Reich", „die persönliche Bindung an den Führer unter feierlicher Anrufung Gottes"; der Pfarrer bezeuge damit, „daß er den in der Ordination übernommenen Auftrag in seiner Gesamtheit in stetem Bewußtsein um die Verpflichtung gegenüber Führer, Volk und Reich zu erfüllen gewillt ist".58 199
Erst der Widerspruch von BK-Seite führte zu der Erklärung, daß die Ansprache „keine für die Ablegung des Treueides verbindliche Auslegung ist" und ihre Verlesung künftig unterbleibe. Ein ähnlicher Vorgang ereignete sich in Nassau-Hessen, wo Kipper eine unannehmbare „Eidesbelehrung" abgab, Klarstellungen des LBR zurückschickte, da „Erklärungen nicht zugelassen" seien, und dann doch, nachdem über 200 BK-Pfarrer zum Termin nicht erschienen waren, in einem Rundschreiben an alle Pfarrer erklärte: „Der Treueid ... läßt das Ordinationsgelübde völlig unberührt." Dies sahen die Betroffenen und der LBR als wesentliche Klärung der ganzen Lage an, obwohl die DC-These der Anfangszeit: „Das Bekenntnis bleibt unangetastet" noch in unrühmlicher Erinnerung war.59 In der Frage des christlichen Vorbehalts gegenüber jedem Treueid verhielten sich die anordnenden Stellen verschieden. Während in Altpreußen und dann auch in anderen Kirchen die Eideserklärung des Bruderrats akzeptiert und entsprechende Erklärungen der Pfarrer zu den Personalakten genommen wurden, lehnte Kipper in Nassau-Hessen die Annahme jeder Erklärung ab. So mußte sich der Bruderrat auf eine eindeutige Klarstellung über das eigene Eidesverständnis beschränken, die er Kipper im Namen der Pfarrer übersandte. Am Ende kam es darauf hinaus, daß trotz aller schweren Bedenken die große Mehrheit die Voraussetzungen für die Eidesleistung gegeben sah und die Bruderräte den Weg freigaben. In der APU befaßte sich sogar die Bekenntnissynode zweimal mit der Frage und entschied schließlich mit knapper Mehrheit, daß die von ihr selbst erhobenen Einwendungen „als ausgeräumt angesehen werden dürfen", und wies die Pfarrer zur Eidesleistung an. Der Vorgang selbst vollzog sich ganz unterschiedlich: Während in Schleswig-Holstein und Braunschweig die BK-Pfarrer den Eid vor staatlichen Beauftragten oder Notaren leisten konnten, man aus Hamburg sogar den direkten Auftrag des Reichsstatthalters an den Landesbischof zur Abnahme berichtete, wurde andernorts wie in Bremen ausdrücklich jede staatliche Mitwirkung verweigert. In Mecklenburg und Kurhessen geschah die Eidesleistung vor nahestehenden Landessuperintendenten bzw. Kreispfarrern. In Bayern und Württemberg legten die Nationalkirchler den Eid vor einem aus Thüringen entsandten Vertreter ab. Dagegen mußten in Sachsen über 200 Pfarrer, die den Eid, um kirchenpolitischem Mißbrauch vorzubeugen, im Rahmen von BK-Pfarrerversammlungen geleistet hatten, ihn nach entsprechenden Zusicherungen und Entgegennahme einer Eideserklärung nach preußischem Vorbild vor Beauftragten des Kirchenregiments wiederholen.60 Von DC-Seite wurde übrigens hier erklärt, wenn etwa eine solche
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Erklärung mit Hinweis auf das Ordinationsgelübde bedeuten solle, „daß es Fälle geben könne, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen, so würde sich durch eine solche Handlung die ganze schamlose Hinterhältigkeit einer Pfarrerseele offenbaren, die nicht geeignet ist, Seelsorger in einer Landeskirche des Dritten Reiches.. zu sein"!6' So blieb zuletzt nur eine kleine Minderheit bei der Ablehnung. Die größte Zahl von 180 wird aus dem Rheinland genannt, 45 aus Schlesien, 80 aus Württemberg, 59 aus Sachsen; sonst waren es wohl meist nur einzelne.62 Man wird, vor allem im nachhinein, fragen, wie dieser Verlauf der Sache möglich war. Es bestand ja kein Zweifel, daß das Ganze von DC-Seite aufgebracht wurde, um die volle Konformität mit Führer und Reich zu bekunden, und daß die staatlich ernannten Leitungen das Vorhaben im gleichen Sinn aufnahmen, vermutlich auch mit dem Ziel, die BK-Leute auf diesem Weg zur Unterwerfung zu zwingen, da sie sich den Verdacht der politischen Unzuverlässigkeit nicht würden leisten können. Man wird in dem Eindruck nicht fehlgehen, daß auch die Mehrheit in den verantwortlichen BK-Gremien einen Weg suchte, das Gewissen der Pfarrer zu entlasten und ihnen die Möglichkeit zur Eidesleistung zu schaffen, um sie nach Möglichkeit vor dem Makel der Staatsfeindlichkeit zu bewahren. Aber das war natürlich eine Täuschung. 63 Die Quittung erhielt die BK von doppelter Seite: Einmal durch einen offenen Brief von Karl Barth, in dem mit dürren Worten gesagt war, „daß die Behauptung, daß Ihre ,Bedenken' jetzt .ausgeräumt' seien, objektiv nicht wahr ist". „Es muß Ihnen ganz verborgen sein, welcher furchtbaren Kompromittierung der Sache der BK Sie sich damit schuldig gemacht haben, sonst hätten Sie diese Anweisung nicht ausgehen lassen können." Man müsse ihm schon erlauben, daß er trotz seiner ganz anderen Lage, ja „wegen meines gesicherten Ortes jenseits der deutschen Grenzen nicht aufhöre,... Ihnen von Zeit zu Zeit das zu sagen, was man sich im heutigen Deutschland offenbar selbst nicht mehr sagen kann." 64 Wenige Tage später wurde die andere Quittung in Gestalt eines Rundschreibens von Reichsleiter Bormann an alle Gauleiter bekannt, in dem zu lesen stand: „Die Kirchen haben diese Anordnung von sich aus erlassen, ohne vorher die Entscheidung des Führers herbeizufuhren. Dem Eid auf den Führer kommt deshalb lediglich eine innerkirchliche Bedeutung zu." Partei und Staat nähmen dazu keine Stellung, und für die Partei spiele es keine Rolle, „ob ein Geistlicher den Eid auf den Führer geleistet hat oder nicht". Auch der RMkA habe veranlaßt, daß wegen etwaiger Verweigerung des Eides keine Disziplinarverfahren eingeleitet werden 201
sollen.65 Damit waren sie mit einem Mal alle blamiert: Die DC mit ihrem vermeintlich willkommenen Polit-Enthusiasmus, die Ein-Mann-Leitungen, die zweifellos glaubten, der Zustimmung Kerrls sicher zu sein, und jetzt bereits eingeleitete Maßnahmen wieder zurücknehmen mußten, die Mitte-Leute, die trotz mancher Bedenken widerspruchslos gehorcht hatten, und nicht zuletzt die BK, die soviel Mühe aufgewandt hatte, um eine saubere und theologisch verantwortbare Lösung zu erreichen. Der Vorsitzende von VKL und preußischem Bruderrat, Pfarrer Müller, Dahlem, ein in jeder Hinsicht glaubwürdiger Zeuge, bekannte in einem Wort an die Amtsbrüder: „Als wir den Eid zusammen mit der von uns abgegebenen und von der eidfordernden Stelle angenommenen Erklärung leisteten, meinten wir, ein Zeichen dafür aufrichten zu können, daß wir dem Staat das Seine zu geben nach Gottes Willen bereit sind ... Nun haben wir trotz bester Absicht und redlichster Prüfung geirrt. Das macht uns viel Not." 66
„Nur Wiederherstellung der äußeren Ordnung" Erwartete man nach dem Ende der Eidesfrage eine spürbare Erleichterung, konnte davon, jedenfalls in verschiedenen Kirchengebieten, keine Rede sein. Hier sei wieder die Situation in Nassau-Hessen angeführt, wie sie sich nicht nur in der Sicht des Bruderrats, sondern zahlreicher Gemeindepfarrer darstellte. Schon während der Eidesdiskussion hatte Kipper begonnen, gegen BK-Pfarrer wegen Nichtablieferung von Kollekten oder Nichteinhaltung des Dienstwegs Geldstrafen von 50 RM aufwärts zu verhängen. Für BK-Gemeinden galt der Kollektenplan der Bekenntnissynode, und seit Jahren erfolgte die Ablieferung wie überhaupt der gesamte Schriftverkehr über den LBR, da die nach kirchenpolitischen Gesichtspunkten ernannten Dekane nicht anerkannt waren. Jetzt unternahm Kipper den Versuch, durch Ordnungsstrafen seine Position durchzusetzen. Schon im Mai waren über 50 Pfarrer auf diese Weise belangt, im Juli waren es 130, und bis Oktober stieg die Gesamtsumme der Strafen auf 15 600 RM an. Natürlich mehrten sich jetzt die Stimmen, denen Dinge wie Dienstweg, Urlaub oder Kollektenablieferung als unnötige Belastung erschienen. Das war Anlaß zu ernsthaften, auch selbstkritischen Überlegungen. „Sind wir dem derzeitigen staatlichen Kirchenregiment in den Fragen äußerer Ordnung (Dienstweg) Gehorsam schuldig?" hieß eine theologische Ausarbeitung jener Tage. Aus der Kirchengeschichte tauchte mit einem Mal die Frage der Adiaphora wieder auf, jener wertfreien Mitteldinge, die aber im status confessionis, also in der Bekenntnissitua202
tion, ihre Nebensächlichkeit verlieren und zu Entscheidungsfragen werden konnten. Diese Sicht setzte sich gegen alle Einwände und Bedenken durch, und so versuchte man, auch in solchen Punkten standzuhalten, in denen es nach der Propagandathese wie auch der Meinung mancher BKLeute „nur um Fragen äußerer Ordnung" ging. Was in Wahrheit auf dem Spiel stand, zeigten Ausführungen einer Denkschrift, die der Frankfurter LBR weitergab und dann die Kreisbruderräte in eigenen Vervielfältigungen bis an die einzelnen BK-Mitglieder weiterzuleiten suchten - der einzige Weg damals, nachdem nahezu alle gedruckten Informationen unterbunden waren. Darin wurde aus der Stellung des Staates als Volksstaat seine grundlegende doppelte Aufgabe hergeleitet: „von außen als totale Sicherung der Volkseinheit in Gesetzgebung und Verwaltung, von innen gesehen als totale weltanschauliche Erziehung des Volkes. Dies gilt auch für das Verhältnis des Staates gegenüber der Kirche. Die Lösung der zweiten Aufgabe, nämlich die weltanschauliche Ausrichtung der Kirche, setzt die Erledigung der ersten, der rein verwaltungsmäßigen voraus. Demgemäß sind zuerst alle illegalen Instanzen (d. h. also die Bruderräte der BK)... zu beseitigen. Nach Geschichte und eigener Lehre hat die evangelische Kirche kein Recht auf souveräne Verwaltung ... Es würde indes der kirchlichen Befriedung abträglich sein, wenn die staatliche Instanz die ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen unmittelbar, anstatt durch die höchste kirchliche Stelle durchfuhren würde. Eine wirklich loyale, zweckentsprechende Durchfuhrung ist aber nur gesichert, wenn die kirchlichen Behörden mit zuverlässigen Männern besetzt sind..., daß die Legalität nicht zur Tarnung benutzt wird ... Es kann kein Zweifel sein, daß auf diesem kirchlich und staatlich einwandfreien Wege der Einfluß der Bekenntnissynode auf das Kirchenvolk gebrochen wird und der freien, rein geistigen Auseinandersetzung, die unter dem Eindruck des vordringenden NS stehen wird, Raum geschaffen wird. Was sich einer solchen Ordnung widersetzen sollte, wird zahlenmäßig nicht erheblich sein und ist in eine Freikirche abzudrängen. Diese Ordnungsmaßnahmen schaffen den Boden, auf dem die Kirche nach Entpolitisierung zu ihrem eigentlichen Ziel, ihrer religiösen Aufgabe im Volksleben gelangen kann. Die Erreichung dieses Zieles wird gefordert durch die immer mehr in die Tiefe gehende Durchdringung des Volkes mit dem NS-Ideengut, Hand in Hand mit der Selbstbesinnung der Kirche auf ihre eigentliche Aufgabe. Dem hat der Pfarrerstand zu dienen und darauf muß seine ganze Ausbildung abgestellt sein. Hier liegt die Aufgabe der theologischen Fakultäten und der geistlichen Leitung..." Wußte der Bruderrat nicht oder verschwieg man aus Vorsicht, daß dieses Schriftstück von Dr. Muhs, dem maßgebenden Mann im Ministerium Kerrl, stammte, also den offiziellen Kurs wiedergab?67 203
Um diese Ziele also ging es, wenn Geldstrafen bis zu einem Monatsgehalt wegen Anordnung oder Vornahme „illegaler" Ordinationen verhängt wurden oder Kipper junge Pfarrverwalter, die in der Ausschußzeit legalisiert, aber noch nicht definitive Pfarrer waren, unter Drohung der Entlassung zur Anerkennung der gesetzten Ordnung zwingen wollte. Aber trotz anhaltenden Drucks und tatsächlich durchgeführter Entlassung in einer Reihe von Fällen und trotz da und dort feststellbaren Abbröckeins, gelang dem „Ein-Mann-Regime" kein durchgreifender Erfolg. In ähnlicher Weise suchten Klotsche in Sachsen oder verschiedene Konsistorien in Altpreußen den Widerstand zu brechen. Daß es in dieser Zeit für die Bruderräte immer schwieriger wurde, die finanzielle Versorgung der Jungtheologen sicherzustellen - allein in Nassau-Hessen betrug 1938 ihre Zahl zwischen 80 und 100 - und den Gemeinden die Notwendigkeit zusätzlicher Opfer deutlich zu machen, bedarf keiner langen Begründung. In der Zeit des Müller-Jägerschen Unrechtssystems lag die Gefährlichkeit für die Kirche offener zutage als unter einer Juristen-Herrschaft, die „nur die äußere Ordnung" zu sichern vorgab. So konnte in der APU „ein blasser Jurist wie Dr. Werner mit unbeschränkten Vollmachten" im Vergleich zu vorausgegangenen Größen als „ein viel gefahrlicherer Gegner" bezeichnet werden.68
Sturm um die Gebetsliturgie - Brand der Synagogen In diese Zeit des zermürbenden Stellungskrieges traf ein Vorgang hinein, der großes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte und die führenden Männer der BK zum Ziel maßloser Angriffe werden ließ. Ende September stand infolge der angeheizten Sudetenkrise Krieg oder Frieden auf des Messers Schneide. Vorsorglich hatte die VKL am 27. September den Landeskirchenleitungen und Bruderräten die Ordnung für einen Gebetsgottesdienst übersandt, den sie für den Abend des 30. anzusetzen bat. Die Ordnung wurde nur teilweise weitergegeben, sei es weil die intakten Kirchen der VL sowieso distanziert gegenüberstanden, sei es weil man in der aufs äußerste gespannten Situation lieber noch abwarten wollte, oder auch weil man Hemmungen wegen der brisanten Thematik hatte. Der Gottesdienst hat in dieser Form auch kaum irgendwo stattgefunden: am gleichen Tage wurde ja durch das Münchener Abkommen der Kriegsausbruch verhindert und daraufhin mancherorts spontan Dankgottesdienst gehalten. So war einem Großteil der Pfarrer von der Liturgie gar nichts bekannt, und die anderen hatten sie erleichtert zur Seite gelegt. 204
Doch die Gestapo hatte das Schriftstück abgefangen, es aber nicht ordnungsgemäß an das Ministerium Kerrl weitergegeben, sondern der SS zugespielt. In deren Zentralorgan „Das schwarze Korps" erschien plötzlich am 27. Oktober, also einen Monat später, ein überaus scharfer Angriff gegen die „auch staatskirchenrechtlich völlig illegale sogenannte Vorläufige Leitung der deutsch-evangelischen Kirche", in dem unter Herausgreifen einzelner Gebetsformulierungen erklärt wurde: „Solche Gebete haben nichts mehr mit Religion zu tun ... Sie sind politische Kundgebungen des Verrats und der Sabotage an der geschlossenen Einsatzbereitschaft des Volkes in ernsten Stunden seines Schicksals. Schluß damit! Die Sicherheit des Volkes macht die Ausmerzung dieser Verbrecher zur Pflicht des Staates... Die um das Schicksal der anderen besorgten christlichen' Landesverräter finden es nicht notwendig, auch nur mit einem Wort den Segen Gottes auf das eigene Volk und seine Führung zu erflehen." Am Ende hieß es, J e n e politisierenden Kleriker und ihre Klüngel" seien mit ihrer „Gesinnungslumperei" aus der „Gemeinschaft des Volkes getreten", sie, „die zwar mißbräuchlich im Namen Gottes reden, aber in Wahrheit im Auftrage der Feinde des deutschen Volkes handeln!"69 Zur Begründung dieses wütenden Ausbruchs waren drei Passagen herausgegriffen. Zunächst aus dem Schuldbekenntnis, wo nicht nur „die Sünde unserer Kirche, ihrer Leitung, ihrer Gemeinden und ihrer Hirten" bekannt wurde - dies war von der SS unterschlagen - , sondern auch „die Sünden unseres Volkes", die dann den zehn Geboten folgend genannt wurden: „Dein Name ist in ihm verlästert, dein Wort bekämpft, deine Wahrheit unterdrückt worden. Öffentlich und im Geheimen ist viel Unrecht geschehen. Eltern und Herren wurden verachtet, das Leben verletzt und zerstört, die Ehe gebrochen, das Eigentum geraubt und die Ehre des Nächsten angetastet ... Vergib uns und verschone uns mit deinen Strafen... Wenn (weil) aber Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß uns mit Krieg straft ..." - und dies war das andere fluchwürdige Vergehen für das Schwarze Korps, „daß Menschen ... wagen, den Kampf eines Volkes um die Freiheit von 3'/2 Millionen seiner Blutsbrüder, die der drohenden Gefahr bolschewistischer Vernichtung ausgesetzt waren, ... als eine Strafe Gottes hinzustellen". Und der dritte Anstoß, daß nicht unmittelbar für den Führer und seine Vorhaben gebetet wurde. Dafür war die Bitte: „Lenke du den Regierenden in allen Völkern das Herz" natürlich kein Ersatz. So wurde denn auch verschwiegen, daß ausführlich und konkret für „unsere Soldaten" 205
und ihr Schicksal gebetet wurde, für die bangenden Mütter und Frauen in der Heimat mit all ihren kriegsbedingten Aufgaben, für die aus ihrem Lebensgang gerissenen Alten und unbehüteten Jungen. Aber herausgezogen war, daß dann von Versuchungen gesprochen wurde, „welche jeder Krieg mit sich bringt": „Wir gedenken aller, die in Versuchung stehen, grausam Rache zu üben und von Haß überwältigt zu werden. Wir gedenken der Menschen, deren Land der Krieg bedroht, und beten für sie alle zu Gott." Dies alles war für nationalsozialistische Ohren „einfach unfaßbar". Gerade die Tatsache, daß hier ernsthaft versucht wurde, das Gebet nicht zur Huldigung an das Regime und seine Ziele zu mißbrauchen und aller durch die Propaganda überdeckten wirklichen Nöte zu gedenken, war ein Verbrechen. Nur am Rande spielte dann noch der kurz zuvor bekannt gewordene Brief von Karl Barth an seinen Freund Professor Hromädka in Prag eine Rolle, in dem der Satz stand: „Jeder tschechische Soldat, der dann streitet und leidet, wird es auch für uns - und ich sage es heute ohne Vorbehalt: er wird es auch für die Kirche Jesu Christi tun." Die VKL distanzierte sich sogleich von diesen „für sie untragbaren Äußerungen"; hier rede nicht mehr der Lehrer der Theologie, sondern der Politiker. So traf sie hier wenigstens keine unmittelbare Verantwortung.69" Der Artikel im Schwarzen Korps löste ein wahres Trommelfeuer aus. Kerrl in seinem Zorn, nicht unterrichtet worden zu sein, verfügte sofort Disziplinarverfahren mit Suspendierung und totaler Gehaltssperre gegen die Mitglieder der VL. Dann nahm er sich die mit der BK in Verbindung stehenden Bischöfe der intakten Kirchen Hannover, Bayern, Württemberg und Baden vor: zum 29. Oktober zu Besprechungen der Leitungen nach Berlin geladen, sahen sich die vier überraschend zunächst allein Kerrl gegenüber, der sie nicht weniger als fünf Stunden lang unter schweren Druck setzte: „Wir mußten ein wahres Hagelwetter von Vorwürfen über uns ergehen lassen, daß wir bis heute mit diesen Leuten in Gesinnungs- und Arbeitsgemeinschaft gestanden hätten." 70 Schließlich veranlaßte Kerrl sie zu einer Erklärung, die sie anstelle eines geforderten noch schärferen Textes dann selbst formulierten, wonach das Rundschreiben der VL vom 27. September „von uns aus religiösen und vaterländischen Gründen mißbilligt und für unsere Kirchen abgelehnt worden ist. Wir verurteilen die darin zum Ausdruck gekommene Haltung auf das schärfste und trennen uns von den für diese Kundgebung verantwortlichen Persönlichkeiten." Da alle anderen Kirchenleitungen selbstverständlich in der Verwerfung übereinstimmten, konnte das Deutsche Nachrichtenbüro für die gesamte Presse unter der Schlagzeile „Einheits206
front gegen Volksschädlinge" mitteilen: „In einmütiger Geschlossenheit haben sämtliche evangelischen Kirchenregierungen Deutschlands, von den DC bis zu den Landesbischöfen Marahrens, Meiser, Wurm und Kühlewein dem Reichskirchenminister mit ihrer Unterschrift versichert...", und dann folgte der Wortlaut der zitierten Bischofserklärung.700 Die VKL war für die Öffentlichkeit völlig isoliert. Nur die Konferenz der Landesbruderräte („Kodlab") wies am 2. November „den Vorwurf entschieden zurück, als hätten die Männer der VL mit diesem Entwurf eines Gebetsgottesdienstes volks- und staatsverräterisch gehandelt. Sie erklärt, daß die angegriffenen Punkte des Entwurfs unveräußerliches Glaubensgut der christlichen Kirche enthalten. Sie weiß sich mit dem geistlichen Zeugnis der VL und mit ihrer Liebe zum Volke eins."71 Die Folge war, daß die genannten Disziplinarmaßnahmen nun auch gegen die Unterzeichner dieser Solidaritätserklärung verhängt wurden, dann übrigens auch gegen den geschäftsfuhrenden Ausschuß des nassau-hessischen LBR (die Pfarrer Rumpf, Adam, Fresenius, Fricke und Lueken), weil sie trotz gewisser Vorbehalte gegenüber einzelnen Formulierungen - „es fehlt z. B. die Bitte für den Führer und für die Sudetendeutschen" - die Solidaritätserklärung gebilligt hatten.72 Auf die bestürzte Frage, wie es zu dieser Distanzierung der bekenntnistreuen Bischöfe kommen konnte, gibt der zitierte Bericht Wurms Auskunft: Nicht nur die Leitungen, auch Pfarrer und Bruderratsmitglieder hätten die Gebetsordnung für einen „Mißgriff' gehalten; Stellen in den Gebeten konnten den Eindruck erwecken, „als ob sie nicht an den gerichtet seien, zu dem wir beten, sondern an irdische Adressen, und die darin ausgesprochene Buße konnte als eine scharfe Anklage wiederum gegen bestimmte menschliche Stellen und Handlungen politischer Art verstanden werden." Also die politische Auswirkung hätten die Verfasser in einem so ernsten Augenblick bedenken müssen. „Wir standen nun vor der Frage, ob wir der anderen Seite den bequemen Vorwand liefern sollten, die Verweigerung einer Erklärung gegen uns politisch auszuschlachten und unsere Landeskirchen dafür büßen zu lassen. Wir konnten uns dazu nicht entschließen, weil wir zwar gerne bereit sind, aus rein kirchlichen und religiösen Gründen alles auf uns zu nehmen, weil wir uns aber nicht für verpflichtet fühlen, unter den Folgen eines politischen Mißgriffs anderer zu leiden und eine kirchliche Position, z. B. wie sie die württembergische Landeskirche auch noch heute hat, preiszugeben." Also die Gefahr des politischen Mißverständnisses und die Gefahrdung der eigenen Kirche waren entscheidend. So argumentierte auch Marahrens in seinem hannoverschen „Wochenbrief': „Solche Vermischung von 207
Geistlichem und Politischem ist bei uns immer auf den allerstärksten Widerstand gestoßen." Sein eigener Gebetstext begann: „Unser Gebet gilt dem Führer, der im Ringen mit dem Bolschewismus wissen muß, daß wir mit dem Einsatz aller unserer Kräfte zu diesem seinem Werke stehen ... Unser Gebet gilt den Brüdern, die, mit uns eines Blutes, durch ungerechte Verträge und feindliche Gewalt von uns ferngehalten worden sind."73 Dies war also keine „Vermischung von Geistlichem und Politischem", offenbar weil es mit den Zielen der „Obrigkeit" konform ging! Auch wurde dies alles erst nach der Veröffentlichung im Schwarzen Korps gesagt. Noch am 13. Oktober hatte man im „Kasseler Gremium" mit den Männern der VL zusammengesessen, ohne Kritik laut werden zu lassen. Man wird es im Rückblick schon erschütternd nennen müssen, wie groß auch bei bekenntnisgebundenen Kirchenleuten die Blindheit hinsichtlich der notwendigen politischen Relevanz des christlichen Zeugnisses gewesen ist. Es war in der Tat die VL, die außer durch die Liturgie selbst noch in einem Rundschreiben vom folgenden Tage eine Neubesinnung über die Aufgabe der Kirche angesichts von Krieg und Frieden in Gang zu setzen suchte: „Wir dürfen nicht geistlich ungerüstet sein, wenn wir in einen Krieg gehen. Die Männer, die 1914-1918 im Felde standen, wissen, wie schmählich damals weithin die Kirche in ihrer Verkündigung versagt hat." Im Blick auf „die ungeheure Leidenschaft, die zum Kriege fuhrt und den Kriegswillen zu stärken sucht", heißt es dann: „Wir greifen in ein fremdes Amt, wenn wir politische Propaganda treiben, in welchem Sinne es auch sein möge ... Nimmt der Krieg Leib und Seele der Völker gefangen, so soll die Kirche bezeugen, daß Gott den Menschen als sein Eigentum mit Beschlag belegt, es sei im Frieden oder im Krieg." Sie kann weder den heiligen Krieg ausrufen noch Waffen segnen noch auch den Krieg religiös verklären. „Vielmehr müssen wir wissen und bekennen, wenn der Krieg wirklich kommt: Gott sucht uns heim!" Dann wird von den konkreten Folgen, der Grausamkeit des Todes im Massensterben, der Befähigung zu starken Kräften, aber auch der Entfesselung aller Kräfte der Unterwelt gesprochen; und gegenüber dem verbreiteten Fehler der Kriegspredigt von 1914-18, daß sie „sich von der Politik den Stoff, das Ziel und die Norm geben ließ", werden wir unsere mit der Ordination übernommene Pflicht „um so besser... erfüllen, je nüchterner und klarer wir das reine Evangelium verkündigen. Es wird sich erweisen, daß die evangelische Verkündigung die letzte und höchste Aktualität besitzt."74 Hier war etwas wie ein Wort der BK zum Kriege, nach dem man oft gefragt hat. Dies konnte, wo es wirklich bedacht wurde, traditionsgebun208
dene Blindheit durchstoßen, auch wenn es keine konkrete Weisung sein konnte. Nach dem durch den massiven SS-Angriff und die Strafmaßnahmen mit nachfolgenden zahllosen Verhören, Untersuchungen und Verfahren ausgelösten Schock waren die Mitglieder der VL in der nächsten Zeit weithin lahmgelegt. „Die leitenden Brüder handelten weiter nach ihrem Auftrag und wehrten sich, so gut es ging, gegen ihre Verfolger. Aber sie konnten die alte Kraft nicht mehr einsetzen."75 Ausgenommen war zunächst nur Fricke, Frankfurt, der schon das ganze Jahr über Einreiseverbot nach Berlin hatte und darum an der Gebetsliturgie gar nicht beteiligt war, ja nicht einmal vorher davon wußte. Aber wegen der Solidaritätserklärung geriet er dann auch in das Verfahren mit Ziel der Dienstentlassung. Noch Mitte November entsprach er der Forderung, sich von der VL zu distanzieren, nicht, bat aber kurz danach Müller, Dahlem, ihn im Blick auf die Unmöglichkeit mitzuarbeiten, aus der VL zu entlassen. Danach zeichneten nur die übrigen vier die künftigen Äußerungen. In diese für die leitenden Brüder äußerst schwierige Situation fiel am 9./10. November der Brand der Synagogen. Die Tatsache, daß die gesamte zentrale Führung der BK gelähmt war, erklärt wenigstens, warum es zu keiner gemeinsamen Äußerung dazu gekommen ist. Entschuldigt werden soll es damit nicht. Die Landesbruderräte hätten noch eine Möglichkeit dazu gehabt. Aber zum Teil standen sie selbst unter scharfem Beschuß, und der Schock von wenigen Tagen zuvor saß zu tief. So blieb nur, ob die einzelnen Pfarrer in der Predigt am 13. oder dem Bußtag, dem 16. November, ein Wort dazu sagten. Einige Beispiele sind bekannt geworden, einzelne wurden dafür zusammengeschlagen. Im Advent hat ein „Kirchentag der BK" in Berlin - anstelle der nicht zustande zu bringenden Bekenntnissynode - wenigstens rückschauend etwas dazu gesagt: „Wir stehen erneut vor der Tatsache, daß viele Diener der Kirche an der Ausübung ihres Dienstes gehindert werden und aus ihrem Amt entfernt werden sollen. Die einen haben sich in der Stunde drohender Kriegsgefahr zu dem Auftrag der Kirche bekannt, für das ganze Volk Buße zu tun und Vergebung und Bewahrung vor Gottes Gericht zu erflehen, und sie sind daraufhin des Landesverrats bezichtigt worden. Andere haben auch angesichts des Vorgehens gegen die Juden die zehn Gebote Gottes mit Ernst gepredigt und sind dafür verfolgt worden .. ,"76 Die Gemeinden wurden ermahnt, „sich der leiblichen und seelischen Not ihrer christlichen Brüder und Schwestern aus den Juden anzunehmen". Nur dies, aber allein das war damals schon schwer genug („Judenknechte!"). Zu einem Eintreten für die Juden insgesamt reichte offen209
sichtlich die Kraft nicht. Es war das schwerste Versäumnis während des Kirchenkampfes. Freilich, nachdem man in den Anfangen kein klares Wort dazu gefunden hatte, war es jetzt auch schon fast zu spät. Noch eine Folgeerscheinung hatte die „Reichskristallnacht" bzw. der vorausgegangene Mord in Paris, die die Kirchen anging: Nachdem die Pfarrer, zu deren Amtspflichten zuvor mehrere Wochenstunden Religionsunterricht gehört hatten, seit einiger Zeit, zuletzt zum Schuljahresbeginn Ostern 1938 systematisch aus den Schulen entfernt und ihre Stunden fast ausnahmslos von anderen Lehrkräften übernommen werden mußten, legten diese jetzt reihenweise den RU nieder. Erst die Archive machten offenbar, daß dieser Schritt durch ein Telegramm des NSLehrerbundes veranlaßt war, das nach dem in einem hessischen Kreis aufgefundenen Text lautete: „Auf Grund des Vorgefallenen der letzten Nacht fordert die Reichswaltung des NSLB alle (Mitglieder?) auf, den RU mit sofortiger Wirkung niederzulegen, da wir eine Verherrlichung des jüdischen Verbrechervolkes in allen deutschen Schulen nicht mehr länger dulden können"! 77 Dies rief nun wiederum Kultusminister Rust auf den Plan, da der RU ordentliches Lehrfach war und schon aus Gründen des öffentlichen Aufsehens nicht wegfallen durfte. In einem Ministerialerlaß, der nicht veröffentlicht werden sollte, wurden die Lehrer unter der Zusicherung, daß von ihnen „insbesondere bei der Darstellung des Judentums nichts verlangt wird, was den Grundsätzen des NS zuwiderläuft", zur Abgabe einer neuen verbindlichen Erklärung veranlaßt. Nur „tatsächlich ernste Gewissensbedenken" könnten eine Niederlegung rechtfertigen, die jetzt vielfach aus anderen Gründen erfolgt sei.78 Daraufhin wurde der RU von zahlreichen Lehrern wiederaufgenommen. Andernorts fiel er auch aus, soweit man jetzt nicht doch wieder auf einzelne Pfarrer zurückgreifen mußte. Daß statt eines bloß formell erteilten, innerlich ausgehöhlten RU eher die Niederlegung zu wünschen sei, sprach der erwähnte Kirchentag aus.79 Es gab treue christliche Lehrer, die bis zum Ende standhielten, aber auch viele andere, deren „RU" mit christlichem Glauben nichts mehr gemein hatte. Schon im Januar 1938 hatte die hessische Landesregierung verfugt, die Erziehung habe „einheitlich im Geiste des NS zu erfolgen", und dies gelte auch für den RU: „Stoffe, die dem Sittlichkeitsempfinden der germanischen Rasse widersprechen, sind nicht zu behandeln. Große Teile des AT können daher für den Unterricht nicht in Frage kommen, die übrigen werden stark in den Hintergrund treten müssen."80 210
Neuer Anlauf Kerrls - Einigungswerk in
Nassau-Hessen
Hatte sich Kerrl nach allen Fehlschlägen monatelang völlig zurückgezogen und das Ministerium seinem forschen Vertreter Muhs überlassen, entwickelte er, kurz bevor die Gebetsliturgie für Aufsehen und Erregung sorgte, unerwartet einen neuen Plan, der dann als „Oktoberprogramm" bezeichnet wurde. Vermeintlich gedeckt durch die in Hitlers Wahlerlaß proklamierte „eigene Bestimmung des Kirchenvolkes"81 und zugleich beeinflußt durch persönliche Kontakte mit Kreisen der Mitte, vor allem dem theologischen Leiter der „Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft", Theodor Ellwein,82 und durch Veröffentlichungen des Religionspädagogen Helmuth Kittel, schwebt ihm jetzt eine Sammlung von der Mitte her unter besonderer Mitarbeit der Laien vor. Unter „Ausschluß der zanksüchtigen Theologen" glaubte man in Laienkreisen der Mitte noch am ehesten eine Zusammenfassung aller aufbauwilligen Kräfte und die Lösung der Kirchenfrage erreichen zu können. Dies alles war wohl der Hintergrund des Entwurfs, den Kerrl an jenem 29. Oktober, als er die vier Bischöfe gesondert vornahm, den Kirchenfuhrern vorlegte und in Ellweins „Rundbrief der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft" veröffentlichen ließ: Danach soll „die in der Verwaltung bestehende Verflechtung weltlich-juristischer und geistlich-theologischer Angelegenheiten ... dem Grundsatz nach gelöst", die weltlich-juristische Verwaltung in der Kirchenkanzlei der DEK zusammengefaßt werden und als „selbständige Verwaltung der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts ... der Aufsicht des Reichs" unterliegen. Demgegenüber blieben die geistlichen Angelegenheiten - aufgeführt in 13 Punkten von kirchlicher Lehre bis zu Kollektenplänen - „der freien und selbständigen innerkirchlichen Regelung durch eine Synode überlassen". Diese soll „nicht einer der in der Kirche heute miteinander kämpfenden Strömungen zum Durchbruch verhelfen", sondern der Tatsache Geltung verschaffen, „daß in der evangelischen Kirche alle vereint bleiben sollen, die an Christus glauben", und „hat demnach die ihr übertragenen Arbeiten im Geist christlicher Duldsamkeit und Nächstenliebe zu behandeln und ihrer Lösung zuzuführen". Übrigens sollte bei Besetzung von Pfarrstellen „tunlichst die Einigung aller Beteiligten erzielt werden ..., andernfalls für den Einzelfall die Besetzung an die weltliche Verwaltung übergeht"! Ein dritter Abschnitt stellte fest, daß in der DEK „keinerlei Bestrebungen geduldet werden, die sich gegen den NS-Staat und die Geschlossenheit der deutschen Volksgemeinschaft richten. Daher ist die straffe Handhabung einer äußeren Disziplin unbeschadet der evangelischen Gewissensfreiheit... erforderlich." Darum werde „eine Beamtenordnung und eine Disziplinarordnung erlassen, die an das Deutsche Beamtengesetz und die Reichsdienststrafordnung angeglichen werden ... 211
Die evangelische Gewissensfreiheit der Geistlichen und Kirchenbeamten wird garantiert, jedoch kann sich niemand für die Störung der äußeren Disziplin und Ordnung auf seine religiöse Überzeugung berufen; insbesondere ist der Gottesdienst nicht die Stätte für den Austrag politischer oder theologischer Meinungsverschiedenheiten."83 Die Tendenz des Ganzen war zu offensichtlich - Beschränkung der kirchlichen Aktionsfreiheit auf den „geistlichen" Bereich, unter gleichzeitiger Bindung des gesamten Gefiiges an die staatliche Aufsicht und Sicherstellung der politischen Linientreue - , als daß die auf Art. 1 der DEK-Verfassung stehenden Kirchenfiihrer hätten zustimmen können. In einer von zehn Landeskirchenleitern unterschriebenen Stellungnahme vom 7. November erklären sie insbesondere als unaufgebbar: „Auch bei einer Neuordnung muß die geistliche und weltliche Verwaltung der Kirche in einer sich gegenseitig bestimmenden Art verbunden sein." „An der unantastbaren Grundlage der DEK" - nach Art. 1 der Verfassung; Kerrl aber wollte dies der Entscheidung der künftigen Synode überlassen! „... muß festgehalten werden." „Das staatliche Aufsichtsrecht muß so gestaltet und gehandhabt werden, daß der Kirche die Regelung ihrer Angelegenheiten selbst überlassen bleibt."84 Nach diesem Ergebnis setzte Kerrl zwar die weitere Ausarbeitung des Programms durch Bildung dreier Arbeitskreise unter starker Beteiligung von Nichttheologen und die Benennung von Persönlichkeiten für eine kommende Synode fort, erklärte jedoch gleichzeitig den Kirchenfiihrern gegenüber: „Meine Hoffnung, daß auch über diesen Vorschlag Einmütigkeit unter den Landeskirchen erzielt werden könnte, hat sich nicht erfüllt. Ich werde mich nunmehr darauf beschränken, nur in jenen Landeskirchen, bei denen durch den Rücktritt der Ausschüsse eine Lücke in der Betreuung der geistlichen Angelegenheiten entstanden ist, eine Regelung im Sinne meines Vorschlages vorzunehmen." 85 Die Kirchenfiihrer reichten zwar im Januar dem Minister nochmals detaillierte Vorschläge ein, die vom Reichsbund der evangelischen Pfarrervereine aufgenommen, der gesamten Pfarrerschaft zugeleitet und von über 11 000 Pfarrern gebilligt wurden.86 Aber auch das konnte Kerrl nicht zur Annahme bewegen. Für sein eigenes, so groß aufgezogenes Programm blieb es bei Planungen und Gutachten der Arbeitskreise. Von einer starken Unterstützung aus Kreisen der Mitte konnte bei deren Zersplitterung und schwachen Potenz keine Rede sein. Auch die Idee jener als Vorbereitung der Wahl gedachten „Vorsynode" blieb Gedankenspiel. Aber dieses zum Mißlingen verurteilte Programm hatte, wenigstens indirekt und regional, noch ein 212
unerwartetes Echo. In Nassau-Hessen nämlich war aufmerksam registriert worden, daß Kerrl in seinem resignierenden Brief vom 21. November erstmals eingestanden hatte, daß in den vier Ein-Mann-Kirchen „eine Lücke in der Betreuung der geistlichen Angelegenheiten" bestand. Auch war hier weit über die BK hinaus die Überzeugung gewachsen, daß der unerträgliche und für die kirchliche Arbeit bedrohliche Zustand der Landeskirche nicht länger andauern dürfe, daß aber andererseits eine Überwindung nicht zuerst von Berlin zu erwarten sei, sondern in der eigenen Kirche in Angriff genommen werden müsse. Aus der Einsicht, daß der Augenblick der eingestandenen Lücke nicht ungenutzt bleiben dürfe, ergaben sich Kontakte zwischen dem früheren Bruderratsvorsitzenden Veidt, Frankfurt, dem Führer der Mitte-Gruppe, OKR Dr. Müller, Darmstadt, und - dem einstigen, nun seit drei Jahren entmachteten Landesbischof Dietrich! Nach ersten Sondierungen in Berlin, die jedenfalls nicht von vornherein auf Ablehnung stießen, suchten die drei Genannten eine Verständigung darüber, wie es als erstes zu einer geistlichen Leitung für Nassau-Hessen kommen könne. In eingehenden internen Beratungen zwischen Vertretern der verschiedenen Gruppen, bei denen Dietrich seinen früheren Weg als Irrweg bezeichnete, ergab sich trotz aller Schwierigkeiten Übereinstimmung in der Grundlage des Art. 1 der DEK-Verfassung wie auch in den gemeinsam anzugehenden Zielen. So konnte die nassau-hessische Bekenntnissynode auf ihrer sechsten Tagung am 16. Dezember 1938 unter bestimmten Voraussetzungen ihr Einverständnis mit dem „Einigungswerk" oder der „Arbeitsgemeinschaft DietrichMüller-Veidt" erklären. Bei einer von über 600 Pfarrern der Landeskirche besuchten Versammlung am 25. Januar 1939 in Frankfurt wurde das Vorhaben von der großen Mehrheit gutgeheißen. Bis Februar hatten 782 Pfarrer, Hilfsprediger und Vikare von insgesamt etwa 900 zugestimmt.87 Wie war das Ganze zu beurteilen? Hatte hier die BK nicht doch unter dem übermächtigen Druck ihre viel beschworenen Grundentscheidungen aufgegeben und einen vielleicht eher gangbaren Kompromiß gesucht? Nun, daß es nach über fünfjährigem Kampf Zermürbungserscheinungen gab, war nur natürlich. Bis zum Jahresende hatte sich die Lage noch zusätzlich verschärft: 23 Pfarrvikare der BK waren, sicher nicht ohne Zutun des Kirchenregiments, aus ihren Gemeinden ausgewiesen - bis April sollten es 45 werden - , so daß sich schon Überlegungen über eine Konzentration auf das Unaufgebbare und ein Zusammengehen mit anderen, die über die Gewaltmethoden ebenso empört waren, aufdrängten. Auf der anderen Seite aber wurde seitens der Gesprächspartner keineswegs 213
erwartet, daß die BK jetzt ihre Geschlossenheit und kirchenregimentliche Tätigkeit aufgebe, im Gegenteil müsse sie diese durchhalten, bis eine von den Gemeinden bejahte geistliche Leitung wirklich vorhanden und anerkannt sei, deren vordringliche Aufgabe die Legalisierung der Jungtheologen sein müsse. Der einstige Landesbischof bescheinigte der BK, daß sie die Dinge wirklich durchschaut habe, während er noch ein willenloses Werkzeug der Partei gewesen sei.88 Der LBR machte sich die Entscheidung schwer, konnte aber dann vor der Pfarrerversammlung erklären, er habe den Sätzen der drei Männer zugestimmt „in der Gewißheit, daß in diesen Sätzen die in Barmen getroffene Entscheidung inhaltlich gewahrt ist". Im einzelnen stimmte man darin überein, daß die „weltliche Verwaltung so umzugestalten (ist), daß eine echt kirchliche Leitung nicht mehr in Frage gestellt ist", und „daß die geistliche Leitung der Kirche die DC nationalkirchlicher Prägung nicht umfassen kann", sondern „eine klärende Scheidung erfolgen muß". „Auch eine staatlich anerkannte Leitung bedarf echter kirchlicher Berufung. Für die BK bedarf sie der Beauftragung durch die Bekenntnissynode", erst danach „ruhen die kirchenregimentlichen Befugnisse des LBR".89 Auch bei kritischer Beurteilung wird man nicht sagen können, daß hier Substanz preisgegeben war. Eher lag der wohl seltene Fall vor, daß die Sprecher der beiden anderen Gruppen und damit die große Mehrheit der Pfarrerschaft die Anliegen der BK anerkannten und damit alsbald auch in Gegensatz zu der Ein-Mann-Leitung wie zum Minister selbst gerieten. Kipper bemühte sich, schon durch vorzeitige Bekanntgabe und auf andere Weise das Ganze zu Fall zu bringen, und der Minister dachte nicht daran, eine wirklich eigenständige kirchliche Leitung zuzulassen. Statt dessen bestätigte er in einem Erlaß vom 28. Februar ausdrücklich die Leitungsbefugnis Kippers einschließlich Ausübung aller kirchenregimentlichen Befugnisse. Gegen den Zusammenschluß von Geistlichen zur Pflege geistlicher Angelegenheiten bestünden keine Bedenken unter der Voraussetzung, daß dadurch die Befugnisse der Leitung der Landeskirche nicht beeinträchtigt würden. „Eine Anerkennung als .geistliche Leitung' kommt nicht in Frage."90 Damit war dem „Einigungswerk" eine klare Absage erteilt. Da man dort keinen offenen Konflikt mit dem Minister wollte, auch der Zusammenschluß trotz großer Unterstützung in der Pfarrerschaft nicht kräftig genug war, hinterließ das hoffnungsvoll begonnene Unternehmen, das möglicherweise ein Modell hätte werden können, keine greifbaren Wirkungen. Kerrl war nicht bereit, vom Konzept der staatlich gelenkten Kirche Abstriche zu konzedieren. 214
Letzter Versuch: Die Godesberger Erklärung Nach dem Scheitern einer Verständigung mit den Landeskirchenführern und dem Ende seiner Arbeitskreise wandte sich Kerrl im Frühjahr 1939 nach der anderen Seite, der „Nationalkirchlichen Einung PC", die sich durch Ausschluß von den vorangehenden Verhandlungen brüskiert sah. Doch gelang es, ihre führenden Vertreter Leffler, Leutheuser, Oberheid zur Mitarbeit zu gewinnen, an der dann auch stärker der Mitte zugehörige Vertrauensleute Kerrls wie Ellwein, Kittel, Schomerus, Stapel beteiligt waren. Als erstes praktisches Ergebnis waren drei Verordnungen Werners für die APU anzusehen 9 ': über Versetzung von Pfarrern im Interesse des Dienstes, Besetzung der Pfarrstellen durch die Kirchenbehörde und Regelung des Minderheitenschutzes - also DC-Gruppen in bekenntniskirchlich geleiteten Gemeinden und umgekehrt, hauptsächlich zugunsten der ersteren angewandt - , dazu für die DEK eine Disziplinarordnung für Pfarrer und Kirchenbeamte, in der unter den Amtspflichten „insbesondere die Treuepflicht gegenüber Führer, Volk und Reich" eine entscheidende Rolle spielte. Mit diesem ganzen Verordnungswerk, das auch von Sachsen und Nassau-Hessen übernommen wurde und energischen Widerspruch der BK auslöste92, wurde die Unabhängigkeit des Pfarrers und jede Mitwirkung der Gemeinde bei Be- und Versetzungen beseitigt sowie die Disziplinargewalt einschließlich der Bestimmung der Richter in die Hände der Bürokratie gelegt. Schließlich folgte noch die Aufforderung Werners an die Landeskirchen, „die Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes jetzt für die Geistlichen und Kirchenbeamten sinngemäß anzuwenden", und dies bedeutete die Einführung des Arierparagraphen auf dem Verwaltungswege!93 Das Verordnungswerk sollte begleitet werden von einer Grundsatzerklärung, die „mit dem unbeugsamen Willen, den Kirchenstreit einer positiv-christlichen Entscheidung entgegenzufuhren", Christentum und NS-Weltanschauung ins rechte Verhältnis zueinander setzen und die Kernpunkte der religiösen Auseinandersetzungen beantworten sollte. Sie nannte sich nach dem Verabschiedungsort „Godesberger Erklärung", in ihr sprachen „Vertreter der Nationalkirchlichen Einung DC und Männer aus verschiedenen Kreisen evangelischer Pfarrer und Laien".94 Ihr Gewicht erhielt sie erst dadurch, daß wenige Tage später, am 4. April 1939, sämtliche elf deutschchristlichen Landeskirchenleiter, die damit erstmals gemeinsam auftraten, im Gesetzblatt der DEK eine „Bekanntmachung" 215
veröffentlichten, die entscheidende Aussagen von Godesberg in Form von Grundsätzen zusammenfaßte: „ 1. Jedes überstaatliche oder internationale Kirchentum römischkatholischer oder weltprotestantischer Prägung ist politische Entartung des Christentums. Echter christlicher Glaube entfaltet sich fruchtbar nur innerhalb der gegebenen Schöpfungsordnungen. 2. Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum. 3. Der Kampf des NS gegen jeden politischen Machtanspruch der Kirchen, sein Ringen um eine dem deutschen Volke artgemäße Weltanschauung sind nach der weltanschaulich-politischen Seite hin Fortsetzung und Vollendung des Werkes, das der deutsche Reformator Martin Luther begonnen hat. Mit der in diesem Kampfe neu gewonnenen echten Unterscheidung von Politik, Weltanschauung und Religion wird aber von selbst auch das wahre Verständnis des christlichen Glaubens wieder lebendig. 4. Voraussetzung für ein ehrliches religiöses Ringen, für Wachstum und Ausbreitung eines wahren christlichen Glaubens im deutschen Volk, sind Ordnung und Toleranz innerhalb der bestehenden Kirchen." Zugleich wurde als „erste Gemeinschaftsarbeit" vor allem die „Gründung eines Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben des deutschen Volkes" angekündigt.95 Diese „Bekanntmachung" erregte über Deutschland hinaus Aufsehen. Die Repräsentanten des im Aufbau begriffenen Ökumenischen Rates in Genf sahen sich zu einer Kundgebung veranlaßt, nach der u. a. die nationale Gliederung der Kirche „nicht ein notwendiges Element ihres Lebens" ist, aber „Anerkennung der geistlichen Einheit aller derer, die in Christus sind, abgesehen von Rasse, Nation und Geschlecht" zu ihrem Wesen gehört. „Das Heil kommt von den Juden", darum freut sie sich „der Gemeinschaft mit denen aus der jüdischen Rasse, die das Evangelium angenommen haben." Rechte Unterscheidung zwischen Politik, Weltanschauung und Glauben diene dazu, „klarzumachen, daß Jesus Christus nicht einige, sondern alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist und daß die Kirche seine Herrschaft über alle Gebiete des Lebens einschließlich Politik und Weltanschauung zu verkündigen hat". Das unter Leitung des Bischofs Heckel stehende Außenamt der DEK, dessen konformistische Rolle im Kirchenkampf lange bekannt war96, beeilte sich, telegrafisch „sofortige Zurückziehung der Kundgebung" zu fordern, „die Kompetenzen weit überschreitet, von falscher Beurteilung der tatsächlichen gesamtkirchlichen Lage in Deutschland ausgeht und eine unerträgliche Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten darstellt"!97 216
Jene Bekanntmachung aufgrund der Godesberger Erklärung sollte die Grundlage „zu der notwendigen Neugestaltung der Kirche" bilden. Doch sah wohl Kerrl selbst, daß es kaum gelingen konnte, die bekenntnistreuen Bischöfe für diesen, nationalkirchlichen Geist atmenden Text zu gewinnen, nachdem schon aus Kreisen der Mitte Bedenken laut geworden waren. So ließ er im Mai eine veränderte Fassung ausarbeiten, auf die er auch selbst Einfluß nahm und von der er die Annahme aller Landeskirchenleiter erhoffte. Dieser neue Text ist sehr viel stärker von der kirchlichen Tradition geprägt, nimmt ein bestimmtes Verständnis der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre im Sinne der Trennung von Glaube und Politik auf und versucht auf diese Weise, die Kirche auf die NS-Weltanschauung als rein politische Lebensäußerung festzulegen. Die Aufgabe der Kirche wird dann in scheinbar ganz bekenntnistreuer Weise als Verkündigung der Offenbarung Gottes in Christus im reformatorischen Verständnis definiert. Auch an anderen Stellen waren die „Grundsätze" durch Umstellung und Abmilderung annehmbarer zu machen gesucht. Auch hieraus seien die wichtigsten Sätze wiedergegeben: „1. Die Evangelische Kirche hat von Martin Luther gelernt, die Bereiche der Vernunft und des Glaubens, der Politik und der Religion, des Staates und der Kirche scharf zu unterscheiden. Die NS-Weltanschauung ist die völkisch-politische Lehre, die den deutschen Menschen bestimmt und gestaltet. Sie ist als solche auch für den christlichen Deutschen verbindlich ... 2. Das Evangelium gilt allen Völkern und allen Zeiten. Die Evangelische Kirche hat aber von Martin Luther gelernt, daß wahrer christlicher Glaube sich nur innerhalb des von Gott geschaffenen Volkstums kraftvoll entfalten kann. Wir lehnen daher den politischen Universalismus römischer und weltprotestantischer Prägung entschieden ab. 3. Die NS-Weltanschauung bekämpft mit aller Unerbittlichkeit den politischen und geistigen Einfluß der jüdischen Rasse auf unser völkisches Leben. Im Gehorsam gegen die göttliche Schöpfiingsordnung bejaht die Evangelische Kirche die Verantwortung für die Reinerhaltung unseres Volkstums. Darüber hinaus gibt es im Bereich des Glaubens keinen schärferen Gegensatz als den zwischen der Botschaft Jesu Christi und der jüdischen Religion der Gesetzlichkeit und der politischen Messiashoffnung." Ziffer 4 enthielt den von Kerrl selbst beigefügten Satz über die Aufgabe der Verkündigung der Kirche.98 Inzwischen wurde durch die Forschung dargetan, daß in dieser Neufassung, mit deren Formulierung Ellwein beauftragt war, eine Reihe von Gedanken des erwähnten Helmuth Kittel aufgenommen sind, darüber hinaus aber auch Kerrls eigene Auffassungen über „Weltanschauung und 217
Religion - NS und Christentum", die er unter diesem Titel zu veröffentlichen gedachte.99 Aber auch diesmal trog seine Hoffnung auf einhellige Zustimmung. Jetzt erhoben auch einige DC-Leute, die die erste Fassung unterschrieben hatten, Widerspruch, und die Kirchenfiihrerkonferenz unter Vorsitz von Marahrens konnte sich nur unter dem Vorbehalt einer Reihe von Umformulierungen zur Annahme der Grundsätze entschließen. In ihrer von neun Kirchenleitern unterzeichneten Stellungnahme vom 31. Mai war u. a. im ersten Satz der Ziffer 1 das „scharf 1 durch „klar zu unterscheiden" ersetzt, die beiden Sätze über die NS-Weltanschauung gestrichen und dafür der letzte Satz ergänzt: „Sie fordert von ihren Gliedern treuen Dienst in dieser Ordnung und weist sie an, sich in das völkisch-politische Aufbauwerk des Führers mit voller Hingabe einzufügen." In Ziffer 2 war aus dem „nur" innerhalb des von Gott geschaffenen Volkstums ein „besonders kraftvoll" geworden, und der letzte Satz mit seiner pauschalen Disqualifizierung alles Ökumenischen durch die Formulierung ersetzt: „Wir lehnen daher in der ökumenischen Arbeit jede Verfälschung in der Richtung auf einen politischen Universalismus ab" wobei man fragen kann, was darunter eigentlich verstanden wurde. In dem besonders kritischen 3. Grundsatz war der erste Satz gestrichen und durch den Satz 3 ersetzt, ebenso „gibt es keinen schärferen Gegensatz" durch „besteht der scharfe Gegensatz", und war ergänzt durch den Zusatz: „die auch schon im AT mit allem Nachdruck bekämpft ist". An die Stelle des 2. Satzes trat die Fassung: „Im Bereich des völkischen Lebens ist eine ernste und verantwortungsbewußte Rassenpolitik zur Reinerhaltung unseres Volkes erforderlich." An dem von Kerrl selbst beigesteuerten 4. Grundsatz von der Verkündigungsaufgabe der Kirche war dagegen nichts auszusetzen. Er war freilich von Kerrl her gesehen auch nur denkbar unter der Prämisse der Beschränkung auf das „rein Religiöse" und der gleichzeitigen Verpflichtung der Kirche auf die NS-Weltanschauung als „völkisch-politische Lehre", bei deren Kritik sie sich der Grenzüberschreitung in den politischen Bereich schuldig machen mußte.100 Aber diese Umformulierung, mit der die Kirchenfiihrerkonferenz glaubte, Kerrl bis zur äußersten Grenze entgegengekommen zu sein, stieß auf dessen strikte Ablehnung. Er verlangte von den Mitgliedern der Konferenz ebenso wie den jetzt widersprechenden DC die vorbehaltlose Unterzeichnung seiner Fassung: Nur mit ihr „in einstimmiger Annahme durch sämtliche Kirchenfuhrer" werde er in den Stand gesetzt, „entscheidende Schritte zur Neuordnung der Kirche zu unternehmen und auch eine grundsätzliche Änderung der Stellung einflußreicher Kreise zu Kir218
che und Christentum zu erlangen".101 Da diese einstimmige Annahme nicht zu erreichen war, verlief auch das mit der Godesberger Erklärung eingeleitete Unternehmen im Sande. Zu ihrer Erschütterung mußten die Mitglieder der Kirchenführerkonferenz Ende Juni durch eine Verlautbarung der hannoverschen Kirchenregierung erfahren, daß ihr Vorsitzender Marahrens sich schließlich doch zur Unterzeichnung der Kerrlschen Sätze entschlossen hatte, worin Bischof Johnsen für Braunschweig voranging und Pfarrer Happich für Kurhessen folgte. Der Sachverhalt wurde bald überall bekannt, da die hannoversche Pfarrerbruderschaft scharfen Widerspruch erhob und auch Wurm und Meiser ihren Gemeinden und Pfarrern am 1. August Aufklärung über die Vorgänge geben mußten. 102 Gegen Ende des Sommers hatte Kerrl, wie sich aus einem persönlichen Brief von Anfang September ergibt, völlig resigniert: „Mir ist... jede Befugnis zur Ausübung eines Zwanges in Richtung auf die Herstellung einer Rechts- und Verwaltungseinheit der Evangelischen Kirche völlig entzogen. Der Führer hält seine Bemühungen, die Evangelische Kirche zur Vernunft zu bringen, für mißlungen und die Evangelische Kirche mit Rücksicht auf ihren Zustand mit Recht für einen nutzlosen Sektenhaufen."103 Seit Ende 1937 von Hitler nicht mehr empfangen, war Kerrl in der Partei mehr und mehr isoliert und hatte maßgebliche Leute wie Rosenberg, Bormann und Heß gegen sich. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß dieser Mann, den Wurm aus zahlreichen Begegnungen sicher mit Recht als „Halbwisser und Vielschwätzer"104 charakterisiert hat, der auf seine Weise aber von der Idee einer Verständigung zwischen NS und Christentum, wie er es verstand, erfüllt war und damit auch den gegenkirchlichen und gegenchristlichen Tendenzen des Kreises um Rosenberg begegnen wollte - seine Hitler zugedachte Schrift „NS und Christentum", die aber dann nicht veröffentlicht werden durfte, sollte eine Art „AntiRosenberg" darstellen - , daß er mit all seinen Versuchen Schiffbruch erlitt und zunehmend ausgeschaltet wurde. Nach seinem überraschenden Tod am 14. Dezember 1941 soll Hitler geäußert haben: „Kerrl hatte die besten Absichten und wollte eine Synthese zwischen NS und Christentum erreichen. Ich glaube nicht, daß das möglich ist; das Hindernis liegt im Christentum selbst... Das wahre Christentum - das Christentum der Katakomben - will die christlichen Lehren in die Tat umsetzen. Das führt einfach zur Vernichtung der Menschheit. Unter dem metaphysischen Firlefanz verbirgt sich schlechterdings nichts anderes als Bolschewismus."105 219
Doch war Kerrl auch Opfer der Schwankungen in Hitlers Kirchenpolitik. Ihm schwebte zunächst, neben Beseitigung des ärgerlichen Kirchenstreits, noch ein starkes evangelisches Gegengewicht gegenüber der katholischen Seite vor. Als Kerrl das nicht erreichen konnte, ließ er ihn fallen und gab mit dem Zerrinnen seiner eigenen Wahlidee auch dieses Ziel auf. Ein neues Konzept aber - außer einer in der Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 angedrohten völligen Trennung von Staat und Kirche wurde nicht erkennbar. Scheute er erneute Konflikte? So ließ er Bormann freie Hand in den neu gewonnenen „konkordatsfreien" Gebieten, und Kerrl, ohne Weisung gelassen, blieben nur seine eigenen begrenzten und fruchtlosen Ordnungsversuche. Dafür stand nur fest, daß die Kirche sich vor allem rückhaltlos dem NS-Staat und seiner Weltanschauung einzufügen habe.106 Dagegen jedoch gab es nur ein ernsthaftes Hindernis: die bei allen Schwächen und allem Schwanken doch zuletzt in den Grundfragen nicht zu Kompromissen bereite BK. Darum mußte sie ausgeschaltet werden. Hatte er zu Anfang seiner Tätigkeit auch dieser Seite wenigstens formell Gehör geschenkt, war es damit praktisch zu Ende, als die Bruderräte die von ihm als unzulässig erklärten kirchenregimentlichen Befugnisse nicht aufgaben und die BKPfarrer sich noch immer daran hielten. Dieser Unbotmäßigkeit, in der er die eigentliche Gefahr für seine Pläne sah, versuchte er mit allen Mitteln ein Ende zu machen. Nachdem die zweifellos mit seiner Zustimmung verhängten innerkirchlichen Ordnungs- und Disziplinarstrafen nicht halfen und die meist seit 1938 mit staatspolizeilicher Hilfe angestrengten zahllosen gerichtlichen Strafverfahren wegen Kollektenerhebung vor allem fiir die Jungtheologen der BK zum größeren Teil infolge allgemeiner Amnestien im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen niedergeschlagen werden mußten, blieb schließlich, falls keine anderen Handhaben im Einzelfall möglich waren, nur ein Doppeltes: gegen die illegalen jungen Theologen die staatspolizeiliche Ausweisung - jetzt halfen uns die intakten Kirchen, die viele aufnahmen und ihnen auch, falls nicht schon geschehen, legales Schlußexamen und Ordination ermöglichten - und gegen legale Pfarrer die Sperre der staatlichen Pfarrbesoldungszuschüsse. Im Herbst 1938 verfügte Kerrl fiir Preußen, diese Zuschüsse, die aufgrund älterer Rechtsverpflichtung an leistungsschwächere Gemeinden gezahlt wurden, bei solchen Pfarrern zu sperren, „die gegen Gesetze und Anordnungen des Staates verstoßen" und sich damit „der Fürsorge des Staates unwürdig erwiesen" haben. Nach entsprechenden staatspolizeilichen Ermitt220
lungen waren davon beispielsweise in Nassau-Hessen bis Frühjahr 1939 etwa ein Dutzend Pfarrer betroffen, im Sommer aber waren es allein im Rheinland bereits 90.107 Daß die BK nicht in die Knie zu zwingen war, sondern trotz Ermüdens und Abbröckeins noch immer existierte, erfuhr Kerrl auf Schritt und Tritt: Preußischer Bruderrat und Bekenntnissynode arbeiteten weiter und gaben eindeutige Stellungnahmen ab, ähnliches, wenn auch in geringerem Umfang, geschah auch anderwärts, die ,Kodlab' war hörbar, auch die angeschlagene VKL äußerte sich spätestens seit Anfang 1939 wieder offen und ausfuhrlich zu den brennenden Fragen. Für Kerrl mochte es neben dem schwindenden Einfluß in Staat und Partei sein größter Groll gewesen sein, daß es ihm nicht gelang, diesen Störenfried auszuschalten. Um sein so groß angelegtes Unternehmen nicht völlig versanden zu lassen und wenigstens seine Ankündigung wahrzumachen, er werde in den vier Ein-Mann-Kirchen die vorhandene Lücke der geistlichen Leitung beseitigen, erließ er am 24. August eine „Ausfuhrungsanweisung zur 17. Verordnung...", wonach die den Verwaltungsspitzen übertragenen Leitungsbefugnisse „in Zukunft vornehmlich und grundsätzlich nicht die Regelung der folgenden Arbeitsgebiete" umfassen, und nun werden genannt alle Aufgaben geistlicher Natur von kirchlicher Lehre und Verkündigung, Gottesdienst und Unterweisung, Einweihung gottesdienstlicher Räume, Ausbildung, Prüfung und Seminaren, Ordination und Einführung, Bestellung von Bischöfen und Senioren bis hin zur Aufstellung von Kollektenplänen. Dies alles solle „künftig im Rahmen der bestehenden obersten kirchlichen Verwaltungsbehörde unter Leitung von Persönlichkeiten erfolgen, die in der Pfarrerschaft der Landeskirche das notwendige Vertrauen finden". Ebenso sollen Berufung, Versetzung und Abberufung von Geistlichen nicht ohne Beteiligung dieser Vertrauensleute vorgenommen werden.108 Dies hätte ein erster Schritt sein können. Doch die betroffenen Verwaltungsleiter hintertrieben es sogleich. In Nassau-Hessen versicherte sich Kipper der Unterstützung des Gauleiters Sprenger, dessen willfahriges Werkzeug er war, und konnte eine Verwirklichung abwenden, obwohl durch das von über 90% der Pfarrerschaft gebilligte Einigungswerk die Voraussetzungen gegeben waren. Eine solche Regelung sei für die bisher nationalsozialistisch geleitete Landeskirche untragbar, ließ Sprenger Kerrl wissen, und Kipper selbst verlangte ein Verbot der kirchenpolitischen Tätigkeit von Dietrich, Müller und Veidt.109 Der Kriegsausbruch am 1. September kam ihm und den anderen drei Kirchenleitern zu Hilfe. Die Bildung von Vertrauensräten entfiel. 221
7. Reden und Schweigen der Kirche während des Krieges Der Kriegsausbruch brachte auch für die Kirchen in mancher Hinsicht eine veränderte Situation, die freilich wie immer in der Kirchenpolitik des Dritten Reiches ein doppeltes Gesicht hatte. So gewiß Staat und Partei ihre eigentlichen Ziele gegenüber Kirche und Christentum nicht aufgaben, wie sich im Laufe der Kriegsjahre immer deutlicher zeigen sollte, so überwog doch zunächst der Eindruck einer spürbaren Erleichterung.
