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German Pages 64 [68] Year 1914
Früher erschienen von demselben Verfasser:
Kunsterziehung m. 1.20, geb. m. 2.-,
im ®eifte £. Richters.
2, a»fi.
Verlag L. Bertelsmann in Gütersloh.
Im Kampf um die Volksseele.
®t" AL
Versöhnung und zur Organisation der Volkserziehung. 1.-3. Tausend.
HL 1.20.
L. h. Beck'sche Verl.-Vh. (G. Beck) in München.
Moderne Propheten. £. Tolstoi, Fr. Nietzsche.
Ld. v. Hartmann, In Leinen gebunden HL 3.-.
L. h. Beck'sche Verl.-Bh. (G. Beck) in München.
Glaube und Tat.
3m Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen erschienen
von Pastor Kart Kösener bearbeitet und herausgegeben des weil. Pastors prim.
Julius Burggraf
an St ctnsgari in Bremen
Goethepredigten Kanzelreden über Goethes Faust und Iphigenie Mit dem Bilde und
Geheftet 4 Mark
der
Selbstbiographie Burggrafs
372 Seiten gr. 8° — 1913
Gebunden 5 Mark
Der Kampf ums Ich von
Karl kösener
Eine Auseinandersetzung zwischen christlichem und Metzscheschem Individualismus
Gießen 1914
Verlag von Alfred Töpelinann
Christentum und Individualismus. (5.5) 1. Subjektivismus. 2. Charakter. 3. Humanität.
Nietzsche und der christliche Individualismus. (5. 30) 1. Der Wille zur Macht. 2. Der Wille zur Idee.
Einleitung. Die vorliegende kleine Schrift hat sich verdichtet und für den Druck ganz selbständig gestaltet aus mehreren Vorträgen, die sich
um den Begriff des Individualismus gruppierten.
des Interesses
stand
die Frage nach
3m Vordergründe
dem Verhältnis
christlicher
Religion und Sittlichkeit zum Individualismus sowie das verlangen, die Notwendigkeit religiöser Begründung und
sittlicher Zielsetzung
für den Individualismus selbst zu erweisen.
Dabei ließ sich die Auseinandersetzung mit gegnerischen Auf fassungen und Strebungen nicht umgehen.
Der eigentliche Herold
des modernen Individualismus ist Nietzsche.
Man kann nicht wohl
über Individualisikus sprechen, ohne in eine gründliche Diskussion mit ihm sich einzulassen.
Eine Entwirrung auch der gefühlsmäßigen
Unterströmungen in seinem Individualismus wird uns zu eigener
Klärung führen und uns in den Stand setzen — unbeschadet unserer Gegnerschaft — manch goldnen Apfel aus seinem Zaubergarten zu
holen.
Die zweite Abhandlung ist daher Nietzsche gewidmet, aber
doch nur so weit, als es die Zwecksetzung des Themas wünschens
wert erscheinen ließ.
Der „Kampf ums Ich" ist das Thema eines jeden Menschen lebens, das in auftteigender Linie sich bewegt.
Die Entfaltung seiner
Kräfte, die Betätigung seiner Eigenart, die Gestaltung eines har
monischen Daseins, die Verwirklichung seiner Ideale findet die stärksten
Widerstände im Menschen selbst und in der ihn umgebenden Welt. Mit ihnen sich auseinanderzusetzen, das Fremde als solches zu er kennen und abzustoßen, das Zugehörige sich anzueignen und zu ver
arbeiten, das ist selbstbewußte Entwicklung. das die
Dieses Selbstbewußtsein,
eigene Entwicklung begleitet und leitet, das Jnnewerden
seiner selbst und das Wollen seines höheren Selbst, das ist das eigent lich Menschliche im Gegensatz zum rein Animalischen. Dieses Menschen
tum wäre nicht aufgekommen ohne religiös-sittliche Triebe, ohne ein stetes über-sich-schauen. Dieses Menschentum wird die höhe seiner Vollendung nicht erreichen ohne das Zortwirken religiös-sittlicher Kräfte, ohne ein Ideal, das über uns steht. Darum wird der „Kampf ums Ich" zum Thema der Weltgeschichte, zum Kampf um die Ideale,
zu einem Kamps der Glaubens- und Lebensanschauungen unter den Menschen, zu einem Kampf zwischen Glauben und Unglauben, Idealis
mus und Materialismus, Individualismus und Sozialismus. Der Kampf wird niemals zur Entscheidung kommen.
Aber es
wird stets Sieger und Besiegte geben. Eine Erkenntnis will sich immer stärker wieder emporringen
in unserer Gegenwart.
Vas persönliche Leben der Menschheit gibt
jeder Kultur ihren wert; es ist Inhalt und Wesen aller Kultur.
Nicht Macht, Fülle und Glanz der äußeren Güter machen ein Volk
reich, gesund und zukunstsfroh.
Alle sozialen Reformen in Ehren
— sie sind bitter nötig - aber von umgestaltender Wirkung ist
nur eine Reform der Geister.
In der Entwicklung zum Individualismus hin wird jeder geistige Fortschritt sich bewegen.
Und auch die Weiterentwicklung der christ
lichen Religion und Sittlichkeit zielt in dieser Richtung.
vor dem Individualismus werden wir überwinden.
Die Furcht
Denn der In
dividualismus wird sich religiös vertiefen in dem Matze, als die Religion sich individualisiert. Wir werden erkennen, datz die schein bare Unreligiosität unserer Zeit zum guten Teil nur eine Reaktion
ist gegen ein gesetzliches und dogmatisches Kirchentum.
Nichts ist
dem Menschen natürlicher als die Bedürfnisie und Empfindungen der Religiosität, verzichtet nur auf jeden Zwang, und ihr werdet wunder
sehen.
Nur von Persönlichkeiten kommt das heil.
die Menschheit zur Menschlichkeit.
Nur sie führen
Der Weg aber ist Freiheit,
d. i. Kamps - nicht mit Sicheren Machtmitteln, sondern mit den
Waffen des Geistes.
Christentum und Individualismus
1- Subjektivismus. Zeitgemäß soll das evangelische Christentum sein, nicht in dem
Sinne, daß es sich verpflichtet fühlen müßte, allen möglichen „modernen"
Aber die evangelische Kirche soll die religiös
Ideen nachzulaufen.
sittlichen Kräfte, die ihr geschenkt sind, stets mobil und anpassungs fähig erhalten, damit sie nicht vom Gange der Zeit beiseite ge
schoben werde. Der Kirche der Reformation wohnt doch einmal etwas inne
von dem Geiste des
15. und 16. Jahrhunderts, von dem Geiste
eines Kolumbus, von der Lust auszuziehen, und wenn nicht neue
Ziele, so doch neue lvege zu suchen.
Zwar die Kanäle der Über
lieferung, des pflichtmäßigen Kirchenglaubens sind bequem und ohne Stürme, aber sie werden auch leicht verschlammt und unfähig, tief gehende Lasten zu tragen.
Wie oft muß der forschende, richtende
verstand, der rauhe, schwere Geist eines unerbittlichen Wahrheits
dranges über Bord geworfen werden, um das Schiff zu leichtern.
Und wer hinaus will auf hohe Meere, darf Sturm und Wogendrang nicht scheuen.
Manches Kap der guten Hoffnung freilich erwies sich
als ein Felsenriff, als ein Sammelpunkt von Winden und Stürmen,
die das Schifflein des Glaubens zerschellen.
Nicht jede Kritift birgt
Leben in ihrem Schoße, nicht jedem Suchen lohnt ein finden.
Laune
und Willkür kritisieren die stärkste Wahrheit zu Tode, und die bloße Lust am Neuen, am Gewagten, an Abenteuern und Gefahren gleitet
gar zu leicht an der Wahrheit vorbei.
Der Radikalismus verachtet
die Wahrheitskörner, weil er jede Frage auf die Spitze des „alles
oder nichts" stellt.
Die Gefahren eines solchen Radikalismus und
Skeptizismus dürfen wir besonders auf dem Gebiete des religiösen und sittlichen Lebens, wo sie am folgenreichsten sind, nicht übersehen.
Um so energischer und bewußter müssen wir uns über unsere Grenzen, Wege und Ziele klar werden, als der evangelische In dividualismus, den wir vertreten, stets in der Gefahr schwebt,
als Vater des kirchlichen Radikalismus angeklagt zu werden.
Wir
erkennen ja unumwunden an die subjektive Färbung alles mensch lichen Erkennens, die Unvollkommenheit aller menschlichen Wahr
heiten.
wir wissen, daß die Wahrheit nicht flach ist, so wenig wie
die Erde, die man einst dafür hielt, sondern daß sie tief und gegen
sätzlich ist, und daß es uns Menschen nicht gegeben ist, die Wahr heit anders denn als ein Stückwerk zu erfassen.
notwendig ein Verlust. überall zerstreut.
Vas aber ist nicht
Samenkörner der göttlichen Wahrheit sind
Unser Subjektivismus legt manche Schranke nieder
zwischen Wahrheiten und zwischen Menschen.
Er lehrt uns den
Glauben an ein unbewußtes Ehristentum, den Glauben an ein heim liches Sehnen und Seufzen unter lächelnder Maske, ein heimliches Zweifeln und
Selbstverzagen unter den imposanten Gesten einer
scheinbar so gewissen „Gläubigkeit" auf der einen und „Wiflenschast"
auf der andern Seite.
Vieser Subjektivismus macht uns frei von
den Fesseln der Tradition, ohne daß wir ihren Wert und Segen zu verkennen und zu verlieren brauchen, und macht uns darum be weglich und fähig, auch in fremde Gedankengänge einzutreten, die
Formen zu zerbrechen und das Metall der Seelen ans Licht zu bringen und zusammenklingen zu lassen. Wie oft mögen ein „Kirchenchrist" und ein „Weltkind" einander begegnen: die gleichen Glocken
klingen in ihren herzen, aber sie verstehen einander nicht, messen
einander mit scheuen Blicken; voll Disharmonie und Mißverstehen
gehen sie auseinander, weil jeder eine andere Sprache redet.
Mit
dem falschen Gegensatze zwischen Rirche und Welt hat die Rirche der
Reformation leider noch immer nicht aufräumen können.
In den
Köpfen vieler Laien unterscheidet sie sich daher von der katholischen Kirche eigentlich nur durch ihre Toleranz, d. h. eigentlich durch eine wenn auch angenehm empfundene Schwäche, durch den Mangel an
Energie und Konsequenz.
Der Subjektivismus und Individualismus ist ein Erbteil der
Reformation, deren Triebkräfte wir aus dem Wesen des germanischen
Geistes fliesten sehen. Wiege.
Der deutsche Humanismus stand an ihrer
Der Mensch forderte sein Recht gegenüber den unpersön
lichen Größen des Staates und der Kirche.
Nicht die Institutionen
sind das Dauernde, nicht sie sind Zweck und Ziel der Entwicklung,
nicht sie können in ihrem eignen Namen Gehorsam und Selbstver leugnung fordern.
Sondern die Menschennatur macht ihre Rechte
geltend an diese Rechtsinstitutionen, welche zu Klammern und Kesseln des persönlichen Lebens geworden sind.
Die Emanzipation von der Kirche bewegt sich im wesentlichen in zwei Richtungen: Freiheit und Selbständigkeit
des Gewissens —
Freiheit und Selbständigkeit des natürlichen Lebens: Idealismus und Realismus.
Jn beiden Richtungen schreitet die Entwicklung
unter manchen Reaktionen fort.
Eine neue Entfaltung bedeutet das
Zusammentreffen der klassischen Dichtung in Lessing, Herder, Goethe
mit dem religiösen Genius Schleiermachers. lendet sich.
Die Emanzipation vol
Die Einzelpersönlichkeit löst sich aus dem Zwange und
den Pflichten der sozialen Gliederung.
Das Einzelindividuum erhebt
sich gegen die Masse und—auf der andern Seite — das natürliche, materielle Leben verlangt nicht nur die Anerkennung seiner Not
wendigkeit, sondern seiner Gleichberechtigung, wohl gar Alleinberech tigung: Individualismus und Sozialismus.
Zunächst war nach der religiöse und soziale Gemeinschastsgedanke
der leitende und gesetzgebende Gedanke, die Selbstverleugnung, Hingabe an die Gemeinschaft die selbstverständliche Pflicht.
die
Der Sub
jektivismus des religiösen Erlebens dokumentierte sich im wesent lichen als „persönliches Ehristentum", d. h. als ein vewutzt-
werden dessen, daß der gemeinsame Besitz der Christenheit auch ge eignet ist, mein persönlicher Besitz zu sein.
Das Ich eignet sich die
Wahrheiten der Tradition in persönlichem, gefühlsmäßigem Nach erleben an.
Die Glaubensüberzeugung tritt aus dem Kopfe ins herz.
Im Pietismus und verwandten Strömungen wird das Dogma zwar
flüssig gemacht, aber es behält seine Autorität.
Das individualistische
Christentum der modernen Entwicklung ist noch ein anderes.
Das
persönliche Element wird zum herrschenden und gesetzgebenden.
Das
Recht der persönlichen Gewissensfreiheit wird zur Pflicht, der Kampf um das eigene Ich der eigentlich sittliche Kampf, die Selbstbehaup tung das sittliche Ideal.
„Persönlichkeitschristentum" mögen
wir es nennen. Weiter: Die Notwendigkeit einer selbständigen Existenz des
wirtschaftlichen Lebens ist in der Reformation anerkannt.
Eine sitt
liche Bedeutung erhält aber das materielle Leben tatsächlich erst
durch den Lharakter seiner Träger. Insofern nämlich etwa der Kaufmann oder Fabrikant oder Soldat oder Steinklopfer in seinem Berufe sich treu bewährt, so adelt er damit sein Tun, das sonst, an und für sich, etwas Wertloses ist.
Die Frage, ob nicht auch, ob
jektiv betrachtet, in der materiellen Entwicklung an sich ethische Momente förderlicher Art vorhanden und wirksam sind, trat nicht
eigentlich ins Bewußtsein. Sie ist erst eine moderne Frage, gefördert
einmal durch
den zum Naturalismus fortgeschrittenen Realismus,
andererseits durch die überragende Bedeutung und überwältigende Wucht, mit der die wirtschaftliche Entwicklung selbst sich geltend macht. Ein jüngst verstorbener hochgeachteter Dozent an einer unserer
technischen Hochschulen schrieb mir u. a. einmal:
„Zu solcher Der«
tiesung in rein ideale Gebiete, die meiner Lharakteranlage sehr entsprechen würde, bleibt mir leider keine Möglichkeit.
Aber ich
will deshalb nicht klagen; denn wenn auch mein Beruf im weiteren
Sinne, d. h. mit Einschluß der damit verbundenen fachwissenschaft lich-literarischen Derpflichtungen und der eigenen Weiterbildung mich vollauf in Anspruch nimmt, so ist er mir doch immer lieb und wert
und trägt auch seine ideale Seite — die Heranbildung der Jugend —
in sich, und zwar zu einem Beruf, der allerdings zunächst dem materiellen, indirekt dadurch aber auch dem geistigen Wohle der Gesamtheit zu dienen hat." - Das von mir gesperrte Wörtchen „dadurch" deutet die Aufgabe an, welche die evangelische Kirche —
wissenschaftlich wie praktisch — schärfer wird anfassen müssen, will
sie nicht mit ihrem religiösen und sittlichen Idealismus weltfremd
werden und in der Luft schweben, welche Bedeutung hat — positiv
wie negativ — die geschlechtliche Sonderung, die Lebensweise, die soziale Lage des einzelnen, die soziale Struktur des Ganzen, Kunst
und Bildung, Nationalität usw. für das religiöse und sittliche Leben
des einzelnen und der Gesamtheit? die
geben sich daraus für
Und welche Konsequenzen er
sittliche Anschauung
Verhalten des evangelischen Christen,
und
das sittliche
der evangelischen Gemeinde
und Kirche?
Vie
negative
Hemmungen heraus
und
Seite
dieses
Hinderungen,
Zusammenhanges, die
aus
dem
d. h.
also
materiellen
die
Leben
der religiösen und sittlichen Entwicklung entgegengetreten
sind, hat man natürlich von jeher beachtet, denn sie drängen sich
schließlich
einem jeden auf.
„praktisches
drängen.
Christentum"
Und man hat auch versucht,
diese feindlichen Mächte
Vie stete Beschäftigung mit diesen
durch
zurückzu
„finsteren Mächten"
hat dann den Blick für die positive Bedeutung der natürlichen Kräfte
des Volkslebens getrübt.
Erst ein Christentum, dem es gelingt, die
weltliche Kultur und die materielle Entwicklung unmittelbar in den
Dienst eines religiös-sittlichen Idealismus zu ziehen, kann ein „soziales Christentum" heißen.
Vas wird der evangelischen Kirche nur ge
lingen, wenn sie sich selbst in den Dienst der Kulturentwicklung stellt, wenn sie die religiös-sittlichen Kräfte, welche in dieser schlummern, erkennt und zum Bewußtsein ihrer selbst bringt, wenn sie diese
Kräfte durch die Macht des geschichtlichen Christentums zur Klarheit und durch die Macht der geschichtlichen Organisation zur Aktivität führt. Vas „praktische Christentum", das sich in der „inneren Mission"
eine wirksame und notwendige Grganisatton geschaffen hat, stellt
nicht die Kämpfer, welche die Entscheidung in der modernen Welt
durchzufechten haben.
Andere sind es, die die verwundeten pflegen,
andere, welche den Kampf bestehen.
Die Frage, um die es sich in
der Krisis des evangelischen Christentums handelt, ist nicht die, ob
es uns gelingt, einzelne Opfer des Schlachtfeldes vom Tode zu retten. Sondern: ob es dem evangelischen Christentum gelingt, den Gesamt charakter unserer materiellen Entwicklung so zu beeinflussen und zu
befruchten, daß er aus der Kraft dieser Befruchtung Früchte des
Glaubens und der Liebe hervorbringe.
Vie katholische Kirche kann
sich noch immer mit ihrer äußeren autoritativen Herrschaft über das
gesamte Leben ihrer Gläubigen trösten.
Gegenüber der evangelischen
Kirche hat sich das Kulturleben emanzipiert.
hier der herrschende Faktor. befreunden.
Nicht die Kirche ist
Kitt dieser Tatsache müssen wir uns
Hber innerhalb des modernen Kulturprozesses ein maß
gebender Faktor zu bleiben oder wieder zu werden, ein Stoff der Gärung und Läuterung, das muß unser Ziel sein. Damit verleugnen wir nichts, sondern vollenden nur den Prozeß, der in dem realistischen
Zuge der Reformation begann.
ein Geisteskampf.