Erleichterungen und neue Erschwernisse Durch allgemeine staatliche Amnestie vom 9. September erledigten sich auch die zahllosen laufenden Strafverfahren gegen BK-Pfarrer, vor allem wegen der Kollektenfrage oder anderer „Delikte". Auf eine entsprechende Verordnung Werners vom 9. Oktober wurden auch kirchliche Strafmaßnahmen aufgehoben und Disziplinarverfahren, „soweit eine geringere Strafe als Entfernung aus dem Amt zu erwarten ist", eingestellt.1 Es verlautete, die oberste Führung habe Aktionen gegen die Kirchen unterbunden. Das Wort Burgfrieden machte die Runde. Dazu kam psychologisch für eine wachsende Zahl von BK-Leuten vor allem der jungen Generation, daß sie mit der Einberufung zum Wehrdienst von einem Tag zum andern aus ihrer Rolle politisch unzuverlässiger Existenzen in den Stand geachteter Staatsbürger versetzt und den täglichen Nachstellungen der Gestapo entzogen waren. Dies ließ manche den Tag der Einberufung geradezu herbeiwünschen, wogegen freiwillige Meldungen weit seltener waren, als oft angenommen wird. Auch die - ergebnislose - Meldung Niemöllers am 7. September 1939 aus Sachsenhausen zur Kriegsmarine entsprang nicht patriotischer Begeisterung, sondern geschah auf dringendes Anraten der Freunde einschließlich Bonhoeffers, da man ihn vor einer als Kriegsfolge befürchteten Liquidierung von KZ-Häftlingen bewahren wollte." Die Hoffnung freilich, daß gerade im Blick auf den Kriegsdienst mit allen Konsequenzen nun die Anerkennung der großen Zahl illegaler junger BK-Theologen ohne Unterwerfungsreverse erreichbar sein werde, Bonhoeffer gibt im Herbst 1941 für Altpreußen die Zahl der von der BK Geprüften mit über 2000 an, von denen mehr als 1500 im Felde standen 2 , in Nassau-Hessen waren schon ein Jahr früher von 153 insgesamt 107 im 222
Wehrdienst3 - wurde enttäuscht. Auch die Ausweisungen der 52 Illegalen in Nassau-Hessen wurden nicht aufgehoben, sogar noch durch einige Fälle vermehrt, wobei die Staatspolizei zugleich betonte, dies erfolge nicht, weil die Betreffenden „als Staatsfeinde angesehen werden, sondern lediglich deshalb, weil sie sich der ordnungsmäßigen Landeskirche nicht unterstellt haben und somit als illegale Pfarrvikare ohne Auftrag der Landeskirche tätig waren" 4 , woraus man wohl auf die Anreger zu dieser Maßnahme schließen darf. Erst eine Eingabe des altpreußischen Bruderrates an höchste militärische Stellen und die dadurch ausgelöste Intervention des Oberkommandos der Wehrmacht führte dazu, daß Kerrl Anfang März 1940 die Kirchenbehörden aufforderte, sie möchten „gegen Bekenntnisgeistliche, die zur Zeit Dienst in der Wehrmacht tun, sowie gegen deren Angehörige keinerlei Maßnahmen treffen, die die Dienstfreudigkeit dieser Geistlichen im Heer mindern". Dazu gehöre, daß ihre Pfarrstellen, auch wenn sie illegal eingewiesen seien, nicht anderweitig besetzt und ihre Familien nicht aus Pfarrhäusern herausgesetzt werden sollen. Auch für Illegale sei Familienbeihilfe zu gewähren.5 Es traten also in dieser Hinsicht einige Erleichterungen ein. Ausgeschlossen bei alledem waren „Verletzung der Treuepflicht gegen Führer, Volk und Reich" (Werner) oder Vergehen gegen das „Heimtückegesetz" (Kerrl). So galt denn auch mit Kriegsbeginn die erhöhte Aufmerksamkeit der Gestapo etwaigen staatsfeindlichen oder -abträglichen Äußerungen von Pfarrern. In Nassau-Hessen wurden bereits im September drei Pfarrer verhaftet, zwei unter der Beschuldigung, daß sie sich in ihrer Predigt am 3. September kritisch zum Kriegsgeschehen geäußert hätten (das deutsche Volk habe einen zu kriegerischen Geist; Volk und König müßten gläubig sein, wenn sie einen Krieg gewinnen wollten);6 der eine davon war über ein Jahr im KZ Sachsenhausen. Die Gestapostelle Frankfurt schreibt im Januar 1940 sogar von „zahlreichen Maßnahmen, die seit Beginn des Krieges gegen BK-Geistliche erforderlich waren" und die gezeigt hätten, „daß die BK in offener und versteckter Form gegen den Staat hetzt und die Heimatfront unterminiert". 7 Ob es mit solcher Häufung zusammenhing, daß Hitler sich veranlaßt sah, am 24. Juli 1940 durch den RMdl den Reichsstatthaltern und Oberpräsidenten vertraulich mitteilen zu lassen, „daß der Führer alle nicht unbedingt notwendigen Maßnahmen zu vermeiden wünscht, die das Verhältnis des Staates und der Partei zur Kirche verschlechtern könnten"? 8 Naturgemäß erfuhr man in der BK von dieser Anweisung nichts. Sie hinderte auch nicht, daß immer wieder einzelne Eingriffe wie Redever223
böte, Verhaftungen und KZ-Einlieferungen erfolgten. Mochte der Durchschnitt der in der Heimat Verbliebenen davon auch weniger betroffen sein und die Nachrichten darüber nur mit zunehmenden Schwierigkeiten zu den Vertrauensleuten der Gemeinden gelangen, so wurde doch bald bis in die entlegensten Gemeinden hinein spürbar, daß die unter der Firmierung „kriegsbedingter Maßnahmen" ergehenden Anordnungen in vielfacher Hinsicht auf die Erschwerung kirchlicher Arbeit hinausliefen. Da wurden unzureichend Heizmaterialien für die Kirchen zugeteilt, Gottesdienste in nichtkirchlichen Räumen oder Privathäusern verboten, Abendveranstaltungen eingeschränkt. Das Sammeln von Feldpostanschriften durch die Pfarrämter, noch im September von Werner empfohlen, um Gemeindegliedern draußen einen Gruß zukommen zu lassen, wurde bereits Ende 1939 in verschiedenen Gebieten verboten und im Sommer 1940 das Hinaussenden christlicher Druckschriften überhaupt untersagt. Wichtige diakonische Einrichtungen der Gemeinden wie Schwesternstationen und Kindergärten wurden ihres kirchlichen Charakters entkleidet und in NSV-Trägerschaft überfuhrt, auch kirchliche Anstalten, wo es erreichbar war, verstaatlicht. Im Mai 1941 wurde die gesamte kirchliche Presse, abgesehen von den Amtsblättern und fünf wissenschaftlichen Zeitschriften, eingestellt, „um Menschen und Material für andere kriegswichtige Zwecke freizumachen". 9 Die vielfach gewünschte Mitwirkung von Pfarrern bei Weihnachtsfeiern in Heimatlazaretten wurde unterbunden und Seelsorge in Krankenhäusern nur noch gestattet, wenn ein Patient sie ausdrücklich erbat. Wo in verwaisten Gemeinden freie Mitarbeiter Gottesdienste, Konfirmandenunterricht und Seelsorge übernahmen, unterlagen sie häufig scharfer Überwachung und Schikanen. Soweit illegale Pfarrvikare noch tätig sein konnten, versuchten die Kirchenbehörden vielfach, sie mit Drohungen zur Unterwerfung zu nötigen. Blieben sie fest, mußten sie damit rechnen, dem Arbeitsamt gemeldet und zu einer „nutzbringenden" Tätigkeit dienstverpflichtet zu werden. Um die Jahreswende 1940/41 werden aus Altpreußen 13 und aus der Kirchenprovinz Sachsen weitere sieben solcher Dienstverpflichtungen gemeldet.10 So wurde denn die Schlinge immer enger gezogen. Dennoch kamen alle diese Maßnahmen - vom Ende der Kirchen- und Gemeindeblätter abgesehen - keineswegs überall lückenlos zur Durchfuhrung. Entscheidendes hing von der mehr oder weniger radikalen Haltung der regionalen oder auch örtlichen Parteigrößen ab - so taten sich beispielsweise die Reichsstatthalter Mutschmann in Sachsen, Sprenger in Hessen und Murr 224
in Württemberg darin besonders hervor aber die Parteiinstanzen waren wiederum auf die bereitwillige Mitarbeit der staatlichen, kommunalen und Polizeidienststellen angewiesen, bei denen nicht selten unter der Hand auch Schutz und Hilfe zu erfahren war." Insbesondere aber wich man oft dort zurück, wo Gemeinden eine entschiedene Haltung einnahmen und man Unruhe fürchtete. So gab es denn rücksichtslose Unterdrückung auf der einen und doch auch wieder Lebensraum und Ausweichmöglichkeiten für kirchliche Arbeit auf der anderen Seite, wie es durchaus zutreffend so beschrieben wurde: „Durch den Kompetenzenwirrwarr, durch eine taktische Verständigungsbereitschaft der Kirchen und durch örtliches Zusammenspiel kirchlicher, staatlicher und parteiamtlicher Instanzen hat es zeitenweise gewisse Handlungsspielräume und Schlupfwinkel gegeben, die Selbstbehauptung der Kirchen und Hilfs- und Rettungsmaßnahmen überhaupt ermöglichten"12, ein Zustand freilich, der je länger desto zermürbender war und über dessen Ausgang bei erfolgreichem Kriegsende sich niemand mehr Illusionen hingeben konnte.
Die kirchliche Stellung zum
Kriegsgeschehen
Wie stand die evangelische Kirche und im besonderen die BK diesem Krieg selbst gegenüber? Gewiß, die Hintergründe durchschauten viele nicht, zumal es der Propaganda gelang, den Polenfeldzug als bloße Reaktion auf provozierende Angriffe hinzustellen.13 Natürlich gab es auch Skepsis hinsichtlich des „Überfalls" auf den Sender Gleiwitz. Aber man darf von heute her nicht übersehen, daß es auch Menschen, die längst wußten, was sie von dem NS-System zu halten hatten, widerstrebte, sich auf Meldungen von Auslandssendern zu verlassen, die man auch für Propaganda hielt. Dies war überhaupt das Dilemma, das man weder zu lösen noch ihm auszuweichen vermochte: Wenn einem auch das ganze System zutiefst zuwider war, so fühlte man sich doch dem Schicksal des Volksganzen verpflichtet und nicht berechtigt, sich davon zu distanzieren. So sind wir denn, soweit wir altersmäßig dafür in Frage kamen, ohne Widerstand mit in diesen Krieg gegangen, - natürlich auch darum, weil Verweigerung Selbstmord bedeutete. Von Begeisterung konnte in der Kirche wie auch im Volk insgesamt keine Rede sein. Man ergab sich in das Unabwendbare. Doch gab es zugleich unüberhörbare Unterschiede und Gegensätze, wie sich kirchliche Stellen zu dem Geschehen äußerten. 225
Im Blick auf die amtliche Kirche ist zunächst nachzutragen, daß kurz nach Erscheinen von Kerrls Ausfuhrungsanweisung zur 17. Durchführungsverordnung (s. oben S. 221), wonach die Ein-Mann-Kirchenleitungen in Altpreußen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Nassau-Hessen künftig keine geistlichen Funktionen mehr wahrnehmen, sondern diese unter Leitung von Vertrauensleuten der Pfarrerschaft geschehen sollten, Werner sich als Leiter der Kirchenkanzlei der DEK drei Tage vor Kriegsausbruch zu einem überraschenden Schritt veranlaßt sah: „Im Bewußtsein um die großen und verantwortungsvollen Aufgaben, die der DEK mit der gegenwärtigen ernsten Lage des deutschen Volkes zuwachsen, und deren Gewicht noch schwerer werden wird, wenn es dem Führer nicht gelingen sollte, ohne Einsatz der Waffen Ehre und Lebensrecht der deutschen Nation zu sichern", bat er die Kirchenfiihrerkonferenz, ihm „einen geistlichen Vertrauensrat aus führenden Männern der Kirche zuzuordnen, mit dem zusammen ich namens und im Auftrage der DEK diejenigen Entschließungen zu fassen und diejenigen Maßnahmen zu treffen habe, die sich aus der Verpflichtung der evangelischen Kirche gegen Führer, Volk und Staat ergeben und ihren geordneten und umfassenden Einsatz zu seelsorgerlichem Dienst am deutschen Volke zu fordern geeignet sind".14 Aufgrund der Vorschläge der Konferenz berief er dann Landesbischof Marahrens, Hannover, den DC-Bischof Schultz, Schwerin, und den Oberkonsistorialrat Hymmen vom EOK Berlin zu Mitgliedern dieses Geistlichen Vertrauensrates, der nach Zustimmung Kerrls vom nächsten Tage alsbald seine Arbeit aufnahm. Er war von da an mit Werner zusammen Sprecher der offiziellen DEK. Was von diesem Vertrauensrat zu erwarten war, machte seine erste Äußerung, ein „Aufruf der DEK" vom 2. September deutlich, der begann: „Seit dem gestrigen Tage steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blute heimkehren darf. Die deutsche evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Worte Gottes gereicht..." Beigefugt waren ein Wort an die Gemeinden, in dem es hieß: „Die Entscheidung ... ist gefallen: Unser deutsches Volk ist aufgerufen, für das Land seiner Väter, fiir seine Freiheit und seine Ehre zu den Waffen zu greifen", und ein Gebet, das mit den Sätzen schloß: „... Herr, du willst, daß die Völker in Gerechtigkeit und Freiheit leben nach den ewigen Gesetzen, in die du alles menschliche Leben eingefügt hast. Segne du unseren Kampf für die Ehre, für die Freiheit, für den Lebensraum des deutschen Volkes und sein Brot... Segne und schütze du unseren Führer, wie 226
du ihn bisher bewahrt und gesegnet hast, und laß es ihm gelingen, daß er uns einen wahrhaftigen und gerechten Frieden gewinne, uns und den Völkern Europas zum Segen und dir zur Ehre."15 In gleicher vorbehaltloser Zustimmung hieß es in der Kanzelabkündigung zum Erntedankfest: „Der Gott, der die Geschicke der Völker lenkt, hat unser deutsches Volk in diesem Jahr noch mit einer anderen, nicht weniger reichen Ernte gesegnet. Der Kampf auf den polnischen Schlachtfeldern ist, wie unsere Heeresberichte in diesen Tagen mit Stolz feststellen konnten, beendet... Wie könnten wir Gott dafür genugsam danken! Wir danken ihm, daß er unseren Waffen einen schnellen Sieg gegeben hat Wir loben dich droben, du Lenker der Schlachten, und flehen, mögst stehen uns fernerhin bei."16 Das war das Wort der amtlichen Evangelischen Kirche zum begonnenen Kriege. Eine Äußerung der Leitung der BK zum Kriegsausbruch hat es nicht gegeben. Von der VKL war angesichts der noch nicht ausgestandenen Folgen der Gebetsliturgie vom Voijahr - diese Verfahren waren, da politisch begründet, natürlich nicht eingestellt - ein erneutes Wort nicht zu erwarten. Auch der preußische Bruderrat verwarf den Gedanken wieder, „weil es schließlich unmöglich erschien. Wir erblickten in dem Ereignis ein heraufbeschworenes Gericht Gottes über unser Volk und seine Regierung. In dieses Gericht sahen wir uns hineingezogen und meinten, es duldend ertragen zu müssen." 17 Dennoch versuchte man da und dort, die Pfarrer in der jetzt besonders schweren Aufgabe der Verkündigung nicht allein zu lassen. So sprach Günter Jacob in seinem hellsichtigen und tapferen Vortrag vor Pfarrern der Niederlausitz über „Die Verkündigung der Kirche im Kriege" vom „Zusammenbruch jener schauerlichen kirchlichen Pseudoprophetie" während des Ersten Weltkrieges und kennzeichnete die Aufgabe: „Wir können uns nicht, wie es die staatskirchlichen Behörden tun, als Funktionäre zur Pflege und Stärkung der seelischen Widerstandsenergien den militärischen Kommandostellen in empfehlende Erinnerung bringen ... Wohl uns, wenn wir wissen, welch ein schamloser Mißbrauch des Namens Gottes und der Autorität des geistlichen Amtes es ist, wenn wir politische Urteile und politische Deutungen der Ereignisse als Kanzelabkündigung oder als Predigtsätze zu dogmatischen Wahrheiten erheben!"1» Schon am 5. September warnt der nassau-hessische Bruderrat die BKPfarrer gerade jetzt vor der Wahl freier Texte, wobei „wohl unsere Menschengedanken voll zu Worte kommen, aber nicht mehr oder viel zu 227
wenig das, was Gott uns sagen will". Als Leute, die mit ihrem Volk verwachsen sind und an seinen Kämpfen und Leiden teilnehmen und deren Glaube angefochten ist, müssen wir der angefochtenen Gemeinde „bezeugen, daß Gott immer wieder auch der verborgene Gott ist, und müssen den Blick ihres Glaubens dorthin lenken, wo er seine Barmherzigkeit offenbart hat: am Kreuz und in der Auferstehung Jesu Christi". Auch das Beten der Gemeinde muß sich durch die Rangordnung des Vaterunser bestimmen lassen: „In der Hingabe an Gottes Willen ... bringt die Gemeinde auch ihre irdischen Anliegen vor Gottes Thron. Mit dem Gebet ums tägliche Brot bittet sie auch um den rechten Weg fiir alle Obrigkeit, insonderheit für den Führer unseres Volkes, daß sie sich regieren lasse vom Willen Gottes und ausrichte, was zu unserem Besten dient. Sie bittet, daß allem bösen Rat, aller Ungerechtigkeit und Lüge in der Welt gewehrt werde."19 Und Karl Gerhard Steck sprach mit seinen „Grundlinien unserer gegenwärtigen Verkündigung" die besondere Versuchung an: „Während wir wohl alle einig sind, daß ... die Identifizierung der Sache Gottes mit der irdischen Sache eines kämpfenden Volkes verhältnismäßig leicht zu vermeiden sei..., erliegen wir alle viel leichter der Gefahr, in eines der vielen Ausweichgleise mit unserer Predigt einzubiegen", und dann werden die weit verbreiteten Rückzugswege genannt: „die Linie der sogenannten rein religiösen Innerlichkeit", die „die Not des Zusammenlebens der Völker" ausklammert; „eine apokalyptisch-eschatologische Sicht der Dinge", die, ausschließlich angewandt, „eine Lähmung der Verantwortlichkeit... für die Dinge... auch des öffentlichen Lebens" bedeutet; und „eine verharmlosende und verwischende Verallgemeinerung (unseres Redens) und eine Entschärfung aller notwendigen konkreten Zuspitzung". 20 Die Aufgabe wurde mit dem allen wahrlich nicht einfacher, und es wird sich kaum ein Prediger von damals von derartigen Ausweich versuchen freisprechen können. Aber es war gut, daß auf solche Weise Gewissen geschärft und Versuchungen beim Namen genannt wurden. Als Grundsatzäußerung zum Kriegsproblem selbst ist nur eine „Theologisch-ethische Besinnung" bekannt geworden, verfaßt von Peter Brunner und anonym durch Vervielfältigung verbreitet.21 Sie zeigt exemplarisch, wie stark die überkommene Tradition auch das Denken derer bestimmte, die durch die Entwicklung des Kirchenkampfes in mancher Hinsicht zu neuen Erkenntnissen gefuhrt worden waren. So setzt die Arbeit programmatisch ein mit „der Unterschiedenheit des geistlichen Reiches Christi und des weltlichen Reiches der Staatsgewalt" und entwickelt 228
von daher den auch von den Christen bejahten „rechten Gebrauch der Gewalt in den Händen des weltlichen Regimentes". Recht gebraucht wird sie, „wenn ihre Anwendung das Zusammenleben der ihr unterworfenen Menschen ermöglicht und erhält", und das „schließt als ultima ratio die Tötung lebendiger Menschen ein". Als solche ultima ratio stehen Hinrichtung und Krieg auf einer Ebene: „Der Krieg ist die Exekution, die eine Staatsgewalt zur Erhaltung und Sicherung des Lebens ihrer Untertanen einer anderen Macht gegenüber vornimmt, von der die Bedrohung der Existenz des eigenen Volkes ausgeht." Die Verantwortung für einen solchen Schritt tragen die Inhaber der Staatsgewalt allein vor Gott: die theologische Ethik sieht „keine Möglichkeit dafür, daß die Untertanen ihrerseits die Staatsgewalt zur Verantwortung ziehen". Sie „kann weder für den Tyrannenmord noch für den Revolutionskrieg einen Erlaubnisschein ausstellen". Zu der schwersten Frage aber, ob eine Staatsführung mit Recht zum Kriege greift oder es sich um einen ungerechten Krieg handelt, kommt die Besinnung zu dem Schluß: „Praktisch dürfte eine solch eindeutige Feststellung in unserem Weltzeitalter kaum möglich sein... Es müßten schon ganz abnorme Verhältnisse vorliegen, wenn das persönliche, private Urteil vollkräftig dem Urteil der verantwortlichen Träger der Staatsgewalt gegenübergestellt werden dürfte." So werde man eher Luthers Rat befolgen und „den gewissen Gehorsam um ungewissen Rechtes willen nicht schwächen". Gehorche ich dem Befehl, dann gilt: „Die letzte Verantwortung für jeden Schuß, den ich als Soldat im Kriege abgebe, trägt der Inhaber der Staatsgewalt, der den Befehl zur Kriegsführung gegeben hat." Mit Erwägungen dieser Art haben auch die BK-Leute, soweit ihnen der Gehorsam nicht ganz außer Frage stand, der Einberufung zum Kriegsdienst Folge geleistet. Viele erfuhren dann freilich auch, daß sich die Gewissensfrage, ob das Mitmachen zu verantworten sei, je länger desto weniger unterdrücken ließ. Tatsache aber ist, so schwer dies im Nachhinein zu begreifen sein mag, daß der Gedanke an Kriegsdienstverweigerung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gar nicht aufkam - natürlich auch darum, weil das Todesurteil sicher war. Zwei Glieder der BK, der Stettiner Kaufmann und Sekretär des deutschen Versöhnungsbundes Dr. Hermann Stöhr und der Wuppertaler Jurist und Justitiar der VKL Dr. Martin Gauger, dieser nach mißlungener Flucht, haben wegen „Zersetzung der Wehrkraft" ihr Leben eingebüßt. Für die allermeisten aber, auch in der BK, war die Tradition noch ungebrochen. Der nassau-hessische Bruderrat glaubte sich sogar von einem seiner Jungtheologen tren229
nen zu müssen, der zur Verweigerung entschlossen war, da die BK diese Belastung nicht tragen könne; dank verständnisvoller Militärs konnte er schließlich noch in der Sanität untergebracht werden. Über die damalige Situation hier noch das Votum zweier selbstkritischer Zeugen: Professor Hermann Schlingensiepen, der Leiter des wegen Anschluß an die BK aufgelösten kirchlichen Auslandsseminars in Ilsenburg, schrieb später: „Wie in aller Welt konnten wir damals so blind sein? ... Wie gegenüber den Juden versagten die Christen in Deutschland auch angesichts des ungerechten Krieges." Und er zitiert das Wort eines anderen, mit dem ihm die Situation am besten getroffen zu sein schien: „... im ganzen ist es 1939, nach den Niederlagen und nach dem Versagen der BK wohl weithin so gewesen, daß wir an die ,Überwinterung' dachten und daß wir wenig Lust dazu verspürten, in den Rachen des verendenden Untiers zu springen. An einen Sieg Hitlers wird wohl kaum einer von uns je gedacht haben."22 Und der spätere Magdeburger Bischof Johannes Jänicke, damals und noch weit übers Kriegsende hinaus tapferer Gemeindepfarrer in Ostpreußen, spricht von der Last auf seiner Seele, wenn er „an die Stellung der B K . . . , auch an mein eigenes Verhalten angesichts dieses verbrecherischen Krieges denke. Auch ich habe mich ja im August 1939 zu Hitlers Wehrmacht einziehen lassen ... Das wiegt fiir mich um so schwerer, als ich doch seit langem als Kriegsgegner und Antimilitarist eine deutlichere Erkenntnis hatte als viele ... Im Grunde erlagen doch viele Christen im ,Dritten Reich' einer weit verbreiteten Haltung, die ich heute als grundfalsch erkennen muß: Wir leisteten zwar an einzelnen Punkten, wo es um den Glauben und die Kirche ging, Widerstand und erlitten dafür Haft, Haussuchungen und andere Schikanen. Aber wir bemühten uns doch immer zugleich, unter Beweis zu stellen, daß wir auch unter Hitler keine schlechteren Staatsbürger waren als die anderen."» Nur einige wenige wußten, daß Karl Barth die Organe der damaligen Ökumene zu einem Wort an die Christen in Deutschland zu bewegen suchte, um ihnen den Charakter dieses Hitler-Krieges zum Bewußtsein zu bringen und ihnen zu sagen: „Eure Sache ist nicht gut! Ihr irrt euch! Laßt von diesem Hitler! Hände weg von diesem Krieg, der ganz allein sein Krieg ist!"24 Es ist bekanntlich dazu nicht gekommen. Für die Ökumeniker gab den Ausschlag, daß man den Christen in Deutschland nicht von außen ihr Verhalten vorschreiben dürfe, zumal nicht ein Verhalten, „das mit Sicherheit im Martyrium enden und für die Kirche die ernste230
sten Folgen haben würde".25 Auch die unmittelbar vor Kriegsausbruch noch am Gespräch mit Barth beteiligten BK-Leute: Ernst Wolf, Günther Dehn, Helmut Gollwitzer, sahen das ganze Gewicht der Tradition, in der die Ablehnung eines prinzipiellen Pazifismus zumeist nur dazu gedient hatte, „die Hemmungen gegenüber der Kriegsbeteiligung auszureden". Weil eine konkrete christliche Anrede und Ermahnung, sich an bestimmter unrechter Gewalt nicht zu beteiligen, „so gut wie nie geschehen" war, „darum wagten wir damals nicht, Barth zuzustimmen, darum schreckten wir vor dem Ungewohnten zurück und unterließen es, das auszudrücken, was wir doch klar erkannten. Die Unterlassungen der Ahnen belasten die Entscheidungen der Enkel."26 Jedenfalls wäre eine ökumenische Aufforderung, wie sie Barth vorschwebte - ebenso wie sein Brief im Voijahr an Hromädka - im ganzen auf schroffe Ablehnung der BK gestoßen, auch wenn es möglicherweise nicht ganz ohne Wirkung geblieben wäre, wenn statt zwei vielleicht 20 BK-Leute in den Tod gegangen wären. Aber es mußte wohl erst zu dem Schock der Demaskierung dieses verbrecherischen Krieges und dem sich dann aufdrängenden Bewußtsein des Versagens kommen, um jene übermächtige Tradition zu erschüttern. Übrigens war auch Dietrich Bonhoeffer, der wie in der Judenfrage so auch im Kriegsproblem klarer sah als andere - „es scheint mir mit meinem Gewissen unvereinbar, an einem Krieg unter den gegenwärtigen Umständen teilzunehmen" sich darüber im klaren, er würde nach Lage der Dinge seinen Brüdern „einen ungeheuren Schaden zufügen, wenn ich an diesem Punkt Widerstand leistete; dies würde nämlich von dem Regime als typisches Beispiel für die Feindseligkeit unserer Kirche gegen den Staat angesehen werden".27 Die ganze verzweifelte Ratlosigkeit der damaligen Situation mag eine kleine Szene beleuchten: Nachdem in einer BK-Pfarrerversammlung am 19. September 1939 in Frankfurt K.G. Steck seine oben zitierten „Grundlinien unserer gegenwärtigen Verkündigung" vorgetragen hatte, nahm der Pfarrer der gastgebenden Gemeinde nach Tagungsende einige Bruderratsmitglieder mit hinauf in seine Wohnung, da eine Sondersendung angekündigt war, und wir hörten Hitlers Rede nach seinem Einzug in Danzig, wo er triumphierend den Sieg über Polen und die Heimkehr Danzigs ins Reich verkündete. Wir saßen schweigend, tief bedrückt, bis einer nach Ende des Triumphgeschreis in die Stille hinein sagte: „Es gelingt ihm doch wahrhaftig alles!" Damit soll nichts gerechtfertigt, höchstens die Situation ein wenig verständlicher gemacht werden.
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Staatliche Zukunftspläne mit der Kirche Anfangs konnte man noch annehmen, die Kriegsaufgaben und das Interesse an einer positiven Stimmungslage in der Bevölkerung würden kirchenpolitische Ziele in den Hintergrund treten oder fiir die Kriegsdauer gänzlich ruhen lassen. In der Tat waren Aufsehen erregende Aktionen seltener geworden, und je mehr Pfarrer zum Wehrdienst eingezogen wurden, desto mehr mußte sich die Kraft der Verbliebenen auf die Versorgung der verwaisten Gemeinden konzentrieren. Damit wurden auch seitherige Aktivitäten der BK zwangsläufig eingeschränkt. Die noch durch Sammelvikariate verdeckt aufrecht erhaltene Ausbildungsarbeit endete, da weder Dozenten noch Kandidaten mehr zur Verfugung standen. Pfarrkonvente schmolzen mitunter auf ein Drittel zusammen und wurden spärlicher. Auch die Bruderräte schrumpften und konnten die Arbeit nur reduziert und unter erschwerten Bedingungen weiterführen. Dies galt auch für VKL und preußischen Bruderrat, deren Vorsitzender Fritz Müller, Dahlem, im Dezember 1939 als Gräberoflizier im Osten eingesetzt wurde.273 Waren dies alles noch unmittelbare Kriegsfolgen, so ließen schon die erwähnten „kriegsbedingten Maßnahmen" erkennen, daß die kirchliche Arbeit bewußt eingeengt werden sollte. Dazu kamen dann einzelne gezielte Maßnahmen. So wurde z. B. der Vorsitzende des nassau-hessischen LBR, Pfarrer Julius Rumpf,BWiesbaden, Anfang Februar 1940 aus dem Kirchengebiet ausgewiesen, begründet mit fortdauerndem Verstoß gegen das Verbot kirchenregimentlicher Befugnisse vom Dezember 1935! Überhaupt war bemerkenswert, daß sich kirchliche wie staatliche Maßnahmen jetzt immer mehr auf diesen, staatspolitisch ja völlig irrelevanten Punkt konzentrierten, an dem allein man offenbar meinte, die BK fassen zu können. Auch in Nassau-Hessen tat der Bruderrat seine Arbeit weiter, wenn auch davon immer weniger nach außen drang. Informationsberichte über die kirchliche Lage wie in früheren Jahren waren kaum mehr denkbar. Gewiß kam noch von Zeit zu Zeit ein Rundbrief des LBR, so mit dem Osterwort 1940 der drei verbliebenen Mitglieder der VKL (Albertz, Böhm und Forck), und auch die draußen Stehenden erreichte alle paar Monate ein Gruß. Aber darin konnte äußerstenfalls etwas über die Bemühungen in der Legalisierungsfrage gesagt werden, wobei man vorsichtshalber den Brief noch über die Angehörigen daheim leitete28, oder man ließ die Bemerkung einfließen: „Zur Zeit stockt die Arbeit im Gro232
ßen noch immer, da die leitenden Brüder in Berlin nahezu alle ausgeschaltet sind. Der Hebel dafür war die Prüfungsfrage."29 Sonst aber mußten sich solche Grüße auf geistlichen Zuspruch und Mitteilungen über das Ergehen der einzelnen, zunehmende Todesfalle und Verwundungen oder familiäre Schicksale beschränken. Nähere Nachrichten über bemerkenswerte Ereignisse kamen nur dort in die Hände der Pfarrer und zum Teil auch der Vertrauensleute der Gemeinden, wo die Verbindung zwischen den in der Heimat amtierenden Pfarrern und ihrem Bruderrat gehalten wurde oder die eingerückten im Urlaub dort vorsprachen. Da wurde denn von neuen Verhaftungen oder dem Stand der Strafverfahren gegen die VKI^Mitglieder berichtet, und nur auf solchem persönlichen Weg konnten Abschriften wichtiger Dokumente weitervermittelt werden. So erfuhr man denn, daß ungeachtet der Kriegsverhältnisse ein neues kirchenpolitisches Konzept entwickelt wurde, dem offenbar Modellcharakter zukommen sollte: Im neu geschaffenen „Reichsgau Wartheland" oder „Warthegau" hatte der Reichsstatthalter und Gauleiter Greiser, unterstützt von seinem Stellvertreter und Regierungspräsidenten August Jäger, der seine Beziehungen zur Kirche völlig gelöst hatte, im Frühjahr 1940 „13 Punkte" bekannt gegeben, als Beweis dafür, „daß der Führer gewillt ist, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche auch im Kriege eindeutig zu klären".30 Was dort niedergelegt war, ging nun über alles hinaus, was man bisher an kirchenpolitischen Konzepten entwickelt hatte: „1. Es gibt keine Kirchen mehr im staatlichen Sinne, nur religiöse Kirchengesellschaften im Sinne von Vereinen. 2. Die Leitung liegt nicht in Händen von Behörden, sondern es gibt nur Vereinsvorstände. 3. Aus diesem Grunde gibt es auf diesem Gebiete keine Gesetze, Verfügungen oder Erlasse mehr. 4. Es bestehen keine Beziehungen mehr zu Gruppen außerhalb des Gaues, auch keine rechtlichen, finanziellen oder dienstlichen Bindungen an die Reichskirche. 5. Mitglieder können nur Volljährige durch schriftliche Beitrittserklärung werden", auch wenn sie aus dem Altreich neu zuziehen. „6. Alle konfessionellen Untergruppen sowie Organisationen (Jugendgruppen) sind aufgehoben und verboten. 7. Deutsche und Polen dürfen nicht mehr zusammen in einer Kirche sein (Nationalitätenprinzip) ... 8. In den Schulen darf kein Konfirmandenunterricht mehr abgehalten werden. 9. Es dürfen außer dem Vereinsbeitrag keine finanziellen Zuschüsse geleistet werden... 10. Die Vereine dürfen kein Eigentum wie Gebäude, Häuser, Felder, Friedhöfe haben, außer ihrem Kultraum. 11. Sie dürfen sich ferner nicht in der Wohlfahrtspflege betätigen. Dies steht einzig und allein der NSV zu. 12. Alle Stiftungen und Klöster werden aufgelöst, da diese der deutschen Sittlichkeit und der Bevölkerungspolitik nicht entsprechen. 13. In den Vereinen dürfen sich 233
Geistliche nur aus dem Warthegau betätigen. Dieselben sind nicht hauptamtlich Geistliche, sondern müssen einen Beruf haben." Daß es sich nicht um ein eigenmächtiges Vorpreschen handelte, ging aus dem Vorspruch hervor und hat sich aus den Archiven bestätigt. Während Greiser selbst verschiedentlich erklärte, der Warthegau solle „im Sinne der Gedanken einer künftigen Reichsverfassung gestaltet werden" und sei „ein unmittelbar dem Führer unterstehender Gau", zeigen aufgefundene Dokumente, daß Kerrls Zuständigkeit auf das „Altreich" beschränkt und statt dessen festgestellt worden war: „Die Vertreter des Reiches und verschiedener rück- und angegliederter und besetzter Gebiete werden auf Weisung des Führers in Kirchenfragen von dem Leiter der Parteikanzlei ausgerichtet."3' Das bedeutete, daß die Aktion von der Parteizentrale selbst, also von Bormann gesteuert wurde. Hitler hatte in seinen kirchenpolitischen Zielen eine Wende vollzogen. Rudolf Heß erklärte in anderem Zusammenhang: „Den ursprünglich einmal verfolgten Plan, eine Reichskirche zu schaffen, hat der Führer nicht nur aufgegeben, er lehnt diesen Plan heute restlos ab." 32 Und Bormann selbst schrieb im November 1940: „Der Führer, der, wie Ihnen bekannt ist, eine evangelische Reichskirche nicht mehr wünscht, h a t . . . erneut entschieden, Reichsminister Kerrl solle seine Tätigkeit auf das Altreichsgebiet beschränken, keinesfalls aber mehr Entscheidungen über die Kirchenverhältnisse in den neuen Kirchengebieten treffen; die Gauleiter der Ostmark, des Warthegaus usw. seien sonst keinesfalls in der Lage, jene Möglichkeiten, die der konkordatsfreie Raum der weltanschaulichen Arbeit bietet, in entsprechender Weise auszunutzen; mit den konkordatsfreien Gebieten habe Reichsminister Kerrl nichts mehr zu tun." 33 Wo das Reichskonkordat von 1933 nicht galt, war also freier Raum zum Erproben zukunftsweisender Ideen, und dazu diente speziell der Warthegau. Die Auswirkungen waren noch dadurch besonders einschneidend, daß im Zuge der großen Umsiedlungen - Polen nach Osten und Volksdeutsche aus Estland, Lettland, Litauen sowie Galizien und Wolhynien/ Ukraine in das Wartheland - auch geschlossene, treu kirchliche Gemeinden hier ansässig wurden, die glaubten, aus dem bolschewistischen Machtbereich in den Schutz der alten Heimat zurückzukehren, und nun aufs tiefste erschüttert und enttäuscht wurden. Auch das Protestschreiben der verantwortlichen Leiter der evangelischen Kirchen im Wartheland an Greiser vom Januar 1941 kam damals in unsere Hände, mit dem sie den 234
Zielen der 13 Punkte zu wehren suchten, die zugleich von zahllosen Schikanen und Anfeindungen begleitet waren: „Zum ersten Mal erfahrt die evangelische Bevölkerung, daß ihre kirchentreue Haltung nicht mit Wohlwollen, sondern als unvereinbar mit deutscher Art angesehen wird. Sie hört abfallige Urteile und verletzende Äußerungen ... Diese Männer und Frauen ... verstehen nicht, daß, was sie unter fremder Herrschaft haben festhalten und hindurchretten können, unter der eigenen deutschen Herrschaft abgelehnt wird. Sie können es nicht glauben, daß es der Wille des Führers sein kann .. ."34 Aber alle Verhandlungen und Eingaben, bis hin zu Hitler selbst, halfen nichts: Die 13 Punkte wurden im September 1941 von Greiser noch in Rechtsform festgeschrieben. Auch der EOK Berlin, seit langem mit der Posener Kirche verbunden, sowie Kirchenkanzlei und Vertrauensrat der DEK wandten sich an Hitler und erhielten nur zur Antwort: „Der Führer billigt die von Reichsstatthalter Greiser erlassene Verordnung vom 13. September 1941."" Geradezu unfaßlich das Ausmaß an Verblendung, mit der hier - nicht bei „Fremdstämmigen", sondern sonst gepriesenen Brüdern des eigenen Blutes - um einer Ideologiebesessenheit willen das entgegengebrachte Vertrauen zerstört wurde. Da die Kirchen sich weigerten, Vereinssatzungen vorzulegen, wurden u. a. Kollekten und Opferbüchsen verboten, Beitragserhebungen unterbunden, im „Kampf gegen die Gebundenheit an irgendeine Religions- und Sektenanhänglichkeit" Gottesdienste behindert und 1942 sogar der Karfreitagsgottesdienst untersagt.36 Es war schon bemerkenswert, daß die Gemeinden, die ja keine Vorbereitung durch Kirchenkampf hinter sich hatten, sich nicht fugten, ihre Gottesdienste durchhielten und ihre Opfer zur Erhaltung von Pfarrern und kirchlicher Arbeit zusammenbrachten. Gewiß, das Schicksal der Evangelischen war der Verfolgung der katholischen Kirche in diesem Gebiet nicht vergleichbar, gegen die sich der größte Haß entlud - katholisch hatte ja gleich polnisch gegolten - und die schwere Blutopfer zu bringen hatte. Aber der Widerstand der evangelischen Gemeinden hat immerhin bewirkt, daß trotz allem Druck die festgelegten Ziele nicht zur vollen Durchfuhrung kamen, bis sie sich dann durch den Kriegsverlauf von selbst erledigten. Das hinter diesem Modellversuch stehende Gesamtkonzept wurde durch ein Geheimschreiben von Reichsleiter Bormann an die Gauleiter vom 9. Juni 1941 enthüllt, das auf verborgenem Wege an die BK gelangte36" und unter der Hand verbreitet worden ist. Unter der Überschrift 235
„Verhältnis von NS und Christentum" begann es mit der programmatischen Feststellung: „Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar. Die christlichen Kirchen bauen auf der Unwissenheit der Menschen a u f . . . Demgegenüber beruht der NS auf wissenschaftlichen Fundamenten." Nach weiteren herabsetzenden Äußerungen durch wissenschaftliche Erkenntnisse in ihrem Bestand bedroht, bemühen sich die Kirchen, durch die Scheinwissenschaft Theologie „die wissenschaftliche Forschung ... zu unterdrücken oder zu verfalschen"; „kein Mensch würde etwas vom Christentum wissen, wenn es ihm nicht in seiner Kindheit von den Pfarrern eingetrichtert worden wäre" - folgen dann die praktischen Konsequenzen: „Aus der Unvereinbarkeit nationalsozialistischer und christlicher Auffassungen folgt, daß eine Stärkung bestehender und jede Förderung entstehender christlicher Konfessionen von uns abzulehnen ist... Aus diesem Grunde ist daher auch der Gedanke einer Errichtung einer evangelischen Reichskirche unter Zusammenschluß der verschiedenen Evangelischen Kirchen endgültig aufgegeben worden, weil die Evangelische Kirche uns genau so feindlich gegenübersteht wie die Katholische Kirche. Jede Stärkung der Evangelischen Kirche würde sich lediglich gegen uns auswirken." „In früheren Generationen lag die Volksfuhrung ausschließlich in den Händen der Kirche ... Zum ersten Male in der deutschen Geschichte hat der Führer bewußt und vollständig die Volksfuhrung selbst in der Hand. Mit der Partei, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden hat der Führer sich und damit der deutschen Reichsfuhrung ein Instrument geschaffen, das ihn von der Kirche unabhängig macht ... Immer mehr muß das Volk den Kirchen und ihren Organen, den Pfarrern, entwunden werden. Selbstverständlich werden und müssen die Kirchen, von ihrem Standpunkt betrachtet, sich gegen diese Machteinbuße wehren. Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluß auf die Volksfuhrung eingeräumt werden. Dieser muß restlos und endgültig gebrochen werden ... Ebenso wie die schädlichen Einflüsse der Astrologen, Wahrsager und sonstigen Schwindler ausgeschaltet und durch den Staat unterdrückt werden, muß auch die Einflußmöglichkeit der Kirche restlos beseitigt werden. Erst, wenn dieses geschehen ist,... sind Volk und Reich fiir alle Zukunft in ihrem Bestände gesichert... Das Interesse des Reiches liegt nicht in der Überwindung, sondern in der Erhaltung und Verstärkung des kirchlichen Partikularismus." 37 Kirchlicher Partikularismus, also die Fortdauer konfessioneller Spaltungen und kirchlicher Zersplitterung, war für die NS-Ziele als allein brauchbar erkannt, anstelle des zunächst über Ludwig Müller betriebenen und von Kerrl auf seine Weise fortgeführten Versuchs der Zusammenfassung zu einer geschlossenen Reichskirche, da diese - das hatte 236
wohl der Kirchenkampf und vor allem der Widerstand der BK erwiesen zu einer vorbehaltlosen Einfügung in das NS-System nicht zu gewinnen sein würde. Hier wurden die Hintergründe der Isolierung und Ausschaltung Kerrls noch einmal deutlich. Dieser selbst hatte, wie man später erfuhr, noch im März 1941 Lammers gegenüber schriftlich („da mir seit Ende des Jahres 1937 ein dienstlicher Vortrag nicht mehr gewährt ist") mit der Bitte, seine Gedanken dem Führer wörtlich vorzutragen, versichert, er habe sich seit 1938 Jeder Maßnahme enthalten, die den Führer irgendwie hätte beeinträchtigen können, jederzeit die kirchlich-religiöse Lage nach eigenem Willen zu entscheiden", und er sei „bereit und imstande, jeden Befehl über eine Veränderung in der Richtung der Kirchenpolitik durchzufuhren, sobald er mir zugeht".38 Eine Antwort hat er offenbar trotz verschiedener Vorstöße bei dem Chef der Reichskanzlei, Minister Lammers, nicht mehr erhalten, so daß er diesem zuletzt im August 1941 völlig resigniert schrieb: „Wie Ihnen kürzlich mehrfach mitgeteilt, wird mein Amt für mich immer untragbarer, da mir keinerlei Möglichkeit zur Verfügung steht, selbst das, was das Reich auf das schlimmste schädigt, unterbinden zu können." 39 Er starb Ende des gleichen Jahres in tiefer Enttäuschung. Ein Nachfolger wurde nicht mehr ernannt, das Ministerium vielmehr durch seinen Stellvertreter Muhs weiterhin verwaltet, ohne noch eine Bedeutung zu gewinnen.
Totgeschwiegen und doch nicht ohne Stimme Mit dem Fortgang der Kriegsereignisse und den damit begründeten Einschränkungen, zusammen mit dem unverminderten staatspolizeilichen Druck und der systematischen „Entkonfessionalisierung" des öffentlichen Lebens war es nicht verwunderlich, daß von Kirchenkampf und von hörbaren Äußerungen der BK kaum mehr gesprochen werden konnte. Sie war für die Öffentlichkeit, aber auch nach dem Eindruck der meisten ihrer Glieder praktisch verstummt. Dafür sorgte nicht zuletzt, daß im Mai 1941 aus der bisher führenden preußischen BK elf verantwortliche Männer in Berlin, wegen verbotener theologischer Prüfungen, verhaftet worden waren. Der Prozeß vor dem Sondergericht gegen insgesamt 23 BK-Leute zog sich bis Dezember 1941 hin und endete mit mehrmonatigen Gefängnisstrafen für zwölf der Angeklagten, die nur bei dem VKL^Mitglied Superintendent Albertz und bei Günther Dehn noch nicht verbüßt waren, so daß die anderen nach über einem halben Jahr frei kamen. Doch hatte der Vorgang eine zeitweilige Lähmung der Arbeit und 237
für die Zukunft weitere Einschränkungen hinsichtlich der Prüflingen zur Folge. Soviel im übrigen in der Stille noch getan werden mochte, in die Öffentlichkeit drang davon kaum etwas. Aber nicht nur die Stimme der BK, sondern, wie man spüren mußte und später auch erfuhr, jede religiöse Thematik sollte aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwinden. Goebbels als Reichspropagandaleiter teilte im August 1941 den Reichs- und Gauleitern „streng vertraulich" mit: „Der Krieg erfordert die absolute Konzentration der gesamten materiellen, seelischen und geistigen Kräfte des Volkes ... Fragen, die nicht unmittelbar damit zusammenhängen, und Probleme, deren Lösung nicht für die Erringung des Sieges vordringlich erscheinen, haben deshalb in der öffentlichen Diskussion keinen Platz. Insbesondere ist es verboten, Fragen oder Probleme anzuschneiden, deren öffentliche Behandlung nur unnötigen Ärger verursacht und schädlichen Zündstoff in das Volk hineinträgt ... Zu den Themen, die augenblicklich nicht diskutiert werden dürfen, gehört auch die Religions- oder Konfessionsfrage. Der Führer hat mich beauftragt, dafür Sorge zu tragen, daß solche und ähnliche Themen vollkommen aus der öffentlichen Diskussion verschwinden ... Im Einvernehmen mit der Parteikanzlei werde ich in Zukunft strengstens dafür sorgen, daß genannte Debatten schnellstens aus der öffentlichen Diskussion ausgeschieden werden."40 Wie sich dies mit dem Vorantreiben einer Umwälzung des kirchlichen Lebens im Osten vertrug, fragt man sich vergeblich. Es sei denn, auch dies habe das gleiche Ziel verfolgt, Existenz und Arbeit der Kirchen aus dem öffentlichen Bewußtsein zu tilgen. Die Methoden hatten dort freilich eher das Gegenteil zur Folge. Ein Bericht zur Jahreswende 1941/42 aus der preußischen Bekenntnissynode, der nicht mehr weit verbreitet werden konnte, zeigt, wie man in der BK selbst die Situation beurteilte: „Wie sieht es im Winter 1941/42 aus? Millionen Kinder wachsen in Deutschland ohne christlichen Religionsunterricht auf. In die Kirche gehen sie nicht, von der Botschaft Christi lernen sie nichts ... Der oberflächliche Beschauer mag meinen, es sei alles beim alten. Nur muß ihm auffallen, daß es in der Öffentlichkeit von der Kirche vollkommen still geworden ist. Wo sind noch Plakate, die zu kirchlichen Veranstaltungen einladen? Die Zeitungen schweigen. Sie bringen meistens nicht einmal mehr den Kirchenzettel. In Pommern ist das verboten. Auch der Rundfunk schweigt. Die Zeitschriften bringen nichts Christliches... Die Buchhandlungen legen keine christlichen Bücher aus, abgesehen davon, daß seit dem Frühjahr 1941 überhaupt keine christliche Literatur mehr gedruckt wird ... Daß die Kirche zu den Fragen, die das deutsche Volk bewegen, sprechen könne, liegt ganz außerhalb des Bewußtseins. Ganz 238
im geheimen wird von Mund zu Mund durch ganz Deutschland geflüstert, der Bischof Graf Galen habe in Münster scharfe Predigten gehalten. Sie werden im Verborgenen verbreitet und überall gelesen. Eingeweihte wissen auch, daß Pastor von Bodelschwingh und Landesbischof Wurm etwas gegen die Tötung der Geisteskranken gesagt haben und daß Pfarrer im Konzentrationslager sitzen, weil sie gewagt haben, etwas von der Schrift her gegen die Behandlung der Juden zu sagen. Aus der Öffentlichkeit sind Kirche und Christentum verschwunden."41 Zweierlei wird hier deutlich: Die schier aussichtslose Lage der christlichen Kirchen, deren Vernichtung in Etappen betrieben wurde - „einmal die organisatorische Verkümmerung der Kirche im Sinne Alfred Rosenbergs", und dann „die völlige Ausmerzung des Christentums aus dem Leben des Volkes" - und doch zugleich das Faktum, daß ihre Stimme nicht völlig zum Verstummen zu bringen war. Bischof Graf Galen und Landesbischof Wurm werden genannt. So gewiß sie nicht allein waren, sondern manche mit ihnen in ihrer Verkündigung die Wahrheit bezeugt und dafür gelitten haben, so ist doch festzuhalten, daß gerade diese beiden zu Exponenten des christlichen Widerspruchs wurden und als solche auch von Staat und Partei angesehen worden sind. Es war auf evangelischer Seite nicht vorauszusehen und wuchs doch dem damals 73jährigen Theophil Wurm zu, daß er zum Sprecher der BK und damit der evangelischen Christen insgesamt gegenüber den Machthabern werden sollte. Die jahrelang bestehenden tiefen Spannungen zwischen der VKL zusammen mit den konsequenten Bruderräten vor allem in Preußen auf der einen und den Bischöfen der intakten Landeskirchen auf der anderen Seite hatten nur je und dann überbrückt werden können. Als in der sich immer mehr zuspitzenden Lage seit 1937 die bekenntnisgebundenen Kreise wieder näher zueinander rückten, war Marahrens als dienstältester Landesbischof zunächst Sprecher der Kirchenfiihrerkonferenz gewesen. Aber das Vertrauen in seine Haltung war durch seine Unterschrift unter die Kerrlsche Fassung der Godesberger Erklärung und seit Kriegsbeginn durch seine Position im „Geistlichen Vertrauensrat" der DEK, „dessen Tätigkeit während des Kriegs vor allem in patriotischen Aufrufen und der Weitergabe staatlicher Anordnungen" bestand,42 schwer erschüttert. Wurm selbst sagt von ihm in seinen Erinnerungen: „Bischof Marahrens war von einer großen, um nicht zu sagen übergroßen Loyalität gegen den Staat erfüllt", und er war der herkömmlichen evangelischen Haltung verhaftet, „im Kriege enge Verbundenheit mit Volk und Staat zu pflegen, auf den siegreichen Ausgang des Krieges zu hoffen und dafür zu beten... Marahrens sah es als seine Pflicht an, auch 239
noch den Aufruf zum totalen Krieg zu unterstützen. Er kam hierin von der Tradition nicht mehr los."43 In dem allen hatte Wurm von Anfang an klarer gesehen. Und wenn auch er manchmal dem Druck nachgegeben und die Brüder in Preußen oder dann die zweite VKL im Stich gelassen hatte - man erinnert sich an die „Unterwerfungserklärung" gegenüber Ludwig Müller im Januar 1934 oder die Distanzierung von der VL wegen der ins Ausland gelangten Denkschrift an Hitler 1936, vor allem aber nach dem SS-Angriff auf die Gebetsliturgie 1938 - , war es Wurms Größe, daß er sich nie geschämt hat, Fehler zu erkennen und Versagen einzugestehen. So hatte er auch das Seine dazu getan, daß der Bruch über der Gebetsliturgie, jedenfalls mit ihm und Meiser, geheilt werden konnte. Nachdem bekannt geworden war, daß er schon 1940 in großer Offenheit bei dem württembergischen Reichsstatthalter Murr gegen das Verbot schriftlicher Verbindung der Pfarrer mit ihren im Felde stehenden Gemeindegliedern protestiert und dann in zwei Schreiben an den RMdl die vor allem in Württemberg begonnene „Vernichtung unwerten Lebens" aufgegriffen und verurteilt hatte, wuchs das Vertrauen zu ihm, so daß er nach schwerer Krankheit und Besinnungszeit 1941 von der Kirchenfiihrerkonferenz gebeten wurde, in ihrem Auftrag die schweren Sorgen und Anstände in einer Eingabe an Hitler selbst zur Sprache zu bringen. So kam ihm die Aufgabe des Wortführers zu, die er in hoch zu achtender Tapferkeit solange noch irgend möglich wahrgenommen hat.
Worte der Mahnung und Warnung an die Machthaber Die zahlreichen Vorstöße Wurms44 können hier nicht alle angeführt werden. Nur die wichtigsten Inhalte seien erwähnt. Naturgemäß waren es zuerst Fragen der Verhinderung kirchlicher Arbeit, zunächst in Württemberg selbst. Hier war der Landeskirche schon vor Kriegsbeginn ein „Schulkampf' aufgenötigt, der sich bis weit in die Kriegsjahre hinzog. Auf Betreiben des Kultusministers Mergenthaler sollte dort - entgegen allen ausdrücklichen Zusagen bei Umwandlung der Bekenntnis- in Gemeinschaftsschulen - der Religionsunterricht durch einen Weltanschauungsunterricht ersetzt werden. Durch massiven Druck auf die Eltern wurde die Abmeldung der Kinder vom Religionsunterricht propagiert und natürlich mancherorts auch erreicht. Wurm mußte sich seinerseits an Elternschaft und Gemeinden wenden. Seine wiederholten Eingaben an den Reichserziehungsminister, das Ministerium Heß, nach Kriegsbe240
ginn an Göring als Vorsitzenden des Reichsverteidigungsrats und schließlich 1942 - da offenbar die Deckung höchster Parteistellen vorlag - an Reichsleiter Bormann blieben ohne durchgreifenden Erfolg, zumeist auch ohne Antwort. 45 Das gleiche widerfuhr seinem Protest gegen die widerrechtliche Beschlagnahme der vier württembergischen Seminare für künftige Theologen in Blaubeuren, Maulbronn, Schöntal und Urach 1941. Dies alles, ebenso wie das Verbot des Schriftverkehrs mit eingerückten Gemeindegliedern, betraf unmittelbar kirchliche Arbeit und Aufgabenbereiche. Dann aber sah sich Wurm am 19. Juli 1940 schon veranlaßt, gegen eine die Kirche nur mittelbar berührende Sache, von der andere meinten, sie gehöre allein in den Entscheidungsbereich des Staates, beim RMdl Protest zu erheben, die Tötung „lebensunwerten Lebens". Gewiß war Württemberg hier besonders betroffen, da die zur Inneren Mission gehörige Pflegeanstalt Schloß Grafeneck ihrem Träger entzogen und zur Aufnahme von Patienten aus anderen Anstalten des Reichsgebiets bestimmt wurde. Die Errichtung eines Krematoriums dort und eines eigenen Standesamts blieb nicht geheim. Wurm schreibt: „Um so aufmerksamer verfolgt die Bevölkerung der Umgegend die Vorgänge, die sich dort abspielen. Die Krankentransporte, die auf dem kleinen Bahnhof Marbach a. L. ausgeladen werden, die Autobusse mit undurchsichtigen Fenstern, die die Kranken von entfernteren Bahnhöfen oder unmittelbar von den Anstalten bringen, der aus dem Krematorium aufsteigende Rauch, der auch auf größere Entfernungen wahrgenommen werden kann - dies alles erregt die Gemüter um so mehr, als niemand Zutritt zu dem Schloß bekommt." „Die Angehörigen werden ... erst nachträglich von der Überfuhrung benachrichtigt. Meist erhalten sie wenige Wochen später die Mitteilung, daß der betreffende Pflegling einer Krankheit erlegen sei und daß aus seuchenpolizeilichen Gründen die Einäscherung hätte stattfinden müssen." Nach eingehenden, zum Kern der Fragen vordringenden Ausführungen heißt es dann: „Die Entscheidung darüber, wann dem Leben eines leidenden Menschen ein Ende gesetzt wird, steht dem allmächtigen Gott zu, nach dessen unerforschlichem Ratschluß das eine Mal ein völlig gesunder und wertvoller Mensch vor der Zeit hingerafft wird, das andere Mal ein lebensuntüchtiger jahrzehntelang dahinsiecht. Ich kann gut verstehen, daß viele Menschen angesichts dieser und vieler anderer ... Tatsachen den Glauben an Gott verwerfen und statt seiner ein blindes Schicksal annehmen. Aber das kann ich nicht verstehen, daß von der Seite, die ausdrücklich den Atheismus verwirft und für die außerhalb des Christentums Stehenden die Bezeichnung gottgläubig gewählt und eingeführt hat, eine 241
Mißachtung des göttlichen Majestätsrechts gebilligt und durchgeführt wird, wie sie in dem Vorgehen gegen die Pfleglinge der Anstalten vorliegt." Und gegen Ende heißt es: „Ich kann nur mit Grausen daran denken, daß so, wie begonnen wurde, fortgefahren wird ... Wenn die Jugend sieht, daß dem Staat das Leben nicht mehr heilig ist, welche Folgerungen wird sie daraus für das Privatleben ziehen? Kann nicht jedes Rohheitsverbrechen damit begründet werden, daß für den Betreffenden die Beseitigung eines anderen von Nutzen war? Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Gott läßt sich nicht spotten ... Entweder erkennt auch der NS-Staat die Grenzen an, die ihm von Gott gesetzt sind, oder er begünstigt einen Sittenverfall, der auch den Verfall des Staates nach sich ziehen müßte." 46 Da er ohne Antwort blieb, schrieb Wurm im September 1940 ein zweites Mal an den RMdl. Es heißt da: „Neuerdings werden auch die Insassen von Altersheimen erfaßt. Diesem Vorgehen scheint die Auffassung zugrunde zu liegen, daß es in einem tüchtigen Volk keine Schwachen und Gebrechlichen geben dürfe... Muß das deutsche Volk das erste Kulturvolk sein, das in der Behandlung der Schwachen zu den Gepflogenheiten primitiver Völker zurückkehrt? Weiß der Führer von dieser Sache? Hat er sie gebilligt? Ich bitte mich in einer so ungeheuer ernsten Sache nicht ohne Antwort zu lassen."47 Der Adressat schwieg. Nur der Reichsgesundheitsführer Conti schrieb, daß er den Präsidenten der Inneren Mission, Pastor Frick, „eingehend über alles unterrichtet" habe, und warb um „verständnisvolle Mitarbeit" bei den „Maßnahmen, die in jedem Falle durchgeführt werden".47" Bei einer Referentenbesprechung im württembergischen Innenministerium erfolgte die Auskunft: Eine Antwort auf das Schreiben Wurm könne nach Lage der Dinge nicht gegeben werden, weil das, was in der Antwort stehen müßte, eine Geheime Reichssache sei.48 Wir wissen heute, daß ein auf den 1. September 1939 datierter Geheimauftrag Hitlers zugrunde lag: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt (der Begleitarzt Hitlers, d. V.) sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann." 49 Da das Ganze unter höchster Geheimhaltung stand, konnte es geschehen, daß selbst Regierungsstellen - auch der Justizminister hat möglicherweise erst durch Eingaben von der Sache erfahren - oder auch maßgebliche Parteiorgane - wie etwa der oberste Parteirichter Buch 242
ahnungslos waren.50 Um so mehr verbreiteten sich die Gerüchte, die durch sich häufende Todesanzeigen - die wurden erst 1941 verboten erhärtet wurden.50" Übrigens ließ es Wurm nicht bei seinen Briefen an den RMdl bewenden, sondern wandte sich danach u. a. wegen der psychologischen Auswirkungen auch in der Wehrmacht an den Befehlshaber des Wehrkreises V in Stuttgart und verfaßte auf Bitte des OKW eine Denkschrift über „Planwirtschaftliche Maßnahmen in Heil- und Pflegeanstalten". Man führte darauf das Ende der Aktion in Grafeneck zurück und glaubte, das ganze Unternehmen sei durch Führerbefehl vom 24. August 1941 eingestellt worden. 50b Ohne Zutun Wurms wurden seine Briefe bekannt und verbreiteten sich rasch. Und am 3. August 1941 hielt Bischof Graf Galen in Münster eine Predigt, die größtes Aufsehen erregte und in Abschriften durch Deutschland lief: „... Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von den anderen als produktiv anerkannt werden? ... Wenn einmal zugegeben wird, daß Menschen das Recht haben, .unproduktive' Mitmenschen zu töten, ... dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben."51 Gewiß, die beiden Bischöfe Wurm und Galen standen nicht allein. Wenn in der Gegenwart gelegentlich der Vorwurf erhoben wird, die BK habe bis heute verschwiegen, „daß auch der deutschchristliche preußische EOK-Präsident E Werner gegen die ,Vernichtung unwerten Lebens' protestierte, nicht nur Th. Wurm und C. A. von Galen" 52 , so kann man nur feststellen, daß davon damals nichts bekannt wurde. In der Tat hatte der Centraiausschuß für Innere Mission sich unter Beifügung einer bis ins einzelne detaillierten Denkschrift seines Vizepräsidenten und Leiters der Hoffnungstaler Anstalten, Pastor Paul Braune in Lobetal bei Berlin, an „die Leitung der DEK, zu Händen Herrn Präsidenten Dr. Werner" gewandt und um schnellstmögliches Handeln gebeten, „da höchste Gefahr im Verzuge ist", und Werner hatte zusammen mit Marahrens diesen Brief mit Denkschrift an die Reichskanzlei weitergeleitet. In dem Anschreiben hieß es: „Wir unterbreiten Ihnen den Sachverhalt, da wir nicht in der Lage sind, die Angaben im einzelnen nachzuprüfen. Falls Maßnahmen, wie sie in dem vorliegenden Bericht behauptet werden, in die Wege geleitet sind, bitten wir aus der Verantwortung der Kirche ... um vorherige gründliche 243
Prüfung nach der rechtlichen, medizinischen, sittlichen und staatspolitischen Seite."» Im Blick auf die Verbreitung des Briefes Wurms, die „der Centraiausschuß auf das tiefste bedauert hat", umgab dieser seinen Schritt mit strengstem Stillschweigen, so daß selbst betroffenen Stellen der Inneren Mission eine Auskunft darüber verweigert wurde.53" So blieb Existenz und Inhalt der wichtigen und tapferen Denkschrift Braune praktisch unbekannt. Man erfuhr damals höchstens, daß der Leiter der Hoffnungstaler Anstalten längere Wochen verhaftet war, und konnte nur einen Zusammenhang mit der „Aktion Gnadentod" vermuten. Auch wurde erst später bekannt, daß der Pfarrer Ernst Wilm in Mennighüffen, der spätere westfälische Präses, wegen seines klaren Zeugnisses in dieser Sache - er bot Bethel an, solche Kranke, die nicht zu schützen seien, in Familien der Gemeinde unterzubringen - im Januar 1942 verhaftet und bis Anfang 1945 in Dachau festgehalten wurde.54 Noch manche anderen gab es, die zu dieser Sache nicht geschwiegen haben. Genannt sei nur noch der Amtsgerichtsrat Lothar Kreyssig in Brandenburg, späterer Präses der provinzialsächsischen Synode und Gründer der Aktion Sühnezeichen, der gegen Reichsleiter Bouhler, den er beim Justizministerium als Initiator erfahren hatte, Anzeige wegen Mordes erstattete und als Vormundschaftsrichter den Anstalten in seinem Dienstbereich die Auslieferung aller unter seiner Obhut Stehenden verbot. Als er nicht zur Zurücknahme bereit war, verlor er sein Amt. 55 Zugleich aber ist von bitterem Versagen, von der Schuld des Schweigens zu sprechen, und dies betraf nicht nur die offizielle Kirche. Wenn Anfang 1941 Werner im Auftrag des Vertrauensrates sich noch einmal an das Innenministerium wandte und dabei erklärte, der Vertrauensrat sehe davon ab, in ähnlicher Weise Stellung zu nehmen wie das Heilige Offizium in Rom - dieses hatte im November 1940 bündig erklärt: „Direkte Tötung eines Unschuldigen wegen geistiger oder körperlicher Defekte ist nicht erlaubt" - , vielmehr sei die evangelische Kirche „der Meinung, daß die staatliche Gesetzgebung vom Staate selbst und seinen verantwortlichen Leitern vor Gott und dem eigenen Gewissen verantwortet werden muß. Deshalb beschränkt sich der Geistliche Vertrauensrat darauf, auf den schweren Ernst der zu treffenden Entscheidung hinzuweisen", so wird man dies kaum als Protest bezeichnen können. 56 Auch manche Verantwortlichen in Innerer Mission und Anstaltsleitungen haben sicher nicht ausreichend schon der Fragenbogenerfassung ihrer Patienten wider244
standen. Aber nachdem Kirche und Pfarrerschaft in ihrer vergleichsweise viel unabhängigeren Position - die Existenz der Anstalten hing ja von der reibungslosen Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ab - im ganzen zu keinem gemeinsamen Schritt imstande waren und auch als einzelne zumeist kein Wort zur Sache gesagt haben, scheint es nicht angemessen, etwa Bodelschwingh in seinem hinhaltenden Widerstand mangelnde Konsequenz vorzuhalten.57 Selbst die wackere preußische Bekenntnissynode, die erstaunlicherweise noch jedes Jahr, so auch 1940 in Leipzig (außerhalb Preußens!) tagte, gab nur „ein theologisches Gutachten über die Euthanasie" in Auftrag.57" So blieb Bischof Wurm die Stimme der Kirche in dieser bedrängenden Sache. Sein nächster Schritt war, nach der mehrmonatigen Krankheitspause, jene Eingabe an Hitler vom 9. Dezember 1941 im Auftrag der Kirchenfiihrerkonferenz, die er am nächsten Tag persönlich in der Reichskanzlei überreichte, gleichzeitig mit der Übergabe eines entsprechenden Wortes der katholischen Bischofskonferenz. Das Dokument richtete sich nun zentral gegen den immer unverhohleneren Kampf gegen Kirche und Christentum: „Wir könnten ein umfangreiches Material über einschneidende und unbegreifliche Maßnahmen gegen die kirchliche Gemeindepresse, gegen den christlichen Religionsunterricht, gegen kirchliche Arbeit und kirchlichen Besitz, gegen kirchliche Bildungs- und Erziehungsanstalten, gegen einzelne Pfarrer und die gesamte Kirche vorlegen." Aber sie enthielt auch den Passus: „Vieles ist geschehen, was nur der feindlichen Propaganda nützen konnte; wir rechnen dazu auch die Maßnahmen zur Beseitigung der Geisteskranken und die sich steigernde Härte in der Behandlung der Nichtarier, auch derer, die sich zum christlichen Glauben bekennen." Und sie lief auf den Appell hinaus: „Wir bitten den Führer des deutschen Volkes ehrerbietigst: Geben Sie der Kirche in unmißverständlicher Weise ihre Rechtssicherheit wieder; machen Sie dem beunruhigenden Gerede, daß nach Kriegsende eine .Abrechnung' mit den christlichen Kirchen kommen werde, durch ein deutliches Wort ein Ende; geben Sie den Pfarrern, die nicht wegen Verstößen gegen staatliche Grundsätze, sondern wegen ihrer kirchlichen Haltung und Betätigung seit Monaten oder Jahren sich in Schutzhaft befinden, die Freiheit zurück; weisen Sie die Behörden an, kirchliches Eigentum zurückzugeben; ... und schützen Sie die völkische Ehre auch des Pfarrerstandes. Millionen werden es Ihnen danken .. ,"58 Zur Verstärkung ließ Wurm Anfang Januar 1942 ein Schreiben an die 245
Reichsregierung folgen, in dem er übrigens angesichts des „Geisteskampfes" zur Abwehr der „englisch-sowjetischen Verbrüderung" die Unterstützung der Kirche in Aussicht stellte, gerade darum aber das Ende der bisherigen Religionspolitik forderte!58" Als er aus der Reichskanzlei erfuhr, Hitler habe zu der Eingabe vom Dezember noch keine Stellung genommen, stieß er am 2. März in einem zweiten Schreiben an Hitler selbst noch einmal nach59 - auch diesmal ohne Echo. In diese Reihe gehört schließlich noch ein „Offenes Wort" an Reichsminister Goebbels vom 1. April auf dessen Artikel „Offene Aussprache" in der Wochenschrift „Das Reich". Er, Wurm, würde, heißt es da, sich nicht zum dritten Mal an den Minister wenden, wenn er nicht „von weitesten kirchlichen Kreisen gebeten worden wäre, bei gegebenem Anlaß der Wortführer der Evangelischen Kirche dem Staat gegenüber zu sein." „Die Bitte, die ich vortragen möchte, ist diese: es möchte das, was Sie zur Erhaltung der Widerstandskraft des Deutschen Volkes unter den erschwerten Umständen der Lebensmittelknappheit fordern, nämlich gerechte Verteilung der Lasten und Rücksicht auf die Geduld und Anständigkeit unseres Volkes, auch den christlich und kirchlich gesinnten deutschen Volksgenossen gewährt werden." Zur gerechten Verteilung der Lasten erinnert er daran, „daß die Einschränkungen des Papierverbrauchs (gemeint ist das Verbot der gesamten kirchlichen Presse, d. V.) ganz einseitig die kirchliche Bevölkerung getroffen haben." Und was die „Rücksicht auf die Geduld und Anständigkeit unseres Volkes" angeht: „Was während dieses Krieges gegenüber der christlichen Bevölkerung geschehen ist, ist aber nichts anderes als ein fortgesetzter Mißbrauch ihrer Gutmütigkeit. Eine Gewaltmaßnahme gegen kirchliches Eigentum, gegen kirchliche Bildungs-, Erziehungs- und Pflegeanstalten löst die andere ab. Alle Berufungen auf das geltende Recht, sogar wenn es sich um öffentlich-rechtliche Vereinbarungen handelt, werden mißachtet, und es gibt keine Stelle im Staat, die den Notschrei der Unterdrückten hört! Seit Ende Dezember liegt eine Eingabe evangelischer Kirchenführer und des katholischen Episkopats beim Führer; in derselben Sache habe ich noch zwei Schreiben, das eine an den Chef der Reichskanzlei, das andere an den Führer selbst gerichtet - eine Antwort ist mir bis jetzt nicht zugegangen. Inzwischen geht die kirchenfeindliche Agitation der Partei ungehindert fort. Dem russischen Volk wird verkündet, daß ihm Adolf Hitler und das deutsche Heer die christliche Glaubensfreiheit zurückgebracht habe. ,Eure Kinder werden wieder getauft, eure Ehen gesegnet! Hinweg mit dem System, das eure Kirchen geschändet hat!', heißt es wörtlich auf einem Plakat. Bei uns wird die Bevölkerung dahin bearbeitet, daß sie keine kirchlichen Handlungen mehr vollziehen lassen solle..." „Daß ein Krieg, bei dem es so ums Ganze geht wie im jetzigen, dazu benützt wird, 246
um ein kämpfendes Volk in religiöser Hinsicht zu spalten und zu bedrücken - das ist in der ganzen Geschichte noch nicht dagewesen, das ist, um einen heute gern gebrauchten Ausdruck zu gebrauchen, einmalig'." 60 Auch dieser offene Appell blieb unbeantwortet. Aber registriert wurde er genau, wie sich noch zeigen sollte. Wenn all dies auch Kirche und Christentum selber betraf, wird man, trotz aller berechtigten Kritik im ganzen, gerade bei Wurm wie zuvor bei der VKL nicht sagen können, die Kirche habe nur ihre eigene Sache verfolgt. Dies haben schon zitierte wie auch noch folgende Zeugnisse bewiesen. Und zum andern war es nach Barmen VI Auftrag der Kirche, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk". Sie konnte nicht schweigend darüber hinweggehen, wenn ihr dazu jede Möglichkeit genommen werden sollte. Es war, wenn sie es recht verstand, letztlich nicht ihre eigene Sache, für die sie damit eintrat.
Bischof Wurms Einigungs werk Es gab noch einen zweiten Schwerpunkt in Wurms Arbeit während der Kriegsjahre. Im Rückblick hat er bei der Kirchenversammlung in Treysa Ende August 1945 gesagt, er habe all die Spannungen und den Riß zwischen den einstigen Kampfgenossen der BK - intakte und zerstörte Kirchen, Lutheraner und Dahlemiten, Bruderräte mit ihren Prüfungsorganen und illegalen Jungtheologen und legale Landeskirchen mit ihrem Kampf um Religionsunterricht und kirchliche Presse - immer sehr schmerzlich empfunden. „Als ich im Sommer 1941 von schwerer Krankheit genas, gelobte ich, den Rest meiner Kraft und Lebenszeit dem Werk der Einigung der getrennten Brüder zu widmen." 6 ' Ein erster Schritt war ein Brief „An die evangelischen Pfarrer in Deutschland" vom Dezember 1941, der auch deutlich machte, daß er sich über den Kreis der BK hinaus an alle an Schrift und Bekenntnis Gebundenen richtete. Uns nötigt, heißt es darin, „die Sorge um die Zukunft von Kirche und Volk zu einer gewissenhaften Prüfung, ob wir alles getan haben, um aus dem Zustand der Zerrissenheit und Ohnmacht, in dem sich unsere Evangelische Kirche seit Jahren befindet, herauszukommen. Gottes Gnade hat uns - das darf ich gewiß im Namen von vielen sagen - die Kraft geschenkt, einer Überfremdung der Botschaft der Kirche zu widerstehen, aber wir vermochten bisher nicht, innere Spannungen auch unter denen, die im Glauben eins sind, zu überwinden; wir sind dadurch an Gott, an uns selbst und an den anderen schuldig geworden ... Ich würde es nicht wagen, mich an die Gesamtheit 247
der auf dem Glaubensgrund der Heiligen Schrift und der Reformation stehenden Amtsbrüder zu wenden, wenn nicht von den verschiedensten kirchlichen Kreisen die Aufforderung an mich ergangen wäre, zur Sammlung aufzurufen." 62 Der Brief erging nicht auf alleinige Initiative von Wurm, sondern entstand in Fühlungnahme mit den verschiedenen Gruppierungen, durch die er auch weitergeleitet wurde, so der Konferenz der Landesbruderräte, dem Lutherrat, der Kirchenfuhrerkonferenz, der Kreise der Mitte repräsentierenden Landeskirchlichen Konferenz der APU. Es folgten intensive Gespräche über die theologische Konzeption des Ganzen, die zur Formulierung von 13 Sätzen führten, die Wurm bereits beim Reformationsfest 1942 in Stuttgart verlas und die dann, durch mancherlei Umstände verzögert, mit einem erneuten Brief „An die Pfarrer und Gemeinden in der DEK" endlich zu Ostern 1943 bekanntgegeben werden konnten. Das Schreiben trug die Unterschrift von Wurm und 85 weiteren Persönlichkeiten aus dem ganzen Reich, darunter Asmussen, von Bodelschwingh, Dibelius, Böhm von der VKL, Held und Kloppenburg von der Kodlab, Meiser und Lilje vom Lutherrat, die Bischöfe Marahrens, Kühlewein und Tügel von der Kirchenfuhrerkonferenz, die Träger des nassau-hessischen Einigungswerks Dietrich, Müller und Veidt, Vizepräsident Burghart von der Landeskirchlichen Konferenz, Vertreter von Diakonie und anderen kirchlichen Werken. Die beigefügten Sätze über „Auftrag und Dienst der Kirche" „sollen dazu helfen, alle zusammenzufassen, die dem Herrn Jesus Christus dienen wollen, aber auch klare Grenzen zu ziehen gegenüber aller Verdrehung oder Verkürzung der uns durch Schrift und Reformation aufgetragenen Botschaft. Wir hoffen, daß nun allenthalben die Brüder, die bisher durch mancherlei Unterschiede in der Beurteilung kirchlicher Fragen getrennt waren, sich auf Grund dieser Sätze zusammenfinden.. ,"63 Die Sätze selbst lassen unschwer ihre Entstehungszeit erkennen. Sie umschreiben Auftrag und Dienst der Kirche im unverkennbaren Gegenüber zu den 13 Sätzen Greisers aus dem Warthegau (s. oben S. 233f.) wobei die Zahl 13 wohl nicht bewußt gewählt wurde: es handelt sich um einen grundsätzlich-theologischen Abschnitt mit vier und ins Praktische gehende Richtlinien mit neun Punkten - und lesen sich an manchen Stellen auch fast wie eine Antwort: „Die Kirche Jesu Christi i s t . . . nicht eine Vereinigung, von Menschen gebildet, und deshalb auch nicht abhängig vom Willen ihrer Glieder." „Das Handeln der Kirche muß durch ihren Auftrag bestimmt sein. Weil dieser Auftrag sie an alle Menschen weist, muß sie das Evangelium 248
öffentlich verkündigen. Ihr Dienst gilt vor allem dem Volk, in das sie hineingestellt ist." „Die Aufnahme in die Kirche geschieht durch die Taufe . . . Wer getauft ist, gehört zur Kirche,phne daß es einer weiteren Erklärung oder Aufnahme bedarf." „Alle Ämter der Kirche dienen der Verkündigung des Evangeliums. Sie können daher nur von der Kirche selbst übertragen werden." „Weil Gottes barmherzige Liebe Grund und Inhalt aller christlichen Verkündigung ist, bleibt der Dienst der Liebe unabtrennbar vom Leben der Kirche." „Die Kirche Jesu Christi umspannt viele Völker und hat den Auftrag, das Evangelium allen Menschen zu bringen." 64 Barmen wird nicht erwähnt. Offenbar wollte man die nicht der B K Angehörenden nicht überfordern. Doch wird man sagen dürfen, daß „wesentliche theologische Erkenntnisse von Barmen in den 13 Sätzen ihren Niederschlag gefunden" haben. 65 Übrigens hat auch Bonhoeffer das Entstehen der Sätze kritisch begleitet und fand darin nicht mehr die früheren „Zeichen bedenklicher Leisetreterei", wie sein Biograph berichtet.65» Natürlich kann man fragen und wurde auch damals gefragt, ob die mangelnde Konkretion nicht doch ein Zurückweichen hinter die klaren Entscheidungen der Anfangszeit bedeutete. So gingen denn auch die Urteile auseinander. Die Kirchlich-Theologische Sozietät in Württemberg mit ihrem Leiter Hermann Diem lehnte das Ganze als erweichenden Kompromiß ab und beteiligte sich nicht. Umgekehrt sahen gewisse Kreise der Mitte in Wurms Aktion „eine von Barmen und Dahlem herkommende Linie, die . . . nur die bankerotten Bruderräte stützen könne". 66 Die ganz unterschiedliche Kritik tat der anfangs breiten Zustimmung in der Pfarrerschaft da und dort Abtrag; dies auf der Seite der Neutralen besonders, nachdem der Leiter des R M k A , Staatssekretär Muhs, die „sogenannte Wurm-Aktion in jedem Fall für unerwünscht erklärt" hatte 67 , - sie wollte j a den laut Bormann zu fordernden „Partikularismus" gerade überwinden - auf der Seite mancher Bruderratskreise, weil ihnen die Formulierungen nicht eindeutig genug und die Gemeinsamkeit mit manchen Unterzeichnern problematisch erschienen. Doch beschloß etwa der nassau-hessische Bruderrat ausdrücklich seine Zustimmung und ermächtigte ein Mitglied zur Unterschrift. Das Ganze bewirkte zweifellos ein besseres Klima zum näheren Zusammenrücken, führte aber, von Ausnahmen abgesehen, zu keinen organisatorischen Folgerungen, wie Wurm sie sich in Gestalt von Vertrauensausschüssen erhofft hatte, zumal die fortschreitenden Kriegsereignisse dies auch praktisch unmöglich machten. 249
Dennoch bedeutete das Zueinanderriicken der bisher Getrennten eine Voraussetzung für den Neubeginn in der Versammlung von Treysa 1945. Mochte auch der Fortgang dann in mancher Hinsicht enttäuschend sein, weil der erhoffte geistliche Aufbruch ausblieb, so mußte doch der Schritt zur größeren Gemeinsamkeit gewagt werden. So gewiß es geboten war, die im Kirchenkampf geschenkten Einsichten nicht wieder preiszugeben, konnte und wollte doch die BK keine „Machtergreifung" unternehmen. Daran hinderte sie nicht nur ihr eigenes vielfaches Versagen, sondern auch das Faktum der Kontaktaufnahme und Verständigung über den eigenen Bereich hinaus, das nach Fortfall der äußeren Bedrückung, die uns zusammengezwungen hatte, nicht wieder negiert werden konnte.