Vieser Kampf ist in der Hauptsache
Venn es handelt sich wesentlich darum, die führen
den, zukunfffrahen, die Entwicklung tragenden und bauenden Kräfte unseres Volkslebens mit dem Geiste säuern.
des Evangeliums
zu
durch
Ohne das würde das Thristentum bald herabsinken zum
Paganismus, wie man einst das Heidentum nannte, weil es nur bei
den Unwissenden und Ungebildeten eine Heimat fand und für den Gang der Geschichte nichts mehr bedeutete. Individualismus und Sozialismus haben wir neben einander gestellt, aber schließen sie nicht einander aus?
Es scheint so, aber
es scheint auch nur so!
Der Individualismus
in seiner reinen, prinzipiellen Form be
deutet Aussonderung des Individuums gegenüber der Gesamtheit, bedeutet die Überzeugung, daß die Gesamtheit — ein bloßer Begriff, etwas ganz Unpersönliches — aus sich selbst keinerlei Rechte her leiten kann.
Ursprüngliche Rechte — darum handelt sich's hier
natürlich - kann man nur dem menschlichen Wesen als solchem
zuschreiben.
Mit anderen Worten: das Prinzip des Individualis
mus ist feindlich, ist revolutionär gegenüber der sozialen Lebensauf fassung.
Zur Illustration will ich an ein bekanntes Schlagwort an knüpfen: „Alles verstehen heißt alles verzeihen." vielleicht vielen modern, ist es aber nicht.
aus der sozialen Lebensanschauung.
Vas Wort Klingt
Es ist noch erwachsen
Es liegt ihm noch unausge
sprochen die Idee eines sozialen Gewissens zugrunde, die Voraus setzung, daß ein Mensch seinen Mitmenschen von Rechts wegen Rechen
schaft schuldig sei über sein Tun.
Aber teils aus Gutmütigkeit, teils
aus Erkenntnis der allgemeinen menschlichen Schwäche und Abhängig keit verzeiht man ihm sein Unrecht, seine Schuld. Eine solche Stellung nahme gegenüber dem Nächsten genügt unserer individualistischen Auffassung nicht.
Mir erkennen keinen allgemein gültigen Maßstab
an, mit dem man über die Schuld des Nächsten richten könnte, ganz
gleich ob verurteilend oder verzeihend. Über die Schuld des Nächsten,
wohlverstanden!
Wohl kennen wir einen allgemeinen Maßstab des
Urteils über den sittlichen Bestand, über die Erkenntnis von gut und böse, ein allgemeines, sittliches Ideal.
wir schlechterdings nichts.
Aber zu verzeihen haben
Über die Schuld eines Menschen Kann
nur Gott und sein eigenes Gewissen Richter sein.
Wollte man nun diesen sittlichen Maßstab auch aus das soziale Leben anwenden und etwa gegenüber dem Verbrecher ohne weiteres erklären:
„Wir begreifen
aus deiner Herkunft, deiner Erziehung,
deinem Milieu usw., daß du so handeln konntest, vielleicht handeln
mußtest; lauf unangefochten hin, die Gesellschaft verzeiht dir" — so würde uns doch bange werden um das, was da werden sollte!
In
Frankreich hat man ja verschiedentlich — sei es aus frivoler Lax
heit, aus weichlicher Sentimentalität oder aus vermeintlichem Recht
des Individuums — diesen individualistischen Maßstab auf die Rechts
pflege angewandt.
Eine allgemeine Anwendung würde das Gemein
schaftsleben untergraben. Vas Prinzip
des
allgemeinen Nutzens
oder
des öffentlichen
Wohles, mit dem man hier gewöhnlich einfällt, genügt uns nicht, abgesehen davon, daß es unklar und den Standesintereffen zu sehr
unterworfen ist.
Wir suchen eine tiefere Begründung, und es be-
friedigt uns nicht, daß wir zwei verschiedene Lebensauffassungen
— die individualistische für das nur enge Privatleben, die soziale für das Gemeinschaftsleben — in uns beherbergen sollen.
Vir müssen suchen, beide zu vereinigen, vom Standpunkte des Individualismus aus eine höhere Einheit zu finden.
Die Gesell
schaft kann aus sich selbst keinerlei Rechte über das Individuum herleiten.
Menschen können über einen anderen und gegen einen
anderen Rechte gewinnen nur
durch die Pflichten, die dieser hat.
Wir müssen daher in das Prinzip des Individualismus mit auf
nehmen die Idee der Pflicht, und zwar der religiösen Pflicht, d. h. der Pflicht gegen Gott oder gegen das religiös-sittliche Ideal.
Dieser religiöse Individualismus allein kann eine grundsätzliche Stellungnahme finden gegenüber Lebens.
den Rnsorderungen
des
sozialen
Ruch unser Individualismus - um bei dem oben ange
führten Beispiele zu bleiben - fordert das gänzliche Russchalten des
Sühne- und Strafbegriffes aus der öffentlichen Rechtspflege: dafür setzt er aber einen anderen, weit nützlicheren und ftuchtbareren, ein:
den Begriff der Erziehung.
erfüllbares Ideal.
Es ist das zwar noch ein zurzeit un
Aber es würde sich in demselben Maße erfüllen,
als unser evangelischer Individualismus in das allgemeine Volks bewußtsein eindringt.
Verheißungsvolle Anfänge sind ja in dieser
Richtung schon vorhanden. - Ein radikaler, nicht religiös begründeter Individualismus dagegen steht den sozialen Anforderungen hilflos gegen
über. Gewiß kann auch er diese Forderungen anerkennen, sogar dafür ein
treten, meinetwegen sogar dafür schwärmen, aber das nur, indem er seine
prinzipielle, individualistische Lebensanschauung so lange beiseite stellt. Wir haben die Aufgabe, einmal den Individualismus in immer
weitere Kreise der Kirche und der Kultur hinein geltend zu machen,
zu rechtfertigen und gegen feine Auswüchse zu schützen, - dann aber auch positiv diesen bestimmt begrenzten evangelischen Individualismus
mit nüchternem Realismus und sozialem Verständnis in eine innere
Beziehung zu setzen zu den Wirklichkeiten des Lebens und der Not wendigkeit der Gemeinschaft.
Ich bin gewohnt, mir diese höhere Einheit von Idealismus und Realismus unter dem Begriffe der
„Innerlichkeit"
- die
Einheit von Individualismus und Sozialismus unter dem Begriffe der „Persönlichkeit" zu denken.
3u denken, sage ich.
Venn
ich mache nicht den anmaßlichen Anspruch, das Problem gelöst zu
haben, das schon Generationen beschäftigt.
Es ist eine Aufgabe, an
der wir alle mitarbeiten, zu der wir Beiträge liefern wollen.
Eine
Aufgabe - wie das obige Beispiel zeigt - von großer Weite und Tragweite, wenn sie auch hier auf eine scheinbar einfache Formel
gebracht ist. Keine Nation hat bisher in ihrem Gesamtempfinden diese Ein heit gefunden und dargelebt, haben wir voraus.
auch die deutsche nicht.
Eins aber
Wir haben in unserer Geschichte Persönlichkeiten,
in deren Leben und Denken das Problem und die Linien der Lösung vorgezeichnet erscheinen auf dem Gebiete des religiösen, ästhetischen und sittlichen Empfindens. Wir haben einen Luther, Goethe und Kant.
Es würde eine lohnende und fruchtbare Aufgabe sein, die Per
sönlichkeiten und Anschauungen dieser drei Heroen speziell unter den
aufgestellten Gesichtspunkten zu analysieren und aus dieser Analyse heraus in künstlerisch-frommer Intuition das Wesen deutsch-evan gelischer Innerlichkeit und Persönlichkeit zu erschauen und zu gestalten.
2. Charakter. Gleichwie der Individualismus, das Betonen der Einzelpersön
lichkeit, ihres Wertes und ihrer Rechte und Pflichten, ein Ertrag steigender Kultur ist, so nicht minder der Sozialismus, die Geltend
machung der Solidarität, der Zusammengehörigkeit, der Einheit des Menschengeschlechtes. Eins wie das andere hat wohl seine Wurzel in ursprünglicher
Veranlagung des Menschen.
Aber die sozialen Tugenden der Treue,
der Fürsorge, der Gerechtigkeitsliebe, der Aufopferungsfähigkeit, der Nächstenliebe bedeuten ein solches Maß von „Selbstüberwindung,
daß die Menschen immer wieder fragen und Anlaß und Recht haben zu fragen: welches sind die Kräfte, überwunden wird.
durch welche die Selbstsucht
Venn die Selbstsucht ist erfahrungsgemäß
der
stärkste Trieb im Menschen.
Daß dieser Instinkt der Selbstsucht oder der Selbstbehauptung auch eine starke Kraft zum Guten bedeutet, wollen wir nicht leugnen.
Das bekannte Schillersche Wort von dem hunger und der Liebe als den beiden Mächten, welche das Weltgetriebe zusammenhalten und vorwärtstreiben,
hat
seine Berechtigung.
Die
Entwicklung
der
materiellen Kultur stammt zunächst aus diesem Triebe der Selbst erhaltung und Selbstbefriedigung.
Aber die geistig-sittliche Kultur,
welche sich darauf aufbaut, findet ihren Adel in der Kraft der
„Selbstbeherrschung und in der Entfaltung idealer Mächte. Vie Ideale sind es, die ein Kulturvolk beherrschen und führen,
mag der Alltag mit seinen Brutalitäten es auch oft verbergen.
Und
die Selbstbeherrschung und Selbstlosigkeit, wie sie die christliche Lebens
anschauung von uns fordert, ist nichts anderes als die Beugung unter und die innere persönliche Hingabe an das Ideal.
Sobald
dieses Ideal in uns herrschend geworden ist, lebt in uns ein „höheres
Ich", das für sich ebensogut seine Rechte geltend macht wie das
sinnliche Ich.
Das höhere sittliche Tun ist dann auch nur ein Aus«
strömen und Auswirken in uns wohnender Triebkräfte,
die
sinn
lichen Triebe sind durch ideale sittliche Triebe ergänzt, veredelt oder überwunden.
Die Mutterliebe ist zunächst auch nur ein Trieb der sinnlichen
Natur und in ihren primitiven Lebensäußerungen ist sie manchmal von einer geradezu brutalen Selbstsucht.
Die Mutter liebt in dem
Kinde nur sich selbst und sie liebt zunächst nichts als dies ihr Kind.
Des Kindes Leid ist ihr Leid, seine Freude ihre Freude.
Rein in
stinktive Mutterliebe verwöhnt und verzieht das Kind, sie ist „Affen liebe".
Der höchste Beweis und die höchste Aufgabe der Liebe ist
die Erziehung.
Erziehung ist nicht möglich ohne eine Zielsetzung,
ohne ein Ideal.
Das Zukunftsbild, das die Mutter in ihr Kind
hineinlegt,
ist
der
miteinander erzieht.
eigentliche Dieses
Erzieher,
der
Mutter
und
Hittö
entscheidet über die Erziehungsmittel,
scheidet zwischen dem Notwendigen, Nützlichen, Gleichgültigen und
Schädlichen.
Vie einfachsten Formen des menschlichen Gemeinschaftslebens
seien zunächst aus dem bloßen Nützlichkeitstriebe entstanden.
Trotz
dem ist der GemeinschaftsgedanKe als solcher eine Kraft geworden
und übt seine Macht über die Gemüter.
Vie „Idee" des Vater
landes strömt immer wieder trotz aller Undankbarkeit des wirklichen
Vaterlandes einen Zauber aus.
Männer opfern ihr Blut, Mütter
ihre Söhne, für die sie zeitlebens gearbeitet und
gesorgt haben,
geben sie hin in einem Gefühle heroischer Begeisterung. Jede Stunde findet zu Tausenden ihre Helden.
Und keinem nüchternen Skeptiker
wird es gelingen, uns zu überzeugen, daß es nur Nützlichkeitssklaven gäbe und kein heroisches Tun, das für die Idee sich opfert.
Buch der hunger treibt zur Arbeit, gewiß! Pflichtgefühl leistet mehr.
Aber ein hohes
Dem nüchternen Menschen erscheint die
Arbeit als eine unliebsame Notwendigkeit, die man auf sich nimmt, um noch größeren und schlimmeren Übeln zu entgehen.
obachte etwa das Los eines modernen Fabrikarbeiters.
Man be Vas Gesetz
von Angebot und Nachftage regelt seine Arbeit, d. h. der hunger
zwingt ihn zu arbeiten, wo, wie und für welchen Lohn er eben
kann.
Er hat eine lange ermüdende Arbeitszeit, eine stets sich
wiederholende geistlose, ja stumpfsinnige Arbeit,
woher soll da die
Lust an der Arbeit kommen? Befriedigung und Freude könnte nur
solche Arbeit gewähren, die einmal frei gewählt ist und die zum
andern auch wertvoll erscheint.
Wo aber ist diese zu finden?
freie Berufswahl ist meistens nur scheinbar und
Vie
durch die soziale
Stellung der Eltern, durch vermögen, Fähigkeit usw. eng begrenzt. Aber selbst wo eine solche vorliegt, gilt diese Freiheit doch nur für
die ersten Schritte auf diesem Wege.
Bald ist der Beamte, der sich
seinen Beruf frei gewählt hat, im Vanne des staatlichen Mechanis
mus und der Bureaukratie noch viel unfreier als der Fabrikarbeiter.
Bildet doch das ungeheure Veamtenheer der Kulturvölker mit seiner
natürlichen Züchtung knechtischer Gesinnung stets das größte Hindernis
für eine freiheitliche Fortentwicklung unserer staatlichen und gesell-
schastlichen Zustände,
höchstens der freie Gelehrte und Künstler
könnten von einer natürlichen Freude an ihrer Arbeit reden.
Wir
kämen auf diesem Wege lediglich zu einer aristokratischen Hochschätzung der Kunst und Wissenschaft, wie sie für die modernen Prediger der
Lebenskunst, die nichts als Lebenskünstler sein wollen, charakteristisch ist! Demgegenüber ist nun geltend zu machen, daß gerade Freiheit und Wertschätzung durchaus subjektive Begriffe und Maßstäbe
sind, die auf dem Gefühlsleben des Menschen beruhen.
Und es
macht einen ganz fundamentalen Unterschied aus, wenn nun ein Mensch seine Arbeit, ganz gleichgültig,
ob sie ursprünglich frei ge
wählt war oder nicht, ob einer Minister oder Tagelöhner ist, unter
den Gesichtspunkt der religiös-sittlichen Pflicht stellt.
Da
wird ihm eben jede Arbeit zur Pflicht, d. h. er ergreift sie innerlich
aus freiem Entschluß seiner Gesinnung als seine von ihm nun selbst gestellte Aufgabe,
die er nach
besten Kräften zu lösen sucht.
unter solcher Arbeit entfaltet und festigt sich sein höheres Ich.
Und
Die
Arbeit als solche schafft keine Charaktere; aber sie befruchtet die Keime, die in uns liegen.
Die Arbeit ist der Acker, aus dem allein
ein Charakter wachsen und gedeihen kann, vorausgesetzt
natürlich,
daß nicht entgegenwirkende Ursachen - wie etwa übermäßige Arbeits zeit, ungenügende Entlohnung, unwürdige Behandlung usw. - den Segen der Arbeit wieder zerstören.
Ein Fluch aber ist es, ein
Zeichen der Ermattung und beginnender Unkultur, wenn in einem Volke die Freude an der Arbeit, zu der es sich selbst erzogen hatte, wieder schwindet. Damit ist zugleich auch das andere gegeben, daß diese Arbeit
ihren eigenen Wertmaßstab beanspruchen darf.
Sie wird durch das
sittliche Tun geadelt - wie sie und weil sie den Menschen adelt! - ohne Rücksicht darauf, ob sie äußerlich große Wirkungen und
Folgen hat oder nicht.
Ja noch mehr, auch diese Wirkungen und
Folgen erscheinen in einem anderen Lichte nach dem Maßstabe der natürlichen und sittlichen Weltordnung.
Was dort nützlich und wert
voll scheint, ist es hier noch nicht, was aber der Mensch in Erfüllung
seiner Pflicht tut, ob groß oder klein, ist für die sittliche Charakterbil dung des einzelnen nicht bloß, sondern auch für die sittliche Kulturent« Wicklung eines Volkes und damit der Menschheit von unberechenbarem
Werte und unendlicher Fortwirkung.
Er hat der Welt einen Cha
rakter gegeben, und größeres kann niemand der Welt geben. Denn was unserm Kulturleben fehlt, das sind nicht die Kräfte
der materiellen Produktion.
Gb einer als
winziges Glied der
Maschine mithilst, weitere materielle Güter zu produzieren, ist ohne
Belang.
Wir leiden ja längst an Überproduktion in jeder Hinsicht.
Wenn einer als Konsument etwas Tüchtiges leistet, so wird man das wohl auch keiner Hymne und Gde wert halten, obgleich zu zeiten auch die Schlemmer ihre Dichter gefunden haben.
Die Kultur
völker haben sich ja bereits am Überkonsum - es ist das leiblich so
wohl wie geistig gemeint — den Magen verdorben! was der Welt not tut-einzig allein neben dem Tausenderlei, das nötig sein mag
— das sind sittliche, in Freiheit sich entfaltende und auswirkende
Charaktere.
Gewiß, auch ein Charakter wird von den Umständen,
Verhältnissen und Zeitströmungen beeinflußt, gewandelt und gehemmt.
Über etwas behauptet sich in ihm von der Kraft, die die Dinge beherrscht und lenkt nach seinem Willen. Und wo ein einzelner Charakter zerrieben oder hinweggespült würde, eine Phalanx von
Charakteren bricht stets die Bahn und hält sie offen. Die Kulturaufgabe des Christentums ist es, kurz gesagt, der Welt Charaktere zu geben, welche sie in der Entwicklung zu einer
sittlichen, nicht bloß rechtlichen, zu einer brüderlichen Gemeinschaft hin vorwärts bringen.
Ein Ideal soll der Mensch in der Brust
tragen und überall hintragen, wohin er geht.
Ein religiös-sittlicher
Charakter, wohin er auch verschlagen werde, welche Urbeit auch unter seine Hände gerät, wird alles, sei es auch das allermateriellste, so
angreifen,
daß unter allen Umständen etwas Nützliches und
Höfener, Der Kampf ums 3d).
17
Förderliches für die Kultur der Menschheit daraus hervorspringen
wird.
Vas Bewußtsein soll der Kulturmensch in sich tragen, daß es
nur ein Bleibendes und wertvolles gibt: die Errungenschaft eines
sittlichen Charakters, nur ein Erbteil, das wir unsern Nachkommen als ein wirkliches Gut hinterlassen können: den Willen und die
Kraft, aus eigenem zu schaffen und aus sich selbst etwas zu machen, wie kann das Christentum, resp, die Kirche als die offizielle
Trägerin und verkündigerin der christlichen Lebensideale,
solchen
Dienst der Welt recht leisten? Nicht allein durch die Wortverkün
digung ihrer Ideale, nicht allein durch das erziehende Beispiel ein zelner christlicher Persönlichkeiten.