Die letzte Phase Vom Kriegsverlauf her konnte man von einem letzten Abschnitt sprechen, seit sich mit dem Ende von Stalingrad der Ausgang des Krieges immer deutlicher abzeichnete. Anders und tiefer gesehen konnte man überzeugt sein, daß mit Beginn der Vernichtung des Judentums im Osten, dann im Reich und den besetzten Ländern die Endphase eingeleitet war. Doch drangen diese Dinge nur in Bruchstücken und erst allmählich ins Bewußtsein. So gewiß die beliebte Ausrede, man habe von allem nichts gewußt, eine Lüge war, so blieben natürlich Vorgänge wie die WannseeKonferenz Anfang 1942 und andere Geheimbefehle wie auch das wirkliche Ausmaß des Ganzen der Allgemeinheit unbekannt. Wie viele klammerten sich zu ihrer eigenen Beruhigung daran, die Transporte jüdischer Menschen nach dem Osten geschähen tatsächlich zum Arbeitseinsatz dort. Was wirklich geschah, erfuhr man bestenfalls durch Urlauber 68 , und auch dann oft nur in Andeutungen; wer wollte schon wegen Greuelpropaganda oder Wehrkraftzersetzung sein Leben riskieren. Während viele das Ganze bewußt verdrängten, weil es ihr krampfhaft festgehaltenes Idealbild zertrümmern mußte - das konnte und durfte doch nicht wahr sein! - , mochte bei der Mehrheit derer, denen das Empfinden für Recht und Gerechtigkeit noch nicht abhanden gekommen war, das lähmende Bewußtsein völliger Ohnmacht überwiegen, mit dem man das Unabwendbare hinnahm. Hinzu kam, daß der Kriegsverlauf die Menschen auch in der Heimat durch die Schrecken der Bombennächte, den Verlust nächster Menschen und von Hab und Gut mehr und mehr in Anspruch nahm. Man konnte im Grunde nur noch auf das Ende hoffen, so gewiß viele es sich auch jetzt nicht eingestehen wollten. 250
Und die Kirche? Es ist einleuchtend, daß von einem Wirken nach außen je länger desto weniger die Rede sein konnte. Wohl berichtet beispielsweise der nassau-hessische Bruderrat den im Felde stehenden Pfarrern je und dann, daß noch immer regelmäßig Sitzungen stattfanden, und noch im Mai 1944, daß auch das Frankfurter Büro durch schwere Bombenschäden unbrauchbar geworden sei und dennoch „die Arbeit, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, weitergehen kann". 69 Aber an die Öffentlichkeit drang davon nichts mehr. Alle Kraft mußte auf die Versorgung der verwaisten Gemeinden konzentriert werden.70 So versorgte der Bruderrat die Laienkräfte in den Gemeinden mit Lesepredigten und mit Bibelhilfen fiir Kinder- und Gemeindestunden. Im übrigen hatte er sich schon 1942 genötigt gesehen, in einigen, nicht zentral erscheinenden Punkten wie dem Dienstweg im amtlichen Schriftverkehr und der Ablieferung landeskirchlicher Kollekten den vom Kirchenregiment geforderten Weg freizugeben, ohne damit freilich die juristische Ein-Mann-Regierung als geistliche Leitung anzuerkennen und das Recht zur Erhebung eigener Kollekten preiszugeben. Kipper wußte daraufhin nichts besseres zu tun, als das entsprechende Schreiben des LBR, mit dem er die Neuregelung mitteilte, an den Erstunterzeichner zurückzuschicken, da der LBR durch die darin erwähnte „Anweisung" an die BK-Pfarrer erneut unzulässige kirchenregimentliche Befugnisse wahrgenommen habe und er sich daher nicht in der Lage sähe, das Schreiben des „LBR" in Empfang zu nehmen. 71 Prüfungen und Ordinationen von „Illegalen" waren schon vorher eingestellt und von intakten Nachbarkirchen, insbesondere Württemberg, hilfsweise übernommen worden.72 Auch die in ihrer Haltung oft beispielgebende altpreußische Bekenntnissynode sah sich nach dem Prozeß gegen die gesamte Prüfungskommission gezwungen, auf eigene Prüfungen zu verzichten. Auch hier erbat man Hilfe von anderen Landeskirchen, soweit nicht in einzelnen Provinzen zeitweise eine Legalisierungsmöglichkeit vereinbart oder eine Notordnung - Prüfung in Form von Visitation - praktiziert werden konnte.73 Das Schwergewicht verlagerte sich auch hier mehr und mehr auf die Zurüstung von Ältesten als Lektoren, aber auch zur freien Wortverkündigung, zu der ordiniert wurde - ein für die Zukunft bedeutsamer Weg.74 Angesichts der noch wachsenden Notlage und der Tatsache, daß mancherorts schon Frauen, vor allem Pfarrfrauen, am Verkündigungsdienst beteiligt waren, entschloß man sich dort endlich auch - gegen erhebliche Hemmungen und Widerstände wegen des paulinischen Schweigegebots zur Ordination von Theologinnen, die als „Vikarin" zunächst nur für 251
Sonderdienste, Frauen- und Jugendarbeit, seit 1943 aber auch im vollen Gemeindedienst eingesetzt wurden. Wenn auch vorerst nur auf den Notfall beschränkt, war auch dies eine Frucht jener Zeit.74" Überhaupt verdiente der Anteil der Frauen am Kirchenkampfgeschehen, entgegen allem Herkommen, eine besondere Würdigung. Doch hat gerade die preußische Bekenntnissynode, die noch jedes Jahr bis Oktober 1943 getagt hat, ihre Verantwortung gegenüber der Welt, ihr Wächteramt nicht aus den Augen verloren, und sie traf sich darin mit dem Dienst, den Wurm für die gesamte BK wahrzunehmen suchte. Da dies angesichts der früheren Tradition für viele Neuland war, hat man sich in Altpreußen darüber theologische Gedanken gemacht. In den Vorberatungen führte Bonhoeffer dazu aus: „Auch der Gemeinde in den Katakomben wird niemals die Universalität ihres Auftrags abgenommen ... Niemals kann sich die Gemeinde mit der Pflege ihres eigenen inneren Lebens begnügen, ohne ihren Herrn zu verleugnen."75 Damit war auch die Aufgabe berührt, in der noch immer die schwerste Bewährungsprobe ausstand: das Eintreten für die Juden. Im Dezember 1941, also am Ende des Jahres, in dem aus den besetzten Ostgebieten erste Nachrichten über Greuel an Juden durchsickerten, in dem seit 1. September der Judenstern getragen werden mußte und damit jüdische Menschen mit dem Makel der Minderwertigkeit gebrandmarkt wurden und zudem im Herbst die ersten Deportationen nach Osten begannen - am Ende dieses Jahres also erließen die nationalkirchlichen Kirchenführer eine „Bekanntmachung über die kirchliche Stellung evangelischer Juden". Ausgehend von der Feststellung, die NS-Führung habe „mit zahlreichen Dokumenten unwiderleglich bewiesen, daß dieser Krieg in seinen weltweiten Ausmaßen von den Juden angezettelt worden ist", und habe darum „die zur Sicherung des deutschen Lebens notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen gegen das Judentum getroffen", erklären die Unterzeichner, sie stünden „in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, d e r . . . die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde notwendig gemacht h a t . . . Durch die christliche Taufe wird an der rassischen Eigenart eines Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein nichts geändert. Eine deutsche Evangelische Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu pflegen und zu fordern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht. Die unterzeichneten deutschen Evangelischen Kirchen und Kirchenleiter haben deshalb jegliche Gemeinschaft mit Judenchristen aufgehoben. Sie sind entschlossen, 252
keinerlei Einflüsse jüdischen Geistes auf das deutsche religiöse und kirchliche Leben zu dulden." Unterschrieben hatten die Leiter der Landeskirchen Sachsen (Klotsche), Nassau-Hessen (Kipper), Mecklenburg (Schultz), Schleswig-Holstein (Kinder), Anhalt, Thüringen und Lübeck. Thüringen machte daraus ein Kirchengesetz, mit dem diejenigen, auf die die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden zutraf, „von jeder kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen" wurden. Auch die Kirchenkanzlei der DEK glaubte in den gleichen Tagen, bei allen Landeskirchenleitungen nachstoßen zu müssen. Auch hier kommt kein Gedanke daran auf, ob die Kirche von ihrem Auftrag her etwas zu der ganzen Frage zu sagen haben könnte; bestimmend sind vielmehr allein die gegebenen Fakten: „Der Durchbrach des rassischen Bewußtseins in unserem Volk, verstärkt durch die Erfahrungen des Krieges und entsprechende Maßnahmen der politischen Führung, haben die Ausscheidung der Juden aus der Gemeinschaft mit uns Deutschen bewirkt. Dies ist eine unbestreitbare Tatsache, an welcher die deutschen Evangelischen Kirchen, die in ihrem Dienst an dem einen ewigen Evangelium an das deutsche Volk gewiesen sind und im Rechtsbereich dieses Volkes als Körperschaften des öffentlichen Rechts leben, nicht achtlos vorübergehen können." So werden denn die Kirchenleitungen „im Einvernehmen mit dem Geistlichen Vertrauensrat der DEK" gebeten, „geeignete Vorkehrungen zu treffen, daß die getauften Nichtarier dem kirchlichen Leben der deutschen Gemeinde fernbleiben". Diese müßten selbst Mittel und Wege suchen, sich entsprechende Einrichtungen zu schaffen. „Wir werden bemüht sein, bei den zuständigen staatlichen Stellen die Zulassung derartiger Einrichtungen zu erwirken."76 So also sah der Dienst der offiziellen Kirche an den judenchristlichen Kirchengliedern aus. Immerhin hat der württembergische Oberkirchenrat alsbald gegen diese Haltung protestiert und die Zurücknahme des Schreibens verlangt. Ohne das Recht des Staates zu einer Rassegesetzgebung zu bestreiten, heißt es: „Aber dürfen die Kirchen an der Tatsache der Ausscheidung der Juden aus der deutschen Volksgemeinschaft achtlos vorübergehen? Sicherlich nicht. An keinem Unglücklichen darf der Christ achtlos vorübergehen. Daß die nichtarischen Christen heute Unglückliche sind, wird niemand bestreiten wollen. Dürfen wir dieses Unglück noch steigern, indem wir ihnen die Teilnahme an unseren Gottesdiensten entziehen?"77 253
Die Konferenz der Landesbruderräte und die VL schlössen sich ausdrücklich der Forderung auf Zurücknahme an. Ebenso erhob der nassauhessische LBR im August 1942 mit allen 16 Unterschriften der noch verbliebenen oder stellvertretenden Mitglieder Einspruch gegen eine entsprechende Verordnung Kippers vom 15. Januar, veröffentlicht aber erst am 1. Juli 1942 - war man sich seiner Sache doch nicht sicher? und schrieb: „Die Verordnung verneint die göttlichen Grundlagen, die Jesus Christus seiner Kirche gegeben hat, und damit ist eine Landeskirche, in der diese Verordnung gilt, keine christliche Kirche mehr ... Eine Grenzziehung nach rassischen Gesichtspunkten ist nichts anderes als die Proklamierung einer Nationalreligion, die mit der christlichen Kirche nichts mehr zu tun hat. Denn eine Kirche, die mit Judenchristen oder christlichen Nichtariern keine Gemeinschaft haben will, verläßt den Weg, den Gott selbst in seiner Weisheit und Barmherzigkeit zur Rettung der Völkerwelt beschritten hat."78 Man wird solche Zeichen der Solidarität nicht dadurch abwerten dürfen, daß sie ja „nur" nichtarischen Christen und nicht den Juden insgesamt gegolten hätten. So gewiß sich ein Trend zu dieser Beschränkung nicht bestreiten läßt, in der sich die jahrhundertealte antijudaistische Grundhaltung der Kirchen auswirkte, muß doch gesehen werden, daß in der Fürsorge für Kirchenglieder, die in christlich-jüdischer Mischehe lebten oder deren Ehegatten einer ursprünglich jüdischen, inzwischen längst christlichen Familie entstammten und nun als Juden galten, sich eine christliche Liebespflicht unmittelbar aufdrängte. So schätzte man beim ökumenischen Flüchtlingsdienst in Genf, „daß von den im Januar 1940 im Altreich noch lebenden 200 000 Nichtariern 30 000 evangelisch seien"79, deren sich im Auftrag der BK schon seit Jahren das „Büro Grüber" in Berlin aufopferungsvoll und unter wachsenden Schwierigkeiten angenommen hatte, um ihnen zur Auswanderung zu verhelfen80, bis mit Verhaftung des Leiters, Pfarrer Heinrich Grüber, und Schließung des Büros die Arbeit nur in ganz beschränktem Umfang im Untergrund weitergeführt und durch spontane Hilfe von einzelnen Ungenannten da und dort Menschen gerettet werden konnten, wobei die religiöse Zugehörigkeit kaum eine Rolle mehr spielte. Auf diesem Hintergrund erhält jene Aufkündigung jeder kirchlichen Gemeinschaft ihr ganzes erschreckendes Gewicht. Man kann nur dankbar sein, daß sie nicht völlig stillschweigend hingenommen wurde. Und dies gilt nun, trotz .alles beschämenden Versagens nicht nur der DC-Kirche, sondern auch der BK in ihrer Gesamtheit, auch im Blick auf 254
das Schicksal der jüdischen Menschen ohne Unterschied ihres religiösen Bekenntnisses. Es bedarf keiner besonderen Begründung, daß nach dem Schweigen zu der vorausgegangenen Entwicklung - dem Beamtengesetz 1933, den darauf folgenden gesetzlichen Berufsverboten fiir Juden und jüdische Mischlinge,81 den Nürnberger Gesetzen 1935 und dem Judenpogrom im November 1938 - die durch systematische Unterdrückung und allgemeine Kriegsumstände fast zum Verstummen gebrachte BK nicht mehr zu einem hörbaren gemeinsamen Wort in der Lage war. Dazu war es jetzt zu spät. Dennoch blieb selbst in dieser letzten Phase die Kirche nicht völlig stumm, selbst wenn die Öffentlichkeit und auch viele BK-Leute damals nur wenig davon erfuhren. Nach den schon erwähnten ersten Äußerungen Wurms, z. B. in der Denkschrift an Hitler über „die sich steigernde Härte in der Behandlung der Nichtarier", schrieb er nach dem Ende von Stalingrad am 8. Februar 1943 konkret an den Reichsstatthalter: „Auch mit all den Maßnahmen, durch die Menschen anderer Völker oder Rassen ohne Urteilsspruch eines zivilen oder militärischen Gerichts lediglich wegen ihrer Volks- oder Rassezugehörigkeit zu Tode gebracht werden, müßte Schluß gemacht werden. Solche Maßnahmen sind in steigendem Maße durch Urlauber bekannt geworden und bedrücken alle christlichen Volksgenossen, weil sie dem Gebot Gottes genau so wie die Maßnahmen zur Beseitigung der Geisteskranken direkt widersprechen und sich an unserem Volk furchtbar rächen könnten." 82 Als er darauf und auf zwei weitere Briefe vom März 1943 an den Kirchen- wie den Innenminister ohne Antwort geblieben war, wandte sich Wurm am 16. Juli 1943 noch einmal an Hitler selbst. Unmittelbarer Anlaß war, daß nach zeitweise schonend erscheinender Behandlung der in Mischehe Lebenden jetzt die zwangsweise Trennung dieser Ehen zu erwarten war: „Im Namen Gottes und um des deutschen Volkes willen sprechen wir die dringende Bitte aus, die verantwortliche Führung des Reiches wolle der Verfolgung und Vernichtung wehren, der viele Männer und Frauen im deutschen Machtbereich ohne gerichtliches Urteil unterworfen werden. Nachdem die dem deutschen Zugriff unterliegenden Nichtarier in größtem Umfang beseitigt worden sind, muß auf Grund von Einzelvorgängen befurchtet werden, daß nunmehr auch die bisher noch verschont gebliebenen sogenannten privilegierten Nichtarier erneut in Gefahr sind, in gleicher Weise behandelt zu werden. Insbesondere erheben wir eindringlichen Widerspruch gegen solche Maßnahmen, die die eheliche Gemeinschaft in rechtlich unantastbaren Familien und die aus diesen Ehen hervorgegangenen Kinder bedrohen. Diese Absichten stehen, ebenso wie die gegen die anderen Nichtarier ergriffenen Vernichtungsmaßnahmen, 255
im schärfsten Widerspruch zu dem Gebot Gottes und verletzen das Fundament alles abendländischen Denkens und Lebens: Das gottgegebene Urrecht menschlichen Daseins und menschlicher Würde überhaupt." 83 Deutlicher war wohl kaum zu reden. Auch dieses Schreiben blieb nicht unbekannt und wurde, wie vorher schon je und dann, vom britischen Rundfunk, diesmal in norwegischer Sprache, verbreitet. Die tapfere Stimme Wurms blieb nicht allein. Im Oktober 1943 verabschiedete die letzte Tagung der preußischen Bekenntnissynode in Breslau eine gewichtige „Auslegung des fünften Gebotes", in der es hieß: „Über die Tötung des Verbrechers und des Feindes im Kriege hinaus ist dem Staat das Schwert nicht zur Handhabung gegeben. Was er dennoch tut, tut er zu seinem eigenen Schaden in Willkür ... Begriffe wie ,Ausmerzen', .Liquidieren' und ,unwertes Leben' kennt die göttliche Ordnung nicht. Vernichtung von Menschen, lediglich weil sie Angehörige eines Verbrechers, alt oder geisteskrank sind oder einer anderen Rasse angehören, ist keine Führung des Schwertes, das der Obrigkeit von Gott gegeben ist." „Unsere Verantwortung vor G o t t . . . können wir uns in keinem Falle von anderen abnehmen lassen. Wohl können wir in manchen Fällen nicht übersehen, ob richterliche Urteile zu Recht oder Unrecht gefallt sind, und ob ein Krieg zu Recht oder zu Unrecht gefuhrt wird ... Wo wir aber deutlich erkennen, daß Unrechtes von uns verlangt wird, oder daß uns verwehrt wird, das nach Gottes Willen Rechte zu tun, haben wir in eigener Verantwortung zu tun, was vor Gott recht ist, und haben darin Gott mehr als den Menschen zu gehorchen ... Gott wird die von uns fordern, die wir zu Unrecht töteten, und furchtbar ist die Drohung, die gegen den Mörder ausgesprochen wird (Oflb 21, 8; 22, 15)." Ja, die Synode beschloß darüber hinaus noch ein Kanzelwort an die Gemeinden zum Bußtag 1943, in dem in knapperer Form die Mißachtung und Verkehrung der Gebote Gottes beim Namen genannt und zum fünften gesagt wurde: „Wehe uns und unserem Volk, wenn das von Gott gegebene Leben für gering geachtet und der Mensch, nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen, nur nach seinem Nutzen bewertet wird; wenn es für berechtigt gilt, Menschen zu töten, weil sie für lebensunwert gelten oder einer anderen Rasse angehören, wenn Haß und Unbarmherzigkeit sich breit machen. Denn Gott spricht: ,Du sollst nicht töten'." 84 Das Wort ist laut Bericht noch „von vielen Kanzeln" verlesen worden, obwohl davor gewarnt wurde und etwa Dibelius geurteilt hatte: „Alles, was wir bisher verlesen haben, war ein Kinderspiel gegen dies." Merkwürdigerweise „erfolgte aber nichts". „Wahrscheinlich war die Abkündigung in dem Bombenhagel, der gerade damals über Berlin erging, überhört oder vergessen worden."85 256
Der erste Text, die wichtige Auslegung des Gebots, sollte nach Beschluß der Synode „als Handreichung an Pfarrer und Älteste" verwandt und ein Exemplar sollte Landesbischof Wurm „persönlich übergeben werden als erstes Wort einer uns alle bewegenden Frage mit der Bitte, es entsprechend für alle aufzunehmen". 86 Umgekehrt gab die Synode „zustimmend und dankbar" ein Wort Wurms an die Stuttgarter Pfarrerschaft auch in Preußen weiter, in dem es hieß: „Auch unser deutsches Volk hat ... große Schuld auf sich geladen durch die Art, wie der Kampf gegen Angehörige anderer Rassen und Völker vor dem Krieg und im Krieg geführt worden ist. Wieviel persönlich Unschuldige haben für Sünde und Unrecht ihrer Volksgenossen büßen müssen. Können wir uns wundern, wenn wir das nun auch zu spüren bekommen? Und wenn wirs nicht gebilligt haben, so haben wir doch oft geschwiegen, wo wir hätten reden sollen!"87 Gerade in dieser entscheidenden Frage erwies sich eine neu gewonnene, echte Gemeinsamkeit. Man darf es wohl auch als Erfüllung der Synodalbitte ansehen, wenn Wurm in seinem letzten Brief an Reichsminister Lammers vom 20. Dezember 1943, in dem er noch einmal für die Mischlinge ersten Grades eintrat, deren Gleichstellung mit den Volljuden drohte, die Sätze einfügte, er müsse „in Übereinstimmung mit dem Urteil aller positiv christlichen Volkskreise in Deutschland erklären, daß wir Christen diese Vemichtungspolitik gegen das Judentum als ein schweres und für das deutsche Volk verhängnisvolles Unrecht empfinden. Das Töten ohne Kriegsnotwendigkeit und ohne Urteilsspruch widerspricht auch dann dem Gebot Gottes, wenn es von der Obrigkeit angeordnet wird, und wie jedes bewußte Übertreten von Gottes Geboten rächt sich auch dieses früher oder später. Unser Volk empfindet vielfach die Leiden, die es durch die feindlichen Fliegerangriffe ertragen muß, als Vergeltung für das, was den Juden angetan worden ist. Das Brennen der Häuser und Kirchen,... die Flucht aus den zerstörten Häusern mit wenigen Habseligkeiten, die Ratlosigkeit im Suchen eines Zufluchtsortes erinnert die Bevölkerung aufs Peinlichste an das, was bei früheren Anlässen die Juden erdulden mußten ... Wer es mit dem deutschen Volke gut meint, kann nur dringend bitten, daß an den Mischlingen und den mit Jüdinnen verheirateten Ariern nicht noch weiteres Unrecht verübt wird."88 Diesmal erhielt Wurm tatsächlich eine Antwort, und zwar unter dem 3. März 1944 von Lammers aus dem „Feldquartier", freilich keine Antwort auf die Sachfragen, sondern eine nachdrückliche Zurechtweisung und Warnung. Lammers führt, sogar unter Beifügung von Abschriften, all die Eingaben und Äußerungen an, die die Reichsregierung „auf die Dauer nicht hinnehmen" könne: Die Eingaben vom 20. Dezember und 257
vom 16. Juli 1943, aber auch ein Schreiben an Marahrens vom 9. August 1943 - dieser hatte sich in seinem Wochenbrief für „rückhaltlose Entschlossenheit" in diesem Krieg ausgesprochen, der „frei von aller Sentimentalität gefuhrt werden" müsse und auf den das lutherische Berufsethos entschlossen anzuwenden sei, wenn die Kirche „ihrem Heiland nicht etwas Entscheidendes schuldig bleibt"; und Wurm hatte darauf entgegnet: „Ein Verhalten der Kirche, das auch jetzt nichts besseres weiß als restlose Zustimmung zu Parolen der politischen Propaganda, ist in jeder Hinsicht verkehrt und verwerflich und macht sie vor Freund und Feind verächtlich"89 - sowie schließlich das „Offene Wort" an Goebbels vom 1. April 1942, das im Ausland in schwedischer, deutscher, italienischer, französischer und englischer Sprache verbreitet worden sei. Und dann heißt es: „Die Reichsregierung ist Ihnen in den vergangenen Jahren stets mit äußerster Schonung entgegengetreten. Sie hat weitestgehend Ihr hohes Alter, Ihren Gesundheitszustand und die Tatsache berücksichtigt, daß auch Ihre Familie für das Reich hat Opfer bringen müssen" - ein Sohn und Schwiegersohn Wurms waren gefallen. Was die Reichsregierung jedoch nicht hinnehmen könne, wird auf einen Punkt konzentriert: „Wenn ein Mann in Ihrer Stellung die unmenschlichen Angriffe britischer und amerikanischer Terrorflieger nur als Heimsuchung Gottes auffaßt ..., so muß er sich darüber klar sein, daß eine Verbreitung solcher Gedankengänge geeignet wäre, den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen." Nach dem Hinweis darauf, „wie sehr Ihre Äußerungen, die von einem tiefen Mißtrauen gegen den Führer und die Führung des Reiches erfüllt sind, dem Wunsch des Feindes entsprechen", und der Warnung vor einer künftigen Weitergabe solcher Schriftstücke an Dritte heißt es abschließend: „Ich verwarne Sie hiermit nachdrücklich und ersuche Sie, sich in Zukunft auf das peinlichste in den durch Ihren Beruf gezogenen Grenzen zu halten und Ausführungen zu Fragen der allgemeinen Politik zu unterlassen. Ich rate Ihnen ferner dringend, sich in Ihrem persönlichen und beruflichen Verhalten die größte Zurückhaltung aufzuerlegen. Von einer Beantwortung dieses Schreibens bitte ich abzusehen."90 Damit war auch die Stimme des letzten Mahners, zwar nicht für Württemberg selbst, aber für das Reichsgebiet, zum Schweigen gebracht. Die Verkündigung in den Gemeinden aber geschah weiter, trotz aller, oft kaum vorstellbaren Schwierigkeiten, und manche Menschen haben bezeugt, daß sie in der dunkelsten Zeit darin Kraft und Halt und auch ein Stück Wegweisung fanden, wenn man Ohren hatte zu hören. Die Bruder258
rate haben, soweit es die Verhältnisse zuließen, noch weiter Verbindung mit ihren Leuten daheim und draußen gehalten, die Gemeinden mit Hilfen für den Dienst versorgt und sich naturgemäß auch Gedanken über die notwendigen ersten Schritte nach Kriegsende gemacht. Der altpreußische Bruderrat tagte noch regelmäßig bis März 1945. Dieser Tatsache, daß die aufgetragene Verantwortung trotz aller Schwierigkeiten und Einschränkungen soweit noch irgend möglich wahrgenommen wurde, war es zu danken, daß nach der Befreiung in den verschiedenen zerstörten Kirchengebieten sofort Kontakte zu den durch das Einigungswerk Zusammengerückten aufgenommen und vorläufige Leitungen gebildet werden konnten, so daß zumindest ein behelfsmäßiger Neubeginn und eine geordnete Weiterfuhrung der Arbeit möglich wurde, bis dann Ende August 1945 in der von Wurm einberufenen Kirchenversammlung in Treysa, zu der der Reichsbruderrat eine zehnköpfige Delegation mit Niemöller und Barth entsandte, die ersten Entscheidungen über Arbeit und Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland, wie sie jetzt hieß, getroffen werden konnten.
Am Ende dieses Überblicks wird ein Doppeltes festzuhalten sein: Bei allen unvergeßlichen Beweisen tapferen Zeugnisses und der Bereitschaft des Leidens bis zum Tod - zu den 18 Blutzeugen der BK, die im Zusammenhang mit ihrer kirchlichen Arbeit den Tod fanden, wird man die Zahl all derer hinzurechnen müssen, die als bewußte Christen sich zum politischen Widerstand entschlossen und dafür starben - war der Verlauf des Kirchenkampfes im ganzen keine Ruhmesgeschichte. Die daran beteiligt gewesen und selbstkritisch geblieben sind, werden als erste jeder Glorifizierung widerstehen. Das Wort von der gemeinsamen Schuld vom Oktober 1945 in Stuttgart war die einzig mögliche Antwort im Gedenken an jene Jahre. Dabei war das schwerste Versagen, das versäumte gemeinsame Eintreten fiir die gemarterten jüdischen Mitmenschen, noch gar nicht voll zum Bewußtsein gekommen. Daß Kirchen in den besetzten Ländern wie Holland, Frankreich, Norwegen sich im Gedanken an den deutschen Kirchenkampf ihrerseits als bekennende Kirchen verstanden und gerade in der Fürsorge fiir die Entrechteten eine entscheidende Aufgabe sahen91, erfuhren wir erst später und machte das Versäumte um so drückender. So haben sich uns, und dies ist das andere, von den Tagen der Bedrängnis an, vielfach aber auch erst danach und oft gegen eigenes Widerstre259
ben, Einsichten aufgedrängt, die nicht wieder verloren gehen dürfen und die es verbieten sollten, die Zeit des Kirchenkampfes zu einer bloßen, interessanten Episode der Vergangenheit werden zu lassen. Daß es dazu nicht kommt, hängt freilich von der Bereitschaft zum Nach-Denken, zur Selbstprüfung und zum Weiterlernen ab.
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So sahen wir es damals Texte aus der Kirchenkampfzeit
Einige Beispiele eigener Predigten oder Ansprachen möchten deutlich machen, wie ein Pfarrer damals versucht hat, Antwort auf die zur Entscheidung stehenden Fragen aus der biblischen Botschaft zu gewinnen und weiterzuvermitteln. Um der Echtheit willen sind, von geringfügigen Kürzungen abgesehen, die Texte nicht verändert.
Wahre oder falsche Kirche Predigt über 1. Könige 22,1-28 Gehalten bei verschiedenen Bekenntnisgottesdiensten 1935 Eine eigenartige Geschichte, liebe Gemeinde, ein Kirchenkampf im Alten Testament. Propheten, die sich nicht einig sind, Verkündiger des Wortes Gottes, Prediger des Friedens, wie man gerne sagt, die der Welt das häßliche Bild von untereinander streitenden Gruppen geben. Ja, der Kirchenkampf ist so alt wie die Kirche selbst. Seitdem Gott, der heilige Geist, seine Kirche „berufen, gesammelt, erleuchtet", sie zusammengeführt hat zu seiner Schar, seitdem gibt es einen Kampf der Kirche. Kampf zwischen der echten und falschen Kirche, zwischen der Kirche Gottes und der Kirche der Welt, zwischen der Kirche Jesu Christi und des Antichrist. Das ist die Not, die uns auch in unserer Zeit bewegt. Wahre oder falsche Kirche ist das Thema dieser seltsamen Geschichte. Auch ohne viel Erklärung ist wohl klar, wo da die falsche und wo die echte Kirche steht. Auf der einen Seite die 400 Propheten, falsche Propheten, und auf der anderen Seite der eine wirkliche Prophet Gottes, Micha. Und wenn uns dieser Gegensatz an nichts anderem deutlich würde, dann zum mindesten an ihrer verschiedenen Stellung in der Welt: Die einen, die 400, geduldet, wohlwollend angehört, unbehelligt; und der andere gehaßt, abgelehnt und schließlich mit Gewalt zum Schweigen gebracht. So haßt die Welt zu aller Zeit die wahre Kirche, die ihr doch nichts anderes als die Wahrheit Gottes verkündigt. Die anderen 400 dagegen hat Ahab gern geduldet. Und doch: wirklich ernst genommen hat er sie nicht. Um Gottes und um seines Heiles willen notwendig waren ihm auch diese 400 nicht. Er denkt überhaupt erst an sie, als Josaphat, der fromme König Judas, sagt: Frage doch zuerst des Herrn Wort, bevor du deine Kriegspläne in Gang bringst. Da erst denkt auch Ahab an seine Propheten. Ernst genommen hat er sie nicht. Er nahm nur eines ernst: Seinen eigenen Willen, seine Wünsche, seine Ziele, die mußten durchgesetzt werden. So nimmt die Welt Propheten, seien es falsche oder echte, nicht ernst, sie braucht sie nicht und hat auch nicht 263
nötig, auf ihr Wort zu hören. Die Welt nimmt nur eines ernst, und das ist ihr eigener Wille, sind ihre eigenen Ziele. Sie stehen fest, sie müssen und werden durchgesetzt werden, einerlei was Propheten dazu sagen. Und doch gibt es 400 Propheten in Ahabs Königreich. Er duldet sie nicht nur, sondern scheint sie sogar unterhalten und bezahlt zu haben. Sie heißen „seine" Propheten, waren also eine Art Staatspropheten, wir würden sagen Staatskirche. Seltsame Sache: Der Mann, der das Wort der Propheten nicht nötig hat und auch nicht ernst nimmt, hält sich 400 Propheten, unterhält auf seine Kosten eine Staatskirche. Aber eins ist klar: Er unterhält sie nicht, damit sie ihm Gottes Wort und Willen sagen sollen, sondern damit sie ja sagen zu seinen Plänen und ihnen die feierliche Bestätigung geben. Das ist einziger Zweck dieser Propheten, dafür werden sie bezahlt. Sie sollen Ahabs Willen bestätigen und ihm die religiöse Weihe geben. Sie sollen sagen vor dem Volk: Hier spricht nicht Ahab, sondern Gott, seine Stimme ist Gottes Stimme. Und als Ahab nun auf die Aufforderung Josaphats hin fragt: Was soll ich tun, soll ich hinaufziehen in den Krieg oder soll ich es lassen? da ist ihm um die Antwort nicht bange. Er kann sich auf seine Propheten verlassen, sie machen keine Schwierigkeiten. Sie beeilen sich, ihm den Wunsch vom Munde abzulesen, und einstimmig antworten sie: Zieh hinauf, der Herr wird's in die Hand des Königs geben; wie kann es auch anders sein, dein Wille ist Gottes Wille. Gott ist mit dir und muß dich ja segnen! Ob Ahab diese seine Propheten geachtet hat? Ich glaube es nicht. Die Welt kann Leute, die nur ja, ja sagen, nicht achten, aber gut gebrauchen. Das ist die eine große Versuchung der Kirche zu allen Zeiten, die Versuchung auch jedes einzelnen, der Glied dieser Kirche sein will. Sie hat in dieser Welt nur einen einzigen Auftrag, nicht etwa die Welt zu verschönern durch tiefsinnige Lehren, nicht etwa Einfluß zu gewinnen und Macht zu sammeln, sondern einzig und allein Gottes Willen und Wahrheit zu verkündigen, ohne Menschenfiircht und -scheu das zu sagen, was Gottes Wort gebietet. Und dies ist die eine große Versuchung der Kirche, daß sie anfangt, das zu sagen, was die Welt gebietet, daß sie danach schielt, was die Menschen erwarten, daß sie anfangt, so zu verkündigen, wie es die Leute hören wollen, daß sie also zur Dienerin der Menschen, zur Dienerin des Volkes wird, statt allein Dienerin Gottes zu sein. Das ist auch die Entscheidungsfrage im Kirchenkampf, der uns schon seit Jahren bewegt. Es geht dabei nicht um Rechthaberei oder um Dogmengezänk, nicht um Machtfragen oder politische Dinge, es geht um die eine Entscheidungsfrage: Verkündigt die Kirche als Kirche Jesu Christi Gottes 264
Wort und Wahrheit allein, oder stellt sie sich ein auf den Willen der Menschen und auf das, was sie von ihr erwarten, und wird damit falsche Kirche? Nun haben wir als Kirche des Neuen Testaments gewiß nicht einzelne Wahrheiten und Worte Gottes für bestimmte Lagen des Volkslebens zu verkündigen, wie es die Propheten tun mußten, die den Auftrag bekamen, ihrem Volk zu sagen: So spricht der Herr, das ist jetzt in dieser Sache sein Wille. Sondern wir haben als Kirche die Wahrheit des Evangeliums zu verkündigen, wie sie zusammengefaßt ist in dem Satz: Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, Jesus ist der Christus, der Heiland Gottes, der Mensch geworden ist. Darum geht es in aller Verkündigung, das ist Inhalt und Mitte des ganzen Wortes Gottes, das verkündigt die Kirche Jesu Christi zu aller Zeit aller Welt: Jesus von Nazareth im jüdischen Land ist nicht nur ein Großer seiner Zeit, ist nicht nur der Edelste unter den Menschenkindern, sondern ist der Christus, der Verheißene Gottes, der in die Welt gekommen ist, und er ist der alleinige Weg zum Vater. Wir könnten das Entscheidende, was die Kirche der Welt zu verkündigen hat, zusammenfassen in den Worten der Erklärung Luthers zum 2. Artikel: „Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, auf daß ich sein eigen sei." Das ist das Evangelium, das die Kirche zu verkündigen hat. Es ist die Botschaft von der Verlorenheit des natürlichen Menschen und die Botschaft von der alleinigen Rettung durch Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Nun geht es auch in unserer Zeit darum, ob die Kirche diese ihre Botschaft allein recht ausrichtet, oder ob sie sich einstellt auf das, was die Welt von ihr erwartet. Nur sollen wir nicht meinen, daß wahre und falsche Kirche sich darin unterscheiden, daß die eine Christus verkündigt und die andere ihn verwerfen und abtun will. Nein, es wird auf beiden Seiten von Gott und Christus und christlichem Glauben geredet, so wie damals bei den Propheten vor Ahab auf beiden Seiten von Gottes Wort und Willen geredet wurde. Und doch meinen beide ganz verschiedene Dinge. Die falsche Kirche ist der Versuch, die Botschaft von Christus mit dem Willen und den Botschaften der Welt zu versöhnen und in Einklang zu bringen. 265
Da sind in unserer Zeit Grundlagen des völkischen Lebens neu erkannt worden: Blut und Boden, Rasse, Freiheit, Ehre, und auch Christenmenschen wissen, daß diese Dinge zu den natürlichen Grundlagen des Lebens eines Volkes gehören, und sind bereit, diese Werte dankbar zu achten. Aber nun standen Männer auf, die in allen möglichen Formen aussprachen: Diese völkischen Werte sind nicht etwa nur irdisch-natürliche Dinge, sie sind ewige Werte, sie sind unser Bekenntnis, unser Glaube, die Beachtung dieser Werte ist unsere Verehrung Gottes. Dienst am Volk ist Gottesdienst, und darum habt ihr als Kirche dies auch zu verkündigen, habt das mit hineinzunehmen in eure Predigt, denn ohne das gibt es keinen Gott wohlgefälligen Gottesdienst. Ihr habt eure Verkündigung damit in Einklang zu bringen, und diese unsere Weltanschauung entscheidet über Wert oder Unwert eurer Botschaft. Alles, was mit diesen Höchstwerten unserer Weltanschauung nicht zusammenklingt oder damit in Widerspruch steht, das ist auszuscheiden. Darum muß fallen das Alte Testament als Religionsbuch, denn es macht uns zu Juden; es muß aufhören die Predigt von dem Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt, denn es widerspricht dem Adel des nordischen Menschen; es ist auszuscheiden Paulus, denn er hat das Evangelium verdorben. So sagt es Alfred Rosenberg. So verständlich das alles ist vom Standpunkt derer aus, die das Evangelium nicht wirklich kennen, es ist die große Versuchung der Kirche, daß sie solchen Forderungen nachgibt. Es ist eine dämonische Verirrung, der so viele in der Kirche anheim gefallen sind, daß sie angefangen haben, das Evangelium zu vermischen mit menschlich-irdischen Wahrheiten, die Botschaft von Christus damit in Einklang zu bringen und zu verändern. Die einen weitgehend und radikal, so daß sie bereit waren, ganze Teile der Bibel, ja, wie einer gesagt hat, Jesus selbst dranzugeben, daß sie offen irdische Werte als Evangelium vor Gott und irdisches Tun als allein wahren Gottesdienst verkündigt, daß sie selbst die Sakramente umgedeutet haben zu Sinnbildern deutscher Erde und deutschen Blutes. Die anderen dagegen unmerklich und fein, so daß viele es gar nicht spürten. Doch darin waren und sind sie sich alle einig: Die Verkündigung der Kirche muß mit der Weltanschauung unseres Volkes in Einklang gebracht, die Grundlagen unseres Volkslebens müssen von der Kirche auch als eine Offenbarung Gottes verkündigt werden. Aber die Kirche Jesu Christi kann dazu nicht ja sagen. Nicht, weil sie eben reaktionär und staatsfeindlich ist oder weil sie diese völkischen Dinge ablehnt, wie könnte sie das. Aber sie kann ihre Botschaft nicht 266
danach ausrichten, wie sie selber es will oder Menschen es erwarten. Sie kann nicht dazu ja sagen, daß irdische Größen und Werte, die ihre Bedeutung im Raum des Volkes haben, nun als Evangelium Gottes verkündigt werden, wodurch wir vor Gott gerecht würden. Sie weiß sich gebunden an den Auftrag ihres Herrn, nichts zu verkündigen, als was er ihr geboten hat. Und das ist ihr Auftrag: Dieser Welt, auch unserem Volk, zu sagen in aller Klarheit und ohne jede Abschwächung, daß uns nichts, was wir hier tun und treiben, schaffen, leisten und vollbringen, und sei es noch so groß, über unsere Schuld vor Gott hinweg und hin zu ihm bringen kann; daß unsere Rettung allein in dem beschlossen ist, der gesagt hat: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich." Es ist der Kirche Christi geschenkt worden, in dieser Zeit zu bekennen: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen." Kirche, die anders lehrt, die anfangt, andere Mächte, Gestalten und Wahrheiten mit dem Evangelium zu vermengen und als Gottes Offenbarung zu verkündigen, die anfangt, das Ärgernis des Evangeliums, nämlich des Kreuzes, preiszugeben, damit um so mehr Christen werden und wir eine große Nationalkirche der Deutschen haben könnten, eine solche Kirche ist Kirche der falschen Propheten geworden. Sie wird sicher geduldet sein, vielleicht auch gern gehört werden, aber den Auftrag ihres Herrn hat sie verleugnet und ist schuldig am Blut all derer, denen sie die ganze Wahrheit hätte sagen sollen und hat ihnen dafür ein anderes Evangelium verkündigt. Aber wo wirklich Gemeinde Jesu ist, Menschen, die nicht neben und über, sondern unter dem Wort Gottes stehen, da spüren sie, daß dies nicht Kirche ist, so wie Josaphat es gespürt und sich abgewandt hat. So haben sich auch in unserer Zeit viele abgewandt von solcher falschen Kirche und fragen: Ist da kein anderer Prophet mehr, keine rechte Kirche, die uns das Wort sagt? Eine peinliche Frage für Ahab. Was liegt ihm überhaupt an Propheten? Immerhin, die 400 kann er gebrauchen; der andere, Micha, ist ihm verhaßt: Dem bin ich gram, er weissagt mir eitel Böses. Er ist ein Staatsfeind, würde es heute heißen. Erst auf Drängen Josaphats läßt er ihn rufen. Aber der Bote muß ihn gut instruieren: Rede nur Gutes, 267
wie die anderen alle! Micha jedoch antwortet, und es ist das Bekenntnis der wahren Kirche: Was der Herr mir sagen wird, das will ich reden. Es ist die einzige Antwort der Kirche auf die Forderung der Welt: du mußt deine Botschaft umstellen, du mußt hören, was man von dir erwartet. Die Antwort kann nur sein: So wahr der Herr lebt, ich kann es nicht. Ich kann nur verkündigen, was er mir sagt. So tritt er vor Ahab mit bitterem Spott über die Propheten, die mit Hörnern da herumrasen: Ja, zieh hinauf, es wird dir schon gelingen, deine Propheten haben's dir doch gesagt. Und beschworen, nur die lautere Wahrheit zu sagen, kommt nun die bittere Botschaft von Gottes Zorn und Gericht und von Ahabs Ende: Er wird hinaufziehen und wird darüber zugrunde gehen. Ein furchtbares Wort, und doch, hätte Ahab es gehört, es hätte wohl das rettende Wort sein können, das ihn vom Abgrund zurückgerissen hätte. Er wollte es nicht hören, er wollte auch aus dem Munde dieses Propheten nur seinen eigenen Willen hören. Und so fahrt er auf: Habe ich es nicht gesagt, daß er mir nur Unheil weissagt! Nun das Letzte und Entscheidende: Micha zeigt uns den Hintergrund der falschen Kirche. In einem Gesicht hat er den Herrn sitzen sehen auf seinem Thron und die himmlischen Heerscharen um ihn. In dieser himmlischen Gerichtsverhandlung ist das Urteil über Ahab gesprochen worden: Er muß sterben um seiner Sünde willen. Und wer wird ihn dazu bringen, den Weg ins Verderben zu gehen? Da tritt ein Geist hervor und spricht: Ich will ein falscher Geist sein in aller seiner Propheten Mund, damit Ahab vollends in sein Verderben rennt. Und dieser falsche Geist soll's ausrichten, und er hat es ausgerichtet. Das also ist der Hintergrund der falschen Kirche: nicht nur Menschenfurcht und -gefälligkeit - oft freilich auch nichts als das - , im Grunde aber ein falscher Geist, der gerade Prediger des Evangeliums verfuhrt und verblendet, daß sie eine andere, falsche Botschaft verkündigen. Das ist vielleicht die furchtbarste Erfindung Satans, diese Kirche der falschen Propheten, wo er sich am vollkommensten verkleidet in einen Engel des Lichts und dann die meisten ahnungslos seiner Verführung zum Opfer fallen. Gerade Prediger des Evangeliums werden so verführt, daß sie meinen, sie selbst verträten doch die Wahrheit, daß sie entrüstet daherfahren wie dort Zedekia, der Micha auf den Backen schlägt in vollster Überzeugung: Wie, ist etwa der Geist des Herrn von mir gewichen, daß er aus dir redete? Auf meiner, auf unserer Seite ist doch Gott - und in Wahrheit ist es nur ein falscher Geist. Man muß unwillkürlich denken an manche beschämenden Vorgänge zwischen Predigern der Kirche in unserer Zeit. Laßt uns bitten um offene 268
Augen, daß wir die Wahrheit erkennen und vor Verführung bewahrt werden, und laßt uns bitten auch für alle verführten Brüder, daß sie durch den heiligen Geist zur Wahrheit zurückfinden. Und laßt uns ringen und beten darum, daß wir rechte Kirche seien, die das Wort von Christus allein und ganz und unvermischt ausrichtet. Es wird uns dann vielleicht gehen wie Micha, der um dieses Zeugnisses willen leiden mußte. Wir wissen ja, daß zu allen Zeiten seine Zeugen um dieses ihres Zeugnisses willen haben leiden müssen, und daß auch in unseren Tagen unsere verhafteten Brüder NN , was man ihnen im einzelnen auch vorwerfen mag, zuletzt um dieses Zeugnisses willen leiden. Wir werden wohl Verachtung und Haß der Welt zu spüren und zu tragen haben und werden uns sagen lassen müssen, wir seien Staatsfeinde, und wollen doch nur den Dienst tun, der der wichtigste ist für unser Volk, ihm den Weg zu Gott durch Jesus Christus zu zeigen. Laßt uns ringen und beten darum, daß wir solche rechte bekennende Kirche des Herrn Jesus Christus seien, die in Dingen dieser Welt Untertan ist ihrer Obrigkeit und für sie betet, die aber verkündigt nach ihrem Auftrag Christus und sein Wort allein. Amen.
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Aufgeben oder im Glauben bestehen? 4. Mose 13,25-14, 9 Biblische Einleitung zur BK-Pfarrerversammlung am 1. November 1935 in Frankfurt/Main, zur Zeit der Berufung der Kirchenausschüsse durch Minister Kerrl Israel hat einen großen Teil seines Weges zurückgelegt. Es war ein Weg der Gnade und der Wunder Gottes gewesen; freilich auf das Volk selbst gesehen ein Weg unablässiger Sünde und Schwachheit, ein dauerndes Schwanken zwischen Glauben und Verzagen, zwischen Erleben reicher Gotteshilfe und gottlosem Murren, zwischen Ja-Sagen zu Gottes Wort und praktischer Auflehnung gegen seinen Willen. Und trotz dieses beschämenden Bildes war es ein Weg der Barmherzigkeit ihres Herrn, der dennoch geführt und getragen hatte bis dahin: Durch eine hohe Hand waren sie ausgezogen aus Ägypten, der Herr selber hatte ihnen ermöglicht, daß sie trotz Widerstandes der Welt ihren Weg nach Gottes Willen gehen konnten. Durch Wunder waren sie durch die Not am Schilfmeer hindurchgetragen worden, trotz des entschlossenen Versuchs der Welt, ihrem Weg ein Ende zu machen, dennoch hindurchgerettet, und die Macht Ägyptens hatte sich beugen müssen diesem machtlosen Volk gegenüber, denn der Herr war mit ihnen. Auf einem aussichtslos scheinenden Weg durch die Wüste hatte er sie gefuhrt, einem Weg, der für nüchterne Leute ein tolles, wahnwitziges Unterfangen war, mit einem ganzen Volk durch die Wüste zu ziehen. Der Herr hatte sie gefuhrt von Tag zu Tag, ihnen Speise und Trank täglich gegeben, ja, über Bitten und Verstehen geholfen, daß der Weg nicht irgendwo mit einer Katastrophe endete, sondern weiterging, dem Ziel zu. Und vor allem: Trotz ihres Versagens hatte dieser Herr sie immer wieder gewürdigt seiner Nähe und Gegenwart, hatte ihnen durch Wolke und Feuersäule den Weg gezeigt, hatte einen Bund mit ihnen gemacht, hatte sie immer wieder sein Wort hören lassen, das Wort richtenden Ernstes und doch vergebender Gnade. So war es zu diesem Weg des Wunders gekommen, einem Weg voll menschlichen Versagens und doch voll der Herrlichkeit des Herrn. Liebe Brüder, ist das nicht unser Weg, oft bis in die Einzelheiten und Kleinigkeiten hinein unser Weg? Sowohl auf unser Versagen gesehen, auf unser Schwanken zwischen Trotz und Verzagtheit, als auch darauf gesehen, daß es ein Weg voll vergebender Gnade und Herrlichkeit des Herrn ist, voller Wunder. Es ist gut, wenn wir uns das an entscheidenden Punkten wieder einmal klar machen und zurückschauen auf den gemeinsamen 270
Weg. Nicht um hängen zu bleiben am Vergangenen, um auf Lorbeeren auszuruhen oder auch uns niederdrücken zu lassen, sondern damit wir nicht blind vorwärts stürmen und auf Abwege gehen, sondern dieser Weg nach des Herrn Willen und unter seiner Gnade weitergehe. Damit es derselbe Weg bleibe, der Weg voll menschlicher Armseligkeiten - es wird darin nicht anders werden - und doch voll Herrlichkeit des Herrn - gebe Gott, daß es auch darin nicht anders werde! Und was war der Sinn dieses ganzen Weges Israels, seine tiefste Bedeutung? Es war der Weg aus der Knechtschaft der Welt zur Freiheit der Kinder Gottes, aus der Bindung an die Mächte der Welt zur Bindung allein an Gott den Herrn, weg von der Weltkirche, die der Welt zu dienen hat und ihr verknechtet ist, zur Kirche, die allein Eigentum ihres Herrn sein soll. Ist dieser Weg Israels nicht auch darin unser Weg? Auch das wird gut sein, daß wir uns immer wieder und gerade an entscheidungsvollen Punkten besinnen auf diesen tiefsten Sinn unseres Weges. Und nun steht Israel vor dem Ziel, an der Grenze des verheißenen Landes. Ja, sagten sie wohl damals jubelnd, endlich am Ziel, das Land ist erreicht, die Freiheit errungen; endlich ist der entbehrungsreiche Weg zu Ende, auf dem es Tag für Tag durch Glauben ging und nicht durchs Schauen. Aber Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Israel sagte: am Ziel; der Herr aber sprach: vor dem entscheidenden Kampf. Israel meinte, der Weg sei zu Ende; der Herr aber zeigt ihnen, daß er erst am entscheidenden Punkt angekommen ist. Kanaan lag ja nicht für Israel bereit, sondern wollte erst errungen sein. Bisher war es nur um den Weg gegangen, jetzt ging es um das Land, um Wohnen und Besitzen, bisher nur um Durchzug, jetzt aber um Boden für die weitere Existenz. Und dieser Boden lag nicht herrenlos bereit, sondern mußte im Entscheidungskampferrungen werden. Das war das Ergebnis des Kundschafterzuges, ein sehr ernüchterndes und enttäuschendes Ergebnis: Große, feste Städte, starke, ja riesenstämmige Völker. Ein enttäuschendes Ergebnis. Es ist ja wohl immer so, daß wir in unserer Scheu vor Entbehrungen und Ungesichertheiten, der Scheu vor dem täglichen Glaubenmüssen gern den Weg abkürzen und befreit aufatmend sagen möchten: am Ende, am Ziel!, daß wir uns hineinträumen in eine wieder menschlich gesicherte Existenz und voreilig reden vom Ziel, wo unser Herr erst von der großen Entscheidung spricht. Ob er uns nicht in diesen Tagen ernstlich und so, daß wir es nicht überhören, sagen möchte, daß wir nicht träumen sollen vom erreichten Ziel, sondern uns darüber klar sind, daß auch unser weiterer Weg ein Weg des Glau271
bens und nicht des Rechnens sein wird, gegründet auf Wort und Verheißung des Herrn allein und nicht auf unsere menschlichen Möglichkeiten und Aussichten? Ob er uns nicht klarmachen möchte, daß der Weg seiner Gemeinde und seines Volkes immer ein Weg des Glaubens sein wird und sein muß, wenn er noch der Weg Gottes sein soll? Möchte nicht der Herr Christus uns heute deutlich machen, was er immer wieder den Jüngern gesagt und wir vielleicht noch nie wirklich verstanden haben: Wer sein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, verleugne auch all sein gesichertes Lebenwollen, das Rechnen mit menschlichen Möglichkeiten, das Bauen auf unsere Fähigkeiten und auf das Verständnis der Menschen, das Liebäugeln mit einer einigermaßen normalen, geruhsamen und gesicherten Existenz. Der Herr ruft Israel und uns auf den Weg des Glaubens, und zwar noch ganz anders als bisher. Das ist das Ergebnis des Kundschafterdienstes. Ist es nicht sein Wort an uns in dieser Stunde? Und die Antwort des Volkes, der Gemeinde auf den Ruf ihres Herrn, weiter zu glauben, gerade jetzt vor dem Entscheidungskampf nur auf seine Stimme zu hören und zu tun, was er will - die Antwort hieß: Die ganze Gemeinde fuhr auf und schrie. Die Gemeinde Gottes schrak zurück vor diesem entscheidungsvollen Weg und verzweifelte daran. Es ist das gleiche Bild des bald trotzigen und dann wieder verzagten Herzens. Es ist unser Bild. Wer von uns möchte leugnen, daß ihm nicht auch schon solche Gedanken und verzweifelten Stimmungen gekommen sind. Ich bin gewiß, daß auch Kaleb, der tapfere und glaubensfrohe Mann, die Stimme des Versuchers gehört hat: Könnt ihr das durchsetzen, wie soll das gehen? Es war bisher schon schlimm genug, aber jetzt? Wäre es nicht besser gewesen, die ganze Sache nicht anzufangen? Es war vielleicht doch alles nur ein menschlicher Weg und nicht Gottes Stimme? Wäre es nicht noch rückgängig zu machen? Wer von uns muß nicht gestehen, daß auch er diese versuchliche Stimme kennt, diese dunklen Stunden, in denen alles vergessen ist, was wir erlebt haben und wie wir wunderbar gefuhrt worden sind; wo sich die geheimen Gedanken regen, wir möchten zurück, zurück nach Ägypten, und alles ungeschehen machen, - weil wir vor der entscheidenden Probe zurückschrecken. Möchte unser Herr uns schenken, daß wir wie Josua und Kaleb zu solchen verführerischen Gedanken nein sagen und nicht nach irdischen Hilfen und Möglichkeiten Ausschau halten; daß wir dennoch unsere Zuversicht allein auf den Herrn setzen und im Blick auf ihn auch den Weg in die Entscheidung getrost gehen und wie Kaleb das Volk zu stillen vermögen. 272
Denn das wird not sein auch unter uns, „das Volk zu stillen". Wir sind vielleicht heute schon an dem Punkt oder werden gewiß noch dahin geführt werden, wo das Volk, die Gemeinde, unsere Gemeinden den Weg nicht mehr verstehen und nicht mehr mitgehen, sondern daran verzweifeln, wo viele die Kraft zu dem Nein nicht mehr aufbringen und wünschen werden, den Weg zurückzugehen oder irgendwie in einen tragbaren Kompromiß zu willigen. Dann wird heute, oder wann das sein wird, es unsere heilige Pflicht sein, nicht nur zu bitten um den Geist Kalebs, den Geist des Glaubens, sondern die Gemeinde zu stillen und ihr, soweit wir können, die Augen zu öffnen und zu helfen, daß auch unsere Gemeinden glauben möchten und bereit sind, diesen Weg des Glaubens weiter mit uns zu gehen. Wir werden schuldig werden, nicht nur unseres eigenen Unglaubens wegen, sondern darum, weil wir jenen Kundschaftern gleichen und nicht das Volk gestillt haben. Denn gerade über jene Kundschafter, die den Willen Gottes hätten kennen müssen, aber waren selbst daran verzweifelt und hatten auch das Volk zum Verzweifeln gebracht, ergeht dann das Gericht in unserem Text. Laßt uns bitten um den Geist des Glaubens und dieses brüderlichen, wahrhaft priesterlichen Dienstes untereinander und an den Gemeinden, daß wir auch ihnen Mut machen, den Weg im Glauben getrost weiter zu gehen. Tun wir es nicht, war auch unser bisheriger Weg umsonst. Allerdings gilt es, die Kosten zu überschlagen, ob wir's auch hinausführen können. Das heißt wohl, ob wir bereit sind, abzusagen allem, was wir haben, und dem Herrn nachzufolgen. Da hilft nicht Radikalismus und Begeisterung, sondern nur ernsteste Prüfung und Bitte um den Geist des Glaubens. Aber ist es nicht trotz allem ein schöner Weg, ja, ein leichter Weg? Gilt hier nicht Jesu Wort: „Nehmet auf euch mein Joch", denn: „mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht"? Was ist schwer an diesem Weg angesichts der Zusage: „Fürchtet euch nicht vor ihnen, ihr Schutz ist von ihnen gewichen; der Herr aber ist mit uns." Das heißt nicht, daß wir bald den menschlichen Sieg haben werden, heißt aber, daß auch menschliches Unterliegen Sieg des Herrn sein wird. Es heißt nicht, daß wir es immer gut haben werden, heißt aber, daß in allen Nöten Gott unsere Zuversicht und Stärke sein, daß es in allem Leiden heißen wird: Jesu, meine Freude. War nicht unser bisheriger Weg - nicht weil wir es so gut konnten, sondern weil Gott es nicht anders zuließ - ein Glaubensweg? Und war er zu schwer, selbst wenn manche unserer Brüder durch sehr schwere Stunden 273
gehen mußten? War es nicht doch ein Weg der Freude, für den wir von Herzen dankbar sein dürfen? Darum: „Fürchtet euch nicht vor ihnen!" Eins zuletzt. Wir wissen, wie die Geschichte endet: Weil das Volk diesen Glaubensweg nicht gehen wollte, mußte es 40 Jahre durch die Wüste irren, und keiner von denen, die verzweifelt waren, sah das Land. Wer den Glaubensweg abkürzen möchte und meint, jetzt müsse man am Ziel sein, weiter gehe es nicht mehr, dessen Weg wird ein dauerndes Umherirren sein und zuletzt nicht zum Ziel fuhren. Obwohl doch der Herr mit uns ist und sein will, wie es hier heißt? Dieses „Der Herr ist mit uns" gilt nur solange, als wir ihm das zutrauen und darauf allein unseren ganzen Weg bauen. Sonst wird und muß er wider uns sein. Was uns auf dem Weg Angst machen und erschrecken will, davon heißt es: „Ihr Schutz ist von ihnen gewichen. Darum: Fürchtet euch nicht vor ihnen." Und es gilt auch das andere Wort: „Erschrecket nicht vor ihnen, auf daß ich euch nicht erschrecke vor ihnen." Amen.
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Neue Fragen und doch um die gleiche Entscheidung Bei mehreren Bekenntnisgottesdiensten in Berlin und Züllichau im Mai 1938, denen auch der Text 1. Könige 22 zugrunde lag, waren im Blick aufdie aktuelle Situation folgende Ausführungen eingefügt. Darum also geht der Kampf der Kirche: Die Bekennende Kirche ringt darum, echte Kirche Jesu Christi zu sein, und sie ringt darum, daß unsere ganze Evangelische Kirche Kirche Jesu Christi sei und bleibe und nicht falsche Kirche werde, die ein anderes Evangelium verkündigt. Darum geht es zuletzt auch heute noch, wo der Kampf zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche etwas zurückgetreten ist und es sich scheinbar mehr um Fragen äußerer Ordnung handelt. Jetzt wird von allen Seiten der Bekennenden Kirche vorgeworfen, sie störe die unerläßliche Ordnung, sie wolle ja nur die Macht haben in der Kirche. Wir müssen auch darüber ein Wort sagen um unserer Pflicht zur nüchternen, klaren Erkenntnis willen. Kirche Jesu Christi, die wirklich sein Evangelium rein verkündigt, muß auch Freiheit haben, nicht weil sie frei sein will von jeder Bindung, sondern gerade weil sie gebunden ist an das Wort der Schrift und das Bekenntnis der Väter, das uns dieses Wort ausgelegt hat. Darum weil sie an dies Wort gebunden ist und es allein zu verkündigen hat, darum muß sie frei sein von anderen menschlichen Bindungen. Und hier liegt die Not der Kirche gerade im gegenwärtigen Augenblick. Wir beklagen es vor Gott, daß unsere Kirche diese Freiheit, allein an das Wort Gottes gebunden zu sein, nicht mehr hat. Nachdem die falschen Kirchenleitungen und Bischöfe der Deutschen Christen sich in der Kirche nicht mehr haben durchsetzen können, sind nunmehr in einer Reihe von Landeskirchen durch staatlichen Auftrag Leitungen eingesetzt, die zunächst für äußere Ordnung sorgen sollen, aber die unumschränkte Vollmacht zur Leitung der Kirche zuerkannt bekommen haben. Diese Kirchenleitungen sind in ihrer Amtsführung nicht gebunden an Gottes Wort und die Bekenntnisse der Väter, sie handeln auch nicht von daher und können es gar nicht, denn sie fuhren ihr Amt allein in staatlichem Auftrag und staatlicher Vollmacht. Darum ist auch das Ziel dieser Leitungen nicht das, was allein das Ziel der Kirche sein muß, rechte Kirche Jesu Christi zu sein und nicht Kirche der falschen Propheten zu werden, sondern im Gegenteil: Wir beklagen es aufs tiefste und können es belegen an vielen Beispielen aus den verschiedensten Provinzen und Landeskirchen, daß diese staatlich eingesetzten Lei275
tungen gerade der falschen Kirche den Weg bereiten, daß sie weithin ihr Ziel darin sehen, der Kirche der Deutschen Christen und ihrer Verkündigung Gleichberechtigung und Heimatrecht zu verschaffen in unserer Evangelischen Kirche. Es ist eine schmerzliche Tatsache in Altpreußen sowohl wie in meiner Heimatkirche Nassau-Hessen, daß diese Kirchenleitung Gemeinden, die die rechte Verkündigung bewahrt haben, einen deutschchristlichen Pfarrer aufzwingt, mit allen Mitteln äußerer Gewalt, daß sie da und dort Gemeinden ihre Rechte, ihre Gotteshäuser und Pfarrhäuser nimmt, um dem von ihr ernannten Pfarrer Eingang zu verschaffen. Es soll auf solche Weise die Grenze zwischen echter und falscher Kirche verwischt werden, eine Grenze, die uns auch nicht leicht und lieb, aber doch notwendig ist. Und das Ende wird sein, daß die falsche Kirche, die das Wort vermengt mit menschlichen Lehren, den Sieg hat. Darum, weil es zuletzt auch heute darum geht, kann die Bekennende Kirche um des Wortes Gottes willen auch dieser Kirchenleitung nur widerstehen bis in die äußeren Fragen hinein. Weil wir eben sonst doch auf dem Weg über die äußere Ordnung falsche Kirche werden und unserem Volk die uns aufgetragene Botschaft schuldig bleiben. Wir mögen selber auf unsern Kanzeln das Evangelium noch recht verkündigen können, aber unsere Kirche wird nicht rechte Kirche bleiben, unsere künftigen Pfarrer werden nicht recht ausgebildet, sondern zu Dienern der falschen Kirche werden. Darum also kann die Bekennende Kirche sich nicht allen Anordnungen dieser staatlichen Kirchenleitungen fügen, nicht weil sie nicht will, sondern weil sie an das Wort unseres Herrn gebunden ist. Darum hat - und auch darüber muß ein kurzes Wort gesagt werden die Bekennende Kirche auch in der Frage der Vereidigung der Geistlichen nicht den Weg gehen können, den diese Kirchenleitung vorschrieb. Nicht weil wir uns weigern, einen Treueid auf den Führer zu leisten. Die Kirche weiß, daß die Obrigkeit einen solchen Eid fordern kann, und ist bereit, ihn zu leisten. Wir sind aber nicht imstande dazu, wenn eben diese Kirchenleitung von sich aus ihn fordert, da die Kirche nach dem Wort Jesu keinen Eid von ihren Gliedern fordern kann. Und wir können es zudem nicht, solange die Gefahr besteht, daß diese Kirchenleitung sich durch den Eid versucht durchzusetzen und die Pfarrer an ihre Anordnungen zu binden, erst recht, wenn sie erklärt, wie es geschehen ist, daß dieser Eid eine stärkere Bindung sei als das Neue Testament. Es gibt für die Kirche keine tiefere Bindung als Gottes Wort und gibt gerade für die Prediger in ihrem Dienst keine andere Bindung als sein Wort allein. Wo sich die Kirche in ihrer Verkündigung binden würde an irdische Mächte, wäre sie 276
damit wieder zur falschen Kirche geworden. Also auch die Pfarrer der Bekennenden Kirche sind bereit, einen von der Obrigkeit geforderten Treueid zu leisten, aber sie können nicht einer Kirchenleitung nachgeben, die daran mithilft, daß wir auch auf diesem Wege Kirche der falschen Propheten werden. Denn noch einmal: darum geht es zu unserer Zeit genau so wie zur Zeit der Reformation, der ersten Christenheit oder der Propheten des alten Bundes, daß wir Kirche sind, die gebunden an das Wort Gottes allein dieses Wort verkündigt und ihrem Volk den Weg zeigt zum ewigen Leben.
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,Darum kannst du dich nicht entschuldigen" Römer 2,1-11 Predigt am Bußtag, 16. November 1938 (Notwendige Vorbemerkung: Nachstehender Text wird nicht wiedergegeben, weil der Autor ihn für vorbildlich hielte, sondern um zu zeigen, wie auch ein BK-Pfarrer den gängigen Klischeevorstellungen verhaftet war und darin wohl keine Ausnahme bildete. Die Tradition war noch ungebrochen.) „Darum kannst du dich nicht entschuldigen." Wollen wir uns denn entschuldigen? Niemals liegt uns das Entschuldigen näher als heute am Bußtag, das Entschuldigen unser selbst und das Richten anderer. Der Tag mahnt zur Erkenntnis von Schuld und zur Umkehr, nicht nur jeden einzelnen, nicht nur die christliche Gemeinde, sondern unser ganzes Volk. Landes-Buß- und Bettag hieß er ja früher. Doch gerade da wird es wichtig sein, nicht nur an andere, sondern zuerst an uns selbst zu denken. Unmittelbar vor unserem Text hat der Apostel Paulus von Sünden gesprochen, die erkannt werden müssen und in denen Buße not ist. Es ist eine düstere und schlimme Reihe, die er da aufzählt: „Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen..." Zuerst spricht er vom Götzendienst: „Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild..." Sie haben Gott den Lebendigen, von dem alle wußten oder wenigstens ahnten, nicht erkannt und geehrt, sondern sich Götter gemacht nach ihrem eigenen Bild, ja nach den Bildern von Tieren, und haben das ihren Gott genannt. Doch dabei ist es nicht geblieben, die Abgötterei hat andere Sünden im Gefolge gehabt: „Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste", „hat sie dahingegeben in verkehrten Sinn, zu tun, was nicht taugt", und nun folgt eine ganze Kette von bösen Dingen: „voll alles Ungerechten..., Schalkheit, Geiz, Bosheit, voll Neides, Mordes, Haders, List, giftig..., Gottesverächter, Frevler, hoffartig, ruhmredig, ... Treulose, Lieblose, unversöhnlich, unbarmherzig. Sie ... tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun." Es werden manche in unserem Volk gerade heute, wenn sie diesen Text hören, wohl an die Juden denken: „Schalkheit, Geiz, Bosheit, Mord, Hader, List". Welch ein Volk voller Unrecht, werden sie sagen, wieviel Unheil ist von ihnen ausgegangen, wieviel Hader an ihnen entstanden, wieviel Haß haben sie gesät, wieviel Menschen schon unglücklich ge278
macht. Ja, wenn doch dies Volk einmal in seiner Geschichte Buße getan hätte und umgekehrt wäre, es hat sein schweres Schicksal wirklich verdient. Und was sagt der Apostel: „Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der da richtet." Ja, bei diesen begreiflichen Gedanken über die Juden, die so viele haben, sind wir ja schon mitten drin im Richten und im Entschuldigen unser selbst. Ja, das ganze öffentliche Reden unseres Volkes in diesen Tagen besteht doch in einem großen Richten anderer und Entschuldigen unser selbst. Aber der Bußtag ist nicht fiir andere, sondern für uns, und der Apostel fahrt sehr ernst fort: „denn worin du einen andern richtest, verdammst du dich selbst, sintemal du ebendasselbe tust, was du richtest". Und wenn wir dann auffahren und sagen wollen: Wieso tun wir dasselbe, wieso verdammen wir uns selbst? Soll das etwa heißen, wir hätten die Laster der Juden? Nein, die haben wir vielleicht wirklich nicht, wir sind vielleicht ganz anders als sie. Aber sehen wir noch einmal hin, was da noch mehr genannt ist: „Gottesverächter, hoffartig, ruhmredig, Lieblose, unversöhnlich, unbarmherzig". Gilt das nicht von uns? Hoflartig, ruhmredig, lieblos, unversöhnlich, unbarmherzig - sind wir das nicht, ist es unser Volk nicht gerade in diesen Tagen? Es geht ein Haß durch unser Volk, der nicht recht ist vor Gott. Ja, was von den Juden zu sagen ist, gilt vielleicht wirklich nicht von uns, aber dafür gilt anderes, was nicht zuerst den Juden gesagt ist, gerade uns, und es trifft uns. Wir können uns auch nicht ausschließen und ausnehmen, wir tragen alle mit daran, haben alle mit ein Stück Schuld und stehen alle mit darunter. „Darum, o Mensch", ja, auch du deutscher Mensch, „kannst du dich nicht entschuldigen, denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, sintemal du dasselbe tust, was du richtest." Gewiß habe ich nicht genau dasselbe getan, was ich am andern sehe und verurteile, dafür habe ich aber anderes getan und tue es, was vor Gott genauso schwer wiegt, vor ihm also genau dasselbe ist. Darum kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, denn mit deinem Richten verdammst du dich selbst. Ja, liebe Gemeinde, es ist so manchen ernsten Menschen, die Gottes Wort kennen, angst um unser Volk gerade in diesen Tagen, daß wir uns mit all unserm Richten anderer selbst das Urteil sprechen. Das Urteil über das, was bei uns an Unrecht ist, in unseren eigenen Reihen und Herzen, und vor Gott genau so schwer wiegt wie die Sünden anderer. Werden nicht auch in unserm Volk im Kleinen und im Großen, im Verborgenen und öffentlich die Gebote Gottes, sein heiliger Wille immer 279
wieder übertreten und verletzt? Sein Gebot, daß er allein unser Gott und Herr sein will und wir keine anderen Götter haben sollen neben ihm; seine Gebote von der Heilighaltung seines Namens, daß Wahrheit und Recht unter uns sei; von der Heilighaltung seines Feiertages und vom Hören und Ernstnehmen seines Wortes; seine Gebote von der Ehrfurcht gegenüber den Eltern und von der Liebe zum Nächsten; seine Gebote von der Heilighaltung der Ehe und vom guten Namen des Nächsten, den wir nicht verletzen noch entehren sollen. Wieviel Sünde gegen all diese Gebote überall in unserem Volk, im Großen und Kleinen, verborgen und öffentlich! Und dann richten wir andere und verdammen damit doch nur uns selbst. Und die christliche Kirche darf darüber nicht schweigen, sie muß es aussprechen und bezeugen, zur Zeit und zur Unzeit und ob es auch vielen nicht gefallt. Dazu ist ja die christliche Kirche da, ihr Volk, in dem sie steht, zur Buße zu rufen, damit es nicht verloren werde. Es gilt dafür das Wort des Jeremia: „Da ich's verschweigen wollte, brannte es in meinen Gebeinen wie Feuer", und das andere Wort des Herrn an Hesekiel: „Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du sollst aus meinem Munde das Wort hören und sie von meinetwegen warnen; und warnst du den Gottlosen nicht, so wird er um seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern." Darum ruft unsere Kirche auch an diesem Bußtag unser ganzes Volk zur Buße, und sie muß es tun im Namen und Auftrag Gottes, ruft zur Umkehr von allen Sünden gegen seine heiligen Gebote, damit wir nicht unter sein Gericht fallen. Aber, liebe Gemeinde, merken wir wohl, wie wir in unseren Gedanken schon wieder beim Richten und uns selbst Entschuldigen sind? Denken wir nicht jetzt an andere und beruhigen uns damit: So sind wir ja nicht, wir, die wir uns zum Gottesdienst sammeln, wollen ja die Gebote halten und ein christliches Leben führen, wollen uns nicht in den Ungeist hineinziehen lassen. Und doch gilt es auch für einen jeden unter uns ganz persönlich: Du kannst dich nicht entschuldigen, weil du doch dasselbe tust, was du an andern verwirfst. Der Apostel möchte sagen: Lieber Freund, bist du nicht auch voll alles Ungerechten, kennst du keinen Neid, keinen Hader, keinen Ungehorsam gegen die Eltern, bist du nicht lieblos, unversöhnlich, unbarmherzig? Jedes dieser Worte trifft doch einen jeden von uns, und wir können uns gerade heute am Bußtag, wo so manches Verborgene oder schon halb Vergessene uns wieder vor der Seele steht, 280
nicht entschuldigen. „Denn wir wissen", sagt Paulus, „daß Gottes Urteil ist recht über die, so solches tun." „Denkst du aber, o Mensch, der du richtest die, so solches tun, und tust auch dasselbe, daß du dem Urteil Gottes entrinnen werdest?" Wie kommt es eigentlich, daß wir immer, auch am Bußtag, sofort an andere denken und meinen allen Ernstes, uns treffe das Urteil nicht? Liegt es nicht daran, daß wir in unserem äußeren Leben nichts spüren von einem Zorn Gottes über uns? Im Gegenteil, es geht uns gut, wir haben, was wir brauchen, wir meinen, Gott segne uns spürbar, und wir wissen gar nicht, was er mit dem allem will. Paulus deutet es an: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?" Wenn wir nichts von Strafe Gottes erfahren, sondern von Segen und Güte, dann nicht dazu, daß wir uns in unserer Gerechtigkeit sonnen und meinen, wir könnten mit uns zufrieden sein, sondern gerade dazu, daß uns diese Güte und Langmut zum Nachdenken bringt darüber, was nicht in Ordnung ist bei uns selbst, in unseren Familien, in unserem Volk, daß wir um Vergebung bitten und, was an uns ist, Schritte tun zu einem neuen Weg. In unserem Text folgt noch ein sehr ernstes und drohendes Wort: „Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken." Wo uns das Unrecht gezeigt wird, und wir wollen es nicht sehen, wo wir unsere Sünde sehen und wollen sie nicht lassen, wo wir den Bußruf hören, und statt uns darunter zu beugen, ärgern wir uns daran - und wie viele werden sich gerade heute an diesem Bußwort ärgern! - , da gilt dieses Wort von dem verstockten und unbußfertigen Herzen und der Erinnerung an den Tag der Rechenschaft vor Gott, „welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken". Nach seinen Werken, also nicht nach seiner Gesinnung, nicht nach seinem guten Willen, sondern nach seinem Tun; danach wird sich entscheiden, was Paulus gegenüberstellt: „Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses t u n . . . ; Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun." Es kommt zuletzt nicht darauf an, ob wir die Gebote gekannt und im Munde geführt, sondern ob wir sie gehalten haben, nicht ob wir die Wahrheit wußten, sondern ob wir ihr gehorchten, nicht ob wir uns an anderen gemessen für einigermaßen gut und anständig gehalten, sondern ob wir etwas nach seinem Willen getan haben. Es wird uns dann nichts helfen zu sagen, wir hätten es doch nicht besser gewußt oder hätten immer das Beste gewollt 281
oder hätten gemeint, bei der Liebe Gottes sei es doch schon gut. Es geht um das Tun seines Willens. „Was heißet ihr mich Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?" Und dann heißt es am Schluß: Dies gilt „vornehmlich den Juden und auch den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott". Wieso vornehmlich? Weil sie eben schlechter sind als die andern? Vornehmlich nur darum, weil die Juden Gottes Wort hatten und seinen Willen kannten und darum von ihnen auch viel gefordert wird. Aber ob Juden oder Heiden, „es ist kein Ansehen der Person vor Gott". In der Rechenschaft vor ihm gilt nicht mehr, wer wir sind, wie wir heißen, woher wir kommen und welchem Volk wir angehören, es gilt nur das Tun seines Willens. Darum ruft Gott der Herr zur Buße ohne Unterschied die ganze Welt, unser ganzes Volk, unsere Kirche, uns selbst, dich und mich. Und darum kannst du dich nicht entschuldigen. Amen.
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Und heute - Was ist geblieben?
Hier folgen einige Texte aus Vorträgen oder Predigten, vor allem in den Gedenkjahren 1984/85, die ein Fazit ziehen und nach Konsequenzen fragen möchten, damit Erfahrungen und Erkenntnisse des Kirchenkampfes nicht bloße Vergangenheit bleiben. Auch hier wurde der Stil der Rede beibehalten.
Kirchenkampf vor 50 Jahren Haben wir etwas gelernt? Vortrag vor Gemeinden, Dekanatssynoden, Studenten 1984/85 Haben wir etwas gelernt? Auf dieser Frage liegt der Akzent. Es genügt nicht, nur Rückblick zu halten, so notwendig es ist, etwas aus der damaligen Zeit zu wissen, um sich nicht falschen Vorstellungen hinzugeben und daraus auch irrige Folgerungen herzuleiten. Aber die Beschäftigung mit der Vergangenheit darf nicht der Versuch sein, heutigen Entscheidungen auszuweichen. Darum: Was haben wir für heute gelernt? Doch auch diese Frage ist nicht ganz unproblematisch. Kann man aus der Geschichte lernen? Sie wiederholt sich bekanntlich nie. Fragestellungen und Aufgaben wandeln sich ständig, keine Situation läßt sich unmittelbar auf die andere übertragen. Ja, es kann geradezu irreführend sein, allzu ungeprüft Vergleiche zu ziehen und Parallelen zu den damaligen Vorgängen feststellen zu wollen, um daraus ein entsprechendes Verhalten heute herzuleiten. Dazu nur zwei Beispiele: Es hat lange Jahre gebraucht, bis die Kirchen in der D D R erkannt haben, daß die einfache Gleichsetzung der Kirchenkampfsituation des Dritten Reiches mit ihrer heutigen Lage ein Irrtum war, daß vielmehr in der neuen Lage auch neue und ganz andersartige Entscheidungen notwendig waren als damals. 1 Oder: Diejenigen unter uns, die meinen, Kirche und Ökumenischer Rat seien heute von ebensolchen Irrlehren bedroht wie die Kirche im Dritten Reich und darum sei ein neuer, zweiter Kirchenkampf fallig2, sollten sehr viel genauer zusehen, bevor sie einem schweren Irrweg anheimfallen. Notwendige Diskussion um strittige Fragen - wann gäbe es sie nicht? - ist kein Kirchenkampf. Echter Kirchenkampf kostet unter Umständen Existenz und Freiheit und ist keine unentgeltliche Auseinandersetzung. 285
Die Frage ist also nicht: Wo ist heute ein Kirchenkampf wie damals zu fuhren? Es kann nur gemeint sein: Haben wir etwas daraus, besser noch: darüber hinaus gelernt, was damals vielleicht noch gar nicht klar genug gesehen wurde? Denn mit jener Zeit steht ja nicht ein leuchtendes Bild vor uns, dem nur nachzueifern wäre. Gewiß, da sind Beispiele eines tapferen Zeugnisses, das nicht wenige ins Gefängnis und KZ geführt hat, manche bis zum Tode - wir denken an Namen wie Dietrich Bonhoeffer oder Paul Schneider, den Prediger von Buchenwald, an Elisabeth von Thadden oder Werner Sylten. Aber daneben gab es unendlich viel Versagen und faule Kompromisse, Schweigen, wo wir hätten reden müssen. Wo und wie wir Älteren damals auch gestanden haben, keiner von uns wird wohl mit Stolz und Zufriedenheit auf jene Jahre zurückblicken können. Ich muß im Gegenteil sagen, daß wir es nur mit Beschämung tun können. Wie war das alles möglich? Warum haben wir die Bewährungsprobe nicht besser bestanden? Und was ist zu lernen, hinzu zu lernen, damit wir uns in neuen Entscheidungen besser bewähren möchten? Ich versuche, das an drei Punkten aufzuzeigen. Ich tue es als einer, der jene Zeit als junger Gemeindepfarrer bewußt miterlebt hat - seit Frühjahr 1931 im Pfarrdienst und seit 1. Januar 1932 Pfarrer einer Landgemeinde im Kreis Biedenkopf, seit Anfang Dezember 1933 Mitglied des Pfarrernotbundes und der daraus erwachsenen BK, dann auch an den Entscheidungen des Landesbruderrats für Nassau-Hessen immer wieder beteiligt, als einer also, der die Vorgänge und die Arbeit der BK, jedenfalls in unserer Landeskirche, aus der Nähe gekannt hat. 1. Zu lernen war in der Frage: Kirche und Politik. Die Sache und Problematik, die hier im Hintergrund stand, wurde schlaglichtartig deutlich bei jenem berühmt gewordenen Empfang der evangelischen Kirchenführer durch Hitler am 25. Januar 1934. Die damals stark angewachsene Opposition gegen das Gewalt- und Unrechtssystem des Reichsbischofs hatte Hitler deutlich machen wollen, daß nur durch Müllers Rücktritt der für die Regierung äußerst ärgerliche Kirchenstreit beendet werden könne. Aber die Audienz hatte bekanntlich dadurch einen völlig unerwarteten Verlauf genommen, daß Göring ein von der Gestapo abgehörtes Telefongespräch Niemöllers vom gleichen Tage verlas.3 Es kam zur erregten Reaktion Hitlers gegen Niemöller, der erklärte, alle Schritte, auch der Kontakt mit dem Reichspräsidenten, hätten keinerlei politischen Hintergrund, sondern nur zum Ziel gehabt, Schaden von der Kirche und damit auch von Volk und Staat abzuwen286
den. Nicht staatsfeindliche Gesinnung, sondern Sorge auch um das Dritte Reich habe die Opposition bestimmt, und Hitler hatte mit dem berühmt gewordenen Satz geantwortet: „Die Sorge um das Dritte Reich überlassen Sie mir, sorgen Sie für die Kirche!" Mit anderen Worten: Mischen Sie sich nicht in die politischen Dinge ein. Diese Forderung, die Kirche möge hinter ihren Mauern bleiben, war damals feststehender Grundsatz. Er wurde noch 1939 von den DC mit der Godesberger Erklärung4 zum Programm erhoben und von Minister Kerrl den Kirchenflihrern zur Unterschrift vorgelegt. Zur Begründung mußte wieder einmal Luther herhalten, wenn es da hieß: „Die evangelische Kirche hat von Martin Luther gelernt, die Bereiche der Vernunft und des Glaubens, der Politik und der Religion, des Staates und der Kirche scharf zu unterscheiden." Damit wurde dann die NS-Weltanschauung als rein politische Lehre, in die die Kirche nicht hineinzureden habe, auch für die Christen als verbindlich erklärt. In Wahrheit konnte sich diese Position nicht auf Luther berufen. Wenn er Evangelium und weltliches Regiment klar unterschieden haben wollte, ging es ihm primär darum, daß nicht Papst und Bischöfe Herrschaftsbefugnisse über Staat und Regierungen beanspruchen dürften, wie es das ganze Mittelalter hindurch gewesen war. Die Kirche sollte das Evangelium verkündigen und sich nicht weltlicher Macht bedienen. Aber niemals hätte Luther gesagt, sie dürfe das ihr aufgetragene Wort nicht auch in den weltlichen Bereich hineinsprechen. Er hat es ja selbst immer wieder getan, etwa „An den christlichen Adel deutscher Nation" oder „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie Schulen aufrichten und halten sollen". Er hat bewußt weltliche Obrigkeiten auch auf politische Fragen hin angeredet. Freilich, die Theologen nach ihm haben aus dieser notwendigen Unterscheidung von geistlicher Vollmacht des Wortes und politischer Macht des Schwertes ein strenges Grundprinzip, die sogenannte Lehre von den zwei Reichen entwickelt, in der der Akzent fast ausschließlich auf der Trennung von beidem lag, dem geistlichen Regiment der Liebe zur Rechten und dem weltlichen Regiment des staatlichen Zwanges zur Linken, wobei entscheidendes Gewicht darauf lag, die Untertanenpflicht der Christen gegenüber der gottgesetzten Obrigkeit einzuschärfen. Ja, Karl Barth konnte sagen, daß die Reformatoren selbst uns hier „etwas schuldig geblieben sind", nämlich konkreter deutlich zu machen, in welcher Beziehung diese beiden Regimente zueinander stehen.5 Angesichts der beherrschenden Tradition in der evangelischen Kirche seit Jahrhunderten erklärte es sich, daß die DC und die staatlichen Machthaber meinten, 287
Luther hinter sich zu haben, wenn sie absoluten Gehorsam forderten, und daß auf der anderen Seite die christliche Gehorsamspflicht dem Staat gegenüber nicht angezweifelt wurde, daß der Gedanke an Recht oder gar Pflicht zum Widerstand oder auch nur zur Verweigerung des Kriegsdienstes kaum aufkommen konnte. Erst ganz allmählich, dem Ende des Dritten Reiches zu, konnten solche Gedanken in eng vertrauten Kreisen Fuß fassen. Die Tradition des gottgebotenen Gehorsams war, von Ausnahmen abgesehen, zu stark. Aber gerade diese Tradition einer mißverstandenen Trennung von Kirche und Politik bis hin zur Obrigkeitshörigkeit wurde durch unsere Erfahrungen zutiefst erschüttert. Was haben wir in dieser Haltung nicht alles mitverantwortet! Da konnte selbst der Pfarrernotbund mit Niemöllers Unterschrift nach dem Austritt aus dem Völkerbund Hitler danken „für die mannhafte Tat und das klare Wort, die Deutschlands Ehre wahren".6 Nun, das war noch in der Anfangszeit. Aber noch Jahre später haben wir als Leute der BK immer wieder beteuert, unser Kampf gehe um die rechte Verkündigung und Ordnung der Kirche und habe nichts mit politischen Zielen zu tun. In der Treue zu Volk und Staat ließen wir uns von niemandem übertreffen, und die ständigen Angriffe auf die politische Unzuverlässigkeit und Staatsfeindlichkeit der BK haben wir stets entrüstet als Unterstellung und Verleumdung zurückgewiesen. Für viele war das nicht nur eine begreifliche Schutzbehauptung, sondern ehrliche Überzeugung. Sie hatten ja das Dritte Reich trotz aller Schatten als die ersehnte nationale Wende im Grunde begrüßt. So lebte man Jahre hindurch in der Fiktion, man könne das Kirchliche und das Politische säuberlich trennen, könne die Weltanschauung der Partei eindeutig ablehnen und den von ihr getragenen Staat als gottgewollt bejahen. Karl Barth hat nach seinem Weggang nach Basel im Sommer 1935 der BK geradezu ins Stammbuch geschrieben: „Ich kann bei der Illusion, als ob der eigentliche Gegner einer bekennenden Kirche nicht der NS-Staat als solcher sei, nicht mehr länger mittun..., müßte statt der ewigen Wiederholung von Rom 13" (untertan der Obrigkeit) „endlich auch die Apokalypse" (das Tier aus dem Abgrund) „und die Propheten" (mit ihren harten Worten gegen Regierungen und Mächte) „aufzuschlagen bitten und würde im voraus wissen, bei dem allen die verantwortlichen Stellen der Bekenntniskirche nicht für mich, sondern gegen mich zu haben." 7 So stand es also selbst um die BK, nicht zu reden von den Neutralen oder den systemtreuen Kreisen, die selbst nach Kriegsausbruch noch ihre ganze Zustimmung und Ergebenheit zum Ausdruck brachten, wie es in 288
dem amtlichen Aufruf der D E K hieß: „Die deutsche evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Worte Gottes gereicht." 8 Aber auch wir Leute der B K , die wir über derartige Auslassungen hinweggegangen und sie natürlich auch nicht verlesen haben, müssen uns heute schämen, wie sehr wir uns selbst von der Tradition beherrschen ließen und - natürlich auch, weil uns unser Leben zu lieb war! - gemeint haben, Kirche und Politik getrennt halten zu können. Haben wir etwas gelernt? Nun, daß jene Trennung von christlichem Glauben und politischem Leben nicht möglich ist, das ist uns wohl aufgegangen, und es wird auch in der Öffentlichkeit kaum mehr bestritten, daß Christen und Kirchen politische Verantwortung haben. Wenn allerdings das, was sie von der biblischen Botschaft her glauben sagen zu müssen, dem jeweils herrschenden Trend zuwider läuft, dann meldet sich auch heute wieder alsbald der Widerspruch. Dann wird doch wieder nach der politischen Kompetenz der Kirche gefragt, wird von mangelnder Sachkenntnis oder unzulässiger Einmischung gesprochen. Ob es um Raketenstationierung im Westen oder um Wehrkundeunterricht und Friedensaufnäher in der D D R geht, um den Einspruch katholischer Bischöfe in den U S A gegen das Wettrüsten oder um das Aufbegehren von Christen in Südafrika gegen die Rassendiskriminierung - die Reaktion pflegt zumeist sehr ähnlich zu sein: Sofort wird von unerlaubter Politisierung der Kirche gesprochen und die Konzentration auf ihre eigentliche, geistlich-seelsorgerliche Aufgabe verlangt. Am liebsten möchte man im Westen wie im Osten, und im Süden nicht minder, die Kirche auf ihre Gottesdienste und individuelle Seelsorge beschränkt sehen. Aber in dieser Sache hatten wir etwas hinzuzulernen, was nicht wieder verloren gehen darf. So gewiß politisches Zeugnis der Christen keine leichte Sache ist, weil es sich nicht einfach aus der Bibel ablesen läßt, so gewiß da auch die Auffassungen auseinandergehen, was das rechte Wort zur Stunde sein wird, verwehrt werden darf es Christen nicht, ein Wort aus ernster Verantwortung heraus zu sagen. Kirche kann nicht politisch abstinent sein, auch wenn dies manche Kreise unter uns nach wie vor meinen, und wenn sicher auch umgekehrt manche Pfarrer der Versuchung erliegen, nur noch auf politische Themen auszuweichen. Aber das Unverlierbare ist dies: Es hat uns nicht mehr losgelassen, daß es in der Barmer Erklärung von 1934 hieß, klarer, als wir es selbst damals weithin verstanden haben, daß Jesus Christus der Herr aller Bereiche ist: „Wir 289
verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären." Das Argument, dies habe in einer Diktatur sein Recht, sei aber nicht auf eine parlamentarische Demokratie anwendbar, wo alle Entscheidungen durch legale Mehrheiten getroffen werden, trifft hier nicht. Seit wann ist die Mehrheit ein Schutz gegen Irrtum? Auch der Gedanke, ein christliches Zeugnis sei nur dann legitim, wenn es die Kirche als Ganze spreche, ist durch den Kirchenkampf widerlegt. Es hätte kein Wort der BK gegeben, wenn sie es von der Übereinstimmung der ganzen Kirche abhängig gemacht hätte. Sie war immer eine Minorität, und selbst in ihrer eigenen Mitte war die Einmütigkeit fast nur am Anfang möglich. Die wichtigsten Zeugnisse, für die wir heute dankbar sind: die Denkschrift der VKL an Hitler im Sommer 1936, die Gebetsliturgie zur Sudetenkrise Herbst 1938 oder die denkwürdigen Beschlüsse aus der BK der APU wurden etwa von Bayern, Württemberg und Hannover nicht mitgetragen. Nein, auch das haben wir gelernt: Das christliche Zeugnis kann nur von der Gewißheit des Auftrags und seiner biblischen Begründung, nicht aber von der Zustimmung der ganzen Kirche abhängig sein. 2. Kirche muß Kirche bleiben, aber gerade darin Kirche fiir andere sein. „Kirche muß Kirche bleiben" war, auf eine kurze Formel gebracht, Ziel der BK. Das hieß, sie darf nicht Instrument des Staates werden, dazu da, staatliche Ziele religiös zu untermauern und unters Volk zu bringen. Sie durfte gerade das nicht sein, was das Regime von ihr erwartete und die DC aus ihr machen wollten: sie durfte nicht Predigerin von Blut und Boden, von Rasse und Nation, von deutscher Größe und Judenhaß werden. Diesen Erwartungen hat die BK nach Kräften zu widerstehen gesucht, trotz aller Kompromisse, die besonders an nationalen Gedenktagen eingegangen wurden, wo die Dankbarkeit für den nationalen Aufbruch nicht fehlen durfte. Aber in Entscheidungsfragen durfte doch nicht gewichen werden, und das haben wir, soweit Kraft und Mut reichte, auch durchzuhalten versucht. Also: der Arierparagraph darf nicht in der Kirche gelten, die Abstammung kann und darf nicht darüber entscheiden, wer Glied der Kirche und Prediger des Evangeliums ist. Oder: deutsche Art und Lebensanschauung bestimmt nicht darüber, was in Predigt und Unterricht tragbar ist; das Alte Testament ist uns Gottes Wort wie das Neue, und der Gekreuzigte ist uns Heil und Hilfe, und nicht eine den Parteileuten imponierende heldische Jesusgestalt. Das hatte zur Folge, daß wir aus dem Religionsunterricht der Schule verdrängt und uns schließlich 290
sogar das Betreten der Schulen verboten wurde. Oder: es gibt kein Führerprinzip in der Kirche, denn einer ist euer Meister. Und schließlich: keine Nation, kein Reich ist ewig, denn sein ist das Reich und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Das alles haben wir zu sagen gesucht und haben es vertreten, darüber war man verhaßt und angefeindet, es kam zu Zusammenstößen, zu Strafverfahren und Verhaftungen, als etwa im Frühjahr 1935 ein Wort gegen das Neuheidentum von den Kanzeln verlesen wurde und im Zusammenhang damit - auch wenn meist ein anderer Vorwand gesucht wurde - zum ersten Mal fünf unserer nassau-hessischen BK-Pfarrer ins KZ Dachau eingeliefert wurden. Es war keine leichte Sache, und niemand möge von heute her allzu schnell darüber urteilen, was das alles schon bedeutet habe. Es war eben doch ein Zeichen stillen Widerstandes und ist weithin so gehört und verstanden worden. Dies galt übrigens auch fTir die Theologische Erklärung von Barmen, von der Karl Barth, ihr Hauptverfasser, sagen konnte: Es stand kein direkt politisches Wort darin, und doch war es ein Politikum und ist von Freund und Feind so verstanden worden.9 Wenn es da in These I hieß: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes, Jesus Christus, auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen", dann wußte jedermann, wer damit gemeint war, daß die BK sich weigerte, Hitler und den NS zum Inhalt ihrer Verkündigung zu machen. Aber dies alles hatte eine entscheidende Schwäche. Kirche sollte Kirche bleiben. Was aber an Menschen außerhalb von ihr geschah, an Kommunisten und Sozialisten, an Zigeunern und vor allem an unseren jüdischen Mitbürgern, das kam in unserer Verkündigung fast nicht vor. Gewiß auch aus Furcht vor den Konsequenzen, zudem kannten wir das ganze Ausmaß der Verbrechen damals noch nicht. Aber wir hatten auch die Aufgabe nicht genug im Blick. Kirche muß Kirche bleiben, war unser Thema, und dies war schon schwer genug. So kam es selbst nach dem Synagogenbrand 1938 zu keinem gemeinsamen Wort der BK. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß die Leitung der BK durch den massiven Angriff der SS gegen diese „Landesverräter" und „Verbrecher" wegen der Gebetsliturgie zur Tschechenkrise wenige Tage zuvor lahmgelegt war,10 blieb es ein bitteres Versäumnis, daß nicht wenigstens die Landesbruderräte ein gemeinsames Wort fanden. Erst als nach Kriegsende das ganze Grauen der Vernichtungslager aufgedeckt wurde, ist es uns als schwere Last auf die Seele gefallen, daß wir nicht in den Anfangen das 291
Unrecht beim Namen genannt und der jüdischen Brüder und Schwestern nicht wenigstens im Kirchengebet gedacht haben. Erst aus diesem Versagen kam uns die Erkenntnis, daß Kirche Jesu Christi berufen ist, Kirche für andere zu sein, Mund der Stummen, Anwalt der Entrechteten, ob sie nun zu ihr gehören oder nicht. Das war das andere, was wir hinzuzulernen hatten. Die Kirchen in der Ökumene haben das weithin vor uns gelernt und uns erst recht zum Bewußtsein gebracht. Recht verstanden ist auch das vielberedete Antirassismusprogramm des Ökumenischen Rates nur ein Beispiel dafiir, was es heißt, Kirche für andere zu sein. Es war schon bewegend, als vor einiger Zeit ein führender Theologe aus einer bedrängten Kirche in Südkorea schrieb, bei ihrem Zeugnis gegen Verletzung der Menschenrechte dort, das ihn und viele andere ihr Lehramt kostete, seien ihnen Kampf und Leiden der BK und die Erklärungen der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem Hilfe und Ermutigung gewesen. Und doch hätten sie sie nicht einfach übernehmen können, sondern noch einen Schritt weitergehen müssen. Denn obwohl damals 1934 schon alles begonnen hatte: Nichtachtung der Menschenwürde, Unterdrückung der Presse und Judenverfolgung, finde sich doch in jenen Erklärungen „kein Wort für die unter der Gewalt Leidenden ... Demgegenüber dachten wir und wollten wir, daß Kirche nicht für sich selbst bleiben soll, sondern für die Unterdrückten und Armen Freundin und Mitleidende ist".11 Hier wurde gelernt, Kirche für andere zu sein. Und wenn in diesen Jahren Christen und Kirchen, die mit der Ökumene verbunden sind, sich engagieren für Gerechtigkeit in Südafrika oder Chile oder wo auch immer, dann nicht weil sie irgendwelche politischen Interessen verfolgen, sondern weil es ihnen keine Ruhe mehr gelassen hat, daß Kirche Jesu Christi Kirche für andere, für die geringsten seiner Brüder werden muß, wenn nicht alle schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit umsonst gewesen sein sollen. 3. Fragen des Bekennens oder Verleugnens suchen wir uns nicht aus, sondern müssen uns ihnen stellen. So war es schon damals. Anstoß zur Gründung des Pfarrernotbundes und damit der BK überhaupt war die Einfuhrung des Arierparagraphen in die Kirche. Der Gründer Martin Niemöller hat zu der oft gestellten Frage, warum gerade dieser Punkt zur Entscheidungsfrage werden mußte, erwidert, man habe ihn von sich aus nicht gesucht, zumal er eine schwache Stelle der Kirche traf. Aber man sei gezwungen gewesen zum Bekenntnis, „gegen unseren Willen", „ob uns das angenehm ist oder nicht".12 Die christliche Gemeinde habe niemals 292
den Punkt, an dem das Bekenntnis angegriffen wird, bestimmen können. So ging es auch dann weiter. Wir Evangelischen waren in besonderer Weise national erzogen und geprägt. Deutschlands Ehre und Größe war, besonders den Älteren, hoch und teuer. Und jetzt mußte es gerade unsere Aufgabe sein, uns den nationalen Höchstwerten zu widersetzen und die nationalistischen Irrlehren zu entlarven. Als der Kampf härter wurde und Staat und Gestapo als die eigentlichen Gegner auf den Plan traten, schienen die geistigen Auseinandersetzungen zurückzutreten. In Gottesdienste und Predigten griff man möglichst nicht ein, denn das konnte Unruhe hervorrufen. So setzte man staatlich beauftragte Kirchenleitungen ein, verbot den Bruderräten jede leitende Tätigkeit, löste Prüfungsämter und Predigerseminare auf, verbot Ordinationen und Erhebung eigener Kollekten und verlangte „nur" die Unterwerfung unter die anerkannte Leitung. Es gehe lediglich um die unerläßliche äußere Ordnung, sagte man uns, und die neutral gebliebene Mehrheit stimmte zu: Dafür lohnt es sich doch nicht, Amt und Existenz aufs Spiel zu setzen. In Wahrheit entschied sich jetzt an dieser Stelle, ob die Kirche Instrument des Staates wurde oder die Freiheit ihres Auftrags bewahrte. Wenn sich auch manche unterwarfen, mußten wir nun an diesem Punkt, den wir nicht gesucht hatten, standhalten und haben uns bemüht, auch als Leitungsorgane weiterzuarbeiten um unserer Gemeinden und Pfarrer willen, solange es noch irgend möglich war. Wir konnten uns die Entscheidungspunkte nicht aussuchen, an denen es um Bekennen oder Verleugnen Jesu Christi ging. Daran hatten wir wohl auch weiterhin zu lernen. Als das Dritte Reich in der Katastrophe endete, war es nicht Aufgabe der BK, die Macht zu ergreifen, sondern nun war sie es gerade, die das Wort von der gemeinsamen Schuld zu sagen hatte, das uns soviel Anfeindung eingetragen hat. Denn es wollte ja keiner gewesen sein, niemand hatte es gewollt, niemand hatte etwas gewußt. Nun war gerade an dieser unerwarteten Stelle unser Zeugnis gefordert. Und als dies in der breiten Öffentlichkeit abgelehnt wurde und die Selbstrechtfertigung wuchs, sah sich der Bruderrat 1947 genötigt, die tieferen Gründe des Unheils in unserer eigenen Vergangenheit aufzudecken: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum einer besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die Welt genesen könne." Zugleich mußte einer falschen Frontenbildung gewehrt werden, die nur das Althergebrachte als christlich verfocht und jede Forderung nach gesellschaftlichen Neuordnungen als gottlos verdammte: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir meinten, 293
eine Front der Guten gegen die Bösen, des Lichtes gegen die Finsternis, der Gerechten gegen die Ungerechten im politischen Leben und mit politischen Mitteln bilden zu müssen." 13 Hier wurde versucht, in dem eskalierenden Freund-Feind-Denken zwischen Ost und West das Evangelium von der Versöhnung zur Geltung zu bringen, und damit die Aufgabe einer Brückenfunktion, lange ehe die Politiker eine solche Notwendigkeit sahen. Jetzt schieden sich hier die Geister. Es hat lange Jahre gebraucht, bis sogar viele, die von der BK herkamen und hier eine neue Politisierung, eine DC-Theologie mit umgekehrtem Vorzeichen vermuteten, erkannt haben, daß an diesem neuen Punkt weitergelemt worden war. Als dann das Wirtschaftswunder blühte - es können hier ja nur Beispiele angedeutet werden - , sahen sich wiederum Christen, von der weltweiten Ökumene her angestoßen, dazu gefordert, die Ausbeutung und Entrechtung der Menschen in der Dritten Welt beim Namen zu nennen und zum Kampf gegen Rassismus und Streben nach wirtschaftlicher Vorherrschaft aufzurufen. Auch dies eine neue Entscheidungsfrage für das christliche Zeugnis, die wir vorher so nicht gesehen hatten. Und so ernst ist diese Frage, daß der Lutherische Weltbund 1977 in dem Rassenproblem Südafrikas den status confessionis gegeben sah. Das alles ist nicht überholt. Aber dazu ist uns in den letzten Jahren die Frage der atomaren Bedrohung, die mögliche Massenvernichtung von Menschen und die Zerstörung der Schöpfung Gottes auf den Leib gerückt. Wenn es in dieser brennenden Frage Christen gibt, die der Überzeugung sind: hier steht wieder Bekennen oder Verleugnen Jesu Christi auf dem Spiel, dann sollten wir nicht schnell und selbstsicher antworten, hier werde Glaube und Politik unzulässig vermischt und für subjektive Meinungen ein Absolutheitsanspruch erhoben. Das hat man uns im Dritten Reich auch gesagt, viele fromme und ehrenwerte Christen haben es gemeint und darum geschwiegen und bedingungslos mitgemacht. Es wäre doch wohl dem Ernst der Sache angemessen zu fragen: Könnte nicht auch die atomare Menschheitsbedrohung ein Punkt sein, wo wir in neuer Weise vor die Frage des Bekennens Jesu Christi gestellt sind, ob uns das nun gefallt oder nicht? Jedenfalls: zu lernen war, daß wir uns die Entscheidungsfragen nicht aussuchen können, sondern uns ihnen zu stellen haben. Ob uns die damalige Zeit etwas bedeutet, müßte sich daran erweisen, daß wir Fragende und Lernende bleiben, bereit, auch eigene, allzu sichere Urteile zu revidieren und uns an ungesuchten und unerwarteten Stellen zum Zeugnis rufen zu lassen. Sonst hätten wir aus all dem nichts gelernt. 294
Was bedeutet uns Barmen heute? Schlußteil eines Vortrags „Barmen damals und heute" vor Gemeinden, Dekanatssynoden, Seminaren im Gedenkjahr 1984 Was ist das Bleibende aus der Theologischen Erklärung von Barmen für uns heute? Dazu einige Anmerkungen zu den 6 Barmer Thesen. These I: Jesus Christus das eine Wort Gottes. Barmen ist also Ruf und Verpflichtung auf die Mitte der christlichen Botschaft. Diese Mitte ist er selbst. Manche Menschen in unserer Kirche fragen heute, ob dies eigentlich noch so klar ist, wie es damals in Barmen war. Gewiß, schon die Art der heutigen Predigt - wir verkündigen weniger konfessorisch als dialogisch argumentierend - mag manchen als Zeichen der Unsicherheit erscheinen. Aber die Frage geht tiefer. Wird in unseren Gottesdiensten und kirchlichen Handlungen noch spürbar, daß es um seine Zusage geht, die uns aufrichtet, um seinen Ruf in die Nachfolge, der uns trifft, oder bleibt es vielleicht oft bei einem Austausch menschlicher Überzeugung und Erfahrungen und damit einer neuen Form jener natürlichen Theologie, die Barmen verworfen hat? Sich auf Barmen berufen heißt, der Frage nach der Mitte unserer kirchlichen Arbeit standhalten. Nur so wird es auch in dem schwelenden Konflikt mit evangelikalen Kreisen, die die Preisgabe wesentlicher Elemente der christlichen Botschaft befürchten, zu einer weiterführenden Antwort kommen können. Hier kann Bannen zur Selbstprüfung und legitimen geistigen Auseinandersetzung helfen. Vor dem Wort Kirchenkampf sollte man sich dabei freilich hüten. Kirchenkampf gibt es nur dort, wo Verfuhrung zum falschen Glauben mit Gewalt durchgesetzt werden soll und zur Abwehr auch gelitten werden muß. Darum aber, weil da oder dort ein Theologe nicht tragbare Äußerungen getan hat oder man problematische Trends in Kirche und Ökumene zu erkennen glaubt, einen Kirchenkampf fuhren zu wollen, kostet nichts und weicht der notwendigen theologischen Argumentation aus. Auch der vielen naheliegende Gedanke, in der DDR sei heute eine mit Barmen I vergleichbare Situation, war nicht tragfahig. Man erkannte dort, daß es nicht um Verführung zu Irrglauben ging, nicht um Verfälschung des Evangeliums also, und daß darum keine undifferenzierte Frontstellung, „nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus"14 geboten war. Wenn aber beispielsweise in Südafrika von den Kirchen gefordert wird, die Rassenpolitik als christlich zu vertreten, dann haben sich Christen dort mit Recht auf Barmen berufen15 und begonnen, 295