Sondern wesentlich dadurch, daß
sie in der christlichen Gemeinde gleichsam ein Asyl schafft für die
freie ungehemmte Bildung und Entwicklung religiös-sittlicher Cha raktere, gleichsam ein Freiland, in dem alle anderen Ziele zu
rücktreten, in dem das Ideal sozusagen in Reinkultur sich verkörpern und so in seiner überwältigenden Klarheit und Schönheit unverlier
bar in junge Rlenschenherzen sich hineinprägen kann,
hier fallen alle
Schranken, die Mensch von Menschen scheiden, hier gilt keine soziale Ungleichheit, gilt nichts Reichtum, Rmt und Macht, die sonst eine so große und oft hemmende Rolle spielen, hier gilt nur eins: der Mensch
schlechthin, der Mensch als Charakter, als Persönlichkeit! Über wie weit ist auch hier die Wirklichkeit vom Ideal entfernt! von der einen Seite heißt es: die Kirche ist eine Unterdrückerin der Freiheit und damit der Wahrheit.
Und doch macht die unbe
dingte Wahrhastigkeit und die ehrliche Hingabe an die Überzeugung
das eigentliche Wesen der Persönlichkeit aus.
Vie Kirche, weil sie
keine Lehr- und Glaubenssteiheit anerkennen will, unterdrückt die Persönlichkeit, das heiligste Recht des Individuums.
Wiederum wird ihr entgegengehalten, sie sei eine Klassenkirche, sie habe sich der Macht und dem Besitz verschrieben. Vie Kirche habe kein so
ziales Verständnis und Interesse und verleugne in der Praxis das Ideal der
allgemeinenvruderliebe, das sie predige; sie wolle herrschen, nicht dienen. Gewiß läuft bei diesen Urteilen viel Verblendung, Verkennung
und boshafte Verleumdung unter,
und es gibt umgekehrt weite
Kreise, welche der Kirche das Gegenteil zum Vorwurf machen,
daß
sie zu wenig strenggläubig sei und wiederum, daß sie zu sozial sei. Entspringen die letzteren vorwürfe aus einer rückständigen katho
lischen Kirchenauffassung oder aus einem brutalen Klaffenstandpunkt so lassen sich jene nicht so leicht beiseite schieben.
Vie großen Scharen
der Gebildeten sind der Kirche entftemdet, Millionen von Arbeitern haben ihr den Rücken gekehrt.
Auch die evangelische Kirche ist nicht, hier fehlt die Lehr- und Be-
was sie sein sollte und sein könnte,
kenntnisfreiheit,
dort die Kraft zu einer fruchtbaren Gemeinschafts
bildung, dort wiederum fehlt beides. Nur wo beides zu seinem Rechte kommt,
dürfen wir hoffen,
daß die evangelische Kirche sich ihrem Ideale nähert.
Kämpfen wir
um die Freiheit, - aber überschätzen wir sie nicht! Der Mangel an
Freiheit ist für die evangelische Kirche ein Unglück, vielmehr eine
schwere Schuld,
deren Fluch und Wirkung ja vor aller Augen ist.
Aber der Besitz der Freiheit bedeutet doch noch nichts positives, be deutet noch keine Kraft.
Sondern für sich bedeutet er Vereinzelung,
Zersplitterung, Willkür.
Die Überschätzung der intellektuellen Be=
dürfniffe ist in der evangelischen Kirche von jeher eine verhängnis volle Illusion gewesen.
Dieselben Menschen, die über Bevormundung
und Geistesknechtschast schreien, begeben sich fteiwillig oft in den äußersten Zustand geistiger Unmündigkeit und Abhängigkeit, ohne nur
daran zu denken, daß die Selbständigkeit des Urteilens und handelns eine Pflicht gegen sich selbst ist.
Nur der Zwang als solcher ist es, der
die Kirche verächtlich gemacht hat.
Darum heiße auch unsere Losung
unbedingte Lehr- und vekenntnisfreiheit. Wir verwerfen jede gewalt
same Unterdrückung der individuellen Überzeugung.
Über ist damit
irgend etwas geschehen für die Bildung religiös-sittlicher Charaktere? Die besagte Überschätzung intellektueller Bedürfniffe ist der Ent wicklung eines intensiven Gemeindelebens, besonders in der lutherischen
Kirche, hinderlich gewesen.
Lharakterbildung ist zu allerletzt eine
verstandesmäßige Entschließung zu dieser oder jener Weltanschauung!
Charakterbildung gestaltet sich
so:
Anschauung
eines
großen Ideals, das Gemüt und Willen gefangen nimmt; Ideals in der
Erprobung
dieses
lebendigen
Exempeln,
Gewöhnung
Wirklichkeit
an
Übung
in
und
eigener praktischer Betätigung! Wer auf die Pflege und
Ausgestaltung evangelischen Gemeindelebens verzichtet, der verzichtet
tatsächlich auf das wertvollste Mittel, aus der Kirche heraus einen nennenswerten Einfluß auf Kultur und Menschenleben auszuüben. Gemeindebildung und -pflege ist aber nicht möglich ohne gemein same Glaubens- und Lebensideale. Gemeindepflege heißt deshalb auch
zugleich pflege des gemeinsamen Glaubensbesitzes und
Erziehung der Jugend in dem Frömmigkeitsgut der Gemeinde. Nur das Leben selbst, das wir täglich leben, ist etwas
Reales und Ernsthaftes. Sittliches Leben aber wird immer nur geboren
aus dem Schoße der Vergangenheit.
Die Vergangenheit mag sterben,
aber nicht eher, als bis sie die Zukunst geboren hat. Wer der Ver
gangenheit blindlings absagt, tötet mit der Mutter auch das Kind. Für neue intellektuelle Probleme eine kleine Elite von Menschen zu interessieren, ist gewiß auch eine notwendige und dankenswerte
Aufgabe,
aber dazu bedarf es eigentlich keiner Organisation und
noch weniger würde aus solcher Arbeit eine lebensfähige Organi sation sich entwickeln können.
Der kirchliche Radikalismus wird da
her überall stets nur episodenhaft austreten können.
Fruchtbar aber
wird er trotzdem sein, wenn er dem kirchlichen Liberalismus in der
Kraft der Reaktion Antrieb gibt, diese doppelte Losung mit neuem Eifer und neuer Kraft zu erheben und zu verwirklichen.
Unbe-
dingteFreiheit der Lehre und intensive pflege eines
idealen evangelischen Gemeindelebens.
5. Humanität. Sobald die Liebe über den nächsten Kreis des Instinktes hinaus
will, wird sie beherrscht und geleitet von einem Ideal.
Kann ich
alle Menschen lieben?
Ist die allgemeine Nächsten- und Menschen
liebe etwas Natürliches, etwas Mögliches? Kann etwa der Missionar,
der nach Afrika geht, den Neger lieben, den er nicht kennt?
Er
liebt nicht den Neger, sondern er liebt die Idee, die ihn treibt, wenn nicht hierhin so dorthin!
Jesus liebt, weil er nicht anders
kann, darum liebt er auch den Feind, gegen den der natürliche
Instinkt sich aufbäumt.
Er liebt im Nächsten Gott und die Idee
der göttlichen Ebenbildlichkeit, darum kann er auch seine intimsten
Freunde, die er von Natur liebt, hart anlassen und seinen Petrus aufs härteste anfahren.
Er steht vor dem Menschen wie der Künstler
vor dem Marmorblock,
vor ihm schwebt ein Bild, das seine Seele
erfüllt.
Dieses Bild will Gestalt gewinnen.
(Es strahlt ihm entgegen.
Der tote Marmorblock wird lebendig, schlägt die Nugen auf und fleht den Künstler an: befreie mich aus meinen Banden, führe mich ans Licht,
offenbare mein innerstes Wesen, meine verborgene Schönheit. Die religiöse 3bee des Christentums ist nichts anderes als der
Glaube an diese verborgene Schönheit des Menschen,
der Glaube
an sein höheres Sch, seine höhere Bestimmung - biblisch ausge
drückt, der Glaube an die Gotteskindschast im Menschen, an seinen
Beruf für das Keich Gottes. Dieses Keich Gottes, die sittliche Gemeinschaft der Kinder Gottes, ist eben als eine sittliche Gemeinschaft unsere Ausgabe.
nächst und durch uns soll es verwirklicht werden.
3n uns zu
Vie Vollendung
unseres eigenen 3ch ist nicht möglich ohne die gleichzeitige Vollendung
des Gottesreiches.
Nur als eine sittliche Gotteskrast kann dieses
Gottesreich in uns erlebt werden.
ist Gott und die
Denn nur in seinen Wirkungen
Gotteswirklichkeit spürbar.
Darum kann auch
unsere Glaubensgewißheit nur wachsen in dem Maße, als wir der
sittlichen Kräfte in uns inne werden.
3n uns finden wir Gott.
haben wir ihn erlebt und gefunden in uns, wie sollte er nicht in allen Menschen sein? Vieser Gott in ihnen will ans Licht, sucht
seine Freiheit, seine Vollkommenheit. Die 3dee der Gottesherrschaft in der Welt zu erfüllen,
das ist die religiöse Pflicht des Christen.
dar als die Pflicht der Nächstenliebe.
Sie stellt sich in der Praxis
Diese Nächstenliebe aber be
griffen nicht als ein sentimentales Mitleid, nicht nur als ein Kämpfen
gegen die Übel, Leiden und Schmerzen der Welt, sondern wesentlich als die sittliche Erziehungsarbeit,
die einem jeden durch
seinen Lebenskreis nahegelegt wird. Es ist daher eine Pflicht sowohl gegen uns selbst als
auch
gegen den Nächsten, d. h. letzten Endes eine Pflicht gegen Gott,
unser sittliches Ideal und befielt Lebenskräfte in unserer engeren
und weiteren Umgebung, also in Familie, Schule, Gesellschaft und Staat
zur Geltung zu bringen.
Damit ist prinzipiell in den Individualis
mus die soziale Pflicht im weitesten Sinne ausgenommen.
Die Pflicht,
Familie, Schule, Gesellschaft, Staat so zu gestalten, daß sie der Entwick lung sittlicher Persönlichkeiten nicht hinderlich, sondern förderlich seien. Ohne Ausnahme des Gemeinschaftsgedankens, d. h. ohne religiöse Begründung, würde der Individualismus zu einem unfruchtbaren
Egoismus sich verengen und weiter nichts bedeuten als eine Recht
sprechung unkultivierter Instinkte. Genüge.
Die Praxis zeigt das ja zur
Bald in brutaler Rücksichtslosigkeit, bald in epikureischer
Genußsucht, bald in aristokrattscher Teilnahmlosigkeit macht sich das
Ich einseitig geltend.
3n der Theorie offenbaren ein Stirner und
Nietzsche die unheimliche, leben- und gemeinschaftzerstörende Kon sequenz eines religionslosen Individualismus.
Nach unserer Auffassung beruht das Gefühl der menschlichen
Solidarität, das Bewußtsein gegenseitiger Derantwortlichkeit, die An
erkennung gleichen Menschenwertes, der Wille zu sozialem Wirken auf dem Jnnewerden gleicher Bestimmung.
Die Lebensanschauung,
das religiös-sittliche Ideal ist es, das die Menschen eint.
Das ge
meinsame „Wohin" ist es, das sie zu Brüdern macht.
In der antiken Welt galt nur der Bürger als Dollmensch, nicht das Veib und der Sklave, und nicht der Ausländer oder Barbar,
weil für sie der Staat der höchste Begriff, das höchste Ideal war. Erst in der Seele Jesu von Nazareth leuchtete das Morgenrot einer
neuen Menschheit auf.
(Er hat eine höhere und umfassendere Vor
stellung von dem Wesen des Menschen und der Einheit des Menschen geschlechts, weil ein klarer bewußter Glaube in ihm lebte an die
gemeinsame Bestimmung aller Menschen zu Rindern Gottes, weil in
ihm lebte der Glaube an das Himmelreich, das seinem Mesen nach überweltliche und doch in der Welt sich verwirklichende Reich Gottes
und die Bestimmung aller Menschen für dieses Gottesreich.
Und wenn heute der Humanitätsgedanke mancherlei hoffnungs reiche Triumphe feiert, Thristentums.
so ist das
ohne Zweifel eine Frucht des
Und es sind nicht nur leidenschaftliche Enthusiasten
wie Tolstoi, sondern auch nüchterne deutsche Gelehrte wie h. Weine!
(„Jesus im 19. Jahrhundert"), die es mit der intensivsten Überzeugung betonen, daß wir in dieser Entwicklung der brüderlichen Gemein schaft, wie sie durch das Evangelium eröffnet ist, mitten drin stehen, freilich unter heißen Kämpfen, vielerlei Rückfällen und tausenderlei
Rückständen einer minderwertigen Kultur, Weinel,
„heute bereits", schreibt
„fängt die Welt an, über das Recht nach allen Seiten
hinauszugehen".
Ibsens Notschrei: „Ich höre ja auch jetzt, daß die
Gesetze anders sind, als ich glaubte; aber daß die Gesetze gut sein
sollten, das will mir nicht in den Kopf.
Eine Frau sollte also nicht
das Recht haben, ihren alten sterbenden Vater zu schonen oder ihren
Mann zu retten!" und Tolstois flammende Worte verhallen heute
nicht mehr ungehört.
worden und
Unser Recht ist mit dem Polytheismus ge-
gewachsen und entspricht zumal als römisches Recht
noch vielfach der Wertung von Menschen und Dingen, wie sie die polytheistische Sittlichkeit hat.
Mit seinem Glauben aber wirst der
Mensch den Rnker weit hinaus nach dem fernen Ziele seiner eigenen
Zukunft, mag er nun an den Vater im Himmel oder an den Über menschen glauben.
Und wir sind schon mitten drin in der Um
bildung unseres Rechtes nach den Zielen unserer Sittlichkeit zu.
erst mußte sich der Strafvollzug ändern; die Vergeltung,
Zu
die er
bringen sollte, wird langsam beseitigt durch die Gesichtspunkte der
Erziehung: Arbeit, Schule, Kirche nehmen sich des Gefangenen an,
ihn wieder zu heben.
Erziehung ist aber eine Tat sittlicher Liebe
und ganz ferne von Vergeltung.
Durch sie vergilt man dem Ver
brecher recht eigentlich im Sinne Jesu Böses mit Gutem! Strafvollzug wird das Strafrecht langsam nachfolgen.
Dem
Schon sind
die Füße derer vor der Tür, die es hinaustragen wollen.
Den
Krieg, wie ihn frühere Jahrhunderte geführt haben, sehen wir als Frevel und schreiende Untat an.
Mochten unsere Nichts-ak-Macht-
politiker argumentieren wie sie wollten, unser Volk und mit ihm fast ganz Europa hat auf feiten der Buren gestanden, aus dem
Glauben heraus,
datz ihr Kampf lediglich Notwehr gewesen sei.
Und der Friedensgedanke macht immer größere Fortschritte, gewiß nicht bloß deshalb, weil die Folgen auch eines siegreichen Krieges heute unübersehbar schlimm wären, sondern wirklich weil wir an
fangen, über den Krieg innerlich hinauszuwachsen.
Überall sieht,
wer Bugen hat zu sehen, langsam, sehr langsam eine neue höhere Stufe des Völkerlebens sich anbahnen.
Gewiß werden Staat und
Recht nie ganz verschwinden, weil die Menschheit immer Organisation
braucht, aber sie werden nur als ganz untergeordnete Nothilsen übrig bleiben, nicht mehr als das Götterpaar, das keinen andern
Gott neben sich duldet.
Rm Gottesglauben Jesu werden wir auch
über unsere polytheistische Stufe des Gesellschastslebens hinauswachsen.
Das sind ferne, unendlich ferne Ziele,
über sollen wir sie aufgeben
und an ihnen zweifeln, weil sie hoch und ferne sind?
Nein, wehe
uns, wenn unser Glaube und unser Wille am Boden schleichen und nur sehen, was vor Rügen ist." Die religiös-sittliche Lebensanfchauung, die uns das Ehristen-
tum darreicht, adelt den Menschen.
Die sittliche Persönlichkeit in
ihrer sittlich begründeten Freiheit und Selbstbestimmung macht das eigentliche Wesen des Menschen aus.
In der Erfassung und Ge
staltung des religiös-sittlichen Ideals weiß er sich als eine für sich seiende Persönlichkeit.
Dieses Ideal, das Wohin und Wozu
entscheidet über seine Lebensgestaltung, es entscheidet auch über die Lebensgestaltung
der Gesamtheit, wenn auch
nicht von heute zu
morgen.
Der Glaube an eine gleiche Bestimmung, an ein gleiches
Menschenideal eint auch die Menschen und überwindet die Instinkte der bloß natürlichen Selbsterhaltung und Selbstbefriedigung, weil ein
religiös-sittlicher Mensch eben auch seine Selbstbefriedigung nicht mehr
in den bloßen Trieben der Natur findet. Vern gegenüber scheint mir die Weltanschauung von geringerem Belang zu sein.
Für mich ist auch Jesus zuerst der Bringer eines Und die begriffliche Gottesvorstellung selbst
neuen Menschenideals.
pflegt doch erst eine Folge und Spiegelung unseres Menschenideals zu sein,
wohlverstanden - die begriffliche Vorstellung, nicht das religiöse
Empfinden und Erleben.
Dieses geht mit dem sittlichen wollen stets
Hand in Hand, soweit es sich um ein ursprüngliches Gewinnen sittlicher
Ideale handelt und nicht etwa bloß um ein herübernehmen und Bewahren sittlicher Elemente aus pietäts- oder Nützlichkeitsgründen.
Diese Selbständigkeit unserer religiös-sittlichen Überzeugung gegenüber den wechselnden Erkenntniffen und Ergebnissen der Natur-
wiffenschaft und Philosophie ist wichtig. Die Energie und das Geltungs maß dieser religiös-sittlichen Überzeugung entscheidet über die Lebens
dauer eines Volkes,
hier handelt es sich einfach um das tägliche
Brot. Der Materialist beklagt sich gern darüber, daß man ihm die
Schädlichkeit und Verderblichkeit seiner Theorien vorhalte, anstatt über die Richttgkeit und Wahrheit derselben mit ihm zu diskutieren.