zu widerstehen und dafür zu leiden. Hier ging es in der Tat darum, keine anderen Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anzuerkennen. Im Blick auf unsere Lage könnte man wohl fragen, ob die Parole: Verteidigung des christlichen Abendlandes und christliche Front gegen den gottlosen Marxismus nicht eine Verführung zu falschem Glauben ist, die Christus für politische Ziele in Anspruch nimmt und damit unmerklich aus der Mitte rückt. These II: Jesus Christus ist Gottes gnädiger Zuspruch und zugleich sein Anspruch auf unser ganzes Leben. Hier wird also die Einheit von Glauben und Leben eingeschärft. Das wird ja grundsätzlich von niemandem bestritten. Aber wie sieht die Praxis aus? Haben wir uns nicht seit den Tagen des Dritten Reiches allzu oft auf den Trost des Glaubens und den inneren Frieden zurückgezogen und die Welt ihren Gang gehen lassen? Welches Ärgernis hat Niemöllers Wort hervorgerufen, daß der gnädige Gott nicht ohne den gnädigen Nächsten zu haben ist. Jesus Christus ist der Herr aller Bereiche, sagt Barmen II. So gewiß man nicht die Bergpredigt zum Staatsgesetz machen kann, sondern das relative Recht der Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regiments wahren muß, kann es doch zuletzt keine Eigengesetzlichkeit des politischen und wirtschaftlichen Lebens geben, keine Situation, in der wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, keinen Bereich, in dem wir nicht zu fragen hätten: Herr, was willst du, was wir tun sollen? Das ist wohl das besondere Erbe Martin Niemöllers, das er aus Barmen gelernt und uns immer wieder neu eingeschärft hat - eine Mahnung, die angesichts des noch heute verbreiteten Denkens keineswegs überholt ist. These III: Kirche ist die Gemeinde von Brüdern - was die Schwestern in der Kirche bedeuten, ist uns auch erst im Kirchenkampf neu aufgegangen, als sie den Dienst in vielen Gemeinden durchgetragen haben! Kirche lebt also in der Gemeinde, die mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung zu bezeugen hat, daß sie allein sein Eigentum ist und allein von seinem Trost und von seiner Weisung lebt. Dies war damals zu exerzieren: Auch die im Luthertum meist für irrelevant gehaltene Ordnung rückte in den Dienst der Botschaft, und wir selber hatten ja buchstäblich nichts anderes als das Wort seiner Verheißung, an das wir uns halten konnten. Wagen wir das heute eigentlich noch zu sagen, daß wir als sein Eigentum aus seinem Auftrag und seiner Verheißung leben? Oder verstehen wir Kirche eher als eine Art Dienstleistungsbetrieb, der die Erwartungshaltungen der Zeitgenossen erfüllen muß, um seine Existenzberechtigung nachzuweisen? Auch hier eine kritische Frage von Barmen an uns heute. 296
These IV: Der Auftrag ist der ganzen Gemeinde gegeben, und darum gilt letztlich kein Führertum in der Kirche. Es war sicher auch eine Wirkung von Barmen und dem Kirchenkampf, daß die Pastorenkirche von einst einen kräftigen Stoß erlitten hat. Es wurde deutlich, daß nur eine Kirche Zukunft hat, die in der mündigen Gemeinde lebt, die den Dienst mitträgt. Wiederum die kritische Frage: Sind wir mündige Gemeinde geworden und tragen den Auftrag gemeinsam? Gewiß, das „Führerprinzip" gibt es nicht mehr. Aber die Vorstellung von einem die Kirche repräsentierenden Führungsamt, das das letzte Wort spricht, ist weder,unten' noch ,oben' in der Kirche ganz ausgestorben und widerspricht dem Wesen mündiger Gemeinde, wo sie alle Verantwortung tragen und ihr Wort ebenso ernst zu nehmen ist wie das eines Bischofs, wenn es im Wort des Herrn begründet ist. These V: Der heute umstrittenste Abschnitt über das Verhältnis von Kirche und Staat, Kirche und Politik. Wenn sich auch seit 1934 die Vorstellungen über Staat und Gesellschaft und über die Mitbestimmung der gesellschaftlichen Kräfte stark verändert haben, bleiben die Grundaussagen der These doch unverändert gültig, nämlich über den Auftrag des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen, und den Auftrag der Kirche, Regierende und Regierte an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an ihre Verantwortung vor Gott zu erinnern. Dazu drei Anmerkungen: a) Die verbreitete Meinung, das mahnende Wort der Kirche sei in Diktaturen lebenswichtig und daher damals am Platz gewesen, nicht aber in einer parlamentarischen Demokratie, in der die Legitimität der Entscheidungen durch legale Mehrheiten gesichert sei, ist nicht haltbar.16 Auch Demokratien werden von irrtumsfähigen Menschen getragen. Dies müßte man in einer Kirche wissen, die einmal von der Überzeugung ausging, daß auch Konzilien irren können! So bedarf auch jede Staatsform des erinnernden, kritischen und vielleicht auch widersprechenden Wortes der Kirche. Die Stimmen der Kirchen in den Niederlanden oder USA, unbestrittenen Demokratien also, sind Beleg dafür. b) Hier steht, der Staat habe „unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen". Aus diesem Passus heute eine Rechtfertigung der Drohung mit atomaren Massenvernichtungsmitteln herleiten zu wollen, müßte als Mißbrauch von Barmen bezeichnet werden.17 Denn die Frage, inwieweit Gewalt und mit welchen Mitteln sie angedroht oder angewandt werden darf, ist eine Frage der Verantwortung vor Gott und nicht damit beantwortet, daß ein legaler Beschluß zugrunde 297
liege. Hier ist schon genauer zuzusehen, daß man nicht Barmen vor den eigenen Wagen spannt. c) Es ist nichts gesagt über die Aufgabe der Kirchen und der Christen im Blick auf Entrechtete und Unterdrückte. Dies ist ein bitteres Defizit, das sich übrigens Karl Barth selbst im Gedanken an die Juden als Schuld angerechnet hat.18 Das harte Wort von Pinchas Lapide: „Barmen war ohne Erbarmen" ist kaum zu entkräften. 19 Erst im Nachhinein ist uns das ganze unentschuldbare Versäumnis bewußt geworden. Es war nicht zu erwarten, daß von diesem Versagen ein neues Verhältnis zwischen Christen und Juden seinen Ausgang nehmen würde. These VI faßt noch einmal alles zusammen: Die Botschaft der freien Gnade Gottes nicht in den Dienst eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen. Dies ist ja wohl die Versuchung der Kirche immer gewesen und geblieben, daß sie ihre Aufgabe in der Stützung der herrschenden politischen Ziele gesehen und damit die Sache Jesu Christi in den Dienst anderer Interessen, die sie für gut hielt, gestellt hat. Das war die Kirche, die einst auch Waffen segnen konnte. Wie oft ist auch unsere Haltung als Christen und Kirche von unseren politischen Urteilen und Zielen her bestimmt und dann auch noch christlich begründet worden. Das war schon im Kaiserreich wie auch unter dem Nationalsozialismus so und ist die Versuchung geblieben. Wem beispielsweise wirtschaftliches Wachstum und Mehrung des Wohlstands der Industrienationen oberster Maßstab seines Denkens und Handelns ist, der wird hinter dem Schrei der Dritten Welt nach Gerechtigkeit nur das Vordringen des gottfeindlichen Kommunismus sehen und eine christliche Abwehrfront für geboten halten. Wer in Südafrika geschäftliche oder strategische Interessen verficht, wird die Apartheid, wenn nicht rechtfertigen, so doch verharmlosen und stillschweigend hingehen lassen und dies möglicherweise noch als Geist christlicher Duldsamkeit und Verwerfung revolutionärer Bestrebungen ausgeben. Die Würde des Menschen wird eigenen Interessen geopfert und die Sache Jesu Christi unmerklich in den Dienst solcher Interessen gestellt. Darin sieht Barmen die Versuchung der Kirche. Mit dem allen möchte deutlich geworden sein, daß uns Barmen nur dann noch einen Dienst tun wird, wenn wir uns selber von dort her kritisch befragen lassen, ob eigene feststehende Positionen und Überzeugungen durch den christlichen Gehorsam oder durch Tradition oder handfeste andere Interessen bestimmt sind. Barmen war nach Karl Barth ein Ruf nach vorwärts.20 Das kann es nur sein, wenn wir bereit sind, dahinten zu lassen, was vor seiner Kritik nicht bestehen kann. 298
Daran gedenken, nicht vergessen! Daniel 3,17-18 Ökumenischer Gottesdienst in der Stadtkirche Michelstadt zum 9. November 1938/1978 Haben wir uns mit dem Gottesdienst zu diesem Gedenktag nicht übernommen? Sollten wir nicht lieber vor Scham schweigen? Ich denke doch, daß wir uns schämen im Gedanken an das, was vor 40 Jahren geschehen ist, als die Synagogen in Brand gesteckt oder demoliert wurden, als tausende jüdischer Geschäfte und Wohnungen sinnlos zerstört und ausgeplündert wurden, als jüdische Mitbürger grundlos mißhandelt, 91 totgeschlagen und rund 30 000 verhaftet und zum Teil in Konzentrationslager gebracht wurden - und das alles angeblich im Namen des empörten deutschen Volkes, das damit spontan auf die Verschwörung des Weltjudentums reagiert habe. Und wir, die wir es damals schon bewußt miterlebt haben, wir haben nichts dagegen getan. Darum bleibt uns nur die tiefe Scham über unser Versagen, soviel man auch zur Begründung und zum Verständnis unserer damaligen Ohnmacht unter dem perfekten Machtapparat des totalen Staates, von dem die Jüngeren in der Tat keine Vorstellung haben, anfuhren kann. Es entschuldigt unser Versagen nicht. Es genügt auch für mich persönlich nicht, daß ich wenige Tage später, am Bußtag 1938, einige warnende Sätze dazu von der Kanzel gesagt habe. Es hätte ganz anders gesagt werden müssen. Das war das Versagen auch unserer Kirche damals, dessen wir uns heute schämen. Zumal wenn wir noch daran denken, daß jene „Reichskristallnacht" ja nur der Anfang eines Weges war, an dessen Ende der Tod von gegen 6 Millionen jüdischer Menschen stand, jene „Endlösung", wie es in der Sprache der Machthaber hieß. Ich bin sicher, daß auch viele von denen, die heute nicht zu diesem Gottesdienst gekommen sind, sich im Grunde ihres Herzens schämen und darum nicht an diese dunklen Dinge erinnert werden wollen. Aber Vergessenwollen ist kein Ausweg und keine Lösung. Das einzig Mögliche und Sinnvolle nach so schrecklichem Geschehen bleibt, daß wir uns dem, was wir da aus der Vergangenheit mit uns schleppen, nüchtern und ehrlich stellen, daß wir uns auch den Fragen der jungen Generation, wie das möglich war, stellen, daß wir nach den tieferen Ursachen fragen, an denen wir alle von unserer Geschichte her mitbeteiligt waren, und daß wir miteinander zu helfen suchen, daß derartiges in unserer Welt unmöglich wird. Dazu gehört, und das geht nun besonders auch die jün299
gere Generation an, daß wir allen Anzeichen von Judenhaß oder Rassenverachtung, diesem da und dort wieder auflebenden Ungeist, mit aller Kraft widerstehen. Die aus dem furchtbaren Geschehen nichts gelernt haben und es verharmlosen wollen, dürfen unter uns keinerlei Echo und erst recht keinen Rückhalt finden. Aber diese Gedanken, so notwendig sie sind, können nicht alles sein, was heute abend zu sagen ist. „Verkündigung" steht an dieser Stelle in unserm Gottesdienstblatt, und das heißt doch, daß wir uns im Gedanken an die schauerlichen Ereignisse damals miteinander unter ein Wort der Hl. Schrift stellen wollen. Aber was könnte das für ein Wort sein im Blick auf die zerstörten jüdischen Gotteshäuser und auf 6 Millionen ermordeter Juden? Spricht das nicht allem Hohn, was selbst in der Bibel steht? Ich wollte mir kein Wort aussuchen nach eigenem Gutdünken. Im Losungsbüchlein der Brüdergemeine, wo die alttestamentlichen Stellen für jeden Tag nicht ausgewählt, sondern ausgelost sind und viele Christen sie ganz schlicht als für den Tag gegeben ansehen, steht für heute das Wort Daniel 3,17-18, die Antwort der 3 jüdischen Männer an den Babylonierkönig Nebukadnezar, der ihnen bei Strafe des Feuertodes befohlen hatte, vor dem goldenen Standbild niederzufallen, das wohl die göttliche Größe und Macht des Königs selbst darstellen sollte. Die Antwort lautet: „Wenn unser Gott, den wir verehren, will, so kann er uns erretten aus dem glühenden Ofen und aus deiner Hand. Und wenn er's nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, daß wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild nicht anbeten wollen." Sind wir damit nicht unmittelbar bei unserem Thema: Juden vor dem glühenden Ofen, von der Vernichtung bedroht. Gewiß, im Nationalsozialismus hätten sie sich auch durch einen Kniefall vor Hitler und seiner Abgötterei nicht retten können. Da wurde das Todesurteil über sie gesprochen, weil man sie sich ausgesucht hatte als Gegenstand des Hasses; man brauchte den Sündenbock, auf den man alles Böse in der Welt zurückfuhren konnte, um die eigene Rasse, die eigene Nation, die eigene Macht zum vollkommenen Idol machen zu können. Um der eigenen Selbstvergötterung und des eigenen Machtrausches willen mußten die Juden sterben. An die Stelle des glühenden Ofens für einzelne traten Gaskammern und Verbrennungsöfen für den Massenmord. Wenn unser Gott will, dann kann er uns erretten, sagen die Drei vor dem glühenden Ofen und lassen sich hineinwerfen. Die Erzählung sagt, sie seien wunderbar errettet worden. Im Judenpogrom des 9. November und erst recht in den Gaskammern von Auschwitz gab es für Ungezählte 300
kein Zeichen der Errettung. Wollte Gott also nicht, oder war dieser ganze Glaube an Gott eine einzige große Täuschung, die vor der schrecklichen Wirklichkeit zerbrach? Aus Auschwitz hat ein Davongekommener berichtet: als das ganze Lager auf dem Appellplatz angetreten war und drei vor aller Augen erhängt wurden, darunter ein Junge von 13 Jahren, da habe hinter ihm einer verzweifelt gemurmelt: „Wo ist Gott, wo ist er?"21 Wie viele mögen verzweifelt dasselbe gedacht haben. Und wie vielen hilflosen jüdischen Menschen, denen am 9. November alles zerstört und die dann später in einen grausamen Tod getrieben wurden, mag ihr Glaube, der ihnen bis dahin Halt und Kraft gewesen war, zerbrochen sein. Und nicht nur ihnen, es gibt auch andere, auch Christen genug, die zur Überzeugung gekommen sind, nach Auschwitz habe es keinen Sinn mehr, von Gott dem Vater zu sprechen, den man glaubend anrufen und dem man sein Leben anvertrauen könne. Allein der Mensch selbst entscheide über den Menschen und sein Schicksal und die Zukunft der Welt. In eine solche Tiefe hinein geht die Tatsache der deutschen Schuld an jüdischen Menschen: Wir Deutschen haben nicht nur Menschenrecht und Menschenwürde mit Füßen getreten, wir haben auch ungezählten Menschen ihren Glauben zerstört und sie in Verzweiflung getrieben. Ob wir selber auch nicht daran beteiligt waren, wir Älteren haben es dahin kommen lassen und haben, als es geschah, weithin dazu geschwiegen. Und als unsere Kirche im Herbst 1945 das Wort von unserer gemeinsamen Schuld aussprechen mußte, das Stuttgarter Schuldbekenntnis: „Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben", da erhob sich Ablehnung und Entrüstung überall im Land, und dies hat eine innere Gesundung, einen wirklichen Neubeginn in einem neuen Geist eines echten Miteinanders im Grunde verhindert. Kann man nach der Kristallnacht und nach Auschwitz noch an Gott den Vater glauben? Wo er die, die an ihn glaubten und ihn anriefen, nicht bewahrt hat? Es hätte jetzt wenig Sinn, Gründe für den Glauben anzuführen und Beweise für Gott versuchen zu wollen. Solche Beweise, mit denen man überzeugen könnte, gibt es nicht. Aber es gibt Zeugnisse von Menschen darüber, was sie erfahren haben, und auf ein paar Zeugnisse gerade jüdischer Menschen sollten wir hinhören. Da sagen schon jene drei Männer vor dem Feuerofen: „und wenn er's nicht tun will, wenn er uns nicht bewahren und erretten will, so sollst du dennoch wissen, daß wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild nicht anbeten wollen". Schon für das alte Israel war Glaube keine Le301
benssicherung: Glaube an Gott, dann wird er dich bewahren; wenn nicht, dann hast du dich eben getäuscht, dann wirf diesen Glauben über Bord. Nein, wenn er's nicht tun will - und die Juden haben es in ihrer leidvollen Geschichte tausendfach erfahren, daß Gott sie nicht bewahrt hat vor Haß, Verfolgung und Tod - dennoch blieben sie bei ihrem Gott: „Dennoch bleibe ich stets an dir, ob mir gleich Leib und Seele verschmachtet", heißt es in einem Psalm. Einer unserer Pfarrer ist als Soldat, aber Unbeteiligter, in der Ukraine Zeuge der Erschießung von etwa 40 jüdischen Männern geworden.22 Vorher verhöhnt und geschlagen mußten sie je 2 und 2 vor ihre Todesschützen hintreten und sie taten es, wie der Augenzeuge berichtet, mit hoch erhobenen Häuptern, ohne Klage und ohne Zittern und Zagen, sie alle, die sie vorher das Ende der anderen mitansehen mußten. Von manchen Todgeweihten ist berichtet worden, daß sie auf dem letzten Weg Gebetsverse flüsterten, das Schema Jisrael, seit alters das Bekenntnis in der Sterbestunde: „Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein!" Glaube an den lebendigen Gott auch in der Hölle. Hören wir noch zwei Gebete jüdischer Menschen. Das eine ist das Wort eines aus dem Lager Buchenwald heimgekehrten tschechischen Juden vom Juni 1945: „Immer noch warten wir auf die Rückkehr unserer Teueren, die vor drei Jahren die Stadt verlassen haben. Warum kommen sie nicht zurück? Die Männer - es wütete der Krieg. Die Alten - der Tod ist das Los des Alters. Es kommen aber auch nicht die Frauen ... Und nicht die Kinder, unsere kleinen, schuldlosen Kinder! Was haben wir verbrochen, wie gesündigt, daß du uns, vereinsamte Einzelgänger, ins Leben zurückgerufen hast, o Herr? Denn fragen wir nach dem Sinn unseres weiteren Lebens, finden wir nur eine einzige Antwort: Die Rache! Und dennoch sagtest du zu uns: Die Rache ist mein!... Kann man noch arbeiten, wenn man nur an Rache denkt? Können wir aus der Rache ein Denkmal unseren Kindern errichten? Sei es, wie du sagst! Dein ist die Rache, o Herr! Aber gib uns die Kraft, damit wir, falls wir richten, uns nicht rächen. Und gib uns ein Herz, ein großes, damit wir, falls wir suchen, auch finden. Und erlöse uns von allem Bösen. Amen." 23 Und das andere ist ein jüdisches Gebet aus einem Konzentrationslager: „Friede sei den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende sei gesetzt aller Rache und allem Reden von Strafe und Züchtigung. Aller Maßstäbe spotten die Greueltaten, sie stehen jenseits aller Grenzen menschlicher Fassungskraft, und der Blutzeugen sind gar viele. Darum, o Gott, wäge nicht mit der Waage der Gerechtigkeit ihre Leiden, daß du sie ihren Henkern zurechnest und von ihnen grauenvolle Rechenschaft forderst, sondern laß es anders gelten. Schreibe vielmehr den Henkern und 302
Angebern und Verrätern und allen schlechten Menschen zugut und rechne ihnen an: all den Mut und die Seelenkraft der anderen, ihr Sichbescheiden, ihre hochgesinnte Würde, ihr stilles Mühen bei alledem, die Hoffnung, die sich nicht besiegt gab, und das tapfere Lächeln, das die Tränen versiegen ließ, und alle Liebe und alle Opfer, all die heiße Liebe. Alle die durchpflügten, gequälten Herzen, die dennoch stark und immer vertrauensvoll blieben, angesichts des Todes und im Tode, ja auch die Stunden der tiefsten Schwäche. Alles das, o mein Gott, soll zählen vor dir für eine Vergebung der Schuld als Lösegeld, zählen für eine Auferstehung der Gerechtigkeit - all das Gute soll zählen und nicht das Böse. Und für unsere Feinde sollen wir nicht mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alpdruck und Gespensterschreck, vielmehr ihre Hilfe, daß sie von der Raserei ablassen. Nur das heischt man von ihnen, daß wir, wenn nun alles vorbei ist, wieder als Menschen unter Menschen leben dürfen und wieder Friede werde auf dieser armen Erde für die Menschen deines Wohlgefallens, daß Friede werde für uns und für die anderen." 24 Kann man so sprechen und so gesinnt sein ohne Glauben an den Gott, der unsere Schuld vergibt? Ich glaube es nicht. Wir Deutschen, und darunter waren ja auch zahlreiche Glieder christlicher Kirchen, wir haben alles getan, um jüdischen Brüdern ihren Glauben zu zerstören. Und noch nach Kristallnacht und Auschwitz sind es Juden, die von Vergebung sprechen und die uns rufen zum Glauben an den lebendigen Gott. Möchten wir ihre Stimme nicht überhören! Amen.
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Judenfeindschaft in der Kirche und unser heutiges Verhältnis zum Judentum Votum vor der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau am 9. November 1981 als Berater einer Arbeitsgruppe1* „Judenfeindschaft in der Kirche als Frage an das heutige Verhältnis der Kirche zum Judentum." Wie konnte es eigentlich kommen, daß wir als evangelische Kirche in den dreißiger Jahren angesichts der Judenverfolgung mit ihren schrecklichen Ergebnissen aufs Ganze gesehen geschwiegen haben? Es ist nicht zu bestreiten, daß das so war. Ich muß es als einer, der seit 1931 im Pfarramt gewesen ist, leider sagen: Aufs Ganze gesehen, von Ausnahmen und von leisen, vorsichtigen Sätzen abgesehen, haben wir geschwiegen. Wie war das möglich? Es kamen verschiedene Ursachen zusammen. Auf der einen Seite kamen wir als evangelische Kirche aus der Tradition eines mehr oder weniger offenen oder geheimen Antisemitismus. Das war durchweg so. Man liebte die Juden nicht. Die Gründe waren vielleicht im geringsten Maße rassistischer Art, diese Gesichtspunkte kamen ja erst relativ spät auf. Stärker wirkte sich in unseren Kreisen von Pfarrerschaft und Gemeinden eine antijüdische Grundstimmung aus, die die Geschichte unserer Kirche jahrhundertelang mitbestimmt hat. Wir lebten in bestimmten unbezweifelten Klischeevorstellungen: Die Juden haben Jesus abgelehnt, sie haben ihn ans Kreuz gebracht. Darüber ist ein unüberwindlicher Gegensatz entstanden. Sie sind nicht mehr das Volk Gottes, an ihre Stelle ist die Gemeinde Jesu Christi getreten; sie ist das wahre Israel und - das jüdische Volk trägt das Gericht über seine Sünden. So etwa war die Grundstimmung, und zwar sowohl in herkömmlich konfessionell bestimmten wie auch in pietistisch geprägten Kreisen. Dies hat sich auf unsere theologische Grundhaltung und die Verkündigung so ausgewirkt, daß wir in dieser Frage ein Problem - zunächst jedenfalls - nicht gesehen haben. Als dann 1933 die Forderung der Deutschen Christen in der Kirche aufkam, Juden, judenstämmige Pfarrer müßten aus dem Amt entfernt oder auch Gemeindeglieder aus der Kirche ausgeschlossen werden, da erst begann man aufzumerken. Sie wissen, daß im Herbst 1933 der Pfarrernotbund von Martin Niemöller gegründet worden ist und daß in dem vierten Verpflichtungssatz stand: In der Verpflichtung, die ich hier eingehe, bezeuge ich, daß die Einfuhrung des Arierparagraphen in die Kir304
che eine Verletzung des christlichen Bekenntnisses darstellt. Wir hatten uns diesen Entscheidungspunkt nicht gesucht, aber wir konnten ihm nicht ausweichen. Zu gleicher Zeit aber haben sich ernsthafte Theologen nicht deutsch-christlicher Haltung nachzuweisen bemüht, daß wir in der Frage: Arierparagraph in der Kirche, mit aller Kraft zu widerstehen hätten; falls es aber der Staat für richtig hielte, in seinem Bereich, in Beamtenschaft und öffentlichen Positionen bestimmte Maßnahmen durchzuführen, hätten wir als Kirche kein Recht, vom Evangelium her dagegen Einspruch zu erheben, denn der Staat stehe unter eigenem Hoheitsrecht. Die Tatsache einer so verabsolutierten Zwei-Reiche-Lehre hat also noch zusätzlich dazu beigetragen, die Frage des Schicksals unserer jüdischen Volksgenossen auszuklammern. Man meinte, kein Recht zu haben, dazu Stellung zu nehmen. Dies war freilich in einem frühen Stadium, die weitere Entwicklung war noch nicht im Blick. Aber Sie wissen wohl, daß selbst Karl Barth gesagt hat, er müsse es sich als Schuld anrechnen, daß er bei der Barmer Theologischen Erklärung nicht auch diese Frage mit zur Entscheidung gestellt habe, so daß Dietrich Bonhoeffer wohl fast der einzige war, der dies damals schon als Entscheidungsfrage der Kirche erkannte. Eine dunkle Vergangenheit, die wir als Hypothek mitbringen, unser Versagen, unser Schweigen. Leider waren wir auch im Herbst 1945 noch nicht soweit, in dem Stuttgarter Schuldbekenntnis auch das Versagen im Eintreten für die jüdischen Brüder und Schwestern als unsere Schuld zu bekennen. Die Erkenntnis ist uns erst Schritt für Schritt aufgegangen. Wir haben in unserer Arbeitsgruppe festgestellt, daß trotz der erheblichen Umbesinnung, seit Auschwitz ins Bewußtsein drang, noch immer Anzeichen eines latenten Judenhasses oder einer mehr oder weniger offenen Distanz gegenüber jüdischem Wesen als fremdartig festzustellen sind; Anzeichen dafür auch in Gemeinden, Klischeevorstellungen, etwa bis in die Trivialliteratur hinein, von der Gestalt des Bösen, des Dunklen, des Verächtlichen, und das meist in der Form einer unverkennbar jüdischen Karikatur. Auch in dem wenigen, was etwa Konfirmanden noch mitbringen an Wissen, wenn sie gefragt werden: Was wißt ihr von Juden? zeigt sich das gleiche: Das waren die bösen Feinde Jesu, es waren reine Gesetzesmenschen, sie haben Jesus ans Kreuz gebracht, und seitdem tragen sie ihre Schuld mit sich herum. Selbst in Religionsbüchern seien antijudaistische Hintergründe noch spürbar. Wir gingen dann einen Schritt weiter und fragten: Gehen Antijudaismus und Judenfeindschaft nicht bis ins Neue Testament zurück? Und wir 305
mußten feststellen, daß dies nicht zu bestreiten ist. An einzelnen, gar nicht so seltenen Stellen bei Paulus, in der Apostelgeschichte, im Johannes-Evangelium finden sich Aussagen eines harten Urteils über jüdische Zeitgenossen und ihre Einstellung. Es geht also jetzt um die Frage: Wie stellen wir uns heute zu diesem Tatbestand? Hier ergibt sich unsere eigentliche Aufgabe als Kirche heute in unserer Stellung gegenüber den jüdischen Brüdern, nämlich uns in all unseren Arbeitszweigen, in Predigt, Unterricht, Kindergottesdienst, um eine neue, rechte Auslegung des Neuen Testaments und um eine Umbesinnung zu bemühen. Hier muß ein Lernprozeß einsetzen, der da und dort von theologischen Sprechern angestoßen, aber noch längst nicht in die Breite unserer Pfarrerschaft und erst recht unserer Gemeinden hindurchgedrungen ist. Nach der jahrhundertelangen antijudaistischen Erziehung in der Kirche ist also eine konzentrierte und energische Bemühung um theologische Umbesinnung, um ein Neuerkennen dessen, was es um Juden und Christen ist, unsere eigentliche Aufgabe. Was würde dazu gehören? Erstens: Die unverkennbaren und historisch bedingten antijüdischen Aussagen des Neuen Testaments sind von dem eigentlichen Zentrum der christlichen Botschaft zu unterscheiden und zu trennen. Es ist kein Zweifel, daß etwa im 1. Thessalonicher-Brief 2,14-16 Paulus eine zornige Äußerung über seine jüdischen Volksgenossen getan hat (ganz anders als Rom 9-11), wobei die Forscher sogar feststellen, daß hier bestimmte Schlagworte des antiken Antisemitismus anklingen. Wenn aber der Jude Paulus seinem Volk gegenüber in den Auseinandersetzungen der ersten Generation oder der ersten zwei Generationen auch einmal ein hartes Wort gesagt hat, gibt das keinem Heidenchristen des 19. oder 20. Jahrhunderts das Recht, dieses Urteil als bleibend gültig und etwa als Gottes Wort heute so zu verkündigen. Wir müssen das historisch Bedingte unterscheiden von dem Bleibenden in der Christusbotschaft. Hier setzte ja wohl der gefahrliche Weg ein, daß von den Kirchenvätern an unter Berufung auf biblische Stellen ein Antijudaismus verkündigt worden ist, der diese historische Bedingtheit einfach übersah, und von da aus hat dann die ganze durch die Jahrhunderte gehende Feindschaftshaltung gegenüber dem jüdischen Volk sich durchgesetzt. Es muß unterschieden werden zwischen historisch Bedingtem und bleibendem Inhalt. Das Zweite: Auch auf den Inhalt der christlichen Botschaft gesehen, bedarf es eines Lernprozesses insofern, daß wir aufräumen müssen mit falschen Auslegungen und Vorstellungen. Dazu gehört a) Der Bund Got306
tes mit Israel ist nicht aufgekündigt nach dem Wort der heiligen Schrift. b) Wir sind als Christen nicht an die Stelle Israels getreten, eine zwar jahrhundertelang selbstverständliche, aber keineswegs biblische Aussage. c) Wir haben kein Urteil zu sprechen darüber, ob ein geschichtliches Geschehen etwa Gericht Gottes bedeutet, wie wir das ja immer von der Zerstörung Jerusalems hergeleitet haben: alles weitere war uns selbstverständlich das Gericht Gottes über die Schuld Israels. Es gibt Widerfahrnisse, die jeder für sich als das ihm widerfahrene Gericht erkennen kann. Wir haben die Katastrophe von 1945 wohl nicht ohne Grund als Gericht Gottes über unsere Hybris erfahren, aber wir haben kein Recht, einem anderen und gerade den jüdischen Brüdern gegenüber ihren Weg als Gottesgericht zu etikettieren. Es ist ihre Frage, wie sie zu ihrer Geschichte stehen und welche Antwort sie finden, aber es ist nicht unsere Sache sonst sind wir nur wie die falschen Freunde Hiobs! d) Zu den falschen Vorstellungen und Auslegungen gehört auch der Jude als Gesetzesmensch. Man kann nicht einfach gegenüberstellen: Da im Alten Testament herrscht das Gesetz, wir im Neuen haben die Liebe. Die Thora ist voller Hinweise auf die Liebe zu den Schwachen, den Schutzlosen, Witwen und Waisen, den Fremdlingen. Wenn Paulus die Werke des Gesetzes entgegenstellt der Botschaft von der Gnade, will er damit nicht sagen, die Thora sei abgetan, erledigt, sondern er sagt: sie ist heilig, gerecht und gut. Aber er hat es erfahren, daß er nicht in der Lage war, dies zu erfüllen, was ihm das Wort der Schrift gebot, und daß Jesus Christus ihm den Weg bereitete, zu tun, was Gottes Wille ist. Das führt zum letzten Punkt, an dem wohl auch umzudenken sein wird, den man gewöhnlich den Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens zu nennen pflegt. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." Aus diesem Wort ist ein Anspruch abgeleitet worden, mit dem die Kirche als die Siegende sich erhob über die Synagoge als die endgültig Überwundene. Es war Triumphalismus des Stärkeren, der sich mit der Macht der Mächtigen verbunden und über die geschundene Minderheit triumphiert hat. Dies war zweifellos eine völlige Verkehrung dessen, was das Neue Testament wollte. Unsere jüdischen Freunde werden von uns jetzt nicht erwarten, daß wir unsere Gewißheit von der Einzigartigkeit Jesu Christi leugnen, dies sicher nicht. Aber vielleicht könnten wir es so sagen: Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der bist, der uns den Weg zum Vater auftut, daß du Weg, Wahrheit und Leben bist, und wir bezeugen es dankbar; aber wir werden uns heute, nachdem wir so oft und lange als die Besitzenden und Triumphierenden erschienen sind, zurückhalten 307
in einem Urteil darüber, was er, Jesus Christus, für andere bedeutet. Und wir werden ganz besonders zurückhaltend sein unseren jüdischen Brüdern gegenüber, von ihnen zu erwarten, daß sie in unser Bekenntnis einstimmen. In einem freilich begegnen wir uns doch wieder, da nämlich, wo wir bekennen müssen: Ja, die Erfüllung der Verheißungen ist auch für uns, nach unserem Glauben und nach unserer Erkenntnis Jesu Christi, nicht vollendet. Auch wir sind Wartende auf die Erfüllung des Reiches, und wir warten zusammen mit der jüdischen Gemeinde auf den, der kommt und alle Dinge nach seiner Verheißung vollenden wird. Wir sind miteinander Wartende, aber wir Christen werden das Wort „Absolutheitsanspruch" bitte so nicht mehr in den Mund nehmen. Ich schließe mit der persönlichen, stillen Hoffnung, daß ein neues Miteinander von Juden und Christen uns selbst helfen möchte, auch in einer neuen Weise von dem einen Herrn und seiner Barmherzigkeit zu zeugen und in neuer Freude wieder zu beten, wie wir es da und dort schon begonnen haben zu verlernen.
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Dietrich Bonhoeffers Vermächtnis für uns heute Ökumenische Gedenkfeier zum 40. Jahrestag seines Todes, Fulda 1985 Das von mir erbetene Wort des Gedenkens an Dietrich Bonhoeffer, den Theologen der Bekennenden Kirche und Teilnehmer am unmittelbaren Widerstand gegen Hitler, kann ich nicht aus persönlicher Erinnerung sprechen. Ich bin ihm selbst nicht begegnet. Gewiß wußten wir auch in Hessen von ihm und seiner Arbeit, lasen in den Tagen des Kirchenkampfes den einen oder andern Beitrag von ihm in der „Jungen Kirche", der Zeitschrift der BK, oder dem neu entstandenen Monatsblatt „Evangelische Theologie". Wir wußten, daß er einer der tapfersten und konsequentesten Mitstreiter der BK und des Pfarrernotbundes von Martin Niemöller war; daß er als junger Privatdozent an der Berliner Universität lehrte, seit Herbst 1933 Pfarrer der deutschen Gemeinde in London war und nach seiner Rückkehr 1935 die Leitung eines der Predigerseminare der BK in Zingst an der Ostsee und dann in Finkenwalde in Pommern übernahm - eine entscheidend wichtige Aufgabe der Ausbildung der jungen Theologen der BK, die sich nicht mehr in der Lage sahen, sich bei den von den Deutschen Christen eroberten Kirchenleitungen prüfen und fürs Pfarramt zurüsten zu lassen. Dann erfuhren wir noch, daß ihm 1936 seine Lehrbefugnis an der Universität entzogen wurde und sein Seminar ebenso wie die anderen im Herbst 1937 durch die Gestapo geschlossen wurde. Aber auch dies wußten wir, daß die Arbeit selbst wie bei unserem BK-Seminar in Frankfurt/Main auf getarnten Wegen, durch Sammelvikariate im Lande, bis in die Kriegszeit hinein fortgeführt worden ist. Dann hörten wir den Namen Bonhoeffer nicht mehr. Höchstens erfuhr der eine oder andere noch, daß er im April 1943 verhaftet worden sei, aber viele wußten auch das nicht, denn auf der Fürbittenliste der verhafteten BK-Pfarrer, die es von Zeit zu Zeit noch gab, stand sein Name nicht. Erst nach Kriegsende erfuhr man dann, daß Bonhoeffer mit Kreisen des Widerstandes Verbindung hatte und daß er noch vier Wochen vor dem Ende zusammen mit sechs anderen im KZ Flossenbürg umgebracht worden war. Und dann bekamen wir - es war wohl schon Ende 1945 - als erstes in einem ökumenischen Druck aus Genf „Das Zeugnis eines Boten", einige Auszüge aus seinen Schriften und vor allem seine Gedichte in die Hand, Verse, die einem den Menschen Bonhoeffer mit einem Mal vertraut machten, Worte von erschütternder Eindringlichkeit und Tiefe von einem Menschen, der in die tiefste Finsternis hineingesto309
ßen war und in dieser Finsternis die Gegenwart seines Gottes erfuhr und darum nicht zerbrach. Aber dann geschah etwas Erstaunliches: Das Vermächtnis Bonhoeffers, seine theologischen Arbeiten, seine Predigten und Bibelarbeiten und nicht zuletzt seine Briefe und Aufzeichnungen aus der zweijährigen Haft wurden veröffentlicht und liefen um die Welt. Kein evangelischer Theologe unseres Jahrhunderts, obwohl er bei seinem Tod erst 39 Jahre alt war und zu einem umfassenden Lebenswerk gar nicht gekommen ist, weil ihn all seine Aufgaben und Kämpfe ganz gefordert haben, keiner hat ein solches Echo in der weiten Welt ausgelöst wie Dietrich Bonhoeffer. Von europäischen Ländern oder Nordamerika gar nicht zu reden, man mag nach Südafrika kommen und wird auf ihn angesprochen, oder man erfahrt in Südkorea oder Japan, daß er dort publiziert und studiert wird. Wie ist das möglich gewesen? Das allein kann es ja nicht sein, daß er schon in frühen Jahren ein bedeutender Theologe und Denker war. Es gab deren in unserem Jahrhundert noch mehr. Auch dies ist es vermutlich nicht nur gewesen, daß er sein Zeugnis mit dem Tod besiegelt hat. Auch darin war er nicht der einzige. Was ist es, was Menschen, besonders auch der jüngeren Generation, dazu gebracht hat, auf seine Stimme zu hören? Ob es nicht das war, daß es ihm als einem der ganz wenigen gegeben wurde, einen tief gegründeten Glauben mit wagemutiger Tat zu verbinden, das also zusammenzubringen, was bei den meisten von uns weit auseinanderklafft und wir nicht recht zusammenzubringen vermögen: unser Leben des Glaubens nämlich und Einsatz und Verantwortung für die Welt. Und er hat dies nicht nur als Einheit gelebt, sondern tiefgründig durchdacht und sich theologisch Rechenschaft gegeben. Aber war es denn auch wirklich zu vereinbaren, Glaube an Christus, der ohne Gegenwehr unter der Gewalt leidet und stirbt, und Verschwörung gegen den Machthaber und Verfuhrer des Volkes mit dem Ziel, ihn zu beseitigen, um das Volk zu retten? Es war ein Weg, von dem er selbst wußte, daß seine Kirche ihn nicht würde mit ihm gehen können. Ließ sich das vereinbaren? Oder war er darin, wie vielleicht mancher denken möchte, ein typisch evangelischer Theologe, dem die Kirche und ihre Zustimmung nicht so wichtig war? Wir wollen es uns nicht zu leicht machen. Bonhoeffer hat sehr hoch gedacht von der Kirche und hat sogar den Satz sagen können, wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche scheide, scheide sich von seinem Heil.26 Und er war in einer Zeit, als das noch nicht üblich war, tief ökumenisch gesonnen. Schon 1927, als 2 ljäh310
riger, konnte er sagen: Der Leib Christi ist Rom und Korinth, Wittenberg, Genf und Stockholm, sie alle gehören zusammen zur Gesamtgemeinde als sanctorum communio, als Gemeinschaft der Heiligen.27 Und in einer flir ihn besonders ernsten Situation ist er monatelang Gast des Klosters Ettal gewesen. Wir müssen also schon tiefer graben, um eine Antwort zu finden, wie Bonhoeffer das zusammenbringen konnte: Glaube an seinen Herrn Jesus Christus und Beteiligung an der Verschwörung gegen Hitler. Dabei kann uns vielleicht ein Schriftstück helfen, das er um die Jahreswende 1942/43 für seine engsten Vertrauten niederschrieb, um sich Rechenschaft zu geben, was in diesen zehn Jahren seit der Machtergreifung geschehen sei und worauf es zuletzt ankomme, ein Text, von dem der Historiker Gerhard Ritter in seinem Buch über Goerdeler gesagt hat, es sei das „Schönste, Tiefsinnigste und bleibend Wertvollste, was zu einer Analyse der geistigen Situation jener Zeit und des deutschen Widerstandes je geäußert worden ist".28 Ich greife drei Gedanken daraus auf. Der erste Gedanke ist, daß mit der teuflischen Versuchung jener Zeit alle seither tragenden Grundsätze und Fundamente eines vor Gott verantwortlichen Lebens zu Bruch gingen. War nicht der Gehorsam gegenüber der von Gott gesetzten Obrigkeit unbestreitbares Gebot Gottes für den Christen? Und jetzt war es diese Obrigkeit selber, die festsetzte, was recht war, die Unrecht, Haß und Mord, an Juden vor allem, und an Zigeunern, Polen oder Russen befahl. Pflichterfüllung bis zum letzten war die Ehre des Deutschen. Das Befohlene galt als das Allersicherste, die Verantwortung trug der Befehlsgeber, nicht der Ausführende. Und jetzt mußte ein solcher Pflichtmensch auch noch dem Teufel gegenüber seine Pflicht erfüllen. Oder: „In der Unterordnung aller persönlichen Wünsche und Gedanken unter den uns gewordenen Auftrag sahen wir (Deutschen) Größe und Sinn unseres Lebens." Aber wir hatten „nicht damit gerechnet, daß ... Bereitschaft zur Unterordnung, zum Lebenseinsatz für den Auftrag mißbraucht werden könnte zum Bösen. Geschah dies, ... dann mußten alle sittlichen Grundbegriffe des Deutschen ins Wanken geraten." Das war die Erfahrung Bonhoeffers und unser aller damals, aber er hat sie besonders früh erkannt und ausgesprochen, daß die Verfuhrung jener Zeit alle festgefügten Grundlagen des Lebens, alle bewährten Traditionen und Grundsätze von Pflicht, Unterordnung und Einsatz zum Einsturz brachte. So fragt er: „Ob es jemals in der Geschichte Menschen gegeben hat, die in der Gegenwart so wenig Boden unter den Füßen hatt e n . . . wie wir?"29 311
Nun, jene Zeit ist vergangen, und doch möchte vielleicht manch einer von uns sagen: Gilt es nicht auch für uns, daß wir keinen Boden mehr unter den Füßen haben? Nicht weil die Gewaltherrschaft eines Diktators uns verführt, sondern dadurch, daß die Welt an ihre Grenzen gestoßen ist, daß sie unter dem Wahnsinn der Überriistung sich selbst vielfach zerstören kann, wenn irgendwo ein auslösender Funke sich entzünden sollte; ja, daß auch ohne dies die Erde für unsere Kinder und Enkel unbewohnbar werden wird, wenn wir auf dem bisherigen Weg ihrer Ausbeutung fortfahren. Ist es da nicht auch bei uns so, daß alte, für selbstverständlich gehaltene Grundsätze zu Bruch gegangen sind: Wer den Frieden erhalten will, muß so stark wie nur immer möglich sein; er muß dafür sorgen, daß er der Überlegene bleibt; alle Kraft muß daran gesetzt werden, das verkörperte Böse auf der Gegenseite niederzuhalten und sich selber die Macht über die Erde zu sichern. Dies alles hat sich doch als nicht tragfahig erwiesen. Fragen deswegen manche Menschen heute nach Bonhoeffer, weil sie spüren, daß er auch für uns aktuell ist, weil auch wir in unserer ganz anderen Zeit den Boden unter den Füßen verloren haben? Der zweite Gedanke: Wenn überkommene Ziele und Grundsätze zu Bruch gegangen sind, von denen man meinen konnte, sie sicherten Leben und Zukunft, was bleibt dann? Bonhoeffer antwortet: „Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein... Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet." Und bald danach: „Es schien uns bisher zu den unveräußerlichen Rechten menschlichen Lebens zu gehören, sich einen Lebensplan entwerfen zu können, beruflich und persönlich. Damit ist es vorbei." Bonhoeffer hat es Jahre hindurch praktiziert, was es heißt, in völliger Ungesichertheit zu leben, als illegaler Bekenntnis-Theologe ohne anerkanntes Amt, ohne garantiertes Gehalt und Alterssicherung. Was blieb ihm? Er schreibt: „Uns bleibt nur der sehr schmale und manchmal kaum noch zu findende Weg, jeden Tag zu nehmen, als wäre er der letzte, und doch in Glauben und Verantwortung so zu leben, als gäbe es noch eine große Zukunft... Denken und handeln im Blick auf die kommende Generation, dabei ohne Furcht und Sorge jeden Tag bereit sein zu gehen - das ist die Haltung, die uns praktisch aufgezwungen ist und die tapfer durchzuhalten nicht leicht, aber notwendig ist."30 312
Gibt es eine bessere Antwort auch für uns, die wir gezwungen sind, am Rande des Abgrunds zu leben, wo viele drauf und dran sind zu verzweifeln oder längst resigniert haben, weil sie das Spiel der Mächtigen mit dieser unserer Welt nicht verhindern können, gibt es eine bessere Antwort als die Bonhoeffers: „Denken und handeln im Blick auf die kommende Generation, dabei ohne Furcht und Sorge jeden Tag bereit sein zu gehen"? Zum Schluß das Dritte: Was heißt das fiir den Christen und für seine Stellung zu dieser Welt? In diesem ganz auf seinen Herrn Angewiesensein und sich nur an ihn Halten-Können wurde es Bonhoeffer je länger desto wichtiger, daß dieser Herr sich ganz der Welt zugewandt hat, daß er hinausgegangen ist „aus dem Lager", gestorben ist für die Welt „draußen vor dem Tor" (Hebr 13,12f.), verlassen von den meisten seiner Nächsten, ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Frommen und Anständigen, daß er unter Verbrechern starb wie einer von ihnen und doch fiir sie da war und sie nicht allein ließ. Bonhoeffer ahnte, daß dies auch der Weg seiner Jünger sein werde, heraus aus der Geborgenheit, ja, wo es sein mußte, auch aus der schützenden Geborgenheit der Kirche, zum Dienst an der Welt, zum Leiden in ihr, vielleicht auch selbst in ( Einsamkeit und Verlassenheit, wie es ihm und seinen Freunden ergangen ist und wie es vor ihm das Leiden unserer jüdischen Brüder und Schwestern war, mit denen er sich zutiefst verbunden wußte. Er schreibt: „Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden ... Christus litt... in Einsamkeit, abseits und in Schanden, ... und seither viele Christen mit ihm."31 Von daher hat Bonhoeffer gewagt, den einsamen Weg auch gegenüber seinen Brüdern in der BK zu gehen, weil er sich im Namen Christi verantwortlich wußte für die Welt draußen und in seiner Nachfolge zum Mitleiden bereit war. Ist es nicht der gleiche Geist, aus dem Pater Alfred Delp, auch gestorben als Mann des Widerstandes, schrieb: „Noch etwas wissen von Christus und selber Christ sein wollen, das heißt heute, innerlich bereit sein müssen, die Verantwortung für das Ganze auf sich zu nehmen. In diesen Zeiten erträgt Gott nicht den Menschen, der da vor ihm erscheint und nur sein privates Anliegen vor ihn bringt und nur seine private Sorge ihm vorträgt. In Zeiten, in denen Gott mit der Menschheit würfelt um die Grundordnungen des Daseins, da verlangt der Herrgott den Menschen 313
des weiten Herzens, der großen Verantwortlichkeit, der wirklich vor Gott hintritt und das Ganze auf sich nimmt." 32 Ob es daher kommt, daß sich viele Menschen auch außerhalb der Kirchen von einem Zeugnis wie von Pater Delp oder Dietrich Bonhoeffer angesprochen fühlen? Ahnen sie vielleicht etwas davon, daß diese Botschaft von Christus nicht nur denen gilt, die sich nach ihm nennen, sondern auch ihnen, zu denen Christus hinausgegangen ist aus dem Lager und mit ihnen und für sie gelitten hat? Ja, vielleicht ahnen sie, daß diese Botschaft auch den säkularisierten Menschen der Moderne gilt, die meinen, mit den Kirchen nichts mehr anfangen zu können, und sich selbst vielleicht als Heiden bezeichnen würden. Daß Christus auch für sie da ist, hat Bonhoeffer in einem seiner tiefsten Gedichte über „Christen und Heiden" gesagt: 1. Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle, alle, Christen und Heiden. 2.
Menschen gehen zu Gott in Seiner Not, finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod. Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden. 3.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod, und vergibt ihnen beiden. Ich gestehe, daß ich erst spät den Zugang zu diesen Versen gefunden habe. Erst als mir das besondere Vermächtnis Bonhoeffers deutlicher wurde, daß Kirche Christi Kirche für andere ist, sind mir diese Worte nahe gerückt. Es wird darauf ankommen, daß wir bereit sind, zu hören und weiter zu lernen.