Aber eine Weltanschauung, die keinen Raum läßt für ein religiöses
Erleben und ein sittliches Wollen, ist für mich nicht diskutabel. Denn mein inneres Erleben und wollen ist das Allererste, was ich
als wirkliche Erfahrungstatsache und wirklichen Lebenswert gelten laffen und behaupten muß. Wenn ich dieses auflöse, so bleibt über haupt nichts Reales und Sicheres bestehen, am allerwenigsten eine naturalistisch-mechanische Welterklärung, die leicht jeder mit tausend
Fragezeichen versehen kann.
Mit den Mitteln einer kritischen Er
kenntnistheorie komme ich dann unfehlbar zu einem Punkte, wo ich
ehrlicherweise sagen muß: es gibt für den Menschen überhaupt keine
einigermaßen sichere und zuverlässige Erkenntnis.
Wie Ld. v. hart-
mann in seiner „Religion des Geistes" gegen die Verabsolutierung
der Natur bemerkt: „Und doch bedarf es nur so geringen Besinnens,
um sich einzugestehen, daß alles Natürliche an jedem Punkte auf über
natürlichem fußt und in übernatürliches mündet,
predigt doch jedes
Atom der Natur feine übernatürliche Abkunft und Wesenheit, und mündet doch jeder Moment des mechanischen Prozesses in innerliche Empfin
dung, die den Willen zweckvoll bestimmt."
Mit einem Worte: streiche
ich meine inneren religiös-sittlichen Erfahrungen, so bleibt — theore tisch: der absolute Zweifel - praktisch: das absolute Gehenlassen!
Anders als mit diesem materialistischen Monismus steht es mit dem idealistischen Monismus.
Interests des Idealismus.
Er teilt mit uns das gleiche praktische Ja, er will dem Ehristentum grade da
durch gefährlich werden und es seinerseits dadurch ablösen, daß er
behauptet, die religiös-sittlichen Bedürfnisse des Menschenlebens bester befriedigen zu können als das Ehristentum.
Nach Fichte haben vor
allem Schopenhauer und Ed. v. Hartmann, auch mit einigem Schwanken
der Rüste Tolstoi (vgl. Band I meiner „Modernen Propheten") diesen idealistischen Monismus vertreten. Während es bei den materialistisch
glaubenden Monisten, wie Büchner und Häckel, heißt: Das Kll-Eine
ist die Materie und außer der Materie und ihren Funktionen ist
nichts, - so heißt es hier: Der Geist ist das All-Eine und die Materie nur Erscheinung und Funktion des Geistes. Die Individuen
sind nur eine Ausstrahlung des Allgeistes.
Diese Rraftwirkungen
erscheinen uns wohl als gesonderte Einzelexistenzen, sie sind es aber in Wirklichkeit nicht, so wenig wie der Regenbogen ein greifbar
Reales ist, wenn es uns auch so erscheint.
„Nicht der Mensch sinkt,
wie Bölsche sich ausdrückt, sondern die Materie steigt."
Denn: „Da
das unmittelbar gegebene subjektiv Rätselhafte des Menschen (das für uns noch unmöglich ist, als solches anzutasten) bestehen bleibt, so folgt damit ein heraufrücken der Materie, wie es gewaltiger gar
nicht zu denken ist," 3n die religiöse Sprache übersetzt: Der Mensch ist in das Gött
liche ausgenommen.
Jede Fremdheit zwischen Gott und mir ist auf-
gehoben; ich bin „er" und „er" ist ich; ich bin Geist von seinem Geist, Leben von seinem Leben.
Gott und Menschheit ist eins.
Dieses Bewußtsein „schafft nun auch den Willen und das vermögen, gottinnig zu denken, zu fühlen und zu handeln und alle endlichen
Aufgaben des irdischen Lebens in göttlichem Lichte zu verklären" (Hartmann).
3n diesem Bewußtsein gibt es nichts Natürlicheres als
die wahre selbstlose Nächstenliebe.
Ich und du, warum wollen wir
uns scheel ansehen, uns gegeneinander erzürnen, uns etwas miß gönnen, du bist ja ich, und ich bin ja du, wir sind eins in dem
All-Einen.
Ach, daß der Schleier der Maja, der Schein und der
Irrtum zwischen den Menschen zerriffe, sie würden erkennen, daß
ein jeder im andern letzten Endes sich selbst liebt.
„Wie ich als
Einzelmensch mein Auge, mein herz liebe als unentbehrliche Teile
meines Ichs, so die Menschheit alle ihre Glieder, jeden Menschen, ob hoch oder gering, ob nah oder fern, ob stammverwandt oder
bloß menschenverwandt" (W. Bölsche, Goethe im 20. Jahrhundert) *). Wer selbst religiösen Empfindens fähig ist,
kennen wollen,
daß dieser Anschauung
Innerlichkeit innewohnt. religiöse verlangen
wird nicht ver
die Möglichkeit religiöser
Mit Gott eins sein, ist das eigentlich
und das Ursehnen der Menschheit,
Fichte in seiner Ethik
Nachdem er das unsichere und vergebliche Suchen nach Zielen
geschildert hat,
wie dem
einen ergreifenden Ausdruck gegeben hat.
heißt es:
Täuschung befinden sie sich,
endlichen
„3n welcher bejammernswerten
wenn sie dergestalt
die Seligkeit in
etwas anderem suchen als in dem, was sie schon hier so nahe um
gibt, daß es ihnen in der ganzen Unendlichkeit nicht näher gebracht werden kann, in dem Ewigen.
So irrt der arme Abkömmling der
Ewigkeit, verstoßen aus seiner väterlichen Wohnung, immer um geben von seinem himmlischen Erbteile, nach welchem seine schüchterne
Hand zu greifen bloß sich fürchtet, unstet und flüchtig in der Wüste ■) Man beachte die völlige Hilflosigkeit, die dazu zwingt anstelle der konkreten Individuen den abstrakten Begriff „Menschheit" einzusetzen und dann diesem abstrakten Begriffe di« Eigenschaft der Liebe beizulegen.
umher, allenthalben bemüht, sich anzubauen, zum Glück durch den
baldigen Einsturz jeder seiner Hütten erinnert, daß er nirgend Ruhe finden wird als in seines Vaters Haus". Aber trotz allem können wir nicht zugeben, daß erst der phi
losophische Monismus dem religiös-sittlichen Leben seine Entfaltung ermögliche und irgendwie eine Höherentwicklung des religiös-sittlichen Lebens garantiere,
was das religiöse Linheitsgefühl betrifft, so
haben ja zahlreiche Mystiker und Asketiker des Buddhismus und des Christentums, auch ohne die Theorie des Monismus zu kennen, es versucht, die Materie zu überwinden, sie als Schein zu behandeln
und über die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, über die Geistesgemeinschaft mit Gott hinauszudringen, um in verzehrenden Ekstasen eine wesenhaste Vereinigung mit dem göttlichen Urgründe als tatsächlich zu erleben. Sie konnten es immer nur in Momenten der Verzückung, in Stunden, wo sie „außer sich" waren. Vie (Quelle und Urast dieses Erlebens war und ist stets die Erregung des Ge fühlslebens, und der philosophische Monismus ist da lediglich Be
gleiterscheinung.
Ebensowenig kann ich von diesem Monismus eine
sittliche Trieb- und Spannkraft erwarten, wie das z. B. Ed. von Hartmann in unbewachten Augenblicken selbst rückhaltlos zugibt.
Eine logische Uonsequenz von weittragendster Bedeutung für das Gesellschastsleben der Menschen hat allerdings der Monismus, eine
Uonsequenz, die Tolstoi aus seinem Monismus auch ganz richtig ge zogen hat, die aber nur wenig Monisten ihm praktisch nachmachen.
Diese Uonsequenz ist in sozialer Beziehung der Kommunismus in
Gütergemeinschaft und Verleugnung aller individuellen Rechte, in
politischer Beziehung die Anarchie mit allgemeiner Verbrüderung. In der Praxis aber läßt die Lehre, daß wir im Grunde alle
wesenhast eins sind und darum leicht und gern einander lieben
müßten, den Egoismus vollständig unberührt.
Kein Wunder.
Venn
diese wesenhafte Einheit aller Menschen und aller Kreatur kann kein
Mensch außer in jenen krankhaften Zuständen der Ekstase erfahren.
Und was jene Ekstatiker erfahren und empfangen haben, ist die
„Süßigkeit und Seligkeit der Ruhe in Gott", das ist aber nicht das klare und kraftvolle Wollen einer sittlichen Persönlichkeit, die sich um Gottes willen in den Dienst des Nächsten stellt.
Trotz aller Sympathien, die seine Vertreter uns abgewinnen,
müssen wir doch auch vom idealistischen Monismus sagen: Tr setzt sich in Widerspruch mit der Wirklichkeit. Löst der Materialist alles Geistige in Schein auf, so der Idealist alles Materielle. Vas mensch
liche Individuum selbst ist nur Schein.
Tr leugnet, - d. h. wenn
er überhaupt ein Monist ist! - seine eigene Wesenhaftigkeit.
Kn
dieser notwendigen Zuspitzung kommt der Monismus immer wieder zu Falle, denn damit setzt er sich in den härtesten Widerspruch mit
aller Erfahrungswirklichkeit.
Vas Bewußtsein meiner „selbst" ist
die ursprünglichste, sicherste und stärkste Gewißheit, die ich besitze.
Sobald der Monist mit der Wirklichkeit Ernst macht, fällt er auf Schritt und Tritt, wie das neuerdings wieder Weiß in seiner Schrift
„Monismus, Monistenbund usw." kurz und treffend gezeigt hat, in
den verpönten Dualismus zurück.
Was hilft es denn, die Grenzen
der Wissenschaft zu vertuschen? Wir können von der blassen Idee
der Identität, der Einerleiheit aller Dinge — das ist der religiös
sittliche Kern des Monismus - nichts erwarten, was uns nicht kon kreter, wirklichkeitserfüllter und daher wirksamer, die christliche Idee der Gottesgemeinschaft, des Gottesreiches, der
Gemeinschaft religiös-sittlicher Persönlichkeiten schon längst gegeben hätte.
Und wenn das Thristentum sich mit der Idee begnügt, daß ich und du Kinder Gottes seien, um aus diesem religiösen Verhältnis die sittliche Forderung christlicher Bruderliebe abzuleiten, so hat diese
Idee bei aller menschlichen Verzerrung und Unvollkommenheit bereits eine so große gewaltige Geschichte hinter sich und dabei noch eine
so große weite Perspektive an Hoffnungen und Aufgaben vor sich, daß es uns geradezu als ein Unrecht erscheint, nach Surrogaten
zu suchen.
Nietzsche
und der christliche Individualismus
b Der Ville M Macht. I.
Schon in seiner Lrstlingsschrist, der
„Geburt der Tragödie",
erscheint als das beherrschende Problem bei Nietzsche das der Lebens
bejahung.
von Anfang an kommt für Nietzsche keine andere als
eine aristokratische Lösung des Nulturproblems in Frage.
Allmählich
nimmt seine Überzeugung eine philosophische Form an, wie er sie in dem „willen zur Macht" geprägt hat. Über das erste Auf
tauchen dieser Vorstellung berichtet seine Schwester aus ihrer Er innerung an eine Erzählung Nietzsches.
Als Nrankenpfleger im
deutsch-französischen Kriege kommt er einmal abends nach entsetzlicher Wanderung über die Schlachtfelder, das herz von Mitleid fast ge
brochen, in eine kleine Stadt, durch welche eine Heerstraße führte. Als er um eine Steinmauer biegt und einige Schritte vorwärtsgeht,
hört er plötzlich ein Brausen und Donnern, und ein wundervolles Reiterregiment, prachtvoll als Ausdruck des Mutes und Übermutes eines Volkes, flog wie eine leuchtende Wetterwolke an ihm vorüber.
Der Lärm und Donner wird stärker, und es folgt seine geliebte
Feldartillerie im schnellsten Tempo - ach, wie es ihn schmerzt, sich nicht auf ein Pferd werfen zu können, sondern tatenlos an dieser
Mauer stehen bleiben zu müssen! Zuletzt kam das Fußvolk im Lauf schritt : die Augen blitzten, der gleichmäßige Tritt klang wie wuchtige Hammerschläge auf dem harten Boden.
Und als dieser ganze Zug
an ihm vorüberstürmte, der Schlacht, vielleicht dem Tode entgegen, so wundervoll in seiner Lebenskraft, in seinem Kampfesmut, so voll
ständig der Ausdruck einer Raffe, die siegen, herrschen oder unter«
gehen will, - da fühlte er, daß der stärkste und höchste Wille zum Leben nicht in einem elenden Ringen ums Dasein zum Ausdruck
kommt, sondern als Wille zum Kampf, als Wille zur Macht und Übermacht. - vielleicht ist es eine Erinnerung an diese Episode, wenn
„Ein Fürst an der Spitze seiner
er später im Antichrist schreibt:
Regimenter, prachtvoll als Ausdruck der Selbstsucht und Selbstüber hebung seines Volkes . . Darstellung
oder wenn er sich vornimmt, in der
dieses Problems
mit
Vorliebe
militärische
Ausdrücke
zu wählen. Es tritt hier deutlich der ästhetische Charakter des Nietzscheschen
Moralprinzips zutage.
„Ist es denn verboten, fragt er in der
Morgenröte, den bösen Menschen als eine Landschaft zu genießen,
die ihre eigenen kühnen Linien und Lichtwirkungen hat?" Es ist lediglich
Grundprinzip führt.
der Geschmack,
der ihn zu seinem ethischen
(Es ist ihm gleichgültig, ob man diesen Ge
schmack gut oder schlecht nennt-es ist sein Geschmack.
Er empfindet
nun einmal so, die stolzen Naturen haben ihr Besonderes. Urteil ist mein Urteil, Recht".
„Mein
dazu hat nicht leicht auch ein andrer das
Es ist der bekannte Nietzschesche Individualismus und radi
kale Aristokratismus.
Das Verhängnis für seine Ethik ist nun aber dies, daß Nietzsches Geschmack ein reaktionärer, negativer ist.
soll nur die Sonderheit ausmachen,
Das Edle am Menschen
daß er einen seltnen und
singulären Maßstab gebraucht, der anderen fast als Verrücktheit er
scheint, daß er die Gefühle der Hitze hat in Dingen, welche sich für alle anderen kalt anfühlen usw.
Sollte darüber die Kegel, das Ge
wohnte gegenüber der Ausnahme aber zu kurz kommen, so könnte
vielleicht die letzte Form und Feinheit des Edelsinnes die sein, wieder Anwalt der Regel zu werden. So ist ihm sein ethisches Grundprinzip „der Wille zur Macht"
aus dem Gegensatz zu der herrschenden christlichen Moral entstanden. Denn diese hat er nie anders begriffen denn als Lebensverneinung,
Selbstverleugnung, Selbstverstümmlung, Selbstentäußerung, als Mit-
leid und sentimentale oder hinterlistige Liebe zu den Bedrückten,
als Weltflucht und lveltoerachtung —
verkümmerten,
Entarteten,
So mußte die
Selbstsucht aus den Thron gesetzt,
die Härte und
Herrschsucht gepriesen und die Liebe zur Erde verherrlicht werden. Und wenn jene Weltverneinung auch in seinem Lehrer Schopenhauer einen Fürsprecher und Lobredner gefunden hatte, um so schlimmer, selbst diesen edlen Geist hatte das Christentum trotz seiner Einsamkeit
angesteckt.
Welche Gefahr, welche Warnung, vorsichtig, mißtrauisch,
hart und rücksichtslos zu sein! So stellt er dem Schopenhauerschen „Willen zum Leben", dem
Prinzip der Weltverneinung, seinen „Willen zur Wacht" gegenüber als den intensivsten Ausdruck der Lebensbejahung.
Die Frage nach dem Wert des Lebens — hier liegt der Ur sprung des Pessimismus — will Nietzsche ganz ausgeschaltet wissen,
soweit es sich um Nützlichkeit und Glücksmöglichkeit in der Welt handelt.
Wan kann mit der Nützlichkeit niemals die Notwendigkeit
der Existenz verständlich machen.
Nein, da würde sich Wolke auf
Wolke über den Geist wälzen, bis endlich der Wahnsinn predigte: „Alles vergeht, darum ist alles wert zu vergehen", und sein Fabel lied ertönte: „Es sei denn, daß der Wille endlich sich selber erlöste
und Vollen zu Nicht-Wollen würde."
Einen Willen zum Leben gibt
es nicht, denn was noch nicht lebt, kann nicht wollen, und was
schon lebt, braucht das Dasein nicht mehr zu wollen.
Weg führt
Zarathustra von diesen und anderen Zabelliedern, wenn er lehrt:
„Der Wille ist ein Schaffender."
Alles
„Es war"
ist ein Bruch»
stück, ein Rätsel, ein grauser Zufall — bis der schaffende Wille dazu sagte: „Aber so wollte ich es!" — bis der schaffende Wille dazu sagt: „Aber so will ich es!
So werde ich's wollen!"
Der naive
Leser des Zarathustra merkt kaum, daß unter diesem hohen Pathos und dieser poetischen Verklärung ein ganz hausbacknes Stück aus
dem Altväter-Hausrat verborgen ist,
das mit prosaischem Namen
heißt: „Gute Miene zum bösen Spiel machen."
schafft hier ja gar nicht, er sagt nur „ja".
Denn der Wille
Aus diesem „Jasagen
zum Leben" kann allerdings eine Frucht hervorwachsen, wenn ein
positives Ideal befruchtend darüber schwebt,
„hat man sein Warum?
-es Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie."
Dieses Wozu
zu schaffen, diese höchste Betätigung des Willens zur Macht ist aber
Sache der Wenigen, vielleicht nur des Einen! Aber jeder Mensch bedeutet eine Äußerung dieses Willens. Er
hat die Naturgewalten sich untergeordnet, er hat seine eigene Wild
heit und Zügellosigkeit bezwungen.
Welches (Quantum von Macht
stellt ein Mensch dar im vergleich zu einem Vormenschen, so wiederum jeder Mensch höheren Ranges im vergleich zu den unter ihm stehen den.
Das Leben ist wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung
des Fremden und Schwächeren.
Der Mensch will wachsen, um sich
greifen, an sich ziehen, Übergewicht gewinnen.
AIs Theorie, meint
Nietzsche, mag dies neu sein, aber als Wirklichkeit sei es das Ur
faktum aller Geschichte.
Er versucht denn auch, in allen Lebensäutzerungen des Menschen diesen Willen zur Macht zu entdecken, — und müßte er ihn erst
gewaltsam hineininterpretieren.
3n ihm ist der Ursprung und Fort
bestand der Religion begründet, richtiger in dem Mangel seiner Be tätigung, in der Schwäche, in dem Wunsche mit eines Gottes Hilfe zu herrschen.
Nur im vrahmaismus und Mohammedanismus ist es
die aktive Seite dieses Willens, die religionsschöpferisch war.
Auch
die scheinbare Selbstentäußerung der Asketen war nichts anderes.
Der Triumph des Asketen über sich selber, sein dabei nach innen gewendetes Auge, diese letzte Tragödie des Triebes nach Auszeich nung, bei der es nur noch eine Person gibt, welche in sich selber
verkohlt, — „in der Tat, das Glück als das lebendigste Gefühl der Macht gedacht, ist vielleicht auf der Erde nirgendwo größer gewesen
als in der Seele abergläubischer Asketen".
Auch die Moral ist ein Ausdruck des Willens zur Macht. Der
moderne „Altruismus", die Pflege der Humanität ist ein Trieb der Furchtsamkeit, alles Gefährliche soll dem Leben genommen werden. Mit dem Wohltun übt man seine Macht an anderen aus. Köfener, Der Kampf ums Ich.
Wenn
33
wir jemand leiden sehen, so benutzen wir gern die Gelegenheit, Besitz von ihm zu ergreifen. Mitleid ist wesentlich Aneignung.
und Tadel sind Äußerungen des Machtwillens.
Lob
Dankbarkeit ein
Akt der Rache, durch den der Mensch das Bewußtsein eines Macht besitzes sich rettet.
3n der Wissenschaft und Philosophie derselbe
Mille, denn alles Seiende will er erst denkbar machen. Um sich wenigstens den Anschein von Macht zeitweilig zu schaffen,
Doch hat Nietzsche von den
bedient der Mensch sich der Kunst.
Scheinkünstlern, „den Artisten", den wahren Künstler unterschieden. Sein Rauschgefühl ist tatsächlich ein Mehr von Kraft.
Seine „Ver
schönerung" des Lebens ist der Ausdruck eines siegreichen willens, eines hohen Machtgefühls.
Vie Künstler sollen nichts so sehen, wie
es ist, sondern voller, einfacher, stärker:
dazu muß ihnen eine Art
Jugend und Frühling, eine Art habitueller Rausch im Leben eigen
sein.
Vas Wesentlichste an der Kunst ist ihre Daseins-Vollendung,
ihr hervorbringen der Vollkommenheit und Fülle, Kunst ist Bejahung, Segnung, Vergöttlichung des Daseins.
Die Vollkommenheit
aber:
das ist die außerordentliche Er
weiterung des Machtgefühls, der Reichtum, das notwendige Über schäumen über alle Ränder.
Bei diesem rein formalen Begriff der „Vollkommenheit" tritt natürlich der Inhalt zurück.
erscheinen
als
die
Geschlechtstrieb, Rausch, Grausamkeit
stärksten, mächtigsten,
herrschsüchtigsten Triebe.
Zumal der Grausame genießt den höchsten Kitzel des Machtgefühls.
Je mehr das Gefühlsleben Nietzsches erkrankt, desto mehr sieht er überall die Triebe der Grausamkeit.
Fast alles, was wir „höhere
Kultur" nennen, beruht ihm auf der Vergeistigung und Vertiefung
der Grausamkeit.
Selbst im Erkennen-Wollen findet Nietzsche einen
Tropfen Grausamkeit.
Der Verbrecher wird schließlich zum Helden
und zur Präexistenzform des Täsar.
ist ein Akt der Rache.
Jede Selbstanklage des Christen
Das jüngste Gericht selbst ist noch der süße
Trost der Rache. Der Wille zur Macht ist für Nietzsche das sittliche, das heißt
das scheidende Grundprinzip, wie er es in einem Briefe an seine Schwester deutlich ausspricht: „Ich unterscheide vor allem starke und
schwache Menschen, solche, die zum herrschen, und solche, die zum Dienen und Gehorchen, ,zur Hingebung' berufen sind, was mich an dieser Zeit anekelt, ist die unsägliche Schwächlichkeit, Unmännlich keit, Veränderlichkeit, Gutmütigkeit, kurz, die Schwäche der.Selbst'«
sucht, die sich gar noch als .Tugend' drapieren möchte,
was mir
bisher wohlgetan hat, war der Anblick von Menschen eines langen
Willens — die jahrzehntelang schweigen können und sich nicht ein
mal deshalb mit moralischen Prunkworten
aufputzen,
etwa
als
.Helden' oder ,(Edle', sondern die ehrlich sind, an nichts besser zu glauben als an ihr .Selbst' und ihren Willen, dasselbe den Menschen
einzudrücken für alle, alle Zeiten.
Was mich an Richard Wagner
anzog, war dies; insgleichen lebte Schopenhauer nur in einem solchen Gefühle....
Ich weiß vielleicht besser als irgend jemand, auch
noch unter den starken Menschen Rangordnungen zu machen nach der Tugend; so gewiß unter den Schwachen es noch hundert Arten
und sehr artige und liebenswürdige gibt — gemäß den Tugenden, die den Schwachen zukommen.
(Es gibt starke .Selbste', deren Selbst
sucht man beinahe göttlich nennen möchte (z. B. die Zarathustras) — aber jede Stärke ist schon an sich etwas für den Blick Labendes und Beseligendes."
Aus diesen Worten geht aber wieder deutlich
hervor, daß es nicht so sehr die nüchterne Beobachtung der ihn um gebenden Welt, sondern die Selbstbetrachtung ist, die ihm
Maßstab gegeben hat.
die Umgebung hineingelegt.
Bedenken,
diesen
von sich aus hat er den Gedanken dann in
(Es kommen ihm zwar auch einmal
ob er wohl für seinen individuellen und
persönlichen
Maßstab eine solche Allgemeingültigkeit beanspruchen dürfe: „Gesteh
dir doch ein,
was dieser Wille zum Schaffen ist — Herrschsucht,
welche sich nicht auf dem nächsten weg befriedigen kann. .Freunde?‘ Du willst Werkzeuge haben!" — (Er gesteht sich's auch ein.
(Er
apostrophiert seine Freunde: „Lieb' ich euch? — So liebt der Reiter
sein Pferd: es trägt ihn zu seinem Ziele."
Aber trotzdem: „das
psychologische Kunststück dieser Jahre war, über einen furchtbaren Abgrund zu gehen und nicht hinunterzublicken!"
II. So schreitet er fort zu einer neuen Taxation des Menschen, wir haben nach seiner Meinung zwar eine ungeheure Kraft moralischer
Gefühle in uns, aber sie stehen unter sich im Widerspruch:
stammen aus verschiedenen Gütertafeln. biniert werden.
Vas Leben muß
sie
Sie müssen einheitlich kom
Stil bekommen.
Diese höchste
Tendenz soll schon fortwährend im kleinen dargestellt werden. Voll kommenheit, Reise, rotbäckige Gesundheit, mildes Ausströmen von
Macht,
wie ein Künstler an dem Tagewerk arbeitet, so sollen wir
an jedem Werke uns zur Vollkommenheit bringen.
Deshalb ist
jetzt mehr als je ein Ziel nötig, eine Liebe, eine neue Liebe.
3m
Bilde des Übermenschen sucht Nietzsche ein solches Ziel zu schaffen.
Aber dieses Bild zersetzt sich ihm bald wieder und es bleibt ihm
dann nichts als die Negation. Der Wille zur Macht als angebliches Naturgesetz wird ihm zur Rechtfertigung einer winzigen exklusiven Aristokratie, die bei dem
instinktiven Geltendmachen ihrer selbstsüchtigen und herrschsüchtigen Triebe ein gutes Gewissen bekommen soll.
Viesen Maßstab in der
Hand, macht sich Nietzsche zum Kritiker unserer Kultur, die er als
eine Dekadenz-Kultur, als eine Kultur der Schwäche, des nieder
gehenden Lebens charakterisiert.
„Der Wille zur Macht" ist der neue Gedanke, den Nietzsche der Welt gegeben hat, wenn es ein neuer Gedanke ist. (Ein neuer Gedanke genügt freilich auch, eine neue Philosophie, eine neue Welt
anschauung, eine neue Moral und Kulturperiode zu begründen, wenn
es ein umgestaltender, revoltierender und — ein positiver Gedanke ist.
Nietzsches neuem Gedanken fehlt es nicht an der revoltierenden
Macht, wohl aber an der gestaltenden, aufbauenden Kraft.
bei ihm immer nur Kampf, Kritik, Negation,
Daher
Auflehnung gegen
seine Widersacher.
Seine neue Moral ist einfach eine Umkehrung
der bisherigen, von ihm als christlich erkannten Werte.
Sein Wille zur Macht berauscht sich zwar in seiner krank
haften Neigung Umsetzen
Möglichkeit
Nachdruck,
Wenigen,
die
in
Tat
zerstören. daß
der
an Bildern
diese
Auserwählten
Grausamkeit.
würde dieser Wille
sich
Aber
durch
selbst
und
ein
seine
Darum betont auch Nietzsche mit großem seine
neue
Gültigkeit
Moral
habe;
nur das
für
Volk
die
ganz
muß
mit
Bewußtsein bei seiner alten Religion und seiner bisherigen Moral
erhalten bleiben.
Wo nähmen denn auch sonst die „Herren" ihre
Sklaven her?
Der Wille zur Macht ist also kein eigentliches Moralprinzip, sondern ein Rassenprinzip.
Nur anfangs will Nietzsche Scheidung
zwischen dem Guten und Schlechten im einzelnen Menschen, um dar Schlechte abzustoßen und das Gute zu fördern. 3n der letzten Periode
des Naturmenschen will er nur noch eine Scheidung zwischen der
guten und schlechten Rasse.
Gft stehen beide Anschauungen, wie im
folgenden Abschnitt aus dem Antichrist, ftiedlich nebeneinander: „Was ist gut? — Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht,
die Macht selbst im Menschen erhöht.
Was ist schlecht? — Alles, was aus der Schwäche stammt. Was ist Glück, das Gefühl davon, daß die Macht wächst, — daß ein Widerstand überwunden wird. Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede über
haupt, sondern Krieg: nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend int Renaissance-Stile, virtii, moralinfreie Tugend).
Vie Schwachen und Mißratnen sollen zugrunde gehen: erster Satz unsrer Menschenliebe.
Und man soll ihnen noch dazu helfen.
Was ist schädlicher als irgend ein Laster? — Vas Mitleiden der Tat mit allen Mißratnen und Schwachen — das Christentum"....
Nietzsche hat den versuch gemacht,
sein Moralprinzip zu er
weitern zu einem allgemeinen Weltprinzip.
Um zu verstehen, was
Leben ist, müsse die Formel so gut von Baum und Pflanze, als vom
Vas Streben Kann daher nicht nach Glück gehen.
Tiere gelten.
Venn alles Sich-Kusbreiten, Einverleiben, Wachsen ist ein Anstreben
gegen widerstehendes,
und
alle Bewegung ist Unlust.
„Warum
Kämpfen die Bäume eines Urwaldes miteinander? Um Glück? — Um Macht! " ...
Ts ist hier bei bloßen Ansätzen und versuchen
geblieben. Nietzsche würde sich auch
in zahlreiche Widersprüche und
Begriffsverschiebungen verstricken müssen, denn, wie schon betont, der „Wille zur Macht" ist bei Nietzsche sonst häufig erst das Produkt der
Menschheitsentwicklung.
Ls ist sein stärkster Hang erst geworden:
„die Mittel, welche man entdeckte, sich dieses Gefühl zu schaffen, sind
beinah die Geschichte der Kultur".
So schreibt er in der „Morgen
röte" und noch ebenso später in „Jenseits von Gut und Böse", daß, um die Pflanze Mensch in die höhe zu treiben,
die Gefährlichkeit
seiner Lage erst ins Ungeheure wachsen, sein „Geist" unter langem
Druck und Zwang sich ins Zeine und verwegene entwickeln, sein Lebens-Wille bis zum unbedingten Macht-Willen gesteigert
werden mußte. Was Nietzsche zu jenem versuche antreibt, ist das Bedürfnis, seinen „Willen zur Macht" als etwas Instinktmäßiges sicherzustellen.
Vieser Umstand hat auch viele Beurteiler dazu verführt, in Nietzsche einen Darwinisten zu sehen und den Willen zur Macht zum Kampf
ums Daseins in Beziehung zu setzen, losoph") glaubt
vaihinger („Nietzsche als Phi
eine neue Lösung des Nietzscheschen Problems zu
bieten, indem er den willen zur Macht begreift als eine Umwertung des Schopenhauerschen willens zum Leben unter dem Einfluß des
Darwinismus.
Diese Anschauung scheint mir unhaltbar, nachdem in
den Gesamtwerken Nietzsches alles brauchbare Material der Gffentlichkeit übergeben ist.
So einfach denkt Nietzsche nicht.
Er hat
zwar durch gelegentliche Äußerungen selbst Anlaß zu einem solchen
Urteil gegeben.
Aber je länger je mehr hat er den Darwinismus
abgestoßen, anfangs weil er ihn trotz seiner Richtigkeit für schädlich
hielt, später desto mehr, weil er seine Wahrheit bezweifelte. seinen Entwürfen zu dem geplanten Hauptwerk
In
„Der Wille zur
Macht" hat Nietzsche sich ausführlich mit dem Darwinismus ausein andergesetzt und ziemlich alle seine Aufstellungen als sachlich unrichtig, als
der Wirklichkeit widersprechend bekämpft,
wer so wie Nietzsche unsere
ganze bisherige Entwicklung als eine Gesamtentartung und Verkleine
rung des menschlichen Typus empfindet, mußte schließlich in der hegel-
Varwinschen Entwicklungslehre seinen Feind sehen.
ja seine Auffassung, sie führte ihn ad absurdum.
Venn sie richtete
Ist die Wirklichkeit
der Entwicklung auch ihre Rechtfertigung, wo bliebe dann Nietzsche? Zudem barg der Gedanke einer endlos fortschreitenden Ent
wicklung für Nietzsche eine Gefahr, die er am meisten fürchtete, weil sie stets in ihm schlummerte: den Pessimismus.
Unter dem Gesichts
punkte der Entwicklung sieht Nietzsche einen Höhepunkt des Werdens Es ist die höchste Vergeistigung der Macht.
voraus.
aber die Gefahr, die rasche Verwüstung,
rung.
Mit ihr wächst
die schnelle Zahlverminde
Der Wille zur Macht, der schließlich nichts mehr zu organi
sieren hat, wendet sich gegen sich selbst, verwendet seine Kraft, um zu desorganisieren.
Die Folge ist schließlich heraufkunft der Demo
kratie, endlich eine Anarchie der Elemente.
Und die Stärksten und
Glücklichsten sind schwach, wenn sie die überzahl gegen sich haben,
will man die Wirklichkeit zur Richterin machen, so heißt es: „Der Wille zum Nichts hat die Oberhand über den willen zum Leben —
und das Gesamtziel ist nun, ausgedrückt: Nietzsches:
christlich, buddhistisch, schopenhauerisch
,besser nicht sein,
als
sein'."
Schluß im Sinne
der endlosen Entwicklung muß die Spitze abgebrochen
werden, das Aurückwollen muß gelehrt werden, nicht am Schluß der Entwicklung liegt die Rechtfertigung des Daseins, sondern in ihren Zufälligkeiten, in ihren höchsten Exemplaren,
nicht am Ende,
sondern in der „Philosophie des Mittags". 3a, selbst für die
drohende Aussicht der pessimistischen welt-
und Selbstauflösung liegen in Nietzsche gewiffe Voraussetzungen.
Sein
absoluter Materialismus kennt als wahre Welt nur die Welt der Sinne, das heißt die Welt des Scheines, die Welt, die unser „Ich" setzt:
„Für mich — wie gäbe es ein Außer-mir? Es gibt kein Außen!"
Fällt das Ich, so fällt alles:
„Wir sind die Stofflichkeit los".
Vas „Ich" aber ist eine Fiktion:
„Der Einzelne, das Individuum,
wie Volk und Philosoph das bisher verstand, ist ja ein Irrtum; es ist nichts für sich, kein Atom, Kein -Ring der Kette*, nichts bloß
vererbtes von ehedem, — er ist die ganze eine Linie Mensch bis zu ihm hin selber noch".
„Jedes Einzelwesen ist der ganze Prozeß
in gerader Linie (nicht bloß .vererbt*, sondern er selbst. . .)."
Würde
der Wille zur Macht sich zur vollen Reife entwickelt haben, was
sollte die Menschen hindern, ihre Selbstauslösung und damit die Welt auflösung zu dekretieren,
da doch der Wille zur Macht mit viel
Schmerzen errungen werden muß und am Ende kein Widerstand da wäre,
in besten Überwindung der Wille allein
ein Glück finden
könnte? Ich erinnere daran, daß Zarathustra — nach
einem der
Entwürfe zum letzten Teile — sich auflöst, weil er alles versteht,
und daß Nietzsche den Pessimismus Eduard von Hartmanns mit ganz besonderer Leidenschaftlichkeit bekämpft.
schließt sich
das Eingeständnis:
Rn eine solche Polemik
„Rber warum
redet Zarathustra
anders zu seinen Schülern — als zu sich selber?" —
Vie Erlösung vom Pessimismus bietet der „Wille zur Macht** noch nicht.
Dazu bedarf es noch einer besonderen Rrznei: der Lehre
von der „Wiederkunft des Gleichen".
III.
Ich sehe noch
eine zweite Linie, durch welche der Wille zur
Macht mit dieser neuen Lehre verknüpft ist. Der „Wille zur Macht"
oder doch das Bewußtsein davon ist
das Endprodukt einer langen, feinen und schmerzensreichen Entwick
lung.
Es fehlt daher diesem Prinzip das moralische Schwergewicht,
es bietet keine Motive.
Nietzsche muß, wie er das auch später wieder
getan hat, zu kümmerlichen Surrogaten seine Zuflucht nehmen und
sich trösten mit der Hoffnung, daß die moralische Wirkung auch von außen nach innen gehen könne, wie er das in „Menschliches Rllzu-
menschliches"
überhaupt von der Entstehung der Moral geglaubt
Der Schein, also das, was man Scheinheiligkeit und phari
hatte.
säische Heuchelei zu nennen pflegt, werde die geheuchelte Tugend
bald zu einer wirklichen entwickeln, werde bald zum Wesen werden. Die Gewöhnung etwa an große Gebärden werde auch die Menschen
allmählich innerlich groß machen.
3n der idealistischen Periode des
Übermenschen aber gräbt er doch tiefer. Lin wunderbarer Gedanke hatte sich ihm angeboten,
seltener Dogel war er ihm über den weg geflogen,
wie ein
warum ihn
nicht einfangen und seinem Zaubergesange lauschen? Hn seinem Hori zonte war ein Gedanke aufgestiegen, wie er an Peter Gast schreibt,
dergleichen er noch nicht gesehen hatte. Gesehen hatte er ihn aber doch Früher, in der zweiten „Unzeitgemäßen Betrachtung" war er
schon.
ihm als ein Spottvogel erschienen, den er in seinem wohlgeordneten
Reviere von Ursache und Wirkung nicht dulden konnte.