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Anhang
Anmerkungen 1. Zur Vorgeschichte 1 E. Röhm / J. Thierfeider, Ev. Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Bilder u. Texte einer Ausstellung. Stuttgart 1981, S. 12 f. 2 K. Scholder, Die Kirchen u. das Dritte Reich. Frankfurt/Berlin/Wien 1977, S. 3. 3 M. Niemöller, Eine Welt oder keine Welt. Frankfurt/M. 1964, S. 161. 4 K. Kupisch, Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus. Göttingen 1960, S. 144. 5 Scholder a.a.O., S. 5. 6 Nach K. W. Dahm, BerufPfarrer. München 1971, S. 22 u. 27. 7 Zit. ebd. S. 33. 8 Zit. aus Betrachtungen eines Unpolitischen bei Scholder S. 7. Lt. K. O. v.Aretin, Thomas Manns Aufzeichnungen 1918-21, in Südd. Zeitg. v. 8./9. 12. 1979 Nr. 284 vollzog sich bei Mann erst 1922 eine Wende von dieser antiwestlichen und antidemokratischen Grundhaltung zur Bejahung der Republik. 9 Zit. bei Scholder S. 8. 10 Lt. RGG 2 Bd. II, Sp. 1974,1922 im 190. Tausend nachgedruckt. 11 So RGG 2 a.a.O. 12 Dahm a.a.O., S. 35. 13 K. Kupisch, Das Jahrhundert des Sozialismus und die Kirche. Berlin 1958, S. 125 u. 127. 14 H. W. Gatzke in: G. Mann (Hg.), Weltgeschichte IX. Frankfurt/Berlin 1960 Gütersloh 1980, S. 344. 15 O. Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche. Berlin 1926, S. 76. Im Geleitwort zur 5. Aufl. 1928 heißt es: „Jeder Tag zeigt erschreckender, wie der Zusammenbruch (kurz danach: die Zertrümmerung) des christlichen Staates von ehedem im Leben unseres deutschen Volkes sich auswirkt." 16 Nach Kupisch a.a.O. (Anm. 13), S. 124f. 17 Scholder S. 93. 18 E. Davidson, Wie war Hitler möglich? Düsseldorf/Wien 1980, S. 22 f. 19 Dies u. die folgenden Angaben nach Scholder S. 9 5 ff. 20 Davidson a.a.O., S. 225. 21 A. Hitler, Mein Kampf. München 46. Aufl. 1933, S. 225. 22 Wiedergegeben bei Röhm/Thierfelder (Anm. 1),S. 15. 23 Vgl. Scholder S. 107f. 24 H. Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Wiesbaden 1983, z. B. S. 80f., 105,113f. 25 H. Lilje, seit 1927 Generalsekretär der Deutschen Christi. Studentenvereinigung (DCSV), in: Militia Christi. Berlin 1928, S. 39f. 26 K. Kupisch, Studenten entdecken die Bibel. Die Geschichte der DCSV. Hamburg 1964, S. 160f. 27 J. Müller in: Militia Christi S. 32. 317
28 Zit. bei K. Meier, Der evangelische Kirchenkampf Bd. I. Halle/Saale 1976, S. 49; etwas abweichender Wortlaut bei Scholder S. 116 f. 29 Mein Kampf, S. 105ff.; Zitat S. 127. 30 ebd., S.293f., 379,395ff. 31 ebd., S. 631 fT. 32 So die Erklärung im Auftrag Hitlers an die Monatsschrift „Das Zeitbild", Hrsg. F. Braun-Reutlingen, die im Februar 1932 Auszüge aus Eckarts Schrift abgedruckt hatte; s. 1932, S. 29 u. 96. 33 Picker a.a.O. (Anm. 24), S. 184, und: Hitlers politisches Testament. Die Bormann-Diktate vom Febr. u. April 1945. Hamburg 1981, S. 67. 34 A. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jhs. München 11. Aufl. 1933, S. 75, 79, 603,612,614ff. 35 Picker a.a.O., S. 213. 36 Zit. bei J. S. Conway, Die nationalsozialistische Kirchenpolitik. München 1969, S. 29; auch bei Scholder S. 115. 37 P. Althaus, Leitsätze zur Ethik. Erlangen 1928, S. 53. 38 E. Hirsch, Deutschlands Schicksal. 3. Aufl. Göttingen 1925, S. 144, 152. Zuerst erschienen 1920, nach Hirschs eigener Angabe aber zunächst unter der „Ehre des Beschwiegenwerdens" (S. 4). 39 Aus „Tägliche Rundschau" Berlin 50. Jg. Nr. 125 v. 2.6. 1931. 40 Einzelne Beispiele bei Meier I (Anm. 28), S. 5 ff. 41 Zit. nach Kupisch, Quellen (Anm. 4), S. 162. 42 Scholder S. 142; dort eine ausfuhrliche Darstellung der Bedeutung dieser .politischen Theologie'. 43 Diese und weitere Zitate bei Meier I, S. 17,20,29. 44 Nach „Wollen und Wirken", Monatsblatt des evang. (christl.-sozialen) Volksdienstes, 1. Jg. Nr. 10, Nov. 1931. 45 Beide Zitate bei Meier I, S. 537; das letzte aus Kirchl. Jahrbuch 1932, S. 65f. 46 Kupisch,Quellens. 167. 47 Auszugsweise ebd. S. 23 5 ff. Vollständig bei K. Kupisch, Der Götze wackelt. Berlin 1961, S. 27 ff; hier auch Barths Anspielung auf das „violette Jahrhundert der Kirche'" (Dibelius). 48 Kupisch, Quellen S. 245. 49 Nach Scholder S. 220; dort auch die näheren Einzelheiten des Ganzen. Vgl. auch E. Busch, Karl Barths Lebenslauf. München 1975, S. 231. 50 Nach Peter Diehl-Thiele, Hitlers akademische Vorhut. Südd. Zeitg. v. 20./21. 11. 1982, Nr. 267, S. 107. 51 Zit. bei Scholder S. 221. 52 K. D. Bracher in Weltgeschichte IX (Anm. 14), S. 392. 53 Conway a.a.O. (Anm. 36), S. 31; näheres bei Scholder S. 1671T. Umfassende Dokumentation: Das Bischöfliche Ordinariat Mainz und der NS bis 1933. Ordinariat Mainz 1983. 54 Eine umfassende zeitgenössische Dokumentation für 1933 bis Mitte 1935 bietet Joachim Gauger, Chronik der Kirchenwirren, 3 Bände mit fortlaufender Seitenzählung, Elberfeld 1934-1936; hrsg. von Joseph Gauger, dem Schriftleiter des Wochenblatts „Licht u. Leben". Wichtigstes Material mit Kommentierung in: Kirchl. Jahrbuch 1933-1944 (KJ), hrsg. von Joachim Beckmann, Gütersloh 1948. 318
2. Die Phase der Vernebelung und der ersten Konflikte 1 2 3 4
Nach Meier Bd. 1,S. 73 f. Zit. bei Scholder a.a.O., S. 251, dem die Darstellung hier folgt. Volk. Beobachter v. 10./11. 1. 1932, zit. bei Scholder S. 256. Abgedruckt in K. D. Schmidt, Die Bekenntnisse u. grundsätzl. Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933. Göttingen 1934, S. 135f. 5 Mitgeteilt von Scholder S. 263. 6 Meier Bd. 1, S. 64f.; auch Scholder S. 270. 7 So der Wahlaufruf der kirchlichen Linken; dies und die vorangehenden Zitate bei Meier Bd. 1, S. 59 f. 8 Meier Bd. 1, S. 62. Das Stichwort von der SA Jesu Christi sollte später noch eine erhebliche Rolle spielen. 9 Abgedruckt bei Gauger, Chronik 1, S. 79 in der 1933 vorliegenden Form. 10 Weltgeschichte IX. Frankfurt/Berlin 1960 - Gütersloh 1980, S. 396. Wie Hitler selbst die Dinge sah, geben die Aufzeichnungen von Picker (Kap. 1, Anm. 24), S. 323 ff. anschaulich wieder. 11 Scholder S. 280; auch die folgenden Zitate sind Scholders Darstellung dort entnommen. 12 Darunter der Kronprinz und drei weitere Kaisersöhne, Generalfeldmarschall v. Mackensen. Lt. Gedenkausgabe „Die Woche" Berlin zum 21. 3. 1933. Hitler und Goebbels nahmen am Gottesdienst nicht teil, s. Picker S. 82 u. 115. 13 Gauger, Chronik 1, S. 68. 14 Gauger ebd.; ausführlicher bei Scholder S. 293ff.; auch bei W. Niemöller, Kampf u. Zeugnis der BK. Bielefeld 1948, S. 34, hier jedoch .nationalistisch' statt ,nat. sozialistisch'. Am Ende des vertraulichen Hirtenschreibens hatte Dibelius auch den Schwindel mit dem Königsberger Domgeläut aufgedeckt. 15 Gauger, Chronik S. 74. 16 Conway a.a.O. (Kap. 1, Anm. 36), S. 47. 17 Scholder hat die Einzelheiten der komplexen Vorgänge überzeugend dargestellt. 18 Licht und Leben 45. Jg. v. 16.4. 1933,S.248. 19 Gauger, Chronik S. 69 u. 71. 20 Scholder S. 370. 20a ebd., S. 324. 21 Zitate bei A. Boyens, Kirchenkampf u. Ökumene 1933-39. München 1969, S. 39ff. 22 Scholder S. 339. 23 J. Kübel, Erinnerungen. Abgeschlossen 1947. Hrsg. von der Tochter Martha Frommer 1973, S. 89ff. 24 Gnadauer Gemeinschaftsblatt Mai 1933, nachgedruckt Licht u. Leben Nr. 25 v. 18. 6. 1933, S. 392f. 25 Th. Mommsen, Römische Geschichte III. Berlin 10. Aufl. 1909, S. 550f. 26 KübelS. 91. 27 Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 140. 28 G. Kretschmar / C. Nicolaisen, Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches. Bd. 1 Das Jahr 1933. München 1971, S. 37; auch Gauger, Chronik S. 70, 72. 319
28 a KübelS. 90. 29 ScholderS. 391. 30 Wortlaut bei Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 144f. 31 Siehe oben S. 3 5 f. 32 G. Schäfer, Die Ev. Landeskirche in Württemberg u. der NS. Dokumentation Bd. 2. Calw 1973, S. 118f.; wiedergegeben bei Scholder S. 405 u. 409f. 33 Ausfuhrlicher oben S. 36. Nicht eindeutig scheint, wieweit die Formulierungen alle schon aus 1932 stammen oder erst 1933 entstanden und welches der endgültige Wortlaut war. Angaben und Texte bei Scholder S. 404f., 409 u. Anm. 67, Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 143f. u. Gauger S. 79 weichen mehrfach voneinander ab, obwohl hier das Datum 16. 5. 1933 u. die Unterschriften: Müller, Fezer, Hossenfelder u. Miss.Insp. Weichert angegeben sind. 34 Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 145f.; Kupisch, Quellen S. 258ff. mit den Namen der Unterzeichner. 35 Schmidt a.a.O., S. 146ff. 36 Denkschrift der JB über ihre Stellung zur Reichsbischofsfrage von Lic. Dr. Künneth, erschienen Juni 1933, kurz vor der darin angezeigten Nr. 1 des Mitteilungsblatts der JB „Junge Kirche" vom 21.6.1933. Zitat S. 4. 37 So nach den Aufzeichnungen Kübel S. 92f., der auch den negativen Eindruck vom Auftreten Müllers wiedergibt. 38 So ScholderS. 419. 39 Gauger, Chronik S. 80. 40 Kretschmar/Nicolaisen, Dokumente Bd. 1, S. 56. 41 Gesamter Text in „Junge Kirche" (JK), dem neuen wöchentlichen „Mitteilungsblatt der JB" Nr. 1 v. 21.6. 1933, S. 7ff.; ab Oktober 1933 „Halbmonatsschrift für reformatorisches Christentum". 42 Wortlaut bei Gauger, Chronik S. 82. 43 Gauger, Chronik S. 84. 44 Gauger, Chronik S. 86. 45 Nach ScholderS. 447. 46 Gauger, Chronik S. 84. 47 Kübel, Erinnerungen S. 97.
3. Staatlicher Eingriff: Triumph und Niedergang der DC 1 J. Glentoj, Unterredung im Vestibül. „Kirche in der Zeit" 17. Jg. 1962, S. 389ff.; auch bei Kretschmar/Nicolaisen, Dokumente I, S. 94ff. 2 W. Conrad, Kirchenkampf. Berlin 1947, S. 27 f. Aus J. Schmidt, Martin Niemöller im Kirchenkampf. Hamburg 1971, S. 101, 156 u. a. ergibt sich, daß Conrad verständnisvoller Anwalt der kirchlichen Opposition im Innenministerium war und durch ihn und Ministerialdirektor Buttmann auch Minister Frick im Sinne einer wohlwollenden Neutralität informiert wurde. 3 Lt. Amtsblatt der Ev. Landeskirche in Nassau 1933, S. 75ff. 4 J K 1 . Jg. 1933, S. 49. 5 Dokumentation zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau (Dok. HN) Bd. 1. Darmstadt 1974, S. 220,224f. 320
6 Gauger, Chronik S. 84. 6a ebd., S. 86f„ 90f. 7 ebd., S. 88. 8 Texte ebd. S. 92. Einzelangaben bei G. Denzler / V. Fabricius, Die Kirchen im Dritten Reich. Bd. 1, Frankfurt/M. 1984, S. 38f. sind mehrfach unrichtig (Verwechslung von Daten sowie von Verfassung und Anerkennungsgesetz). 9 Scholder S. 479. 10 Der vollständige Text der Verfassung in den kirchl. Amtsblättern, auch Gauger, Chronik S. 69ff. u. JK 1933, S. 76ff. 11 Lt. Conrad a.a.O., S. 30; auch Meier Bd. 1, S. 103 u. Anm. 400. 12 Wittener Tageblatt lt. Gauger, Chronik S. 94. 13 Röhm/Thierfelder S. 32. 14 Kretschmar/Nicolaisen, Dokumente I, S. 116f., 119. 15 Volk. Beobachter u. Tagespresse v. 19. sowie 20.-22.7. lt. Dokumente I, S. 117f. 16 Nicht um 2 Uhr früh, wie Meier I, S. 105 angibt. Der Verfasser war Ohrenzeuge. Daß der Eindruck dieser Rede ungeheuer gewesen sei (Scholder S. 567), kann ich nicht bestätigen. Sie wurde angesichts der späten Stunde nicht allzuweit gehört, ja sogar in den nächsten Tagen von allzu Gutgläubigen als böswilliges Gerücht bezeichnet. 17 Dokumente I, S. 119fT.; Gauger, Chronik S. 94. 18 Nach Gauger, Chronik S. 95. 18a Die Gesamtzahl der Gemeinden mit entsprechendem Wahlergebnis ist nicht feststellbar. Für das allerdings besonders günstige Beispiel Westfalen hat W. Neuser im Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte Bd. 76 1983 mitgeteilt, daß in 71 von den insgesamt 431 Kirchengemeinden gewählt wurde und daß jedenfalls in 11 namentlich genannten Gemeinden die DC in der Minderheit blieben. 19 Scholder S. 567. 20 Hossenfelder hatte bei der Auseinandersetzung um einen radikaleren Kurs der DC, dem Probst widersprach, das Bierglas nach ihm geworfen, s. Scholder S. 415, nach Kübel S. 101 f. 21 JK 1933, S. 80. 22 ebd., S. 99fT. 23 München 1933. Die folgenden Zitate S. 3f., 5,22f., 26,30ff., 36. 24 J. Schmidt, Niemöller im Kirchenkampf S. 9 5 f. spricht von „angeregt und wesentlich gefördert". Dort auch eine Charakterisierung des Verhältnisses Barth-Niemöller. 25 Lt. Scholder S. 556. 26 „Das Bekenntnis der Väter und die bekennende Gemeinde". München 1934. Näheres über Bonhoeffers Mitarbeit und schließliches Ausscheiden wegen Verwässerung vor allem in der ihm entscheidend wichtigen Judenfrage vgl. E. Bethge, D. BonhoefTerS. 355f. 27 Rundschreiben Frick v. 12. 7. 1933 lt. JKS. 118; ferner bei Meier I, S. 126f. 28 Nach L. Siegele-Wenschkewitz, NS und Kirchen. Düsseldorf 1974, S. 129f. 29 JK, S. 105 f. 30 ebd., S. 101 f. 321
31 Gauger, Chronik S. 106. 32 Der Berliner DC-Pfarrer Freitag in „Evangelium im Dritten Reich" lt. JK S. 136. 33 Der Oberpräsident wurde im Kirchenkampf zur Unterscheidung von anderen Trägern des Namens als „Ober-Koch" bezeichnet. 34 Gauger, Chronik S. 98 nach „Evangelium im Dritten Reich". 35 Dies und das Folgende nach Bericht in der JK, S. 192ff. 36 Volk. Beobachter lt. Gauger, Chronik S. 100. 37 Pressemeldung lt. Dok. HN (s. Anm. 5) 1, S. 242. 38 Brief Jäger an Kirchenregierung Wiesbaden Dokumente I, S. 126f. 39 Die gleichlautende Musterverfassung lag kurz darauf auch Verhandlungen über eine niedersächsische Kirchenvereinigung zugrunde, die aber nicht zustande kam, s. Dokumente I, S. 128; Verfassungstext S. 201 ff. 40 Lt. Verhandlungsniederschrift Dok. HN 1, S. 240f. 41 Nach Scholder S. 588 aufgrund der Sitzungsprotokolle der Einstweiligen Leitung. 42 Dies und die folgenden Angaben aus Kortheuers Bericht Lt. Dok. HN 1, S. 239 f. 43 Koopmann von der Einstw. Leitung zu Kortheuer: „Die ganze DEK wird es Ihnen noch einmal danken, daß Sie das Opfer sind, das es uns ermöglicht, den bösen Geist von der Kirche fernzuhalten", Dok. HN 1, S. 256; das einzelne bei Scholder, S. 609. 44 Gauger, Chronik S. 104; Müllers Antwort bei Scholder, S. 622f. 45 Bonhoeffers Anfrage und Barths Antwort in Bonhoeffer GS II, S. 126 fT. 46 Text Bonhoeffer GS II, S. 70f.; s. auch Bethge, Bonhoeffer S. 363f. 47 Darstellung bei J. Schmidt, M. Niemöller im Kirchenkampf S. 121 f. 48 So Scholder, S. 615. 49 Text JK, S. 204 f. 50 J.Schmidt, Niemöller S. 128 u. 469, Anm. 244-245. 51 Beide Fakultätsgutachten JK, S. 166fT. u. 271ff.; auch K. D. Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 178-186. 52 JK, S. 201ff.; Schmidt, Bekenntnisse 1933, S. 189ff. 53 Nach A. Boyens, Kirchenkampfu. Ökumene 1933-39, S. 62ff. u. 66. 54 ebd., S. 67f. 55 JK, S. 269ff. 56 Scholder, S. 615. 57 W. Niemöller, Wort und Tat im Kirchenkampf. München 1969, S. 68. 58 Der ganze Vorgang bei Gauger, Chronik S. 106; JK, S. 308. 59 Nach Scholder, S. 669f. 60 JK,S. 252. 61 Näheres dazu bei Bethge, Bonhoeffer S. 351 f., 377f. 62 Mitgeteilt bei Bethge, S. 433; auch GS I, S. 40. 63 Näheres bei W. Niesei, Kirche unter dem Wort. Göttingen 1978, S. 18f. 64 Reformation als Entscheidung, nachgedruckt bei K. Kupisch, Der Götze wackelt. Berlin 1961, S.85f. 65 Zit. bei E. Busch, K. Barths Lebenslauf, München 1975, S. 244. 66 Bei W. Niemöller, Wort und Tat, S. 72 f.
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67 68 69 70 71
So bei Scholder, S. 688 f. J. Schmidt, Niemöller, S. 144; W. Niemöller a.a.O., S. 74. Alle Angaben nach Scholder, S. 693f. W. Conrad, Kirchenkampf, S. 39f. Die näheren Vorgänge und folgenden Zitate nach JK, S. 309 ff. und Gauger, Chronik S. 109fT. 72 Dies wie die vorangehenden Zitate nach Gauger, Chronik S. 110-113, auch JK 1933, S. 355ff. 73 Dokumente I, S. 171 f. 74 Gauger, Chronik S. 117. 75 Einzelnes hierzu bei J. Schmidt, Niemöller, S. 155 ff. 76 ebd., S. 157. 77 Scholder, S. 726. 78 Gauger, Chronik S. 118. 79 M. Priepke, Die evang. Jugend im Dritten Reich 1933-1936. Hannover/ Frankfurt 1960, S. 69. 79a Zusammenfassender Bericht in Rundschreiben des EJW-Reichsfuhrers Stange v. 17. u. 20.12. 1933, s. Dok. HN Bd. 3 S. 517-527. 80 Priepke, S. 71. 81 Wortlaut ebd., S. 73f. 82 Lt. Scholder, S. 735. 83 ebd., S. 737f. 84 Gauger, Chronik, S. 130,133. 85 Dies und das Folgende bei Conrad, Kirchenkampf, S. 40ff. 86 Gauger, Chronik S. 134. 87 Näheres bei J. Schmidt, Niemöller, S. 166 f. 88 ebd., S. 168f. 89 ebd., S. 169f.; auch Meier I, S. 567, Anm. 587. 90 Dies zeigt die aufgefundene Originalnachschrift, s. bei W. Niemöller, Wort und Tat, S. 80f. Dort auch nähere Einzelheiten über den Verlauf; ebenso bei Gauger, Chronik S. 138. 91 H. Picker, Hitlers Tischgespräche S. 204. Eine ähnliche Äußerung gegenüber Rosenberg bei J. Schmidt, Niemöller S. 172 u. 478, Anm. 402,403. 92 Gauger, Chronik S. 138. 93 Wurm schrieb Ende 1935 dazu: „... lediglich der Blick auf die Folgen einer Zerschlagung der Volkskirche für die gesamte Nation hat uns damals bewogen, den Versuch einer Reparation eines verfehlten Systems zu machen, indem wir uns zu einer Stützung entschlossen. Nie in meinem Leben habe ich sofort, nachdem dieser Schritt geschehen war, solche inneren Qualen durchgemacht; ich hatte das Gefühl, daß wir uns beschmutzt und die Sache Christi verraten haben ..."; an Zoellner, Schmidt Dokumente II, S. 108. 94 Lt. W. Niemöller, Die Ev. Kirche im Dritten Reich, Handbuch. Bielefeld 1956, S. 112; auch Meier I,S. 121. 95 Dok. HN 2, S. 142f.
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4. Der Au fbruch der Bekennenden 1 2 3 4 5 6 7
Kirche
JK 1934, S. 118fT.; Schmidt, Bekenntnisse 1934, S. 22ff. Gauger I, S. 149; J. Schmidt, Niemöller, S. 196 f. Gauger I, S. 146. Wortlaut ebd., S. 150. ebd., S. 170 u. 184. ebd., S. 170,172. Auszug aus dem schon am 27. 3. gefällten und am 13. 4. ausgefertigten Urteil ebd., S. 174. 8 Jäger am 27.4. lt. Gauger I, S. 173. 9 M.Niemöller,Kirche?-Kirche!in JKv. 20. 2. 1934, S. 139ff. 10 Gauger I,S. 156. 11 J. Schmidt, Niemöller, S. 200. 12 Wortlaut Meiser bei Gauger I, S. 156. 13 J. Schmidt, Niemöller, S. 201 (nur hier ist für Nürnberg der 12. 4. genannt). 13a ebd., S. 483, Anm. 77. 14 ebd., S. 202. 15 Gauger I, S. 180. 16 Text bei Gauger I, S. 181; Schmidt, Bekenntnisse 1934, S. 62f.; JK 1934, S. 371 f. 17 G. Niemöller, Bannen I, S. 57fF.; Schmidt, Bekenntnisse 1934, S. 69 u. 72f.; JK 1934, S. 438ff. 18 So H. Traub nach Erzählung Barths aus den folgenden Tagen, bei Chr. Barth, Bekenntnis im Werden. Neukirchen-Vluyn 1979, S. 49, Anm. 59. 19 E. Busch, Karl Barths Lebenslauf. München 1975, S. 258; JK 1974, S. 212; auch K. Barth, Texte zur Barmer Theol. Erklärung. Zürich 1984, S. 222 f. u. 255f. 20 Chr. Barth a.a.O., S. 5, Anm. 1. 21 G. Niemöller, Barmen I, S. 64. 22 Näheres bei C. Nicolaisen in: A. Burgsmüller/R. Weth (Hrsg.), Die Barmer Theol. Erklärung. Neukirchen-Vluyn 1984, S. 22. 23 C. Nicolaisen, Der Weg nach Barmen. Die Entstehungsgeschichte der Theologischen Erklärung von 1934. Neukirchen-Vluyn 1985, hat jetzt unter Auswertung aller erreichbaren Quellen einschließlich Sitzungsnachschriften den komplexen Verlauf der Dinge einleuchtend aufgehellt und damit auch die verschiedenen seitherigen Kombinationen und Unstimmigkeiten zurechtgerückt. Vgl. dort S. 41-46. 24 Nicolaisen bei Burgsmüller/Weth, S. 24. 25 Burgsmüller/Weth, S. 41 f. 26 Siehe oben S. 62. 27 Burgsmüller/Weth, S. 45. 28 „Die Lehre von der Kirche ist in CA VII (und in der Apologie) weder abgeschlossen noch vollständig"; E.Wolf, Barmen. München 1957, S. 129, Anm. 18. 29 Barth, Texte S. 200 u. 253. 30 ebd., S. 201. 324
31 Auch wenn Asmussen hier abschwächend meinte, man könne von totalem Staat „innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen" sprechen; Burgsmüller/ Weth, S. 55. 32 Dok. HN Bd. 2, S. 339. 33 ebd., S. 347; Verpflichtungserklärung beim Verf. 34 Dok.HNBd. 3,S.396f. 35 G. Niemöller, Barmen I, S. 182. 36 ebd., S. 142 ff. 37 ebd., S. 208 f. 38 „Wenn ich das Jahr 1933 erlebt habe: darf ich Gott danken für das Geschehen dieses Jahres oder darf ich das nicht?" in: Barth/Kittel, Ein theologischer Schriftwechsel. Stuttgart 1934, S. 12. 39 Die Zitate aus der Wiedergabe der kritischen Äußerungen bei G. Niemöller Barmen I,S. 147f., 157, 169f. 40 ebd., S. 128,135f. 41 ebd., S. 137. 42 Wolf, Bannen, S. 88. 43 Vgl. Briefwechsel zwischen Präsidium der Synode und bayrischem Landeskirchenrat bei G. Niemöller, Bannen I, S. 127f. 44 Gauger, Chronik II, S. 273. 45 So Jäger ebd., S. 254. Der nassau-hessische DC-Bischof Dietrich nahm „die Ereignisse des 30. Juni 1934", die „auch den Blinden die Augen geöffnet und die einzigartige Größe des Führers, die mir immer feststand, aller Welt gezeigt" haben, am 9. Juli zum Anlaß, jede Zugehörigkeit zum Pfarrernotbund, einer Pfarrerbruderschaft oder die Mitwirkung an sog. Freien Synoden bei Androhung der Entfernung aus dem Kirchenamt zu verbieten (Dok. HN Bd. 2, S. 365)! Eine Reihe BK-Pfaner traten daraufhin leider, wenigstens zeitweise, aus. Doch bis 11. August unterschrieben 75 einen ausdrücklichen Protest und lehnten die Befolgung ab. Dietrichs Vorgehen veranlaßte selbst das RMdl zur Anfrage beim Reichsbischof, ob Verbot und Strafmaßnahmen rechtlich zulässig seien, worauf „Rechtswalter" Jäger erwiderte, ihm sei die Berechtigung „unzweifelhaft", zumal es sich um politische Gegnerschaft handele (EZA Berlin 1 /A4/325). - Übrigens war nach einem in Hessen aufgenommenen Funkspruch die Polizei am 30. 6. in höchster Alarmbereitschaft; „Röhm ist festzunehmen", ebenso „höhere SAund SS-Führer beim Überschreiten der Grenze", „Befehle von der SA sind nicht mehr auszuführen" (Kopie beim Verf.). War dies Vorsorge oder Vorspiegelung eines Putsches? 46 Gauger II, S. 258-262; 280f. 47 Namensangaben ebd., S. 260,273,278f. 48 Näheres zum Folgenden ebd., S. 276ff. 49 ebd., S. 282. 50 ebd., S. 279. 51 Ausführliche Darstellung der folgenden Ereignisse ebd., S. 321-365. 52 Meier I, S. 221; W. Niemöller, Die 2. Bekenntnissynode der DEK zu Dahlem. Text, Dokumente, Berichte. Göttingen 1958, S. 21. 53 W. Niemöller, Dahlem, S. 44. 325
54 „Unter dem Wort" 1934, S. 452, wiedergegeben bei W. Niemöller, Dahlem, S. 50. 55 Boyens, Kirchenkampf u. Ökumene 1933-39, S. 337f.; Näheres über Bonhoeffers Tätigkeit und seine Beteiligung in Fanö, wo er als ehrenamtlicher Jugendsekretär des Rates teilzunehmen hatte, bei Bethge, Bonhoeffer, vor allem S.417ff.u. 441 ff. 56 W. Niemöller, Dahlem, S. 203. 57 Text des Entwurfs ebd., S. 35f. 58 Gesamter Text ebd., S. 37f.; K. D. Schmidt, Bekenntnisse 1934, S. 157f. 59 W. Niemöller, Dahlem, S. 45. 60 ebd., S. 47. 61 ebd., S. 150. 62 ebd., S. 107. 63 ebd., S. 96. 64 Alle Namen ebd., S.25f. 65 So Hahn-Dresden, ebd., S. 139. 66 Gesamttext ebd., S. 39f.; auch Gauger II, S. 379/381 u. KJ 1933-44, S. 77ff. 67 Beide Schreiben Dok. HN Bd. 3, S. 10ff., nach Kretschmar/Nicolaisen, Dokumente zur Kirchenpolitik II, S. 194 ff. 68 Näheres bei Meier I, S. 509 f. 69 Einzelheiten ebd., S. 507f. u. Boyens a.a.O., S. 112ff. 70 Wurm lt. Gauger II, S. 362. 71 Lt. J. Schmidt, Niemöller, S. 236. 72 Meier I,S. 625f. Anm. 1728. 73 Gauger II, S.365ff. 73a Original beim Verf. 74 ebd., S. 366. Die Erlasse wurden außer in dem erwähnten Wort Müllers amtlich nicht bekannt gegeben und den Schriftleitungen z. T. nur mündlich zur Kenntnis gebracht! 75 Die Angaben nach Dok. HN, Bd. 3, S. 15ff„ 28,30f„ 40,74 u. 18. 76 Das einzelne ebd., Bd. 3, S. 162ff., 295ff„ 494, 501f.; Bd. 4, S. 2 9 f f , 71ff., 174,364,431. 77 Dies und das Folgende, Gauger II, S. 391/393; Rhein. Briefe zur Lage Nr. 26 (S. 186f.); JK 1934, S. 1003f. 78 Dok. HN, Bd. 3, S. 136. 79 Gauger II, S. 389/391. 80 Gauger III, S. 447. 81 J. Schmidt, Niemöller, S. 240; auch G. Niemöller, Barmen I, S. 138. 82 J. Schmidt, Niemöller, S. 488 A. 177; Dok. HN, Bd. 3, S. 68. 83 W. Niemöller, Wort u. Tat im Kirchenkampf, S. 136. 84 Aussage Breit gegenüber Humburg, ebd., S. 143. 85 So Votum Meiser im Bruderrat v. 20. 11. u. insbesondere ein Memorandum von W. Künneth, ebd., S. 130 u. 132f. 86 So kann es nach der eingehenden u. materialreichen Darstellung von H. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth S. 27-46, erscheinen. 87 Zit. bei W. Niemöller, Wort u. Tat, S. 129f.; auch 139f.
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88 89 90 91 92 93 94 95
J. Schmidt, Niemöller, S. 245. ebd., S. 246. Dok. HN, Bd. 3, S. 140f. Vgl. oben Anm. 72. Gauger II, S. 368/370. Gauger III, S. 420,434,438,407. ebd., S. 424,462/464. Zu diesen Vorgängen Gauger III, S. 424/426, 449; Dok. HN, Bd. 3, S. 205, 266,362; Prolingheuer a.a.O., S. 101 f., A. 27. 96 Gauger III, S. 430/432,435/437; Dok. HN, Bd. 3, S. 212-215. 97 Nach Dok. HN, Bd. 3, S. 336ff.; auch Rhein. Briefe zur Lage Nr. 29 (S. 213). Näheres zur VKL-Erklärung bei Prolingheuer S. 74,78 ff., 86ff 98 Dok. HN, Bd. 3, S. 307, 373, 389. 99 Eingehende Darstellung der Zusammenhänge bei Meier II, S. 12 ff. 100 Gauger III, S. 432,473. 101 ebd., S. 476 (Rust), 480/482 (Schirach). 102 ebd., S. 488. 103 Beide Texte Gauger III, S. 459 u. 479/481; Dok. HN, Bd. 3, S. 450ff.; auch K. D. Schmidt, Bekenntnisse 1935, S.63f., 70f. Der deutschgläubige Propagandafeldzug wurde übrigens Ende Mai aus außenpolitischen Gründen untersagt und auf Mitgliederversammlungen mit Gästen beschränkt; Meier II, S. 40. 104 Näheres Dok. HN, Bd. 3, S. 453ff, lt. Kretschmar/Nicolaisen, Dokumente II, S. 273ff. Zahlen bei Gauger III, S. 481/483. Gesamtzahl in APU bei J. Schmidt, Niemöller, S. 273 u. Meier II, S. 158 mit 715 angegeben. 105 Niesei, Kirche unter dem Wort, S. 63. 106 ebd., S. 64. 107 Meier II, S.350f.u. 398 A. 162. 108 Dok. HN, Bd. 4, S. 125-128; J. Schmidt, Niemöller, S. 285f. 109 Meier II, S. 397, A. 154. 110 Alle Zitate nach Berichtsheft K. Immer, Augsburg 1935. W.-Barmen 1935. 110a Schneider wurde nach vorausgegangener Haft 1937 aus dem Rheinland ausgewiesen. Da er diese Ausweisung nicht anerkennen konnte und in seine Gemeinde im Hunsriick zurückkehrte, wurde er erneut verhaftet und dann ins KZ Buchenwald verbracht, wo er eine unvergleichliche Unerschrockenheit bewies - Bibelworte und Mordanklage aus seiner Bunkerzelle über den Appellplatz - und dafür 1939 den Tod fand. Bericht über seinen Weg in: Der Prediger von Buchenwald. Berlin 1953. 111 Prolingheuer, Der Fall Barth, S. 348 f. 112 J. Schmidt, Niemöller, S. 497, A. 346. 113 Prolingheuer a.a.O., S. 368f.; K. D. Schmidt, Bekenntnisse 1935, S. 177f. 114 Gesungen unter Klavierbegleitung des Dichters nach der Melodie „Nach Süden nun sich lenken die Vöglein allzumal" im Oktober 1935 bei der theol. Tagung in Barmen, als Barth seinen Vortrag „Evangelium u. Gesetz" nicht selbst halten durfte u. nach Basel abgeschoben wurde.
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5. Ein neuer Gegenzug: Minister
Kerrl.
1 Gauger III, S. 492, 503-509. 2 GBl. d. DEK 1935, S. 42ff.; Dok. HN Bd. 3, S. 448f. u. 4, S. 142f. Das entsprechende Gesetz mit Durchfuhrungsverordnung erläßt im Juli die Hess. Landesregierung, Bd. 4, S. 296. 3 Niesei, Kirche unter dem Wort, S. 49 f. u. 67f. 4 J. Schmidt, Niemöller, S. 313 u. 500, A. 37 nach VKL-Protokoll. 5 GBl. d. DEK 1935, S. 79f. u. 91; Dok. HN, Bd. 4, S. 290ff. 6 ebd., S. 293. 7 W. Niemöller, Handbuch, S. 239. 8 Gauger III, S. 548/550. 9 W. Niemöller, Handbuch S. 240. JK 1937, S. 1033. 10 GVB1. NH 1937, S. 117f. 5 solcher Beschlüsse im Mitteilungsblatt der DEK 1937, Nr. 6 v. 20. 11.1937, S. 27f. Nach Erläuterungen des der Beschlußstelle angehörenden Min.Rat Stahn (JK 1937, S. 1033) war man während der Tätigkeit der Kirchenausschüsse bestrebt, „geeignete Streitfälle durch Vergleich zu erledigen". 10a GBl. d. DEK 1935, S. 83 u. 99. 11 Näheres bei J. Conway a.a.O., S. 137fF. Im besonderen hat Leonore Wenschkewitz, Zur Geschichte des Reichskirchenministeriums und seines Ministers, Tutzinger Texte Sonderbd. I, 1969, S. 185ff., und jetzt Siegele-Wenschkewitz, NS und Kirchen, Düsseldorf 1974, S. 202fF., die Denkschrift und die Hintergründe der damaligen Erwägungen analysiert, die dann zur Ernennung Kerrls führen sollten. 12 Nach eigener Äußerung Kerrls im August habe Hitler ihm 5 Monate Zeit gelassen, zit. bei L. Wenschkewitz a.a.O., S. 196. 13 Conway a.a.O., S. 148, A. 25. 14 Zit. bei J. Schmidt, Niemöller, S. 499, A. 21; auch L. Wenschkewitz a.a.O., S. 202. 14a L. Wenschkewitz a.a.O., S. 202; Dok. HN, Bd. 5, S. 44. 15 Niesei a.a.O., S. 90; Schmidt Dokumente II, S. 88f. 16 Niederschrift „Die kirchl. Lage im Reich". Bei Conway a.a.O., S. 355-363, Zitat S. 363. 17 Niesei a.a.O., S. 91; Schmidt Dokumente II, S. 93. 18 Dok. HN Bd. 4, S. 294. 19 Denkschrift der VKL v. 26. 1. 1935 an die Reichsregierung mit Vorschlag einer staatlich anerkannten Kirchenverweserschaft, vgl. Gauger III, S. 449; Dok. HN Bd. 3, S. 362; Wortlaut bei Schmidt Dokumente II, S. 3ff. 20 GBl. d. DEK 1935, S. 101 f., 103,105. 20a Dok. HNBd. 5,S. 25. 21 ebd., S. 27. 22 Gesetzbl. d. DEK 1935, S. 104; K. D. Schmidt, Bekenntnisse 1935, S. 273f.; in ders. Dokumente II, S. 21 unvollständig und ungenau wiedergegeben, gerade der zitierte Satz fehlt ohne Kennzeichnung. 23 K. D. Schmidt, Bekenntnisse 1935, S. 270. 24 Schmidt, Dokumente II, S. 47. 328
25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53
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ebd., S. 32. ebd., S. 40ff. u. 107. ebd., S. 120. Dok. HN Bd. 5, S. 62f. Schmidt, Dokumente II, S. 83f., 92f. GBl. d. DEK 1935, S. 130,135. K. Meierll, S. 71. K. D. Schmidt, Dokumente II, S. XXIII. Dok. HN Bd. 5, S. 124; auch K. Meierll, S. 401, A. 15. Brief aus der BK an den RKA v. 10. 12. 1935 bei Schmidt, Bekenntnisse 1935, S. 332. Schmidt, Dokumente II, S. 188. ebd., S. 189ff. ebd., S. 175ff.;auch Dok. HN Bd. 5, S. 140ff. ebd., S. 205ff. bzw. S. 148ff. Nach J. Schmidt, Niemöller, S. 309-312. ebd., S. 327 nach einem Vortrag Niemöllers v. 1. 2. 1936. Gesamter Text Schmidt, Dokumente II, S. 165-175; letztes ZitatS. 1380. ebd., S. 482-491. Welche geradezu theologische Bedeutung staatliche Anerkennung für Zoellner und viele seiner Generation hatte, zeigte seine Äußerung: „Die Bruderräte sind kein Kirchenregiment! Sie haben keinerlei kirchliche Berufung! Sie haben ihre Berufung nur durch sich selbst! Ich dagegen habe meine Berufung vom Staat und von Gott!" Nach W. Niemöller, Wort und Tat, S. 193. Dok. HN Bd. 5, S. 206. ebd., S. 136. 44. Br. z. Lage v. 10. 10. 1935 (S. 426ff); der exakte Text KJ 1933-45, S. 97ff. Eine Verbreitung außer durch Kanzelabkündigung oder Rundbriefe an Mitglieder wurde untersagt, vgl. Dok. HN Bd. 5, S. 4. W. Niemöller, Wort u. Tat, S. 164. Niesei a.a.O., S. 79. W. Niemöller a.a.O., S. 162. ebd., S. 165. Die gesamten Vorgänge der Synode hier S. 162 ff.; ferner Niesei a.a.O., S. 76fT.; J. Schmidt, Niemöller, S. 318fT., Meierll, S. 160fT. Umfassend W. Niemöller, Die Synode zu Steglitz. Göttingen 1970. So etwa W. Künneth bei Scholder I, S. 348f.; G. Merz bei E. Busch, Juden u. Christen im Schatten des 3. Reiches. München 1979, S. 26; F. Heinzerling in Dok. HN Bd. 1,S. 101. Niesei a.a.O., S. 79. Vom 3.2. 1936, HSt A Wiesbaden 483/6935, Fotokopie beim Verf. So Niesei a.a.O., S. 98. Näheres über den ganzen Komplex ebd., S. 97-103, 223f.; W. Niemöller, Handbuch S. 339-347 (dort auch die Bedenken des Luth. Rates, S. 345); J.Schmidt, Niemöller S. 342-344; K. Meier II, S. 415fF., A. 299. Angabe der Studentenzahl im Informationsbrief des nass. hess. LBR v. 8. 2. 1938:95 in Berlin, 65 in Elberfeld. Schmidt, Dokumente II, S. 125ff.
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54a Im 49. Br. z. Lage v. 2. 3. 1936 (S. 532-547) ist der gesamte umfangreiche Vorgang als „Ein kirchl. Weg in bisher 5 Akten samt einem Vorspiel" abgedruckt. 55 Voten von Pfr. Lücking, Dortmund, und Dozent Lic. Dr. Schlink, Bethel, Berichtsheft von K. Immer. Wuppertal März 1936, S. 107 u. 109. 56 ebd., S. 7fF. 57 ebd., S. 115f. 58 ebd., S. 10-15,126. 59 Brief an H. A. Hesse, bei Schmidt, Dokumente II, S. 436f. 60 J. Schmidt, Niemöller, S. 359. 61 Schmidt, Dokumente II, S. 94. 62 ebd., S. 501. 63 Näheres dazu bei Meier II, S. 115 ff. 64 Mitteilungsblatt d. D E K 1936, Nr. 2 v. 16. 7. 1936, S. 9 - 1 3 . 65 Näheres Dok. HN Bd. 5, S. 243, 250, 285ff., Zitat S . 2 9 1 ; auch Schmidt, Dokumente II, S. 622fF. 65a Dok. HN Bd. 5, S. 304; Schmidt, Dokumente II, S. 871. 66 ebd., S. 504f. 67 V K L v . 25. 3 . 1 9 3 6 , ebd., S. 509ff. 68 Württ. LBR v. 26. 3., ebd., S. 515ff. 69 Kirchl. theol. Sozietät in Württ. v. 29. 3., ebd., S. 521 fT. 70 Bayerische Pfarrerbruderschaft v. 13. 5., ebd., S. 650fT., auch 647ff. 71 Luth. Rat an Kirchenregierungen u. Bruderräte v. 30. 3., ebd., S. 525f., an R K A v. 4. 6., S. 747f., Wurm an V K L v. 31. 3., S. 549ff. 72 Die Texte ebd., S. 680-691. 73 ebd., S. 749. 74 J K 1936, S. 665. 75 Dok. HN Bd. 5, S. 263. Lt. Schmidt, Dokumente II, S. 716 war es kein Sonderfall. 76 GBl. d. D E K 1936, S.41f.; Schmidt, Dokumente II, S. 506f. 77 Gesamter Text ebd., S. 695-719; auch K J 1933-1944, S. 130ff. 78 Das Letztere belegt A. Boyens, Kirchenkampf u. Ökumene 1933-39, S. 173. Die Ökumene also war unterrichtet, jedoch mit dem ausdrücklichen Vermerk der Vertraulichkeit bis zu einer Veröffentlichung in Deutschland; sie blieb dort auch gewahrt. 79 Schmidt, Dokumente II, S. 1143. Näheres über die geschilderten Vorgänge bei J. Schmidt, Niemöller, S. 396ff., Boyens a.a.O., S. 174ff., E. Bethge, Bonhoeffer, S. 604fT. 80 Wortlaut bei Schmidt, Dokumente II, S. 984ff. 81 Texte ebd., S. 947fT.,982,1021 ff. 82 ebd., S. 982 u. 996-1003. Äußerung Niemöller bei J. SchmidtS. 401. 83 Die Erklärung bei Schmidt, Dokumente II, S. 783ff., dazu Gollwitzer ebd., S. 799. 84 ebd., S. 783ff. nach Mitteilungsblatt d. D E K 1936, Nr. 1 v. Juli, S. 3-5. 85 Schmidt, Dokumente II, S. 801 ff. u. 790ff. Rehm war seit Sept. 1935 Nachfolger Kinders.
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86 ebd., S. 825ff. u. 961ff. nach Mitteilungsblatt d. DEK 1936, Nr. 1, S. 5f. u. Nr. 3 v. 14.8. 1936, S. 15. 87 „Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage", Mitteilungsblatt d. DEK 1936, Nr. 2 v. 16. 7.1936, S. 9-13; siehe auch oben S. 163. 88 Schmidt, Dokumente II, S. 983 u. 1009. 89 W. Niemöller, Die BKsagt Hitler die Wahrheit, Bielefeld 1954, S. 24f. 90 Bericht der VKL v. 14. 1. 1937 bei Schmidt, Dokumenten, S. 1284ff.; Dokumentation des RKA v. 28. 1. 1937 ebd., S. 1305-1319; auch G. Niemöller, Die 1. Bekenntnissynode der DEK zu Barmen, I, S. 237-247. 91 Laut Meier II, S. 434, A. 642.
6. Die Phase der offenen Gegnerschaft 1 Rhein. Brief zur Lage, jetzt unter der Bezeichnung „An alle Pfarrer, Ältesten und Gemeindeglieder der BK", brachte am 22. 2. 1937 sowohl Rücktrittsschreiben des RKA als auch eine ausführliche Nachschrift der Rede Kerrls (S. 696-702) und am 15. 3. 1937 einen Offenen Brief von Dibelius auf diese Rede (S. 710). Etwas kürzere Nachschriften aus 2 anderen Quellen bei ICD.Schmidt, Dokumente, S. 1347ff., Brief Dibelius S. 1358ff., auch KJ 1933-44, S. 158ff. Der Brief trug Dibelius übrigens einen Prozeß wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz ein, bei dem er jedoch freigesprochen wurde. 2 JK 1937, S. 163; GBl. d. DEK 1937, S. 11. 3 Rhein. Brief v. 15. 3. 1937 (S. 709), ebd. (S. 705ff.) auch eine Auswahl deutscher und ausländischer Pressestimmen zu dem Vorgang. 4 Bei Meier II, S. 148, zit. nach W. Niemöller. 5 GBl. d. DEK 1937, S. 11 f. 6 Rhein. Briefv. 15. 6.1937 (S. 717ff.). 7 ebd. (S. 720). 7a ebd. (S. 715 f.). 8 ebd. (S. 703 f.). Die 16seitige Flugschrift selbst enthält auch die Rede Kerrls und den Offenen Brief Dibelius'. 9 ebd. (S. 713f.). 10 „Positives Christentum" v. 21. 2., ebd. (S. 709). 11 Nationalkirchlicher „Deutscher Sonntag" v. 28. 2., ebd. (S. 708). 12 „Der dienstälteste Landesbischof" an Kerrl v. 3.4. 1937, Rhein. Brief v. 17.6. 1937 (S. 716f.). 13 ebd. (S. 720ff., Zitat S. 724); ferner KJ 1933-44, S. 174ff. 14 Beispiele bei W. Niemöller, Kampf und Zeugnis der BK, Bielefeld 1948, S. 390 ff. 15 HStA Wiesbaden 418/1407 u. StA Darmstadt G l 5 Lauterbach, 289, Kopien beim Verf. Der für ihn zuständige Bürgermeister u. Ortsgruppenleiter entzog sich solchem Ansinnen, wie er dem Pfarrer gelegentlich andeutete, mit dem Bemerken, er sei kein Kirchgänger und habe unter seinen Pg keinen geeigneten zur Verfügung! 16 HStA Wiesbaden 418/1407. 331
17 So J. Schmidt, Niemöller, S. 428 u. S. 520, A. 388 nach Urteil Scholders. 18 Gestapostelle Darmstadt v. 24. 3. 1937. Mitte April teilt die gleiche Stelle den Polizeiämtem die Beschlagnahme von 28 Sendungen des LBR Frankfurt mit und verfugt entsprechende Schritte. Der LBR selbst meldet die Beschlagnahme von 17 000 Flugschriften in seinem Büro. 19 J. Schmidt, Niemöller, S. 429; altpreuß. Bruderrat v. 17. 6. u. RBR v. 23. 6. 1937, vgl. KJ 1933-44, S. 190f., 194. 20 ebd., S. 190; GBl. d. DEK 1937, S. 35. 21 Volk. Beobachter v. 25. 11. 1937, lt. JK 1937, S. 988. 22 Zit. bei J. Schmidt, Niemöller, S. 419, dessen im einzelnen belegter Darstellung ich hier weitgehend folge. Wichtige Ergänzungen auch bei Niesei a.a.O., S. 131 f. Dankbares Echo des LBR Nassau-Hessen v. 17. 3. 23 Rhein. Brief v. 17. 6. 1937 (insbesondere S. 722); auch JK 1937, S. 464; KJ 1933-44, S. 176f.; Niesei a.a.O., S. 132. 23a Stahn bei einer Konferenz der Konsistorialpräsidenten am 28. 5. 1937 in Berlin, nicht namentlich gezeichnete Niederschrift v. 2. 6. 1937, Kirchenkampfkommission HN, Kopie beim Verf. 24 KJ 1933-44, S. 196ff. 25 Niesei a.a.O., S. 152f. Dabei mochte an Passagen gedacht sein wie: „Glaube an Deutschland, Glaube an unser Volk, Glaube an unser Blut und seine ursprüngliche Kraft - das sind in der Tat starke Kräfte, die ein Volk aus der Müdigkeit, aus dem Kapitulieren vor Not und Alter herausreißen können. Aber haben sie die Kraft, den Unglauben, die Gottlosigkeit wirklich zu überwinden?" KJ 1933-44, S. 198. 26 W. Niemöller, Kampfund Zeugnis, S. 409f. Vollständiger Text KJ 1 9 3 3 ^ 4 , S. 197fr. 27 So Niesei a.a.O., S. 153. 28 GVB1.NH 1937,S. 170; W. Niemöller, Kampfund Zeugnis, S. 393. 29 KJ 1933-44, S. 194. 30 ebd., S. 195. 31 Niesei, S. 143. 3 la Zum erstgenannten Vorgang Schriftwechsel Kreisamt Friedberg v. 20. 1. u. Polizeipräsident Frankfurt v. 24. 3. 1934 (StA Darmstadt G15 Friedberg Q968). Zur Religionsbezeichnung Erlaß v. 26. 11. 1936, JK 1936, S. 1113, auch 993ff. Himmler verfugte als Chef der deutschen Polizei am 13.6. 1938 die Unterrichtung aller uniformierten Polizeiangehörigen über den Sachverhalt und ließ sich jeden Einzelfall melden, in dem ein keiner Religionsgemeinschaft Angehörender sich statt als „gottgläubig" als „glaubenslos" bezeichnete (Vervielf. Landrat Friedberg v. 3. 1. 1939 b. Verf.). In gleichem Sinn bezeichnete es das „Schwarze Korps" als ersten bedeutsamsten Schritt: „der Staat hat es den Volksgenossen freigestellt, ob sie sich als gottgläubig ohne konfessionelle Bindung oder als Angehörige einer Konfession bezeichnen und bekennen wollen" (JK 1937, S. 1038). „Glaubenslos" war also verpönt, obwohl amtlich zugelassen. 32 GBl. d. DEK 1938, S. 98 u. 114,1940, S. 76. 33 JK 1937, S. 743. 34 GBl. d. DEK 1937, S. 31 f.; KJ 1933-44, S. 201. 332
35 K J 1933—44, S. 202-209. Daß diese Frage neben ihrer grundsätzlichen Bedeutung auch von erheblichem finanziellen Gewicht war, zeigt die Angabe bei J.Schmidt, Niemöller, S. 521, A. 390, wonach allein im 1. Quartal 1936 aus altpreuß. BK-Gemeinden 117.736 R M eingingen! 36 Lt. Niesei a.a.O., wo S. 137-148 aus genauer eigener Kenntnis die Vorgänge in Preußen dargestellt sind, ereigneten sich 1937 insgesamt 805 Verhaftungen von mehr als einem Tag, davon 765 allein aus der APU. 36a Dahlemer Predigten 1936/37. Neudruck München 1981, S. 173. 36b Nach der Wiedergabe von W. Niemöller, Kampf u. Zeugnis, S. 392, und J. Schmidt, Niemöller, S. 426, 432, 436, sowie nach eigener Erinnerung. Verf. war Ohrenzeuge in der Frankfurter Paulskirche. 37 Botschaft und Rede, J K 1937, S. 641 ff.; auch Boyens a.a.O., S. 164ff. 38 J K 1937, S. 878, lt. Volk. Beobachter v. 2. 10. 1937. 39 K J 1933-44, S. 209ff., 212ff. 40 Niesei a.a.O., S. 223 f. 41 ebd., S. 155f. 42 W. Lueken, Kampf, Behauptung u. Gestalt der Ev. Landeskirche NassauHessen, A G K Bd. 12. Göttingen 1963, S. 70. 43 GBl. d. D E K 1937, S. 70. 44 K J 1933-44, S.225ff. 45 HStA Wiesbaden 418/1407. 46 K J 1933-44, S. 185. 47 „Abendmahlsgemeinschaft?", Beiheft 3 zur Ev. Theologie (Asmussen, Gollwitzer, F.W.Hopf, Käsemann, Niesei, E. Wolf). München 1937. 48 Gestapostelle Darmstadt v. 25. 1. 1937 an die hess. Polizeidienststellen, StA Darmstadt G 1 5 Friedberg Q265. 49 J K 1937, S. 987ff. 50 „Der Angriff", Rhein. Brief v. 26. 10. 1937 (S. 726ff.); auch K J 1933-44, S. 217fr. 51 J K 1937, S. 608f. Näheres über die Vielfalt der Gruppierungen bei L. Wenschkewitz, Polit. Versuche einer Ordnung der D E K durch den RMkA 1937-39, in: Zur Geschichte d. Kirchenkampfs, Ges. Aufsätzen, A G K Bd. 26, Göttingen 1971, S. 126f.; ferner Meier II, S. 371ff., wo auch S. 374 etwas über die zahlenmäßige Stärke gesagt ist. 52 Rundschreiben d. LBR v. 23. 3. und seines Vorsitzenden Pfr. Rumpf v. 1.4. 1937. 53 G. Niemöller, Barmen I, S. 249. 54 Näheres zu diesen Vorgängen ebd. S. 247-253 und bei Meier III, S. 34-41, 182,186-195. 55 So Meier II, S. 378, der gerade solchen Kreisen mehr als die Geschichtsschreibung der B K Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte. In der umfassenden Dokumentation des K J 1933-44 kommen die Stichworte Volkskirchliche Arbeitsgemeinschaft oder Wittenberger Bund und die Namen der dort aktiv gewesenen Theologen nicht vor. 56 Für den Vorabend ordneten auch die Bruderräte nach der nachdrücklichen „Erwartung" von Muhs als Vertreter Kerrls das Geläut aller Kirchen-
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glocken beim „Niederländischen Dankgebet" nach der Hitlerrede an und übernahmen für den 10. April selbst, den Wahltag des „ersten großdeutschen Reichstags", das von der V K L vorgeschlagene Fürbittegebet, das als Beispiel für die schwierige Situation, der sich niemand völlig entziehen konnte, wiedergegeben sei: „Herr unser Gott, du führst unser Volk durch entscheidende Tage seiner Geschichte. Du läßt unsere deutschen Brüder in Österreich in das deutsche Reich zurückkehren. Du schenkst unserer Kirche die Vereinigung mit den evangelischen Gemeinden der deutschen Ostmark, die ihren Glauben in jahrhundertelangem Ringen verteidigen mußten. Herr, wir loben deinen Namen und bitten dich: Leite Führer und Volk nach deinem heiligen Willen, laß deine Gnade groß werden über unserer ganzen deutschen evangelischen Kirche, gib ihren Dienern Kraft und Freudigkeit, dein Wort lauter und ohne Scheu zu verkündigen, einige uns mit den Glaubensbrüdern in Österreich im Bekenntnis deines Namens, lehre uns alle, daß wir alle Zeit unseres Landes Bestes suchen, daß wir unserem Volke alle Stunde im Gehorsam gegen dich leben und jede von uns geforderte Entscheidung so treffen, daß wir heute und am jüngsten Tage vor dir bestehen können." (Rundschreiben LBR Nassau-Hessen v. 7. 4. 1938.) Man mußte schon „zwischen den Zeilen" hören. 57 J K 1938, S. 3 2 2 , 3 8 6 f „ 426f„ 462ff. 57a Meier III, S. 49; Niesei S. 177. Bei beiden sind die näheren Einzelheiten über das dramatische Hin und Her nachzulesen; die wichtigsten Dokumente auch K J 1933-44, S. 237ff„ zu Koch S. 256. 58 ebd., S. 238f. 59 Einzelnes bei Lueken S. 74f. 60 Nicht unterzeichneter Bericht „Zur kirchlichen Lage", v. 30. 5. 1938, der vermutlich aus der V K L stammte; ferner A. Gerlach-Praetorius, Die Kirche vor der Eidesfrage, A G K Bd. 18, Göttingen 1967, S. 140f.; Meier III, S. 45, 50f.,499f. 61 Sächs. evang. Kirchenzeitung, lt. Rundbrief des LBR Frankfurt. 62 Meier III, S. 45, 51; Niesei S. 179. 63 Verf. möchte nicht verschweigen, daß er selbst nicht betroffen war, da er 2 Jahre zuvor völlig überraschend „unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Schulbeirat berufen" und als solcher staatlicherseits vereidigt worden war. Aber auch als persönlich Unbeteiligter hat er an der theologischen Klärung - und damit letztlich auch an der problematischen Entlastung der angefochtenen Gewissen mitgewirkt. 64 K. Barth zum Kirchenkampf, ThEx NF Nr. 49. München 1956, S. 7 9 f f ; K J 1933-44, S.258ff. 65 ebd., S. 262. Angemerkt sei nur, daß das Schreiben Bormann schon von Mitte Juli stammte, noch ehe Präses Koch seine Wendung vollzogen hatte, also das Ergebnis in der APU als der wichtigsten Kirche noch nicht abzusehen war. Wirkte diese Unsicherheit mit, oder lag das ganze Unternehmen nicht mehr im Konzept der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, wie Meier III, S. 52 f. meint? 66 Niesei, S. 180.