Nietzsche
hört jetzt sein Lied voller Glauben an, er wünscht sich das mutige
herz des Löwen und die unschuldige Geduld des Lammes, um es der Welt verkündigen zu können:
„wer du auch
sein magst, ge
liebter Fremdling, dem ich hier zum erstenmal begegne: nimm diese
frohe Stunde wahr und die Stille um uns und über uns, und laß dir von einem Gedanken erzählen,
der vor mir aufgegangen ist
gleich einem Gestirn und der zu dir und zu jedermann hinunter
leuchten möchte, wie es die Art des Lichtes ist". Der Gedanke der ewigen Wiederkehr gibt seinem „Willen zur
Macht" sagt:
das große ethische Pathos.
„es ist ja alles notwendig,
Wenn der frühere Nietzsche
was kann ich über meine Hand
lungen verfügen?" so wird ihm nun erwidert:
„der Gedanke und
Glaube ist ein Schwergewicht, welches neben anderen Gewichten auf
dich drückt und mehr als sie".
In der „Fröhlichen wiflenschast" wird der Gedanke zum ersten Male laut in einer Weise, in der Freude und Schmerz über die Pflicht, ihn zu verkündigen, gemischt sind.
In „Also sprach Zarathustra" sollte diese Lehre der eigentliche
Gegenstand der Verkündigung sein.
Doch ist dieser wichtigste Teil
des Zarathustra ungeschrieben geblieben.
im dritten Teile auf.
Nur sporadisch taucht sie
hier aber wird besonders deutlich, wie Nietzsche
immerfort mit seiner Grundstimmung,
dem Pessimismus, zu ringen
hat, und mit wieviel Mut und Trotz er diesen Ningkampf führt,
wie aber auch die Lösung immer wieder eine rein gefühlsmäßige und gewaltsame ist.
Die beste Verteidigung ist der Angriff.
So
muß man auf den Tod Hügel wälzen, so muß man dem Welteke! Berge entgegentürmen, und vom Berge herab trotzig in die Welt
rufen: Nun vollends will ich das Leben.
Gerade so will ich es und
nicht eine Linie anders! „Mut nämlich ist der beste Totschläger, —
Mut,
welcher angreift:
denn in jedem Angriffe ist klingendes
Spiel". — „wie lieblich ist es, daß Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und Töne Regenbogen und Scheinbrücken zwischen Twig-
Geschiedenen?" „wie Mit Tönen
lieblich
ist
alles
tanzt unsere
komme denn herauf,
Reden
Liebe auf
stirbt,
alle
Lüge
der
Töne!
bunten Regenbögen".
abgründlicher Gedanke,
„Alles geht, alles kommt zurück;
Alles
und
aus
meiner
So Tiefe:
ewig rollt das Rad des Seins.
alles blüht wieder auf,
ewig läuft das Jahr des
Seins". —
„Alles bricht, alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche
Haus des Seins.
Alles scheidet, alles grüßt sich wieder; ewig bleibt
sich treu der Ring des Seins.
In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit''. Dieversuche, dieser Lehre eine wissenschaftliche Begründung zu geben, hat Nietzsche sehr schnell wieder beiseite gelegt. Für ihn selbst bedurfte
es einer solchen nicht. Der Maßstab für die Wahrheit einer Überzeugung war für ihn einmal das, was sie ihn an Selbstüberwindung kostete,
und dann, was .sie für die Lebensbejahung und -förderung versprach.
In dem letzteren liegt die Verknüpfung dieser Lehre mit dem „willen zur Macht", in dem ersteren die Verkettung mit dem „Übermenschen".
Anfangs glaubt Nietzsche wohl, daß diese seine neue Lehre Ver ständnis und Widerhall finden werde.
Er mutzte seiner Täuschung
schnell inne werden. Vie Menschen von heute sind auf solche grotze, Sie mühten erst — wie
weltumfassende Gedanken nicht vorbereitet.
er — jeden Grad von Skepsis durchlebt und mit Wollust in eis kalten Strömen gebadet haben, ehe sie diese Gedanken begreifen und
ertragen können. Und Leichtgläubige,
Schwache, Rranke, die jeden
neuen Gedanken wie ein Spielzeug annehmen, will er natürlich nicht als seine Jünger.
Gegen sie will er sich wehren, gegen sie seine
Gedanken im voraus verteidigen! nichts gegen eine Lehre.
in denen
Vie ersten Anhänger beweisen
Nein, es müssen ganz andere Wesen sein,
ein solcher schwerer Gedanke
fruchtbar werden kann:
„Wir schufen den schwersten Gedanken — nun laßt uns das Wesen schaffen, dem er leicht und selig ist!"
„Wir wollen ein Wesen er
es lieben, wir wollen
schaffen, wir wollen alle daran teilhaben,
schwanger sein alle — und uns ehren und achten deshalb. — Wir
müssen ein Siel haben, um dessentwillen wir uns alle einander lieb
haben ! Alle sonstigen Siele sind oernichtenswert!" Sunt Schluß sei noch
angemerkt,
wie
in dieser Vorstellung
Nietzsches Individualismus, wenn nicht seine Wurzel, so doch seine Förderung findet, und wie Nietzsche hierin im Grunde doch zur ge wöhnlichen Glückseligkeitslehre zurückkehrt.
Wenn er ihr auch seine
Lehre ausdrücklich entgegensetzt, kann er ihr doch die Türe nicht verschließen, weil er nur dieses irdische sinnliche Leben kennt, und
es daher ein Schlag ins wasser ist, wenn er über „Verweltlichung" klagt.
Genau dieses selbe Leben werden wir unzählige Male wieder
leben, in demselben Leibe, mit denselben Empfindungen, in dem selben Hause, in derselben Gesellschaft, unter demselben Volke, in denselben sozialen Verhältnissen. Was liegt da näher als die Nötigung,
diese verhältniffe, Umgebungen, Reizungen, Empfindungen so mannig faltig, reich und angenehm zu gestalten als irgend möglich.
Man
lese nur aufmerksam die nachfolgenden Sätze: „Der politische Wahn, über den ich ebenso lächele, wie die Seitgenoffen über den religiösen
Wahn früherer Zeiten, ist vor allem Verweltlichung, Glaube an die
Welt und Aus-dem-Sinn-schlagen von .Jenseits' und .Hinterwelt'. Sein Ziel ist das Wohlbefinden des flüchtigen Individuums: wes
halb der Sozialismus seine Frucht ist. ..
Meine Lehre sagt: so
leben, daß du wünschen mußt, wieder zu leben, ist die Aufgabe, — du wirst es jedenfalls! Wem das Streben das höchste Gefühl gibt,
der strebe: wem Ruhe das höchste Gefühl gibt, der ruhe; wem Ein ordnen, Folgen, Gehorsam das höchste Gefühl gibt, der gehorche. Nur möge er bewußt darüber werden, was ihm das höchste Gefühl
gibt, und keine Mittel scheuen.
Es gilt die Ewigkeit!"
Aus diesem
Zusammenhangs heraus versteht man erst richtig Äußerungen des Nietzscheschen Individualismus, wie diese: Sei du selbst! — Werde,
was du bist! — Das ist mein Weg! Welches ist euer Weg? Denn den Weg gibt es nicht. —
Das heißt: ein gemeinsames Ideal für die Menschheit gibt es nicht, ebensowenig wie eine Entwicklung im Menschen, sondern nur
ein Sichbesinnen auf seine instinktiven Bedürfnisse. Damit ist dem Grundprinzip Nietzsches jeder sittliche Inhalt entzogen.
Nietzsche setzt jedem sein eigenes zufälliges Ziel.
Aber nicht
nur darum ist unser Weg anders, weil unser Ziel ein anderes ist.
Wir geben Nietzsche in gewissem Sinne auch in den Grenzen unseres Zieles recht.
Auch im Verfolg desselben Zieles müßte jeder noch
seinen eigenen Weg kennen.
Leben.
Nur was sich individuell gestaltet, ist voll
Ein jeder muß seine eigenen Gärten haben.
Denn nur dem,
der da hat, wird gegeben, und nur wer geben kann, darf nehmen.
2. Der Wille zur Idee. i.
Nietzsche hat zweimal einen verzweifelten Anlauf unternommen, das Ideal christlicher Sittlichkeit zu zerstören, und in der bewußten oder unbewußten Selbsttäuschung, daß ihm dieses Werk endgültig
gelungen sei, nennt er sich triumphierend den „Antichrist".
3n der Periode, die zwischen dem Bruch mit Wagner und dem
Zarathustra liegt, leitet er, nach dem vorbilde der englischen Moral philosophen und seines Freundes Paul R6e, die Entstehung der christ
lichen Religion und Moral her aus Nützlichkeitsprinzipien, in „Jenseits von Gut und Böse" und „Zur Genealogie der Moral" aus
reaktionären Schwächeinstinkten. Ganz abgesehen von der sachlichen Unhaltbarkeit seiner Geschichtskonstruktion — ist es eine Naivität,
das Ideal einer Kulturmenschheit diskreditieren zu wollen durch Ruf«
zeigung etwaiger vorgeschichtlicher Urzustände.
Mit den Mitteln
Nietzschescher Geschichtsbehandlung wäre es möglich zu behaupten, daß
der Ndel als solcher hervorgegangen sei aus dem Räubertum. Trotz
dem würde niemand außerhalb politischer Radauversammlungen wagen, deswegen den heutigen Adel als eine Absurdität zu brandmarken. Es gibt keine Zukunst, die nicht aus der Vergangenheit ge
boren würde, kein Zukunstsideal, das nicht allmählich gereist, stück weise von den Menschengeschlechtern gebildet wäre.
Mit der Liebe
zur Idee erst beginnt die Kultur des Menschen, mit dem Willen zur Idee der sittliche Kampf und die sittliche Entwicklung, mit der Geltend machung einer höheren Idee die Erziehung des Menschengeschlechts.
3m Leben der Naturkinder gibt es keine Konflikte der Pflichten,
nicht Über- und Untergeordnetes an sich.
recht.
Nur der Augenblick hat
3n der Liebe zur 3dee liegen die Konflikte, in ihr selbst
aber auch die Möglichkeit und Kraft der Lösung. Sie verlieren an
Schärfe und Bitterkeit, je sieghafter und allmächtiger die 3dee für uns wird. Die Konflikte, in denen wir leben, mit denen wir ringen, sind ein Zeichen der Halbheit.
Das Glück liegt nur in der Ganz
heit: entweder — oder! 3n der Hingabe an die höchste und um fassendste Idee liegt die höchste Sicherheit der Lebensauffasiung, liegt auch das verlorene Glück.
Wie wir an Jesus sehen.
sich an den Propheten des Judentums gebildet.
Jesus hat
Aber ihr national
beschränktes Ideal hat er zu einem universalistischen geistigen Ideale erweitert und geklärt.
Der weiteste Begriff, der uns heute faßbar
ist, ist der Mensch schlechthin: ohne nationale, soziale, individualistische
Beschränkung.
Hand in Hand damit geht die Erweiterung und
Klärung des Gottesbegriffes:
Gott ist Geist und ist Liebe.
Die
Herrschaft Gottes, der das Leben ist, in seinem Reiche — und die
GottesKindschast der Menschen, die vollkommen sein sollen, gleichwie 3n der völligen Hingabe an
der Vater im Himmel vollkommen ist.
diese Idee erscheint Jesu Wesen und wollen von dem Glanz einer in sich ruhenden, sieghaften Selbstgewißheit umfloffen.
Der volle
Sieg der Idee schafft eine neue, eine zweite Natur, in der Sollen
und Wollen eins ist im „Müssen".
Der Zustand der Entwicklung
aber ist ein stetes Ringen zwischen dem Sollen und Vollen: ein
Zustand voller Schmerzen und Wehen, ein Zustand der Zwiespältig
keit,
ein Zustand der Sehnsucht!
wohin geht unsere Sehnsucht:
rückwärts zu dem konfliktslosen Zustande der Natur oder vorwärts
zur Vollendung der menschlichen Persönlichkeit?
Nietzsche ist unserer Kultur, ach, so müde, genau so müde wie Rousseau und Tolstoi!
Er ist ein typischer Decabent, wie er das
ja selbst in den Wagnerschriften aus dem letzten Jahre seiner Arbeits
fähigkeit in halber Selbstironie zugibt.
Ein typischer Decabent, das
heitzt ein Mensch, der nicht sowohl des Lebens, auch nicht der Kultur an sich müde ist, sondern vielmehr der Konflikte müde, welche die Kultur, die Entwicklung des Menschengeschlechts mit sich bringt.
Daher sein Radikalismus in allem.
Um dem Kampfe ein Ende zu
bereiten, stürzt er sich — nach seiner eigenen Tharakteristik das sicherste Kennzeichen einer dekadenten Natur — in einen Verzweiflungs kampf : er zieht zu Selbe gegen den Konflikt!
Überall die Flucht
in das Extrem und das Schwanken von einem Extrem zum andern, das Anklammern an das Letzte, das Ruhen auf den äußersten Polen.
Wie er radikal ist bis zum äußersten in seiner Kritik und Skeptik, bis zum Leugnen aller Wahrheit, aller Möglichkeit der Wahrheit, alles Wertes der Wahrheit, radikal bis zum äußersten Anarchismus
in der Geltendmachung individuellster Ansprüche und vermeintlicher Rechte — ebenso radikal bis zur Abwesenheit jeder Kritik, bis zur
äußersten Leichtgläubigkeit ist er in seinen romantischen Anwandlungen
und Zukunftsperspektiven, ebenso radikal in seinen aristokratischen
Anforderungen an die Selbstentsagung der übrigen Menschenkinder.
Nietzsche ist rückschauend.
Er beneidet den vorhistorischen
Menschen um seine Sicherheit, um seine Freiheit von allen Bedenken, allen sittlichen Konflikten, von allen schmerzlichen Rückschlägen des Gewissens.
„Zurück zur Natur!" ist auch Nietzsches Losung.
Doch
aber in anderem Sinne als bei Rousseau und Tolstoi! Vas Problem,
welches diese beschäftigt,
ist das Problem des Übels.
Wie schaffen
wir das Übel aus der Welt? Wie gewinnt der Mensch die äußere
und innere Freiheit von den sozialen Leiden?
Wenn die Lösung
eines Tolstoi auch ganz individueller Natur zu sein und
ganz in
das ethische Gebiet zu fallen scheint, so ist doch dies in Wirklich keit nicht der Fall.
In der Praxis wenigstens laufen seine sittlichen
Grundsätze aus in einen sozialen Radikalismus, in Regeln über das Verhalten des Menschen zu den sozialen Grünungen. Vas praktische Ziel ist auch bei ihm eine Umgestaltung der äußeren Formen und
Lebensbedingungen. Nur seine Methode ist eine andere als die des
Sozialismus.
Wie Rousseau der Vater des modernen Sozialismus
resp. Kommunismus ist, so Tolstoi deffen Bruder.
Nietzsches Problem hingegen ist das des Bösen.
Nicht die
sozialen Konflikte in der Welt, die sittlichen Konflikte im Menschen, sie sind die wichtigsten, entscheidendsten, verwüstendsten.
Sie zer
reiben und schwächen den Menschen und rauben ihm die Sicherheit
seines Wollens und Könnens, sie machen ihn immer kränker, wie
sie eine Folge der ersten Erkrankung sind.
Sie haben den verfall
der Menschheit herbeigeführt. — Rch, daß wir Menschen hätten,
die wollen
können,
so
sicher und instinktmäßig wie
die Nacht
wandler !
Im Zarathustra schwingt Nietzsche sich freilich noch einmal auf
zu einem weiten Ausblick in eine herrliche Zukunft: (Ein neues Ge schlecht, der Übermensch, wird auf der Erde wandeln, in dem das Bild der Bilder Fleisch und Blut gewonnen hat, in dem die Idee
des Menschen sich erfüllt, in dem die Idee zur Natur geworden ist
— stolz und frei, in sich selbst gewiß, ohne Zwiespalt zwischen wollen und Müssen, so schreitet er über die Erde!
Aber bald sucht Nietzsche aufs neue wie eine Löwin, die ihr Junges verloren hat. als
Und er findet dasselbe, was vielleicht einmal
Ziel einer fernen Entwicklung winkt, bei den Menschen der Nicht als ob Nietzsche die „blonden Bestien" wieder
kulturlosen Zeit. aufwecken wollte!
(Er selbst hängt ja durchaus an der verfeinerten
Kultur, er selbst ist von mimosenhafter Empfindsamkeit! zur Natur"
heißt bei ihm:
„Zurück
„Jenseits von Gut und Böse".
predigt auch Nietzsche, wie alle Kulturmüden, den Stillstand. mit allen Ideen und Idealen!
So
Fort
Sie ziehen den Menschen in den
Was den Menschen erlöst, ist
Strom des werdens hinein.
der Sprung aus diesem Strom des werdens heraus,
ist die Heiligsprechung der Instinkte: was du bist, das bist du — nun wolle es auch sein, habe den Mut, du selbst zu sein und zu allen deinen Instinkten „Ja" zu sagen, so hast du alle deine
Konflikte und damit auch deine Schwächen hinter dich geworfen: so hast du das höchste an Glück und Lebensgefühl erreicht, was du
überhaupt erreichen kannst.
hohn und
Spott
So kommt Nietzsche, der wie nie einer
auf unsere
Gegenwartskultur
ausgegoflen
schließlich dazu, diese gesamte Kultur wieder zu bejahen.
hat,
Dieses
einfache, resolute Ja-sagen zu allem und jedem ist der letzte Schluß
der
Weisheit: Vie
„Selbstzersetzung
der Moral",
die
Ver
werfung jedes Idealismus! Nicht Entwicklung, sondern Stillstand, nicht
Zukunst, sondern Gegenwart, ewige Gegenwart, nicht Bewegung, sondern Ruhe!
Ihren philosophischen Abschluß, wenn man noch von
Philosophie reden darf, finden diese Gefühlsgänge in der wunder lichen Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen, den praktisch
ethischen Abschluß in der radikalen Verherrlichung des Egoismus.
Tun wir Nietzsche unrecht, wenn wir seinen ganz entgegenge setzten Radikalismus aus derselben Wurzel herleiten wie denjenigen
eines Rousseau und Tolstoi? Feindliche Brüder wollen einander auch nicht kennen und sind doch eines Geschlechts! — Aber Nietzsche will
doch gerade Menschen voll Kraft und Stärke.
Er bekämpft in seinen
„Unzeitgemäßen Betrachtungen" gerade die rückwärtsgewandte Art
unserer historischen Bildung,
er will Tatmenschen, und in seinem
«Zarathustra" hallt es wider von Schaffen — Schaffen — Schaffen!