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67 Vervielfältigung vom April 1938; voller Text im letzten Rhein. Rundbrief v. Februar 1939 (S. 741 ff.), „Verfasser nicht bekannt". Conway S. 228 f., der aus der gleichen Denkschrift zitiert, nennt Muhs als Verfasser. 68 Niesei, S. 160. 69 Rundbrief der V K L vom Dezember 1938 mit allem Material zur Gebetsliturgie. 69a Voller Text des Briefes in: Barth, Eine Schweizer Stimme, Zollikon/Zürich 1945, S. 58. Ob Barth bedacht hatte, in welche Lage er damit die B K in Deutschland bringen würde? Auch engste Freunde Barths waren überzeugt, daß hier nur die Distanzierung übrig blieb, die die V K L am 28. 10. 1938 durch Rundbrief den Bruderräten weitergab. 70 Aus einem ausführlichen persönlichen Bericht ohne Unterschrift „Zur kirchlichen Lage", der nach dem Inhalt von Wurm stammt. 70a K J 1933-44, S. 267; dort auch Text der Liturgie selbst, S. 263ff. 71 Rundbrief der VKL, vgl. A. 69. 72 Rundbrief des LBR v. 4 . 1 1 . 1 9 3 8 . 73 Zit. nach W. Niemöller, Wort und Tat, S. 208,217. 74 Die V K L an die Pfarrer der D E K v. 28. 9. 1938, vom LBR Frankfurt am 30. 9. an die BK-Pfarrer weitergegeben. 75 So W. Niemöller, Wort und Tat, S. 213. 76 K J 1933-44, S. 273 u. 275. 77 StA Darmstadt G15 / Bensheim Abi. 3 284/4; die Abweichungen von dem bei Meier III, S. 20f. zitierten vermutlichen Originaltext dürften sich durch die Weitergabe der Landesstellen erklären. 78 Erlaß v. 7. 12. 1938, zit. nach W. Niemöller, Kampfund Zeugnis S. 271; weitergegeben durch Hess. Landesregierung am 16. 12., StA Darmstadt G15/Lauterbach 704. 79 K J 1933-44, S. 274; letzter Rhein. Rundbrief v. Februar 1939 (S. 735). 80 Verfugungv. 1 3 . 1 . 1 9 3 8 , Fundort StA Darmstadt G15/Lauterbach 704. 81 L. Wenschkewitz, Polit. Versuche . . . , a.a.O., S. 124ff. hat diese Zusammenhänge eingehend dargestellt. 82 Meier III, S. 62 berichtet von geistl. Amtshandlungen Ellweins im Hause Kerrl. Er war Oberkonsistorialrat in Berlin. 83 K J 1933-44, S. 278f. 84 ebd., S. 279f. 85 Briefv. 21. 11. 1938 ebd., S. 283. 86 Lt. H. Hermelink, Kirche im Kampf, Tübingen/Stuttgart 1950, S. 474; Meier III, S. 72. 87 Angaben nach Lueken a.a.O., S. 78 f. 88 Er legte zwar kein Bußbekenntnis im strengen Sinne ab, aber er sprach auch öffentlich - sein Bedauern über seinen früheren Weg aus und über das, was er dabei Amtsbrüdem angetan hatte. Verf. war Zeuge bei einigen der internen Gespräche und konnte sich von daher einem Zusammengehen weder entziehen noch davon abraten. 89 Wortlaut bei Lueken, S. 193 f. 90 GVB1. Nassau-Hessen 1939, S. 41. 91 Den Zusammenhang weist Meier III, S. 74 nach.
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92 V K L vom Mai 1939 lt. K J 1933^14, S. 307ff.; Exaudi-Synode der APU ebd., S. 314f. 93 Niesei, S. 203. 94 K J 1933-44, S. 293f. 95 ebd., S. 294f.; GBl. d. D E K 1939, S. 19f. 96 Auch A. Boyens, Kirchenkampf und Ökumene 1933-39, S. 261f., A. 290, stellt nach Studium der Archive des KA wie des Ö R K fest, daß ihm „keine Dokumente zu Gesicht gekommen" sind, die den von dem damaligen KAMitarbeiter Eugen Gerstenmaier bestrittenen „Verdacht (gegenüber dem KA), nazihörig, mindestens aber obrigkeitshörig zu sein", entkräften könnten. 97 K J 1933-44, S. 330f. Die „Kundgebung" aus Genf war wohl auch als die authentische Stellungnahme der Ökumene zur deutschen Situation zu verstehen, im Unterschied zu einer wesentlich politisch akzentuierten Rede des Erzbischofs von Canterbury im britischen Oberhaus, die in Genf nicht gutgeheißen wurde und auf die die 11 Landeskirchenfuhrer zugleich mit ihrer „Bekanntmachung" mit einer maßlosen Attacke geantwortet hatten (hier sind „Kirche und Christentum nichts anderes als politische Faktoren . . . für die machtpolitischen Ziele Englands" und zur Stärkung der „Front des Hasses gegen das wieder frei und groß und mächtig gewordene Deutsche Reich"), GBl. d. D E K 1939, S. 21. 98 K J 1933-44, S.299f. 99 L. Wenschkewitz a.a.O., S. 127ff. hat im einzelnen die Anklänge an Kittels Schrift „Religion als Geschichtsmacht", Leipzig/Berlin 1938, aufgewiesen. Weitere Einzelheiten bei Meier III, S. 79 f. 100 Voller Text K J 1933-44, S. 300f.; Meier III, S. 81. 101 ebd., S. 82 nach Hermelink a.a.O., S. 478. 102 K J 1933-44, S. 301 ff. u. 305ff.; einzelnes bei Meier III, S. 628f„ A. 236. 103 Mitgeteilt durch L. Wenschkewitz a.a.O., S. 132f. 104 Zit. bei W. Niemöller, Wort und Tat, S. 212. 105 Conway a.a.O., S. 268. 106 Dies war Hitlers ursprünglicher Auftrag, wie Wurm mehrfach den damaligen Adjutanten Hauptmann von Pfeffer zitiert: „Ihr müßt eben unter die Käseglocke hinunter, was ihr darunter macht, ist uns gleichgültig"; Hermelink S. 76 u. 483. 107 Verfugung Kerrl v. 24. 9. 1938 an die Preuß. Ober- u. Regierungspräsidenten, HStA Wiesbaden 405/12251. Die Maßnahme wurde, wie Verf. aus seinem eigenen Fall weiß, bei Einberufung zum Kriegsdienst für ruhend erklärt, aufgehoben aber trotz mehrfacher Bruderratsproteste und nach der stereotypen staatspolizeilichen Auskunft, der Betreffende habe keine Änderung seiner Haltung zu erkennen gegeben, erst nach Kriegsende! Zahl aus dem Rheinland K J 1933-44, S. 337f. 108 Voller Wortlaut bei Lueken a.a.O., S. 195f. 109 Einzelheiten bei Meier III, S. 106.
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7. Reden und Schweigen der Kirche während des Krieges 1 GBl. d . D E K 1939, S. 112f. l a W. Niemöller in JK 1973, S. 316; E. Bethge, Bonhoeffer, S. 747f. 2 Bonhoeffer GS II, S. 430; auf den Fundort macht L. Siegele-Wenschkewitz, Die ev. Kirche in Deutschland während des 2. Weltkriegs 1939-45 in: Ev. Theologie 5/1979, S. 398, A. 39 aufmerksam. 3 Akten der Kirchenkampf-Kommission Hessen u. Nassau. 4 Staatspolizeistelle Darmstadt v. 28. 11. 1939, ebd. 5 Laut Meier III, S. 103; Näheres bei Niesei, S. 210f.; auch JK 1940, S. 293. 6 Staatspolizeistelle Ffm v. 18.9. 1939, HStA Wiesbaden483/7108. 7 Stapostelle Ffm v. 4. 1. 1940 betr. Pfr. Fricke, Ffm, HStA Wiesbaden 405/12251. 8 Text bei Conway, S. 375. 9 Vorgeschriebener Text im letzten Heft der JK 1941, S. 322. 10 Niesei, S. 234. Die weitere Verfugung des Reichsarbeitsministers im Einvernehmen mit RMkA und Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei in KJ 1933-44, S. 466f. 11 So hatte z. B. Gauleiter Sprenger als Reichsstatthalter in Hessen, dem einstigen Hessen-Darmstadt, die staatl. u. polizeil. Vollzugsgewalt, nicht aber in Nassau u. Ffm, also den preußischen Teilen der Landeskirche. Doch gab es selbst in Hessen einzelne Gestapobeamte, die in kirchl. Dingen eine freundliche Haltung einnahmen - und darüber zur Rechenschaft gezogen werden sollten! Bereits 1938 finden sich Beschwerden von Parteistellen an die Parteileitung in München über Polizeibeamte, die „eine einseitige Stellungnahme für die Bekenntnisfront zeigten". Umgekehrt verbietet der Gauleiter auf Anweisung von Heß den „Hoheitsträgern der Partei", durch eigene Ermittlungen u. Vernehmungen in die Arbeit der Gestapo einzugreifen, und muß sie vielmehr zu Vertrauen und Unterstützung in deren Aufgaben anhalten. Verfüg, v. 24. 3. u. 17. 12. 1938. Auch dieses Konkurrenzverhältnis schuf da und dort Freiraum. 12 L. Siegele-Wenschkewitz a.a.O., S. 401. 13 Lt. A. Wucher, Südd. Zeitung Nr. 198 v. 29.8. 1979 hatte die staatliche Presse-Agentur allen Zeitungen zur Auflage gemacht: „Keine Überschriften, in denen das Wort Krieg enthalten ist. Der Rede des Führers zufolge schlagen wir nur zurück." 14 G B l . d . D E K 1939,S.97. 15 ebd., S. 99ff. 16 ebd., S. 109. 17 Niesei, S. 208. 18 In G. Jacob, Die Versuchung der Kirche. Theol. Vorträge der Jahre 1934-44. Göttingen 1946, S. llOff., hier S. 112f.; nachgedruckt in: 40 Jahre nach Kriegsausbruch, Sonderheft von Wissenschaft u. Praxis in Kirche u. Gesellschaft 7/1979, S. 282ff. 19 Vervielfältigtes Rundschreiben.
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20 Anonyme Vervielfältigung; nachgedruckt in: 40 Jahre nach Kriegsausbruch, S. 301 ff.; ferner ohne Angabe des Autors und mit irriger Herkunftsbezeichnung in K J 1933-44, S. 356ff. 21 ebd., S. 351 fT. 22 H. Schlingensiepen, Friede auf Erden . . . Friede unter uns? Offener Brief an den Rat der EKD, Bielefeld 1967, S. 8 u. lOf. 23 J. Jänicke, Ich konnte dabei sein. Berlin 1984, S. 105f. 24 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, S. 112. 25 Visser't Hooft, Die Welt war meine Gemeinde. München 1972, S. 135. 26 H. Gollwitzer, Forderungen der Freiheit. München 1962, S. 338f. 27 E. Bethge, Dietrich BonhoefFer. München 1967, S. 717. 27a Näheres über ihn bei Niesei S. 212 u. W. Niemöller, Wort u. Tat, S. 211 ff. Ders. auch J K 1973, S. 316. 28 Brief v. 16. 7. 1940. 29 Desgl. Mitte Juli 1941. 30 Text K J 1933-44, S. 453, wobei es sich offensichtlich um Richtlinien für die künftige Kirchenpolitik und nicht um eine „Verordnung" handelt, wie Meier III, S. 122 deutlich macht. Dort S. 114-133 die Einzelheiten und Hintergründe. 31 Zitate bei Meier III, S. 120f. u. 124. 32 HeßanGöringv. 18.4. 1940,Conway S. 373. 33 ebd., S. 267. 34 Gen. Sup. Blau, O K R Kleindienst, Bischof Pölchau, Sup. Zöckler u. Propst Thomson v. 18. 1. 1941. Vervielfältigung beim Verf. 35 Conway S. 337. 36 Conway S. 336 zitiert dazu Greiser: „Auch die Partei habe ihren Karfreitag den 9. November 1923; auch sie habe ihr Blutopfer - die Gefallenen der Bewegung; auch sie besitze ihren Altar - die Feldherrnhalle in München." Die weiteren Angaben nach Meier III, S. 125 ff. - Nach Greiser wurde auch Jäger später in Polen zum Tode verurteilt u. 1949 hingerichtet; ebd. S. 633, A. 350. 36a J. Schlingensiepen, Widerstand u. verborgene Schuld. Wuppertal 2 1977, S. 94ff. gibt darüber u. über die Folgen näheren Aufschluß. Führte Widerspruch in Parteikreisen oder das unliebsame Aufsehen in den Kirchen dazu, daß das Schreiben auf Veranlassung Hitlers zurückgezogen werden mußte? Conway S. 275. 37 K J 1933-44, S. 469ff. 38 Conway S. 376. 39 ebd., S. 267. Gemeint war mit dem letzten die Beschlagnahme kath. Klöster, die Kerrl während des Krieges vor allem aus außenpolitischen Gründen für verhängnisvoll hielt. Vgl. auch oben S. 219f. 40 K J 1933-44, S. 467f. 41 ebd., S. 382ff. 42 So L. Siegele-Wenschkewitz in Ev. Theologie 1979, S. 395. Dort auch das Urteil Wurms über den Geistl. Vertrauensrat: „Seine Wirksamkeit war unnütz." Der Gerechtigkeit wegen sei hinzugefügt, daß der Vertrauensrat, dem mit Erlaß von Werner vom März 1940 (GBl. d. D E K 1940, S. 13) eine „Mit-
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Wirkung bei der Leitung der D E K " und die Zuziehung eines Reformierten (man gewann Prof. Otto Weber) zugestanden worden war, sich auch mit den innerkirchlichen Problemen wie Schaffung einer geistlichen Leitung in den Ein-Mann-Kirchen oder, wie eine Eingabe des nassau-hessischen Bruderrats v. 9. 3. 1943 an Marahrens ergibt, auch mit der Legalisierung der Illegalen befaßt hat, freilich ohne jedes Ergebnis. Auch hat er sich gelegentlich, etwa in Sachen Warthegau, an Hitler gewandt. Eine erkennbare Wirkung ist von seiner Tätigkeit nicht ausgegangen, zumal Werner manches wiederum blockierte, bis er selbst im März 1941 durch seine Einberufung ausschied. Kerrl ernannte am 3. 10. 1941 den Vizepräsidenten der Kirchenkanzlei Dr. Fürle zu seinem Vertreter. Einzelnes bei Meier III, S. 106ff. 43 Mitgeteilt bei W. Niemöller, Wort u. Tat, S. 212. Bei seinem Rücktritt als Bischof 1947 bekannte Marahrens, daß seine Unterschrift unter Kerrls „Fünf Grundsätze" (s. oben S. 219) ebenso wie die Telegramme an Hitler zum Rußlandfeldzug („in diesen hinreißend bewegten Stunden aufs neue die unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft", s. W. Niemöller, Handbuch S. 393) u. zum 20. Juli 1944 verfehlt gewesen seien, beharrte aber auf seiner Ablehnung der Gebetsliturgie. Seine Grundhaltung habe Rom 13 und Luthers Lehre von den beiden Reichen entsprochen. Bei E. Klügel, Die luth. Landeskirche Hannovers u. ihr Bischof 1933-45. Dokumente. Berlin/Hamburg 1965, S. 212f. 44 Im K J 1933-44, S. 412^140 sind 11 Schritte dokumentiert; Hermelink, Kirche im Kampf, bringt S. 506-565, z. T. auszugsweise, 18 Texte; am umfassendsten jedoch G. Schäfer/R. Fischer, LB Wurm u. der NS-Staat 1940-45. Eine Dokumentation. Stuttgart 1968. 45 Die Texte bei Hermelink S. 572-593. 46 K J 1933-44, S. 412ff.; Hermelink S. 512ff.; Schäfer/FischerS. 119ff. 47 HermelinkS. 518f.;Schäfer/FischerS. 125f. 47a Schäfer/FischerS. 130. 48 ebd., S. 141. 49 E. Klee, .Euthanasie' im NS-Staat. Ffm 1983, S. 100. Die höchst instruktive Arbeit unterrichtet über die damals bekannten u. die in den späteren Prozessen aufgedeckten Einzelheiten der gesamten Aktion. 50 Eingaben u. Vorsprachen bei Min. Gürtner und seine Forderung an Lammers, die Aktion sofort einzustellen, da Hitler den Erlaß eines Gesetzes ablehnte, s. Klee S. 210ff., 215; Brief Buch an Himmler S. 290f. 50a Wie die Dinge kursierten und bewertet wurden, zeigt ein SD-Bericht aus Wiesbaden; danach habe auf die Todesnachricht einer Kranken sofort „die Bekenntnisfront sich dieses Falles bemächtigt und hetzt die Leute a u f . So verbreiteten die Diakonissen-Krankenschwestern „die tollsten Gerüchte", daß die Betreffende gar nicht an Grippe verstorben, sondern gasvergiftet worden sei. Nachdem Pfr. Bodelschwingh in Bethel die Auslieferung von Kranken verweigert habe, „wären sogar die Anstalten bombardiert worden, und zwar . . . nicht von den Engländern . . . , sondern das hätten unsere Flieger gemacht, um so gegen den Willen des Pfr. Bodelschwingh die Idioten von Bethel doch zu beseitigen" (StA Darmstadt G 12 B 22/14 v. 22. 3. 1941). War die Geheimhaltung soweit getrieben, daß der „SD des Reichsführers SS" alles nur als grundlose Gerüchte ansah?
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50b Dazu Hermelink S. 519; Schäfer/Fischer S. 133ff., 142. Doch hat Klee S. 339ff. nachgewiesen, daß Grafeneck planmäßig ausgelaufen war, anderwärts aber Tötungen auf weniger auffallige Weise (unzureichende Ernährung, Injektionen, „Sonderbehandlung" in KZ) fortgeführt wurden. 51 Klee S. 334f. 52 H. Prolingheuer, Kleine politische Kirchengeschichte. Köln 1984, S. 190, A. 183. 53 Klee S. 21 lf. Denkschrift Braune s.KJ 1933-44, S.415fT. 53a ebd., S. 282. 54 ebd., S. 337f. Wilm war wohl der einzige, auf dessen Schutzhaftbefehl „Öffentliche Stellungnahme gegen die Euthanasiemaßnahmen des Staates" angegeben war, was sonst peinlichst vermieden wurde (Unterschrift: Heydrich). Vgl. auch E. Wilm, So sind wir nun Botschafter. Bielefeld 1979, S. 29. 55 Klee S. 209,232f„ 241,248; Niesei 229f. 56 Klee S. 288. Aus dem bei Klügel a.a.O. S. 177f. wiedergegebenen vollen Text geht hervor, daß der entscheidende Inhalt die dringende Bitte um Freistellung der Anstalten der Inneren Mission von der Aktion war. Freilich ist vermerkt, die Absendung des Schriftstücks sei „nicht mehr sicher zu belegen". 57 So klingt es jedenfalls bei Klee S. 280f., nachdem v. B. als Voraussetzung seiner Zustimmung eine gesetzliche Regelung verlangt hatte, von der er überzeugt war, daß sie nicht erlassen werden könne. Daß er dem Staat gegenüber loyal bis zur äußersten Grenze war, ist nicht zu bestreiten, ebensowenig aber auch, daß er zahlreiche Menschen gerettet hat. 57a Niesei S. 229. Zu dieser heute kaum begreiflichen Haltung sei angemerkt, daß, ähnlich wie bei der Judenfrage, beim ersten Ansatz, dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom Juli 1933 (Zwangssterilisation von Schwachsinnigen, Geisteskranken oder „Asozialen") auf evang. Seite kaum Kritik laut wurde. Hatten doch Wohlfahrtspflege wie auch Innere Mission schon längst, sicher mitbeeinflußt durch die Volkstumsideologie, die Notwendigkeit einer „Eugenik" vertreten (s. Klee S. 29 ff.). Übrigens stieß auch 1941 der Propagandafilm „Ich klage an" - aktive Sterbehilfe in einem Fall multipler Sklerose - selbst in kirchlichen Kreisen nicht auf einhellige Ablehnung. War es der Anspruch der Wissenschaftlichkeit zusammen mit Bildern menschlichen Elends, was manchen den Mund verschloß? 58 Hermelink S. 539ff.; Schäfer/Fischer S. 275ff. 58a Schäfer/Fischer S. 286ff.; unvollständig bei Hermelink S. 549ff. 59 Schäfer/Fischer S.294f. 60 ebd., S. 296ff; Hermelink S. 553ff.; KJ 1 9 3 3 ^ 4 , S. 430ff. 61 Treysa 1945. Die Konferenz der ev. Kirchenführer. Lüneburg 1946, S. 14. 62 KJ 1933-44, S.440f. 63 ebd., S. 441 f. 64 ebd., S. 442f. 65 Meier III, S. 170 nach J. Thierfelder, Das kirchl. Einigungswerk des württ. LB Wurm. Göttingen 1975, S. 102f. 65a E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer. München 1967, S. 773 f.
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66 So zitiert Wurm aus einem Offenen Brief eines Prof. Wentz in Minden, KJ 1933-44, S. 443. Einzelheiten zu dem ganzen Komplex bei Thierfelder a.a.O. u. sich hierauf stützend bei Meier III, S. 164 ff. 67 Zitiert aus der energischen Antwort Wurms an Muhs bei Hermelink, S. 613ff. u. Schäfer/Fischer, S. 336ff. 68 Auch der Verf. erhielt durch einen in Polen stationierten Freund während eines gleichzeitigen Heimaturlaubs eine erste authentische Nachricht über Greuel an der Zivilbevölkerung dort und über ein Echo aus dem Volk: „Deutscher Soldat, Vogel (= Hoheitszeichen) hier (auf rechte Brusthöhe deutend): gut; Vogel hier (auf linken Oberarm deutend, wo die SS-Uniform das Zeichen trug): Mörder!" 69 Kirchenkampfkommission Hessen u. Nassau 10507/36a. 70 Wurm gibt die Zahl der bis 1. 10. 1941 zum Wehrdienst einberufenen evang. Pfarrer mit 6800, ein kurhessischer Kreispfarrer bis Ende Januar 1942 mit 7433 an, was rund 45% der 1939 mit 16644 angegebenen Gesamtzahl entspricht u. ein Bild vom Ausmaß der Lücken gibt. Gefallen waren bis Ende Dezember 1943 1271 Pfarrer im Amt. Angaben nach Schäfer/Fischer S. 276 u. F. Klingler, Dokumente zum Abwehrkampf der dt. ev. Pfarrerschaft gegen Verfolgg. u. Bedrückg. Nürnberg 1946, S. 27, 59,92. 71 Zitiert in Schreiben des LBR an Marahrens v. 9. 3. 1943. 72 ebd. Hier sind auch Zahlen angegeben: von der genannten Möglichkeit der auswärtigen Prüfung machten während des Krieges 35 Kandidaten Gebrauch, während in den Voijahren 118 beim LBR das 2. Examen abgelegt hatten, von denen in der Ausschußzeit 47 legalisiert worden waren; für die übrigen war noch immer die BK verantwortlich. 73 Näheres bei Niesei S. 250f. 74 ebd., S. 238 f. 74a ebd., S. 240f., 269,278f. 75 Zitiert ebd., S. 259. 76 Alle 3 Texte KJ 1933^14, S. 481 f. 77 ebd., S. 482ff. u. zu Kodlab u. VKL484f. 78 LBR an Kipper v. 7. 8. 1942, Kirchenkampfkommission 10507/27 e. 79 A. Boyens, Kirchenkampf u. Ökumene 1939-45. München 1973, S. 46, wo die Tätigkeit dieses Dienstes u. seines Leiters Dr. Adolf Freudenberg näher geschildert ist. 80 Lt. Aussage Freudenberg-Genf ebd., S. 44, war dies bis Kriegsausbruch in 1138 Fällen gelungen. Bis Sommer 1941 konnte wenigstens 71 weiteren Menschen mit Hilfe von Genf die Auswanderung ermöglicht werden, ebd., S. 46. 81 In einem von Gauleiter Sprenger am 3. 1. 1936 an alle Parteiinstanzen weitergegebenen Rundschreiben des Stellvertreters des Führers v. 2. 12. 1935 werden nicht weniger als 15 solcher Verbotsgesetze aufgeführt, HStA Wiesbaden 483/1629. 82 Schäfer/FischerS. 159 f.
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83 ebd., S. 164f.; vollständiger Text bei Hermelink S. 654ff. Hier auch der Satz: „Die evang. Christenheit weiß sich dabei in christlicher Solidarität mit all denen, die durch unverständliche Anordnungen selbst im tiefsten Elend noch daran gehindert werden, in der Gemeinschaft ihres Glaubens Trost zu suchen." 84 Beide Texte KJ 1933-44, S. 399ff. u. 402ff. 85 Niesei S. 277. 86 ebd., S. 275. Das Wort ging übrigens ohne Herkunftsangabe unter der Überschrift „Auslegung des 5. Gebotes" auch den anderen Bruderräten zu. Wieweit es von dort noch verbreitet wurde, ist dem Verf. nicht bekannt. 87 W. Niemöller, Kampf u. Zeugnis S. 518. Vollständiger Text des Briefes Wurm v. 9.8. 1943 KJ 1933-44, S.437f.; Hermelink S. 694ff.; Schäfer/Fischer S. 456ff. 88 Schäfer/Fischer S. 311 ff.; Hermelink S. 656ff. 89 ebd., S. 325ff. bzw. S. 692f. 90 ebd., S. 313fr. bzw. S.700ff. 91 Vgl. Boyens a.a.O. S. 101, 107, 131 f.; Visser 't Hooft 1943: „Das große ökumenische Ereignis unserer Zeit ist ... das Entstehen bekennender Kirchen", ebd. S. 251.
Und heute - Was ist geblieben? 1 Zu dem Lernprozeß, der über die zunächst dominierende Antihaltung hinausführte, vgl. beispielsweise K. Barth, Brief an einen Pfarrer in der DDR, Zollikon 1958; M. Geiger, Christsein in der DDR. Th. Ex. h. 185. München 1975, bes. S.20ff., 26f„ 28ff., 35f.; W. Krusche in: R. Henkys, Bund der Ev. Kirchen in der DDR. epd-Dok. Bd. 1, Witten/Berlin 1970, S. 180f.; J. Hamel, Wahrnehmung gesellschaftl. Verantwortung durch die evang. Kirchen in Deutschland - ein Rückblick, in: Zum politischen Auftrag der christl. Gemeinde, Bannen II. Votum des Theol. Ausschusses der EKU. Gütersloh 1974, S. 25fT.; zuletzt H.-J. Röder in: R. Henkys (Hg.), Die evang. Kirchen in der DDR. München 1982, S. 64f. u. 69f.; P. Wensierski ebd. S. 287f. 2 Vgl. den programmatischen Titel: R. Bäumer, P. Beyerhaus, F. Grünzweig (Hg.), Weg und Zeugnis. Bekennende Gemeinschaften im gegenwärtigen Kirchenkampf 1965-1980. Bad Liebenzell 2 1981. Darin R. Bäumer, Vom ersten zum zweiten Kirchenkampf. Dieser wird mit Rudolf Bultmann begründet (S. 21 f.), dann aber auf die Ausrichtung der verschiedensten kirchlichen u. ökumen. Arbeiten wie Leuenberger Konkordie, Missionsverständnis, Antirassismusprogramm, Kirchentag, Gruppendynamik u. a. bezogen. 3 Siehe oben S. 95. 4 Siehe oben S. 215fT. 5 K. Barth, Rechtfertigung u. Recht. In: Eine Schweizer Stimme 1938-45. Zollikon/Zürich 1945, S. 13ff.Zitat S. 14. 6 Siehe oben S. 83. 7 H. Prolingheuer, Der Fall Karl Barth, S. 354 (Brief Barths an G. Weber). 342
8 GBl. d. DEK 1939, S. 99. 9 K. Barth, Letzte Zeugnisse. Zürich 1969, S. 22. Ähnlich auch K. B., Texte zur Banner Theol. Erklärung. Zürich 1984, S. 214f. u. 230f. 10 Siehe oben S.204ff„ 209. 11 Ahn Byung Mu in EMS-Information v. 8. 6. 1977, S. 4. Ähnlich in: Gemeindebriefe aus Barmen. Ev. Buchhilfe Vellmar 1984, Brief 4. 12 Sätze zur Arierfrage in der Kirche, JK 1933, S. 270f. Auch oben S. 8 lf. 13 Wort des Bruderrats der EKD zum politischen Weg unseres Volkes; z. B. G. Heidtmann, Hat die Kirche geschwiegen? Berlin 3 1958, S. 5f. Bemerkenswert ist, daß dieses Wort offiziell nur von den Kirchen in der DDR aufgenommen wurde; s. Henkys, epd-Dok. 1, S. 207 f., wo es die Konferenz der Kirchenleitungen „nach 23 Jahren noch erstaunlich aktuell" nennt u. sich ausdrücklich darauf bezieht. 14 G. Krusche, Kirche u. Gesellschaft in der DDR, in: Kirchen im Sozialismus, Frankfurt 1977, S. 253; wörtl. S. 245. 15 Z. B. Offener Brief an Südafrika „Nationalismus, Nationalsozialismus und christlicher Glaube" von 40 Apartheidsgegnern dort aus dem Kreis um das Christliche Institut von Beyers Naude vom März 1971, wiedergegeben in epd-Dokumentation 1/72 v. 10. 1. 1972. Unter Berufung auf Barmen erklären die Unterzeichner, „daß man nicht gleichzeitig dem Gott Jesu Christi und dem Gott des Nationalismus oder der Rasse dienen kann" (S. 42). 16 Vgl. z. B.: Barmer Theol. Erklärung 1934-1984. Unio u. Confessio Bd. 10. Bielefeld 1984, S. 215,220. 17 ebd., S. 216. 18 Ev. Theologie 28. Jg. 1968, S. 555. 19 R Lapide, Jeder kommt zum Vater. Barmen u. die Folgen. Neukirchen/ Vluyn 1984, S. 31. 20 In: Bekennende Kirche. M. Niemöller zum 60. Geburtstag. München 1952, S. 17. 21 epd-Dok. 45-46/78, S. 26f.; E. Wiesel, Die Nacht. Gütersloh 1980, S. 87f. 22 Heinz Wilhelmy, Aus meinem Leben. Vervielfältigter Bericht des Landesmännerpfarrers der Pfalz. Kirche. 1977, S. 12f. 23 epd-Dok. 45-46/78, S. 35. 24 ebd., S. 55. 25 Nach dem Protokoll d. 4. Tagung der VI. Synode v. 9.-13. 11. 1981, S. 50ff. Stilistisch leicht überarbeitet. 26 Ev. Theologie 3. Jg. 1936, S. 231. 27 Sanctorum Communio, München 1954,S. 167. 28 Zit. b. E. Bethge in: Mündige Welt II, München 1956, S. 102. Der Text selbst in: Widerstand u. Ergebung. Neuausgabe München 1970, S. 11-27. 29 ebd., S. 12,13,14f. 30 ebd., S. 20f.,24f. 31 ebd., S. 24. 32 A. Leber, Das Gewissen steht auf. Berlin/Frankfurt 1954, S. 198.
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Abkürzungsverzeichnis
AGK
Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes APU (Ev. Kirche der) Altpreußischen Union AT Altes Testament BK Bekennende Kirche CA Confessio Augustana DC Deutsche Christen DCSV Deutsche Christliche Studentenvereinigung DEK Deutsche Ev. Kirche (1933-1945) Dok. HN Dokumentation der Ev. Kirche in Hessen und Nassau EJW(D) Ev. Jugendwerk (Deutschlands) EOK Ev. Oberkirchenrat (der APU) EZA Ev. Zentralarchiv Berlin GBl. Gesetzblatt GVB1. Gesetz- u. Verordnungsblatt Gestapa Geheimes Staatspolizeiamt Gestapo Geheime Staatspolizei HJ Hitler-Jugend HStA Hauptstaatsarchiv JB Jungreformatorische Bewegung JK Junge Kirche (Zeitschrift) KA Kirchliches Außenamt (d. DEK) KJ Kirchliches Jahrbuch Kodlab Konferenz der Landesbruderräte
KPD
Kommunist. Partei Deutschlands Konzentrationslager KZ Landesbruderrat LBR LKA Landeskirchenausschuß NH Nassau-Hessen (Ev. Landeskirche) Nationalsozialismus NS nationalsozialistisch NSNS-BetriebszellenNSBO Organisation NSDAP NS-Deutsche ArbeiterPartei NSLB NS-Lehrert>und NS-Volkswohlfahrt NSV NT Neues Testament Ökumenischer Rat der ÖRK Kirchen RBR Reichsbruderrat RKA Reichskirchenausschuß Reichsminister des Innern RMdl RMkA Reichsminister für die kirchl. Angelegenheiten Religionsunterricht RU (d. Schule) SD Sicherheitsdienst (des Reichsfiihrers SS) SA Sturmabteilung (d. NSDAP) Sozialdemokratische Partei SPD Deutschlands Schutz-Staffel (d. NSDAP) SS StA Staatsarchiv V(K)L Vorläufige (Kirchen-) Leitung der D E K
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Personenregister Namen sind auch dort genannt, wo die Träger nur unter ihrer Amtsbezeichnung im Text vermerkt sind. Adam, Alfred 207 Adler, Bruno 74, 95 Ahn, Byung Mu 343 Albertz, Martin 158, 161, 167, 232, 237 Althaus, Paul 26f., 80, 103, 110, 116, 171,318 Aretin, Karl Otmar Frh. v. 317 Asmussen, Hans 102-105,108, 111, 118f„ 125, 131, 143, 158, 167, 248,325,333 Bäumer, Rudolf 342 Barth, Christoph 324 Barth, Karl 29f„ 68-70, 78, 83-85, 87,94, 96f., 102-104, 110, 118f., 126-131, 134f„ 157, 162, 165,201, 206, 230f., 259, 287f., 291, 298, 305,318, 32lf„ 324-327, 334f„ 338, 342f. Beckmann, Joachim 78,104,108, 135,318 Bell, George (Chichester) 116, 122 Beste, Niklot 164 Bethge, Eberhard 249, 321 f., 326, 330, 337f., 340, 343 Beyer, Herrn. Wolfgang 49, 90-92, 94 f. Beyerhaus, Peter 342 Bismarck, Otto von 26, 28 Blau, Paul 338 Blomberg, Werner von 48 Bodelschwingh, Friedr. von 52-58, 70, 78f., 87,92, 101, 128f., 159, 188,239, 245, 248, 339f. Böhm, Hans 161,167,232 Bonhoefier, Dietrich 69 f., 78, 81, 83, 116f„ 136, 156f., 222, 231, 249,252, 286, 305,309-314, 321f., 326, 330, 337f., 340, 343
Bormann, Martin 201, 219f., 234f., 241,249,318,334 Bosse, Johannes 108 Bouhler, Philipp 242, 244 Boyens, Armin 319,322,326,330, 333,336, 341 f. Bracher, Karl Dietrich 3 7, 318 Brandt, Karl 242 Braun, Fr. 318 Braun, Otto 18 Braune, Paul Gerhard 243f., 340 Breit, Thomas 102f„ 118f„ 125, 127f„ 133, 136, 164f„ 182,326 Brunner, Peter 133, 158, 190, 228 Buch, Walter 242,339 Bultmann, Rudolf 30, 81, 171, 342 Burghart, Georg 248 Burgsmüller, Alfred 324f. Busch, Eberhard 318, 322, 324, 329 Buttmann, Rudolf 93, 95, 128, 320 Chamberlain, Houston Stewart 19 Coch, Friedrich 75, 89, 95, 138 Conrad, Walter 59, 85, 93f., 320f„ 323 Conti, Leonardo 242 Conway, John S. 318, 328, 335f., 338 Cordier, Leopold 154 Dahm, Karl Wilhelm 317 Davidson, Eugene 317 Dehn, Günther 29f., 157, 231, 237 Delp, Alfred 313f. Denzler, Georg 321 Dibelius, Otto 19, 39, 41f„ 74, 77, 150, 152, 248, 256, 317f„ 319, 331 Diehl-Thiele, Peter 318 Diels, Rudolf 94 Diem, Hermann 166,249 347
Dietrich, Ernst Ludwig 76, 124f., 133, 138f„ 146, 213f., 2 2 1 , 2 4 8 , 325, 335 Dinter, Artur 20, 24 Ebert, Friedrich 19 Eckart, Dietrich 20, 24, 318 Eger, Johannes 144,159 Eidem, Erling (Uppsala) 81 Eiert, Werner 80, 110f., 171 Ellwein, Theodor 2 1 1 , 2 1 5 , 2 1 7 , 335 Engelke, Fritz 99, 114 Fabricius, Volker 321 Fezer, Karl 4 9 - 5 2 , 5 6 , 6 1 , 7 2 , 8 9 , 92, 94f„ 1 1 3 , 3 2 0 Fiedler, Eberhard 108, 116, 118f., 126, 136 Fischer, Richard 339-342 Flor, Wilhelm 113,126 Forck, Bernhard 161, 167, 232 Forell, Birger 168 Freitag, Albert 322 Fresenius, Wilhelm 207 Freudenberg, Adolf 341 Frick, Constantin 242 Frick, Wilhelm 42, 44, 48, 61, 70, 8 9 , 9 5 , 123, 128-130, 133f„ 138, 180, 183-185, 2 4 0 - 2 4 3 , 320f. Fricke, Otto 161, 167, 207, 209, 337 Fritsch, Theodor 20 Frommer, Martha 319 Fuchs, Ernst 157 Fürle, Günther 339 Galen, Clemens August Graf v. 173, 239, 243 Gatzke, Hans W. 317 Gauger, Joachim 3 1 8 - 3 2 8 Gauger, Joseph 318 Gauger, Martin 229 Geiger, Max 342 Gerlach-Praetorius, Angelika 334 Gerstenmaier, Eugen 336 Glentoj, Jorgen 320 Gobineau, Arthur Graf 19
348
Goebbels, Joseph 38, 43, 238, 246, 258,319 Goerdeler, Karl Friedrich 311 Göring, Hermann 9 4 - 9 6 , 128, 132, 2 4 1 , 2 8 6 , 338 Goeters, Wilhelm 157 Gogarten, Friedrich 8 9 , 9 4 , 171 Gollwitzer, Helmut 170, 231, 330, 333,338 GrafFmann, Heinrich 158 Granzow, Walter 47f. Greiser, Arthur 2 3 3 - 2 3 5 , 248, 338 Grüber, Heinrich 254 Grünzweig, Fritz 342 Günther, Landgerichtsdir. 167 Gürtner, Franz 1 2 8 , 2 4 2 , 3 3 9 Hahn, Hugo 1 0 1 , 1 0 4 , 3 2 6 Hamel, Johannes 342 Happich, Friedrich 219 Hauer, Jakob 7 1 , 1 3 1 Heckel, Theodor 117, 188f., 216 Heidtmann, Günter 343 Heinzerling, Friedrich 329 Held, Heinrich 9 4 , 2 4 8 Helfferich, Karl 19 Henkys, Reinhard 342f. Henriod, Henry-Louis 168 Hermelink, Heinrich 335f., 339-342 Heß, Rudolf 71, 82f„ 177, 219, 234, 240, 337f„ 341 Hesse, Hermann Albert 47,108, 126, 134f., 158, 165,330 Hesse, H. Klugkist 8 4 , 1 5 8 Heydrich, Reinhard 1 7 9 , 3 4 0 Hildebrandt, Franz 158 Himmler, Heinrich 183, 189f., 332, 337, 339 Hindenburg, Paul von 19, 37f., 54f„ 60f„ 94f„ 112, 189,286 Hirsch, Emanuel 2 6 , 4 9 , 3 1 8 Hitler, Adolf 1 3 , 1 9 - 2 5 , 2 7 , 3 0 , 32f., 37f., 41 f., 46, 4 8 - 5 2 , 54f„ 58, 60f„ 6 3 - 6 5 , 70f„ 77, 83, 89f„ 92, 9 4 - 9 6 , 100, 113, 121 f., 128-130, 132, 137, 141 f., 152, 166-168, 170,
174-176, 180, 188, 194, 198f„ 201,205, 207f., 211,215, 218-220, 223, 226-228, 230f„ 233-238, 240, 242, 245f„ 255, 258, 286-288, 290f., 317f„ 319, 323, 325, 328, 331, 334, 336, 338f. Hoffmann, Adolf 17 f. Hopf, Friedrich Wilhelm 333 Horst, Friedrich 157 Hossenfelder, Joachim 33-36,41, 49-51, 53, 58-60, 67, 72-74, 76f., 85-90, 113, 122, 320f. Hromâdka, Josef L. 206, 231 Hilgenberg, Alfred 19 Humburg, Paul 125, 136, 148, 326 Hymmen, Friedrich 226 Ihmels, Ludwig 74 Immer, Karl 84, 108, 126, 134, 327, 330 Iwand, Hans Joachim 157 Jacob, Günter 78, 227, 337 Jacobi, Gerhard 78, 84f., 87, 108, 118 Jäger, August 56, 58-61, 72f., 75-77, 93f.,98f., 101, 112-115, 118, 121f., 141, 153,204,233, 322, 324f„ 338 Jänicke, Johannes 230, 338 Johnsen, Helmut 219 Käsemann, Ernst 333 Kapier, Hermann 42-45, 47f., 52-55 Kerrl, Hanns 139-144, 146-148, 150-152, 155, 162 f., 170-177, 180f., 183, 185, 188f., 191, 193-198, 201-203, 205f., 211-215,217-221, 223, 226, 234, 236f., 328,331,333,335-339 Kinder, Christian 89, 95, 122, 192, 253,330 Kipper, Paul 192, 200, 202, 204, 214, 221, 251, 253f., 341 Kittel, Gerhard 110,325
Kittel, Helmuth 211,215,217,336 Klee, Ernst 339f. Kleindienst, Alfred 338 Klepper, Jochen 43 Klingler, Fritz 341 Kloppenburg, Heinz 248 Klotsche, Johannes 192,204,253 Klügel, Eberhard 339f. Koch, Erich 3 5 , 7 3 , 1 3 0 , 3 2 2 Koch, Karl 73f., 89f„ 95, 97, 101, 103, 108, 113, 115, 117, 119f., 125, 127-129, 136, 155f., 199,334 Koechlin, Alphons 116 Koopmann, Otto 72, 95, 322 Kortheuer, August 76f., 322 Krause, Reinhold 86-88 Kreck, Walter 125 Kremers, Hermann 27 Kretschmar, Georg 319-321, 326 f. Kreyssig, Lothar 244 Krusche, Günter 343 Krusche, Werner 342 Kube, Wilhelm 33, 35, 41 f. Kübel, Johannes 44, 48, 57, 319 Kühlewein, Julius 206f., 248 Künneth, Walter 51 f., 320, 326, 329 Kupisch, Karl 18, 23, 317f„ 320, 322 Lagarde, Paul de 19 Lammers, Heinrich 42, 44, 64, 237, 246, 257, 339 Lang, Cosmo Gordon (Canterbury) 122,336 Lapide, Pinchas 298, 343 Lauerer, Hans 90, 95 Leber, Annedore 343 Leffler, Siegfried 32,215 Leutheuser, Julius 32,215 Ley, Robert 54 Lilje, Hanns 51,164,248,317 Link, Wilhelm 108 Loerzer, Fritz 87 Ludendorff, Erich 24f. Lücking, Karl 94, 167, 330 Lueken, Wilhelm 207 349
Lueken, Wilhelm (jun.) 333-336 Luther, Martin 34, 41, 86, 216f., 229, 287f„ 339 Mackensen, August von 319 Mann, Golo 317 Mann, Thomas 16,317 Marahrens, August 47, 75, 79, 89, 95, 105, 121, 125f., 128, 133f„ 136, 146, 152, 155, 163, 175, 177f„ 182, 206f., 218f., 226, 239, 243,248,258,331,339,341 Meier, Kurt 9, 318f., 321, 323, 325-327,329-331,333-341 Meiser, Hans 5 6 , 6 1 , 7 5 , 8 9 , 9 2 , 95f„ 100f„ 103, 105, 108, 111, 115, 121f„ 134, 155, 188, 206f., 219,240, 248,324, 326 Melle, F. H. Otto 188 f. Mergenthaler, Christian 240 Merz, Georg 104,329 Michaelis, Walter 45 Middendorf, Friedrich 167 Moeller, Reinhard 15 Mommsen, Theodor 46, 319 Müller, Friedrich (Darmstadt) 213, 221,248 Müller, Fritz (Dahlem) 161 f., 167, 182,202,209,232 Müller, Joachim 317 Müller, Ludwig 48-56, 58, 60f„ 71f„ 74-77, 80-83, 85-100, 112-114, 118, 121-123, 127, 129-131, 137, 144, 153, 188,204, 236, 240, 286, 320, 322, 325f. Muhs, Hermann 172,203,211,237, 249,333,335,341 Murr, Wilhelm 224, 240, 2 5 5 Mutschmann, Martin 224 Naude, Christian Beyers 343 Neuser, Wilhelm 321 Nicolaisen, Carsten 319-321,324, 326f. Niemöller, Gerhard 324-326, 331, 333 Niemöller, Heinrich 188 350
Niemöller, Martin 14,52,61,67, 69f., 78f., 81, 83, 85-88, 90, 93-96,98, 100f., 108, 118f., 126-129, 134, 136, 150, 155, 162, 167, 170, 182, 187f„ 198f„ 222, 259, 286, 288, 292, 296, 304, 309, 317,320-324, 326-333,343 Niemöller, Wilhelm 9, 87, 188, 319, 322f.,325f.,328f„ 331-333, 335-339,342 Niesei, Wilhelm 104, 127, 158, 322, 327-329, 332-338, 340-342 Oberdiek, Harmannus 104,158 Oberheid, Heinrich 74, 90, 95f., 98, 113,215 Osterloh, Edo 158 Papen, Franz von 37, 40 Pechmann, Wilhelm Frh. von 44 Peter, Friedrich 34, 74, 87f. Pfeffer, Franz von 192,336 Pfundtner, Hans 64 Picker, Henry 317-319,323 Poelchau, Peter Harald 338 Priepke, Manfred 323 Probst, Georg 67,321 Prolingheuer, Hans 326f., 340, 342 Putz, Eduard 104 Quervain, Alfred de
158
Rabenau, Eitel Friedrich von 86, 88 Rade, Martin 17,157 Rehm, Wilhelm 171f., 330 Reichardt, Wilhelm 85 Rendtorff, Heinrich 53 Reventlow, Graf Ernst zu 71,83, 131 Riethmüller, Otto 51,113 Ritter, Gerhard 311 Röder, Hans-Jürgen 342 Röhm, Eberhard 317, 321 Röhm, Ernst 112,325 Rosenberg, Alfred 24f., 70, 86, 88, 131, 142, 175, 183, 195,219,239, 318,323
Rumpf, Julius 207, 232, 333 Rust, Bernhard 56, 58, 61, 94, 130, 135, 138, 157, 189,210, 241,327 Sasse, Hermann 28, 70, 102-104, 110, 118 Sasse, Martin 174,198 Schäfer, Gerhard 320, 339-342 Scharf, Kurt 7 8 , 8 6 , 8 8 Schirach, Baidur von 30, 71, 91 f., 327 Schlenker, Gotthilf 28 Schlier, Heinrich 158 Schlingensiepen, Hermann 157, 230, 338 Schlingensiepen, Johannes 338 Schlink, Edmund 330 Schmidt, Jürgen 100, 320-324, 326-332 Schmidt, Karl Ludwig 157 Schmidt, Kurt Dietrich 157, 319f., 320, 322, 324, 326-331 Schmitz, Otto 157 Schneider, Johannes 15,17,29 Schneider, Paul 135,286,327 Schöffel, Simon 53, 72, 77, 89, 95 Schönerer, Georg von 20, 23 Scholder, Klaus 9, 14, 16, 43, 66, 317-323,332 Schomerus, Hans 215 Schultz, Walter 226,253 Schumann, Friedrich Karl 49, 56, 72,89, 113 Schwerin-Krosigk, Lutz von 128 Seetzen, Friedrich 55 Siegele-Wenschkewitz, Leonore 321, 328, 337f. Soden, Hans von 80, 118, 124 Spranger, Eduard 23 Sprenger, Jakob 133, 146, 221, 224, 337, 341 Stahn, Julius 150, 156, 181, 328, 332 Stange, Erich 90, 323 Stapel, Wilhelm 215 Steck, Karl Gerhard 125, 228, 231 Stoecker, Adolf 15
Stöhr, Hermann 229 Stoltenhoff, Ernst 56 Strasser, Gregor 33-35 Strathmann, Hermann 28 Streicher, Julius 115 Stresemann, Gustav 23 Stuckart, Wilhelm 58, 141f. Sylten, Werner 286
Thadden, Elisabeth von 286 Thadden, Reinold v. 167 Thierfelder, Jörg 317, 321, 340f. Thomson, Waldemar 338 Tillich, Paul 157 Traub, Hellmut 324 Tügel, Franz 248
Veidt, Karl 108, 145, 163f„ 213, 221,248 Visser 't Hooft, Willem A. 338, 342 Vogel, Heinrich 136, 155, 158, 327
Walther, Albert 59 Weber, Gotthilf 342 Weber, Hans Emil 157 Weber, Otto 77, 89f„ 92, 94f., 339 Weichert, Ludwig 320 Weißler, Friedrich 168 f. Wenschkewitz, Leonore 328, 333, 335f. Wensierski, Peter 342 Wentz, Karl 341 Wemer, Friedrich 59, 73f„ 76f., 87-90,92, 94f., 99, 113, 175, 192, 197-199, 204, 215, 222-224, 226, 243f., 338f. Weschke, Eugen 78 Weth, Rudolf 324f. Wiehern, Johann Hinrich 15 Wiesel, Elie 343 Wilhelm, Kronprinz u. Brüder 319 Wilhelmy, Heinz 343 Wilm, Emst 244,340 Wolf, Ernst 157, 231, 324f„ 333 351
Wucher, Albert 337 Wurm, Theophil 44, 53, 75, 89, 92, 95f., 99-101, 108, 114, 121f., 146, 165, 170, 188, 206f., 219, 239-249, 252, 255-259, 323, 326, 335f„ 338f„ 340-342
352
Zänker, Otto 159 Zentgraf, Rudolf 153 Zöckler, Theodor 338 Zoellner, Wilhelm 47,144,146, 152, 159, 165f„ 170, 172f., 188, 323, 329