Allerdings ist Nietzsche eine komplizierte Natur, und seine Ausdrucks welt wechselt mannigfaltig, seine Stimmungen schlagen oft um, aber
jene Grundstimmung
schlägt immer wieder
durch.
Vieser müde
Grundzug seines Wesens tritt selbst schon unter der glänzenden, leben sprühenden Retusche seiner Erstlingswerke vereinzelt hervor.
Vie
Desorganisation glaubte er hintanhalten zu können durch ein Zu
rücksinken auf seine Instinkte, es ward zu einem versinken.
So
würde auch unsere Kultur versinken in eine klägliche Barbarei, sollte die Heiligsprechung der Instinkte noch weitere Fortschritte machen,
als sie so schon in der modernen Welt gemacht hat.
Diese Heilig
sprechung greift überall da Platz, wo kein Ideal mehr vor den Menschen steht, wo die Idee des wahren Menschen, des höheren
Selbst, des Gottmenschen nicht mehr über uns steht. Der Individualismus ist eine Losung, zu der auch wir uns be
kennen.
Aber wo er auf die ethische Begründung und Vertiefung
verzichtet, wo er zu einem rein ästhetischen Individualismus
geworden ist, der nur in sich selbst ruhen will,
da ist er ein Aus
druck der Schwäche, der Kulturmüdigkeit, der aristokratischen, aber
nicht adeligen Verzichtleistung auf die Mitarbeit am Ganzen der Menschheit —: ein Exkurs der Weltgeschichte, an dem die
Fortschreitenden allerdings zu lernen haben!
Nietzsche als einzelner ist reich und kann uns trotz allem viel geben,
denn er hat viel gekämpft und viel gelitten.
war krank, aber seine kranke Seele war edel,
Seine Seele
vieles ist bei ihm
nur abstrakte Theorie, eine krampfhafte, verzerrte Gegenspiegelung
deffen, wovon ihm auch ein billiges Maß versagt war. en mässe, Nietzsche in praxi ist unerträglich.
äugeln ein verbrechen.
Aber Nietzsche
Da wäre jedes Lieb
Vie große Gefahr, welche Nietzsche bedeutet,
sollte nicht übersehen werden. Rosen er, Der Kampf ums Ich.
Das Durcheinander von romantischem 49
Idealismus und radikalstem Zynismus birgt gerade für die Jugend einen eigenen Zauber. Dabei ist doch dieser Idealismus selbst zu ver
schwommen und zu sehr nur subjektive Stimmungswelt, um aus sich
selbst weiterführen zu können. Vie schaffende Tugend ist die eigentliche Tugend Zarathustras. Über was Zarathustra schafft, wissen wir nicht zu sagen:
etwas
Großes, Bedeutendes, Erhabenes, Starkes, Adeliges, Epochemachendes, ja — aber alles nur ästhetische Urteile, Lhrengesänge auf die schöne
Form,
herrliche Rahmen in mancherlei Stilarten hängen an den
Wänden, die lange Zeit erst unser Staunen und Bewundern in An
spruch nehmen, darin gewaltige Kartons mit genialen Skizzen und
erhabenen und unendlichen Linien.
Aber wo die Linien zusammen
fließen, sehen wir nicht. Und so wenig ein deutliches Ziel zu sehen ist, so wenig ein gangbarer Weg.
Wenn wir nach einem solchen
suchen, stoßen wir nur immer wieder auf das Wort: Distanz.
Ab
stand halten von der Waffe, sich als ein Besonderes fühlen,
das
Selbstbewußtsein pflegen! Nachäffern Nietzsches
Jünglingen.
nicht,
An Selbstbewußtsein fehlt es nun den am wenigsten
den
siebenzehnjährigen
Eine Garantie für das heraufkommen einer adeligen
Generation ist das
aber doch wahrlich nicht.
Arbeit auf das eigene Ich.
Nietzsche lenkt alle
Aber wenn diese Arbeit keine organi
sierende Idee über sich hat, so wenden die Kräfte sich schließlich zur
Desorganisation.
Gerade unter der Losung des Individualismus be
deutet die Selbstzersetzung der Moral dieSelbstzersetzungansich.
wenn wir so Nietzsches Radikalismus verwerfen und als einen Ausfluß der Schwäche verurteilen muffen, so soll uns das doch nicht
hindern, anzuerkennen,
daß bei Nietzsche im einzelnen viele Wahr
heiten sich finden und psychologische Tiefblicke sich
stimmen Kaftan gern
und unumwunden bei,
austun.
wenn
wir
er schreibt:
„Nietzsche ist ein Dichter, der wie selten einer zu sagen gewußt hat, was ihm die leidende, sehnende Seele bewegt, der auch intuitiv die Wahrheit, manche
Wahrheit erfaßte und
Seine Schriften sind ein Zaubergarten.
zum Ausdruck brachte.
Wehe dem, der sich darin
verirrt! Über wer, in sich gefestigt, einen anderen Weg der Wahr
heit kennt, kann manch goldnen Apfel in ihm holen". AIs bloße Behauptung wäre dies freilich ein Gemeinplatz. wollen deshalb im folgenden versuchen, diese Wahrheit Beispiel zu illustrieren.
Wir
an einem
An unsere Auffassung vom Wesen der christ
lichen Sittlichkeit wollen wir eine Reihe Nietzschescher Erkenntnisse und Wahrheiten angliedern.
Posittv fruchtbar wird eine Polemik
doch erst, wenn sie eine Ausbeute zur eigenen Bereicherung vom
Kampfplatze davonträgt.
Zugleich wird sich zeigen, daß unsere christ
liche Auffassung des sittlichen Ideals nicht diejenige ist, welche Nietzsche
bei seinem leidenschaftlichen Kampfe gegen die christliche Moral vor Augen gehabt hat.
II.
Waltet nicht ein ewiger Kreislauf in der Natur?
Mensch etwas anderes werden, als er ist? auch schon das Ende beschlossen?
Kann der
Liegt nicht im Anfang
Ist nicht alles Leben nur eine
gesetzmäßige und unabänderliche Entwicklung des Keimes? hat nicht
die ganze Menschheit im ersten menschlichen Geschöpfe schon ihre
Bestimmung gefunden? Alte und neue Kirchenväter sahen in Adam das ganze menschliche Geschlecht beschlossen.
Ja, in der dogmattschen
Ausprägung der Erbsündenlehre sind alle nachfolgenden Menschen schon mitschuldig geworden in der Sünde Adams.
Gewiß liegt hier
für unser Urteilen eine Verwechslung vor zwischen objekttver Ver
schuldung
und
subjekttver Schuld.
Aber bei der Annahme einer
absoluten Unfteiheit des Menschen schien dies der einzige Weg, für
die unleugbare Tatsache des Schuldgefühls eine Erklärung zu finden. Schopenhauer hat diesen Gedanken aufgegriffen, aber umge deutet.
Seine Voraussetzung ist, daß der Mensch alles das, was er
werden mutz,
schon ist.
Vie Unveränderlichkeit des
menschlichen
Charakters war für ihn ein feststehendes Dogma. Nach mechanischen
Gesetzen wickelt sich sein Leben ab. geschrieben.
Sein Los steht in den Sternen
Aber Schopenhauer sah sich der Tatsache des Gewiffens,
des Schuldgefühls gegenüber.
3ur Erklärung griff er nach einem
gewaltsamen Mittel, zu der Annahme eines vorzeitlichen, sogenannten „intelligiblen" Sündenfalles jedes einzelnen Menschen.
Nietzsche scheint nach einzelnen Äußerungen die Anschauung seines früheren Meisters zu teilen, daß der LharaKter des Menschen un
veränderlich sei: „Erwägen wir endlich noch, welche Naivität es
überhaupt ist, zu sagen: so und so sollte der Mensch sein. . . Aber
selbst wenn der Moralist sich bloß an den einzelnen wendet und zu ihm sagt: so und so solltest du sein! hört er nicht auf, sich lächer lich zu machen.
Der einzelne ist ein Stück fatum von vorn und
von hinten, ein Gesetz mehr, eine Notwendigkeit mehr für alles, was kommt und sein wird.
3u ihm sagen „ändere dich", heißt
verlangen, daß alles sich ändert, sogar rückwärts noch."
Vie vor
fahren sind es, die im Menschen denken, nicht er selbst,
hierzu
kommt, daß Nietzsche die Wesenheit des Einzelindividuums leugnet und es „selbst"
als den ganzen Prozeß vor und zurück auffaßt.
Man sollte daher meinen, daß niemand weiter davon entfernt sein könnte, an eine sittliche Freiheit zu glauben, als Nietzsche. Tatsächlich hat aber selten jemand so laut und radikal in die
Welt hineingerufen: So und so sollte der Mensch sein! Ich will ein
Gesetzgeber, Erzieher und Umbildner der Menschen sein!
— ver
schieden hat er die Freiheit und Veränderlichkeit des menschlichen Charakters formuliert und begründet.
rialisttsch dachte:
Anders, wenn er mate-
„Alle Gewöhnungen (zum Beispiel an eine be
stimmte Speise, an Kaffee oder eine bestimmte 3eiteinteilung) haben
auf die Dauer das Ergebnis, Menschen besttmmter Art zu züchten.
Also blicke um dich!
prüfe das Kleinste!
es zu deiner Art, zu deinem Siele?" Idealist das Leben bettachtet.
Wohin will es? Gehört
— Anders, wenn er als
Da ist ihm der Mensch etwas Flüssiges
und Bildsames — man kann aus ihm machen, was man will, wenn man ein hohes Ideal über ihn stellt.
sein
Da treibt ihn stets von neuem
inbrünstiger Schaffenswille hin zum Menschen,
Hammer hintreibt zum Stein.
wie es
den
3n diesem Steine schläft ihm ein
Bild, das Bild seiner Bilder!
Venn „Geschöpf und Schöpfer ist in
ihm vereint: im Menschen ist Stoff, Bruchstück, Überfluß, Lehm, Kot, Unsinn, Chaos; aber im Menschen ist auch Schöpfer, Bildner, Hammer-
Härte, Zuschauer-Göttlichkeit,
siebenter Tag". — Noch
anders
schließlich, zügellos und willkürlich wird die Freiheit, wenn sie, wie in der Zeit der „Morgenröte", einer Mesalliance zwischen Idealis
mus und Materialismus entstammt: „Man kann wie ein Gättner
mit seinen Trieben schalten und, was wenige wissen, die Keime des Zornes, des Mitleidens, des Nachgrübelns, der Eitelkeit so frucht bar und nutzbringend ziehen, wie ein schönes Gbst an Spalieren;
man kann
es tun mit dem guten und dem schlechten Geschmack
eines Gärtners und gleichsam in französischer oder englischer oder holländischer oder chinesischer Manier; man kann auch die Natur walten lassen und nur hier und da für ein wenig Schmuck und
Reinigung sorgen; man kann endlich auch ohne alles wissen und Nachdenken die Pflanzen in ihren natürlichen Begünstigungen und Hindernissen aufwachsen und unter sich ihren Kampf auskämpfen lassen — ja, man kann an einer solchen Wildnis seine Freude
haben und gerade diese Freude haben wollen, wenn man auch seine Not damit hat.
Vies alles steht uns frei: aber wie viele wissen
denn davon, daß uns dies freisteht?
Glauben nicht die meisten an
sich wie an vollendete ausgewachsene Tatsachen? haben nicht große
Philosophen noch ihr Siegel auf dies Vorurteil gedrückt, mit der Lehre von der Unveränderlichkeit des Charakters?" wir leugnen nicht die volle Gesetzmäßigkeit und natürliche
Motivierung des psychischen Geschehens.
Denn in der Gesetzmäßig
keit und Notwendigkeit der Motive und in der Regelmäßigkeit des
Seelenlebens liegt ja die Möglichkeit der Erziehung an sich selbst und anderen.
Es wäre sonst das Menschenleben in der Tat nur
ein Würfelspiel, ein Zufall, höchstens ein tastendes Experiment, wir leugnen auch nicht den Einfluß der materiellen verhältnisie, des
Milieus, des Körperlebens auf das Seelenleben des Menschen. Über
wir behaupten als eine der sichersten Tatsachen der Erfahrung, daß
der Geist des Menschen sein Schwergewicht in die Entwicklung werfen
kann, daß, zumal durch religiöse Erlebnisse, neue Motive und Kräfte eingeführt werden in den Zusammenhang des seelischen Geschehens, daß der Mensch durch Einstellung dieser Motive die tausend Mög
lichkeiten des Lebens beeinflußt und beeinflussen muß, wenn sein Charakter Stil und Einheit erhalten soll.
3n dieser Möglichkeit ist
die Notwendigkeit der Erziehung begründet.
den Leib.
Der Geist baut sich
Gerade Nietzsches Leben und Persönlichkeit ist ein be
sonders charakteristischer Beweis dafür, einmal wie sehr der Körper
den Geist beeinflußt, ebenso aber auch, wie eine große Idee unserm
Geiste Macht gibt, auch über uns selbst zu triumphieren. Nicht ohne Stolz schreibt z. B. Nietzsche an seinen Freund Rohde: „Es ist mir
zu schwer zu leben, wenn ich es nicht im größten Stile tue, im vertrauen gesagt, mein alter Kamerad! ohne ein Ziel, welches ich
nicht für unaussprechlich wichtig hielte, würde ich mich nicht oben
im Lichte und über den schwarzen Fluten gehalten haben!
Welche
Jahre! Welche langwierigen Schmerzen! welche innerlichen Störungen, Umwälzungen, Vereinsamungen! Wer hat denn so viel ausgestanden
als ich?
Und wenn ich nun heute über dem allen stehe, mit dem
Frohmute eines Siegers und beladen mit schweren neuen Plänen — und wie ich mich kenne, mit der Russicht auf neue schwerere und
noch innerlichere Leiden und Tragödien und mit dem Mute dazu! so soll mir niemand darüber böse sein dürfen, wenn ich gut von
meiner Rrznei denke."
Eine ideale Notwendigkeit soll unser Leben regieren.
Einer
höheren Bestimmung sollen alle Kräfte und Möglichkeiten dienstbar
werden.
Diese Bestimmung muß in uns liegen als Keim, sonst ist
kein Wille und keine Entwicklung zu ihr möglich; sie muß als ein unerreichtes Ideal vor uns stehen, sonst kann es keine bewußte Ent
faltung, keine Selbsterziehung geben; denn „nur wer weiß, wohin
er fährt, weiß auch, welcher wind gut und sein Fahrwind ist". Eine Entwicklung zur Sittlichkeit kann es nicht geben, ehe
nicht der Mensch sein höheres wahres Selbst gefunden hat und seiner
wahren Bestimmung sich bewußt geworden ist.
Dieses „Selbst" ihm
zu geben und in seiner Entwicklung zu fördern, ist das Werk der
Religion. Es ist daher nicht richtig, wenn Nietzsche dem Lhristentum vorwirft, daß es die Menschen von der Last der moralischen An forderungen befreien wolle, dadurch, daß es einen kürzeren Weg
zur Vollkommenheit zu zeigen meinte.
Richtig ist, daß es in dieser
Weise oft mißbraucht worden ist, und noch heute findet man in den
Ratechismen „erfahrener" Pädagogen eine solche minderwertige Be gründung und Wertung des christlichen Glaubens. Rein, das Christen-
tum will den Anfang einer sittlichen Entwicklung setzen, nicht
aber diese überspringen und überflüssig machen.
(Es ist nicht so, daß
dem Christentum, wenigstens dem eigentlichen, diese Formel zugrunde
läge: „tue das und das, laß das und das, so wirst du glücklich! 3m andern Falle..."
Nietzsches Umkehrung dieser Formel ist nur
eine Rückkehr zur vertieften Auffassung des Christentums: die Tugend ist die Folge des Glücks!
Nur daß später Nietzsche dieses Glück
auf eine gute Körperliche Gesundheit reduziert.
Wenn ein „Glück
licher" gewisse Handlungen tun muß und sich instinktiv vor anderen Handlungen scheut, so ist dieses „Muß" in niemand stärker gewesen
als in dem Stifter der christlichen Religion.
„Wisset ihr nicht, daß
ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?" solange es Tag ist."
„3ch muß wirken,
„hebe dich weg von mir, Satan, du bist mir
ärgerlich", so wendet er sich an seinen geliebten Jünger, als dieser
ihn hindern will, sein „Muß", auch das „Leiden — müssen" zu er
füllen.
Vie Vergebung der Sünden, wie sie das Lhristentum ver
kündigt, ist ein subjektives Erlebnis der Gottesgemeinschast und da her der Anfang einer neuen Gemütsstimmung und Willensrichtung:
„Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, was da vorne ist."
wir erleben darin das Gefühl der Gotteskindschaft,
dessen Bezeugung Nietzsche zeitlebens fremd geblieben zu sein scheint.
Daß wir Gottes Rinder sind, offenbart sich in dem Gottvertrauen, das uns erfüllt.
Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge
zum besten dienen,
hierin zeigt sich, daß der Glaube seinem Wesen
nach schon eine sittliche Tat ist. Venn in diesem Gottvertrauen liegt die sittliche Aufgabe beschlossen, uns in den Zusammenhang des natürlichen Weltgeschehens zu stellen und alles, was uns widerfährt,
in Freud' und Leid, Not und Unglück, Hilfe und Glück unter den
Gesichtspunkt des göttlichen wollens und also der göttlichen Willens« erfüllung zu rücken, so zu deuten und so zum Bau unseres inneren Menschen zu verwerten.
Dieser Gesichtspunkt der Ewigkeit ist ja
das, wonach Nietzsche immer lechzt und den er in dem Wiederkunfts gedanken sich selbst schafft.
Seine Art, das Leben zu deuten und
zu verwerten, seine Notwendigkeit zu einer erhabenen Möglichkeit umzuwandeln, rechnet er sich zum höchsten Gewinn und wohl gar
zum höchsten Ruhm: „Ich habe mich oft gefragt, ob ich den schwersten Jahren meines Lebens nicht tiefer verpflichtet bin als irgend welchen anderen.
So wie meine innerste Natur es mich lehrt, ist alles Not
wendige aus der höhe gesehen und im Sinne einer großen Ökonomie auch das Nützliche an sich — man soll es nicht nur tragen, man
soll es lieben." — wenn auch unser Ideal ein anderes, diese Art, das Leben anzufaffen, ist durchaus christlich.
Aber, was bei ihm
eine Erhabenheit ist, ist bei den Thristen — eine Lächerlichkeit! Vieser falschen Wage macht Nietzsche sich leider öfter schuldig, z. B. der haß gegen die Lüge kommt aus einem hohen Ehrbegriff, bei
den Ehristen natürlich nur aus der Feigheit!
Der Instinkt macht
den Menschen glücklich, also ist er wahr — auch der Glaube macht
den Menschen^selig, also lügt er! Die Erlebniffe der Gotteskindschast und des Gottvertrauens sind für uns geknüpft an den Namen Jesu und an die Fortwirkungen,
die von ihm ausgegangen sind.
3n ihm sehen wir das Wesen der
Gotteskindschast erfüllt und erschöpft.
Ihr wesen ist Liebe.
Liebe
zu Gott, Gemeinschaft mit Gott. Die Nächstenliebe ist daher ihrem wesen nach die Liebe zu
dem Bilde Gottes im Menschen.
Diesem zukünftigen Menschen
bilde zuliebe fordert Jesus von seinen Jüngern die schwersten Dpfer, diesem Menschenbilde — das heißt also Gott — zuliebe hat Jesus
sich selbst geopfert. Viesen Lwigkeitsgesichtspunkt hat also auch die Nächstenliebe als den höchsten festzuhalten,
stuf seine Weise hat
auch Nietzsche dieser Wahrheit Nusdruck gegeben, wenn er in der „Morgenröte" schreibt: „Wie? Vas Wesen des wahrhaft Moralischen
liege darin, daß wir die nächsten und unmittelbarsten folgen unserer
Handlungen für den andern ins Auge fassen und uns danach ent scheiden? Dies ist nur eine enge und kleinbürgerliche Moral, wenn
es auch Moral sein mag: aber höher und freier scheint es mir ge dacht,
auch über diese nächsten folgen für den andern hinweg
zusehen und entferntere Zwecke unter Umständen auch durch das
Leid des anderen zu fördern." — wir können von unserm christ
lichen Standpunkt aus wohl einen tiefen Sinn darin finden, wenn
Nietzsche der Nächstenliebe die Zernstenliebe, d. h. der Zeitlichkeits liebe die Ewigkeitsliebe entgegenstellt,
wir dürfen fteilich dabei
nicht vergessen, daß solche scharf zugespitzten Antithesen, wie Nietzsche
selbst einmal sagt, die enge Pforte sind, durch die der Irrtum sich zur Wahrheit schleicht. wir finden das Wesen des Menschen nicht in dem, was er ist,
sondern in dem, was er sein soll, was er werden mutz.
Nicht seine
Beschaffenheit gibt ihm seine würde, sondern seine Bestimmung und
die Kraft, mit der diese höhere Bestimmung ihn erfaßt und in ihren Dienst stellt, mit der er sich diesem Zuge nach oben hingibt.
Bestimmung aber liegt nicht außer ihm.
Diese
Er selbst ist das Werk,
zu dem er berufen ist; das Werk, zu dem seine Seele sich streckt, ohne deffen Erfüllung seine Seele keine Sättigung findet, weil die
Anlage zu diesem Bilde in ihm liegt als Keim und Same.
Ein
neues Menschenideal hat Jesus gesehen und darum auch eine neue
Gottesidee.
Er
sah
im Menschen jede Möglichkeit der sittlichen.
Vollendung schlummern, sah in ihm eine Pflanzung großer Ver heißung, einen Garten voll Kommender Zrüchte. wir sind Gotteskinder, denn das Verhältnis der Gotteskind-
schast und Gottesliebe besteht.
Aber wir sollen auch Gotteskinder
werden, denn das Wesen der Gotteskindschast soll sich erst entfalten
„Ihr sollt vollkommen sein,
nach dem vollendeten vorbilde Jesu:
gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist."
was du bist.
Also: werde,
Der Wille zur Idee ließe sich mithin jetzt bestimmen
als Wille zum eignen Selbst, das heißt zu dem neuen höheren
Mt dem Worte: „Liebe und tue, was du willst"
Selbst in uns.
kann der Christ eine deutlichere und inhaltreichere parallele auf stellen zu dem Nietzscheschen Worte:
„Ach,
daß ihr meine Worte
verstündet: tut immerhin, was ihr wollt, — aber seid erst solche, die wollen können!"
Und ohne Rückhalt können wir uns das
Wort Nietzsches aneignen:
„Nicht woher ihr Kommt, mache euch
fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! euer Fuß, der über euch
(Euer Wille und
selber hinaus will, — das mache eure
hier findet auch wohl das schöne Wort Zarathustras
neue Ehre!"
seine Stelle, das sich gegen die
„Freigeister" wendet, welche nur
deshalb das Recht auf ihr Selbst betonen, um sich der Pflicht des
höheren Selbst zu entziehen: „Frei nennst du dich? Deinen herrschen den Gedanken will ich hören und nicht, daß du einem Joche ent ronnen bist.
Bist du ein solcher, der einem Joche entrinnen durste?
Es gibt manchen, der seinen letzten Wert wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf.
Frei wovon? Was schiert das Zarathustra?
hell aber soll mir dein Kuge künden: frei wozu?" So
erscheint
bestimmung.
die
christliche Sittlichkeit zunächst als
Selbst
Um dieser gewiß zu werden, bedarf es der Samm
lung, der Einsamkeit, der Selbstbesinnung, einer zeitweisen Selbst« bepanzerung.
Denn:
„Das, woran wir am tiefsten und persön
lichsten leiden, ist fast allen anderen unverständlich und unzugänglich:
darin sind wir dem Nächsten verborgen und wenn er mit uns aus einem Topfe ißt.
Überall
aber,
wo
wir als Leidende bemerkt
werden, wird unser Leiden flach ausgelegt; es gehört zum Wesen der mitleidigen Affektion, daß sie das fremde Leid des eigentlich
persönlichen entkleidet: — unsere .Wohltäter' sind mehr als unsere Feinde die verkleinerer unseres Wertes und Willens. Bei den meisten Wohltaten, die Unglücklichen erwiesen werden, liegt etwas (Empören«
des in der intellektuellen Leichtfertigkeit, mit der da der Mitleidige das Schicksal spielt: er weiß nichts von der ganzen inneren Folge
und Verflechtung, welche Unglück für mich oder für dich heißt!
Die
gesamte Ökonomie meiner Seele und deren Ausgleichung durch das
.Unglück', das Aufbrechen neuer Duellen und Bedürfnisse, das An
wachsen alter Wunden, das Abstößen ganzer Vergangenheiten — das alles, was mit dem Unglück verbunden sein kann, kümmert den lieben Mitleidigen nicht: er will helfen und denkt nicht daran, daß
es eine persönliche Notwendigkeit des Unglücks gibt, daß mir und
dir Schrecken, Entbehrungen, Verarmungen, Mitternächte, Abenteuer, Wagnisse, Fehlgriffe so nötig sind wie ihr Gegenteil.
Nein, davon
weiß er nichts: die .Religion des Mitleidens' (oder .das herz') ge bietet zu helfen, und man glaubt am besten geholfen zu haben, wenn man am schnellsten geholfen hat!"
Dieser Grundsatz, den wir für uns selbst geltend machen, hat
er nicht auch Geltung für unser Verhalten gegen den Nächsten?
worin können wir denn dem Nächsten helfen? Ist das unser ganzes Ideal, dem Nächsten im Leiden kleine Hilfen zu schenken, seine
Schmerzen zu lindern, ihm das Leben ein wenig behaglicher zu machen?
hat er nicht auch eine höhere Bestimmung? hat er nicht
zu dieser seinen eigenen weg, und auf diesem Wege seine eigenen Mittel, Erfahrungen, Freuden und Schmerzen, — und hat er das
nicht alles nötig?
Das höchste, was wir ihm erweisen können, ist
dies, daß wir ihm helfen, sein höheres Selbst zu gewinnen und zu
bewahren.
Dazu aber müssen wir ihm mehr geben als nur ge
legentliche Gaben unseres Mitleids oder einzelne Gedanken unserer Erfahrung,
wir müßen unser eigenes Selbst ihm geben, daß daran
seines Wesens Wille sich entzünde.
Das geschieht aber nicht durch
die plumpen Eingriffe eines schablonenhaften Methodismus, der die
Individualität des Nächsten wohl vergewaltigt und künstlich zurechtstutzt, aber nicht zu eigener reicher Entfaltung befruchtet. Das geschieht durch das geistige Fluidum, das von einer religiös-sittlichen Persönlichkeit
ausströmt und auf den Nächsten überströmt,
wie können wir aber
uns selbst geben, solange wir nichts sind, selbst etwas gemacht haben! —:
ehe wir nicht aus uns
„Wie es mich anwidert, einem
andern die eigenen Gedanken aufzudrängen!
Wie ich mich jeder
Stimmung und heimlichen Umkehr in mir freue, bei der die Ge
danken anderer gegen die eigenen zu Rechte kommen!
Hb und zu
gibt es aber ein noch höheres Fest, dann, wenn es einmal erlaubt ist, sein geistiges Haus und habe wegzuschenken, dem Beichtvater
gleich, der im Winkel sitzt, begierig, daß ein Bedürftiger komme und von der Not seiner Gedanken erzähle, damit er ihm wieder einmal Hand und herz voll und die beruhigte Seele leicht mache!
Nicht nur, daß er keinen Ruhm davon haben will: er möchte auch der Dankbarkeit aus dem Wege laufen, denn sie ist zudringlich und ohne Scheu vor Einsamkeit und Stillschweigen.
Hber namenlos und
leicht verspottet leben, zu niedrig, um Neid oder Feindschaft zu er
wecken, mit einem Kopf ohne Fieber, einer Handvoll Wissen und
einem Beutel voll Erfahrungen ausgerüstet, gleichsam ein Hrmenarzt
des Geistes sein und dem und jenem, dessen Kopf durch Meinungen zerstört ist, helfen, ohne daß er recht merkt, wer ihm geholfen hat! Nicht vor ihm recht haben und einen Sieg feiern wollen, sondern so zu ihm sprechen, daß er das Rechte nach einem kleinen unver
merkten Fingerzeig oder Widerspruch sich selber sagt und stolz dar
über fortgeht!
Wie eine geringe Herberge sein, die niemanden
zurückstößt, der bedürftig ist, die aber hinterher vergessen oder ver
lacht wird!
Nichts voraus haben, weder die bessere Nahrung, noch
die reinere Lust,
noch den freudigeren Geist — sondern abgeben,
zurückgeben, mitteilen, ärmer werden!
Niedrig sein können, um
vielen zugänglich und für niemanden demütigend zu sein!" — 3u einer solchen Rrt Nächstenliebe gehört aber eine heilige Vorsicht und
eine vorsichttge Heiligkeit: „Laßt uns nicht mehr so viel an Strofen, Tadeln und Bessern denken!
Einen einzelnen werden wir selten
verändern,- und wenn es uns gelingen sollte, so ist vielleicht un=
besehens etwas mitgelungen: wir sind durch ihn verändert worden! Sehen wir vielmehr zu, daß unser eigener Einfluß auf alles Kommende
seinen Einfluß aufwiegt und überwiegt! Ringen wir nicht im direkten Kampfe! — und das ist auch alles Tadeln, Strafen und Bessern
wollen.
Sondern erheben wir uns selber um so höher!
Geben
wir unserm vorbilde immer leuchtendere Farben!"
Es gilt, das höchste Ziel nicht aus dem Rüge zu verlieren; auf
Nebenzwecke, minderwertige Ziele zu verzichten. Es gilt, alle Zwischen
ziele in den Dienst des letzten und höchsten zu stellen.
(Es gilt, an
uns selbst auszuscheiden, was nicht fruchtbar gemacht werden kann, was dem Wachstum hinderlich ist: „Leben — das heißt: fortwährend
etwas von sich abstoßen, das sterben will."
Aber wie vieles in uns will nicht sterben, viele Möglichkeiten, die unserer wahren Bestimmung widerstreben, sind in uns bereits Wirklich
keit geworden. Rus Vererbung, Erziehung, Umgebung sind uns Gewohn heiten erwachsen, die herrschsüchtige Rechte geltend machen, welche wir ihnen doch nicht lassen können und wollen,
hieraus entspringt der
stete sittliche Kampf, die Notwendigkeit der Selbstüberwindung. Vie Gefahr, uns selbst zu verlieren, schlummert stets in uns und wird bei tausend Anlässen lebendig. Vie jedesmalige Besinnung
auf unser höheres Selbst, die Überlegung, ob wir folgen sollen oder
nicht, ob nachgeben oder entweichen, kommt da gewöhnlich zu spät,
wir werden von vielen Möglichkeiten überrascht und überwälttgt,
ehe wir uns besinnen.
(Es bedarf „einer Gymnastik des willens,
einer Rsketik im Leiblichen und Geistigen, einer Kasuistik der Tat inbezug auf unsere Meinung, die wir von unsern Kräften haben". — wir bedürfen einer harten Schule, bedürfen der Prüfungen, um
es zu einer Virtuosität des sittlichen Handelns zu bringen.
Diese
Virtuosität nennen wir Selbstbeherrschung. In dem Maße, als der Mensch sich selbst beherrscht, wird ihm
die Welt nicht nur ein Feld seiner Tätigkeit, Acker seiner Nahrung,
sondern auch
ein
wie ein Eichbaum seine Wurzeln nach allen
Seiten schlägt, auch Steinschichten durchbricht, aus Lücken und Spalten seine Nahrung sucht, — so braucht ein Tharakter weitere und tiefere Schichten für seine Bildung als ein Mensch ohne eigenes Selbst, so
nimmt auch er aus Nahem und Fernem die Elemente seines Wachs
tums, so ist auch bei ihm die höchste und beste Arbeit und Kraft in der Tiefe vor den Augen der Menschen verborgen, — seine beste
und fruchtbarste Kraft, jene, welche er — „nicht auf Werke, sondern
auf sich als Werk verwendet, das heißt auf seine eigene Bändigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zu
strömen von Aufgaben und Einfällen."
viele Kanäle aus der Welt
führen zu ihm hin und bringen ihm die Rohstoffe, aus denen sich sein höheres Selbst erbaut:
religiöse und
sittliche Persönlichkeiten,
Beruf und Arbeit, Kunst und Wissenschaft, Freude und Leid.
Das
ist des Christen Weltbeherrschung. „Es ist das Genie des Herzens, das alles Laute und Selbstgefällige verstummen macht und horchen
lehrt, das die rauhen Seelen glättet und ihnen ein neues Verlangen zu kosten gibt, — stillzuliegen wie ein Spiegel, daß sich der tiefe Himmel auf ihnen spiegle —; das Genie des Herzens, das die tölpische nnd überrasche Hand zögern und zierlicher greifen lehrt; das den verborgenen und vergessenen Schatz, den Tropfen Güte und
süßer Geistigkeit unter trübem dicken Eise errät und eine Wünschel rute für jedes Korn Goldes ist, welches lange im Kerker vielen Schlammes und Sandes begraben lag; das Genie des Herzens, von
dessen Berührung jeder reicher fortgeht, nicht begnadet und über rascht, nicht wie von fremdem Gute beglückt und bedrückt, sondern
reicher an sich selber."
Die verführerischen Möglichkeiten sind aber auch in der um gebenden Welt Wirklichkeit geworden und haben so doppelte Ge
walt.
Sie treten dem einzelnen als eine selbständige überwältigende
Macht entgegen in den rechtlichen Institutionen, den wirtschaftlichen
Verhältnissen, den gesellschaftlichen Beziehungen, in dem Zwang der Sitte, in den Strömungen des Zeitgeistes.
So gut wie sittliche Ideen
in diesen Lebenskreisen eine objektive Gestalt gewonnen haben, so
wie unzählige Nahrungskeime für unsere Persönlichkeit in ihnen liegen, so neben ihnen auch zerstörende Mächte, zersetzende Elemente, und in diesen der ganze schwere Zwang der Masse gegen den ein«
zelnen.
hier heißt es Kampf und Opfer, häufig auch Verzicht
leistung und Isolierung, damit man nicht um kleiner Güter willen große verliere.
Gegenüber der Welt hat sich die christliche Sittlich
Die christliche Selbst«
keit zu erweisen als Selbstbehauptung.
und Weltverleugnung ist also durchaus nicht nur negativer Art. Sie ist nicht Selbst- und Weltverneinung. nur die Kehrseite der Position. Kehrseite gesehen.
Das verneinende an ihr ist
Nietzsche hat leider immer nur diese
Die christliche Sittlichkeit ist Selbstbejahung, näm
Der Widerstreit zwischen mir und
lich Bejahung des höheren Selbst.
der Welt fällt ganz und gar in mein Inneres hinein, es ist der
Widerstreit zwischen meinem wahren Selbst und seinen Hemmungen.
(Es wird häufig unter der christlichen Selbstverleugnung nur die äußere gesetzmäßige Verzichtleistung auf allerlei Güter, Vorteile, Ge
nüße und
gesellschaftliche Beziehungen verstanden:
Das ist nicht die protestantische Auffassung.
die Weltflucht.
Diese trachtet nach der
inneren Freiheit, Kraft und Selbstgewißheit: Der Christ ist ein Herr
aller Dinge und niemand untertan. So werden wir auch am sichersten und im höchsten Sinne aller Welt Diener sein.
Durch jene nur ver
neinende Weltflucht dient der Mensch sich selbst, durch diese bejahende
Selbstbehauptung dient er der Welt. *
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3n der reichen und verheißungsvollen Periode der
„Unzeit
gemäßen Betrachtungen" redet Nietzsche noch von der höheren Kraft
der sittlichen Natur, welcher es gelingen mutz, eine neue und ver besserte Phpsis zu schaffen, ohne Innen und Außen, ohne Verstellung und Konvention. die
Und eine Kultur schwebt ihm vor Augen, in der
ersehnte Einhelligkeit zwischen Leben, Denken, Scheinen und
Wollen zur Wirklichkeit geworden ist.
Seine Ungeduld konnte nicht aus eine langsame geschichtliche Entwicklung und Erfüllung warten.
Sein Nadikalismus wollte die
Zeit überspringen, anstatt zu befruchten, um die Ewigkeit zu ge winnen.
So mußte er sich mit dem Schein und Schatten begnügen.
Vieser Schatten lockt zu tausend Abgründen und verdunkelt seine
Seele.
Wenn immer wieder vor seiner dürstenden Seele ein Ideal
austaucht, so wird es doch immer kleiner und enger.
Die Schatten
ballen sich und dichten sich, werden näher gerückt und greifbarer, verlieren aber auch immer mehr an ihrer Größe und ihrer im posanten Erhabenheit. das
eigene
Zuletzt kennt Nietzsche ja nur noch ein Ideal:
empirische Ich, Friedrich Nietzsche,
hier werden die
Schatten zu einem Schleier, der den Geist in dunkle Nacht verhüllt.
Wir glauben, Nietzsche ein Ideal entgegensetzen zu können von größerer Klarheit und Bestimmtheit, ein heilsameres und höheres
Ideal, in das wir alles Schöne und Edle mit einschließen können, was Nietzsches Seele bewegt hat:
das Ideal der sittlichen
Persönlichkeit.
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